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Title: Der Schandfleck : Eine Dorfgeschichte
Author: Anzengruber, Ludwig
Language: German
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                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1920 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
  verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
  fremdsprachliche und regional gefärbte Ausdrücke wurden nicht
  geändert.

  Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere
  Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
  Sonderzeichen gekennzeichnet:

      gesperrt:         +Pluszeichen+
      Antiqua:          ~Tilden~

  ####################################################################



                            Der Schandfleck

                          Eine Dorfgeschichte

                                  von

                           Ludwig Anzengruber

                     Herausgegeben und eingeleitet

                                  von

                            Carl W. Neumann

                                Leipzig

                Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.



Einleitung


Ein Menschenalter ist hingeflossen, seit man in Wien (am 12. Dezember
1889) den fünfzigjährigen Anzengruber zu Grabe trug. Im kommenden Jahr
also wird, was er schrieb, nun Gemeingut des Volkes -- gesetzlich frei
zur Vervielfältigung und Verbreitung für jedermann.

Es sind nur vereinzelte deutsche Dichter, die aus dieser schönen
Gesetzesbestimmung Gewinn für ihr Lebenswerk ziehen; wenige nur werden
auserwählt von den vielen Berufenen. Das Urteil der Mitwelt hält nicht
immer stand vor dem unparteiischen Richterspruch der Geschichte, die
alles abzieht, was die Gunst des Augenblicks einem Dichter an Kränzen
gewunden. Bei Anzengruber jedoch hat es stand gehalten. Er hat seinen
gesicherten Platz in der Literaturgeschichte, die seinen Namen mit
Ehrfurcht ausspricht, und seinen nicht weniger sicheren Platz in den
Herzen des Volkes. Und das ist bei ihm das Entscheidende.

„Ich sah dem Volke nackten Unsinn bieten, oft mit krausester Tendenz
verquickt, Handlung, Charaktere, alles unwahrscheinlich, unwahr, nicht
überzeugend, so daß der guten Sache der Volksaufklärung mehr geschadet
als genützt wurde. Und rings lagen doch so goldreine, so prächtige
und mächtige Gedankenschätze, ausgestreut von den Geistesheroen aller
Zeiten und Völker. Alles das mußte sich in kleiner Münze unter das Volk
bringen lassen, von der Bühne herab, aus dem Buche heraus. Ein anderer
wollte sich nicht finden, welcher der Zeit das Wort redete, also mußte
ich es sein.“ In diesen Sätzen aus einem Briefe an Julius Duboc hat er
sein Ziel und den Weg dazu leise angedeutet: der Zeit das Wort reden,
das war’s, was er wollte. Und wenn wir sein Werk daraufhin überprüfen,
so müssen wir ihm schon die Auszeichnung lassen, daß er wie wenige vor
ihm und nach ihm das Zeug dazu hatte.

Am liebsten sprach er zum Volk von der Bühne herunter, nach der
sich schon früh seine Kräfte spannten und der er als wandernder
Thespiskärrner beinahe ein volles Jahrzehnt hindurch angehörte.
Die lange Reihe seiner Bühnenwerke, vom weit und breit bekannten
„Pfarrer von Kirchfeld“ (1870), der seine erste, bis zu dem „Fleck
auf der Ehr“ (1889), dessen erfolgreiche Aufführung seine letzte
große Lebensfreude bedeutete, legt Zeugnis ab für den heiligen Ernst,
der sein Schaffen im Dienste der Volksaufklärung und Volkserziehung
beseelte. Es steckt ein Stück Kulturgeschichte in diesen Werken, im
gewaltigsten Drama wie in der ausgelassensten Komödie; sie sind wie
ein Spiegel der mancherlei sittlich-religiösen Tendenzen, die seine
Zeit bewegten und erschütterten. Wie er im „Pfarrer von Kirchfeld“ das
wahrhafte Christentum ausspielt gegen den Geist des Zelotentums und der
Unduldsamkeit, so ist im „Meineidbauer“ die fromme Gewissenssophistik
des Titelhelden, die selbst das Verbrechen zur göttlichen Schickung
umlügt, der Angelpunkt des Geschehens. In „Hand und Herz“ ist es die
Unlösbarkeit der katholischen Ehe, die er an einem herben Einzelfall
als menschlich und sittlich verwerflich erweist; im „Vierten Gebot“,
seinem wuchtigsten Drama, schärft er mit Nachdruck den Eltern ein:
Seid eingedenk euerer Verantwortlichkeit! Der Zeit das Wort reden,
das war’s, was er wollte. Der Widerspruch gegen Aberglauben und
fromme Duckmäuserei, gegen kirchlichen Zwang, gegen alle geistigen
und sozialen Ungerechtigkeiten lag ihm im Blute, so wenig der tiefe
Menschenkenner und große Gestalter deshalb zum „Tendenzdichter“ wurde.
Wahrheit verlangte und bot er, Wahrheit und Ehrlichkeit der Gesinnung,
und seine höchste Moral war auf Mitleid gegründet. Die seine Sache zu
führen haben, sind immer die Ärmsten und Letzten in der Gemeinde, die
„Leidensfiguren aus dem Volke“, die Wurzelsepp oder Steinklopferhanns,
und immer lautet die Anklage dann auf zu wenig Mitleid und
Nächstenliebe. Für unsere Zeit kann es keinen moderneren Dichter geben
als Ludwig Anzengruber. Ihn, den bei Lebzeiten nach seinen eigenen
Worten die Mode versinken und darben ließ, muß die Gegenwart zwiefach
verehren und lieben, als Schutzgeist der Gewissensfreiheit und Anwalt
aller Bedrückten.

Er war aber nicht bloß Dramatiker, er war auch Erzähler, und wiederum
einer von großem Format und von eigener Prägung. Nicht alles, was er
geschrieben hat, läßt das erkennen; zu oft zwangen Sorge und Not ihn
zu billiger Tagesleistung. Schriftsteller, „die nur tun müssen, was
sie nicht lassen können, aber was sie lassen wollen nicht tun müssen“,
hat er sein Lebtag beneidet. Wem seine „Dorfgänge“ aber vertraut sind,
die er noch selber für die Gesamtausgabe seiner Werke zusammengestellt
hat, die tiefschürfenden Charakterstudien vom „gottüberlegenen Jakob“
und „Hartingers alter Sixtin“, vom „Sündkind“, vom „Sinnierer“ oder
vom „Mann, den Gott lieb hat“; wer seine erschütternde Novelle „Der
Einsam“, vor allem jedoch seine großen Romane „Der Sternsteinhof“ und
„Der Schandfleck“ kennt, der weiß, daß sie kräftig vom Leben durchglüht
und mit der Gestaltungs- und Erfindungsgabe des echten Künstlers
entwickelt sind.

Auch dem Erzähler blickt meist der Dramatiker über die Schulter. Die
Charaktere so sicher wie möglich zu erfassen und aus ihrem Wesen
und Wirken, ihren Gesinnungen und Leidenschaften naturnotwendig
ihr Schicksal hervorwachsen zu lassen, das lockt ihn am meisten.
Die breite, behagliche Freude am Ausmalen und am Beschreiben, das
liebevolle Sicheinfühlen in die Umgebung, das Gottfried Keller als
Epiker groß und bedeutend macht, ist ihm fremd. Nicht wenige seiner
Erzählungen sind überhaupt echte Dramenstoffe, die nur aus begründeter
Furcht vor der Wiener Zensur nicht die Bühne erreichten.

Zu dieser letzteren Gattung gehört auch der „Schandfleck“, der erste
große Roman Ludwig Anzengrubers, der Weihnachten 1876 als Buch
herauskam, nachdem er zuvor in der österreichischen Familienzeitschrift
„Die Heimat“ veröffentlicht worden. Der Dichter stand auf der Höhe
des Ruhmes. Der „Pfarrer von Kirchfeld“, der „Meineidbauer“ und
die drei Meisterkomödien „Kreuzelschreiber“, „Gewissenswurm“ und
„Doppelselbstmord“ hatten die Probe im Rampenlicht glänzend bestanden,
dagegen war der Erzähler Anzengruber bisher nur mit kurzen Geschichten
und Märchen hervorgetreten. Würde der große Roman den Vergleich mit den
Dramen vertragen?

Die Frage war nicht unbedingt zu bejahen. Während der erste, im
Dorfleben wurzelnde Teil der Erzählung vortrefflich geglückt war,
fiel die Geschichte im zweiten Teil -- Schauplatz Wien -- merklich
ab. So ungleichwertig waren die beiden Hälften, daß Geibel beim Lesen
den Eindruck gewann, als ob eine fremde Hand den Roman von der Mitte
ab fortgeführt habe, und Berthold Auerbach schlechthin erklärte,
so kraftvoll und plastisch der erste Teil sei, so „unbegreiflich
abgeschmackt“ sei der zweite. Wir wissen heute, worauf das beruhte: der
Dichter gab leider der Einwirkung nach, zugunsten der Zeitschrift und
ihres Leserkreises den Schauplatz vom Dorf in die Stadt zu verlegen.
Die Stadt aber, wenn sie auch Wien heißen mochte, blieb stets seiner
Muse ein fremdes Gebiet.

Die heutige reife Gestalt des Romans ist das Werk einer späteren
Umarbeitung, und daß sich der Dichter dazu bereit fand, bereit finden
+konnte+ in seiner Lage, die ständig ein Kampf um das tägliche Brot war
-- das ist das Verdienst eines trefflichen Mannes, der Anzengruber
die Möglichkeit schenkte, eine Weile dem drängenden Tageserwerb zu
entrinnen. Ohne sich selbst zu erkennen zu geben, ließ er dem Dichter
im Herbst 1879 von Hamburg aus „als die Spende ungenannter Freunde
seines Talents“ die Summe von tausend Gulden zur Verfügung stellen und
daran den Wunsch der Verehrer knüpfen, es möge der „Schandfleck“ die
Fassung erhalten, die dessen ursprünglichem Anlageplane entspräche.

Anzengruber hat lange gezögert, das Angebot sich zu eigen zu machen.
Wohl kannte er selbst die Achillesferse, doch bangte ihm nicht
allein vor dem harten Stück Arbeit einer tiefgreifenden Umgestaltung
des „Schandfleck“, die für beträchtliche Zeit alle anderen Pläne
zurückdrängen mußte, er glaubte auch hinter dem Angebot jenen
selbstlosen „allerentferntesten“ Freund zu erkennen, der wiederholt
seine lebhafte Teilnahme an dem Roman schon betätigt hatte: den
feinsinnigen Ästhetiker Wilhelm Bolin, der als Professor und
Bibliothekar an der Universität Helsingfors wirkte. Durfte er aus
dieses Freundes Hand solch ein Geldopfer hinnehmen? „Ein Anbot, wie es
mir gemacht wird, kommt nicht ohne irgendeinen Anstoß,“ schrieb er am
9. November 1879 dem Hamburger Mittelsmann, „das kommt nicht von einer
Anzahl Leser, die bloß an dem +Autor+ teilnehmen, das kommt von einer
auch dem +Menschen+ befreundeten Seite; ich denke nun -- ich weiß es
allerdings nicht, aber ich halte mich für berechtigt, es zu denken --
daß ich keinen Freund habe, dem in der fraglichen Angelegenheit selbst
nur durch die Ergreifung der Initiative nicht ein Opfer auferlegt wäre,
und ein solches anzunehmen, dazu halte ich mich nicht berechtigt.“
Erst als die ungenannten Freunde seine Bedenken zerstreut und ihm
ausdrücklich versichert hatten, daß keinerlei Opfer vorwalte, nahm
Anzengruber die Geldspende an. Sobald er einigermaßen die Hände frei
habe, werde er sich an die Neuschöpfung machen, die eine gewisse
Feiertagsstimmung bedinge; Werkeltagsarbeit vertrüge die Sache nicht.

Es war, wie der Dichter ganz richtig vermutete, wirklich Bolin, der
ihm über Hamburg hinweg die gefüllte Freundeshand reichte, doch hat er
zeitlebens den Sachverhalt nicht erfahren. Erst 1890 lüftete Wilhelm
Bolin sein Inkognito durch die Erklärung, er habe das Honorar für seine
schwedische Bühnenbearbeitung Shakespeares nicht besser verwenden zu
können geglaubt, als zur Erlösung des Schandfleck-Romans aus der ihm
durch redaktionelle Willkür aufgezwungenen bösen Entstellung.

Für Anzengruber bedeutete damals die Spende nicht wenig. Viel größer
jedoch ist der Dauergewinn, den sein schwedischer Freund unserer
deutschen Literatur dadurch sicherte.


+Leipzig+, Dezember 1919.

                                                        Carl W. Neumann.



Der Schandfleck



1.


Zu beiden Seiten der Straße erhoben sich Hügel, dehnten sich mählich
hinan und machten den Versuch, eine Gebirgskette aufzubauen, welche
aber etwas nieder ausfiel. Es war eine vornehme Straße, sie erlaubte
den Häusern nur rechts und links Spalier zu machen und bewilligte der
Ortschaft nur eine einzige Gasse. Ab und zu verzweigte sich auch ein
Fahrweg und wand sich zwischen den Hügeln hindurch. Wer sich dort
angesiedelt hatte, in den vereinzelten, verstreuten Gehöften, der
gehörte wohl zur Gemeinde, aber ein Ortskind war er nimmer, er wohnte
-- wie sollte man es heißen, in der Schlucht, im Hohlwege? Das hieße
den sanftansteigenden Hügeln doch zu viel romantische Ehre antun, der
Volksmund traf auch hier das Richtige und nannte diese Wegstrecken
„Gräben“, und so wohnte ein und der andere Bauer im „mittleren“, im
„Heu-“, „Wasser-“ oder sonst irgendeinem Graben.

Im „mittleren“ Graben, nahezu eine halbe Stunde vom Orte, befand
sich ein Häuschen, über dem Hügel vor demselben stand die Sonne und
spiegelte sich in den Fensterscheiben, diese gaben für diesmal das
Bild in scharfen Umrissen wieder, denn sie waren dicht verhangen. Im
ganzen Gehöfte ist alles still und ruhig, nur in der Küche, gerade vor
der Stube mit den verhängten Fenstern, da brodelt manchmal vorlaut das
Wasser in einem Topfe, oder es tropft von einem Deckel und verzischt
auf der heißen Herdplatte; eine stämmige Dirne, die da herumhantiert,
ruft dann immer ein strafendes „Pscht“, nach einer Weile aber beginnt
sie einen Ländler vor sich hinzusummen, bis sie ein Schmerzenslaut aus
der Stube vermahnt, daß sich das doch auch nicht recht schicken will,
und dann läuft sie geschäftig nach der Tür derselben und guckt hinein
und nickt den beiden Weibern zu, die da drinnen um die in Kindesnöten
liegende Reindorferin geschäftig sind; geschäftig wohl nur die eine,
die künftige Gevatterin, die andere, ein altes, zusammengeschrumpftes
Mütterchen, blickt aus großen nichtssagenden Augen, als ob sie sich
über alles höchlich verwundern würde, sitzt aber eigentlich ganz ruhig
nebenbei und wartet, bis die Pflicht sie ruft.

Draußen im Hofe steht ein alter Mann, er mag sich immerhin auf seinen
Taufschein berufen, der ausweist, daß er noch nicht die erste Hälfte
der Fünfziger überschritten hat, er ist aber von der Zeit so übel
mitgenommen, daß ihm diese Berufung wenig nützen wird, er denkt wohl
auch nicht daran, und was den Taufschein anlangt, wäre ihm wohl lieber,
der Pfarrer hätte nie die Mühe gehabt, einen Joseph Reindorfer in das
Kirchenbuch einzutragen.

Also der Bauer war es, der Herr der Liegenschaft, der Joseph
Reindorfer, der da draußen im Hofe vor einem Leiterwagen stand, dem
ein magerer Braun vorgespannt war; auf dem Sitzbrette saßen ein
vierschrötiger Bursche, etwa sechzehn Jahre alt, und ein Mädchen, das
vierzehn zählen mochte, die Kinder des Bauers.

Reindorfer nahm die Peitsche, die an der Deichsel lehnte, und langte
sie dem Jungen zu. „Nun macht, daß ihr fortkommt, grüßt mir meinen
Bruder und fahrt fein gescheit, es hat keine Eile, ihr braucht mir“ --
setzte er verlegen hüstelnd hinzu -- „nicht vor Abend heimzukommen.“

Der Bursche lachte. „Tut doch der Vater gerade, als wüßte man von
nichts!“

Das Mädchen wurde rot, blickte zur anderen Seite des Wagens nieder und
stupfte den Bruder leise mit dem Ellbogen.

„Was wirst auch viel wissen,“ brummte der Bauer.

„Für seine alten Tage,“ sagte der Bursche keck, „hätte der Vater auch
gescheiter sein können.“

Der Alte riß eine Mistgabel an sich und holte damit aus, aber er
besann sich, sah den Buben giftig an und schlug nach dem Pferde, das
erschreckt zum Hoftor hinausjagte und den Wagen hinter sich her riß.

Das Mädchen kreischte, der Junge fluchte und als er den Wagen in
ruhigen Gang gebracht hatte, sagte er zur Schwester: „Der Hof ernährt
ohnedem kaum eines, bist du schon zu viel, weil du ja auch ausgesteuert
werden sollst, nun soll gar noch ein drittes davon fressen und zehren
und beteilt werden.“

Er machte durch einen Peitschenhieb seinen Gefühlen Luft, und das
Mädchen, das im übrigen seine Anschauungen zu teilen schien, vergalt
die Anspielung auf sich nur durch einen nicht ernst gemeinten Puff.

Reindorfer hatte das Hoftor hinter den Davonfahrenden geschlossen,
jetzt ging er langsam dem Garten zu; als er an der Küche vorüberkam,
trat die Magd an die Schwelle und lächelte ihm zu, er sah sie groß an,
dann wandte er sich ab und schritt kopfschüttelnd weiter. Im Garten war
eine Laube, dicht mit Reben umrankte Latten, dort ließ er sich auf die
Bank nieder, stemmte die Ellbogen auf den Tisch und starrte auf den
feinen Kies der Wege.

Durch das breite Weinlaub spielte das Sonnenlicht, die Wiese, die
hinter dem Garten hinanstieg, ließ es in hellem Grün erglänzen, bis
hinauf zu dem Kamme des Hügels, den eine tiefdunkle Tannenwaldung
umsäumte. Kroch, schwirrte und surrte es nicht durcheinander in Halmen,
Büschen und Bäumen, flatterte, flirrte und sang es nicht in den Lüften?
Das wirkt der Sonnenschein mit Licht und Farbe und Wärme -- es ist
doch sonst oft dem Bauer dort in der Laube das Herz im Leibe dabei
aufgegangen, daß ihm das Grün so erfreulich, der Vogelsang so lustig
schien, warum gerade heute nicht, wo man aus der linden, wohligen Luft
mit jedem Atemzuge Lebensfreudigkeit und Lebensmut in sich sog, wo im
lieben klaren Tageslichte jede Sorge verbleichen mußte; warum schlich
er nicht über den Hof, und stahl sich leise durch die Küche, und
lauschte an der Türe der Stube mit den verhängten Fenstern, die Magd
hätte ihn sicher nicht verraten und wunder nähme sie es auch nicht,
wenn er es täte, das wollte sie ihm nur zu verstehen geben, als sie ihn
vorhin anlachte -- warum hielt er sich ferne?

Ein paarmal rückte der alte Mann unentschlossen auf der Bank hin und
her. „Solltest doch nachschauen geh’n, daß es nicht auffällt. Ja, wer
es so weg hätte, sich zu verstellen, daß es ihm niemand anmerkt und
jeder glaubt! Vielleicht verstellt sich die ganze Welt so, als wär’
alles gut und schön, und es ist der Sonn’ nicht ernst damit und dem
Gefiederwerk, das da herumlärmt; und dem ganzen lichten Tag ist es
anders um das Herz, als er glauben machen will, und ich trau’ ihm heut’
nicht.“

Ja, er hatte seinen guten Grund, fernzubleiben, aber er konnte
ihn niemandem sagen, denn auch der Bauer hält auf seine Ehr’ und
Reputation in der Gemeinde und vor den Nachbarsleuten, und eben darum
durfte er nicht auffällig tun, daß man nach keinem Grunde suchte, eben
darum sollte er doch nachschauen geh’n, damit keines ahnen konnte, was
ihm, dem Reindorfer, nur zu gewiß war.

+Das Kind war nicht sein!+

Ja, wer es weg hätte, sich so zu verstellen! Was heute kommen sollte,
war schon lange vorher zu wissen, von dem Tage an, wo es sich nicht
mehr verheimlichen ließ, daß die Bäuerin sich vergessen habe, und wo
er sich mit Mühe zurückhielt, daß er sie nicht mißhandelte. Er wollte
ihr erst ein volles Geständnis erpressen, aber die Bäuerin schwieg
in hilf- und ratloser Scham, und als er ruhiger geworden, da dachte
er, er brauche ihr nicht abzufragen, was er wohl wußte. Herbergte er
nicht im vergangenen Herbste ein paar Tage den Bankert des Müllers im
Wasser-Graben, den Urlauber, dem niemand Gutes zutraute, und der in
der Stadt drinnen vor nicht lang auch wieder eine ins Unglück gebracht
haben soll? --

Bisher meinte er, er würde es auch, wenn die schwere Stunde käme,
erzwingen können, daß er den Leuten keinen Anlaß zum Nachdenken gäbe,
aber jetzt stand sie vor der Türe und er konnte nicht wider das Gefühl,
das ihm die Brust verschnürte.

So saß er denn da außen im Garten, sah nieder auf den Kies und traute
dem leuchtenden Tage nicht, von Zeit zu Zeit seufzte er schwer auf, als
wollte es ihm -- volkstümlich gesprochen -- das Herz abdrücken. Das
machte ihn verwirrt, denn jeder Seufzer erinnerte ihn, daß er litt,
körperlich litt, daran hatte er nicht gedacht und nun war ihm, als sei
alles in seiner Brust zusammengeschrumpft, leer, und eine ungeheure
Last drücke von außen nach, als wollte sie ihm den Brustkasten in die
Höhlung pressen, und dieses Gefühl ließ sich nicht verwinden, darunter
seufzte er auf.

„Man kommt nicht auf gegen das Blut, meint man’s noch so gescheit, man
kommt ihm nicht auf! Sagt ja auch die Bäuerin aus, sie hätt’ niemal
kein’ Gedanken an so was gehabt und weiß jetzt selber nicht, wie sie
es hat tun mögen. Was taugt aber der Mensch, wenn er auf sich selber
kein’ Verlaß hat? Dann sind Treu und Glauben auf der Welt Narrensachen!
Wofür ist gar ein Sakrament auf der Ehe, wenn eines so ungerufen durch
eine Hintertür ins Leben kommen kann? Wär’s nicht recht und ihm selber
besser, ich brächt’ den Bankert gleich um?“ -- Seine Hände zuckten
krampfhaft ... und da sah er auch leibhaftig das Kind vor sich liegen,
mit dem gleichmütigen Munde und den großen verwunderigen Augen, er zog
die Arme an sich und dachte an den schuldigen Teil. „Zwanzig Jahr’ hat
sie ausgehalten, hat sich jung nie was vergeben, auf ihr Alter hat sie
sich’s versparen müssen. Ich weiß mich nicht aus, o du heiliger Gott,
ich weiß mich nicht aus! Wir waren nie anders als gut aufeinander,
sie hat es oft selber gesagt, sie könnt’ sich nicht beklagen; zwanzig
Jahr’, zwanzig Jahr’ haben wir in Ehr’ und Einträchtigkeit verlebt,
da vergißt sie ’n Mann und ihre eheleiblichen Kinder um einen
hergelaufenen Lumpen und nicht lange von heut, so läuft -- als müßt’
es sein und gehör’ es ihm -- der lebendige Schandfleck im Hause und
in der Familie herum! Sie hätt’ mir’s doch nicht antun sollen, sie
hätt’ mir’s doch nicht antun sollen!“ Sein Blick wurde ungewiß und
seine Mundwinkel zuckten. Da erhob er sich, strich mit der harten,
schwieligen Handfläche über den Tisch. „All’ vorbei!“

Er ging zurück über den Hof.

„Treu und Glauben sind Narrensachen!“

Als er vorbeikam, wollte der Kettenhund an ihm hinaufspringen, er aber
jagte ihn mit einem Fußtritte in die Hütte, dann tat er ihm wieder
leid. „Sultan,“ rief er, „Sultan!“ Und klatschte sich auf das Knie.

Der Hund war verschüchtert und verkroch sich in das Stroh.

„Herein, da herein!“

Das Tier gehorchte und er tätschelte ihm mit der Hand auf den breiten
Schädel. „Ja, ja, du bist mein guter Hund, ich weiß, ich weiß schon,“
sagte er, als der plumpe Köter vor Freude immer in wunderlichen halben
Sprüngen aufhüpfte. „Auf dich ist schon Verlaß, dich kann freilich
nicht verdrießen, daß du bleibst, wie du bist -- ist dir ja gar keine
Zeit gelassen -- bringst es ja kaum auf zwanzig Jahr’! -- Bist nur ein
dummes Vieh und bleibst eines! -- Ja, ja -- bist ein braver Hund!“

Er bückte sich hinab und beschwichtigte das immer zudringlicher
werdende Tier. Da kam jemand rasch heran und blieb neben ihm stehen
und sagte: „Bauer, es ist da, ein Dirndl ist’s!“ Es war die Magd.
Reindorfer erschrak, er blickte empor, kniff die Augen zusammen, verzog
grinsend den Mund und nickte ein paarmal hastig mit dem Kopfe. Er
dachte, er habe das recht hübsch gemacht und niemand könne es anders
deuten, als er sei über die Botschaft erfreut, die Magd nahm es auch
dafür und lief vor ihm her nach der Küche, öffnete die Stubentüre und
lachte hinein: „Der Bauer kommt schon!“

Reindorfer trat in das Zimmer, nahte sich auf zwei Schritte dem Bette
und sagte, ohne die Bäuerin anzusehen: „Ich bin froh, daß es vorüber
ist!“

Das Kind wurde ihm in den Arm gelegt. Es schrie kräftig und schien
stark und gesund.

Da war es, trug kein Mal und kein Zeichen, -- war ein Kind wie ein
anderes.

„Daß es leben mag!![1]“

Der Bauer schüttelte den Kopf, die Hände begannen ihm unter der
winzigen Last zu zittern, und die Wöchnerin verlangte hastig das Kleine
zurück.

Nachdem er mit einigen hervorgestotterten Worten den beiden Weibern
gedankt hatte, „für ihre Freundschäftlichkeit und Gutheit und
Hilfeleistung“, versah er sich mit Pfeife und Tabaksblase und verließ
die Wochenstube. In der Küche brannte er mit einer Kohle den Tabak an,
klappte den Pfeifendeckel zu, schritt dann über den Hof hinaus auf den
Fahrweg und wandelte wie ein Träumender dahin.

In wirren, wechselnden Bildern drängten sich dem alten Manne die
Erinnerungen seines Lebens auf und er sammelte und sichtete, wie es
sich bot, ob es fern oder nah lag, was er genossen oder gelitten, gut
gemacht oder übel getan, und suchte es gegeneinander abzuwägen; denn
was eines erlebt, das muß doch einen Sinn haben, Freud’ und Leid,
Rechttun und Verschulden mußte sich ja doch ausgleichen! Aber die
Rechnung wollte ihm nicht stimmen.

Warum er den Hof verlassen hatte und jetzt beharrlich nach einer
Richtung den Weg verfolgte, er wußte es nicht. Plötzlich blieb er
stehen und horchte auf, er vernahm das Geräusch eines herankommenden
Wagens, nun besann er sich, seinen Kindern war er entgegengegangen. Nun
rief er sie an, sie mußten halten und ihn auf das Sitzbrett, in ihre
Mitte nehmen. Da saß sich’s gut.

„Nun, wie geht’s daheim?“ fragte der Bursche.

„Eine Schwester habt ihr gekriegt.“

Mehr sagte der Bauer nicht und die beiden frugen nicht weiter und so
fuhren sie denn schweigend dahin.

Abenddämmer lag über den Matten.

Als sie der Stelle zulenkten, wo der „Wasser-Graben“ in den ihren
einmündet, da rasselte ein anderes Fuhrwerk daher und sie wurden
angerufen: „Liebe Leuteln, haltet ein wenig auf, laßt mich vorfahren!“

„Ist’s nicht der Knecht aus der Mühl’?“ fragte Reindorfer, indem er die
Zügel anzog. „Wohin noch in der Eil’?“

„Nach’m Pfarrhof. Der Müller macht’s nimmer lang! Gute Nacht!“

Damit polterte der Wagen ihnen voran, er war ihnen lange aus Gesicht
und Gehör, als sie durch ihr Hoftor einfuhren.

Vom Hofe aus führt eine Stiege nach dem Dachboden, einige Pfeiler
stützen sie, und der Raum zwischen ihnen und dem Treppengang heißt „die
Lauben“, in derselben befand sich ein Tisch und dahin trug jetzt die
Magd das Abendessen für den Bauer und das Gesinde. War ja ohnedies heut
spät geworden.

Der junge Reindorfer trat nur unter die Türe, um seine Mutter zu
grüßen, das Mädchen aber schlüpfte an ihm vorbei und eilte zur Wiege.

Die Bäuerin erwiderte den Gruß ihrer Kinder, dann kehrte sie sich
hinüber zur Wand.

Als der Bursche die Türe hinter sich zuzog, sagte die Tochter, welche
sich über den Säugling gebeugt hatte: „Ist ein klebers[2] Ding. War ich
auch so?“

„Ist doch keines anders.“

Der Bescheid ward mit halb ungläubigem Lächeln aufgenommen.

„Gute Nacht, Mutter!“

Die Wöchnerin war allein -- und sie sollte auch allein bleiben.

Nach dem Abendessen und geschehener Danksagung bedeutete Reindorfer die
Magd, sie möge in der Küche schlafen, daß sie zur Hand sei, wenn etwa
der Bäuerin nachts etwas zustoßen sollte, er meine aber, Ruhe sei ihr
vor allem vonnöten, und darum geh’ er heute mit seinen Kindern auf den
Dachboden schlafen.

Noch friedlicher als er im Tageslichte gelegen, lag nun der Hof im
Mondenschimmer, denn auch seine Einwohner ruhten; der Schlaf hielt sie
in seinem Banne, den Sinnen -- durch die aller Reiz und alle Regung,
all’ Lust und Leid ihren Einzug halten -- räumte er schmeichelnd die
Wirklichkeit hinweg, wie eine Mutter spielmüden Kindern das Spielzeug,
und während wir oft, wenn wir über die arme Frist unseres Daseins
erbangen, ihn kindisch anklagen, als ob er sie unterbräche und uns
davon wegnähme, teilt er von Tag auf Tag die Last des Lebens; trage sie
einer, sei Schmerz oder Wonne ihr Druck, in einem Stücke, wie gar zu
bald erläge er.

Geräusch ist sonst ein ohnmächtiger Feind, aber wenn sich Unruhe im
Innern des Schläfers mit ihm verbündet, dann verscheucht es den Schlaf.

Fuhr nicht ein Wagen eilig an dem Hause vorbei? die Leute darauf
mußten eine Laterne mit sich haben, denn ein Lichtschein streifte die
Tücher, womit die Fenster verhangen waren.

Die Reindorferin ermunterte sich, sie horchte auf -- wie stille war
alles -- sie war gewohnt, dort von der Ecke her die regelmäßigen
Atemzüge ihres Mannes zu hören, nun gewahrte sie in dunklen Umrissen
das unberührte Lager, sie tastete neben sich, da stand die Wiege und
in derselben lag das Kind, ohne Laut und Regung; war es Furcht oder
Hoffnung, was sie mit zitternder Hand nach dem kleinen Körper langen
machte? Sie fühlte Wärme und verspürte den leisen Atem. Sie zog hastig
den Arm unter die Decke, war es Widerwille oder Freude, was sie
empfand? Wußte sie es? -- Und in ratlosem Unwillen über sich selbst
und alles, wie es gekommen war und noch drohend ausstand, drückte sie
heftig das Gesicht in die Polster, und ihre Augen wurden feucht. Weinte
sie über sich oder über das Kind? Wie unschuldig das auch war, konnte
sie je ein Herz zu ihm fassen? denn auch sie wird es, solange es lebte,
vermahnen, denn auch für sie, die Mutter, verbleibt es, wie es der
Bauer genannt, ein Schandfleck!



2.


Der Wagen, der an dem Hofe Reindorfers vorübergefahren, hielt vor der
Mühle im Wasser-Graben. Der Knecht war einem Geistlichen, welcher
Chorhemd und Stola trug, beim Absteigen behilflich, und dieser zog
dabei das Ziborium vorsichtig an sich, damit ihm der Knecht nicht
ungeschickterweise nach demselben tappe. Der Kirchendiener, welcher
eine Laterne mit sich führte, kletterte, durch dieselbe wohl etwas
behindert, aber doch ungefährdet an der rückwärtigen Seite des
Fuhrwerkes herab und leuchtete voran, als sie in den Hausflur traten,
wo das Gesinde versammelt war. Ein Glöckchen schrillte, die Anwesenden
knieten nieder, der Priester erteilte ihnen den Segen und trat dann in
die Stube zu dem todkranken Müller. An dessen Lager wachte eine alte
Magd, sie erhob sich und küßte dem Geistlichen die Hand.

„So viel unbußfertig ist er halt, Hochwürden,“ flüsterte sie mit einer
bedauernden Gebärde nach dem Kranken, „so viel unbußfertig.“

Ein Wink bedeutete sie, sich zu entfernen.

Der Priester und der Sterbende waren allein. --

Der Seelsorger war ein kräftiger junger Mann von Mittelgröße, galt aber
wegen seiner Körperfülle eher für klein, und ein sogenanntes Doppelkinn
verlieh ihm vollends dem Äußeren nach einen behäbigen Anschein, welchem
jedoch sein lebhaftes Auge und seine rege Beweglichkeit widersprach.
Er schritt rasch nach dem Tische und entfernte für einen Augenblick
den Schirm von der Lampe, um nach dem Kranken zu sehen, der mit
geschlossenen Augen im Bette lag, der farbige Überzug der Polster hob
die eingefallenen, scharfen Züge noch mehr hervor, die abgezehrten
Arme lagen schlaff über der Bettdecke, nur manchmal zuckte es in den
Fingerspitzen.

Der Kranke merkte sich beobachtet, er meinte zeigen zu müssen, daß er
wach sei. „Die Gundel,“[3] sagte er heiser, „die Gundel“ -- so hieß
seine Wärterin -- „hat mich wohl verklagt, ich bete ihr alleweil zu
wenig, es hilft ja doch zu nichts mehr, nein, es hilft nichts mehr;
wenn nur das Versehen[4] helfen möcht’.“

Der Priester trat an sein Lager.

„Herlinger, kennt Er mich denn?“

„Ach ja wohl, freilich, Hochwürden. Hab’ Euch ja rufen lassen, damit
Ihr mich einölen sollt, der Doktor meint, er könne nichts mehr richten,
da müßt halt Ihr jetzt Eure Kunst probieren. Ich hab’ mehrere gekannt,
die es ein paarmal mitgemacht haben und nach jedem Versehen noch eine
Zeit herumgelaufen sind. Es ist fast so, wenn man das liebe geweihte Öl
auf dem Leibe hat, als könnte der Tod nimmer so hart anfassen, -- hihi
-- man rutscht ihm aus.“

„Nun ja, Herlinger, wenn Gott will, kann er Ihm auch noch Seine Zeit
verlängern, aber das Sakrament der letzten Ölung ändert nichts an
seinem ewigen Ratschlusse.“

„Und warum nicht? Zu was hätten wir denn dann die hochheiligen
Gnadenmittel, als um etwas gegen ihn ausrichten zu können, wenn kein
Gebet mehr verfangen will?! Dazu sind sie da, o, ich kenn’ mich aus,
ich verabsäum’ es nicht, denn da heißt’s wohl auch: Friß Vogel oder
stirb!“

„Herlinger, weiß Er auch, was Er spricht? Regt Ihn etwa das Reden zu
viel auf?“

„O nein, nein, Hochwürden. Ich müßt’ ohnedem in einem fort reden, denn
mir geht allerhand durch den Kopf. Aber ich laß mich nicht irremachen
und wenn ich bei einer Sach’ verbleib’, so weiß ich ganz gut meine
Meinung.“

„Gut, doch muß Er auch imstande sein, Müller, auf das zu hören, was ich
Ihm zu sagen habe.“

„Ich bin ja noch bei mir, warum sollt’ ich nicht aufmerken können?“

„Ich finde Ihn in einer schlechten Verfassung; Herlinger, das ist keine
Vorbereitung zu dem Empfange der heiligen Sterbesakramente, das muß Er
ganz anders anfassen, sonst kann ich sie Ihm nicht spenden.“

Das Bett schütterte unter dem Kranken, dem die Angst die Schlaffheit
der Glieder löste. „Ihr müßt,“ kreischte er auf, „Ihr müßt! ich gehöre
zur Pfarre, habe immer mein Teil und darüber gerne gegeben, Ihr habt
mein Geld genommen, Ihr müßt! -- Ihr werdet es ja doch nicht über Euer
Gewissen bringen, Hochwürden,“ setzte er flehend hinzu, „daß Ihr mich
da liegen laßt, ohne Versuch, mir aufzuhelfen?“

„Das ist es eben, Herlinger; Er vermeint, durch die Sterbesakramente
bleibe er am Leben, darum verlangt Er nach ihnen. Ihm fehlt die
christliche Ergebenheit in den Willen Gottes, Er glaubt wohl gar, es
anders erzwingen zu können, Er begehrt keine Gnadenmittel, Er will
Wundermittel, und die habe ich nicht. Eine heilige Handlung kann ich
aber nicht mißbrauchen lassen, es hieße Spott damit treiben, wollte
ich einem Menschen die letzte Ölung spenden, der sich dabei mit dem
Gedanken trüge, es möge doch nur die vorletzte oder drittletzte gewesen
sein!“

„Tut nur nicht gleich so bös’, hochwürdiger Herr. Ihr wißt freilich
besser Bescheid in solchen Sachen wie ich, müßt mir halt sagen, was ich
tun muß, daß ich dazu gelangen kann.“

„Wenn Er auf Seinen verfallenen Leib blickt, Müller, dann muß Er sich
wohl selber sagen, wie wenig zu hoffen ist und daß Er ganz etwas
anderes der Barmherzigkeit Gottes zu empfehlen hätte.“

„Nichts für ungut, -- aber wie man sich halt oft so Gedanken macht, --
ich begreif’ schon, mit ihm vergleichen muß man sich wohl, daß er es
einem im Leben gut geschehen läßt, gut’ Freund muß man wohl mit ihm
bleiben, sonst verhagelt er einem die Felder und schickt Kümmernis
und Trübsal, aber man vermeint doch, für weiter hinaus könne er einem
nichts mehr anhaben! Wenn es aus sein soll mit mir, wozu brauch’ ich
ihn dann? Wenn einer verstorben ist, so ist er wohl ganz und gar
verstorben.“

„Herlinger, Er ist auch einer von denen, die Gott fürchten wie den
Teufel, darum möchte Er ein Ende der Herrschaft absehen. Ich aber
sage Ihm, Gottes Macht und Herrlichkeit leuchtet über Lebende wie
über Tote in gleicher Helle, und darüber ist keiner so ganz sicher,
ob ihm nicht dereinstens vor ihr die Augen übergehen; denn wie keiner
weiß, von wannen er kommt, so ist er auch nicht gewiß, wohin er geht,
und ich möchte den Allmächtigen nicht versuchen, was er für weiter
hinaus mir anhaben, wozu ich ihn noch gebrauchen könnte, denn nach der
Zeitlichkeit beginnt die Ewigkeit!“

„Hochwürden, glaubt Ihr daran?“

„Warum sollte ich sagen, was ich nicht glaube?“

„Wohl, Ihr hättet es nicht Ursache. Aber doch -- nicht jeder darf
reden, wie er es vermeint; was seines Amtes ist, daran muß er sich
halten. Hab’ einen Advokaten gekannt, der hat auch gesagt, von der
Wahrheit könne er nicht leben.“

„Verblendeter Mensch! Wenn ich dir jetzt mit den Tröstungen der Kirche
beispringe, was bin ich denn anders als dein Advokat, der dich nicht
unvorbereitet, nicht unverteidigt vor den Richterstuhl Gottes treten
lassen will?! Aber auch ich werde da mit der Wahrheit nicht weit
kommen, denn ich darf deine Sünden und Vergehungen nicht die strenge
Gerechtigkeit Gottes aufreizen lassen, austilgen muß ich sie durch die
Gnadenmittel, damit ich seine Erbarmung für dich anrufen kann!“

„Ja, ja, es möcht’ schon recht sein, wenn Ihr so tätet, es könnt’ nicht
schaden, wenn es nur nützt! Aber ihr hochwürdige Herren seid ja selber
so, alle Ostern seht ihr einem die Sünden nach, und darauf rückt ihr
sie ihm wieder allzusammen vor, -- wenn bestimmt ist, daß es einem
eingebracht werden soll, so steht wohl auch schon das Urteil fest, was
hilft nachher alles Beten und zum Kreuz kriechen?“

„Es hilft auch nicht ohne aufrichtige und -- wo es noch etwas
gutzumachen gibt -- tätige Reue. -- Wie aber kommt Er dazu, Herlinger,
daß Er sich leichter in eine harte Führung und ein strenges Gericht
Gottes ergibt, als an dessen Milde und Barmherzigkeit glaubt?“

„Ja, es ist mir halt alles im Leben so überquer gekommen, immer eines
auf das andere, als ob es hätt’ sein müssen, niemal ist es mir so gut
geworden, daß ich einem Jammer hätt’ ausbeugen können, niemal hat
es mich aus einem Drangsal gerissen, wie andere oft, daß man meint,
ihr Schutzengel führt sie an der Hand heraus, und wenn man so immer
und alleweil ohne jede Hilfe verbleibt, dann merkt man wohl, wie man
nie etwas hat tun können gegen das, was werden will, und wenn es der
Herrgott auf einen abgesehen hat, da muß man noch froh sein, wenn
man ihm abbetteln kann, daß er es nicht gar zu grob macht. -- Als
kleiner Bub’ hab’ ich meine Mutter verloren, mein Vater hat nach ihr
ein junges Weib genommen und kurz darauf kam auch ein Stiefbruder zur
Welt, natürlich waren bald alle drei gegen mich, die Bäurin wegen ihrem
Kind, der Vater wegen der Bäurin und der kleine Stiefbruder hielt sich
an das Beispiel der beiden; nun ja, mein Erbrecht auf die Mühle trug
mir all die Gehässigkeiten ein, das konnte ich freilich damals nicht
wissen, in so jungen Jahren hat man noch nicht den Verstand, aber eben
wo man gar keine Ursache weiß, da tut es desto weher, wenn man immer
so lieblos aus dem Wege geschoben wird. -- So bin ich aufgewachsen,
daheim hab’ ich nichts Gutes genossen, aber auch außerm Haus hätt’ ich
mir nichts herausnehmen sollen. Die andern alten Leute lachten, wenn
ihre Bursche wild und toll taten, und meinten, so verbleibt’s nicht
und sie würden sich schon die Hörner ablaufen, mir aber sagte mein
Vater, ich sollte mir derlei vergehen lassen, sonst erschlüge er mich.
Daß ich ihnen neidig war, sahen sie gar bald, und sie zahlten mir mit
Spott heim. Da hab’ ich denn aus Trotz angefangen, es heimlich ärger
zu treiben, wie sie offen; o, auf krummen Wegen findet man schon auch
seine Leute, ist zwar dem einen an dem andern nichts gelegen, aber zum
Gruß und Dank ist man sich gerade gut genug.“

Der Pfarrer rührte mit der Hand an die Bettdecke. „Hör’ Er, Müller, da
gibt Er wohl selber zu, daß das nicht zu loben und nicht gut getan war,
ich denke, es könnte Ihm auch die Reue darüber nicht schwer fallen.“

„Das nicht, Hochwürden, das wohl nicht, derlei unbedachte Sündigkeit
mag wohl einer rechtschaffen bereuen! Wer weiß, ob es nicht ohne
das mit mir ganz anders stünde, -- ob ich jetzt auch schon so siech
daläge?! Hab’ ohnehin meine wilde Zeit einmal abbrechen wollen, aber
es hat ja nicht sein sollen. Das war, wie die Weninger Kathrin’ zu uns
auf die Mühle in Dienst kam, mit der hielt ich es auf der ehrlichen
geraden Straße, der war viel an mir gelegen, und ich freute mich, daß
ich einmal auch so eine fand. Was für ein Ende es genommen, darauf
mögen sich wohl noch viele Leute im Ort besinnen, mein Vater steckte
sich hinter den Herrn Pfarrer und den Herrn Bürgermeister, durch den
Schandarm ließ er die Dirne, die keine sichere Stunde mehr hatte, von
der Mühle wegholen, mit Dieben und Landstreichern auf einen Karren
laden und nach ihrer Heimat abschieben. Seither hab’ ich das Weibsbild
nicht mehr gesehen. Mich aber nahm der Vater in seine Stube und sagte,
wenn mir nur um das Heiraten zu tun wäre, so hätte er eigentlich nichts
dagegen, und es schicke sich eben eine Gelegenheit dazu, die ihm
tauge und auch mir recht sein könne; auf den Strauch geschlagen habe
er schon, die reiche Müllerstochter aus dem Nachbarort gäbe man mir
gerne und die dürft’ mir doch nicht zu gering sein? Am Hochzeitstage
wolle er mir die Mühle verschreiben, und dann mit Weib und Kind nach
dem Hof der Schwiegereltern ziehen, weil die alten Leute sich zur Ruhe
setzen möchten. Ob ich mit all dem einverstanden wäre? Ich sagte:
nein, -- und wenn er mir eine Kronprinzeß zum Weibe angetragen hätte,
ich hätte ihm nein gesagt, nur um ihn zu ärgern, und dabei glaubte
ich auch bleiben zu können; aber er führte mich zu seinen Büchern und
Aufschreibungen, und da hatte es nicht viel Rechnen not, so wußte
ich, wie eine Stiefmutter wirtschaften und zur Seite schleppen kann.
Der Vater hatte mir gar nichts mehr zu vererben, binnen Jahr und Tag
konnten uns die Gläubiger aus unserm Besitze treiben und ich hätte, wie
der ärmste Knecht, mir Brot und Unterkunft suchen müssen; wollte ich
die Mühle, worauf die Herlinger an die hundert Jahre gehaust hatten,
behalten, so mußte ich wohl die Müllerstochter nehmen und so hab’ ich
sie denn auch genommen. Meine Sippschaft zog fort, und wenn nur ein
wenig Glück mit meinem Weibe hätte einziehen wollen, es wäre nun Platz
gewesen! Viel Geld, das muß ich sagen, kam mit ihr in das Haus, aber
wenig Segen. Ich merkte bald, wir waren einander zu gleich, es hatte
eines dieselben Fehler und Untugenden wie das andere, und da rechtet
keines mit sich, sondern was man nicht gerne an sich selber sieht, das
verschimpfiert man dann an dem andern. Sie war nicht besser wie ich.
Ich sage nicht, daß sie auch leichtlebig gewesen wäre, aber sie war
nicht besser als ich, und die Weibsleute sollen immer besser sein wie
der Mann, sonst taugen sie nichts. Das war ein böses Einsehen, denn mit
aller Hoffnung auf einen gedeihlichen Hausstand war es vorbei, und als
Gott mein Hauskreuz zu sich nahm, da war es zu spät, ich hatte mich
schon in alles darein ergeben, und es war nichts mehr da, nach was
ich hätte verlangen mögen. -- Ja, die erste Zeit hatte ich oft an die
Kathrin’ gedacht, denn manchmal hätte ich wohl auch gerne jemanden zur
Ansprache gehabt, von dem ich wußte, er sei mir so recht vom Herzen
gut. Eines Abends setzte ich mich hin und schrieb einen Brief an sie,
schrieb ihr, daß ich für sie und ihr Kind sorgen wolle, daß ich sie
noch immer lieb hätte und daß sie auch mich nicht vergessen solle; und
ich gestand ihr zu, es wäre vielleicht besser gewesen, ich wäre ihr
zuliebe Knecht geworden, als wegen der andern auf der Mühle verblieben.
Es war der erste Brief, es sollte auch der letzte sein. Eben als ich
ihn zusiegeln wollte, erhielt ich eine Vorladung vors Kreisgericht, die
Katharina Weninger hatte sich einen Advokaten genommen, damit er vor
Gericht ausmache, daß ich ihr das Kind veralimentiere. Da hatte ich die
Antwort auf meinen Brief und konnte das Porto ersparen. Die Vorladung
vors Gericht, Hochwürden, die Vorladung vors Gericht, das war der erste
Gruß nach so langer Zeit, das war das erste Lebenszeichen, das der
Vater von seinem Kind erhielt. Da hab’ ich denn meinen Schreibbrief
zerrissen, und weil gar kein Vertrauen zu mir war, auch für den Buben,
so lang noch mein Weib und die andere lebte, nicht mehr getan, als mir
ist aufgetragen gewest; an die Ansprach’ war nicht mehr zu denken, und
seither hab’ ich mich auch ohne einer beholfen.“

„Das war wohl auch das Klügste, Herlinger. Der Brief, den Er an die
Weninger schrieb, hätte doch zu nichts Gutem geführt. Wenn die Dirn’,
nachdem sie einmal durch Ihn ins Unglück gekommen war, nicht weiter
samt dem Kinde von ihm abhängig sein wollte, sondern ihr Recht suchte,
so hat sie nur ihre Pflicht getan, und das war auch von ihr klug.“

„Ah ja, gescheit war schon, wie sie getan hat; war ja alles, was mir im
Leben aufgestoßen ist, so viel gescheit, wie ich sag’, alles ordentlich
ausgetipfelt, wie es kommen soll und will, daß ich mich nie dagegen
hab’ rühren und wehren mögen, so hab’ ich mich schon in alles darein
ergeben, aber Vertrauen hab’ ich nie eines gehabt und hab’ noch keines.
Oft ist mir schon beim „Vater unser“ in den Sinn gekommen, auf die
Letzt hat unser Herrgott auch -- wie manche da herunten -- doch viel
Kinder und kann nicht für jedes auf gleiche Weis’ sorgen.“

„Herlinger, Er hat wohl wenig Zeit mehr, am allerwenigsten dazu, daß
Er sich Gedanken macht, wobei Er sich wahrscheinlich selber wunderklug
vorkommt; die Stadtleute nennen das Philosophieren, überlass’ Er das
den Studierten, bei denen es doch Hand und Fuß hat, der Kopf oder das
Herz, eines oder das andere, bleibt ja doch immer davon weg. Wenn ich
nicht umsonst gekommen sein soll, so muß Er auf mich hören.“

„O ich bitt’, hochwürdiger Herr, ich bitt’, tut nur reden.“

„Darüber sind wir doch wohl einig, was Er sich erinnert in seinem Leben
übel gemacht und getan zu haben, das will Er auch bereuen? Nicht?“

„O ja, gewiß, gewiß.“

„Damit die Reue nicht unfruchtbar bleibt, muß ich Ihm auch sagen, was
Er noch gutzumachen hat.“

„Gutzumachen, an wem? An die Kathrin’ vielleicht! Der tut kein Bein
mehr weh.“

„An euer beider Kind!“

„An dem Burschen, dem Florian? Der tut ja kein gut; der Herumtreiber,
wie viel Geld hat er mich schon gekostet, und im vergangenen Herbst,
wie ich ihn hab’ auf der Mühle behalten wollen, ist er geblieben?
Ei ja, hätt’ ich seine Stadtdirn’ und ihr Kind dazu, die ganze
leichtfertige Wirtschaft, mit in Kauf nehmen wollen ... das soll er
sich aber nur vergehen lassen!“

„Müller, eben das wäre der gewiesene Weg, den Herumtreiber zum
seßhaften, ehrlichen Mann zu machen. Und gerade von Ihm, Herlinger,
hätte ich nicht gedacht, daß Er dagegen wäre, da Er weiß, wie es tut,
wenn man da den Vater wider sich hat.“

„Ah, Hochwürden, nichts für ungut, das ist da ganz etwas anderes. Mein
Vater war mein Vater, mußte es sein, bei mir aber kommt es doch auf
den guten Willen an, ich kann meine Bedingung stellen, ich kann sagen,
so bin ich dir Vater, und anders bin ich dir es nicht! -- Ihr müßt dem
Herumtreiber nicht das Wort reden, Hochwürden, es wird Euch auch keinen
Dank einbringen.“

„Dankes wegen tue ich es auch nicht, es geschieht wegen Ihm selber,
Müller, damit es Ihm nicht auf dem Gewissen bleibe, komme er mir daher
nicht mit Kniffen, den Burschen braucht Er vor mir nicht schlecht zu
machen, Er muß es ja am besten wissen, Herlinger, daß ich auch mit
räudigen Schafen wohl umzugehen weiß; wenn ich Ihn jetzt verliere und
dafür mit dem neuen Müller ein anderes in den Stall kriege, so gleicht
sich das nur aus.“

„Hihi, dasselbe dürft’ schon sein.“

„Daß ich auf +die+ Art nicht zu kurz komme, möchte ich gerade keinen
Vorteil nennen, und so mag Er wohl glauben, Müller, daß ich nach keinem
frage. Ich frage auch nicht danach, wozu Er nach weltlichem Rechte
etwa gezwungen oder nicht gezwungen werden könnte, frage nicht, ob
es vielleicht, der Leute wegen, besser wäre, das böse Beispiel, das
Er einst gegeben, vergessen zu machen und damit aller üblen Nachrede
ein Ende zu bereiten. Wozu Ihn die Gerichte bemüssen, die Leute
bereden könnten, danach habe ich nicht zu fragen; aber das habe ich zu
fragen, ob Er es auch vor Gott wird verantworten können? Der Bursche
ist leichtsinnig, liederlich ..... schlimm genug, aber eben nur ein
Grund mehr, sich seiner anzunehmen, ihn nicht ganz sich selbst zu
überlassen. Herlinger, Er weiß recht gut, wie einem Kinde ist, das
keine Elternliebe genossen hat, Er weiß recht gut, daß des Verwilderns
kein Ende ist, wenn man einem ohnehin leichtlebigen Burschen die Dirn’,
die er einmal für sein Leben gern hätte, zum Hause hinausjagt, -- und
davon will Er seinem eigenen, leiblichen Kinde nichts ersparen? Auch
das soll sich im Leben nie rühren und nie wehren können, und was wird
endlich aus ihm werden, da ihm der letzte Anhalt fehlt, den doch Er,
Müller, immer gehabt hat, ein Heimwesen!? Herlinger, bedenk Er wohl,
Er kann seinem Kinde ein Heiland oder ein Verderber werden, Er kann
machen, daß es Ihm nachsegnet oder nachflucht, und es ist ganz in Seine
Hand gegeben, welches Bewußtsein er mit sich in die Grube nehmen will.“

Die mageren Hände über der Bettdecke hatten in ratloser Eile
herumgesucht, jetzt zerrten sie ein verwaschenes, blaues Sacktuch aus
seinem Verstecke hervor und führten es rasch nach dem Gesichte des
Kranken, der nun mit außergewöhnlichem Nachdrucke dasselbe in gewohnten
Gebrauch nahm, dann knüllte er es zusammen, schob es wieder unter die
Polster, und sagte trocken: „Nun, so werd’ ich halt den Sappermenter
auf meinen Namen und an die Mühle schreiben lassen. Aber das gilt erst,
wenn ich verstorben bin, solang ich leb’, bin ich der Herr, und da darf
sich keines wider meinen Willen einnisten.“

„Gut, Herlinger, verlieren wir darüber keine Zeit, sondern lasse Er
uns die Hauptsache erst in Ordnung bringen.“ -- Der Pfarrer öffnete
die Tür und rief den Knecht herbei, der ihn gefahren hatte. „Barthel,“
sagte er zu diesem, „du mußt dann, wenn du mich nach dem Pfarrdorf
zurückgebracht haben wirst, weiter nach der Kreisstadt fahren, dort den
Herrn Notar aufsuchen, und ihn morgen mit dem frühesten mitbringen.“ --
Er wandte sich an den Kranken. „Was soll er denn dem Doktor Schneller
sagen?“

„Der Herr Doktor möcht’ so gut sein und die Schriften wegen dem Florian
wieder hervorsuchen, er wird es schon wissen, im vorigen Herbst war ja
schon alles bereit, aber da hat es der Bub’ durch seine Bockbeinigkeit
rückgängig gemacht.“

Der Knecht kraute sich verlegen hinter dem Ohr. Ihn dauerte nur
die Mühle, der Florian wird einen raren Dienstherrn abgeben!
Vergangenes Jahr noch hat ihn jeder verlumpt den lieben Tag lang
herumstromen gesehen, wo soll da der Respekt herkommen? Da kann auch
kein ordentliches Gesinde mehr aushalten, kein Weibsbild, das in Ruh
verbleiben will, und kein Knecht, der seine Sach’ besser weiß als der
Herr; aber die Mühle kann einer schon bedauern.

Der Pfarrer stellte sich auf die Fußspitzen, um dem langen Burschen auf
die Achsel zu klopfen. „Barthel,“ sagte er zu dem Zusammenschreckenden,
„du kannst auch dem Notar sagen, daß er dem Florian nach der Stadt
telegraphieren soll, so kann auch der morgen schon da sein.“

„Wozu braucht Ihr den Burschen, Hochwürden,“ fragte heiser der Kranke,
„was soll der hier machen?“

„Will Er ihn denn nicht noch einmal sehen, Herlinger? Ich denke, es ist
gut, wenn er dabei ist.“

„Nun, so mag er dabei sein, aber mit dem Verbleiben hat es noch seine
guten Wege, dann soll er nur wieder fort.“

„Du weißt nun, Barthel, was du zu tun hast, richte dich auch danach,
und jetzt geh und sag den Leuten, sie sollen sich da vor der Türe
versammeln, ich werde sie hereinrufen, wenn ich dem Müller den Leib des
Herrn reiche.“

Der Knecht entfernte sich.

Jetzt wandte sich der Priester nach dem Kranken und sagte: „Da ich Ihn
nun für genügend vorbereitet halte, Müller, so will ich an Ihm die
heilige Handlung vornehmen!“

       *       *       *       *       *

Die vor der Tür Flüsternden und Wispelnden wurden bald in die
Krankenstube eingelassen, was sie für das Seelenheil ihres Dienstherrn
das Beste hoffen ließ, denn gar viele Sünden konnte er doch nicht
haben, da er in so kurzer Zeit mit dem „Hersagen“ fertig war.

Nachdem die Zeremonien mit aller Förmlichkeit und Feierlichkeit zu
Ende gebracht waren, sagte der Pfarrer: „Verbleibe Er mir hübsch in
christlicher Ergebenheit, Müller, wie Gott will, Er kann das jetzt mit
Beruhigung abwarten!“ -- Dann segnete er noch einmal die Anwesenden und
schritt, von dem Meßner gefolgt, zum Hause hinaus nach dem Wagen.

Der hagere Kirchendiener duckte sich zu seinem geistlichen Vorgesetzten
hinunter, um ihm bewundernd zuzuflüstern: „Wie Hochwürden mit den
Leuten umzuspringen wissen, da hab’ ich doch immer meine helle Freude
daran.“

„Weiß Er, Wolfbauer,“ sagte mitteilsam der Pfarrer, „wen ich
immer gerne bei so einem Versehgange mit hätte, damit sie diesen
Menschenschlag auch kennen lernten? Ein paar Idealisten, die glauben,
mit ethischen Mitteln aufkommen zu können, ein paar Träger der Kultur,
die aber nebenbei die Kirche fallen lassen wollen; vielleicht gingen
ihnen doch darüber die Augen auf, daß unter der Masse nichts verfängt
als Einschüchtern und Vertrösten, und wenn wir diese beiden Zügel nicht
immer stramm angezogen hielten, schon längst ihre ganze Herrlichkeit
zertrampelt und zertreten wäre.“

Der lange Meßner nickte ein paarmal mit dem Kopfe, eigentlich aus purer
Gefälligkeit, denn verstanden hatte er nichts; nur weil von zwei Zügeln
die Rede war, so meinte er, es sei damit auf eine Hartmäuligkeit des
Volkes angespielt, um doch zu zeigen, daß dieser versteckte Gedanke
nicht an ihm verloren gegangen sei, sagte er, während er mit seiner
Laterne in das Korbgeflechte des Wagens kletterte: „Ja, die sollten es
nur einmal versuchen mit dem hartmäuligen Volke!“

Der Pfarrer bog sich von seinem Sitze nach dem Meßner zurück,
und, da sich der Wagen gerade in Bewegung setzte, so fuhr er mit
forschenden Augen auf ihn zu, während das groblinige Gesicht des
letzteren nichtssagend zurückwich. Der Mann war unschuldig an den
Gedanken, die er mit einem Worte in dem jungen Seelsorger weckte und
die sich nun, begünstigt durch das Schweigen und die Einförmigkeit
der Nachtlandschaft und durch das gleichmäßige Dahinrollen des
Gefährtes, stille in ihm fortspannen. -- -- „Das ist eine ganz
vertrackte Arbeitsteilung, der Wolfbauer findet das Wort und ich muß
die Gedanken dazu nachholen. Es liegt ein fertiger Einwurf darin.
Die Hartmäuligkeit kann auch von dem strengen Gebrauche der Zügel
herrühren, und dann vermeint man nur die Masse zu lenken, während sie
seelenmüde und gleichmütig in den ausgefahrenen Geleisen dahinzieht --
bis sie ein gewaltiges, unerwartetes Ereignis scheuen macht, und sie
mit elementarer Gewalt unberechenbare Wege dahinrast. Darin liegt die
Gefahr, sie ist furchtbar, doch sie tritt selten auf, der Vorteil aber
liegt in der angewohnten Fügsamkeit der Massen und die ist alltäglich.
Es ist doch nur Geschmacks-, eigentlich Parteisache, ob man den Vorteil
nützen oder der Gefahr vorbeugen will, die einen wollen die Menschen zu
Massen ballen, das sind die politischen Praktiker, die andern wollen
die Massen in Menschen auflösen, das sind die -- Idealisten!“ Er
seufzte leise auf. Vielleicht war er in seinen Studienjahren auch einer
gewesen.

Bis er das Geräusch des davonrollenden Wagens aus dem Gehör verlor,
hatte der Müller aufgehorcht, er hatte sich im Bette halb aufgerichtet,
jetzt griff er mit der Rechten hinter sich, bauschte die Polster auf
und lehnte sich zurück. Er fühlte sich leichter. Er sah um sich, er war
wieder allein.

„Schau,“ sagte er, „der Pfarrer, das ist ein feiner! Zum Streiten
möchte er gar anheben, wenn man ihm nicht in allen Stücken zu Willen
wär’. Bei all dem ist nichts verhaut, solang ich lebe. Hab’ ihm doch
auch manche Red’ gegeben, wo er ein Gesicht dazu gemacht hat, als hörte
er den Teufel Mess’ lesen -- -- und einölen hat er mich doch müssen,
hihi“ -- er schlug mit der flachen Hand auf die Bettdecke --, „einölen
hat er mich doch müssen.“



3.


Der Morgenwind strich vor der Sonne her, als wollte er Busch und
Kraut wach fächeln, und ein geheimnisvolles Weben und Regen begann
in der Luft, im Dämmer schienen sich die Gegenstände auf die Farbe
zu besinnen, die sie im Lichte trugen, -- der Tag brach an. Vorüber
war die Nacht, die letzte auf Erden für den alten Mann in der Mühle,
die erste für den Säugling im Reindorferhof, dort verflackerte ein
ausgebranntes Licht, hier glimmte ein verwandter Funke mählich an.

Es lag noch alles in anheimelnder Stille. In den Büschen längs des
Fahrweges begann es mit ungelenkem Flügelschlag zu flattern und in
einzelnen Tönen zu zwitschern, und von gegenüber rief eine Stimme:
„Seid ihr noch verschlafen, Geflieder?“ Es war der Reindorfer, der an
seinem Hoftor lehnte, er zwinkerte dabei lustig mit den Augen, sah
dann zu dem blassen, reinen Himmel auf und rings nach den bewaldeten
Hügelkämmen und tat einen tiefen Atemzug. Ja, der Morgen, wo man so mit
der lieben Gotteswelt allein ist! --

Es dauert aber nicht so lange, als man eine Pfeife raucht, so rufen sie
einem zum Frühstück und da sitzt man wieder mitten drinnen ... Sein
Gesicht verfinsterte sich, er führte die Pfeife nach dem Munde und
preßte die Zähne auf die Spitze, dann trat er zurück, schloß hinter
sich das Tor und ging durch die Küche nach der Wohnstube, an der Tür
lauschte er, die Bäuerin hustete, sie war wach, da begann auch das Kind
zu schreien, unwillkürlich ballte sich ihm die Faust und siedig heiß
schoß es ihm nach den Augen, als solle er vor Zorn weinen, er wandte
sich ab.

„Das Kleine schreit recht brav,“ sagte die Dirn’, die am Herde stand.

Da lehnte er seine Pfeife in den Herdwinkel und trat in die Stube.

Er ging nach dem Fenster, die Bäuerin sah ihm mit furchtsamen Augen
nach, sie erwartete keinen Gruß von ihm, aber sie getraute sich auch
nicht, ihn zu grüßen.

Der Bauer blieb, wo er war, zog den nächsten Stuhl an sich, setzte
sich, sah auf seine Stiefelschäfte nieder und begann ohne weitere
Einleitung: „Ich bin alt und du bist nimmer jung, lärmendes Getue und
Getreibe macht uns keine Aufheiterung mehr, wozu sollen wir derlei uns
ins Haus laden? Aufsehen macht es auch, wenn man das Kind im Aufzug
zur Kirche bringt, all das mag mir nicht taugen, so will ich gleich
dazusehen; heut’ fährt der Herr Pfarrer gewiß wieder vorbei nach der
Mühle, und da will ich ihn abpassen und ihn bitten, daß er zu uns
kommt und das Kind im Hause tauft. So mein’ ich, könnt’ alles in der
Stille vor sich gehen, und brauchte nur die Gevatterin und wer sonst
not ist, dabei zu sein; man kann ja sagen, man tu’ so eilig, weil es
mit dem Kind nicht recht richtig wär’,“ -- er blickte seitwärts nach
der Wöchnerin und setzte halblaut hinzu -- „wär’ auch nicht gelogen,
und doch die Wahrheit im Sacke behalten.“

„Du sitzest soviel weit weg,“ klagte die Bäuerin, „daß man nicht reden
kann, ohne daß eines draußen alles hört.“

„Was braucht es da Heimlichkeiten, sag’ ja oder nein.“

„Schau, wegen der Tauf’, da tu nur, wie du dir vorgenommen hast, aber
ich hätt’ noch etwas zu sagen, und das kann ich nicht laut.“

Der Bauer erhob sich und trat näher.

„Du wirst wohl nicht dagegen sein, und mir wäre es ein rechter Trost
in meinem Unglück. Weißt,“ flüsterte die Bäuerin, indem sie den Arm
etwas hob und nur mit dem Handrücken gegen die Wiege deutete, „wenn es
aufkommt, möchte ich es gerne in die Stadt zu den frommen Frauen geben,
damit es christlich auferzogen wird und einmal selber eine werden kann.
Da wäre es gut aufgehoben, der Herrgott möchte ihm sein Dasein nicht so
übel vermerken und wohl auch ... anderen ihre Sündhaftigkeit nicht mehr
so schwer aufrechnen.“

Der Bauer trat hart an das Bett.

„Sei nit so dumm,“ sagte er, „unsern Herrgott geht es nicht so nah’
an, wie mich, so wird er doch keinen Zorn auf das Kind haben, das an
allem ganz unschuldig ist; du aber verbleibst eine Sünderin, wenn es
gleich eine Heilige werden möcht’, und es soll doch vorerst nur eine
Klosterfrau werden, und die sollen nicht alle auf das Heiligwerden
aus sein. Es ist nicht mein Kind, so red’ ich ihm auch nicht das
Wort, aber die Frommheit kann man keinem anlernen, wie jungen Hunden
das Wildaufspüren, und wenn dann plötzlich eines zu Jahren und zu
Verstand kommt und es mag sich nicht darein finden, dann taugt es für
Erd’ und Himmel nicht mehr. Und sich dabei auf gut Glück verlassen,
wie es ausgeht, dazu ist heuttags schon gar kein Zeitpunkt, wo alle
Welt hinter den Kutten her ist, früher hat man noch manches vertuschen
können, jetzt aber braucht unser Herrgott nur Leute in seinem Dienst,
die ihm Ehre machen, die andern sollen davonbleiben. Wär’ das aber auch
nicht meine Meinung, hierin tät’ ich dir doch nicht deinen Willen!
Du hast vermeint, ich würde ja sagen, weil ich selber das Kind nicht
gerne vor mir sehen möcht’, und dabei hättest du es auch aus den Augen
gekriegt und aus dem Sinn, und das wär’ dir recht gewesen, denn mit der
Schamhaftigkeit über seine Sünden hält es der Mensch, wie die Katze mit
dem Unrat, weiß sie den nur eingescharrt, so geht sie stolz davon, als
hätte man sie nie darüber hocken gesehen. Du hättest darauf vergessen
und dir einbilden können, es wäre noch alles in alter Gehörigkeit.
Darum bleibt das Kind im Hause und dir unter Augen!“ --

„Freilich, wenn du es willst,“ sagte kleinlaut die Bäuerin, „muß es
schon verbleiben, das Weggeben war auch nur so ein Gedanke von mir.“

„Dasselbe und das der Taufe wegen hätten wir also unter uns ausgemacht,
mehr hab’ ich auch nicht zu sagen gehabt und so geh’ ich jetzt wieder,
damit ich den Wagen mit dem Herrn Pfarrer nicht verabsäume. Oder weißt
du noch etwas?“

Die Bäuerin war trotz ihrer achtunddreißig Jahre noch immer ein
hübsches Weib, das wußte sie, auch das, daß Schmerz und Angst ihre Züge
nicht verstelle, denn schon als Kind sagten die Leute von ihr, sie
könne so schön weinen. Der Bauer stand noch immer knapp an ihrem Bette,
er hatte beide Arme sinken lassen und zunächst ihr befand sich seine
Linke, schon lange schielte sie danach, als wollte sie des Griffes
sicher sein, als er sich nun zum Gehen wandte und sie dabei aus den
Augen lassen mußte, während er den Arm ihr etwas zurückte, da faßte
sie mit beiden Händen zu, hielt ihn an der Hand und über dem Ellbogen
und suchte ihn gegen sich zu ziehen, daß er ihr in das Gesicht sehe.
„Joseph, mein Joseph,“ rief sie bittend.

Reindorfer aber riß sich von ihr los, wischte mit der Schürze über den
linken Jackenärmel und über die Hand und sagte: „Laß das gut sein! Aus
Angewöhnung und aus Scheu vor jedem Aufsehen mag ich mir in meinem
Hauswesen nichts verändern, und so muß denn auch vor den Leuten alles
beim alten bleiben, wenn du aber meinst, es könnte noch einmal werden
wie früher, da irrst du dich groß, das hat vertan für alle Zeit!“

Er ging. Die Tür schloß sich hinter ihm. Seine Tritte verhallten.

Die Bäuerin war mit dem halberhobenen Oberleibe wieder zurückgesunken
und lag ohne Laut und Regung.

Er war ja im Rechte!

Ihn zu gewinnen mußte sie wohl versuchen, welch eine hätte auch
das nicht versucht? Eine Schwäche für sie hätte ihr ihre eigene
verzeihlicher erscheinen lassen. Es kam aber, wie sie selbst gefürchtet
hatte, daß es kommen werde. Nun war es auch gewiß.

Und er hatte recht.

Sie schloß müde die Augen und wünschte, sie täte sie nie mehr auf.

       *       *       *       *       *

Ein Wagen kam jetzt in raschem Trabe angefahren, Reindorfer lief vor
das Tor und sah nach demselben aus, es war schon der rechte, der Knecht
von der Mühle kutschierte, zwei Herren saßen hinter ihm, der eine war
der Pfarrer und auf den andern besann er sich nur so lange, bis sie
etwas näher kamen, er hatte ihn oft in der Gegend herum gesehen, es war
der Herr Notar aus der Kreisstadt. Er nahm die Pfeife aus dem Munde und
trat hinzu und grüßte.

„Guten Morgen, Reindorfer,“ sagte der Pfarrer, „will Er mir etwas? So
sage Er es nur schnell, wir haben Eile.“

Reindorfer legte die Linke auf den Kutschensitz und ging neben dem
Wagen, den man etwas langsamer fahren ließ, eine Strecke her. Er
brachte sein Anliegen vor, der Pfarrer sagte zu, er dankte und trat
zurück und der Wagen schoß wieder in Eile dahin.

Stunden waren darüber vergangen, die Sonne stand schon ziemlich hoch
und meinte es gar zu gut. Auf einer großen Wiese, die gegen den Fahrweg
abfiel und von diesem durch einen lebenden Zaun geschieden war,
rechte der Reindorfer mit seinen beiden Kindern und einem Knechte Heu
zusammen. Er ließ gerade den Stiel des Rechens gegen seine Schulter
fallen und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirne,
als er über den Zaun gegrüßt wurde.

„Grüß’ Gott, Reindorfer!“

Er fuhr bei dem Klange dieser Stimme zusammen und blickte auf.

Jenseits des Zaunes stand ein Mensch in verwahrloster städtischer
Kleidung, eine Lagermütze, die er schief über dem rechten Ohre sitzen
hatte, verlieh ihm ein unternehmendes Aussehen und ließ erraten, daß
er Soldat gewesen oder wohl noch war. Er mochte über dreißig Jahre alt
sein, aber trotz seines herabgekommenen Äußern ließ ihn seine kleine
schmächtige Gestalt und der sorglose Ausdruck seines Gesichtes viel
jünger erscheinen. Unter der Mütze fiel ihm schwarzes Haar in Ringeln
bis in die Stirne, große braune Augen blickten keck in die Welt und
unter der geraden Nase mit den scharf vortretenden Nüstern trug er
einen Schnurrbart, dessen eine Spitze er eben jetzt durch die Finger
zog.

Reindorfer sagte, ohne seinen Gruß zu erwidern: „Du bist wieder da?
Lump!“

Der Urlauber lachte. „Ein bißchen höflicher könntest du wohl auch gegen
mich sein, wer weiß, was geschieht!? Diesmal haben sie mich extra aus
der Stadt gerufen, und wenn die Mühle nun doch an mich käme, dann
sollten wir als Nachbarsleute in gutem Einvernehmen stehen.“

Der Bauer kehrte ihm den Rücken und schickte sich an, seine Arbeit
wieder aufzunehmen.

Das schien den auf der Straße zu verdrießen, er drehte den Schnurrbart
heftiger und nach einer Weile sagte er, während sein Gesicht durch
die lauernd zusammengekniffenen Augen und den breitgezogenen Mund ein
unsäglich gemeines Aussehen bekam: „Ist es wahr, was ich gehört hab’?
Seit ich das letztemal da war, ist eines mehr auf dem Reindorferhof
geworden.“

Da riß der Bauer mit einem Ruck den Rechen an sich, alle Muskeln in
den Armen krampften sich ihm zusammen, die Adern an der Stirne traten
hervor und die Wiese zerrann vor seinen Blicken, nur ein roter Fleck
verblieb aufdringlich in seinem Auge, er besann sich, +die+ Farbe trug
der Rock seiner Tochter, und indem er sich besann, sah er auch wieder
diese selbst, seinen Buben und den Knecht, die in geringer Entfernung
von ihm gleichmütig fortarbeiteten; da ließ er den verhaltenen Atem
von sich, handhabte wieder seinen Rechen, und indem er sich dabei
dem Zaune etwas zukehrte, warf er über seine Arbeit weg dem Urlauber
einen einzigen Blick zu; aber es war jener Blick, dem selbst der
Unverschämteste nicht standhält, jener Blick, der dem Beleidiger sagt:
Die Unbill ertrag’ ich, aber dich nicht!

Langsam entfernte sich der Urlauber, und erst, als er sich außer dem
Gesichtskreise Reindorfers wußte, schritt er rascher auf dem Wege nach
der Mühle hin.

       *       *       *       *       *

Auch in der Mühle waren, wie den Tag zuvor im Reindorferhofe, die
Fenster verhangen. Das Licht tut dem Menschen wehe, wenn er zur Welt
kommt und wenn er von ihr geht, er muß es erst gewöhnen und er muß
seiner entwöhnt werden, denn aus dem Dunkel kommt er und in das Dunkel
soll er wieder; das Licht ist ein armes Geschenk, es scheint ihm nur
gegeben, um sich von der Wiege in den Sarg zu finden, die kurze Strecke
dahin wirft es nur schwanke, zitternde Kreise auf die Welt, und keiner
weiß, wo hindurch eigentlich sein Weg gegangen.

Der Pfarrer und der Notar waren am frühen Morgen angelangt.

Der Notar war ein kleines, bewegliches Männchen, er schien gerne eine
gewisse Feierlichkeit zur Schau zu tragen, ging stets in schwarzer,
städtischer Kleidung, und einer ziemlich hohen, steifen, tadellos
weißen Halsbinde verdankte er die würdevolle Haltung seines Kopfes,
derselben wurde durch dessen Kahlheit und die durchwegs rundlichen
Züge seines Gesichtes, die ihm ein stets freundliches, wohlwollendes
Aussehen verliehen, durchaus keinen Abbruch getan, nur weil die Bauern
überhaupt gerne über Brillen lachen und witzeln, so war es ein ziemlich
gewagtes Unternehmen von ihm, auf seinen Fahrten über Land farbige
kreisrunde Staubgläser mit einer massiven Einfassung zu tragen.

Nachdem sie in die Krankenstube eingetreten waren, legte der kleine
Mann einen ihn behindernden Pack Schriften auf ein Tischchen und
entfernte für das erste diese ihm nun selbst bedenklichen Gläser; er
tat das mit großer Bedächtigkeit, reinigte sie erst sorgfältig mit dem
Taschentuche, holte aus den Tiefen eines Rockschoßes das dazu gehörige
Futteral hervor, schob sie vorsichtig hinein und steckte das Ganze
mit ebensowenig Eile wieder zu sich. Aber er sollte bald aus dieser
gemütlichen Verfassung herausgeschreckt werden.

Er trat an das Bett des Kranken: „Nun, Alter, wie geht es denn?“

„Dank’ der Nachfrag’, ich bin schier völlig gesund.“

„Kennt Er mich, Herlinger?“

„Ei freilich, Ihr seid ja der Herr Notar, freilich.“

„Nun und warum bin ich denn da?“

„Hihi, warum werdet Ihr da sein? Heirat’ ich nicht heut die Weninger
Kathrin’?“

Der Notar warf einen erschreckten Blick auf den Pfarrer, dieser trat
näher und sprach, indem er jedes Wort nachdrücklich betonte: „Aber,
Herlinger, wohin denkt Er denn? die Weninger Kathrin’ ist ja schon
lange tot.“

„So, so, die Kathrin’ wär’ schon lang’ tot? Ja, wie werden wir es denn
nachher anfangen?“

„Er hat es mir ja gestern selbst gesagt, besinn’ Er sich nur.“

„Ja, ja, mag schon recht sein.“

„Und heute ist der Herr Notar mit mir herausgefahren, um den Florian an
die Mühle zu schreiben.“

„Ja, ja, den Florian auf meinen Namen und an die Mühle schreiben. Ist
schon recht.“

„Also darauf besinnt Er sich,“ fragte hastig der Notar, „das ist Seine
Willensmeinung?“

„Ja freilich, das ist schon so meine Willensmeinung.“

„Da ist allerhöchste Zeit, Hochwürden“ -- der kleine Doktor stürzte
nach dem Tischchen, wo die Schriften lagen --, „in ein paar Minuten
kann der Mann nicht mehr bei sich sein, und dann ließe sich nichts
machen; ich bitte nur um noch einen Zeugen, um einen dritten Zeugen.“

Der Pfarrer eilte zur Türe. „Barthel,“ rief er hinaus, „laufe nach
dem Anrainer[5] Kleehuber, er möchte gleich kommen, er soll nur alles
liegen und stehen lassen!“

Der Knecht rannte fort.

„Hochwürden haben gehört, daß er auch an dem Gedanken festhält, den
Florian auf seinen Namen zu schreiben; wie ich schon die Ehre hatte
auseinanderzusetzen, so ist das vergangenes Jahr an der Bockbeinigkeit
von Vater und Sohn gescheitert und läßt sich jetzt nicht mehr ins Werk
richten, es ist das ein Geschäftsgang, der gesunde Leute erfordert.“

„Die noch ein langes Leben vor sich haben, Herr Doktor?“

„Es ist auch nicht anders, Hochwürden. Unter den gegebenen Umständen
ist es unmöglich und halte ich es auch für ganz nebensächlich. Eine
Aufklärung darüber verstünde der Alte nimmer und sie würde ihn nur ganz
verwirren. Die Schriften habe ich, Gott sei Dank, vom vorigen Jahre
her fix und fertig liegen gehabt und daher nur von der Adoption Umgang
genommen und an die Stelle derselben in der letztwilligen Verfügung ein
Bekenntnis der Vaterschaft treten lassen, das zwar keine Rechtsfolge
hat, aber, ich denke, wir begnügen uns diesfalls mit der moralischen.
In dieser Form werde ich auch das Testament vorlesen und zur
Unterschrift unterbreiten; mein Schreibzeug führe ich mit mir,“ -- der
Notar stieß zum Beweise dessen ein kleines, eiförmiges Tintenfaß mit
dem eisernen Dorne in die Tischplatte, -- „so haben wir auch einerlei
Tinte bei der Fertigung der Dokumente, wenn uns nur der Müller noch die
paar Minuten aushält.“

„Ich hoffe, das wird er wohl,“ sagte der Seelsorger. „Nun, Herlinger,
wie ist Ihm denn?“

„Gut, recht gut.“

Und näher zu ihm tretend, sagte er, damit der Sterbende an dem Gedanken
festhalte: „Nun werden wir halt den Florian an die Mühle schreiben.“

„Ja an die Mühle schreiben und auf meinen Namen, die Kathrin’ wird eine
Freude haben, es ist ja unser Kind.“

Da öffnete sich die Türe und mit dem zurückkehrenden Knechte stürzte
der Anrainer Kleehuber herein. Der Mann sah wie verwildert aus, die
Haare hingen ihm in das Gesicht, seine Hände waren mit Lehm beschmiert
und er wischte beständig mit der blauen Schürze an ihnen, um sie rein
zu bekommen, denn früher schien ihm doch nicht geraten, sich damit über
die Stirne zu streichen.

„Da bin ich, Hochwürden, da bin ich,“ sagte er atemlos, „sauber bin ich
hergelaufen, der Barthel hat mich auf dem Erdäpfelacker getroffen, und
weil er gesagt hat, es müßt’ gleich sein, so bin ich halt mit, wie ich
auch ausschau’, nichts für ungut.“

„Das ist schon recht, Kleehuber,“ sagte der Seelsorger, „und so hab’
ich es auch gemeint, wie Er aussieht, das hat nichts zur Sache, wir
brauchen eben schnell noch einen Zeugen, der Müller will seinen letzten
Willen angeben.“

„So, so, nun, das freut mich, da bin ich schon gern dabei,“ sagte der
Kleehuber, „der Barthel hat mir schon gesagt, er müßt’ auch seinen
Namen dazu hergeben, aber, Hochwürden, ich bitt’, wer ist denn hernach
der dritte Zeuge, der mit uns schreiben soll?“

„Der bin ich!“

„Nein, Hochwürden, das geht nicht, da mach’ ich mich doch lieber
sauber, ich bin gleich wieder da, nur meinen Sonntagsrock zieh’ ich
an, was würden die Leute sagen, wenn ich mich so, wie ich da bin, Euer
Hochwürden nebenan schreiben täte, und die Herren vom Gericht erst,
wenn sie es lesen?!“

Der Notar, der bisher dem Müller zugesprochen hatte, kehrte sich rasch
gegen Kleehuber und fuhr den „ersuchten Herrn Zeugen“ an: „Wird Er
dableiben! Sei Er doch nicht gar so dumm, Seinem Hühnergekratze kann
doch niemand ansehen, ob Er es im Sonntagsrock oder in Hemdärmeln
hingekleckst! -- Den Müller Herlinger kennt Er?“

„Aber freilich, Herr Doktor, da liegt er ja.“

„Es ist gut! Der hochwürdige Herr Pfarrer hat Ihm bereits gesagt, um
was es sich handelt, merk’ Er nun auf, auch du, Barthel, ob alles
hübsch in der Ordnung vor sich geht, damit jeder mit gutem Gewissen
seine Zeugenschaft abgeben kann.“

„Wollen schon aufpassen, Herr Doktor.“

„Wer ist denn der da mit der blauen Schürze?“ fragte der Müller.

„Der Kleehuber ist es,“ sagte der Pfarrer, „der Kleehuber. Kennt Er ihn
denn nicht?“

„Ah ja, der Kleehuber. Aber was will denn der auf der Hochzeit mit der
blauen Schürze?“

„Nun sehen Hochwürden, ich bin ihm selber nicht gut genug.“

„Aber Herlinger,“ sagte der Seelsorger und legte seine Hand auf den
abgezehrten Arm des Kranken, „besinne Er sich doch, daß wir keiner
Hochzeit wegen gekommen sind.“

„Der Kleehuber“, nahm der Notar hinzutretend das Wort, „ist nur da,
damit auch alles ordentlich aufgeschrieben wird, was zu geschehen hat
wegen dem Florian.“

„Auf meinen Namen und an die Mühl’ schreiben,“ sagte mechanisch der
Sterbende.

„Ich muß Ihm bemerken, Müller, daß diese Seine Äußerung lediglich nur
von einer Wirkung auf die anwesenden Zeugen ist und bleibt, daß ich
aber gleichwohl voraussetze, daß Er schriftlich aufgezeichnet haben
will, daß Er sich in Seinem Gewissen verpflichtet fühle, den Sohn
der Dienstmagd Katharina Weninger, Namens Florian Weninger, für Sein
leibliches Kind anzuerkennen und demselben für den Todesfall die Mühle
samt allem, was dazu gehört, wie es liegt und steht, zu hinterlassen?“

Der Müller nickte.

„Dann muß Er sich aber zusammennehmen, Herlinger, daß Er hübsch bei
sich bleibt, denn ich muß Ihm jetzt vorerst die Schrift vorlesen, und
da muß Er gut aufhorchen, damit Er auch alles recht versteht und uns
sagen kann, ob Er es auch so und nicht anders gemeint hat, wie da
aufgeschrieben steht.“

„O, hören tu’ ich noch recht gut, auch verstehen, wenn ich mich
zusammennehme, nur was ich rede, da weiß ich oft nicht, wo ich es her
habe.“

„Dann muß Er auch noch Seinen Namen daruntersetzen können.“

Die magere Rechte über der Bettdecke versuchte zu schreiben.

Der Notar las rasch die letztwillige Verfügung vor.

„Ist das so recht, will Er nichts davon weg haben oder dazu tun,
Herlinger?“

Der Müller langte nach der eingetauchten Feder, die der Notar in der
Hand hielt.

„So gut und deutlich es geht,“ -- sagte dieser, hinter den Schreibenden
tretend -- „den vollen Namen: Matthias Herlinger.“

Da stand es in großen unsicheren Zügen auf dem Papiere: „Matthias
Herliner“. Bei dem Punkte stach die Feder tief in das Blatt und der
Notar löste sie rasch aus der zusammenzuckenden Hand, damit nicht das
Schriftstück in Fetzen gerissen werde.

Der Müller sank mit einem tiefen Seufzer zurück.

Der Notar aber atmete erleichtert auf, als er mit dem unterfertigten
Dokumente zu dem Tischchen trat.

„Ich bitte, Hochwürden, als Zeuge.“ Er präsentierte dem Pfarrer die
Feder. Dann wies er dem Kleehuber die Stelle, wohin derselbe seinen
Namen zu schreiben hatte.

Der Mann besann sich lange, nicht wie er heiße, sondern auf das
Aussehen jedes einzelnen Buchstabens, den er bei der Namensfertigung
anzubringen hatte. Zuletzt schrieb der Knecht.

Vom Bette her klang es flüsternd: „Die Blumen, die gar vielen Blumen,
die sie mir hergebracht haben.“

Der Notar und die Zeugen traten von dem Tische zurück und wandten sich
nach dem Sterbenden. Die langgestreckte Gestalt mit den verfallenen
Zügen, die dort im Bette lag, leise vor sich hinflüsternd und mit den
eigenen Fingern spielend wie ein Kind, das war nicht mehr der Müller
Herlinger. Wer sonst? Niemand. Das war das, was einst war, als wir
uns noch nicht fühlten, das nämliche, das sich schon einmal ohne uns
behalf, als es rege an unserem Bewußtsein baute, und das, wenn uns
dasselbe verläßt, sich zum letzten an den angesammelten Erinnerungen
schreckt oder erfreut, das nämliche, das die Kinder weinen oder lachen
macht, und das auch den Sterbenden als letzten Gruß eine Träne oder ein
Lächeln mit auf den Weg gibt.

Ein schwerer Atemzug hob die Bettdecke, -- es war der letzte. Vor den
Anwesenden lag eine Leiche. Der Pfarrer war gerade darauf bedacht, das
Gesinde zusammenzurufen und an derselben ein kurzes Gebet sprechen zu
lassen, als sich die Türe öffnete und Florian Weninger eintrat.

Der Urlauber behielt den Drücker in der Hand und sagte kurz: „Guten
Tag! da bin ich. Nun, was ist’s, darf die Lois[6] mit dem Buben jetzt
kommen? Sonst geh’ ich lieber gleich!“

Der Priester aber trat rasch auf ihn zu, führte ihn vor den Toten und
drückte ihn dort an der Hand auf die Kniee nieder: „Da sieh, spare
vorlautes Reden und bete für ihn, -- er hat sterbend deiner als Vater
gedacht und dir die Mühle hinterlassen!“

Der Mensch sah verwirrt zu den Umstehenden auf, dann blickte er in das
stille bleiche Antlitz vor ihm, drückte beide Hände an die Brust und
sagte mit liebender Stimme: „Ich hätt’ ihn doch noch gerne getroffen,
daß ich ihm dafür hätt’ danken können!“

Es war die erste Regung besseren Gefühles, der erste Keim der Saat,
welche der alte Müller mit sterbender Hand gestreut hatte, und es war
wohl auch das rechte Bewußtsein, das er mit sich hinübernahm!

       *       *       *       *       *

In den Aufschreibungen der Pfarre, welche die Geschicke der Gemeinde
als Abnahme und Zuwachs, und die des einzelnen Geburt, Heirat und Tod
in fortlaufender Einförmigkeit aufbehielten, verzeichnete der Pfarrer
die Geburt eines Mädchens, Tochter des Joseph Reindorfer und dessen
Ehefrau Rosalia, welches in der heiligen Taufe den Namen Magdalena
erhielt, und den Tod des Matthias Herlinger, Müller im sogenannten
Wasser-Graben hierorts. Eine geraume Zeit verstrich, Schnee lag über
den Hügeln und lastete schwer auf den Tannen und das Jahr war zur Neige
gegangen, als des Namens Herlinger in dem Kirchenbuche noch einmal
Erwähnung geschah, woselbst zu lesen stand: daß der neue Müller im
Wasser-Graben, Florian Weninger, ~vulgo~ „Herlinger Florian“, -- denn
das Volk hielt sich an die Vaterschaftserklärung des verstorbenen
Müllers, -- und Aloisia Kaufmann, in der Haupt- und Residenzstadt
wohnhaft, als Brautleute an hiesiger Pfarrstelle um das dreimalige
kirchliche Aufgebot nachgesucht und sich darauf auch über die in der
Stadt eingegangene Ehe durch legalen Trauschein ausgewiesen hätten.



4.


Auf dem Reindorferhofe wuchs die kleine Magdalena heran. Seit dieses
Kind Wartung und Pflege heischte, meinte der Bauer für die anderen
ein übriges tun zu müssen, er war gegen die Fehler derselben nicht
mehr so strenge, sah ihnen manche Nachlässigkeit nach, gestattete
ihnen mehr Freiheit, ja, er bereitete ihnen wohl auch manchmal eine
kleine Freude, griff in seine Tasche und gab der Dirne auf Bänder und
Tücher, dem Burschen auf Bier und Tabak, sowie für manche Kirchweih die
Musikantengroschen.

Warum sollte er ihnen das Leben schwer machen? Etwas mußten sie doch
vor dem anderen Kinde voraus haben, meinte er, das war nur recht und
billig.

Der junge Leopold Reindorfer und seine Schwester Elisabeth waren es
höchlich zufrieden und auch sie schrieben das geänderte Verhalten des
Vaters gegen sie dem Kinde zu.

„Weil das Kleine einmal da ist,“ sagte der Leopold, „so hat es auch
sein Gutes, seit der Vater so ein unnütz’ Maul auf dem Hofe hat, sieht
er doch mehr auf die, die ihr Essen auch verdienen.“

Elisabeth fühlte sogar zu der unschuldigen Ursache dieser Änderung
der Verhältnisse einige Neigung und nahm sich hie und da der kleinen
Schwester an. Sie war die einzige, die sich etwas mit dem Kinde abgab.
Auch sie, nicht die Mutter war es, welche das Kind den Bauer als
„Vater“ ansprechen lehrte.

Wie viel Zeit verging bis dahin? Für kleine Leute bleibt die Welt
immer auf einem Flecke stehen. Sie merken nicht, daß sich in ihr etwas
ändert, weil sie ja auch nicht verspüren, wie sie sich selbst ändern.
Welche Zeit? Fragt das die Kinder, die sich dort spielend in der Sonne
tummeln.

Es war ein kleiner Junge mit großen braunen Augen, aus denen zu sehen
ihn fast das Haar verhinderte, das in dichten schwarzen Ringeln ihm
über die Stirne fiel, ein Hemd und ein Höschen, mit einem Träger
querüber festgehalten, bildete seine ganze Bekleidung, ebenso barfuß
wie er war seine Gespielin, die nur über ein grobes Hemdchen einen für
ihre kleine Person etwas zu langen Rock trug und unter blondem wirren
Haar auch mit braunen Augen in die Welt lugte. --

Der Kleine stand mit gespreizten Beinen, die Hände in den Hosentaschen,
vor dem Mädchen und fragte: „Wer bist denn du?“

„Ich bin die Leni,“ sagte das Kind und sah verwundert auf den Knaben,
der nicht einmal wußte, wer sie war, sie hielt ihn gewiß für einen
recht dummen Buben. „Wer bist denn du?“

„Ich bin des Müllers Florian, vom Wasser-Graben, weißt du?“ sagte er.
Er bewies männliche Überlegenheit genug, sich über die Unkenntnis des
Mädchens gar nicht zu verwundern.

Die Kleine nickte, sie wußte zwar nicht, was eine Mühle sei, noch
wohinzu der Wasser-Graben läge, aber sie war mit der Auskunft doch
zufrieden.

„Du,“ sagte der Knabe, „siehst du Vögel gerne?“

„Ei freilich,“ sagte das Mädchen, „hast du einen bei dir?“

Der kleine Florian lachte, zog die Hände aus den Taschen und wies sie
leer vor. „Dort oben da sind dir so viele. Komm mit!“ Er nahm sie an
der Hand.

Die beiden gingen ein Stück Weges, da stand ein großer Busch und
darunter war eine Wasserlache noch vom letzten Regen, jetzt halb
eingetrocknet, in der feuchten Erde mochten sich Gewürm und Larven
angesiedelt haben, die Vögel schossen ab und zu und pickten in den
Schlamm. Es war ein lustiges Treiben.

Eine Goldammer gefiel den Kindern gar zu gut, und als etliche
Rotschwänzchen im Kote herumtänzelten, als wollten sie ihre Beine nicht
gar zu sehr beschmutzen, da brachen die Kleinen in hellen Jubel aus und
hüpften mit steifen Beinen herum, wie sie es von den Tierchen gesehen
hatten.

Die Folge war, daß diese sich beleidigt zurückzogen und selbst dann
wegblieben, als Leni und Florian ganz ernst versicherten: sie wollten
es nicht wieder tun -- und sie möchten doch nicht so dumm sein und sich
nicht wieder sehen lassen.

Sie warteten eine ganze Weile, aber vergebens.

Der Knabe zuckte mißlaunig die Achsel. „Das hast du gemacht,“ sagte er
zu der Kleinen, „du hast sie nachgespottet.“

„Sie kommen schon wieder,“ lachte Leni.

„Heut nimmer,“ sagte Müllers Florian. „Ich geh’ heim.“

„Ich geh’ mit dir,“ rief das Mädchen. „Ist weit bis zu dir hin?“

„O freilich, ich weiß nicht, ob du es wirst gehen können; aber komm nur
mit, ich trag’ dich schon, wenn du müde wirst.“

Das Mädchen überlegte.

„Ich zeig’ dir unsern Garten,“ versprach der Knabe.

„O, da haben wir einen größeren.“

„Hast du schon eine Mühle gesehen?“

„Nein, wie sieht die aus?“

„Weißt, wo man das Mehl macht. Die gehört meinem Vater, die zeig’ ich
dir.“

Wer, der noch nie eine Mühle gesehen hat, möchte eine solche nicht
sehen? Die Neugierde überwog, und das Mädchen lief munter neben dem
Knaben her, oft über das lange Röckchen stolpernd, daß sie sich gar
nicht zu halten wußte, worüber beide laut lachten. Was das war, eine
Mühle, wo man das Mehl macht?

Sie waren schon ziemlich weit gegangen; das Mädchen fing an müde und
ängstlich zu werden, es hörte nicht mehr auf den kleinen Begleiter,
der fortwährend versicherte, gleich müßten sie dort sein; er tat dies
auch zu seiner eigenen Beruhigung, -- so lang wie heute war doch der
Weg noch nie gewesen. Beide Kinder kamen in die bedenklichste Stimmung.
Jedes fühlte sich so weit weg vom Hause, und so allein, alles war so
stille, niemand zu hören noch zu sehen, höchstens ein Vogel flatterte
vom Gezweige auf den Weg nieder, aber auf diese hatten sie schon lange
nicht mehr acht. Sie vermieden es, einander anzusehen, denn das Weinen
war jedem nahe, und wenn das eines an dem andern bemerkt hätte, dann
wäre der laute Jammer unabwendbar gewesen.

Aber da hörten sie plötzlich ein helles Klappern und Rauschen, der
Knabe tat vor Freude einen Jauchzer, faßte die kleine Leni bei der
Hand und sie rannten um eine Ecke, da rauschte und klapperte es noch
fröhlicher, und dort unten am Wege das Haus mit dem großen Rade daran,
das war die Mühle, das Rauschen kam aber vom Wasser und klappern tat
das Rad, so sagte wenigstens der Florian.

Sie standen über dem Fahrwege auf einem kleinen Fußsteige, diesen
mußten sie verlassen und den auf der andern Seite drüben einschlagen.

„Jetzt komm, jetzt trag’ ich dich schon bis hin,“ rief fröhlich
herumhüpfend der Knirps, er schärfte der kleinen Leni ein, sich ja
recht fest an seinem Halse anzuhalten, faßte sie an den Füßchen und
versuchte sie aufzuheben, aber das ging nicht an, und sie lachte,
weil sie so schwer war; da ließ sie der Florian vorerst los, und mit
ernstem Gesichte spuckte er in seine Hände, wie er es von Großen hatte
tun sehen, dann packte er aber an, mit einem Ruck hob er sie empor,
und -- beide kollerten über das hohe Gras hinunter auf den Fahrweg, da
rangen sie sich voneinander los, da saßen sie und sahen einander an und
lachten, und der Knabe sprang auf und lief voran und das Mädchen hinter
ihm her der Mühle zu.

Als sie nahe kamen, da bewunderte Leni wohl das Rad, wie das gar so
groß war, aber da war nur noch Wasser zu sehen und kein Mehl. „Das sei
drinnen in der Mühle,“ sagte der Florian. „Komm nur!“

An einem Lattenzaun war ein kleiner Einlaß, Florian hob das Querholz
geschickt aus und schob das Türchen nach einwärts, die Kinder traten
in den Hof, ein großer Hund schoß auf sie zu und umsprang den Knaben;
da er aber gegen das Mädchen bellte, so bekam er einen Puff, dem
Schlage der kleinen Hand konnte er aber bei seinem zottigen Felle keine
feindseligen Absichten unterlegen und so nahm er als verständiges Tier
denselben als eine bescheidene Mahnung auf, sein Betragen gegen die
kleine Dame zu ändern; er reckte daher seine Pranken zu deren Füßen
hin, legte den Kopf darauf und bewegte auf dem aufrechtgehaltenen
Hinterleibe wedelnd die Rute, was bei deren erhabenem Standpunkte sich
sehr feierlich ausnahm; hätte der Hund nur seiner innersten Überzeugung
über den Wert der Umgangsformen einigen Zwang angetan und nicht dabei
gegähnt, aber das tat er.

An der Schwelle der Küche, durch die man auch hier unmittelbar vom
Hofe in das Haus gelangte, erschien jetzt eine große, stattliche Frau.
Es war die Müllerin. Der „Herlinger Florian“ schien es für unehrenhaft
gehalten zu haben, an ein Mädchen gewöhnlichen Schlages seine Freiheit
zu verlieren, hier hatte er es leicht, sich auf die Übermacht
auszureden, denn sein Weib war viel höher und stärker als er.

Der Knabe lief auf die Mutter zu.

„Nun, Flori,“ sagte diese, „wen bringst denn du da mit?“

„Das ist die Leni.“

Die Frau nahm beide Kinder an der Hand und ging nach der Stube, wo
der Müller gerade über Rechnungen saß, sie öffnete halb die Türe und
schob die Kinder vor sich hinein und mit einem Schelmengesicht sagte
sie: „Du, Vater, schau einmal her, ob nicht der Florian dir ganz
nachgeratet, da bringt er sich schon ein Dirndl mit.“

Der Müller lachte.

Er hatte die Zeit über ein etwas behäbigeres Ansehen gewonnen. Es war
nämlich nicht so gekommen, wie es die Leute erwarteten, sondern von
dem Augenblicke an, wo er mit Weib und Kind die Mühle in Besitz nahm,
trug er den seßhaften verheirateten Mann mit Auffälligkeit zur Schau,
er gefiel sich darin und gewöhnte sich daran, und so wurde er zuletzt
selbst, wofür er gehalten werden wollte, ein umsichtiger Geschäftsmann
und sorglicher Familienvater, und so genoß er auch sein Teil Zutrauen
in der Gemeinde und in der Umgegend.

Jetzt legte er die Feder weg und wandte sich nach den Kindern. „Wie
heißt denn du?“ fragte er das Mädchen, das ihm die Müllerin bis vor
sein Knie geschoben hatte.

Das Kind lachte verlegen.

„Nun geh’, so sag’ mir es doch!“ Er hob die Kleine auf seinen Schoß.
„Wie heißt du denn?“

„Magdalena.“

„Und mit dem andern Namen?“

Das Mädchen besann sich, „Reindorfer,“ sagte es dann rasch.

Der Arm des Müllers, mit dem er das Kind umfaßt hielt, zuckte und
unwillkürlich drückte er leise mit der anderen Hand das blonde Köpfchen
an sich.

Das Kind, überrascht durch eine ihm ungewohnte Liebkosung, stemmte sich
mit beiden Händchen gegen ihn, machte sich frei und sah ihm mit den
großen braunen Augen, wie fragend, in das Gesicht.

Er aber hielt diesen Blick nicht aus, hob das Mädchen von seinem Knie
und stellte es wieder auf die Diele. Seine Hände zitterten dabei.

Florian hatte früher, an seinen Vater gelehnt, zu der kleinen Gespielin
aufgesehen, jetzt standen beide Kinder auf ebenem Boden nebeneinander,
die Müllerin sah auf sie herab und sagte: „Das Dirndl da schaut unserm
Flori völlig gleich.“

Der Müller schüttelte den Kopf.

„Nun, sieh nur selbst, die gleichen Augen haben sie gewiß.“

Da stand der Müller ärgerlich auf und schob sein Weib, die Kinder
voran, nach der Türe. „Geht mir jetzt, ich muß noch rechnen,“ sagte er,
und zu der kleinen Leni: „Und du mach, daß du heimkommst!“

„Aber geh,“ sagte die Müllerin, „fahr’ das Dirndl nicht so an, es ist
doch gar ein liebes Ding.“

„Nun ja, aber denk’, wie weit es sich verrannt hat, vielleicht suchen
sie es schon auf dem Reindorferhof.“

„Ich führ’ sie ein Stück Weges.“

„Bleib du im Haus, schick einen Knecht oder eine Dirn’ mit.“ Er schloß
die Türe hinter ihnen.

„Rosel,“ rief die Müllerin, als sie mit den Kindern in den Hof
hinaustrat.

Eine Stimme antwortete: „Ja, Müllerin.“ Und bald darauf kam aus einer
Scheuer eine dicke Magd herausgelaufen. „Was willst denn?“ fragte sie
hastig.

„Geh, Rosel, führ’ das kleine Menscherl da auf den Reindorferhof, wo
sie zu Haus ist, sag’ nur, sie wär’ mit unserm Florian gar bisher zu
uns gegangen, wie halt schon Kinder sind, sie sollen’s nicht schlagen
derohalben.“ -- Sie strich der Kleinen über das blonde Haar. „B’hüt
dich Gott, kleines Dirndl.“

Die Magd ging und zerrte das Kind an der Hand hinter sich her.

„Komm wieder!“ rief Florian nach.

Das Mädchen zappelte mit seinen kurzen Beinchen neben der eilig
dahinschreitenden Magd her. Ach, es war wohl gar weit bis nach Hause,
-- und Schläge bekommt sie ganz gewiß, weil sie solange weg war, -- und
in der Mühle, ja, das hatte sie nicht einmal gesehen in der Mühle, wie
Mehl gemacht wird. Das war doch gar zu traurig! Sie verzog das Gesicht
zum Weinen, aber dazu war ihr keine Zeit gelassen, sie mußte nur immer
eilfertig auf dem Wege einherlaufen, sie senkte das Köpfchen, da fielen
ihr die Haare über das Gesicht und verhüllten den erbarmungswürdigen
Anblick.

Plötzlich ging die Magd langsamer, zog die Hand des Kindes an sich,
damit es aufblicken möge und sagte: „Schau, da kommt der Vater!“

Der alte Reindorfer kam auf sie zu. „So findet man dich endlich,“ sagte
er, „hab’ mir so gedacht, aus der Welt wirst du nicht sein. Wo warst du
denn?“

Die Magd gab Bescheid.

Die kleine Leni horchte gut auf. O, das war eine Böse; daß man sie
nicht schlagen solle, davon sagte sie gar nichts.

Der Reindorfer aber sagte, nachdem er der Dirne gedankt hatte: „Warte
nur, bis wir heimkommen, ich denk’ dir die Ungelegenheit und die Unruh’
nicht zu schenken.“

„Ist schon recht,“ sagte die Magd.

O, das war eine gar Böse!

„Gute Nacht, Reindorfer.“ -- Rosel ging ebenso eilig den Weg zurück,
wie sie ihn gekommen war.

„Gute Nacht!“ brummte der Bauer, er nahm das Kind an der Hand und
während er es mit sich fortzog, schalt er es aus, und so oft er eine
Scheltrede anhob, preßte er das kleine, schwache Pätschchen in seiner
rauhen Faust und riß die Kleine herum, daß sie taumelte.

„Gar bis zur Mühle hast laufen müssen? -- Du Brut, zieht es dich nach
dem Neste? -- Ja, zieht es dich nach dem Nest? -- Du Kuckucksvogel, du!
-- Einmal noch verlauf’ dich dorthin, -- erschlagen tu’ ich dich! --
Nur einmal noch!“

Das kleine Händchen war ganz rot geworden und der Arm schmerzte, und
das Kind weinte und schluchzte laut.

Da saß ein Mann am Wege, an dem sie vorüber mußten. Es war der
Kleehuber, der Rast hielt.

„Ho, Reindorfer,“ sagte er, „was treibst du denn mit deinem kleinen
Dirndl? Ich schau’ dir schon zu, von wo ich dich hab’ den Weg kommen
sehen. Hast halt lange keine so kleine War’ im Hause gehabt und bist
entwöhnt, wie man mit ihr umgehen soll!“

Er erhielt keine Antwort und kopfschüttelnd blickte er den beiden nach.

Reindorfer hatte die Hand des Kindes loser gefaßt und war langsamer
gegangen, jetzt, wo sie dem Kleehuber aus dem Gesichte waren, blieb er
stehen.

„Es ist eigentlich nicht recht und ist ein jähes, unchristliches Wesen!
Was kann das Kind dafür, was in ihm steckt? Und meinen tut es ja auch
nichts damit, dazu ist es noch nicht gescheit genug. Sei ruhig, Leni!“

Er nahm das Kind auf den Arm und trug es nach Hause.

Die Bäuerin stand am Hoftore und lief ihnen entgegen, aber ehe sie nach
dem Kinde langen konnte, hatte er dasselbe schon vom Arme auf die Erde
gesetzt und sagte: „Da hast du deinen Bankert, wäre der Hof abgebrannt,
oder hätte uns andere alle das Donnerwetter erschlagen, du hättest
nicht soviel Wesens darum gemacht.“

Das Weib zog das Kind an sich und sah mit weinenden Augen zu ihm auf.
„Verzeih dir Gott, wie du mir wehe tust, Joseph, aber ich kann ja doch
nicht anders, wie ich müssen tu’!“

       *       *       *       *       *

Rechnen wollte der Müller, das hatte er wenigstens gesagt, er mußte
das wohl nur im Kopfe tun, denn bisher hatte er keine Ziffer auf das
Papier geschrieben. Was das wohl für eine Rechnung war? Wollte er sich
vielleicht einen alten Posten aus dem Sinne schlagen?

Er versuchte es. Warum er sein Weib nicht mit dem Kinde gehen ließ?
Es war doch spaßhaft, gerade als wüßte das Kind etwas und könnte es
ausplaudern; aber es war doch recht, und es sollte ihm vom Hause
bleiben, die großen braunen Augen hatten ihn so verwirrt gemacht und
waren auch seinem Weibe aufgefallen! Pah, es laufen wohl mehrere
herum, von denen er nicht weiß, -- -- eben, wenn man von nichts weiß
und von nichts wissen will! Als Herumstreicher ist man glücklicher!

Dir sollst das noch einmal sagen, Müller! Eines Tages wirst du es
sagen, aber es wird nicht im Gefühle des Unbehagens sein, in dem du
jetzt mißmutig den Kopf mit den aufgestemmten Armen stützest, nicht
im Gefühle, Opfer und Frucht deines Leichtsinnes in beängstigender
Nähe vor Augen zu haben und mit lahmen Armen stumm zusehen zu müssen,
wohin es führt; du wirst es sagen in ganz anderen Gefühlen, und was dir
bisher ausstand, das Mitleid, es soll dir werden!

       *       *       *       *       *

Als die Elisabeth vom Reindorferhofe wegheiratete, was war das für ein
schöner Tag für die kleine Leni, was gab es da alles zu schauen und
zu -- essen! Weit, gar weit fuhr man mit den Wagen über Land, und wie
schön die Schwester angezogen war, und wie die Musikanten aufspielten
und die Leute dazu tanzten, wie ganz anders war das alles, als zu Hause!

Aber ihr wollte doch schier das Herz brechen, als die ganze
Herrlichkeit ein so trauriges Ende nahm, als sie hörte, die Schwester
bliebe für immer dort, sogar weit weg von ihr. Das Kind war nicht zu
beruhigen, bis ihm Elisabeth versprach, sie käme den nächsten Tag und
dann alle Tage nachschauen, wie es ihr erginge. Arme Leni, es sollte ja
doch nur beim Versprechen bleiben.

Wohl gab sich von da an die Mutter mehr mit ihr ab; aber die Schwester
war das doch nicht; obwohl die Reindorferin ihre natürlichen Gefühle
nie verleugnete, sie wäre sich doch dadurch nur noch strafbarer
erschienen, so hatte sie doch eine Art Scheu vor dem Kinde und das
erweckte in demselben das gleiche Gefühl.

Nur einen Freund hatte die kleine Leni noch am Hofe, dem sie sich
rückhaltslos anvertrauen konnte, der alles so ernst oder so lustig
aufnahm, wie sie es selbst meinte, und das war der alte Sultan. O,
er hätte auch gerne noch mit ihr gespielt, aber sie wußte ja, er war
so krank, und da besuchte sie ihn oft auf seinem Stroh und jedesmal
bezeigte er seine Freude darüber. Aber eines Tages da war er so unruhig
und stöhnte und winselte und warf sich herum, und sie fragte ihn:
„Sultl, was hast du denn?“ Aber er schien sie gar nicht zu bemerken,
und so saß sie denn ganz betrübt an seiner Hütte und wenn er sich das
Stroh zur Seite gewälzt hatte, so breitete sie es ihm wieder unter.
Und am andern Morgen da fand man den Sultl tot; der Bauer ließ ihn
durch einen Knecht in dem Garten verscharren, und der schleifte ihn
auf dem Wege hinter sich her, daß der Kopf an den Steinen aufschlug,
Leni schrie laut und faßte mit beiden Händen nach ihrem eigenen
Köpfchen, und der Knecht mußte warten, bis sie ihre Schürze dem Hunde
übergebunden hatte, dann folgte sie ihm weinend und sah zu, wie er eine
Grube schaufelte und den Sultan hineinlegte und die Erde darüber flach
trat.

Danach ging der Knecht wieder mit dem Spaten fort und sie blieb allein
an der Stelle zurück. Da vor ihr unter der Erde lag der Sultan, und
draußen stand seine Hütte leer und das Stroh lag zerwühlt. Wem sollte
sie es nun sagen, wenn sie sich auf Mittag oder sonst freute? Wem, wenn
sie Schläge fürchtete oder bekommen hatte? Und wenn sie sich wieder an
einem großen Dorne ritzt, da leckt er ihr nimmer das Blut weg. O, der
arme, gute Sultl!

Man hatte sie gelehrt, das Abendgebet, wenn sie es einmal gesprochen
hatte, noch einmal zu wiederholen, da galt es dann für Vater, Mutter
und Geschwister und „alle, die sie lieb hatte“. In ihrem ratlosen
Schmerze faltete sie auch jetzt die Händchen und betete, alles, was man
sie gelehrt hatte, das Morgen-, Tisch- und Abendgebet für -- den Sultl.

Dann trocknete sie sich die Augen und ging beruhigter zurück nach dem
Hofe.

Sie hoffte wohl, daß sie wieder einen Hund bekommen würden, der auch
mit ihr so gut sein würde; sie bekamen auch ein paar Tage darauf einen,
aber der war nur brummig und bissig und wollte nicht mit sich reden
lassen.

Daher war es ihr ganz recht, als es plötzlich hieß, daß sie in die
Schule müsse. Als die Mutter sie hinbrachte, da stand sie freilich ganz
eingeschüchtert an der Türe, der vielen Kinder wegen; daß es so viele
gäbe, hatte sie sich nie denken können, wo die nur alle her waren?
Und als sie nun mitten unter ihnen auf der ersten Bank sitzen mußte
wie alle ganz Kleinen, Neuen, dem Schulmeister unter den Augen, da
getraute sie sich kaum aufzusehen; aber sie wagte es doch und sah erst
ganz verstohlen die neben ihr sitzenden Mädchen an, dann sah sie auch
hinüber zu den Buben, die auf der anderen Seite saßen, und da lachte
einer auf sie herüber und das war Müllers Florian, und nun hatte sie
doch einen Bekannten und da war es gleich ganz schön in der Schule.

Als die Schulstunde vorüber war, da wartete der Flori und ging auf sie
zu.

„Du bist die Reindorfer Leni,“ sagte er.

Das Mädchen lachte.

„Das ist gescheit, daß sie dich auch in die Schule geschickt haben,“
sagte der Knabe.

Und dann gingen sie plaudernd einen Weg nebeneinander her bis zum
Reindorferhof.

So gingen sie denn eine Zeit Tag für Tag miteinander nach und aus der
Schule. Aber bald sollte ihre Eintracht gestört werden. Das Mädchen
hielt sich plötzlich fern von dem Knaben, entweder war es schon weit
voran, wenn er aus dem Schulzimmer kam, und lief dann vor ihm her,
nicht einzuholen, oder es blieb zurück und schlich hinterdrein und
mochte er noch so langsam gehen.

Als sie einst wieder hinter ihm des Weges kam, da versteckte er sich,
wo der Weg überbog im Gesträuche, und als die Leni nahe war, sprang er
hervor und faßte sie an der Hand.

„Jetzt halt’ ich dich,“ sagte er, „sag, hab’ ich dir etwas getan, daß
dir nimmer willst mit mir gehen?“

„Mein Vater hat gesagt, er schlägt mich, wenn ich mit dir gehe.“

„Dein Vater ist recht grob.“

Beide Kinder überlegten stille.

Ein Ausgleich lag freilich nahe, aber da Florian selbst jede
körperliche Züchtigung innig verabscheute, so getraute er sich nicht,
der Leni den Vorschlag zu machen, sie solle sich nur schlagen lassen,
so könnten sie immer miteinander gehen wie früher.

Aber wenn sie der grobe Reindorfer gar nicht auf dem Wege sah, dann
konnte er auch keines von ihnen schlagen, und es lag eine Heimlichkeit
darin, von der alle Leute im ganzen Dorfe nichts wußten, und nur sie
allein.

Das lockte, und wie viel pfiffiger kamen sie sich dabei vor, als alle
die großen Leute.

Bis zu dem Busche, wo sie jetzt standen, war die Straße für sie
sicher, erst wenn sie denselben hinter sich hatten, konnte man sie vom
Reindorferhofe aus sehen, so wurde denn ausgemacht, dort solle des
Morgens immer eines auf das andere warten, und auf dem Rückwege wollten
sie auch nur bis dahin miteinander gehen, dann blieb eines zurück und
kam erst viel, viel später des Weges daher.

Ja, verbiete nur einer etwas!

Die Reindorfer Leni war überhaupt ein pfiffiges Kind, das sagte auch
der Schulmeister, und er lobte sie oft vor allen andern Kindern, und
wenn dies gerade vorgekommen war, dann nahm sie auch zu Hause Fibel
oder Rechentafel an sich, schlich hinter dem alten Reindorfer her, und
wenn er sich in der Scheuer oder im Garten über einer Arbeit verhielt,
setzte sie sich in seiner Nähe nieder und las oder rechnete laut, damit
sie auch der Vater loben möchte.

Das erstemal, wo sie der Bauer gar nicht in der Nähe wußte, fuhr er
unwillig auf, als aber das Kind vor Bestürzung auf dem Flecke sitzen
blieb und über die bittere Enttäuschung leise schluchzte, da besann
er sich, daß es ihm wohl eine Freude habe machen wollen. „Nur nicht
unchristlich, unchristlich darf man nicht sein,“ sagte er vor sich hin,
und dann zur kleinen Leni: „Mach nur weiter fort! Hast schon recht,
lerne nur fleißig, damit du ehrlich durch die Welt kommst, weil du
einmal darin bist! Nun, les’ nur weiter, du Blondköpfel!“

Von da an bekam der Bauer viel zu hören, auch manches, das ihm neu
war, denn sie lehrten jetzt die Kinder ganz anders, als wie ehemal.
Aus Neugierde holte er oft das Mädchen über manches Nähere aus, und
ihn wunderte, wie es alles so gut begriffen hatte und so richtig
aufbehielt.

Bald aber wurde ihm jedesmal ganz weh zumute, wenn er das Kind sich so
bemühen sah, ihm zu gefallen, denn seine Elisabeth hatte seit Jahr und
Tag nicht mehr nach ihren Eltern gefragt und der Leopold, den er immer
so gut gehalten, der meinte, das wäre das wenigste gewesen, ein Vater
könne wohl mehr tun; der Bursche hatte sich in eine Dirne vergafft und
wollte nun, je eher, je lieber, sein eigener Herr sein. So wußte denn
der alte Mann, er war seiner Tochter gleichgültig und seinem Sohne im
Wege.

Dafür war zu Anfang auch die kleine Magdalena mit dem alten Reindorfer
nicht zufrieden, andere Kinder sagten, wenn sie ihre Sache recht brav
gemacht hätten, dann spielten ihre Eltern mit ihnen oder schenkten
ihnen wohl Sonntags darauf einen Butterweck oder sonst irgendeinen
begehrlichen Gegenstand, aber auf derartiges hoffte sie ganz vergebens;
später kam er ihr gar „ernsthaftig“ vor, wie der Herr Pfarrer und der
Lehrer, die auch immer etwas zu fragen oder auszusagen wußten, und
da verlangte sie nach keinem Spiel und nach keinem Geschenke mehr
und tat sich gerade darauf was zugute, daß er sie nicht wie ein Kind
behandelte, ... auch nicht wie das seine, das fühlte ja der kleine
Gernegroß in seinem kindischen Stolze noch nicht.



5.


Wenn Liebe etwas stark geradezu geht, so ist ihr ebenso zu mißtrauen,
wie wenn sie auf krummen Wegen schleicht. Der junge Reindorfer wäre
vollauf berechtigt gewesen, an die Gründung eines eigenen Hausstandes
zu denken, in etlichen Monaten hatte er sein dreißigstes Jahr erreicht,
aber eben die Plötzlichkeit seines Entschlusses und der Gegenstand
seiner Neigung machten den Alten vorsichtig.

Leopold hatte seine militärische Dienstzeit hinter sich, sie wurde ihm
leicht erträglich, denn sie fiel gerade in gesegnete Jahre, und der
Mangel an Feldarbeitern veranlaßte die Kriegsbehörde zu zahlreichen
Beurlaubungen, mit vielen andern wurde auch er auf einige Zeit den
Seinen wieder zurückgegeben.

Später hatte er nur noch die Verpflichtung, als Landwehrmann zu den
jährlichen Übungen einzurücken.

Als Bauernbursche hatte er nie Empfänglichkeit für die Dorfschönheiten
gezeigt, auch unter seinen militärischen Genossen, denen doch die
Langeweile und die schmale Verpflegung den Umgang mit einem weiblichen
Wesen, das in einem anständigen Hause kocht, so wünschenswert
erscheinen ließ, hatte er sich von dieser Schwäche rein erhalten.

Als er aber von der vorjährigen Waffenübung heimgekehrt war, da
öffnete er plötzlich sein Herz der Liebe; dieselbe hatte sich
seiner Eitelkeit als einer allzu willigen Pförtnerin bedient. Auch
Bauernbursche erliegen dieser allgemein menschlichen Schwäche. Wie
nach einem gegenseitigen, stillschweigenden Übereinkommen hatte sich
bisher um den Reindorfer Leopold, der sich um keine Dirne Mühe gab,
auch keine derselben gekümmert, als es aber nun eine übernahm, ihn
darüber aufzuklären, daß er mit allen Eigenschaften ausgestattet sei,
sie glücklich zu machen, warum sollte er dieser schmeichelhaften
Versicherung keinen Glauben schenken und sich böswilligerweise seiner
Bestimmung entziehen?

Diejenige, welche den jungen Reindorfer also umgewandelt hatte,
hieß Josepha Melzer und bewohnte mit ihrer Mutter das kleinste und
baufälligste Häuschen im Orte, außer diesem konnte die alte „Melzerin“
dereinstens ihrer Tochter nichts hinterlassen, als einen ebenso
übelbewahrten Ruf, dessen übrigens die Josepha gar nicht bedürftig war,
denn sie hatte sich schon aus eigenen Mitteln die Beischaffung eines
solchen angelegen sein lassen.

Ein Monat mochte verflossen sein, seit Leopold, zur Verwunderung der
Ortseinwohner, öfter in dem verfallenen Häuschen einsprach, als eines
Abends Josepha, von der Arbeit heimkehrend, die Alte sehr mißlaunig
fand.

„Warst du heute schon mit dem jungen Reindorfer zusammen?“ fragte sie
keifend.

Die Dirne warf den Grasbündel und die Sichel beiseite und nahm den
breitkrempigen Strohhut ab. „Nein,“ sagte sie, „aber er wird wohl jetzt
nach Feierabend kommen.“

„So rede einmal mit ihm, dummes Ding, daß es zu etwas führt. Wie lange
denkst du denn, daß ich noch zuwarten kann? Ich möchte doch meine paar
Tage auch noch auf dem Reindorferhofe in Ruh’ und Wohlfahrt verleben
können. Hab’ ich dich darum auf den Burschen gehetzt und dir gesagt,
mach dich an ihn, der sieht nicht nahe zu, wenn man ihm nur die Ware
ins Haus bringt, -- damit du dich wieder so dumm anstellst, wie jedes
frühere Mal? Weiß Gott, dumme Streiche hast du mir genug gemacht, und
hab’ ich dir genug nachgesehen, es wäre nun wohl auch Zeit, daß du
klüger sein und auf dich und deine alte Mutter denken möchtest! -- Daß
du mir heuer am Allerseelentag nicht wieder das kleine Grab aufputzest,
das rat’ ich dir! Ich sag’ dir, diesmal sehe ich nicht so zu, aus
dem Hause jag’ ich dich, wenn da nichts wird! Willst du zuwarten, du
langweiliger Tropf, bis dich die Leute ihm abreden? Solang das Eisen
heiß ist, muß man’s schmieden, ist nur einmal alles in Richtigkeit,
nach der Hochzeit muß sich einer wohl darein schicken; man kann auch
alles anders deuten und drehen, und er tut sich nur selber einen
Gefallen, wenn er daran glaubt. Aber so wirst du die Zeit verpassen,
der Herbst wird wieder da sein, da rückt er wieder auf vier Wochen ein
und ihr seid auf so lange voneinander; vom Ort kommen auch Bursche
mit, aber du, natürlich, nimmst dich weder vor denen in acht, noch vor
jenen, die verbleiben! Und da ist wieder nichts darauf zu geben, und
ich geb’ auch nichts darauf!“

„Du meinst gerade, das ginge nur so, und wenn man Haferl sagt, ist ’s
Häfen fertig“[7] sagte trotzig die Dirne. „Meinst du, es kostet einem
keine Mühe, wenn man selber keine Gedanken darauf hat, und man soll
zutätig sein gegen einen, der ist wie ein Stück Holz?“

„Nun ja, du wilde Hummel, nur bring’ ihn einmal darauf, was zu
geschehen hat, liegt ihm das nur erst im Kopf, dann gibt es ihm selber
keine Ruhe und er setzt sich schon daran.“

„Guten Abend, Melzerin,“ sagte Leopold eintretend, „grüß dich Gott,
Sepherl.“

„Guten Abend.“

„Die Mutter erlaubt’s schon,“ sagte der Bursche. „Magst mit mir über
die Felder gehen?“

„Ich weiß nicht, ob es auch recht ist,“ sagte die Dirne, „es schauen
so schon alle Leute, wie oft du kommst, und es bringt einer ledigen
Dirne keine gute Nachrede, wenn sie mit einem Burschen längere Zeit
geht. Es hat keinen Schick und keinen Zweck.“

„Schau, wie sie sich an das hält, was schicklich ist,“ meinte die Alte
und lachte Leopold mit dem zahnlosen Munde an. „Kriegt einer einmal ein
braves Weib an ihr!“

„Meine ich es denn nicht ehrlich?“ fragte Leopold.

„Das wirst du freilich selber am besten wissen,“ schmollte die Dirne.

„Ich meine es aber ehrlich,“ sagte aufbrausend der Bursche, „und ich
will dich auch zu meiner Bäuerin machen!“

„O, du lieber Herzensschatz! Aber schau, davon wissen halt die Leute
nichts.“

„So sollen sie es morgen schon wissen und heut noch der Vater!“
Als Leopold das sagte, tat er gewaltig sicher, als wäre mit seinem
ausgesprochenen Willen schon alles abgetan und ausgemachte Sache,
und als ob er gar kein Unbehagen verspürte, wenn er dabei an die
Unterredung mit seinem Vater dachte.

„O du mein Herzens-Leopold, wenn das dein Ernst wär’!“ rief Josepha.

Die Alte aber faltete die Hände vor freudigem Schreck und sagte:
„Jesus! Dirn’, für so ein Glück kannst du unserm Herrgott all dein
Lebtag nicht genug danken.“

„Nun, gehst jetzt mit mir?“ fragte Leopold, überlegen um sich blickend.

„Dir tue ich ja alles für mein Leben gern, und jetzt, wo es auch sein
darf, brauchst gar nimmer zu fragen, du mein schöner, goldiger Leopold,
du!“

Und sie gingen über die Felder.

Wie immer hatte Josepha das Wort zu führen; heute aber machte sich
das leicht, da sie nur über das ungeheuere Glück, das ihr widerfuhr,
gewaltig stolz zu tun brauchte -- das tat sie auch ganz ungeheuchelt
--, um wieder bei Leopold den Stolz zu erwecken, ein Bursche zu sein,
der „Eine“ so unerhört glücklich machen könne.

Beim Abschiede fügte Josepha die vielleicht weniger aufrichtig gemeinte
Versicherung hinzu: „Wenn ich dich hätte nicht kriegen sollen, glaub
mir, ins Wasser wäre ich gegangen!“

Es war immerhin ein hübscher Schlußsatz.

Leopold lachte verlegen und zugleich begütigend, auch viel
Vernünftigere wissen auf solche Reden nichts zu sagen. In dieser
Bedrängnis faßte er einen großen Entschluß, er zog die Dirne an sich
und -- ihre Lippen suchten sehr geschickt die seinen.

Er machte sich los; er war ganz rot geworden, murmelte „gute Nacht“ und
schlich davon.

Die Dirne sah ihm nach. Tat er ihr leid, oder sollte sie lachen? Sie
wußte es selbst nicht.

Der junge Reindorfer aber schritt bald rüstiger aus. Auf dem Wege
versuchte er sogar den Gefühlen, die ihn bestürmten, durch Vierzeilige
Luft zu machen, diese besaßen zwar keinen ethischen Gehalt, aber auch
der andere ließe sich nicht gut mitteilen.

Je näher er aber dem väterlichen Gehöfte kam, desto kleinlauter
wurde er, schweigend betrat er dasselbe, schweigend nahm er an dem
gemeinsamen Abendbrote teil, und als der alte Reindorfer vom Tische
aufstand, um vor dem Schlafengehen den gewohnten Rundgang durch Hof,
Scheuer und Garten anzutreten, ging er hinter ihm her.

Als der Alte das merkte, blieb er stehen.

„Warum laufst du denn hinter mir her wie ein Pummerl?“[8]

„Vater,“ sagte Leopold, an ihn herantretend, „so geht es nimmer.“

„Was geht nimmer?“

„Ich fühl’ mich, das Ledigsein tut mir kein gut, ich meine, ich hätte
es ohnehin lang genug ausgehalten, jetzt mag es mir aber nimmer taugen.“

„Heiraten willst?“ fragte der Vater mit langem Gesichte.

„Ja,“ sagte der Bursche.

„Hast dir vielleicht schon eine ausgesucht?“

Leopold lachte.

„Schau, schau, wer wär’ denn die nachher?“

„Weißt, -- die Melzer Sepherl möcht’ mir gerade anstehen.“

„Die Melzer Sepherl?!“ Der Alte sah seinem Sohne gerade in das Gesicht
und als er merkte, derselbe spaße nicht, kehrte er ihm den Rücken zu
und brummte: „Mußt heiraten, so such dir was anderes; daraus wird
nichts, all mein Lebtag nicht!“

„Warum nicht, Vater? Ich werd’ doch den Grund wissen dürfen?“

„Einen Grund?! Ich frag’, wer möcht’ die als Schwiegertochter in sein
Haus aufnehmen -- und vielleicht noch ihre Mutter, die alte Hexe, als
Daraufgabe dazu, nicht? Bub’, du bist verrückt! Weißt du denn nicht,
daß die Leut’ da herum viel von ihr zu reden wissen, nur nichts Gutes?“

„Oft reden die Leut’ gar viel,“ sagte Leopold trotzig.

„Aber da nicht mit Unrecht, und wär’ da auch nur ein Dritteil von dem
Gerede wahr, mehr braucht sich einer gar nicht zu verlangen.“

„Und wär’ das Ganze wahr, alles miteinander, so möcht’ ich doch wissen,
wen in der Welt das was anginge, wenn es mir recht ist und ich mir
nichts daraus mach’!“

„Du trauriger Hase, ich merk’, dich haben sie schön in März geschickt!“

Es war beleidigend für den Burschen, hören zu müssen, er handle in
dieser Angelegenheit wohl nicht ganz nach freiem, eigenem Antriebe,
doppelt beleidigend, weil es zufällig die Wahrheit war; so sagte er
denn ganz zornig: „Und ich heirate sie doch!“

„Das tu nur, aber verheiratet wirst du schwer als Knecht bei einem
Bauer ein Unterkommen finden, denn auf meinen Hof sollst du mir dann
nicht, weder solang ich die Augen offen habe, noch wenn ich sie einmal
schließe.“

„So, so,“ sagte der Bursche, dem vor Aufregung die Stimme stockte,
„überleg dir es halt, ob du dein Kind bei fremden Leuten als Knecht
wissen willst.“

Da zuckte der alte Reindorfer die Achseln. „Du hast wohl heute über
den Durst getrunken; schlaf vorehe deinen Rausch aus und komm mir dann
nüchtern wieder.“ Damit ging er von seinem Sohne.

Als am andern Tage der junge Reindorfer wieder in das Häuschen der
alten Melzerin trat, und die Josepha sagte, er käme ihr ganz anders
vor, als den Abend vorher, da war ihm leicht abzufragen, was ihm mit
seinem Vater begegnet war, und wie dieser durchaus gegen die geplante
Heirat sei.

Es wurde aber dem Leopold zugeredet, er möge sich, wenn er die Josepha
wirklich gern hätte, doch von dem ersten, widrigen Erfolge nicht
abschrecken lassen, auf einen Streich fälle man ja keinen Baum, und
er solle nur seinem Vater beharrlich wegen der Sache anliegen, der
werde es endlich doch müde werden, sich dagegen zu setzen, wenn er
sehen würde, wie wenig ihm das eigentlich nütze. Ernst könne ja seine
Drohung mit dem Verstoßen und Enterben doch nicht gemeint sein, denn
man wisse ja, wie er Leopold, als seinen einzigen Sohn, lieb hätte, und
mit Recht, denn Leopold wäre auch ein Bursche, der es verdient, auf den
seine Eltern stolz sein könnten, denn ihn hätten ja auch alle Leute
lieb. Freilich waren von den gesamten Leuten nur die alte Melzerin und
deren Tochter anwesend.

Von da an begann die Entfremdung zwischen Vater und Sohn, von da an
wechselten fortwährend Bitten und Abweise, Vorwürfe und Anklagen,
Bestürmungen und Drohungen, von da an lauerte und hoffte Leopold auf
irgendein Begebnis, das er nützen könne oder das ihm Nutzen brächte,
wodurch sich alles ändere, und geschähe das durch eine schwache Stunde
seines Vaters oder durch seine letzte!

„Man hat auch sein Kreuz mit einem Burschen, der weiberscheu ist,“
seufzte der Alte, „versteht sich einer nicht auf den Fang, wird er
leicht selber gefangen!“

Vorläufig dachte er daran, sich Ruhe zu schaffen und Zeit zu gewinnen.
Und so fragte er denn eines Tages, als Leopold wieder beteuerte, von
seiner Sepherl nicht lassen zu können: „Schau, was hilft jetzt alles
Herumreden, die Ernte ist vorüber und die Einberufung zur Waffenübung
vor der Türe. Vorher läßt sich ja doch nichts vereinbaren und abtun, zu
was wollen wir es also Rede haben und uns Tag für Tag darum zertragen?
Kommst du wieder heim und hast deinen Sinn nicht geändert, ist noch
Zeit genug, daß man darüber redet.“

Da der junge Reindorfer sich nicht hinter seine Mutter stecken konnte,
welche in dem Punkte ganz einer Meinung mit dem Alten war, so sah er
selbst ein, daß sich vor seiner Wiederkehr nichts werde richten lassen,
er beschloß bis dahin keine unnützen Worte zu machen, sondern erst
dann, durch seinen unveränderten Entschluß, dem Vater zu zeigen, daß er
einen Buben habe, der auf dem besteht, was er sich einmal in den Kopf
setzt, und daß es da wohl heißt, als der Klügere, nachgeben.

Dieser stillschweigend eingegangene Waffenstillstand auf dem
Reindorferhofe genoß zwar nicht die Billigung der Inwohner des kleinen
baufälligsten Häuschens im Orte, denn er rückte das erwünschte Ziel
wieder um eine Spanne Zeit hinaus, aber, wie bedenklich auch die alte
Melzerin tun mochte, Josepha sorgte nicht, sie war ihres Leopold zu
sicher.

Als der Tag kam, an dem die Reservisten nach dem Orte der Einberufung
abziehen mußten, da gab Josepha dem jungen Reindorfer eine Strecke
Weges das Geleit, und als sie mit verweinten Augen zu ihrer Mutter
zurückkehrte, da stellte sich diese mit gefalteten Händen vor sie und
sagte: „Dirn’, um Gottes willen, nur diesmal verhalte dich gescheit!“

       *       *       *       *       *

Auch der Busch in der Nähe des Reindorferhofes hatte schon längere Zeit
nicht mehr Tag um Tag den Zuspruch des langaufgeschossenen Jungen und
des spaßhaft hageren Mädchens, welche sonst immer mit ihren Schulsäcken
des Weges daherkamen. Beide waren der Schule entwachsen und das Mädchen
wohl auch den Kinderschuhen, denn es war völlig stark geworden und
verglich sich im stillen schon mit den anderen Dirnen des Ortes.

Jetzt sahen sich die beiden jungen Leute nur noch Sonntags in der
Kirche, und nur manchmal, wenn ihre Eltern von der nachmittägigen
Christenlehre wegblieben, konnten sie die gewohnte Strecke Weges
miteinander gehen; aber nunmehr fühlten sie sich schon etwas
selbständiger, vergaßen ganz -- wie die Welt schon undankbar ist -- den
alten, getreuen Busch und gingen achtlos an ihm vorüber.

Und so kam es, daß sie einmal vor dem Reindorferhofe Abschied nahmen,
als der Bauer gerade an dem Tore lehnte. Der Florian tat gewaltig
unbefangen und redete sich ein, daß er sich gar kein wenig fürchte, er
ging auch ganz bedächtig an dem Alten vorüber und grüßte ihn, freilich
von der andern Seite der Straße, dafür klang es aber auch um so lauter.

„Das ist des Müllers Florian, mit dem du da gegangen bist?“ fragte
Reindorfer das Mädchen.

„Ja, Vater,“ sagte dieses.

„Ich hab’ nicht leiden mögen, daß du mit ihm gehst, wie du noch ein
Kind warst, mußt dich jetzt auch nicht zu ihm halten; glaub nur, ich
hab’ meine Ursachen, und tu fein gehorchen.“

„Aber Vater,“ lachte das Mädel, „ich wüßt’ wirklich nicht, was das
könnt’ für einen Schaden bringen, wenn er neben einem herlauft.“

„Wissen tu’ ich es just auch nicht, aber wie geht das Sprichwort von
der Mücke? Wenn sie in das Kerzenlicht fliegt, sagt sie: Ah, da herum
ist es schön warm! Und wenn sie dann im Schmeer klebt: O, da hilft kein
Zappeln! Nun, ich habe dir’s gesagt, daran halte dich, und laß mir
nicht merken, daß du auf meine Reden nichts gibst!“

Die sonntägliche Christenlehre bestand darin, daß nachmittags, geraume
Zeit vor dem Segen, der Pfarrer die Kanzel bestieg und durch einen
kleinen Vortrag die Leute über Gebräuche und Glaubenssätze der Kirche
belehrte, das geschah jahraus jahrein für die älteren Leute, damit
sie nichts vergessen, und für die jüngeren, daß sie zulernen möchten.
Es vergingen viele Sonntage, ohne daß Magdalena in Versuchung kommen
konnte, das Gebot des alten Reindorfer zu übertreten, denn dieser fand
sich jetzt immer bei jeder Christenlehre ein, fühlte er sich etwa
schwach in den Glaubensartikeln? Wohl möglich, der Mann war alt, da
will das Gedächtnis nicht mehr alles so ohne Umstände herausgeben, es
merkt, der Umsatz von außen wird schwächer, da hält es seine Laden
geschlossen und seinen Vorrat beisammen, gerade als stünde bald eine
andere Verwendung bevor.

Aber Magdalena dachte bei sich: Ich weiß, der Vater könnte die Leute
all das so gut von der Kanzel herab lehren, wie der Herr Pfarrer
selbst. Was tut er nur jetzt so oft in der Christenlehre?

Einmal blieb er aber doch wieder weg und da gesellte sich der Florian
zu ihr, sie dachte wohl an das Verbot, aber wie sie so nebeneinander
hinschritten und von Mühl’ und Mehl, Sense und Sichel, Heu und Streu
redeten, da konnte sie es doch nicht so ernsthaft nehmen wie der Vater,
sie hätte es dem Buben ja gar nicht sagen können, ohne ihm dabei in das
Gesicht zu lachen und von ihm ausgelacht zu werden.

„Ihr müßt doch alle Jahr froh sein,“ sagte Florian, „wenn die
Feldarbeit getan ist, solang ihr noch den Leopold im Hause habt.“

„Wär’ es einmal,“ meinte die Dirne, „so würden wir es ohne ihn auch
richten.“

„Gelt, dein Bruder hat die Melzer Sepherl gern?“

„Die Leute sagen es, ich hab’ ihn nicht darum gefragt.“

„In vier Wochen kommt er wieder heim, dann läßt er gewiß nimmer von
ihr.“

„Ich weiß nicht, aber der Vater ist so viel dagegen.“

„O, dein Vater, der leidet ja nicht einmal, daß Schulkinder miteinander
gehen.“

Das Mädchen lachte. „Freilich nicht! Meinst, ich sollte jetzt mit dir
gehen? Beileibe! Neulich, wie er uns zusammen gesehen hat, da ist es
wieder strenge verboten worden.“

„Und doch gehen wir jetzt zusammen! Gelt, du gibst auch nicht mehr auf
so ein Verbot, als der Leopold geben wird?“

Das Mädchen machte große Augen. „Ich meine, das wäre denn doch ganz
etwas anderes!“

„Ich freue mich,“ fuhr der Junge fort, „wenn der Leopold wieder heim
ist, mit dem mußt du mich bekannt machen, dann gehen wir zu vieren über
die Felder, er mit der Sepherl und ich mit dir.“

Da wurde Magdalena blutrot im Gesichte und sagte zornig: „Was du dir
nur für Gedanken machst, du dummer, halbwüchsiger Bube, du! Der Vater
hat ganz recht, mit dir geh’ ich auch nimmer, die Kleehuber Franzl hat
auch einen Weg mit mir, die redet mir von Kuh und Geiß, aber nicht, von
was ich nicht zu wissen verlange.“

Sie wandte dem verblüfften Jungen den Rücken und schritt rasch dahin,
daß die Stiefelchen knarrten.

Als sie das Gehöfte erreichte, stand der alte Reindorfer wieder vor dem
Tore, sie trat zu ihm, ihr Gesichtchen war gerötet, die Lippen trotzig
geschlossen und die beiden Nasenflügel arbeiteten heftig.

„Guten Abend, Vater,“ sagte sie.

„Grüß dich Gott! Schaust ja ganz zornig aus.“

Drüben über der Straße schlich gerade Florian vorbei, er sah gar nicht
auf.

Magdalena deutete mit einer kurzen Kopfbewegung nach ihm. „Das ist
wirklich ein dummer Bub’. Hast schon recht gehabt, Vater. Ich geh’
nimmer mit ihm!“

„Ist mir lieb.“

Von da an hielt sich die Reindorfer Leni zu den Dirnen.

       *       *       *       *       *

Die Waffenübungen waren vorüber, Reservisten und Landwehrmänner zogen
wieder heim. Die Sonne war schon hinter die Hügel gesunken, nur rote
Wolkenstreifen verrieten dem engen Tale, daß sie noch am Himmel stünde,
als Leopold seinen Heimatsort erreichte.

Er ging aber nicht die breite Straße durch denselben, sondern schlug
einen Fußsteig ein, der ihn auf kurzem Umwege in den Rücken des
Häuschens brachte, wo seine Liebste wohnte. Er schwang sich über den
Gartenzaun, ein knurriger Spitz fuhr auf ihn los, ließ aber sogleich
ab, als er ihn beim Namen rief, und mit klopfendem Herzen schlich er
durch das Gärtchen der Hütte zu; knapp davor kniete die alte Melzerin
an einem Gemüsebeet und jätete und setzte um, er gelangte unbemerkt an
ihr vorüber.

Nun konnte er nimmer fehlgehen, es war nur ein einziges Gemach im
Hause, auf den Fußspitzen noch die paar Schritte durch die Küche, und
er riß mit freudigem Ungestüm die Türe auf.

Der laute Gruß aber, den er hineinrufen wollte, blieb ihm in der Kehle
stecken.

Sollten die Leute doch recht haben?!

Neben Josepha stand ein Bursche, der traulich den Arm um ihre Hüfte
gelegt hatte. Die beiden waren offenbar mehr überrascht, als verlegen.

Josepha faßte sich zuerst, rasch sich freimachend, sagte sie: „Sei
nicht so keck! Und siehst, da ist mein Leopold wieder, und den hab’ ich
tausendmal lieber, wie ich dir auch tausendmal gesagt habe.“

Der Bursche trat jetzt auf Leopold zu und bot ihm die Hand. „Jesus,
Reindorfer,“ sagte er, „grüß dich Gott! Bist wieder da? Nun, wenn du da
wieder einrückst, da darf ich als Ersatzmann nur gleich marschieren!
Abreden hab’ ich sie dir so nicht können, das hab’ ich nicht können,
nicht um die Welt!“

Leopold kehrte sich schweigend ab und ging davon.

Die Dirne aber schob auch den Burschen zur Türe hinaus. „Mache fort,
daß er dich doch auch fortgehen sieht.“

Sie kehrte in die Stube zurück. „Gut, daß die Mutter nichts davon weiß!
Ich meine, er kommt doch wieder!“ --

Es war gerade keine herzliche Begrüßung, welche darauf zwischen dem
Vater und dem heimgekehrten Sohne auf dem Reindorferhofe stattfand,
aber der Alte steckte den Vorwurf des Burschen, daß er ihn durch sein
Zuwarten und Abreden um die Dirne gebracht habe, welche sich jetzt an
einen andern halte, ruhig ein und wünschte nur, es möchte damit sein
Abkommen haben.

Acht Tage hatte Leopold diese Angelegenheit nicht weiter berührt, nur
blieb er mürrisch und verdrossen. Wenn es im Hause nichts mehr zu tun
gab, dann ging er über die Felder, immer jene Wege, die er früher mit
Josepha gegangen, und da traf es sich denn, daß ihm diese zufällig auf
einem schmalen Steige begegnete, wo an ein Ausweichen nicht zu denken
war.

Der junge Reindorfer blickte erst auf, als sie vor ihm stand, er
drückte seinen Hut tiefer in die Stirne und wollte an ihr vorbei, sie
aber faßte nach seiner Hand und hielt ihn daran fest.

„Ich weiß nicht, was du hast,“ sagte sie, „seit du den dummen Krämer
Alois bei mir getroffen, gerade, als ob etwas Unrechtes zwischen mir
und dem vorgegangen wär’! Halte es wie du willst, bleibe meinetwegen
weg von unserer Hütte und von mir, aber daß du Übles denkst, das leide
ich nicht!“

„Ich meine, es war nicht unrecht gedacht und nicht unbillig gefordert,
daß du es mir nicht hättest antun sollen, daß ich einen andern bei dir
treffe.“

„Wessen ist denn die Schuld? Bin ich nicht ein armes Dirndl, das sich
viel gefallen lassen muß in der Welt? Hab’ ich dir nicht gesagt gleich
zu Anfang, wie wir Bekanntschaft gemacht haben, daß ich es den Burschen
nicht verwehren kann, daß sie mich für schön halten, und daß ich mich
oft genug vor ihren Nachstellungen hab’ hüten müssen? Und du hast
gesagt, daraus machtest du dir nichts, und du möchtest nicht einmal
eine, die dir jeder ohne Neid vergönnte. Wenn ich nichts Gewisses weiß,
kann ich daraufhin die andern Bursche vor den Kopf stoßen? Wenn du
keinen Ernst zeigen willst, kannst du etwas dagegen sagen, wenn jeder
meint, mir zu gefallen könne er mit demselben Rechte versuchen, wie
du? Bin ich deine Bäuerin, dann brauchst du dir derlei nicht gefallen
lassen, und dann weiß auch ich, was ich zu tun habe!“

„Und daß du dich verhalten sollst gerade so, als wärst du schon meine
Bäuerin, das war meine Meinung! Hab’ ich dir nicht gesagt, wenn ich
wiederkomme, so mach’ ich alles richtig? Hast du so wenig Vertrauen?“

„Mehr schon als du, und mehr als zuträglich ist, das hat sich da wieder
gewiesen! Meinst du, was du mir sagst und was ich dir glaube, das
wissen und glauben auch die Leute? Die neidige Brut mißgönnt es mir
ohnehin, hätte ich ihnen davon geredet, sie hätten gemeint, es wäre nur
geprahlt, und ausgelacht wäre ich worden. So hab’ ich zuwarten wollen,
bis ich sie mit der Nase darauf stoßen kann, daß du es ehrlich meinst
und jetzt -- jetzt mögen sie nur spotten, jetzt habe ich es davon, daß
ich dir mehr vertraut habe als du mir!“ Sie führte ihre Schürze an die
Augen.

Der junge Reindorfer stand verlegen. „Aber“, sagte er nach einer Weile,
„es war auch nicht not, daß du dich von dem dummen Krämerbuben hast um
den Leib fassen lassen.“

Josepha zog die Schürze vom Gesichte und lachte: „Geh zu, weil du ihn
etwa zu fürchten hast? Keinen von allen im ganzen Ort, wie sie da
sind, sag’ ich dir; wenn du es nur ehrlich meinst, da gilt mir keiner
soviel!“ -- Sie schlug ein Schnippchen. -- „Möcht’ auch wissen, wer
einem lieber sein könnte wie du!?“

Das war Balsam auf die Wunde.

Leopold kam ziemlich spät heim und erklärte seinem erstaunten Vater,
daß wieder alles zwischen ihm und der Josepha auf gleich gekommen sei
und nun überlege er nicht länger, er wolle sie doch nehmen und der alte
Reindorfer möge daher auch ein Einsehen haben.

Der Alte unterdrückte einen schweren Fluch, erhob sich, von wo er saß
und sagte: „Es wär’ unchristlich, wenn ich in der ersten Hitze sagen
möchte, tu in drei Teufels Namen wie du willst und verrenne dich in
Schandhaftigkeit und Verderben; denn du bist mein einziger, leiblicher
Sohn! So sag’ ich dir nur, was dich vorläufig von deinem Gedanken
abbringen könnte, wenn du den Verstand dafür hast, es sind einmal jetzt
so leidige Soldatenzeiten, aus der Reserve wärest du, zwei Jahr’ noch
bist in der Landwehr, verspar dir das Heiraten, bis du ganz frei bist.“

„So, zwei Jahr’ sollt’ ich warten,“ schrie der Sohn, „sag es nur lieber
gleich frei heraus, du erhoffst, ich besinne mich mittlerweile anders?“

„Das hoff’ ich zu Gott, und es wäre nicht zu deinem Schaden.“

„Das gilt nicht, darüber reden wir noch!“

„So? Aber dann, heut nimmer! Gute Nacht!“

Die Reindorferin hatte daneben gesessen, jetzt stand sie auf und folgte
dem Bauer, vor Leopold aber hielt sie an und sagte: „Du solltest doch
den Vater nicht so erzürnen wegen der leichten Dirn’.“

„Da schlag das Wetter darein! Was die Leute nicht alles wissen! Leicht
wäre die Josepha? Weißt, Mutter, am End’ ist sie just so schwer wie du
oder ein anderes Bauernweib, nur daß man halt euer Gewicht nicht kennt!“

Die Reindorferin ging ohne ein Wort zu sagen.

Nun war es wieder, wie es gewesen war, bevor der Leopold einrückte,
ein Leben voll Unfriede und Unzufriedenheit, wohl gaben die Leute
dem alten Reindorfer recht, aber Leopold gab nichts auf die Leute,
bei jeder schicklichen oder unschicklichen Gelegenheit legte er ein
Wort für sich und Josepha ein. Wenn dem Alten bei irgendeiner Arbeit
die Kraft versagte, und es ihm nicht mehr so wie früher von der Hand
gehen wollte, so sagte der Bursche: „Da sieht man, wie alte Leute
eigensinnig sind, selber können sie es nicht mehr richten, aber sich
zur Ruhe setzen und jüngere anfassen lassen, das wollen sie nicht!“
Oder wenn der Bauer einen Tag wegen Unwohlsein das Bett hüten mußte,
sagte Leopold: „Ruhe und Pflege tät’ dir not, aber du willst ja nicht!“
Dem widersprach aber immer der alte Reindorfer und meinte, die Hände,
worauf es abgesehen sei, wären ihm zu unsauber, um sie an das Seine
fassen zu lassen, und mit der Ruh’ und Pflege würde es nicht weither
sein, käme die Sippe auf den Hof.

Ein Wort gab das andere, keifend und zänkisch, wie sie nun geworden
war, mengte sich auch die Bäuerin darein, der Streit artete aus und roh
ging es oft auf dem Reindorferhofe her.

Der Magdalene zitterte oft das Herz im Leibe, wenn sie derlei mit
anhören mußte. Aber wenn sich der rohe Bursche und die heftige Mutter
müde gestritten hatten und einsehen mochten, daß sie einander nicht
gewachsen seien, dann suchten sich beide einen schwächeren Teil, den
sie es empfinden lassen konnten, daß ihre Worte doch zählten, und dazu
war ihnen Magdalena eben recht.

Nur der alte Reindorfer brach den Streit immer ab, wie das erste
ungehörige Wort fiel, sagte noch einmal kurz seine Willensmeinung und
dann keine Silbe weiter.

Und wenn nun das Mädchen von dem mürrischen Bruder und der mißlaunigen
Mutter ohne Anlaß gescholten und gedrangsalt wurde, da war ihr der
Vater ein wahrer Trost und ein leuchtendes Beispiel, denn auch er war
ja im Rechte und ließ doch soviel Unbill über sich ergehen, und er war
doch besser als die andern, gewiß, und darum konnte er auch klüger
sein; da erfaßte sie eine innige Zuneigung zu dem ruhigen alten Manne,
der ja auch der einzige war, der nichts wider sie hatte und der sich
immer gleich blieb.

Ja, der sich immer gleich blieb! Jetzt, wo sie aufgehört hatte ein Kind
zu sein, wo sie sich fühlte, wo sie es gerne jemand anvertraut hätte,
wie sie denke und empfinde, damit sie auch hören könnte, sie dächte
recht und schicklich, jetzt merkte sie erst, daß der Vater auch gegen
sie sich immer gleichgeblieben war!

Da geschah es an einem Sonntage, daß der alte Reindorfer eines bösen
Fußes wegen die Kirche nicht besuchte, alle wollten in den Gottesdienst
gehen, das Gehöft wäre unter der Aufsicht des kranken, hilflosen Mannes
verblieben, aber Magdalene erklärte, sie bleibe gerne bei dem Vater
daheim.

So saßen denn der Greis und das junge, blühende Mädchen beisammen in
der warmen Stube. Das ganze Gehöft lag so ruhig im Sonnenschein, in
dem der frisch gefallene Schnee glänzte, die Zaunpfähle hatten jeder
eine weiße Haube auf, etliche Sperlinge flatterten an die Fenster und
pickten an die kleinen Scheiben.

„Wenn es dir recht ist, Vater,“ sagte das Mädchen, „so lese ich uns
etwas aus der Bibel vor.“

„Hast recht, Leni, lese das heutige Evangelium.“

Magdalene hatte das Buch geholt. „Mußt nicht böse sein, Vater,“ sagte
sie und drückte das Köpfchen tief in die aufgeschlagenen Blätter, „aber
ich möchte gerne ein anderes.“

„Nun ist auch recht, such dir etwas aus.“

Da begann das Mädchen und las das 15. Kapitel des Evangelisten Lukas,
das Gleichnis vom verlorenen Sohne.

Als sie geendet hatte, sagte der Alte: „Ist eine schöne Geschichte,
eine rechte Vergleichung der Gottesliebe im Himmel mit der Elternliebe
auf Erden; geschieht unsereinem auch hart, wenn ein Kind just auf das
Trebernfressen so erpicht ist, wie der Leopold. Hat dir das vielleicht
seinetwegen für heute gepaßt?“

„Nein, Vater, sondern weil ich dich hab’ fragen wollen, wenn ich von
dir fort wär’ und käm’ wieder, ob du wohl auch Freude hättest?“

Der Bauer schüttelte den Kopf. „Bist gescheit? Wohin fort solltest du
auch kommen?“

Die Dirne langte mit beiden runden Ärmchen über den Tisch nach den
welken Händen des alten Mannes und drückte sie zwischen den ihren.
„Schau, Vater,“ sagte sie, „Schand’ möcht’ ich dir um alle Welt keine
machen, aber nach Not und Elend fragte ich nicht, wenn du mich dafür
möchtest auch ein bißchen liebhaben!“

Da wurden dem Bauer die Augen groß, er stand hastig auf, an dem
Fenster tippte er paarmal an die Scheibe, um die Sperlinge außen zu
verscheuchen, dann wandte er sich zum Gehen. Mit seiner schwieligen
Rechten berührte er leicht den Scheitel des Mädchens. „Nun, sei nur
brav, bleib hübsch brav,“ sagte er leise.



6.


Nach jenem Sonntage war der alte Reindorfer umgänglicher gegen das
Mädchen geworden, und Magdalena suchte um ihn zu sein, so oft es
tunlich war. Der Vater wußte so viel von der Welt, die noch in unklarer
Weite vor ihr lag, und was er sagte, das war ein so rechtschaffenes
Meinen und Denken, daß sie ihm gar gerne zuhörte.

Er erzählte von Land und Leuten, die er kennen gelernt, von der Welt
und den Menschen, wie er sie gefunden habe und was er davon halte, von
seinen eigenen Leiden, Freuden und Erfahrungen und hatte dabei immer
einen Fingerzeig, einen Hinweis für das aufhorchende Mädchen.

Einmal begann er das Gespräch mit einer Erinnerung an seinen Vater.

„War wohl auch ein kreuzbraver Mann, mein Großvater,“ meinte die Dirne.

„Dein Großvater?“ sagte der Bauer, „von dem weiß ich wenig.“

„Bist du denn so früh verwaist gewesen, Vater?“ fragte Magdalena.

Da hustete der Bauer verlegen, brachte seine Geschichte hastig und
stotternd zu Ende und war einige Tage recht wortkarg gegen das Mädchen;
erst als er merkte, dasselbe habe gar keinen Arg, da beruhigte er sich
wieder, es war ihm, als hätte er durch seine Unvorsichtigkeit das Kind
in seinem recht heilsamen, frommen Glauben erschüttern können. Von
seinen Eltern geschah aber nie mehr wieder eine Erwähnung.

Für Magdalena konnten die längst verstorbenen Eltern des alten
Reindorfer höchstens ein Gegenstand der Neugier, aber nicht der regen
Teilnahme sein, so fragte sie ihnen auch nicht weiter nach; eine Frage
aber hätte sie schon oft gerne an den Vater gerichtet, doch dazu mußte
sie sich erst ein Herz nehmen. -- --

Es war Frühjahr, die Bäume im Garten wollten betreut sein, abgeästet
und vor dem sich allmählich einfindenden Geziefer bewahrt werden, und
dem alten Reindorfer war ihre Pflege gar angelegen.

„So ein Baum,“ sagte er, „ist grundgütiger als der beste Mensch, er
kann nur jedem Gutes erweisen und niemandem übelwollen, auch +der+
Baum, der nichts hat als seinen kühlen Schatten, will den anderen
Geschöpfen wohl, und wenn sie erst in Menge zusammenstehen, als grüner
Wald, da verrichten sie schon was Rechtes. Hab’ mein Lebtag gefunden,
wo keine Wälder stehen, da ist auch dürrer Boden und mühselige Menschen
darauf. Aber das Raupengeschmeiß, das ist nur zum Übelwollen auf der
Welt, das frißt und frißt, und gingen die Bäume darüber zugrunde,
daß sie und ihre Brut allzusammen verhungern müßten, das irrt sie
nicht; der sie ausrottet, erhält sie zugleich, wäre es nicht um die
Bäume, man hätte sie längst sich aus der Welt fressen lassen können,
die Himmelsackermenter ...“ Er streifte ihrer etliche mit dem Rücken
des Gartenmessers von der Rinde und zertrat sie, den anderen zum
erschrecklichen Exempel.

„Aber wenn sie als Falter herumfliegen,“ sagte Magdalena, die an einem
anderen Baume geschäftig war, „da sind sie so viel sauber.“

„Wenn sie als Sommervögel auf die Welt kämen,“ meinte der Bauer,
„meinetwegen möchte es ihnen vergönnt sein, daß sie ihren Rüssel in
jede Blume stecken; aber so ist ihre ganze Herrlichkeit auf fremde
Kosten angefressen und ihre Buhlerei läuft auf künftigen Raupenfraß
hinaus.“

„Ob sich die Falter gut leiden mögen, die in der Luft einander
nachjagen?“

„Nun, wohl werden sie das, weil es ein Muß ist. Dafür ist gesorgt,
was einmal in der Welt ist, stirbt nicht so leicht aus. Auch der
Mensch, der doch um all seine Mühseligkeit weiß, kann sich dem nicht
entbrechen, und ehe er es selber denkt, geht er auf die Freite.“

„Vater, mußt nicht böse sein,“ bat Magdalena und spielte mit ihrem
Schürzenbande, „aber ich möcht’ dich etwas fragen.“

„Wird was Rechtes sein, womit du dich nicht heraustrauest.“

Da sah ihm das Mädchen lächelnd in das Gesicht und sagte: „Ich möchte
gern wissen, wie du und die Mutter euch habt kennen gelernt.“

„So, so? Das fragst du zweimal umsonst, einmal, weil du meinst, das sei
wohl schon so lange her, daß ich ohne Schämigkeit davon zu reden wüßte,
aber das wüßte ich nicht anzugreifen. Und zum andernmal ist es nicht
schicklich, daß eines von den Eltern derlei zu dem Kinde redet.“

„Mußt halt nicht bös sein, Vater.“

„Hab’ derowegen keine Ursache,“ sagte der Bauer. Dann hielt er in der
Arbeit inne und trat auf das Mädchen zu. „Hör, Leni, weil du aber
Neugier zeigst in solchen Dingen, so möcht’ ich mit dir auch darüber
reden. Reden ist Silber, heißt es, und Schweigen ist Gold. Ist ein
rechtes Sprüchlein, gilt auch da, solange die Kinder hübsch um die
Eltern bleiben, aber wenn sie dann in die Welt verlangen -- Gold ist
ein heikel Ding, nicht immer findet sich ein ehrlicher Wechsler dafür
--, da ist es wohl gut, man gibt dem Kinde etwas handliches Silbergeld
mit auf den Weg, das heißt, man macht das Maul auf und redet; damit
haben es schon manche Eltern versehen und ist ihnen manch goldreines
Dirndel arg ausgewechselt heimgekommen. Du hast dein mannbar Alter
erreicht, die Zeit ist da, -- ich sag’ nicht, wo dir ein Bursche
leicht gefallen möchte, denn du hältst auf dich und das ist recht,
auch hätt’ es damit weniger Gefahr, euch meistert doch die Scheu, und
die Dirn’, die einem Manne aus freien Stücken nachlaufen möcht’, die
steht in unsers Herrgotts Aufmerkbüchel gar nicht als Frauenzimmer
eingeschrieben und gilt auch der Welt nicht dafür; aber +die+ Zeit
ist da, wo die Burschen an dir Gefallen finden könnten und da sieh
dich vor, da hüte deine Gedanken, denn es ist nicht allein not, man
nimmt sich vor, brav zu sein, das hilft nichts, wenn man nicht brav
denkt und recht. Rechtschaffen denken, das gibt erst den Schick, wer
nur brav denkt und nicht weiter, der mag leicht betrogen werden, doch
dabei kann er noch seine Seele rein fühlen, immer noch besser, als er
tut gut und denkt übel und ihm wird dabei so elend, als hätte er alle
vorgenommene Sünd’ wirklich begangen. Schau, Leni, brav denken, ist wie
ledige Kopfarbeit, bei rechtschaffen Denken ist der ganze Mensch dabei,
die Brave schiebt nur an ihrer Kammertüre den Riegel vor, das heißt: es
soll nicht sein! Die Rechtschaffene schließt auch noch das Fenster und
das heißt: es darf nicht sein! -- Danach richte dich und tu so, nicht
nur gleichnisweise, sondern auch in Wirklichkeit, denn was hilft alle
Vergleichnis, wenn nicht danach getan wird?!“

„Ich meine schon, daß du recht hast, Vater,“ sagte das Mädchen.

„Darauf verlaß dich. Ich weiß, sie halten es da herum in der Gegend
anders, da gehen Bursche und Dirnen jahrlang zusammen, bis sie einander
überdrüssig werden oder sich gewöhnen, dann ist beim Zertragen Zeit und
Ehr’ verloren und beim Zusammenbleiben kein rechter Segen. Wohl, die
Bursche werden dich hochnäsig heißen und deine Kameradinnen werden dich
auslachen, das laß sie tun; die Leute sehen es nicht gerne, wenn eines
anders ist wie sie, und das Schwein sagt zum Roß: Ich ließe mich nicht
striegeln! Sie werden dir auch sagen: Mit Fremdtun kriegst du keinen
Mann. Aber das ist alt’ Weiber- und leicht’ Dirnengerede und schlechter
Rat, auf solchen mag auch ihrer Zeit die Melzer Sepherl gehört haben,
und wohin er führt, davon ist sie ein lebendig Beispiel. Was sie
mir für Unfried’ im Haus gestiftet hat, verzeih ihr unser Herrgott;
sonst erbarmt sie mir, denn Fried’ und Segen verspürt sie wohl selber
keinen in sich! Mit der Vertraulichkeit verliert eines die Achtung
vor dem andern und mit der Zeit auch vor allem und jedem, vor Gott
und der Welt, auf das Schmeicheln kommt das Drohen, auf das Schöntun
das Grobsein, es liegt keine Vernunft darin und die soll doch der
Mensch gebrauchen, daß das, was er muß, auch einen Schick kriegt und
er nicht lebt wie das liebe Vieh. Die Bursche sind von Haus aus roh,
daß sie sich besinnen, und aus ihnen was Rechtes werden mag, dazu sind
ihnen die Weibsleute auf die Welt gesetzt, das verspürt ein jeder, und
gerade, wenn dich ein Bursche gern hat, so wird ihm deine Ehrbarkeit
bis ins Herzinnerste Freude machen.“

„Nicht wahr? So denk’ ich selber, Vater!“

„Das ist recht und dabei verbleib! Und merk dir auch, zu solch
rechtschaffenem Vornehmen paßt kein voreilig hastig Wesen, da darf
keine darauf aus sein, nur versorgt und eigene Frau zu werden, da heißt
es zuwarten und fleißig die eigenen Hände rühren und sich rechtschaffen
durch die Welt bringen, daß man vor Gott nichts abzubitten und vor
der Welt nichts zu verheimlichen braucht, und daher auch vor dem
künftigen Mann keine Heimlichkeit hat. So wirst du einmal ein rechtes
Weib werden, zu mehr kann es keine bringen! Du mußt nicht nur daran
denken, was du vor Augen hast, nicht wie ich und deine Mutter leben,
wir sind halt wohl schon alt und zuwider und da frag nicht nach. Aber
aus genotpeinigter Seel’ heraus könnt’ ich dir nichts anders sagen, als
tu so, halt dich brav! Im Himmel kennt’ sich unsereines nicht so aus,
wie vielleicht der Herr Pfarrer, aber auf Erden kann es kein lieberes
Anschauen geben, als neben einem rechten Mann ein rechtes Weib! Wirst
einmal eines, vergiß nicht darauf, der alte Reindorfer hat dir’s
gesagt, gewiß betest du mir ein paar Vaterunser übers Grab!“

„Vergelt’s Gott,“ sagte das Mädchen mit verhaltenem Atem.

Der Bauer sah sie groß an, dann sagte er lächelnd: „Ich glaub’ gar, du
meinst, das wäre gepredigt gewesen! Ich möcht’ doch nicht, es erginge
dir wie unserm hochwürdigen Herrn, dem vergessen es die Bauern von
einem Sonntag auf den andern.“

„Mein Lebtag nicht,“ sagte die Dirne.

Der Bauer aber war schon wieder an einen Baum getreten, handhabte das
Gartenmesser und tilgte Raupennester aus.

Auch Magdalene hatte die Arbeit wieder aufgenommen. -- Wie
rechtschaffen und grundgut es doch der Vater mit ihr meinte! Läßt sich
denn denken, daß jemals ein fremder Mensch es auch so mit ihr meinen
werde? Und was würde sie dann wohl diesem zuliebe tun?



7.


Wenn man einen kleinen Anstieg nicht scheut, so kann man auf kürzerem
Wege über die Hügel vom Wasser-Graben in den mitteren gelangen und
umgekehrt. Querauf über die Wiese läuft ein schmaler Pfad, verliert
sich oben im Busch und Tann und führt auf der andern Seite wieder über
eine Wiese ab.

Manchen Sonntag geleitete die Reindorfer Leni die Kleehuber Franzl
diesen Steig hinan bis zum Saume des Wäldchens, wo sie sich von ihr
verabschiedete und diese ihren Weg nach dem Wasser-Graben allein
fortsetzte. Leni ließ sich dann im Schatten der Bäume nieder, sah
von der Höhe auf das elterliche Gehöft herab und war in Rufweite von
demselben, falls man ihrer bedurfte.

So waren auch an einem Sonntagnachmittag die beiden Mädchen schäkernd
und lachend den Hügel hinangestiegen; die Franzl wußte immer zu reden
und hatte immer zu lachen, wenn es auch über nichts war.

„Was guckst du denn immer hinter dich?“ fragte Magdalena.

„Weil uns ein Bub’ nachsteigt,“ war die lachende Antwort.

„Entweder es ist nicht wahr und du möchtest mich gerne auslachen, wenn
ich den Kopf drehe, oder es ist wahr, dann schau auch du nicht zurück,
wer weiß, was sich so einer gleich einbilden könnt’!“

„Mag er sich einbilden, was er will, ich weiß, bis Fasching, wo man
heiratet, ist noch lang hin. Ich heirat’ aber auch im Fasching nicht,
ich warte bis nach Christi Himmelfahrt.“

„Da darf freilich unser Herrgott nicht herunten auf der Welt dabei
sein, wenn du heiraten wirst, du Unend’, du!“

„Ja, und weißt auch warum?“

„Nein.“

„Weil sich’s von oben schöner ausnehmen wird.“

„Geh zu!“

„Und dann noch eins, das meine ich aber im Ernst; damit er mir vom
lieben Himmel da oben einen Mann herunterwirft, denn die auf der Erd’
taugen alle nichts.“

„Du kriegst auch gewiß dein Lebtag keinen.“

„Um das Kriegen ist es nicht, aber um das Nehmen. Weißt, wie die Krämer
Liese neulich gesagt hat: ‚O Gott, wie oft hätt’ ich schon einen Mann
kriegen sollen, aber ich mag nicht so viele.‘ Und siehst, darum hat sie
auch keinen genommen.“

„Wird wohl umgekehrt gewesen sein.“

„Warum denn? Freilich hat sie ihre dreißig Jahr auf dem Rücken, aber
noch was dazu!“

„Möcht’ wissen, was?“

„Einen Buckel.“

„Jetzt behüt dich Gott. Heut bist du schon gar ausgelassen, ich bin
ordentlich froh, wenn ich dich loswerde.“

„Glaub’ es dir gerne, Leni, denn der Bub’, der uns nachgestiegen
ist, steht nicht gar weit dort am Weißdorn und zählt, glaub’ ich,
die Blüh[9], wenn ich von dir geh’, wird er just damit fertig sein,
vielleicht sagt er dir dann auch, wie viele es sind. Schau doch einmal,
wer es ist!“

„Was bekümmert das mich?“ sagte Magdalena heftig. „Du hast Zeit, daß du
gehst, du weißt, daß ich solche Dummheiten nicht leiden mag, also laß
sie sein. Ich frag’ nach keinem, und verlang’ nicht, daß einer nach mir
frage.“

„Aber Leni, besinn dich, ich bin ja doch keiner und wär’ ich auch
einer, ich tät’ doch nicht nach dir fragen, nach dir gewiß nicht!
Schau, wie du zornig sein kannst, das sähe dir niemand an.“

„Jetzt behüt dich Gott.“

„Du sag, muß ich von dir da weglaufen, oder darf ich fein langsam
gehen?“

„Geh langsam, der Teuxel wird dir nicht nachlaufen, dem bist du sicher.“

„Gelt, Leni, nächsten Sonntag gehen wir doch wieder miteinander?“

„Aber gescheit mußt du sein.“

„Gewiß. Und nun behüt dich Gott! Nur eines, sag mir dann auch, wenn du
es mittlerweile erfährst, wieviel Blüh so ein Weißdorn hat.“

Lachend verschwand sie hinter den Tannen.

Magdalena sah ihr nach. „Die ist auch dem Teuxel aus der Butte
gesprungen[10] und hat kein Bein dabei gebrochen!“ Sie lächelte und
ärgerte sich im stillen, daß sie sich über das neckende Gerede hatte
ärgern können. Warum mußte sie es auch gleich übelnehmen? Es konnte
doch jemand denselben Weg haben und ohne Arg hinter ihnen hergehen?
Was brauchte sie zu fürchten, oder verlegen zu sein, selbst wenn es
ein Bursche wäre, der sie anspräche? Gute Nacht auf den Weg! Damit ist
alles abgetan. Wer es aber wohl sein mochte? Sie wandte sich um, aber
nun hatte sie die Sonne im Gesichte, sie trat unter den schützenden
Schatten eines vorhängenden Strauches, setzte sich in das Gras und
blickte von dort nach dem Weißdorn. Da trat der Bursche davon weg und
kam auf sie zu. Es war der Müller Florian.

Sie sah betroffen vor sich nieder, die hohen Grashalme strichen an
ihrem Gewande hinauf und wiegten bedächtig die Köpfe.

„Grüß Gott, Reindorfer Leni!“ sagte der Bursche.

„Grüß Gott,“ sagte sie.

„Ich hab’ nur gewartet, bis die Schnattergans von dir weggegangen ist.
Wieder einmal hab’ ich mit dir reden wollen.“

„Es ist lang her, daß wir uns nicht gesehen haben,“ sagte, unbefangen
aufblickend, das Mädchen.

„Das möcht’ ich gerade nicht sagen, obwohl du für dein Teil auch darin
recht hast. Gesehen hab’ ich dich oft genug in der Kirche, aber du hast
von deinem Gebetbuche nicht aufgeblickt. Darüber hab’ ich mir zuerst
eingebildet, daß du mir vielleicht böse bist.“

„Warum sollt’ ich das sein?“

„Das hat mir später auch eingeleuchtet, denn du bist viel zu gescheit
dazu, mir nachzutragen, was ich etwa dazumal als täppischer Halbjung’
zu dir geredet; wenn ich uns zwei heut’ betrachte, muß ich mich
rein schämen, wie man mag so gottvergessen dumm sein! Damal ist mir
geschehen, wie mir gebührt hat, und später war auch hoch einbilderisch
von mir, daß ich gemeint hab’, du hältst dich derowegen von mir fern.
Das bring’ ich nur vor, damit du weißt, was ich von dir denke und wie
ich meine, daß auch du denken wirst. Aber mit dieser Einsicht lange ich
nicht weit und da hab’ ich dich auch fragen wollen, warum du gerade
gegen mich anders bist? Du hast doch sonst kein unfreundlich Wesen an
dir, ich verlange nicht mehr als ein anderes, dir wildfremdes, aber
warum ich weniger verdienen sollte, das möchte ich doch auch wissen?“

„Schau, du weißt es ja ohnehin, meine Eltern wollen keinen Verkehr
zwischen uns. Was soll ich mir unnötig Verdruß zuziehen?“

„Deine Eltern tun mir hart unrecht,“ sagte der Bursche.

„Es mag wohl sein,“ sagte das Mädchen und sah ihn lächelnd an, „aber
stark genug bist ja geworden, wirst es schon zu ertragen wissen, meine
ich.“

„Du hast leicht lustig sein,“ sagte er und setzte sich, zwei Schritte
weit von dem Mädchen, auf den Rasen. „Du hast leicht lustig sein, du
weißt nicht, wie mir ist. Hätte es einen Grund, dann hätte es doch
einen; so möchte man doch wissen, warum? Darüber hab’ ich mir schon
lang’ Gedanken gemacht. Und es hilft mir nichts darüber weg. Selbst das
sackermentische Rauchen hab’ ich mir angewöhnt, aber es vertreibt mir
sie nicht.“ Er warf die Pfeife vor sich in das Gras.

„So,“ sagte Magdalena, „zerbrich sie nur. Hast du so viel Geld? Eine
neue kaufst du dir ja doch wieder.“

„Der Krämer hat genug so Zeug und kostet keine ein Haus. Und da sieh“
-- er hob die Pfeife von der Erde auf --, „wenn sie dir erbarmt, es ist
ihr nicht einmal etwas geschehen, ich wollt’ nur, es möcht’ alles so
ausdauern wie eine Pfeife.“ Er seufzte tief auf.

„Geh zu,“ lachte das Mädchen, „du könntest einem schier völlig selber
erbarmen.“

„Ja, es wird schon kommen, wenn mich mein Schicksal so hinwirft wie die
Pfeife, aber es wird mich dann niemand mehr aufklauben können.“

„Wie du gleich verzagt tun magst.“

„Weil mir unrecht geschieht.“

„Von wem denn?“

„Ich hab’ es ja schon gesagt.“

„Schlag dir das aus dem Sinn, so wird es dir gerade so gut gehen, wie
den andern.“

Der Bursche hob feierlich die Pfeife in die Höhe. „Rauch’ ich denn
nicht?“

„Rauchen mag freilich nicht helfen, hängt man doch das Fleisch in den
Rauch, daß es sich hält, wird es mit den Gedanken auch nicht anders
sein.“

„Du kannst halt so viel lustig sein,“ sagte er trübselig.

„Sei du nur nicht gar so viel spaßig, du redest in einem fort von
deiner Pfeife, aber so traurig wie ein Leichenansager und rauchst so
schlechten Tabak dabei, daß man husten muß und warum? Weil dir unrecht
geschieht, sagst du. Ich wüßt’ nicht, wie das dagegen helfen soll? Hat
doch neulich, nur der Blattläus’ wegen, mein Vater ein Rosenstöckl
angeraucht, er wär’ bald dabei erstickt und die sind darauf geblieben.“

„So wird mir’s auch ergehen mit meinem Rosenstöckl,“ seufzte Florian.

„Hast du auch eines?“

„Das schönste auf der Welt!“

„Daheim?“

„Da hätt’ ich es freilich für all mein Lebtag gern, aber noch läuft es
frei herum.“

„Das Rosenstöckl? Muß wohl ein ganz besonderes sein! Hat es leicht gar
einen Namen?“

„Freilich.“

„Wie heißt’s denn?“

„Rate einmal.“

„Das ist mir zu schwer, ich hab’ unter meiner Bekanntschaft kein
Rosenstöckl.“

„Geh zu, du merkst recht gut, daß ich dich selber meine!“

Die Dirne lachte laut auf.

„Dazu lachst du?“ fragte bestürzt der Bursche.

„Weil du dich so viel gut auf das Schönheitensagen verstehst! Ich
bedank’ mich schön für die Ehr’, dein lausig’ Rosenstöckl zu sein!“

„Kreuzsakra, das ging gefehlt,“ sagte Florian, dann lachte auch er.
„Hast recht, ich versteh’ mich auch nicht darauf und es ist mir recht
lieb, daß du nicht, wie die anderen Dirnen, einen Wert darauf legst.
Sauer ist’s mich genug angekommen, aber dir zulieb tät’ ich ja alles!
Herzfroh bin ich, daß wir fein gerade und vernünftig reden können.“

„Ja, lassen wir die Dummheiten sein, Flori. Die und die anderen auch!
Gezeigt hätt’ ich dir, meine ich, daß ich dir nicht unfreundlicher
bin als den andern; mehr, hast du gesagt, tätest du ja auch nicht
verlangen, also bleib dabei.“

„Beinah’ meine ich aber doch, es wird mir zu wenig sein. Schau, Leni,
auf die Eltern hören ist immer brav, und ich wär’ der letzte, der dich
davon abreden möcht’. Aber was sie den Kindern schaffen, soll doch Hand
und Fuß haben, und nicht aus purem Eigensinn geschehen. Wenn du mit gar
keinem Burschen solltest reden dürfen, dächt’ ich, es ist übertrieben,
aber noch wär’ Sinn und Verstand dabei, -- aber nur mit mir nicht! Was
macht mich schlechter als die andern, die da herumlaufen? Ich darf mich
wohl für so gut halten wie die, und es wär’ mir leid um mich selber,
wenn ich nicht besser sein möcht’ wie manche darunter! Ich weiß,
darüber kannst du selbst nicht anders denken.“

„Nun ja, wie kann ich wissen, was meine Leute gegen dich haben?“

„Ich frag’ aber, was können sie gegen mich haben? Wird was Rechtes
sein! Meinst du, wenn es einen ordentlichen Hauptgrund hätte, sie
würden ihn dir nicht sagen, damit sie ganz sicher gingen? Gewiß. Eben,
weil sie nichts vorzubringen wissen, ist es nichts als Eigensinn, wie
oft bei alten Leuten. So gut, wie ich es weiß, werden sie es auch
wissen, daß auf dich als aufrechte Dirn’ ein Verlaß ist! Du kannst
jedem ein zutunlich Wesen verleiden, aber du kannst keinem auf eine
ehrliche Meinung die ehrliche Antwort schuldig bleiben! Nun frag’ ich,
kann ich dir denn etwas anderes sagen wie die Bursche, mit denen dir
doch zu reden erlaubt ist? Ich wüßte nicht und bedank’ mich recht
schön für die Ausnahme! Deine Eltern müssen rein glauben, daß dich mein
bloßer Atem umbringen könnte, als ob ich ein vergiftet Tier wär’, so
ein Basilikum, oder wie es heißt, du hast vielleicht davon gehört!“

„Nein, ich weiß wirklich nicht, was meine Leute sich einbilden, daß du
für ein Tier bist.“

„Heut ist mit dir kein vernünftig Wort zu reden. Ich glaub’,
die Halbscheid von der Kleehuber Franzl ihren Possen ist in dir
steckengeblieben. Und es tut mir weh, daß du mit so ernsten Sachen
deinen Spaß treiben magst. So aber -- tröst’ ich mich -- ist nur
heute! Du hast ein nachdenklich Wesen und es kann nicht ausbleiben,
so wirst du merken, daß nicht nur mir, daß uns allen beiden hellauf
unrecht geschieht, und daß gerad’ wir zwei die Welt überweisen könnten,
daß Sünd’ und Schad’ wär’, uns auseinander zu halten, da wir doch
ihr zeigen könnten, was ein rechter Zusammenhalt in Zucht und Ehr’
vermag. Heut will ich dir nicht weiter davon vorreden, was dir aus dem
Munde kommt, kommt dir wohl gar nicht aus dem Kopf und Herzen und du
spaßest vielleicht nur, weil dir die Sache selber gar ernst vorkommt;
Weibsleute, die auf die erste Rede gleich ja oder nein wissen, meine
ich selber, sind unüberlegt oder zu gut erfahren; die auf sich halten,
mögen gerne derlei überschlafen. Morgen, wenn schön Wetter ist,
Vollmond tät freilich im Kalender stehen, komm’ ich wieder daher, find’
ich dich, sollte es mir lieb sein, ich hätte dir viel zu sagen von dem,
was du heute nicht hören willst, weil es das erstemal ist, weil es
unerlaubt sein soll, und weil du selbst noch nicht weißt, wie du recht
tun sollst. Überleg es. Find’ ich dich nicht, dann will ich mich auch
darein schicken, obwohl mir ein wahrer Trost wäre, mich dir gegenüber
wenigstens ausgeredet zu haben, und Rede bindet ja keines. Ich erwarte
nicht, daß du jetzt ja oder nein darauf sagen wirst, man kann sich
nichts vornehmen, bevor man überlegt hat. Morgen, wenn Vollmond sein
wird, komm’ ich wieder her. Jetzt vieltausend gute Nacht, Leni!“

„Gute Nacht!“

Sie sagte nicht ja und nicht nein, langsam ging sie den Fußsteig
hinab nach der Straße, die aufdringlichen Gräser streiften ihre Füße,
häkelten sich mit den Fruchtsporen in die Maschen ihrer Strümpfe, als
wollten sie das Mädchen aus seinen Träumen erwecken.

Die Sonne stand schon hinter dem Wäldchen gegenüber.

Gewiß der Florian konnte es nicht anders meinen als ehrlich, und ihre
Eltern taten dem armen Burschen unrecht!

       *       *       *       *       *

Als die Sonne den nächsten Tag zur Rüste gegangen war, da kam der
Vollmond den unbewölkten Himmel herauf, er tat es aber nicht einem
Burschen zu Gefallen, der so sehnsüchtig auf seinen Aufgang wartete,
er übernahm auch keine Verantwortung dafür, daß nach vielem Schwanken
ein Mädchen sein Erscheinen, wie ein Glücksspiel, darüber entscheiden
lassen wollte, ob sie zu dem Wäldchen hinansteigen solle oder nicht;
von all dem wußte er wohl gar nichts und so zeigte er unbefangen den
beiden sein freundlichstes Gesicht und das nahmen sie für eine gute
Vorbedeutung.

Der Bursche stand schon eine geraume Weile unter den Tannen, deren
weiße Stämme im Mondenlichte silbern gleißten, eine laue Luft fächelte
seine geröteten Wangen und trug den Duft von den Gräsern, den blühenden
Büschen und den harzigen Tannen durch die stille Nacht.

Da hörte er unten an der Straße ein Tor öffnen und wieder zuwerfen, in
dem Schatten des Hauses, der über dem Fahrwege lag, huschte es dahin,
und auf dem Wiesensteige trat es in das glänzende Licht, es war ihm
das herzliebste Dirndel auf der Welt, das da mit blütweißen Ärmeln und
fliegendem Röckchen daherkam.

Aber so leicht sollte ihr das nicht werden, das Gras war aufdringlicher
als je, Abendtau war gefallen, die Halme näßten ihr die Füßchen,
ballten sich unter ihrem Tritte zusammen und machten sie straucheln,
selbst der Weißdorn langte nach ihrem Kleide und suchte sie
zurückzuhalten, ganz oben am Wäldchen erschreckte sie noch ein
Nachtvogel, der mit leisem Fluge ihr über dem Kopfe hinstrich.

„Grüß dich Gott, Leni,“ sagte der Bursche zu ihr tretend und bot ihr
die Hand. „Ich vermöcht’ dir nicht zu sagen, wie mich dein Kommen
freut.“

„Grüß dich Gott, Flori,“ sagte rasch atmend Magdalena. „Ich weiß nicht,
ob ich recht damit tu’, ich weiß wahrhaftig nicht, mir ist so eigen
ängstlich, gleichwohl nichts Unrechtes dabei ist, aber es ist das
erstemal in meinem Leben, daß ich etwas unternehm’, was ich vor der
Welt heimlich halten möcht’ und ganz für mich allein.“

„Ein bißchen Heimlichkeit gehört wohl dazu,“ sagte Florian. „Wir hätten
uns gewiß keines zum Brunnen mitten im Orte getraut. Es dauert auch nur
so lang’, bis man weiß, woran man ist und dasselbe möcht’ ich dir jetzt
abfragen.“

„So frag halt.“

„Als Kinder haben wir uns leiden mögen, als halbwüchsig sind wir immer
zusammen gewesen, und wie mir weh’ geschehen ist, daß du dich von da
an hast von mir ferngehalten, das kann ich dir gar nicht sagen. Oft
genug hab’ ich dich mir die Zeit über betrachtet, bildsauber bist du,
kreuzbrav dazu und gescheit obendrein, es gibt nichts Zweites auf der
Welt wie du bist, für mich nicht, -- damit du nicht glaubst, ich rede
ungesund daher, so sag’ ich, für mich nicht; wenigstens wüßte ich
nicht, was ich angeben möchte, wenn du solltest eines anderen werden!
Wenn wir von Kind auf gedenken, tausend Einfälle und Stückeln sind uns
immer dem einen durch das andere gekommen, wir können uns für alle
Lebzeit im Gedächtnis nicht loswerden, und weil wir uns so gut kennen
und allweil so gleich Schritt gehalten haben, so meine ich, wär’ auch
gleich gescheiter, wir gingen lieber in einem Stück fort das ganze
liebe Leben lang miteinander! Uns kann nicht geschehen, wie oft anderen
zusamm’ verheirateten Hascherln, daß sich dann keines in das andere zu
schicken weiß; wir wissen es, was wir aneinander haben und jedes weiß
sich auch vom andern danach wertgeschätzt.“

Magdalena sah zu Boden, wickelte die Schürze über die vollen Arme und
wieder von denselben. „Es muß ein Unglück sein,“ sagte sie leise,
„ich hab’ es aus meines Vaters Reden entnommen, es muß ein großes
Unglück sein, wenn ein rechter Mann oder ein rechtes Weib nicht mit
ihresgleichen sich zusammenfinden.“

„Ganz recht hat da dein Vater, und ich meine schon selber, wie die
Leute sagen, er wär’ nicht dumm, aber in einem Stück könnte er wohl
auch den Gescheiteren machen; ich möchte ihn schon dafür in Ehren
halten, wie ihm gebührt.“

„Aber schau, Flori, wenn er so gescheit ist, so hat er doch am End’
seine Ursachen?“

„Sorge nicht, Leni, auch die gescheitesten Leute haben ihre Mucken.
Erst muß er mich doch kennen lernen, dann mag er reden und darauf
fürcht’ ich mich nicht, wenn ich nur eines weiß.“

Magdalena sah schweigend zur Seite.

„Wenn ich eines weiß,“ sagte Florian, „entweder frag’ ich dann nach
keinem Himmel mehr, oder mich schreckt auch keine Höll’!“

„Geh, das ist lästerliches Reden.“

„Nur die Wahrheit ist es, und frei heraus sag mir, Leni ob du mich
leiden magst?“

„Ich weiß nicht.“

Er faßte sie an beiden Händen, die leise zitterten, wendete sie gegen
sich, sah ihr treuherzig in die Augen und sagte: „Geh, du weißt es
schon, sag es!“

Was sollte daraus werden? Sie vermochte nicht zu reden, sie konnte
nicht ja sagen, nicht um die Welt, und nicht nein, wenn man ihr eine
zweite dazu geboten hätte, und war doch die eine, die in der hellen
Mondnacht vor ihr lag, so schön, und so selig auf ihr zu sein! So
bekannt wie von vieltausendmal her und so unverlierbar, so ganz unser
eigen, daß wir sie mit einem teilen und an andere schenken können. So
soll es ja sein. Was fragt der rasche Herzschlag: Teilst du mit ihm?
Teilst du mit ihm?

Ihre Finger klammerten sich fest um die seinen.

Und er sagte leise und fröhlich: „Wenn du es auch nicht sagst, nun weiß
ich es doch.“

Da lief ein flüchtiges Zittern über ihren Körper, sie wollte es ihm mit
schämigem, schalkhaftem Blick verweisen: Sei nicht so einbilderisch!
Aber ein paar Tränen, die ihr an den Wimpern zitterten, verhinderten
sie, das Auge aufzuschlagen, und das Köpfchen, das sie gar trotzig
schütteln wollte, lehnte sich traulich an seine Schulter.

Da tat der Bursche einen lauten Juhschrei, und als sich das Mädchen
erschreckt von ihm losmachte und davoneilen wollte, hielt er es an
der Hand zurück und flüsterte: „Sei nicht bös, mir ist so himmel- und
erdfreudig, daß es hat heraus müssen, wird es ja niemand Unrechter
gehört haben! Morgen, einmal noch, komm da herauf, und übermorgen
rede ich mit meiner Mutter. Weibern vertraut man derlei lieber an,
es erinnert sie selber an ihre ledige Zeit, und es ist ihr liebstes
Geschäft, wenn sie können eine Heirat richtig machen.“

Das Mädchen drückte ihm die Hand.

„Gute Nacht,“ sagten sie alle beide und traten eines von dem andern
zurück, sie wußten sich für heute nichts mehr zu sagen.

Magdalena ging auf dem Fußsteige dahin, Florian sah ihr nach, bis zum
Weißdornbusch war sie gekommen, da rief er: „Auf morgen!“

Sie blieb stehen, brach ein Zweiglein ab und sagte leise: „Morgen.“
Dann setzte sie ihren Weg fort, ungehindert und unbeirrt; die
Nachtvögel hausten da oben im Tann, der Weißdorn hatte ihr ein
Blütenbüschel geben müssen, und das Gras, vollgesogen von Tau, ließ
teilnahmlos die Halme und feinen Rispen hängen. Unten an der Straße
verschwand das Mädchen im Schatten.

Da horchte Florian noch auf, wie sich das Tor unten öffnete und schloß,
und dann schritt er fröhlich durch den Tann.

Durch den Tann im Vollmondschein! Das Tannenwäldchen war so feierlich,
so still, so ruhig wie eine Kirche, und ohne Laut mit hochklopfendem
Herzen und frischem Atemzuge durchschritt er es. Als er jenseits aus
demselben heraustrat und hinabblickte auf sein Elternhaus, da ward ihm
so jubeltoll, er faßte eine junge Tanne am Waldessaume und versuchte
sie aus dem Erdreiche zu ziehen.

Der junge Baum aber stach und sperrte sich gewaltig und knarrte: Oho,
so leicht geht das nicht!

Lachend ließ er los.

Dann sah er schweigend eine Weile in die Gegend, warf die Arme von
sich, als könnte er sie, wie weit sie auch da vor ihm lag, an das Herz
drücken und rief: „O Herrgott, wie schön ist doch deine Welt!“

Dann ging er hinab nach der Mühle und schlich sich nach seiner
Schlafstelle. „Allzusammen wissen sie noch nicht, was ich weiß.“ Er
lachte fröhlich auf, dann hatte er nur einen Gedanken: Morgen!

„Mein gehört eines auf der Welt! -- -- Und wenngleich morgen alle
Heimlichkeit vor den Leuten aufhört, bleibt allfort eine zwischen uns
und das ist das Schönste! -- -- Ob sie auch so meint? das frag’ ich sie
-- morgen -- wenn nur auch schon morgen wär’!“

Es gab nichts Klügeres, als den Rest vom Heute wegzuschlafen, damit
doch Morgen käme.

       *       *       *       *       *

Der alte Reindorfer saß noch im Hofe und rauchte in der Laube seine
Pfeife, als Magdalena heimkam, er schüttelte den Kopf, als die Dirne
mit einem scheuen „Gute Nacht, Vater“ an ihm vorüberhuschte.

Das Mädchen aber ging nach dem Schlafstübchen, das sie mit der Mutter
teilte, die alte Frau schlief fest; Magdalena öffnete leise das
Fenster, weiche würzige Luft wehte hernieder vom mondbeglänzten Tann,
zu dem sie aufblickte.

Also das ist Liebe, was sie nun empfindet! Viel wissen die Leute
darüber zu reden, aber keines weiß es auszusagen, wie das ist! -- --
Jetzt geht er dort durch das Wäldchen -- nun ist er wohl schon heraus
und steigt zur Mühle hinab. -- „Gute Nacht, Flori!“ -- Und dann soll
eine Zeit kommen, wo sie nicht mehr getrennte Wege gehen, sondern
allimmer zusammen, und wo sie vor Gott und der Welt ihm angehören soll
für das ganze Leben!

Ihre Hände umspannten das Fensterkreuz, als wollten sie es zerdrücken.

„Du willst ihm ein rechtes Weib sein,“ sagte sie und ließ tief
aufatmend die Arme sinken und sah hinaus in die Mondnacht. Ruhiges
freundliches Licht über der stillen Erde. Und wieder überkam sie das
Gefühl, das gehört uns, wir teilen es und schenken es an andere!

Ein froher Schauer durchrieselte sie, aber das Blut stieg ihr nach den
Wangen, rasch schloß sie das Fenster und begab sich zur Ruhe.



8.


Diesmal jagten Wolken über den Nachthimmel und deckten von Zeit zu Zeit
die Mondscheibe und dann lief jedesmal ein schwarzer Schatten über die
Gegend.

Oben bei dem Tannenwäldchen saßen Hand in Hand Magdalena und Florian,
und so oft es um sie dunkelte, lösten sie ihre Hände und hielten im
Reden inne, bis es wieder licht geworden war.

Das Mädchen sagte: „Ich fürchte doch, was der Vater dazu sagen wird.“

Und der Bursche erwiderte: „Das hat es nicht not. Was kann er viel
sagen und was kann er dagegen haben, wenn er sieht, daß wir uns leiden
mögen. Dann muß er mir eben nachfragen und das ist recht; für blind
halte ich ihn nicht, und so wird er einsehen, und auch von den Leuten
wird er es zu hören bekommen, daß wir ganz zusammentaugen, sorgen
kann er auch nicht, daß du es schlecht haben wirst als Müllerin im
Wasser-Graben, weiter kann es für ihn doch kein Bedenken geben. Und so
denke ich, unser Herrgott wird es mit uns nicht schlechter meinen als
mit den andern, die in ehrsamer Verliebnis auf ihn bauen!“

Ein düsterer Schatten lief über die Wiese.

„Wir wollen auf ihn trauen,“ flüsterte das Mädchen und als es wieder
rings freundlich hell war: „Und schau nur, wie er alles gescheit
einrichtet, der liebe Gott, schon als Kind hätt’ ich die Mühl’ im
Wasser-Graben gern gehabt, es ist was Eigenes um so eine liebe,
klappernde Mühl’, jetzt kriege ich sie, weil ich mich aber doch nicht
darauf versteh’, so gibt er mir gleich einen jungen Müller dazu.“

„Freilich,“ lachte Florian, „der muß dabei sein und ohne den kriegst
du sie gar nicht, und hübsch freundlich mußt du mit ihm umgehen, sonst
stellt er die Mühle und du verschuldest eine große Mehlnot im Lande.“

„Und du mußt nicht so einbilderisch daherreden, es gibt noch genug
Mühlen, wegen der Leute wär’ mir nicht bang, die fänden schon andere
Müller, aber wo nähm’ ich einen her?“

„Nun siehst, und darum darfst du nicht trutzig sein.“

„Ich meine nicht, daß ich es werde lassen können, jetzt nehme ich mich
noch zusammen, aber bin ich einmal auf deinem Hof --“

„Ei wohl, darauf fürcht’ ich mich schon, wie eine arme Seel’ aufs
Himmelreich.“

„Sag einmal im Ernst, was kann man deinen Leuten zulieb tun?“

„Wie du doch fragen magst, was willst du einem Lieberes tun, als wenn
du tust, wie es dir gegeben ist, und bleibst, wie du bist? Da sorg’
nicht, man muß dich gern haben.“

„Tun, wie ich will, und bleiben, wie ich bin? Nun, ich meine schon, das
werd’ ich kaum verfehlen und mich nicht besonders anstrengen dabei.
Deine Mutter ist gar so eine ansehnlich schöne Frau, wenn mich die
möcht’ liebgewinnen, das wär’ mir eine rechte Freud’.“

„O meine Mutter, so groß und breit sie ist, die hast du in der Tasche.
So oft die Red’ auf dich kommt, tut sie völlig verliebt, wär’ sie ein
Mannsbild, ich könnt’ rein eifersüchtig werden auf sie. Denk’, sie
erinnert sich noch, wie du einmal als ganz kleines Ding mit mir nach
unserer Mühle gelaufen bist, weißt du es denn selber noch?“

„Ei freilich.“

„Und damals schon hat sie gemeint, wir sähen einander gleich, und
darauf hin schaut sie dich noch bis auf den heutigen Tag an.“

„Geh zu, wie kann sich ein Mannsbild und ein Weibsleut gleichschauen?“

„Nun, ich meine doch selber, das könnte wohl sein!“

„Und gar ich und du, das ist spaßig! Du bist schwarz und ich bin
blond, du bist groß und ich bin mittel, du bist schlank und ich bin
untersetzt, einen Bart wirst auch bald kriegen, und ich hoff’ doch, daß
mir keiner wachsen wird.“

„Aber halt sonst.“

„Ja, sonst freilich! Schau, sonst fürcht’ ich wohl selber, daß uns die
Leute oft verwechseln möchten!“

Beide lachten laut.

Ein Wolkenschatten machte sie wieder ernst.

„Wenn mich deine Mutter nur gut leiden kann,“ sagte das Mädchen, „dann
mag sie glauben, wir sähen einander so gleich, wie ein Ei dem andern;
denn weißt du, man faßt doch mehr Herz wieder zu einem Frauenzimmer.“

„Das versteh’ ich schon, übrigens ist mein Vater auch nicht uneben,
kennt man ihn nur erst, brummig und nachdenklich ist er halt die Zeit
her geworden, aber reden läßt er doch mit sich. Und wirst sehen, es
kommt nur auf ein näheres Bekanntwerden an, so mögen sich alle auf dem
Reindorferhof und von der Mühle im Wasser-Graben untereinander gar
wohl leiden und auf dem Wege, der dazwischen liegt, wird immer eines
auf den Füßen sein, das die andern heimsucht, oder just von ihnen
kommt, und Sonntags finden wir uns alle, so viel wir unser sind, in der
Kirche zusammen, und haben alle Ursach’ Gott zu danken, daß er solche
rechtschaffene Eintracht gestiftet und alles wohl gemacht hat.“

„Das wär’ so viel schön!“

„Es wird so, verlaß dich darauf, und siehst, dann braucht sich auch
keines mehr zu fürchten, es möcht’ in Widerwärtigkeit allein und
verlassen dastehen, da wollen wir immer uns alle für das eine rühren,
und die schwerste Prüfung fällt nimmer so hart, wenn man weiß, es
nehmen andere teil. Ich denk’ nicht anders, als es muß ein Leben
werden, wie wenn uns ein Stück vom Himmelreich auf die Erd’ gefallen
wär’, und dasselbe vergönn’ ich allen miteinander, nur den Erzengel,
der mit dabei ist, den behalt’ ich für mich alleinig.“

„Geh zu, du Schmeichelkatz, meinst du, ich weiß nicht, daß es dir
selber zuwider sein möcht’, wenn ich ein Engel wär’, was könntest du
auch mit einem solchen anfangen? Aber ich hoff’ schon, der liebe Gott
läßt uns früher ein Stückl Himmelreich zukommen, bevor wir ins ganze
hinauf müssen; ich bin mit ein’ ganz klein bißchen zufrieden, nur zum
Verkosten.“

„Ich verlang’ just auch keinen ganzen Laib, aber doch einen
ordentlichen Anschnitt, daß auf jeden ein Bröserl kommt, und so viel
wird er sich schon abbetteln lassen! Ich sag’ dir, Leni, es kann ja gar
nicht anders werden als schön!“

„Ich freu’ mich darauf,“ sagte leise das Mädchen, vor innerer Lust
ballte sie fest die Hände, dann raufte sie die Halme, die sie dabei
erfaßte, aus und ließ sie spielend durch die Finger gleiten.

Eine schwere, düstere Wolke deckte den Mond. Es raschelte auf dem Wege,
der aus dem Tannenwäldchen führte, im Dunkel schritt jemand auf sie zu,
und als das Licht wieder hervorbrach, stand der junge Reindorfer vor
ihnen, und seitab die Josepha.

„So, du bist es,“ sagte Leopold. „Hinter den Tannen, wo wir uns
verhalten haben, hör’ ich schon eine Weile da außen reden und denke,
ich muß mir doch die ansehen, die sich da zusammenfinden. Auf dich aber
hätt’ ich wohl zu allerletzt geraten. Schickst dich etwas früh dazu
an, und ich meine, wenn andere bis in ihr Vierunddreißigstes zuwarten,
wirst du auch dein Zwanzigstes erpassen können. Ich hätte gute Lust und
jagte dich heim, daß dir alle derartigen Gedanken vergingen.“

Florian schnellte von seinem Sitze empor und trat auf ihn zu.

„Nun, was rührst denn du dich, Gelbschnabel? Willst du es vielleicht
verhindern, wenn ich meine Schwester, auf die eine oder die andere Art,
von wo sie nicht hingehört, nach Hause schicke?“

„Ich möchte dir nicht raten, nur die Hand wider sie zu rühren!“

„Weißt, Müllerbub’, es wird besser sein, du bindest nicht mit mir an,
denn fürs erste zerschlüge ich dir die Knochen im Leibe und fürs zweite
möchte ich es deinen Schatz dann auch verspüren lassen, wer eigentlich
Herr ist.“

Statt aller Gegenrede warf Florian seine Jacke ab.

Magdalena eilte auf Josepha zu. „Ich bitt’ dich um Gottes willen, laß
sie doch nicht miteinander raufen!“

„Komm nur,“ sagte Leopold, sich gleichfalls seines Rockes entledigend.

Da trat Josepha heran und legte die Hand auf seine Schulter und sagte:
„Geh, sei nicht so neidisch auf die zwei Leut’, du gewinnst doch nichts
dabei, wenn du ihnen die Freude verdirbst.“

„Er will ja raufen; das siehst ja, daß er raufen will!“

„Lieber mag er doch mit der Leni plaudern, das sag’ ich dir, auch hab’
ich keine Zeit, daß ich abwarte, wer von euch dem andern das erste
Loch in den Kopf schlägt, ich muß nach Hause, willst mich allein gehen
lassen?“

„Aber, Sepherl, glaub’ mir, das geht in einer Geschwindigkeit, wie du
gar nicht denkst, ich verstehe mich darauf, gleich hab’ ich ihn auf der
Erde, so lang er auch ist.“

„Prahlhans!“ schrie Florian.

„Ich bitt’ dich, sei doch still,“ bat Magdalena.

„Ihr dauert mich wirklich recht, wenn ihr euch nichts Gescheiteres
wißt, als Mann gegen Mann da auf dem Rasen herumzukugeln!“ lachte
Josepha. „Komm, Leopold, lassen wir die zwei allein, die sind noch
heurig und kennen noch nichts Besseres, als im Mondschein sitzen und
sich schöne Reden geben. Gönnen wir es ihnen! Komm!“

„Aber, wenn ich jetzt ginge, das schaute völlig aus, als ob ich mich
fürchten tät’.“

„Was du denkst! Ich und die Leni haben schon gemerkt, daß ihr euch
einer vor dem andern nicht fürchtet, auch habt ihr euch schon in
Hemdärmeln sehen lassen und wir möchten nicht, daß ihr die Courage noch
weiter treibt. Ich denk’, es ist recht, ihr zieht beide eure Jacken
wieder an.“

Die beiden Mädchen nahmen die genannten Kleidungsstücke vom Boden auf
und halfen den Burschen in die Ärmel.

Leopold hatte den linken Arm in der Jacke und suchte mit der freien
Rechten noch ungewiß herum. „Aus ist es deswegen noch nicht, wenn es
auch für heute gar ist!“ sagte er und fuhr mit geballter Faust in den
rechten Ärmel, dessen Futter dabei fürchterlich litt.

Florian war eben mit beiden Armen in das Gewandstück eingegangen und
rückte sich dasselbe zurecht. „Ich meine auch,“ sagte er, „geborgt ist
nicht geschenkt.“ Und machte dazu eine Bewegung, als ob er auf seinen
Widerpart zuflattern wollte.

„So seid doch gescheit,“ sagte Josepha, „und haltet Friede!
Verschwägert werden wir ja doch alle zusammen, ob nun der Alte da unten
auf dem Hofe will oder nicht. Gute Nacht, Müller Flori.“ Sie faßte ihn
freundlich an der Hand.

Leopold drängte sich dazwischen. „Da laß das Händedrücken sein,
Müllerbub’, und halte dich an die Schwester.“

„Tu nur nicht eifersüchtig in der Verwandtschaft,“ lachte Josepha.
„Gute Nacht, Leni.“

„Gute Nacht! -- Du Leopold, dich hätte ich etwas zu bitten. Es gilt
nichts Unrechtes, aber weißt, ich möchte keinen Verdruß und brächte es
ungern früher zur Sprache, bevor es richtig werden soll und man mich
nur ja oder nein fragen kann, und das soll gar bald sein; nur heut tu
mich daheim nicht verraten!“

„Brauchst gar nicht zu bitten, könntest ja auch sagen, du hast mich
mit der Sepherl betroffen; obwohl ich mich derohalben nicht fürchten
möcht’, so ist mir doch das unnötige Worteln und Zanken zuwider. Kennst
mich überhaupt schlecht, wenn ich gleich zehnmal um deine Liebschaft
wüßt’ und was ich auch davon halte, ob ich meine, es wär’ gut oder
übel, sagen tät’ ich doch nichts davon; der Alte tut ja, als ob er
auf’m Erdboden das Gras und auf der Leut’ Köpfe die Haare wachsen
hörte, so mag er warten, bis er auch das von sich selber erfährt. Gute
Nacht miteinander!“

„Gute Nacht!“

Leopold und Josepha gingen die Wiese hinab, nach der Straße zu.

Florian rückte verdrossen den Hut zur Seite und kraute sich in den
Haaren. „Warum hast du dich auch hinter die leichtfertige Dirn’ stecken
müssen? Die meint nun, daß wir ihr Wunder was für Dank schuldig wären,
weil sie deinen Bruder vom Raufen abgehalten hat. Hättest du uns raufen
lassen! Es wäre mir jetzt viel leichter. Das Innerste kehrt sich in
mir herum, wenn solche, wie die zwei, das Maul breit ziehen und einem
merken lassen, sie halten alle Welt für gleich unbedacht, spielerisch
und unehrbar, wie sie selber sind. Für mein Leben gern hätte ich ihn
niedergeschlagen und sie dazu, die beiden haben uns heute ja doch alle
Freude verdorben und zernichtet!“

„Sie ist gar so frech.“

„Und dein Bruder kriegt von ihr ab, darauf verlaß dich. Aber bin nur
ich erst in der Verwandtschaft, dann halte ich zu deinem Vater, die
darf mir nicht hinein, dein Bruder wird doch nicht gar so dumm sein,
wenn ihm alles abredet! Und morgen schon vertrau’ ich mich der Mutter
an, die muß anfragen bei deinen Leuten, damit wir wissen, woran wir
sind, und sagen sie etwa, wir beide wären noch zu jung, das tut nichts,
wenn ich dich nur kriege! Hat der Jakob, wovon in der Bibel steht,
sieben Jahr’ Wartzeit auf sich genommen, damit er die Rechte bekommt,
so werd’ ich doch auch eine Zeit ausdauern können, zweimal sieben Jahr’
kann es einen heuttags nimmer treffen, weil sie keinem zwei Weiber
antrauen können, das ist nur zu Erzväterzeiten gegangen, und ich mag es
ihnen nicht neiden; so recht, nach Herz und Seel’ eins werden, können
doch gewiß nur zwei alleinige Leut’!“

„Nicht wahr? Ich hab’ just so denken müssen, wie du vom Jakob zu reden
anhebst. Ich möcht’ wohl wissen, was ihrer zwei Weiber in einem Haus
vorstellen sollen? Ist da heut eine die erste und muß morgen wieder
gegen die gestrige zweite zurückstehen, oder hat jede abwechselnd die
Woche? O, du lieber Himmel, ich muß lachen, wenn ich denk’, was das für
ein Durcheinander wär’, wo keines wüßt’, wer eigentlich zu schaffen
hat, darüber müßt’ ja auch jede Wirtschaft zugrund’ gehen!“

„Freilich, darum sorg’ nicht, ich nehme mir keine zweite.“

„Ich wollte dir’s auch nicht raten! Weißt, bei meinen Lebzeiten nicht,“
setzte sie plötzlich sehr ernsthaft hinzu. „Sollt’ ich versterben,
wirst du dir schon eine andere suchen müssen. Wer weiß, was bis dahin
geschieht, dann such dir halt eine recht brave ins Haus, weißt, eine,
wo du dir denken kannst, daß sie mir vom Himmel herunter gut gefallen
könnt’!“

Florian lachte laut auf.

Das Mädchen schnitt ihm ein beleidigtes Gesicht und kehrte ihm den
Rücken zu.

„Du närrische Mirl, hörst,“ sagte er und zupfte sie an den
Schürzenbändern, „wirst du dich gleich umdrehen? Ich löse dir die
Fürtuchbänder auf!“

„Untersteh dich,“ sie wandte sich gegen ihn. „Keck genug bist du dazu.
Wie kannst du einem denn bei einer so heilig ernsthaften Red’ ins
Gesicht lachen?“

„Weil es doch nur eine heilig ernsthafte Dummheit ist,“ sagte er
zornig, „so daherreden, daß man meint, der Mond macht dich irr’!
Verhüt’s Gott, daß mir einmal so geschäh’, aber dann such’ ich nach
keiner zweiten, man kann ja doch keine anstückeln, wo die erste
aufgehört hat.“

„So hat schon mancher zu seiner ersten gesagt --“

„Und doch wieder geheiratet, freilich, und hat es vielleicht sogar
besser getroffen, wie das erstemal, denn die zweite will schon
nimmer recht behalten, wenn sie von ihrem Versterben redet, weil sie
doch meint, sie hat mehr Aussicht, daß sie überbleibt. Sollst recht
behalten!“

„Ich hab’ recht, ob du es einsehen willst oder nicht.“

„Aber ich seh’ es ja auch ein. Du hast recht!

    Mein Schatz b’halt gern recht,
    Und zum Streit bin ich z’faul,
    Und da häng’ ich mir lieber
    Ein Schlösserl vors Maul!“

„Schön, jetzt sing noch gar ein Trutzliedel auf mich! Ich geh’ jetzt!“

„Mußt nicht bös’ sein, aber da muß einem ja der helleidige Übermut
einschießen, wenn man dich so frischlebig da stehen sieht und vom
Versterben reden hört, nur damit man wissen soll, daß ihr Weiberleut’
selbst noch übers Grab hinaus euch um ein Hauswesen annehmen tätet! Das
sag’ ich dir aber nun gleich, bevor ich geheiratet habe, denke ich gar
nicht daran, Witwer zu werden! Gelt, da lachst du selber? Gewinnen will
ich dich, vom Verlieren will ich gar nichts hören, mit dem Tod tät’ ich
um dich raufen, aber ich hoff’ schon, unser Herrgott hat ein Einsehen
und läßt uns beieinander, so lang es angehen mag. Heut aber möcht’ es
schier nicht länger angehen und wir müssen allzwei nach Haus denken und
uns gute Nacht sagen. Wenn du morgen, oder nächster Tage meine Mutter
bei euch auf dem Reindorferhofe siehst, so weißt du, was es zu bedeuten
hat.“

Sie drückten sich die Hände.

„Gute Nacht, Leni!“

„Gute Nacht, Flori!“

Der tiefdunkle Schatten einer schweren Wolke, die unter dem Monde
langsam dahinstrich, entzog das davoneilende Mädchen seinen Blicken,
nach einer geraumen Weile ging unten das Tor auf und schlug wieder
zu. Er schritt im Düster durch den Tannenwald, erst am jenseitigen
Waldessaume wurde es wieder licht.

Mit Schritten rasch und kräftig, wie sein Herzschlag, ging er den Steig
dahin, der hinab nach der Mühle führte.

Bald sollte ja alles werden!

Beschränkten nicht die Gedanken und Vorstellungen der Schläfer die
Träume, wüßten diese mehr als jene, kämen und gingen sie, wie sie oft
in ihren Täuschungen uns vorgaukeln, als wären sie leibhafte Wesen,
in dieser Nacht mit den ziehenden Wolkenschatten hätten sich zwei
freundliche Traumbilder auf dem Wege zwischen der Mühle und dem Gehöfte
getroffen und sie hätten sich wehmütig lächelnd sagen können, daß sie
gehen, ein Glück vorausnehmen, das die Wirklichkeit nie und nimmer
gewähren konnte und durfte!



9.


In der Küche war die Müllerin geschäftig. Florian schlich herzu, er
hatte seine unangebrannte Pfeife in der Hand und suchte an seiner
etwas umfangreichen Mutter vorüber nach dem Herde zu gelangen, das
Ungeschick, mit dem er sie immer anrannte, so oft sie ihm auszuweichen
gedachte, machte sie ungeduldig.

„Was hast du denn eigentlich da in der Küche zu suchen, du
Häferlgucker!“ sagte sie.

„Einen Span fänd ich gerne, damit ich mir die Pfeife anbrennen könnt’;
weil da Feuer genug ist, denk’ ich, es wäre schade um ein Streichholz.“

„Seit wann bist du denn so sparsam?“

„Nun, ich mache so kleinweis einen Anfang, damit ich mich leichter
eingewöhne, wenn ich es einmal brauche.“

„Wie du altklug tust! Ein lediger Bursche, wie du, wird auch viel
Sparsamkeit brauchen!“

Unterdem hatte er einen Span gefunden. „Ich denk’, ich bleibe nicht
immer neunzehn und auch nicht ledig,“ sagte er, kauerte sich an dem
Herde nieder und schob das Hölzchen in die Feuerung.

„Schau mal einer!“

„Und ich meine, das Heiraten mag auch keine schlechte Sache sein.“
Jetzt brannte der Span lichterloh.

„Was du nicht alles denkst und meinst,“ sagte die Müllerin, und um
ihre Mundwinkel zuckte es leise, als sie auf den Burschen herabsah,
dessen hochgerötetes Gesicht bei jedem Aufflackern des Hölzchens, das
er über den Tabak hielt, sich verlegener ausnahm.

Er mußte etwas davon merken, hastig warf er den prasselnden Span weg,
drückte laut klappend den Pfeifendeckel zu und erhob sich. Auf einige
glimmende Kohlensplitterchen setzte er bedachtsam den Fuß, dann sagte
er möglichst unbefangen: „Ich werd’ immer so rot wie ein Hahnenkamm,
wenn ich mich niederbücken tu’, und dazu noch die Hitze, die vom Herd
weggeht, da steigt einem alles Blut in den Kopf.“

„Ja, ja, du bedauerst mich recht,“ sagte die Müllerin, „ich an deiner
Stelle möcht’ gar nicht rauchen, wenn mich das Anfeuern schon so
angreifen tät.“

„Ausschauen muß ich, wie ein gesottener Krebs,“ sagte er und versuchte
zu lachen, es war wohl nur die Pfeife, die er dabei zwischen den Zähnen
hielt, welche es nicht dazu kommen ließ.

Die Müllerin trat an ihren Sohn heran und sah ihm in die Augen. „Geh,
mein dummes Büberl, jetzt sperr dich nicht lang und beichte weiter.
Hast ja doch schon so viel geredet, daß dir selber leid wär’, wenn
ich nicht danach fragen möcht’! Nach all deinen Reden gefällt dir ein
Dirndl, so sag lieber gleich heraus, wer es ist.“

„Rat einmal.“

„Dazu hab’ ich keine Zeit, da könnt’ eines lange herumraten, denn
für ein Frauenzimmer ist es immer schwer, man weiß selten, was die
Mannsleut’ an einer finden.“

„Du kennst sie.“

„Wenn sie aus dem Ort ist, werd’ ich sie wohl kennen, denn da kenn’ ich
alle!“

„Sie war sogar schon auf Besuch bei uns.“

„Bei uns, auf Besuch? Nun, da wüßte ich doch keine.“

„Aber da war sie nicht größer als so!“ Er bückte sich dabei und hielt
die Hand nicht viel höher, als seine Kniee vom Erdboden waren.

„Doch nicht gar die Lenerl vom Reindorfer?“

„Und gerad die!“

„Nun ja, die kann einem freilich lieb sein! Aber sag, hast du schon mit
ihr geredet?“

„O wohl.“

„Mag sie dich leiden?“

„Ich meine schon.“

„Bist du aber ein heimlicher Ding, man hat dir doch gar nichts
angemerkt.“

„Es ist auch erst seit drei Tagen.“

„Das ist ein wenig schnell hergegangen.“

„Es kann ja vorkommen. Zwei meinen es ehrlich und besinnen sich lang,
so hast du mir selber gesagt, daß es zwischen dir und dem Vater gewesen
wär’, er war Soldat und du im Dienst, und ob ihm der Großvater die
Mühl’ auch geben wird, hat keines gewußt, aber ich denk’, zwischen mir
und der Leni braucht es kein Zuwarten des lieben Brotes willen, und da
gilt bei grundehrlicher Absicht auf die einmalige Anfrag’ die einmalige
Antwort, und ich fürchte mich gar nicht darauf, daß du sagen könntest,
ich möchte da nicht zugreifen mit beiden Händen.“

„Behüt, daß ich dich von dem Dirndl abreden möcht’! Ich möcht’ ja so
keine andere ins Haus, die hab’ ich immer im Aug’ gehabt, nur weil es
einem selten nach Herzenswunsch ausgeht, so hab’ ich nicht gedacht, es
würd’ auch so kommen, und nun bin ich recht froh. Ich will dir auch
gleich nach dem Reindorferhof hinüber, heut noch, voreh’, versteht
sich, rede ich mit deinem Vater. Aber er wird so wenig etwas dagegen
haben wie ich. Ich meine schon, wir stehen auch den Reindorferischen
an, so meine ich schon, freilich, wie es dann wird und wann es sein
kann, davon läßt sich noch nichts reden.“

„Vergelt dir Gott dein gutes Herz, Mutter; warten will ich schon,
solang etwa sein muß, dafür krieg’ ich, wofür sich wohl Warten
auszahlt.“

„Gelt ja? Aber nun erzähl mir nur auch, wie ihr euch denn
zusammengefunden habt und ob sie dich auch recht gut leiden kann!
Meiner Treu’, das macht mir eine rechte Freude! Nun, fang an, aber
ehrlich, sonst mach’ ich dir keinen Schritt.“

Und er fing an. Er wurde nicht müde zu erzählen und die Mutter nicht,
zuzuhören.

Er hatte sich auf eine Ecke des Herdes gesetzt und die Müllerin
stand mitten vor demselben, stützte sich auf den Stiel eines großen
Abschöpflöffels und blickte mit leuchtenden Augen auf ihren Jungen. Du
magst schon einem Mädchen gefallen können -- dachte sie dabei -- und es
schickt sich recht gut, daß die es ist, das gibt ein paar schöne Leute,
welche auch zusammen taugen ...

Die gänzliche Außerachtlassung und Vernachlässigung war aber einem der
Töpfe unerträglich geworden, schon lange hatte er vor sich hingesummt,
dann sogar ein paarmal mit der Stürze geklappert, da aber alles nichts
half, so wallte er jetzt über, -- und im Gezische des ausgelaufenen
Inhaltes, dem Aufschrei der bestürzten Hauswirtin und dem Auflachen des
Burschen zerriß unanknüpfbar der Faden des Gespräches.

       *       *       *       *       *

Sie waren mit der Mahlzeit zu Ende. Das Gesinde war vom Tische
aufgestanden und verließ die Stube. Da schob auch Florian den Teller
von sich und rückte den Stuhl.

„Leidet es dich nimmer?“ fragte der Müller. „Hast du es heute so eilig?“

„Ich will nur meine Pfeife draußen am Zaun rauchen, nämlich, weil ein
Schulkamerad vorüberkommen soll, den sie vorig’ Jahr zu den Soldaten
genommen haben und der jetzt ein paar Tage auf Urlaub ist.“

Die Müllerin schüttelte den Kopf und dachte: Nun Gott verzeih ihm! Der
Bub’ kann ja so keck in einem Atem weg lügen, wie ich ihm gar nicht
zugetraut hätte. Woher er nur das hat?

Er aber zog sachte die Tür hinter sich ins Schloß, Müller und Müllerin
waren allein.

Sie legte ihre Hand mit einem leisen Druck auf die Linke ihres
Mannes. „Du, Alter,“ sagte sie, „nimm es ihm nicht übel, aber das vom
Schulkameraden war doch nur geflunkert. Und er hat sich davongemacht,
weil er gemerkt hat, ich will es zur Rede bringen, daß ihm auch weniger
um einen Kameraden, als um eine Kameradin zu tun ist.“

Der Müller, der immer, während man mit ihm sprach, den Kopf gesenkt
hielt, blickte jetzt leicht schmunzelnd auf.

„Im Ernst, Vater, unser Bub’ ist verliebt.“

„Nun, so drück halt ein Auge zu oder alle zwei. Soll er es mitmachen,
solang es ihn freut.“

Die Müllerin hatte das Erröten noch nicht verlernt, sie strich mit der
flachen Hand die Brosamen von dem Tischtuche und sagte leise: „Ich
werde zu dir doch nicht von Sachen reden, an die kein ehrsames Weib
rührt?! Es hat ein rechtschaffen Absehen.“

„Ja so.“ Er drückte ihr begütigend die Hand. „Dann mußt du mir freilich
davon sagen. Nur möcht’ ich meinen, das käm’ doch etwas zu früh für den
Jungen.“

„Davon ist keine Rede, daß sie gleich zusammengegeben werden sollen,
und auf das Zuwarten versteht er sich recht gerne, nur das soll in
aller Gehörigkeit ausgemacht werden, daß sie einander zugehören sollen
und vor der Welt als Versprochene dastehen.“

„Das ginge wohl an, und ich könnte es ganz zufrieden sein, wenn der
Dirn’ ihre Eltern mit uns auf gleich stehen[11] und dasselbe, denk’
ich, wird wohl der Fall sein, weil du deine Fürsprache so sicher
vorbringen magst. So sag mir nur auch, was sich der Junge ausgesucht
hat.“

„O, für die möcht’ ich reden, und kriegte sie keinen Kreuzer mit, ich
wüßt’ mir keine säubere, liebere und rechte!“

„Als wen?“

„Als die Reindorfer Leni.“

Da senkte der Müller jählings den Kopf noch tiefer und zuckte zusammen;
die Gabel, die er spielend ergriffen hatte, fuhr in die Tischplatte,
daß sich die Zinken bogen.

„Jesus, was hast du denn?“ Die Müllerin griff nach seiner Hand.

„Nichts,“ sagte er schwer aufatmend. „Es hat mich nur so überkommen.“

„Geh, wie du einen erschrecken magst, so krampfig’ Wesen hast du doch
sonst nie an dir merken lassen.“

„Es hat ja auch nichts weiter auf sich.“

„So hoff’ ich. Nun aber sag mir, Alter, was du dazu meinst? Wenn dir
die Sache ansteht, so machte ich gerne dem Flori die Freude, ließe
gleich einspannen und führe zu den Reindorferischen hinüber.“

„So gar große Eile wird es doch nicht haben? Laß nur auch dem Jungen
ein wenig Zeit, sich zu besinnen, wer weiß, bleibt er auf dem Gedanken?
In +den+ Jahren findet man leicht Gefallen an einer, aber es hält oft
nicht lange an.“

„Glaub’ schon, daß er nicht aus der Art schlagen möcht’, die ihr
Mannleute an euch habt, wär’ nur da herum etwas Besseres zu finden,
aber wenn einer die Taube in der Hand hat, wird er auf kein Dach mehr
nach Spatzen sehen! Auch im übrigen, meine ich, tät’ sich alles ganz
wohl schicken, und du selber könntest schwerlich etwas Passenderes
ausfinden.“

„Das geb’ ich zu. Gleichwohl wär’ besser, es dem Jungen auszureden. Geh
nicht!“

„Warum?“

„Geh nicht, es ist umsonst.“

„Was hast du für Grund, das zu glauben?“

„Es ist zwischen mir und den Reindorferischen nicht alles wie es sein
soll.“

„Und darunter sollten die Kinder leiden? Verlaß dich darauf, komme ich
mit ihnen zu reden, ich setze ihnen schon den Kopf zurecht.“

Der Müller senkte wieder den Kopf tiefer als sonst, und mit einem
leisen Seufzer sagte er: „Tu wie du willst.“ Dann aber rasch sich von
seinem Sitze erhebend, setzte er gleichmütig hinzu: „Versuch es!“ Er
dachte bei sich: Was ist da weiter? Was hab’ ich mich da zu sorgen?
Mögen es die andern zum Austrag bringen! Sie werden nein sagen und sie
müssen nein sagen, und mehr kann nicht zur Sprache kommen!

Die Müllerin war aus der Stube bis an die Küchentür geeilt, sie ersah
ihren Sohn, der rauchend an dem Zaune lehnte und rief ihm zu: „Flori,
es ist schon richtig, ich fahre dir gleich hinüber.“

„Da spann’ ich auch gleich selber ein, Mutter,“ sagte freudig der
Bursche und lief nach dem Stalle. Die Müllerin ging eilfertig wieder
nach der Stube zurück, um sich in ihren Sonntagsstaat zu kleiden.

Auch der Müller war aus der Stube getreten und sah zu, wie Florian
und ein Knecht den Wagen aus dem Schupfen zogen und die Pferde davor
anschirrten.

Der Mann blickte gar ernst.

Als der Mensch all jene Übermächte, nach denen ihn in seinen Träumen
verlangte, und alle Vollkommenheiten, die er zu erreichen verzagte,
Gott als Eigenschaften beilegte und denselben, wiewohl in kolossalen
Proportionen, nach seinem Ebenbilde formte, da leuchtete ihm gleich
ein, welch ein furchtbares Geschenk selbst für einen Gott die
Allwissenheit an sich allein wäre, und er setzte ihr wohlbedächtig die
Allmacht voran, und nun weiß die Gottheit in allem nur ihren Willen.
Für den Sterblichen aber, im Gefühle seiner Ohnmacht, ist schon die
Gabe der Weissagung kein freundliches Geschenk und alle Seher waren
düster und blieben freudelos.

Es gibt nur eine Art der Weissagung, und diese erfüllt die Menschen
mit Scheu vor den Sehern und mit Vorliebe für die Gaukler, denn
es ist nicht die Kunst, aus dem Fluge der Vögel, den Eingeweiden
der Opfertiere, den Kartenblättern oder dem Kaffeesatze -- es ist
die Kunst, aus den eigenen und den fremden Sünden das Kommende
vorherzusagen, welche sich bis heutigen Tag an Staaten, Völkern und
Fürsten erprobt und deren furchtbare Folgerichtigkeit in Stunden
stiller Einkehr bei sich selbst auch den einzelnen durchschauert.

Ein unangenehmes Gefühl beschlich den Müller, als er die Seinen sich
ahnungslos umsonst mühen sah, während ihm klar lag, daß alle diese
mit freudiger Hast betriebenen Vorbereitungen, alle daran geknüpften
Hoffnungen und Erwartungen vergebens seien.

Er senkte den Kopf, obgleich niemand da war, der mit ihm sprach,
vielleicht horchte er auf sich selber.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter, er blickte auf, die
Müllerin stand mit hellfreudigen Augen vor ihm und sagte: „Behüt dich
Gott, Vater, ich geh’ jetzt und ich werd’ schon die rechte Antwort mit
heimbringen, da sorg’ ich nicht!“

„Behüt dich Gott.“

Florian wollte ihr beim Einsteigen in den Wagen behilflich sein, aber
in eiliger Zutulichkeit vereitelte er nur alle ihre Bemühungen, auf den
Sitz zu gelangen.

„Du Ungeschickt,“ rief sie fröhlich lachend und stieß ihn weg. „Wie du
mit unsereinem umgehst! Nun, wirst es schon lernen.“

Der Knecht trieb die Pferde an und der Wagen rollte davon. Lange sah
Florian demselben nach, dann schloß er das Einfahrgatter und lehnte
sich an dasselbe.

Der Müller trat herzu. „Bist doch ein Hallodri,“ sagte er, „siehst
aus, als könntest du nicht bis fünfe zählen, und weißt dich doch
aus bis hundert. Eine Wette hätte ich gehalten, daß dir noch kein
Mädel im Sinne läge, und schön hätte ich dabei verspielt. Nun, ich
hab’ dir deinen Willen getan und die Mutter zu den Reindorferischen
hinüberfahren lassen.“

„Ich sag’ dir tausend Dank dafür, Vater.“

„Hast mir nicht zu danken, ich könnte nicht sagen, du hättest
fehlgegriffen, und soweit wäre alles in Ordnung. Aber ich muß dir
aufrichtig sagen, ich glaube nicht, daß sie dir die Dirn’ geben werden,
wir waren nie recht Freund zusammen, ich und der Reindorfer, darfst
schon gefaßt sein auf einen abschlägigen Bescheid.“

„Ich wüßte wohl nicht, wie ich den aufnehmen möcht’. Bei vernünftigem,
ehrlichem Vornehmen ist doch keiner auf leidigen Widersinn gefaßt.“

„Ah, sei gescheit und mache dir nichts daraus. Wer weiß, wozu es gut
ist. Bindet sich einer so früh, wie du, gar leicht reuen ihn später
seine jungen Jahre. Du wirst dir schon wieder eine andere ausfinden,
es gibt ja noch genug Mädeln auf der Welt, lerne sie erst aus und dann
wähl eine; wer sich darauf versteht, trifft es besser, und es ist doch
eine Wahl, die einem nicht wehe tut. Meinst nicht?“

„Ich meine nicht. Wenn du es so gehalten hast, Vater, so ist’s ja doch
auch nur verlorne Zeit gewesen. Es wird kein so großer Unterschied sein
zwischen den Rechtschaffenen, und nach den andern verlangt mich nicht.“

Der Bursche hatte bisher bei Rede und Antwort vor sich niedergesehen,
jetzt blickte er auf und bemerkte, daß sein Vater sich schweigend von
ihm entfernt hatte, er holte ihn ein, hielt ihn am Arme zurück und
sagte: „Vater, du hast vorhin geredet, als wäre ausgemacht, daß ich die
Leni nicht haben soll. Ist das nur so dein Dafürhalten, oder weißt du
etwas?“

„Was kann ich wissen? Nur weil du gar so sicher tust, als könnten sie
die Verschwiegerung mit uns gar nicht abweisen, so hab’ ich vorbauen
wollen, daß es dich nicht wie vor den Kopf trifft, wenn es doch
geschieht.“

„Was hilft es auch, daß man das früher beredet? Ich kann mir ja doch
nicht vornehmen, wie ich mich dann gebärden will, wenn mir all mein
Glück in den Brunnen fällt! Ich denk’, dem lass’ ich Zeit, bis die
Mutter heimkommt; bringt sie mir solche Botschaft mit, dann gibt sich
wohl von selber, wie ich mich dabei verhalten werde.“

Der Müller setzte kopfschüttelnd seinen Weg nach dem Garten fort.

Er ging zwischen den Beeten dahin. Es war schwül geworden. Der Kies
knirschte nicht, er stäubte leise unter den Tritten. Kein Blatt rührte
sich, höchstens eines, hinter dem sich ein Käfer oder ein Wurm verbarg.
Die Blumen hielten den Duft an sich. Ringsum tat es so stille und
verschwiegen; dem Müller aber war, als merke er, das geschähe nicht aus
Unschuld, die nichts zu sagen weiß, sondern aus lüsterner Erfahrenheit,
die gerne für sich behält, was ihr bewußt, und es schien ihm, als läge
ein unlauteres Geheimnis in allem und hinter dieser Welt.

„Er wird es verwinden,“ sagte er. „Der Bub’ wird doch etwas von meiner
Art an sich haben? Er wird doch nicht seiner Mutter nachgeraten, die,
wenn sie einmal zu einem hielt, sich mit Füßen hat treten lassen!
Ich habe nicht schön gehandelt an ihr, und doch, wenn ich freud- und
freundlos war, ist sie immer wieder gekommen, die getreue Seel’!
Aber dem Jungen mag ich ihr Herz nicht wünschen, es wär’ gar nicht
abzusehen, was daraus werden soll!“

Ihn fröstelte -- es war aber noch immer so schwül wie zuvor.



10.


Der Wagen der Müllerin war in den Hofraum bei Reindorfer eingefahren
und die behäbige Frau stieg eben bedächtig ab.

Der alte Reindorfer und Magdalena traten aus der Scheuer.

„Die Müllerin vom Wasser-Graben!“ sagte er. „Was mag die wohl
herführen?“

Das Mädchen war rot geworden, sie rieb sich mit der Schürze die
Handfläche der Linken und lächelte in sich hinein.

„Lauf zur Mutter und sag ihr, wer kommt, daß sie eine Jause[12] mag
richten lassen.“

„Grüß Gott,“ sagte die Müllerin. „Heiß macht es heute!“

„Ja, es macht heiß,“ sagte der Bauer und trat wieder in die Scheuer
zurück.

Die Müllerin folgte dem voraneilenden Mädchen.

Magdalena ließ die Türe hinter sich halb offen stehen und flüsterte
eilfertig der Mutter zu: „Die Müllerin vom Wasser-Graben kommt, der
Vater meint, du solltest eine Jause richten.“

„Nun, so richte eine,“ sagte die Bäuerin, erhob sich und ging nach der
Tür.

„Grüß Gott,“ rief die Müllerin in der Küche.

„Grüß Gott,“ erwiderte die Reindorferin. „Nur herein da!“

Die Müllerin trat ein, nachdem sie zuvor an dem Türpfosten anklopfte,
da die Bäuerin die Tür vollends an sich gezogen hatte. „Guten Tag,
herein! Heiß ist es heute.“

„Schon wie, man meint völlig, man müßt’ verschmachten. Nun, mach doch
Feuer an,“ sagte sie zu Magdalena.

Das Mädchen schlüpfte zur Türe hinaus und strich an der Müllerin
vorbei, diese zupfte sie an der Rockfalte und lächelte gar bedeutsam.

Magdalena trat nun an den Herd und machte sich da zu schaffen, und das
nahm sie so in Anspruch, daß ihr gar keine Zeit blieb, die Stubentür,
welche nur angelehnt war, in das Schloß zu drücken.

Drinnen sagte die alte Reindorferin: „So, nun tu dich nur auch setzen,
Müllerin.“

Diese strich erst ihre Röcke glatt, dann ließ sie sich auf einen Stuhl
nieder. „Damit ich euch nicht den Schlaf austrage,“[13] sagte sie.

„Mich wundert dein Kommen. Weil doch unsere Männer sich voneinander
fernhalten, so sind wir gar nie zu einer Ansprache gekommen. Es muß
doch recht was Besonderes sein, was dich herführt.“

„Das wird sich wohl weisen, denn ich kann dir doch nicht vorenthalten,
was mich zu dir her den Weg hat tun lassen. Es wird schon herauskommen.
Nur immer hübsch eines nach dem andern.“ Sie trocknete sich den Schweiß
von der Stirne. „Heiß ist es heute.“

„Rechtschaffen, daß man verschmachten könnt’.“

„Es wird aber wohl ein gesegnetes Jahr geben.“

„Zu wünschen wär’ es schon, die Zeiten sind arg.“

„Ja, ja, freilich sind die arg, man verspürt das gleich, und wenn eines
die Wirtschaft noch so genau führt; besser ist es wohl früher gewesen,
derowegen ist es jetzt just auch noch nicht schlecht, man mag sich noch
immer ehrlich durchbringen und dabei etwas auf die Seite legen. Ist es
nicht auch bei euch so?“

„Gott sei Dank, ich könnt’ nicht klagen, daß es schlimmer wäre!“

„Wir haben gut verkauft.“

„Wir nicht anders!“

„Und auch nicht schlecht eingehandelt.“

„Ich meine, wir seien just auch nicht übervorteilt.“

„Wir haben zwei Pferde eingeschafft, die sind ihr Geld wert. Und
Leinenzeug -- ich sag’ dir, Reindorferin, ich möcht’ es nicht selbst
gesponnen haben, für die paar Gulden! Aber was schwätz’ ich? Kommt
das zustande, wegen was ich da bin, so schickt sich ohnehin die
Gelegenheit, daß man darüber redet und später werden wir noch oft und
gern uns all das einzeln aufzählen und weisen, was wir erwirtschaften.
Ich will vorderhand nur gesagt haben, außer dem Vorsprung, den der
liebe Herrgott selber dem einen Teil durch die Mühl’ verliehen hat,
stünden wir, was das Hereinbringen und Zusammenhalten anlangt, völlig
gleich und taugten zusammen.“

„Hast recht, Müllerin, in der Wirtschaft steh’ ich auch keiner nach.
Aber was meinst du mit dem Zusammentaugen?“

„Ich meine, jede Dummheit muß einmal ihr Ende finden, und schon gar,
wo sich die Gelegenheit schickt, daß mit ihrem Aufhören ein gut’ Werk
seinen Anfang nimmt! Es ist doch nur eine Dummheit, daß sich unsere
Männer nicht vertragen mögen.“

Die Bäuerin blickte ängstlich auf, dann senkte sie wieder die Augen und
sagte leise: „Ich weiß nicht.“

„Aber ich weiß es,“ sprach um so lauter die Müllerin, „und so wahr
ich hier sitze, ich will meinem Alten all die Feindseligkeiten schon
austreiben, und das, liebe Reindorferin, mußt du dir auch bei deinem
Bauer angelegen sein lassen, denn so, wie es bisher gewesen, darf es
nicht verbleiben! Daß ich dir auch sage, warum: für gewöhnlich sollen
die Alten den Jungen ein gut’ Beispiel geben, aber manchmal kann doch
vorkommen, daß die Jungen den Alten damit vorangehen, und wenn sich
unsere Alten nicht leiden mögen, so haben sich dafür unsere Jungen gar
lieb.“

„Wer?“ schrie die Bäuerin auf.

„Nun, nun, wie magst du nur so ungebärdig fragen, ich red’ doch
deutlich, wen kann ich anders meinen als euere Magdalen’ und unsern
Florian? Die beiden wären eins und derowegen bin ich da, daß ich ihnen
das Wort rede und wir uns über eine Zeit einigen, danach man sie fein
christlich zusammengibt.“

Die Reindorferin war kreidebleich geworden. „Jesus, Maria!“ sagte sie
und preßte beide Hände über dem Scheitel zusammen.

„Du meine Güte,“ rief die Müllerin, sich rasch vom Stuhle erhebend,
„Reindorferin, was hast du?“ Und zu Magdalena, welche unter die Tür
getreten war, sagte sie: „Hol doch deinen Vater!“

Das Mädchen lief fort.

Die Reindorferin sah zur Müllerin auf, welche vor ihr stand und faßte
sie an beiden Armen über den Ellbogen an. „Und dein Mann, der Müller,
hat es zugelassen, daß du wegen dem herkommst?“

„Wie du fragst! Ohne sein Vorwissen wär’ doch alles unnütz!“

Die Bäuerin strich sich ein über das andere Mal über die wirren Haare,
die ihr um die Schläfe hingen. „Er läßt es zu,“ flüsterte sie, „er
selber -- der ... Hätt’ er mich doch allzeit allein gelassen, wie
jetzt! Himmlischer Vater, mir verbleibt doch gar nichts erspart, gar
nichts!“ Es schüttelte das Weib in Krämpfen.

Da trat der alte Reindorfer in die Stube, gefolgt von Magdalena.

„Nun, was gibt es denn?“ fragte er.

Die Bäuerin deutete mit dem ganzen Arme nach dem Mädchen und sagte:
„Die will den Florian vom Müller im Wasser-Graben.“

Der Bauer sah erschreckt die Anwesenden der Reihe nach an.

„O, hättest du sie doch damals aus dem Hause geben lassen,“ schluchzte
das Weib, „hättest du sie doch aus dem Hause geben lassen!“

Da trat der Bauer auf sie zu und sagte ruhig: „Tu nur nicht gar so
wunderlich und auffällig, daß man meint, es wär’, Gott weiß was,
dahinter. Ich begreif’ nur den Müller nicht, wie er sein Weib mag einen
solchen Gang tun lassen, wo doch zwischen mir und ihm Feindschaft ist
und sein soll für alle Zeit. Weiter hat es doch nichts auf sich, man
sagt: Schön Dank für die zugedachte Ehr’ und daraus kann nichts werden!
Der Bursch’ und die Dirn’ mögen sich einander aus dem Sinn schlagen und
gar ist es!“

„Gar ist es? Was kann da gar sein?“ sagte aufgeregt die Müllerin.
„Ich wollte kein Wörtel verlieren, Reindorfer, wenn du nur einen
Grund angeben tätest, warum du nein sagst, möglich, daß dann doch
eine Vernunft darein käme! Aber, daß man so ganz eigensinnig und
unvernünftig zweien jungen Leuten ihr Lebensglück abspricht, das
darf ich doch nicht so ohne Widerred’ hingehen lassen. In allem und
jedem taugen sie zusammen, den Jahren, wie dem Wesen nach, auch die
Sippschaften, aus denen sie her sind, haben keine vor der anderen
etwas voraus, und ich denke, meine Werbung wäre nicht zu verachten
und könnte dir wohl anstehen. Was aber die Feindschaft zwischen dir
und meinem Mann anlangt, so halt’ ich doch dafür, daß du soviel
Christ sein wirst, sie beiseit’ zu lassen, um so mehr, wenn andere
unschuldigerweis’ darunter leiden möchten! Also sei gescheit und besinn
dich anders, tu es deinem eigenen Kind nicht an, daß du dich gegen sein
Glück sperrst.“

„Du redest viel in einem Atem, Müllerin,“ sagte der Reindorfer, „und
machst dir damit doch nur ungeschaffte und unnütze Arbeit. Da gilt kein
anderes Besinnen; glaub’ mir, ich tue nur, wie ich muß!“

Die Müllerin schlug die Hände zusammen. „Du lieber Himmel, bist du
aber dickköpfig! Nun, warte nur, so geschwinde denk’ ich mich nicht
abspeisen zu lassen, da reden wir doch noch eine Weile darüber. Sag mir
nur, wie kann man denn gar so sein, daß man jahrelang dem andern etwas
nachtragen mag, und selbst dann noch, wenn dem sein Kind und das eigene
darunter leiden soll? Ich bitt’ dich!“

Der Bauer blies den verhaltenen Atem durch die Zähne, dann sagte er:
„Ich möcht’ dich bitten, Müllerin, stell das unnütze Reden ein! Weil
ihr Weiberleute zu allem herumzukriegen seid, wenn euch nur einer recht
mit Reden zusetzt und nicht nachläßt, so meint ihr, auf gleiche Weis’
vermöchtet auch ihr eines Mannes Sinn zu ändern. Das ist aber nicht
so. Was ein Mann ist, der bleibt bei seiner Rede und bei dem, was sie
besagt.“

„Wir wollen ja sehen! Wenn du aber guten Rat annehmen willst, so höre
lieber gleich heute auf das, was ich dir zu sagen habe und gib mir
vernünftigen Bescheid darauf, sonst komme ich dir morgen wieder und
übermorgen und Tag für Tag, bis es dir zuwider wird.“

Reindorfer sah die Müllerin ernst an. „Das wirst du bleiben lassen!
Dein Mann wußte recht gut, daß dein Herfahren zu nichts führt, er hätte
es dir ersparen können. Frag ihn einmal selber auf sein Gewissen hin,
ob ich anders tun kann?“

„Das Fragen gedenke ich ohnehin nicht zu sparen und verlaß dich darauf,
erfahr’ ich, mein Mann wär’ schuld, daß ihr euch zertragen, so muß auch
er wieder der erste sein, der gut wird. Morgen sag’ ich dir, was ich
ausgerichtet.“

„Sei nicht aufdringlich, Müllerin. Du redest da doch nur herum wie der
Blinde von der Farbe. Ich sage dir, die Sache ist für heut und für
allemal abgetan und ich will nichts mehr davon hören. Ich mag dich
wohl leiden und bin sonst kein Schroll, aber wenn du mir wieder damit
angerückt kämest, so müßte ich dir, um mir Ruhe zu schaffen, die Tür
weisen!“

Die Müllerin wandte sich beleidigt ab.

„Nichts für ungut,“ sagte Reindorfer, „es ist nur, damit du weißt,
woran du bist. Gib jetzt weiter keine Achtung darauf, denn ich denke“
-- er sah fragend nach Magdalena -- „die Jause wird fertig sein, laß
sie nicht verderben.“

„Ich danke. Ich verlang’ nichts. Solange wir so miteinander stehen,
könnte mir ohnehin da bei euch kein Bissen schmecken. Behüt Gott!“

Sie ging und Magdalena begleitete sie bis an den Wagen.

Als sie dort in die tränenden Augen des Mädchens blickte, tätschelte
sie ihm die Wange. „Armes Hascherl, du,“ sagte sie, „mußt dich deswegen
nicht gleich so kränken! Es war kein leeres Reden von mir, ich komme
schon wieder, denn das Hinauswerfen fürcht’ ich kein klein bißchen.
Aber ich bitt’ dich, sei auch du gescheit und laß nicht nach zu fragen,
warum ihr euch nicht haben sollt, du und der Florian. Behüt dich Gott,
lieb’ Herz!“

Der Wagen rollte davon.

Drinnen in der Stube rang die Bäuerin die Hände. „Nun will es an das
Licht,“ jammerte sie, „es will an das Licht und wird sich nicht länger
verschweigen lassen!“

„Warum nicht?“ sagte der Bauer. „Jetzt schickt sich Zeit und
Gelegenheit, daß man die Dirne aus dem Hause bringt. Ich steh’ für sie
ein, daß man sie nun ohne Gefährd’ nach der Stadt in einen Dienst gehen
lassen kann, und für die Ausred’, warum sie weg muß, ist gesorgt; eben
die Liebschaft will uns nicht taugen und die jungen Leute müssen sich
aus dem Gesicht.“

„Das wäre schon recht, Joseph. Aber bedenk, bevor sich das ins Werk
richten läßt, werden die Leute sich dareinmischen und herumfragen, und
wenn es der Dirn’ selber keine Ruhe gibt und sie fragt, -- sie fragt
etwa dich selbst ...?“

„Ich möcht’ das nicht,“ murmelte scheu der Bauer, „ihr ins Gesicht
komme ich mit Lügen nicht auf und fremder Sünd’ willen werd’ ich mir
doch an keiner Betrübnis schuld geben! Ich verhoff’ nicht, daß sie
fragen wird. Nein, ich verhoff’ nicht.“

Er kehrte sich ab und ging.

Die Bäuerin saß allein und starrte vor sich hin. Sie fühlte sich
verlassen und doch war ihr, als wäre die ganze Stube übervoll, als
hielte es alle frische Luft von außen ab, daß ihrer gepreßten Brust
kein freier Atemzug möglich war, als drängte es sich an sie heran, daß
sie sich nicht vom Stuhle zu erheben vermochte, als bannte es sie hier
fest, daß sie nicht dem Geringsten von all dem, was nun kommen wird
und muß, aus dem Wege gehen konnte. Und wenn dieser Bann andauerte,
wenn sie gewärtig sein sollte, daß durch jene Tür Schande auf Schande,
Jammer um Jammer hereintreten und sie betreffen würden, hier inner
diesen Wänden, deren Steine gegen sie zeugen konnten, -- -- dann
flüchteten wohl ihre Gedanken in das Weite und das Elend trifft sie
wohl heim, aber nimmer bei sich!

Da schritt etwas heran -- -- --

Sie erkannte den leichten, federnden Tritt. Sie atmete schwer und blieb
regungslos sitzen.

Die Tür ward etwas aufgerückt, jetzt blickte wohl das Mädchen nach ihr
und zog sich zurück, da es sie eingeschlafen glaubte.

Und sie sah nicht auf -- sie sah nicht auf. Was kommt zwischen heut und
morgen und trifft zu tiefst? Sie wußte es nun und sie sagte sich’s:

„Du kannst vor deinem Kinde nimmer die Augen aufheben!“

Und da schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte bitterlich. Der
Bann war gebrochen, das Herz wohl mit, aber die Denkkraft war gerettet!

In der Stadt sollen viele umhergehen, die auf solche Art klug
geblieben, ja wohl gar klüger geworden sind, recht ansehnliche Leute!
Ja, die Bäuerin war schier vornehm, gewiß aber elend geworden!

       *       *       *       *       *

Die Müllerin war daheim angelangt. Sie versuchte zu lächeln, als sie
zu ihrem herbeieilenden Sohne sprach: „Ein bißchen mußt du dich schon
noch gedulden, so fleißig ich auch gewesen bin, so hab’ ich doch die
Antwort halb fertig drüben liegen lassen müssen. Morgen fördere ich es
schon weiter!“ Den Müller aber nahm sie beiseite. „Du, Vater, vor dem
Flori mag ich gar nicht davon reden, aber das sind dir ganz närrische
Leute, hätt’ ich ihre Dirn’ als Gespons für den Gottseibeiuns verlangt,
ärger hätten sie es auch nicht aufnehmen können.“

„Ich hab’ es ja gesagt.“

Er hätte wohl auch gerne gewußt, was die andern gesagt haben, aber er
hatte Scheu zu fragen und Furcht gefragt zu werden.

Er kramte unter den Papieren auf seinem Schreibtische, er vertiefte
sich darein und hatte zu rechnen.

Die Müllerin verließ kopfschüttelnd die Stube, sie wollte nach ihrem
Sohne sehen, den Burschen aber hatte dasselbe Gefühl, von dem sie jetzt
befallen wurde, nicht mehr an Ort und Stelle gelitten.

Er merkte wohl, daß ihr das Lachen nicht vom Herzen kam, und daß sie
ihm nicht Rede stehen wollte. Als sie von ihm gegangen war, überkam ihn
eine Unruhe.

„Da ist nicht alles richtig!“

Das sagte er und ging vom Hofe hinweg hinaus in das Freie. Ihn
verlangte, von einer Höhe herabzusehen nach der Mühle, im Hause
meistert einen die Sorge, vielleicht sieht er auch die klein unter
sich liegen, wenn er da oben ein groß’ Stück der lieben, weiten Welt
vor sich hat und sich in ihr fühlt! Vielleicht geht er durch das
Tannenwäldchen und kehrt damit der Mühle und aller Sorge den Rücken,
fände er da drüben ...

Vielleicht!



11.


Reindorfer war, nachdem er die Stube verlassen hatte, nach dem Garten
gegangen. Da saß er in der Laube, in der er vor achtzehn Jahren
gesessen hatte.

„Es ist mir herzleid um die Dirn’,“ sagte er, „und wenn ich die Alte
betrachte und seh’, daß sie hinfälliger ist wie ich, da mag ich mich
wohl über die Zeit hinaus denken, wo ich ihr anders hab’ gut sein
können, als irgend wem auf Gottes Erdboden; sie hat wenig Gutes gehabt
auf der Welt, und da überkommt es manchmal den Menschen, daß er glaubt,
er möcht’ sich einmal am Unerlaubten schadlos halten und es kommt ihm
dann in schwerer Folge heim. Freilich wär’ besser gewesen, ich hätte
das Kind aus dem Hause geben können, aber die Leute hätte das wohl groß
wundergenommen und der rechte Grund war nicht auszusagen. Viel weiter
als das liebe Vieh hat es der Mensch auch nicht gebracht, nur daß er
sich schämen tut, das hat er voraus. So ist sie im Hause verblieben
und jetzt wird doch des Verwunderns kein Ende sein, daß man sie dem
Burschen nicht gibt! Und man kann doch Geschwister nicht zusammengeben,
selbst beim Tier tut das kein gut, der Stamm geht zurück, wie jeder
Züchter weiß, und daher ist wohl dem Menschen die Scheu davor gekommen,
denn was wider den Zweck geht, das schreckt ihn; das hat er aber auch
nur vom Aufmerken und nicht aus sich, denn in allem da rundum ist doch
mehr Vernunft, als wir selber in unser Leben hineintun können.“

Er war aufgestanden und schritt jetzt zwischen den Bäumen dahin.

„Ich wollt’, der Mensch müßt’ sich lieber über seine Schuftereien
schämen als über seine Schwachheiten, so würde er nicht so oft aus
Scham über seine Schwäche zum Schuft. Der sackermentische Müller hätte
doch auch dazutun können, daß es nicht dahinkommt, wo sich alle Fäden
bis zum Zerreißen spannen. Und jetzt sitzen alle, die mitgesponnen
und nicht mitgesponnen haben, im Netz und können sich anfallen wie
Geziefer.“

Er stand eben vor einem Aste, an dem ein Spinnennetz zerflatterte, in
dessen Mitte die Eignerin mit einer eingedrungenen Spinne erbittert
kämpfte.

„Das kneipt und zwackt sich untereinander nach seiner Art.“

Er setzte seinen Weg fort.

„Hätt’ es damit nur auch ein Absehen auf ein Ende, wär’ recht! Besser
als aller Anfang und Verlauf ist immer das Ende, weil es das End’ ist,
man hat die Sache fertig vor sich, weiß doch, was an ihr ist und nimmt
sich Beispiel und Warnung daraus; aber im Unfertigen steckt man selber
mitten darin, merkt, daß man mitläuft, aber nicht woher und wohin. Es
ist nichts anders, als hätte das Unheil die Zeit über gerastet und
nähm’ jetzt einen neuen Anlauf, oder nun verkriecht sich der eine,
die andere hebt großen Jammer an, zwei wissen gar nicht, wie ihnen
geschieht, und ich selbst weiß mich nicht aus, hab’ ich bisher auch
recht getan oder nicht? Ich hab’ doch getan, was ich hab’ tun können
und dürfen, und seh’, bei aller Vorsicht und guten Meinung hab’ ich
nicht mehr gerichtet als die andern, die sich ferngehalten und die
Sache haben wachsen lassen, so breit und so hoch sie werden will. Es
hat wohl so kommen sollen! Was man auch vorkehrt, es hilft nichts, wenn
etwas kommen will! Und so wird auch Gott wissen, wo das hinaus soll,
ich bin noch blind dafür!“

Er kam wieder an dem Aste vorüber, an welchem das Spinnennetz jetzt
leer und verlassen hing.

„Schau, da war keine stark genug, die andere aufzufressen. Beide liegen
wohl da unten im Kraut elendiglich zerbissen. Geschieht euch recht!
Fangt Mücken, wie euer Geschäft ist und haltet Fried’ untereinander.
Daß sich dazu nicht Vieh noch Mensch verstehen mag! Wenn mir der Müller
noch einmal sein Weib herüberschickt, dann lass’ ich ihm doch einen
andern Gruß sagen.“

Da knisterte der Kies. Der Bauer wandte sich nach dem Geräusche um und
Magdalena stand vor ihm. Er zog die Stirne in tiefe Falten.

„Was willst du da?“

„Mit dir will ich reden, Vater.“

„Mag sein. Aber ich hab’ weder Lust aufzuhorchen, noch Antwort zu
geben.“

„O, tu mich nicht wegjagen, steh mir Red’. Ich meine es ja so ehrlich
gegen dich, mußt gegen mich nicht falsch sein! Schau, die Müllerin
glaubt, wenn sie dich überläuft und fragt und beredet, und beredet
und fragt, sie würd’ es doch richten, auch mich hat sie dazu anlernen
wollen, aber ich kenn’ dich besser. Ich hab’ mir ein Herz genommen und
heut, jetzt zur Stund’, will ich mit dir reden, einmal für allemal! Ich
weiß, du hast einen Grund, daß du nein sagst, ich weiß es ganz bestimmt
und ich fürcht’ ihn, denn um ein Geringes tust du nicht so, wegen einer
Kleinigkeit hättest du tausend Vorwänd’ gefunden und weil du keinen
einzigen vorgebracht hast, so ist es nur um so schlimmer. Aber wissen
muß ich, warum du so handelst, denn es hängt mein Lebensglück daran,
und wer mir das verweigern will, der muß doch nach Recht und Billigkeit
mich überzeugen, daß, was ihn zwingt, auch für mich nicht zu ändern
steht! Dich kann ja schrecken, was mich nicht schreckt. Du kannst ja
falsch denken, wo ich wahr weiß! Also sag mir, warum du nein sagst,
sag mir, warum ich den Florian nicht haben soll.“

Der Bauer seufzte tief auf. „Du tust mir erbarmen, aber, so wahr Gott
im Himmel lebt, es steckt keine Eigensinnigkeit dahinter, glaub mir,
den mußt du dir aus dem Sinn schlagen.“

„Warum, nur sag warum?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht, kann nicht, Dirn’!“

„Vater,“ rief sie bittend.

Der Bauer schöpfte tief Atem.

„Du mußt es mir sagen,“ sagte sie leidenschaftlich, „du kannst über
mich schalten, das ist richtig, aber ich kenn’ dich, du wirst nicht
wollen, daß ich denk’, du tuest unrecht an mir! Dir, gerade dir, trau’
ich zu, selbst wo du hart bist, daß du hart sein mußt, und weil ich das
tu, und weil ich alt genug bin, daß ich dich begreif’ und versteh’, so
sag mir auch deinen Grund, es ist ja kein Fremdes, das danach fragt,
ich bin ja doch dein Kind!“

„Wenn du mein Kind wärst,“ stammelte der Bauer mit feuchten Augen,
„dann wär’ eh’ alles gut!“

„Ich bin doch nicht angenommen?“

„Nein, -- du bist deiner Mutter Kind.“

„Das deine nicht? Heiliger Herrgott im Himmel! Du willst doch nicht
sagen, daß sich meine Mutter versündigt hat?“

Der Bauer sah ihr starr in das Gesicht.

„Jesus, Maria! So bin ich wider Recht auf der Welt!“

Sie warf sich über die Bank in der Laube. Reindorfer trat hinzu, und
sie schluchzte an seiner Brust, ihr ganzer Körper schütterte und wand
sich, und immer begann sie aufs neue und sagte dazwischen: „Sei nicht
bös, -- o, sei nur nicht bös!“ Der alte Mann aber streichelte mit
beiden zitternden Händen ihre nassen Wangen und seine Tränen fielen auf
ihr reiches Haar.

Plötzlich unterdrückte sie das Schluchzen, schob den Bauer einen
Schritt von sich und sah ihm groß in die Augen. „Ja, wie ist denn
das,“ sagte sie, „und wie paßt das zusammen, du hast es mich doch nie
verspüren lassen; du tust es wohl auch jetzt nicht, nur um mich zu
kränken; warum verweigerst du mich dem Florian?“

Dem Bauer war der helle Schweiß auf die Stirne getreten, er wischte mit
dem Ärmel darüber. „Es ist schon allzuviel gesagt, schon zu viel, laß
es gut sein, frag nicht weiter!“

„Da ich das eine weiß, gib mir das andere auch. Noch hast du mich in
deiner Hand und kannst mich leiten. Verlaß mich nicht in so schwerer
Stund’, wo ich nicht weiß, wo hinzu ich mich wenden soll. Tu es nicht,
laß in mir keine Gedanken aufkommen; wenn du mich überweisen kannst,
red, eh’s zu spät ist! Noch frag’ ich, warum nicht sein kann und darf,
was wider deinen Willen wär’, sag es, sonst möcht’ ich mir etwa den
meinen nehmen, und dann nicht weiter danach fragen, was Gott und die
Welt davon halten!“

„Jesus! Dirn’, Dirn’, red nicht so unbeschaffen, das ist nicht
christlich, das ist heidnisch Wesen!“

„Sag das andere!“

„Das andere, mein Jesus, ja, das andere. Wie soll ich dir das sagen?
Ich darf es nicht zugeben und es kann nicht sein, -- mußt nicht
erschrecken, -- aber du und der Florian habt +einen+ Vater!“

Das Mädchen zuckte zusammen, es war bleich geworden bis in die Lippen,
starrte eine Weile schweigend vor sich hin, drückte dann dem alten
Manne die Hände und sagte leise: „Wohl, du hast recht, du denkst
allzeit ehrenhaft und der Sache nach. Ich dank’ dir!“

„Leni, Leni,“ rief der Alte. „Tu nicht so wirr’, weine lieber noch
einmal, ich mag dir ja dabei helfen. Geh, wein’ lieber noch einmal!“

„Nein,“ sagte Magdalena; sie strich sich langsam über die Stirne, und
dann eilte sie rasch davon.

„Sei gescheit, mein Dirndl, sei gescheit,“ rief Reindorfer, er
stolperte ein paar Schritte, die Kniee zitterten ihm und er gab es auf,
sie einzuholen. Jetzt fühlte er seine Siebzig, und die Angst, welche
ihn bei seiner Hinfälligkeit, des Mädchens wegen, überkam, ließ ihn gar
wohl merken, wie lieb er dasselbe gewonnen hatte.

„Es dürft’ mein eigenes Kind sein,“ sagte er unwillig. Er schritt aus
dem Garten, er spürte im Hofe umher. Das Tor nach der Straße stand
offen. Er trat hinaus.

„Soll ihr nur nichts Übles beifallen oder zustoßen,“ murmelte er.

       *       *       *       *       *

Dort oben beim Tannenwäldchen saß Florian auf dem weichen Rasen und sah
herunter nach dem Reindorferhofe.

Der Mond ging eben auf. Es schien eine Nacht anzubrechen, so schön
wie andere waren. Wer es nur hätte acht haben wollen! Aber es war
schwül geblieben und vom Wetterwinkel zogen schwere Wolken heran, eine
erwartungsvolle Stille lag über der Natur. Der Bursche merkte auch
darauf nicht.

Plötzlich bebte er zusammen, -- jemand kam den Steig herauf. Er wagte
kaum seinen Augen zu trauen. Er erhob sich. Es ward ihm freudig
zumute, was er zagend gehofft hatte, das erfüllte sich, das Mädchen
kam; aber er sah ihr bald bange entgegen, das war nicht liebende Eile,
in der sie heranflog, das war ein angstvolles Heranhasten, mit dem
sie sich die Höhe hinanarbeitete, er hörte ihre schweren Atemzüge,
sie stand vor ihm, und aus leichenblassem Gesichte starrten ihn zwei
brennende Augen an.

Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

Sie lächelte trübe. „Magst mir die Hand schon geben,“ sagte sie. Er
faßte die angebotene Rechte, sie war kalt, und lag wie tot in der
seinen.

„Ich weiß nun, warum wir nicht zusammen sollen, noch dürfen,“ sagte sie
tonlos. „Auch du hast ein Recht, es zu wissen. Ich bin ein Schandfleck
auf meiner Mutter Weiberehr’ und nicht des Bauers Kind.“

„Heilige Mutter Anna! -- Aber warum tust du dir das zuleid’ und sagst
es mir, was bekümmert das mich?“

Da faßte sie ihn leidenschaftlich an den beiden Schultern, und am
ganzen Leibe erzitternd, rüttelte sie ihn mit.

„Du bist mein Bruder!“

Er schrie vor Schrecken auf und stieß sie angstvoll von sich. Ihm war,
als blickte ihm sein eigenes glanzloses Auge entgegen, als er dem ihren
begegnete. Es durchschauerte ihn, als er sie vor sich stehen sah, ihm
so ähnlich und so nah verwandt.

Aber noch einmal, das letztemal, wollte er seine Augen auf sie wenden
und sie daraufhin ansehen, was sie ihm gewesen, da aber übermannte es
ihn, er warf sich auf den Rasen und weinte laut.

Magdalena war an seiner Seite niedergekniet und legte sanft die Hand
auf seinen Arm. „Flori,“ sagte sie, „weine nur recht; ich wollte,
es wäre mir gegeben, daß ich es da auch könnte. Tu dich nur recht
ausweinen, es wird dir leichter werden. Und dann sei gescheit, sei mein
braver, lieber Bruder!“

Er richtete sich auf. „Sorg nicht wegen mir. Ich denk’, um mich wird
bald alle Sorge übel aufgewendet sein. Nur dich gesegne und behüte
unser Herrgott für immer und allzeit, dich -- wie ich nun zu dir sagen
muß -- meine Schwester.“ Er zog sie an sich, und die Lippen beider
zuckten in scheuer, flüchtiger Berührung aneinander.

„Leb wohl!“

Er schritt rasch hinweg und trat in das Walddunkel.

„Leb wohl!“

Sie wandte sich ab und ging langsam nach dem Gehöfte.

Plötzlich krallte sich etwas in ihren Rock ein, es war der Weißdorn,
sie blieb stehen und löste ihr Gewand von den Dornen los, sie sah, der
Strauch war abgeblüht, und sagte: „Ist deine schöne Zeit auch schon
vorüber? Gelt ja, das ist uns beiden schnell gekommen? Hältst mich
deswegen zurück und möchtest mich gern trösten? Halt ja, dir muß so weh
sein um deine Blüh wie einem Menschen um sein Glück. Wir sind schon
recht arm, wir allzwei!“

Sie ließ, wie schmeichelnd, einen Zweig durch ihre hohle Hand gleiten
und dann ging sie weiter.

       *       *       *       *       *

„Wo bleibst du denn?“ sagte die Müllerin, als Florian in die Küche
trat. „Und, mein Jesus, wie du aussiehst!“

Er hatte das Halstuch gelöst, die Haare hingen ihm wirr in das bleiche
Gesicht.

„Wie ich ausseh’? Mich nähm’ wunder, ich schaute anders aus! Ich hab’
den Vater etwas zu fragen. Komm nur mit herein, du darfst es wohl auch
hören.“

Sie traten beide in die Stube.

„Kommst endlich heim?“ sagte der Müller.

„Ja, und ganz anders komm’ ich heim, als ich ausgegangen war. Nun meine
ich schon selber, daß ich die Reindorfer Magdalen’ in alle Ewigkeit
nicht kriegen kann. Aber ich geh’ gern sicher, und darum frag’ ich
dich, ob du auch darum gewußt hast, daß sie meine Schwester ist?“

Der Müller senkte den Kopf tief, tief bis auf die Brust.

„O du mein Herr und Heiland,“ rief die Müllerin und richtete ihre
feuchten Augen auf den Sohn, „darum sehen sie einander so gleich! Ich
war immer in Furcht wegen deinem verbuhlten, gottuneingedenken Wesen.
Nun kommt das davon!“

Da fuhr der Müller wild empor. „Was kommt davon? Ich denk’, es kann nun
nichts mehr kommen, und damit ist nun alles vorbei und vorüber. Laßt
mich zufrieden mit langvergessenen Geschichten, redet mir kein Wort
weiter, keines von euch beiden, sonst verschaffe ich mir Ruhe!“

„Mußt nicht so herumschreien, Vater,“ sagte der Bursche, „du würdest
doch nur die Mutter einschüchtern, nicht mich, wenn mir um Streit zu
tun wäre. Ich hab’ aber nur in Güte angefragt und, wie ich denk’, meine
Antwort bekommen. Ich merk’ schon, es geht höllenmäßig christlich auf
der Welt zu, und wir alle -- wie der Pfarrer sagt -- sind Geschwister;
so oder so! Und weil mir’s mit einer Schwester so traurig ergangen ist,
so werd’ ich mich halt zu den lustigen Brüdern halten. Meinst nicht
auch?“

Die Müllerin saß abseit und drückte ihr Tuch vor die Augen, der Müller
sah sprachlos zu seinem Sohne auf.

Der aber sagte kurz: „Gute Nacht miteinander!“ und ging aus der Stube.

Die Müllerin erhob sich, um ihm nachzufolgen, aber ihr Mann vertrat
ihr den Weg. „Lois,“ sagte er, „geh nicht du auch noch fort von mir,
du weißt nicht, wie mir ist. Laß mich jetzt nicht allein, bleib da, du
warst immer um mich, wenn mir hart geschehen ist, laß auch jetzt mit
dir reden. Ich meine doch, der Jung’ wird noch Vernunft annehmen?“

„Ich weiß nicht,“ sagte sie weinend.

„Ihm steht das wilde Reden gar nicht an. Ich merk’ wohl, es tät’ ihm
auch kein gut, wenn er anders werden möcht’. Gelt, du meinst selber,
daß er nicht anders wird? Daß er uns verbleibt wie er ist?“

„Ich weiß nicht.“

Und nun saßen sie schweigend nebeneinander, und wenn von Zeit zu Zeit
das Weib aufseufzte, dann streichelte der Mann begütigend ihre Hände,
als könnte er sich zugleich mit ihr beruhigen.

So saßen sie lange, dann erhoben sich beide zu gleicher Zeit, um ihr
Lager aufzusuchen.

Die Mutter schlich vorher noch nach der Kammer ihres Sohnes und
lauschte an der Tür, sie hörte laute und regelmäßige Atemzüge; sie war
es zufrieden, ihn im Hause zu wissen, denn an seinen Schlaf glaubte sie
nicht; er hatte sie wohl herankommen gehört und wollte nicht, daß sie
klopfe oder ihn anrufe. Auch den Müller fand sie, als sie zurückkehrte,
wie schlafend liegen. Sie alle zogen es vor zu schweigen, sie hatten
keine Gedanken zu tauschen, ohne fürchten zu müssen, für das Arge nur
Ärgeres zu bieten oder zu empfangen.

Und als in der Mühle und im Gehöfte Reindorfers die Lichter erloschen
waren, und als sie alle schlaflos in ihren Betten lagen, da zuckte es
in greller Lohe am Himmel auf und das Gewitter brach grollend über der
Gegend los, und es war eines jeden selbsteigene Sache, ob er dabei an
die Donner des Gerichtes oder an den befruchtenden Regen dachte.



12.


Am darauffolgenden Tage frühmorgens erhob sich Magdalena von ihrem
Lager, und ohne dabei einen Blick hinüber nach dem Bette der Mutter zu
tun, schlich sie sich leise aus der Stube.

Die Bäuerin stöhnte tief auf, als sie gegangen war.

Das Mädchen trat in den Hof, die bleichen Wangen und die Ringe um die
Augen verrieten, daß es eine schlaflose Nacht gehabt.

Leopold ging eben mit einem Wasserzuber zum Brunnen, er blieb stehen,
als er sie herankommen sah. „Dich läßt der Alte auch nicht heiraten,
hab’ ich gehört.“

„Du hast recht gehört. Er hat wohl eben einen so guten Grund dazu wie
bei dir.“

„Ei, schwätz, wenn er keinen bessern hat, so taugt er nicht viel. Nun,
ihr habt noch immer leichter warten als unsereiner. Was machen euch ein
paar Jahre auf oder ab? Und gar lang kann es ja doch nimmer dauern.“

Er war unterdem an den Brunnen getreten, hatte das Gefäß auf den
Brunnentrog gestellt und dabei dem Mädchen den Rücken zugekehrt, als er
sich jetzt umsah, schloß dasselbe gerade das Gartengatter hinter sich.

„Schau, bin ich dir vielleicht zu gering? Das dürft’ dich doch noch
gereuen, stolze Gretl!“ Er griff nach der Brunnenstange und zog heftig
daran, jeden Zug begleitete ein Schimpfname oder eine Ehrenrührigkeit,
welche er sämtlich in aufrichtigster Mißachtung seiner Schwester
widmete. Der Eimer war früher voll geworden, ehe er sich erleichtert
fühlte, und so schalt und schimpfte er auf dem Wege nach dem Stalle
fort; dort hatte er zwei Pferde zu betreuen, die eine Stute hatte in
ihrer Jugend dem Vaterlande gedient und sich daher eine etwas strammere
Haltung bewahrt, das fiel dem jungen Reindorfer eben jetzt unangenehm
auf, er versetzte dem Tiere einen Tritt. „Stolze Gretl,“ sagte er. Das
Pferd schnaubte und spitzte die Ohren. Klangen ihm aus vergangenen,
besseren Tagen Trompetenklänge durch die Seele, die zu ruhmreichem
Streite oder zur sorglichen Fütterung riefen? Wer weiß es?

Magdalena fand den alten Reindorfer an dem Platze, wo sie gestern von
ihm gegangen.

Der nächtliche Gewitterregen hatte die Rebenblätter erfrischt, und sie
standen in frischem Grün aufrecht an den schlanken Stielen, einzelne
Ranken hingen aus dem dichten Blätterdache hernieder, unter welchem
der alte Mann saß; als er die Dirne herankommen hörte, blickte er auf,
es ließ sich an seinem Wesen weder eine Ermüdung noch eine Änderung
vermerken, er zeigte sich wieder ganz wie sonst.

Magdalena setzte sich ihm gegenüber, sie spreizte die Finger der
rechten Hand an der Bank auf, drückte manchmal mit dem vollen, runden
Arm dagegen und sah schweigend eine Weile vor sich nieder. Dann wendete
sie sich nach dem Alten. „Ich hätte etwas zu sagen.“

„Red’.“

„Mußt aber nicht bös sein, wenn ich dich dabei gleichwohl ein oder das
andere Mal Vater nenn’, ich bin es so gewöhnt; sollt’ ich zu dir Bauer
sagen, es geschähe mir hart und das Reden käm’ mich schwerer an.“

„Dasselbe müßt’ sowieso sein, der Leute wegen, und dann mag ich von dir
schon leiden, daß du Vater sagst.“

„Ich kann nimmer dableiben.“

„Das sollst du auch nicht.“

„Ich mag euch nimmer unter den Augen herumlaufen und anderen noch
weniger.“

„Hast ganz recht, du mußt fort, je weiter, je besser. Hab’ schon darauf
Bedacht genommen. Ich denk’, du gehst halt nach der Stadt und suchst
dir einen Dienst.“

„So war mein eigen Vornehmen.“

„In der Kreisstadt, von wo die Eisenbahn geht, wohnt mein Bruder, der
Schullehrer gewesen ist, ich möcht’, daß du früher bei ihm einsprichst,
vielleicht kann er dir ein wenig an die Hand gehen, und du brauchst
auch nicht Tag und Nacht über in einem Stück zu reisen.“

„So schreib mir nur gleich den Brief, Vater.“

„Gleich? Wohin denkst denn? Eine Reis’ allweg vom Hause in die Welt, um
Brot zu suchen, die tut man nicht so über Hast. Dann schickt sich auch
keine Gelegenheit, ich brauche die Pferde in der Wirtschaft und kann
dich nicht einen halben Tag lang fahren. Ich hör’, der Kleehuber fährt
in acht Tagen nach der Kreisstadt, der nimmt dich wohl gegen ein gut
Wort mit.“

„Acht Tage vermöcht’ ich nimmer da zu bleiben. Wozu soll noch eine
ganze Woche eines dem andern in Scheu, Bangigkeit und Herzweh aus dem
Wege schleichen, und sich dann wieder vor Leuten zu verlogenem Wesen
zwingen? Besser ich geh’ gleich, heute noch. Heut ist Kirchweih,
da hat kein Mensch darauf acht und mengt sich niemand ein, später,
wenn sie nachfragen, bin ich eben nimmer da. Sorg dich nicht um mich,
Vater, ich schick’ mich schon darein und werd’ mich schon auswissen;
fleißige Hände finden immer ehrlich Brot, und rechtschaffenes Wesen
eine freundliche Aufnahme, so ist mir nicht bange, wie ich durch die
Welt komme. Was die Gelegenheit anlangt, so brauch’ ich gar keine,
ich bin gut zu Fuß, mein Bündel ist bald geschnürt und leicht zu
tragen, in einer Stunde kann ich von da weggehen und bin abends in der
Kreisstadt, da übernachte ich bei deinem Bruder, dem Herrn Lehrer, und
die Eisenbahn fährt morgen, wie alle Tage, ihren Weg.“

„Du denkst noch heute fortzugehen?“ Die Stimme des alten Mannes klang
etwas unsicher, als er das fragte.

„Ja, Vater. Sag selber, denk’ ich nicht recht?“

„Ich vermöcht’ dir nicht nein zu sagen. Es wird schier völlig das
Gescheiteste sein, wie du meinst. Nun, so richt halt in Gottesnamen
deine Sach’ zurecht. Vergiß den Taufschein und das Impfzeugnis nicht,
denn in der Stadt drinnen, hab’ ich mir sagen lassen, muß sich jedes
siebenfach ausweisen, daß es einmal auf der Welt ist; solltest du sonst
noch was von Papieren brauchen, so schreib, daß wir dir’s besorgen und
schicken mögen.“ -- Er erhob sich. -- „Ich geh’ jetzt deinen Brief
schreiben.“ Er hatte es vermieden, das Mädchen anzusehen und so ging er
jetzt mit gesenktem Haupte langsam von ihr hinweg.

Und als sie nun allein verblieb und den Blick nach der Stelle richtete,
wo der alte Mann gesessen hatte, und aufhorchte, wie das Geräusch
seiner Tritte nach und nach erstarb, da war ihr, als ginge er nun
fort und fort, weiter und immer weiter von ihr hinweg, als wäre nicht
nur da in der Laube ein leerer Platz, sondern auch in ihren kommenden
Tagen eine Lücke, wo sie nie mehr so den ehrlich gemeinten Rat in der
liebgewonnenen Weise zur Hand haben wird. Sie stand rasch auf und ging
ihr Bündel schnüren.

Sie trat in die Stube, öffnete ihren Schrank, begann ihre Kleider
herauszunehmen und legte sie auf einen Stuhl.

Die Bäuerin, welche mit einem Strickzeug in der Ecke saß, sah erst
diesem Beginnen verwundert zu, dann erhob sie sich, legte die Arbeit
hinter sich auf den Sitz zurück und trat mit fragendem Blick an das
Mädchen heran.

„Ich muß dich bitten, Mutter,“ sagte Magdalena, „daß du so gut bist
und mir von den Sachen herausgibst, was mein gehören soll und was ich
mitnehmen darf.“

„Du gehst fort?“

„Ja, Mutter.“

Die Bäuerin trat zu dem Wäscheschrank, schloß auf, kramte mit
zitternden Händen Stück für Stück hervor und zählte sie der Tochter hin.

Als sie damit fertig war, ging sie eilig nach der Küche, dort stand
sie, hielt ihr Fürtuch an das Gesicht und sah mit unterdrücktem Weinen
durch die halboffene Türe nach der drallen Gestalt des Mädchens, das
zierlich und flink sich umtat, seine geringe Habe in ein großes Tuch zu
verpacken.

Sie war bald damit zustande gekommen, hing das Bündel über ihren Arm
und ging aus der Stube.

In der Küche stand die alte Reindorferin und blickte wie verloren vor
sich nieder.

„Ich geh’ jetzt, Mutter. Behüt dich Gott und bleib recht gesund.“

Das alte Weib schluchzte laut, es drängte sie, sich an die Brust
ihres Kindes zu werfen, aber sie hielt etwas in der festgeschlossenen
Rechten, das mochte sie wohl behindern, sie faßte nach den Händen
Magdalenas und steckte ihr ein Päckchen zu, jahredurch aufgesparte
Pfennige zur Wegzehrung, und jetzt hatte sie beide Arme frei, aber sie
blieb unbeweglich vor dem Mädchen stehen.

„Behüt dich Gott, und was ich dir sagen muß, bleib brav! Leni, um alles
in der Welt, bleib brav!“ Sie weinte neuerdings. Das Mädchen hielt sie
scheu an den zuckenden Händen, küßte sie flüchtig auf die tränenden
Wangen und ging.

Keines von beiden, wie ihnen auch um die Seele sein mochte, blickte
auf. Hättet ihr doch die Augen aufgehoben, ihr wäret euch in die Arme
gesunken, ihr hättet eines an dem Herzen des andern geweint, ihr hättet
euch nicht der Liebkosung geweigert, die ja doch die letzte -- die
letzte gewesen wäre!

Seltsame Menschen! Glaubt ihr nur darum an einen Gott des Erbarmens,
damit ihr alle Milde und alles Mitleid ihm allein anheimgeben könnt?
Hofft ihr nur darum auf ein Reich des Trostes und der Gnade, damit ihr
jedes verlangende Sehnen und jede weinende Bitte dahin verweisen könnt?
Warum vermögt ihr nicht milde zu sein einer gegen den andern und Herz
zu fassen eines zu dem andern, warum nicht? Haß, so groß und gewaltig
er sein mag, zeigt ihr offen, -- Liebe, so klein und gering sie sein
mag, verbergt ihr scheu! O, wie ihr euch doch wehe tun mögt, seltsame
Menschen!

Als Magdalena tief aufatmend im Hofe stand, sah sie im Garten
Reindorfer auf die Laube zuschreiten. Bevor sie ihn dort aufsuchen
mochte, trat sie an die Stalltür. „Leopold,“ rief sie hinein, „ich
geh’ vom Ort, ich such’ mir in der Stadt einen Dienst.“

Der Angeredete kam heraus zu ihr. „So, fort gehst du? Hast eigentlich
recht. Wenn man es über das Herz bringt, so ist es ungleich besser, man
schlägt sich derlei gleich ganz aus dem Sinn. Mein’ Seel’, ich möcht’
auch schon lieber auf und davon rennen, als daß ich es da ertrotzen
oder erpassen soll! Nun, viel Glück. Behüt dich Gott!“

„Schön’ Dank. Behüt dich Gott, Leopold!“

Er bot ihr die Hand und trat dann in den Stall zurück.

Nachdenklich, den Kopf auf beide Arme gestützt, saß Reindorfer, er
hatte vor sich ein Päckchen liegen, einen Brief und etliche Banknoten,
aber er kannte das flatterhafte Zeug zu gut, es lag ein schwerer Stein
darüber, damit der Wind nichts enttrage.

So fand ihn Magdalena.

Er erhob sich. „Bist schon fertig?“

„Ja, Vater.“

„Ist recht, ich auch.“ Er zog den Brief unter dem Steine hervor, besah
ihn noch einmal auf beiden Seiten, prüfte Aufschrift und Siegel, dann
reichte er ihn dem Mädchen. „Da ist der Brief, den ich dir an meinen
Bruder geschrieben habe.“

Magdalena nahm das Schreiben an sich und ließ es hinter ihrem
Busentuche verschwinden.

Reindorfer streifte mit der Linken den Stein seitwärts vom Tische,
legte die Rechte auf das Papiergeld, und indem er die Finger
auseinander spreitete, blätterte er die Scheine auf, daß der Betrag,
den sie ausmachten, dem Mädchen in die Augen fiel. „Hier hast du, was
die Reise kosten wird und noch etwas darüber, daß du ein paar Tage ohne
Verdienst aushalten kannst und nicht gleich auf ein unbillig’ Anbot
zugreifen mußt. Was du zu tun hast, um bei Ehr’ zu verbleiben, dir
Freunde zu schaffen und brav durch die Welt zu kommen, das weißt du,
denke ich: du brauchst nur nicht zu vergessen, was ich dir seinerzeit
darüber geredet habe. Und nun geh mit Gott!“

Magdalena wickelte die Banknoten um das Päckchen, das sie von der
Mutter erhalten hatte, und band das Ganze in einen Zipfel ihres
Sacktuches, sie steckte dieses nun bedächtig in den Rocksack.

„Ich bin gleich fertig,“ sprach sie, „aber etwas hätt’ ich noch zu
sagen. Es hätt’ dir niemand übelnehmen können, wenn du allzeit gegen
mich gewesen wärst, aber du hast mich nicht als klein aus dem Hause
gestoßen, du hast dir nie eine Unlust anmerken lassen gegen mich,
hast mir keine Freude verdorben und es mir allweil so gut geschehen
lassen, als es mir hat werden wollen, mehr noch, du hast mich streng
rechtschaffen vor aller Schlechtigkeit gewarnt und gewahrt, kein
Heiliger vom Himmel hätt’ anders sein können, wie du gegen mich warst.
Darum bet’ ich zu unserm Herrgott, er möcht’ mir meine höchste Freud’
geben und eine Zeit kommen lassen, wo ich dir nur zu zeigen vermöcht’,
wie ich dich in Ehr’ halt’, und dir vergelten könnt’, was die Mutter
übel an dir getan! Und da sei jetzt nicht bös, wenn ich dich ihretwegen
bitt’, wohl ist alles wieder aufgefrischt in deinem Herzen, aber schau,
kannst du so gerecht sein gegen mich, als den unschuldigen Teil, wirst
auch nachsichtig sein können gegen sie; damit ich ruhig fort vom Haus
gehen kann, sag mir, du wirst nicht hart sein gegen die Mutter!“

Reindorfer hatte aufgehorcht, als das Mädchen seine Fürbitte für die
Bäuerin anhob, im Verlaufe nickte er ein paarmal beistimmend mit dem
Kopfe. „Recht ist’s, recht ist’s,“ murmelte er dabei, dann sagte er
laut: „Ich werd’ mich nicht ändern gegen seither, daß es neu auflebt,
dafür kann sie ja nichts.“

„So vergelt’s Gott, Vater,“ sagte Magdalena, dann faßte sie ihn erregt
an beiden Händen. „Aber wenn ich auch nicht dein Kind bin, so laß mich
doch nicht in die Fremde gehen ohne deinen Segen, er möcht’ mir sonst
fehlen, denn gerad’ auf den deinen muß ja unser Herrgott was geben.“
Sie kniete vor ihm nieder.

Der Bauer legte ihr die Hände auf den Scheitel. „Ich segne dich,
Magdalen’, möge Gott, unser Herr, dich schützen und schirmen“ ... Hier
gerieten seine Hände in heftiges Zittern, sie rüttelten so arg das
Köpfchen, auf dem sie lagen, daß er sie hastig zurückzog.

Das Mädchen, das nicht wußte, wie ihm geschah, sah ihn bittend an und
hob die gefalteten Hände gegen ihn.

Da legte er noch einmal die seinen auf ihr blondes Haar. „Ich tu’ dich
ja segnen. Ich segne dich wie mein eigenes Kind -- wie mein eigenes
Kind!“

Der Ton klang eigen, wie nach verhaltenen Tränen, Magdalena erhob sich
und lag an seiner Brust. „Vater!“ schrie sie auf.

Reindorfer wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, er löste sanft
die Arme des Mädchens, die ihn um den Hals gefaßt hielten. „Nur
gescheit! mein Dirndl, nur gescheit! Und flink, Dirndl, flink, sonst
kommst heut doch nimmer an Ort und Stell’.“

„Nun, so behüt dich Gott, Vater. Und gelt, du hast mich halt doch gern?
Ich bitt’ dich um aller Heiligen willen, schau nur, daß du mir brav
gesund bleibst, und daß es dir gut geht. Und gelt, nachschauen darf
ich dir manchmal? Und schreiben auch? Bleib nur gesund, -- ich will
schon fleißig für dich beten!“

So waren beide Hand in Hand aus dem Garten und über den Hof gegangen,
der alte Mann hatte dabei dem Mädchen auf jede Frage nur wiederholt
freundlich zugenickt: jetzt standen sie vor dem Tore.

„Und jetzt ist es wohl ernst,“ sagte die Dirn’. „Ich werd’ dir
keine Sorge machen, Vater, mach’ mir auch keine. Behüt dich Gott
vieltausendmal, behüt dich Gott!“

Er aber lächelte sie an, legte ihr noch einmal die Hand auf den
Scheitel und nickte dazu, zum Reden konnte er keinen Atem finden. Sie
ging und sah oft zurück, und immer nickte er wieder und winkte mit der
Hand, und als er das Mädchen nicht mehr sah und die Rechte sinken ließ,
da fühlte er sich daran gefaßt und gehalten.

Die Bäuerin stand neben ihm.

„Sie ist fort,“ sagte sie weinend, „jetzt ist sie fort und wir allzwei
sind darüber alt geworden. O, tu du mich nur nicht ganz verlassen!“

Sie preßte seine Hand in der ihren, er hätte sie ihr entreißen können,
wenn er gewollt hätte, der Leute wegen brauchte er nicht an sich zu
halten, es war niemand weit und breit, der auf sie gesehen hätte. Er
sah nach ihr, wie sie gebrochen und scheu neben ihm stand und leise
gab er den Händedruck zurück. Es war das erstemal seit jenem Tage vor
achtzehn Jahren, daß sie wieder Hand in Hand nebeneinander standen.

Das Weib aber fühlte sich bis in das Innerste so krank und elend,
seit die Scham vor ihrem eigenen Kinde auf ihr lastete, daß sie ganz
wohl wußte, sie hatte von ihrem Manne nichts erbettelt, als Schonung
für ihre wenigen Tage, und in diesem Sinne sagte sie: „Ich dank’ dir,
Joseph, sei nur eine kleine Weile noch gut mit mir!“

       *       *       *       *       *

Während Magdalena im Garten mit dem alten Reindorfer sprach, war der
junge aus dem Stall gegangen, hatte sich sonntäglich gekleidet und
darauf den Hof verlassen, denn der Mensch, besonders wenn er ein
Bauernbursche ist, kann nie „zeitlich genug auf den Kirchtag gehen“.

Auf dem Wege nach dem Dorfe traf er den Müller Florian.

„Guten Morgen, Müllerbub’,“ rief er ihn an. „Gehst auch auf’n Kirchtag?“

„Ich schau’ hin,“ war die Antwort, „weil ich mir nichts Gescheiteres
weiß und nicht gern mit mir allein bin.“

„Hast recht. Ihr zwei, du und meine Schwester, seid nicht unkluge
Leut’. Das wirst aber doch nicht glauben, daß sie heut schon fort nach
der Stadt geht!“

Florian blickte auf, er war bleich geworden. „Heut schon?“

„Ja, heut. Es sollt’ mich wundern, wenn sie nicht schon mittlerweil’
hinter uns her auf dem Weg wär’!“

Da endete der mittlere Graben an der breiten Landstraße, links führte
diese durch das Dorf und rechts, an verschiedenen Ortschaften vorüber,
nach der Kreisstadt. Florian bog nach rechts ein.

„Wohin denn?“ rief Leopold.

„Geh nur voran, ich komm’ schon später nach.“

„Ich merk’, du willst die Leni abpassen: was hast du auch davon? Komm
doch lieber gleich mit!“

Der junge Müller aber schritt nur rascher den eingeschlagenen Weg
dahin.

Magdalena war gerade bis zu dem Busche gelangt, der ihr jetzt den
Anblick des Reindorferhofes entzog, wie er sie einst vor Blicken von
dort aus gesichert hatte.

Sie und ihren -- Bruder.

Sie brach einen Zweig und trug ihn spielend in der Hand.

Hatte sie nicht einst gehört -- von wem, das wußte sie sich wohl nicht
mehr zu erinnern --, daß unter den heidnischen Leuten Geschwister
zusammengeheiratet hätten, ja selbst Vater und Tochter, Mutter und
Sohn? Und wenn es auch Brauch im Lande war, was mußten das für
gottverlassene Leute sein! Ärger als die Tiere, die haben doch
kein Besinnen, woher sie stammen und brauchen sich nicht darüber
hinwegzusetzen, unter Menschen aber schließt gleiches Blut jede
Vertrautheit aus. Wie das nur einst möglich war? Und wäre es jetzt
noch vor Gott und der Welt verstattet, wer vermöchte es, dazu sich zu
verstehen?

„Gewiß, der Vater gäbe mir recht und könnte es nicht anders sagen!“

Bisher hatte sie keine lebende Seele auf ihrem Wege angetroffen und
noch lag derselbe, so weit sie blicken konnte, menschenleer vor ihr,
aber jetzt wurde es, ihr im Rücken, auf der Straße lebendig.

Sie horchte auf, noch ziemlich ferne fuhr ein Wagen, die
Daraufsitzenden sangen und die Luft wehte vor ihnen her und trug ihr
die Töne zu und ließ sie die Worte erraten.

Ein Bursche sang:

    „Der Wirt, der wirft heut aus sein’m Haus
    Gleich dutzendweis die Bub’n hinaus,
    Dirndel, willst ein’n haben, so lauf,
    Fang dir g’schwind ein’n auf!“

Und eine Dirn’ sang zurück:

    „Solche, die herausfall’n,
    Sind mir nicht recht,
    Sollt’ ich die Zech’ noch zahl’n,
    No, wär’ nicht schlecht!“

Magdalena ging in die Fremde, ihr Brot suchen, und die fuhren zur
Kirchweih, suchten ihre Freude und waren wieder mit dem Morgen heim.
Sie lächelte, weil die Leute so lustig waren. Unterdem war der Wagen
näher gekommen, schon ein paarmal glaubte sie sich beim Namen rufen
zu hören, aber sie sah nicht zurück; jetzt schrak sie zusammen, weil
plötzlich das Gefährt eilig hinter ihr herpolterte. Gewiß wollte man
sie einholen. Sie aber scheute jede Begegnung, und da sie eben am Ende
des Grabens angelangt war, so lief sie rasch eine Strecke Weges nach
rechts fort.

Als sie aufatmend stehen blieb und sich umsah, da hielt der Wagen am
Anfange des Ortes, ein Mädchen schwang sich flink herab und begann
rufend und winkend auf sie zuzueilen.

Es war die Kleehuber Franzl.

Magdalena wartete, bis sie herankam.

„Ja, sag mir nur, um alles in der Welt, Leni, was treibst du denn?
Ich schrei’ mich heiser, damit du uns abwartest, auf unseren Wagen
aufsitzest und mit uns zur Kirchweih fährst, aber du gibst kein Gehör
und auf die Letzt nimmst du gar Reißaus.“

Sie verstummte plötzlich und sah Magdalena bedenklich an, diese
streichelte ihr die vom Laufen hochgeröteten Wangen und sagte: „Wie du
mir’s gut vermeint hast! Also du hast gerufen, warst gewiß auch du es,
die gesungen hat auf dem Wagen?“

„Jesus, du falsches Ding, du,“ schrie die Franzl, „jetzt kenn’ ich mich
aus! Was machst du am Kirchtag auf der offenen Landstraß’ und mit
einem Bündel noch dazu? Fort gehst du vom Ort, auf, Gott weiß, wie lang
und sagst kein Wort. Geh zu, ich bin recht bös auf dich!“

„Warum denn auch willst bös sein? Schau, ich hab’ uns nur den Abschied
ersparen wollen. Von Zeit zu Zeit komm’ ich ja doch wieder und wir
sehen uns.“

„Wohin gehst denn?“

„In die Stadt.“

„Was machst denn dort?“

„In Dienst geh’ ich.“

„Du, dem Reindorfer seine Jüngste, die Einzige, die er noch im Haus
hat? Und deine Leut’, die schon alt sind und ihre Pflege brauchen, die
lassen dich gehen?“

„Das siehst ja. Laß dich jetzt nicht weiter aufhalten, Franzl, du
willst tanzen und ich muß gehen, wir dürfen allzwei dazuschauen, sonst
kommst du zu kurz und ich zu spät.“

„Ah, das dumme Hopsen hat Zeit, und wenn du es auch nicht verdient hast
um mich, so geleit’ ich dich doch ein Stück Weges.“

„So komm!“

Die beiden Mädchen hielten Schritt und gingen ziemlich rasch einher.

„Du, Leni,“ begann Franzl, „nimm es nicht für übel auf, aber sag, gelt
ja, du gehst wegen dem Müller Florian?“

„Mag schon sein.“

„Will dich dein Vater ihm nicht geben?“

„Nein.“

„Ist gewiß auch deine Mutter dagegen?“

„Freilich.“

„Das ist recht grauslich von deinen Eltern. Schau, wie so alte Leute
sind! Weil sie keinen Gefallen mehr aneinander finden und sich leicht
entbehren mögen, denken sie gar nicht, was wohl unsereins für ein
Verlangen haben könnt und daß sie selber einmal nicht anders waren,
sonst liefen wir nicht da auf der Welt herum. Ich denk’, Alte sollten
sich doch immer erst besinnen, ehe sie uns Jungen nein sagen. Und gar
bei euch zweien! Was ist denn an dem Müller Flori auszusetzen? Ist er
nicht ein ordentlicher, braver Bursche? Hat er nicht, oder kriegt er
nicht, daß er Weib und Kind vollauf ernähren kann? Geh, ich mag gar
nicht darüber reden, sonst kommt mir der Ärger! Ist das auch recht
von deiner Mutter, daß sie kein Wort für dich einlegt, wo doch wir
Weiberleut’ zusammenhalten sollen, damit wir etwas gegen die Männer
ausrichten? Ist das auch gescheit von deinem Vater? Ich meine schon,
der ist auch nur im Sonntagsrock, vor den Leuten, klug und zu Haus
trägt er einen Spenzer mit einem Loch am Ellbogen und da guckt das Hemd
hervor und das ist seine ganze ‚Weißheit‘ für daheim!“

„Mußt nicht ungebührlich reden von dem alten Mann, wo du doch nicht
weißt, was eigentlich an der Sache ist; er hat nicht anders können.“

„Nicht anders können? Aber ich bitt’ dich, sag nur, warum denn nicht?“

„Mußt nicht danach fragen, Franzl, das kann ich niemandem sagen.“

Die beiden Mädchen schwiegen eine Weile und schritten wacker aus.

Ein dichter Wald, der linker Hand über alle Hügel sich ausbreitete,
war auch nach der Ebene herabgestiegen und zwischen Äcker und Wiesen
weit in das flache Land vorgerückt, mitten durch diesen breiten grünen
Streif führte nun in vielen Krümmungen die Straße, aber ehe man die
erste Wegbiegung erreichte, zweigte ein schmaler Steig ab, der quer den
Wald durchschnitt und daher von allen Fußgängern benutzt wurde.

Am Eingange dieses schattigen Waldweges stand Florian und wartete auf
Magdalena; als er sie nun in Begleitung herankommen sah, tat er einen
leisen Fluch und verbarg sich hinter das Gesträuch.

Die Kleehuber Franzl war kurzbeiniger als ihre Freundin und ihr fiel
das Schritthalten bald beschwerlich. „Du, Leni,“ sagte sie, „mußt nicht
gar so scharf gehen, da tragen einen die Füße leicht weiter, als man
will. Wenn wir so fort daherrennen, kommen wir heut noch bis hinunter
in die Türkei.“

Da Magdalena schweigend vor sich niederblickte und in gleicher Eile
daherschritt, fuhr sie fort: „Du, das wär’ so eine Geschichte, dort
sollen sie die Weibsleute verkaufen, bin doch neugierig, für wen sie
mehr Geld lösen, für dich oder für mich?“

Und als auch jetzt die Freundin nichts sagte, sondern nur ihre Schritte
mäßigte, da hielt Franzl schwer atmend inne: „Weißt, ich mag aber nicht
in die Türkei und mit dir mag ich auch nicht weiter gehen,“ -- damit
warf sie sich weinend an Magdalenas Brust. -- „Arme Lenerl du, kann
dich nicht einmal mehr die dumme Franzl zum Lachen bringen? Gelt, dir
ist wohl gar so viel hart? Es wird schon wieder anders werden, -- gelt,
es wird schon wieder anders werden?“

„Ich hoff’ ja.“

Die Franzl war mit ihrem Vortuche über die Augen gefahren, sie bedachte
nicht, daß das die feine Schürze war, die zum Sonntagsstaate gehörte
und die sie heute gar zur Kirchweih trug, erst als sie dieselbe
zerknittert vom Gesichte wegzog und den Stoff prüfend etlichemal
zwischen den Fingern befühlte, da machte sie eine Miene, als stünde
sie einer fürchterlichen Gewißheit gegenüber, und da mußte Magdalena
unwillkürlich lächeln.

„Und soll sie hin sein,“ schrie Franzl, lustig in den Boden strampfend,
faßte sie die Schürze mit beiden Händen und zog eine breite Querfalte.
„Weil ich nur weiß, daß du das Lachen nicht ganz und gar verlernt
hast.“ Sie faßte Magdalena um die Mitte, legte den Kopf auf ihre
Schulter und sah zu ihr auf. „Jetzt magst mir schon wieder gefallen.
Ich hätt’ sonst heute keinen Schritt tanzen können, nun will ich aber
dazuschauen, und jetzt behüt dich Gott, herztausendschöner Schatz, und
laß bald von dir hören, was Gutes, weißt du! Noch eins, -- auf den
Tanzboden wird er wohl nicht kommen, aber wenn ich ihn zunächst sehe,
soll ich ihn grüßen von dir?“

„Nein, Franzl, wo sich zwei wirklich aus dem Sinn müssen, da tut kein
Erinnern gut, da wär’ besser, es könnt’ eines vergessen helfen. Und
jetzt leb wohl, behalt deine Lustigkeit und deine Bravheit, ich frag’
dir schon nach. Behüt dich Gott!“ Damit betrat sie den schmalen Waldweg
und schritt rasch dahin.

„Behüt dich Gott.“ Die Dirne sah der Davongehenden nach, bis sie die
Zweige der Büsche deckten, auch der Bursche haftete noch an der Stelle,
wo sie ihm entschwand.

Ich gönne es ihr, dachte er stille bei sich, daß sie sich so ruhig
in das fügen kann, wogegen ich mich aufbäum’, weil es unsinnig ist!
Sie hat recht. Vergessen wär’ wohl das Gescheiteste, sie wird es wohl
zuwege bringen und ich kann ihr keinen Vorwurf daraus machen. Aber es
ist halt doch leicht, auf und davon rennen und eines im Jammer am Ort
zurücklassen, was tu’ ich jetzt; wie verbring’ ich meine Zeit? Jeder
andere mag sich über so was ehrlich hinunterkränken, auch das soll
da nicht erlaubt sein! Sie ist ja meine Schwester; wie stolz könnt’
ich sein, wär’ sie das, wie andere eine haben! Aber mir verkehrt sich
das Rechtschaffenste in der Welt zur Ausnahm’, ich taug’ nicht mehr
unter die Leute wie ein anderer Mensch, ihr ganzes Getu’ und Wesen
hat einen gar andern Sinn für mich. Mitten quer durch fahr’ ich euch,
was liegt auch daran und was bekümmert mich euer Schreien, weil doch
alles Lug und Trug ist, nur daß es der eine weiß und der andere nicht.
Ihr Herrgottsbande auf der Welt, ich will euch zeigen, daß ich mich
auskenne! Unter ihren Augen wär’ mir zu weh gewesen und ich hätt’ es
ihr nicht antun mögen, daß sie sich meiner schämen muß, sie aber schaut
ja selber dazu, daß sie mir aus dem Gesichte kommt, was brauch’ ich
noch weiter auf mich selbst zu halten?!

Unwillkürlich sagte er laut: „Sie ist weg und damit alles, was mich
freuen kann!“

Die Franzl schrak nicht wenig zusammen, als plötzlich neben ihr jemand
zu reden anhob, sie sah sich um und der Bursche stand mit finsterem
Gesichte vor ihr.

„Du bist da, Flori?“ rief sie.

„Ja, ich bin da.“

„Hast sie halt auch noch einmal sehen wollen?“

„Freilich.“

„Du lieber Gott, wer hätt’ sich denken können, daß es mit euch zwei so
einen traurigen Ausgang nimmt?“

„Wohl, wohl. Lassen wir das gut sein. Reden wir von was anderem!“

„Was tust du jetzt?“

„Auf den Tanzboden geh’ ich.“

„Du gehst jetzt -- von da weg -- auf den Tanzboden?“

„Wohl, du gehst ja auch keinen anderen Weg.“

„Aber Flori --“

„Hei, Franzl, wir gehen miteinander. Halte mit, auf drei Tag’ fang’ ich
mit dir eine Liebschaft an, länger darf keine bei mir dauern, denn ich
hab’ nur auf drei Tag lang Glück.“

„Jesus, wie ihr Mannleute doch sein könnt? So magst du daherreden und
ist kaum dein Schatz von dir gegangen, vielleicht auf Nimmerwiederkehr,
eine Dirn’, wie du bald keine zweite findest.“

„Eben darum halte ich mich jetzt an mehrere, weil eine nicht ausreicht,
sie mir aus dem Sinn zu bringen.“

„Das ist ein recht garstiges Reden, Flori, dasselbe hätt’ ich von dir
nicht erwartet.“

„Es möcht’ doch nicht anders werden, und wenn ich gleich winseln
tät’ wie ein geschlagener Hund. Nun, Franzl, was ist es mit unserer
Liebschaft?“

„Geh zu, du wirst mich gleich bös machen. Zum Spaßen ist jetzt kein
Anlaß und dein Ernst kann es nicht sein.“

„Warum nicht, auf drei Tag’?“

„Nicht auf einen nähm’ ich dich. Wenn du so in Handumkehr die
Reindorfer Leni vergessen kannst, so wär’ für dich die Melzer Sepherl
noch zu gut.“

Der Bursche sah auf das Mädchen herab. Meinst du? dachte er. Ich sollte
fast selber glauben, aber danach frage ich jetzt nicht! Du, mit deiner
Lustigkeit und deiner Bravheit, läufst mir auch zu viel über den Weg,
hüt dich, jetzt bin ich spielerisch wie ein kleiner Bub’, lockt mich
ein Kieselstein, ich hole ihn aus dem Bache und tändle damit, solang es
mich freut, dann werf’ ich ihn wieder weg. Aber weil sie dir nachfragen
will, weil ihr vielleicht leid geschehen möchte um dich, so bleibe halt
im Wasser!

„Nun, schau,“ sagte er, „gerade eben darum möcht’ ich gern mit dir den
Anfang machen, weil du so hübsch in der Mitte zwischen einer Reindorfer
Leni und einer Melzer Sepherl liegst.“

Die Dirn’ wandte sich ab.

So gingen sie nebeneinander her und die Kleehuber Franzl fand noch oft
Gelegenheit, ihm „sein loses Maul zu verbieten“.

Sie gelangten in das Dorf, aus dem Wirtshause scholl ihnen Musik
entgegen, Florian warf mit einem wildlustigen Aufschrei seinen Hut in
die Luft, fing ihn auf, drückte ihn tief in die Stirne und stürzte sich
mitten hinein in das Gewühl der tanzlustigen und durstigen Gäste.

       *       *       *       *       *

Die Vögel sangen nicht, sie lärmten so aufdringlich laut, und grell
schlug das Sonnenlicht durch die fächelnden Blätter an den oberen
Zweigen der Büsche und an den Kronen der Bäume, längs des Waldweges,
den Magdalena dahinschritt. Fernab lag die Straße, wo eine Begegnung
sie hätte verstören oder zerstreuen können, das Auge ihrer Eltern
folgte ihr nicht mehr und das närrisch-tröstliche Geplauder von
befreundeter Lippe war längst an ihrer Seite verstummt; sie fühlte sich
allein und was sie sich auch darauf zugute tat, daß sie ihren alten
Leuten und der Jugendgespielin gegenüber stark geblieben und über ihr
Los gedacht, wie es der Vater nicht anders hätte sagen können: dagegen
kann kein’s, wie rechtschaffen dasselbe es sonst meinen mag, -- lange
schon war der Zweig, den sie unter diesem Denken dort vom Busche
gebrochen, ihrer Hand entglitten, gar weh überkam sie der Gedanke, wie
übel es doch sei, wenn der Mensch den Kopf gegen das Herz, all sein
Besinnen gegen sein Empfinden ausrufen müsse; zwei schwere Tränen
traten ihr in die Augen und überwältigt von dem Gefühle, -- „halt doch
unglücklich zu sein, wie nit bald eines,“ -- warf sie sich nieder auf
den Rasen und drückte laut aufschluchzend ihr Gesicht gegen das Bündel.

Ja, dagegen kann auch kein’s, wie rechtschaffen dasselbe es sonst
meinen mag!

Plötzlich aber raffte sie sich auf und eilte, wie flüchtend, den
Waldweg entlang, hinaus auf die offene Straße. Bis dorthin, wo das
Marterkreuz hersieht, ist ihr die Gegend bekannt, sie hat dieselbe
vielhundertemal gesehen, von dort aber beginnt für sie die weite Welt,
von der fast alle, die nach ihr ausziehen, Glück erhoffen und begehren;
sie, die nur so ins Leben hereingeschlüpft ist, will demütiger sein und
für das bescheidenste Plätzchen mit dem vollen Einsatze ihres ganzen
Pflichtgefühles bezahlen, denn sie hat nicht wie andere mit Gott und
Welt dafür wett zu werden, daß sie da ist, sondern +weil+ sie da ist.

Und als sie vorübergeschritten war an dem gemauerten Pfeiler mit der
vom Regen verwaschenen Bildtafel, da forderte der ungewohnte Weg ihre
Aufmerksamkeit, tausend und ein Gegenstand ihr Auge, fernes und nahes
Geräusch ihr Ohr; an allen Sinnen beschäftigt, von jedem Gedanken,
außer jenen auf das Zunächstliegende, abgelenkt, ging sie wie träumend
an Feldern, kleinen Dörfern und einsamen Weilern vorüber und gegen
Abend stieg sie von dem Kamme eines Hügels hernieder und schritt auf
die Kreisstadt zu.

Was sie, um sich zurechtzufinden, die Leute fragte, und was diese,
sie recht zu weisen, antworteten, sie behielt es nur die kurze
Strecke über, bis wo sie aus dem beängstigenden Gehaste der Fußgänger
hinweg in einen ruhigen Hausflur trat und der tosende Straßenlärm
in dem stillen Stübchen erstarb, zu dessen Tür ein altes, kleines,
freundliches Mütterchen sie hineinschob.

Dort saß in einem hohen Lehnstuhle ein greiser Mann, der Schein der
Lampe fiel auf sein Gesicht und Magdalena erkannte sofort in ihm ihren
Oheim; das war Zug für Zug der Vater Reindorfer, nur noch einige Jahre
älter und infolgedessen hinfälliger, aber so und nicht anders wird er
aussehen, wenn er das gleiche hohe Alter erreicht, was sich ja bei
seiner zähen Lebenskraft wohl erwarten ließ und das Mädchen auch vom
Grunde ihres Herzens hoffte, trotzdem sie bald mit sich uneins ward, ob
sie ihm damit Gutes wünsche.

Die alte Frau sagte dem Greise ziemlich laut ins Ohr, wer da sei,
sie mußte es mehreremal wiederholen, dann nickte er und lächelte,
es war ein verlorenes Lächeln und etwas wie Ärger lag dabei in den
Augenfältchen, denn er war nicht gewiß, ob er auch recht verstanden
habe. Er ergriff die dargebotene Hand des Mädchens. „Je ja, je ja, vom
Bruder Joseph. Und wie groß du bist. Wie groß. Schau, schau, die Liese.“

„Das ist meine Schwester, die hat geheiratet, schon vorlängst.“

„So? Ja, die hat geheirat’t.“

„Ich bin die Leni. Die Jüngste.“

„Na schau, na schau, das hab’ ich gar nit gewußt, daß der Bruder zwei
Mädeln hat, von dir hat er mir ja gar nichts sagen lassen.“

„Aber er sagt, er hätt’ noch eigens den Bruder und die Schwester zu
euch nach der Stadt geschickt.“

„So, so, wann war denn das?“

„Es ist nun achtzehn Jahr’ vorüber.“

„Achtzehn Jahr’? Das ist doch spaßig, ich kann mich darauf nicht
besinnen und wie sein Erstes zur Welt gekommen ist, das weiß ich noch
wie heut. Das ist gewesen vor sechsunddreißig Jahren, da hat er, ohne
anzuklopfen, dort die Tür sperrangelweit aufgerissen und zum Grüßgott
hereingerufen: Wir haben einen Buben! Das war ein sauberes Kind, ist
ihnen aber nicht lange verblieben. Das weiß ich noch wie heut -- noch
wie heut, -- daß aber dein Bruder und deine Schwester sollten bei
uns gewesen sein?“ Er stützte den Kopf auf die Hand und sann nach.
Nach einer Weile fiel sein Blick auf den Brief, den Magdalena vor ihn
hingelegt hatte, er erbrach ihn mit den zitterndem unbeholfenen Händen
und versuchte ihn zu lesen, er wendete ihn und drehte ihn. „Hihi, ich
behalt’ nicht, was er da schreibt, er wird halt auch alt, der Joseph --
auch alt. Was schreibt er denn?“

Die alte Frau hatte während des ganzen Treibens gegen das Mädchen ein
paarmal mit dem Kopfe genickt und dazu gar kläglich die Augen zur
Zimmerdecke aufgeschlagen. Ja, was für Beschwer und Kreuz macht einem
ein so alter Mann! Sich wollte sie bedauern lassen, ihn nicht, für ihn
geschah ja alles, was sie konnte. Nun nahm sie den Brief und hatte alle
Mühe, ihn dem ehemaligen Schulmeister verständlich zu machen.

„Armes Kind,“ sagte sie, „daß wir dich die Nacht über bei uns behalten,
das versteht sich von selbst, das ist aber auch alles, was wir für
dich tun können, zu Rat und Tat sind wir keinem mehr nütze, die Welt
und die Leute sind uns fremd geworden, wir gelten nun schon vorweg wie
gestorben und begraben. Ja, ei ja wohl.“

Dem Mädchen ward ein ebenso schmaler, als kurzer Diwan zur Schlafstelle
angewiesen, dann sollte der alte Schulmeister zu Bette gebracht werden,
der fügte sich aber nicht sofort, er setzte allem gütlichen Zusprechen
ein zänkisches Gekeife, aller ärgerlichen Bedrohung ein beleidigtes
Empfindlichtun entgegen und es dauerte geraume Zeit, bis er zur Ruhe
kam.

Magdalena gestand sich im stillen, der alte Mann sei greinig und
launenhaft wie ein Kind, ohne daß er es vermochte, auch manchmal lieb
zu sein, wie ein solches, aber er war ebenso hilflos und der Pflege
bedürftig, und hätte man es an dieser fehlen lassen, es wäre ihm gewiß
weh zu Herzen gegangen. Ei ja, so hohes Alter bringt wohl nur Beschwer
und Mißmut über die, welche man andern macht, und der es erreicht, hat
keine Freude daran! Und nun ward ihr auch klar, warum sie trotzdem
ihrem Vater ein solches wünschte, er hat ja nichts Gutes davon, es
war eigensüchtig von ihr, aber es war liebende Eigensucht, sie wollte
sich die härteste Mühsal nicht gereuen lassen, um in der Sorge für
seine letzten Tage ihren Gefühlen gegen ihn genug zu tun, und wie sie
es nie vergaß, so sollte es die Welt daraus innewerden, was der alte,
hinfällige Mann ihr dereinstens gewesen war. In diesem Sinne betete
sie zu Gott, daß er ihr erhalten bleiben möge, und nach diesem Gebete
versuchte sie einzuschlafen, aber die unbequeme Liegerstatt, das ganz
Ungewohnte der ersten Nacht, die sie in ihrem Leben unter fremdem
Dache zubrachte, der Straßenlärm, der jetzt in der Stille der Nacht
wieder vernehmlich wurde, nicht betäubend wie am Tage, aber wie ein
fortwährendes fernes Gegrolle und dumpfes Gebrause, all das ließ sie
nur in einen Halbschlummer verfallen, aus welchem sie beim Morgengrauen
emporschreckte und sich müder und mutloser fand als am Tage zuvor.

Der alte Oheim schlief noch, die Tante setzte sich im Bette auf und
küßte das Mädchen auf die Wange und dieses trat zum Hause hinaus
in die Morgenfrische und suchte den Weg zum Bahnhofe. Sie löste am
Schalter die Karte, und als der Zug heranrollte, stieg sie ein und
drückte sich scheu in eine Ecke.

Ein paar Stunden hatte die Fahrt gedauert. Magdalena sah nicht mehr aus
dem Fenster, nicht mehr nach den Mitreisenden. Es war nun der zweite
Tag, an dem ihr nur fremde Orte und fremde Gesichter -- den alten
Schulmeister etwa ausgenommen, der sie an Vater Reindorfer erinnerte --
vor Augen kamen, und wie sie sich jetzt fühlt, selbst wildfremd, unter
Leuten, die es ihr weder gut noch böse meinen und ihr keinen Anlaß
geben, Dank zu betätigen oder Unbill zu wehren, ganz so unselbst und
willenlos wird sie sich auch in der Stadt fühlen, und das wußte sie
wahrhaftig nicht zu sagen, ob sie je dorthin käme, versuchte einer,
dem sie zu vertrauen vermöchte, sie eines anderen Weges zu leiten, in
dieser Stunde, wo ihr jeder Arm wie vom Himmel zu greifen schiene.

Sie hielt ihre Blicke nach dem Bündel gesenkt, das auf ihren Knieen
lag, und zupfte an den Falten des Einbindetuches.

„Sinnst zu viel, Dirndl,“ sagte eine Stimme.

Als sie fragend aufsah, guckten ihr aus einem runden, rotbäckigen
Gesichte, das von kurzen, weißen Haaren umrahmt war, ein paar kluge,
graue Augen entgegen.

„Sinnst zu viel, Dirndl. Fahrst denn weit?“

„Nach der Hauptstadt.“

„Wen heimsuchen?“

„Nein, in Dienst geh’ ich.“

„Ei, da kommst freilich weit ab vom Land, wie vom Brauch. Na, du bist
noch jung, kannst viel zulernen und auch fremde Art annehmen, wär’
aber nit besser, du treibest, was du kannst, und bleibest, wie du
bist?“

Eine breite, schwielige Hand legte sich auf ihre Rechte.

       *       *       *       *       *

Und das war die Hand, die zur Stunde, wo Magdalenen jeder Arm wie vom
Himmel zu greifen schien, sie auf einen andern Weg wies, und das war
die Schickung, nach welcher sie wahrhaftig nicht zu sagen wußte, ob sie
je nach der Stadt käme.

Sie kam nicht dahin.



13.


„Wär’ nit besser, du treibest, was du kannst, und bleibest, wie du
bist?“ fragte der alte Mann, indem er seine Hand auf die Rechte
Magdalenens legte.

„Mag wohl sein,“ sagte das Mädchen und nickte vor sich hin. „Aber
jetzt, nun schon einmal inmitten Wegs, weiß ich mir dazu nit Rat.“

„Was auf der Welt der eine nit weiß, das weiß vielleicht der andere,“
sagte der Alte. „Dasselbe seh’ ich dir wohl an, du gehst ungern.“

„Gern just nit.“

„Könnt’ sein, ich wüßt’ dir ein anderes Bleiben, wann’s dir anständig
is.“

„Darüber könnt’ mer sich ja reden.“

„Wohl, wohl, anders mein’ ich’s nit, als daß sich darüber reden ließ’.“
Er schwieg eine Weile, während er sich im weißen Haare kraute, dann
fragte er plötzlich: „Kennst ’leicht ’n Grasbodenbauer in Föhrndorf?“

„Nein.“

„Wo bist denn her?“

„Von Langendorf.“

„Langendorf? Hab’s schon nennen g’hört. Muß weit sein? Da kennt’s ihr
freilich nit ’n Grasbodenbauer, drum is ’s unnötig, daß mer davon
red’t, oder eigentlich wohl, is ’s erst recht nötig, daß ich dir davon
sag’.“ Wieder hielt er inne, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare
und fragte dann: „Wie heißt denn, Dirndl?“

„Magdalen’ Reindorfer.“

„Nit, daß ich neugierig bin, aber wann sich’s schickt, daß wir einig
werd’n, so müssen wir doch eins ’s andere kennen lernen. Daß ich dir
also sag’, derselbe Grasbodenbauer in Föhrndorf is mein Schwiegersohn,
sein Weib -- Gott laß mein Kind ruh’n! -- is ihm schon vor Jahren
verstorben, nur ein klein’s Menscherl is da von ihr, geht jetzt ins
zwölfte Jahr und is allweil siech; aber das muß dich nit verschrecken,
sie hat kein’ Krankheit, die sich auf ein anders übertragt, dieselbe
is ein Übel, das alleinig auf dem verbleibt, den ’s betroffen
hat. Ein Professor, zu dem wir’s gebracht hab’n, hat g’sagt, ein’
Nervenkrankheit tät’s sein, -- frei zum Lachen, wann’s nit so traurig
wär’ -- in der Stadt soll’n wohl mehr Leut’ so sein, aber da mit einmal
eins mitten unter uns Bauern! Nun und da braucht der arme Hascher sein’
Wartung und sein’ Aufsicht, und das schafft uns, je älter sie wird,
je mehr und mehr Sorg’ und Kreuz; sie leid’t unterm G’sind keins, das
ihr nit zu G’sicht steht, da hat noch all’mal schleunig mit jedem
aus’packt werd’n müssen, manch’ guten Knecht und manch’ brave Magd
hab’n wir ihretwegen wegg’schickt, na, und gar von den Dirnen, die
allweil hätten um sie bleiben sollen, hat’s uns bisher keine kein’
Stund’ lang nit duld’t, das hätt’ nur übel ärger g’macht! Aber wie ich
mir dich so betracht’ hab’, da ist mir der Gedanken ’kommen, ob ich’s
nit vielleicht mit dir treffen möcht’, ob ’s dich denn nit leiden
könnt’?! O, ich hab’ dich ganz g’nau beobacht’, mein liebe Dirn’!
Vorhin, wie d’ noch munterer g’wesen bist und die zwei Herrn dort ent’
im Eck kurzweilige Reden g’führt hab’n, da hast du wohl g’schmunzelt,
denn Spaß bleibt Spaß und ihn nit verkennen, das is schon recht, aber
verquer is er dir ’kommen und zur Unzeit und drum hast ’s Lachen
bezwungen; wann sich’s schickt, würd’st wohl auch ’n Ernst bezwingen
können und grad dös, daß einer geg’n sich selber aufkommen kann, is ’s
Notwendigste, was der Mensch auf der Welt braucht und was mer schon
’n Kindern von klein auf beibringen sollt’, denn solang ich’s unter’n
Händen hab’, verhüt’ ich wohl, daß ’s ein’ Dummheit machen, wann ich’s
aber freilassen muß, nachher nimmer. Ja, schau Dirn’, vermöcht’ sich
nur ein jeder zu bezwingen, kein’ Schlechtigkeit gäb’s mehr in der
Welt, kein’ Sünd’ nit! Freilich, mein’ liebe Dirn’, kann ich nach dem
kurz’n Aug’nschein nit wissen, wie weit du über dich Herr bist, aber du
gibst dir das Ansehn, wie eins, das sich bei sich selber in Respekt zu
setzen weiß, und dasselbe g’lassene Wesen wirkt auch auf andere, denn
wenn die Ärzten sag’n. -- du magst baden oder trinken -- daß sich vom
Wasser mitteilt, was drein steckt und dich g’sund oder krank macht,
so mehr wird sich doch, was in ein’ Menschen Gut’s oder Übels steckt,
ein’m andern mitteilen, der mit ihm häufig Umgang hat! Soweit wär’s
mir wohl recht, du tät’st dich entschließen und gingst mit mir und
schauest dir unser’ Kleine an. Dann hast auch so ruhig’s, bedeutsam’s
G’schau; das is eine Gottesgab’, wann eins mit den Augen reden kann, --
wo oft keine tausend Wort’ flecken, hilft dös. Ja, ja.“ Wieder faßten
die Finger in das weiße Haar und aufseufzend sagte er: „Ah, mein, hart
red’t sich’s mit dir, fragst nix und sagst nix.“

„Ja, wußt’ ich denn, daß d’ schon fertig bist? Und bevor tät’ sich’s
doch nit ziemen, daß ich dir in d’ Red’ fall’!“

„Weit g’fehlt! Freilich muß ich ’s Wort führen, daß d’ Red’ nit
einschlaft, aber du sitz’st da wie ein Stummerl und laßt mich schon d’
längst’ Zeit her über Macht reden.“

„Was soll ich denn sagen, Bauer? Mir wär’s ja in d’ Seel’ h’nein recht,
wenn sich’s so schicken möcht’, wie du denkst; aber wer weiß, mag mich
die kleine Dirn’ leiden?“

„No, so wär’n wir doch soweit einig, daß d’ mitgingst?“

„Mitgeh’n tu’ ich dir schon.“

„Na, und sollt’n mer uns vergeblich’ Müh’ machen, so brauchst doch du
nit z’sorgen weg’n dem, was du versäumst und verlierst, weil d’ Reis’
unterbrichst, der Grasbodenbauer is mein Schwiegersohn und der laßt
sich nit spotten und dann bring’ ja ich dich hin und ich bin dir wohl
auch für den Schaden gut; jed’ Kind in Föhrndorf und in Hinterwalden,
wo ich daheim bin, kennt mich, ’n Bauer vom Hof auf der weiten Hald’.
Also es gilt, Dirn’.“ Er hielt die Rechte hin und Magdalena schlug ein.

„Mit geh’ ich,“ sagte sie, „aber für’n Ausgang steh’ ich nit, denn wo’s
Aussehn alles richten soll, da kommt’s eben aufs Anschau’n an.“

„Wohl, aber beim Anschau’n auch aufs Aussehn, dächt’ ich nit so, möcht’
ich mir ein Gewissen daraus machen, dich von dein’ geweisten Weg
abzureden. Wann die Eisenbahn zunächst wieder stillhalt’, steigen wir
aus und fahr’n hinüber nach Föhrndorf. Schaust dir’s halt an, ’s klein’
Menscherl, wirst ja nachher wohl versteh’n, wie ’m Großvater hart
g’schieht, daß er wildfremde Leut’ inmitten Weg’s anspricht, denkt er,
sie könnten da helfen, wo er nit kann.“

Magdalena griff mit beiden Händen nach denen des alten Mannes.

„Bist gut,“ lächelte er, „und ’s ist schön von dir, daß du mitkommst.“

Als der Zug hielt, stiegen beide aus. Der Mann, der am Ausgange stand,
grüßte den Bauer vom Hof auf der weiten Halde und als er Magdalenen die
Karte abnahm, rief er lachend: „Oho, lieb’s Kind, soweit sind wir noch
lang nit.“

„Sie unterbricht die Fahrt,“ sagte der Bauer.

Der Stationsdiener griff abermals an den Schirm seiner Kappe.

Der Bahnhof lag auf einem Hügel und eine schattige Allee führte
hinunter nach dem Dorfe, das in hellem Sonnenbrande lag.

Ehe sie in den Baumgang traten, hielt der Alte beide Hände hohl vor den
Mund und schrie aus Leibeskräften: „Hiesl!“

„Jo,“ gröhlte es von unten herauf, und als der Bauer und das Mädchen am
Fuße des Hügels angelangt waren, rasselte ein kleines Wägelchen heran.

„No, bist schon da, Bauer? Grüß Gott!“ sagte der Knecht, der die
Pferde lenkte. Es war ein langer, dürrer Mensch, er qualmte aus einem
sogenannten Nasenwärmer, einer Pfeife mit einem ganz kurzen Rohre, aber
der Kopf derselben war so groß, daß das spitze Kinn und die hohlen,
braunen, runzligen Wangen fast dahinter verschwanden, den oberen Teil
des Gesichtes verdeckte der breitkrempige Hut, den er zum Schutze gegen
das grelle Sonnenlicht tief in die Stirne gedrückt hatte.

Der Bauer kletterte auf den Sitz, dann reichte er Magdalenen die Hand
und half ihr an seine Seite. „Fahr zu,“ sagte er zum Knechte.

„Ja, Bauer,“ fragte der, bevor er die Zügel anzog, „wen bringst denn da
mit dir?“

„Für’n Schwiegersohn sein’ Hof, ein’ G’sellschafterin für unser klein’
Burgerl, mein’ ich.“

Der Knecht sah dem Mädchen in das Gesicht, dann nickte er gegen den
Bauer. „Möcht’s schier auch meinen.“ Damit schwang er die Peitsche
und das Gefährt rollte dahin. Erst lief die Straße an den kleinen
Häusern des Dorfes vorüber, dann eine Weile inmitten von Feldern und
Wiesen, zuletzt bog sie in ein Wäldchen ein und als sich die Bäume
wieder lichteten, da schlängelte sie, wie endlos, auf einer weiten
Ebene zwischen Wiesengründen dahin. Fernher blickte das Kreuz eines
Kirchturmes.

Während der Fahrt fiel kein Wort, außer dem einen und dem andern,
mit welchem hie und da der Knecht die Pferde ermunterte, die Hitze
war drückend und der dicht aufwallende Straßenstaub ließ es ratsam
erscheinen, den Mund geschlossen zu halten; auch Leute, die weniger mit
ihren Gedanken beschäftigt gewesen wären, hätten es wohl auf günstigere
Gelegenheit verschoben, sich etwas mitzuteilen. Erst als der Kirchturm
schon hoch aufragte und nunmehr unter ihm die Häuser wie aus dem Boden
auftauchten, zeigte der Alte danach.

„Föhrndorf,“ sagte er.

Und nach einer Weile, als sie noch näher an den Ort herankamen, hob er
wieder weisend die Hand.

Quer über Feld und längs der Straße lief in unabsehbarer Zeile
Buschwerk dahin, das tiefgrünes Wiesenland umhegte, und ganz
fern, scharf vom hellen Himmel abgehoben, zeigte sich ein dunkler
Streif, der gleichfalls wie eine Hecke aussah, in der Tat aber ein
Föhrenwäldchen war, das am Kamme einer Felswand stand; dort steilte
sich nämlich der Boden beträchtlich ab und, weil tiefer gelegen,
breitete sich von da eine zweite Ebene aus, fast so weit wie die obere.

Diesmal streckte der Bauer die flache Hand aus und strich von da, wo
die Büsche querfeldein liefen, gleichsam über die Wiesen hinweg, bis zu
dem dunklen Föhrensaume, gegen den er den Zeigefinger ein wenig hob.

„Der Grasboden,“ sagte er, und als er das Mädchen verwundert aufblicken
sah, nickte er lächelnd, dann aber senkte er plötzlich den Kopf und
murmelte: „Mangel wär’ freilich keiner.“

Nun zeigte sich ganz nahe das erste Haus an der Straße, es trug ein
Stockwerk, die Mauer hatte grauen, das Holzwerk braunen Anstrich und
das Dach, das sich hoch darüber aufbaute, war mit Schiefer gedeckt,
hinter den zwei Bodenfensterchen, die nach vorn heraussahen, hingen
weiße Vorhänge, ein Zeichen, daß unter dem Giebel jemand wohnte.

Das Wägelchen fuhr aber nicht an dem Hause vorüber, sondern lenkte,
ehe es an dasselbe herankam, durch den großen Torbogen, der daneben
aufgemauert war.

Auf der einen Seite der Garten, der sich vom Wohnhause ab erstreckte,
auf der andern die Reihe von Scheunen und Ställen gaben dem schmalen,
langen Hofe das Ansehen eines kleinen, einseitigen Dorfgäßchens.

Ein gut Stück rädelte das Gefährt in den Hof, dann zog Hiesl die Zügel
an und klatschte mit der Peitsche.

„Vater, der Ehnl,“ rief eine helle Stimme im Garten.

Und als sich alle vom Wagen geholfen hatten, trat durch das
Zaunpförtchen ein Mann in den Hof, dessen Hand ein kleines Mädchen
umklammert hielt. „Grüß Gott, Schwiegervater,“ sagte er, „schön, daß
mer dich wieder einmal sieht.“ Dann nickte er dem Knechte auf dessen
Gruß zu. „Grüß Gott, Hiesl.“

„Grüß dich Gott, Grasbodenbauer,“ sagte der Alte, indem er mit der
Rechten die Hand des Schwiegersohnes schüttelte und mit der Linken das
kleine Mädchen am Kinne faßte. „Wie geht’s dir denn, Burgerl?“

„Dank’ schön, Ehnl,“ sagte das Kind.

Dasselbe stand in der Größe gegen viele seiner Altersgenossen
zurück, dagegen waren, trotz der Zartheit der Gestalt, alle seine
Formen entwickelt und nichts Eckiges an ihm zu sehen. Die Bleiche
des Gesichtes, welche selbst das Rot der Lippen und der Nüstern des
Stumpfnäschen abschwächte, wurde durch die tiefschwarzen Augen und das
wirre, krause, gleich dunkle Haar um so auffallender.

Auf den ersten Blick hin hatte die Kleine mit dem Manne, den sie an
der Hand hielt, nicht die geringste Ähnlichkeit. Der Grasbodenbauer
war groß und kräftig gebaut, er sah „staatsch“ aus, wie die Dirnen
meinten, deren manche den hübschen, wohlhabenden Witwer gar verfänglich
ansah und sich ärgerte, daß sie das so unverfänglich tun konnte, da er
keine erröten machte, indem er ihr mit Gleichem erwiderte. Die beiden
Schultern des Mannes trugen einen Kopf, der für die Größe und Stärke
der ganzen Gestalt fast etwas zu klein geraten erschien, aber nur der
untere Teil des Gesichtes sah wie gedrückt, mit dem kleinen rundlichen
Kinne und den hart aneinandergefalteten Lippen, welche dem Munde
den Ausdruck von Gleichmütigkeit gaben, wie man ihn an ganz kleinen
Kindern findet, doch über der leicht gebogenen Nase zeigte sich, vom
goldblonden Haar umrahmt, eine breite Stirne, so klar und offen wie der
Blick der großen, tiefblauen Augen unter derselben. Eben eine solche
Stirne entwickelte sich bei dem Kinde, und wenn der Winter in das Land
kommen wird, wo die Sonne nicht mehr die Wangen bräunt, dann werden
auch die des Vaters ihre Farbe verlieren.

Gleich nach der Begrüßung war der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’
zum Brunnen geschritten, er winkte Magdalene, die abseit stand, zu
sich. „Geh, Dirndl, magst mir schöpfen. Die Augen brennen mir von der
Hitz’ und dem Staub.“

Magdalena trat hinzu und zog mit dem freien rechten Arm -- unter dem
linken hielt sie ihr Bündel -- die Brunnenstange.

Der Alte hielt die hohle Hand unter das Rohr, führte sie träufelnd
gegen die Augen und kühlte die Lider; als er zurückkam, fragte ihn der
Grasbodenbauer, der erst jetzt auf die fremde Dirne aufmerksam geworden
war: „Hast Reis’g’sellschaft g’habt?“

„Aufg’nommen hab’ ich die Dirn’.“

„Was d’ sagst? Ein’ Neue für dein’ Hof?“

„Vielleicht für dein’,“ sagte der Alte mit einem bedeutsamen Blicke
nach dem Enkelkinde.

Der Grasbodenbauer zuckte die Achseln, sah dann schärfer hinüber nach
dem Mädchen, das beim Brunnen stehen geblieben war, und murmelte: „Wird
sich ja erproben.“

Burgerl ließ die Hand des Vaters fahren und lief über den Hof zu
Magdalene, welche zu zögern schien, ihr Bündel auf die Erde oder auf
den Brunnentrog zu legen. „Brauchst ’s nit in Staub, noch in die Nässe
zu legen,“ sagte die Kleine, „gib her, ich halt’ dir’s.“

„Dank’ schön,“ lächelte Magdalena, streifte die Ärmel bis über den
Ellbogen zurück und griff nach der Brunnenstange.

Burgerl aber faßte sie am Arme. „Halt’ du deine Händ’ unter. Schöpfen
werd’ schon ich.“

„Wär’ nit schlecht, wirst dich doch nit mein’tweg’n müh’n!“

„Du haltest unter, ich schöpf’,“ wiederholte die Kleine mit
zusammengezogenen Brauen und kneipte Magdalene in den Arm, daß diese
mit einem Aufschrei lachend den Schwengel fahren ließ. Burgerl ergriff
denselben und fuhr unter dem Schöpfen fort: „Schon einmal, möcht’st du
nit auch, kaum du den Fuß auf’n Hof g’setzt hast, falsch gegen mich
sein, wie sie hier alle sind? Heißt’s nit allzeit mir ins Gesicht, ich
möcht’ mich nit müh’n und ihretweg’n schon gar nit, damit sie dann
hinterm Rücken sagen können, ich könnt’ nix richten und zum Helfen wär’
ich zu großtuisch? Geh mir zu, da hast dein Bündel wieder.“

Magdalena trocknete sich die Hände an ihrer Schürze, stellte einen Fuß
auf den Brunnenrand, nahm das Bündel auf das Knie und streifte den
Ärmel über den linken Arm wieder zurück, Burgerl haschte nach dem noch
entblößten rechten. „Was du für schöne Arm’ hast,“ sagte sie, „so rund
und prall und so sauber fleischfarben, nit so braun oder so kreidig
weiß.“ Sie zupfte an der eigenen Ärmelkrause.

„Und mit ein’ klein’ Andenken drauf von dir,“ lachte Magdalena, auf die
gekneipte Stelle weisend.

„Narrisch,“ sagte Burgerl, „wirst doch nit bös sein weg’n dem blauen
Fleckl?“ Sie drückte ihre Lippen darauf. „Hineinbeißen möcht’ ich da.“

„Na, du nit! Sei so gut,“ rief Magdalena, den Arm zurückziehend.

Burgerl zeigte lachend die kleinen, scharfen, weißen Zähne, dann lief
sie zu Vater und Großvater zurück. „Wie heißt denn die, Ehnl?“ fragte
sie.

„Leni heißt’s.“

„Die kommt auf dein’ Hof?“

„Freilich, aber wenn du mich schön bittest, so lass’ sie dir als
Kameradin da.“

„Bitten tu’ ich niemal.“

„Du Bockkopf, du! Na, brauchst halt nit z’ bitten, ist’s dir recht, so
soll sie bei euch bleiben.“

„’s gilt schon, Ehnl.“ Das Mädchen faßte ihn mit ihren kurzen Armen
um den Leib, dann rief sie: „He, Leni, komm einmal her, sag’ dir was
Neu’s.“ Damit lief sie ihr den halben Weg entgegen, ergriff sie an
der Hand und sagte: „Weißt, du bleibst bei uns und sollst mir ein’
Kameradin sein.“

Der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’ blickte lächelnd den vom
Grasboden an, der die großen Augen größer machte und jetzt, als
Magdalena grüßend herantrat, freundlich nickte.

„Will schon ein’ recht brave Kameradin sein,“ sagte diese und meinte es
recht gut zu machen, daß sie dabei die Kniee ein wenig vorbog und den
Kopf beugte, während sie so zu der Kleinen sprach.

Burgerl aber sagte verdrießlich: „Ja, aber wenn d’ das sein willst, so
halt’ dich dabei fein grad, mußt mich nit noch kleiner machen, als ich
eh’ bin, und“ -- setzte sie lachend hinzu -- „so groß bist du auch noch
lang’ nit, wie ich klein bin.“

Sie hing sich in den Arm Magdalenens und führte sie in den Garten. Da
dieser nun bis auf das letzte Fleckchen abgegangen wurde, Baum für Baum
und Strauch für Strauch, dann Beet für Beet, wie sie der Reihe nach mit
Gemüse, Nutz-, Arznei- und Zierpflanzen standen, und zu guter Letzt
noch der kleine, eigens für Burgerl abgegrenzte Raum, so verstrich
darüber Zeit und Weile. Während dieser Wanderung fiel Magdalenen an
ihrer kleinen Begleiterin eine eigene Unruhe der Gliedmaßen auf, ein
Zucken der Hände und Füße, und das Kind tat manchen scheuen Blick nach
ihr, ob sie es etwa deshalb beobachtete.

Die Sonne begann zu sinken, als der Grasbodenbauer über den Hof
geschritten kam und über den Gartenzaun rief: „Burgerl, der Ehnl fahrt
heim!“

Die beiden Mädchen liefen Arm in Arm aus dem Garten.

Der alte Bauer strich über den Krauskopf der Enkelin, tätschelte ihre
Wange. „Sei nur fein brav und bet’ fleißig, Burgerl, so wird dir der
liebe Gott schon noch ’n G’sund[14] schenken.“ Dann legte er die Hand
auf Magdalenens Schulter. „Der Herr g’segn’ dein Eingang in das Haus!
Richt’st was, wird dir’s nit vergessen bleiben.“

Damit ging er nach dem Wägelchen, Burgerl folgte ihm dahin und der
Grasbodenbauer, an Magdalene vorbeischreitend, flüsterte ihr zu: „G’wiß
nit, zügelst[15] dir ja wahrhaftig kein’ Freud’ damit.“

Die Männer schüttelten sich die Hände, Hiesl hieb in die Pferde und der
Wagen fuhr davon.

Als vom Turme das Abendgeläute verklungen war, ging der Bauer mit den
beiden Mädchen gegen das Wohnhaus, in dem Flur standen zwei Türen
offen, aus der einen schlug das Geprassel und der helle Schein des
Herdfeuers, aus der andern tönte vielstimmiges Gemurmel, die erste
führte in die Küche, wo ein paar Dirnen hantierten, die zweite in die
Gesindestube, wo Knechte und Mägde an einem langen Tische saßen und auf
das Abendessen warteten. Burgerl faßte Magdalene an der Hand und stieg
mit ihr die Treppe hinan, der Bauer trat in die Gesindestube, hatte
für jeden und jede, je nachdem der verflossene Tag Anlaß bot, eine
Vermahnung, eine Frage oder ein gutmütiges Witzwort, er wartete, bis
die dampfenden Schüsseln aufgetragen wurden, dann betete er laut vor
und ging, nachdem er ein „Bekomm’s euch“ und „Gute Nacht“ geboten und
empfangen.

Er ging nach seiner Stube, die im Stockwerke lag; dieselbe enthielt
außer einigem altertümlichen Geräte, darunter ein paar Eichenschränke
mit kunstvoller Schnitzerei, auch etliche neue Stücke, die sonst nicht
in Bauernstuben in Gebrauch stehen, besonders der große Schlafdiwan
nahm sich etwas fremd daselbst aus. Der runde Tisch, um welchen die
kleine Burgerl und Magdalena saßen, war mit feiner Tischwäsche belegt.

Die verstorbene Bäuerin mochte ihre Mahlzeiten nicht unter den Augen
des Gesindes halten, nur an besonders hohen Festtagen machte sie eine
Ausnahme, saß mit demselben an +einem+ Tische und zeigte sich als
freigebige Wirtin, dann ging es aber auch hoch her und wurde festlich
getafelt; sonst saß sie die erste Zeit allein mit ihrem Manne, dann zu
dreien, als die kleine Burgerl hinzukam, so war es bis zu ihrem Tode,
vor etwa fünf Jahren, gehalten worden, dann nahm der Bauer mit seinem
Kinde den Platz obenan am Gesindetische ein, nur für kurze Zeit, denn
bald veranlaßte ihn die Krankheit, welche die Kleine befiel, letztere
den Leuten aus dem Gesichte zu rücken und allein mit ihr wieder auf
seiner Stube zu bleiben.

Als er sich zu den beiden Mädchen an den Tisch gesetzt hatte, trug eine
alte Magd das Essen auf.

„Sepherl,“ sagte der Bauer.

„Jo,“ sagte die Alte.

„Da hab’n wir ein’ neue Dirn’ ’kriegt.“

„So?“

„Leni heißt’s.“

„Leni?“

„Is der Burgerl z’lieb aufg’nommen.“

„Ahan!“

„Ich denk’, sie soll heut noch in der Gäststub’n schlafen.“

„Freilich.“

„’s Weitere muß sich halt schicken.“

„Is eh’ so.“

„Daß ’s Bett g’richt wird, hab’ ich schon der Traudel g’sagt.“

„G’sagt.“

„Schau du nach, ob auch all’s in Ordnung is.“

„Jo,“ sagte die Alte und schlich so schwerfällig hinweg, wie sie
gekommen war.

„Aber, Vater, sie kann ja doch heut’ gleich in mein’ Stüberl schlafen,“
sagte Burgerl, auf Magdalena weisend. „Du hast dich jetzt schon d’
längst’ Zeit her beholfen, gönn’ dir ein’ Ruh’ und bleib’ herunt’, sie
geht schon mit mir.“

„Bedenk, Burgerl, es ist d’ erst’ Nacht,“ entgegnete der Vater.

Das Kind machte eine ungeduldige Gebärde. „Einmal muß’s ja doch zu mir.“

„Freilich wohl, aber so ohne Arg nit; morgen ist ja auch ein Tag, da
kann man sie bedeuten.“

„Nein,“ rief heftig die Kleine dazwischen.

„Denk nur, wenn’s dich heut so überkommt.“

„Ich fürcht’s nit,“ sagte Burgerl, doch schauerte sie leicht zusammen.
„Laß sie nur mit mir gehn.“

„Ich ließ’ sie ja gern,“ sagte der Bauer, sich erhebend.

„Du laßt sie, Vater?“ rief aufhüpfend die Kleine und streichelte ihm
die Hand.

„Aber wär’ nit g’scheiter, Burgerl --?“

„Nein,“ sie stampfte mit den Füßchen.

„Mein’tswegen, mein’tswegen,“ sagte der Grasbodenbauer, er stand
eine Weile unentschlossen. „Geh’ ich halt jetzt und schau’ vorm
Schlafen nochmal in Haus und Hof nach. Gut’ Nacht.“ Achselzuckend und
kopfschüttelnd stieg er die breite Treppe, die nach dem Erdgeschosse
führte, hinab, während Burgerl die schmale, steile Treppe, die unter
das Dach führte, behend hinaneilte. Also sie wohnte unterm Giebel.
„Komm, Leni,“ rief sie.

Als diese ihr folgen wollte, ward sie von Sepherl, die das Eßzeug
wegräumte, am Arme festgehalten. „Daß du’s weißt,“ flüsterte ihr die
Alte zu, „Licht und Feuerzeug stehn auf’m großen Wäschkasten. Hast ein
schweres Kreuz auf dich g’nommen. Gute Nacht!“

„Leni,“ rief es von oben.

Magdalena eilte die Stufen hinan und oben traten die beiden Mädchen in
das kleine Stübchen.

„Soll’n wir uns nit Licht machen?“ fragte Magdalene.

„Wozu?“ fragte Burgerl entgegen. „Es ist hell genug, daß wir allzwei
ins Bett finden, das meine steht da, das deine an der Wand gegenüber.
An dem Wäschkasten neben der Tür und an dem Wäschkasten zwischen ’n
Fenstern kannst dich nit stoßen, wann du’s an dem klein’ Tischl und
den zwei Stühl’ nit tust, so wüßt’ ich nit, wie du’s sonst zuwegen
brächt’st, denn weiter is nix da.“

Die gute Laune des Kindes beruhigte Magdalene, welche die Andeutungen
des Großvaters, das Gespräch des Vaters und die Worte der alten Magd
schon besorgt gemacht hatten, um so besorgter, da ihr nicht klar war,
was sie eigentlich zu fürchten hatte.

Außer dem Gebell der Hunde, das manchmal von ferne erscholl, ohne sich
dem Ohre aufzudrängen, war kein Laut im Dorfe hörbar und Schweigen der
Nacht lag weit über das Land gebreitet. In dieser tiefen Stille wollten
eben Magdalene wehmütige Gedanken an ihren Heimatsort beschleichen,
an alle, die sie dort verlassen mußte und warum sie das mußte, --
plötzlich schreckte sie empor, von der Wand gegenüber tönte ein
eigentümliches Geräusch; wie unruhig mußte sich das Kind gehaben, da
das Bett unter ihm schütterte?

Rasch erhob sie sich vom Lager, trat an den Wäschschrein und tastete
nach dem Feuerzeug.

„Kein Licht,“ rief das Kind, „kein Licht, Leni!“ Aber es sprach das
mit so entstellter Stimme, daß Magdalena sich nur schneller mühte,
Licht zu gewinnen, und als jetzt der Docht der Kerze aufflammte und sie
hinzutrat, da streifte ihr Fuß an die herabgewühlte Decke und im Bette
lag das Kind, den kreidigweißen Körper entblößt, jedes Glied desselben
unter regellosen, wilden Zuckungen herumgeworfen, das Auge stier, den
Mund verzerrt.

Entsetzt stand Magdalena und drückte die gefalteten Hände vor die
Brust, aber das Grauen wich, als die Kleine zu klagen begann.

„Sagt’ ich’s? Kein Licht! Nun schreckst dich auch vor mir und magst
mich nimmer, wie mich alle scheuen, die Kinder, wenn ich mit ihnen
spielen will, die Großen, wenn ich möcht’, daß’s ’gen mich freundlich
wär’n. Den Veitstanz, sagen’s, hätt’ ich. Da sieh, wie das ist.
Ich bin nit Herr über meine Füß’, nit über meine Händ’, bald auch
über mein’ Zunge nit. Unterdrück’ ich’s tagüber mit aller Gewalt,
überkommt’s mich nachts nur ärger. O, Leni, ich hab’ doch nix
ang’stellt, kein’ Menschen hab’ ich was an’tan, noch ’n Herrgott im
hohen Himmel oben beleidigt, z’weg’n leid’ ich denn?“

Da beugte sich Magdalene mit tränenden Augen über sie und ein heißer
Tropfen netzte die bleiche Wange des Kindes.

„Um ’n Hals,“ lallte dieses aufgeregt, „um ’n Hals.“

Was wollte es nur, -- fragte Magdalene, -- doch nicht um den Hals
genommen sein, den es unaufhörlich drehte? Da begriff sie, faßte die
armen, zuckenden Ärmchen, legte sie sich um den Nacken und hielt sie
da fest. „Ich tu’ mich nit scheuen,“ sagte sie dabei, „ich scheu’ dich
nit, Burgerl.“

Der Mund der Kleinen verzerrte sich, häßlich, nichtssagend, nur in den
Augen, die sich für einen Blick ganz öffneten, sprach es sich aus, daß
sie lächeln gewollt.

Ein lange, bange Weile verstrich, so länger, je bänger sie war, dann
löste sich der Krampf, die Ärmchen glitten matt und müde herab, das
Kind lag ruhig und verfiel in Schlaf.

Leise erhob sich Magdalene, griff die Bettdecke vom Boden auf und
breitete sie über.

„O, du mein arm’, armes Haserl, du!“

       *       *       *       *       *

Der wolkenlose Himmel und die klare Luft des Frühmorgens versprachen
einen schönen Tag. Der Grasboden umschloß auch einige Ackergründe, die
betreut sein wollten, nach diesen zog das Gesinde des Grasbodenbauers
aus und er selbst, nachdem er denen, welche die Arbeit zu leiten
hatten, einige Weisungen zugerufen, stand nun inmitten des Hofes und
sah den Abziehenden nach.

Da wurde es vom Wohnhause her laut, Burgerl sprang aus der Tür und lief
durch den Garten.

Magdalene folgte ihr nach und lachte: „Schau, was du rennen magst mit
deinen klein’ Stelzerln.“

Burgerl riß die Zauntüre auf. „Guten Morg’n, Vater. Grüß dich Gott!
Guck, da kommt auch die Leni, mein’ gute Leni, mein schöne Leni. Is sie
nit schön?“ sagte sie, als wäre sie darauf stolz.

Der Bauer und Magdalene lächelten.

Nur als die Kleine neckte: „Na, so sag doch, Vater!“ und der Bauer
schmunzelnd erwiderte: „Sauber is ’s schon,“ da errötete Magdalene.

„Geh’n wir heut auch über die Wiesen, damit du das Anwesen kennen
lernst,“ sagte Burgerl, dann schmiegte sie sich an Magdalene an und
flüsterte: „Ich führ’ dich nur, wo wir all’n aus’n Augen sind, daß ich
dich allein hab’.“

Der Bauer sah mit freundlich aufleuchtenden Augen nach Magdalene. „Ist
ein Schmeichelkatz’, das? Was?“

„Aber eh’ hol’ ich mir mein’ Gartenhut,“ rief Burgerl. „Möcht’st auch
ein’ haben, Leni? I gäb’ dir gern den von meiner Mutter selig. Darf
ich, Vater?“

Der Bauer nickte.

Das Kind lief durch den Garten in das Wohnhaus zurück.

Die beiden standen sich nun allein gegenüber.

Nach einer Weile sagte der Bauer, indem er dabei zur Seite sah: „Wirst
schlecht geschlafen haben?“

„Viel nit.“

„Denk’ mir’s.“

„Aber das Wenig’ dafür recht gut.“

Der Bauer blickte fragend auf, dann senkte er wieder den Kopf und
murmelte leise: „So viel unruhig ist’s halt.“

„Weißt, Bauer,“ sagte Magdalene, „daß dir dein’m Kind sein Unglück
nit von der Zung’ will, das begreif’ ich recht wohl und daß du wissen
willst, woran du mit mir bist, versteh’ ich auch; laß uns also nit
lang’ herumreden. Gestern, im ersten Schreck, war mir, als müßt’ ich
flüchten, auf und davon, wie’s mich aber gejammert hat und die klein’
Armerln da über mein’ Hals gelegen sein, da hätt’ ich nimmer das Herz
dazu gehabt, jetzt bleib’ ich dir schon bei dem Dirndl, so lang’s dir
taugen mag.“

„Das ist recht schön von dir.“

Weiter sagte der Bauer nichts und doch blickte Magdalene verwundert
auf, wie das so zu tiefst heraufgeholt klang aus der mächtigen Brust
des starken Mannes, der vor ihr stand.

Jetzt, da er das Kind durch den Garten kommen sah, hob er die Rechte,
wie um darauf aufmerksam zu machen, und einen Schritt zurücktretend,
sagte er: „Es schickt sich wohl noch, daß ich dir das eine und das
andere sag’.“

Nun lief Burgerl hinzu, einen Strohhut auf dem kraushaarigen Köpfchen,
den zweiten, den sie in der Hand schwenkte, mußte sich Magdalene von
ihr aufsetzen lassen. „Selb’ unter dem verdrückten Strohdeckel guckst
noch lieb hervor,“ lachte sie, „hab’ schon gedacht, ich hätt’ mein
Spaß, wie ich dich recht mit ihm verunzier’. Nun komm, komm nur mit.“

Sie faßte sie an der Hand und führte sie durch das rückwärtige Hoftor,
auf dem Wege, den früher das Gesinde eingeschlagen hatte, hinaus auf
die sonnigen Wiesen.

Auf schmalen Fußsteigen, neben den nickenden Halmen, auch quer über
manche Fläche gingen sie dahin, „denn ’m schüttern Graswuchs,“ meinte
Burgerl, „hilft’s Schonen nit auf und ’n fetten bringen paar Fußtritt
nit um.“ Magdalene merkte, daß die Kleine, trotz des anscheinend
ziellosen Herumstreifens, eine bestimmte Richtung einhielt.

Vor den beiden Mädchen liefen zwei langgestreckte Schatten einher.
Magdalene wies danach. „Wenn die zwei schwarzen Manderln da klein
geworden sein, wird die Sonn’ wohl rechtschaffen herbrennen. Schad’t
dir’s denn nit, wenn du in der Hitz’ gehst?“

„Ich frag’ nit nach dem bisserl Hitz’,“ sagte Burgerl, „wenn ich
gleich kein Mohr bin, wovon der Lehrer sagt, sie täten bei uns zu Land
frieren.“

„Geh, hätt’ der Lehrer wohl gar mit ein’ solchem g’red’t?“

„Ei mein, wie käm’ der Alte dazu, daß er ein’ Mohren kennt, außer den
beim Krämer auf’n Schild, wo d’runter steht, ‚Tabak und Zigarren‘?
Aus sein’ Büchern hat er’s halt, wie alles, was er uns aufsagen und
niederschreiben laßt. Gäb’ man die Bücher ’m Heiner, unserm Großknecht,
der lest, daß es wie geredet ist, er könnt’ leicht schulhalten an des
Alten Stell’, wär’ aber schad’, denn der könnt’ ihm’s nit gleich tun
auf’m Feld.“

„No, wie ich merk’,“ lachte Magdalene, „bist du dein’m Lehrer nit wenig
aufsässig. Ja, sag’ mal, ist denn heut kein’ Schul’? Am End’ gehst du
stürzen[16] und ich halt’ da mit.“

„Schul’ is wohl,“ sagte die Kleine mit trotzigem Lächeln, „aber ich
besuch’ keine, seit ich krank bin. Hat’s ja gleich der Alte mein’m
Vater nahg’legt, daß ich die dummen Fratzen zur Unzeit lachen mach’
oder fürchten, und seit der Zeit kommt er zu uns auf’n Hof ’gen Abend,
wenn er sich schon mit alle andern abgemüd’t hat und lehrt mich, was er
denen. Sonntag nachmittags geh’ ich in d’ Christenlehr’ zur Kirch’, aus
der haben’s mich doch noch nit hinaus geschafft.“

Eine gute Weile schritten die beiden Mädchen schweigend nebeneinander
her. Plötzlich rief Burgerl lustig: „Da sind wir. Jetzt komm, Leni!“
Sie lief auf einen Hügel zu, auf welchem eine knorrige Eiche stand,
welche die Krone eingebüßt hatte, dafür wuchsen die Äste am Stumpfe um
so mehr in die Breite.

„Gibt dir der wohl genug Schatten?“ fragte Burgerl nach dem Baume
weisend. „Und nun schau dich einmal um, da hast du den ganzen Grasboden
vor dir liegen.“ Beide Arme von sich streckend, drehte sie sich herum.
„Hat er eigentlich nit zu viel, der Vater? Guck nur, ’s ganze Dorf
entlang und beidseit’ drüber hinaus, so weit ’s Buschwerk davor und
dahinter an der Straß’ lauft, dann die ganze Zeil’, die ’s da zur Seit’
sich streckt, bis wo es das Eck’ macht, in dem du die winzigen Manderln
sich umtun siehst, unser G’sind, und von da bis an den Föhrenwald.“

„Der g’hört nimmer dazu?“

„Er g’hört dazu und es führt die Straße durch, die der Vater auf sein’
Grund instand halt’.“

„Es muß ja ganz schön sein im Wald da drüben?“

Burgerl wandte scheu den Blick von der Gegend ab. „Ich geh’ nit hin,“
murmelte sie. Sie setzte sich auf den weichen Rasen zu Füßen des
Baumes. „Nun könnt’st dich aber auch schon g’nug umgesehen haben, jetzt
komm her, setz’ dich da zu mir in’ Schatten und erzähl du einmal.“
Und als Magdalene an ihrer Seite saß, begann die Kleine sie zu fragen,
woher sie sei, wie es wohl in Langendorf und auf dem Gehöfte der Eltern
aussähe, nach diesen und nach Geschwistern und zuletzt fragte sie:

„Hast du dort auch einen Schatz?“

Magdalena schrak zusammen, dann schoß ihr das Blut ins Gesicht, sie sah
das Mädchen mit einem zornigen Blicke an und sagte: „Nein.“ Es klang
hart und rauh.

„Leni,“ rief Burgerl, „sei mir nit bös! Ich hab’ nur gedacht, weil du
so lieb bist ... aber freilich wohl, es war dumm, denn, gelt ja, wenn
man ein’ gern hat, lauft man nit so weit vom Ort wie du?“

Magdalene empfand es wie ein Unrecht, daß sie sich über die Frage
eines Kindes gegen dieses erzürnt hatte. „Burgerl,“ sagte sie leise
und drückte mit ihrer Rechten die Händchen, welche die Kleine gefaltet
im Schoße liegen hatte, „frag nit. Was weißt du? Is eh’ gut, je länger
eins nix davon weiß und je weniger es nachher erfahren muß. Viel Wissen
macht da leicht Herzweh.“

So saß sie, ihre Rechte lag über den Händen des Kindes und mit der
Linken raufte sie langsam einen Halm um den andern aus. Nach einer
geraumen Weile sagte Burgerl: „Gehn wir, Leni. Es ist Zeit.“

Sie erhoben sich und gingen. Burgerl schlug denselben Weg ein, auf
welchem sie gekommen waren. Magdalene hatte vom Hügel aus bemerkt,
daß der Hof in viel kürzerer Zeit zu erreichen sein mußte, wenn man
sich der Straße nach hielt, die vom Föhrenwalde her kam und die
Wiesengründe, näher und näher dem Dorfe zurückend, durchschnitt; die
Kleine war derselben in einem weiten Bogen ausgewichen. Als daher
jetzt, nach einer guten Strecke, dieser Fahrweg in Sicht kam, wollte
Magdalene darauf zuschreiten.

„Warum geh’n wir nit auf der Straße?“ sagte sie. „Es is ja weit näher.“

Burgerl wandte den Kopf zur Seite und streckte beide Hände abwehrend
von sich. „Da geh’ ich nit,“ rief sie.

„Ja, was schreckt dich denn dort?“ fragte Magdalene. Da sah sie in
einiger Entfernung, hart an der Straße, eine niedere Mauer, über welche
Grabsteine und Kreuze ragten. „Der Freithof doch nit?“

Burgerl nickte.

„Geh, Kindisch, wirst dich doch nit vor den Toten fürchten? Sei
kuraschiert, komm! Liegt ja wohl auch dein’ Mutter dort?“

„Eb’n die, eb’n die,“ schrie das Kind, dessen Hände und Füße zu
schlottern begannen.

„Um Gottes willen, Burgerl!“ Magdalene eilte auf sie zu.

„Ja, mein’ Leni,“ stammelte das Kind, „wer weiß, weißt du, wie das is?
Hast du schon ein Totes neben dir liegen gehabt?“

„Das nit, Burgerl.“

„Und bevor eins tot is, muß es versterben, hast du schon eins sterben
gesehen?“

„Nein, Burgerl.“

„Siehst, Leni, da weißt du gar nit, wie schreckbar das is und wie es
mich ängstet, daß sie mich auch schon dort haben wollen.“

„Wer denn, Burgerl, wer denn nur? Bild’ dir doch so was nit ein.“

„O, wie oft hab’ ich’s schon g’hört, zuflüstern und laut sagen und
vielleicht denkt’s auch der Vater im stillen, daß besser wär’, wann
mich unser Herrgott zu sich nähm’. Aber ich will nit -- ich nit --“

„Komm fort! Laß uns gehn,“ sagte Magdalene, die mit ihren Armen bisher
das wankende Kind aufrecht gehalten.

Dieses blickte hilflos zu ihr empor. „Kann nit gehn, Leni.“

Da lud diese es auf die Schulter, das wackelnde Köpfchen auf der
Achsel, die schlaffen, baumelnden Ärmchen über dem Rücken, eilte sie
die schmalen Steige dahin.

„O, was ich dir Beschwer mach’, Leni,“ klagte das Kind.

„Sag lieber, ich hätt’ können g’scheiter sein. Steh’ und dreh’ mich da
auf +ein’m+ Fleck und find’ kein Weiterkommen, red’ hin und red’ her,
wo ich dir doch anmerken konnt’, es taugt nit, ich dumm’s Ding, ich!“

Eine Strecke Weges schalt Magdalene sich selbst, da flüsterte ihr
Burgerl ins Ohr: „Mußt dir nit nah’ tun, -- tu dir nit nah’, -- nur
bleib du bei mir.“

„Wir bleiben schon zusammen, Burgerl!“

Der Hof lag in mittäglicher Öde, Magdalene erreichte ungesehen das
Dachstübchen, sie ließ die Kleine aus ihren Armen auf das Bett gleiten,
da stand sie erst mit fliegendem Atem, die Hände an die Brust gedrückt,
in der das Herz heftig pochte, dann zog sie sich einen Stuhl heran und
setzte sich und faßte die Hand der Kranken.

„’s g’schieht nimmer,“ sagte sie.

Gegen Abend trappelte es die Treppe herauf, ein langer, hagerer Mann
mit eingesunkener Brust schob sich zur Türe herein. Die welke Haut
seines Gesichtes spannte sich über seinen Backenknochen, er trug eine
Brille auf der Nase und auf dem Kopfe mit dem spärlichen, weißen Haare
saß eine Tuchkappe, an der war auch die Unbill der rauhen Jahreszeit
vorgesehen, eine Handbreit Stoff war aufgeklappt und eingeknöpft und
wenn man die aufknöpfte und herabzog, so schloß die Mütze wie ein Helm.

„Ei, wieder im Bett? Hm, hm,“ hüstelte der Alte.

„Ja, da ist wohl heute nichts für Euch zu tun,“ sagte Magdalene, „wenn
Ihr der Schulmeister seid?“

„Bin ich, und Sie ist wohl die Neue? Ja.“ Er griff sofort wieder nach
der Türklinke. „Hm, hm, wenn aber immer gestern nichts war und heut
nichts ist und morgen nichts sein wird, hm, hm, so holt sie mir nie die
andern ein, hm, und wenn sie zurückbleibt, gibt der Grasbodenbauer dann
mir die Schuld, hm, hm, und mein Stundengeld sieht, unverdient, einem
Almosen gleich wie ein Ei ’m andern. Hm!“

Brummend schob er sich zur Türe hinaus.

Nach dem Lehrer kam noch der Grasbodenbauer herauf, nachsehen, nach
ihm die alte Sepherl, die das Abendessen heraufbrachte, dann blieb es
stille im Kämmerlein und ward allmählich dunkel.

„Burgerl,“ sagte Magdalene, „es irrt dich wohl nit, wenn ich ein Licht
anzünd’ und du leihst mir wohl dein Schreibzeug und schenkst mir ein
Fleckl Papier?“

„Das erste irrt mich nit,“ antwortete Burgerl, „’s eine Andre leih’ ich
dir gern und vom anderen Andern nimm dir, wieviel d’ brauchst.“

„Ich muß doch nach Haus schreiben, daß meine Leut’ wissen, wo ich
verblieben bin. Mein Vater, der steif und fest glauben muß, ich sei
jetzt zu Wien, wird sich wohl wundern, wenn er mit einmal ein’ Brief
von ganz fremd woher kriegt.“

Als sich Magdalene alles zurecht gestellt und gelegt, saß sie beim
flackernden Kerzenlichte und sann. Es war der erste Brief, den sie in
ihrem Leben selbständig zu schreiben hatte, denn in der Schule hatte
sie wohl auch „im deutschen Aufsatz“ Briefe zu schreiben „aufgekriegt“,
aber da hatte immer das Buch und der Lehrer nachgeholfen.

Jetzt mußte sie allein mit sich schlüssig werden, was sie zu schreiben
habe, -- das war die „Aufgabe“, -- wie sie es zu schreiben habe, daß
es auch recht herauskomme, -- das war der „Stil“, -- wie jedes Wort
geschrieben werde, -- das war die „Rechtschreibung“, -- und wie jeder
Buchstabe, -- das war das „Schönschreiben“. Ja, es ist wohl gut, wenn
eines was gelernt hat, aber man sollte es nicht glauben, was man zu so
einem Briefe alles braucht!

Sie krümmte den Oberkörper über die Tischplatte, kniff die Lippen
zusammen und krampfte die Finger um die Feder. Anfangs achtete sie
nicht auf die kleinen Falter und Mücken, die, von der Flamme gesengt,
auf das Blatt fielen, seit aber solch ein verunglücktes Insekt sich
in den nassen Schriftzügen gewälzt und hinter sich mit den genetzten
Flügeln eine Straße gezogen hatte, blies sie ärgerlich all das
Ungeziefer hinweg.

Mit der ersten Seite war sie zustande gekommen. Den angefangenen
Satz schon fertig im Kopfe, das nächste Wort schon in der Feder,
saß sie ungeduldig; die Schrift wollte nicht trocken werden, die
Schattenstriche waren ihr gar zu gut geraten. Sie faßte das Blatt
und fuhr damit behutsam über der Kerzenflamme hin und her, bis kein
Buchstabe mehr blinkte, dann schrieb sie weiter. Mit der zweiten Seite
endete auch der Brief, sie seufzte froh auf, als sie ihren Namen
unterfertigte; nun galt es nur noch das Blatt zusammenzufalten und die
Adresse darauf zu schreiben.

Wieder fächelte sie damit über dem Lichte, einen halben Blick tat
sie dabei nach dem Fenster; außen am Nachthimmel brannte in heller,
freundlicher Lohe ein Stern.

Lieb’ Sternderl, du leucht’st jetzt wohl auch daheim über unserm G’höft
und spiegelst dich in dem Wasserstreif, der der Mühl’ zuschleicht ...

„Jesus!“

Das Papier war so geduldig gewesen, wie es ihm zugeschrieben wird, es
hatte sich braun sengen lassen, aber jetzt flackte es auf und brannte
hell.

Entsetzt starrte Magdalene darauf hin, es fehlte ihr fast an Atem, die
Flamme auszublasen. All die schwere Mühe war umsonst gewesen! Tränen
des Unmuts traten ihr in das Auge, als sie nun abermals nach der Feder
griff, denn verschieben durfte sie es nicht, heute schickte sich just
Zeit dazu, wer weiß, ob morgen wieder? Ach, und so gut wie er ihr aufs
erstemal geraten, gerät ihr der Brief wohl auch nimmer!



14.


Tag reihte sich an Tag und Woche an Woche. Seit das Kind mit einer
älteren, überlegenen Gespielin im Verkehre stand, diese täglich lieber
gewann und auch seinethalben bedacht und besorgt wußte, ward es
zusehends beruhigter, die widrigen Anfälle traten minder häufig und
heftig auf, dafür hing aber auch Burgerl wie eine Klette an Magdalenen
und diese behielt wenig Zeit für sich, und das hatte wieder für sie
sein Gutes; die stete Bedachtnahme auf die Kleine, das Hineinleben in
die neuen Verhältnisse und Vertrautwerden mit denselben beschäftigte
sie vollauf, und ganz von der Gegenwart in Anspruch genommen, fand sie
keine Muße, sich um die Zukunft zu sorgen, oder die Vergangenheit,
wenn sie selbe auch nicht vergessen konnte, sich zu vergegenwärtigen
und Gedanken darüber nachzuhängen, und wenn, nach einem innersten
Herzwinkel zurückgedrängt, auch manchmal in nächtlichen oder wachen
Träumen das Vergangene schmerzend dort aufzuckte, so deckte doch der
Tag mit seiner satten Farbe das matte Traumbild und das unmittelbare
Empfinden verscheuchte das träumerische Erinnern.

Magdalene hatte nur jene Stunden für sich, während welcher der Lehrer
mit Burgerl sich abmühte, die Anzahl derselben war aber in der letzten
Zeit vermehrt worden. Lange schon hatte der Alte geklagt, daß das
Kind so wenig aufmerke und so schwer in der Stube zu halten sei, aber
in seiner Unbeholfenheit hatte er sich nur Knechten und Mägden auf
dem Gehöfte und Leuten im Orte anvertraut, die alle ihm weder helfen
konnten, noch wollten und seine Aussage nur als willkommenen Stoff zu
Klatsch benutzten, um dem reichen Bauer hinterrücks eins aufzuhängen,
die einen gaben ihm schuld, daß er das Kind verwahrlosen lasse, die
andern fanden ihn dadurch bestraft, daß dieses ganz und gar „deppig“
sei und wohl auch sein Leb’lang bleiben werde; wodurch er die Schuld
auf sich lud und wofür er die Strafe trug, darüber zerbrachen sich
allerdings weder die einen noch die andern die Köpfe. Ganz zuletzt kam
dem Lehrer der Einfall, der vielleicht jedem anderen zuerst gekommen
wäre, sich an den Vater seiner nachlässigen Schülerin zu wenden, aber
für den ängstlichen Mann war es eben kein Kleines, dem Angesehensten im
Orte und weit in der Runde zu sagen, dein Kind ist weniger anstellig
als der nächstbeste Kleinhäuslerrange, der mir mit bloßen Füßen in die
Schulstube gerannt kommt.

„Nichts für ungut, Grasbodenbauer,“ sagte er denn eines Tages, „aber
ich kann dein’m Dirndl kein Vakanz mehr verstatten, hm, hm, es ging
wider mein Gewissen, sie bleibt mir hinter alle zurück, hm, hm, und
wenn du sie prüfen ließest und sie bekäm’ ein schlecht’ Zeugnis, das
wär’ mir eine ewige Schand’, hm, hm, ja, denn wie rechtschaffen du mich
für mein’ Sach’ bezahlst, möcht’s schier aussehen, als käm’ ich nicht
dafür auf, hm, hm, und da tät’ ich wohl bitten, du verhielt’st mir’s
dazu, daß sie auch an Donnerstagen und Sonntagen Lehrstunden nimmt, hm,
hm, mich reut die Müh’ nit und du brauchst’s nit extra z’lohnen.“

„Weißt, Schulmeister,“ sagte der Bauer, „das fiel’ mir nit bei, daß
ich dich anschuldigen möcht’, als verstünd’st du dein’ Sach’ nit, wann
dir’s gleich bei derer Teuxelsdirn’ fehlschlaget. Das Köpfel wär’ nit
so schlecht, das weiß ich, aber Sitzfleisch is kein’s da, das weiß ich
auch, und streng sein fleckt da nit, ich dankte Gott, vertrüg’ sie
wie ein anders ein’ Tracht Schläg’; aber du weißt ja! No, daß wir von
der Sach’ reden, was übers Bedungene hinausgeht, das kann ich mir nit
schenken lassen und da drüber würden wir uns wohl einigen, ich frag’
dich nur, ob du glaubst, daß du in derer Weis’ was richt’st?“

Der Schulmeister beteuerte seinen guten Glauben, in der Weise wohl
etwas richten zu können, und der Grasbodenbauer war es zufrieden.
Burgerl zog freilich sauere Gesichter, wenn sie nun jeden Donnerstag
den Alten zweimal die Treppe heraufstampfen hörte und wenn er sich gar
Sonntags bald nach Tische einstellte, aber an dem Vormittage mußte
er sie wohl frei geben, denn da hatte er in der Kirche die Orgel zu
spielen, oder, wenn ein Hochamt war, die Geige zu streichen, wozu die
andern zu Ehre Gottes darauf los paukten und trompeteten, als ob sie
des Teufels wären.

Vier Wochen waren verstrichen, seit sich Magdalene auf dem Gehöfte des
Grasbodenbauers befand, wieder war es Sonntag geworden, rings lag alles
in feiertäglicher Ruhe, ein Teil des Gesindes, der den Nachmittag frei
hatte, war gleich nach dem Mittagessen auf und davon gegangen, der
andere Teil, der heim bleiben mußte, zerstreute sich und zogen sich
die einzelnen oder ihrer etliche zusammen nach einem schattigen Winkel
zurück. Mägde vertrauten sich ihre Heimlichkeiten an, sagten sich alles
Schöne und anderen alles Üble nach, besonders den gottlosen Buben,
und diese hielten es ganz gleich mit den „verhöllten“ Dirnen. Von den
einzelnen ging müßig, wer dazu Lust hatte, wer sich aber Arbeit wußte,
der beschäftigte sich nützlich, manche Dirne setzte ihre schadhaften
Kleidungsstücke sorglich instand und tat dann wohl auch ein übriges für
die ihres Schatzes, und dieser, wenn er sich anders darauf verstand,
Schuhzeug zu nageln, vergalt ihr an den Füßen, was sie ihm an den
Armen, auf dem Rücken, oder sonst wo, gebessert. Alle aber erfüllte der
tröstliche Gedanke, daß sie, die Heimbleiber von heute, über acht Tage
die Herumtreiber sein werden, und das Vergnügen, das sie sich davon
versprachen, kosteten sie schon jetzt vor.

Als der Lehrer in Burgerls Stübchen trat, nahm Magdalene eine Näharbeit
mit sich, stieg die Treppe hinab, um in den Garten zu gehen, unten im
Flur angelangt, sah sie den Bauer an dem Türpfosten lehnen.

Ja, wie sie mit dem Grasbodenbauer daran war, das wußte sie nicht. In
der ersten Woche hatte die alte Sepherl, die gerade an Hüftweh litt,
sie gebeten, ein Schaff Wasser nach der Küche zu tragen; das Schaff
war groß und trug sich schwer, der Bauer, der nahe stand, trat rasch
hinzu, wollte anfassen und es mit ihr zu zweien tragen, aber Magdalene
wollte sich nicht um alle Welt untüchtiger wie das alte Weiblein
zeigen, das sich so oft damit schleppen mußte, daher sagte sie lachend:
„Aber was dir nur einfallt, Bauer, wirst mir doch nit helfen wollen
des klein Lackerl Wassers wegen? Bei der alten Sepherl kommst nie auf
den Gedanken.“ Der Bauer errötete und lachte auch, dann aber sah er
sie ernst an und sagte: „Weißt, weil dir solch’ Arbeit nit zukommt,“
damit wandte er sich ab und seither, wenn sich auch Gelegenheit dazu
schickte, war er ihr nie mehr beigesprungen und sprach nur wenig mit
ihr, freilich dieses Wenige so freundlich, wie es den meisten Leuten
gegenüber seine Art war. Ließ er sie sich nur Burgerls wegen auf seinem
Hofe gefallen und stand sie ihm weiter nicht zu Gesicht?

Anders verhielt sich’s mit Heiner, dem Großknechte, den Burgerl so
gerühmt hatte, der ließ es Magdalene gleich nach den ersten Tagen und
seither bei jeder Begegnung merken, daß er ihr nur zu gut wäre, und
darum wich sie ihm immer sorglich aus.

Der Bauer also, mit dem sie sich nicht aus wußte, lehnte an dem
Türpfosten, als er sie jetzt herankommen hörte, wandte er sich nach ihr
um.

Es dünkte ihr nicht schicksam, so ganz ohne Ansprache an ihm
vorbeizuschlüpfen, sie deutete hinter sich nach der Treppe und sagte:
„Der Lehrer is oben.“

„Ich weiß’s,“ sagte er, „und wart’ eb’n auf dich.“

„Ei, du mein,“ verwunderte sie sich.

„Komm mit, ich will mit dir von der Burgerl reden.“ Er schritt des
Weges voran.

In der Nähe des Gartentürchens stand der Heiner und lugte über den
Zaun. Obwohl er zu denen gehörte, die heute sich auswärts umtun
konnten, hatte er doch bis jetzt auf dem Hofe sich herumgetrieben;
als er nun Magdalene mit dem Bauern hinter den Bäumen verschwinden
sah, fluchte er leise und wünschte letzterem unterschiedliche, meist
gesundheitsschädliche Zufälle an den Leib. Unmutig wandte er sich ab.

Da schallte vom Brunnen her ein lautes Lachen, die Traudel, die
halbblöde Stalldirne, saß dort auf dem Troge, sie hatte alles mit
angesehen und lachte und wies dabei wiederholt mit steifem Finger nach
dem Garten.

Schon fuhr Heiner mit dem Arme aus, aber er besann sich, begnügte sich,
vor ihr auszuspucken und ging mit langen Schritten über den Hof zum
Tore hinaus.

In der Mitte des Gartens befand sich eine Laube, deren dichtes
Rebengrün einen Tisch und zwei Bänke beschattete, auf einer derselben
nahm der Bauer Platz, die andere wies er Magdalenen an.

„Brauchst darüber nix zu versäumen,“ sagte er, indem er nach ihrem
Nähzeuge deutete, „das verlang’ ich nit, unter solch einer Arbeit kann
man ein’m ganz gut zuhören. Bist flink! Is recht. Daß ich dir also
sag’, weil du so rechtschaffen Anteil an mein’ klein’ Dirndl nimmst und
ihm in Wahrheit ein’ gute Kameradin bist, so is es wohl billig, daß
auch du weißt, was alle im Ort wissen, nämlich, wie das arme Waiserl
zu sein’m Siechtum gekommen is; das vergessen die Leut’ nur zu oft;
wenn sie ihm just ein Ungeschickt’s in Übel aufnehmen und im Unguten
bereden. Ich erzähl’s wohl nur ungern, aber du hast es um uns allzwei,
um mich und das Kind verdient, daß du von niemand andern davon zu
erfahren brauchst, und von mir hörst du auch nur das Wahre und nix
Dazugemacht’s.

Schwach war die Burgerl von dem Tage an, wo sie’s Licht der Welt
erblickt hat, aber trotzdem is sie alleweil g’sund g’wesen, bis vor
fünf Jahren. Ihr’ Mutter war um die Zeit krank, kränker als wir, die
Nächsten um sie, ihr angemerkt haben und als sie wohl selber gedacht
hat, nit, daß sie sich gelegt hätt’, aber das geringste Bewegen hat sie
gleich ermüd’t, und oft is sie taglang im Großvaterstuhl g’sessen, ohne
sich davon zu rühren. Wir haben in dem Jahr grad ein’ nassen Hochsommer
g’habt, ein abscheulich Wetter, das ein G’sundes hätt’ krank machen
können, mit einmal setzt’s aber doch aus und kommen ein paar Tag’, an
denen die liebe Sonn’ sich hervortraut und es recht freundlich g’meint
hat, und an ein’ Morgen zeigt die Bäuerin Lust nach Hinterwalden zu
ihr’n Eltern zu fahren, die kleine Burgerl wollt’s mitnehmen, und hat
mich gebeten, ich möcht’ einspannen lassen, ich war’s z’frieden, denn
ich hab’ denkt, die Fahrt könnt’ ihr zum Guten sein, und wie ich sie in
den Wagen gehoben und das Kind ihr zur Seit’ g’setzt hab’, da hat mich
nit entfernt ein’ böse Ahnung befallen.

Nach Hinterwalden haben’s ohne Anstand hingetroffen, die Bäuerin hat
ein’ Freud’ g’habt, wieder einmal ihre Leut’ z’ sehen, und die an
ihr und dem Enkelkind, und so war dort ein Verhalten, bis die Sonn’
angefangen hat unterzugeh’n. Wie sie aber auf der Herfahrt durch’n
Föhrenwald an die Stell’ kommen, wo die Straße eb’n ins Freie ausbiegt,
da wird der Bäuerin auf ein’ Schlag plötzlich so schlecht, daß sie ’m
Knecht zuruft, einz’halten, sie vertrüg’ ’s Fahren nimmer; der muß
halten, absteigen, sie aus dem Wagen heben und legt sie am Weg auf
ein’ Rasenfleck nieder. Die klein’ Burgerl is heulend hinterher g’rennt
und wollt’ nit von der Mutter lassen, was bleibt ’m Knecht über, als
aufsteigen und davonjagen, wenngleich d’ Pferd’ drüber zuschanden
gingen, daß er nur schnell die Kund’ auf’n Hof bringt.

Dieweil is aber die Bäuerin oben im Wald g’legen an einer Stell’,
wo tagüber kein Wagen, außer ein’ unsern, verkehrt, selten ein’
Holzklauberin sich blicken laßt und damal, wo es schon zu nachten
ang’hob’n hat, war’s dort gar schreckbar einsam. Da verfallt sie
plötzlich ins Sterben und das verschreckte Kind hat das mit ansehen
müssen, sieht sie da in Krämpfen liegen, bringt mit allem Jammern und
Schrei’n kein Wort mehr aus ihr heraus, merkt, daß die Mutter sie
nimmer hört, sie gar nimmer erkennt.“

Der Bauer drückte die Hand vor die Stirne, dann fuhr er fort:

„Bis wir eine Tragbahr’ instand g’setzt, ’n Bader g’rufen, andere Ross’
eing’spannt haben und dann mit’m Wagen und ’m nebenherrennenden G’sind
an Ort gelangt sein, da is das Kind auch noch dazu schon über eine gute
Weil’ allein mit der kalten Leich’ g’wesen, und von derselben Nacht an
schreibt sich das Übel, da haben wir’s aufg’funden und heimbracht in
dem Zustand, der sie bisher nit verlassen hat und auch nit verlassen
will!“

Magdalene hatte beide Arme mit dem Nähzeug in den Schoß sinken lassen
und sah zu dem Erzählenden auf. „Das is schrecklich, Bauer,“ sagte sie
leise, „das is ganz schrecklich.“

„Gelt? Ja, mein’ liebe Leni, wie das damal so mit eins auf mir gelegen
is, da is mir vorerst auch drunter der Atem ausgeblieben. Nun sagt
mer wohl, wie ’n Menschen leicht verdient’s Glück hochfährtig und
unverdient’s übermütig machet, so tät’ ihn auch verdient Elend reuig
und unverdientes trutzig machen, weiß’s nit, ’s muß dabei halt doch
drauf ankommen, wie dasselbe Glück oder Elend und der beschaffen is,
den es betrifft; ich hab’ nit gemurrt. Was half’s auch? Ließ’ mer ’n
Herrgotten nur als barmherzigen Vatern gelten, krieget der ärgst’
Sünder kein’ Streich, und gäb’ man ihm herentgegen die Strafrut’n in
die Hand, mit der er jedem, nit nur für Werk’, sondern auch um Wort’
und Gedanken aufmesset, dann wär’ keiner auf der Welt von d’ Schläg’
ausg’schlossen. Daß unser Herrgott dasselbe veranstalt’t hätt’, konnt’
ich nit glauben, es war halt ein Geschehnis und da bleibt nix über, als
daß mer sein bissel Vernunft z’samm’nimmt, es leid’t und tragt, und ich
hab’s gelitten und getragen bis ins kleinste; wenig Nächt’ zähl’ ich,
die ganzen fünf Jahr’ her, die ich nit sorglich wie ein’ Kindsdirn’ bei
der Klein’ zugebracht hätt’, denn die ein’ Mägd’ war’n ihr zuwider, die
andern haben sie gescheut und schau, just die Plag’ hat mir das Kind
lieber g’macht und in meiner Sorg’ find’ ich gleichzeit mein’ Trost.“

„Bist ein rechtschaffen braver Mann.“

„Weiß nix davon, das is so eins aus’m andern kommen. Anfangs haben’s
mir eing’raten, ich sollt’ d’ Burgerl wo nach einer Anstalt hingeben,
die ein g’schickter Arzt leit’t und wo jed’s sein’ rechte Pfleg’ und
Wartung hat, aber ich hab’ mir denkt, wann ich’s gleich in die Fremd’
schick’, die Sorg’ um sie bleibt mir doch daheim und wann sie etwa
’s Heimweh überkommt, so müssen’s mir’s ja wieder z’ruckschicken und
wann mit’n Jahren die Dirn’ zu Verstand kommt und sich sagt, daß ich’s
mit freien Willen von mir geben und bemüßt z’ruckg’nommen hätt’, so
entfremd’t mir’s das, aber so mag ihr jede Sorg’ und Plag’ erinnerlich
sein, ich besteh’ als rechter Vater vor ihr und vielleicht erkennt’s
dann mein’ Treu’.“

„O g’wiß, Bauer, die Burgerl schon!“

„So hab’ ich’s halt unter mein’ und der Leut’ Augen aufwachsen lassen
und hab’s keinem übel g’nommen, wenn er sich in sein’ Nöten damit
getröst’t hat, daß auch ’m Grasbodenbauer ein Kreuz aufliegt, das aus
kein’m leichten Holz ’zimmert is.“

„Das is aber geg’n ein Mann, wie du bist, recht grauslich von den
Leuten.“

„Ah nein, das is nur menschlich, der Jammer sucht sein G’spann, wie
die Freud’ den ihren, gewinnen tun freilich dabei nur d’ Bettelleut’,
denen schenkt man bei einer Leich’ wie bei einer Hochzeit. Wie g’sagt,
die traurige Tröstung, die einer für sein Not in der mein’ sucht und
find’t, die bered’ ich nit, ein anders aber ist’s, das mich kränkt, die
Bosheit und Schadenfreud’. Ich könnt’ wohl ’m ärmsten Holzknecht ’s
g’sunde Leben seiner Kinder neiden und in mancher Nacht hätt’ ich gern
mit ein’ solchem ’tauscht, doch nit ohne daß ich ihm vorm Handschlag
g’sagt hätt’, sieh dich für, was d’ tust, ’s könnt’ dich reu’n und
ich mag dich nit trüg’n; doch über mein Drangsal und der Burgerl ihr
Siechtum is im Ort herumgered’t word’n, als wär’s eine verdient und ’s
andere a Schimpf, und es geschieht doch kein’m leichter je schwerer
mir geschieht und es hebt doch keiner mehr Ehr’ mit sein’ Kind auf,
weil er mir das meine verschänd’t. So oft mer so a Bösartigkeit zu
Ohren ’kommen is -- und zu’trag’n wird’s ein’m ja, -- hab’ ich all’mal
Gott dankt, daß die Dirn’ kein Bub’ is, was hätt’ mer dann erst leiden
müssen, er und ich, wir all’zwei miteinander? So ist’s ein Dirn’,
schenkt ihr Gott doch noch ’mal die G’sundheit, kann sich alles zum
Guten schicken und sie ein’ braven Mon und der Grasboden ein’ rechten
Herrn kriegen, soll’s nit sein, dann mag sie, wann’s einmal allein
auf der Welt steht, ’s Anwesen verpachten oder verkaufen, es langt
reichlich, daß sie für all ihr Leblang nit zu sorgen braucht, bis dahin
aber muß ’s Ganz’ rechtschaffen z’samm’g’halten und verwalt’t werden;
wie schwer mir das bislang aufgelegen ist, wo ich beiher die Kleine
betreuen mußt’, das kannst du dir wohl denken, aber auch das, wie froh
ich jetzt bin, Kopf und Händ’ völlig frei zu kriegen, weil du da bist!“

Er langte hinüber und erfaßte die Rechte des Mädchens, die eben nach
einer Zwirnspule griff. Magdalene zog die Hand nicht zurück, nur, wie
um dem Drucke der fremden auszubeugen, spreitete sie die Finger so
flach über der Tischplatte aus, als es die Spule gestattete, plötzlich
aber diese hastig aufgreifend, schnellte sie die Hand des Bauers von
sich, und dieser erhob sich gleichzeitig, denn Burgerl kam durch den
Garten herzugelaufen.

„Vater,“ rief sie, „weißt schon, künftig’ Donnerstag is Kirchtag?!“

„Weiß’s, weiß’s ja ehnder. Was ist dabei Neu’s?“ fragte der Bauer.

„Nix nit,“ lachte Burgerl. „Aber gelt, Vater, du setz’st dich wohl
heuer auch wieder auf ein’ oder paar Stund’ zu’n großen Leuten ins
Wirtshaus?“

„No, hinschau’n muß ich wohl.“

„No, siehst, weil d’ einmal dabei sein mußt; könnt’st mer auch fein
gleich ein’ Kirtag[17] heimbringen.“

„Werd’ dran denken.“

„Aber der Leni auch.“

„Freilich, freilich, auf die werd’ ich doch nit vergessen,“ sagte der
Bauer und schritt hinweg.

„Burgerl,“ sagte nach einer Weile Magdalene, indem sie die Kleine an
sich zog und ihr mit beiden Händen über das krause Haar strich, „du
weißt’s wohl nit und kannst’s wohl auch noch nit wissen, was für ein’
kreuzbraven Mon du zu’n Vatern hast!“

„Weil er uns ein’ Kirtag mitbringt?“ fragte lustig Burgerl.

„Du Unend’,“ schalt Magdalene und zog die Hände von ihr zurück und
wollte sich just ernstlich erzürnen, wenn sie das vermocht hätte, dem
Schalk gegenüber, der aus den Augen des Kindes lachte.



15.


„Künftig’ Donnerstag is Kirchtag,“ das sagten sich alle im Orte, einer
dem andern, obwohl es jeder und jede wußte und es keinem gesagt zu
werden brauchte; das Alter dachte dabei seinen Spaß, die Jugend ihre
Lust zu haben und die Erwartung macht mitteilsam.

Am Frühmorgen des Tages, der dem Feste voraufging, kniete Magdalene an
einem Gemüsebeete, sie hatte Grünzeug ausgestochen, nun aber lugte sie
mit langem Halse zwischen den obersten, schwanken, schütteren Zweigen
der Hecke hindurch, die diesen rückwärtigen Teil des Gartens vom
Grasboden schied. Über die Wiese kamen der Bauer und der Knecht Heiner
dahergeschritten. Dunkel und scharfumrissen hoben sich in der klaren,
farblosen Morgenluft die beiden Gestalten ab, regten die Arme, öffneten
und schlossen den Mund, doch der Entfernung wegen und weil der Wind
ihnen entgegenstrich, war kein Laut hörbar, das nahm sich so lustig wie
ein großes Schattenspiel aus und man hatte es obendrein umsonst.

„Morgen werd’n mer die Neue probier’n,“ sagte der Knecht.

„Wen?“ fragte der Bauer.

„No, die Leni, ob die auch brav tanzt.“

Der Bauer runzelte die Stirne. „Hast du was mit ihr?“

„Noch nit.“

„Wär’ mir lieb, du fangest auch nix an mit der. Möcht’ nit, daß ihr was
in’ Kopf g’setzt würd’, was s’ mir ’leicht von der anvertrauten Obsorg’
abwendig machte. Verstehst?“

„G’wiß! Jetzt find’ ich mich schon z’recht. Denklich, hast ihr’s wohl
auch schon zu versteh’n geb’n und sie weicht mir aus, weil s’ fürcht’,
daß ’s ein Verdruß setzt?“

„’s war noch kein Anlaß ihrerseits, daß ich derlei bered’, es is mir
aber lieb, daß ich hör’, daß s’ dir von freien Stücken ausweicht.“

„No, ob just aus gar so freien Stucken? Weißt, Bauer, da drüber laß’s
lieber unb’fragt, aber das laß dir sagen, selb’ is wohl ein groß’s
Verlangen und hilft dir kein klein’ bissel, daß sich z’weg’n deiner
klein’ Dirn’ die große fürs Kloster versparen soll.“

„Dumm’ Zeug! Was begehrst denn auf? Wir reden sich doch in gutem. Is
mein Will’ dem dein’m z’wider, no, so kannst ja geh’n, is ’s aber der
dein’ dem mein’m, dann mußt geh’n.“

„So? Red’st deutlich.“

„Das g’hört all’mal zu ein’ rechten Verstehn und weil ich mich sonst
niemal in solchene Sachen einmisch’, derhalb’n muß ich wohl klar
aussag’n, daß ich da nix leid’, mit derer Dirn’ nit!“

„Am End’ g’fallt’s dir selber.“

Der Bauer reckte sich hoch auf, so daß der Heiner unwillkürlich einen
Schritt zurücktrat.

„Du Lapp, du! Meinst, jeder wär’ wie euer einer? Fünf Jahr is ’s, daß
ich nach keiner Schürze frag’, werd’ ich’s jetzt mit einmal tun?!“

Damit kehrte er dem Knechte den Rücken und ging rasch hinweg, als
er aber durch eine Lücke der Gartenhecke schlüpfte, befand er sich
plötzlich Magdalenen gegenüber, er errötete und sagte unwillig:
„Horchst du da?“

Auch dem Mädchen stieg die Röte ins Gesicht, es streckte den Arm nach
der Stelle aus, wo die beiden Männer gestanden hatten. „Auf +die+
Weit’? Traust mir lange Ohren zu, Bauer.“

„Nix für ungut. Nur der erst’ Anschein, -- es möcht’ dich nit der
Zufall, sondern die Neugier da herg’führt und du im voraus g’wußt
haben, was zur Sprach’ kommt, -- der hat mich verdrossen; denn über
dich sein wir red’ worden[18]. Der Heiner hätt’ ein Aug’ auf dich!“

„So? Weißt, Bauer, ob du mir’n zuz’führ’n oder abz’reden gedenkst,
verspar’ dir weitere Wort’, ich mag ihn nit und kein’.“

„Hast recht, is eh’ ’s G’scheiteste.“

„Das mein’ ich auch. Von dir aber hätt’ ich nit geglaubt, daß du
auf ein’ ersten Anschein was gäbst, noch dich einmischen würd’st,
wo zum Vertrag’n und Zertrag’n allzeit zwei alleinige Leut’ vollauf
ausg’reicht haben und für ihm selber jedem wohl auch selbst die Red’
zusteht.“

Sie kehrte sich ab und ließ den Bauer stehen, wie er zuvor den Knecht.

Im Hausflur stand die alte Sepherl und sah die Dirne mit hastigen
Schritten und heißen Wangen herankommen, während der Bauer langsam und
verdrossen nachfolgte.

„Habt’s g’stritten?“ fragte die Alte.

„Gar nit,“ sagte Magdalena.

„Stünd’ auch nit dafür, heut übellaunen, wo morg’n so ein lustiger Tag
is.“

„Für mich nit lustiger, wie ein andrer.“

„Wär’ nit schlecht! Dein’tweg’n freut sich ja auch ein andrer schon
d’längst Zeit drauf.“

„n’ Heiner, meinst? Der mag’s nur sein lassen.“

„Is doch ein schöner Bub’.“

„Kann sein, magst’s ja wissen, bist älter, ich versteh’ mich noch nit
drauf.“

„Eulenspieglin! -- Und brav!“

„Bestreit’s nit und erprob’s nit.“

„Und der G’scheitest’ von all’n.“

„Und sinnt doch af Dummheiten.“

„Mein’, das lassen mer sich von ein’ saubern Monsbild je lieber
g’fall’n, je g’scheiter er sonst in andern Stücken is.“

„Laß’s gut sein, Sepherl, an mir verdienst kein’ Kuppelpelz. Morg’n
bleib’ ich heim bei meiner Burgerl.“

„Nit ein’ Schritt tanzen und kein’ klein’ Weil’ zuschau’n? Na, hörst,
selb’ muß mehr wohl sagen, dem Dirndl bist a gute Kameradin.“

Da schritt der Grasbodenbauer an den beiden vorüber. „Nit wahr?“ sagte
er freundlich nickend. Aber die alte Sepherl sah ihn an und schüttelte
kaum merklich mit dem Kopfe; vor dem Bauer lobte sie nicht gerne eines
vom Gesinde, und daß es der selbst ins Gesicht tat, das taugte schon
gar nicht, das mach’ hochfährtig und Hochfahrt verleidet das Dienen.

       *       *       *       *       *

Als abends Magdalene das Tischgerät hinwegtrug, wies der Bauer nach der
Türe, die sich hinter ihr geschlossen hatte, und sagte zur Burgerl, die
ihm gegenüber saß: „Hast sie nit g’fragt?“

„Um was, Voda?“

„Um was? Wann dich schon die G’scheitheit nit draufgeführt hat,
so hätt’ ich doch g’meint, die Neugier ließ’ dir kein Ruh’, ihr
abz’fragen, was ihr zu’n Kirchtag g’legen käm’, was s’ g’freu’n möcht’.“

„No, halt ein lebzelters Herz, so groß eins z’haben is, mit ein’ bunten
Bildl und ein’ schön’ Spruch drauf.“

„Denk’ mir wohl,“ lachte der Bauer, „da drüber wußt’ sie sich vor
Freud’ gar nit aus und billig käm’s auch. Aber ernstlich, ihr gäbet ich
schon gern rechtschaffen was, sie is brav ...“

„Und sauber.“

Der Bauer nickte vor sich hin, Burgerl saß mit verschränkten Armen und
sah ihn von der Seite an, er gab den Blick verwundert zurück, dann
sagte er hastig: „Na, sei nit dumm, ich weiß nit, was ich ihr bringen
soll.“

„Ah mein, wie sie von dir red’t, wird ihr alles lieb sein, was von dir
kommt.“

„Was red’t’s denn?“

„Daß du ein so viel braver Mon wärst.“

„Ich weiß’s, ich hab’ noch g’sagt, gar so viel tät’ ich’s just nit
sein; das war frei ins G’sicht.“ Er sah vor sich hin, als er das sagte
und schnitzelte mit seinem Taschenmesser an einer Brotkruste.

„Sie hat’s auch hinter dein’ Rücken g’sagt,“ fuhr Burgerl fort, „und
obendrein, wie du auch ein sauberer Mon wärst.“

„Burgerl!“

„Voda?“

„Dös hat’s nit g’sagt!“

„Ja, wann d’ mer kein Glauben schenkst, wann du’s besser weißt, erzähl’
ich dir gleich gar nix mehr von meiner Lenerl.“

„Und wenn sie’s auch g’sagt hätt’ ...“ Er richtete sich auf, Burgerl
sah ihn wieder von der Seite an, da ward er plötzlich böse, schlug mit
dem Heft des Messers gegen die Tischplatte und schrie: „Dummheiten
verlaub’ dir keine mit mir, das rat’ ich dir!“

Die Kleine tätschelte mit beiden Händen seine Linke, die er
ausgestreckt über dem Tische liegen hatte. „Aber, Voda, wie konnt’ ich
mir denken, daß du wild darüber würd’st, wann dich a saubere Dirn’
sauber find’t?!“

Der Bauer zog die Hand zurück, aber nur um sie vor den Mund zu halten,
so saß er und begann spielend die Messerklinge in das Tischtuch zu
bohren, ein Vorgang, dem Burgerl volle Aufmerksamkeit schenkte; sie zog
ihre Kniee auf den Stuhl hinauf und rückte mit dem Oberleibe über die
Tischkante hinvor, nach einer Weile sagte sie: „Voda, jetzt wär’ ’s
Loch grad groß g’nug, daß man’s noch stoppen kann.“

„O Himmelsapperment,“ rief der Bauer, „hätt’ ich jetz ta Bäu’rin, die
tät’ nit übel schelten, bin ich froh, daß ich keine hab’!“

„Wirklich?“ fragte Burgerl.

„Ja, wirklich! Klebere Meerkatz’, du! Wann mer nit fürchten müßt’,
daß mer dich hart angreift ...“ Das hatte der Grasbodenbauer zornig
herausgestoßen und damit war er vom Stuhle emporgefahren und nun ging
er mit langen Schritten in der Stube auf und nieder; plötzlich hielt
er vor seinem ungeratenen Kinde inne und sagte nochmals: „Wirklich!
Verstehst?“, fügte aber sofort, aufs neue erbost, hinzu: „Na, was soll
das dumme Vogelg’schau, das möcht’ ich wissen?!“

Burgerl hielt nämlich das Köpfchen stark zur Seite geneigt und
beäugelte so die überlange Gestalt ihres Vaters, etwa wie ein Rabe vom
Gartenkies nach einer Baumkrone lugt. Ob sie überhaupt nicht willens
war, ihren Vater wissen zu lassen, was er zu wissen verlangte, oder ob
sie es nur unterließ, weil Tritte auf der Treppe hörbar wurden? Genug,
sie zog an dem untersten Knopfe der Weste des Grasbodenbauers und sagte
mit sehr freundlichem Lächeln: „Die Leni kommt!“

       *       *       *       *       *

Am nächsten Morgen rauschte ein dichter Gußregen nieder, außen
plätscherte es von den Traufen und gurgelte in den Rinnsalen. Die
Föhrndorfer wurden darüber sehr angehalten; der heilige Kirchenpatron
-- meinten sie -- hätte sich wohl auch um seiner Verdienste willen
zu seinem Festtage vom Himmel schönes Wetter ausbitten können! Mit
vorwurfsvollen Blicken sahen sie nach den grauen Wolken und mit
schmerzlichen nach dem zurechtgelegten Putze, der dem Verderben geweiht
schien, die Kleinmütigen! Keinem kam der Gedanke, der Heilige habe sie
wohl nur prüfen wollen, und nicht einer fühlte sich hinterher beschämt,
daß alle diese Prüfung so schlecht bestanden hatten.

Ein Wind, der unten auf der Erde kaum an die Wipfel der Bäume rührte,
ein sogenannter oberer, fegte die Wolken vor sich her, bald stand die
Sonne am freundlichen klaren Blauhimmel. Am dunklen Waldsaume an den
Nadeln der Föhren und auf der grünen Matte an Halmen, an den Kelchen
und Stielen der Spätblumen sprühten die abrinnenden Tropfen. Durch
die Dorfgasse schritten die Leute der Kirche zu, schmuck und sauber,
fröhlich und heiter plaudernd, und aus dem Gotteshause tönten Sänge und
Klänge.

Das mochte dem Heiligen, dem es zur Ehre geschah, wohl gefallen, auch
später, als die bunte Menge aus der Kirche strömte und sich zwischen
den Marktbuden drängte und stieß, konnte er auf dieses fröhliche Gewoge
und Getreibe noch freundlich lächelnd herniederblicken; aber bald lief
das junge Volk in Scharen und das alte folgte bedächtig in Gruppen
nach Orten, die keineswegs zu andächtiger Sammlung einluden, und die
Sänge und Klänge, die von diesen Stätten heraufschallten, standen in
merklichem Gegensatze zu den früher gehörten, dazwischen mischten sich
Schreie und Seufzer, die mit Gnadenschreien und Zerknirschungsseufzern
nicht die mindeste Ähnlichkeit hatten, und als das große Himmelslicht
zur Rüste gegangen war, dröhnte und kreischte es immer wirrer und
wüster von da unten. Der helle Mond tat redlich das Seine und die klare
Luft das Ihre, daß alles, was da in der Tiefe vorfiel und verlautete,
hübsch zu sehen und zu hören blieb, an den beiden lag es sicher nicht,
daß der Heilige das Himmelsfenster plötzlich zuwarf. Ach, daß ihm doch
jedes Jahr der Tag, auf den er sich so freut, verdorben werden muß!

Magdalene war mit Burgerl in der Kirche gewesen, und was den beiden
nachher im Gedränge über den Kirchenplatz von den Herrlichkeiten
des Marktes in die Augen fiel, das war auch alles, was sie von dem
Kirchweihfeste überhaupt zu sehen bekamen. Einmal wurden sie von der
Menge in einen Kreis gedrängt und mußten die Tanzkünste eines Bären
mit ansehen, ein zweites Mal gerieten sie in einen Schwarm, der wie
eine Mauer stand, bis ein Sängerpaar, Mann und Weib, die „neueste
Mordgeschichte“ zu Ende gesungen hatte. Der Sänger, ein überlanger,
hagerer Mensch, quiekte seinen Part in Fisteltönen herunter, während
die kümmerliche Alte, die fast hinter ihrer Harfe verschwand, durch
Gebrumme die Baßbegleitung dazu markierte. Im Rücken des Paares
hing eine Leinwandfläche, mit Greueln in einer diesem Vorwurfe
entsprechenden Malweise bedeckt, und der Mann hielt oft in seinem
Gesange eine Note länger aus, um mit einem Stäbchen auf die betreffende
„Szene der Historie“ zu tippen. Zu diesen bildlichen Darstellungen,
die sich in schreiender Übertreibung gefielen, stand der sangliche
Text, die dichterische Leistung, durch ihre schlichte Einfalt in
herzerfreuendem Gegensatze. Die Ballade entließ die Zuhörer mit der
freundlichen Mahnung, keinem Menschen ein so schweres Leid -- wie
das Umbringen -- zuzufügen, da Gott und die irdische Gerechtigkeit
es sehen; zwei Bedenken, die in bündigster Kürze den Mord ebenso
verwerflich, wie unpraktisch erscheinen ließen.

Auf dem Heimwege sprach Burgerl die Überzeugung aus, daß lang vor Abend
schon manches Paar auf dem Tanzboden sich nicht gelenker als der Bär
drehen und dazu nicht schöner als die beiden „Mordtäter“ quäken werde.

Unter dem großen Torbogen, dessen Holzgatterflügel zugelehnt waren,
stand Sepherl und blickte eifrig der Straße entlang, sie hatte einen
abgetragenen Sammetspenzer an, der wohl einst jugendfreudige Stunden
mit angesehen haben mochte, aber nun, wo er sie auch hätte spiegeln
können, da stellten sich keine mehr ein. Die Alte hatte während des
Kirchganges der andern das Haus zu hüten; jetzt sieht sie Burgerl und
Leni herankommen und nickt ihnen zu und trippelt ihnen eilig entgegen.
„’s in Ordnung!“ schreit sie, „und jetzt geh’ ich und jetzt schau’ ich
und jetzt tu’ ich mich um. Heut steckte ich frei eine Junge in’ Sack,
müßt’ ich nit fürchten, daß er ein Loch kriegt’! B’hüt Gott!“

Burgerl drückte das Gatter ins Schloß und sperrte ab, und nun waren die
beiden Mädchen in dem weiten, großen Gehöfte allein. Ringsum herrschte
noch feierliche Stille. Als sie über den Hof schritten, hörten sie den
Hall ihrer eigenen Tritte und von den Ställen her das Schnauben der
Kühe und das Prusten der Pferde, sie sahen vorerst nach, ob da nichts
verabsäumt worden und das Vieh das Seine habe. Als sie nach Grünzeug
durch den Garten gingen, war es dort so lautlos, daß sie fast gerne den
Atem an sich gehalten hätten, nichts als das Geflatter eines Vogels
im Geäste und das tiefe Gedröhn einer verspäteten Hummel war hörbar,
und als sie später in der Küche vor dem Herde saßen, da prasselte das
Feuer noch einmal so lustig wie sonst eines und dazu surrte eine große
Fliege, zehnmal ärgerlicher wie sonst eine, am Fensterglas auf und
nieder.

„Es tät’ gerad’ sein,“ meinte Burgerl, „als wären sie in ein
leutverlassenes Ort geraten, und sie fänd’s just nit uneben, so
gottallein zu sein auf der Welt.“

„Ei wohl,“ lachte Leni, „zu zweien und für ein’ alleinigen Tag.“

„G’wiß, af d’ Dauer fing’n mer sich allzwei zun fürchten an, oder,
wär’n wir Bub’n, zun langweilen. ’s Einsamen taugt für kein gleich’s
Paarl.“

„Für ein ungleich’s etwa?“

„Das bleibet nit allweil allein.“

Leni runzelte die Brauen. „Davon sollt’st du noch nix wissen, oder wann
du’s weißt, es nit bereden.“

„Schau, sei du nit harb,“ sagte Burgerl, indem sie Magdalene begütigend
am Arme anfaßte. „Ich kann ja nit dafür, daß die Leut’ nit allmal drauf
achten, wie die Kinder nit umsonst große Augen im Kopf haben. Jetzt
red’ ich halt oft noch wie ein Fratz, mehr, als ich weiß, aber laß mich
nur erst groß sein, dann werd’ ich auch mehr wissen“ -- hier kneipte
sie den Arm -- „als ich red’.“

Leni schürte mit der freien Hand eifrig das Herdfeuer, plötzlich rief
sie: „Los’ einmal,“[19] warf das Schüreisen fort und rannte, gefolgt
von Burgerl, in den Hof hinaus.

Nun war es außen, allenthalben um den stillen Hof, lebendig geworden,
in der Luft schwammen Töne, bald überklang das Gellen einer Pfeife,
bald das Gerumpel der Baßgeige, oder der Schlag der großen Trommel
alles andere, bald ein lustiger Aufschrei, bald eine mehrstimmig
gesungene Tanzweise, dann verschwamm wieder alles in ein unbestimmtes
Geräusch, das leise schütternd sich fortspann und allortig webte und
schwirrte, bis es plötzlich im Gekrache eines Böllers oder eines
Pistolenschusses dahinstarb, worauf sofort wieder ein einzelner Klang
es über alle anderen gewann.

Jetzt konnte das Dorf nimmer für ausgestorben gelten, eher das Gehöft,
und in selbem war man nimmer gottallein, sondern weltverlassen; daher
meinte auch Burgerl, nun sei es nicht mehr wie in einem leutverlassenen
Ort, sondern wie auf einem verwunschenen Schloß, und sie tröstete
Magdalene, daß der Spuk nur bis zum nächsten Morgen dauern werde.
Übrigens erhielten sie doch einige Nachricht von der bewegten Welt
da draußen, denn die alte Sepherl brach etlichemal den Bannkreis des
Zauberschlosses und wenn niemand bei dem Gattertore zu errufen war, so
scheute sie auch den Weg um das Gehöft nicht, um rückwärts durch den
Garten einzudringen. Das erstemal kam sie schreiend vor Lachen: „Ui,
der Maut-Einnehmer-Kathel haben sie’s aber ein’bracht! All d’ Kirchtag’
her is ihr ein Föhrndorferbub’ z’ g’ring’ g’west, ein Forscht- oder
G’richtsadjunkt, ein Schtandar-Wachtmeister oder sonst einer hat’s sein
müssen, der ’n kaiserlichen Adlervogel af’m Kragen, oder sonstwo, hat
sitzen g’habt’ wie ’n ihr Vater am Schild; dösmal aber -- weiß nit, hat
döselb’n allz’samm der Geier g’holt oder sein’s zun Kuckuck ’gangen
-- war keiner z’ sehn und die aufg’stazte Gredl is dag’sessen, breit
vor lauter Kittelwerk und Falbeln und G’schichten, hat g’scharrt mit
dö Füß’ und blinkt mit dö Aug’n und zupft mit dö Finger, und wie sie’s
lang g’nug hab’n sitzen lassen, daß ’s vor Gall’ schon hätt’ z’springen
mög’n, is der kropfete Kegelbub’ ang’stift’t worden, daß er ein’ Sprung
nach ihr tut wie a Heppel[20] und sie zum Tanz aufzieht, da is ’s aber
ausg’rissen und röhrend davong’rennt und die Bub’n samt der Musik
hinterher und haben’s fein manierlich heimgeigen lassen.“

Der Sepherl schien das ein ganz kapitaler Spaß, sie erzählte mit Händen
und Füßen, in vergnüglicher Bosheit hüpfte sie hin und her und focht
und deutete mit beiden Armen.

Das zweitemal, schon in vorgerückter Nachmittagsstunde, kam sie mit
bedenklicher Miene herzugeschlichen und sagte zur Burgerl: „Dein Ehnl
is dösmal davonblieb’n, er hat sag’n lassen, er hätt’ so stark ’s
Reißen.“

„Ei, du mein,“ rief das Mädchen, die Hände bedauernd zusammenschlagend,
„da fallt mer auch der Kirchtag von ihm in’ Brunn’.“

Die Alte drohte ihr mit der Faust und flüsterte Magdalenen zu: „Is
übel, der hat af’n Bauern g’schaut, und wenn mer nit schaut, so trinkt
der leicht mehr als er vertragt, und er vertragt wen’g.“

Und als der Mond schon hoch am Himmel stand und die Sterne funkelten,
da kam Sepherl mit gerungenen Händen herbeigestürzt und berichtete von
einer „erschrecklichen“ Rauferei im „Roten Adler“; zwei lägen schon
dort, wenn die der Bader wieder auf gleich brächt’, dann sei er ein
Hexenmeister. Und jetzt hätt’ sie sich aber auch für ihr Teil g’rad’
g’nug gesehen und blieb’ heim!

Nun begaben sich die beiden Mädchen -- „um doch auch etwas zu sehen“
-- hinauf nach ihrer Kammer, lehnten sich aus dem Fenster und horchten
hinaus in die laue Nacht, wo in der leichtbewegten Luft jedes nahe
und ferne Geräusch sich deutlich unterschied, und sahen hinab in die
Gasse nach den ab und zu gehenden Leuten, von deren Gesprächen einzelne
Worte heraufschallten. Etliche verließen das Dorf und suchten die freie
Straße, andere kehrten von derselben zurück. Ein junger Bauer trieb
unter Scheltworten und Püffen die weinende Bäuerin vor sich her nach
dem Dorfe, ein anderer schlenderte mit der seinen hinaus, hielt sie
um die Hüfte gefaßt und zog sie unter eindringlichem Geflüster und
täppischer Zärtlichkeit an sich.

„Pfui,“ sagte Leni, der die Röte ins Gesicht stieg „Einer wie der
andere sollte sich schämen; der eine, wie er so roh sein mag, der
andre, daß er die Leut’ mit ansehen laßt, was sich vor ihnen nit
schickt und Ärgernis gibt.“

„Meinst,“ warf Burgerl dazwischen, „daß die zwei Weibsleut’ miteinand’
ein’ Tausch eingehen möchten?“

„Na, ich denk’ wohl, die, was ’n Prügelprofoßen hat, gäb’ gern noch was
drauf, wenn ihn nur die andere nähm’.“

„Weit g’fehlt,“ lachte Burgerl. „Dös Wildtun und dös Einschmeicheln
gilt ja ledig nur für heut, schon morg’n wieder leb’n der Prügelprofoß
und die Seine miteinand’ wie die Lampeln[21] und die andern zwei wie
Hund und Katz’, das is der einzige Tag im Jahr, wo geg’n ’s Weib der
eine d’ Hand aufhebt und der andre sie ruh’n laßt.“

„Was du nit all’s weißt!“ sagte Leni, indem sie vom Fenster zurücktrat.
„Aber komm, denn jetzt mein’ ich schon auch -- wie die Sepherl -- für
unser Teil hätt’n mer grad g’nug g’sehn.“

„Warum?“ fragte Burgerl, sich weiter hinauslehnend. „Etwa, weil
dort der Vater daherkommt? Der halt’t sich ja grad wie a Kerzen in’
Bettelweib ihrer Latern’.“

„O, du Gottlos’ du!“

„Gelt, schmunzelst doch? Mein’, der Vater hat mich wie oft dahinliegen
sehen, wo ich außer mir war, werd’ ich ’n doch auch einmal sehn dürfen,
wo er nit ganz bei sich ist? -- Vater!“ rief sie mutwillig hinunter.

Der Grasbodenbauer hob ein wenig nach seitwärts den Kopf. „He? seid ihr
noch wach? Ist recht. Komm’ schon!“

„Du hast auch gar kein’ Respekt,“ zürnte Leni.

Da sprang Burgerl auf sie zu und faßte sie an beiden Händen. „Nein,
Leni, und wie ich ’n gern hab’, braucht er den auch nit, glaub’ mir,
das ist für die Männer untereinander, für uns is ’s Gernhaben, außer
ihr andern seid anders, was ich nit weiß; wann mir aber eins Respekt
abverlangt, is mir immer, als müßt’ ich mich hinter sein’m Rücken
lustig machen, wie mir’s mit’m alten Schulmeister ergeht.“

Leni faßte die Kleine an den Schultern, sagte lächelnd: „Schulmädel,
du!“ und schob sie von sich.

Da kam es die Treppe herauf in schweren, aber -- es schien -- sicheren
Tritten, nur einmal erlitt das gleichmäßige Aufstapfen eine kleine
tremulierende Unterbrechung, als zählte an einer Stelle die Treppe eine
Stufe weniger, oder eine Stufe einen Tritt mehr.

Magdalena schrak zusammen und merkte nicht den Blick, den ihr Burgerl
von der Seite zuwarf.

Der Grasbodenbauer stieß die Tür auf und sagte, noch außen, sehr
förmlich und gemessen: „Guten Abend, miteinander!“ dann schritt er über
die Schwelle, indem er sich vorsichtig, aber tiefer als nötig war,
niederbeugte, um nicht an dem Türpfosten anzustoßen, dem er übrigens
eine ganz beträchtliche Breite zutrauen mußte, denn er erhob den Kopf
nicht früher, bis er inmitten des Stübchens vor dem kleinen Tische
stand, auf den er sich nun mit beiden Armen aufstützte.

„Grüß Gott, Vater!“ sagte Burgerl und lehnte sich von der andern Seite
über. „Hast uns ein’ Kirchtag mitbracht?“

„Allbeiden, versteht sich.“ Der Grasbodenbauer begann seine Taschen von
außen abzuklopfen, dann zerrte er aus einem Rockschoße ein paar etwas
formlose Pappschachteln hervor und legte sie auf die Tischplatte,
während Leni -- sehr zur Unzeit -- das mittlerweile zustande gebrachte
Licht daneben rückte.

Burgerl schlug die Hände zusammen und sah ihrem Vater sehr aufdringlich
unter die Augen, der wich ein wenig zurück, starrte eine Weile auf
sein „Mitgebrachtes“, dann trat er vom Tische weg und sagte mit einer
zuweisenden Handbewegung: „Müßt’s halt vorlieb nehmen, es war nix
G’scheites af’m Markt.“

„Ei, Vater,“ seufzte Burgerl, „ich fürcht’ nur, du hast da ein’ zu
guten Handel gemacht.“

„Warum?“

Burgerl griff nach den zerdrückten Kartons. „Ich mein’ nur, da werden
jetzt mehr Stück drin sein, als du gekauft hast.“

„Nein,“ sagte der Bauer, „es is nix Gebrechlich’s -- wenigstens, ich
hoff’ nit --“

„Das is ’s Mein’!“ schrie Burgerl freudig auf, als nebst einem
Schmucketui ein Schildpattkamm aus den Falten eines buntseidenen Tuches
fiel, das sie aus der einen Schachtel hervorgeholt hatte. „Und das is
das Dein’,“ sagte sie, die andere uneröffnet Magdalenen aufdringend.

Der Bauer nickte.

Die Kleine klappte das Etui auf, es enthielt ein goldenes Kreuzchen an
dünner, feingliederiger Kette. Das Kind starrte die Herrlichkeiten erst
stumm an, dann nahm sie das Kettchen um, steckte den Kamm auf, band das
Tüchelchen vor und sprang auf den Vater zu: „Jesses und Joseph, Vater,
was tu’ ich dir denn z’lieb’, weil d’ dich so viel brav eing’stellt
hast?! Na, vergelt’ dir Gott dein G’schenktes und laß dir die Hand
küssen und noch einmal extra dafür, daß d’ mir mein’ vielschön’ Kamm
nit verbrochen hast.“ Sie küßte und tätschelte seine Hand und rief
unterdem zu Leni hinüber: „Na, schau doch das Deine.“

Magdalene hob verlegen den Deckel ab, ein seidenes Halstuch lag auch da
oben auf.

„Der Krämer sagt, es wär’ rechtschaffene Seiden,“ bemerkte der
Grasbodenbauer mit einer Stimme, als machte er ein Geständnis, das ihm
schwer fiele.

Unter dem Halstuche befand sich ein Etui mit einer Schnur gehackter
Korallen, vorne künstlich in Zacken vernestelt und rückwärts durch eine
starke Schließe zusammengehalten. Magdalene stand erschreckt. „Das kann
ich nit annehmen, Bauer,“ stammelte sie.

„Willst mich beleidigen?“ brauste der auf.

„Um d’ Welt nit,“ sagte sie, „aber sei g’scheit, das is all’s z’viel,
wie käm’ ich dazu und was tu’ ich damit? Mein Sonntagsg’wand schauet
daneb’n ein’ Hadern gleich, und wenn ich auch hätt’, was zu selb’m
G’schmuck taugt -- ich frag’ dich, ob sich wohl ziemen möcht’, daß ich
mich so trag’?“

Der Grasbodenbauer fuhr mit der Hand nach dem Ohr, er streifte dabei
die Krempe seines Hutes, jetzt erst nahm er ihn ab und strich sich die
Haare aus der feuchten Stirne. „Hast nit unrecht,“ sagte er, „aber
vermeint ist dir’s einmal und behalten mußt du’s! Und mit der Zeit
schickt sich wohl a Zeit, wo du’s auch wirst tragen können; b’halt’s
nur auf bis dahin, wer weiß, wofür’s gut is, aber z’ruckweisen darfst’s
nit, da tät’st mein’m guten Willen übel.“

„So sag’ ich vergelt’s Gott für den und fürs G’schenkte.“ Magdalene
trat an ihn heran und haschte nach seiner Hand.

„Beileib’,“ sagte er, „wirst mir doch nit wollen die Hand küssen, wo
ich dir bring’, woran dir d’ Freud’ aufsparen mußt?! Ich hab’, Gott’s
wahrhaftig, Schick und Brauch ung’fragt lassen und einkauft, als ob’s
für die Bäuerin wär’; no, mein, ’s schwerst’ Teil, was einer solchen
aufliegen könnt’, hast ja du auf dich g’nommen,“ -- er nickte gegen
Burgerl -- „verstehst mich wohl? Aber nun laß schau’n, ich möcht’
wohl probier’n, wie das Zeug paßt, ob ich mich in der Halsweiten nit
verschaut hab’ und ob ’s G’schloß fix schließt.“ Er legte ihr das
Korallenband um den Hals und mühte sich, dessen Enden zusammenzupassen;
bald begannen seine Arme zu zittern und er ließ beide Hände einen
Augenblick auf den Schultern des Mädchens ruhen, dann hob er sie hastig
und brachte es mit einem Griffe zu Ende. Der Dorn sprang ein. Tief
aufatmend richtete sich der Bauer in die Höhe und da stand er knapp an
der Dirne und da ließ er die eine Hand über dem vollen Nacken liegen
und mit der Rechten drückte er ihr Köpfchen an seine breite Brust,
sofort aber sanken ihm die Arme nieder. „Hab’ kein Arg,“ sagte er.
„Gute Nacht!“ Eilig verließ er die Kammer, man hörte, wie er über die
Treppe hinabgelangte, unten seine Stubentür öffnete und schloß und dann
mit starken Schritten im Gemache auf und nieder ging.

Während unten der Mann ruhelos auf und nieder schritt, stand oben das
Mädchen eine geraume Weile, ohne sich zu regen. Es war ihr ärgerlich,
daß sie ihm seinen Gutenachtgruß nicht zurückgegeben, um ihm zu zeigen,
daß sie in der Tat kein Arg habe; wenn er ihr merken ließ, daß er ihr
gut sei, so war er es ja doch nur -- das wußte sie -- Burgerls wegen
-- -- --

Das Geknarre einer Lade, die Burgerl aus dem Schrank zog, um ihren
„Kirchtag“ aufzuheben, schreckte sie auf und sie sagte lächelnd: „Laß
offen, ich leg’ das Meine auch gleich dazu.“ Sie entledigte sich des
Geschmeides, faltete das Tuch zusammen. „So, da bleib mir fein liegen
und komm mir nit weg. Bist ja mein G’schenktes vom Grasbodenbauer. --
Sag mal, Burgerl, -- wie lang ich schon bei euch bin, weiß ich dein’
Vater nit anders zu nennen -- wie tut ihr euch denn schreiben?“

„Ist kein Geheimnis,“ lachte die Gefragte, die sich mittlerweile
entkleidet hatte. „Ich schreib’ mich Walburga Engert.“

„Und dein Vater?“

„Kaspar,“ sagte Burgerl und schlüpfte unter die Decke.

Plötzlich verstummten die Tritte in der Stube unter ihnen, mit einem
Schlage ward es stille. „Horch,“ rief Leni, sie ging nach der Tür,
öffnete diese und lauschte. „Es wird ihm doch nix zug’stoßen sein? Er
is ’s nit g’wöhnt ...“

Das war, als der Bauer vor dem offen stehenden Fenster innehielt, einen
tiefen Atemzug tat und murmelte: „Keine Dummheiten, Kaspar! Häng keinen
Dummheiten nach.“ Dann nahm er seinen Gang wieder auf.

Oben schloß sich die Tür. „Es ist ihm nix. Da bin ich recht froh,“
flüsterte Leni. Sie stutzte und kehrte sich hastig nach Burgerl. „Was
hast denn? Mir scheint, du bist lustig und lachst?“

Die Kleine gab keine Antwort, sie lag stille, die Decke bis an die
Augen hinaufgezogen und letztere geschlossen.

Leni löschte das Licht und wieder hörte sie hinter sich ein
unterdrücktes Kichern.

„Burgerl!“

       *       *       *       *       *

„Na wart nur, schlecht’s Menscherl, diesmal war’s g’wiß gelacht.“

Worüber sie lachen mag?



16.


„Da sieht man wieder, der alte Reindorfer ist halt gescheit,“ sagten
die Leute zu Langendorf, „der hat den Müllerjungen früher ausgefunden
wie keiner, darum hat er ihm sein Mädel nicht gegeben. Man braucht auch
nur zu bedenken, wie dem sein Vater war. Wahr bleibt doch: Art läßt
nicht von Art, und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

Dagegen dachte sich der also belobte Reindorfer im stillen seinen
Teil. „Sie bedenken’s nicht,“ meinte er, „daß Art nicht von Art zu
lassen braucht und doch anders sein kann, pfropf’ ich einen Wildling,
so bleibt er der nämliche und trägt doch bessere Frucht, und steht der
Baum auf einem Hügel, so kann der Apfel gar weit vom Stamm rollen.
Sprichwörter gelten auch nur von gleichem auf gleichen Fall und treffen
nicht für allemal. Hätten auch hier nicht einzutreffen gebraucht.
Schad’ ist’s, recht schad’!“

Der Florian war aber ein wüster Bursche geworden. Man hütete Weiber
und Mädchen vor ihm, man warnte die Söhne vor seiner Händelsucht und
Rauflust, er war in der ganzen Gegend gefürchtet, und er war stolz
darauf.

Einige Liederliche aus dem Orte und der Nachbarschaft, welche Gefallen
an seinem Treiben fanden, gesellten sich ihm zu, und da er immer
auch ihr Ärgstes noch zu überbieten wußte, so ordneten sie sich ihm
unbedingt unter.

Wo die Straße in entgegengesetzter Richtung von der Kreisstadt das Dorf
verließ, stieg sie ziemlich steil die Hügel hinan, und gerade auf der
Höhe, von wo sie wieder talabwärts führte, stand ein kleines Wirtshaus,
dort versammelte Florian seine Getreuen.

Der Wald rückte knapp bis an die Straße vor, man saß unter den
prächtigen Tannen und hatte einen weiten Ausblick in das Land. Heute
lag die Gegend rings in mildem, heiterem Sonnenlichte und zu der
heiligen Stille über allem bildete die lärmende Zechgenossenschaft
unter den Bäumen, die leise ihre Wipfel schüttelten, einen argen
Gegensatz.

„Ihr seid nur liederlich,“ schrie Florian, „weil ihr gesund und dabei
faul seid und nicht wißt, was ihr anfangen sollt, damit euch die Zeit
auch ohne Arbeit vergeht. Sieben Dirnen zu gleicher Zeit nachsteigen,
euch vom Bauer ausjagen lassen, wo gar keine Bäuerin an euch denkt,
das haltet ihr schon für einen Kapitalspaß; mich freut’s nur, wo eine
Teufelei dabei ist. Einem Bauer zeigen, daß er auf seiner goldigen
Nuß, die er jahrlang bis auf den Kern zu kennen meint, nur Flimmer
klebt und daß sie taub ist, -- früher als der rechte Bub’ bei einer
Dirn’ einsteigen und ihm Tag darauf, wenn er muckt, noch obendrein die
Knochen zerschlagen, das ist so meine Unterhaltlichkeit!“

Von den sechs Burschen, die mit Florian um den Tisch saßen, waren
fünf fast noch jünger wie er; man sah ihnen an, daß sie nur mit dem
Gefürchteten umgingen, weil sie glaubten, durch die Schrecken, die ihn
umgaben, auch für ihre Person gefeit zu sein, und gewiß waren, einiges
Aufsehen zu erregen, wenn man sie immer, aus tausend und keinem Anlaß,
an seiner Seite sah. Diese schwiegen stille und begnügten sich, ihm
beifällig zuzunicken, nur einer wagte sein Weinkrüglein unternehmend
anzufassen und damit an das seines Vorbildes anzustoßen.

Der sechste war ein älterer, riesenhaft gebauter Mensch, seines
Zeichens ein Kohlenbrenner, er war offenbar dem von der Mühle im
Wasser-Graben herstammenden jungen Apostel der Liederlichkeit nicht vom
brennenden Kohlenmeiler weg gefolgt, für ihn hatte dessen Botschaft
wohl lange vorher schon bestanden und er hielt sich nur zu ihm als zu
einem Gleichgesinnten, diese Stellung und seine Jahre erlaubten ihm
schon, sich etwas „herauszunehmen“. Er tat einen langen Trunk und sagte:

„So hat halt ein jeder sein eigenes gemütliches Wesen an sich. Aber
eins hab’ ich dir schon lange sagen wollen, schau, Flori, ich meine es
dir gut, ich weiß doch gewiß auch, was einer mitmachen kann, aber das
soll ein jeder dabei recht bedenken, wie weit er ausreicht. Du bist ein
Teuxelskerl, da ist nichts zu reden, schon gar nichts; im Ringen hast
du deinen Vorteil, du hast mich untergekriegt, das will was heißen!
Wenn es dir ansteht, so saufst du die Mannleut’ untern Tisch und
schwätzest die Weibsbilder um ihr klein bissel Verstand, alles recht,
wenn man’s nur auch treibt wie ein ordentlicher Mensch, aber du tust
bei allem nicht anders wie ein wildes Vieh. Schau nur, zum Beispiel
beim Raufen, wie tust du da? Unsereines erhitzt sich dabei nicht mehr
als notwendig ist und wartet auf seinen Vorteil, gewinnt man den und
drückt seinen Widerpart so sauber nach einer Seite, wo er nimmer
schaden kann, dann lacht einem ja erst das Herz im Leibe, wenn man ihn
so hat und hält und haut, solang es angeht, in aller Gemütlichkeit;
aber du tust ja gleich vom Anfang, als würd’st es versäumen, du paßt
nichts ab, du schaust gleich aus, als möchten dir die Stirnadern
springen, und wenn du endlich obenauf bist, kannst du dem andern gar
nichts mehr antun, mußt selbst gleich ablassen und verdirbst dir die
ganze Freud’. So ist’s auch beim Trinken, du hältst keine Zeit ein von
Trunk zu Trunk, bei dir muß’s wie auf der Extrapost gehen, und hast du
dir eine Liebschaft in den Kopf gesetzt, da weißt du dich gar nicht
mehr aus vor Leidenschaftlichkeit und Übereile. Ich sag’ dir, das taugt
eben alles nichts, du schaust auch gar nicht gesund dabei aus, mir
geschäh’ leid um dich, aber glaub mir, wenn du es so forttreibst, so
machst du es nimmer lang mit!“

„Das und lang? Ich möcht’ selber nicht,“ sagte der Müllerssohn. „Meinst
du, ich häng’ an der Welt? Ich spuck’ auf sie. Einmal hätt’ ich mir
sie gefallen lassen, wie sie da eingerichtet ist für die ordentlichen
Leute, aber wie ich hinzugekommen bin, da war die Tür zu, ich hab’
mich dagegen aufgebäumt, daß ich mir die Seel’ ausgerenkt hab’, und
die richtet mir kein Doktor auf der Welt wieder zurecht. Und wenn
ich denk’, wer und was sich dagegen gestemmt hat, daß ich wohl hab’
ablassen müssen, da verwind’ ich’s nicht. Ich verwinde es nicht!“ --
Er preßte die Zähne zusammen, daß die Spitze seines Pfeifenrohres
zerspellte. -- „Kohlenbrenner-Jackerl, du sagst, ich gebärd’ mich wie
ein wildes Vieh, hast recht, was ich tu’, ich tue es in Grimm und
Wütigkeit. Ich habe eine verschrobene Welt in mir und neid’ einem jeden
seine ehrliche, gerade und verderb’ und verkrümm’ sie ihm, wo ich
kann. Schau, ich weiß, selbst deinem Treiben macht einmal die Zeit ein
End’ und du wirst dich fein langsam zur Ruh’ geben, und die andern da,
die toben sich aus und schicken sich dann gerne in ein ehrsam’ Leben
auf dem Elternhof. So aber ist’s nicht bei mir, ich komm’ nicht zur
Ruh’ und für mich ist nichts mehr da, in was ich mich hineinschicken
könnt’!“

„Und laß dir gleich noch eins sagen,“ fiel ihm der Kohlenbrenner Jakob
in die Rede, „deine Ausreden taugen auch nichts, du hast dir einmal
inwendig vorgenommen, du willst einen ganz besonderen Lumpen in der
Welt abgeben und wilder tun als alle andern, darum redest du so daher.
Man weiß ja doch, warum du auf einmal anders geworden bist, als du
früher gewesen warst; um eine Dirn’ ist’s halt hergegangen, die du
nicht hast haben sollen, nun so was mag einen schon rechtschaffen
ärgern, aber für so einen Schwächling halt’ ich dich nicht, mein lieber
Flori, daß dich das ganz aus dem Häusel brächt’ und dir die Welt
verleidet!“

Der unternehmende Junge von vorhin schrie dazwischen: „Und die Welt
wär’ schon schön, wüßt’ man nur, was man darauf anfangen sollt’.“
Da diese nachdenkliche Äußerung weder dem Müllersohne noch dem
Kohlenbrenner zugunst oder ungunst geredet war, so passierte sie
unangefochten; der Bursche blickte stolz um sich, denn er hatte
mitgesprochen.

Florian, der den Kohlenbrenner eine Weile mit großen Augen angesehen,
lachte jetzt höhnisch auf. „Ich glaub’ gar, du traust mir nur darum
nicht zu, daß mir anders zumut’ sein könnt’ als euch, weil du nicht
gerne zurückstehen willst, du warst ja vor mir der ganz besondere Lump
vom Ort, und dich kränkt wohl, daß du jetzt nicht wie früher das große
Wort führen sollst?“

„Das ist Unsinn geredet,“ brummte der also Angeschuldete.

„Kein größerer, als wie du vorhin vorgebracht hast. Um eine Dirn’ ist’s
hergegangen, meinst du? Allein um eine Dirne?! Dabei war eine, das
ist sicher und ihr alle wißt davon. -- Redet mir nur keiner ein Wort
darüber, nehmt keiner den Namen ins Maul, ihr wißt, das macht mich
wild! Nun, meine ich doch, ihr kennt mich als einen, den man schon mit
guten Fäusten eine Weile drücken kann, ehe er aufschreit: ihr mögt euch
denken, blaue Flecke hätte es wohl gegeben, -- und die wären halt ja
geblieben für alle Lebzeit, -- aber wenn ihr merkt, daß es mehr gegeben
hat, daß es mich abseit geworfen hat von aller hergebrachten Art und
Weis’, so könnt ihr doch von selber auf den Glauben kommen, daß es
um etwas mehr hergegangen ist, als um eine Dirn’, die ich nicht hab’
haben sollen! Um was mehr, das kann ich nicht aussagen, das muß ich bei
mir behalten. Darauf möcht’ mir vielleicht einer von euch noch sagen:
gar so was Arges könnt’ es nicht gewesen sein, denn die mitbetroffene
Dirn’ hat ihren Teil geduldig auf sich genommen. Wohl, aber ein Weib
ist da wie von Lehm und der Mann wie von Stein, und worunter sie noch
zur Seit’ weichen kann, darunter zerbröckelt er. Und wenn einen das
Schicksal so hinlegt wie einen fiebernden Kranken, da kommt es auch
darauf an, was für ein Trank in der Hausapotheke zur Hand ist, ob
gut’ ehrlicher Rat oder schlecht übel Beispiel. Und geh’ ich an dem
Schicksalsfieber darauf, wen bekümmert’s? Mich am allerwenigsten.“ Er
strich mit der flachen Hand über den Tisch. -- „Es wäre gerade kein Muß
gewesen, daß ich euch all das zu Gehör’ rede, es ist nur geschehen,
damit jeder weiß, ich habe mein’ Teil erlebt und es braucht bei mir
nicht erst ein Vornehmen, um ein anderer zu sein als ihr, und in
Wahrheit lass’ ich mich auch nicht gerne mit euch vergleichen, denn da,
wo ihr aufhört, da heb’ ich erst an. Glaubt es, oder glaubt es nicht.
Ihr könnt mich ja erproben. Nennt mir ein Beginnen, der Red’ wert, an
das sich keiner von euch herantraut, ich führ’ es aus!“

„Ich wüßt’ eins,“ schrie der Unternehmende, „damit ist noch keiner
aufgekommen, einen Eimer auf einen Sitz trinken.“

„Das wär’ ein Stück so groß und so dumm wie du selber bist,“ sagte
Florian.

„Was können die mitreden, die von nichts noch wissen,“ meinte der
Kohlenbrenner. „Willst wirklich an was heran, wovon neuzeit noch jeder
seine Hände ferngehalten hat?“

„Möcht’ ich es sonst sagen? Ich meine nur, wir haben es da herum in
der Gegend an keinem Unfug fehlen lassen und dir wird nicht leicht was
Neues beifallen.“

„Darf es nicht ein wenig aus dem Wege liegen?“ fragte lauernd der
Kohlenbrenner.

„Wenn es was Rechtes ist,“ sagte Florian, „so geh’ ich drei Tag’ weit
danach.“

„Bist in einem dort, wo ich meine. Weißt du Zirbendorf?“

„Dort liegt’s,“ Florian wies in die Gegend, in der Richtung lag ein
hohes Gebirge in verschwimmendem Blau.

„Hast nie etwas gehört vom Leutenberger Urban dort?“

„Nein.“

„Nimmt mich nicht wunder. Wie er in dem Alter war wie du, da war
die ganze Gegend voll von ihm, danach ist alles wieder hübsch
eingeschlafen, nur er nicht, er freilich nicht, er ist hübsch munter
geblieben bis auf den heutigen Tag. Das ist aber daher gekommen,
anfangs hat man geglaubt, er wird doch einmal seinen Meister finden,
der ist aber ausgeblieben, sauber zerschlagen ist noch jeder
heimgekommen, der mit ihm angebunden hat, es sind alle nacheinander
dort gewesen, die so was haben unternehmen können; alle hat er
heimgeschickt und so hat sich keiner mehr an ihn herangewagt und da
haben sich auch die Leute rundum nicht mehr zu mucken getraut; was er
ihnen auch an Gewalt und Bosheit angetan hat, es ist nimmer viel Gerede
davon gewesen, es hat sich eben gezeigt, daß er der Stärkste war, und
seither ist jeder froh, wenn nur er mit dem Urban auf gutem Fuß steht,
und fragt nicht danach, was der mit den andern vornimmt. Seit er ihnen
den Herrn gezeigt hat, hört man wenig mehr von ihm, aber daheim macht
er ihnen zu schaffen, gerade wie früher.“

„Du meinst, mit dem soll ich’s aufnehmen?“

„Ich meine nichts, es war nur die Rede, ob einer was weiß, was sich
keiner getraut, und da ist mir die Geschichte von dem Leutenberger
Urban eingefallen. Es ist auch schon eine lange Zeit her, jetzt lach’
ich darüber, aber damal hätt’ ich vor Wütigkeit weinen mögen, wie ich
von dort heimgekommen bin mit dem Buckel voll schwerer Schläg’, und
die hab’ ich nirgends abladen können. Wie gesagt, du mußt es nicht
so aufnehmen, als wollt’ ich dich an den hetzen, wo noch jeder übel
weggekommen ist, eben es gilt ja keine Wette.“

Florian stand auf. „Du mußt nicht auf einmal so sorglich tun um mich,
Kohlenbrenner-Jackerl. Ich merk’ ja doch, daß du mich nur hänselst und
inwendig ein breit’ Maul ziehst. Laß dir davon abraten, sonst möcht’
ich mich ein wenig an dir erproben und so gut wie der Leutenberger
Urban denk’ ich es auch noch zu treffen, und da das keine lange
Zeit her wäre, so möchtest du auch nicht darüber lachen. Wenn ich
gesagt hab’, ich führe es aus, so führe ich es aus! Ihr sollt noch
davon hören.“ Er zahlte und die Gesellschaft entfernte sich in etwas
gedrückter Stimmung.

Sie gingen die Straße durch das Dorf. Der lange Kohlenbrenner hielt
sich immer einige Schritte abseits von den andern. Hier gab der eine,
dort der andere gute Nacht und verschwand in der Türe eines niederen
Häuschens oder hinter dem Gatter einer Hofumzäunung; als Florian bei
dem mittleren Graben anlangte, befand sich niemand mehr an seiner
Seite. Er schritt rüstiger aus, aber er hatte nur eine kurze Strecke
zurückgelegt, als er hinter sich jemand eilig herankommen hörte, er
dachte gleich an den Kohlenbrenner und da er ihm keine freundliche
Absicht zumuten mochte, so drehte er sich so herausfordernd um, daß
der Herankommende, es war der Köhler, nicht zweifelhaft sein konnte,
welcher Empfang ihm zugedacht sei.

„Sei nicht dumm, Flori,“ keuchte hinzutretend der Lange. „Ich werde dir
doch nicht nachlaufen, um mir die versprochenen Schläge zu holen, ich
weiß ja wohl, daß du von uns zweien der stärkere bist. Mich verlangt
nur, daß ich dir sag’, was ich heut’ geredet hab’, das laß zu einem
Ohr hinein- und zum andern hinausgehen, kehr’ dich nicht daran, ich
hab’ es nur so im Zorn vorgebracht, weil du mich geschraubt hast,
als möcht’ ich noch immer wie ehedem der Erste sein und tät’ es dir
neiden, dasselbe ist aber halt doch nicht wahr, ich bin schon zu alt,
und dich mag ich leiden und es läge mir auf dem Gewissen, wenn ich der
Anlaß wär’, daß du zu Schaden kämst. Wo noch einer glauben kann, er
wiegt den andern auf, nun, da ist gerauft eben gerauft, aber da ist’s
gemördert, der Urban ist ein Kerl wie der Teufel selber, der bringt
einen auch um in aller Gemütlichkeit. Schau, mußt nicht nach Zirbendorf
gehen. Hänseln wird dich darum keiner, denn daheim bei uns bist du der
Starke. Tu’s nicht.“

„Bekümmer’ dich nicht allfort um mich,“ der Müllerssohn drehte ihm den
Rücken und ging.

„Hör’, Flori,“ rief ihm der Köhler nach, „nur eins nimm von mir an!“

Der Angerufene hielt inne und blieb, abgewendet von ihm, zuwartend
stehen.

„Wenn du schon gehst, so reiz’ den Sackermenter nicht unnötig auf,
sag’: du kämst nur, um dich zu erproben; verabredet ein Ringen und
welche Vorteil’ dabei gelten sollen und welche nicht, und wird einer
geworfen, so soll’s aus sein und soll nicht weiter Hand an ihn gelegt
werden. Hörst du?“

„Ich hör’ schon,“ sagte Florian und kehrte sich dabei etwas dem
Kohlenbrenner zu. „Soll nicht auch noch ausgemacht werden, auf einem
Heuschober müßt’ es vor sich gehen, damit, wer verliert, nicht hart
fällt? Du bist doch selber kein so Feighart, wie du anderen zu sein
anraten möchtest. Daß du mich darauf gebracht hast, ist mir lieb, denn
es ist doch einmal was Neues, und wie es ausgeht, da ängstige dich
nicht. Behüt dich Gott, Jackerl!“

„Behüt dich Gott, aber ...“

„Sollen wir als gut Freund voneinander gehen, so gib mir jetzt weiter
keine Red’. Gute Nacht.“

Mit raschen Schritten entfernte er sich, der Köhler blieb eine Weile
nachdenklich stehen, er machte einige lebhafte, bedauernde Gesten
hinter dem Davoneilenden und ging dann langsam und kopfschüttelnd
seiner Wege.

Als Florian dem Busche nahe war, der den Reindorferhof verdeckte, hörte
er jemand auf der Straße einherlaufen, und als er um das Gesträuch bog,
rannte ein Mann an ihn. Er erkannte den alten Knecht Reindorfers.

„Nun, was gibt’s so eilig?“ fragte er.

„Halt ja, eilig, -- guten Abend,“ -- sagte der Knecht. „Den Bader haben
wir im Haus. Die Bäuerin will versterben, ich muß nach’m hochwürdigen
Herrn laufen. Gute Nacht!“

„Gute Nacht! Die Bäuerin will versterben!“ Er betrachtete den
Reindorferhof, der friedlich im Abendschatten vor ihm lag. „Wie lang
dauert’s, so bringt der junge Bauer eine neue Bäuerin darauf. Etwa die
Melzer Sepherl?“ Er lachte höhnisch. „Dann entspinnt sich aufs neue die
alte Geschichte zwischen dem Hof und der Mühl’!“ Er lachte nicht mehr,
ihn fröstelte.

Er stieg hastig den Weg hinan, der über die Wiese und durch das
Tannenwäldchen führte. Er kam bis zum Weißdornstrauch.

„Wie dumm. Nun will mich heut auf einmal alles erinnern. Ich mein’,
sollt’ ich jetzt durch den Tann, ich könnt’ weinen wie ein Bub’!“

Er kehrte wieder um und verfolgte den Weg auf der Straße.

„Da haben wir uns auch einmal als Kinder getummelt. -- Daß es mich
gerade heute überkommt?! -- Da geh’ ich einher und mir ist, daß ich
keinen Wurm vom Halm streifen und keine Schnecke zertreten möcht’!
Ei ja, so sieht einer aus, der morgen mit dem Urban von Zirbendorf
anbinden will!“

Das half. Er trat wieder strack auf, und was im Wege war, das mochte
sich vorsehen.

       *       *       *       *       *

Es war in der Nacht, als der Pfarrer auf dem Reindorferhofe anlangte.

Er trat in die Stube, in der Ecke stand das Bett, darin die Bäuerin
lag, sie atmete schwer. Ein Öllämpchen beleuchtete spärlich den Raum
und warf einen schwanken, matten Kreis auf den Tisch, worauf es stand,
daran saß der alte Reindorfer und schrieb.

„Guten Abend, Reindorfer, wie geht es?“ fragte der Pfarrer; er war die
Zeit über noch beleibter geworden, aber er hatte seine Lebhaftigkeit
eingebüßt.

„Ich küss’ die Hand, Hochwürden,“ sagte der Bauer. „Schlecht geht es,
recht schlecht. Ich schreib’ gerade an die Magdalen’, auch der Liese
hab’ ich Botschaft sagen lassen. Es ist nur, daß die Kinder es wissen,
zu sehen verlangt sie sich keines. Ich soll die nur zulassen, wenn sie
aufgebahrt sein wird.“

„Sonderbar, die Kinder will sie nicht um sich?“

„Nein. Ich werd’ sie wecken, hochwürdiger Herr, damit sie beichtet.“

„Laßt es gut sein. Ich will es schon abwarten, bis sie von selbst wach
wird.“

„Ich bin wach,“ sagte die Kranke plötzlich.

„So will ich Euch Beichte hören, Reindorferin.“ Der Pfarrer setzte sich
an das Bett der Sterbenden, der Bauer wollte sich entfernen, aber sie
machte eine heftige Bewegung, als wollte sie ihn zurückhalten, so daß
der Seelsorger sich rasch erhob und sagte: „Bleibt nur da, Reindorfer.“

Der alte Mann trat zurück an den Tisch und stützte den Kopf in die
Hände. Es rührte und regte sich nichts, nur das Geflüster und leise
Geschluchze der Beichtenden drang eintönig an sein Ohr.

Der Pfarrer bewegte sich etwas unruhig, er sprach der Bäuerin Trost zu,
betete dann und machte das Kreuzeszeichen über sie.

Er erhob sich und trat auf den Bauer zu. „Reindorfer,“ sagte er, „Sein
Weib ist nun mit Gott versöhnt, aber ehe ich ihr das heilige Abendmahl
reiche, begehrt sie noch Seine Verzeihung für all das, womit sie sich
gegen Ihn versündigt hat. Reindorfer, Er ist ein Christ, habe ich es
nötig, Ihm viel Worte darüber zu machen?“

„Nein, Hochwürden, dasselbe ist nicht not. Sie hat schon recht, wenn
sie das begehrt, denn unser Herrgott nimmt die Dinge wohl nicht so auf
wie ein Mensch und darum ist es gut, man verlangt auch den Menschen
ihre Verzeihung ab! Sie hat auch recht, -- gleichwohl sie hat merken
können, ich trage ihr nichts nach, -- wenn sie es gesagt haben will,
denn solch ein Wort zur letzten Letzt’ ist wahrhaft und läßt sich nicht
lügen und nicht leugnen.“ -- Er trat heran an das Bett. -- „Rosel, wenn
ich daran denk’, wie lange du brav und ehrlich warst, vermöcht’ ich
nicht, dir in deinem Sterben nachzutragen, daß du einmal schwach und
hinfällig gewesen.“

Das Weib schluchzte heftig. Der alte Mann fuhr sich über die Augen mit
der Rechten, dann erhob er sie feierlich. „Und so sag’ ich dir denn,
daß ich dir alles vom Grunde des Herzens verzeihe, so wahr ich mir
dereinstens von Gott und den Menschen das gleiche erhoffe. Amen!“

Er legte seine zitternde Hand in die ihre, sie faßte ihn daran und
hielt den Blick der matten Augen starr auf ihn gerichtet. „Mein Joseph,
so ist es nun recht geworden und nun bleibt es. Ich wollt’ nur, ich
hätt’ noch ein Leben mit dir, -- du solltest es anders haben.“ Wieder
weinte sie heftig.

„Tu dich nicht aufregen, der hochwürdige Herr versammelt schon das
Gesind’!“

„Du bleib’ bei mir, Joseph, du bleib’ bei mir, auch vor den Leuten,
gelt ja, -- das ist unser neuer Brauttag, unser Brauttag.“

Der Pfarrer, der vor die Tür getreten war, führte jetzt den Mesner und
das Gesinde herein. Als er der Bäuerin die kirchliche Tröstung reichte,
trat er selbst nur einen Schritt heran und vertrieb den Bauer nicht von
seinem Platze, und als sie gingen, winkte er ihm mit stillem Gruße, zu
bleiben.

Über eine Weile waren die Leute fort, die Bäuerin atmete ruhiger, es
löste sich ihre Hand, sie war eingeschlummert. Der Bauer trat leise von
ihrem Bette zurück, ging nach dem Tische und griff nach der Feder. Er
hatte an Magdalene geschrieben, wie es um ihre Mutter stehe und daß sie
für dieselbe beten solle. Jetzt fügte er noch hinzu, daß sie eben mit
den Sterbesakramenten versehen worden sei und daß er ihr vom Grunde des
Herzens vergeben habe.

Er beendete den Brief nicht, es ward ihm gar ängstlich in der Stube, er
schlich hinaus nach dem Hofe und tat einige tiefe Atemzüge.

„Ihre Reu’ hat mir schier wehgetan,“ murmelte er. „Es ist doch ein
eigenes herzverschnürend’ Wesen um so ein Sterbendes, wie bald und
es soll nimmer sein; da möcht’ man voreh’ noch einmal den ganzen
Herzinhalt vor ihm ausschütten, aber er will nicht ins Wort, bis es
vorbei ist, und man behält das Ganze für sich, ungesagt und ungehört.
O du mein Herr und Gott! Wie hilft sich doch alles auf der Welt so
elendig durch, was geboren wird, bis es wieder versterben muß! Halt ja,
müssen wir uns allsamt rechtschaffen erbarmen! Von der Lieb’ soll mir
keiner sagen, die sucht ihren Grund und hat ihr Absehen, das Erbarmen
fragt nicht danach, dem ist genug, daß eines mit da ist, das Erbarmen
untereinander, es ist doch das Beste!“

Er horchte auf, wohl regte sich nichts, aber er eilte mit leisen
Schritten zurück an das Sterbelager seines Weibes.

       *       *       *       *       *

Am frühen Morgen darauf machte sich Florian bereit, die Mühle zu
verlassen.

„Wohin denn wieder,“ fragte finster der Müller, „soll das Herumstromen
nie ein Ende haben? Muß alle Tag’ etwas ins Werk, was du dir
ausgesonnen hast, um meinen Namen noch mehr zu verschänden? Immer muß
man in Angst sein, daß du von einem Gange nicht mehr heimkehrst. Sieh
dich vor, du treibst es arg, sie werden dich noch erschlagen.“

„Sei gescheit, Flori, ich bitt’ dich, sei g’scheit,“ sagte die Müllerin.

„Sorg’ dich nicht, Mutter,“ entgegnete der Bursche, dann wandte er sich
an seinen Vater. „Wenn sie mich erschlügen, ich klagte nicht darum, du
weißt am besten, was mir am Leben liegen kann; nur zank’ nicht, dazu
hast du kein Recht, denn wie du warst, werd’ ich doch auch sein dürfen.“

„Ich war nie so,“ brauste der Müller auf.

„Mag auch sein, daß ich es übertreib’; dafür ist es dich leichter
angekommen, ich geb’ mir Müh’ dazu. Nun behüt Gott!“

„Tu mir’s zuliebe,“ bat die Müllerin, „und bleib nur heut, den einen
Tag, heim.“

„Heim ist’s langweilig.“

„Sag wenigstens, wohin du gehst,“ begehrte der Müller.

„Ei, weiß ich’s, wohin mich der Zufall bringt und meine Füße tragen?
Behüt euch Gott!“

Fort war er. Die Müllerin blickte, wie Rat und Trost suchend, nach
ihrem Manne, aber der stand selbst wie verloren da.

„Es ist ein Elend mit dem Jungen,“ sagte er, „aber es wird sich wohl
geben, er treibt es mit zuviel Hast und Übernehmen, da muß er es bald
müde werden und klein beigeben.“

„Meinst du?“

„Ei freilich.“

Florian ging durch das Tannenwäldchen, die Sonne stieg eben herauf,
jenseits aber, als er über die Wiese herunterkam, lag der Reindorferhof
noch in Morgendämmer. Der Knecht stand vor dem Tore, eine Magd kam
herzugelaufen, da nahm er die Pfeife aus dem Mund und unterließ es
Feuer zu schlagen, er schickte sich gerade an, der voraneilenden Dirne
langsam nachzufolgen, als Florian ihn anrief: „Nun, was ist’s mit der
Bäuerin?“

Der Knecht wies im Gehen mit der Pfeife nach dem Hofe. „Sie stirbt
eben,“ sagte er leise.

„Schau einmal.“ Gleichzeitig ging Florian der Straße nach weiter.
Gestern wäre ihm vielleicht eingefallen, daß die Sterbende Magdalenens
Mutter war, aber heute „überkam es ihn nicht“. Rein war der Himmel,
und die Sonne wird bald ganz heroben sein und es diesmal redlich
warm meinen. Wer, der in frischer Jugendkraft dem sonnigsten Tage
entgegengeht, wird auch an das Sterben und an den Tod denken?

Das kommt, da hat es noch lang hin!

Er schritt rüstig aus, es war kein kleines Stück Weg nach Zirbendorf.



17.


Da liegen die Häuschen erst verstreut, dann tun sie sich zusammen und
bilden eine Gasse, von der hie und da ein Gäßchen abzweigt, eines
davon führt über Stufen zur Kirche hinan, die über dem Dorfe inmitten
des kleinen Friedhofes steht. Ein Schreiner hat dort seine Werkstatt,
die Fenster nach den Hügeln und Kreuzen heraus, und man hört das
langgezogene Schleifen des Hobels. Die Uhr auf dem Turme schlägt jede
Viertelstunde, zu bestimmten Tageszeiten wird auch die Glocke gezogen
und da nehmen die Leute die Kappen ab und falten die Hände, mögen sie
weit draußen auf dem Felde oder heim im Stalle oder Garten sein. Jede
Stunde mißt ihnen die Uhr unter dem funkelnden Kreuze zu, jede Stunde
als Geschenk des Himmels.

Wer zum erstenmal so ein Dorf und seinen kleinen Friedhof betritt
und den Stundenschlag gleichmäßig verhallen hört über der kleinen,
enggeschlossenen Gemeinde der Verstorbenen und der Lebenden, der
könnte wohl meinen, die letzteren überkäme, wie ein Segen aus der Höhe
des Turmes, das Gefühl, das ihn beschleicht, der all ihrer Müh’ und
Sorge ferne steht; ein Gefühl, allumgeben zu sein von der Zeit und dem
Waltenden in ihr, eine Unmittelbarkeit des Ewigen. Die liebe, lichte
Erde scheint herausgetrennt aus dem wirren Ganzen; in der Luft, die auf
ihr lastet, atmet Andacht und jeder Atemzug erfüllt die Brust mit der
Sicherheit, in und mit allem gezählt und behütet zu sein!

Es ist ein Augenblick vergessender, unmittelbarer Gegenwart, der den
Wanderer erfreut, flüchtig wie diese; die Zeit, sie hat auch hier nie
stille gestanden, nur merkt er eben ihre Spuren nicht. Die Menschen zur
Stelle aber mahnt der Stundenschlag und Glockenklang an etwas in und
über der Zeit, doch sie hören es Tag für Tag, es wird gewöhnlich, sie
murmeln ihre Gebete, leiden unter dem Vergangenen und fürchten für die
Zukunft.

Denket die Natur als, ohne Rückerinnerung und Furcht, urewig schaffende
Gegenwart, und es überkommt den Menschen ein Gefühl haltloser
Vergänglichkeit. Laßt den Reisenden nach einiger Zeit wiederkehren.
Damals war es so und wie ist es jetzt ganz anders, schon ein zweites
Mal haftet die Erinnerung auf dem Flecke und Wehmut beschleicht sein
Herz. Die Alten hatten recht, ihre Heroen mußten Lethe trinken, um ewig
sein zu können.

Im heiteren Tageslichte, das erste Mal berührt, sieht jede Stätte
heimisch aus. Wie reinlich so ein kleines Dörfchen in hellem
Sonnenscheine liegt, an die Häuser drängt das Licht, fällt durch die
Fensterscheiben und schlägt in breiter Masse durch jede sich öffnende
Türe ein, und draußen spielt es um Grabsteine und Kreuze; anders
ist es freilich, wenn der Himmel unfreundlich ist, wenn ein dichter
Landregen in trauriger Einförmigkeit niederrieselt, trotz seiner
Verdienstlichkeit um Feld und Frucht blicken die Menschen verdrießlich,
weil sie in ihre dumpfen Stuben gebannt sind, die Häuser selbst
erscheinen ganz unförmlich und schmutzig und von den Gräbern meint man
den Brodem der Fäulnis aussteigen zu sehen. Aber es gibt auch lustige
Regen, die in Hast befruchtend herniederstürzen, nach denen alsbald die
Sonne wieder hervorbricht, und deren Naß man lachend abschüttelt.

Unter solch einem frischen Sprühregen schritt Florian auf die Ortschaft
zu; es war Zirbendorf, und die ziehenden Wolken, die ihm den nassen
Gruß herniederschickten, waren schon von der Abendsonne gerötet. Er
nahm sich vor, erst die Wirtshäuser abzusuchen, denn hier wie daheim
geht wohl der Fleißige seiner Arbeit und der Ausbund dem Trunke nach,
und hinter einem vollen Glase dachte er auch seinen Mann zu finden. Das
Gemeindegasthaus war das vornehmste, mit ihm beschloß er den Anfang zu
machen, er fand aber niemand dort und es schien auch weiter niemand
kommen zu wollen, so zahlte er sein Glas Wein und ging, um sich lieber
in einer verdächtigen Schenke umzusehen.

Am andern Ende des Ortes fand er eine, welche so verkommen aussah, daß
sie sein Vertrauen gewann. Er trat ein. Das Innere hielt vollkommen,
was das Äußere versprach. Schmutz starrte an den Wänden und machte
Tische und Bänke für jeden Anständigen unnahbar, ein altes Weib, das
in versudelten Lumpen einherging, besorgte die Bedienung der Gäste und
die Leute, die hier ein Behagen finden konnten, sie waren auch danach.
Männer und Burschen in schmierigen Jacken lümmelten an den Tischen
und sahen entweder blöde mit schlaffen Gesichtern vor sich hin, oder
schrieen mit wildem Blick und krampfhaft verzerrten Mienen auf den
Nachbar ein. Diesmal keifte aber auch die Wirtin darein, und man konnte
aus ihren Worten entnehmen, daß sie die Überzeugung hege, ihre Gäste
wären „Lotter, Erzdiebe und Mistfinken“, die ein armes Weib betrügen
wollten, indem sie mehr söffen als sie dann bei der Zeche eingestünden.

„Gemein mit solchen macht er sich doch nicht,“ dachte Florian und
wollte schon umkehren, da bemerkte er durch den dichten Tabaksqualm
einen Mann, der in einer Ecke allein an einem Tische saß und wohl der
Gesuchte sein konnte. Er trat daher ohne weiteres hinzu und setzte sich
ihm gegenüber.

Dieser Stammgast beachtete ihn offenbar gar nicht, als er aber
bemerkte, daß Florian ihn mit mißgünstigen Blicken musterte, so wurde
das bald gegenseitig. Diese Musterung bestärkte Florian darin, daß er
den Leutenberger Urban vor sich habe. Der Mensch, ihm gegenüber, war
überaus kräftig gebaut, und daß er stark war, das sah man ihm sogar an
seinem Gesichte ab, wenn er eine Muskel verzog, so war es, als kröche
ihm etwas unter der Haut dahin, und es stiegen rote Flecke auf, wie von
einem Druck, er hatte die Hemdärmel zurückgestreift, seine bedenklich
kräftigen Arme konnten auch der Bekleidung entbehren, denn sie waren
mit einem dichten Felle bewachsen. Seine Stirne war nieder, wasserhelle
graue Augen, eine gerade knollige Nase und wulstige Lippen standen in
seinem breiten Gesichte, das einen brutalen Ausdruck hatte und sonst
auch keinen andern.

Er räusperte sich und spuckte über den Tisch, knapp an seinem Gegenüber
vorbei, mitten in die Stube.

Der Müllerssohn hatte sich Wein geben lassen, sein halbvolles Glas
stand vor ihm, er wandte sich jetzt ab und stieß dasselbe wie achtlos
um, daß der Inhalt über den Tisch rann.

„Noch einmal,“ rief drohend der andere.

„Kann schon sein, wenn ich meinen Wein verschütten will, geht es keinen
Menschen was an, und ist dir um deine Hosen leid, so heb dich und setz
dich wo anders hin.“

„Büberl, du weißt nicht, mit wem du zu tun hast.“

„Nu, gefressen wirst auch noch keinen haben.“

„Weißt wer ich bin?“

„Und wenn du der Leutenberger Urban selber bist, so kommst du doch
nicht gleich nach’m Teufel!“

„Kennst mich denn, weil du mich beim Namen nennst?“

„Dem Reden nach, die nähere Bekanntschaft behalt’ ich mir noch vor.“

„Wer bist denn nachher du?“

„Der Sohn vom Müller im Langendorfer Wassergraben.“

„So, so, von dir hört man ja auch reden. Schau, du steigst einem nicht
schlecht zu. Ich meine, mit ein wenig weniger Reschen[22] tätest du es
auch richten, wenn du dich mit mir messen willst.“

„Ausfordern kann ich dich wie es mir ansteht. Kannst ja zufrieden
sein, daß ich dir vorhin die Ehr’ angetan hab’ und hab’ dich mit Wein
gewaschen, wird dir ohnehin schon lang nicht geschehen sein, -- ich
meine das Waschen!“

Der Leutenberger Urban blickte finster. „Du hörtest gerne lachen über
deine Späße, damit ich mich jemehr giften möcht’, aber gib dir keine
Müh’, da lacht dir keiner; schau, wie sie duchsig herumsitzen, ich sag’
dir, ehe einer einen Lacher gegen mich losläßt, frißt er lieber sein
Stielglas auf.“

Die meisten Gäste tranken Branntwein und hatten ihn in kleinen
Kelchgläschen vor sich stehen.

„Ich weiß nicht,“ fuhr der Leutenberger fort, „ob du es so eilig hast,
daß du auf der Stell’ an mich geraten willst, aber das merk’ ich, daß
du jung bist und dich in Hitz’ und Hast hineinreden möchtest, das taugt
nicht, morgen ist auch ein Tag, da wollen wir aneinander.“

„Wenn du dich heute nicht getraust, so ist es für mich gerade
schicklich.“

„Sei gescheit, ich kann dir nicht bös sein, ich hab’ schon gemeint,
die Kuraschierten wären allsamt ausgestorben, du bist der erste, der
sich nach langer Zeit wieder heranwagt an mich, und das freut mich.
Ich sag’ dir, es ist völlig zuwider, wenn man allweil so in Ruh’ bleibt
und wo man selber angreift, nur unter den Fäusten was herumzappeln
spürt und nicht einmal weiß, haut das zurück oder nicht. Schau, sauber
hingelegt wirst, das wirst, darauf kannst du dich schon verlassen,
aber freuen tut’s mich doch.“ -- Er faßte nach Florians Arm und prüfte
ihn mit ein paar Griffen. -- „Nun, zu schaffen kannst du einem schon
machen, hätten wir’s im Ernst einer auf den andern abgesehen, wir
möchten nicht ganz heil voneinander kommen, aber die Freud’ machen
wir den Zulauerern nicht, das hat’s nicht not, stark bleibt stark und
stärker bleibt stärker, das weist sich auch beim Erproben aus.“

Damit stand er auf. „Also genug für heut, ich hab’ noch einen Gang,“
sagte er mit zusammengekniffenen Augen.

„Zu der Everl,“ kicherte die Wirtin.

Der Leutenberger tat einen verwunderten Blick nach ihr, der besagen
sollte, wie kommst du dazu, ein Wort darein zu geben, wo zwei solche,
wie ich und der, miteinander reden, weiter aber nahm er die Bemerkung
nicht übel und fuhr, zu dem Müllerssohne gewendet, fort: „Morgen
wollen wir aneinander, du triffst mich hier von früh ab, außer“ -- er
zwinkerte wieder mit den Augen, -- „du hättest so wenig Zeit, daß du
heute noch in aller Eil’ heim müßtest!“

Er begleitete diese Worte mit einem freundlichen Händedruck, der den
ganzen Arm hinauf schmerzte, aber Florian gab ihn ebenso ehrlich
gemeint zurück und hatte die Genugtuung, daß der Leutenberger ihm etwas
befremdet nach der Hand sah, dann verzog derselbe das Gesicht zum
Lachen und sagte: „Du kommst schon. Gute Nacht miteinander!“

Er war kaum gegangen, da rief es von mehreren Tischen Florian zu:
„Wirst einen schweren Stand haben!“

Der Bursche richtete sich hoch auf. „Wen bekümmert’s, was ich für
einen Stand haben werd’? Wer von euch hat da überhaupt ein Wort
dareinzureden? Tut ihr vielleicht ihm vorhinein so bedauerlich, um
mich fürchten zu machen? Gegen den Urban habt ihr euch nicht einmal
zu lachen getraut, wo es doch zum Lachen war, müßt nicht meinen, ihr
könntet euch vielleicht jetzt gegen mich etwas herausnehmen, das laßt
bleiben, sonst zeig’ ich euch gleich eines von meinen Stückeln; es darf
mir nur einfallen, daß ihr mir nicht schön genug dasitzet, so räum’ ich
euch alle hinaus bis auf den letzten!“

Er wartete eine kleine Weile ab, da aber keiner der Anwesenden sich
rührte, vielleicht aus Besorgnis in einer anderen Stellung minder schön
dazusitzen, so zahlte er und ging.

„Hihi,“ kicherte die Wirtin, „die haben alle zwei morgen einen schweren
Stand.“

„Ich vergönn’ einem jeden Schläge, so viel auf ihm Platz haben,“ sagte
ein buckliger, verkrüppelter Tagwerker.

Als Florian aus der Schenke getreten war, sah er den Leutenberger auf
der Straße, die zu dem Dorfe hinaus führte, dahingehen. Er beschloß,
ihm Zeitvertreibes halber zu folgen, und ging nun immer eine Strecke
hinter ihm her.

„Das war dumm,“ sagte er, als er nach einer geraumen Weile sich
umblickte und das Dorf weit hinter sich liegen sah. „Der wird wohl
wissen, wo er bleibt, aber ich kann jetzt die Nacht auf offenem Felde
zubringen.“ Da aber das Umkehren nunmehr auch zwecklos schien, so
setzte er seinen Weg fort und behielt den Voranschreitenden im Auge.

Es war Neumond, aber die Nacht war sternenhell, wenige einzelne Wolken
zogen langsam dahin und verdeckten hie und da am Himmel auf weite
Strecken die brennenden Lichter, aber auf Erden blieb die Helle gleich.
Ein hoher Berg lag vor den beiden nächtlichen Wanderern, der Wald
erschien undeutlich, nur einzelne Bäume an den Rändern der Zacken und
Höhen hoben sich ab, das andere war ein unentwirrbares Ganzes und es
sah aus, als wäre der Fels mit riesigen Moosfeldern bewachsen, dagegen
traten die nackten, schroffen Stellen fast leuchtend hervor, in der
halben Höhe stand eine kleine Hütte, wohl erst mit frischem Anwurf
versehen, denn sie glänzte kreidebleich in die Nacht hinaus.

Der Leutenberger Urban begann den Berg hinanzusteigen, bald mußte er
im Schatten der Bäume verschwinden, Florian beeilte sich darum, ihm
näher zu kommen, sie waren in Rufweite, als der erstere in der Nähe des
Häuschens stehen blieb und Atem schöpfte: ein paarmal schon hatte er
sich umgesehen, auch plötzlich im Gehen innegehalten, damit sich der
Nachschreitende durch seine Tritte verraten sollte, aber der war zu
sehr auf der Hut.

Da standen sie nun vor dem Häuschen, ein niederer Zaun vor demselben
schloß ein kleines Gärtchen, ein wenig Ackergrund und etliche Waldbäume
ein, er sollte das dürftige Besitztum wohl nicht schützen, sondern
nur umfrieden, damit die Eigner mit einem Blick das Ihre überschauen
konnten, sei es, um sich zu getrösten mit dem was sie hatten, oder
stets vor Augen zu haben, wie arm sie seien. Unmittelbar hinter den
Tannen, die bei dem Häuschen eingefriedet waren, zeigte sich eine
Lichtung.

Im Gärtchen war eine Laube mit Bohnen und anderen Schlingpflanzen wirr
durcheinander dicht bewachsen, sie ließ die Mauerseite der Hütte, an
der sie knapp anstand, frei und ein Fenster der einen einzigen Stube
befand sich unter ihrem Blätterdache; der Leutenberger war über den
Zaun gestiegen und dort untergetreten, das machte Florian Mut, an einer
anderen Stelle überzusteigen und sich ganz nahe heranzuschleichen.

Der Urban klopfte mit derber Faust an die Scheiben.

„Jesus, Maria,“ rief innen ein Weib. „Wer ist’s denn?“

„Ich bin’s, der Urban. Hab’ ich nicht gesagt, ich komm’ heut? Da bin
ich nun, laßt die Everl an das Fenster treten.“

„Die Everl ist nicht daheim, -- wir haben sie fortgeschickt, -- nach
Bergdörfl halt haben wir sie zur Verwandtschaft geschickt.“

„Wenn es wahr wär’, so holte ich mir meinen kleinen Schatz auch von
dort und das möcht’ mir wohl keiner wehren. Ihr kennt den Leutenberger
Urban noch nicht, wenn er sich was in den Kopf setzt! Aber ich weiß,
sie ist heim, der Halterbub’ hat für mich aufpassen müssen, seit sie
mit dem Schulzöger herein ist, ist sie nicht aus der Hütte gekommen.“

„Sie ist krank.“

„Was ist’s? Mach das Fenster auf! Durch die Scheiben versteh’ ich dich
mit keinem Laut. Mach schnell, sonst heb’ ich dir gleich allssamt mit
dem Fensterstock aus!“

Das Fenster wurde geöffnet.

Innen stöhnte eine männliche Stimme schwer auf: „O du heiliger
Herrgott in deinem Himmelreich oben, ist das auch recht, daß ich da
daniederliegen und das mit anhören muß!“

„Ich mein’, du könntest es noch verspüren, wozu dir dein Aufsein
verhelfen möcht’,“ bemerkte roh der außen.

„Anton, ich bitt’ dich, sei ruhig, sei nur du ruhig,“ sagte das Weib
in der Stube, dann zeigte es sich an dem Fenster, es war ein altes
Mütterchen, das ängstlich nach der Hand des Davorstehenden griff. „Der
Urban will uns wohl nur Angst einjagen, gelt ja!“

„Dir will ich nichts, Alte, scher’ dich fort. Everl, komm her!“ Der
ungeschlachte Mensch rief das mit leiser Stimme, fast zärtlich, als ihm
aber nicht alsbald Folge geleistet wurde, sagte er heftig: „Ich rate
dir gut, Everl, komm her!“

„Geh nicht,“ schrie innen aufgeregt die männliche Stimme, „geh nicht,
mag werden, was da will! Es wird doch noch Recht auf der Welt zu
finden sein, es wird sich doch für den auch noch ein Oberer finden!
Wir wollen in Ruh’ bleiben. Großmutter, du gehst morgen nach dem
Gendarmeriekommando!“

„Da soll sie nur hingehen, einsperren könnt ihr mich schon lassen, aber
auf ewig wird es nicht sein, und wenn ich wieder loskomm’, ist mein
erster Gang da her und da will ich so hausen, daß kein Mensch mehr
erkennen soll, was einmal auf dem Fleck gestanden.“

„Ich geh’ ja nicht,“ sagte besänftigend das Mütterchen, „ich geh’
ja nicht hin. Ich weiß schon, daß dir dein Respekt gebührt und sich
niemand einzumischen hat. Du bist halt stark, so viel stark, daß
du dich manchmal vor lauter Stärke nicht ausweißt, was du anfangen
sollst! Ja, ja, man kennt noch keinen, der dir was verwehren möcht’,
aber warum willst du es gerade auf uns absehen? Wir haben dir doch nie
einen Anlaß gegeben. Schau, Leutenberger, da sind andere, die dir immer
übel gewollt haben, denen tu etwas an, das kann dir doch selber mehr
anliegen.“

„Halt das Maul,“ sagte der Leutenberger, „ich versteh’ dich schon, aber
auf Schmeicheln und Hetzen hör’ ich nicht; zum letztenmal jetzt im
guten, Everl, komm her!“

Da zeigte sich etwas Weißes im Fenster und ein feines Stimmchen sagte
trotzig: „Was willst du mir denn? Was kannst du mir denn wollen?“

Der Leutenberger aber griff mit beiden Armen zu und hob das Weiße,
leicht wie eine Feder, heraus und setzte es neben sich auf die Bank.

Florian sah mit Erstaunen ein Kind, ein völliges Kind vor sich, ein
Mädchen von etwa dreizehn Jahren, mit verweinten Augen, barfuß, im
Hemd und Unterröckchen. Es war allerdings ein hübsches Kind mit
reichen blonden Flechten um das milchweiße Gesichtchen, in welchem,
seltenerweise, tiefschwarze Augen brannten.

„Steh Gott mir armem Weib bei, daß ich nicht irr’ werd’ an ihm!“ rief
mit bebenden Mundwinkeln das alte Mütterchen. „Ein Enkelkind hast du
mir blutrünstig geschlagen, willst du mir jetzt noch das andere gar
zugrunde richten?! O, du elender Leutschinder und Kinderverderber, daß
du doch die nächste Sonn’ nimmer sehen möchtest!“

„Schimpf’ dich nur aus, Alte,“ lachte Urban, „später reden wir uns dann
leichter.“ Er wandte sich zu dem Kinde. „Was ich dir will, meinst du?
Was werd’ ich wollen? Dich herzen, weil du mein kleiner Schatz bist.“

„Ich will dein Schatz nicht sein.“

„Oho, warum gerade du nicht? Da sitzen noch andere Dirndeln in der
letzten Klass’ neben dir auf der Schulbank, die mir freundlich waren,
frag nur nach, die sind stolz darauf, daß ich mich mit ihnen abgegeben
hab’, denn weißt, Everl, ich bin der Stärkste im Land!“

Das Kind lachte gehässig auf. „Mein Bruder, den Toni, zu schlagen,
der nicht fünf Jahr’ älter ist, dazu hat wohl der Stärkste im Land
hermüssen?! O, wär’ der Bub’ nur nicht halbwüchsig gewesen!“

„Hätt’ er sich nicht eingemischt zwischen uns, so wär’ es ihm nicht
übel ergangen; daß ich aber mit ganz anderen fertig zu werden verstehe,
das kannst du morgen mit ansehen, da ist einer heute ins Ort gekommen,
der es mit mir aufnehmen will.“

„Gekommen ist einer?“ fragte das Mädchen. „Er ist also schon da --, er
ist schon da!“ Sie drückte beide Arme vor Freude an sich.

„Wer? Kennst du ihn denn!“ fragte erstaunt der Leutenberger.

„Seit du mich nicht in Ruhe läßt,“ sagte das Kind mit scharfer Stimme,
„habe ich tagtäglich zu Gott gebetet, er möchte einen starken Engel vom
Himmel schicken, der dich klein,“ -- die schwachen Fäuste ballten sich
--, „ganz klein macht! Und der ist nun da!“

„Nun, ein Engel ist es just nicht,“ lachte Urban, „es ist nur ein
Müllerssohn von Langendorf, und was das Kleinmachen anlangt, so denk’
wohl ich das zu treffen.“

„O nein!“ schrie heftig das Mädchen.

„O ja. Hinlegen will ich ihn dir, daß du selbst deine Freude daran
haben wirst.“

„Hinlegen, du ihn?“ kreischte außer sich die Kleine auf. „Sieh’, so
und so wird er es dir machen!“ sie schlug den Leutenberger rasch ein
paarmal mit den geballten Fäusten in das Gesicht.

„Ho,“ rief der, „so gefällst du mir, komm mit;“ Er schlug das Röckchen
dem Mädchen über die Füße, preßte dessen Arme an sich und trug es wie
ein Wickelkind hinweg.

Das Kind schrie jammernd auf.

Da fühlte sich der Leutenberger am Arme ergriffen. Florian stand vor
ihm und sagte: „Setz’ das Kind nieder! Also so ein Kriminalkerl bist
du? Setz’ das Kind nieder, sag’ ich!“

Der Leutenberger hatte nicht die Absicht, das zu tun, aber unter dem
immer stärker werdenden Drucke mußte er sich unwillkürlich beugen, das
Kind kam auf die Erde zu stehen und er ließ es los. Vor Wut stammelnd
sagte er: „Dich hat auch dein Unglück hinter mir her getrieben!“

„Mach Schulkinder fürchten,“ sagte Florian und schritt, ihn im Auge
behaltend, gegen den kleinen Wiesenfleck vor, der sich vor der
Tannenlichtung befand.

Der Leutenberger folgte ihm mit raschen Schritten. „Dafür sollst du
jetzt einen Gedenkzettel für all dein Lebtag abkriegen,“ sagte er und
warf sich auf ihn.

Das Mädchen drückte sich an die nach dieser Seite hin kahle Mauer des
Häuschens und sah mit furchtsamen Augen und gefalteten Händen nach den
beiden Männern.

Der Kampf war ohne Übereinkommen aufgenommen und wurde auch ohne
alle Regeln geführt, in der ersten blinden Erbitterung hielten sich
die beiden Gegner vollkommen die Wage, aber das brachte eben den
Leutenberger zu sich, er wehrte ab und wartete zu, plötzlich ersah er
seinen Vorteil, warf seinen Widerpart zur Erde, blitzschnell sprang er
hinzu, wie ein wildes Tier, trat ihn mit Füßen, warf sich über ihn und
schlug ihn, war ebenso rasch wieder auf den Beinen, um ihn aufs neue zu
treten, und über ihm, um ihn zu schlagen.

Das Mädchen war herbeigerannt und umkreiste ratlos, weinend und
schreiend den auf der Erde liegenden Mißhandelten.

Florian schrie vor Schande, Wut und grimmem Schmerz auf, er wäre
ohnmächtig zusammengebrochen, hätte ihn nicht ein Gedanke bei sich
erhalten und mit übermenschlicher Kraft begabt, der Gedanke sich zu
rächen, es koste, was es wolle! -- Dort hinter der Lichtung mußte
abschüssiger Boden sein, -- da hinab über Geröll und spitze Kanten mit
einem gekollert und der bleibt am andern Ende wohl auch ruhig neben
liegen und läßt Rühmen und Raufen eine Weil’.

Er umschlang seinen Gegner und mit einem Schwunge rollten sie bis zur
letzten Tanne.

Aber der Leutenberger hatte plötzlich von ihm abgelassen und mit beiden
Armen in die Luft gegriffen. „Da nicht hin,“ brüllte er, „da nicht hin,
da hört der Boden auf!“ Er lag kreidebleich unter Florian und hielt
eine dünne, glatte Wurzelgerte der Tanne krampfhaft mit beiden Fäusten
umspannt.

Er sprach nur zu wahr, keine drei Spannen trennten sie von einem
Abgrunde, eine unvorsichtige Bewegung und er nahm sie auf.

„So,“ sagte Florian, und obwohl er vor Schmerz die Zähne übereinander
biß, verzerrte doch ein eigentümliches Lächeln sein Gesicht. „Dann geht
es doch ein bißchen tiefer als ich gedacht habe. Kann mir gleich sein!
Du hast mich vorhin zuschanden getreten, Leutenberger, wie ich nie eine
Katze! Hast du gemeint, ich werd’ siech auf der Welt herumkriechen
und von dir mit Fingern nach mir zeigen lassen?! Nein, Himmelhund,
elendiger, das siehst nicht und die nächste Sonn’ auch nimmer! Komm
mit!“

Ein Ruck --, ein schreckensvoller, wilder Aufschrei --, die Wurzelgerte
entglitt pfeilschnell den umklammernden Fäusten und schnellte empor --
und über den Rand des Abgrundes schlugen zwei Körper hinaus.

Das Kind tat einen gellenden Schrei und schlug die Hände vor das
Gesicht, so stand es schauernd, atemlos, erwartend. Es hätte wie sonst,
wenn manchmal ein Stein am Rande abbröckelte, langsam zählen können --,
eins --, zwei --, drei --

Da geschah in der Tiefe ein dumpfer Fall.

Das Mädchen taumelte und griff um sich, da fühlte es sich gefaßt und
gehalten, die Großmutter stand wortlos und zitternd neben ihm, sie
hatte alles mit angesehen.

Sie gingen schweigend nach der Hütte.

In den Augen Evchens glänzten zwei große Tränen.

       *       *       *       *       *

Ganz Zirbendorf war auf den Beinen, ein Bauer, der von einem nahen Orte
heimkehrte, hatte es alarmiert; er kam mitten in der Nacht in das Dorf
gelaufen, sah Licht im Gemeindegasthause und traf noch einige Gäste
an, die sich verspätet hatten und nun gegenseitig einer den andern zum
Aufbruche mahnten.

„Leuteln,“ rief er atemlos, „das müßt ihr noch anhören, was mir
aufgestoßen ist, es ist schon Aufhorchens wert. Ich bin von Niederndorf
durch die Schlucht heim, es ist der kürzeste Weg und in der Nacht geht
eines nicht gern weit um; also ich geh’ und geh’ und wie ich so geh’,
auf einmal fällt aus der Höhe etwas Schweres nieder. Ich denk’, das ist
vielleicht ein Stück Vieh. O, ihr armen Leut’, denk’ ich, die ihr das
verloren habt! Da schau’ ich und seh’ Kleiderfetzen, ein Vieh trägt
doch niemalen ein Gewand, da hab’ ich gemerkt, daß es nur ein Mensch
war und wie ich noch näher schau’, waren es ihrer zwei! Da hab’ ich
lachen müssen, denn mir ist ein spaßhafter Einfall gekommen, und ihr
wißt, ich bin so ein lustiger Teufel und kann es nicht lassen, nicht
einmal in der Kirche, daß ich lach’, wenn mir ein spaßhafter Einfall
kommt und die hab’ ich wie der Hund Flöh’. Also ich lach’, weil ich
denk’: Jesus, jetzt fängt es gar ins Leut’regnen an, zwei Tröpfel sind
schon gefallen, jetzt mach’ ich aber, daß ich heimkomm’! Wie ich aber
so nach der ganz blutigen Bescherung schau’, die vor mir liegt, da hat
mich das Grausen angegangen, ich bin ausgerissen und gerannt wie nicht
gescheit und so bin ich da!“

„Ja, so bist du auch da,“ rief einer der Gäste. „Der dumme Kerl mag
noch lachen, wenn sich Leute neben ihm zu Tod’ fallen! Da hilft nichts,
der Bürgermeister muß aufgetrommelt werden, über Nacht kann man die
zwei nicht da draußen liegen lassen.“

Die kleine Schar zog vor das Haus des Bürgermeisters, über ihr Gelärme
vor dem Tore desselben wurde alsbald die ganze Nachbarschaft lebendig,
es mußte etwas Besonderes vorgefallen sein, das ahnte jeder und die
meisten warfen ihre Kleider über und eilten hinaus; als der aus dem
Schlafe Gepochte gähnend und sich reckend in die Gasse trat, hatte sich
schon ein brausender Schwarm in derselben angesammelt.

Der Gemeinderepräsentant nahm den Bericht über das Vorgefallene
entgegen. „Anschauen müssen wir uns das Ding,“ sagte er, „die Schlucht
ist Gemeindegrund; dabei dürfte sich auch herausstellen, wer die zwei
Verunglückten sind.“

Ja, das wollte man doch wissen! Man dachte gleich anfangs daran, sie
könnten nicht schlechtweg Verunglückte, sondern müßten auch sonst je
wer und etwas sein! Die Gemeinde befand sich hier in vollkommener
Übereinstimmung mit ihrem Bürgermeister, man mußte sich eben das Ding
anschauen und da wird es sich schon herausstellen; als daher derselbe
seinem Knecht einspannen hieß, da eilten mehrere, auch ihr Gefährt
instand zu setzen, um sich ihm anschließen zu können.

Die Frage, wer da draußen auf Grund und Boden der Gemeinde liege, ob
Angehörige oder Fremde, hielt die angesammelte Menge in Aufregung,
Abgängige wurden an den Fingern hergezählt, manche aber meldeten sich
selbst aus den Umstehenden oder wurden von anderen als ganz heil und
unversehrt daheim in ihren Betten liegend angesagt. Es wäre beinahe zum
Streite gekommen zwischen denen, die nur mit bekannten Toten zu tun
haben wollten und nach und nach nahezu die ganze Gemeinde in den Rachen
des Todes warfen, und jenen, die sie ihm menschenfreundlich, Stück für
Stück, wieder aus den Zähnen rissen; aber die Gewißheit sollte allem
Hader und Zwist ein Ende machen.

Der Bürgermeister wollte eben auf das Sitzbrett des Leiterwagens
steigen, als das alte Mütterchen von dem Häuschen auf dem Berge, ihr
Enkelkind an der Hand haltend, herbeikam; als er sie ansichtig wurde,
sagte er ohne weiteres: „Ah, Mutter Fehringer, ist’s gewiß in deiner
Näh’ geschehen? Kennst du die zwei Leute, die hinabgekugelt sind?“

„Ja,“ sagte die Alte.

„Der eine ist aus Langendorf, ein Müllerssohn,“ warf rasch das Mädchen
dazwischen. Er sollte den Vorrang haben.

„Ja, ein Müllerssohn aus Langendorf. Der andere,“ ergänzte die
Großmutter, „ist der Leutenberger Urban.“

„Was,“ rief der Bürgermeister, „der Leutenberger Urban, der ist hin?“
Er hätte beinahe unchristlicher Weise gottlob gesagt, da aber der Gott
schon heraus war, so besann er sich rasch auf einen anderen Zusatz.
„Gott -- tröst’ ihn!“ sagte er, das konnte niemand übel aufnehmen,
selbst der Leutenberger nicht, und es konnte ihm immerhin hinterbracht
werden, falls er doch nicht tot wäre, oder auch nach der Auferstehung.

„Sitzet auf,“ rief er dem alten Weibe und dem Kinde zu. „Erzählt mir
das Weitere im Hinausfahren.“ Sein Wagen fuhr voran, an denselben
schlossen sich viele andere, man hatte Späne von harzigem Holze
angebrannt, um die Wege zu erhellen, und so kroch die Wagenreihe wie
eine feurige Schlange rasch durch das Dorf und der Straße entlang
hinaus in das Freie.

An Ort und Stelle angelangt, trat der Bürgermeister an die beiden
leblosen Körper heran. „Da haben wir den ganzen Tatbestand liegen,“
sagte er. „Nehmt sie auf!“

Die Leute griffen zu und trennten mit Mühe die beiden Leichname
voneinander, sie legten dieselben, an denen fast jeder Knochen lose
hing, vorsichtig auf grobe Pferdedecken, wickelten sie in selbe ein und
hoben sie auf den Wagen.

Im Dorfe aber hatten die, welche zunächst standen, als die alte
Fehringer mit dem Bürgermeister sprach, die Kunde durch die Gasse
getragen, der Leutenberger Urban und noch einer von Langendorf hätten
sich in der Schlucht erfallen und man sei eben hinaus, die beiden
einholen; da begann ein Klöpfeln an allen Fensterscheiben und ein
Pochen an allen Haustoren, das mußte ja allen gesagt werden, das durfte
doch keiner verschlafen und da wollte auch jeder dabei sein, wenn sie
den Leutenberger einbringen. So kam ganz Zirbendorf auf die Beine.

„Noch vor ein paar Stunden hab’ ich sie in der Schmutz-Kathrin’ ihrer
Schenke zusammensitzen sehen,“ sagte wichtig der bucklige Taglöhner.
„Da haben sie noch abgeredet, sie wollten sich erst morgen messen,
schau, so sind sie schon heut übereinander her! Aber einen Ausgang hat
es genommen, wie man sich nicht hätt’ vorstellen mögen!“

„Wir sind doch rechte Narren, liebe Leuteln,“ sagte ein alter Bauer,
„wir stehen da und warten, wo sie doch nur zuletzt mit dem leeren Wagen
angefahren kommen werden. Nach der Kirche müssen wir hin, freilich,
nach der Kirche, das erste wird sein, daß sie die zwei dort in die
Totenkammer hineinlegen.“

Das mochte schier wahr sein. Da liefen alle, denen es die Jahre
erlaubten und die noch rüstig waren, die Gasse hinunter, die anderen
hasteten hinterher nach, und sie keuchten die Stufen nach dem Kirchhofe
hinan; oben angelangt, sahen sie einen feurigen Streif von der Straße
nach einem schmalen Fahrwege ablenken, der im Rücken der Kirche nach
der Höhe führte.

Der Kirchendiener stand erwartend unter dem Gittertore des Friedhofes,
die schwarze, eisenbeschlagene Tür der Leichenkammer war sperrangelweit
offen und der dunkle Raum gähnte von der Kirche her, manchmal zuckte in
demselben der Schein eines schwachen Ölflämmchens auf.

Der Wagen des Bürgermeisters kam angefahren, man sah bei dem Lichte der
Fackeln zwei verhüllte, formlose Massen darauf liegen.

Ein paar Männer faßten an und hoben einen der Körper von dem Fuhrwerke,
sein Gewicht machte sie wanken, noch zwei andere sprangen zu.

„Der nimmt’s noch als tot mit mehreren auf,“ murmelte einer der Träger.

„Der Leutenberger,“ flüsterte es in der Menge und diese wich scheu
zurück. So trug man den Toten vorbei an den Gräbern, durch die
Pferdedecke sickerte Blut und zeichnete den Weg, sie legten den
Leichnam auf einen Schragen und am Kopfende flackerte das müde Licht.
Als die Träger heraustraten, schloß der Kirchendiener die Türe ab.

„Und der andere? Was geschieht mit dem anderen?“ so fragten sich alle
und einer stellte auch diese Frage an den Bürgermeister.

„Es möchte vielleicht ein Fürchten in der Gemeinde sein,“ sagte der,
„wenn man einen solcherweis’ Gestorbenen nachtüber im Orte wüßte. Wir
sind übereingekommen, ihn alsfort nach Langendorf zu seinen Eltern zu
überführen. Ich habe es mit dem Mitteregger besprochen, der kennt die
Leute gut, der nimmt es auf sich und bringt ihn hin.“

Da zupfte Everl die Großmutter am Rocke und sagte leise: „Großmutter,
ich möchte mit, morgen bin ich schon wieder heim, aber jetzt möchte ich
mit, er hat ja sonst gar niemand.“

Der Mitteregger und sein Knecht banden den Leichnam mit Stricken an dem
Wagen fest, „damit es ihn beim Fahren nicht zu stark werfe“. Da trat
die alte Fehringer hinzu. „Tätest du mir wohl den Gefallen und nähmst
die Everl mit? Sie tät’ gern für den beten.“

„Warum nicht?“ sagte der Mitteregger und knüpfte den letzten Knoten.
„Soll sie mit, was das Dirndel will, ist christlich, es gilt fürs
Totenbestatten und ist ein barmherzig Werk. Komm nur!“ Er hob das
Mädchen auf den Wagen, der sich alsbald in Bewegung setzte.

Sie fuhren ziemlich rasch dahin, erst durch einen finstern Wald, dann
auf einer endlosen Straße. Der Mitteregger lenkte die Pferde und der
Knecht hielt eine brennende Fackel; die düstere, gelbe, rauchende
Flamme warf unbestimmte wirbelnde Schatten in die Büsche und auf die
Wege, zu Häupten der Leiche kniete das Kind, ein starrer Arm streckte
sich aus der Decke gegen dasselbe, diese kalte Hand hielt es lose
in seiner kleinen, lebenswarmen Rechten und mit der Linken griff es
manchmal nach den Stricken, ob diese auch festhielten und dabei nicht
einschnitten.

Der Morgen begann zu grauen, der Knecht tat die Fackel aus, immer noch
fuhren sie weiter und da kamen sie an dem Reindorferhofe vorüber,
da waren die Fenster verhangen und durch die dunklen Tücher sah man
den gelben Schein von vielen Lichtern, der Mitteregger wies mit der
Peitsche danach und sagte: „Da drinnen haben sie auch ein Totes!“

Und dann fuhren sie noch ein Stück Weges und es ward bereits heller am
Himmel, sie bogen um eine Ecke, ganz nahe stand eine Mühle, und als
sie auf dieselbe zulenkten, rauschte das Wasser, das Rad begann sich
zu drehen und es klapperte lustig durch das Tal. Da wurden die beiden
Männer völlig kleinlaut.

Der Wagen hielt vor dem Hause, der Mitteregger schwang sich vom Sitze,
nun wird er die Eltern herbeirufen --, da drückte das Mädchen die Hand
des Toten, stieg eilig herab und verbarg sich hinter ein Gebüsch.

Der Mitteregger stand an dem Hause und sah durch ein Fenster in die
Stube, dann klopfte er an die Scheibe.

Innen horchte der Müller auf. „Lois, ich glaub’, es ist jemand außen.“

Die Müllerin nickte froh. „Der Florian wird es sein.“

Er war es!



18.


Als er tot war, sprachen die Leute anders.

„Er ist von Haus aus ein guter Bursch’ gewesen!“ -- „Freilich, er wär’
auch nie verwildert, hätte man ihn nur die Reindorfer Leni heiraten
lassen!“ -- „Weiß der Himmel, was dem Alten eingefallen ist, daß er
sie ihm verweigert hat!“ -- „Er ist halt doch schon zu viel alt, der
Alte.“

Und am Abende vor dem Tage, wo er begraben werden sollte, verließ ein
kleines Mädchen Zirbendorf, lief barfuß die ganze Nacht durch und kam
den Vormittag darauf in Langendorf an; es schlich nach dem Friedhofe,
verbarg sich hinter einem Leichensteine und blickte scheu von seinem
Verstecke nach zwei offenen Gruben.

Der Pfarrer hatte die Beerdigung der beiden Toten seines Sprengels
auf einen Tag und die gleiche Stunde angeordnet, möglich, daß er eine
Begegnung der Leidtragenden wünschte.

Zur selben Zeit, als sie in der Mühle den Sarg hoben, schlossen sie den
im Reindorferhofe. Der Bauer stand abseits und da fiel sein Blick auf
das Tischchen, an dem er vor drei Nächten schreibend gesessen, als der
Pfarrer die Sterbende besuchte, es war in einen Winkel gerückt worden
und noch lag der Brief an Magdalene offen darauf. Er schüttelte den
Kopf, wie er so vergessen hatte sein können, setzte sich hinzu, und
fügte hastig einige Zeilen bei. „Der Brief ist in der Wirrnis liegen
geblieben, weil vorgesehen und unversehens zugleich uns viel Trauriges
überkommen hat. Erschrick nicht, Magdalen’, vorgestern früh ist deine
Mutter gestorben und in der Nachtzeit haben sie den Müller Florian tot
heimgebracht. Du wirst wohl schon darum wissen, wie sich das geschickt,
denn es war groß Gered’ darüber und im Kreisblatt ausführlich
beschrieben; wie der Lehrer sagt, auch in den großen Stadtzeitungen.
Tröste Gott allbeide! Zurzeit, wo ich den Brief in den Postkasten
werfe, sind wir eben auf dem Wege, sie zu begraben.“

Dann schloß er das Schreiben, erhob sich und trat hinter den Sarg,
der eben hinausgetragen wurde, und als der eine Leichenzug das Gehöft
verließ, kam der andere die Straße herunter und so bewegten sich beide
langsam dahin und blieben sich immer in Sicht.

Als sie bei dem Krämer, der zugleich Posthalter war, vorüberschritten,
trat der Alte aus der Reihe und warf den Brief in den Sammelkasten,
dann nahm er wieder seinen Platz an der Spitze der Leidtragenden ein.

Sie gelangten in die Kirche, dort mußten sie warten, bis der andere
Leichenzug nachkam, die Särge wurden nebeneinander gestellt und die
Einsegnung fand statt.

Dann zogen sie nach dem Kirchhofe, eine Schar hart an der anderen, wie
+eine+ Reihe Trauernder um zwei Heimgegangene. Man senkte die Leichen
in die Tiefe und streute Erde über sie, da rieselte der Sand hernieder,
eine derbe Scholle oder ein Stein schlug polternd auf, dann ward es
stille und die Überlebenden gingen von den Toten.

An dem Tore des Friedhofes trafen der alte Reindorfer und der Müller
aufeinander, da traten die Leute zurück und ließen die beiden
zusammen hinausgehen, der Müller griff an den Hut und murmelte einen
unverständlichen Gruß.

Aber der alte Bauer wies hinter sich nach den Gräbern und sagte bitter:
„Zwei sind daran gestorben, ist viel auf einmal, gelt?“

Da suchte ihn der Müller an der Hand zu fassen. „Reindorfer“ -- er
preßte die Linke an die Brust --, „da drinnen, da drinnen ...! O, ich
war glücklicher als bettelarmer Herumstreicher!“

Er, der Reichste in der Gemeinde! der Stolzeste!

Der Alte entzog ihm die Hand nicht und so gingen sie ein paar Schritte,
als er aber dem Pfarrer die Absicht anmerkte, heranzukommen, da machte
er sich rasch frei. „Erbarmen tust mir,“ sagte er, „zu mehr beredet
mich niemand. Reu’ kommt des Weges von der anderen Seite und bringt
nichts zurück.“ Er wandte sich und ging hinweg.

Der Müller hatte, wie es sein Brauch war, aufhorchend den Kopf gesenkt,
er erhob ihn auf dem ganzen Heimwege nicht wieder. Hörte er vielleicht
auf das Schluchzen des Weibes, das an seiner Seite ging? Er fand nur um
so weniger Mut aufzublicken.

Die Leute hatten sich nach und nach verloren, und als der Friedhof
wieder ganz verlassen lag, da trat das Mädchen an das offene Grab des
jungen Mannes, kniete zur Erde nieder, zog unter dem Brusttüchelchen
einen kleinen Strauß hervor, Blumen, wie sie wild wuchsen am Rande der
Schlucht, und ließ ihn in die Grube auf den Sargdeckel fallen.

Dann betete das Kind lange, erst der Totengräber, der mit dem Spaten
herankam, scheuchte es von dem Grabe weg und es schickte sich zur
Heimkehr an. Was nahm es mit sich? Das feste Vertrauen, daß auch der
Ärmste auf der Welt nicht ungestraft gekränkt werde, daß immer gute und
hilfreiche Menschen für ihn einstünden, wie ja einer derselben durch
seine Blutzeugenschaft bekräftigt.

Es war ein kurzes, jäh abgerissenes Menschenleben, ein zernichtetes,
verkommenes Sein, das sich da in kühler Erde barg, beklagt und
betrauert von denen, die es mit angesehen, wie es verkam und verging;
aber nun deckt die Scholle dasselbe und alsbald auch sein Gedächtnis.

Doch über das Grab hinaus, in Jugendfrische, wie er dahingeschieden,
der Schönste, der Stärkste im Land, ja, er wohl im ganzen Lande, im
Unglück selbst dem Tod zu Trotz noch Herr und Meister, der Bravste,
lebt er im Angedenken der kleinen Everl. Die Kinder des jungen Weibes,
die Enkel des Mütterchens, sie werden zu erzählen wissen von dem
Müllerssohn zu Langendorf.

       *       *       *       *       *

Der Föhrndorfer Briefbote war ein alter Mann und betrieb sein Amt mit
Verstand. Er sichtete genau die ihm anvertrauten Briefschaften, ehe
er sie in seine Ledertasche steckte, nicht nur nach ihren Adressen,
denn das verstand sich ja von selbst, daß er seinen alten Beinen
kein unnötiges Gelaufe zumutete und alles hübsch ordnete, wie es der
Straße und der Nummer nach lag, sondern er unterschied sie auch ihrer
Art nach. Postkarten händigte er ohne Bedenken den auf der Straße
spielenden Kindern der Adressaten ein, denn die Postkarte galt ihm
als der „Arme Leut’-Brief“ und wo die Kunden mit dem Porto sparten,
da durfte es wohl auch der Bote mit den Schritten so halten. Dagegen
verabsäumte er nie, einen rechtschaffen frankierten und ordentlich
geschlossenen Brief den Leuten selbst ins Haus zu tragen und -- seine
zwei Kreuzer Botengebühr in Empfang zu nehmen. Aber auch da unterschied
er zwischen den nur zugeklebten und den mit einem Siegel versehenen
Schreiben, die ersteren nahm er für leichte Ware, die kamen von
fremd woher, waren Allerweltsbriefe; wer Wichtiges und obendrein an
die Freund- oder Verwandtschaft zu schreiben hatte, der sparte wohl
die paar Tropfen Lack nicht und drückte sein Petschaft darauf, dann
wirkten schon außen die bekannten Wappen oder Buchstaben des Siegels
wie ein Gruß und auch die Farbe des Lackes hatte ihre Bedeutung. An
dem Tage, wo der Alte vom Posthause wegging, den Langendorfer Brief
an „Magdalena Reindorfer, bedienstet bei Kaspar Engert, genannt der
Grasbodenbauer“ in der Tasche, bewahrte er Weges über eine ernste,
besorgliche Miene, denn er hatte es wohl in acht genommen, daß das
Schreiben ein schwarzes Siegel trug.

Die ersten paar Tage nach dem Feste des heiligen Kirchenpatrons waren
der Grasbodenbauer und Magdalene einander geflissentlich über die Wege
gelaufen und hatten mehr als einmal versucht, gleichmütigerweise eine
harmlose Zwiesprach’ anzuknüpfen, denn es galt ja zu zeigen, daß es
zwischen ihnen beiden kein’ Arg habe; klopfte sich aber der Bauer unter
seiner Rede auf den Brustlatz, an welchem die Dirne jenen Abend mit dem
Köpfchen geruht hatte, da wurde sie so brennendrot wie das Tuch und ihr
Blick scheu, und das verwirrte den Bauer, oder wenn sie im Eifer des
Gespräches ihm so nahe trat, daß er, um nicht an sie zu rühren, die
Arme hinter sich bergen mußte, da wurde er verlegen und sie mit ihm.
Nach jeder solchen vergeckten Begegnung dauerte es immer längere und
längere Zeit, bis sie sich wieder aufsuchten, dann begannen sie sich
auszuweichen und manch zufälliges Zusammentreffen, das sie wortlos
einander gegenüberstehen ließ, machte die Sache nicht besser, so daß
schließlich das Erscheinen eines genügte, um das andere in die Flucht
zu jagen. In Gegenwart eines Dritten aber fühlten sie sich vollkommen
unbefangen. „Es ist eine Dummheit,“ ärgerten sich beide im stillen.

„Und eine höllmentische dazu,“ sagte laut der Bauer, etwa am sechsten
Tage der „verlegenen“ Woche. „Weil wir uns scheuen, das Red’ zu haben,
was wir uns eigentlich zu sagen hätten und worüber wir sich ausreden
sollten.“

Er stand im Hofe an dem Gartenzaune, hinter welchem er, wenige
Schritte entfernt, Magdalene auf einer Bank sitzen sah. Entschlossen
stieß er das Gartentürchen auf und trat ein, aber schon hatte sich über
dem Geräusch die Dirne erhoben und schritt jetzt, von ihm abgekehrt,
einen Baumgang entlang. Den Weg nach dem Hause hatte er ihr verlegt,
und wenn er ihr bis an das andere Ende nachfolgt, wird sie ihm wohl
nicht ins freie Feld entlaufen.

Als Magdalene merkte, daß er ihr nachginge, blieb sie, halb abgewendet,
stehen.

„Wir sind schon zwei Närrische,“ sagte er herantretend. „Wir mögen uns
gut leiden, aber weil wir uns nit sagen wollen, daß’s anders gemeint
is, wie sonst wohl unter zwei verschiedene Leut’, und sich jed’s
fürcht’, ’s andere könnt’s in der Art ausdeuten und falsch verstehn, so
rennen wir ganz unklug umeinander.“

„Da is mir völlig ein Stein vom Herzen,“ sagte sie, „daß du so red’st.“

„Na, und mir wär’ hitzt kein kleiner drauf, wann ich anders g’red’t
hätt’, als ich’s mein’,“ lachte der Bauer. „Aber demselben setz’ ich
mich nit aus, das wär’, als trät’ mer in ein Fuchseisen und könnt’
ein’ klemmen, daß’s schier z’wider wurd’; lieber bin ich aufrichtig!
’n Weibsleuten gegenüber halt’ wohl mancher, der sonst der Wahrheit
nit feind is, a Lug’ für erlaubt, vermutlich weil er denkt, die reden
auch gern feine Wort’ durch die Reuter[23] und behalten das Grobe
für sich; aber ich hab’ mich mein’ Tag’ nit dazu verstehen können,
anders zu sagen, als wie mir ums Herz ist, oder wie mir nicht ist, und
seit meiner Bäu’rin Tod -- Gott tröst d’ arme Seel’ -- hab’ ich mich
gehüt’, einer ein gut Wort zu geben, obwohl mir, wie schon der Welt
Brauch ist, d’ erste Zeit danach mehr als ein’ Saubere und Wohlhäbige
selber freundlich unter d’ Augen ’gangen, oder von andere nahgeruckt
worden ist. D’ Leut’ hat’s freilich wunder g’nommen, daß ich, noch in
schönsten Monjahr’n, Witiber verbleib’, aber sie hab’n sich’s derweis
z’rechtg’legt, ich tät’s der Burgerl wegen; soweit richtig, ’m Kind
ein’ Stiefmutter geb’n, is all’weil ein’ gewagte Sach’, denn einer
solchen wird all’weil ’s eigene Kind lieber sein wie’s fremde, und dann
gar eine ausz’finden, die sich dazu verstanden hätt’, mein arm’ siech’
Hascherl rechtschaffen zu betreu’n -- --, ich hab’ nach keiner g’sucht!
Aber laß dir sagen!“

Er faßte Magdalene an der Hand und leitete sie ein paar Schritte, dann
ließ er sie los und sie gingen nun, nebeneinander her, den Kiesweg auf
und nieder.

„Nit allein der Burgerl willen war’s! Mein Gott, wenn einer
weibsnarrisch is, so schwätzt sich ihm bald eine hinauf, red’t ihm
all seine Bedenken aus, meint’s wohl selber ganz ehrlich dabei und
z’letzt nehmen’s gar noch d’ Kinder zur Ausred’, daß’s wieder heiraten
müßten z’weg’n dö! Nach der Hand weist sich wohl da und anderswo,
’s Versproch’ne war nur verred’t. Bei mir hat’s in derer Hinsicht
kein’ G’fahr g’habt, denn mich hat der Ehstand weibsscheu g’macht.
Ja, schau nur wunderig, es is nit anderst. Wann ein’s, so rechn’ ich
dich zum Haus g’hörig, ich hab’ dir schon einmal vertraut, wovon
zwar alle g’wußt hab’n, aber z’ fürchten war, sie bemengen dir ’s
Wahre mit Lug’n, hitzt aber will ich dir anvertrau’n, wo niemand drum
weiß, als ich allein, nit mal der doch der Nächste dazu wär’, mein
Schwiegervater; d’ andern, die s’ noch ang’gangen is, sein schon aus
der Welt. Z’erst hab’n auch nur dieselb’n davon g’wußt, nachtraglich
hab’ ich’s erfahren, hätt’s umkehrt sein mög’n, ’s wär’ besser g’west
für mich und, denklich, auch für ein anders!

Auf mein’ Vater kann ich mich nit entsinnen, ich war noch z’ klein,
wie mir der verstorb’n is, ich kenn’ nur mein’ Mutter; auf die bin ich
nit wenig stolz g’west, das war ein groß’, stark’, bildsaub’res Weib,
ehrbar und herrisch, geg’n die hat sich keiner mucken dürfen, die hat
af’m Grasboden g’haust und g’schafft über ein’ Mann, und d’ Leut’ hab’n
ihr nachg’sagt, sie hätt’ auch Verstand wie ein solcher, mag ja sein,
is oft wenig g’nug damit g’sagt, g’wiß is, sie wollt’ mit’m Verstand
auch in Sachen aufkommen, wobei nie keiner war, so lang d’ Welt steht.

All’s war bei ihr schön g’nau ein’teilt und vorg’sehn af Tag’, Wochen,
Monat’, ja af Jahr’ hinaus, sie hat ’n Kalender nit nur der heiligen
Zeiten wegen aufblattelt, auch ’s Obstbaumstutzen, Rubenstecken, ’s
Kalben der Küh’ und d’ Säumast hat sein afg’merkte Zeit g’habt, und
wie endlich dö kämma is, wo ich zun Verheiraten war, durft’ mer’s nit
verabsäumen und schon Ordnung halber mußt’ ich auch verheirat’t werd’n.

Natürlich hat sich mein’ Mutter um ein Weib für mich umg’schaut,
dagegen wär’ nix z’ machen g’west, wenn ich auch gewollt hätt’, aber
von den Dirnen hat mir’s noch keine angetan g’habt und denen gegenüber
war ich der Ungeschickt’ und verstund mich nit af das Spaßen, aus dem
mer g’legentlich Ernst macht, und so war’s mir nit z’wider, daß d’
Mutter selb’ Sach’ af sich g’nommen hat und ich hab’ all’s Zutrau’n
zu ihrer G’scheitheit g’habt. Die hat sich’s Suchen leicht g’macht.
Kein’ Arme, G’ringe wär’ ihr nit zu G’sicht g’standen und uns gleich
war niemand in der Gegend als in Hinterwalden der Bauer vom Hof auf
der weiten Hald’, daß dessen einzig’ Kind just ein’ mannbare Dirn’
war, hat sich mein’ Mutter für ein günstig Zeichen ausdeut’t und die
Haldhofbäuerin hat nur recht und billig g’funden, daß kein anderer wie
der junge Grasbodenbauer ihr’ Lois heimführt. Gescheite Leut’ halten
sich ja in ihr’n Tun wohl gern an g’scheite Sprüch’ und einer von dö
g’scheitesten dünkt ihnen: gleich und gleich gesellt sich gern, und
da danach g’sell’n’s oft zwei Leut’ z’samm’, dö nit ungleicher sein
könnten. Aber wo mal zwei alte Weiber über so was eins sein, da haben’s
hundert Kniff’ für ein’, daß ’s zwei so blutjunge Füllen, wie ich und
mein’ Weib damal, wenn gleich eins hüst und ’s andere hott will, doch
in ein G’schirr spannen!

Wie wir ’m Bauer vom Hof af der weiten Hald unsern ersten B’such
g’macht hab’n, da war ich in mein’ Sunntagstaat, kein Stäuberl, kein
Falterl, kein Spritzerl von Kopf bis zun Fuß, mein’ Mutter hat während
der Fahrt die Aug’ngläser nit von der Nasen ’bracht; d’ Lois aber hat
sich im Werktagg’wand betreffen lassen, natürlich, sie mußt’ ja auch
gleich als brave Hausnerin belobt werd’n, sie hat aber so ein reinlich
und nett’ Ansehn g’habt, daß mer wohl g’merkt hat, die ist auch von
ihrer Mutter dazu herausputzt g’west. Allzwei war’n wir wie aus’m
Schachterl g’hob’n. Na, unfreundlich konnt’ die Dirn’ mit mir nit sein,
das wär’ doch nit gut angangen geg’n ein’ Gast, und so sind wir halt
randweis ich von meiner Mutter und sie von der ihren zun Reden ’bracht
worden und schließlich hat’s mir ganz gut an ihr g’fall’n, daß ’s nit
weniger verlegen g’west is wie ich. Sauber war’s und kein Wunder, wie
wir uns zum Abschied d’ Händ’ gereicht hab’n und ich mir sie daraufhin
ang’schaut hab’, wie bisher noch kein’ Dirn’: dö könnt’ dein sein, daß
mir da mit einmal ganz eigen word’n is!

Na und drauf is daheim kein Tag vergangen, wo nit d’ Mutter in all’m
Guten und Schön’ von der Lois g’red’t hätt’, und so, schätz’ ich,
wird’s wohl auch d’ Haldhofbäuerin meiner weg’n g’halten haben und
wär’ was Wahr’s d’ran, daß ein’, von dem fern wo die Red’ is, der
Schnackerl[24] stößt, so müßt’n mer damal allzwei dran z’ Grund ’gangen
sein.

Acht Tag’ danach hab’n die von Hinterwalden uns ’n Gegenbesuch g’macht.
Da mußt’ ich ’n Hausnerischen vorstell’n, durft’ in Tagwerkg’wand
herumstehn, aber beileib’ nit wo Hand anleg’n, daß ich mich nit
schmutzig mach’. Dösmal war d’ Lois im Putz und da is ’s mir so schön
und lieblich vorkämma, gar keiner Dirn mehr gleich, als ob’s schon ein’
junge Bäu’rin wär’ und d’ säuberste und rarste dazu! Wie ’s g’merkt
hat, daß mer der G’fallen an ihr noch mehr d’ Red’ verlegt wie ’s erste
Mal, is sie mit eins freundlich und g’sprächig word’n, und nun hab’
ich mich freilich ganz täppig g’fühlt geg’n ihr und manchmal hat mir
g’schienen, sie wußt’ wohl auch mehr, als sie Red’ gibt, aber ’s is
mir damal schon g’sagt word’n, in den Stücken wär’n d’ Weibsleut’ von
klein auf so findig, wie nie unsereiner. Kurz, von Stund’ an war ich so
verliebt wie a Marzikater und da ich lauthals ja g’schrie’n hab’ und
sie nit nein g’sagt hat, so hat sich in kurzen alles g’schickt. Sechs
Wochen drauf hab’ ich’s vom Altar wegg’führt und sie hat dabei g’weint
wie nit g’scheit. D’ Leut’, die neb’ng’standen sein, hab’n wohl g’sagt:
A weinende Braut, a lachet’s Weib, und wie jede weinen tät’, denn von
Eltern weg ein’m Fremden zugehn, wär’ a schwerer Schritt, und ’s tat
sich nit allein um’s Abg’wöhnen, sondern auch um’s Ang’wöhnen handeln,
und was der’ Reden mehr sein, ich aber hab’ mich gleich nit recht
dreinfinden können; wann mer freudig mit ein’m geht, is doch kein
Anlaß zum Weinen, und geht mer unfreudig, so lieber nit. Und seither,
wann ich eine seh’ plärrend aus der Kirch’ weggehn, denk’ ich mir mein
Teil.

So hab’ ich denn mein’ Bäu’rin af’m Hof sitzen g’habt und dö mich
af ihrer Kittelfalten, denn d’ erst’ Zeit hab’ ich g’meint, der Tag
langt nit für das, was ich ihr Lieb’s, Gut’s und Schön’s sag’n und
erweisen möcht’. Sie hat mir’s aber nit in Gleichem heim’zahlt, oft
hat’s mich von ihr wegg’schob’n oder gar gehn g’heißen; ich aber hab’s
der Scheu zug’schrieb’n, die man ja auch ’n Weibsleuten nachsagt, oder
ihrer Wirtschaftlichkeit, der z’folg sie mich lieber an der Arbeit
hätt’ sehn mög’n, denn freilich, Schöntun bringt nichts herein. Na,
dadrauf hin hab’ ich g’meint, es stünd’ mir auch nimmer an, daß ich ’n
Aufdringlichen mach’, oder mich zur Arbeit mahnen lass’, und war nit
mehr so zutatig, wie ’m Anfang, doch is mein’ Lieb kein Bissel minder
g’west, nur deren Bezeigen halt. Na, aber jetzt schau, kaum hat sie
g’merkt, daß ich mich änder’ -- wobei ich doch ’glaubt hab’, daß ihr’s
z’ G’fallen g’schieht --, so verdrießt’s dös nit wenig, sie is sich
auch nit gleich ’blieb’n, und war’s früher z’wider, so is’s von Stund’
an wild g’west. Na, dadrein konnt’ ich mich wieder nit schicken. Zum
Sackra h’nein, tu’ ich so, is’s nit recht und anders auch nit, und Mann
und Weib war’n wir einmal, dös kann doch ’s eine nit wie aus Gnad’ sein
und verlangen, daß sich’s andere eine draus machen müßt’! Freilich,
anfangs, wie mein’ Bäu’rin ang’hob’n hat, mir mit ung’schliff’ne Wörter
zuz’steig’n, da hab’ ich die still hing’nommen. Aber man denkt nit,
wie ein Weib beharrlich is und was ’s all’s aufwend’t, um ein’ Mann in
Gunst oder Ungunst zum Reden z’ bringen, da laßt keine locker, bis er
in Gutem oder Bösem laut h’rausbellt; es muß ihnen ornd’lich leichter
g’schehn, wenn’s ein’ so oder so, aus Lieb’ z’ ihnen oder aus Ärger
über sö, ganz unb’sinnt machen, ob mer ihnen Schön’s oder Schiech’s
sagt, aber g’sagt’ muß’s werd’n, h’raus muß’s, hör’n woll’n sie’s!
Na, und da hat mich halt die meine schließlich auch dazu ’bracht, daß
ich ihr Red’ gib, und d’ Wartlerei is angangen. ’n Tag über hat sie
sich g’scheut, -- der Leut’ wegen! O, ich sollt’ noch mehr hören, was
der Leut’ wegen g’schehn und unterblieb’n is! Aber nachts haben wir
g’stritten, manchmal bis zum ersten Hahn’nschrei, und war ihr’s erst
drum z’ tun, daß ich aufbegehr’, so war ihr’s jetzt, daß sie mich
niederkriegt. Na, da hat’s mir denn in einer Nacht auf’n Kopf zu g’sagt
-- worüber mir wohl der Atem ausg’blieben is und ich g’meint hab’, ’s
Herz müßt’ mir mit einmal still stehn, -- daß sie ihrseits niemal a
Lieb’ zu mir g’habt hätt’, noch haben könnt’, daß s’ mit Herz und Sinn
ein’m andern zug’tan war, ein’m armen Hauerssohn nah’ von ihr’m Ort,
zu dem sie sich noch ’n selben Abend vor unserm Hochzeitstag g’flücht’
hätt’, bis dö zwei alten Weiber, d’ ihr’ Mutter und d’ mein’, sie mit
G’walt von dort heimg’holt hätten. Natürlich hab’n dö Alten dasselbe
Stückl nie laut werden lassen, der Leut’ wegen, und d’ Hochzeit durft’
’n Morgen drauf nit unterbleiben, auch der Leut’ wegen!

Versteh’ mich recht, Leni, ich sag’ nit, es hätt’ a Unehrbarigkeit
zwischen den Zweien stattg’funden, dazu war d’ Lois a zu stolze Dirn’,
ob sie aber auch als Bäuerin stolz verblieben wär’, das weiß nur der
liebe Gott allein! Der Bursch’ is bald dran zun Militär abg’stellt
word’n, mußt’ ins Feld rucken und is verschollen. Vor er aber ’gangen
is, wußt’ er meiner Bäuerin ein’ Abschiedsbrief zuz’stecken, und
denselben hat’s mir z’letzt noch fletschmäulig als Trumpf unter die
Augen g’ruckt; af’m Herzen hat’s den Wisch liegen g’habt, worunter s’
z’ selb’n Zeit mein Kind ’tragen hat, denn sie ist just damal mit der
Burgerl schwanger ’gangen.

Wahrhaftig’n Gott, ich brauch mich nit z’schamen, wenn ich’s sag’, da
hab’ ich mich hinumg’wend’t, das G’sicht in die Pölster druckt und zun
Weinen ang’hebt wie ein Kind. Das hat’s wohl stutzig g’macht, nach
einer Weil’ hör’ ich’s auch schluchzen, mir hat’s gleich ’golten, sie
hätt’ ebenso gut lachen und sich freuen mögen. Vermutlich hat sie ’s
Eing’ständnis g’reut, daß d’ Haldbauer-Lois auch auf ein’ Bub’n ein Aug
g’habt hätt’; mit einmal beugt sie sich über mich und sagt mit ein’m
Maul, wie d’ Katz’ Milch leckt: „Kaspar, ’s is ja alles nit wahr!“ Daß
ich sie da nit von mir g’stoßen, mich nit an ihr vergriffen hab’, davor
hat mich nur d’ himmlische Gnad’ bewahrt, die mich ihr’n Zustand nit
hat vergessen lassen.“

Bisher war der Bauer mit ziemlich raschen Schritten laut sprechend und
lebhaft gestikulierend, den Kiesweg entlang auf und nieder geschritten,
jetzt hielt er plötzlich inne und schöpfte tief Atem, ehe er mit
gedämpfter Stimme fortfuhr:

„Magst dir wohl denken, was wir von derselben Nacht ab für ein Leben
geführt haben? Schön- und falschtuerisch vor ’n Leuten, stumm, trutz’
und ärgerlich, wo wir allein verkehrt haben. Und doch sind Tag’ g’west,
wo d’ Bäuerin auch unter vier Augen von ein’m Bezeigen geg’n mich war,
als säh’ s’ ihr Unrecht an mir ein, und fing’ an, es aufrichtig mit
mir z’ meinen. Da hab’ ich oft gedacht, sollt’st doch ’s Vergangene
vergessen, ’s is ja all’s nur ein Unsinn. Heut und morgen geht dir nah,
mit ’m gestern quält sich eins nur selber. ’s wär’ nit dumm g’west
und nach dem Sprüchel hätt’ ein Bruder Lüderian lustig in Tag h’nein
leben können; aber mir war’s nit gegeben, daß ich mich änder’ wie
meiner Bäu’rin nit, daß sie sich gleichbleibt, denn fort drauf hat’s
ihr’n alt’n Widerwill’n hervorkehrt. Ich konnt’ und ich konnt’ kein
Herz fassen zu dem Weib, trau überhaupt seither kein’m mehr und hüt’
mich vorm Verlieb’n; man is da so unb’sinnt und wo dabei sich jed’s nur
selber betrügt, geht’s noch am ehrlichsten zu. Und wenn ich mir auch
an ihrer Bahr’, ihr’n plötzlichen Tod eingedenk -- Gott tröst’ sie --
gedacht hab’, sie war wohl all ihr Lebtag nit recht g’sund und hat mich
an ihrer Krankheit mitleiden lassen, so mußt’ ich mir doch sagen, wie
ich Umschau g’halten hab’, und dafür waren mer d’ Augen g’schärft, sie
war ein Weib wie hundert andere, nit einmal die schlechteste, allweil
noch von +der+ Art, wie ihrer volle zwölf aufs Dutzend kommen.

Und wozu all’m verstund sie sich? Ein’ lieb’n und der Verkuppelei mit
ein’m andern, den s’ nit mag, in d’ Hand arbeiten! Dem ein’ auf G’fahr
von Ehr’ und Ruf zulaufen und doch ’n Morgen drauf mit’m andern vorn
Altar gehn! Solang ’s Reden noch von Nutz und ’m Brautwerber geg’nüber
rechtschaffen, brav und ehrlich g’west wär’, ’s Maul halten und ’s
hinterher erst aus Gift, Gall’ und Abgunst geg’n ’n Mann auftun, wo ’s
nur Schimpf und Zwietracht ins Haus bringt! Ein’m in Gedanken ang’hör’n
und sich ’m andern hingeb’n, so daß der Seg’n Gottes zum G’spött wird
und sie von ein’m Unlieb’n ein Kind unterm Herzen tragt!

Herr, du mein Gott! Wozu versteht sich denn dann ein Weib nit, wenn zu
dem allem?!

Und was ’s auch für Stückeln angibt, ’s tragt eine wie die andere
gleich lange Haar, und wo die nit reichen, stecken s’ ein’ falschen
Zopf auf, -- und dieselben Haar waren mir eben zu fein. Zu +der+
Art, der d’ Lieb’ Spaß macht und Spaß bleibt, die sich unb’sinnt
z’samm’tut und auseinand’ geht, zähl’ ich nit, mir war’s damit von
Grund auf ernsthaftig g’west und ich hab’ für mein Teil sattsam an
dem Erlebten g’nug g’habt, wollt’s nit erproben, was sich etwa ein
zweit’s Mal gegen ’s frühere bessert oder schlechtert. Dös wußt’ ich
doch, daß mein Hof der Kuppler is und daß s’ dem zulaufen, aber einer,
die denkt wie ich, der müßt’ so himmelangst ums Herz werd’n, daß s’
mir vom selben davonrennt. Ich vermein’ nit, daß ich auf selbe triff
und vermöcht’s auch nit z’sag’n, ob ich d’Kurasche hätt’, daß ich sie
z’ruckhalt’.“

Gegen Ende seiner Rede war der Grasbodenbauer stehen geblieben und
hatte in das Grün einer Baumkrone gestarrt, jetzt, wo er die letzten
Worte vor sich hinmurmelte, ließ er den Zweig, den er anfaßte und der
unter seinem Griffe entblätterte, aus der Hand schnellen.

Magdalene stand halb abgewandt und brach welke Blätter von einer
Bohnenranke, sie blickte nun nach ihm hinüber und sagte leise: „Ich
versteh’ dich schon, Bauer, und mag dir wohl recht geben, auch mir hat
’s die Lieb’ schon einmal nit gut g’meint.“

Da kehrte er ihr den Rücken und ging, laut räuspernd, ein paar Schritte
von ihr hinweg. Doch hielt es ihn und er tat eine halbe Wendung, um sie
sich darauf hin anzusehen, und als die großen, braunen Augen befremdet
und zugleich ängstlich in die seinen blickten, da winkte er begütigend
mit der Rechten: „In Ehren! Weiß ’s wohl, Leni, du meinst in Ehren.“

Sie neigte bekräftigend den Kopf.

„Ja, ja, vernünftig sein ist halt doch ’s Gescheiteste,“ sagte er
hinwegschreitend.

Als Leni wieder aufblickte, sah sie ihn neben dem Postboten an dem
Zauntürchen stehen. Der Bauer wies nach ihr.

Der Alte kam auf sie zu.

„Magdalena Reindorfer,“ fragte er.

„So heiß’ ich.“

„Ein’ Brief hätt’ ich da.“ Er schüttelte ihn zwischen den Fingern und
drehte ihn dann um, daß das schwarze Siegel sichtbar wurde. „Schau her
’mal. Vielleicht nix Guts drin. Mußt dich halt z’samm’nehmen.“

Leni griff nach dem Schreiben.

Er zog es zurück. „Und zwei Kreuzer krieg’ ich. Weißt, Dirn’, davon muß
ich leb’n.“

Das Mädchen haschte mit zitternder Hand die Münzen aus der Rocktasche,
nahm den Brief, und als es allein war, erbrach es hastig das Siegel,
entfaltete das Papier und begann zu lesen.

Und als sie zu Ende gekommen, da setzte sie sich auf den Rasen und
schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte darunter.

       *       *       *       *       *

Tot -- allbeid’ tot! Weggestorben an +einem+ Tage!

Ja, die Mutter, die war bejahrt und mocht’ wohl auch kein’ rechte
Freud’ mehr am Leben haben, nach dem, was die arme Seel’ auf ihr g’habt
hat. Und jetzt ist sie erlöst und man kann, ohne ein Unrecht geg’n den
Vater, wieder lieb und gut von ihr denken!

       *       *       *       *       *

„Der Herr schenk’ ihr und allen christgläubigen Seelen die ewige Ruh’
und das ewige Licht leuchte ihnen. Der Herr lasse sie ruhen in Frieden.
Amen!“

Leni faltete die Hände und versuchte das Vaterunser zu sprechen, doch
wie sie so dasaß mit gesenkten Lidern, da war es mit einmal, als
schiene Mondlicht und von ganz nahe wehe der Geruch von Weißdornblüte
heran. --

Bisher hatte sie alle Erinnerungen an ihre erste Liebe wacker
niedergekämpft. Während Florian sich nicht darein zu finden vermochte,
daß er sein Glück um eine Schwester verlor, waren bei ihr, nachdem sie
ihn als Bruder wußte und nahm, alle anderen Gefühle wie ausgelöscht,
alle Liebe, außer der geschwisterlichen, gegenstandslos geworden; aber
nun der Bruder tot war, erwachten die Erinnerungen mit aller Macht und
zogen in lebendigen Bildern vor ihrem Geiste vorüber, von den ersten
Begegnungen in der Kindheit bis zu jener Vollmondnacht, wo sie den
Zweig vom blühenden Weißdorn brach, und der letzten, wo der Dorn des
verblühten sie am Kleide festhielt.

Sie löste die Hände und preßte sie gegen die schwer atmende Brust.
„O, du mein Herr und Gott! Nix mehr von der Lieb’, die ein’m so weh’
mitspiel’n kann! Wie recht hat der Bauer, daß er nach keiner zweiten
sucht; auch ich hab’ ’s sattsam am Erlebten, soll’s tot sein und
begrab’n mit’m -- --“

Sie schauerte zusammen und auf ihrem Schoße knitterte das Papier.

„Jesus! Maria!“ rief sie und drückte die Hände gegen die Stirne und
spreitete die Finger über die Scheitel. „Es muß sich ja was zutrag’n
hab’n! ’s muß ihm ein Unglück g’schehn sein?!“

„Magdalen’,“ schrie der Grasbodenbauer.

Sie erhob sich rasch und sah ihn mit hastigen Schritten herankommen,
der Schullehrer und Burgerl folgten ihm nach.

„Magdalen’,“ sagte der Bauer tief Atem schöpfend, „grad hat mer der
Schulmeister aus der Zeitung eine schreckbare G’schicht vorgelesen,
die sich dort herum, wo du heim bist, zutrag’n hat. Denk’, du wirst
auch darum wissen woll’n und hab’ ’n gebeten, daß er uns ’s nochmal
vorlest. Seid also so gut, Schulmeister. Horch nur auf!“

Und der Lehrer begann nun einen weitschweifigen Bericht über den
„Raufhandel mit tödlichem Ausgange zu Zirbendorf“; der Eingang ließ
es nicht an den üblichen Bemerkungen über die Roheit der ländlichen
Bevölkerung fehlen und den Schluß bildete der mit peinlicher
Genauigkeit nachgeschriebene Befund der Leichenschau. Der Lehrer las
das Ganze fertig, aber eintönig herunter, nur wo er einer Stelle
besonderen Nachdruck verleihen wollte, erhob er die Stimme.

Bei der Schilderung des Absturzes der beiden Ringenden schrieen
Magdalene und Burgerl, die sich an die Freundin angeklammert hielt,
zugleich auf, als es aber zur gerichtsärztlichen Beschreibung der
zerschmetterten Körper kam, da schrie Burgerl plötzlich: „Um Jesu
willen, Leni, was hast?“ und riß dem Schulmeister das Blatt aus der
Hand.

Der Bauer hatte bisher mit in die Zeitung geblickt, Jetzt sah er auf,
in ein todbleiches Gesicht, aus dem, wie irre, zwei dunkle Augen
starrten. „Was ist dir?“ fragte er erschreckt.

„Nichts,“ kam es ihr tonlos aus trockener Kehle und der Kopf sank ihr
nach der Brust.

„Du zitterst ja am ganzen Leib. Es geht dir wohl nah, es geht dir wohl
gar nah, merk’ ich. Burgerl führ’ s’ nach eurer Kammer. Wein dich aus,
Dirn’, wein dich nur recht aus, es tut nichts besser in solcher Sach’,
wie sich ausweinen.“

Er sah den langsam Hinwegschreitenden eine Weile gedankenvoll nach,
dann nickte er vor sich hin.

„Freilich! So ’n grundbrave Dirn’ und so ’n wilder Bub’!“

Er glaubte nun alles zu wissen.



19.


Gar vereinsamt fühlten sie sich auf der Mühle zu Langendorf. Wochen
waren vergangen. Der erste stürmische Schmerz, der auf die Herzen
der Hinterbliebenen preßt, als wollte er auch diese stille stehen
machen, war einer tiefen Wehmut gewichen, die aus allem, was an den
Verstorbenen erinnern konnte, ihre Nahrung sog und mit Heißhunger immer
nach neuen Gegenständen suchte, die seine Erscheinung, wie leibhaft und
lebend, ins Gedächtnis zu rufen vermöchten.

Da hatte denn die Müllerin eines Abends mit dem Müller ein längeres
Gespräch. „Wirst sehen,“ sagte er am Schlusse, „es wird nicht so, wie
du denkst, du stellst es dir nur anders vor.“ Und sie entgegnete:
„Es tät’ mich halt doch trösten und freuen, es wär’ doch etwas ihm
Gleiches.“ Da sprach der Müller nichts mehr und am nächsten Morgen
früh machte er sich auf. Von dem jungen Reindorfer hatte er sich sagen
lassen, wo und bei wem dessen Schwester bedienstet sei. Er bestieg sein
Wägelchen und ließ das Pferd bedächtig einher traben, einigemal griff
er nach dem Zügel und fuhr im Schritt, er hatte es nicht eilig, an Ort
und Stelle zu kommen.

In der Kreisstadt stellte er sein Fuhrwerk bei einem befreundeten Wirte
ein. Beide kannten sich von ihren wildesten Burschenjahren her und
hatten später als Soldaten in einem Regimente gedient. Als der Müller
mit dem ehemaligen Kameraden, der um all seine Jugendstreiche und
Soldatenstückchen wußte, in der Stube an dem Tische saß und ein Krug
Wein um den andern zur Ehr’ der Begegnung und Erinnerung an vergangene
lustige Tage geleert wurde, da ward er gesprächig; von den Bildern
einer tollen Vergangenheit, über die Gegenwart, die ihn bedrückte,
hinweg, spann er einen Faden nach einer behäbigen Zukunft, wo er
wieder mit Weib und Kind in seinem Heim säße.

Bei der Erinnerung an die verstorbene Reindorferin schmunzelte der
Wirt. „Hast mir’s ja erzählt, wie d’ damal vom Urlaub wieder eingerückt
bist.“

Der Müller nickte und sprach eifrig weiter.

„Die Dirn’ wollt ihr zu euch nehmen?“ fragte der Wirt erstaunt. „Hör
mal Kerl, du mußt ein Kapitalweib haben, wie du eigentlich gar nit
verdienst! Ein Kapitalweib, auf das wir wohl eins trinken können. Stoß
an!“

„Dadrum,“ sagte der Müller, indem er mit dem Rockärmel über den Mund
wischte, „bin ich jetzt auf dem Weg nach Föhrndorf, daß ich das Mädl
heimhol’, wenn sie zugreift.“

„Das wird’s wohl mit beiden Händen,“ lachte der Wirt, „dumm wird sie
nit sein.“

„Ich hoff’s,“ brummte der Müller. „Aber jetzt laß einspannen.“

„Hast ja noch Zeit.“

„Keine mehr.“

„Überg’nug, sag’ ich dir; du müßt’ dir nur kein’ andern Weg wissen, als
den nebenher der Eisenbahn.“

„Weiß mer auch kein’ andern.“

„Aber ich. Zwei Stunden, rechn’ ich g’ring, erspart uns der. Nimm mich
mit, ich lenk’ dir dein Zeugl. Es verinteressiert mich eh’ kein klein
wenig, die Dirn’ z’ sehen. Nimmst mich mit, -- abg’macht!“

Der Müller kraute sich hinter dem Ohre. Es war ihm verdrießlich,
daß er so viel geplaudert hatte, und mit einemmal erschien ihm die
Vergangenheit gar abträglich für sein Ansehen und die Zukunft sehr
ungewiß. Mürrisch reichte er die Hand hin. „Komm halt mit. Aber das,
was d’ heut erfahren hast und etwa noch erfahrst, das bleibt unter uns,
grad so wie all’s früher Gewesene.“

„Das versteht sich,“ beteuerte der Wirt, „das versteht sich doch. Wir
gehören alther zu einer verschwiegenen Bruderschaft, ’n Männern Hörner
aufsetzen und ’n Weibern Stroh in d’ Zöpf’ flechten, das därf mer nit
verlauten lassen, sonst könnt’ den einen einfallen, z’ stoßen, und d’
andern möchten uns in d’ Haar’ g’raten. Übrigens, du könnt’st mer’s
übel eintränken, wenn ich über dich plauder’, brauchtest bloß mein’
Alte aufz’klären, daß ich nit der Ausbund bin, für den ich mich gib und
für den sie mich nimmt; geg’n die spiel’ ich ’n Nachsichtigen und dös
is ’s einzige, was mich ihr überlegen macht, wußt’ die erst, daß sie
mir grad so viel vorwerfen könnt’, wie ich ihr, dann g’nad’t mer kein
Gott und half mer kein Teufel! Komm, gehn wir durch d’ Kuchel. Schau
dir’s an, mein Weib.“

Die Wirtin war ein kleines, kugelrundes, aber sehr behendes Frauchen,
unter der ehrbaren Haube guckte ihr über den sorgfältig geglätteten
Scheiteln ein widerspenstiges Haarschöpfchen hervor. Sie sah mit
ihren großen, braunen, brennenden Augen den Müller aus Langendorf
forschend an, der ihr als „lieber, alter, guter Freund und Ehrenmann
wie unsereins“ vom Wirte vorgeführt worden war; während dieser in den
Hof trat, um den Wagen instand setzen zu lassen, sprach sie laut und
lebhaft mit dem Gaste, schlug ihm ein paarmal auf die Schulter und zum
Abschiede faßte sie ihn mit beiden Armen über den Ellbögen, schüttelte
ihn und hieß ihn, „sich bald wieder anschau’n lassen“.

Die beiden Männer stiegen auf und fuhren dahin.

Der Wirt plauderte lustig, er wies auf den augenscheinlichen
Vorteil hin, in fremden Familien eigene Kinder zu haben, pries in
überschwenglichen Ausdrücken die diesbezügliche Vorsicht seines
Freundes und riß einen lockern Witz um den andern, so daß dem Müller
zuletzt die ganze Fahrt wie ein guter Spaß vorkam und er nichts dagegen
hatte, daß das Gefährt immer rascher des Weges auf Föhrndorf zurollte.

Als das Dorf in Sicht kam, fragte er einen Knecht, der längs der Straße
auf dasselbe zuschritt, um den Hof des Grasbodenbauers; behend sprang
er vom Wagen, als derselbe erreicht war, bat seinen Freund, nach dem
Gemeindewirtshaus zu fahren und dort einzustellen, versprach, bald mit
der Dirne nachzukommen, und trat durch den Torbogen ein.

Die alte Sepherl hatte den Wagen halten hören und war neugierig aus dem
Hause getreten.

„Guten Abend,“ sagte der Müller, „dient die Reindorfer Leni wohl noch
da bei euch?“

„Ei wohl, dieselbe dient da.“

„Ist sie fein anstellig und brav?“

„Mer könnt’ nit anders sagen, als daß sie das sein tät’,“ leitete
die Alte ein, denn wenn ein Fremder jemand nachfragte, schien es ihr
geboten, zu loben, das erweckte ja auch für das übrige Gesind’ ein
günstig Vorurteil; sie stand im Begriff recht gesprächig zu werden,
aber der Müller unterbrach sie:

„Wo find’ ich die Leni?“

„Im Garten,“ sagte sie kurz.

Der Müller stieß das Zauntürchen auf und betrat den Kiesweg. Er fand
die Gesuchte mit Burgerl in der Laube sitzen. Er hatte die Dirne bisher
gemieden, sie höchstens -- wo einer Begegnung nicht auszuweichen war --
mit flüchtigen Blicken gemustert, als er sie nun jetzt mit einemmal vor
sich sah, schmuck, von den welligen Scheiteln bis zur Sohle der kleinen
Schuhe, da wandelte ihn etwas wie Stolz an, sein Auftrag gefiel ihm je
mehr und er fühlte sich auch den Mann, ihn auszuführen.

„Grüß Gott,“ sagte er hinzutretend.

„Grüß Gott,“ erwiderte Leni. Als sie aufblickte und den Müller
erkannte, da wich die Farbe aus ihrem Gesichte und sie sah ihn mit
großen Augen befremdet an.

„Dein Vater?“ fragte neugierig Burgerl, welche wohl die Erregung der
Freundin merkte, aber falsch deutete.

Der Müller tat rasch einen vielsagenden Blick nach Magdalena, es hätte
ihm Freude gemacht, sie verlegen zu sehen, aber auf ihr „Nein“, das so
hart und schroff abweisend klang, wie er dem Mädchen nicht zugetraut
hätte, senkte er wieder die Augen und sagte: „Ich bin nur ein Bekannter
aus dem Orte, wo sie her ist.“ Und da er die Frage von dem Gesichte des
Mädchens ablas, fuhr er gegen dasselbe fort: „Was ich dir will? Ich
hätte was Wichtiges mit dir zu reden, tu mir den Gefallen und komme mit
mir.“

„Ich weiß nicht ...“

„Aber ich weiß und mir liegt daran,“ erklärte bestimmt der Müller.

Da sah ihm das Mädchen starr in die Augen. „Du sollst deinen Willen
haben,“ sagte es. „Gelt, Burgerl, du gerat’st[25] mich wohl für ein’
kurze Weil’ und gibst mir Urlaub? Ich bleib’ dir kein’ Minute länger
weg, als not tut, und das wird nit lang sein. Gehn wir jetzt, Müller!“

Und so gingen denn die beiden über den Hof und dann über die Gasse,
die kurze Strecke bis zum Gemeindewirtshaus, hastig, schweigend
und getrennt, als schritte ein dritter zwischen ihnen einher. Bei
ihrem Eintritte in die Gaststube, die sie ziemlich leer fanden,
grüßte der Freund des Müllers vertraulich und maß Magdalene, die dem
keck aufdringlichen Blicke verwundert mit zusammengezogenen Brauen
standhielt. Sie setzten sich in einen Winkel, abseits von den wenigen
Anwesenden. Der Müller ließ Wein bringen.

„Ich trinke keinen Tropfen,“ sagte Magdalene, dann nach einer Weile,
als der Müller noch immer wortlos neben saß, fragte sie: „Was ist’s,
das du mir zu sagen hast?“

Er seufzte schwer auf. „Du kannst dir denken, wie gar traurig es jetzt
daheim bei uns auf der Mühle ist. Du wirst ja gehört haben von unserem
armen Flori?“

Die Augen des Mädchens wurden feucht und dessen Rechte, die spielend
das Glas umspannt hielt, glitt herab auf die Tischplatte.

Der Müller ergriff die Hand und drückte sie. „Nun haben wir alten Leute
niemand mehr auf der Welt, der uns bekümmern möchte, als dich.“

„Als mich? Ich gehöre doch nicht zu euch.“

„Du gehörst, du sollst zu uns gehören, darüber denkt mein Weib nicht
anders wie ich, es wär’ ihr ein rechter Trost, wenn du zu uns auf die
Mühle ziehen möchtest.“

„Wohin denkst du! Ich sollte heim auf die Mühle, wo ich mich und andere
allzeit erinnern müßt’ an die traurigsten Begebniss’? Das geschäh’ wohl
jedem zum Herzleid und keinem zum Trost!“

„Red nicht unüberlegt. Die Zeit tut viel hinweg von aller Kränkung und
drei tragen leichter an einer als zweie. Ich nehm’ dich als eigen an,
und ich denk’, was ich dermaleinst nachzulassen hab’, wär’ nicht zu
verachten.“

„Weiß mein Vater darum?“

„Wer?“ Der Müller blickte erstaunt auf. „Ja so, du meinst den alten
Reindorfer. Nun, von ihm aus möchtest du all dein Lebtag ein armer
Dienstbote verbleiben, und ich glaub’, wenn er von meinem Vorhaben
hört, so wird er deinem Glück nicht in den Weg treten.“

„Das säh’ ihm wohl gleich. Aber meinst du nicht, daß dem alten Mann
dabei hart und weh’ geschehen möcht’?“

„Warum denn auch?“

Die Dirne atmete hoch auf, sie blickte scheu um sich, weil sie mitten
unter fremden Leuten saßen, und zum erstenmal sollte sie, was ihr das
Herz preßte, nicht laut heraussagen dürfen; sie neigte sich etwas über
den Tisch. „Frag nicht warum, ich kann da nicht reden. Ich verlass’ den
Vater nicht.“

Der Müller schüttelte mißbilligend den gesenkten Kopf. „Nenn’ ihn nicht
immer so, du weißt gar wohl, wer es dir ist und magst es jetzt auch
verspüren. Handle ich nicht schön an dir?!“

„Nachträglich.“

Da schlug der Müller mit der flachen Hand auf den Tisch. „Dirn’,“ sagte
er aufbrausend, „da säßest du nicht und könntest nicht so in den Tag
hineinreden, wenn ich nicht wär’!“

„Wohl. Es wär’ ein schwermächtiger Unsinn, wenn ich sagte, ich
vermöchte, eines andern Kind, ebenso da zu sitzen, die ich bin, auch
ohne dich; aber ich dank’ dir nicht für mich. Wie ich geworden bin, ist
doch nicht dein Verdienst, und das Leben allein ist das Wenigste, das
ihr einem geben, und das Geringste, das man euch schulden kann, schon
eines, das ehrlos und verlassen zur Welt kommt, mag sich des Dankes
für quitt halten, aber ich -- wär’s lieber nie geschehen, -- bin wider
Ehr’ und Recht gekommen, du hast mir die Mutter elend gemacht und den
mir liebsten Menschen auf der Welt gekränkt, ich kann kein Herz zu dir
fassen.“

Der Müller blickte nicht auf, als er jetzt leise sagte: „So magst du
reden, wo doch in weiter Welt selbst das Tier -- das Tier -- das eigene
Blut anerkennt?!“

„Beruf dich nicht darauf, Müller. Was auch die Leute schwätzen von
verwandtem Blut, das ordentlich aufsieden müßt’, wenn sich Kind und
Eltern, auch ungekannt, zusammenfinden, es ist doch nur gefabelt,
aber für allzeit wahr bleibt Dankbarkeit und Lieb’ -- nicht für den,
der einmal Vater gewesen war --, sondern für den, der es auch immer
geblieben ist!“ Sie erhob sich vom Sitze. „Und das ist mir der alte
Mann bis auf den heutigen Tag. Ich heiße nicht nur, ich bin auch
Reindorfers Magdalen’, und das erlebt er nie, daß ich mich von ihm
abwend’ und dem zulauf’, der vielleicht der einzige auf der Welt ist,
den er nicht leiden kann. Wie ich auf die Welt gekommen bin, hab’ ich
ihn gekränkt, das war unverschuldeterweis’, verschuldeterweis’ kränk’
ich ihn, seit ich bei Verstand bin, nimmer, auch um deine Mühl’ nicht
und hätt’ sie sieben Gäng’ und mahlte pur’ Gold!“

Der Müller hielt sie an der Hand zurück und sagte, jedes Wort aus der
beklommenen Brust heraufholend: „Wohl -- d’ mein’ hat nur zwei und
mahlt Korn -- doch überleg’s -- ’s könnt’ dich reu’n.“

Sie preßte die geschlossenen Lippen fester gegeneinander, riß sich los,
schritt aus der Gaststube und eilig, ohne umzublicken, die Straße dahin.

Da überleg’, wer jede Sorge fürchtet und harte Arbeit scheut. Sie läßt
sich dem Vater nicht wegkaufen, den hat sie über Sorge und Arbeit alt
werden sehen, sie fürchtet nicht die erste und scheut nicht die letzte,
sie ist Reindorfers Magdalen’ und sie bleibt es!

Wie gern hätte sie den Vater zur Stelle haben oder sich gegen jemanden
aussprechen mögen, an dessen Meinung ihr gelegen war, etwa gegen den
Grasbodenbauer! Aber das ging doch nicht an. Sie horchte auf den Schall
ihrer Tritte, unter welchen die Sohle des einen Schuhes knarrte, und
wie sie so stramm ausschritt, da klang es ihr ganz deutlich: „Recht --
ge -- tan! Recht -- ge -- tan -- --“

Der Müller warf die Zeche auf den Tisch.

Sein Freund trat hinzu. „Ein Kernmädl, das, ohne dir z’ schmeicheln.
Schad’, daß d’ d’ Freud’ daran ein’m andern überlassen mußt. Begreif’s,
du möcht’st gern die auch noch, aber, lieber Freund, der Mensch muß nit
alles woll’n!“

Sie stiegen auf und fuhren davon.

Gar bedächtig trottete das Rößlein an dem Gehöfte des Grasbodenbauers
vorüber, aber hinter keinem Fenster, unter keiner Türe, um keine
Ecke zeigte sich, was der Müller zu sehen hoffte; da senkte er den
Kopf, starrte vor sich hin und kargte mit den Worten, kein Witz des
lustigen Wirtes verfing mehr, so daß dieser gar bald auch verstimmt und
verstummt dasaß und erst, als sie der Kreisstadt nahe kamen, aufatmete.

„No sind wir gleich heim,“ sagte er, „und da trinken wir eins und da
spülst all den Gift, Gall’ und Ärger h’nunter.“

„Dagegen half freilich ’s Trinken, aber geg’n das nit,“ sagte seufzend
der Müller, „was mich bedrückt. Ich mag gar nit einkehr’n.“

„Was, nit ’mal einkehr’n, in d’ Nacht h’neinfahren willst?“ rief der
Wirt. „No, weißt, ich red’ dich nit ab, ich sieh’s, mer muß dir dein’
Willen lassen, mit dir is nix anz’fangen; aber da halt’ dich jetzt auch
nur der Straße nach, ich find’ mein’ Weg, d’ Stadt h’nein, schon z’
Fuß. B’hüt Gott!“

Der Müller hielt an, der Wirt sprang vom Wagen. Beiden war es lieb,
einander loszuwerden.

Das Gefährt rädelte langsam in der immer lautloser werdenden Gegend
dahin, und der Mann, der gesenkten Hauptes auf dem Kutschbocke saß,
seufzte oft schwer auf.

       *       *       *       *       *

„Wenn man jung ist, da drängen sich Freundschaft und Lieb’ an einen
heran und wenn man sie gleich im Übermut mißbraucht, aber schier meine
ich, sie merken sich’s, und wenn man alt und vereinsamt danach sucht,
dann bleiben sie weg!

Hinterher gilt kein Besinnen, da tritt alles Elend, worauf man keinen
Gedanken gehabt, einem wahr und leibhaftig entgegen. Wie gut tun
die, die sich von dem Halunken, der in unser jedem steckt, nicht
kitzeln, nicht zu schadenfrohem, bübischem Tun reizen lassen, die ihn
unterducken und in dem verschwiegensten Winkel der Brust versperren,
daß er da verdirbt und verdorrt. Wie wohl mag denen sein, die niemandem
weh getan!

Wenn nicht heut’, sicher morgen, schreibt die Dirn’ dem Alten, daß sie
nicht von ihm gelassen hat und nicht von ihm läßt, nicht um eine Mühle
mit sieben Gängen, die pur’ Gold mahlt! Und er mag -- er muß wohl seine
Freude an ihr haben. Wer nicht, der eines so mit Leib und Seele sich
anhangen weiß?!

Der Mensch muß nicht alles wollen.

O, nur eines wollte ich, daß ich den Reindorferhof all meine Tage mit
keinem Auge gesehen, mit keinem Fuße betreten hätt’! Wir gingen uns
jetzt nicht gott- und weltverlassen daheim unter den Augen herum, mir
wäre nicht, wenn meine Alte herankommt oder sich wegschleicht, als gäbe
sie mir an allem Schuld, mag sein, sie denkt nicht daran, aber mir ist
so -- mir ist so, sie mag kommen oder gehen!

Falsch’ Glück hat mich nach dem Ort gelockt, wo mich der Jammer in die
Arbeit genommen, und er wird nicht früher ablassen, bis er mit mir
fertig ist, es soll nichts hinzu, was ihn mindert. Was tut’s? An allem
liegt nicht viel und an mir wenig. Wart’ es ab, länger wie ich kann es
nicht dauern, und das ist nimmer lang!“

       *       *       *       *       *

Die Müllerin fragte ihn bei seiner Rückkehr nicht, was er ausgerichtet,
und eine Zeit darauf sagten die Leute: „Dem Müller merkt man’s wohl an,
ihn freut’s nimmer.“



20.


War die erste Mahnung an die Heimat, unter welcher Magdalenens Herz
schmerzhaft zusammenzuckte, wie ein plötzlicher rauher Riß, der die
kaum verharschte Wunde aufs neue bloßlegte, so war die zweite -- die
Begegnung von dorther -- brutal, aber heilend wie ein chirurgischer
Eingriff, der sie wieder schloß. Jene waren tot, vor deren Begegnen,
selbst in ihren Gedanken und Träumen, sie sich ängstigte, weil ein
Wirrsal zwiespältiger Gefühle auf sie einstürzte, jetzt konnte sie mit
ihnen in wehmutreicher Erinnerung verkehren und ihnen jedes liebende
Anrecht auf sich einräumen, desto schroffer mußte sie den Anspruch
auf ein solches von seiten des Müllers zurückweisen, dem sie immer
ferngestanden hatte und dem nahezustehen sie sich nicht denken konnte,
ohne daß er ihr all dies Erinnern und Empfinden verderbte und befleckte.

Wenn eine Wunde verharscht, dann bleibt freilich eine Narbe, aber
wie man die körperlichen danach beurteilt, ob sie durch ein Gebrest
entstanden, oder von persönlichem Mute zeugen, so auch die seelischen,
und nicht nur jenen, die im Schlachtgewühl der Gefahr trotzten, auch
den tapfern Seelen, die mutig im Kampfe des Lebens sich bewährten,
stehen Narben schön.

       *       *       *       *       *

Seit auf dem Grasbodenhof der Bauer und Magdalene wußten, „daß sie
einander nichts wollten“, hatten sie bei jeder Gelegenheit, die sich
schickte, die sie nicht suchten, noch ihr auswichen, einen freundlichen
Gruß, oder ein kurzes, munteres Wort. Gleich nach der entscheidenden
Auseinandersetzung meinte der Bauer ein rechtes Einsehen zu haben,
indem er es vermied, fürder mit der Dirn’ und Burgerl allein auf
seiner Stube zu mahlzeiten; er führte die alte Sitte wieder ein
und aß gemeinsam mit dem Gesinde in der unteren Stube. Da, wenn
alle durcheinander schwatzten, ließ er sich auch in ein halblaut
geführtes Gespräch mit Leni ein, wobei es oft geschah, daß beide
plötzlich aufhorchten, sich allein reden hörten und aller Augen auf
sich gerichtet sahen, dann verstummten sie und wurden verlegen und
wußten nicht warum, und die halbblöde Traudel schlug dann jed’mal ein
Gelächter auf. Das war dumm. Sie gaben sich daher bei Tisch und vor dem
Gesinde nur Gruß und kurze Reden und versparten die rechte Ansprache
für unter sich, und sie redeten sich so gut und leicht, während sie
im Garten den Baumgang auf und nieder schritten. Freilich hätten sie
merken können, daß, seit sie außerm Gesicht des Gesindes sprachen,
dieses damit hinter ihrem Rücken anhob, aber sie hatten es nicht acht,
wenn sie plötzlich in irgendeiner Ecke auf ein Paar stießen, das bei
ihrer Annäherung mit einmal im Texte nicht weiter wußte.

So schritten sie denn über den Kiesweg dahin und es begannen unter
ihren Füßen die welken Blätter zu rascheln und vom Rasen hingen die
bereiften, dürren Halme nieder und dann starrten die nackten, kahlen
Äste über ihnen, die Schneeflocken fielen und die weiße, flaumige Decke
behielt die Fußstapfen auf.

Der Weihnachtsabend kam und der Bauer stellte sich bei Magdalenen mit
Geschenken ein, über welche das ganze Gesinde kopfschüttelte. „Alles
was recht is! Was eines verdient und sich zu ihm schickt, das soll
ihm vergönnt sein; aber hat er der Dirn’ nit ein Sonntagsspenzer und
obendrein ’s Zeug zu ein’ Rock h’naufgenötingt, wie ihn rundum schöner
und reicher kein’ Bäu’rin tragt?“

Am Morgen nach der heiligen Nacht, als außen die Morgensonne über dem
glitzernden Schnee aufstieg und das Herdfeuer in der Küche prasselte,
sagte die alte Sepherl, indem sie sich bückte und einige Reiser auflas,
ohne zur Angeredeten aufzublicken: „Na, Leni, du kannst wohl mit deiner
Christbescher z’frieden sein.“

„Wahrhaftig, Sepherl,“ sagte treuherzig die Dirne, „ich weiß nit, wie
ich dazukomm’.“

Die Alte richtete sich auf und sah dem Mädchen ins Gesicht. „So? No,
mein’sweg’n, jetzt glaub’ ich dir noch, aber wann d’ nit in Unehr’n
davon erfahren willst, so schenk du mir auch Glauben, wenn ich dir
sag’, der Bauer hat’s auf dich abgesehen.“

„Geh weg,“ lachte Leni, „dazu is er z’viel vernünftig!“

Sepherl wandte sich brummend ab und störte im Feuer.

Plötzlich schattete es im Türrahmen. Der Großknecht Heiner hatte sich
im Flur breit hingepflanzt. „Guten Morgen, Sepherl,“ rief er. „Guten
Morgen, Dirn’! Neujahr is vor der Tür, verlaubst schon, daß ich dir
gleich heut mein Sprüchel aufsag’. Ich wünsch’ dir nur, daß d’ es
ebensogut triffst, dir ’n Bauer vom Leib z’ halten, wie unserein’n.“

Leni trat auf ihn zu. „’s selb’ hat’s auch gar nit not, daß d’ es
weißt,“ sagte sie trotzig. „Er will mir nix nit.“

Heiner tat einen langen, halbleisen Pfiff.

„Sie meint,“ sagte Sepherl, indem sie die Schultern in die Höhe zog,
„dazu wär’ er z’viel vernünftig.“

Der Knecht schlug ein kurzes Gelächter auf.

„Wohl, weil ihr ihn nit kennt, wie er is,“ sagte Leni, der die Zornröte
ins Gesicht stieg.

„Brauchst dich über ein’ ehrlichen Rat nit zu erbosen und rot z’
werden wie ein Biberhahn,“ sagte Heiner und schritt hinweg, hinaus in
den Garten und folgte dort den breiten Fußspuren im Schnee, bis er am
anderen Ende auf den Bauer traf, der in das weite Feld hinausstarrte
und seine Morgenpfeife qualmte.

„Guten Morgen, Bauer!“

„Auch so viel, Heiner. Frisch is ’s heut.“

„Frisch is ’s.“

„’s macht der viele Schnee, aber das is ’n Feldern recht und ’m
Menschen g’sund.“

„Wohl, wohl. Aber laß dir sagen, Bauer, jetzt mein’ ich schon, ich
hätt’ mich bei dir vom Anfang an recht gut auskennt und was mer ein’m
andern nit vergunnt, drauf hat mer selber a Schneid’.“

„Red’tst übernächtig? Was hätt’ ich dir nit vergunnt?“

„No, hast mich ’leicht nit vom Hof gehn g’heißen, wann ich mit der
Dirn’, der Leni, was anfang? Und bei mir hätt’ sich doch all’s noch in
Ehr’n schicken können, wozu führt’s denn aber bei dir?“

„Was red’tst denn für narrisch Zeug? Es is doch da gar nix zu Weg, daß
’s wohinzu führen müßt’! Ich will doch, gottswahrhaftig, nix mit der
Dirn’.“

„Aber, du mein Gott,“ sagte Heiner, indem er die herabhängenden Hände
ineinanderfaltete und den Bauer mit weitgeöffneten Augen anstierte,
„dann treibst doch mit ihr a ganz verfehlt’ Wesen! Welche Dirn’ möcht’
sich da keine Gedanken in’ Kopf setzen?!“

„Dazu is die viel z’ g’scheit,“ sagte der Bauer.

Heiner öffnete die gefalteten Hände und ließ die Arme am Leibe
herunterbaumeln, während er seitwärts nach der Krone eines Baumes
aufblickte.

„Na, sei nit dumm,“ sagte ärgerlich der Bauer.

Da kam die Sepherl herangeschritten. „Laßt nit warten,“ sagte sie, „die
Schüssel steht af’m Tisch.“

Der Bauer schritt voran.

„Hör, Bauer,“ sagte die Alte, die einen Schritt hinter ihm
nachtrippelte, „der gestrig’ heilige Christ, laß dir sag’n, der war
all’s z’viel; magst ’s ja gut meinen, aber glaub mir, du tust dir und
der Dirn’ nix Gut’s damit, wann du s’ einbilderisch machst.“

„Dazu, meint der Bauer, wär’ dö viel z’ g’scheit,“ sagte trocken Heiner.

Der Bauer wandte sich hastig nach den beiden um und sagte zornig: „So
mein’ ich, und ich bin’s nit gewohnt, daß auf mein’m Hof ein’s anders
meint, wie ich!“

Großknecht und Altdirn’ blieben eine Weile an der Stelle stehen,
dann folgten sie in gemessener Eile und Entfernung; sie lüpften die
Schultern, hoben die Hände mit ausgespreiteten Fingern und strichen
sich über die Scheitel und führten so eine stumme aber beredte Sprache
verblüfften Verwunderns.

Verstimmt trat der Bauer in die Gesindestube und an den Tisch. Er und
Leni grüßten sich befangen. Es sollte aber noch ganz anders kommen!

Burgerl saß, wie gewöhnlich, zwischen den beiden, und als alle eifrig
die Löffel handhabten, -- wer darauf hielt, besaß seinen eigenen
-- stieß sie leise mit den Ellbögen rechts und links an und sagte:
„Jesses, ich hab’ eure Löffel verwechselt.“

Leni legte den ihren sofort neben den Teller des Bauers.

„Könnt’st auch aufschau’n, dumm’s Ding,“ murrte der, zu Burgerl
gewendet, goß die Milchsuppe in den Teller zurück und reichte den
Löffel hinüber.

Burgerl zog die Kniee an sich und schlang die Arme darum, so kauerte
sie eine kleine Weile, dann blickte sie auf mit Augen wie ein Kobold,
der sich eines gelungenen Streiches freut, und sagte: „Jetzt schmeckt’s
besser.“

Der Bauer stieß ein paar kurze Laute aus, die er gerne als das Lachen
eines Unbefangenen an den Mann gebracht hätte, als er aber Leni vor
Verlegenheit bis unter die Haarwurzeln erröten sah, blickte er so wild
um sich, daß allen das Lachen verging bis auf Traudel, die Stalldirn’,
die denn auch der Bauer anfaßte und zur Türe hinauswarf.

„Vermaledeiter Saufratz!“ schrie er und hob den Arm gegen Burgerl.
Keines auf dem Gehöft erinnerte sich, ihn je so zornig gesehen zu
haben. Erschreckt schlang Leni beide Arme um das Kind und riß es an
sich.

Er ließ den Arm sinken und sprudelte stoßweiße heraus: „Dank’s der
Len’! -- Aber das laß dir g’sagt sein -- nur einmal noch -- nur einmal
-- in der Weis’ -- spiel’ du vernünftigen und g’scheiten Leuten mit! --
Nur einmal!“

Jene, die im kritischen Augenblicke den Löffel aus der Hand legen und
Schürze oder Ärmel, unter dem plausiblen Vorwande des Mundabwischens,
vor das Gesicht bringen konnten, schätzten sich sehr glücklich.
Qualvoll gestaltete sich die Situation für die anderen, bei denen sich
das Lachen und der Löffel Suppe auf dem Wege nach hinauf und hinunter
trafen; die Armen spannten die Backen, als ob sie Posaune bliesen, und
die Augen quollen ihnen aus den Höhlen, als sie aber merkten, daß,
vermutlich der lustigen Gesellschaft halber, die Sauermilchsuppe kehrt
machte und nun vor dem Lachen einherlief, und um nur ja rechtzeitig
dabei zu sein, den kleinen Umweg durch die Nase nicht scheute, da
fuhren sie verzweifelt von ihren Sitzen empor und stürzten sich in die
Stubenecke und begannen dort auf das erbarmungswürdigste zu pfeifen und
zu husten. Ihr Elend kam den andern Knechten und Mägden sehr erwünscht
und bald war jeder Luftschnappende von zwei oder drei Helfern umgeben,
die ihm den Rücken abklopften, wobei freilich auch Püffe unterliefen,
mit denen mancher sich, aber nicht dem Bedrängten Luft machte; dazu
lachten sie wie närrisch, „daß sich der Naz’, die Cenz’, der Michl, die
Gundl -- na, aber so -- hat verkutzen können!“

Ärgerlich wandte sich der Bauer ab und ging hinweg.

Leute, deren guten Rat und wohlmeinende Mahnung man kurzweg von der
Hand weist, fühlen sich in der Regel beleidigt und Heiner und Sepherl
waren keine Ausnahmen. Wenn von nun ab der Bauer, um Heiners Meinung
oder Zustimmung einzuholen, fragte, wie etwas recht zu machen sei,
oder ob es recht gemacht wäre, so beteuerte der Knecht in erheuchelter
Bescheidenheit: er wisse es nicht zu sagen, denn er sei lang nit so
vernünftig -- wie andere! Und wenn Magdalene in gleicher Absicht sich
an Sepherl wandte, so wies die Alte in hinterhältiger Demut jede Frage
von sich, denn sie habe nicht die Gescheitheit mit Löffeln gegessen --
wie andere!

Da der Bauer und Magdalen’ von zehn Fragen neun nur des guten
Einvernehmens wegen stellten, so ärgerte sie das unfreundliche Gehaben
des Großknechtes und der Altmagd nicht wenig, aber sie verwanden allen
Ärger im stillen und kamen darüber nie zur Sprache, denn das hätte
ja ausgesehen, als ob sie sich über falsches Meinen der Leute nicht
hinwegzusetzen wüßten, und möchte etwa nur das eine von ihnen an dem
anderen irregemacht haben.

Desto eifriger sorgten Heiner und Sepherl dafür, daß das, was man
sich bisher nur auf dem Gehöfte zugeflüstert hatte, nun auch auf die
Straße und unter die Leute käme, und um die Zeit, da der Tag sich
jährte, an welchem Magdalen’ bei dem Grasbodenbauer in Dienst getreten
war, erlebten sie die freudige Genugtuung, daß sich schon das ganze
Dorf darin gefiel, den Bauer und die Favoritdirn’ mit Spitznamen zu
bezeichnen.

Wenn Sonntags der Bauer mit der Dirn’ an seiner Seite -- zwei Schritte
Raum und die kleine Burgerl zwischen beiden -- der Kirche zuschritt,
so flüsterte hier einer: „Schaut, da kommt der Vernünftige mit der
G’scheiten,“ und dort stob ein Rudel Bursche auf die halblaute
Aufforderung: „Macht’s doch ’n G’scheiten und Vernünftigen Platz,“ mit
unterwürfigem Gruße auseinander.

Als sich aber das Fest des heiligen Kirchenpatrons jährte und der
Bauer Leni und Burgerl nach dem Wirtshause, ja sogar auf den Tanzboden
brachte, wo ihm bei seinem Weggehen ein Vierzeiliger nachhallte:

    „Vernünftig und g’scheit,
    Und tun, was ein’ g’freut!
    So vernünftig, o mein,
    Möcht’ ich selber gleich sein,“

da wollte der Ruf der „vernünftigen und g’scheiten Zweisiedlerei af’m
Grasbodenhof“ schier über das Dorf hinaus sich ausbreiten, denn zu dem
Föhrndorfer Kirchtag fanden sich viele aus den Nachbarorten ein, und
war jeder darauf aus einen Spaß von hier mit heim zu nehmen. Da auch
der Knecht Hiesl von Hinterwalden herübergekommen war, so erfuhr noch
in der nämlichen Nacht der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’ um die
ganze Geschichte.

Der Alte schüttelte den Kopf. Er warf sich die Sache durch die Reuter,
das heißt, er siebte davon hinweg, was ihm als böswilliges oder müßiges
Geschwätz erschien, aber auch mit dem, was nun verblieb, konnte er
nicht zurecht kommen und fand in all der „Vernunft und Gescheitheit“
keinen Sinn.

„Was die nur denken?“ murmelte er. „Sich geg’nseits ’n Ruf verschänden!
’s is doch toll! Die Sach muß in die Richt’! Und weiß ’s kein’s von dö
beim rechten Trum anz’fassen, so muß halt ich ihnen ’s weisen. Aber so
oder so, dö Sach’ muß in die Richt’!“

Er trug Hiesl auf, für kommenden Morgen den Wagen bereitzuhalten.

       *       *       *       *       *

Der Grasbodenbauer befand sich auf seiner Stube. Er hatte dem Gesinde
sagen lassen, daß er nicht zum Frühstücke hinabkäme; sie würden auch
ohne seiner das Essen fertig bringen, das traue er ihnen zu. Bei dem
einen geöffneten Fenster strich würzige Morgenluft herein, an dem
anderen, das geschlossen war, saß er und stützte den schweren Kopf
in die Hände und beobachtete eine große Fliege, die ab und zu an die
Scheibe prallte und dann eine Weile an derselben auf und nieder surrte,
bis sie wieder nach der Mitte der Stube zurückschoß und einen neuen
Anlauf nahm, um sich den Kopf anzurennen.

Der Bauer zog die Brauen zusammen, das Gedröhn der Fliege begann ihn zu
verdrießen, es erinnerte ihn an das Geschnurre der Baßgeige, das ihn
gestern nachts noch aus ferner Weite durch das ganze Dorf verfolgte.

Er hatte das Spottliedl wohl gehört und gute Lust bezeigt, unter der
Schwelle umzukehren und den Takt dazu zu schlagen, aber Leni hatte ihn
bittend am Arme gefaßt und fortgezogen. Heut frühmorgens ging einer
unter dem Fenster vorüber und pfiff denselben Ländler und wenn der Lump
auch die Worte für sich behielt, so war doch sicher, daß er sie in
Gedanken vom ersten bis zum letzten dabei hatte.

„Dö Himmelherrgottssackermenter! Was sie’s angeht, wenn zwei Leut’
sich nichts wollen und ihnen auch nichts? Was geht sie’s denn an, die
elendigen ...“

Pom! schlug die Fliege an die Fenstertafel und dann klang es: Srr --
surr -- sum -- summ -- -- Vernünftig und g’scheit -- -- --

„Höllment’sch Vieh,“ schrie der Bauer und schlug danach, daß die
Scheiben klirrten; die erschreckte Musikantin fuhr in einem großen
Bogen durch die Stube und gewann dabei zu ihrem Glücke das offene
Fenster.

Der Bauer stützte wieder den Kopf, er preßte die Handflächen gegen die
Stirne und kraute sich mit allen zehn Fingern sachte in den Haaren, er
konnte es nicht leugnen, daß ihm darunter gar wüst und wirr sei, und
als jetzt ein Wagen, den er schon eine Weile über heranrädeln hörte,
plötzlich jäh und polternd durch den Torbogen in den Grasbodenhof
einfuhr, da war es schier schmerzhaft, wie jeder Hufschlag und Radstoß
im dumpfen Gehirn nachzitterte.

Wer mag auch kommen? dachte der Bauer, und daß ihm jetzt jeder
ungelegen käme.

Er sollte nicht lange im Zweifel über die Person des Ankömmlings
bleiben, denn vom Hofe her hörte er Burgerls Stimme, welche freudig:
„Der Ehnl! der Ehnl!“ rief.

Einigermaßen dadurch zufriedengestellt, daß ihm kein anderer Besuch
zugedacht sei, erhob sich der Bauer bedächtig von seinem Sitze.

Burgerl war dem Großvater an der Hand Magdalenens entgegengeeilt. Der
alte Mann, nachdem er sich vom Wagen herabgeholfen, streichelte das
krause Köpfchen seines Enkelkindes und Hiesl sah dazu lächelnd vom
Kutschbocke herunter, freilich bemerkte er dabei in allernächster Nähe
in netten Schnallenschuhen ein paar Füße mit zierlichen Knöcheln,
darauf eine stand, die im Begriff war, ein ganz unerlaubtes Glück zu
haschen; als diese ihm einen Gruß zurief, blickte er gar nicht auf, er
nickte verdrießlich und wandte sich ab.

„Du verstehst’s,“ murmelte er, „du verstehst’s! Wann ich nochmal af
d’ Welt kimm’, werd’ ich auch a saubere Dirn’ und verleg’ mich af ’n
Reich’n-Mon-Fang.“

Ehe der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’ Magdalenen die Hand bot,
sah er sie forschend an. Als ihre Augen, die mit offenbarem Befremden
nach dem unhöflichen Knechte gerichtet waren, sich wandten und frei und
treuherzig in die des alten Mannes blickten, streckte ihr dieser die
Rechte dar.

„Grüß Gott, Dirn’,“ sagte er, dann kneipte er Burgerl in die Wange. „Wo
steckt denn der Vater?“

„Auf seiner Stub’n. Komm, Ehnl, ich führ’ dich zu ihm.“ Die Kleine
faßte ihn an der Hand.

„Hast recht, führ mich zu ihm. Wir werd’n heut eh’, denk’ ich, ein
lang’s und ein breit’s miteinand’ hab’n, je bälder wir damit anheb’n,
je früher krieg’n wir’s kürzer und schmäler.“

Sie schritten auf das Haus zu.

„No, kannst d’ Magdalen’ noch so gut leiden, wie z’ Anfang?“

„Mein’ liebe Leni? No wie net?“

„Und is der Vater auch mit ihr z’frieden?“

Burgerl kniff die Lippen ein und sah mit verschmitzt lachenden Augen
auf.

„Schau einer! Du Grasteufel, beginn’ du schon ’s Reden mit dö Augen!
Damit hat’s noch Weil’!“ schalt der Alte und, während Burgerl vor ihm
die Treppe hinanlief und er langsam Stufe für Stufe nahm, sagte er
kopfschüttelnd: „No, no, dös Nestküchl lernet da nit übel zu. Es is
höchste Zeit, daß einer, dem’s zukommt, ’s Maul braucht.“

Burgerl stieß die Türe auf und schrie zur Stube hinein: „Voda, der
Ehnl!“

„Grüß Gott, Schwieger!“ sagte der junge Bauer. „Nit schön, daß d’ dich
gar so rar machst; es is ja schon a Ewigkeit her, seit d’ dich ’s
letztmal af’n Grasboden hast sehen lassen.“

„Na, a ganze wohl nit, a halbe dürft’ reichen. Grüß Gott, Kaspar!“

Die Männer schüttelten sich die Hände, dann sagte der Großvater sehr
wohlwollend zur Enkelin: „Burgerl, dir pfeift im Garten a Vogel; druck
d’ Tür’ ins Schloß, eil’ dich hinunter und los’ fein zu.“

Burgerl folgte der Weisung, soweit sie ihr anstand; hinunterzukommen,
eilte ihr eben nicht und der Vogel pfiff ihr lang gut.

Als sich der Alte mit seinem Schwiegersohne allein sah, rückte er sich
einen Stuhl zurecht. „Du verlaubst schon?“

„Ei, du mein, freilich, sitz nieder, sitz nur nieder,“ sagte der
Grasbodenbauer, „daß ich dich’s nit g’heißen hab’, mußt mir für kein’
Grobheit ausleg’n, ich hab’ heut ’n Kopf nit recht bei’nander.“

Er setzte sich dem Alten gegenüber.

„Versteh’s schon,“ sagte der, „bist halt übernachtig, noch von
gestern her, vertragst nit viel und kommst selten dazu; is ja kein
Wunder. Gleichwohl red’t mer sich vielleicht heut leichter mit dir,
wo d’ deine Gedanken z’samm’nehmen mußt, als wie sonsten, wo du’s
durcheinand’wurlen laßt und dich dabei -- nach der Leut’ Reden -- auf’n
Vernünftigen und G’scheiten h’nausspielst.“

Aber der Grasbodner nahm den Schalk, der zwischen den Fältchen der
Augenwinkel des Alten lauerte, nicht wahr und brauste auf: „Dös hat
noch g’fehlt, daß du, der d’ einer mir z’nächst bist, dö Übelwort’ mir
af’n Hof, in d’ Stub’n, zwischen meine vier Mäuern tragst!“

„So, so nimmst’s auf?“ erboste sich nun der vom Hof auf der weiten
Hald’. „No gut, wann dir’s nit anderscht ansteht, so kann ich dir auch
grob geigen und g’radzu sag’n, daß kein Sinn und kein Verstand drein
liegt, wann d’ dich und ein ander’s vorm G’sind und ’m ganzen Dorf zum
G’spött machst und neb’nzu vor dein’m Kind seine sehenden Aug’n und
losenden Ohr’n! Und drum und eben, weil ich einer dir z’nächst bin, so
bin ich hitzt da, um drauf z’ bestehn, daß du der Sach’ so oder so ein
End’ machst!“

„Wieso?“ fragte der junge Bauer.

„Wieso?“ wiederholte der Alte und zog die Brauen in die Höhe und
starrte seinen Schwiegersohn an, als sähe er ihn das erste Mal im Leben
und noch dazu als einen, mit dem es nicht recht richtig wäre; dann aber
kniff er wieder die Augen zusammen und sagte: „No, gibst halt die Dirn’
weg.“

„Das kannst nit verlangen, schon der Burgerl wegen nit.“

„Ah, bah, dem ist leicht abg’holfen. Ich nehm s’ alle zwei, die große
und die kleine Dirn’, af mein’ Hof und af dö Entfernung zwischen
Hinterwalden und Föhrndorf spinnt sich kein G’red’.“

„Wär’ eh’ recht, wann ich’s Kind so leicht von mir ließ’,“ sagte der
Grasbodenbauer.

Der Alte brachte die Hand vor den Mund und stieß unter einem leichten
Hustenanfalle die Worte hervor: „Bist du ein guter Vater!“

„Schwieger, laß dir sagen,“ fuhr der andere eifrig fort, „ich verkenn’
ja nit dein’ Absicht; aber vertrau’ auch du mir, daß d’ hinter dem
Ganzen nix z’suchen hast, als der Leut’ Unvernünftigkeit und Bosheit;
laß nur a weng Zeit mit dein’m Einmengen und wirst sehn, sie werden’s
von selber müd’ und d’ Wahrheit b’halt’ recht.“

„Um d’ Wahrheit handelt sich’s ja gar nit, sondern um ’n Anschein und
der wird, je länger mer’s anstehn laßt, je übler! Weißt, Kaspar, ich
hab’ die Dirn’ da auf dein’ Hof ’bracht, und drum halt’ ich mich auch
in mein’ G’wissen für verpflicht’t, daß ich, soweit an mir liegt,
draufschau’, daß s’ Ruf und Ehr’ von da fortnimmt, wie sie s’ herbracht
hat. Es is eh’ ’s Allermindest’, was ich tun kann, daß ich mich
hinsetz’ und ihren Leuten schreib’, daß dö entscheiden, ob s’ die Dirn’
dalassen oder heimholen wollen.“

Der junge Bauer erhob sich und legte die Hand auf den Arm seines
Gegenübers „Das wirst nit tun, Ehnl![26] Und ich sag’ dir auch, warum.
Döselb’n Leut’ sein nit da am Ort und können sich von nix überzeugen,
du aber kannst s’ nur falsch berichten, denn du gehst nur nach’m Gered’
und fragst der Wahrheit nit nach.“

Er schritt erregt die Stube ein paarmal auf und nieder, dann stellte er
sich an den Tisch und begann auf den Alten einzureden:

„Seit Jahr und Tag, wo die Dirn’ af mein’ Hof is, kommt mir mein
Hauswesen erst wie a solch’s vor; der Burgerl is sie a zweite Mutter,
wo ich sie auch prob’ und prüf’, zeigt sie sich als tüchtige Hausnerin
und mir als a ehrliche und aufrichtige Freundin. Die Dirn’ is unter
mein’ Dach so sicher wie unter ihrer Mutter Augen, und das laß dir
sagen, die steht für sich selber in so aufrechter Ehrbarkeit da, daß
s’ jed’s unlautere Wesen von ihr wegscheucht, und von mir kannst ’s
glauben, -- ich bin nit der Mon, der a Lug’ sagt, -- wie ich mich
auch zeither ihr erkenntlich bezeugt hab’, in Worten und Begegnen und
Präsentern, niemal hab’ ich vergessen, was wir beid’ einander schuldig
sein; nie bin ich auch nur entfernt auf ein’ unerlaubten Gedanken
verfallen ... Eh’ zun Teufi h’nein, Ehnl, was lachst denn wie nit
g’scheit? -- Bist narr’sch? -- Was gibt’s denn da zun Lachen?!“

Der alte Mann saß zurückgelehnt und lachte lauthals, erst als er
seinen Schwiegersohn vor zorniger Ungeduld die Fäuste ballen und
die Arme schütteln sah, beeilte er sich aufzustehen und faßte ihn
begütigend mit beiden Händen über den Ellbögen an. „Kaspar,“ schrie
er lustig, „hitzt heißet ich dich gern was, aber es fallt mer in der
G’schwindigkeit nix ein, was zutrifft! Ist’s denn möglich, kann’s
denn sein? Wo dö Dirn’ die Seel’ von dein’m Hauswesen is, dein’m Kind
a zweite Mutter, dir a aufrichtig Freundin und in all’n Stucken ein
ehrbar’ Weibsleut’, braucht’s denn da erst a Jurament von dir, daß d’
auch nit entfernt af ein’ unerlaubten Gedanken verfall’n bist?! Aber
du Himmelsackermentslalli, warum verfallst denn nit, wo ’n er so nah
liegt, af ’n verlaubten!?“

„’n verlaubten?“

„Was machst sie denn nit zu deiner Bäuerin, wann d’ schon in sie
verliebt bist und sie in dich, daß ihr allzwei vor lauter G’scheitheit
und Vernünftigkeit gar nit wahrnehmt, was ihr für Dummheiten vor’n
Leuten angebt?!“

Der Grasbodenbauer hatte mit der Rechten über sich gegriffen und
sich an den Hinterkopf gefaßt, so stand er nun und sah vor sich und
hörte den Alten vom Hof auf der weiten Hald’ wieder lachen, „wie nit
g’scheit“, und da wagte er so einen Seitenblick nach dessen Gesicht mit
den zwinkernden tränenden Augen und dem luftschnappenden Maule, und
da stieg ihm selbst ein Schmunzeln in die Mundwinkel, die Heiterkeit
wirkte ansteckend, er ließ die Rechte sinken und stimmte in das Lachen
ein, worunter er häufig mit dem Kopfe schüttelte, wie einer, der des
Verwunderns kein End’ fände, und so kam es, daß die beiden Männer bei
dem Lärm, den sie in der Stube vollführten, das helle Gelächter ganz
überhörten, das unmittelbar vor der Türe erschallte.

Heiterkeit wirkt ansteckend. Leni saß unten auf der Stufe vor dem
Hausflur und wartete auf Burgerls Rückkehr. Als das Lachgebrause von
oben an ihr Ohr schlug, lächelte sie unwillkürlich: „Was die nur haben,
daß sie so närrisch lachen mögen?“

Da kam Burgerl die Treppe herabgelaufen, sie preßte mit der Rechten die
Schürze an den Mund und legte die Linke um Lenis Nacken. „Weißt, was
der Ehnl da will?“

„Wie sollt’ ich?“

„Kuppeln,“ kicherte die Kleine.

„Sei nit ungeziem!“

„Und du nit narr’sch,“ sagte Burgerl, „Bäuerin sollst du werd’n da af’m
Hof.“

Lenis Gesicht wurde glührot, sie schob das Kind von sich, „das sind
keine Späß’!“

„Beileib nit,“ lachte Burgerl und hüpfte um sie her. „Der Vater macht
ja Ernst.“

„Burgerl!“

„Aber, Leni, hast denn auch du kein’ Merk’s? Muß mer’s ’leicht auch dir
noch sag’n -- wie der Ehnl ’m Vatern --, daß der in dich verliebt is
und -- du in ihn?!“

Da wich alles Blut aus Magdalenens Wangen, sie wehrte mit beiden Händen
ab, ungelenk schnellte sie vom Sitze empor und nur mit dem einen
Gedanken: auf und davon mußt du, eilte sie die Treppe zur Bodenkammer
hinan.

Burgerl stand so verblüfft, daß sie sich nicht einmal umwandte, um
der Flüchtenden nachzusehen. Sie wickelte paarmal ihre Ärmchen in
die Schürze und wieder heraus. Plötzlich überkam sie ein drückendes
Angstgefühl, Tränen traten ihr in die Augen und ihre Mundwinkel
begannen zu zucken; sie lief zur Stiege und hastete hinauf.

       *       *       *       *       *

„No, Kaspar,“ sagte der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’, „mir
scheint, dö Weis’, der Sach’ ein End’ und aus der Dirn’ ein’ Bäu’rin z’
machen, kimmt dir nit hart an?“

„Nein, nein, das wär’ g’laugnet, g’logen,“ lachte der Grasbodenbauer,
doch setzte er sofort bedenklich hinzu: „Aber halt, ob sie auch woll’n
wird?“

„Sei nit so dumm! Laß dir sagen, daß eine auch um ’n Herzallerliebsten
kein Spottwörtl und kein’ Neckerei vertragt und sich drum vor’n Leuten
ganz ungebärdig geg’n ihn anstellt, das kommt vor; daß aber eine ’s
G’spött nit acht’ und nach ein’ Trutzliedl den im Arm b’halt, den s’
nit mögen möcht’, das gibt’s in der weiten Welt nit! Lern du mich
Weiberart kennen!“

„Du mußt’s aber a bissel gut kennen, die Weiberart!“

„Ah, da schau! Und dir muß ’s einwendig a bissel gut gehn! Sonst hört
mer von dir Jahr und Tag kein’ G’spaß und heut ’traust dich gar geg’n
mich, du Sackerlot!“

„O, ich trau’ mich auch gleich mehr. Hitzt bin ich schon drein in
Trau’n. Soll’s in ein’m hingehn! Ich such’ mir die Leni und frag’s um
ihr Meinen.“

„Sei g’scheit, Kaspar, übereil’ dich nit, laß d’ Hastigkeit sich
setzen, überleg’ dir voreh’ deine Reden, damit d’ dir nix vergibst. Nur
nix vergeben, dös is gar g’fahrlich z’ Anfang.“

„’s Vergebens hab’ ich kein’ Sorg’, aber Eil’.“

„Ja so.“

„No ja, daß d’ Sach’ in Ordnung kimmt, es is ja doch dein Reden, daß
mer’s eh’ schon z’ lang hätt’ anstehen lassen! Oder nit?“

„No freilich, freilich! Wann d’ es schon nimmer aushalten kannst, so
kimm halt, such’ mer die Dirn’, drüber vergeht auch a Neichtl Zeit und
während dem überleg’ dir dein Reden. Nur nix vergeben, dös wär’ z’
Anfang weit g’fehlt und spater gar.“

Als die beiden Männer aus der Stube traten, ward oben eine Türe hastig
aufgestoßen und Burgerl schrie unter Schluchzen: „Voda, Voda, mein’
Leni will mer davon!“

Die beiden eilten nach der Bodenkammer.

An dem Türpfosten lehnte Burgerl, zuckend an Armen und Beinen. Zwei
Schritte von ihr kniete Leni und in der Ecke lag ein Bündel, das diese
weggeschleudert haben mochte, als sie nach dem Kinde stürzte.

Der Großvater griff Burgerl auf, sein linker Arm trug das Kind und mit
der Rechten liebkoste er es. „Unsinn,“ grollte er, „no muß ’s Kind auch
noch leiden unter euerer Dösköpfigkeit. No macht’s aber schnell ein
End’.“

Burgerl hatte ihre Arme um den Hals des Großvaters geschlungen, das
Köpfchen aber drehte sie zurück und sah ängstlich nach dem Vater und
nach Magdalene. Diese hatte sich beim Kommen der Männer mit scheuem
Blicke erhoben und stand nun mit schlaff herabhängenden Armen und sah
vor sich auf den Boden.

„Leni,“ sagte der Grasbodenbauer leise und seine Stimme durchzitterte
eine freudige Erregung, „sei du so grundaufrichtig gegen mich, wie
ich’s gegen dich sein will! B’sinnst dich noch, wie ich g’sagt hab’,
daß eine, die denkt wie ich, wenn s’ mich ernsthaftig lieb g’winnt,
eh’ mir trotz mein’m Hof auf und davon rennen müßt?! Und dieselbe, die
nämliche bist du! Denn was sonst möcht’ dich von da wegtreib’n?“ Er
wies nach dem Bündel in der Ecke.

Leni tat einen Schritt zurück und streckte den Arm, als wolle sie das
Bündel vor seinen Blicken decken.

„O, laugn’ ’s nit! Ich g’steh’ ’s ja auch freibrüstig und offen ein,
wenn ich damals g’sagt hab’, ich wüßt’ nit, ob ich die Kurasche hätt’,
d’selbe Ausreißerin z’ruckz’halten, heut, wo du vor mir stehst in
all’n Stucken d’ Rechte und d’ Richtige, weiß ich’s wohl, daß ich dir
nachlaufet bis ans End’ der Welt, und weil dös G’lauf -- Gott sei Dank
-- nit nötig is, daß ich dich nit fort lass’! Da ist mein’ Hand, Leni,
schlag ein und werd’ mein Weib!“

Sie sah mit leuchtenden Augen in die seinen, dann faltete sie die
Hände vor sich. „Du tust mir eine große Ehr’“ -- stammelte sie, -- „du
tust mir ...“ Da versagte ihr die Stimme, sie entfaltete die Hände und
drückte die ausgespreiteten Finger gegen die Brust.

„Lenerl!“

„Nit, Kaspar!“ Sie wehrte ihn ab. „Ich muß dir voreh’ noch ein’s sagen;
es is a hartfällige Aussag’ und wenn auch meinseits kein Verschulden
dabei is, so könnt’s dich doch anders b’sinnen machen.“

„Dös nit! Nix nit und nie nit!“

„Übereil’ dich mit kein’m Wort, eh’ ich ausg’red’t und dir all das
g’sagt hab’, um was du jetzt wissen mußt.“

„Burgerl,“ sagte der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’, indem er
den kleinen Finger in der Ohrmuschel schlenkerte und tat als ob er
aufhorche, „Burgerl, hitzt scheint mir, pfeift uns all’n zwei der
Vogel.“ Damit trug er das Kind zur Türe hinaus, die Treppe hinab, nach
der unteren Stube.

Dort saß der alte Mann, hielt die Kleine auf seinem Schoße
und beschwichtigte sie vorerst dadurch, daß er auf ihre immer
wiederkehrende Frage, ob Leni wohl bleiben werde, jedesmal unverdrossen
antwortete: „Freilich, freilich, bleibt sie! Versteht sich, daß s’
bleibt!“

Plötzlich hob Burgerl das Köpfchen und brachte ihren Mund seinem Ohre
nah’. „Großvater, laß dir sagen, dann kommt wohl auch ein kleiner Bauer
auf’n Hof?“

„Wohl, wohl,“ lachte der Alte unbefangen, dann aber zog er die Brauen
zusammen und sah die Kleine von der Seite an. „Schau du,“ sagte er,
„wie verfallst auf solche Fragen? Das laß du unterwegs. Du hast noch
von nix z’ wissen.“

„Nein, Ehnl,“ sagte sie, dabei biß sie auf ihre geballte Faust und warf
ihm einen Blick zu, vor welchem er hastig die Augen zur Zimmerdecke
kehrte.

„Burgerl,“ sagte er nach einer Weile.

„Ja, Ehnl,“ sagte sie.

„Du weißt ’s vierte Gebot?“

„Ja.“

„Ah, nix nit, ja. Aufsag’n!“

„Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest und es dir
wohl gehe auf Erden.“

„Brav! So laut’t ’s Gebot. Hitzt aber gib Achtung, Burgerl, hitzt werd’
ich a Frag’ tun, was d’ Auslegung angeht. Wann also d’ Leni dein
Mutter wird, was bist ihr nach ’n göttlichen Vorschriften schuldig?“

„Daß ich s’ gern hab’.“

„G’fehlt! Von gern hab’n steht nix g’schrieb’n. Du sollst Vater und
Mutter ehren, heißt’s, ehren! Verstehst? A wahrhaftige Achtung mußt ihr
bezeig’n.“

Burgerl wendete den Kopf und zupfte an ihrer Schürze. „Hör, Ehnl, warst
auch einmal in mein’ Jahr’n?“

„Was das für a Frag’ is! Meinst ’leicht, ich bin als alter Mon, wie d’
mich da siehst, af d’ Welt kämma?“

„Da hast wohl ’s nämlich’ Ansehn g’habt wie so ein Büberl?“

„Eh’! Wozu fragst denn so verquer?“

„Ich mein’, weil d’ selber klein warst, hast du mich gern, und weil ich
groß werd’, ich dich.“

„Is recht, is ja recht, aber ’n Respekt nit vergessen.“

„Tu nit bös. Du bist ja doch mein lieber, lieber Ehnl.“ Die Kleine
umschlang ihn mit beiden Armen und drückte ihn an sich.

„Marschier’, falsche Katz’,“ sagte er und hob sie von seinem Schoß
und schritt durch die Stube ans offene Fenster. „Dö ganz Ahnl --
Gott tröst’s -- sie dürft’ ihr’s abg’lernt hab’n,“ lächelte er
kopfschüttelnd. „Nur bissel z’ frühzeitig g’rat’s mir der und ’n andern
nach. Red’t mer ’n Weibern von Respekt, spiel’n sie ’s af d’ Lieb’
h’naus!“

       *       *       *       *       *

Als der Grasbodenbauer hinter den Weggehenden die Tür ins Schloß
gedrückt hatte, begann Leni: „Was ich dir mitteilen muß, is nit mein
allein. Du hast mich seinzeit -- ’s war brav von dir -- nit falsch
verstanden, wie ich g’sagt hab’, auch mir hätt’s d’ Lieb’ schon
einmal nit gut g’meint. Heut bin ich dir’s schuldig, daß ich dich
drüber aufklär’, damal hab’ ich’s unterlassen, weil unter döselb’n
G’schehniss’ unser mehr g’litten haben, am härt’sten der, den ich Vater
nenn’, und wenngleich das, was ich jetzt Wort haben muß, mich in dein’
Augen unehrlich machen sollt’, dem alten Mon sein’ Ehr’ möcht’ ich
g’wahrt wissen! Gelt, du b’halt’st’s bei dir? Aber ich weiß ja, wem
ich’s anvertrau’, wenn ich dir’s anvertrau’, und dir will ich alles
verzähl’n!“

Und sie erzählte alles!

Der Grasbodenbauer strich die Haare zurück, die ihm, während er mit
gesenktem Kopfe und öfter nickend zuhörte, in die Stirne gefallen
waren. „Ei, du mein,“ sagte er, „was gibt’s doch für Heimsuchung af der
Welt, die ’m Schuldlos’ ungleich mehr zumeßt wie ’m Schuldig! Versteh
wohl, wie das hart von der Zung’ will und nit für jedwed’ Ohr is. Ich
dank’ dir für dein Vertrau’n. Aber das wüßt’ ich nit, was mich da
sollt’ anders b’sinnen machen, wo du dich in all dein’ Meinen und Tun
so ehrbar und brav bezeigt hast, nit anders, wie ich dich dafür d’ Zeit
her hab’ kennen g’lernt, und das wüßt’ ich nit, wie dich in mein’ Augen
verunehr’n könnt’, daß d’ nit Reindorfers bluteigen Kind bist? Mocht’
dir der’s Licht der Welt gönnen, wie viel mehr ich, der dir all’n
Sonn’schein, den der liebe Himmel gibt, gönnt! Mehr nur halt’ ich auf
dich, seit ich weiß, wie du zu dem alten Mon stehst, denn wie ich mir’n
als rechtb’sinnt und herzoffen denk’, so muß das wohl a gutg’raten Kind
sein, dem er, obgleich’s ihm fremd, erlaubt Vater z’ sag’n! Der Mon is
mir wert, dein’thalben doppelt, und du sinnst ihm wohl all’s Liebe und
Gute, und wann sich’s schicken sollt’, daß er uns braucht, so hat’s
nit not, daß du mehr sagst als: der Vater is da, -- und ich führ ’n an
der Hand in unser Haus!“

„Dö Red’ dank’ ich dir von Herzen,“ sagte freudig Magdalen’, „aber“ --
setzte sie leicht den Kopf schüttelnd, hinzu, -- „wann er mal mein’
bedürft’, so wär’s für mich a alleinige, liebe Sorg’, doch für ein’
andern nur Plag’ und Ung’legenheit.“

„Hast denn du nit schon von der mein’ dein’ rechtschaffen Teil auf dich
g’nommen und vermeinst, ich vermöcht’ dir z’lieb’ nix zu ertragen?!
Woll’n wir uns denn nur z’samm’tun zu Lust und Freud’? Soll’s denn nit
auch für Leid und Trübsal gelten? Ei wohl, für gut’ und bös’ und alle
Zeit und ich erwart’ nur dein’ Red’, daß’s gelten soll, Lenerl! Nur a
Wörtel!“

Er war nah’, ganz nahe an sie herangetreten.

Sie aber sagte das Wort nicht. Ohne die Hände, die an den
Schürzenrändern zerrten, zu erheben, sank sie an seine Brust und
schluchzte laut und er faßte sie mit beiden Armen um die Hüfte und
hielt sie so. Plötzlich sah sie unter Tränen lächelnd zu ihm auf. „Ich
mach’ dich da ganz naß,“ sagte sie. Sie legte die Rechte auf seine
Schulter und griff mit der Linken einen Schürzenzipfel auf und wischte
damit über den feuchten Brustfleck.

Da prallte die Tür auf und Burgerl stürzte hinein.

„Müßt’s schon verzeih’n,“ sagte der Ehnl, der an der Schwelle
stehenblieb. „Ich konnt’ s’ nimmer unten verhalten.“

Das Kind lief auf seine Lieben zu, umklammerte beide mit seinen Ärmchen
und drückte sie hart gegeneinander.

Kaspar legte die eine Hand auf den dunklen Krauskopf. „Bist da,
Burgerl? Freilich, du mußt dabei sein, du g’hörst ja zu uns.“

Laue Luft fächelte zum Fenster herein, helles Sonnenlicht durchgleißte
die Stube, durch den Hausflur drang es die gewundenen Treppen hinan und
webte ein sattes, freundliches Halbdunkel.

       *       *       *       *       *

Nicht ein Leben aus Einem Stück galt es! Was noch traut anheimelnd vom
zernichteten Jugendtraume nachwirkte, der den Gespielen zum Gefährten
verhieß, das zerstiebte vor der Macht, die hier zwei getrennte Lose zum
Aufbau gemeinsamer Zukunft einte, und nimmer in dämmernder Mondnacht,
im heißen Tagesglanze lag die Welt; kein Eigen, müh’los zu teilen,
großmütig an andere zu schenken! Nur mit offenen Augen und rührigen
Händen erringen wir unser Teil an ihr und machen nur andere an ihre
Stelle rücken, die es da anfassen, wo wir es gelassen, die müssen, wie
wir gemußt haben, da einmal jede Kraft, die wir in uns verspüren, sich
zu betätigen drängt.

-- ’s is nix Geschenktes, ’s liebe Leben, mein Haserl! --

Die Hand des Weibes fand sich zu der des Mannes, die auf dem Haupte des
Kindes ruhte.

Mag das Leben nur ein großer Werktag sein, so ist doch klüger,
frohgemut das Unsre tun, bis Feierabend wird, als mürrisch und
verdrossen wirken bis ans Ende. Hat dieser Tag doch eine Stunde, die
aller Unbill und jedes Mühsals uneingedenk macht, die Stunde, wo man
in eine liebe Hand einschlägt, die sich einem in Treuen darreicht:
Schaffen wir miteinander!

       *       *       *       *       *

Der Bauer vom Hof auf der weiten Hald’ räusperte sich. „Wann ihr lang’
g’nug werd’t so g’standen haben, so tut mer’s sagen. Nit, daß mir just
d’Zeit dabei lang wurd’ -- euch ja auch nit --, und ich versteh wohl,
wo’s Zusammenfinden so lang g’braucht und so schwere Müh’ kost’t hat,
da kann mer auch nit so g’schwind und so leicht loslassen, und ’s wär’
mir auch nit unlieb’, wenn ihr euch jetzt zum voraus davon nehmen
tätet, was so auf a paar Wochen Alleinsein zureicht! Ja, Kaspar, schau
nur! Wirst mir freilich bös’ sein, aber dö zwei Dirndl führ’ ich dir
doch vom Fleck weg af mein’ Hof. Wann der Hiesl ausg’strängt hat, muß
er gleich wieder einspannen.“

„Aber, Ehnl, warum denn?“

„So g’scheit wirst wohl sein, Kaspar, und ’s Einsehn hab’n, daß d’
Leni, wie d’ Sachen hitzt stehen, nimmer mit dir unter Ein’m Dach
verbleiben kann, hitzt wär’s wohl nit schicksam.“

„’s selb’ is richtig und für d’ Gastfreundschaft, dö d’ ihr und mein’
Kind erweisen willst, sag’ ich dir tausend Dank; aber wozu die Eil’?
Bleibt doch zun Mittag!“

„Die Eil’ hat zwei Gründ’ und noch a paar andre, die ich aber bei mir
b’halt’, weil’s nit von G’wicht sein. Erstens, bin ich dir unversehens
ins Haus g’fall’n, du hast nit auf mich antragen können und du weißt,
’s Essen is mein’ schwache Seiten, und damit triff ich’s heut wohl
besser daheim, als bei dir, und d’ Leni mag’s auch zufrieden sein, daß
s’ als Dirn’ nimmer an dein’ Tisch z’sitzen kommt, sondern erst als
Bäu’rin. Zweitens, wird sich’s wie a Lauffeuer da am Hof und übers
ganze Ort verbreiten, daß ihr euch endlich doch z’samm’g’funden habt.
Dich braucht ’s nit z’ irren, aber d’ Leni hätt’ ich gern von da weg,
eh’ ’s g’fahrlich wird, und ersparet ihr neidische G’sichter, dumme
Neckereien und heuchlerisch’ Glückwünschen. Drum treib’ ich fort und
soweit wär’n wir auch alle bereit, ’s hat nur noch d’ Burgerl ihr
Binkerl zu schnüren, der Leni bleibt d’ Arbeit erspart.“

„Gar nit,“ sagte Burgerl, „denn sie ließ mehr wie d’ Halbscheid z’ruck.“

Kaspar betrachtete das leichte Bündel und sah lächelnd und
kopfschüttelnd nach Leni. „Mein Seel’, da drein nähm’ s’ nit mehr mit,
als s’ af’n Hof ’bracht hat.“

„Ei, so bind’s auf und wieder zu und schaut, daß bald alles g’rechtelt
is. Ich laß einspannen!“ Damit lief der Alte zur Tür hinaus und
polterte die Treppe hinunter.

Im Hofe sah er seinen Knecht an der Deichsel des unbespannten Wagens
lehnen und mit der alten Sepherl plaudern.

„Hiesl,“ schrie er ihn an.

„Jo, Bauer.“

„Hast g’futtert?“

„Jo.“

„Hast g’wassert?“

„Jo.“

„Dann spann ein. Wir fahr’n gleich.“

„Schon recht.“

„Und breit’ dir d’ Pferddecken unter, daß sich ’s Sitzen weicher
anlaßt. Mußt zurucken, ich kimm z’ neb’n dir, denn wir nehmen d’
Burgerl und die Dirn’ mit.“

„D’ Leni?“ fragte Sepherl.

„Ja, d’ Leni.“

„No, da hast wohl a recht’s Einsehn, weiter Haldhofbauer, daß d’ dö
fortnimmst.“

„Sie kimmt aber wieder z’ruck.“

„Z’ruck kommt’s wieder?“

„Ja, als Bäu’rin af’m Hof da.“

„Was sagst?“

„Als Bäu’rin, sag’ ich. Hörst schon schlecht, alte Guckahnl?“

„Jesses!“

„Soll sein’ Seg’n dazu geb’n, -- meinst? Ich weiß’s eh’.“ Er kehrte
sich ab, trat in den Garten und überließ es der Alten und dem Knechte,
sich in ihrer Weise zu wundern; auf und nieder schreitend, tat er es
in der seinen. Er gedachte des Tages, an dem er sein Kind hierher
verheiratete, der Jahre, die er es als junges Weib hier schaffen und
schalten sah, und als wär’s heut, entsann’ er sich, wie er durch den
Torbogen mit der Dirn’ einfuhr, die nun auf die Wirtschaft zu sitzen
und zu hausen kommt, die sie nie mit keinem Aug’ gesehen, hätt’ er sie
nicht zum Kommen beredet und auf seinem Gefährt’ zur Stelle geschafft,
just, als wär’ ihm bestimmt, den Grasbodenhof mit Bäuerinnen zu
versorgen.

Indes saß Kaspar oben im Dachstübchen rittlings auf einem Stuhle und
sah zu, wie sie die Laden räumten und sich die Sachen zurechtlegten. Er
verfolgte jede Bewegung Magdalenens, und so lieblich und ehrheischig
zugleich vom Ansehen und im Gehaben wußt’ er keine wie dieselbe, die
seine Bäu’rin sollt’ werden! Weder er, in seiner Herzfreudigkeit, noch
sie, in ihrer frohen Geschäftigkeit, gedachten der Trennung über Hals
und Kopf; sie schickten sich nur um ein paar Stunden früher in das, was
sie mußten, und beachteten allein, für wie kleine Weit’ und kurze Zeit
das wär’!

Oft sah Magdalene unter dem Herumkramen zu Kaspar auf und wenn sich die
Blicke begegneten, so lag in jedem etwas so wundernd Freudiges, das
die beiden Leute unwillkürlich lächeln machte. Über zwei Gegenstände,
welche da zur Hand lagen, verständigten sie sich ohne Worte. Als
Leni die Korallenschnur vorwies, lächelte sie dabei schalkhaft und
er spielte den Verlegenen und sah davor zur Seite, und als sie den
Sonntagsspenzer aufgriff, der Anlaß zu allem Gered’ und freilich
auch zu dem heutigen Entscheid gab, da lachte Kaspar und winkte ihm
freundlich grüßend mit der Hand zu, während sie sich zornig stellte,
die Brauen zusammenzog und das feine Stück ein paarmal schüttelte, eh’
sie es -- sorgsam zu den anderen legte.

Und wenn sie eine Weile über nur dem, was sie unter Händen hatte,
zugewendet blieb und es dem Kaspar dünkte, sie hätt’ ihm schon zu lang’
kein liebes Aug’ gegönnt, da rief er sie an: „Lenerl!“

Dann sah sie auf und sagte: „Ja, Kaspar!“

Und wenn sie meinte, er hab’ ihr schon zu lang’ kein freundlich Wort
gegeben, da rief sie: „Kaspar!“

Und er antwortete: „Ja, Lenerl!“

Darüber trug es sich zu, als Madalen’ das viel umfangreichere Bündel
zuschnürte, daß Burgerl noch neben dem ihren kauerte, an dem erst zwei
Zipfel des Einbindtuches verknotet waren, während sie den dritten in
der geballten Hand und den vierten krampfhaft zwischen den Zähnen
hielt. Als jetzt der Großvater vom Flur heraufschrie: „Seid’s fertig?
Wir wär’n ’s!“ da schlang sie schnell den Knoten, raffte das Bündel auf
und rannte zur Türe hinaus.

Leni warf sich das Bündel über den Rücken.

„Aber laß doch --,“ sagte Kaspar, indem er auf sie zutrat, um es ihr
abzunehmen.

Sie wehrte ab. „Heut bin ich noch Dirn’ und du der Herr,“ damit schritt
sie voran.

Der Bauer wußte es nicht zu sagen und suchte auch keine Erklärung
dafür, warum er sich scheute, an das Mädchen zu rühren und ihm das
Bündel abzuringen, wobei er doch nur viel Spaß und wenig Mühe gehabt
hätte. Er folgte ihr ernst und gemessen nach.

Im Hausflur wartete die alte Sepherl und raunte Leni zu: „Gratulier’
dir auch schön! Und, gelt nein, mein Reden, das der Dirn’ vermeint war,
wird mer doch d’ Bäu’rin nit nachtrag’n? Gelt nein?“

„G’wiß nit, Sepherl, hast’s ja auch nit schlecht gemeint.“

Im Hofe sah sie das übrige Gesinde stehen, sie nickköpften alle,
mancher mit hochgezogenen Augenbrauen und offenem Maul, es gab lauter
erstaunte Gesichter, aber kein unfreundliches, und als sie ihr Bündel
dem Mathies übergab, da nickte er ihr fast vergnügt zu. Volksgunst
hält sich, wie im großen, so auch im kleinen an den Erfolg und darin
liegt ein gutes Stück gesunden Denkens, welches nur da falsch schließt
und verderblich wird, wo der Erfolg in seinen Mitteln und Zwecken
unmoralisch, oder der Person und der Sache nach ein unverdienter ist.
Alle, die Magdalenen abgünstig waren, seit es hieß, sie habe es auf
den Bauer abgesehen, schienen jetzt anderen Sinnes, wo sie eben das
erreicht hatte, was zu erstreben man ihr für übel genommen.

Als sie nun, die Letzte, in den Wagen steigen sollte, da umschlang
Kaspar, wie von einer plötzlichen Wildheit erfaßt, mit beiden Armen
ihre Hüfte und schwang die Erschreckte auf den Sitz. Sie stieß einen
leichten Schrei aus. „Hab’ ich z’ grob zug’griffen?“ flüsterte er.
„Schau, ich konnt’ mer nit helfen, anfassen mußt’ ich dich und halten,
auf daß ich glaub’, daß d’ mein bist, und auch du merkst, daß d’ mir
nimmer auskannst.“

Sie reichte ihm, vor sich niederblickend, die Hand. Der Wagen setzte
sich langsam in Bewegung und der Bauer schritt nebenher bis zum Tore.
Dort sahen sich die beiden Scheidenden tief in die Augen und trennten
zögernd die Hände. Man rief und winkte sich Abschiedsgrüße zu, bis das
Wagengerassel die Rufe übertönte und man sich an einer Straßenkrümmung
jäh aus dem Auge verlor. Der Bauer blieb horchend an der Stelle stehen,
bis ferne jedes Geräusch erstorben war, dann kehrte er auf den Hof
zurück und begann ein lustiges Schelten, geschäftiges Anordnen und
rühriges Selbstzugreifen.

„Ah, halt ja,“ sagte halblaut der Heiner, „hitzt g’freut ihn erst ’s
Leb’n.“

       *       *       *       *       *

Gar stille war es auf dem Wägelchen geworden. Leni saß mit
halbgeschlossenen Augen, die gefalteten Hände im Schoße, zwischen
Wachen und Träumen.

Erst als das Dorf hinter ihnen lag und sie in den Föhrenwald einfuhren,
wandte sich der alte Bauer an das Mädchen: „Möcht’st etwa ’n Brautstand
über lieber bei dein’ Leuten bleiben?“

Sie schüttelte den Kopf. „’m Vater z’lieb’ schon, aber ’n Geschwistern
trau’ ich nit, sie könnten ihm und mir d’ Freud’ verderben.“

„Dann bleibst af mein’ Hof, bis dich der Kaspar als Bäu’rin af sein’
holt, Ich gönn’ dir’s.“

Er hatte seine Rechte bekräftigend auf beide Hände Lenis gelegt und
konnte es nun nicht wehren, daß diese zufaßte und seine Hand an die
Lippen führte.

Er machte sich frei und streichelte den Scheitel des Mädchens. „Dir
gönn’ ich’s.“

Und Hiesl nickte dazu. Wohl, wohl!

Wieder fuhren sie schweigend eine Strecke.

Da rückte Burgerl nah und lehnte ihre Wange an die der Freundin.
„Leni-Mutter,“ flüsterte sie.

Ein Schauer, unter dem sie zugleich aufseufzte und lächelte, befiel
Magdalene, sie drückte das Kind an sich und küßte es. Und so in sich
geschmiegt, wie verschüchtert und demütig, blieb sie sitzen, als säße
all das Glück, so groß es war, ihr zur Seite und sie müsse sich klein,
recht klein machen, daß es Platz fände.

Sachte fuhr der Wagen dahin, lautlos kreisten die Räder über der
dichten Decke gefallener Nadeln, die zu Füßen der hohen Föhren lag.

       *       *       *       *       *

Als der Grasbodenbauer abends in seine Stube trat, streckte er sich
sofort breit und behaglich auf einen Stuhl; er gestand sich, daß er
müde sei, wie nie, und sich wohl heute in seiner Frohmütigkeit ein
wenig übernommen haben dürfte.

Und als er so saß, begann er an das zu denken, was er erlebt und
erfahren hatte, und von dem zu träumen, was er nun erleben und erfahren
würde. Und da tauchten plötzlich, nah’, wie lebendig, die beiden
braunen Augen vor ihm auf, in die er heute beim Abschiede so tief
hineingeguckt; selbst, wenn er die seinen schloß, blieben sie in ihrem
heimelnden Blinken und herzlieben Geschau bestehen. Lächelnd schloß er
öftere Male die Augen.

Überdem war es stockdunkel geworden und Sepherl, die Licht brachte,
unterbrach ihn in diesem Spiel.

Er erhob sich vom Sitze und hatte nun das Madonnenbild an der Wand
gegenüber, gerade vor sich.

Die Madonna war braunäugig.

„Hat s’ ein Öl?“ fragte der Bauer, indem er auf das Lämpchen hinwies,
das an der unteren Leiste des Rahmens angebracht war.

„Wohl,“ sagte Sepherl, „’s is von letzthin noch ein’s drein.“

„Dann is ’s schon recht.“

„Willst denn aufzünden?“

Er nickte kurz. „Gute Nacht!“

„Gute Nacht, Bauer!“ sagte die Alte und die Treppe hinab murmelte sie:
„Aufzünden will er und ’s is doch heut nit Sunnabend und auch kein
Frau’ntag?“

Er rieb ein Schwefelhölzchen an, das schien ihm aber doch zu unheilig
für solchen Gebrauch, so griff er denn nach dem Wachsstocke auf seinem
Nachtkästchen und entflammte damit den Docht des Lämpchens und als er
es hinter dem roten Glase aufflackern sah, sagte er: „So! Warst ja auch
eine Rechte, eine Brave, Muttergottesin, du!“



21.


Früh am andern Morgen ging der Bauer mit Gesinde und Taglöhnern vom
Hofe weg. Obwohl die Arbeiter sich in zwei Partien schieden, deren
jede es von einem anderen Ende des weitläufigen Grasbodens angriff, so
sah doch in der ersten halben Stunde jeder den Bauern mehrere Male;
er hatte -- wie die Leute meinten -- „heut wieder einmal das große
Umschießen“. Später sah man ihn längs des Waldsaumes dahinstreifen und
bald darauf gar nicht mehr.

Hatte er es mit seinem Ab- und Zulaufen darauf abgesehen, die Leute bei
Fleiß und Rührigkeit zu erhalten, so wirkte allerdings die Furcht, daß
er mit einmal wieder mitten unter ihnen zur Stelle sein könnte, eine
geraume Weile nach.

Er war, ein wenig zögernd, in den Wald getreten, dann eine gute Strecke
unter den Bäumen dahingegangen, plötzlich besann er sich und kehrte
zurück, hielt aber mitten auf dem Rückwege wieder inne und verfolgte
nun gesenkten Kopfes und mit stark ausgreifenden Schritten den Pfad,
der tiefer in den Wald führte. Als er, um auszuschnaufen, still hielt,
befand er sich auf freier, sandiger Heide, fern im Rücken die dunklen
Föhren.

„’s wär’ ein Unsinn,“ murmelte er. „Jetzt, wo ich so weit von Föhrndorf
abkommen bin und so nah nach Hinterwalden hab’, müßt’ mer mich frei
auslachen, wenn ich umkehret.“

Wieder begann er rasch auszuschreiten. Er hatte einen Weg zu nehmen,
nicht kürzer, als der zurückgelegte war, um an das Dorf heranzukommen,
und erst eine Strecke hinter demselben lag der Hof auf der weiten Hald’.

Als er Hinterwalden erreichte, bog er von der Straße, die ihn mitten
durch den Ort geführt hätte, nach einem Fußsteige ab, der im Rücken
der einen Häuserzeile an Gartenzäunen und Scheuern hinlief und sich
mit dem Fahrwege erst angesichts der letzten Häuser wieder vereinigte,
unmittelbar vor einer Brücke, unter welcher ein dünner Wasserfaden
in einem zerklüfteten Bette rann, in welchem nur frühjahrs und nach
Regenstürzen ein schäumender Wildbach toste. Jenseits der Brücke lag
ein mit Buschwerk bestandener Hügel.

Als der Bauer über den Bach schritt, tat er einen flüchtigen Blick über
die Achsel, sah aber niemand um die Wege; nur dort vor dem Laden des
Krämers, der zugleich Posthalter war, stand, den Rücken herwärts, eine
Dirne, die einen Brief in den Sammelkasten warf.

Als der Bauer den Hügel hinanstieg, horchte er auf und zog ein
ärgerlich Gesicht; über die Brücke kam jemand in trappelnden, eiligen
Schritten nach, dem mochte er nun vorauflaufen, oder hinter ihm
zurückbleiben, nach fünfzig Schritten hatte der Busch ein Ende und
begann die weite Hald’, wo man für jeden, ob er einem im Rücken
herankam oder voranschritt, auf eine lange Strecke sichtbar blieb. Das
Klügste war wohl ins Gesträuch zu brechen und den Weg eine gute Weile
über ganz freizugeben.

Dazu wollte der Bauer eben Anstalt machen.

„Kaspar,“ rief eine Stimme hinter ihm, auf deren Klang er sich mit
einem Ruck umwandte.

„Ja, bist du ’s denn?“ sagte Leni, die freudig aufschauend an ihn
herantrat.

„Ei, freilich bin ich’s, wohl,“ lachte er, indem er sie an beiden
Händen faßte. „Grüß dich Gott, du mein herztausendschöner Schatz! Und
dann bist wohl auch du dieselbe dort bei’n Briefkastel g’west?“

„Ja, ich hab’ g’schrieb’n.“

„An wen denn?“

„Rat’ einmal.“

„Kann ich’s?“

„’s is kindleicht.“

„Kindleicht? Dann g’wiß nach Langendorf an dein’ Vater.“

Sie nickte. „Ihm mußt’ ich doch gleich all’s z’ wissen tun. Was er dazu
sagen wird? Es wird ’n wohl recht g’freu’n! Und, Kaspar“ -- sie legte
beide Hände auf seine Schultern und rüttelte ihn --, „wie erst mich,
wenn ihr zwei euch sehn und reden möchtet!“

„Ei, Lenerl,“ sagte er rasch, hielt aber plötzlich inne und wich ihrem
fragenden Blick mit schlau zwinkernden Augen aus, dann setzte er
überlegend hinzu: „das schickt sich wohl einmal, eher als nit.“

Sie senkte den Kopf.

„Aber grundmäßig g’freut mich,“ fuhr er fort, „und is ein merkwürdiger
Zufall, daß ich dich da g’troffen hab’.“

„So nah’bei um ’n Weg, wo ich jetzt heim bin? Da is doch b’sonderer,
wie du daher kommst, so weit ab, von wo d’ hing’hörst.“

„Herg’rennt bin ich wie a ledig Füllen und hitzt müd’ wie a g’hetzter
Hund.“

„Ja, was hat dir denn gar so geeilt?“

„Dich z’ sehn, Lenerl, sonst nix, als dich z’ sehn.“

Er leitete sie an der Hand nach einem Rasenflecke, der auf dem Kamme
des Hügels lag, und dort setzten sich beide unter dem Schatten eines
Busches auf dem grasbewachsenen Rande einer Erdwelle nieder.

„Weißt, Lenerl, gar z’ schnell bist mer fort g’west und wie ich heut
fruh nachdacht hab’, was gestern af einmal alles uns überkommen und
sich zu’trag’n hat ... Jesses und Joseph, wir war’n doch kein klein’
bissel[27] dumm, das heißt, vor all’m ich, ich als Mann, ’s darf
dich nit harb’n und braucht’s auch nit, in denselben Stucken und
Sachen macht auch der Verstand nit g’scheiter ... wie ich also all
dem Gestrigen nachsinn’, is mir frei g’west, als hätt’ ich ’träumt,
ei, denk’ ich mir, rennst umi[28] und hilfst dir aus’m Traum. Vom
Grasboden bin ich ihnen heimlich abg’fahr’n und hab’ glücklich bis
daher g’troffen, ohne a menschliche Seel’ z’ begegnen; z’ Föhrndorf und
Hinterwalden weiß niemand um mein Hiersein, denn wenn mich wer g’sehn
hätt’, wie ich eil’ und wohinzu, ’s wär’ wieder was zun Lachen g’west
und dazu hab’n wir eh’ schon mehr Anlaß geb’n, als uns lieb is. Nun
war nur noch mein’ alleinige Sorg’, wie ich mich an’ weiten Haldhof
h’ranschleich’ und dich z’ G’sicht krieg’, und schau, da hilft der
Herrgott sein’ Leuten und führt uns mitten Weg’s z’samm’, wenn auch
nur af a paar Minuten Alleinsein, aber grad die hab’n mir g’fehlt, von
gestern her noch, wie wir einmal eins g’west sein.“

Er legte die Rechte um ihre Hüfte und faßte mit der Linken ihre Hand
und ihr welliger Scheitel neigte sich gegen seine Wange.

Im Busche zwitscherten und flirrten Vögel, ein bunter Falter gaukelte
über den Rasen, Ameisen liefen eilig zwischen Moos und Steinen dahin
und kleine, grünschillernde Käfer schaukelten sich auf den Halmen,
die gleich den Blättern, jetzt von der Sonne durchleuchtet, dann im
sanften Winde fächelnd, ein wechselndes Farbenspiel trieben. Weithin
sah man über die Halde, deren Grün mancher bunte Fleck unterbrach, an
Stellen, wo zahllose Feldblumen emporgeschossen waren; gar klein lag
dort der Haldhof mit seinem weißen Gemäuer und roten Dache, noch weiter
ein lichter Streif, über den eine Nadel mit goldengleißender Spitze
aufragte, der Kirchturm einer Ortschaft, dahinter blauten hohe Berge
und über dem allen wölbte sich ein klarer Himmel, der mit erfreulichem
Licht und belebender Wärme an das Nächste wie an das Fernste rührte und
regte.

„O, du mein Herrgott, wie is doch d’ Welt schön!“ sagte Kaspar leise.
Da fühlte er den kurzen, zustimmenden Druck der Hand, die in der seinen
lag. So saßen sie eng aneinander geschmiegt, zu tiefst im Herzen
befriedet, ohne einen Wunsch in der Seele und ohne einen Anspruch an
diese prangende Welt.

       *       *       *       *       *

Sie wußten es nicht zu sagen, wie lange sie gesessen hatten, als sie
sich plötzlich erhoben und zugleich sagten: „’s is Zeit, jetzt heißt’s
wieder laufen.“

„B’hüt Gott, Kaspar,“ sagte sie.

Er aber hielt sie an der dargereichten Hand zurück, zog sie an sich und
seine Lippen suchten die ihren. „B’hüt Gott, Lenerl, mein.“ Noch rief
er ihr nach: „Wirst von mir hören, bald!“

Sie nickte ihm lächelnd zu und schritt dann, ohne sich umzusehen, eilig
dem Hofe auf der Halde zu.

Eine ganz kurze Weile stand der Bauer und blickte ihr nach, dann
kehrte er sich ab und nahm den entgegengesetzten Weg. Wieder umging er
Hinterwalden. Als er auf dem Fußsteige einherschritt, pfiff er halblaut
Ländlerweisen und lachte dazwischen ein über das andere Mal; das andere
Mal geschah es immer, weil ihm das eine Mal das Lachen die zum Pfeifen
gespitzten Lippen breit gezogen hatte. Das Dorf im Rücken und die freie
offene Heide vor sich, begann er Tanzweisen und Schnadahüpfeln vor sich
hin zu summen und unter den dunklen Föhren wagte er gar einen hellen
Juchzer. Am Fuße der mächtigen Stämme hinstreichend, summte und pfiff,
pfiff und summte er die Sangweise eines Vierzeiligen, dessen Worte ihm
lange nicht beifallen wollten, und als er sie endlich hatte, platzte er
lachend heraus:

    Vernünftig und g’scheit,
    Und tun, was ein’ g’freut!
    So vernünftig, o mein,
    Möcht’ ich selber gleich sein!

’s war ein Hauptspaß, daß er just dem nachsinnen mußte und nicht sofort
darauf verfiel, aber das letztere nahm ihn nicht wunder, den ganzen Weg
über horchte er kaum auf sein eigenes Gesinge, seine Gedanken hatte er
ganz anderswo und über den letzten galt es sogar rasch schlüssig zu
werden.

-- -- „Hätt’ sie sich nit g’scheut, g’wiß möcht’ s’ mich gebeten haben,
daß ich ehestens ihr’n Vatern aufsuch’. Ich hab’ ihr’s wohl ang’merkt,
am liebsten hätt’ s’ mich gleich gradweg’s von Hinterwalden nach
Langendorf g’schickt. Sie kann’s nit erwarten, daß mich der Alte sieht
und ich selber wär’ nit wenig neugierig auf ihn. Ja, mein’ liebe Leni,
mit dein’ Brief karriolt wohl der Postbot’ schon die Straßen vorauf,
den hol’ ich nimmer ein; aber hint’nach mag ich dort sein, eh’ d’ nur
ein’ Gedanken davon hast. Was? das ging’ wohl? Han?“ -- --

Es war hoch am Mittage, als er den Grasboden erreichte und mit einmal
wieder, wie aus der Erde gewachsen, vor den Arbeitsleuten stand, deren
verlegene Mienen ihn wohl merken ließen, daß sie sich seine Abwesenheit
zunutz’ gemacht; aber er schalt nicht. „Lei, lei[29],“ sagte er, „tut
nit lauleln[30], Leut’! Ich verlang’ von kein’ mehr, als sich ’n Tag
über schaffen laßt, das aber wohl. Seid nur auch billig, wie ich’s bin.“

Er nahm den Großknecht beiseite. „Heiner, morgen mußt du dich da als
Herrn aufspiel’n. Ich fahr’ zur Eisenbahn. Trag mir Sorg’, daß Roß und
Wagen rechtzeitig bereit stehn. Der alte Sepp zählt wenig mehr bei
der Feldarbeit und geht nit ab, mag er mitfahr’n und auf der Station
warten, bis ich heimkehr’.“

Er rieb sich vergnügt die Hände.

       *       *       *       *       *

Auf dem Reindorfer Hofe ging es recht lebhaft zu. Gegenüber auf der
Anhöhe vor dem Tannenwäldchen krachten Pöller, Pistolen wurden im Hofe
abgefeuert, es herrschte lauter Jubel, Hochzeitfeier war im Hause.

Nachdem die alte Reindorferin gestorben war, redete alles auf den Bauer
ein und stellte ihm vor, wie er es nun doch nimmer allein werde richten
und machen können. Schon damit die Wirtschaft nicht zurückginge,
sollte er sie doch ja beizeiten seinem Leopold übergeben und den
heiraten lassen, wenn es nicht anders wäre, in Gottesnamen die Melzer
Sepherl, die werde sich ja auch anders anlassen, wenn man ein Einsehen
mit ihr hat, und jung waren wir alle, mein Himmel, das gibt sich mit
der Zeit! Allerdings, das Jungsein pflegt sich mit der Zeit zu geben.
Der Alte wollte auch wieder etwas „Weiberhafts“ auf dem Hofe haben,
es war recht kindisch, daß er dabei an die Magdalen’ dachte und sich
die Melzer Sepherl aufreden ließ, aber es waren ihrer so viele, die
da zuredeten und ihn ganz verwirrt machten, so daß er eines Tages ja
sagte; die alte Hex’, der Sepherl ihre Mutter, war ja mittlerweile
gestorben und die hatte er am meisten gefürchtet. So kriegten sich denn
der Leopold und die Sepherl und heute hielten sie Hochzeit.

Nur war kein Verwandtes bei der Feier, der Onkel Schulmeister war
gestorben, die Magdalen’ -- schützte man vor --, wär’ zu weit weg, um
sie einladen zu können, und die Schwester Elisabeth war weggeblieben;
die war mit der neuen Verschwägerung gar nicht einverstanden und als
ihr gegenüber der Alte entschuldigend meinte, daß ihm halt so viel
zugeredet worden sei und daß er hoffe, es werde wohl alles zum Guten
ausgehen, da hatte sie gesagt: „Erzwingen hätt’ man deine Einwilligung
doch nie können, und daß du die hast in die Verwandtschaft lassen, das
verzeiht dir mein Mann nimmer und ich auch nicht.“

Auch dem Grasbodenbauer kam diese Hochzeit verquer und er war nicht
sonderlich erbaut, als er vom Wagen stieg, den er in der Kreisstadt
gemietet hatte, und nun in dem Trubel und aus dem Menschengewirr den
Mann herausfinden sollte, dem er sich in einer stillen Stunde und
traulichen Ansprache gegenüber dachte, wobei ihnen beiden das Herz
aufgehen mochte. Indes an Ort und Stelle war er einmal und diese
lagen doch etwas zu weit ab, als daß man sich so leicht entschlösse,
umzukehren und ein andermal wiederzukommen, so trat er denn in den
Hofraum und bat einen der dort lärmenden Burschen, ihm den Reindorfer
auf einen Augenblick abzurufen.

„Den Bräutigam?“ fragte der höchlich verwundert.

„Nein, den Vater!“

„Ah so, den Alten?“ Der Bursche zuckte geringschätzig die Achseln,
man sah, daß ein neu Regiment auf dem Hofe begann. „Ah so, den Alten?
der hat sich verzogen, er sitzt im Garten in der Lauben, mein’ ich.
Sitzt der Alte nit in der Gartenlauben?“ wandte er sich an ein paar
Nächststehende.

„Ja, der sitzt in der Gartenlauben.“

Der Grasbodenbauer begab sich in den Garten, er stand nach wenigen
Schritten vor der Laube und hielt still inne. Im Schatten des
überwuchernd dichten Blätterdaches saß ein silberhaariger Alter, der
einen Brief in den zitternden Händen hielt und oft während des Lesens
wie ungläubig lächelte und den Kopf schüttelte, immer danach brachte
er das Schreiben dem Auge näher; jetzt war er, wohl auch nicht zum
erstenmal, damit zu Ende gekommen und faltete es bedächtig zusammen.
„’s Glück meinet ihr’s gut,“ murmelte er, „’s Glück wollt’ ihr schon,
käm’ nur nix dazwischen, ’s g’schäh’ mir hart.“

„Kein’ Sorg’,“ sagte, hinzutretend, der Grasbodenbauer.

„Jesus, wer ist denn da?“ fragte, zusammenschreckend, der Alte.

„Einer, der’s ehrlich meint. Grüß Gott, Reindorfer.“

„Mein Je, wer der mich kennen will, und ich entsinn’ mich nit, aber gar
nit.“

„Glaub’s wohl, wir sehn sich heut ’s erste Mal, aber die Schrift af’m
Brief, den d’ zu dir gesteckt hast, is mir nit fremd.“

„Er is von meiner Jüngsten, von der Leni.“

„Ich weiß’s und mehr auch noch, ohne ein Hexenmeister z’sein; ich weiß
gar, was dreinsteht.“

„No, dös doch nit.“

„Ei wohl. Schreibt s’ nit von Hinterwalden all’s Gute und Schöne? Daß
s’ vom Grasbodenhof z’ Föhrndorf als Dirn’ weg is und als Bäu’rin
draufkimmt?“

„Ja ja, schau einmal!“

„Und rat’ ich weit um, wenn ich sag’, daß s’ ’n selben Bauern ihr’n
Kaspar nennt, und ’s Liebere und Schönere von ihm schreibt?“

„Ei freilich,“ lachte der Alte, „das tut sie halt ja, wird ihm wohl
auch gebühr’n.“

„Ob’s ihm gebührt, dös streit’ ich nit, aber daß sie ’s guten Glaubens
is, da drüber is niemand froher wie ich! Und nach all dem, was hitzt
g’red’t is, gib ich dir wohl auch kein schwer Rätsel mehr auf, wenn ich
dich frag’: Wer, meinst, wer ich bin?“

„Ei, du mein,“ sagte der alte Mann sich etwas mühevoll erhebend. „Wirst
doch du nit etwa selber der Grasbodenbauer sein?“

„Selber,“ lachte der, „’s tut’s kein andrer für mich.“ Er bot dem alten
Reindorfer die Hand, drückte ihn wieder auf den Sitz zurück und nahm an
seiner Seite Platz. „Ich bin ’kommen, bei dir um Magdalen’ anz’halten.“

„So, so? Na, das g’freut mich, das g’freut mich schon gar nit zun
sagen!“ Er streichelte mit beiden Händen die Rechte des jungen Bauers
über dem Tische.

„Dann schlag’ nur gleich ein,“ sagte Kaspar.

Der Alte zog verlegen die Hand zurück. „Nein, nein, noch is ’s kein
b’schloss’ner Handel,“ sagte er. „Eins könnt’ dich davon absteh’n
machen. Mein’ Seg’n den gäb’ ich wohl z’tausend und tausendmal dazu,
aber mit dem müßt’ d’ auch vorlieb nehmen, sonst nix! Morg’ngab’ kriegt
die Dirn’ keine mit.“

Der Grasbodenbauer tat einen ärgerlichen Ruck mit dem Kopfe. „Hab’ ich
der nachg’fragt? Ich mein’ nit!“

„Dann is ’s recht, dann is ja all’s recht, da sag’ ich nix mehr, als
unser Herrgott lass’ euch lang’ glücklich und zufrieden miteinander
hausen! Und a wahre Freud’ is mir auch, daß d’ mir d’ Ehr’ erweist und
kommst, dich anschau’n lassen, von so weit her. Soll ein ornd’lich
Stuck Weg sein von Föhrndorf, hab’ ich mir sagen lassen? Aber is ’s
denn auch d’ Möglichkeit, daß d’ schon da vor mir stehst, wo ich kaum
’n Brief von dort in Händen hab’? Sag mir nur, wie kommst denn her in
derer Schnell’n?“

„Mit der Eisenbahn. Mit’m Schnellzug bin ich bis zur Kreisstadt. Da
flieg’n dir nur d’ Zäun’ und Bäum’ und Häuser vorbei, daß dir völlig
schwindlig wird und kaum hast Zeit breit niederz’sitzen, so heißt’s
schon wieder aussteig’n.“

„Schau, schau, so is dös mit der Bahn? Hab’ mir viel davon erzählen
lassen, aber mein Lebtag noch keine probiert. Da is ja bald d’
G’schicht’ von dö Sieb’nmeil’nstiefeln kein’ Lug’ mehr! Ja, ja, wann
sich der Mensch fürs erste auch nur vorfabelt, wonach er Begehr tragt,
spater fangt er an dran herumz’sinnieren und ’s laßt ihm kein’ Ruh’,
bis er ihm zun wenigsten nah’kommt. Schau einer, dö Bahn, ja, dö Bahn!“

Er nickte paarmal vor sich hin, dann hob er plötzlich den Kopf. „Je,
was wollt’ ich denn noch Red’ haben? Worauf war’n wir z’letzt?“

„Auf der Eisenbahn.“

„Eh, Eisenbahn! Vorher?“

„Über d’ Leni sein wir einig word’n.“

„Ja, ja, bin schon drauf! Aber da siehst es, du hast es, wie man
doch im Alter oft ganz verwirrt werden kann! Heut nimmt’s mich auch
gar nit wunder, der Kopf tut mir schon weh; seit der Fruh schießen
die Sackermenter Löcher in d’ Luft, zuvor haben sie’s auf eine Weil’
eing’stellt, jetzt heben sie wieder damit an, man kann kein gescheit
Wort reden -- -- Jesus und Joseph!“ schrie er auf und fuhr mit beiden
Händen nach den Ohren, denn von der Anhöhe donnerten zugleich beide
Pöller und Schlag darauf krachten alle Pistolen im Hofe los.

Danach ward es stille, man sah auch, daß sich die Leute verloren.
„Jetzt geht’s ans Fressen,“ sagte aufatmend der Alte, „nun geben s’
für eine Zeitlang Ruh’! -- Ja, mein lieber Grasbodenbauer, +das+
wollt’ ich bereden, daß dich wohl befremden mag, daß die Dirn’ nix
mitkriegt, aber so leid mir g’schieht, ich kann nit! Mußt mich
der’wegen für kein’ alten Scharrz’samm’ halten und mir auch nit bös
sein, daß ich dir nit klarmachen kann, was mich da verpflicht’t und
bind’t; aber es is ein’ G’wissenssach’, wohl ein G’wissenssach’, daß
ich mein’ andern Kindern ihretwegen nix entziehen darf.“

„Müh’ dich nit, Reindorfer. Ich nähm’ ja die Sach’, wie sie liegt, aber
aufrichtig, ich weiß eh’, wie sie steht und, als ehrlicher Mon, brauch’
ich wohl nit erst z’sagen, daß ich s’ auch bei mir b’halt’. D’ Leni hat
mir nix verheimlicht, sie hat mir all’s anvertraut, was sie angeht.“

„So, so? Schau, schau! das hätt’ sie doch lieber auch bleiben lassen
können! Nun halt, eigentlich hat sie wohl recht g’habt, zwischen Mann
und Weib soll nit die geringste Heimlichkeit bestehn, da soll jed’
Herzfalterl offen liegen; aber ich steh’ halt jetzt schön sauber vor
dir da!“

Der Grasbodenbauer schnitt ein einigermaßen verlegenes Gesicht, ehe
er polternd herausfuhr: „Na, wie denn auch?! Mein Gott, du bist nit
schlechter wie der heilig’ Joseph, der Nährvater.“

Der Alte blinzelte ihm einen lustigen Blick zu. „Du, du! Wirst dich
schier mit mein’ Namenspatron zerkriegen, wann d’ so despektierlich von
ihm red’st.“

„Nein, nein, mußt erst mein Meinen anhör’n! D’ Heiligen sind einmal
auch nur menschliche Leut’ g’west, wovon jeder auf sein’ Art und Weis’
is heilig word’n und heut noch in seiner Art a Vorbild gibt und in
seiner Weis’ Fürbitt’ leist’t; drum wissen wir gut -- so viel ihrer
sind --, nach welchen wir sich zu richten und an wen wir sich z’ halten
haben und drum is auch nit jeder Heiliger ein’m jedem seiner! Wirst
mich wohl verstehn?“

„Versteh’ dich schon. Wo aber keines Vorbild und Fürbitt’ mehr
zureichen will, da kommt’s bei jedem auf der krumm’ Schusterin in
unsern Ort ihr’ Red’ h’naus. All’n Heiligen sagt s’, bin ich umsonst
’kommen, jetzt muß einmal unser Herrgott dran!“

Der Grasbodenbauer lachte. „Ei, weißt, lassen wir die Heilig’n, ich
werd’ dir’s unheilig sag’n.“

„Ist mir eh’ lieber.“

„Hör mich an, Reindorfer und nimm mir kein Wörtel für übel, bevor
ich ausg’red’t hab’. Es is nit jedem geben, sich drein z’schicken,
in was du dich, und in derselben Sach’ is auch der Leut’ Urteil gar
verschieden, denn da schaut jeder mit selbeigene Augen. Es gibt
ein’, die offen über so was lachen, und andere, die sich heimlich
schadenfreuen, ich für mein’ Teil find’ gar nix Spaßhaft’s dran, denn
nur selten möcht’s, wie da g’schehn is, ein’m Kind zu nutz’ ausgehn,
und viel eh’nder für alle häuslich Zucht und Ehr’ ein abträglich
Beispiel geb’n, drum hüt’ ich mich wohl, daß ich dich ’n andern zun
Vorbild aufweis’.“

„Davor hüt’ ich mich selber. Hast recht, wenn ich mich auch gleich kein
bissel für mich z’ schämen brauch’, so was muß in der Ausnahm’ bleiben;
so Beispiel’, worüber d’ Welt von alle geweisten Weg’ abbiegen möcht’,
die taugen nit.“

„Ich weiß aber auch, die Menschen sein kein’ Gartenhecken und d’
allg’meine Schicksamkeit is kein’ Buchsscher’, mit der man alle z’samm’
fein sauber nach der Schnur zustutzen kann, und jeder gilt auch an
seiner Stell’ und in seiner Art, und da sag’ ich dir, dich lieb z’
g’winnen, könnt’ mir völlig g’nüg’n, daß die Leni, die Dirn’, dein
Kind sein will und kein’m andern sein’s! Du stehst aber auch als der
hochachtbarige Mon vor mir, der über sie gewacht hat von klein auf
und in schweren Stunden, allweil sorglich, daß sie Kopf und Herz af’m
richtigen Fleck b’halt und das gedenk’ ich dir, Vater Reindorfer,
solang mir unser Herrgott ’s Leben schenkt!“

Der Alte sah mit feuchten Augen freundlich auf, dann nickte er ernst.
„Es ist nur der Dank, was mich freuen tut,“ sagte er, „blieb’ er weg,
müßt ich’s auch zufrieden sein, es ist doch nur Pflicht gewesen.“

„Pflicht?“

„Ei, jawohl! Schickt man sich auch anfangs hart dazu an, später bleibt
man darauf, es ist die einzige Weis’, wo man sich selber fühlt als
zu Nutz und zu Recht auf der Welt. Wenn es bei Leuten, die am Wasser
wohnen, ein Gut anschwemmt, da denkt vielleicht der eine des Gewinnes
wegen: Ich nehm’ es! Und der andere der Schererei halber: Ich lass’ es
liegen! Und das denken sie wie ein Dieb und ein Verderber; recht wird
es wohl sein, wenn ich es vorsorglich aufbehalte bis auf den Tag, wo es
mir wieder abgefordert wird.“

„Wer aber könnt’ dir über das Kind Rechenschaft abverlangen?“

„Gott, und wenn selber der nicht, meine eigene Ehr’ und mein Menschtum.“

Kaspar sah den Alten mit großen Augen an und verhielt den Atem,
doch spielte ihm um die Mundwinkel ein verstohlenes Lächeln. Wenn
Reindorfer sich auf einen Scherz was zugute tat, so brachte er ihn mit
zusammengezogenen Brauen und zwinkernden Augen vor, und wenn er eine
ernste Rede besonders bekräftigen wollte, so schlug er mit der Rechten,
drei Finger offen und zwei eingeknickt, einen ganz kurzen Auftakt.
Das beides hatte Kaspar auch manchmal an Leni bemerkt und das machte
ihn nun schmunzeln, dann aber nickte er ernst und sagte: „Du denkst
rechtschaffen, wie nit bald einer.“

Eine Magd kam erhitzt herbeigelaufen und schrie: „Bauer, kommen sollst,
abgehst ihnen!“

„Gleich komm’ ich.“ Er erhob sich langsam und sagte zu Kaspar: „Willst
vielleicht mit h’nein, die Brautleut’ anschau’n und dich ihnen zeigen?“

„Aufrichtig, Reindorfer, wann dir nit dran g’legen is, so unterließ’
ich’s lieber.“

„Mir liegt gar nit daran, es ist zwar mein leiblicher Sohn, von dem
ich’s sag’, aber es ist nit gut mit ihm umz’gehen. Wenn die Mahlzeit
vorüber sein wird, schreib’ ich ein’ Brief an die Leni und bring’ auch
gleich meine Einwilligung zu Papier, ich möcht’ gerne, daß d’ allbeides
mit dir nehmen und damit aufweisen kannst, du wärst hier gewesen und
nit unverrichteter Sache weggegangen.“

„No, heut, an dein’m Sohn sein’ Ehrn’ntag, wirst wohl kaum Zeit und
Ruh’ dazu finden.“

Der Alte schüttelte den Kopf. „Mir ist’s ein Tag wie ein anderer;
gut, wenn ich mich seiner nit noch einmal übel erinnern muß! Daß
ich’s dir nur sag’, die Leni, die ist mir das Liebste von meinen
Kinder, die andern ... hebst nit viel Ehr’ mit der Verwandtschaft auf,
Grasbodenbauer, besser, du halt’st s’ von dir fern.“

Kaspar faßte teilnehmend seine Hand. „Du red’st von dein’ eigenen
Kindern!“

„Von meinen eigenen. Es mag am End’ doch leichter sein, fremde zu
erziehen, an denen einem das Gute weniger Freud’ und das Schlimme mehr
Unlust macht. Bei meinen eigenen Kindern hab’ ich’s verfehlt, soll
noch was Rechtes aus ihnen werden, muß jetzt Schicksalshärte statt
Vatershärte über sie; ich hab’ g’meint, die brauchten keine besondere
Nachhilf’, um nach uns, nach den Eltern zu arten, nun zeigen sie ein
trutziges, verstocktes Wesen, nehmen, was ich für sie tu’, nicht
anders, als müßt’ es sein und haben kein Herz dafür, -- kein Herz!“
Er sah eine Weile stumm zu Boden, einmal schnupfte er auf, dann hob
er den Kopf und sprach in gleichem Tone wie zuvor weiter zu Kaspar:
„Es ist mir recht unlieb, daß d’ gerade heut hast kommen müssen,
mitten in den Wirrwarr hinein, wo man dir nit die geringste Ehr’ antun
kann, wo d’ bei uns keine Unterkunft find’st, ja nit einmal Roß und
Wagen einstellen kannst, da schon welche frei im Hofe herumstehen
müssen. Ich denk’, das Gescheiteste muß sein, du laßt dich nach dem
Gemeind’wirtshaus fahren und verhalt’st dich dort. Ich werd’ schon
hinkommen und dir das Versprochene bringen; so brauchst nimmer her in
das Getös und Gesäus.“

„Was fallt dir ein, Reindorfer? Was d’ so freundlich warst, mir z’
versprechen, das werd’ ich mir abholen; ich werd’ doch dich alten Mann
nit hinter mir jungen herlaufen lassen!“

„Ah, beileib’, es ist ja nit gar weit, nur ein Sprüngerl, und wenn ich
mein’ Stock hab’, so bin ich noch recht gut zu Fuß.“

„Mir macht ’s aber gar keine Umständ’, ich hol’ mir’s gern.“

„Nein, ich komm’ hin, ich lass’ mir’s einmal nit nehmen, ich komm’
hin,“ sagte eigensinnig der Alte.

Da rief eine gellende Weiberstimme über den Hof: „Aber Vater!“

„Das ist die Schnur[31],“ sagte der alte Reindorfer. „Also behüt Gott!
Sobald tunlich, komm’ ich! Behüt Gott!“ Er griff nach seinem Stocke und
trippelte eilig davon.

Der Grasbodenbauer verließ rasch den Hof, bestieg seinen Wagen und fuhr
nach dem Gemeindegasthause. Dort saß er in der von Fliegenschwärmen
surrenden Gaststube, sah durch deren rückwärtige Tür nach einem
Düngerhaufen, auf welchem Hühner scharrten, und durch die vordere auf
die Straße, wo ab und zu ein Langendorfer vorbeistapfte und einen
„guten Abend“ hereingab. Der Wirt, der beim Schanktische stand, wollte
unterhalten sein. „Vetter, was wißt’s Neu’s?“ fragte er und ließ sich
nicht so leicht abweisen. „Seid’s ja nit hiesig. Wo Ihr daheim seid,
sind wir fremd. Wo seid’s denn her und wie geht’s dort zu?“ Die Wirtin
dagegen war ein unterhaltliches Weib; sie saß, mit dem Strickzeug
im Schoß, am andern Ende der Stube und schrie herüber, was sie
„Hierortiges“ wußte, es war wenig, aber sie hatte die Gabe, viel Worte
darüber zu machen. Dem Grasbodenbauer, den das nicht zerstreuen konnte,
aber auch nicht seinen Gedanken nachhängen ließ, ward die Zeit und
Weile schrecklich lang. Er fühlte das Bedürfnis, etwas unter den Händen
und vor Augen zu haben, das seine Aufmerksamkeit erforderte und wo es
doch nicht viel verschlug, wenn er auch etwas dabei versah. Ein Spiel,
am liebsten eines, das einem warm macht. Er ging nach dem Garten und
kegelte mit dem Wirte.

Über all das war eine geraume Zeit verstrichen, als endlich der
alte Reindorfer sich einfand. „Nit wahr,“ begann er außer Atem, „da
erstaunst dich halt, daß ich so fruhzeitig schon da bin? Ich war aber
auch fleißig.“ Er übergab dem Grasbodenbauer einen Brief und ein
offenes Blatt. „Da is ’s Schreiben an d’ Leni -- wann du so gut sein
willst --, und ’s andere mein’ Einwilligung zur Eheschließung meiner
Tochter Magdalena Reindorfer von hier, zu Langendorf, mit Kaspar
Engert, ~vulgo~ Grasbodenbauer, zu Föhrndorf. Der Schulmeister -- er
is ja auch z’ Gast --, hat mir’s in der G’schwindigkeit aufg’setzt
und sagt, es wär’ ganz nach der Vorschrift g’macht. Sei so gut und tu
es durchlesen, ich weiß nit, ob ich dem Mann heut trauen darf, er hat
allzeit Durst und der Wein is süffig. Nachschau’n schad’t nit.“

Er wartete, bis Kaspar das Papier wieder zusammenfaltete, dann fuhr er
fort: „Das also wär’ für eure dortige Pfarr’, was für d’ hiesige nötig
sein wird, das besorg’ ich alles; darfst nur schreiben, und ich will
schon recht aufhorchen alle dreimal, die es der Pfarrer auf der Kanzel
vorbringen wird. So denk’ ich, wär’ alles in Ordnung, und nun sei nit
bös, wenn ich jetzt wieder davonlauf’, heim muß ich auch dabei sein,
wenn ich gleich nit viel danach frag’.“

Der Grasbodenbauer hielt ihn zurück. „Steig doch in mein’ Wagen, ich
fahr’ ja gleich auf der Stell’. Was brauchst denn z’ gehn? Ich bring’
dich heim.“

„Bewahr’, wär’ nit übel! Aber mein’tweg’n, daß d’ siehst, ich gib dir
nach; bis wo der Weg nach ’m ‚mittern Graben‘ einbiegt, nimm ich’s an,
aber weiter nit, nit weiter!“

Als sie an der bezeichneten Stelle anlangten, verwahrte sich der Alte
entschieden gegen das Weiterfahren. „Ich bin eh’ froh,“ sagte er, „daß
unser erstes Zusammensein nit aufg’fall’n is, wann s’ mich aber heut ’s
zweite Mal mit dir und jetzt gar anfahren kommen sehen, dann setzt’s an
der Stell’ Verdrießlichkeiten; die bleib’n mir freilich nit erspart,
wenn ich morgen mit der Farb’ h’rausrucken muß, denn der Schulmeister
wird plauschen und die Wirtin wird klatschen, aber da streiten wir sich
doch wenigstens nüchtern herum. Ja, so steht’s und drum nimm’s für
keine Unhöflichkeit, wenn ich aussteig’.“

Kaspar half ihm aus dem Wagen. Sie schüttelten sich die Hände.

„B’hüt Gott, Grasbodenbauer,“ sagte der Alte, „tu mir d’ Leni schön
grüßen und Gottes Segen über euch allzwei! Und dein’ klein’ Dirndel
sag’, z’ Langendorf wär’ ein alt’ schneeweißes Manderl, das tät’
sich freuen, wenn es ihm gut sein möcht’! Nun, b’hüt euch Gott, z’
tausendmal, allsamt!“

„B’hüt Gott, Vater Reindorfer! Auf Wiedersehen!“

Er dachte an ein frohes, wo der Alte als Brautvater an der
Hochzeitstafel sitzen würde. -- --

Tages darauf, es war Sonnabend, langte der Grasbodenbauer daheim an und
am folgenden Morgen verließ er das Gehöft und schritt breit, inmitten
Weges, an den Gruppen der Kirchgänger vorüber, durch Föhrndorf auf
Hinterwalden zu; denn diesmal sollten es ja die Leute beachten, daß er
nach dem Hof’ auf der weiten Hald’ ging, und wer ihn befragte, erhielt
trockenen Bescheid und jeder mochte es weiter sagen, der Lust dazu
hatte.

Er brachte dem froh überraschten Mädchen Gruß und Segen, Brief und
Einwilligung des Vaters und, was Magdalenen das Liebste, er hatte ihr
von demselben zu erzählen und sie merkte wohl, daß sich beide gut waren.

Die Verheiratung ihres Bruders aber, von der in früheren Briefen noch
keine Rede war und um die sie nun auch ohne diesen letzten durch Kaspar
gewußt hätte, schien auch ihr bedenklich.



22.


Für landläufige Tugend, die alles strenger Aufsicht und natürlicher
Scheu oder kaltem Blute verdankt, aber diese Gunst der Umstände sich
gerne als Verdienst aufrechnen möchte, mag es wohl recht beschämend
sein, wenn abgelebte Leichtfertigkeit, an dem gleichen Ziele angelangt,
sich auch als gleichwertig erweist; doch soll das, Hörensagen nach,
öfter vorkommen.

Auch die Melzer Sepherl war eine aufrechte Bäuerin geworden und Florian
befand sich in einem gewaltigen Irrtume, als er damals meinte, die
Geschichte zwischen dem Reindorferhofe und der Mühle möchte sich
wiederholen, das hätte sie nicht, wenn er gleich am Leben geblieben
wäre, so wenig als irgendeine andere Geschichte, mit der Vergangenheit
war glatt abgeschlossen. Wie letztzeit die Dirne nur auf ihre Zukunft
bedacht war, so ist es nun auch die neue Bäuerin, und mag sich Ruh’
und Fried’ nicht „irgend so einer Dummheit wegen“ selbst verleiden, sie
sitzt viel zu breit und angenehm auf dem Hofe, als daß sie sich Feuer
unter den Stuhl legen möchte; ob sie nicht breiter säße, als anderen
lieb wäre und wie sich die dabei und daneben befänden, das machte ihr
allerdings geringe Sorge.

Die neue Reindorferin ließ es sich angelegen sein, allen im Orte und
auf dem Hofe zu zeigen, daß sie sich trefflich in ihre Stellung und
für die Wirtschaft schicke, und da ihr wohl bewußt war, das dürfte von
einigen angezweifelt werden, so tat sie ein übriges, fuhr vom Morgen
bis zum Abend in Haus, Hof, Feld und Garten herum und schalt und
belferte hinter dem Gesinde her. Leopold war mit ihrer „Schneid“ recht
zufrieden und versprach sich davon alles Gedeihen; der alte Reindorfer
aber meinte, das wär’ nur für den Anfang, entweder wird man selber
Scheltens müde und lernte man auch jeden Tag einem Fuhrknechte einen
neuen Fluch ab, oder das Gesinde gewöhnt’s, tut trotzdem wenig und
das Wenige noch mit Unwill’ und über die Hand.[32] Er war überhaupt
auf seine Schnur nicht gut zu sprechen, und das gedrangsalte Gesinde
versagte sich’s nicht, um die Bäuerin zu ärgern, derselben seine
Äußerungen in das Gesicht zu wiederholen, diese wurde daher auch gegen
ihn immer gehässiger und ließ sich ein über das andere Mal verlauten:
„Früher hat mich der Alte auf dem Hofe nicht haben wollen, jetzt mag
ich ihn nicht, er tut kein gut darauf, und nimmt ihn nicht bald der
Herrgott zu sich, so beiz’ ich ihn wohl noch aus!“

Das hinterbrachten die Dienstleute wieder dem alten Bauer, nur, damit
er sich „fürsehen“ könne, eigentlich aber, weil sie ein Vergnügen daran
fanden, die beiden aneinander zu hetzen und bei einem immerwährenden
Streite derselben selbst ein wenig Luft zu kriegen hofften, da hatten
sie aber die Rechnung ohne den jungen Bauer gemacht.

Es mochten etwa neun Wochen in schönstem Unfrieden auf dem Hofe
vergangen sein, da bekam der alte Reindorfer von Föhrndorf einen
Brief. Es hatte ihn zuvor an drei Sonntagen erfreut, dem Aufgebote
Magdalenens, versprochenermaßen, recht andächtig zuzuhorchen, nun lud
ihn das Schreiben zu deren Ehrentag, aber Leopold und sein Weib waren
dagegen und er sagte ab; ein zweites Schreiben lief ein, das ihn aufs
neue aufforderte, doch ja zu kommen, aber seine Leute bestanden darauf,
daß er wegbleibe.

„Hätt’ mer ahnen können,“ sagte Sepherl zu ihm, „was für ein Glück der
Leni bevorsteht, so hätten wir sie auch auf unsern Ehr’ntag geladen;
doch der Verstoß wär’ just rechtzeit’ wieder gutz’machen g’west, durch
ein freundlich Begegnen mit dem reichen Schwager, aber mit dem mußt’st
du ja hinterrücks verhandeln und ihn von uns abreden. Es is ledig dein’
Schuld, daß mer uns nit mitkommen heißt und nur nach dir verlangt.“

„Allein aber,“ nahm Leopold die Rede auf, „das wirst einsehen, kann man
dich nit gehn lassen; du bist alt und gebrechlich und der Weg is weit,
wer weiß, was dir zustoßen könnt’!“

„Und überhaupt,“ fuhr die Bäuerin dazwischen, „es ziemt sich gar nit,
daß du dich an einem Tisch breit machst, an dem zu sitzen man uns für
z’ g’ring acht’t! Z’samm’g’hörig sein wir doch!“

Hoffentlich war die Besorgtheit des Sohnes ebenso aufrichtig wie der
Verdruß der Schwiegertochter, indes ließ sich beides auch ganz gut
vorschützen, um den Alten nicht fortzulassen, denn fürs erste sollte
er denen zu Föhrndorf nicht weiß Gott was vorklagen, denn bei seinem
krittlichen Wesen vermerkt er gar nicht, wie unverdient gut es ihm
eigentlich erginge, und fürs zweite war das die beste schicksame
Gelegenheit, ihm einmal zu zeigen, wer Herr sei auf dem Reindorferhofe.

Er fügte sich und blieb, nun ja, zum Hofe gehörte er einmal und da
durfte er es mit den jeweiligen Leuten darauf nicht verderben, nicht
anders wäre es, hätte er ihn verkauft und sich sein Stüblein und den
dürftigen Unterhalt ausbedungen; daß es aber nicht anders war, obgleich
er ihn nicht verkauft, sondern an seinen Sohn und dessen Weib übergeben
hatte, das schmerzte ihn, und daß man ihm die größte der wenigen
Freuden, die ihm noch zu erwarten standen, versagte, das verbitterte
ihm die Seele.

An dem Tage, wo zu Föhrndorf die Trauung stattfand, war der alte
Reindorfer nach dem Garten gegangen und hatte von den Blumenbeeten
einen mächtigen Strauß zusammengelesen, mit diesem setzte er sich an
den Tisch in der Laube und hielt ihn in den gefalteten Händen; als er
dachte, es möchte um die Zeit sein, wo sie dort weit in der Ferne die
Ringe wechseln, da legte er den „Buschen“ leise und behutsam an die
Stelle, wo Magdalene damals gesessen, als sie von ihm Abschied nahm.

Als aber die neue Reindorferin in den Garten kam und der Blumen
ansichtig wurde, da stürzte sie herzu. „Jesus, was geschieht denn da
mit meinen Blumen?“ schrie sie.

„Es wird derowegen nicht aus sein,“ sagte der Alte, „einen Buschen hab’
ich mir gebunden.“

„Für wen denn, wohl nicht gar für dich selber?“ fragte Sepherl, und
als er stille schwieg, fuhr sie fort: „Meinst du, ich durchschau’ dein
kindisch Spiel nicht? Schneidet einen Buschen für fremde Leut’, die
viele Meilen weit vom Ort sind, die haben keine Freud’ daran und zur
Stell’ kann man sich nur darüber ärgern; tun dir denn nicht selber die
Blumenbeeten erbarmen? Und wenn auch nicht, so schickt sich doch, daß
du früher anfragst, was du darfst, es könnt’ ja sein, daß mir gleich
lieber wär’, es fräßen’s die Kühe!“ Damit nahm sie den Strauß und
warf ihn über den Gartenzaun, sie wartete nicht ab, was der Alte dazu
sagen würde, sondern stürmte nach dem Hofe. Der alte Bauer strich mit
zitternden Händen etlichemal über den Tisch, als wollte er ihn rein
haben, dann blieb er in Gedanken sitzen, in den Augenwinkeln verspürte
er etwas Feuchtes, er drückte den Finger dagegen und wischte mit diesem
über die Jacke.

An drei Wochen waren seit diesem Morgen vergangen und die Leni hatte
nichts mehr von sich hören lassen, das bekümmerte den Greis; am Ende
hatte sie gar nicht geheiratet, oder es trifft sich alles gleich für’n
Anfang schlecht, dachte er, und sie meldet sich nun vor Scham und
Herzleid nicht.

Dem alten Manne entging das Zunächstliegende, daß zwei Leute, die sich
eben glücklich zusammenfanden, nur miteinander beschäftigt seien.
Taucht auch ab und zu ein Erinnern an einen fernen Lieben auf, das ihn
für einen Augenblick als Zeugen all des Freuens, Treibens und Planens
herbeiwünscht, so zieht dies stille Grüßen und leise Wünschen wie ein
freundlicher Traum durch die Seele, das Knittern eines Papierblattes
scheucht ihn fort, und in dem Hause der Glücklichen, mag es auch
sonst sauber und blank gehalten sein, verstaubt das Tintenfaß und
rostet die Feder. Der alte Reindorfer aber hätte der Grundlosigkeit
seiner Befürchtungen gewiß sein können. Noch spät am Abende des
Hochzeitstages wurde eine Postkarte auf dem Reindorfer Hofe abgegeben,
der Bote händigte sie der Sepherl ein, die er in der Küche traf. Die
Bäuerin las die hingekritzelten Zeilen: Lieber Vater! Heut ist der Tag,
du fehlst uns wohl sehr, weil du aber schon nicht kommen kannst, so
grüßen wir dich recht schön und ich schreib’ es dir schnell, daß wir
eben zum Altar gehen. Magdalena. Kaspar Engert. --

„Ei geht’s zum -- wohin ’r wollt,“ schimpfte Sepherl und warf das Blatt
in das Herdfeuer.

Etwa acht Tage danach traf eine zweite Postkarte ein und fiel auch der
jungen Reindorferin in die Hände. Die neue Grasbodenbäuerin schrieb,
wie glücklich und zufrieden sie sei und weiters -- wie die Sepherl
meinte -- „tat sie völlig wie verliebt in den Alten“. Das wär’ dem grad
recht! Ins Feuer damit!

So wußte denn der arme Alte freilich um nichts und wurde von seiner
Unruhe in Haus und Hof herumgetrieben und allen andern lästig, die sich
aus seiner Sorge nicht das geringste machten.

Gerade auf den Tag waren es drei Wochen, als er frühmorgens in die
Küche trat, um sein Pfeifchen anzuschmauchen. „Guten Morgen, Sepherl,
guten Morgen,“ sagte er.

„Guten Morgen,“ sagte sie.

„Gestern ist wieder der Briefbot’ nicht gekommen, was da nur sein
muß, -- was da nur sein muß? Ihr tut mir doch nicht etwa die Brief’
verstecken?“

Die Bäuerin zuckte verächtlich die Achsel.

„Ich hätt’ halt doch nach Föhrndorf h’nüber sollen, ja, oder der
Leopold hätt’ sich darum annehmen können, es ist ja doch seine
Schwester.“

„Der Leopold?“ lachte spöttisch die neue Reindorferin. „Den man nicht
einmal geladen hat? Ich denk’, der hat was Gescheiteres zu tun, als
unnötig Geld zu verfahren! Ich hätt’ dich ja gerne ziehen lassen,
die paar Tage Ruh’ im Haus hätten mir auch wohlgetan, aber darum
hat es nicht sein dürfen, weil du uns, verwöhnt, nur noch murriger
heimgekommen wärst; die paar Stunden Freundlichkeit, die denen dort
leicht ankämen, hätten wir das ganze Jahr über entgelten müssen. Nein,
nein. Was anders wär’s -- aber da hüten sich die wohl --, wenn sie
dich bei sich behalten möchten und wir würden dich für allzeit los; da
könntest du heut’ noch gehen.“

„Glaub’s schon,“ sagte der Bauer und fuhr mit einem Zündhölzchen längs
der Wand herunter.

„An die Wand sollst nicht streifen, wie oft sag’ ich dir’s schon.“

„Mach Feuer, daß eine Glut ist, so wird mir auch eine Kohle lieber
sein. -- Ich glaub’s schon, daß du mich gerne vom Hofe hättest, aber
ich brauch’ anderswo keinen geschenkten Unterstand, da hab’ ich
meinen, das ist mein Recht, zum Hof gehör’ ich, das ist mein Recht und
Unterhalt und Pfleg’ heisch’ ich, das ist mein Recht.“

„Das ist mein Recht, -- mein Recht -- mein Recht“ -- spottete die
Bäuerin nach und schlug dabei jedesmal mit einem Stücke Holz auf die
Herdplatte. „Ah sag’ ja nichts dagegen, ich tu’ nur meinen, wie das
schön wär’, wenn dich dein Herzblättel zu sich nähm’ und du dein Recht
da dahinter ließest; mein’ Seel’, es käm’ mir nicht darauf an, vor
Freud’ gäbe ich dir all meine Spargroschen mit auf den Weg.“

Da sagte der Bauer giftig: „Was kannst du dir in ein halb Jahr und drei
Wochen viel erspart haben, ohne deinen Bauer zu betrügen?“

Die Bäuerin wurde im Gesichte glutrot und geriet außer Rand und Band.
„Du Krippenmandel,“ schrie sie, „daß ich mich nicht an dir vergreif’!
Du unnütz’ Maul auf der Schüssel, du Blumendieb!“

Leopold trat aus der Stube. „Was gibt’s denn schon wieder?“ fragte er.

„Ganz närrisch ist er heut’, der Alte. Nicht genug, daß er daherredet,
als ob wir ihm Briefe von der Leni stehlen möchten, er sagt mir auch
ganz offen ins Gesicht, daß ich mir wohl unrechterweis’ was beiseite
schaff’ --“

„Sie hat angehoben,“ sagte entschuldigend der Alte.

„Und wenn gleich,“ sagte Leopold, „du hättest sollen den Gescheiteren
machen und deiner Wege gehen, dazu bist du doch wohl alt genug! Und,
daß wir uns darüber nur einmal ausreden, Vater, denn es liegt mir
schon lang auf, da hast immer etwas gegen die Sepherl, das taugt
nicht, du weißt recht gut, daß Ordnung sein muß auf einer Wirtschaft,
zuerst kommt der Bauer, zu zweit’ die Bäuerin und unter denen stehen
alle andern ohne Ausnahm’ und ohne Unterschied, davon darf keines
aufbegehren, das gäb’ ein übel Beispiel und das darf man nicht leiden.
Du bist der Sepherl nicht gut, das kann ich nicht ändern, daß du es
aber zu Schau tragst, das muß ich dir verwehren! Du suchst offen mit
ihr Streit, du tragst es heimlich unter dem Gesind’ herum, daß dir die
Wirtschaft nicht taugt, die Kost zu schlecht ist und die Behandlung
nicht ansteht, das ist nicht recht; dafür, daß du kein Fleisch mehr
beißen kannst und je älter je krittlicher wirst, kann sie nicht, sie
nimmt dir keinen Zahn aus dem Maul und legt dir kein Jahr auf den
Rücken; wenn aber auf einer Wirtschaft etwas vorwärts soll, so bleibt
keine Zeit, daß man auf eines ganz extra schaut, extra kocht, extra
ihm nachfragt und extra mit ihm umgeht. Die Sepherl ist einmal Bäuerin
da am Hofe und der ist nicht schlechter bestellt wie unter der Mutter
selig, wenn dir nun durchaus die Bäuerin oder die Wirtschaft, eins oder
das andere, oder gar alle zwei nicht taugen wollen, so müßt’ ich dir
wohl, so leid mir ist, den guten Rat geben, daß du es dir wo anders
besser suchen sollst!“

Bedauern und Bekräftigung zugleich, daß er eben sonst nicht auswisse,
lag in der Art, wie er beide Schultern hob und die Arme seitwärts
warf, erst jetzt, wo er sie wieder sinken ließ und sich abwandte,
begegnete er den Blicken des Vaters, denen er während der ganzen Rede
geflissentlich ausgewichen war.

Der Alte hatte ihm, solange er sprach, in das Gesicht gestarrt, jetzt
ächzte er auf, drehte sich hastig um, tastete nach dem Stocke, der ihm
entfallen war, und stürzte über den Hof, hinaus auf die Straße.

Leopold machte eine Bewegung, um ihm zu folgen.

Sepherl hielt ihn zurück. „Laß ihn doch,“ sagte sie leise.

„Du hast ihn nicht angesehen,“ sagte er, „er hat so erbärmlich geschaut
wie ein geschossener Hirsch.“

„O mein,“ spottete sie.

Der junge Bauer griff nach einem der eisernen Herdreifen und wog ihn
spielend in der Hand. „Mir ist nur,“ sagte er gleichgültig, „daß es
kein Gered’ unter den Leuten gibt.“

„Besser einmal ein Gered’ unter den Leuten, als niemal Fried’ im Haus!
Freilich, wenn du etwa einen brauchst, der mir auf die Finger schaut,
dann eil dich, daß du ihn einholst.“

„Red nicht so dumm. Ich trau’ dir doch?“

„So laß ihn. Meinethalben soll er uns in der ganzen Gegend da herum
verklagen, er wird schon sehen, daß ihm niemand recht gibt, und so
zahm wiederkommen, wie er wild fortgerannt ist; er bleibt uns nicht
aus!“

Indessen ging der Alte die Straße dahin; oft blieb er stehen und wandte
den Kopf, bei dem Busche am Wege verhielt er sich ein wenig, dann
entschloß er sich, zu rasten. „Das war dumm,“ sagte er, „daß ich so wie
ein Wildling davongelaufen bin, das war dumm, nun muß es gewiß der arme
Leopold ausbaden, der wird hinter mir her wollen und sie wird es nicht
zulassen, aber er wird schon kommen, und mich holen, er wird schon
kommen, er erspart mir sicher, daß ich ihm soll auf den Hof gekrochen
kommen wie eine verlaufene Katz’; nachher will ich schon auch wieder
gute Worte geben. Ja, ja.“

Er blieb lange und er blieb allein, noch einmal sah er nach dem
Reindorfer Hofe aus, dessen Schornstein rauchte lustig und das Tor
blieb zu, wohl damit niemand Ungebetener zum Frühstück käme. Da griff
der alte Mann mit zitternden Händen nach seinem Stocke, half sich auf
die Beine und ging dahin, ohne sich weiter umzusehen.

Er bog nach links ein, ließ Langendorf hinter sich liegen und stieg
die Höhe hinan, wo das Wirtshaus unter den Tannen stand, dort wollte
er etwas zehren; aber ihm fiel ein, daß er kein Geld bei sich habe,
und Schulden wollte er keine machen, wer weiß denn, wann und ob er
überhaupt wieder in das Dorf zurückkäme?

So setzte er denn seinen Fuß weiter, nur manchmal unterbrach eine kurze
Rast seine Wanderung, und er langte endlich müde und erschöpft in dem
Orte an, in welchem seine Tochter Elisabeth als Bäuerin hauste.

Er trat in das Häuschen, man führte ihn nach der Stube, wo ihn sogleich
eine Schar lärmender Kinder umgab.

„Ei, Vater, was führt dich so zeitlich heut vom Haus’ und zu uns?“
fragte ihn Elisabeth.

Während man ihm etwas zur Stärkung vorsetzte, klagte der Alte, wie hart
es ihm letztzeit daheim ergangen.

„Hab’ ich’s nicht gleich zum vorhinein gesagt, es bringt dir keinen
Dank, daß du das schlechte Mensch auf den Hof genommen hast?!“

Weiter erzählte er, wie er sich mit dem heutigen Morgen ganz mit seinen
Leuten zertragen habe.

„So schön,“ sagte die Tochter, „jetzt kannst du dich gar auf deinem
Eigen wieder einbetteln.“

Furchtsam blickte der alte Mann auf und sagte leise: „Ich tät’ dich
bitten, Liesel --“

„Was willst?“

„Wenn ich nur nicht nach dem Hof zurück müßt’.“ Er faltete die
zitternden Hände. „Könnt’ ich nicht bei euch bleiben?“

„Bei uns bleiben, was fällt dir ein? Ich hab’ das Haus voll Arbeit und
voll Kinder und keine Zeit, daß ich sonst noch aufschau’ und gar eines
betreu’ und pfleg’, das nicht wie ein Kind je mehr zu Kräften kommt
und dem Haus zu Nutz, sondern je mehr von Kräften fällt und dem Haus
zur Last! Die am Reindorfer Hof sind kinderlos, die haben’s leichter.
Du hast dir die Melzer Sepherl einreden lassen und darum war es ein
Unsinn, dich mit ihr zu zertragen, geh in Gottesnamen wieder wohin du
gehörst, gib gute Wort’ und sei für ein andermal gescheiter.“

Sie erhob sich und ging zur Stube hinaus und ließ den alten Reindorfer
mit den Kindern allein, diese schlichen sich verschüchtert in eine Ecke
und hielten sich mäuschenstille, sie ahnten, daß da etwas nicht ganz
recht und richtig sei. Eine lange, endlose Zeit dünkte es ihm, während
er so mit gesenktem Kopfe dasaß und nicht zu gehen noch zu bleiben
wußte.

Da trat seine Tochter mit ihrem Manne ein, sie hatte ihn vom Felde
geholt.

„Grüß Gott,“ sagte der Bauer und schlug dem Alten auf die Achsel.
„Was hör’ ich von dir für Stückeln? Ausgerannt bist ihnen von daheim?
Glaub’s schon. Du hast es ja selber nicht besser haben wollen, wer sich
eine Rute auf den Rücken bindet, der muß auch die Schläge ertragen.
Nur denk’ nicht daran, uns Ungelegenheiten zu machen, das könnte ich
brauchen! Pack auf und mach fort und behüt dich Gott!“

Da rappelte sich der Reindorfer auf und wollte rasch zur Türe nach der
Straße hinaus.

„Oho,“ sagte der Bauer und hielt ihn zurück. „Da hinaus geht’s nicht.
Im Hof der Wagen, den hab’ ich dir einspannen lassen und der Knecht
wird dich bis zum Reindorferhof führen.“

Er geleitete den Alten zu dem Gefährte und half ihm, der sich willenlos
in alles ergab, auf das Sitzbrett.

Die Bäuerin stand abseit, als ihrem Vater so hart begegnet wurde,
vielleicht geschah ihr leid, aber was ist zu machen? Jeder ist sich
selbst der Nächste und verwahrt sich im Leben und Hausstand gegen eine
Überlast. „Man kann nicht anders,“ dachte sie, „der Vater wird immer
wunderlicher und da muß man ihm wie einem Kinde Ernst zeigen gleich
fürs erstemal.“

Als der Wagen dahinfuhr, und alle, unter dem Tore stehend, ihm
nachblickten, wandte sich der Bauer an sein Weib und sagte lachend:
„Ja, Kinder und Alte müssen parieren!“

Das sagte der Mann vor seinen eigenen Kindern -- und er wird auch
einmal alt werden!

Der alte Reindorfer aber weinte leise während des Fahrens. „Ich muß
wieder zurück -- ich muß wieder zurück!“ Ein über das andere Mal
führte er den Ärmel gegen die Augen. „Ja, wo anders auch hin? Zu der
Leni -- zu meinem Herzblättel --, wie sie heut die Bäuerin genannt und
mir damit meine Gutheit vorgeworfen hat.“ Er vergaß, daß ja um diese
niemand von den Leuten auf dem Hofe wissen konnte. „Ich weiß aber
nicht, was mit ihr ist, und sie ist mir zu nichts verpflicht’t, was
möcht’ auch ihr Mann dazu sagen? Ich mag mich nicht noch einmal von
einem Schwiegersohn ausjagen lassen! Zum Bruder Johann -- Jesus, der
ist ja gar verstorben -- ja freilich wär’ schier gleich das beste, ich
träf’ zu ihm!“

Als sie in Langendorf einfuhren, da wurde ihm angst und bange, wenn
er bedachte: Jetzt geht es zum Reindorferhof, da wirst du vor dem Tor
abgesetzt und die Sepherl steht mit einem breitmächtigen Maul nebenbei
und nimmt dich in Empfang.

„Da könnt’ ich nur gleich zum Hund in die Hütte unterkriechen, und
sollt’ je einmal einer von uns zwei es besser haben, so wär’ es sicher
der Hund!“ Sie waren gerade an dem mittern Graben angelangt, da klopfte
er dem Knechte auf die Schulter und sagte: „Halt ein wenig auf, ich muß
ein klein bissel absteigen.“

Der Wagen hielt und als der Alte sich herabgeholfen hatte, sagte er
störrisch: „Ich steig’ nimmer auf, tu’ was du willst, ich steig’ nimmer
auf, weiter fahr’ ich nimmer, nein: magst nur wieder heimkehren.“

„Dasselbe werd’ ich auch tun,“ sagte lachend der Knecht, „auf die Seel’
gebunden bist du mir ja nicht. Behüt Gott!“ Er lenkte um und fuhr davon.

Der Alte aber bog in den mitteren Graben ein und ging des Weges, bis
er zu dem Strauche gelangte, von wo aus man den Reindorferhof sehen
konnte, ohne selbst gesehen zu werden, da hielt er an und blickte nach
demselben, die Augen wurden ihm feucht.

„O du mein Hof, du mein lieber Hof,“ sagte er, „du Fleck, worauf
ich geboren bin und hingehör’, bis ich wegsterb’! Gegen all meine
Vorvordern, die auf dir gehaust haben, bis man sie hinweggetragen hat,
werd’ doch ich keine Ausnahm’ machen? Ich kehr’ zurück zu dir, ich
kehr’ zurück, so hart es mich auch ankommen mag; auf dir sein ist mein
Recht, was können sie mir auch viel anhaben?“

Er trat aus dem Busch, blieb aber plötzlich stehen und hob die Hände.

„O du armer Hof, wenn ich mir gleich mein Leben verleiden und mein
Sterben verbittern ließ’, wer weiß, verstürb’ ich noch in einer von
deinen Stuben?! Der erste Reindorfer hat dich auch nicht am Buckel mit
auf die Welt gebracht, der mußte ans Erwerben denken und der jetzige
ans Verlieren. Deine Bäuerin stiehlt ja! Sie stiehlt, das hab’ ich
wohl aus ihrem hellwütigen Zorn entnommen von wegen der Spargroschen,
sie stiehlt und entzieht es der Wirtschaft, wenn die sich neigt, wird
sie ihr fürs erste mit dem Gestohlenen aushelfen und gar vermeinen,
gestohlen wäre gewirtet, das wird so noch ein und das andere Mal sein,
bis es nichts mehr zu stehlen und nichts mehr aufzuhelfen gibt; und
ich sollt’ nebst all bitterm Gallentrank noch das gebrannte Herzleid
in mich hinabschlucken, daß ich dich so langsam versiechen säh’? Nein,
nein, lieber geh’ ich gleich betteln!“

Er mußte auf dem Hofe bemerkt worden sein, denn der Bauer und die
Bäuerin traten auf die Straße heraus und sahen nach ihm, sie winkten
nicht, sondern schienen zu erwarten, daß er herankomme, als er sich
aber nicht vom Flecke rührte, sah er die Sepherl lachend sich inmitten
des Weges stellen und Gebärden machen, als wolle sie ihn wie einen Hund
locken, was sie dazu rief, konnte er nicht vernehmen, daneben stand
sein Sohn und er wehrte ihr nicht, -- da winkte der Alte mit der Hand
nach dem Hofe, was diesem allein galt, wandte sich hastig ab und ging
eilig den Weg zurück, den er gekommen.

„Ihr Hofverderber ihr,“ murmelte er. „Meint ihr, ich müsse nun gar
schon kommen, wenn ihr: schön herein da! sagt? Ich nicht, ewig nicht.
Jetzt geh’ ich just betteln! Hofverderber!“

Er schlug die Straße nach der Kreisstadt ein. Es war ein heller,
sonnenklarer Tag, aber er merkte nichts davon, er sah vor sich auf
den Weg, und wo etwa ein Käfer kroch, da setzte er den Fuß seitwärts,
um ihn nicht zu zertreten. „Unziefer? -- Unziefer? Daß er leben will,
ist alles! Kann er dafür, daß, wo er anfrißt, nichts mehr gedeiht, was
andere fressen wollen? Geh auf die Seit’, geh auf die Seit’, sperr’
mir nicht den Weg, ich man fort, weit fort, hin wo mich niemand kennt,
sonst möcht’ mir keiner was geben und alle täten mich auf meine Kinder
verweisen ...“

Als er sie erwähnte, die seine Stütze hätten sein sollen, die kein
Wort fanden, keine Hand frei hatten, um ihn zurückzuhalten, und ihn
ziehen ließen, ihn, der nun müden Körpers und wirren Gedankens sich
seiner ganzen Hilflosigkeit bewußt wurde, da schluchzte er laut auf,
aber mit tränenden Augen hastete er auf dem Wege vorwärts, er fand es
nunmehr leicht, zu Fremden seine Hände bittend zu erheben, die können
nicht so arg an ihm tun, wie seine eigenen Kinder, und wie hätten die
wohl an ihm gehandelt, wenn er geblieben wäre? Ihn erfaßte eine Furcht
vor denselben; nur um von ihnen möglichst ferne zu gelangen, setzte
er seine letzten Kräfte ein -- er taumelte -- über ihm schattete es in
der Luft --, er prallte gegen den Stamm eines Baumes, den er mit beiden
Armen umgriff und sich daran aufrecht hielt. Lange stand er dort,
zitternd und nach Atem ringend.

„G’mach, g’mach,“ keuchte er, „nur mit Bedacht, all’s mit Bedacht.“

Dann versuchte er ein paar Schritte und langsamen, unsicheren Ganges
entfernte er sich, längs der Straße.

Und wie es ihn vor neunzehn Jahren von dem Wochenbette seines Weibes
hinweg, ohne daß er sich dessen unter Weges bewußt war, seinen
heimkehrenden Kindern entgegentrieb, so strebte er auch jetzt, wo
er diesen und dem Heim entfloh, ohne daß er es acht hatte, nach
+einer+ Richtung fort, immer, stetig nach der einen!



23.


Am Abende des zweiten Tages danach wankte ein alter, müder,
staubbedeckter Mann in den Hausflur des Grasbodenhofes zu Föhrndorf.

„Mein’,“ sagte die alte Sepherl, „da kommt noch spat ein alter, gar
Armer.“

Die junge Bäuerin griff nach der Tasche und als sie die kleine Gabe
darreichen wollte, da taumelte der Alte über die Küchentürschwelle.

„Leni,“ stammelte er.

Mit einem Aufschrei umfing ihn das junge Weib und hielt ihn in ihren
Armen aufrecht, dann ließ sie ihn auf die Küchenbank gleiten, von der
die Sepherl eilig das Schaff hinweghob.

„Jesus, mein Heiland! Vater!“ schrie Leni. „Wo kommst d’ her und wie
schaust d’ aus? Was ist denn g’schehn?“

„Lenerl,“ sagte er und streichelte ihr mit zitternden Händen die Wangen
und begann zu lachen und zu weinen untereinander. „Mein Lenerl! wie du
schön bist! -- Du, auf’m Hof war’s nimmer auszuhalten! -- Dir tut’s
gut gehn, gelt, dir tut’s gut gehn? -- Und die Lisbeth hat mich auch
ausjagen lassen. Ja, ja. -- Das freut mich, schau, das freut mich
recht! -- Und so tu’ ich halt jetzt betteln, ja betteln tu’ ich.“

Die Bäu’rin fuhr mit der Schürze nach den tränenden Augen und das
wollte ihr wohl der alte Mann wehren, er versuchte es, sich zu erheben,
sank aber kraftlos zurück.

Leni schluchzte laut.

„Aber sei nit närrisch, mir ist ja nichts,“ sagte er greinend, „nur
völlig hin bin ich. Sei gut, Lenerl, mir ist nichts.“ Er streichelte
ihre Hand.

Da kam der Grasbodenbauer mit Burgerl hinzu. „Je,“ sagte er, „Vater
Reindorfer, du bist einmal da? Das is recht. Grüß dich Gott!“

„Mein’ alt’ schneeweiß’s Manderl!?“ fragte Burgerl; ihr lachender Mund
ließ die blanken Zähne sehen und sie streckte beide Hände dar.

Der Greis nickte mit mattem Lächeln dem Kinde zu.

„Kaspar,“ sagte die Bäu’rin, mit feuchtem Blick zu ihrem Manne
aufsehend. „Fortgejagt haben sie ihn von daheim.“

Der Bauer runzelte die Stirne, biß in die Mundspitze seiner Pfeife und
paffte immer dichtere Rauchwolken von sich. „Nun, was ist da dabei?“
sagte er. „Doch nur Schand’ für die, die ihm so begegnen. Besinnst dich
doch, daß sein’zeit mein’ Red’ war, du dürfst nur sagen, dein Vater is
da, so führ’ ich ’n an der Hand in mein Haus? Daß er mir’s Hereinführen
erspart, das ändert doch nix an der Sach’.“ Er kehrte sich gegen
Reindorfer. „Bleibst halt bei uns, bist da so gut wie daheim, --
besser!“

Da fiel ihm Leni um den Hals.

„Narrisch,“ sagte er, „hab’ acht, wirst dich an der Pfeifen brennen.“

„Is eh’ schon g’schehn,“ sie wies lächelnd die kleine Brandblase am
linken Arm.

Der alte Reindorfer faltete die Hände. „So handelt ihr an mir, während
meine Kinder -- --“

„Du hast kein anderes Kind als mich,“ sagte eifrig Magdalena. „Bin ich
gleich nit als das geboren, ich bin es geworden, ich hab’ ja dein Herz
und Herz für dich, ich hab’ auch dein Denken; frag’ nur ’n Kaspar, ob
er nit gleich meine Reden aus den deinen herausgehört hat? Ich bin
froh, daß ich dich hab’, brauchst du noch andere? Denk nit daran,
bescheid dich mit mir; wird dir das so schwer? Sag doch einmal, ob dir
das so schwer wird?“

„Sag, sag! Kann ich denn?“ Er konnte wirklich nicht und er ward ganz
grämlich darüber, da er auch in den Augen Burgerls Tränen sah und das
Kind doch gar unnötigerweis’ ins Mitleid gezogen wurde.

Der Grasbodenbauer aber qualmte ganz erschrecklich, dann hustete er und
fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Der Toback wird auch täglich
nixnutzer,“ sagte er. „Nun laßt’s aber gut sein, gönnt dem alten Mon
a Ruh’, er wird’s brauchen. Komm hitzt h’nauf in d’ Stuben, Vater
Reindorfer.“

Er faßte ihn unter dem Arme, um ihm aufzuhelfen, doch der Alte sah mit
einem ängstlichen Blick zu ihm auf, zog ihn verstohlen am Ärmel und
flüsterte: „Du, ich kann wahrhaftig nit gehn.“

„Leni,“ rief der Bauer, „du möcht’st ’m Vater ein Glas frisch Wasser
holen,“ und während die Schritte der Bäuerin im Flur verhallten,
winkte er der Burgerl und der Sepherl gar ernst mit den Augen zu, dann
faßte er den Greis in seine Arme und trug ihn wie ein Kind, die Treppe
hinauf, nach der Stube, wo er ihn zu Bett brachte.

„Ein Glas Wasser, is das alles, wirst denn sonst nix wollen, Vater?“
fragte Leni, in die Stube tretend. Hinter ihr huschte Burgerl herein.

„Nix sonst, gar nix. Nur müd’ bin ich, so viel müd’.“

„Nun so behüt dich Gott, Vater.“ Die Bäu’rin küßte ihn auf die Stirne.
„Schlaf gut und sei morgen wieder fein frisch.“

„Gute Nacht, mein schneeweiß’s Manderl,“ sagte Burgerl, „du hast mir
sagen lassen, es tät’ dich freu’n, wenn ich dir gut sein möcht’, no
schau, gleich morgen fang’ ich ’s Gernhaben an. Ist’s dir recht?“

„Halt ja, Dirndl,“ seufzte der Alte, „mußt dich schleunen, es dürft’
dir nit mehr viel Zeit dazu bleiben.“

„Vater!“ rief Leni.

„Na, na, weil ich halt alt bin. Ich werd’ doch sagen dürfen, daß ich
alt bin? Gute Nacht, gute Nacht!“

Leni und Burgerl gingen.

Der Grasbodenbauer fühlte sich an der Hand, die er zur guten Nacht bot,
zurückgehalten. Er beugte sich über das Bett und flüsterte: „Willst mir
was?“

Der Alte nickte.

Da schritt der Bauer gegen die Türe. „Ich komm’ gleich,“ sagte
er hinaussprechend. Er ließ die Klinke einspringen und kehrte zu
Reindorfer zurück.

Der hob beide Hände. „Tu mir verzeih’n.“

„Ich wüßt’ doch um alle Welt nit, was ich dir zu verzeihen hätt’?!“

„Daß ich da bin.“

„No, da bist, wo man dich gern sieht.“

„O, meine lieben Leut’, meine lieben Leut’, ihr! Glaubst nit, wie ich
mich über euch freu’! Bleibt nur allzeit in Gleichem, dazu schütz euch
Gott an Leib und Leben und an Ehr’.“

„Da sag’ ich g’schwind ‚Amen‘ dazu, Vater Reindorfer.“

„Drum is mir wohl ein Trost g’west, daß ich her’troffen hab’, aber
g’scheiter, ich wär’ wegg’blieben. Mir bangt, daß ich euch da ein’
fürchterlich Ungelegenheit mach’.“

„Machst uns ja gar keine, g’schweig’ a fürchterliche.“

„Wann ich hitzt etwa da mit einmal verstirb --“

„Verhüt’s Gott! Was dir einfallt? Ich hoff’, eh’s da dazu kommt,
verlebst erst noch a gute Weil’ bei uns.“

„Ja, wie ihr gut seid gegen mich, saget ich freilich gern zun Tod, wie
d’ Bäu’rin zun Leinwandkramer: Dasselbe Restl könnt’st mir wohl noch
zukommen lassen, es wär’ schad’, daß mer da einreißt! Aber da hilft
kein Betteln. ’s ist Rest mit’m Restl. ’s Zeug is eing’rissen. Ich
g’spür’n -- ’n Riß -- da g’spür’ ich ’n.“ Er deutete nach der Brust.

„Nit bild’ dir so was ein und sinn’ ihm nach. Ich versteh’ wohl wie d’
drauf verfallst, das ausgestand’ne Herzleid, der harte Weg, deine Jahr’
... Aber mach dir keine unb’schaffenen Gedanken. Überschlaf’s! Wirst
sehn, morgen is ’s, wann gleich nit ganz gut, so doch besser wie heut.“
Er strich die Decke glatt, die der Alte herabgewühlt hatte. „Gute
Nacht, Vater Reindorfer.“

Der lag nun allein. Er hörte, wie sie außen auf den Zehenspitzen sich
wegschlichen, und er unterschied die bekannte liebe, tiefe Stimme, die
sagte: „Es wird ihm doch nix sein?“

„Der Schandfleck,“ murmelte er, „der Schandfleck? Tut er’s sein? Heb’
ich nit mit ihm die größte Ehr’ auf? -- Nein, nein, bist mein frisch
grün Ehrenpreis! -- Wenn ich denk’, du wärest gar niemal, es möcht’
mir völlig leid tun, -- sonderlich, nun weiß man gar nimmer, wie man
wünschen soll. Und wenn sie jetzt gar nit auf der Welt wär’, wer stünd’
mir bei in mein’ Elend, vielleicht bald in meiner letzten Not? Kein
mitleidig Seel’ hätt’ ich! -- Das konnt’ ich mir nit denken, wie sie ’s
erstemal als kleinwinzig Ding mir in’ Arm g’legt worden ist. Konnt’s
nit denken, wie ich s’ als g’ring Menscherl und als Dirn’ streng
g’halten hab’, daß ein Tag käm’, an dem sich’s mir heimzahlt. Und da
ist der Tag, der heutig’. -- Allwegen g’schieht nichts um nichts.“

Nach und nach verfiel er in einen unruhigen Halbschlummer, in dem er
die ganze Nacht über dahinlag. Etliche Male war ihm, als ob jemand die
Türe sacht öffnete, mit leisen Schritten sich heranschliche und über
ihn beugte. Es war auch so, sie kamen nachts, eines um das andere,
nachzusehen. Die Gestalt, die er zuletzt beim Morgengrauen deutlicher
wahrgenommen, sah er jetzt, da er den Kopf nach dem Fenster wandte,
dort sitzen; es war Burgerl.

Dann kamen der Bauer und die Bäuerin, ihm noch einmal „nachschauen“,
eh’ sie aufs Feld gingen, denn es war trabige[33] Zeit, die letzten
Feld-, Wiesen- und Gartenbestellungen des Jahres. Sie boten ihm guten
Morgen. Auf die Frage, wie er sich fühle, wiederholte er nur das Wort:
müd’, müd’. Sie empfahlen der Burgerl, ja recht auf ihn zu sehen und
gingen. Der Bauer aber entschloß sich, trotz bei der vielen Arbeit Not
an Mann war, den Heiner nach der Kreisstadt fahren zu lassen, damit er
einen Arzt mitbringe; der würde wohl in viel kürzerer Zeit, als sich
das von selbst gäbe, dem Vater wieder zu Kräften verhelfen, dieser war
ja nur müd’, -- müd’.

Außen am Himmel zogen graue Wolken dahin, dahinter blitzte für
Augenblicke die Sonne hervor. Der Kranke lag still und stumm. Das
Mädchen am Fenster strickte emsig. Stunde um Stunde verrann.

Mittags war es wieder lebendig auf dem Hofe. Kaspar und Leni kamen
herauf. Der Alte wies jede Nahrung zurück. Besorgt entfernten sich die
beiden. Aber noch heut in der Nacht, spätestens morgen in aller Früh’
wird der Doktor zur Stell’ sein.

Bald lag der Hof wieder verlassen. Von dem Gesinde blieb niemand
zurück als die alte Sepherl, die unten in der Küche auf einem Schemel
einnickte. Oben in der Stube war Burgerl bis zum Abende mit dem Kranken
allein. Manchmal klang ferne von der Straße ein einzelner Kinderschrei
herauf. Der Wind, der noch immer schwere Wolken vor sich herjagte, fuhr
zeitweilig mit einem heftigen Prall gegen die Fenster, danach hielt er
den Atem ein und das Mädchen tat es ihm nach, dann ward es beängstigend
stille und das Gemach lag wie weltverloren.

Plötzlich versuchte der Kranke sich mit beiden Ellbögen emporzustemmen.
„Dirndel“, sagte er mit Anstrengung, „geh du fort. Schick’ ein ander’s.
Ich weiß nit, wie mir wird. Meine Gedanken werden roglich[34], in
mein’ Kopf fangt’s zun bildern an. Geh -- was jetzt etwa g’schieht --
anschau’n -- taugt dir nit.“

Burgerl hatte sich jäh vom Sitz erhoben und starrte nach ihm hin. Nur
das namenlose Entsetzen, das sie erfaßte und ihr das Herz wild, bis
zum Halse hinauf, schlagen machte, erstickte den grellen Aufschrei, der
ihr schon in der Kehle saß.

Der alte Mann zeigte das Gesicht, das sie wohl kannte, das letzte.

Sie wäre davongeeilt, so schnell sie ihre Füße getragen hätten,
aber diese versagten den Dienst, und so stand sie, wie in den Boden
gewurzelt, und preßte die Ballen beider Hände gegen die Augen, um das
Gräßliche nicht sehen zu müssen.

Du kannst nicht bleiben, schrie es entsetzt in ihr auf. Du mußt, sagte
es ängstlich, es wär’ eine Sünd’, ihn zu verlassen! Dann erinnerte sie
sich, wie er vor wenig Minuten in seiner letzten Not, sie wußte es nur
zu gut, daß es die letzte war, um sie gesorgt hatte. „Steht mir Gott
bei, daß mich kein Anfall hinwirft, so will ich bleiben!“

Sie stand noch eine Weile. Die stürmischen Herz- und Pulsschläge
hatten sich mit einmal gesänftigt. Sie biß die Zähne zusammen und ließ
entschlossen beide Arme sinken.

Da lag der Sterbende, seine Züge waren nicht entstellt, nur dichte
Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und sein Atem ging schwer.

Bleich, aber mit keiner Wimper zuckend, trat sie ganz nahe an das
Sterbelager heran.

„Willst was, Ehnl?“

Keine Antwort.

Sie trocknete ihm mit ihrer Schürze die Stirne. „Ehnl, soll ich dir
was?“

Vergebens, er hörte sie wohl nicht. Aber in seinem Gesichte zeigte sich
eine Unruhe, in der Art, wie er manchmal, wie suchend, den Kopf drehte,
lag eine hilflose Ungeduld; es sah aus, als horche er nach etwas und
nur nach dem. So hatte Burgerl einmal eine blinde Bettlerin inmitten
des Straßenlärmes nach ihrem Kinde horchen und sich zu ihm hinfinden
sehen.

Sie beugte sich rasch hinab zu seinem Ohre und sagte laut: „Ich hol’
die Mutter, -- die Leni!“

Da wich die ängstliche Spannung in dem Gesichte des Sterbenden.

Burgerl eilte fort. Sie ließ die Türe hinter sich offen stehen, unten
vom Flur rief sie in die Küche hinein: „G’schwind, Sepherl, hinauf in
die Stuben! Der Ehnl liegt in Zügen. Er kann nit versterben, er wartet
auf die Mutter!“

Dann rannte sie über den Hof, hinaus in das freie Feld, sie brauchte
nicht lange zu rufen, sie brauchte auch keinen Bescheid zu sagen, ihr
Schrei klang so erregt, ihr Aussehen war so verstört, daß Kaspar und
Leni eilig herzugestürzt kamen und, ohne Frage, des Leidesten gewiß
waren.

Burgerl lief hinter den Voraneilenden her, eh’ sie ihnen aber die
Treppe hinanfolgte, nahm sie aus der Küche die Essigflasche mit. „Es
könnt’ sein, daß der Mutter schwach würd’.“

Oben war Leni vor dem Bette in die Kniee gesunken und hatte nach der
Hand des Schweratmenden gefaßt, diese suchte unsicher herum, erst als
das weinende Weib sie sich selbst auf den Scheitel gelegt hatte, ruhte
sie, wie an ihrem Ziele.

Plötzlich sagte der Sterbende mit knabenhaft heller Stimme: „Leg’ mich
geg’n d’ Wand.“

Leni erhob sich, sie drückte einen Kuß auf seine Stirne, dann schlang
sie sorglich beide Arme um ihn und tat, wie er geheißen.

Es war ein einziger Blick, den Burgerl, vom Fußende des Bettes, ihrem
Vater zuwarf, der diesen veranlaßte, hinzuzuspringen. Er fing das
zusammenbrechende Weib in seinen Armen auf.

Er setzte die Bewußtlose auf einen Stuhl. Burgerl drängte ihn weg.
„Laß mich, Vater.“ Sie begann Lenis Stirne und Schläfen mit Essig zu
waschen. „Sie wär’ die Nächste dazu,“ sagte sie unterdem, „ihm die
Augen zuzudrücken, man darf aber damit nit warten, heißt es, so will
ich es an ihrer Stell’ tun. Willst so gut sein, Vater, und ’n armen
Ehnl wieder herüberlegen.“

Der Bauer legte den Toten zurecht. „Er hat die Augen ohnehin fest zu.
Er liegt, wie schlafend.“

Als Kaspar vom Bette zurücktrat, ging Sepherl hinzu und faltete die
Hände des Erkalteten.

Leni kam wieder zu sich, sie hielt Burgerl, die ihr mit Tränen in
den Augen um den Hals gefallen war, vor sich auf dem Schoße und so,
enge aneinander geschmiegt, schluchzten beide, bis Kaspar bekümmert
herzutrat und das Weib über das Köpfchen seines Kindes hinweg ihm die
behende Hand reichte. Burgerl hauchte in die Schürze und trocknete der
Mutter die Augen, dann wies sie nach dem Bette. „Er schlaft, der Ehnl,
schau, wie er schlaft.“

Sie führte Leni, die sich wie ein Kind leiten ließ, einige Schritte
gegen das Sterbelager, da knieten beide nieder und sprachen halblaut
ein Gebet, und als das Amen verhallt war, erhob sich Burgerl und sagte:
„Vater, jetzt führ’ d’ Mutter hinweg.“

„Ich kann nit fort,“ widersprach diese.

„Du kannst ihn ja noch sehen, später,“ tröstete Burgerl und half ihr
vom Boden auf.

Die Bäuerin stand unschlüssig. „Wer wird bei ihm wachen?“ fragte sie
leise.

„Ich und die Sepherl,“ gab Burgerl entschieden zur Antwort.

„Komm, komm, mein arm’s Weib,“ drängte Kaspar, „laß uns gehen.“ Und
sie folgte ihm aus der Stube. An der Schwelle blickte sie noch einmal
feuchten Auges zurück und als Burgerl die Türe schloß, da sank sie an
die Brust des Mannes und stöhnte: „O, Kaspar! Wie weh das tut! Wenn ich
ihn nur einen einzigen Tag länger behalten hätt’! -- Grad jetzt, wo
er’s hätt’ guthaben können!“

Und da fand Kaspar das erlösende Wort, das den wilden Krampf brechen
und dem Schmerze seine Heiligkeit wahren sollte. Er holte es aus dem
eigenen Herzen herauf. „Schau, Leni,“ sagte er weich, „wieviel härter
wär’s, wenn der alte Mann nit g’wußt hätt’, wie wir’s mit ihm meinen,
so hat sich’s noch rechtzeit’ g’schickt, daß er davon erfahrt, das war
sein letzt’s Erlebt’s, sein letztes Freuen und in dem is er hinüber.“
-- -- --

Nachdem Burgerl die Türe des Sterbezimmers geschlossen, suchte sie aus
einer Lade ein Gebetbuch hervor und blätterte darin nach den Gebeten
für die Verstorbenen.

„Aber Burgerl, du wirst doch nit wirklich da beim Toten bleiben
wollen?“ fragte erstaunt die alte Sepherl.

„Ich werd’ bleiben.“

Burgerl setzte sich zu Häupten und Sepherl an das Fußende des Bettes
und beide begannen gemeinsam zu beten. Das Mädchen las die Gebete mit
halblauter Stimme, die alte Magd murmelte sie Wort für Wort aus dem
Gedächtnisse. Die beiden Stimmen, die helle gedämpft und die tiefe
klanglos, erfüllten den kleinen Raum mit einem schwirrenden Gesumme,
das bei Stellen dringender Anrufung und kräftiger Bitte sich etwa um
einen Ton erhöhte, aber immer gleichförmig und einschläfernd fortwährte.

Burgerl ermüdete zuerst und ließ die Hand mit dem Buche in den Schoß
sinken, bald aber machte die vollkommene Stille, die eingetreten war,
sie aufblicken und sie sah Sepherl, die eine Weile eifrig allein weiter
gebetet hatte, schlummernd sitzen. Sie weckte sie nicht.

Sie war mit dem Toten allein.

Er lag wie in tiefem Schlafe.

Sie rührte leise mit einem Finger an seine Hände, die waren kalt und
starr.

Gestern noch weh und freudig bewegt, müde gehetzt vom Herzleid, der
Freude gegenüber wie ein verschüchtertes Kind, das, vom Weihnachtsbaum
geblendet, sich nicht zuzulangen traut, heut über Leid und Freud’
hinweg!

Alle Böswilligkeit der Welt würde umsonst an dem Bettschragen rütteln,
auf dem er da liegt, die rauhen Hände über der eingesunkenen Brust
gefaltet.

Ihm kann nichts an!

Burgerl faßte alles Zutrauen zu dem stillen Manne. Vermöchte er den
Mund aufzutun, er hätte keine Schrecken auszusagen, so ruhig sah das
bleiche Angesicht, so friedlich.

       *       *       *       *       *

Mit dem Köpfchen auf den über der Stuhllehne gekreuzten Armen ruhend,
saß das junge Mädchen lange in dem Anblicke des Toten versunken.

Sie wandte sich erst ab, als Tritte, die auf der Treppe hörbar wurden,
Sepherl aus dem Schlafe schreckten. Etliche vom Gesinde, das von der
Arbeit heimgekehrt war, kamen herauf, um die Totenwache mitzuhalten.
Sie begannen zu beten und mehrstimmig Lieder zu singen. Die meisten
der Sänge waren den religiösen Anschauungen angepaßt, doch kam auch
manchmal ein Lied an die Reihe, das von der Ergebung in Gottes
Ratschluß und der Verheißung des ewigen Lebens absah und in ungefügen
Worten, aber desto ergreifender, die Hinfälligkeit des Menschen und die
Vergänglichkeit alles Irdischen beklagte. Es waren das auch Trostlieder
in ihrer Art, denn der Ausblick auf das unabwendbare, allgemeine
Verderben stumpft den Schmerz über den einzelnen Fall. Wechselnd
klangen die schwermütigen Weisen in die stille Nacht hinaus.

Früh, im Morgengrauen, rasselte ein Wagen in den Hof. Heiner war
zurückgekehrt. Als der Doktor, geleitet von dem ernstblickenden Bauer
und der weinenden Bäuerin, in die Stube trat, schlüpfte Burgerl hinaus.

Es trieb sie ins Freie.

Als sie die Treppe hinunterstieg, trat sie kräftig auf und schwenkte
die Arme; da ihr gestern, wo sie der erste Schreck fast sinnlos machte,
weder Hand noch Fuß versagte, achtete sie sich des Siechtums ledig und
frommen Glaubens sah sie darin die Vergeltung für ihr treues Ausharren
bei dem Sterbenden und dem stillen Toten.

Leicht erschauernd in dem kühlen Winde, der mit vergilbten Blättern
sein Spiel trieb, trat sie hinaus in den frischen Herbstmorgen, heil
und kein Kind mehr!



24.


Es war noch kein Jahr vergangen, da kam eines Tages die Sonne herauf
und wie sie sich in den Fenstern des Grasbodenhofes spiegelte, da gaben
die Scheiben der Bäu’rinstube ihr Bild in scharfen Umrissen wieder,
denn sie waren dicht verhangen.

Im ganzen Gehöft ist alles still und ruhig, nur die beiden Pferde vor
dem Wägelchen, auf dessen Kutschbocke Heiner sitzt, schnauben und
prusten, stampfen und scharren laut; der Knecht verweist ihnen ihr
ungeduldig Wesen durch mahnende Zurufe, neigt aber selbst unbillig oft
den Kopf, um zwischen Stämmen und Geäst der Bäume hindurch nach dem
Hause zu lugen. Im Flur läuft das Gesinde ab und zu, wie Ameisen in dem
Schlupfloche ihres Baues, oft löst sich eines von der Gruppe los und
strebt eilig durch den Garten und über den Hof, dann kommt vom Ende
der Wirtschaftsgebäude ein zweites herzugeschossen, beide treffen sich
inmitten der Strecke und stehen einen Augenblick stille, danach nimmt
jedes seinen Weg wieder auf und hastet entweder zurück, oder an dem
anderen vorüber; so oft so eins nah’ dem Wagen zögert, sichtlich mit
einer Ansprach’ auf der Zunge, wendet sich Heiner ab, wie jemand, der
weder Lust hat zu hören, noch Red’ zu stehen.

Manch Scherzwort wird den Mägden von den Knechten zugeflüstert, manch
Lächeln zwischen zwei Dirnen gewechselt, aber bald ziehen alle wieder
ein ernsthaft Gesicht, wie sich’s geziemt und schicklich ist, denn die
Bäuerin hat ihre schwere Stund’.

Jetzt machte der Heiner einen langen Hals, denn er sah den Bauer durch
den Garten herzurennen.

„Heiner, fahr zu!“ schrie der. „Grüß ’n weiten Haldhofbauer und sag
ihm, ’s wär’ alles glücklich verlaufen und ein’ Bub’n hätten wir!
Ein’ Kerl wie ein Bär, sag’ ich dir, grad kriegt er sein erstes Bad
und plärrt dabei, was er aus dem Hals bringt.“ Er klatschte einem der
Pferde auf den Rücken. „Hott mein Schimmel! Hott mein Braun!“

Es war das der Eingang eines Liedes, unter dem man Kinder auf den
Knieen reiten läßt.

Die Zügel schlaff in Händen, saß der Heiner, als hätte der Bauer in
einer fremden Sprache zu ihm geredet, denn eben lief eine Dirne durch
den Garten, die des Nachsehens wohl wert war, das schwarze, gekrauste
Haar fiel ihr in natürlichen Locken bis zum Nacken, die Wangen des
zarten, weißen Gesichtchens waren blühend gerötet und die runden Arme
und kleinen Füße bewegten sich so zierlich als behend’; im Vorübereilen
warf sie einen freundlichen Blick nach Heiner, wandte sich aber sofort
in neckisch hochmütiger Weise ab, als wär’ er ihr fremd und sollte
ihr’s bleiben. Es war Burgerl, nahezu einen Kopf größer und bildsauber
geworden.

Der Bauer hatte begreiflicherweise seine Gedanken anderswo und keinen
Merk dafür, wohin sich etwa die eines anderen verloren. Mit einem Griff
packte er den vor ihm Sitzenden an dem Schenkel.

Heiner schrie lachend auf.

„Was wart’st denn? Fahr zu!“ sagte der Bauer.

Der Wagen rollte fort.

Durch das Dorf jagte Heiner die Pferde, auf dem stillen Waldwege ließ
er sie im Schritt gehen.

Ei, wie schön war die Burgerl geworden! Als Kind hat sie etwas auf ihn
gehalten, weil er sein’ Sach’ versteht und sonst nicht unbelehrt ist,
aber jetzt? Unfreundlich tät’ sie just nit sein. Nun wär’ der kleine
Bauer da, der kriegt einmal den Hof und sie ist nimmer ’s überreichen
Bauers einzig’ Kind und Erbin und er auch nit von schlechten Eltern,
der zweite Sohn, und ein Bauerngütel ließ sich immer noch beschaffen,
wo man darauf leben könnt’ wie die zwei Schwiegerleut’, das sind doch
die rarsten! Und warten, das will er, er ist ja noch jung, soll’s
sieben Jahr’ sein, wie im Alten Testament so ein Warten beschrieben
ist, pah, auf +die+ siebenmal sieben Jahr -- --

Er begann zu rechnen, aber das Resultat machte ihn etwas stutzig, denn
auf die Lebensdauer und patriarchalische Manneskraft, wovon allerdings
auch im Alten Testamente geschrieben stand, wagte er doch nicht zu
hoffen.

Burgerl war nach dem Friedhofe gelaufen, sie stieß das Gittertor auf
und eilte über den Kies einem Grabe zu, auf dessen eisernem Kreuze der
Name „Joseph Reindorfer“ stand; auf dem Hügel darunter wuchsen Blumen,
so dicht, daß sie sich kaum im Winde schüttelten.

Sie kniete nieder. „Schau, da wuchert doch Unkraut.“ Während sie dieses
ausraufte und von den Blumenstengeln welke Blätter entfernte, plauderte
sie:

„Ich komm’ nur, sagen, daß wir einen kleinen Bauer auf’n Hof ’kriegt
haben! Ein schön’s Büberl, sagen die Leut’, ich versteh’ mich nit so
drauf, da muß er vorerst größer werden, bis er mir gefallen kann, aber
lieb hab’ ich ihn schon, weil er so sinnlich schaut, als möcht’ er
sich einem anbetteln, da er sich selber doch auch gar nit zu helfen
weiß. Und Joseph wird er heißen wie du und brav soll er werd’n. Die
Leni-Mutter ist wohl ein bissel schwach, aber brauchst nit zu sorgen,
es geht ihr gut; das mußt’ ich dir sagen kommen, hab’ ich mir gedacht,
sonst wüßt’ ich nix Neues.“ Sie drückte beide Hände mit ausgespreiteten
Fingern gegen die Erde. „Daß ich gesund bin, das weißt du ja? So b’hüt
dich Gott, Ehnl.“

Sie erhob sich. An einem Grabe, nahe der Kirchhofpforte, blieb sie
stehen und murmelte ein Vaterunser, dann eilte sie heim.

Als sie wieder in die Wochenstube trat, sagte Kaspar: „Wo warst denn?
Heut mußt nit h’rumlaufen, mußt zur Hand bleiben.“

„Ich bin nur schnell nach’m Friedhof,“ sagte sie, „’m Ehnl es
berichten.“

Die Bäuerin lächelte wehmütig.

„Ja so.“ Der Bauer nickte einverständlich, dann aber wiegte er
nachdenklich den Kopf: Sonderbar, es widersinnt mir nit, daß mer ihm
Posten zutragt, und er liegt dort drüben, wie aus der Welt, gleich, er
dürft’ weder gelebt haben, noch gestorben sein.

Unklar, aber desto mächtiger -- wie alles, was nicht in Worten
auszusagen ist, den Mann aus dem Volke erfaßt, -- durchschauerte ihn
der Gedanke an einen Zusammenhang alles Lebendigen und Toten.

Er stand hochaufgerichtet, so daß das gar kleine Weiblein, das das Kind
mittlerweile „gewickelt“ hatte, ihm dasselbe ordentlich hinausreichen
mußte.

Er trug es ans Bett.

„Da is er, da hab’n wir’n. Nun zählt einer mehr auf der Welt.“

„Und g’weisten Wegs is er auf dieselbe gekommen,“ lächelte Leni.
„Kein’m z’ Leid, all’n z’ Freud’.“

Daß er auch so sein Leben führen möchte, das wünschte die junge Mutter,
doch dazu müßte einer schier ein Heiliger werden und einen solchen
getraute sie sich wohl nicht zu ziehen, aber wenn sie einen guten
Menschen aus ihm macht, aus dem kleinen Joseph, den sie da zum ersten
in ihren Armen hält, einen so guten etwa, wie +der+ Joseph war, den sie
zum letzten in ihren Armen gehalten, dann wird sie doch mit der Welt
auf gleich gekommen sein, als Mutter das Unrecht ihrer eigenen gesühnt
haben und -- gelt ’s ja -- dann hat er sich wohl selber ausgetilgt, der
Schandfleck?!


Auf Kriegspapier gedruckt.



Anzengruber

in Reclams Universal-Bibliothek


Romane

  +Der Sternsteinhof.+ Dorfgeschichte. Nr. 6076-79.

  +Der Schandfleck.+ Eine Dorfgeschichte. Nr. 6086-89.


Dramen

  +Der Pfarrer von Kirchfeld.+ Nr. 48.

  +Der Meineidbauer.+ Nr. 133.

  +Die Kreuzelschreiber.+ Nr. 160.

  +Der G’wissenswurm.+ Nr. 215.

  +Hand und Herz.+ Nr. 272.

  +Doppelselbstmord.+ Nr. 336.

  +Der ledige Hof.+ Nr. 408.

  +Das vierte Gebot.+ Nr. 418.

  +Die Trutzige.+ Nr. 421.

  +Heimg’funden.+ Nr. 433.

  +Der Fleck auf der Ehr’.+ Nr. 470.


Kleine Erzählungen

  +Der Einsam.+ Nr. 480.

  +Die Märchen des Steinklopferhanns.+ Nr. 504.

  +Dorfgänge.+ Nr. 509.

  +Die Herzfalte und andere Bauerngeschichten.+ Nr. 515.

  +Wissen macht Herzweh.+ Nr. 547.

  +Für d’ Katz’.+ Heitere Geschichten. Nr. 608.


Näheres über Einbände und Preise enthält der neueste Katalog von
Reclams Univ.-Bibliothek



Ludwig Anzengruber.

Gesammelte Werke

Herausgegeben von +Carl W. Neumann+.

4 Bände mit zahlreichen Bilderbeilagen und einem noch
unveröffentlichten Brief in Faksimile. In dauerhaften geschmackvollen
Pappbänden oder Halbleinenbänden

Inhalt:

  +Band I+: Biographie-Selbstbiographisches-Bibliographisches. -- Der
  Sternsteinhof. -- Der Schandfleck.

  +Band II+: Einleitung. Dorfgänge, erster Teil. -- Dorfgänge, zweiter
  Teil.

  +Band III+: Großstädtisches und Gefabeltes. -- Kalendergeschichten.
  -- Dramatische Werke (Der Pfarrer von Kirchfeld, Der Meineidbauer,
  Die Kreuzelschreiber, Der G’wissenswurm).

  +Band IV+: Dramat. Werke (Hand und Herz, Doppelselbstmord, Der ledige
  Hof, Das vierte Gebot, Die Trutzige, Alte Wiener, Heimg’funden, Der
  Fleck auf der Ehr’).

Diese Angabe fußt auf dem Plan, den der Dichter selbst ein paar Wochen
vor seinem Tode für seine „Gesammelten Werke“ aufgestellt hat, bringt
einen sorgfältig durchgesehenen Text und läßt den Werken des Dichters
eine ausführliche biographische Einleitung vom Herausgeber, sämtliche
selbstbiographische Aufzeichnungen Anzengrubers und eine bis auf die
Gegenwart fortgeführte vollständige Bibliographie folgen. Vielfache
kritische Anmerkungen und Zusätze begleiten die Texte. Damit ist eine
Ausgabe geschaffen, die im besten Sinne volkstümlich genannt werden
darf und die geeignet ist, weitesten Kreisen des deutschen Volkes
die Kenntnis eines großen deutschen Dichters, des Klassikers des
Volksstücks und unübertrefflichen Menschenkenners und Menschenbildners
zu vermitteln.



Allerlei Dorfgeschichten

aus Reclams Universal-Bibliothek


  +Berthold Auerbach+, +Barfüßele+. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte.
  Nr. 5491-93.

  -- +Diethelm von Buchenberg.+ Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Nr.
  5508-10.

  -- +Joseph im Schnee.+ Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Nr. 5528/29.

  -- +Die Frau Professorin.+ Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Nr.
  5646/47.

  „Ein Lieblingsbuch der Deutschen“ nannte Gustav Freytag Auerbachs
  gemütvolle Schwarzwälder Dorfgeschichten.

  +Annette Freiin von Droste-Hülshoff+, +Die Judenbuche+. Erzählung aus
  Westfalen. Nr. 1858.

  +Hans Fraungruber+, +Ausseer G’schichten+. Erzählungen und Schwänke.
  Nr. 4850. 4887. 5386.

  „Ein geist- und gemütvoller Erzähler, der in ergreifend schlichter
  Sprache packende Erzählungen aus dem österreichischen Edelgau zu
  formen weiß.“

                                         (Münchner Neueste Nachrichten.)

  +J. Gotthelf+, +Ausgewählte Erzählungen und Bilder+ aus dem
  Volksleben der Schweiz. Nr. 2423.

  -- +Uli der Knecht.+ Nr. 2333-35 ~a~, ~b~.

  -- +Uli der Pächter.+ Nr. 2672-75.

  +R. Greinz+, +Die Steingruberischen. -- Der Kooperator+.
  Zwei Tiroler Bauerngeschichten. Nr. 3186.

  -- +Lustige Tiroler Geschichten.+ Nr. 5100.

  +K. Immermann+, +Der Oberhof+. Westfälische Dorfgeschichte.
  Nr. 4806-8 a.

  Eine der klassischsten Dorfgeschichten unserer Literatur.



Allerlei Dorfgeschichten

aus Reclams Universal-Bibliothek


  +Otto Ludwig+, +Die Heiterethei und ihr Widerspiel+. Thüringische
  Dorfgeschichte. Nr. 3528 bis 3530 ~a~.

  +Melchior Meyr+, +Geschichten aus dem Ries+. Einzeln: Ende gut,
  alles gut. Nr. 4390. -- Die Lehrersbraut. Nr. 4341/42. -- Ludwig
  und Annemarie. Nr. 4299. -- Regine. Nr. 4867/68. -- Der Sieg des
  Schwachen. Nr. 4477.

  Meyrs Erzählungen aus dem Ries gehören zu den besten deutschen
  Dorfgeschichten und sind auch für die reifere Jugend sehr zu
  empfehlen.

  +Božena Němcová+, +Großmutter+. Erzählung. Nr. 2057-59.

  +Peter Rosegger+, +Geschichten und Gestalten aus den Alpen+. Nr. 4000.

  Alles was Rosegger geschaffen hat, wirkt wohltuend und sympathisch.
  Die liebenswürdige Menschlichkeit, die Wärme und heitere
  Beschaulichkeit seiner Erzählweise gewinnt ihm alle Herzen und hat
  ihm die Bedeutung eines der volkstümlichsten Dichter unserer Zeit
  errungen.

  +H. Schmid+, +Almenrausch und Edelweiß+. Erzählung. Nr. 5252/53.

  +M. Schmidt+, +’s Almstummerl+. Erzählung aus dem bayrischen
  Hochland. Nr. 1851.

  +K. Světlá+, +Der Kuß+. Eine böhmische Dorfgeschichte. Nr. 3097.

  +Karl Wolf+, +Zwei Marterln und andere Tiroler Geschichten+. Nr. 4111.

  Eine Auswahl vorzüglicher charakteristischer Erzählungen aus
  dem Tiroler Land. Interessante Motive, Schärfe der Beobachtung,
  lebensvolle, farbige Darstellung, und nicht zuletzt Humor zeichnen
  die Erzählungen dieses echten Volksschriftstellers aus.


Fußnoten:

[1] Das in der Redeweise der Bauern sehr gebräuchliche Wort „mag“ hat
man nicht not, wie es oft geschieht, durch „kann“ zu erklären, ihm
entspricht vielmehr ganz genau unser aus der gleichen Wurzel stammendes
hochdeutsches „vermag“

[2] kleber = unscheinbar, gering

[3] Gundel, Abkürzung für Kunigunde

[4] Versehen, nämlich den Kranken mit den Sterbesakramenten versehen,
beziehungsweise die letzte Ölung an ihm verrichten

[5] Anrainer = Grundnachbar, von „Rain“ = Grenzscheide, Rand

[6] Alois = Aloisia

[7] Haferl und Häfen, beides für: Hafen, Topf. Obige Redensart besagt:
Der Töpfer macht es auch nicht mit dem Maul, sondern er braucht außer
dem Lehm noch die Drehbank, und ist sprichwörtlich bei Angelegenheiten,
die nicht so rasch durchzusetzen sind, als es etwa den Anschein hat

[8] Pummerl = Pommer, Spitz, kleiner Hund

[9] Die Blüh’ = die Blüten

[10] „Dem Teufel aus der Butte (Bütte) gesprungen,“ sprichwörtlich für
ausgelassen, ein Unband sein

[11] „Mit jemandem auf gleich stehen“, das ist in gleichen
Verhältnissen leben; ferner kommt auch vor: „Mit jemandem auf gleich
sein“, das ist ausgeglichen mit ihm

[12] Nachmittagkaffee

[13] Es ist eine gang und gäbe Redensart: „Sich setzen, damit man den
Schlaf nicht austrage“. Vielleicht liegt derselben irgendein Aberglaube
zugrunde, oder der Besucher will damit nur zu verstehen geben, er käme
zu ruhigem Gespräche und brächte daher nichts ins Haus, das den Schlaf
rauben könnte

[14] Der Gesund = der gesunde Zustand, die Gesundheit

[15] Zügeln = von Zucht, ziehen

[16] stürzen gehn, schulstürzen = hinter die Schule gehen

[17] Ein Kirtag = Kirchweihgeschenk

[18] sein wir red’ worden = sind wir redend geworden

[19] Lose = horche

[20] Ein Heppel = große Kröte, gewöhnlich die sogenannte Feuerkröte

[21] Lampeln = Lämmer

[22] Einem zusteigest, d. i. mit ihm anbinden -- Reschen = Keckheit,
Schroffheit

[23] Reuter = großes Sieb

[24] Schnackerl = Schlucken

[25] Geraten, für entraten = entbehren

[26] Unter Bauern und auch in Bürgerkreisen wird oft ein
Familienangehöriger vom ganzen Hause, einschließlich des Gesindes, nach
der Stellung, die er den Kindern gegenüber einnimmt, als Ehnl, Onkel
usw. angesprochen

[27] „kein klein’ bissel“, also ein großes, scherzhafte Umschreibung
für viel

[28] „umi“, vielleicht von „umhie“ = hinüber

[29] „Lei, lei“ = Schnell, schnell, rührt euch

[30] „lauleln“ = lau sein, vielleicht auch „launeln“, der Laune
nachgeben

[31] Schnur, d. i. Schwiegertochter

[32] Über die Hand, d. i. nachlässig

[33] „trabige“, d. i. treibende, drängende Zeit

[34] „roglich“ = schwankend, bezeichnet immer den Zustand gestörten
Gleichgewichtes, welcher die Bewegung, die zu Sturz oder Zerfall führt,
vorbereitet, die Lockerung



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