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Title: Die Frauenfrage - ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite
Author: Braun, Lily, 1865-1916
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Frauenfrage - ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite" ***


Die Frauenfrage

ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite


Von Lily Braun


Leipzig

Verlag von S. Hirzel

1901



Meinem Mann und meinem Sohn.



Vorwort.


Auf Grund vieljähriger Arbeit habe ich den Versuch unternommen, die
Frauenfrage in ihrem ganzen Umfang einer Darstellung zu unterziehen.
Meinen Ausgangspunkt bezeichnet das für ihr Verständnis entscheidende
Moment der wirtschaftlichen Lage der Frau. Von welcher Seite man auch
das weitverzweigte Problem betrachte, die realen Existenzbedingungen des
weiblichen Geschlechts innerhalb der Gesellschaft bilden für die
Vergangenheit wie für die Gegenwart den orientierenden Ariadnefaden,
ohne den das Urteil fehl gehen muss. Nur indem man die ökonomischen
Thatsachen nach der ihnen zukommenden Bedeutung wertet, erschließt sich
der Zusammenhang der Frauenfrage mit der sozialen Frage, deren
integrierender Bestandteil sie ist.

Mein Buch giebt zunächst eine gedrängte Geschichte der Entwicklung der
Frauenfrage und der Frauenbewegung von den ältesten Zeiten bis zum 19.
Jahrhundert. In eingehender Darstellung behandelt es sodann die
wirtschaftliche Seite der Frauenfrage, schildert die ökonomische Lage
der Frau in den wichtigsten Kulturländern, bespricht die
sozialpolitische Gesetzgebung, kritisiert sie, stellt die Grenzen ihres
Einflusses fest und wirft einen Ausblick auf die Bedingungen, unter
denen eine organische Lösung der Frauenfrage möglich ist.

Dem vorliegenden Band, der ein in sich abgeschlossenes Ganzes
bildet, wird ein zweiter folgen, der die zivilrechtliche und
öffentlichrechtliche Stellung der Frau, die psychologische und ethische
Seite der Frauenfrage zum Gegenstand hat.

Wie weit mir die Aufgabe gelungen ist, steht dahin, und wird sachkundige
Kritik entscheiden. Eines aber darf ich geltend machen: daß die
Darstellung auf einem umfassenden Studium der Litteratur, insbesondere
auch, soweit es sich um die Ermittelung der thatsächlichen Zustände
handelt, auf der Benutzung der amtlichen Statistiken, staatlichen wie
privaten Enqueten, kurz so weit als möglich auf quellenmäßigen
Untersuchungen beruht.

_Berlin_, Oktober 1901.

Lily Braun.



Inhalt.

Vorwort


ERSTER ABSCHNITT.

Die Entwicklung der Frauenfrage bis zum XIX. Jahrhundert.


_Erstes Kapitel_: Die Frauenfrage im Altertum

Die Periode des Mutterrechts.--Die Blutgemeinschaftsfamilie und die
Schwägerschaftsverbände.--Die Entwicklung zur Monogamie.--Die
Gesetzgebung in Bezug auf die Frauen.--Platos und Aristoteles' Stellung
zur Frauenfrage.--Die Frauenfrage im römischen Reich.--Die Stellung der
Frauen bei den Germanen.


_Zweites Kapitel_: Das Christentum und die Frauen

Christus und die Frauen.--Das kanonische Recht.--Die römisch-katholische
Kirche in Bezug auf die Frauenfrage.--Die Nonnenklöster und ihre
Bildung.--Die Folgen der Reformation für das weibliche Geschlecht.


_Drittes Kapitel_: Die wirtschaftliche Lage der Frauen

Die hörigen Frauen in Burgen und Klöstern.--Die Prostitution im
Mittelalter.--Das zünftige Handwerk und seine Stellung zur
Frauenarbeit.--Weibliche Genossenschaften und Beginenkonvente.--Der
Ausschluß der Frauen aus den Zünften.--Die Anfänge der industriellen
Entwicklung.


_Viertes Kapitel_: Die Stellung der Frauen im Geistesleben

Frauenbildung in der italienischen Renaissance.--Die berühmten Frauen
Spaniens.--Christine de Pisan und die Bildung der Frauen
Frankreichs.--Der erste deutsche Vorkämpfer der Frauenbewegung.--Die
gelehrten Frauen und ihre Neigung zur Mystik.--Die Erziehungspläne Mary
Astells.--Die "gelehrten Frauenzimmer" des 18. Jahrhunderts.--Die
französische Salondame.--Rousseaus Einfluß auf die Frauen.


_Fünftes Kapitel_: Die Frauen im Zeitalter der Revolution

Die französischen Frauen in Philosophie und Politik.--Die
Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation in Amerika.--Talleyrand und das
Recht der Frauen auf Bildung.--Die französischen Arbeiterinnen und ihre
Forderungen.--Die Frauenvereine während der Revolution.--Olympe de
Gouges.--Auflösung der Frauenvereine durch den Konvent.--Condorcets
Verteidigung der Frauenrechte.--Mary Wollstonecraft.--Hippels
"bürgerliche Verbesserung der Weiber".


ZWEITER ABSCHNITT.

Die wirtschaftliche Seite der Frauenfrage.


_Erstes Kapitel_: Der Kampf um Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt

Anfänge einer Erziehungsreform unter dem Gesichtspunkt beruflicher
Arbeit: Fénelons Reform der Mädchenerziehung.--Basedow und Karoline
Rudolphi über die Erziehung der Töchter.--Die Erziehungsreform in
England und Amerika.--Der Einfluß der Klassiker auf deutsche
Frauenbildung.--Das Eindringen der Frauen in bürgerliche Berufssphären:
in Amerika,--in England,--in Frankreich,--in Deutschland.--Die Anfänge
der deutschen Frauenbewegung.--Die Bestrebungen für Frauenbildung und
Frauenarbeit in neuester Zeit: in den Vereinigten Staaten,--in
England,--in Frankreich,--in Rußland,--in Schweden,--in Dänemark,--in
Holland und Belgien,--in der Schweiz,--in Italien,--in Spanien und
Portugal,--in Oesterreich,--in Deutschland.


_Zweites Kapitel_: Die treibenden Kräfte der bürgerlichen Frauenbewegung

Das numerische Uebergewicht des weiblichen Geschlechts über das
männliche.--Das Verhältnis der Knaben- und Mädchengeburten in
bürgerlichen und proletarischen Familien.--Die Verheiratbarkeit nach
den Altersstufen.--Statistik der verheirateten und der ledigen
Frauen--Der Knabenüberschuß bei der Geburt.--Die größere
Sterblichkeit der Männer.--Der Rückgang der Heiratsziffern und seine
Ursachen.--Statistik der erwerbsthätigen Frauen.--Statistik der
Frauenarbeit in bürgerlichen Berufen.--Die verheirateten Frauen in
bürgerlichen Berufen.--Die wirtschaftliche Lage der Lehrerinnen.--Die
Löhne der Handelsangestellten.--Die Bühnenkünstlerinnen und die
weiblichen Journalisten.


_Drittes Kapitel_: Die bürgerliche Berufsthätigkeit von prinzipiellen
Gesichtspunkten

Der Unterschied der Geschlechter in Bezug auf die Körperkräfte.--Das
weibliche Gehirn.--Der Einfluß der Geschlechtsfunktionen auf die
Berufsthätigkeit.--Mutterschaft und Frauenarbeit.--Die Zerstörung der
Weiblichkeit durch die Berufsthätigkeit.--Der Unterschied der
Geschlechter in Bezug auf die geistige Befähigung.--Das weibliche Genie
und seine Zukunft.


_Viertes Kapitel_: Die Entwicklung der proletarischen Frauenarbeit

Die technische Revolution im Anfang des 19. Jahrhunderts.--Die Zunahme
der Frauenarbeit infolge der Einführung der Maschinen.--Der Kampf der
Arbeiter gegen die Maschine.--Der Kampf der Männer gegen die
Frauenarbeit.--Die Entwicklung der modernen Hausindustrie.--Frauenlöhne
um die Mitte des 19. Jahrhunderts.--Arbeiterwohnungen.--Die sanitären
Zustände in den ersten Fabriken.--Die Lage der Landarbeiterinnen
um die Mitte des 19. Jahrhunderts.--Die Entwicklung der
Dienstbotenfrage.--Proletarische Frauenarbeit im Handel.


_Fünftes Kapitel_: Die Statistik der proletarischen Frauenarbeit nach
den letzten Zählungen

Das numerische Verhältnis der proletarischen Frauenarbeit zur
bürgerlichen.--Das Wachstum der proletarischen Arbeit im Verhältnis zum
Wachstum der Bevölkerung.--Das numerische Verhältnis der männlichen zu
den weiblichen Arbeitern.--Die Frauenarbeit nach Berufsabteilungen, ihre
Zu- resp. Abnahme.--Das Tempo des Wachstums der Frauenarbeit in der
Industrie.--Die proletarische Frauenarbeit in Alleinbetrieben.--Die
mithelfenden Familienangehörigen.--Die Verteilung der Frauenarbeit in
der Industrie je nach den Berufsarten.--Die Statistik der Hausindustrie:
in Deutschland,--in Oesterreich,--in Frankreich,--in Belgien--Die
Abnahme der häuslichen Dienstboten.--Die Altersgliederung der
Arbeiterinnen.--Der Familienstand der Arbeiterinnen.--Die Zunahme der
Arbeit verheirateter Frauen.


_Sechstes Kapitel_: Die Lage der Arbeiterinnen in der Gegenwart

_Die Großindustrie_: Die Löhne der Fabrikarbeiterinnen.--Verhältnis der
Frauen- zu den Männerlöhnen.--Differenzierung der Arbeit nach
Geschlechtern.--Die Ursachen der Erwerbsarbeit verheirateter
Frauen.--Das Verhältnis des Lohnes zu den Lebensbedürfnissen.--Die
Arbeitszeit der Fabrikarbeiterin.--Der Einfluß der Fabrikarbeit auf die
Gesundheit der Frau.--Der Einfluß der Fabrikarbeit verheirateter Frauen
auf die Familie.

_Hausindustrie und Heimarbeit_: Die Textil-Hausindustrie.--Die Lage der
Arbeiterinnen in absterbenden Hausindustrien.--Die Dezentralisation des
Großbetriebes und ihr Einfluß auf die Frauenarbeit.--Die Lage der
Nadelarbeiterinnen.--Das Sweating-System.--Die sanitären und sittlichen
Folgen der Hausindustrie.--Die Existenzbedingungen der Hausindustrie.

_Der Handel_: Die Löhne der Verkäuferinnen.--Die Ladenzeit.--Die
Ueberbürdung der Lehrlinge.--Das Alter der Verkäuferinnen.--Die
gesundheitlichen und sittlichen Folgen der Frauenarbeit im Handel.--Die
Entwicklung zum Großbetrieb.

_Die Landwirtschaft_: Die Gliederung der ländlichen Arbeiterschaft.--Das
landwirtschaftliche Gesinde.--Die Instleute, Scharwerker, Deputanten
und Heuerlinge.--Die Tagelöhner.--Die Wanderarbeiter.--Die
Arbeitsbedingungen der landwirtschaftlichen Arbeiterinnen.--Die
ländlichen Arbeiterwohnungen.--Die Sittlichkeit auf dem Lande.

_Der häusliche und der persönliche Dienst_: Dienstbotenlöhne.--Die
Dienstvermittlung.--Die Wohnräume der Dienstmädchen.--Die
Beköstigung.--Die ununterbrochene Arbeitsbereitschaft.--Die freie Zeit
der Dienstmädchen.--Ihre Herkunft.--Die sittlichen Gefahren des
häuslichen Dienstes.--Das Ammenwesen.--Umwandlung des Haushalts durch
den Mangel an Dienstboten.--Die Wäschereien im Klein- und
Großbetrieb.--Die Entwicklung des Wirtshauslebens.--Die Lehrzeit im
Kellnerinnenberuf.--Die Arbeitszeit der Kellnerinnen.--Die
Lohnverhältnisse im Gastwirtsgewerbe.--Die Trinkgelder und ihr
Einfluß.--Wohnung und Kost.--Die sanitären und sittlichen Folgen
des Kellnerinnenberufs.


_Siebentes Kapitel_: Die Arbeiterinnenbewegung

Die Arbeiterinnenbewegung ein Bestandteil der Arbeiterbewegung.--Die
Nur-Frauengewerkschaften.--Die Trennung der deutschen
Arbeiterinnenbewegung von der bürgerlichen Frauenbewegung.--Die
gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen: in Deutschland,--in
Oesterreich,--in England,--in Frankreich,--in den Vereinigten Staaten.
Die Schwierigkeit der Organisation der Frauen und ihre Gründe.--Die
Mittel zur Besiegung der Organisationsunfähigkeit der Frauen.--Die
Teilnahme der Frauen an der genossenschaftlichen Bewegung.--Die
Sozialdemokratie und die Arbeiterinnenbewegung.--Die politischen
Erfolge der deutschen Arbeiterinnenbewegung.--Die Stellung der
Arbeiterinnenbewegung zur bürgerlichen Frauenbewegung.--Die positiven
Aufgaben der Arbeiterinnenbewegung.


_Achtes Kapitel_: Die Bürgerliche Frauenbewegung Und Ihre Stellung Zur
Arbeiterinnenfrage

Die Wohlthätigkeitsbestrebungen und die soziale Hilfsarbeit.--Die
prinzipielle Ablehnung des Arbeiterinnenschutzes durch die bürgerliche
Frauenbewegung.--Die Sozialreform und ihre Vertretung innerhalb
der bürgerlichen Frauenbewegung.--Die Stellung des Bundes
deutscher Frauenvereine zur Arbeiterinnenfrage.--Die Haltung der
Frauenrechtlerinnen gegenüber der Dienstbotenfrage.--Die Organisation
der Arbeiterinnen durch die bürgerliche Frauenbewegung.--Die Wirkungen
der bürgerlichen Frauenbewegung in Bezug auf die Arbeiterinnen.


_Neuntes Kapitel_: Die Sozialpolitische Gesetzgebung Und Ihre Aufgaben

_Der Arbeiterinnenschutz_: Seine historische Entwicklung.--Synoptische
Uebersicht des geltenden Rechts.--Die Regelung der Arbeitszeit in der
Großindustrie.--Der Ausschluß der verheirateten Frauen aus
den Fabriken.--Die Ueberarbeit und die Nachtarbeit.--Die
Sonntagsarbeit.--Arbeitsverbote in gesundheitsgefährlichen
Betrieben.--Der Schutz der Schwangeren und Wöchnerinnen.--Die Ausdehnung
des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie.--Sanitäre Vorschriften in
Bezug auf die Hausindustrie.--Unterdrückung der Heimarbeit.--Der
Arbeiterschutz im Handelsgewerbe.--Die Aufgaben der Gesetzgebung
gegenüber den Landarbeitern.--Der Kellnerinnenschutz.--Die
Trinkgelderfrage.--Die Gesindeordnungen.--Arbeiterschutz für
Dienstboten.--Die genossenschaftliche Hauswirtschaft.--Die
Fortbildungsschulen.--Die freie Verfügung über den Arbeitsertrag.--Die
Gewerbegerichte.--Das Koalitionsrecht.

_Die Arbeiterinnenversicherung_: Ihre historische Entwicklung.--
Synoptische Uebersicht des geltenden Rechts.--Die Krankenversicherung.--
Die Mutterschaftsversicherung.--Die Unfallversicherung.--Die Alters- und
Invaliditätsversicherung.--Die Versorgung der Witwen und Waisen.--Die
Frage der Arbeitslosenversicherung.--Die kommunale und staatliche
Arbeitsvermittlung.--Die Ausdehnung der Arbeiterversicherung.

_Die Grenzen der Gesetzgebung_: Der Gegensatz der Interessen zwischen
Unternehmern und Arbeitern.--Die Prostitution.--Die Frauenarbeit, das
revolutionierende Element in der sozialen Entwicklung.



Erster Abschnitt.


Die Entwicklung der Frauenfrage bis zum XIX. Jahrhundert.



1. Die Frauenfrage im Altertum.


Die Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in der allgemeinen
Menschheitsgeschichte, wie sie uns von Kindheit an überliefert wird,
einen verschwindend kleinen Raum ein. Es ist vor allem eine Geschichte
der Kriege und daher eine der Männer, die wir unserem Gedächtnis haben
einprägen müssen. Erst in neuester Zeit scheint sich fast unmerklich ein
Umschwung vorzubereiten. Neben die politische tritt die
Kulturgeschichte, neben die Thaten und Abenteuer der Fürsten und Helden
des Schwertes tritt das Leben und Leiden des Volks und seiner
geistigen Führer. Der natürliche menschliche Egoismus hatte der
Geschichtschreibung einen Klassencharakter verliehen. Die Herrschenden
und Gebildeten sahen über ihren Kreis nicht hinaus; wie man in den
Feldzugsberichten nur von dem Heerführer als dem Sieger spricht, ihm
allein Lorbeeren weiht und Denkmäler baut, und die Tausende, die
eigentlich die Schlachten schlugen, wenig beachtet, so wurde auch das
Volk, der Träger der Menschheitsgeschichte, über denjenigen fast
vergessen, die, begünstigt von Glück oder von der Begabung, weithin
sichtbar aus der Masse hervorragten. Die fortschreitende ökonomische
Entwicklung befreite diese Masse mehr und mehr aus ihrem
Sklavenverhältnis, und während auf der einen Seite die Unterschiede
zwischen Reichtum und Armut sich verschärften, wurde andrerseits eine
gewisse Gleichheit der Bildung und Aufklärung befördert. Mit der
Sklaverei und der Leibeigenschaft verschwand der Absolutismus: das zum
Selbstbewußtsein erwachte Volk erhob Anspruch auf das Recht, bei der
Bestimmung über sein Wohl und Wehe mitzusprechen, und gedieh zu einem
Machtfaktor, mit dem gerechnet werden muß. Als es anfing, sich bemerkbar
zu machen, wurde es von der Wissenschaft gleichsam erst entdeckt, man
begann, sein Leben, Fühlen und Denken in Vergangenheit und Gegenwart zu
erforschen, und eröffnete damit ein Gebiet, das einen fast
unerschöpflichen Reichtum neuer Erkenntnis in sich birgt.

Einen ähnlichen Werdegang wie das Volk hat auch die Frau durchmessen.
Sie steht jetzt in allen Kulturländern auf dem Punkt, sich ihre
wirtschaftliche, rechtliche und sittliche Gleichberechtigung zu
erkämpfen. Nur für denjenigen, der die Entwicklungsgeschichte kennt, der
weiß, welch langen, mühevollen Weg sie bis zu diesem Punkt zurücklegen
mußte, wird die große, weit über ihr Geschlecht hinausreichende
Bedeutung dieses Emanzipationskampfes klar. Aus der Tiefe des weiblichen
Wesens und seiner Geschichte ist die Frauenfrage herausgewachsen, und
sie muß bis in ihre Wurzeln hinein verfolgt werden, um die ganze
Schwierigkeit der in ihr enthaltenen Probleme zu erkennen und die
richtigen Mittel zu ihrer Lösung zu finden.

Die Entwicklungsgeschichte des weiblichen Geschlechts stellt sich,
soweit wir auf historischem Boden stehen, als eine lange, im Dunkeln
sich abspielende Leidensgeschichte dar. Aber auch wenn wir diesen Boden
verlassen und uns auf Grund gelehrter Forschungen ein Bild des Lebens
der Frau in grauer Vorzeit zu machen versuchen, finden wir sie immer in
einem Zustand der Enge und Begrenztheit des persönlichen Daseins. Er war
zunächst durch die Natur ihres Geschlechts selbst begründet. Die
Mutterschaft beschränkte ihre Bewegungsfreiheit und machte sie
schutzbedürftig, obgleich--was wir berechtigt sind anzunehmen--die
Geschlechtsfunktionen weit weniger als heute mit pathologischen
Erscheinungen sich verbanden. Das kleine Kind jedoch bedurfte infolge
seiner völligen Unselbständigkeit der mütterlichen Fürsorge und während
der Mann--in welcher Periode der Menschheitsentwicklung
immer--ungehindert durch Geschlechtsbeschränkungen seinen Trieben folgen
konnte, erschien es als das erste, dem Menschen zum Bewußtsein kommende
Naturgesetz, daß die Mutter an das Kind gefesselt war. Es machte die
Frau im Vergleich, zum Mann von vornherein unfrei; es lud ihr Lasten und
Leiden auf, die niemand ihr abnehmen konnte. Es trug aber auch den Keim
der Entwicklung aller Zivilisation und aller Sittlichkeit in sich.

Die Mutterliebe, jenes ursprünglichste Gefühl, war die erste Erhellung
moralischer Finsternis. Durch die Mutterliebe ging vom Weibe jede
Erhebung der Gesittung aus.[1] Denn nicht der Bund zwischen Mann und
Weib war, wie uns viele glauben machen wollen, die erste, unumstößliche
Vereinigung, sondern der Bund zwischen Mutter und Kind.[2]

Die Entstehung des neuen Lebens aus dem Weibe war zugleich das erste
Mysterium, das sich dem Menschen offenbarte. In den Mythologieen vieler
Völker finden wir daher die Spuren göttlicher Verehrung des weiblichen
Prinzips in der Natur: In der Göttin Isis beteten die Aegypter die
fruchtbare Erde an. Neith, deren geheimnisvoller Tempel in Sais stand,
war die Personifikation der mütterlichen, gebärenden Kraft. Von der
Urmutter Themis erfährt Zeus das nur ihr bekannte Geheimnis des Alls.
Ueber Odin, den Göttervater und alle Götter der Germanen stehen. Die
Schicksalsgöttinnen, die Nornen. Gunnlöd, ein Weib, verwahrt den Trank
der höchsten Weisheit; durch sie erst wird er Odin zu teil.

Aber die Bedeutung des Weibes als Mutter, die Urgemeinschaft zwischen
Mutter und Kind liegt nicht nur der primitiven Religion, sondern auch
dem primitiven Recht zu Grunde. Für das natürliche, durch keinerlei
Klügeleien beirrte Rechtsbewußtsein war das Kind Eigentum der Mutter,
die es unter ihrem Herzen trug, an ihrer Brust ernährte, seine ersten
Schritte leitete, ihm Obdach und Nahrung gab. Es ist daher nicht zu
verwundern, daß sich übereinstimmend bei zahlreichen Völkern eine
Periode des geltenden Mutterrechts nachweisen läßt.

Vielfach ist diese Bezeichnung so verstanden worden, als ob sie mit
Weiberherrschaft identisch wäre, und es giebt sogar Vorkämpfer der
Frauenbewegung, die in der Gynäkokratie das goldene Zeitalter der
Freiheit und Gleichheit des weiblichen Geschlechtes preisen, das
verlorene Paradies, das wieder gefunden werden muß. Wer dagegen die
Forschungen Morgans, Bachofens und anderer nüchtern prüft, vor dessen
Augen erscheint die Zeit des Mutterrechts ohne jede poetische Verklärung
als ein Zustand primitivster Kultur für Mann und Weib, und er findet
keinerlei Zeichen dafür, daß das Weib eine "Oberherrschaft" nach unseren
Begriffen ausgeübt hat.[3]

Versuchen wir es, uns ein Bild jenes Zustandes zu machen. Nach
jahrtausendelanger Entwicklung hat sich der Mensch aus dem Tierreich
losgelöst; er ist aus den Baumwipfeln, wo er sich zum Schutz vor den
wilden und stärkeren Tieren vermutlich aufgehalten hat, zur Erde
herabgestiegen und hat den ersten Triumph seines entwickelten Geistes
gefeiert, indem er nicht nur den Stein gegen die Bedroher seines Lebens
schleudern lernte, sondern ihn durch Bearbeitung zur Waffe gestaltete.
Nun wird der Verfolgte zum Verfolger. Wohl kann das Weib, wie er, jagen
und kämpfen, giebt es doch noch heute wilde Völkerschaften, in denen die
Geschlechter einander an Kraft nicht nachstehen,[4] aber sobald sie
Kinder gezeugt hat, ist sie an sie gebunden. Dadurch entsteht zugleich
die erste Arbeitsteilung; die Frau baut das schützende Dach für sich und
ihren hilflosen Säugling; in die Felle der Tiere, die der Mann erlegt,
hüllt sie instinktiv das kleine frierende Geschöpf und gewinnt dadurch
die Anregung, schließlich auch für sich ein deckendes und wärmendes
Kleidungsstück zu schaffen. Sie muß, wenn die Nahrungsquelle in ihrer
Brust versiegt, den Hunger ihrer Kinder auf andere Weise stillen, und so
lernt sie die Mahlzeit zubereiten, indem sie nicht nur das Fleisch des
Wildes, der Fische und Vögel dazu verwendet, das ihr der Mann von seinen
Jagdzügen bringt, sie benutzt auch die Knollen, Körner und Früchte, die
sie selbst findet, und gewinnt schließlich die Fertigkeit, sie für den
Gebrauch anzupflanzen.[5]

Die Frau wurde immer seßhafter und der Mann, dessen Leben sich zwischen
Kampf und Jagd abspielte, sah ihre Hütte bald als den Zufluchtsort an,
wo er nicht nur zu flüchtiger Ruhe einkehrte und Obdach, Nahrung und
Kleidung fand, sondern wo er auch seine Beute verwahren konnte. Noch
anziehender wurde die Hütte für den Mann und noch wichtiger die
Gebundenheit der Frau, als die Menschheit das Feuer kennen und schätzen
lernte. Wahrscheinlich ist es ihr durch die Zündkraft des Blitzes
bekannt geworden, und es wurde wie ein Heiligtum--ein echtes Geschenk
des Himmels--gehütet, weil die Fertigkeit, es selbst hervorzurufen, erst
in weit späterer Zeit erworben wurde. Die natürliche Hüterin und
Bewahrerin des Feuers war die Frau.[6] Und so war es nicht der dem
Urmenschen so häufig angedichtete Familiensinn oder die Liebe zu Weib
und Kind--Gefühle, die nur die Produkte einer höheren Kultur sein
können--, welche ihn an den häuslichen Herd immer wieder zurückzogen,
sondern lediglich die rohen, physischen Bedürfnisse.

Von einer Ehe in unserem Sinn war natürlich keine Rede; dem regellosen
Geschlechtsverkehr folgte die sogenannte Blutgemeinschaftsfamilie, in
der die einzelnen Generationen sich nicht mehr miteinander vermischten.
Bei der geringen numerischen Ausdehnung, die die Menschheit ursprünglich
gehabt haben muß, ist zur Befriedigung des Geschlechtstriebs die
Vermischung von Blutsverwandten selbstverständlich. Ebenso
selbstverständlich ist es aber auch, daß diese Form der Familie nicht
auf irgend welchen Vorschriften beruhte, sondern sich vielmehr von
selbst auflöste, sobald sie durch ihre Größe im Bereich des mütterlichen
Herdes weder Raum noch ausreichende Nahrung fand. Die Aufgabe der
Blutgemeinschaftsfamilie und die Entstehung der Schwägerschaftsverbände
(Punaluafamilie, nach Morgan) ist nicht auf eine höhere sittliche
Erkenntnis zurückzuführen, sondern auf die uralten Triebkräfte der
Natur; Hunger und Liebe. Daraus entstand die Sitte und aus der Sitte die
Moral einer jeden Zeit.

Auch die neue Familienform kannte die Ehe nicht. Der Mann des einen
Stammes, der sich mit der Frau des anderen verband, heiratete sozusagen
alle ihre Schwestern mit; der Begriff der Keuschheit und der ehelichen
Treue war beiden Geschlechtern fremd. Infolgedessen wurde ein
väterliches Recht an den Kindern nicht geltend gemacht, sie gehörten
ausschließlich der Mutter, die sie geboren hatte, und deren Stamm. Der
Mann führte das Weib nicht wie ein persönliches Eigentum in sein Haus,
sondern er kam in das ihre. Wie wir gesehen haben, ist dieser
Rechtszustand, der zur Zeit der Blutgemeinschafts- wie der
Punaluafamilie der herrschende war, nicht auf eine hohe moralische
Wertschätzung der Frau zurückzuführen, sondern auf die ursprüngliche
Differenz der Geschlechter und auf wirtschaftliche Ursachen, er hatte
auch keine Machtstellung der Frau zur Folge, sondern er legte vielmehr
den Grund zu der feststehenden Meinung, daß das Arbeitsgebiet der Frau
allein auf das Haus zu beschränken sei.

Mit der Ausbildung des Handwerks in seinen verschiedenen Zweigen, mit
der Zunahme der Bebauung des Bodens--lauter Arbeitsarten, die im
Bereiche des ursprünglichen Hauswesens lagen und daher hauptsächlich der
Frau zufielen--, wurde die Frau dem Manne immer unentbehrlicher. Er
selbst war, je dichter sich die Erde bevölkerte, immer mehr in Kämpfen
mit den Nachbarn oder mit den Volksstämmen, durch deren Land er als
Nomade zog, verwickelt. Zunächst waren es nur Kämpfe um die tägliche
Nahrung, um die Jagdgründe; als er es aber verstand, die Tiere nicht nur
zu erlegen, sondern zu zähmen und zu züchten, da kämpfte er für den
Schutz und um die Vergrößerung seines Besitzes. In früheren Perioden, wo
er nichts besaß, als was er täglich gebrauchte, hatte er den gefangenen
Feind entweder getötet, oder als Gleichen und Freien in seine
Blutsfreundschaft aufgenommen, jetzt, wo er mehr besaß, als er
gebrauchte, bedurfte er der Arbeitskräfte in seinem Dienst, daher machte
er den Feind zu seinem Untergebenen. So entwickelte sich im
unmittelbaren Gefolge der Entstehung des Privateigentums die Sklaverei.
Aber ehe noch der erste Sklave sich unter der Knute des Herrn beugen
mußte, war das Weib, die Mutter seiner Kinder, zur ersten Sklavin
geworden.

Die Frau war, wie wir gesehen haben, infolge der angedeuteten
Verhältnisse, von jeher die geschickteste Arbeiterin gewesen. Durch sie
erst wurde aus dem, was der Mann erjagte oder erkämpfte, ein
Gebrauchsgegenstand. Je mehr sich nun der Besitz vergrößerte, desto
wichtiger wurde ihre Arbeitskraft; sie war auf den Stufen primitivster
Kultur auch eine erwerbende gewesen, verwandelte sich aber mit den
steigenden Bedürfnissen immer mehr zu einer nur erhaltenden und
umwandelnden. Der Mann wurde zum Erwerber. Die Hütte, die das Weib einst
zusammenfügte, war nichts als ein Obdach, das alle im Notfall benutzen
konnten, das Haus, das aus Steinen geschichtet oder aus behauenen
Blöcken aufgerichtet wurde und Waffen, Vorräte, Erz und Felle barg, war
ein wertvoller Besitz. Das Wild, das der Mann früher täglich erlegte,
war nichts als ein Mittel, den Hunger zu stillen; die Herden, die jetzt
auf seinem Boden weideten, repräsentierten ein Kapital, das durch
Männerfäuste gegen den Nachbarn geschützt werden mußte. Und die Kinder,
die früher das unbestrittene Eigentum der Mutter waren, wurden zu
wertvollen Arbeitskräften und Kampfgenossen für den Vater. Es kam aber
noch ein sehr wichtiger Umstand hinzu. Der Besitz hatte nächst der
Habsucht jenen Egoismus gezeitigt, der über den Tod hinaus reicht und
dem Fremden das Erworbene auch dann nicht zufallen lassen will: der
Besitzende wünschte rechtmäßige Erben für seinen Besitz.

Das Mutterrecht mußte dem Rechte des Vaters weichen. Als Arbeiterin und
als Mutter rechtmäßiger Kinder hatte das Weib einen Wert bekommen, der
sich dadurch ausdrückte, daß sie vielfach gekauft, d.h. gegen Vieh,
Waffen oder Erz eingetauscht wurde. Man beraubte sie jeglicher Freiheit,
die grausamsten Strafen standen auf ihrer Untreue, denn ihr Gebieter
mußte sich die möglichste Sicherheit verschaffen, daß sie ihm legitime
Erben gebar.

Der für die Entwicklung der Menschheit so bedeutungsvolle Fortschritt
zur Einzelehe war daher für die Frau zunächst nichts als eine Station
auf ihrem Kreuzesweg.[7] Denn die monogame Familie entstand nicht
infolge der Erkenntnis ihres höheren sittlichen Werts, sondern auf Grund
ökonomischer Rücksichten. Die Monogamie bestand nur für die Frau, wie
die Tugend der Gattentreue auch nur von der Frau gefordert wurde.

Sich, wie es häufig geschieht, über diese einseitige Monogamie und über
die nur dem Weibe auferlegte Verpflichtung der Treue sittlich zu
entrüsten, hieße ihren Ursprung verkennen, der nicht in der Niedertracht
des männlichen Geschlechtes, sondern in den wirtschaftlichen
Verhältnissen zu suchen ist.

Recht und Sitte, die auf ihrem Boden erwuchsen, wurden von Religion und
Gesetz sanktioniert. Da besonders im Orient alles Recht, von der Manava
an bis zum Koran, als göttliches Gesetz betrachtet wurde und auf
religiöser Basis[8] ruhte, so war das Sklavenverhältnis des Weibes hier
das festeste und überdauerte alle Zeiten. Alle Vorschriften, die sich
mit ihr, ihren Pflichten und Rechten beschäftigen, lassen sich dahin
zusammenfassen, daß sie nur als Mutter legitimer Kinder, vor allem der
Söhne, eine Existenzberechtigung hat. Das Interesse des Vaters an
rechtmäßigen Leibeserben, das in der patriarchalischen Familie seinen
stärksten Ausdruck fand, erweiterte sich bald zum Interesse des Staates
an einer genügenden Zahl kampffähiger Männer. Die Heirat war eine
Pflicht gegenüber dem Staat, daher wurden z.B. in China in jedem
Frühjahr die unverheirateten Männer von 30 und Frauen von 20 Jahren
einer harten Bestrafung unterworfen, und es bestanden genaue gesetzliche
Vorschriften über die ehelichen Pflichten zum Zweck der
Kindererzeugung[9]. Bei den Indern konnte eine unfruchtbare Frau im
achten Jahre der Ehe mit einer anderen vertauscht werden, eine, deren
Kinder gestorben waren, im zehnten, eine, die nur Töchter geboren hatte,
im elften Jahre[10]. Der Israelit hatte die Pflicht, eine unfruchtbare
Frau zu verstoßen oder mit ihrer Magd Kinder zu zeugen, die unter
Beistand der rechtmäßigen Gattin zur Welt kamen und dadurch als legitime
Erben anerkannt wurden. So sagte Sarah, die kinderlose, zu Abraham:
"Lege dich zu meiner Magd, ob ich doch vielleicht aus ihr mich bauen
möge."[11] Und obwohl bei allen Völkern des Orients die Untreue der Frau
mit dem Tode bestraft werden konnte, wurde sie zu einer religiösen
Pflicht, sobald die Frau kinderlos blieb. Sie mußte sich in Indien einem
Mitglied der Familie des Mannes unter religiösen Ceremonien vor den
Augen ihrer Angehörigen hingeben;[12] sie fiel in Israel, wenn ihr Gatte
starb, ehe sie ihm Kinder geboren hatte, seinem ältesten Bruder zu,
damit er dem Verstorbenen noch Nachkommen zeuge.[13] Sie war des Mannes
unbeschränktes Eigentum und stand auch insofern auf derselben Stufe mit
den Sklaven, als es ihr verboten war, eigenes Vermögen zu besitzen. Die
heiligen Gesetze Indiens erklären ausdrücklich, daß alles, was eine Frau
oder ein Sklave etwa erwirbt, selbständiges Eigentum des Herrn ist, "dem
sie gehören".[14] Von Geburt an bis zum Tode sind die Frauen vollständig
unfrei; als Mädchen sind sie von ihrem Vater, als Frauen von ihrem
Gatten, als Witwen von ihren Söhnen oder Blutsverwandten abhängig.[15]

Aus alledem geht hervor, daß die Frauen im Orient nur ein Werkzeug zur
Fortpflanzung des Geschlechtes waren. Außerhalb ihres einzigen Berufes,
dem der Mutterschaft, hatten sie keinerlei Wert und Bedeutung, ja sie
wurden so ausschließlich als Werkzeug, als Mittel zum Zweck betrachtet,
daß von jener ehrfürchtigen Verehrung, welche die in den
Phantasiegestalten zahlreicher Göttinnen personifizierte Mutterschaft
unter den Völkern des Abendlandes genoß, im Orient, mit Ausnahme von
Aegypten, nichts zu finden ist. Auch als Mutter wurde hier das Weib
verachtet und zwar um so mehr, wenn sie statt des einzig erwünschten
Sohnes eine Tochter gebar.[16] Die Jüdin, die einen Knaben zur Welt
brachte, blieb sieben Tage unrein; war ihr Kind ein Mädchen, so blieb
sie es vierzehn Tage. Sie mochte von noch so hoher Abkunft und die
Mutter eines blühenden Geschlechtes sein, sie blieb immer ein
unheiliges, von Staat und Religion nur als ein notwendiges Uebel
gekennzeichnetes Geschöpf. Dieser Auffassung entsprach auch der Mythus
von der Stammmutter Eva, von der alle Sünde und alles Unglück der
Menschheit ausging. Das Weib, sagte Manu, ist niederträchtig wie die
Falschheit selbst, es muß wie Kinder und Geisteskranke mit der Peitsche
oder dem Strick gezüchtigt werden.[17] Nur der Mann hat, nach dem
Glauben der Chinesen, eine unsterbliche Seele;[18] Brahma verbietet dem
Weibe, die Veda, das heilige Buch der Inder, zu lesen; der Koran lehrt,
daß die Pforten des Paradieses den Frauen ewig verschlossen bleiben; mit
den Kindern und Sklaven stehen die Hebräerinnen auf einer Stufe, wenn
auch ihnen die Berührung des Gesetzes nicht gestattet ist. Der Talmud
schätzt die Ehre der Frau nach ihrem Vermögen, denn nur dann gilt sie
als rechtmäßige Gattin, ihre Kinder als legitime Erben, wenn sie eine
Mitgift in die Ehe bringt, andernfalls ist ihre Verbindung mit dem Mann
nur ein Konkubinat.[19]

Die Kulturentwicklung der alten orientalischen Völker stand schon weit
genug im Banne des Begriffs vom "heiligen" Eigentum, um das Verbrechen,
arm zu sein, durch Schande zu strafen. Groß war daher die Zahl der armen
Weiber, die mit ihrer Arbeitskraft ihren Leib verkaufen mußten. So hart
aber auch das Los der als Mägde und Sklavinnen in strengem
Dienstverhältnis zu ihrem Herrn stehenden Frauen war, ein merkbarer
Unterschied zwischen dem der begüterten und der rechtmäßigen Gattinnen
war nicht vorhanden; das weibliche Geschlecht als Ganzes stand
gleichmäßig tief.

Gegenüber den Orientalen sind wir gewohnt, die Griechen für die
Repräsentanten einer bedeutend höheren Kultur zu halten. Nehmen wir
jedoch die Stellung der Frau zum Maßstab für unser Urteil, so muß es
ganz anders lauten, denn sie weist neben kaum bemerkbaren Fortschritten
sogar erhebliche Rückschritte auf.

Die Familie war im Orient ein Staat für sich gewesen, der Vater der
Patriarch, der König darin. Sie wurde in Griechenland fast
bedeutungslos, denn der Staat übernahm viele ihrer wichtigsten
Funktionen; der Familienvater war nicht mehr Herrscher, sondern
Unterthan, seine Bürgerpflichten entrissen ihn vollkommen seiner
Häuslichkeit, sein Leben als Gesetzgeber, Soldat, Advokat, Philosoph und
Künstler spielte sich außerhalb des Hauses ab, dessen Geschäfte und
Obliegenheiten er ausschließlich der Gattin und den Sklaven überließ.
Eines freien Mannes waren sie unwürdig und wurden um so verachteter, je
mehr die Sklaverei zu einem wichtigen Faktor im sozialen Leben sich
entwickelte. Während der Orientale, besonders der Israelit, in der
Arbeit keine Schande sah und die Züchtung und Hütung der Herden zu
seinen Pflichten gehörte, während der Schwerpunkt seines Lebens in
seiner Familie, seinem Besitztum lag, und die Frau ihm dadurch, trotz
aller Unterdrückung, menschlich näher stand, sank sie in Griechenland
vollständig in die Reihen der Sklaven hinab.

Sie war, wie im Orient, das willenlose Eigentum des Mannes. Der Vater,
wie der Vormund konnten sie, wem sie wollten, zur Gattin geben; der
Gatte konnte sie verschenken oder vertauschen; blieb sie unfruchtbar, so
galt es für ein Verbrechen gegen die Götter, wenn sie nicht verstoßen
wurde. Die Pflicht, zum Zweck der Zeugung legitimer Kinder, die Ehe zu
schließen, wurde vom Staate den Männern auferlegt;[20] durch Solons
Gesetzgebung wurden die Unverheirateten einer Strafe unterworfen. Denn
noch waren die Länder nur schwach bevölkert und vom Zuwachs tüchtiger
Bürger hing das Bestehen und der Wohlstand des Staates ab. Daher
beschäftigt sich die Gesetzgebung jener Periode der Geschichte in einer
so eingehenden Weise mit der Frage der Volksvermehrung.

Die Monogamie war Gesetz. Der Mann durfte nur eine legitime Frau haben;
die Zahl der Konkubinen, die er sich neben ihr hielt, war aber
unbeschränkt, und der einzige Fortschritt gegenüber den orientalischen
Zuständen bestand darin, daß ihre Kinder nicht ohne weiteres Mitglieder
der Familie waren, sondern es erst durch die Legitimation ihres Vaters
werden konnten. Die aus dem väterlichen Hause meist in sehr jungen
Jahren in das des Gatten eintretende Frau lebte hier wie dort in
völliger Abgeschlossenheit, ohne irgend welche Berührung mit der
Außenwelt; sie durfte weder am öffentlichen noch am geselligen Leben
Anteil nehmen. Das Haus war ihre Welt, über deren Grenze die tugendhafte
Frau nicht hinwegschreiten durfte. Und wenn Dichter und Schriftsteller
auch versuchten, sie ihr zu verklären[21]--genau wie es heute
geschieht--so war ihre Lage doch die einer physisch und geistig allen
Lichts beraubten Gefangenen, die auch wie eine solche verachtet wurde.
Von einem Griechen stammt jener bekannte Ausspruch, wonach diejenigen
Frauen am meisten Ruhm verdienen, von denen am wenigsten gesprochen
wird,[22] und er bedeutet nichts anderes, als daß die Frau im Guten
ebensowenig wie im Bösen aus der Masse hervorragen darf. Es entsprach
nur der allgemeinen niedrigen Meinung von den Frauen, wenn Demosthenes
der Ansicht seiner Zeitgenossen von der Ehe Ausdruck verlieh, und sagte,
daß man Frauen nur nehme, um rechtmäßige Kinder zu zeugen,
Beischläferinnen, um eine gute Pflege zu haben, und Buhlerinnen, um die
Freuden der Liebe zu genießen. Die eheliche Verbindung aus Liebe kannte
der Grieche nicht.[23] Im besten Fall war sein Gefühl für die Gattin die
wohlwollende Anhänglichkeit eines Patrons zu seinem Klienten.[24] Nicht
die in strenger Zurückgezogenheit lebende, von klein auf zu kühler
Keuschheit und Zurückhaltung erzogene Frau war der Gegenstand seiner
Leidenschaft, sondern die freie Priesterin Aphrodites, die Hetäre.

Die uralte Verehrung des mütterlichen Prinzips in der Natur, der
Weiblichkeit und der Fruchtbarkeit, hatte sich mit dem allmählichen
Verfall des Mutterrechts mehr und mehr verwandelt. Einst mußten sich die
Jungfrauen Aegyptens einmal in ihrem Leben im Tempel der Göttin der
Fruchtbarkeit einem Fremden preisgeben, später bevölkerten zahlreiche
Frauen das ganze Jahr die Tempel der Iris, der Astarte, der Anahita oder
Mylitta. Denn hart war das Los der Mägde und Sklavinnen; nur die
Mädchen, welche eine Mitgift besaßen, hatten Aussicht auf eine legitime
Ehe, und auch das Schicksal rechtmäßiger Frauen war ein trauriges. Da
kann es nicht wunder nehmen, wenn Not, Glückssehnsucht und
Freiheitsdurst Scharen Armer und Unterdrückter in den Dienst der
Liebesgöttin trieb. Geheiligt durch die Religion, gefördert durch Not
und Unterdrückung--so entstand in der ältesten Zeit die Prostitution.
Sie wuchs mit der Ausdehnung der Sklaverei,--fast alle bekannten Hetären
waren ursprünglich Sklavinnen,--und gewann an Ansehen und Bedeutung, je
tiefer die Stellung des weiblichen Geschlechtes im allgemeinen war. Ihre
Blütezeit erlebte sie in Griechenland, als Kunst und Wissenschaft auf
ihrer Höhe standen und der Kultus der Schönheit die Religion beinahe
ersetzte.

Gern trat die schöne Sklavin, auf die das bewundernde Auge des Gebieters
gefallen war, aus dem engen dumpfen Gynäkonitis mit seiner einförmigen
Arbeitspflicht auf den offenen Markt hinaus, um von den Dichtern
besungen, den Künstlern gemalt und gemeißelt, dem Volke verehrt zu
werden. Und diejenigen Frauen, deren reger Geist sich durch das
abgeschlossene Leben nicht ertöten ließ, in deren Gemach ein Schimmer
vom Glanz griechischer Bildung verlockend eindrang, betraten häufig
genug den einzigen Weg, der ihnen offen stand, denn nur die Buhlerin war
in Griechenland eine freie Frau, die ihrer Liebe folgen, die an der
hohen Geisteskultur ihres Vaterlandes persönlichen Anteil nehmen
konnte.[25] Die Geliebte des Perikles, Aspasia, die Lehrerin des
Sokrates, Diotima, die Schülerin des Plato, Lastheneia, die des Epikur,
Leontion, nahmen dem griechischen Hetärentum das Odium eines ehrlosen
Gewerbes und erhoben die Hetäre in den Augen der hervorragendsten Männer
über die Hausfrau, deren Geistes- und Gefühlsleben künstlich verkümmert
wurde.

Die Geschichte weiß von keiner einzigen Griechin zu berichten, die sich
gegen Sittengesetze empört hätte, welche als Lohn auf die weibliche
Tugend--die dauernde Gefangenschaft, und als Strafe auf das Laster--die
Freiheit setzten. Aus der Seele der griechischen Frauen spricht Goethe,
wenn er seine Iphigenie sagen läßt: "Der Frauen Schicksal ist
beklagenswert", aber in Wirklichkeit besaß das weibliche Geschlecht in
dem sonnigen, ruhmgekrönten Hellas keine Priesterin, die seinem stummen
Leid Worte verlieh. Nur den größten Denkern der Nation, Plato und
Aristoteles, scheint es zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß die
Stellung der griechischen Frau eine unwürdige war. Wer Platos
Aussprüche, wie z.B. die: "So haben also Mann und Weib dieselbe Natur,
vermöge deren sie geschickt sind zur Staatshut", und "die Aemter--(im
Staat)--sind Frauen und Männern gemeinsam",[26] aus dem Zusammenhang
herausreißt, der mag sogar zu der Ueberzeugung kommen, er sei im
modernsten Sinne ein Vorkämpfer der Gleichberechtigung der Geschlechter
gewesen. Der Sachverhalt ist aber thatsächlich folgender: Er teilt die
Bevölkerung seines Idealstaates in drei Klassen, von denen die oberste,
die der Hüter und Wächter, die geistig und körperlich vollendetste sein
soll, weswegen die dafür Berufenen eine ganz ungewöhnlich treffliche
Erziehung genießen müssen. Aber sie sollen nicht nur für ihre hohe
verantwortliche Stellung als Staatsleiter erzogen, sie sollen schon
dafür geboren werden. Und deshalb müssen ihre Mütter in gleicher Weise
zu geistig und körperlich über der Masse stehenden Wesen herangebildet
werden, wie ihre Väter. Plato erklärt,--und das kann bei der hohen
geistigen Bildung vieler Hetären seiner Zeit nicht Wunder nehmen,--daß
Männer und Frauen gleiche Fähigkeiten besitzen, und da der Staat das
höchste Interesse daran habe, daß begabte und kräftige Kinder geboren
werden, so müsse er die besten männlichen und weiblichen Exemplare der
obersten Klasse zwangsweise miteinander vermählen. Genau wie der
Tierzüchter nach seinem Belieben Hengst und Stute zusammenführt, so
sollen die Oberen bestimmen, nicht nur welche Männer und Frauen sich
vermählen, sondern auch wie oft sie Kinder zeugen dürfen,[27] damit "der
Staat weder größer werde noch kleiner". Ein Kind aber, das ohne den
Willen der Oberen erzeugt würde, dessen Eltern sich also freiwillig, aus
Liebe umarmten, sollte dem Staat für unecht und unheilig gelten,[28] und
demselben Schicksal verfallen wie die Verkrüppelten und Schwachen. Der
Staat allein sollte das Recht haben, die geeignete Frau dem geeigneten
Mann zu geben, und zwar nicht ein für allemal, sondern so oft er es für
nützlich hielt auch einem anderen. Der Kinderernährung und Pflege
sollten diese Frauen enthoben sein; ihre Kinder sollten ihnen sofort
entrissen und gemeinsam von Ammen und Wärterinnen aufgezogen werden. Die
Frau sollte, erklärt Plato ausdrücklich, vom zwanzigsten bis zum
vierzigsten Jahre "dem Staat gebären".[29] Er vertritt den echt
griechischen Standpunkt von der Omnipotenz des Staates und führt in
logischer Weise nur weiter aus, was das griechische Recht und die Sitte
von den Frauen forderte. Sie waren verpflichtet, dem Staate die Bürger
zu schenken, Plato wünschte, daß es auch tüchtige Bürger seien, darum
verlangte er, daß die Frauen in "Musik und Gymnastik" unterrichtet
würden. Aber, wohlgemerkt, nur die Frauen der obersten Klasse. Aus
diesem Umstand und daraus, daß er Weibergemeinschaft, gewaltsame
Trennung von den Kindern und eine lediglich grobsinnliche, zwangsweise
Geschlechtsverbindung als das Wünschenswerte pries, läßt sich ersehen,
wie fern es ihm lag, die Frauen, um ihrer selbst willen, aus einer
unwürdigen Stellung zu befreien und sie insgesamt den Männern
gleichzustellen. So gewiß es ist, daß große Geister, die einen
tieferen Blick für die hinter ihnen und die vor ihnen liegende
Menschheitsentwicklung haben, die Gerechtigkeit und Notwendigkeit
gewisser Umwälzungen predigen, ehe irgend ein anderer auch nur ihre
Möglichkeit einzusehen vermag, so gewiß ist es auch, daß Fragen, die
erst nach langer Zeit zur Lösung reif sein werden, nicht schon
Jahrhunderte vorher von einem einzelnen in der Theorie gelöst werden
können.

Trotzdem hat Plato dem weiblichen Geschlecht einen großen Dienst
geleistet, indem er die Bedeutung der Frau als Mutter und die Pflicht
des Staates, sie für ihren Naturberuf fähig und würdig zu machen, in
eindringlicher Weise zum Ausdruck brachte.

Weniger eingehend hat sich Aristoteles über die Stellung der Frauen
ausgesprochen. Aber so wenig Plato ein Feminist nach modernen Begriffen
war, so wenig war Aristoteles der erste Antifrauenrechtler, für den er
oft gehalten wird. Wenn er sagt, daß die Herrschaft des Mannes über das
Weib mit der Regierung einer obrigkeitlichen Person in einer freien
Republik zu vergleichen sei,[30] und wenn er erklärt, daß die eheliche
nicht zugleich die ursprünglichste herrschaftliche Gesellschaft und das
Weib nicht der Sklave des Mannes sei,[31] so war das gegenüber der
thatsächlichen Stellung der griechischen Frau eine revolutionäre
Ansicht. In der Frage der Erziehung stimmte er sogar mit Plato überein,
denn auch er forderte Musik und Gymnastik[32] für beide Geschlechter.
Einen höheren Begriff aber als Plato hatte er von der ehelichen
Verbindung, denn er hielt die strenge Monogamie für ihre höchste Form.
Wenn er an anderer Stelle von den weiblichen Tugenden spricht[33] und
meint, ein Mann sei noch feige, wenn er so heldenmütig wäre, wie eine
Frau, so erinnert dieser Ausspruch augenfällig an den Platos, der im
Hinblick auf die Seelenwanderung sagt, daß alle feigen und ungerechten
Männer bei der Wiedergeburt "wie billig" zu Weibern würden.[34]

So konnten sich selbst die bedeutendsten Denker der Hellenen nicht von
dem Einfluß ihrer Zeit und ihres Volkes befreien. Auch für sie war die
Frau ein minderwertiger Mensch.

Wollen wir nun statt der Griechin die Römerin betrachten, so tritt der
Gegensatz zwischen beiden am klarsten hervor, wenn wir Cornelia, die
Mutter der Gracchen, der Penelope, der Mutter Telemachs,
gegenüberstellen: hier würdevolle Größe, ruhige Selbständigkeit, dort
ängstliche Schüchternheit, Bedürfnis nach Schutz und Anlehnung; hier
Söhne, die der Mutter Ehrerbietung zollen, dort ein Sohn, der sie, als
der Herr, zur Ruhe verweist. Schon in der Sage von der Egeria, der
weisen Beraterin König Numa Pompilius', spricht sich die Achtung des
Römers vor der Frau aus. Ihr Ursprung mag in der dünnen Bevölkerung des
Landes zu suchen sein, in dem nicht genug Frauen vorhanden waren. Die
Geschichte vom Raub der Sabinerinnen spricht für diese Annahme, ebenso
die ursprünglich für Mann und Weib gleich strenge monogamische Ehe. Es
gab nicht so viel Frauen, als daß der Mann ihrer mehrere hätte haben
können. Er forderte von seinem Weibe unverbrüchliche Treue, aber seine
Volksgenossen forderten von ihm dasselbe, denn sein Treubruch konnte
zugleich den Treubruch eines ihrer Weiber bedeuten.

Die Römer waren in ihren ersten historischen Anfängen ein abgehärtetes
Landvolk. Ihre Götter waren Personifikationen der Saat, des Lichtes, des
Lenzes. Der Begriff der Familie umschloß Eltern, Kinder, Knechte und
Mägde gleichmäßig. An einem Tisch vereinigten sich alle; die Arbeit, der
nichts Ehrloses anhaftete, beschäftigte sie gemeinsam. Die römische
Hausfrau, die Matrone, stand der inneren Wirtschaft und der Erziehung
der Kinder vor. Ihre Stellung war von vornherein eine gefestigtere und
ehrwürdigere, da sie keine Rivalin neben sich hatte und die einzige
Herrin im Hause war.

Die höhere Achtung, die sie genoß, verschaffte der Römerin auch größere
Freiheit. Sie empfing des Hauses Gäste mit dem Gatten, sie war nicht in
das Frauenhaus eingeschlossen, sie nahm teil an öffentlichen Festen und
besuchte Theater und Zirkus. Rechtlich stand sie jedoch wie die
Orientalin und die Griechin unter dauernder Vormundschaft. Niemals
verfügte sie frei über ihr Eigentum; thatsächlich war es sogar das
Eigentum, durch das sie unmündig wurde. So konnte nach altrömischem
Recht das unter väterlicher Gewalt lebende Mädchen, das also selbst kein
Vermögen besaß, über seine Person frei verfügen; die unter Vormundschaft
stehende Waise dagegen, die im Besitz des väterlichen Erbes war, blieb
in allen ihren Handlungen völlig unfrei. Daraus ergiebt sich, daß nicht
die Frau an sich, sondern die Frau als Eigentümerin eines Vermögens
unter gesetzlichem Schutze stand.[35] Sie durfte weder ein Testament,
noch Geschenke, noch Schulden machen; die römischen Rechtslehrer selbst
erkennen an,[36] daß die Vormundschaft über die Frau eine Institution
sei, die weniger in ihrem Interesse als in dem des Vormundes lag. Nur in
einem Punkt genoß sie während der Blütezeit der Republik dieselben
Rechte, wie der Mann: Sie hatte Zutritt zum Forum und konnte sowohl in
eigener wie in fremder Sache als Zeuge oder als Verteidiger auftreten.
So wird von Amesia Sentia erzählt, daß sie sich unter ungeheuerem
Zulauf des Volkes mit Klugheit und Energie zu verteidigen verstand,
worauf fast einstimmig ihre Freisprechung erfolgte,[37] und von
Hortensia, der Tochter des Redners Hortensius, die es durch ihre
glühende Beredsamkeit durchsetzte, daß die Frauen der Bezahlung einer
ihnen auferlegten Steuer wieder entbunden wurden.[38]

Allzu schnell wurden die Römer aus einem schlichten ackerbautreibenden
Volk die stolzen Beherrscher der Welt, und früh schon trug ihre Existenz
den Todeskeim in sich. Die siegreichen Feldzüge, die Unterdrückung
ganzer Nationen waren von bösen Folgen begleitet, denn nicht nur daß auf
ihre rohe Kultur griechische Überfeinerung, orientalische Perversität
und Genußsucht gepfropft wurde--ein Umstand, der auf alle Naturvölker
verderblich wirkt--, auch das Grundübel der Staatenbildung im Altertum,
das Sklavensystem, fand in Rom raschen Eingang und entwickelte sich hier
zur höchsten Blüte.[39] Ungeheuere Reichtümer strömten aus allen Teilen
der Welt in Rom zusammen; sie vereinigten sich in den Händen weniger. An
Stelle der kleinen, freien Bauern trat der Großgrundbesitzer, an Stelle
des kleinen Handwerkers und der freien Industrie der Großkaufmann mit
seinen Sklaven.[40] Massen von Sklaven arbeiteten in den Palästen für
ihre Gebieter und ein solches Gemeinwesen aus Millionären und Bettlern
mußte die äußerste sittliche Zerrüttung zur Folge haben.[41]

Ihr erstes Zeichen war, wie in Griechenland, die Entehrung der Arbeit.
Nur der reiche Mann, der durch die Thätigkeit des Sklaven lebte, galt
für anständig; jede Arbeit, die körperliche Anstrengung erforderte, war
ehrlos, und der Arme, der sich durch seiner Hände Arbeit sein Brot
verdiente, wurde verächtlich als ein gemeiner Mann behandelt.[42]
Verderblicher noch als für die männliche Bevölkerung war diese
moralische Dekadenz für die weibliche. Der römische Bürger konnte, auch
wenn die manuelle Arbeit eine für ihn unwürdige war, seine geistigen und
physischen Kräfte als Politiker, als Philosoph, als Künstler, Dichter
und Krieger bethätigen. Er konnte dadurch dem entsittlichenden Einfluß
des Reichtums Schranken setzen. Seine Gattin dagegen, der die Führung
des Hausstandes, ja sogar die Wartung und Erziehung der Kinder von
Sklaven abgenommen wurde, war ihm schrankenlos preisgegeben. Sie hatte
dem Staat gegenüber weder Rechte noch Pflichten und daher kein
Verständnis für öffentliche Fragen; ihre Erziehung wurde in jeder Weise
vernachlässigt, daher hatte sie nur ein ganz oberflächliches Interesse
an Kunst und Wissenschaft. Reichtum und Langeweile trieb die römische
Bürgerin der Genußsucht und Sittenlosigkeit in die Arme, während die
arme Sklavin, um dem Elend ihres jammervollen Daseins zu entrinnen, die
Reihen der Prostituierten Jahr um Jahr in wachsender Zahl vermehrte. Der
aus Griechenland und dem Orient eingeführte Dienst der Liebesgöttinnen
kam dabei den Neigungen und Wünschen der Frauen entgegen, die die
wüstesten Orgien aus ihm machten.[43]

Um der Verschwendungssucht der Frauen zu steuern, entstand schon während
der Punischen Kriege das Oppische Gesetz, wonach ihr Besitz an Gold und
Kleidern beschränkt und ihnen verboten wurde, in einem Wagen zu fahren.
Bald jedoch empörten sich die Frauen gegen diese Beeinträchtigung und
zwei Bürgertribunen beantragten die Abschaffung des Gesetzes. Da trat
zum erstenmal der strenge Sittenprediger und Vertreter altrömischer
Einfachheit, Marcus Portius Cato, gegen die Frauen auf. Unter großem
Zusammenlauf der Römerinnen erklärte er, daß jede Menschenart gefährlich
sei, wenn man ihr gestatte, sich zu versammeln und gemeinsam zu
beratschlagen. Gebe man den Wünschen der Frauen nach, die lediglich
ihrer Genußsucht fröhnen wollten, so würden sie bald volle
Gleichberechtigung fordern und die Männer auch im Staatsleben zu
beherrschen suchen.[44] Diese Philippika des strengen Römers,--der es
übrigens selbst so wenig ernst mit der Aufrechterhaltung alter Sitte
hielt, daß er sich von seiner Frau scheiden ließ, weil ein Freund von
ihm sie zu heiraten wünschte, und sie wieder zur Gattin nahm, als dieser
sie nicht mehr mochte--hatte zunächst wenig Erfolg, denn das Oppische
Gesetz wurde aufgehoben. Siebzehn Jahre später beantragte der Tribun
Voconius, daß keine Frau erbberechtigt sein und Legate von mehr als
100000 Sestertien (ca. 15000 Mk.) annehmen dürfe. Der damals
achtzigjährige Cato versagte es sich nicht, mit dem ganzen Gewicht
seines Ansehens und seiner Beredsamkeit für diesen Antrag zu kämpfen,
indem er die Ausschweifungen und die Genußsucht der Römerinnen heftig
tadelte, und seine Annahme schließlich durchsetzte.[45]

Aber wie kein Gesetz Sitten zu verbessern vermag, das sich nur mit den
Symptomen statt mit dem Grundübel beschäftigt, so hatte auch dieses
keine anderen Folgen, als daß die davon Betroffenen es auf Schleichwegen
zu umgehen suchten. Um sich von der vermögensrechtlichen
Unselbständigkeit zu befreien, schlossen die Frauen häufig mit Männern,
die sich dazu hergaben, gegen eine Abfindungssumme Scheinehen.[46] Sie
versuchten aber auch, auf die Gesetzgebung direkten Einfluß zu gewinnen,
indem sie durch Intriguen und Bestechungen aller Art die Abschaffung der
Vormundschaft durchzusetzen suchten. Aus dieser Thatsache, die in die
Zeit des Verfalls der römischen Republik fiel, ist sehr häufig der
Schluß gezogen worden, daß die Emanzipationsbestrebungen der Frauen
stets ein Zeichen für die Dekadenz des Volks, dem sie angehören,
und ein Beweis für die Korruption aller Sitten sind. Die
Emanzipationsbestrebungen der Römerinnen aber waren keineswegs identisch
mit denen der Frauen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Sie
entsprangen weder der Not, noch dem Bildungsdrang, noch dem
Pflichtgefühl gegenüber Staat und Gesellschaft; sie beschränkten sich
auf den kleinen Kreis der herrschenden, bürgerlichen Klasse, die niemals
eine Trägerin großer Reformen und einschneidender Umwälzungen gewesen
ist und sein kann. Eine Frauenbewegung im modernen Sinn konnte es nicht
geben. Dazu waren die römischen Bürgerinnen durch den großen Reichtum
moralisch zu schwach und zu verweichlicht, und die Scharen der
Sklavinnen durch die furchtbare Not und harte Arbeit zu stumpf und
vertiert geworden. Wir finden in der römischen Geschichte nirgends eine
Spur von dem Kampf der Frauen um höhere Bildung oder politische Rechte,
sie verlangten nur über ihr Vermögen frei verfügen zu können, um in
ihrem Genußleben unbeschränkt zu sein.

Von der altrömischen Ehe war kaum eine Spur mehr vorhanden. Noch stand
auf den Ehebruch der Frau eine harte Strafe; die Gattinnen
hochgestellter römischer Bürger gaben das Beispiel, wie man sich ihr
entziehen könne; sie ließen sich in die Listen der Prostituierten
eintragen, die straflos ihrem Gewerbe nachgehen konnten.[47]

Mit dem zunehmenden Luxus nahm die Ehelosigkeit überhand; die Männer
scheuten die Kostspieligkeit eines eigenen Hausstandes und zogen ein
freies Lotterleben vor, das die Denker und Dichter ihnen sogar
empfahlen.[48] Selbst einer der besten Männer des damaligen Rom, der
Censor Metellus Macedonicus, der den Bürgern die Pflicht zu heiraten
nachdrücklich einschärfte, erklärte sie für eine schwere Last, die der
Mann nur aus Patriotismus auf sich nehmen müsse,[49] damit der Staat
nicht untergehe. Was die griechische Gesetzgebung schon früh als eine
der ersten Bürgerpflichten hervorhob,--durch eine zahlreiche
Nachkommenschaft dem Vaterland zu nutzen,--das hat die römische erst
spät in ihre Bestimmungen aufgenommen. Denn für den Römer war die
Bezeichnung Kinderzeuger--proletarius--lange Zeit ein Ehrenname gewesen;
erst mit dem Niedergang der Republik war er zu einem Schimpfnamen
geworden. Von den Frauen wurde das Gebären als eine sehr unangenehme
Beeinträchtigung ihrer Schönheit und ihrer Vergnügungslust empfunden.
Die Männer wünschten sich so wenig Kinder als möglich, damit ihr
angehäufter Reichtum nicht zersplittert würde. Infolgedessen drohte die
Kinderlosigkeit verhängnisvoll zu werden; die Gesetzgebung sollte Hilfe
schaffen. Während Cäsars Konsulat wurden Verordnungen erlassen, nach
denen Unverheiratete keine Legate annehmen und die Väter vieler Kinder
bedeutende Privilegien genießen sollten.[50] Aber der beabsichtigte
Segen dieser Gesetze wurde in den Händen der entarteten Bürgerschaft in
sein Gegenteil verkehrt. Es wurden Ehen geschlossen, nur um der Legate
nicht verlustig zu gehen; viele Männer wurden zu Kupplern an ihren
eigenen Frauen, um an den Privilegien der Kinderreichen teilzunehmen.

Immer tiefer sanken die Frauen. Die begabteren unter ihnen, die ein
Leben äußerlicher Genußsucht nicht befriedigen konnte, versuchten durch
Hinterthüren in die für sie verschlossenen heiligen Hallen der Politik
einzudringen, oder sie benutzten das einzige öffentliche Recht, das sie
besaßen--das vor Gericht zu plaidieren--, um ihrem leeren Leben dadurch
Inhalt zu geben. Vielleicht, daß es unter ihnen Frauen gab, die durch
ihre Freimütigkeit den Zorn der männlichen Herrscher erregten,
vielleicht, daß sie für eine gute Sache eintraten und große Herren in
ihrem Ansehen schädigten,--wir wissen nichts Genaueres darüber, aber wir
können annehmen, daß selbst für die ungerechtesten Gesetzgeber kein
einzelnes Vorkommnis, wie das von dem Valerius Maximus erzählt, die
Ursache sein konnte, um den Frauen das Recht zu plaidieren, gesetzlich
abzuerkennen. Der römische Historiker berichtet nämlich,[51] daß die
Gattin des Senators Buccion, Afrania oder Cafrania, wie man sie später
nannte, mit Leidenschaft Prozesse führte und stets ihr eigener Anwalt
war. Dabei soll sie sich so skandalös benommen haben, daß der Prätor
sofort ein Edikt gegen das Auftreten von Frauen vor Gericht erließ, weil
sie sich entgegen "der ihrem Geschlecht zukommenden schamhaften
Zurückhaltung" in anderer Leute Angelegenheiten gemengt und männliche
Tugenden ausgeübt hätten.[52] Die spätere Justinianische Gesetzgebung
setzte dieser Verordnung die Krone auf, indem sie erklärte:[53] "Frauen
sind von allen Aemtern, bürgerlichen wie öffentlichen, ausgeschlossen,
können daher weder Richter sein noch Verwaltungsbeamte, noch können sie
klagen oder für andere als Beistände oder als Sachwalter vor Gericht
auftreten." Die Begründung für dieses Verbot lautete: "Es wird allgemein
angenommen, daß Frauen und Sklaven öffentliche Aemter nicht auszufüllen
vermögen."[54] Durch den Vellejanischen Senatsschluß wurden sie
schließlich auch in privater Beziehung völlig rechtlos, da sie für
unfähig erklärt wurden, Bürgschaften irgend welcher Art zu
übernehmen.[55]

Das Bild der Frauenwelt Roms zu Beginn unserer Zeitrechnung ist das
dunkelste, das die Sittengeschichte bis dahin aufzuweisen hatte. Kaum
ein Lichtstrahl erhellte es, denn selbst die Dichter, die sonst die
Frauen immer zu preisen pflegen, überhäuften ihre Zeitgenossinnen mit
Hohn und Spott, oder besangen nur die Dirnen unter ihnen, von denen
keine die geistige Höhe griechischer Hetären erreicht hatte. Nur
vereinzelt und beinahe schüchtern versuchten einige Schriftsteller der
allgemeinen Meinung entgegenzutreten. So sprach sich Cicero nicht, wie
man infolge einer mißverständlichen Auffassung des Textes oft meint, für
die Abschaffung der Vormundschaft der Frauen, sondern vielmehr dafür
aus, daß jene Art Sittenpolizei, die über die Aufführung und den Luxus
der Frauen in Griechenland zu wachen hatte, nicht in Rom eingeführt
werde; statt ihrer sollte "nur ein Censor da sein, der die Männer lehre,
ihre Weiber gehörig zu leiten".[56]

Und Cornelius Nepos spricht in der Vorrede zu seinen Biographieen seine
Zustimmung zu nichts anderem aus, als dazu, daß die Römerin im Gegensatz
zur Griechin an Gastmählern teilnehme, Besuche empfange und nicht wie
jene im Frauenhaus eingesperrt sei.[57] Wichtiger, als diese kurzen
Bemerkungen, die nur deshalb erwähnenswert sind, weil ihre Bedeutung
leicht überschätzt und Cicero zuweilen als Vorkämpfer der
Frauenemanzipationgefeiert wird, ist die Schrift Plutarchs über die
Tugenden der Weiber. Er erzählt darin von einer ganzen Anzahl edler und
heldenmütiger Frauen und erklärt in der Einleitung, durch diese
historische Beweisführung den Satz bewahrheiten zu wollen, daß die
Tugend des Mannes und die des Weibes gleich sei.[58] Aber auch er ist
weit entfernt davon, den Schluß auf die Notwendigkeit gleicher Rechte
daraus zu ziehen.

Weit mehr als diesen zweifelhaften "Vorkämpfern" der Sache der Frauen
ging einem anderen, geistig und moralisch höher stehenden römischen
Schriftsteller--Tacitus--die Not seiner Zeit, die unwürdige Stellung
seiner weiblichen Landsleute zu Herzen, und mit tieferem Ernst als sie
suchte er dagegen anzukämpfen. Er entwarf von dem Volk der Germanen ein
schattenloses Bild und der Gedanke liegt nahe, er habe es hauptsächlich
geschrieben, damit Rom an dieser schlichten Reinheit seine eigene
Verworfenheit erkennen möge. Er glaubte an die Wirkung des guten
Beispiels mehr als an die wohlgemeinter Predigten und zog dabei nicht in
Betracht, daß gute Sitten sich nicht durch den guten Willen verpflanzen
lassen, sondern von selbst aus dem gesunden Boden der Volksnatur
hervorwachsen müssen.

In allen Völkern, deren Entwicklungsstufe dem Urzustand am nächsten
steht, die den schroffen Gegensatz von arm und reich, frei und unfrei
noch nicht kennen, ist die Lage der Frauen eine verhältnismäßig
günstige, weil die für die ganze Familie notwendig auszuführende Arbeit
allein in ihren Händen ruht, weil die Bildung der beiden Geschlechter
eine gleiche ist, und die uralte göttliche Verehrung der Mutterschaft
ihren Glorienschein noch auf das Weib zurückwirft. Die germanische Frau
erschien Tacitus in ihrer Keuschheit, ihrem Fleiß, ihrer Einfachheit als
das gerade Widerspiel der sittenlosen, faulen, verschwenderischen
Römerin. Mit dem Tode wurde der Ehebruch bestraft, mit Peitschenhieben
vertrieb man die Dirne aus dem Heerbann; "verführen und verführt werden
nennt man nicht Zeitgeist, und mehr wirken dort gute Sitten als anderswo
gute Gesetze."[59] Die Mühseligkeiten mondelanger Wanderungen mit
Kindern und Hausgerät, die Schrecken der Fehden und Kriege teilten die
Weiber mit den Männern. Das Klima ihrer Heimat und die Strapazen ihres
Lebens hatten sie widerstandsfähiger und kräftiger werden lassen als
andere ihres Geschlechts. Trotz alledem war die Germanin nicht der Typus
der glücklichen, freien, gleichberechtigten Frau, wie sie einem Tacitus
auf den ersten flüchtigen Blick erscheinen mochte. Auch sie war nur des
Mannes willenloses Eigentum; alle Arbeit, auch die des Feldes, lag
allein in ihren Händen, während der Mann im Frieden auf der Bärenhaut
lag. Sie mußte den Pflug führen und auf schweren Handmühlen das Getreide
mahlen, sie mußte die Hütte aufrichten, backen, Meth brauen, spinnen und
weben; sie blieb auch dann noch überlastet, als nach den großen
Wanderungen auch die Männer Ackerbauer geworden waren, denn das Gebiet
ihrer Thätigkeit umspannte, außer der häuslichen Wirtschaft, die
Viehzucht, die Schafschur, die Flachsbereitung und nicht zum mindesten
die aufmerksame Bedienung des Mannes.[60]

In der ganzen heidnischen Welt finden wir in Bezug auf die Stellung der
Frau nur Gradunterschiede. Infolge ihrer Geschlechtsfunktionen und der
notwendig daraus folgenden Beschränkungen war sie dem Manne
untergeordnet; Religion, Recht und Sitte heiligten und befestigten
diesen Zustand. Die wirtschaftlichen Verhältnisse trieben sie noch nicht
in den offenen Konkurrenzkampf mit dem Mann; selbst die Sklavin war
nicht die Konkurrentin, sondern die Leidensgenossin des Sklaven, und es
gab daher wohl Sklavenkriege, aber keine Frauenbewegungen. Erst mußte
die Frauenfrage in ihrer ganzen Schärfe formuliert werden, ehe eine
Bewegung sich ihre Lösung zum Ziel setzen konnte. Nur leise Spuren von
ihr haben wir in Griechenland und Rom verfolgen können. Mit dem
Zusammenbruch der antiken Gesellschaft und dem allmählichen Auftauchen
neuer Lebens- und Arbeitsformen tritt sie immer deutlicher hervor, bis
sie auf jenen Höhepunkt gelangt, von wo aus ihr Flammenzeichen überall
sichtbar werden sollte.



2. Das Christentum und die Frauen.


Während Rom auf der Höhe seiner äußeren Macht zu stehen schien, im
Innern aber von der schleichenden Krankheit der allgemeinen Korruption
so zerfressen wurde, daß sein Zusammensturz nahe bevorstand, war über
Bethlehem, mitten unter dem geknechteten, geschmähten Judenvolk jener
Stern aufgegangen, durch dessen Glanz Rom zu neuer Weltherrschaft
auferstehen sollte.

Es ist hier nicht der Ort, den innigen Zusammenhang der Entstehung des
Christentums mit den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen der
Zeit, in der es sich ausbreitete, näher zu erörtern. Es mußte über den
Kreis des armen Volks, dem sein Gründer angehörte, schnell
hinauswachsen, weil der Boden im römischen Reich überall dafür
vorbereitet war. Den Philosophen waren seine Gedanken zum Teil schon
vertraut; von dem Nebenmenschen als dem Bruder hatte schon Plato
gesprochen; die Stoiker lehrten die Verachtung irdischer Güter und waren
die ersten gewesen, die erklärten, daß der Mensch auch gegen seine
Sklaven moralische Verpflichtungen zu erfüllen habe. Und der Mühseligen
und Beladenen gab es mehr als genug; für sie alle war das Christentum
der Rettungsanker, der sie über ihr eigenes Elend hinaushob, der
Hoffnungsstrahl, der in ihre Nacht leuchtete. Es war nicht jene vage
Hoffnung der späteren Christen, die von der ewigen Seligkeit die
Entschädigung für ihre irdischen Schmerzen erwarteten, sondern der
sichere Glaube an das nahe Ende der Welt, an die Wiederkehr Christi und
an die Aufrichtung des tausendjährigen Reiches. Unter all den Armen und
Elenden, die ihm zuströmten, kamen auch jene gequältesten aller Menschen
in Scharen, die Frauen. Ihnen brachte das Christentum neben dem Trost
und der Hoffnung, die es allen Unterdrückten brachte, noch etwas ganz
Besonderes: Die Gleichwertung des Weibes mit dem Manne als moralisches
Wesen, als "Kind Gottes".

Sowohl die orthodoxen Anhänger des Christentums als seine fanatischen
Verächter sind, soweit sie für die Frauenemanzipation eintreten, anderer
Ansicht. Die einen behaupten, indem sie das Wort des Apostels Paulus:
"Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier,
hier ist kein Mann noch Weib;"[61] aus dem Zusammenhang herausreißen,
daß das Christentum sich darin für die volle Gleichberechtigung der
Frauen ausspricht; die anderen stützen sich auf jenen Satz desselben
Apostels: "Das Weib schweige in der Gemeine,"[62] wenn sie erklären, das
Christentum habe das weibliche Geschlecht nicht nur nicht befreit,
sondern nur noch vollständiger geknechtet.

Das ursprüngliche Christentum aber ist von beiden Meinungen gleich weit
entfernt. Eine Frauenemanzipation im modernen Sinn ist ihm ebenso fremd,
wie eine Emanzipation der Sklaven ihm fremd war. Dagegen hatten Leid,
Not und Unterdrückung die männlichen und weiblichen Lasttiere der
Gesellschaft so aneinander gekettet, daß die neue Religion beiden
denselben Trost, dieselbe Hoffnung, dieselben Vorschriften geben mußte.
Wenn der Apostel Paulus sagt: "hier ist kein Mann noch Weib", so fügt er
gleich hinzu: "ihr seid allzumal einer in Christo Jesu" und schickt
voraus: "ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christo
Jesu".[63] Nur vor Gott also, nicht vor dem Staat, sind Herren und
Sklaven, Männer und Frauen gleich. Aber auch die Verachtung des Weibes
ist keine ursprüngliche Lehre des Christentums. Wenn als eine natürliche
Reaktion gegen die furchtbaren geschlechtlichen Ausschweifungen jener
Zeit die Enthaltung von allem Geschlechtsverkehr als besonders heilig
und eines Christen würdig gepriesen wurde, so wurde die keusche Jungfrau
stets dem keuschen Jüngling gleich gestellt.[64] Nicht der Mann wurde
vor der Berührung des Weibes, als des bösen Prinzips, gewarnt, sondern
beiden wurde der ledige Stand als der gottgefälligere anempfohlen.[65]

Wie wir wissen, galt bei den Alten der Ehebruch des Weibes für ein
todeswürdiges Verbrechen, während der ehebrecherische Mann zumeist
straflos ausging. Christus stellte das sündige Weib dem sündigen Manne
gleich, indem er sagte: "wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den
ersten Stein auf sie", und er verdammte die Reuevolle nicht.[66] Er
forderte von beiden die eheliche Treue,[67] seine Jünger verlangten vom
Mann, daß er sein Weib liebe, wie sie ihn,[68] und die Ausgießung des
heiligen Geistes erfolgte ausdrücklich über "Söhne und Töchter".[69] In
dieser moralischen Gleichstellung der Frau mit dem Mann liegt die
Bedeutung des Christentums für das weibliche Geschlecht. Weiter aber
reicht sie nicht. Alle Einzelvorschriften, soweit sie sich auf das Weib
beziehen, erheben sich nicht über die bekannten religiösen und
weltlichen Gesetze der morgen- und abendländischen Völker. Das Weib muß
dem Manne gehorchen, ihm unterthan,[70] schweigsam und häuslich
sein,[71] es darf weder lernen noch lehren[72] und soll selig werden
durch Kinderzeugen.[73] Das alles bedeutet keinen Fortschritt in Bezug
auf die Auffassung von der Stellung des weiblichen Geschlechts, aber es
bedeutet ebensowenig eine verschärfte Knechtung.

Erst als das Christentum aus einer Religion der Armen und Verfolgten zur
Staatsreligion wurde, erfuhr es seitens seiner Hauptträger eine den
neuen Verhältnissen entsprechende Umwandlung. Die Kirchenväter und die
Gesetzgeber des kanonischen Rechts nutzten Aussprüche Christi und der
Apostel insoweit aus, als sie der Ausbreitung der Macht der Kirche
förderlich sein konnten, und ließen andere außer acht, die diesem Zweck
nicht dienstbar zu machen waren. Während Paulus seine Predigt von der
größeren Heiligkeit des ehelosen Lebens nicht nur an beide Geschlechter
richtet, sondern sie ausdrücklich damit einleitet, daß er sagt, er teile
nur seine eigene Meinung, nicht ein Gebot des Herrn mit,[74] klammerten
sich asketische Eiferer an Sätze wie: "Es ist dem Menschen gut, daß er
kein Weib berühre",[75] und "Adam ward nicht verführet; das Weib aber
ward verführet und hat die Uebertretung eingeführet"[76] und verdammten
die Ehe als ein Laster, das Weib als diejenige, die dem Teufel Eingang
verschaffte.[77] Das kanonische Recht erhob die Auslegungen der
apostolischen Lehren durch die Kirchenväter zum Gesetz, indem es unter
anderem verfügte: "die Frau ist nicht nach dem Bilde Gottes geschaffen.
Adam ist durch Eva verführt worden und nicht Eva durch Adam. Es ist
daher recht, daß der Mann der Herr der Frau sei, die ihn zur Sünde
reizte, auf daß er nicht wieder falle. Das Gesetz befiehlt, daß die Frau
dem Manne unterworfen und beinahe seine Dienerin sei."[78]

Am deutlichsten jedoch kam die niedrige Auffassung, welche die römische
Kirche vom Weibe hatte, dort zum Ausdruck, wo sie dem Rechtsbewußtsein
der Germanen gegenübertritt, und zwar ist eine einzige Thatsache
ausreichend, um den Gegensatz beider zu kennzeichnen: die Germanen
verlangten für ein verletztes Weib ein höheres Wehrgeld als für einen
verletzten Mann, weil sie in jedem Weibe die Mutter ehrten, und die
Schwache und Wehrlose zu verwunden für besonders schmachvoll galt; vom
Mörder einer Frau forderten sie ein zweimal höheres Wehrgeld, als vom
Mörder eines Mannes. Nach dem ersten Gesetzbuch dagegen, das durch die
römische Kirche einem germanischen Volke gegeben wurde--dem Fuero juzgo
der Wisigoten--und das in Bezug auf die Ansichten des Klerus von den
Rechten der Frau typisch ist, galt des Weibes Leben nur halb so viel als
das des Mannes, denn ihrem Mörder wurde nur die halbe Buße
auferlegt.[79]

In einer Beziehung nur machte die römische Kirche den heidnischen
Germanen und ihrer Verehrung des mütterlichen Prinzips in der Natur eine
Konzession, um sie dadurch leichter unter Kreuz und Krummstab zwingen zu
können: sie erhob die Mutter mit dem Kind auf den Thron des Himmels.
Dem ursprünglichen Christentum hatte der Kultus der Frau fern gelegen;
die Mutter Jesu verschwindet in den Evangelien fast vollständig,
Christus selbst weist sie hart zurück, als sie wagt, ihm einmal einen
mütterlichen Rat zu geben. Ihre Gestalt, wie sie der Katholizismus heute
kennt, und die Verehrung, die ihr gezollt wird, sind nichts anderes als
eine Reminiszenz an den heidnischen Götterdienst. Die Kirche verstand
es, die heidnischen Feste durch christliche, die Götter durch Heilige zu
ersetzen und den Germanen das Christentum durch die "Mutter Gottes"
vertraut zu machen. Daß der Madonnenkultus ein dem Baum der Kirche
künstlich aufgepfropftes Reis war, geht schon daraus hervor, daß trotz
der Verehrung der himmlischen Jungfrau die Missachtung des weiblichen
Geschlechts sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigerte.

Die "Kreuzigung des Fleisches" wurde gleichbedeutend mit der Flucht vor
dem Weibe. Auf dem Konzil zu Mâcon entschied sich die Majorität dafür,
dem Klerus zu befehlen, die Frauen zu fliehen. Das Konzil zu Metz
verschärfte diesen Befehl, indem es den Priestern sogar den Umgang mit
Mutter und Schwester verbot. Während sich in der ersten Zeit des
Christentums nur die Mönche dem Gebot der Keuschheit unterworfen hatten,
wurde es nun für den gesamten Klerus obligatorisch. Die Folgen des
Cölibats einer großen Zahl von Männern--meist der geistig
hervorragendsten ihrer Zeit--waren von weittragender Bedeutung. Wohl hat
sich die Kirche in ihnen eine Armee hingebender Kämpfer geschaffen, die
durch keinerlei Familieninteressen von ihren Pflichten ihr gegenüber
abgelenkt wurden, aber wenn sie glaubte durch die Verherrlichung der
Keuschheit, durch die erzwungene Abtötung der geschlechtlichen Triebe im
Dienste einer höheren Sittlichkeit zu handeln, so hatte sie nur mit
abstrakten Theorieen, nicht aber mit der lebendigen Natur gerechnet. Sie
erreichte nicht nur das Gegenteil von dem, was sie bezweckte, denn neben
dem außerehelichen Geschlechtsverkehr und der raschen Zunahme der
Prostitution wuchsen besonders in den Klöstern die widernatürlichen
Laster empor, sie fügte dem ganzen sittlichen Leben des Volkes einen
Schaden zu, an dem es noch heute krankt, und durch den das weibliche
Geschlecht am schwersten getroffen wird. Sie degradierte die
natürlichsten Beziehungen der Geschlechter zu einander und suchte sie
als etwas, dessen sich der Mensch schämen müsse, zu verhüllen; die Ehe
war für sie in erster Linie eine "Vereinigung der Seelen", selbst die
Geschlechtsliebe in der Ehe galt für sündhaft oder besten Falls für
einen Tribut, den der Mensch seiner sittlichen Schwachheit, seiner
Gottentfremdung bringen müsse.[80] Die äußere Heiligung der Ehe durch
ihre Erhebung zum Sakrament und die Erklärung ihrer Unauflöslichkeit hat
die innere Zerstörung, der die tiefste Beziehung der Menschen zu
einander durch die Kirche ausgesetzt wurde, nicht aufzuhalten vermocht.
Heuchelei, Prüderie, Unterdrückung der besten Gefühle durch eine falsche
Moralität sind die Folgen davon und ein großer Teil der psychologischen
und sittlichen Seite der Frauenfrage ist auf die durch die römische
Kirche dem Volksbewußtsein eingeimpfte Meinung von Liebe und Ehe
zurückzuführen.

Aber auch nach anderer Richtung hin wurde die Entstehung der Frauenfrage
durch die Kirche beeinflußt: der wachsenden Zahl der ehelosen
Geistlichen und Mönche stand eine gleiche Zahl alleinstehender Frauen
gegenüber. Die Gründung der Nonnenklöster war eine notwendige Folge
davon. In Massen strömten die Frauen in ihre schützenden Mauern. Es
blieb ihnen nur die Wahl zwischen dem Kloster und dem Frauenhaus und
wenn auch viele nur Nahrung und Obdach suchten, so wurde doch auch die
Zahl derer immer größer, die sich vor den Unbilden des rauhen Lebens
draußen in der Welt nach einer Stätte friedlicher Arbeit und geistiger
Vertiefung sehnten. In den Klöstern wurde den Frauen eine im Vergleich
zur allgemeinen Bildung ihres Geschlechts hohe Gelehrsamkeit zu teil.
Sie lernten die klassischen Sprachen und gewisse Zweige der
Wissenschaften und manche weise Klosterfrau wurde die Beraterin von
Päpsten und Königen. Eine solche war Hildegard von Bockelheim, die
Aebtissin des Klosters Rupprechtshausen, die im 11. Jahrhundert neben
Heiligengeschichten eine Reihe physikalischer und zoologischer Werke
schrieb.[81] Auf derselben Stufe der Bildung stand die vielbewunderte
"nordische Seherin" Brigitta von Schweden[82] und Hrotswith, die
lateinische Dichterin der Ottonenzeit. Viele gelehrte Nonnen
beschäftigten sich mit dem Abschreiben alter Werke, dem Malen von
Initialen und Miniaturen, während andere als Lehrerinnen in den
Mädchenschulen ihrer Klöster, als Krankenpflegerinnen, Stickerinnen,
Weberinnen und Wäscherinnen thätig waren. So lösten die Klöster zum Teil
die mittelalterliche Frauenfrage, indem sie nicht nur der großen Menge
alleinstehender Frauen eine Zuflucht gewährten, sondern sie auch geistig
auf eine höhere Stufe erhoben und ihnen selbständige Berufe eröffneten.
Freilich darf nicht vergessen werden, daß ihre Bedeutung für die Hebung
des weiblichen Geschlechts nur ein paar Jahrhunderte lang geltend blieb,
denn schon mit dem 11. und 12. Jahrhundert begann ihr sittlicher
Verfall. Die bedenklichen, sich immer häufiger wiederholenden
Gründungen von Doppelklöstern,--Mönchs- und Nonnenklöster dicht
nebeneinander,--gaben mit den Anlaß dazu. Die Natur ließ ihrer nicht
spotten; sie siegte über einen asketischen Fanatismus, der die
unfruchtbaren "Gottesbräute" heilig sprach und die Mütter vor ihnen
erniedrigte. Aus Orten der Gelehrsamkeit und des Fleißes wurden die
Klöster Orte des geistigen Stumpfsinns und der Trägheit, aus Stätten
frommer Andacht und reiner Sitte, Stätten lüsterner Freuden und wilder
Unzucht. Die Reformation fegte sie fort, und es ist nicht zu verwundern,
daß die Reformatoren in ihrem blinden Eifer vergaßen, den Weizen von der
Spreu zu sondern. Sie schadeten dadurch dem weiblichen Geschlecht um so
mehr, als es in den Stürmen des dreißigjährigen Krieges und dem
allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang Zufluchtsstätten dringend nötig
hatte und in ihrer Ermangelung der Prostitution mehr denn je in die Arme
getrieben wurde.

Auch die Ansicht, die die Reformatoren vom Weibe hatten, war nicht
geeignet, es aus seiner gedrückten physischen und moralischen Lage zu
befreien. In schroffem Gegensatz zu der katholischen Predigt von der
Kreuzigung des Fleisches und der Verherrlichung des Cölibats hielten sie
das eheliche Leben für das eines Christen allein würdige,[83] aber nicht
als eine "Vereinigung der Seelen", sondern ausdrücklich als ein
"weltlich Geschäft", eine Vereinigung von Mann und Weib zur Befriedigung
natürlicher Bedürfnisse. Luther ging soweit, zu erklären, daß der Mann
das Recht habe mit der Magd sich einzulassen, oder sein Weib zu
verstoßen, wenn es ihm nicht zu Willen sei[84] und er gestattete sogar
dem Landgrafen Philipp von Hessen, eine zweite Ehe neben der ersten zu
schließen, weil er eine Doppelehe für sittlicher hielt, als eine
Mätressenwirtschaft und von der Unterdrückung sinnlicher Leidenschaft
nichts wissen wollte. Nach ihm war die Frau ausschließlich für den Mann
geschaffen; um Haushaltung und Kinderwartung allein hatte sie sich zu
kümmern,[85] eine Ansicht, die sich in der orthodoxen protestantischen
Kirche bis in die Neuzeit hinein erhalten hat.[86] Dem, übrigens
sagenhaften Streit der katholischen Priester zu Mâcon, ob die Frau eine
Seele habe, können die einundfünfzig Thesen der Wittenberger
Protestanten, welche beweisen sollten, daß die Weiber keine Menschen
seien, würdig zur Seite gestellt werden.

Das Christentum, dem die Frauen so begeistert wie einem Befreier
entgegenkamen, für das sie glaubensmutig den Märtyrertod starben, hat
ihre Hoffnungen nicht erfüllt. Mehr noch als aus den direkten
Beziehungen der Kirche zu den Frauen, tritt diese Thatsache aus der
allgemeinen Lage des weiblichen Geschlechts in rechtlicher,
wirtschaftlicher und sittlicher Beziehung während der geschichtlichen
Entwicklung der früheren Jahrhunderte hervor.

Das germanische Recht, dem das Gefühl der Hochachtung für die Frau und
Mutter zu Grunde lag, machte mehr und mehr jenem Rechte Platz, das dem
heidnischen und dem christlichen Rom zusammen seinen Ursprung verdankte,
und daher für das weibliche Geschlecht nur nachteilig sein konnte. Wie
es im allgemeinen sein Grundzug war, die Heiligkeit und
Unverletzlichkeit des Privateigentums scharf zu betonen, so trat diese
Tendenz besonders in Bezug auf die Frau hervor, die als des Mannes
unumschränktes Eigentum angesehen wurde. Der Vater konnte seine Tochter
vermählen, mit wem er wollte; der Vormund hatte volles Verfügungsrecht
über sein Mündel. Der Mann konnte sein Weib verschenken, ja bis ins 13.
Jahrhundert herein war es ihm im Notfall sogar gestattet, es zu
verkaufen.[87] Seine Witwe konnte er einem anderen vermachen, wie jedes
Stück seines Vermögens; und charakteristisch für die Rechtsanschauung
der Zeit war es, daß nur die Frau die Ehe brechen konnte,[88] denn sie
beging dadurch ein Verbrechen an des Mannes Eigentum; dagegen war er
unbeschränkt in der Freiheit, neben der Ehe im Konkubinat zu leben,
niemand nahm Aergernis daran. Aber auch ihrem Kinde gegenüber befand
sich die Frau, sofern es männlichen Geschlechts war, in untergeordneter
Stellung. Nur während der ersten Kindheit hatte die Mutter rechtliche
Gewalt über den Sohn. Mit dem siebenten Jahre schon war er ihr
entwachsen[89] und konnte sich z.B. in Friesland, falls sein Vater nicht
mehr am Leben war, selbst für mündig erklären und der Vormund der
eigenen Mutter werden.

Wie in der Familie, so war die Frau natürlich auch sonst überall
rechtlos. Sie konnte keinerlei Geschäfte selbständig abschließen; es war
genau vorgeschrieben, für welche Summe die Hausfrau, ohne die
Einwilligung des Hausherrn einzuholen, Einkäufe machen durfte. Nach
päpstlichem Recht konnte sie nicht als Zeugin auftreten, da ihr Zeugnis
stets für unzuverlässig galt.[90] Wo das Landesrecht es ihr gestattete,
wie z.B. im Kanton Bern, hatte nur die Aussage zweier Frauen die
Beweiskraft der eines Mannes.[91]

Hinter all diesen Vorschriften standen die höchsten Autoritäten:
Staat und Kirche. Gehorsam, Bescheidenheit, Unterwürfigkeit,
Selbstlosigkeit--das waren die Tugenden, die den Frauen von früh an
gepriesen wurden und die sie mit allen Unfreien gemeinsam hatten. Die
Gleichwertigkeit aller Menschen,--der Herren und Knechte, der Männer und
Weiber,--war ein Begriff, der mit dem primitiven Christentum wieder
verschwunden war.



3. Die wirtschaftliche Lage der Frauen.


Es giebt nur wenige Thatsachen, die gegen die Behauptung, daß das
Fortschreiten der Menschheit zu höherer Kultur von sittlichen Ideen und
moralischen Reformen in erster Linie abhängig sei, so schwer ins Gewicht
fallen, als die Entwicklung ethischer Religionen, wie z.B. die des
Christentums. Solange sie sich auf einen kleinen Kreis Gläubiger
beschränkten, blieben sie auf ihrer sittlichen Höhe, je mehr sie sich
jedoch ausbreiteten, desto mehr mußten sie sich den äußeren
Verhältnissen anbequemen, desto mehr sahen sie sich, wenn sie nicht ganz
untergehen wollten, gezwungen, ihnen ein Ideal nach dem anderen zu
opfern. So hatten auch die Grundforderungen des Urchristentums der
wirtschaftlichen Entwicklung, die zu Beginn des Mittelalters einen Stand
unfreier, gehorsamer, demütiger Arbeiter kategorisch forderte, weichen
müssen.

Jeder Hof, jede Burg waren mit ihren Feldern und Wäldern ein
wirtschaftliches Zentrum für sich, in dem aller Bedarf der Einwohner von
ihnen selbst geschaffen werden mußte. Der Herr des Landes war zugleich
ihr Herr, dem sie leibeigen waren, dem ihre Arbeitskraft, dem ihr Leben
selbst gehörte. "Er ist mein eigen, ich mag ihn sieden oder braten",
lautet ein altes Sprichwort, das der Freie dem Unfreien gegenüber
gebrauchte. Drastisch schilderte der englische Rechtsspiegel des 13.
Jahrhunderts die Lage der Hörigen, indem er sagt: "Diese können nichts
erwerben, es sei denn für ihre Herren; sie wissen am Abend nicht, welche
Dienste ihrer am Morgen warten; sie können von ihren Herren geschlagen,
gestoßen, gefangen werden ... Sie haben keinen Willen ohne ihre Herren,
und wenn sie im Eigentum ihrer Herren wohnen, so geschieht dies aus
Gnade, ohne Sicherheit, von einem Tage zum anderen."[92] Die Hörigkeit
war an Stelle der Sklaverei getreten und wies ihr gegenüber kaum
nennenswerte rechtliche und sittliche Fortschritte auf, sodaß ein hoher
Grad von Selbstbetrug dazu gehört, wenn die christliche Kirche
behauptet, sie habe die Sklaverei abgeschafft, und sei thatsächlich,
ihrem Ursprung getreu, ein Hort der Armen und Unterdrückten geworden.
Ihre Organe, die Priester und Aebte, übten dieselben Herrenrechte aus,
wie die Fürsten und weltlichen Machthaber. Das Los der Hörigen der
Klöster war kein besseres, als das derer, die im Dienste der Ritter
standen. Da sie nicht, wie die Sklaven, gekauft werden konnten, und es
für ihre Herren bei der Ausdehnung von Landbau und Industrie wichtig
war, eine genügende Zahl Arbeiter zu besitzen, galt es, sie zu züchten,
wie das vierfüßige Eigentum. Die Klöster, deren Macht auf ihrem Reichtum
beruhte, hatten strenge Vorschriften in Bezug auf die Heirat unter ihren
Hörigen. Klöster desselben Ordens pflegten sie untereinander
auszutauschen, um eine gleichmäßige Verteilung der Geschlechter
herbeizuführen und, durch Vermeidung der Ehen unter Verwandten, einen
kräftigen Nachwuchs zu erzielen. Jeder Herr hatte das Recht, die Heirat
einer hörigen Frau mit dem Hörigen eines anderen Herrn zu verbieten,[93]
oder sie nur dann zu gestatten, wenn statt der ihm verloren gehenden
Arbeitskraft eine andere geliefert wurde. Mit der Zeit entwickelte sich
daraus eine bestimmte Abgabe, die eine Art Loskaufgeld darstellte. Unter
den Karolingern konnte der Herr die hörige Frau, falls ihm nichts
gezahlt und kein Ersatz für sie gestellt worden war, gewaltsam ihrem
Gatten entreißen,[94] was meist dann geschah, wenn sie mehrere Kinder
geboren hatte, die er zur Hälfte mit der Mutter in seine Dienstbarkeit
zwingen durfte. Die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe wurde nur
insoweit anerkannt, als die Heiligkeit des Eigentums dadurch keinerlei
Schaden litt.

Die Arbeitskraft der Frau wurde besonders hoch geschätzt, denn die
schwersten und notwendigsten Arbeiten lasteten auf ihr. Die geistlichen
und weltlichen Herren hatten auf ihren Burgen, Höfen und Klöstern
ausgedehnte Werkstätten, in denen oft bis zu 300 hörige Frauen mit
Spinnen und Weben, Nähen und Sticken beschäftigt wurden.[95] Den
Stoff gaben nicht nur die Schafschuren und Flachsernten der
Herrengüter,--Arbeiten, die wieder von Frauen verrichtet
wurden,--sondern auch die Abgaben und Lieferungen der Unfreien und
Zinsleute.[96] Wie die moderne Arbeiterin zur Fabrik, so ging die Hörige
zum Frauengemach.[97] Ihre Arbeitszeit dauerte von Sonnenaufgang bis
Sonnenuntergang, erst im späteren Mittelalter wurde das Arbeiten bei
künstlicher Beleuchtung üblich. Lohn bekam sie nicht, dagegen eine meist
unzureichende Beköstigung,[98] und, wo diese fortfiel, vier Pfennig
täglich zu ihrem Unterhalt. Eine Meisterin, die zuweilen die Herrin
selbst war, stand den Arbeiten vor; Zeichnerinnen fertigten die Vorlagen
für die Stickereien an, die überall, auf Männer-und Frauenkleidern,
Wäsche, Wand- und Möbelbezügen angebracht wurden und oft sehr kunstvoll
waren. Geschickte Stickerinnen wurden ebenso hoch geschätzt wie die
Wirkerinnen seidener Bänder zum Besatz der Gewänder oder zum Schmuck des
Zaumzeugs. Da nicht nur für den Hausgebrauch gearbeitet wurde, sondern
stets ein Vorrat von Kleidern und Wäsche zum Geschenk an die Gäste oder
zur Ausstattung des großen Gefolges bei Turnieren und Festlichkeiten
vorhanden sein mußte, so war die Arbeit eine ununterbrochene und der
Arbeitskräfte gab es nie zu wenig. Auch die Herrinnen und ihre Töchter
hatten vollauf zu thun. Wie Weib und Weben schon in einer gewissen
sprachlichen Verwandtschaft steht, so galt das Spinnen und Weben
ausdrücklich für eine der höchsten Tugenden der Frauen. "Sie war fromm
und spann", heißt es häufig auf alten Grabsteinen oder in
Geschlechtsurkunden. "Die Männer sollen streiten, die Frauen sollen
spinnen", mahnte der christliche Volksredner Berthold von Regensburg.
Auch ist diese Frauenthätigkeit trotz ihrer unbeschränkten Ausnutzung
gewiß nicht die schlimmste gewesen. Weit härter war die Landarbeit, die
die hörigen Frauen zu verrichten hatten und zwar nicht nur für den
Gebieter, sondern auch für den eigenen Hausstand, im Dienste des Gatten.
Es ist mehr als eine Anekdote, wenn Lord Mahon in seiner Geschichte
Englands erzählt, daß ein Landmann, der einen Ochsen verloren hatte,
wohl heiratete, um auf solche Art den wohlfeilsten Ersatz zu haben.

Auch der Hausdienst der hörigen Frauen in den Höfen und Burgen war,
infolge der primitiven Hilfsmittel, außerordentlich schwer. Da sie Tag
und Nacht auf dem Posten und ihren Gebietern zur Verfügung stehen
mußten, so wohnten die für diesen Dienst bestimmten Mägde im Burgfrieden
selbst. Sie waren, oft bis hundert an Zahl, in dem neben der Werkstätte
befindlichen Frauenhaus untergebracht, wo sie aber nur schliefen, da
jede Stunde des Tages ihre Kräfte in Anspruch nahm. Vor der Erfindung
der Wassermühlen mußte das Korn von den Mägden mit der Hand gemahlen,
der Mühlstein mit dem Leib gedreht werden. Mit mächtigen Holzscheiten
wurden die riesigen Kamine geheizt, aus dem Brunnen im Hof, oder aus der
Quelle im Thal wurden die Wassereimer heraufgeschleppt. Neben der
Reinigung von Stuben und Küchen, wurde auch der Stall und der Garten
allein von Frauen besorgt.[99] Die Bedienung der Herrin, die Wartung der
Kinder, das Kochen und Auftragen der Speisen und Getränke gehörte
selbstverständlich zu ihrem Dienst. Aber auch die Bedienung der Männer
gehörte dazu. Die Mägde halfen dem Herrn wie jedem Gast beim An- und
Auskleiden, sie bereiteten ihm nicht nur das Bad, sie reichten ihm auch
die Linnentücher und trockneten ihm die Glieder.[100] Wünschte er es, so
mußten sie ihm ohne Widerrede im Schlafgemach Gesellschaft leisten--eine
Sitte, die im späteren Mittelalter so ausartete, daß es eine Forderung
der Gastfreundschaft war, eine Magd dem Gaste während seines Aufenthalts
zur freien Verfügung zu stellen.[101] So wurde die Einrichtung der
Frauenhäuser frühzeitig ein Herd der Prostitution, ein Harem der Ritter
und Fürsten,[102] und das berüchtigte jus primae noctis, dessen
Vorhandensein so vielfach angezweifelt wird, war überall in Kraft, wenn
es auch vielleicht als geschriebenes Recht gar nicht bestanden hat.

Arbeits- oder Lustsklavin--das war das Los der armen und unfreien
Frauen. Mit der durch Fehden, Bürgerzwiste und unaufhörliche Kriege
wachsenden Verelendung des Volkes, mit dem allgemeinen wirtschaftlichen
Niedergang wuchs die Sittenlosigkeit ins Ungemessene. Das jahrelange
familienlose Abenteurerleben der Kreuzfahrer, die den Luxus und die
Laster des Orients mit nach Hause brachten, trug auch nicht wenig dazu
bei. Den europäischen Söldnerheeren folgten Scharen von Dirnen, deren
Zahl sich in jeder Ortschaft vermehrte, wo die männliche Bevölkerung von
den zügellosen Horden niedergemacht, die weibliche geschändet,
und--soweit sie jung war--mitgeschleppt wurde. In kostbaren Gewändern,
hoch zu Roß, oder in Wagen und Sänften, zogen die Konkubinen der
geistlichen und weltlichen Herren mit zu den Reichstagen, den Konzilen
und ins Feld. So folgten dem Heere des Herzogs von Alba nach den
Niederlanden 400 Dirnen zu Pferde und 800 zu Fuße nach.[103] An den
Höfen von Frankreich und England waren vornehme Herren als Marschälle
über die Dirnen gesetzt. Im Felde führten besondere Amtmänner, die
Weibel genannt wurden, die Dirnen, wodurch dieser weibliche Tross eine
legale Existenzberechtigung erhielt. Wohl mochten die Mehrzahl
"fahrender Fräulein" durch bittere Not und harte Gewalt hineingetrieben
worden sein; viele unter ihnen aber, das ist zweifellos, zogen den
Landsknechten nach, weil sie in heißer Liebe und selbstloser Aufopferung
alles Elend und alle Gefahren mit dem Geliebten teilen wollten. So
unflätig und roh die Soldatenlieder jener Zeit uns auch in die Ohren
klingen mögen, wir werden uns dem gefühlswarmen Ton echter Hingebung
nicht verschließen können, der den Grundakkord bildet, sobald der Sänger
von seinem tapferen Liebchen erzählt. Um so höher ist diese Tapferkeit
einzuschätzen, als alles fahrende Volk, die Frauen insbesondere,
vogelfrei, ehr- und rechtlos war. Sie konnten gefangen, beleidigt und
getötet werden--für sie gab es keine Gerechtigkeit.

Auf die Ehe und das Familienleben wirkten die langen Abwesenheiten der
Hausherrn aus mehr als einem Grunde zerstörend: Nur zu häufig suchten
die verlassenen Frauen, wenn sie nicht ein einsames, freudloses Leben
führen wollten, bei jungen Pagen oder schmachtenden Minnesängern Trost,
und die Männer lernten vielfach jene Art Liebe kennen, die von steifer
Konvenienz und falscher Prüderei nichts weiß, die ganz Hingebung und
Aufopferung ist, und sie erfuhren, daß das Weib nicht nur zwischen den
wohlbehüteten friedlichen vier Pfählen des eigenen Heims eine sorgsame
Hausfrau sein kann, sondern daß sie als froher, bedürfnisloser
Zeltgenoß, als guter Kamerad Seiten ihres Wesens enthüllt, die er sonst
kennen zu lernen keine Gelegenheit hatte, und deren Wert unschätzbar
ist. Während die Kirche durch ihre übersinnliche Auffassung von der Ehe
erstickenden Mehltau auf die Blumen echter Liebe streute, wirkte die
Ausbreitung der mittelalterlichen freien Liebe wie glühender Sonnenbrand
auf eine nur an Schatten gewöhnte Pflanze. Der Ursprung dieser
tiefernsten und viel zu gering geachteten psychologischen und sittlichen
Seite der Frauenfrage reicht bis hierher zurück. Daß die für unheilig
erklärte, aus der Ehe herausgetriebene Liebesleidenschaft immer roher
und zügelloser und statt der Kern der Lebensfreude, der Sporn zu allem
Schönen und Großen, der Ausgang furchtbarer Laster und Verirrungen
wurde, ist bei den wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen
Zuständen des Mittelalters nicht zu verwundern.

Mit dem Aufblühen der Städte, dem verhältnismäßigen Wohlstand und
ruhigen, gesicherten Leben ihrer Bürger schienen im Schutze ihrer Mauern
die sittlichen Zustände reinere zu werden. Aber die tiefgreifende
Umwandlung der Arbeit und ihrer Bedingungen, die an Stelle der hörigen
Arbeiterin nach und nach den freien Handwerker treten, die Arbeiten der
Hausfrau und ihrer Mägde durch die verschiedenartigsten Gewerbe
übernehmen ließ, machte die Arbeitskraft zahlloser Frauen überflüssig,
sie selbst brot- und obdachlos, und führte sie dem Laster in die Arme.
Die ehrsamen Bürger, vor deren Augen die Prostitution sich mehr und mehr
breit machte, wußten diesem Uebelstand nicht anders zu begegnen, als
indem sie sogenannte Töchterhäuser oder Jungfrauenhöfe, die Nachfolger
der antiken Lupanare und Vorläufer der modernen Bordelle errichteten.
Sie verbargen dadurch nicht nur den ärgerniserregenden Anblick der
Dirnen, sie schufen sich auch einen geordneten, gesetzlich
sanktionierten Zugang zu ihnen, und halfen mit ihrer Schande den
Stadtsäckel füllen.[104] Der Magistrat verpachtete nämlich die Häuser an
Wirte und Wirtinnen, die sich eidlich verpflichten mußten, "der Stadt
treu und hold zu sein und Frauen zu werben".[105] Vornehme Gäste wurden
vom Magistrat selbst in die offenen Häuser geführt, oder von den
schönsten, festlich geschmückten oder ganz entkleideten Dirnen
empfangen. Jetzt erst wurde die Prostitution zum Gewerbe, das auch
äußerlich durch genau vorgeschriebene Kleidung kenntlich gemacht wurde,
jetzt erst haftete auf der Stirn der Dirne, die als "fahrendes Fräulein"
doch noch die Freiheit gehabt hatte, sich durch reine Liebe über sich
selbst zu erheben, das unauslöschliche Brandmal der Schande.

Sich auf ehrliche Weise durch das Leben zu schlagen, wurde dem
weiblichen Teil der städtischen Bevölkerung zunächst außerordentlich
erschwert, denn das zünftige Handwerk monopolisierte die Arbeit und
schloß die Frauen aus seinen Verbindungen überall aus. Trotzdem ergab es
sich von selbst, daß der Handwerker Frau und Töchter, deren Arbeitskraft
nicht mehr, wie früher, vom Haushalt allein in Anspruch genommen wurde,
zur Hilfe bei der Arbeit heranzog und schließlich auch die Mägde daran
teilnehmen ließ. Das Augsburger Stadtrecht des Jahres 1276 spricht schon
von Sohn oder Tochter, die das Handwerk lernen; das Zunftbuch der
Mainzer Schneider von 1362 gestattet dem Handwerker ausdrücklich, Frau,
Kinder und Magd zum Nähen zu verwenden, auch im Nürnberger Stadtrecht
ist von "Knaben oder Mägdelein" als Erlerner eines Handwerks oder einer
Kunst die Rede, und eine Londoner Proklamation des 14. Jahrhunderts über
die Aufnahme der Lehrlinge wendet sich an beide Geschlechter. Die
Mitarbeit der Frauen wurde aber keineswegs als Erziehung zur
gleichberechtigten selbständigen Ausübung des Handwerks betrachtet,
denn zunächst blieben ihnen trotz dieser Bestimmungen die Zünfte noch
verschlossen. Da aber die Zahl derjenigen schnell zunahm, die sich ihre
Lehrzeit bei dem Vater oder dem Meister zu Nutze machten, das Handwerk
selbständig betrieben und durch Unterbieten der üblichen Preise eine
gefährliche Konkurrenz zu werden drohten, entschlossen sich die
Handwerker auch den Frauen gegenüber den Zunftzwang auszuüben. So zwang
der Rat von Soest im Jahre 1317 die Näherinnen, der Zunft beizutreten.
Wenige Jahre später verfügte der Straßburger Rat infolge der Klagen der
Wollenweber über die außerhalb der Zunft arbeitenden Frauen, daß die
Weberinnen ihr beitreten müßten, und auch die in großer Zahl für sich
arbeitenden Schleier- und Leinenweberinnen hatten, der Zahl ihrer Stühle
entsprechend, einen Beitrag an die Zunft zu entrichten.[106]

Trotzdem die Notwendigkeit der Beteiligung der Frauen am zünftigen
Handwerk somit anerkannt wurde, waren doch nur in den seltensten Fällen
die Bestimmungen für beide Geschlechter die gleichen. Der Eintritt der
Frauen in die Handwerke, die an die Körperkräfte große Anforderungen
stellten, war schon von vornherein ausgeschlossen, weil niemand ein
Meister in seinem Handwerk werden konnte, der es nicht in allen seinen
Teilen selbst mit der Hand zu arbeiten vermochte.[107] Aber auch in den
Zünften, die zahlreiche weibliche Mitglieder hatten, wurden die Frauen
nur selten, z.B. hie und da in der Schneiderei, zur selbständigen
Meisterschaft zugelassen; sie konnten sie meist nur durch Erbschaft
erwerben, sofern sie das Handwerk ihres Mannes bei dessen Lebzeiten
schon betrieben hatten. So heißt es, in Anerkennung der Notwendigkeit
der Erhaltung verwaister Kinder durch die Witwe, in der Schneiderordnung
von Frankfurt a.M. aus dem Jahre 1585: Witwen sollen all das Recht
haben, das ihre Männer hatten, damit sie sich mit ihren Kindern ernähren
können. Diese Bestimmung erfuhr jedoch meist eine große Einschränkung
dadurch, daß die auf solche Weise zur Meisterschaft gelangten Frauen die
Lehrlinge ihres Mannes zwar behalten, aber keine neuen annehmen
durften,[108] sodaß sie nach wenigen Jahren schon aus Mangel an
Hilfskräften das Handwerk wieder aufzugeben gezwungen waren. Nur
ausnahmsweise entschlossen sich einige Zünfte, angesichts der bedrängten
wirtschaftlichen Lage vieler Handwerkerwitwen, dazu, ihnen das Recht
zuzugestehen, ein neues Handwerk zu erlernen, um es, nach Erwerbung der
Meisterschaft, ihren Kindern zu vermachen--eine Bestimmung, die schon
deshalb keine folgenschwere sein konnte, weil eine arme, kinderreiche
Witwe gar nicht die Möglichkeit besaß, eine lange Lehrzeit
durchzumachen.[109] Der einzige Ausweg, der ihr blieb, war fast immer
der, einen Gesellen zu heiraten, wozu sich die Gelegenheit um so
leichter bot, als er dadurch sofort Meister wurde.[110] Der weitere
Vorteil solcher Heirat war der, daß, wenn beide Eheleute desselben
Handwerks Meister waren, sie eine doppelte Zahl von Lehrlingen halten
durften. Dieselbe Bestimmung galt, wenn ein Gesell eine Meisterstochter
heiratete, ja sie verschärfte sich oft noch in der Weise, daß die
Gewinnung der Meisterschaft davon abhing.[111] Die Zünfte suchten
dadurch dem Eindringen einer unerwünschten Menge von Konkurrenten
vorzubeugen, wie sie aus demselben Grunde die Zahl der Lehrlinge
beschränkten, die Lehrjahre verlängerten, oder zu dem letzten
Gewaltmittel, der Schließung des Handwerks, schritten. Ideelle Bedenken
kamen ihnen inmitten des materiellen Kampfes nicht in den Sinn. Daß sie
den Egoismus förderten, der Habgier Thür und Thor öffneten, den
sittlichen Wert der Ehe untergruben, indem sie sie zum bloßen Geschäft
degradierten, und die Frau lediglich ein Mittel zum Zweck wurde, mögen
auch heute die Schwärmer für die gute alte Zeit des romantischen
Mittelalters nicht einsehen. Wo trotzdem ein freiwilliger Liebesbund
zwischen Mitgliedern verschiedener Zünfte vorkam, pflegte die Frau das
Handwerk, das sie als Mädchen gelernt hatte, weiter zu treiben; daraus
ergiebt sich, daß schon vor vier-, fünfhundert Jahren die Not die Frauen
zwang, mitzuverdienen und für die Masse des Volkes das Ideal der auf den
Erwerb nicht angewiesenen Hausfrau und Mutter unerreicht blieb.

Die meisten Frauen waren in der Textilindustrie und in den Weberzünften
zu finden. In Schlesien übertraf schon im 14. Jahrhundert die Zahl der
Garnzieherinnen die der Garnzieher; in Bremen, Köln, Dortmund, Danzig,
Speier, Ulm und München waren die Woll-, Schleier- und Leinenweberinnen
zu Hause.[112] In den Baseler Steuerregistern von 1453 werden zünftige
Teppichwirkerinnen angeführt; aber auch als Kürschner, Bäcker,
Wappensticker, Gürtler, Tuchscherer, Riemenschneider, Lohgerber,
Goldspinner und Goldschläger waren Frauen thätig.[113] Besonders in
Frankreich, für das durch die von Etienne Boileau im Jahre 1254
gesammelten Handwerksstatuten eine genaue Uebersicht der Arbeitsgebiete
des weiblichen Geschlechts ermöglicht ist, waren die Frauen in den
verschiedenartigsten Zweigen des Handwerks beschäftigt. Bei den
Kristallschleifern, den Seidenspinnern, den Leinenhosenmachern, und den
Nadelmachern fanden sich weibliche Lehrlinge und Gesellen in großer
Zahl. In einigen Gewerben, wie bei den Webern und Fransenmachern,
konnten Frauen Meisterinnen werden und Lehrlinge anlernen, und während
im Anfang des Eintritts der Frauen in die Handwerke nur die
Meistertöchter und allenfalls die im Hause dienenden Mägde als
Lehrdirnen zugelassen wurden, traten nach und nach immer mehr fremde
Frauen in die Lehre. Auch in den Bestimmungen der Wollen- und
Leinenweber in München und Speier wird der fremden Lehrmädchen besonders
Erwähnung gethan. Sie rekrutierten sich aus jener zunehmenden Menge
armer Mädchen, die aus dem durch die fortwährenden inneren Fehden
verwüsteten Lande in die Städte getrieben wurden, wo sie hofften,
lohnendere Beschäftigung und größere persönliche Sicherheit zu finden.
Infolge des großen Angebots weiblicher Arbeitskräfte sanken die
Gesellenlöhne und diejenigen Handwerker, die Frauen beschäftigten,
hatten im Wettbewerb vor den anderen einen Vorsprung.[114] Daher machte
der Haß der Gesellen gegen die weiblichen Kollegen sich sehr früh schon
geltend, ohne daß sich dem immer zahlreicheren Eintritt weiblicher
Arbeiter ins Handwerk Einhalt gebieten ließ. Kriege und Seuchen rafften
die Männer hinweg; durch das Zölibat der katholischen Geistlichkeit
wurden viele Frauen selbst zum Zölibat und selbständigen Erwerb ihres
Lebensunterhalts gezwungen. Auch die Bestimmung der meisten Zünfte, daß
der Gesell nicht heiraten, keinen "eigenen Rauch" haben durfte,[115] und
im Hause des Meisters leben mußte, wo seine Arbeitskraft mehr
ausgebeutet, sein Lohn durch Lieferung schlechter Lebensmittel mehr
verkürzt werden konnte, vermehrte die Zahl alleinstehender Mädchen. Die
Maurer-, Zimmerer- und Tuchmachergesellen, die heiraten durften, weil
die Aussicht, Meister zu werden, wegen des großen bei diesen Handwerken
nötigen Kapitals nur gering war,[116] mußten meist auch auf die
selbständige Erwerbsarbeit ihrer Frauen rechnen, weil sie als sogenannte
Stückwerker nur ein sehr geringes Einkommen hatten. Sie, wie die
Gesellen anderer Handwerke, die trotz des Verbotes heirateten, und, aus
der Zunft ausgeschlossen, in kleinen Orten als "Störer" sich
niederließen, durch schlechte Arbeit und niedrige Preise gegen die
Meister der Zunft konkurrierten,[117] bildeten das rasch zunehmende
Proletariat des Handwerks, das den Frauen auch nur Hunger und übermäßige
Arbeit zu bieten hatte. Es einzuschränken, um die schädigende Konkurrenz
los zu werden, war das eifrige Bestreben der Zünfte, die daher auch das
Heiratsverbot noch besonders verschärften, indem sie, wie aus der
Nürnberger Beutlergesellenordnung von 1530 hervorgeht, erklärten, daß
kein Gesell in seinem Handwerk gefördert oder unterstützt werden dürfte,
der ein Weib hat.[118]

Alle diese Umstände zusammengenommen führten dazu, daß nicht nur die
Zahl der Frauen an und für sich die der Männer bei weitem übertraf,
sondern daß auch die Zahl der alleinstehenden, auf selbständigen Erwerb
angewiesenen Frauen eine stets wachsende war. Zwar fehlt es an einer
umfassenden Statistik darüber, die Berechnungen aber, die einzelne
Städte anstellten, lassen auf die allgemeinen Bevölkerungsverhältnisse
annähernd richtige Schlüsse zu. Eine Zählung der Bevölkerung Frankfurts
a.M. im Jahre 1385 ergab auf tausend männliche elfhundert weibliche
Personen; eine zu Nürnberg im Jahre 1449 auf tausend erwachsene Männer
zwölfhundert und sieben Frauen; eine zu Basel im Jahre 1454 auf tausend
Männer über vierzehn Jahren zwölfhundert und sechsundvierzig
Frauen.[119] Die daraus entstehende Frauenfrage mußte sich auch dem
Gedankenlosen aufdrängen, um so mehr als ein erschreckendes Anwachsen
der Prostitution die nächste Folge war. Durch die Einrichtung von
Zünften, die bis auf ein oder zwei Zunftmeister das männliche Geschlecht
ausschlossen, suchten sich die Frauen selbst zu helfen. Die
französischen Seidenspinnerinnen und -Weberinnen, die Putzmacherinnen,
Stickerinnen und Geldtaschenarbeiterinnen des 13. und 14. Jahrhunderts
waren in solchen Zünften vereinigt, an deren Spitze eine
Zunftmeisterin--preudefames--zu stehen pflegte. In Köln bestanden schon
im 13. Jahrhundert verschiedene große weibliche Genossenschaften, wie
die der Spinnerinnen, Näherinnen und Stickerinnen,[120] und die
Garnmacherinnen und Goldspinnerinnen bildeten geschlossene weibliche
Handwerke, die Lehrlinge und Gesellen ausbildeten.[121] Aber dadurch
waren die vielen alleinstehenden Frauen noch nicht untergebracht. Die
Menge der Aermsten blieben vom Handwerk mit seiner langen Lehrzeit und
seiner beschränkten Zahl von Gesellen ausgeschlossen. Um sie
unterzubringen, reichten die Klöster nicht aus, die auch häufig die
Einzahlung eines kleinen Kapitals beim Eintritt der Novize forderten und
die Pforten zum Leben rücksichtslos hinter ihr verriegelten. Die
Zuflucht armer Frauen wurden daher von der Mitte des 13. Jahrhunderts an
die überall entstehenden Beginenanstalten. Es waren dies Vereine, die
der Wohlthätigkeit der Bürger oder der städtischen Initiative ihre
Entstehung verdankten. Sie nahmen in dazu bestimmten Häusern oder
Straßen Mädchen und Frauen auf, die zwar kein Ordensgelübde abzulegen
genötigt wurden, aber doch strengen Satzungen unterworfen waren, gleiche
Kleidung trugen, das Haus nur bei Tage verlassen durften, und ihren
Lebensunterhalt selbst erwerben mußten. Es gab kaum eine größere Stadt,
die nicht mehrere Beginenkonvente hatte; Köln allein besaß deren im 15.
Jahrhundert über hundert mit je acht bis zehn Bewohnerinnen, in Basel
gab es zur selben Zeit etwa 1500, in Paris 2000 Beginen, ein Frankfurt
a.M. gehörten im 14. Jahrhundert 6% der erwachsenen weiblichen
Bevölkerung den Beginenvereinen an.[122]

Das Angebot an billiger weiblicher Arbeitskraft war daher
außerordentlich groß. Die Beginen spannen, webten, nähten und wuschen,
sie kamen in die Häuser der Bürger zur Aushilfe im Haushalt, sie
beschäftigten sich mit jeder Art weiblicher Handarbeit und konnten, weil
sie umsonst wohnten, niemanden als sich selbst zu versorgen hatten und
ihre Bedürfnisse sehr bescheidene waren, mit dem geringsten Lohn
zufrieden sein. Auch außerhalb der Zünfte, der Klöster und der Vereine
wagten es alleinstehende Frauen einen Broterwerb zu suchen. In größeren
Städten gab es zuweilen weltliche Lohnschreiberinnen, die es zu einigem
Ansehen brachten, wie z.B. die Augsburger Bürgerin Klara Hätzler, die
infolge ihrer Gewandtheit sehr gesucht wurde. Häufiger werden weibliche
Aerzte erwähnt; in Frankfurt a.M. wird ihre Zahl am Ende des 14.
Jahrhunderts auf 15 angegeben und aus einem Edikt der französischen
Regierung vom Jahre 1311, wonach Aerzte und Aerztinnen sich einer
Prüfung unterziehen mußten,[123] geht hervor, daß man auch dort an
diesem weiblichen Beruf keinen Anstoß nahm. Jedenfalls war die Zahl der
Frauen, die sich ihm widmeten, zu gering, um den Konkurrenzneid ihrer
männlichen Kollegen zu erregen und sie wäre neben der Masse der armen
Handarbeiterinnen nicht zu erwähnen, wenn nicht daraus zu ersehen wäre,
wie früh die Frauen sich schon gezwungen sahen, auch in die höheren
Berufe einzudringen.

Die ersten, die den Kampf gegen die beängstigende Zunahme der
Frauenarbeit aufnahmen und energisch durchführten, waren die Zünfte.
Nachdem sie zuerst die Konkurrenz der nicht organisierten Arbeiterinnen
dadurch zu unterdrücken gesucht hatten, daß sie ihren Eintritt in die
Zünfte erzwangen, wuchs ihnen jetzt die Konkurrenz innerhalb der Zünfte
und die der ausschließlich weiblichen Zünfte über den Kopf; sie
veränderten daher ihre Taktik, indem sie die Frauen aus den Zünften
wieder hinauszutreiben versuchten. Charakteristischerweise verhüllten
sie ihren Konkurrenzneid zunächst mit einem sentimentalen Mäntelchen:
die Teppichweber sagten, ihre Arbeit sei für Frauen zu schwer, und
schlossen sie schon im 13. Jahrhundert aus ihren Zünften aus; die
Tuchwalker und die Kölner Tuchscherer und Hutmacher thaten
desgleichen,[124] indem sie feierlich erklärten, daß ihr Handwerk dem
"Manne zugehört". Bald bemühte man sich nicht mehr mit solchen
Erklärungen, denn der Kampf gegen die Frauenarbeit sprang auf Gebiete
über, auf denen von keiner zu schweren oder nur dem Manne zukommenden
Arbeit die Rede sein konnte, sondern die vielmehr von alters her
hauptsächlich den Frauen offen standen: der Textil- und
Bekleidungsindustrie. Im 16. Jahrhundert beschwerten sich vor allem die
Schneider in verschiedenen Mittelpunkten des Handwerks über die Zunahme
ihrer Arbeitsgenossinnen, und sie setzten es nicht nur durch, daß den
Frauen verboten wurde, andere als weibliche Kleidungsstücke
anzufertigen, sondern auch daß die Zahl der weiblichen Gehilfen und
Lehrlinge auf je einen bei einem Meister beschränkt wurde. Noch weiter
gingen die Württemberger Weber, indem sie die Anstellung weiblicher
Lehrlinge, selbst der Meisterstöchter überhaupt untersagten, und die
Färber, die alle Frauen aus der Zunft ausschlossen.

Das treibende Element in diesen Kämpfen waren weniger die Meister der
Zünfte, die durch die billige weibliche Arbeitskraft, durch die
Beschäftigung ihrer Frauen und Töchter ihre Konkurrenten aus dem Felde
schlugen, als die zu immer größerer Macht gelangenden Gesellenverbände.
Für die Lohnarbeiter war die Lohnarbeiterin die Feindin, die besiegt
werden mußte, um vorwärts zu kommen.

So hatte ein Gürtlermeister in Straßburg Mitte des 16. Jahrhunderts
seine beiden Stieftöchter zum Handwerk erzogen und erregte dadurch den
Zorn des Gesellenverbandes seiner Zunft in dem Maße, daß es zur
Arbeitseinstellung kam, die zwei Jahre währte und mit der Niederlage des
Meisters und der Frauenarbeit endete.[125] Und wie hier das Kampfmittel
des Strikes, so wurde in einem anderen Fall das des Boykotts mit Erfolg
angewandt. Die Straßburger Nestler beklagten sich nämlich bei den
Nürnbergern, daß diese Mägde beschäftigten und das Handwerk daher zu
Schaden käme, und drohten ihnen, alle in Nürnberg gelernten Nestler für
untauglich und unredlich zu erklären, wenn sie diesen Uebelstand nicht
beseitigen würden.[126]

Ein Beispiel, wie die Wandlung sittlicher Begriffe Hand in Hand geht mit
der Veränderung wirtschaftlicher Zustände, bietet die Thatsache, daß der
Frauenarbeit im Verlaufe des Kampfes gegen sie und nach ihrer
Unterdrückung der Stempel des Unehrlichen, sittlich Verwerflichen immer
deutlicher aufgeprägt wurde. Der Mann hielt es für unter seiner Würde,
neben einer Frau zu arbeiten. Die Schneider- und Gürtlerordnung sowie
die Nürnberger Beutlergesellenordnung, verbieten es dem Gesellen
ausdrücklich.[127] Die Nürnberger Buchbindergesellen erklärten jeden für
unehrlich, der mit einer Magd arbeitet, und was zuerst nur die
Gesellenverbände und die Zünfte beschlossen, wurde schließlich in die
Ratsschlüsse und landesherrlichen Verfügungen aufgenommen. Sie verboten
nicht nur die Arbeit der Frauen in den Zünften, sie hielten sie auch für
schändend, indem sie die mit den Frauen arbeitenden Männer als
unredliche bezeichneten.

Mit dem Ende des 17. Jahrhunderts waren die Frauen aus dem zünftigen
Handwerk hinausgedrängt und das männliche Geschlecht wurde überall zur
Bedingung des Eintritts.[128] So schien der Feind besiegt, während
thatsächlich die Sterbestunde der Zünfte schlug, und er sich nur in den
Hintergrund zurückgezogen hatte, um von da aus des Handwerks goldenen
Boden weiter zu unterminieren.

Verbieten ließ sich den Frauen die Arbeit nicht; die Not zwang sie dazu,
und es hieß jetzt nur, neue Bedingungen für sie zu suchen. Wie die
sogenannten Stückwerker, die, außerhalb der Zünfte stehend, für geringen
Lohn arbeiteten, wurden nunmehr die Frauen in steigendem Maße von den
Meistern und den "Verlegern", kaufmännischen Auftraggebern, in ihrem
eigenen Hause beschäftigt.[129] Da diese Beschäftigungsweise an keine
Werkstatt, an keine zünftigen Bestimmungen gebunden war, für die Frauen
einen sehr gesuchten, wenn auch noch so kümmerlichen Erwerb bildete und
für die Auftraggeber stets ein glänzendes Geschäft bedeutete, so dehnte
sie sich rasch bis in die entferntesten Bauernhöfe aus und riß die große
Masse des weiblichen Geschlechts in ihren Frondienst. Es war nicht mehr
jene Heimarbeit wie zur Zeit der Hofverfassung, die für den Bedarf der
Hofgenossenschaft allein produzierte, es war nicht mehr die Arbeit im
Rahmen des zünftigen Handwerks, die doch einige Aussicht auf
Vorwärtskommen, auf Selbständigkeit in sich schloß, es war vielmehr jene
Lohnarbeit, durch die eine immer wachsende Zahl der Bevölkerung in
dauernde Abhängigkeit vom Kapitalismus geriet und zum besitz- und
aussichtslosen Proletariat herabgedrückt wurde. Durch sie zerfiel das
Handwerk und verwandelte sich zum Teil selbst in die Hausindustrie,[130]
denn zahlreiche verarmte Handwerksmeister wurden Hausarbeiter im Solde
der Unternehmer und nicht nur die Frauen, auch die Kinder, die das
zünftige Handwerk nicht beschäftigt hatte, wurden zur Mitarbeit
herangezogen, um den kümmerlichen Verdienst ein wenig zu erhöhen.

Inzwischen hatte sich in aller Stille eine Revolution vorbereitet, die
die gesamte Arbeit überhaupt, die Frauenarbeit insbesondere, von Grund
aus umgestalten sollte. Sie beschleunigte die Auflösung des zünftigen
Handwerks, sie entführte die Frauen mehr und mehr dem häuslichen Herd,
aus ihr heraus entwickelte sich die moderne Großindustrie, die Mann und
Weib schließlich gleichmäßig in ihre Dienste zwang.

Ihre ersten Spuren lassen sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen,
wo die Kunst des Strickens zur Erfindung des Strumpfwirkerstuhls führte
und die Produktivität auf diesem Gebiete sich enorm steigerte. Auch die
durch Barbara Uttmann erfundene Spitzenklöppelei beschäftigte in
Deutschland viele Hunderte von fleißigen Händen, während die von Frau
Gilbert aus Italien in Frankreich eingeführte Kunst venezianischer
Spitzenarbeit schnell zu einer blühenden Industrie sich entwickelte, in
der am Ende des vorigen Jahrhunderts gegen 100000 Arbeiterinnen thätig
waren.[131] Mit dem Aufkommen des Stickrahmens verbreitete die
Weißstickerei sich rapid; durch die Band- und Schermühle, die
Schnellbleiche, die Tuchpresse, das Aufdrucken von Formen auf Zeug
fanden zahllose Frauen Beschäftigung, denn eine mannigfaltigere und
reichere Kleidung wurde dadurch weiten Kreisen zugänglich und die
Bedürfnisse danach, die sich früher, bei der schwierigen und
langwierigen Art ihrer Herstellung, auf die großen Damen der Höfe, die
Patrizierinnen der Handelsstädte und die Courtisanen beschränkten, ein
Gemeingut auch der Frauen des Bürgerstandes.

Aber wie geringfügig erscheint der Einfluß all der genannten technischen
Vervollkommnungen der Arbeitsmittel gegenüber der geradezu umwälzenden,
die von England 1767 durch Hargreaves Erfindung der spinning jenny,
einer zunächst durch Wasserkraft getriebenen Maschine, ausging! Sie
wurde von Jahr zu Jahr vervollkommnet, bis sie 20, 100 und schließlich
bis zu 1000 Faden spann. Mit ihr begann der Siegeslauf der
Maschinenarbeit, der Niedergang der Handarbeit.[132] Noch vor Anwendung
der Dampfkraft, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, entstanden
in England und Schottland die ersten Spinnereien, und 1788 gab es dort
bereits 142 Fabriken, die nicht weniger als 59000 Frauen und 48000
Kinder beschäftigten.[133] Große Fortschritte hatte indessen auch die
mechanische Weberei zu verzeichnen. Die durch Vaucanson erfundene, durch
Cartwright verbesserte und praktisch nutzbar gemachte Webemaschine trat
neben den außerordentlich vervollkommneten Webstühlen in Thätigkeit und
es waren auch hier Frauen, die in erster Linie zu ihrer Bedienung
herangezogen wurden. Zwischen 1762 und 1765 waren in Frankreich,
hauptsächlich in Saint-Quentin, 60000 Weberinnen allein mit dem Weben
von Linon, Batist und Gaze beschäftigt.[134]

Die Folgen einer solchen industriellen Entwicklung mußten für das
weibliche Geschlecht von schwerwiegender Bedeutung sein. Jede neue
Maschine, die die Arbeit von so und so vielen Handarbeiterinnen
verrichtete, machte viele brotlos oder erschwerte ihre hausindustrielle
Thätigkeit und drückte auf ihren Lohn. Sie entriß aber auch den Frauen
ihnen bisher fast ausschließlich vorbehaltene Arbeitszweige, wie das
Spinnen und Weben, indem sie Männer und Kinder zur Mitarbeit heranzog
und den Konkurrenzkampf heftiger denn je entbrennen ließ. Und endlich
griff sie auflösend und zersetzend in den einst so fest umfriedeten
Kreis des Hauses ein. Durch das Leben der Frau klaffte von nun an ein
furchtbarer Riß: die bittere Not zwang sie in die Fabrik, wo sie der
Ausbeutung schutzlos preisgegeben war, die Mutterliebe und die von
alters her ehrwürdigen Hausfrauenpflichten fesselten sie an ihr Heim.

Allen diesen aus dem wirtschaftlichen Fortschritt hervorwachsenden, in
das Volksleben tief eingreifenden Fragen, stand die Gesellschaft ratlos
gegenüber. Mit ungeschickten Händen versuchte man einzelne Knoten zu
entwirren, um nur immer neue zu knüpfen. Durch Unterdrückung der
gefährlichen Konkurrenz der billigen weiblichen Arbeitskraft sollte der
Not ein Ende gemacht, das Familienleben wieder hergestellt werden. So
wurde den Spitzenarbeiterinnen in Toulouse mit der Begründung, sie ihren
Frauenpflichten wiedergeben zu wollen, schon 1640 die Arbeit verboten;
in Sachsen verfügte ein Gesetz, daß Bauerndirnen keinen anderen Beruf,
als den häuslicher Dienstboten ergreifen durften; in der Oberlausitz wie
in Hannover wurden die "Eigenzimmerinnen", die sich nicht verdingen
wollten, mit schweren Steuern belastet.[135] Aus den Badestuben, dem
Schankgeschäft und dem Kleinhandel wurden die Frauen vertrieben. Die
Menge der Spitzenklöpplerinnen in Nürnberg veranlaßte den Kameralisten
J.L. Dorn strenge Polizeimaßregeln gegen selbständige Arbeiterinnen zu
verlangen. Doch den gewaltigen Strom der Entwicklung vermochten diese
Mauern und Wällchen nicht aufzuhalten, und die hingeworfenen Strohhalme
konnten die Menge der mit den Fluten Kämpfenden nicht retten. Den Frauen
des arbeitenden Volkes blieb nur die Wahl zwischen Ausbeutung, Hunger
und Schande.

Ihre Arbeitskraft war den Fesseln des Hauses entwunden; um ihre
wirtschaftliche Existenz mußten sie nicht nur selbständig kämpfen, sie
mußten sie auch von Grund aus neu auferbauen. Sie schleppten dieselben
Lasten wie ihre männlichen Arbeitsgenossen, nur daß sie noch
unterdrückter, noch rechtloser waren wie sie. Und wie alle am schwersten
Leidenden duldeten sie stumm.



4. Die Stellung der Frauen im Geistesleben.


Die wirtschaftliche Entwicklung wirkte in steigendem Maße auf die
Trennung der Menschheit in die Masse der Besitzlosen auf der einen und
die wenigen Besitzenden auf der anderen Seite. Der geistige Fortschritt,
die Ausbreitung allgemeinen Wissens und höherer Kultur wurden dadurch
bestimmt: harte Arbeit, unaufhörlicher Kampf ums tägliche Brot, raubten
dem Volk sowohl die notwendige Muße, als die geistige Frische und
Empfänglichkeit für eine tiefere Bildung, die daher zu einem Privilegium
der besitzenden Klassen werden mußte. Mehr noch als für die Männer gilt
diese scharfe Trennung für die Frauen, denen bedeutend weniger
Hilfsmittel zu Gebote standen, um die widrigen äußeren Lebensumstände
überwinden zu können.

Auch in die Klöster, die in der ersten Zeit ihres Bestehens
Zufluchtsstätten aller Bildung waren, traten meist nur begüterte und
vornehme Frauen ein. Wurden Arme aus Gnade und Barmherzigkeit
aufgenommen, so fanden sie als Mägde Verwendung und nahmen keinen Teil
an dem vielfach reichen geistigen Leben des Klosters. Wenn daher die
Geschichte der geistigen Entwicklung des weiblichen Geschlechts verfolgt
werden soll, so darf nicht vergessen werden, daß sie sich im allgemeinen
auf die Kreise der Besitzenden beschränkt, wie die Geschichte der
Frauenarbeit fast ausschließlich nur von den besitzlosen Frauen sprechen
konnte.

Im frühen Mittelalter waren Geistliche und fahrende Spielleute die
Lehrer der vornehmen Frauen. Sie vermittelten ihnen einen Grad von
Bildung, der zwar an sich gering genug war, aber immerhin den der
Männer im allgemeinen übertraf. Hieß es doch, daß Gelehrsamkeit den Mann
furchtsam und weibisch mache und daher möglichst zu vermeiden sei.[136]
Manche Burgfrau konnte nicht nur die Heiligenlegenden, sondern auch die
Bibel im Urtext lesen. Die traurigen, durch die unaufhörlichen inneren
Wirren verursachten Zustände, verbunden mit dem Einfluß der
protestantischen Kirche, die aller Frauenbildung durchaus abhold war,
hemmten im Norden Europas die Weiterentwicklung der geistigen Hebung des
weiblichen Geschlechts. Im Süden dagegen, vor allem in Italien, wo nicht
wie im deutschen Reich die unter dem Deckmantel religiöser Kämpfe
geführten Kriege der Fürsten untereinander allen Wohlstand untergraben,
die Gemüter erhitzt und mit dem schlimmsten Fanatismus, dem religiösen,
erfüllt hatten, wurden die Thore der Wissenschaft den Frauen weiter
geöffnet als je vorher.

Auf klassischem Boden war die antike Kunst und Wissenschaft zu neuem
Leben erwacht. Alle Umstände wirkten zusammen, um diese Wiedergeburt zu
ermöglichen. Die Kleriker, die die Sprache des Horaz und des Cicero
nicht untergehen ließen, die Kreuzfahrer, die nicht nur das Morgenland,
sondern auch das Land Homers und Platos wieder entdeckten, die fahrenden
Sänger, die ihre Weisen nach denen heidnischer Dichter formten, sie alle
bahnten dem Zeitalter der Renaissance die Wege, und die blühenden
Handelsstädte mit ihrem freien Bürgertum, die glänzenden Fürstenhöfe mit
ihren an Mitteln und Muße reichen Bewohnern bildeten den Nährboden, aus
dem es seine Lebenskraft sog. Auch die Religion war kein Hindernis; der
Glanz der Kirche hatte die weltentsagenden Lehren des ursprünglichen
Christentums längst vergessen machen.

Die Frauen nahmen, soweit sie den begüterten Volksklassen angehörten,
ohne darum kämpfen zu müssen an den geistigen Schätzen teil, die in fast
unerschöpflicher Fülle gehoben wurden. Ihre Zeit und ihre Kräfte wurden
nicht mehr durch die umfangreiche hauswirtschaftliche Thätigkeit
früherer Jahrhunderte in Anspruch genommen, da Handwerk und Industrie
die Herstellung einer großen Menge Gebrauchsgegenstände übernommen
hatten und die grobe tägliche Arbeit ausschließlich den Mägden
überlassen blieb. So war es nur eine natürliche Folge der Befreiung des
begüterten Teils des weiblichen Geschlechts von einförmiger Arbeitslast,
daß er an der Kunst, die ihn umgab, an der Wissenschaft, von der er
reden hörte, lebhafteres Interesse nahm und daß einzelne, besonders
begabte Frauen gelehrte Berufe ergriffen, oder künstlerisch thätig
waren. In den Häusern der Handelsherrn und den Palästen der Fürsten
genossen die Kinder beiderlei Geschlechts von humanistisch gebildeten
Erziehern denselben Unterricht. Hervorragende Pädagogen widmeten ihre
ganze Kraft der Heranbildung ihrer Zöglinge, sodaß z.B. eine Cäcilia
Gonzaga unter Leitung Vittorinos de Feltre schon mit zehn Jahren die
klassischen Sprachen vollkommen beherrschte.[137] Aber nicht einseitige
Gelehrsamkeit war das Ziel der Erziehung, vielmehr war es die
harmonische Ausbildung der ganzen Persönlichkeit, die Individualisierung
des einzelnen Menschen.[138] Die große Errungenschaft der Renaissance
für das weibliche Geschlecht lag demnach nicht darin, daß die
Universitäten den Frauen geöffnet wurden und der Ruhm einzelner
weiblicher Gelehrten die damalige Welt erfüllte, sondern in der
Anerkennung der Frau als eines selbständischen Menschen. Die höhere Form
des Umganges zwischen den Geschlechtern, von dem die italienischen
Novellisten[139] und Biographen erzählen, ist allein schon ein Beweis
dafür. Der Inhalt der Geselligkeit bestand nicht mehr allein in den
Freuden der Tafel und der Liebe, das Weib war nicht mehr nur Schaffnerin
und Geliebte, sie nahm an wissenschaftlichen Unterhaltungen teil, vor
ihr trugen die Dante, Petrarca, Boccaccio ihre Dichtungen vor, und ihr
reifes Urteil wurde dem der Männer gleich geachtet, ja häufig wog es
schwerer, als jenes.[140] Frauen, wie Katharina Cornaro in Venedig,
Isotta Malatesta in Rimini, Aemilia Pia in Urbino, Isabella von Este in
Mantua, Veronica Gambarra in Bologna waren der Mittelpunkt geistig
lebendiger Kreise, von deren Meinung der Ruhm so mancher Dichter und
Künstler abhing. Die größere Freiheit, welche die Frauen der Renaissance
genossen, die Selbständigkeit, mit der sie ihren eigenen Ueberzeugungen
und Gefühlen folgten, hat religiöse und moralische Zeloten veranlaßt,
sie als ganz besonders sittenlose Geschöpfe hinzustellen, und manche
führen sie noch heute als Beispiele dafür an, daß das Weib verderbe,
wenn es dem Manne sich gleich stellen wolle. Ein Vergleich jedoch
zwischen den im allgemeinen geistig tief stehenden Frauen Frankreichs
und Englands im 15. und 16. Jahrhundert mit den hochgebildeten Frauen
Italiens zur gleichen Zeit, muß durchaus zu Gunsten dieser entschieden
werden.[141] Sie waren keine stillen stumpfen Dulderinnen oder
hinterlistige Intrigantinnen, sie zerrissen daher häufig die Bande
entwürdigender Ehen und folgten der Stimme ihres Herzens, und diese
höhere Sittlichkeit schloß von selbst leichtfertige Sittenlosigkeit
gerade bei den bedeutendsten unter ihnen aus.

Wo aber die allgemeine Bildung der Frauen in einseitige Gelehrsamkeit
ausartete und wo Frauen als Künstlerinnen, Dichterinnen oder Rednerinnen
öffentlich auftraten, machte sich ein Charakterzug besonders bemerkbar:
ihre Wissenschaft wie ihre Kunst trugen ein völlig männliches Gepräge,
und das höchste Lob, das ihnen gezollt wurde, war das, einen männlichen
Geist zu haben. Schon die Theologin Boulonnois, die im 13. Jahrhundert
in Bologna predigte und Professor wurde,[142] war wegen der "männlichen
Kraft" ihrer Rede berühmt. Novella d'Andrea, die holdselige Lehrerin des
kanonischen Rechts und Magdalena Buonsignori, die gepriesene Verfasserin
von "de legibus connubialibus"[143] waren Rechtsgelehrte von "männlichem
Scharfsinn". Isotta Nogarola, die vor Päpsten und Kaisern Vorträge
hielt, Cassandra Fedele, die in Padua dozierte, Ippolita Sforza, die auf
dem Kongreß zu Mantua den Papst begrüßte, Isikratea Monti und Emilia
Brembati, deren Redekunst Hunderte von Zuhörern anzog--sie alle sahen
ihren höchsten Ehrgeiz darin, ihr Geschlecht vergessen zu machen. Und so
sehr war diese Auffassung gang und gäbe, daß sogar bedeutende Frauen
vor sich selbst das Gelübde der Keuschheit ablegten, weil sie zwischen
dem Dienst der Wissenschaft oder Kunst und dem physischen Leben des
mütterlichen Weibes keine harmonische Verbindung fanden. Zu ihnen
gehörte Vittoria Colonna, die gefeierte Dichterin, die unsterbliche
Freundin Michelangelos.[144] Auch sie vermochte, trotz der geistigen
Höhe, auf der sie stand, trotz der geistigen Kraft, die ihr eigen war,
die Kluft zwischen dem Weibe als Geschlechtswesen und dem Weibe als
Künstlerin und Gelehrte nicht zu überbrücken. Und an diesem Punkt mußten
die Frauen der Renaissance scheitern, weil die Rolle, die sie als
ausübende, nicht nur als anregende und urteilende Kräfte im geistigen
Leben spielten, nicht das Ergebnis einer aus der inneren Entwicklung des
gesamten weiblichen Geschlechts herauswachsenden Bewegung, sondern nur
eine spontane Befreiung einzelner Frauen aus geistiger Gebundenheit war.
Darum blieb diese Erscheinung auch ohne tiefgreifende Folgen; sie war
nicht einmal ein ausreichender Beweis für die geistige Ebenbürtigkeit
der Frauen, weil sie zu ängstlich in die Fußstapfen der Männer traten,
statt zu zeigen, daß sie auch ihren eigenen Weg zu gehen wissen.

Durch oberflächliche Beurteilung könnte aus den zahllosen Schriften
jener Zeit über die Frauen, ihren Ruhm und ihre Fähigkeiten eine
tiefgehende Frauenbewegung gefolgert werden. Eine nähere Kenntnis jedoch
beweist, daß viele Schriftsteller, der antikisierenden Mode folgend,
einen wahren Heroenkultus trieben und jeder ein Plutarch zu sein
glaubte, wenn er Biographien berühmter Männer schrieb. Solche berühmter
Frauen konnten nicht ausbleiben, da sie überall mit im Vordergrund des
geistigen Lebens standen. Boccaccio ging zuerst mit dem Beispiel voran
und schilderte in seiner lateinisch geschriebenen Abhandlung: De casibus
virorum et feminarum illustrium eine Reihe hervorragender Frauen von den
Griechen an bis zu seiner Zeit. Wie wenig er dadurch zu einem Vorkämpfer
der Frauenfrage wurde, zeigt seine heftige Satire auf das weibliche
Geschlecht: Il Corbaccio. Zahlreich waren seine Nachahmer;[145] sie
suchten einander nicht durch Geist und Witz, sondern durch die Masse
der verherrlichten Frauen zu übertreffen, bis schließlich Peter Paul
Ribera durch sein Werk über die unsterblichen Triumphe und heldenhaften
Abenteuer von 845 Frauen alle in den Schatten stellte. Es war nur ein
Schritt weiter auf dem einmal betretenen Wege, wenn mit großem Aufwand
von tönenden Worten nunmehr der höhere Wert des weiblichen Geschlechts
vor dem männlichen gepriesen[146] und die Frage zum Stoff
gesellschaftlicher Unterhaltung wurde, an dem Redekunst und geistreicher
Witz sich übten. Einen tieferen Eindruck hinterließ diese ganze
Litteratur auf die Dauer in Italien nicht, weil sie dem Bedürfnis zu
fern lag und nur für jene wenigen Frauen von Interesse sein konnte, die
dank ihrer günstigen äußeren Verhältnisse sich mit gleichen geistigen
Waffen mit den Männern zu messen vermochten.

Ihre Zahl war, trotz der 845 berühmten Frauen Riberas, im Verhältnis zur
Allgemeinheit und zu der Zeitspanne, auf die sie sich verteilten, nur
gering. Auch Spanien, dessen Frauen sich damals mehr als andere ihres
männlichen Geistes wegen rühmten, brachte nur wenige wirklich
hervorragende weibliche Gelehrte hervor, unter denen die Theologin
Isabella von Cordoba[147] und die in vierzehn Sprachen gleich gewandte
Rednerin Juliana Morelli von Barcelona sich besonders auszeichneten.

Während in Italien und Spanien die Frauen, ohne darum kämpfen zu müssen,
gewissermaßen selbstverständlich an den geistigen Errungenschaften teil
nahmen--als Empfangende, wie als Gebende, war ihre Lage in Frankreich,
England und vor allem in Deutschland eine durchaus andere. Sie waren
gedrückt durch die wirtschaftliche Lage, und Wissenschaft und Kunst
gelangte nur durch zweite und dritte Hand zu ihnen. Darum entstand
zunächst nur in wenigen Frauen durch das Beispiel der Italienerinnen der
Wunsch nach geistiger Fortbildung, nach intellektueller
Gleichberechtigung. Und er trat--bezeichnend genug für die Zustände in
Mitteleuropa--häufig in Gemeinschaft mit dem Bedürfnis nach einem
Broterwerb auf. Die französische Schriftstellerin Christine de Pisan ist
ein klassisches Beispiel dafür.[148] Früh verwitwet, sah sie sich
gezwungen, ihre Kinder zu ernähren und groß zu ziehen. Da sie eine, für
die Ansichten ihrer Zeit, des 15. Jahrhunderts, gute Erziehung genossen
hatte, bildete sie sich mit eiserner Energie weiter aus und ermöglichte
es, von ihrer Schriftstellerei mit ihren Kindern leben zu können. Ihr
Roman von der Rose, ihre geistvolle Geschichte Karls V. machten ihr über
die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus einen Namen. Für die Beurteilung
der Frauenfrage jener Zeit ist jedoch ihre Streitschrift "La cité des
dames" besonders interessant. Sie schilderte darin das Leben und Wirken
der italienischen Juristin Novella d'Andrea, um, daran anknüpfend, für
die wissenschaftliche Bildung der Frauen einzutreten, und erklärte zum
Schluß, daß die Männer nur aus dem Grunde dagegen seien, weil sie
fürchteten, die Frauen könnten klüger werden als sie. Christine de Pisan
genießt den Ruhm durch diese Arbeit die erste Schrift zur Frage der
Emanzipation der Frauen geschrieben zu haben; sie war, infolge ihres
eigenen Lebenskampfes, prädestiniert dazu. Nicht der Süden, der über
seine Kinder einen solchen Ueberfluß an Reichtum und Schönheit
ausschüttete, daß auch die Frauen nicht abseits stehen konnten, sondern
die Länder Mittel- und Nordeuropas, wo der Kampf ums Dasein alle, auch
die Frauen erfaßte, waren der Nährboden der Frauenfrage und der
Frauenbewegung. Diejenigen, die sich der Not und Unterdrückung ihres
Geschlechts zuerst bewußt wurden und sie in Worte zu fassen wagten,
konnten natürlich nicht die Allermißhandeltsten sein; sie mußten auf
einer gewissen Höhe der Bildung und des Verständnisses stehen. Denn die
tiefste Not macht stumpf; sie zerstört alle Thatkraft; sie läßt selbst
das Gefühl der Unzufriedenheit mit dem eigenen Elend nicht aufkommen.

Die erste Nachfolgerin Christinens in Frankreich war darum auch eine
Frau desselben Standes wie sie: Mademoiselle de Gournay, die
Adoptivtochter Montaignes. Sie proklamierte die Gleichberechtigung der
Geschlechter mit Ausnahme der Wehrpflicht. Einen direkten praktischen
Erfolg hatten diese Bemühungen selbstverständlich nicht, aber sie
wirkten im Verein mit dem Einfluß des Humanismus, dem Aufblühen von
Kunst und Litteratur und dem durch zunehmende Ausbeutung des Volks
wachsenden Wohlstand der oberen Klassen auf die Erhöhung der
Frauenbildung. Was Geist und Wissen betrifft, ragte eine Königin, die
beinahe zu einer sagenhaften Gestalt geworden ist, aus der Menge
gelehrter Frauen hervor: Margarete von Navarra, die Schwester Franz'
I.[149] Ihre Erzählungen, ihre Gedichte, vor allem aber ihr
Briefwechsel, geben den Geist des 16. Jahrhunderts mit all seinem
Leichtsinn und seiner Grazie lebendig wieder, sie weisen aber auch
überall die Spuren der Nachahmung italienischer Vorbilder auf. Ihre
gleich kluge, aber, im Gegensatz zu ihr, sittenlose Namensschwester,
Margarete von Valois, die Gattin Heinrichs IV.[150], schrieb fünfzig
Jahre später einen selbständigeren Stil und verfaßte, voller Verachtung
für die sie umgebende schwächliche und gemeine Männerwelt, trotzend auf
ihren energischen Geist, eine Schrift über die Ueberlegenheit des
weiblichen Verstandes.

Bedeutende Leistungen auf wissenschaftlichem Gebiet haben die Frauen
Frankreichs jedoch nicht aufzuweisen. Eine einzige nur ragt aus der
Menge hervor: Anna, die Tochter des gelehrten Philologen Tanneguy
Lefèbre und Gattin seines unbedeutenden Schülers André Dacier. Die
ersten französischen Uebersetzungen des Plautus und Aristophanes, des
Terenz und vor allem des Homer stammen von ihr, und ihre Streitschrift:
Traité des causes de la corruption du goût, worin sie die Angriffe
Lamottes gegen die Ilias und die Odyssee energisch zurückwies, hat einen
dauernden Wert behalten. Daß Anna Dacier so allein steht, ist leicht
begreiflich, denn die Gelehrsamkeit, die ein Mittel geistiger Befreiung,
vertieften und verfeinerten Lebens für alle hätte werden sollen, wurde
zur Modelaune der "guten Gesellschaft", die sich schließlich bis zu
lächerlichen Verzerrungen verstieg. Die Frauen fanden, wie in
Italien, die Harmonie zwischen ihrer weiblichen Natur und ihrer
wissenschaftlichen Bildung nicht. Auch sie entsagten vielfach der Liebe
und der Mutterschaft, um sich ungestört ihren Studien zu widmen. So
brachten z.B. die Précieuses des Hotel Rambouillet die gelehrten Frauen
in berechtigten Verruf, und wenn Molière in seinen Lustspielen
Précieuses ridicules und Femmes savantes ihrer Unnatur tödliche Streiche
versetzte, so zeigte er sich damit nicht als Feind, sondern als Freund
des weiblichen Geschlechts.

Weit mehr als auf die geistige Entwicklung Frankreichs hatte die
Wiederbelebung des klassischen Altertums auf die Deutschlands
eingewirkt. Aber die Zeiten waren zu schwer, die Masse des Volks zu arm,
die Frauen zu tief befangen in dem engen Kreis ihrer häuslichen Sorgen,
als daß sie in nennenswerter Weise daran hätten teilnehmen können. Erst
sehr allmählich drang der Geist der neuen Zeit aus den Stuben der
Gelehrten und den Hörsälen der Universitäten auch zu ihnen. Während das
fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert die Blütezeit weiblicher
Gelehrsamkeit in Italien, in Spanien, zum Teil auch in Frankreich war,
setzte sie in Deutschland erst im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
ein. Viel früher beschäftigten sich jedoch die Humanisten mit der
theoretischen Erörterung der Frauenfrage, wie sie die italienische
Renaissance dadurch aufgestellt hatte, daß sie den Frauen die Pforten
zur klassischen Bildung nicht verschloß. Was dort ohne Kampf unter dem
unmittelbaren Eindruck der großen geistigen Errungenschaften geschah,
darüber mußte der grüblerische Deutsche erst langatmige Theorieen
aufstellen, und der langsame, künstlich niedergehaltene Geist der
deutschen Frau konnte die fremde Nahrung nur in homöopathischen Dosen
vertragen. Der erste Gelehrte, der als Vorkämpfer dieser Art Frauenfrage
gelten kann, war der merkwürdige platonisch-christliche Philosoph
Cornelius Agrippa von Nettesheim. Seine Schrift über den Vorzug des
weiblichen Geschlechts,[151] die 1505 erschien, liest sich zum Teil wie
eine moderne Verteidigung des Rechts der Frauen auf Bildung. Er geißelt
die Erziehung der Mädchen zur Faulheit und erklärt, daß nur sie daran
schuld sei, wenn die Frauen ihre Fähigkeiten nicht entwickeln und den
Beweis ihrer der männlichen gleichwertigen Geisteskraft nicht liefern
könnten. Das mystisch-phantastische Beiwerk erdrückt freilich häufig den
klaren Gehalt seines Werkes. Von seinem Erscheinen ab nahm der
Federkrieg für und wider die höhere Frauenbildung kein Ende. Die Gegner
verstiegen sich sogar bis zu der Behauptung, daß die Weiber keine
Menschen seien und forderten dadurch die Freunde, wie Simon Gedicke,
Andreas Schoppius und Balthaser Wandel zur Verteidigung heftig
heraus.[152] Trotz aller theoretischen Auseinandersetzungen aber blieb
die weibliche Bildung auf die elementarsten Kenntnisse beschränkt; eine
Charitas Pirkheimer, die im Hause ihres Bruders die Leuchten deutscher
Kunst und Wissenschaft versammelt fand, und, ähnlich den Prinzessinnen
an den Höfen italienischer Mäcene, zwischen ihnen lebte, gehörte zu den
sehr vereinzelten Ausnahmen.[153] Der Adel war verroht, das Bürgertum
beschränkt und nüchtern, die Fürstenhöfe arm und klein. Erst mit dem 17.
Jahrhundert trat ein Wandel ein. Aber gerade jetzt, wo die Gelehrsamkeit
der Männer etwas Müdes, Unproduktives, Epigonenhaftes an sich trug,
konnte auch das endlich zum Vorschein kommende Bedürfnis der Frauen nach
höherer Bildung nicht in lebenspendender Weise befriedigt werden. Wohl
lernten Fürstinnen und Gelehrtentöchter die klassischen Sprachen, wohl
wurden Wunderkinder, wie Anna Marie Kramer, angestaunt, die mit 12
Jahren alte Professoren in der Disputation besiegten, wohl brachten
einzelne Frauen[154] es zu einem solchen Grade von Gelehrsamkeit, daß
ihre Arbeiten nicht gleich mit ihnen starben, wohl wurden Ströme von
Tinte zu ihrem Lobe verschrieben,[155] aber keine einzige, wirklich
durchbildete, geistig reife, und dabei weibliche Persönlichkeit ist
unter ihnen zu finden. Die Gelehrsamkeit haftete nur an der Oberfläche,
sie war nichts weiter als jener "Wissenskram" Fausts, den starke Naturen
abschütteln, wie bunte Lappen, um von innen heraus erst sie selbst zu
werden. Einen Versuch der Art hat vielleicht Elisabeth von der Pfalz,
die Tochter des unglücklichen Winterkönigs gemacht, die durch großes
Elend zu tieferer Weltanschauung gelangte. Sie war zuerst eine eifrige
Schülerin von Descartes gewesen, mit dem sie in regem Briefwechsel
gestanden hatte, und warf schließlich all ihre gelehrten Bücher bei
seite, die ihr Gemüt unbefriedigt ließen, und der Hunger nach einem
vollen Lebensinhalt durch alle eingelernte Weisheit nicht zu stillen
war. So wandte sie sich der mystischen Sekte der Labadisten und
schließlich den Quäkern zu, weil auch sie die Einheit zwischen Leben und
Wissen nicht fand. Zu ihren Freunden gehörte jene weit über ihr
Verdienst bewunderte Niederländerin Anna Maria von Schurmann. Man pries
sie als das Wunder des Jahrhunderts, als zehnte Muse. Und doch litt auch
sie Schiffbruch im Glauben an sich selbst und ihre Weisheit und folgte
ebenfalls, eine schlichte Büßerin, dem neuen Propheten Jean Labadie.

Das Schicksal der gelehrten Königin Christine von Schweden gestaltete
sich kaum anders; auch ihr Wissen wurde nicht Gehalt und Bereicherung
ihres Daseins, auch sie suchte schließlich durch ihren Uebertritt zum
Katholizismus in der Religion das was sie bisher nicht gefunden hatte:
Befriedigung für ihr vernachlässigtes Gemüt.

Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer allgemeineren Bildung des
weiblichen Geschlechts, die nicht gelehrte, sondern denkende, für die
Erziehung der eigenen Kinder fähige Frauen schaffen sollte, ließ
allenthalben den Wunsch nach höheren Schulen für Mädchen laut werden. In
England, wo die weibliche Schulbildung eine sehr mangelhafte war, trat
der Dissenter und treue Anhänger Wilhelms von Oranien, Daniel
Defoe,[156] für die Gründung einer Frauenakademie ein, indem er
erklärte: Wenn Wissen und Verstand überflüssige Zuthaten für das
weibliche Geschlecht wären, so hätte ihnen Gott nicht die Fähigkeiten
dazu verliehen,[157] und Mary Astell,[158] die mit Christine de Pisan
als Vorkämpferin der Frauenbewegung in eine Reihe gestellt werden kann,
unterwarf die Erziehung des weiblichen Geschlechts einer scharfen
Kritik. Sie schlug vor, Anstalten zu gründen, in denen nicht nur die
Mädchen in den Wissenschaften unterrichtet, sondern auch die
alleinstehenden, unzufriedenen, weil unthätigen Frauen zu nützlicher
Arbeit im Dienste der Armen und Kranken angehalten werden sollten.[159]
Mit logischer Schärfe wandte sie sich gegen das Recht des Stärkeren:
"Wenn durch Naturgesetz jeder Mann jeder Frau überlegen ist, so dürfte
selbst die größte Königin nicht regieren, sondern ihrem letzten Diener
gehorsam sein ... Wenn bloße Stärke das Recht zu herrschen giebt, so
sind wir jedem Lastträger Gehorsam schuldig ... Aber der kräftigste ist
nicht immer der weiseste Mann ... Geist ist ein Geschenk, das Gott
unparteiisch unter die Geschlechter verteilte."

Aus dem Ton ihrer Sprache geht deutlich hervor, daß keine zaghafte,
unselbständige Frau ihn gebraucht hat. Denn trotz der mangelhaften
Bildung stand die Engländerin, was ihre Stellung in der Gesellschaft und
ihren Charakter betrifft, über den Frauen des nördlichen Kontinents. Die
freiheitliche politische Entwicklung, die schon damals aus jedem Mann
einen Staatsbürger mit den Rechten und Pflichten eines solchen gemacht
hatte, konnte auch an der Frau nicht spurlos vorübergehen. Und die
großen Herrscher ihres Geschlechtes mußten die gesamte Meinung über die
Frau günstig beeinflussen; vor allem aber lebten Traditionen einer
Vergangenheit in ihnen fort, in der die Frauen der höheren Stände
politische Rechte besessen hatten. Die Großgrundbesitzerinnen aus den
alten eingesessenen Familien und die freien Bürgerinnen der Städte
sandten ihre Vertreter ins Parlament. Staatliche Aemter, so das der
Friedensrichter, wurden häufig von Frauen bekleidet. Erst auf das
Betreiben des berühmten Juristen, Sir Edward Coke, der sich auf die
Vorschriften des Neuen Testaments berief und eine Frau nicht einmal als
Zeugin vernehmen wollte, wurde das weibliche Geschlecht Anfang des 18.
Jahrhunderts vom Wahlrecht ausdrücklich ausgeschlossen.[160] In Anna
Clifford verkörperte sich kurz vorher noch einmal die ganze stolze
Selbständigkeit der englischen Staatsbürgerin. Jahrelang protestierte
sie gegen die Vergewaltigung ihrer Rechte; als sie unter Karl II. ihr
Wahlrecht ausübte, ihre Wahl jedoch beanstandet wurde und die Regierung
an Stelle ihres Kandidaten einen anderen aufstellte, erklärte sie ihr:
"Ein Usurpator hat mich vergewaltigt, ein König hat mich verachtet, aber
ein Unterthan wird mich nicht beherrschen. Ihr Mann wird Westmoreland
nicht vertreten."

Der Kampf um die mit Füßen getretenen Grundrechte des englischen Volkes
und die Declaration of rights, sowie ihre gesetzliche Bestätigung im
Jahre 1689 mußten auch in das geistige Leben der Frau eingreifen, wenn
sie auch persönlich unberücksichtigt blieb. Steigerte doch die
Erweiterung und Befestigung der Rechte der Bürger, die Einschränkung der
Befugnisse der Krone die allgemeine Sicherheit und das Selbstbewußtsein
jedes Einzelnen. Alle diese Ursachen wirkten zusammen, um die Anfänge
der Frauenfrage in England anders zu gestalten, als auf dem Kontinent.
Sie spitzte sich gleich zu einer rechtlichen und politischen Frage zu,
und der Kampf um die intellektuelle Gleichberechtigung trat mehr in den
Hintergrund. Daher werden wohl die Namen derer genannt, die wie Anna
Clifford, ihre politischen Rechte verteidigten, aber der Typus der
gelehrten Frau tritt nur ganz vereinzelt auf. Das Interesse für die
Wissenschaften äußerte sich weit mehr durch Gründung und Unterstützung
gelehrter Anstalten--nicht weniger als zwölf Colleges wurden vom 14. bis
zum 16. Jahrhundert von Frauen gegründet[161]--als durch produktive
Geistesarbeit. Keiner dieser Frauen fiel es ein, eine Hochschule für ihr
eigenes Geschlecht ins Leben zu rufen. Defoes Plan und Mary Astells
Vorschlag blieben somit unbeachtet.

In Deutschland fanden sie--soweit es sich eben nur um Pläne
handelte--zahlreiche Nachahmer. Die moralischen Wochenschriften im
Anfang des 18. Jahrhunderts erörterten das Thema nach allen Richtungen
hin. In Hamburg war man sogar nahe daran, eine Akademie zu gründen. Aber
es kam nicht dazu. Statt dem weiblichen Geschlecht eine fruchtbare
allgemeine Bildung zu vermitteln, vermehrte sich nur die Zahl
einseitiger "gelehrter Frauenzimmer". Gottsched, der lange Zeit der
litterarische Alleinherrscher war, sang ihnen unverdiente Loblieder,
während seine weit klügere Frau sich in ihren Briefen wiederholt über
die Frauen lustig machte, deren sehnsüchtig erstrebtes Ziel der
Doktorhut war. Thatsächlich erwarben ihn Frauen, die durch den Mangel
selbständiger Leistungen deutlich genug zeigten, daß mehr Eitelkeit und
Ehrgeiz, als Talent und Wissensdurst die Triebfedern ihres Strebens
waren. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte Dorothea von Schlözer, die unter
anderem ein dem weiblichen Geschmack scheinbar so fernab liegendes
Thema, wie die russische Münzgeschichte, behandelte. Die hervorragendste
aller gelehrten Frauen Deutschlands, die freilich weit in die moderne
Zeit hineinreicht, bedurfte zur Erhöhung ihres Ruhmes der akademischen
Würden nicht: es war Karoline Herschel,[162] die Entdeckerin von sechs
Kometen, die große Gehilfin ihres großen Bruders.

Trotz des absprechenden Urteils, das im allgemeinen über die weiblichen
Gelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts zu fällen ist, dürfen doch die
Dienste nicht vergessen werden, die sie der Frauenbewegung leisteten:
sie brachten durch eigenes energisches Heraustreten aus dem gewöhnlichen
Rahmen des Frauenlebens die Frage der höheren weiblichen Bildung in Fluß
und auf sie ist es mit zurückzuführen, daß ihre Lösung die erste Aufgabe
der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung, ja die eigentliche Triebfeder
ihrer Entstehung wurde.

Um aber das Bild der Frau der oberen Stände bis zur Schwelle des 19.
Jahrhunderts, also bis zu der Zeit, von der ab eine planmäßige
Frauenbewegung überall zum Durchbruch kam, zu vollenden, darf die
französische Beherrscherin der Salons des vorigen Jahrhunderts nicht
vergessen werden. In den zahllosen Memoiren jener Zeit spiegelt sich
das Bild ihres Wesens wieder: ihre Grazie und ihre Frivolität, ihre
Gefühlsroheit und ihre Sentimentalität, ihre tiefe Erniedrigung und ihr
Erwachen. Selbst durch die dicken Mauern der Klöster, in denen die
jungen Mädchen erzogen wurden, schlüpfte die Lascivität: so schmiedete
eine der Maitressen Ludwigs XV. hier schon als Schülerin den Plan, durch
den sie den König einfangen wollte.[163] Glanz und Vergnügen war Aller
Sehnsucht; eine Ehre war's, die Heldin eines Skandals zu sein und die
Kavaliere des Hofes konnten sich der Verfolgungen hoher Damen kaum
erwehren.[164] Die Ehe war ein zwischen den Eltern des Paares
abgemachtes Geschäft. Es widersprach durchaus der Sitte, galt für
altmodisch und lächerlich, wenn die Gatten einander Liebe zeigten. Die
Frau hatte ihre Liebhaber, der Mann seine Maitressen. Bei der
umständlichen Morgentoilette empfing die Dame des Hauses ihre ersten
Besuche; abends in der kleinen, dicht verschlossenen Theaterloge, die
auch gegen den Zuschauerraum durch Vorhänge geschützt werden konnte,
nachts auf den üppigen Maskenbällen hatte sie ihre rendez-vous. Wie die
Mode alle Natur unterdrückte, die Taille gewaltsam einzwängte, die
Hüften durch Reifröcke ins Ungeheuerliche vergrößerte, die Haare durch
Puder ihrer Farbe beraubte, das Gesicht durch Schminken und
Schönpflästerchen zur Maske machte, so waren auch alle natürlichen
Gefühle erstickt und verzerrt. Liebe, Kunst, Wissenschaft--alles stand
nur im Dienst der Genußsucht. Die vielgerühmte geistreiche Konversation
des 18. Jahrhunderts war schillernd und oberflächlich, nur auf Triumphe
der Eitelkeit berechnet. Für die Korruption des weiblichen Geschlechts
spricht jedoch eine Thatsache lauter als alles andere: die Verachtung
der Mutterschaft, das Verleugnen des Kindes. Kaum geboren, schickte die
Mutter es aufs Land zu einer Amme; es selbst zu nähren, verbot die
Rücksicht auf die Gestalt und die Forderung des geselligen Lebens.
Zurückgekehrt, wurde es einem Hofmeister, oder einer Gouvernante
übergeben, die so früh als möglich einen jungen Herrn oder eine junge
Dame aus ihm machten. Daß es eine fröhliche Kindheit für diese armen
Geschöpfe nicht gab, beweisen die steifen Toiletten--Miniaturausgaben
der Anzüge Erwachsener--die geschminkten Kinderwangen und gepuderten
Löckchen. Das Kloster löste schließlich die Erziehung durch die
Gouvernante ab.[165] Und währenddessen ging die Mutter dem Vergnügen
nach, ohne selbst zu wissen, daß sie in dieser Hetzjagd dasjenige
suchte, was ihr verlassenes Kind ihr hätte bieten können: ein innerlich
reiches Leben.

Aber während auf der einen Seite ihr Gemütsleben abstarb und über all
den schönen und klugen Frauen jener Zeit ein Schatten von Trauer ruht,
entwickelte sich auf der anderen Seite ihr Verstand, ihr kritisches
Urteil in einem bisher unbekannten Grade, und die Frau wurde die
Herrscherin nicht nur im Reiche der Geselligkeit, der Mode, der schönen
Künste, sondern auch im Reiche der Politik. Die Könige, die Minister und
Diplomaten wurden in ihren Entschlüssen von ihr gelenkt, in ihren
Sympathieen und Antipathieen von ihr beeinflußt.[166] In den Salons der
Gräfin Boufflers, der Freundin des Prinzen Conti, der Du Barry, der
Estrades, der Herzogin von Gramont, der Prie und der Langeac liefen die
Fäden der inneren und äußeren Politik zusammen. Das Reich der Frauen
war, wie Montesquieu sagte, ein Staat im Staate: "Wer die Minister
handeln sieht und die Frauen nicht kennt, die sie beherrschen, ist wie
jemand, der eine Maschine arbeiten sieht, aber die Kräfte nicht kennt,
durch die sie bewegt wird."[167] Diese Hintertreppenpolitik, welche die
Frauen treiben mußten, weil sie öffentliche Rechte nicht besaßen, wirkte
natürlich äußerst nachteilig auf ihren Charakter; denn je schlauer und
intriganter sie waren, desto mehr erreichten sie. Andererseits wurde ihr
Interesse für die Fragen des öffentlichen Lebens dadurch erweckt, und
während die große Courtisane und begabte Diplomatin, Marquise de Tencin
zu Gunsten ihrer Liebhaber und ihrer korrumpierten Gesellschaft
politisierte und intriguierte,[168] traten die Frauen des Bürgertums,
eine Necker, eine Roland, für die Vorkämpfer der Revolution in die
Schranken der politischen Arena.

Auch die Revolution des Geistes, die von Diderot, d'Alembert, und ihren
Freunden, den Encyklopädisten, getragen wurde, fand Unterstützung durch
die Frauen. Aber diese Unterstützung darf nicht überschätzt werden. Nur
zu oft war es das Bedürfnis nach neuen Sensationen, das den modernen
Philosophen die Salons und die Herzen öffnete. Alle Genüsse hatten diese
Frauen durchkostet; sie haschten nur begierig nach einem neuen Genuß.
Daher ist die entschieden frauenfeindliche Richtung der Encyklopädisten
leicht zu erklären, ebenso wie der bei dem lebendigen geistigen Leben
zunächst überraschende Umstand, daß keine Frau es zu großen
schöpferischen Leistungen brachte. Während aber ein Voltaire die Frauen
verspottete, ein Montesquieu ihnen alle Gaben des Geistes absprach und
nur ihre körperlichen Reize gelten ließ,[169] war es Rousseau, der die
Fehler und Schwächen des weiblichen Geschlechts erkannte, um mit feinem
psychologischen Verständnis ihren Ursachen nachzuspüren und sie von da
aus zu bekämpfen. Wenn er dabei über das Ziel hinausschoß und die
Frauen, die, losgerissen von jedem festeren Grund ihres Daseins, zu
seiner Zeit halt- und ziellos umherschweiften, nur im Haus und für das
Haus erzogen wissen wollte, so wiegte diese eine Uebertreibung sehr
leicht gegenüber den Diensten, die er den Frauen geleistet hat.
Unnachsichtig in seiner Kritik, erklärte er doch zugleich viele ihrer
Schwächen: eine Frau, die sechs Stunden am Tage zum Anziehen braucht,
meinte er, zeigt dadurch, daß sie nichts Besseres zu thun hat, um ihre
Langeweile zu töten.[170] Der Kindheit und der Jugend wollte er die
harmlose, ungebundene Heiterkeit,[171] dem Weibe die reine Liebe
wiedergeben, denn nicht ihre Eltern haben den Gatten zu wählen, sondern
ihr eigenes Herz.[172] Er hielt ihr den Spiegel der Natur vor Augen,
damit sie ihre eigene innere und äußere Unnatur beschämt erkennen
möchte. Er geißelte rücksichtslos ihren Müßiggang, und wandte sich an
beide Geschlechter, wenn er ausrief: Wer in Unthätigkeit verzehrt, was
er nicht selbst verdient hat, ist ein Dieb.[173] Das erlösende Wort
jedoch für die eingeschnürte Frauenseele war dies noch nicht; er fand es
in der kurzen Weisung: werde Mutter! Nähre dein Kind an deinem eigenen
Busen, hüte es, erziehe es, und von selbst wird die Sittenlosigkeit
verschwinden, das Gefühlsleben zur Natur zurückkehren, werden die
Eheleute sich innig verbunden fühlen; denn sobald die Frauen wieder
anfangen, Mütter zu sein, werden die Männer es lernen, wieder Gatten und
Väter zu werden.[174]

Mit diesem Hinweis auf die Verachtung der Mutterschaft hatte Rousseau
die verborgene Wunde der Frau des 18. Jahrhunderts aufgedeckt. Da er
aber kein Prophet im Sinne naiver Gläubiger war, aus dessen Kopf völlig
neue Gedanken unvermittelt aufsteigen, wie Athene aus dem Haupte des
Zeus, sondern nur einer jener genialen Männer, die das geheime Leid
ihrer Nebenmenschen, ihr wortloses Seufzen und Sehnen zuerst vernehmen
und aussprechen, so begrüßten zahllose ihn als ihren Erlöser. Sagte er
doch nur, was sie selbst dumpf empfunden hatten, wies er ihnen doch nur
den Weg, den sie unsicher tappend, wie Blinde, selbst schon suchten.
Nirgendwo zeigt sich diese Wirkung deutlicher als in den wundervollen
Memoiren der Madame d'Epinay. Für eine kommende Zeit und ein neues
Geschlecht mit jugendkräftigen Gliedern und warm pulsierendem
Herzensblut, schrieb Rousseau, derselbe Mann, der der Gegenwart das
Grablied sang, den feurigen Morgengruß: Der Mensch ist frei geboren....
Stärke gewährt kein Recht.... Auf seine Freiheit verzichten, heißt auf
seine Menschheit, seine Menschenrechte, ja selbst auf seine Pflichten
verzichten.... Der Grundvertrag der Gesellschaft muß an Stelle der
physischen Ungleichheit eine sittliche und gesetzliche Gleichheit
setzen.[175]

Wie er damit die Grundlinien einer Revolutionierung des bestehenden
Gesellschaftssystems zog, so bezeichnete er dadurch zu gleicher Zeit die
Leitsätze für eine Revolutionierung der Stellung der Frau. Da aber die
kräftigste Saat unfruchtbar bleiben muß, wenn sie nicht auf fruchtbaren
Boden fällt, so wäre auch keiner dieser Gedanken in die Köpfe und
Herzen des Volkes eingedrungen, wenn nicht die wirtschaftliche und
politische Entwicklung sie dafür empfänglich gemacht hätte. Nicht die
wenigen Männer, deren spekulativer Verstand ihnen die Erkenntnis der
Notwendigkeit tiefgreifender Wandlungen vermittelte, machten die
Revolution, sondern sie wuchs mit der Gewalt eines Naturgesetzes aus den
gesamten verrotteten Zuständen heraus; und nicht die wenigen Frauen, die
infolge persönlicher Begabung die ihrem Geschlecht gesteckten Grenzen
überschritten, oder infolge persönlicher Schicksale ihre unwürdige Lage
erkannten, machten die Frauenbewegung--zu der sittlichen mußte die
materielle Not der Masse der Frauen kommen, die, herausgerissen aus Haus
und Familie, in harter Arbeit den Kampf ums Dasein kämpften, damit sie
entstehen konnte.



5. Die Frauen im Zeitalter der Revolution.


Nach schwächlichen, unzureichenden Versuchen friedlicher Reformen brach
die Revolution aus. Sie mußte von Frankreich ausgehen, obwohl in allen
Kulturstaaten die gleichen Konflikte zu Tage traten, weil gerade hier
alle Umstände zusammentrafen, aus denen allein sie in ihrer ganzen
welterschütternden Gewalt hervorwachsen konnte: die durch ein
jahrhundertelanges frivoles Lasterleben erzeugte Korruption der
herrschenden Klassen, die damit in engstem Zusammenhang stehende
Verelendung des arbeitenden Volks und--nicht zuletzt--die geistige
Revolutionierung der Bourgeoisie durch die Voltaire, Rousseau und die
Encyklopädisten. In der französischen Philosophie des 18. Jahrhunderts
finden sich alle jene Ideen, die in den Stürmen der Revolution nach
Verwirklichung strebten.[176]

Wie diese Ideen gerade die Frauen erobert hatten, beweisen die Memoiren
und Briefwechsel jener Zeit. Mit neun Jahren las Manon Philipon den
Plutarch und begeisterte sich an den Gestalten antiker Helden, mit
vierzehn Jahren verlor sie, eine Klosterschülerin, durch die Schriften
Diderots und d'Alemberts ihren Glauben und wurde eine feurige Schülerin
Rousseaus;[177] ähnlich entwickelte sich ihre reizende Rivalin in der
Herrschaft über die Helden der Anfänge der Revolution, Sophie de
Grouchy, Marquise de Condorcet, deren erstes Andachtsbuch Mark Aurels
Meditationen war und die mit kaum zwanzig Jahren Voltaires und Rousseaus
Geist in sich aufnahm, um ihnen bis zum Ende treu zu bleiben.[178] Aber
auch andere Frauen, die in der Geschichte der Revolution eine Rolle zu
spielen nicht bestimmt waren, nährten ihren Geist an denselben Quellen
und gaben ihren Kindern, denen sie sich, beeinflußt durch Rousseau,
wieder zu widmen lernten, das Beste, was sie selbst besaßen. Es ist kein
Zufall, daß die Zeit der ersten Begeisterung für "Emile" mit der Zeit
der Geburt und Kindheit der Helden der Revolution, der Robespierre,
Danton, Desmoulins und vieler anderer zusammenfällt, denn in den Händen
ihrer Mütter lag der Contrat social, mit der Muttermilch sogen sie die
Ideale der Freiheit und Gleichheit ein.[179] Die Theorieen der Denker,
die Träume der Philosophen appellierten wie nie zuvor an das Gefühl und
machten daher die Frauen zu ihren glühendsten Vertreterinnen. In ihren
Salons versammelten sich die führenden Geister und achteten ihr Urteil
als ein dem der Männer durchaus gleichwertiges, die ganze Geselligkeit
war erfüllt von jenem elektrischen Fluidum, dem niemand sich entziehen
kann, der in seinen Strom gerät, und das alle schlummernden Kräfte des
Geistes zu reger Bethätigung auslöst.[180] Während der eine Teil der
Frauen sich damit begnügte für Natur, Freiheit und Gleichheit zu
schwärmen, zog der andere die Konsequenzen der neuen Wahrheit und
griff--es sei hier nur an eine Roland, eine Staël erinnert--nicht nur
urteilend, sondern auch leitend in das Getriebe der inneren Politik
ein.[181] Bei der Beurteilung der Teilnahme der Frauen Frankreichs am
politischen Leben darf aber ein Umstand nicht außer acht gelassen
werden: der Einfluß Amerikas. Wie er sich in der Erklärung der
Menschenrechte in der Nationalversammlung geltend machte, und der
freiheitliche Luftzug, der von den Unabhängigkeitskriegen ausging, manch
mittelalterlichen Trödel aus Europa austreiben half, so ist auch die
Frauenbewegung der Revolutionszeit in vielen ihrer Züge auf ihn
zurückzuführen.

Die Frauen Amerikas schürten von Anfang an den Widerstand ihres
Vaterlandes gegen die englische Herrschaft. Mercy Otis Warren, die
Schwester des feurigen Freiheitskämpfers James Otis, vereinigte in ihrem
Salon die Führer der Bewegung; als sogar Washington von der endgültigen
Trennung der Kolonieen vom Mutterlande noch nichts wissen wollte,
forderte sie die Unabhängigkeit Amerikas. Sie stand mit Jefferson in
lebhaftem Briefwechsel und die Unabhängigkeitserklärung zeigt deutlich
die Spuren ihres Geistes. Sie und ihre Freundin Abigail Smith Adams, die
Gattin des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, waren aber auch
die ersten Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung des weiblichen
Geschlechts. Als im Jahre 1776 der kontinentale Kongreß die Verfassung
zu beraten hatte, schrieb Abigail Adams ihrem Gatten: "Wenn die künftige
Verfassung den Frauen keine gründliche Aufmerksamkeit schenkt, so sind
wir zur Rebellion entschlossen, und halten uns nicht für verpflichtet
uns Gesetzen zu unterwerfen, die uns keine Stimme und keine Vertretung
unserer Interessen zusichern." Zu gleicher Zeit verlangte sie die
Zulassung des weiblichen Geschlechts zu den öffentlichen Schulen und
begründete ihre Forderung, indem sie erklärte, daß ein Staat, der
Helden, Staatsmänner und Philosophen hervorbringen wolle, zuerst
wahrhaft gebildete Mütter haben müsse. Infolgedessen wurden die Schulen
den Frauen geöffnet, während der Wunsch nach politischer
Gleichberechtigung für die Gesamtheit der Vereinigten Staaten unerfüllt
blieb. Nur New-Jersey und Virginia verliehen als erste Staaten der Welt
ihren weiblichen Bürgern das Wahlrecht--eine gesetzgeberische That, die
weit über die Grenzen Amerikas hinaus das größte Aufsehen erregte.[182]

Alle diese Thatsachen zusammengenommen fachten die Begeisterung für die
Frauenbewegung in Frankreich zu hellen Flammen an. Da der Boden dafür
vorbereitet war, konnte sie nicht unfruchtbar bleiben. Der Wunsch nach
höherer Bildung, um durch sie wirkungsvoller in die Kämpfe der Zeit
eingreifen zu können, machte sich zunächst geltend. Die Konversation in
den Salons, die Privatlektüre genügten nicht mehr und so wurde im Jahre
1786 unter Leitung von Montesquieu, Laharpe und Condorcet ein Lyceum
gegründet, das bald der Sammelpunkt der hervorragendsten Frauen wurde,
denen sich ein kleiner Kreis von Männern,--im ganzen etwa 700
Personen,--anschloß. Die letzten der Encyklopädisten und ihre Nachfolger
lasen dort über Mathematik, Chemie, Physik, Geschichte, Litteratur und
Philosophie; aber unter dem Gluthauch der Revolution wurden ihre
gelehrten Vorlesungen bald zu feurigen Agitationsreden. Laharpe erschien
in der phrygischen Mütze auf der Tribüne,[183] und die Schüler, zu denen
Madame Roland, Marquise Condorcet und Madame Tallien gehörten, wurden
aus Zuhörern handelnde Personen in dem Drama, das sich draußen
entwickelte.

Durch die Gründung des Lyceums war das Recht der Frauen auf Bildung
anerkannt worden; sobald die Nationalversammlung zusammentrat, forderten
die Frauen in Petitionen und Flugschriften die Anerkennung dieses
Rechtes auch vom Staat.[184] Die Konstitution von 1791 nahm zu diesen
Forderungen Stellung. Talleyrand, der der Nationalversammlung den
Bericht über die Neuordnung des öffentlichen Unterrichts vorlegte,
widmete der Frage der Frauenerziehung und Bildung einen Abschnitt, der
von den übrigen ruhigen theoretischen, ja oft trockenen Ausführungen
durch seinen agitatorischen Ton auffallend absticht.[185] Um die von ihm
gewünschte Einschränkung der Frauenbildung auf das geringste Maß zu
begründen, griff er bis auf die Frage zurück, ob Frauen als Staatsbürger
anzusehen seien. Er gab von vornherein zu, daß es wie eine mit den
Idealen der Revolution in schroffstem Widerspruch stehende
Ungerechtigkeit erscheine, wenn eine Hälfte des Menschengeschlechts
außerhalb der Verfassung stehe, aber, so fügte er hinzu, ein anderer
wichtiger Umstand müsse dabei in Betracht gezogen werden: der Zweck
aller staatlichen Einrichtungen muß das Glück der größten Anzahl sein;
wenn die Ausschließung der Frauen von allen öffentlichen Rechten für
beide Geschlechter ein Mittel ist, die Summe ihres Glücks zu erhöhen, so
muß jeder Staat sie in seine Verfassung aufnehmen. Da nun die Erziehung
der männlichen Jugend das Ziel hat, Bürger heranzubilden, die allen
Rechten und Pflichten dem Staate gegenüber gewachsen sind, die Natur den
Frauen dagegen das Leben im stillen Kreise des Hauses inmitten ihrer
Kinder bestimmt hat, und jede Uebertretung der Naturgesetze eine Quelle
des Unglücks ist, so müssen die Erziehungsmethoden für beide
Geschlechter durchaus verschieden sein. Im Anschluß an Talleyrands
Bericht beschloß die Nationalversammlung die Mädchen nur bis zum achten
Lebensjahr in öffentlichen Schulen zuzulassen und sie von da ab der
häuslichen Erziehung durch die Eltern anzuvertrauen. Wo diese fehlt,
sollen an Stelle der früheren klösterlichen Erziehungsanstalten
weltliche treten, in denen die Mädchen in allen ihrem Geschlecht
angemessenen Kenntnissen und Fertigkeiten unterrichtet werden. Der
Konvent von 1793 ging etwas weiter, indem er bestimmte, daß alle Kinder,
ohne Unterschied des Geschlechts, vom 5. bis zum 12. Jahre in
sogenannten maisons d'égalité gemeinsam erzogen werden sollten.[186]
Eine andere Spur eines Versuchs, die Erziehung des weiblichen
Geschlechts zu heben oder gar der männlichen gleichzustellen, findet
sich nicht. Die politischen und wirtschaftlichen Fragen standen viel zu
sehr im Vordergrund des allgemeinen Interesses, als daß diese Forderung
der Frauen eingehende Berücksichtigung hätte finden können. Sie wurde
auch von ihnen selbst ohne großen Nachdruck verfolgt; die Frauen der
Bourgeoisie saßen sowieso schon als Gleichberechtigte an der
reichbesetzten Tafel geistiger Genüsse, und die Frauen der arbeitenden
Klassen waren noch nicht imstande, geistigen Hunger zu spüren, wo der
physische ihren Körper verzehrte.

Ihre Lage war von Jahr zu Jahr entsetzlicher geworden. Die Jahre 1789
bis 1799 waren für die französische Industrie verderblich, nicht nur
weil die machtvolle Konkurrenz Englands sie förmlich erdrückte,
sondern,--und das spürten die arbeitenden Frauen besonders
empfindlich,--weil infolge der Emigration und der Stockung des großen
geselligen Hoflebens die Seiden-und Spitzenmanufaktur rapide
zurückging.[187] Dabei stiegen die Lebensmittelpreise und die Scharen
der hungernden Arbeitslosen wuchsen erschreckend an.

Zwanzig Jahre vor Ausbruch der Revolution zählte man 50000 Bettler in
Frankreich; obwohl auf die Bettelei drei Jahre Galeerenstrafe stand,
wuchs die Zahl der Bettler in den nächsten zehn Jahren bis auf 1-1/2
Millionen;[188] in Lyon, dem Hauptsitz der Seidenindustrie, waren um
1787 30000 Arbeiter auf Almosen angewiesen, in Paris fanden sich auf
680000 Einwohner 116000 Bettler.[189] Vielfach wurden die Frauen unter
ihnen jahrelang in engen, schmutzigen Arbeitshäusern interniert, wo die
gräßlichsten Krankheiten nie aufhörten, und man die Armen, als ob sie
nicht durch das eigene Unglück genug gegeißelt würden, mit
Peitschenhieben züchtigte.[190] Die größte Not aber herrschte in den
Pariser Proletariervierteln von St. Antoine und du Temple. Hier wuchs
mit dem Elend der Haß empor, und er richtete sich nicht nur gegen den
Absolutismus, die Feudalherrschaft und das Kirchenregiment, wie der Haß
der Bourgeoisie, sondern in erhöhtem Maße gegen die Ausbeuter und
Kornwucherer, die den politisch Rechtlosen auch noch um das tägliche
Brot bestahlen oder es durch verdorbenes Mehl vergifteten, so
daß Skorbut und Dysenterie besonders massenhaft die Kinder
hinwegrafften.[191] Hier war der Herd jener furchtbaren Seuche, der
Prostitution, die entsetzenerregende Dimensionen annahm. Schätzte doch
Pater Havel im Jahre 1784 die Zahl der Prostituierten in Paris auf
70000![192] Aber von hier entstammten auch jene Frauen, die, ohne von
den Menschenrechten und den philosophischen Redeturnieren etwas zu
verstehen, in den Gang der Revolution bestimmend eingreifen sollten,
weil die gewaltigsten Triebkräfte der Natur, Hunger und Liebe,--Liebe zu
den jammernden, schuldlosen Erben ihres Elends,--sie in den Kampf
jagten. Die Frauen der Bourgeoisie schienen vor 1789 gegenüber den
Leiden und Forderungen der Frauen des arbeitenden Volks mit Blindheit
geschlagen; sie schwärmten für Freiheit und Gleichheit, für ein
friedliches Leben in der Natur, für Brüderlichkeit und allenfalls für
Gleichberechtigung ihres Geschlechts in Bezug auf Bildung und politische
Rechte, aber sie waren, wie die gesamte Bourgeoisie jener Epoche, weit
entfernt davon, über die Kluft, die sie vom Proletariat trennte,
hinwegzuschreiten oder auch nur hinüberzusehen. Selbst die Memoiren der
bedeutendsten unter ihnen enthalten keine Schilderung, ja nicht einmal
einen Hinweis auf das Elend ihrer ärmsten Geschlechtsgenossinnen. So
merkwürdig nun auch dieser Umstand erscheint, so wenig kann daraus auf
bewußte Herzlosigkeit geschlossen werden. Wie es noch heute selbst
vortrefflichen Menschen schwer fällt, den Kreis ihrer Gefühle so über
die eigene Klasse auszudehnen, daß keinerlei Regung des Klassenegoismus
mehr bei ihnen aufkommen kann, so war es vor hundertzehn Jahren, wo die
inneren und äußeren Schranken zwischen den Ständen weit größere waren,
noch viel schwerer. Das Proletariat mußte seine Sache selbst führen,
wenn es überhaupt beachtet werden wollte; erst das Heer schuf die
Heerführer, nicht umgekehrt. Erst als die Schlösser des Adels in Flammen
aufgingen und die Bastille, die Zwingburg des Absolutismus, unter dem
wütenden Ansturm des Volkes zusammenbrach, entschlossen sich die
Deputierten der Nationalversammlung zur Aufhebung des Frondienstes und
der Feudallasten und wiesen, halb entsetzt, halb erfüllt von dem Wunsch,
Abhilfe zu schaffen, auf die verödeten Werkstätten und die Massen der
Arbeitslosen hin.[193] Und die Frauen, die, soweit sie Mütter waren, vom
Unglück doppelt getroffen wurden, fanden nicht eher Beachtung, als bis
sie endlich aus ihrem stumpfen Dulderdasein zu selbständigem Handeln
erwachten.

Von den zwei Arbeiterdeputationen, die, Hilfe heischend, vor der
Nationalversammlung erschienen, bestand eine aus Frauen und war von
Frauen entsandt. Ihr Auftreten war so naiv und ungeschickt wie möglich.
Sie kamen wie die Kinder zum Vater: sie klagten ihre Not, sie baten um
Hilfe, aber sie wußten selbst nicht, wie man ihnen helfen sollte;[194]
daß sie kamen, war schon Wagnis genug, wie hätten sie sich auch noch zur
Aussprache bestimmter Forderungen entschließen können? Ihre That, so
ergebnislos sie an sich zu sein schien, wurde von weittragender
Bedeutung: die Frauen fühlten den Mut, zu sagen, was sie quälte; die
durch die wirtschaftliche Entwicklung der voraufgehenden Jahrhunderte
immer klarer in Erscheinung tretende soziale Seite der Frauenfrage
gelangte zu klarem Bewußtsein. Zahlreiche, meist anonym erscheinende
Broschüren beschäftigten sich mit der Frauenarbeit und ihrer Regelung;
die ganze Not des armen alleinstehenden Mädchens, das von der
ehrlichen Arbeit ihrer Hände nicht leben kann und der Schande
gewaltsam in die Arme gestoßen wird, klang aus der "Motion de la
pauvre Javotte"[195] erschütternd heraus; als eine notwendige Folge der
wirtschaftlichen Zustände wurde in anderen Schriften,--ein bis dahin
unerhörter Schluß!--die Prostitution betrachtet und Mittel, sie
einzuschränken, gesucht. Auf die Zurückdrängung der Frauen von guten
Erwerbsmöglichkeiten wurde die Korruption der nur aus geschäftlichen
Gründen geschlossenen Ehen zurückgeführt, und die Forderung, dem
weiblichen Geschlecht die Wege zu ehrlicher, den Lebensunterhalt
ermöglichender Arbeit zu eröffnen, wurde immer lauter und bestimmter. In
einer Petition der Frauen an den König fand sie ihre klarste Fassung.
Die Männer, so heißt es darin, sollen die den Frauen zukommenden
Gewerbe, Schneiderei, Stickerei, Putzmacherei etc., nicht ausüben
dürfen, dafür würden die Frauen sich verpflichten, weder den Kompaß noch
das Winkelmaß zu führen; "wir wollen Beschäftigung haben, nicht um die
Autorität der Männer an uns zu reißen, sondern um unser Leben zu
fristen."[196] Ein Resultat hatten ihre Wünsche natürlich nicht, aber
die einmal aufgeworfene Frage der Frauenarbeit konnte nicht mehr
überhört und vergessen werden. Sie beeinflußte die Diskussion über die
Lage der Zünfte, die bekanntlich das weibliche Geschlecht nach und nach
ganz aus ihren Verbänden herausgedrängt hatten, und deren Auflösung im
Jahre 1791 daher von seiten der Frauen jubelnd begrüßt wurde. Sie
bedeutete für sie, gleichgültig welches die weiteren Folgen waren, die
Anerkennung der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts auf dem
Gebiete manueller Arbeit.

Das öffentliche Auftreten der Frauen des arbeitenden Volks beschränkte
sich jedoch nicht auf Petitionen und Pamphlete, und es ist bekannt, wie
die Gegner der Revolution sich darin gefallen, ihr Eingreifen in die
Kämpfe des Tages in den grausigsten Farben zu schildern, indem sie
Schillers Ausspruch von den Weibern, die zu Hyänen werden, zu
illustrieren suchen. Gewiß ist, daß der Sturm entfesselter
Leidenschaften nirgends verderbenbringender auftritt, als dort, wo er
mit allen Mitteln der Gewalt unterdrückt worden war, und daß es unter
den Frauen wie unter den Männern Abenteuerer und Verbrecher gab, wie sie
in erregten Zeiten überall aufzutauchen pflegen. Die Heldinnen der
Revolution sind aber von diesen wohl zu unterscheiden. Der 9. Oktober
1789 war der Tag ihres Triumphes. Die Hungersnot in Paris, die Gerüchte
der skandalösen Vorgänge in Versailles hatten die Aufregung des Pariser
Volks aufs äußerste gesteigert, aber nicht die Männer, sondern die
Frauen, die Arbeiterinnen der Vorstädte, die Händlerinnen der Hallen
waren es, die sich zur That entschlossen. Nachdem sie zuerst das Rathaus
gestürmt und vergebens Brot gefordert hatten, zogen sie, 8000 an der
Zahl, nach Versailles.[197]

Diese revolutionäre Aktion vom 6. Oktober, die unvorbereitet aus dem
natürlichen Gefühl des Volks herauswuchs, gehört den Frauen, wie die des
14. Juli den Männern gehört hatte. Die Männer eroberten die Bastille,
die Frauen den König und damit das Königtum.[198] Denn obwohl es
zunächst den Anschein hatte, als wäre die Revolution beendet, fing sie
in Wahrheit erst an. Die Frauen des Volks aber hatten sich aus eigener
Kraft ihren Platz im öffentlichen Leben erkämpft; mochten sie auch der
Rechte der Staatsbürger noch lange verlustig gehen, ihre Stimme konnte
nicht mehr überhört, ihre Lage nicht mehr übersehen werden. Dabei war
ihr eigenes Interesse an den Fragen der inneren und äußeren Politik
geweckt worden, sie hatten einsehen gelernt, wie tief diese Fragen auch
in ihr Leben und das ihrer Kinder eingreifen, und wurden auf Grund
dieser Erkenntnis zu treibenden Kräften der revolutionären
Propaganda.[199] Sie traten nicht nur in die politischen Klubs der
Männer ein und beteiligten sich an den Debatten, sie gründeten nunmehr
auch in fast allen großen Städten Frauenvereine, deren Mitgliedschaft
eine sehr bedeutende war. Der Verein Amies de la Constitution zählte
allein in Bordeaux 2000 Mitglieder,[200] und der Verein der Femmes
républicaines et révolutionnaires brachte es in Paris bis zu 6000. Dem
der Patriotes des deux sexes défenseurs de la Constitution, der unter
dem Saale des Jakobinerklubs zu tagen pflegte, gehört auch Madame
Roland, die einflußreichste Politikerin der Revolution als Mitglied an.
Sie war die Seele der Gironde; ihrem Ruf und Einfluß verdankte ihr Gatte
seine Bedeutung und seine Wiederberufung ins Ministerium; die
französischen Archive enthalten zahlreiche diplomatische Akte, die von
ihrer Hand geschrieben sind. Sie übertraf an Kenntnissen, an Reinheit
der Gesinnung, an moralischem Mut die meisten ihrer Zeitgenossen; nur
sie war im stände jenen Brief an den König zu schreiben, der die
Ereignisse des 21. Juni und 10. August vorbereitete. So sehr demnach
ihre Person den Beweis für die Berechtigung der Forderungen der
Frauenbewegung lieferte, so wenig übte sie irgend welche direkten
Einfluß auf ihren Fortschritt und ihre Organisierung.

Eine der eigentümlichsten Persönlichkeiten, welche die an Originalen so
reiche Revolutionsperiode hervorbrachte, sollte die erste Organisatorin
und Agitatorin der Frauenbewegung werden: Olympe de Gouges. Ihr
eigentlicher Name war Marie Gouze, ihre Eltern einfache Bürger von
Montauban, doch scheint es nicht ausgeschlossen, daß sie einem
Verhältnis ihrer Mutter Olympe,--nach der sie sich später nannte,--mit
dem Dichter Le Franc de Pompignan ihr Dasein verdankte.[201] Noch sehr
jung heiratet das blühend schöne Mädchen, deren bourbonische Züge zu
dem Gerücht Anlaß gaben, daß Ludwig XV. ihr Vater gewesen sei, aber
schon nach wenigen Jahren warf sie die Fesseln ihrer tief unglücklichen
Ehe von sich. Olympe begab sich nach Paris, wo sie trotz ihrer sehr
mangelhaften Bildung infolge ihres sprühenden Geistes und ihrer
Schönheit der Mittelpunkt fröhlicher Geselligkeit wurde. Daß das
unerfahrene Geschöpf dabei ihr Herz vor stürmischen Leidenschaften nicht
behüten konnte, darf nicht Wunder nehmen. Sie lernte die Abgründe und
die Höhen des Lebens nach jeder Richtung kennen, ehe sie dazu gelangte,
die Vorkämpferin ihres Geschlechts zu werden. Ihre reiche Phantasie
suchte sich zunächst einen Ausweg in litterarischer Produktion für das
Theater, natürlich, trotz geistreicher Aperçus, bei ihrer geringen
Bildung mit wenig Erfolg.[202] Bald jedoch wandte sie unter dem Eindruck
der fortschreitenden Revolution dieser Thätigkeit und ihrem ganzen
bisherigen Leben den Rücken. "Ich brenne darauf," schrieb sie, "mich der
Arbeit für das öffentliche Wohl rückhaltlos in die Arme zu werfen." Sie
that es mit der ganzen Energie ihres Charakters. Ihre Genialität
überwand spielend alle Schwierigkeiten, die ihr entgegenstanden. Das
Elend des Volks und ihres Geschlechts war es, was ihr ungewöhnliche
Kräfte verlieh. Sie überraschte nach dem Urteil der Zeitgenossen immer
wieder durch den Reichtum ihrer Ideen und die Macht ihrer Sprache.
Selbst die Nationalversammlung hörte staunend dieser glänzenden Rednerin
zu und folgte vielfach ihren praktischen Anregungen. Aus allem aber, was
sie schrieb und sagte, sprach die weibliche Natur in ihren schönsten
Zügen. Angesichts der Hungersnot veranlaßte sie durch einen öffentlichen
Aufruf und durch ihr Beispiel, daß zahlreiche Frauen in wetteiferndem
Opfermut ihren Schmuck dem Staate schenkten. Ergreifend schilderte sie
das Elend im Armenhaus von St. Denis und beschäftigte sich mit der
brennenden Frage der Zunahme der Bettelei. Zuerst verlangte sie
Einrichtung öffentlicher Unterstützungskassen zu seiner Bekämpfung, dann
aber, als ihr das Erniedrigende des Almosenempfanges zum Bewußtsein kam,
agitierte sie in Wort und Schrift für die Errichtung staatlicher
Musterwerkstätten für Arbeitslose, ein Gedanke, der teilweise zur
Verwirklichung kam.

Alle diese Bestrebungen aber waren gegenüber ihrer Thätigkeit zu gunsten
ihres eigenen Geschlechts nur von ephemerer Bedeutung. Auf dem Gebiete
der Frauenbewegung war ihr Auftreten epochemachend. Schon in ihrer
Adresse an die Frauen hatte sie ausgerufen: "Ist es nicht Zeit, daß auch
unter uns Frauen eine Revolution beginnt? Sollen wir immer vereinzelt
sein? Werden wir nie an der Gestaltung der Gesellschaft thätigen Anteil
nehmen?" Als aber die Erklärung der Menschenrechte erschien und alles
begeisterte, veröffentlichte sie ein Manifest, die Erklärung der Rechte
der Frauen, das in kurzen kräftigen Zügen das Programm der
Frauenbewegung enthält. Nach einigen einleitenden Worten, in denen sie
nachweist, daß das Verkennen, Vergessen oder Verachten der Rechte der
Frauen die Ursache nationalen Unglücks und sittlicher Korruption wäre,
fährt sie fort:

"Die Frau ist frei geboren und von Rechtswegen dem Manne gleich. Das
Ziel jeder gesetzgebenden Gemeinschaft ist der Schutz der
unveräußerlichen Rechte beider Geschlechter: der Freiheit, des
Fortschritts, der Sicherheit und des Widerstands gegen die
Unterdrückung.... Die Ausübung der Rechte, die der Frau von Natur
gebühren, ist aber bisher in engen Schranken gehalten worden. Aus der
Gemeinschaft von Männern und Frauen besteht die Nation, auf der der
Staat beruht; die Gesetzgebung muß der Ausdruck des Willens dieser
Allgemeinheit sein. Alle Bürgerinnen müssen ebenso wie alle Bürger
persönlich oder durch ihre gewählten Vertreter an ihrer Gestaltung
teilnehmen. Sie muß für alle die gleiche sein. Daher müssen alle
Bürgerinnen und alle Bürger, entsprechend ihren Fähigkeiten, zu allen
öffentlichen Stellungen, Auszeichnungen und Berufen gleichmäßig
zugelassen werden; nur die Verschiedenheit ihrer Tugenden und Talente
dürfen den Maßstab für ihre Wahl abgeben. Die Frau hat das Recht, das
Schaffot zu besteigen, die Tribüne zu besteigen, sollte sie dasselbe
Recht besitzen. Die Rechte der Frau aber sollen der Wohlfahrt aller, und
nicht dem Vorteil des Geschlechts allein dienen.

"Die Frau trägt ebenso wie der Mann zum Vermögen des Staates bei, sie
hat dasselbe Recht wie er, über dessen Verwaltung Rechenschaft zu
fordern. Eine Verfassung ist ungültig, wenn nicht die Mehrheit aller
Individuen, aus denen die Nation besteht, an ihrer Gestaltung
mitgearbeitet hat.... Erwacht, ihr Frauen!... die Fackel der Wahrheit
hat die Wolken der Thorheit und der Tyrannei zerstreut; wann werdet ihr
sehend werden? Vereint euch; setzt der Kraft der rohen Gewalt die Kraft
der Vernunft und Gerechtigkeit entgegen. Und bald werdet ihr sehen, wie
die Männer nicht mehr als schmachtende Anbeter zu euren Füßen liegen,
sondern, stolz darauf, die ewigen Rechte der Menschheit mit euch zu
teilen, Hand in Hand mit euch gehen."[203]

Ihre Erklärung blieb nicht ohne Folgen. Zahlreiche Broschüren für und
gegen die Forderungen der Frauen erschienen. Aus der unbedeutenden
Modenzeitung Journal des femmes entstand die erste Zeitschrift für die
Frauenbewegung: l'Observateur féminin. Die Nationalversammlung wurde mit
Petitionen bestürmt, die politische und soziale Gleichstellung
verlangten. "Ihr habt eben die Privilegien abgeschafft, beseitigt auch
die des männlichen Geschlechts," hieß es in der einen; "das Volk wird in
den Besitz seiner Rechte eingesetzt, die Neger werden befreit, warum
befreit man nicht auch die Frauen?" in der anderen.[204] Olympe de
Gouges hielt in richtiger Erkenntnis den Augenblick für gekommen, die
vereinzelten Kämpferinnen für Frauenrechte zu vereinigen, um ihrem
Vorgehen größeren Nachdruck zu verleihen. Sie gründete die ersten
politischen Frauenvereine, deren Leiterin und glänzendste Agitatorin sie
wurde. Leider sollte ihrer Wirksamkeit ein frühzeitiges Ende bereitet
werden. Ihrem Gefühl widerstrebte jede Grausamkeit, die sie im Namen der
Freiheit verüben sah, und sie gehörte nicht zu denen, die es verstehen,
der Klugheit zu Liebe die Sprache des Gewissens zum Schweigen zu
bringen. "Selbst das Blut der Schuldigen, das grausam vergossen wurde,
schändet die Revolution," rief sie aus. Wohl war sie eine begeisterte
Republikanerin; schon im Jahre 1789 hatte sie in einem Brief an die
Nationalversammlung die Absetzung des Königs gefordert und angesichts
der Hungersnot in einer Adresse an ihn ausgerufen: "Es ist Zeit für Sie,
um sich selbst und um ihr Volk zu zittern. Wollen sie über Pyramiden von
Toten und Berge von Asche regieren?" aber gegen die Art, wie der Prozeß
des Königs geführt wurde, empörte sich ihr mitleidiges Herz. "Wenn ihr
mit rauher Hand den Baum der Monarchie umhaut, hütet euch, daß ihr nicht
unter ihm begraben werdet," schrieb sie. Schon dieser Ausspruch erregte
Verdacht. Man warf ihr vor, von den Royalisten gekauft zu sein, wogegen
sie sich mit dem Hinweis auf ihre Armut,--sie hatte den Armen alles
gegeben, was sie besessen hatte,--zu verteidigen suchte. Man wollte
jedoch der unbequemen Mahnerin nicht trauen, die durch ihre Beredsamkeit
die Massen hinzureißen verstand und klagte sie im Jakobinerklub an, an
der Spitze einer royalistischen Verschwörung zu stehen, zu der sie, als
natürliche Tochter Ludwigs XV., sich besonders berufen fühle. Statt nun
in ihren öffentlichen Angriffen auf die Führer der Revolution
vorsichtiger zu werden, wurde sie nur noch rücksichtsloser, denn das
Todesurteil über den König versetzte sie in die äußerste Erregung. Sie
sah darin nicht nur eine Grausamkeit, sie fürchtete auch die Folgen für
die Entwicklung der Revolution: "Blut verwandelt die Geister und Herzen;
eine tyrannische Regierungsform wird nur von der anderen abgelöst
werden." In dem Bedürfnis, nichts unversucht zu lassen, um das
Verhängnis, das sie nahen sah, abzuwenden und in dem allen
leidenschaftlich empfindenden Naturen gemeinsamen Drang, bis zum
äußersten für ihre Ueberzeugung einzustehen, bot sie sich dem Konvent
zur Verteidigung des Königs an. Nach seiner Hinrichtung schrieb sie,
ungeachtet der Gefahr, die sie heraufbeschwor, die schärfsten Pamphlete,
in denen sie besonders Robespierre heftig angriff und prophetisch
ausrief: "Auch dein Thron wird einst das Schaffot sein." Dabei versuchte
sie, auch auf die Frauenvereine in ihrem Sinn Einfluß zu üben, und
erreichte vielfach, daß diese eine drohende Haltung einnahmen und
öffentlich für die Opfer der Guillotine Partei ergriffen. Olympe de
Gouges konnte dem Schicksal, das sie selbst heraufbeschwor, nicht lange
entgehen. Im Sommer 1793--sie war 45 Jahre alt--wurde sie verhaftet, am
3. November fiel ihr Kopf unter dem Fallbeil.[205] Mochte sie in ihrem
abenteuerreichen Leben die Grenzen bürgerlicher Sittsamkeit noch so oft
überschritten haben, mochte ihr exzentrisches Wesen dem landläufigen
Begriff zurückhaltender Weiblichkeit noch so wenig entsprechen,--die
Frauenbewegung darf dennoch stolz auf ihre Vorkämpferin sein. Das Urteil
über die öffentliche Wirksamkeit eines Menschen bestimmt sich vorwiegend
nach den Wirkungen, die er durch seine Thätigkeit auf den sozialen
Fortschritt ausgeübt hat. Von diesem Standpunkt aus gebührt Olympe de
Gouges der Ruhm, die Frauenbewegung zuerst organisiert und zu einem
beachtenswerten Faktor im öffentlichen Leben gemacht zu haben. Dabei war
ihr Auftreten typisch für die Haltung der Frauen und ihrer Vereine
überhaupt.

Sie erregten in steigendem Maße die lebhafteste Unzufriedenheit des
Konvents und der Kommune; teils wurde den Frauen unsittlicher
Lebenswandel, teils allzu leidenschaftliches Eingreifen in die
politischen Kämpfe zum Vorwurf gemacht. Das geschah gewiß nicht ohne
Grund, denn eine Zeit, in der alle alten Institutionen ins Wanken
geraten, wirft schwache Charaktere und heiße Herzen nur zur leicht aus
dem rechten Geleise; aber es muß angesichts der harten Urteile der
Zeitgenossen über die Frauenbewegung stets in Betracht gezogen werden,
daß sie ihr und ihren Forderungen gegenüber fast sämtlich einen von
vornherein feindseligen Standpunkt einnahmen. Selbst die radikalsten
Politiker hatten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht das geringste
Verständnis für sie. Die Frauen standen fast vollständig allein, dazu
kam, daß sie, ihrer Natur getreu, die nach der Gefühlsseite hin am
stärksten entwickelt ist, rücksichtslos gegen jedermann vorgingen, der
sich einer Gemeinheit oder Ungerechtigkeit schuldig machte. Eine große
Anzahl der Anklagen gegen Frauen gründete sich darauf, daß sie sich
mitleidig eines Gefangenen angenommen, oder für einen, ihrer Meinung
nach unschuldig Verurteilten lebhaft Partei ergriffen hatten. Das war
den Männern in jener Periode der wachsenden Unempfindlichkeit gegenüber
den Leiden der Gegner so unverständlich, daß sie es sich immer nur
durch das Bestehen eines Liebesverhältnisses zwischen der betreffenden
Frau und dem Verurteilten zu erklären vermochten. Auch eine der
begabtesten Leiterinnen der Frauenvereine, Rose Lacombe, die den Zug der
Frauen nach Versailles angeführt hatte, geriet unter diesen Verdacht,
obwohl er gerade bei ihr, der hingebenden Vorkämpferin der Revolution,
am wenigsten begründet zu sein scheint. Infolge der Erbitterung gegen
die öffentlich auftretenden Frauen, die im Jahre 1793, dem Todesjahr
Olympe de Gouges, ihren Höhepunkt erreicht hatte, gestalteten sich die
Angriffe gegen Rose Lacombe schließlich zum Kampf gegen die
Frauenbewegung selbst.

Sie hatte sich dem Jakobiner Bazire gegenüber beklagt, daß Gefangene
tagelang im Gefängnis schmachteten, ohne auch nur verhört zu werden, wie
es bei dem Maire von Toulouse, in dessen Sohn man ihren Liebhaber
vermutete, geschehen war, und sie forderte, man solle beschließen, jeden
Gefangenen binnen 24 Stunden zu verhören, ihm die Freiheit zu schenken,
wenn seine Unschuld sich erweist, ihn zu töten, wenn er schuldig ist.
Eine Behandlung, wie die gegenwärtige, verstieße gegen die Gesetze der
Menschlichkeit, die die Gesetze der Republik sein müßten. Auf die Frage,
warum gerade der Maire von Toulouse, ein Aristokrat, sie, die
Verfolgerin der Aristokraten, zur Verteidigerin gewinnen könne,
erwiderte sie ruhig: "Er verteilt Brot unter die Armen!" Diese Erklärung
erschien Bazire nicht ausreichend. Er denunzierte sie im Jakobinerklub
und stieß um so weniger auf Widerstand, als der revolutionäre
republikanische Frauenverein, an dessen Spitze Rose Lacombe stand, durch
den Mut, mit dem er der Selbstherrlichkeit Robespierres gegenüber die
Rechte des Volks verteidigte und einer sozialen Revolution die Wege zu
bahnen versuchte, schon längst verdächtigt wurde.[206] Rose Lacombe
versuchte vergebens, sich und den Verein zu verteidigen; man ließ sie
nicht zum Worte kommen und übergab ihre Sache der Kommission für
öffentliche Sicherheit.[207] Obwohl nichts Gravierendes gefunden wurde,
beantragte die Kommission, der Konvent möge beschließen, daß alle
Frauenvereine, gleichgültig, welchen Namen sie trügen, aufgelöst und
ein für allemal verboten würden. Die Rede des Konventmitglieds Amar, die
diesen Antrag begründete, ist bezeichnend für die Stellung, welche die
Männer der Revolution der Frauenbewegung gegenüber einnehmen. Er
verneinte darin die beiden Fragen, ob die Frauen politische Rechte
ausüben und aktiven Anteil an der Regierung nehmen dürften, und ob es
ihnen gestattet sein sollte, politische Vereine zu bilden, indem er
folgendermaßen argumentierte:

"Regieren heißt, die öffentlichen Angelegenheiten durch Gesetze leiten,
deren Ausarbeitung ausgedehnte Kenntnisse, strenge Unparteilichkeit,
ernste Selbstverleugnung zur Voraussetzung hat; regieren heißt, die
Handlungen der Diener des Staates unter ständiger Aufsicht haben. Sind
die Frauen dazu fähig, besitzen sie die notwendigen Eigenschaften dafür?
Nur durch recht wenige Beispiele könnte diese Frage bejaht werden. Die
politischen Rechte der Bürger bestehen darin, im Interesse des Staates
Beschlüsse zu fassen, sie durchzusetzen und der Gewalt zu widerstehen.
Haben die Frauen die moralische und physische Kraft, welche das eine wie
das andere dieser Rechte erfordert? Die allgemeine Ueberzeugung spricht
dagegen...."

"Der Zweck der Volksvereine ist, die Thätigkeit der Feinde des
öffentlichen Wohles aufzudecken, die einzelnen Bürger, die Beamten des
Staates, ja selbst die gesetzgebende Körperschaft zu beaufsichtigen; die
Begeisterung Aller durch das Beispiel republikanischer Tugenden
anzufeuern; sich selbst durch öffentliche Besprechungen über die Fehler
oder die Vorteile politischer Maßnahmen aufzuklären. Können Frauen sich
diesen ebenso nützlichen wie schwierigen Arbeiten unterziehen? Nein,
denn sie sind verpflichtet, sich den wichtigen Sorgen hinzugeben, die
die Natur ihnen auferlegt hat.... Jedes Geschlecht ist zu der Thätigkeit
berufen, die ihm entspricht; seine Handlungen sind auf einen Kreis
beschränkt, den es nicht überschreiten darf, weil die Natur selbst diese
Grenzen dem Menschen gesteckt hat.... Erlaubt die Ehrbarkeit dem Weibe,
daß es sich öffentlich zeigt, daß es mit Männern diskutiert, und
öffentlich, angesichts des Volkes, sich über die Fragen ausspricht, von
denen das Wohl der Republik abhängt? Im allgemeinen sind die Frauen
unfähig hoher Konzeptionen und ernster Überlegungen.... Aber noch unter
einem anderen Gesichtspunkt sind Frauenvereine gefährlich. Wenn wir
bedenken, daß die politische Erziehung der Männer noch im Frührot der
Entwicklung steht, und daß wir das Wort Freiheit erst zu stammeln
vermögen, um wie viel weniger aufgeklärt sind dann die Frauen, deren
Erziehung bisher gleich Null war. Ihre Anwesenheit in den Volksvereinen
würde daher Personen einen aktiven Anteil an der Regierung gewähren, die
dem Irrtum und der Verführung stärker ausgesetzt sind als andere. Fügen
wir hinzu, daß die Frauen zu Aufregungen besonders geneigt sind und die
Interessen des Staates sehr bald alledem geopfert würden, was die
Heftigkeit der Leidenschaften an Irrungen und Aufruhr hervorbringt...."

Nach einer schwachen Verteidigung der Frauenvereine erhob der Konvent am
30. Oktober 1793 ihre Auflösung zum Beschluß.[208]

In stürmischen Versammlungen protestierten die Frauen dagegen, und eine
Deputation von ihnen erzwang sich den Eintritt in den Sitzungssaal der
Kommune, um hier persönlich für die Anullierung des Beschlusses, soweit
die Stadt Paris in Betracht kam, einzutreten. Sie kamen jedoch nicht zum
Wort, da der Generalprokurator Chaumette sich sofort erhob, um sich in
einer wütenden Philippika gegen die Frauenbewegung zu wenden. Er folgte
darin dem Gedankengang Amars, verlieh aber schließlich seiner Rede den
ganzen poetischen Schwung, mit dem die Gegner, wenn ihre Gründe nicht
durchschlagen, schließlich die Unentschiedenen für sich zu gewinnen
pflegen. "Die Natur sagte der Frau: Sei Weib!" rief er aus, "die
Erziehung der Kinder, die häuslichen Sorgen, die süßen Mühen der
Mutterschaft--das ist das Reich deiner Arbeit; dafür erhebe ich dich zur
Göttin des häuslichen Tempels, du wirst durch deine Reize, durch deine
Schönheit und deine Tugenden alles beherrschen, was dich
umgiebt!--Thörichte Frauen, die ihr zu Männern werden wollt, was
verlangt ihr noch? Ihr beherrscht unsere Sinne, die Gesetzgeber liegen
euch zu Füßen, euer Despotismus ist der einzige, den unsere Kraft nicht
brechen kann, weil er der der Liebe ist. Im Namen der Natur, bleibt was
ihr seid; und, weit entfernt davon, uns um die Kämpfe unseres Lebens zu
beneiden, begnügt euch damit, sie uns vergessen zu machen!"[209]

Nach dieser leidenschaftlichen Ansprache schloß die Kommune sich dem
Beschluß des Konvents an und erklärte außerdem, Frauendeputationen nicht
mehr empfangen zu wollen. Trotz alledem setzten die Frauen diesen
Beschlüssen den äußersten Widerstand entgegen, mußten aber schließlich
der Gewalt weichen: Man vertrieb sie auch von den Tribünen des Konvents,
man untersagte ihnen die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen, ja man
ging soweit, ein Gesetz zu erlassen, wonach Frauen, die sich zu mehr als
fünf zusammenfanden, mit Gefängnis bestraft werden sollten.[210]

So schien die Frauenbewegung der Revolution resultatlos verlaufen zu
sein. Aber es ging ihr wie allen sozialen Bewegungen: Der erste
stürmische Angriff wurde von den Gegnern zurückgeschlagen, nicht nur,
weil ihrer noch viel zu viele waren, sondern weil das Ziel der Bewegung
noch zu wenig geklärt, der Weg zu ihm noch zu dunkel war und seine
Schwierigkeiten daher nicht übersehen werden konnten.

Die Frauenbewegung geriet scheinbar ins Stocken, thatsächlich wirkte sie
jedoch im stillen weiter, indem sie die Köpfe gewann und hervorragende
Denker sich mit ihren Problemen beschäftigten.

Als sie noch im Anfang ihrer Entwicklung stand, wurde der letzte der
großen französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, Condorcet, auf
sie aufmerksam und widmete ihr in seiner Schrift: Lettres d'un bourgeois
de New-Haven à un citoyen de Virginie[211] einen bemerkenswerten
Abschnitt. Er ging von der Voraussetzung aus, daß die Frauen, ebenso wie
die Männer, fühlende, mit Vernunft begabte, sittlicher Ideen fähige
Wesen seien, und daher dieselben Rechte haben mußten, wie die Männer. Er
forderte das aktive und das passive Wahlrecht für sie und wollte sie von
keinem Amt gesetzlich ausgeschlossen wissen, wobei er erklärte, daß es
überflüssig sei, den Bürgern zu verbieten, sie z.B. zu Heerführern zu
wählen, da man ihnen doch auch nicht zu untersagen brauche, etwa einen
Blinden zum Gerichtssekretär zu machen.

Im Jahre 1789 veröffentlichte er im Journal de la société (No. 5)[212]
einen Artikel über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht, der auch
heute noch als die glänzendste Rechtfertigung und Verteidigung der
Frauenbewegung angesehen werden darf, und dessen Forderungen leider noch
unerfüllt geblieben sind. Condorcets Ansicht nach wurde das von der
Revolution aufgestellte Prinzip der Gleichheit dadurch auf das
empfindlichste verletzt, daß die Hälfte des Menschengeschlechts des
Rechtes beraubt wurde, an der Gesetzgebung teilzunehmen. Wolle man für
diese Thatsache eine Anerkennung, so müsse nachgewiesen werden, daß
nicht nur die natürlichen Rechte der Frauen andere seien, als die der
Männer, sondern daß sie auch unfähig seien, die Bürgerrechte auszuüben.
Da die Frau ein Mensch sei wie der Mann, habe sie dieselben natürlichen
Rechte wie er, denn entweder gebe es überhaupt keine angeborenen
Menschenrechte, oder jeder Mensch, gleichgültig welches sein Geschlecht,
seine Religion oder seine Rasse sein mag, hat die gleichen. Was die
Gründe betrifft, die angeführt werden zum Beweise der Unfähigkeit der
Frau, den Pflichten eines Staatsbürgers zu genügen, so wandte sich
Condorcet zunächst gegen den ihrer physischen Konstitution, indem er
ausführte, daß er nicht einsehen könne, wieso Schwangerschaften und
vorübergehende Unpäßlichkeiten die Frauen für Ausübung der Bürgerrechte
untauglich machen sollten, da doch auch die Männer Krankheiten aller Art
ausgesetzt seien, ohne daß man es für notwendig halte, ihnen deshalb die
Pflichten und Ehren der Bürger abzusprechen. Ferner sagt man, daß keine
Frau in den Wissenschaften Bedeutendes geleistet oder Beweise von Genie
gegeben habe, aber man habe doch nie daran gedacht, die Verleihung des
Bürgerrechts an die Männer von ihrer Begabung abhängig zu machen. Auch
das geringere Maß an Kenntnissen, die schwächere Urteilskraft, die man
den Frauen zum Vorwurf mache, könne, selbst wenn man sie zugeben wolle,
nicht als Grund angesehen werden, sie politisch für rechtlos zu
erklären. Als Konsequenz dieser Anschauung müsse man sonst auf jede
freie Verfassung verzichten und die Regierung, wie den Einfluß auf die
Gesetzgebung nur der sehr kleinen Zahl kenntnisreicher und wahrhaft
aufgeklärter Männer überlassen. Was man an den Frauen mit Recht
aussetzen könne,--ihren Mangel an Gerechtigkeitsgefühl, ihre
Einseitigkeit und geringe Bildung,--sei lediglich eine Folge ihrer
schlechten Erziehung und der sie umgebenden sozialen Verhältnisse, die
man daher zu ändern trachten müsse. Auch eine Reihe von
Nützlichkeitsgründen werden gegen die Zulassung der Frauen zum
Bürgerrecht hervorgebracht: man fürchte ihren Einfluß auf die
Männer,--als ob ihr geheimer Einfluß nicht viel bedenklicher sei, als es
ihr öffentlicher sein würde, man glaube, sie würden ihre natürlichen
Pflichten dem Haushalte, den Kindern gegenüber vernachlässigen, und doch
habe man nie Bedenken in Bezug auf die Männer gehabt, die doch auch
ihrem Beruf, ihrer Arbeit nachgehen müssen. Man scheine dabei auch
absichtlich übersehen zu wollen, daß nicht alle Frauen einen Haushalt
und kleine, der Pflege bedürftige Kinder haben, und die Ausübung des
Wahlrechts ihnen nicht mehr Zeit kosten würde, als die banalen
Vergnügungen und Zerstreuungen, denen sie jetzt nachgehen. Solche
Nützlichkeitsgründe haben immer, wo andere nicht ausreichten,
Tyrannenherrschaft rechtfertigen sollen: in ihrem Namen lägen Handel und
Industrie in Ketten, in ihrem Namen bestehe die Sklaverei der Neger noch
heute, in ihrem Namen füllte man die Bastille und wendete die Folter an.
Die Frage der Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht dürfe aber nicht mehr
mit Nützlichkeitsgründen, Phrasen und Witzen abgethan werden. Auch die
Gleichheit, welche die neue Verfassung Frankreichs zwischen den Männern
festsetzte, habe eine Flut geschwollener Reden und billiger Scherze
hervorgerufen, stichhaltige Gründe jedoch habe niemand vorzubringen
vermocht. "Ich glaube," so schliesst Condorcet, "daß es mit der
Rechtsgleichheit der Geschlechter nicht anders sein wird."

Mehr als in seinem eigenen Vaterlande fanden die Ansichten des
französischen Philosophen in England und Deutschland eine
wissenschaftliche Vertretung. Die ruhigeren politischen Verhältnisse in
jenen Ländern ließen dem Einzelnen mehr Zeit zum Nachdenken und
Theoretisieren, während die Lage Frankreichs zum Handeln aufforderte.
So schrieb ein deutscher Historiker eine vielbändige Geschichte des
weiblichen Geschlechts, die er mit den Worten einleitete, daß die
Geschichte keines Volkes und keines Standes ein so empörendes, Abscheu
und Mitleiden in so hohem Grade erregendes Schauspiel darbiete, als die
der Frauen,[213] und ein englischer Gelehrter, der denselben Stoff
behandelte, sprach sich ähnlich aus, indem er erklärte, daß die
empörende Behandlung des weiblichen Teils der menschlichen Species nur
dem menschlichen Manne eigentümlich sei, und in der ganzen Natur kein
Gegenstück und kein Vorbild habe.[214]

Eine der bedeutendsten litterarischen Erscheinungen aber auf diesem
Gebiet war das Werk der Engländerin Mary Wollstonecraft: Vindication of
the rights of women.[215] Ein Leben voll innerer und äußerer Kämpfe und
Entbehrungen hatte sie die Leiden ihres Geschlechts kennen gelehrt. In
ihrem Berufe als Lehrerin hatte die Erziehungs- und Bildungsfrage sie
schon lebhaft beschäftigt, so daß sie als ihre erste litterarische
Arbeit eine kleine Schrift über die Erziehung junger Mädchen erscheinen
ließ. Ihr folgten eine ganze Anzahl Uebersetzungen aus dem Deutschen und
einige selbständige Arbeiten, die ihre Existenz sicherten und sie
zugleich in persönliche Beziehungen zu ihrem Verleger Johnson brachten,
bei dem sie einen geistig anregenden Verkehr fand. Er selbst wie alle
seine Gäste verfolgten die Ereignisse der französischen Revolution mit
stürmischer Begeisterung, war doch Thomas Paine, auf dessen Haupt der
Lorbeer der amerikanischen Freiheitskriege sich mit dem des Pariser
Bastillensturmes vereinigte, derjenige, der den Ton angab und in
Johnsons Salon die Menschenrechte verkündete. So wurde Mary
Wollstonecraft in den Strom der Revolutionsbewegung hineingezogen und
Burkes Angriff auf sie gab den Anstoß, daß die feurige Frau sich
öffentlich zu ihren Idealen bekannte: "Die Rechtfertigung der
Menschenrechte" hieß die kleine Schrift, die den Namen der Verfasserin
über den Kreis ihrer Freunde hinaus bekannt machte.[216] Aber sie war
nur das Vorspiel und die Einleitung ihres Hauptwerkes, der Verteidigung
der Rechte der Frauen, das sie, in der Hoffnung auf die Neugestaltung
des französischen Schulwesens Einfluß üben zu können, Talleyrand
widmete. Ihrem leidenschaftlichen Impulse folgend brachte sie die
umfangreiche Schrift in wenigen Wochen zu Papier, ohne sich zu ruhigem
Nachdenken Zeit zu lassen. Sie trägt denn auch die Spuren ihrer
Entstehung an sich und besteht aus völlig ungeordneten, oft sprunghaft
wechselnden Gedanken, die aber ohne Ausnahme von der Originalität Mary
Wollstonecrafts und der Schärfe ihrer Beobachtung zeugen. Den größten
Nachdruck legt sie auf die Erziehung, in deren Vernachlässigung sie die
Ursache der Fehler und Schwächen des weiblichen Geschlechts sieht. Auf
einen ungesunden Geist führt sie das Verhalten der Frauen zurück und
vergleicht ihn mit einer Pflanze, die in zu üppigem Boden steht und
schöne Blüten, aber keine Früchte hervorbringt. Es werden wohl "Damen",
aber keine Frauen erzogen, man lehre sie Sitten, aber keine Moral, man
richte ihr Streben auf Eitelkeiten und nichtigen Tand, aber nicht auf
ernste Ziele, man gewöhne sie, sich mit Spielereien zu beschäftigen und
durch Vergnügungen zu zerstreuen, statt sie an Arbeit zu gewöhnen und
ihre Muße den Freuden der Kunst, der Natur und der Wissenschaft zu
widmen. So werden jene schwachen, gedankenlosen Wesen gradezu gezüchtet,
denen ihre eigenen Züchter, die Männer, nachträglich ihre Schwäche und
Gedankenlosigkeit zum bittersten Vorwurf machen. Wer aber ihre Erziehung
genauer betrachte, könne sich nicht wundern, daß sie Vorurteilen zum
Raub fallen, unselbständig urteilen und zu blindem Autoritätsglauben
geneigt sind. Sie seien durch die sie umgebenden Verhältnisse
thatsächlich minderwertige Menschen geworden. Weil sie aber nur
künstlich so herabgedrückt worden seien, dürfe man nicht das weibliche
Geschlecht als solches nach seinem gegenwärtigen Stand beurteilen. Erst
gebe man den Frauen Raum, sich zu entwickeln, ihre Kräfte zu bethätigen,
dann bestimme man, welche Stelle auf der intellektuellen und moralischen
Stufenleiter sie einnehmen. Wenn sie dann zu vernünftigen Wesen erzogen
worden seien, dürfen sie auch nicht mehr als Sklaven behandelt werden
und müssen dieselben Rechte genießen, wie die Männer.

In Bezug auf diesen Punkt erweist sich Mary Wollstonecraft ihrem
Gesinnungsgenossen Condorcet gegenüber als die Vorsichtigere,
Zurückhaltendere. Während er auf Grund der überall gleichen
Menschenrechte dem weiblichen Geschlecht die politische
Gleichberechtigung zuerkennt und die Unwissenheit der Frauen nicht zum
Vorwand der Ungleichheit nimmt, weil auch die Männer keiner Prüfung
ihrer Geisteskräfte unterliegen, ehe sie als vollwertige Staatsbürger
anerkannt werden, erklärt sie die Reform der Erziehung für die
Voraussetzung der Reform der Gesetze.

In allen anderen Teilen ihres Werkes jedoch ist sie die echte Schülerin
der Revolution. Nicht nur, daß sie in vielen ihrer abschweifenden
Gedanken das Königtum, die stehenden Heere, die Aristokratie heftig
angreift, sie erörtert auch das Problem der Armut und erklärt sie für
eine der wesentlichen Ursachen der Laster und Verbrechen. Für die Frauen
folgert sie daraus die Notwendigkeit, wirtschaftlich unabhängig vom Mann
zu sein. Diese, auch im modernen Sinn radikale Forderung ist von ihr
zuerst ausgesprochen worden und erhebt sie in die Reihe der
aufgeklärtesten und weitblickendsten Vorkämpfer der Frauenbewegung. Aber
auch in anderer Beziehung war sie ihrer Zeit voraus: im Namen der
Keuschheit, die für beide Geschlechter dieselbe sein müsse, fordert sie,
daß Knaben und Mädchen gemeinsam in öffentlichen Schulen erzogen werden.
Nur wo ein kameradschaftlich harmloser Verkehr, und geistiger Wetteifer
zwischen den Geschlechtern von früh an zu finden sei, werde die Liebe
zwischen Mann und Weib eine reinere und tiefere, werden die Ehen
glücklichere sein. Neben die geistige solle auch die körperliche
Erziehung treten, damit ein kräftigeres, schöneres Geschlecht
heranwachse, damit das Vaterland Mütter habe, die gesunde Kinder
hervorzubringen und zu erziehen im stände seien.

Damit ist der Grundakkord ihres ganzen Buches angeschlagen: um ihres
heiligen Naturberufes, um des kommenden Geschlechtes willen, das aus
ihrem Schoße hervorwächst, von ihrem Körper und von ihrem Geist seine
erste, die spätere Entwicklung bestimmende Nahrung empfängt, soll das
Weib dem Manne ebenbürtig zur Seite stehen, ein freier Bürger wie er.

Mary Wollstonecrafts kühnes Buch machte ungeheures Aufsehen. Die
heftigen Angriffe, die es erfuhr, richteten sich natürlich auch gegen
ihre Person, unter der Spötter und Karikaturenzeichner sich ein
starkknochiges, häßliches Mannweib vorstellten, während sie eine zarte,
im besten Sinne weibliche Frau war, wie, denn auch ihr Werk den Stempel
der Weiblichkeit trägt, wie nur wenige Frauenwerke. Es wurde gleich nach
seinem Erscheinen ins Französische und von ihrem Freunde, dem bekannten
Schnepfenthaler Pädagogen Salzmann, ins Deutsche übersetzt.

Noch ehe aber dies Werk die Ideen der Frauenbewegung in Deutschland
verkünden sollte, war ein anderes ihm zuvorgekommen: Theodor von Hippels
Buch über die bürgerliche Verbesserung der Weiber,[217] das im selben
Jahr in Berlin erschien, als das Mary Wollstonecrafts in London. Schon
im Jahre 1774 hatte er durch seine Schrift über die Ehe, in der er
Frauen und Männern derbe Lektionen gab, sein Interesse an der Stellung
der Frau im bürgerlichen Leben kund gethan.[218] Aber erst die
französische Revolution, die Teilnahme der Frauen an ihren Kämpfen regte
ihn zu tieferem Nachdenken an. Er kam zu denselben Schlüssen wie
Condorcet und Mary Wollstonecraft und konnte sein Erstaunen darüber
nicht verhehlen, daß die französische Verfassung kurzsichtig und
engherzig genug war, dem weiblichen Geschlecht die Gleichberechtigung zu
verweigern. Dabei ging er so weit, zu erklären, daß die Sklaverei, wenn
sie auch nur in einer einzigen Beziehung geduldet werde, über kurz oder
lang alle wieder zu Sklaven mache. Allen Einwänden gegen die
Emanzipation der Frauen begegnete er mit schlagfertiger Schärfe. Soll,
so sagte er, eine verwerfliche Einrichtung, auch wenn sie schon Tausende
von Jahren alt ist, nur deshalb fortbestehen, weil ihre Abänderung mit
Schwierigkeiten verknüpft ist und man vermutet, es könnten bedenkliche
Folgen daraus erwachsen? Man müsse endlich das andere Geschlecht zum
Volk zu machen sich entschließen. Freilich müßte eine durchaus
veränderte Erziehung die Frauen dazu befähigen, denn jetzt, wo sie nur
zum Spielzeug der Männer gemodelt wären, könnten sie ihren Pflichten nur
schlecht genügen. Man erziehe Bürger für den Staat, ohne Unterschied des
Geschlechts. Gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen, Zulassung der
Frauen zu allen Berufen, verlangte Hippel. Nur das "Monopol des
Schwertes" soll den Männern bleiben, falls "der Staat sich nun einmal
nicht ohne Menschenschlächter behelfen kann oder will!" Zur
Erleichterung körperlicher Ausbildung rät er zu einer gleichen Kleidung
der Kinder bis zum 12. Jahr; denn um die weibliche Furchtsamkeit
auszutreiben, die ihren Grund ebensowohl im Gefühl des Mangels an
körperlichen Kräften wie in der Beschränktheit des Verstandes habe,
dürfe keine Seite des Wesens in der Erziehung vernachlässigt werden. Für
thöricht hält er den Einwand, daß die Weiber zu viel Zeit auf ihren Putz
verwenden,--sind es nicht grade die Männer, die ihnen die Seele
bestreiten und sie auf den Körper beschränken? Jetzt haben sie keine
andere olympische Bahn, als mit ihren Reizen Männer zu fangen; sie
werden Wunder thun, wenn man ihnen andere eröffnet. Auch die natürliche
Schwachheit des weiblichen Geschlechts bestreitet er, denn das
Kindergebären, das zum Hauptbeweis dieser Schwäche angeführt zu werden
pflegt, lege geradezu ein Naturzeugnis seiner Stärke ab.

Von ihrer Anteilnahme an der Staatsverwaltung erwartet er großes: "Gewiß
hätten wir alsdann weniger Tyrannen, die auf festem Grund und Boden
Schiffbrüchige mit Lust arbeiten sehen, oder die solchen, die mit den
Fluten ringen, Strohhalme zuwerfen; weniger Blutigel, die den Schweiß
und das Blut der Unterthanen ohne Maß und Ziel verschwenden." So
forderte Hippel die Befreiung der Frau um des Staatswohls, um des
Fortschritts der Menschheit willen, wie Condorcet sie im Namen der
Gerechtigkeit, Mary Wollstonecraft sie im Namen der Mutterschaft
gefordert hatte.

Während Mann und Weib auf der Stufe primitiver Kultur einander gleich
standen, vergrößerte sich mit der fortschreitenden ökonomischen
Entwicklung der Abstand zwischen ihnen mehr und mehr. Die Interessen,
die Kämpfe, die Ziele des physisch stärkeren, durch die Bedingungen des
Geschlechtslebens ungebundeneren Mannes und diejenigen der an Haus und
Kinder gefesselten Frau wurden die Ursache einer geistigen und
rechtlichen Trennung, die von der Frau zunächst nicht empfunden werden
konnte, weil sie durch ihre häusliche Thätigkeit vollauf in Anspruch
genommen war und infolge der allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse
über die ihrem Geschlecht gesteckten engen Grenzen nicht hinauszublicken
vermochte. Erst als die mannigfachen Arbeiten der Hausfrau in wachsendem
Maße von dem Handwerk und der Industrie übernommen wurden, und die Frau,
soweit sie als Angehörige der besitzenden Klassen Muße gewann, sich
überflüssig fühlte, die Leere ihres inneren und äußeren Lebens empfand
oder als Mitglied der besitzlosen, gezwungen war, ihre häusliche
Thätigkeit in Lohnarbeit außer dem Hause und getrennt von der Familie
umzuwandeln, wurde sie sich ihrer drückenden Lage bewußt. Nicht nur, daß
sie auf einer Stufe geistiger Rückständigkeit festgebannt war, die
vergangenen Kulturepochen entsprach, sie sah sich auch durch
wirtschaftliche, rechtliche und politische Fesseln zum Kampf ums Dasein,
den sie wie der Mann zu kämpfen hatte, untauglich gemacht. Diese
Widersprüche wurden die Ursache einer tiefgehenden Unzufriedenheit, die
stetig wuchs und in der Frauenbewegung der französischen Revolution
einen Höhepunkt erreichte. Das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit,
das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz waren die Ziele, die die
Revolution proklamierte und die durch ihre litterarischen Vertreter
theoretische Begründung fanden.

Das neunzehnte Jahrhundert stellte _neue_ Probleme der Frauenfrage nicht
mehr auf. Sie teilte sich nur, je umfassender sie wurde, in um so
deutlicher ausgeprägte einzelne Seiten, ebenso wie der Strom kurz vor
seinem Eintritt in das Meer ihm seine mächtig angeschwollenen
Wassermassen nicht in einem Fluß, sondern in vielen Flußarmen zuführt.
Jeder einzelne wird zu einem Strom für sich und jede Seite der
Frauenfrage umfaßt schließlich ein so weites Gebiet, daß sowohl von
historischen als von kritischen Gesichtspunkten aus eine gesonderte
Behandlung notwendig wird.

Die Erkenntnis von den wirtschaftlichen Ursachen der Frauenfrage, die an
der Hand der Geschichte gewonnen wird, führt notwendig dazu, ihre
ökonomische Seite in den Vordergrund zu stellen. Aus ihr heraus
entwickelt sich erst die rechtliche und aus beiden die sittliche Seite
der Frauenfrage. Alle Einzelprobleme sind in diesen drei Seiten des
Gesamtproblems enthalten.



Zweiter Abschnitt.


Die wirtschaftliche Seite der Frauenfrage.



1. Der Kampf um Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt.

Erste Periode. Anfänge einer Erziehungsreform unter dem Gesichtspunkt
beruflicher Arbeit.


Theoretische Erörterungen der Frauenfrage haben weder wissenschaftlichen
Wert noch praktische Bedeutung, wenn sie lediglich von vorgefaßten
Meinungen oder allgemeinen ethischen Prinzipien ausgehen. Um zu
richtigen Resultaten zu gelangen, gilt es vielmehr, auf dem Boden der
Thatsachen zu fußen. Es erschien deswegen nicht nur notwendig, die
geschichtliche Entwicklung der Stellung der Frau im Menschheitsleben im
allgemeinen darzustellen, es ist auch erforderlich, von dem Zeitpunkt
an, wo die Frauenfrage sich erweitert und in ihr verschiedene gleich
wichtige Seiten hervortreten, die historische Betrachtung jedesmal der
theoretischen vorauszuschicken. Dabei kann es sich weniger darum
handeln, einzelne Thatsachen mit möglichster Vollständigkeit
zusammenzustellen, als vielmehr, den Gang der Entwicklung in seinen
großen Zügen zu verfolgen und seine treibenden Kräfte aufzudecken.

Die wirtschaftliche Seite der Frauenfrage, die das ganze Erwerbsleben
des weiblichen Geschlechts von den Höhen wissenschaftlicher Arbeit bis
in den düsteren Abgrund der Prostitution umfaßt, bedarf besonders dieser
Behandlungsweise. Viel unfruchtbarer Streit über das Recht der Frauen
auf Arbeit, über ihre Zulassung zu oder ihre Ausschließung von
männlichen Berufen würden vermieden werden, viele nur moralisierende
Sittlichkeitsapostel würden ihre vergeblichen Reformversuche einstellen,
wenn an Stelle eingewurzelter Vorurteile und verschwommener Gefühle die
historische Erkenntnis treten würde. Sich der Entwicklung in den Weg zu
werfen, ist ein nutzloses Bemühen; auch der, der sie fürchtet, kann ihre
unheilvollen Wirkungen nicht anders abwenden, als indem er ihr die Wege
bahnt. Was die Frauenbewegung an traurigen Resultaten gezeitigt hat, das
verdankt sie ausschließlich ihren Gegnern und ihren falschen Freunden.
Ihr eigner Gang ist ein klarer, gesetzmäßiger, der auch in dem Kampf um
Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt deutlich zum Ausdruck kommt.

Das Ende des achtzehnten Jahrhunderts war für die Frauenwelt eine der
bedeutsamsten geschichtlichen Epochen. Wohl waren schon vorher Männer
und Frauen aufgetreten, die mehr Gerechtigkeit, mehr Bildung, erweiterte
Arbeitsmöglichkeiten für das weibliche Geschlecht gewünscht hatten, aber
sie waren vereinzelt geblieben und daher verhallten ihre Stimmen fast
ungehört. Erst die hereinbrechende neue Zeit erhob die theoretischen und
philosophischen Erörterungen über die Rechte das Weibes in den Bereich
praktischer Forderungen. Aber es waren weniger die vielen rednerischen
und schriftstellerischen Auseinandersetzungen und Erklärungen der
politischen Rechte, die zu Erfolgen führten, als vielmehr die von den
Massen der Frauen erhobene Forderung ihres Rechtes auf Arbeit.

Schon das französische Edikt von 1776 hatte mit der Proklamierung der
Gewerbefreiheit diese Forderung anerkannt, und nach der Revolution
schien es, als stünden den Frauen nunmehr dieselben Wege offen, auf
denen die Männer ihrem Broterwerb nachgingen. Bald zeigte sich jedoch,
daß die größten Hindernisse erst noch zu überwinden waren, denn es
fehlte den Frauen jede Vorbildung; man hatte sie aufs offene Meer
hinausgelassen ohne ihnen Steuer, Anker und Kompaß mitzugeben.

Die Frauen und Töchter des arbeitenden Volkes, die in immer
ausgedehnterem Maße gezwungen waren, sich einen Broterwerb zu suchen,
strömten den Industrien zu, die ungelernte Arbeiter brauchen konnten.
Lohndruck, Vergrößerung des Elends, infolgedessen neuer Zuzug
weiblicher Arbeiter war die Folge. Aus diesen Anfängen heraus
entwickelte sich die Arbeiterinnenbewegung. Aber während diese Schicht
der weiblichen Bevölkerung den Kampf ums tägliche Brot von jeher ebenso,
ja oft noch viel schwerer empfunden hatte, als die Männer, waren die
Frauen und Töchter der Bourgeoisie vom Erwerbszwang bisher verschont
geblieben. Sie lebten der häuslichen Thätigkeit und der Kindererziehung,
häufig aber lediglich dem Vergnügen, der Schöngeisterei oder anderem
maskierten Müßiggang. Die Verarmung des Bürgerstandes, die Revolutionen
und Kriege, die Zunahme der alleinstehenden Frauen, der Töchter und
Witwen der Opfer des Schlachtfeldes, nötigten die Frauen zu einer
Arbeit, die ihnen, weil sie bisher das allein richtige Verhältnis in der
Erhaltung der Frau durch den Mann gesehen hatten, nicht nur an sich
schwer fiel, sondern auch wie eine möglichst zu verbergende Schande
erschien. Zahlreich waren schon Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die
armen adeligen Fräuleins, die in den Stellungen als Erzieherinnen
fürstlicher Kinder, als Kammerfrauen der Prinzessinnen, ja selbst als
Hofdamen an den vielen kleinen Fürstenhöfen nichts anderes suchten als
einen Broterwerb und sich oft, unter ängstlicher Aufrechterhaltung
äußeren Glanzes kümmerlich genug durchschlugen. Und nicht nur
sentimentale Romane, auch manche der an die Nationalversammlung
gerichteten Petitionen führen den Beweis dafür, daß viele Bürgertöchter
sich gezwungen sahen, durch Stickereien und Wirkereien ihr Brot zu
verdienen. Mit den Frauen des handarbeitenden Volkes teilten sie das
gleiche Schicksal: die Not trieb sie zur Arbeit; und sie hatten auch
noch ein anderes mit ihnen gemein: den Mangel jeglicher Vorbildung zu
einem Erwerbsberuf. Aber während für jene, dank der Entwicklung der
Technik und des Maschinenwesens, in der Armee der Industriearbeiter
Platz genug vorhanden, und ihre, wenn auch ungelernte Arbeitskraft, eine
begehrte war, standen diese vor geschlossenen Thüren, vor denen
Unbildung und Vorurteil Wache hielt. Die Arbeiterin kämpfte bereits in
Reih und Glied mit dem Mann den harten Kampf ums Dasein, während die
Frau der Bourgeoisie sich erst ihren Platz neben dem Mann zu erringen
hatte. Aus diesem Umstand erklärt sich die oft bis zu Gegensätzen sich
steigernde Verschiedenheit der bürgerlichen und der proletarischen
Frauenbewegung und auch, die Notwendigkeit, beide getrennt voneinander
zu behandeln.

Die Frau der Bourgeoisie wurde für das Haus und für die Geselligkeit
erzogen. Auch die erweiterte Bildung, die die neue Zeit für sie
forderte, und die über den Religions- und Haushaltungsunterricht des
Mittelalters hinausging, hatte nur den Zweck, die geselligen Talente zu
unterstützen und dem Mann eine verständnisvollere Gefährtin zu sein.

Die erste Stelle unter den Vorkämpfern der Reform der Mädchenerziehung
nahm Fénelon ein.[219] Seine pädagogischen Grundsätze veranlaßten Frau
von Maintenon, in St. Cyr die erste höhere Mädchenschule zu gründen, die
insofern noch ein besonderes Interesse beansprucht, als sie zugleich die
erste Anstalt war, die, durch Ausbildung von Erzieherinnen, der
beruflichen Thätigkeit der Frau die Wege bahnte.[220] Aber sie war nur
eine Oase in der Wüste und entsprach so wenig der Zeitströmung, daß sie
bald auf das jämmerliche Niveau der üblichen Mädchenschulen herabsank,
und Putz, Tanz und Konversation ihr wesentlicher Unterrichtsstoff blieb.
Ihrer deutschen Nachahmung, dem Gynäceum A.H. Franckes, erging es nicht
anders. Er, der einfache, fromme Mann, mußte es sich gefallen lassen,
daß auch seine Gründung, wie damals alle Erziehungsanstalten für
Mädchen, in die Hände französischer Gouvernanten fiel, die Modepüppchen
darin dressierten.[221] Die französische Sprache, die Umgangssprache der
höheren Stände, trat überall in den Mittelpunkt des Unterrichts.
Französische Erzieher und Erzieherinnen, deren einzige Kenntnis meist
ihre Muttersprache war, wurden in jedem Hause, dessen Bewohner auf
"Bildung" Anspruch machten, gesucht. Viele zweideutige Existenzen
gelangten besonders in Preußen, wo Friedrichs II. Vorliebe für die
französische Sprache maßgebend war, zu derartigen Stellungen. Die
Bildung, die sie vermittelten, war noch ungesunder und oberflächlicher
als die des Mittelalters. Eine Reaktion gegen die herrschende Strömung,
gegen die Ausschließung des weiblichen Geschlechts von allen ernsteren
Kenntnissen, gegen sein einseitiges Interesse für Putz und Tand,
Spielerei und Liebelei, war unausbleiblich. Sie wird in Deutschland
durch Gottsched und seine Schule gekennzeichnet und--gerichtet. Denn
statt eine durchgreifende Umwandlung der Erziehung der Mädchen
anzustreben, beschränkte er und sein Kreis sich auf die Treibhauskultur
einzelner weiblicher "Dichter" und "Gelehrten", die mehr als die
geputzten Dämchen der höfischen Salons für den niedrigen Stand
weiblicher Geistesentwicklung Zeugnis ablegten.[222] Die häufigen
Krönungen von Dichterinnen, ja selbst manche Promotionen weiblicher
Doktoren muten uns heute wie eine grausame Satire an. Es wäre aber
durchaus verkehrt, die Schuld daran Einzelnen zuzuschreiben: noch war
für die Frauen die Bildung nur ein äußeres Schmuckstück, Kunst und
Gelehrsamkeit nur ein Mittel, um in geistreichen Salons zu glänzen.
Vertiefung, ernste Arbeit war erst da zu erwarten, wo sie zu einer
Berufsthätigkeit die Grundlage zu schaffen hatten, daß sie anfingen, aus
diesem Grunde notwendig zu werden, erkannten Tieferblickende nach und
nach. So schrieb Basedow schon im Jahre 1770: "Die meisten, die von
Erziehung der Töchter schreiben, geben denselben so viel Anmut oder so
glückliche Umstände, daß man an ihrer baldigen Verheiratung nicht
zweifeln darf. Aber giebt es denn keine häßlichen und gebrechlichen
Töchter? Keine, die in ihrem Stande der Armut halber, nach den jetzigen
Sitten in Gefahr sind, von einem würdigen Manne nicht begehrt zu
werden?" Er giebt danach den "Eltern von Stande, die kein Vermögen
besitzen", den Rat, ihre Töchter nicht wie bisher allein im Hinblick auf
die Ehe zu erziehen, sondern ihnen eine Bildung zu geben, die es ihnen
ermöglicht, als Lehrerinnen und Gesellschafterinnen einmal ein
Unterkommen zu finden.[223] Sein mutiger Ausspruch, den bisher viele
gefühlt, aber niemand zu thun gewagt hatte, fiel auf fruchtbaren Boden.
So manches unbefriedigte, einsame Mädchen schuf sich im Lehrberuf einen
befriedigenden Wirkungskreis, und trug, indem es sich selbst half, dazu
bei, daß seinem vernachlässigten, unwissenden Geschlecht geholfen wurde.
Als die hervorragendste ihrer Art sei Karoline Rudolphi genannt, die
nach entbehrungsreicher Jugend und Jahren inneren Kampfes zu dem
Entschluß kam, Erzieherin zu werden und schließlich in Hamburg eine
Mädchenschule gründete, die Vorbild mancher anderen wurde. Ihre
Erziehungsgrundsätze hat sie in ihrem Buche: "Gemälde weiblicher
Erziehung" niedergelegt; sie gipfeln in dem Ausspruch: "Lasset euere
Kinder Menschen werden!"[224] Erziehet die Mädchen nicht zuerst zu Damen
und Hausfrauen, sondern zu tüchtigen Menschen, die im Notfall auch
allein durchs Leben gehen können, die nicht zu verzweifeln brauchen,
wenn die führende Hand des Mannes fehlt.

In schroffem Gegensatz steht Karoline Rudolphi zu ihrer Zeitgenossin,
Madame de Genlis, die die Mädchen nur für die Ehe, nur für den Mann
erziehen wollte, die in der Bildung nichts als ein Mittel, die
Langeweile zu bekämpfen und dem Müßiggang vorzubeugen, sah und in
logischer Konsequenz zu dem Schlüsse kam: "Das Genie ist für die Frauen
eine gefährliche und nutzlose Gabe, es entfremdet sie ihrer Bestimmung
und läßt sie diese nur als drückend empfinden."[225] Die Verfasserin,
die typische Erzieherin ihrer Zeit und ihres Volkes, sprach damit aus,
was die Ansicht dessen war, der für die nächsten Dezennien die Geschicke
der Welt in seinen eisernen Händen hielt: Napoleons. Wie Rousseau sah er
in den Frauen nur Mütter; zu solchen, zu Gebärerinnen und Erzieherinnen
eines Geschlechts von Helden, wollte er sie erzogen wissen. Und so
schroff und festgewurzelt war seine Meinung, daß er allen geistreichen
und gelehrten Frauen mit Widerwillen begegnete, einem Widerwillen, der
sich bis zu dem kleinlichen Kampf gegen Madame de Staël steigern konnte.
Aber ebenso wie man, besonders außerhalb Frankreichs, über dem Eroberer
den Reformator zu vergessen pflegt, so vergißt man auch über dem Gegner
der Frauenemanzipation den Beförderer einer verbesserten
Mädchenerziehung. Die Mädchenpensionate der Madame Campan in St. Germain
und Ecouen fanden seinen lebhaftesten Beifall und unter seinem Einfluß
entstanden in Italien die ersten höheren Mädchenschulen. Er scheute sich
sogar nicht, eine Frau in ein öffentliches Amt einzusetzen, wo er
glaubte, daß sie die Erziehung der Mädchen günstig beeinflussen könnte:
1810 wurde Madame de Genlis Schulinspektorin in Paris.[226] Irgend
welche staatliche Hilfe den Mädchenschulen angedeihen zu lassen, lag
jedoch ganz außerhalb seiner Gedankenrichtung. Aber ein Einzelner, so
allmächtig er auch sein mochte, konnte den Gang der Entwicklung nicht
ändern, noch aufhalten. Die französischen Frauen forderten nachdrücklich
ihr Anrecht an den geistigen Gütern der Nation. Es entstanden immer mehr
Mädchenschulen und 1820 endlich nahm der Unterrichtsminister Duruy, von
allen Seiten gedrängt, das Projekt wieder auf,[227] das schon neunzig
Jahre vorher der Abbé de St. Pierre entworfen hatte, wenn er eine
staatliche Unterstützung der Mädchenerziehung verlangte.[228] Wenn auch
sein Plan zunächst an dem mangelnden Verständnis der Regierung
scheiterte, so faßte die Idee, daß die Gesellschaft die Verpflichtung
habe, auch ihrem weiblichen Teil eine der männlichen annähernd
ebenbürtige Erziehung zu gewähren, immer tiefer Wurzel und die Frauen
selbst nahmen sich ihrer Ausbreitung energischer an. In ihrer vordersten
Reihe kämpfte die Gräfin Rémusat.[229] Von der Voraussetzung ausgehend,
daß die Frau dem Manne nicht untergeben, daß sie als intelligentes
Geschöpf von ihm nicht verschieden und durchaus fähig sei, öffentliche
Berufe auszuüben, hielt sie eine Anpassung der Mädchenerziehung an die
neuen Verhältnisse für notwendig, ja sie sprach schon von der
Zuerkennung einer gewissen Gleichberechtigung an das weibliche
Geschlecht, und forderte von den öffentlichen Verwaltungen, daß sie
neben dem Lehrerinnenberuf, die Ausübung einer geregelten
Wohlthätigkeit den Frauen anvertrauen sollten. Der Kämpfern Arbeit
war's, der hier zum deutlichen Ausdruck kam, und die Zeit, in der die
Frauen zuerst nach ihm riefen, war die Geburtsstunde der bürgerlichen
Frauenbewegung. Sie vollzog sich in merkwürdiger, und doch für den, der
die Geschichte der Menschheitsentwicklung nicht allein aus
Fürstengezänk, Staatsaktionen und Kriegen herleitet, verständlicher
Uebereinstimmung in allen Kulturländern zu gleicher Zeit.

In England, wo schon Daniel Defoe, Mary Astell und Mary Wollstonecraft
den Boden vorbereitet hatten, wo ein Sheridan seine Zeitgenossen mit
glühender Begeisterung auf den Wert der Frauenbildung aufmerksam machte,
denn "von der Geisteskultur der Frauen hängt die Weisheit der Männer
ab", entstanden schon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zwei Vereine,
die sich die Hebung der Mädchenerziehung zum Ziel setzten. Der
praktische Sinn der Engländer erkannte früh, daß die bessere Erziehung
ihrer Töchter von der gründlicheren Ausbildung ihrer Lehrerinnen
abhängig ist. Von solchen, die sich auf Grund ganz unzureichender
Kenntnisse dafür ausgaben, war England überschwemmt, und die Lehrerin
war daher eine komische, oft verachtete Erscheinung, an der Thakeray und
Dickens noch ihren Witz ausließen. Ihr Los war traurig genug: die Not
zwang sie in den einzigen, ihnen offen stehenden Beruf und kümmerlicher
Unterhalt und allgemeine Mißachtung waren ihr Lohn. Erst mit der Zunahme
geregelterer Mädchenschulen änderte sich langsam auch ihre Lage. Frauen,
wie Hannah More und Maria Edgeworth waren hier die Wortführerinnen der
beginnenden Frauenbewegung.

In dem, inzwischen von England mit Hilfe der Frauen abgefallenen
nordamerikanischen Staatenbunde machten sich gleiche Bestrebungen
geltend, weil auch hier die Schäden dieselben waren. Die Vorteile, die
die tapferen Kämpferinnen der Befreiungskriege für ihr Geschlecht
errungen hatten, waren entweder dürftig von Anfang an oder mit der
ebbenden Begeisterung wieder verschwunden. Die wenigen Mädchenschulen,
die im Anfang des Jahrhunderts überhaupt bestanden, waren nur während
der Hälfte des Jahres geöffnet und auch dann nur zwei Stunden am Tag,
während die Knaben, die dasselbe Schulhaus besuchten, Freistunden
hatten. Die reaktionärsten Ansichten der alten Welt, die das Mädchen
allein auf das Haus verwiesen, fanden in der neuen die allgemeinste
Vertretung, um so mehr als hier der Umstand viel weniger ins Gewicht
fiel, der der Frauenbewegung Europas den Anstoß gab: der Zwang zur
Erwerbsarbeit. Als daher Emma Willard für die höhere Bildung ihres
Geschlechts eintrat, stieß sie auf Spott und heftigsten Widerstand. Als
sie aber im Jahre 1821, ohne noch länger auf das allgemeine Wohlwollen
ihrer Landsleute zu rechnen, in Troy das erste Mädchenseminar gründete,
zeigte es sich, daß es eine Notwendigkeit gewesen war, denn es fand
zahlreichen Zuspruch und vielfache Nachahmung.[230] Emma Willards Schule
ist der Grundstein des ausgedehnten Gebäudes weiblicher Bildung
geworden, das heute Amerika schmückt. Zu gleicher Zeit begann eine
andere Frau ihre öffentliche Thätigkeit: Lucretia Mott. Von 1820 an zog
sie ungehindert als Predigerin der Quäker durch die Staaten, nicht nur
eine Missionarin ihrer Religion, sondern auch eine Pionierin der
Frauenbewegung, deren Auftreten allein den Beweis dafür lieferte, daß
die Frau mit derselben Fähigkeit und demselben Erfolg ihren Geist in den
Dienst allgemeiner Interessen stellen kann.

Kehren wir nach Deutschland zurück. Dort waren die Schulverhältnisse,
trotz Francke, trotz Gottsched und Basedow, aufs äußerste verwahrlost.
"Unsere Töchter sind von aller besseren Bildung ausgeschlossen," klagte
ein braver deutscher Mann.[231] "Aus dem ABC-Unterricht werden sie ohne
Gnade an den Kochherd, in die Kinderstube, in das Putzzimmer verstoßen."
Und eine mit seltenem Scharfblick ausgestattete Frau, Helene Unger,
schilderte in ihrem Roman "Julchen Grünthal" die traurige
Pensionserziehung der Mädchen und ihre verderblichen Folgen: Putz und
Spiel, französische Konversation und seichte Lektüre füllten das Leben
des Schulmädchens aus, um später in die nächste Modekrankheit, die
rührselige, vom wirklichen Leben ganz entfremdende Empfindsamkeit
überzugehen.[232] Aber diese Klagen und verurteilenden Darstellungen
waren an sich schon ein Zeichen des Fortschritts. Und es begann in der
That in den Köpfen und Herzen der Frauen ein neuer Geist sich zu regen.
Die klassische Dichtung und die politische Umwälzung waren seine
Erzeuger. Zwar wäre es durchaus verkehrt, von den Frauen aus der
Umgebung der großen Dichter auf alle übrigen schließen zu wollen; erst
ganz nach und nach drangen ihre Werke bis in die dunklen Winkel
bürgerlichen Frauenlebens, erweckten Begeisterung, Sinn für das Schöne
und erhoben die armen Vernachlässigten und Verirrten in eine andere
geistige Lebenssphäre. Dank einer Lotte, einem Gretchen, einem Klärchen
kam die warmblütige Natürlichkeit wieder zu ihrem Recht. Und eine Minna
von Barnhelm, eine Jungfrau von Orleans, eine Maria Stuart führten den
Blick über die Engigkeit des eigenen Lebens hinaus, in das die
Empfindsamen sich in ihrer Selbstliebe eingesponnen hatten. Aber mehr
noch wirkte die drückende Not darauf, die ganz Deutschland in einen
Trauermantel hüllte. Die Frauen, deren Väter und Brüder, deren Gatten
und Söhne unter den Waffen standen, verloren nicht nur den Sinn für die
Tändeleien früherer Jahrzehnte, sie lernten auch teilnehmen an den
großen Interessen, die die Welt bewegten. Die Mode des Destillierens der
gegenseitige Gefühle, der endlosen Gespräche über sentimentale
Romanheldinnen, machte der Unterhaltung über die Ereignisse des Lebens
Platz. Rahel Varnhagens Kreis[233] ist das bekannteste Beispiel für die
belebende Wirkung des neuen Geistes. Die langatmigen Briefwechsel
zwischen Freunden und Freundinnen zeugen dafür, daß er überall
durchbrach, und mit ihm regte sich das Bedürfnis nach einer gründlichen
Aenderung der Mädchenerziehung. Verarmte und vereinsamte Bürgerfrauen
fanden sich genug, die nach einer Lebensstellung Umschau hielten und
denen nichts anderes offen stand, als der Lehrerinnenberuf. Denn wenn
auch eine Charlotte von Siebold zum Doktor promoviert worden war und
seit 1817 ungehindert in Darmstadt praktizierte, sie stand allein; es
fehlte ihren Geschlechtsgenossinnen die Möglichkeit der Vorbereitung zum
Studium. Aber das Verlangen nach vertiefterer Bildung der Töchter und
das Bedürfnis nach einem Erwerb der Alleinstehenden begegneten sich und
führten zwischen 1800 und 1825 zur Gründung eine Reihe von
Töchterschulen, die teils ganz durch private Mittel, teils mit
Unterstützung der Gemeinden entstanden.[234]


Zweite Periode. Das Eindringen der Frauen in bürgerliche
Berufssphären.

Der folgenreichste Schritt auf dem Gebiete der Erziehung wurde von jenem
Lande gethan, das es nicht erst nötig hatte, seine Kräfte durch mühsames
Ueberbordwerfen des Ballastes der Vergangenheit abzunutzen, von Amerika,
wo Horace Mann die Grundlage zu einem neuen Schulsystem legte. Dem immer
dringenderen Verlangen nach einer der der Knaben gleichen
Mädchenbildung, konnte man, bei der dünnen Bevölkerung des Landes, durch
Gründung besonderer Mädchenschulen nicht nachkommen. So wurde denn aus
der Not eine Tugend gemacht und in den neu entstehenden Freien
Normalschulen Co-Education eingeführt. Die weittragende Bedeutung des
gemeinsamen Unterrichts der Geschlechter hatte sich Horace Mann, der
mehr einem praktischen Bedürfnis entgegenkommen wollte, nicht klar
gemacht. Nicht nur, daß auch höhere Schulen, in der Art unserer
Gymnasien, nach diesem Vorbild eingerichtet wurden,--Oberlin-College in
Ohio als das erste seiner Art,--schon 1835 rüttelte eine Schar
mutiger Mädchen, die sich mit ihren Schulkameraden die nötige
wissenschaftliche Vorbildung erworben hatten, an den Pforten der alten
Harvard-Universität[235] und kurz darauf begehrte der erste weibliche
Arzt, Harriot K. Hunt, wie sie, vergebens Einlaß.[236] Was ihr verwehrt
wurde, sollte wenige Jahre später der tapferen Pionierin des
Frauenstudiums, Elizabeth Blackwell, gelingen. Sie und ihre Schwester
Emily sahen sich plötzlich, nach dem Tode ihres Vaters, vor die
Notwendigkeit versetzt, nicht nur sich, sondern auch ihre Mutter und
ihre jüngeren Brüder und Schwester zu ernähren. Da kam ihnen die
Erkenntnis der traurigen Lage ihres Geschlechtes. Sie sahen, wie wenige
und schmale Wege zum Erwerb den Frauen nur offen standen und bemerkten
"die Massen der Konkurrentinnen, von denen eine die andere
niederzutreten suchte. Wir beschlossen, lieber einen neuen Pfad für uns
zu entdecken, als in schon überfüllten Berufen einen Platz zu
erobern."[237] Elisabeth wurde, nachdem sie zwölf medizinische Schulen
vergebens um Aufnahme gebeten hatte, Studentin in der Schule von Geneva,
Emily in Cleveland. Diese wurde 1850 erste Aerztin an dem ersten, eben
gegründeten Frauenhospital in New York, jene ging nach England, der
Frauenbewegung dort wie in ihrem Vaterlande Pionierdienste leistend.
Indessen wurde durch Gründung von Lehrerinnenseminarien und Colleges dem
Bedürfnis der weiblichen Jugend mehr und mehr Rechnung getragen. 1860
entstand das erste College nur für Frauen,--Vassar-College,--das von
Anfang an auf einem höheren wissenschaftlichen Standpunkt stand, als die
anderen oft sehr primitiven Institute. Hier war es auch, wo zuerst eine
Frau den wissenschaftlichen Lehrstuhl bestieg: Maria Mitchel wurde als
Professor für Astronomie und Mathematik 1866 nach Vassar berufen. Kurze
Zeit später gestattete der oberste Gerichtshof von Iowa Arabella
Mansfield die Ausübung der Praxis als Rechtsanwalt. Diesen Frauen, im
Verein mit den Schwestern Blackwell, gebührt der Ruhm, in Amerika ihrem
Geschlecht Bahnbrecherinnen geworden zu sein. Als die Universität
Michigan ihm als erste ihre Thore öffnete, war dies gleichsam die
Anerkennung des Beweises, den die Frauen für ihre wissenschaftliche
Befähigung erbracht hatten.

Auch auf dem Gebiet des gewerblichen Unterrichts hatten die Frauen
Erfolge zu verzeichnen. Zwar wurden die ersten Läden, in denen weibliche
Kommis thätig waren, von den sittlich entrüsteten Einwohnern
geboykottet,[238] aber schon zwei Jahre später, 1856, wurde mit privaten
Mitteln die erste Handels- und Gewerbeschule für Frauen in New York
eröffnet. Dem wachsenden Bedürfnis gegenüber war sie jedoch keineswegs
ausreichend. 1859 gründete Peter Cooper, selbst ein Kaufmann, der die
Vorteile weiblicher Arbeit erkannt hatte, eine Schule der Art im
größten Stil, die heute noch besteht und eine Musteranstalt genannt
werden kann. Eine lebhafte Kontroverse über die Zunahme der
Frauenarbeit, ihre Vorteile und Nachteile, entspann sich in der Presse
und wurde durch Broschüren und Bücher über den Gegenstand vertieft und
erweitert. Gail Hamilton und Catherine Cole traten als Agitatoren im
Interesse der Frauen auf und forderten ihre völlige Gleichstellung mit
dem Mann in Bezug auf Unterricht, Beruf und Erwerbsbedingungen.[239]
Epochemachend für ganz Amerika waren die Schriften Virginia Pennys[240],
in denen sie schilderte, unter welch traurigen Bedingungen die Million
arbeitender Frauen, die der Census von 1860 gezählt hatte, zu arbeiten
gezwungen wären, und wie nur eine gründliche Vorbereitung zur
Berufsarbeit ihre Lage zu ändern im stande wäre. Die Agitation, die in
Amerika weniger die Aufgabe hatte, mit heftigen Gegnern zu kämpfen, als
vielmehr Blinden die Augen zu öffnen, hatte überall Erfolg: Colleges und
Gewerbeschulen öffneten sich mehr und mehr den Frauen, ja die
staatlichen und landwirtschaftlichen Schulen, die dadurch ins Leben
gerufen waren, daß der Washingtoner Kongreß von 1862 den einzelnen
Staaten zu diesem Zweck große Ländereien überwiesen hatte, ließen in
immer größerem Umfange Frauen zu. Zum Verständnis für diese, im
Vergleich zu Europa ungewöhnlich frühe Erfüllung der Wünsche der Frauen,
die zwar darum zu kämpfen hatten, aber auf geringeren Widerstand
stießen, muß man sich vergegenwärtigen, daß nicht etwa der größere
Edelmut oder das tiefere Verständnis der Amerikaner für die Bestrebungen
des weiblichen Geschlechts die Ursache davon ist, sondern vielmehr die
Thatsache, daß die Vereinigten Staaten erst auf eine kurze
wirtschaftliche Entwicklung zurücksahen und von einer Ueberfüllung der
Berufe, die den Widerstand der Männer hätte hervorrufen müssen, keine
Rede war.

Im Mutterlande lagen die Dinge anders. Wohl waren schon 1835 Karoline
Herschel und Mary Somerville einstimmig zu Mitgliedern der englischen
Astronomischen Gesellschaft erwählt worden und ihre wissenschaftlichen
Verdienste dadurch zu einer bisher unerhörten Anerkennung gelangt,[241]
aber die allgemeine Lage der "gentlewoman" war noch jahrzehntelang so
gut wie unberücksichtigt geblieben. Zuerst lenkten die traurigen
Verhältnisse, in denen sich die Erzieherinnen befanden, deren mühselige
Lebensarbeit ihnen nicht einmal ein sorgenloses Alter sicherte, die
Aufmerksamkeit auf sich. Es wurde ein Pensionsverein für Lehrerinnen
gegründet, und nach unermüdlichen Kämpfen der Lehrerinnen selbst, die
längst eingesehen hatten, daß sie nur auf Grund besserer Leistungen eine
höhere Entschädigung beanspruchen konnten, wurde 1846 das erste
Lehrerinnenseminar eröffnet,[242] dem wenige Jahre später Queens College
und Bedford-College folgten. Das war ein großer Schritt auf dem Wege der
Befreiung der Frauen durch Arbeit, der noch an Bedeutung gewann, als,
wieder infolge zäher Agitation, die bis dahin privaten Anstalten die
Genehmigung der Regierung erhielten. Damit war dem immer noch
verlachten, als unweiblich bekämpften Brotstudium der Frau die erste
öffentliche Sanktion erteilt worden. Es hatte dazu noch einer stärkeren
treibenden Kraft bedurft, als der Agitation einiger Frauen; sie fand
sich in den Ergebnissen der Volkszählung 1851. Furchtbare Zustände
deckte sie auf und man stand entsetzt vor der Thatsache, daß über zwei
Millionen alleinstehender Frauen auf Selbsterhaltung angewiesen waren,
ohne daß ihnen die Mittel dazu zur Verfügung standen. Miß Leigh Smith
bearbeitete zuerst in einer aufsehenerregenden Broschüre, Women und
Work, die Ergebnisse der Statistik und schuf in dem Englishwomens
Journal--1875--das Organ der nunmehr kräftig einsetzenden
Frauenbewegung.

Ein neuer Beruf für gentlewomen hatte sich inzwischen aufgethan: die
internationale Telegraphengesellschaft stellte seit 1853 Frauen als
Telegraphistinnen an. Aber ebenso wie in Amerika die zunehmende
Verwendung von Frauen im Lehrberuf, wie Gneist in seiner oben erwähnten
Broschüre ganz richtig sagte, nicht auf humanitäre, sondern pekuniäre
Ursachen zurückzuführen ist, so wurden hier die weiblichen Arbeitskräfte
lediglich ihrer größeren Billigkeit wegen den männlichen vorgezogen.
Die kapitalistische Gesellschaft stürzte sich wie ein Raubtier auf seine
Beute, auf die ihr durch die Not entgegengetriebenen Opfer. Der
bürgerlichen Frauenbewegung fehlte dafür aber das Verständnis. Sie
jubelte nur über jede neue Möglichkeit, ihre nach Arbeit suchenden
Schutzbefohlenen unterzubringen.[243] Neue Arbeitsgebiete zu schaffen,
mußte auch in diesem Stadium der Entwicklung ihr wesentlichstes
Bestreben sein.

Die Universitäten waren den Frauen noch verschlossen; wie Miß Hunt in
Amerika ein Jahrzehnt früher, so hatte Miß Jessie Meriton 1856 in
England den ersten vergeblichen Versuch gemacht, zugelassen zu
werden.[244] Der ersten Engländerin von Geburt, die im Ausland Medizin
studiert hatte, Elisabeth Garret, gelang es erst 1865 nach langen
Kämpfen, das Recht zu erringen, als Lizentiat der Apothekergesellschaft
zu praktizieren. Dieser Weg war also vorläufig für die Masse der Frauen
ungangbar. Es mußten andere, die schneller zum Ziele führten und von
vielen betreten werden konnten, gefunden werden. Zu diesem Zweck
entstand im Jahre 1859 unter Leitung von Miß Jessie Boucherett die
Society for Promoting the Employment of Women. Sie setzte sich
ausdrücklich das Ziel, den notleidenden Frauen der Bürgerklasse--den
gentlewomen--Hilfe zu bringen. Sie eröffnete Unterrichtskurse für
Handelsangestellte, Zeichnerinnen, Photographinnen, Holzschneiderinnen,
Lithographinnen, Kunststickerinnen u. dergl. und es strömten ihr nicht
nur die Schülerinnen zu, sie fanden auch, einmal ausgebildet, leicht ein
Unterkommen. Während es 1851 in ganz England keine Photographin und
keine Buchhalterin und nur 1742 Verkäuferinnen gab, zählte man 1861
bereits 308 Buchhalterinnen, 130 Photographinnen und 7000
Verkäuferinnen, und 1871 war allein die Zahl der Buchhalterinnen auf
1755 gestiegen.

Englands Beispiel wirkte anregend auf das Festland, wo dieselben
Zustände Abhilfe forderten. In Schweden stellte sich die Frauenzeitung
Tidskrift for Hennet an die Spitze der Bewegung; höhere Unterrichtskurse
für Mädchen, eine Handelsschule und ein Lehrerinnenseminar entstanden in
den Jahren 1859 bis 1861. Selbst Rußland wurde vom Zuge der Zeit
berührt. Nach heftiger Agitation, besonders seitens der Lehrerinnen,
deren Bildungsgrad ebenso niedrig war, wie ihr Einkommen, entschloß man
sich schon 1867, Universitätskurse für Frauen einzurichten. Schon ein
Jahr später promovierte Barbara Rudnewa als Dr. med. an der
medico-chirurgischen Akademie in Petersburg.[245] Zu gleicher Zeit
machte ihre Landsmännin, Nadjesda Suslawa in Zürich, wo Frauen nur als
Hörerinnen hie und da zugelassen worden waren, ihr Doktorexamen.[246] In
Holland und Belgien wirkten seit 1865 Vereine für den gewerblichen
Unterricht der Frauen; die Zulassung der Frauen zum Apothekerberufe war
ihr erster praktischer Erfolg in den Niederlanden[247]; die Errichtung
einer Handels- und Gewerbeschule in Brüssel ihre erste That dort.[248]

Der fruchtbarste Boden jedoch für die sich anbahnende Umwälzung war der
von politischen Stürmen wie von einer Pflugschar immer wieder
aufgewühlte Frankreichs. Als die Julirevolution ausbrach, kam der
Gedanke an die Befreiung auch der Frauen aus langer Knechtschaft aufs
neue deutlicher zum Ausdruck und erregte die Frauenwelt selbst aufs
tiefste. Die alte Forderung der politischen Emanzipation trat wieder in
den Vordergrund, und der Saint-Simonismus warf einen neuen Zündstoff in
die Welt, indem er die Befreiung der Frau von der männlichen Tyrannei
auch auf dem Gebiete des Geschlechtslebens verkündete. Eines der
interessantesten Dokumente der Zeit ist die von 1832 bis 1834 in Paris
erschienene Zeitschrift: La Femme nouvelle. Die neue Frau, die darin
geschildert wird, deren Existenzmöglichkeit durch Umwandlung der Gesetze
und Sitten gesichert werden sollte, forderte auch ihr Recht auf Arbeit,
als Grundlage wahrer Befreiung. Als dann vom Jahre 1836 ab Madame
Poutret de Mauchamps an der Spitze der französischen Frauenbewegung
trat, begann sie systematisch vorzugehen. La Gazette des femmes wurde
ihr Organ, ein treues Spiegelbild ihres Wachstums. Die Eröffnung der
Universitäten, die Zulassung der Frauen zu höheren Berufen, das waren
die Forderungen, mit denen sie nunmehr ihren Feldzug eröffnete und die
Gründung einer Gesellschaft zur Hebung der Lage der Frauen,--der ersten
ihrer Art,--war ihr nächster praktischer Erfolg.[249] Ein ideeller
Erfolg aber von weittragender Bedeutung war das wachsende Interesse, mit
dem Männer der Wissenschaft sich der Frauenfrage zuwandten. So hielt
Ernest Legouvé im Jahre 1847 im Collège de France eine Reihe von
Vorlesungen über die moralische Geschichte der Frauen[250], in denen er
durch die Schilderung ihrer traurigen Lage den größten Eindruck
hervorrief. "Keine öffentliche Erziehung, kein gewerblicher Unterricht
für die Mädchen; das Leben ohne Heirat eine Unmöglichkeit für sie, und
die Heirat ohne Mitgift unmöglich", rief er aus, und malte mit dunklen
Farben das Los der armen Töchter der Bourgeoisie, denen nur das Kloster,
der Beruf der Gesellschafterin und Lehrerin, oder das entehrende
Bettlerleben bei begüterten Verwandten übrig blieb. Er forderte für sie
Zulassung zum ärztlichen Beruf und wünschte ihre staatliche Anstellung
als Schul-, Gefängnis- und Fabrikinspektoren,--eine Forderung, über
deren Berechtigung noch ein halbes Jahrhundert später, in gewissen
Ländern noch immer gestritten wird! "Die Arbeit, das heißt Freiheit und
Leben" war für ihn der Ausgangspunkt und das Ziel der Emanzipation. Das
Gesetz von 1850, wonach alle Kommunen von 800 Seelen an verpflichtet
wurden, mindestens eine Mädchenschule zu gründen[251], und die den
Frauen erteilte Erlaubnis, den Vorlesungen des Collège de France
beizuwohnen, können als Erfolg der von Legouvé mit getragenen Agitation
betrachtet werden. Die Reaktion nach 1848 hinderte bald jede lebhaftere
Vorwärtsbewegung. Die höhere Mädchenerziehung, die einen so
vielversprechenden Aufschwung genommen hatte, litt besonders schwer
unter der rapiden Zunahme der Erziehungsklöster, die die Revolution von
1789 völlig unterdrückt und Napoleon auf das äußerste beschränkt hatte.
Ihre Konkurrenz war für die weltlichen Pensionen fast vernichtend; nicht
nur daß die Bourgeoisie die gut eingerichteten, von Gärten umgebenen,
Vorteile aller Art bietenden Klöster den engen, dunklen weltlichen
Erziehungsanstalten für ihre Töchter vorzog, auch die Lehrerinnen
vermochten sich den Klosterschwestern gegenüber kaum zu behaupten. Die
Unterlehrerinnen in den Pensionaten mußten Dienstbotenarbeit mit
übernehmen und erreichten kaum ein Gehalt von 200 Frs. im Jahr und die
Privatlehrerinnen waren froh, wenn sie nach einem ermüdenden 12- bis
14stündigen Arbeitstag 4 Frs. verdienten. Dabei wuchs ihre Zahl infolge
des Mangels anderer Berufsarten enorm. 1864 gab es allein 3000
Klavierlehrerinnen in Paris![252] Erst Englands Beispiel rüttelte die
Frauen aus ihrer Lethargie. Madame Allard und Jules Simon gründeten nach
dem Vorbild des englischen Vereins zwei Gesellschaften zur gewerblichen
Vorbildung der Frauen. Eine Reihe von Artikeln, die im Jahre 1862 über
die Frage der Frauenarbeit im Journal des Débats erschienen und das auf
gründlichen Studien beruhende Buch von Jeanne Daubié über die Lage der
vermögenslosen Frauen[253], beeinflußten die öffentliche Meinung und
unterstützten die Ideen jener Vereinigungen. Handels- und Gewerbeschulen
für Frauen wurden eröffnet und fanden binnen kurzem zahlreichen
Zuspruch.[254] Die Post machte zuerst den Versuch mit der Verwendung von
Frauen, der Staat stellte sie, nachdem seit Frau von Genlis keine Frau
mehr den Posten bekleidet hatte, als Schulinspektorinnen an. Und wie in
England und Amerika, so pochte auch hier eine Frau, Madame Madeleine
Brés, an die Pforten der Universität und verlangte, zu den Vorlesungen
der medizinischen Fakultät zugelassen zu werden. Ihre Forderung wurde
dem Ministerrat vorgelegt und dem energischen Eintreten der Kaiserin
Eugenie zu ihren Gunsten ist es zu verdanken, daß die Pariser
Universität den Frauen geöffnet und die Erwerbung akademischer Grade
ihnen ermöglicht wurde.[255] Wieder war Frankreich, wie zu den Zeiten
Condorcets und Olympe de Gouges, bahnbrechend vorgegangen. Und wie hier
die Revolution es jedesmal war, mit der der Aufschwung der
Frauenbewegung zusammenfällt, so löste sie auch in Deutschland die Zunge
der Stummen.

Ihrem Einfluß hat die bürgerliche Frauenbewegung ihre erste
Vorkämpferin, Luise Otto, zu verdanken; durch sie bekam sie in ihren
stürmischen Anfängen einen politischen Charakter, der aber unter der
eisernen Rute der Reaktion schnell wieder verschwand. Die praktische
Frage des augenblicklichen Notstands trat in den Vordergrund, und die
Erregung, die sich darüber der Gemüter bemächtigte, spiegelte sich vor
allem in dem Kampf um die Entwicklung der Mädchenschulen ab; die
Radikalen wollten durch die Erziehung die Frauen erwerbsfähig machen,
die Konservativen wollten dagegen den häuslichen Beruf wieder stärken
und betonen.[256] Da sie am Staatsruder saßen und die deutschen Frauen
selbst viel zaghafter waren, als ihre ausländischen Genossinnen,--selbst
eine Luise Otto schwieg, von der Reaktion eingeschüchtert, viele Jahre
lang,--blieben sie Sieger im Kampf auch gegen die privaten
Unternehmungen zur Erweiterung der Frauenbildung. Die unter den
glänzendsten Aussichten von Emilie Wüstenfeld 1849 in Hamburg
gegründete, zwei Jahre lang von Karl Fröbel geleitete Hochschule für
Frauen wurde zur Schließung gezwungen. Selbst in den Fröbelschen
Kindergärten, die schon vielen Frauen befriedigende Beschäftigung
sicherten, sah man Herde verderblicher Aufklärung; sie wurden 1851 von
Staats wegen aufgelöst.[257] Man brachte die Notleidenden zum
Schweigen,--das war ja von jeher das Ziel antirevolutionärer
Bewegungen,--aber die Not selbst wuchs im Stillen um so schneller.

Der einzige Beruf bürgerlicher Frauen, der der Lehrerin, war schon aufs
äußerste überfüllt. Von 1825 bis 1861 war ihre Zahl allein in Preußen
von 705 auf 7366 gewachsen[258], während die Gründung von
Mädchenschulen nicht im entferntesten gleichen Schritt gehalten hatte.
Es kam vor, daß sich innerhalb einer Woche zu einer Schulstelle 114
Bewerberinnen meldeten![259] Dazu kam, daß die preußische Volkszählung
von 1861 nicht weniger als 700000 alleinstehende Frauen und Mädchen
ergeben hatte. Als daher die Berichte über die englischen und
französischen Vereine, die gegen dieselben Zustände kämpften, die hier
in die Augen sprangen, nach Deutschland gelangten, wirkten sie wie
Schlüssel zu einer neuen Welt. Es waren nicht Frauen, wie dort, sondern
Männer--und das ist bezeichnend für den Standpunkt der deutschen
Frauen--, die nunmehr die Initiative ergriffen: Adolph Lette legte im
Jahre 1865 dem Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen eine
Denkschrift vor, in der er auf Grund der Ergebnisse der Volkszählung und
persönlicher Beobachtungen, die Gründung eines dem englischen und
französischen Vorbild ähnlichen Vereines befürwortete.[260] Dieser müsse
sich in seiner Thätigkeit, so führte er aus, ausschließlich auf die
Frauen des Mittelstandes beschränken, und ihnen durch Einführung
praktischer Unterrichtskurse neue Berufszweige eröffnen. Als solche
bezeichnete er in der Heilkunde den ärztlichen Beruf und den der
Krankenpflegerinnen; in der Technik die Anfertigung von chemischen,
chirurgischen, mikroskopischen, optischen Apparaten, von Farben,
Parfümerien und Essenzen, sowie von Photographieen; im Handel:
Buchhaltung, Korrespondenz, Kassenführung, Warenverkauf; im öffentlichen
Dienst: Post und Telegraphie. Damit umschrieb er ungefähr die Berufe,
die auch heute noch als Berufe bürgerlicher Frauen angesehen werden
können. Wenn er, seine Anhänger und alle Beförderer seiner Ideen in
ihren Bestrebungen nicht über den Kreis dieser Frauen hinausgehen
wollten, so drückt sich darin ein Klassenegoismus aus, der um so
abstoßender wirkt, als die Not der Proletarierinnen weit mehr nach
Abhilfe zu schreien schien. Aber gerade in dieser Einseitigkeit lag die
Stärke der jungen Bewegung. Indem sie mit den beschränkten Kräften, die
sie noch besaß, engbegrenzten Zielen zusteuerte, konnte sie sicher sein,
sie schließlich zu erreichen. Der Gedanke entsprach so sehr der
Zeitströmung, daß er nicht allein durch den Mund Lettes zum Ausdruck
kam. Auf dem Vereinstage deutscher Arbeitervereine beantragte Moritz
Müller, daß Staat und Gemeinden veranlaßt werden möchten, Gewerbeschulen
für Frauen zu gründen, denn "die Frauen sind zu jeder Arbeit berechtigt,
zu der sie befähigt sind"; der schlesische Gewerbetag nahm eine
Resolution zu gunsten der kaufmännischen Ausbildung und der Anstellung
der Frauen im Post- und Telegraphendienst an, und in Leipzig, wo ein
Hauptmann außer Diensten, A. Korn, in seiner Allgemeinen Frauenzeitung
die Sache der Frauen energisch vertrat, berief er im selben Jahr, als
Lette in Berlin seinen Vortrag hielt, eine Frauenkonferenz ein, an deren
Spitze die alte Kämpferin Luise Otto trat. Auch hier wurde die Frage der
Erweiterung der weiblichen Wirkungskreise allein erörtert. Ihr
praktisches Ergebnis war die Gründung des Allgemeinen Deutschen
Frauenvereins, als dessen Ziel "die erhöhte Bildung des weiblichen
Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen
Hindernissen" aufgestellt wurde.[261] Während der in Berlin ins Leben
gerufene Letteverein von Männern geleitet wurde und Frauen nur zur
Beihilfe heranzog, stellte der Leipziger Verein sich sofort auf
radikaleren Standpunkt, indem er Luise Otto zur Vorsitzenden wählte und
Männer sowohl von der Leitung als von der Mitgliedschaft ausschloß. Hier
also kämpften die deutschen Frauen zum erstenmal persönlich, in
organisiertem Verbande für ihre Rechte. Sie, die durch die Reaktion
gleichsam auf den Mund geschlagen worden waren, wagten es nun auch
wieder, durch Wort und Schrift ihre Sache zu fördern. Dieselbe
Einseitigkeit, die schon den Letteverein charakterisiert, spiegelt sich
auch in ihren Ansprüchen wieder und beweist, daß der aus rein
wirtschaftlichen Motiven entsprungene Kampf um Arbeit die Urquelle der
bürgerlichen Frauenbewegung ist. "Wir verlangen nur, daß die Arena der
Arbeit den Frauen geöffnet werde", hatte Auguste Schmidt, die
eigentliche Wortführerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins
ausgerufen.[262] "Die einzige Emanzipation, die wir für unsere Frauen
anstreben, ist die Emanzipation ihrer Arbeit"[263], schrieb Luise Otto.
Und Fanny Lewald-Stahr, die von sich selbst erzählt, daß sie heimlich
habe arbeiten müssen, weil es sich für Mädchen ihrer Art nicht schickte,
Geld zu verdienen, und die anerkennt, daß "der gewaltigste Aufklärer,
die bittere Not" es war, die vielen die Augen geöffnet hat, erklärt die
"Emanzipation zur Arbeit" für die einzige, von der vor der Hand geredet
werden kann.[264]

So hatte sich in Nordamerika, in England, Frankreich und Deutschland,
dem sich ein Jahr später, durch Gründung des Frauenerwerbvereins, auch
Oesterreich anschloß, jener Prozeß vollzogen, durch den die bürgerliche
Frau in eine neue Phase ihrer Entwicklung eintrat. Eine Revolutionierung
der Sitten und Begriffe, des Haus- und Familienlebens, der Staats- und
Gesellschaftseinrichtungen, bereitete sich dadurch vor, die keiner von
Denen, die nur der augenblicklichen Not abhelfen wollten, voraussah, ja
die sie vor ihrem eigenen Vorhaben zurück hätte schaudern lassen, wenn
sie sie hätten ahnen können.


Dritte Periode. Die Bestrebungen für Frauenbildung und Frauenarbeit in
neuester Zeit.

Der organisierte Kampf um Arbeit, der an die Stelle des Ringens
einzelner Frauen um einen Erwerbsberuf trat, bezeichnet den Beginn der
modernen Frauenbewegung. Es mußte ihm erst die wirtschaftliche
Entwicklung vorausgehen, die die Frauen mehr und mehr aus der
Vereinzelung der häuslichen Thätigkeit herausriß, sie zwang, Arbeit
außerhalb der engen vier Wände zu suchen und sie schließlich ihre
Interessengemeinschaft lehrte. Selbstverständlich konzentrierte sich die
Frauenbewegung je nach dem Grade der Verarmung des Bürgerstandes und der
Zahl den die Männer überwiegenden Frauen auf diesen Kampf um Arbeit; und
der Widerstand, der ihr auf diesem Gebiet entgegengesetzt wurde,
gestaltete sich dort am schärfsten, wo die allgemeine wirtschaftliche
Lage die gedrückteste, die Ueberfüllung der Berufe die größte und die
Konkurrenz der Männer infolgedessen die stärkste war.

Am leichtesten vollzog sich daher der Kampf in Nordamerika. Die
Frauenbewegung war hier seit den Tagen der Sklavenbefreiung in erster
Linie eine politische geworden und gegen sie richteten sich
hauptsächlich die Gegner, während der Wunsch, der Frauen, zu den höheren
Lehranstalten und Berufen zugelassen zu werden, auf geringeren
Widerstand stieß. Zwar wurde im Anfang der Vorwurf der Unweiblichkeit
auch gegen die Schülerinnen der ersten Frauen-Colleges erhoben, ja von
der Kanzel herunter gegen sie gepredigt, besonders das System des
gemeinsamen Unterrichts beider Geschlechter heftig befehdet, aber bald
beschränkte sich der Widerstand nur auf einzelne Zeloten. In den
siebziger Jahren öffnete sich den andrängenden Frauen eine Hochschule
nach der anderen und sie entschlossen sich auch zum Teil, ihnen
akademische Grade zu verleihen. Die in allen Staaten entstehenden
Frauenvereine hatten die Forderung höheren Unterrichts in ihre Statuten
aufgenommen; besondere Vereine, wie die Female Medical Educational
Society, richteten ihre Agitation auf bestimmte Berufsvorbereitungen.
Schon 1874 wurde in der medizinischen Fakultät der Universität Boston
ein besonderer Kursus für weibliche Studenten eingerichtet; heute stehen
ihnen, mit Ausnahme der Staatsschulen, alle medizinischen Schulen offen.
Wie Elisabeth Blackwell auf diesem Gebiet bahnbrechend vorgegangen war,
so Antoinette Brown auf dem des Studiums der Theologie. Im
Oberlin-College, wo sie ihr Examen glänzend bestanden hatte, waren ihr
schon von den Lehrern die größten Schwierigkeiten bereitet worden und
man strafte ihr "unweibliches" Vorgehen damit, daß man ihren Namen nicht
in die Liste der Graduierten aufnahm. Wenige Jahre später jedoch
begannen die kirchlichen Gemeinschaften, mit Ausnahme der katholischen
und episkopalischen Kirche, in ihre theologischen Schulen auch weibliche
Studenten zuzulassen. Aehnlich entwickelte sich das Studium der
Jurisprudenz, das Arabella Mansfield zuerst für sich erzwungen hatte.
Viel schwieriger wurde es den Frauen, nun auf Grund ihrer Kenntnisse zur
Berufsthätigkeit zugelassen zu werden.

Den weiblichen Aerzten wurde die klinische Ausbildung schon dadurch
unmöglich gemacht, daß keines der bestehenden Krankenhäuser sie zuließ,
noch weniger fanden sie natürlich Patienten, man begegnete ihnen sogar
mit Mißtrauen und Geringschätzung. Als Dr. Emily Blackwell und Dr. Marie
Zakzrewska sich in New York niederließen, wo das erste Krankenhaus für
Frauen, an dem nur weibliche Aerzte ordinierten, durch sie entstand, war
es ihnen zuerst unmöglich, eine Wohnung zu bekommen: kein Hausherr
wollte die Verachteten aufnehmen. Die ersten Juristinnen wurden entweder
von den Gerichtshöfen als Advokaten nicht zugelassen, oder sie warteten
vergebens auf Klienten. Niemand wollte den Frauen seine Sache
anvertrauen. Die weiblichen Geistlichen wurden ausgepfiffen, zuweilen
sogar mit Steinwürfen vertrieben, und die Graduierten der
philosophischen Fakultäten fanden nur selten einen Lehrstuhl in einem
College. Etwas rascher gelang den Erwerb Suchenden der Eintritt in den
kaufmännischen Beruf und zwar war die Regierung ihnen hier behilflich.
Schon 1862 stellte General Spinner, die allgemeine Entrüstung darüber
nicht achtend, sieben Frauen als Beamte in der National-Bank an, und
1875 konnte er von über tausend Angestellten im Staatsdienst berichten,
und deren Leistungen als durchaus zufriedenstellend bezeichnen.[265]
Ebenso bewährten sie sich im Postdienst, in dem Mitte der sechziger
Jahre gleichfalls die ersten Frauen beschäftigt wurden. Ihr Eintritt in
bürgerliche Berufe machte von da an rapide Fortschritte. Ein ganzes Netz
von Vereinen aller Art spann sich über Amerika aus; ihre Agitatorinnen
reisten von Ort zu Ort, den Gedanken der Frauenbefreiung durch
selbständige Arbeit überall hin tragend.

Mehr aber als durch ihre Agitation erreichten die Frauen durch ihre
Leistungen während des Bürgerkrieges, wo sie den Beweis für ihre
Arbeitsfähigkeit führten. Nicht nur, daß weibliche Journalisten als
Leiter von Zeitungen und Berichterstatter sich einen Namen erwarben, es
waren auch allein die Frauen, die mit heldenmütiger Aufopferung die
Pflege der Soldaten und ihrer Hinterbliebenen übernahmen und einheitlich
organisierten. In dieser Zeit entstand in Clara Barton, die bis dahin
Geistliche gewesen war, und nun rastlos pflegend und helfend den
furchtbarsten Greueln des Krieges ins Antlitz sah, der Plan eines
allgemeinen Verbandes von Krankenpflegern, wie er 1864 auf der Genfer
Konvention unter dem Namen des Roten Kreuzes ins Leben trat. Zur
obersten Leiterin der Verwundetenpflege war während des Krieges Dorothea
Dix in Anerkennung für ihre Leistungen als Reformatorin des
Gefängniswesens von der Regierung ernannt worden. Zu gleicher Zeit
riefen eine Anzahl weiblicher Aerzte einen Frauenverein ins Leben, der
zunächst nur den Zweck hatte, für die Pflege, Nahrung, Bekleidung und
Unterstützung der Soldaten und ihrer Angehörigen zu sorgen, sich aber
nachher zu jener Sanitäts-Kommission entwickelte, deren Zweigvereine
heute in jedem Staat und fast jeder Stadt für die unbemittelten Kranken
Sorge tragen. So bewiesen die Frauen Kraft zur Arbeit und Verständnis
für öffentliche Angelegenheiten. Der Widerstand gegen ihr Ringen um
Bildung und Arbeit wurde immer schwächer. Heute haben sie von 484
Colleges und Universitäten zu 345 Zulass von 51 technischen Hochschulen
zu 28. Außerdem bestehen 4 Universitäten und gegen 160 Colleges für
Mädchen allein. Seit dem Jahre 1886, wo ca. 36000 an diesen Anstalten
studierende Frauen gezählt wurden[266], hat ihre Zahl sich verdoppelt;
allein 25000 studieren davon an den Universitäten.[267] Neben 6
medizinischen Frauenhochschulen stehen fast alle Schulen für Männer auch
den Frauen offen; in 6 Frauenhospitälern können sie ihrer klinischen
Ausbildung nachgehen. Selbst das Studium der Theologie ist ihnen
ermöglicht.

Diese glänzenden Resultate eines fast hundertjährigen Kampfes dürfen
jedoch nicht mit europäischem Maßstab gemessen werden. Es giebt,
besonders im Westen, sogenannte Universitäten, deren Unterrichtskreis
nicht über die Tertia unserer deutschen Gymnasien herausgeht; die
meisten entsprechen in Lehrplan und Lehrstoff der Sekunda und Prima,
sodaß der zum Schluß verliehene Grad eines Bachelor of Arts (B.A.) nicht
höher steht, als unser Abiturientenzeugnis. Sehr viele Colleges gleichen
höheren Töchterschulen in Deutschland, mit dem Unterschied, daß
Mathematik und klassische Sprachen dem Unterricht eingegliedert sind;
andere wieder erreichen die Höhe deutscher Universitäten. So kann
angenommen werden, daß von den 25000 studierenden Frauen nur etwa 500 in
unserem Sinne Studentinnen sind.[268] Danach kann auf eine gewisse Höhe
der Allgemeinbildung der Amerikanerinnen, nicht aber auf
wissenschaftliche Gründlichkeit geschlossen werden. In der Erkenntnis
dieser Thatsache suchen nicht nur ernster Strebende an einer
europäischen Universität den Doktorgrad zu erringen, sie haben sich auch
zur Verbindung der Collegiate Alumnae zusammengethan, die durch
Stipendien das Studium im Auslande ermöglicht und ein höheres Niveau der
inländischen Ausbildung zu erreichen sucht. Das erstrebenswerteste Ziel
aber für die weibliche Jugend Amerikas ist die bisher unerreichte
Eröffnung der vier bedeutendsten Universitäten: Harvard, Yale, Johns
Hopkins und Columbia. Erst eine Frau hat in Harvard ihr philosophisches
Doktorexamen machen dürfen, und diese mußte sich mit einer privaten
Bescheinigung darüber begnügen. Da sich nun aus den, als B.A.
entlassenen Schülerinnen der Universitäten die Schulvorsteherinnen und
Lehrerinnen, auch vielfach die Professorinnen der Colleges rekrutieren,
so gehen deren Schülerinnen selbstverständlich wieder als mangelhaft
Vorgebildete aus ihnen hervor, ein Zirkel, der nur dann durchbrochen
werden wird, wenn die schärfer werdende Konkurrenz mit den Männern die
Frauen zu größerer Energie um vertiefteren Unterricht aufstachelt.

Heute wird den Amerikanerinnen der Zutritt zu bürgerlichen
Berufen--wohlbemerkt: Erwerbsberufen, nicht staatlichen oder kommunalen
Ehrenämtern--nur selten erschwert. Seit 1872, wo Illinois durch Gesetz
bestimmte, daß alle Berufe ohne Unterschied des Geschlechtes jedem offen
ständen, sind etwa zwei Drittel der Bundesstaaten seinem Beispiel
gefolgt. Kaum ein Beruf dürfte den Frauen vollständig verschlossen sein;
seit der Ernennung von Dr. Anita Newcomb zur Militärärztin mit dem Range
eines Leutnants scheint selbst die militärische Karriere ihnen in
gewisser Weise offen zu stehen. Unter den Staatsbeamten finden sich
nicht nur Frauen in subalternen Stellungen: in zwei Staaten bekleiden
sie das Amt eines Staatssuperintendenten des Schulwesens, sind also mit
anderen Worten Unterrichtsminister. Weibliche Gemeindevorsteher
giebt es in größerer Zahl.[269] In 22 Staaten finden sich 227
Provinzialsuperintendenten der Erziehungsanstalten. Eine Frau, Miß
Estelle Reel, wurde von der Bundesregierung zum Oberinspektor der
gesamten Indianerschulen ernannt. In Michigan fungiert seit 1899 eine
Frau als Staatsanwalt; in Kansas sind 20 Prozent aller Schulräte und 5
Prozent aller Notare Frauen. In verschiedenen Parlamenten sind die
amtlichen Stenographen Frauen; 30 weibliche Fabrikinspektoren wirken in
den Bundesstaaten. Staatsarchivare und Bibliothekare sind zahlreich
angestellt. In allen Ministerien der Bundesregierungen sind weibliche
Beamte beschäftigt. In den sogenannten liberalen Berufen ist die Zahl
der weiblichen Advokaten besonders bemerkenswert; sie werden in 22
Staaten zugelassen und selbst der oberste Gerichtshof in Washington
stellte durch Gesetz vom Jahre 1879 die Frauen den Männern gleich. Bis
heute nahm er acht Frauen auf. Weibliche Universitätsprofessoren finden
sich auch an den ersten Universitäten des Landes, so in Boston Mercy
Jackson als Professor für Kinderkrankheiten, in Wiskonsin Helen Campbell
als Professor der Nationalökonomie. Außer in den genannten Berufen haben
Frauen sich durch kaufmännische Unternehmungen selbständig zu machen
gesucht, und besonders in den Süd- und Weststaaten haben sie sich als
Besitzer und Leiter von ausgedehnten Viehzüchtereien und
Milchwirtschaften, von Gemüse-, Obst- und Blumenkulturen aus Armut zum
Reichtum emporzuarbeiten verstanden.[270]

Der amerikanischen Entwicklung dieser Seite der Frauenfrage kommt die
englische am nächsten; die politische Freiheit verbunden mit der open
door policy, d.h. dem Gedanken des freien Wettbewerbs, hatte einen
rapiden wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge, der auch den Frauen
zugute kam. Der Platz am Brotkorb brauchte ihnen nicht in so heftiger
Weise streitig gemacht zu werden, wie sonst in Europa. Auch ihrem Ringen
nach höherer Ausbildung wurden weniger Schwierigkeiten in den Weg
gelegt.

Nachdem die königliche Kommission zur Untersuchung der Schulzustände,
die 1864 eingesetzt wurde, und deren weibliches Mitglied Miß Beale den
Stand der höheren Mädchenschulen zu begutachten hatte, die denkbar
ungünstigsten Berichte über den Unterricht des weiblichen Geschlechts zu
geben gezwungen war, entstanden allenthalben Vereine zur Verbesserung
der Mädchenerziehung, die auf die Höhe des vorbereitenden Unterrichts
der Knaben zur Universität gehoben werden sollte. Um einen Maßstab für
sie zu haben, richtete sich die nächste Agitation auf die Zulassung der
Mädchen zu den Lokalexamen der Universitäten. Schon 1865 verstand sich
Cambridge, etwas später Oxford zur Abhaltung dieser Examen, die etwa
zwischen das 13. und 16. Lebensjahr der Schüler zu fallen pflegen.[271]
Sie stehen ungefähr den Examen unserer Realschulen gleich und
berechtigen keineswegs zum Universitätsstudium. Um dies zu erreichen,
das den Frauen hartnäckig verweigert wurde, legte Miß Emily Davies, die
schon die erfolgreiche Agitatorin für die Lokalexamen gewesen war, im
Jahr 1869 zuerst in einem kleinen Hause in Hitchin die Grundlage zu
Girton College. Es gelang ihr, einige Professoren von Cambridge für ihre
Idee, ihre Schülerinnen zunächst zu dem leichtesten--dem sogenannten
little-go--Universitätsexamen vorbereiten, zu gewinnen. Sie bestanden
nicht nur dies, sondern drei Jahre später auch das schwerste, das
Triposexamen. Inzwischen wurden nach dem Muster von Girton,
Newnham-College, gegründet. Durch vereinte Bemühungen, die oft zu
heftigem Federkrieg führten, wurde endlich erreicht, daß die Frauen zu
einzelnen Vorlesungen in der Universität selbst Zutritt erlangten und
schließlich--im Jahre 1881--wurden sie zu den Universitätsexamen, dem
little-go und Tripos, offiziell zugelassen; bis heute jedoch müssen sie
sich, trotz dauernder Bemühungen, mit einem einfachen Zertifikat
begnügen; die Erteilung, der mit dem bestandenen Examen bei den
männlichen Studenten verbundenen Titel wird ihnen standhaft
verweigert,--es ist das das letzte Prärogativ, das die Männer sich
vorbehalten wollen!--Der Kampf um Oxford war ein ähnlicher, wie der um
Cambridge.[272] In dem Zeitraum von 1870 bis 1894 wurden die Frauen
nach und nach zu den Vorlesungen und Examen aller Fakultäten, mit
Ausnahme der medizinischen zugelassen, aber die Titel gönnten ihnen auch
hier ihre männlichen Kollegen nicht. Dafür gewährte ihnen schon 1878 die
Universität London--lediglich eine Examinationsbehörde--sämtliche Grade,
was um so wichtiger ist, als ihre Examen für die weitaus schwersten
gelten. Mit kleinen Unterschieden,--so ist das Studium der Theologie und
Medizin an einigen Universitäten den Frauen verboten--nehmen heute
sämtliche Universitäten Großbritanniens weibliche Studenten mit gleichen
Rechten auf wie männliche. Als eine Folge jedoch nicht nur der
englischen Prüderie, wie viele meinen, sondern vor allem der auf diesem
Gebiet besonders lebhaften Konkurrenzfurcht der Männer muß es angesehen
werden, wenn der schwierige Kampf der Frauen sich um das Studium der
Medizin, vor allem um die klinische Ausbildung drehte. Keine Schule und
keine Examinationsbehörde wollte Frauen zulassen und so entschlossen sie
sich denn, sich selbst zu helfen, indem sie, mit Unterstützung einiger
Professoren, 1874 die mit einem Frauenhospital verbundene London school
of Medicine for women gründeten. Ihrem energischen Vorgehen war es zu
danken, daß durch Parlamentsbeschluß zwei Jahre später die
Prüfungsbehörden autorisiert wurden, weibliche Studenten zu examinieren.
Sie folgten freilich nur sehr langsam dieser offiziellen Aufforderung.
Bis heute haben sich neun Universitäten und medizinische Schulen dazu
bereit erklärt, außerdem stehen ihnen acht allgemeine Krankenhäuser
neben achtzehn Frauenhospitälern offen.[273]

Dem Beispiel des Mutterlandes folgten die Kolonieen. Die indischen
Universitäten sind seit 1878 den Frauen geöffnet; vier höhere Schulen,
von denen die in Pronah unter Leitung der gelehrten und wohlthätigen
Indierin Pundita Ramabai steht, sorgen für die Vorbereitung; die
australischen Universitäten Sydney und Melbourne haben nie einen
Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht.[274]

Auch auf anderen Gebieten des vorbereitenden Unterrichts für
bürgerliche Lebensberufe ist für das weibliche Geschlecht in England
fast ebenso gut gesorgt, wie für das männliche. Private und öffentliche
Schulen zur gewerblichen, kaufmännischen und künstlerischen Ausbildung
nehmen sie auf. Auf den Lehrerseminarien, von denen es für Frauen mehr
giebt als für Männer, genießen sie die Vergünstigung unentgeltlicher
Ausbildung.

Den Weg zu einem neuen Frauenberuf eröffnete die 1891 gegründete
Gartenbauschule von Swanley[275]. Durch ihre Erfolge wurde den Frauen
auch die Schule der königlichen botanischen Gesellschaft zugänglich.
Eine landwirtschaftliche Schule, die statutengemäß ausschließlich für
gentlewomen, d.h. Frauen der bürgerlichen Kreise bestimmt ist, richtete
Lady Warwick auf ihrer Besitzung 1898 ein. Wie sie neben der Gärtnerei
die Geflügel- und Bienenzucht und die Milchwirtschaft in den Kreis neuer
$Arbeitsmöglichkeiten einbezog, so geschieht es auch durch die von den
Grafschaftsräten und Gemeinden vielfach ins Leben gerufenen
landwirtschaftlichen Schulen; auch die landwirtschaftliche Nationalunion
von Großbritannien hat sich durch Gründung eines Frauenzweigvereins der
Sache angenommen. Durch die Einrichtung der Krankenpflegerinnenschule am
St. Thomashospital, die Florence Nightingale durchgesetzt hatte, nachdem
ihr im Krimkrieg die Schäden der dilettantischen Krankenpflege traurig
genug bekannt geworden waren, wurde auch dieser Beruf ein Erwerbsberuf
gebildeter Frauen. So giebt es kaum ein Gebiet des Berufslebens, für das
die Engländerinnen sich nicht vorbereiten könnten. Im Unterschied von
Amerika aber ist die Erziehung der Geschlechter,--mit Ausnahme von
Irland, wo kürzlich der Versuch eines für Knaben und Mädchen gemeinsamen
Colleges gemacht wurde,--fast durchweg eine getrennte. Daraus ergeben
sich sowohl praktische als psychologische Folgen schädlichster Natur und
die Ausbildung der Frauen ist vielfach eine minderwertige; so werden sie
z.B. in zwei Jahren zu Landschaftsgärtnern vorbereitet, während Männer
dazu eine Studienzeit von 5 bis 6 Jahren brauchen; und fast alle, für
das weibliche Geschlecht allein eingerichteten kaufmännischen und
künstlerischen Schulen haben einen kürzeren oder weniger gründlichen
Studiengang, als die für Männer bestimmten. Andererseits wird aber auch
durch das System der Trennung der Gegensatz zwischen den Geschlechtern,
der durch den Konkurrenzkampf hervorgerufen wird, noch verschärft, statt
daß er durch gemeinschaftliche Erziehung hätte gemildert werden und der
Begriff der Interessengemeinschaft seine Stelle hätte einnehmen können.

Der Zugang zu bürgerlichen Berufen wurde den Engländerinnen im
allgemeinen nicht allzu schwer gemacht. Sie waren nicht nur seit den
Zeiten des Feudalismus keine unbekannte Erscheinung im öffentlichen
Leben, sie hatten auch durch frühe, ausgedehnte und vortrefflich
organisierte philanthropische Thätigkeit für ihr Verständnis und ihre
Leistungskraft Zeugnis abgelegt. Von Elisabeth Fry, der Reformatorin des
Gefängniswesens, bis zu Beatrice Webb finden wir eine Reihe bedeutender
Frauen, die durch ihre Leistungen, mehr als durch ihre Worte für das
Recht der Frau auf Arbeit kämpften. So konnte die Regierung schon 1873
den Versuch machen, die erste Frau, Mrs. Nassau Senior, als Inspektor
der unter dem Localgovernment Board geregelten Armenpflege anzustellen,
und wie sie schon 1864 eine Frau in die Kommission zur Untersuchung der
Schulverhältnisse berufen und ihr eine außerordentlich wertvolle Arbeit
zu verdanken hatte, so übergab sie nach und nach immer häufiger Frauen
wichtige Aufgaben. Von einschneidender Bedeutung war 1892 die Einsetzung
einer Kommission zur Untersuchung der Arbeiterverhältnisse, in der vier
Frauen mit Erhebungen über die Lage der Arbeiterinnen betraut wurden.
Sie bewährten sich so, daß kurze Zeit später eine von ihnen, Miß
Abraham, als erste Fabrikinspektorin und eine andere, Miß Collet, als
Korrespondentin des Labour Department angestellt wurde. Auch Aerztinnen
wurden als Bezirksärzte, als Sanitätsinspektorinnen, als Leiter
öffentlicher Krankenhäuser,--besonders in den Kolonieen,--Beamte der
Regierung. Vier von ihnen sind im Postdepartement beschäftigt.

Seit 1870 hatte die Regierung die Telegraphenlinien aus dem Besitz der
privaten Gesellschaft übernommen und die weiblichen Angestellten
beibehalten, ja sie hatte, trotz der lebhaften Agitation dagegen,--der
einzigen, die in so großem Stil gegen das Eindringen der Frauen in
bürgerliche Berufe in England entfaltet wurde,--Frauen bei den
Postsparkassen angestellt. Heute stehen 25928 Frauen im Post- und
Telegraphendienst Großbritanniens.[276] Unter ihnen giebt es eine
Anzahl, die bis zur Stellung von Postmeistern emporgestiegen sind. Fast
in allen Ministerien beschäftigt die Regierung Beamtinnen, ebenso in der
Gefängnisverwaltung und -Aufsicht, auf königlichen Observatorien und als
Assistenten der Bibliothekare. In hervorragend leitenden Stellungen
jedoch befinden sich keine Frauen. Bis vor einigen Jahren führte Miss
Abraham ziemlich selbständig die Geschäfte des aus 7 Personen
bestehenden weiblichen Fabrikinspektorats; als sie jedoch infolge ihrer
Heirat ausschied, nahm man dies zum Vorwand, die weiblichen Inspektoren
unter die Leitung des männlichen Oberinspektors zu stellen. Es scheint,
daß sich in der: Zurückdrängung der Frauen auf untergeordnete Stellungen
der letzte Kampf gegen ihr Gleichberechtigungsbestreben ausdrückt. Er
spielt sich in den englischen Lokalverwaltungen ebenso ab, obwohl die
Frauenarbeit hier noch ausgedehnter und segensreicher wirkt, als im
Dienst der Regierung. Wohl haben die Frauenvereine in jedem Ort, fast in
jeder Gemeinde um die Anstellung weiblicher Beamten jahrelang ringen
müssen, jetzt aber können sie stolz auf das Erreichte sein: Wir finden
sie als Schul-, Sanitäts und Handelsinspektoren, als Polizeimatronen und
Leiterinnen öffentlicher Anstalten aller Art, als Standes- und
Kirchspielbeamte, als Armenpfleger, als Steuererheber, als
Landschaftsgärtner öffentlicher Anlagen und als Dozentinnen in den
Haushaltungs- und landwirtschaftlichen Schulen der Grafschaftsräte
thätig, aber Gemeindevorsteher und Bürgermeister wie in Amerika finden
wir nicht. Anders gestaltet es sich in den privaten Berufen, wo die
persönliche Leistungsfähigkeit allein den Ausschlag giebt. Nicht
nur, daß weibliche Handelsangestellte, Stenographinnen und
Maschinenschreiberinnen vor den Männern schon vielfach den Vorzug
erhalten, immer mehr Frauen arbeiten sich zu Leiterinnen großer
Geschäfte, selbst zu Bankiers empor, die, obwohl die Börse ihnen
verschlossen ist, zahlreiche Kunden haben. Und die Zahl der
Privatgelehrten und Schriftstellerinnen, der Journalisten und Reporter
nimmt Jahr um Jahr erheblich zu. Selbst in scheinbar den Frauen
fernliegenden Berufen, wie in dem des Architekten, finden wir sie thätig
und zwar mit solchem Erfolg, daß kürzlich eine von ihnen zum Mitglied
der sehr exklusiven Königlichen Gesellschaft der Architekten gewählt
wurde. Unter den gelehrten Berufen aber ist der medizinische derjenige,
in dem die Frauen in England wie in Amerika sich am meisten auszeichnen.
Sie erfreuen sich großer Praxis und allgemeiner Anerkennung, die auch
den Konkurrenzneid der Männer soweit besiegte, daß sie vor wenigen
Jahren Mrs. Garrett-Anderson zur Vorsitzenden einer großen Abteilung der
fast nur aus Männern bestehenden medizinischen Gesellschaft erwählten.

Am stärksten ist natürlich das weibliche Geschlecht im Lehrberuf
vertreten. Nicht nur, daß sie die männlichen Lehrer an Zahl überwiegen,
es ist ihnen gelungen, leitende Stellungen, auch an Knabenschulen zu
erobern. Dabei muß eingeschaltet werden, daß das englische höhere
Schulwesen ausschließlich in Privathänden ruht, weder Staatshilfe noch
Staatsaufsicht genießt und die Gesellschaften, die es leiten, zum großen
Teil auch aus Frauen bestehen. Infolgedessen konnte die englische
Lehrerin zu solcher Bedeutung gelangen. Die männlichen Staats- und
Lokalverwaltungen repräsentieren immer eine konservative Macht, die nur
schwerfällig vorwärts schreitet. Das zeigt sich auch dort, wo die Frau
solche Stellungen zu erreichen strebt, auf deren Gewährung die Behörden,
vom eingewurzelten Vorurteil überdies unterstützt, irgend welchen
Einfluß üben. Kranken- und Armenpflege, Erziehung und Unterricht waren
seit alten Zeiten ein Frauenberuf innerhalb der Familien und des
Stammes, es galt nur, ihn weiter auszubilden, ihn über die
ursprünglichen Grenzen herauszuführen, um zur Armenpflegerin und
Inspektorin, zur Lehrerin und Aerztin zu führen. Berufe aber, die nicht
von Anfang an mit dem Weib als Geschlechtswesen in engem Zusammenhang
standen, galten von vornherein für unweiblich und wurden ihr daher
verschlossen. So geschieht es z.B. in England noch bei dem Beruf des
Geistlichen und des Advokaten; nur einzelne Sekten haben Predigerinnen
und Missionarinnen, die Hochkirche läßt sie ebensowenig zu wie die
lutherische und katholische; und nur als Rechtskonsulenten dürfen Frauen
seit kurzem praktizieren, weibliche Advokaten schließt jeder
Gerichtshof vorläufig noch aus.

Frankreich, das im 18. Jahrhundert der Frauenbewegung Richtung und Ziel
gegeben und sie in den revolutionären Stürmen des 19. Jahrhunderts
jedesmal zu neuem Leben erweckt hatte, blieb schließlich in seinen
Erfolgen hinter Amerika und England zurück. Die Ursache davon ist
vorwiegend in der durch die Napoleonische Gesetzgebung hervorgerufenen
zivilrechtlich ungünstigen Lage der Frauen zu suchen. Sobald daher die
Frauenbewegung sich von der Reaktion der fünfziger Jahre erholt hatte,
verwandte sie ihre besten Kräfte auf den Kampf gegen eine Unterdrückung,
die wohl geeignet war, jedes Vorwärtsstreben zu erschweren. Ihre
Agitation für höheren Unterricht und Zulassung zu bürgerlichen Berufen
war aber immerhin, wenn sie auch in zweiter Linie stand, eine lebhafte.
Zunächst galt es, die teilweise Eröffnung der Universität nicht dadurch
illusorisch werden zu lassen, daß die Erfüllung der Vorbedingungen nicht
vorhanden war. Man versuchte es Ende der sechziger Jahre mit der
Einrichtung freier Vortragskurse für Mädchen, ohne Erfolg zu haben. Auch
die Privatanstalten genügten nicht. Legouvé, der nach wie vor an der
Spitze dieser Bewegung stand, sammelte schließlich eine immer größere
Zahl von Frauen und Männern um sich, die für die Idee der staatlichen
Intervention eintraten und die Errichtung von Mädchengymnasien
verlangten, die denen für Knaben entsprechen sollten. Aber erst im Jahre
1880 setzte Camille Sée ein Gesetz durch, wonach der Staat sich
verpflichtete, mit Unterstützung der Kommunen höhere Mädchenschulen ins
Leben zu rufen. Wenn dies Gesetz auch den Wünschen der Frauen und ihrer
Freunde noch nicht entsprach, denn in der Praxis gestalteten sich die
neuen Institute, von denen jetzt 32 staatliche und 27 städtische
bestehen, nur zu erweiterten Elementarschulen, keineswegs zu Gymnasien,
so war die Anerkennung der Notwendigkeit höherer Frauenbildung durch den
Staat immerhin ein Fortschritt. Seine Bedeutung ist um so größer, als
von vornherein ausschließlich Frauen zu Leitern und Lehrern in den
Lyceen bestimmt wurden. Das brachte eine Hebung des Lehrerinnenberufs
mit sich und führte schon ein Jahr später zur Gründung der Ecole normale
in Sèvres, an der die Ausbildung der dem höheren Mädchenunterricht sich
widmenden Frauen erfolgt[277], soweit sie sich nicht durch
Universitätsstudien vorbereiten. Seit 1870 schon stehen ihnen, mit
Ausnahme der theologischen, nicht nur sämtliche Fakultäten offen, sie
können auch dieselben Grade erwerben wie die Männer. Auf dem Gebiet der
Medizin hatten sie allerdings einen Kampf zu kämpfen, der bis heute noch
nicht ganz zum Ziele führte: Zur klinischen und chirurgischen Ausbildung
und dem damit verbundenen Examen wurde ihnen gar nicht oder nur
ausnahmsweise Zulaß gewährt. Schließlich erreichten sie es, in den
Pariser Spitälern vier Jahre studieren zu dürfen, ohne daß man sie
jedoch zu den höheren Prüfungen zuließ. Die Studenten sowohl wie die
Aerzte waren während des ganzen Kampfes ihre ausgesprochenen Gegner.
Auch auf einem anderen Gebiete, dem des künstlerischen Studiums, war von
einer Gleichberechtigung der Frauen lange Zeit hindurch keine Rede.
Selbst die Leistungen einer Rosa Bonheur, einer Vigé-Lebrun waren nicht
im stande gewesen, den Frauen den Zugang zur Ecole des Beaux-Arts zu
ermöglichen. Die traditionelle Meinung, daß die guten Sitten dadurch
verletzt würden, mußte hier ebenso wie beim klinischen Unterricht als
Vorwand der Ausschließung dienen. Erst 1897 erfolgte die Zulassung; die
französische Kammer bewilligte zugleich eine bestimmte Summe zur
Gründung von zwei Ateliers für Schülerinnen, um damit dem Vorurteil der
gemeinsamen Ausbildung der Geschlechter entgegen zu kommen.

Viel rascher ging die Frage des gewerblichen und kaufmännischen
Unterrichts der Frauen einer Lösung entgegen. Schon 1870 zählten die
fünf Pariser kaufmännischen Schulen 800 Schülerinnen. In den Provinzen
entstanden, zum Teil durch die Kommunen, ähnliche Anstalten, deren
starke Frequenz dafür Zeugnis ablegt, daß sie einem dringenden Bedürfnis
entsprechen.

Die Frau im kaufmännischen Beruf ist denn auch seit langem eine
wohlbekannte Erscheinung in Frankreich, und man rühmt ihr allgemein ihre
Umsicht und ihren praktischen Verstand nach. Frauen, die ihr Geschäft
wirklich ganz selbständig leiten, sind hier daher verhältnismäßig
häufiger zu finden, als in anderen Ländern. Schon in den
fünfziger Jahren wurden ihre Talente dadurch anerkannt, daß die
Eisenbahngesellschaften anfingen, Frauen in ihren Bureaux anzustellen,
und der Staat, der schon im Anfang des Jahrhunderts Frauen im Postdienst
beschäftigt hatte, vermehrte ihre Zahl von 1877 ab bedeutend.[278]
Außerdem vertraute er sämtliche Tabakgeschäfte--die Tabakfabrikation und
der Handel mit Tabak sind bekanntlich Staatsmonopol--, Frauen an, und
beschäftigt eine große Zahl von ihnen in der Bank von Frankreich. Im
übrigen ist die Zahl der staatlich angestellten Frauen gering und sie
befinden sich fast ausschließlich in untergeordneten Stellungen. Den
höchsten Rang nehmen die Gefängnis- und Schulinspektorinnen--von denen
es allerdings nur drei giebt--ein. Die Fabrikinspektorinnen bekleiden
nur das Amt von Assistentinnen, haben sich aber so bewährt, daß z.B.
allein im Seine-Departement 14 thätig sind. Außer ihnen sind weibliche
Staatsbeamte als Gefangenenwärter, als Lehrerinnen in Taubstummen- und
Hebammenschulen zu finden. Seit einiger Zeit hat die Regierung auch
Aerztinnen in ihren Dienst genommen: Madame Sarraute wirkt an der großen
Oper; für das weibliche Postpersonal sind in Paris zwei Aerztinnen
angestellt, andere Aerztinnen wurden den afrikanischen Missionen
angeschlossen oder an staatlichen Mädchenlyceen verwendet.[279] Von
allen Frauen werden natürlich Lehrerinnen vom Staat und von den Kommunen
am meisten beschäftigt. Ihr Einfluß reicht soweit, daß sie sowohl den
Departementsräten als dem Oberschulrat als gleichberechtigte Mitglieder
angehören können. Aber noch keiner Frau ist es gelungen, als Dozent an
der Universität zugelassen zu werden oder die Leitung eines Hospitals in
die Hand zu bekommen. Sobald es sich um angesehene oder besser bezahlte
Stellungen handelt, hört auch bei den damenfreundlichen Franzosen das
Entgegenkommen auf. Trotzdem wird der Zugang zu bürgerlichen Berufen den
Frauen leichter gemacht, als etwa in England; sei es, weil infolge der
stagnierenden Bevölkerung die Konkurrenz keine so lebhafte ist, sei es,
weil die Französinnen der bürgerlichen Kreise selbst noch nicht nach Amt
und Brot so heftig zu streben gezwungen sind. Unter den Studentinnen
giebt es wenig geborene Französinnen, selbst unter den Aerztinnen, von
denen in Paris allein 77 eine große Praxis ausüben, sind viele
Ausländerinnen. Neuerdings hat die französische Frauenbewegung dadurch
einen wichtigen Schritt vorwärts gethan, daß die Frauen zur Advokatur
zugelassen wurden. Es war das jedenfalls nur die notwendige Konsequenz
der Zulassung zum juristischen Studium. Jeanne Chauvin, die es schon vor
Jahren glänzend absolvierte, hatte lange vergebens alles aufgeboten, um
zu ihrem Recht zu gelangen. Nur als Beamte in den Bureaux der
Rechtsanwälte hatten Frauen festen Fuß gefaßt. 1899 jedoch nahm die
Kammer einen Antrag des sozialistischen Abgeordneten Viviani an, der die
Zulassung der Frauen zur Advokatur forderte. Im Herbst 1900 bestätigte
der Senat das Votum und ein Vierteljahr später wurde die erste
Advokatin, Madame S. Balachowski-Petit, feierlich vereidet.

Unter den bürgerlichen Berufen privater Natur, in denen die Französinnen
thätig sind, wird einer von ihnen besonders geschätzt: der
schriftstellerische und journalistische. Von jeher haben sich die
Französinnen durch ihre Gewandtheit, mit der Feder umzugehen,
hervorgethan. Es sei hier nur auf Madame de Staël, Georges Sand, Madame
d'Agoult (Daniel Stern), neuerdings auf Juliette Adam, die Severine, die
Gyp und viele andere hingewiesen. Seit 1898 nun haben sie, allen anderen
Ländern vorangehend, den Versuch gemacht, die weiblichen Talente
zusammenzufassen, indem Madame Marguerite Durand unter dem Titel La
Fronde eine nur von Frauen redigierte, geschriebene, ja sogar gedruckte
politische Tageszeitung gründete. So wenig solch ein Unternehmen auch
dem wirklichen Fortschritt entspricht und im Interesse der
Frauenbewegung gelegen ist--denn erst das Zusammenarbeiten von Mann und
Weib auf gleichen Gebieten und unter gleichen Bedingungen würde ihre
Kräfte stählen und erproben--, so liefert es doch für die Fähigkeiten
der Frau den Beweis und bahnt den Weg zu neuen Erwerbsmöglichkeiten.

Trotz der Fortschritte, die Frankreich auf dem Gebiet der bürgerlichen
Frauenarbeit gemacht hat, sind sie doch nicht in demselben Tempo
erfolgt, wie man es nach den Anfängen der französischen Frauenbewegung
hätte annehmen können, und in dem, was erreicht wurde, ist es von
manchen anderen Ländern überflügelt worden.

Nur ein flüchtiger Ueberblick,--die Schilderung der Frauenbewegung eines
jeden Landes würde ins Endlose führen und im großen und ganzen dieselben
Entwicklungslinien zeigen, die wir schon verfolgt haben,--soll den
Beweis dafür erbringen.

In Rußland, das schon in den sechziger Jahren Universitäts- und
medizinische Kurse eingerichtet hatte, vermochte selbst die mehr als
zehnjährige Reaktionszeit von 1882 an, während der das Studium der
Medizin den Frauen nicht gestattet wurde, dem Fortschritt ihrer Sache
nicht Einhalt zu gebieten. Schon 1883 wirkten allein in Petersburg 52
Aerztinnen. 1896 erfolgte dann die Neueröffnung der medizinischen
Hochschule, die den Frauen dieselbe Ausbildung zu teil werden läßt, wie
sie die Männer erhalten, und sie denselben Prüfungen unterwirft. Sowohl
in Moskau als in Kiew können sie unter gleichen Verhältnissen Medizin
studieren, außerdem steht ihnen in Petersburg ein orientalisches Seminar
zur Verfügung. Die Vorbereitung zur Universität vermitteln die schon
1868 von Frauen gegründeten und geleiteten höheren Frauenkurse, die mit
der Zeit in Bezug auf den Unterrichtsstoff und die Organisierung immer
besser ausgebildet wurden. Außer ihnen bestehen noch klassische
Mädchengymnasien, deren Besuch ebenfalls zum Universitätsstudium
berechtigt, und 350 Mädchenlyceen, die in manchen Punkten unseren
höheren Töchterschulen ähnlich sind, in anderen wieder,--z.B. werden die
klassischen Sprachen gelehrt, wenn auch dieser Unterricht nur fakultativ
ist,--weit über sie hinaus gehen.[280] Besonders hoch steht in Rußland
die Ausbildung der Lehrerinnen. Nicht nur, daß sie großenteils
Universitätsbildung besitzen, es wird ihnen auch in den "Instituten der
Kaiserin Maria", die der kaiserlichen Kanzlei unterstehen, eine ebenso
billige wie vortreffliche Erziehung geboten, die sie, nach Absolvierung
der Prüfungen, zum Gouvernanten- und Volksschullehrerinnenberuf
berechtigt. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß
unter den russischen Frauen die Lehrerin die Trägerin nicht nur der
Frauenbewegung, sondern auch die wichtigste Beförderin der
Volksaufklärung und des sozialen Fortschrittes ist. Ihre Leistungen
fanden soweit öffentliche Anerkennung, daß Mädchenschulen und
Mädchengymnasien großenteils weibliche Lehrkräfte und sogar weibliche
Direktoren haben, die allerdings zum Direktor des Knabengymnasiums in
einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis stehen.

Einer großen Beliebtheit erfreuen sich die weiblichen Aerzte, deren
staatliche Anstellung immer allgemeiner wird. Im Gegensatz zu der
herkömmlichen Ansicht, daß Frauen großen körperlichen Strapazen nicht
gewachsen sind, hat es sich gezeigt, daß gerade die Landärztinnen, die
gezwungen sind, unter elenden Verhältnissen, inmitten einer rohen
Bevölkerung, auf schlechten Landwegen, bei allen Schauern eines
russischen Winters, ihrer Praxis nachzugehen, sich außerordentlich
bewähren. Aber auch in den Großstädten sind sie mit Erfolg thätig. In
Petersburg, wo neben 21 männlichen 15 weibliche Bezirksärzte und
außerdem 35 Aerztinnen in staatlichen Krankenhäusern Anstellung
fanden[281], hat der Magistrat in einem offiziellen Bericht
festgestellt, daß auf einen männlichen Arzt 5400 bis 8000 Patienten, auf
einen weiblichen 7000 bis 11000 fallen, diese also vom Publikum
bevorzugt werden. Außer ihnen erfreuen sich auch die weiblichen
Apotheker eines guten Rufs. Noch ein anderer für die russischen
Verhältnisse wichtiger Frauenberuf findet die Unterstützung des Staates:
Seit kurzem hat das Ministerium für Landwirtschaft landwirtschaftliche
Lehranstalten für Frauen in allen Teilen des Landes eingerichtet, in
denen sie sich für alle in Betracht kommenden Fächer ausbilden können.
Die ersten, die ihre Studien zu Ende führten, wurden von der Regierung
teils in den Bureaux des Ministeriums, teils als Inspektorinnen
angestellt. Auch der Frage der Fabrikinspektoren ist Rußland in
ähnlicher Weise nahegetreten, indem es zunächst die Einrichtung von
Unterrichtskursen plant, deren Schülerinnen dann als Aufsichtsbeamte
Verwendung finden sollen. Als ein großer Erfolg kann es ferner
betrachtet werden, daß die Staatsbank Frauen beschäftigt. Diese
Unterstützung, die seitens der öffentlichen Verwaltung der
Frauenbewegung zu teil wird, läßt sich wesentlich aus dem Mangel an
Arbeitskräften erklären und der geringe Widerstand, der ihr seitens der
Männer entgegengesetzt wird, hat seinen Grund darin, daß das riesige
Land und das große Volk besonders für Lehrer und Aerzte noch unendlich
viel Platz haben.

Noch weiter vorgeschritten als Rußland ist Finland, wo Gymnasien und
Universität dem weiblichen Geschlecht mit gleichen Rechten offen stehen,
wie dem männlichen. Hier finden sich neben staatlich angestellten
Aerztinnen auch weibliche Armenpfleger und Direktoren von Armenhäusern.
In den Privatberufen haben die Frauen sich vor allem als Leiterinnen und
Lehrerinnen der weit verbreiteten Volkshochschulkurse hervorgethan.

Das benachbarte Schweden, das schon 1870 zwei Universitäten den Frauen
eröffnete und ihnen die medizinische Laufbahn erschloß, gewährt
ihnen heute fast überall dieselben Rechte wie den Männern. Die
Mädchenschulen, an die sich Gymnasialklassen anschließen, bereiten zum
Abiturientenexamen vor, das auch von den Mädchen mit Vorliebe gemacht
wird, die nicht das Universitätsstudium daran schließen; infolgedessen
ist die Bildung der Schwedinnen eine im allgemeinen hohe. Seit Sonja
Kowalewska als erster weiblicher Dozent den Lehrstuhl für Mathematik in
Stockholm bestieg, steht auch diese Laufbahn den Frauen offen. Dr. Ellen
Fries war ihre nächste Nachfolgerin, und 1897 wurde Dr. Elsa Eschelson
zum Professor der Jurisprudenz an die gleiche Universität berufen. Ein
Jahr später wurde eine Aerztin am Pathologisch-Anatomischen Institut der
Stockholmer medizinischen Hochschule angestellt. Die Lehrerinnen, die an
der Lehrerschaft Schwedens mit 63 Proz. beteiligt sind, können schon
seit 15 Jahren Mitglieder der Schulaufsichtsbehörden werden, auch als
Armenpfleger und im Dienste der Sittenpolizei finden Frauen Verwendung.
Seit dem Jahre 1898 sind sie offiziell zur Advokatur zugelassen.
Norwegen war darin mit gutem Beispiel vorangegangen. Der erste
juristische Verein hatte sich mit solchem Nachdruck auf die Seite der
Frauen gestellt, daß sogar ihre Zulassung zum Verwaltungsdienst und zum
Notarberuf erfolgte,[282] Die Universität, die ihnen erst 1880 eröffnet
wurde, läßt sie heute zu jedem Studium und zu allen Prüfungen zu, ebenso
sind die Gymnasien ihnen geöffnet. Apothekerinnen und Aerztinnen,
Gymnasiallehrerinnen und Schulinspektorinnen sind schon lange eine
gewohnte Erscheinung. Im Post- und Telegraphendienst befinden sich
Frauen in Norwegen und Schweden schon seit 1857 resp. 1860.

Dänemark steht hinter den genannten Ländern zurück. Zwar läßt die
Universität Kopenhagen seit 1825 Frauen mit gleichen Rechten zu,
Aerztinnen sind den Aerzten gleichgestellt, und die Schulbehörden haben
weibliche Mitglieder, aber der Anwaltsberuf ist ihnen verschlossen und
der Staat stellt nur selten weibliche Beamte an.

Ein ähnliches Verhältnis besteht in Belgien, wo sogar die Aerztinnen
ihrem Beruf nicht ungehindert nachgehen können. Besonders gut
eingerichtet ist dagegen hier die gewerbliche und landwirtschaftliche
Ausbildung der Frauen, die auch vom Staat dadurch unterstützt wird, daß
landwirtschaftliche Lehrerinnen zur Abhaltung von Vortragskursen und
Leitung praktischen Unterrichts auf das Land geschickt werden. Einen
heftigen, aber bisher ganz vergeblichen Kampf kämpfen bisher die Frauen
unter Führung der Juristin Marie Popelin um Zulassung zur
Advokatur.[283]

Weit größere Fortschritte hat die holländische Frauenbewegung zu
verzeichnen. In Bezug auf wissenschaftliche Ausbildung genießen
die Frauen genau dieselben Vorteile wie die Männer. Auch die
Gymnasien besuchen Knaben und Mädchen gemeinsam. Ebenso ist kein
wissenschaftlicher Beruf ihnen verschlossen. Besonderer Beliebtheit
erfreuen sich die weiblichen Aerzte. Eine von ihnen, Fräulein Dr. von
Tussenbroek, wurde 1898 als Professor der Frauenheilkunde an die
Universität Utrecht berufen. Unter den drei von der Kommunal-Verwaltung
Amsterdams angestellten Aerzten ist einer eine Frau, und die
medizinische Examinationskommission hat seit 1898 auch ein weibliches
Mitglied. Im Staatsdienst steht außerdem eine Assistentin der
Fabrikinspektion, deren Anstellung allerdings erst das Ergebnis einer
sehr langen Agitation gewesen ist.

Die Schweiz, die zuerst Frauen zum Universitätsstudium zuließ, ist ihrem
frauenfreundlichen Prinzip seitdem treu geblieben. Zunächst spricht die
steigende Verwendung von Lehrerinnen dafür: seit 1871 haben sie um 87
Proz., die Lehrer nur um 9 Proz. zugenommen. Einen noch stärkeren Beweis
liefert der Umstand, daß die Frauen nicht nur als Schulräte,
Schulinspektoren, Armenpfleger und,--wenn auch vorläufig in geringem
Umfang,--als Arbeitsinspektoren thätig sind, sondern daß ihnen auch das
Recht gewährt wurde, Lehrstühle der Universitäten einzunehmen, sowie
seit 1899 als Rechtsanwälte zu praktizieren.

Italien hat gleichfalls seine alten Traditionen nicht verleugnet. Wie im
Mittelalter, so lehren auch jetzt noch weibliche Dozenten an den
Universitäten, die den weiblichen Studenten nie verschlossen waren, und
in denen sie seit 1890 den männlichen in jeder Beziehung gleichstehen.
Die Knabengymnasien werden auch von Mädchen besucht, außerdem existieren
noch besondere Mädchengymnasien mit dem gleichen Lehrplan, von denen das
erste 1891 vom Kultusministerium in Rom eröffnet wurde. Schon 1868
stellte der Staat die erste Schulinspektorin an[284]; heute sind doppelt
soviel Lehrerinnen als Lehrer thätig und wirken sowohl an Knaben- wie an
Mädchenschulen. Aerztinnen und Apothekerinnen stehen den Männern völlig
gleich. Nur um die Zulassung zur Advokatur kämpfen die Frauen, seitdem
Laida Poët, nach glänzend absolviertem Doktorexamen, energisch dafür
eintrat[285], bis heute ebenso vergebens wie in Belgien, und im
Staatsdienst stehen, außer den Post- und Telegraphenbeamtinnen, nur
wenige Frauen.

Unter den romanischen Ländern sind Spanien und Portugal die
zurückgebliebensten, obwohl auch ihre Universitäten, zum Teil sogar seit
Jahrzehnten, den Frauen offen stehen. Es fehlt jedoch an den Mitteln zur
nötigen Vorbildung. In Spanien sind auch die höheren Berufe den Frauen
verschlossen, während in Portugal weibliche Aerzte praktizieren
dürfen.[286] Selbst die Türkei, wo ein Mädchengymnasium besteht,
gestattet den Frauen schon seit 1894 das Studium der Medizin und ließ
sie bereits ein Jahr früher zur ärztlichen Praxis zu. Griechenland,
Serbien und Rumänien gewähren den Frauen in Bezug auf Bildung und Beruf
fast völlig gleiche Rechte mit den Männern. Rumänien läßt sie zu den
Lehrstühlen der Universität und zur Advokatur zu.[287] Erklären läßt
sich diese, für die kulturell im allgemeinen zurückgebliebenen Länder
merkwürdige Erscheinung dadurch, daß der Zudrang zum Studium und zu den
wissenschaftlichen Berufen seitens der Männer kein großer ist, und man
nicht nur die Lücken durch Frauen ausfüllen, sondern auch durch ihren
Wettbewerb die Leistungen der Männer steigern will. Hierzu kommt, daß
weibliche Aerzte gerade in muhamedanischen Bevölkerungen, wo die kranken
Frauen jeder ärztlichen Hilfe entbehrten, weil sie nur von Männern
ausging, einem dringenden Bedürfnis entsprechen.

Aus diesem Grunde hat auch Oesterreich sich schon verhältnismäßig früh
entschlossen, Aerztinnen anzustellen, obwohl seine Stellung zur
Frauenbewegung damals noch eine reaktionäre war. 1890 wurde die erste
Aerztin, Dr. Krajewska, nach Bosnien berufen, der bald drei andere
folgten. Sie stehen in ihren amtlichen Rechten und Pflichten den
männlichen Aerzten völlig gleich. Ihrer Ausbildung konnten sie jedoch
nur auf nicht-österreichischen Universitäten nachgehen. Obwohl bereits
im Jahre 1878 die ersten Frauen als Gäste einzelnen Vorlesungen an
österreichischen Universitäten beiwohnen durften, wurden sie erst seit
1897 als Studentinnen zu den Vorlesungen und Prüfungen der
philosophischen Fakultät zugelassen, während sie offiziell weder Medizin
studieren noch darin geprüft werden konnten. Erst neuerdings ist es
ihnen ermöglicht worden; es steht sogar zu erwarten, daß das Studium der
Jurisprudenz ihnen an allen Universitäten gestattet wird. Günstiger
stellt sich die Frage des Universitätsstudiums der Frauen in Ungarn, wo
sie 1896 an der Universität Budapest zu allen Fakultäten zugelassen
wurden.[288] Die Vorbereitung zur Universität ist die Aufgabe einer
Anzahl privater Mädchengymnasien, die seit Anfang der neunziger Jahre in
Prag, Wien, Budapest, Krakau und Lemberg bestehen und auf die zähe
Agitation verschiedener Frauenvereine zurückzuführen sind.

Die Berufsthätigkeit der österreichischen Frauen, die sich besonders im
letzten Jahrzehnt rasch erweitert hat, beschränkt sich trotzdem nur auf
wenige Berufe. Zwar steht ihnen die ärztliche Laufbahn offen, in Ungarn
sind sie auch zum Apothekerberuf zugelassen, im allgemeinen aber wenden
sich die meisten erwerbsuchenden Frauen aus bürgerlichen Kreisen noch
dem traditionellen Lehrerinnenberuf zu. Dort hat die Regierung sich nach
und nach immer mehr dazu verstanden, die Volksschule, vielfach auch die
Knabenklassen, weiblichen Lehrkräften anzuvertrauen. Seit
kurzem--1899--hat Galizien den Anfang gemacht, Frauen auch in den
Bezirksschulrat aufzunehmen,--ein Vorgehen, das von den übrigen Ländern
der österreichisch-ungarischen Monarchie bald nachgeahmt werden dürfte.
Im Staats- und Gemeindedienst stehen, außer den Volksschullehrerinnen,
die Post- und Telegraphenbeamtinnen, deren Zulassung erst nach hartem
Kampf mit den männlichen Kollegen erfolgte, eine Anzahl
Gerichtssachverständige und Bureaubeamte in untergeordneten Stellungen.

Noch ein Blick auf die außereuropäischen Länder vollende die Uebersicht:
in Australien genießen die Frauen fast überall die gleichen Rechte auf
Bildung und Beruf wie die Männer. Sie stehen als Fabrik- und
Schulinspektoren, als Ministerialbeamte im Staatsdienst; sie wirken als
Aerzte, Anwälte und Lehrer ungehindert. In Mexiko und Brasilien können
sie als Advokaten und Aerzte praktizieren. Selbst in Asien hat die
Frauenbewegung Fortschritte zu verzeichnen: weibliche Aerzte und
Rechtsanwälte sind in Indien, dessen Universitäten den Frauen offen
stehen, keine Seltenheit. Neuerdings nimmt auch die japanische
Universität Studentinnen auf und die Gründung einer eigenen
Frauenhochschule steht in Aussicht. Im japanischen Postdienst finden
Frauen Verwendung. China hat kürzlich ein Mädchengymnasium gegründet und
an der Universität Peking dozieren weibliche Professoren. Der Negus von
Abessinien und der Emir von Afghanistan haben Aerztinnen an ihren Hof
berufen, und in Arabien verbreitet eine Frauenzeitung die Ideen der
Frauenbewegung.

Wenden wir uns nunmehr Deutschland zu, das wir absichtlich
zurückgestellt haben, damit es sich um so deutlicher, gleichsam wie ein
dunkles Relief von einem hellen Hintergrund, von der vorgeschrittenen
Entwicklung der übrigen Länder abhebe.

Der Fortschritt der Frauenbewegung wurde hier zunächst allein durch die
Organisation der Frauen bezeichnet. Für die deutsche Frau, die mehr als
irgend eine andere an die Familie, an das Haus gebunden gewesen war,
erschien die Gründung von Frauenvereinen an sich schon als ein
bedeutsames Ereignis. Daß es einem Bedürfnis entsprach, bewies das
zahlreiche ins Leben treten von Verbänden im Anschluß an den Allgemeinen
deutschen Frauenverein und an den Letteverein. Einesteils drängte das
von Sorgen und Zweifeln übervolle Frauenherz nach Aussprache,
andererseits trieben die traurigen Vermögensverhältnisse Tausende auf
die Suche nach Arbeit. Schon 1869 konnte daher der Letteverein an die
Spitze eines Verbandes deutscher Bildungs- und Erwerbsvereine treten,
deren Organ "Der Frauenanwalt" eine freilich recht gemäßigte Sprache
führte, und der Allgemeine deutsche Frauenverein konnte für sich und
seine Zweigvereine das Blatt "Die neuen Bahnen" ins Leben rufen, das
etwas energischer auftrat. Auf eine bessere Ausbildung der Mädchen
versuchten beide zunächst einzuwirken. Handels- und Gewerbeschulen, wie
sie in Berlin, Leipzig und Hannover seit einigen Jahren bestanden[289],
wurden auch anderwärts eingerichtet, um die Mädchen vor allem zum
kaufmännischen Beruf vorzubereiten; sie verdankten ihr Entstehen
jedoch fast ausschließlich privater Unterstützung. Staat und
Kommunalverwaltungen verhielten sich ganz ablehnend. Noch schroffer war
ihre Haltung, sobald die Frage der wissenschaftlichen Erziehung der
Mädchen an sie herantrat. Fanny Lewald hatte ihre Zulassung zu den
bestehenden Gymnasien gefordert[290]; der Allgemeine deutsche
Frauenverein war schon vorsichtiger, indem er auf einer seiner
Generalversammlungen der Rede des Dr. Wendt zustimmte, der die Gründung
von Realgymnasien für Mädchen befürwortete. Aber nicht nur außerhalb,
auch innerhalb des Vereins gab es noch ängstliche Gemüter genug, die um
die Gefährdung der Weiblichkeit zitterten, oder die Bestrebungen der
Frauen mit Hohn und Spott überschütteten. Unter den Politikern, wie
unter den Männern der Wissenschaft fand sich kein Verteidiger ihrer
Sache. Die erste Petition des Lettevereins um Errichtung von
Mädchengymnasien wurde mit Entrüstung zurückgewiesen[291], und Heinrich
von Sybel machte sich zum Wortführer der Gegner des Frauenstudiums,
indem er sich scharf gegen jede Emanzipation wandte und das Schlagwort
von dem "einzigen Beruf" des Weibes, dem, Gattin und Mutter zu sein,
schuf, das die poetischen wie die prosaischen Feinde der Frauenbewegung
mit gleicher Gewandtheit seitdem im Munde führen. Ganz blind konnte
jedoch selbst er nicht an den thatsächlichen Verhältnissen vorübergehen,
die es vielen Frauen unmöglich machten, ihren "einzigen Beruf" zu
erfüllen und so entschloß er sich zu der Inkonsequenz, der
Unverheirateten wegen, die Einrichtung von naturwissenschaftlichen,
medizinischen und kaufmännischen Schulen für wünschenswert zu
erklären.[292]

Eine ähnliche Stimmung zeigte sich überall: man gab die Notwendigkeit
besserer Mädchenerziehung zu, aber man hütete sich ängstlich, sich
einzugestehen, wodurch sie verursacht wurde. Charakteristisch hierfür
waren die Verhandlungen der Töchterlehrerversammlung in Weimar 1872.
Eine Neuorganisation des höheren Mädchenschulwesens, sogar ihre
gesetzliche Regelung wurde allgemein gewünscht, die Erwerbsfrage aber
feige verleugnet und ausdrücklich bestimmt, daß die Mädchenschule die
Teilnahme an der allgemeinen Geistesbildung den Frauen ermöglichen
solle, ihre Gestaltung aber auf die Natur und die Lebensbestimmung des
Weibes Rücksicht zu nehmen habe. Der deutsche Verein für das höhere
Mädchenschulwesen, der ein Jahr später ins Leben trat, fußte auf diesen
Grundsätzen, und als sich im selben Jahre das preußische
Unterrichtsministerium entschloß, sich mit der Frage zu beschäftigen,
stellte es sich auf den gleichen Standpunkt, machte aber der
Frauenbewegung insofern eine Konzession, als es erklärte, daß die
Vorbildung für künftige Berufsarbeit besonderen Einrichtungen
vorbehalten werden müsse. Solche Einrichtungen zu treffen, sollte jedoch
ganz der privaten Initiative überlassen bleiben. Eine Ausländerin, Miß
Archer, war es, die zuerst dazu den Mut gefunden hatte, indem sie unter
dem Namen Viktoria-Lyceum in Berlin eine Anstalt ins Leben rief, in der
Mädchen, die die Schule absolviert hatten, sich wissenschaftlich
weiterbilden konnten. Fast zehn Jahre später wurde die Humboldt-Akademie
in Berlin zu ähnlichem Zweck gegründet, ohne daß beide zunächst
praktische Folgen aufweisen konnten, weil das Studium in den Anstalten
zu keinerlei Prüfung berechtigte. In dieser ganzen Zeit war die
Agitation der Frauen für ihre Sache eine sehr zaghafte. Sie beschränkte
sich fast nur auf die Thätigkeit innerhalb der Vereine. Dagegen setzte
die litterarische Fehde seit Sybels Auftreten ihr Für und Wider lebhaft
fort. Die streitbare Feder Hedwig Dohms trat seit Anfang der siebziger
Jahre in den Dienst der Frauenbewegung[293], während die milde Luise
Büchners durch Rücksichtnahme auf Tradition und Vorurteil die Leser zu
gewinnen suchte[294]. So wurde zwar die Aufmerksamkeit mehr als bisher
auf die Frauenfrage gelenkt, aber von öffentlichem Interesse war sie
nicht.

Mit dem Ende der achtziger Jahre entwickelte sich eine lebhaftere
Bewegung zu gunsten des wissenschaftlichen Unterrichts der Frauen.
Unzufrieden mit dem vorsichtigen Vorgehen des Allgemeinen deutschen
Frauenvereins, der außerdem seine Kräfte vielfach verzettelte, wurde der
Verein Frauenbildungs-Reform ins Leben gerufen, der die Errichtung
von Mädchengymnasien und Eröffnung von Universitäten zu
seinem ausschließlichen Ziele nahm und sofort 1888-89 an die
Unterrichtsministerien und Volksvertretungen aller Staaten eine Petition
um Zulassung zu den Maturitätsprüfungen der Gymnasien und dem Studium an
den Hochschulen versandte. Inzwischen war auch der Allgemeine deutsche
Frauenverein lebendiger geworden; er reichte im selben Jahre allen
Kultusministerien Deutschlands ein Gesuch ein, wonach das Studium der
Medizin, sowie alle Studien und Prüfungen, durch welche die Männer die
Befähigung zum wissenschaftlichen Lehramt erlangen, den Frauen
freigegeben werden möchten. Die Antworten, die beide Vereine erhielten,
gaben die Stimmung Deutschlands gegenüber den Frauen zu einer Zeit, wo
sie in fast allen Kulturländern studieren, als Aerztinnen oder
Advokatinnen praktizieren konnten und wichtige Staatsämter
ihnen anvertraut wurden, deutlich genug wieder: dem Verein
Frauenbildungs-Reform gegenüber erklärten sich die Einzelstaaten nicht
kompetent zur Lösung der Frage, der Reichstag aber verwies wieder an
die Einzelstaaten, und der Allgemeine deutsche Frauenverein bekam von 7
Staaten eine ablehnende, von 6 gar keine Antwort. Nur in einer Beziehung
kam der Staat den Frauen entgegen, indem er dem Viktoria-Lyceum das
Recht erteilte, Oberlehrerinnen auszubilden und sie durch eine
offizielle Prüfungsbehörde examinieren ließ.

Inzwischen war noch ein anderer Verein mit radikaleren Zielen unter dem
Namen "Frauenwohl" entstanden, der sich zur Gründung von Realkursen für
Mädchen entschloß, aus denen einige Jahre später unter der Leitung von
Helene Lange Gymnasialkurse sich entwickelten. Ihrer klugen und
energischen Agitation war es auch zu danken, daß endlich, 1893, die
Zulassung zum Abiturientenexamen den Mädchen gestattet wurde. Die
Gymnasien selbst blieben ihnen verschlossen,--nur die Gymnasien von
Pforzheim und Mannheim nehmen neuerdings auch weibliche Schüler
auf,--man sah sich daher wieder auf Selbsthilfe angewiesen. Allmählich
entstanden in einer Reihe deutscher Großstädte Gymnasien nach dem Muster
der Knabengymnasien oder Gymnasialkurse, die Mädchen nur nach der
absolvierten Töchterschule aufnehmen wie das Berliner Vorbild. Von
großer Bedeutung war es, daß die Stadt Karlsruhe das Gymnasium
schließlich selbst übernahm, es schien gewissermaßen die öffentliche
Sanktion der bisher privaten Bestrebungen der Frauen zu sein. Die Städte
München und Breslau gingen noch weiter, indem sie Mädchengymnasien
selbständig errichten wollten. Aber die Erlaubnis wurde ihrem
staatsgefährlichen Beginnen versagt! Der damalige preußische
Kultusminister Dr. Bosse sprach in Bezug auf das Breslauer Unternehmen
von einem Flämmchen, das er ersticken müsse, ehe es zur verheerenden
Flamme werde. Und das geschah im Jahre 1898, zu einer Zeit, wo Rußland
schon 30 Jahre lang staatliche Mädchengymnasien besaß, und China im
Begriffe stand, das erste zu gründen! Daß die Haltung der Regierung und
der Volksvertretung gegenüber der Forderung der Zulassung der Frauen zu
den Universitäten keine freundliche war, wo schon ihre Vorbereitung
dafür keine Unterstützung fand, ist nicht zu verwundern. Als 1891 die
erste Petition um Freigabe des ärztlichen Studiums im deutschen
Reichstage zur Verhandlung kam, wurde sie wie ein revolutionärer Akt
betrachtet. "Das deutsche Weib", "die deutsche Familie", "die deutsche
Sittsamkeit", wurden mit großem Aufwand an Pathos ihr gegenüber
verteidigt. Nur die Sozialdemokraten, Bebel an ihre Spitze, traten mit
nachdrücklichem Ernst für die Sache der Frauen ein[295],--gefährliche
Bundesgenossen, denn nun war in den Augen aller Konservativen die
Frauenbewegung rot abgestempelt. Als in den folgenden Jahren die
Petition aufs neue zur Verhandlung kam, zeigten sich die Vertreter
liberaler Parteien zwar der Sache geneigter, das Resultat aber blieb
dasselbe: die Wünsche der Frauen wurden durch einfachen Uebergang zur
Tagesordnung erledigt.[296]

Seitdem hat eine Aenderung der Verhältnisse sich im stillen vorbereitet.
Die Universitäten fingen an, Frauen als Hospitantinnen zuzulassen,
zunächst--wahrscheinlich aus Ehrfurcht vor dem "deutschen
Weibe"--wesentlich Ausländerinnen, von denen einige sogar deutsche
Doktordiplome erringen durften, dann aber auch Deutsche. Die
Erfahrungen, die man machte, mußten keine schlechten sein, denn, obwohl
die Aufnahme weiblicher Hörer von dem Wohlwollen jedes Dozenten abhing,
steigerte sich ihre Zahl von Jahr zu Jahr. Und zwar ließen, im
Unterschied zu anderen Ländern, Professoren aller Fakultäten, auch der
theologischen, Frauen zu ihren Vorlesungen zu. Aber einen praktischen
Wert besaß ihr Studium insofern nicht, als sie immer nur geduldet und
nicht geprüft wurden. Erst im Jahr 1899 beschloß der Bundesrat die
Zulassung der weiblichen Studierenden zu den medizinischen und
pharmazeutischen Staatsprüfungen. Gegenwärtig hat er auf Antrag des
Reichskanzlers beschlossen, den Frauen weitere Zugeständnisse zu machen,
indem ihnen die Studienzeit auf ausländischen Universitäten,--auf die
sie bisher allein angewiesen waren, wollten sie mit dem Examen
abschließen,--bei der Meldung zur deutschen Staatsprüfung voll
angerechnet werden soll. Das ist für Deutschland ein großer Fortschritt,
auch wenn man in Betracht zieht, daß in Italien schon seit zehn Jahren
weibliche Dozenten der Medizin Lehrstühle der Universitäten bekleiden,
Griechenland dem Deutschen Reich um zwei, die Türkei gar um fünf Jahre
voraus ist, und in Rußland schon seit nahezu 18 Jahren die
Staatsprüfungen den Frauen offen stehen.

Der Geist des neuen Jahrhunderts schien sich endlich auch der deutschen
Frauen erbarmen zu wollen: Heidelberg und Freiburg gewährten ihnen
volles akademisches Bürgerrecht.

Nach alledem sind die deutschen Töchter der Bourgeoisie auf folgende
Bildungsmöglichkeiten angewiesen: Es stehen ihnen neben Privatinstituten
580 höhere Mädchenschulen offen, im Gegensatz zu 850 höheren
Knabenschulen, die aber nur gehobene Elementarschulen und im preußischen
Etat z.B. den Volksschulen zugerechnet sind; von ihnen sind nur 17
staatlich. Sie können ferner Mädchengymnasien, die, bis auf eins, unter
privater Leitung stehen, besuchen und zum Abiturientenexamen Zulassung
finden. Wollen sie sich zur Lehrerin vorbereiten, so stehen ihnen in
Deutschland 114 Seminare zur Verfügung. Charakteristisch ist, daß in
Preußen allein 112 Staatsseminare für Männer und--10 für Frauen gezählt
werden. Das Oberlehrerinnenexamen können sie auf Grund ihrer Studien am
Viktoria-Lyceum, an der Humboldt-Akademie oder in den von Göttingen
eingerichteten Fortbildungskursen machen. Nur an zwei Universitäten
können sie mit gleichen Rechten wie die Männer studieren und nur das
medizinische Doktorexamen steht ihnen offiziell überall offen. Die
staatlichen Kunst- oder Kunstgewerbeakademieen verhalten sich nicht
anders als die Mehrzahl der Universitäten.

Zu den nicht wissenschaftlichen Berufen wird ihnen die Vorbereitung
weniger erschwert, obwohl die betreffenden Schulen auch hier fast
ausschließlich privater Initiative ihren Ursprung und ihr Bestehen
verdanken. Neben den Handels- und Gewerbeschulen sind neuerdings, nach
dem Muster Englands, auch Gartenbauschulen für Frauen entstanden.

Das trübe Bild, das wir entwerfen mußten und das auf einen
außerordentlich langsamen zaghaften Fortschritt schließen läßt, wird
noch um vieles trüber, wenn wir von dem Kampf um Ausbildung für das
Berufsleben zum Kampf um die Berufe selbst übergehen.

Im Jahre 1867, als in England und Frankreich Frauen schon mit Erfolg im
Post- und Telegraphendienst standen, erregte die darauf bezügliche
erste Petition des Allgemeinen deutschen Frauenvereins im Reichstag des
Norddeutschen Bundes nichts als schallende Heiterkeit[297], die sich
fünf Jahre später, unter Führung des Staatssekretärs von Stephan
wiederholte[298], und nur insofern einen Fortschritt in der Stimmung zum
Ausdruck brachte, als sie dem Reichskanzler zur Berücksichtigung
überwiesen wurde. Gleiches Schicksal erfuhren die Petitionen um
Zulassung der Frauen zum Apothekerberuf. In der Frauenwelt selbst war
ein leiser, aber anhaltender Fortschritt bemerkbar. Not lehrt denken,
und so wurden in den freilich engbegrenzten Kreisen der Vereine die
Erwerbsmöglichkeiten in eingehende Erwägung gezogen. Der Börsenkrach von
1873 bis 1874 zwang besonders Scharen von Frauen und Mädchen dazu, sich
nach einem Beruf, der sie ernähren konnte, umzusehen. Man petitionierte
bei den verschiedenen Landesvertretungen um vermehrte Anstellung von
Lehrerinnen, man gründete--im Allgemeinen deutschen Frauenverein--einen
Stipendienfonds, um arme Mädchen im Ausland studieren zu lassen, man
sprach zum erstenmal davon, daß Frauen im Gemeindedienst, in Kranken-,
Armen- und Arbeitshäusern, in Gefängnissen und bei der Sittenpolizei
Verwendung finden müßten, ohne natürlich den geringsten positiven Erfolg
zu haben. In der Not verstieg man sich sogar dazu, den "wohlerzogenen"
Mädchen den Beruf der Schneiderinnen anzupreisen, "deren Los ein
angenehmes und besonders einträgliches sei".[299] Thatsächlich wandten
sich auch, in Ermangelung anderer Berufe, viele Frauen der Bourgeoisie
Arbeiten zu, die ihnen für Haus und Familie schon gewohnt waren und die
sie nun ernähren, oder--der häufigste Fall--ihre finanzielle Lage
verbessern sollten. Dem deutschen Philister war solch ein Vorgehen, das
Weib und Tochter nicht dem "trauten Heim" entriß, sympathisch; kämpfte
er doch sogar gegen jede Erweiterung desjenigen Berufs an, der schon
lange ein Frauenberuf war: dem der Lehrerin. Dabei leitete ihn freilich
weniger Vorurteil und Sentimentalität, als Konkurrenzfurcht.--Die
Differenzen zwischen Lehrern und Lehrerinnen traten zuerst im Verein für
das höhere Mädchenschulwesen zu Tage, ergriffen aber schnell weitere
Kreise. Die Männer wollten die Thätigkeit des weiblichen Erziehers
womöglich nur auf die Elementarfächer beschränken, während die Frauen,
gereizt durch diese Haltung, in das entgegengesetzte Extrem verfielen,
und den ganzen Mädchenunterricht in die Hände bekommen wollten, indem
sie sich natürlich auch ihrerseits auf Sittlichkeit, Weiblichkeit und
wie die schönen Worte alle heißen, die dem Deutschen besonders geläufig
sind, beriefen. Dieser Streit spitzte sich zu, als der Verein für höhere
Mädchenschulen darum petitionierte, daß die Leitung solcher
Anstalten nur einem Mann anvertraut, die Lehrerinnen dagegen dem
Unterrichtsministerium ein Gesuch einreichten, wonach der Unterricht in
der Mittel- und Oberstufe hauptsächlich den Frauen überlassen werden
sollte. Erst nach fast zwanzigjährigem Kampf bestimmte das preußische
Kultusministerium die stärkere Verwendung weiblicher Lehrkräfte und die
Anstellung von Oberlehrerinnen für die Oberstufe.[300] Dieser Erfolg war
großenteils dem organisierten Vorgehen der Lehrerinnen selbst zu danken,
die sich unter Leitung von Fräulein Helene Lange 1890 zu einem Verein
zusammengeschlossen hatten, der heute über elftausend Mitglieder zählt.
Trotz seiner numerischen Stärke, die allerdings zu der Gesamtzahl der
deutschen Lehrerinnen in traurigstem Mißverhältnis steht, ist die
Anstellung von Oberlehrerinnen sein wesentlichster Erfolg geblieben, der
noch dadurch beeinträchtigt wurde, daß die Wünsche der Männer von der
Regierung insofern Berücksichtigung erfuhren, als die Oberlehrerin nicht
selbständige Direktorin werden kann, sondern nur dem Direktor als
oberste Hilfskraft zur Seite gestellt ist.

Schroffer noch als gegen die Lehrerin, die doch immerhin die Tradition
für sich hat, war bis in die neueste Zeit die Stellung der deutschen
Bourgeoisie der Aerztin gegenüber. Sie konnte zwar, dank der
Gewerbefreiheit, nicht an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden,
aber sie rangierte unter den Kurpfuschern, und jede öffentliche
Stellung war ihr nicht nur verschlossen, sie war auch ständig der Gefahr
ausgesetzt, auf Grund von Denunziationen oder dergleichen um ihr Brot
gebracht zu werden. Wiederholt wurden Petitionen an den Reichstag sowohl
wie an die Landtage gerichtet, die eine Aenderung dieses Zustandes und
die Gleichstellung der weiblichen mit den männlichen Aerzten wünschten.
Die vom Jahre 1894 trug nicht weniger als 50000 Unterschriften. Aber die
Regierung sowohl als die Majorität des Reichstags sprach sich gegen sie
aus. Wie in der Frage des Studiums, so stellte sich auch in dieser
Berufsfrage die sozialdemokratische Partei allein rückhaltlos auf die
Seite der Frauen. Seit den Reaktionsjahren nach 1848 hatte der deutsche
Liberalismus seinen revolutionären Geist und seine demokratischen Ideen
so sehr eingebüßt, daß er die Vertretung liberaler Forderungen mehr und
mehr der Sozialdemokratie überließ. So kam es, daß zu einer Zeit, wo die
Frage der Zulassung der Frauen zum ärztlichen Beruf in Amerika, England,
Frankreich, Rußland und Oesterreich soweit entschieden war, daß sie
sogar im Staatsdienst Verwendung fanden, in Deutschland ihre Lösung zu
Gunsten der Frauen wie ein revolutionärer Akt gefürchtet wurde. So kam
es aber auch, daß die Frauenbewegung bei allen "staatserhaltenden"
Parteien in den Geruch sozialdemokratischer Gesinnung kam und zahllose
von ihren Vätern, Männern und Brüdern abhängige Frauen sich entweder
ganz von ihr zurückzogen, oder so vorsichtig und zurückhaltend in ihren
Wünschen wurden, wie etwa der Allgemeine deutsche Frauenverein es stets
gewesen ist.

Der im Jahre 1894 nach dem Vorbild des amerikanischen Nationalverbandes
gegründete Bund deutscher Frauenvereine wirkte, so bürgerlich ängstlich
er auch auftrat, doch belebend auf die deutsche Frauenbewegung, die an
der großen Organisation--er umfaßt heute 131 Vereine--einen Rückhalt
hat. Der Widerstand gegen sie wurde aber dadurch nur noch heftiger
herausgefordert. Ein charakteristischer Beweis dafür ist die Haltung der
Aerzte gegenüber den Ansprüchen, die die Frauen auf Eintritt in ihren
Beruf erhoben. Es war auch hier in erster Linie der Kampf ums Brot, der
die Mediziner zu den Waffen rief. Einige waren ehrlich genug, das ohne
weiteres zuzugestehen, andere handelten wie blinde Fanatiker, indem sie
die Verhältnisse im Ausland unrichtig darstellten, um ihre Ansicht zu
unterstützen.[301] Zu einem gemeinsamen Vorgehen gestalteten sich die
Verhandlungen und Beschlüsse des 26. deutschen Aerztetags in Wiesbaden
1898, wo im Anschluß an Professor Penzoldts, auf einseitigstem Material
beruhendem Referat gegen die Zulassung der Frauen zur ärztlichen
Berufsthätigkeit Beschluß gefaßt wurde,--im selben Jahr, als der große
englische Verein der Mediziner Mrs. Garrett-Anderson zu seiner
Präsidentin erwählte! Einen ähnlichen, in schroffster Form ausgedrückten
Beschluß faßte zu gleicher Zeit der deutsche Apothekerverein, während
ein Jahr früher der belgische Pharmazeutenkongreß zu Mons genau das
Gegenteil erklärt hatte, der russische Staat eine pharmazeutische Schule
für Frauen gründete und in Holland bereits seit 30 Jahren weibliche
Apotheker thätig waren! Aber das war noch nicht alles. 1899 weigerte
sich der Kongreß deutscher Zahnärzte, eine Berufskollegin als
Teilnehmerin aufzunehmen, und der Berliner ärztliche Standesverein
denunzierte den Hilfsverein für weibliche Angestellte, weil er es gewagt
hatte, für seine 10000 Mitglieder drei weibliche Aerzte anzustellen.
Infolgedessen befahl das Polizeipräsidium die Streichung der Aerztinnen
aus der Liste. Damit aber auch die alten Aerzte sicher sein konnten,
nicht auszusterben, erließen die Kliniker in Halle einen fulminanten
Protest "im Interesse der Sittlichkeit und Moral" gegen die Beteiligung
von Frauen an klinischen Vorlesungen; schließlich kamen diese Ansichten
im Reichsamte des Innern zu offiziellem Ausdruck, als die medizinische
Sachverständigen-Konferenz die Frage der Zulassung des weiblichen
Geschlechts zum ärztlichen Beruf noch nicht für spruchreif
erklärte--nachdem seit über zwanzig Jahren Aerztinnen in Amerika,
Australien, England, Rußland praktizierten, und der Negus von Abessinien
und der Emir von Afghanistan dem Volke der Denker schon so weit voraus
waren, daß sie Leib- und Hausärztinnen ernannten.

Diese lächerlichen Feindseligkeiten hemmten zwar die Bewegung,
vermochten aber nicht, ihr Einhalt zu gebieten. Die in Deutschland
thätigen weiblichen Aerzte, deren Bahnbrecherin Fräulein Dr.
Tiburtius gewesen war, erfreuen sich einer großen Praxis. Die
Lebensversicherungsgesellschaften stellen sie mehr und mehr in ihren
Dienst, und die Krankenkassen, die sich auf ihrer Generalversammlung
1899 einstimmig zu ihren Gunsten aussprachen, setzten es durch, daß ihre
Anstellung offiziell genehmigt wurde. Als Assistentinnen wirken eine
Anzahl Aerztinnen in Krankenhäusern und Sanatorien. Kürzlich hat auch
die Berliner Sittenpolizei einen weiblichen Arzt angestellt. Seit
einigen Jahren besteht eine von Berliner Aerztinnen gegründete und
geleitete Klinik, die zwar winzig ist im Vergleich zu den Hospitälern
Amerikas und Englands, aber sicher eine günstige Entwicklung haben wird.
Durch die Zulassung der Studentin zu den Staatsprüfungen dürfte die
Aerztinnenfrage endlich auch in Deutschland gelöst sein.

Von bedeutenden Erfolgen der Frauenbewegung ist auf dem, Gebiet der
Berufsthätigkeit nicht viel zu berichten. Sie sind minimal, wenn wir sie
im Lichte der ausländischen Entwicklung betrachten: Seit kurzem werden
hie und da weibliche Inspizienten des Handarbeitsunterrichts angestellt,
den bisher Männer zu begutachten hatten; einige Kommunalverwaltungen
machen den Versuch mit der Beschäftigung von Armen- und
Waisenpflegerinnen; in Mannheim wurde eine Frau in den Aufsichtsrat der
höheren Mädchenschule berufen; auch in städtischen Arbeitsvermittlungen
sind zuweilen Frauen thätig. Im Staatsdienst stehen, neben den Post-,
Telegraph- und Telephonbeamtinnen, Gefängnisaufseherinnen in
untergeordneten Stellungen und einige Gerichtssachverständige und
Dolmetscher; neuerdings sollen Frauen auch als Aufsichtsorgane in der
Zwangserziehung Verwendung finden. Als Assistentinnen an
Universitätsinstituten sind gleichfalls auch Frauen thätig. Weit
wichtiger ist die nach langer hartnäckiger Agitation endlich erfolgte
Anstellung weiblicher Assistenten der Fabrikinspektoren in Bayern,
Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Coburg-Gotha und schließlich auch in
Preußen. Die Diskussionen, die ihrer Berufung im Reichstag und in den
Landtagen vorausgingen, bilden allein ein interessantes Kapitel der
Frauenbewegung. Im Anfang wurde die von den Sozialdemokraten
unterstützte Forderung mit Gelächter aufgenommen, etwas später entschloß
man sich zu ernster Erörterung, begründete aber die ablehnende Haltung
mit den--Mißerfolgen der Fabrikinspektorinnen in England und besonders
in Amerika, während ihre Existenz in Frankreich überhaupt angezweifelt
wurde. Als schließlich auch die Liberalen der Sache Verständnis
entgegenbrachten, wurde sie von den Konservativen bekämpft, als gelte
es, die Grundlagen des Staates zu schützen. Man sprach sogar von Seiten
der Regierung die Befürchtung aus, die weiblichen Beamten könnten zu
sehr die Partei der Arbeiterinnen nehmen. Im sächsischen Landtag
erklärte ein Abgeordneter die Standesehre der Fabrikanten durch ihre
Anstellung für verletzt, und als im März 1899 die Frage dem preußischen
Abgeordnetenhaus zur Entscheidung vorlag, wurde von allen Seiten betont,
daß nur ein Versuch gemacht werden solle und die Frauen auf keinen Fall
selbständig sein, sondern nur als "Beamte zweiter Kategorie" angesehen
werden dürfen. Nur in diesem Sinn wurde endlich die Entscheidung
getroffen.

Einen etwas günstigeren Verlauf nahmen die Bestrebungen zur Erweiterung
der Berufsthätigkeit auf privatem Gebiet. Der von der Tradition
geheiligte alte Frauenberuf der Krankenpflegerin, der bisher für die
einzelnen mehr eine Opferthat religiöser Gesinnung, als ein aus Gründen
des Erwerbs aufgesuchter Lebensberuf war, begann sich langsam den
modernen Forderungen anzupassen. Sowohl der Verein des Roten Kreuzes,
als, in noch höherem Grade, der evangelische Diakonieverein, bieten den
Krankenpflegerinnen neben einer festen Organisation eine von religiöser
Engherzigkeit befreite Thätigkeit.[302] Aber das Odium christlicher
Liebesarbeit, die keinen Lohn verlangt, klebt dem Berufe noch so fest
an, daß er noch keinen ausreichenden Lebensunterhalt bietet und dabei
eine Aufgabe alles persönlichen Behagens fordert, der nur wenige
gewachsen sind.[303] Infolgedessen bietet er noch Platz für viele. Erst
eine völlige Umgestaltung, durch die die Erinnerung an die Nonne ganz
verwischt wird, kann hierin Wandel schaffen, und würde viele brach
liegende Frauenkräfte nutzbar machen. Wenn auch eine "Lösung der
Frauenfrage" nicht davon zu erwarten ist[304], so doch eine
Erleichterung und Bereicherung des Frauenlebens.

Manche Enthusiasten der Frauenarbeit--es giebt auch solche in
Deutschland!--haben durch einen anderen Beruf die Frauenfrage zu lösen
geglaubt: durch den der Handelsangestellten. In der That ist ihre Zahl
in rapider Zunahme begriffen und sie bewähren sich so sehr, daß ihre
Verwendung selbst in verantwortlichen Stellungen eine immer häufigere
ist. Wir finden weibliche Handelsreisende und Agenten, weibliche Beamte
in Lebensversicherungs-Gesellschaften und Banken, in den Bureaux der
Rechtsanwälte und der großen Industriellen. Zumeist aber erklärt sich
ihre starke Vermehrung weniger aus dem Wunsch, den Bedürfnissen der
Frauen entgegenzukommen, sondern vielmehr daraus, daß sie ihren
männlichen Berufsgenossen gegenüber als Lohndrücker ausgespielt werden.
Auf anderen Gebieten, die sich die Frauen erst neuerdings erobert haben,
fällt dieser Umstand weit weniger ins Gewicht.

So sind in den zoologischen Instituten weibliche Hilfspräparatoren, in
einzelnen chemischen Fabriken akademisch gebildete weibliche Chemiker
thätig, und den Aufschwung des Kunstgewerbes haben sich viele Frauen zu
nutze gemacht, indem sie als gelernte Modelleure und Zeichner in großen
Werkstätten Anstellung fanden, oder selbständig als Kunststicker,
Dekorateure u. dergl. arbeiten; auch als Gärtner, Obst- und
Gemüsezüchter finden Frauen eine lukrative Berufsthätigkeit. Ebenso sind
weibliche Photographen, Bibliothekare, Versicherungsagenten keine
Seltenheit mehr.[305] Einen weiteren Schritt auf dem Wege zur
Gleichstellung hat die Humboldt-Akademie in Berlin den Frauen eröffnet,
indem sie in immer größerem Umfange wissenschaftlich Gebildete, meist
weibliche Doktoren, zur Abhaltung von Vortragskursen heranzog.
Allerdings ist das nicht im entferntesten ein Lebensberuf, wohl aber
eine Anerkennung der wissenschaftlichen Befähigung der Frauen.
Vorteilhafter für sie ist ihre zunehmende Verwendung im Journalismus.
Zwar sind sie noch weit davon entfernt, wie in Amerika und England als
Kriegskorrespondentinnen großer Zeitungen, oder, wie in Frankreich, als
Leiterinnen politischer Blätter thätig zu sein, ihre Mitarbeit
beschränkt sich meist auf spezielle Gebiete des Frauenlebens und der
Frauenfrage, und sie stehen nur an der Spitze von Frauenzeitschriften,
aber ihrem Einfluß ist der Umschwung in der Stimmung gegenüber der
Frauenbewegung, der unverkennbar Platz greift, mit zu verdanken. Von
wesentlicher Bedeutung hierfür ist es jedoch, daß auch die deutschen
Frauen anfangen sich wissenschaftlich zu bethätigen, und durch ihre
Leistungen dem Gegner Achtung abnötigen. Während bis vor nicht allzu
langer Zeit selbst die Führerinnen der Frauenbewegung einen Mangel an
Kenntnissen, selbst in Bezug auf ihr eigentliches Gebiet, verrieten, der
oft geradezu verblüffend war, haben sie im Laufe des letzten Jahrzehnts
an Vertiefung und Einsicht gewonnen. Eine Reihe von Frauen haben
Arbeiten über die rechtliche sowohl wie über die soziale Lage des
weiblichen Geschlechts geliefert[306], die zwar an die Leistungen einer
Beatrice Webb oder Helen Campbell nicht heranreichen, aber doch
verraten, daß sie mit dem Dilettantismus, dem traurigen Schoßkind gerade
der deutschen Frauen, endgültig gebrochen haben. Auch das Prinzip
ängstlicher Zurückhaltung, das bisher die deutsche Frauenbewegung
kennzeichnete, scheint mehr und mehr zu verschwinden. Die Berührung mit
dem Ausland,--ein Verdienst des Bundes deutscher Frauenvereine, der sich
im Anschluß an den internationalen Frauenbund bildete,--die
Kenntnisnahme der Stellung und der Handlungsweisen der nichtdeutschen
Frauen, die mit der Gewalt einer neuen Entdeckung wirkte, waren von
belebendem Einfluß. Vor allem aber ist es die zunehmende Not, die mit
ihren Peitschenhieben auch die Trägsten vorwärts treibt.



2. Die treibenden Kräfte der bürgerlichen Frauenbewegung.


Der Kampf um Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt zeigt, sowohl in
Bezug auf seine geschichtliche Entwicklung, als auf seinen
gegenwärtigen Stand, in den verschiedenen Ländern eine auffallende
Uebereinstimmung: Nachdem er schon seit dem Mittelalter einzelne
Vorläufer gefunden hat, setzt er um die erste Hälfte des 19.
Jahrhunderts überall ein und wird in der zweiten Hälfte aus einer Art
Guerillakrieg zu einem überlegten Feldzug gut organisierter Truppen, die
von Jahr zu Jahr an Zahl und Bedeutung zunehmen. Kaum ein Beruf, außer
dem des Soldaten, wird heute noch als eine gesicherte Domäne des
männlichen Geschlechts betrachtet, die Frauen sind überall, hier etwas
langsamer und dort etwas rascher, im Vordringen begriffen, dem bisher
keine noch so heftige Gegnerschaft Einhalt gebieten konnte.

Diese gleichmäßigen Erscheinungen müssen demnach auf gleiche Ursachen
zurückzuführen sein.

Das erste Argument, um den Kampf der Frauen um den Erwerb zu erklären,
pflegt darin zu bestehen, daß in der Mehrzahl der Kulturländer das
weibliche Geschlecht das männliche an Zahl überragt, und die Ehe, die in
den bürgerlichen Kreisen fast immer eine Versorgung der Frau bedeutet,
von vornherein für viele unerreichbar ist. Diese Begründung erweist sich
insofern als stichhaltig, als die Erwerbsfrage um so mehr die treibende
Kraft der Frauenbewegung zu sein pflegt, je größer der Frauenüberschuß
des betreffenden Landes ist. Folgende Tabelle dient als Beweis:[307]

Länder              Zählungsjahr    Weibliche
                                    auf
                                    1000 männliche

Deutschland                 1890    1040
Oesterreich                 1890    1044
Schweiz                     1888    1057
Niederlande                 1889    1024
Belgien                     1890    1005
Dänemark                    1890    1051
Schweden                    1890    1065
Norwegen                    1891    1092
Großbritannien und Irland   1891    1060
Frankreich                  1891    1007

In den Vereinigten Staaten dagegen, wo die Frauenbewegung in erster
Linie eine politische ist und der Eintritt der Frauen in bürgerliche
Berufe sehr wenig Widerstand findet, kommen auf 1000 Männer 953 Frauen.
Betrachten wir Nordamerika aber genauer, so zeigt es sich, daß die
Frauenbewegung in den Oststaaten, wo auf 1000 Männer 1005 Frauen gezählt
werden, nicht nur ihren Ursprung genommen, sondern auch ihren
energischsten Ausdruck gefunden hat, während die westlichen Staaten, wo
1000 Männern nur 698 Frauen gegenüberstehen, von ihr nur leise berührt
werden.

Dem Argument des Frauenüberschusses haben manche Gegner der
Frauenbewegung die Thatsache gegenübergestellt, daß die gezählte
Bevölkerung der Erde einen Männerüberschuß aufweist. Soweit sie sich
überhaupt statistisch feststellen läßt, ist die Verteilung der
Geschlechter folgende:[308]

Erdteile    Männliche   Weibliche   Weibliche
                                    auf
                                    1000 männliche

Europa      170818561   174914119   1024
Amerika      41643389    40540386   973
Asien       177648044   170269179   958
Australien    2197799     1871821   852
Afrika        6994064     6771360   968
Zusammen    399301857   394366865   988

Ganz abgesehen von der unvermeidlichen Ungenauigkeit dieser
Berechnung--Millionen können statistisch gar nicht erreicht
werden--kommt es bei der Beurteilung dieser Frage weit weniger auf große
allgemeine Zahlen, als vielmehr darauf an, wie das Verhältnis der
Geschlechter in den einzelnen Ländern sich stellt. Ist es schon für die
überzähligen Frauen Europas ein schlechter Trost, daß es in Australien
oder Asien überzählige Männer giebt, so ist auch z.B. den Frauen von
Rhode Island, von denen 1078 auf 1000 Männer kommen, wenig geholfen,
wenn in den Oststaaten das umgekehrte Verhältnis besteht, oder denen der
niederländischen Kolonieen im westindischen Archipel, die gar um 263 auf
1000 die Männer überragen, wenn man sie auf die überzähligen Asiaten
verweisen wollte. Es kommt aber noch ein Umstand in Betracht, der bisher
ganz unbeachtet blieb und gerade im Hinblick auf die bürgerliche
Frauenfrage schwer ins Gewicht fällt: das ist die Frage, aus welchen
sozialen Schichten der Bevölkerung sich der Männer- oder Frauenüberschuß
zusammensetzt. Es ist klar, daß bei den heutigen, aus den Gegensätzen
zwischen Arm und Reich herrührenden Unterschieden in Bildung und
Lebensgewohnheiten die etwa überzähligen Töchter der Bourgeoisie nicht
auf die vielleicht gleichfalls überzähligen Söhne des Proletariats als
künftige Ehegatten rechnen können. Die Statistik läßt uns hierbei
freilich im Stich, denn die Volkszählungen fragen nicht nach der
sozialen Herkunft der Einzelnen; es fehlt aber trotzdem nicht an
Anhaltspunkten, um die Behauptung, daß der Frauenüberschuß in der
Bourgeoisie im Verhältnis ein größerer ist, als der der Frauenwelt im
allgemeinen, nicht als völlig aus der Luft gegriffen erscheinen zu
lassen.

Schon die bloße Beobachtung lehrt, daß die Familien der unteren
Bevölkerungsschichten weit mehr mit Kindern gesegnet sind, als die der
oberen, und Untersuchungen, die in Frankreich besonders genau
vorgenommen wurden, bestätigten es. So stellte Bertillon für 20
Arrondissements von Paris den Zusammenhang zwischen der Wohlhabenheit
und der Geburtenhäufigkeit fest und fand, daß auf je 1000 Frauen
zwischen 15 und 50 Jahren der sehr armen Bevölkerung durchschnittlich
108, der armen 95, der wohlhabenden 72, der sehr wohlhabenden 65, der
reichen 53 und der sehr reichen 34 jährliche Geburten kamen[309]; es hat
sich ferner ergeben,--und das ist angesichts des allgemeinen Rückgangs
der französischen Bevölkerung besonders bemerkenswert,--daß ihr Zuwachs
in der Hauptsache dem Kinderreichtum der armen Bauern der Bretagne und
der Berg- und Fabrikarbeiter der Departements Nord und Pas-de-Calais zu
verdanken ist.[310] Leider geben die betreffenden Untersuchungen über
das Geschlecht der Kinder keinen Aufschluß, dagegen hat man in Sachsen
für einen zehnjährigen Zeitraum und eine Zahl von fast 5 Millionen
Kindern auf ca. 1 Million Mütter festgestellt, daß die fruchtbarsten
Frauen die meisten Knaben zur Welt bringen.[311] So vorsichtig solche
Einzelergebnisse auch aufzunehmen sind, so läßt sich doch
vielleicht, da die Erfahrung und der allgemeine Volksglaube sie
unterstützt, der Schluß daraus ziehen, daß die kinderreichen unteren
Bevölkerungsschichten im Vergleich zu den oberen mehr Knaben erzeugen,
daß also der Frauenüberschuß in den bürgerlichen Kreisen ein größerer
ist als in den proletarischen. Noch ein anderes kommt hinzu: wir finden
z.B. innerhalb Deutschlands, das bekanntlich einen großen Ueberschuß an
Frauen besitzt, ganze Landstriche, wo das männliche Geschlecht
überwiegt, so kommen in Westfalen 958, im Rheinland 998 und in
Elsaß-Lothringen 989 Frauen auf 1000 Männer.[312] Für die
Verheiratbarkeit der Töchter der Bourgeoisie ist diese Thatsache jedoch
ohne jede Bedeutung, denn es stellt sich heraus, daß der Männerüberschuß
lediglich auf die starke Industriebevölkerung und die vielen Soldaten
zurückzuführen ist. Ein ähnliches Verhältnis weist Nordamerika auf,
dessen Männerüberschuß--953 Frauen auf 1000 Männer--auf den ersten Blick
zu der Annahme verführt, als müßte seine Frauenbewegung anderen als
wirtschaftlichen Ursachen--etwa rein ethischen und humanitären, wie
viele behaupten wollen--entsprungen sein. Dabei wird jedoch außer acht
gelassen, daß die große Zahl der Männer der Einwanderung zu verdanken
ist und daß diese Einwanderer zum größten Teil Handwerker, Landleute,
Arbeiter sind[313], also auch hier die Annahme nicht unberechtigt ist,
daß, trotz des allgemeinen Männerüberschusses, in der Bourgeoisie ein
Frauenüberschuß besteht und die Verheiratbarkeit auch hier eine
beschränkte bleibt.

Nach alledem scheint es klar zu sein, daß, selbst wenn auf der ganzen
Erde eine annähernde Gleichheit der Geschlechter festgestellt werden
könnte, die bürgerliche Frauenfrage dadurch noch nicht gelöst sein
würde, und die von Eduard von Hartmann nicht unrichtig bezeichnete
Jungfernfrage auch in solchen Ländern besteht, wo ein Ueberschuß an
Männern konstatiert wurde.

Die Frage kompliziert sich aber noch dadurch, daß eine Gegenüberstellung
der Geschlechter allein nicht genügt, um die Verheiratbarkeit
festzustellen, sondern die Gegenüberstellung der Heiratsfähigen dazu
notwendig ist. Berechnen wir zunächst beide Geschlechter nach gleichen
Altersstufen und nehmen wir, um nicht zu tief greifen zu müssen, 20
Jahre als untere und 40 Jahre als obere Altersgrenze an, so ergiebt sich
folgendes[314]:

Auf 1000 männliche im Alter von 20-40 Jahren treffen weibliche Personen:

Deutschland                1034
Oesterreich                1047
Schweiz                    1080
Niederlande                1029
Belgien                     987
Dänemark                   1102
Schweden                   1096
England und Wales          1093
Schottland                 1104
Irland                     1062
Frankreich                 1003

Aber auch diese Tabelle vermag den Kern der Sache noch nicht zu treffen.
Denn, da das Heiratsalter der Männer in den meisten Ländern erst mit dem
25. Jahre beginnt und später schließt, als das der Frauen[315], so müßte
man, um zu einem genaueren Resultat zu kommen,--obwohl auch das, infolge
der großen Verschiedenheit des Altersaufbaus der Heiratenden, je nach
den Nationalitäten, nicht unbedingt sicher sein kann,--die Männer im
Alter von 25-45 Jahren den Frauen von 20-40 Jahren gegenüberstellen
Leider müssen wir uns hierbei nur auf die Resultate weniger Länder
beschränken, weil die Bevölkerung nicht durchweg, wie es wünschenswert
wäre, nach fünfjährigen Altersperioden berechnet wird Das Ergebnis ist
dieses[316]:

                Männer       Frauen       Auf 1000 Männer
Länder          25-45 Jahre  20-40 Jahre  kommen Frauen

Deutschland     6229564      7272025      1167
Oesterreich     3147188      3638396      1154
Frankreich      5420922      5743177      1069

Auch abgesehen von den in die Augen springenden Zahlenverhältnissen ist
es klar, daß bei dem bestehenden Altersaufbau der Heiratenden die
_Verheiratbarkeit des weiblichen Geschlechts immer eine unvollkommene
bleiben muß, weil es stets mehr Frauen über 20 als Männer über 25 Jahren
giebt_.

Nun handelt es sich aber nicht allein darum, wie viel Frauen durch die
Heirat eine Versorgung finden können, sondern vielmehr darum, welcher
Prozentsatz von ihnen thatsächlich heiratet.

Die letzten Zählungen ergaben folgende Anzahl verheirateter Frauen:

Länder    Zählungsperiode Zahl der Verheiratete Prozent
                          Frauen   Frauen
                          15 u.
                          darüber

Deutschland         1895  16531748  8398607     50,80
Oesterreich         1891   9353260  4022202     43,00
Frankreich          1891  12359544  7656679     61,95
England             1891   9848981  4916449     41,71
Vereinigte Staaten  1890  19602178 11126196     56,76

Wir sehen daraus, daß zur Zeit der betreffenden Zählung circa die Hälfte
heiratsfähiger Frauen ledig, verwitwet oder geschieden waren. Diese
Thatsache hat die bürgerliche Frauenbewegung vielfach als
Agitationsmittel zu verwenden gesucht, indem sie alle alleinstehenden
erwachsenen Frauen als solche betrachtet wissen wollte, die auf den
Erwerb angewiesen sind. Das aber ist ein Trugschluß. Denn ganz abgesehen
davon, daß ein großer Teil der Ledigen noch bei den Eltern lebt und von
ihnen versorgt wird, ein anderer, wenn auch ein viel kleinerer, durch
eigenes Vermögen, Pension oder dergleichen sich erhält, kann ein
beträchtlicher Prozentsatz der Mädchen noch darauf rechnen, zu heiraten,
um so mehr, als sie nicht nur auf die ledigen Männer sondern auch auf
die Witwer zählen können, die bekanntlich sehr häufig zu einer zweiten
Ehe schreiten. Man kommt daher der Zahl der wirklich Uebriggebliebenen
viel näher, wenn man nicht die Unverheirateten im allgemeinen ins Auge
faßt, sondern nur diejenigen, die das Alter der Verheiratbarkeit
überschritten haben. Da sich auf Grund verschiedener Berechnungen
ergeben hat, daß für Frauen, die das vierzigste Lebensjahr überschritten
haben, die Heiratswahrscheinlichkeit eine sehr geringe ist, so können
wir die ledig Bleibenden von dieser Altersgrenze an zusammenstellen. Das
Ergebnis ist dies:

Länder                      Unter 100 weibl. Personen
                            von 40 und mehr Jahren
                            sind ledig

Deutschland                 10,7
Oesterreich                 15,6
Frankreich                  12,7
Großbritannien und Irland   14,0
Belgien                     17,6
Niederlande                 13,5
Schweiz                     18,3

Damit aber können wir uns keineswegs beruhigen, denn nicht nur, daß es
bis zu vierzig Jahren noch eine große Zahl Mädchen giebt, die nicht
heiraten, oder sagen wir lieber, die nicht geheiratet werden, wir müssen
vielmehr, bei der Betrachtung der Ursachen der Frauenbewegung, nicht die
Ledigen allein, sondern die Alleinstehenden im allgemeinen
berücksichtigen. Da die Frauen im Durchschnitt früher heiraten als die
Männer, eine längere Lebensdauer haben als sie und schwerer zum zweiten
Male heiraten, so ist es natürlich, daß es eine große Zahl Witwen giebt,
zu denen die geschiedenen Frauen noch hinzukommen. Die genauen Zahlen
sind folgende:

Länder              Frauen   Auf 100 Frauen über
                             15 Jahren sind Witwen

Deutschland         2208579   13,36
Oesterreich         1001136   10,70
England             1124310   11,40
Frankreich          2060778   16,67
Vereinigte Staaten  2226510   11,30

Wir müssen aber auch noch einen anderen Umstand in Betracht ziehen, der
gerade für die bürgerliche Frauenfrage von Wichtigkeit ist: die späten
Heiraten. Nach einer preußischen Statistik[317] heiraten Mädchen in
bürgerlichen Berufen durchschnittlich erst mit 28 Jahren, und wenn dem
gegenüber auch behauptet werden kann, daß die Berufsthätigkeit die
Heirat hinausschiebt, so muß andererseits doch auch betont werden, daß
die späten Heiraten zur Berufsarbeit zwingen. Daher können auch, soweit
nur die Bourgeoisie in Frage kommt, die verheirateten Frauen nicht ohne
weiteres zu denen gerechnet werden, die niemals dem Erwerb nachgingen,
weil thatsächlich viele von ihnen vor der Ehe darauf angewiesen waren.

Auf Grund der bisherigen Erörterungen sind wir zu dem Resultat gekommen,
daß eine große Zahl von Frauen nicht heiraten können, weil es an Männern
fehlt und noch mehr nicht heiraten, weil die Heiratslust der ledigen
Männer keine große, ist. Für die künftige Entwicklung der Frauenfrage,
der bürgerlichen insbesondere, ist es nun aber von größter Bedeutung, ob
eine Aussicht vorhanden ist, daß zwei ihrer Ursachen,--der
Frauenüberschuß und die Heiratsunlust der Männer,--verschwinden oder in
ihren Wirkungen abgeschwächt werden können. Da entsteht zunächst die
Frage, aus welcher Wurzel beide entspringen.

Die feststehende Thatsache eines Knabenüberschusses bei der Geburt, 106
Knaben auf 100 Mädchen, hat viele[318] zu der Annahme verführt, als
bestände ein Naturgesetz des Gleichgewichts der Geschlechter. Wir haben
gesehen, daß schon die verschiedene Verteilung und Altersgliederung der
Geschlechter dem widerspricht. Für den vorhandenen Frauenüberschuß ist
jedoch der Hauptgrund in den verschiedenen Absterbeverhältnissen der
Geschlechter zu suchen.[319] Die Sterbeziffern haben sich für das letzte
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts folgendermaßen gestaltet[320]:

                                        Setzt man die männliche Sterbe-
                   Männer     Frauen    ziffer = 100, so ergeben sich
                                        für die weibliche Sterbeziffer:

Italien             26,2       25,6                  98
Frankreich          23,6       21,6                  92
Schweiz             21,3       19,5                  91
Belgien             21,9       19,8                  90
Niederlande         20,8       19,2                  92
Deutschland         25,0       22,5                  90
Oesterreich         29,8       26,8                  90
Ungarn              33,7       32,2                  96
England und Wales   20,6       17,8                  89
Schottland          19,6       18,7                  95
Irland              18,4       18,5                 100,6
Schweden            17,8       16,7                  91
Norwegen            18,3       16,5                  91
Dänemark            19,7       18,3                  93
Finland             22,2       20,4                  92
Massachusetts       20,7       19,0                  92
Connecticut         20,5       18,7                  91
Rhode Island        20,4       19,0                  93
Japan               21,7       21,1                  97

Die größere Sterblichkeit der männlichen Säuglinge vor den weiblichen,
die längere Lebensdauer der Frauen im allgemeinen,--auf 100 gestorbene
Mädchen im Alter bis zu 5 Jahren sterben etwa 114 Knaben, auf 100
gestorbene Frauen im Alter von 60 bis 80 Jahren sterben gegen 108
Männer,--scheint für die stärkere Lebenskraft der Frauen zu zeugen. Von
einschneidenderer Bedeutung jedoch ist es, daß die Männer sowohl als
Soldaten wie als Erwerbsthätige im allgemeinen größeren Gefahren
ausgesetzt sind, als die Frauen und daß sie infolge ihrer
Lebensweise,--geschlechtlichen Excessen, Alkoholgenuß u.
dergl.,--zerstörenden Krankheiten leichter unterworfen werden. Unter
den gegenwärtig herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen, die die
Intensität des Kampfes ums Dasein steigern und sittlich korrumpierend
auf Reiche und Arme wirken, ist daher an eine Abnahme der Sterblichkeit
der Männer nicht zu denken, dagegen ist bei der Zunahme der weiblichen
Erwerbsthätigkeit eher eine Annäherung der Sterbeziffern beider
Geschlechter möglich.

Was ihre Heiratsziffern, deren Zu- resp. Abnahme betrifft, so stellen
sie sich folgendermaßen dar[321]:

Auf 100 Einwohner heirateten

                  1841/50       1881/90

Schweden           7,27          6,26
Norwegen           7,78          6,52
Dänemark           7,87          7,33
Finland            8,15          7,32
England            8,05          7,47
Niederlande        7,41          7,08
Belgien            6,79          7,07
Deutsches Reich    8,05          7,77
Westösterreich     7,71          7,50
Galizien           9,54          8,50
Frankreich         7,94          7,38

Man kann auf Grund dieser Statistik nachweisen, daß sich die
Heiratsziffer überwiegend im Rückgang befindet. Umfassen die
Berechnungen kürzere Zeiträume, so sind natürlich auch die Differenzen
geringer, ja es zeigen sich zuweilen, wie z.B. in Deutschland, nur
Schwankungen. Es ist aber ein Fehlschluß, daraufhin ein
durchschnittliches Gleichbleiben der Heiratsfrequenz behaupten zu
wollen[322], und es ist verkehrt, den Töchtern der Bourgeoisie dieses
Gleichbleiben gewissermaßen als Tröstung vorzuhalten. Nicht nur, daß das
Heiratsalter der Männer in bürgerlichen Kreisen sich immer weiter
hinausschiebt,--in Preußen beträgt es bei den Berufslosen
durchschnittlich 41, bei den öffentlichen Beamten 33 Jahr,--und die
Heiratsfrequenz infolgedessen notwendig sinkt, ihre Heiratslust ist auch
in ständiger Abnahme begriffen. Leider läßt sich das statistisch nicht
feststellen, da es fast ganz an einer Einteilung der Heiratenden nach
sozialen Schichten fehlt.[323] Nach einer Berechnung über die
Bevölkerung Kopenhagens kommen auf 100 Männer in bürgerlichen Berufen
nur 51,94% Verheiratete resp. verheiratet Gewesene, während auf
diejenigen in proletarischen Berufen 62,40% kommen[324]; über die
Abnahme der Heiratsfrequenz in der Bourgeoisie findet sich aber auch
hier nichts, sie läßt sich jedoch mit einiger Sicherheit auf Grund der
allgemeinen Entwicklungstendenz behaupten.[325] Wo eine Schwankung, wo
eine Steigerung der Heiratsziffern zu finden ist, dürften sie allein auf
Rechnung der größeren Heiratsfrequenz im Proletariat zu setzen sein,
während die Eheschließungen in der Bourgeoisie sich in stetiger Abnahme
befinden. Und hier stoßen wir wieder auf einen wesentlichen Unterschied
zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenfrage: der
Proletarier heiratet früh und leicht--sogenannt leichtsinnig--, weil die
Frau in der Ehe keine "Versorgung" sucht, ihre Arbeitskraft, d.h. die
Möglichkeit, sich selbst zu versorgen, ist sogar meist die gesuchteste
Mitgift; der Mann aus bürgerlichen Kreisen heiratet spät und schwer,
weil die ganze Last der Bestreitung des Familienlebens allein auf seinen
Schultern ruht, falls er keine reiche Frau findet. Aber auch da, wo das
Einkommen des Mannes ihm die Erhaltung einer Familie leicht machen
würde, nimmt die Heiratslust ab. "Ein gewisses Maß des höheren
Wohlbefindens wirkt in der Neuzeit nicht mehr ehefördernd"[326], im
Gegenteil: der Junggeselle, der sich ein bequemes Leben schaffen kann,
scheut sich, es aufzugeben. Und die praktischen Erwägungen über die
Möglichkeit, eine Familie auf dem gleichen gesellschaftlichen Niveau zu
erhalten, sind um so gewichtiger, je mehr der Mann seine
Liebesempfindung in hundert kleinen Passionen und Verhältnissen
verzettelt hat, je unfähiger er also ist, in erster Linie einem Zuge des
Herzens zu folgen, hinter den alle Bedenken von selbst zurücktreten. Der
moderne junge Mann der bürgerlichen Kreise--mag er Beamter, Offizier,
Schriftsteller, Künstler oder Kaufmann sein--hat aber gewöhnlich nur ein
Einkommen, das kaum ihm persönlich ein standesgemäßes Leben sichert, und
es gehört mit zu jener Masse verschrobener Ehrbegriffe, daß die
Aufrechterhaltung eines solchen Lebens unbedingt notwendig ist. Sein
Junggesellenleben, das ihm besonders in der Großstadt in jeder Beziehung
bequem gemacht wird, ist für ihn angenehmer und billiger, als es das
eheliche Leben sein würde, das ihm überdies, wenn er Umschau hält unter
seinen verheirateten Bekannten, höchst selten verlockend erscheinen
wird. Auch seine Herzensbedürfnisse kann er für wenig Geld befriedigen;
setzt er Kinder in die Welt, so kosten sie ihm nicht so viel, als
eheliche kosten würden, er trägt keine Verantwortung für ihr Fortkommen
und sie haben so gut wie keine Rechte an ihn. Wenn er überhaupt
heiratet, so geschieht es nicht selten erst zu einer Zeit, wo er auf den
bitteren Grund der genossenen Freuden gestoßen ist und der Ruhe und
Pflege bedarf. Doch auch für sittlich ernst denkende Männer der
bürgerlichen Kreise, die gern heiraten möchten, wird die Eheschließung
immer mehr erschwert. Ihr Einkommen steht meist zu den Bedürfnissen in
größtem Mißverhältnis; ihr Beruf selbst erschwert häufig die
Familiengründung, indem er Reisen und häufigen Ortswechsel nach sich
zieht und ihr Fortkommen darin von ihrer leichteren Beweglichkeit
abhängig ist. Aber die Schuld,--wenn überhaupt gegenüber den Ergebnissen
wirtschaftlicher Entwicklungen von Schuld gesprochen werden kann,--an
dem Rückgang der Heiratsfrequenz trifft nicht allein die Männer.

In der Bourgeoisie, besonders in der des Mittelstandes, die von
fortschrittlichen Ideen am schwersten berührt wird, ist die Erziehung
der Töchter im allgemeinen durchaus dazu angethan, gerade die besten
Männer vom Heiraten abzuschrecken: sie können weder geistig
gleichstehende Gefährtinnen, noch gute Hausfrauen und Mütter werden; sie
sind Dilettantinnen in allen Dingen, von ihren oberflächlichen
Schulkenntnissen und traurigen künstlerischen Betätigungen an bis in ihr
niedergetretenes Gefühlsleben hinein. Sie sind für den Mann
Luxusgegenstände, nicht viel anders als es die Haremsfrauen für die
Muhamedaner sind, und sie sind nicht dazu angethan, den Trieb zur Ehe zu
erhöhen.

Bei den gesteigerten Ansprüchen, die die Erziehung der Söhne an den
Geldbeutel des Vaters macht, bei der wachsenden Schwierigkeit für sie,
sich selbst zu erhalten, auch wenn sie ganz bescheiden leben,--ein
preußischer Leutnant ist oft zehn Jahre lang auf ein Monatsgehalt von 75
bis 97 Mark[327], und unbesoldete Referendare sind oft bis zum 30.
Lebensjahr ganz auf ihre Eltern angewiesen,--bleibt für die Mitgift der
Töchter immer weniger übrig, und ihre Heiratsaussichten schwinden mehr
und mehr, während ihre Ansprüche schon unwillkürlich durch die
Gewohnheit des Lebens im elterlichen Hause gesteigerte sind. Wird ihr
Vater pensioniert, oder ihre Mutter wird Witwe, so steht die bitterste
Not vor der Thür. Einige Zahlen mögen zur Illustration dienen: Ein
preußischer Hauptmann erhält eine Pension von 1033 bis höchstens 4000
Mark jährlich, ein Stabsoffizier kann schon mit 2300 Mk. jährlich
pensioniert werden; das Witwengeld schwankt zwischen dem Mindestbetrag
von--216 Mk. und dem Höchstbetrag von 3000 Mk. jährlich, den aber nur
die Witwe eines Generals erhält, die an ein Jahreseinkommen von 10 und
20000 Mk. gewöhnt war[328]; das Waisengeld beträgt 1/5 der
Witwenpension, ist also auch nicht entfernt ausreichend, die Kinder,
entsprechend der sozialen Schicht, der sie angehören, zu erziehen. In
demselben Verhältnis bewegen sich die für Beamte, deren Witwen und
Waisen festgesetzten Pensionen. Weisen wir noch darauf hin, daß auch der
kaufmännische Mittelstand sich in einer keineswegs beneidenswerten Lage
befindet, da er mehr und mehr vom kaufmännischen Großbetrieb
zurückgedrängt wird, so erklärt sich daraus zum großen Teil die
abnehmende Verheiratbarkeit der Töchter, und ihr zunehmendes Eindringen
in die Erwerbsarbeit.

So ist vorauszusehen, daß der Rückgang der Heiratsfrequenz, der in der
Hauptsache auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen ist, die Zunahme
der auf Erwerb angewiesenen alleinstehenden Frauen sich auch in Zukunft
weiter entwickeln, und der wesentliche Ausgangspunkt der Frauenbewegung,
insbesondere der bürgerlichen, bleiben wird. Es ist jedoch nicht der
einzige.

Die Zeichen beginnen sich zu mehren, wonach nicht nur die unversorgte,
sondern auch die durch die Ehe versorgte Frau der Bourgeoisie eine
Berufsthätigkeit zu suchen gezwungen ist, ebenso wie die Proletarierin,
wenn auch oft aus anderen Gründen als sie. Dabei will ich derer nicht
gedenken, die, um ihr Wirtschafts- oder ihr Toilettengeld zu erhöhen,
der Arbeiterin Schmutzkonkurrenz machen, sondern vielmehr jener, deren
brachliegende Kräfte nach Bethätigung verlangen. Ihre Zahl steigt, je
mehr die Industrie sie als Hausfrau und die Schul-Erziehung sie als
Mutter entlastet. Der Gasherd, die elektrische Beleuchtung, die
Zentralheizung, die Dampfwäschereien sind schon heute wichtige Faktoren
im Emanzipationskampf der Frau, denen in den verschiedensten Formen eine
unbegrenzte Entwicklung bevorsteht. Die Kindergärten, der öffentliche
Schulunterricht, die zunehmende Neigung, heranwachsende Kinder auf Jahre
hinaus Instituten anzuvertrauen, die sie womöglich von dem geistig und
körperlich korrumpierenden Einfluß der Städte fernhalten, geben der
Mutter ein gut Stück der freien Verfügung über ihre Zeit zurück, das
sich dadurch noch vermehrt, daß die Berufsarbeit und die politischen
Interessen des Mannes ihn immer mehr aus dem Hause führen. Ueber diese
Dinge mag man denken, wie man will, mag ihnen freundlich oder feindlich
gegenüberstehen,--ableugnen lassen sie sich nicht und auf ihnen beruht
ein weiterer Fortschritt der Frauenbewegung, neben einer
unausbleiblichen weiteren Zersetzung des traditionellen Familienlebens.
Die unbeschäftigten Gattinnen und Mütter haben die Wahl, ihre Zeit mit
Vergnügungen totzuschlagen oder sie mit nützlicher Thätigkeit
auszufüllen. Die besten unter ihnen suchen nach Arbeit. Zunächst fanden
sie sie in Wohlthätigkeitsvereinen; mit der wachsenden Erkenntnis
entwickelt sich dann aus dem oft recht schädlichen Wohlthun eine
ernstere soziale Hilfsarbeit, die schließlich zu dem Wunsche nach einer
geregelten Berufsthätigkeit führt. So läßt sich mit Recht behaupten, daß
die Frauenbewegung mit der Lösung der Jungfernfrage, nicht, wie Eduard
von Hartmann behauptet, aus der Welt geschafft sein würde, daß vielmehr
der Kampf um Arbeit auch der verheirateten Frauen der Bourgeoisie, der
sich eben erst im Anfangsstadium befindet, ihr eine sehr lange Dauer
sichert, eine um so längere, als das steigende Mißverhältnis zwischen
Bedürfnissen und Einnahmen sie schon zu nötigen anfängt, für den Erwerb
zu arbeiten.

Es hat sich gezeigt, daß die Zunahme der alleinstehenden Frauen, die
Abnahme der Heiratsfrequenz und die wirtschaftliche Not als Ursachen der
Frauenbewegung in allen Ländern anzusehen sind. Gleiche Ursachen werden
notwendig gleiche Wirkungen hervorbringen. Das Vordringen der Frau in
alle Erwerbsgebiete haben wir aus dem geschichtlichen Ueberblick ihres
Kampfes um Arbeit kennen gelernt. Es handelt sich nun darum,
festzustellen, in welchem Tempo es fortschreitet, und wie sich dieses
Tempo im Vergleich zur Männerarbeit darstellt. Sehen wir zunächst von
der Unterscheidung in bürgerliche und proletarische Arbeit ab, so
ergiebt sich für nachbenannte Staaten folgendes Verhältnis der
erwerbsthätigen Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung:

Länder     |Zählungs-|Gesamtbevölkerung|Erwerbsthätige  |Von 100
           |periode  |                 |Bevölkerung     |Männern resp.
           |         |                 |                |Frauen sind
           |         |                 |                |erwerbsthätig
           |         |-----------------+----------------+------+------
           |         |Männer  |Frauen  |Männer  |Frauen |Männer|Frauen
-----------+---------+--------+--------+--------+-------+------+------
Vereinigte |         |        |        |        |       |      |
Staaten    |  1880   |25518820|24636963|14744942|2647157| 57,78| 10,74
Vereinigte |         |        |        |        |       |      |
Staaten    |  1890   |32067880|30554370|18821090|3914571| 58,69| 12,81
England u. |         |        |        |        |       |      |
Wales      |  1881   |12639902|13334537| 7783656|3403918| 61,58| 25,53
England u. |         |        |        |        |       |      |
Wales      |  1891   |14052901|14949624| 8883254|4016230| 63,20| 26,87
Frankreich |  1881   |18656518|18748772|10496652|5033604| 56,26| 26,84
Frankreich |  1891   |18932354|19201031|11137065|5191084| 58,82| 27,03
Deutschland|  1882   |22150749|23071364|13415415|5541527| 60,56| 24,02
Deutschland|  1895   |25409191|26361123|15531841|6578350| 57,19| 24,94
Oesterreich|  1880   |10819737|11324516| 6823891|4688687| 63,07| 41,40
Oesterreich|  1890   |11689129|12206284| 7780491|6245073| 66,56| 51,16

Die Zunahme der Männer- und der Frauenarbeit für den Zeitraum von
1880-1890 stellt die folgende Tabelle dar:

Länder            |      Männer         |      Frauen
                  |---------------------+---------------------
                  |absolute|Zunahme     |absolute|Zunahme
                  |Zunahme |in Prozenten|Zunahme |in Prozenten
------------------+--------+------------+--------+------------
Vereinigte Staaten| 4076148|    27,64   | 1267414|    47,88
England und Wales | 1099598|    12,38   |  612312|    15,22
Frankreich        |  640413|     6,10   |  157480|     3,11
Deutschland       | 2116426|    15,78   | 1036833|    18,71
Oesterreich       |  956600|    14,02   | 1556386|    33,19

Betrachten wir die Frage auch noch von einer anderen Seite, indem wir
feststellen, wie sich die Zahl der weiblichen Erwerbsthätigen zu der der
männlichen in den bezüglichen Zählungsperioden stellt, so kommen wir zu
folgendem Resultat:

Länder            |Zählungs-|Die erwerbstätige         |Von 100
                  |periode  |Bevölkerung               |Erwerbstätigen
                  |         |                          |waren
                  |         |--------------------------+--------------
                  |         |im ganzen|Männer  |Frauen |Männer|Frauen
------------------+---------+---------+--------+-------+------+-------
Vereinigte Staaten|  1880   | 17392099|14744942|2647157| 84,78| 15,22
    "         "   |  1890   | 22735661|18821090|3914571| 84,10| 15,90
England u. Wales  |  1881   | 11187574| 7783656|3403918| 69,59| 30,41
   "    "    "    |  1891   | 12899484| 8883254|4016230| 68,09| 31,91
Frankreich        |  1881   | 15540256|10496652|5033604| 67,59| 32,41
    "             |  1891   | 16328149|11137056|5191084| 68,20| 31,80
Deutschland       |  1882   | 18956932|13415415|5541517| 71,24| 28,76
     "            |  1895   | 22110191|15531841|6578350| 70,25| 29,75
Oesterreich       |  1880   | 11512578| 6823891|4688687| 59,27| 40,67
     "            |  1890   | 14025564| 7780491|6245073| 55,47| 45,53

Aus der Betrachtung der vorhergehenden drei Tabellen lassen sich
folgende Schlüsse ziehen: Die erste Tabelle zeigt, daß die Frauenarbeit
im Verhältnis zur gesamten weiblichen Bevölkerung durchschnittlich um
2,86 Proz., die Männerarbeit dagegen nur um 2,39 Proz. gewachsen ist.
Betrachten wir diese Tabelle näher, so ergiebt sich jedoch, daß der
Prozentsatz der Zunahme der Frauenarbeit wesentlich auf das Resultat
Oesterreichs zurückzuführen ist, wo die weibliche Erwerbsthätigkeit um
9,76 Proz. zugenommen haben soll, während die betreffende Zahl für
Amerika,--das das schnellste Wachstum der Frauenarbeit aufweist,--2,07
Proz., für England 1,34 Proz., für Frankreich 0,19 Proz. und für
Deutschland 0,92 Proz. aufweist. Da diese abnorm hohe Zunahme der
österreichichen Frauenarbeit, der wir an anderen Stellen wieder begegnen
werden, sich auf keinerlei besondere wirtschaftliche Ursachen
zurückführen läßt, so müssen wir annehmen, daß entweder die Zahlung von
1880 nicht alle weiblichen Erwerbsthätigen umfaßt hat, oder die von 1890
bedeutende Fehler, sei es in der Aufnahme sei es in der Berechnung,
enthält. Schalten wir deshalb, um eine richtigere Durchschnittszahl zu
gewinnen, Oesterreich hier aus, so stellt sich die Zunahme der
Frauenarbeit im Verhältnis zur gesamten weiblichen Bevölkerung auf 1,13
Proz., und die Zunahme der Männerarbeit auf 2,11 Proz. Dies Ergebnis,
das zunächst die Gegner der Erwerbsthätigkeit der Frau sehr beruhigen
dürfte, ist jedoch im wesentlichen auf den großen Frauenüberschuß
zurückzuführen. Als Beweis dafür dient Amerika, dessen weibliche
Bevölkerung an Zahl hinter der männlichen zurückbleibt und wo die
weiblichen Erwerbsthätigen im Verhältnis zu ihr um 2,07 Proz., die
männlichen dagegen nur um 0,91 Proz. zugenommen haben.

Ein klares Bild des Wachstums der Frauenarbeit gewinnen wir aus der
nächsten Tabelle auf S. 172. Mit Ausnahme von Frankreich, dessen
eigentümliches Bild im Stillstand der Bevölkerung seine Ursache hat und
dessen besonders langsam wachsende Frauenarbeit vielleicht auf den
größeren Wohlstand der Bevölkerung zurückzuführen ist,--wenn nicht die
Unvollkommenheit der Zählung einen Teil der Schuld trägt,--zeigt es
sich, daß die Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts in den
betreffenden Ländern in weit rapiderem Tempo zunimmt, als die des
männlichen. Vergleichen wir sie mit dem Wachstum der Bevölkerung, so
zeigt sich, daß, während die männliche Bevölkerung durchschnittlich um
13,77 Proz., die männlichen Erwerbsthätigen um 15,18 Proz. zunahmen, die
weibliche Bevölkerung um 13,46 Proz. und die weiblichen Erwerbsthätigen
um 23,62 Proz. gewachsen sind. Aus diesen Zahlen spricht deutlich der
Notstand, unter dem das weibliche Geschlecht zu leiden hat und der es
in Scharen in den Kampf um Arbeit treibt. Noch drastischer wird dies
Verhältnis durch die dritte Tabelle auf S. 172 beleuchtet, die zeigt, in
welchem Verhältnis die Geschlechter an der Erwerbsthätigkeit beteiligt
sind. Wieder mit Ausnahme Frankreichs, das aber gegenüber den hohen
Zahlen anderer Länder wenig ins Gewicht fällt, wächst der Anteil der
Frau am Erwerbsleben. Wir sehen auch, wie sehr er von der Zahl der
alleinstehenden Frauen abhängig ist: in Amerika ist er außerordentlich
gering, in England sehr hoch und in raschester Zunahme begriffen. Da
nun, wie wir oben darstellten, nicht nur die Menge der Alleinstehenden
stetig wächst, sondern auch die verheirateten Frauen immer mehr zur
Arbeit genötigt werden, so ist an eine Abnahme der Frauenarbeit, die
etwa gar durch äußere Maßregeln herbeigeführt werden soll, überhaupt
nicht zu denken. Sie kann allenfalls von einem Zweig der Erwerbsarbeit
in den anderen gedrängt werden, ihre Entwicklung aber ist eine
gesetzmäßige, deren aufsteigende Tendenz unverkennbar ist.

Für den gegenwärtigen Zweck der Untersuchung ist es nun notwendig, aus
dem Bereich der weiblichen Erwerbsthätigkeit den Kreis herauszuschälen,
der die bürgerlichen Berufe umfaßt. Dabei kann man nicht bei den
liberalen Berufen stehen bleiben und stößt deshalb auf große
Schwierigkeiten. Handelt es sich doch hauptsächlich darum, die Zahl von
erwerbsthätigen Frauen festzustellen, die aus der Bourgeoisie
hervorgegangen sind und hierfür fehlen, da an eine Feststellung der
sozialen Herkunft der Erwerbsthätigen, trotz ihrer Wichtigkeit, bisher
so gut wie gar nicht gedacht wurde, fast alle statistischen
Anhaltspunkte. Obwohl die Erfahrung mit einiger Sicherheit lehrt, daß
Lehrerinnen, höhere weibliche Beamte, weibliche Aerzte und Gelehrte
aller Art aus bürgerlichen Kreisen stammen, so steht das für
Handelsangestellte, Krankenpflegerinnen, Wirtschafterinnen,
Schauspielerinnen u. dgl. keineswegs fest, vielmehr setzen sich diese
Berufe aus Gliedern bürgerlicher und proletarischer Schichten zusammen.
Eine Untersuchung, die auf Grund des Materials, das dem Berliner
Hilfsverein für weibliche Angestellte zur Verfügung steht, angestellt
wurde[329], verbreitet einiges Licht über diese Frage, soweit sie den
kaufmännischen Beruf betrifft. Danach stellt sich heraus, daß 84 Proz.
des kaufmännisch gebildeten, also des Aufsichts- und Bureaupersonals,
und 66 Proz. der Verkäuferinnen bürgerlichen Kreisen entstammen. Dieses
Resultat läßt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Gesamtheit der
Handelsangestellten anwenden, weil der genannte Verein ihre Elite
umfaßt und das Verhältnis in den Provinzstädten und unter den
Nichtorganisierten ein anderes sein dürfte. Wir glauben der Wahrheit
nahe zu kommen, wenn wir,--soweit die Zählungen der verschiedenen Länder
das zulassen,--die Verkäuferinnen aus dem Kreis der bürgerlichen
Frauenarbeit ganz ausscheiden, dagegen das kaufmännisch gebildete
Personal vollständig dazurechnen; der Prozentsatz unter ihm, der etwa
aus proletarischen Schichten stammt, dürfte durch den der Verkäuferinnen
ersetzt werden können, der ihre Herkunft aus bürgerlichen Kreisen
darstellt. Eine weitere Schwierigkeit bildet die Frage der selbständigen
erwerbsthätigen Frauen. Ein großer Prozentsatz von ihnen kann nicht zu
denen gerechnet werden, die sich aus eigner Kraft emporarbeiteten und
wirklich selbständige Leiterinnen ihrer Unternehmungen sind; sie sind
vielmehr durch Erbschaft in deren Besitz gekommen und sind keineswegs
die leitenden Kräfte; ihre Zu- resp. Abnahme ist daher vom Standpunkt
der Frauenfrage völlig belanglos. Um so bedeutsamer wäre es jedoch,
ließe es sich ermöglichen, diejenigen unter ihnen statistisch
festzustellen, die als selbständig Erwerbsthätige in unserem Sinne
gelten können. Das ist aber beinahe unmöglich: nur Künstler,
Photographen, Zeichner, Apotheker und Chemiker können ohne weiteres
berechnet und in die Kategorie der bürgerlichen Erwerbsthätigen
einbezogen werden; im allgemeinen vermögen wir nur, und zwar wesentlich
auf Grund der amerikanischen und englischen Verhältnisse, anzunehmen,
daß die Zahl der selbständigen Frauen aus eigner Kraft in steter Zunahme
begriffen ist. Leichter schon wäre es, wenn dabei die Betriebszählungen
zu Grunde gelegt werden, die proletarischen Existenzen unter den
Selbständigen von den bürgerlichen zu sondern.

Noch schwerer als bei der Betrachtung der einzelnen Länder gestaltet
sich die Feststellung der in bürgerlichen Berufen thätigen Frauen für
eine internationale Vergleichung, weil die Methoden, nach denen die
Berufe eingeteilt werden, gar zu verschiedene sind. Teils werden, wie in
Amerika und England, die sozialen Schichten nicht scharf genug
auseinandergehalten, teils Berufe zusammengeworfen, wie z.B. die der
Hebammen und Krankenpflegerinnen, die getrennt aufgeführt werden müßten.

Nach alledem steht es fest, daß die statistische Umgrenzung der
bürgerlichen Frauenarbeit keinen Anspruch auf vollkommene Genauigkeit
machen kann, trotzdem aber ein im allgemeinen richtiges Bild von ihr
geben dürfte. Teilen wir sie in 38 Berufsarten ein, so stellt sie sich
nach den Ergebnissen, die ich den letzten offiziellen Berufszählungen
entnommen habe, folgendermaßen dar.

Berufe                 |Deutsch-  |Oester-  |Frankreich|England    |Vereinigte
                       |land      |  reich  |          | u. Wales  |Staaten
-----------------------+----------+---------+----------+-----------+----------
1.  Beamte und         | \        |         |          |           |\
    Bureauangestellte  | }        |         |          |           | }
    im Staatsdienst    | }        |   865   |    445   |    8546   | }
2.  Beamte und         | } 1852   |         |          |           | } 4875
    Bureauangestellte  | }        |         |          |           | }
    im Gemeinde-       | }        |         |          |           | }
    und Kommunaldienst | /        |   357   |    387   |    5165   |/
3.  Polizeibeamte,     |          |         |          |           |
    Gendarmerie        |          |         |          |           |
    und Wachtdienst    |     --   |    10   |     --   |      --   |    279
4.  Post-, Telegraphen-|          |         |          |           |
    und Telephonbeamte |   2499   |  2703   |   5211   |    4356   |   8474
5.  Eisenbahnbeamte    |    382   |   605   |   3767   |     849   |   1438
6.  Geistliche         |     --   |    --   |     --   |  4194[335]|   1143
7.  Kirchen- und       |          |         |          |           |
    Anstaltsbeamte     |    430   |  2715   |     --   |      --   |     --
8.  Aerzte, Chirurgen  |\         |         |          |           |
    und Zahnärzte      | }        |    37   |    870   |     446   |   4894
9.  Krankenpflegerinnen| }72837   |         |          |           |
    und Hebammen       |/  [330]  | 14623   |13475[333]|   53057   |  41396
10. Tierärzte          |     --   |    --   |     --   |       2   |      2
11. Advokaten          |     --   |   6[332]|     --   |      --   |    208
12. Bureaubeamte       |          |         |          |           |
    bei Advokaten      |     --   |         |          |           |
    und Notaren        |   [331]  |   102   |    389   |      --   |     --
13. Professoren        |          |         |\         |\          |
    an Universitäten   |          |         | }        | }         |
    und Lyceen         |     --   |    --   | }68448   | }144393   |    695
14. Lehrer             |  66181   | 21417   |/         |/          | 245371
15. Privatgelehrte     |\         |\        |\         |      42   |\
16. Schriftsteller     | }        | }       | }        |\          | } 2725
    und Redakteure     | }  410   | }       | }  391   | }   660   |/
17. Journalisten       |/         | } 332   |/         |/          |    888
18. Stenographen und   |          | }       |          |           |
    Maschinenschreiber |    436   |/        |     --   |     127   |  21270
19. Bibliotheks-,      |          |         |          |           |
    Museums-           |          |         |          |           |
    und Privatbeamte   |    865   |   572   |     --   |     240   |     --
20. Architekten        |     --   |    20   |     --   |      19   |     22
21. Ingenieure         |     --   |    --   |     --   |      --   |    124
22. Maler und Bildhauer|    839   |   337   | \ 3818   |    3032   |  10815
23. Musiker            |\         |\        | /        | \ 19111   |\ 34519
24. Musiklehrer        | }        | }       |   4888   | /         |/
25. Schauspieler       | } 8976   | }2586   |          |           |
    und Sänger         |/         |/        |   5301   |    3696   |   3949
26. Theaterbeamte      |    195   |  1074   |     --   |      --   |     --
27. Chemiker           |     92   |    42   | \  657   |      27   |     39
28. Apotheker          |     60   |   134   | /        |     160   |    734
29. Photographen       |    208   |\        |     --   |    2496   |   2201
30. Zeichner,          |          | }       |          |           |
    Musterzeichner,    |          | } 156   |          |           |
    Graveure,          |          | }       |          |           |
    Modelleure         |    114   |/        |     --   |      --   |    346
31. Agenten            |    195   |\ 1809   |     91   |     765   |   4875
32. Handelsreisende    |\         |/        |     --   |     165   |    611
33. Buchhalter         | }        |\        | \94003   |      50   |  27772
34. Handelskommis      | }11987   | }8138   | /  [334] |   17859   |  64219
35. Bankbeamte         |/         |/        |   1135   |     249   |    217
36. Verwalter,         |          |         |          |           |
    Wirtschaftsbeamte  |          |         |          |           |
    und Rechnungsführer|          |         |          |           |
    in landschaftlichen|          |         |          |           |
    Betrieben          |  17170   |  1001   |  16766   |      --   |   --[336]
37. Technisch gebildete|          |         |          |           |
    Beamte in          |          |         |          |           |
    industriellen      |          |         |          |           |
    Betrieben          |   5099   |  2094   |     --   |     748   |   --[337]
38. Andere freie Berufe|     --   |   177   |     --   |      --   |    479
-----------------------+----------+---------+----------+-----------+----------
Summa:                 |  190827  | 61382   |  220042  |   269454  |  484580

Wir sehen aus dieser Tabelle, daß die relativ größte Anzahl bürgerlicher
Frauen als Lehrerinnen, Handelsangestellte und Krankenpflegerinnen
thätig sind. Wo sie, wie in Amerika, Zugang zu allen wissenschaftlichen
Berufen haben, scheint ihre Neigung sie am meisten der Medizin und der
Theologie zuzuführen. Bei dieser Berufswahl kommen die ursprünglichsten
und durch die Erziehung der Jahrtausende gefestigten Begabungen ihres
Geschlechts zum Ausdruck, als deren Grundzug die in jeder unverdorbenen
Frau ruhende Mütterlichkeit anzusehen ist. Sie wirkt in der Lehrerin,
die statt der eigenen fremde Kinder erzieht, in der Aerztin und
Krankenpflegerin, der Missionarin und Predigerin. Und der Sinn für
Ordnung, die von dem Augenblick der ersten festen Ansiedelung an geübte
Kunst der Haushaltung kommt in dem Talent des weiblichen Geschlechts für
den kaufmännischen Beruf wieder zum Ausdruck. Seiner Begabung
entsprechen auch die öffentlichen Anstellungen, die ihr gerade dort in
immer erweitertem Maße zugeteilt werden, wo man bereits Erfahrungen über
die Befähigung der Frauen zum Staats- und Gemeindedienst gemacht hat: In
England und Amerika werden Frauen hauptsächlich im Bureaudienst, als
Erzieher, Armenpfleger, Armenhaus-, Sanitäts- und Gewerbe-Inspektoren
verwendet.

Um aber zu einer richtigen Würdigung der Zahl bürgerlich erwerbsthätiger
Frauen zu kommen, muß sie mit der Zahl der in denselben Berufen thätigen
Männer verglichen werden. Dabei ergiebt sich nach der neuesten Zählung
für die betreffenden Länder als Resultat:

Länder              Von 100 Erwerbstätigen
                    in bürgerlichen Berufen sind

                    Männer       Frauen

Deutschland         88,34        11,46
Oesterreich         87,77        12,23
Frankreich          78,02        21,98
England             77,67        22,33
Vereinigte Staaten  81,25        18,75

Die Berechnung zeigt, daß die geringste Beteiligung der Frauen am
bürgerlichen Erwerbsleben dort zu finden ist, wo der Zugang dazu ihnen
am meisten erschwert wird, und die höchste da vorhanden ist, wo nicht
nur die Berufe ihnen offen stehen, sondern wo zu gleicher Zeit ein
starker Frauenüberschuß konstatiert wurde. Wo, wie in Amerika, ein
Männerüberschuß besteht, ist, trotz der Zulassung der Frauen zu allen
Erwerbsgebieten, ihr Anteil daran ein geringerer.

Der Eindruck dieses Momentbildes verschiebt sich jedoch wesentlich,
sobald wir das Wachstum der bürgerlichen Frauenarbeit einer Betrachtung
unterziehen. Folgende Zusammenstellung giebt Aufschluß darüber:

Erwerbstätige in bürgerlichen Berufen:

Länder     |1880 resp.   |1890 resp.    | Absolute     |Prozentuale
           |1881 und 1882|1891 und 1895 | Zunahme der  |Zunahme der
           |-------------+--------------+--------------+-------------
           |Männer|Frauen|Männer |Frauen| Männer|Frauen|Männer|Frauen
-----------+------+------+-------+------+-------+------+------+------
Deutschland|808213|118070|1474072|190827| 665859| 72757| 82,32| 61,61
Oesterreich|276070| 41693| 440288| 61328| 164218| 19690| 59,52| 47,22
Frankreich |660459|196296| 781052|220042| 120593| 23746| 18,26| 10,79
England    |605245|168656| 936970|269454| 331725|100798| 54,81| 59,47
Verein.    |      |      |       |      |       |      |      |
Staaten    |992736|229451|2099513|484580|1106777|255129| 89,69|111,19

Sie zeigt deutlich, daß die Zunahme der bürgerlichen Frauenarbeit in
England und Amerika, wo eine große Ausbreitungsmöglichkeit für sie
besteht, eine weit raschere ist, als die der Männer.

Eine nach dieser Hinsicht interessante Zusammenstellung, die wir hier
wiedergeben, und die sich über zwei Jahrzehnte erstreckt, liegt für
Amerika vor:[338]

Von 100 Erwerbstätigen in Amerika waren

Berufe                         1870             1880             1890
                           Männer Frauen    Männer Frauen    Männer Frauen

Künstler und Kunstlehrer   89,90  10,10     77,36  22,64     51,92  48,08
Musiker und Musiklehrer    64,07  35,93     56,75  43,25     44,46  55,54
Professoren und Lehrer     33,73  66,27     32,21  67,79     29,16  70,84
Buchhalter und Kommis      96,53   3,47     92,90   7,10     83,07  16,93

Es handelt sich eben um einen allgemeinen Notstand, der die Frauen in
rapidem Tempo in die sich ihnen öffnenden Berufe drängt, und es läßt
sich daraus schließen, daß dasselbe Verhältnis sich in anderen Ländern
zeigen wird, wenn die verschlossenen Thüren sich auch dort ihnen öffnen.
Vor allem aus der prozentualen Zunahme der Lehrerinnen und
Handelsangestellten in Deutschland und Oesterreich läßt sich unschwer
der Beweis dafür erbringen:

                             Oesterreich      Deutschland
                             Zunahme der      Zunahme der
                            Männer Frauen    Männer Frauen
Lehrer                       42,14  44,62     24,79  48,84
Handelsangestellte          115,81 126,66     80,60 279,21

Wir stehen somit zweifellos der Thatsache eines raschen Wachstums der
bürgerlichen Frauenarbeit gegenüber. Dafür spricht auch der Umstand, daß
jeder offenen Stelle eine erschreckend große Zahl Bewerberinnen
gegenüberstehen, die natürlich dort den größten Umfang annimmt, wo die
arbeitsuchenden Frauen die geringste Auswahl unter den Berufen haben.
Nach einer in Frankreich angestellten Untersuchung[339] bewarben sich
bei einer Konkurrenz allein im Seine-Departement über 8000 Frauen um 193
offene Schulstellen; für 200 Stellungen, die die Post ausgeschrieben
hatte, meldeten sich gegen 5000 Frauen; bei der Bank von Frankreich, die
jährlich höchstens 25 Stellen neu zu besetzen hat, stellten mehr als
6000 Arbeitsuchende sich vor; der Crédit Lyonnais zählte für ca. 80
Stellen 700 bis 800 Bewerberinnen und im Magasin du Louvre pflege im
Durchschnitt 100 sich auf eine offene Stelle zu melden. Diese Zahlen
zeigen nicht nur, daß das Problem der Arbeitslosigkeit für die Mädchen
aus bürgerlichen Kreisen vielfach in demselben Grade besteht, wie für
die Proletarierinnen, sie sprechen auch für die wachsende Not, die sie
zur Erwerbsarbeit treibt. Ein weiterer Beweis dafür ist die rasche
Zunahme der weiblichen Studenten. An den preußischen Universitäten, die
sich bekanntlich sehr ablehnend gegen sie verhalten, haben sie trotzdem
vom Jahre 1895 bis 1899 von 117 bis auf 414 zugenommen; an den Schweizer
Universitäten beträgt die Zunahme von 1890 bis 1900 184 zu 1026.[340]
Diese Zahlen würden noch bedeutend höher sein, wenn nicht das Studium
und der Eintritt in einen gelehrten Beruf große finanzielle Opfer
forderte, die bis jetzt in erster Linie nur den Söhnen gebracht worden
sind. Bei den Frauen gilt es meist, möglichst rasch zum Erwerb zu
gelangen, daher wählen sie Berufe deren Vorbereitung nicht zu viel Zeit
und Geld erfordert. Und das ist einer der proletarischen Züge in der
bürgerlichen Frauenbewegung. Noch ein anderer, bedeutungsvollerer sei an
dieser Stelle erwähnt: die Berufsarbeit verheirateter Frauen. Ihr
Verhältnis zu den alleinstehenden Frauen ist folgendes:

                 Auf 100 Erwerbsthätige in bürgerlichen
Länder           Berufen kommen verheiratete Frauen

Deutschland              15,02
Oesterreich              36,22
Vereinigte Staaten        8,92

Die Konkurrenzfurcht, die sich in dem oft leidenschaftlichen Kampf der
Männer gegen die Zulassung der Frauen zu bürgerlichen Berufen ausdrückt,
ist daher nicht unbegründet, und sie gewinnt an Bedeutung, wenn wir die
Bedingungen, unter denen die Frauen arbeiten, einer Betrachtung
unterziehen. Ueberall, selbst in den Ländern, wo die Frauenarbeit die
glänzendsten Fortschritte macht, zeigt es sich, daß ihre Bewertung, auch
bei gleicher Leistung, eine geringere ist als die der Männer. In den
Oststaaten Nordamerikas verdienen weibliche Buchhalter 5 bis 20 Dollars
wöchentlich, ihre männlichen Kollegen dagegen 10 bis 35 Dollars.
Männliche Bureaubeamte im Staatsdienst haben ein Gehalt von 800 bis 2000
Dollars jährlich, Frauen in gleichen Stellungen beginnen mit einem
Mindestgehalt von 500 und erreichen nur ein Höchstgehalt von 1200
Dollars. Ueber die Verschiedenheit der Gehälter der Lehrer und
Lehrerinnen giebt folgende Tabelle Aufschluß:[341]

                                Durchschnittlicher Verdienst der
                                Männer           Frauen

New York                        74,95 $          51,33 $
Massachusetts                  128,55 $          48,38 $
Rhode Island                   101,83 $          50,06 $
Connecticut                     85,58 $          41,88 $
Delaware                        36,60 $          34,08 $
Maryland                        48,00 $          40,40 $
South-Carolina                  25,46 $          22,32 $
Florida                         35,50 $          34,00 $

Der Umstand, daß der weitaus größte Teil der Lehrer in Amerika Frauen
sind, fällt dabei besonders schwer ins Gewicht und beweist, daß die
Mehranstellung von Frauen nicht auf Grund besserer Leistungen, sondern
geringerer Ansprüche erfolgt. Derselben Thatsache ist zum Teil auch das
rasche Vordringen der Engländerin in alle Erwerbsgebiete zu verdanken.
Die weiblichen Bibliothekare z.B., von denen sich 19 in leitenden
Stellungen befinden, erreichen nur ein Gehalt von 40 bis 80 Pfund
jährlich,--fast die Hälfte dessen, was ihren männlichen Kollegen
zugestanden wird.[342] Auch die Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen
sind in keiner günstigen finanziellen Lage. Viele von ihnen haben nur
eine Jahreseinnahme von 80 bis 100 Pfund, wenige erreichen ein Einkommen
von 150 Pfund und nicht mehr als ein halbes Dutzend stehen sich auf 200
Pfund. Noch schlechter sind die Verhältnisse der Volksschullehrerinnen,
die von der Girls Day School Company angestellt werden und
durchschnittlich 12 Pfund 12 sh jährlichen Gehalt beziehen! Die
Lehrerinnen der Elementarschulen, die mit 40 Pfund beginnen, haben auch
nur in Ausnahmefällen die Aussicht, ihre Einnahmen zu erhöhen.[343]
Auch die Krankenpflegerinnen, die in England fast ausschließlich
bürgerlichen Kreisen entstammen, werden für ihre aufopfernde Thätigkeit
in ungenügender Weise entschädigt: neben Wohnung und Beköstigung
erhalten sie 12 bis 30 Pfund jährlich. Selbst die vom Staat angestellten
Post- und Telegraphenbeamtinnen erfreuen sich keineswegs einer
glänzenden Stellung, da der größte Teil von ihnen nur 65 bis 80 Pfund im
Jahr bezieht, ihre männlichen Kollegen erhalten für gleiche Leistungen
ein Mindestgehalt von 70 Pfund und während sie in den höheren Stellungen
eine Einnahme bis zu 900 Pfund haben, bekommen die Frauen in denselben
Stellungen im günstigsten Falle 400 Pfund.[344] Gleiches läßt sich von
den Handelsangestellten sagen, deren Einnahmen sich auf 20 bis 40 Pfund
im Jahr belaufen, eine Summe, die etwa 33% niedriger ist, als die der
Männer.[345] Dasselbe Bild wiederholt sich in Frankreich, und ist in
Bezug auf die staatlich Angestellten besonders unerfreulich. Die
weiblichen Beamten im Post- und Telegraphendienst beziehen ein
Anfangsgehalt von 1000 Frs., die männlichen bei gleicher Leistung 1500
Frs.; die Einnahme der Frauen steigt alle 2 Jahre mit 100 Frs., die der
Männer alle 3 Jahre mit 300 Frs.; das Höchstgehalt der Frauen endlich
beträgt 1800 Frs., das der Männer dagegen weit über das Doppelte,
nämlich 4000 Frs.[346]

Trauriger noch sind die Zustände in Deutschland und Oesterreich. Giebt
es doch im Deutschen Reich noch Lehrerinnen, deren Jahreseinkommen 300
bis 450 Mk. beträgt, eine Einnahme, die sich mit der einer besonders
schlecht gestellten Wäschenäherin vergleichen läßt. Eine
Volksschullehrerin, die mit 700 Mk. angestellt wird,--kein Lehrer
bezieht unter 900 Mk.,--hat die Aussicht, nach 31 jähriger angestrengter
Thätigkeit 1560 Mk. alles in allem zu erhalten. In Gumbinnen erreicht
sie nach 20jährigem Dienst ein Höchstgehalt von 1150 Mk.[347] Zwei
Drittel der technischen Lehrerinnen in Berlin beziehen ein Gehalt
von--25 Mk. monatlich! In wie schroffem Gegensatz die Gehälter der
Lehrerinnen zu denen der Lehrer an den höheren Mädchenschulen stehen,
zeigt folgende Tabelle über ihre niedrigsten und höchsten Einnahmen an
den genannten Orten:[348]

              Lehrerinnen      Lehrer
Berlin        1800-2600 Mk.    2800-6000 Mk.
Breslau       1300-2300  "     1800-4550  "
Danzig        1200-2000  "     1800-4850  "
Hannover      1000-2000  "     2250-5150  "
Kassel        1200-1950  "     2600-5150  "
Köln          1200-2200  "     1800-6075  "

Dabei ist berechnet worden, daß eine großstädtische Lehrerin bei
bescheidensten Ansprüchen ein Mindesteinkommen von 1500 Mk. haben muß.

Viel schlimmer gestaltet sich die Lage der Frauen an Privatschulen, wo
sie häufig mit 500-800 Mk. zufrieden sein müssen[349] und überdies durch
Einkauf in die verschiedenen Pensions- und Rentenversicherungsanstalten
für Lehrerinnen für ihr Alter selbst zu sorgen haben. Freilich ist die
Pension, die Staat und Gemeinden den Frauen gewähren, die, unter
Verzicht auf persönliches Lebensglück, ihre besten Jahre der
Heranbildung der Töchter des Landes geopfert haben, jammervoll genug:
sie beträgt 405 bis 912 Mk. jährlich;--es liegt grimmiger Hohn darin,
diese Summe mit dem Namen Ruhegehalt zu bezeichnen, denn von Ruhe ist
auch für die alternde Lehrerin keine Rede. Wie sie schon in ihren besten
Jahren kaum existieren kann, ohne Vermögen zu besitzen, oder--der
häufigste Fall--durch Privatstunden den Rest ihrer Kräfte aufzureiben,
so kann sie sich auch der verdienten Ruhe nicht erfreuen, wenn sie nicht
aus anderen Quellen eine Pension sich selbst sicherte, oder, bis ihre
Gesundheit ganz versagt, tagaus, tagein, treppauf, treppab läuft, um
sich noch ein paar Mark zu verdienen.

Die Handelsangestellten befinden sich in keiner günstigeren Lage, als
die Lehrerinnen. Kaum ein Sechstel des weiblichen Bureaupersonals vermag
als Höchstgehalt das Monatseinkommen zu erringen, das die Männer in
gleichen Stellungen in der Regel beziehen.[350] Gehälter zwischen 20 und
30 Mk. monatlich gehören, besonders in der Provinz, nicht zu den
Seltenheiten und stehen in schreiendem Gegensatz zu der Behauptung, daß
eine Jahreseinnahme von 1000 bis 1200 Mk. für die Handelsangestellten
ein Existenzminimum darstellt. Nach den Angaben einer Anzahl Berliner
Angestellten, die ganz auf eigenen Erwerb angewiesen sind, stellen sich
ihre Ausgaben für Wohnung und Nahrung--also ohne Kleidung, Wäsche,
Extraausgaben, wie Omnibusfahrten u. dergl., von Vergnügungen ganz
abgesehen--auf ca. 51 Mk. monatlich, dabei schwanken die Einnahmen von
28 Proz. unter ihnen zwischen 30 und 70 Mk.[351] Für Oesterreich werden
die Einnahmen der Handlungsgehilfinnen folgendermaßen berechnet: 60
Proz. haben ein Gehalt von 10-25 Gulden, 20 Proz. 30 bis 35 Gulden, 10
Proz. 40-45 Gulden, 5 Proz. 50-60 Gulden und 5 Proz. verteilen sich auf
noch höhere Gehälter. Trotz dieser jämmerlichen Bezahlung drängen sich
die Mädchen zum kaufmännischen Beruf; so mußte z.B. eine der
unentgeltlichen Fachschulen von 600 Aufnahmesuchenden 292 abweisen.[352]
Die männlichen Bureaubeamten pflegen ein Anfangsgehalt von 35 bis 40
Gulden zu beziehen und stehen nach längerem Dienst unverhältnismäßig
günstiger als die Frauen. Die Eisenbahnbeamtinnen beziehen ein Gehalt
von 360 bis 600 Gulden jährlich, nur sehr wenige erreichen eine Einnahme
von 840 Gulden.[353] Aehnlich sind die Verhältnisse bei den
Telegraphenbeamtinnen. Sie beginnen mit einem Gehalt von 30 Gulden
monatlich, das alle fünf Jahre um 5 Gulden steigt, bis es den
Höchstgehalt von 50 Gulden erreicht hat. Fast die Hälfte der
Angestellten beziehen gegenwärtig den niedrigsten Gehalt, und während
die Bezüge der männlichen Beamten, von denen keine höhere Vorbildung und
keine anderen Leistungen verlangt werden, als vom weiblichen Personal,
wiederholte Aufbesserung erfuhren, sind sie in den ca. drei
Jahrzehnten, seit denen der Staat Frauen beschäftigt, für die Frauen
unverändert geblieben. Die Pensionen, die nur bei völliger
Dienstunfähigkeit gewährt werden, entsprechen dem Gehalt: nach
dreißigjährigem Dienst, dem längsten, der nach den gemachten Erfahrungen
erreicht wird, sind sie auf 30 Gulden monatlich angewiesen.[354]

Fast noch schlimmer ist die finanzielle Lage der Lehrerinnen, ja
geradezu haarsträubend, soweit die Privatschulen in Betracht kommen. Sie
nutzen die Zwangslage, in der sich die Mädchen dadurch befinden, daß sie
erst nach zweijähriger Lehrthätigkeit zur Lehrbefähigungsprüfung, die
sie in eine höhere Gehaltsstufe aufrücken läßt, zugelassen werden, aus,
indem sie die jungen Lehrerinnen großenteils--umsonst arbeiten lassen.
Es kommt vor, daß die Entschädigung für 4 bis 5 Stunden Unterricht im
Gabelfrühstück besteht; in den Klosterschulen werden die Volontärinnen
am Ende des Schuljahrs mit einem Rosenkranz und einem Wachsstock
belohnt. Nur wenige Institute gewähren ein Höchstgehalt von 30 bis 35
Gulden während der neun Monate des Schuljahrs. Stellungen mit 10, 15
oder 20 Gulden sind schon sehr gesucht.[355] Ist es ihnen endlich nach
zweijähriger Arbeit unter den elendesten Verhältnissen gelungen, eine
Anstellung als Unterlehrerin zu erhalten, so sind sie zunächst auf 1,16
bis 1,33 Gulden täglich angewiesen, mit der Aussicht, eventuell 10 bis
15 Jahre in ähnlicher Stellung zu bleiben.[356] Handelt es sich um
Industrielehrerinnen, so können sie bestenfalls auf ein Jahreseinkommen
von 450 bis 600 Gulden rechnen, müssen aber auch darauf gefaßt sein,
jahrelang mit 180 Gulden auszukommen.[357] Nun sind für sehr bescheidene
Bedürfnisse die notwendigen Ausgaben einer in bürgerlichen Berufen
thätigen Oesterreicherin zusammengestellt worden, wobei Ausgaben für
Arzt und Apotheke, Krankenkasse oder Altersversicherung, Tramwayfahrten,
Bildungsmittel, Vergnügungen etc. nicht in Rechnung kamen, und es hat
sich ergeben, daß 703 Gulden das Geringste ist, wessen sie bedarf.[358]
Es zeigt sich also auch hier, daß die Einnahmen zu den Ausgaben in
schreiendem Mißverhältnis stehen.

Ein ganz besonders trauriges Kapitel in der Geschichte der erwerbenden
Frau, das auf alle Länder gleichmäßig paßt, behandelt die Lage der
Bühnenkünstlerinnen. Nominell scheint ihr Einkommen häufig dem der
Männer gleichzustehen, thatsächlich ist es ganz bedeutend geringer, weil
Toilettenanforderungen an sie gestellt werden, von denen bei den Männern
keine Rede ist, und sie, besonders an kleineren Bühnen, auch die
historischen Kostüme selbst zu beschaffen haben, die ihren männlichen
Kollegen geliefert werden. Wir finden in Deutschland Gagen für
Solistinnen bis zu 50 Mk. monatlich, in Oesterreich bis zu 30 Gulden
hinab, auf denen noch, als eine unerträgliche Steuer, die Prozentabgaben
an die Agenten ruhen. Dabei wird der Luxus mehr und mehr in die Höhe,
die Einnahme mehr und mehr heruntergeschraubt, weil in den Großstädten
die Unsitte der Anstellung sogen. "Luxusdamen", die oft auf jede Gage
verzichten, hingegen der Direktion infolge ihrer reichen Freunde einen
großen Toiletteaufwand garantieren, Überhand nimmt.[359]

Werfen wir noch einen Blick auf die große, rasch wachsende Zahl der
weiblichen Schriftsteller, so zeigt es sich, daß ihre starke Mitarbeit
an Familienblättern zweiten und dritten Ranges zum größten Teil auf ihre
geringen Ansprüche zurückzuführen ist. Selbst in England, dem Dorado
schreibender Damen, sind es nur die wenigen hervorragenden Autorinnen,
die, dank ihres Talents, glänzend situiert sind. Im allgemeinen können
100 Pfund im Jahr schon als eine sehr gute Einnahme gelten.[360]
Dasselbe gilt für die Journalistinnen, die in Deutschland ganz bedeutend
schlechter gestellt sind. Auch die weiblichen Zeichner und Maler, sowie
die in allen Zweigen des Kunstgewerbes thätigen Frauen, geben sich mit
Honorierungen zufrieden, die man einem Mann gar nicht wagen würde,
anzubieten.

Das rasche Vordringen der Frau in die bürgerlichen Berufe läßt sich
nach alledem weniger durch bessere Leistungen, als durch geringere
Ansprüche erklären; selbst der Staat handelt nicht anders wie jeder
Fabrikant, der Arbeiterinnen beschäftigt: es ist für ihn eine Ersparnis.
Die Ursachen aber der niedrigen Bewertung der Frauenarbeit sind auf den
verschiedensten Gebieten zu suchen. Zunächst ist die Frau als
selbständig Erwerbende ein Begriff, der dem traditionellen, von dem
durch den Mann zu ernährenden Weibe, vollständig widerspricht. Die
Entlohnung ihrer Arbeit gilt daher nur für einen Zuschuß zum
Lebensunterhalt, nicht für seine vollständigen Kosten, und der
sentimentale Hinweis auf den Schutz der Familie, womit sogen.
Menschenfreunde dem armen Mädchen helfen wollen, entspringt demselben
Boden, aus dem der rohe Cynismus wächst, mit dem Kaufleute und
Theaterdirektoren ihre Angestellten in die Arme hilfreicher "Freunde" zu
treiben suchen. Aber die Schuld liegt nicht allein auf Seite der
Brotgeber. Bis in die neueste Zeit hinein ist die Ausbildung der Frau
für die Berufsarbeit eine unzulängliche und der dadurch erzeugte
Dilettantismus entwertet nicht nur die Frauenarbeit im allgemeinen,
unter seinem Odium haben vielmehr auch diejenigen zu leiden, die
dasselbe leisten wie die Männer. Und noch ein anderes, für die
bürgerliche Frauenarbeit charakteristisches Moment kommt hinzu: eine
große Zahl der Arbeit suchenden Frauen ist nicht vollständig auf ihre
Erträgnisse angewiesen; sei es, daß sie bei den Eltern wohnen und nur
ein Nadelgeld verdienen müssen, sei es, daß sie eine Rente beziehen, die
nur nicht ganz zum Leben ausreicht,--auf jeden Fall sind sie in der
Lage, die Männer, und, was noch schlimmer ist, die wirklich Not
leidenden weiblichen Konkurrenten zu unterbieten. Und sie thun das
skrupellos. Es fehlt ihnen an jedem Solidaritätsgefühl. Ihre
jahrhundertelange Vereinzelung als Töchter, Gattinnen und Mütter--jede
in einer engen Welt für sich--hat sie kurzsichtig und egoistisch
gemacht. Erst eine wirklich allgemeine Not wird das Ferment werden, das
sie zusammenschmiedet und wird die Lohnfrage lösen helfen. Solange aber
Beamtentöchter durch Bureaudienst nur Toilettengeld zu verdienen
wünschen und junge Damen sich die Langeweile wegpinseln und wegsticken,
solange wird ein erfolgreicher Kampf um Gleichstellung mit dem Mann im
Erwerbsleben nicht zu Ende geführt werden können.



3. Die bürgerliche Berufsthätigkeit von prinzipiellen Gesichtspunkten.


Für die Gegner der Frauenbewegung beruht die geringere Bewertung der
Frauenarbeit in erster Linie auf der nach ihrer Meinung feststehenden
Thatsache der minderwertigen körperlichen und geistigen Fähigkeiten des
weiblichen Geschlechts.

Was zunächst die körperlichen Fähigkeiten betrifft, so fallen selbst
gelehrte Männer, blind gemacht durch ihre Voreingenommenheit, in den
Fehler, die zweifellose Verschiedenartigkeit der Geschlechter mit der
Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts zu identifizieren, und das
Moment der körperlichen Ausbildung ganz außer acht zu lassen. Beginnt
doch ihre Verschiedenheit für Mann und Frau schon in frühester Jugend:
dem Mädchen wird gelehrt, mit vielen langen Röcken, die die
Bewegungsfreiheit beeinträchtigen, still bei den Puppen zu sitzen,
während der Knabe in kurzen Höschen zum Laufen und Springen angehalten
wird. Die Turnstunden in der Schule, die Bewegungsspiele außerhalb
stärken weiter seine Muskeln, dem Mädchen dagegen wird dafür bestenfalls
ein minderwertiges Surrogat geboten, meist aber sitzt sie über
geisttötenden Handarbeiten, oder quält sich und andere am Klavier,
während ihr Bruder Fußball spielt, oder fröhliche Wanderungen
unternimmt. Neuerdings hat ein starker Emanzipator darin einige Wandlung
geschaffen: das Fahrrad, dessen Wirkung zu Gunsten der Selbstbefreiung
des weiblichen Geschlechts schon jetzt in der größeren Selbständigkeit
und der Vereinfachung der Kleidung der jungen Mädchen deutlich zu Tage
tritt, und auch darin einen glücklichen Ausdruck findet, daß der Absatz
der Klaviere seit seiner Einführung in stetigem Sinken begriffen ist.
Die Masse der bürgerlichen Mädchen aber, besonders in Deutschland und
Oesterreich, wird von diesem Fortschritt ebensowenig berührt, wie von
der günstigen Aenderung der körperlichen Ausbildung, die in Amerika und
England Platz greift. Würde der Entwicklung der weiblichen Muskelkraft
eben solche Aufmerksamkeit geschenkt wie der der männlichen, so dürften
die Frauen dem Durchschnitt der Männer zweifellos gleichkommen, das
lehren die weiblichen Akrobaten und Hochtouristen, ganz abgesehen von
den Lastträgerinnen, Steinarbeiterinnen, Schnitterinnen u.s.w., zur
Genüge. Aber selbst wenn es nicht geschähe, würde dadurch etwas anderes
bewiesen werden, als daß gewisse Berufe, wie etwa die der Bergführer,
den Männern überlassen werden müssen? Auf die Geisteskräfte sind die
Muskelkräfte jedenfalls ohne hervorragenden Einfluß, und noch immer ist
der Geist ohne Muskelkraft weiter gekommen, als Muskelkraft ohne Geist.

Doch die Gegner der Frauenbewegung haben noch gewichtigere Gründe für
ihre Ansicht, indem sie auf all die Punkte hinweisen, die man als
sekundäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet, und unter denen die
Verschiedenartigkeit des weiblichen vom männlichen Gehirn und die
weiblichen Lebensfunktionen besonders hervorgehoben werden. Die
verhältnismäßige Leichtigkeit des Gehirns der Frauen ist lange Zeit
hindurch, hauptsächlich auf Grund der Untersuchungen Bischofs, ihr
Hauptargument gewesen, indem man ohne weiteres annahm, daß die
Geisteskräfte damit in direktem Zusammenhange stehen. Thatsächlich haben
die Männer ein absolut größeres Hirngewicht als die Frauen, es hat sich
aber schließlich infolge genauerer Untersuchungen herausgestellt, daß es
im Vergleich zum Körpergewicht kleiner ist als das des Weibes, daß die
Frauen daher ein relativ schwereres Gehirn haben als die Männer.[361]
Wie wenig mit beiden Ergebnissen zu beweisen war, geht schon daraus
hervor, daß die schwersten der bisher gewogenen Gehirne einem
Ziegelstreicher, einem Idioten, dem russischen Dichter Turgeniew, einem
einfachen Tagelöhner und dem Zoologen Cuvier gehörten. Als eine Ironie
der Natur kann es wohl auch angesehen werden, daß Bischof, der aus dem
absolut leichteren Gehirn der Frau mit besonderer Schärfe ihre geistige
Inferiorität beweisen wollte, selbst ein leichteres Gehirn hatte, als es
nach seiner Angabe die Frauen durchschnittlich besitzen. Auch das
Wachstum der Hirnmasse hat man zu Ungunsten der Frauen ausgelegt, obwohl
nichts weiter gefunden wurde, als daß es bei den Mädchen schneller
zunimmt, früher zu wachsen aufhört und notwendigerweise infolgedessen
auch früher anfängt abzunehmen, als bei den Männern. Weiter wurde die
Größe des Stirnlappens für ausschlaggebend erachtet. Experimente mit
Tieren und der Umstand, daß Schwachsinnige die größten zu haben pflegen,
sprechen aber für die Hinfälligkeit auch dieses Beweises. Bei den
Wägungen der verschiedenen Hirnteile hat sich ferner ergeben, daß ein
wesentlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern in Bezug hierauf
nicht besteht. Es stellt sich nach alledem heraus, daß durch die
Hirnuntersuchungen in Bezug auf die intellektuelle Veranlagung von Mann
und Weib nichts bewiesen wurde. Selbst die Unterschiede, die etwa
bestehen, haben für die Lösung dieser Frage so gut wie keinen Wert, weil
nicht nur die Zahl der untersuchten Gehirne eine viel zu geringe ist, um
allgemein gültige Folgerungen daraus zu ziehen, sondern weil ihre größte
Menge Mitgliedern geistig und körperlich unterdrückter Klassen angehört
hat, eine Beziehung zwischen den Gehirnteilen und der geistigen
Veranlagung aber doch erst dann zur Feststellung gelangen kann, wenn die
Gehirne intellektuell entwickelter Personen beiderlei Geschlechts mit
denen der geistig tiefstehenden verglichen werden und man zugleich den
Einfluß der Erziehung auf die Gehirnentwicklung beobachten könnte.

Weit begründeter erscheint es, wenn die Geschlechtsfunktionen des Weibes
als eine von der Natur gegebene Schranke betrachtet werden, die sie von
der Berufsarbeit trennt. Schon die merkwürdige Thatsache eines
periodisch wiederkehrenden Blutverlustes, die die Ansicht hervorgerufen
hat, die Frauen seien dauernd krank, scheint sie von der Erwerbsarbeit
auszuschließen. "Das Weib leitet beständig an dem Vernarben einer
inneren Wunde," sagt Michelet, und Galiani erklärt sie für ein von Natur
schwaches und krankes Tier. Kulturvölker des Altertums und Naturvölker
der Gegenwart betrachteten und betrachten sie zu gewissen Zeiten als
Unreine und haben abergläubische Furcht vor ihnen.[362] All diese
Ansichten sind durchaus verständlich, da es sich um eine den Männern
vollständig fremde Funktion handelt, deren Folgen zu beurteilen sie
daher durchaus nicht imstande sind. Wenn Aerzte an den heutigen Frauen
während der Zeit der Menstruation krankhafte Erscheinungen, eine Abnahme
der Kräfte und die Unfähigkeit, Anstrengungen zu ertragen, beobachten,
so sollten sie darin nichts weiter erkennen, als Folgen ungesunder
Kleidung und Lebensweise, sich aber hüten, diese Erscheinungen für
natürliche zu erklären.[363] Hierüber dürfte das endgültige Urteil den
Frauen allein zustehen und dabei würde sich herausstellen, daß die
Gesunden unter ihnen von einem Einfluß der Menstruation auf ihre Körper-
oder Geisteskräfte überhaupt gar nichts spüren, manche sich sogar
während der Zeit eines besonderen Wohlseins erfreuen. Die Kranken aber
sind nicht besser und nicht schlechter daran, als die kränklichen
Männer, die ja leider auch nicht zu den Seltenheiten gehören. Günstige
Arbeitsbedingungen vorausgesetzt,--und diese sind ja für alle ohne
Unterschied des Geschlechts eine Notwendigkeit,--können daher Frauen
trotz der Menstruation ohne Schaden ihrem Beruf nachgehen. Selbst wenn
sie sich hier und da nicht ganz wohl befinden, so kann das doch
ebensowenig ein Grund sein, ihnen gewaltsam die Thüren zum Erwerb zu
verschließen als es Grund wäre, die Männer von der Arbeit
zurückzuhalten, weil sie zuweilen Schnupfen oder Rheumatismus haben.

Den Vorwand dazu bietet für viele auch der Umstand, daß die Vorbereitung
zum Beruf, das Studium und der damit verbundene Zwang, lange in meist
gebückter Stellung zu sitzen, der körperlichen Konstitution des Weibes
besonders schädlich sein soll.[364] Das geben wir ohne Einschränkung zu.
Es fragt sich nur, ob das traditionelle Leben der Töchter bürgerlicher
Eltern während der in Betracht kommenden Jahre, das Sitzen über
nervenzerrüttenden Romanen und geistig abstumpfenden Handarbeiten, das
stundenlange nächtliche Tanzen in überhitzten Sälen der Gesundheit
zuträglicher ist, und ob die Wirkungen der heutigen Art der gymnasialen
und akademischen Erziehung nicht auf die männliche Jugend ebenso
traurige sind. Ist dies der Fall,--und daran werden Einsichtige kaum
zweifeln,--so sollte die Folge nur die sein, gesündere Formen der
Ausbildung für alle zu schaffen, und die mit der geistigen Ueberbürdung
Hand in Hand gehende körperliche Vernachlässigung endgültig über Bord zu
werfen, denn die im ersten Augenblick rührend erscheinende Sorge für die
künftigen Mütter wird schnell all ihrer Menschenfreundlichkeit
entkleidet, wenn sie sich nicht mit der Sorge um die künftigen Väter
verbindet. Vielleicht, daß die Thatsache der mehr und mehr in die
bürgerlichen Berufe eindringenden Frauen allen denjenigen, die bisher an
den blassen, rundrückigen, kurzsichtigen männlichen Opfern unserer
wissenschaftlichen Lehrinstitute blind vorübergingen, endlich die Augen
öffnen wird. Damit hätte die Frauenbewegung eine ihrer großen Missionen
erfüllt und bewiesen, daß sie zu jenem frischen Lebensstrom gehört, der
die stagnierenden Gewässer der gegenwärtigen Zustände von innen heraus
aufwühlt und fortschwemmt.

Damit aber wäre das wichtigste Argument der Gegner der weiblichen
Berufsthätigkeit noch nicht aus der Welt geschafft. Es ist uralt, bis
zur Phrase herabgesunken; es wird von den typischen Frauenrechtlerinnen
verlacht und kommt gewöhnlich mit den Worten zum Ausdruck: Der einzige
Beruf des Weibes ist der, Gattin und Mutter zu sein, mit ihm ist kein
anderer vereinbar. Thatsächlich ist dies Argument das schwerwiegendste
und begründetste, und die große Schwierigkeit, es zu widerlegen, drückt
sich schon darin aus, daß die Vertreter der Frauenemanzipation ihm
entweder mit bedeutungsvollem Schweigen oder mit billigem Spott und
oberflächlichen Redensarten aus dem Wege gehen, obwohl die Möglichkeit
der Verwirklichung der Ideen der Frauenbewegung schließlich allein davon
abhängt, ob es steht oder fällt. Angesichts der gegenwärtigen
Verhältnisse ist es freilich weniger bedeutungsvoll, weil, wie wir
gesehen haben, es hauptsächlich alleinstehende Frauen sind, die in
bürgerlichen Berufen stehen. Da die Frauenbewegung sich jedoch das Ziel
gesetzt hat, alle Frauen durch selbständige Arbeit aus ihrer
wirtschaftlichen Versklavung zu befreien, so sollte zuerst untersucht
werden, ob, wie weit und auf welche Weise das überhaupt geschehen kann.

Stellen wir uns einen Arzt, Advokaten, Handelsangestellten oder
Staatsbeamten in seinem Arbeitskreise vor: Er geht früh zu seinem
Patienten oder in sein Bureau, kommt bestenfalls zur Mittagsstunde nach
Hause, und muß meist auch einen großen Teil des Nachmittags seinem
Berufe nachgehen. Die Ueberanstrengung der Gymnasialzeit setzt sich fort
und wird in ihrer Wirkung durch die notwendige Einseitigkeit der
Berufsarbeit noch verschärft, so daß nur sehr starke, elastische Geister
sich davor bewahren können, zu bloßen Arbeitsmaschinen einzutrocknen.
Bringen wir in Gedanken zunächst die verheiratete kinderlose Frau in
dieselbe Lage und fragen wir uns, ob sie, sofern sie zu Hause eine
selbständige Wirtschaft zu führen hat, ohne Schaden ihren Beruf
ausfüllen kann? Abgesehen davon, daß sie sich natürlich zu derselben
unerfreulichen Erscheinung entwickeln wird, wie ihr männlicher Kollege,
ist es unseres Erachtens dann möglich, wenn eine zuverlässige
Wirtschafterin ihr die häuslichen Geschäfte abnimmt, denn sich auch mit
ihnen in den wenigen Stunden daheim belasten wollen, hieße sich jeder
Ruhe berauben und die Gesundheit vollständig untergraben. In ähnlicher
Lage befindet sich die Mutter erwachsener Kinder, nur daß hier die Frage
entsteht, ob eine durch Schwangerschaften und Kinderwartung Jahre
dauernde Unterbrechung der Berufsthätigkeit, die jede Möglichkeit, darin
vorwärts zu kommen, so wie so abschneidet, ihr nicht auch die Fähigkeit
dafür geraubt hat. Besser wäre es für sie, wenn sie, wie es in England
und Amerika auch häufig geschieht, in einen neuen, für sie geeigneten
Beruf eintritt, auf den sie sich teils durch Studium, teils durch
Beteiligung an Wohlthätigkeitsbestrebungen und an sozialer Hilfsarbeit
vorbereiten kann, so lange sie im Hause unentbehrlich ist. Es käme dabei
wesentlich der Armen- und Krankendienst und etwa die Schulinspektion in
Frage[365], und es ist sicher, daß es für all die Frauen, die sich, sobald
die Kinder das Haus verlassen, plötzlich so gut wie aller Thätigkeit
beraubt sehen und die nur zu häufig in öden Vergnügungen aller Art oder
in Toilettenluxus einen Ersatz suchen und das tragikomische Schauspiel
des Nichtaltwerdenkönnens bieten, ein Segen wäre, fänden sie ein Feld
für ihren Lebensdrang und ihre Arbeitskraft. Auch die kinderlose Frau
würde durch Berufsarbeit über viele Klippen und heimliche nagende
Schmerzen leicht hinweggeführt werden.

Ganz anders liegen die Dinge, sobald es sich um jüngere verheiratete
Frauen handelt, die Kinder im Hause haben oder solche erwarten.
Gemäß den heutigen Verhältnissen, besonders in Europa, kämen
für sie nur solche Berufe in Betracht, die sich innerhalb der heimischen
vier Wände erledigen lassen, also etwa die der Malerin, Schriftstellerin
und Kunststickerin, allenfalls die der Zahnärztin, falls die Praxis
beschränkt wird. Aber auch dann muß die Frau verstehen, mit ihrer Zeit
hauszuhalten, muß entweder von vornherein in günstiger Lage sein, um
sich gute Dienstboten halten zu können, oder der Ertrag ihrer Arbeit muß
es ihr ermöglichen und zur selben Zeit das Mehr an Kosten ausgleichen,
das zweifellos entsteht, wenn die Wirtschaftsführung fremden, und--was
die Hauptsache ist--meist ungeschulten Kräften überlassen bleibt. Vor
allem aber darf sie ihren Kindern nichts entziehen: von der Muttermilch
an, die der Lebensborn der kommenden Generation wieder werden sollte,
bis zur körperlichen und geistigen Pflege, oder mindestens der
Oberaufsicht darüber. Nicht viele werden im stande sein, alle diese
divergierenden Aufgaben miteinander zu vereinen, alle Konflikte
glücklich zu lösen, die daraus entstehen, und sich und das Leben der
Ihren zu einem harmonischen zu gestalten. Meist leidet eine Aufgabe
unter der anderen, oder die Frau reibt sich innerlich auf. Und noch eins
ist die Folge: sie wird, falls sie, sei es aus äußeren oder inneren
Gründen, berufsthätig sein muß, ihre Kinderzahl zu beschränken suchen,
denn für die nervösen, degenerierten Damen unserer Zeit ist
Schwangerschaft und Wochenbett meist eine Krankheit, und die ersten
Jahre des Kindes nehmen, selbst bezahlte Pflege vorausgesetzt, die
Mutter stark in Anspruch. Daß unter den Lebens- und Arbeitsbedingungen
unserer Zeit die bürgerliche Berufsthätigkeit außer dem Hause für die
junge verheiratete Frau unmöglich ist, oder den Ruin der Kinder und der
häuslichen Wirtschaft nachziehen muß, braucht nach alledem nicht noch
bewiesen werden. Geschichten, die häufig von amerikanischen Frauen
erzählt werden, die etwa als Arzt oder Advokat eine große Praxis haben,
daneben den Haushalt persönlich führen und ein Dutzend Kinder
ausgezeichnet pflegen und erziehen sollen, sind Märchen, und nur die
leider so zahlreichen unverheirateten oder kinderlosen Sprecherinnen der
bürgerlichen Frauenbewegung können naiv genug sein, sie zu verbreiten.

Bedeutet das nun den Bankerott der Frauenemanzipation überhaupt? Ganz
und gar nicht! Es tritt vielmehr auch hier die Forderung an Denker und
Gesetzgeber heran, die Formen zu finden, die sich den neu entstehenden
Zuständen anpassen. Gerade diejenigen, die der Entwicklung der
Frauenbewegung angstvoll zuschauen, müßten sich dazu bereit finden,
statt sie durch ihren Widerstand auf Seitenwege zu drängen und der
Zerrüttung des Familienlebens, der geistigen und finanziellen Not der
Frauen noch Vorschub zu leisten. Nichts unbedingt Neues, Unnatürliches
brauchte aus dem Boden gestampft zu werden, man brauchte nur den
wirtschaftlichen und industriellen Entwicklungstendenzen aufmerksam
nachzugehen und die Reformversuche, die besonders in Amerika gemacht
werden, weiter auszubilden. Im wesentlichen käme es darauf an, die
ungeheure Verschwendung von Arbeitskräften und Mitteln, die heute durch
die Masse der Einzelwirtschaften,--den kümmerlichen Rest der großen
Hauswirtschaft des Mittelalters,--getrieben wird, einzudämmen. Das
könnte in großen Mietshäusern durch Zentralküchen geschehen, die unter
der Leitung einer wissenschaftlich und technisch ausgebildeten
Wirtschafterin stehen müßten und in der Lage wären, sich alle modernen
Errungenschaften der Chemie und des Maschinenwesens zu Nutze zu machen.
Das wäre nicht nur eine große Ersparnis, sondern dadurch würde auch dem
Dilettantismus in der Küche,--in nichts anderem besteht die mit so viel
Aufwand an Sentimentalität festgehaltene Thätigkeit der
Durchschnittsfrau und ihrer Köchin,--ein Ende bereitet, statt daß man
ihn noch weiter auf einem so wichtigen Gebiet, wie die Ernährung des
Menschen es ist, Unheil stiften läßt. Es wäre ferner mit keinen großen
Schwierigkeiten verbunden, für bestimmt umgrenzte Häusergruppen Turn-
und Spielplätze, im Winter in Sälen, im Sommer in Gärten, anzulegen und
auf gemeinsame Kosten der Eltern für ihren Beruf gründlich vorgebildete
Erzieherinnen und Kindergärtnerinnen anzustellen; selbst für die
Kleinsten, die heute gewöhnlich zu verhätschelten Egoisten erzogen
werden, wäre es von großem Vorteil, wenn sie nicht nur, um vor der
traurigen Frühreife der Stadtkinder bewahrt zu werden, mit
Altersgenossen sich herumtummeln könnten, sondern auch beizeiten
lernten, ihr kleines Ich nicht für den einzigen Mittelpunkt der Welt zu
betrachten. Durch solche Einrichtungen, die sich besonders in den
Vororten großer Städte, womöglich in Verbindung mit Gruppen kleiner
Familienhäuser, treffen ließen,--es handelt sich ja, wie wir wissen,
zunächst nur um einen kleinen Prozentsatz verheirateter berufsthätiger
Frauen,--hätten sie Stunden des Tages, ohne innere Unruhe, zu ihrer
Verfügung, und die übrige Zeit würden sie sich um so frischer und
freudiger ihrem Mann und ihren Kindern widmen, während heute nur zu
häufig aus geistig angeregten, begabten Mädchen, unter dem Druck der
häuslichen Sorgen, der erzwungenen Vernachlässigung ihrer geistigen
Bedürfnisse, und dem oft herzzerreißenden stillen Kampf zwischen der
nach Leben und Bethätigung drängenden Begabung und den notwendig zu
erfüllenden Pflichten, früh alternde, interesselose, stumpfe Frauen
werden, die weder ihren heranwachsenden Kindern eine Erzieherin und
Freundin, noch ihrem Gatten eine gute Gefährtin sein können.

Natürlich wird diesen Ausführungen das bekannte Schlagwort von der
Auflösung der Familie entgegengeschleudert werden. Sehen wir aber doch
einmal ehrlich, ohne die rosige Brille, mit der man das Familienleben zu
betrachten pflegt, den Thatsachen ins Gesicht, und fragen wir uns, ob
nicht die alte Familienform ohne unser Zuthun, einfach infolge der
wirtschaftlichen Entwicklung, der auch die Frauenbewegung angehört,
ihrer Zersetzung entgegengeht. Am charakteristischsten ist es, daß
gerade da, wo man sehr konservativ zu sein glaubt und von modernen
Strömungen nichts wissen will, diese Zersetzung deutlich Platz greift:
oder werden Mädchen und Knaben nicht mit Vorliebe Bonnen und
Gouvernanten anvertraut, schickt man sie nicht für Jahre in Institute,
Kadettenanstalten und dergleichen, wo jeder mütterliche Einfluß
wegfällt; und hat sie nicht noch andere, recht schädliche Einrichtungen
hervorgebracht? Dabei sei nur daran erinnert, wie sich das Leben der
Männer, und zwar in den vorgeschrittensten Ländern am meisten, zwischen
Bureau und Klub abspielt, und die Frauen anfangen, es ihnen schleunigst
nachzumachen. Man hat eben, statt der Entwicklung offenen Auges zu
folgen und sie in der Hand zu behalten, sie durchgehen lassen wie ein
wildes Pferd. Es hilft nichts, sich vor der Wahrheit die Augen zu
verbinden und zu versuchen, die Gegner zu entwaffnen, indem man in ihre
Heiligpreisung der Familie einstimmt. Eine weit bessere Politik ist es,
ihnen und uns den Gang der Dinge klar zu machen und ruhig auszusprechen,
daß die Frauenbewegung mit ihrer Tendenz der wirtschaftlichen Befreiung
der Frau, zweifellos die heutige Familienform untergräbt, und es an uns
liegt, den neuen Formen für das Gemeinschaftsleben zwischen Mann, Weib
und Kind nachzuspüren und sie aufbauen zu helfen.

Für das Proletariat, wo von einem Familienleben nach den hergebrachten
Anschauungen längst keine Rede mehr ist, bahnt sich eine Neugestaltung,
wenn auch sehr langsam und sehr vorsichtig, nach und nach an. Ansätze
dazu finden sich in den Kindergärten, Kinderhorten, in den vielfach
entstehenden Krippen in der Nähe der mütterlichen Arbeitsstätte, die den
Frauen ermöglichen, ihre Kinder zu nähren; in der Errichtung von
Arbeiterwohnungen, die Zentralküchen, Kinderhorte, Gärten, Säle für
gesellige Zusammenkünfte u. dgl. mehr umfassen; in der Kranken- und
Invalidenversicherung, in der, wenn auch zunächst fast nur in der Idee
bestehenden Mutterschaftsversicherung[366], sowie schließlich in der
ganzen Gesetzgebung für Arbeiterschutz. Aehnliche Maßregeln werden auch
für bürgerliche Arbeiter beiderlei Geschlechts, die sich übrigens sowohl
in Bezug auf Entlohnung wie auf Ausbeutung ihrer Arbeitskraft mehr und
mehr proletarisieren, nach und nach notwendig werden. Dabei wird die
Regelung und Beschränkung der Arbeitszeit für Beamte, Bureauangestellte,
Lehrer und ähnliche Berufsthätige die größte Bedeutung haben.
Und, erst wenn diese Reform mit der Reform der Wohnungs- und
Hauswirtschaftsverhältnisse Hand in Hand geht, wird die bürgerliche
Berufsarbeit der Frauen nicht mehr mit dem Eintritt in die Ehe
abzuschließen brauchen, sie wird sich auch leichter ermöglichen lassen,
weil bei geringer Ausnutzung der einzelnen Platz für viele frei wird.

Damit wäre, ohne auf die gleich wichtige ethische und psychologische
Seite der Frage, deren Erörterung nicht hierher gehört, einzugehen, das
Argument der Gegner, das die körperlichen Funktionen des Weibes als
Hinderung seiner Berufsarbeit auffaßt, zugleich gestützt und widerlegt:
neue wirtschaftliche Gestaltungen, veränderte Arbeitsbedingungen sind
notwendig, falls das Streben nach der Befreiung der Frau sein Ziel
vollständig erreichen und nicht zu neuer Versklavung und körperlichem
und geistigem Siechtum ihrer selbst und ihrer Kinder führen soll. Dabei
gilt es, noch ein Moment im Auge zu behalten. Manche der besten Frauen
unserer Zeit, die das Weib in sich zugleich mit individueller geistiger
Persönlichkeit auszubilden verstanden, und die natürliche Sehnsucht
ihres Geschlechts nach Mann und Kind in gesteigertem Maße besitzen, weil
keine Konvention ihr Herz verkrüppelte, wenden sich doch von der Ehe,
wie sie ihnen heute erscheint, bewußt ab. Denn was sie von ihr sehen,
widerspricht ihrem geistigen und persönlichen Freiheitsbedürfnis und sie
lassen lieber ihr tiefstes Wesen verkümmern, als daß sie sich zu ihr
entschließen. Und das wird um so häufiger geschehen, je weniger sie
einer Versorgung bedürfen, je mehr Berufe ihnen offenstehen und im
stande sind, Geist und Herz von dem abzulenken, was ihnen fehlt. Im
Interesse der Menschheit aber liegt es, der kommenden Generation die
besten Mütter zu sichern; die Art des Familienlebens müßte sich daher
auch deshalb den neuen Bedürfnissen anpassen.

Der Widerstand gegen das Eindringen der Frauen in männliche
Berufssphären findet aber noch andere Begründungen: in dem Hinweis auf
die Menge der männlichen Bewerber drückt sich ein brutaler
Geschlechtsegoismus aus, entspricht es doch nur einer vollständig
überwundenen Rechtsanschauung, irgend jemandem zu verwehren, sich in
welchem Beruf immer durchzusetzen. Etwas ernsteren Charakter hat es,
wenn von der Erwerbsarbeit der Frauen eine Schädigung ihrer Weiblichkeit
gefürchtet wird. Dabei sollte man sich, was gewöhnlich nicht geschieht,
zunächst über diesen Begriff klar werden. Meines Erachtens läßt er sich
in zwei Worte fassen: Anmut und Güte. Daß diese Eigenschaften, statt
sich zu höchster Vollendung zu entfalten, unter dem Einfluß des Kampfes
ums Dasein in seinen gegenwärtigen barbarischen Formen verkümmern und
häufig in ihr Gegenteil umschlagen, unterliegt kaum einem Zweifel. Die
drückende Arbeitslast, verbunden mit dem unzureichenden Einkommen,
gewähren den meisten Frauen weder Zeit, noch Lust, noch Mittel, um ihre
äußere Erscheinung zu pflegen, ihr Schönheitsbedürfnis zu kultivieren,
und die häufige innere Verbitterung und Vereinsamung raubt ihnen den
Rest der Anmut ihres Wesens, wie der Zwang, sich rücksichtslos gegen
andere durchzusetzen, und die Notwendigkeit, durch die Arbeit sich
allein nur erhalten zu können, ihre natürliche Güte unterdrückt. Dazu
kommt, daß gerade die bürgerliche Frauenbewegung, die wesentlich die
Forderungen alleinstehender Frauen vertritt, einen zum Teil notwendigen,
zum Teil ins Groteske auswachsenden Kampf gegen den Mann entfaltete, der
die Schärfen des weiblichen Wesens zu unerfreulichem Ausdruck brachte.
Er zeitigte jene sogenannten Emanzipierten, deren Typen in England und
Deutschland besonders zahlreich zu finden sind: Frauen, die sich
vernachlässigen, männliche Allüren annehmen, ihr Weibsein äußerlich und
innerlich unterdrücken. Sie sind die Karikaturen der Frauenbewegung, wie
jede soziale und revolutionäre Bewegung sie hervorbringt, und der
Ausdruck "das dritte Geschlecht" ist eine zutreffende Bezeichnung für
sie. Aus ihrer Richtung gehen alle Auswüchse der Frauenbewegung hervor:
so die Damenklubs, die die Trennung der Geschlechter noch mehr
verschärfen helfen, statt daß der gesunden Tendenz der Frauenbewegung,
die sie wieder einander nähern will, allein nachgegeben würde; so die
von England ausgehende halbmännliche Uniformierung der Frauen mit ihren
großen, absatzlosen Stiefeln, ihren Herrenhüten und ihren die Brust
zurückdrängenden Herrenhemden. Aber all diesen Erscheinungen gegenüber,
die abzuleugnen Thorheit wäre, wollen wir doch die Frage aufwerfen, ob
unser gesellschaftliches, soziales und wirtschaftliches Leben und
Streben nicht auf das männliche Geschlecht in ähnlicher Art einwirkt. Wo
findet sich bei unseren männlichen geistigen Arbeitern, die über
Manuskripten und Büchern hocken und zur Erholung dem Skat- und Biertisch
zuströmen, noch männliche Kraft und Schönheit? Besitzen sie, die in der
Mehrzahl unter der Geißel der Abhängigkeit Frondienste leisten, noch
jene gerühmten Tugenden ihres Geschlechts: Mut und Unabhängigkeit? Sind
nicht, bei Licht betrachtet, unsere Jünger der Wissenschaft, die
Studenten, in einem viel jämmerlicheren Zustand, als ihre weiblichen
Genossen?

So kann man wohl mit Recht behaupten, daß die Weiblichkeit unter unseren
heutigen Berufs- und Arbeitsverhältnissen Schaden leidet, aber man soll
nicht vergessen, hinzuzufügen, daß die Männlichkeit nicht weniger
geschädigt wird, und der weiteren Degenerierung nur durch gründliche
Reformen vorgebeugt werden kann.

Noch ein anderer Einwand gegen die Gleichberechtigung der Frauen auf dem
Gebiet der Wissenschaft und der bürgerlichen Berufe bleibt zu erörtern;
ihre angebliche untergeordnete geistige Befähigung.

Leider fehlt es noch fast ganz an einem ausreichenden,
wissenschaftlichen, unanfechtbaren Thatsachenmaterial, aus dem sich
sichere Schlüsse über die Begabung der beiden Geschlechter ziehen
ließen, und auch der Wert der vorhandenen ist kein allzugroßer, weil
sich die von der ersten Kindheit an verschiedenartige Erziehung der
Geschlechter als eine nicht zu vermeidende Fehlerquelle erweist. So hat
eine Untersuchung an einer Anzahl Berliner Kinder beim Schuleintritt
gezeigt, daß die Mädchen den Knaben in der Kenntnis der Dinge und
Begriffe aus der nächsten Umgebung und dem täglichen Leben überlegen
sind, während die Knaben von äußeren entfernteren Dingen genauer
unterrichtet waren.[367] Als das Ergebnis einer italienischen
Untersuchung stellte es sich heraus, daß Mädchen lieber lernen als
Knaben, und es weit mehr Knaben giebt als Mädchen, die für nichts
Interesse haben.[368] Mit solchen Einzelheiten aber läßt sich für
unseren Zweck wenig anfangen, wissen wir doch, daß Mädchen von klein auf
an häusliche Thätigkeit, also an eine Kenntnis der Umgebung, gewöhnt
werden, und Knaben sich meist frei draußen herumtummeln dürfen, also
äußere Dinge kennen lernen, ja daß schon das verschiedenartige Spielzeug
nach dieser Richtung erziehend einwirkt. Nach meiner Erfahrung werden
Mädchen, die statt mit den Puppen, den Puppenstuben und Puppenküchen,
mit Pferden, Viehställen und Bleisoldaten spielen, denselben Kreis von
Begriffen und Vorstellungen haben, wie die Knaben. Der Mangel an
geistigen Interessen, die geringere Lernbegierde endlich, die bei den
Knaben konstatiert wurde, läßt sich sicherlich zum großen Teil auf ihre
frühe geistige Ueberbürdung zurückführen. Vielleicht daß auch die häufig
beobachtete Thatsache der schnelleren geistigen Entwicklung der Mädchen
in der geringeren Belastung ihres Gehirns mit Gedächtniskram eine
Erklärung findet, während die vom 20. Jahre ab sich meist geltend
machende Ueberlegenheit der jungen Männer ihre Ursache gewiß darin hat,
daß sie sich nun frei und ungehindert im Leben umsehen können, während
das Dasein der Mädchen gerade jetzt ein eng umgrenztes wird und man sie
vor dem größten Lehrmeister, der persönlichen Lebenserfahrung, ängstlich
behütet. Auch auf den Umstand, daß Frauen im Bureaudienst mehr Fleiß und
Geduld als Intelligenz bekunden, wie Umfragen bei Kaufleuten und bei der
englischen Post- und Telegraphenverwaltung ergeben haben[369], ist die
Art ihrer Erziehung sicher von wesentlichstem Einfluß gewesen. Und die
andere vielfach auftauchende Klage, daß sie für ihren Dienst wenig
persönliches Interesse haben, wird ebenso wie die häufige Nachlässigkeit
ihrer Vorbildung dadurch vollständig erklärt, daß leider heute noch fast
alle Mädchen in ihrer Erwerbsthätigkeit keinen Lebensberuf sehen, dem
sie sich mit voller Hingabe widmen, sondern nur ein fatales
Durchgangsstadium zur Ehe, das sie rasch zu überwinden hoffen. Selbst
die schnellere Auffassungsgabe der Frau, ihre Fähigkeit zu raschen
Entschlüssen, scheint kein feststehendes Attribut ihres Geschlechts zu
sein, denn sie beruht weniger auf Raschheit des Denkens und Energie des
Charakters, als darauf, daß ihr in bedeutend höherem Maße als dem Mann
mehr Gedanken als Denken gelehrt, blinder Respekt vor Autoritäten in ihr
groß gezogen wurde, und sie den Zweifel als die Ursache der geistigen
Selbständigkeit, aber auch der langsameren Entgegennahme der Ideen
anderer und des vorsichtigeren Handelns, kaum kennt. So hat Buckle nicht
Unrecht, wenn er meint[370], die Frauen seien geistig so beweglich, weil
sie mehr von Gedanken als von geduldig gesammeltem Thatsachenmaterial
ausgehen. Ist es ihnen denn gelehrt worden, daß das rechte Wissen in der
auf eigenen Untersuchungen beruhenden Gewißheit und nicht im bloßen
Nachbeten anderer besteht? Und wie verhält es sich mit dem Mangel an
Energie und Unabhängigkeitssinn, den man dem weiblichen Geschlecht
vorwirft und auf Grund dessen man meint, daß keine Frau ein Bacon oder
Galilei werden könnte? Hat man nicht Jahrtausende hindurch jene
Weiblichkeit in ihr groß gezogen und verehrt, deren Inbegriff in der
bedingungslosen Hingabe, der Aufopferung, dem blinden Gehorsam besteht?
Mehren sich nicht heute, wo man anfängt, von diesem Ideal sich
abzuwenden, die Zeichen für eine ganz enorme Energie des Weibes und
einen Unabhängigkeitssinn, der keine anderen als die selbst gezogenen
Schranken anerkennt? Ich erinnere nur an die Vorkämpferinnen der
Sklavenbefreiung und der Frauenbewegung in Amerika, an die wachsende
Zahl mutiger und durchaus selbständiger Schriftstellerinnen beider
Hemisphären.

Gewöhnlich wird die geistige Begabung des Weibes für eine so
minderwertige gehalten, daß man sich aus diesem Grunde berechtigt
glaubt, ihr den Zugang zu männlichen Berufen zu verwehren. Dabei fehlt
es an vollgültigen Beweisen, die dies apodiktische Urteil über die
Befähigung der Frauen stützen könnten. Aber selbst Gelehrte, die gewöhnt
sein sollten, erst auf Grund ausreichenden Thatsachenmaterials
allgemeine Schlüsse zu ziehen, sind, was das betrifft, vom
Geschlechtsegoismus meist zu verblendet, daß sie in leichtsinnigster
Weise urteilen. So berief sich ein berühmter Mediziner und enragierter
Feind des Frauenstudiums, den ich nach seinen Gründen befragte, auf
folgende Erfahrung, die er gemacht hatte: In einer Vorlesung über
Gehirnanatomie befand sich eine ältere weibliche Hörerin; nach Schluß
der Stunde, in der der Dozent auch den Umstand erwähnt hatte, daß das
weibliche Gehirn in seinem Wachstum früher zum Stillstand kommt, und
auch früher abzunehmen beginnt, als das männliche, kam die Dame zu ihm
und sagte, daß sie das nicht glauben könne, denn sie sei doch schon 50
Jahr und fühle keinerlei Abnahme ihrer Geisteskräfte. "Niemals würde ein
Student," meinte der Professor, "solch eine thörichte, auf rein
subjektiver Auffassung beruhende Bemerkung machen, das ist
ausschliesslich Frauenart." So gründen viele Universitätslehrer ihre
absprechende Meinung auf die Erfahrung, die sie mit ihren weiblichen
Zuhörern machten, aber während die einen,--zumeist solche, die seit
Jahren viele Studentinnen mit Studenten unterrichten, wie z.B. Professor
Winter in München[371],--ihnen das größte Lob erteilen und sie den
Männern völlig gleichstellen, sprechen andere, die zumeist nur wenige,
schlecht vorbereitete Schülerinnen haben, von ihrer durchgehenden
Mittelmäßigkeit im Studium. Sind sie Mediziner, so pflegen sie den
Frauen die Befähigung zum Hebammen- und Krankenpflegerinnenberuf
zuzuerkennen, sie ihnen aber für den ärztlichen vollständig
abzusprechen; sind sie Juristen, so möchten sie ihnen den Bureaudienst
zwar überlassen, halten sie aber für unfähig, als Advokaten oder Richter
zu praktizieren. Demgegenüber stößt uns nicht nur wieder die Frage auf,
ob denn die bisher gemachten ganz minimalen Erfahrungen zu solchen
Urteilen berechtigen, sondern wir schauen uns unwillkürlich unter den
männlichen Studenten, den männlichen Aerzten etc. um und fragen uns, ob
denn hier nicht auch die Mittelmäßigkeit dominiert, ja, ob die Begabung
überhaupt der Maßstab dafür ist, zu welchem Beruf ein junger Mann sich
vorbereitet. Giebt nicht der Geldbeutel und der Stand des Vaters fast
allein den Ausschlag? Sind aber die Männer trotzdem von der
Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts fest überzeugt, so brauchten
sie ja seine Konkurrenz nicht zu fürchten. Wer aber beiden Geschlechtern
durchschnittlich ähnliche Fähigkeiten zuerkennt, der sollte den Eintritt
der Frauen in die bürgerlichen Berufe schon darum befürworten, damit
eine genauere Auslese der Besten möglich ist und die Mittelmäßigkeit,
die männliche und die weibliche, etwas aus ihrer herrschenden Position
gedrängt wird. Dabei darf man sich nicht verhehlen, daß dieser als Folge
der Frauenbewegung auftretende und mit ihrem Fortschreiten immer
heftiger sich gestaltende Konkurrenzkampf notwendigerweise die
unerfreulichsten Nebenresultate zeitigen muß: der Egoismus, der
Brotneid, die geistige Ueberanstrengung und körperliche
Vernachlässigung, die dadurch schon unter den Männern hervorgebracht
werden, müssen nach und nach auch auf die Frauen korrumpierend wirken.
Das abzuleugnen, wäre ebenso thöricht, als es thöricht ist, von der
Zulassung zu den Universitäten und den bürgerlichen Berufen die
Befreiung der Frau zu erwarten.

Freunde der Frauen, die sich vor einseitigen Urteilen hüten und die
Notwendigkeit ihrer Berufsarbeit anerkennen, sehen aber neben diesen
daraus entstehenden Uebeln noch andere und behaupten, daß der Eintritt
der Frauen in das Berufsleben nicht nur auf sie selbst schädlich,
sondern vor allen Dingen auf den Fortschritt der Welt hemmend einwirken
muß. Und zwar berufen sie sich dabei auf den alten Erfahrungssatz: das
weibliche Geschlecht hat noch kein Genie hervorgebracht.

Urteilslose Anhänger des Feminismus pflegen dem unbedingt zu
widersprechen, indem sie ihren ganzen Namensvorrat berühmter Frauen von
Sappho und Hypatia an bis auf Sonja Kowalewska vor uns ausbreiten.
Betrachten wir sie aber genau und ohne Voreingenommenheit, so ist das
Ergebnis dieses: Von den Dichterinnen und Gelehrten des Altertums ist
uns fast nur der Name geblieben, mehr als ihre Werke interessierte stets
ihre Persönlichkeit. Die Leistungen der weiblichen Gelehrten neuerer und
neuester Zeit sind achtungswert, zum Teil hervorragend, sie zeugen von
ernstem Studium und großem Fleiß und überragen diejenigen vieler Männer
der Wissenschaft, aber eine wirklich geniale Leistung, eine
bahnbrechende wissenschaftliche That ist ihnen bisher nicht gelungen.
Die Freunde der Frauenbewegung pflegen hier die Erklärung abzugeben, daß
die Erziehung des weiblichen Geschlechts, seine soziale Gebundenheit,
seine Ausschließung von den wissenschaftlichen Lehranstalten die Ursache
hiervon sei. Sie haben nicht unrecht. Nur wenige Frauen haben freie Bahn
gehabt für ihre Entwicklung, erst die neueste Zeit beginnt sie langsam
auf gleiche Stufe zu stellen mit den Männern, und statt über die
geringen Leistungen der Frauen zu spotten, sollte man staunen über das,
was sie, trotz der Ungunst der Verhältnisse, geleistet haben. Der Mangel
an weiblichen Genies aber läßt sich dadurch noch nicht zur Genüge
erklären und er fällt noch mehr in die Augen, wenn wir das Gebiet der
Kunst, zu dem der Zutritt überdies den Frauen viel leichter gemacht
wird, mit in den Kreis der Beobachtung ziehen. Auch hier viel Talente,
starke Begabungen, besonders solche reproduzierender Art, aber keine
schöpferische Kraft. Selbst große Dichterinnen wie Annette v.
Droste-Hülshoff, Elisabeth Barrett-Browning, Ada Negri, erreichen auch
nicht von ferne die Höhen der Klassiker; im Drama stehen die Frauen
sogar zweifellos unter dem Durchschnitt der männlichen Dichter. Ihre
große Neigung zur Musik hat noch nicht eine Komponistin hervorgebracht,
die sich mit männlichen Komponisten zweiten und dritten Rangs messen
könnte, und keine der berühmten Malerinnen kann beanspruchen, mehr als
Tüchtiges geleistet oder gar neue Wege gewiesen zu haben. Greifen wir
noch auf andere Gebiete über, auf denen genialer Erfindungsgeist zum
Ausdruck kommen kann, so bleibt doch der Eindruck derselbe: Die Frauen
haben auch im Umkreis naheliegender Interessen, wie in der Kochkunst,
der Wäscherei und Schneiderei, keinerlei umwälzende Leistungen zu
verzeichnen, obwohl es eine ganze Reihe von Frauen giebt, die allerhand
sehr nützliche Erfindungen machten. Alledem gegenüber ist man häufig zu
dem Resultat gekommen, das die geniale Begabung der Frau keine
produktive, sondern eine reproduktive sei, da es mehr große
Schauspielerinnen als Schauspieler, mehr bedeutende weibliche als
männliche Virtuosen gäbe. Ich glaube, daß eine Entscheidung hierüber
sich kaum treffen läßt, und daß sie nur in Betreff der Schauspielerinnen
zu Gunsten der Frauen ausfallen könnte. Ich bin vielmehr der
Ueberzeugung, daß die Genialität der Frau auf einem ganz anderen Gebiet
sich zu äußern bestimmt ist, auf einem Gebiet, das sich erst jetzt der
Menschheit erschließt.

Wir haben gesehen, daß die von den Frauen bevorzugten Berufe--die der
Erzieherin und Schulinspektorin, der Pflegerin und Aerztin, der
Armenpflegerin und Fabrikinspektorin, der Handelsangestellten und
Bureaubeamtin--der Mütterlichkeit ihres Wesens entsprechen, und wir
können, trotz einer nicht allzulangen Erfahrung, doch heute schon
konstatieren, daß sie sich in den von ihnen gewählten Berufen ganz
besonders auszeichnen. Wir wissen ferner, daß fast alle
Wohlthätigkeitsbestrebungen, auch die größten Stils, fast ausschließlich
den Frauen ihr Entstehen und ihre Entwicklung verdanken, daß sie sich
überall in wachsendem Maße an allem beteiligen, was unter den Begriff
Sozialreform fällt, und sowohl als Agitatoren wie als Gelehrte hier ihr
Bestes leisten. Während sie im allgemeinen am Althergebrachten zu hängen
pflegten und die schwierige Position der Avantgarde stets den Männern
überließen, wenden sie sich jetzt mit erstaunlichem Verständnis
und seltener Energie den jüngsten der Wissenschaften, den
Sozialwissenschaften, zu, und kämpfen darum, in ihren Rahmen zu
praktischer Thätigkeit zu gelangen. Sie sehen ein ungeheures Feld vor
sich, dessen Bearbeitung ihnen entspricht, in der ihre Persönlichkeit
zum vollendeten Ausdruck kommen kann, denn es handelt sich hier darum,
Mittel und Wege zu finden, um den Elenden und Schwachen zu helfen, um,
wie einst die Oekonomie des Hauses, jetzt die Oekonomie der Welt zu
begreifen, zu leiten und zu beherrschen, um an Stelle des Schwertes
Hammer, Meißel und Pflugschar als Symbol des Völkerlebens aufzurichten.
Und besteht nicht Genialität im Ausdruck der Persönlichkeit?

Darum tritt die Frau gerade jetzt so sehr in den Vordergrund, darum
nimmt die Frauenbewegung so große Dimensionen an: weil die Atmosphäre
sich bildet, in der sie frei zu atmen vermag, weil Despotismus,
Sklaverei und Krieg im Bewußtsein der Menschheit mehr und mehr als
barbarische Reste einer überwundenen Vergangenheit angesehen werden,
weil die Kraft der Muskeln an Wert verliert und die Kraft des Geistes
und Herzens langsam an ihre Stelle tritt. Wenn es auch heute, wo die
ersten Schritte auf diesem Wege gemacht werden, noch keine weiblichen
Genies giebt, die bahnbrechend vorangehen, so steht es für mich außer
allem Zweifel, daß sie kommen werden. In diesem Sinne haben die Gegner
recht, wenn sie ein Zeitalter des Feminismus voraussehen; sie haben aber
unrecht, wenn sie meinen, daß es eins der Schwäche, der Degeneration
sein wird. Denn erst die Ergänzung der männlichen Begabung durch die
weibliche, erst das Zusammenarbeiten beider Geschlechter, die ja doch
mit gleichen Daseinsrechten die Erde bevölkern, kann Wirkungen
hervorbringen, die nicht durch ihre Einseitigkeit den einen Teil
schädigen. Wären die Fähigkeiten des Geistes und Herzens gleich, so wäre
der Eintritt der Frauen in das öffentliche Leben für die Menschheit
vollkommen wertlos und würde nur auf einen noch wilderen Konkurrenzkampf
hinauslaufen. Erst die Erkenntnis, daß das ganze Wesen des Weibes ein
vom Manne verschiedenes ist, daß es ein neues belebendes Prinzip im
Menschheitsleben bedeuten wird, macht die Frauenbewegung zu dem, was sie
trotz mißgünstiger Feinde und lauer Freunde ist: einer sozialen
Revolution.

Die bürgerliche Frauenfrage, wie sie uns auf Grund der bisherigen
Untersuchungen entgegentritt, ist in erster Linie eine wirtschaftliche
Frage, die im Kampf um Arbeit am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Sie
spitzt sich um so mehr zu, je größer der Frauenüberschuß ist, je
geringer die Heiratsaussichten, je schroffer die Gegensätze zwischen
Einnahmen und Bedürfnissen sich gestalten. Die Eröffnung der
Universitäten, der höheren Lehranstalten aller Art und der bürgerlichen
Berufe sind ein notwendiger Schritt zur Lösung der Frauenfrage; unter
den bestehenden Verhältnissen jedoch sind sie allein im Hinblick auf die
Hebung der Lage der alleinstehenden Frauen von Bedeutung, ziehen aber
auch eine Reihe von Uebelständen, die in dem immer heftiger werdenden
Konkurrenzkampf der Geschlechter zum schärfsten Ausdruck kommen, nach
sich. Angesichts dieser Folgen der Frauenemanzipation, die auch auf die
körperliche Kraft und die geistige Frische der Frauen und ihrer Kinder
nachteilig einwirken, und der Thatsache, daß von ihrer wirtschaftlichen
Befreiung erst dann die Rede sein kann, wenn die verheirateten Frauen,
die auch in der Bourgeoisie in immer ausgedehnterem Maße zum Erwerb
gezwungen sind, durch Arbeit ökonomisch selbständig zu werden vermögen,
ist eine tiefgreifende Veränderung der Arbeitsbedingungen, der Wohnungs-
und Hauswirtschaftsverhältnisse und der Formen des Familienlebens die
unausbleibliche Voraussetzung der Lösung der wirtschaftlichen Seite der
Frauenfrage. Ein Urteil über den Wert des Anteils der Frauen an der
bürgerlichen Berufsthätigkeit wird auch erst dann zu fällen möglich
sein, wenn ihre individuellen Fähigkeiten ungehemmt zur Entwicklung
gelangen können, und die eigentümliche Genialität der Frau sich
entfalten kann.

Damit ist auch über die heutige bürgerliche Frauenbewegung, die sich
weder ihrer treibenden Kräfte vollkommen bewußt wird, noch ihre letzten
Konsequenzen klar ins Auge faßt und eingesteht, das Urteil gesprochen.
Das höchste, was sie vermag, ist, die ersten Schritte auf einem Wege zu
führen, den die Frauen nur in der Gefolgschaft einer allgemeinen, beide
Geschlechter umfassenden sozialen Bewegung bis zum Ende werden gehen
können.



4. Die Entwicklung der proletarischen Frauenarbeit.


Wer die Geschichte der proletarischen Frauenarbeit im 19. Jahrhundert zu
schreiben unternehmen wollte, müßte zugleich die Geschichte der Maschine
schreiben. Sie war es, die wie ein Hexenmeister durch ihre eintönig
rasselnde Rede und ihren feuersprühenden Atem jene dunklen, endlosen
Scharen bleicher Frauen aus ihren stillen Heimstätten herauslockte und
in ihre Dienste nahm. Zwar hat es nie eine Zeit gegeben, in der nicht
durch die Handarbeit der Frau ein großer Teil der allgemeinen
Bedürfnisse befriedigt wurde, aber erst von der Zeit an, wo die Kraft
der Maschine anfing, die Muskelkraft des Menschen zu ersetzen, war es
möglich, Arbeiter ohne Muskelkraft in Massen anzustellen. Mit Hammer und
Zange, mit Hobel und Säge in der eigenen kräftigen Faust beherrschte der
Mann die Produktion; er beherrscht sie auch dann noch, wenn die
Triebkraft der komplizierteren Produktionsmittel auf Menschenkraft
beruht, aber er muß dem Weibe neben sich Platz machen, je mehr die
mechanischen Triebkräfte sich entwickeln und an Stelle der brutaleren
Eigenschaften des menschlichen Körpers Gewandtheit und Geschicklichkeit
erfordert werden. Frauen- und Kinderarbeit war daher die notwendige
Folge der aufblühenden Großindustrie.[372] Aber wie das rastlose Streben
nach technischen Vervollkommnungen keine moralischen Beweggründe--etwa
den Wunsch nach Entlastung des Menschen, nach verringerter Anstrengung
und verkürzter Arbeitszeit--hat, sondern von dem Verlangen nach
Verbilligung der Produktion beherrscht wird, so führt dasselbe Verlangen
zur Beschäftigung weiblicher Arbeiter. Die Maschine wählt die in der
Frau verkörperte billigste Arbeitskraft[373], und ihre Wahl für eine
Arbeit wird durch die Arbeitsarten bestimmt. Die Erfindung einer neuen
Maschine oder die Benutzung motorischer Kräfte kann ein ungeübtes
Mädchen den gelernten kräftigen Arbeiter ersetzen lassen. Erst die
Veränderung des Arbeitsprozesses ermöglicht also die Beschäftigung der
Frauen.[374]

Um die Wende des 18. Jahrhunderts vollzog sich jener große Umschwung auf
dem Gebiete der Technik, der von so weittragender Bedeutung für die
Entwicklung der Industrie sein sollte. Die Erfindung der Spinning-Jenny,
der Kämmmaschine, der Bobbinetmaschine, des mechanischen Webstuhls, des
Strumpfwirkerstuhls u.a.m., fiel in denselben Zeitraum wie die Erfindung
der Dampfmaschine, und eine ungeheure Umwälzung im gewerblichen Leben
war ihre Folge. In Wahrheit war es die Maschine, die den im Nebel
phantastischer Träume schwebenden demokratischen Ideen eine reale
Grundlage schaffen half: die gesteigerte Produktion entriß zahlreiche
Gebrauchsartikel dem Alleinbesitz privilegierter Klassen und führte sie
breiteren Massen des Volkes zu. An Stelle der einen Spindel, mit der der
Mensch früher spann, treten schon im Anfang des Jahrhunderts durch die
Maschine zwölf und mehr Spindeln, an Stelle der vier Nadeln, mit denen
gestrickt worden war, trat der Strumpfwirkerstuhl mit Hunderten von
Nadeln. Die Spinnmaschine war die erste, die ihren Eroberungszug durch
die Kulturwelt antrat; Ende des 18. Jahrhunderts wurde sie in England
zum erstenmal in Bewegung gesetzt, kurz darauf kam sie nach
Massachusetts, wo bis zum Jahr 1809 87 Spinnereien mit 80000
Spinning-Jennys und einem Stamm von 66000 weiblichen Arbeitern ins Leben
traten[375]; zu gleicher Zeit entstanden die drei ersten mechanischen
Spinnereien in den Rheinlanden; vom Jahre 1806 datiert die Einführung
der Spinnmaschinen in Deutschland, 1812 wurde eine von ihnen in
Mülhausen bereits mit Dampf getrieben[376], und sieben mechanische
Spinnereien waren im Oberelsaß allein im Gang.[377] Zwei Jahrzehnte
später rief die geniale Erfindung des Selbstspinners neue Umwälzungen
hervor. Aus der einen Spindel in der Hand der Frau ist die selbstthätig
arbeitende Spinnmaschine entstanden, die heute bis zu 1200 Spindeln
treibt. Aber auch sämtliche Vorbereitungsarbeiten, die früher in
langsamster und z.T. ungesundester Weise ausgeführt wurden, sind von der
Maschine übernommen worden: die Wollkämmer, die unter der
schrecklichsten Staubentwicklung, mit den primitivsten Werkzeugen
ausgerüstet, ihre Arbeit verrichteten, haben sie der bis zur höchsten
Vollkommenheit ausgebildeten Kämmmaschine übergeben müssen, und sowohl
das Waschen wie das Krempeln der Baumwolle und der Wolle geschieht auf
mechanischem Wege. Am längsten widerstand die Seidenspinnerei der
Einführung komplizierterer Maschinen. Erst neuerdings ist das
langwierige und durch die dauernde Hantierung im Wasser
gesundheitsschädliche Schlagen der Kokons mit der Hand durch Einführung
von Schlagmaschinen ersetzt worden.

Gleichen Schritt mit der technischen Vervollkommnung der Spinnerei hielt
die Weberei in allen ihren Arbeitszweigen. Während gemusterte Gewebe
früher nur auf sehr mühsame und kostspielige Weise hergestellt werden
konnten, ermöglichte die Erfindung Jacquards, die im wesentlichen auf
der Anwendung der mit dem Webstuhl in Verbindung gebrachten durchlochten
Musterkarten beruht, die Herstellung der Musterung auf mechanischem
Wege. Wozu vorher ein hoher Grad von Uebung und Kunstfertigkeit
notwendig war, das entstand jetzt mit Hilfe weniger, leicht gelernter
Handgriffe. Die Erfindung des selbstthätig arbeitenden Webstuhls, mit
dessen Problem sich schon Lionardo da Vinci beschäftigt hatte, bedeutete
einen neuen Fortschritt. Schon in den zwanziger Jahren des 19.
Jahrhunderts entstanden die ersten mechanischen Webereien in Amerika,
England und Frankreich, durch die auch die Vorbereitungsarbeiten der
Hausindustrie mehr und mehr entrissen wurden: statt daß eine Spulerin an
dem Aufwickeln einer Maschine arbeitete, drehen sich an der Maschine
fünfzig und mehr Spulen auf einmal; das Scheren und Aufbäumen, eine sehr
beschwerliche Arbeit für die Handwerker früherer Zeit, besorgt eine
Spule allein; auch das Schlichten oder Leimen, das durch Eintauchen der
Garnsträhne in verschiedenartige Lösungen oder durch Bürsten der schon
auf dem Webstuhl befindlichen Fäden besorgt wurde und nachher noch ein
langwieriges Trocknen nötig machte, besorgt eine Maschine in
erstaunlicher Geschwindigkeit. Während noch ein Jahrzehnt früher jedes
gewebte Stück zum Appretieren, Walken, Rauhen, Scheren, Färben, Drucken
und Pressen an ebensoviele andere Gewerbe überging, vereinigte die
Fabrik bald auch diese Arbeitsweisen in ihren eigenen Räumen. Das
Trocknen der appretierten Gewebe geschieht jetzt auf kupfernen, von
innen geheizten Zylindern, ist also nicht mehr von der Laune der Sonne
abhängig; das Walken des Tuchs, das unter großer Kraftanstrengung durch
die Hände des Arbeiters im warmen Wasser geschah, wird jetzt von den
schweren Hämmern der Walkmaschine besorgt; das Rauhen, das vor nicht
allzulanger Zeit in der Weise vorgenommen wurde, daß der Arbeiter mit
den rauhen Fruchtköpfen der Kardendistel das Tuch wiederholt stark
andrückend bestrich--eine sehr zeitraubende Thätigkeit--ist jetzt
durchweg Maschinenarbeit; das Scheren mit der Handschere, das Bedrucken
mit der Handpresse, wodurch große Gewerbe Beschäftigung fanden, ist
durch sie ersetzt worden. Wer heute neben der mit fabelhafter
Geschwindigkeit rotierenden Walzendruckmaschine, die bis zwanzig Farben
auf einmal in Anwendung bringen kann, den Handdrucker sehen könnte, der
sein Druckmodel dem Stoff nach und nach aufpreßt und für jede neue Farbe
immer wieder von vorne anfangen muß, oder wer zuschauen könnte, wie der
Samtweber früherer Zeiten die wie in Schläuchen aufliegenden Faden des
Gewebes mit dem Messer einzeln aufschneiden mußte, während der
mechanische Webstuhl zwei miteinander durch die Florkette verbundene
Stoffstreifen schafft, die zu gleicher Zeit mit dem Weben durch
Schneidvorrichtungen auseinandergeschnitten werden, so daß zwei
vollständig fertige Samtgewebe auf einmal entstehen--der würde sich von
dem riesigen Fortschritt der Technik ein Bild machen können, vor dem die
phantastischsten Märchenbilder verblassen müßten.

Aber noch tiefgreifender vielleicht, als auf das Spinnen und Weben, das
ja schon lange die Anwendung gewisser, wenn auch primitiver Maschinen
nötig machte, war der Einfluß der technischen Fortschritte auf die
Spitzenindustrie, die Stickerei und die Wirkerei. Alle drei Arbeitsarten
waren Jahrhunderte hindurch ausschließlich Handarbeit gewesen, die
Klöppel, die Nähnadel und die Stricknadeln die einzigen Werkzeuge. Die
Erfindung der Bobbinetmaschine, später noch vervollkommnet durch
Verbindung mit der Jacquardmaschine bedeutete geradezu eine Umwälzung
auf dem Gebiete der Spitzenerzeugung. Kaum ein Jahrzehnt nachher waren
bereits allein in England 920 solcher Maschinen im Gange und vom
einfachen Tüllgrund und dem Schleier angefangen bis zum gemusterten
Vorhang und der feinsten Besatzspitze lieferten sie in Massen, was einst
nur in wenigen Stücken den Reichsten zugänglich war. Noch tiefer griff
die erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfundene Plattstichstickmaschine in
die häusliche Arbeit der Frauen ein. Statt daß mit der Nähnadel ein
Faden vorsichtig neben den anderen gelegt wurde, hat die Stickerin
nunmehr nichts weiter zu thun, als das kleine Musterbild mit dem Stift
des Pantographen (Storchschnabel) nachzuziehen, der die Maschine, die es
nachstickt, in Bewegung setzt. Diese Stickmaschine, bei der zunächst die
mechanische Triebkraft nicht in Anwendung gebracht werden konnte, drang
rasch in die fernsten Winkel der Hausindustrie, so daß die
Weißstickereiproduktion einen enormen Umfang annahm; sie wirkte in ihrer
weiteren Vervollkommnung aber auch noch revolutionierender auf die
Spitzenindustrie, als die Bobbinetmaschine. Indem man nämlich ein
Karbonisationsverfahren anwandte, durch das der Grundstoff oder
Stickboden der Stickerei weggeätzt wurde, entstanden außerordentlich
feine, sogenannte Luftspitzen, die manche künstlerische Gebilde früherer
Zeit in den Schatten stellen.

Wie die Plattstichmaschine, so bildete auch die erste Strickmaschine
eine Unterstützung der Hausindustrie, da sie mit der Hand getrieben
wurde, und statt des einen Paares grober Strümpfe, die eine
Handstrickerin in einem Tage fertigstellen konnte, deren 10 bis 12 Paar
erzeugte. Mit der Erfindung der mechanischen Strumpfstrickerei ging sie
notwendigerweise zum Fabrikbetrieb über. Heute erzeugt die selbstthätige
Standard-Rundstrickmaschine nicht weniger als sechs Dutzend fast völlig
fertiger Strümpfe täglich. Auch die der Strickerei so außerordentlich
ähnliche Wirkerei war zunächst für den Handbetrieb eingerichtet; ein
Handwirkerstuhl macht in der Minute bis 40000 Maschen, eine geübte
Handstrickerin höchstens 100. Neben diesen Stühlen, die nur einfache
gewirkte Stoffbreiten herstellen, entstand schon Anfang des 19.
Jahrhunderts der erste Rundstuhl, aus dem die Stoffe in Schlauchform
hervorgehen. Die Entwicklung der gewirkten Leibwäsche und des übrigen
gewirkten Unterzeuges ist auf sie zurückzuführen.

Die Thätigkeit des Arbeiters bei all diesen Maschinen, die Spinn- und
Webemaschinen eingeschlossen, beschränkt sich, sobald sie im Gang sind,
großenteils auf das Ausrücken des Stuhles, sobald ein Faden gerissen ist
und auf das Anknüpfen desselben. Neuerdings werden schon vielfach
mechanische Ausrückvorrichtungen in Anwendung gebracht, so daß die
Notwendigkeit dauernden, angestrengten Aufpassens in Wegfall kommt und
der Arbeiter nur, sobald die Maschine still steht, den gebrochenen Faden
zusammenzuknüpfen braucht. Daß diese Arbeit, die feine, gelenkige Finger
erfordert, zu einer Frauenarbeit wurde, ist selbstverständlich. Das
Weben am Webstuhl mit Hand- oder Fußbetrieb war fast immer Arbeit des
Mannes. Sobald statt der Muskelkraft die Kraft der Maschine der
Bewegungsmotor wurde, mußte er Frauen, ja selbst Kindern weichen.

Auf allen Gebieten wuchs der umgestaltende Einfluß der Maschine. Noch
erzählen unsere Großeltern, wie sie sich ihre Briefumschläge stets
mühsam selbst herstellten, wenn sie nicht in den Häusern der Aermsten
durch Kinder und Frauen mit keinen anderen Werkzeugen als Schere und
Pinsel hergestellt wurden. Heute schneiden und gummieren die Maschinen
die Kuverts und liefern bis zu 300000 täglich; und in einer anderen
Maschine braucht nur auf der einen Seite das Papier eingelegt zu werden,
damit sie die fertigen Umschläge--4000 in der Stunde!--auf der anderen
wieder herauswirft. Aehnliches geschieht in der Kartonage. An Stelle des
Zuschneidens, das kräftige Finger erfordert, stanzt die Maschine die
Formen aus, sie klebt, sie verbindet die einzelnen Teile und bei der
Ausnutzung aller Hilfsmittel der Technik bleibt der Hand wenig zu thun
übrig. Die ganze Papierfabrikation hat durch ihre große Veränderung die
Frauen in ihren Dienst gerissen. 1808 wurde der Handbetrieb zum
erstenmal durch eine Maschine ersetzt, die heute so vervollkommnet ist,
daß sie das Rohmaterial aufnimmt und selbstthätig zu fertigem Papier
verarbeitet. Auch eine andere ungeahnte Entwicklung ist das Verdienst
der Maschine: Die Verbreitung der Zündhölzchen. Sie wäre unmöglich
gewesen, wenn nicht die mechanische Herstellung der kleinen Hölzchen,
die früher Stück für Stück mit der Hand geschnitzt wurden, ihr zu Hilfe
gekommen wäre. Jetzt werden selbst die Schachteln, die die Handarbeit
armer Kinder gewesen sind, fabrikmäßig hergestellt und gefüllt--25000
täglich!

Es läßt sich schwer abmessen, welche von all diesen genialen Erfindungen
die Frauenarbeit am meisten beeinflußte; wohl aber kann ohne weiteres
behauptet werden, daß keine eine so nachhaltige, sich immer weiter
ausdehnende Wirkung hatte, als die zur selben Zeit wie die Spinn- und
Webstühle in ihrer einfachsten Gestalt auftauchende Nähmaschine. Sie
blieb lange unbeachtet. Erst als der Amerikaner Elias Howe 1844 die
erste, wirklich brauchbare Maschine erfunden hatte, verbreitete sie sich
mit einer Geschwindigkeit, die insofern nichts Erstaunliches an sich
hatte, als ihre verhältnismäßige Kleinheit, der Betrieb durch Hand oder
Fuß, ihr in jedem Haus Eingang verschaffte und sie eine Arbeit
verrichtete, die mehr als irgend eine andere, von jeher in den Händen
der Frauen gelegen hatte. Sie verzwölffachte überdies die Leistung der
Handnäherin und gab somit Aussicht auf besseren Verdienst.[378]
Auf ihrem Prinzip beruhen eine Menge anderer Maschinen: die
Knopfloch- und Knopfannäh-, die Kurbel- und Festoniermaschine, die
Handschuh-Nähmaschine, und endlich die verschiedenen, in der
Schuhwarenindustrie benutzten Nähmaschinen, deren erstes Aufkommen schon
das altehrwürdige Schuhmacherhandwerk zu untergraben anfing und den
Frauen den Eingang dazu verschaffte. Heute hat die mechanische
Herstellung der Schuhwaren einen Grad von Vollkommenheit erreicht, die
der der Weberei annähernd gleich kommt. Auch hier sind fast alle
Vorbereitungs- und Vollendungsarbeiten von der Maschine übernommen
worden: vom Ausstanzen der einzelnen Teile des Schuhs, wodurch das
Zuschneiden entbehrlich gemacht wird, dem Walken des Schaftes, das das
für den Kleinschuhmacher sehr beschwerliche Façonbiegen des Oberleders
mühelos ausführt, bis zum Glätten des fertigen Schuhs, dem Nähen der
Knopflöcher und Annähen der Knöpfe. Die moderne Schuhfabrik, in der die
meisten Maschinen durch Kraftmotoren in Bewegung gesetzt werden und die
alte vielseitige Thätigkeit des Schusters beinahe zu einer bloßen
Aufsicht führenden zusammenschrumpfte, ist eine der letzten großen
Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. An seiner Wiege stand, wie einst
die Gaben spendenden Feen an der Wiege der Märchenprinzessin, der graue
König Dampf und ließ über ihr sein erstes, prophetisches,
eintönig-dröhnendes Lied erklingen. Er beherrschte sein Leben; unter
seinem Regiment wuchsen die subtilsten Maschinen und die gewaltigsten
Eisenkolosse hervor, er hüllte die Scharen seiner Diener und Dienerinnen
in sein eigenes schwarzgraues Gewand--das Kleid der Armut und der
Trauer. Einen neuen Zauberer sah das alternde Jahrhundert erstehen, der
mit stillem weißleuchtendem Licht seine letzten Lebensjahre überstrahlte
und der mit seiner jungen Kraft den alten Dampf zu ersticken droht. Wird
er seine Unterthanen in die Kleider des Lichts sich hüllen helfen?----

Wer seine Blicke auf die ununterbrochene Folge staunenswerter
Erfindungen richtet, die das 19. Jahrhundert hervorbrachte, und von der
sozialen und politischen Entwicklung nichts weiß, der muß erwarten, eine
von schwerer Arbeit befreite, durch die enorm gesteigerte Produktion
reich gewordene, gesunde und glückliche Menschheit vor sich zu sehen.
Aber er findet nichts von alledem. Die Maschinen, von denen hier nur
einige der für unseren Zweck wichtigsten genannt werden konnten, machten
die große Masse des Volks abhängig von ihren Besitzern; sie rissen,
soweit sie infolge ihrer große und Kompliziertheit oder der Einführung
des motorischen Betriebs das Fabriksystem zur Bedingung hatten, die
Menschen aus dem eigenen Haus, der eigenen Werkstatt heraus, beraubten
sie ihrer selbständigen Existenz und zogen auch die Frauen in ihre
Dienste, weil sie ungelernte Arbeitskräfte brauchten und die billigsten
die willkommensten waren. Darum ist die Zunahme der Frauenarbeit da am
rapidesten, wo die Benutzung der Maschine am höchsten entwickelt
ist.[379] Das zeigt sich besonders in dem Mutterlande der Großindustrie,
in England. Schon 1839 gab Lord Ashley an, daß von den 419560
Fabrikarbeitern in Großbritannien 242296 Frauen waren; in den
Baumwollfabriken waren 56-1/4%, in den Wollfabriken 69-1/2%, den
Seidenfabriken 70-1/2% und den Flachsspinnereien 70-1/2% aller Arbeiter
weiblich.[380] Und zwanzig Jahre später konstatierte der englische
Fabrikinspektor Robert Baker, daß die männlichen Arbeiter seit 1835 um
92%, die weiblichen dagegen um 131% zugenommen hatten. Auf einen
größeren Zeitraum berechnet, erhöht sich die Ziffer zu Gunsten der
Frauen noch bedeutend: Von 1841 bis 1891 ist die Zahl der männlichen
Industriearbeiter um 53%, die der weiblichen um 221% gestiegen.[381] Die
absoluten Zahlen veranschaulichen dieses Wachstum noch deutlicher[382]
(s. Tabelle).

                   |     1841     |     1851     |      1861     |      1871     |      1881     |      1891
                   | Männer|Frauen|Männer |Frauen|Männer | Frauen| Männer| Frauen|Männer | Frauen| Männer| Frauen
-------------------+-------+------+-------+------+-------+-------+-------+-------+-------+-------+-------+-------
Töpferei           |  23600|  7400|  34800| 11100|  42500|  13400|  49700|  17700|  52200|  19700|  64300|  23800
Gas, Chemikalien   |   5800|   300|  16400|  1700|  24800|   1500|  34900|   4100|  44000|   4000|  66400|   6300
Pelzwerk, Leder,   |       |      |       |      |       |       |       |       |       |       |       |
  Leim             |  31600|  2400|  44500|  6500|  47300|   2300|  49400|  10200|  49400|  13300|  59100|  18200
Holzwaren, Wagen   | 147500|  4900| 180200|  8900| 202200|  14100| 214200|  19500| 221600|  18400| 253600|  23300
Papier etc.        |   8900|  3200|  13600|  8300|  14600|  10700|  20300|  13400|  24600|  23200|  28600|  34200
Textilwaren,       |       |      |       |      |       |       |       |       |       |       |       |
  Färberei         | 346200|257600| 462400|472100| 439700| 526500| 414500| 555500| 396400| 566200| 430500| 585600
Bekleidung         | 343600|177200| 397500|471200| 378600| 550900| 363300| 552700| 344700| 609300| 353800| 681300
Ernährung,         |       |      |       |      |       |       |       |       |       |       |       |
  Getränke,  Tabak |  82700|  8000| 120100| 12400| 133400|  15600| 145700|  18500| 152300|  28900| 173100|  50200
Uhren, Instrumente,|       |      |       |      |       |       |       |       |       |       |       |
  Spielzeug        |  19600|   800|  23500|  1300|  32800|   2900|  35900|   3000|  41700|   3400|  44600|   5500
Buckdruckerei,     |       |      |       |      |       |       |       |       |       |       |       |
  Buchbinderei etc.|  21100|  1800|  30400|  3800|  41300|   6200|  57600|   8600|  75000|  13100| 102100|  19100
-------------------+-------+------+-------+------+-------+-------+-------+-------+-------+-------+-------+-------
Total:             |1030600|463600|1324200|997900|1357200|1150100|1385500|1203200|1401900|1299500|1576100|1447500

Selbst in solchen Industrieen, für die die Frauenarbeit ganz ungeeignet
zu sein scheint, wie in den Gelbgießereien, der Minen- und
Kohlenproduktion, der Ziegelei und Backsteinmacherei waren fast
ausschließlich Frauen beschäftigt.[383]

Obwohl sich für andere Länder genauere auf längere Zeiträume sich
erstreckende Berechnungen nicht machen lassen, so spricht alles dafür,
daß die Entwicklung überall dieselbe gewesen ist. Seit 1840, wo die
Textilindustrie in Deutschland überhaupt erst anfing, Bedeutung zu
gewinnen, nahm die Frauenarbeit in erschreckender Weise zu. Die
Landmädchen strömten in Scharen in die Fabrikstädte; kleine Orte, wie
z.B. Gladbach, riefen in einem Jahr Hunderte von Frauen in ihre Mauern,
und in Krefeld war ein Frauenüberschuß von 50% die Folge.[384] In
Nord-Amerika wurden allein in den Spinnereien von Massachusetts 1816
neben 10000 Männern 66000 Frauen gezählt[385], und in den
Baumwollfabriken von 25 Staaten der Union waren 1850 schon 62661
weibliche Arbeiter beschäftigt, die zehn Jahre später auf 75169
angewachsen waren, während sich zur selben Zeit in den Wirkereien
dreimal so viel Frauen als Männer befanden.[386] Für die Vereinigten
Staaten im allgemeinen zeigt es sich, daß 1870 in der Industrie auf 100
arbeitende Männer gegen 17 Frauen, 1890 dagegen auf 100 Männer über 25
Frauen beschäftigt waren. Natürlich trat, wie es uns die Entwicklung der
Maschine schon ohne weiteres lehrt, in den verschiedenen
Industriezweigen eine mehr oder weniger starke Verschiebung der
Geschlechter ein, die, besonders in der ersten Zeit, einer Verdrängung
der Männer durch die Frauen gleich kam. So arbeiteten in 412 Fabriken in
Lancashire im Jahre 1840 10721 verheiratete Frauen und nur 5314 ihrer
Ehemänner waren in denselben Fabriken thätig, während 3927 als
anderwärts beschäftigt, 821 als arbeitslos angegeben wurden und für 659
nähere Nachrichten fehlten. Es kamen demnach auf jede Fabrik zwei bis
drei Männer, die von der Arbeit ihrer Frauen lebten. Das Bild einer vom
arbeitslosen Mann geleiteten Hauswirtschaft, für deren Unterhalt die
Frau allein sorgt, war zu jener Zeit durchaus kein seltenes.[387] Die
Maschine brauchte ihre gelenken Finger und das Unternehmertum ihre
billige Arbeitskraft. Nach Adam Smith produzierten zehn Männer zu seiner
Zeit durch Teilung der Arbeit etwa 48000 Nähnadeln täglich, Marx
berichtet, daß die Maschine in elf Stunden 145000 Nähnadeln
hervorbringt, und eine Frau vier solcher Maschinen beaufsichtigen kann,
was einer Produktion von 600000 Stück täglich gleichkommt.[388] Eine
Frau ersetzte also fast 130 Männer! In Rheims waren im Anfang des 19.
Jahrhunderts 10000 häusliche Wollkämmer vollauf beschäftigt; nach
Einführung der Kämmmaschine gab es bald keinen einzigen mehr, während
junge Mädchen an der Maschine standen.[389] In die Nägel- und
Schraubenfabrikation Englands drangen schon 1843 weibliche Arbeiter ein:
die Maschine machte die männliche Kraft entbehrlich.[390] Fünfzig Jahre
früher führte der Teppichweber das Schiffchen mit der Hand, und
produzierte 45 bis 50 englische Ellen, jetzt produziert die von einem
Mädchen beaufsichtigte Maschine 360 Ellen wöchentlich[391], d.h. sie
schafft die Arbeit von sieben Männern. Ueberall zeigt sich dasselbe
Bild: So war die Gravierung der Banknoten in England bis vor kurzem die
schwierige Arbeit von Männern, eine neue Maschine ermöglicht es,
ungelernte Frauen anzustellen, die für dieselbe Leistung statt 18 sh.
nur 12 sh. wöchentlich erhalten. In den Konservenbüchsenfabriken, wo
früher auch nur Männer für 15 bis 20 sh. wöchentlich thätig waren,
arbeiten jetzt gleichfalls Frauen für den halben Lohn und die Arbeit des
Stempelns vergoldeter Buchstaben auf Büchereinbände haben sie sogar für
ein Drittel des Männerlohnes übernommen.[392] Den größten Einfluß nach
dieser Richtung hatte die Einführung der mechanischen Spinnerei und
Weberei. An Stelle des Spuljungen, der eine Spule füllte, trat das
Spulmädchen, das zwanzig und mehr an der Maschine beaufsichtigte;
zahlreiche selbständige Kleinmeister sahen sich gezwungen, in die Fabrik
zu gehen, wo ihre Frauen und Töchter, die die alten schweren Webstühle
nicht hatten beherrschen können, ihre siegreichen Konkurrenten geworden
waren.[393] Ueberall dort, wo eine handwerksmäßige Ausbildung früher
unausbleiblich schien, aber neue Erfindungen sie überflüssig machten,
drangen die Frauen vor. So führte die Papiermachémasse sehr bald schon
weibliche Arbeitskräfte in die Spielwarenindustrie ein, die, solange das
Schnitzen und Bossieren ihren wesentlichen Inhalt gebildet hatte, ein
Privilegium der Männer gewesen war.[394] Und die Handmaler für
Porzellan, die bis 1840 ihr gutes und reichliches Einkommen hatten,
sahen sich sofort durch die Frauen beiseite geschoben, als die
Möglichkeit, Porzellan zu bedrucken, den Anlaß bot, ungeübte Mädchen für
einen Hungerlohn anzustellen.[395] Die Schuhmacherei ist, wie wir schon
gesehen haben, neuerdings derselben Wandlung unterworfen; die
Schneiderei fängt an, denselben Weg zu gehen, seitdem in den großen
Fabriken zu Leeds selbst der für ganz unentbehrlich geltende Mann, der
Zuschneider, durch die Maschine, die die Stoffe in zahllosen Lagen
ausstanzt, ersetzt wurde.

Es ist nun zwar notwendig, um von vornherein jedes schiefe Urteil zu
vermeiden, sich stets vor Augen zu halten, daß dieses scheinbare
Verdrängen der Männer durch die Frauen fast immer nur ein Verschieben
ist, und die Zahlen fast überall beweisen, daß zwar das Wachstum der
Frauenarbeit im Verhältnis bedeutend größer ist als das der Männer, jene
aber von diesen, sobald die absoluten Zahlen in Frage kommen, noch immer
bedeutend überflügelt werden; aber es ist auch begreiflich, daß die
vollständig neue Erscheinung der weiblichen Konkurrenz im Erwerbsleben,
wie sie zuerst im Anfang des 19. Jahrhunderts hervortrat, die Gemüter
außerordentlich erregte. In Verbindung mit der gefährlichen Bedrohung
des Handwerks durch die Maschine rief sie allerorten stürmische
Empörungen hervor, die zu Anfang einen revolutionären Charakter
annahmen. Jeder einzelne dieser fruchtlosen Kämpfe gegen den eisernen
Riesen, der den Boden unterwühlte, auf dem der Arbeiter fest zu stehen
glaubte, der die Bande der Familie lockerte, an denen das Glück und der
Frieden des Volkes hing, hat etwas von jener antiken Tragik an sich, die
den Helden mit der Gewalt eines Naturgesetzes der Vernichtung preis gab.
Die erste Wut richtete sich in geheimen Verschwörungen und offenen
Revolten gegen ihre blinden Werkzeuge, die Maschinen selbst. Unter dem
Jubelgeheul der Massen zerstörten die Bewohner Blackburns Hargreaves
Spinning-Jenny; kaum glaubte er in Nottingham eine Zuflucht gefunden zu
haben, als die Empörung gegen ihn und sein Werk sich bis zum
Volksaufstand steigerte und sein Haus, mit allem was es enthielt, dem
Erdboden gleich machte. Er selbst starb im Armenhause, von denen am
meisten verfolgt und verachtet, denen er sein Bestes gegeben hatte.
Gegen Cartwrights Kämmmaschine richtete sich eine so wütende Agitation
der Handkämmer, daß ihre Einführung erst Jahrzehnte nach ihrer Erfindung
möglich wurde. Jacquards Webemaschinen gingen wiederholt in Flammen auf;
er selbst sah sich wie einen Verbrecher von Land zu Land vertrieben und
Heathcoats Spitzenmaschine fiel jener geheimen Verbindung der Ludditen
zum Opfer, die sich gegen alle Maschinen verschworen hatte und ganz
England in Schrecken versetzte. Ein Kampf, wenn auch ohne Feuer und
Schwert, war es auch, wenn der Handwerker sich krampfhaft gegen die neu
eingeführte Maschine zu behaupten versuchte, indem er die Produkte
seiner Arbeit so lange im Preise herabsetzte[396], bis er auf der
untersten Stufe der Existenzmöglichkeit angekommen war, und sich nun mit
Frau und Tochter in den Dienst des Feindes begeben mußte. Systematisch
war der Feldzug, den die englischen Gewerkvereine um die Mitte des 19.
Jahrhunderts gegen die Maschine führten. Sie widersetzten sich mit allen
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln gegen ihre Einführung; sie nahmen
lieber die Entbehrungen wochen- und mondelanger Streiks auf sich--wie
z.B. die Schuster von Northamptonshire--, als daß sie nachgegeben
hätten.[397] Und mit derselben zähen Energie versuchten sie die
Frauenarbeit nicht aufkommen zu lassen. So entspann sich ein heftiger
Kampf der Setzer gegen die 1848 zuerst angestellten Frauen, und er wurde
um so bitterer, als der Streik der Setzer von Edinburgh infolge der
weiblichen Streikbrecher mit einer Niederlage endete.[398] Zu dem Siege,
den die Pariser Setzer errungen hatten, indem die Frauen durch
gesetzliche Bestimmung von den Setzereien ausgeschlossen wurden,
gelangten sie freilich nicht.[399] Dagegen griffen die Gewerkschaften
vielfach zur Selbsthilfe. Die Bestimmung, daß kein Mitglied neben einer
Frau arbeiten dürfe, fand sich in zahlreichen Statuten und findet sich
zum Teil heute noch darin. Wo weibliche Arbeiter zum erstenmal die Thore
der Fabrik durchschritten, begegneten sie allgemeiner Verachtung, wenn
nicht gar Beleidigungen gröbster Art. Es kam häufig vor, daß sie sich
durch Hinterpförtchen in die Arbeitsräume schleichen mußten, um
überhaupt hinein zu gelangen. Was in England, wo die industrielle
Entwicklung eine rapide war, in besonders krasser Weise zu Tage trat,
das wiederholte sich, wenn auch in abgeschwächter Form, auf dem
Kontinent. Ueberall betrachteten die Männer ihre weiblichen
Arbeitsgenossen mit Haß und Mißtrauen und versuchten sich ihrer zu
entledigen. Die deutsche Handwerkerbewegung der Revolutionszeit führte
an verschiedenen Orten des Landes sogar zu kleinen Revolten gegen die
Frauen und die Berliner Schneiderinnung ging so weit, beim
Gewerbeministerium zu beantragen, daß den Frauen, mit Ausnahme der
Witwen von Schneidermeistern, das Schneiderhandwerk verboten werden
sollte, und die Modemagazine fertige Damenkleider nicht mehr verkaufen
dürften.[400] Dasselbe Gefühl, das die Innung zu diesem Antrag trieb,
beherrschte auch das Frankfurter Handwerkerparlament des Jahres 1848,
als es kategorische Gesetze gegen das Fabriksystem, durch das der große
Markt für die Frauenarbeit vorbereitet wurde, forderte.

Man hat häufig versucht, den erbitterten Kampf der Männer gegen die
Frauenarbeit ihnen zum persönlichen Vorwurf zu machen, ein Versuch, der
sich nur aus einer völligen Unkenntnis der wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklungsgeschichte erklären läßt. Thatsächlich war und ist zum Teil
heute noch dieser Kampf ihre notwendige Begleiterscheinung. Wollte man
überhaupt einen Vorwurf erheben,--was allgemeinen Erscheinungen des
Wirtschaftslebens gegenüber immer thöricht ist,--so müßte er sich weit
eher gegen die Frauen richten. Nicht, weil sie überhaupt arbeiteten, das
war eine bittere Notwendigkeit für sie, sondern weil sie die männlichen
Konkurrenten statt durch bessere Leistungen, durch geringere Ansprüche
zu besiegen suchten. Aus der häuslichen Vereinzelung, aus der sie früher
großenteils auch dann nicht herauszutreten brauchten, wenn sie um Lohn
arbeiteten, traten sie unvorbereitet in das Gemeinschaftsleben der
Industriearbeiter hinein. Sie dachten nur an die Befriedigung der
nächsten persönlichsten Bedürfnisse, die außerordentlich geringe waren;
die jahrhundertelange Niederdrückung des weiblichen Geschlechts, die
unaufhörliche Predigt von der Demut und Bescheidenheit, die ewige
Wiederholung von der Minderwertigkeit der Frauen, an die sie schließlich
selber glaubten, rächte sich nun an den Männern: die weiblichen Arbeiter
waren mit Löhnen zufrieden, die ihnen grade nur ein Stück Brot
gewährleisteten; sie, die zu Sklaven erzogen worden waren, hatten nichts
von einer Rebellennatur mehr in sich. Sie wurden zu Streikbrechern, ohne
etwas anderes dabei zu empfinden, als Freude über Arbeitsgelegenheit;
sie ließen sich ausbeuten bis aufs äußerste und nahmen es hin, wie ein
Fatum, wenn sie nur ihren Kindern dafür einen Tag lang den schlimmsten
Hunger stillen konnten. Das Gefühl von Solidarität mit den Genossen
ihrer Arbeit müßte denen völlig fremd sein, deren höchste Tugend bisher
die gewesen war, ihr Haus allein als ihre Welt zu betrachten. So mußten
sie werden, was sie waren, und leider noch sind,--ein Jahrhundert
verwischt nicht die Spuren von Jahrtausenden--: Schmutzkonkurrenten der
Männer. Sie drückten die Löhne und machten es infolgedessen immer mehr
Männern unmöglich, ihre Familien allein zu erhalten; so zog jede neu
eintretende Industriearbeiterin Scharen anderer nach sich. Daß die
Männer eine Gefahr darin sahen, daß sie nicht blinden Auges und kalten
Herzens an der Zerstörung der Häuslichkeit und der Verwahrlosung der
Kinder vorübergehen konnten, war nur natürlich.

Nicht allzu lange sollten die Männer allein unter dem Wachstum des
Großbetriebs leiden. Ihr eigenes Schicksal wurde bald auch das der
Frauen: die Maschine, die sie in die Fabrik gezogen hatte, trieb sie
wieder hinaus. Während früher z.B. je 2 Seidenhasplerinnen 1 Mädchen zum
Schlagen der Kokons nötig hatten, versorgte die Schlagmaschine 25 und
mehr Hasplerinnen, warf also mindestens 6 Mädchen aufs Pflaster. Die
Einführung verbesserter Maschinen in den Webereien des Oberelsaß hatte
zur Folge, daß die Arbeiterzahl trotz der starken Vermehrung der
Fabriken von 23000 im Jahre 1828 auf 19000 im Jahre 1851 gesunken
war[401]; in 35 englischen Spinnereien waren 1829 1060 Spinner mehr
angestellt als 1841, obwohl die Zahl der Spindeln sich um 99000 vermehrt
hatte[402] und in den sechziger Jahren beseitigte eine einzige
verbesserte Spinnmaschine die Hälfte aller Arbeiterinnen.[403] Am
furchtbarsten waren die Folgen der Einführung der Nähmaschine. Eine
einzige Fabrik New-Yorks, die 1862 400 Nähmaschinen aufstellte, von
denen eine die Arbeit von 6 Handnäherinnen ausführte, machte ca. 2000
Näherinnen brotlos. Der Segen, den viele sich von der Nähmaschine
versprachen, weil sie der Frau ermöglichte, im eigenen Heim ihrem Erwerb
nachzugehen, verwandelte sich rasch zum Fluch: sie erschlug die
schwächsten Handarbeiter; in London lief die Zunahme des Hungertods
parallel mit ihrer Ausbreitung.[404] Da die Einführung neuer oder die
Verbesserung alter Maschinen nun keineswegs eine Steigerung der Löhne
zur Folge hatte, sondern die Entlassung von Arbeitern nur dem
Kapitalisten zu Gute kam, mußte die überflüssig gewordene menschliche
Arbeitskraft sich nach anderen Arbeitsgebieten umsehen. Sie fand sie
dort, wo auch der Handwerker seine letzte, elende Zufluchtsstätte fand,
in der Hausindustrie.

Der Begriff, der sich mit diesem Namen verbindet, ist durchaus kein
feststehender. Die deutsche Reichsstatistik, die sich in ihren beiden
letzten Berufszählungen eingehend mit der Hausindustrie beschäftigte,
versteht darunter die "Arbeit zu Hause für fremde Rechnung". Die
Bezeichnung ist vieldeutig, sie kann z.B. nur die Heimarbeiter, d.h.
diejenigen, die im eignen Wohnraum für die Unternehmer beschäftigt sind,
umfassen und die Werkstattarbeiter ausschließen. Das geschieht
ausdrücklich durch die neueste belgische Statistik, die als
Hausindustrielle nur diejenigen ansieht, "die bei sich zu Hause auf
Rechnung von Fabrikanten oder Kaufleuten arbeiten". Das österreichische
Handelsministerium hat gleichfalls den Begriff der Hausindustrie darauf
beschränkt, indem es "Erwerbsarbeiter in eigener Werkstätte ohne
gewerbliches Hilfspersonal" höchstens mit Angehörigen des eigenen
Hausstands, darunter verstanden wissen will. Auch die Gelehrten sind
verschiedener Meinung: so wird z.B. auf der einen Seite die
Hausindustrie als Großvertrieb von Waren, die im Kleinbetriebe
hergestellt werden[405], bezeichnet, während nicht die Art des
Vertriebes, sondern die des Betriebes sie kennzeichnet, auf der anderen
erklärt man sie für großindustrielle Arbeit in kleinen Werkstätten und
in der Wohnung[406], wobei wieder die Bezeichnung "klein" ein
schwankendes Bild giebt. Die sinngemäßeste, die Sache klar bezeichnende
Erklärung dagegen ist diese: Hausindustrie ist diejenige Betriebsform
der kapitalistischen Unternehmung, bei welcher die Arbeiter in ihren
eigenen Wohnungen oder Werkstätten beschäftigt werden.[407]

Mit der Hausindustrie früherer Zeiten hat diese fast nur noch den Namen
gemein, sie ist ein modernes Erzeugnis der Großindustrie. Einerseits
nährt sie sich vom untergehenden Handwerk,--der einst selbständige
Meister wird zum Verleger,--andererseits von der um jeden Preis sich
verkaufenden menschlichen Arbeitskraft, die in den Industriestädten
infolge der sich zusammendrängenden proletarischen Bevölkerung
massenhaft emporschießt oder vereinzelt in abseits liegenden
Gebirgsthälern und Hochplateaus zu finden ist. Besonders das billige
Produktionsmittel, die weibliche Arbeitskraft, konnte die Industrie sich
nicht entgehen lassen. Mit der Möglichkeit der Arbeitszerlegung, der
Ausgabe von Teilarbeiten aus dem Betrieb, verstärkte sich noch die
Tendenz, die Hausindustrie groß zu ziehen. Dazu kam, daß nicht nur die
Ersparnisse in Bezug auf die Löhne sich als bedeutende erwiesen: sowohl
die Kosten für Miete, Instandhaltung der Fabrik, Beleuchtung,
Beaufsichtigung kamen in Fortfall und das beförderte selbstverständlich
eine weitere Dezentralisierung des Großbetriebs. Beweis hierfür ist
unter anderem die Rückentwicklung des Cigarrengroßbetriebs zur
Hausindustrie; 1882 betrug in Deutschland die Verschiebung vom Groß- zum
Kleinbetrieb 57%, 1895 59%. Die Schwächsten, die die Fabrik als die
wenigst Brauchbaren abschob, die Aermsten, die in ihrem versteckten
Elend kein Hauch der neuen Zeit berührte, die Frauen, die Kinder und die
Greise wurden die ersten Opfer der Hausindustrie. Und wieder war es die
Maschine, durch deren Hilfe sie bis in die einsamsten Berggehöfte, die
entlegensten Landstädtchen vordrang, sich in die Dachkammern und die
Keller der Großstädte einschlich. Alle Maschinen, die zum Antrieb
menschliche Kraft gebrauchen konnten und klein genug waren, um überall
Platz zu finden, sind in der Hausindustrie vertreten; der
Hausindustrielle kauft sie auf Abzahlung, nimmt sie in Pacht, oder
bekommt sie vom Fabrikanten, für den er arbeitet, geliefert.
Nähmaschinen aller Art, von der einfachsten bis zur komplizierten
Stiefelstepp- und Knopflochmaschine, rasseln in den engen Behausungen
der elendesten Sklaven des Kapitalismus; über die Strickmaschine sitzen
sie gebückt, und die Plattstichmaschine, die sich besonders in der
Schweiz verbreitet hat, macht aus den blühenden Kindern der Berge
dieselben flachbrüstigen, blassen Gesellen, wie die Fabrikarbeiter der
Großstädte es sind. Und so lange die menschliche motorische Kraft
billiger ist als Dampf und Elektrizität, werden die Unternehmer sie für
sich ausnutzen und die Hausindustrie, dieser Bastard der Großindustrie,
den sie mit der Not, ihrem Kebsweib, gezeugt hat, wird wachsen, daß sie
fast ihren Vater überragt.

Ein riesiges Arbeitsfeld eröffnete sich den Frauen durch die
Konfektionsindustrie. Vor der Erfindung der Nähmaschine gehörte die
Herstellung der Wäsche und der Kleidung im wesentlichen in das Bereich
häuslicher Thätigkeit. Hausfrau und Haustöchter, eventuell die
verfügbaren Dienstmädchen, beschäftigten sich damit. In einer späteren
Periode erst kam die im Hause der Kundschaft arbeitende Näherin als
Hilfskraft hinzu und die bei sich für die Kunden arbeitende Schneiderin
war schon ein Produkt der Neuzeit. Modegeschäfte, die mit Hilfe der
hausindustriell thätigen Näherinnen fertige Kleider verkauften, kamen
erst Mitte des 19. Jahrhunderts auf, als die Nähmaschine die
Massenproduktion ermöglichte. Sie wuchsen wie Pilze aus der Erde und
suchten sich gegenseitig zu unterbieten, was nur durch steigende
Ausbeutung der Arbeiterinnen möglich war. "Alle Näherinnen," sagte ein
englischer Arzt, "leiden an dreifachem Elend--Ueberarbeit, Luftmangel
und Mangel an Nahrung." Während der Saison saßen in London gegen 30
Mädchen in Räumen zusammen, die kaum für ein Drittel die nötige Luft
gewährten, sie schliefen zu zweien in einem Bett in engen Sticklöchern,
wenn sie überhaupt zum Schlafen kamen, denn eine ununterbrochene
Arbeitszeit von 18 bis 24, ja 26 Stunden gehörte durchaus nicht zu den
Ausnahmen; die physische Unfähigkeit, die Nadel noch länger zu führen,
war die einzige Grenze ihrer Arbeitsleistung. Gingen sie nicht
infolgedessen an Ueberarbeitung zu Grunde,--wie die arme Mary Anne
Walkley, von der Marx erzählt[408],--so drohte ihnen in der toten Zeit
der Hunger. Für 4-1/2 sh. wöchentlich arbeiteten in den vierziger Jahren
Londoner Kleidernäherinnen 16 und mehr Stunden täglich. Und doch waren
sie noch in glänzender Lage im Vergleich zu ihren Kolleginnen, die
Wäsche nähten: Für ein gewöhnliches Hemd bekamen sie--1-1/2 pence, für
elegante Hemden, deren Fertigstellung 18 Stunden Arbeitszeit erforderte,
betrug ihr Lohn 6 pence. Wochenlöhne von 2-1/2 bis 3 sh. waren bei
angestrengter Thätigkeit gang und gäbe.[409] Aber Thomas Hoods Lied vom
Hemde, das der Not der Arbeiterinnen so ergreifenden Ausdruck gab, galt
nicht nur für die armseligsten Töchter des reichen England; ihre
Unglücksgefährten verteilten sich über die ganze zivilisierte Welt. Mit
Tagelöhnen von 20 bis 50 cents sollten nicht weniger als 20000
Arbeiterinnen Bostons ihr Leben bestreiten; dieselbe Zahl von Frauen
lebte in New-York in ständigem Kampf mit Hunger und Pauperismus.[410]
Die Pariser Näherinnen der fünfziger und sechziger Jahre, die, infolge
der hohen Entwicklung der Pariser Konfektion, zu den bestgestellten
gehörten, mußten sich mit Löhnen von 40 und 60 c. täglich begnügen[411],
während, nach Berechnungen jener Zeit, 60 c. ein Minimum allein an
täglicher Nahrung gewährleisteten.[412] Dabei hatten diese sogenannt
freien Arbeiterinnen, die thatsächlich ein weit elenderes Leben führten,
als die schwarzen Sklaven Amerikas, für deren Befreiung eine ganze Welt
sich begeisterte, noch dauernd gegen eine Konkurrenz anzukämpfen, die
großenteils von jenen geschaffen wurde, die sich Wohlthäter der Armen
nennen ließen. So nötigten die Armenhäuser Londons, deren Insassen
Hemden nähten, die Näherinnen zur Herabsetzung ihrer Preise auf dasselbe
niedrige Niveau und die Klöster Frankreichs, in denen Männerhemden für
10 bis 25 c., und Babyausstattungen von 20 Stück für 1,10 fr.
hergestellt wurden, die im Jahre 1870 allein 150000 Frauen beschäftigten
und von denen Jules Simon berichtete, daß von 100 Dutzend Hemden, die in
Paris in den Handel kamen, allein 85 Dutzend in den Klöstern hergestellt
wurden[413], warfen sie mitleidlos dem Hunger oder der Prostitution in
die Arme.[414] Kein Wunder, daß 1866 doppelt so viel Frauen als Männer
der Armenpflege anheim fielen.

Dieselbe Konkurrenz drückte auch auf die Spitzenindustrie, die durch
Colberts Einfluß in Frankreich eine riesige Verbreitung gefunden hatte;
1866 waren 250000 Frauen in ihr beschäftigt. Zwanzig Jahre früher sah
Blanqui in Dieppe Arbeiterinnen, die bei fünfzehnstündiger Arbeitszeit
nicht mehr als 52 c. täglich verdienten und in den Vogesen, wo der Wert
der jährlich produzierten Spitzen auf 3 Millionen Franken berechnet
wurde, betrug ihr höchster Verdienst 80 c.[415]! Noch 1860 konstatierte
Jules Simon, daß für die Herstellung der points d'Alençon, jener
kostbaren Spitzen, bei denen Hunderte von Arbeiterinnen ihr Augenlicht
einbüßten, 75 c., und für die wunderbarsten Spitzen Belgiens, die
Brüsseler, gar nur 30 c. täglich an Lohn gezahlt wurde.[416] Die
Stickerinnen waren in derselben Lage: Von den ca. 200000, 1866 in
Frankreich beschäftigten, verdiente die größte Mehrzahl nicht mehr als
20 bis 30 c. Das Bild jener Arbeiterfamilie von Lille,--Mitte der
vierziger Jahre,--wo der Mann in guten Zeiten 2 frs., die Frau als
Spitzenarbeiterin 10 bis 15 c.(!) täglich verdiente und die vier Kinder
betteln gingen, weil sie, trotz angestrengter Arbeit, bei der
kümmerlichsten Lebenshaltung und einer Behausung 3 m unter dem
Erdboden, allein für Wohnung und Nahrung 12,75 frs. wöchentlich
gebrauchten[417],--dürfte für das Proletariat jener Zeit typisch sein.

Die Fabrikarbeiterinnen waren in keiner wesentlich besseren Lage. In den
dreißiger Jahren betrugen die Frauenlöhne in den englischen
Leinenwebereien bei einer zwölf- bis sechzehnstündigen Arbeitszeit 4 bis
5 sh. die Woche, von denen für Material noch 1 bis 2 sh. abgingen; in
den Baumwollfabriken sanken die Löhne auf 1 bis 4 sh., junge Mädchen
unter sechzehn Jahren verdienten bei zwölfstündiger Arbeitszeit oft
nicht mehr als 4 sh. in drei Wochen![418] In der Periode von 1830 bis
1845 überstieg der Verdienst der französischen Fabrikarbeiterinnen
selten 1,60 frs. pro Tag.[419] Die Seidenweberinnen Lyons erreichten bei
vierzehnstündiger Arbeitszeit nur ausnahmsweise einen höheren
Jahresverdienst als 300 frs.[420] Zwar stiegen die Löhne sowohl in der
Wollmanufaktur Frankreichs wie in der Baumwollmanufaktur des Oberelsaß
in den dreißiger Jahren von 1840 bis 1870, aber der niedrigste Lohn
betrug auch dann noch l bis 1,25 frs. und der höchste, selten erreichte,
3 frs.[421], und die Steigerung hielt weder Schritt mit der Steigerung
der Wohnungen, der Lebensmittel und sonstigen Bedürfnisse, noch war sie
eine stetig fortschreitende. Alle Krisen, denen die Großindustrie im 19.
Jahrhundert so oft unterworfen war, bedeuteten für die Arbeiterin Hunger
und Entbehrung. Die geringfügigste Trübung des geschäftlichen Horizontes
wurde von den Unternehmern gleich zu Lohnreduktionen ausgenutzt. In den
dreißiger Jahren sanken die Löhne der Weber am Niederrhein bei einer
Arbeitszeit von 1/2-5 Uhr morgens bis in die sinkende Nacht auf 1-1/2
bis 3 Thaler die Woche[422] in den schlimmen Jahren von 1845 bis 1850
waren in Krefeld allein 12000 Personen vollständig brotlos[423],--von
dem Weberelend in Schlesien gar nicht zu reden! Die große
wirtschaftliche Krisis, die infolge des Krieges zwischen den Nord- und
Südstaaten Amerikas über Europa hereinbrach, steigerte die Not aufs
neue. In Rouen feierten nicht weniger als 40000 Arbeiter, in Belfort
sanken die Frauenlöhne bis auf 20 c.[424] Kaum weniger empfindlich für
die deutschen Arbeiter waren die Jahre nach dem französischen Krieg. Die
Einnahmen sanken vielfach um 25 bis 30% und Tausende von Webstühlen
gerieten vollständig in Stillstand.[425]

Aber die industriellen Umwälzungen und die wirtschaftlichen Krisen waren
nicht die einzigen Gefahren, die die Existenz der Arbeiter bedrohten und
untergruben. Der Kapitalismus machte keinen Unterschied zwischen dem
Arbeiter und der Maschine: er verausgabte für beide nur genau so viel,
als notwendig war, um sie in Bewegung zu erhalten, und wie er jede neue
Errungenschaft der Technik freudig ergriff, wenn sie ihm einen höheren
Profit zusicherte, so war ihm jedes Mittel recht, durch das er aus der
menschlichen Maschine mehr Gewinn herauspressen konnte. Das Trucksystem
war eines dieser Mittel. Der Arbeiter wurde statt mit Geld mit
Nahrungsmitteln entlohnt, deren Preis der Unternehmer willkürlich
stellen konnte. Um die Frauen noch besonders willfährig zu machen, wurde
auf ihre Eitelkeit spekuliert: an Stelle des baren Verdienstes traten
Schürzen und Bänder, Tücher und Mützen. Wie oft kam die arme Arbeiterin
am Ende der Woche nach Hause und hatte, trotz angestrengter Arbeit
nichts, um den Hunger ihrer Kinder zu stillen. Vergebens wartete sie auf
die Heimkehr des Mannes--er saß im Kramladen seines Chefs und ließ sich
in Branntwein den Lohn auszahlen. Vielleicht brachte er noch einen Laib
Brot nach Hause,--um den doppelten Preis als er ihn von seinem Geld
hätte kaufen können! Das unverschleierte Trucksystem, d.h. die
Auszahlung des Lohnes durch Waren, war um die Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts überall zu finden. Nach und nach versteckte es sich hinter
den Thüren der Kaufläden, die der Fabrikherr oder seine Beamten hielten,
und in denen einzukaufen der arme Arbeiter gezwungen war, wenn er die
Entlassung nicht fürchten wollte. So verkaufte der Konfektionär wie der
Zwischenmeister den Näherinnen Garn und Seide und zog ihnen durch die
Preise, die er dafür anrechnete, ein Bedeutendes von ihrem so wie so
schon kärglichen Lohne ab. So verkauft noch heute der kleine Krämer des
Dorfes, der zugleich der Verleger oder Zwischenhändler der
Hausindustriellen ist, das Material für ihre Arbeit zu Wucherpreisen an
sie.

Die Folgen dieser Ausbeutung im einzelnen darzustellen, hieße ein Buch
schreiben, dessen Bilder in seiner Grauenhaftigkeit die Phantasie eines
Höllenbreughel weit hinter sich ließen. Blicken wir in die Wohnungen
jener Sklaven der Industrie: In einem Arbeiterviertel Londons, einer
ihrer Hochburgen, hausten 1844 in 1400 kleinen Häusern 12000 Personen;
ganze Familien, ja ganze Generationen besaßen nur ein kleines Zimmer, in
dem sie lebten und arbeiteten, oft fehlte jede Art von Einrichtung, ein
Haufen Lumpen war das Bett aller. Und doch waren sie noch glücklich zu
nennen, denn nicht weniger als 50000 Menschen besaßen überhaupt kein
Obdach; sie drängten sich nachts, soweit es irgend ging, in den
Logierhäusern zusammen--Männer, Weiber, Alte, Junge, Kranke und Gesunde,
Nüchterne und Betrunkene, alle durcheinander, zu fünf und sechs in einem
Bett. Nicht anders sah es im Zentrum der Baumwollindustrie, aus dem die
Millionäre des Landes herauswuchsen, in Manchester aus. Am Irk, einem
schwarzen, stinkenden Fluß voll Schmutz und Unrat, ragten die
Arbeiterkasernen auf; um fürchterlich kleine Höfe drängten sie sich,
verräuchert, verfallen, oft ohne Thüren und Fenster, mit winzigen
Stübchen, die für zahlreiche Familien kaum zwei Betten fassen konnten;
die meisten enthielten nichts als Strohhaufen.[426] In derselben
Verfassung waren die Arbeiterquartiere in Frankreich. Schmale Straßen,
in denen kaum zwei Menschen nebeneinander gehen konnten, trennten in
Lille die Häuser voneinander. In der Mitte befand sich ein stinkender
Rinnstein, der alle Abwässer aufnahm; aus Sparsamkeitsgründen waren die
Fenster der Zimmer nicht zum Oeffnen eingerichtet und in den
überfüllten, nur mit Stroh und Lumpen eingerichteten Räumen herrschte
ein pestilenzialischer Geruch. Greisenhafte Kinder mit geschwollenen
Gliedern, zerfressen von Ungeziefer, starrten mit blöden Augen dem
Fremden entgegen, der sich in diese Hölle verirrte.[427] Welch ein Glück
für sie, daß der Tod sie fast immer von der Verdammnis zum Leben
erlöste, denn von 21000 Kindern starben 20700 vor dem fünften Jahr![428]
Zwanzig Jahre später hatten sich die Verhältnisse noch um kein Haar
gebessert![429] In Rouen waren die Zustände ähnlich: Der Eingangsflur
war zugleich offener Kanal für die Abwässer; Wendeltreppen ohne Licht
und ohne Geländer führten in die oberen Stockwerke.[430] Entsetzlich ist
das Bild, das Villermé von Mülhausen entwirft, wo infolge des raschen
industriellen Aufschwunges auf demselben Raum, den früher 7000 Menschen
innehatten, nun 20000 sich zusammendrängten. Jules Simon sah in Reims
einen feuchten, dunklen, über einem Kloset befindlichen Raum, den zwei
Arbeiterinnen und ein Ehepaar gemeinsam bewohnten; in Roubaix fand er
einen dunklen Hängeboden über einem kleinen von sechs Personen bewohnten
Zimmer, in dem eine Arbeiterin mit einem Säugling, der Tags über im
Bett angebunden wurde, hauste, und einen dunklen Raum unter einer
Treppe, 2 zu 1-1/2 m groß, den eine andere schon 2-1/2 Jahre bewohnte.
Wie groß das Elend war, bewies eine alte Frau, die, auf ihr feuchtes
Kämmerchen zeigend, ausrief: "Ich bin nicht reich, aber ich habe einen
Strohsack, Gott sei Dank!"[431] Wo die Industrie den Fuß hinsetzte,
folgte ihr die Not und der Jammer, wie ihr Schatten. So spotteten die
Wohnungsverhältnisse Berlins in den fünfziger Jahren jeder Beschreibung.
Charakteristisch für sie waren besonders die zahlreichen
Kellerwohnungen, in denen das Wasser oft 1/2 bis 3 Fuß hoch stand. Noch
1875 machten sie 10% aller Wohnungen aus; ein einziger solcher
feuchtdunkler Raum war vielfach von einem Ehepaar, Kindern,
Schlafburschen und Schlafmädchen zugleich besetzt.[432]

Kamen die Arbeiter aus ihren elenden Höhlen,--denn der Ausdruck Wohnung
erscheint solchen Behausungen gegenüber ganz ungeeignet,--in die
Werkstatt oder in die Fabrik, so fanden sie hier ähnliche Zustände
wieder. Die ersten Fabriken wurden bis tief in die zweite Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts hinein in alten Häusern, Klöstern und
Schlössern eingerichtet. Die Räume wurden ohne Rücksicht auf
die Sicherheit der Arbeiter auf das äußerste ausgenutzt,
sodaß sich der Einzelne nur mit großer Vorsicht zwischen den
schwingenden Rädern hindurchwinden konnte. Weder Sicherheits-, noch
Ventilationsvorrichtungen waren vorhanden. In der furchtbaren Hitze der
Baumwollspinnereien,--bis zu 37° Celsius,--schlugen die Arbeiterinnen
bis in die fünfziger Jahre die Baumwolle behufs Lockerung und Reinigung
mit Ruten, und atmeten den dichten Staub 14 bis 16 Stunden lang ein. Die
Spinnerinnen standen halbnackt vor den Maschinen, bis zu den Knöcheln im
Wasser, das zur Feuchterhaltung des Fadens notwendig war.[433] In den
Seidenspinnereien saßen die Frauen selbst im heißesten Sommer zwischen
glühendem Ofen und kochendem Wasser, in das sie immerfort ihre Finger
tauchen mußten, was schwere Erkrankungen zur Folge hatte.[434] In
feuchten, halbdunklen Kellern saßen die Spitzenarbeiterinnen, weil die
feuchtkalte Luft der Feinheit der Arbeit zu Gute kam. Dabei gab es für
diese Unglücklichen kaum ein Ausruhen; mitten im Schmutz und Staub
mußten sie hastig ihr Essen hinunterschlingen; den Kindern wurde es von
den Aufsehern häufig in den Mund geschoben, damit die Maschine keine
Sekunde still zu stehen brauchte und dem Unternehmer kein Atom Profit
entging.[435] Wohnten sie außerhalb der Fabrikstädte, so hieß es früh um
vier schon sich aufmachen, um abends um zehn erst heim zu kehren.[436]
Eine Schar bleicher, magerer Frauen, in Schweiß gebadet, ohne schützende
Hülle, bloßfüßig waten sie im Schmutz,--so schildert ein Augenzeuge die
Heimkehrenden,--daneben laufen eine Menge Kinder, nicht minder
schmutzig, nicht minder abgezehrt, bedeckt mit Lumpen, triefend vom Oel
der Maschine, das in der Fabrik dauernd auf sie niederträufelte.[437]
Kartoffeln und wieder Kartoffeln, im besten Fall etwas Hafermehl oder
ein Stückchen Hering sollen die Körperkräfte aufrecht halten, um sie
täglich aufs neue im Dienst das Kapitals aufzureiben. Und selbst dafür
reicht der karge Lohn kaum aus. Fast alle sind verschuldet, die Zahl der
Pfandleiher, zu denen nur zu oft das letzte Bett wanderte, nahm in allen
Industriezentren erschreckend rasch zu.[438]

Aus der Qual endloser Arbeit, die keinen Sonntag kannte, der die Nacht
nicht heilig war, aus den überfüllten, schmutzstarrenden Häusern, aus
den Wolken von Staub und glühendem Dampf, der die Fabriken erfüllte,
wuchs in riesenhafter Größe jenes hohläugige Gespenst hervor, das von
nun an rastlos, erbarmungslos durch die Straßen der Armen schritt und
die Luft mit seinem Hauch vergiftete: die Schwindsucht. Allein in der
Spitzenindustrie Englands kam im Jahre 1852 ein Schwindsüchtiger auf 45
Arbeiter und zehn Jahr später schon einer auf acht.[439] Kein Weber
konnte darauf rechnen, das Alter von 25 Jahren zu überleben[440] und
dann schon sah er aus wie ein Greis; von den Kindern der Weber, die
schon im Mutterleibe vergiftet waren, starb die Hälfte vor dem zweiten
Jahr. Sie kannten keine Pflege; schon drei bis vier Tage nach der
Entbindung trieb die Not ihre Mütter zurück in die Fabrik; die Milch,
durch die ihre Kleinen groß und stark hätten werden können, lief ihnen
bei der Arbeit aus den Brüsten![441] Die deutsche Reichserhebung von
1874 erklärte mit einem eigenen Cynismus, daß die Arbeiterinnen in den
Zündholzfabriken zwar an Nekrose litten und den Unterkieferknochen ganz
oder teilweise verlören, ihnen das aber gar nichts schadete![442] Sie
konstatierte ferner, daß die Atmosphäre der Fabriken diejenigen
lungenkrank machen muß, die "Anlage dazu haben".[443] Und wer hatte
diese Anlage nicht?! Die zunehmende körperliche Degenerierung der
arbeitenden Bevölkerung sprach deutlicher als alle Erhebungen es
vermocht hätten.

Aber es blieb nicht bei der körperlichen allein. Die Zusammenarbeit der
Geschlechter in glühender Hitze, fast unbekleidet, das fast völlige
Fehlen gesonderter Wasch- und Ankleideräume, die gemeinsame Arbeit von
Mann und Weib in den verschwiegenen, dunklen Gängen der Bergwerke und
der frühe Eintritt der Kinder mitten in dieses Leben und Treiben,
steigerte den ungeregelten Geschlechtsverkehr und verwüstete schon die
Unschuld der Kinder. Die Wohnungszustände unterstützten diese moralische
Degeneration. Nicht nur, daß die Geschlechter, die Schlafburschen und
Schlafmädchen und die Kinder regellos in engen Räumen zusammen wohnen
mußten, sie wurden von den Unternehmern selbst dazu gedrängt. In
Ziegeleien, bei Bergwerken, zur Landarbeit--überall wurden ihnen elende
Baracken zum Schlafen angewiesen, wo man sie zusammentrieb wie das
Vieh. Weit mehr noch als diese äußeren Umstände, unter denen Männer und
Frauen gleichmäßig litten, wirkten die Lohnverhältnisse der weiblichen
Arbeiter auf ihre Sittlichkeit. Sie wurden durch die Bedürfnisse der
verheirateten Frauen, die zum Verdienst des Mannes nur einen Zuschuß
brauchten, und der bei den Eltern wohnenden Mädchen, die oft nur für
ihre Kleidung zu sorgen hatte, bestimmt; die Alleinstehenden waren durch
die bitterste Not gezwungen, sich nach einer andern Ergänzung umzusehen.
Die einen,--die Glücklichsten von ihnen,--hatten keine eigene
Schlafstelle, sie brachten die Nächte bei ihren Liebhabern zu[444], das
Konkubinat verbreitete sich infolgedessen; so kam in Frankreich, wo das
Gesetz es noch dadurch förderte, daß es das uneheliche Kind der Mutter
allein zur Last fallen ließ, nach einer Enquête der vierziger Jahre in
einer Industrie auf einen verheirateten zwölf im Konkubinat lebende
Arbeiter.[445] Den anderen,--und das waren die Unglücklichsten,--lehrten
Not und Hunger frühzeitig, ihren Körper verkaufen, wie ihre
Arbeitskraft. Jede industrielle Krisis steigerte ihre Zahl. Wie oft
siegten sie im Kampf ums Brot gegen die Konkurrentin um die
Arbeitsstelle nur dadurch, daß sie sich dem Herrn oder dem Werkführer
preisgaben. Das Fabrikmädchen stand infolgedessen häufig nicht höher im
Ansehen, als die Straßendirne.

Das ist der Weg, den die Industriearbeiterin im 19. Jahrhundert hat
gehen müssen. Aus dem Hause vertrieben, um das tägliche Brot gebracht,
glaubte sie in der Fabrik ihre Rettung zu finden. Sie opferte sich auf,
unermüdlich Tag für Tag; endlich, so hoffte sie, sollte die Arbeit
Erlösung bringen, Nahrung, Obdach, Kleidung ihr und ihren Kindern! Sie
war ja so bedürfnislos, sie dachte kaum daran, den Reichen, für die sie
schaffte, ihren Reichtum zu neiden. Was hatte sie erreicht? Kaum ein
Dach über dem Haupt, kaum ein Kleid auf dem Leib, kaum das Nötigste, den
Hunger zu stillen, und die drohenden Gespenster,--Not und
Schande,--rastlos auf ihren Fersen.

Warum strömten trotzdem die Frauen in immer wachsender Zahl diesem Elend
zu? Waren sie als Landarbeiterinnen, als Dienstboten nicht in weit
besserer Lage? Das ist oft behauptet worden, obwohl die Thatsachen
dagegen sprechen.

Den ersten klaren Einblick in die Verhältnisse der Landarbeiter
vermittelte die englische Untersuchungskommission im Jahre 1867.[446]
Das Bild, das sie entrollte, war ein schauerliches. Die Mädchen und
Frauen wurden allgemein bei der schwersten und schmutzigsten Arbeit,
z.B. Heu-, Korn- und Dungladen, verwendet.[447] Ihre Arbeitszeit war
grenzenlos und ein Auflehnen dagegen schon deshalb oft ganz unmöglich,
weil ihr Dienstgeber zugleich der Landlord war, ebenso wie der deutsche
Gutsbesitzer sehr häufig zugleich Amtsvorsteher ist. Dabei war auch für
die Wohnung der Landarbeiter in der unzureichendsten Weise gesorgt.
Ganze Familien wohnten nicht nur in halb verfallenen, einzimmerigen
Hütten, es wurden ihrer oft zwei und drei zusammengepfercht. An eine
Trennung der Tagelöhner beiderlei Geschlechts dachte man kaum; Scheunen
und leere Ställe dienten ihnen nur zu oft zum Aufenthalt und waren der
Ausgangspunkt sittlicher Verwilderung. "Es ist unmöglich," sagt die
englische Kommission, "den schädlichen Einfluß der Wohnungen nach der
physischen sowohl wie der moralischen, sozialen, ökonomischen und
intellektuellen Seite hin zu übertreiben."[448] Die traurigste
Erscheinung aber im Leben der englischen Landarbeiter war das
Gangsystem, das darin bestand, daß Agenten Scharen von Mädchen und
jungen Männern,--den Mädchen wurde übrigens immer der Vorzug
gegeben,--mieteten und sie zur Feldarbeit auf eine bestimmte Zeit aufs
Land führten. Nicht nur, daß die in der Entwicklungszeit sich
befindenden Mädchen durch die harte Arbeit körperlich schwer geschädigt
wurden, frühzeitige geschlechtliche Ausschweifungen ruinierten sie
vollends. Dachte doch keiner der Gutsherren daran, ihnen anständige
Unterkunft und Beaufsichtigung zu gewähren. Für ihn waren sie nichts als
billige Arbeitsmaschinen, die ihn im übrigen nichts angingen. Natürlich
war die Konkurrenz dieser jungen Leute auch verderblich für die alten
eingesessenen Tagelöhner. Für den Gutsherrn war es viel billiger und
bequemer, zur Zeit dringender Arbeit über ein Heer von Arbeitskräften zu
verfügen, die er entlassen konnte, wenn er wollte, als die
Gutstagelöhner durch die stille Zeit mit durchfüttern zu müssen. Auch
das Gangsystem trieb daher die Tagelöhner beiderlei Geschlechts vom
Lande fort in die Stadt.[449] In der Sachsengängerei Deutschlands, deren
erstes Aufkommen gleichfalls mit der Ausbreitung der Industrie
zusammenfällt, haben wir eine ähnliche Erscheinung. Auch sie ist
zugleich Folge und Ursache der Landflucht der Arbeiter. Welchen Umfang
diese annahm und wie sie zunimmt, geht z.B. daraus hervor, daß in der
Periode 1871 bis 1876 in Frankreich 600000, und 1876 bis 1881 800000
Personen vom Lande in die Industriestädte übersiedelten.[450] In England
verringerte sich die Zahl der Landarbeiter von 1861 auf 1881 um 273000.
Die Maschine spielte auch hierbei eine wichtige Rolle. So machte die
Dreschmaschine nicht nur thatsächlich eine Menge Arbeiter überflüssig,
sie führte auch eine andere Arbeitseinteilung herbei; das Dreschen, eine
früher wochenlang sich hinziehende Arbeit vieler Hände, wurde jetzt in
kürzester Zeit mit wenig menschlicher Hilfskraft erledigt.[451] Für die
Frauen fiel besonders schwer der Umstand ins Gewicht, daß das Spinnen
und Weben, die allgemeine Winterbeschäftigung der Landarbeiterinnen,
durch die Konkurrenz der Maschine ihnen entrissen wurde. Die
arbeitslosen Zeiten verlängerten sich daher für sie mehr und mehr, und
diese wachsende Unsicherheit der Existenz trieb sie in die Stadt, wo sie
sich eher durchschlagen zu können glaubten. Hatte doch auch der im
Verhältnis hohe Lohn der Industriearbeiterin viel Verlockendes für sie.
Eine französische Landmagd verdiente Mitte des vorigen Jahrhunderts z.B.
selten mehr als 90 frs. im Jahr und erhielt als Ergänzung vielfach eine
ungenügende Kost und Wohnung. Eine Tagelöhnerin brachte es nicht über 60
bis 75 c. täglich.[452] Aber noch andere Schwierigkeiten verbitterten
das Dasein der Landarbeiterinnen: Sie waren soweit abhängig von ihren
Herren, daß auch häufig die Eheschließung ihnen erschwert, wenn nicht
gar unmöglich gemacht wurde.

Etwas von dem neuen Geist, der die Arbeiterwelt durchglühte, trugen erst
die Eisenbahnen mit ihrer steigenden Ausdehnung in die fernen Dörfer und
Gutshöfe. Den Druck der Abhängigkeit fingen die Landarbeiter an nach und
nach zu spüren das Bewußtsein ihres Sklaventums, die Sehnsucht nach
Freiheit dämmerte in ihnen. Stadt und Freiheit galt ihnen bald als
verwandter Begriff. Je stärker das Klassenbewußtsein sich in ihnen
regte, desto entschiedener strebten sie vom Lande fort. Das ländliche
Gesinde, meist aus unverheirateten, daher leichter beweglichen jungen
Leuten bestehend, verminderte sich am schnellsten. So kamen in Preußen
auf 100 Personen der Bevölkerung gewerbliches (landwirtschaftliches)
Gesinde:

1819: 8,5
1837: 7,0
1849: 6,9
1852: 6,4
1855: 6,7
1861: 5,7
1871: 3,6.

In Bayern sank die Zahl des landwirtschaftlichen Gesindes von 10,8% im
Jahre 1840 auf 6,6% im Jahre 1882, in Sachsen von 7,5% im Jahre 1861 auf
3,5% im Jahre 1882, in Hessen von 3,17% im Jahre 1861 auf 1,38% im Jahre
1882.[453] Wenn auch der Mangel an ländlichen Arbeitern durchaus keine
neue Erscheinung ist--suchte man ihn doch schon vor fast 300 Jahren
durch die Einführung des Gesinde-Zwangsdienstes zu bekämpfen--, in
seiner heutigen Gestalt aber, wo er der Ausdruck des Klassenbewußtseins
und nicht nur die sporadische Folge besonders drückender Verhältnisse
ist, kann er als der Beginn ernster sozialer Kämpfe angesehen werden.

Dasselbe gilt für die Entwicklung der Dienstbotenfrage. Es ist nicht nur
die Thatsache, daß die häuslichen Arbeiter sich mehr und mehr in
industrielle verwandeln, und die Hauswirtschaft zusammenschrumpft, durch
die die Abnahme der häuslichen Dienstboten ihre natürliche Erklärung
findet, denn thatsächlich übersteigt die Nachfrage überall das Angebot,
es ist vielmehr das erwachende Selbstgefühl, das die Mädchen vom
Dienstbotenberuf in immer stärkerem Maße zurücktreibt. Kaum giebt es
einen Beruf, an dem die Verachtung der Handarbeit im allgemeinen, die
das klassische Altertum aufweist, so unveränderlich haften geblieben
ist, wie an diesem. Kein anderer erinnert aber auch bis in die neueste
Zeit hinein so an die Sklaverei, wie er: Der Arbeiter verkauft hier
nicht seine Arbeitskraft, sondern gewissermaßen seine ganze Person, er
steht Tag und Nacht im Dienst und unter Aufsicht des Herrn. Luther gab
seinerzeit nur der allgemein herrschenden Ansicht Ausdruck, wenn er das
Gesinde als eine "Plage von Gott", als die "Allerunwürdigsten", als
"Unflat" und "Madensack" bezeichnet, und die Zuchthaus- und Prügelstrafe
als allein richtige Erziehungsmittel anführt.[454] Und der Geist Luthers
spukte weiter in allen Köpfen. Die Klagen über die schlechten
Dienstboten sind keine Errungenschaften moderner Damenkaffees, Am Anfang
des 19. Jahrhunderts schrieb ein Arzt: "Noch nie war vielleicht eine
Klasse von Menschen übermütiger, trotziger und widerspenstiger als der
größte Teil unserer jetzigen Dienstboten."[455] Ueber Putzsucht und
Unzucht, über Unredlichkeit und Untreue werden die beweglichsten
Klagelieder angestimmt, den Ursachen dieser Fehler wird entweder gar
nicht nachgeforscht, oder man sucht sie im Mangel an Erziehung und
Religion. Wie diese Auffassung sich durch Jahrhunderte hindurch gleich
geblieben ist, geht aus folgenden Aussprüchen hervor: "Bei den
Gesindeschulen," sagt Kränitz[456], "muß man sein Hauptaugenmerk darauf
richten, daß man darin frommes und gottesfürchtiges, in der Religion
wohl unterrichtetes Gesinde zu erziehen suche"; und 1873 erklärt v.d.
Goltz: "Die Ursache der sich durch die Jahrhunderte ziemlich gleich
bleibenden Klagen über die dienende Bevölkerung liegen in der
Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit der menschlichen Natur
begründet."[457] Amalie Holst sieht 1802 die Hauptursache der
Sittenlosigkeit des Gesindes "in dem Mangel einer zweckmäßigen Erziehung
der niederen Volksklassen,"[458] und Mathilde Weber ist keinen Schritt
weiter gekommen, wenn sie 1886 schreibt: "Die Dienstbotenfrage ist
vielfach ein Produkt der Nichterziehung."[459] Wo solche Ansichten über
die Ursachen der "Dienstbotennot" herrschten, unter der man nicht die
Not der Dienstboten, sondern die Not der Herrschaften an guten
Dienstboten verstand, konnten auch die Besserungsversuche nur falsche
Wege einschlagen. Keine Befreiung, sondern eine stärkere Knechtung war
ihr wesentlicher Inhalt. Das spiegeln die Anfang des 19. Jahrhunderts
entstandenen oder umgewandelten Dienstbotenordnungen ebenso wieder, wie
alle privaten Bestrebungen auf diesem Gebiete. Die Wiederherstellung des
"patriarchalischen Zustandes", jenes Märchens, das sich die deutschen
Hausfrauen besonders so gern immer wieder als lautere Wahrheit einreden
lassen, wird allseitig als das erwünschteste Ziel betrachtet. Daß es die
rechtlichen, sozialen und ökonomischen Zustände sind, die einer
Besserung dringend bedürfen, und aus denen sich sowohl die durch sie
gezüchteten Eigenschaften der Dienstboten wie ihre Abnahme erklären
lassen, ist bis zum 20. Jahrhundert nur sehr selten jemandem in den Sinn
gekommen.

Der Mangel an Dienstboten wurde immer fühlbarer und sie kehrten nicht
nur ihrem Beruf den Rücken, sondern sie sprachen sich auch, wenn auch
nur sehr schüchtern und vereinzelt, über ihre Lage aus. Im April 1848
fand in Leipzig sogar eine Versammlung weiblicher Dienstboten statt, die
Erhöhung der Löhne, bessere Kost und längere Nachtruhe forderte. Wie es
thatsächlich um alle diese Dinge stand, das schilderte 1867 ein
deutscher Autor[460] folgendermaßen: "Man giebt ihnen die roheste Kost;
sie müssen zu zwei und drei in Räumen schlafen, die nicht einmal den
Namen einer Kammer verdienen, ja oft zu zwei in einem Bett. Und was das
für Marterinstrumente, welche Pfühle voll Krankheitsstoff diese sind!
Außerdem, daß die Dienstboten nicht allein vom frühen Morgen bis zum
Sonnenuntergang zur Arbeit angehalten werden, können die Dienstherren
doch nicht genug kriegen und verlangen darüber und immer noch mehr!" Was
die Lage der häuslichen Dienstboten aber noch verschärfte, waren die
sittlichen Gefahren, denen sie ausgesetzt waren. Mehr noch als andere
Arbeiterinnen galten sie dem verrohten Teil der Männerwelt, besonders
der gebildeten, für vogelfrei. 1866 waren in Paris fast die Hälfte der
Frauen in den öffentlichen Entbindungsanstalten Dienstmädchen, und mehr
als die Hälfte der unehelichen Kinder hatten Dienstmädchen zu Müttern.
Wie tief die armen Mädchen sanken, beweist die Thatsache, daß zur selben
Zeit unter zehn Prostituierten in Paris sich ein verführtes
Dienstmädchen befand und sie den dritten Teil der Kindsmörderinnen in
Frankreich ausmachten.[461]

Die psychologischen, die ökonomischen und die moralischen Gründe sind
nach alledem stark genug, um die Abnahme der Dienstboten begreiflich
erscheinen zu lassen. Wie sich ihre Zahl im Verhältnis zur Bevölkerung
veränderte, läßt sich, abgesehen von den letzten Zählungen, schwer
feststellen, weil die Erhebungen ungenaue waren, das häusliche Gesinde
auch vielfach mit dem landwirtschaftlichen zusammen gerechnet wurde.
Einen annähernden Begriff von der Zu- resp. Abnahme der häuslichen
Dienstboten giebt folgende Tabelle.[462]

Auf 100 Personen der Gesamtbevölkerung kamen Dienstboten in

Länder          | 1811/19 | 1847/49 | 1861/66 | 1871 | 1880 | 1882 | 1885
----------------+---------+---------+---------+------+------+------+------
Preußen         |    0,9  |    1,1  |         |      |      | 3,2  |
Hamburg         |   10,5  |         |  12,1   | 7,5  |  6,3 | 5,7  |  4,8
Oldenburg       |         |         |         | 3,1  |  2,4 |      |  2,5
Sachsen         |         |         |   2,2   |      |      | 2,7  |
Bayern          |         |    0,9  |         |      |      | 1,7  |
Mecklenburg     |         |         |         | 3,6  |      | 2,2  |
Hessen          |         |         |   2,77  | 2,50 |      | 1,94 |
Sachsen -       |         |         |         |      |      |      |
  Altenburg     |         |         |   2,1   |      |      | 1,7  |
Sachsen -       |         |         |         |      |      |      |
  Weimar        |         |         |   2,4   |      |      | 1,5  |
Schwarzburg-    |         |         |         |      |      |      |
  Sondershausen |         |         |   2,0   |      |      | 1,6  |

So unzulänglich und wenig beweiskräftig auch diese Zusammenstellung
ist, so geht doch aus ihr schon hervor, daß auch dieser proletarische
Frauenberuf,--der älteste vielleicht, den es überhaupt giebt,--im
letzten Drittel des 19. Jahrhunderts anfing, einer Umwandlung
entgegenzugehen, die sich im weiteren Verlaufe der Zeit immer deutlicher
ausprägt. Die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung drängt eben
immer stärker dazu, diejenigen Frauenberufe, die früher als die fast
einzigen angesehen wurden und die in mehr oder weniger direkter
Beziehung zum Hause und zur Hauswirtschaft standen, durch andere zu
entwerten und abzulösen.

Als ein ganz moderner Beruf, dessen rapide Ausbreitung in die jüngste
Zeit fällt, ist der der Verkäuferinnen anzusehen. Während die
fachmännisch vorgebildeten weiblichen Handelsangestellten meist aus
bürgerlichen Kreisen stammen, strömen dem Beruf der ungelernten
Verkäuferinnen immer mehr Proletariertöchter zu. Diese Bewegung begann
schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts, aber es blieb bei vereinzelten
Fällen. Erst als Schichten der Arbeiter sich durch Bildung und höhere
Lebenshaltung, infolge besserer Arbeitsbedingungen, aus den Massen
emporhoben, konnten sie für ihre Töchter an Stellungen denken, die ein
gewisses Maß von feinerer Lebensart erforderten, und, äußerlich
betrachtet, einige Stufen höher standen, als die der Fabrik- oder
Werkstattarbeiterin. Wer näher zusah, bemerkte freilich vor lauter
Schatten kaum mehr das Licht: niedriger Lohn und Ausbeutung bis zum
äußersten gingen meist Hand in Hand und das enorm rasche Anwachsen der
Zahl der Verkäuferinnen war leider großenteils darauf zurückzuführen,
daß sie sich Bedingungen unterwarfen, die jeder Mann mit Entrüstung von
sich wies. Sie thaten es nicht nur aus einer gewissen naiven Unkenntnis
dessen, was sie hätten beanspruchen können, sondern auch im scharfen
Konkurrenzkampf gegen die vielen Mädchen aus dem Mittelstand, die, weil
sie Anschluß an ihre Eltern oder ein eigenes kleines Einkommen hatten,
mit jedem Lohn, der ihnen nur ein Taschengeld war, sich zufrieden gaben.

Die Zunahme der proletarischen Frauenarbeit im 19. Jahrhundert
beschränkt sich auf die Industrie und den Handel. Sie ist hier wie dort
eine rapide. Für die Industrie wird sie durch die großartige
Entwicklung der Technik unterstützt, ja vielfach überhaupt erst durch
sie ermöglicht. Das wachsende Mißverhältnis zwischen dem Einkommen der
Männer und den Bedürfnissen der Familie trieb die Frauen zur Lohnarbeit;
durch ihren massenhaften Eintritt in das Erwerbsleben übten sie jedoch
wieder einen Druck auf die Löhne aller aus. Sie befinden sich demnach in
einem Zirkel, aus dem ein Entrinnen unmöglich scheint.

Die Abnahme der proletarischen Frauenarbeit in der Landwirtschaft und im
Hausdienst ist teils auf ökonomische Motive,--niedrige Löhne und lange
Arbeitszeit,--teils auf psychologische,--das Freiheits- und
Freudebedürfnis erwachender Individualitäten,--zurückzuführen, und bei
oberflächlicher Betrachtung gewinnt man den Eindruck, als sei dem
entstehenden Mangel an Arbeitskräften in beiden Berufsgebieten
ebensowenig abzuhelfen, wie dem Ueberangebot in Handel und Industrie.

Die Erwerbsarbeit der Frauen war schon vor dem 19. Jahrhundert eine
bekannte Erscheinung gewesen, aber sie bewegte sich im großen und ganzen
in den Grenzen des Hauses und dessen, was man unter spezifisch
weiblicher Arbeit verstand. Ihr massenhaftes Heraustreten aus dem Hause,
ihr Zusammenströmen in den Betrieben der Großindustrie, ihre durch die
Maschine bedingte veränderte Organisation, die die Frau von der Stellung
eines gewissermaßen selbständigen Handwerkers, der seine Arbeit in all
ihren Teilen allein ausführte, zur Teilarbeiterin und Bedienerin der
Maschine herabsinken ließ, rief eine Umwandlung hervor, die einer
Neuschöpfung gleich kam. Die moderne Proletarierin hat mit der
Arbeiterin vergangener Zeiten nicht mehr viel gemein. Und sie hat vieles
vor ihr voraus. Denn die Maschine, die sie in Not und Elend stürzte,
hilft ihr auch, sich daraus zu befreien. Ohne sie wäre die Frau stets in
ihrer allen Fortschritt hemmenden Vereinzelung geblieben. Durch sie
wurde sie dem Heere der Proletarier eingegliedert, der reiche Strom
ihrer Liebe und ihres Mitempfindens wurde über den Kreis der Familie
hinausgeführt; sie lernte leiden mit ihren Arbeitsgenossen, und wird mit
derselben Hingebung auch mit und für sie kämpfen lernen, mit der sie
einst nur für ihr eigen Fleisch und Blut gekämpft hat.



5. Die Statistik der proletarischen Frauenarbeit nach den letzten
Zählungen.


Um ein klares Bild des gegenwärtigen Standes der proletarischen
Frauenarbeit zu gewinnen, gilt es zunächst, ihre Ausbreitung zahlenmäßig
festzustellen. Diesem Bestreben stellen sich jedoch große
Schwierigkeiten entgegen: die Erhebungen der verschiedenen Länder sind,
was ihre grundlegenden Prinzipien sowohl wie die Art ihrer Ausführung
betrifft, so abweichend voneinander, daß eine Zusammenstellung
internationaler Ergebnisse nicht zu unbedingt richtigen Resultaten
führen kann. Selbst wenn wir uns im wesentlichen auf Deutschland,
Oesterreich, Frankreich, England und die Vereinigten Staaten
beschränken, haben wir es mit ganz ungleichartigen Zählungen zu thun.
Schon der Begriff der Berufsthätigen überhaupt ist kein feststehender,
Deutschland und Oesterreich zählen, zum Teil in hohem Maße, die
mithelfenden Familienangehörigen dazu, während England z.B. sie
vollständig ausscheidet. Ferner ist in Frankreich, England und
Nordamerika die erste Voraussetzung einer Zählung der proletarischen
Arbeit dadurch nicht erfüllt, daß die soziale Schichtung, d.h. die
Einteilung der Berufsthätigen in Selbständige, Angestellte, Arbeiter
u.s.w., ganz fehlt oder sehr unzureichend ist. Frankreich, das in den
allerdings ungenügenden Zählungen von 1881 und 1891 die soziale
Schichtung in Unternehmer, Angestellte und Arbeiter vorgenommen hatte,
ist in der Zählung von 1896 davon abgegangen und hat Angestellte und
Arbeiter unbegreiflicherweise wieder zusammengeworfen, sodaß sie, trotz
ihrer sonstigen Vorzüge, für unseren Zweck nur mit Einschränkungen
brauchbar ist. England kennt nur die Einteilung in Arbeitgeber,
Arbeitnehmer und auf eigene Rechnung Arbeitende, und auch diese erst in
der letzten Zählung von 1891, der von 1881 fehlt fast jede Einteilung,
und nur die große Detaillierung der Arbeitszweige ermöglicht eine
annähernd richtige Feststellung der proletarischen Arbeit. Dasselbe gilt
für Nordamerika, wo die soziale Schichtung so gut wie vollständig fehlt
und nur die Ausführlichkeit in der Darstellung der einzelnen Berufe
darüber hinwegzuhelfen vermag. In Oesterreich, zum Teil auch in
Deutschland, sind die letzte und die vorletzte Zählung nach so
verschiedenen Prinzipien erfolgt, daß auch hier ein Vergleich schwer
ist.

So hat man in Oesterreich neben den Selbständigen, Angestellten und
Arbeitern eine vierte Schicht, die der Tagelöhner geschaffen, die bei
internationalen Vergleichungen sehr störend wirkt, weil sie sich in
dieser Form nirgends wiederfindet. Eine weitere Schwierigkeit besteht
darin, daß der Begriff der "Selbständigen" ein sehr schwankender ist.
Die deutsche Statistik versteht darunter sowohl die Besitzer
landwirtschaftlicher Zwergbetriebe, als jede Näherin oder Putzmacherin,
die auf eigene Rechnung arbeitet. Die Betriebszählung hilft diesem
Uebelstande zum Teil ab, und man kann wenigstens mit ihrer Hilfe die
ausgesprochen proletarischen Existenzen aussondern. Unmöglich dagegen
ist es in England, wo die Schicht der "auf eigene Rechnung Arbeitenden"
die große Schneiderin, ebenso wie die arme Näherin umfassen kann; und in
Frankreich wieder hat man die Kleinmeister (petits patrons), die früher
besonders berechnet wurden, in der letzten Zählung ohne weiteres den
Arbeitern zugezählt. Ganz abgesehen von all diesen Bedenken in Bezug auf
die einzelnen Länder, gilt für alle das gleiche: daß nämlich gerade die
proletarische Frauenarbeit in ihrem ganzen Umfang schwer zu erfassen
ist; teils versteckt sie sich in fast unerreichbare Erden- und
Häuserwinkel, teils sind die befragten Frauen selbst zu schwerfällig und
unaufgeklärt, um genaue Antworten geben zu können. Die folgenden
Tabellen, die auf Grund eines so unzureichenden Materials
zusammengestellt wurden, machen daher nicht den Anspruch, den Stand der
proletarischen Frauenarbeit unbedingt richtig wiederzugeben.

Eine Betrachtung der proletarischen Arbeit im Verhältnis zur
Erwerbsthätigkeit überhaupt giebt den besten Begriff für ihre Bedeutung.

           |       |        |       ||        |Davon   ||Auf 100 erwerbs-
           |  Zähl |Erwerbs-|Davon  ||Erwerbs-|waren   ||thätige Männer
           |  ungs-|thätige |waren  ||thätige |Arbeite-||resp. Frauen
Länder     |periode| Männer |Arbei- ||Frauen  |rinnen  ||    kamen
           |       |        |ter    ||        |        ||Arbei-|Arbeite-
           |       |        |       ||        |        || ter  | rinnen
-----------+-------+--------+-------++--------+--------++------+--------
           |       |        |       ||        |        ||      |
Deutschland|  1882 |13415415|8020114|| 5541517| 4408116|| 59,78| 79,55
    "      |  1895 |15531841|9295082|| 6578350| 5293277|| 59,85| 80,47
           |       |        |       ||        |        ||      |
Oesterreich|  1880 | 6823891|3670338|| 4688687| 3642864|| 53,79| 77,69
    "      |  1890 | 7780491|4363074|| 6245073| 5310639|| 56,07| 85,04
           |       |        |       ||        |        ||      |
Frankreich |  1881 |10496652|4376604|| 5033604| 3635802|| 41,69| 72,23
    "      |  1891 |11137065|4990635|| 5191084| 3584518|| 43,91| 69,05
           |       |        |       ||        |        ||      |
Verein.    |  1880 |14744943|7053702|| 2647157| 2041466|| 47,84| 77,12
Staaten    |  1890 |18821090|8735622|| 3914571| 2864818|| 46,41| 73,18
           |       |        |       ||        |        ||      |
England u. |       |        |       ||        |        ||      |
Wales      |  1891 | 8883254|5368965|| 4016230| 3113256|| 60,44| 77,51

Zunächst geht aus der Zusammenstellung hervor, daß die Frauenarbeit
überhaupt einen ausgesprochen proletarischen Charakter hat: etwa drei
Viertel aller erwerbsthätigen Frauen sind Arbeiterinnen. Wenn das
übrigbleibende eine Viertel bisher in der Frauenbewegung allein zu Worte
kam und sich mit seinen Wünschen in den Vordergrund zu drängen
verstand, so ist dies ein Beweis mehr für die traurige Lage der
Arbeiterinnen: sie bildeten jene große Armee der Stummen, denen die Not
den Mund verschloß. Für ihre Zunahme scheint die vorstehende Tabelle
nicht zu sprechen; nur in Deutschland und Oesterreich verschiebt sich
der Anteil der Arbeiterinnen am weiblichen Erwerbsleben zu ihren
Gunsten; in Frankreich und Nordamerika findet ein Rückgang statt, der
sich für Frankreich sogar in den absoluten Zahlen ausdrückt. Diese
frappierende Thatsache, die uns nur in Frankreich begegnet, wird durch
die Zählung von 1896 berichtigt, da hier nur eine relative und zwar sehr
geringfügige Abnahme zu konstatieren ist. Da sie jedoch, wie gesagt,
Arbeiter und Angestellte zusammenrechnet, müssen beide Kategorien, um
einen Vergleich zu ermöglichen, auch für 1891 zusammengezählt werden.
Das Resultat ist folgendes:

           |       |        |       ||        |Davon   ||Auf 100 erwerbs-
           |  Zahl |Erwerbs-|Davon  ||Erwerbs-|waren   ||thätige Männer
           |  ungs-|thätige |waren  ||thätige |Arbeite-||resp. Frauen
Land       |periode| Männer |Arbei- || Frauen |rinnen  ||    kamen
           |       |        |ter und||        |und An- ||Arbei-|Arbeite-
           |       |        |Ange-  ||        |gestell-|| ter  | rinnen
           |       |        |stellte||        |te      ||
-----------+-------+--------+-------++--------+--------++------+--------
           |       |        |       ||        |        ||      |
Frankreich | 1891  |11197065|5563898|| 5191084| 3735904|| 49,96|  71,97
     "     | 1896  |11725978|8290204|| 6152983| 4287006|| 70,61|  69,67

Was Amerika betrifft, so wird die Verschiebung in der Zusammensetzung
der Erwerbsthätigen aus bürgerlichen und proletarischen Elementen durch
die Zunahme der ersteren, infolge des starken geistigen Aufschwungs und
der erheblich gesteigerten Anteilnahme der Frauen an bürgerlichen
Berufen im Laufe des zehnjährigen Zeitraumes zur Genüge erklärt. Aber
noch eine andere Thatsache springt aus der vorliegenden Tabelle ins
Auge: Die enorme Vermehrung der proletarischen Frauenarbeit in
Oesterreich; sie hat um fast zwei Millionen zugenommen und übersteigt
die Zahl der männlichen Arbeiter um ca. eine Million--ein nirgends
wiederkehrendes Verhältnis! So wenig Wert, der verschiedenen angewandten
Methoden wegen, auf den Vergleich beider Zählungsresultate zu legen ist,
so wichtig bleibt das Ergebnis der letzten Zählung, mit dem wir uns noch
werden beschäftigen müssen. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß es
hauptsächlich dem Umstand der starken Erfassung der verheirateten
arbeitenden Frauen entspringt und zweifellos Fehler schwerwiegender Art
mit untergelaufen sind.

Die Frage des Wachstums der proletarischen Arbeit muß aber noch von
anderen Seiten beleuchtet werden, und zwar zunächst im Vergleich mit dem
Wachstum der Bevölkerung:

           |Auf 100 männ- |Auf 100 weib- |Auf 100      |Auf 100
           |liche Personen|liche Personen|Arbeiter     |Arbeiterinnen
Länder     |der ersten    |der ersten    |der ersten   |der ersten
           |Zählungs-     |Zählungs-     |Zählungs-    |Zählungs-
           |periode       |periode       |periode      |periode
           |kommen in der |kommen in der |kommen in der|kommen in der
           |zweiten       |zweiten       | zweiten     |zweiten
-----------+--------------+--------------+-------------+-------------
Deutschland|      115     |      114     |    116      |      120
Oesterreich|      108     |      108     |    119      |      147
Frankreich |      101     |      102     |    114      |       99
Vereinigte |              |              |             |
  Staaten  |      126     |      124     |    124      |      140

Aus vorstehender Berechnung geht hervor, daß eine normale Zunahme der
Arbeiter, d.h. eine, die der Zunahme der Bevölkerung entspricht, nur
soweit die Männer in Betracht kommen und zwar bloß in Deutschland und
Nordamerika stattgefunden hat. Die Zunahme der Arbeiterinnen ist überall
eine anormale, sie übersteigt, mit Ausnahme von Frankreich, zum Teil,
und wie in Oesterreich um ein Bedeutendes, die Zunahme der weiblichen
Bevölkerung. In Frankreich ist die Differenz keine sehr große, ja es
zeigt sich auch hier eine weit stärkere Zunahme der weiblichen
Arbeiterschaft, als der weiblichen Bevölkerung, wenn wir der Berechnung
die Zählungen von 1891 und 1896 zu Grunde legen.

           |Auf 100 männ- |Auf 100 weib- |Auf 100    |Auf 100 Ar-
           |liche Personen|liche Personen|Arbeiter   |beiterinnen
Land       |der Zählung   |der Zählung   |der Zählung|der Zählung
           |von 1891 kamen|von 1891 kamen|von 1891   |von 1891
           |1896[463]     |1896          |kamen 1896 |kamen 1896
-----------+--------------+--------------+-----------+-----------
Frankreich |     100      |    100,35    |    151    |    115

Für England ist es unmöglich, den Fortschritt der proletarischen
Frauenarbeit allein festzustellen, weil nur die letzte Zählung eine
soziale Schichtung kennt. Betrachten wir die gesamte erwerbsthätige
weibliche Bevölkerung über zehn Jahr in ihrem Verhältnis zur weiblichen
Bevölkerung im allgemeinen, so kann von einer wesentlichen Vermehrung
nicht die Rede sein: 1881 waren von je 100 weiblichen Personen über zehn
Jahr 34,05 erwerbsthätig, 1891 dagegen 34,42. Aber auch der Prozentsatz
der männlichen Erwerbstätigen hat sich nicht verschoben, er betrug in
beiden Zählungsperioden 83%.[464]

Das Verhältnis der männlichen und weiblichen Arbeiter zu einander und
seine Verschiebung im Laufe der Zeit muß gleichfalls einer näheren
Betrachtung unterzogen werden. Folgende Tabelle giebt Aufschluß darüber:

Länder            |Zählungs-|       |       |Von
                  |periode  |Männer |Frauen |100 Arbeitern
                  |         |       |       |sind
                  |         |       |       |
                  |         |       |       |Männer|Frauen
------------------+---------+-------+-------+------+------
Deutschland       |   1882  |8020114|4408116| 64,53| 35,47
     "            |   1895  |9295082|5293277| 63,65| 36,35
Oesterreich       |   1880  |3670338|3642864| 50,19| 49,81
     "            |   1890  |4363074|5310639| 45,10| 54,90
Frankreich[465]   |   1881  |4376604|3635802| 54,62| 45,38
     "            |   1891  |4990635|3584518| 59,36| 40,64
     "            |   1891  |5563898|3735904| 53,44| 46,54
     "            |   1896  |8290204|4287006| 65,86| 34,14
England und Wales |   1881  |   --  |   --  |   -- |   --
   "     "    "   |   1891  |5368965|3113256| 63,30| 36,70
Vereinigte Staaten|   1880  |7053702|2041466| 77,56| 22,44
     "        "   |   1890  |8735622|2864818| 75,30| 24,70

Mit Ausnahme von Frankreich wäre der Eindruck eines Zurückdrängens der
Männer durch die Frauen hiernach der vorherrschende, wenn nicht aus der
Tabelle auf Seite 248 schon hervorgegangen wäre, daß thatsächlich die
Zunahme der männlichen Arbeiter mit der Zunahme der Bevölkerung gleichen
Schritt hält, ja sie zum Teil übersteigt. Es handelt sich also wohl um
eine andere Zusammensetzung, nicht aber um einen Rückgang der männlichen
Arbeiter. Interessant ist bei vorliegender Tabelle das Bild, das
Frankreich bietet. Auch nach der neuesten Zählung scheinen die Frauen
den Männern bedeutend nachzustehen. Ein Blick auf die absoluten Zahlen
der männlichen Arbeiter bringt die Erklärung dafür: danach sollen die
Angestellten und Arbeiter im Laufe von nur fünf Jahren eine Zunahme von
fast drei Millionen erfahren haben! Das ist, angesichts der minimalen
Zunahme der Bevölkerung, selbst dann eine Unmöglichkeit, wenn in
Betracht gezogen wird, daß die Zählung von 1896 die Kleinmeister (petits
patrons) den Arbeitern zugerechnet hat, und es kann als das
Wahrscheinlichste angenommen werden, daß die Statistik von 1891 einen
großen Teil der Arbeiter nicht erfaßte. Ist das der Fall, so würde die
Zusammensetzung der Arbeiter nach Geschlechtern eine andere werden.

Die starke Zunahme der proletarischen Frauenarbeit wird fast immer mit
einer Verdrängung der Männerarbeit in Zusammenhang gebracht. Zum Beweise
dafür beruft man sich auf die oft beobachtete, im vorigen Abschnitt auch
von uns angeführte Thatsache, daß durch die Einführung neuer, leichter
zu handhabender Maschinen in gewissen Fabrikationszweigen Frauen an
Stelle der Männer treten. Ganz abgesehen davon, daß es auch Maschinen
giebt,--z.B. die Setzmaschine,--die ihrerseits wieder die Frauenarbeit
verdrängen, zeigt es sich an der Hand der Statistik, daß im allgemeinen
von einem Ersatz der Arbeiter durch Arbeiterinnen kaum die Rede sein
kann, es sich vielmehr um Verschiebungen handelt. Die gegenteilige
Behauptung ist auch eines jener auf ungenügender Kenntnis der Thatsachen
beruhenden Schlagworte der Frauenbewegung. Folgende Tabelle diene zum
Beweis dafür.[466] Es verblieben nämlich in der Stellung von berufslosen
Familienangehörigen:

Von je 1000 Personen      |   Deutschland   |   Oesterreich
in der Altersklasse       |-----------------+-----------------
                          |männlich|weiblich|männlich|weiblich
--------------------------+--------+--------+--------+--------
unter 20 Jahr             |  742   |  812   |  655   |  691
von 20-30 Jahr            |   24   |  531   |   28   |  268
 "  30-40  "              |    9   |  743   |   11   |  340
 "  40-50  "              |    7   |  710   |    7   |  304
 "  50-60  "              |   10   |  632   |    8   |  267
 "  60-70  "              |   22   |  553   |   18   |  261
 "  70 Jahr und darüber   |  106   |  469   |   54   |  253

Daraus geht hervor, daß in den für die Berufsarbeit entscheidenden
Altersklassen kaum 1% Männer zum Eintritt in den Erwerb übrig bleibt.
Man kann annehmen, daß dieses eine Prozent großenteils aus jenen
physisch und moralisch Kranken besteht, die überhaupt von der
Berufsarbeit ausgeschlossen sind, daß daher fast alle verfügbaren Männer
zur Arbeit herangezogen wurden. Anders steht es mit den Frauen. Ihr
Anteil an der Berufsarbeit fällt wesentlich in das 20. bis 30.
Lebensjahr, aber auch hier ist noch fast die Hälfte der Frauen
erwerbslos und diese Erwerbslosigkeit steigert sich erheblich in den
Jahren, wo Mutter- und Hausfrauenpflichten die Frauen in Anspruch
nehmen. Erst in späteren Jahren, zu einer Zeit, wo der Rücktritt der
Männer in die Reihen der Berufslosen beginnt, wächst wieder, infolge der
großen Zahl von Witwen, der Anteil der Frauen am Erwerbsleben.
Jedenfalls bleiben in allen Altersklassen noch viele erwerbsfähige
Frauen verfügbar, und aus ihren Reihen nimmt besonders die Industrie die
ihr nötigen, aus der Männerwelt nicht zu deckenden Arbeitskräfte.
Infolgedessen wird auf absehbare Zeit hinaus die proletarische
Frauenarbeit im Verhältnis stärker zunehmen als die Männerarbeit, ohne
daß diese durch jene gefährdet wird. Diese Auffassung kann scheinbar
durch den Hinweis auf die große Zahl der Arbeitslosen entkräftet werden.
Aber nur scheinbar! Denn die Arbeitslosigkeit entspringt wesentlich dem
Saisoncharakter zahlreicher Berufsarten, auch die mangelhafte
Organisation des Arbeitsmarkts spielt dabei eine Rolle, und Männer und
Frauen werden gleicherweise von ihr heimgesucht.

Die Betrachtung der proletarischen Frauenarbeit verlangt aber auch
ein näheres Eingehen auf ihre Beteiligung an den einzelnen
Berufsabteilungen. Sie gestaltet sich im Verhältnis zu den Männern
folgendermaßen:

Länder                   |Zählungs-|Landwirtschaft
                         |periode  |
                         |         |Männer |Frauen |Von 100 Arbeitern
                         |         |       |       |sind
                         |         |       |       |männlich|weiblich
-------------------------+---------+-------+-------+--------+--------
Deutschland              |  1882   |3629959|2251860| 61,71  | 38,29
Deutschland              |  1895   |3239646|2388148| 57,57  | 42,43
Oesterreich              |  1880   |1646317|2088985| 43,70  | 56,30
Oesterreich              |  1890   |1962688|3652445| 34,95  | 65,05
Frankreich (nur Arbeiter)|  1881   |1858131|1542407| 54,67  | 45,33
Frankreich (nur Arbeiter)|  1891   |2120799|1452924| 59,34  | 40,66
Frankreich (Arbeiter u.  |  1891   |2166351|1482772| 59,37  | 40,63
    Angestellte)         |         |       |       |        |
Frankreich (Arbeiter u.  |  1896   |3818509|1487123| 71,97  | 28,03
    Angestellte)         |         |       |       |        |
England und Wales        |  1881   | 807608|  40346| 95,26  |  4,74
England und Wales        |  1891   | 734984|  24150| 96,82  |  3,18
Vereinigte Staaten       |  1880   |2208400| 399309| 84,69  | 15,31
Vereinigte Staaten       |  1890   |2316399| 363544| 86,43  | 13,57

Länder                   |Zählungs-|Industrie
                         |periode  |
                         |         |Männer |Frauen |Von 100 Arbeitern
                         |         |       |       |sind
                         |         |       |       |männlich|weiblich
-------------------------+---------+-------+-------+--------+--------
Deutschland              |  1882   |3551014| 545229| 86,69  | 13,31
Deutschland              |  1895   |4963409| 992302| 83,35  | 16,65
Oesterreich              |  1880   |1193265| 449746| 72,63  | 27,37
Oesterreich              |  1890   |1558914| 585692| 72,69  | 27,31
Frankreich (nur Arbeiter)|  1881   |1869639|1161960| 61,67  | 38,33
Frankreich (nur Arbeiter)|  1891   |2146156|1173061| 64,72  | 35,28
Frankreich (Arbeiter u.  |  1891   |2262222|1219217| 64,98  | 35,02
    Angestellte)         |         |       |       |        |
Frankreich (Arbeiter u.  |  1896   |3048030|1611078| 65,42  | 34,58
    Angestellte)         |         |       |       |        |
England und Wales        |  1881   |       |       |        |
England und Wales        |  1891   |3926934|1466130| 72,81  | 27,19
Vereinigte Staaten       |  1880   |2878133| 690798| 80,65  | 19,35
Vereinigte Staaten       |  1890   |4236760|1206807| 77,83  | 22,17

Länder                   |Zählungs-|Handel und Verkehr
                         |periode  |
                         |         |Männer |Frauen |Von 100 Arbeitern
                         |         |       |       |sind
                         |         |       |       |männlich|weiblich
-------------------------+---------+-------+-------+--------+--------
Deutschland              |  1882   | 582885| 144777| 80,11  | 19,89
Deutschland              |  1895   | 868042| 365005| 70,40  | 29,60
Oesterreich              |  1880   | 131043|  31039| 80,86  | 19,14
Oesterreich              |  1890   | 189281|  59246| 76,16  | 23,84
Frankreich (nur Arbeiter)|  1881   | 304605| 119115| 71,89  | 28,11
Frankreich (nur Arbeiter)|  1891   | 497655| 228656| 68,52  | 31,48
Frankreich (Arbeiter u.  |  1891   | 909310| 334038| 73,10  | 26,90
    Angestellte)         |         |       |       |        |
Frankreich (Arbeiter u.  |  1896   |1223919| 527073| 69,90  | 30,10
    Angestellte)         |         |       |       |        |
England und Wales        |  1881   |       |       |        |
England und Wales        |  1891   | 638423|  12556| 98,07  |  1,93
Vereinigte Staaten       |  1880   |  91502|   4803| 95,90  |  4,10
Vereinigte Staaten       |  1890   | 127619|  10027| 92,72  |  7,28

Länder                   |Zählungs-|Persönlicher Dienst und
                         |periode  |Lohnarbeit wechselnder Art
                         |         |Männer |Frauen |Von 100 Arbeitern
                         |         |       |       |sind
                         |         |       |       |männlich|weiblich
-------------------------+---------+-------+-------+--------+--------
Deutschland              |  1882   | 213746| 183836| 53,76  | 46,24
Deutschland              |  1895   | 198626| 233865| 45,91  | 54,09
Oesterreich              |  1880   | 495425| 501500| 49,70  | 50,30
Oesterreich              |  1890   | 620301| 588169| 51,23  | 48,77
Frankreich (nur Arbeiter)|  1881   |       |       |        |
Frankreich (nur Arbeiter)|  1891   |       |       |        |
Frankreich (Arbeiter u.  |  1891   |       |       |        |
    Angestellte)         |         |       |       |        |
Frankreich (Arbeiter u.  |  1896   |       |       |        |
    Angestellte)         |         |       |       |        |
England und Wales        |  1881   |   5728|  95826|  5,65  | 94,35
England und Wales        |  1891   |  10097| 124253|  7,50  | 92,50
Vereinigte Staaten       |  1880   |1715733|  70179| 99,60  |  0,40
Vereinigte Staaten       |  1890   |1828265|  53096| 99,72  |  0,28

Länder                   |Zählungs-|Häusliche Dienstboten
                         |periode  |
                         |         |Männer|Frauen |Von 100 Arbeitern
                         |         |      |       |sind
                         |         |      |       |männlich|weiblich
-------------------------+---------+------+-------+--------+--------
Deutschland              |  1882   | 42510|1282414|  3,20  | 96,80
Deutschland              |  1895   | 25359|1313957|  1,89  | 98,11
Oesterreich              |  1880   |204288| 571594| 26,53  | 73,67
Oesterreich              |  1890   | 31890| 424387|  6,99  | 93,01
Frankreich (nur Arbeiter)|  1881   |344229| 812320| 29,76  | 70,24
Frankreich (nur Arbeiter)|  1891   |226015| 699877| 24,30  | 75,70
Frankreich (Arbeiter u.  |  1891   |226015| 699877| 24,30  | 75,70
    Angestellte)         |         |      |       |        |
Frankreich (Arbeiter u.  |  1896   |199746| 661732| 23,19  | 76,81
    Angestellte)         |         |      |       |        |
England und Wales        |  1881   | 66262|1230406|  5,11  | 94,89
England und Wales        |  1891   | 58527|1386167|  4,06  | 95,94
Vereinigte Staaten       |  1880   |159934| 876377| 15,43  | 84,57
Vereinigte Staaten       |  1890   |226679|1231344| 15,50  | 84,50

Es zeigt sich dabei, daß in der Landwirtschaft die Frauenarbeit, mit
Ausnahme von Deutschland und Oesterreich, wesentlich abgenommen hat,
eine Abnahme, die sich für England und Amerika auch in den absoluten
Zahlen ausdrückt. In der Industrie ist ihre Zunahme in Deutschland und
Amerika eine raschere als die Männerarbeit, während sie in Oesterreich
und Frankreich von dieser überrannt wird, obwohl eine absolute Zunahme
stattfand. Ganz bedeutend rascher wächst dagegen die Frauenarbeit im
Handel und Verkehr und zwar gilt das für alle Länder. Für die Lohnarbeit
wechselnder Art hat überall eine Verschiebung zu Gunsten der Männer
stattgefunden, die sich in Amerika sogar auf die absoluten Zahlen
erstreckt. Die weiblichen Dienstboten dagegen haben, mit Ausnahme von
Amerika, rascher zugenommen als die männlichen, die, wieder mit Ausnahme
von Amerika, überall an Zahl bedeutend zurückgingen. Eine absolute
Verminderung fand in Oesterreich und Frankreich auch für die weiblichen
Dienstboten statt. Diese Darstellung illustriert aber noch nicht genau
genug die Gestaltung der proletarischen Arbeit in den einzelnen
Berufsabteilungen. Das prozentuale Verhältnis des Wachstums zeigt am
besten die Tabelle.

Zunahme resp. Abnahme der Arbeiter und Arbeiterinnen.

               |   Landwirtschaft  |     Industrie     | Handel und Verkehr
               |                   |                   |
               |-------------------+-------------------+-------------------
               |                              Auf 100
Länder         |-------------------+-------------------+-------------------
               |männliche|weibliche|männliche|weibliche|männliche|weibliche
               |-----------------------------------------------------------
               | Arbeiter der ersten Zählungsperiode kommen in der zweiten
---------------+---------+---------+---------+---------+---------+---------
Deutschland    |         |         |         |         |         |
  1882 bis 1890|    89   |   106   |   140   |   182   |   149   |   253
Oesterreich    |         |         |         |         |         |
  1880 bis 1890|   119   |   175   |   131   |   130   |   144   |   191
Frankreich     |         |         |         |         |         |
  1881 bis 1891|   114   |    94   |   116   |   101   |   163   |   192
Frankreich     |         |         |         |         |         |
  1891 bis 1896|   176   | 100 3/10|   135   |   132   |   134   |   158
Vereinigte     |         |         |         |         |         |
  Staaten      |         |         |         |         |         |
  1880 bis 1890|   105   |    92   |   113   |   176   |   139   |   209

               |Lohnarbeit         |
               |wechselnder Art    |   Dienstboten
               |-------------------+-------------------
               |                 Auf 100
Länder         |-------------------+-------------------
               |männliche|weibliche|männliche|weibliche
               |---------------------------------------
               | Arbeiter der ersten Zählungsperiode
               | kommen in der zweiten
---------------+---------+---------+---------+---------
Deutschland    |         |         |         |
  1882 bis 1890|   108   |   127   |    60   |   103
Oesterreich    |         |         |         |
  1880 bis 1890|   125   |   117   |    16   |    72
Frankreich     |         |         |         |
  1881 bis 1891|    --   |    --   |    66   |    86
Frankreich     |         |         |         |
  1891 bis 1896|    --   |    --   |    87   |    95
Vereinigte     |         |         |         |
  Staaten      |         |         |         |
  1880 bis 1890|   106   |    76   |   142   |   141

Vergleichen wir diese Tabelle mit dem Wachstum der Bevölkerung, wie die
Tabelle es wiedergiebt, so zeigt es sich, daß die proletarische
Frauenarbeit in Industrie und Handel überall bedeutend rascher
zugenommen hat als die Bevölkerung, daß die Landarbeiterinnen und die
Dienstboten dagegen eine starke Abnahme zeigen, oder zum mindesten weit
hinter dem prozentualen Wachstum der Bevölkerung zurückblieben. Die
verschiedenartige Zusammensetzung innerhalb der weiblichen
Arbeiterschaft während der letzten und der vorletzten Zählungsperiode
giebt einen noch drastischeren Beweis dafür:

           |         |   Von 100 Arbeiterinnen waren beschäftigt in
           |         |-------------------------------------------------
           |         |          |         |Handel |          |Häusliche
   Länder  |Zählungs-|   Land-  |         |  und  |Lohnarbeit| Dienst-
           | periode |wirtschaft|Industrie|Verkehr|wechs. Art|  boten
-----------+---------+----------+---------+-------+----------+---------
Deutschland|  1882   |   51,08  |   12,37 |  3,29 |   4,17   |  29,09
     "     |  1895   |   45,16  |   18,70 |  6,90 |   4,42   |  24,82
Oesterreich|  1880   |   57,34  |   12,35 |  0,85 |  13,77   |  15,69
     "     |  1890   |   68,78  |   11,03 |  1,12 |  11,08   |   7,99
Frankreich |  1891   |   39,69  |   32,64 |  8,94 |    --    |  18,73
     "     |  1896   |   34,69  |   37,58 | 12,29 |    --    |  15,44
Vereinigte |  1880   |   19,56  |   32,84 |  0,24 |   3,44   |  42,92
  Staaten  |  1890   |   12,69  |   42,13 |  0,35 |   1,85   |  42,98

Die Verschiebung geht danach fast durchweg zu Gunsten der
Handelsangestellten und der Industriearbeiterinnen vor sich.

In Bezug auf diese ist es nicht ohne Interesse, die Zählungen der
Gewerbeaufsichtsbeamten zu Hilfe zu nehmen, obwohl sie immer nur einen
beschränkten Kreis von Arbeitern umfassen. Nach den Berichten der
deutschen Inspektoren hat sich die Zunahme der Industriearbeiterinnen
folgendermaßen gestaltet:[467]

         |  Weibliche Arbeiter
         |
Zählungs-|-------------------------
periode  |absolute |    Zunahme
         |Zahl     |---------------
         |         |absolut|Prozent
---------+---------+-------+-------
  1895   |  739 755|       |
  1896   |  781 882| 41,127| 5,7
  1897   |  822 462| 40,580| 5,2
  1898   |  859 203| 36,741| 4,5
  1899   |  884 239| 35,036| 4,1

Wir sehen daraus, daß zwar die Zunahme alljährlich eine sehr starke ist,
daß sie aber von Jahr zu Jahr an Intensität abnimmt. Ein Schluß auf eine
rasche Zunahme der männlichen Arbeiter läßt sich daraus nicht ziehen,
obwohl ein Vergleich aus Mangel an statistischem Material nicht möglich
ist. Die Wahrscheinlichkeit aber spricht dafür, daß auch das Tempo des
Wachstums der männlichen Arbeiter sich verlangsamt hat, weil die
industrielle Entwicklung gleichfalls ruhiger vorschreitet. Die
entsprechenden Zahlen für Frankreich,--so vorsichtig sie auch wegen der
mangelhaften Berichterstattung aufgenommen werden müssen,--sind
besonders merkwürdig. Es zeigt sich nämlich, wie nachstehende Tabelle
angiebt, daß dem starken Wachstum von 15% zwischen 1894 und 1896 in den
nächsten zwei Jahren ein empfindlicher Rückschlag folgte:

         |   Weibliche Arbeiter     |    Männliche Arbeiter
         |--------------------------+--------------------------
Zählungs-|absolute Zu- resp. Abnahme|absolute Zu- resp. Abnahme
periode  |--------------------------+--------------------------
         |  Zahl  |absolut | Prozent|  Zahl  |absolut | Prozent
---------+--------+--------+--------+--------+--------+--------
  1894   | 732760 |        |        | 1722183|        |
  1896   | 844911 | 112,151|  15,9  | 1828403| 106,220|   6,2
  1898   | 812591 | -32,320|  -3,9  | 1820979|  -7,424|   0,4

Es zeigt sich aber auch, daß für die Männer, wenn auch nicht in genau
demselben Maß, doch das gleiche gilt.[468]

Die proletarische Frauenarbeit wird nun aber keineswegs allein durch
die soziale Schicht der Arbeiterinnen erschöpft. Es giebt zweifellos
auch unter den Selbständigen eine große Zahl proletarischer Existenzen,
die sich allerdings nur an der Hand einer eingehenden Betriebs- und
Gewerbezählung annähernd feststellen lassen und diese liegt nur für
Deutschland vor.[469] Wir müssen daher hierbei auf internationale
Vergleichungen ganz verzichten. Wir können aber auch in Deutschland die
Proletarier unter den Selbständigen nicht völlig erfassen, weil die
Einteilung der Betriebe nach ihren Größenklassen uns daran verhindert:
Sie werden nämlich nur in Alleinbetriebe und Betriebe von 2 bis 5, 6 bis
20, 21 und mehr Personen eingeteilt. Für unsere Zwecke müssen wir daher
bei den Alleinbetrieben stehen bleiben, während Betriebe mit 2 Personen
zweifellos noch einen proletarischen Charakter tragen. Um von der
Verteilung, der Zu- resp. Abnahme der Frauen in den Alleinbetrieben ein
klares Bild zu bekommen, muß die Zahl der Frauen in den
Gehilfenbetrieben ihnen gegenübergestellt werden, wie es in folgender
Tabelle geschieht:

Gewerbearten          |  Frauen | Ihre Zu-|Frauen in|Ihre Zu-
                      |in Allein|resp. Ab-|Gehilfen-|resp. Ab-
                      |betrieben|  nahme  |betrieben| nahme
                      |   1895  |seit 1882|   1895  |seit 1882
----------------------+---------+---------+---------+----------
Gärtnerei, Tierzucht  |         |         |         |
  und Fischerei       |     708 |     285 |   17998 |   10505
Industrie, Bergbau,   |         |         |         |
  Baugewerbe          |  443333 |  -87753 | 1114986 |  479030
Handel, Verkehr, Gast-|         |         |         |
  und Schankwirtschaft|  145165 |   42500 |  617115 |  385591

Wir sehen daraus, daß die weiblichen Leiter von Alleinbetrieben nur in
der Industrie erheblich abgenommen haben, ein Umstand, der, wie wir aus
der Zunahme der Arbeiter in den Gehilfenbetrieben sehen, nur auf die
Verschiebung zu Gunsten des Mittel- und Großbetriebs zurückzuführen ist.
Eine Betrachtung der Gewerbearten, in denen das weibliche Geschlecht
besonders stark vertreten ist, erläutert das Gesagte noch deutlicher:

Gewerbearten           |Frauen in|Zu- resp.||Frauen in|Zu- resp.
                       |Allein-  |Abnahme  ||Gehilfen-|Abnahme
                       |betrieben|         ||betrieben|
-----------------------+---------+---------++---------+---------
Strickerei und Wirkerei|   15472 |  -2324  ||  28164  | 14950
Häkelei und Stickerei  |    6178 |   -336  ||   6049  |  3413
Spitzen-Verfert.,      |         |         ||         |
  Weißzeugstickerei    |    7802 |  -8737  ||  11532  |  7017
Näherei                |  185716 | -58183  ||  28078  |  3848
Schneiderei            |   89250 |  35227  ||  84350  | 46746
Kleider- und           |         |         ||         |
  Wäschekonfektion     |     585 |  -3886  ||  35409  | 15946
Putzmacherei,          |         |         ||         |
  künstl. Blumen       |   12429 |  -1150  ||  28874  | 11213
Handschuh, Kravatten,  |         |         ||         |
  Hosenträger          |    3995 |  -4109  ||   7760  |  1754
Wäscherei, Plätterei   |   66029 | -17662  ||  27687  | 14057

Die Abnahme in den Alleinbetrieben wird fast überall durch die Zunahme
in den Gehilfenbetrieben mehr als wett gemacht. Trotz dieser
Konstellation, die im Interesse des Fortschritts wie in dem der Frauen
selbst liegt, ist die Zahl der alleinstehenden Selbständigen immer noch
eine außerordentlich hohe, wie aus folgender Tabelle hervorgeht:

                                |Von 100      |Von 100
Gewerbearten                    |selbständigen|selbständigen
                                |Frauen sind  |Männern sind
--------------------------------+-------------+-------------
Inhaber von Alleinbetrieben     |     84,4    |     50,0
  "      "  Gehilfenbetrieben   |     15,6    |     50,0
  "     mit bis zu 5 Personen   |     13,9    |     40,5
  "      "  6-20 Personen       |      1,5    |      6,9
  "      "  21 und mehr Personen|      0,2    |      2,6

Aus diesen Ziffern ist die gedrückte Lage der erwerbthätigen Frauen mit
aller Deutlichkeit zu ersehen: Fast alle selbständigen Frauen arbeiten
allein, d.h. sie sind fast ausnahmslos Proletarierinnen. Das zeigt sich
noch deutlicher, wenn wir ins Auge fassen, daß, während die männlichen
Alleinmeister sich auf viele Gewerbe verteilen und häufig die Stellung
kleiner Handwerker einnehmen, bei den Frauen davon kaum die Rede ist.
Ueber ein Fünftel von ihnen finden wir in der Hausindustrie, zwei
Fünftel in der Bekleidung und Reinigung, 18,8% im Handel, 11,3% in der
Textilindustrie, 4,8% in der Gast- und Schankwirtschaft, 3,4 % in
sonstigen Gewerben. Diese noch dazu auf so wenige Gewerbe sich
konzentrierende Vereinzelung der Frauen ist ein schweres Hindernis auf
dem Wege zu besseren Arbeitsbedingungen.

In der Landwirtschaft ist das äußere Bild ein ähnliches. Rechnen wir die
Selbständigen, soweit sie ein Areal von unter 2 bis 5 ha bewirtschaften,
zu den Proletariern, so sind von den selbständigen Landwirtinnen nicht
weniger als drei Viertel Arbeiterinnen in unserm Sinne. Nachstehende
Tabelle giebt die genaueren Zahlen:

Areal          |Selbständige in der Landwirtschaft  |Von je
               |------------------------------------|100 Selb-
               |     Absolut     |   in Prozenten   |ständigen
               |                 |                  |sind
               | Männer | Frauen | Männer |  Frauen |weiblich
---------------+--------+--------+--------+---------+---------
unter 2  ha    | 248209 | 177088 | 15,96  |  52,24  | 33,71
2 bis 5  "     | 604562 |  74565 | 27,70  |  22,00  | 10,98
5  " 10  "     | 501482 |  40059 | 22,98  |  11,82  |  7,40
10 " 50  "     | 636275 |  41167 | 29,15  |  12,14  |  6,08
50 " 100 "     |  62920 |   4182 |  2,88  |   1,23  |  6,23
100 und mehr ha|  28921 |   1918 |  1,33  |   0,57  |  6,21

Ueber die Zu- resp. Abnahme läßt sich leider nichts Genaueres, nach
Geschlechtern gesondert, feststellen. Im allgemeinen aber kann, obwohl
ein schwacher Rückgang der betreffenden Betriebe stattfand,--von 76,63%
auf 76,51%,--angenommen werden, daß wenigstens die Zahl der
selbständigen Inhaberinnen von Zwergbetrieben zugenommen hat; man kann
darunter nämlich meist solche Frauen verstehen, die an den Grenzen der
Industriestädte sogenannte "Lauben" besitzen, und hier im kleinsten Maß
Gemüse, Blumen und Obst ziehen. Im Gegensatz zur Industrie, wäre diese
Vermehrung von Alleinbetrieben freudig zu begrüßen, weil sie der
Gesundheit der Frauen und Kinder zu Gute kommt. Auch im Handel, wo die
von Frauen geleiteten Alleinbetriebe um 41% zugenommen, die von Männern
geleiteten dagegen um 5% abgenommen haben, sind die Folgen keine
schädlichen, die Ursachen aber sind dieselben, wie die für die steigende
Erwerbsthätigkeit der Frauen überhaupt: Not, und die durch die
Erträgnisse des männlichen Erwerbs nicht zu deckenden gesteigerten
Bedürfnisse.

Wie sehr die Thatsache, daß das Haupt der Familie sie nicht allein
ernähren kann, ins Gewicht fällt, beweist ein Blick auf eine andere
Seite der Frauenarbeit: die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen.
Sie für alle Berufsabteilungen festgestellt zu haben, ist bisher allein
das Verdienst der deutschen Berufsstatistik von 1895. Das Ergebnis ist,
daß, während fast sämtliche männliche Arbeiter,--99,2%,--Berufsarbeiter
sind, von den weiblichen mehr als ein Fünftel zu den helfenden
Familiengliedern gehören. Das genauere Verhältnis ist, auch unter
Bezugnahme auf die Größe der Betriebe, dieses:

              || Von  100 berufsmäßigen   ||Von  100 mithelfenden
              || Arbeitern sind weiblich  ||Familienangehörigen
              || in Betrieben             ||sind weiblich in Betrieben
Berufsarten   ||--------------------------||---------------------------
              ||bis 5   |6 bis 20|über 20 ||bis 5    |6 bis 20|über 20
              ||Personen|Personen|Personen||Personen |Personen|Personen
--------------++--------+--------+--------++---------+--------+--------
Landwirtschaft||  14,3  |  25,6  |  19,9  ||  76,5   |  85,6  |  85,7
Industrie     ||   9,8  |  15,2  |  19,9  ||  84,4   |  77,9  |  44,2
Handel und    ||        |        |        ||         |        |
  Verkehr     ||  44,0  |  34,0  |  20,2  ||  92,9   |  85,9  |  79,7
--------------++--------+--------+--------++---------+--------+--------
   im ganzen  ||  18,9  |  19,5  |  20,0  ||  90,2   |  82,0  |  56,0

Die Lehre, die sich aus dieser Tabelle ziehen läßt, ist außerordentlich
wichtig für die Erkenntnis der proletarischen Frauenarbeit und dessen,
was ihr Not thut, will man sie aus ihrer untergeordneten Stellung
emporheben: in den kleinen Betrieben finden sich die wenigsten
berufsmäßigen Arbeiterinnen,--besonders hervorstechend ist das
Verhältnis in der Industrie,--und fast alle mithelfenden
Familienangehörigen sind hier Frauen. Demnach bedeutet die Entwicklung
des Großbetriebs eine Förderung der berufsmäßigen proletarischen
Frauenarbeit, der jetzt noch, und zwar wesentlich in den Kleinbetrieben,
eine große Zahl mithelfender weiblicher Familienmitglieder gegenüber
steht. Gegenüber in jedem Sinn: denn diese in und durch die Familie
ausgebeuteten Kräfte sind die natürlichen Feinde der aufstrebenden
weiblichen Arbeiterschaft, sie helfen den Kleinbetrieb erhalten, und
hindern die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ebenso wie die Erhöhung
der weiblichen Arbeitsleistung, weil sie, statt ganz auf sich angewiesen
zu sein, an der Familie einen Rückhalt haben.

Als allgemeine Ergebnisse unserer bisherigen Berechnungen läßt sich
feststellen, daß die proletarische Frauenarbeit im allgemeinen in
rascherem Tempo zugenommen hat, als die Männerarbeit und viel schneller
gewachsen ist, als die weibliche Bevölkerung. Nur in Zeiten
wirtschaftlichen Niedergangs kann von einem Verdrängen der männlichen
Arbeiter die Rede sein. Unter normalen Verhältnissen zeigt sich dagegen,
daß durch die Entwicklung der proletarischen Arbeitsgelegenheiten,
besonders in der Industrie, die männlichen Arbeitskräfte großenteils
erschöpft wurden und die Heranziehung weiblicher unausbleiblich ist. Sie
erfolgt in um so stärkerem Maße, als Frauen zur Verfügung stehen. Bis
jetzt allerdings bedeutet dieses Nachrücken der weiblichen Reservearmee
zugleich ein Einrücken in untergeordnete Stellungen und Betriebsarten.
Eine wirtschaftliche Entwicklung in nur annähernd ähnlichem Tempo wie
die jetzige vorausgesetzt, ist aber nicht nur auf ein weiteres
numerisches Wachstum der Frauenarbeit, sondern auch auf ihr Emporsteigen
zu höherem wirtschaftlichen Wert zu rechnen. Das Wachstum an sich ist
als nichts Unnatürliches anzusehen oder zu beklagen, es liegt vielmehr
durchaus auf dem Wege normaler Evolution. Die schweren Schäden, die sie
mit sich bringt, sind nicht die Folgen der Frauenarbeit überhaupt,
sondern vielmehr die Folgen der Arbeitsorganisation und der
Arbeitsbedingungen.

Aber nicht nur die Frage des Wachstums der Frauenarbeit und ihrer
Position innerhalb der allgemeinen proletarischen Arbeit bedurfte
eingehender Erörterung, auch ihre Verteilung auf die Berufsarten ist von
ganz besonderem Interesse, und zwar wesentlich im Hinblick auf die
Industrie. Folgende Zusammenstellung derjenigen Berufsarten, in denen
die meisten Frauen beschäftigt sind, giebt Aufschluß darüber:

Die wichtigsten Frauenberufe in der Industrie.[470]

                 | Deutschland | Oesterreich |   England u. |  Vereingte   |  Frankreich  |    Belgien
                 |             |             |     Wales    |   Staaten    |              |
                 +-------------+-------------+--------------+--------------+--------------+-------------
                 |      |Von   |      |Von   |       |Von   |       |Von   |       |Von   |      |Von
                 |      |100   |      |100   |       |100   |       |100   |       |100   |      |100
                 |      |Ar-   |      |Ar-   |       |Ar-   |       |Ar-   |       |Ar-   |      |Ar-
                 |      |beit- |      |beit- |       |beit- |       |beit- |       |beit- |      |beit-
                 |      |ern   |      |ern   |       |ern   |       |ern   |       |ern   |      |ern
Gewerbearten     |      |bei-  |      |bei-  |       |bei-  |       |bei-  |       |bei-  |      |bei-
                 |      |derlei|      |derlei|       |derlei|       |derlei|       |derlei|      |derlei
                 |Zahl  |Ge-   |Zahl  |Ge-   |Zahl   |Ge-   |Zahl   |Ge-   |Zahl   |Ge-   |Zahl  |Ge-
                 |der   |schle-|der   |schle-|der    |schle-|der    |schle-|der    |schle-|der   |schle-
                 |Ar-   |chts  |Ar-   |chts  |Ar-    |chts  |Ar-    |chts  |Ar-    |chts  |Ar-   |chts
                 |beite-|sind  |beite-|sind  |beite- |sind  |beite- |sind  |beite- |sind  |beite-|sind
                 |rinnen|weibl.|rinnen|weibl.|rinnen |weibl.|rinnen |weibl.|rinnen |weibl.|rinnen|weibl.
-----------------+------+------+------+------+-------+------+-------+------+-------+------+------+------
Kleider- und     |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Wäschekonfektion| 27453| 83,38| 59923| 93,58|  38812| 95,83| 304303| 98,08|\      |\     |\     |\
Schneiderinnen   | 61480| 31,66|\43678|\35,72|  82667| 48,89|  63809| 34,42|}      |}     |}     |}
Näherinnen       | 97979|100,00|/     |/     |\      |\     | 146043| 97,33|}      |}     |}44324|}66,06
Putzmacherinnen  | 16517| 98,33|  7388| 89,04|}257408|}98,80|  60087| 99,35|}      |}     |}     |}
Korsettnäherinnen|  5663| 88,80|   -- |  --  |/      |/     |   5800| 88,78|}      |}     |/     |/
Handschuh-,      |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 Kravatten- und  |      |      |      |      |       |      |       |      |}976161|}88,50|      |
 Hosenträger-    |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 fabrikation     |  6428| 54,45|  7863| 63,26|   9007| 78,50|   8675| 57,28|}      |}     |  3043| 52,20
Hutfabrikation   |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 und Kürschnerei |  7659| 31,24|  5070| 30,28|  16392| 45,74|   6694| 23,71|}      |}     |  1052| 23,88
Blumen- und      |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 Federn-         |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 fabrikation     |  8227| 87,32|   -- |  --  |   6174| 88,76|   2543| 83,48|/      |/     |   -- | --
Schuhfabrikation | 11537|  7,03|  8774|  6,54|  43671| 22,93|  33677| 15,77|   --  |   -- |  3154| 11,76
Stroh-, Bast- und|      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Holzflechterei, |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Strohhüte       |  7297| 32,50|   -- |  --  |  11227| 54,58|   2423| 66,09|   --  |   -- |   -- |  --
Spitzen-         |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 fabrikation,    |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Stickerei und   |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Häkelei         | 12376| 70,34| 18030| 75,35|   6945| 87,57|   4435| 84,38|\      |\     |\     |\
Strickerei und   |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |}     |}
 Wirkerei        | 25325| 54,59|  8639| 62,35|  29111| 63,29|  20810| 70,40|}      |}     |}     |}
Posamenten-      |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |}     |}
 fabrikation     |  9974| 52,07|  5001| 67,72|  19634| 62,47|   --  |  --  |}      |}     |}95944|}62,80
Spinnerei,       |      |      |      |      |       |      |       |      |}483393|}52,18|}     |}
 Hechelei,       |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |}     |}
 Haspelei        |103350| 59,76| 31586| 55,46|\540832|\59,82|\202848|\49,72|}      |}     |}     |}
Weberei          |175918| 48,47|116034| 43,01|/      |/     |/      |/     |}      |}     |/     |/
Färberei und     |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 Bleicherei      | 22551| 29,96|  4494| 23,60|   5167| 11,75|   3246| 15,52|/      |/     |  1285| 21,88
Gummi-,          |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Guttapercha-,   |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 und Kautschuk-  |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 fabrikation     |  3532| 29,31|   308| 35,16|   4112| 40,22|   6456| 39,95|\      |\     |   306| 53,11
Buchbinderei     |      |      |      |      |       |      |       |      |} 23370|}35,76|      |
 und Kartonage   | 15010| 32,22|  3242| 33,70|  30234| 71,15|  24603| 59,11|}      |}     |   -- |  --
Papierfabrikation| 22352| 33,70|  6362| 40,12|  13101| 39,79|   2961| 13,57|/      |/     |  3043| 35,60
Setzer, Drucker, |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Lithographen und|      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Schriftgießer   | 13071| 13,93|  1966| 15,72|   4737|  5,46|  12054| 10,32|  14720| 19,58|   745|  7,30
Bäcker und       |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Konditoren      | 23740| 14,10|  6617|  9,40|  26358| 28,56|   7961| 23,57|\      |\     |  228 |  2,15
Herstellung      |      |      |      |      |       |      |       |      |}      |}     |      |
 vegetabilischer |      |      |      |      |       |      |       |      |} 43795|}13.98|      |
 Nahrungsmittel  | 13142| 28,60|  7916| 27,54|   5228|  5,36|\      |\     |}      |}     |   -- |  --
Animalische      |      |      |      |      |       |      |}  2130|}10,12|}      |}     |      |
 Nahrungsmittel  | 18140| 15,20|  6192| 12,36|  26022| 29,54|/      |/     |/      |/     |   -- |  --
Tabakfabrikation | 65286| 53,75| 16985| 89,01|  12574| 60,41|  27997| 25,08|   --  |  --  |  7710| 33,83
Ziegelei,        |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Thonröhren-     |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 fabrikation     | 12925|  7,45|  7785| 68,10|   2601|  6,27|    144|  0,24|   --  |  --  |\     |\
Steingut-,       |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |} 1176|}19,90
 Porzellan-      |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |}     |}
 fabrikation     | 11204| 27,22|  4552| 31,47|  21679| 39,28|    -- |   -- |   --  |  --  |/     |/
Glasbläserei     |  5095| 12,12| 11882| 32,57|   2086|  8,80|   1710|  0,50|   --  |  --  |  3174| 11,20
Verarbeitung     |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 edler Metalle   |  9737| 30,55|  1222| 14,81|   3156| 16,54|   3349| 16,53|   7209| 31,95|   -- |  --
Zinnwaren-       |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 fabrikation     |  7027| 13,48|   106| 20,78|   6466| 15,10|    899|  1,62|   --  |  --  |   -- |  --
Nägelfabrikation |  1685| 12,78|  1152| 16,36|   4690| 50,52|    477| 10,41|   --  |  --  |   -- |  --
Näh- und         |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Stecknadeln,    |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Stahlfedern     |  2912| 26,98|   -- |  --  |   5220| 68,19|    -- |   -- |   --  |  --  |   -- |  --
Besen- und       |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
Bürstenmacher    |\     |\     |   758| 25,68|   5945| 80,56|   1166| 11,53|   --  |  --  |   -- |  --
Schirmmacher und |} 5608|}30,07|      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 Stockarbeiter   |/     |/     |  4907| 15,49|   4086| 53,13|   1938| 56,95|   --  |  --  |   -- |  --
Möbelfabrikation |      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 und Tischlerei  |  1760|  0,67|  5946|  7,73|  10921| 15,18|   1748|  6,81|   --  |  --  |  1040|  8,73
Andere Industrie-|      |      |      |      |       |      |       |      |       |      |      |
 arbeiter        |  6459| 23,23| 60164| 48,64|  40843|  5,64|  15908| 20,74|   --  |  --  |  8769| 86,59

Sie zeigt deutlich, daß die Konzentration der Frauenarbeit auf
bestimmte Berufe eine um so stärkere ist, je fortgeschrittner die
industrielle Entwicklung des betreffenden Landes sich darstellt. Nehmen
wir z.B. die Spitzenfabrikation, Stickerei und Häkelei: Deutschland
zählt 70 %, England dagegen 88 % Arbeiterinnen; oder die Buchbinderei
und Kartonage, in der in Deutschland 32 %, in Oesterreich 33 %, in
England 71 % Arbeiterinnen beschäftigt werden. Besonders
charakteristisch ist auch die Möbeltischlerei: Deutschland zählt darin
wenig über 1/2 %, England 15, Amerika 7 % Frauen. Umgekehrt zeigt es
sich, daß in anderen Berufen die Frauenarbeit in den industriell
vorgeschrittenen Ländern sehr geringen Anteil an ihnen hat. Als Beispiel
diene die Glasbläserei: Oesterreich zählt 32 %, Deutschland 12, England
8 und Amerika 1/2 % Arbeiterinnen, oder die Setzerei und Druckerei, in
der Oesterreich 16, Deutschland 14, England nur 5 % weibliche Arbeiter
beschäftigt. So viele Umstände auch sonst noch bei der Zusammensetzung
der Arbeiter nach Geschlechtern mitsprechen, so scheint doch
festzustehen, daß die allgemeine Tendenz eine Differenzierung nach
Berufen bevorzugt, und das wachsende Eindringen der Frauen in bestimmte
Berufe mit einem Rückgang der weiblichen Arbeiterschaft in anderen
Berufen Hand in Hand geht, daß sich also nach und nach bestimmte fast
ausschließlich von Frauen und andere fast ausschließlich von Männern
besetzte Berufe herausbilden werden.

Als Frauenberufe in oben genanntem Sinn sind schon jetzt die der
Konfektion, der Näherei, der Putzmacherei, der Blumen-, Federn- und
Spitzenfabrikation anzusehen; die Buchbinderei und Kartonage, die
Papier-, die Guttapercha- und die Kautschukfabrikation versprechen
Frauenberufe zu werden. Die Gründe dieser sich immer stärker
ausprägenden Differenzierung der Geschlechter in der Berufsthätigkeit
liegen teils in ihrer verschiedenen geistigen und körperlichen
Veranlagung, teils in dem Umstand, daß bestimmte wohlfeile
Industrieerzeugnisse die Anstellung ungelernter, d.h. möglichst billiger
Arbeitskräfte notwendig machen. Was die Veranlagung betrifft, die an
dieser Stelle ausschließlich in Betracht gezogen werden soll, weil der
zweite Punkt die Arbeitsbedingungen berührt, die nicht hierher gehören,
so ist die Geschicklichkeit und Gelenkigkeit der Finger ein
wesentliches Moment, das die Frau für alle Thätigkeiten prädestiniert,
die in das Bereich der feinen Handarbeit fallen. Die Konfektion, die
Stickerei, die Spitzenfabrikation u.a.m. gehören daher ebensowohl
hierher, wie die Spinnerei und Weberei, solange sie keine großen
Körperkräfte erfordern; auch zur Kartonage sind Frauen infolgedessen
besonders befähigt. Aber auch negative Eigenschaften gereichen ihnen zum
Vorteil, so z.B. der Mangel an Muskelkraft, auf Grund dessen sie überall
dort die männlichen Arbeiter verdrängen, wo die Maschine die menschliche
Kraft ersetzt. Negativ sind im wesentlichen auch die geistigen
Eigenschaften, die die Frauen in bestimmte Arbeitszweige hineintreiben.
So werden sie durch ihren Mangel an geistiger Schulung und technischer
Vorbildung für alle diejenigen Arbeiten gewählt, die ungelernte Arbeiter
im allgemeinen gebrauchen können und die fast stets zu beobachtende
Schwierigkeit, sich zu konzentrieren, d.h. alle Gedanken auf eine Arbeit
zu richten, ist die Ursache, daß rein mechanische Thätigkeiten ihnen mit
Vorliebe überlassen werden. Diese negativen sowohl körperlichen als
geistigen Fähigkeiten aber sind ohne Ausnahme das traurige Resultat der
gänzlichen Vernachlässigung, unter der das weibliche Geschlecht leidet,
und das die Armen stets besonders hart getroffen hat. Aber auch die
Geschicklichkeit und Gelenkigkeit der Finger sind die Folge der
Erziehung und Gewohnheit. Die Hände des Mannes härteten sich, sie wurden
breit und stark infolge der Arbeiten, die er von Urzeiten an
verrichtete, die des Weibes wurden zarter, schmaler und gewandter, weil
alle feineren Arbeiten meistens ihr überlassen blieben. Von größtem
Einfluß hierauf war alle Art der Nadelarbeit. Sie war und ist es aber
auch, die den weiblichen Geist ungünstig beeinflußte, indem sie die
Zerfahrenheit und Gedankenlosigkeit unterstützt hat; nichts ermöglicht
mehr ein Umherschweifen der Gedanken, als alles, was unter der
Bezeichnung "weibliche Handarbeit" verstanden wird. Die Einführung des
maschinenmäßigen Betriebs, der, selbst in seiner einfachsten Form, der
Nähmaschine, ein gewisses Maß von Aufmerksamkeit erfordert, ist daher
auch von diesem Standpunkt aus betrachtet, ein Vorteil für die Frauen.
Würde mit seiner weiteren Entwicklung eine geistige und körperliche
Ausbildung, die der der Männer entspricht, Hand in Hand gehen, so wäre
zu erwarten, daß nach Jahrhunderten der Wirksamkeit all dieser Einflüsse
die genannten positiven und negativen Eigenschaften des weiblichen
Geschlechts eine wesentliche Umwandlung erfahren könnten. Das scheint
unserer vorhin ausgesprochenen Ansicht von einer immer schärferen
Differenzierung der Geschlechter in Bezug auf ihre Berufsarbeiten zu
widersprechen, während es sie thatsächlich nur bestätigt. Denn erst die
Beseitigung anerzogener Eigenschaften wird den natürlichen zur
Entwicklung verhelfen und zwar dürfte sich dabei folgendes
herausstellen: in Bezug auf ihre Körperkräfte werden die Geschlechter
sich einander nähern, weil einerseits die bisher fast ungenutzten des
Weibes ausgebildet werden, andererseits die starke Muskelkraft
erfordernden Arbeitsweisen durch die Maschine ihre Existenzberechtigung
mehr und mehr verlieren, der Mann daher durch Mangel an Uebung notwendig
an Kraft verlieren wird. Die geistigen Kapazitäten der Geschlechter
dagegen werden sich in durchaus verschiedener Richtung entwickeln und
die Differenzierung in den Berufen wird infolgedessen nicht wie heute
auf ihre körperlichen, sondern vielmehr auf ihre geistigen Eigenschaften
zurückzuführen sein.

Kehren wir nach dieser Abschweifung in das Gebiet der Hypothesen zu den
Thatsachen zurück. Da ist es nun notwendig ein wichtiges, weit
ausgedehntes Gebiet der Frauenarbeit zu beleuchten, das großenteils noch
arg im Dunkel liegt: die Hausindustrie.

Deutschland und Belgien gebührt bis jetzt das Verdienst, eine Statistik
der Hausindustrie unternommen zu haben. Natürlich ist sie eine
unvollkommene geblieben, weil gerade die in ihr beschäftigten Personen
außerordentlich schwer zu erfassen sind. Wenn daher auch mit Recht
angenommen werden kann, daß die gewonnenen Zahlen viel zu niedrige sind,
so ist der Vergleich zwischen den Resultaten der beiden letzten
Zählungen in Deutschland insofern zuverlässig, als ihre Methoden die
gleichen waren. Es zeigt sich danach, daß die Hausindustriellen im
allgemeinen abgenommen haben, und zwar sind sie, nach den Angaben der
Arbeiter, bei der Gewerbezählung von 476080 im Jahre 1882 auf 460085 im
Jahre 1895, nach den Angaben der Unternehmer von 544980 auf 490711
zurückgegangen; die Betriebe dagegen, die Arbeiter in der Hausindustrie
beschäftigen, sind von 19209 auf 22307 angewachsen. Eine Betrachtung der
einzelnen Gewerbearten führt jedoch zu dem Resultat, daß die Abnahme
sich nicht auf alle gleichmäßig verteilt, daß vielmehr bedeutende
Abnahmen auf der einen Seite von starken Zunahmen auf der anderen
begleitet werden.[471] Eine Zusammenstellung dieser Gewerbearten, je
nach der Verschiedenheit ihrer Entwicklung, führt zu folgenden
Resultaten:

Gewerbearten mit Verminderungstendenz.

                                |  Seit 1882 haben abgenommen
                                |------------------------------
Gewerbearten                    | Betriebe um  |  Personenzahl
                                |              |       um
--------------------------------+--------------+---------------
                                |              |
Zeugschmiede, Scherenschleifer, |              |
  Feilenhauer                   |     2006     |      4044
Seiden- und Shoddyspinnerei     |     2037     |      2922
Baumwollspinnerei               |     4067     |      3645
Seidenweberei                   |    20000     |     34381
Leinenweberei                   |    10660     |     14667
Baumwollenweberei               |    18859     |     19089
Weberei von gemischten Waren    |     5811     |      4895
Strickerei und Wirkerei         |     7026     |     12768
Häkelei und Stickerei           |     1251     |       549
Posamentenfabrikation           |       73     |      2098
Strohhutfabrikation und         |              |
  Strohflechterei               |     4185     |      2836
Näherinnen                      |    12391     |     11502
Handschuhmacherei,              |              |
  Kravattenfabrikation          |     4087     |      3653
                                |--------------+---------------
                                |    92483     |    117049

Gewerbearten mit Vermehrungstendenz.

                                |  Seit 1882 haben zugenommen
                                |------------------------------
Gewerbearten                    | Betriebe um  |  Personenzahl
                                |              |       um
--------------------------------+--------------+---------------
Grobschmiede                    |     1394     |      2638
Schlosser                       |     1126     |      2903
Stellmacher                     |      986     |      1519
Musikinstrumente                |     1383     |      1955
Wollenweberei                   |      645     |      4072
Gummi- und Haarflechterei       |     1712     |       889
Spitzenverfertigung und         |              |
  Weißzeugstickerei             |     2091     |      5560
Sattlerei, Spielwaren aus Leder |     1041     |      1673
Verfertigung grober Holzwaren   |      530     |       634
Tischlerei und                  |              |
  Parkettfabrikation            |     3934     |      9338
Korbmacherei                    |     3903     |      6007
Dreh- und Schnitzwaren          |     1805     |      3526
Tabakfabrikation                |     3400     |      6949
Schneiderei                     |    17268     |     30106
Konfektion                      |      382     |       885
Putzmacherei                    |      376     |        96
Schuhmacherei                   |     7099     |      7765
Wäscherei                       |     1353     |      2388
                                |--------------+---------------
                                |    50228     |     88883

Die Betrachtung dieser Tabellen zeigt, daß diejenige Art der
Hausindustrie, die als eine Fortsetzung der alten handwerksmäßigen
Organisation angesehen werden kann, im allgemeinen im Absterben
begriffen ist. Wenn z.B. auch, was im ersten Augenblick überraschend
wirkt, die Zahl der Näherinnen abnimmt, so ist das wohl im wesentlichen
darauf zurückzuführen, daß sie sich in Werkstatthausindustrielle
umgewandelt haben. Das beweist folgende Zusammenstellung: Es wurden
Näherinnen gezählt in Betrieben mit


     |zwei    |drei bis  |sechs bis |zwei bis
     |Personen|fünf Pers.|zehn Pers.|zehn Pers.
-----+--------+----------+----------+----------
1882 |   6551 |   2321   |    793   |   9656
1895 |  11514 |   9247   |   2456   |  23247

Diese Tendenz zur Zusammenfassung der früher vereinzelt
arbeitenden Näherinnen in Werkstätten ist im wesentlichen auf die
Wohnungsverhältnisse zurückzuführen. Die Ausgaben für Miete werden
geringer, wenn der Arbeitsraum erspart und eine bloße Schlafstelle dafür
eingetauscht wird.

Was die Vermehrung der hausindustriellen Betriebe und der darin
beschäftigten Personen betrifft, so hängt sie fast ohne Ausnahme mit der
Entwicklung einer durchaus modernen Form der Hausindustrie zusammen, die
zugleich die allein lebensfähige ist: die Werkstattarbeit mit dem
Zwischenmeister, an der Spitze, der zwischen dem Verleger und dem
Arbeiter die Vermittlung übernimmt. In der Konfektionsindustrie hat sich
diese Organisation am vollendetsten herausgebildet, eine Industrie, in
der, wie [die] Tabelle [oben, Die wichtigsten Frauenberufe in der
Industrie] zeigt, das weibliche Geschlecht besonders stark vertreten
ist.

Das Geschlechtsverhältnis in der deutschen Hausindustrie ist von
besonderem Interesse. Im allgemeinen widerlegt es zunächst die übliche
Meinung von einem Ueberwiegen der Frauen. Das Verhältnis ist
dieses:[472]

       1895        |       1882      |      1895
-------------------+----------------------------------
männliche|weibliche|Von je 100 Hausindustriellen sind
-------------------+----------------------------------
 Hausindustrielle  |  Männer Frauen  | Männer Frauen
-------------------+-----------------+----------------
 256131  | 201853  |   56,3   43,7   |  55,9   44,1

Die Tendenz zum Wachstum der Frauenarbeit ist keine zufällige oder
vorübergehende, sie hängt vielmehr eng mit der ganzen modernen
Entwicklung der Hausindustrie zusammen, die mit darauf zurückzuführen
ist, daß der Unternehmer durch Dezentralisation der Arbeiter Ersparnisse
machen will. Er sucht die billigsten Arbeitskräfte und stößt dabei
zuerst auf die Frauen. Sehen wir nun, in welchen Arbeitszweigen die
Zunahme der Frauenarbeit am stärksten war:

                                     |   1882  |  1895
                                     |------------------
                                     |    Von je 100
Gewerbearten                         | Hausindustriellen
                                     |   sind weiblich
-------------------------------------+------------------
Töpferei                             |   7,9   |  29,9
Glasbläserei vor der Lampe           |  27,7   |  44,9
Gold- und Silberschlägerei           |  50,0   |  53,3
Gold- und Silberdrahtzieherei        |  80,3   |  86,9
Verfertigung von Spielwaren aus      |         |
  Metall, feinen Blei- und Zinnwaren |  38,6   |  60,1
Erzeugung von Metalllegierungen      |  13,3   |  35,8
Blechwarenfabrikation                |   5,1   |  27,6
Fabrikation von Weberei- und         |         |
  Spinnereimaschinen                 |  30,5   |  37,2
Verfertigung von Bleistiften         |  65,8   |  83,5
Leinenweberei                        |  35,0   |  43,4
Baumwollweberei                      |  25,9   |  43,3
Weberei von gemischten Waren         |  18,7   |  33,4
Gummi- und Haarflechterei            |         |
  und -Weberei                       |  60,6   |  81,5
Strickerei und Wirkerei              |  29,0   |  50,3
Leinenbleicherei und -Färberei       |  19,4   |  50,9
Färberei und Bleicherei              |  19,7   |  21,2
Verfertigung von Papiermachéwaren    |  42,0   |  50,0
Buchbinderei und Kartonage           |  36,3   |  40,8
Sattlerei, Spielwaren aus Leder      |  32,7   |  44,7
Verfertigung von Dreh- und           |         |
  Schnitzwaren                       |   6,7   |  13,2
Tabakfabrikation                     |  30,3   |  45,2
Putzmacherei                         |  93,8   |  99,8
Hutmacherei und Filzwaren            |  34,8   |  36,3
Verfertigung von Korsetts            |  67,1   |  94,8

Aus dieser Tabelle geht deutlich hervor, daß eine Verschiebung zu
Gunsten der hausindustriellen Frauenarbeit in sehr vielen Fällen dort
stattfindet, wo es sich um alte, absterbende Formen der Hausindustrie
handelt. Sie nimmt die verlassene, dem Untergang geweihte Männerarbeit
auf, und ist in ihrem verzweifelten Existenzkampf ein Hemmschuh der
Entwicklung. Den schlagendsten Beweis dafür liefert die Textilindustrie.
Hier, wo die Maschine mehr und mehr in Funktion tritt, zeigt sich ein
Rückgang der Hausindustrie von 285102 auf 195780 Personen; allein von
den 43000 Hauswebern im Jahre 1882 sind 34000 im Jahre 1895 weniger
gezählt worden. Trotz dieses Rückgangs zeigt die Frauenarbeit im
Verhältnis zur Männerarbeit wesentliche Fortschritte. Sie verlängert den
Todeskampf der Textilhausindustrie. Der Umstand, daß dem Unternehmertum
eine Armee von Frauen zu Gebote steht, die sich herbeiläßt, gegen
Hungerlöhne zu Hause zu arbeiten, verhindert die Entwicklung der
Hausindustrie zur Großindustrie, wie sie andernfalls heute schon möglich
wäre. Das sehen wir unter anderem bei der Tabakfabrikation und der
Buchbinderei und Kartonage. Der Maschinenbetrieb könnte an Stelle des
Handbetriebs treten und der Hausindustrie wenigstens in ihrer
schlimmsten Form den Todesstoß versetzen. Das gilt auch in
beschränkterem Maße von der Nähmaschinenarbeit in jeder Form: die
Einführung motorisch betriebener Nähmaschinen scheitert wesentlich an
der Billigkeit weiblicher Arbeitskraft. Die Maschine in ihrer höchsten
Vollendung, der mechanisch funktionierenden, ist fast der einzige
Gegner, der die Hausindustrie zu besiegen im stände ist. Außerhalb ihres
Eroberungsgebiets giebt es keine fühlbare Aufsaugung durch die
Fabrik.[473]

Unter den übrigen hier in Betracht kommenden Ländern hat zweifellos
Oesterreich eine besonders hohe Zahl von Hausindustriellen zu
verzeichnen. Es fehlt aber an einer zusammenfassenden Statistik.
Neuerdings sind Spezialberichte der Gewerbeinspektoren erschienen, die
aber noch nicht vollendet vorliegen. Der erste Band[474] behandelt nur
Böhmen und giebt in Bezug auf die Statistik sehr unzureichende
Aufschlüsse. Im Vorwort betont das Handelsministerium selbst die
unübersteiglichen Hindernisse, die einer genauen zahlenmäßigen
Darstellung entgegenstehen: Mißtrauen der Unternehmer sowohl wie der
Arbeiter, die als den Zweck der Nachfragen eine schärfere Besteuerung
vermuten, Unklarheit des Begriffs der Hausindustrie u.a.m., lauter
Gründe, die auch die deutsche Statistik als ungenügend kennzeichnen
ließen. Nur ein Aufsichtsbezirk, der Budweiser, hat eine Statistik
aufzunehmen sich entschlossen. Danach waren Heimarbeiter beschäftigt:

Heimarbeiter im Budweiser Bezirk

männlich|weiblich|mithelfende       |im ganzen
        |        |Familienangehörige|
--------+--------+------------------+---------
  5231  |  6107  |       4317       |  15655

Die Zahl der Frauen überwiegt danach die der Männer um fast tausend und
ist insofern noch zu niedrig gegriffen, als unter den "mithelfenden
Familienangehörigen" sich neben den Kindern zweifellos mehr Frauen als
Männer befinden. Besonders stark sind die Frauen in Oesterreich in der
Spitzenindustrie, der Glasperlenerzeugung, der Strohflechterei und der
noch vielfach ganz im alten Stil betriebenen Spinnerei und Weberei
beschäftigt. An Zahlen fehlt es, wie gesagt. Selbst die hypothetische
Berechnung der Brünner Handelskammer, die auf einer Kombination der
Angaben der Genossenschafts- und der Unfallversicherungsstatistik
beruht, und 760522 hausindustrielle Arbeiter, d.h. 34 % aller Arbeiter,
feststellt[475], kann nur ungenau sein und bleibt jedenfalls hinter der
Wirklichkeit zurück.

Frankreichs Hausindustrie ist auch eine weitverbreitete, und ihre
zahlenmäßige Erfassung eine ganz unzuverlässige. Für die Frauen kommt im
wesentlichen die Seiden- und die Spitzenindustrie, die Näherei,
Schneiderei, die Handschuhnäherei und die Verfertigung der sogenannten
Articles de Paris in Betracht. Im Departement Rhône wurden noch gegen
20000 Handwebstühle für Seidenwaren gezählt, die eine noch größere Zahl
von Arbeitern für die erste Bearbeitung der rohen Seide zur
Voraussetzung haben und diese sind meist Frauen. Die Spitzenindustrie
beschäftigt vielleicht heute noch eine viertel Million Arbeiterinnen. In
der Schneiderei beschäftigt allein Paris 72 % Frauen, in der
Handschuhnäherei 57 %, in der Herstellung von Articles de Paris 80 %,
fast lauter Hausindustrielle.

England hat infolge seiner industriellen Entwicklung mit der alten Form
der Hausindustrie schon gründlich aufgeräumt. Dagegen hat die moderne
sich rasch entwickelt. Sie umfaßt hauptsächlich die Konfektionsindustrie
und die Schuhmacherei. Eine statistische Darstellung fehlt so gut wie
vollständig. Für Amerika gilt dasselbe. Auch hier ist die
Konfektionsindustrie das wichtigste Glied der Hausindustrie, die ihre
Ausbreitung wesentlich der Einwanderung verdankt und sich von dem
elendesten und schwächsten Menschenmaterial nährt, das Europa abstößt.
Ueber ihre Zunahme giebt folgende, auf Illinois bezügliche Tabelle
Aufklärung:[476]

Zählungs-|           |      |             |
 periode |Werkstätten|Männer|Frauen|Kinder|Im ganzen
---------+-----------+------+------+------+---------
  1893   |    704    | 2611 | 3617 |  595 |   6823
  1894   |   1413    | 4469 | 5912 |  721 |  11101
  1895   |   1715    | 5817 | 7780 | 1307 |  14904
  1896   |   2378    | 6383 | 7181 | 1188 |  14752

Mit Ausnahme des letzten Jahres zeigt die Frauenarbeit eine raschere
Zunahme als die Männerarbeit, der gegenüber sie auch absolut im
Uebergewicht ist. Die Abnahme des letzten Jahres erklärt sich teils aus
der strengeren Handhabung der Gesetze, teils daraus, daß es sich bei den
vorliegenden Zahlen nur um Werkstättenarbeiter handelt, die vereinzelten
Heimarbeiter dagegen nicht eingerechnet wurden. Je mehr nun die
Gesetzgebung in die Werkstätten eingreift, wobei es sich fast immer um
den Schutz der Frauen und Kinder handelt, um so mehr werden diese sich
in die Heimarbeit zurückziehen müssen.

Die belgische Berufszählung von 1896[477]--die erste, die sich hier mit
der Frage beschäftigte--teilt alle Arbeiter in zwei große Kategorien
ein: 1.) Die in Fabriken, Werkstätten u.s.w. arbeiten; 2.) die bei sich
zu Hause auf Rechnung von Fabrikanten oder Kaufleuten erwerbsthätig
sind. Das heißt mit anderen Worten, daß nur die eigentlichen
Heimarbeiter als Hausindustrielle angesehen werden. Die allgemeinen
Ergebnisse der nach diesen Grundsätzen erfolgten Erhebung waren
folgende:

                  | Es waren beschäftigt  | Von 100
                  |-----------------------| Arbeitern
                  | Männer    |   Frauen  | waren weiblich
------------------+-----------+-----------+---------------
In Fabriken, Werk-|           |           |
  stätten u.s.w.  | 588248    |   115981  |    16,47
Zu Hause          |  41689    |    77058  |    64,89
------------------+-----------+-----------+---------------
Im ganzen         | 629937    |   193039  |    23,43

Die Teilnahme der Frauen an der Heimarbeit ist danach viel bedeutender
als die der Männer und beträchtlich größer als der Anteil der
Arbeiterinnen an der Fabrikarbeit im Verhältnis zu dem der Männer. Die
wichtigsten Berufszweige der belgischen Heimarbeiterinnen sind:

Spitzenarbeiterinnen            49158
Kleiderkonfektion                7166
Handschuhfabrikation             3477
Strohflechterei für Hüte         2611
Wollenweberei und Spinnerei      2458
Leinenweberei und Spinnerei      2383
Strickerei                       2376
Schuhmacherei                    1437

Die große Zahl der Spitzenarbeiterinnen fällt hier besonders ins Auge.
Sie ist um so bemerkenswerter, als ihr allergrößter Teil, nämlich über
47000, auf dem Lande leben. Die Vervollkommnung der Maschinenspitze ist
aber jetzt schon eine gefährliche Konkurrenz, sie kann nach und nach zum
Mittel werden, das Land zu Gunsten der Industriestädte zu entvölkern.

Die einschneidende Bedeutung der Hausindustrie in Bezug auf die
erwerbsthätigen Frauen scheint nach alledem erwiesen zu sein. Sie würde
weit schneller ihren verdienten Untergang entgegen gehen, wenn nicht
gerade die Frauen sie zäh am Leben erhielten, worin sie von den
Unternehmern--allein die Zunahme der hausindustriellen Betriebe in
Deutschland spricht dafür--unterstützt werden. Die Gründe dafür sind
teils in dem Mangel an Bewegungsfreiheit zu suchen, unter dem die an
Haus und Kinder gefesselte Frau zu leiden hat und die den aufklärenden
Ideen den Zugang zu ihr verschließen, teils in dem Bestreben des
profitgierigen Unternehmertums, Ersparnisse an Material, Arbeitsräumen,
Heizung, Beleuchtung etc. zu machen und die Arbeiterschutzgesetze zu
umgehen. Beweis dafür ist unter anderem, daß in dem industriell
fortgeschrittensten Land, England, die Hausindustrie den geringsten und
in einem der zurückgebliebenen Länder z.B. in Oesterreich, allem
Anschein nach den größten Umfang aufweist. Daraus geht aber auch klar
hervor, daß die fortschreitende Entwicklung die Hausindustrie in ihrer
gegenwärtigen Form nach und nach vernichten wird.

Noch ein anderer Kreis von weiblichen Arbeitern verdient eine besondere
Betrachtung: diejenigen nämlich, die in persönlichen oder häuslichen
Diensten stehen, und zu denen, außer den Dienstboten, die
Aufwartefrauen, Köche etc., die Wäscherinnen und die Kellnerinnen
gehören. Ihre Zahl ist folgende:

-------------------------------------------------------------------------------
                                   |          |         | England |
Berufsarten                        | Deutsch- | Oester- |   und   | Vereinigte
                                   |  land    |  reich  |  Wales  |   Staaten
-----------------------------------+----------+---------+---------+------------
Häusliche Dienstboten              | 1313957  | 424387  | 1386167 |  1302728
Aufwartefrauen, Köche u.s.w.       |  182769  |  75533  |  124253 |     3444
Wäscherinnen                       |  129513  |   --    |  185246 |   216631
Kellnerinnen und Hotelbedienstete  |  302743  |  76083  |   87984 |     --

Wir haben schon gesehen, daß die Zahl der Dienstboten fast überall im
Rückgang begriffen ist. Vergleichen wir die Zahl der weiblichen
Dienstboten im Verhältnis zur Bevölkerung, so ist das Resultat dieses:

                   |          | Auf 100 Personen
   Länder          |Zählungs- | der Bevölkerung
                   |periode   | kamen weibliche
                   |          |   Dienstboten
-------------------+----------+------------------
Deutschland        |   1882   |       2,84
    "              |   1895   |       2,54
Oesterreich        |   1880   |       2,58
    "              |   1890   |       1,78
England und Wales  |   1881   |       2,69
   "     "    "    |   1891   |       2,28
Vereinigte Staaten |   1880   |       1,75
    "         "    |   1890   |       1,97
Frankreich         |   1881   |       2,17
    "              |   1891   |       1,84
    "              |   1896   |       1,73

Die Zusammenstellung zeigt mit Ausnahme von Amerika überall eine Abnahme
der Zahl der Dienstboten, und die Zunahme in Amerika fällt auch nicht
schwer ins Gewicht, weil der Prozentsatz von 1880 ein ungemein niedriger
war und der wachsende Reichtum eines Teils der Bevölkerung eine
Steigerung im Gefolge haben mußte. Das Bild dürfte sich wesentlich
verschieben, sobald die Ergebnisse der Zählung von 1900 vorliegen, denn
das Verhältnis der Zahl der Dienstboten zur Bevölkerung hängt nicht nur
von deren pekuniären Lage, von der Lust oder Unlust der Mädchen zum
Dienen ab, sondern sehr wesentlich auch von dem Umstand, welche
Arbeitsgebiete die Hauswirtschaft umfaßt. Je mehr sie, wie es z.B. in
England und Frankreich besonders deutlich sichtbar ist,
zusammenschrumpfen, desto mehr werden die Dienstboten abnehmen. Dagegen
werden sich die für gelegentliche Dienstleistungen benötigten außer dem
Hause wohnenden Hilfskräfte vermehren. Sie standen in folgendem
Verhältnis zur Bevölkerung:

                  |               |Auf 100 Personen
                  |               |der Bevölkerung
                  |               |kamen außerhäus-
Länder            |Zählungsperiode|liche Dienstboten
------------------+---------------+-----------------
Deutschland       |     1882      |        0,26
     "            |     1895      |        0,35
Oesterreich       |     1880      |         --
     "            |     1890      |        0,32
England und Wales |     1881      |        0,47
    "    "    "   |     1891      |        0,55

Diese Tabelle giebt nun aber keineswegs genau den richtigen Stand der
Dinge an, nicht nur, weil der Begriff der diesem Beruf Zugehörigen ein
sehr unbestimmter ist,--deshalb mußten die Zahlen für Frankreich und die
Vereinigten Staaten ganz fortgelassen werden,--sondern weil sicher viele
hierher Gehörige unter "Lohnarbeit wechselnder Art", "Tagelöhner" etc.
einbezogen worden sind. Eine starke Vermehrung hat auch die Zahl der
Kellnerinnen und Hotelbediensteten erfahren, die sich aber nur für
Deutschland feststellen läßt, wo sie 33 % beträgt. Es kann aber auch im
allgemeinen eine erhebliche Zunahme des Hotel- und Restaurant-Personals
angenommen werden, sie ging Hand in Hand mit der Abnahme der Dienstboten
und beweist auch ihrerseits, daß der Privathaushalt zu Gunsten des
öffentlichen im Rückgang begriffen ist: Das Leben außer dem Hause ist
für einen großen Teil der Bevölkerung immer mehr in Aufnahme gekommen.

Eine außerordentlich wichtige Seite der Arbeiterinnenfrage, deren
Statistik freilich bisher im allgemeinen sehr unzureichend blieb, ist
die Alters- und Familienstandsgliederung der Proletarierinnen. Sie
gewährt einen tiefen Einblick in das soziale Leben und ihre statistische
Darstellung ist die notwendige Grundlage vieler Reformen und Reformpläne
nach dieser Richtung.

Nun entspricht es sowohl hygienischen Grundsätzen, als den Prinzipien
geistig-sittlicher Volkserziehung, daß die Erwerbsthätigkeit in ihrer
heutigen aufreibenden Form nicht vor dem achtzehnten resp. dem
zwanzigsten Lebensjahre einsetzen sollte. Betrachten wir daraufhin
folgende Tabellen:

Von je 1000 Arbeiterinnen stehen im Alter von
---------------------------------------------
                  unter 20 Jahren         346
                  20-30       "           314
                  30-40       "           124
Deutschland       40-50       "            92
                  50-60       "            73
                  60-70       "            39
                  70 Jahren und darüber    12
---------------------------------------------
                  unter 20 Jahren         200
                  21-30       "           220
                  31-40       "           182
Oesterreich       41-50       "           173
                  51-60       "           135
                  61-70       "            71
                  über 70     "            19
---------------------------------------------
                  unter 18 Jahren         141
                  18-24       "           209
                  25-34       "           218
Frankreich        35-44       "           152
                  45-54       "           125
                  55-64       "            90
                  65 Jahren und darüber    65

Besonders die auf Deutschland sich beziehenden Zahlen fallen hierbei
auf: 35 % aller Arbeiterinnen sind unter zwanzig Jahre alt! In
Oesterreich sind es noch 20, in Frankreich 14 %. In Oesterreich fällt
die stärkste Beteiligung der Frauen an der proletarischen Arbeit in das
einundzwanzigste bis dreißigste, in Frankreich in das fünfundzwanzigste
bis vierunddreißigste Lebensjahr; wir haben also nach dieser Richtung
hier die gesündesten Verhältnisse vor uns. Andererseits aber sehen wir,
daß vom vierzigsten Jahre ab in Deutschland die Frauenarbeit bedeutend
abnimmt, während sie in Oesterreich noch im sechzigsten Jahre und in
Frankreich im vierundfünfzigsten einen hohen Prozentsatz ausmacht, und
während in Deutschland die über siebzigjährigen Greisinnen 12 % der
Arbeiterinnen ausmachen, weist Oesterreich 19 % und Frankreich für die
über fünfundsechzigjährigen gar 65 % auf. Im allgemeinen verteilt sich
die proletarische Frauenarbeit in Frankreich im Gegensatz zu Deutschland
weit regelmäßiger über das ganze Leben, hat daher, die starke
Beteiligung der Greisinnen abgerechnet, einen normaleren Charakter
angenommen. Noch deutlicher tritt uns die Altersgliederung der
Arbeiterinnen entgegen, wenn wir sie im Verhältnis zur weiblichen
Bevölkerung betrachten:

Von je  1000 weiblichen Personen
               im Alter               sind
               von           Arbeiterinnen
------------------------------------------
               14-20 Jahren            397
               20-30    "              273
               30-40    "              136
Deutschland    40-50    "              127
               50-60    "              127
               60-70    "              105
               70 Jahren und darüber    57
------------------------------------------
               11-20  Jahren           570
               21-30     "             685
               31-40     "             577
Oesterreich    41-50     "             561
               51-60     "             507
               61-70     "             393
               über 70   "             218
------------------------------------------
               unter 24 Jahren         517
               25-34       "           324
Frankreich     35-44       "           256
               45-54       "           237
               55-64       "           245
               65 Jahren und darüber   161

In Deutschland stehen danach nicht weniger als 40 % aller vierzehn- bis
zwanzigjährigen Mädchen im Kampf ums Brot. Eine erschreckende Zahl! In
Frankreich, wo der Vergleich nicht genauer durchgeführt werden konnte,
weil zwar die Bevölkerung nach fünfjährigen Altersperioden gegliedert
wurde, man für die Berufsthätigen der jüngeren Altersklassen aber eine
andere Einteilung, nämlich die unter achtzehn Jahr und achtzehn bis
vierundzwanzig Jahr bevorzugte, ist die Beteiligung sämtlicher
Altersklassen an der proletarischen Arbeit eine außerordentlich hohe.
Die gesteigerte Erwerbsthätigkeit fällt besonders für die Altersklasse
zwischen dem fünfundfünfzigsten und vierundsechzigsten Lebensjahre auf.

Von noch größerer Bedeutung für die Beurteilung der proletarischen
Frauenarbeit ist die Frage des Familienstandes der Arbeiterinnen. Leider
ist das vorliegende statistische Material insofern ganz ungenügend, als
die Darstellung des Familienstandes im Zusammenhang mit dem Beruf und
der sozialen Schichtung zum Teil vollständig fehlt. Ein Vergleich
zwischen den Zählungen der verschiedenen Erhebungsperioden ist nur für
Deutschland möglich, und zwar auch hier mit der Einschränkung, daß im
Jahre 1882 die Verwitweten, resp. Geschiedenen mit den Ledigen
zusammengerechnet, während sie 1895 getrennt gezählt wurden.

Auf Grund der letzten Zählungen stellt sich die Gliederung nach dem
Familienstand folgendermaßen dar:

            |                 | Von je 1000 Arbeiterinnen waren
Länder      | Zählungsperiode |---------------------------------
            |                 | ledig  | verheiratet | verwitwet
------------+-----------------+--------+-------------+----------
Deutschland |     1895        |   702  |     215     |   83
Oesterreich |     1890        |   424  |     446     |   130
Frankreich  |     1896        |   649  |     206     |   145
Vereinigte  |                 |        |             |
  Staaten   |     1890        |   791  |     113     |   96

Bei dieser Zusammenstellung fällt Oesterreich wieder besonders ins Auge,
wo mehr verheiratete als ledige Frauen Arbeiterinnen sein sollen. Dieses
Verhältnis kann nicht allein dadurch erklärt werden, daß bei der Zählung
die Erfassung der dem Manne helfenden Ehefrauen eine besonders starke
war, im Gegensatz z.B. zu den Vereinigten Staaten, wo sie gar keine
Berücksichtigung fanden, eine genauere Betrachtung der österreichischen
Statistik führt vielmehr zu dem merkwürdigen Resultat, daß in der
Landwirtschaft 2106618 verheiratete Arbeiterinnen neben nur 667382
verheirateten Arbeitern aufgeführt werden! Um festzustellen, ob diese
enorme Zahl verheirateter Arbeiterinnen im Bereich der Möglichkeit
liegt, müßte man in Erfahrung bringen können, wo sich die Ehemänner
dieser Frauen befinden. Möglich, daß die Gattinnen der Besitzer
landwirtschaftlicher Zwergbetriebe, die also unter der Rubrik der
Selbständigen zu finden wären, sich als Arbeiterinnen bezeichneten,
immerhin könnte das für die volle Zahl der 1400000 Frauen nicht
zutreffen, da nur 1500000 selbständige verheiratete Landwirte ihnen
gegenüber stehen, deren Frauen unmöglich fast alle Arbeiterinnen sein
können. Es bleibt also nur noch übrig anzunehmen, daß Frauen von
Industriearbeitern, die etwa neben der Hauswirtschaft ein kleines
Gartenland bebauen, als Arbeiterinnen eingetragen wurden. Diesen
günstigsten Fall, und nicht, wie es nahe läge, positive Fehler in der
Erhebung selbst angenommen, scheint es klar zu sein, daß diese zwei
Millionen verheirateter Landarbeiterinnen zu einem großen Teil nicht als
Arbeiterinnen im eigentlichen Sinn angesehen werden können. Auffallend
bei der vorliegenden Tabelle ist ferner der hohe Prozentsatz Verwitweter
resp. Geschiedener in Oesterreich und Frankreich. Die Armut des Volks
zwingt in Oesterreich eine besonders große Zahl von Witwen zur
Erwerbsarbeit, während in Frankreich die zahlreichen geschiedenen und
eheverlassenen Frauen von wesentlichem Einfluß auf die prozentuale
Gestaltung des Familienstandes sind.

Betrachten wir nunmehr sein jetziges Verhältnis zu dem der vorletzten
Zählungsperiode, so ergiebt sich für Deutschland folgendes:

            |                 | Von 1000 Arbeiterinnen waren
            | Zählungsperiode |-------------------------------
            |                 | ledig resp. ver- | verheiratet
            |                 |  witwet          |
------------+-----------------+------------------+------------
Deutschland |      1882       |       827        |    173
    "       |      1895       |       785        |    215

In absoluten Zahlen ausgedrückt ist das Verhältnis dieses:

            |                 | Von 1000 Arbeiterinnen waren[A]
            | Zählungsperiode |-------------------------------
            |                 | ledig resp. ver- | verheiratet
            |                 |  witwet          |
------------+-----------------+------------------+------------
Deutschland |      1882       |     2433682      |    507784
    "       |      1895       |     2938283      |    807172
------------------------------+------------------+------------
Zunahme:                      |      504601      |    299388

[Transskriptionsanmerkung A: Die offensichtlich falsche Legende "Von
1000 Arbeiterinnen waren..." findet sich so im Original.]

Für Amerika ist ein allgemeiner Vergleich nicht möglich. Dagegen liegt
eine Spezialerhebung vor, die nicht ohne Wert für die vorliegende Frage
ist.[478] Ihre Resultate sind aus einer Enquête gewonnen worden, die
1067 verschiedene industrielle Betriebe in dreißig verschiedenen Staaten
mit 42990 männlichen und 51539 weiblichen Arbeitern in der früheren
Beobachtungsperiode (1885 bis 86), und 68380 männlichen und 79987
weiblichen Arbeitern in der letzten (1895 bis 96) umfaßte. Wir haben es
also in beiden Fällen mit ca. 3 % aller Arbeiterinnen der Vereinigten
Staaten zu thun, wonach die Bedeutung der Ergebnisse sich annähernd
bewerten läßt. Sie waren folgende:

Von 51539 Frauen waren 1885-86

Ledig      ||Verheiratet||Verwitwet  ||Geschieden ||Unbekannt
-----------++-----------++-----------++-----------++------------
Ab-  |Proz.||Ab-  |Proz.||Ab-  |Proz.||Ab-  |Proz.||Ab.  | Proz.
solut|     ||solut|     ||solut|     ||solut|     ||solut|
-----+-----++-----+-----++-----+-----++-----+-----++-----+------
32801|63,6 || 1357| 2,6 || 498 | 1,0 ||  4  | --  ||16879|  32,8

Von 79987 Frauen waren 1895-96

Ledig      ||Verheiratet||Verwitwet  ||Geschieden ||Unbekannt
-----------++-----------++-----------++-----------++------------
Ab-  |Proz.||Ab-  |Proz.||Ab-  |Proz.||Ab-  |Proz.||Ab.  | Proz.
solut|     ||solut|     ||solut|     ||solut|     ||solut|
-----+-----++-----+-----++-----+-----++-----+-----++-----+------
70921|88,7 || 6775| 8,5 ||2011 | 2,5 || 36  | --  ||  244|  0,3

Der Wert der vorliegenden Tabelle wird dadurch noch mehr eingeschränkt,
daß in der früheren Zählungsperiode von fast einem Drittel aller
Arbeiterinnen der Familienstand unbekannt blieb. So sehr daher auch der
Augenschein dafür spricht, daß die Verheirateten und die Verwitweten
zugenommen haben, so ist dies Resultat doch mit Vorsicht aufzunehmen, da
die hohe Zahl der Arbeiterinnen unbekannten Familienstandes im Jahr 1885
bis 1886 einen genauen Vergleich von vornherein ausschließt.

Für England sind wir auf noch unsicherere Zahlen angewiesen. Eine
Zählung des Familienstandes in Verbindung mit der Berufsthätigkeit und
der sozialen Schichtung wurde weder 1881 noch 1891 im Zusammenhang mit
dem Zensus vorgenommen. Trotzdem ist der Versuch gemacht worden, auf
Grund seiner Ergebnisse den Familienstand der Arbeiterinnen
festzustellen.[479] Zwei Angaben der Erhebungen bildeten die
Anhaltspunkte für die Untersuchung: Die Zahl aller ledigen und die Zahl
aller berufsthätigen Frauen. In den Orten, wo die Zahl der Ledigen, wohl
bemerkt, aller Ledigen, die Zahl der Berufsthätigen übertraf, gab die
Differenz zwischen beiden Zahlen die Minimalzahl der verheirateten
berufsthätigen Frauen an. Wenn auch dabei betont wird, daß es sich um
Minimalzahlen handelt, so sind selbst diese von vornherein
problematisch, weil doch ohne weiteres einzusehen ist, daß nirgends alle
Ledigen berufsthätig sind. Aber selbst abgesehen davon, sind die
Resultate der Untersuchung, die eine Abnahme der verheirateten
Arbeiterinnen konstatieren, höchst fraglicher Natur. Nur neunzehn Städte
sind von 61 mit über 50000 Einwohnern in Betracht gezogen worden, und
die einzelnen Berechnungen weisen in ihrer Methode beträchtliche Fehler
auf.[480] Wir können uns daher nicht auf sie stützen und müssen die
Frage des Familienstandes der englischen Arbeiterinnen offen lassen.

Wie gestaltet sich nun der Familienstand je nach den Berufsabteilungen?

Folgende Tabelle beantwortet die Frage:

           |         |       Von 1000 Arbeiterinnen waren in der
           |         |--------------------------------------------------
Länder     |Zählungs-|                |                |
           |periode  |Landwirtschaft  |   Industrie    |     Handel
           |         |--------------------------------------------------
           |         |     |ver-|ver- |     |ver-|ver- |     |ver-|ver-
           |         |ledig|wit-|hei- |ledig|wit-|hei- |ledig|wit-|hei-
           |         |     |wet |ratet|     |wet |ratet|     |wet |ratet
-----------+---------+-----+----+-----+-----+----+-----+-----+----+-----
Deutschland| 1895    | 671 | 91 | 238 | 751 | 81 | 168 | 763 |  36| 201
Oesterreich| 1890    | 419 | 63 | 518 | 663 | 96 | 241 | 511 | 201| 288
Frankreich | 1896    | 714 | 88 | 199 | 629 | 74 | 297 | 340 | 232| 428

Das Bild, das sie uns vorführt, ist kein einheitliches. Den stärksten
Prozentsatz verheirateter Frauen weist Deutschland und Oesterreich in
der Landwirtschaft, Frankreich dagegen in der Industrie auf. Stärker als
die Ledigen sind die Verheirateten in der Landwirtschaft Oesterreichs
und im Handel Frankreichs vertreten, wo in beiden Fällen auch die
Verwitweten einen ungewöhnlich hohen Prozentsatz aufweisen. Die meisten
Verwitweten zählt Deutschland dagegen in der Landwirtschaft. Die meisten
Ledigen zeigt der Handel in Deutschland, die Industrie in Oesterreich
und die Landwirtschaft in Frankreich.

Was die Zusammensetzung der Arbeiterinnen je nach ihrem Familienstand,
ihrem Beruf im Verhältnis zu früheren Zählungen betrifft, so kann
hierbei nur Deutschland in Betracht kommen, weil die anderen Staaten
keine so eingehende Berechnungen besitzen. Die folgende Tabelle
kennzeichnet die Lage in Deutschland:

              |           1882           |           1895           |
              |--------------------------+--------------------------|
              |            |   nicht     |            |   nicht     |
              |verheiratet | verheiratet |verheiratet | verheiratet |
--------------+------------+-------------+------------+-------------|
Landwirtschaft|414189|18,39|1877671|81,61|567542|23,76|1820606|76,24|
Industrie     | 69215|12,69| 476014|87,31|166338|16,76| 825964|83,24|
Handel        | 24380|16,89| 119997|83,11|73212 |20,08| 291713|79,92|

Die Zunahme der verheirateten Arbeiterinnen in Landwirtschaft und
Industrie ist eine raschere gewesen als die der ledigen. Für die
Landwirtschaft kann angenommen werden, daß eine stärkere Erfassung der
mithelfenden Ehefrauen zu dem Resultat beigetragen hat. Die Zunahme der
Verheirateten in der Industrie dagegen läßt sich nicht nur, wie es stets
und fast ausschließlich geschieht, daraus erklären, daß zur
Befriedigung der Bedürfnisse der Familie der Verdienst des Mannes allein
nicht mehr ausreicht, sondern auch aus der Zunahme der Arbeiterinnen
überhaupt. Es ist klar, daß, je mehr die Zahl der Arbeiterinnen wächst,
die Männer desto mehr darauf angewiesen sind, bereits erwerbsthätige
Frauen zu heiraten. Sie thun es um so lieber, als die Erwerbsarbeit der
Frau eine beachtenswerte Mitgift ist; immer weniger häufig tritt daher
die Arbeiterin mit der Heirat aus ihrem außerhäuslichen Beruf in das
Haus und das Familienleben zurück. Das alte Ideal des Familienlebens,
dessen typisches Bild Schiller in seiner Glocke gezeichnet hat, verblaßt
mehr und mehr, nur denjenigen schwebt es noch vor, die in der
Erwerbsarbeit der Ehefrauen etwas unbedingt Widernatürliches sehen. Im
Volksbewußtsein ist sie das nicht mehr. Und mit Recht. So wenig wie die
Frauenarbeit überhaupt eine beklagenswerte Erscheinung innerhalb der
sozialen Entwicklung ist, so wenig ist es die Arbeit der Ehefrauen.
Verderblich wirkt auch sie nur durch die Bedingungen, unter denen sie
vor sich geht.

Gerade in Bezug hierauf ist es notwendig, festzustellen, in welchen
Berufsarten der Industrie die meisten verheirateten Frauen thätig sind.
Nach den letzten Zählungen für Deutschland, Oesterreich und
Nordamerika,--die Ergebnisse für Frankreich liegen im einzelnen noch
nicht vor,--zeigt sich folgendes:

Deutschland

                            | von 100
                            | Arbeiterinnen
Berufsarten                 | des betreffenden
                            | Berufs sind
                            | verheiratet
----------------------------+-----------------
Fleischerei                 |    40,92
Ziegelei                    |    30,01
Bäckerei                    |    29,45
Weberei                     |    25,30
Tuchmacherei                |    24,94
Zubereitung v. Spinnstoffen |    24,88
Tabakfabrikation            |    24,72
Lohnarbeit wechselnd. Art   |    19,55
Bleicherei, Appretur        |    18,59

Oesterreich

                                 | von 100
                                 | Arbeiterinnen
Berufsarten                      | des betreffenden
                                 | Berufs sind
                                 | verheiratet
---------------------------------+------------------
Verarbeitung von Eisen und Stahl |    34,50
Verfertigung von Maschinen       |    33,98
Textilindustrie                  |    28,49
Industrie der Nahrungsmittel     |    24,77

Vereinigte Staaten

                      | von 100
                      | Arbeiterinnen
Berufsarten           | des betreffenden
                      | Berufs sind
                      | verheiratet
----------------------+------------------
Wäscherei             |   31,60
Häusliche Dienste     |   26,78
Putzmacherei          |   17,66
Tabakfabrikation      |   16,53
Bäcker und Konditoren |   12,95
Baumwollenweber       |   12,59
Kleiderkonfektion     |   12,23
Schuhmacher           |   11,36

Daraus geht hervor, daß die verheirateten Arbeiterinnen besonders in der
Textilindustrie beschäftigt sind.

Nachstehende Tabelle bringt einen noch stärkeren Beweis dafür:[481]

                    |Land                     |Zählungs-|Von 100
Industriezweige     |                         |  jahr   |Arbeiterinnen
                    |                         |         |waren
                    |                         |         |verheiratet
                    |                         |         |
--------------------+-------------------------+---------+-------------
                    |Massachusetts            |  1885   |   14,9
                    |Lancashire and Cheshire  |  1894   |   22,2
                    |Burnley                  |         |   30,3
                    |Blackburn                |         |   29,4
Baumwollindustrie   |Stockport                |         |   26,3
                    |Oldham                   |         |   23,2
                    |Bolton                   |         |   12,6
                    |Wigan                    |         |    5,7
--------------------+-------------------------+---------+-------------
                    |Massachusetts            |  1885   |   14,6
                    |England                  |  1894   |   24,5
Streichgarnindustrie|Gloucestershire und      |         |
                    |  Somersetshire          |  1894   |   37,4
                    |Sächsische Bezirke       |         |
                    |  Krimmitschau und Werdau|  1892   |   31,3

Am wertvollsten für die Beurteilung der Arbeit verheirateter Frauen je
nach den Berufsarten sind die Ergebnisse der Untersuchungen der
deutschen Gewerbeinspektoren für das Jahr 1899.[482] Danach verteilen
sich die Ehefrauen einschließlich der Verwitweten und Geschiedenen in
folgender Weise auf die verschiedenen Industriezweige:

                                |Verheiratete |Von 100
                                |Arbeiterinnen|verheirateten
  Industriezweige               |             |Arbeiterinnen
                                |             |in dem betr.
                                |             |Industriezweig
                                |             |beschäftigt.
--------------------------------+-------------+--------------
Bergbau-, Hütten-, Salinenwesen,|             |
Torfgräberei                    |      1333   |     0,58
Industrie der Steine und Erden  |     19475   |     8,49
Metallverarbeitung              |     10739   |     4,68
Industrie der Maschinen,        |             |
  Instrumente und Apparate      |      4493   |     1,99
Chemische Industrie             |      4380   |     1,91
Industrie der forst-            |             |
  wirtschaftlichen Nebenprodukte|      1162   |     0.51
Textilindustrie                 |    111194   |    48,49
Papierindustrie                 |     11049   |     4,82
Lederindustrie                  |      2063   |     0,86
Industrie der Holz-             |             |
  und Schnitzstoffe             |      5635   |     2,46
Industrie der Nahrungs- und     |             |
  Genußmittel                   |     39080   |    17,04
Bekleidungs- und                |             |
  Reinigungsgewerbe             |     13156   |     5,74
Baugewerbe                      |       141   |     0,06
Polygraphische Gewerbe          |      4770   |     2,08
Sonstige Industriezweige        |       664   |     0,29
--------------------------------+-------------+--------------
                  Im ganzen:    |    229334   |   100,00

Fast die Hälfte aller verheirateten Arbeiterinnen Deutschlands sind
danach in der Textilindustrie beschäftigt. Ganz besonders interessant
dabei ist, daß die Berufszählung von 1895 allein 38506 verheiratete und
verheiratet gewesene Frauen in der Textilhausindustrie zählte, die
höchste Zahl der hausindustriellen Ehefrauen überhaupt; ihnen zunächst
steht, wie nach den Ergebnissen der Gewerbeinspektorenberichte, die
Berufsgruppe der Bekleidung und Reinigung mit 24366 Ehefrauen in der
Hausindustrie. Da in der gesamten Hausindustrie 71005 verheiratete
Frauen gezählt wurden,--48 % aller weiblichen Hausindustriellen,--so
sind 89 % von ihnen allein in der hausindustriellen Textilindustrie und
in der Bekleidung und Reinigung thätig. Wir sehen daraus wieder, daß die
Frauen, speziell die verheirateten, an das Haus gebundenen Frauen, den
Fortschritt der Industrie zu höheren Arbeitsprozessen merklich
aufhalten. Wir sehen aber auch im allgemeinen, daß die verheirateten
Arbeiterinnen sich noch intensiver, als die Arbeiterinnen überhaupt, in
wenige Berufsgruppen zusammendrängen.

Wenn es auch nicht möglich war, für eine Reihe von Ländern das Wachstum
der Arbeit verheirateter Frauen festzustellen, so läßt sich aus den fast
überall gleichen Vorbedingungen,--gesteigerte Bedürfnisse und Zunahme
der Frauenarbeit überhaupt,--der Schluß ziehen, daß jedenfalls von einem
Rückgang nicht die Rede sein kann und die Zunahme voraussichtlich sogar
eine raschere sein dürfte, als die der ledigen Arbeiterinnen.

Aber auch das Wachstum der Arbeit der Witwen, Geschiedenen und
Eheverlassenen ist der Erwägung zu unterziehen. Ist es auf größere Not
allein zurückzuführen? Meiner Ansicht nach nicht. Die Arbeiter heiraten
häufiger als früher,--im Jahre 1882 waren in Deutschland 40, im Jahre
1895 41 % verheiratet;--da nun nichts die Kräfte der Männer früher
erschöpft als die proletarische Arbeit, und sie, bei der kolossalen
Entwicklung, vor allem der Industrie immer mehr Männer--also auch
kränkliche und schwache--in Anspruch nimmt, so muß die Zahl der
verwitweten Proletarierinnen rasch zunehmen. Noch ein anderer Umstand
kommt hinzu: die Zunahme der Scheidungen, sei es mit sei es ohne Hilfe
der Gerichte. Die Erwerbsarbeit des weiblichen Geschlechts hat diese
Entwicklung zweifellos unterstützt. Weder ist die Frau in dem Maße wie
früher einfach infolge der täglichen Notdurft ihrer selbst und ihrer
Kinder an den Mann als den Ernährer gefesselt, noch fühlt er selbst ihr
gegenüber ein so starkes Verantwortlichkeitsgefühl wie einst. Auch das
mag guten Seelen als eine sehr bedenkliche Folge der Zunahme der
weiblichen Erwerbsarbeit erscheinen, während es, von einem höheren
Standpunkt aus betrachtet, der Erneuerung der Ehe die Wege bahnt. Je
selbständiger das Weib dem Manne gegenübersteht, desto freier wird sie
dem Zuge ihres Herzens folgen können.

Die ganze Entwicklung der Frauenarbeit, wie sie uns aus den trockenen
Zahlen entgegengetreten ist, muß jedem, der nicht blind ist oder sein
will, das Eine klar vor Augen führen: keine andere Erscheinung in der
Neuzeit wirkt so revolutionierend wie sie. Ohne sie würde die
Neugestaltung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, wie die
Arbeiterklasse sie anstrebt, eine Illusion bleiben. Denn sie legt die
Axt an die Wurzeln der alten Gesellschaft. Sie verwandelt das Weib,
dieses konservativste Element im Völkerleben, zu einem strebenden und
denkenden Menschen; sie allein ist seine große Emanzipatorin, die sie
aus der Sklaverei zur Freiheit emporführt.



6. Die Lage der Arbeiterinnen in der Gegenwart.

Die Großindustrie.


Die Arbeit, die Befreierin des Weibes! Welcher Mensch, der heute die
Arbeit der Proletarierin betrachtet, sieht nicht vielmehr in ihr eine
Sklavenkette, schwerer, einschneidender als die irgend eines
Galeerensträflings? Es sind die Arbeitsbedingungen, die sie dazu
gestalten.

Die Grundlage der Existenz des Arbeiters ist der Preis, für den er seine
Arbeitskraft verkauft, der Lohn. Um zu erkennen, wie sich die
Bestreitung der notwendigen Lebensbedürfnisse zu den Einnahmen verhält,
müßte man sich auf eingehende, nach Staaten, nach Stadt- und
Landbezirken, nach allen Zweigen der verschiedenen Industrien, und sogar
nach Jahreszeiten differenzierte Untersuchungen stützen können. Das ist
leider unmöglich. Nicht nur, daß die vorhandene Lohnstatistik statt
genauer Einzelangaben, meist Durchschnittszahlen oder approximative
Bestimmungen enthält, sie ist auch bisher so wenig gepflegt worden, daß
ihre Ergebnisse, vom streng wissenschaftlichen, Standpunkt aus, kaum als
der Ausgangspunkt unumstößlicher Erkenntnisse gelten können. Noch
schlimmer steht es um die Feststellung der Ausgaben für die notwendigen
Lebensbedürfnisse. Was an Angaben darüber zu finden ist, erscheint um
so unzuverlässiger, als der Begriff des Notwendigen keineswegs
feststeht. Und doch müßte die Statistik der Lebensbedürfnisse die
selbstverständliche Ergänzung der Lohnstatistik sein, da die bloße
Angabe der Höhe der Löhne uns über die Lage des Arbeiters nicht im
mindesten aufklärt. Er kann z.B. in einem Dorfe Süd-Frankreichs von
demselben Lohn auskömmlich leben, bei dem er etwa in Paris Not leiden
müßte. Aber nicht nur die Verschiedenheit der Lebensmittel- und
Wohnungspreise kommen in Betracht, sondern auch das verschiedene
Lebensniveau der Arbeiter. Und dabei käme es nicht nur auf Vergleiche
etwa zwischen dem mit voller Zufriedenheit tagaus tagein Polenta
essenden Italiener und dem Maschinenbauer Englands an, der an eine
reichliche Fleischkost gewöhnt ist, sondern auf viel feinere und
eingehendere zwischen den Arbeiterschichten desselben Landes: was der
eine nicht im mindesten vermißt, das ist dem anderen schon eine schwer
empfundene Entbehrung.

Für unseren Zweck wird die Sachlage nun noch schwieriger. Denn zur
Beurteilung der Arbeiterinnenlöhne wäre es neben den genannten
Gesichtspunkten notwendig, sie mit den Männerlöhnen zu vergleichen, und
zwar nicht im allgemeinen, sondern im einzelnen, indem die beiderseitige
Arbeitsleistung mit in Anschlag gebracht wird. Es giebt zwar Versuche
der Art, sie sind aber unzulänglich. Nehmen wir z.B. an, daß unter der
Rubrik Papierkartons Männer- und Frauenlöhne verglichen werden, so ist
das Resultat nichts als eine wenig wertvolle Durchschnittszahl; es
könnte nur dann Wert haben, wenn sowohl die Art der Kartons, wie die der
daran geleisteten Arbeit präzisiert würde. Auch genauere Bezeichnungen,
wie etwa Herrenwestenstepperei, reichten noch nicht aus, da es zur
Beurteilung der Lohnhöhe von männlichen und weiblichen Arbeitern darauf
ankäme, welche Sorten Westen gesteppt werden. Aber noch ein anderes
kommt hinzu: Die Lage der Arbeiterinnen kann nur dann ganz richtig
beurteilt werden, wenn sich feststellen läßt, ob ihr Lohn wirklich die
Grundlage ihrer Existenz bildet, oder nur die Ergänzung eines anderen
Einkommens ist, etwa durch die Arbeit des Mannes, des Vaters etc. Auch
das ist nur in gewissem Umfang möglich.

Alle diese Einschränkungen vorausgeschickt, können wir uns daher nur
auf Untersuchungen stützen, die den Wert von Stichproben haben, ohne
über das ganze Gebiet volle Klarheit zu verschaffen.

Was bei der Betrachtung der Frauenlöhne zunächst in die Augen fällt, ist
ihre Niedrigkeit und die Seltenheit, mit der sie sich steigern. Die
deutsche Untersuchung von 1876 konstatierte Wocheneinnahmen von
Fabrikarbeiterinnen von 1,80 Mk. an; solche von 3 bis 6 Mk. kamen sehr
häufig vor, während solche von 12 bis höchstens 19 Mk. schon als eine
große Seltenheit bezeichnet wurden.[483] Um dieselbe Zeit wurde für die
Textilindustrie am Niederrhein festgestellt, daß besonders tüchtige
Arbeiterinnen wohl 6 bis 13 Mk. verdienen könnten, die weniger tüchtigen
aber bei 5 bis höchstens 10 Mk. dauernd stehen blieben.[484] Aber auch
in jüngster Zeit gehören Löhne der Art keineswegs zu den Ausnahmen. So
erreichten in Stuttgart die Hälfte aller Arbeiterinnen nur
einen Wochenverdienst bis zu 9 Mk.[485], und in der Berliner
Papierwarenindustrie traf für 56 % dasselbe zu.[486] In Wien haben sich
bei Gelegenheit der Frauenarbeits-Enquête ähnliche Verhältnisse
herausgestellt. In der Papier- und in der Textilindustrie wurden die
niedrigsten Wochenlöhne mit 1 fl. 50 kr. angegeben, während 4 bis 5 fl.
für die gesamte Industrie als der erreichbare Durchschnittslohn
angesehen wurde.[487] In Fabriken Böhmens fanden sich sogar Frauenlöhne
von 1 fl. wöchentlich, und über die Hälfte der Arbeiterinnen verdienten
2 fl. 25 kr. bis 3 fl. 25 kr.[488] Für Frankreich wurden Jahreseinnahmen
der Fabrikarbeiterinnen von 100, 140 und--am häufigsten--250 frs.
festgestellt.[489] Italien weist in der Seiden- und Baumwollindustrie
Wochenlöhne von 4,80 frs., in der Trikotwarenfabrikation solche von 3,60
frs. auf.[490] In England, wo im allgemeinen die Lage der Arbeiterinnen
eine bessere zu sein scheint, ist das Niveau, bis zu dem sie herabsinkt,
immer noch ein sehr tiefes. So verdienten z.B. in den Schneiderfabriken
Dudleys und in den Cigarettenfabriken Liverpools 44 % der Arbeiterinnen
unter 6 sh. wöchentlich; von den Fabrikarbeiterinnen der großen
Industriestadt Bristol verdienten 30 % unter 8 sh., 33 % 8 bis 12 sh.,
nur 7 % 15 bis 18 sh. und nur 3 % über 18 sh. die Woche.[491] In
Nordamerika, wo der Durchschnittsfrauenlohn in 22 großen Städten 5,24 $
beträgt, sind Jahreseinnahmen von 75 bis 150 $ trotzdem gar nichts
Seltenes.[492] Dabei muß, wie überhaupt bei allen Enqueten über
Frauenarbeit, besonders denen mittelst Fragebogen, in Betracht
gezogen werden, daß nur die intelligentesten, die eigentlichen
Elitearbeiterinnen,--im vorliegenden Fall nur 7 % aller
Befragten,--antworten und richtig antworten. Die große Masse wird nicht
erfaßt.

Aber wie gesagt, selbst wenn wir eine unendliche Zahl von Lohntabellen
besäßen, sie würden nichts als eindruckslose Zahlen für uns bleiben,
wenn wir ihnen nicht die entsprechenden der Männerlöhne gegenüberstellen
könnten. Es fehlt nun zwar nicht an Material dafür, es erweist sich nur
bei näherer Betrachtung zum großen Teil als unzureichend. So findet sich
z.B., daß in den oberelsässischen Spinnereien in den achtziger Jahren
die männlichen Arbeiter 1,80 Mk. bis 4 Mk. täglich verdienten, die
weiblichen 1,70 Mk. bis 2 Mk., und dieser Unterschied beginnt sogar
schon bei den arbeitenden Kindern; die männlichen Geschlechts verdienten
40 Pf. bis 1,20 Mk., die weiblichen nur 30 Pf. bis 1 Mk. am Tage. Für
die Webereien galt das gleiche: während die Tageseinnahmen der Männer
3,30 Mk. zu betragen pflegten, erreichten die Frauen im besten Fall
einen Lohn von 2,40 Mk.[493] In den Mannheimer Fabriken wurde
festgestellt, daß 56 % der Männer 15 bis 25 Mk. in der Woche verdienten,
71 % der Frauen dagegen nur 8 bis 10 Mk.; 1-1/2 % der Männer konnten
sogar auf einen Verdienst von über 35 Mk. rechnen, während nur 0,08 %
Frauen die höchste Einnahme von 30 bis 35 Mk. erreichten.[494] Nach
einer Zusammenstellung für Großbritannien, die sich auf 110 Fabriken mit
17430 Arbeitern bezieht, und für Massachusetts, die 210 Fabriken mit
35902 Arbeitern umfaßt und im ganzen 24 verschiedene Industrien in sich
schließt, gestalten sich die Lohnverhältnisse für beide Geschlechter
folgendermaßen:[495]

                                      |Grossbritannien|Massachusetts
                                      |---------------+--------------
                                      | Männer| Frauen|Männer| Frauen
--------------------------------------+-------+-------+------+-------
                                      |   $   |   $   |  $   |   $
Durchschnittlicher höchster Wochenlohn| 11,36 |  4,10 | 25,41|  8,57
        "     niedrigster      "      |  4,72 |  2,27 |  7,09|  4,62
        "     Wochenlohn              |  8,26 |  3,37 | 11,85|  6,09

Hier, wo allgemeine Durchschnittszahlen gewonnen wurden, ist, wie wir
sehen, der Unterschied zwischen Männer- und Frauenlöhnen ein
außerordentlich beträchtlicher. In all diesen Fällen fragt es sich nun
aber, welche Art von Arbeit die Frauen verrichten, und da die Frage
unbeantwortet bleibt, so lassen sich aus dieser Verschiedenartigkeit der
Löhne keine positiven Ergebnisse ableiten. In ein helleres Licht
gerückt wird die Frage durch folgende Angaben: In der Berliner
Kontobuchindustrie stanzen Männer und Frauen Titel auf der
Vergolderpresse. Der Arbeiter bekommt 1 Mk. pro 1000 Stück, die
Arbeiterin 70 Pf. Die Arbeiter, die Linien ziehen, haben einen
Wochenlohn von 27 Mk., die Frauen, die die gleiche Arbeit verrichten, 12
bis 15 Mk.[496] Die männlichen Ketten- und Karabinermacher in der
Bijouterieindustrie Badens erreichen einen Maximalwochenverdienst von
26,74 Mk., die weiblichen einen von 17,98 Mk., die männlichen
Drahtzieher, Presser und Aushauer in derselben Industrie verdienen im
besten Fall 26,18 Mk., die weiblichen dagegen nur 18,28 Mk.[497] Die
Marmorpoliererinnen an den Niagara-Marmorbrüchen in Nord-Amerika
verdienen 4,80 $ bis 8 $ die Woche, ihre männlichen Kollegen 9 bis 18 $
für dieselbe Arbeit.[498] Aber auch dieses speziellere Eingehen auf die
Arbeitsverrichtungen der Männer und Frauen läßt insofern noch keine
allgemeineren Schlüsse zu, als, mit Ausnahme der Arbeiter an der
Vergolderpresse, nicht feststeht, welche Arbeitsleistung den Löhnen zu
Grunde liegt. Liniiert die Arbeiterin in der Kontobuchindustrie z.B.
langsamer, als der Arbeiter, macht die Bijouteriearbeiterin weniger
Ketten oder Karabiner als der Arbeiter in derselben Zeit, so ist ihr
geringerer Lohn durchaus erklärlich. Es muß daher Zeit- und Stücklohn
auseinander gehalten werden, um ein Resultat der Vergleiche zu
ermöglichen. Die umfangreiche französische Lohnstatistik liefert die
beste Grundlage für diese Untersuchung.[499] Folgende Tabelle giebt
zunächst eine Uebersicht über die Lohnverhältnisse in solchen
Industrien, an denen zwar die Frauenarbeit stark beteiligt ist, die sie
aber nicht beherrscht:

                      |      |       Männer          |       Frauen
                      | Zeit |-----------------------+-----------------------
                      | oder-|Niedr.|Höchst| Durch-  |Niedr.|Höchst| Durch-
Gewerbeart            |Stück |Tage- |Tage- |schnitts-|Tage- |Tage- |schnitts-
                      | lohn-|lohn  |lohn  | Tagel.  |lohn  |lohn  | Tagel.
----------------------+------+------+------+---------+------+------+---------
                      |      |frs.  |frs.  | frs.    |frs.  |frs.  | frs.
Papierfabrikation:    |      |      |      |         |      |      |
  Maschinenpapier-    |      |      |      |         |      |      |
    herstellung       | Zeit |1,75  |2,50  | ----    |1,25  |1,50  | ----
  Appreteur           |Stück |1,50  |2,50  | 2,35    |0,75  |2,00  | 1,45
  Kouvertfalzung      | Zeit |1,50  |4,25  | 2,55    |2,00  |2,75  | 2,35
  Lumpensortierer     |   "  |1,50  |6,00  | 5,00    |2,00  |2,75  | 2,35
  Zuschneider von     |      |      |      |         |      |      |
    Cigarettenpapier  |   "  |3,50  |5,00  | 4,45    |1,75  |2,25  | 2,00
Kartonage:            |      |      |      |         |      |      |
  Lackierer           |   "  |0,50  |6,50  | 5,00    |0,50  |3,00  | 2,00
Druckerei:            |      |      |      |         |      |      |
  Typographen         |   "  |4,50  |5,00  | ----    |1,50  |2,00  | ----
  Lithographen        |   "  |3,00  |4,50  | ----    |1,75  |2,25  | ----
  Setzer              |   "  |1,75  |3,50  | 3,30    |1,00  |2,00  | 2,00
Gummischuhfabrikation:|      |      |      |         |      |      |
  Zuschneider         |   "  |2,00  |5,50  | 3,85    |2,00  |6,00  | 3,75
  Montiere            |   "  |2,00  |4,50  | 2,85    |1,50  |4,00  | 2,35
  Sohlenarbeiter      |Stück |4,25  |5,75  | 4,90    |2,50  |3,50  | 2,90
Lacklederfabrikation: |      |      |      |         |      |      |
  Polierer            | Zeit |3,75  |4,25  | 4,10    |2,00  |2,25  | 2,10
Stiefelfabrikation:   |      |      |      |         |      |      |
  Montierer           |Stück |4,00  |6,00  | 4,75    |1,25  |2,25  | 1,50
Handschuhfabrikation: |      |      |      |         |      |      |
  Dresseur            |  "   |4,00  |5,00  | 4,25    |2,50  |4,00  | 3,25

Wir sehen zunächst daraus, daß sich in der niedrigsten Lohnstufe
vielfach nicht nur gleiche Löhne für Männer und Frauen, sondern sogar
zuweilen höhere Frauenlöhne vorfinden, in der höchsten dagegen
differieren sie zum größten Teil wieder bedeutend. Und die Ursache? Die
Statistik des vorigen Abschnitts hat über die Altersgliederung der
Arbeiter beiderlei Geschlechts Aufschluß gegeben und es hat sich dabei
herausgestellt, daß die stärkste Beteiligung des weiblichen Geschlechts
an der proletarischen Arbeit in die jüngsten Jahrgänge fällt, mit
anderen Worten: zu einer Zeit, wo der männliche Arbeiter in seinem Fach
die höchste Vollkommenheit und damit einen hohen Lohn erreicht, hat die
Mehrzahl der Frauen der Arbeit bereits den Rücken gekehrt. Die Frauen
bleiben in ihrer Masse auf dem Standpunkt ungelernter Arbeiter stehen
und können daher auch die höchste Lohnstufe nicht erreichen. Einen
weiteren Beweis hierfür bilden die wenigen Zahlen unserer Tabelle, in
denen der höchste Lohnsatz der Männer von den Frauen fast erreicht, ja
sogar übertroffen wird: Die Zuschneider und Montierer in der Gummischuh-
und die Dresseure in der Handschuhfabrikation. Alle drei Arbeitsfächer
haben geübte, also ältere Arbeiter zur Voraussetzung; wo solche
weiblichen Geschlechts vorhanden sind, ist die Bezahlung der Leistung
entsprechend, ohne Berücksichtigung des Geschlechts. Noch schärfer
beleuchtet wird die Frage, wenn wir der Betrachtung die Löhne in solchen
Berufen zu Grunde legen, die sich uns wesentlich als Frauenberufe
dargestellt haben, und in denen die größte Mehrzahl der verheirateten,
also der älteren Frauen, beschäftigt ist. Folgende Zusammenstellung aus
derselben Statistik ist besonders charakteristisch:

                   |      |       Männer           |       Frauen
                   |Zeit- |------------------------+------------------------
                   |oder  |Niedr.|Höchst.|Durch-   |Niedr.|Höchst.|Durch-
Gewerbearten       |Stück-|Tage- |Tage-  |schnittl.|Tage- |Tage-  |schnittl.
                   |lohn  |lohn  |lohn   |Tagel.   |lohn  |lohn   |Tagel.
-------------------+------+------+-------+---------+------+-------+---------
                   |      | frs. | frs.  |  frs.   | frs. | frs.  |  frs.
Leinenspinnerei:   |      |      |       |         |      |       |
  Spinner          | Zeit | 2,00 | 2,50  |  2,25   | 2,00 | 2,25  |  2,15
Hanfweberei:       |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |Stück | 2,00 | 2,75  |  2,50   | 1,50 | 2,50  |  1,90
  Weber            |  "   | 2,25 | 2,75  |  2,50   | 1,25 | 1,75  |  1,50
Tuchfabrikation:   |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |  "   | 1,50 | 6,00  |  2,60   | 1,00 | 2,75  |  1,85
  Weber            |  "   | 2,25 | 3,00  |   --    | 4,00 | 5,00  |   --
  Kardierer        | Zeit | 2,50 | 5,00  |  3,25   | 2,25 | 1,75  |  2,40
  Kardierer        |  "   | 1,50 | 6,00  |  3,75   | 2,25 | 2,50  |  2,35
Leinenweberei:     |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |Stück | 2,00 | 3,50  |  2,75   | 2,00 | 3,50  |  2,55
Netzstrickerei:    |      |      |       |         |      |       |
  Netzstricker     |  "   | 2,75 | 4,00  |  2,75   | 1,75 | 2,00  |  1,75
Baumwollspinnerei: |      |      |       |         |      |       |
  Kämmer           | Zeit | 2,00 | 2,25  |  2,10   | 2,00 | 2,25  |  2,10
  Knüpfer          |  "   | 2,00 | 3,50  |  2,45   | 2,00 | 3,50  |  2,15
  Spuler           |  "   | 1,25 | 2,50  |  1,60   | 1,75 | 2,50  |  1,80
  Haspler          |Stück | 3,00 | 4,00  |  3,50   | 2,75 | 4,00  |  3,50
  Spinner          |  "   | 4,00 | 5,00  |   --    | 1,50 | 2,75  |   --
  Spinner          |  "   | 4,50 | 5,25  |  4,80   | 4,00 | 4,25  |  4,10
  Packer           |  "   | 1,50 | 1,75  |  1,75   | 1,50 | 2,75  |  2,00
Baumwollweberei:   |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |Stück | 3,00 | 4,00  |   --    | 2,50 | 3,75  |   --
  Weber            |  "   | 3,00 | 3,50  |   --    | 2,00 | 2,75  |   --
  Weber            |  "   | 3,00 | 3,75  |  3,25   | 2,75 | 3,75  |  2,60
  Weber            |  "   | 2,25 | 4,25  |  2,55   | 1,50 | 3,50  |  2,25
  Weber            |  "   | 1,50 | 3,25  |  2,20   | 1,50 | 3,25  |  2,20
  Weber            |  "   | 2,00 | 2,75  |  2,05   | 2,00 | 2,75  |  2,00
  Weber            |  "   | 2,00 | 2,25  |  2,05   | 2,00 | 2,50  |  2,20
Wollkämmerei:      |      |      |       |         |      |       |
  Kämmer           | Zeit | 1,75 | 3,00  |  2,70   | 1,50 | 3,00  |  2,25
Wollweberei:       |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |Stück | 3,00 | 4,00  |   --    | 2,50 |  --   |  4,00
  Weber            |  "   | 3,50 | 5,00  |  4,00   | 2,75 | 3,75  |  3,05
  Weber            |  "   | 4,00 | 6,00  |  4,50   | 3,75 | 5,50  |  4,50
Tuchfabrikation:   |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |  "   | 2,25 | 3,00  |   --    | 4,00 | 5,00  |   --
  Weber            |  "   | 1,50 | 6,00  |  2,60   | 1,00 | 2,75  |  1,85
  Kardierer        | Zeit | 2,50 | 5,00  |  3,25   | 2,25 | 2,75  |  2,40
  Kardierer        |  "   | 1,50 | 6,00  |  3,75   | 2,25 | 2,50  |  2,35
  Färber           |  "   | 2,25 | 3,50  |  2,40   | 1,50 | 2,25  |  1,60
Seidenweberei:     |      |      |       |         |      |       |
  Weber            |Stück |  --  |  --   |  2,20   |  --  |  --   |  2,20
  Weber            |  "   |  --  |  --   |  3,00   |  --  |  --   |  3,00
  Weber            |  "   | 1,75 | 4,50  |  2,50   | 1,75 | 4,50  |  2,50
  Weber            |  "   | 1,50 | 4,00  |   --    | 2,75 | 3,00  |
  Weber            |  "   | 1,50 | 3,50  |  1,75   | 1,50 | 2,50  |  1,65
Sammetweberei:     |      |      |       |         |      |       |
  Weber            | Zeit | 2,50 | 3,50  |  3,10   | 2,50 | 3,50  |  3,00
  Bandweber        |Stück | 3,50 | 4,50  |  3,65   | 3,50 | 4,50  |  3,40
Mechanische        |      |      |       |         |      |       |
Stickerei:         |      |      |       |         |      |       |
  Sticker          | Zeit | 0,75 | 1,25  |  0,95   | 0,75 | 1,25  |  0,95
  Sticker          |Stück | 2,75 | 6,00  |   --    | 1,50 | 1,75  |   --

Hier zeigt sich, wenige Ausnahmen abgerechnet, eine fast durchgehende
Gleichheit der Männer- und Frauenlöhne, aber es zeigt sich zu gleicher
Zeit, daß die Frauenlöhne nicht etwa auf der Höhe der Männerlöhne
stehen, sondern daß vielmehr die Männerlöhne eher die Tendenz haben, zum
Durchschnittslohn der Frauen herabzusinken. Eine amerikanische Statistik
wiederholt dasselbe Bild:[500]

                            |  Durchschnitt-  |  Vorkommender
                            |  licher         |
                            |  Wochenlohn     |  Wochenlohn
Gewerbeart                  |-----------------+-----------------
                            |Höchster|Niedrig-|Höchster|Niedrig-
                            |        |ster    |        |ster
----------------------------+--------+--------+--------+--------
Männliche Maschinenstricker |  7,50  |  6,00  | 12,00  |  4,39
Weibliche     "       "     |  7,00  |  5,20  | 13,87  |  3,15
Männliche Baumwollenweber   |  5,91  |  5,11  | 10,20  |  2,20
Weibliche      "      "     |  5,76  |  4,83  | 10,00  |  1,80
Männliche Flanellweber      |  8,55  |  7,39  | 12,00  |  3,45
Weibliche    "     "        |  7,00  |  5,60  |  9,99  |  3,41

Eine Zusammenstellung der Löhne besonders geschickter englischer
Baumwollweber beiderlei Geschlechts bestätigt unsere Auffassung
gleichfalls:[501]

Männer |Frauen |Männer |Frauen
-------+-------+-------+------
 sh.   | sh.   | sh.   | sh.
 21,7  | 21,4  | 19,5  | 19,4
 22,2  | 20,11 | 19,7  | 19,0
 21,11 | 20,9  | 19,2  | 18,11
 21,0  | 20,8  | 19,8  | 18,4
 21,5  | 20,4  | 22,2  | 17,11

Ziehen wir zum Vergleich nur einige Löhne in ausschließlichen
Männerberufen heran: Die Panzerplattenarbeiter im englischen Schiffsbau
nehmen wöchentlich 28 bis 61 sh. ein, der Wochenlohn der
Maschinenarbeiter bewegt sich zwischen 20 und 39 sh., die Typographen
verdienen zwischen 29 und 40 sh., während die Löhne der Baumwollweber
zwischen 18 und 30 sh., die der Wollenweber zwischen 10 und 24 sh.
schwanken.[502]

Es ist nach alledem keinem Zweifel unterworfen, daß Industrien mit hohen
Löhnen Monopole der Männer sind[503], aber nur deshalb, weil es sich
dabei um Arbeitsarten handelt, für die die Männer ihrer ganzen
körperlichen und geistigen Disposition nach hauptsächlich befähigt und
in der sie lange thätig sind. Diejenigen Industrien dagegen, die
besonders zahlreiche Arbeiterinnen beschäftigen, denen die Frauen schon
gewissermaßen durch die Tradition angehören, weisen niedrige Lohnsätze
auf, und wo Männer und Frauen in ihnen zusammen arbeiten, verdienen sie
zusammen nur wenig mehr, wie Männer in den Industrien verdienen, wo sie
allein arbeiten.[504]

Die Gründe für die niedrige Entlohnung der Frauenarbeit und ihre
allgemeine lohndrückende Tendenz sind damit aber noch nicht gegeben. Man
ist im allgemeinen gewohnt, hier ohne viel Ueberlegung mit dem
Schlagwort von dem Konkurrenzkampf zwischen den männlichen und
weiblichen Arbeitern zu operieren, weil man von den bürgerlichen
Berufssphären her gewohnt ist, Männer und Frauen als Lehrer,
Journalisten, Schriftsteller, Maler, Musiker, Aerzte, Handelsangestellte
in genau denselben Arbeitsgebieten thätig zu sehen, und annimmt, daß
dasselbe auf die proletarische Arbeit zutrifft. Thatsächlich sind die
Verhältnisse hier ganz andere und in gewiß 9/10 industrieller Arbeiten
findet eine scharfe Differenzierung zwischen den Geschlechtern statt.
Selbst in den Industrien, wo Männer und Frauen scheinbar mit völlig
gleicher Arbeit beschäftigt werden, giebt es Unterschiede in der Art der
Ausführung.[505] So bekamen z.B. in einer Glasgower Druckerei die
weiblichen Setzer für 1000 Typen um 2 p. weniger als die männlichen,
weil sie nicht die vollständige Arbeit bewältigen können, sie bedürfen
zum Umbrechen, Korrigieren u.s.w. die Hilfe der Männer und können bei
schwereren Druckarbeiten nicht beschäftigt werden.[506] In der Londoner
Cigarrenindustrie machen Frauen die geringere Sorte Cigarren, in der
Velvetfabrikation schneiden Frauen nur ein Stück Stoff, während Männer
zwei auf einmal schneiden können. In der englischen Töpferei füllen
Frauen, infolge ihrer geringeren Uebung, lediglich die Umrisse der
Zeichnungen mit Farbe aus, während Männer die schwierigere Arbeit
machen.[507] In der Cigarettenfabrikation liefern Frauen wöchentlich nur
9000, Männer aber 13000 Stück.[508] In den Seidenwebereien Derbys
erreichen die Männer einen höheren Lohn, weil sie zwei, die Frauen nur
einen Webstuhl bedienen.[509] Vielfach sind die Männer auch an
schwereren Webstühlen beschäftigt.[510] In italienischen Webereien, wo
sie an gleichen Stühlen arbeiten, leisten die Frauen bedeutend weniger,
und in der Handweberei zeigt sich wieder ihr Mangel an Uebung darin, daß
sie genötigt sind, auf das Muster zu sehen, während die Männer mehr nach
dem Gedächtnis arbeiten.[511] In der französischen Papier- und
Lederfabrikation, für die wir in der Tabelle [oben] beträchtliche
Lohnunterschiede konstatierten, findet eine fast durchgehende
Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern statt. Die Arbeit an den
Vergolderpressen der Berliner Kontobuchfabrikation ist insofern auch
eine verschiedene für Männer und Frauen, als diese die kleineren und
jene die großen Sachen pressen.[512] In der Pforzheimer
Bijouterieindustrie fallen im Kettenmachen den Mädchen die leichteren
Ketten, im Polieren und Aushauen die leichteren Arbeiten zu.[513]

Die Niedrigkeit der Löhne weiblicher Arbeiter ist daher zu einem
wesentlichen Teil auf ihre Inferiorität in der Handfertigkeit und in der
Produktionskraft, die sich manchmal in Bezug auf die Quantität, manchmal
in Bezug auf die Qualität äußert, zurückzuführen.

Wenn wir aber einen anderen Standpunkt einnehmen, und nicht die Löhne
für die außerordentlich seltene identische Arbeit, sondern die für
gleichwertige Arbeit miteinander vergleichen, so zeigt sich auch hier,
daß der Verdienst der Frauen im allgemeinen geringer ist, als der der
Männer. Ich brauche nur an all die Fälle zu erinnern, wo, infolge
technischer Vervollkommnungen, Frauen an Stelle der Männer treten, z.B.
in der englischen Töpferei, wo sie um den halben Preis dieselbe Arbeit
machen, als früher die Arbeiter, oder an die Löhne in den speziellen
Frauenberufen, etwa der Blumenmacherei, wo die Arbeitsleistung auf der
Höhe jeder männlichen in speziellen Männerberufen steht. Diese traurige
Thatsache hat leider so viele Ursachen, daß man fast daran verzweifeln
könnte, sie jemals aus der Welt zu schaffen. Die wichtigste liegt in dem
dilettantischen Charakter der weiblichen Arbeit überhaupt. Das Mädchen
erfaßt sie nicht als einen Lebensberuf, wie der junge Mann, sondern
sieht in ihr--so wenig es auch zutreffen mag--eine Durchgangsstation zur
Ehe, dem eigentlichen "Beruf". Sie hat nicht unter allen Umständen die
Verpflichtung, sich selbständig zu machen, sie findet vielfach in der
Familie noch einen Rückhalt. Daher liegt ihr gar nicht so viel daran,
einen gewissen Grad der Vervollkommnung zu erreichen. Nichts liefert
einen stärkeren Beweis hierfür, als der Umstand, daß die
Textilarbeiterinnen von Lancashire eine Lohnhöhe erreicht haben, wie
keine andere Gruppe ihrer Geschlechtsgenossinnen. Hier hat sich eben
durch eine fast schon ein Jahrhundert lange Erziehung ein Geschlecht
von Arbeiterinnen herausgebildet, das es mit seinem Beruf ebenso ernst
nimmt, wie der Mann und fähig ist, neben ihm zu arbeiten, dabei ein
ausgeprägtes Klassenbewußtsein besitzt. Freilich haben sie ihre Erhebung
zu diesem Standpunkt auch noch einem anderen Umstände zu verdanken: sie
haben nicht mehr gegen jenen Feind anzukämpfen, der die Masse der
Arbeiterinnen am Emporkommen in ihrer Berufsarbeit verhindert. Damit ist
nicht der Mann gemeint,--er ist im Bereiche der proletarischen Arbeit
weit weniger noch als Feind der Frauen anzusehen, als in dem der
bürgerlichen,--sondern vielmehr der Amateurarbeiter des eigenen
Geschlechts, und die verheiratete Frau, die nur einen Zuschuß zum
Verdienst des Mannes erwerben will. Amateurarbeiter sind alle
diejenigen, die nur ein Taschengeld verdienen wollen, alle diejenigen
ferner, die in den Zwischenräumen häuslicher Beschäftigungen Arbeit um
jeden Preis übernehmen und so die Arbeiterinnen im allgemeinen in dem
Hexenzirkel, wo niedrige Löhne zu schlechter Arbeit und schlechte Arbeit
zu niedrigen Löhnen führen, krampfhaft festhalten.

In die Kategorie der Amateurarbeiter hat man vielfach auch gemeint, die
verheirateten Arbeiterinnen einreihen zu müssen.[514] Die
Vergnügungssucht, die Luxusbedürfnisse der Arbeiterinnen sind gewachsen,
die häuslichen Tugenden haben abgenommen, deshalb drängen sich die
Ehefrauen zur Fabrik, statt ihren häuslichen Pflichten nachzugehen,--so
jammert man. An Material, um diese Behauptung zu beweisen, fehlte es
bisher ebenso, wie an solchem, um sie zu entkräften. Erst auf Grund
einer Resolution des Deutschen Reichstags vom 22. Januar 1898 wurden die
Gewerbeaufsichtsbeamten mit einer Untersuchung dieser Frage beauftragt,
und es stellte sich übereinstimmend heraus[515], daß der weitaus größte
Teil der verheirateten Arbeiterinnen durch die Not zum Erwerb gezwungen
ist. Selbstverständlich ist es bei den Witwen, den geschiedenen oder
eheverlassenen Frauen, die etwa 1/5 aller Frauen ausmachen, aber auch
von den Frauen, deren sogenannter Ernährer mit ihnen lebt, ist diese
Thatsache sogar vielfach zahlenmäßig konstatiert worden; so hat sich die
Notlage als Veranlassung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen in Bremen
für 71 % in Mainz für 73 % in Niederbayern für 74 %, in Plauen für 75 %
in Lothringen für 83 % in Aachen für 88 % in Schleswig für 97 %
aller Frauen erwiesen. Wo Erhebungen darüber angestellt
wurden,--unbegreiflicherweise hat man versäumt, den Beamten dahingehende
allgemeine Direktiven zu geben,--zeigte es sich, daß die Ehemänner
dieser Frauen fast ausschließlich ungelernte Tagelöhner oder solche
Arbeiter waren, die in Frauenberufen, z.B. in der Textilindustrie,
thätig sind, also ganz unzulängliche Einnahmen haben. Von 78
Gewerbeaufsichtsbezirken haben leider nur zwanzig brauchbare Angaben
über den Verdienst der Ehemänner gemacht, die in folgender Tabelle von
mir zusammengestellt wurden:

              |Anteil der|  Wochenlohn       |  Anteil  | Wochenlohn
              |Ehemänner |      der          |der Frauen|    der
Bezirk        |   in     |  Ehemänner        |   in     |  Frauen
              |Prozenten |                   |Prozenten |
--------------+----------+-------------------+----------+----------------
Danzig        |    --    |  10-20   Mk.      |    --    |  5-10 Mk.
              |          |                   |          |
Elbing        |     3    |  unter 5 "        |    47    |     7 "
              |    25    |    "  10 "        |    53    | 10,76 "
              |    71    |    "  15 "        |    --    |    --
              |          |                   |          |
Berlin-       |          |  durchschnittlich:|          |
Charlottenburg|    --    |  19,50 Mk.        |    --    |    --
              |          |  von 12-30 Mk.    |          |
              |          |                   |          |
Oppeln        |    --    |  6,72-11 Mk.      |    --    | 3,60-7,51 Mk.
              |          |                   |          |
Magdeburg     |    --    |       --          |    25    | unter 7 Mk.
              |          |                   |    50    | 7-8     "
              |          |                   |    17    | über 9  "
              |          |                   |          |
Erfurt        |    75    |  9-17 Mk.         |    50    | 3-7     "
              |    25    |  17-20 "          |    33    | 8-10    "
              |          |                   |    17    | 11-20   "
              |          |                   |          |
Schleswig     |    --    |unter 20 "         |    --    | 7,5-12  "
              |          |                   |          |
Hannover      |    --    |    --             |     2    | unter 6 "
              |          |                   |    24    | 6-9     "
              |          |                   |    48    | 9-12    "
              |          |                   |    26    | über 12 "
              |          |                   |          |
Aachen        |    --    |    --             |    20    | 4-8     "
              |          |                   |    47    | 8-12    "
              |          |                   |    25    | 12-16   "
              |          |                   |     8    | über 16 "
              |          |                   |          |
Oberbayern    |    13    | nichts oder nicht |     4    | 6       "
              |          | ermittelt         |          |
              |     6    | 9-12  Mk.         |    38    | 6-9     Mk.
              |    11    | 12-15 "           |    44    | 9-12    "
              |    51    | 15-20 "           |    11    | 12-15   "
              |    19    | 20 Mr. u. darüber |     3    |  über 15 Mk.
              |          |                   |          |
Oberpfalz u.  |          |                   |          |
Regensb.      |    --    | 6-22 Mk.          |    --    | 6,60-9,50 Mk.
              |          |                   |          |
              |          | Im Durchschnitt:  |          | Im Durchschnitt:
Mittelfranken |    --    | 18,50 Mk.         |    --    | 8,50
              |          |                   |          |
              |          |                   |          | Im Durchschnitt:
Württemberg I |    --    | --                |    --    | 10,74 Mk.
              |          |                   |          |
              |          |                   |          | Im Durchschnitt:
    "       II|    --    | --                |    --    | 10,00 Mk.
              |          |                   |          |
Darmstadt     |    --    | --                |    59    | 2-6   Mk.
              |          |                   |    35    | 6-10  "
              |          |                   |     6    | 10-18 "
              |          |                   |          |
Gießen        |    0,4   | nichts            |    --    | Im Durchschnitt:
              |    10    | 4-10  Mk.         |          | 7,80  Mk.
              |    76    | 12-16 Mk.         |          |
              |    10    | 18-24 "           |          |
              |          |                   |          |
Bremen        |    19    | 9-13  "           |    26    | 5-9   Mk.
              |    24    | 13-15 "           |    26    | 9-10  "
              |    15    | 16-17 "           |    41    | 10-12 "
              |    34    | 18-20             |     4    | 12-14 "
              |     8    | 21-30 "           |     3    | 14-16 "
              |          |                   |          |
Unterelsaß    |    --    | 10,80-16,80 Mk.   |    --    | 6-12  "
              |          |                   |          |
              |          | Im Durchschnitt:  |          |
Oberelsaß     |    --    | 15    Mk.         |    --    | --
              |          |                   |          |
Lothringen    |    40    | 9-12  "           |    13    | 3-6   Mk.
              |    50    | 16-20 "           |    71    | 7-12  "
              |    10    | 22 Mk. u. darüber |    26    | 13-24 "

Nur in einem Bezirk,--in Gießen,--und auch hier nur für eine Industrie,
hat man eine Zusammenstellung der thatsächlichen Familieneinnahmen
gemacht; danach erreichten 53 der geschicktesten Cigarrenarbeiterinnen
mit ihren Männern einen durchschnittlichen Wochenverdienst von 23,65
Mk., 23 weniger geschickte dagegen eine Einnahme von nur 16,52 Mk.
durchschnittlich.[516] Es handelt sich auch hier um einen Beruf mit sehr
starker Frauenbeteiligung.

Sehr häufig konstatieren aber auch die Aufsichtsbeamten, daß es sich bei
den Ehemännern der Fabrikarbeiterinnen um Arbeitsscheue, Trunkenbolde
und Liederliche handelte, die ihren Verdienst zum allergrößten Teil für
sich selbst verbrauchten, oder sich gar noch von der Frau ernähren
ließen. Dabei darf eins nicht vergessen werden, das geeignet ist, die
moralische Entrüstung über das Verhalten der Gatten ein klein wenig
einzudämmen: Sie haben sich vor der Ehe an eine verhältnismäßig hohe
Lebenshaltung gewöhnt, da sie den Lohn allein für sich verbrauchen
konnten, und es gehört ein Grad von Charakterstärke dazu, nach der
Heirat die Lebensbedürfnisse mehr und mehr herabzuschrauben, zu dem nur
ernst angelegte Naturen fähig sein können. Aber auch dort, wo eine
direkte Notlage nicht vorliegt, ist es doch auch Not, die die Frauen in
die Fabriken treibt: in fast allen jungen Proletarierehen müssen die
Schulden für die Haushaltungseinrichtung nach und nach getilgt werden;
ist das vorbei, so möchten gerade die Ordentlichsten einen Notgroschen
zurücklegen können, was vom Verdienst des Mannes allein nicht möglich
ist; die Mütter--und zwar gerade die besten--möchten für ihre Kinder
etwas erübrigen, ja auch der Wunsch nach Dingen, die über das tägliche
Brot und die Schlafstelle hinausliegen, gehört meiner Ansicht nach in
dieses Gebiet. Oder ist es etwa nicht Not, wenn die Proletarierfamilie
tagaus tagein, Sommer und Winter nichts sieht, als ihr dumpfes
Arbeiterviertel und ihre staubige Arbeitsstelle; ist der Wunsch nach
frischer Luft und freier Natur angesichts der blassen Kinder wirklich so
vermessen? Ist es nicht Not, wenn man zwar satt zu essen, und ein Dach
über dem Kopfe hat, aber alles entbehrt, was das Dasein schmückt und
erhebt, und eigentlich erst lebenswert macht? Die Zunahme der
verheirateten Arbeiterinnen spricht viel mehr für den Fortschritt ihrer
geistigen und seelischen Entwicklung, als für deren Niedergang. Ihre
Wirkung aber ist, wenn wir zunächst die auf die Löhne in Betracht
ziehen, keine erfreuliche. In Industrien mit starker Beschäftigung
verheirateter Frauen sind nicht nur die Männerlöhne besonders niedrig,
auch die Löhne der alleinstehenden Frauen sind nichts weniger als
ausreichend, weil die Verheirateten den Ertrag ihrer Arbeit nicht als
die alleinige Grundlage ihrer Existenz ansehen, sondern nur als eine
notwendige Ergänzung des männlichen Einkommens, Die Steigerung des
männlichen Lohnes aber wird wieder dadurch gehemmt, daß er nicht mehr
die einzige Lebensbedingung der ganzen Familie bildet. Die Arbeit
verheirateter Frauen ist daher sowohl die Folge als die Ursache des
unzureichenden Einkommens der Männer und sie ist einer der Steine, die
den alleinstehenden Frauen auf dem Wege zu besseren Zuständen im Wege
liegen. Ihre rasche Entwicklung, an deren Anfang wir erst stehen, wird
diese lohndrückende Tendenz dauernd verschärfen und zwar um so mehr, je
mehr die verheirateten Frauen durch Gesetz und Gewohnheit eine
Ausnahmestellung, nicht nur ihren männlichen, sondern auch ihren
alleinstehenden weiblichen Arbeitsgenossen gegenüber einnehmen.

Eine Beurteilung der Lohnverhältnisse kann aber nur dann zu richtigen
Resultaten führen, wenn einerseits die Kaufkraft des Geldes,
andererseits die Bedürfnisse der Lohnarbeiter in Betracht gezogen
werden. Für beides fehlt es an ausreichendem Material und auch das
vorhandene ist ungenügend. Im allgemeinen wird für die hier in Betracht
kommenden europäischen Staaten angenommen werden können, daß im Laufe
des 19. Jahrhunderts die Wohnungsmieten sich verdoppelt resp.
verdreifacht, die Lebensmittelpreise sich verdoppelt haben.[517] Die
Löhne der Arbeiterinnen in der Großindustrie sind in derselben Zeit
teils um ein Drittel, teils um die Hälfte gestiegen[518], die
Bedürfnisse dagegen, deren Wachstum sich natürlich zahlenmäßig nicht
feststellen läßt, haben im Verhältnis weit rascher zugenommen, obwohl
gerade das weibliche Geschlecht die langsamsten Fortschritte gemacht
hat. Wenn schon bei dieser ganz äußerlichen Betrachtung ein Defizit
unvermeidlich ist, so ist es in Wahrheit noch viel bedeutender, weil zur
Zeit des hier angenommenen Ausgangspunktes,--dem Anfang des 19.
Jahrhunderts,--das Mißverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den
weiblichen Arbeitern noch unverhältnismäßig stark war. Selbst den
günstigsten Fall angenommen, daß sowohl die Lebensbedürfnisse als die
Löhne um die Hälfte gestiegen sind, bleibt dieses ursprüngliche
Mißverhältnis nicht nur unverändert bestehen, es steigert sich auch noch
infolge der erhöhten Bedürfnisse, und infolge der schwer ins Gewicht
fallenden Thatsache, daß die industrielle Entwicklung den verschiedenen
Arbeitszweigen mehr und mehr den Charakter der Saisongewerbe aufdrückt.
Die Maschine ermöglicht eine kolossale Produktivität in einem kurzen
Zeitraum und wirft eine große Zahl von Arbeiterinnen nach Monaten
fieberhafter Thätigkeit für Wochen mitleidslos aufs Pflaster, während
andere sich starke Lohnreduktionen gefallen lassen müssen. Die
Arbeiterin, die sich schon in der lebhaften Zeit nur mühsam
durchschlagen kann, steht in der stillen der bittersten Not gegenüber.

Einige Beispiele mögen das Gesagte illustrieren. Vorausgeschickt sei,
daß im allgemeinen die Ernährung weiblicher Arbeiter 4/5 dessen
ausmacht, was männliche dafür gebrauchen; gehen wir von dem
Beköstigungsbudget der deutschen Heeresverwaltung aus, die eine Mark pro
Tag und Mann rechnet, so wären ca. achtzig Pfennige für arbeitende
Frauen anzunehmen, wobei jedoch nicht vergessen werden darf, daß die
Heeresverwaltung bei Einkauf und Wirtschaft im großen für die
ausgesetzte Summe eine weit bessere und reichlichere Beköstigung zu
bieten vermag, als die Arbeiterin sie sich für ihr Geld schaffen kann.
Für eine Schlafstelle wird monatlich sechs bis neun Mark Miete
gefordert, ein möbliertes Zimmer,--das sehnlichst erträumte Ideal all
der armen Heimatlosen!--ist kaum unter fünfzehn bis zwanzig Mark zu
haben. Das Mindeste also, was eine alleinstehende Arbeiterin wöchentlich
für Kost und Wohnung ausgeben muß, ist 7,48 Mk.; hat sie ein eigenes
Zimmer, so muß sie allein zehn Mark für Logis und Ernährung ansetzen.
Nun stellt sich der durchschnittliche Wochenverdienst der gewöhnlichsten
Arbeiterinnen in zwanzig deutschen Großstädten auf 8,70 Mk.[519] Es
blieben ihnen also, wenn sie sich halbwegs ausreichend ernähren wollen
und nicht in der eigenen Familie wohnen können, ca. 78 Pf. wöchentlich
für alle übrigen Lebensbedürfnisse--Kleidung, Wäsche etc.
Inbegriffen--übrig! Dabei ist die Voraussetzung noch die, daß die
Wocheneinnahme sich das ganze Jahr über gleich bleiben müßte, während
thatsächlich im günstigsten Fall nicht auf 52, sondern nur auf 48 Wochen
regelmäßigen Verdienst gerechnet werden kann. Es giebt aber auch eine
ganze Anzahl Arbeiterinnen, die unter acht Mark, ja die nur drei bis
sechs Mark in der Woche verdienen. Wenn auch bei den niedrigsten
Lohnsätzen angenommen werden kann, daß es sich meist um jugendliche
Arbeiterinnen, die vielfach bei den Eltern wohnen, handelt, so bleiben,
wie die Ergebnisse vieler Untersuchungen beweisen, noch viele übrig, die
bei solch einem Hungerlohn auf sich allein angewiesen sind, und es giebt
noch zahlreiche Unglückliche, die eine alte Mutter, oder ein armes
vaterloses Kind mit zu erhalten haben. Aber selbst bei einem Wochenlohn
von neun bis zwölf Mark, dem üblichsten für deutsche Arbeiterinnen, und
einer Jahreseinnahme von 430 bis 570 Mk.,--die schon als eine sehr hohe
angesehen werden muß,--wobei in dem einen Fall vierzig, in dem anderen
170 Mk. für alle übrigen Ausgaben übrig bleiben,--lebt die Arbeiterin in
unaufhörlichem Kampf mit Not und Verschuldung. Dieselben Zustände
wiederholen sich überall, wo die Industrie, der große Eroberer,
eingedrungen ist und aus den Unterworfenen Sklaven gemacht hat.

In Wien kann eine Arbeiterin mit 4 fl. 80 kr., wenn sie sich keine
Erholung, kein Vergnügen gönnt, niemals krank wird und niemanden zu
unterstützen hat, gerade auskommen. 60 % arbeitender Frauen Wiens
verdienen aber nur 4 fl. 50 kr., und es kommen Löhne von 1 fl. 80 kr.
bis 3 fl. noch immer häufig genug vor[520], während die arbeitslose Zeit
für sie gleichfalls von vornherein in Rechnung gezogen werden muß. Das
mindeste, was eine Pariser Arbeiterin zum Leben braucht, ist eine
Jahreseinnahme von 850 bis 1200 frs.[521], unter einer täglichen
Einnahme von 2,25 frs. liegt das tiefste Elend und erst von 4 frs. an
beginnt ein gesichertes Leben für die Alleinstehende[522], dabei gehören
Tagelöhne von 1,50 bis 2 frs. durchaus nicht zu den Ausnahmen, und auf
unfreiwillige Ferien muß sich jede Arbeiterin gefaßt machen.

Durch vier Auskunftsmittel,--eins fürchterlicher als das andere,--sucht
die Arbeiterin dem Gespenst der Not zu begegnen: Ueberarbeit,
Unterernährung, schlechte Wohnung und Prostitution. Die Ueberarbeit wird
dadurch möglich, daß sie aus der Fabrik oder Werkstatt noch Arbeit mit
nach Hause nimmt, wo sie bis in die Nacht hinein schafft, um das elende
Leben zu erhalten, das sich ohne Ruhepause in einem Kreislauf bewegt,
zu dem im Grunde nur das elendeste Arbeitstier verurteilt ist: Arbeiten,
Essen, Schlafen, und von den letzten beiden gerade nur so viel, als
nötig ist, um jeden Tag von neuem ins Joch zu gehen. Wie die
Unterernährung aussieht, dafür giebt es Beispiele genug. Eine
Arbeiterin, die nur 8 Mk. die Woche verdient, kann höchstens 40 bis 50
Pf. für ihre tägliche Beköstigung ausgeben,[523] Sie lebt von
Cichorienbrühe, genannt Kaffee, Brot, Kartoffeln, ein wenig kraftloser
Suppe, Wurst oder Hering[524]; Fleisch und Gemüse, das, wenn überhaupt,
in minimalen Quantitäten genossen wird, ist meist von so schlechter
Qualität, daß von einem genügenden Nährwert gar nicht die Rede sein
kann. Gerade an der Nahrung sparen sich die Arbeiterinnen in der hohen
Saison alles ab, um ihre Schulden aus der toten bezahlen zu können. So
genießen die meisten Wiener Arbeiterinnen nichts als dreimal des Tages
Kaffee und Brot und abends ein Stück Wurst; sie verderben sich den
Magen, wenn sie einmal kräftigere Nahrung zu sich nehmen![525] Und um
für die an sich schon mangelhafte Ernährung noch vollends den Appetit zu
verderben, ja sie gradezu widerlich und gefährlich zu machen, kommt der
Ort, wo sie zumeist eingenommen wird, noch hinzu: mitten im staubigen
Fabriksaal, oder, falls er, wie es oft geschieht, mittags geschlossen
wird, auf Höfen und Treppen ist der "Eßsaal" der meisten
Fabrikarbeiterinnen. Selten nur wird ihnen ein eigener Raum zum Essen
angewiesen, noch seltener findet sich die Einrichtung von Fabrikkantinen
in Verbindung mit ihm. Ins Wirtshaus zu gehen, dazu reichen selten die
Mittel, und der Weg nach Hause ist meist viel zu weit. Die Möglichkeit,
sich vor dem Essen zu waschen, die staubigen, von Oel, Leim und tausend
anderen Dingen beschmutzten Kleider mit reinen zu vertauschen, ist auch
nur selten in ausreichendem Maße gegeben, und so schlucken die armen
Geschöpfe mit dem schlechten Essen Millionen Miasmen und Krankheitskeime
in sich hinein. Ein einziger Blick in das gemütliche Eßzimmer des
Fabrikherrn mit den schmackhaften Gerichten und reinen Tellern auf dem
frisch gedeckten Tisch und in den schmutzigen Winkel, wo diejenigen, auf
deren Arbeit seine Behaglichkeit beruht, aus einer alten Blechkanne oder
einem irdenen Topf ihre Suppe oder ihr mit schlechter Butter und einer
Wurst, bei deren näherer Untersuchung wir schaudern würden, belegtes
Brot verzehren, müßte allein genügen, um das Verbrecherische der
herrschenden Wirtschaftsordnung einzusehen.

Folgen wir der Arbeiterin auch in ihr "Heim". Sie ist nur zu oft
gezwungen, eine Schlafstelle zu nehmen, wo sie nicht einmal auf ein
eigenes Bett Anspruch hat. Von 95365 Schlafleuten, die 1890 in Berlin
gezählt wurden, waren 39 % in Wohnungen mit nur einem Raum
untergebracht[526], d.h. sie schliefen mit der ganzen Familie im selben
Zimmer. In einer großen Zahl von ihnen,--1885 wurden 607 der Art in
Berlin gezählt,--hausten neben der Familie Schlafburschen und
Schlafmädchen, bis zu acht an der Zahl![527] In Leipzig fand sich solch
ein Raum mit folgenden Bewohnern: einen trunksüchtigen Mann, einer
schwindsüchtigen Frau, drei Kindern und zwei Schlafmädchen.[528] Am
günstigsten ist es noch für sie, wenn in einem Bett zwei Schlafmädchen
zusammen schlafen, sehr häufig aber müssen sie ihr Lager mit den Kindern
ihrer Wirtsleute, ohne Unterschied des Geschlechts, teilen; in Belgien
hat eine Untersuchung der Arbeiter-Wohnungsverhältnisse sogar ergeben,
daß jugendliche Arbeiter beiderlei Geschlechts auf ein gemeinsames Bett
angewiesen waren![529] Nicht nur, daß die Arbeiter nur zu oft weniger
Luftraum im Zimmer haben, als die Gefangenen, sie haben nach des Tages
Last und Arbeit nicht einen Platz auf Erden, wo sie allein sein, wo sie
sich ausruhen und erholen können! Ja, das arme Schlafmädchen hat außer
den Nachtstunden nicht einmal einen Anspruch auf ihren Bettanteil; tags
über ist der Raum, in dem sie mietete, Werkstatt, Küche, Kinderstube, in
dem für sie kein Platz ist. So wird sie gezwungen, sich herumzutreiben,
so kommt es auch, daß das Elend des Schlafstellenwesens sich zum
Grauenhaften steigern kann: die Mädchen bringen schließlich von ihren
zuerst erzwungenen, später freiwilligen abendlichen Vergnügungen ihre
Liebhaber mit nach Hause, und verkehren hier, durch den Zwang, die
intimsten Dinge täglich vor aller Augen zu verrichten, längst aller
Scham entblößt, ungestört durch die Mitbewohner und die kleinen Kinder,
mit ihnen.[530] Die enorme Zunahme der unehelichen Kinder,--es giebt
Fabrikdistrikte, z.B. Schleswig und Chemnitz, wo sie an Zahl die
ehelichen übertreffen[531],--ist die Folge davon. Ist der Vater ein
Arbeitsgenosse der Mutter, so pflegt im allgemeinen die schließliche
Heirat selbstverständlich zu sein, denn selten nur kommt es vor, daß ein
Arbeiter die Vaterschaft nicht anerkennt und die Geliebte verläßt, er
würde sich dadurch der Verachtung seiner Kollegen aussetzen.[532] Wie
oft aber fällt die Arbeiterin ihrem Vorgesetzten zum Opfer: Sie findet
keine Arbeit, wenn sie nicht mit ihrer Arbeitskraft ihre Ehre verkauft,
sie muß sich den Lüsten der Werkführer, häufig auch der des Chefs selber
fügen, wenn sie sich nicht dem aussetzen will, bei der nächsten
Geschäftsstockung ihre Stelle zu verlieren.[533] Und ihr ganzes
freudloses Dasein, das ihr, wenn sie ehrlich bleiben will, in
gleichförmiger öder Farblosigkeit verfließt, prädestiniert sie noch
dazu. Sie hat doch auch ein Recht auf Freude, und sie sehnt sich danach;
nicht bloß der physische Hunger zwingt sie, sich von einem Liebhaber
unterstützen zu lassen[534], oder sich gelegentlich zu prostituieren,
der psychische thut es mit gleicher Gewalt. Liegt nicht gerade darin
eine furchtbare Grausamkeit, daß das bißchen Lebensfreude,--oft besteht
es in weiter nichts, als in ein paar bunten Fähnchen und reichlichen
Mahlzeiten,--von den Proletariermädchen so häufig nur durch Schande
erkauft werden kann?!

Ein Fabrikmädchen! Naserümpfend hört man es oft sagen. Für die Leute,
die mit reinen Kleidern am Familientisch sitzen und abends in ihr
eigenes warmes Bett kriechen, verbindet sich mit dem Wort der Gedanke an
körperlichen und sittlichen Schmutz. Sie wissen nicht, welch eine Summe
von Qual und Entbehrung und Hoffnungslosigkeit es ausdrückt, wie viel
heldenmütige Entsagung, von der nur manche stillen, früh gealterten
Gesichter Zeugnis ablegen, hinter ihm steckt, welch namenloses Unglück
ihm anhaftet, und sie sehen nicht, oder wollen nicht sehen, welch eine
Anklage gegen sie und ihresgleichen aus diesen Worten emporwächst.

Der niedrige Lohn ist aber nicht die einzige Arbeitsbedingung, die
verheerend auf das Leben der Arbeiterin einwirkt. Neben ihn, als der
Hauptgrundlage der Existenz, dem bestimmenden Faktor für die physische
und geistige Entwicklungsmöglichkeit, tritt die Zeit, die aufgebracht
werden muß, um ihn zu verdienen, als zweitwichtiges Moment hinzu. Die
Frauen in der Großindustrie genießen fast überall den Vorzug, daß die
Stunden, die sie dem Erwerb widmen, gesetzlich geregelt sind. Für sie
besteht, in der Theorie wenigstens, der zehn- oder elfstündige
Maximalarbeitstag und teilweises Verbot der Nachtarbeit, in der Praxis
aber wird er nicht nur durch die sehr weitgehende Erlaubnis seiner
Ausdehnung durch Ueberstunden, sondern auch durch die infolge der
mangelhaften Kontrolle leicht mögliche Uebertretung der gesetzlichen
Vorschriften vielfach überschritten. Nach den deutschen
Gewerbeaufsichtsberichten für 1899 wurden für rund 184000 Arbeiterinnen
nicht weniger als 3 Millionen Ueberstunden bewilligt.[535]

Die vielen Uebertretungen der gesetzlichen Arbeitszeit, die den Beamten
überhaupt gar nicht zur Kenntnis kommen, würden diese Zahl gewiß mehr
als verdoppeln. Was aber die gesetzlichen Vorschriften vollends fast
illusorisch macht, das ist die Gewohnheit der Unternehmer, den
Arbeiterinnen noch Arbeit mit nach Hause zu geben, und die
Bereitwilligkeit der Arbeiterinnen, dadurch ihren Lohn ein wenig zu
erhöhen. Auf diese Weise verlängert sich die Arbeitszeit ins
ungemessene. In Verbindung mit der schlechten Ernährung untergraben
diese Verhältnisse die Gesundheit der Frauen schon im ersten Lenz ihres
Lebens. Gerade in der Entwicklungszeit, wo der Körper des Weibes sich zu
seiner schönsten Bestimmung, der Mutterschaft, vorbereitet, wo er durch
geeignete Abwechselung von Ruhe und Bewegung, durch frische Luft und
gesunde Nahrung gestählt werden müßte, wird er dazu verdammt, mindestens
zehn Stunden lang in Staub und Hitze hintereinander zu stehen, oder zu
sitzen, Maschine zu treten oder sonst eine gleichförmige, nur bestimmte
Muskeln ausbildende Bewegung auszuführen. Die Bleichsucht, mit ihrem
Gefolge von Reizung zur Lungenschwindsucht, Unterleibskrankheiten und
geistiger Depression, Verkrümmung des Rückgrats und der Beine u. dergl.
mehr, halten daher ihren unaufhaltsamen Siegeszug unter den
Proletariermädchen.[536]

In solchen Betrieben, wo sehr vollkommene technische Einrichtungen eine
große Produktion auch ohne Ausnutzung der Arbeitszeit bis an die Grenze
des gesetzlich Zulässigen ermöglichen, tritt die Tendenz der
freiwilligen Verkürzung der Arbeitszeit hervor.[537] Das gilt auch für
einen Teil der Textilindustrie und kommt insofern auch den Frauen zu
Gute. Für Frankreich und England läßt sich die gleiche Entwicklung
verfolgen, aber ihr Tempo ist ein sehr langsames. Die menschliche
Arbeitskraft, und besonders die weibliche, ist häufig, selbst bei
geringerer Leistungsfähigkeit, noch viel billiger, als ihre teilweise
Ersetzung durch Maschinen. Die gesetzwidrige Verlängerung der
Arbeitszeit dürfte daher immer noch viel häufiger vorkommen, als ihre
Verkürzung, und zwar vor allem in den Betrieben, wo die Frauen mit ihrer
stumpfen Resignation, ihrem Mangel an energischen Solidaritätsgefühl
sich zusammendrängen. Aber selbst die Einhaltung des Zehn- resp.
Elfstundentags vorausgesetzt, ist der weibliche Arbeiter, verglichen mit
dem männlichen, immer noch im Nachteil, weil die Mehrzahl der Frauen mit
der Berufsarbeit nicht die Arbeit überhaupt, die auszuführen ihnen
obliegt, erledigt haben. Nicht nur, daß es Arbeiterinnen giebt, die, um
einen Teil der Miete zu sparen, ihrer Wirtin im Haushalt, bei den
Kindern, oder, wie es häufig vorkommt, in irgend einem Zweige der
Heimarbeit helfen,--eine "Hilfe", die oft nicht ganz freiwillig
ist,--für fast alle die, welche bei den Eltern wohnen, ist die
Hausarbeit neben der Erwerbsarbeit etwas Selbstverständliches. So wird
der zehn- oder elfstündige Arbeitstag zum dreizehn-, vierzehn- und
mehrstündigen und der Sonntag wird noch dazu oft der Reinigung und
Instandhaltung der Kleidung gewidmet. Denn darauf hält auch die ärmste
Arbeiterin; in dem bunten Band, womit sie ihre Taille gürtet, in den
Blumen, die sie auf ihren Hut steckt, in dem möglichst modernen Kleid,
womit sie auf den Tanzboden geht, konzentriert sich häufig all ihre
Lebensfreude, der sie sogar leichten Herzens auch das bißchen kräftige
Nahrung opfert, die sie sich sonst vielleicht gönnen könnte. Engherzige
Puritaner schlagen wohl über die "Putzsucht" der Arbeiterin die Hände
über dem Kopf zusammen; das Recht auf Jugend, das man den Mädchen der
wohlhabenden Bevölkerung voller Wohlwollen und sogar voll freudiger
Genugthuung zuerkennt, soll für sie durchaus keine Geltung haben. Und
dabei bedenkt man nicht einmal, daß der Proletarierin für andere
Genüsse, für deren Verständnis man die bürgerliche Jugend von früh an
erzieht, die Aufnahmefähigkeit fehlt. Was dem Arbeiter Bier und
Branntwein, das ist der Arbeiterin Putz und Tand: oft die einzig
erreichbare Lebensfreude.

Niedriger Lohn und lange Arbeitszeit sorgen schon dafür, daß sie nicht
üppig ins Kraut schießt, und die traurigen sanitären Verhältnisse in
Werkstatt und Fabrik nehmen ihr vollends frühzeitig das Sonnenlicht, in
dem sie allein gedeihen kann. Auch darin ist der Arbeiter in günstigerer
Lage, als die Arbeiterin: Bei dem weiblichen Geschlecht hat sich bisher
überall eine stärkere Empfänglichkeit für die Schädlichkeiten gewisser
Gewerbe herausgestellt, sowohl der Staub, als vor allem die Giftstoffe,
die sie einatmet, wirken stärker auf sie, als auf den Mann[538], auch
Betriebsunfällen ist sie in höherem Maße ausgesetzt. Die Gründe dafür
sind vielfach rein äußerlicher Natur: In den langen Kleidern und den
leider immer noch üblichen vielen Unterröcken, in den unbedeckten
langen Haaren können sich unendlich mehr jener schädlichen
Fremdkörperchen festsetzen, als bei den Männern. Ein Wechseln der
Kleidung verbietet sich schon dadurch oft von selbst, daß die Arbeiterin
nur einen Arbeitsanzug hat, häufig aber wird es unterlassen, weil es an
einem geeigneten Umkleideraum fehlt. Oft trennt ihn nur ein leichter
Vorhang von dem der Männer, oder dem Arbeitssaal, oft ist er in diesem
selbst, wo die Arbeiterin ihre Sachen, die sie schonen muß, gar nicht
hinhängen mag. Aus ähnlichen Gründen unterdrückt sie nur zu oft zum
Schaden ihrer Gesundheit natürliche Funktionen ihres Körpers, weil das
Kloset teils unverschließbar in nächster Nähe des von den Männern
benutzten liegt, teils, weil es in einem unbeschreiblichen Zustand sich
befindet.

Alle Industriezweige fast, in denen Frauen beschäftigt sind, bringen
besondere Gefahren für Leben und Gesundheit mit sich. Werfen wir
zunächst einen Blick auf die Textilindustrie und treten wir in eine
Spinnerei: Mit heißem Wasserdampf ist die Luft gesättigt, auf dem
Steinboden steht das Wasser, ein ekelhafter Geruch erhebt sich aus dem
Spinnwasser, das die Abfälle und leimigen Substanzen des Gespinstes
aufnimmt. Mit Händen und Vorderarmen arbeitet die Spinnerin in der
unreinen, klebrigen Flüssigkeit; eiternde Geschwüre an Händen und Armen,
schwere Augenentzündungen stellen sich infolgedessen häufig ein. Mit
bloßen Füßen steht sie auf dauernd nassem Boden, ungenügend bekleidet
vertauscht sie dann den Aufenthalt im glühenden Arbeitsraum womöglich
mit der Winterkälte draußen,--rheumatische Krankheiten,
Unterleibsentzündungen sind die Folge.[539] Dauernder Druck auf
besonders empfindliche Teile führen zu frühzeitigen Erkrankungen der
Geschlechtsorgane.[540] In kleineren Betrieben wird zur Entfettung roher
Wolle fauliger Urin verwendet. Ein pestilenzialischer Geruch erfüllt
daher die Luft, Ekzeme, Furunkeln zeigen sich an den Händen der
Arbeiterinnen. Wo man zu demselben Zweck Schwefelkohlenstoff gebraucht,
treten Vergiftungserscheinungen auf, die bis zur völligen geistigen
Umnachtung führen können.[541] In den Wollkämmereien herrschen tropische
Glut und ekelerregende Ausdünstungen; die Gasräume der Seidenfabriken
wetteifern mit ihnen, was die Hitze betrifft, und vergiften die
Arbeiterinnen durch das Ausströmen des Gases.[542] Die Fabrikation von
Kunstwolle und von grauer Watte erweist sich als ein Herd furchtbarer
Krankheiten: Die Verlesung der Lumpen, aus denen die Kunstwolle gemacht
wird, wirbelt Millionen Bakterien auf, Infektionskrankheiten schlimmster
Art, chronische Bronchialkatarrhe überfallen heimtückisch die
Arbeiterinnen, die sogenannte Hadernkrankheit, die mit starkem Fieber
beginnt und im Starrkrampf endet, tötet sie in wenigen Tagen. Das
Sortieren der Abfälle zur Herstellung grauer Watte ist noch ekelhafter:
findet sich doch sogar gebrauchte Verbandwatte darunter![543] Mit
wunden, eiternden Fingern stehen die Andreherinnen in den Webereien am
Webstuhl, bis die Kraft sie verläßt[544]; zerstörend wirkt das Blei, das
in gefärbter Baumwolle sich meist befindet, auf die Weberinnen, und
stärker noch auf die Arbeiterinnen in der Spitzenfabrikation. Wohl giebt
es gefahrlose Mittel, um den feinsten Erzeugnissen der Textilindustrie
Glanz und Appretur zu verleihen, aber sie sind teuer und so wird
Bleiweiß dazu verwandt, ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit; den
Unternehmer ficht es nicht an, ob seinen "Händen" die Arbeit entsinkt,
er findet Ersatz genug! In Webereien, in der Fabrikation von Kartons und
buntem Papier und künstlichen Blumen, bei der Polierarbeit in der
Fabrikation eiserner Bettstellen strömt das Gift in die Atmungsorgane,
in die Poren der Frau und wird mit ihren Kleidern in ihr Heim getragen;
ja es kommt vor, daß sie es mit dem Essen zu sich nimmt, weil kein
anderer Raum als der Arbeitssaal ihnen dafür zur Verfügung steht.[545]
Koliken, Magenerkrankungen, Kopfleiden sind die Folge. In den
Bleiweißfabriken erreichen diese Leiden den höchsten Grad: epileptische
Krämpfe, Erblindungen, teilweiser Verlust der Sprache sind Zeichen des
letzten Stadiums der Bleivergiftung, die zum Wahnsinn oder zum Tode
führen kann.[546] Der Schwefelkohlenstoff in der Kautschukfabrikation
führt zu ähnlichen Erscheinungen, nur mit der Variation, daß Lähmungen
der Geschlechtsorgane schließlich hinzutreten können.[547]

Eine große Zahl von Frauen beschäftigt, wie wir gesehen haben, die
Tabakindustrie. Ihre Arbeiter sind die am schlechtesten bezahlten und
die schwächsten von allen. Schon nach den ersten sechs Monaten der
Beschäftigung erkranken von 100 72 an Nikotinvergiftung. Besonders bei
den jüngeren Arbeiterinnen stellen sich als Folge Nerven- und
Magenleiden und Erkrankungen der Geschlechtsorgane ein.[548] Wie dies
Gift den Körper von innen zerstört, zerstört das Phosphor in der
Zündholzfabrikation ihn von außen: zu einer grauenhaften Maske wird das
Antlitz der Frau durch die Kiefernekrose, die zuerst die Zähne und dann
den Kiefer zerfrißt.[549]

Wir sind noch nicht am Ende: Die Zieglerkrankheit, die Anämie, ergreift
männliche wie weibliche Ziegelarbeiter, besonders, wenn ihr Schlafraum
sich auf der Oberfläche von Ringöfenanlagen befindet, aus denen
unaufhörlich giftige Dämpfe entweichen. Die Lunge der Porzellanarbeiter,
besonders der Frauen, die den Arbeitsraum auskehren, füllt sich durch
Einatmung des scharfen Kieselstaubes mit förmlichen Steinen,
schwärzliche Steine bilden den Auswurf.[550] Kein Leiden aber erreicht
das der Quecksilberarbeiterin: sehr bald schon wird ihr Gesicht
aschfahl, die Augen trüb, der Gang schwankend, wie der eines
Rückenmarkleidenden. Bei dem Anblick eines Fremden überfällt sie
konvulsivisches Zittern; das kärgliche Mahl vermag sie kaum zum Munde zu
führen, die Sprache versagt oft ihre Dienste, in erschreckender Weise
nehmen die Geistesfähigkeiten ab, bis zum letzten Stadium, dem Blödsinn.
Jeder geht ihr aus dem Wege, denn der Speichelfluß macht ihren Anblick
widerlich und vor dem Hauch ihres Mundes prallt man zurück.[551]

Aber nicht nur die Gifte vernichten Gesundheit und Körperkraft. Dem
"schwachen" Geschlecht werden Lasten auf die Schultern gelegt, die es zu
Boden werfen. In Steinbrüchen, Porzellanfabriken, Ziegeleien, selbst bei
Bauten schleppen oder schieben sie schwerbeladene Tröge und Schubkarren;
in Zuckerfabriken tragen sie täglich während zehn Stunden bis zu 800 je
16 Kilogramm schwere Kisten zu den Schlagmaschinen.[552] In den
Spinnereien und Webereien stehen sie oft während elf und zwölf Stunden;
geschwollene Füße, Krampfadern, Nieren- und Unterleibsleiden zeugen
davon.

Und nun jener eigentlichste Frauenberuf: die Maschinennäherei! In
gebückter Stellung sitzen die Armen an ihrer rasselnden Tyrannin,
unausgesetzt bewegen sich die Beine auf und nieder. Junge und Alte,
Kranke und Gesunde--alle glauben sich fähig zu dieser mörderlichen
Arbeit, die schließlich auch die stärkste Konstitution untergräbt. Ein
Lyoner Fabrikant sagte einmal: "Ich beschäftige nur Mädchen von sechzehn
bis achtzehn Jahren an der Nähmaschine, sind sie erst zwanzig, so sind
sie reif für's Hospiz."[553] Und er hat nicht übertrieben. Die
Bleichsucht in all ihren Stadien, Unterleibsleiden, Lageveränderungen
der Gebärmutter, die eine Mutterschaft fast unmöglich machen,
neurasthenische Erkrankungen aller Art, suchen die Frauen heim als böse
Gäste.[554] Wohl hat die Technik, wie überall so auch hier, ein Mittel
zur Hilfe geschaffen: statt durch die Füße der Näherinnen kann die
Maschine durch Dampf oder Elektrizität in Bewegung gesetzt werden, aber
die Einrichtung ist den Unternehmern nicht lohnend, denn mit derselben
Schnelligkeit fast treibt die durch die Not vorwärts gepeitschte
Menschenkraft die Räder, als die motorische Kraft es thun würde, und
der Profit ist der einzige ausschlaggebende Faktor.

Furchtbarer als Dantes Hölle ist diese Welt der Arbeit, bevölkert mit
bleichen Gestalten, die sich auf wunden Füßen nur schwer fortbewegen,
deren Hände, aus denen Behaglichkeit, Wärme, Schönheit, Nahrung,
Kleidung für die glücklicheren Menschen hervorgehen, bluten und
schwären, deren Rücken gekrümmt, deren Glieder zerfressen sind von
Giften, aus deren irren Blicken oft der Wahnsinn starrt. Und doch fehlt
zur Vollendung des Bildes noch eins: dichte Wolken von Staub umhüllen
die Gestalten,--Staub aus scharfem Metall, aus Pflanzenfasern und
Tierhaaren, mit Gift und Krankheitskeimen durchsetzt. Er verdichtet sich
vor unseren Augen zu dem riesigen, hohlwangigen Gespenst, das in den
Proletariervierteln sein Wesen treibt: der Lungenschwindsucht. Wer kann
sagen, in welchem Industriezweig es am meisten zu Hause ist: bei den
Textilarbeitern, bei den Tabakarbeitern, bei den Töpfern?! Es herrscht
überall, wo die Jagd nach Gewinn rücksichtslos über Menschenleichen
dahinbraust!

Kann es noch schwereres Leiden geben, als das, was an uns vorüberzog? O
ja; und es findet sich dort, wo es die Frau nicht mehr allein, sondern
durch sie auch ihre Kinder trifft. Das Mädchen träumt noch von der
Zukunft; es glaubt, die Ehe wird sie aus dem Arbeitsjoch erlösen, darum
bringt es seinem Beruf bei weitem nicht das Interesse entgegen, das der
Mann ihm entgegenbringt, für den er zum ausschließlichen Lebensberuf
werden soll; die Frau aber hat keine Hoffnung mehr auf Befreiung. Und
ihre Not verschärft sich ins unerträgliche durch den Anblick der Not
ihrer Kinder. Wie häufig hört man angesichts des Elends sagen: Die Leute
sinds nicht anders gewöhnt, sie spüren es nicht. So richtig es nun auch
sein mag, daß die im Elend Geborenen nicht die Empfindung dafür haben,
wie die, welche erst hineingestoßen wurden, so falsch ist es, daß irgend
eine Mutter in der Welt, und wäre es die allerärmste, sich jemals an das
Leid ihrer Kinder gewöhnen wird. Kinderleid ist das größte auf Erden,
weil es die Unschuldigen und die Wehrlosen trifft.

Nach allgemeiner Annahme kann in Deutschland eine aus Mann, Frau und
zwei Kindern bestehende Arbeiterfamilie mit 1500 Mk. im Jahre die
notwendigsten Bedürfnisse decken.[555] Eine auskömmliche Lebenshaltung,
bei der aber von einer Befriedigung höherer Bedürfnisse,--Kunst,
Theater, Natur,--auch nur in ganz geringem Umfang die Rede sein kann,
ist erst mit einer jährlichen Einnahme von 2000 Mk. möglich.[556] Es
müßte demnach für den ersten Fall eine tägliche Einnahme,--ohne
Unterbrechung!--von fünf Mark, im zweiten eine von fast sieben Mark
gesichert sein. Das davon nur in Ausnahmefällen die Rede sein kann,
lehrt ein Blick auf unsere Lohntabellen. Aeußerst selten nur erreicht
der Mann allein solch einen Verdienst, aber selbst die Mitarbeit der
Frau, die sich, nach diesem Maßstab gemessen, als unbedingt notwendig
erweist, kann ihn nicht gewährleisten. Einnahmen von 800 bis 1000 Mk.
gelten in Proletarierkreisen schon als gute. Sie sind vollständig
unzureichend und auch die von 1000 bis 1500 Mk. sind es, sobald mehr als
zwei Kinder zu erhalten sind. Es klingt geradezu wie Wahnsinn, und doch
ist es Thatsache: je mehr Kinder die Familie besitzt, je mehr also die
Mutter zu Hause nötig ist, desto notwendiger muß sie in die Fabrik. Und
doch kann sie sich und ihren Kindern dadurch noch kein einigermaßen
behagliches Leben erkaufen. Der Grund- und Boden- und der Häuserwucher
verschlingt zum großen Teil, was sie erwirbt, und läßt ihr dafür eine
elende Behausung, die den Namen Wohnung nicht verdient. Schon im Jahre
1880 wurde in deutschen Großstädten eine erschreckende Zahl
übervölkerter Wohnungen konstatiert[557]; die Untersuchungen des Vereins
für Sozialpolitik deckten entsetzliche Zustände auf, die vielleicht nur
noch von denen in Wien übertroffen wurden.[558] Hier wurde z.B. ein
Zimmer mit Küche von einer Witwe mit sechs Kindern und zwei Schlafleuten
bewohnt, die sich alle in drei Betten, einem Kinderbett und einem Sofa
teilten; in einer Kammer mit einem einzigen Fenster nach dem Flur hauste
ein Ehepaar mit vier Kindern, in einer anderen von 13 qm Bodenfläche,
fand sich eine siebenköpfige Familie! Parterrewohnungen in
Hinterhäusern, die mit dem engen Hofe auf gleicher Höhe liegen, im
Sommer heiße, im Winter eisigkalte Dachkammern, Wohnungen mit nur einem
heizbaren Raum, oder ganz ohne Küche, sogenannte Kochstuben, als
einzigen Raum[559],--das sind die Wohnungen, in denen das Familienleben
der Arbeiter sich abspielen und gedeihen soll! Und doch sind auch diese
vielfach noch unerschwingbar für ihren schwindsüchtigen Beutel. In
Nürnberg kostet der qm Wohnraum in den kleinsten Wohnungen 7,70 Mk., in
den größten 4,36 Mk., in Basel im mittleren Stockwerk 3,04, im
Dachgeschoß 4,15 Mk.[560] In den Fabrikstädten Nordböhmens kostet ein
cbm Luftraum jährlich nur um eine Kleinigkeit weniger, als in den
Palästen der Wiener Ringstraße.[561] Nach einer Zusammenstellung des
Gewerbeaufsichtsbeamten für Sachsen-Koburg-Gotha schwankte die Summe,
die der Arbeiter zur Bestreitung seiner Wohnungsmiete zu verausgaben
hat, zwischen 20 und 38 % seines Arbeitslohnes; er müßte bis zu 57 Tagen
arbeiten, um allein den Mietspreis zu verdienen, während für die
begüterten Schichten der Bevölkerung die Ausgabe für Wohnungsmiete im
allgemeinen mit zehn bis höchstens zwanzig Prozent des Einkommens
angesetzt wird.[562] Die Armen haben also für ihre elende Wohnung
relativ mehr zu bezahlen, als die Reichen, und sind daher gezwungen, sie
mit Fremden, Aftermietern und Schlafleuten zu teilen, ihre Kinder nicht
nur ohne Luft und Licht aufwachsen zu lassen, sondern sie auch noch der
moralischen Vergiftung auszusetzen. Und wie sieht der Haushalt aus, wenn
die Hausfrau in die Fabrik gehen muß. Am frühen Morgen, häufig ehe die
Kinder erwachen, muß sie zur Arbeitsstelle eilen. Die ein- bis
einundeinhalbstündige Mittagspause, die ihr in Deutschland gesetzlich
gewährleistet wird, reicht nicht immer aus, um heimzukehren, und
niemals um, wie die Gewerbeordnung prahlend sagt, den Haushalt zu
besorgen. Bestenfalls wird das abends vorher zusammengekochte Essen
aufgewärmt, oder das vom Morgen an langsam auf dem Grudeofen brodelnde
auf den Tisch gestellt, in beiden Fällen ist aus den an sich schon
minderwertigen Speisen der Nährwert entflohen. Am häufigsten begnügt
sich die ganze Familie bis zur Heimkehr der Mutter am Abend mit
Butterbrot und Kaffee, dann erst bereitet die übermüdete Frau die
Hauptmahlzeit, dann erst, nach zehn-, elf-, auch dreizehnstündiger
Arbeit, beginnt ihre häusliche Thätigkeit. Sie näht und flickt und
wäscht und scheuert, wenn sie gewissenhaft ist, so daß ihr kaum fünf
Stunden zum Schlafen übrig bleiben. Vorzeitiges Altern, geistige und
körperliche Erschöpfung sind die Folgen. Oder sie kümmert sich um nichts
mehr, wenn die Arbeit sie schon stumpfsinnig und gleichgültig gemacht
hat: dann verwahrlost die Wirtschaft und die Kinder. Zwischen diesen
beiden Wegen allein hat sie zu wählen! Wie oft sie den ersten wählt,
dafür spricht die Bewunderung, mit der die gewiß wenig enthusiastischen
deutschen Fabrikinspektoren von der Willensstärke, dem Opfermut und der
unermüdlichen Arbeitskraft der verheirateten Arbeiterinnen reden.[563]
Aber selbst mit der Hingabe ihrer Kräfte können sie dem Haushalt nicht
die Leiterin, den Kindern nicht die Mutter ersetzen.

Eine gründliche Statistik der Kinderzahl der Arbeiterinnen giebt es
leider nicht. Die deutschen Erhebungen der Gewerbeaufsichtsbeamten für
das Jahr 1899 sind nach dieser Richtung völlig ungenügend. Nur in
siebzehn Bezirken von 78 wurden Untersuchungen darüber angestellt, und
auch hier handelt es sich lediglich um Stichproben. Sie werfen
aber immerhin genügendes Licht in dieses dunkle Bereich des
Proletarierlebens; die folgende Tabelle bietet eine Zusammenstellung
aller Ergebnisse:

               |Anzahl |Von diesen|      Von den Kindern waren
    Bezirk     |der be-|  Frauen  |---------------------------------
               |fragten|  hatten  |noch nicht|  schul-   |  schul-
               |Frauen |  Kinder  |  schul-  |pflichtig  |entlassen
               |       |          |pflichtig |           |
               |       |       |  |       |  |       |   |       |
               |       |absolut|% |absolut|% |absolut| % |absolut| %
---------------+-------+-------+--+-------+--+-------+---+-------+--
Oppeln         |    -- |  1057 |--|   765 |35|   886 | 41|   509 |24
Magdeburg      |  2680 |  1858 |70|  1283 |31|  1878 | 45|   996 |24
Minden         |  1120 |   701 |63|   703 |46|   804 | 54|    -- |--
               |       |       |  |`------v-------------´|       |
Aachen         |  2412 |  1576 |65|  2859 |82|       |   |   643 |18
Sigmaringen    |    56 |    29 |52|    37 |55|    21 | 31|     9 |14
Anhalt         |    -- |   805 |--|   511 |28|   742 | 41|   577 |31
Bremen         |   541 |   411 |76|   428 |41|   628 | 59|    -- |--
Württemberg III|   175 |   147 |84|   154 |47|    77 | 23|    97 |30
               |       |       |  |`---------------v---------------´
Darmstadt      |   848 |   522 |62|       |  |  1513 |   |       |
Offenbach      |   843 |   568 |67|    -- |--|    -- | --|    -- |--
Gießen         |   510 |   420 |82|   318 |32|   352 | 35|   328 |33
Oberbayern     |   641 |   347 |54|  1231 |54|   844 | 37|   188 | 9
               |       |       |  |`----------------v--------------´
Niederbayern   |   329 |   232 |74|       |  |   690 |   |       |
               |       |       |  |`----------------v--------------´
Pfalz          |  1978 |  1348 |70|       |  |  3208 |   |       |
Oberpfalz      |   213 |   165 |77|   143 |37|   154 | 39|    93 |24
               |       |       |  |`----------------v--------------´
Unterpfalz     |   388 |   272 |70|       |  |   578 |   |       |
               |       |       |  |`----------------v--------------´
Zittau         |  4494 |  2523 |56|       |  |  4484 |   |       |

Aus der umstehenden Tabelle geht hervor, daß 65 % aller Frauen Kinder
haben; auf 100 Frauen kommen im ganzen 231 Kinder, darunter 90 Kinder
unter 6 Jahren, 108 Kinder unter 14 Jahren, im allgemeinen 201 Kinder,
die noch nicht der Schule entwachsen sind. Legen wir denselben Maßstab
an sämtliche verheiratete Arbeiterinnen an, wie die deutsche
Berufszählung von 1895 sie zählte, so haben 149067 Frauen, d.h. 65 %
aller verheirateten Arbeiterinnen, 334345 Kinder, von denen 299625 noch
zu Hause sind. Diese Zahl ist aber noch viel zu niedrig gegriffen, weil
die ledigen Mütter und deren Kinder nicht mit eingerechnet sind. Es
dürfte wohl kaum übertrieben sein, wenn wir sagen, daß etwa eine halbe
Million Kinder unter 14 Jahren in Deutschland Arbeiterinnen zu Müttern
haben, also so gut wie mutterlos aufwachsen. Diese Mutterlosigkeit
beginnt schon in der allerersten Lebenszeit der Säuglinge: Kaum vier
Wochen nach der Geburt muß die Mutter wieder zur Arbeit zurück, ja wo
die Not groß ist, versucht sie noch viel früher etwas zu verdienen,
indem sie, solange die Thore der Fabrik ihr noch verschlossen sind,
durch Waschen, Nähen oder Reinemachen das Nötigste zum Leben zu schaffen
versucht. Die Nahrung, die eine gütige Natur dem mütterlichen Weibe für
das hilflose kleine Wesen mit auf den Weg gab, versiegt fast ungenutzt;
noch häufiger wohl hat die Ueberanstrengung und schlechte Ernährung
während der Entwicklungsjahre des Mädchens und während der
Schwangerschaft sie gar nicht in Erscheinung treten lassen. Statt dessen
wurde im Mutterleibe schon das Kind vergiftet; man hat im Fruchtwasser,
wie im Fötus all diejenigen Gifte gefunden, die durch die Lunge und
durch die Poren in den Körper der Arbeiterin eindringen: Blei,
Quecksilber, Phosphor, Jod, Anilin und Nikotin; häufig schädigen sie
sogar die Frucht mehr als die Mutter[564], und für die Erblichkeit der
Tuberkulose, jener eigentlichen Proletarierkrankheit, spricht deutlicher
als das Urteil medizinischer Autoritäten ein Blick auf die Kinder in den
Proletariervierteln.

Eine erschreckend hohe Sterblichkeit, besonders der Säuglinge, ist die
Folge der ursprünglichen Infizierung und der Entziehung der Muttermilch.
Nur sieben von tausend mit Muttermilch genährten Kindern pflegen im
ersten Lebensjahr zu sterben, von 1000 mit Tiermilch und Milchsurrogaten
genährten dagegen 125, und zu ihnen gehören die meisten Arbeiterkinder.
Nur 8 % der Kinder der höheren Stände sterben im ersten Lebensjahr, für
die Kinder des Proletariats steigt die Sterbeziffer bis auf 30 %[565] Im
reichsten Wiener Stadtviertel kommt ein Todesfall im ersten Lebensjahr
auf 870 Bewohner, im Arbeiterviertel dagegen schon auf 71. Im
wohlhabenden Viertel der Berliner Friedrichstadt starben von 1000
Säuglingen 148, im armen des Wedding 346.[566] In den Fabrikbezirken am
Niederrhein starb die Hälfte der Arbeiterkinder im ersten
Lebensjahr[567]; die verheirateten Fabrikarbeiterinnen von Massachusetts
verloren 23 % ihrer Kinder im gleichen Alter.[568] Wie sehr die
Säuglingssterblichkeit mit der Zunahme der Frauenarbeit im Zusammenhang
steht, geht aus seinem Wachstum in den Industriezentren hervor. In
Berlin ist sie während eines vierjährigen Zeitraumes fast um das
Doppelte[569], in Plauen von 33 % im Jahre 1800 auf 43 % im Jahre 1899
gestiegen.[570] Die Beschäftigungsarten der Mütter sind dabei von
größtem Einfluß In Bezirken der englischen Textilindustrie starben von
100 22, in denen der deutschen 38 Säuglinge im ersten Lebensjahr.[571]
Von 100 Kindern der Berliner Papierwarenindustrie starben nicht weniger
als 48 im Säuglingsalter.[572] Der höchste Prozentsatz der
Säuglingssterblichkeit findet sich aber unter den Kindern der
Quecksilber- und Tabakarbeiterinnen: 65 von 100 lebend Geborenen sind
dem Tode verfallen[573], noch viel mehr erblicken gar nicht das Licht
der Welt. Es ist eine alte Erfahrung, daß Frauen, welche Kinder haben
wollen und sich schwanger fühlen, die Tabakfabrik verlassen, während
schwangere Mädchen darin Arbeit suchen, weil nur selten Kinder von
Tabakarbeiterinnen lebend zur Welt kommen. Und wenn sie leben, sind sie
meist gezeichnet vom ersten Augenblick an, oder sie trinken sich den Tod
aus den Brüsten der Mütter, deren Milch von Nikotin durchsetzt ist.[574]
Dabei beschäftigt die Tabakindustrie nächst der Textilindustrie die
meisten Frauen! Furchtbar sind die Opfer des Quecksilbers; selten kommen
Kinder lebendig zur Welt. So war ein Fürther Spiegelbeleger dreimal mit
Arbeitsgenossinnen verheiratet, von allen hatte er Kinder, kein einziges
lebte und auch die Mütter starben sämtlich an der Auszehrung.[575] In
einem anderen Fall hatte eine Arbeiterin bei zehn Schwangerschaften acht
Fehlgeburten, eine Totgeburt und nur ein lebendes Kind, das nach fünf
Monaten starb. Aehnlich vernichtend wirkt z.B. das Gas, wie in
Plättereien, Glasbläsereien u.s.w., auf das keimende Leben. Wo es nicht
geschieht, wächst ein skrophulöses, rachitisches, schwachsinniges Kind
heran.[576] So werden dem Moloch des Kapitalismus Hekatomben
unschuldiger Kinder geopfert! Wachsen sie gesund auf, so werden die
Gefahren, die sie bedrohen, nicht geringer. Die Straße ist ihr
Spielplatz, ihre Erziehungsanstalt; daß sie, besonders in den
Großstädten, keinen günstigen Einfluß übt, daß der physische und
moralische Schmutz, den sie vielfach ausströmt, an den Kindern hängen
bleiben kann, bedarf keines Beweises. Die arme Mutter ist diesen
Gefahren gegenüber nicht blind. Sie möchte ihre Kinder davor behüten und
kommt oft auf die seltsamsten Auskunftsmittel: sie schließt die Kinder
bis zu ihrer Rückkehr im Zimmer ein, sie bindet sie im Bettchen fest,
sie wird grausam aus lauter ängstlicher, vorsorglicher Liebe. Und dann
kommt es zu jenen schrecklichen Unglücksfällen, von denen die Zeitungen
so häufig berichten, und denen gegenüber der behäbige Bürger nicht genug
über die "Roheit" der proletarischen Mütter zetern kann. Die armen
Kleinen kommen dem Ofen zu nahe und verbrennen, sie greifen in das
Waschfaß, verlieren das Gleichgewicht und ertrinken, sie klettern zum
Fenster, um doch wenigstens durch das Hinausschauen die Langeweile zu
vertreiben--Spielzeug, das sie beschäftigen könnte, haben sie ja
nicht--und stürzen kopfüber auf den Hof, sie verwickeln sich im Bettchen
und die Mutter findet, heimkehrend, ihr Jüngstes erstickt unter dem
Kissen.

Neben all diesen äußeren und inneren Gefahren, die die Kinder der
Proletarierin umdrohen, wenn die Mutter fern ist, giebt es aber noch
andere, denen sie unterworfen sind, wenn die Mutter heimkehrt. Sie hat
auch dann keine Zeit für ihre Kinder. Einen erzieherischen Einfluß auf
sie kann sie nur in oberflächlichster Weise ausüben. Sie hat keine Ruhe,
um ihre Wesen zu beobachten, sie ist geistig infolge all der
unausgesetzten Arbeit zu stumpf geworden, um den kindlichen Geist durch
den ihren zu befruchten. Verlassen die Kinder ihr Haus, so hat sie
ihnen meist nichts, was ihr inneres Leben erfüllen und begeistern
könnte, mit auf den Weg zu geben. Sie war schon eine gute Mutter, wenn
sie sie rein und ordentlich hielt, ihnen ausreichend zu essen gab und
sie nicht betteln schickte. Aber eine Freundin der heranwachsenden
Kinder hat sie nur in seltenen Fällen zu werden vermocht. Und doch
beruht gerade auf dem geistigen und sittlichen Einfluß der Mutter ein
gut Teil der Entwicklung der jungen Generation. Den Samen, den sie in
Herz und Geist der Kinder streut, kann kein Lebenssturm völlig verwehen,
aus ihm wächst häufig der starke Baum empor, der dem erwachsenen
Menschen den einzigen Schutz gewährt. So wird die Ueberlastung der
Mutter zum Fluch für die Kinder und für die Gesellschaft, deren Glieder
sie sind, deren gute und schlechte Entwicklung mit von ihnen abhängt.

Aber auch der Mann hat unter der Erwerbsarbeit seines Weibes zu leiden:
sie hat auch für ihn keine Zeit. Die kurzen Stunden, die sie daheim
verbringt, muß sie der Haushaltung und den Kindern widmen. Ist die
Arbeit gethan, so sinkt sie müde aufs Bett, unfähig, an anderen Dingen
teil zu nehmen als an den täglichen, sie umdrängenden Sorgen. So wird
sie oft dem Manne fremd und fremder, sie versteht seine Interessen nicht
und sie bekämpft sie, sobald sie auch nur ein paar Groschen kosten.
Gelangweilt, verärgert, von der unordentlichen Wirtschaft und dem
schlechten Essen angewidert, sucht so mancher seine Zuflucht mehr und
mehr in der Kneipe und im Alkoholgenuß.

Für die Frau persönlich bedeutet die Ueberlastung mit Arbeit den
körperlichen und geistigen Ruin. Nicht nur, daß sie unnatürlich früh
altert--seht doch die Arbeiterinnen an, wie oft sind sie mit vierzig
Jahren schon alte Frauen!--sie verliert auch jede Widerstandskraft gegen
Krankheit und drohende Gebrechen. Sie kann sich keine Ruhe gönnen, auch
wenn sie der Ruhe bedürftig ist, darum stellen sich Leiden aller Art bei
ihr ein, die entweder ihr ganzes Leben vergiften, sie arbeitsunfähig
machen oder einem frühen Tode entgegenführen.

So hart wie ihren Körper trifft die Ueberlastung ihren Geist. Ihm, dem
schon die Volksschule nur die allernotdürftigste Nahrung zuführte,
vermag sie noch weniger zu bieten; wohl lechzt auch sie nach der Quelle
des Wissens, wohl steigert sich ihr Durst, je mehr sie, gezwungen durch
die Arbeitsbedingungen, unter denen sie leidet, Interesse gewinnt an den
Fragen des öffentlichen Lebens, sie hat aber keine Zeit dazu, sich satt
zu trinken.

Je mehr die Frau in die Großindustrie eindringt, desto mehr werden sich
all die Konflikte und all die Leiden zuspitzen und vergrößern, die wir
geschildert haben.

Je mehr aber auch die Industrie sich auf Frauenarbeit stützen wird,
desto mehr werden zwei Momente hervortreten, die beide auf dem Wege der
Emanzipation des Weibes liegen: die lohndrückende und die
arbeitszeitverkürzende Tendenz ihrer Arbeit. Unter Lohndrückung verstehe
ich hier die Hemmung einer Lohnsteigerung, die sich voraussichtlich
entwickeln würde, wenn der Mann der alleinige Ernährer der Familie
bliebe. Je weniger er das ist und zu sein braucht, desto näher rückt das
weibliche Geschlecht jenem Grundprinzip seiner Befreiung, der
ökonomischen Selbständigkeit. Daß tiefgehende Umwandlungen sowohl des
Familien- und häuslichen, als des öffentlichen Lebens damit in
Verbindung stehen werden, beweist nur nochmals, welche revolutionierende
Macht der Frauenerwerbsarbeit innewohnt. Sie zeigt sich auch auf dem
Gebiete der Arbeitsregelung und des Arbeiterschutzes. Der Arbeiterschutz
war in erster Linie ein Frauen- und Kinderschutz, die Regelung der
Arbeitszeit bezieht sich noch heute fast nur auf die Frauen. Dabei zeigt
sich aber, daß sie notwendig auch die Regelung der männlichen
Arbeitszeit nach sich ziehen muß. In allen Industrien, wo Männer und
Frauen beschäftigt werden, regelt sich schon jetzt die männliche
Arbeitszeit nach der der Frauen, weil anderenfalls Betriebsstörungen
eintreten würden. Eine weitere Herabsetzung der Arbeitszeit Wird
zunächst für die Frauen, auf Grund der Erkenntnis der geradezu
völkermordenden Folgen der Ueberanstrengung, eintreten müssen und wieder
auf die Männer zurückwirken. Die Mehreinstellung von Arbeitern wird sich
dann als notwendig erweisen, da es aber an männlichen Arbeitskräften
mangelt, wird Platz geschaffen für die in immer stärkerem Maße
arbeitsuchenden Frauen. Und ganz allmählich wird die befreiende Macht
der Arbeit auch an ihnen zur Geltung kommen. Die ersten Zeichen davon
treten heute schon hervor: es entwickelt sich gerade aus der
Arbeiterschaft heraus ein Geschlecht thatkräftiger, geistig und
materiell selbständiger Frauen, die beginnen, über den engen Kreis ihrer
Interessen hinauszuwachsen, die jene Konflikte spüren, die bisher fast
nur zu stumpfer Resignation geführt haben, und an ihrer Lösung
mitzuarbeiten versuchen. Denn die Erkenntnis der eigenen Lage ist das
erste Mittel, sich aus ihr zu befreien.


Hausindustrie und Heimarbeit

Wer die Lage der Proletarierin in ihrer Gesamtheit überblickt, der sieht
nichts als eine gleichmäßige graue Oede: Arbeit und Not,--Not und
Arbeit. Die Unterschiede, die zu Tage treten, sind nichts als
Variationen desselben Themas. Was für die Arbeiterin in der
Großindustrie gilt, das gilt ebenso für die in der Hausindustrie, im
Handel oder im persönlichen Dienst Beschäftigte. Es kann daher für uns
nur noch darauf ankommen, neue mit ihrem Beruf in Verbindung stehende
Seiten ihrer Lage, oder noch unerreichte Tiefen ihres Elends
aufzudecken, ohne das Allgemeingültige nochmals zu wiederholen. Die
Hausindustrie ist allzu reich an Zügen, die uns zwar in der
Großindustrie schon begegneten, dort aber gewissermaßen nur die ersten
Sorgenfalten des Antlitzes waren, während sie hier jenen tiefen Furchen
gleichen, die ein Leben voll Qual den Gesichtern armer, alter Leute
unauslöschlich eingeprägt hat. Alles ist hier ins Ungeheuerliche
vergröbert und vergrößert: die Niedrigkeit der Löhne, die schlechten
Wohnungen und Arbeitsstätten und ihre physischen und moralischen
Folgeerscheinungen. Das gilt für beide Organisationsformen der
Hausindustrie--die Heimarbeit und die Werkstattarbeit--und in höchstem
Maße für diejenige Werkstattarbeit, die unter der Bezeichnung "Sweating
System" sich einer traurigen Berühmtheit erfreut. Einzelbilder aus
denjenigen Zweigen der Hausindustrie, in denen die weibliche Arbeit eine
bedeutende Rolle spielt, werden das Gesagte am besten erhärten.

Betrachten wir zunächst die Textilindustrie, deren hausindustrieller
Betrieb auf dem Aussterbeetat steht und einen verzweifelten Kampf um
seine Existenz zu kämpfen hat, der um so härter ist, als die Schwächsten
ihn auszufechten haben.

Viele Menschen, die vor Gerhart Hauptmanns Webern von Mitleid und
Grauen zerfließen, gehen eine Stunde später mit dem beruhigten
Gefühl nach Hause, daß alles, was sie hörten und sahen, einer
längstverflossenen Zeit angehört. Thatsächlich aber sahen sie ein
Spiegelbild des Elends von heute. Die böhmischen Weber z.B. wohnen in
ihrer übergroßen Mehrzahl in Hütten, in deren oft einzigem Raum neben
dem Webstuhl der Herd und die Lagerstätten der Familie sich befinden.
Hier wird geschlafen, gekocht, gewaschen und gearbeitet; zwischen den
verwahrlosten Kindern treiben sich im Winter auch noch Hühner und Ziegen
herum. Eine dicke, feuchtwarme Luft schlägt dem Eintretenden daraus
entgegen, zu ihrer Erhaltung bleiben auch im Sommer die Fenster
geschlossen. Der üble Geruch beim Schlichten, wobei zersetzungsfähige
und giftige Stoffe zur Verwendung kommen, vermischt sich mit dem Dunst
der Petroleumlampen, dem Kohlenoxydgas der schlechten Oefen, dem Staub
des Webens. Dabei ist an gründliche Reinigung kaum je zu denken,--denn
die ganze Familie ist zu fieberhafter Arbeit gezwungen,--Küchenabfall,
schmutzige Wäsche und dergl. mehr verpesten den Raum bis aufs äußerste.
Oft steht der Webstuhl Tag und Nacht nicht still, da Mann und Frau sich
daran ablösen; eine vierzehn-, sechzehn- und achtzehnstündige
Arbeitszeit gehört nicht zu den Seltenheiten.[577] Vom sechsjährigen
Kinde an bis zum Greise ringt ein jedes in unablässigem Mühen um sein
Stück Brot.[578] Zeiten der Arbeitslosigkeit bedeuten Hunger; überfallen
Schneeverwehungen die im Gebirge wohnenden Weber, die dadurch oft auf
Monate vom Arbeitgeber abgeschnitten sind so nimmt der Hungertod in
erschreckender Weise zu.[579]

Zu dieser Ueberanstrengung auf der einen und der Schwierigkeit des
Betriebs auf der anderen Seite stehen die Löhne in schreiendem
Mißverhältnis. Das Weben feiner Leinengewebe, z.B. der
Damast-Tischgedecke, die sich vorläufig von der Maschine nicht in
derselben Güte herstellen lassen, bringt noch am meisten ein, und doch
verdient ein Arbeiter bei größter Ausnutzung seiner Kräfte selten mehr
als 7 fl. die Woche[580] ein Shawlweber kann es bis auf 10 fl. bringen,
wenn er von früh vier Uhr bis abends zehn Uhr zu arbeiten im stande
ist.[581] Der häufigste Jahresverdienst böhmischer Weberfamilien
schwankt zwischen 120 und 150 Gulden, wovon oft sieben bis acht Personen
erhalten werden müssen![582] Eine achtgliedrige Familie, die sich in der
besonders günstigen Lage befand, über eine Jahreseinnahme von 350 fl. zu
verfügen, gab täglich für Nahrung pro Person ganze zehn Kreuzer aus; für
alle übrigen Ausgaben blieben 70 fl. übrig. Eine Witwe mit nicht weniger
als zehn Kindern konnte nicht mehr als 200 fl. im Jahr trotz allem Fleiß
aufbringen[583], d.h. diese elf Personen mußten mit fünfundfünfzig
Kreuzern täglich ihre sämtlichen Bedürfnisse befriedigen! Ein Arbeiter,
der mit Frau und Kindern sogenannte Putzel-Leinwand herstellte,
verdiente 1,48 fl. die Woche; ein anderer, der leichte Baumwollwaren
unter Mithilfe seiner Familie webte, kam bei zwölfstündiger Arbeitszeit
aller auf 1,20 fl.[584] Unter den alleinarbeitenden Frauen sind die
Seidenwinderinnen die bestgestellten, denn sie erreichen den hohen Lohn
von--2 fl. wöchentlich.[585] Die Spulerinnen der Baumwollunterketten für
Plüschgewebe dagegen,--meist lebensmüde Greisinnen mit zitternden Händen
und gekrümmten Rücken,--kommen bei großem Fleiß auf 1,10 fl. die
Woche[586], und die Weberinnen der Rohfutterstoffe, die noch vor
fünfzehn Jahren für 22 Meter 80 kr. bekamen, kommen heute bei 45 Meter
auf 75 kr., wobei häufig vier volle Arbeitstage darauf gehen.[587] Wie
es bei solchen Löhnen mit der Ernährung der Bevölkerung
aussieht,--allein im Königgrätzer Bezirk wurden 30000-40000 Heimweber
gezählt[588],--bedarf keiner näheren Beschreibung. Es ist dabei oft noch
ein besonderes Glück, wenn der Weber überhaupt seinen Lohn zu sehen
bekommt. Viele Faktoren, die die Vermittlung zwischen dem Verleger, dem
eigentlichen Unternehmer, und dem Heimarbeiter in Händen haben,
beschäftigen nur solche Weber, die von vornherein auf den Geldlohn
verzichten und sich durch Waren aus ihren Kramläden entschädigen lassen.
Manche arme Mutter, deren Kinder nach Brot schreien, kommt infolgedessen
mit irgend einem wertlosen Stück Stoff, einem Tuch od. dergl. nach
Hause. Ist der Faktor Gastwirt, so verführt er den Weber, Branntwein
statt Lohn zu nehmen[589], was den vollständigen Ruin der unglücklichen
Familien herbeiführt. Aber das ist noch nicht alles: wird der Lohn
gezahlt, so sucht ihn der Faktor durch willkürliche Schadenersatz- oder
Strafgelder oft bis zur Hälfte hinabzudrücken[590] und der in seiner
Vereinzelung wehrlose Arbeiter, der das Gespenst der Arbeitslosigkeit
vor Augen sieht, fügt sich stumm darein. Ja, er entschließt sich sogar,
den Faktor mit Produkten seiner armseligen Landwirtschaft zu bestechen,
um der Arbeit sicher zu sein.[591]

Gegenüber solchen Zuständen kann man sich nicht einmal damit trösten,
daß sie sich etwa auf den einen Landstrich beschränken, denn sie
herrschen überall, wo die motorisch getriebene Maschine im Großbetrieb
noch nicht hat Einzug halten können. In Belgien z.B., wo die mechanische
Spinnerei und Weberei die Hausindustrie fast ganz aufgesogen hat[592],
mußte sie ihr doch bisher noch die Weberei der Leinendamaste, wie der
feinen Battiste überlassen.[593] Seltsam genug: die Luxusartikel der
Reichsten werden in den elendesten Höhlen des Jammers von den Händen der
Ärmsten hergestellt! Die Battistweber und Weberinnen arbeiten meist in
feuchtdunklen Kellern, um die feinen Fäden am Brechen zu
verhindern.[594] Sie erblinden infolgedessen häufig und ihre Glieder
krümmen sich unter rheumatischen und gichtischen Schmerzen. Wie in
Böhmen haust die ganze Familie des Webers in seinem Arbeitszimmer, wie
dort ist der Lohn ein kläglicher. Die geschickteste Weberin feiner
Leinwand verdient im günstigsten Fall bei ausgedehntester Arbeitszeit
1,80 fr. täglich, während Wochenlöhne von 3 fr. gar nicht selten
sind.[595] Ein trauriges Bild, das sich den geschilderten würdig
anreiht, bietet die Seiden-Hausindustrie Frankreichs. Schon die Zucht
der Seidenraupen in den Privathäusern, die hauptsächlich in den Händen
der Frauen liegt, ist im höchsten Grade widerlich: jeder Winkel der
Wohnung wird dafür ausgenutzt, Massen von welken Blättern, toten Raupen
und ihren Exkrementen bedecken den Boden und verbreiten ekelhafte
Gerüche; mitten darin wohnt, schläft und kocht die ganze Familie.[596]
In den Heimen der Hasplerinnen sieht es wenig anders aus; hier ist die
Ausdünstung des heißen, klebrigen Wassers, in das sie bei der Arbeit
unaufhörlich die Hände tauchen müssen, atembeklemmend. Die Lyoner
Seidenweber, von denen die Hälfte weiblichen Geschlechts sind, haben es
nicht besser. Dabei belaufen sich ihre Jahreseinnahmen, je nach der
Länge ihrer Arbeitszeit und Schwierigkeit ihrer Arbeit, auf 382 bis 882
fr.[597] Eine der besten Lyoner Hausweberinnen, die ein siebenjähriges
Kind zu versorgen hatte und 907,70 fr. im Jahr einnahm, stellte
folgendes Budget auf:[598]

Wohnung                  130,00 fr.
Nahrung                  653,35 fr.
Heizung                   34,80 fr.
Kleidung                  63,80 fr.
-----------------------------------
             Im ganzen:  918,45 fr.

Trotzdem sie für Nahrung täglich nur 1,80 fr. rechnete, und die Kleidung
für das Kind durch ihren Bruder beschafft wurde, muß das Defizit ein
bedeutend höheres sein, als sie angab, weil sie weder für Krankheit,
noch für Erholung und Nebenausgaben etwas ansetzte. Wohlthätigkeit oder
Prostitution sind die einzigen Mittel, um es wett zu machen; die
Arbeiterin, die sich aufreibt von früh bis spät, hat dafür nicht einmal
die Genugthuung, durch eigne Kraft sich und ihr Kind erhalten zu
können,--sie muß betteln gehen oder sich verkaufen!

Fast an jedem Stück unserer Kleidung und unseres Hausrats kleben der
Schweiß und die Thränen unglücklicher Frauen. Für elegante Brustbesätze
von Hemden, die den gepflegten Körper reicher Damen umhüllen und für die
sie selbst drei bis fünf Gulden zahlen müssen, empfängt die Stickerin
des Erzgebirges nur sechzehn bis achtzehn Kreuzer, für kunstvoll
gestickte Bettdecken, die ihr weiches Lager umhüllen, und bei einer
täglichen Arbeitszeit von zwölf bis fünfzehn Stunden fünf Wochen zur
Fertigstellung erfordern, empfängt die Arbeiterin ganze--fünf
Gulden![599] Die gestickten Röckchen und Häubchen, die die zarten
Glieder glücklicher Kinder wärmen, bringen den böhmischen Strickerinnen
zwanzig Kreuzer den Tag.[600] Ob wohl die Heldinnen großstädtischer
Feste, deren von Füttern und Perlen glitzerndes Kleid sie wie eine
Schlangenhaut umgiebt, jener vogesischen Stickerinnen gedenken, die in
zwölf- und vierzehnstündiger Arbeitszeit mit Hilfe ihrer eignen, oder
zur Arbeit angenommenen Kinder diese verführerischen Gewänder
herstellen, und bestenfalls eine Mark pro Tag daran verdienen?![601]
Auch die goldgestickten Uniformen der Männer können vom Elend derer, die
sie schufen, erzählen. Eine fleißige französische Goldstickerin mit
einem dreijährigen Kind hatte eine Jahreseinnahme von 529,50 fr. und
eine Ausgabe für die notwendigsten Bedürfnisse von 707,90 fr. Das
Defizit erschreckte sie aber nicht mehr: "Ich habe glücklicherweise
jemanden, der das deckt."[602] Eine ihrer Kolleginnen in Paris verdiente
wöchentlich bei elfstündiger Arbeitszeit 11,50 fr., womit sie kaum ihre
Ernährung beschaffen konnte; "sie hat einen Liebhaber, Gott sei Dank,"
sagte ihre Nachbarin auf eine mitleidige Frage.[603] Dabei bietet diese
ganze Industrie gar keine Aussicht auf eine Aufbesserung der Löhne, denn
die Maschine dringt unaufhaltsam vor. In Plauen z.B., wo eine
Handstickerin im Jahre 1871 noch 34 Mk. wöchentlich verdiente, stand sie
sich zehn Jahre später bereits auf 17 bis höchstens 23 Mk.[604]

Auch der Spitzenhausindustrie ist die Maschine ein grimmiger Feind. Nach
Hunderttausenden schätzte Leroy-Beaulieu noch vor dreißig Jahren die
französischen Spitzenarbeiterinnen.[605] Ihre Zahl ist heute sehr
zusammengeschrumpft. Eine blühende Industrie war einst die böhmische
Spitzenklöppelei, heute vermag sie die wenigen Getreuen nicht zu
ernähren. Sechzehn bis achtzehn Stunden muß die Klöpplerin über dem
Kissen gebückt arbeiten, wenn sie einen Jahresverdienst von 30--sage und
schreibe dreißig!--bis höchstens 100 Gulden erreichen will. Fünfjährige
Kinder müssen schon acht Stunden täglich neben der Mutter sitzen und
klöppeln, um drei bis zwölf Kreuzer zu verdienen. Ein elendes Geschlecht
wächst unter solchen Umständen heran, tuberkulös und skrophulös,
physisch und geistig herabgekommen.[606] Im klassischen Lande der
Spitzenproduktion, in Belgien, sieht es nicht anders aus. Vom sechsten
Jahre an sitzen die Arbeiterinnen zwölf Stunden täglich in feuchter
Kellerluft mit der Aussicht 150 bis 200 fr. im Jahre zu verdienen.[607]
Bei einer jährlichen Spitzenproduktion im Wert von ca. 50 Millionen
Mark, stehen sich die Arbeiterinnen durchschnittlich auf 52 bis 53 c.
täglich.[608] Jahreseinnahmen von 154 bis 341 fr. wurden bei vier Lyoner
Spitzennäherinnen ermittelt, und zwar erreichten sie diesen Satz nur
dann, wenn bei täglicher zwölfstündiger Arbeitszeit im Laufe des Jahres
keine Arbeitsunterbrechung stattfindet. Dasselbe gilt für die
Schleierarbeiterinnen, die dabei noch schlimmer daran sind, weil sie
keine differenzierte Arbeit haben, wie die Spitzennäherinnen; alle Tage,
zwölf Stunden lang, das ganze Jahr hindurch, setzen sie Chenilletupfen
auf das feine Gewebe.[609] Zehrende Krankheiten sind das Gefolge der
Spitzenarbeit. Noch schärfer als in der Fabrik wirkt das Blei, das zur
Appretur angewendet wird, auf die Arbeiterinnen; fast alle weisen
Zeichen der Vergiftung auf, neben rasch abnehmender Sehkraft.[610] Auch
hier ist die Lage völlig hoffnungslos; die Maschine und die massenhafte
Konkurrenz der Frauen untereinander sind die Ursachen.

Ein Trost ist es vielleicht, sich sagen zu können, daß die
Textilhausindustrie auf dem Aussterbeetat steht und die Zustände, die
sie zeitigt, mit ihr verschwinden werden. Dies Sterben ist aber leider
nicht nur ein außerordentlich langsames, dieselben Verhältnisse finden
sich vielmehr auch bei anderen Hausindustrien, die gleichfalls nicht
leben und nicht sterben können. Sehen wir z.B. jene englischen
Heimarbeiter an, die Zündholzschachteln machen: im engen Zimmer arbeitet
eine Mutter mit ihren Kindern bis zu den kleinsten herab; der ganze,
auch im Sommer geheizte Raum ist erfüllt mit trocknenden Schachteln,
Geruch von schlechtem Leim erfüllt die Luft, und 7 sh. wöchentlich ist
die höchste zu erzielende Einnahme.[611] Oder betrachten wir jene in den
Dörfern und Flecken Böhmens verstreuten Glasarbeiter-Familien, deren
Frauen die schwersten und gesundheitsschädlichsten Arbeiten obliegen;
stundenweit, bei jedem Wetter, auf unwegsamen Bergpfaden müssen sie die
schweren Lastkörbe schleppen, um Waren abzuliefern und Material zu
holen[612], oder sie sind mit der Glasmalerei beschäftigt und infolge
der bleihaltigen Farben Vergiftungserkrankungen ausgesetzt.[613] Blaß
und hohläugig wie sie, sind die Glasperlenarbeiterinnen Thüringens. Um
den Perlen jenen beliebten perlmutterartigen Glanz zu geben, blasen die
Mädchen eine übelriechende, oft giftige Substanzen enthaltende Gallerte
von Fischschuppen und Gelatine hinein. Sie werden zwar magen- und
augenkrank, aber sie erreichen auch den fabelhaften Lohn von 50 bis 75
Pf. täglich![614] Noch elender daran sind die belgischen
Strohflechterinnen, die täglich 47 bis 57 c. verdienen, und dabei
vollständig in den Händen des Faktors sind, der sie am liebsten mit
Waren entlohnt.[615]

Selbst angenommen, diese Arten der Hausindustrie gingen, ohne Anstoß von
außen, ihrem natürlichen Verfall entgegen, so wäre damit die
Hausindustrie an sich nicht aus der Welt geschafft. Denn wie sie
einerseits durch die Großindustrie erdrückt wird,--ein Prozeß, der in
der Textilhausindustrie am deutlichsten zum Ausdruck kommt,--so werden
ihr andrerseits durch sie neue Gebiete eröffnet, auf denen eine fast
grenzenlose Ausbreitungsmöglichkeit gegeben ist. Diese Dezentralisation
des Großbetriebs tritt in der Tabakindustrie besonders scharf hervor;
hier ist die Heimarbeit überall in starkem Zunehmen begriffen[616],
obwohl deren Schäden zum Teil ganz ungeheuerliche sind. Die Kinderarbeit
spielt hier eine solche Rolle, daß, wo eigene Kinder fehlen, fremde,
sogenannte Kaufkinder angenommen werden.[617] Es kommen Räume von kaum
zwei Meter Höhe vor, in denen Frauen mit fünf bis acht Kindern den
ganzen Tag Cigarren machen; in Küchen und Schlafkammern wird der zum
Entrippen angefeuchtete Rohtabak getrocknet, so daß der Tabakdunst nicht
mehr zu vertreiben ist und dauernd eingeatmet wird.[618] Welche Folgen
die Nikotinvergiftung nach sich zieht, haben wir schon erfahren. Dabei
verdient eine ganze, aus Mann, Frau und Kindern bestehende hart
arbeitende Familie 12 bis 20 Mk. die Woche, während eine alleinstehende
Frau mit einem Kind auf 6 bis höchstens 10 Mk. rechnen kann.[619] Welche
Gefahren die hausindustrielle Herstellung von Cigarren auch für die
Konsumenten mit sich bringt, dafür nur ein Beispiel: In New-York fand
ein Sanitätsinspektor eine Familie, die in derselben engen Kammer
Cigarren herstellte, in der zwei Kinder an Diphtheritis schwer krank
danieder lagen.[620]

Eine dezentralisierende Tendenz hat auch die Spielwarenindustrie, die
von alters her eines der traurigsten Kapitel der Hausindustrie bildet
und weiter bilden wird, weil der Großbetrieb sich besonders für billiges
Spielzeug als weniger gewinnbringend erweist, als die Heimarbeit. In
ihrer deutschen Hauptzentrale, in Sonneberg, fand Sax die furchtbarsten
Lohn- und Wohnungsverhältnisse. Typisch war eine Behausung, die aus
Küche und Kammer bestand. Die Küche, zugleich Wohn- und Arbeitsraum,
wurde dauernd geheizt, damit die ringsum aufgeschichteten Sachen,
Puppenköpfe und dergleichen, schneller trocknen; die kaum ventilierbare
Kammer war durch zwei bis drei Betten ganz ausgefüllt, in denen oft
zwei- bis dreimal so viel Menschen schliefen. Die Beköstigung bestand
neben Kartoffeln aus Wurstsuppe, d.h. dem Wasser, in dem der Fleischer
Würste gekocht hat, und Schnippeln, den Sehnen, die aus dem Rindfleisch
als unbrauchbar entfernt werden.[621] Diese Ernährung soll dem Körper
Kräfte genug verleihen, um in der Hochsaison eine tägliche Arbeitszeit
von achtzehn bis zwanzig Stunden auszuhalten.[622] Dabei waren die Löhne
so elend,--eine Sonneberger Bossiererfamilie verdiente bei angestrengter
Arbeit eines jeden ihrer Glieder 12 bis 15 Mk. die Woche, mußte sich
aber mit diesem Verdienst auch noch über eine vier- bis sechsmonatliche
Arbeitslosigkeit hinweghelfen[623],--daß die Drechsler sich ihr Holz
stehlen mußten, um nur existieren zu können.[624] Man sage nicht, daß
diese Zustände zwanzig Jahre hinter uns liegen und überwunden sind; denn
heute ist das Elend in der Thüringer Spielwarenindustrie noch viel
größer.[625] Eine Drückerfamilie, die aus Papiermaché Spielzeug
herstellt, arbeitete zu neun Personen in einem einzigen stickigen,
heißen Raum voll Staub und voll trocknender Waren; ein Säugling in der
Wiege lag dabei. Ein Arbeitstisch, eine Bank, ein Stuhl, eine einzige
Schüssel, die zum Waschen und Essen gleichzeitig benutzt wurde, bildeten
die ganze Einrichtung; dem gegenüber hatte der Pfarrer des Orts die
Stirn, zu behaupten, daß alle Leute gut und angenehm wohnen[626]! Die
Löhne sind von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Heute verdient z.B. eine
Arbeiterin an einem Dutzend Puppenkleidchen von 25 bis 30 cm Länge, mit
Aermeln, Schleifen, Spitzen und Knöpfen nicht mehr als 12 bis 20
Pf.[627] Die beliebten Puppentäuflinge liefert der Sonneberger
Hausindustrielle für 95 Pf. das Dutzend, wobei er pro Stück--1 Pf.
verdient! Eine Bossiererfamilie von vier erwachsenen Personen kommt bei
täglicher,--den Sonntag mitgerechnet,--vierzehn-bis fünfzehnstündiger
Arbeitszeit auf 9,50 Mk. pro Woche, das bedeutet eine Einnahme von 34
Pf. täglich für die Person.[628] daß unter solchen Verhältnissen die
Männer sich bemühen, andere Arbeit zu finden, ist begreiflich. Die
Schwächsten, die Frauen, die Greise und die Kinder nehmen sie auf. 81 %
der Schulkinder werden im Bezirk der Meininger Spielwarenindustrie zur
Arbeit herangezogen; sie arbeiten nach den Schulstunden oft bis zehn und
zwölf Uhr nachts, drängt die Arbeit, so wird es auch zwei und drei Uhr,
ehe sie zur Ruhe kommen. Infolgedessen wurde im Winter 1895 konstatiert,
daß im Herzogtum Meiningen 2809 arbeitenden Kindern 3037 arbeitslose
Erwachsene gegenüberstanden.[629] Auch in anderen Zweigen der
Spielwarenindustrie müssen die Mütter nicht nur all ihre Kräfte daran
geben, um einen nennenswerten Verdienst zu erreichen, sie sind auch noch
gezwungen, das Liebste, was sie haben, ihr eigenes Fleisch und Blut, dem
unersättlichen Moloch in den Rachen zu werfen. So liegt die Bemalung der
Zinnsoldaten hauptsächlich in ihren Händen. Sie sitzen beide blaß und
still vor den Farbentöpfen, nur die Hände fieberhaft bewegend; das arme
Kind mit dem alten, müden Zug um Mund und Augen wendet teilnahmlos die
bunten Figürchen in den Händen, es weiß gar nicht, was Spielen heißt.
Hunderte von Nürnberger Zinnmalerinnen fristen so ihr Leben; bei
vierzehn- bis siebzehnstündiger Arbeitszeit erreichen sie einen
wöchentlichen Reinverdienst von höchstens 4,35 Mk.[630] Die Räume, in
denen all dies Spielzeug hergestellt wird, das aus Metall, wie das aus
Holz und Papiermaché, sind mit ihrem Staub, ihrer Hitze, ihrer
verpesteten Luft, wahre Herde der Lungenschwindsucht, deren Keime mit
den Waren in die Familien der ahnungslosen Käufer getragen werden. Eine
unbewußte Rache der Elenden an den Reichen, wenn sie ihnen mit dem
bunten Spielzeug den unheimlichsten Würgeengel der Menschheit ins Haus
schicken!

Wir kommen nunmehr zu jenem großen Arbeitsgebiet, auf dem sich die
Frauen in Scharen zusammendrängen, und das die Näherei in allen ihren
Zweigen umfaßt. Die Art der Arbeit ist hier eine sehr differenzierte.
Wir haben die Werkstattarbeiterin in den Schwitzhöhlen, die
Heimarbeiterin, die für die Konfektions- und Putzgeschäfte arbeitet, die
Schneiderin und die Putzmacherin, die nur von der Privatkundschaft
leben, die Näherin und Ausbesserin, die bei den Kunden selbst näht.
Dabei handelt es sich neben der Herstellung der Wäsche und Kleidung um
die der Hüte, der Handschuhe, der Kravatten. Wie wichtig dies Gebiet für
die Frauenarbeit ist, geht schon daraus hervor, daß allein in
Deutschland zwei Drittel aller hausindustriell thätigen Frauen der
Bekleidungsindustrie angehören. Die Nadel ist eines der urältesten
Attribute in der Hand der Frau; sie ist ihr geblieben als eines jener
wenigen Werkzeuge, die sich ihrer Form und Idee nach im Laufe der
Jahrhunderte kaum verändert haben, und in der Bekleidungsindustrie mehr
als in irgend einer anderen, hat sich bestätigt, was wir schon in Bezug
auf andere Berufsarten ausführten, daß die Frauenarbeit die technische
Entwicklung hemmt. In allen Industrien hat das Maschinenwesen gerade in
der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen enormen Fortschritt
gemacht, nur in der Näherei ist man seit fünfzig Jahren bei denselben
primitiven Instrumenten stehen geblieben, und die Hausindustrie herrscht
nicht nur noch unumschränkt, sie hat sogar die beste Aussicht, den
Fabrikbetrieb auf geraume Zeit hinaus aus dem Felde zu schlagen.

Für die Beleuchtung der Lage der Nadelarbeiterinnen fehlt es zwar nicht
an Material, es hat aber durchweg nur den Wert, den etwa
Momentphotographien aus einem Feldzug für die Beurteilung des ganzen
Krieges haben: Wo der Kampf am heißesten ist, wo die Wunden am
schwersten sind, dahin dringt der Photograph nicht. Meist haben
plötzlich an die Oberfläche tretende Mißstände das Elend der Konfektion
der Oeffentlichkeit vor Augen geführt; Erhebungen, wie die beiden
deutschen im Jahre 1886, veranlaßt durch den Kampf der Arbeiter gegen
den geplanten Nähgarnzoll, und im Jahre 1896, infolge des
Konfektionsarbeiterstreiks, wurden dadurch hervorgerufen. Daneben
gewähren eine ganze Reihe von Einzeluntersuchungen, die der
Privatinitiative zu verdanken sind, Einblick in die Verhältnisse. An
umfassenden, sorgfältig vorbereiteten, besonders die Höhe der
Wochenlöhne und Jahreseinnahmen berücksichtigenden Enqueten fehlt es
jedoch vollständig. Mit der Angabe der Wochenlöhne allein wäre nicht
viel gewonnen, da der Saisoncharakter in keiner Industrie ein so
ausgeprägter ist, als in der der Bekleidung. Meist dauert die Hochsaison
nur fünf Monate, die übrigen sieben bedeuten teils eine stille, teils
eine vollständig tote Zeit für die Arbeiterin. Selbst Wochenlöhne von 15
bis 20 Mk., die außerordentlich selten vorkommen, können demnach oft nur
eine kümmerliche Existenz gewährleisten. In folgender Tabelle habe ich
versucht, einige der festgestellten Wochenlöhne in Verbindung mit den
Jahreseinnahmen der Konfektionsarbeiterinnen zusammenzustellen:

                       | Wochen- | Jahres-
   Art der Arbeit      |  lohn   | ein-
                       |         | kommen
                       |         |
                       |   Mk.   |   Mk.
-----------------------+---------+--------
Kleider- und Mäntel-   |         |
konfektion[631]: Berlin|    8-9  | 160-180
    "            "     |    4-5  |  80-100
Wäschekonfektion:      |         |
  Rheinprovinz         |    5,95 | 314,64
Wäschekonfektion:      |         |
  Erfurt               |    6-7  |  250
Knabenkonfektion:      |         |
  Stettin              |   3-4,80|  250
Knabenkonfektion[632]: |         |
  Berlin               |    3-10 | 280-300
Wäschekonfektion[633]: |         |
  Erfurt               | 2,25 bis|
                       |   4,75  | 167,25
    "                  | 3,45 bis|
                       |   7,20  | 253,95
    "                  | 4,60 bis|
                       |   9,60  | 338,60
Herrenkonfektion:      |         |
  Berlin               |   12,46 |  490
     "                 |    9,70 |  380
     "                 |    6,30 |  250
     "                 |    6,99 |  280
Wäschekonfektion:      |         |
  Berlin               |    9,48 |  470
Knabenkonfektion:      |         |
  Stettin              |    7,50 |  300
Damenkonfektion:       |         |
  Berlin               |     --  |  375
Damenkonfektion:       |         |
  Breslau              |     --  |  250
Damenkonfektion:       |         |
  Erfurt               |     --  |  220
Wäschekonfektion:      |         |
  Berlin               |    5,88 |   --
Damenkonfektion:       |         |
  Berlin               |    7    |  280
Unterrock-             |         |
  konfektion[634]:     |         |
  Berlin               |    7-8  |
Blusenkonfektion:      |         |
  Berlin               | 3,50 bis| 200-311
                       |    4,50 |   --
    "                  |   7-7,50|   --
    "                  |    9    |   --
Kleiderkonfektion[635]:|         |
  Breslau              | 4,50 bis|
                       |    7,50 | 250-300
    "                  |    2-3  | 100-150
Konfektion[636]:       |         |
  Lübbecke             |     --  |  250
     "                 |     --  |  376
Damenkonfektion[637]:  |         |
  Berlin               |    7,42 |  386
    "                  |     --  |  322
    "                  |    5,95 |  309
    "                  |     --  |  393
                       |         |

Betrachten wir diese Tabelle, die in den meisten Fällen Jahreseinnahmen
unter 300 Mk. konstatiert, und bedenken wir, daß eine regelmäßige
wöchentliche Einnahme von 9 Mk. und eine jährliche von 468 Mk. gerade
nur das notdürftigste Leben einer alleinstehenden Arbeiterin zu sichern
vermag, eine großstädtische Arbeiterin sogar unter 600 Mk. nicht
auskommen kann, so brauchen wir ihr nichts hinzuzufügen, um ihre Sprache
beredter zu machen. Dabei erreicht die Arbeiterin diese Hungerlöhne nur
mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft. In der Saison sind Arbeitszeiten von
vierzehn bis achtzehn Stunden keine Seltenheit. So arbeiten die
Stepperinnen in den Berliner Zwischenmeisterwerkstätten oft bis elf
Uhr nachts und länger;[638] Nürnberger Näherinnen, die acht bis neun
Mark verdienen, müssen dafür fünfzehn bis sechzehn Stunden hinter der
Maschine sitzen.[639] In den Werkstätten beträgt die Arbeitszeit selten
weniger als zwölf bis dreizehn Stunden, sehr häufig,--das konnte die
Kommission für Arbeiterstatistik wiederholt konstatieren,--wird,
besonders vor den Liefertagen, die Nacht durch gearbeitet. Ins Endlose
wird sie noch dadurch ausgedehnt, daß die Arbeiterinnen Arbeit mit nach
Hause nehmen und hier noch drei bis fünf Stunden ihr letztes bißchen
Kraft daran wenden, um ein paar Groschen mehr herauszuschlagen. Es kam
vor, daß Erfurter Arbeiterinnen auf diese Weise bis zu 125
Arbeitsstunden wöchentlich berechnen konnten.[640] Die Vorteile der
Werkstattarbeit sinken infolgedessen fast in nichts zusammen, um so
mehr, als auch die Werkstatt in den meisten Fällen nichts weiter ist,
als eine enge, schlecht beleuchtete und schlecht ventilierte
Proletarierwohnung. In demselben Raum, der vom Dunst der Bügeleisen
erfüllt ist, in dem Glieder der Familie des Zwischenmeisters nächtigen,
der womöglich auch noch zum Kochen und Waschen benutzt wird, sitzen die
Näherinnen dicht gedrängt vor dem oft einzigen Fenster. Werkstätten in
feuchten Kellern, oder in glühendheißen Dachstuben kommen vor, dabei ist
häufig die Ueberfüllung so groß, daß statt 28 cbm nur 5 bis 12 cbm
Luftraum auf die Person kommen.[641] Und doch steht die
Werkstattarbeiterin sich immer noch besser, als die Heimarbeiterin. Das
größte Elend ist dort zu Hause, wo, versteckt in den eigenen vier
Wänden, die arme Witwe, die verlassene Ehefrau, die Gattin des
Arbeitslosen oder Arbeitsscheuen für sich und ihre Kinder den harten
Kampf ums Dasein kämpfen. Rücksichtslos und schutzlos sind sie der
unbeschränktesten Ausbeutung preisgegeben. Daß sie zum großen Teil nicht
freiwillig die Heimarbeit gewählt haben, sondern sich dazu gezwungen
sehen, weil Familiensorgen sie ans Haus fesseln, geht schon daraus
hervor, daß die meisten Heimarbeiterinnen nicht zu den in Wort und Bild
so oft verherrlichten "flotten Nähmamsellen" gehören, sondern
sorgenvolle Frauen sind, von deren Arbeit die Existenz der Ihren
abhängt.[642] Fast durchweg liegt die Herstellung der gewöhnlicheren
Konfektion in ihren Händen,[643] infolgedessen erreichen sie bei
höchster Arbeitszeit nur den niedrigsten Lohn. Aber auch da, wo sie
dieselbe Arbeit leisten, wie die Werkstattarbeiterin, ist ihr Verdienst
geringer.[644] Eine verwitwete Näherin in Berlin mußte, um 10 Mk.
Wochenlohn zu erreichen, von früh vier und fünf Uhr bis nachts elf Uhr
arbeiten; trotz dieser übermenschlichen Anstrengung konnte sie ihre
Familie nicht allein erhalten, sie mußte noch zur Armenunterstützung
ihre Zuflucht nehmen![645] Eine Leipziger Heimarbeiterin, die im ersten
Morgengrauen ihre Hauswirtschaft besorgte, arbeitete dann bis 1/2 11 Uhr
nachts; weil sie sich die Zeit dafür nicht nehmen konnte, mußte ihr
ältester elfjähriger Bub das Mittagessen bereiten und die Geschwister
beaufsichtigen.[646] Berliner Blusennäherinnen wiesen Wochenlöhne von
3,50 Mk. bis 4,50 Mk. auf![647] In Essen verdiente eine Mutter mit ihrer
Tochter bei sechzehn- bis achtzehnstündiger Arbeitszeit 9,75 Mk. für das
Nähen leinener Arbeiterhosen; pro Stück erhielten sie--12 Pf., obwohl
das Futter zuzuschneiden, Taschen, vier Knopflöcher, zehn Knöpfe neben
den Maschinennähten zu nähen waren und das Garn dazu geliefert werden
mußte.[648] Knopflochverrieglerinnen kommen auf 3 bis 3,60 Mk.
wöchentlichen Verdienst, Knopflochnäherinnen in der stillen Zeit auf 2
bis 4 Mk., in der Hochsaison auf 5 Mk.; eine Wäschenäherin, Mutter von
vier kleinen Kindern, konnte bei angestrengtester Arbeit nicht mehr als
9 Mk. wöchentlich verdienen.[649] Wie sich bei solchen Einnahmen die
Lebenshaltung gestaltet, dafür nur einige Beispiele. Eine
alleinstehende Berliner Heimarbeiterin, die 7 Mk. wöchentlich verdiente,
hatte folgendes Wochenbudget:

Mit einer anderen geteilte Kochstube      1,50 Mk.
Feuerung                                  0,30  "
Spiritus zum Kochen                       0,20  "
Petroleum                                 0,30  "
Wäsche                                    0,15  "
Mehl, Gemüse, Gegräupe                    0,70  "
Kartoffeln                                0,15  "
Brot                                      1,00  "
Milch                                     0,35  "
Salz, Schweden etc                        0,10  "
Kaffee                                    0,40  "
Butter                                    0,50  "
Schmalz                                   0,38  "
Kassenbeitrag                             0,22  "
                                        ----------
Im ganzen:                                6,25 Mk.

Ihre tägliche Ausgabe für die Nahrung betrug demnach nicht ganz 50 Pf.,
für Kleidung, Beschuhung, sonstige Ausgaben blieben wöchentlich nur 75
Pf. übrig.[650] Eine andere, die eine Schlafstelle inne hatte und Mittag
für 30 Pf. täglich auswärts aß, brauchte, da sie sich ein wenig besser
nährte, 7,45 Mk. die Woche. Die Wochenausgaben einer Breslauer Näherin,
die durchschnittlich 6 Mk. verdiente, stellten sich folgendermaßen:

Wohnung                                 1,00 Mk.
Mittagessen                             1,75  "
Frühstück, Vesper, Abendbrot            2,25  "
Heizung, Beleuchtung, Wäsche            1,35  "
Kassenbeitrag                           0,15  "
                                     ------------
Im ganzen:                              6,50 Mk.

Hier zeigt sich schon, obwohl Kleidung und Nebenausgaben aller Art nicht
in Rechnung gestellt wurden, und die tägliche Ausgabe für die Ernährung
nur 57 Pf. beträgt, ein wöchentliches Defizit von 50 Pf.[651] Sobald
noch Kinder zu ernähren sind, wird die Lage natürlich zu einer ganz
verzweifelten. Eine Witwe mit einem elfjährigen Sohn, die 366 Mk. im
Jahr, also ca. 7 Mk. wöchentlich verdiente, und die Ausgabe für Miete
durch Aftervermietung deckte, hatte folgende Wochenausgaben:

Feuerung                              0,90 Mk.
Petroleum                             0,55  "
Brot                                  1,30  "
Ein Pfund Fett                        0,60  "
Zehn Pfund Kartoffeln                 0,30  "
Gemüse und Gegräupe                   0,70  "
Knochen zum Auskochen                 0,15  "
Sonntags 1/2 Pfund Fleisch            0,30  "
Salz, Schweden, Wichse etc            0,10  "
Wäsche                                0,15  "
Kaffee                                0,60  "
Milch                                 0,35  "
                                  -------------
Im ganzen:                            6,00 Mk.

Für die Kleidung und alle Extraausgaben, z.B. für Krankheit, Fahrten,
Schulmittel etc. etc. blieb demnach 1 Mk. wöchentlich übrig, die Nahrung
stellte sich täglich auf 30 Pf. pro Person![652] Kann man sich wohl von
einer Lebenshaltung eine Vorstellung machen, die auf einer
Wocheneinnahme von fünf oder gar nur drei Mark beruht?! Läßt sich das
Elend ausdenken, das herrschen muß, wenn mehr als ein Kind davon
erhalten werden soll?!

Man könnte versucht sein, anzunehmen, daß solche Verhältnisse vielleicht
einzig dastehen und sich in anderen Ländern nicht wiederholen. Leider
zeigt sich aber auch hier, daß gewisse soziale Zustände im unmittelbaren
Gefolge wirtschaftlicher Erscheinungen auftreten, und daher überall die
gleichen sind, wo die wirtschaftliche Entwicklung denselben Stand
erreicht hat. Die Wiener Näherin, die von sechs Uhr früh bis in die
späte Nacht Trikottaillen näht, um 3,50 fl. zu verdienen; die beiden
Schwestern, die zusammen 10, höchstens 20 fl. im Monat erwerben, und oft
nicht mehr wie 20 kr. für ihr Mittagessen auszugeben vermögen;[653] die
böhmische Handschuhnäherin, die bei vierzehnstündiger Arbeitszeit nur
208 fl. im Jahr einnimmt, für Nahrung, Heizung und Wohnung für sich und
ihr Kind aber allein 252 fl. braucht[654],--sie alle geben ihren
deutschen Leidensgenossinnen nichts nach. Von besonderem Interesse aber
ist es, daß selbst im gelobten Lande der Näherei und Schneiderei, das
die Modedamen der ganzen Welt mit seinen Erzeugnissen versorgt, in
Frankreich, die Lage derjenigen, aus deren Händen all die Wunderwerke
hervorgehen, keine günstigere ist. Die Tageseinnahme erscheint vielfach
hoch, sie ist aber, auf das Jahr verteilt, oft noch niedriger, als die
deutscher Arbeiterinnen, weil der Saisonbetrieb ein noch intensiverer
ist. Nur die ersten Arbeiterinnen, also etwa diejenigen, die als
Vorarbeiterinnen in den Werkstätten der großen Konfektionshäuser
beschäftigt werden, können auf eine annähernd regelmäßige Arbeit während
des ganzen Jahres rechnen, die mittelguten haben 200 bis höchstens 230,
die gewöhnlichen,--und die meisten!--haben 60 bis 160 Tage zu thun.[655]
In der toten Zeit findet sich bestenfalls eine Arbeit, die täglich eine
bis zwei Stunden Beschäftigung gewährt, in der hohen Saison dagegen
kommen Arbeits-"Tage" bis zu 28 Stunden vor![656] Bei vierzehn- bis
fünfzehnstündiger Arbeitszeit kann die Durchschnittskonfektionsnäherin
in Paris eine Jahreseinnahme von 250 bis 350 fr. erreichen, wobei sie 75
c. bis 1,25 fr. täglich verdient.[657] Bei einer Einnahme von 900 fr.
aber fängt erst die Möglichkeit an, selbständig davon leben zu können,
und nur ein Drittel aller ihrer Arbeiterinnen verdienen, nach den
Aussagen der Chefs der ersten Pariser Konfektionsfirmen, mehr als
das.[658] Eine der ersten Pariser Schneiderinnen, die für ein großes
Haus Modelle arbeitet, also höchst selten arbeitslos ist, verdiente
jährlich 875 fr. Sie hatte folgendes Ausgabenbudget[659]:

Nahrung                       550 fr.
Miete                         200 "
Wäsche                         20 "
Zwei Paar Schuhe               20 "
Zwei Kleider (selbst genäht)   40 "
Zwei Hüte (selbst garniert)    10 "
Schirm, Handschuhe             10 "
Kleine Ausgaben                25 "

Im ganzen:                    875 fr.

Aus diesem Budget geht deutlich genug hervor, daß selbst für eine Kraft
ersten Ranges nur dann die Existenz gesichert erscheint, wenn nicht nur
die Ansprüche geringe sind, die Gesundheit gefestigt ist und auf
Vergnügungen fast ganz verzichtet wird, sondern vor allem dann, wenn es
sich nur um die Erhaltung der eignen Person handelt. Bei einer anderen,
auch noch zu den besseren Arbeiterinnen zu zählenden Näherin, die 3 fr.
täglich und 465 fr. im Jahr einnahm, stellten sich die Ausgaben
folgendermaßen[660]:

Nahrung                511 fr.
Miete                  120 "
Kleidung                55 "
Wäsche                  48 "
Stiefel                 30 "
Licht und Heizung       25 "
Kleine Ausgaben         40 "

Im ganzen:             829 fr.

Wir stoßen hier auf ein Defizit von 364 fr., das selbst durch äußerste
Einschränkung nicht zu decken wäre. Daß es unmöglich ist, beweist das
Budget einer Vorarbeiterin in einem der ersten Pariser Geschäfte. Sie
gab monatlich 81 fr. aus, indem sie selbst hinzufügte, daß sie sich
dabei alles versagen müsse, was das trübe, einförmige Leben erheitern
könne. Trotz einer achtmonatlichen, mit 4 fr. täglich entlohnten Arbeit,
hatte sie am Schluß des Jahres gegen 200 fr. Schulden.[661] Wie sich
aber das Leben all derer gestaltet, die unter 400 fr. einnehmen und
davon auszukommen versuchen, dafür nur ein Beispiel: Eine Pariser
Konfektionsnäherin hatte ein Jahreseinkommen von 375 fr. im Jahr. Sie
gab aus für:[662]

Miete                      100,00 fr.
Nahrung                    237,25 "
Licht                        4,00 "
Ein Kleid                    5,00 "
Ein Fichu                    2,00 "
Zwei Paar Strümpfe           1,30 "
Zwei Paar Schuhe             8,00 "
Zwei Hemden                  2,50 "
Eine Hose                    1,25 "
Zwei Taschentücher           0,80 "
Zwei Servietten              0,80 "

Im ganzen:                 362,90 fr.

Ihre tägliche Nahrung bestritt sie für 55 c., d.h. für 5 c. Milch, für
20 c. Brot, für 10 c. Kartoffeln, für 10 c. Käse und für 10 c. Wurst!
Selbst die Heizung mußte sie sich versagen, von Vergnügungen war keine
Rede, ein einziges Fähnchen für 5 fr. mußte das ganze Jahr aushalten!
Und das war ein Mädchen von zwanzig Jahren mit all der Sehnsucht nach
Glück und Freude, die so stürmisch nach Erfüllung verlangt; ein Mädchen
von zwanzig Jahren mitten in der von Lebenslust fiebernden Luft von
Paris! Und doch giebt es noch tiefere Stufen des Elends. Die
Heimarbeiterinnen von Lyon sind auf ihnen angelangt: hier finden sich
Jahreseinnahmen von 170, 200, 250 fr., während das Leben sich mit
weniger als 350 fr. unmöglich bestreiten läßt.[663]

Auch in England, wo die rapide Entwicklung des Fabriksystems die alten
Hausindustrien schon fast ganz zu Boden rannte, herrscht im
Bekleidungsgewerbe die Hausindustrie noch so gut wie unumschränkt. Die
furchtbaren Enthüllungen des Elends in den kleinen Werkstätten des
Londoner Ostens waren es, die überhaupt zuerst die Blicke der Welt auf
die Zustände in der Konfektionsindustrie lenkten. Der Begriff des
Sweating-Systems stammt von dort. In den Werkstätten der
Zwischenmeister, wo in dunklem, engen Raum die armen Opfer der Armut
dicht gedrängt zusammensitzen, wo die Arbeit oft Tag und Nacht nicht
ruht, wo die Kindheit begraben wird, und Greisinnen noch mit zitternden
Händen für ein Stück Brot die Nadel führen, wo der Fluch Jehovahs: "Im
Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" erst in Erfüllung
gegangen zu sein scheint, übt es seine Herrschaft aus. In Glasgow, in
Manchester, in Leeds hat es sich ausgebreitet. Niedrige Löhne und lange
Arbeitszeit sind auch hier seine Begleiterscheinungen, Näherinnenlöhne
von 6 p. an sind an der Tagesordnung[664]; die Glasgower
Heimarbeiterinnen in der Wäschekonfektion, die häufig von sechs Uhr früh
bis zehn Uhr abends in ihrem verwahrlosten Zuhause, neben schmutzigen
oder kranken Kindern an den feinen Batisthemden sticheln, die irgend
eine Herzogin ahnungslos über den gepflegten Körper ziehen wird,
verdienen 4 bis 6 sh., zuweilen sogar nur 2 sh. die Woche[665]; in den
Londoner Schneiderwerkstätten erreicht eine gelernte Schneiderin bei
vierzehn- bis siebzehnstündiger Arbeitszeit im besten Fall 4 sh.
täglich, häufig muß sie sich mit derselben Summe als Wochenlohn
zufrieden geben[666], während die Heimarbeiterin überhaupt kaum mehr zu
verdienen vermag[667], sie näht z.B. Unterröcke für 7 p. das Stück,
wobei sie den Faden noch zugeben muß.[668]

Selbst in die neue Welt brachten die unglücklichsten Flüchtlinge der
alten das Sweating-System mit. Blühende Industrien, die ihren Arbeitern
ein gutes Auskommen sicherten, brachen unter der Schmutzkonkurrenz der
kleinen Werkstätten und der armen Heimarbeiter zusammen.[669]
Ein einziger Stadtteil Chicagos wies nicht weniger als 162
Konfektionswerkstätten auf, über die Hälfte aller Arbeiter darin waren
verschuldet, denn nur selten konnten die Einnahmen mit den notwendigsten
Ausgaben das Gleichgewicht halten.[670] Als typisches Beispiel für die
Wirkung der Hausindustrie kann folgendes gelten: ein Schneider, der seit
seinem vierzehnten Jahre ein fleißiges und nüchternes Leben führte, und
trotzdem nie mehr als 200 bis 300 $ jährlich einnahm, hatte nach zwanzig
Jahren vier an der Schwindsucht sterbende Kinder und wurde selbst, im
Alter von 34 Jahren! als altersschwach und arbeitsunfähig befunden.[671]
Da die Löhne der weiblichen Arbeiter noch viel niedriger sind--solche
von 25 c. täglich kommen sehr oft vor--, ihre Widerstandsfähigkeit eine
geringere ist und ihre Kräfte sich oft in wenigen Jahren
verbrauchen,[672] so kann man sich ungefähr eine Vorstellung von der
Lage machen, in der sie sich befinden.

Als notwendige Folge der niedrigen Löhne ist die Überarbeit, die
Unterernährung und die Wohnungsnot überall die gleiche. Es giebt naive
Gemüter, die in der Heimarbeit des Weibes ein Mittel zur
Aufrechterhaltung des durch die Fabrikarbeit bedrohten Familienlebens
sehen. Sie stellen sich die Heimarbeiterin etwa unter dem Bilde der
handarbeitenden Frau aus bürgerlichen Kreisen vor, die nur müßige
Stunden auszufüllen sucht, sonst aber ihren Kindern, ihrer Wirtschaft
stets zur Verfügung steht. Sie wollen nicht einsehen, daß Heimarbeit zu
fieberhafter Thätigkeit verdammt, daß sie den Menschen der Maschine
gegenüberstellt, und er in rasender Hast mit ihr den Wettkampf aufnehmen
muß, bis er zusammenbricht. Selbst neben dem sterbenden Kinde muß die
New-Yorker Arbeiterin ihr Tagespensum erledigen; oft hat sie keine Zeit,
ihre Toten zu begraben! Die Lebenden aber, die noch nicht mit arbeiten
können, schickt sie auf die Straße, oder bestenfalls zu Pflegefrauen, um
in der Arbeit nicht gestört zu werden.[673] Ihre Berliner
Leidensgefährtin greift zu dem Mittel, ihre Kleinen in Kisten zu
pferchen, oder an Stühle anzubinden, weil sie keine Zeit hat,
aufzuspringen, um den Fallenden aufzuhelfen oder die Umherlaufenden zu
beaufsichtigen.[674] Die Hausindustrie erhält die Frau nicht der
Familie, denn sie muß Mann, Kinder und Wirtschaft ebenso
vernachlässigen, als ginge sie in die Fabrik.[675] Die Hausindustrie
zerstört vielmehr den letzten Rest des Familienlebens, den die Fabrik
noch erhält, weil sie ihrer Sklavin überhaupt keine Ruhe läßt, weil sie
den armseligen Wohnraum des Proletariers auch noch zur Werkstatt
verwandelt. Die ganze Familie und die ganze Arbeit der Berliner
Heimarbeiterin drängt sich in einem Raum, der womöglich auch noch zum
Kochen benutzt wird, zusammen; die kleine Stube daneben muß an
Schlafleute vermietet werden und wird oft noch von den Kindern
geteilt.[676] Wie sie keinen Raum besitzen, in dem sie bei Tage für sich
sein können, so haben sie nachts kaum ein Bett für sich allein; zwei
Drittel aller Berliner Heimarbeiterinnen müssen ihr Bett mit anderen
teilen.[677] Bilder grauenhaften Elends rollen sich auf, wenn wir diese
Wohnungen näher betrachten: Im fünften Stock eines Berliner Hauses
befindet sich ein einfenstriges Zimmer und eine winzige, fensterlose
Küche; darin haust eine gelähmte Greisin, ihre Tochter, die Näherin ist,
und deren vier Kinder. In einem Keller derselben Stadt wohnt in einer
Küche von 8 qm Bodenfläche eine Witwe mit vier Kindern, die Stube
daneben hat sie an Schlafburschen vermietet; in beiden Räumen schimmeln
die Möbel, so feucht ist es. Dicht unter dem Dach, in zwei kleinen
Räumen haust ein Ehepaar mit vier Kindern und einem Schlafmädchen; den
Mann zerfrißt auf dem Lager voll Lumpen der Kehlkopfkrebs. In einem
Keller, dessen Dielen verfault sind, und dessen Fenster tief unter der
Erde liegen, arbeiten zwei Schwestern für die, die droben in Luft und
Sonne lachend vorübergehen. In einem anderen Keller ähnlicher Art liegt
der Mann in den letzten Stadien der Lungenschwindsucht, die Frau näht
neben seinem Bett, die Kinder atmen seine Krankheit ein.[678] In
New-York fand man eine siebenköpfige Familie in einer Wohnung von drei
Räumen, von denen nur einer hell war, zusammen mit nicht weniger als
fünfzehn Schlafleuten,--alle waren auf nur drei Betten angewiesen.[679]
In einer anderen Wohnung, in die ein Fabrikinspektor nachts eindrang,
lagen zehn bis zwölf Menschen, Männer, Frauen und Kinder, manche halb
nackt, auf dem bloßen Fußboden.[680]

Es mag immerhin noch Menschen geben, die beim Anblick solchen Elends
nichts anderes empfinden, als wenn sie vom Samtfauteuil des ersten
Ranges aus die Not der "Weber" oder das Leiden "Hanneles" betrachten:
sie gehen nach Hause und denken nicht mehr daran. Nachhaltiger aber
dürfte ihr Schrecken sein, wenn sie erführen, daß jene Armut ihnen
selbst an das liebe Leben greift: in einem Zimmer Berlins nähte eine
arme Mutter Blusen, halbfertig lagen sie auf dem Bett, in dem drei
diphtheritiskranke Kinder mit dem Tode rangen; in einer Werkstatt, die
eben noch an derselben Krankheit Leidende beherbergt hatte, arbeiteten
gleich darauf sieben Arbeiterinnen.[681] Masern, Keuchhusten,
Scharlach,--kurz alle Kinderkrankheiten nisten sich in der armseligen
Stube der Näherin ein, und werden von ihren Hemden und Blusen und Röcken
in die Häuser der Käufer getragen. Die Schwindsucht haftet an den
beliebten billigen Jacken und Mänteln der großen Warenhäuser; das
furchtbare Gift der Syphilis dringt auf diese Weise in die physisch und
moralisch reinsten Familien.[682] Niemand kann ermessen, wie oft es
geschieht, keiner aber sollte sich die Größe der Gefahr verhehlen.
Treibt doch die Armut ihre Opfer der Schande in die Arme.

Wir haben gesehen, daß die Hausindustrie Löhne aufweist, durch die kaum
das nackte Leben erhalten werden kann. Ihre Arbeiterinnen aber sind
jung, es graut sie mit vollem Recht vor einem Dasein, das aller Freude
entbehrt; sie sind Mütter, sie können ihre Kinder nicht darben lassen;
sie sehen das Alter vor sich, sie wollen nicht im Armenhaus enden.
Selbst durch den Verkauf ihrer ganzen Arbeitskraft können sie nicht
leben, der Verkauf ihres Leibes, ihrer Ehre muß die Ergänzung sein. Die
Arbeit selbst müssen sie häufig damit bezahlen. Am günstigsten noch
gestaltet sich ihre Lage, wenn sie ein festes Verhältnis haben, wie jene
arme Mutter, die erklärte, sie habe sich dazu entschließen müssen, sonst
wäre sie zu Grunde gegangen.[683] Ein Liebhaber aus den eigenen Kreisen
wird vielleicht einmal ein Ehemann. In den weitaus meisten Fällen jedoch
fallen die hausindustriellen Arbeiterinnen der gelegentlichen
Prostitution anheim.[684] Hunger und Lebenslust sind stärker als alle
Moral, und die Moralpredigt oder gar die moralische Entrüstung wird
angesichts dieses Elends zu einer ekelhaften Farce.

Die ganze Stufenleiter der Not haben wir durchlaufen bis zu ihrer
letzten Konsequenz. Wo ist ein Lichtblick, der eine Besserung der
Zustände verheißt? Kann die Hausindustrie ihren Arbeitern, wie der
Fabrikbetrieb nach und nach eine höhere Lebenshaltung ermöglichen? Um
diese Fragen zu beantworten, ist es notwendig, sich die Ursachen des
herrschenden Elends klar zu machen.

Dort, wo Arbeitskraft billig zu haben ist, hat die Hausindustrie sich
festgesetzt: in den Großstädten, wo eine große Arbeiterbevölkerung sich
vorfindet.[685] Hier strömen in wachsender Zahl die Proletarier
zusammen, ihre Frauen und Töchter schaffen ein übermäßiges Angebot von
Arbeitskraft, das durch die starke Einwanderung von Landmädchen und
durch die wachsende Konkurrenz der Frauen und Mädchen aus den Kreisen
des Bürgertums ständig gesteigert wird. Diese Arbeitskräfte können aber
nur von Industrien ausgenutzt werden, die an ihre Ausbildung keine
Ansprüche machen und deren technische Entwicklung noch in den Anfängen
stecken geblieben ist; das sind die Hausindustrien aller Art, in erster
Linie diejenigen, die an alte hauswirtschaftliche Frauenarbeit
anknüpfen, wie die Näherei und Schneiderei. Sie sind auch besonders
geeignet, alle diejenigen Frauen heranzuziehen, die zur Ergänzung des
männlichen Einkommens einen Nebenerwerb suchen, der sie im Hause
beschäftigt. All diese zusammentreffenden Umstände nun: die
Konzentrierung proletarischer Elemente in den Großstädten, das starke
Angebot weiblicher Arbeitskräfte, die zum Teil durch ihre Leistungen
nicht ihren ganzen Lebensunterhalt zu bestreiten brauchen, die Tendenz
der Industrie, möglichst billig zu produzieren, sind die Ursachen der
großstädtischen Hausindustrie, mit ihrem Gefolge an physischem und
sittlichem Elend. Für England und Amerika gilt dasselbe, nur daß dort
die billigen Arbeitskräfte durch die armen Einwanderer gestellt werden.

Aber nicht nur in den Großstädten findet die Hausindustrie die
Voraussetzungen für ihre Existenz. Sie findet sie in gleichem Maße in
den Gebirgen, wo infolge der schlechten Transportverhältnisse der
Fabrikbetrieb nicht Fuß fassen kann,[686] und in den Landorten des
Flachlands, wo der kleine Bauer nicht mehr im stande ist, von der
Landwirtschaft allein seine Familie zu ernähren. Da die Hausindustrie
einerseits mit Frauen, andererseits mit Männern und Frauen zu thun hat,
die von der modernen Arbeiterbewegung nicht erreicht werden, weil sie
abgeschnitten sind vom Verkehr mit der Welt, so hat sie neben einem
billigen auch ein außerordentlich fügsames Material in der Hand. Trotz
alledem hat sie mit der Konkurrenz des Fabrikbetriebs zu kämpfen. Ihre
Kampfmittel sind neben den niedrigen Löhnen, der langen Arbeitszeit und
dem Trucksystem die Ausbeutung der Lehrlinge. Die hausindustriellen
Werkstätten beschäftigen sie wochenlang unentgeltlich oder womöglich
gegen Lehrgeld, sparen dadurch bezahlte Arbeitskräfte und entlassen sie,
sobald die "Ausbildung" vollendet ist und eine Anstellung erwartet
wird.[687]

Es kommt nun darauf an, festzustellen, ob die Existenzbedingungen der
Hausindustrie fernerhin vorhanden sein werden, und ob ihre
Arbeitsbedingungen Aussicht haben, sich zum Vorteil der Arbeiter zu
verändern.

Es giebt Industrien, z.B., um gleich die für unseren Zweck wichtigste zu
nennen, die Textilindustrie, die durch große technische
Vervollkommnungen der Hausindustrie auf ihrem Gebiet den Todesstoß
versetzen. Sie kann die Konkurrenz nicht mehr aushalten, sie wird
gewissermaßen ausgehungert. In England hat sich dieser Prozeß bereits
vollzogen, in anderen Ländern wird er denselben Verlauf nehmen. Andere
dagegen--und hier kommt im wesentlichen die Bekleidungsindustrie in
Betracht--bedürfen in der Hauptsache der menschlichen Hand; selbst ihre
Maschinen, die Nähmaschine, die Knopflochmaschine, ja sogar die neue
Zuschneidemaschine, haben den Fabrikbetrieb nicht zur notwendigen
Voraussetzung. Und sie werden durch äußere Umstände auf absehbare Zeit
hinaus nicht dazu gezwungen werden, weil die Bevölkerungsverhältnisse
sich in der selben und nicht in der entgegengesetzten Richtung
weiterentwickeln. Die proletarische Bevölkerung wächst ebenso aus sich
heraus, wie durch Zuwanderung und durch ein allmähliches Hinabsinken des
Kleinbürgertums. Dazu kommt, daß die Höhe der männlichen Arbeitslöhne
immer mehr durch den Frauenerwerb, der als Ergänzung hinzugedacht wird,
beeinflußt wird, und ihrerseits das Arbeitsangebot weiblicher Hände
steigern hilft. Auch die Erwerbsarbeit der Frauen des Bürgerstandes hat
eine steigende Tendenz, weil die Einnahmen der Männer weder den erhöhten
Bedürfnissen, noch der allgemeinen Preissteigerung entsprechen. Allein
das riesige Indiehöheschnellen der Mieten macht den Nebenerwerb der
Frauen zur Notwendigkeit[688], der andererseits auch vielfach, infolge
des Zusammenschrumpfens der Hauswirtschaft, der Langenweile entspringen
mag. Es kommt aber noch eins hinzu, um die Weiterentwicklung der
Hausindustrie in ihrer modernen Form zu sichern: die Tendenz zur
Dezentralisation des Großbetriebs. Die Ausdehnung und schärfere
Handhabung der Arbeiterschutzgesetzgebung läßt den Unternehmer nach
einem Ausweg suchen, um ihr aus dem Wege zu gehen, er findet ihn in der
Hausindustrie. Die Tabakindustrie bietet dafür ein besonders drastisches
Beispiel. Die Bedingungen zur Erhaltung und zur Ausbreitung der
Hausindustrie, und zwar grade dort, wo Frauenarbeit eine bedeutende
Rolle spielt, sind demnach gegeben. Dabei ist aber auch die Frage nach
der Möglichkeit der Hebung der hausindustriellen Arbeitsbedingungen zum
Teil mit beantwortet. Es ist ein Zirkel, aus dem ein Ausweg zunächst
unmöglich erscheint: die schlechten Arbeitsbedingungen sind zugleich
Ursache und Folge der Hausindustrie. Ihr Sieg über den Fabrikbetrieb
beruht eben auf der Ausnutzung und Ausbeutung der menschlichen
Arbeitskraft bis an die Grenze des Möglichen. Ein Rückgang der Löhne, im
Gegensatz zu ihrer Zunahme im Fabrikbetrieb, zeigt sich überall.[689]
Die Ursachen liegen auf den verschiedensten Gebieten. Wie wir wissen,
ist es die Notlage der Familie, die die verheiratete Frau zur
Erwerbsarbeit zwingt. In den weitaus meisten Fällen wählt sie, in der
Ansicht befangen, dadurch ihren Kindern mehr nützen zu können, die
Heimarbeit. Der größte Teil der Heimarbeiterinnnen sind überall Frauen
mit Kindern.[690] Von der Not getrieben, nehmen sie Arbeit um jeden
Preis. Ihre Helfershelfer im Lohndruck und der Aufrechterhaltung der
schlimmsten Form der Hausindustrie, der Heimarbeit, sind die Frauen und
Töchter der Bourgeoisie, jene "verschämten" Armen, die ihre
Erwerbsarbeit als nicht standesgemäß möglichst geheim zu halten
suchen[691], und die an primitive Lebensverhältnisse gewöhnte, daher
billig arbeitende Landbevölkerung. Die Näherinnen im Vogtland z.B., die
viel für Berlin arbeiten, verdienen 25 % weniger als die Berliner
Arbeiterinnen.[692] Und diese gefährliche Konkurrenz wird teils durch
den Staat, der Webe- und Korbflechtschulen u. dergl. m. errichtet, teils
durch kurzsichtige Privatwohlthätigkeit, die im Gebirge und auf dem
Lande den sogenannten "Gewerbefleiß" einführt, unterstützt[693], auch
noch künstlich großgezogen. Die Frauen, die Landbewohner und schließlich
auch die Völker mit niedriger Lebenshaltung,--der Einfluß der fabelhaft
billigen Erzeugnisse der japanischen und chinesischen Heimarbeit beginnt
bereits fühlbar zu werden,--bilden das riesige Reservoir, aus dem die
Hausindustrie stets neue Nahrung schöpft, und die sie gegeneinander
ausspielt. Sie ist wie ein ungeheuerer Sumpf, der nie austrocknet, weil
er aus trüben unterirdischen Quellen immer wieder gespeist wird, und der
mit seinen Miasmen die ganze Luft verpestet. Nichts Gesundes und
Lebenskräftiges kann er jemals hervorbringen, er kann sich nicht aus
sich selbst heraus in einen klaren See verwandeln. Um seine Wirkungen zu
beseitigen, giebt es nur ein Mittel: er selbst muß verschwinden.


Der Handel.

Die Ausbreitung der Frauenarbeit im Handel ist in nennenswertem Umfang
erst viel später in Erscheinung getreten, als in anderen
Arbeitsgebieten. Zwar petitionierten bereits 1848 die Berliner Kommis an
das preußische Staatsministerium um Einschränkung der weiblichen
Konkurrenz[694], aber erst seit den letzten zwanzig Jahren droht ihnen
durch sie eine ernste Gefahr. Einerseits sind es die Töchter des
mittleren und kleinen Bürgerstandes, die mehr und mehr vor die
Notwendigkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gestellt werden
und im kaufmännischen Beruf ein standesgemäßes Unterkommen zu finden
glauben, andererseits sieht die aufstrebende Arbeiterklasse in ihm eine
höhere Stufe der sozialen Stufenleiter und versucht in steigendem Maße
ihre Töchter hinauf zu heben.

Die Entwicklung des Handels, seine Konzentrierung in Bazaren und
Warenhäusern kommt diesen Bestrebungen entgegen. Immer geringer werden
hier die Anforderungen an kaufmännische Bildung und genaue
Warenkenntnis, da jede Verkäuferin nur eine bestimmte Abteilung
zugewiesen bekommt und auf den einzelnen Gegenständen die Preise meist
deutlich vermerkt zu werden pflegen. Infolgedessen ist es erklärlich,
daß in zahlreichen Geschäftszweigen, besonders in den Geschäften für
Bekleidung und solchen für frische Nahrungsmittel mehr Frauen als Männer
zu finden sind; sie rekrutieren sich meist aus proletarischen Kreisen,
haben oft nur die Volksschule besucht und können, wie z.B. in Berlin,
nur selten grammatikalisch und orthographisch richtig schreiben.[695]
Aber nicht nur ihrer Herkunft, sondern vor allem den Bedingungen ihrer
Arbeit nach, müssen die Verkäuferinnen zu den Kreisen der proletarischen
Frauenarbeit gerechnet werden. Die Untersuchungen aller Länder,
die sich mit ihrer Lage beschäftigen, stimmen darin überein, daß
der Lohn zur Leistung in größtem Mißverhältnis steht, und alle
charakteristischen Zeichen der proletarischen Arbeit,--Ueberarbeit und
Arbeitslosigkeit,--auch auf sie zutreffen.

Was zunächst die Lohnfrage betrifft, so ist ein einigermaßen
ausreichendes Material zu ihrer Beleuchtung nicht vorhanden. Selbst die
deutsche Kommission für Arbeiterstatistik hat es bei Gelegenheit ihrer
Untersuchungen der Lage der Handelsgehilfen unbegreiflicherweise
förmlich ängstlich vermieden, sich über den Stand der
Arbeitsentschädigung Aufklärung zu verschaffen. Auch die englische
Arbeitskommission bringt nur spärliche Ziffern. Wir müssen uns daher im
wesentlichen auf die Resultate privater Enqueten stützen.

Das Durchschnittseinkommen Berliner Verkäuferinnen wird vom
kaufmännischen Hilfsverein für weibliche Angestellte auf 58 Mk.
monatlich geschätzt. Da die Zeit der Arbeitslosigkeit durchschnittlich
1-3/4 Monate betragen soll, so würde ein Jahreseinkommen von 594 Mk.,
eine tägliche Einnahme von 1,60 Mk. zu verzeichnen sein.[696] Schon mit
dieser Summe ist es für die großstädtische Verkäuferin nicht möglich
auszukommen. Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn eine Jahreseinnahme
von 900 bis 1000 Mk. erst als diejenige angesehen werden kann, die der
Berliner Verkäuferin eine sorgenfreie Existenz zu sichern vermag. Nun
gehören aber die Mitglieder des Hilfsvereins für weibliche Angestellte
zweifellos zur Elite der Ladengehilfinnen; ihr Lohn kann daher für die
große Masse nicht maßgebend sein. Thatsächlich kommen selbst in Berlin
Monatslöhne von 30 bis 40, ja sogar von 20 bis 30 Mk. vor; in der
Provinz, besonders in den kleinen Städten, sind solche Sätze keine
Seltenheit; das Durchschnittsgehalt der Verkäuferinnen in Köln betrug
40, in Frankfurt 39, in Kassel 30, in Königsberg gar nur 27 Mk.[697],
ein Lohn, der vielfach hinter dem der Fabrikarbeiterinnen zurücksteht.
Selbst Leipzig weist Monatslöhne von 20 bis 30, ja sogar solche unter 20
Mk. auf.[698] Verkäuferinnen, die eben die Lehrzeit hinter sich haben,
müssen sich sogar oft genug mit 10 Mk. im Monat einrichten.[699]
Männlichen Verkäufern wagt man solchen Gehalt nur höchst selten
anzubieten, wo es geschieht, handelt es sich um einen Anfangsgehalt, der
schnell gesteigert wird; ihr Durchschnittseinkommen wird auf 100 Mk.
angegeben, beträgt also fast das Doppelte des Einkommens ihrer
weiblichen Kollegen. Je nach der Zahl der Dienstjahre kann nun zwar auch
die Verkäuferin auf Steigerung des Gehalts rechnen; 70 und 80 Mk.
bezeichnen aber in den meisten Fällen ein nur schwer erreichbares
Maximum, Monatseinnahmen von 100 bis 120 Mk. kommen nur ausnahmsweise
vor. Da die Zeit der Arbeitslosigkeit sich häufig bis auf drei Monate
ausdehnt, so schrumpft die im ganzen Jahr der Verkäuferin zu Gebote
stehende Summe so sehr zusammen, daß ein Auskommen schwer möglich ist.
Die Angaben Berliner Handelsgehilfinnen bestätigen das. Danach betrug
die durchschnittliche Ausgabe für Kost und Wohnung 51 Mk., 30 Mk. wurde
als das geringste bezeichnet, womit das Leben sich notdürftig bestreiten
ließe.[700] Stellen wir diesen Ausgaben die Durchschnittseinnahme von 58
Mk. gegenüber, so ist ohne weiteres klar, daß mit einem Rest von 7 Mk.
die Ausgaben für Wäsche, Kleidung, Tramwayfahrten etc.--vom Vergnügen
ganz abgesehen--nicht gedeckt werden können. Besonders die Ansprüche an
die Toilette, die das Budget der Handelsangestellten so sehr belasten,
können damit nicht bezahlt werden und doch riskiert die Verkäuferin
ihre Stellung, wenn sie sie nicht erfüllt. Wie hoch sie sind, beweist
eine amerikanische Zusammenstellung der Ausgaben für Wohnung und
Kleidung je nach den Berufen der Arbeiterinnen. Während die
Fabrikmädchen oft kaum den vierten Teil dessen für ihre Kleidung
verwenden, was sie für ihre Wohnung ausgeben, übersteigt die Summe, mit
der die Verkäuferinnen ihre Toilette bestreiten, fast immer die Ausgaben
für die Wohnung, sehr oft sogar ist sie höher, als diejenige, die sie
für ihren ganzen Lebensunterhalt anlegen.[701] Denken wir nun aber an
Monatseinnahmen, die den Durchschnitt von 58 Mk. nicht erreichen, die
vielleicht nur 20 oder 30 Mk. betragen, so ist, selbst bei einer
Aufwendung von nur 30 Mk. für Kost und Wohnung, wobei nur eine
Schlafstelle in Betracht kommen kann und die Unterernährung chronisch
wird, ein bedeutendes Defizit unvermeidlich. Die Existenz ist nur dann
gesichert, wenn die dermaßen niedrig Entlohnten bei ihrer Familie
wohnen. In welchem Umfang dies thatsächlich geschieht, läßt sich nicht
feststellen. Eine Privatenquete, die 825 Berliner Handelsangestellte
umfaßte, ergab, daß 585, also 71 %, von ihnen bei Familienangehörigen
wohnen; 240 sind darauf angewiesen, sich ihr Unterkommen selbst zu
beschaffen, und zwar haben 36,75 % dieser selbständigen Mädchen eine
Monatseinnahme von unter 30 bis zu 60 Mk.[702], sie gehören also zu
denjenigen, die nach unserer Berechnung entweder nur unter größten
Entbehrungen, oder unter fortwährender Anhäufung von Schulden ihr Leben
fristen können. Da es sich jedoch auch bei diesen Handelsgehilfinnen um
besonders Bevorzugte handelt,--nur die besser gestellten,
intelligenteren unter ihnen entschließen sich, einem Verein beizutreten,
und Vereinsmitglieder waren sämtliche Expertinnen,--so ergiebt sich, daß
für die Allgemeinheit sowohl der Prozentsatz der niedrig Entlohnten, als
der der Alleinstehenden ein wesentlich höherer sein muß. Aber selbst
wenn wir die sehr günstige Berliner Berechnung zu Grunde legen, um die
Lage aller Handelsgehilfinnen danach zu beurteilen, zeigt es sich, daß
von 365005 nicht weniger als 105851 allein stehen, und von diesen wieder
beinahe 17000 von dem Ertrag ihrer Arbeit nicht leben können.

In England sind die Lohnverhältnisse keineswegs besser, obwohl man
zuweilen versucht ist, es anzunehmen, weil die Handelsangestellten neben
dem Gehalt freie Station haben. Aber selbst den unwahrscheinlichen Fall
angenommen, daß diese so vortrefflich ist, daß ein Zuschuß zur Ernährung
aus dem eigenen Beutel sich nicht als nötig erweist, reicht ein
Jahreseinkommen von 10 bis 12 £[703] in den Großstädten Englands bei
weitem nicht aus, um die notwendigen Ausgaben, die den Verkäuferinnen
erwachsen, zu bestreiten. Dabei herrscht in England das Unwesen der
Strafgelder in ausgedehntestem Maße. In manchen Geschäften giebt es bis
zu hundert verschiedene Versäumnisse, die durch Lohnabzüge gebüßt werden
müssen.[704]

Für Frankreich können wir uns auf offizielle Untersuchungen nicht
berufen, um die Lage der Handelsangestellten danach zu schildern; dafür
liegt in Zolas "Au Bonheur des Dames" ein weit wertvolleres Dokument
vor. Es zeigt uns den kleinen Laden mit seinen schlecht genährten und
schlecht bezahlten Arbeitern, es führt uns in das fieberhafte Getriebe
des großen Warenhauses, das Nerven- und Muskelkräfte untergräbt; es
öffnet uns die Thür zu den winzigen, unheizbaren, allen Komforts
entbehrenden Dachkammern, wo die Mädchen abends halb ohnmächtig auf ihr
Lager sinken und zu den Eßsälen, wo die menschlichen Arbeitsmaschinen
mit weit weniger Sorgfalt gespeist werden, als die eisernen
Maschinen in den Fabriken. Es nimmt uns mit seiner großartigen
Wirklichkeitsschilderung jede Illusion über die Lage der Ladenmädchen.
Aber weit mehr noch als für das Riesenhandelshaus, das durch seinen
gewaltigen Umsatz im stande ist, seinen Angestellten eine gesicherte
Stellung zu geben, trotz aller Ausbeutung und Vernachlässigung, gilt es
für die kleinen, mühsam um ihr Bestehen kämpfenden Geschäfte, wenn sich
der äußere Glanz des kaufmännischen Berufs bei näherem Zuschauen in sein
Gegenteil verwandelt. Je kleiner der Laden und die Stadt, desto
trauriger steht es um die Angestellten, desto klarer ist es vor allem,
daß die Wohnung und Beköstigung im Hause des Prinzipals zwar eine
Wohlthat ist, aber nicht für die Angestellten, sondern für ihn. Er
macht dadurch nicht nur Ersparnisse, sondern er hat auch ein Mittel in
der Hand, über seine Angestellten wie über häusliche Dienstboten frei
verfügen zu können.[705] Die Beköstigung im Hause des Chefs, die in
Deutschland besonders auch dort häufig üblich ist[706], wo die
Verkäuferinnen für ihre Wohnung selbst zu sorgen haben, bietet den
willkommenen Vorwand, die Mittagspause entweder sehr einzuschränken oder
überhaupt dem Zufall und der momentanen Geschäftsruhe zu überlassen. In
England wurden Mittagspausen von zehn bis höchstens zwanzig Minuten
festgestellt, die noch dazu jeden Augenblick durch den Eintritt von
Kunden unterbrochen werden konnten[707]; in Deutschland ist es nicht
viel besser; dabei ist diese Pause oft die einzige; Frühstücks- und
Vesperpausen werden, vor allem in den kleinen Geschäften, sehr selten
gewährt.[708] Abendbrot giebt es in England häufig gar nicht, so daß die
Mädchen genötigt sind, es sich selbst zu beschaffen[709]; die
Beköstigung ist dort wie in Deutschland meist, was Quantität und
Qualität betrifft, gleich minderwertig[710], und muß im Geschäftsraum
selbst oder in engen, dumpfigen Nebenräumen hastig verschlungen werden.
Nur die großen Geschäfte, die großen Warenhäuser und Bazare machen hie
und da eine rühmliche Ausnahme; wo sie überhaupt ihren Angestellten
Beköstigung bieten, ist sie ausreichend, besondere Speisesäle sind dafür
angelegt und die Zeit zu ihrer Einnahme ist so weit gesteckt, daß sie
auch ein Ausruhen in sich schließen kann. In den kleinen Städten und in
den kleinen Geschäften, wo die weiblichen Angestellten auch häusliche
Arbeiten verrichten müssen, ist ihre Lage durchweg eine traurige; auch
in Bezug auf die Wohnung unterscheiden sie sich nicht von den
Dienstmädchen: es werden ihnen unheizbare Dachstuben oder schlecht
gelüftete, halbdunkle Räume neben dem Laden zur Unterkunft
angewiesen[711]; in England und Amerika gilt dasselbe sogar in den
großen Städten und Geschäften. Londoner Verkäuferinnen müssen sich oft
zu zweien in ein Bett teilen, und die Räume, in denen sie hausen,
entbehren jeder Bequemlichkeit.[712] In den Riesengeschäften New-Yorks
wohnen die Mädchen so eng, daß man Gefangenen solch einen Mangel an
Luftraum nicht bieten würde.[713] Damit sind die Nachteile der freien
Station jedoch noch nicht erschöpft; die Prinzipale bestimmen auch,
unter dem Vorwand der Aufrechterhaltung der Moral und des
patriarchalischen Familienverhältnisses, über die freie Zeit der
Angestellten. Sie sind nicht nur im Hause selbst der strengsten Aufsicht
unterworfen, sie dürfen auch nur an bestimmten Abenden der Woche
ausgehen und müssen vor Thorschluß heimkehren, da sie sonst keinen
Einlaß mehr finden.[714] In England sind sie andererseits vielfach
verpflichtet, am Sonntag früh das Zimmer zu verlassen und erst spät
abends heimzukehren.[715] Der Prinzipal spart auf diese Weise an sechzig
Tagen des Jahres die Beköstigung; die arme Verkäuferin aber, die oft am
liebsten den Tag verschlafen, oder die ihn, als die einzige freie Zeit,
zur Herstellung ihrer Garderobe benutzen möchte, muß entweder an solch
erzwungenen Festtagen ihre schmale Börse leeren, oder Bekanntschaft
suchen, die sie versorgt.

Die Beraubung der schwer verdienten Ruhe ist hierbei wohl das härteste,
denn die Arbeitszeit der Handelsgehilfin war bis vor kurzem eine ganz
unbeschränkte. Die Ladenzeit betrug im Deutschen Reich im Maximum bis zu
achtzehn Stunden, im Durchschnitt vierzehn Stunden täglich[716]; nicht
weniger als 43 % der Betriebe mit weiblichem Personal hatten eine
Ladenzeit von dreizehn bis sechzehn Stunden.[717] Die längste fand sich
in der Lebensmittel-und Bekleidungsbranche; in Breslauer
Kolonialwarenhandlungen kam es vor, daß der Laden um fünf Uhr früh
geöffnet und um zehn oder elf Uhr nachts geschlossen wurde.[718] In der
Hochsaison verlängerte sie sich überall, dabei war von einer Vergütung
der Überstunden selten die Rede,[719] und wenn der Laden geschlossen
war, ging die aufreibende Arbeit hinter verschlossenen Jalousien bis in
die sinkende Nacht weiter. In England waren die Verhältnisse genau
dieselben.[720] Und doch wären diese Zustände noch erträglich zu nennen,
wenn sie nicht durch die schlimmsten Qualen verschärft worden wären:
nicht nur, daß die armen Mädchen von morgens bis abends mit freundlichem
Diensteifer die Kunden,--und unter ihnen die unangenehmsten,--zu
bedienen haben, daß sie die Leitern hinauf und hinab klettern, Stöße von
Waren hin und her schleppen müssen, sie dürfen sich, auch wenn niemand
im Laden ist, auch wenn ihre Kniee zittern und ihre Füße schmerzen,
nicht setzen[721]! Stehen--stehen--zwölf, vierzehn und mehr Stunden
stehen--und dabei lächeln, immer lächeln! Eine Folter, die würdig wäre,
spanische Inquisitoren zu Erfindern zu haben!

Erst in jüngster Zeit hat man allenthalben den Versuch gemacht, diesen
Übelstand aus der Welt zu schaffen; bei der Zaghaftigkeit aber, mit der
vorgegangen wurde, ist wohl anzunehmen, daß er, in etwas gemilderter
Form vielleicht, noch immer besteht. In Betreff der Arbeitszeit gilt
dasselbe; ist doch sogar nicht einmal die Sonntagsruhe den abgehetzten
Mädchen überall gesichert; auch am Sonntag müssen sie stundenweise im
Laden stehen, damit nur ja dem Herrn Prinzipal kein Pfennig Profit
entgeht.

Am schlimmsten von allen sind die Lehrlinge, wahre Prügelknaben und
Mädchen für alles, daran. Kaum der Schule entwachsene Kinder werden mit
Vorliebe aufgenommen; sie kosten wenig und lassen sich widerstandslos
ausnutzen. Welchen riesigen Umfang ihre Beschäftigung annimmt, geht
daraus hervor, daß sie in einem Viertel aller deutschen Geschäfte die
Gehilfen an Zahl überragen, in einem Fünftel sich noch einmal so viel
Lehrlinge als Gehilfen befinden, und es sogar vorkommt, daß Geschäfte
vielfach alle Gehilfen durch Lehrlinge ersetzen.[722] Sie sind
Laufmädchen, Hausmädchen, Verkäuferin--alles in einer Person. In einem
Alter, wo der weibliche Körper der Schonung bedarf, müssen sie
dieselben, ja oft noch längere Arbeitszeiten aushalten, als die
Erwachsenen.[723] Nur die Stärksten überstehen es, die anderen werden in
der Blüte geknickt, noch ehe ihnen die Frühlingssonne recht aufging.
Trotzdem fehlt es nie an neuem Nachwuchs; in Scharen, wie die Motten,
fliegen die Mädchen zu dem blendenden Licht hinter den Spiegelscheiben,
von dem sie Märchenwunder erwarten. Und der Handel braucht Jugend! Die
Kunden sehen nicht gern alte Gesichter; ein hübsches junges Mädchen ist
eine stärkere Anziehungskraft, als die beste Ware. Sehen wir uns um in
den Geschäften, besonders in denen der Großstadt: fast lauter junge
Dinger mit hochfrisiertem Lockenkopf und glänzenden Augen treten uns
entgegen. Die Statistik bestätigt das: von den Berliner Verkäuferinnen
sind 71 % 15 bis 21 Jahre alt[724]! Wo bleiben die Alternden,
diejenigen, die nicht heiraten, die nicht das ungewöhnliche Glück haben,
sich selbständig machen zu können? Die edelsten Pferde haben das
traurige Schicksal, daß sie aus dem Rennstall-Palais, wo sie in ihrer
Jugend genährt, gepflegt und gehütet wurden, sorgfältiger als mancher
Mensch, zuerst in den engen Stall des Droschkenkutschers und dann zu den
armseligen Ackergäulen des Bauern geraten--je älter sie werden, desto
härter wird ihr Los. Den arbeitenden Frauen, und unter ihnen ganz
besonders den Verkäuferinnen, geht es nicht anders. Werden sie alt und
häßlich, so treten Junge an ihren Platz, und sie müssen sich mit immer
schlechteren Stellungen begnügen. Der in Deutschland bisher übliche
Modus, wonach keine oder nur ganz kurze Kündigungsfristen ausgemacht
wurden,--d.h. der Prinzipal konnte die Angestellte oft von einem Tag zum
andern entlassen, die Angestellte aber mußte die Kündigung vier Wochen
vorher einreichen,[725]--hatte zur Folge, daß die alternden Gehilfinnen
sich einer dauernden Wanderschaft ausgesetzt sahen und nie wissen
konnten, ob nicht der nächste Tag sie arbeitslos macht. Mit 40 Jahren
freilich sind sie so wie so schon verbraucht.

Infolge des vielen Stehens, der langen Arbeitszeit und der schlechten
Ernährung tritt schon früh allgemeine Entkräftung und Muskelschwäche
ein. Die jungen Mädchen werden fast durchweg von der Bleichsucht
heimgesucht,--ein Blick in die Gesichter der Verkäuferinnen beweist das
zur Genüge,--Unterleibsleiden treten hinzu. Dabei schwellen die
Fußgelenke an, an den Beinen zeigen sich Krampfadern, Magenkrankheiten
zerstören den Rest der Nervenkraft. Infolgedessen wird die Mutterschaft
für die meisten ehemaligen Verkäuferinnen zu einer schweren
Krankheit.[726] Die große körperliche Abspannung, die oft so weit geht,
daß die jungen Mädchen sich abends mit den Kleidern aufs Bett werfen,
weil sie nicht mehr die Kraft haben, sich auszuziehen,[727] führt
schließlich auch zu geistiger Erschlaffung. Selten nur reichen die
Interessen über die alltäglichen, persönlichen hinaus; ein energischer
Kampf um bessere Arbeitsbedingungen liegt ganz außerhalb der
Vorstellungsmöglichkeit.

Neben die körperlichen und geistigen Folgen der proletarischen
Frauenarbeit im Handel treten aber noch die traurigen moralischen hinzu.
Die große Masse der Angestellten kann von ihrem Arbeitseinkommen nicht
leben; nicht nur, daß sie sehr häufig das einfachste Leben kaum fristen
können, ihre Ansprüche sind auch von Haus aus höhere und werden durch
ihre ganze Umgebung, besonders in den Bazaren und Konfektionsgeschäften,
noch gesteigert. Und Gewohnheit und Ansprüche gilt es in Rechnung zu
ziehen, wenn man Notlagen und die Größe der damit verbundenen Gefahren
richtig beurteilen will. Eine Fabrikarbeiterin in irgend einer kleinen
sächsischen Fabrikstadt kann sich durch dasselbe Einkommen gesichert und
befriedigt fühlen, das eine Verkäuferin in einem Berliner Geschäft der
Schande in die Arme treibt. Weit stärkere Einflüsse, als auf die arme
Arbeiterin, wirken bei ihr noch mit: diese heiratet leicht, nach der
Ansicht kühler Rechenmeister, leichtsinnig; ihr Erwählter sieht in ihrer
Arbeitskraft ihre wertvollste Mitgift, für jene aber ist die Heirat ein
selten erreichter Traum, denn ihre männlichen Arbeitsgenossen suchen vor
allem eine klingende Mitgift, um sich dadurch selbständig machen zu
können, und schließt für die Frauen ihr Beruf die Ehe aus. Wenn die Not
sie nicht zu Falle bringt, so ist es der Durst ihres Herzens und ihrer
Sinne, der sie in jene Liebesverhältnisse verstrickt, die so oft ein
tragisches Ende finden. Dabei naht ihr auch die Verführung mehr als
anderen durch den Verkehr mit der Kundschaft. Es ist nicht übertrieben,
sondern entspricht den täglich zu beobachtenden Thatsachen, daß die
Lebemänner der Großstädte in den Bazaren und Warenhäusern ein beliebtes
Feld für ihre Jagd nach Menschenware erblicken. Aber auch für die Chefs
selbst sind ihre Angestellten nicht selten Freiwild. Ein armes Mädchen
muß entweder ein hohes Maß an sittlicher Kraft, Selbstverleugnung und
Entsagungsfähigkeit, oder einen traurigen Mangel an Jugendlust und
Liebessehnsucht besitzen, um rein und unangefochten aus diesem Leben
hervorzugehen. Wie Zolas Denise sieht sie sich umgeben nicht nur von
leichtsinnigen, sondern auch von moralisch verdorbenen Kolleginnen. Und
damit berühren wir einen der traurigsten Punkte der Frauenarbeit im
Handel, der es so vielen unmöglich macht, sich durch eigene Kraft
ehrlich durchzuschlagen: unter dem Deckmantel der Verkäuferin und mehr
noch der Probiermamsell verbirgt sich häufig die Prostitution in grober
und feiner Art. Die femme soutenue ist es besonders, die hierbei in
Betracht kommt, und da sie hübsch ist und jung und elegant, auf die Höhe
des Lohnes wenig Wert legt, so macht der Unternehmer ein gutes Geschäft
durch ihre Anstellung. Schulter an Schulter mit ihr machen die
wohlerzogenen Töchter des mittleren Bürgerstandes, die Wohnung und Kost
bei ihren Eltern haben und mit einer Einnahme, die nur ein Taschengeld
repräsentiert, zufrieden sind, den alleinstehenden, mühsam sich
emporringenden Arbeiterinnen die empfindlichste Konkurrenz. Sie erhalten
die Löhne auf einem niedrigen Niveau, ja sie drücken sie durch ihr
massenhaftes Eintreten in den Handel vielfach noch herunter.
Infolgedessen zeigt sich in höherem Maße noch als in der Fabrikarbeit,
daß die Entwicklung der Löhne mehr und mehr die Tendenz hat, sich nach
den Frauenlöhnen zu gestalten, so daß der Unterhalt der Familie auf dem
Erwerb von Mann und Frau beruht. Da die verheiratete Frau aber unter den
Angestellten eine beinahe unmögliche Erscheinung ist,--die Heirat
bedeutet fast stets den Austritt aus dem Geschäft,--so sind die Folgen
dieser Entwicklung zunächst für Mann und Weib gleich traurige.

Die Lage der Handelsgehilfinnen würde eine verzweifelte sein, wenn sich
nicht in der öden Wüste ihres Daseins Quellen künftigen blühenden Lebens
nachweisen ließen. Eine der stärksten und wichtigsten ist auch hier die
Entwicklung zum Großbetrieb. Je größer der Betrieb desto höher ist der
Lohn, desto kürzer die Arbeitszeit und geregelter die Ruhepausen, desto
mehr nimmt aber auch die im Hause des Prinzipals lebende Zahl der
Angestellten ab. Damit schwindet das patriarchalische Verhältnis mehr
und mehr, der Angestellte nimmt nach und nach dieselbe Stellung ein, wie
der Fabrikarbeiter, dessen persönliches, häusliches Leben und Treiben
den Unternehmer nicht kümmert. Hierdurch und durch die allerdings erst
in den ersten Anfängen steckende Regelung der Arbeitszeit, wird es
schließlich auch der verheirateten Frau leichter möglich sein, ihrem
Mädchenberuf treu zu bleiben. Das alles würde aber nur wenig nützen,
wenn nicht noch ein anderes Moment hinzukäme: die Töchter des
Bürgerstandes werden durch den Druck der Verhältnisse,--nicht zum
mindesten hervorgerufen durch die, das kleine Geschäft tötenden
Warenhäuser,--gezwungen werden, den Lohn nicht mehr als Mittel zur
Befriedigung von Luxusbedürfnissen, sondern als Mittel zum
Lebensunterhalt anzusehen. In der Not selbst liegen die Keime für ihre
Beseitigung.

Neben der Entwicklung zum Großbetrieb, die aber,--das sei all denen
gesagt, die bequem genug sind, sich durch Zukunftshoffnungen über die
Gegenwart trösten zu lassen,--eine außerordentlich langsame ist, läuft
eine andere her, die eine entgegengesetzte Tendenz zu haben scheint und
gerade im Hinblick auf die Frauen sehr wichtig ist: die Zunahme der von
Frauen geleiteten Alleinbetriebe. Nach der Zählung von 1895 gab es deren
145165, was gegenüber der Zählung von 1882 einer Zunahme von 41 %
gleichkam, während die von Männern geleiteten Alleinbetriebe um 5 %
abgenommen haben.[728] Trotz der Selbständigkeit der Händlerinnen ist
ihre Existenz eine proletarische, ihr Kampf ums Dasein ebenso so hart,
als der der Arbeiterin. Ueber die Hälfte,--56 %,--sind Witwen, 27 %
verheiratete Frauen, aber nur 17 % ledige. Die Witwen richten das
Geschäft, wenn es nicht vom Manne ererbt ist, mit einem oft winzigen
Kapital ein, um sich und ihre Kinder zu erhalten; die verheirateten
Frauen, häufig ehemalige Dienstmädchen, wenden ihren Sparpfennig daran,
um durch ihren eigenen Erwerb den des Mannes zu ergänzen; alternde
Mädchen, oft frühere Verkäuferinnen in ähnlichen Geschäften, versuchen
gleichfalls damit ihr Brot zu verdienen. Eine wichtige Rolle spielt bei
dieser Art Frauenarbeit der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten
und gerade er ist geeignet, sich auch fernerhin in Zwergbetrieben zu
konzentrieren: die Waren bilden den täglichen Bedarf jeder
Hauswirtschaft, sie müssen also möglichst in der Nähe zu haben sein und
können daher auch nicht in Warenhäusern aufgestapelt werden; allein das
Wachstum der Städte führt ihre Vermehrung herbei, die scharfe Konkurrenz
jedoch macht sie zu wahren Eintagsfliegen und zwingt die Besitzerinnen,
die bisher mühsam ihre Selbständigkeit aufrecht erhielten, zur
Lohnarbeit. Trotzdem ist ihre Zunahme, solange die Privatküchen bestehen
werden, wahrscheinlich und sicher ist, daß sich gerade dieses
Handelszweiges mehr und mehr die Frauen bemächtigen werden.

Welches Los härter ist, das der Angestellten im glänzenden Kaufhaus, die
in seinem Dienst hinwelkt, die ihre Jugend entweder vertrauern oder
wegwerfen muß, oder das der Händlerin im düsteren Keller oder stickigen
Laden, die oft auch noch die Nächte opfert, um ihre armselige
Häuslichkeit in Ordnung zu halten, und sich um ein paar Pfennige plagt
von früh bis spät--das wage ich nicht zu entscheiden.


Die Landwirtschaft.

Während die Industriearbeiterin und die Handelsangestellte Erscheinungen
sind, die in den Augen der meisten feste Gestalt gewonnen haben, die
das Interesse der Nationalökonomen, der Politiker und der Gesetzgeber
erregen, ist die Landarbeiterin bisher ein ziemlich vager Begriff
geblieben. Man ereifert sich höchstens über ihre Landflucht und wundert
sich, daß sie ihr gesundes, gesichertes Leben so leichten Herzens
preisgiebt. Wie dies Leben sich in Wirklichkeit abspielt, das machen
sich nur Wenige klar und diese wenigen müssen sich teils auf ihre
eigenen beschränkten Beobachtungen, teils auf Privat-Untersuchungen
stützen, die auch immer nur unzulänglich bleiben können. Aber noch durch
einen anderen Umstand wird die Kenntnis der Lage der Landarbeiterinnen
erschwert.

Sie bilden keine durch gleiche Arbeitsbedingungen gekennzeichnete Masse,
sie gliedern sich vielmehr in zwei Kategorien von Arbeitern: die
kontraktlich gebundenen und die freien, und in eine ganze Anzahl von
Unterabteilungen beider. Zu den ersteren gehören zunächst die in festem
Jahreslohn stehenden Mägde, die Wohnung und Nahrung von der
Herrschaft empfangen und deren Arbeit eine teils häusliche, teils
landwirtschaftliche ist. Zu ihnen gehören ferner im ostelbischen
Deutschland die Instleute, die vom Gutsherrn Wohnung und ein Stück Land,
außerdem einen gewissen Anteil am Ertrage des Gutes erhalten, dafür aber
nicht nur ihre eigene und die Arbeitskraft ihrer Frau in seinen Dienst
stellen, sondern auch eine Anzahl, gewöhnlich zwei, andere Arbeiter für
den Gutsherrn halten müssen; es sind das die Scharwerker, meist
Angehörige des Instmanns, seine Töchter und Söhne, auch seine Mutter
oder sein Enkelkind, sehr oft aber auch fremde Mägde und Knechte, die
der Instmann zu dem Zweck dingt.[729] Im Westen Deutschlands nehmen die
Heuerleute eine ähnliche Stellung ein, nur daß ihnen Wohnung und Land
nicht geliefert wird, sondern daß sie es gegen geringes Entgelt pachten
müssen, dafür aber verpflichtet sind, für eine bestimmte Reihe von Tagen
um die Hälfte des ortsüblichen Lohns für den Besitzer Arbeit zu
leisten.[730] Eine breite Schicht der Landarbeiter sind in Ostelbien
auch noch die Deputanten, die neben dem Lohn rohe Lebensmittel
geliefert bekommen. Im übrigen Deutschland wiederholt sich häufig den
Tagelöhnern gegenüber eine gleiche Art der Entlohnung. Neben diesen
Arbeiterkategorien finden sich noch die Tagelöhner mit selbständigem
Landbesitz, von dessen Ertrag sie jedoch nicht leben können, so daß sie
gezwungen sind Lohnarbeit zu suchen. Sie gehören ebenso zweifellos zu
den Proletariern, wie ihre Frauen, obwohl diesen zumeist die Bearbeitung
und Bestellung der eigenen kleinen Landwirtschaft obliegt. Auch der
Bauer und die Bäuerin, die keine Lohnarbeiter beschäftigen, sondern sich
von früh bis spät allein abrackern, um sich vom Ertrage ihrer Mühen zu
ernähren, sind, trotzdem sie auf eigenem Grund und Boden stehen, nichts
anderes als Proletarier.[731]

Die eigenartigste Klasse unter dem ländlichen Proletariat ist die der
Wanderarbeiter. Unter dem Namen Sachsengänger begegnen wir ihnen in
Deutschland; in England war es das Gangsystem, das ihre Beschäftigung
beförderte; in Frankreich sind es zum großen Teil belgische Arbeiter,
die sich saisonweise verdingen; auch in Amerika zeigt sich je nach den
Erfordernissen der landwirtschaftlichen Betriebe eine innere Wanderung
der Arbeiter. Während das landwirtschaftliche Gesinde und die Instleute
die älteste Art der Landarbeiter, gewissermaßen die Nachkommen der
Hörigen und Leibeignen, darstellen, repräsentieren die Wanderarbeiter
die modernisierte Landwirtschaft. Sie nimmt durch das Eindringen der
Maschinen, besonders der Dreschmaschinen, die in kurzer Zeit eine Arbeit
verrichten, durch die sonst wochenlang viele Arbeiter Beschäftigung
fanden, mehr und mehr den Charakter des Saisongewerbes an. Die
intensivere Kultur der landwirtschaftlichen Betriebe,--dabei sei nur an
die Molkereien und an die Zuckerrübenpflanzungen erinnert,--zu der die
zu geschäftlichen Unternehmern sich umwandelnden Landwirte notwendig
gedrängt werden, unterstützt gleichfalls die allmähliche Umwandlung des
ländlichen Proletariats.[732] In England, das zwar im allgemeinen noch
alle Arten landwirtschaftlicher Arbeiter beschäftigt: mit eigenem Land,
mit Allotment, mit Haus- und Gartenüberlassung oder mit bestimmtem
Deputat, hat sich diese Umwandlung besonders im Osten, wo nur mit
wöchentlich oder täglich engagierten freien Tagelöhnern gearbeitet wird,
schon vollzogen.[733] Bezeichnend dafür ist, daß der Begriff des
Landarbeiters im modernen Sinn erst im 19. Jahrhundert entstand, denn
der Bedarf an Landarbeitern wurde früher durch die zum Dienst
verpflichteten Bauern, in Preußen auch durch die zum Zwangsgesindedienst
genötigten Bauernkinder[734], in außereuropäischen Ländern, besonders in
Amerika, durch die Sklaven gedeckt.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß es sehr schwierig ist, die Einnahmen
der Landarbeiter festzustellen, die sich aus Geld und Naturallohn, aus
freier oder pachtweiser Ueberlassung von Wohnung und Land, aus Anteilen
am allgemeinen Gutsertrag zusammensetzen. Was zunächst das ländliche
Gesinde betrifft, so variiert allein in Deutschland sein Jahreslohn
ungemein. Er ist am niedrigsten, wo die Frauenarbeit am stärksten ist;
je weiter nach Osten, desto tiefer sinkt er. In Ostpreußen kamen
Mägdelöhne von 50 Mk. vor; Kuhmägde pflegen 75 bis 80 Mk. jährlich zu
verdienen, sogenannte Leuteköchinnen 90 Mk. Im Westen und Süden, z.B. in
Oldenburg, Hannover, Hessen und Württemberg, variieren die Frauenlöhne
zwischen 50 und 150, 75 und 150, 60 und 100, 50 und 150 Mk.[735] Die
höchsten Lohnsätze finden sich in Schleswig-Holstein und im Jeverlande,
wo der Mangel an Mägden schon zu einer großen Kalamität geworden ist.
Hier beträgt der niedrigste Lohn 90 Mk., die Großmägde kommen zu einem
Verdienst von 200 bis 230 Mk., Löhne von 250 Mk. werden auch zuweilen
gezahlt.[736] Neben diesem Geldlohn wird Verpflegung und Wohnung selten
berechnet; für Württemberg werden die Ausgaben für eine Magd
einschließlich des Versicherungsgeldes und der Geschenke mit 120 bis 230
Mk. angegeben, so daß ihre Gesamteinnahme 295 bis höchstens 400 Mk.
jährlich beträgt.[737] So begegnet uns hier wieder die beinahe typische
Jahreseinnahme aller schlecht gestellten Proletarierinnen. Die
französischen Landmägde stehen sich, was den Lohn betrifft, der 150 bis
200 fr. zu betragen pflegt, noch schlechter, ihre Beköstigung dagegen
wird im allgemeinen höher veranschlagt werden dürfen.[738]

Bedeutend schwieriger ist es, die Jahreseinnahme der ostelbischen
Instleute und ihrer Scharwerker, und der westdeutschen Heuerlinge
festzustellen, da sie von der Beschaffenheit dessen, was ihnen geliefert
wird, von ihrer eigenen Geschicklichkeit, etwa im Aufziehen und
Verkaufen von Vieh und Geflügel, und von dem jeweiligen Anteil an dem
Ertrag des Gutes abhängig ist. Der Geldlohn der Frauen beträgt
gewöhnlich im Sommer 30 bis 50, im Winter 20 bis 35 Pf. täglich. Dieser
Lohn wird jedoch niemals der Frau direkt, sondern stets dem Instmann,
als dem Familienoberhaupt, mit dem der Arbeitsvertrag zugleich für seine
Frau und seine Scharwerker abgeschlossen wurde[739], ausgezahlt. Für
seine Frau, noch mehr aber für die Scharwerksmädchen, die er natürlich
bei der eigenen Armut nur auf das notdürftigste unterhält, bedeutet das
eine große Benachteiligung. Ihr sauer verdienter Lohn fließt nur zu oft
in die Tasche des Schankwirts. Kein Wunder daher, wenn nur sehr niedrig
stehende, physisch oder moralisch herabgekommene Mädchen sich zum
Scharwerksdienst verstehen wollen. Weit besser ist die Lage der
westdeutschen Heuerlingsfrauen, obwohl auch sie von den Männern
vollständig abhängig sind. Sie sind jedoch nur zu einem geringeren Maß
von Arbeit verpflichtet und ihre Pachtung wirft ihnen mehr ab, als der
dürftige Boden des ostelbischen Instmanns. Die bevorzugteste Schicht der
kontraktlich gebundenen Landarbeiter sind aber diejenigen, die nicht wie
die Instleute zum großen Teil abhängig sind von den schwankenden
Erträgnissen des herrschaftlichen Gutes, noch wie die Heuerlinge von
denen der eigenen Pachtung, sondern die neben dem Lohn ein festes
Deputat erhalten. Da aber auch dieses ein Familieneinkommen darstellt,
so ist damit auch die Frau zur Arbeit verpflichtet. In allen drei
Fällen, bei den Instleuten, einschließlich der Scharwerker, den
Heuerlingen und den Deputanten, wiederholt sich demnach dasselbe
eigentümliche Bild einer völligen Abhängigkeit auch der arbeitenden Frau
von ihrem Ehemann. Die Stellung einer selbständigen Lohnarbeiterin ist
für sie nur ein toter Begriff, sie ist nichts als der dritte Arm des
Mannes, von einem bestimmten ihr zufallenden Lohn kann nicht gesprochen
werden.

Eine Stufe höherer Entwicklung in Bezug auf die Selbständigkeit des
weiblichen Landarbeiters bedeutet daher die freie Tagelöhnerarbeit. Auch
sie wird teils nur durch Geld, teils durch Geld und Beköstigung
entlohnt, und zwar ist der Lohn nicht nur niedriger als der des
Mannes,--obwohl die Arbeitsteilung nicht immer dazu berechtigt,--sehr
häufig wird den Frauen auch eine geringere Menge an Nahrung gewährt,
wodurch die Ersparnis des Gutsbesitzers durch weibliche Arbeit noch
erhöht wird. Ueber die Lohnverhältnisse in Deutschland giebt folgende
Tabelle einige Aufklärung:[740]

Land                         | ohne Kost | mit Kost
                             | Pf.       | Pf.
-----------------------------+-----------+---------
Posen                        |  30- 50   |    --
Regierungsbezirk Magdeburg   |  60-130   |  40- 90
Regierungsbezirk Merseburg   |  60-125   |  40- 90
Regierungsbezirk Erfurt      |  70-130   |  50-120
Provinz Hannover             |  70-150   |  40- 80
Regierungsbezirk Kassel      |  60-150   |  30-100
Provinz Hessen-Nassau        |  80-150   |  50-100
Großherzogtum Hessen         |  80-175   |  30-100
Provinz Schleswig-Holstein   |  50-150   |  20-120
Herzogtum Anhalt             |  70-150   |  40- 75
Thüringische Staaten         |  60-150   |  40-100
Königreich Sachsen           |  60-150   |  40- 80
Bayern                       |  60-120   |  30-100
Hohenzollern                 |  70-220   |  30-160

Die höchsten Löhne werden im Sommer, hauptsächlich zur Erntezeit
gezahlt, die niedrigsten im Winter. Eine ununterbrochene Arbeit zu allen
Jahreszeiten hat keine Tagelöhnerin. Rechnen wir, daß sie etwa 250 Tage
voll beschäftigt ist, davon während 125 Tagen den höchsten täglichen
Durchschnittslohn (ohne Kost) mit 1,43 Mk., also im ganzen 178,75 Mk.,
während weiterer 125 Tage den täglichen Mindest-Durchschnittslohn mit 63
Pf., also im ganzen 78,75 Mk. erhält, so erreicht sie einen
Jahresverdienst von 257,50 Mk. Berechnen wir ihre Einnahmen mit
Beköstigung nach demselben Schema, so beträgt ihre Jahreseinnahme nur
172,50 Mk. Daß diese Summen noch viel zu hoch gegriffen sind, geht z.B.
aus der Berechnung der Einnahme einer Tagelöhnerfamilie in Holstein
hervor, wo Mann und Frau zusammen bei fleißigster Arbeit nur 450 bis 600
Mk., jährlich verdienen.[741] Uebersteigt die Zahl der Familienglieder
vier Personen, sind womöglich alte Eltern oder kränkliche Angehörige mit
zu versorgen, so ist eine Existenz auf Grund solcher Einnahmen eine
äußerst kümmerliche. Hat der Tagelöhner eigenen Landbesitz, zieht er
Schweine oder Geflügel, so kann seine Einnahme sich auf 700 bis 800 Mk.
steigern[742], dann ist aber auch die Arbeitskraft der Frau eine bis an
die Grenze des Möglichen ausgenutzte, da ihr fast ganz allein die
Bewirtschaftung des eigenen Landes und die Zucht der Tiere zufällt.[743]
In der schlimmsten Lage aber befindet sich die Alleinstehende, um so
schlimmer, wenn sie Kinder hat. Selbst auf dem Lande läßt sich das Leben
mit einem Einkommen von 150 bis 250 Mk. nicht fristen. Die Kinderarbeit
mit all ihren Schrecken, das Hütekinderwesen mit seinen traurigen Folgen
an physischer und sittlicher Verwahrlosung sind die nächsten
selbstverständlichen Resultate solcher Lohnverhältnisse.

In Frankreich sind sie kaum besser. Der Durchschnittsverdienst der
Frauen beträgt im Winter ohne Kost 1,42 fr., mit Kost 79 c.; im Sommer
1,87 fr. resp. 1,14 fr.[744]; in einzelnen Landstrichen, z.B. in der
Bretagne, sinken die Löhne bis auf 50 c. resp. 1 fr. täglich, während
sie andererseits freilich zuweilen, z.B. in der Normandie, bis auf 2 und
3 fr. steigen[745]; im allgemeinen übersteigt die Jahreseinnahme der
französischen Tagelöhnerin höchst selten 229 fr., während 300 fr. das
mindeste ist, womit ein Existenzminimum ihr gesichert wird.[746] Ihre
deutsche Arbeitsgenossin im fernen Osten, wo in kurzer Sommerszeit
mühsam der Erde ihre Früchte abgerungen werden, hat also keinen Grund,
die Schwester in dem sonnigen, reichen Frankreich zu beneiden. In einer
etwas besseren Lage befindet sich die englische Landarbeiterin. Sie
nimmt, wie wir gesehen haben, an Zahl rapide ab, infolgedessen steigen
ihre Löhne und ermöglichen ihr ein erträgliches Leben.[747] Mehr und
mehr aber beschränkt sie sich auf die ausschließliche Bewirtschaftung
des eigenen kleinen Eigentums, während ihr Mann als Tagelöhner in Arbeit
geht. Mit ihr auf gleicher Stufe steht die Frau und die Tochter des
kleinen selbständigen Landwirts, nur daß ihre Einkommen lediglich vom
Ertrage ihrer Besitzung abhängen. Sie sind fast immer wahre
Arbeitssklaven, sehr häufig tüchtiger als die Männer, die nur zu oft dem
Alkoholteufel zum Opfer fallen. Trotzdem sind diese armen
Proletarierinnen von ihnen abhängiger, als irgend eine Lohnarbeiterin
von ihrem Arbeitgeber. Ihre Arbeit wird als eine ebenso
selbstverständliche angesehen, wie die der Instmannsfrau, und ihr
klingender Ertrag fließt allein in die Tasche des Familienoberhauptes.
Dies Verhältnis vollkommener Abhängigkeit drückt sich in der Picardie
noch heute dadurch aus, daß die Frau ihren Mann nicht anders nennt als
_mon maître_, und der Mann sein Weib in der Vendée nicht anders als
_ma créature_.[748]

Eine ganz andere Stellung nimmt die Wanderarbeiterin ein. Nichts fesselt
sie an die Scholle, weder ein Anteil am Ertrag des Herrengutes, noch der
eigene Besitz, noch der Jahreslohn der Dienstmagd. Wie die
Fabrikarbeiterin ist sie nichts als Arbeitsmaschine, jede Spur eines
persönlichen Verhältnisses zwischen Herr und Knecht hat aufgehört. Die
Ausbreitung landwirtschaftlicher Maschinen, die Ablösung ländlicher
Winterarbeiten durch die Fabriken, wodurch es mehr und mehr an
Beschäftigung für die seßhaften Arbeiter fehlt, die Ausdehnung
schließlich des Eisenbahnnetzes, die den Verkehr erleichtert, hat die
Wanderungen ländlicher Arbeiter überall begünstigt. Oft, wie z.B. in
Frankreich, handelt es sich um nicht organisierte innere Wanderungen,
oft werden aber auch Ausländer, wie in Frankreich Belgier, in
Oesterreich Italiener, in Deutschland Italiener, Oesterreicher und
russische Polen eingeführt. In größerem Umfange organisierte Wanderungen
finden sich aber nur in Deutschland und England. Agenten, wahre
Sklavenhalter, treiben hier wie dort die Menschenherde zusammen und
führen sie truppweise ihrer Bestimmung zu. Sie stehen als Aufseher mit
der moralischen, oft aber auch mit einer sehr materiellen Peitsche bei
der Arbeit hinter ihnen, denn häufig richtet sich ihr Lohn nach der
Arbeitsleistung der Arbeiter. Wanderungen englischer Landarbeiter waren
noch ganz besonders berüchtigt deshalb, weil fast ausschließlich Kinder
dazu angeworben, und, infolge ihrer völligen Wehrlosigkeit dem
Gangmeister gegenüber, auf das äußerste ausgenutzt und in ihren
Einnahmen benachteiligt wurden. In dieser schlimmsten Form ist das
System heute überwunden, ohne daß die Wanderungen deshalb aufgehört
haben. In Deutschland haben sie unter dem Namen der Sachsengängerei den
größten Umfang angenommen.

Ihre Entstehung und ihren Namen hat sie der Rübenzuckerkultur in Sachsen
zu verdanken, die während bestimmter Zeiten die Anstellung zahlreicher
Arbeitskräfte notwendig machte. Nach und nach fanden die Wanderarbeiter
auch zu jeder Art anderer Landarbeit Verwendung. Sie rekrutieren sich
aus den östlichen Provinzen Preußens und bestehen großenteils aus jungen
Mädchen. Für das Jahr 1890 wurden 75000 Personen gezählt, die sich von
Brandenburg, Pommern, Westpreußen, Posen und Schlesien aus auf die
Wanderschaft begaben.[749] Auf sächsischen Gütern kommen auf 150 Männer
337 Mädchen.[750] Der normale Lohn für sie beträgt 1 Mk., während die
Männer durchschnittlich 50 Pf. mehr zu verdienen pflegen.[751] Es
kommen aber auch Löhne von 1,50 bis 3 Mk. vor.[752] Außerdem wird
Wohnung, zum Teil auch Beköstigung,--natürlich bei niedrigeren
Lohnsätzen,--gewährt. Charakteristisch ist, daß der Unterschied zwischen
der Bewertung der Männer- und der Frauenarbeit sich bis auf die
Reisevergütung ausdehnt, die für Frauen ein Drittel weniger beträgt als
für Männer.[753] Der Gesamtverdienst einer Sachsengängerin ist bei einer
Beschäftigungszeit von 34 Wochen im Minimum auf 369 Mk., im Maximum auf
424 Mk. geschätzt worden.[754] Das würde jedoch einem Tagesverdienst von
1,80 bis 2 Mk. entsprechen, der,--besonders wo in Akkord gearbeitet
wird,--nur von den tüchtigsten, mit der Arbeit vertrauten Mädchen
erreicht wird. Saisonverdienste von 200 bis 250 Mk. sind durchaus keine
Seltenheit. Trotzdem sind infolge äußerster Sparsamkeit und wahrhaft
trostloser Unterernährung fast alle Mädchen im stande, Ersparnisse zu
machen, die die Höhe von 120 bis 180 Mk. erreichen. Möglich ist das nur,
wenn die Wochenausgaben für die Kost 3,50 bis 4,50 Mk. nicht
übersteigen.[755] Nun wird aber auch, obwohl die Sachsengängerinnen eine
starke Abneigung dagegen empfinden, neben dem Lohn vielfach die
Beköstigung geliefert. Die Lohnabzüge jedoch stehen zur Qualität und
Quantität der dafür gegebenen Nahrung in keinem Verhältnis; auf einem
Gute im Kreise Halle z.B. betrug die Ausgabe des Besitzers für die
Ernährung der Sachsengänger pro Person und Woche 1,20 Mk., auf einem
anderen gar nur 75 Pf., d.h. in dem einen Fall täglich 17, in dem
anderen 11 Pf.[756],--Summen, die gewiß das Ideal der Volksernährung
repräsentieren!--Nach beendigter Saison pflegen die Sachsengänger in
ihre Heimat zurückzukehren, wo sie zumeist von ihren Ersparnissen oder,
wenn diese nicht zureichen, von den Erträgnissen hausindustrieller
Thätigkeit zu leben pflegen. Mädchen, die nur 200 Mk. verdient haben,
also bei größter Sparsamkeit kaum 70 bis 80 Mk. zurücklegen konnten,
wären natürlich nicht im stande, während 18 Wochen davon zu existieren,
wenn sie nicht bei ihren Angehörigen, die sie in der Regel dafür
entschädigen müssen, ein Unterkommen fänden. Bringen sie, wie es häufig
geschieht, von einer ihrer Wanderfahrten eine lebendige Erinnerung mit
nach Hause, so reicht auch die Einnahme einer gutgestellten
Sachsengängerin nicht aus, um sich und das Kind zu erhalten. Sie muß
auch während der Winterwochen, die sie so dringend nötig hat, um sich
nach der übermäßigen Anstrengung des Sommers zu erholen, Arbeit suchen,
die, wenn sie überhaupt zu finden ist, nur kärglichen Lohn abwirft.

Nach alledem dürften es kaum die Löhne sein, die den immer wieder
behaupteten Vorteil der Landarbeit vor der Industriearbeit ausmachen
können. Ihr niedriger Stand wird von den Lobrednern der
landwirtschaftlichen Thätigkeit auch vielfach nicht geleugnet, wohl aber
damit erklärt und entschuldigt, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen
unvergleichlich bessere seien, als in anderen Berufssphären, und der
Nachteil des geringeren Einkommens dadurch zehnfach aufgewogen würde.
Diese Auffassung rief auch jenes Märchen von den drallen Landmägden und
den blühenden Landkindern hervor, das von der Zeit her, als die
Dorfgeschichten grassierten, den Menschen noch besonders fest im Kopfe
sitzt. Für diejenigen, die nicht die Wirklichkeit zu sehen verstehen,
hat die moderne Malerei, die gerade nach dieser Richtung besonders
wahrhaftig ist, angefangen, ihren Märchenglauben zu erschüttern.
Versuchen wir es an der Hand der Thatsachen. Die schwerwiegendste ist
die der ungeregelten Arbeitszeit. Bei allen landwirtschaftlichen
Arbeiterkategorien dauert sie in der Zeit der Bestellung und besonders
während der Ernte vom ersten Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang. Für
das festangestellte Gesinde giebt es dabei kaum Saisonunterschiede; denn
alle Arbeiten, die ihm obliegen, im Viehstall, im Hühnerhof und im Haus,
erleiden keine Unterbrechung. Die Sachsengänger repräsentieren auch nach
dieser Richtung einen leisen Fortschritt, indem ihre Arbeit auf die Zeit
von früh fünf bis abends sieben Uhr, mit Unterbrechungen von im ganzen
zwei Stunden, festgesetzt zu sein pflegt.[757] Das schließt aber
natürlich Ueberstundenarbeit nicht aus, die noch dazu, wo es sich nicht
um Akkordlohn handelt, keinerlei Vergütung erfährt. Eine zwölf- bis
vierzehnstündige Arbeit in frischer Luft mag nun manchen als etwas ganz
Erträgliches erscheinen, der nicht weiß, worin sie besteht, oder sich
bei dem Gedanken daran nur ein jodelndes "Diandl" vorstellt. Betrachten
wir die Thätigkeit der Landarbeiterin mit nüchternen Augen, so wird sie
schnell jeder Poesie entkleidet sein. Eine anstrengende ist schon die
Arbeit der Mägde im Kuhstall, und nicht aus bloßem Uebermut gehen jetzt
schon viele ihr aus dem Wege. Ganz abgesehen von der schlechten Luft und
dem Schmutz, denen sie dauernd ausgesetzt sind,--die meisten Ställe
sprechen den geringsten Anforderungen der Hygiene Hohn,--ist das Melken
anstrengend und gesundheitsschädlich. Geschwüre an den Händen sind keine
Seltenheit und eine Arbeitsunterbrechung in diesem Fall, die sowohl im
Interesse der Arbeiterin als der Milchkonsumenten liegen würde, wird nur
selten für notwendig erachtet. Niemand wird sich des Schauderns erwehren
können, der in die dunklen, stickigen Ställe tritt und sieht, wie sich
die Kuh vom schmutzigen Lager erhebt, die Magd ihren Schemel neben sie
stellt und nun den vom Mist beschmierten Euter zu bearbeiten anfängt,
während der Schweif des Viehs ihr um das Gesicht fährt! Auch das
Ausmisten der Ställe, das nicht immer den Knechten überlassen bleibt,
verlangt große Körperkraft, ebenso wie das Schleppen des Futters und der
gefüllten Milch- oder Wassereimer. Die Schweinezucht, die stets den
Mägden obliegt, ist eine noch weit widerwärtigere Arbeit; ich habe
Mädchen gesehen, die auf allen Vieren in die engen Ställe hineinkriechen
mußten, um sie zu reinigen, und triefend vom ekelhaftesten Schmutz
wieder daraus hervorkamen. Nicht minder schwer, trotz ihrer
Reinlichkeit, ist die Verarbeitung der Milch zu Butter und Käse. Wie bei
den vorhergehenden muß auch in diesem Fall von den wenigen
Musterwirtschaften abgesehen werden, wo neben hellen und luftigen
Ställen die Milchwirtschaft im großen mit Hilfe von Maschinen und
motorischen oder Pferdekräften betrieben zu werden pflegt. Im Dorf, im
Bauernhof, auf dem kleinen Gut ist es immer noch die Magd, die
stundenlang am Butterfaß steht und den schweren Schwengel auf- und
niederbewegt, die all die vielen Gefäße täglich scheuert und putzt, die
keine Sonntags- und keine Feiertagsruhe kennen darf. Keine Arbeit darf
ihr zu schwer und zu schlecht sein, von früh bis spät ist sie auf den
Beinen. Und doch ist ihre Thätigkeit noch jeder anderen vorzuziehen,
weil sie eine vielseitige ist und eine gewisse Bewegungsfreiheit zuläßt.
Stellen wir ihr z.B. das Setzen, Behacken und Ernten der Kartoffeln oder
gar der Zuckerrüben gegenüber: im glühenden Sonnenbrand oder im kalten
Herbstwind steht die Arbeiterin zwölf und mehr Stunden mit gekrümmtem
Rücken über die Arbeit gebeugt; oft sinkt sie, wie bei der
Zuckerrübenkultur, bis über die Knöchel in den Schlamm; oder sie kniet
und hockt etwa wie beim Unkrautjäten, auf durchfeuchteter Erde. Zur
Erntezeit fällt ihr das schwere Garbenbinden regelmäßig zu, sie muß aber
auch vielfach mähen wie der Mann und den Wagen aufladen wie er, ohne daß
ihr Lohn deshalb dem seinen gleichkommt. In der Ebene ist immerhin ihre
Arbeit noch leichter, als in den Gebirgsländern. Von den abgelegensten
Bergwiesen, die weder Wagen noch Pferd erreicht, schleppen Frauen jeden
Alters Zentnerlasten an Heu zu Thale, so daß ihr Rücken sich krümmt
unter der Last. Schwere Milcheimer tragen sie bergauf und -ab. Für die
ganz Armen und Alten gilt es noch als eine besondere Vergünstigung, wenn
sie Kiepen mit trockenem Holz aus den Wäldern meilenweit nach Hause
tragen können.

Je weiter nach Osten und Süden, desto härter ist die Arbeit; die
russische Landarbeiterin muß es sich selbst gefallen lassen, den Pflug
durch die Erde zu ziehen. Und wenn die Sonne über Italien wahre
Fieberhitze ausströmt, arbeitet die Tagelöhnerin Schulter an Schulter
mit dem Mann in den Maisfeldern oft bis zu den Knieen im Schlamme
steckend.

Und ebenso, ja oft noch mehr, wie die Magd und die Tagelöhnerin, deren
Ausdauer doch vielleicht einmal eine Grenze findet, arbeitet die Frau
des armen Bauern oder die selbständige Besitzerin eines kleinen
Landguts. Die französische Bäuerin z.B., die tagsüber ihren Gemüsegarten
allein bearbeitete, fährt oft schon früh um drei Uhr in die Stadt, um
ihre selbstgezogenen Waren feil zu bieten. Ist die Landarbeiterin,--die
selbständige sowohl wie die abhängige,--verheiratet, hat sie Kinder, so
ist ihr Los ein doppelt hartes, denn die Arbeit beginnt für sie aufs
neue, wenn sie abends todmüde nach Hause kommt. Ist sie Tagelöhnerin
mit eigenem kleinen Besitz, dessen Ertrag zur Erhaltung der Ihren
unumgänglich nötig ist, so ist ihre Arbeit gar eine dreifache: auf dem
Gute des Herrn, auf dem eigenen Gute und in der Hauswirtschaft. Für sie
giebt es keinerlei Schutzzeit; hochschwangere Frauen stecken Kartoffeln
oder jäten Unkraut, arme Wöchnerinnen binden Garben oder führen den
Rechen. Die früh gealterten welken Frauen mit krummem Rücken und
zerfurchtem Gesicht, die uns auf dem Lande auf Schritt und Tritt
begegnen, sprechen deutlicher als irgend eine Schilderung für die
"naturgemäßen", "gesunden" Bedingungen ihrer Arbeit. Freilich bereiten
die meisten schon in früher Jugend diese rasche Zerstörung vor. Die
Wanderarbeiterinnen sind zum großen Teil ganz junge Mädchen; auf
sächsischen Gütern waren nicht weniger als 48 % unter zwanzig Jahren
alt.[758] In einer Zeit also, wo sie der Schonung bedürften, werden sie
den Einflüssen einer Arbeit ausgesetzt, die sie zu ständigem gebückten
Stehen zwingt! Dabei vergehen die roten Wangen, eckig und knochig werden
die runden Mädchenglieder, Unterleibserkrankungen aller Art legen den
Grund kommender endloser Leiden. Wer sich noch jenes Idealbild des
frischen Landkindes bewahrt hat, der gehe einmal zur Frühlingszeit auf
einen der Bahnhöfe Berlins, wo man die Sachsengänger wie das liebe Vieh
in enge Wagen verpackt,--er wird auf alle Zeiten von seinem Wahn befreit
werden!

Aber auch auf die Ernährungs- und Wohnungsverhältnisse treffen die
vorgefaßten Meinungen nicht zu. Der Landarbeiter schwelgt nicht, wie man
sich's gerne vorstellen möchte, in Milch und Butter, in Schweinefleisch
und Hühnerbraten, in saftigem Obst und frischen Gemüsen. Er produziert
nicht für den eignen Verbrauch, sondern für den Verkauf. Schon aus der
Summe, die die Sachsengänger für ihre Beköstigung anlegen, läßt sich auf
die Art derselben schließen; thatsächlich besteht sie in schwarzem
Kaffee mit Schmalzbrot, in Kartoffeln mit Hering oder Speck. Nur die
besser Gewöhnten gönnen sich Reis oder Erbsen oder Mehlklöße.[759] Die
Güte der Nahrungsmittel wird dadurch nicht gehoben, daß sie häufig vom
Aufseher gehalten und bei ihm eingekauft werden müssen![760] Die
kontraktlich gebundenen Tagelöhner leben kaum besser; die kleinen
Besitzer sparen, so viel sie können, am Essen. Dabei entzieht die
Ausdehnung der großen Molkereien den Landleuten in steigendem Maß ihr
wichtigstes und gesündestes Nahrungsmittel.[761] Der Anblick bleicher,
aufgedunsener Landkinder, die mit Mehlsuppe gefüllte Flasche im Mund,
während Wagen um Wagen voll Milchkannen der Stadt entgegengeführt
werden, genügt allein, um diese Zustände zu illustrieren.

Am besten noch ist die Magd versorgt. Oft freilich bekommt auch sie nur
den Abfall vom Herrentisch, meist aber geht es ihr wie den Sklaven: sie
wird gut gefüttert, weil ihre Arbeitskraft unentbehrlich ist. Am
schlimmsten daran ist die Scharwerkerin des deutschen Ostens, die
Hofgängerin des Westens: was der arme Instmann und seine Familie übrig
läßt, das ist gewöhnlich ihr Teil. Die Zunahme des Alkoholismus unter
den Landarbeiterinnen ist daher weniger die Folge sträflicher
Genußsucht, als grimmigen Hungers.

Und nun die Wohnungen! Es ist noch nicht allzu lange her, daß die
deutschen Wanderarbeiter allgemein ohne Unterschied des Geschlechtes in
leeren Ställen und Scheunen untergebracht wurden.[762] Noch heute ist es
vielfach Usus.[763] Wo besondere Baracken zur Unterbringung der
Sachsengänger erbaut werden, fehlt es darin oft am Notwendigsten;
Musterhäuser, in denen von der eigens dazu angestellten Verwalterin auch
die Herstellung der Mahlzeiten besorgt wird, giebt es nur auf einzelnen
großen Gütern Sachsens. Die häufige Unlust der Arbeiter darin zu wohnen,
ihre Abneigung gegen die gemeinsame Beköstigung wird oft zum Vorwand
genommen, dergleichen Einrichtungen für überflüssig zu erklären, während
doch im Gegenteil gerade solche Erfahrungen, die für den trostlosen
Tiefstand physischer und moralischer Kultur Zeugnis ablegen, alles
fördern sollten, was eine Arbeiterbevölkerung, die nach
hunderttausenden zählt, nach und nach aus ihrem Sumpf herausheben
könnte. Aber freilich ist es von jeher das Bequemste gewesen, den
Stumpfsinn des Sklaven für bewußte Befriedigung zu halten!

Die Wohnungen der ostelbischen Instleute sind kaum weniger gefährlich
für die physische und moralische Gesundheit ihrer Bewohner. In einem
Haus pflegen zwei Familien untergebracht zu werden; jede von ihnen hat
eine meist ungedielte Stube, die zugleich als Kochraum dient, und eine
Kammer. Diese beiden Räume werden außer von der meist kinderreichen
Familie auch noch von Scharwerkern bewohnt, gleichgültig ob es junge
Burschen, Mädchen mit Kindern, Krüppel, kränkliche, verdorbene, eben der
Schule entwachsene Stadtkinder sind.[764] Häufig sind drei und vier
Personen auf ein Bett angewiesen; Kinder schlafen mit Erwachsenen
zusammen und sind von früh an Zeugen nicht nur des ehelichen Umgangs
ihrer Eltern, sondern auch der Liebschaften aller übrigen
Mitbewohner.[765] "In einer Stube und in einem Bett spielen sich oft
alle Akte des menschlichen Lebens ab;"[766] häufig genug teilen Hühner,
Gänse und Ziegen, besonders im Winter, denselben Raum mit den Menschen.
Wer solch eine Höhle betritt, prallt zurück vor dem unbeschreiblichen
Gestank, der ihr entströmt, vor dem Bild des Elends und der
Verwahrlosung, das sich ihm darbietet. Und die Entschuldigung lautet
vielfach auch hier, daß es die Leute nicht anders haben wollen, daß neue
Wohnungen mit gedielten Fußboden von ihnen verschmäht werden. Neben dem
tiefen Stand der Gesittung, auf der diese Armen durch solche
Wohnungsverhältnisse gewaltsam zurückgehalten werden, ist es die Not,
die sie an sie fesselt: ihre Hühner und Gänse und Ziegen bilden einen
wichtigen Teil ihrer Einnahme, sie haben keine Möglichkeit sie in
strenger Winterkälte zu erhalten, außer wenn sie ihnen ihr Zimmer
öffnen; sind da Dielen statt festgestampften Lehmbodens, so sind sie
gezwungen, ihre Tiere anderswo unterzubringen. Oder sollten nur deshalb
gegen 6000 Instwohnungen in Ostpreußen leer stehen[767], weil ihre
Schönheit die Bewohner vertrieben hat?! Es macht übrigens nur einen
geringen Unterschied aus, um welche Gegenden Deutschlands es sich
handelt; die westfälischen Heuer wohnen nicht besser, als die
ostpreußischen Instleute[768], die Tagelöhner wohnen sogar vielfach noch
schlechter. In Südwestdeutschland wurden z.B. ländliche Haushaltungen
mit nur einem Wohnraum gezählt[769]:

mit 4 bis 5 Personen bewohnt       8297
mit 6 bis 10 Personen bewohnt      4757
mit 11 und mehr Personen bewohnt     53

Strohdach und Lehmboden, hohes Grundwasser, schlechte Oefen, kein Abort
oder einer in nächster Nähe des Brunnens, Fenster, die häufig aus
Sparsamkeit fest eingesetzt wurden,--das ist die typische Behausung
norddeutscher Landarbeiter.[770] Es giebt ihrer freilich noch
schlimmere: in Schlesien fand sich ein Haus aus Lehmfachwerk mit einer
einzigen niedrigen dunklen ungedielten Stube und einigen fensterlosen
Kammern von 8 qm Grundfläche, es war von neun Familien bewohnt.[771] Und
im Kreise Inowrazlaw giebt es Erdhöhlen, 1 m in, 1 m über der Erde,
deren Grundfläche 12 qm beträgt und deren Wände und Decken aus mit Sand
und Rasen beworfenen Rundhölzern bestehen. Die Reicheren unter den
Bewohnern haben zwei Fenster 1/2 qm groß, die anderen haben statt dessen
nur Löcher in den Wänden. In diesen Räumen wohnen Tagelöhnerfamilien mit
Schweinen, Ziegen und Hühnern zusammen. Vor den Thüren liegt der
Misthaufen, ein Brunnen fehlt ebenso wie ein Abort.[772] Man glaube nun
aber nicht, daß Deutschland allein solche Vorzüge aufzuweisen hat. Im
reichen Frankreich haben manche Landarbeiterhäuser als einzige Oeffnung
die Thür, die bloße Erde zum Fußboden und, um den Raum auszunutzen, die
Betten zu drei und vier übereinandergestellt.[773] Die Bretagne weist
vielfach Fachwerkhäuser mit nassem Boden und feuchten Wänden auf, die
nur einen einzigen Raum enthalten[774], und sowohl die Landarbeiter, wie
die kleinen Besitzer wohnen häufig mit dem Vieh zusammen.[775]

Auf großen Gütern und in reichen Bauernwirtschaften pflegen im
allgemeinen die Mägde etwas besser zu wohnen. Oft freilich liegt ihre
Kammer unter dem Dach, wird von mehreren bewohnt, die zu zweien je ein
Bett teilen müssen und ist nicht verschließbar. In ärmeren Wirtschaften
ist die Unterkunft des Gesindes eine ganz menschenunwürdige: in
unzureichender Weise oder auch gar nicht voneinander getrennt schlafen
Mägde und Knechte in oder dicht neben den Ställen. Um in ihre Kammer zu
gelangen, müssen die Mägde häufig den Schlafraum der Knechte passieren
und umgekehrt. In den Berggehöften Tirols wird ihre Lagerstatt meist auf
dem Ofen oder in einem dunklen Winkel der Wohnstube aufgeschlagen, in
den Sommerfrischen, wo jeder Raum zu Geld gemacht wird, verweist man sie
auch wohl einfach auf die Heuboden.

Die Folgen dieser elenden Wohnungsverhältnisse liegen auf der Hand.
Schon die Kinder sind an den Anblick des geschlechtlichen Verkehrs
gewöhnt, die bei den Knechten schlafenden Hütekinder werden früh in die
dunkelsten Tiefen der Ausschweifungen eingeweiht.[776] Die Geschichte
von der "Unschuld vom Lande" ist ebenso ein Märchen, wie die von den
gesunden Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Landarbeiter. Nicht nur,
daß der voreheliche Geschlechtsverkehr vielfach eine eingewurzelte Sitte
ist,--vielleicht ein Erbteil aus der Zeit, wo es galt, den Herrn um das
jus primae noctis zu betrügen,--und die Heirat erst erfolgt, nachdem die
"Prüfung der Braut" zu ihren Gunsten ausschlug, es sich nämlich erwies,
daß sie zur Mutterschaft fähig ist[777], auch die wüsteste
Sittenlosigkeit wird auf dem Lande großgezogen. Die meisten Mädchen, die
Scharwerkerinnen, die Sachsengängerinnen, die Mägde kommen zuerst durch
Vergewaltigungen zu Fall.[778] In den Augen der Knechte ist das nichts
als ein Spaß. Sind sie Soldaten gewesen, so bringen sie aus der Stadt
noch niedrigere sittliche Begriffe mit, als sie vorher schon
hatten.[779] Besonders diejenigen zeichnen sich dadurch aus, die als
Burschen bei jungen Offizieren im Dienste waren.[780] Die widerlich
gemeinen Soldatenlieder würden allein schon ausreichen, das Gesagte zu
beweisen. Und doch wäre die ländliche Sittenlosigkeit noch nicht so
verdammenswert, wenn sie sich zwischen Knechten und Mägden allein
abspielte, weil die Heirat die gewöhnliche Folge zu sein pflegt; daß sie
oft erst nach Jahren stattfindet, ist weniger die Folge der Korruption,
als die der äußeren Verhältnisse. Die Gründung des Hausstandes hängt von
den zurückgelegten Ersparnissen ab, und wie gering diese selbst beim
besten Willen nur sein können, haben wir aus den Löhnen gesehen. Handelt
es sich um festangestellte Tagelöhner, besonders Instleute, oder das
ländliche Gesinde im allgemeinen, so giebt die Erlaubnis des Guts- oder
Hofbesitzers den Ausschlag. Sie wird versagt, sobald eine
Familienwohnung nicht frei ist, oder die Furcht besteht, daß die
weibliche Arbeitskraft durch die Heirat geschwächt wird. Weit
bedenklicher, weil von den traurigsten Folgen für die Mädchen begleitet,
ist es, wenn sie die armen Opfer der Gelüste ihrer Herren werden. In der
Enquete der evangelischen Pastoren über die Sittlichkeit auf dem Lande
werden die Gutshöfe "Hauptherde ländlicher Unzucht" genannt[781], und
das sittliche Verhalten der Gutsbesitzer, ihrer Söhne und Gäste,
besonders aber das der Inspektoren wird durch drastische Beispiele grell
beleuchtet.[782] Sie schonen kein Mädchen, heißt es vielfach; sie sehen
in ihnen eine wohlfeile Beute, die aus Angst und Abhängigkeit sich
leicht ihrem Willen fügen. So kommt es, daß selten ein Landmädchen als
Jungfrau in die Ehe tritt, so kommt es aber auch, daß die Korruption der
Landbevölkerung kaum eine geringere ist, als die der städtischen.

Ein Vergleich der Landarbeiterin mit der Industriearbeiterin zeigt, daß
die Lage beider eine gleich schlechte, ja daß die der Landarbeiterin
vielfach eine noch elendere ist, als die ihrer städtischen
Leidensgenossin, denn sie genießt keinerlei gesetzlichen Schutz, sie hat
in Deutschland wenigstens nicht die Möglichkeit sich durch Organisation
selbst zu verteidigen und sie ist von allem abgeschlossen, was die Stadt
an Kultur, an Abwechselung und Freude bietet. In grauem Einerlei liegt,
wenn sie sich ihr ununterbrochenes ländliches Dasein vorstellt, ihre
Zukunft vor ihr. Zu verwundern ist's daher nicht, wenn sie alledem
freudig den Rücken kehrt, erstaunlich ist vielmehr nur, daß es überhaupt
noch Mädchen giebt, die auf dem Lande bleiben. Wenn man behauptet, die
Vergnügungssucht triebe sie in die Städte, so ist zweifellos viel Wahres
daran, es ist aber eine berechtigte Vergnügungssucht, denn ein unklares
Bedürfnis nach der Kultur der modernen Welt liegt ihr zu Grunde. Mehr
aber als dies ist es der Wunsch, dem drückenden Elend und der quälenden
Unfreiheit zu entfliehen. Alle diese Gefühle aber, die zur Landflucht
den Anstoß geben, und die stumpfe Resignation der Landarbeiter
durchbrechen, tragen die Keime der Emanzipation des ländlichen
Proletariats in sich. Auch die ostelbische ländliche Arbeitsverfassung,
die jene in der Tradition der Unfreiheit gebundene Arbeiterbevölkerung
zur Voraussetzung hat, wird durch sie erschüttert; selbst die Instleute
opfern mehr und mehr ihre immerhin gesicherte Lage der persönlichen
Ungebundenheit.[783] Dasselbe erwachende Selbstbewußtsein läßt eine
rapide zunehmende Zahl ländlicher Arbeiter der Arbeit außerhalb ihrer
eigentlichen Heimat den Vorzug geben. Das Bedürfnis der von der
einheimischen Arbeiterschaft verlassenen Gutsbesitzer kommt ihnen dabei
entgegen. Die Wanderarbeiter werden von ihnen in immer entschiedenerer
Weise bevorzugt, weil sie für fleißiger, sparsamer und bescheidener
gelten[784], weil so gut wie kein Aufwand für Unterbringung und
Ernährung notwendig ist, und jede verwaltungs- und armenrechtliche
Verantwortung fortfällt.[785] Erst die Zukunft wird zeigen, daß die
Gutsbesitzer selbst die "Mobilmachung zum Klassenkampf"[786] innerhalb
des ländlichen Proletariats dadurch gefördert haben, ebenso wie jeder
Fabrikant, dessen Betrieb sich zum Großbetrieb ausweitet, dem
Klassenkampf der Industriearbeiter unfreiwillig Vorschub leistet. Je
mehr die Saisonarbeit in der Landwirtschaft an Boden gewinnt, desto
leichter wird es auch möglich sein, ihre Arbeiter gesetzlich zu
schützen. Die Landflucht und die Wanderarbeit sind daher nicht, wie die
Agrarier es mit Vorliebe behaupten, als ein auszurottendes Uebel,
sondern als ein Fortschritt anzusehen, der die Landarbeiter aus ihrer
elenden Lage befreien helfen wird. Aber auch die wachsende Einführung
der Maschinen, die Ursache und Folge der Saisonarbeit zugleich sind,
werden trotz ihrer momentan grade für die Arbeiter sehr empfindlichen
Folgen,--die Dampfdreschmaschine schmälert z.B. ihren Verdienst um ein
Bedeutendes[787],--die Lage der ländlichen Arbeiter schließlich
wesentlich umwandeln und verbessern. Für die Frauenarbeit kommen dabei
vorzugsweise die in der Milchwirtschaft anzuwendenden Maschinen in
Betracht, so z.B. die Melkmaschine, die den Mägden eine der
unangenehmsten Arbeiten abzunehmen bestimmt ist. Aber alle diese von
innen herauswachsenden Verbesserungen haben Aussicht auf eine
durchgreifende Wirkung nur dann, wenn die Erkenntnis sich mehr und mehr
Bahn bricht, daß die Landarbeiter, speziell die weiblichen, sich in
einer Lage befinden, die geeignet ist, die körperliche und sittliche
Gesundheit des Volks bedenklich zu gefährden, und daß es Märchen, und
nichts als Märchen sind, die man geflissentlich über sie verbreitete,
und mit denen man es verstanden hat Vernunft und Gewissen zu betäuben.


Der häusliche und der persönliche Dienst.

Die Gruppe von Arbeiterinnen, die wir unter der vorstehenden Bezeichnung
zusammenfassen, besteht aus folgenden Kategorien: den häuslichen
Dienstboten, einschließlich der außer dem Hause der Arbeitgeber
wohnenden, den Wäscherinnen und Plätterinnen, den Kellnerinnen und den
sonstigen Gastwirtsgehilfinnen. Im Begriff der Bedienung liegt ihr
gemeinsames Merkmal. Als Arbeiterinnen im gewöhnlichen Sinn des Wortes
sind sie bisher nicht angesehen worden, weil man darunter im allgemeinen
nur diejenigen verstand, die durch ihre Arbeit Verkaufsartikel
produzieren. Diesen fast ganz allein hat sich die Aufmerksamkeit der
Sozialpolitiker wie der Gesetzgeber zugewandt. Daher ist auch das
Material, auf Grund dessen sich die Lage dieser Arbeiterinnen schildern
ließe, ein sehr unzureichendes. Den Wäschereien und ihren Arbeiterinnen
wandte man zuerst die Aufmerksamkeit zu, weil sie zu Großbetrieben sich
entwickelten und aus dem Kreise des Hauses und der Familie heraustraten.
Zögernd und vorsichtig tastend wandte man den Blick auf die wachsende
Zahl der Gastwirtsgehilfinnen, und an den häuslichen Dienstboten ging
man so gut wie achtlos vorüber. Nicht nur, daß man nicht wagte, den
Schleier zu heben, der über ihrer sozialen Lage liegt, in den Staaten,
wo sie unter Sondergesetzen, den Dienstbotenordnungen, stehen, die der
Feudalzeit würdig wären, dachte man selbst in den Jahren lebhafter
sozialer Gesetzesthätigkeit nicht im entferntesten daran, diese
Millionen Menschen aus dem drückenden Joch zu befreien. Auch das
Bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Reich, welches das Recht des 20.
Jahrhunderts enthalten soll, hat sie fast unverändert bestehen lassen.
Der Kultus der Familie hat die häuslichen Dienstboten mit einer
chinesischen Mauer umgeben, deren Uebersteigung noch heute für strafbar
gilt. Erst als der Gesellschaft das Elend der Hausindustrie wiederholt
und so dicht vor Augen geführt wurde, daß selbst die Kurzsichtigsten es
sehen mußten, wagte man es schüchtern und vorsichtig, eine kleine
Bresche in die Mauer zu schlagen. Handelte es sich doch auch hier nur um
das Eindringen in die Familien armer Leute. Wollte man den häuslichen
Dienst einer Untersuchung unterziehen, oder gar gesetzlich zu regeln
versuchen, so hieße das die Mauer umreißen und der Oeffentlichkeit in
die eigenen Familienverhältnisse Zutritt gewähren. Selbst freisinnige
Geister, die den Zuständen der Arbeiterklasse fest ins Auge zu blicken
wagen, und mit radikalen Hilfsmitteln bei der Hand sind, werden
reaktionär, sobald die Dienstbotenfrage berührt wird. "_My house is my
castle_" heißt es dann und in diese Zwingburg, in der Millionen
Menschen ihre Arbeitskraft opfern, dringt kein Strahl sozialpolitischer
Erkenntnis.

Obwohl die Lage der häuslichen Dienstboten uns weit genauer bekannt sein
sollte, als die irgend einer anderen Arbeiterinnenschicht, weil wir sie
täglich vor Augen sehen, hat die einschläfernde Macht der Gewohnheit bis
jetzt die aufklärende Gewalt persönlicher Erfahrung zu unterdrücken
gewußt. Wo wir auch in der Vergangenheit Aeußerungen über die
Dienstboten begegnen, sind es rein subjektive, vom egoistischen
Standpunkt der Arbeitgeber ausgehende, und die Dienstbotenfrage
erscheint dem weitaus größten Teil derer, die sie in den Mund nehmen,
nur als die Frage, wie dem Mangel an Dienstboten und den Fehlern der
Dienstboten abzuhelfen ist. Daß sie ein Teil der Arbeiterfrage ist und
wie sie behandelt werden muß, daß der große Strom der Entwicklung, der
in der Arbeiterbewegung zu so gewaltigem Ausdruck kommt, vor den Mauern
des bürgerlichen Haushalts nicht Halt macht, sondern ihn in seinen
Grundpfeilern erschüttert,--und der häusliche Dienst ist solch ein
Grundpfeiler,--diese Erkenntnis fängt erst jetzt an zu dämmern, wo die
Dienstboten selbst anfangen, zum Bewußtsein ihrer Lage zu kommen. Nun
entdeckt man gleichsam in der uns täglich umgebenden eine neue
unbekannte Welt und fängt an, zu begreifen, daß ein Leben noch kein
menschenwürdiges ist, auch wenn Hunger und Obdachlosigkeit ihm ferner
bleiben, als dem Leben anderer Arbeiterinnen.

Die große Verschiedenheit in der Lage der Dienstboten, nicht nur was die
einzelnen Länder, sondern auch was die Stellungsgrade betrifft, macht es
besonders schwierig, ein klares Bild von ihr zu gewinnen. So variieren
z.B. in Deutschland die Löhne zwischen 8 und 100 Mk. monatlich, der
Durchschnittssatz dürfte 15 bis 25 Mk. betragen. Charakteristischerweise
sind es die Kindermädchen, die den niedrigsten, die Köchinnen, die den
höchsten Lohn erhalten. Ob darin eine Bewertung der Wichtigkeit der
Kinderstube und der Küche liegen soll?! Was thatsächlich damit
ausgedrückt wird, ist die Anforderung, die man an Köchin und
Kindermädchen stellt: während die eine eine gewisse Vorbildung, in ihrem
Beruf einen bestimmten Grad von Erfahrung haben muß, wird von dem
gewöhnlichen Kindermädchen nichts von beidem verlangt; kaum der Schule
entwachsen, hält man es für fähig, Kinder zu warten und zu erziehen. Die
nächste Lohnstufe nimmt zumeist das sogenannte "Mädchen für Alles" ein,
das Kinder-, Stubenmädchen und Köchin zugleich ist; ihre Einnahme bewegt
sich zwischen 15 und 20 Mk. im Monat. Das einfache Hausmädchen, das die
Zimmer zu reinigen, das Küchenmädchen, das abzuwaschen und der Köchin zu
helfen hat, haben zumeist denselben Lohn. Die Kinderfräuleins oder
Kindergärtnerinnen, die eine Zwitterstellung zwischen Dienstmädchen und
Erzieherin einnehmen, pflegen auch nur selten höher entlohnt zu werden.
Einen höheren Lohn erreicht das feine Stubenmädchen, das gewöhnlich die
Plätterei und Näherei verstehen muß, und die Jungfer, der die
persönliche Bedienung der Frau des Hauses allein obliegt. Ist sie
zugleich eine perfekte Schneiderin, so steigt ihr Lohn bis auf 50 und 75
Mk. im Monat. Die Köchin hat, je nach den Anforderungen, die an sie
gestellt werden, ein monatliches Einkommen von 20 bis 50 Mk.; in der
Mehrzahl deutscher, bürgerlicher Haushaltungen dürfte sie zwischen 18
und 24 Mk. erhalten. Am besten gestellt ist die Wirtschafterin in großen
Häusern oder auf Landgütern, die an Stelle der Hausfrau die Leitung von
Küche und Vorratsraum in Händen hat und die Amme, die an Stelle der
Mutter den Säugling ernährt.

Eine Untersuchung, die nur Berlin betrifft, wo die höchsten Löhne in
Deutschland gezahlt werden, und die nur 449 Dienstmädchen umfaßt, kommt
zu folgenden Resultaten.[788] Es erhalten danach:

 21  Mädchen   oder    4,7  Proz.  einen Jahreslohn  von  100-150    Mk.
152      "       "    33,9    "      "        "       "   150-200     "
179      "       "    39,9    "      "        "       "   200-250     "
 56      "       "    12,5    "      "        "       "   250-300     "
 41      "       "     9,0    "      "        "       "   300 u. mehr "

Die Mädchen für Alles werden durchweg am schlechtesten bezahlt, 58,8 %
von ihnen haben weniger als 200 Mk. jährliches Einkommen. Die Köchinnen
erreichen die höchsten Lohnsätze, die außerdem bei ihnen niemals unter
150 und selten unter 200 Mk. herabsinken.

In England, für das eine offizielle Untersuchung über Dienstbotenlöhne
vorliegt[789], sind die Verhältnisse ganz ähnliche, obwohl die Löhne
eine größere Höhe erreichen, als in Deutschland. Der Durchschnittslohn
englischer Dienstmädchen beträgt 15,10 £, in Schottland steigt er auf
17,12 £, in London auf 18,2 £, während er in dem armen Irland auf 12 bis
14 £ fällt. Den niedrigsten Lohn erhalten auch hier die kaum der Schule
entwachsenen Kindermädchen, die sich mit einem Jahreseinkommen von 5 bis
6 £ begnügen müssen.[790] Die Stufenleiter ist im übrigen folgende:[791]

Mädchen für Alles erhalten einen Jahreslohn von    6-17  £
Küchenmädchen         "      "        "      "     5-21  "
Einfache Hausmädchen  "      "        "      "     7-24  "
Stubenmädchen         "      "        "      "    14-24  "
Köchinnen             "      "        "      "    11-28  "
Kinderwärterinnen     "      "        "      "     6-30  "
Kammerjungfern        "      "        "      "    19-30  "
Wirtschafterinnen     "      "        "      "    34-52  "

Um aber aus obigen Angaben zu keinem falschen Resultat zu kommen, ist es
notwendig, auch die Durchschnittslöhne festzustellen, die aus der
Untersuchung der Lohnverhältnisse von 5338 weiblichen Dienstboten
gewonnen wurden. Sie betrugen für

Mädchen für Alles      16 £
Kinderwärterinnen      16 "
Hausmädchen            16 "
Stubenmädchen          20 "
Köchinnen              20 "
Kammerjungfern         24 "
Wirtschafterinnen      34 "

Das Kindermädchen rangiert also auch hier, was den Lohn betrifft, hinter
der Köchin. Noch drastischer tritt dieses Verhältnis in Frankreich, der
Hochburg kulinarischer Genüsse hervor, wo die Löhne der Köchinnen
zwischen 50, 100 bis 120 frs. und darüber schwanken, während
Kindermädchen im besten Fall 50 bis 60 frs., meistens aber nur 30 bis 40
zu bekommen pflegen. Ungewöhnlich hoch sind hier die Löhne der Ammen,
die häufig bis zu 150 frs. monatlich einnehmen sollen. Hohe Löhne, im
Vergleich zu Deutschland, werden auch in den Vereinigten Staaten
gezahlt. Nach einer Enquete beträgt der durchschnittliche Lohn der
Dienstmädchen 3,23 $ die Woche. 48 % der Dienenden bekamen mehr, 52 %
ebensoviel oder weniger, so daß sich daraus ein Jahreseinkommen von
durchschnittlich 167,96 $ ergiebt. Auch hier sind es die Mädchen für
alles, die am wenigsten bekommen,--durchschnittlich 2,88 $
wöchentlich,--und die Köchinnen, die sich mit durchschnittlich 3,64 $ am
besten stehen.[792]

Nach alledem scheint festzustehen, daß nicht die Quantität, sondern die
Qualität der geleisteten Arbeit am höchsten bezahlt wird, und zwar ist
die Ursache davon nicht die, daß die Nachfrage nach der qualitativen
Leistungsfähigkeit absolut eine besonders starke ist,--könnte man es
zahlenmäßig nachweisen, so würden zweifellos die Mädchen für Alles als
die am meisten begehrten erscheinen,--sondern weil sie im Verhältnis zum
Angebot gelernter Arbeiterinnen überall hoch erscheint, und von den
zahlungsfähigsten Kreisen ausgeht. Aus denselben Gründen sind die Löhne
der männlichen Dienstboten unverhältnismäßig höher als die der
weiblichen. Unter 360 Mk. im Jahr dürfte kaum ein deutscher Diener,
unter 38 £ kein englischer zu haben sein. Ein deutscher Privatkoch
verlangt stets 50 bis 100 Mk. im Monat, ein englischer hat
durchschnittlich eine Jahreseinnahme von 128 £.

Als Ergänzung des Lohns kann das Trinkgeld und das häufig im Geldwert
bestimmt ausgemachte Weihnachts- oder Neujahrsgeschenk angesehen werden.
In Familien, die einen ausgedehnten Verkehr haben und viele
Gesellschaften geben, erreicht die Einnahme aus den Trinkgeldern eine
oft respektable Höhe. So ist mir bekannt, daß ein Stubenmädchen in der
Familie eines höheren Offiziers, das den geladenen Gästen beim Aus- und
Ankleiden behilflich war, im Laufe des Karnevals gegen 200 Mk.
einzunehmen pflegte. Dem Trinkgeld haftet aber hier noch nicht in dem
Maße das Odium des Entehrenden an, weil es thatsächlich nur als
Belohnung für außergewöhnliche Dienste auftritt und die Höhe des Lohns
durch die Aussicht darauf nicht beeinflußt wird. Anders steht es, soweit
die Stubenmädchen der Hotels und Pensionen in Betracht kommen. Sie
werden in den weitaus meisten Fällen mit einem sehr geringen Lohn
angestellt und sind auf die Trinkgelder der Fremden angewiesen. Für ihre
harte Arbeit müssen sie auch noch in der beschämenden Haltung der
Bittenden vor die Fremden hintreten, müssen ihnen, wie die Strauchritter
am Wege, in den Korridoren auflauern, wenn sie abreisen und statt ihres
guten Rechts, des Lohns ihrer Arbeit, ein widerwillig gegebenes Almosen
entgegennehmen, an das noch dazu häufig genug beleidigende Anforderungen
geknüpft werden.

In den vorhergehenden Abschnitten ist versucht worden, die Höhe des
Lohns mit den notwendigen Ausgaben zu vergleichen. Dasselbe Prinzip läßt
sich in Bezug auf die Dienstboten nur schwer anwenden, ja es scheint
fast als müßte ihr Einkommen unbedingt als ein hohes anzusehen sein,
weil sie nicht selbst für Kost und Wohnung aufzukommen haben. Dabei wird
stets außer acht gelassen, daß allein an die Kleidung des Dienstmädchens
ganz andere Ansprüche gestellt werden, als etwa an die Fabrikarbeiterin,
und daß gerade bei der häuslichen Arbeit sehr viel verbraucht wird. Nur
in reichen Häusern Englands und Frankreichs, sehr selten in
Deutschland,--wo man sich auf das weiße Häubchen als Abzeichen der
Dienstbarkeit beschränkt,--wird die Kleidung, die dann immer eine Art
Uniform ist, den Dienstmädchen ebenso geliefert, wie den Dienern. Meist
müssen sie sie selber schaffen, was ihr schmales Beutelchen noch
schmaler werden läßt. In sehr vielen Fällen aber haben sie von ihrem
Lohn alte Eltern und Geschwister zu unterstützen. Wie oft sind mir
Mädchen begegnet, die über die Hälfte ihres Geldes nach Hause schickten.
Noch häufiger freilich haben sie eigene uneheliche Kinder zu ernähren,
wofür sie monatlich 12 bis 15 Mk. der Pflegerin geben müssen--meist den
größten Teil ihres Verdienstes! Diese Unglücklichen sind die
Bedauernswertesten von allen; sie lassen sich wehrlos ausbeuten und
peinigen, sie halten überall aus, denn mit der Stellenlosigkeit wäre die
Existenz ihres Kindes aufs Spiel gesetzt! Sie können keine Ersparnisse
machen, um ihr Alter zu sichern,--dienen, dienen ist ihr Los, solange
der müde Rücken es aushält, solange man sie nicht hinauswirft, wie ein
verbrauchtes Hausgerät. Aber auch auf dem Lohn derjenigen, die für
niemanden zu sorgen haben, lastet eine Steuer, die schwer genug drücken
kann: die Dienstvermittlungsgebühren.

Die Dienstvermittlung ruht fast ausschließlich in den Händen privater
Vermittler. Nach einer amtlichen Erhebung in Preußen gab es hier allein
5216 Stellenvermittler, von denen 3931 weiblich und fast 1/8 vorbestraft
waren, was auf den Charakter derjenigen, in deren Händen das Los der
Dienstmädchen liegt, ein scharfes Licht wirft. Ihre möglichste
Ausbeutung liegt natürlich im Interesse der Vermittler und so müssen die
Dienstmädchen für jede Stelle entweder eine bestimmte Summe, in
Deutschland 50 Pf. bis 3 Mk., oder einen Prozentsatz vom Jahresgehalt,
oft bis zu 10 %, bezahlen. Da im Durchschnitt die großstädtischen
Dienstmädchen zweimal im Jahr den Dienst zu wechseln pflegen, so kommen
dabei Summen zusammen, die eines besseren Zweckes würdig wären. In Wien
allein wurden im Jahr 1892 192831 fl. von den Vermittlungsbureaus
eingenommen.[793] Bei dieser Steuer, die die armen Mädchen zu tragen
haben, bleibt es aber nicht allein. Sehr häufig nehmen die
Vermittlerinnen sie während der Zeit der Stellenlosigkeit in Kost und
Wohnung; sie üben dadurch, daß sie ihre Mieterinnen bei der Auswahl der
Stellung bevorzugen, einen empfindlichen Druck auf sie aus und haben es
überdies in der Hand, die Mädchen möglichst lange bei sich festzuhalten.
Die unerfahrenen Mädchen, die vom Lande in die Stadt kommen, sind stets
ihre leichte Beute, und da sie es verstehen, sie durch Versprechungen,
durch Schmeicheleien und wohl auch durch häusliche Feste,--wobei die
Mädchen natürlich die Zeche bezahlen müssen,--an sich zu fesseln, so ist
das Netz dieser Spinnen immer voll armer kleiner Fliegen. Ein Blick in
das Wartezimmer einer großstädtischen Vermieterin enthüllt
für den, der sehen will, oft mit einem Schlage das ganze Elend des
Dienstbotenlebens. Da stehen dicht gedrängt die Mädchen, vor ihnen die
feilschenden "Gnädigen" mit prüfenden Blicken und Fragen, die eines
Untersuchungsrichters würdig wären,--ein Sklavenmarkt mit all seinen
Schrecken! Jedes deutsche und österreichische Mädchen hat überdies noch
ihr Dienstbuch, wie der Schuljunge sein Zeugnis, vorzuweisen, das ihren
ganzen Lebenslauf wiedergiebt und Urteile enthält, die alles vermuten
und erraten lassen. Wagt es das Dienstmädchen seinerseits nach den
Arbeitsbedingungen zu fragen, die seiner warten, so gilt es für frech
und unverschämt, obwohl es doch mindestens dasselbe Interesse daran hat,
zu wissen, was ihm bevorsteht, als diejenige, die es in ein Kreuzverhör
nimmt.

Und was wartet seiner?

Zur Entlohnung der häuslichen Dienstboten gehört, außer dem Lohn,
Wohnung und Kost. Das Wohnen im Hause der Herrschaft ist allgemein
üblich; die vollständige Abhängigkeit, die stete Arbeitsbereitschaft, in
der sich der Dienstbote auch in Zeiten der Ruhe befindet, kommt dadurch
zu deutlichem Ausdruck. Durch die Art der Wohnungen erfährt sie
Abstufungen verschiedenster Art. Die amerikanischen und englischen
Dienstboten haben nicht nur ihr eigenes Zimmer, sondern zumeist auch, wo
mehrere Dienstboten gehalten werden, einen gemeinsamen Wohnraum, wo sie
ihre Mahlzeiten einnehmen und wohl auch ihre Freunde empfangen
können.[794] Daß es sich dabei nur um die Dienstboten wohlhabender
Familien handeln kann, liegt auf der Hand. In Frankreich und ebenso in
Süddeutschland und Oesterreich befinden sich die Zimmer der Dienstboten
in den Mietshäusern immer im obersten Stockwerk. Sehr häufig sind sie
nicht zu heizen, so daß die Kälte im Winter sehr empfindlich ist, aber
noch empfindlicher vielleicht ist die Sommerhitze unter dem glühenden
Dach. In solchem Raum, der oft kaum das Nötigste zu fassen vermag,
hausen meist zwei, oft auch drei Dienstmädchen zusammen. Thür an Thür
führt vom engen Gang aus in die Zimmer des Hauspersonals; alt und jung,
Mädchen und Männer, Verdorbene und Unverdorbene wohnen hier oben
nebeneinander. Und doch sind diese Unterkunftsräume noch als gute zu
bezeichnen im Vergleich mit denen, die der größten Mehrzahl der
weiblichen Dienstboten in den norddeutschen Städten geboten werden. Die
Hängeböden sind hierfür besonders charakteristisch. Man versteht
darunter Räume, die auf halber Höhe über dem Badezimmer, dem Kloset, dem
Flur oder einem Küchenwinkel angebracht zu werden pflegen und nur
mittelst einer Leiter oder einer steilen Hühnerstiege zu erreichen sind.
Meist sind sie so niedrig, daß ein normal gewachsener Mensch nicht
aufrecht darin stehen kann, und so klein, daß neben dem Bett kaum Platz
genug bleibt, um sich anzuziehen. Ein Fenster,--klein ist es natürlich
stets,--wird auch oft zu den Luxusgegenständen gerechnet, die nach der
Küche oder dem Flur hinausmündende Thür ist dann das einzige
Ventilationsmittel des engen, dunklen Loches. Oft führt der Kamin der
Küche direkt daran entlang, so daß eine unerträgliche Hitze sich der
schlechten Luft zugesellt, und Ungeziefer aller Art eine förmliche
Brutstätte hier findet. Noch häufiger liegt Badezimmer und Kloset unter
dem Hängeboden, den infolgedessen eine wahre Typhusatmosphäre erfüllt.
Einen solchen Wohnraum für Dienstmädchen habe ich in einem der
vornehmsten Häuser Berlins gesehen, der ein Bett, einen Stuhl und einen
kleinen Waschtisch enthielt, dabei selbst für kleine Menschen zu niedrig
war; die Hausfrau, die mir ihre Wohnung zeigte, erklärte stolz, daß er
geräumig genug sei, um zwei Mädchen zu beherbergen! Natürlich besaß sie
einen Salon, der nur für Gesellschaftszwecke geöffnet wurde und ein
Fremdenzimmer, das monatelang leer stand. Aber die letzte Stufe des
Wohnungselendes ist damit doch noch nicht erreicht: in einer eleganten
Pension des Berliner Westens fand ich ein Dienstmädchen, das während der
Wintermonate in einem Winkel des dunklen Hausflurs, den jeder Bewohner
zu passieren hatte, hinter einem Vorhang ihr Nachtlager aufschlug.
Stillichs Untersuchungen der Berliner Dienstbotenverhältnisse kommen zu
denselben Resultaten: Fensterlose, feuchte Kammern, Speise- oder
Dachkammern, Kellerräume, Abteilungen des Badezimmers, in dem sich
zugleich das Kloset befindet, oder des Korridors werden von seinen
Expertinnen als ihre Schlafräume angegeben, und zwar sind es nicht
weniger als 48 % aller, die in dieser Weise untergebracht wurden. Wenn
24 bis 50 cbm Luftraum pro Person als notwendig erscheinen, so
entsprechen von 256 Schlafstellen Berliner Dienstmädchen nur 93 diesen
Anforderungen; etwa die Hälfte sind in Bezug auf die sanitären
Bedingungen ihrer Wohnung ungünstiger daran als die Gefangenen in
preußischen Zuchthäusern.[795]

In einigen Städten, unter anderem in Berlin, hat man das erwachende
Gewissen durch Bauordnungen und Polizeiverordnungen zu beschwichtigen
gesucht. Die Benutzung der nur mittelst einer Leiter zu erreichenden
Hängeböden als Schlafraum wurde verboten; der Bau von Hängeböden, außer
von solchen mit fester Treppe, festgesetzter Höhe und bestimmtem
Luftraum untersagt. Natürlich steht all dergleichen fast nur auf dem
Papier, denn die Wohnungsverhältnisse der Dienstboten sind nicht etwa
nur der Ausfluß ausgesuchter Bosheit der Herrschaft, sondern die Folge
der allgemeinen ökonomischen Verhältnisse. Mit den gesteigerten
Lebensansprüchen haben die Einnahmen des weitaus größten Teils der
Aristokratie und der Bourgeoisie nicht gleichen Schritt gehalten, ja sie
reichen zur Aufrechterhaltung der alten Lebensgewohnheiten kaum mehr
aus. Infolgedessen wird überall dort gespart, wo das Auge des Fremden
nicht hindringen kann, und die großstädtischen Wohnungen sind der
Ausdruck dieser Entwicklung: das Eßzimmer, der Salon sind geräumig und
glänzen in falscher Pracht; die Schlafzimmer sind schon eng und dunkel,
der Raum für das Dienstmädchen ist eine Art Höhle. Wer weiß, in welchem
Maße von der Aufrechterhaltung des äußeren Scheins das Ansehen, der
Kredit, ja die Existenz der Familien abhängt, wer dabei die furchtbare
Macht der Gewohnheit kennt, die ganz zu überwinden nur Auserwählten
gelingt, der wird sich auch sagen müssen, daß die Wohnungsmisère der
Dienstboten nicht durch Polizeiverordnungen oder Sittenpredigten
beseitigt werden kann. Das geht schon aus der Art hervor, wie die neuen
Bauordnungen gewirkt haben. An Stelle der Hängeböden tritt nämlich
nunmehr in den mittleren Wohnungen eine schmale Kammer, die oft nur ein
schwer zu öffnendes kleines Fenster, das zugleich die Speisekammer
erhellt, aufweist und ebenso wie die Hängeböden, nicht Raum genug
bietet, um sich zu bewegen und die notwendigen Einrichtungsgegenstände
unterzubringen. In den seltensten Fällen, in Privathäusern, bei reichen
oder kinderlosen Leuten, hat das Dienstmädchen ein Zimmer, in das es
sich abends, nach der Arbeit, gern zurückzieht, wo es aufatmen, sich
selbständig und unbeaufsichtigt fühlen kann. Wohnräume für Dienstboten,
wo ihre Freunde sie besuchen können, gehören auf dem Kontinent zu den
größten Seltenheiten, die nur in sehr reichen Häusern zu finden sind.
Die Küche ist fast immer ihr Wohn-, Eß- und Empfangszimmer.

Wie der Lohn, so ist die Beköstigung der Dienstboten die
verschiedenartigste, sowohl was ihre Qualität, als was die Art der
Darreichung betrifft. Bei den oberen Zehntausend aller Länder, die über
eine Schar dienstbarer Geister verfügen, ist es üblich, daß für sie
extra gekocht wird und die Mahlzeiten zu bestimmten Tageszeiten an
gedeckten Tischen eingenommen werden. Zwar sind die Reste des
"herrschaftlichen" Tisches vom Tage vorher zumeist für die Herstellung
der Speisen verwendet worden, sie pflegen aber ausreichend und nicht
gerade schlecht zu sein; um so erträglicher ist die Ernährung, als sie
mit einer bestimmten Ruhepause verbunden und im gemeinsamen Wohnzimmer
eingenommen wird. Fassen wir aber an Stelle dieser wenigen Begünstigten
die Masse der Mädchen ins Auge, die im Dienste des kleinen und des mäßig
begüterten Bürger- und Beamtentums steht, so ist das Bild gleich ein
völlig verändertes. Auch dort, wo die Nahrung ausreicht, um den Hunger
zu stillen, ist sie minderwertig, denn sie besteht, wenigstens was die
Hauptmahlzeit betrifft, aus den kalten und unappetitlichen Ueberresten
des Mittagstisches der Arbeitgeber. Ohne eine bestimmte Essenspause muß
sie in der Küche, zwischen dem ungeputzten Kochgeschirr, an einem Winkel
des Tisches, der notdürftig frei gemacht wird, hastig verzehrt werden.
Sehr häufig ist sie aber auch durchaus nicht ausreichend, was ihre
Quantität betrifft: das Mädchen darf sich nicht nach Gefallen satt
essen, jeder Bissen wird ihr vielmehr von der Herrin zugeteilt. In
Frankreich findet man zu dem Zweck in kleineren Haushaltungen besonders
geformte tiefe Teller, ähnlich den Näpfen, in denen man den Haushunden
das Fressen vorzusetzen pflegt: die ganze Mahlzeit wird darin
zusammengeworfen. Man hält es vielfach für selbstverständlich, daß das
schwer arbeitende junge Dienstmädchen durch das geringste Maß an Kost,
durch die schlechtesten Bissen befriedigt sein muß: eine Tasse dünnen
Kaffees mit einer dünn gestrichenen Semmel, ein Teller voll kalter
Mittagsreste, ein Butterbrot mit schlechter Wurst und gewärmtem
Kaffee--darin besteht nur zu oft die tägliche Nahrung. Trotzdem wird das
Los des Dienstmädchens gegenüber dem der Fabrikarbeiterin als ein
glänzendes gepriesen und unterscheidet sich doch was Wohnung und Kost
betrifft häufig kaum von ihm. Vielfach ist es Sitte, einen Teil der Kost
durch einen bestimmten Geldbetrag abzulösen; in Deutschland, England und
Frankreich ist besonders das Bier- resp. Weingeld üblich, das in
Deutschland kaum über 6 Mk. monatlich steigt, in Frankreich dagegen 15
bis 25 frs. erreicht. In großen englischen Haushaltungen wird manchmal
für die ganze Beköstigung der Dienerschaft eine Summe ausgesetzt, die
für Mädchen etwa 1 bis 1-1/2 sh. täglich zu betragen pflegt. Für das
Abendessen werden in Deutschland 25 bis 50 Pf. gezahlt. Alle diese
Einrichtungen liegen zweifellos auf dem Wege einer Verselbständigung der
Dienstboten, sie entspringen aber zunächst der Bequemlichkeit der
Herrschaften, die sich dadurch einer lästigen Kontrolle enthoben fühlen
und der gefürchteten Unredlichkeit einen Riegel vorzuschieben glauben.
Thatsächlich wird ihr dadurch Vorschub geleistet, denn was das
Dienstmädchen an barem Gelde neben ihrem meist geringen Lohn bekommt,
das legt sie am liebsten zurück, oder giebt es für etwas anderes aus,
als die Nahrung; sie wird also entweder zur Unterernährung veranlaßt,
indem sie von ihrem ersten Frühstück oder ihrem Mittagbrot noch etwas
zum Abend sich aufspart, oder sie ißt trotzdem aus der Speisekammer der
Herrschaft. Es heißt auch die Modernisierung des Dienstbotenwesens bei
einem verkehrten Ende anfangen, wenn man dem Mädchen, das unsere Wohnung
und unser Leben teilt, unsere Mahlzeiten herrichtet, verwehren will, von
unserem Brote zu essen. Die patriarchalische Ordnung, die man auf der
einen Seite, soweit es den Herrschenden nämlich zum Vorteil gereicht,
durchaus aufrecht erhalten will, läßt sich auf der anderen nicht
willkürlich durchbrechen. Nur das Gewähren von Geld als Ersatz für
alkoholische Getränke scheint mir entschuldbar, weil diese zu den
notwendigen Nahrungsmitteln nicht gehören und man dadurch,--eine
Wirkung, die in England zum Beispiel schon beobachtet wurde,--ihrem
Genuß entgegenwirkt.

Während Löhne, Wohnung und Kost die verschiedensten Abstufungen
aufweisen, bleibt die Arbeitszeit, wenn wir, wie es allein richtig ist,
darunter auch die Zeit der Arbeitsbereitschaft verstehen, sich im
allgemeinen ziemlich gleich. Es war das Charakteristikum des
Sklaventums, daß der Herr die Person des Sklaven, seine ganze
Arbeitskraft, seine ganze Zeit erkaufte, und das ist heute das
Charakteristikum des Dienstbotenwesens. Der Arbeiter verkauft einen,
wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote
verkauft seine Person; er hat Tag und Nacht dem Rufe seines Herrn zu
folgen, jeder Widerstand dagegen gilt als Unbotmäßigkeit. "Mit welchem
Entsetzen," sagt Anton Menger, "sehen die Sozialpolitiker der Gegenwart
auf die ungemessenen Fronden früherer Jahrhunderte zurück, ohne zu
bedenken, daß sie zu ihren Dienstboten in einem ganz ähnlichen
Rechtsverhältnisse stehen. Denn wenn man das Wesen des Dienstvertrags
darin erblickt, daß der Arbeiter dem Dienstherren seine Arbeitskraft für
eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Zweck zur Verfügung stellt, so
haben unsere Dienstboten in Wirklichkeit einen Normalarbeitstag von 24
Stunden."[796] Je nach dem Dienst in begüterten oder minder begüterten
Familien ändert sich nur die Intensität der Arbeit; die Arbeitszeit, die
sich durch den Wechsel zwischen der Zeit der Abhängigkeit vom Willen
anderer und der der freien Verfügung über die eigene Person kennzeichnen
läßt, bleibt stets dieselbe, d.h. eine ununterbrochene. Der höchste Grad
der Arbeitsintensität findet sich bei den am niedrigsten Entlohnten: den
Kindermädchen und den Mädchen für Alles. Die Mutter erfreut sich der
ungestörten Nachtruhe, das Kindermädchen aber opfert ihrem Sprößling die
ihre, sie ist den ganzen Tag mit dem Kinde oder für das Kind
beschäftigt, denn während es schläft, wird die Kinderwäsche gewaschen,
gebügelt, geflickt; während es wacht, wird es genährt, angekleidet,
unterhalten, spazieren gefahren oder getragen. Zwar wird der
gesundheitliche Nachteil starker Arbeitsüberlastung dadurch vielfach
aufgewogen, daß das Kindermädchen sich stundenlang mit ihrem Schützling
in frischer Luft aufhalten muß, aber der Zwang, die Kinder tragen zu
müssen,--aus falsch verstandenen Gesundheitsrücksichten auf sie ist er
besonders in Frankreich weit verbreitet,--verwandelt den Vorteil wieder
in einen empfindlichen Nachteil. Besonders junge Mädchen sind dadurch
allen Gefahren der Rückgratsverkrümmungen und Unterleibsleiden
ausgesetzt. Können die Kinder laufen, so ist die körperliche Anstrengung
zwar geringer, die der Nerven aber um so größer. Ununterbrochen Kinder
zu hüten, gehört thatsächlich, so leicht es den Fernstehenden erscheint,
die sogar geneigt sind, das Leben eines Kindermädchens für ein wahres
Faulenzerleben zu erklären, zu den aufreibendsten Aufgaben. Die Mütter
aber, die ihre lieben Kleinen im besten Fall ein paar Stunden um sich
haben, können trotzdem nicht genug über die Roheit und Schlechtigkeit
der Kindermädchen klagen, die um so eher die Geduld verlieren, als sie
meist selbst jung, ungebildet und undiszipliniert sind. Kaum geringer,
dabei der Gesundheit nachteiliger ist die Arbeitsintensität der Mädchen
für Alles. Wo die Hausfrau nicht mithilft, sind die Anforderungen, die
an sie gestellt werden, oft unerfüllbare: Kochen und einkaufen, waschen
und plätten, Kleider putzen und Zimmer reinigen, nähen und flicken, die
Familie bedienen, den Gästen aufwarten,--das alles und noch mehr ist
ihre Aufgabe. Von früh bis in die Nacht ist ihre Zeit ausgefüllt; oft
muß sie bis ein, zwei Uhr und länger thätig sein, weil Gesellschaft im
Hause ist und kann des Morgens nicht ausschlafen, weil für die
schulpflichtigen Kinder oder den Hausherrn das Frühstück zur
gewöhnlichen Zeit bereit stehen muß. Spät in der Nacht hat sie wohl auch
die gnädige Frau oder das gnädige Fräulein vom Ball oder vom Theater
heimzuholen. Niemandem fällt es ein, welchen Gefahren ein junges Mädchen
bei weiten nächtlichen Wegen sich dabei aussetzt, denjenigen am
wenigsten, die sich abholen lassen um dieser Gefahren willen. Wehe aber
dem armen Ding, wenn es Müdigkeit oder Mißmut fühlen läßt; auch die
gleichmäßige gute Laune gehört zu den ausbedungenen Pflichten eines
Dienstmädchens. Die Arbeitszeit der Köchin ist vielfach weniger
ausgefüllt als die des Mädchens für Alles; auf sie dürfte im allgemeinen
zutreffen, was die deutsche Untersuchung der Lage der Gasthausköchinnen
ergeben hat, die während vierzehn bis sechzehn Stunden durchschnittlich
zu thun haben.[797] Was ihre Situation jedoch besonders verschlechtert,
sind die gesundheitlichen Nachteile ihres Berufes: das viele Stehen
verursacht Krampfadern und geschwollene Füße, das Einatmen der
Speisenausdünstungen bewirkt Magenstörungen, die oft chronisch werden,
das beständige Hantieren am glühenden Herd zerrüttet die Nerven. Die
Klagen über launenhafte cholerische Köchinnen, denen es doch "so gut"
geht, sind nur allzu bekannt!

Bequem soll vor allem der Dienst der Kammerjungfer sein, und doch ist
ihre Nachtruhe oft mehr beeinträchtigt als die des Kindermädchens. In
der Zeit der geselligen Hochflut, die für viele Damen der großen Welt,
deren Leben sich zwischen der Großstadt und den Modebädern abspielt, nur
durch kurze Ruhepausen unterbrochen wird, hat sie fast nie eine
ausreichende und ungestörte Nachtruhe. Was es aber für ein junges
Mädchen heißt, ihre oft viel ältere Herrin Tag für Tag in glänzender
Toilette von einem Fest zum andern eilen zu sehen, während es, das
junge, hübsche, lebenslustige Mädchen, zu gleicher Zeit allein in seiner
Kammer sitzen und bei trübem Lampenlicht allnächtlich auf die Heimkehr
der "Gnädigen" warten muß,--das macht sich selten jemand klar. Wer wird
denn auch die Gefühle eines Dienstmädchens mit demselben Maße messen,
wie die eigenen!

Unter der schwersten Arbeitslast aber leiden die Stubenmädchen in den
Hotels, in Pensionen. Um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen, wird
so wenig als möglich Personal angestellt. Es kommt vor, daß ein Mädchen
die Bedienung von 30 bis 40 Gästen, die Instandhaltung von 20 bis 25
Zimmern zu übernehmen hat.[798] Die Nachtruhe währt oft kaum fünf bis
sechs Stunden, weil der Dienst vor dem Abgang des ersten angetreten, und
nach der Ankunft des letzten Zuges erst verlassen werden darf. Eine
Arbeitszeit von achtzehn bis zwanzig Stunden dürfte kaum zu den
Ausnahmen gehören.[799] Stillichs Untersuchung der Berliner
Dienstbotenverhältnisse bestätigt nur alle unsere Angaben. Von 547
Mädchen arbeitet die Hälfte,--51,5%,--länger als 16 Stunden täglich. Die
andere Hälfte arbeitet 12 bis 16 Stunden und nur 2% weniger als 12
Stunden. Und zwar sind es die am schlechtesten Entlohnten, die Mädchen
für Alles, die am längsten arbeiten müssen; für 59% dauert der
Arbeitstag über 16 Stunden.[800] Unter den fortgeschrittenen
Verhältnissen der Vereinigten Staaten scheint auch die Arbeitszeit der
Dienstboten eine geringere zu sein, obwohl die zweifelhafte Art ihrer
Berechnung,--ob nämlich die Zeit der Arbeitsbereitschaft als Grundlage
diente, oder etwaige Pausen abgerechnet wurden,--ein falsches Bild
hervorrufen kann. 38% der nordamerikanischen Dienstmädchen sollen 10
Stunden, 37% mehr als 10 und 25% weniger als 10 Stunden thätig
sein.[801]

Die freie Zeit der Dienstmädchen beschränkt sich in Deutschland,
Oesterreich und Frankreich zumeist auf einen halben Sonntag alle zwei
Wochen. Für Berlin hat sich herausgestellt, daß 69% der Dienstmädchen
innerhalb eines halben Monats nur fünf bis sechs Stunden für sich
haben.[802] Denn der vierzehntägige Ausgang schrumpft noch
außerordentlich zusammen, weil das Mädchen erst nach beendeter Arbeit
fortgehen darf und vielfach vor zehn Uhr abends zurück sein muß. Nur
selten und ungern wird ihm in der Woche eine Zeit gewährt, in der es
seine eigenen Besorgungen machen oder etwa daheim seine Kleidung in
Ordnung bringen kann. Es sind wieder nur die reichen Häuser, wo die
Arbeit eines Dienstboten leicht von einem anderen übernommen werden
kann, ohne daß es die Bequemlichkeit der Herrschaft stört. In den
begüterten Familien Englands ist es allgemein Sitte, daß jeder halbe
Sonntag, ein Abend in der Woche und ein voller Tag im Monat den
Dienstboten freigegeben wird, häufig bekommen sie sogar vierzehn Tage
Sommerurlaub, oder es wird einem jeden gestattet, an einem Abend in der
Woche den Besuch von Freunden zu empfangen. Aber auch im englischen
Mittelstand hat sich die Sitte des einen freien Tags im Monat und des
freien Abends in der Woche nach und nach eingebürgert.[803] Auf dem
Kontinent wird solch eine Forderung seitens der Dienstmädchen als eine
unerhörte Frechheit, als ein "neues Zeichen des Rückgangs alter Zucht
und Ordnung" angesehen. Daß das Dienstmädchen Zeit für sich braucht,
wenn auch nur um seine Sachen in Ordnung zu halten, daß es ein Bedürfnis
nach Unterhaltung, oder am Ende gar nach geistiger Fortbildung haben
könnte, das kommt den guten Hausfrauen nicht in den Sinn und am
wenigsten denen, die selbst im Winter fast täglich in Gesellschaften
gehen, oder Theater, Konzerte und Vorlesungen besuchen. Es fällt ihnen
aber auch nicht ein, den Lohn ihrer Dienstmädchen zu erhöhen, wenn sie
sehen, daß die überlange Arbeitszeit sie nötigt, ihre Kleidung von
Lohnarbeiterinnen ändern und herstellen zu lassen.

Die Folgen der niedrigen Löhne, der schlechten Wohnung und ungenügenden
Kost, der steten Arbeitsbereitschaft und des Mangels an freier Zeit sind
in ihrer Mehrzahl identisch mit den Fehlern, die die Hausfrauen an ihren
Dienstmädchen nicht scharf genug rügen können. So wurde von jeher
darüber geklagt, daß die Dienstmädchen die Herrschaften dadurch
übervorteilen, daß sie die Waren billiger einkaufen, als anrechnen, daß
sie den sogenannten Marktgroschen in die eigene Tasche stecken. Diese
alte Gewohnheit, die Einnahmen ein wenig zu erhöhen, wird heute von den
Dienstboten und den Verkäufern als ein selbstverständliches Recht
angesehen. In Frankreich bekommt das Dienstmädchen für jeden Einkauf vom
Händler einen Sou (fünf Centimes) für den bezahlten Franc. In
Deutschland werden ihr meist bestimmte Prozente zugesichert. Es liegt
also in seinem Interesse, die Herrschaft zu möglichst vielen Ausgaben zu
veranlassen, oder selbst recht teuer einzukaufen. Der niedrige Lohn ist
demnach, wenn nicht die Veranlassung zu direkten Unredlichkeiten, so
doch ein Mittel, den Gegensatz der Interessen zwischen Arbeitnehmern und
Arbeitgebern zu besonders schroffem Ausdruck zu bringen. Der Mangel
eines eigenen Zimmers, durch den jedes persönliche Leben unmöglich
gemacht wird, führt andererseits dazu, daß die Dienstmädchen sich nicht
heimisch fühlen im fremden Haus, wie man die Stirn hat, es angesichts
der Hängeböden von ihnen zu verlangen. Die Unmöglichkeit, mit
seinesgleichen zu verkehren, ohne unter der ständigen Kontrolle auch der
wohlmeinendsten Hausfrau zu stehen, treibt die Mädchen auf die Straße,
in den Grünkramkeller, in die Portierloge[804], und ihre Herrinnen
jammern dann über ihre "Schwatzhaftigkeit, Pflichtvergessenheit,
Faulheit und Liederlichkeit".

Das gilt besonders für jene Mädchen für Alles, die keine Gefährtin im
Haushalt haben. Den Typus eines solchen Mädchens, dessen Sehnsucht nach
dem Verkehr mit ihresgleichen durch die Einsamkeit und Abgeschlossenheit
zu einem unwiderstehlichen Verlangen wurde und sie immer tiefer dem
Verderben in die Arme treibt, haben die Brüder Goncourt mit vollendeter
Meisterschaft in Germinie Lacerteux geschildert. Sie verstanden auch
darzustellen, wie die Kluft zwischen Herr und Diener sich selbst durch
Wohlwollen auf der einen und Anhänglichkeit auf der anderen Seite nicht
überbrücken läßt.[805] Selbst der Versuch, den gutmütige, aber
unverständige Frauen zuweilen machen, indem sie das Mädchen zur Familie
heranziehen, es womöglich am gemeinsamen Mittagstisch teilnehmen, mit
ihnen am selben Platz nähen und flicken lassen, bietet keinen Ersatz für
den Verkehr mit Klassengenossen. Der Abgrund ist zu tief, der unsere
geistige Welt von der jener aus der Volksschule und der Dorfkate in
unser Haus verschlagenen Kinder materieller und geistiger Armut trennt.
Zieht nun aber solch ein Mädchen den Küchenwinkel dem Platz am
Herrschaftstische vor, so spricht man wohl von Undankbarkeit und sieht
darin den Beweis dafür, daß die Dienstboten sich gar nicht aus der
Einöde ihres Daseins emporheben lassen wollen. Die schlimmsten Folgen
jedoch zeitigt der Zwang zu steter Arbeitsbereitschaft, die Ueberbürdung
und der Mangel an freier Zeit; ihnen entspringen all jene viel
bejammerten Untugenden: Widerwilligkeit, Unlust zur Arbeit,
Langsamkeit, Ungehorsam, schlechte Laune, denn nichts wirkt
deprimierender als das graue Einerlei unaufhörlicher Werkeltage und die
Unmöglichkeit, sich selbst zu gehören. Aber noch ein Resultat rufen
diese Zustände zusammen hervor, das für den Charakter der Herren wie der
Diener gleich schädlich ist: Verlogenheit und Heimlichthuerei. Schon die
antike Welt bezeichnete beides als Sklaveneigenschaften und stellte
ihnen den Freimut und die Wahrhaftigkeit des freien Mannes gegenüber.
Nun, der Sklave sowohl wie der Dienstbote verfügen über kein anderes
Mittel, sich Freiheit zu verschaffen, als indem sie den Gebieter
hintergehen und belügen, das Dienstmädchen, das im Grünkramkeller mit
ihren Freundinnen zusammentrifft, muß für ihr langes Ausbleiben nach
einer anderen Ausrede suchen; heimlich verläßt sie abends das Haus, will
sie sich amüsieren, heimlich empfängt sie ihre Besuche; ihre, durch die
äußeren Verhältnisse großgezogenen Untugenden sind wieder die Ursache
jenes tiefgewurzelten Mißtrauens ihrer Arbeitgeber gegen sie. Sie
wittern auch dort, wo nichts davon vorhanden ist, Unredlichkeit und
Lüge. Sie beleidigen dadurch unaufhörlich das Ehrgefühl der
Bediensteten. So entsteht jene heimliche, bittere Feindschaft zwischen
Herren und Dienern, die abzuleugnen dumm und feige ist, und der Octave
Mirbeaus Kammerjungfer Célestine[806] treffenden Ausdruck giebt, wenn
sie sagt: "Man behauptet, die Sklaverei sei abgeschafft. Welch ein Hohn!
Und die Dienstboten, was sind sie denn, wenn nicht Sklaven? Sklaven in
der That, mit allem was die Sklaverei an niedriger Gesinnung, an
Korruption, an rebellischen, von Haß erzeugten Gefühlen in sich
schließt.... Man erwartet von uns alle Tugenden, alle Resignation, alle
Opfer, allen Heroismus und nur die Laster, die der Eitelkeit unserer
Herren schmeicheln: all das im Eintausch gegen Verachtung und Lohn. Und
leben wir dabei nicht in dauerndem Kampf, in dauernder Angst zwischen
einem vorübergehenden Schein von Wohlleben und dem Elend der
Stellungslosigkeit; werden wir nicht dauernd von kränkendem Mißtrauen
verfolgt, das die Thüren, die Schränke, die Schlösser vor uns
verschließt und das ohne Aufhören über unsere Hände, in unsere Taschen,
unsere Koffer die Schmach spürender Blicke gleiten läßt.... Und dann die
Qual jener schrecklichen Ungleichheit, die trotz aller Familiaritäten,
alles Lächelns, aller Geschenke zwischen uns und unsere Gebieterinnen
unübersteigbare Felsen, eine ganze Welt von unterdrücktem Haß und
quälendem Neid auftürmt."

Nirgends steht sich Reich und Arm so nah gegenüber, als in der
Häuslichkeit. Es gehört der ganze Stumpfsinn niedergedrückter, von der
frischen Luft der neuen Zeit künstlich abgeschlossener Volksschichten
dazu, um es erklärlich zu machen, daß die Dienstboten angesichts dieser
krassen Gegensätze bisher noch nicht revoltierten. Sie stammen ihrer
großen Mehrzahl nach aus sozial und ökonomisch tief stehenden Schichten
der Bevölkerung, aus Gegenden, die von der Kultur am wenigsten berührt
wurden. Der Stadt gehen sie mit der größten Erwartung entgegen, in ihr
atmen sie, im Vergleich zu den Verhältnissen, denen sie auf dem Lande
meist entronnen sind, Freiheitsluft und fügen sich daher ohne Murren in
harte Lebenslagen. 1895 gab es in Berlin neben 9010 geborenen
Berlinerinnen, 49849 ortsfremde Dienstmädchen[807], und in einem Jahr,
1898, zogen allein 42418 aus den Provinzen zu.[808] Von ihren
Arbeitskolleginnen in Wien kommen 87 % von außerhalb.[809] In Amerika
sind die meisten Dienstmädchen arme Ausländerinnen, deren Ansprüche weit
geringere sind, als die der Eingeborenen. In Frankreich und England
bevorzugt man neuerdings mehr und mehr das deutsche Mädchen,--eine
Bevorzugung, der wir uns, wenn wir die Ursachen erkannt haben, nur zu
schämen haben, denn überall im Ausland tritt der deutsche Dienstbote als
Lohndrücker auf. Dazu kommt ferner, daß die sozialen Schichten, aus
denen die Dienstmädchen hervorgehen, tiefstehende sind. Von den Berliner
Dienstmädchen z.B. stammen ab von[810]

Handwerkern                   27 Proz.
Arbeitern                     24   "
Kleinen Landwirten            17   "
Kleinen Beamten               12   "
Anderen Gewerbetreibenden      7   "
Ungenau                       13   "

Die große Zahl derjenigen, die ihre Herkunft nicht genau angeben oder
angeben konnten, findet darin ihre Erklärung, daß es gerade unter den
Dienstmädchen sehr viele Waisen oder uneheliche Kinder giebt, die von
früh an im Dienst fremder Leute herumgestoßen werden.[811] Die meisten
von ihnen beginnen ihre Laufbahn sehr früh. Von den österreichischen
Dienstmädchen waren nach der letzten Zählung 28 % 11 bis 20 Jahre
alt[812]; in Deutschland wurden 1895 allein 32653 Dienstmädchen
gefunden, die das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, 14 bis 18
Jahr waren 348712, 18 bis 20 Jahr 204225.[813] Ohne Gelegenheit gehabt
zu haben, die Außenwelt vorher kennen zu lernen, werden sie von früh an
vor der Berührung mit ihr sorgfältig abgeschlossen. Nicht nur, daß sie
ihre besten Jahre der härtesten Fron opfern und durch sie verbraucht
werden, sie haben es auch, infolge ihrer Abgeschlossenheit und
Vereinzelung, am schwersten, sich mit ihren Arbeitsgenossen
zusammenzuschließen.[814] Aus all diesen Gründen sind sie so rückständig
und fangen erst langsam an, das Unerträgliche ihrer Lage zu empfinden.
Nicht auf den äußeren Arbeitsbedingungen und deren Folgen allein beruht
es; sondern oft noch mehr auf der Behandlung, die sie sich gefallen
lassen müssen. Man verlangt von ihnen die ununterbrochene Ausübung der
schwersten Tugenden, und bietet ihnen im besten Fall kühle
Gleichgültigkeit. Sie sollen trauern mit unserer Trauer, sich freuen mit
unserer Freude, sie sollen Rücksicht nehmen auf unsere Nerven, uns
pflegen, wenn wir krank sind,--daß auch ihr Leben Schmerz und Freude
kennt, daß auch sie Nerven haben und krank sein können, das fällt den
guten Hausfrauen selten ein, und wenn sie es bemerken, so schelten sie
über Launenhaftigkeit, Mangel an Selbstbeherrschung und Faulheit. Sie
beklagen sich bitter über die Dummheit und Ungeschicklichkeit ihrer
Mädchen, ohne auch nur einen Augenblick daran zu denken, daß solch ein
armes Geschöpf oft vorher nichts kennen gelernt hat, als die dürftigsten
Verhältnisse und nun plötzlich den bürgerlichen Haushalt und die
bürgerlichen Gewohnheiten mit all ihren Finessen verstehen soll. Wie
viele Hausfrauen zeigen ihren Mädchen niemals ein freundliches Gesicht;
keine Bitte, kein Dank kommt über ihre Lippen, Scheltworte statt dessen
um jede Kleinigkeit; selbst an rohen Thätlichkeiten fehlt es nicht, wie
zahlreiche Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre beweisen. Das
Beispiel der Mutter wirkt anfeuernd auf die Kinder: ihr Benehmen
gegenüber den Dienstboten spottet oft jeder Beschreibung. Was bei den
Kleinen Unart ist, wird bei den Heranwachsenden Frechheit, bei den
großen Gemeinheit. Wie oft wird das Dienstmädchen das Opfer der
Begierden der früh verdorbenen Söhne der Bourgeoisie! Mir ist eine Frau
begegnet, die das Verhältnis ihres Sohnes mit ihrem Stubenmädchen mit
der Begründung duldete: dabei bleibt er wenigstens gesund! Aber auch die
Hausherren selbst sind von der Ehrlosigkeit, in vielen Fällen die
Verführer ihrer Angestellten zu sein, sicher ebensowenig freizusprechen,
wie die Fabrikanten und Geschäftsleiter. Wie tief in Bezug hierauf die
Begriffe von Ehre und Sittlichkeit gesunken sind, das lehrt ein Blick in
die humoristische Presse. Sie beschäftigt sich in wahrem Wohlbehagen mit
den Liebeleien, die der Hausherr hinter dem Rücken der Gattin mit den
Dienstmädchen anspinnt. Zeitschriften, wie die Münchener Fliegenden
Blätter, die jedes Schulkind in die Hand nimmt, sind darin kaum minder
frivol, wie die stärker auftragenden französischen Journale.

Die größten sittlichen Gefahren drohen den Stubenmädchen in den Hotels
und Pensionen der Badeorte. Die Schamlosigkeit mancher Reisender, die zu
den persönlichen Diensten, die für ein Trinkgeld geleistet werden
müssen, die Befriedigung ihrer Lüste oft wie etwas Selbstverständliches
zählt, übersteigt häufig alle Grenzen, sie geht bis zur brutalen
Vergewaltigung.[815] Nun wäre es freilich übertrieben, die große Zahl
unverheirateter Mütter unter den Dienstmädchen,--in Berlin haben 33 %
aller unehelichen Kinder Dienstmädchen zu Müttern,--allein auf die
Verführung ihrer Herren und deren Söhne zurückzuführen. Die Ursache
davon liegt aber zweifellos nicht in der ursprünglichen Liederlichkeit
der Mädchen, über die alle Hausfrauen einig zu sein pflegen, sondern in
den Verhältnissen, die sie umgeben. Es wird ihnen nicht gestattet, offen
mit ihresgleichen zu verkehren, sie haben nicht einmal einen anständigen
Raum dafür, sie haben zu harmlosen Jugendfreuden keine freie Zeit; so
empfangen sie denn heimlich bei Nacht und Nebel ihre Besuche und
verstecken sie hastig in der engen Kammer, die oft nichts enthält, als
das Bett; sie gehen heimlich, wenn die Argusaugen der Herrschaft nicht
mehr zu fürchten sind, auf nächtliche Vergnügungen. Haben sie nicht etwa
dasselbe Recht auf Jugendlust, dasselbe Verlangen danach, wie die
Töchter ihrer Gnädigen? Die bürgerliche Gesellschaft treibt sie zum
Fall; es gehört große sittliche Festigkeit dazu, unberührt zu bleiben,
die von den Mädchen nicht erwartet werden kann, die, wie wir aus der
Darstellung der Lage der Landarbeiterinnen gesehen haben, zumeist einem
Milieu entstammen, das an sich schon korrumpiert genug ist. Die meisten
Dienstmädchen kehren aus den Städten mit einem Kinde aufs Land
zurück.[816] Sehr viele fallen schließlich der Prostitution in die Arme.
So konstatierte eine Berliner Statistik des Jahres 1874, daß von 100
Prostituierten 36 ehemalige Dienstmädchen waren[817], eine amerikanische
Berechnung zählt sogar 47 auf 100.[818]

Aber noch andere indirekte Einflüsse kommen hinzu, um die weiblichen
Dienstboten zu verderben: das Beispiel ihrer Herrschaft. Man sagt mit
Recht, daß vor seinem Bedienten der Größte klein wird; das heißt mit
anderen Worten: kein Stand kennt so genau die Kehrseite der Medaille,
keiner wird so vertraut mit den häßlichen, gemeinen, niedrigen
Eigenschaften der Menschen, blickt so tief in ihr oft durch und durch
wurmstichiges Leben, als der der Dienstboten. Und er sollte
unberührt davon bleiben?! Eitelkeit und Putzsucht, Hochmut und
Verschwendungssucht, Frivolität und Liederlichkeit, daneben oft die
ganze Verlogenheit äußeren Glanzes, der den inneren Zusammenbruch decken
soll, umgeben ihn, wie die Luft, die er atmet. Man müßte ein gereifter,
moralisch gefestigter Mensch sein, um aus dieser Atmosphäre rein
hervorzugehen, nicht aber ein junges Mädchen, das aus dem Dunkel kommt
und geblendet wird von all dem gleißenden Schein. "Der Dienstbote ist
kein normales Wesen mehr", sagt Célestine[819], "... er gehört nicht
mehr zum Volk, aus dem er hervorgeht, und nicht zur Bourgeoisie, in
deren Mitte er lebt und zu der er hinneigt.... Den gerechten Sinn und
die naive Kraft des Volkes hat er verloren; die Neigungen und Laster der
Bourgeoisie hat er sich angeeignet, ohne die Möglichkeit zu haben, sie
zu befriedigen.... Die Seele beschmutzt, so geht er durch diese
anständige bürgerliche Welt und durch nichts als durch die Thatsache,
daß er den tödlichen Dunst, der aus diesem Sumpf emporsteigt, eingeatmet
hat, verliert er die Sicherheit seines Geistes bis zur völligen Aufgabe
seiner Persönlichkeit." Wie sehr rügen die braven Bürgerfrauen die
Putzsucht ihrer Dienstmädchen, ihr Bestreben, es den Herrinnen gleich zu
thun; als ob sie selbst nicht häufig genug durch ihren Luxus und ihre
Sucht, die reiche Nachbarin womöglich in der Kleiderpracht noch zu
übertreffen, den Ruin der Familie herbeiführen helfen. Wie kommen sie
dazu, von ihrem armen Dienstmädchen mehr Bescheidenheit und
Zufriedenheit, kurz einen besseren Charakter zu verlangen, als von sich
selbst? Wenn mich etwas in Erstaunen setzt, so sind es nicht die Fehler,
sondern die vielen Tugenden unserer Dienstmädchen: sie härmen sich mehr
an unserem Krankenbett, als wir an dem ihren; sie nehmen häufig
innigeren Anteil an unserem Leid, als wir an dem, was sie bedrückt; sie
verfolgen, aus unserem Hause geschieden, oft mit größerem Interesse
unser Schicksal, als wir das ihre; sie pflegen unsere Kinder vielfach
mit größter, gradezu mütterlicher Sorgfalt.[820] Statt daß ihre
Klatschsucht Empörung hervorruft, sollten die Herrschaften sich vielmehr
über ihre Verschwiegenheit verwundern. Ich kannte einen jungen, begabten
Diener, den ich veranlaßte, seine Erinnerungen niederzuschreiben; er
hatte schon viele Seiten gefüllt, da zerriß er sein Manuskript, aus
Angst, nach seiner Veröffentlichung keine Stellung mehr zu bekommen.
Selbst die Anonymität, glaubte er, könne ihn nicht schützen. Wenn der
Mund dieser Stummen sich erst einmal furchtlos öffnen kann, so wird die
Welt sich vor dem entsetzen, was sie dann wird hören müssen. Ein Mensch
mit niedriger kriechender Gesinnung wird verächtlich eine Bedientennatur
genannt, Mangel an Stolz, an Charakterstärke gegenüber Höherstehenden
wird als Bedientenhaftigkeit bezeichnet,--die beginnende Revolte der
Einzelnen, wie der organisierten Dienstboten, ist das erfreuliche
Zeichen dafür, daß das beschämende Bewußtsein des eigenen physischen und
seelischen Sklaventums in den Dienstboten erwacht und sie an den
entehrenden Ketten zu rütteln beginnen.

Werfen wir noch einen Blick in das tiefste Dunkel des Dienstbotenelends,
das die bürgerliche Gesellschaft auch mit dem buntesten Tand und Flitter
nicht zu verdecken vermag: das Ammenwesen. Rousseaus glühende Ansprachen
an die Mütter sind längst verhallt, beinahe zu einer litterarischen
Merkwürdigkeit geworden; die Degeneration der bürgerlichen Gesellschaft
hat seitdem rapide Fortschritte gemacht, die Brüste ihrer Mütter sind
immer häufiger leer, teils, weil die Sünden der Vorfahren sich an ihnen
rächen, teils weil ungesunde Erziehung und Lebensweise sie ihrer
Naturkraft beraubt hat. Nach wie vor ist aber auch Vergnügungssucht und
Eitelkeit stärker als das Bewußtsein der Mutterpflichten, und statt dem
Kinde zu geben, was die gütige Natur für es geschaffen hat, wird ein
Ersatz dafür gesucht. Mit Gold erkauft sich alles in dieser besten der
Welten, auch die Muttermilch, und so ist die Ernährung fremder Kinder
mit der dem eigenen entzogenen Milch zu einer Lohnarbeit geworden!
Dieselbe Gesellschaft, die verächtlich auf ein gefallenes Mädchen
herabsieht, die die Heiligkeit der Familie von allen Kanzeln predigt,
züchtet künstlich, weil sie ihrer bedarf, die Unsittlichkeit, vernichtet
das einfachste Ehrgefühl, zerstört die Familien, denen sie die Mütter
entreißt, opfert das Leben tausender vielleicht physisch und geistig
gesunderer Kinder, ihren so oft durch und durch degenerierten
Sprößlingen. Der ganze Spreewald Preußens lebt von dem Verdienste der
Ammen; häufig gehen die Mädchen viele Jahre lang ihrem "Berufe" nach,
bis sie genug verdient haben, um zur begehrten Partie zu werden oder
bis ihre Gebärfähigkeit versagt. Der Bauer der Bretagne wählt seine Frau
je nach der Fähigkeit, die sie hat, durch Ammendienste ihn und seine
Familie zu erhalten. Er selbst zwingt sie, ihr Heim zu verlassen, seinem
eigenen Kinde entzieht er die Muttermilch, um ihren Ertrag womöglich zu
versaufen und zu verprassen.[821] Die kräftige Nahrung, die oft kostbare
Kleidung, die gute Behandlung, die den Ammen gewährt wird,--nicht aus
Mitleid und Dankbarkeit natürlich, sondern nur aus Rücksicht auf den
Säugling,--bietet keinen Ersatz für das unendliche Elend, die um sich
fressende Korruption, die man verbreiten hilft. Schon beginnt die Strafe
dem Verbrechen zu folgen: es giebt ganze Landstriche, wo gesunde Ammen
nicht mehr aufzutreiben sind; die Mutter vermochte noch zu nähren, die
Tochter, die mit allerhand schlechten Surrogaten aufgepäppelt wurde,
wird ein schwaches, elendes Ding. Noch schlimmer kann ihr Los sich
gestalten, wenn ihre Mutter sie genährt hat, nachdem sie früher
ahnungslos ein syphilitisches Bürgerkind an ihren gesunden Brüsten groß
zog; ihre eigene Nachkommenschaft vergiftet sie nun mit dem Gift, das
das fremde Kind ihr einimpfte. Vielleicht überträgt die lebendige
Nährmaschine es auch weiter auf andere fremde Kinder, deren eigene
Mütter währenddessen stolz die nicht entstellten gesunden Brüste beim
strahlenden Licht der elektrischen Lampen und rauschenden Klang der
Geigen den Blicken ihrer Verehrer preisgeben.

Dienstbotenelend! Wer vermag es noch mit dem egoistischen Blick der
jammernden Hausfrau anzusehen? Dienstbotennot! Wer wagt es noch über sie
unter dem Begriff der Not an Dienstboten zu klagen? Es ist ein Zeichen
gesunden Gefühls und kräftigen Aufstrebens breiter Volksschichten, daß
diese Not ständig zunimmt. Nach einem Bericht der städtischen
Waisenverwaltung in Berlin, die es sich besonders angelegen sein läßt,
ihre Zöglinge für den Hausdienst vorzubereiten und in ihm festzuhalten,
waren von 51 Waisen, die im Jahre 1890 Stellungen annahmen, nach 6
Jahren nur noch 23 im Dienst, die meisten waren Arbeiterinnen geworden,
sie hatten die persönliche Freiheit, auch wenn sie oft durch Hunger und
Not erkauft werden muß, dem modernen Sklaventum, auch wenn es oft die
Allüren des Herrentums annimmt, vorgezogen.

Für viele zweifelhafte Menschenfreunde ist es, sobald sie von dem Elend
der Fabrikarbeiterin hören, zum Schlagwort geworden, womit sie aller Not
zu begegnen, alles Ungemach abzuwenden glauben: werdet Dienstmädchen!
Selbst die Trostlosigkeit des Arbeiterhaushalts und die schlechte
Ernährung der Arbeiterfamilie wird darauf zurückgeführt, daß die Frauen
nicht vor der Ehe Dienstmädchen waren, und es giebt Leute genug, die
nicht nur sich selbst, sondern auch den Arbeiterinnen zu nützen glauben,
wenn sie für die jungen Mädchen eine Art Dienstzwang einführen möchten.

Die Working Women's Guild von Philadelphia veranstaltete unter 600
Arbeiterinnen aller Art eine Umfrage, um ihre Meinung kennen zu lernen,
warum sie nicht vorziehen, Dienstbote zu werden. Sie gaben dafür
übereinstimmend folgende Gründe an: 1) Mangel an Freiheit und
unaufhörliche Beaufsichtigung. 2) Verletzung der Selbstachtung durch das
Unterthänigkeitsverhältnis. 3) Endlose Arbeitszeit. 4) Kränkende
Behandlung besonders von seiten der Herren und Söhne des Hauses. 5) Kein
eigenes Zimmer. 6) Verlust der Achtung anderer Arbeiterinnen. 7) Keine
Möglichkeit, Freunde zu empfangen, außer in der Küche unter Aufsicht der
Herrschaft.[822]

Diesseits des Oceans sind die Gründe dieselben wie jenseits. Es fragt
sich nur, ob die bürgerliche Familie mit ihrer gegenwärtig bestehenden
Privathaushaltung im stände ist, sie aus der Welt zu räumen. Eine
verneinende Antwort scheint mir aus unserer Darstellung der Lage der
Dienstmädchen ohne weiteres hervorzugehen, denn sie entspringt nicht dem
schlechten Charakter und bösen Willen der Arbeitgeber und der
Arbeitnehmer, sondern der ökonomischen und sozialen Seite des
persönlichen Dienstverhältnisses und seiner jahrtausendlangen Tradition.

Wir haben gesehen, daß in den Häusern der oberen Zehntausend, wo infolge
eines zahlreichen Personals eine bestimmte Arbeitsteilung neben hohem
Lohn, gutem Unterkommen und anständiger Kost gewährt zu werden pflegt
und nebenbei auch, bei der persönlichen Distanz zwischen Herrn und
Diener, die Reibungsmöglichkeiten seltener sind und das sogenannte
patriarchalische Verhältnis ganz ausgelöscht ist, die Lage der
häuslichen Bediensteten sich am günstigsten gestaltet. Je kleiner der
Haushalt und je beschränkter die Mittel, desto unerträglicher wird sie.
Da nun aber die große Masse des Bürgertums, teils infolge direkter
Vermögensverluste, teils infolge des zunehmenden Mißverhältnisses
zwischen Einnahmen und Ansprüchen, sich pekuniär keinesfalls in
aufsteigender Linie bewegt, so ist für eine Hebung der Lage der
Dienstboten von dieser Seite nichts zu erwarten. Immer mehr wird das
Mädchen für Alles zur begehrtesten Persönlichkeit werden; weder ihr
Unterkommen, noch ihr Lohn, noch ihre Arbeitszeit können eine
wesentliche Verbesserung erfahren. Oder sollte es wirklich Leute geben,
die sich in dem Glauben wiegen, die bürgerliche Welt, wie sie heute
geworden ist, wäre insgesamt im stande, die eigenen Bedürfnisse den
Dienstboten zu Liebe erheblich einzuschränken, sich etwa mit einem
Zimmer weniger zu begnügen, um es dafür dem Dienstmädchen einzuräumen,
Vergnügungen und Luxus aller Art, vielleicht sogar liebe Gewohnheiten
aufzugeben, um besseren Lohn zahlen und reichlichere Kost gewähren zu
können? Selbst wohlwollende Hausfrauen, die der Dienstbotenbewegung
volles Verständnis entgegenbringen, sind, von vereinzelten Ausnahmen
abgesehen, außer stände, ihren Forderungen Rechnung zu tragen. Aber auch
die sittlichen Mißstände und die Divergenz der Interessen können sich
mit der zunehmenden Aufklärung der Dienstboten und dem Widerstand der
Herrschaften dagegen nur verschärfen. Denn mit der Abnahme der
Dienstboten wird es sich immer deutlicher zeigen, daß damit die
Aufrechterhaltung der Privathaushaltung in ihrer jetzigen Form in Frage
steht, und der vielfach wütende Fanatismus, mit dem die große Mehrzahl
der Hausfrauen, von der bürgerlichen Presse lebhaft unterstützt, gegen
die Dienstbotenbewegung Stellung nimmt, ist auf das freilich gegenwärtig
meist noch unklare Gefühl davon zurückzuführen.

Langsam und im stillen, von den Beteiligten selbst fast unbemerkt, hat
sich die Umwandlung des Haushalts, die durch den Mangel an Dienstboten
nur rascher vorwärts getrieben werden wird, schon seit geraumer Zeit
angebahnt. Nicht nur, daß die Produktion für den Haushalt schon längst
nicht mehr durch ihn geschieht, auch die speziellen Verrichtungen der
häuslichen Dienerschaft werden mehr und mehr von außer dem Hause
wohnenden Arbeitskräften übernommen. Schon an der zunehmenden Zahl der
Aufwartefrauen läßt sich das ermessen. Meist pflegen es Arbeiterfrauen
und Witwen zu sein, die gezwungen sind, ihre Familie zu erhalten oder
erhalten zu helfen. Gleicher Kategorie sind die Kochfrauen, Waschfrauen
und die Flickerinnen, die ins Haus kommen.

Einen Schritt weiter noch ging die Entwicklung, indem sie auch diese
Arbeiten außer das Haus verlegte. In den Großstädten wird es besonders
mehr und mehr üblich, die Wäsche in Wäschereien reinigen und plätten zu
lassen. In Deutschland giebt es nach der letzten Betriebszählung 73766
Wäschereien. Von diesen sind nur 7084 Gehilfenbetriebe, und zwar
entfallen auf 5800 davon kaum je drei Gehilfen. Alleinbetriebe aber
werden 66662 gezählt.[823] Die sanitären Verhältnisse sind überall
höchst bedenkliche: In den Großbetrieben, meist Dampfwäschereien,
herrscht eine feuchte Hitze, die bis zu 35° R. erreicht und in der die
meist jungen Arbeiterinnen elf und mehr Stunden aushalten müssen, die
Atmosphäre wird aber zu einer noch bedeutend gefährlicheren in den
Plättereien, wo die Gasdünste der Plätteisen die Luft verpesten. Trotz
aller dahingehenden Bestimmungen ist die Ventilation dabei eine höchst
mangelhafte, weil die Rücksicht auf die Wäsche, die durch den
eindringenden Staub beschmutzt werden könnte, der Rücksicht auf die
Arbeiterinnen vorangeht.[824] Aber immerhin sind diese großen
Wäschereien im Vergleich zu den kleinen fast ideale Arbeitsstätten, denn
alle Schrecken der Heimarbeit konzentrieren sich in diesen. Die arme
Waschfrau, die vielleicht allein oder mit Hilfe der Tochter oder eines
Mädchens die Arbeit übernimmt, pflegt zunächst die abgeholte schmutzige
Wäsche in dem einzigen Wohn- und Schlafraum der Familie zu sortieren,
nachzuzählen und mit Zeichen zu versehen. Alle Krankheitskeime, die ihr
anhaften, werden auf diese Weise aufgewirbelt, und setzen sich in dem
engen Raum fest, wo kleine Kinder in nächster Nähe schlafen, oder
zwischen der schmutzigen Wäsche spielend auf der Erde herumkriechen. Oft
kocht auf demselben Herd, auf dem das Essen für die Familie bereitet
wird, in großen Kesseln die Wäsche; der daraus aufsteigende Dunst
erfüllt das ganze Zimmer. Häufig genug wird selbst ein Teil der Wäsche
im Wohnraum zum Trocknen aufgehängt, womöglich über den Betten der
Kinder und der Kranken. Die Plätterei steigert noch die Gefahren für die
Arbeiterinnen wie für die übrigen Bewohner des Raumes. Sommer und Winter
ist der Plättplatz dicht neben dem glühenden Ofen, um möglichst schnell
die Eisen aus dem Feuer ziehen zu können. Und in dieser Umgebung,
inmitten direkter und indirekter Lebensgefahren existiert nicht nur die
ganze Familie, es arbeiten alte Frauen und kaum den Kinderschuhen
entwachsene Mädchen bis zur Entkräftung darin. Zum Schluß wird die
sauber zusammengelegte Wäsche zum Nachzählen abermals im Zimmer
ausgebreitet. Oft genug kommt es vor, daß bei den engen Räumlichkeiten
fertige Wäschestücke auf den Betten masern- und scharlachkranker Kinder
liegen. So werden die Krankheiten, die durch die Wäsche reicher Leute in
die Behausung der Armen gelangen, wieder aus ihnen heraus in die Häuser
der Reichen getragen.[825] Das Idyll der "alten Waschfrau" löst sich
eben, in der Nähe betrachtet, ebenso in trübe Elendsbilder auf, wie das
Idyll der "lustigen Nähmamsell". Würden nicht die Hausfrauen mit einer
Zähigkeit, die nur der Unkenntnis der Thatsachen entspringen kann, an
den kleinen Wäschereien festhalten, weil die Dampfwäschereien angeblich
die Wäsche mehr verderben, sie wären schneller, als es jetzt schon
geschieht, dem verdienten Untergang geweiht.

Mehr noch als die Vergebung häuslicher Arbeiten an Außenstehende hat die
rapide Ausbreitung der Pensionen und Wirtshäuser die bisherige Form des
Familienlebens, das sich wesentlich um den eigenen Herd gruppierte, zu
erschüttern vermocht. In einem Zeitraum von dreizehn Jahren haben
allein in Deutschland die Gastwirtschaften um 94594, d.h. um 116 %, und
die Zahl der darin beschäftigten Personen um 295713, d.h. um 132 %
zugenommen. Nun ist zwar das Wirtshausleben der Männer eine alte
Erscheinung, aber das der Frauen und ganzer Familien ist eine
Errungenschaft der Neuzeit, die durch das Pensionsleben Amerikas und
Englands in wachsendem Maße zur Auflösung des privaten Haushalts führt.

Das Wirtshaus wurde von jeher als ein Ersatz der eigenen Häuslichkeit
betrachtet, seine Angestellten, waren sie nun in Küche und Keller oder
bei der Bedienung der Gäste beschäftigt, galten für häusliche
Dienstboten, und wie an diesen, so ging daher lange Zeit die soziale
Untersuchung und Gesetzgebung auch an jenen vorbei. Erst als eine Reihe
von Mißständen schroff zu Tage trat und man anfing, besonders im
Kellnerinnenwesen eine sittliche Gefahr für die männliche Tugend zu
erblicken, entschloß man sich, die Zustände einmal in der Nähe zu
betrachten. Durch die Königliche Arbeitskommission geschah es in
England, durch die Kommission für Arbeiterstatistik in Deutschland, eine
Anzahl von Privatuntersuchungen trat ergänzend hinzu. Nur ein sehr
kleiner Kreis der in Betracht kommenden Personen wurde von den Enqueten
erfaßt,--in Deutschland z.B. von 37121 Kellnerinnen nur der neunte Teil,
4093,--und, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, blieb die sozial am
niedrigsten stehende Kategorie von ihnen ganz unberührt. Kellnerinnen
aus Cafés, Café-Restaurants, Gastwirtschaften und Bierkellern wurden
befragt, die Angestellten der sogenannten, in Norddeutschland sich,
trauriger Berühmtheit erfreuenden Animierkneipen blieben ausgeschlossen.
Trotz alledem war das Ergebnis ein sehr mißliches; man war ausgezogen,
bereit, den Bannstrahl über Scharen von Sünderinnen zu schleudern, und
fand schwer um ihre Existenz ringende, jeder Art der Ausbeutung
schutzlos preisgegebene Arbeiterinnen.

Betrachten wir zunächst die Anforderungen, die an sie gestellt, und
sodann die Entschädigungen, die ihnen dafür geboten werden. Als ein
junges, schmächtiges Ding von vierzehn bis sechzehn Jahren tritt die
angehende Kellnerin, wenn sie nicht etwa schon zu Hause die nötigen
Fertigkeiten sich aneignen konnte, in den Dienst. Sie wird
Wassermädchen, d.h. sie hat den Gästen nur das Wasser zu bringen und
steht gewissermaßen im Dienste der Kellnerinnen, denen sie die
unangenehmsten Arbeiten, z.B. das Reinigen, Ordnen und dergl. mehr
abzunehmen hat. Ihre Arbeitzeit ist infolgedessen eine ungewöhnlich
lange, da sie meist vor den Kellnerinnen ihre Arbeit beginnen muß und
sie oft erst nachher verlassen kann. Es kommen sechzehn-bis
achtzehnstündige Arbeitszeiten vor[826], ja zur Karnevalszeit werden oft
noch schulpflichtige Mädchen ganze Nächte durch aushilfsweise
beschäftigt.[827] Den ganzen Tag haben sie nicht nur auf den Beinen zu
sein, sie befinden sich in einer fast ständigen Hast, als Sündenbock von
jedermann. Zeigt sich die junge Novize anstellig, ist sie hübsch und
verfügt sie über eine chike Toilette, so hat sie Aussicht, bald eine
Staffel empor zu rücken. Die Dienstvermittlung wird in ihrem Fall durch
private Bureaus besorgt, die ihr Ausbeutungssystem noch schärfer
handhaben, als die für häusliche Dienstboten. Gebühren von 10 bis 30
Mark sind an der Tagesordnung[828]; vielfach wird von vornherein ein
Einschreibegeld verlangt, das auch dann zurückbehalten wird, wenn die
Stellungsuchende es vergebens bezahlt hat. Ist eine Stellung gefunden,
so wird sie in den weitaus meisten Fällen ohne schriftliche
Vertragsschließung angetreten und von einer Kündigungsfrist ist, unter
Umgehung der gesetzlichen Vorschriften, schon deshalb meist keine Rede,
weil die Kellnerin es sich gefallen lassen muß "auf Probe" angestellt zu
werden[829]; vielleicht ist sie ungeschickt oder gar unfreundlich,
vielleicht gefällt sie den Gästen nicht, dann fliegt sie hinaus von
einem Tage zum anderen. Sehr oft ist es auch der Dienstvermittler, der
sie durch Versprechungen fortlockt, oder den Wirt gegen sie aufhetzt,
um recht viel an ihr zu verdienen.[830]

Der Tagesdienst beginnt, je kleiner die Wirtschaften sind, desto früher.
In den kleinsten ist die Kellnerin zugleich Dienstmädchen und ehe sie
Gäste bedient, hat sie den Haushalt zu besorgen. Die Reinigung der
Gastzimmer, der Gläser und Tassen liegt ihr vielfach ob; wenn nicht, so
hat sie das für diese Arbeiten angestellte Personal zum großen Teil aus
eigener Tasche zu bezahlen. Ihre eigentliche Berufsarbeit beginnt mit
dem Eintritt des ersten Gastes. Von nun an ist sie immer auf den Füßen;
immer lächelnd, immer zuvorkommend, der gröbsten wie der gemeinsten
Behandlung gegenüber, hat sie die Getränke und Gerichte
heranzuschleppen. In den Hotels englischer Seebäder wurde fast durchweg
konstatiert, daß die Kellnerinnen von sieben Uhr früh bis zwei Uhr
nachts thätig sind; in den Restaurant-Waggons wurde eine wöchentliche
Arbeitszeit von achtundneunzig Stunden festgestellt, die kein einziger
Ruhetag unterbricht.[831] Von den etwa 4000 befragten deutschen
Kellnerinnen haben eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit von

12 und weniger Stunden             5,0 Proz.
12 bis 14 Stunden                 19,3 Proz.
14 bis 16 Stunden                 51,8 Proz.
16 bis 18 Stunden                 23,4 Proz.
mehr als 18 Stunden                0,5 Proz.[832]

Die überwiegende Mehrzahl hat demnach eine Arbeitszeit von vierzehn bis
sechzehn Stunden. Je nach der Saison und dem Zudrang der Gäste steigert
sich diese Arbeitszeit willkürlich. Während des Karnevals in München
kommt es vor, daß Kellnerinnen mit nur zwei- bis dreistündiger Pause
während vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden hintereinander Dienst
thaten.[833] Von regelmäßigen Pausen ist überhaupt nur selten die Rede;
sie richten sich lediglich nach der zu leistenden Arbeit. Ist die
Wirtsstube leer, so kann das müde Mädchen vielleicht auf kurze Zeit des
Ausruhens rechnen, kaum betritt es ein Gast, so heißt es geschäftig
aufspringen und seine Wünsche befriedigen. In zahlreichen Wirtshäusern
wird den Kellnerinnen sogar, auch wenn sie unbeschäftigt sind, das
Sitzen verboten, weil das einen schlechten Eindruck auf die Eintretenden
machen könnte. Nur beim Essen können sich auf kurze Zeit die matten
Glieder ausruhen. Noch schlimmer als um die Pausen ist's um die freie
Zeit bestellt. Von Sonntagsruhe ist keine Rede, der Sonntag und der
Feiertag bringt vielmehr die meiste Arbeit, dann gilt es, für die
glücklichen Arbeitfreien zu laufen und zu springen. In München wird
vielfach alle vierzehn Tage ein freier Nachmittag in der Woche
gewährt[834], aber auch nur unter der Bedingung, daß ein Ersatz von der
Kellnerin selbst beschafft und entlohnt wird. Nur in 19,9 % der von der
Kommission für Arbeiterstatistik untersuchten Betriebe hatten die
Angestellten regelmäßig einen ganzen Ruhetag und zwar in 6,5 % zwölfmal,
in 7,4 % dreizehn- bis vierundzwanzigmal, in 6 % noch öfter im Jahr. In
der Hälfte der Betriebe wurden Ausgehzeiten zugestanden, die sich aber
immer nur auf Stunden ausdehnen.[835] In den allermeisten Wirtshäusern
giebt es demnach im ganzen Jahr keinen einzigen freien Tag und in der
Hälfte giebt es nicht einmal freie Stunden!

Es sind vor allem die Besitzer der mittleren und kleineren Wirtschaften,
die ihren menschlichen Arbeitsmaschinen keinen Augenblick des Ausruhens
zugestehen[836], und sich dann, ähnlich wie die Hausfrauen den
Dienstboten gegenüber, darauf berufen, daß ihre Angestellten einen
leichten Dienst hätten. Als ob selbst der leichteste Dienst die freie
Zeit, in der der Mensch einmal ganz sich selbst gehören kann, zu
ersetzen im stände wäre! Diese lange, ununterbrochene Arbeitszeit wird
nun aber auch in der größten Anzahl der Fälle in Räumen zugebracht, die
allen hygienischen Ansprüchen spotten: der Tabaksqualm in der Stube
vermischt sich darin mit den Speisengerüchen und den Ausdünstungen der
Menschen. Wo gelüftet wird, entsteht eine Zugluft, die die erhitzten
Kellnerinnen empfindlich trifft. Trockene, schlechte Luft, Uebermüdung
und Erhitzung rufen aber auch ein ständiges Durstgefühl hervor, das in
Bier, Wein und Kaffee befriedigt wird und den einer gesunden Arbeit
folgenden Hunger mehr und mehr in zweite Linie schiebt. Es ist jedoch
nicht nur der freie Wille, der zum Trinken zwingt. In den Kneipen mit
Damenbedienung, die besonders in Norddeutschland florieren, gehört es
zum Beruf der Kellnerin, den Gast zum Trinken zu animieren, indem sie
mit ihm trinkt und so eine möglichst hohe Zeche erzielt. Zum
Entgegenkommen gegenüber dem Gast, auch wenn es nicht im Bescheidthun
beim Trinken besteht, ist sie überhaupt immer gezwungen; mehr als von
ihrer Arbeitstüchtigkeit hängt hiervon ihre gesicherte Stellung ab. Um
die Gäste möglichst zufrieden zu stellen, sieht sie sich häufig genug
genötigt, die beliebtesten Zeitungen und Zeitschriften, die im Lokal nur
in je einem Exemplar aufliegen, selbst zu halten, was eine bedeutende
Summe monatlich ausmachen kann; auch Zahnstocher, Zündhölzchen und
dergl. hat sie vielfach aus eigener Tasche zu bezahlen.[837] Bis auf
ihre äußere Erscheinung erstrecken sich schließlich noch die
Dienstvorschriften: in großen Lokalen ist eine bestimmte Toilette,
selbst eine bestimmte Frisur, durch die die Mädchen veranlaßt werden,
sich täglich vom Friseur die Haare machen lassen zu müssen,
Vorschrift.[838] In den Animierkneipen werden die Kostüme häufig
geliefert; Mädchen aber, die etwas auf sich halten und nicht anziehen
mögen, was so und so viele mehr oder weniger fragwürdige Vorgängerinnen
schon getragen haben, müssen sie selbst beschaffen. Die Verletzung einer
dieser verschiedenartigen Pflichten, Müdigkeit, Unfreundlichkeit gegen
einen gar zu frechen Gesellen, der vielleicht ein gut zahlender
Stammgast ist, kostet der Kellnerin ihre Stellung. Ja, es bedarf gar
keines solchen Vorwandes; sie braucht nur durch ihr Aeußeres Mißfallen
zu erregen, so muß sie schleunigst einer anderen Platz machen. "Wenn
eine Kellnerin vierzehn Tage oder drei Wochen da ist, dann heißt es bei
den Gästen: die wollen wir nicht mehr sehen, wir wollen ein anderes
Gesicht", wird aus Dresden berichtet[839]; nur um den Gästen durch den
Wechsel einen Gefallen zu thun, kündigen die Wirte den Kellnerinnen,
lautet das Urteil an einer anderen Stelle.[840] So kommt es, daß über
die Hälfte der von der deutschen Kommission befragten Kellnerinnen nur
drei Monate und weniger, und nur ein Sechstel aller über ein Jahr in
ihrer Stellung waren.[841]

Je älter die Kellnerin wird, desto trauriger ist ihr Los. Sie, die
vielleicht einst die Hauptanziehungskraft eines großstädtischen Lokals
war, muß schließlich zufrieden sein, in der Kneipe einer Kleinstadt ein
armseliges Dasein zu führen. Die Gäste wollen nur von jungen, hübschen
Mädchen bedient werden.[842] Nach der deutschen Berufsstatistik von 1895
giebt es daher unter 37121 Kellnerinnen nur 7422, d.h. 20 %, die über 30
Jahre alt sind. Schließlich stellt selbst das geringste Wirtshaus die
alt gewordene nicht mehr an; wozu auch? Sie bringt nichts ein, sie kann
sich nicht einmal selbst erhalten, weil die Trinkgelder immer schmaler
werden. Im besten Fall fristet sie noch als Wäscherin, Geschirrputzerin
oder Reinemachefrau ihren elenden Lebensrest; nur selten vermag sie sich
empor zu arbeiten, nur allzu oft endet sie auf der Straße, als die
verachtetste aller Frauen.[843]

Und doch strömen dem Kellnerinnenberuf jährlich Tausende zu; immer
wieder sind Junge da, um die Alternden zu ersetzen. Sind die
Arbeitsbedingungen vielleicht sonst so glänzend, um diesen Zudrang zu
rechtfertigen? Die Kommission für Arbeiterstatistik stellte fest, daß
von den befragten Kellnerinnen 79 % ein Bargehalt empfingen, das durch
Wohnung und Kost im Hause des Wirts ergänzt wird. 21 % bekommen demnach
gar nichts. Und von denen, die einen bestimmten Lohn erhielten, war die
eine Hälfte auf ein Einkommen von 10 bis 30 Mk., die andere auf 10 Mk.
und weniger angewiesen. Je nach den Landesteilen bieten die
Lohnverhältnisse ein anderes Bild: in Norddeutschland haben nur die
Hälfte der Kellnerinnen einen Bargehalt; in den Großstädten, wo die
Animierkneipen eine große Rolle spielen, kommt es fast niemals vor, daß
sie überhaupt eins beziehen,--in Berlin z.B. nur 0,5 %, in Hannover nur
8 % der Kellnerinnen,--in Mittel- und Süddeutschland steigt dagegen der
Prozentsatz der entlohnten Kellnerinnen auf 88 resp. 91 %[844] Aber auch
hier machen die Großstädte eine Ausnahme. In München, wo allein gegen
3000 Kellnerinnen gezählt wurden, ist der Lohn gleichfalls fast ganz
abgekommen.[845] Aber dabei allein bleibt es nicht. Wie es in großen
Restaurants fast durchweg Sitte ist, daß der Oberkellner dafür, daß er
bedienen kann, dem Wirt eine bestimmte Summe bezahlt, so kommt es auch
immer häufiger vor, daß von den weiblichen Angestellten dasselbe
verlangt wird. Bei der Pariser Weltausstellung im Jahre 1878 wurde dies
System von dem bekannten Unternehmer Duval, der nur Kellnerinnen
beschäftigt, zum erstenmal eingeführt, und hat sich seitdem überall hin
verbreitet.[846] In Oesterreich, vor allem in den großen Bädern, wie in
Karlsbad, Marienbad etc., soll es besonders üblich sein, jedenfalls ist
dort der feste Lohn so gut wie vollständig abgekommen. Sein Ersatz ist
das Trinkgeld.

In der Anerkennung außergewöhnlicher Dienstleistungen ist sein Ursprung
zu suchen[847], als solche hatte es nichts Demütigendes an sich. Es
bildete jedoch den Ansporn für die profitgierigen Wirte, die
Verpflichtung der Lohnzahlung an die Bedienenden mehr und mehr von sich
auf den Gast abzuwälzen. Aus einem freiwilligen Geschenk für besondere
Fälle ist es demnach zu einer Steuer geworden, die das Publikum zu
tragen hat. Trotzdem ist es aber ein Geschenk geblieben, das der Kellner
halb bittend, halb fordernd verlangen, für dessen Erreichung besonders
die Kellnerin sich nur zu oft demütigen und ihre Würde preisgeben muß.
Es ist gewissermaßen der äußerste, krankhafte Auswuchs des Lohnsystems:
jede Arbeiterin riskiert ihre Stellung und ihr Brot, wenn sie dem, der
sie bezahlt, durch irgend etwas mißfällt, die Kellnerin setzt ebenso
ihre Existenz aufs Spiel, nur daß sie sich die Entlohnung ihrer Arbeit
groschenweise zusammenbetteln muß. Im allgemeinen hat der Arbeitgeber
nur ein Recht auf die Arbeitskraft seiner Angestellten, der
trinkgeldzahlende Gast erkauft sich zum mindesten die Aufmerksamkeit und
Freundlichkeit der Kellnerin, nicht nur ihre in dem Zutragen der Speisen
bestehende Arbeit, und verlangt für jeden Groschen einen Dank. Zu dem
Herabwürdigenden einer Art Almosenempfangs tritt aber noch seine
vollständige Unsicherheit hinzu. Eine Regelung der Ausgaben auf Grund
der Einnahmen ist für die Kellnerin ganz ausgeschlossen. Sie wird, und
wäre sie ein noch so gewissenhafter Charakter, förmlich zur
unordentlichen und leichtsinnigen Wirtschaftsführung dressiert, denn sie
weiß von einem Tage zum anderen nicht, was sie einnehmen wird.
Außerordentlich schwer läßt sich die Höhe der Trinkgelder bestimmen; die
Wirte werden stets geneigt sein, sie zu hoch, die Kellnerinnen sie zu
niedrig anzugeben. In besuchten Lokalen und in der hohen Saison mag es
vorkommen, daß die abendliche Abrechnung einen Ueberschuß von 6 bis 7
Mk. ergiebt; aber Einnahmen von 60 Pf. und weniger dürften in nicht so
bevorzugten Plätzen weit häufiger sein. Von 1108 Berliner Kellnerinnen
hatten nur 21, also nur 2 %, ein ausreichendes Einkommen.[848] Sei es
nun aber hoch oder niedrig, es bedeutet noch immer keinen reinen Gewinn.
Die Wassermädchen, die kein Trinkgeld bekommen, und die Putzerinnen
werden meist von den Kellnerinnen bezahlt, eine Ausgabe, die bis 360 Mk.
jährlich steigen kann; die Strafgelder bilden einen weiteren großen
Posten in ihren Ausgabebudgets, kommt es doch vor, daß jeder Kellnerin
für zerbrochenes Geschirr täglich ein für allemal 20 Pf. angerechnet
werden, auch wenn sie nichts zerbrach. Das ganze Strafgeldersystem ist
dabei stets vom Wirt willkürlich zusammengestellt, ohne daß die
Neueintretenden auch nur Kenntnis davon bekommen. Selbst für die
Lieferung der Kostüme werden den Kellnerinnen häufig 30 Pf. bis 1 Mk.
vom Wirt abgezogen.[849] Ihr Verdienst muß demnach schon ein ganz guter
sein, ehe sie für sich einen Pfennig erwerben. Neben dem Trinkgeld
besteht ihr Einkommen besonders in norddeutschen Kneipen aus bestimmten
Prozenten der verkauften Getränke,--ein System, das die armen Mädchen
dazu zwingt, durch möglichste Zuvorkommenheit den Gast zum Bleiben zu
verlocken.

Auf der guten Laune und dem Wohlwollen des Gastes allein beruht die
Existenz der Kellnerin. Sie ist vollständig von ihm abhängig. Wer
begreifen will, was das bedeutet, der beobachte nur einmal das Benehmen
der Männer in einem Wirtshaus mit weiblicher Bedienung. Besonders der
Deutsche, der sonst so gern mit seiner ritterlichen Verehrung der Frauen
prahlt, zeigt sich hier von der rohesten Seite: weil die Kellnerin auf
sein Trinkgeld angewiesen ist, gilt sie ihm nicht mehr als jede
käufliche Dirne. Daß die schmutzigsten Gespräche ungeniert vor ihr
geführt werden, ist das geringste der Uebel; man belästigt sie aber mit
zweideutigen Redensarten, und von da bis zu Handgreiflichkeiten ist dann
nur ein Schritt. Jeder ekelhafte Geselle glaubt ein Recht mindestens auf
die Duldung seiner Zärtlichkeiten zu haben; der Widerstand der Gequälten
aber bedeutet einen Ausfall der Einnahme, oder die Entlassung. Eine
Beschwerde des Gastes beim Wirt über die "Unfreundlichkeit" der
Kellnerin genügt, um die "dumme Gans" hinauszuwerfen. Und zwar gilt dies
ebenso für die anständigen Wirte, wie für die der Animierkneipen. Hier
allerdings hat die Kellnerin in ihrer "Zuvorkommenheit" noch weiter zu
gehen. Wenn auch in den meisten Städten Polizeiverordnungen bestehen,
die der Kellnerin verbieten, dem Gast Gesellschaft zu leisten, so steht,
bei dem Mangel an Aufsicht, dergleichen fast immer nur auf dem Papier,
und es giebt beinahe überall in dieser Art Wirtschaften sogenannte
Weinzimmer nach hinten heraus, in die das Auge des Gesetzes nur selten
dringt, und wo die Kellnerin auf ihrem absteigenden Lebenslauf die
Staffel zur Prostitution betritt. Man behauptet nun vielfach, daß kein
völlig unbescholtenes Mädchen sich als Kellnerin in eine Kneipe dieser
Art verlieren wird. Thatsächlich wurde konstatiert, daß die meisten
Berliner Kellnerinnen in irgend einer Weise gescheiterte Existenzen
sind[850], aber, ganz abgesehen davon, daß diese stets mehr
Unglücklichen als Schuldigen,--verführte Dienstmädchen, verlassene
Frauen und dergleichen,--fast immer noch emporsteigen könnten, statt
hier unterzugehen, kann im allgemeinen davon nicht die Rede sein. Denn
eine Herde gewissenloser Agenten ist stets auf dem Pürschgang nach
flüchtigem Wild, und ahnungslose Stellungsuchende werden von ihnen
solchen Kneipen nur zu oft zugeführt. Können sie die Vermittlungsgebühr
nicht gleich bezahlen, so hält allein die Notwendigkeit, diese Schuld
nach und nach abzutragen, sie bei dem Wirte fest, und dieser ist in sehr
vielen Fällen der erste, dem sie zum Opfer fallen. Wie es Fabrikanten
giebt, so giebt es Wirte, die in ihren Angestellten die Sklavinnen ihrer
Lüste sehen und dann noch dem Gast gegenüber Kupplerdienste
leisten.[851]

Sehr oft sieht sich die Kellnerin genötigt, auch für Kost und Wohnung
selbst aufzukommen, obwohl der Wirt, vor allem in Süddeutschland, ihr
beides zusichert.[852] Er sorgt aber meist dafür, das die oft einzige
Entschädigung für ihre Dienste eine ganz unzureichende ist. In
unheizbaren, schlecht zu lüftenden Dachkammern, häufig zu zweien in
einem Bett, werden die Kellnerinnen untergebracht. Es kommt vor, daß
eine Lüftung überhaupt unmöglich ist, oder daß die Bettwäsche nicht
einmal beim Einzug neuen Personals gewechselt wird.[853] Oft haust das
ganze Küchenpersonal mit den Kellnerinnen im gleichen engen Raum.[854]
Da ist es nicht zu verwundern, daß sie, wenn es irgend geht, eine eigene
Schlafstelle suchen. Wie schwer das ist, kann derjenige beurteilen, der
weiß, welch eine Mühe es überhaupt einzelnen Frauen kostet, ein
Unterkommen zu finden, und nun gar einer Kellnerin, der von vornherein
das Odium der Liederlichkeit anhaftet. Sie muß für ihre Wohnung doppelt
und dreifach zahlen, und riskiert dabei immer, Kupplerinnen oder
ähnlichem Gelichter in die Hände zu fallen. Nicht besser als die Wohnung
ist zumeist die Kost beim Wirt: sie besteht oft in nichts anderem als in
aufgewärmten Resten, die drei bis acht Tage alt sind, oder gar von den
Gästen auf den Tellern übrig gelassen, an Zwirnsfäden aufgereiht und
aufs neue gekocht wurden! Der Ekel zwingt die Kellnerin nur zu häufig,
sich selbst das Essen zu besorgen.[855] Dabei hat sie nicht einmal
bestimmte Essenszeiten; sie muß es hinunterschlingen, wenn gerade wenig
zu thun ist, oft muß sie sich bis spät abends mit Kaffee, Bier oder
sonstigen Getränken aufrecht erhalten.

Das ist die Existenz der Kellnerin: Ueberarbeit, entlohnt durch
schlechte Wohnung und Kost, im übrigen fast allein begründet auf dem
groschenweise zu erbettelnden Wohlwollen der Gäste.

Und die Folgen?--Das deutsche Reichsgesundheitsamt hat auf Grund seiner
eingehenden Untersuchungen festgestellt, daß die Erkrankungsgefahr und
die Krankheitsdauer der Kellnerinnen größer sind, als für den
Durchschnitt sämtlicher anderen bei den Krankenkassen versicherten
Personen; die übermäßig lange Arbeitszeit ist die Ursache. Es hat ferner
gefunden, daß die Lungenschwindsucht besonders stark unter ihnen wütet
und sie in frühem Lebensalter dahinrafft[856]; der dauernde Aufenthalt
in schlechter Luft verbunden mit der allgemeinen Entkräftung ist ihr
Nährboden. Den verschiedensten Erkrankungen sind sie außerdem noch
ausgesetzt: Krampfaderentzündungen, geschwollenen Füßen, Bleichsucht,
Unterleibs- und Nierenleiden[857]; das andauernde Stehen und Laufen, die
unzureichende Ernährung, als Ergänzung der starke Genuß von
alkoholischen Getränken rufen sie hervor. Das ist aber noch nicht alles:
nach dem Bericht der Ortskrankenkasse der Berliner Gastwirte machen die
Kellnerinnen weitaus die Hälfte aller Geschlechtskranken aus; in
badischen Krankenhäusern setzt sich der größte Teil der syphilitisch
kranken Mädchen aus Kellnerinnen zusammen[858]; die Münchener
Kassenärzte der Ortskrankenkasse IV, deren Mitglieder hauptsächlich dem
Beherbergungs- und Erquickungsgewerbe angehören, vertreten die Ansicht,
daß 80 % der Erkrankungen der Mädchen auf Geschlechtskrankheiten
zurückzuführen[859], und die Hamburger Kassenärzte gehen so weit, zu
behaupten, daß von 100 Kellnerinnen 99 geschlechtlich krank sind.[860]
Diese physischen Folgen sind ein treues Spiegelbild der sittlichen
Korruption, der die Kellnerinnen rettungslos überliefert werden. Das ist
die einfache Konstatierung einer Thatsache, aber keineswegs die
Verurteilung des Kellnerinnenstandes selbst. Er hat zweifellos viele
ehrenhafte Mitglieder, um so ehrenhafter, als sie ihre Ehre im Kampfe
gegen tägliche Versuchungen gewahrt haben. Auch besteht zwischen den
Kellnerinnen der süddeutschen Kaffee- und Bierhäuser und denen der
norddeutschen Kneipen ein erheblicher Unterschied in Bezug auf ihre
Sittlichkeit. Es ist aber vielfach nur ein Gradunterschied. Jede
Kellnerin, sei es wo es auch sei, ist infolge ihrer ökonomischen
Abhängigkeit vom Gast, ihrer sittlichen Beeinflussung durch ihn, seiner
Verführungskunst und ihrer eigenen natürlichen Jugendlust und
Liebessehnsucht dem ausgesetzt, was man mit dem häßlichen Ausdruck
"fallen" zu bezeichnen pflegt. Und so wenig es mir in den Sinn kommt,
Liebesverhältnisse, die zwei junge warmblütige Menschenkinder ohne die
standesamtliche Bescheinigung miteinander eingehen, sittlich zu
verurteilen, so steht doch das Eine fest, daß in den weitaus meisten
Fällen die Mädchen, nach kurzem Rausch, ihre armen Opfer sind. Und die
Verzweiflung, die Notwendigkeit, vielleicht ein Kind zu erhalten, die
Entwöhnung von dem grauen Einerlei der Arbeit,--das alles treibt nur zu
leicht die Verlassene von Stufe zu Stufe hinab. Es ist nicht mehr ihre
Arbeitskraft, es ist ihr Körper, den sie nun zu Markte trägt.

Einen langen, öden Weg haben wir durchschritten. Bald sengte die Sonne,
bald troff der Regen, bald brauste der Sturm--kein Dach, kein Baum bot
Schutz. Und immer dasselbe Bild: Millionen grauer Gestalten, alte und
junge, die durch den Staub und Schmutz dieser Lebensstraße die Last
ihrer Arbeit schleppen. Lacht ihnen einmal die Sonne, so ist es die
Fiebersonne der pontinischen Sümpfe, die sie ins Verderben zieht mit
ihrem Kuß. Nicht ein notwendiges Lebensbedürfnis, kein Genuß, kein
Luxus, an dem nicht der Schweiß dieser Scharen klebte. Aus ihrem Fleiß
wächst die Muße der Glücklichen, aus ihrem Hunger ihr Sattsein, aus
ihrem Leid ihre Freude.

Die Alten hielten die körperliche Arbeit für eine Schmach; wir glauben
darüber erhaben zu sein und messen ihr denselben sittlichen Wert bei,
als der geistigen. Die proletarische Frauenarbeit steht aber
thatsächlich, was Bewertung und Ansehen betrifft, nicht höher als
Sklavenarbeit; die Bezeichnung "Arbeiterin" gilt nicht für einen
Ehrentitel. Ein Fabrikmädel--eine Nähmamsell--eine Kellnerin,--welch
eine Flut von cynischer Verachtung drückt sich in diesen Worten aus! Die
schmutzigste und schwerste und niedrigste Arbeit--das ist Frauenarbeit.
Die schlechteste Wohnung, die geringste Kost, der niedrigste Lohn--das
ist der Preis dafür. Und die Schande, das ist seine Ergänzung.

Aber damit nicht genug: hinter den Frauen, die wir auf ihrem Wege
verfolgten, drängt sich ein Heer kleiner, blutleerer Gestalten: ihre
Kinder. Aus müden, alten Augen blicken schon die kleinsten in das Leben,
das ihnen Kraft und Freude, das ihnen ihr Bestes, die Mutter, nahm. Und
sie rächen sich an ihm: Krankheit und sittliche Entartung ist ihre
Gegengabe für Hunger und Schmerz.

In dieser besten aller Welten ist Armut ein Verbrechen, das mit
lebenslänglicher Zwangsarbeit gestraft wird; und Kinder und Kindeskinder
tragen noch das Kainszeichen der Vorfahren. Wohl sind Knute und
Hetzpeitsche verschwunden, mit denen die Sklaven zur Arbeit getrieben
wurden; aber aus dem Gold, das der Arme dem Schoße der Erde entriß, hat
die bürgerliche Gesellschaft eine Waffe geschmiedet, die fürchterlicher
ist als alle Folterwerkzeuge. Damit beherrscht und knechtet sie die
Besitzlosen und zwingt sie, mit krummem Rücken und schwieligen Händen
immer weiter und weiter für den Herrscher nach Gold zu graben. Vor der
Gier danach zerstoben all die Tugenden, die ihre Prediger, ihre Dichter
und Denker preisen: Großmut, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, und die
Ehrfurcht vor allem vor denen, unter deren Herzen das Herz der kommenden
Menschheit schlägt. Mit dem Fuß auf dem Nacken der Frau ragt der Koloß
der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in das 20. Jahrhundert hinein.

Während die bürgerliche Frau die Arbeit als die große Befreierin sucht,
ist sie für die Proletarierin zu einem Mittel der Knechtung geworden;
und während das Recht auf Arbeit eines der vornehmsten Menschenrechte
ist, ist die Verdammung zur Arbeit eine Quelle der Demoralisation. Ueber
eine Gesellschaftsordnung aber, die darauf beruht, die sich auf der
Entwürdigung der Arbeit und der Versklavung der Arbeitenden aufbaut, ist
das Todesurteil gesprochen.



7. Die Arbeiterinnenbewegung.


Als den Ausgangspunkt der bürgerlichen Frauenbewegung haben wir den
Kampf um Arbeit kennen gelernt. Er war zugleich ein Kampf gegen den
Mann, weil es galt, in seine Berufssphären einzudringen. Die
proletarische Frauenbewegung setzte dagegen erst ein, als dieser Kampf
durch den massenhaften Eintritt der Arbeiterinnen in die Industrie mit
ihrem Siege geendet hatte. Die Arbeiterin hatte den Platz in Werkstatt
und Fabrik erobert, als die bürgerliche Frau noch schwer um den Platz im
Hörsaal und auf dem Katheder ringen mußte. Die bürgerliche Gegnerschaft
gegen den Mann fand ihren Gegensatz in der proletarischen Genossenschaft
mit dem Mann.

Infolgedessen ist die Arbeiterinnenbewegung ein integrierender
Bestandteil der Arbeiterbewegung, deren nächstes Ziel ist: die Lage des
Proletariats zu verbessern, und sie bedient sich zu diesem Zweck drei
verschiedener Mittel: der politischen Partei, als desjenigen Mittels,
durch das politisch Gleichgesinnte auf Gesetzgebung und Staat Einfluß zu
gewinnen suchen, der Gewerkschaften, als der dauernden Verbindungen von
Lohnarbeitern zum Zweck der Aufrechterhaltung oder Verbesserung ihrer
Arbeitsbedingungen, der Genossenschaften, als der Vereinigungen
wirtschaftlich schwacher Personen zu gemeinsamer wirtschaftlicher
Thätigkeit. Bedingung ist in allen drei Fällen die Organisation. Sie muß
daher gesetzlich gewährleistet und gesichert sein, wenn an ein
erfolgreiches Vorgehen der Arbeiter gedacht werden kann.

Die gewerkschaftliche Organisation ist nach dem Buchstaben des Gesetzes
den weiblichen wie den männlichen Arbeitern nirgends untersagt. In der
Praxis aber wird sie den Frauen, und zwar vor allem der Mehrzahl der
deutschen Frauen, sehr erschwert, weil ihnen, nach einer Anzahl
deutscher Vereinsgesetze, der Eintritt in politische Vereine verboten
ist, und die Grenzlinien zwischen wirtschaftlichen und politischen
Fragen außerordentlich schwankende sind. Für die gesamte weibliche
Arbeiterschaft kommt aber noch ein tiefgreifenderer Umstand in Betracht,
der sich ihrer Organisierung hindernd in den Weg stellt. Während nämlich
die Vereinigung von Männern und Frauen innerhalb der einzelnen Berufe
die selbstverständliche Konsequenz ihrer gemeinsamen Arbeit sein sollte,
scheitert sie vielfach an dem alten Vorurteil der Männer, die sich der
Aufnahme weiblicher Mitglieder widersetzen. Diese feindliche Haltung der
Männer verschaffte der für die weiblichen Lohnarbeiter völlig falschen,
irreführenden Auffassung der bürgerlichen Frauenbewegung von der
Notwendigkeit des organisierten Kampfes der Frauen als Frauen um ihre
Rechte Eingang bei ihnen, und so gründeten sie zunächst
gewerkschaftliche Frauenvereine mit ausschließlich weiblichen
Mitgliedern.

In England, der Hochburg des Trade-Unionismus, entstanden schon Anfang
der siebziger Jahre eine Anzahl Frauengewerkschaften, die aber ein
schnelles Ende nahmen. Erst dem großen Organisationstalent einer
ehemaligen Setzerin, Miß Emma Smith, später Mrs. Paterson, gelang es,
System in die ganze Bewegung zu bringen, indem sie 1874 die Women's
Protective and Provident League ins Leben rief und als das Ziel der
Vereinigung die Organisierung der Arbeiterinnen bezeichnete und
zwar in Männergewerkschaften, soweit sie Zulassung fänden, in
Frauengewerkschaften, soweit es sich nur um weibliche Berufe handelt,
oder die Männer die Frauen ausschließen.[861] Unter dem Einfluß
bürgerlicher Elemente wurde jedoch im Anfang der Bewegung auf die
Gründung von Frauengewerkschaften der größte Nachdruck gelegt: die
Londoner Buchbinderinnen, Tapeziererinnen, Wäscherinnen und
Schneiderinnen wurden organisiert[862], aber die kleinen Vereine konnten
eine andere als eine erzieherische Bedeutung nicht erringen. Nur zwei
von ihnen bestehen noch[863], ohne an Wichtigkeit gewonnen zu haben. Im
selben Jahr versuchten Pariser Näherinnen ein Syndikat zu gründen, das
nur 100 Mitglieder erreichte und sich nach wenigen Jahren auflöste.[864]
In Deutschland, wo der bürgerliche Einfluß hemmend gewirkt hatte, fing
man erst viel später an, Arbeiterinnenvereine mit einem annähernd
gewerkschaftlichen Charakter ins Leben zu rufen, die aber rasch wieder
eingingen, ohne Spuren ihres Daseins zu hinterlassen. Erst ein äußerer
Anlaß trennte mit einem scharfen Schnitt die Arbeiterinnenbewegung von
der bürgerlichen Frauenbewegung und machte sie lebensfähig. 1882 kam
Gräfin Guillaume-Schack nach Berlin, um für die Ideen der englischen
Föderation zur Bekämpfung der Prostitution Propaganda zu machen. Der
Kulturbund, den sie gründete, rief aber nicht, wie sie gehofft hatte,
eine der englischen ähnliche große Bewegung zu Gunsten der Abschaffung
der staatlichen Regulierung und Beaufsichtigung der Prostitution hervor,
es entstanden nur drei Vereine rein philanthropischer Natur, die die
Erziehung verwahrloster Mädchen, die Gründung von Heimstätten und
ähnliches zum Ziele hatten. Ihre Leiterinnen wandten sich auch an die
Arbeiterinnen, die anerkennen sollten, wie nötig ihre sittliche Hebung
sei. Aber die Zeiten der Abhängigkeit waren vorbei: sie wiesen die Hand
der Wohlthäter zurück und erklärten, daß wer der Arbeiterklasse helfen
wolle, zuerst dafür sorgen müsse, ihre materielle Lage zu
verbessern. Unter dem anfeuernden Ruf einer Veteranin der Arbeit:
"Proletarierfrauen, vereinigt euch!" schlössen sich sofort 500 Frauen
und Mädchen zu einem selbständigen Arbeiterinnenverein zusammen[865],
der an Bedeutung alle bisherigen schwachen Versuche nach dieser Richtung
bei weitem übertraf. "Verein zur Vertretung der Interessen der
Arbeiterinnen" nannte sich diese erste wichtige Organisation. Die
Regelung von Lohnstreitigkeiten, Errichtung von Arbeitsnachweisen nahm
sie in ihre Statuten auf; ein Rest bürgerlicher Auffassungsweise zeigte
sich aber nicht nur in der Vereinigung ausschließlich weiblicher
Arbeiter, sondern auch in ihrer ablehnenden Stellung gegenüber dem
Arbeiterinnenschutz. Sie war im wesentlichen dem Einfluß der Gräfin
Guillaume-Schack zuzuschreiben, die sich, zurückgestoßen von der
jämmerlichen Haltung der bürgerlichen Frauenbewegung, auf die Seite der
Arbeiterinnen stellte, aber selbst noch im Ideenkreis der englischen
Feministen befangen war.

Nach allen Richtungen entwickelte sich die lebhafteste Bewegung. Der von
der Regierung projektierte Nähgarnzoll, der die armen Näherinnen, die
das Garn selbst zu liefern hatten, stark belastet haben würde, gab den
Anstoß zum ersten erfolgreichen Eingreifen der Arbeiterinnen. Der junge
Verein und zwei neue, ausschließlich von Arbeiterinnen gegründete und
geleitete, der Nordverein der Berliner Arbeiterinnen und der Fachverein
der Mäntelnäherinnen, gaben den Ton an; Frau Guillaume-Schack
unterstützte sie durch die von ihr gegründete Zeitschrift "Die
Staatsbürgerin", in der die traurige Lage der Arbeiterinnen
rücksichtslos aufgedeckt wurde. Untersuchungen ihrer Lohn- und
Lebensverhältnisse durch diese Vereine förderten dann noch ein Material
zu Tage, das selbst die Verschlafensten aus ihrem Traum aufrütteln
mußte. Im Anschluß daran kam es zu einer Reichstagsdebatte und endlich
zur amtlichen Untersuchung der Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen in der
Wäschefabrikation und der Konfektionsbranche, die nur bestätigen und
ergänzen konnte, was jene erste private Erhebung bekundet hatte. Die
Verschärfung der Truckgesetze war die weitere Folge und zugleich das
erste Resultat der deutschen Arbeiterinnenbewegung, die sich inzwischen
durch ihr Eintreten für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz auch von
dem letzten Rest bürgerlicher Tradition frei gemacht hatte.[866] Aber in
dem Augenblick, wo diese innere Erneuerung zu neuem kräftigen Leben
führen sollte, wurde die "Staatsbürgerin" polizeilich verboten,
sämtliche Vereine, auch die außerhalb Berlins, aufgelöst und ihre
Leiterinnen unter Anklage gestellt. Eine "Gefahr für Deutschland" sahen
die Behörden in dem ersten Aufstreben der weiblichen Arbeiterschaft.
Aber eine aus den Bedürfnissen der Massen entspringende Bewegung mußte
selbst der zähesten Verfolgung Hohn sprechen. Aus dem Widerstand gegen
die Verfolgungen des Sozialistengesetzes, das versucht hatte, auch die
gewerkschaftliche Bewegung zu vernichten, ging das Solidaritätsgefühl
der Arbeiter und Arbeiterinnen nur neu gestärkt hervor.

Der Sieg des Sozialismus nach Jahren schärfster Unterdrückung, die
Energie, mit der die Frauen ihr Trotz geboten hatten, ihre
selbstbewußten Organisierungsversuche und die wachsende Erkenntnis, daß
es einer gefürchteten Schmutzkonkurrenz nur neue Nahrung zuführen hieß,
wenn man sie von den männlichen Berufsvereinen ausschloß, führten in der
Haltung der Männer nach und nach einen Umschwung herbei. 1890 wurde in
Deutschland die Zentralkommission der Gewerkschaften Deutschlands
gegründet, die schon durch die Aufnahme einer Frau in den Vorstand ihren
Standpunkt kennzeichnete. Sie veranlaßte sofort bei sämtlichen
Vorständen der Vereine, daß, soweit Frauen von der Mitgliedschaft
ausgeschlossen waren, Anträge auf Statutenänderung gestellt wurden, die
in den meisten Fällen zur Annahme gelangten. Unter ihrer Leitung
entwickelte sich eine rege Agitation unter den Arbeiterinnen zu Gunsten
der Gewerkschaften. Frauen, mit einem Opfermut und einer Ausdauer, wie
sie nur im Proletariat zu finden sind, reisen unermüdlich im Auftrage
der Generalkommission von Ort zu Ort, allen Polizeichikanen trotzend,
denen sie in ausdehntestem Maße ausgesetzt sind; in engen, dumpfigen
Lokalen sprechen sie oft Abend für Abend, um ihren Zuhörerinnen klar zu
machen, daß sie ihre Lage nur dann verbessern können, wenn sie sich mit
den Genossen ihrer Arbeit zusammenschließen und der Profitgier und der
Ausbeutungssucht des Unternehmers die Macht vereinter Kräfte
gegenüberstellen. Der Erfolg dieser Bemühungen, die durch massenhafte
Verbreitung von Flugblättern und Broschüren noch unterstützt wird, ist
bisher noch kein großer. Aus folgender Zusammenstellung geht das
langsame Wachstum der weiblichen Organisation hervor. Die deutschen, der
Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften zählten weibliche
Mitglieder:

1892:   4355
1893:   5384
1894:   5251
1895:   6697
1896:  15295
1897:  14644
1898:  13009
1899:  19280
1900:  22844

In einem Zeitraum von acht Jahren ist ihre Zahl zwar um das Fünffache
gestiegen, aber von den Industriearbeiterinnen, die hier allein in
Betracht kommen, weil die landwirtschaftlichen Arbeiterinnen und die
Dienstboten kein Koalitionsrecht besitzen, sind immerhin erst 2,30 %
organisiert und von den achtundfünfzig zentralisierten Gewerkschaften
weisen nach der letzten Zählung nur einundzwanzig weibliche Mitglieder
auf. Sie verteilen sich auf die einzelnen Berufszweige wie folgt:[867]

                           | Zahl der   | Von 100
                           | weiblichen | Arbeiterinnen
Organisation               | Mitglieder | des
                           | 1900       | betreffenden
                           |            | Berufs sind
                           |            | organisiert
---------------------------+------------+--------------
Buchbinder                 |    3046    |     22,50
Buchdruckereihilfsarbeiter |     698    |     12,15
Fabrikarbeiter             |    2889    |      4,97
Glasarbeiter               |      33    |      1,02
Handlungsgehilfen          |      80    |\     0,10
Lagerhalter                |       9    |/
Handschuhmacher            |     105    |      6,65
Holzarbeiter               |     726    |      6,62
Hutmacher                  |     121    |      2,81
Konditoren                 |      15    |      0,76
Masseure                   |      46    |      --
Metallarbeiter             |    2693    |     11,37
Porzellanarbeiter          |     357    |      4,40
Sattler                    |      31    |      2,04
Schneider                  |     758    |      1,19
Schuhmacher                |    1916    |     20,31
Tabakarbeiter              |    3922    |\     6,58
Cigarrensortierer          |      80    |/
Tapezierer                 |      37    |     10,57
Textilarbeiter             |    5254    |      1,16
Vergolder                  |      28    |      4,45
----------------------------------------+--------------
                               22844    |      2,76

Außerhalb dieser durch die Generalkommission zusammengehaltenen
Verbände, stehen eine ganze Anzahl sogenannter Lokalorganisationen, die
aber zumeist keine Frauen aufnehmen können, weil sie einen ausgesprochen
politischen Charakter haben, und einzelne gewerkschaftliche
Frauenvereine, die nur ein kümmerliches Dasein fristen. Etwas
bedeutungsvoller ist die Teilnahme der Frauen an den 1868
gegründeten Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen, die statutenmäßig
sozialdemokratische Arbeiter ausschließen, und, von bürgerlich-liberaler
Seite ins Leben gerufen, zum Teil auch geleitet, bis zum Jahre 1895 der
Organisation der Frauen ablehnend gegenüber standen. Auf dem
Verbandstage jenes Jahres jedoch wurde eine Resolution zu Gunsten der
Frauen angenommen, und nach dem Bericht für das Jahr 1901 sind
infolgedessen 3392 den Organisationen gewonnen worden; 1165 von ihnen
sind Textilarbeiterinnen. Als dritte Variation der Gewerkschaftsbewegung
ist die christliche anzusehen, die sich wieder in eine evangelische und
eine katholische teilt. Die evangelische entwickelte sich seit
1882, zählt aber keine weiblichen Mitglieder. Die bestehenden
Frauenvereine sind ausschließlich religiöser Art und haben keinerlei
gewerkschaftlichen Charakter. Die katholische Richtung hat ihren
Ursprung in dem Gewerkverein christlicher Bergleute, der im Jahre 1894
gegründet wurde. Mit den Hirsch-Dunckerschen Vereinen teilt sie die
entschieden feindliche Stellung gegenüber der Sozialdemokratie, betont
aber nebenbei noch die religiös-christliche Gesinnung. Von Anfang an
hatte sie ein gewisses sympathisches Verständnis für die weiblichen
Berufsglieder, aber auf kirchlichen Anschauungen fußend, die jede
Gleichberechtigung zwischen Mann und Weib ablehnen, trat sie nicht für
eine gemeinsame Organisation beider Geschlechter, sondern für gesonderte
Arbeiterinnenvereine ein, die den Vereinen der männlichen Berufsgenossen
anzugliedern sind und als "Schutzverbände der Arbeiterinnen" unter ihrer
Leitung und Oberaufsicht stehen, damit im Falle von Arbeitseinstellungen
trotz der Sonderung ein gemeinsames Vorgehen gesichert ist.[868] Wir
finden hier jenes Festhalten an der Tradition in seltsamer Verknüpfung
mit Konzessionen an die moderne wirtschaftliche Entwicklung wieder, wie
sie alle Bestrebungen der deutschen Centrumspartei,--und um eines ihrer
Schoßkinder handelt es sich dabei,--aufweisen. An einer genaueren
Statistik der organisierten Frauen fehlt es leider, da in manchen
Verbänden die männlichen und weiblichen Mitglieder zusammengezählt
wurden. Nur zwei Textilarbeiterinnen-Verbände,--der eine in Aachen, der
andere in Eupen,--mit zusammen 430 Mitgliedern, werden besonders
genannt.[869] Alles in allem dürften in Deutschland, von den Gründungen
der bürgerlichen Frauenbewegung abgesehen, nicht mehr als 30000 Frauen
gewerkschaftlich organisiert sein.

In Oesterreich ist die Organisation der Arbeiterinnen noch
außerordentlich gering. Im Jahre 1892 wurden 4263, 1896 5761, 1899 9206
organisierte Frauen gezählt. Die verhältnismäßig starke Zunahme in den
letzten drei Jahren ist auf die gesteigerte agitatorische Thätigkeit der
Arbeiterinnen selbst zurückzuführen. Sie gründeten in Wien ein
Frauenreichskomitee, an das sich in den Provinzstädten Sektionen
angliedern, und deren Hauptzweck die Organisierung der Arbeiterinnen
ist. Sie leiten eine systematische Agitation über ganz Oesterreich und
werden zweifellos bald noch größere Erfolge aufweisen können. Immerhin
erfährt auch die letzte Zählung der Organisierten insofern eine
Einschränkung, als von den 9206 angegebenen Vereinsmitgliedern nur 5556
wirklichen Berufsvereinen angehören. Sie verteilen sich
folgendermaßen[870]:

        Organisation           | Weibliche
                               | Mitglieder
-------------------------------+------------
Baugewerbe                     |     104
Bekleidungsindustrie           |     433
Bergbau                        |     187
Chemische Industrie            |      94
Eisen- und Metallindustrie     |     105
Galanterie                     |      52
Glas- und keramische Industrie |     949
Graphische Gewerbe             |    1147
Holzindustrie                  |      36
Handel                         |      58
Nahrungs- und Genußmittel      |     310
Lederindustrie                 |      76
Textilindustrie                |    1950
Verschiedene Gewerbe           |      55

Aehnlich wie in Deutschland entschloß sich in England erst 1889 der
Gewerkvereinskongreß zu Dundee dazu, die Notwendigkeit der Organisation
der Arbeiterinnen grundsätzlich anzuerkennen und seine Unterstützung
zuzusagen. Trotzdem entschlossen sich bisher von 1282 Gewerkvereinen nur
111 dazu, weibliche Mitglieder zuzulassen, ein eklatanter Beweis, wie
festgewurzelt die Vorurteile gerade die englische Arbeiterschaft
beherrschen, deren gewerkschaftliche Bewegung die älteste und die größte
ist. Außer diesen 111 gemischten Gewerkvereinen giebt es noch 28 Vereine
nur mit weiblichen Mitgliedern.[871] Die Gesamtzahl der Organisierten
betrug in den Jahren

1896:  117888
1897:  120254
1898:  116048
1899:  120448.

Die englischen Arbeiterinnen sind demnach in stärkerem Maße an der
gewerkschaftlichen Bewegung beteiligt, als die deutschen. Der Wert
dieser höheren Zahlen verliert aber an Bedeutung, wenn wir nicht nur
das Alter der gewerkschaftlichen Bewegung in Betracht ziehen,--schon
1824 waren viele Weberinnen von Lancashire Mitglieder des Gewerkvereins
und zu Owen's Grand National strömten 1833--34 die Frauen[872],--sondern
uns auch erinnern, daß der Organisation der Frauen von seiten des Staats
und der Behörden keinerlei Schwierigkeiten gemacht werden; selbst die
Landarbeiter und die Dienstboten, die in Deutschland vom Koalitionsrecht
so gut wie ausgeschlossen sind, können sich zu Gewerkvereinen
zusammenthun. Im Verhältnis zu sämtlichen Arbeiterinnen ist die Zahl der
Organisierten demnach sehr gering, sie beträgt nur 0,39%, im Verhältnis
allein zu den Industriearbeiterinnen beträgt sie dagegen 8,22%. Was die
Beteiligung der Arbeiterinnen je nach den Berufen an der Organisation
betrifft, so stellt sie sich folgendermaßen dar:

                             | Anzahl der  |Anzahl der|Von 100
                             |Gewerkvereine|Mitglieder|Arbeiterinnen
                             |             |          |sind organi-
                             |             |          |siert
-----------------------------+-------------+----------+-------------
Textilindustrie:             |      88     |  109 076 |    19,70
Schuh- und Stiefelproduktion:|       2     |      618 |     1,42
Bekleidungsindustrie:        |      11     |    1 128 |     0,26
Hut- und Mützenindustrie:    |       2     |    2 330 |    14,21
Druckerei, Papierfabrikation |             |          |
  u. ähnl.:                  |       7     |      763 |     1,51
Tabakindustrie:              |       4     |    2 403 |    19,11
Andere Industrien:           |      25     |    4 130 |     1,33
-----------------------------+-------------+----------+-------------
                             |     139     |  120 448 |     8,22

Wir sehen aus vorstehender Tabelle, daß gegenüber der starken
Organisation der Textilarbeiterinnen,--sie machen fast 91 % aller
Organisierten aus,--sämtliche andere fast verschwinden. Außerordentlich
gering ist die Zahl der Organisierten in der Bekleidungsindustrie. Hier
finden wir auch unter 9 Gewerkvereinen fünf mit nur weiblichen
Mitgliedern, deren kleinster 18 und deren größter 120 Mitglieder hat.
Von den Landarbeiterinnen, von denen 1898 noch 14 Frauen zwei
landwirtschaftlichen Vereinen angehörten und den Dienstboten, die 1897
noch einen Verein mit 122 Mitgliedern besaßen, ist heute keine einzige
mehr organisiert.

In Frankreich ist die Organisierung der Arbeiterinnen sehr spät
ernsthaft in Angriff genommen worden; ihre männlichen Berufsgenossen
überließen sie gedankenlos sich selbst oder der Obhut kirchlicher
Vereinigungen. Auch eine, überdies sehr mangelhafte Statistik der
Arbeiterinnen in den Syndikaten giebt es erst für das Jahr 1900.[873]
Dabei stellte es sich heraus, daß 42984 Frauen Syndikaten als Mitglieder
angehören. Da aber darunter auch die Mitglieder der Arbeitgeber-Verbände
und diejenigen, die Vereinen von Unternehmern und Arbeitern angehören,
verstanden werden, so ist es für unsere Zwecke notwendig, sie
auszuscheiden. Denn als Gewerkschaften sind nur Arbeiterorganisationen
anzuerkennen. Dies vorausgesetzt, bleiben 30975 weibliche
Gewerkschaftsmitglieder in 254 Gewerkschaften übrig; von diesen sind 17
nur Frauengewerkschaften. Nach der Zahl der in den verschiedenen Berufen
Organisierten ist ihre Zusammensetzung folgende[874]:

Berufsarten          | Zahl der
                     | Mitglieder
---------------------+-----------
Tabakindustrie       |  10194
Textilindustrie      |   6802
Handelsgewerbe       |   4376
Eisenbahnangestellte |   1611
Bekleidung           |   1597
Gärtnerei, Obstzucht |   1000
Lederbearbeitung     |    746
---------------------+-----------
                     |  26326

Der Rest besteht aus den Mitgliedern der verschiedenartigsten, z.T.
winzigen Gewerkschaften, deren häufig außerordentlich geringer Umfang
ein Charakteristikum des französischen, jeder Zentralisierung
entbehrenden Gewerkschaftswesens ist. Die Frauengewerkschaften sind
folgende:

Berufsarten          | Zahl der | Zahl der
                     | Gewerk-  | Mitglieder
                     | schaften |
---------------------+----------+------------
Tabakarbeiterinnen   |     4    |    1760
Federnschmückerinnen |     1    |     300
Dienstboten          |     2    |     220
Typographen          |     1    |     210
Wäscherinnen         |     1    |     100
Stenographen         |     2    |      94
Kravattennäherinnen  |     1    |      89
Schneiderinnen       |     3    |      62
Blumenmacherinnen    |     1    |      53
Stickerinnen         |     1    |      36
Korsettnäherinnen    |     1    |      30
---------------------+----------+------------
                     |    18    |    2954

Auch hier handelt es sich, wie wir sehen, um ganz unbedeutende Vereine,
die nur mühsam ihr Leben fristen, meist mit Unterstützung der Damen der
bürgerlichen Frauenbewegung, denen einige auch ihre Gründung verdanken.
Da die französischen Arbeiterinnen sich ungehindert zu Vereinen mit den
Männern und allein verbinden können, so ist das Ergebnis in jeder
Beziehung ein klägliches: von 3-1/2 Millionen kaum 31000 organisiert!

Ueber die Beteiligung der Frauen an den Gewerkschaften der Vereinigten
Staaten ist wenig in Erfahrung zu bringen. Der erste große
Arbeiterverband auf gewerkschaftlicher Grundlage, die Knights of Labour,
der 1870 ins Leben trat, nahm nach zehnjährigem Bestehen weibliche
Mitglieder auf, und stellte sie den männlichen nicht nur völlig gleich,
er eröffnete auch durch Aussendung weiblicher Agitatoren eine
wirkungsvolle Propaganda unter den Arbeiterinnen.[875] Schon nach
wenigen Jahren zählte allein der Zweigverein von Massachusetts 6000
weibliche Mitglieder.[876] Dem Einflüsse der Knights of Labour ist es
wohl auch zuzuschreiben, daß die Gewerkschaften sich den Frauen
gegenüber niemals ablehnend verhielten. So wurden sie von Anfang an in
den großen Unionen der Typographen und der Cigarrenarbeiter zugelassen
und nur sehr selten kommt es daher vor, daß sie selbständige
Frauenvereine gründen.[877] Wo es geschieht, ist es meist nur das
Resultat bürgerlichen Einflusses. Vielfach haben die in den einzelnen
Gewerben organisierten Frauen städtische Ausschüsse gegründet, in denen
jedes Gewerbe durch Delegierte vertreten ist und die speziellen
Fraueninteressen beraten werden. Auch ein allgemeiner amerikanischer
Arbeitsverband der Frauen besteht, der den Zweck verfolgt, die
Interessen der Arbeiterinnen und der Kinder zu vertreten und Klagen über
Arbeitsverhältnisse zu untersuchen. Trotz der günstigen Lage aber, in
der die amerikanischen Arbeiterinnen in Bezug auf die Möglichkeit
gewerkschaftlichen Zusammenschlusses sich befinden, sind sie nur in sehr
geringem Maße organisiert.[878] Die beständige Einwanderung niedrig
stehender Volkselemente, die die Sprache des Landes nicht kennen, die
schlechtesten Arbeitsbedingungen ruhig acceptieren, und aus denen sich
ein großer Teil der weiblichen Arbeiterschaft rekrutiert, sind die
wesentliche Ursache hiervon.

Das Mittel der Selbsthilfe durch die gewerkschaftliche Organisation
scheint nach alledem bei den Frauen fast ganz versagt zu haben. Weil dem
überall so ist, müssen die Gründe dafür auch überall die gleichen sein.
Wir haben sie zunächst in dem Widerstand der Männer und in der Jugend
der gewerkschaftlichen Bewegung gefunden. Ein Beweis dafür ist der
verhältnismäßig hohe Prozentsatz der englischen organisierten
Textilarbeiterinnen: hier war der männliche Widerstand schon Anfang des
19. Jahrhunderts gebrochen; fast hundert Jahre ist demnach auch die
Bewegung hier alt. Aber diese Gründe können unmöglich die einzigen
sein, schon weil das späte Erwachen gewerkschaftlicher Interessen auf
selten der Frauen selbst der Begründung bedarf. Ein Blick auf die
gewerkschaftliche Bewegung der Männer dient schon zur Erklärung: teils
ist sie eine moderne Fortsetzung der alten Gesellenverbände und
ähnlicher Vereinigungen, an denen Frauen fast niemals teilnahmen, teils
ist sie den Bedürfnissen der in der Großindustrie zusammengedrängten
Arbeiter entsprungen. So stark nun auch das Vordringen der Frauen in der
Großindustrie sein mag, sie stehen bei weitem hinter den Männern zurück,
und nehmen eine beherrschende Stellung nur in wenigen Industrien ein. Wo
sie es thun, wie in der Textilindustrie, in der französischen
Tabakindustrie, die infolge des Staatsmonopols die Hausindustrie auf
diesem Gebiet fast ganz verdrängt hat, sind sie, wie wir gesehen haben,
gewerkschaftlich am zahlreichsten organisiert. Und am schlechtesten ist
es da um die Organisation bestellt, wo die Hausindustrie vorherrscht,
z.B. in allen Bekleidungsgewerben und wo die Arbeiterin vereinzelt
arbeitet, wie im häuslichen Dienst, und zum Teil in der Landwirtschaft.
Nicht nur, daß die Arbeiterin hier abgeschnitten ist von dem Einfluß
sozialer Bewegungen, daß sie als Heimarbeiterin oder als Dienstmädchen
schwer zu dem Bewußtsein solidarischer Verbindung mit ihren
Arbeitsgenossen gelangt, sie lebt auch--und das ist ein Moment, das nie
genügend hervorgehoben wird--in fast völliger Abgeschlossenheit von dem
männlichen Arbeiter, dem Hauptvermittler politischer und
gewerkschaftlicher Aufklärung. Je mehr nun die Tendenz dahin geht, in
der Industriearbeit eine Geschlechtstrennung vorzunehmen, desto schwerer
wird dieser Umstand ins Gewicht fallen, denn infolge der Stellung der
Frau im wirtschaftlichen und sozialen Leben ist sie bei weitem nicht so
organisationsfähig als der Mann. Die Arbeit ist für ihn der einzige
Beruf; die Frau ist zwar gezwungen, mit ihm um die Wette atemlos dem
Erwerbe nachzujagen, aber sie hat nebenbei noch so viele Wege zu machen,
daß sie nicht nur hinter ihm zurückbleibt und früh erlahmt, sondern auch
nicht die mindeste Zeit hat, über ihre Lage und die Bedingungen ihrer
Arbeit irgendwie nachzudenken. Sie ist nicht nur Arbeiterin geworden,
sie blieb Hausfrau. Sie ist aber auch Mutter. Während der Mann sich in
Versammlungen aufklärt, sich mit seinen Kameraden verständigt, Bücher
und Zeitungen liest, hat sie zu kochen, zu nähen, zu flicken, Kinder zu
pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen; und um der Kinder willen
wird sie sogar häufig zu einer heftigen Gegnerin der Gewerkschaft, die
Beiträge von ihr fordert, die sie so notwendig für die Befriedigung
ihrer Bedürfnisse braucht, die sie sogar zur Arbeitseinstellung nötigen
kann. Und ebenso wie sie die alte Hausfrauenthätigkeit in ihr modernes
Erwerbsleben mit hinübernahm, so hat sie auch alte Träume und
Traditionen nicht abzuschütteln vermocht. Fast jedes junge Mädchen
erwartet die Ehe wie etwas, das ihr ganzes Leben ausfüllen und in
Anspruch nehmen wird. Die junge Arbeiterin bildet darin keine Ausnahme:
ihre Arbeit ist für sie kein Lebensberuf, sondern nur die
Durchgangsstation zu dem eigentlichen Beruf, der Ehe. Infolgedessen hat
sie kein Interesse an der Gewerkschaft und giebt das Geld, das in den
Beiträgen angelegt werden müßte, lieber für ein wenig Putz und Tand aus,
um ihre Person vor dem Erlöser, den Mann, möglichst verführerisch zu
gestalten. Damit sind die Schwierigkeiten, die der Organisierung der
Frauen entgegenstehen, aber noch nicht erschöpft.

Wir haben gesehen, daß die Frauen infolge ihrer schlechten Ausbildung
und ihrer körperlichen Veranlagung sehr häufig nach Qualität oder
Quantität geringwertigere Arbeit leisten. Die Gewerkschaft verlangt aber
von ihren Mitgliedern Einhaltung der Gewerkschaftsbedingungen, z.B. des
Lohntarifs, der jedoch wieder seinerseits eine gewisse Höhe der
Leistungsfähigkeit voraussetzt. So entschloß sich der Verein Londoner
Setzer, Frauen zu gleichen Bedingungen aufzunehmen wie Männer,
infolgedessen hat er nur ein einziges weibliches Mitglied, weil die
anderen nicht im stande sind, diese Bedingungen zu erfüllen. Ebenso
erklärten die französischen Typographen, Frauen aufnehmen zu wollen,
wenn sie den Lohntarif acceptierten,--es fand sich keine einzige, die
das vermochte, teils weil ihre Leistungen nicht dem entsprechen, teils
weil die Unternehmer in der Frauenarbeit nur die billige Arbeit suchen.
Wenn daher manche Gewerkvereine sich den Frauen verschließen, wie der
der englischen Bürstenmacher, der Perlmutterknopfarbeiter oder der
Kettenaufbäumer und Zwirner, so geschieht es in der Annahme, daß der
Eintritt der Frauen ein Herunterdrücken der Gewerkschaftsbedingungen
notwendig nach sich ziehen müsse.[879] Wie berechtigt das ist, sehen
wir daran, daß die Lohnsätze der Industrien mit starker
Frauenbeteiligung sich nach den Frauenlöhnen und nicht nach den
Männerlöhnen zu regeln pflegen.

Mit welchen Mitteln sind diese Schwierigkeiten zu besiegen, ist
überhaupt Aussicht vorhanden, daß unter den herrschenden
wirtschaftlichen Verhältnissen eine nennenswerte Organisation der
Arbeiterinnen sich wird ermöglichen lassen? Das sind die Fragen, die uns
zunächst aufstoßen. Die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung hilft sie
beantworten. Die Entwicklung zur Großindustrie war die Grundlage, auf
der die Organisationen der Männer entstehen und erstarken konnten. Die
Frauen stehen aber heute im Erwerbsleben etwa auf dem Standpunkt, den
die Männer vor hundert Jahren einnahmen. Die Frauenarbeit zu einer
wesentlich großindustriellen zu gestalten, die Heimarbeit in jeder Form
zu unterdrücken, ist daher eine der wichtigsten Voraussetzungen zur
Organisierung der Arbeiterinnen.

Was aber ferner die männlichen Arbeiter antreibt, sich zur Erkämpfung
besserer Arbeitsbedingungen zusammen zu scharen, ist der Umstand, daß
ihr Beruf die einzige Grundlage ihrer Existenz bildet, deren schlechtere
oder bessere Gestaltung allein von ihm abhängt. Will man die Frau
organisationsfähig machen, so gilt es, ihre Selbständigkeit im
Erwerbsleben sowohl in rechtlicher wie in sozialer Hinsicht zu fördern.
Unterdrückung der Heimarbeit ist auch hier das Losungswort, denn sie
unterstützt die Unselbständigkeit, indem sie den Frauen ermöglicht, als
Haustöchter und Hausfrauen einem Nebenerwerb nachzugehen. Die geringere
Leistungsfähigkeit der Frau ist ein weiteres ernstes Hindernis ihrer
Organisierung. Da gilt es denn nicht nur ihre Arbeitskraft durch
ausreichende Vorbildung zu einer möglichst vollkommenen zu gestalten,
sondern Mittel und Wege zu finden, um die auch dann noch zurückbleibende
Differenz zwischen der ihrigen und der des Mannes möglichst
auszugleichen. Englische Arbeiterinnen haben dieser Schwierigkeit
gegenüber häufig die Ansicht vertreten, daß für Frauen besondere
Lohntarife aufgestellt werden sollten, ein Ausweg, der auf die Irrwege
der Nur-Frauengewerkschaften führen würde. Annehmbarer schon erscheint
die Vereinbarung der Strumpfwirkergewerkschaft, wonach die Frauen die
leichten Maschinen, die Männer die schweren zu bedienen hätten, und jede
Konkurrenz dadurch im Keime erstickt würde. Es liegt aber zugleich eine
Ungerechtigkeit in diesem Beschluß, da die Arbeit an den leichten
Stühlen geringer entlohnt wird und auch solche Frauen zu ihr gezwungen
sind, die über ausreichende Kräfte zur Bedienung der schweren verfügen.
Am richtigsten verfuhren die Weber von Lancashire, die eine feste, für
Männer und Frauen gleichmäßig gültige Stücklohnpreisliste aufstellten.
Infolgedessen trat allerdings nach und nach von selbst eine Sonderung
der Geschlechter ein, indem die Frauen an den schmalen, die Männer an
den breiten Stühlen arbeiteten. Die Bewerber um die Arbeit scheiden sich
aber nicht nach dem Geschlecht, sondern nach der Stärke und der
Geschicklichkeit; eine starke Frau kann daher ebenso einen breiten, wie
ein schwacher Mann einen schmalen Stuhl zu bedienen haben.[880] Die
Aufstellung fester Lohntarife in allen Gewerkschaften wird daher die
schädigende Wirkung weiblicher Mitgliedschaft erst aufheben und den
Eintritt der Frauen ermöglichen können.

Die gewerkschaftliche Entwicklung hat ferner gezeigt, daß die gut
bezahlten Arbeiter sich am raschesten und entschiedensten organisieren,
während die sozial tiefstehenden, geistig rückständigen diejenigen sind,
die durch völligen Mangel an Solidaritätsgefühl vereinzelt bleiben und
jeder für sich versuchen, dem Höherstehenden Schmutzkonkurrenz zu
machen. Auf dem Standpunkt der sozial tiefstehenden, schlecht entlohnten
Arbeiter stehen aber die Frauen. Ihre demütig-stumpfsinnige
Bedürfnislosigkeit, die sie nicht weiter sehen läßt, als über den engen
Horizont ihrer eigenen vier Wände und der Befriedigung des rein
physischen Hungers, mit allen Mitteln zu bekämpfen, gehört zu den
weiteren wichtigen Aufgaben der gewerkschaftlichen Bewegung. Um sie aber
aufzuklären, muß zunächst die Möglichkeit gegeben sein, daß diese
Aufklärung sie überhaupt erreicht, d.h. sie müssen Zeit haben, um
Versammlungen zu besuchen, Zeitungen und Bücher zu lesen. Die
Entlastung der erwerbsthätigen Frau von der häuslichen Arbeit, die
Verkürzung ihrer Arbeitszeit im Beruf, erweist sich daher als unbedingte
Notwendigkeit, wenn eine Einbeziehung der weiblichen Arbeiter in die
Gewerkschaften erreicht werden soll. Vor allem aber muß auch die
Möglichkeit dazu durch ein gesichertes Koalitionsrecht ihnen gegeben
sein.

Der zweite Weg der Selbsthilfe, den die Lohnarbeiter nächst dem der
Gewerkschaft beschreiten können, ist der der Genossenschaft. In dem
einen Fall ist die Erhöhung des Einkommens eines der wichtigsten Ziele,
in dem anderen die billigere Beschaffung der Lebens- und
Wirtschaftsbedürfnisse. Unter den vielen Arten der Genossenschaften
kommen für die Arbeiter die Konsum- und Baugenossenschaften in
erster Linie in Betracht. Es waren ja auch Arbeiter,--arme
englische Weber,--die die Bahnbrecher der großen englischen
Genossenschaftsbewegung gewesen sind. Eine irgendwie hervortretende,
oder gar führende Rolle haben die Frauen nicht darin gespielt, obwohl
sie als Konsumenten, als Hausfrauen, wesentlich daran interessiert sein
sollten. Erst 1883 wurde in England ein Verein weiblicher
Genossenschafter gegründet, dessen Zweige mit den Konsumvereinen in
Verbindung stehen, und der lediglich den Zweck hat, die Frauen für die
Genossenschaften zu interessieren. Es ist ihm gelungen, 284 Zweigvereine
ins Leben zu rufen, die 13000 Mitglieder haben. Auch in Frankreich, wo
die Bewegung erfreuliche Fortschritte macht, sind einige kleine Vereine
ähnlicher Art entstanden; in Deutschland existiert nicht nur nichts
dergleichen, auch die Teilnahme der Frauen an den Genossenschaften
selbst ist eine äußerst matte. Lassalles Ansicht, daß die Konsumvereine
eine Lohnherabsetzung zur Folge haben würden, spukt, obwohl sie längst
durch die Praxis widerlegt wurde, wohl noch in den Köpfen, vor allem
aber zeigt sich auch hier, was wir bei der Gewerkschaftsbewegung gesehen
haben, daß sozial tiefstehende, schlecht entlohnte Arbeiter für sie
nicht zu haben sind, und daß deshalb die Frauen im großen und ganzen ihr
fern bleiben und ihr verständnislos und mißtrauisch gegenüberstehen. Nur
wo sie durch höheren Lohn und kürzere Arbeitszeit eine gewisse soziale
Höhe erreicht haben, werden sie im stande sein, auch diesen Weg der
Selbsthilfe zu beschreiten.

Wir sehen also, daß zwei der wichtigsten Ziele der Organisierung
zugleich ihre Mittel sind. Als Mittel aber fallen sie für die Frauen
weit entscheidender ins Gewicht als für die Männer, weil die weibliche
Arbeit noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung steht und durch tief
eingreifende, mit dem mütterlichen und dem häuslichen Beruf der Frau
zusammenhängende Hindernisse gehemmt wird. Infolgedessen kann eine bloße
gewerkschaftliche Agitation und Aufklärung bei den Frauen nicht
annähernd den Erfolg haben, wie bei den Männern, es müssen ihr vielmehr
gesetzliche Reformen vorausgehen und zu Hilfe kommen. Die Weberinnen von
Lancashire waren vor dem Schutzgesetz ebenso ausgebeutet und
organisationsunfähig, wie heute die Mehrzahl der Arbeiterinnen. Erst
nachdem ihnen durch das Gesetz untersagt wurde, auf schlechte
Arbeitsbedingungen einzugehen, begannen sie, den Gewerkschaften und
Genossenschaften beizutreten.[881]

Die Erkenntnis der Notwendigkeit gesetzlicher Reformen zwang die
politisch rechtlosen Frauen dazu, sich nach einer Vertretung ihrer
Interessen umzusehen, die sie dort fanden, wo ihre männlichen
Arbeitsgenossen sie gefunden hatten: im Sozialismus und seinem
praktisch-politischen Ausdruck, der Sozialdemokratie. Solange der
Arbeiter mit all seinen Ideen und Instinkten der bürgerlichen
Begriffswelt angehört hatte und überzeugt gewesen war, daß alle
Erscheinungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens von außen
willkürlich gemacht werden, konnte er des Glaubens sein, daß die
Frauenarbeit sich einfach wieder aus der Welt schaffen ließe; dem
modernen wissenschaftlichen Sozialismus, wie Marx und Engels ihn
begründeten, blieb es vorbehalten, die ökonomischen Ursachen und
Zusammenhänge alles Geschehens aufzudecken, und festzustellen, daß auch
die Frauenarbeit ein notwendiges Ergebnis der herrschenden
kapitalistischen Produktionsweise ist, man sich daher mit ihr als mit
einer gegebenen Thatsache abzufinden hat und es sich nur darum handelt,
"die Stellung der Weiber als bloßer Produktionsinstrumente
aufzuheben"[882], d.h. sie ebenso wie den Arbeiter nicht von der Arbeit,
sondern von der Lohnsklaverei zu befreien. Vom Standpunkt des
Sozialismus aus haben die Frauen den Kampf um ihre Interessen nicht mehr
als Geschlechtsgenossinnen zu führen, sondern als Genossinnen der
unterdrückten und beherrschten Arbeiterklasse, mit der sie sich
solidarisch fühlen müssen, weil sie unter den gleichen Arbeits- und
Existenzbedingungen leiden und im Kampf um die Befreiung aufeinander
angewiesen sind. An alle Arbeiter, ohne Unterschied des Geschlechts,
ergeht der Ruf, mit dem das kommunistische Manifest schließt:
Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Es war der erste klare
Ausdruck der modernen sozialen Entwicklung, die zwischen den Interessen
der bürgerlichen Gesellschaft und dem des Proletariats eine ungeheuere
Kluft gegraben hat, es war aber auch die erste öffentliche
Mündigkeitserklärung der Frau, die durch Arbeit und Not mündig geworden
war.

In den Programmen der sozialdemokratischen Parteien aller Länder nimmt
die Emanzipation der Frau daher einen breiten Raum ein, und in den
Parteiorganisationen ist ihnen, soweit die Gesetze es zulassen, volle
Gleichberechtigung eingeräumt worden. Sie haben Sitz und Stimme in den
Kongressen, sie sind Mitglieder der Vorstände, sie teilen sich mit den
Männern auch in die politische Agitation und haben infolgedessen einen
weitgehenden Einfluß auf die Haltung der Partei gewonnen.

Der deutschen Arbeiterinnenbewegung gebührt der Ruhm, sich zuerst und
mit aller Entschiedenheit der Sozialdemokratie angeschlossen zu haben.
Daß es in so unzweideutiger Weise geschah, war nicht zum wenigsten den
polizeilichen Verfolgungen und Vereinsauflösungen zu verdanken, die, wie
wir gesehen haben, die ersten, zunächst rein wirtschaftlichen
Bestrebungen der Arbeiterinnen gewaltsam zu unterdrücken suchten. Die
Frauen sahen sich gradezu gezwungen, da sie keine Vereine mehr hatten
und selbst öffentliche Frauenversammlungen verboten wurden, an der
allgemeinen Arbeiterbewegung teil zu nehmen. Sie fanden hier ihre
natürlichen Bundesgenossen. Schon 1869, auf dem Arbeiterkongreß in
Eisenach, kam es zu einer längeren Erörterung der Frauenarbeit, und die
damals noch allgemein herrschende Feindschaft der Männer gegen die
weiblichen Konkurrenten äußerte sich in einem Antrag, der die
Abschaffung der Frauenarbeit zum Programmpunkt der Partei machen
wollte. Er wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, daß das Ziel, das
er im Auge habe, nicht erreicht werden könne, und jede Unterdrückung der
Frauenarbeit die auf den Erwerb angewiesenen Frauen nur scharenweise der
Prostitution in die Arme treiben würde. Die gefährliche Konkurrenz der
Frauen aber ließe sich beseitigen: durch ihre Organisation mit den
Männern, durch die Erweckung des Klassenbewußtseins in ihnen und die
Erhebung des Weibes zur gleichstehenden Genossin. Diesen Grundsätzen ist
die Partei treu geblieben; ihre Befestigung aber und ihr Ausbau ist
wesentlich der Teilnahme der Frauen an ihrer Thätigkeit und ihrer
Entwicklung zu verdanken.

Die ersten Arbeiterinnenvereine, die noch in völliger Unkenntnis der
Handhabung der Gesetze ihnen gegenüber sich ziemlich eng an die Partei
anschlossen, entstanden Anfang der siebziger Jahre. Ihre Mitglieder
waren zugleich die ersten Frauen Deutschlands, die sich 1874 an der
Wahlbewegung durch unermüdliche, opferfreudige Agitation beteiligten.
Die Behörden beantworteten ihr Vorgehen mit der Auflösung sämtlicher
Vereine, die sozialdemokratische Partei, die ihre wachsende Stärke auch
ihnen zu verdanken hatte, mit dem ersten ausführlichen Antrag zur
Abänderung der Gewerbeordnung, den sie 1877 im Reichstag einbrachte, und
der zur Hebung der Lage der Arbeiterinnen Beschränkung der Arbeitszeit,
Schutz der Wöchnerinnen und Schwangeren, Verbot der Nachtarbeit, der
Arbeit unter Tage, auf Hochbauten und an im Gange befindlichen Maschinen
forderte.[883] Die sozialdemokratischen Frauen erweiterten diese
Vorschläge, indem sie die zuerst von ihnen allein aufrecht erhaltene
Forderung der Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren erhoben. Die
Reichstagsfraktion ihrer Partei machte sie zu der ihren und verlangte
demgemäß 1884 die Hinzuziehung weiblicher Beamten zur Gewerbeaufsicht.
Das Wahlrecht zu den Gewerbegerichten war ein ferneres Ziel der
Arbeiterinnenbewegung. Als im Jahre 1890 die Regierung einen
Gesetzentwurf zur Abänderung der Gewerbeordnung dem Reichstag vorlegte,
stellte die sozialdemokratische Partei ihm einen anderen gegenüber, der
für die Frauen das Wahlrecht zu den von ihr geplanten Arbeitskammern in
Aussicht nahm. Nach der Ablehnung ihres Entwurfs beantragte sie noch in
derselben Session, daß den Arbeiterinnen das aktive und das passive
Wahlrecht zu den Gewerbegerichten zuerkannt werde.

Eines der bedeutsamsten Ereignisse aber, das geeignet war, den
sozialistischen Charakter der deutschen Arbeiterinnenbewegung zu
befestigen, war das Erscheinen von August Bebels Buch "Die Frau und der
Sozialismus". An der Hand der Entwicklungsgeschichte und der Statistik
wurde hier zum erstenmal der notwendige Zusammenhang der Frauenfrage mit
der sozialen Frage dargestellt und bewiesen, daß erst die
wirtschaftliche Befreiung der Frau ihre Emanzipation vollenden könne.
Die Wirkung dieses Buchs ging bald über Deutschlands Grenzen weit hinaus
und hat nicht nur die Frauenfrage in ein neues Licht gerückt, sondern
allmählich die Ansichten über ihre Lösung von Grund aus umwandeln
helfen.

Die durch alle diese Einflüsse immer mehr erstarkende
Arbeiterinnenbewegung bedurfte nun auch einer Organisation, da sie an
dem politischen Vereinsleben der Männer infolge der gesetzlichen
Beschränkungen nicht teilnehmen konnte. So wurden 1891 allerorten
sogenannte Agitationskommissionen gegründet, deren Aufgabe es war, die
Agitation unter dem weiblichen Proletariat zu einer einheitlichen und
planmäßigen zu gestalten. In der "Arbeiterin" erstand im selben Jahre
der Bewegung ein Organ, das zuerst von Frau Emma Ihrer geleitet wurde
und später unter dem Titel "Die Gleichheit" in die Hände von Frau Klara
Zetkin überging. Der steigende Einfluß der Frauen drückte sich in den
Beschlüssen des Erfurter Parteitags aus. In dem Programm, das er
aufstellte, und das bis jetzt die Richtschnur der Partei geblieben ist,
wurde die Frauenfrage eingehend behandelt. Neben die alten Forderungen
für den Arbeiterinnenschutz traten die neuen der Abschaffung aller
Gesetze, welche die Frau in öffentlich-und privatrechtlicher Beziehung
gegenüber dem Manne benachteiligen und die freie Meinungsäußerung und
das Recht der Vereinigung und Versammlung einschränken oder
unterdrücken, der rechtlichen Gleichstellung der landwirtschaftlichen
Arbeiter und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern, der
Abschaffung der Gesindeordnungen. Gleichsam ein Echo dieser Beschlüsse
war es, wenn im selben Jahre seitens der Behörden eine wahre Razzia
unter den neu entstandenen Arbeiterinnenvereinen abgehalten wurde; in
Frankfurt und in Halle wurden sie zuerst aufgelöst. Das war jedoch nur
ein Vorspiel zu dem, was noch kommen sollte. Die Arbeiterinnenbewegung,
die ganz dazu angethan war, revolutionierende Ideen bis in den Schoß der
Familie zu tragen, war den Behörden ein Dorn im Auge. Sie sahen, wie die
Frauen mehr und mehr allen politischen Tagesfragen gegenüber Stellung
nahmen, wie sie 1893 bei Gelegenheit der Neuwahlen, die unter dem
Zeichen der Militärvorlage standen, eine fast fieberhafte Thätigkeit
entfalteten. Jeder Arbeiterinnenverein erschien ihnen verdächtig, am
verdächtigsten aber die Agitationskommissionen. Im Jahre 1895 wurden sie
und sämtliche Vereine aufgelöst, ihre Leiterinnen unter Anklage gestellt
und bestraft. Die Antwort auf diese neue Verfolgung war eine über ganz
Deutschland sich erstreckende Agitation für die Reform des Vereins- und
Versammlungsrechts, das für die Frauen, soweit sie sozialistischer
Gesinnung verdächtig sind, nichts als ein großes Unrecht ist. Die
politischen Vertreter der Partei waren auch jetzt die Vertreter der
Arbeiterinnen, indem sie im Reichstag die volle Koalitionsfreiheit für
die Frauen forderten.

Um die Arbeiterinnenbewegung nicht völlig dem Zufall zu überlassen, kam
man nach der Vernichtung der Agitationskommissionen zu dem Ausweg,
weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die nunmehr die Leitung und das
systematische Vorgehen bei der Agitation in Händen haben. Es stehen
ihnen eine Anzahl weiblicher Agitatoren, zumeist aus den Kreisen der
Arbeiterinnen selbst zur Verfügung, die mit großer Ausdauer fast ständig
auf Reisen sind, um bis in die fernsten und kleinsten Winkel des Reichs
die Ideen des Sozialismus zu tragen. Der im Kampf ums Dasein abgehärtete
Körper, der von einer oft wahrhaft apostolischen Begeisterung für ihre
Sache erfüllte Geist hebt sie über alle Chikanen und Verfolgungen der
Behörden, über alle Gehässigkeit und alle Verachtung der bürgerlichen
Gesellschaft hinweg. Weniger als früher haben ihre Reden allgemeine
politische Tagesfragen zum Inhalt. In der richtigen Erkenntnis, daß es
gilt, alle Kräfte auf bestimmte Punkte zu konzentrieren, wenn etwas
erreicht werden soll, haben die Parteitage zu Hannover 1899 und der zu
Mainz 1900 der Frauenagitation den Weg vorgeschrieben. Die
Arbeiterinnenbewegung hat sich dabei als nächste Aufgabe den
Arbeiterinnenschutz zum Inhalt gegeben. Die in Hannover aufgestellten
Forderungen sind im Hinblick hierauf die folgenden[884]:

1) Absolutes Verbot der Nachtarbeit für Frauen. 2) Verbot der Verwendung
von Frauen bei allen Beschäftigungsarten, welche dem weiblichen
Organismus besonders schädlich sind. 3) Einführung des gesetzlichen
Achtstundentages für die Arbeiterinnen. 4) Freigabe des
Sonnabendnachmittags für die Arbeiterinnen. 5) Ausdehnung der
Schutzbestimmungen für Schwangere und Wöchnerinnen auf mindestens einen
Monat vor und zwei Monate nach der Entbindung; Beseitigung der
Ausnahmebewilligungen von diesen Bestimmungen auf Grund eines ärztlichen
Zeugnisses. 6) Ausdehnung der gesetzlichen Schutzbestimmungen auf die
Hausindustrie. 7) Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren. 8) Sicherung
völliger Koalitionsfreiheit für die Arbeiterinnen. 9) Aktives und
passives Wahlrecht der Arbeiterinnen zu den Gewerbegerichten.

In der Frauenkonferenz, die im Anschluß an den Mainzer Parteitag
stattfand, wurde diesen Beschlüssen noch der hinzugefügt, neben der
mündlichen, auch eine schriftliche Agitation für den Arbeiterinnenschutz
durch Flugblätter und Broschüren zu entfalten. In derselben Versammlung
wurde das System der Vertrauenspersonen, an deren Spitze eine
Zentralvertrauensperson mit dem Sitz in Berlin steht, durch Bestimmungen
über die Art ihrer Thätigkeit noch einheitlicher ausgebaut und der
wichtige Beschluß gefaßt, daß überall dort, wo die Vereinsgesetze dem
nicht entgegenstehen, die weiblichen Vertrauenspersonen von den Organen
der allgemeinen Bewegung zu allen Arbeiten und Sitzungen hinzuzuziehen
sind.[885]

Fragen wir nach den Erfolgen der politischen Seite der deutschen
Arbeiterinnenbewegung, so läßt sich eine zahlenmäßige Antwort, wie bei
der Erörterung ihrer gewerkschaftlichen Seite nicht geben. Sie kann
weder die ihren Ideen gewonnenen Frauen zählen, wie die bürgerliche
Frauenbewegung die Mitglieder ihrer Vereine, noch wie die männlichen
Genossen durch die bei der Reichstagwahl abgegebenen Stimmen. Der einzig
richtige Maßstab, an dem sie gemessen werden können, ist die
Gesetzgebung und die öffentliche Meinung. Dabei sei zunächst an folgende
Thatsachen erinnert: das erste energische Auftreten der
Arbeiterinnenbewegung war der Kampf gegen den Nähgarnzoll; die
Regierungsvorlage wurde abgelehnt, und infolge der durch die
Arbeiterinnen und ihre Presse aufgedeckten traurigen Zustände in der
Konfektion, jene amtliche Enquete veranstaltet, die zur Verschärfung der
Truckgesetze führte. Wenige Jahre später leiteten Berliner
Sozialdemokratinnen die erste Kellnerinnenbewegung. Das allgemeine
Entsetzen über das was sie zu Tage förderte, führte zu der sich durch
Jahre hinziehenden Untersuchung der Lage der Gastwirtsgehilfen durch die
Kommission für Arbeiterstatistik, und zu den jetzt zur Beratung
stehenden Vorschlägen für eine Schutzgesetzgebung. Der große
Konfektionsarbeiterstreik 1896, der die bürgerliche Gesellschaft zwang,
in Tiefen des Elends einen Blick zu thun, über die sie bisher achtlos
fortgeschritten war, nötigte abermals zu eingehenden Untersuchungen und
zu dem ersten Versuch gesetzlicher Regelung der Hausindustrie. Aber mehr
noch: da die Arbeiterinnenbewegung Deutschlands durchaus identisch ist
mit der Arbeiterbewegung und ihr Einfluß auf die Haltung der
sozialdemokratischen Partei unverkennbar ist, so sind die Fortschritte
gesetzlichen Arbeiterschutzes, so gering sie auch sein mögen, mit ein
Erfolg ihrer agitatorischen Thätigkeit. Die Anträge, die die Fraktion
1877 nach dieser Richtung stellte und die mit überwältigender Majorität
abgelehnt wurden, erschienen 13 Jahre später zum großen Teil in der
Regierungsvorlage wieder, die zur Annahme gelangte. Wenn Fürst Bismarck
gesagt hat, daß wir ohne die Sozialdemokratie auch das bißchen
Sozialreform nicht hätten, was wir besitzen, so können wir hinzufügen,
daß wir einen Teil von ihr ohne die Mitarbeit der Frauen auch nicht
haben würden.

Diese Erfolge aber schrumpfen bedenklich zusammen, wenn wir sie der
Lage der Arbeiterinnen gegenüberstellen: sie erscheinen nicht viel
anders wie ein schwaches Kerzenlicht in der Dachkammer eines ungeheuren
dunklen Schlosses. Und vergegenwärtigen wir uns weiter, welch eine Macht
die Millionen proletarischer Arbeiterinnen ausüben könnten, wie sie im
stande wären, in die Nacht ihrer Existenz das helle Licht des Tages zu
tragen, wenn sie alle einig unter einem Banner zusammen stünden,--so
erkennen wir, daß wir überhaupt erst am Anfang der Bewegung stehen, und
es drängt sich uns die Frage auf, welche Mittel sie zu ergreifen hat, um
vorwärts zu kommen. Es sind sowohl solche negativer, als positiver Art.
Betrachten wir zunächst die negativen.

Es bedeutet in jeder Beziehung eine Selbstaufgabe, wenn die
Arbeiterinnenbewegung den Charakter der Frauenbewegung im bürgerlichen
Sinne annimmt. Soweit sie eine selbständige Existenz neben der
Arbeiterbewegung besitzt, ist es keine, aus der Entwicklung der
Frauenarbeit sich ergebende Notwendigkeit, wie in der bürgerlichen Welt,
sondern nur ein Notbehelf, zu dem sie vielfach durch die rechtliche
Stellung, besonders der deutschen Frau, gezwungen wird. Wo ein direkter
Zwang nicht vorliegt, ist jede Nur-Frauenorganisation in der
Arbeiterinnenbewegung vom Uebel. Dahin gehören z.B. die vielen in
Deutschland und Oesterreich entstandenen Arbeiterinnen-Bildungsvereine,
dahin gehören die selbständigen sozialistischen Frauenkongresse, wie sie
in Belgien schon zweimal abgehalten wurden, dahin gehören vor allem die
Frauengewerkschaften, wie sie neuerdings besonders von den radikalen
französischen Frauenrechtlerinnen angestrebt werden. Eine sich ihrer
Grundlagen und ihrer Ziele klar bewußte Arbeiterinnenbewegung hat diese
Art der Organisierung nur da zu gestatten, wo es sich bei Gewerkschaften
um ausschließliche Frauenberufe, oder bei Bildungsvereinen um solche
Orte handelt, wo überhaupt gar kein anderer, den Arbeiterinnen
zugänglicher Verein besteht. Grundsätzlich aber sollte sie sich ihnen
gegenüber stets ablehnend verhalten, denn sie können am letzten Ende nur
verwirrend wirken und jenen einseitigen Frauenstandpunkt groß ziehen,
der das Solidaritätsgefühl zwischen Arbeiter und Arbeiterin, die
wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf des
Proletariats, nicht aufkommen läßt. Die selbstverständliche Konsequenz
dieses Standpunktes ist natürlich auch die Ablehnung jeder gemeinsamen
Arbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung. Darunter verstehe ich den
Eintritt in oder den Zusammenschluß mit bürgerlichen Frauenvereinen
einerseits, oder die Zulassung bürgerlicher Frauenrechtler in
Arbeiterinnenvereine andererseits. Wie reaktionär beides wirkt, dafür
liefert England und Frankreich Beispiele genug: die zahlreichen, von
Damen der bürgerlichen Gesellschaft geleiteten Arbeiterinnenklubs,
Ferienkolonien und dergl. sind zweifellos eine der Ursachen für die
politische Rückständigkeit der englischen Arbeiterinnen, ebenso
wie die Einmischung der französischen Frauenrechtler in die
Arbeiterinnenbewegung fast einer Zerstörung gleichkommt. Völlig
abzulehnen ist daher auch die Thätigkeit bürgerlicher Frauen in
Gewerkschaften, die man vielfach selbst in Arbeiterkreisen für
unbedenklich hält. Sie wird fast immer in Bevormundung ausarten. Die
deutsche Arbeiterinnenbewegung hat die Gemeinschaft mit der bürgerlichen
Frauenbewegung stets am schroffsten abgelehnt. Aber weder deren
Feindseligkeit gegenüber den sozialdemokratischen Arbeiterinnen, wie sie
sich bei Gelegenheit der Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine
dokumentierte, noch ihre Gleichgültigkeit, die am drastischsten in dem
Auflösungsjahr 1895 hervortrat, wo es niemandem einfiel die behauptete
Solidarität mit den "ärmeren Schwestern" in der Form energischer
Proteste einmal durch die That zu beweisen, bot die Veranlassung dazu,
sondern vielmehr die klare Erkenntnis der völligen Differenz der beiden
Bewegungen zu Grunde liegenden Weltanschauungen, die Verschiedenheit
ihrer Ausgangspunkte, sowohl wie ihrer Ziele.[886] Diese Differenz fand
in einer auf dem Parteitag zu Gotha angenommenen Resolution ihren
prägnanten Ausdruck, in der es unter anderem heißt[887]:

"Als Kämpferin im Klassenkampf bedarf die Proletarierin ebenso der
rechtlichen und politischen Gleichstellung mit dem Manne, als die
Klein- und Mittelbürgerin und die Frau der bürgerlichen Intelligenz. Als
selbständige Arbeiterin bedarf sie ebenso der freien Verfügung über ihr
Einkommen (Lohn) und ihre Person als die Frau der großen Bourgeoisie.
Aber trotz aller Berührungspunkte in rechtlichen und politischen
Reformforderungen hat die Proletarierin in den entscheidenden
ökonomischen Interessen nichts Gemeinsames mit den Frauen der anderen
Klassen. Die Emanzipation der proletarischen Frau kann deshalb nicht das
Werk sein der Frauen aller Klassen, sondern ist allein das Werk des
gesamten Proletariats ohne Unterschied des Geschlechts."

Kommen wir nun, im Anschluß hieran, zu den positiven Mitteln, deren sich
die Arbeiterinnenbewegung bedienen muß, so ist eines der wichtigsten,
die Ausbreitung ihrer propagandistischen Thätigkeit über alle Kreise
weiblicher Lohnarbeiter. Solange eine Bewegung sich in der Entwicklung
befindet, ist es eine ihrer Lebensbedingungen, sich zunächst in sich zu
konsolidieren, sich über die eigenen Zwecke und Ziele klar zu werden,
jede Berührung mit einem fremden Element unbedingt auszuschließen. Die
sozialdemokratische Partei ist nicht anders verfahren und der Erfolg
beweist, daß ein Zuviel nach dieser Richtung immer besser ist als ein
Zuwenig. Es ist wie mit dem Menschen: Elternhaus und Schule entlassen
ihn erst dann, wenn sein Charakter und seine Bildung soweit gefestigt
erscheint, daß man glaubt, ihn ruhig allein in die Welt hinaus gehen
lassen zu können, ohne fürchten zu müssen, daß sie ihn zu Grunde
richtet. Auch die Arbeiterinnenbewegung hat die Kinderschuhe
ausgetreten, sie kann ihr Wesen nicht mehr verändern, wohl aber vermag
sie es anderen aufzuprägen; sie steht fest auf eigenen Füßen, sie bedarf
keiner Hilfe Außenstehender, um vorwärts zu kommen. Aus diesem Gefühl
ihrer Kraft heraus sollte sie nun aber auch ihren Einfluß überall, wo
die Wege dazu offen stehen, zur Geltung zu bringen suchen. Auch in der
bürgerlichen Frauenbewegung; nicht weil die Arbeiterinnen etwa ihrer
Hilfe bedürften, sondern weil sie einen Grad der Entwicklung erreicht
hat, von dem aus sie ihnen schaden kann. Sie hat Macht genug, große
Massen von Proletarierinnen in ihr Lager zu ziehen, sie hat Bedeutung
genug, sich im öffentlichen Leben Einfluß zu verschaffen. Es ist eine
Unterlassungssünde, die sich schon gerächt hat, und ein Mangel an
Selbstvertrauen, wenn die Arbeiterinnenbewegung irgend eine Gelegenheit
vorübergehen läßt, wo sie dem Sozialismus einen Fuß breit Erde gewinnen
kann, wenn sie für sie nicht Propaganda macht für die Vereinigung auch
derjenigen Proletarierinnen, die noch, wie die geistigen
Lohnarbeiterinnen fast alle, im Banne bürgerlicher Anschauungsweise
stehen, wenn sie die Macht, die sie besitzt, nicht ausübt. Diese
Beeinflussung der Glieder der bürgerlichen Frauenbewegung steht durchaus
nicht im Widerspruch mit der Ablehnung der Arbeit mit ihr, denn es
handelt sich dabei nicht um ein Unterordnen und Einreihen. Ein Beispiel
illustriere das Gesagte: Der große liberale Frauenverband Englands, der
schroffste Gegner jedes gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, macht seit
kurzem eine merkwürdige Wandlung zu Gunsten des Arbeiterinnenschutzes
durch. Und die Ursache? Die Agitation einer einzigen überzeugten
Sozialdemokratin, Mrs. Amie Hicks, die in den Versammlungen des
Verbandes Jahre hindurch ihre Ideen verteidigte. Kein Frauenkongreß,
keine die Interessen der Arbeiterinnen berührende Versammlung sollte
vorübergehen, ohne daß der sozialistische Standpunkt propagiert worden
wäre.

Die deutsche Sozialdemokratie und mit ihr derjenige Teil von ihr, der
die Frauen umfaßt, ist wie ein junger Riese, der sich seiner Kräfte
nicht recht bewußt ist und die mächtigen Glieder noch nicht vollkommen
zu beherrschen weiß. Er sollte unter die Menschen treten, aber nicht um
sich dem Gewimmel kleiner Leute unter ihm zu beugen, wohl aber um alle
diejenigen, die marsch- und kampffähig sind, in seine Gefolgschaft zu
zwingen.

Aber der Bethätigungskreis der Arbeiterinnenbewegung müßte sich auch
noch in anderer Richtung entwickeln: in der genossenschaftlichen
nämlich. Sie müßte bei den Frauen das Interesse für die
Konsumgenossenschaften zu erwecken suchen, denn jede Verbesserung ihrer
Lage bedeutet einen Schritt näher zur gewerkschaftlichen Organisation
und zur politischen Aufklärung. Und ebenso wie billigere und bessere
Nahrungsmittel bedeuten auch billigere und bessere Wohnungen, wie die
Baugenossenschaften sie bieten, eine wesentliche Hebung ihrer Lage. Von
nicht zu unterschätzender Bedeutung ist dabei der erzieherische Einfluß
der Genossenschaften: sie fördern die Solidarität und das
Klassenbewußtsein, weil sie sich selbstbewußt dem kapitalistischen
Unternehmertum gegenüberstellen. Sie lehren den Mitgliedern nicht nur
Geschäftskenntnisse, sie machen sie auch fähig zur Leitung
geschäftlicher Unternehmungen,--eine Erziehung, die sich in der Zukunft
als außerordentlich wichtig erweisen dürfte. Neben die sehr
vernachlässigte Propaganda für die bestehenden, sollte jedoch auch noch
die für eine neue Art Genossenschaft treten, deren Vorteile gerade den
Frauen zu Gute kommen.

Bei der Betrachtung der Lage der verheirateten Arbeiterinnen, wie bei
der Erörterung der Organisationsschwierigkeiten im Hinblick auf die
Frauen haben wir gesehen, daß die doppelte Arbeitslast,--die Hausarbeit
neben der Erwerbsarbeit,--sie besonders schädigt und ihren Fortschritt
hemmt. Es müßten daher Mittel und Wege gefunden werden, um sie von der
Hauswirtschaft möglichst zu befreien. In der genossenschaftlichen
Hauswirtschaft, wie ich sie bereits als eines der Mittel schilderte, um
die Erwerbsarbeit der bürgerlichen Frauen zu ermöglichen, glaube ich es
auch für die Proletarierinnen gefunden zu haben.[888] Die Grundidee, die
Frauen zu entlasten, die Kosten für die Hauswirtschaft durch den Ersatz
der verschwenderischen Kleinbetriebe durch Großbetriebe zu verringern,
die Lebenshaltung durch bessere, weil verständiger zubereitete Nahrung
zu erhöhen, ist bereits in weite Kreise gedrungen und hat verschiedene
Projekte hervorgerufen. In Amerika wird sie zum Teil in der von mir
vertretenen Weise der Verwirklichung entgegengeführt[889], zum Teil
versucht man, die Frauen dadurch zu entlasten, daß möglichst alle
Speisen außer dem Hause vorbereitet und geliefert werden.[890] In
England wieder ist der Versuch gemacht worden, genossenschaftliche
Verteilungsküchen zu gründen, die die fertigen Mahlzeiten ins Haus
liefern, und in Frankreich entstehen Arbeitergenossenschaften, die
Restaurants ins Leben rufen, aus denen das Essen auch nach Hause geholt
werden kann. Jedenfalls liegt es im notwendigen Gang der Entwicklung,
wenn an die Stelle des innerlich schon überwundenen Einzelhaushalts der
genossenschaftliche Haushalt tritt, und es gehört um so mehr zur Aufgabe
der sozialistischen Arbeiterinnenbewegung, morsche Gemäuer vollends
umzustoßen, wenn Frauen in Gefahr kommen, darin zu Grunde zu gehen.[891]

Die weitaus wichtigste Funktion aber der Arbeiterinnenbewegung, ohne die
alle anderen bedeutungslos werden, ist aber die, eine immer festere
Verbindung mit der sozialdemokratischen Partei zu suchen, die
Proletarierinnen politisch aufzuklären und ihr zuzuführen. Die
Resolution des Gothaer Parteitags sagte ganz richtig:

"Durch ihre Erwerbsarbeit wird die proletarische Frau dem Manne ihrer
Klasse wirtschaftlich gleichgestellt. Aber diese Gleichstellung
bedeutet, daß sie, wie der Proletarier, nur härter als er, vom
Kapitalisten ausgebeutet wird. Der Emanzipationskampf der
Proletarierinnen ist deshalb nicht ein Kampf gegen die Männer der
eigenen Klasse, sondern ein Kampf im Verein mit den Männern ihrer Klasse
gegen die Kapitalistenklasse. Das nächste Ziel dieses Kampfes ist die
Errichtung von Schranken gegen die kapitalistische Ausbeutung. Sein
Endziel ist die politische Herrschaft des Proletariats zum Zwecke der
Beseitigung der Klassenherrschaft und der Herbeiführung der
sozialistischen Gesellschaft."

Aber es sind nicht nur die Frauen, denen diese Wahrheit noch nicht in
Fleisch und Blut übergegangen ist, auch die Männer stehen ihr zum Teil
gleichgültig gegenüber. Mag die Gleichberechtigung des weiblichen
Geschlechts in der gewerkschaftlichen wie in der politischen Bewegung
noch so allgemein und offiziell anerkannt sein, mögen die
Parteiprogramme aller Länder sich noch so feierlich zu ihr bekennen, in
sehr vielen Sozialdemokraten steckt in Bezug auf die Frauenfrage noch
der alte reaktionäre Philister. In einer Variation des Napoleonischen
Ausspruchs heißt es bei ihnen: _Tout pour la femme, mais rien avec
elle_,--wir wollen der Frau alle Rechte erkämpfen, aber wir wollen
nicht, daß sie mit uns kämpft. Die Zunahme der weiblichen Arbeiter hat
diesen Standpunkt in den Gewerkschaften zwar stark erschüttert, denn die
Organisierung der Frauen wird mehr und mehr zu einer Lebensbedingung für
sie: die unorganisierten Arbeiterinnen vermögen den Kampf um bessere
Arbeitsbedingungen zu einem aussichtslosen zu machen. In der politischen
Bewegung aber liegt kein unmittelbarer Zwang vor, in der Frau die
gleichberechtigte Genossin anzuerkennen, weil ihre Stimme in der
Wagschale der Parteien kein Gewicht besitzt. Je mehr aber die Bewegung
zu Gunsten der Bürgerrechte der Frau an Boden gewinnt,--und sie hat in
Amerika, in Australien und in England bereits große Siege zu
verzeichnen--desto dringender wird die Aufgabe, das weibliche Geschlecht
politisch aufzuklären und zu erziehen, denn es können einmal die Stimmen
der Frauen sein, die auf Jahrzehnte hinaus alle Errungenschaften eines
jahrhundertlangen Kampfes vernichten und den Fortschritt hemmen, wie das
Eis im Winter die Wellen des Stromes. Aber noch ein anderes kommt hinzu:
das Weib ist die Mutter derer, in deren Händen die künftigen Geschicke
der Menschheit ruhen. Sie formt zuerst die Seelen der Kinder, und was
sie ihnen aufprägte, ist fast unzerstörbar. Gewinnt der Sozialismus die
Frauen, so gewinnt er die Kinder und mit ihnen die Zukunft. Die
Arbeiterinnenbewegung zu fördern, sie immer enger an sich zu schließen,
die Gleichberechtigung, die auf dem Papiere steht, überall in die That
zu übersetzen, ist daher nichts, was von den Sozialisten gefordert wird,
wie man etwa einst von den Rittern den Frauendienst forderte, es gehört
vielmehr zu den Verpflichtungen der modernen Ritter der Arbeit im
Interesse ihrer selbst und ihrer Sache. Am weitesten wird die
Arbeiterinnenbewegung gekommen sein, wenn Gesetz und Vorurteil ihr
vollkommenes Aufgehen in der Arbeiterbewegung gestatten.



8. Die bürgerliche Frauenbewegung in ihrer Stellung zur
Arbeiterinnenfrage.


Während die Arbeiterinnenbewegung stets von einem klaren einheitlichen
Klassengefühl getragen und bestimmt war, ist das Verhalten der
bürgerlichen Frauenbewegung gegenüber der Arbeiterinnenfrage ein
unklares und zwiespältiges. In der Vergangenheit überwiegt das
philanthropische Moment jedes andere, und der kindliche Glaube
beherrscht die Frauen, daß Wohlthätigkeit, Armenpflege und allseitiger
guter Wille die Mittel sind, das soziale Elend aus der Welt zu schaffen.
Dieser durch Religion und Sitte in den Frauen groß gezogene
Gefühlsstandpunkt und seine Bethätigung haben, so schön sie vielfach
erscheinen mögen, die traurigsten Folgen gehabt: sie haben sowohl auf
seiten der Wohlthäter, wie auf der ihrer Schützlinge die Empfindung für
Gerechtigkeit abgestumpft, indem sie die Wohlthat an ihre Stelle
setzten, und diese beiden Begriffe so sehr verwirrt, daß
Wohlthätigkeitsbestrebungen und Frauenbewegung noch heute vielfach für
identisch gehalten werden. Sie haben das Verständnis dafür unterdrückt,
daß jeder arbeitende Mensch ein Recht auf eine gesicherte Existenz hat
und es zu der schreienden Ungerechtigkeit noch die Kränkung fügen heißt,
wenn man ihn, in welcher Form immer, mit Almosen abspeisen will. Sie
haben die Entwicklung zu tieferer Erkenntnis der sozialen Probleme
vielfach aufgehalten und nur die eine fruchtbringende Folge gezeitigt,
daß den Frauen der Bourgeoisie Not und Elend nicht immer abstrakte
Begriffe blieben.

In hervorragender Weise beteiligten sich insbesondere englische Frauen
an der Armenpflege. Und ihrer unermüdlichen Agitation ist ihre
Reorganisation und die große Rolle, die die Frauen in ihr spielen, zu
verdanken; aber sie schufen zugleich eine Schule für soziale Arbeit. Den
meisten Bestrebungen, die mit diesem Namen bezeichnet werden können,
klebt allerdings bis heute die Erinnerung an ihre Herkunft an: es sind
immer noch Wohlthaten, die von selten der Begüterten den Armen
freiwillig gespendet werden. Hierher gehören z.B. die Speisehäuser und
Kinderhorte und die zahlreichen, von Frauen der Bourgeoisie gegründeten
und geleiteten Arbeiterinnen-Klubs. Sie bieten den Alleinstehenden ein
Heim, Unterhaltung und Belehrung und sind zweifellos von größtem Nutzen
für sie, aber ebenso zweifellos ist es, daß sie ein gewisses
Abhängigkeits- und Unterthänigkeitsgefühl befestigen oder großziehen,
das das Klassenbewußtsein der Arbeiterin unterdrückt und ihren
Befreiungskampf aufhält. In viel höherem Maße gilt das noch für die
vielen in allen Kulturländern bestehenden, meist von kirchlichen Kreisen
gegründeten und erhaltenen Mädchen- und Arbeiterinnenheime, die für
wenig Geld Wohnung und Nahrung bieten, die geistige und physische
Freiheit der Bewohner aber in jeder Weise beschränken. Nur wenige
unabhängige Heime, so z.B. eins in Berlin, das mehr den englischen Klubs
nachgeahmt ist und die Selbständigkeit der Arbeiterin möglichst zu
wahren sucht, bilden eine Ausnahme von dieser Regel. Die Settlements,
jene Niederlassungen bürgerlicher Männer und Frauen inmitten der
Arbeiterviertel, wie sie Amerika und England in beträchtlicher Zahl
aufweist, stehen schon eine Stufe höher, weil diejenigen, die ihr Geld,
ihre Zeit und ihre Kraft den Proletariern zur Verfügung stellen, auch
mit ihnen leben, wodurch die Stellung des Wohlthäters gegenüber dem
Beschenkten vielfach ganz verwischt wird. Was hier geboten wird,
erniedrigt den Empfänger nicht: es ist Teilnahme, Rat, Bildung. Die
zahlreichen Vereine zum Schutz junger Mädchen, die Stellenvermittlungen
und Rechtsbeistände gehören hierher. Auch jener erste deutsche
Arbeiterinnenverein, den Luise Otto-Peters in Berlin 1869 gründete[892],
lediglich zu dem Zweck, die Arbeiterinnen durch unterhaltende und
belehrende Vorträge auf eine höhere geistige Stufe zu heben, und die
versuchte Einführung des unentgeltlichen Rechtsschutzes für
Arbeiterinnen durch den Allgemeinen deutschen Frauenverein
in den achtziger Jahren[893] können in das Gebiet sozialer
Hilfsthätigkeit,--wie man die Erweiterung oder Wohlthätigkeit mit Recht
benennt,--gerechnet werden.[894] In dieselbe Kategorie gehört die
Universitäts-Ausdehnungs-Bewegung, die in England ihren Ausgang nahm und
sich in Amerika, Frankreich, Oesterreich, Deutschland, Dänemark, Finland
mit mehr oder weniger Erfolg ausbreitete, gehören die dänischen
Volkshochschulen, die der vernachlässigten Landbevölkerung Bildung
zutragen, gehört die aufopfernde Thätigkeit der russischen Lehrerinnen,
die die Fackel der Aufklärung in das Dunkel geistigen und physischen
Elends tragen. Aber auch hier lauert die Schlange unter den Rosen: wie
die Almosen materieller Natur niemals die Armut selbst überwinden
konnten, sondern nur einzelne ihrer Symptome, so sind auch die geistigen
Almosen--eben nur Almosen! Das Gebotene ist Stückwerk und muß Stückwerk
bleiben; es vermittelt einzelne Kenntnisse, aber die Vorbildung fehlt,
um sie untereinander in Harmonie zu bringen, zu verarbeiten und
befriedigende Resultate zu erzielen. Vor allem aber erreicht es immer
nur die besser Gestellten, denn es vermag den Aermsten und
Ausgebeutetsten,--dazu gehören, wie wir wissen, die Masse der
Arbeiterinnen,--nicht die Zeit und die physischen und geistigen
Voraussetzungen zu schaffen, die zum Empfang solcher Gaben nötig sind.
Der Bankerotterklärung,--d.h. dem Eingeständnis der Unfähigkeit, die
Masse der Proletarier in nennenswerter Weise aus materieller und
geistiger Not zu befreien,--der materiellen Wohlthätigkeit wird daher
die der ideellen folgen müssen.

Mit all diesen Bestrebungen, die im einzelnen und in all ihren
zahlreichen Variationen darzustellen, nicht Aufgabe dieser Untersuchung
sein kann, weil sie nichts mit der Frauenfrage zu thun haben und nur
insofern für uns von Interesse sind, als sie die Stellung der
bürgerlichen Frauen gegenüber der Arbeiterinnenfrage kennzeichnen, ist
aber auch die selbständige aktive Teilnahme dieser Frauen an dem Los
ihrer "ärmeren Schwestern",--wie sie mit so viel sentimentalem Pathos zu
sagen pflegen,--fast erschöpft. Sobald das Gebiet der Wohlthätigkeit im
weiteren Sinn verlassen und das des Rechts betreten wurde, lehnten sich
die Frauen der Bourgeoisie teils an eine der politischen Parteien und
deren Anschauungsweisen an, teils übertrugen sie, rein mechanisch, in
naiver Unkenntnis der thatsächlichen Verhältnisse, die Theorien der
bürgerlichen Frauenbewegung auf die Arbeiterinnenfrage.

So stand die englische Frauenbewegung unter dem tiefgreifenden Einfluß
jenes Liberalismus, von dem wir auf dem Kontinent nur immer eine
schwache Kopie gesehen haben, dessen die öffentliche Meinung
beherrschende Stellung aber um so stärker auf die Frauen wirkte, als
ihre Interessen schon seit langem im wesentlichen politische waren. Sein
Einfluß bestimmte auch ihre Stellung gegenüber der Arbeiterinnenfrage.
Die Prinzipien der individuellen Freiheit verbunden mit dem
frauenrechtlerischen Losungswort von der Gleichheit der Geschlechter
beherrschten sie nach dieser Richtung vollkommen: infolgedessen kämpften
sie mit einer Heftigkeit, die jetzt erst nachzulassen beginnt, gegen
jede gesetzliche Beschränkung der Frauenarbeit. Was für die bürgerlichen
Frauen vollste Berechtigung hatte, die den Arbeitsplatz neben dem Mann
sich erst erringen mußten, das sollte auch für die Proletarierinnen
gelten, die längst schon Seite an Seite mit den männlichen
Arbeitsgenossen sich körperlich und geistig zu Grunde richteten. Die
liberalen Frauen gingen dabei von der Ansicht aus, daß jede gesetzliche
Verkürzung der Arbeitszeit, die nur auf das weibliche Geschlecht allein
Anwendung findet, jeder Ausschluß der Frauen aus bestimmten
Arbeitszweigen die Arbeitsmöglichkeit für sie beschränkt und sie den
Männern gegenüber benachteiligt. In naivem Unverständnis für die
thatsächlichen Verhältnisse, befangen durch abstrakte Theorien, zogen
sie im Namen der persönlichen Freiheit die Ausbeutung der Arbeiterin dem
gesetzlichen Schutze vor. Ihre Ansichten gewannen um so größere
Bedeutung, seit sie offiziell durch die Women's Liberal Federation
vertreten wurden, die mit der liberalen Partei Hand in Hand arbeitet,
und über 100000 Mitglieder zählt. Im Jahre 1893 erhob die
Generalversammlung des Verbandes den Widerstand gegen den gesetzlichen
Arbeiterinnenschutz und die Forderung eines völlig gleichen Schutzes für
Männer und Frauen zum Beschluß,--ein Beweis, wie die Idee der rein
mechanischen Gleichstellung der Geschlechter die Köpfe verwirrt hatte.
Als die Regierung dann 1895 dem Parlament Abänderungen des
Fabrikgesetzes und Zusätze dazu vorlegte, die eine Erweiterung des
Arbeiterinnenschutzes zum Ziele hatten, entfaltete der Verband eine
fieberhafte Agitation dagegen, die selbst davor nicht zurückscheute, die
Ausdehnung der Schutzzeit für Schwangere und Wöchnerinnen zu bekämpfen,
und nicht nur gegen den gesetzlichen Schutz der Arbeiterinnen im
besonderen, sondern gegen den Arbeiterschutz im allgemeinen Stellung
nahm.[895] Die Gegner der Arbeiterschutzgesetzgebung fanden in diesem
Vorgehen einen starken Rückhalt, und es gelang den vereinten Kräften der
Frauen, die für Freiheit und Gleichheit einzutreten meinten, und der
Männer, die rein egoistische Unternehmerinteressen vertraten, eine
Anzahl wichtiger Bestimmungen zwar nicht zu Fall zu bringen, wohl aber
bedeutend abzuschwächen. Indessen ist nach und nach ein leiser Umschwung
in den Ansichten des Verbandes eingetreten, der dadurch zum Ausdruck
kam, daß er in seiner Generalversammlung im Jahre 1899 zwar abermals
gegen jeden besonderen Arbeiterinnenschutz sich aussprach, aber nur mit
einer schwachen Majorität von 33 Stimmen. Seitdem verficht die
Zeitschrift English Women's Review mit verdoppeltem Eifer den alten
frauenrechtlerischen Standpunkt und sucht ihn wesentlich dadurch zu
stützen, daß sie alle diejenigen Fälle ihren Lesern vorführt, aus denen
hervorgeht, daß der gesetzliche Arbeiterinnenschutz auf die
Erwerbsverhältnisse nachteilig gewirkt hat. Daß solche Fälle in Zeiten
des Uebergangs zahlreich sind, daß es Arbeiterinnen infolge der
Beschränkung der Arbeitszeit, des Verbots der Nachtarbeit oder gar des
Ausschlusses aus bestimmten gesundheitsschädlichen Berufen schwer fällt,
neue Stellungen sich zu verschaffen, ist zweifellos. Und es ist eine aus
der ganzen Erziehung, vor allem aber aus der intensiven Beschäftigung
mit der Wohlthätigkeit erklärliche Eigenschaft der Frauen, über der
Härte des Einzelfalls den Vorteil für das Ganze vollständig zu
übersehen. Sie sind gewohnt, den Kindern, den Kranken, den
Arbeitsunfähigen, kurz den Schwachen helfend und schützend zur Seite zu
stehen und sie schrecken, ganz vom Gefühlsstandpunkt beherrscht, vor dem
grausamen aber leider unvermeidlichen Weg zurück, um der Gesamtheit
willen das Schicksal Einzelner zu gefährden. So verwirft ein sehr
großer Teil frei denkender Engländerinnen unter dem tönenden Kampfruf
"Free Labour Defense" den Arbeiterinnenschutz, weil die arme Witwe nicht
mehr ins Endlose arbeiten kann, und es ihren Kindern daher an Brot
mangelt, weil das Fabrikmädchen aus der Bleifabrik keine Arbeit mehr
findet und der Schande in die Arme fällt. Um so erstaunlicher war es,
daß der liberale Frauenverband sich prinzipiell für einen gesetzlichen
Schutz der Heimarbeit erklärte. Begreiflich wird das nur, wenn man sich
klar macht, daß es sich dabei nicht um den Ausdruck erweiterter
Erkenntnis, sondern im wesentlichen um einen Akt der Selbstverteidigung
und des persönlichen Interesses handelt. Nicht der Schutz der Arbeiterin
vor Ausbeutung steht im Vordergrunde, sondern der Schutz der Konsumenten
vor gesundheitlichen Gefahren. Wir haben gesehen, wie groß diese
thatsächlich sind, und sowohl in England wie in Amerika wird der Kampf
gegen die Hausindustrie, von bürgerlichen Kreisen ausgehend, von diesem
Gesichtspunkt aus geführt.

Die Ideen des Rechts auf Arbeit, der Gleichstellung der Geschlechter in
Bezug auf die Erwerbsmöglichkeiten sind es auch, die die Haltung der
deutschen bürgerlichen Frauenbewegung gegenüber der Arbeiterinnenfrage
beeinflussen. Im Jahre 1867 richtete der Allgemeine deutsche
Frauenverein an den Kongreß der volkswirtschaftlichen Vereine, der in
Hamburg tagte, eine Eingabe, in der verlangt wurde, daß darauf
hingewirkt werden möge, "die weibliche Arbeitskraft von der
Verkümmerung, in der sie sich gegenwärtig befindet, zu retten und zu
einem nutzenbringenden Faktor im Staatshaushalt heranzuziehen", und an
den Arbeitertag in Gera, der im selben Jahre zusammentrat, wurde
gleichfalls eine Zuschrift gesandt, die eine Unterstützung der
Frauenarbeit forderte.[896] Der Gedanke des gesetzlichen
Arbeiterinnenschutzes mußte in jener Zeit den Frauen um so ferner
liegen, als thatsächlich überall der Eintritt der Arbeiterinnen in die
Industrie durch die Arbeiter mit allen Mitteln bekämpft wurde. Was
damals aber begreiflich war, erscheint nach Jahrzehnten, während deren
alle Schranken vor der vordringenden weiblichen Arbeiterschaft fielen,
nur als ein Ausfluß blinder Prinzipienreiterei und mangelhafter Kenntnis
der einschlägigen Verhältnisse. So allein ist es zu erklären, daß die
französische Frauenbewegung durch den zweiten internationalen Kongreß im
Jahre 1900,--der seiner ganzen Zusammensetzung nach weit mehr ein
nationaler war,--mit großem Nachdruck gegen jeden besonderen
Arbeiterinnenschutz Stellung nahm. Immerhin bedeutet die Art wie es
geschah einen Fortschritt.

In den letzten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts war jene große
Bewegung siegreich durch die Welt gezogen, an deren Spitze Marx, Engels
und Lassalle standen. Der Sozialismus, wütend bekämpft von der
bürgerlichen Gesellschaft, drang trotzdem, wie die Luft, die wir atmen,
durch geschlossene und verbarrikadierte Thüren und Fenster hinein. In
vielen seiner Züge war er geradezu prädestiniert, die Frauen zu
gewinnen; wie einst das Christentum zahllose Jüngerinnen an sich zog,
weil es an das Gefühl appellierte, weil es den "Mühseligen und
Beladenen" zu helfen versprach, so ist es die Gefühlsseite des
Sozialismus, die heute so stark auf die Frauen wirkt, oft ohne daß sie
es wissen und meist ohne daß sie es eingestehen wollen. Wo es sich um
bürgerliche Frauen handelt, hört ihr Verständnis und ihre Zustimmung
meist da auf, wo der Sozialismus als Wissenschaft der Wurzel des
gesellschaftlichen Uebels kritisch zu Leibe geht, sie haben weder den
Mut noch die logische Konsequenz, den Weg bis zu Ende zu verfolgen. Aber
ihre Gefühlswelt ist durch ihn befangen; kürzere Arbeitszeit, höherer
Lohn, Schutz den Frauen und Kindern--das sind Ideen, die ihnen, denen
die Armut in jeder Gestalt so leicht zu Herzen geht, sympathisch sein
müssen. Auch die Form der Beschlüsse des französischen Kongresses von
1900 ist auf den wachsenden Einfluß des französischen Sozialismus
zurückzuführen. Sie lehnen zwar den gesetzlichen Schutz für weibliche
Arbeiter ab,--eine Reminiszenz an die Frauenrechtelei,--aber sie
verlangen ihn in ausgedehntem Maße für beide Geschlechter, indem sie die
grundlegende Forderung der organisierten Arbeiterschaft,--den
Achtstundentag,--an die Spitze stellen.[897]

Am interessantesten und nachhaltigsten jedoch dokumentiert sich der
Einfluß der Arbeiterbewegung auf die Haltung der deutschen bürgerlichen
Frauenbewegung gegenüber der Arbeiterinnenfrage. daß es ihr möglich war,
mit bestimmten ihrer Ideen in ihr Fuß zu fassen, ist die natürliche
Folge der völligen Vernachlässigung der Frauenfrage durch die
bürgerlichen Parteien Deutschlands. Indem der englische Liberalismus die
Forderungen der Frauen nicht nur ernst nahm, sondern auch vielfach
acceptierte, und er ebenso wie die konservative Partei den Drang der
Frauen zu politischer Thätigkeit geschickt für sich ausnutzte, sie
gewissermaßen vor ihren Wagen spannten, zeigten sie eine kluge
Voraussicht, die den Deutschen ganz abging: die Frauen hatten einen
Rückhalt, eine Stütze an ihnen, während die deutschen Frauen bis vor
kurzem von allen bürgerlichen Parteien gleichmäßig geächtet waren.

Das Eindringen sozialer Ideen in die deutsche bürgerliche Frauenbewegung
vollzog sich natürlich außerordentlich langsam und setzte äußerlich
bemerkbar erst dann ein, als der Bannfluch, der mit dem
Sozialistengesetz den Sozialismus und seine Vertreter in den Augen der
bürgerlichen Welt getroffen hatte, von ihm genommen war. Noch 1872
erklärte Fräulein Auguste Schmidt, die eigentliche Führerin des
Allgemeinen deutschen Frauenvereins, der damals fast allein die
Frauenbewegung repräsentierte, die Bildung für den eigentlichen Kern-
und Schwerpunkt der Frauenfrage.[898] Wenige Jahre später, angesichts
des Sozialistengesetzes, hielt sie sich für verpflichtet, die deutsche
Frauenbewegung gegen jeden Verdacht revolutionärer Bestrebungen
öffentlich zu verwahren.[899] Erst 1881, zum ersten Male wieder seit der
Gründung des längst eingegangenen Arbeiterinnenvereins im Jahre 1869
durch Luise Otto, beschäftigte sich die Generalversammlung des Vereins,
infolge eines Referats von Fräulein Marianne Menzzer, mit der traurigen
Lage der Arbeiterinnen. Ihre Forderung: "Gleicher Lohn für gleiche
Arbeit", die in England und Frankreich längst aufgestellt worden war und
durchaus frauenrechtlerischen Ursprungs ist, fand lebhaften
Widerhall.[900] Als dann zwei Jahre später dieselbe Frage zur Beratung
stand, zeigte sich die ganze Einsichtslosigkeit der Versammlung darin,
daß sie in erster Linie vorschlug, die Lage der Arbeiterinnen durch die
moralische Beeinflussung der Fabrikanten und dadurch zu unterstützen,
daß die Frauen sich verpflichten sollten, nur in solchen Geschäften zu
kaufen, deren Arbeiterinnen guten Lohn erhalten. Ein Fortschritt jedoch
trat damals schon hervor: einige wenige Frauen, unter Leitung von Frau
Guillaume-Schack, befürworteten statt dessen die Gründung von
Arbeiterinnen- und Gewerkvereinen,[901] Frau Guillaume-Schack war die
erste ausgesprochene Sozialistin in der bürgerlichen Frauenbewegung. Als
sie mit ihren Ansichten nicht durchdringen konnte und der bürgerlichen
Frauenbewegung den Rücken wandte, schien es, als ob damit das Interesse
an der Arbeiterinnenfrage wieder versiegt sei. Im Stillen aber wirkte es
fort, besonders in den zahlreichen, neu entstehenden Vereinen, unter
denen der Verein "Frauenwohl" in Berlin sich nach und nach unter Leitung
von Frau Minna Cauer und unter dem Einfluß von Frau Jeanette Schwerin zu
dem radikalsten entwickelte. Von ihr ging die Agitation für Anstellung
weiblicher Gewerbeinspektoren aus, sie versuchte mit aller Energie die
Frauenbewegung aus der Bahn der Wohlthätigkeit in die sozialer
Hilfsarbeit hineinzulenken. Dieser ganzen Strömung entstand im Jahre
1894 ein Organ in der durch mich und Frau Minna Cauer gegründeten
"Frauenbewegung".

Wie sehr es aber noch Eclaireur-Dienste waren, die hier geleistet
wurden, wie tief die Angst vor dem Sozialismus der bürgerlichen
Frauenbewegung noch in allen Gliedern lag, so daß selbst die ruhige
Vernunft dadurch unterdrückt wurde, das beweist die in demselben Jahr
erfolgte Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine.[902] Seine
Entstehung verdankte er der Anregung einiger Frauen, die gelegentlich
des internationalen Frauenkongresses in Chicago 1893 den amerikanischen
nationalen Frauenbund kennen gelernt hatten. Sein Zweck war von
vornherein kein propagandistischer, sondern ein vereinigender, der die
Frauenvereine aller Richtungen zusammenfassen und "den Einfluß aller
Frauen solchen allgemeinen Arbeitsgebieten" zuwenden wollte, "zu denen
alle von Herzen ihre Zustimmung geben können".[903] Von, diesem Bündnis
nun, das gar keiner bestimmten Richtung zu dienen vorgab, wurden, nach
dem Ausspruch der Vorsitzenden der Gründungsversammlung, Fräulein
Auguste Schmidt, "die sozialistischen Arbeiterinnenvereine
selbstverständlich" ausgeschlossen, und in diesem Sinne stimmte die
überwiegende Majorität der Anwesenden. Unter den 34 Delegierten, die an
der Sitzung teilnahmen, fanden sich nur fünf, die auf meine Initiative
hin gegen diese engherzige, die ganze Gründung von vornherein
brandmarkende Auffassung öffentlichen Protest erhoben. Als
Rechtfertigung, nicht etwa als Entschuldigung seines Vorgehens erklärte
der Bund wiederholt und noch zuletzt in einer seiner offiziellen
Schriften[904], daß die betreffenden Vereine zum Beitritt nicht hätten
aufgefordert werden können, weil das Gesetz das in Verbindung treten
politischer Vereine, und als solche seien die Arbeiterinnenvereine
anzusehen, unmöglich mache. Das Gesetz aber verbietet noch heute in den
meisten Staaten Deutschlands die Gründung politischer Vereine durch
Frauen und die Teilnahme der Frauen an solchen. Es gab demnach in diesem
Sinn überhaupt keine "sozialistischen" Arbeiterinnenvereine und die
ganze Beweisführung des Bundes soll nur noch heute die Angst, sich
öffentlich zu kompromittieren, verschleiern. Thatsächlich haben
inzwischen soziale Reformbestrebungen in keiner anderen Organisation der
bürgerlichen Frauenbewegung mehr an Einfluß gewonnen, als im deutschen
Bunde. Schüchtern setzten sie ein mit der Forderung an die Kommunen,
Kinderhorte einzurichten und an die Regierungen, weibliche
Gewerbeinspektoren anzustellen, und innerhalb sechs Jahren haben sie
sich soweit entwickelt, daß der Bund von sich sagen kann: "In der Frage
des Arbeiterinnenschutzes vertritt der Bund denselben Standpunkt wie die
organisierten deutschen Arbeiterinnen"[905], d.h. wie die
Sozialdemokratie. In rascher Folge, mit jenem jugendlichen Ungestüm
aller derer, die eine Wahrheit plötzlich erkannt haben, petitionierte er
bei den Volksvertretungen und Regierungen um die Ausdehnung des
Wahlrechts und der Wählbarkeit zu den Gewerbegerichten auf weibliche
Arbeitgeber und Arbeiter, um den Achtuhrladenschluß, zweistündige
Mittags-, je eine viertelstündige Frühstücks- und Vesperpause,
den achtstündigen Arbeitstag und den Fortbildungszwang für
jugendliche Angestellte im Handelsgewerbe, um die Ausdehnung der
Arbeiterinnenschutzbestimmungen auf die Hausindustrie, um die Einführung
obligatorischer Fortbildungsschulen für Mädchen, um die Schaffung eines
einheitlichen Reichsvereins- und Versammlungsrechts und Gewährung
gleicher Rechte für die Frauen wie für die Männer. Zugleich regte die
1899 gegründete Kommission für Arbeiterinnenschutz an, Enquêten der Lage
der Heimarbeiterinnen zu unternehmen. Dementsprechend hat in Leipzig der
Allgemeine deutsche Frauenverein Untersuchungen der Frauenarbeit im
Kürschnergewerbe, und in Dresden der Rechtsschutzverein solche der Heim-
und Fabrikarbeit der Strohhutnäherinnen veranstaltet. Die Bedeutung
aller dieser Maßnahmen läßt sich nicht nur am Vergleich mit der nach
anderen Richtungen so vorgeschrittenen französischen und englischen
Frauenbewegung ermessen, sondern vor allem daran, daß sie von 137
Vereinen ausgehen, deren 71000 Mitglieder sich im wesentlichen aus dem
rückständigen, antisozialistischen deutschen Bürgertum zusammensetzen.
Wahrlich, ein deutliches Zeichen für die Macht sozialer Ideen! Auch
abseits vom Bunde, in kirchlichen Kreisen, fanden sie Eingang. So im
evangelisch-sozialen Kongreß durch den Einfluß zweier mit der Lage der
Arbeiterinnen vertrauter Frauen, Frau Elisabeth Gnauck-Kühne und
Fräulein Gertrud Dyhrenfurth, und sie beginnen selbst in dem orthodoxen
evangelischen Frauenbund durchzudringen.

Selbstverständlich lehnt die bürgerliche Frauenbewegung nach wie vor
jede Gemeinschaft mit dem Sozialismus ab, und dokumentiert das vielfach
durch Unterlassungssünden, durch Worte und Thaten. Als die
proletarischen Frauenorganisationen im Jahre 1895 unter dem Zeichen des
drohenden Umsturzgesetzes in der schlimmsten Weise verfolgt und
geschädigt wurden und die Gelegenheit geboten gewesen wäre, die
Solidarität mit den Arbeiterinnen zu beweisen, hüllte die offizielle
Vertretung der bürgerlichen Frauenbewegung sich in Schweigen. Eine
Protesterklärung an den Reichstag gegen die Umsturzvorlage, die ich
veröffentlicht hatte, fand nur verhältnismäßig wenig Unterschriften. Und
bei Gelegenheit der großen Agitation gegen das bürgerliche Gesetzbuch
seitens des Bundes deutscher Frauenvereine, die eine Flut von Reden,
Artikeln, Broschüren und Petitionen mit sich führte, blieben die für die
Proletarierin so wichtigen Fragen des Rechts auf dem Gebiete des
Arbeitsvertrags, der Gesindeordnungen, der Stellung der ländlichen
Arbeiter von alledem völlig unberührt. Wie vorsichtig und
zurückhaltend die Mehrheit der Frauenrechtlerinnen Deutschlands der
Arbeiterinnenbewegung gegenübersteht, dafür noch folgendes Beispiel:
Unter der Leitung des Vereins "Frauenwohl" entstand innerhalb des Bundes
ein Verband fortschrittlicher Frauenvereine, der weniger in seinen
Bestrebungen,--sie decken sich fast ganz mit denen des Bundes,--als in
ihrer energischen Betonung und radikalen Färbung von ihm abweicht. Er
stellte den Antrag, der Bund möge eine Verständigung zwischen der
sozialistischen und bürgerlichen Frauenbewegung für wünschenswert
erklären, wurde aber damit zurückgewiesen und es trat eine äußerst matte
Erklärung an seine Stelle, wonach "die Möglichkeit einer Verständigung
von Fall zu Fall in Betracht" gezogen werden sollte.

Am deutlichsten aber trat der bürgerliche Klassencharakter der
Frauenbewegung hervor, als im Jahre 1899 die häuslichen Dienstboten
anfingen, sich auf ihre Menschenrechte zu besinnen, und sich gegen die
unwürdige Lage, in der sie sich befinden, aufzulehnen. Bis ins innerste
Herz wurde die ganze bürgerliche Gesellschaft dadurch getroffen; solange
die Arbeiterinnenbewegung sich außerhalb der eignen vier Wände
abspielte, konnte sie noch auf Sympathien rechnen, besonders bei den
Frauen, die keine Unternehmer waren, also nichts von ihren Forderungen
glaubten fürchten zu müssen. Die Dienstbotenfrage aber machte sich in
ihrem eigensten Reich, im Hause selbst, empfindlich geltend, sie
verlangte direkte Opfer von ihnen und damit verwandelte sich, von
wenigen Ausnahmen abgesehen, ihr Wohlwollen in Abneigung, ja vielfach in
Haß, der alle diejenigen in Acht und Bann erklärte, die mit der
Dienstbotenbewegung sympathisirten. Schon die Haltung des Berliner
Internationalen Frauenkongresses war charakteristisch; für lange
Berichte über Wohlthätigkeitsorganisationen war Zeit in Fülle vorhanden,
als aber Dr. Schnapper-Arndt die Dienstbotenfrage erörtern wollte,
konnte er nicht zu Ende sprechen, und niemand ging in der Diskussion
darauf ein. Noch schlimmer war das Auftreten des Berliner
Hausfrauenvereins unter Leitung von Frau Lina Morgenstern: um das
"Verlieren" der in Deutschland üblichen, mit Zeugnissen versehenen
Dienstbücher wirkungslos zu machen, verlangte er die direkte Einreichung
dieser Zeugnisse an die Polizei, damit die Herrschaften hier stets
Einsicht von ihnen nehmen könnten.

Die Dienstbotenbewegung selbst schien den Frauen zunächst die Zunge
gelähmt zu haben. Erst allmählich entschloß man sich, sie vorsichtig und
zurückhaltend zu erörtern; persönlichen Anteil daran nahmen aber nur
wenige Frauen aus der christlich-sozialen und der radikalen
Frauenbewegung. Der Bund deutscher Frauenvereine konnte sich zu nichts
weiter entschließen als zu einer Petition um Einführung der
Unfallversicherung für das häusliche Gesinde, und eine Anzahl Vereine
erklärten mit großem Pathos, die Mißachtung, unter der die Dienstboten
zu leiden haben, dadurch zu beseitigen, daß sie von nun an nicht mehr
Dienstboten, sondern "Hausgehilfen" zu nennen seien! Ob ihnen das für
den Hängeboden und sechzehn Stunden Arbeitszeit als ein ausreichendes
Aequivalent erscheint?! Etwas energischer äußerte sich eine der
Frauenrechtlerinnen, Frau Eliza Ichenhäuser, indem sie noch den Ersatz
des Dienstbuches durch ein fakultatives Arbeitszeugnis und die
gesetzliche Festlegung eines Wochenminimums an Freiheit forderte.[906]
Der Verband fortschrittlicher Frauenvereine aber zeigte, wie eng
thatsächlich die Grenzen für seine sogenannt radikalen Anschauungen
gezogen sind, indem er sich in seiner Generalversammlung im Oktober 1901
nicht einmal zu dieser Forderung entschließen konnte, sondern sich nur
darauf beschränkte, die Abschaffung der Gesindeordnungen, die
Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung auf die Dienstboten, und
die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für Rechtsstreitigkeiten, die aus
dem Dienstverhältnis sich ergeben, zu verlangen.

Das Haus und seine Ordnung ist thatsächlich vor allem für die deutsche
Frau ein Noli me tangere. Nichts zwang sie bisher von der primitiven Art
ihrer Haushaltung und Wirtschaftsführung abzugehen, und wie es eine alte
Erfahrung ist, daß das Gute nur ausnahmsweise um des Guten willen
geschieht und soziale Reformen niemals allein um ihrer selbst willen
eingeführt werden, ein äußerer Zwang sie vielmehr zur Notwendigkeit
machen muß, so wird eine Aenderung dieser Verhältnisse, die die traurige
Lage der Dienstboten bedingen, erst dann erfolgen, wenn der Mangel an
häuslichen Lohnarbeitern dazu zwingt. Beweis dafür ist die Haltung der
bürgerlichen Frauen gegenüber der Dienstbotenfrage im Ausland, wo es
mehr und mehr an Kräften fehlt, die sich dem Hausdienst zur Verfügung
stellen. Nicht nur, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen überall
bessere sind als in Deutschland, daß Einrichtungen aller Art den Dienst
erleichtern, daß weder Dienstbücher, noch Ausnahmerechte, wie unsere und
die österreichischen Gesindeordnungen, irgendwo noch existieren, auch
das Dienstverhältnis selbst verschwindet mehr und mehr. Der Pariser
Frauenkongreß von 1900 lehnte zwar die Beschränkung der Arbeitszeit ab,
er verlangte aber eine Festsetzung der Ruhepausen, was sich in der
Praxis als ziemlich dasselbe herausstellen dürfte. Auf dem Londoner
Frauenkongreß ein Jahr vorher wurde von einer Rednerin unter lebhaftem
Beifall die Ansicht vertreten, für alle häuslichen Dienste, außer dem
Hause wohnende Arbeitskräfte heranzuziehen, wie es jetzt schon vielfach
geschieht, wenn Kochfrauen, Aufwärterinnen, Lohndiener beschäftigt
werden.[907] In Amerika hat sich zu diesem Zweck ein besonderer
Frauenverein gebildet, der für den häuslichen Dienst die
Arbeitsvermittlung in Händen hat, und bei dem die Hausfrauen für jede
Art Arbeit stunden- und tageweise Mädchen engagieren können. Eine andere
Art, dem Mangel an Dienstboten zu begegnen und die Hausfrau zu
entlasten,--wir sehen auch hier, wie bei der Stellungnahme der
bürgerlichen Frauenbewegung zur Hausindustrie, daß es in erster Linie
das persönliche Interesse ist, das zu Reformen zwingt,--wurde auf der
Konferenz der englischen Gesellschaft für Frauenarbeit im Jahre 1899
vorgeschlagen: "Ein spekulativer Baumeister," so sagte die Rednerin,
"sollte hier der Pionier sein, indem er Mietshäuser mit je einer
Zentralküche und einer Zentralwaschküche baut.... Man hat berechnet, daß
man halb so viel für Nahrung ausgeben würde, wenn die Verschwendung an
Materialien und Arbeitskräften, die unzweckmäßige Kochart wegfielen....
Warum also hundert Herdfeuer anstecken, wenn eines genügt, warum hundert
Küchengeräte abwaschen, wenn nur eines nötig gewesen wäre.... Was finden
wir denn heute in den berühmten, poetisch verherrlichten englischen
Häusern: schlechtes Essen, Fettgeruch, Wäschedunst und abgearbeitete
Frauen."[908] Genau denselben Standpunkt vertritt eine Amerikanerin,
wenn sie sagt[909]: "Während jetzt zwanzig Frauen in zwanzig Haushalten
den ganzen Tag arbeiten und ihre verschiedenen Pflichten doch ungenügend
erfüllen, könnte dieselbe Arbeit besser und in kürzerer Zeit durch
wenige Spezialisten ausgeführt werden."

Die Notwendigkeit der Organisation der Proletarierinnen als Mittel zu
ihrer Befreiung hat die bürgerliche Frauenbewegung am spätesten erkannt.
Selbstverständlich: Denn das bedeutet einen entschiedenen Bruch mit der
alten Anschauungsweise, die darauf beruht, daß die Armen Wohlthätigkeit
und Recht aus den Händen der Herrschenden entgegen zu nehmen haben. Sich
durch Macht zum Recht zu verhelfen, ist in den Augen der meisten heute
noch gleichbedeutend mit Revolution. Mehr noch gilt hier, was bei den
Fragen der Gesetzgebung gilt, daß die Initiative niemals von den
Frauenrechtlerinnen ausging. Sie traten erst dann als Organisatorinnen
und Agitatorinnen der Gewerkschaften auf den Plan, als die Proletarier
selbst die schwerste Arbeit, die Erringung der gesetzlichen Anerkennung
hinter sich hatten, und eine Gefahr für Staat und Gesellschaft nicht
mehr in ihnen erblickt wurde. In der ersten Zeit der Beteiligung der
bürgerlichen Frauen an der Gewerkschaftsbewegung, die in das achte
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fällt, war ihr Einfluß ein direkt
nachteiliger. Sie trugen, wie in die Kämpfe um den Arbeiterschutz,
frauenrechtlerische Ideen hinein und statt daß die Solidarität der
Arbeiterin mit dem Arbeiter sofort zu energischem Ausdruck kam, wurde
die ursprünglich frauenrechtlerische Männerfeindschaft dadurch
propagiert, daß man Gewerkschaften mit ausschließlich weiblichen
Mitgliedern ins Leben rief. Wir sahen bereits, wie die englische Women's
Trades Union Provident League gleich im Anfang ihres Bestehens unter die
Leitung von Damen der hohen Aristokratie geriet, und es daher geraume
Zeit dauerte und erst die Folge vieler bitterer Erfahrungen und harter
Enttäuschungen war, ehe die Propaganda für Nur-Frauen-Gewerkschaften der
für gemischte Gewerkschaften Platz machte. Der gefestigten Erkenntnis
der Arbeiter Englands und der Macht ihrer Organisationen ist es zu
verdanken, daß heute auch manche Frauen der Bourgeoisie, Lady Dilke an
der Spitze, einsehen, daß nicht das Geschlecht, sondern die Klasse das
Bindemittel der Solidarität sein muß. In Frankreich tritt gerade in
dieser Richtung der frauenrechtlerische Standpunkt noch schroff hervor,
weil die Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung erst in
allerjüngster Zeit begonnen haben, sich mit der Organisation der
Arbeiterinnen zu beschäftigen und ihnen nicht, wie in Deutschland, eine
kräftige einheitliche Arbeiterinnenbewegung gegenübersteht. Sie haben in
Paris in rascher Folge die verschiedensten Frauengewerkschaften
geschaffen, für die diejenige der weiblichen Typographen,--von der
"Fronde" und ihrer Direktorin ausgehend,--besonders charakteristisch
ist: sie steht in schroffem Gegensatz zu den männlichen Kollegen, und
kämpft, entgegen dem Gesetz und den Grundsätzen der gesamten
Arbeiterschaft, gegen das Verbot der Nachtarbeit für Frauen, wenigstens
in ihrem Gewerbe. Ein anderes Prinzip, ebenso schädigend für die
Interessen der Arbeiterinnen, kommt in den Organisationen zum Ausdruck,
die kirchliche Kreise schufen und erhalten. Sie umfassen, wie das
Syndikat l'Aiguille in Paris, Unternehmer und Angestellte, wodurch die
Möglichkeit des Kampfes um bessere Arbeitsbedingungen von vornherein
ausgeschlossen ist, oder sie sind, wie die Société de Secours mutuel,
die Gesellschaften La Couturière, La Mutualité maternelle, l'Avenir
fast ausschließlich Wohlthätigkeitsvereine, die unter strengem
kirchlichen Regimente stehen.

Die Verwischung des eigentlichen Charakters der Gewerkschaften als
sozialer Kampforganisationen durch den Einfluß bürgerlicher Elemente
tritt aber nirgends so deutlich zu Tage als in Deutschland. Sehr spät
erst, von einzelnen fruchtlosen Bemühungen abgesehen, ist die
bürgerliche Frauenbewegung der gewerkschaftlichen Frage näher getreten
und zwar zuerst in einem Berufskreis, der ihr persönlich am nächsten
stand: in dem der Handelsangestellten. In vollständiger Verkennung der
Tendenzen der Gewerkschaftsbewegung, die positive Resultate nur durch
Zusammenschluß der Arbeiter allein erreichen und die Schmutzkonkurrenz
der Frauen nur durch ihre Vereinigung mit den männlichen Arbeitsgenossen
beseitigen kann, gründete der Verein "Frauenwohl" zuerst in Berlin den
Hilfsverein für weibliche Angestellte, der nicht ausschließlich die
Frauen organisiert, sondern Arbeiter und Arbeitgeber umfaßt. In
verschiedenen Großstädten Deutschlands wurden ähnliche Vereine
geschaffen und die Handelsangestellten strömten ihnen um so eher zu, als
ihnen nicht nur Vorteile aller Art,--deren Wert für sie wir gewiß nicht
verkennen wollen,--geboten werden, sondern der ursprüngliche
Standesdünkel der Töchter der kleinen Bourgeoisie hier genährt wird. Die
Zahlen der auf diese Weise organisierten Frauen sind folgende:

Berlin                13000
Frankfurt a. M.         800
Breslau                 950
Königsberg i. Pr.       600
Kassel                  210
Köln                    400
Stuttgart               345
Leipzig                 700
Magdeburg               160
Bromberg                120
Danzig                  240
München                 210
Thorn                    60
Stettin                 150
Mainz                   115
Mannheim                210
Posen                   150
Hamburg                 600
Dresden                 120
            ---------------
            Im ganzen 19140

Die Bedeutung dieser Organisationen ist daher keineswegs zu
unterschätzen, wenn auch angenommen werden kann, daß von den
Organisierten etwa 20 bis 25 % den Unternehmerkreisen angehören. Aber
alles, was sie, infolge ihrer numerischen Stärke, ihren Mitgliedern
bieten, kaufmännische Ausbildung, Fortbildungskurse, Bibliothek,
Vorträge, Theater, Ferienaufenthalte, Stellenvermittlung,
Krankenversicherung u.s.w., wird durch den großen Schaden aufgewogen,
den sie ihnen zufügen, indem sie das Abhängigkeitsgefühl von den
Arbeitgebern und dem bürgerlichen Element in ihrer Mitte in den an sich
schon rückständigen Mitgliedern befestigen, das Aufkommen des
Solidaritätsgefühls mit den Lohnarbeitern aller Berufe unterdrücken, und
die Kräfte, die einer so starken Organisation innewohnen, brach liegen
lassen.

Noch deutlicher tritt der einseitige, die Arbeiterinnenfrage völlig
verkennende Standpunkt der bürgerlichen Frauenbewegung in dem ersten
Versuch einer Dienstbotenorganisation hervor, wie ihn Mathilde Weber
1894 durch die Gründung des Vereins der Hausbeamtinnen unternahm.[910]
Auch sie dachte dabei allein an die Töchter der eigenen Klasse: die
Gesellschafterinnen, Stützen der Hausfrau, Wirtschafterinnen,
Kindergärtnerinnen, kurz an alle diejenigen, deren Stellung sich von dem
einfachen Dienstmädchen meist nur durch den Titel "Fräulein"
unterscheidet. Die Verwaltung dieses Vereins liegt ausschließlich in den
Händen der Herrschaften und die Mitglieder haben so wenig zu sagen, daß
die Generalversammlung sich auch dann für beschlußfähig erklärt, wenn
nur der Vorstand anwesend ist! Demgegenüber bedeutete der fünf Jahre
später gegründete Verein Berliner Dienstherrschaften und
Dienstangestellter immerhin einen leisen Fortschritt, indem er zwar, wie
die Vereine der Handelsangestellten auf dem unmöglichen
Harmoniestandpunkt zwischen Unternehmer und Arbeiter steht, aber diesem
doch dieselben Rechte einräumt als jenem. Die Gefahr der Verwischung und
Unterdrückung des Solidaritätsgefühls, des allein zum Selbstbewußtsein
erziehenden Klassenbewußtseins ist aber überall gleich groß. So auch in
den Versuchen der Vertreterinnen der christlichen Frauenbewegung, die
Heimarbeiterinnen zu organisieren; wie z.B. in Berlin, wo der 1899
gegründete Verein etwa 200 Mitglieder zählt. Sie laufen im wesentlichen
auf Wohlthätigkeit hinaus und nähren in den Proletarierinnen jenen
verderblichen Sklavensinn, der von Rechten nichts weiß, sondern alles,
was ihm geboten wird, demütig und dankbar aus der Hand des Herrn
entgegennimmt.

Die alleinige Ausnahme von der Regel, das erste Zeichen einer reiferen
Erkenntnis bildet der von Münchener Frauenrechtlerinnen gegründete
Kellnerinnenverein: er ist, auch was seine Leitung betrifft, ein reiner
Arbeiterinnenverein, der von vornherein keinerlei Harmonie zwischen
Unternehmern und Angestellten heuchelte und in seinen Forderungen nicht
zurückhaltend war. Der einzige Punkt, der an die Gründer gemahnt, ist
die Thatsache, daß der Verein ausschließlich auf weibliche Mitglieder
zugeschnitten ist, dessen Bedeutung aber dadurch wesentlich abgeschwächt
wird, daß in München männliche Kellner zu den Ausnahmen gehören. Von den
2 bis 3000 Münchener Kellnerinnen sind 230 Vereinsmitglieder.

Die Zurückgebliebenheit der bürgerlichen Frauenbewegung in Bezug auf die
gewerkschaftliche Organisation ist auf Grund ihres Ursprungs vollkommen
verständlich; die wirtschaftliche Not, die sich in dem Ausschluß der
weiblichen Arbeitskraft aus allen bürgerlichen Arbeitsgebieten
ausdrückte, rief sie hervor, ein Kampf gegen den Mann, ein mehr oder
weniger gewaltsames Vordringen in seine Berufssphären war die Folge. Die
bürgerliche Frauenwelt bildete gewissermaßen eine gegen den Unterdrücker
solidarisch verbundene Klasse der Unterdrückten, und sie lebte des
Glaubens, daß ihre Interessen die Interessen des gesamten weiblichen
Geschlechtes sind. Diese Anschauungsweise ist dort am meisten
eingewurzelt, wo den Forderungen der Frauen der zäheste Widerstand
entgegengesetzt wird, wo man ihre Bewegung geringschätzt, wo sie noch
nicht den mindesten politischen Einfluß haben. Dahin gehört vor allem
Deutschland. Hier fühlen sie sich als eine Partei für sich, und es ist
nur die idealistische Verbrämung einer traurigen Thatsache, wenn sie
nicht müde werden, zu erklären: wir stehen "über" den Parteien; ihr
naives Selbstgefühl und ihr völliger Mangel an Einsicht in die sozialen
und wirtschaftlichen Entwicklungsgesetze tritt noch hinzu, um es möglich
zu machen, daß sie in dem Kampf zwischen Kapital und Arbeit nur das
künstliche Produkt politischer Parteiungen sehen und auch hier Frieden
zu stiften glauben, wenn sie die "ärmeren Schwestern" in ihre Arme
ziehen. Sie verstehen nicht, oder wollen nicht verstehen, daß ihre Wege
sich völlig voneinander scheiden. Wohl ist auch der Ursprung der
Arbeiterinnenbewegung die wirtschaftliche Not, aber sie äußert sich
nicht im Ausschluß der weiblichen Arbeitskraft aus den Arbeitsgebieten
durch den Mann, sondern in der übermäßigen Ausbeutung der Arbeitskräfte
beider durch den Kapitalismus. Ihr Klasseninteresse verbindet sie daher
nicht mit ihren Geschlechtsgenossinnen, sondern mit ihren Arbeits- und
Leidensgenossen. Wo die bürgerliche Frauenbewegung dieses
Interesse nicht aufkommen läßt, wie durch zahlreiche ihrer
Wohlthätigkeitsinstitutionen, wo sie an seine Stelle die
Interessengemeinschaft mit den Vertretern des Kapitalismus zu setzen
sucht, wo sie das Gefühl der Solidarität der weiblichen mit den
männlichen Arbeitern bewußt oder unbewußt erschüttert und unterdrückt,
wie fast durchweg in ihren Organisationsversuchen, wo sie sich endlich
der Hebung der Arbeiterklasse direkt widersetzt, wie durch die Ablehnung
der Arbeiterschutzgesetzgebung, da ist sie eine gefährliche Feindin der
Arbeiterinnen, ein Hindernis auf dem Wege zur Lösung der
Arbeiterinnenfrage. Die einzig richtige Haltung, die sie ihr gegenüber
einnehmen, den einzigen Nutzen, den sie stiften kann, ist die
Verbreitung und Vertiefung der Erkenntnis der Notlage des weiblichen
Proletariats und die Propagierung der Arbeiterschutzgesetze im Sinne der
Arbeiter selbst. Nicht zu einer unmöglichen Harmonie zwischen den
Klassen, wohl aber zu einer schließlichen Aufhebung der
Klassengegensätze würde sie, freilich unbeabsichtigt, dadurch die Wege
ebnen helfen.



9. Die sozialpolitische Gesetzgebung und ihre Aufgaben.

Der Arbeiterinnenschutz.


Die Gesetzgebung zu Gunsten der arbeitenden Klasse war das Resultat
eines zähen Kampfes der Unterdrückten gegen die Unterdrücker und
entsprang viel weniger ethischer Einsicht oder humanitären Bestrebungen,
als dem Selbsterhaltungstrieb der herrschenden Klasse. Diese
charakteristischen Züge tragen bereits die ersten Anfänge der englischen
Arbeiterschutzgesetzgebung des vorigen Jahrhunderts. Die verheerenden
Seuchen, die sich in den Fabrikzentren Englands entwickelten und die
kindlichen Arbeiter in Scharen dahinrafften, nötigten zu dem ersten
Schutzgesetz des Jahres 1802. Die nationale Gefahr eines frühzeitigen
Verbrauches des Menschenmaterials wurde aber schließlich auch von allen
anderen Staaten anerkannt. Selbst zu den schwächlichen Versuchen eines
gesetzlichen Kinderschutzes entschloß man sich indessen erst, als die
grauenhaftesten Zustände mit nicht zu übersehender Deutlichkeit an das
Licht des Tages traten und die öffentliche Meinung in starke Erregung
versetzt worden war. Im Namen der Freiheit verteidigten die Fabrikanten
die schrankenlose Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter. Sie
beriefen sich dabei auf das Recht der freien Selbstbestimmung, das durch
den Eingriff des Staates in das Verhältnis zwischen Unternehmern und
Arbeitern verletzt würde und wurden darin durch die manchesterliche
Nationalökonomie unterstützt. Aber wie einerseits die moderne
Produktionsweise ihnen zu Macht und Reichtum verhalf, so entwickelte
sich andererseits mit ihr jener wichtige Faktor, der der Ausbreitung
ihrer Machtsphäre einen Damm entgegenzusetzen vermochte: die moderne
Arbeiterbewegung. Wie sie Schritt für Schritt vordrang, immer wieder
zurückgestoßen von denen, die in ihr mit Recht den einzigen Feind
fürchteten, der ihre Herrschaft erschüttern könnte, wie sie schließlich,
am Ende des 19. Jahrhunderts, den herrschenden Klassen in fest gefügter
Phalanx gegenübersteht,--das ist ein Werdegang, der auch in der
Gesetzgebung seine Spuren hinterlassen hat.

Zuerst waren es allein die Frauen, deren gesetzlichen Schutz man
durchsetzte. Natürlich genug; denn einmal fiel in Bezug auf sie, die
immer Bevormundeten, das Recht der freien Selbstbestimmung nicht so
schwer in die Wagschale, und dann hing es von ihnen ab, den Müttern des
Volkes, ob auf kommende Generationen arbeitsfähiger Menschen zu rechnen
sei. Aber selbst diese, vom Standpunkt der Fabrikanten aus
einleuchtenden Gründe blieben lange Zeit hindurch völlig unbeachtet. Es
waren der Arbeitsuchenden zu viele, als daß man aus egoistischen Motiven
den Schutz der Einzelnen für nötig gehalten hätte: mochten die Frauen
mit 25 Jahren arbeitsunfähig sein, mochten die Kinder in Scharen zu
Grunde gehen, es gab noch tausendfältigen Ersatz für sie. Eines langen
und erbitterten Kampfes bedurfte es, ehe man sich zu den ersten
Versuchen einer Arbeiterschutzgesetzgebung entschloß.

Von England, der Heimat des Fabrikwesens, ging sie aus. Die
Zehnstundenbewegung, an deren Spitze bürgerliche Philanthropen standen,
die Chartistenbewegung, in der die ganze Wut der Geknechteten gegen ihre
Unterdrücker zum Ausdruck kam,--waren die beiden großen Feldzüge, die
mit den ersten spärlichen Siegen der Arbeiter endeten; 1847 wurde der
Zehnstundentag für die Textilarbeiterinnen Englands Gesetz. Ihm zur
Anerkennung zu verhelfen, war wieder ein Kampf für sich, den die
Arbeiter mit Unterstützung der ersten aufopferungsvollen
Fabrikinspektoren zu führen hatten. Durch die Einführung schichtweiser
Beschäftigung suchten die Fabrikanten zunächst das Gesetz zu umgehen,
bis eine neue Verordnung einen Riegel vorschob. Ganz allmählich wurden
auch andere Industrien der Fabrikgesetzgebung unterstellt. "Ihre
wundervolle Entwicklung von 1853-1860 Hand in Hand mit der physischen
und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter, schlug das blödeste
Auge, die Fabrikanten selbst, denen die gesetzliche Schranke und Regel
des Arbeitstages durch halbhundertjährigen Bürgerkrieg Schritt für
Schritt abgetrotzt war, wiesen prahlend auf den Kontrast in den noch
'freien' Exploitationsgebieten hin," sagt Marx.[911] Mit der Erkenntnis
aber, daß der Arbeiterschutz ihnen selbst zum Vorteil gereichte, war der
Widerstand der Fabrikanten dagegen gebrochen.

Englands Vorgehen, das ebenso in seiner rapiden industriellen, wie in
seiner politischen Entwicklung die Erklärung findet, war für den
Kontinent, wo sich der Uebergang zum Fabriksystem relativ langsam
vollzog und alle vorwärts treibenden Kräfte sich auf den Kampf gegen die
politische Reaktion konzentrieren mußten, kein anfeuerndes Beispiel.
Selbst jener erste Maximalarbeitstag, mit dem die junge französische
Republik die erregten Volksmassen abzuspeisen gedachte und der die
Arbeitszeit aller Arbeiter auf 12 Stunden festsetzte, hatte keinerlei
praktische Konsequenz, weil es an Mitteln fehlte, um die Durchführung
des Gesetzes zu gewährleisten. Erst 1874, nach endlosen heftigen
Streitigkeiten, gelangte der erste schüchterne Versuch eines besonderen
Arbeiterinnenschutzes in der Nationalversammlung zur Annahme. Er
beschränkte sich auf das Verbot der Nachtarbeit Minderjähriger und das
Verbot der Arbeit unter Tage für Frauen jeden Alters. Aber selbst diese
kläglichen Bestimmungen stießen auf den heftigsten Widerstand der
Industriellen, die alles thaten, um sie zu umgehen, oder ihre
Abschaffung durchzusetzen,--ein Zustand des Kampfes und des vielfach
fruchtlosen Widerstandes derer, die das Gesetz schützen wollte, der
achtzehn Jahre andauerte.

Noch langsamer entwickelte sich der Arbeiterinnenschutz in Oesterreich,
denn vor 1885 war überhaupt kaum eine Spur von ihm vorhanden: sowohl die
Nachtarbeit, als die Arbeit unter Tage wurde den Frauen nicht verwehrt.
Dann aber nahm er einen Aufschwung, durch den er Frankreich
überflügelte: der Elfstundentag, der vierwöchentliche Wöchnerinnenschutz
wurde eingeführt, die Arbeit unter Tage und bei Nacht verboten.

Deutschlands Anfänge auf dem Gebiete des Arbeiterinnenschutzes fallen
ziemlich genau mit dem Erstarken der sozialdemokratischen Partei
zusammen, deren mit immer größerem Nachdruck vorgebrachte Forderungen
das treibende Element in der Bewegung waren. Aber es trat noch Eins
hinzu, dessen Wichtigkeit nicht unterschätzt werden darf, und dessen
Träger die politische Vertretung des deutschen Katholizismus, das
Centrum, war. Von vollkommen entgegengesetzten Standpunkten ausgehend,
grundverschiedenen Zielen zusteuernd, kamen beide Parteien in ihren
praktischen Forderungen gelegentlich zu ähnlichen Resultaten. Aber
während die Sozialdemokratie im gesetzlichen Schutz der Arbeiter und
Arbeiterinnen nur ein Mittel sah, sie körperlich und geistig für den
Klassenkampf zu stärken und fähig zu machen, glaubte das Centrum durch
ihn die Entwicklung zurückzuschrauben. Es propagierte an erster Stelle
die Sonntagsruhe, nicht aus hygienischen, sondern aus religiösen
Gründen, es forderte einen Arbeiterinnenschutz, der den völligen
Ausschluß der Frauen von der Fabrikarbeit zum Ziel hatte, um die Familie
in ihrer alten Form zu erhalten und den Einfluß der Arbeitsgenossen auf
die Frau zu verhindern, sie aber, und damit die Ihren, statt dessen
wieder unter den Einfluß der Kirche zu zwingen. Von diesem
Gesichtspunkt aus warf sich das Centrum hier im Verein mit manchen
Konservativen sogar vielfach zum Beschützer der Hausindustrie und der
Heimarbeit auf. Wie dem aber auch sei, Thatsache ist, daß die
Entwicklung des Arbeiterinnenschutzes in Deutschland mit unter dem
Einfluß des Centrums vor sich ging.

Anfang der siebziger Jahre unternahm die Regierung, einem Antrag des
Reichstags folgend, eine Enquete über die Lage der kindlichen und
weiblichen Arbeiter, deren Ergebnisse die Novelle zur Gewerbeordnung
hervorrief, die sie 1878 dem Reichstag vorlegte. Sie enthielt in Bezug
auf den Arbeiterinnenschutz einige Bestimmungen,--so das Verbot der
Beschäftigung von Wöchnerinnen in Fabriken vier Wochen nach der
Niederkunft und das der Frauenarbeit unter Tage,--und erteilte dem
Bundesrat die Ermächtigung, die Beschäftigung von Frauen und
jugendlichen Arbeitern aus Gründen der Gesundheit und Sittlichkeit in
bestimmten Betrieben zu verbieten, aber die Wirkung selbst dieser
schwächlichen Verbesserungen der Schutzvorschriften wurde dadurch im
Keime erstickt, daß sie nicht mit der obligatorischen Einführung der
Fabrikaufsicht Hand in Hand gingen. Mit denselben Gründen, durch die die
englischen Fabrikanten vor vierzig Jahren ihren Widerstand gegen die
Schutzgesetzgebung gestützt hatten, kämpfte in Deutschland die
Regierung, an ihrer Spitze Bismarck, gegen die Gewerbeaufsicht[912], und
noch zehn Jahre später verweigerte der Bundesrat einem Gesetzentwurf mit
durchgreifenden Schutzvorschriften, den der Reichstag angenommen hatte,
seine Zustimmung, weil er ein Bedürfnis dafür nicht anzuerkennen
vermochte. Die Industrie, so meinte er, bedarf der Frauenarbeit in
unbeschränktem Maße, und die Arbeiterfamilien, so fügte er hinzu, um
sich nicht die Blöße einseitiger Interessen zu geben, bedürfen ihrer
nicht minder.

Schließlich aber sah sich die Regierung gezwungen, den Wünschen des
Reichstags nachzugeben; vor allem glaubte sie, durch soziale Reformen
die wachsende Macht der Sozialdemokratie zu erschüttern. Das
theatralische Schaustück einer internationalen Arbeiterschutzkonferenz
wurde insceniert, und war im stande auch ernsten Leuten Sand in die
Augen zu streuen. Thatsächlich war ihre Bedeutung lediglich eine
symptomatische, indem sie bewies, daß das Bestreben der Arbeiter nach
Besserung ihrer Lage nach jahrzehntelangem Kampf endlich zu teilweisem
Siege zu führen schien, und eine informierende, indem sich zeigte, wie
weit der Gedanke eines erweiterten Arbeiterinnenschutzes,--denn neben
der Frage der Sonntagsruhe und der Kinderarbeit beschäftigte man sich
lediglich mit der Fabrikarbeit der Frauen,--in den einzelnen Staaten
bereits Fuß gefaßt hatte. Das Ergebnis, soweit die Frauenarbeit berührt
wurde, war geringfügig genug. Deutschland, Oesterreich, England und die
Schweiz einigten sich über folgende Punkte: allgemeine Sonntagsruhe für
alle Industriearbeiter, Verbot der Nachtarbeit für jugendliche Arbeiter
und für Frauen, Zehnstundentag für Jugendliche, Elfstundentag für
Frauen, vierwöchentliche Arbeitsunterbrechung für Wöchnerinnen, Verbot
der Frauenarbeit unter Tage. Belgien, das heute noch in Bezug auf den
Arbeiterinnenschutz zu den zurückgebliebensten Ländern gehört, und
Frankreich, das ihm nur wenig voraus ist, machten bei den meisten
Punkten Vorbehalte oder sie erklärten sich direkt dagegen. Ohne zu
positiven Resultaten gelangt zu sein, ging die Konferenz auseinander und
es blieb jedem einzelnen Staat wieder überlassen, den Arbeiterschutz
nach seinem Gutdünken auszubauen. Das letzte Jahrzehnt des neunzehnten
Jahrhunderts, an dessen Wiege das arbeitende Volk in all seinem
grenzenlosen Jammer gestanden hatte, dessen Mannesalter durch seine
stumme Qual und Ausbrüche wütender Verzweiflung verdüstert wurde, bot
den Millionen ausgebeuteter Proletarier nur ein paar Brosamen von seiner
üppigen Tafel. Sie kamen, nächst den Kindern, wesentlich den Frauen zu
gute.

Eine Vorstellung des geltenden Rechts in Bezug auf die
Arbeiterinnenschutzgesetzgebung giebt die Tabelle [unten].

Ihr Inhalt bezieht sich lediglich auf die industriellen Arbeiterinnen
und er schließt sowohl die näheren Bestimmungen über Hausindustrie und
Heimarbeit als alle diejenigen Gesetze aus, die sich mit den
Handelsangestellten, den Landarbeiterinnen, den Kellnerinnen und
Dienstboten beschäftigen.

Betrachten wir zunächst die Frage der Arbeitszeit. Der Normalarbeitstag
war von jeher ein Palladium der Arbeiterbewegung gewesen. In England
und mehr noch in Australien hatten sich die Gewerkschaften die
allmähliche Herabsetzung der Arbeitszeit erkämpft und vielfach ihr Ziel,
den Achtstundentag, durch kollektive Vertragschließung erreicht. Sie
hatten, belehrt durch ihre Lebenslage, die nur durch Verkürzung der
Arbeitszeit eine menschenwürdige werden konnte, den Standpunkt des
einseitigen Individualismus, der jeden Zwang auf die Persönlichkeit,
jede Einschränkung des freien Willens ablehnt, längst aufgegeben und
erstrebten überall auch die gesetzliche Festlegung der Arbeitszeit. Um
so heftiger sträubten sich die Unternehmer dagegen, indem sie ihre Sorge
um die Verringerung ihres Profits in die sentimentale Phrase zu
verkleiden suchten, daß es niemanden verwehrt sein dürfe, für seine
Familie, für seine Kinder so lange zu arbeiten als er wolle. Aber ihre
Berufung auf die Freiheit des Individuums im allgemeinen und die
Freiheit des Arbeitsvertrags im besonderen,--eine der wichtigsten
Grundsätze des Liberalismus,--kam in Bezug auf die weiblichen Arbeiter
in Kollision mit einem anderen Grundsatz, den die ganze bürgerliche
Gesellschaft zu dem ihren gemacht hatte, auf dem ihre Existenz zum Teil
beruht: der Erhaltung der Familie und des Familienlebens in seiner alten
Form, als deren Trägerin die Frau erscheint. Und so war es der indirekte
Einfluß der weiblichen Industriearbeit, der den starren Widerstand der
Bourgeoisie besiegen half, und sie den ersten Schritt auf dem Wege zum
Normalarbeitstag gehen ließ. In allen fünf Staaten unserer Tabelle ist
die Arbeitszeit der Frauen geregelt; auch Rußland, Australien und
Nordamerika sind in ähnlicher Weise vorgegangen, während Belgien,
Holland, die skandinavischen Länder und Italien die gesetzliche
Beschränkung des Arbeitstages nur für Kinder und junge Leute eingeführt
haben. Was aber die Bestimmungen der einzelnen Länder wesentlich
voneinander unterscheidet ist vor allem der Umstand, daß sie sich nur
noch zum Teil allein auf die weiblichen Arbeiter beziehen:
Frankreich--mit einer gewissen Modifikation--, Oesterreich, die Schweiz,
einige Staaten Nordamerikas und Kolonien Australiens beschränken die
Arbeitszeit erwachsener Fabrikarbeiter in demselben Maß wie die
erwachsener Fabrikarbeiterinnen. Die natürliche Erwägung, daß die
Betriebe, in denen Arbeiter beiderlei Geschlechts nebeneinander
arbeiten, eine außerordentliche Störung erleiden, wenn der eine Teil
zehn oder elf, der andere zwölf oder dreizehn Stunden beschäftigt ist,
hat dazu den Anlaß gegeben. Die Notwendigkeit der Beschränkung der
Arbeitszeit der Frauen führte daher die viel und heiß umstrittene Frage
des Maximalarbeitstages der Männer ihrer Lösung entgegen. Das zeigt sich
noch deutlicher in den Staaten, wo eine gesetzliche Regelung der
Männerarbeit noch nicht durchgesetzt worden ist. So wurden die deutschen
Gewerbeaufsichtsbeamten wiederholt mit der Aufgabe betraut, der
Arbeitszeit und ihrer Ausdehnung ihre besondere Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Während sie im Jahr 1885, vor der Regelung der Frauenarbeit,
noch eine zwölf-, dreizehn- und mehrstündige Arbeitszeit der Männer
feststellten, schwankte sie im Jahr 1897, also nach der Regelung,
zwischen neun und elf Stunden.[913] In England, wo die Macht der
Gewerkschaften diese Entwicklung noch beschleunigen hilft, zeigt sich
dasselbe Bild.[914] Angesichts dessen und der uns bekannten Thatsache
der rapiden Zunahme der Frauenarbeit beantwortet sich die Frage nach dem
Nutzen oder Schaden ihrer gesetzlichen Beschränkung von selbst, und es
zeugt nur von großem Mangel an Einsicht, wenn man über die Entscheidung
im Zweifel sein kann. Die Beschränkung der Arbeitszeit weiblicher
Arbeiter ist nicht nur für sie selbst von größter Bedeutung, sie ist es
auch im Interesse ihrer männlichen Arbeitsgenossen. Sie kann aber auch,
und das ist ein Moment, das gerade von der Arbeiterinnenbewegung
vielfach übersehen wird, wenn sie sich zu weit von der effektiven
Arbeitszeit der Männer entfernt, zum Nachteil der Frauen ausschlagen,
besonders in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, in denen dann die Frauen
durch Männer ersetzt werden würden. Für deutsche Verhältnisse z.B. wäre
eine Reduktion der Arbeitszeit der Frauen auf zehn und neun Stunden
gegenwärtig schon ohne Schaden für sie durchführbar, weil auch die
Männer in ihrer Arbeitszeit dieser Stundenzahl immer näher kommen. Den
Achtstundentag aber für die Frauen allein heute schon erkämpfen zu
wollen, hieße ihnen nicht nutzen. Viel wichtiger wäre es gegenwärtig
auch für die Frauen mit größtem Nachdruck für den gesetzlichen
Maximalarbeitstag der Männer einzutreten, wie ihn Frankreich durch den
in wenigen Jahren zur Geltung gelangenden Zehnstundentag zum Gesetz
erhoben hat. Selbstverständlich bleibt der Achtstundentag das weitere
Ziel, aber, wohl gemerkt, für Männer und Frauen. Er ist die
Voraussetzung für die Befreiung der Arbeiterklasse aus physischer und
geistiger Knechtschaft, er ermöglicht erst ihre lebendige Teilnahme an
den Errungenschaften der modernen Kultur. Für die Frau aber, vor allem
für die Mutter und Hausfrau, würde er von noch größerem Werte sein, und
daraus erklärt es sich, daß die Arbeiterinnen ihn jetzt schon allein für
ihr Geschlecht erringen wollen.

Wir kommen damit zur Kritik der Länge des Arbeitstags, wie er gesetzlich
für die Frauen festgelegt wurde. Ist die Reduzierung der Arbeit auf zehn
oder elf Stunden wirklich ausreichend, um die Körperkräfte der Frau
nicht zu überbürden, ihre Gesundheit nicht zu gefährden und sie ihrer
Familie zu erhalten? Die Lage der Fabrikarbeiterinnen, wie wir sie
kennen lernten, erübrigt eine Antwort.

So groß der Fortschritt ist gegenüber der unbegrenzten Arbeitszeit, so
gering ist er gegenüber den notwendigsten Bedürfnissen; für das junge
Mädchen, die werdende Mutter, vor allem aber für die Mutter kleiner
Kinder sind zehn oder elf Stunden Arbeit eine Qual, die fast immer zu
den traurigsten Resultaten führt. Die Erkenntnis, daß besonders die
verheiratete Frau zur Führung ihres Haushalts mehr freier Zeit bedarf,
hat zur Festsetzung der Mittagspause geführt, die 1 bis 1-1/2 Stunden zu
dauern pflegt. Es wirkt wie Ironie, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
in dieser Zeit nicht nur die Hauptmahlzeit des Tages im Kreise der
Familie eingenommen werden soll, sondern vorher auch zubereitet werden
muß, und die Arbeiterin meist für den Weg hin und her von der Fabrik den
größten Teil der verfügbaren Zeit in Anrechnung zu bringen hat. Die
deutsche Gesetzgebung hat überdies nicht einmal die anderthalb Stunden
festgelegt, sondern nur eine, und bestimmt, daß die weitere halbe Stunde
der Arbeiterin "auf ihren Antrag" freigegeben werden soll. Welche
Arbeiterin aber, die so wie so stets um die Erhaltung ihrer
Arbeitsgelegenheit zittert, entschließt sich zu solcher Bitte?
Thatsächlich konstatierten die Gewerbeaufsichtsbeamten wiederholt, daß
Arbeiterinnen, die den Wunsch danach aussprachen, mit Entlassung bedroht
wurden. Es ist daher nur natürlich, wenn der Wunsch nicht allzu häufig
laut wird. Die halbe Stunde ist auch oft nicht der Mühe wert. Es fragt
sich nun, ob demgegenüber eine Verlängerung der Mittagspause
wünschenswert ist. Dabei darf nicht vergessen werden, daß eine
ausreichende Erweiterung,--auf drei Stunden etwa,--undurchführbar ist,
weil die Betriebsstörung zu groß und die Differenz mit der Arbeit der
Männer eine zu tiefgehende wäre. Viel vorteilhafter für die Frau und die
Arbeiterfamilie wäre es, wenn sie, neben einer etwa einstündigen Pause,
die Arbeit am Abend früher verlassen könnte, womöglich gemeinsam mit dem
Mann. An Stelle der mittäglichen Hetze würde eine ununterbrochene Zeit
treten, durch die auch für den Arbeiter eine Spur häuslicher
Gemütlichkeit zuweilen erobert werden könnte. Man pflegt diese
Tageseinteilung als die Einführung der englischen Tischzeit zu
bezeichnen, weil sie in England vielfach durchgeführt worden ist. In
Verbindung aber mit dem zehn- oder elfstündigen Arbeitstag wird das
Ideal, die Sicherung des Familienlebens, die Möglichkeit der
Kindererziehung, dadurch noch nicht im mindesten erreicht. Wohlwollende,
aber kurzsichtige Leute in Verbindung mit reaktionären Politikern, wie
das Centrum sie aufweist, sind daher auf den Gedanken gekommen, daß die
Fabrikarbeit verheirateter Frauen überhaupt verboten werden müsse, die
Gesetzgebung jedenfalls den Weg dahin heute schon zu betreten habe.[915]
Auch in Arbeiterkreisen fehlt es nicht an Stimmen, die für diese
Maßregel eintreten; die Kongresse der christlichen Arbeiter von
Rheinland und Westfalen forderten schon seit 1873 die Unterdrückung der
eheweiblichen Fabrikarbeit[916]; eine große Gruppe lediger
Fabrikarbeiterinnen Englands kämpft mit aller Energie gegen die
verheirateten Arbeitsgenossinnen.[917] Auf verschiedene Motive ist diese
Stellungnahme zurückzuführen: auf den uneigennützigen Wunsch, die Mutter
den Kindern zurückzugeben und auf das eigennützige Verlangen, eine
lästige, meist lohndrückende Konkurrenz los zu werden.

Abzuleugnen, daß die Fabrikarbeit der verheirateten Frau ihr und ihren
Kindern durch ihre große Ausdehnung empfindlich schadet, wäre,
angesichts der Thatsachen, eine Vermessenheit. Es fragt sich nur, ob die
zwangsweise Ausschließung davon ihr nutzen würde. Für Deutschland ist es
durch die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten erwiesen, daß die
übergroße Mehrheit der Frauen durch die Not zur Fabrik getrieben wird.
Einer der Befürworter des Ausschlusses definiert den Begriff Not, indem
er erklärt, nur dort dürfe von ihr gesprochen werden, wo der Verdienst
der Frau "unbedingt" erforderlich ist, damit die Familie "nur" leben
könne.[918] Um solche Not handelt es sich zumeist; wir sehen aber Not
auch dort, wo zwar der momentane Hunger gestillt wird, aber die Angst um
die Zukunft nie weicht und alle Freuden des Lebens entbehrt werden
müssen. Auch in diesem Fall hat die Frau das Recht und die Pflicht, zu
arbeiten. Schließen sich ihr die Thore der Fabrik, so wird die
Hausindustrie und die Heimarbeit mit all ihren Schrecken sie aufnehmen,
und man wird die Zersetzung rückständiger Betriebsformen dadurch noch
länger aufhalten. Der vorhin zitierte Gegner der eheweiblichen
Fabrikarbeit sieht darin allerdings einen glücklichen Ausweg für
wirklich notleidende Ehefrauen; sie können, so sagt er "in der
Landwirtschaft oder in der Hausindustrie oder auch im Handel
Beschäftigung suchen, oder Aufwartungen übernehmen, als Kochfrau oder
Pflegerinnen gehen etc."[919] Alle diese Beschäftigungen also, die sich
fast sämtlich des Vorzugs erfreuen, gar keiner gesetzlichen Kontrolle
und Einschränkung unterworfen zu sein, sollen die Frau ihren
Familienpflichten weniger entziehen als die gesetzlich geregelte
Fabrikarbeit! Zur Durchführung des Ausschlusses empfiehlt er, ihn zur
Zeit einer wirtschaftlichen Depression vorzunehmen, in der
Arbeiterentlassungen so wie so an der Tagesordnung sind[920]; d.h. er
will der Frau die relativ vorteilhafteste Arbeitsgelegenheit gerade dann
entziehen, wenn ihr Erwerb am notwendigsten ist, und er ist naiv genug,
von den Unternehmern zu erwarten, daß sie gerade dann sich ihrer
billigsten Arbeitskräfte gutwillig berauben werden.

Aber nicht nur, daß der Erwerbszwang die verheirateten Frauen in die
sozial tiefststehenden Arbeitsgebiete drängen würde, er würde, da ihre
Arbeitskraft ihre Mitgift bedeutet und unerläßlich ist zur Erhaltung der
Familie, an Stelle der Eheschließung in erweitertem Umfang das
Konkubinat treten lassen. So weit wir nun auch davon entfernt sind, an
dem freien Liebesbund zweier Menschen sittlichen Anstoß zu nehmen, so
gewiß ist es doch, daß das Konkubinat unter den heutigen Verhältnissen
die Frau und ihre Kinder der Willkür des Mannes erbarmungslos aussetzt
und beide dem tiefsten Elend schutzlos preisgeben kann. Es kommen aber
noch andere Gründe hinzu, die vom Standpunkt der Arbeiterin aus zur
unbedingten Verwerfung des Ausschlusses der verheirateten Frauen aus der
Fabrik führen müssen: Die Fabrikarbeit ist die einzige Form der Arbeit,
durch die die Frauen in engere Verbindung mit ihren Klassengenossen
gebracht werden, davon aber hängt ihre Aufklärung, ihre
Organisationsfähigkeit ab, und ihre stärkere oder geringere
Organisationsfähigkeit wieder beeinflußt die raschere oder langsamere
Entwicklung der sozialpolitischen Gesetzgebung.

Doch auch vom Standpunkt der Unternehmer aus ist der Ausschluß
der verheirateten Frau zu verwerfen. Die deutschen
Gewerbeinspektorenberichte für 1899 haben das interessante Resultat
ergeben, daß nach der Aussage der Mehrzahl der Fabrikanten teils nicht
genug ledige Arbeiterinnen zur Verfügung stehen[921], vor allem aber die
verheirateten schwer oder gar nicht zu ersetzen sind.[922] Die Gründe
dafür sind naheliegend: es handelt sich bei ihnen meist um ältere,
erfahrene Arbeiterinnen, die überdies, weil sie ihren Beruf nicht mehr,
wie die meisten ledigen, nur als einen Uebergang zur Ehe betrachten,
besonders eifrig und strebsam sind. Also auch das Interesse der
Unternehmer spricht gegen ihren Ausschluß. Wer die furchtbaren Schäden
der Fabrikarbeit verheirateter Frauen ausmerzen will, muß zu anderen
Mitteln greifen. Er muß sie in stärkerem Maße als bisher der
Fabrikarbeit zuführen und der Hausindustrie und der Heimarbeit
entreißen. Die Einrichtung von Schulkantinen und Kinderhorten durch die
Kommunen und die allmähliche Herabsetzung der Arbeitszeit muß damit Hand
in Hand gehen.

Schon die gegenwärtig gesetzlich festgelegte Arbeitszeit für Frauen
würde eine weitreichende Bedeutung haben, wenn sie thatsächlich ein
Maximalarbeitstag wäre. Unsere Tabelle zeigt aber, daß nicht nur
Ueberstunden in ausgedehntem Maß bewilligt werden können, sondern daß
sogar allgemeine Dispensationen für bestimmte Fabrikationszweige im
Bereiche der Möglichkeit liegen. Besonders die Saison- und
Campagneindustrien spielen dabei eine große Rolle, d.h. alle diejenigen
Arbeitszweige, die der Mode im hohen Maß unterworfen sind, oder die von
Jahreszeiten und Festtagen abhängen. Dazu gehört vor allem die
Herstellung der weiblichen Kleidung, der Spielwaren, der Konserven und
in Paris der sogenannten Articles de Paris, die durch das Neujahrsfest
beeinflußt werden. Die Ausnahmebewilligungen und Dispensationen sind
hier so groß, daß die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit fast zur
Ausnahme wird, und zwar um so mehr, weil die Unternehmer sie auch ohne
besondere Erlaubnis möglichst oft zu umgehen suchen. Uebertretungen
dieser Art kommen, wie die Fabrikinspektoren aller Länder
übereinstimmend berichten, am häufigsten vor. Wo ein ausgeprägtes
Solidaritätsgefühl fehlt, wo die Organisation nicht hinter der
Arbeiterin steht, ist sie nicht nur willenlos gegenüber den Wünschen des
Unternehmers, sie bietet womöglich selbst die Hand zu ihrer Erfüllung.
So wird der zehn- oder elfstündige Arbeitstag in der Praxis vielfach zu
einem zwölf- und dreizehnstündigen.

Aehnlich liegen die Verhältnisse in Bezug auf die Nachtarbeit: sie ist
im Prinzip verboten, aber eine ganze Reihe von Ausnahmen öffnen der
Uebertretung der Vorschriften Thür und Thor. Nur England und die Schweiz
erfreuen sich eines absoluten Verbots. In Deutschland wird unter
bestimmten Bedingungen eine Verlängerung der Arbeit bis zehn Uhr nachts,
ein Beginn zwischen 4-1/2 und 5 Uhr früh gestattet, aber auch die
Nachtarbeit, die in 24 Stunden 10 Stunden dauern darf mit der
Einschränkung, daß Tag- und Nachtschichten wöchentlich wechseln müssen,
kann durch den Bundesrat erlaubt werden. Für Molkereien und
Konservenfabriken, für Steinkohlen-, Zink- und Bleierzbergwerke, für
Ziegeleien und schließlich auch für Konfektionswerkstätten wurden
Erlaubnisse der Art bereits erteilt. Oesterreich geht in der Gewährung
von Ausnahmen noch weiter, indem es die Nachtarbeit auch in der
Bettfedernreinigung, der Spitzen-, Papier-, Feß- und Zuckerfabrikation,
sowie in zahlreichen Zweigen der Textilindustrie gestattet. Das
französische Gesetz wird in gleicher Weise durchlöchert, nur daß es den
Vorteil bietet, an Stelle der zulässigen zehnstündigen Nachtarbeit
Deutschlands und der elfstündigen Oesterreichs die siebenstündige
festgesetzt zu haben.[923]

Dasselbe System wiederholt sich in Deutschland, Oesterreich und
Frankreich bei der Sonntagsarbeit, wenn die darauf bezügliche Verordnung
auch, hauptsächlich aus religiösen Gründen, straffer gehandhabt wird,
und Frankreich die Bestimmung getroffen hat, daß für die notwendig
gewordene Sonntagsarbeit stets ein Ersatzruhetag in der Woche gewährt
werden muß.

Die Festsetzung der Arbeitszeit und der Ruhepausen wird nach alledem
durch dieselbe Gesetzgebung, die sie in Angriff nahm, wenn nicht
annulliert, so doch in so mannigfaltiger Weise durchbrochen, daß der
Segen, den sie verbreiten sollte, sehr fragwürdig erscheint. Und doch
ist diese Zwiespältigkeit des Arbeiterschutzes nur die notwendige Folge
des Standpunkts, den die Regierungen der Arbeiterfrage gegenüber
einnehmen und der sich dadurch kennzeichnet, daß die Interessen der
Arbeiter zwar vertreten werden sollen, aber nur soweit, als sie mit den
Interessen der Unternehmer nicht kollidieren. Ein ernsthafter
Arbeiterschutz ist aber nur dann durchführbar, wenn man bei seiner
Gestaltung in erster Linie die Arbeiterinteressen vor Augen hat. Der
Fortschritt des Arbeiterschutzes hängt darum hauptsächlich von dem
Einfluß und der Macht der Arbeiterklasse selbst ab. Und da auf der
Verkürzung der Arbeitszeit und der Zusicherung ausreichender Ruhe das
Wohl der Arbeiter in erster Linie beruht, ist der größte Nachdruck
gerade hierauf zu legen. Wie das Beispiel Englands und der Schweiz
beweist, ist jetzt schon ohne wesentlichen Nachteil für die Industrie
die Durchführung der Nacht- und Sonntagsruhe möglich, und zwar,
bestimmte Ausnahmen abgerechnet, auch für Männer. Was die Ueberstunden
betrifft, so zeigt die englische Textilindustrie, daß ihre völlige
Aufhebung auch möglich ist, denn sie hat sich trotzdem, oder vielleicht
gerade deshalb, so großartig entwickelt. Die Unternehmer, die auf die
Höhe ihres Profits nicht verzichten wollten, sahen sich eben genötigt,
die fehlenden Menschenkräfte durch schneller produzierende Maschinen zu
ersetzen,--ein Prozeß, der stets bei der Verkürzung der Arbeitszeit
eintreten muß, so daß der Arbeiterschutz sich als eines der wirksamsten
Mittel zur Beschleunigung der allgemeinen industriellen Entwicklung
erweist. Auch für Saison- und Campagneindustrien könnten die
Ueberzeitbewilligungen erheblich eingeschränkt und der Ausfall durch
Mehreinstellung von Arbeitskräften wett gemacht werden. Eine künstliche
Einschränkung der in wilder Hetzjagd einander folgenden Modethorheiten
wäre auch für die Konsumenten nicht vom Uebel. Zunächst freilich dürfte
die Forderung einer Verminderung der Ueberzeitbewilligungen womöglich
blos auf solche Fälle, wo Unglücksfälle oder Naturereignisse sie
unbedingt notwendig machen, ein frommer Wunsch bleiben, weil er nur auf
dem Boden internationaler Vereinbarungen auf Erfüllung rechnen kann.
Selbst die vielfach ans Märchenhafte grenzende Entwicklung des
Maschinenwesens, die geradezu prädestiniert erscheint, die Arbeitszeit
immer mehr zu verkürzen, hat unter der gegenwärtig herrschenden
schrankenlosen Konkurrenz nur dazu dienen müssen, den Profit zu erhöhen.
Erfindungen, die nur dem Arbeiter nutzen, dem Unternehmer aber keinerlei
Vorteil bringen, ja ihm womöglich nur Kosten verursachen, werden ohne
äußeren Zwang nirgends eingeführt. Der Staat und die Kommunen, die zwar
solche Einrichtungen gesetzlich einführen können, die direkt Leben und
Gesundheit der Arbeiter schützen, aber nicht die Befugnis haben, die
Unternehmer zur Anschaffung arbeitsparender Maschinen zu zwingen,
müßten es als ihre Pflicht betrachten, in ihren eigenen Betrieben darin
mit dem guten Beispiel voran zu gehen, und es müßte zu den Aufgaben der
Arbeiterorganisationen gehören, überall für ihre Einführung einzutreten.
Verbände sich diese Agitation mit einer jedesmaligen Revidierung der
Lohntarife, so daß durch neue Maschinen nicht die Einnahmen der Arbeiter
verringert würden, so wäre sie eines der wirksamsten Hilfsmittel zur
Erreichung des Normalarbeitstags.

Erwägungen ähnlicher Art drängen sich auf, wenn wir die Betriebe
betrachten, aus denen die Frauen in Rücksicht auf ihre Gesundheit
entweder ganz oder teilweise ausgeschlossen worden sind. Mit Ausnahme
derjenigen Beschäftigungsarten, die, wie die Arbeit unter Tage, der
Transport von Rohmaterial in Ziegeleien u.s.w., ihrer körperlichen
Konstitution nicht entsprechen, sind es entweder solche, die
Vergiftungsgefahren mit sich führen, wie die Herstellung elektrischer
Akkumulatoren aus Blei oder Bleiverbindungen, die Fabrikation von
Arsenik, Nitrobenzin, Bleiweiß u.s.w., oder solche, die die
Arbeiterinnen besonders hohen Temperaturen aussetzen, wie die Arbeit in
Rohzuckerfabriken, Cichorienfabriken, Drahtziehereien u.s.w. Frankreich
ist in diesen Verboten besonders weit gegangen und hat die Frauen fast
aus der ganzen chemischen Industrie entfernt. Nun haben wir aber bei der
Betrachtung der Lage der Fabrikarbeiterinnen gesehen, daß Vergiftungen
durch Blei und Bleiweiß z.B. in der ganzen Textilindustrie vorkommen,
der Ausschluß von der Fabrikation und Bearbeitung des Bleis und seiner
Verbindungen sie also durchaus nicht davor bewahrt; wir haben ferner
gefunden, daß die schwersten körperlichen Leiden die Folgen aller Arten
von Arbeiten sein können. Müssen wir demnach fordern, daß alle diese
Arbeitsgebiete den Frauen verschlossen werden sollen? Gewiß nicht! Die
einzige vernünftige Folgerung wird vielmehr die sein, die
Fabrikationsweisen zu reformieren und, wenn es durchführbar ist, die
Herstellung gewisser Stoffe ganz zu verbieten. An Mitteln und Wegen dazu
fehlt es nicht, wohl aber an der nötigen Initiative, sie zu ergreifen
und diejenigen, die sich weigern sollten, gesetzlich dazu zu zwingen.
Ein glücklicher Anfang dazu ist kürzlich in Frankreich gemacht worden,
wo die Benutzung von Bleiweiß bei Anstreicherarbeiten durch einen Erlaß
des Handelsministers verboten wurde, und Zinkweiß,--das allerdings
teuerer ist,--an seine Stelle treten soll. In den Textilfabriken,
besonders der Spitzenfabrikation, bei der Bleicherei und Appretur, der
Papierfabrikation, der Porzellanfabrikation u.s.w. wird überall Bleiweiß
verwandt, obwohl es ebenso leicht verhindert werden könnte und auch dann
verhindert werden müßte, wenn die betreffenden Waren dadurch auch an
Glanz und Weiße verlören.

Gewiß muß die Frauenarbeit für bestimmte, die Kräfte der Frau
übersteigende Arbeiten verboten werden, dies Verbot aber systematisch
immer weiter auszudehnen ist ein gefährliches Beginnen und zwar
gefährlich sowohl im Interesse der Frauen als in dem der Männer. Wenn
die Frauen nämlich prinzipiell aus allen gesundheitsgefährlichen
Betrieben ausgeschlossen werden sollten, so ist die Grenze für dieses
Vorgehen kaum noch zu bestimmen. Andererseits beruhigt man gewissermaßen
durch den Ausschluß der Frauen sein Gewissen und überläßt nunmehr die
Männer ruhig den gefährlichen Einflüssen der Gifte, der hohen
Temperaturen u.s.w., als ob sie völlig unempfänglich dafür wären! Der
richtige Weg wäre vielmehr der, durch Herabsetzung der Arbeitszeit,
durch genaue Vorschriften in Betreff der Kleidung, durch
Schutzeinrichtungen aller Art, durch Ventilation, Staubabsaugung,
gründliche Reinigung, zwangsweise Einführung aller derjenigen Maschinen,
die die Gefahr verringern, schließlich auch durch Verbot der Herstellung
entbehrlicher Giftstoffe vorzugehen.[924] Auch hier hätten kräftige
Gewerkschaften ein fruchtbares Feld der Thätigkeit vor sich, indem sie
die Arbeit in gefährlichen, nicht genügend geschützten Betrieben und die
Herstellung entbehrlicher Gifte verweigern sollten.

Die geringere Widerstandskraft der Arbeiterin gegen gewerbliche
Schädlichkeiten ist kein ursprüngliches Charakteristikum ihres
Geschlechts, sie ist vielmehr die Folge seiner ganzen künstlich
gesteigerten Entartung durch verkehrte Erziehung, unhygienische
Kleidung, schlechte Ernährung,--viel schlechter als die der
Männer,--doppelte Arbeitslast, sobald es sich um Verheiratete handelt,
vor allem aber durch Hungerlöhne. An die Wurzeln des Uebels ist daher
auch hier die Axt anzulegen. Es giebt Hygieniker, die so weit gehen, den
Schutz der Arbeiterin auch während der Menstruation für notwendig zu
erklären. Sehen wir einmal von der Undurchführbarkeit solcher Maßregel
ab, so haben wir schon einmal betont, daß diese Funktion der weiblichen
Geschlechtsorgane durchaus nichts Krankhaftes ist und die
Leistungsfähigkeit nicht hindert. Wenn sie zur Krankheit wird, so sind
die Grundlagen dazu in der Jugend, vor allem in der Entwicklungszeit
gelegt worden. Die Gesetzgebung hat daher, will sie zur Kräftigung der
Arbeiterin beitragen, die Pflicht, die Arbeitszeit jugendlicher
Arbeiterinnen auf das äußerste zu beschränken, wenn nicht die
Erwerbsarbeit der Mädchen unter sechzehn Jahren überhaupt zu verbieten.
Das könnte für die jugendlichen Arbeiter in gleicher Weise geschehen,
weil sich erwiesenermaßen ein Knabe zwischen vierzehn und sechzehn
Jahren, wenigstens unter unseren Breitengraden, in der Zeit lebhaftesten
Wachstums befindet, und ebenso der Schonung bedarf, wie das Mädchen.
Eine gesunde Arbeiterin, die nicht schon in der frühsten Jugend all ihre
Kraft dem Erwerb hat opfern müssen, wird dann, wenn sie in das
Berufsleben eintritt, von der Menstruation nicht mehr spüren, als ein
Mann vom Schnupfen.

Ganz anders liegt die Frage, sobald es sich um Schwangere und
Wöchnerinnen handelt. Einen gesetzlichen Schutz der Schwangeren kennt
nur die Schweiz. Neuerdings sucht ihn Dänemark, wo er sich sogar auf
vier Wochen ausdehnen soll, einzuführen.[925] Ueber seine Berechtigung
dürfte nirgends ein Zweifel bestehen, es fragt sich nur, ob mit einem
bloßen Arbeitsverbot für eine kurze Zeit vor der Entbindung genug
geschehen ist. Hirt verlangt, daß die Thätigkeit der Frauen während der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft in bestimmten Gewerben ganz verboten
werden soll; dazu gehört die Näherei, die Färberei und Stoffdruckerei,
die Fabrikation vom gefärbtem Papier, künstlichen Blumen, Spitzen und
Phosphorstreichhölzern. Hierbei zeigt sich aber dasselbe, wie bei der
Erörterung des Ausschlusses aller Frauen aus gesundheitsgefährlichen
Betrieben: warum bei diesen Industrien stehen bleiben, wo doch eine
ganze Anzahl anderer,--ich erinnere nur an die Tabakindustrie,--für die
Schwangere und den Fötus ebenso bedenklich sind? Da es sich aber in
diesem Fall um die kommende Generation handelt, so genügt zu ihrem
Schutz die Erfüllung der Forderungen, die wir bei jener Gelegenheit
aufstellten, nicht, und es wäre zweifellos das Beste nicht nur für die
zweite Hälfte der Schwangerschaft,--bekanntlich bringt die erste schwere
Gefahren mit sich,--sondern für die ganze Zeit der Schwangerschaft
überhaupt, die Fabrikarbeit zu verbieten. Dadurch aber würde den Frauen
unter den gegenwärtigen Verhältnissen viel mehr geschadet als genutzt
werden, denn sie würden sich scharenweise der Hausindustrie und der
Heimarbeit zuwenden müssen. Ein Arbeitsverbot von vier Wochen vor der
Entbindung ist daher das äußerste, was im Augenblick von der
Gesetzgebung verlangt werden kann.

Die Wöchnerin erfreut sich jetzt schon fast überall eines Schutzes,
Frankreich macht beinahe allein eine unrühmliche Ausnahme hiervon, aber
die Schutzzeit ist nur in der Schweiz auf sechs Wochen, d.h. auf
diejenige Zeit festgesetzt, in der bei normalem Verlauf des Wochenbettes
die Rückbildung der Organe stattgefunden hat. Deutschland, das
gleichfalls sechs Wochen der Ruhe bestimmt, hat auch hier durch die
Gestattung von Ausnahmen die Regel so gut wie umgestoßen. Aber selbst
eine sechswöchentliche Schutzzeit ist nur für vollständig gesunde Frauen
und nur für diese allein ausreichend, das Kind, dem die Mutterbrust und
die mütterliche Pflege nach dieser Frist schon entzogen wird, hat eine
nicht viel größere Aussicht das erste Jahr zu überleben, oder, wenn es
geschieht, sich zu einem kräftigen Menschen zu entwickeln, als wenn die
Mutter es bereits nach vier Wochen verlassen hätte. Angesichts dieser
Thatsache liegt die Notwendigkeit der Forderung einer längeren
Schutzzeit auf der Hand. Wie weit aber soll sie sich ausdehnen? Die
deutsche sozialdemokratische Reichstagsfraktion fordert acht Wochen,
erfahrene Mediziner neun Monate. Der ideale und erstrebenswerteste
Zustand ist es freilich, wenn die Mutter ebenso wie neun Monate vor so
neun Monate nach der Geburt von der Erwerbsarbeit befreit ist und den
Säugling so lange nähren kann, als es sich möglich und notwendig
erweist. Aber wir haben leider mit sehr realen Verhältnissen zu rechnen.
Schon heute sehen sich viele Mütter, denen die Thore der Fabrik noch
geschlossen sind, bald nach der Geburt gezwungen, als Heimarbeiterin,
Aufwärterin u. dergl. dem Verdienst nachzugehen. Ein auf Monate
ausgedehnter Schutz würde überall zu diesem Resultat führen und jeder
Art nicht oder schwer kontrollierbarer Arbeit zu enormem Aufschwung
verhelfen, während es unser ganzes Bestreben sein soll, gerade diese aus
dem Wege zu schaffen. Wir werden uns daher auch hier für die Gegenwart
bescheiden müssen, und den achtwöchentlichen Schutz als die äußerste
Forderung aufstellen. Im Interesse der Kinder aber muß sie mit
der Forderung an die Kommunen Hand in Hand gehen, in allen
Industrie-Zentren, wo verheiratete Frauen in bestimmtem Umfang
beschäftigt werden, Kinderkrippen in ausreichender Anzahl zu errichten,
und Anordnungen zu treffen, denen zufolge den Müttern die Zeit gewährt
wird, dort ihre Kinder zu nähren. Aber auch hier, wie für das ganze
Gebiet des Arbeiterschutzes, ist die grundlegende Bedingung jeden
Fortschritts die allmähliche Herabsetzung der Arbeitszeit bis zum
Normalarbeitstag von acht Stunden. Alle anderen Forderungen stehen
dieser einen gegenüber in zweiter Linie. Gerade für die Frau als Mutter
ist die Beschränkung der Arbeitszeit von der allergrößten Wichtigkeit;
auf ihr beruht die Möglichkeit ihrer physischen und geistigen Kraft und
Entwicklungsfähigkeit, und damit die ganze Zukunft ihrer Kinder.

Betrachten wir nunmehr das Gebiet der Arbeit, über das die
Schutzbestimmungen sich ausdehnen, so zeigt unsere Uebersicht auf den
ersten Blick, daß es ein sehr beschränktes ist. Sie finden in allen
Ländern nur auf die Fabrikarbeiter eine gleichmäßige, allgemeine
Anwendung, die Arbeiter in der Landwirtschaft und die Dienstboten sind
ganz davon ausgeschlossen, die Handelsgehilfen, die Kellner und die
Heimarbeiter fast ganz, nur die Werkstattarbeiter der Hausindustrie
genießen scheinbar relativ am meisten die Segnungen des
Arbeiterschutzes. Der Grund für die Zaghaftigkeit der europäischen
Gesetzgeber, die sich besonders in ihrer Haltung gegenüber der
Heimarbeit äußert, ist einerseits die Rücksicht auf die Geschlossenheit
der Einzelfamilie, und andererseits die Angst, eine der Stützen unserer
industriellen Entwicklung zu untergraben.

Die gesetzgeberischen Maßregeln, die die _Hausindustrie_ berühren,
lassen sich in drei Kategorien einteilen: eine, von den Grundsätzen des
Arbeiterschutzes ausgehende, die gegenüber den Hausindustriellen in
ähnlicher Weise verfährt, wie gegenüber den Fabrikarbeitern, die
Schwachen also gegen die allzu rücksichtslose Ausbeutung der Starken zu
schützen und den wirtschaftlichen Egoismus einzudämmen sucht; eine
zweite, die den Interessen der Konsumenten ihre Entstehung verdankt und
sich auf sanitäre Vorschriften beschränkt, und eine dritte endlich,
deren Ziel es ist, die Heimarbeit zu unterdrücken. Von diesen drei
Gesichtspunkten aus werden wir die einschlägige Gesetzgebung und ihre
Wirkungen zu betrachten haben.

Die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie ist die
landläufigste, oft ziemlich gedankenlos nachgesprochene Forderung, durch
deren Erfüllung man ihren schädlichen Auswüchsen wirksam zu begegnen
glaubt. Sie ist denn auch teilweise verwirklicht worden, indem sie aber
in den europäischen Staaten und auch in einem Teil der außereuropäischen
vor der Heimarbeit und der Familienwerkstatt Halt machte. In England,
Frankreich und Oesterreich sind die Werkstätten in Bezug auf den
Arbeiterschutz den Fabriken gleichgestellt; England wagt sogar die
scharf gezogene Grenze der Familienwerkstatt zu überschreiten, sofern
Kinder und junge Leute in ihr beschäftigt werden; Frankreich unterwirft
auch Werkstätten religiöser Kongregationen und solche, die von
Wohlthätigkeitsanstalten abhängen, dem Gesetz, während Oesterreich sie
nicht mit einschließt. Die Schweiz dehnt den Arbeiterschutz auf alle
Werkstätten aus, die mehr als 6 Personen beschäftigen, und auf alle ohne
Unterschied, in denen ein gefährliches Gewerbe betrieben wird.
Neu-Seeland und Viktoria endlich haben auch auf die Familienwerkstätten,
in dem einen Fall, soweit 2, in dem anderen, soweit 4 Personen darin
beschäftigt sind, den Arbeiterschutz ausgedehnt.

Vergegenwärtigen wir uns dem gegenüber einmal die äußere Situation der
Hausindustrie: sie breitet sich über die großen Städte, wie über die
kleinen, über das flache Land und das einsame Dörfchen, wie über die
unzugänglichsten Thäler und Hochplateaus der Gebirge aus. Sie haust im
Kellerwinkel und in der Dachkammer, sie versteckt sich hinter dem Glanz
besserer Tage im Salon der Damen der bürgerlichen Welt. Sie hat in den
Großstädten keinen festen Sitz, denn keinerlei schwer bewegliche
Maschinen, wie im Fabrikbetrieb, fesseln sie an die Scholle, ihre
Werkstätten sind ebenso schnell aufgeschlagen, wie abgebrochen. Hat der
gesetzliche Arbeiterschutz dem gegenüber irgend eine Aussicht zur
Wirksamkeit? Selbst ein Heer von Beamten könnte ihm nicht dazu
verhelfen. Es ist wohl mit diese Erwägung, die in den Ländern, wo die
Hausindustrie einen besonders breiten Raum einnimmt, die
Familienwerkstätte außerhalb des Gesetzes stellen hieß. Dadurch
beschränkt sich der der Aufsicht unterstehende Kreis natürlich
bedeutend, die Elendesten und Unglücklichsten, zu denen die Frauen und
Kinder das größte Kontingent stellen, werden damit schutzlos der
Ausbeutung preisgegeben, ohne daß den Werkstattarbeitern wesentlich
geholfen wäre. Denn die Schwierigkeit der ausreichenden Beaufsichtigung
wird noch durch die Stumpfheit der zu Schützenden gesteigert. Die
Existenz der Hausindustrie beruht im wesentlichen auf der Thatsache, daß
die menschliche Arbeitskraft billiger arbeitet als die maschinelle; die
notwendige Ergänzung aber der niedrigen Löhne ist die lange Arbeitszeit.
Die Menschen, vor allem die Frauen, die diesen Bedingungen bisher immer
unterworfen waren, sind nicht einsichtsvoll genug, um die Durchführung
der Gesetze zu unterstützen. Sie werden im Gegenteil, von einzelnen
Kreisen aufgeklärter großstädtischer Arbeiter abgesehen, in der
Beschränkung ihrer Arbeitszeit eine unwillkommene Verminderung ihrer an
sich schon kärglichen Einnahmen sehen und die Bestimmungen des Gesetzes
zu umgehen suchen. Dabei ist ihre Organisationsfähigkeit nicht nur
infolge ihrer niedrigen Lebenshaltung und ihrer Arbeitsüberlastung,
sondern auch infolge ihrer Vereinzelung eine sehr geringe, so daß auch
hier nur in seltenen Fällen an die Stelle des einzelnen Schwachen die
durch ihre Vereinigung starke Gesamtheit treten kann.

Diese Thatsachen sind den Gesetzgebern nicht fremd geblieben. Sie haben
daher verschiedene Versuche gemacht, zunächst einmal den Kreis der
Hausindustriellen, auf die das Gesetz Anwendung finden soll,
festzustellen. Soweit es sich um Werkstätten handelt, haben die
australischen Staaten Viktoria und Neu-Seeland für sie die alljährlich
zu wiederholende Registrierung vorgeschrieben und verfügt, daß eine
Werkstatt erst dann als solche benutzt werden darf, wenn der
Gewerbeinspektor, dem ihre Anmeldung einzureichen ist, die Erlaubnis
dazu erteilt hat. Durch diese Maßregel sollen einerseits die Werkstätten
zur Kenntnis der Behörden kommen, andererseits die sanitätspolizeiliche
Kontrolle von Anfang an ermöglicht werden. Was aber in einem kleinen
Staate möglich ist, wird in einem großen mit ausgedehnter Hausindustrie
fast undurchführbar. Denn im Grunde müßte wieder eine Kontrolle
notwendig sein, um festzustellen, ob die vorschriftsmäßige Anmeldung zur
Kontrolle auch durchgängig erfolgt. Die englische Arbeitskommission hat
im Hinblick hierauf seinerzeit vorgeschlagen, den Hauseigentümer,
eventuell auch den Verleger für die rechtzeitige Anmeldung haftbar zu
machen.[926] Aber selbst wenn die Kontrolle dadurch gesichert würde,
bliebe ein großer Nachteil bestehen: nicht immer könnte der
Gewerbeinspektor zur Inspizierung sofort zur Stelle sein, die dadurch
notwendig werdende Arbeitspause bedeutete aber stets einen empfindlichen
Ausfall am Verdienst.

Um neben den Hausindustriellen auch die Heimarbeiter zu erfassen, haben
eine Anzahl nordamerikanischer und australischer Staaten den Verlegern
die Pflicht auferlegt, genaue Listen ihrer Arbeiter zu führen, die auf
Verlangen dem Gewerbeinspektor vorzulegen sind, und England ist noch
einen Schritt weiter gegangen, indem es, allerdings nur für eine
beschränkte, Zahl von Gewerben, verlangte, daß die Werkstattinhaber und
Liefermeister jährlich zweimal die Namen und Adressen ihrer Arbeiter dem
Gewerbeinspektor einzureichen haben.[927] Diese Bestimmung ist gewiß
eine sehr beachtenswerte, die Nachahmung verdient; einen wirklichen Wert
aber hat sie nur dann, wenn die Beamten auch im stände sind, sämtliche
Arbeiter ausreichend zu kontrollieren. Das aber ist, nach Lage der
Sache, völlig aussichtslos. Ein besserer Weg, um die Durchführung der
Schutzgesetze zu gewährleisten, scheint demnach der zu sein, die
Verantwortlichkeit dafür auf eine Reihe von Personen auszudehnen und so
eine Art freiwillige Inspektion zu schaffen, die die staatliche
unterstützt. Die englische Gesetzgebung hat für bestimmte Gewerbe
demgemäß entschieden und den Unternehmer für haftbar erklärt, wenn seine
Arbeiter unter gesundheitsgefährlichen Bedingungen beschäftigt werden.
Diese Bestimmung kann aber nur insoweit von Nutzen sein, als es sich
etwa um die Beschaffenheit der Werkstätten in sanitärer Hinsicht
handelt. Das Wichtigste aber, die Sicherstellung der Arbeitszeit, der
Pausen, des Wöchnerinnenschutzes etc. etc. kann dadurch nicht
gewährleistet werden, weil auch der Unternehmer keine ständige Kontrolle
ausüben kann und sich kaum dazu gezwungen sieht, denn er weiß viel zu
genau, wie selten die Uebertretung der Vorschriften konstatiert werden
würde. Was Thun von einem rheinischen Industriellen erzählt, der, als er
wegen der Uebertretung des Kinderschutzgesetzes zu einer Geldstrafe
verurteilt wurde, ausrief: "Das schinde ich in acht Tagen wieder aus den
Kindern heraus"[928], würde sich hier mit einigen Variationen
wiederholen; die Verantwortlichkeit müßte daher nicht nur von dem
Unternehmer getragen werden. Beatrice Webb schlägt vor, daß auch der
Hausherr und Vermieter der Werkstatt haftbar gemacht werden müßte.[929]
In New-York ist diese Forderung teilweise zum Gesetz erhoben worden, und
der Hausherr muß für bestimmte Gewerbe dafür einstehen, daß die Waren
erst dann hergestellt werden, wenn die Anmeldung der Werkstätte bei der
Aufsichtsbehörde erfolgte. Ueber diese Bestimmung hinaus scheint mir die
Haftbarmachung praktischerweise auch nicht gehen zu können, weil
andernfalls eine für den Werkstattinhaber und seine Familie
unerträgliche Chikanierung seitens des Hausherrn daraus entstehen würde.
Hat der Hausherr oder sein Vertreter,--und man mache sich einmal klar,
welche Art Menschen das häufig sind, und wie sie von Anfang an dem
armen Arbeiter mißtrauisch gegenüberstehen,--die Berechtigung, seine
Mieter zu kontrollieren, so kann er das Dasein derjenigen, die ihm aus
irgend einem Grunde mißliebig sind, zu einem qualvollen gestalten, von
Uebergriffen aller Art zu geschweigen, die die Folge sein müßten. Diese
Art Kontrolle könnte außerdem immer nur im Weichbild der Städte möglich
sein, weil z.B. die Hausindustriellen auf dem Lande und im Gebirge nicht
nur häufig Besitzer ihrer armseligen Werkstatt sind, sondern auch weitab
vom Verleger wohnen.

Noch ein Mittel bleibt zu erwähnen, das für einen begrenzten Kreis von
Arbeitern die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit sichern helfen
soll. Es besteht in dem Verbot, den Fabrik- oder Werkstattarbeitern nach
Ablauf der Arbeitszeit noch Arbeit mit nach Hause zu geben. England ist
in dieser Weise vorgegangen, hat aber ausdrücklich bestimmt, daß nur
dann die Mitnahme von Arbeit nach Hause gestattet werden darf, wenn die
Arbeiterin in der Werkstatt nicht die volle Arbeitszeit beschäftigt
wurde. Den Uebergriffen ist infolgedessen Thür und Thor geöffnet, weil
unmöglich festgestellt werden kann, ob man ihr für den ihr gesetzlich
zur Verfügung stehenden Rest der Arbeitszeit zu viel Arbeit mit nach
Hause gab, oder nicht. Man glaubte, durch die Fassung des Gesetzes auf
die Frauen Rücksicht nehmen zu müssen, die, weil sie Kinder zu hüten und
ein Hauswesen zu leiten haben, nur stundenweise in der Werkstatt
arbeiten können; ihnen wollte man nicht die Möglichkeit rauben, durch
häusliche Arbeit den geringen Verdienst etwas zu erhöhen, und opferte
dieser Rücksicht die viel wichtigere auf Hunderte anderer Frauen, denen
dann vom Zwischenmeister so viel Arbeit aufgebürdet werden kann, daß sie
zwar zu Hause bis in die Nacht hinein arbeiten müssen, aber weder Zeit
finden, für ihre Kinder, noch für ihr Hauswesen zu sorgen. Soll,
wenigstens auf diesem immerhin nur kleinen Gebiet, die weibliche
Arbeiterin vor Ausbeutung geschützt werden, so muß das Verbot, Arbeit
mit nach Hause zu nehmen, ein unbedingtes sein.

Unsere ganze Betrachtung der Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die
Hausindustrie läuft darauf hinaus, daß alle Bemühungen, sie in vollem
Umfang durchzusetzen, fruchtlose bleiben. Der wesentliche Grund dafür
ist der, daß die Wasser der Hausindustrie in zahllose kleine, versteckte
Rinnsale auseinanderfließen, die sich notwendigerweise der Aufsicht
entziehen. In dem schmerzlichen Gefühl der Resignation angesichts dieser
Erkenntnis haben sich manche Gesetzgeber darauf beschränkt, die
Wirkungen der Hausindustrie durch allgemeine sanitäre Vorschriften
abzuschwächen. Sie gingen dabei ursprünglich nicht vom Interesse der
Arbeiter, sondern von dem der Konsumenten aus, die sie vor dem Einfluß
der unter gesundheitswidrigen Bedingungen hergestellten Waren zu
schützen suchten. In den Staaten der nordamerikanischen Union ist dieses
System am weitesten ausgebildet worden. Epidemien, deren Herd die
Schwitzhöhlen der Hausindustrie waren, gaben den Anstoß dazu. Man
verfügte, um die gefährliche Ueberfüllung der kleineren Arbeitsstuben zu
vermeiden, daß in den Zimmern der Mietshäuser, die zugleich zum Essen
und Schlafen benutzt werden, fremde Arbeitskräfte zur Herstellung
verkäuflicher Waren nicht beschäftigt werden dürfen. Es war dies
zugleich ein erster, vielverheißender Schritt zur zwangsweisen
Einrichtung abgesonderter Werkstätten, es war aber auch zugleich eine
indirekte Unterstützung der Familienwerkstätten, in denen die Ausbeutung
ihre Orgien feiern konnte. Die Industrie wird immer der billigsten
Arbeit nachgehen, und so hat das Gesetz eine Ausbreitung der Heimarbeit
eher fördern als hindern helfen.[930] Um aber auch die Familienwerkstatt
und ihre Gesundheitsverhältnisse unter Aufsicht halten zu können, wurde
ihre Anmeldepflicht bei der Sanitätspolizei und ihre Lizenzierung durch
sie eingeführt. Für die Befolgung dieser Vorschrift machte man in
New-York den Hausherrn, in Massachusetts den Verleger haftbar. Auf diese
Weise werden die Arbeitsräume, zum Teil nur soweit sie der
Konfektionsindustrie dienen, wie in Massachusetts, zum Teil soweit
überhaupt Waren darin erzeugt oder hergestellt werden, der Kontrolle der
Sanitätsinspektion unterstellt. Einzelvorschriften, wie das Verbot,
Waren in Wohnungen herzustellen, wo ansteckende Krankheiten herrschen,
das auch England erlassen hat, sind die natürliche Folge hiervon. Man
ist aber zum Schutze des Publikums noch weiter gegangen, In New-York,
Massachusetts und Neu-Seeland bestimmt das Gesetz, daß Waren, von denen
in Erfahrung gebracht wird, daß sie Werkstätten oder Familienbetrieben
entstammen, die einer Lizenz ermangeln, oder daß sie sonst unter
ungesunden Bedingungen entstanden, vom Sanitäts- oder Gewerbeinspektor
mit einer Marke versehen werden müssen, die die Bezeichnung Tenement
made enthält, also sowohl Händler wie Konsumenten vor dem Kauf
abschreckt. Waren, die in Räumen verfertigt wurden, in denen ansteckende
Krankheiten herrschen, müssen nach der Markierung desinfiziert werden
und zwar erstrecken sich all diese Vorschriften auch auf von auswärts
eingeführte Verkaufsgegenstände. Diese ganze, in der Idee gut gemeinte
Einrichtung trägt aber den Stempel völliger Unzulänglichkeit schon an
der Stirn, ja sie führt zu bedenklichen Konsequenzen. Denn wer vermöchte
dafür einzustehen, daß jedes Kinderjäckchen, das im Zimmer des
Typhuskranken entstand, jede Cigarre, die neben dem Bett des
Schwindsüchtigen gearbeitet wurde, jedes Hemd, das eine arme Mutter am
Bett ihres diphtheritiskranken Kindes nähte, kontrolliert und markiert
werden kann?! Und wer will dem Ballen Tuch, oder den Jacken und Blusen,
die in Massen von einer Stadt, von einem Land zum anderen versandt
werden, ansehen, ob sie Krankheitskeime enthalten oder nicht? Die Angst
vor der Markierung und Entwertung der Waren zwingt die Heimarbeiter aber
auch zu einem förmlichen System der Verheimlichung und Vertuschung. Noch
später als bisher werden sie sich entschließen, den Arzt zu holen oder
ansteckende Krankheiten zur Anzeige zu bringen. Und selbst wenn die
verhängnisvolle Marke an den Waren hängt, wird sie auf der großen Reise,
die sie antritt, trotz aller auf ihre Beschädigung oder Entfernung
verhängten Strafen, daran bleiben? Es ist ein utopischer Gedanke, daß
ein gesäumtes Taschentuch oder ein Strumpf von ihrem Entstehungsort bis
zu ihrer letzten Bestimmung kontrolliert werden können! Haftet aber die
Marke trotz alledem, so wird die traurige Scheidung zwischen Reich und
Arm noch in erweitertem Maße als bisher sich vollziehen: es werden
Kreise von Händlern sich bilden, die die entwerteten Waren aufkaufen und
sie an diejenigen absetzen, die das Tenement made gern in den Kauf
nehmen, wenn sie dafür weniger zu bezahlen brauchen. Also selbst die
Durchführbarkeit der Markierungsvorschriften vorausgesetzt, würden sie
nur dem Schütze der begüterten Käufer dienen.

Wenn wir uns nunmehr die Schwierigkeiten, mit denen die
Hausindustrie-Gesetzgebung zu kämpfen hat, und an denen sie nach jeder
Richtung hin scheitern muß, vergegenwärtigen, so zeigt es sich, daß sie
sich alle unter dem einen Wort Heimarbeit zusammenfassen
lassen,--Heimarbeit im weitesten Sinn, die sowohl die Arbeit der
einzelnen Frau in ihrem Stübchen, als die Familienwerkstatt und die
kleine Werkstatt der Zwischenmeister in den von ihnen bewohnten Räumen
in sich begreift. Das ist der ungeheuere Abgrund, den die
Arbeiterschutzgesetzgebung nicht zu überbrücken vermochte, in den sie
vielmehr Jahr um Jahr Tausende von Menschen hinabstößt, vor
allem die schwächsten, die Kinder und die Frauen. Um den
Arbeiterschutzvorschriften zu entgehen, die Kosten der Fabrikanlagen zu
ersparen und das Risiko der stillen Zeiten und der Krisen auf die
Arbeiter abzuwälzen, hat das Unternehmertum die Hausindustrie
großgezogen. Wird sie von der Gesetzgebung gleichfalls erfaßt, so wirft
sich die Profitgier auf die Ausbeutung der Heimarbeit. Selbst eine so
geringfügige Vorschrift wie die deutsche Konfektionsverordnung, hat
vielfach schon eine Zunahme der Heimarbeiter zur Folge gehabt[931], und
die Einführung des achtstündigen Normalarbeitstages für Fabriken und
Werkstätten in Australien hat die Heimarbeit dort erst ins Leben
gerufen.[932] Vor ihr aber steht, unter dem Banne geheiligter
Traditionen der europäische Gesetzgeber still, der die Schwelle des
Hauses nicht zu überschreiten wagt, auch wenn sie längst nicht mehr zu
den heimlichen Freuden innigen Familienlebens, sondern nur in die
düstere Werkstatt der Familienausbeutung führt. Vielleicht hält ihn auch
eine unbestimmte Furcht zurück, die Grenzen seiner Macht, der für
grenzenlos gehaltenen, zu erkennen. Der Amerikaner und der Australier,
den sentimentale Rücksichten nicht mehr in dem Maße beherrschen, hat
sich den Eintritt erzwungen, aber all seine Pillen und Tränke, die er
gegen die große Krankheit da drinnen verordnete, sind wirkungslos
geblieben. Begreiflich genug, denn es giebt keine Hilfe; es ist eine
Krankheit, die rettungslos zum Tode führt. Viele verschließen sich der
Richtigkeit dieser Diagnose, andere erkennen sie an, aber nach dem
Beispiel der Aerzte am menschlichen Totenbett suchen sie das
entfliehende Leben mit allen Mitteln der Kunst aufzuhalten, und nur sehr
wenige sehen darin die ärgste Grausamkeit und wollen den Todeskampf zwar
erleichtern, den Auflösungsprozeß aber beschleunigen. Es kann nach allem
bisher Gesagten keinem Zweifel unterliegen, auf wessen Seite wir uns zu
stellen haben.

Zuerst waren es englische Arbeiter, die in der Erkenntnis der
Aussichtslosigkeit jeder gewerkschaftlichen Bemühung um
bessere Arbeitsbedingungen, solange die Schmutzkonkurrenz der
organisationsunfähigen Heimarbeiter besteht, die Beseitigung der
Heimarbeit anzustreben suchten. Sowohl die Schuhmacher wie die Schneider
führten einen heftigen Kampf gegen die Unternehmer, um sie zu zwingen,
alle Arbeiter nur in eigenen Werkstätten zu beschäftigen. Die
Schuhmacher erreichten vielfach ihr Ziel durch Arbeitseinstellungen, die
Schneider blieben fast ganz erfolglos, auch ihr Appell an die
Konsumenten, nur in solchen Geschäften zu kaufen, die in
Betriebswerkstätten arbeiten lassen, fand nicht das Gehör, das notwendig
gewesen wäre, wenn es hätte Eindruck machen sollen.[933] Ein Teil der
englischen Sozialdemokratie, die auf dem Züricher Arbeiterschutzkongreß
vertreten war, sprach sich im Sinne der Arbeiter aus und befürwortete
eine Resolution, die die Abschaffung der Heimarbeit als Ziel der
notwendigen, gesetzgeberischen Maßregeln hinstellte. Aber selbst vor
diesem Forum fand sie keine Annahme. Mit der Forderung,
Betriebswerkstätten einzurichten, traten auch die deutschen Arbeiter
1895 vor die Konfektionäre, und legten, um den Streit auszufechten, im
Winter 1896 die Arbeit nieder. Nur das völlig ungenügende Gesetz, das
die Werkstattarbeiter der Konfektion der Arbeiterschutzgesetzgebung
unterstellte, war die Folge ihres Kampfes. Gegen die Heimarbeit, von der
er ausging, geschah nichts.[934]

Der schroffe Widerstand der Unternehmer gegen die Einrichtung von
Betriebswerkstätten, die noch dazu, wo der Wunsch danach bisher
auftauchte, von keinem Parlament befürwortet wurden, ist von ihrem
Standpunkt aus vollkommen erklärlich: die Errichtung oder Miete von
Räumen für die Werkstätten, die Anschaffung von Maschinen, die
Anstellung von Werkführern, und nicht zum mindesten die schließlich
folgenden Unbequemlichkeiten und Kosten des Arbeiterschutzes und der
Arbeiterversicherung, denen sie bei der Beschäftigung von
Hausindustriellen fast ganz entgehen, würde eine Kapitalanlage erfordern
und den Profit zunächst so beschneiden, daß auch für die Zukunft an ein
Nachgeben der Unternehmer um so weniger zu denken ist, als die in
Betracht kommenden Arbeiter unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu
einer geschlossenen starken Organisation, die ihren Wünschen den nötigen
Nachdruck verleihen kann, niemals gelangen werden. Infolgedessen sind
einzelne Gruppen von Arbeitern vielfach zur Selbsthilfe geschritten. In
Genf und Lausanne, in Bern und in Zürich waren es die Schneider, die
sich mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft eigene Werkstätten
einrichteten, in Wien thaten die Meerschaumschnitzer das gleiche.[935]
Die ganze Bewegung beschränkte sich aber auf kleine Kreise, weil
einerseits keinerlei Zwang vorlag, ihr beizutreten, und andererseits das
nötige Kapital fehlte, um durch Anschaffung neuer Maschinen und
Anwendung motorischer Kräfte schnellere und bessere Arbeit zu liefern,
und auf diese Weise der primitiven Heimarbeit den Boden abzugraben. Die
Genfer Stadtverwaltung, an die die Schneider sich um Unterstützung
wandten, erkannte zwar die Berechtigung ihrer Bestrebungen an, glaubte
aber, in Rücksicht auf den Stadtsäckel, keinen Präzedenzfall schaffen zu
dürfen.

Ein anderes Mittel, die Heimarbeit möglichst einzuschränken, forderte
ein Gesetzentwurf, den der Minister Peacock 1895 dem Parlament von
Viktoria vorlegte, der sich aber auch nur auf die Konfektionsindustrie
bezog. Er enthielt die Bestimmung, daß Heimarbeiter nur gegen
Erlaubnisscheine beschäftigt werden dürften, und zwar sollten nur
diejenigen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und dabei aus
irgend einem Grund an ihr Haus gefesselt sind, darauf Anspruch erheben
können; diese Einschränkung aber hätte, wenn das Gesetz in Wirksamkeit
getreten wäre, seine Wohlthat wieder annulliert. Praktischer und
durchgreifender erscheint daher der Vorschlag eines deutschen
Sozialpolitikers, der gleichfalls in der schließlichen Unterdrückung der
Heimarbeit die einzige Lösung der brennenden Frage sieht, und zwar den
gegenwärtig beschäftigten Heimarbeitern ihre Arbeit im eigenen Haus
gegen Ausstellung von Erlaubnisscheinen noch gestatten, neu eintretende
aber davon ausschließen will, so daß die Heimarbeit dadurch auf den
Aussterbeetat gesetzt wird.[936] Die hier gekennzeichneten Forderungen
und Wünsche sind, jede für sich, berechtigt, aber sie sind entweder in
der angegebenen Form unerfüllbar, oder sie würden sich, wenn sie
verwirklicht wären, der großen Aufgabe gegenüber als viel zu schwach
erweisen. Die Beseitigung der Heimarbeit kann, soll sie nicht zu einer
grausamen Härte werden, nur das Resultat einer systematischen
Gesetzgebung sein, die sich organisch und doch nach einem festen, das
Ziel nie aus dem Auge verlierenden Plan entwickelt. Als erster Schritt
zu diesem Ziel wäre die Verbindung von Wohnung und Werkstatt allen
denjenigen zu verbieten, die fremde Arbeiter bei sich beschäftigen, und
die Mitgabe von Arbeit nach Hause ausnahmslos zu untersagen; die
Gewerbeinspektoren, deren Zahl um ein beträchtliches erhöht werden
müßte, hätten die Durchführung der Vorschrift zu beaufsichtigen, während
die Verantwortung dafür auch vom Verleger zu tragen wäre. Um aber zu
gleicher Zeit die Zwischenmeister, häufig selbst nur wenig besser
gestellte Proletarier, nicht zu ruinieren, müßten alle Gemeinden, in
deren Bereich sich hausindustrielle Betriebe befinden, verpflichtet
werden unter Heranziehung der Unternehmer zu den Kosten, besondere,
allen Anforderungen der Hygiene entsprechende Räume, womöglich eigens
für den Zweck erbaute fabrikähnliche Gebäude mit Motorbetrieb, den
Hausindustriellen gegen eine Miete, die die früher dafür aufgewendeten
Mittel nicht übersteigen dürfte, zur Verfügung zu stellen. Auf
alle diese Werkstätten wären sodann sämtliche Vorschriften
der Arbeiterschutzgesetzgebung auszudehnen, und Staat und
Kommunalverwaltungen hätten die Verpflichtung einzugehen, ihre Aufträge
nur von solchen Werkstätten ausführen zu lassen.[937]

Bliebe man aber hierbei stehen, so würden die Familienwerkstätten
selbstverständlich, den Erfahrungen in anderen Ländern entsprechend,
enorm zunehmen. Dem müßte die Gesetzgebung vorgreifen, indem sie nunmehr
das Verbot der Verbindung von Werkstatt und Wohnung auch auf die
Familienwerkstatt ausdehnte. Nur solchen Personen, die in Rücksicht auf
zu beaufsichtigende Kinder, oder zur Pflege alter Angehöriger oder durch
eigene Gebrechlichkeit gezwungen sind, daheim zu bleiben, wären zunächst
Erlaubnisscheine für die Ausübung ihres Berufes im Hause zu erteilen.
Nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen hätte die kommunale
Armenverwaltung ihre Aufmerksamkeit den noch vorhandenen Heimarbeitern
zuzuwenden und nach Maßgabe des Bedürfnisses, Kinderkrippen und
Kinderhorte, Heimstätten und Siechenhäuser zu schaffen oder zu
erweitern, oder durch direkte Unterstützung da einzugreifen, wo es not
thut, so daß nach Ablauf einer gewissen Uebergangszeit sämtliche
Heimarbeiter in die Werkstätten übergeführt werden könnten, und die
Kinder, die Alten und Leidenden versorgt sind. Die selbstverständliche
Voraussetzung für den Eingriff der Armenpflege wäre natürlich, daß alle,
die Armen entehrenden Bestimmungen, wie z.B. die Entziehung des
Wahlrechts, in Fortfall kämen. Die Pflege der Kranken, Alten und
Gebrechlichen ist eine Pflicht der Gesellschaft, auf deren Erfüllung sie
Anspruch haben, und die Armut gewissermaßen zu bestrafen, ist ein
trauriges Zeichen für die völlige Verwirrung klarer Begriffe.

Nachdem alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, könnte gegen die
Heimarbeit, die noch immer ihr Leben fristen wird, mit größerem
Nachdruck vorgegangen werden. Die Näherei in all ihren verschiedenen
Zweigen käme zunächst in Betracht, weil sie sich am leichtesten überall
zu verbergen vermag. Hier müßte eine neue Maßregel einsetzen: das
Verbot des Antriebs der Maschinen durch menschliche Kraft überall dort,
wo nicht für den Hausgebrauch gearbeitet wird. Ganz abgesehen davon, daß
nach Ansicht aller Aerzte und Pflegerinnen die Einführung des
Dampfbetriebs in der Näherei mehr als manches andere zur Hebung der
Gesundheit beitragen würde[938], wäre diese Vorschrift leicht
durchführbar, weil das Klappern der Maschine die Aufsicht erleichtert,
um so mehr, wenn in diesem Fall der Hausherr haftbar gemacht und jede
industrielle Arbeit in Miets- und Wohnhäusern, sowohl für die Arbeiter
als für die Hausbesitzer empfindliche Strafen nach sich ziehen
würde.[939]

Alle diese Bestimmungen scheinen, auch unter Voraussetzung ihrer
allmählichen Entwicklung, immer nur in den Städten, wo die Arbeiter sich
zusammendrängen und die Aufsicht leichter möglich ist, durchführbar.
Sind sie aber hier in Wirksamkeit, so wird die Entwicklungstendenz der
modernen Industrie, billige Gegenden und billige Arbeitskräfte
aufzusuchen, nur noch drastischer hervortreten, und die Ausbeutung, der
in der Stadt Grenzen gesteckt werden, wird sich gierig auf das Land, in
die einsamen Thäler, auf die fernen Höhen werfen. Um hier denselben
Schutzgesetzen wie in der Stadt Geltung zu verschaffen, muß die
Verkehrspolitik in ihren Dienst gestellt werden.[940] Jede Eisenbahn,
jede gute Chaussee erleichtert die Verbindung, und es ist eine bekannte
Thatsache, über die Naturfreunde nicht genug klagen können, daß der
Fabrikschornstein überall emporragt, wo die Eisenbahn hindringt. Die
Vereinigung der ländlichen Hausindustriellen in Werkstätten wird sich
mit dieser Unterstützung allmählich auch durchsetzen lassen. Zur
Schaffung der Werkstätten könnten die Arbeitgeber um so straffer
herangezogen werden, als sie durch die niedrigeren Löhne, gegenüber den
Arbeitgebern der städtischen Hausindustrie, so wie so im Vorteil sind.

Aber damit sind alle Hindernisse noch nicht beseitigt. In New-York und
Massachusetts, wo die Konfektionsindustrie einer strengen Regelung
unterliegt, haben die Konfektionäre sich ihr dadurch zu entziehen
gewußt, daß sie ihre Waren aus anderen Staaten beziehen, die solche
Gesetze noch nicht kennen, und in die die Schwitzmeister von New York
und Massachusetts massenhaft übersiedelten. Dasselbe würde sich in
Europa wiederholen, wenn die Gesetzgebung zur Bekämpfung der
Hausindustrie sich auf ein oder zwei Länder beschränken würde. Die
Notwendigkeit des internationalen Arbeiterschutzes tritt nirgends
stärker hervor als hier, und es wäre an der Zeit, daß wenigstens
zunächst einmal die internationalen Gesellschaften für Arbeiterschutz
sich eingehend mit dieser Frage beschäftigen möchten, statt daß sie ihre
Universalität durch eine oberflächliche Vielseitigkeit beweisen zu
müssen glauben. Vor allem aber sollte die Arbeiterschaft aller Länder,
ihr ein thatkräftiges Interesse zuwenden, und in den Parlamenten
einmütig ihr gegenüber Stellung nehmen, denn von der Unterdrückung der
Hausindustrie hängt ihre eigene Entwicklung ab. Erst die Vereinigung der
männlichen und weiblichen Arbeiter in den Werkstätten wird ihre
Aufklärung fördern und ihre gewerkschaftliche Organisation ermöglichen.
Solange sie wie die Raubritter im Hinterhalt liegen, werden sie den
organisierten Arbeitern ihre schwer errungene Beute immer wieder
streitig machen. Lohnerhöhungen insbesondere, vor allem feste
Lohntarife, jene wichtige Aufgabe der Arbeiterverbände, von deren
Erreichung die Sicherheit der Existenz vielfach abhängt, werden, solange
die Hausindustrie besteht, nur selten zu erkämpfen und noch seltener
festzuhalten sein. Aber selbst unter den Arbeitern giebt es noch Leute
genug, die zwar die Schäden der Hausindustrie anerkennen, trotzdem aber
vor durchgreifenden Maßnahmen zurückscheuen, weil sie die Familie und
die Freiheit des Einzelnen dadurch anzutasten glauben. Es ist auch
zweifellos, daß es bei dem von mir vorgeschlagenen Weg, den die
Gesetzgebung verfolgen soll, bei aller Vorsicht, ohne Härten nicht
abgehen wird. Wo aber in der Welt wäre der Fortschritt leicht erkauft
worden? Gegenüber allen Arbeiterschutzgesetzen hat es Menschen gegeben,
die sich in ihrer Freiheit beschränkt, in ihrem Verdienst geschmälert
sahen. Die allmähliche Aufsaugung des Handwerks durch die Fabrik hat
gewiß schwere Wunden geschlagen und schlägt sie noch heute, für die
Hausindustrie wird genau dasselbe gelten. Der Sozialreformer aber und
der Gesetzgeber dürfen nach den Gefühlen Einzelner nicht ihre
Handlungen einrichten, sie haben vielmehr die Aufgabe, den
Entwicklungstendenzen nachzuspüren und diejenigen zu fördern, durch die
die Menschheit im allgemeinen zu höheren Daseinsformen gehoben werden
wird. Die Hausindustrie hält sie auf der Stufe physischer und geistiger
Verelendung fest, sie hindert den Fortschritt zu besseren sozialen
Verhältnissen, darum muß auch hier das sentimentale Mitleid von der
ruhigen Erkenntnis und der weit ausschauenden Menschenliebe überwunden
werden.

Ein Stiefkind der Arbeiterschutzgesetzgebung waren lange Zeit hindurch
auch die _Handelsgehilfen_. Und sie selbst, die den Unterschied zwischen
sich und den Fabrikarbeitern stets scharf betonten, wünschten auch auf
diesem Gebiet keine Gleichstellung mit ihnen. Erst als der 1842
gegründete englische Verein zur Erkämpfung des frühen Ladenschlusses,
nach fast fünfzigjährigen vergeblichen Bemühungen einsah, daß auf dem
Wege der Selbsthilfe nichts zu erreichen war, trat er für gesetzliche
Maßregeln ein. Um dieselbe Zeit erhoben auch die kaufmännischen Vereine
Deutschlands bestimmte Forderungen an die Gesetzgebung. Die Entstehung
der Großbetriebe auf dem Gebiete des Handels hatte dieser Entwicklung
vorgearbeitet, denn sie verwandelte langsam die Masse der jungen
Kaufleute, die ihre Lehr- und Arbeitszeit stets nur als Vorbereitung zur
eignen Selbständigkeit ansahen, in Lohnarbeiter, die zeitlebens in
abhängiger Stellung vom Unternehmer bleiben und daher eines gesetzlichen
Schutzes bedürfen. Der erste Schritt hierzu war die gesetzliche
Fixierung einer wöchentlichen Maximalarbeitszeit von 74 Stunden für
Ladengehilfen unter 18 Jahren in England, der aber über ein Jahrzehnt
hindurch nur zur Ausfüllung des Gesetzbuches diente, da keine Kontrolle
über seine Ausführung vorhanden war. Der Londoner Grafschaftsrat
entschloß sich erst vor wenigen Jahren zur Anstellung von
Handelsinspektoren, die schon nach kurzer Frist eine große Zahl von
Gesetzesübertretungen konstatieren konnten. Die einzige Bestimmung, die
diesem vielverheißenden Anfang gesetzlicher Reformarbeit folgte, war die
Vorschrift, in allen Läden, wo weibliche Verkäufer thätig sind, Sitze
für sie aufzustellen,--eine Vorschrift, betreff deren eine Anzahl
nordamerikanischer Staaten mit gutem Beispiel vorangegangen war und die
auch von Deutschland und Frankreich neuerdings erlassen wurde. Die
schweren Schäden aber, mit der die Arbeit im Handel die Angestellten
bedroht, sind damit noch kaum berührt, und doch schien es, als ob die
wichtigste Reform, die Verkürzung der Arbeitszeit, nicht durchzusetzen
wäre. Zuerst gelang es, die Sonntagsruhe zu erkämpfen; aber sie blieb
problematisch und besteht im Grunde nur in einer Beschränkung der
Sonntagsarbeit, denn nicht nur, daß alle Handelsgehilfen in Deutschland
eine fünf-, in Oesterreich sogar eine sechsstündige Sonntagsarbeit
haben, für eine Reihe von Betrieben wird auch diese Bestimmung noch
zuungunsten der Angestellten aufgehoben. daß nach dieser Erfahrung die
Verkürzung der täglichen Arbeitszeit noch auf größere Schwierigkeiten
stoßen würde, war vorauszusehen.

Als die deutsche Kommission für Arbeiterstatistik auf Grund der
Ergebnisse ihrer Erhebungen dementsprechende Forderungen stellte, erhob
sich ein Sturm der Entrüstung in der Handelswelt. Eine ganze Anzahl von
Arbeitgeberverbänden und Handelskammern hielt die vorgeschlagene
Festsetzung des Achtuhrladenschlusses nicht nur für den Anfang ihres
Ruins, sondern auch für verderblich für die Angestellten, die dadurch
zur mißbräuchlichen Verwendung der freien Zeit, zu Leichtsinn und
Unsittlichkeit verführt werden würden. Der "Eingriff des Staates in die
Erwerbsfreiheit" wurde ebenso wie einst die gesetzliche Regelung der
Fabrikarbeit schroff zurückgewiesen und für eine Kränkung der Berufsehre
angesehen.[941] Trotzdem gelangte schließlich der Neunuhrladenschluß zur
Annahme. Im weiteren Verlauf der Reformen auf diesem Gebiet wurde die
Gewährung einer ununterbrochenen Ruhezeit von 10-11 Stunden und die
Festsetzung einer Mittagspause von 1-1/2 Stunden, sobald die Mahlzeit
außer dem Hause eingenommen wird, obligatorisch gemacht. Aber wie bei
der Arbeiterschutzgesetzgebung überhaupt, so wurden diese Bestimmungen
durch die Zulassung einer Reihe von Ausnahmen wieder durchbrochen, denn
nicht nur, daß sie auf Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von
Waren sofort vorgenommen werden müssen, auf die Aufnahme der Inventur,
sowie bei Neueinrichtungen und Umzügen keine Anwendung finden, die
Arbeitszeit kann vierzig Tage im Jahr bis 10 Uhr abends verlängert, die
an sich schon spärliche Sonntagsruhe kann besonders vor Festzeiten
vollends fast ganz aufgehoben werden. Unberührt von irgend welchen
durchgreifenden Regulierungen blieben die Schlafräume der Angestellten,
die, wie wir gesehen haben, sobald sie im Hause des Chefs sich befinden,
viel zu wünschen übrig lassen. Selbst über die Einrichtung der
Geschäftsräume bestehen nur ganz allgemeine Bestimmungen, die allerdings
durch Verordnung des Bundesrats genauer präzisiert werden können. Bisher
ist das nur in Bezug auf die Sitzgelegenheit der Verkäuferinnen
geschehen. Alle diese Reformen haben blos den Wert erster Versuche, um
so mehr, als keine besondere Kontrolle ihnen Nachdruck verleiht, ihre
Durchführung vielmehr nur unter Aufsicht der Ortspolizeibehörden
gestellt ist.

Auch auf anderen Gebieten ist die Gesetzgebung äußerst vorsichtig
vorgegangen. Das gilt im besonderen in Bezug auf die Lehrlingszüchterei.
Wie die Erhebungen der Kommission für Arbeiterstatistik ergaben, besteht
sie in ausgedehntem Maß im deutschen Handel. Je kleiner die Geschäfte,
desto mehr suchen sie sich mit den billigsten Arbeitskräften zu
behelfen, es zeigte sich sogar, daß von 8235 Betrieben 671 mehr
Lehrlinge als Gehilfen und 659 überhaupt nur Lehrlinge beschäftigen; die
Konkurrenz, die dadurch den Gehilfen gemacht wird, die Ausbeutung
jugendlicher Arbeitskräfte, die daraus klar genug hervorgeht, hätten
eines energischen Eingriffs bedurft. Statt dessen begnügte man sich mit
der allgemeinen Bestimmung, daß der Lehrherr nur soviel Lehrlinge halten
darf, als im Verhältnis zum Umfang und der Art seines Betriebes steht
und ihre Ausbildung dadurch nicht gefährdet wird. Allerdings wurde auch
hier für den Bundesrat eine Thür offen gelassen, der befugt ist, durch
besondere Vorschriften einzugreifen,--das bekannte deutsche Mittel,
womit man glaubt, dem Reformbedürfnis Genüge zu thun.

Nicht anders verhält es sich in Bezug auf einen anderen Uebergriff der
Geschäftsleiter, der geeignet ist, den Handelsgehilfen in seinem ganzen
Fortkommen zu behindern: der sogenannten Konkurrenzklausel. Sie besteht
darin, daß sich der Gehilfe dem Chef gegenüber verpflichtet, falls er
seine Stellung verläßt, im Verlauf einer gewissen Zeit entweder in der
Nähe kein eigenes ähnliches Geschäft zu gründen, oder eine geraume Zeit
hindurch, die zuweilen bis zu vielen Jahren sich ausdehnte, in kein
ähnliches Geschäft als Gehilfe einzutreten. Es giebt nicht viele
Anforderungen von Arbeitgebern an Arbeiter, die so den Klassencharakter
an der Stirn tragen, wie diese, und von ihm verlangen, daß er selbst
über sein persönliches Abhängigkeitsverhältnis hinaus, auf die
Interessen und den Profit des Chefs Rücksicht nimmt. Und die Gesetzgeber
haben es nicht gewagt, dieser ungerechtfertigten Bevormundung der
Arbeiter ein Ende zu bereiten. Nur zu einer allgemein gehaltenen
Bestimmung haben sie sich entschließen können: daß solche Vereinbarungen
zwischen Unternehmern und Angestellten nur dann verbindlich sind, wenn
sie nicht die Grenzen überschreiten, durch welche "eine unbillige"
Erschwerung ihres Fortkommens ausgeschlossen wird. Nur mit
Minderjährigen sind sie überhaupt verboten. Damit ist der Arbeiterschutz
im Handel erschöpft: er läßt eine zwölf-, dreizehn-, ja selbst eine
vierzehnstündige Arbeitszeit zu, die bestenfalls durch eine Pause von
1-1/2 Stunden unterbrochen wird, er gestattet die Ausbeutung
jugendlicher Arbeitskräfte und erlaubt, daß der Gehilfe in seinem
berechtigten Streben nach sozialem Fortkommen gehindert wird! Und doch
repräsentiert die deutsche Gesetzgebung den Fortschritt auf dem
europäischen Kontinent.

In Oesterreich hat sich der Schutz der Handelsangestellten zwar in
ähnlicher Weise entwickelt wie in Deutschland, aber er ist noch weniger
sicher gestellt und besonders die Sonntagsruhe ist auf jede Weise
durchbrochen. Frankreich kennt sie nicht einmal. Wo sie besteht, ist sie
ebenso wie der Ladenschluß die Folge langjähriger Kämpfe der
Organisationen der Handelsangestellten, die sich um so kräftiger
entwickeln konnten, als das Uebergewicht der großen Warenhäuser
gegenüber den kleinen schon früh in Erscheinung trat. Die
fortgeschrittenste Gesetzgebung repräsentiert Australien und
Neu-Seeland. Die Ladenschlußstunde ist teilweise schon auf sechs Uhr und
nur an einem oder zwei Wochentagen auf spätere Abendstunden festgesetzt.
Außer der vollen Sonntagsruhe wird den Angestellten ein halber freier
Wochentag gewährleistet. Für jugendliche und weibliche Gehilfen besteht
vielfach der acht- oder neunstündige Arbeitstag. Wie es heißt, haben
diese weitgehenden Vorschriften keinerlei Nachteile mit sich geführt.
Die englischen Handelsangestellten jagen daher nicht, wie die Gegner
gern behaupten, einer Utopie nach, wenn sie dasselbe verlangen.[942]

Die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf den Handel darf durch die
Rücksicht auf das Publikum, die man immer zu haben vorgiebt, wenn man
eine Verkürzung der Arbeitszeit für undurchführbar erklärt, nicht
hintangehalten werden. Vor allem aber müßten besondere Organe, sowohl
eine Handels- als eine Wohnungsinspektion, zur Sicherung ihrer
Durchführung Sorge tragen. Eine Ergänzung müßte sie durch Bestimmungen
finden, die je nach der Größe und der Art des Betriebs die Minimalzahl
der Anzustellenden festsetzen. Was helfen die schönsten
Sitzgelegenheiten, wenn, wie es besonders in den großen Warenhäusern der
Fall ist, die Angestellten auf eine Weise in Anspruch genommen werden,
die jede Möglichkeit zum Ausruhen ausschließt. Wie auf anderen Gebieten,
so gilt es ferner auch hier, der wirtschaftlichen Entwicklung, die zum
Großbetrieb drängt, und mehr und mehr einen Arbeiterstand im Handel
schaffen hilft, die Bahn frei zu machen. Denn die Durchführung des
Arbeiterschutzes und sein Ausbau wird im Handel ebenso wie in der
Industrie durch das mehr oder weniger ausgesprochene Uebergewicht der
großen über die kleinen Betriebe bedingt und kann nur durch die eng
damit zusammenhängende Organisationsfähigkeit der Arbeiter und ihre
Unterstützung gewährleistet werden.

Für alle bisher berührten Arbeitsgebiete ist der Arbeiterschutz unter
bestimmten Voraussetzungen bis zu einer gewissen Grenze durchführbar,
und man hat überall wenigstens den Anfang dazu gemacht. Vollständig
unberührt von ihm blieb die _Landwirtschaft_. Die Ursache davon beruht
nicht nur auf der Meinung, daß der Landarbeiter eines Schutzes nicht
bedürfe,--sie ist durch offizielle und private Untersuchungen schon gar
zu oft erschüttert worden,--sondern mehr noch darauf, daß die
landwirtschaftliche Arbeit sich nicht unter dasselbe Schema bringen
läßt wie die industrielle und kommerzielle, und die Bedingungen ihrer
Regelung daher andere sind. Eine Uebertragung des Arbeiterschutzes, wie
wir ihn kennen, auf ihre Arbeiter ist nur in Bezug auf wenige
Bestimmungen möglich. Aber auch die Durchführung jedes besonderen
Landarbeiterschutzes hängt so eng mit den Problemen der agrarischen
Fragen zusammen, daß es eines Werkes für sich bedürfen würde, um ihn
theoretisch zu erörtern und praktisch festzusetzen. Nur allgemeine
Gesichtspunkte können im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden.

Wir haben bisher gesehen, daß der Grad der Durchführbarkeit des
Arbeiterschutzes wesentlich davon abhängt, in welchem Maße die zu
schützenden Personen von der isolierten zur kollektiven Arbeit
vorgeschritten und wie weit sie infolgedessen im stande sind, für die
Wahrung ihrer Rechte selbst einzustehen. Eine kollektive Arbeit aber
tritt in der Landwirtschaft nur dann auf, wenn bestimmte
Saisonarbeiten,--z.B. die Frühjahrsbestellung, die Ernte, der
Zuckerrübenbau,--die Heranziehung einer größeren Menge von Arbeitern
nötig machen. Zur Förderung der Saisonarbeit hat die Dreschmaschine
schon viel beigetragen; die Einführung anderer Maschinen, womöglich mit
Hilfe elektrischer Motoren, müßte weiter revolutionierend wirken. Um dem
Arbeiterschutz eine Grundlage zu schaffen, wäre es demnach notwendig,
diese Entwicklung auf jede Weise zu fördern. Eines der wichtigsten
Mittel dazu ist die Unterstützung der landwirtschaftlichen
Genossenschaften, die allein im stande sind, die Nachteile des
Kleinbetriebs durch gemeinschaftliche Anschaffung der Mittel zum
Großbetrieb zu fördern. Zweifellos wird dadurch auch die Erscheinung der
landwirtschaftlichen Saisonarbeiter, d.h. die der besitzlosen
Tagelöhner, gefördert werden. Sie wird in der Gegenwart als eine die
Interessen der einheimischen Arbeiter schädigende betrachtet. Und mit
Recht, und zwar deshalb, weil die betreffenden Arbeiter sozial
tiefstehenden Volkskreisen entstammen. Darum hat die Sozialpolitik
zunächst einmal hier einzugreifen. Das kann auf dreierlei
Weise geschehen: durch scharfe Vorschriften in Bezug auf die
Wohnungsverhältnisse der Arbeiter und die Schaffung einer ländlichen
Wohnungsinspektion, durch gesetzliche, jeder Saisonarbeit besonders
angepaßte Beschränkung des Arbeitstags, und durch direkte Förderung
der Organisation der Wanderarbeiter. Die Einsetzung einer
landwirtschaftlichen Betriebsinspektion wäre im Anschluß hieran
notwendig, aber, bei dem großen Umfang des ihr unterstehenden Gebiets,
wäre zunächst an einschneidende direkte Folgen ihrer Thätigkeit
ebensowenig zu denken, wie an die direkte Wirkung der Schutzgesetze
selbst, wenn nicht ein sehr energischer Wille der staatlichen Verwaltung
ihre Durchführung sicherte. Ihre Bedeutung wäre für den Anfang
wesentlich eine erzieherische. Die Arbeiter, die nach Beendigung ihrer
Arbeit in ihre Heimat zurückkehren, kämen mit anderen Begriffen und
Bedürfnissen heim, als sie gegangen sind, und würden auf die
Zurückgebliebenen ihrerseits wieder einwirken, so daß eine allmähliche
Hebung ganzer Volksschichten ermöglicht würde. Sie müßte aber auch noch
von anderer Seite in Angriff genommen werden; und zwar durch das Verbot
der ländlichen Kinderarbeit und der Wanderarbeit für junge Leute unter
achtzehn Jahren. Wenn in Rücksicht auf die Gefährdung der Sittlichkeit
durch die Wanderarbeit zuweilen gefordert wird, daß dies Verbot auf alle
minderjährigen Mädchen ausgedehnt werden soll[943], so scheint mir das
zu weit zu gehen. Von diesem Standpunkt aus müßte man sie überhaupt alle
zu Hause einsperren, denn es giebt, wie wir zur Genüge gesehen haben,
kein Arbeitsgebiet, auf dem ihre Sittlichkeit nicht gefährdet wird.
Hielte man sie aber nur von der Wanderarbeit zurück, so wären sie
gezwungen, sich einen anderen Erwerb zu suchen. Das achtzehnte Jahr
scheint mir dagegen für beide Geschlechter eine angemessene Grenze
darzustellen. Die notwendige Ergänzung des Arbeitsverbots müßte die
Erweiterung des Schulzwangs und die Einrichtung ländlicher
Fortbildungsschulen sein, deren Besuch obligatorisch wäre. Aber die
Wanderarbeiter rekrutieren sich nicht nur aus der einheimischen
Bevölkerung. Nach Deutschland kommen sie aus Rußland, nach Frankreich
aus Belgien, selbst die Importierung chinesischer Arbeiter ist vielfach
schon als eine Möglichkeit zur Steuerung der ländlichen Arbeiternot
hingestellt worden. So traurig es auch ist, weil es eine wirkliche
Besserung der Zustände auf lange Zeit hinausschiebt, so gilt doch auch
hier, was für die Hausindustrie gilt, daß eine internationale Regelung
erst der Ausgangspunkt weiterer Reformen sein kann. Immerhin aber werden
die nationalen Reformen auch auf die ausländische Arbeiterschaft ihren
erzieherischen Einfluß nicht verfehlen.

Auf viel größere Schwierigkeiten stößt der Schutz der ortseingesessenen
landwirtschaftlichen Arbeiter infolge ihrer Vereinzelung und des Mangels
an Aufklärung, der besonders in ihrer Weltabgeschlossenheit seine
Ursache hat. Trotzdem müßte auch hier die grundlegende Bestimmung jedes
Arbeiterschutzes, die Beschränkung der Arbeitszeit, der keine
technischen Schwierigkeiten gegenüberstehen, zur Durchführung gelangen,
und durch eine ausreichende staatliche Aufsicht unterstützt werden. Alle
Verordnungen ferner, die das Koalitionsrecht der Landarbeiter
einschränken oder ganz illusorisch machen, müßten aufgehoben werden,
auch wenn zunächst noch nicht erwartet werden könnte, daß sie sich als
fortgeschritten genug erwiesen, um von dem ihnen gewährten Recht den für
sie vorteilhaftesten Gebrauch zu machen. Die Verbesserung der
Wohnungsverhältnisse durch eine Wohnungsinspektion, das Verbot, die
öffentliche Stellung eines Amtmanns oder Landlords mit der privaten des
Arbeitgebers in einer Person zu vereinigen, wären geeignet, manche
Unzuträglichkeiten aus dem Wege zu räumen. Denn jedes Mittel zur Hebung
der sozialen Lage und zur Unterdrückung persönlicher Abhängigkeit, wäre
zugleich ein Mittel zur Durchführung des Arbeiterschutzes; daher ist
auch jeder Rest feudaler Arbeitsverhältnisse, wie das Insten- und
Deputantentum zu bekämpfen.[944] Für die Frauen aber gilt es mit allem
Nachdruck auf die Durchführung einer Arbeiterschutzvorschrift
hinzuwirken, die gerade im Hinblick auf die Landarbeit von größter
Bedeutung ist: das Arbeitsverbot für Schwangere und Wöchnerinnen. Wie es
möglich ist, zu behaupten, daß die Lohnarbeit der verheirateten Frau und
der Mädchen auf dem Lande "wenig Anlaß zu einer besonderen
Schutzgesetzgebung" giebt[945], wird jedem unbegreiflich erscheinen, der
nur einmal gesehen hat, wie eine werdende Mutter auf dem Kartoffelfeld
hackt, oder eine erst kürzlich Entbundene beim Heuaufladen beschäftigt
ist. Das frühe Altern der Landarbeiterinnen, ihre Kränklichkeit und die
Schwächlichkeit ihrer Kinder sind nicht zum mindesten darauf
zurückzuführen. Soweit es daher im Bereiche der Möglichkeit liegt,
sollte kein Mittel unversucht gelassen werden, um den Schutz der
Schwangeren vier Wochen vor und der Wöchnerin acht Wochen nach der
Entbindung für die ländliche Lohnarbeiterin durchzusetzen. Eventuell
wäre die Verantwortung dafür auf sämtliche Vorgesetzte der
Arbeiterin,--Inspektoren u.s.w.,--auszudehnen, und die Hebammen zur
Anzeige der Gesetzesübertretungen zu verpflichten.

All diesen Einzelforderungen gegenüber darf jedoch nicht vergessen
werden, daß die Voraussetzung für ihre Durchführung die Mitarbeit der zu
Schützenden selber ist. Nicht nur, daß sie im Besitze eines gesicherten
Koalitionsrechts sich befinden müssen, sie müssen auch lernen, es zu
gebrauchen. Die Berührung mit dem organisierten, aufgeklärten
Industriearbeiter ist dazu eines der besten Mittel; deshalb muß sowohl
die Freizügigkeit des Landarbeiters eine unbeschränkte sein, als auch
dafür gesorgt werden muß, daß im Hinblick auf sein Interesse, wie auf
das des Heimarbeiters, der Verkehr durch Ausbreitung des Eisenbahnnetzes
und Verbilligung der Fahrpreise einerseits den Weg in die Städte ihm
erleichtert, andererseits aber die Anlage von Fabriken auf dem Lande
dadurch ermöglicht wird. Es liegt nun aber nahe, anzunehmen, daß die
Folge mancher dieser Maßnahmen nur eine Verstärkung der Landflucht sein
würde. In gewissem Umfang, der durch einen gut funktionierenden
öffentlichen Arbeitsnachweis allmählich geregelt werden könnte, halte
ich das gleichfalls für wahrscheinlich. Selbst hohe Löhne und bessere
Arbeitsbedingungen werden die Landarbeiter im allgemeinen nicht auf dem
Lande zu fesseln vermögen, weil die Stadt mit ihrem Glanz und ihrer
Abwechselung und weil die relative Freiheit der industriellen Arbeiter
einen schwer zu besiegenden Reiz auf alle ausübt, die nicht in ihr zu
leben gewohnt sind. Auch die Ueberführung städtischer Kultur auf das
Land, z.B. durch Wanderbibliotheken, wie in England, durch ländliche
Hochschulkurse u.A.m., wie in Dänemark, würde nicht viel dagegen
ausrichten, weil die Aufnahmefähigkeit gerade hierfür bei dem
Landarbeiter nur selten vorhanden ist. Es läßt sich aber aus der
Psychologie des modernen Industriearbeiters, dessen Bedürfnis nach
ländlicher Ruhe und frischer Luft ein unverkennbares ist, folgern, daß,
wenn die Arbeitsbedingungen und der Arbeiterschutz auf dem Lande sich
einmal denen in der Industrie angenähert haben, die Möglichkeit für ein
Zurückfluten des städtischen Proletariats auf das Land gegeben ist.
Industrielle Krisen werden es befördern helfen.

Zwei Wanderbewegungen sind schon jetzt für die Landwirtschaft zu
konstatieren, die auf dem Wege gesunden Fortschritts vor sich gehen: die
Landflucht einheimischer Arbeiter und die Einwanderung fremder
Saisonarbeiter, durch die beide Kategorien höheren sozialen Kulturstufen
zugeführt werden; die dritte wird sich hinzugesellen, sobald die
Bedingungen der Landarbeit es möglich machen, und kann dann für die
Industriebevölkerung eine physische Regeneration anbahnen. Auch hier
gilt es, die Entwicklung nicht durch die Gesetzgebung meistern zu
wollen, sondern sie bewußt in ihren Dienst zu stellen.

Ein unbekanntes Land für den Arbeiterschutz fast aller Staaten war
bisher das große Gebiet des _persönlichen und häuslichen Dienstes_. Die
ersten Reformbestrebungen nach dieser Richtung gingen von Schweizer
Kantonen aus. Basel machte 1887 den Anfang, das Bedienungspersonal in
Gastwirtschaften vor Ueberanstrengung zu sichern, indem es bestimmte,
daß Mädchen unter 18 Jahren, mit Ausnahme der Töchter des Wirts, nicht
zur Bedienung der Gäste zu verwenden sind, und allen Kellnerinnen eine
Mindestruhezeit von 7 Stunden täglich zu gewähren ist. Diesem Beispiel
folgte Glarus, St. Gallen und Zürich, die die Ruhezeit auf 8 Stunden
und, als Ersatz der Sonntagsruhe, einen wöchentlichen freien Nachmittag
von 6 Stunden festsetzten. Da es aber an der nötigen Kontrolle für die
Durchführung selbst dieser geringen Reformen fehlte,--lassen sie doch
sämtlich eine Arbeitszeit von 16-17 Stunden zu!--und von seiten der
Kellnerinnen auf keine Unterstützung zu rechnen ist, so blieben sie fast
ganz wirkungslos.[946] Trotz dieser Erfahrung hat das Vorgehen der
Schweiz Deutschland zur Nachahmung angeregt, und der Gesetzentwurf, der
die Lage der Gastwirtsgehilfen regeln soll, geht nur in wenigen Punkten
über sein Vorbild hinaus. An Stelle der Festsetzung der Arbeitszeit,
einer selbstverständlichen Forderung, sobald man anerkennt, daß das
menschliche Leben noch einen höheren Inhalt haben soll als Lohnarbeit
und Schlaf, tritt die Festsetzung eines Mindestmaßes von Ruhe, das in
Deutschland in Kleinstädten 8 und in Großstädten, wo der Hin- und Herweg
von der Arbeitsstätte in Anschlag gebracht worden ist, 9 Stunden
betragen soll; ein wöchentlicher Freinachmittag von 6 Stunden, ein
vollständiger Ruhetag von 24 Stunden alle drei Wochen kommen ergänzend
hinzu. Das heißt mit anderen Worten, daß die Kellnerin täglich 15 bis 16
Stunden auf den Beinen sein muß und wöchentlich 99-106 Stunden
Arbeitszeit hat! Im Laufe der täglichen Arbeit, die mindestens ebenso
anstrengend und noch um vier bis fünf Stunden länger ist, als die in der
Fabrik, wird der Kellnerin nicht einmal eine Mittagspause
sichergestellt, statt dessen kann ihre Ruhezeit an nicht weniger als
sechzig Tagen im Jahr noch verkürzt werden. Außerdem steht es nach wie
vor im Belieben des Wirts, ob er oder die Kellnerin die an ihren
Freinachmittagen anzustellende Aushilfe zu entlohnen hat. Angesichts der
bestehenden Verhältnisse und der völligen Schutzlosigkeit, die bisher
herrschte, würden diese Bestimmungen immerhin einen kleinen Fortschritt
bedeuten, wenn auf ihre strikte Anwendung gerechnet werden könnte. Aber
davon wird ebensowenig wie in der Schweiz die Rede sein, weil an
entsprechende Vorschriften über die Schaffung einer ausreichenden
Gasthofsaufsicht gar nicht gedacht worden ist. Trotzdem sträuben sich
die Wirte jetzt schon aufs äußerste gegen den Entwurf, der, so behaupten
sie, sobald er Gesetzeskraft erlangt, ihre Existenz zu gefährden im
stande ist.[947] Sie scheint demnach nur durch eine mehr als 16stündige
Arbeitszeit der Angestellten gesichert zu sein! Entspräche dies den
Thatsachen, so wäre man versucht, auszurufen, wie der preußische
Minister v. Heydt, als er zum erstenmal von der Ausbeutung der Kinder
erfuhr: "So mag doch das ganze Gewerbe zu Grunde gehen!"

Noch eine Bestimmung, die auf den ersten Blick den Eindruck einer
wirklichen Schutzvorschrift macht, enthält der Entwurf; sie besagt, daß
Mädchen unter 18 Jahren nicht zur Bedienung der Gäste verwendet werden
dürfen. Angesichts der langen Arbeitszeit und der hohen Anforderungen,
die gerade dieser Beruf an die Körperkräfte stellt, erscheint dieser
Paragraph des Gesetzes mehr als gerechtfertigt. Wenn er sich nur nicht
allein auf die Bedienung beschränken möchte! Darin zeigt sich deutlich,
daß es sich hier nicht um Arbeiterschutz, sondern um den Schutz der
Sittlichkeit im Sinne der deutschen Sittlichkeitsvereine handelt. Diese
sind in ihrer Petition an den Reichstag so weit gegangen, das Verbot bis
auf das 21. Lebensjahr ausdehnen zu wollen, und sind kurzsichtig genug,
von dieser Maßregel zu erwarten, daß sie der "Unkeuschheit im
Kellnerinnengewerbe Einhalt bieten und der Prostitution nahezu den
Todesstoß versetzen" wird![948] Während also der Entwurf das 18.
Lebensjahr als Grenze für den Eintritt in den Kellnerinnenberuf
festsetzt, läßt er gleichzeitig die 15-16stündige Ausbeutung der Mädchen
unter 18 Jahren, also auch der im Entwicklungsalter stehenden 14- und
16jährigen, in der Gasthofsküche ohne Bedenken zu.

Daß der Entwurf nicht auf die Zustimmung der Beteiligten würde rechnen
können, war von vornherein anzunehmen. Freilich waren es nur Wenige, die
ihre Wünsche laut werden ließen. Die Meisten, die unter ihrer traurigen
Lage seufzen, sind noch gar nicht so weit, darüber nachzudenken, wie man
sie bessern könnte. Eine Berliner Kellnerinnenversammlung stellte dem
Entwurf diese Forderungen gegenüber: 1) Bestimmungen über Zahlung eines
auskömmlichen Lohnes. 2) Festsetzung bestimmter Arbeitspausen,
insbesondere einer ununterbrochenen zehnstündigen Ruhezeit nach jedem
Arbeitstag. 3) Ausdehnung der Gewerbeinspektion auf das
Gastwirtsgewerbe, einschließlich der Beaufsichtigung der Wohn- und
Schlafräume der Angestellten; und der Münchener Kellnerinnenverein
verlangte: 1) Eine ununterbrochene Mindestruhezeit von zehn Stunden
täglich. 2) Einen wöchentlichen vierundzwanzigstündigen Ruhetag. 3)
Freigabe von wenigstens zwei Stunden an jedem zweiten Sonntag, um den
Besuch des Gottesdienstes zu ermöglichen. 4) Festsetzung der
Altersgrenze für die Zulassung junger Mädchen zur Bedienung von Gästen
auf sechzehn Jahre. 5) Festlegung einer zweijährigen Lehrzeit, während
welcher die Lehrmädchen in der Zeit zwischen zehn Uhr abends bis sechs
Uhr morgens nicht beschäftigt werden dürfen. 6) Ueberschreitung der
täglichen Arbeitszeit nur an dreißig Tagen des Jahres.

Aber all diese Maßnahmen wären angesichts der herrschenden Zustände im
Kellnerinnengewerbe ganz unzureichend und legen nur von der
Zaghaftigkeit der Betreffenden Zeugnis ab.

Jeder wirksame Arbeiterschutz muß einerseits von der Verkürzung der
Arbeitszeit ausgehen, andererseits für seine Durchführung auf die
Unterstützung der Beteiligten rechnen können. Sowohl der fünfzehn- bis
sechzehnstündige Arbeitstag des Entwurfs als der vierzehnstündige, den
die Kellnerinnen fordern, kann unmöglich die Bedeutung haben, die er als
Ausgangspunkt aller anderen Reformen haben muß; der Fortbestand des
Trinkgeldwesens aber, der die Kellnerinnen zu einer möglichsten
Ausdehnung des Arbeitstages zwingt, hindert sie daran, geschlossen für
seine Herabsetzung einzutreten, und sie zu sichern, falls sie gesetzlich
eingeführt wird. Will man die Lage der Kellnerinnen verbessern und sie
zunächst zum Standpunkt der Lohnarbeiterin in der Industrie erheben, der
für sie zweifellos einen Fortschritt bedeuten würde, so muß der Hebel zu
gleicher Zeit an beiden Punkten, der Arbeitszeit und dem
Trinkgelderwesen, angesetzt werden. Das könnte zunächst in der Weise
geschehen, daß neben der ununterbrochenen zehnstündigen Nachtruhe, eine
zusammenhängende zweistündige Tagespause festgelegt würde, so daß eine
effektive Arbeitszeit von zwölf Stunden die Folge wäre. Jeder
Gasthofsbetrieb hat im Laufe des Tages eine ruhige Zeit,--das haben die
Wirte selbst erklärt, als sie gegen den deutschen Entwurf Stellung
nahmen,--in der es möglich gemacht werden kann, den größten Teil der
Angestellten, auch der männlichen, zu entbehren. Jedenfalls muß es zu
ermöglichen sein, da schon eine zwölfstündige Arbeitszeit das äußerste
Maß bezeichnete.

Schwieriger erscheint die Trinkgelderfrage. Mit der bloßen Bestimmung,
daß die Wirte ausreichenden Lohn zu zahlen haben, ist ihr nicht
beizukommen und bis zur Schaffung starker Organisationen der
Gastwirtsgehilfen, die Lohntarife durchsetzen könnten, ist noch ein
weiter Weg. Noch weniger ist auf das Publikum zu rechnen, von dem man
manchmal erwartete, es würde sich im Kampf gegen das Trinkgeld
solidarisch fühlen. Dagegen böte ein Mittel bessere Aussicht auf Erfolg:
die Bestimmung nämlich, daß die Bezahlung der Zeche nur an der Kasse zu
erfolgen hat. Das Trinkgeld an die bedienende Kellnerin wird dadurch
zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, aber doch fast ganz, da der
Gast sich meist in dem Augenblick dazu aufgefordert fühlt, wo er der
Bedienung die Zeche bezahlt, und sie erwartungsvoll vor ihm steht. Ein
anderes Mittel, das wohl noch mehr dem Gang der Entwicklung entspricht,
aber zunächst nur in größeren Lokalen Anwendung finden könnte, wäre die
durchgängige Bezahlung der Zeche, die im Verhältnis zu der Gesamtausgabe
einen bestimmten Prozentsatz für die Bedienung in Anrechnung bringen
müßte, an den Zahlkellner, der zum selbständigen Unternehmer würde,--was
er heute schon vielfach ist,--und den bedienenden Kellnern einen festen
Lohn zu zahlen hätte. Ist das erreicht, so hat die Kellnerin kein
Interesse mehr an der Länge der Arbeitszeit, sie wird statt dessen die
gesetzlich vorgeschriebene gern innehalten. Sie wird auch allmählich,
wenn Geist und Körper unter der Erschöpfung durch endlose Arbeitszeit
nicht mehr zu leiden haben, organisationsfähig werden. Ein
vierundzwanzigstündiger Ruhetag im Laufe von je sieben Tagen, die
Sicherung guter Unterkunftsräume durch die Aufsicht der
Wohnungsinspektion, das Verbot, junge Leute unter sechzehn Jahren
überhaupt und unter achtzehn länger als acht Stunden täglich zu
beschäftigen, die Verfügung endlich, daß sämtliche Schutzvorschriften
auch auf die Familie des Wirts auszudehnen sind,--der Entwurf schließt
sie ausdrücklich aus, ohne sich auch nur über den Grad der
Familienzugehörigkeit näher auszulassen, --und die Einsetzung einer
besonderen Inspektion für das Gastwirtsgewerbe,--denn man kann es den
wenigen schon stark überlasteten deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten doch
nicht zumuten, noch etwa 173000 Betriebe mehr zu beaufsichtigen,--das
alles sind Bestimmungen, die die Grenzen des Notwendigen noch nicht
einmal erreichen, und die Ergänzung der Beschränkung der Arbeitszeit für
Erwachsene und des Trinkgelderwesens bilden müßten. Soweit die
Sittlichkeit von den Arbeitsbedingungen abhängt, wird sie durch ein
Gesetz dieses Inhalts auch nur gefördert werden. Sie darüber hinaus
"schützen" zu wollen, ist überhaupt nicht Aufgabe der Gesetzgebung. Sie
hat allein die Grundlage zu sichern, auf der eine menschenwürdige
Existenz sich aufbauen kann, und die äußeren Bedingungen zu regeln, die
die Unabhängigkeit jedes Einzelnen zu gewährleisten vermögen.

Wenn die bisherige Darstellung den Beweis erbracht hat, daß der
gesetzliche Schutz der Arbeiter auf allen Arbeitsgebieten durchführbar
ist, so scheint sie jetzt an den Punkt angelangt zu sein, wo die
angewandte Methode nicht mehr zum Ziele führen kann: am _häuslichen
Dienst_. Die Dienstboten stehen außerhalb der Gewerbeordnung; nur von
Neu-Südwales heißt es, daß der achtstündige Arbeitstag auch für sie
Geltung haben soll; alle übrigen Staaten haben entweder keinerlei
besondere Vorschriften, die die häusliche Lohnarbeit regeln, oder sie
besitzen sie in der Form von Gesindeordnungen, wie Deutschland und
Oesterreich. Aber auch hierbei handelt es sich nicht um einheitliche
Rechtsvorschriften, sondern um zahlreiche, oft nach Provinzen
voneinander abweichende Einzelbestimmungen--Deutschland allein zählt
ihrer gegen 60--, die dadurch schon den Stempel einer überwundenen
Epoche, der die Freizügigkeit noch unbekannt war, an der Stirne tragen;
denn die Kenntnis dieser Gesetze, die selbst einem Juristen schwer
fällt, kann von dem von Ort zu Ort und von Land zu Land wandernden
Dienstboten unmöglich verlangt werden. Was sie aber in noch viel
drastischerer Weise als Reste der Vergangenheit kennzeichnet, ist ihr
Inhalt, der zu jeder modernen Auffassung des Arbeitsvertrags und des
Dienstverhältnisses in scharfem Gegensatz steht.

Einige Beispiele mögen das Gesagte erhärten: Nach der deutschen
Gewerbeordnung ist es bei Strafe verboten, Zeugnisse in die
Arbeitsbücher der gewerblichen Arbeiter einzutragen; die meisten
Gesindeordnungen aber machen die Ausstellung von Zeugnissen über das
persönliche Verhalten des Dienstboten den Arbeitgebern zur Pflicht. Auf
Grund derselben Gewerbeordnung ist die Aufrechnung von irgend welchen
Forderungen des Arbeitgebers gegen die Lohnforderungen des Arbeiters
unzulässig, die Herrschaft dagegen kann bei etwaigem ihr zugefügten
Schaden nicht nur an den Lohn des Dienstboten sich halten, sie kann
sogar, falls dieser nicht ausreicht, eine Vergütung durch unentgeltliche
Dienstleistung von ihm fordern,--eine neue Form für die mittelalterliche
Schuldknechtschaft! Auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuches und des
Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich kann das Dienstverhältnis von
jedem Teil ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn
ein wichtiger Grund vorliegt; dem Dienstboten steht dasselbe Recht nach
den deutschen Gesindeordnungen nur dann zu, "wenn er mißhandelt wird mit
Gefahr für Leib und Leben", wenn die Herrschaft ihn "mit ausschweifender
und ungewöhnlicher Härte behandelt", ihn "zu gesetzwidrigen und
unmoralischen Handlungen verleitet", oder ihm "das Kostgeld nicht giebt,
oder die Kost verweigert". Die Herrschaft dagegen kann ihn vor die Thüre
setzen: wenn er sie "beleidigt", "Zwistigkeiten im Hause hervorruft",
"beharrlich ungehorsam und widerspenstig ist", "sich Veruntreuungen zu
schulden kommen läßt", "ohne Vorwissen und Erlaubnis nachts aus dem
Hause bleibt", "seines Vergnügens wegen ausläuft, über die erlaubte Zeit
hinaus fortbleibt, mutwillig den Dienst vernachlässigt", ja selbst "wenn
ihm die Geschicklichkeit mangelt, die er bei der Vermietung zu besitzen
vorgab", d.h. dem Arbeitgeber kann es nie an einem Grund fehlen, wenn er
den Dienstboten ohne Entschädigung los werden will, während der
Dienstbote erst körperliche oder moralische Mißhandlungen nachweisen
muß, um ohne Einhaltung der Kündigungsfrist den Dienst aufgeben zu
können. Der gewerbliche Arbeiter kann gegenüber unerträglichen
Arbeitsbedingungen die Arbeit auch ohne Kündigung verlassen, ohne daß er
sich dadurch ehrenrührige Strafen zuzieht; der Kontraktbruch beim
Gesinde aber wird strafrechtlich verfolgt, und jedes Dienstmädchen, das
davonläuft, kann von uniformierten Polizeibeamten, wie ein Verbrecher,
wieder in die alte Stellung zurücktransportiert werden. Um jeden Weg zur
Selbsthilfe endgültig abzuschneiden, steht das Gesinde,--und unter
dieser Bezeichnung ist in Deutschland und Oesterreich nicht nur das
häusliche, sondern auch das landwirtschaftliche zu verstehen,--auch in
Bezug auf das verfassungsmäßig jedem Staatsbürger gewährleistete freie
Vereins- und Versammlungsrecht unter Sondergesetzen. Das heute noch
gültige Gesetz vom Jahr 1854 bestimmt, daß das Gesinde mit
Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden kann, wenn es zum
Zweck der Erlangung besserer Arbeitsbedingungen die Arbeit einstellt,
sich mit anderen dazu verabredet, oder sie dazu auffordert.

Aber nicht allein in direkter Weise stehen die Gesindeordnungen in
Widerspruch zu der allgemeinen modernen Regelung des Verhältnisses
zwischen Unternehmern und Angestellten. Eine ganze Reihe von Geboten und
Verboten schnüren noch außerdem jede Bewegungsfreiheit des Dienstboten
ein, ohne daß ihm als Aequivalent irgend ein nennenswerter Schutz zu
teil würde. So werden z.B. "Ungehorsam", "pflichtwidrige Reden",
"unfleißiges Verhalten", "ungebührliches Benehmen" in verschiedenen
deutschen Gesindeordnungen unter Strafe gestellt. Ja selbst die
Prügelstrafe kann von den Herrschaften den Dienstboten gegenüber noch in
Anwendung gebracht werden, denn die Gesindeordnungen von Braunschweig,
Pommern, Sachsen, Reuß und Meiningen erkennen den Dienstgebern das
Züchtigungsrecht ausdrücklich zu, und in Preußen können sie sich
straflos der "Beleidigung und leichten Körperverletzung" schuldig
machen.

Man hoffte, daß das Bürgerliche Gesetzbuch diesen Bestimmungen, die das
Gesinde wehrlos den Arbeitgebern in die Hände liefern, ein Ende machen
würde. Und es erklärte thatsächlich, daß ein Züchtigungsrecht der
Herrschaft nicht zustehe; nur daß diese Erklärung für die Praxis dadurch
jede Bedeutung verlor, daß Art. 95 des Einführungsgesetzes zum
Bürgerlichen Gesetzbuch alle Gesindeordnungen ausdrücklich bestehen
läßt, und,--um darüber ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen,--eine
preußische Ministerialverordnung folgendes bestimmte[949]: "Was die in
dem letzten Absatz des Artikels 95 enthaltene Bestimmung anbelangt,
wonach dem Dienstberechtigten gegenüber dem Gesinde ein Züchtigungsrecht
nicht zusteht, so werden dadurch die in Preußen bestehenden
landesgesetzlichen Vorschriften nicht berührt, da keine der letzteren
ein solches Recht statuiert, auch der § 77 der Gesindeordnung nicht,
indem derselbe nur geringe Thätlichkeiten der Herrschaft unbestraft
läßt, welche durch ungebührliches, zum Zorn reizendes Betragen des
Gesindes veranlaßt werden." Die Erlaubnis zu geringen Thätlichkeiten ist
also, nach der Logik preußischer Minister, kein Züchtigungsrecht und das
Gesinde kann nach wie vor mit Ohrfeigen traktiert werden!

Wie sehr diese Ausnahmestellung des Gesindes mit der ganzen Richtung der
sozialpolitischen Gesetzgebung in Widerspruch steht, konnte auch den
Kurzsichtigsten nicht verborgen bleiben. Aber wenn man sich schon
scheute, die Familienwerkstatt und den Familiengasthofsbetrieb unter
gesetzliche Regeln und gesetzliche Aufsicht zu bringen, um wie viel mehr
mußte man sich davor scheuen, den Familienhaushalt ihnen zu unterwerfen.
Jeder Reformversuch nach dieser Richtung trug den Charakter des Artikels
95 in sich: er wurde sofort wieder in sein Gegenteil verwandelt. So
beantragte die freisinnige Partei im deutschen Reichstag zwar 1893 die
Gleichstellung des Gesindes mit dem gewerblichen Arbeiter, 1895 aber
stimmte sie in der Kommissionsberatung des betreffenden Absatzes im
Bürgerlichen Gesetzbuch gegen die Aufhebung der Gesindeordnungen. Das
Centrum dagegen versuchte bei Gelegenheit derselben Beratung die
Unterstellung des Gesindes unter die Gewerbeordnung durchzusetzen; ein
Jahr später im Plenum aber erklärte es sich dagegen. 1897 nahm dann der
Reichstag eine Resolution an, die von der freisinnigen Partei ausging,
und die Regierung aufforderte, die Rechtsverhältnisse des Gesindes
reichsgesetzlich zu regeln; heute, nach fast fünf Jahren, ist es aber
immer noch bei dem bloßen Wunsch geblieben, obwohl inzwischen die
Dienstboten angefangen haben, für ihre Rechte einzutreten. Ihr
konsequenter Vorkämpfer ist bisher allein die sozialdemokratische Partei
gewesen, die nicht nur durch ihr Programm, das die rechtliche
Gleichstellung der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern fordert,
sondern durch eine Reihe dahin zielender Anträge im Plenum des
Reichstages diese notwendige Reform durchzusetzen versuchte, vor allem
für die Abschaffung der Gesindeordnungen und des jede Organisation
verhindernden Gesetzes von 1854 eintrat. Natürlich ohne jeden Erfolg.

Vorwärts getrieben durch die Dienstbotenbewegung, die von den
Vereinigten Staaten ausging und über die skandinavischen Länder den Weg
nach Deutschland nahm, fühlten sich auch, wie wir gesehen haben,
einzelne Gruppen der bürgerlichen Frauenbewegung zu Reformvorschlägen
genötigt, die in der Abschaffung der Gesindeordnungen gipfeln, aber in
Bezug auf die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Dienstboten sich
entweder vorsichtig ausschweigen, oder sehr bescheidene Forderungen
stellen. Auch Stillich geht in der Bearbeitung seiner Enquete über die
Lage der weiblichen Dienstboten in Berlin kaum weiter, ja er bleibt
insofern noch hinter ihnen zurück, als die Freigabe des
Sonntagnachmittags nach ihm nicht gesetzlich festgelegt werden, sondern
das Dienstmädchen nur zur Arbeit während dieser Zeit nicht
"verpflichtet" sein soll. Einen wesentlich anderen Standpunkt gegenüber
der Dienstbotenfrage nehmen einige amerikanische und englische
Frauenrechtlerinnen ein,--denn von einer allgemeinen feststehenden
Stellung der Frauenbewegung zu diesem Problem ist auch hier keine Rede.
Sie fordern die Ausbreitung kooperativer Gesellschaften, die allmählich
die im Hause wohnenden Dienstboten durch außer dem Hause wohnende
organisierte und für jedes Fach ausgebildete Hausarbeiterinnen ersetzen
sollen und glauben, daß die Ausdehnung des Arbeiterinnenschutzes auf sie
erst unter diesen Voraussetzungen ermöglicht werden kann.

Alle diese Versuche liegen auf dem Wege der durchgreifenden Reform, aber
sie haben jeder für sich nur den Wert vorbereitender Arbeit. Erst ihre
Zusammenfassung und organische Ausbildung kann zu einer Regelung des
Verhältnisses der häuslichen Arbeiter führen. Vor allem haben wir uns
auch hier zunächst den Gang der Entwicklung klar zu machen, ohne bei der
nüchternen Ueberlegung dem Einfluß subjektiver Gefühle zu viel Spielraum
zu gewähren. Gerade hier ist diese Gefahr groß, denn so trivial es auch
klingen mag, so wahr ist es doch, daß der Gedanke an die Familie, an die
stillen Freuden der Häuslichkeit bei den Angehörigen der bürgerlichen
Welt eng mit dem Gedanken an die eigene Köchin in der eigenen Küche
zusammenhängt, und man mit der Preisgabe des einen das andere zu
erschüttern glaubt. Der objektive Beobachter aber wird sich der
Erkenntnis nicht verschließen können, daß Alles--die wachsende
Abneigung gegen den Gesindedienst in proletarischen, die Zunahme der
Frauenerwerbsarbeit in bürgerlichen Kreisen, die sich rapide
ausbreitende Industrialisierung und Zentralisierung ehemals privater,
häuslicher Thätigkeiten,--eine fundamentale Umwandlung des häuslichen
Lebens vorbereitet. Dieser Entwicklung könnte auch dann nicht mit
dauerndem Erfolg in die Zügel gefallen werden, wenn sie, wie viele
behaupten wollen, eine nur schädliche Tendenz in sich trüge. Sie muß
aber um so mehr gefördert werden, als sie thatsächlich glücklicheren
Zuständen die Wege bahnt.

Der Kreis der bürgerlichen Familie umschloß früher den großen Hausstand
mit all seinen Mägden und Knechten; von einem intimen Zusammenleben
zwischen Mann und Weib konnte dabei selten die Rede sein, und die
häusliche Atmosphäre war der Ausfluß so vieler verschiedener
Individualitäten, daß ihr Einfluß auf die Kinder nicht als der der
Eltern allein gelten konnte. Je mehr der Haushalt zusammenschrumpfte,
desto mehr stieg die Möglichkeit häuslicher Intimität, desto inniger
konnten seine wenigen Glieder sich zusammenschließen, und endlich wird
die Entwicklung auf der höheren Kulturstufe da anlangen, von wo sie auf
der tieferen ausging: der kleinen in sich geschlossenen
Familiendreieinigkeit,--Mann, Weib und Kinder. Der Ausschluß jeden
fremden Elements aus dem persönlichen Leben des Menschen liegt aber in
der Richtung der Steigerung und Vertiefung des persönlichen Glücks.
Durch ihn wird die Frau wieder zur Genossin des Mannes, zur Mutter der
Kinder, die sie auch mit der Milch ihres Geistes wird nähren können. Für
die Dienstboten aber ist die Auflösung des persönlichen
Dienstverhältnisses der einzige Weg zu ihrer Befreiung. Wir haben uns
daher auch in den Dienst dieser Entwicklung zu stellen.

Von diesem Standpunkt aus bekommt die Frage der Ausdehnung des
Arbeiterschutzes auf das Gesinde gleich ein anderes Gesicht, und der
Einwand, daß infolgedessen immer weniger Menschen im stande sein würden,
sich Dienstboten zu halten, verwandelt sich in eine Befürwortung der
Maßregel. Die einzelnen Forderungen an die Gesetzgebung, die natürlich
mit der Abschaffung der Gesindeordnungen einsetzen müßte, lassen sich
kurz zusammenfassen: der elf- bis zwölfstündige Arbeitstag für über
Achtzehnjährige könnte den Anfang bilden, seine Ergänzung wäre die
1-1/2stündige Mittagspause, der freie Sonntagnachmittag und, als
Entschädigung für die halbe Sonntagsarbeit, ein freier halber Wochentag;
Ueberstunden und Extraarbeiten, die in bestimmtem Umfang erlaubt sein
müssen, wären selbstverständlich besonders zu vergüten. Die Arbeitszeit
selbst könnte zwischen 7 Uhr früh und 9 Uhr abends zu verteilen sein.
Strenge Vorschriften in Bezug auf die Wohnungsverhältnisse der
Dienstboten müßten durch eine energische Wohnungsinspektion und die
Haftbarmachung jedes Hauswirts noch verschärft werden.

Nun ist es zwar keinem Zweifel unterworfen, daß diese Bestimmungen
unmittelbare allgemeine Folgen sofort nicht haben würden, selbst wenn
man in jedes Haus einen Inspektor setzte. Ihre erzieherische Wirkung
aber wäre um so bedeutsamer: die Dienstmädchen würden infolge der freien
Zeit, über die sie zu verfügen hätten, der Aufklärung leichter
zugänglich sein, organisationsfähiger werden und lernen, ihre Rechte
selber zu schützen; die Hausfrauen andererseits würden schnell genug
einsehen, daß sich der Kleinbetrieb unter solchen Umständen nicht mehr
lohnt. Alle neuen Errungenschaften der Chemie und der Technik, die heute
infolge des bornierten Konservatismus der meisten Hausfrauen fast
unbenutzt bleiben, würden ihrer arbeitsparenden Eigenschaften wegen in
Anwendung gebracht werden. Da das aber für den Einzelhaushalt ebenso
verschwenderisch wäre, als wenn man einen elektrischen Motor zum Antrieb
eines einzigen Webstuhls anschaffte, so würde naturgemäß allmählich der
genossenschaftliche Haushalt oder die zentralisierte Wirtschaftsführung
die Funktionen der einzelnen Haushalte aufsaugen. Die Dienstboten aber
würden sich in freie Arbeiter verwandeln, die ebenso wie diese in die
Fabrik, in die Zentralküchen gingen. Alle diejenigen Institute, wie etwa
die Berliner Zentralreinigungsgesellschaften, die stundenweise ihre
Angestellten zu bestimmten häuslichen Verrichtungen, wie
Wohnungsreinigen, Putzen etc., aussenden, wie die Fensterputz- und
Teppichklopfanstalten der großen Städte, wie die Household economic
Associations Amerikas werden sich infolgedessen immer weiter verbreiten,
die Zentralisierung der Heizung, der Beleuchtung wird sich ausbilden,
kurz, alles das, was jetzt oft nur ein kümmerliches Dasein fristet,
weil die Sonne der Gunst des Publikums ihm fehlt, wird sich
durch den Antrieb praktischer Bedürfnisse rasch entwickeln. Je
mehr es aber geschieht, desto energischer kann und muß die
Arbeiterinnenschutzgesetzgebung auf die Dienstmädchen Anwendung finden.
Auf einer anderen Basis, als auf der der Loslösung des Gesindes aus dem
persönlichen Dienstverhältnis, auf eine Reform des Gesindewesens zu
rechnen, ist eine Utopie. Je eher wir uns von ihr losmachen, je rascher
wir versuchen, uns den neuen, unabweisbar sich entwickelnden
Verhältnissen anzupassen, desto schmerzloser wird sich der allmähliche
Prozeß der Umwandlung vollziehen, wie er sich schon früher, für viele
fast unbemerkt, vollzogen hat.

Die ökonomische Ungleichheit zwischen Arbeiter und Unternehmer führt mit
Notwendigkeit zu den staatlichen Maßregeln des Arbeiterschutzes. Der
rechtlich freie Arbeitsvertrag würde niemals ein faktisch freier sein,
weil er die schwächere soziale und wirtschaftliche Stellung des
Arbeiters nicht aufhebt. Der Eingriff des Staates in den freien
Arbeitsvertrag hat sich daher als eine Notwendigkeit erwiesen. Jeder
Fortschritt des Arbeiterschutzes bedeutet für den Unternehmer eine
Einschränkung seines Verfügungsrechts über die von ihm gekaufte
Arbeitskraft und für den Arbeiter größere persönliche Freiheit und
Sicherheit. Das Recht darauf und das Bedürfnis danach ist für beide
Geschlechter dasselbe. Wenn die Gesetzgebung den Frauen in Bezug auf die
Arbeitszeit einen ausgedehnteren Schutz zu teil werden läßt, als den
Männern, so hat das keine prinzipielle Bedeutung, ist vielmehr nur der
notwendige erste Schritt zu allgemeiner, gleichmäßiger Regelung. Nur
soweit die Frau die Verantwortung für die Existenz und die Gesundheit
eines anderen Menschen, ihres Kindes trägt, hat sie Anspruch auf
besonderen Schutz, der sich, seiner inneren Bedeutung nach, weniger als
Arbeiterinnen-, denn als Kinderschutz charakterisiert. Aber in
dem Schutz von Leben und Gesundheit, in der Schaffung von
Arbeitsbedingungen, die nicht nur die physische Existenz des Arbeiters
zu einer erträglichen gestalten, sondern auch die Grundlage zu geistiger
Fortentwicklung legen helfen, beruht nicht, wie im allgemeinen
angenommen wird, die einzige Aufgabe der Arbeiterschutzgesetzgebung. Sie
hat sich nicht mit dem äußeren Schutz zu begnügen, vielmehr die ernste
und folgenschwere Pflicht, allen denjenigen Betriebsformen zum Siege zu
verhelfen, unter deren Herrschaft der Arbeiter sozial höhere Stufen
erreichen kann: sie muß die Hausindustrie und den häuslichen Dienst
einer tiefgehenden Umwandlung entgegenführen, sie muß den Großbetrieb in
Gewerbe und Handel fördern.

Die Voraussetzung aber für die Wirksamkeit und den Fortschritt des
Arbeiterschutzes ist die Mitarbeit der Zunächstbeteiligten an seiner
Durchführung und seinem Ausbau. Alle öffentlichen Einrichtungen und alle
Gesetze, die sie dazu fähig zu machen vermögen, sind als notwendige
Ergänzungen der Arbeiterschutzgesetzgebung zu betrachten. Sie bilden
gewissermaßen die Vollendung der Erziehung, die nicht darin allein
besteht, die Kinder vor Schaden zu bewahren, sondern ihnen die Waffen in
die Hand zu geben, mit denen sie sich selber schützen können. In diesem
Sinne werden die Frauen noch immer als kleine Kinder behandelt.

Wir haben gesehen, daß die niedrige Entlohnung der Frauenarbeit meist
auf ihre geringere qualitative oder quantitative Leistungsfähigkeit
zurückzuführen ist. Es läge demnach sowohl im Interesse der Frauen, als
in dem der Männer, denen sie Schmutzkonkurrenz machen, ihre Leistungen
zu erhöhen, d.h. ihnen eine der männlichen gleichwertige Ausbildung zu
teil werden zu lassen. Der Besuch der _Fortbildungsschulen_, zu dem nach
der deutschen Gewerbeordnung die Kommunalbehörden lediglich die
männlichen Arbeiter verpflichten können, und der von Reichswegen nur für
männliche und weibliche Handelsgehilfen vorgeschrieben ist, müßte
demnach für alle, der Volksschule entwachsenen Mädchen obligatorisch
werden, und sich bis zum sechzehnten Jahr erstrecken. Die Voraussetzung
wäre, daß sämtliche Fortbildungs- und Fachschulen, die gegenwärtig
häufig wohlthätigen Vereinen ihre Existenz verdanken und eine gründliche
Ausbildung nicht zu geben vermögen, von den Gemeinden oder dem Staat
eingerichtet und geleitet würden, wie es in Oesterreich z.B. vielfach
geschehen ist, vor allem aber, daß sie, wo es sich nicht um spezifisch
weibliche oder männliche Arbeiten handelt, die gemeinsame Erziehung der
Geschlechter grundsätzlich durchzuführen hätten. Erst dadurch würden die
Kräfte der männlichen und weiblichen Schüler sich aneinander messen
können und die notwendige Differenzierung sich ebenso verbreiten, wie
der Wettbewerb auf gleichen Arbeitsgebieten.

Wie die Forderung des Fortbildungsschulzwangs für Mädchen sich aus dem
wachsenden Erwerbszwang von selbst ergiebt, so ist es nur die
selbstverständliche Konsequenz der Zunahme der Lohnarbeit verheirateter
Frauen, wenn nicht nur jedes gesetzliche Hindernis, das ihnen im Wege
steht, beseitigt, sondern ihre _freie Verfügung über ihren
Arbeitsertrag_ gesichert werden muß. Bisher ist das keineswegs der Fall;
in Frankreich, Oesterreich und den Niederlanden bedarf die Frau zur
Eingehung eines Arbeitsvertrags der Zustimmung des Mannes; ein Vertrag,
der ohne sein Vorwissen beschlossen wurde, kann durch seinen Einspruch
ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gelöst werden, in Deutschland bedarf
der Ehemann dazu die Ermächtigung des Vormundschaftsgerichts. Und selbst
der durch eigene Arbeit erworbene Lohn ist nicht das gesicherte
persönliche Eigentum der Frau: lebt sie in Deutschland mit dem Mann in
Gütergemeinschaft und der Lohn ist nicht durch Ehevertrag ausdrücklich
ausgesondert worden, so kann der Mann ihn in Besitz nehmen und darüber
verfügen; in Frankreich und in den Niederlanden kann er sogar an ihrer
Stelle den Lohn für sich einfordern. Daß dadurch unter Umständen ganze
Familien ruiniert werden trotz des aufopfernden Fleißes der Mutter,
bedarf kaum noch des Hinweises; jeder Trunkenbold und Arbeitsscheue hat
das Recht, den mühsam erworbenen Lohn der Frau, durch den sie ihre
Kinder ernähren wollte, zu verprassen. Englands Gesetzgebung allein hat
diesen Verhältnissen bisher Rechnung getragen, indem es der Frau die
selbständige Schließung von Arbeitsverträgen ermöglichte und ihren
Erwerb für sie sicher stellte. Der Schutz der verheirateten Arbeiterin
ist ohne diese zivilrechtliche Ergänzung jedenfalls ein unvollständiger.
Angesichts der Entwicklung der Frauenarbeit muß sie nicht nur über ihre
Arbeitskraft frei verfügen können, sondern sich auch im
uneingeschränkten Genuß ihres Erwerbs befinden. Die wirtschaftliche
Unabhängigkeit, die dadurch geschaffen wird, ist eine der Grundlagen für
die soziale und politische Emanzipation der Frau.

Einer der ersten Schritte zur politischen Gleichstellung, der sich
gleichfalls aus der Thatsache der Frauenerwerbsarbeit ergiebt, ist das
_Wahlrecht zu den Gewerbegerichten_, denen die Aufgabe zufällt,
Streitigkeiten zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und ihren
Angestellten zu untersuchen und zum Austrag zu bringen. Die Mitglieder
dieser Gerichte, die Frankreich als Conseils des prud'hommes, Italien
als Collegio dei probi viri kennt, werden in gleicher Zahl und mit
gleichen Rechten von den Unternehmern und den Arbeitern aus ihrer Mitte
gewählt; da es nun aber weibliche Unternehmer und weibliche Arbeiter
ebenso wie männliche giebt, und Streitigkeiten zwischen Arbeiterinnen
und Unternehmern ebenso häufig vorkommen, wie zwischen Arbeitern und
ihren Arbeitgebern, so liegt kein stichhaltiger Grund vor, warum den
Frauen nicht auch dieselben Rechte zustehen, wie den Männern.
Oesterreich hat dies wenigstens insofern anerkannt, als es die Frauen
zum aktiven Wahlrecht zuließ, Italien gewährte ihnen auch das passive;
in Frankreich stimmte die Kammer bereits vor zehn Jahren zu Gunsten der
Frauen, der Senat aber hat dem Beschluß seine Zustimmung versagt, indem
er erklärte, die Interessen der Frauen seien auf das Familienleben zu
beschränken! In Deutschland ist die Mehrheit des Reichstags noch
derselben Ansicht; selbst die unbestreitbare Thatsache der 5-1/2
Millionen arbeitender Frauen vermag ihn noch immer nicht davon zu
überzeugen, daß dem Familienleben durch den Wahlzettel die geringste
Gefahr droht.

Derselbe Geist, aus dem der Widerstand gegen das Wahlrecht der Frauen zu
den Gewerbegerichten entsprang, beherrscht auch die Gesetzgebung in
Bezug auf das _Koalitionsrecht_. Das preußische Vereinsgesetz und mit
ihm eine ganze Anzahl von den übrigen 26 verschiedenen deutschen
Vereinsgesetzen, verbietet "Frauen, Schülern und Lehrlingen"
ausdrücklich die Teilnahme an politischen Vereinen oder die Bildung
solcher Vereine. Das österreichische Gesetz steht auf demselben
Standpunkt. Vereinen jedoch, die "ideale" oder "wirtschaftliche" Ziele
verfolgen, können auch weibliche Mitglieder angehören. Durch diese
Bestimmungen kennzeichnet sich das Alter der ganzen Vereinsgesetzgebung,
die durch die wirtschaftliche Entwicklung einerseits und den Fortschritt
der sozialpolitischen Gesetzgebung andererseits längst überholt wurde.
Seitdem die Frau in Reih und Glied neben dem Arbeiter dem Erwerb
nachgeht, und der Schutz der Arbeiter Gegenstand der Gesetzgebung
wurde, ist es ebenso widersinnig, der Frau die politische Stellungnahme
zu verbieten, wie es widersinnig ist, zwischen den Begriffen der
wirtschaftlichen und politischen Interessen eine rechtliche Grenzlinie
festzuhalten. Für die daraus folgende Verwirrung der Begriffe liefert
die Rechtsprechung zahlreiche Illustrationen; Arbeiterinnenvereinen und
Gewerkschaften gegenüber erklärte sie wiederholt Fragen für politisch,
und begründete damit Auflösungen und Maßregelungen, die, sobald sie von
bürgerlichen Vereinen behandelt wurden, unbeanstandet als
wirtschaftliche passierten. Das preußische Kammergericht sprach sich in
einem Urteil sogar folgendermaßen aus[950]: "Zu den politischen
Gegenständen im Sinne des Vereinsgesetzes gehören solche, welche
Sozialpolitik, insbesondere auch die Regelung der Arbeitszeit
betreffen." Jede gewerkschaftliche Organisation, vor allem aber die, an
der sich Frauen beteiligen, ist demnach auf Gnade und Ungnade der
Willkür der Behörden überliefert.

Die Durchführung des Arbeiterschutzes aber und sein weiterer Ausbau
hängt, wie wir gesehen haben, wesentlich von den Arbeitern und ihrer
thatkräftigen Unterstützung selbst ab, und die traurige Lage, in der vor
allem die weibliche Arbeiterschaft schmachtet, wird nicht zum wenigsten
dadurch in ihrer schrecklichen Gleichmäßigkeit erhalten, daß den Frauen
die Hand gebunden und der Mund verschlossen ist. Der Charakter der
Klassengesetzgebung, die zwar so weit geht, die Arbeiterin zu
beschützen, nicht aber so weit, sie fähig zu machen, daß sie sich selbst
beschützen kann, kommt nirgends so deutlich zum Ausdruck als im
Vereinsrecht Deutschlands und Oesterreichs. Kein Kulturstaat der Welt
kennt Aehnliches. Von einer ernsten Sozialreform kann nicht eher die
Rede sein, als bis dieser Stein, der ihre Straße versperrt, aus dem Weg
geschafft wurde. Zu diesem Zweck aber würde die bloße Gleichstellung der
Frau mit dem Mann auf dem Boden des bestehenden Rechts nicht genügen, es
müßte vielmehr ein den modernen Verhältnissen, der Entwicklung und den
Ansprüchen der Arbeiterklasse angepaßtes, einheitliches, neues Recht an
dessen Stelle treten, das für die volle Koalitionsfreiheit die Gewähr
böte, und von dessen unbeschränkten Genuß keine Arbeiterkategorie
auszuschließen wäre.--

So stellt sich der Arbeiterschutz im weitesten Sinne nicht lediglich als
eine Sammlung von Schutzvorschriften dar, sondern als ein System
verschiedener gesetzlichen Maßnahmen, die organisch ineinander greifen,
und gegenseitig bedingt werden. Sozialreform, in diesem Sinne aufgefaßt,
ist nicht ein in sich abgeschlossener Teil der Gesetzgebung, sondern die
Quintessenz der Gesetzgebung überhaupt.


Uebersicht der Arbeiterinnenschutzgesetzgebung.


Deutschland


Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

  Fabriken, Werkstätten mit Motorbetrieb, Werkstätten der Kleider- und
  Wäschekonfektion, ausgenommen diejenigen, in denen nur
  Familienmitglieder arbeiten, Bergwerke, Salinen,
  Aufbereitungsanstalten, Brüche und Gruben, Zimmerplätze, Bauhöfe,
  Werften, Hüttenwerke, Ziegeleien.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.

  10 Stunden, 1 Stunde Mittagspause, je 1/2 Stunde Pause vor- and
  nachmittags.

Arbeitszeit: b) Der Frauen.

  11 Stunden. An Vorabenden der Sonn- und Festtage 10 Stunden, 1 Stunde
  Mittagspause; für die, welche ein Hauswesen zu besorgen haben und
  einen Antrag stellen 1-1/2 Stunde.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.

  Nur durch besondere Verordnung des Bundesrats gestattet.

Ueberstunden: b) Der Frauen.

  Auf 2 Wochen nicht über 13 Stunden täglich, im Jahr nicht mehr als 40
  Tage gestattet. Länger als 2 Wochen durch Erlaubnis der höheren
  Verwaltungsbehörde, aber auch dann dürfen 40 Tage im Jahr nicht
  überschritten werden. Außerdem kann der Bundesrat für ganze
  Fabrikationszweige Dispensation erteilen: für Fabriken mit
  ununterbrochenem Feuer, für Betriebe, die auf bestimmte Jahreszeiten
  beschränkt sind, für Saisonindustrien.

Nachtarbeit:

  Von 8-1/2 Uhr abends bis 5-1/2 Uhr morgens verboten. Durch die höhere
  Verwaltungsbehörde und den Reichskanzler Ausnahmen gestattet, unter
  denselben Voraussetzungen wie bei den Ueberstunden.

Sonntagsarbeit:

  Verboten. Durch die höhere Verwaltungsbehörde und den Bundesrat sind
  Ausnahmen gestattet: Bei Bedürfnisgewerben, Saisongewerben und aus
  technischen Gründen, sowie bei besonderen Notlagen oder
  Unglücksfällen.

Arbeitsbeschränkung:

  Die Arbeit unter Tage ist verboten. Der Bundesrat ist ermächtigt durch
  besondere Verordnungen die Arbeit in gesundheitsgefährlichen Betrieben
  gleichfalls zu verbieten oder einzuschränken.

Schutzzeit der Schwangeren:

  Keine.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

  6 Wochen, doch kann die Zeit auf Grand ärztlichen Attestes um 14 Tage
  verkürzt werden.


Oesterreich


Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

  Fabriken, handwerksmäßige Betriebe, Werkstätten, außer denjenigen, in
  denen nur Familienmitglieder arbeiten.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.

   --

Arbeitszeit: b) Der Frauen.

  11 Stunden, 1-1/2 Stunde Pause in Fabrikbetrieben.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.

   --

Ueberstunden: b) Der Frauen.

  Wie in Deutschland durch besondere Erlaubnis gestattet. Im ganzen
  nicht mehr als während 15 Wochen im Jahr.

  Dispensationen für ganze Fabrikationszweige wie in Deutschland
  zulässig.

Nachtarbeit:

  Nur für Fabrikbetriebe soweit Frauen über 16 Jahre alt von 8-1/2 Uhr
  abends bis 5 Uhr morgens verboten. Ausnahmen wie in Deutschland
  zugelassen, für Jugendliche auch im Gewerbebetriebe.

Sonntagsarbeit:

  Verboten, Ausnahmen ähnlich wie in Deutschland gestattet.

Arbeitsbeschränkung:

  Die Arbeit unter Tage ist verboten. Durch besondere Verordnungen
  können Arbeiten in gesundheitsgefährlichen Betrieben gleichfalls
  verboten werden.

Schutzzeit der Schwangeren:

  Keine.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

  4 Wochen. Bei Arbeiten über Tage im Bergbau 6 Wochen.


Frankreich


Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

  Fabriken, Bergwerke, Steinbrüche, Bauplätze, Werkstätten, außer
  denjenigen, in denen nur Familienmitglieder arbeiten, und alle damit
  in Zusammenhang stehenden industriellen Betriebe, öffentliche,
  private, religiöse.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.

--

Arbeitszeit: b) Der Frauen.

  11 Stunden, 1 Stunde Pause. Vom Jahre 1902 ab 10-1/2 Stunden. Vom
  Jahre 1904 ab 10 Stunden für Fabriken, in denen Männer und Frauen
  zusammen arbeiten.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.

  Verboten.

Ueberstunden: b) Der Frauen.

  In einzelnen Industriezweigen dürfen Frauen bis 11 Uhr abends
  beschäftigt werden, doch nicht öfter als während 60 Tagen im Jahr, bei
  besonderen Anlässen auch sonst noch Ausnahmen zugelassen.

  Dispensationen für ganze Fabrikationszweige wie in Deutschland
  zulässig.

Nachtarbeit:

  Von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verboten. Ausnahmen ähnlich wie in
  Deutschland zugelassen.

Sonntagsarbeit:

  Verboten. Ausnahmen für besondere Industrien zeitweise gestattet, doch
  muß als. Ersatz im Laufe von 7 Tagen ein anderer vollständiger Ruhetag
  gewährt werden.

Arbeitsbeschränkung:

  Wie in Deutschland und Oesterreich.

Schutzzeit der Schwangeren:

  Keine.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

  Keine.


Schweiz


Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

  Fabriken, Werkstätten mit Motorbetrieb, die mehr als 5 Personen, alle
  industriellen Betriebe, die mehr als 10 Personen, und alle
  gefährlichen Betriebe, die weniger als 6 Personen beschäftigen, mit
  Ausnahme der Werkstätten, in denen nur Familienmitglieder arbeiten und
  in denen ungefährliche Gewerbe betrieben werden.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.

   --

Arbeitszeit: b) Der Frauen.

  11 Stunden. An Vorabenden der Sonn- und Festtagen 10 Stunden, 1 Stunde
  Pause. Für Frauen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, 1-1/2 Stunde.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.

   --

Ueberstunden: b) Der Frauen.

  Für nicht mehr als 14 Tage im Jahr durch besondere Erlaubnis der
  Behörden gestattet.

  Dispensationen für ganze Fabrikationszweige wie in Deutschland
  zulässig.

Nachtarbeit:

  Von 8 Uhr abends bis 5 resp. 6 Uhr morgens verboten.

Sonntagsarbeit:

  Verboten.

Arbeitsbeschränkung:

  Wie in Deutschland und Oesterreich.

Schutzzeit der Schwangeren:

  14 Tage vor der Niederkunft ist die Arbeit verboten.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

  6 Wochen.

[Transskriptionsanmerkung: Im vorliegenden Original fehlt ein Teil.
(Daten für mindestens ein weiteres Land.)]


Die Arbeiterinnenversicherung.


Neben die Erweiterung des Arbeiterschutzes trat, als letzte große
Errungenschaft der Arbeiterklasse, die Arbeiterversicherung. Der
Gedanke, daß der arme Arbeiter sich vor den Wechselfällen seines Lebens
auf irgend eine Weise schützen müsse, war durchaus kein neuer: die
englischen Gewerkschaften und die Friendly Societies entwickelten sich
schon früh auch nach dieser Richtung zu großartigen Organisationen, die
ihren Mitgliedern vor allem Krankenunterstützung und Begräbnisgelder
gewährten. Die Gesellen- und Knappschaftskassen in Deutschland sorgten
in ähnlicher Weise für die ihr Zugehörigen, ebenso die modernen freien
Hilfskassen, deren Anfänge bis in das Revolutionsjahr zurückreichen. Die
französischen Societés de Secours mutuels dehnten ihre Verpflichtungen
vielfach noch weiter aus, indem sie ihren Mitgliedern in allen Notfällen
des Lebens zu helfen suchten; die Syndikate, die verschiedenen
Rentenkassen wirkten in derselben Richtung. Aber dieses ganze
freiwillige Versicherungswesen krankte an demselben großen Uebel: es
umfaßte immer nur einen äußerst beschränkten Kreis von Arbeitern und
überließ gerade die Hilfsbedürftigsten der bittersten Not. Zu ihnen
gehörten aber die Frauen. Nicht nur, daß sie schwer sich entschließen
konnten, von ihrem geringen Einkommen regelmäßige Beiträge zu den
verschiedenen Vereinen und Kassen abzuziehen, sie sind auch, wie wir
schon gesehen haben, äußerst schwer zu organisieren. Die Unverheirateten
sehen die Fürsorge für Alter und Gebrechlichkeit als überflüssig an,
weil sie meinen, daß die Ehe ihnen beides sichern wird, die
Verheirateten darben sich jeden Pfennig lieber für ihre Kinder ab. In
England allein traten schon Mitte des 19. Jahrhunderts Frauen in
größerem Umfang den Friendly Societies bei oder gründeten für sich
allein selbständige freie Hilfskassen; in Deutschland entstand die erste
Kasse der Art auf Anregung der Gräfin Guillaume-Schack erst im Jahre
1884 in Offenbach a.M.; Frankreich kannte nur einen sehr kleinen Verein
derselben Art, während seine Unterstützungs- und Versicherungsvereine
entweder nur wenige weibliche Mitglieder hatten oder sie sogar
statutenmäßig ausschlossen. Nur in Bezug auf Witwenunterstützung geschah
hie und da etwas Nennenswertes für die Frauen.

Der Gedanke der staatlichen Zwangsversicherung für alle Arbeiter, wie er
sich zuerst in Deutschland Bahn brach, war daher, vom Standpunkt der
weiblichen Arbeiter aus betrachtet, ein außerordentlich fruchtbarer.
Daran ändert die für die Geschichte der Arbeiterversicherung
bezeichnende Thatsache nichts, daß ihre Urheber, wie es die kaiserliche
Botschaft vom 17. November 1881 erklärte, die Schaffung der
Arbeiterversicherung lediglich als eine Ergänzung zur "Repression
sozialdemokratischer Ausschreitungen", d.h. des Sozialistengesetzes,
betrachteten.

Nacheinander wurden die Krankenversicherung, die Unfallversicherung und
schließlich die Alters- und Invaliditätsversicherung eingeführt.
Oesterreich, Frankreich und die Schweiz folgten langsam dem Beispiel
Deutschlands, ohne indessen bisher die Versicherungsgesetzgebung so weit
auszudehnen.

Eine Darstellung des geltenden Rechts in Bezug auf die
Arbeiterinnen-Versicherungsgesetzgebung bringt nebenstehende Tabelle.

Wie die Tabelle zeigt, ist die obligatorische Arbeiterversicherung in
Deutschland, dem Mutterland der Idee, am ausgiebigsten zur Durchführung
gekommen. Aber wie es bei der Neuheit des ganzen Gedankens, dem Fehlen
jeglichen Vorbilds und der Mangelhaftigkeit der statistischen Unterlagen
nicht anders möglich war, leidet die Gesetzgebung auch hier an Mängeln
sowohl in Bezug auf die Leistungen, als in Bezug auf das Bereich ihrer
Ausdehnung.

Zuerst wurde die _Krankenversicherung_ geordnet und für Arbeiter und
Angestellte in Gewerbe und Handel zu einer obligatorischen gemacht. So
segensreich sie sich aber auch im Vergleich zu jener Zeit erwies, wo sie
selbst als private und freiwillige Versicherung nur für kleine Gruppen
von Arbeitern existierte, so stellte sie sich doch bald als unzulänglich
heraus. Eine ihrer schwächsten Seiten ist die Frage der
Geldunterstützung. Wenn eine kranke Arbeiterin wöchentlich zwischen 4
und 5 Mark bekommt, so ist dadurch der Lohnausfall für die Familie
natürlich nicht gedeckt, noch weniger aber ist sie in den Stand gesetzt,
sich gehörig zu pflegen und gut zu ernähren. Dazu kommt, daß die
schlecht bezahlten, überanstrengten Kassenärzte sie nur schablonenhaft
behandeln können, und diesen dabei in jeder Hinsicht die Hände gebunden
sind, weil die Kassenvorstände Verordnungen von Milch, Bädern, Wein etc.
der hohen Kosten wegen meist nur sehr ungern sehen. Meines Erachtens
müßte das Krankengeld bis zur Höhe des vollen Lohnes erhoben werden
können, vor allem aber müßte die Krankenhauspflege in erweitertem Maße
als bisher in Anwendung gebracht werden.

Diese Forderung stößt zunächst auf den Widerstand der Arbeiterinnen
selbst und man pflegt sich nicht genug darüber zu empören, daß sie sich
so energisch gegen die Aufnahme im Krankenhaus sträuben. Wer aber einmal
die Säle und Krankenzimmer der Aermsten gesehen hat, wer sich erzählen
ließ, wie Frauen und Mädchen zu Studienzwecken einer ganzen Reihe von
Studenten sich darbieten müssen, wer sieht, mit welchem Entsetzen manche
Arbeiterin an das Zusammensein mit vielen Kranken in einem Zimmer, deren
Stöhnen und Jammern ihre Nächte zu qualvollen macht, zurückdenkt, der
wird ihre Abneigung gegen das Spital durchaus berechtigt finden. An der
Reorganisation der Krankenhäuser und der Krankenpflege muß daher der
Hebel angesetzt werden, sollen sie wirklich der arbeitenden Bevölkerung
zum Heil gereichen.

Die Krankenkassen haben aber auch nächst der Sorge für die Erkrankten
die Pflicht, der Erkrankung vorzubeugen. Um die Möglichkeit hierzu zu
gewinnen, müßten sie zunächst die Lebensbedingungen ihrer Mitglieder
kennen lernen und im Auge behalten, was einerseits durch enge Fühlung
mit den Gewerkschaften unterstützt werden könnte, andererseits dadurch
am leichtesten geschähe, daß ihnen das Recht zustände, Sanitäts- oder
Wohnungsinspektoren männlichen und weiblichen Geschlechts zu
erwählen. Die Berliner Ortskrankenkasse der Kaufleute, die ihre
Krankenkontrolleure dazu verwendet, hat damit gute Erfahrungen gemacht.
Wie viel hygienisches Wissen, an dem es leider überall mangelt, könnte
durch diese Organe der Krankenkassen verbreitet werden. Oft genügt ja
ein verständiger Wink, um arme Arbeiterfrauen über Kinderpflege und
Ernährung, über Lüftung, Alkoholgenuß etc. aufzuklären. In den weitaus
meisten Fällen allerdings, wo Not und Elend die einzigen Ursachen von
Krankheit und Siechtum sind, werden gute Ratschläge und Arzneien nichts
helfen können, aber wenigstens sollte versucht werden, die Kinder von
diesen Einflüssen einigermaßen frei zu machen: die Einrichtung von
Ferienaufenthalten, die Gründung von Kinderasylen wäre eine weitere
Aufgabe der Krankenkassen, deren Thätigkeitskreis sich mit Erfolg nach
allen Richtungen erweitern ließe. Eine vernünftige Regierung sollte
ihnen dabei in jeder Weise Vorschub leisten. Einen nicht zu
unterschätzenden Einfluß auf die Verwaltung der Krankenkassen könnten in
Deutschland die Arbeiterinnen gewinnen, wenn sie eines der wenigen
Rechte, das sie besitzen, das aktive und passive Wahlrecht für die
Krankenkassen-Verwaltungen in ausgiebigerer Weise noch als bisher
benutzen wollten. Es wäre das zugleich eine Erziehung zum besseren
Verständnis öffentlicher Angelegenheiten.

Diese Teilnahme der Frauen ist um so wichtiger und notwendiger, als die
Krankenkassen auch die Trägerinnen der Wöchnerinnenunterstützungen sind.
Der ganze Wöchnerinnenschutz wäre eine Phrase oder eine Grausamkeit,
wenn man der Frau die Arbeit verbieten, sie aber zu gleicher Zeit
mit ihrem Kinde dem Hunger preisgeben wollte. Die deutsche
Krankenversicherung und mit ihr alle Versicherungen ähnlicher Art im
Auslande, haben die Bestimmung getroffen, daß Wöchnerinnen bis auf die
Dauer von sechs Wochen durch die Ortskrankenkassen, denen sie seit
mindestens sechs Monaten angehören, eine Geldunterstützung erhalten
müssen, die mindestens die Hälfte, oder auch bis zu drei Viertel des
durchschnittlichen Tagelohnes betragen soll. Die ganze Halbheit der
Maßregel ist auf den ersten Blick einleuchtend. Schon unter normalen
Verhältnissen reicht der volle Lohn der Arbeiterin nicht aus, um die
notwendigsten Bedürfnisse zu decken, wie viel weniger kann die Hälfte
oder drei Viertel davon sich als genügend erweisen, wenn nicht nur die
Wöchnerin, sondern auch das Kind davon gepflegt werden soll. Ist schon
eine größere Familie vorhanden, für die gesorgt werden muß, so wird der
Wöchnerinnenschutz und die Wöchnerinnenversicherung völlig illusorisch,
weil die geringe Unterstützung nicht dazu ausreicht, für die Führung des
Haushaltes einen Ersatz zu schaffen, und die arme Mutter gezwungen ist,
so schnell als möglich das Bett zu verlassen, um selbst nach dem Rechten
zu sehen. Das ist um so häufiger der Fall, als die Kassen nicht befugt
sind, die Aufnahme der Schwangeren in eine Entbindungsanstalt oder der
Wöchnerinnen in Reconvalescentenheimen zu veranlassen, denn im Sinne des
Gesetzes gelten die Entbindung und ihre Folgen nicht als Krankheit, und
freier Arzt und freie Verpflegung wird nur den Kranken zugesichert. Die
völlige Unzulänglichkeit der Wöchnerinnenversicherung ist im
wesentlichen auf ihre Verquickung mit der Krankenversicherung
zurückzuführen, mit der sie, wie das Gesetz selbst anerkennt, im Grunde
nichts zu thun hat. Die Krankenversicherung, die den Versicherten auf
längstens 13 Wochen freien Arzt und Apotheke oder entsprechende
Behandlung im Krankenhaus gewährt, die ferner berechtigt ist, die
Krankenunterstützung bis auf ein Jahr zu verlängern, oder die Kranken in
Reconvalescentenheimen unterzubringen, ging bei der Festsetzung der Höhe
der Geldunterstützung von der Rücksicht auf eine mögliche starke Zunahme
der Simulanten aus und sah sich deshalb verhindert, über den üblichen
Lohn hinauszugehen, oder ihn auch nur zu erreichen.

Diese Besorgnis fällt bei der Frage der Wöchnerinnenunterstützung fort.
Trotzdem sie nun aber eine, wie wir gesehen haben, völlig ungenügende
ist, belastet sie die Ortskrankenkassen sehr erheblich. Nach den
Jahresberichten der Berliner Allgemeinen Ortskrankenkasse waren im Jahre
1900 die Einnahmen pro Kopf der männlichen Mitglieder um 6,09 Mk. höher
als die Ausgaben, während die Ausgaben pro Kopf der weiblichen
Mitglieder die Einnahmen um 3,12 Mk. überstiegen. Die Ursache hiervon
liegt nun zwar wesentlich in der allgemeinen traurigen Lage der
weiblichen Arbeiter, zum großen Teil aber auch in der Vernachlässigung
und mangelhaften Pflege der Schwangeren und Wöchnerinnen, die zahllose
Unterleibserkrankungen im Gefolge haben. Was also die Kassen auf der
einen Seite ersparen, das setzen sie auf der anderen wieder zu. Der
Schutz der Frau als Mutter stellt an die Versicherungsgesetzgebung so
weitreichende Anforderungen, daß sie im Rahmen der Krankenversicherung
unmöglich erfüllt werden können. Sie müßten einer besonderen
_Mutterschaftsversicherung_ übertragen werden.

Die Mutterschaft ist eine gesellschaftliche Funktion, daher müßte der
Staat sie ganz besonders unter seinen Schutz stellen und allen
bedürftigen Müttern des Volks die beste Pflege in weitestem Maße
zusichern. Dazu gehört eine Geldunterstützung während vier Wochen vor
und acht Wochen nach der Entbindung in der vollen Höhe des
durchschnittlichen Lohnes, freier Arzt, freie Apotheke, freie
Wochenpflege einschließlich der Pflege des Säuglings und der Sorge für
den Haushalt, die Errichtung von Asylen für Schwangere und Wöchnerinnen
und von Entbindungsanstalten, eventuell auch die Errichtung von Krippen,
wie wir sie im Interesse der Kinder schon gefordert haben. Die Mittel
hierzu müßten, neben den Beiträgen der Versicherten, aus einer allgemein
zu erhebenden Steuer hervorgehen, zu der vielleicht die Unverheirateten
und kinderlosen Ehepaare besonders herangezogen werden könnten. Das
entbehrt nicht eines komischen Beigeschmacks, weil es an die
Hagestolzensteuer erinnert, die vielfach gewissermaßen als Strafe für
das Ledigbleiben vorgeschlagen wurde, hat aber doch einen ernsten
Hintergrund, da die Alleinstehenden und Kinderlosen unter den heutigen
Verhältnissen thatsächlich ein weit sorgenloseres Leben führen, als die
Verheirateten und Kinderreichen.[951] Jedenfalls sollte die Frage der
Aufbringung der Mittel bei einer Sache von so weittragender Bedeutung
keine Rolle spielen. Ein Blick auf die Proletarierinnen und ihre Kinder
müßte genügen, um die Notwendigkeit einer durchgreifenden Maßregel jedem
vor Augen zu führen, daß sie noch nirgends in der hier befürworteten
Ausdehnung zur Durchführung kam, beruht einmal auf der Neuheit des
ganzen Versicherungswesens, und dann auf der Einsichtslosigkeit und
Rechtlosigkeit der Frauen, die kein Mittel haben, ihre persönlichen
Interessen wirkungsvoll zur Geltung zu bringen.

Auf die Krankenversicherung folgte die Einführung der
_Unfallversicherung_, die in Deutschland, Oesterreich, der Schweiz,
Norwegen und Finland obligatorisch ist. Sie wird nur von den
Unternehmern aufgebracht, und hat daher den großen Vorteil gehabt, zur
Sicherheit der Betriebe sehr viel beizutragen und so die Unfälle
möglichst zu verhüten. Da aber der Begriff der Betriebsunfälle durchaus
kein feststehender ist und auch ihre "vorsätzliche" Herbeiführung, die
die Entschädigung ausschließt, sich nicht immer mit unbedingter
Sicherheit feststellen läßt, die Renten überdies ganz unzureichende
sind, so werden ihre Vorteile dadurch erheblich eingeschränkt. Das gilt
in noch höherem Maße für die _Invaliditäts- und Altersversicherung_.

Deutschland gebührt der Ruhm den wahrhaft großen Gedanken, den Arbeiter,
der im Dienst der Allgemeinheit seine Arbeitskraft verlor oder ein Alter
erreichte, das ihm Ruhe gebietet, nicht der Armenpflege anheimfallen zu
lassen, sondern ihm das Recht auf eine gesicherte Existenz zuzuerkennen.
Nur traurig, daß die praktische Ausführung des Gedankens so weit hinter
dem Ideal zurückblieb. Zunächst hat nur derjenige auf Invalidenrente
Anspruch, der nicht mehr ein Drittel seiner normalen Erwerbsfähigkeit
besitzt. Eine Arbeiterin also, die in gesunden Zeiten etwa 700 Mk.
jährlich zu verdienen vermochte, nunmehr aber nicht mehr als 350 Mk.
verdienen kann,--denken wir z.B. an Konfektionsarbeiterinnen, die durch
jahrelanges Maschinennähen ihre Arbeitskraft soweit einbüßen,--hat, auch
wenn sie dem größten Elend gegenübersteht, keinerlei Anspruch auf eine
Rente. Sie muß nach wie vor, sei es durch Betteln oder durch die Schande
der Prostituierung, einen Nebenerwerb sich zu verschaffen suchen, wenn
sie nicht verhungern will. Ist aber ihre Erwerbsfähigkeit so weit
vermindert, daß sie zum Empfang der Invalidenrente berechtigt ist, so
ist sie dadurch weder von Sorge und Not, noch von der Notwendigkeit, um
Armenunterstützung nachzusuchen, befreit. Die Invalidenrenten betragen
nämlich:

Nach            | In Lohnklasse                   |
Beitragswochen  |---------------------------------|
                | I    | II   | III  | IV   | V   |
----------------+------+------+------+------+-----|
                | Mk.  | Mk.  | Mk.  | Mk.  | Mk. |
200             | 116  | 132  | 146  | 160  | 174 |
300             | 119  | 138  | 154  | 170  | 186 |
500             | 125  | 150  | 170  | 190  | 210 |
1000            | 140  | 180  | 210  | 240  | 270 |
1500            | 155  | 210  | 250  | 290  | 330 |
2000            | 170  | 240  | 290  | 340  | 390 |
2500            | 185  | 270  | 330  | 390  | 450 |

Bei der Niedrigkeit der Arbeiterinnenlöhne wird die dritte Lohnklasse
(550-850 Mk. durchschnittliche Jahreseinnahme) im allgemeinen die
höchste sein, für die Einzahlungen durch die Frauen geleistet werden
können. Und nach fünfzig arbeitsreichen Jahren wird eine Rente von 330
Mk. erreicht! Wie aber, wenn die Invalidität früher und für Angehörige
einer niedrigeren Lohnklasse eintritt?! Soll ein armes, vom Kampf ums
Dasein vorzeitig zerriebenes Geschöpf mit 116, 150, 220 Mk. leben
können?! Man hat bei der Festsetzung der Invalidenrente vielfach
gefürchtet, die Arbeiter würden den Empfang dieses Goldregens gar nicht
abwarten wollen und sich auf alle Weise die erforderliche Invalidität
künstlich zuziehen. Bei der Aussicht auf diese Sätze wird das selbst der
ärmsten Näherin nicht einfallen. Man glaubte ferner darauf Rücksicht
nehmen zu müssen, daß durch die Gewährung der Renten nicht etwa die
Verpflichtung der Familienangehörigen, sich gegenseitig zu unterstützen,
aufgehoben würde, und hat nicht daran gedacht, daß die Möglichkeit dazu
in der Arbeiterbevölkerung eine seltene ist. Trauriger noch steht es um
die Altersrenten. Siebzig Jahre muß die Arbeiterin alt werden, ehe sie
auf eine Rente von 110-230 Mk. rechnen kann! Hat sie das Glück, bei
ihren Kindern wohnen zu können, so bedeutet die Summe immerhin eine
erfreuliche Erleichterung für die meist trostlose Abhängigkeit der Alten
von den Jungen, steht sie allein, so genügt sie auch nicht, um davon in
irgend einem Altfrauen-Stift unterzukommen. Mit Darben und Arbeiten fing
ihr Leben an, mit Darben und Betteln hört es auf.

Ein für die Frauen besonders wichtiger Versicherungszweig, dessen erste
schüchterne Ansätze im deutschen Versicherungswesen zu finden sind, ist
die _Witwen- und Waisenversorgung_. Während auf Grund der
Krankenversicherung den Hinterbliebenen nur ein Sterbegeld zusteht und
die Invalidenversicherung zur Rückerstattung der Hälfte der für den
verstorbenen Versicherten gezahlten Markenbeiträge an die Witwe oder die
Waisen verpflichtet ist,--eine Summe, die im besten Fall 200-300 Mk.
beträgt,--gewährt die Unfallversicherung ihnen eine Rente bis zu 60% des
Arbeitsverdienstes des Verstorbenen, ein Satz, der um so mehr als billig
anerkannt werden muß, als er durch die etwaige Erwerbsfähigkeit der
Witwe nicht geschmälert werden kann. Aber der Kreis derjenigen, die in
den Genuß der Rente gelangen, ist ein äußerst geringer. Die große Masse
der Arbeiterwitwen und -Waisen geht leer aus, und hat, nach dem Tode des
Haupternährers, unter den schwierigsten Umständen für sich selbst zu
sorgen. Zu dem notwendigsten Ausbau der Arbeiterversicherung würde daher
eine allgemeine Witwen-und Waisenversicherung gehören, die durch
allgemeine Steuern gedeckt werden müßte. Es scheint mir wenigstens eine
selbstverständliche Forderung zu sein, daß die gesamte Gesellschaft
überall dort einzutreten hat, wo die Interessen der Kinder, auf denen
die Zukunft des Staates beruht, auf dem Spiele stehen.[952]

Krankheit und Unfall, Erwerbsunfähigkeit und Alter sind aber nicht die
einzigen finsteren Mächte, die das durch niedrige Löhne und schlechte
Arbeitsbedingungen schon genug gefährdete Leben der Arbeiterin bedrohen.
Denn selbst auf die Zeiten gewinnbringender Thätigkeit fällt verdüsternd
der Schatten jener anderen Macht, in deren Bann sie immer wieder gerät,
der _Arbeitslosigkeit_. Die Gewalt, die sie besitzt, der Schrecken, den
sie verbreitet, ist zuerst von den Gewerkschaften anerkannt worden;
durch Unterstützung der arbeitslosen Mitglieder, durch Arbeitsnachweis
für sie suchten sie ihr zu begegnen. Besonders in Frankreich ist es der
Verband der Gewerkschaften,--die Confédération générale du Travail,--und
der Verband der Arbeitsbörsen,--die Föderation des Bourses du
Travail,--die sich um die Organisation der Stellenvermittlung verdient
gemacht haben. Der Gedanke aber, daß die Arbeitsvermittlung eine
öffentliche Angelegenheit von höchster Wichtigkeit ist und daher vom
Staat und von den Kommunen geregelt werden müsse, hat sich erst seit
kurzem Geltung verschafft. Zuerst waren es schweizerische Gemeinden, die
durch Gründung kommunaler Arbeitsnachweise mit dem guten Beispiel
vorangingen, dann folgten deutsche, vor allem süddeutsche Städte, die
sich schließlich zu einem "Verband deutscher Arbeitsnachweise"
untereinander verbunden haben, um eine noch regere Arbeitsvermittlung
zu ermöglichen.[953] Mit Unterstützung der Arbeitsbörsen
hat der französische Handelsminister die Einrichtung eines
Zentralarbeitsnachweises unternommen, der die Bestimmung hat, alle
Börsen miteinander in Verbindung zu bringen, also ungefähr dasselbe Ziel
verfolgt, wie der deutsche Verband. Für die brennende Frage der
Arbeitslosigkeit ist diese ganze Entwicklung von größter Bedeutung und
diejenigen, die sie am nächsten angeht, müßten sie besonders lebhaft
unterstützen. Erst eine vollkommen einheitliche Organisation des
Arbeitsnachweises kann zu ersprießlichen Resultaten führen, kann zu
einem klaren Bild des Arbeitsmarktes gelangen und Angebot und Nachfrage,
soweit es möglich ist, miteinander in Einklang bringen. Die notwendige
Voraussetzung dafür aber ist die völlige Unterdrückung der privaten
Stellenvermittlung. Sie ist, besonders für die Arbeiterin, eine Quelle
der Ausbeutung, und birgt Bakterienherde sittlicher Fäulnis. Von ihrer
Vernichtung sollte man sich nicht durch sentimentale Rücksichten auf die
Inhaber der privaten Bureaus abhalten lassen, die, soweit sie sich
tüchtig genug erwiesen haben, im Bureaudienst der öffentlichen
Vermittlung vielfache Verwendung finden können. Vor allem die
arbeitsuchenden Frauen werden, bei der Beschränktheit ihres
Gesichtskreises und ihrer Scheu vor jeder Berührung mit Organen der
öffentlichen Verwaltung, immer wieder den Winkelagenten und Vermittlern
aller Art in die Hände fallen, und niemals zum Genuß kommunaler oder
staatlicher Stellennachweise gelangen, solange eine private Vermittlung
daneben besteht. Daß diese Forderung keine utopische ist, beweist nicht
nur die uns etwas weit abliegende und daher schwer kontrollierbare
staatliche Stellenvermittlung Ohios, Neu-Seelands und der australischen
Staaten, sondern vor allem das im November 1900 von der französischen
Kammer angenommene Gesetz, das die allmähliche Beseitigung der privaten
Stellenvermittlung zum Ziele hat und an deren Stelle ein Netz von
unentgeltlichen Arbeitsnachweisen über das ganze Land verbreiten will.
Ob der Senat es bestätigen wird, bleibt freilich noch abzuwarten. Seine
Durchführung würde jedenfalls für die ganze Frage des Arbeitsnachweises
einen großen Fortschritt bedeuten.

Aber selbst der vollendetste Arbeitsnachweis könnte die Arbeitslosigkeit
nur mildern, aber nicht beseitigen, da er auf das Gleichgewicht zwischen
Angebot und Nachfrage ganz ohne Einfluß bleiben wird. Je mehr der
Saisoncharakter der Industrien sich entwickelt, desto häufiger werden
die Arbeiter wochen- und monatelang aufs Pflaster geworfen werden; jede
wirtschaftliche Krise vor allem beraubt Hunderte und Tausende der
Grundlagen ihrer Existenz. Die Kommunen suchten dem neuerdings in
erweitertem Maße durch Notstandsarbeiten zu begegnen, wobei aber vor
allem die Männer Berücksichtigung finden. Wo man den Frauen helfen
wollte, geschah es meist in verkehrer Weise durch Einführung von
Heimarbeit aller Art. In Lille z.B. wurden sie mit der Anfertigung von
Kinderkleidern beschäftigt, die in kleineren Geschäften ihre Abnehmer
fanden. Als ausreichend erwiesen sich die Notstandsarbeiten nirgends.
Die Versicherung gegen unverschuldete Arbeitslosigkeit muß daher die
Ergänzung des geregelten Arbeitsnachweises sein.

Alle Versuche auf diesem Gebiet sind bisher entweder in den ersten
Anfängen stecken geblieben, wie die fakultativen Winterversicherungen
der Städte Bern und Köln, oder völlig fehl geschlagen, wie die
obligatorische allgemeine Versicherung von St. Gallen. Diese Mißerfolge
auf einem so schwierigen Gebiet dürften Sozialpolitiker und Gesetzgeber
aber nicht davon abschrecken, auf andere Mittel und Wege zu sinnen, um
die Arbeitslosen nicht dem Elend preiszugeben, oder der Armenpflege und
der Privatwohlthätigkeit zu überlassen.

Die ideelle Bedeutung der Arbeiterversicherung beruht nicht zum
mindesten darauf, daß der Begriff des Almosens durch sie immer mehr
eliminiert wird, und an seiner Stelle der Gedanke an Boden gewinnt, daß
jeder Mensch auf die Sicherstellung seiner Existenz ein Anrecht hat. Um
ihn zum herrschenden zu machen, bedarf es aber nicht nur der
Versicherung gegen jede drohende Not und Gefahr, sondern vor allem der
Ausdehnung der Zwangsversicherung auf das ganze Volk, zunächst
wenigstens auf alle Lohnarbeiter, wie es durch die deutsche
Invaliditätsversicherung bereits geschehen ist. Diese Ausdehnung würde
neben den direkten Vorteilen, indirekte von großer Tragweite mit sich
führen. So wäre sie eines der Mittel, die Heimarbeit einzuschränken, da
der Unternehmer, der die Heimarbeiter versichern muß, weniger
Ersparnisse als bisher durch ihre Beschäftigung machen und der Zwang zur
Unfallversicherung ihn geneigter machen dürfte, eigene Werkstätten
einzurichten. Die statutarische oder gar die freiwillige Versicherung
haben ihre Wirkungslosigkeit überall erwiesen. Hat doch z.B. die
Berliner Hausindustrie, deren traurige Zustände durch eine
Reihe von Untersuchungen und nicht zuletzt durch den großen
Konfektionsarbeiterstreik jedermann bekannt waren, fast ein Jahrzehnt
warten müssen, ehe auch nur die Krankenversicherung auf sie ausgedehnt
wurde. Und die Dienstboten, für die zwar die Herrschaften auf die Dauer
von 6 Wochen zur Verpflegung und ärztlichen Behandlung,--sofern nicht
"grobe Fahrlässigkeit" die Krankheitsursache ist,--verpflichtet sind,
spüren von den Segnungen der Versicherung noch fast gar nichts.


Uebersicht der Arbeiterinnenversicherung.


Deutschland


Krankenversicherung: Umfang:

  Zwangsversicherung: für Arbeiter und Angestellte in Gewerbe und
  Handel.

  Statutarisch: für Landwirtschaft und Hausindustrie.

  Freiwillig: für Dienstboten.

Krankenversicherung: Leistungen:

  Freie ärztliche Behandlung und Arznei längstens für 13 Wochen oder
  Krankengeld: 50-75% des zu Grunde zu legenden Lohns.
  Wochenbettunterstützung: bis auf die Dauer von 6 Wochen. Sterbegeld:
  das Zwanzig- bis Vierzigfache des Tagelohns (letzteres beides nur
  durch Orts-, Betriebs-, Bau-, oder Innungskassen).
  Rekonvalescentenfürsorge bis auf die Dauer eines Jahrs.

Unfallversicherung: Umfang:

  Zwangsversicherung für: Arbeiter und Betriebsbeamte in Gewerbe und
  Landwirtschaft. Statutarisch: für Betriebsbeamte mit Jahresgehalt über
  2000 Mk., Kleinunternehmer in Baugewerbe und Landwirtschaft.
  Freiwillig für Unternehmer und nicht versicherungspflichtiges
  Personal.

Unfallversicherung: Leistungen:

  Freie Kur und Unfallrente bis 66-2/3% des Jahreslohns, oder freie
  Anstaltspflege nebst Angehörigenrente von der 13. Woche an bis 60% des
  Jahreslohns. Sterbegeld in der Höhe des zwanzigfachen Tagelohns,
  Hinterbliebenenrente bis 60% des Jahreslohns. Schadenersatz bei
  Verletzungen.

Invaliden- und Altersversicherung: Umfang:

  Zwangsversicherung für alle Lohnarbeiter und Angestellte. Durch
  Beschluß des Bundesrats Ausdehnung auf Kleinunternehmer und
  Hausindustrielle.

Invaliden- und Altersversicherung: Leistungen:

  Freie Kur nebst Angehörigenunterstützung zur Verhütung der
  Invalidität. Beitragserstattung bei Tod oder Heirat. Nach vollendetem
  70. Lebensjahr eine Altersrente nach Lohnklassen abgestuft von 110 bis
  230 Mk. jährlich. Nach eingetretener Invalidität eine nach der Zahl
  der Beitragswochen und der Lohnklassen abgestufte Rente, deren
  unterste Grenze 116,40 Mk. beträgt, deren oberste bis 450 Mk., nach 50
  Jahren Beitragszahlung in der obersten Lohnklasse, betragen kann.


Oesterreich


Krankenversicherung: Umfang:

  Zwangsversicherung für Arbeiter und Betriebsbeamte im Gewerbe.

  Freiwillig: für Landwirtschaft und Hausindustrie.

Krankenversicherung: Leistungen:

  Wie in Deutschland aber: Unterstützungsdauer bis zu 20 Wochen.
  Krankengeld 60% des ortsüblichen Lohns.

Unfallversicherung: Umfang:

  Zwangsversicherung für Arbeiter und Betriebsbeamte in der Industrie,
  im Baugewerbe, in maschinellen Betrieben der Landwirtschaft.
  Freiwillig für Unternehmer und nicht versicherungspflichtiges
  Personal.

Unfallversicherung: Leistungen:

  Unfallrente bis 60% des Lohns von der 5. Woche ab.
  Hinterbliebenenrente bis 50% des Jahreslohns. Sterbegeld.
  Schadenersatz wie in Deutschland.

Invaliden- und Altersversicherung: Umfang:

  Zwangsversicherung nur für Bergarbeiterinnen, Witwen- und
  Waisenversicherung im Bergbau. Zwangsversicherung in Vorbereitung.

Invaliden- und Altersversicherung: Leistungen:

   --


Frankreich


Krankenversicherung: Umfang:

  Freiwillig für Arbeiter aller Berufszweige.

Krankenversicherung: Leistungen:

  Nur Kranken- und Sterbegeld, nicht Arzt und Anstaltspflege.

Unfallversicherung: Umfang:

  Freiwillig für Arbeiter und Betriebsbeamte im Gewerbe.

Unfallversicherung: Leistungen:

  Unfallrente vom 5. Tage ab bis 50% des Lohns. Invalidenrente bis
  66-2/3% des Jahreslohns. Rente bis 60% des Lohns für Hinterbliebene.
  Begräbniskosten.

Invaliden- und Altersversicherung: Umfang:

  Freiwillig für alle Staatsbürger, Zwangsversicherung in Vorbereitung.

Invaliden- und Altersversicherung: Leistungen:

  Altersrente für mindeste Fünfzigjährige; Invalidenrente für
  Erwerbsunfähige, Beitragserstattung im Todesfall.


Großbritannien


Krankenversicherung: Umfang:

  Freiwillig für Arbeiter aller Berufszweige.

Krankenversicherung: Leistungen:

  Freiwillig.

Unfallversicherung: Umfang:

  Freiwillig für Arbeiter und Betriebsbeamte im Gewerbe.
  Haftpflichtgesetz.

Unfallversicherung: Leistungen:

  Unfallrente bis 50% des Lohns von der 3. Woche ab, oder
  Kapitalabfindung, Auszahlung eines Kapitals bis zum dreifachen,
  Jahreslohn an die Hinterbliebenen.

Invaliden- und Altersversicherung: Umfang:

  Freiwillig für alle Staatsbürger.

Invaliden- und Altersversicherung: Leistungen:

  Leibrenten von durchschnittlich 350 Mk.


Die Grenzen der Gesetzgebung.

Der unbefriedigende Charakter der sozialpolitischen Gesetzgebung aller
Länder ist das notwendige Ergebnis der Bedingungen, aus denen sie
hervorwächst. Sie ist der Ausdruck eines in ihren ersten Anfängen fast
unbewußt, gegenwärtig aber mit vollem Bewußtsein geführten
Interessenkampfes zwischen der Arbeiterklasse und der Klasse der
Unternehmer. Der Ursprung dieses Kampfes liegt in der kapitalistischen
Produktionsweise selbst, die jene beiden Klassen,--die Besitzer der
Produktionsmittel auf der einen und das besitzlose Proletariat auf der
anderen Seite,--zur Voraussetzung hat. Aus den verschiedenen Phasen des
Kampfes, aus den Schwankungen der Machtverhältnisse der Kämpfenden,
erklären sich die unorganische Entwicklung des Arbeiterschutzes, und
seine tastenden Versuche nach allen Richtungen hin. Das Übergewicht
aber, das die Unternehmer besitzen, kommt in der äußerst mangelhaften
Durchführung der geltenden Gesetzgebung zu drastischem Ausdruck.

Mit der Ausbreitung kapitalistischer Organisationsformen, die
unaufhaltsam vor sich geht und im Interesse des allgemeinen
Fortschrittes gelegen ist, wächst die Masse des Proletariats, d.h. der
von den Unternehmern abhängigen Lohnarbeiter, bringt beide Geschlechter
mehr und mehr in eine übereinstimmende Klassenlage und verstärkt
infolgedessen ihre Macht und ihren Einfluß. Die Weiterentwicklung der
sozialpolitischen Gesetzgebung wird dadurch bedingt. Sie kann daher in
größerem Maß als bisher der rücksichtslosen Geltendmachung
kapitalistischer Interessen Grenzen stecken, das Abhängigkeitsverhältnis
der Arbeiter von den Unternehmern mildern, aber darüber hinaus wird ihre
Wirksamkeit sich selbst dann nicht erstrecken können, wenn sie ihre
Aufgaben in weitestem Maße zu erfüllen im stande wäre. Nehmen wir an,
die Arbeitszeit wäre so niedrig als möglich festgesetzt, ein Minimallohn
gesichert, die Koalitionsfreiheit gewährleistet, durch staatliche
Versicherung die traurigen Folgen von Unfall, Krankheit, Alter und
Arbeitslosigkeit beseitigt, so bliebe als ungelöster Rest der
Ausgangspunkt der Arbeiterfrage bestehen: das Lohnsystem und seine
Folge, die Abhängigkeit des Lohnarbeiters, und die charakteristische
Erscheinung der kapitalistischen Produktionsweise, die wirtschaftlichen
Krisen, auf denen die Unsicherheit der proletarischen Existenz beruht.

Wenn somit auch die optimistische Anschauung des möglichen
Wirkungskreises der sozialpolitischen Gesetzgebung ihre Bedingtheit
anerkennen muß, und ich selbst außer stände war, in meinen Forderungen
über bestimmte Grenzen hinauszugehen, weil sie an den gegebenen
Machtverhältnissen eine Schranke fänden, so werden sie sich in
Wirklichkeit noch viel enger gestalten; denn die Gesetzgebung scheitert
nicht zuletzt an dem Problem der Frauenarbeit.

Wir wissen, daß die Lohnarbeit der Frau, mag sie auch zu, allen Zeiten
in gewissem Umfang bestanden haben, in ihrer gegenwärtigen Form ein
Produkt der großindustriellen Entwicklung ist. Ihre Tendenz geht mit
unverrückbarer Sicherheit dahin, das weibliche Geschlecht mehr und mehr
dem Bannkreis des Hauses zu entziehen, und den Erwerbszwang in
steigendem Maße auf alle Frauen, auch auf die verheirateten,
auszudehnen. Als die traurigen Resultate dieses Zustandes haben wir die
Degeneration der Frauen, wie sie sich in der Abnahme ihrer mütterlichen
Kräfte, der Fähigkeit, gesunde Kinder zur Welt zu bringen und sie zu
nähren, in dem frühen Altern ausdrückt, die Degeneration der Kinder, die
in ihrer höheren und früheren Sterblichkeit, ihrer Schwäche und
Kränklichkeit zu Tage tritt, kennen gelernt. Und als unausbleibliches
Korrelat der Lohnarbeit der Frauen ist uns die Prostitution
entgegengetreten. So wenig sie an sich eine neue Erscheinung ist, in
dieser Form und Ausdehnung, als Mittel des Erwerbes eines supplementären
Lohnes für ganze Schichten der Arbeiterinnenklasse ist sie, wie die
moderne Frauenarbeit selbst, das Ergebnis der kapitalistischen
Produktionsweise. Das beweist, mehr als irgend etwas anderes, die
Thatsache, daß wirtschaftliche Krisen und wirtschaftlicher Aufschwung in
innigem Zusammenhang mit der Zunahme und der Abnahme der gelegentlichen
Prostitution stehen. Sie wird aber auch durch ein psychologisches Moment
genährt, das keine andere Zeit hervorbringen konnte, wie die unsere: die
Kontrastwirkung des Reichtums und der Freiheit der Unternehmerklasse auf
die in Armut und Abhängigkeit lebenden Frauen der Arbeiterklasse. Der
Reichtum früherer Zeiten zog sich vornehm in Paläste und Patrizierhäuser
zurück, der moderne Reichtum strahlt blendend aus dem Glanz der
Kaufhäuser, der Pracht der Hotels, er wird in den Luxuszügen und
Dampfschiffen, die Weltstadt mit Weltstadt verbinden, in den Modebädern
und durch die Presse mit allen Mitteln der Vervielfältigungskunst den
Massen vor Augen geführt. Und wo die Not nicht ausreicht, um zur
Prostitution zu zwingen, da gaukelt die Gewalt dieser Verführungskünste
den armen Mädchen Glück und Freiheit vor.

Machtlos steht die sozialpolitische Gesetzgebung vor diesen Problemen.
Sie vermag die Wirkungen der Lohnarbeit auf Frauen und Kinder
abzuschwächen, wie sie durch Herabsetzung der Arbeitszeit, Sicherung von
Minimallöhnen, Auflösung der Heimarbeit, Versicherung gegen
Arbeitslosigkeit den äußeren Motiven zur Prostituierung etwas von ihrer
Gewalt zu nehmen im stande ist, aber sie kann dem Kinde die Mutter nicht
wiedergeben und kann nicht verhindern, daß die Frau, um die Not zu
lindern, ihren Körper verkauft, wie ihre Arbeitskraft.

Erst die Erkenntnis des Problems der Frauenfrage beleuchtet mit voller
Klarheit das Wesen der sozialen Frage, deren Teil sie ist. Je weiter die
kapitalistische Entwicklung fortschreitet, desto schwieriger wird die
Lösung ihres Sphinxrätsels. Desto entschiedener aber wird auch die
Frauenarbeit nicht nur zu seiner Lösung hindrängen, sondern sie auch
vorbereiten helfen. Sie hat ihre Entstehung der Revolutionierung der
Produktionsweise zu verdanken, sie trägt alle Elemente in sich, diese
Wirtschaftsweise nun ihrerseits zu revolutionieren, indem sie an einem
ihrer Grundpfeiler den Hebel ansetzt: der Familie, und Mann und Weib und
Kind gegen sie mobil macht, wie es bisher noch bei keinem der
historischen Klassen- und Machtkämpfe geschehen ist. Das konservativste
Element in der Menschheit, das weibliche, wird zur Triebkraft des
radikalsten Fortschritts.

Ohne die Frauenarbeit kann die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht
bestehen und wird immer weniger ohne sie bestehen können. Die
Frauenarbeit aber untergräbt die alte Form der Familie, erschüttert die
Begriffe der Sittlichkeit, auf denen sich der Moralkodex der
bürgerlichen Gesellschaft aufbaut, und gefährdet die Existenz des
Menschengeschlechts, deren Bedingung gesunde Mütter sind. Will die
Menschheit schließlich nicht sich selbst aufgeben, so wird sie die
kapitalistische Wirtschaftsordnung aufgeben müssen.

Die sozialpolitische Gesetzgebung bahnt mit den Weg zu diesem Ziel. Und
das ist ihre größte, wenn auch unbeabsichtigte Aufgabe. Sie macht die
Männer und Frauen der Lohnarbeiterklasse fähig, sich ihres solidarischen
Zusammenhanges bewußt zu werden. Sie setzt Rechte an Stelle der Almosen
und zerstört den unterwürfigen Sklavencharakter, der die Arbeiter der
vorkapitalistischen Zeit noch kennzeichnete. Sie schweißt die Massen
noch fester zusammen und lehrt sie den Gegner kennen, der seine
Interessen gegen die ihren ausspielt.

So wirkt, bewußt und unbewußt, alles zusammen, um an Stelle der alten
Welt, die die Menschheit in zwei feindliche Lager spaltete, eine neue
aufzubauen, in der die Lohnsklaverei der ökonomischen Unabhängigkeit
Platz machen, in der die Arbeit der Frau sie nicht schädigen und
schänden, sondern zur freien Genossin des Mannes erheben wird, in der
sie ihre höchste Bestimmung erfüllen kann, wie nie zuvor, und ein
starkes, frohes Geschlecht dafür zeugen wird, daß ihm die Mutter niemals
fehlte.



Anmerkungen:

[1] Vgl. Bachofen, Das Mutterrecht. Stuttgart, S. 10.

[2] Vgl. K. Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft. Tübingen 1898,
S. 13.

[3] Vgl. Julius Lippert, Kulturgeschichte der Menschheit. Stuttgart
1887, II. Bd. S. 23 ff.

[4] Vgl. Havelock Ellis, Mann und Weib. Leipzig 1894, S. 2 ff.

[5] Vgl. Bücher, a.a.O., S., 14 u. 37.

[6] Vgl. Julius Lippert, a.a.O., Bd. I S. 251 ff. und Bd. II S. 28.

[7] Vgl. Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie. 7. Auflage.
Stuttgart 1896, S. 52 f.

[8] Vgl. Paul Gide, Etude sur la condition privée de la femme. Paris
1885, S. 37.

[9] Mischna, Ketuboth, 61a bis 68a. Citiert bei Paul Gide, a.a.O.

[10] Gesetzbuch des Manu. Aus der englischen Übersetzung des Sir W. Jone
ins Deutsche übertragen von Th. Chr. Hüttner. Weimar 1797, S. 74 fg.

[11] I. Buch Mose, 16. Kapitel.

[12] Gesetzbuch des Manu, a.a.O., S. 325.

[13] 5. Buch Mose, 25. Kapitel 5-10.

[14] Gesetzbuch des Manu, a.a.O., S. 315.

[15] Gesetzbuch des Manu, a.a.O., S. 185 und 318.

[16] Vgl. E. Legouvé, Histoire morale des femmes. Paris, S. 13 f.

[17] Gesetzbuch des Manu, a.a.O., S. 319 u. 355.

[18] Vgl. Huc, L'empire chinois. Paris 1857, citiert bei Gide.

[19] Vgl. Paul Gide, a.a.O., S. 32 ff.

[20] Vgl. Platos Gastmahl in der Übersetzung von Schleiermacher. Berlin
1824, S. 416.

[21] Vgl. Xenophon, Oeconomicus, II.

[22] Vgl. Thukydides, Peloponnesischer Krieg. Übersetzt von Kämpf. S.
167.

[23] Vgl. über die Stellung der griechischen Frauen den Artikel On femal
society in Greece im 22. Band der Saturday Review und Rainneville, La
femme dans l'antiquité. Paris 1865.

[24] Vgl. F.W.B. von Ramdohr, Venus Urania. Leipzig 1798.

[25] Vgl. W.E.H. Lecky, Sittengeschichte Europas. Übersetzt von Dr. H.
Jolowicz. 2. Aufl. Leipzig 1879, S. 242 fg.

[26] Platos Staat, übersetzt von Schleiermacher. Berlin 1828, S. 274 u.
281.

[27] Plato, a.a.O., S. 281.

[28] Plato, a.a.O., S. 283.

[29] Plato, a.a.O., S. 282.

[30] Vgl. Aristoteles' Politik, übersetzt von Garve. Breslau 1799, S.
38.

[31] Aristoteles, a.a.O., S. 4.

[32] Aristoteles, a.a.O., S. 635.

[33] Aristoteles, a.a.O., S. 200.

[34] Vgl. Platos Timaeus, übersetzt von B.E.Chr. Schneider. Breslau
1874, S. 105 fg.

[35] Vgl. Gide, a.a.O., S. 114 fg.

[36] Vgl. Gajus, Institutionen, übersetzt von Backhaus. Bonn 1857, S. 12
f. und 71 ff.

[37] Vgl. Valerius Maximus, Sammlung merkwürdiger Reden und Thaten,
übersetzt von Dr. F. Hoffmann. Stuttgart 1829, Buch 8, Kap. III, S. 494.

[38] Vgl. Valerius Maximus, a.a.O., S. 495.

[39] Vgl. Th. Mommsen, Römische Geschichte. 8. Aufl. Berlin 1889, Bd.
III S. 510 fg.

[40] Vgl. Th. Mommsen, a.a.O., Bd. I S. 833-834.

[41] Vgl. Bücher, a.a.O., S. 68 ff.

[42] Vgl. Cicero, Pflichtenlehre, übersetzt von Friedr. Richter.
Leipzig, I, 41.

[43] Vgl. Sueton, Biographien, übersetzt von Sarrazin. Stuttgart 1883,
und Tacitus, Annalen, übersetzt von Roth. Berlin 1888.

[44] Vgl. Titus Livius, Römische Geschichte, übersetzt von Hausinger.
Braunschweig 1821, XXXIV. Buch, S. 203-215.

[45] Vgl. Titus Livius, a.a.O., Bd. XLI S. 224 ff.

[46] Vgl. Mommsen, a.a.O., Bd. I S. 874.

[47] Vgl. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms. 7.
Aufl. Leipzig 1901, I S. 254 ff., sowie Tacitus, Annalen und Martials
Epigramme.

[48] Vgl. Horaz, Satiren, übersetzt von H. Düntzer.

[49] Vgl. Mommsen, a.a.O., Bd. II S. 404.

[50] Vgl. Mommsen, a.a.O., Bd. III, und Gide, a.a.O., S. 140 ff.

[51] Vgl. Valerius Maximus, Sammlung merkwürdiger Reden und Thaten, Buch
VIII, Kap. 3, § 3, S. 495.

[52] Vgl. M. Ostrogorski, Die Frau im öffentlichen Recht, übersetzt von
Franziska Steinitz. Leipzig 1897, S. 140.

[53] Ostrogorski, a.a.O., S. 141

[54] Vgl. Louis Frank, La femme-avocat. Paris 1898, S. 12.

[55] Vgl. Paul Gide, a.a.O., S. 173 ff.

[56] Vgl. M. Tullius Cicero, Sechs Bücher vom Staat, übersetzt von J.
Christ. F. Bähr. Berlin, Langenscheidtsche Buchhandlung. IV. Buch, S.
198 fg.

[57] Vgl. Cornelius Nepos. Wortgetreue Uebersetzung von C.G. Roße.
Aschersleben 1880. Vorrede.

[58] Vgl. Plutarchs Werke. 24. Bd.: Moralische Schriften, übersetzt von
J. Christ. F. Bähr. Stuttgart 1830, S. 744-802.

[59] Vgl. Tacitus, Germania, übersetzt von M. Oberbreyer. Leipzig, S.
28.

[60] Vgl. G.L. von Maurer, Geschichte der Fronhöfe. Erlangen 1862, Bd. I
S. 115, 135, 241 ff. Bd. II S. 387 ff. Bd. III S. 325.

[61] Galater 3, V. 28.

[62] I. Korinther 14, V. 34.

[63] Galater 3, V. 26-28.--Vgl. auch Römer 10, V. 12.--I. Korinther 12,
V. 13.

[64] I. Korinther 7, V. 1-8.

[65] I. Korinther 7, V. 28.

[66] I. Johannis 8, V. 6-11.

[67] Matthäi 19, V. 6.

[68] Kolosser 3, V. 19.--Epheser 5, V. 25-31.

[69] Apostelgeschichte 2, V. 17, 18.

[70] Epheser 5, V. 22.--Kolosser 3, V. 18.--I. Korinther 11, V. 3.--I.
Petri 3, V. 1 ff.

[71] I. Timotheus 2, V. 12.--Titus 2, V. 4-5.

[72] I. Timotheus 2, V. 12.--I. Korinther 14, V. 34-35.

[73] I. Timotheus 2, V. 15.

[74] I. Korinther 7, V. 6 u. V. 25.

[75] I. Korinther 7, V. 1.

[76] I. Timotheus 2, V. 14.

[77] Tertullians sämtliche Schriften. Uebersetzt von Kellner. Köln 1882,
I. Bd. "Ueber den Putz der Weiber". S. 185.

[78] Kanonisches Recht. Causa XXXIII, citiert bei Louis Frank, Essai sur
la condition politique de la femme. Paris 1892. S. 42-43.

[79] Vgl. Paul Gide, a.a.O., S. 350 und Karl Weinhold, Die deutschen
Frauen in dem Mittelalter. 3. Aufl. Wien 1897, S. 183.

[80] Vgl. hierfür das für die Auffassung der Frauenfrage durch die
katholische Kirche höchst interessante Buch des Redemptoristenpaters A.
Rößler: Die Frauenfrage. Wien 1893.

[81] Vgl. Schmelzeis, Leben und Wirken der heiligen Hildegard. Freiburg
1879.

[82] Vgl. Binder, Die heilige Brigitta von Schweden. München 1891.

[83] Vgl. Martin Luther, Gründliche und erbauliche Auslegung des ersten
Buches Mosis. Cit. nach Strampff, Martin Luther über die Ehe. S. 176.

[84] Vgl. Martin Luther, Sämtliche Werke. Bd. 16. Sermon vom ehelichen
Leben. S. 526. Frankfurt a.M. 2. Aufl.

[85] Vgl. Martin Luther, Tischreden. Herausgegeben von Förstemann u.
Bindseil. IV. Abt. S. 121 f.

[86] Vgl. hierfür die charakteristische Schrift des Stuttgarter
Theologen F. Bettex, Mann und Weib. Bielefeld und Leipzig 1892.

[87] Vgl. Jakob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer. 3. Aufl. Göttingen
1881. S. 461.

[88] Vgl. Weinhold, a.a.O., S. 23.

[89] Vgl. Jakob Grimm, a.a.O., S. 411 ff.

[90] Vgl. Rößlin, Abhandlung von besonderen weiblichen Rechten. Mannheim
1775. S. 16

[91] A.a.O. S. 21.

[92] Citiert bei Edouard Laboulaye: Recherches sur la condition civile
et politique des femmes. Paris 1842. S. 320.

[93] Vgl. G.L. von Maurer, Geschichte der Fronhöfe. Erlangen 1862. Bd.
III, S. 169 f. Bd. IV. S. 498.

[94] Vgl. Edouard Laboulaye, a.a.O., S. 327.

[95] Vgl. Hartmanns von der Aue "Iwein". 6186-6206.

[96] Vgl. Maurer, a.a.O., Bd. I, S. 115, 135, 241, 394 f., Bd. II, S.
387 f., Bd. III S. 325.

[97] Vgl. Dr. P. Norrenberg, Frauenarbeit und Arbeiterinnenerziehung in
deutscher Vorzeit. Schriften der Görres-Gesellschaft. Köln 1880. S. 40.

[98] In Hartmanns von der Aue "Iwein" schildert der Dichter die
hungernden, blassen Weberinnen in der Werkstatt mit ergreifender
Beredsamkeit.

[99] Vgl. Jakob Grimm, Rechtsaltertümer. S. 350 f.

[100] Vgl. Maurer, a.a.O., Bd. I, S. 204 f.

[101] Vgl. De la Curne de St. Palaye, Mémoires sur l'ancienne
Chevallerie. Paris 1759. Bd. 3 S. 13 ff., Bd. 4 S. 20 ff.

[102] Vgl. Maurer, a.a.O., Bd. I, S. 135, 205.

[103] Vgl. Oeuvres du Seigneur de Brantome. Nouvelle Édition. Paris
1787. T. IV, p. 93 ff.

[104] Vgl. Maurer, Geschichte der Städteverfassung. Erlangen 1870. Bd.
III S. 103 ff.

[105] Otto Henne am Rhyn, Die Gebrechen und Sünden der Sittenpolizei.
Leipzig 1897. S. 56.

[106] Vgl. G. Schmoller, Die Tucher- und Weberzunft in Straßburg.
Straßburg 1879. S. 521.

[107] Vgl. Stahl, Das deutsche Handwerk. Gießen 1874. S. 58.

[108] Vgl. Stahl, a.a.O., S. 52.

[109] Vgl. Stahl, a.a.O., S. 81.

[110] Vgl. Schoenlank, Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren. Leipzig
1894. S. 50.

[111] Vgl. Stahl, a.a.O., S. 44.

[112] Vgl. Bücher, Die Frauenfrage im Mittelalter. Tübingen 1882, S. 12
ff.

[113] Vgl. Bücher, a.a.O., S. 14-15.

[114] Vgl. Schoenlank, a.a.O., S. 67.

[115] Vgl. Stahl, a.a.O., S. 274.

[116] Vgl. Stahl, a.a.O., S. 277.

[117] Vgl. Schoenlank, a.a.O., S. 50.

[118] Vgl. Schoenlank, a.a.O., S. 58.

[119] Vgl. Bücher, a.a.O., S. 4 ff.

[120] Vgl. Norrenberg, a.a.O., S. 40.

[121] Vgl. Stahl, a.a.O., S. 78.

[122] Vgl. Norrenberg, a.a.O., S. 50 ff.

[123] Vgl. L. Frank, La femme-avocat. Brüssel. Paris 1897 S. 61 ff.

[124] Vgl. Ennen, Geschichte der Stadt Köln. Bd. II, S. 623.

[125] Vgl. Schoenlank, a.a.O., S. 93 ff.

[126] Vgl. Schoenlank, a.a.O., S. 64 ff.

[127] Vgl. Schoenlank, a.a.O., S. 144.

[128] Vgl. Weinhold, a.a.O., S. 177 ff. und Stahl, a.a.O., S. 91.

[129] Vgl. W. Stieda, Die deutsche Hausindustrie, Bericht des Vereins
für Sozialpolitik. Leipzig 1889. S. 120 ff.

[130] Vgl. W. Sombart, Die Hausindustrie in Deutschland. In Brauns
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 1891. Bd. IV, S. 113.

[131] Vgl. P. Leroy-Beaulieu, Le travail des femmes au XIX. siècle.
Paris 1873. p. 21 ff.

[132] Vgl. Engels, Die Lage der arbeitenden Klassen in England. 2. Aufl.
Stuttgart 1892, S. 6 f.

[133] Vgl. Pierstorff, Frauenarbeit und Frauenfrage. 3. Bd. des
Handwörterbuchs der Staatswissenschaften. Jena 1892. S. 643.

[134] Vgl. Levasseur, Histoire des classes ouvrières en France depuis
1789. I. Bd. Paris 1867. S. 7.

[135] Vgl. Norrenberg, a.a.O., S. 93.

[136] Vgl. Weinhold, a.a.O., S. 115.

[137] Vgl. Jakob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. 6.
Aufl. Leipzig 1898. I. Bd. S. 237 ff.

[138] Burckhardt, a.a.O. II. Bd. S. 122 ff.

[139] Z.B. Boccaccio, Ferenzuela, Bandello. Vgl. Burckhardt, a.a.O. II.
Bd. S. 111 ff.

[140] Vgl. Gregorovius, Lucrezia Borgia. 3. Aufl. Stuttgart 1876, das
interessante Einzelheiten über die Bildung der Frauen enthält.

[141] Vgl. Burckhardt, a.a.O., II. Bd. S. 185 fg.

[142] Vgl. M. Thomas, Essay sur le caractère, les moeurs et l'esprit des
femmes. Paris 1772. S. 82.

[143] Vgl. L. Frank, La femme-avocat, a.a.O., S. 61 fg.

[144] Vgl. A. von Reumont, Vittoria Colonna. Freiburg i. Br. 1881.

[145] Wir nennen nur Hillarion da Coste, einen Mönch, der in zwei
Quartbänden, jeden zu 800 Seiten, 170 Frauen des 15. und 16.
Jahrhunderts schilderte, sowie den Venezianer Ruscelli, der durch seine
Ueberschwenglichkeit selbst seinen Zeitgenossen lächerlich erschien.

[146] Genannt seien die Schriften von Modesta di Pozzo di Torci (1595)
über die Vorzüge des weiblichen vor dem männlichen Geschlecht, und von
Lucretia Marinelli, hundert Jahre später, über die Vortrefflichkeit der
Frauen und die Fehler der Männer.

[147] Vgl. Thomas, a.a.O., S. 83.

[148] Vgl. Robineau, Christine de Pisan, sa vie, ses oeuvres. St. Omer
1882.

[149] Vgl. Miß Freer, Life of Marguerite, Queen of Navarra. London 1855
und Oeuvres du Seigneur de Brantome, a.a.O., II. page 451.

[150] Vgl. Saint-Poncy, Histoire de Marguerite de Valois, Paris 1887 und
Brantome, a.a.O., p. 376.

[151] Die Schrift erschien zuerst in lateinischer Sprache unter dem
Titel: De nobilitate et praecellentia foeminini sexus und im Jahre 1721
in deutscher Uebersetzung: Des Cornelii Agrippae anmuthiges und
curieuses Tractätgen von dem Vorzug des weiblichen vor dem männlichen
Geschlecht.

[152] Vgl. Georg Steinhausen, Das gelehrte Frauenzimmer. In "Nord und
Süd", 19. Jahrg. Bd. 75, S. 46 ff.

[153] Desselben Verfassers: Die deutschen Frauen im siebzehnten
Jahrhundert. In seinen Kulturstudien. Berlin 1893. S. 66.

[154] Zu erwähnen ist die Astronomin Maria Cunitz, deren astronomische
Tafeln: Urania propitia sich eines gewissen Rufs erfreuten, und die
Philosophin Katharina Erxleben in Halle.

[155] Aus den zahlreichen Schriften sind zu nennen: Gerhard Meuschens
Curieuse Schaubühne gelehrter Dames, Joh. Frauenlobs Lobwürdige
Gesellschaft gelehrter Weiber, Paullinis Hoch- und Wohlgelehrtes
teutsches Frauenzimmer, Casp. Ebertis Cabinet des gelehrten
Frauenzimmers. Vgl. auch Steinhausen a.a.O.: "Das gelehrte
Frauenzimmer".

[156] Vgl. Daniel Defoe, Essay on projects. London 1697.

[157] Vgl. Gustav Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. Berlin 1896. S. 78.

[158] Vgl. Charlotte Stopes, British Freewomen. London 1894. S. 124 ff.

[159] Ihre Streitschrift erschien anonym unter dem Titel: A serious
proposal to the Ladies for the advancement of their true and greatest
interest. By a Lover of her sex. London 1694. Im Jahre 1700 folgte die
bedeutendere Schrift: Reflections upon mariage.

[160] Vgl. Stopes, a.a.O. und meine Abhandlung in Brauns Archiv für
soziale Gesetzgebung und Statistik Bd. X, Heft 3, S. 417 ff.

[161] Vgl. Stopes, a.a.O., S. 193 ff.

[162] Vgl. Memoir and correspondence of Caroline Herschel. London 1875.

[163] Vgl. E. et J. de Goncourt, Les maîtresses de Louis XV. Paris 1860.
Bd. I, S. 52.

[164] Vgl. Mémoires du maréchal duc de Richelieu. Paris 1793.

[165] Vgl, Mémoires de madame de Genlis. Paris 1825. Bd. I und Théâtre à
l'usage des jeunes personnes par madame de Genlis. Paris 1789. Bd. 2. La
Colombe.

[166] Vgl. E. et J. de Goncourt, La Femme du dix-huitième siècle. Paris
1862. p. 322.

[167] Vgl. Montesquieu, Lettres persanes. Amsterdam 1731. p. 83 ff.

[168] Vgl. Barthélemy, Mémoires secrets de madame de Tencin. Grenoble
1790.

[169] Vgl. Montesquieu, Esprit des lois. Livre XVI, chap. 2.

[170] Vgl. J.J. Rousseau, Émile. Francfort s.M. 1855. Livre V, P. 28.

[171] Vgl. Rousseau, a.a.O., p. 29.

[172] Vgl. Rousseau, a.a.O., p. 58 ff.

[173] Vgl. Rousseau, a.a.O., p. 240.

[174] Vgl. Rousseau, a.a.O., p. 22 ff.

[175] Vgl. J.J. Rousseau, Du Contrat social, ou principes du droit
politique. Paris 1762. Livre I. Chapitre 1, 3, 4 und 9.

[176] Vgl. Tocqueville, L'ancien régime et la révolution. Paris 1856. S.
9 ff.

[177] Vgl. Mémoires de Madame Roland, publiés par C.A. Dauban. Paris
1864. S. 16 und 66.

[178] Vgl. A. Guillois, La marquise de Condorcet. Paris 1897.

[179] Vgl. Michelet, Les femmes de la révolution. Paris 1898. S. 5 ff.

[180] Vgl. Staël, Considérations sur la révolution française. Paris
1818. Bd. I, S. 380 ff.

[181] Vgl. J.A. de Ségur, Les femmes, leurs conditions et leurs
influences dans l'ordre social. Paris 1803. Bd. III, S. 18 ff.

[182] Vgl. E.C. Stanton, S.B. Anthony, M.J. Gage, History of Woman
suffrage. New-York 1881. Bd. I, S. 31 ff.

[183] Vgl. A. Guillois, a.a.O., S. 90 ff.

[184] Vgl, Ch.L. Chassin, Le génie de la révolution. Paris 1863. Bd. I,
S. 298 ff.

[185] Vgl. M. de Talleyrand-Périgord, Rapport sur l'instruction
publique. Paris 1791. S. 117 ff. u. 210 ff.

[186] Vgl. Lavisse et Rambaud, Histoire générale. T. VIII. La révolution
française. Paris 1896. S. 532 ff.

[187] Vgl. Lavisse et Rambaud, a.a.O., S. 623 ff.

[188] Vgl. Louis Blanc, Histoire de la révolution française. Paris 1847.
Bd. I, S. 498.

[189] Vgl. K. Kautsky, Die Klassengegensätze von 1789. Stuttgart 1889.
S. 60.

[190] Vgl. Louis Blanc, a.a.O., S. 489.

[191] Vgl. E. u. J. de Goncourt, Histoire de la société française
pendant la revolution. Paris 1864. S. 55 ff.

[192] A.a.O., S. 227.

[193] Vgl. Lavisse et Rambaud, a.a.O., S. 623 ff.

[194] Vgl. Chassin, a.a.O., S. 297 ff.

[195] Vgl. Chassin, a.a.O., S. 476.

[196] Vgl. A. Lefaure, Le socialisme pendant la révolution. S. 122.
Zitiert bei Ostrogorski, Die Frau im öffentlichen Recht. Uebersetzt von
Franziska Steinitz. Leipzig 1897. S. 31.

[197] Vgl. Blanc, a.a.O., Bd. III, S. 170-255.

[198] Vgl. Michelet, a.a.O., S. 56.

[199] Vgl. Ségur, a.a.O., S. 19 f.

[200] Vgl. J. Turquan, La citoyenne Tallien. Paris 1898. S. 27.

[201] Vgl. Liepold Lacour, Trois femmes de la révolution. Paris 1900. p.
11 ff.

[202] Ihren größten Triumph nach dieser Richtung feierte sie durch die
im Théâtre Italien veranstaltete Gedächtnisfeier nach Mirabeaus Tod, wo
l'Ombre de Mirabeau aux Champs-Elysées von ihr zur Aufführung kam.

[203] Vgl. E. Lairtullier, Les femmes célèbres de la révolution. Paris
1840. Bd. II, S. 137 ff.

[204] Vgl. Chassin, a.a.O., S. 476 ff.

[205] Vgl. für ihre Geschichte: Lairtullier, a.a.O., Bd. II, S. 49
ff.--Michelet, a.a.O., S. 111 ff.--Blanc, a.a.O., Bd. VII, S. 450 f.--L.
Lacour, a.a.O., p. 3 ff.

[206] Vgl. Léopold Lacour, a.a.O., p. 337 ff.

[207] Vgl. E. Lairtullier, a.a.O., Bd. II, S. 174 ff.

[208] Vgl. Gazette Nationale vom 31. Oktober 1792, citiert bei L. Frank,
Essay sur la condition politique de la femme. Paris 1892. S. 317 ff.

[209] Vgl. Lairtullier, a.a.O., S. 879 ff.

[210] Vgl, Frank, a.a.O., S. 322 ff.

[211] Vgl. Oeuvres de Condorcet, publiées par A. Condorcet-O'Connor et
M.F. Arago. Paris 1847. Bd. IX, S. 15 ff.

[212] Vgl. Oeuvres de Condorcet, a.a.O., Bd. X, S. 119-130.

[213] Vgl. C. Meiners, Geschichte des weiblichen Geschlechts. Hannover
1788. Bd. I, S. 1.

[214] Vgl, W. Alexander, History of women. London 1789. Bd. II, S. 35.

[215] Das Werk erschien zuerst 1792 in London, und wurde von Salzmann
ins Deutsche übersetzt. Im Jahre 1896 veranstaltete Mrs. Henry Fawcett
eine englische Neu-Ausgabe, der 1898 eine deutsche Uebersetzung von P.
Berthold folgte.

[216] Vgl. Kegan Paul, Einleitung zu der Neu-Ausgabe der "Letters to
Imlay", London 1879, und Helene Richter, Mary Wollstonecraft, Wien 1897.

[217] Vgl. (Th. G. von Hippel), Ueber die bürgerliche Verbesserung der
Weiber. Berlin 1792. Anonym erschienen.

[218] Vgl. (Th. G. von Hippel), Ueber die Ehe. Berlin 1774. Anonym
erschienen; 1872 von Brauning (Leipzig) neu herausgegeben.

[219] Vgl. Fénelon, Éducation des filles. Nouvelle édition, Paris 1884.

[220] Vgl. E. von Sallwürck, Fénelon und die Litteratur der weiblichen
Bildung in Frankreich. Langensalza 1886.

[221] Vgl. Adalbert von Hanstein, Die Frauen in der Geschichte des
deutschen Geisteslebens. Erstes Buch. Leipzig 1899. S. 70 f.

[222] Einen Beweis dafür, wenn auch einen unbeabsichtigten, liefert
Adalbert von Hanstein a.a.O. Schade um den Fleiß, mit dem er alle die
Damen der verdienten Vergessenheit entrissen hat.

[223] Vgl. J.B. Basedow, Methodenbuch für Väter und Mütter, Familien und
Völker. Altona 1770. S. 324 ff.

[224] Vgl. Karoline Rudolphi, Gemälde weiblicher Erziehung. Heidelberg
1815. Vorrede, S. XLVI.

[225] Vgl. Madame de Genlis, Adèle et Théodore, ou lettre sur
l'éducation. Paris 1782. I. p. 30 ff.

[226] Vgl. E. von Sallwürck, a.a.O., S. 307.

[227] Vgl. Stephan Waetzholdt, Das höhere Mädchenschulwesen des
Auslandes. Im Handbuch des höheren Mädchenschulwesens. Herausg. von Dr.
Wychgram. Leipzig 1897. S. 66 ff.

[228] Vgl. Abbé de St. Pierre, Projet pour multiplier les collèges de
filles. Paris 1730.

[229] Vgl. Comtesse de Rémusat, Essai sur l'éducation des femmes. Paris
1825. p. 23 ff.

[230] Vgl. Mrs. H. Hanson Robinson, Le mouvement féministe aux
États-Unis in der Revue politique et parlementaire. 5. Jahrg. Nr. 50.
Paris 1898. p. 160.

[231] Vgl. Natorp, Grundriß zur Organisation allgemeiner Stadtschulen.
Duisburg-Essen 1804.

[232] Vgl. Adalbert von Hanstein, a.a.O., 1900. 2. Buch. S. 300 ff.

[233] Vgl. Otto Berdrow, Rahel Varnhagen. Stuttgart 1900. S. 110 ff. u.
S. 180 ff.

[234] Vgl. Helene Lange, Entwicklung und Stand des höheren
Mädchenschulwesens in Deutschland. Berlin 1893. S. 7 ff.

[235] Vgl. R. Gneist, Ueber die Universitätsbildung der Frauen nach den
neueren Erfahrungen in den nordamerikanischen Freistaaten. Berlin 1873.

[236] Vgl. Annie Nathan Meyer, Woman's work in Amerika. New York 1891.
p. 147 f.

[237] Dr. Emily Blackwell, Address at Chickering Hall. New York, March
1888.

[238] Vgl. Carrie Chapmann Cart, Women's Century Calendar. New York
1900. p. 38.

[239] Vgl. Annie Nathan Meyer, a.a.O., p. 286.

[240] Vgl. Virginia Penny, Think and Act; Men and Women; Work and Wages.
Boston 1869-70.

[241] Vgl. Georgina Hill, Women in English life. London 1896. Vol. II.
p. 139

[242] Vgl. K.H. Schaible, Die höhere Frauenbildung in Großbritannien,
Karlsruhe 1894. S. 97 f.

[243] Vgl. Theodore Stanton, The Woman Question in Europe, London 1884,
p. 92 ff. und Englischwomens Journal, Decembre 1859.

[244] Vgl. Georgina Hill, a.a.O., p. 144.

[245] Die Mittel zu ihrem Studium entstammten einem Stipendium
uralischer Kosaken, die schwer unter dem Mangel tüchtiger Aerzte litten.

[246] Bei ihrer Promotion sprach Professor Rose die Hoffnung aus, daß
nunmehr die Sklaverei des weiblichen Geschlechts ein Ende nehmen werde!
Vgl. seine im V. Jahrg. des Arbeiterfreund, Berlin 1867, S. 441 f.,
veröffentlichte Rede.

[247] Vgl. Theodore Stanton, a.a.O., p. 167.

[248] Vgl. Countess of Aberdeen, The International Congress of Women of
1899. London 1900. Vol. II. Women in Education. p. 122 ff.

[249] Vgl. Theodore Stanton, a.a.O., p. 240 f.

[250] Seine Vorlesungen erschienen ein Jahr später unter dem Titel:
Histoire morale des femmes, und sind eines der wertvollsten Dokumente
der Frauenfrage.

[251] Vgl. Jeanne Chauvin, Étude historique sur les professions
accessibles aux femmes. Paris 1892. p. 202 f.

[252] Vgl. J.V. Daubié, La femme pauvre au XIX. siècle. Paris 1866. S.
135 ff.

[253] A.a.O.

[254] Vgl. P. Leroy-Beaulieu, Le Travail des femmes au XIX. siècle.
Paris 1874. p. 327.

[255] Vgl. E.M. Mesnard, Les femmes médecins. Bordeaux 1889. p. 11.

[256] Vgl. Helene Lange, a.a.O., S. 14.

[257] Vgl. L. von Marenholtz-Bülow, Erinnerungen an Friedrich Fröbel.
Berlin 1876. S. 132.

[258] Vgl. V. Heft der vom königl. statistischen Bureau herausgegebenen
preußischen Statistik. Berlin 1864.

[259] Vgl. Adolph Lette, Denkschrift über die Erwerbsquellen für das
weibliche Geschlecht. Im "Arbeiterfreund", Jahrg. 1865, S. 354 f.

[260] Vgl. Adolph Lette, a.a.O., S. 349 ff.

[261] Vgl. Luise Otto Peters, Das erste Vierteljahrhundert des
Allgemeinen deutschen Frauenvereins. Leipzig 1890. S. 2 ff.

[262] Vgl. Luise Otto, Das Recht der Frauen auf Erwerb. Hamburg 1866. S.
80.

[263] A.a.O., Vorwort, S.V.

[264] Fanny Lewald-Stahr, Für und wider die deutschen Frauen. Berlin
1896. S. 10 ff.

[265] Vgl. Carrie Chapman Catt, Woman's Century Calendar. New York 1900.
p. 43 u. 50.

[266] Vgl. Report of the International Council of Women, 25 March to
1st. April 1888. Washington 1888. p. 56-57.

[267] Vgl. Hugo Münsterberg, Das Frauenstudium in Amerika, in Kirchhoff,
Die akademische Frau. Berlin 1897. S. 343.

[268] Vgl. Hugo Münsterberg, a.a.O., S. 345.

[269] Vgl. Grace H. Dodge, What Women can learn. New York 1898. p. 20.

[270] Vgl. unter anderem: Women in Professions. London Congress, a.a.O.,
p. 154 ff.

[271] Vgl. Theodore Stanton, a.a.O., p. 32 ff.

[272] Vgl. Emily Davies, The higher Education of Women, London 1866, und
Helene Lange, Frauenbildung. Berlin 1889. S. 7 ff.

[273] Vgl. Emily Janes, The Englishwoman's Year Book. London 1900. p. 1
ff. u. 105 ff.

[274] Vgl. Mary Wolstenholme, Le mouvement féministe en Australie. Revue
politique et parlamentaire. 5. année. Nr. 45. p. 520 ff.

[275] Vgl. Women in Professions. London Congress, a.a.O., p. 142 ff.

[276] Vgl. Thirty-eighth Report of the Postmaster general on the Post
Office, p. 2, 42 f.

[277] Vgl. Jeanne Chauvin, a.a.O., p. 224 f.

[278] Vgl. Louis Frank, La femme dans les emplois publics. Bruxelles
1893. p. 49 ff.

[279] Vgl. Harriet Fontanges, Les femmes docteurs en Médecine. Paris
1901.

[280] Vgl. Dr. Otto Neustätter, Das Frauenstudium im Ausland. München
1899. Seite 9 f.

[281] Vgl. Women in Professions. London Congress, a.a.O., Bd. III, p.
58.

[282] Vgl. J. Ingelbrecht, Le Féminisme et la Femme Témoin. Revue
politique et parlementaire. Paris 1900. Nr. 68 u. Nr. 69. p. 367 ff. u.
601 ff.

[283] Vgl. L. Frank, La Femme avocat. Paris 1898. p. 70 ff.

[284] Vgl. Emilia Mariani, Le Mouvement féministe en Italie. Revue
politique et parlementaire. Paris 1897. Nr. 39, p. 481 ff.

[285] Vgl. Louis Frank, La Femme avocat, a.a.O., p. 85 ff.

[286] Vgl. Der Internationale Kongreß für Frauenwerke und
Frauenbestrebungen in Berlin. Berlin 1897. S. 59.

[287] Vgl. Dr. Otto Neustätter, a.a.O., S. 26 f.

[288] Vgl. Dr. Otto Neustätter, a.a.O., S. 6 f.

[289] Vgl. Dr. H. Grothe, Die Frau und die Arbeit. Im Arbeiterfreund, 5.
Jahrg. 1867. S. 337 ff.

[290] Vgl. Fanny Lewald-Stahr, a.a.O., S. 21.

[291] Vgl. Jenny Hirsch, Geschichte der 25jährigen Wirksamkeit des
Lettevereins. Berlin 1891. S. 59.

[292] Vgl. Heinrich von Sybel, Ueber die Emanzipation der Frauen. Bonn
1870.

[293] Vgl. Hedwig Dohms, Der Frauen Natur und Recht. Zweite Auflage.
Berlin. Verlag von F. Stahn (ohne Jahr).

[294] Vgl. Luise Büchner, Die Frauen und ihr Beruf. Fünfte Auflage.
Berlin 1884.

[295] Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des
Reichstags. 86. Sitzung VII. Legislaturperiode. I. Session 1890/91.

[296] Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des
Reichstags. VIII. Legislaturperiode. II. Session 1892/93. 50. Sitzung
und IX. Legislaturperiode. II. Session 1893/94. 86. Sitzung.

[297] Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des
Reichstags des Norddeutschen Bundes. Session 1867. S. 665.

[298] Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des
Reichstags. III. Session. I. Bd. 1872. S. 760.

[299] Vgl. Luise Otto, Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen
deutschen Frauenvereins. Leipzig 1890. S. 45.

[300] Vgl. Dr. O. Sommer, Die Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens
in Deutschland. Im Handbuch des höheren Mädchenschulwesens.
Herausgegeben von Dr. J. Wychgram. Leipzig 1897. S. 44 ff.

[301] Vgl. z.B. die Broschüre von Professor Albert, Die Frauen und das
Studium der Medizin, Wien 1895, in der er unter anderem sagt, daß von
1486 Studentinnen in England nur elf Aerztinnen wurden, während
thatsächlich 260 Studentinnen bis 1895 das medizinische Staatsexamen
bestanden.

[302] Vgl. Dr. Friedrich Zimmer, Der evangelische Diakonieverein. 4.
Auflage. Herborn 1897.

[303] Vgl. Elisabeth Storp, Die soziale Stellung der
Krankenpflegerinnen. Dresden 1901.

[304] Vgl. Adine Gemberg, Die evangelische Diakonie. Ein Beitrag zur
Lösung der Frauenfrage. Berlin 1894.

[305] Vgl. Eliza Ichenhäuser, Erwerbsmöglichkeiten für Frauen. 2. Aufl.
Berlin 1898.

[306] Vgl. H. Herkner, Das Frauenstudium der Nationalökonomie. Berlin
1899. Sonderabdruck aus dem Archiv für soziale Gesetzgebung und
Statistik.

[307] Vgl. Georg von Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre. 2. Bd.
Freiburg i.B. 1897. S. 70 f.

[308] Vgl. Karl Bücher, Ueber die Verteilung der beiden Geschlechter auf
der Erde, in G. von Mayrs Allgemeinem statistischen Archiv, 2. Jahrg.
Tübingen 1892. S. 369 ff.

[309] Vgl. J. Bertillon, De la dépopulation de la France et des remèdes
à y apporter. Im Journal de la Société de Statistique. 1895. p. 416 ff.

[310] Vgl. J. Goldstein, Bevölkerungsprobleme und Berufsgliederung in
Frankreich. Berlin 1900. S. 138 ff.

[311] Vgl. Arthur Geißler, Beiträge zur Frage des
Geschlechtsverhältnisses der Geborenen, in der Zeitschrift des Königl.
sächsischen statistischen Bureaus, 35. Jahrg. Dresden 1889.

[312] Vgl. Georg von Mayr, a.a.O., S. 71.

[313] Vgl. Geffeken (v. Bergmann), Auswanderung und
Auswanderungspolitik, in G.v. Schönbergs Handbuch der politischen
Oekonomie, 4. Aufl., 2. Bd., zweiter Halbband. Tübingen 1898. S. 498.

[314] Vgl Georg von Mayr, a.a.O., S. 82. Aus der an dieser Stelle
angeführten Tabelle berechnet.

[315] Vgl. Georg von Mayr, a.a.O., S. 399 f.

[316] Diese, wie alle anderen Berechnungen, für die keine Quellen
angegeben werden, sind aus den offiziellen Volkszählungen der
betreffenden Länder gewonnen worden. Es wurden dabei von mir benutzt:
Für die Vereinigten Staaten: X'th Census 1880, Washington 1883-1889,
Vol. I-III; XI'th Census 1890, Washington 1890 bis 1895, Vol. I-III und
Compendium Vol. I; XI'th Annual Report of the Commissioner of Labor
1895-96, Washington 1897.--Für England: Census of England and Wales
1881, London 1883, Vol. I-III; Census of England and Wales 1891, London
1893, Vol. III und IV und General Report.--Für Frankreich: Résultats
statistiques du Dénombrement de 1881, Paris 1883; Résultats statistiques
du Dénombrement de 1891, Paris 1894.--Für Oesterreich: Oesterreichische
Statistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dezember 1880,
Wien 1882-1884, Bd. I bis V; Oesterreichische Berufsstatistik vom 31.
Dezember 1890, Wien 1893-1895, XXII. und XXIII. Bd.--Für Deutschland:
Statistik des Deutschen Reichs, Neue Folge Bd. II; Berufsstatistik nach
der Berufszählung vom 5. Juni 1882, Berlin 1884; Berufs- und
Gewerbezählung vom 14. Juni 1895, Berlin 1897, Bd. 102, 103 und 111.

[317] Vgl. A.V. Fircks, Die Berufs- und Erwerbsthätigkeit der
eheschließenden Personen. Zeitschrift des kgl. preußischen statistischen
Bureaus. Berlin 1889.

[318] Vgl. z.B. A. von Oettingen, Moralstatistik. 2. Aufl. Erlangen
1874. S. 40 ff.

[319] Vgl. hierfür unter anderem: G. von Mayr, a.a.O., S. 68 ff.--K.
Bücher, Die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt. Basel 1890. S.
19.--Derselbe, Ueber die Verteilung der beiden Geschlechter auf der
Erde, a.a.O., S. 388 f.

[320] Vgl. G. von Mayr, a.a.O., S. 230.

[321] Vgl. G. von Mayr, a.a.O., S. 384.

[322] Wie es z.B. Gustav Cohn in seinem Buch: Die deutsche
Frauenbewegung, Berlin 1896, S. 54-55 thut.

[323] Die von A. von Fircks bearbeitete, Seite 100 erwähnte preußische
Statistik der Eheschließungen nach dem Beruf hätte darüber Aufschluß
geben können, wenn man die berufslosen Haustöchter, die fast die Hälfte
der heiratenden Frauen ausmachen, nach dem Beruf ihrer Eltern
klassifiziert hätte, statt sie in eine Rubrik zu bringen und überdies
mit den Rentnerinnen zusammenzuwerfen. Vgl. auch G. von Mayr, a.a.O., S.
411 f.

[324] Vgl. Rubin und Westergaard, Die Statistik der Ehen. Jena 1890.
Tabelle V, S. 28-29. Die obige Berechnung ist aus genannter Tabelle
dadurch gewonnen worden, daß ich Gruppe I--Männer in liberalen Berufen,
größere Kaufleute, Fabrikanten, Bankiers--mit Gruppe III--Lehrer,
Musiker, Kontoristen, Handelskommis, Angestellte in öffentlichen
Kontoren--zusammenberechnete und den Gruppen II, IV, V--Kleinhändler,
Schankwirte, Schiffer, Maschinenmeister; Ausläufer, Kellner,
Dienstboten; Arbeiter, Taglöhner, Matrosen--gegenüberstellte.

[325] Vgl. Max Haushofer, Die Ehefrage im Deutschen Reich. Berlin 1895.

[326] Vgl. G. von Mayr, a.a.O., S. 386.

[327] Vgl. Fircks Taschenkalender für das Heer. Berlin 1900. S. 379.

[328] A.a.O, S. 96 und 128.

[329] Vgl. J. Silbermann, Zur Entlohnung der Frauenarbeit. Schmollers
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. Neue Folge.
Bd, XXIII, Heft IV, S. 1401.

[330] Die deutsche Statistik wirft unter der Bezeichnung "Direktions-und
ärztliches Personal" alle Arten Aerzte mit den Hebammen zusammen,
während sie als "Wartepersonal" alle Arten Pflegerinnen und Wärterinnen
bezeichnet. Die anderen Länder dagegen rechnen die Aerzte besonders,
zählen dagegen Pflegerinnen und Hebammen zusammen. Wir sind daher
gezwungen, um einen Vergleich zu ermöglichen, alle drei Berufe für alle
Länder unter die bürgerliche Frauenarbeit mitzuzählen.

[331] Ihre Zahl ist unter die Buchhalter gerechnet.

[332] Da in Oesterreich die Frauen zur Advokatur nicht zugelassen sind,
muß diese Zahl auf einem Irrtum bei der Zählung beruhen.

[333] Hierunter werden nur Hebammen verstanden. Die Pflegerinnen dürften
sich unter den ca. 64000 Nonnen befinden.

[334] Die französische Statistik von 1891 zählt nur Handelsangestellte
im allgemeinen und Arbeiterinnen im Handel. Die große Zahl erklärt sich
daher daraus, daß die Verkäuferinnen mit einbegriffen sind.

[335] Unter dieser Rubrik versteht die englische Statistik Bibelleser,
Missionare und Prediger.

[336] Diese Rubrik kann für Amerika nicht ausgefüllt werden, weil die
Statistik die selbständigen Landwirte mit Aufsehern und Verwaltern
zusammenwirft.

[337] Auch für diesen Beruf fehlt es in Amerika an spezieller
Feststellung.

[338] Vgl. Eleventh Annual Report of the Commissionar of Labor.
Washington 1897. p. 22 f.

[339] Vgl. Comte d'Haussonville, Salaires et Misères des Femmes. Paris
1900. p. 132 ff.

[340] Vgl. Dokumente der Frauen, a.a.O., Bd. 3, Nr. 8, S. 271 u. Nr. 9,
S. 292 f.

[341] Vgl. Grace H. Dodge, What Women can earn. New York 1898. p. 15.

[342] Vgl. Women in Professions. London Congress, a.a.O., p. 221 ff.

[343] Vgl. Miss Amy Bulley and Miss Margaret Witley, Women's Work.
London 1894. p. 10 ff.

[344] Vgl. Sydney and Beatrice Webb, Problems of modern industry. Lond.
1898. p. 65.

[345] Vgl a.a.O., p. 42 ff.

[346] Vgl. Women in Professions. London Congress, a.a.O., p. 20.

[347] Vgl. Auguste Sprengel, Die äußere Lage der Lehrerinnen in
Deutschland. In Wychgrams Handbuch, a.a.O., S. 423 ff.

[348] Vgl. den Artikel "Lehrerin" im Illustrierten Konversationslexikon
der Frau. Berlin 1900. 2. Bd. S. 55.

[349] Vgl. C. v. Franken, Katechismus der weiblichen Erwerbs- und
Berufsarten. Leipzig 1898. S. 24 f.

[350] Vgl. J. Silbermann, a.a.O., S. 408.

[351] Vgl. Julius Meyer, Die Ausbildung und Stellung der
Handlungsgehilfinnen in Berlin. Berlin, Heines Verlag. S. 18.

[352] Vgl. Dokumente der Frauen. Herausgegeben von Marie Lang. Wien. II.
Bd. Nr. 22. Febr. 1900. S. 625 ff.

[353] A.a.O., Bd. II. Nr. 18. Dezember 1899. S. 475 ff.

[354] A.a.O., Bd. II. Nr. 17. November 1899. S. 443 ff.

[355] A.a.O., Bd. I. Nr. 2. April 1899. S. 32 ff.

[356] A.a.O., Bd. I. Nr. 1. März 1899. S. 10 ff.

[357] A.a.O., Bd. I. Nr. 5. Mai 1899. S. 116 ff.

[358] Vgl. Dr. Käthe Schumacher, Das Budget der erwerbenden Frau. In
Dokumente der Frauen, a.a.O., Bd. III. Nr. 3. Mai 1900. S. 101 ff.

[359] Vgl. hierfür: Dokumente der Frauen, a.a.O., Bd. III. Nr. 7. Juli
1900. S. 236 ff.--Konversationslexikon der Frau, a.a.O., Artikel:
Schauspielerin. 2. Bd. S. 393.--Women in Professions. London Congress,
a.a.O., Vol. III. p. 188 ff.

[360] Vgl. Miss Amy Bulley, a.a.O., p. 4 ff.

[361] Vgl. Havelock Ellis, Mann und Weib. Autorisierte deutsche Ausgabe
von Dr. Hans Kurella. Leipzig 1895. S. 98 ff.

[362] Vgl. H. Ploß, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. 5. Aufl.
Leipzig 1897. Bd. I. S. 335 ff.

[363] Vgl. z.B. in Arthur Kirchhoffs "Die akademische Frau", a.a.O., S.
112 und 120, wo die Professoren Kehrer und Olshausen von der
"allmonatlich eintretenden Beschränkung der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit" als von etwas Selbstverständlichem sprechen.

[364] A.a.O., S. 4, 33 u. 91.

[365] Vgl. Lady Jeune, Ladies at Work. London 1893, p. 129 ff.

[366] Vgl. Louis Frank, Dr. Keiffer, Louis Maingie, L'Assurance
maternelle, Bruxelles-Paris 1897.

[367] Havelock Ellis, a.a.O., p. 175 f.

[368] A.a.O., S. 186.

[369] A.a.O., S. 187 ff.

[370] Vgl. H.Th. Buckle, The Influence of Women on the Progress of
Knowledge. Miscellaneous Works. London 1872. Vol. I., p. 7 ff.

[371] Vgl. Arthur Kirchhoff, a.a.O., S. 123-124.

[372] Vgl. Karl Marx, Das Kapital. Erster Band. Vierte Auflage. Hamburg
1890. S. 346 ff.

[373] Vgl. J.A. Hobson, The Evolution of modern Capitalisme. London
1894. p. 319.

[374] Vgl. Sydney and Beatrice Webb, Problems of modern Industry. London
1898. p. 97 ff.

[375] Vgl. Helen Campbell, Women Wage-earners. Boston 1893. p. 69 ff.

[376] Vgl. Leroy-Beaulieu, Le Travail des Femmes au XIX. Siècle. Paris
1874. p. 29.

[377] Vgl. H. Herkner, Die oberelsässische Baumwollindustrie und ihre
Arbeiter. Straßburg 1887. S. 116 f.

[378] Vgl. H. Grandke, Die Entstehung der Berliner Wäsche-Industrie im
19. Jahrhundert. Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und
Volkswirtschaft. Bd. XX. Heft 2. 1896. S. 250.

[379] Vgl. Hobson, a.a.O., p. 296.

[380] Vgl. Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klassen in
England. 2. Aufl. Stuttgart 1892. S. 154: 237

[381] Vgl. Hobson, a.a.O., p. 292.

[382] A.a.O., p. 291.

[383] Vgl. Karl Marx, a.a.O., S. 428 f.

[384] Vgl. A. Thun, Die Industrie am Niederrhein. Leipzig 1879. S. 105
ff.

[385] Vgl. Helen Campbell, a.a.O., p. 69 ff.

[386] Vgl. A.N. Meyer, a.a.O., p. 284 f.

[387] Vgl. Friedrich Engels, a.a.O., S. 146 ff.

[388] Vgl. K. Marx, a.a.O., S. 425.

[389] Vgl. Leroy-Beaulieu, a.a.O., p. 33.

[390] A.a.O., p. 41.

[391] Vgl. Hobson, a.a.O., p. 224.

[392] Vgl. Sydney and Beatrice Webb, a.a.O., p. 62.

[393] Vgl. A. Thun, a.a.O., S. 28 f.

[394] Vgl. E. Sax, Die Hausindustrie in Thüringen. Erster Teil. Jena
1882. S. 15.

[395] A.a.O., zweiter Teil. Jena 1884. S. 53.

[396] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, Theorie und Praxis der englischen
Gewerkvereine. Deutsch von C. Hugo. I. Bd. Stuttgart 1898. S. 373.

[397] A.a.O., I. Bd., S. 354 ff.

[398] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, a.a.O., 2. Bd., S. 43 ff.

[399] Vgl. J.V. Daubié, La Femme pauvre du XIX. Siècle. Paris 1866. p.
51.

[400] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LXV. Untersuchungen
über die Lage des Handwerks. IV. Bd. 2. Teil. 1895. S. 120.

[401] Vgl. H. Herkner, a.a.O., S. 126.

[402] Vgl. Friedrich Engels, a.a.O., S. 139.

[403] Vgl. Karl Marx, a.a.O., S. 399 ff.

[404] Vgl. Karl Marx, a.a.O., S. 437.

[405] Vgl. Verhandlungen der im Sept. 1899 in Breslau abgehaltenen
Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik, Leipzig 1900, S. 93,
und die ähnliche Ansicht Stiedas in Litteratur, heutige Zustände und
Entstehung der deutschen Hausindustrie, Leipzig 1889, S. 22.

[406] Vgl. Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik, a.a.O., S. 16.

[407] Vgl. Werner Sombart, Hausindustrie im Handwörterbuch der
Staatswissenschaften. 2. Aufl. Jena 1900. 4. Bd. S. 1141.

[408] Vgl. Karl Marx, a.a.O., Bd. 1, S. 215 ff.

[409] Vgl. Friedrich Engels, a.a.O., S. 212 ff.

[410] Vgl. A.N. Meyer, a.a.O., S. 287 f.

[411] Vgl. Leroy Beaulieu, a.a.O., S. 91 ff., und Jules Simon,
L'Ouvrière, 2ième édition. Paris 1861. p. 248 f.

[412] Vgl. Jules Simon, a.a.O., S. 286 ff.

[413] Vgl. J.V. Daubie, a.a.O., p. 46.

[414] Vgl. Leroy Beaulieu, a.a.O., p. 377 ff.

[415] A.a.O., p. 42 ff.

[416] Vgl. Jules Simon, a.a.O., p. 210 ff.

[417] Vgl. A.J. Blanqui, Des Classes ouvrières en France pendant l'Année
1848. Paris 1849. Vol. I. p. 91 f.

[418] Vgl. Clara Collet, Report on Changes in the Employment of Women
and Girls. London 1898. p. 7 ff.

[419] Vgl. Levasseur, Histoire des Classes ouvrières en France. Paris
1867. Vol. II. p. 150.

[420] Vgl. Jules Simon, a.a.O., p. 41 ff. und J.V. Daubié, a.a.O., p.
54.

[421] Vgl. Leroy-Beaulieu, a.a.O., p. 65 ff. und H. Herkner, a.a.O., S.
129 f.

[422] Vgl. A. Thun, a.a.O., S. 31.

[423] A.a.O., S. 126.

[424] Vgl. H. Herkner, a.a.O., S. 258 ff.

[425] Vgl. A. Thun, a.a.O., S. 126 f.

[426] Vgl, Friedrich Engels, a.a.O., S. 27 ff.

[427] Vgl. Villermé, Tableau de l'Etat physique et moral des Ouvriers
dans les Manufactures de Coton, de Laine et de Soie. Paris 1840. Vol. I.
p. 86 ff.

[428] Vgl. Blanqui, a.a.O., vol. I, p. 101 f.

[429] Vgl. Jules Simon, a.a.O., p. 156 ff.

[430] Vgl. Blanqui, a.a.O., vol. I, p. 71 ff.

[431] Vgl. Jules Simon, a.a.O., p. 162 ff.

[432] Vgl. E. Hirschberg, Die soziale Lage der arbeitenden Klassen in
Berlin. Berlin 1897. S. 25 ff.

[433] Vgl. Jules Simon, a.a.O., p. 113 f.--A. Thun, a.a.O., S. 176
ff.--H. Herkner, a.a.O., S. 118 ff.

[434] Vgl. Villermé, a.a.O., p. 164 f.--Daubié, a.a.O., p. 56 f.

[435] Vgl. Karl Marx, a.a.O., S. 208 f.

[436] Vgl. H. Herkner, a.a.O., S. 120.

[437] Vgl. Villerme, a.a.O., p. 170 ff.

[438] Vgl. von Schultze-Gävernitz, Der Großbetrieb. Leipzig 1892. S. 40.

[439] Vgl. Karl Marx, a.a.O., p. 431 ff.

[440] Vgl. Villerme, a.a.O., p. 176 ff.

[441] Vgl. Fr. Engels, a.a.O., S. 146 f.

[442] Vgl. Die Ergebnisse der über die Frauen- und Kinderarbeit in den
Fabriken auf Beschluß des Bundesrats angestellten Erhebungen.
Zusammengestellt im Reichskanzleramt. Berlin 1876. S. 24 f.

[443] A.a.O., S. 24.

[444] Vgl. Jules Simon, a.a.O., p. 146 ff.

[445] Vgl. Daubié, a.a.O., p. 63.

[446] Vgl. Report of the Commission on the Employment of Children, young
Persons and Women in Agriculture. London 1868.

[447] A.a.O., XIII.

[448] A.a.O., XI.

[449] Vgl. Thorold Rogers, Die Geschichte der englischen Arbeit. Deutsch
von Max Pannwitz. Stuttgart 1896. S. 402 f.

[450] Vgl. J. Barberet, Le Travail en France. T. VI. Paris 1889. p. 291.

[451] Vgl. Karl Kautsky, Die Agrarfrage. Stuttgart 1899. S. 216.

[452] Vgl. Barberet, a.a.O., VI., p. 316 ff.

[453] Vgl. W. Kahler, Gesindewesen und Gesinderecht. Jena 1896. S. 8 ff.

[454] Vgl. Dr. Martin Luthers sämtliche Werke. Erlanger Ausgabe. Bd. 20,
S. 375; Bd. 2, S. 16, 18; Bd. 34, S. 154; Bd. 33, S. 389; Bd. 36, S. 298
ff. Zitiert bei O. Stillich, Die Lage der weiblichen Dienstboten in
Berlin. 1901.

[455] Vgl. H. Brennecke, Ueber die Verschlimmerung des Gesindes und
dessen Verbesserung. Berlin 1810. S. 1 f. Zitiert bei Stillich, a.a.O.

[456] Vgl. Kränitz, S. 655 ff. Zitiert bei Stillich, a.a.O.

[457] Vgl. Freiherr v.d. Goltz, Die soziale Bedeutung des Gesindewesens.
Danzig 1873. S. 22.

[458] Vgl. Amalie Holst, Die Bestimmung des Weibes zu höherer
Geistesbildung. 1802.

[459] Vgl. Mathilde Weber, Die Pflichten der Familie. Berlin 1886. S.
22.

[460] Vgl. A. Daul, Die Frauenarbeit. Altona 1867. S. 322 f.

[461]Vgl. J.V. Daubié, a.a.O., p. 89 ff.

[462] Vgl. W. Kähler, a.a.O., S. 34 ff.

[463] Die männliche Bevölkerung hat um 9703 Personen abgenommen, die
weibliche um 135 626 zugenommen.

[464] Vgl. Miss Collet, Report on the Statistics of Employment of Women
and Girls. London 1894. p. 71 f.

[465] Für die beiden ersten Vergleichungen sind von mir nur die Arbeiter
gerechnet worden, für die beiden letzten Arbeiter und Angestellte.

[466] Vgl. H. Rauchberg, Die Berufs- und Gewerbezählung im Deutschen
Reich vom 14. Juni 1895. In Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und
Statistik. XV. Bd., S. 336 f., und Derselbe, Die Bevölkerung
Oesterreichs. Wien 1895. S. 15.

[467] Vgl. Amtliche Mitteilungen aus den Jahresberichten der
Gewerbeaufsichtsbeamten für 1895, 1896, 1897, 1898. Berlin 1896, 1897,
1898, 1899, und Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr
1899. 4. Bd. Berlin 1900.

[468] Vgl. Rapports sur L'Application des Lois réglementant le Travail.
1894, 1896, 1898. Paris 1895, 1897, 1900.

[469] Vgl. Gewerbe und Handel im Deutschen Reich. Statistik des
Deutschen Reichs. Neue Folge. Bd. 119. Berlin 1899 und Die
Landwirtschaft im Deutschen Reich. Statistik des Deutschen Reichs. Neue
Folge. Bd. 112. Berlin 1898.

[470] Vgl. für meine Zusammenstellung: Für Deutschland: Berufsstatistik
für das Reich im ganzen. Erster Teil. Statistik des Deutschen Reiches.
Neue Folge. Bd. 102. Berlin 1897. S. 13 ff.--Für Oesterreich:
Oesterreichische Berufsstatistik vom 31. Dezember 1890. Wien 1895.
XXXIII. Bd. S. 38 ff.--Für England und Wales: Census of England and
Wales 1891. London 1893. Vol III. S. 7 ff.--Für de Vereinigten Staaten:
XIth Census 1890. Population. Washington 1895. Part II. S. 304, ff.--Für
Frankreich: Die vorläufige Zusammenstellung der Berufsgruppen, wie sie
nach der Berufszählung von 1896 im Bulletin de L'Office du Travail, Juin
1900, S. 578 f., erschienen ist; die spezialisierte Darstellung der
Berufsarten, wie sie eigentlich für die vorliegende Tabelle notwendig
gewesen wäre, liegt bis jetzt nur für Paris und das Seine-Departement
vor.--Für Belgien: Recensement général des Industries et des Metiers (31
Octobre 1896), Analyse de Volumes I et II. Bruxelles 1900. S. 30 ff. Die
Darstellung der Berufsarten im einzelnen fehlt auch hier.

[471] Vgl. hierfür wie für das Folgende die Ausführungen Werner Sombarts
über Hausindustrie im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Bd. IV,
2. Aufl. S. 1138 ff.

[472] Vgl. Heinrich Rauchberg, Die Hausindustrie des Deutschen Reichs
nach der Berufs- und Gewerbezählung. Schriften des Vereins für
Sozialpolitik. LXXXVII. Vierter Band. S. 108.

[473] Vgl. Alfred Weber, Die Hausindustrie und ihre Regelung.
Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik. Leipzig 1900. S. 25.

[474] Vgl. Bericht der k.k. Gewerbeinspektion über die Heimarbeit in
Oesterreich. 1. Bd. Wien 1900.

[475] Vgl. Werner Sombart, a.a.O., S. 1148.

[476] Vgl. Werner Sombart, a.a.O., S. 1157.

[477] Vgl. Recensement général des Industries et des Métiers. 31 Octobre
1896. Analyse des Vols. I et II. Bruxelles 1900. p. 11 ff.

[478] Vgl. Eleventh Annual Report of the Commissionar of Labor. 1895 to
1896. Work and Wages of Men, Women and Children. Washington 1897.

[479] Vgl. Miß Collet, Report on the Statistics of Employment of Women
and Girls. London 1894.

[480] Vgl. die Kritik des Reports von Dr. Ludwig Sinzheimer in Brauns
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. 8. Bd. 1895. S. 682 ff.

[481] Vgl. R. Martin, Die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der
Fabrik. Tübingen 1897. S. 41. Der Verfasser stützt sich unter anderem
auf Miß Collets Untersuchungen, nach denen, wie schon erwähnt wurde, die
Anzahl der verheirateten Arbeiterinnen viel zu niedrig angegeben wurde.

[482] Vgl. Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken. Nach den
Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899 bearbeitet
vom Reichsamt des Innern. Berlin 1901. S. 256 ff.

[483] Ergebnisse der über die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken
auf Beschluß des Bundesrats angestellten Erhebungen. Berlin 1877. S. 76
ff.

[484] A. Thun, Die Industrie am Niederrhein. Leipzig 1879. S. 218.

[485] Th. Leipart, Die Lage der Arbeiter in Stuttgart. Stuttgart 1900.

[486] Elis. Gnauck-Kühne, Die Lage der Arbeiterinnen in der Berliner
Papierwarenindustrie. Berlin 1896. S. 32.

[487] Vgl. Die Arbeits- und Lohnverhältnisse der Wiener
Lohnarbeiterinnen. Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquête
über Frauenarbeit. Wien 1897.

[488] Vgl. J. Singer, Untersuchungen über die sozialen Zustände in den
Fabrikbezirken des nordöstlichen Böhmens. Leipzig 1885. S. 117.

[489] Vgl. Office du Travail. Salaires et Durée du Travail dans
L'Industrie française, t. IV. Paris 1892-99. p. 210 ff.

[490] Vgl. L. Belloc, Le Travail des Femmes en Italie. Milan 1894. p. 12
ff.

[491] Vgl. Royal Commission of Labor. Employment of Women. London 1893.
p. 35 ff., 68 ff.

[492] Vgl. 4th Annual Report of the Commission of Labor. Working Women
in large Cities. Washington 1888. p. 68 f., 520 ff.

[493] Vgl. H. Herkner, Die oberelsässische Baumwollindustrie und ihre
Arbeiter. Straßburg i.E. 1887. S. 308.

[494] Vgl. F. Wörishoffer, Die soziale Lage der Fabrikarbeiter in
Mannheim. Karlsruhe 1891. S. 142 ff.

[495] Vgl. Sydney and Beatrice Webb, Problems of modern Industry. London
1898. p. 48.

[496] Vgl. Elis. Gnauck-Kühne, a.a.O., S. 54.

[497] Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899,
Berlin 1900. III. Bd. S. 342 ff.

[498] Vgl. A.N. Meyer, Woman's Work in America, a.a.O., p. 306.

[499] Vgl. Office du Travail. Salaires et Durée du Travail dans
L'Industrie française. Paris 1892-99. t. II. p. 190 ff., 292 ff.

[500] Vgl. Eleventh Annual Report of the Commissionar of Labor. Work and
Wages of Men, Women and Children. Washington 1894. p. 514 ff.

[501] Vgl. S. and B. Webb, Problems etc., a.a.O., p. 52.

[502] Vgl. Board of Trade, Sixth annual Abstract of Labors Statistics of
the United Kingdoms. London 1900. p. 122 ff.

[503] Vgl. Hobson, Evolution of modern Capitalisme, a.a.O., p 298.

[504] Vgl. Sydney and Beatrice Webb, Problems etc., a.a.O., p. 59, und
Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken, a.a.O., S. 26.

[505] Vgl. S. and B. Webb, Problems, a.a.O., p. 94, und E. Tregear, Die
Fabrikgesetzgebung in Neu-Seeland. Schriften des Vereins für
Sozialpolitik. LXXXVII. 4. Bd. S. 251.

[506] Vgl. Royal Commission of Labor. Employment of Women. London 1894.
p. 290 f.

[507] A.a.O., p. 281.

[508] A.a.O., p. 285.

[509] A.a.O., p. 135.

[510] A.a.O., p. 100.

[511] Vgl. L. Belloc, a.a.O., p. 28.

[512] Vgl. Elisabeth Gnauck-Kühne, a.a.O., S. 55.

[513] Vgl. Großherzoglich Badische Fabrikinspektion, Die soziale Lage
der Pforzheimer Bijouteriearbeiter. Karlsruhe 1901. S. 63 u. 116.

[514] Vgl. z.B. die Schrift von Ludwig Pohle, Frauenfabrikarbeit und
Frauenfrage, Leipzig 1900, deren Verfasser die Not als wichtigste
Ursache der Arbeit verheirateter Frauen einfach leugnet. Er war klug
genug, dies vor dem Erscheinen der deutschen Gewerbeaufsichtsberichte
für 1899 zu thun, sonst hätte er seine ganze Arbeit im Papierkorb
verschwinden lassen müssen.

[515] Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899.
Berlin 1900. 4 Bände.

[516] Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, a.a.O., Bd. III,
S. 906 f.

[517] Vgl. Office du Travail. Salaires et Durée du Travail etc., a.a.O.,
t. IV., p. 26 ff., 285 f., und Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
Jena 1900, 2. Aufl. 6. Bd. S. 734.

[518] Vgl. Office du Travail, a.a.O., t. IV, p. 26 u. 277, und Clara
Collet, Changes etc., a.a.O., p. 54.

[519] Vgl. E. Hirschberg, Die soziale Lage der arbeitenden Klassen in
Berlin. Berlin 1897. S. 229 f.

[520] Vgl. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener
Lohnarbeiterinnen. Wien 1897, passim.

[521] Vgl. Comte d'Haussonville, Salaires et Misères de Femmes. Paris
1900. p. 29.

[522] Vgl. Ch. Benoist, Les Ouvrières de l'Aiguille à Paris, Paris 1895.
p. 106.

[523] Vgl. Wörishoffer, Die soziale Lage der Fabrikarbeiter in Mannheim.
Karlsruhe 1891. S. 230.

[524] Vgl. a.a.O., S. 228 f.; Gnauck-Kühne, a.a.O., S. 60. Die soziale
Lage der Pforzheimer Bijouteriearbeiter, a.a.O., S. 155.

[525] Vgl. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Arbeiterinnen,
passim.

[526] Vgl. Hirschberg, a.a.O., S. 33 f.

[527] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. XXXI. Bd. 2. S. 206.

[528] A.a.O., S. 342 ff.

[529] Vgl. Sozialpolitisches Centralblatt 1892. Nr. 18. S. 196.

[530] Vgl. Wörishoffer, a.a.O., S. 208 f., und Drucksachen der
Kommission für Arbeitsstatistik. Verhältnisse in der Wäschekonfektion.
Verhandlungen Nr. 11, S. 13.

[531] Vgl. Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken, a.a.O.,
S. 113.

[532] A.a.O., S. 114.

[533] Vgl. Herkner, a.a.O., S. 305; Feig, a.a.O., S. 90; Gnauck-Kühne,
a.a.O., S. 64; Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken,
a.a.O., S. 119.

[534] Vgl. Wörishoffer, a.a.O., S. 227 ff.

[535] Vgl. Amtliche Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr
1899, passim.

[536] Vgl. Dr. Agnes Bluhm, Hygienische Fürsorge für Arbeiterinnen und
deren Kinder. Weyls Handbuch der Hygiene. 8. Bd. I. Teil. S. 85 f.

[537] Vgl. Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken, a.a.O. S.
64 ff.

[538] Vgl. Agnes Bluhm, a.a.O., S. 87.

[539] Vgl. Netolitzky, Hygiene der Textilindustrie. Weyls Handbuch der
Hygiene. 8. Bd. 2. Tl. S. 1012 ff.

[540] Vgl. Schuler und Burkhardt, Untersuchungen über die
Gesundheitsverhältnisse in der Schweiz. Archiv für Hygiene. 1894. 2. Bd.

[541] Vgl. Netolitzky, a.a.O., S. 1039 f.

[542] Royal Commission of Labour. Employment of Women, a.a.O., p. 100 f.

[543] Vgl. Netolitzky, a.a.O., S. 1023 ff.

[544] Vgl. Singer, a.a.O., S. 81.

[545] Vgl. Royal Commission of Labour, a.a.O., p. 53.

[546] A.a.O., p. 151 ff.

[547] Vgl. Heinzerling, Anorganische Betriebe. Weyls Handbuch der
Hygiene. 8. Bd. 2. Tl. S. 655 f.

[548] Vgl. Dr. Deborah Bernson, Nécessite d'une Loi protectrice pour la
Femme ouvrière. Lille 1899. p. 41 f.

[549] Vgl. Helbig, Phosphor und Zündwaren. Weyls Handbuch, a.a.O. S. 768
ff.

[550] Vgl. Sonne, Hygiene der keramischen Industrie, a.a.O., S. 924 ff.

[551] Vgl. Bruno Schönlank, Die Fürther Quecksilber-Spiegelbelegen und
ihre Arbeiter. Neue Zeit. 1887. S. 256 ff.

[552] Vgl. F. Pelloutier, La Vie ouvrière en France. Paris 1901. p. 105.

[553] Vgl. Barberet, Le Travail en France. 1889. t. 5. p. 316.

[554] Vgl. P. Straßmann, Die Einwirkung der Nähmaschinenarbeit auf die
weiblichen Genitalorgane. Therapeutische Monatsschrift. Juni 1898. S.
343 ff.--Netolitzky, a.a.O., S. 1109 f. Die Beschäftigung verheirateter
Frauen in Fabriken, a.a.O., S. 99 ff.

[555] Vgl. Herkner, a.a.O., S. 312 f.--Die Beschäftigung verheirateter
Frauen in Fabriken, a.a.O., S. 38 ff.--Die soziale Lage der Pforzheimer
Bijouteriearbeiter, a.a.O., S. 123 ff.

[556] Vgl. F. Wurm, Die Lebenshaltung deutscher Arbeiter. Dresden 1892.
S. 107 f.

[557] Vgl. M. Neefe, Die Hauptergebnisse der Wohnungsstatistik deutscher
Großstädte. Leipzig 1886.

[558] Vgl. E. von Philippowich, Wiener Wohnungsverhältnisse. Brauns
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Bd. 7. 1894. S 215 ff.

[559] Vgl. Amtliche Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, a.a.O., Bd. I,
S. 99, Bd II., S. 373, Bd. IV, S. 282 ff.

[560] Vgl. E. Wurm, a.a.O, S. 57.

[561] Vgl. J. Singer, a.a.O, S. 72.

[562] Vgl. Amtliche Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, a.a.O., Bd.
IV. S. 283 ff.

[563] Vgl. Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken, a.a.O, S.
36 f. u. 122 f.

[564] Vgl. Porak, Du Passage des Substances étrangères à l'Organisme à
travers le placenta. Archives de Médecine expérimentale et d'Anatomie
pathologique 1894. p. 203 ff.

[565] Vgl. Dr. Agnes Bluhm, Hygienische Fürsorge für Arbeiterinnen und
deren Kinder. Weyls Handbuch der Hygiene. 8. Bd. I. Teil. S. 92.

[566] Vgl. Hirschberg, a.a.O, S. 51 f.

[567] Vgl. A. Thun, a.a.O, S. 67.

[568] Vgl. Helen Campbell, Woman Wageearner, a.a.O, p. 91.

[569] Vgl. Hirschberg, a.a.O, S. 82.

[570] Vgl. Amtliche Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, a.a.O, Bd. II.
S. 857.

[571] Vgl. R. Martin, Die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der
Fabrik. Tübingen 1897. S. 69 f.

[572] Vgl. El. Gnauck-Kühne, a.a.O, S. 34.

[573] Vgl. Hirt, Die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygienischen
Standpunkt aus. Breslau 1873. S. 16 ff.

[574] Vgl. Dr. Deborah Bernson, a.a.O, p. 41.

[575] Vgl. Bruno Schönlank, Die Fürther Quecksilberspiegelbelegen und
ihre Arbeiter. Neue Zeit. 1887. S. 259.

[576] Vgl. Hirt, Die Gasinhalationskrankheiten und die gewerbliche
Vergiftung. Pettenkofers Handbuch der Hygiene. 2. Band. 2. Abschnitt. S.
91 ff.

[577] Vgl. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspektion über die Heimarbeit in
Oesterreich. Herausgegeben vom k.k. Handelsministerium. Wien 1900. I.
Bd. S. 271 ff.

[578] A.a.O., S. 264.

[579] A.a.O., S. 233.

[580] A.a.O., S. 273.

[581] A.a.O., S. 257.

[582] A.a.O., S. 277 ff.

[583] A.a.O., S. 277.

[584] A.a.O., S. 244 und 250 f.

[585] A.a.O., S. 253.

[586] A.a.O., S. 236 und 257.

[587] A.a.O., S. 259.

[588] A.a.O., S. 235.

[589] A.a.O., S. 241.

[590] A.a.O., S. 239.

[591] A.a.O., S. 241.

[592] Vgl. Office du Travail. Les Industries à Domicile en Belgique.
Bruxelles 1900. Vol. II. p. 28 f.

[593] A.a.O., p. 72 ff.

[594] A.a.O., p. 94.

[595] A.a.O., p. 145.

[596] Vgl. Netolitzky, a.a.O, S. 1058 f.

[597] Vgl. L. Bonnevay, Les Ouvrieres lyonnaises à Domicile. Lyon 1896,
p. 15 f.

[598] A.a.O., p. 75.

[599] Vgl. Berichte der k.k. Fabrikinspektion, a.a.O, S. 385 ff.

[600] A.a.O., S. 340.

[601] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LXXXVI. 2.
Bd.--Elisabeth v. Richthofen, Die Perlenstickerei im Kreise Saarburg. S.
343 ff.

[602] Vgl. Bonnevay, a.a.O, p. 76.

[603] Vgl. Ch. Benoist, a.a.O, p. 93.

[604] Vgl. L. Bein, Die Industrie des sächsischen Vogtlands. Leipzig
1884. 2. Tl. S. 419 ff.

[605] Vgl. Leroy-Beaulieu, a.a.O, p. 80 f.

[606] Vgl. Berichte der k.k. Fabrikinspektion, a.a.O, S. 363 ff.

[607] Vgl. G. Degreef, L'Ouvrière dentellière en Belgique. Bruxelles
1886. p. 86 f.

[608] A.a.O., p. 51 f.

[609] Vgl. Bonnevay, a.a.O, p. 15 ff.

[610] Vgl. Barberet, a.a.O, Vol. 5, p. 375; Leroy-Beaulieu, a.a.O, p.
220.--Degreef, a.a.O, p. 88 f.

[611] Vgl. Lady Dilke, The industrial Position of Women. London. p. 6 f.

[612] Vgl. Berichte der k.k. Fabrikinspektion, a.a.O, S. 51 ff.

[613] A.a.O., S. 42 f.

[614] Vgl. E. Sax, Die Hausindustrie in Thüringen. I. Teil. Jena 1882.
S. 112 f.

[615] Vgl. Les Industries á Domicile en Belgique, a.a.O., Vol. II, p. 59
ff.

[616] Vgl. Amtliche Berichte der Gewerbeinspektoren für das Jahr 1899.
Bd. III. S. 414.

[617] Vgl. E. Jaffé, Hausindustrie und Fabrikbetrieb in der deutschen
Cigarrenfabrikation. Schriften d. Ver. f. Sozialpolitik. LXXXVI. 3. Bd.
S. 314 u. 322.

[618] A.a.O., S. 312 f.

[619] A.a.O., S. 322 f.

[620] Helen Campbell, a.a.O., p. 225.

[621] Vgl. E. Sax, a.a.O., 1. Teil, S. 36 ff.

[622] A.a.O., S. 43.

[623] A.a.O., S. 51.

[624] A.a.O., 2. Teil, Jena 1884, S. 57.

[625] Vgl. O. Stillich, Die Spielwarenindustrie des Meininger Oberlands.
Jena 1899. S. 14.

[626] A.a.O., S. 55 ff.

[627] A.a.O., S. 66.

[628] A.a.O., S. 10 f.

[629] A.a.O., S. 19 f.

[630] Vgl. W. Uhlfelder, Die Zinnmalerinnen in Nürnberg und Fürth.
Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LXXXIV. I. Bd. S. 155 ff.

[631] Vgl. Ergebnisse der Ermittelungen über die Lohnverhältnisse in der
Wäschefabrikation und der Konfektionsbranche sowie über den Verkauf oder
die Lieferung von Arbeitsmaterial (Nähfaden u.s.w.) seitens der
Arbeitgeber an die Arbeiterinnen. Stenographischer Bericht über die
Verhandlungen des Reichstags. VII. Legislaturperiode, I. Session, 1887.
Bd. III.

[632] Vgl. J. Timm, Soziale Bilder aus der Berl. Konfektion.
Sozialpolitisches Centralblatt. IV. Jahrg.

[633] Vgl. Verhandlungen der Kommission für Arbeiterstatistik. Nr.
10-13. Berlin 1896.

[634] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, Die hausindustriellen Arbeiterinnen in
der Berliner Blusen-, Unterrock-, Schürzen- und Trikotfabrikation.
Leipzig 1898.

[635] Vgl. Gustav Lange, Die Hausindustrie Schlesiens. Schriften des
Vereins für Sozialpolitik. XXXIX. 1. Bd.

[636] Vgl. E. Jaffé, Westdeutsche Konfektion. Schriften d. Vereins f.
Sozialpolitik. LXXXVI. 3. Bd.

[637] Vgl. Hans Grandke, Berliner Kleiderkonfektion. Schriften des
Vereins für Sozialpolitik. LXXXV. 2. Bd.

[638] Vgl. Hans Grandke, a.a.O, S. 189.

[639] Vgl. Verhandlungen der Kommission für Arbeiterstatistik, a.a.O,
Nr. 10, S. 205.

[640] Vgl. Verhandlungen, a.a.O, S. 196.

[641] Vgl. Verhandlungen, a.a.O, Nr. 10 bis 12, und Grandke, a.a.O, S.
194 ff.

[642] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O, S. 20 ff.

[643] Hans Grandke, a.a.O, S. 383.

[644] A.a.O., S. 247 f.

[645] A.a.O., S. 251.

[646] Vgl. Oda Olberg, Das Elend in der Hausindustrie der Konfektion.
Leipzig 1896. S. 51.

[647] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O, S. 47 f.

[648] Vgl. E. Jaffé, a.a.O, S. 163 ff.

[649] Vgl. J. Feig, Hausgewerbe und Fabrikbetrieb in der Berliner
Wäscheindustrie. Leipzig 1896. S. 60 ff.

[650] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O, S. 59.

[651] Vgl. Gustav Lange, Die Hausindustrie Schlesiens. Schriften des
Vereins für Sozialpolitik. XXXIX. 1. Bd. S. 123 f.

[652] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O, S. 88 f.

[653] Vgl. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Arbeiterinnen,
a.a.O, S. 163, 604.

[654] Vgl. Berichte der k.k. Gewerbe-Inspektion, a.a.O., S. 435.

[655] Vgl. Office du Travail. La petite Industrie, t. II. Le Vêtement à
Paris. Paris 1896. p. 495 ff.

[656] A.a.O., p. 503 ff.

[657] Vgl. Charles Benoist, a.a.O., p. 80 ff.

[658] A.a.O., p. 70 ff.

[659] Vgl. Office du Travail. La petite Industrie, a.a.O., t. II, p. 526
ff.

[660] Vgl. Benoist, a.a.O., p. 107 f.

[661] Vgl. Comte d'Haussonville, a.a.O., p. 81 ff.

[662] Vgl. Benoist, a.a.O., p. 114 f.

[663] Vgl. Bonnevay, a.a.O., p. 70 ff.

[664] Vgl. Second Report from the select Committee of the House of Lords
on the Sweating System. London 1888. p. 585 f.

[665] Vgl. M.H. Irwin, Home Work amongst Women. Glasgow 1896. Vol. I. p.
1 ff.

[666] Vgl. Charles Booth, Life and Labour of the People. London 1893.
Vol. IV. p. 50 ff.

[667] A.a.O., p. 271.

[668] A.a.O., p. 55 f.

[669] Vgl. Florence Kelley, Das Sweating-System in den Vereinigten
Staaten. In Brauns Archiv, 12. Bd. Berlin 1898. S. 212 f.

[670] Vgl. Hull-House. By Residents of Hull-House. New-York 1895. p. 33
ff. u. 82 ff.

[671] A.a.O., p. 37.

[672] Vgl. Helen Campbell, a.a.O., p. 129 ff.

[673] Vgl. Anna S. Daniel, a.a.O., p. 625.

[674] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O., S. 68.

[675] Vgl. J. Feig, a.a.O., S. 70 f.

[676] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O., S. 45.

[677] Vgl. Hans Grandke, a.a.O., S. 321 f.

[678] Vgl. Hans Grandke, a.a.O., S. 314 ff.

[679] Vgl. Anna S. Daniel, a.a.O., p. 629.

[680] Vgl. Florence Kelley, Gesetzliche Einschränkung der Heimarbeit in
Nordamerika. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LXXXVII. Leipzig
1899. 4. Bd. S. 213.

[681] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O, S. 29 und 45.

[682] Vgl. Oda Olberg, a.a.O, S. 79 ff.

[683] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O, S. 63 f.

[684] Vgl. Hans Grandke, a.a.O., S. 270 f.--Kuno Frankenstein, a.a.O.,
S. 13 f.--Ergebnisse der Ermittlungen über die Lohnverhältnisse in der
Konfektion, a.a.O., S. 701 ff.--Comte d'Haussonville, a.a.O., p. 20 ff.

[685] Vgl. Alfred Weber, Die Entwicklungsgrundlagen der großstädtischen
Frauenhausindustrie. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LXXXV. 2.
Bd. S. XXXIX ff.

[686] Vgl. Alfred Weber, Die volkswirtschaftliche Aufgabe der
Hausindustrie. Schmollers Jahrbuch. N.F. 25. Jahrg. 2. Heft. Leipzig
1901. S. 23.

[687] Vgl. E. Jaffé, Westdeutsche Konfektion, a.a.O., S. 116 ff.--J.
Timm, a.a.O., S. 294.--Working Women in large Cities, a.a.O., p. 26.

[688] Vgl. Office du Travail. La petite Industrie, t. II. p. 666.--Alfr.
Weber, Die Entwicklungsgrundlagen etc., a.a.O., S. XXXVI.

[689] Vgl. z.B. M.H. Irwin, a.a.O., p. 8 f.--Feig, a.a.O., S. 51 ff.--G.
Dyhrenfurth, a.a.O., S. 67.--E. Jaffé, a.a.O., S. 151.

[690] Vgl. M.H. Irwin, a.a.O., p. I--XVII.--Home Industries of Women in
London, p. 12 ff.--Charles Booth, a.a.O., Vol. I, p. 61.--Hans Grandke,
a.a.O., S. 267.--Gustav Lange, a.a.O., S. 136 f.

[691] Vgl. Royal Commission of Labour. Employment of Women, a.a.O., p.
269.--Charles Booth, a.a.O., p. 295.--Working Women in large Cities,
a.a.O., p. 15 f.--Ergebnisse der Ermittelungen über die Lohnverhältnisse
der Arbeiterinnen in der Konfektion, a.a.O., S. 703 ff.--Verhandlungen
der Kommission für Arbeiterstatistik, a.a.O., Nr. II, S. 18.--E. Jaffé,
a.a.O., S. 118 ff.--E. Neubert, Hausindustrie in den Regierungsbezirken
Erfurt und Merseburg. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. XXXIX. I.
Bd. S. 118 ff.--Gertrud Dyhrenfurth, a.a.O., S. 69.--Alfred Weber, Das
Sweating-System in der Konfektion, in Brauns Archiv, Bd. 10, 1897, S.
518.

[692] Vgl. Feig, a.a.O., S. 112.

[693] Vgl. G. Schnapper-Arndt, Fünf Dorfgemeinden auf dem Hohen Taunus.
Leipzig 1889. S. 72 ff.--Alfred Weber, Die Hausindustrie und ihre
gesetzliche Regelung, Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik.
Leipzig 1900. S. 13.

[694] Vgl. P. Adler, Die Lage der Handlungsgehilfen gemäß den Erhebungen
der Kommission für Arbeiterstatistik. Stuttgart 1900. S. 54.

[695] Vgl. J. Silbermann, Zur Entlohnung der Frauenarbeit. Schmollers
Jahrbuch. N.F. Bd. XXIII. S. 1416.

[696] Vgl. Silbermann, a.a.O., S. 1418.

[697] A.a.O., S. 1441.

[698] Vgl. Laura Krause, Die Lage der Handelsgehilfinnen in Leipzig.
Soziale Praxis. 28. September 1899. S. 1373 ff.

[699] Vgl. Julius Meyer, Die Ausbildung und Stellung der
Handlungsgehilfin in Berlin. Berlin 1893. S. II.

[700] A.a.O., S. 18.

[701] Vgl. Working Women in large Cities, a.a.O., p. 532 ff.

[702] Vgl. Julius Meyer, a.a.O., S. 18.

[703] Vgl. Royal Commission of Labour. Employment of Women. p. 6 ff.,
234 ff.

[704] A.a.O., p. 85 ff., 234 ff.

[705] Vgl. Paul Adler, a.a.O., S. 35

[706] Vgl. Erhebungen über Arbeitszeit, Kündigungsfristen und
Lehrlingsverhältnisse im Handelsgewerbe. September-Oktober 1892. Berlin
1893. Tabelle X.

[707] Vgl. Royal Commission of Labour. The Employment of Women, a.a.O.,
p. 3 ff., 85 ff.

[708] Vgl. Erhebungen, a.a.O., Tabelle V bis VIII.

[709] Vgl. Royal Commission of Labour, a.a.O., p. 85.

[710] Vgl. a.a.O.--Vernehmungen von Auskunftspersonen über Arbeitszeit,
Kündigungsfristen und Lehrlingsverhältnisse im Handelsgewerbe. 9. bis
10. Nov. 1894. S. 47 u. 112 ff.

[711] Vgl. Vernehmungen, a.a.O., S. 47, 112 ff.

[712] Thomas Sutherst, Death and Disease behind the Counter. London
1884. p. 38 f.

[713] Vgl. Working Women in large Cities, a.a.O., p. 17, 20 f.

[714] Vgl. Vernehmungen, a.a.O., S. 47, 112 ff.

[715] Vgl. Thomas Sutherst, a.a.O., p. 20 ff. und Royal Commission of
Labour, a.a.O., p. 3 ff.

[716] Vgl. Erhebungen, Teil I, a.a.O., Tabelle III.

[717] A.a.O., S. 79.

[718] Vgl. Vernehmungen, a.a.O., S. 104.

[719] Vgl. Adler, a.a.O., S. 62 f.

[720] Vgl. Royal Commission of Labour, a.a.O., p. 3 ff., 287
f.--Sutherst, a.a.O., p. 20 ff.

[721] Vgl. Royal Commission of Labour, a.a.O., p. 6 ff., 243 f.--Julius
Meyer, a.a.O., S. 22.

[722] Vgl. Paul Adler, a.a.O., S. 28 ff.

[723] A.a.O., S. 141.

[724] Vgl. J. Silbermann, a.a.O., S. 1420.

[725] Vgl. P. Adler, a.a.O., S. 32 ff.--Vernehmungen, a.a.O., S. 94.

[726] Vgl. Royal Commission of Labour, a.a.O., p. 6 ff., 286 f.,
318.--Sutherst, a.a.O., p. 128.--J. Silbermann, Die Lage der deutschen
Handelsgehilfen, in Brauns Archiv. Bd. IX. 1896. S. 363.

[727] Vgl. Sutherst, a.a.O., S. 138.

[728] Vgl. Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge. Bd. 119. Gewerbe
und Handel im Deutschen Reich. Berlin 1899. S. 42.

[729] Vgl. M. Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen
Deutschland. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LV. 3. Bd. S. 18
ff.

[730] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Die Verhältnisse der
Landarbeiter in Deutschland. Leipzig 1892. 1. Bd. S. 3.

[731] Vgl. K. Kautsky, Die Agrarfrage. Stuttgart 1899. S. 166.

[732] Vgl. M. Weber, Entwicklungstendenzen in der Lage der ostelbischen
Landarbeiter, in Brauns Archiv. 7. Bd. 1894. S. 2 ff.--G. Herkner, Die
Arbeiterfrage. 2. Aufl. Berlin 1897. S. 210.

[733] Vgl. T.G. Spyers, The Labour Question. London 1894. p. 214 f.

[734] Vgl. Von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der
preußische Staat. Jena 1893. S. 5 ff.

[735] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LIII, 1. Bd., S. 40
f. 110 ff., 177 ff. und 261 f.

[736] A.a.O., Bd. 1, S. 15 f., Bd. 2, S. 420 ff.

[737] A.a.O., Bd. 1, S. 261 f.

[738] Vgl. H. Baudrillard, Les Populations agricoles en France. Paris
1885. t. I. p. 337 ff.

[739] Vgl. K. Frankenstein, Die Arbeiterfrage in der deutschen
Landwirtschaft. Berlin 1893. S. 21.

[740] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LIII, 2. Bd., S. 367
ff. K. Kaerger, Die Sachsengängerei. Berlin 1890. S. 165.

[741] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LIII, 2. Bd. S. 440.

[742] A.a.O., S. 94 f.

[743] Vgl. Goltz, Die Lage der ländlichen Arbeiter im Deutschen Reich.
Berlin 1875. S. 448.

[744] Vgl. Barberet, a.a.O., t. VI, p. 322.

[745] Vgl. Baudrillard, a.a.O., t. I, p. 608 f. und 337 f.

[746] A.a.O., t. III, p. 443.

[747] Vgl. Royal Commission on Labour. The agricultural Labourers.
London 1894. Vol. V, Part 1, p. 160 f.

[748] Vgl. Baudrillard, a.a.O., t. II, p. 385 und 184.

[749] Vgl. K. Kaerger, a.a.O., S. 257.

[750] A.a.O., S. 43.

[751] Vgl. Herkner, a.a.O., S. 212 f.

[752] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LIII, Bd. I, S. 134.

[753] A.a.O., S. 98.

[754] Vgl. Kaerger, a.a.O., S. 59.

[755] A.a.O., S. 58 f.

[756] A.a.O., S. 54.

[757] Vgl. Kaerger, a.a.O., S. 41.

[758] Vgl. Kaerger, a.a.O., S. 43.

[759] Vgl. Kaerger, a.a.O., S. 55.

[760] Vgl. Herkner, a.a.O., S. 212 f.

[761] Vgl. Kautsky, a.a.O., S. 269.

[762] Vgl. Weber, a.a.O., S. 240 und Herkner, a.a.O., S. 212 f.

[763] Vgl. Wagner, Die geschlechtlich-sittlichen Verhältnissen der
evangelischen Landbewohner im Deutschen Reich. Leipzig 1895. Bd. I. S.
46

[764] Vgl. M. Weber, Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen
Deutschland. Leipzig 1892. S. 143.

[765] Vgl. Wagner, a.a.O., S. 220.

[766] A.a.O., S. 28.

[767] Vgl. Weber, a.a.O., S. 192.

[768] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, a.a.O., 1. Bd. S.
121.

[769] Vgl. Herkner, a.a.O., S. 251.

[770] Vgl. Ascher, Die ländlichen Arbeiterwohnungen in Preußen. Berlin
1897.

[771] Vgl. Weber, a.a.O., S. 553.

[772] Vgl. Ascher, a.a.O., S. 37 f.

[773] Vgl. Baudrillard, a.a.O., t. II, p. 205.

[774] A.a.O., p. 608 ff.

[775] A.a.O., t. III, p. 200.

[776] Vgl. Wagner, a.a.O., I, S. 44.

[777] A.a.O., I, S. 81.

[778] A.a.O., I, S. 45 u. 73.

[779] A.a.O., II, S. 309.

[780] A.a.O., I, S. 46.

[781] Vgl. Wagner, a.a.O., I, S. 198.

[782] A.a.O., I, S. 32.

[783] Vgl. Herkner, a.a.O., S. 209.

[784] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LIII, 2. Bd., S. 484
ff.

[785] Vgl. M. Weber, Entwicklungstendenzen etc., a.a.O., S. 23.

[786] Vgl. M. Weber, a.a.O., S. 24.

[787] Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LIII, S. 265, 280,
322, 323, 411, 427.

[788] Vgl. O. Stillich, Die Lage der Dienstmädchen in Berlin. Berlin
1901.

[789] Vgl. Board of Trade, Labour Department. Report by Miß Collet on
the Money Wages of indoor Domestic Servants. London 1899.

[790] Booth, a.a.O., Vol. VIII, p. 217.

[791] Miß Collet, a.a.O., p. 14 ff.

[792] Vgl. Lucy Maynard Salmon, Household Service. Second Edition.
New-York 1901. p. 96.

[793] Vgl. Dokumente der Frauen, a.a.O., Bd. II, Nr. 21, S. 588.

[794] Vgl. Booth, a.a.O., Vol. VIII, p. 219.

[795] Vgl. O. Stillich, a.a.O.

[796] Vgl. Anton Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen
Volksklassen. In Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung u. Statistik.
Bd. II. 1889. S. 463.

[797] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik. Erhebungen
Nr. 9. Erhebung über die Arbeits- und Gehaltsverhältnisse der Kellner
und Kellnerinnen. 2. Teil. Berlin 1895. S. 77.

[798] Vgl. Dokumente der Frauen, Bd. II, Nr. 23, S. 663.

[799] Vgl. Stillich, a.a.O.

[800] A. a. O.

[801] Vgl. Lucy Salmon, a.a.O., p. 143 ff.

[802] Vgl. Stillich, a.a.O.

[803] Vgl. Miss Collet, a.a.O., p. 29 f.

[804] Vgl. hierfür die lebendigen Schilderungen in Clara Viebigs Roman:
Das tägliche Brot. Berlin 1901. 2 Bde.

[805] Vgl. Edmond et Jules de Goncourt, Germinie Lacerteux. Nouvelle
édition. Paris 1896.

[806] Vgl. Octave Mirbeau, Le Journal d'une Femme de chambre. Paris
1901. p. 347 f.

[807] Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 1899. S. 596.

[808] Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 1900. S. 158.

[809] Vgl. Dokumente der Frauen, Bd. II, Nr. 21, S. 585.

[810] Vgl. Stillich, a.a.O.

[811] Vgl. Stillich, a.a.O.

[812] Vgl. Dokumente der Frauen, a.a.O., S. 586.

[813] Vgl. Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge. Bd. III. S. 141

[814] Vgl. Helen Campbell, Prisoners of Poverty. Boston 1900. p. 221 ff.

[815] Vgl. Wagner, a.a.O., 2. Bd., S. 309.

[816] Vgl. Wagner, a.a.O., 2. Bd., S. 309.

[817] Vgl. Working Women in large Cities, a.a.O., p. 75.

[818] Vgl. Berliner Statistisches Jahrbuch für Volkswirtschaft. Berlin
1874.

[819] Vgl. Octave Mirbeau, a.a.O., p. 212 f.

[820] Vgl. G. Schnapper-Arndt, Die Dienstbotenfrage, Internationaler
Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin, 19.-26.
September 1896. Berlin 1897. S. 405.

[821] Vgl. Brieux' ergreifendes Drama: Les Remplaçantes, Paris 1901, das
mit rücksichtsloser Wahrhaftigkeit diese Zustände schildert.

[822] Vgl. Helen Campbell, a.a.O., p. 240 ff.

[823] Vgl. Gewerbe und Handel im Deutschen Reich. Statistik des
Deutschen Reichs. N. F. Band 119. Berlin 1899. S. 26* und 30.

[824] Vgl. Royal Commission of Labour. Employment of Women, a.a.O., p.
17 und 21 ff.

[825] Vgl. Anna S. Daniel, a.a.O., p. 631 f.

[826] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik. Erhebungen
Nr. 6. Erhebung über die Arbeits- und Gehaltsverhältnisse der Kellner
und Kellnerinnen. Berlin 1894. S. 132 f.--Royal Commission on Labour.
Employment of Women. p. 288.

[827] Vgl. Referat des Münchener Schulrats Dr. Kerschensteiner in der
Sitzung der königlichen Lokalschulkommission am 22. 3. 1900.

[828] Vgl. Dr. Arthur Cohen, Die Lohn- und Arbeitsverhältnisse der
Münchener Kellnerinnen. Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und
Statistik. V. Bd. 1892. S. 129.

[829] A.a.O., S. 117.

[830] Vgl. Karl Schneidt, Das Kellnerinnenelend in Berlin. Berlin 1893.
S. 28.

[831] Vgl. Royal Commission of Labour. Employment of Women, a.a.O., p.
197 ff.

[832] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen. Nr. 17. Anlage II. S. 54.

[833] Vgl. F. Trefz, Das Wirtsgewerbe in München. Stuttgart 1899. S.
210.

[834] Vgl. Cohen, a.a.O., S. 110.

[835] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik. Erhebungen
Nr. 6, a.a.O., S. 101 ff.

[836] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 208.

[837] Vgl. Cohen, a.a.O., S. 112.

[838] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 216.

[839] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen Nr. 16. Protokolle über die Verhandlungen und die
Vernehmung von Auskunftspersonen über die Verhältnisse der in Gast- und
Schankwirtschaften beschäftigten Personen. Berlin 1899. S. 89.

[840] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen Nr. 17, Anlage II, S. 66.

[841] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik. Erhebungen
Nr. 6, S. 136.

[842] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen Nr. 16, S. 72.

[843] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 197.

[844] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen Nr. 6, Tabelle VIIIb, S. 68-69.

[845] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 203.

[846] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 204.

[847] Vgl. Jhering, Das Trinkgeld, 3. Aufl., Braunschweig 1889, S. 24
ff., und Cohen, a.a.O., S. 121.

[848] Vgl. Karl Schneidt, a.a.O., S. 17.

[849] Vgl. Karl Schneidt, a.a.O., S. 38.

[850] Vgl. Karl Schneidt, a.a.O., S. 11 ff.

[851] Vgl. Karl Schneidt, a.a.O., S. 52 f.

[852] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik. Erhebungen
Nr. 6, S. 125, und Verhandlungen Nr. 16, a.a.O., S. 81.

[853] Vgl. Cohen, a.a.O., S. 114 f.

[854] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 218.

[855] Vgl. Cohen, a.a.O., S. 113.

[856] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen Nr. 17, Anlage II, S. 59.

[857] Vgl. Royal Commission of Labour. Employment of Women, a.a.O., p.
199 f. und Cohen, Der Entwurf von Bestimmungen über die Beschäftigung
von Gastwirtsgehilfen. Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und
Statistik. 17. Bd. 1901.

[858] Vgl. H.F. Schmidt, Kellners Wohl und Weh. Basel 1899. S. 119.

[859] Vgl. Trefz, a.a.O., S. 220 ff.

[860] Vgl. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik.
Verhandlungen Nr. 16, a.a.O., S. 52.

[861] Vgl. Lady Dilke, Trades Unions for Women. London. Women's
Trade-Union-League. Ohne Datum.

[862] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, Geschichte des britischen
Trade-Unionismus. Deutsch von R. Bernstein. Stuttgart 1895. S. 283 f.

[863] Vgl. Gertrud Dyhrenfurth, Die gewerkschaftliche Bewegung unter den
englischen Arbeiterinnen, in Brauns Archiv. Bd. VII. 1894. S. 166 ff.

[864] Vgl. Office du Travail.--La petite Industrie, a.a.O., t. II, p.
669.

[865] Vgl. Emma Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen
Deutschlands. Berlin 1893. S. 4 f.

[866] Vgl. Adeline Berger, Die zwanzigjährige Arbeiterinnenbewegung
Berlins und ihr Ergebnis. Berlin 1889.

[867] Vgl. Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands. Nr. 34. II. Jahrg. 268, 26. August 1901. S. 542.

[868] Vgl. Arbeiter-Bibliothek. 1. u. 2. Heft. Christliche
Gewerkvereine. Ihre Aufgabe und Thätigkeit. M.-Gladbach 1900. S. 40 ff.

[869] A.a.O., S. 54.

[870] Vgl. Arbeiterinnenzeitung. Wien, 7. Juni 1900.

[871] Vgl. Report by the chief Correspondent of the Board of Trade on
Trade-Unions in 1899. London 1900. p. XVIII, XXII f., p. 128 ff.

[872] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, Die Geschichte des britischen
Trade-Unionismus. Deutsch von R. Bernstein. Stuttgart 1895. S. 124.

[873] Vgl. Annuaire des Syndicats professionnels, industriels,
commerciaux et agricoles. Paris 1900.

[874] Ein Vergleich der Organisierten mit sämtlichen Arbeiterinnen der
einzelnen Berufe läßt sich nicht ziehen, weil die Einteilungen nicht
übereinstimmen.

[875] Vgl. A.N. Meyer, a.a.O., p. 298 f.

[876] Vgl. Report of the international Congress of Women. Washington
1888. p. 144.

[877] Vgl. A.N. Meyer, a.a.O., p. 300 f.

[878] Vgl. Alzina Parsons Stevens, Die Gewerkvereine der Vereinigten
Staaten, in Brauns Archiv. XII. Bd. Berlin 1898. S. 715.

[879] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, Theorie und Praxis der englischen
Gewerkvereine. Deutsch von C. Hugo. Stuttgart 1898. 2. Bd. S. 43 ff.

[880] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, a.a.O., 2. Bd., S. 46 f.

[881] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, Problems of modern Industry, p. 90
f.

[882] Vgl. Das kommunistische Manifest, 5. deutsche Ausgabe, Berlin,
1891, S. 22.

[883] Vgl. Verhandlungen des deutschen Reichstages. Dritte
Legislatur-Periode. I. Session. 1877. 22. und 24. Sitzung.

[884] Vgl. meinen Artikel: Die Frau in der Sozialdemokratie im
Illustrierten Konversationslexikon der Frau. 2. Bd. S. 475 ff.

[885] Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der
sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Abgehalten zu Mainz vom 17.
bis 21. September 1900. Berlin 1900. S. 247 ff.

[886] Vgl. Klara Zetkin, Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der
Gegenwart, Berlin 1894, und meine Broschüre: Frauenfrage und
Sozialdemokratie, Berlin 1896.

[887] Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der
sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten zu Gotha 1896.
Berlin 1896. S. 174.

[888] Vgl. meine Broschüre: Frauenarbeit und Hauswirtschaft. Berlin
1900.

[889] Vgl. Charlotte Perkins Stetson, Women and Economics. London 1899.
p. 242 ff.

[890] Vgl. Lucy Maynard Salmon, Domestic Service. Second Edition.
New-York 1901. p. 212 ff.

[891] Vgl. August Bebel, Die Frau und der Sozialismus. 25. Aufl.
Stuttgart 1895. S. 422 ff.

[892] Vgl. Luise Otto-Peters, Das erste Vierteljahrhundert des
Allgemeinen deutschen Frauenvereins, S. 18.

[893] A.a.O., S. 62.

[894] Für alle Bestrebungen der Art vergl. für Deutschland: Lina
Morgenstern, Frauenarbeit in Deutschland. 2. Bd. Berlin 1893.--Für
England: Emily Janes, The English Woman's Yearbook. London 1901.--Für
Frankreich: Camille Pert, Le Livre de la Femme, Paris, 1901. Comte
d'Haussonville, a.a.O., S. 46, 61, 64 ff.--Für Amerika: Working Women in
large Cities, a.a.O., p. 32 ff., 44 ff.

[895] Vgl. Sydney und Beatrice Webb, Problems of modern Industry, p. 83.

[896] Vgl. Luise Otto-Peters, a.a.O., S. 16.

[897] Vgl. die stenographischen Kongreßberichte in der Zeitung: "La
Fronde" vom 6. und 7. September 1900.

[898] Vgl. Luise Otto-Peters, a.a.O., S. 22.

[899] A.a.O., S. 51.

[900] A.a.O., S. 55.

[901] A.a.O., S. 61 f.

[902] Für die Geschichte des Bundes vergl. Centralblatt des Bundes
deutscher Frauenvereine, begründet von Jeanette Schwerin. Herausgeben
von Marie Stritt. 3 Jahrgänge und Marie Stritt und Ika Freudenberg, Der
Bund deutscher Frauenvereine. Frankenberg 1900.

[903] Vgl. Anna Simson, Der Bund deutscher Frauenvereine; was er will
und was er nicht will. Breslau 1895. S. 9.

[904] Vgl. Marie Stritt und Ika Freudenberg, a.a.O., S. 9.

[905] Vgl. Marie Stritt und Ika Freudenberg, a.a.O., S. 13.

[906] Vgl. Eliza Ichenhäuser, Die Dienstbotenfrage und ihre Reform.,
Berlin 1900.

[907] Vgl. London Congress. Women in Industrial Life, a.a.O., p. 86 ff.

[908] Vgl. Mrs. Aldrich, The Management of a modern House, in: Women
Workers, London 1900. p. 177.

[909] Vgl. Charlotte Perkins Stetson, a.a.O., p. 245.

[910] Vgl. Mathilde Weber, Unsere Hausbeamtinnen. Berlin 1895.

[911] Vgl. Karl Marx, Das Kapital, 4. Aufl., Bd. I, S. 259.

[912] Vgl. H. Herkner, Die Arbeiterfrage. 2. Aufl. Berlin 1897. S. 149
f.

[913] Vgl. Amtliche Mitteilungen aus den Jahresberichten der
Gewerbeaufsichtsbeamten. Berlin 1886 und 1898. passim.

[914] Vgl. Annual Reports of the Board of Trade on Changes in Wages and
Hours of Labour, London 1894 bis 1900, und die zusammenfassende
Uebersicht im Seventh annual Abstract of Labour Statistics. London 1901.
p. 116 ff.

[915] Vgl. die Verhandlungen des Züricher Arbeiterschutzkongresses
1897.--Rudolf Martin, Die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der
Fabrik. Tübingen 1897.--Ludwig Pohle, Frauenfabrikarbeit und
Frauenfrage. Leipzig 1900. S. 10 ff.--Massachusetts Bureau of Labour
Statistics 1875. p. 183 f.

[916] Vgl. A. Thun, a.a.O., S. 202 ff.

[917] Vgl. Royal Commission of Labour, Employment of Women, London 1894.
p. 102.

[918] Vgl. L. Pohle, a.a.O., S. 43.

[919] A.a.O., S. 47.

[920] A.a.O., S. 27.

[921] Vgl. Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken, a.a.O.,
S. 63.

[922] Vgl. Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899. Bd.
I. S. 41, 165, 310, 354; Bd. II, S. 154 f.; Bd. IV, S. 165, 238, 413,
659.

[923] Vgl. Maurice Ansiaux, Travail de Nuit des Ouvrières de l'Industrie
dans les Pays étrangers. Bruxelles 1898.

[924] Vgl. J. Henrotte, La Réglementation internationale du Travail.
Congrès international de Législation du Travail à Bruxelles 1897.
Bruxelles 1898. p. 129 ff.

[925] Vgl. Soziale Rundschau, Wien. März 1900. S. 426.

[926] Vgl. Fifth and final Report of the Commission an Labour, Part I.
London 1894. pag. 108.

[927] Vgl. Eugen Schwiedland, Ziele und Wege der
Heimarbeitsgesetzgebung. Wien 1899. S. 47 f.

[928] Vgl. A. Thun, a.a.O., S. 21.

[929] Vgl. Beatrice Webb, Sweating: its Cause and Remedy. Fabian Tract
Nr. 50. London 1894 und Dieselbe, Comment en finir avec le Sweating
System? In der Revue d'Economie politique. Paris 1893. S. 963 f.

[930] Vgl. Florence Kelley, Die gesetzliche Einschränkung der
Heimarbeit. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. LXXXVII. 4. Bd.
Leipzig 1899. S. 224.

[931] Vgl. E. Jaffé, a.a.O., S. 113.

[932] Vgl. G. Ruhland, Der achtstündige Arbeitstag und die
Arbeiterschutzgesetzgebung Australiens, in Schäffles Zeitschrift für die
gesamte Staatswissenschaft. Tübingen 1891. 2. Heft. S. 350 ff.

[933] Vgl. Eugen Schwiedland, a.a.O., S. 90.

[934] Vgl. Johannes Timm, Das Sweating-System in der deutschen
Konfektionsindustrie. Flensburg 1895, S. 22 ff., und Derselbe, Die
Konfektionsindustrie und ihre Arbeiter. Flensburg 1897, S. 61 ff., sowie
Hans Grandke, a.a.O., S. 336 ff.

[935] Vgl. Eugen Schwiedland, a.a.O., S. 186 ff.

[936] Vgl. Alfred Weber, Das Sweating-System in der Konfektion, in
Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. 10. Bd, Berlin
1897. S. 514; Derselbe, Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik im
September 1899 in Breslau. Leipzig 1900. S. 35.

[937] Vgl. Schutz den Heimarbeitern! Eine Denkschrift dem Bundesrat und
Reichstage überreicht vom Verband der Schneider und Schneiderinnen.
Stuttgart 1901. S. 130.

[938] Vgl. Florence Kelley, The Sweating-System in Hull-House, a.a.O.,
p. 36.

[939] Vgl. Florence Kelley, Gesetzliche Einschränkungen etc., a.a.O., S.
225.

[940] Vgl. Alfred Weber, Verhandlungen etc., a.a.O., S. 32 f.

[941] Vgl. J. Silbermann, Die Lage der deutschen Handelsgehilfen und
ihre gesetzliche Reform, in Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und
Statistik. 9. Bd. Berlin 1896. S. 367 f.

[942] Vgl. Sutherst, a.a.O., p. 65 f.

[943] Vgl. Karl Kautsky, Die Agrarfrage. Stuttgart 1899. S. 371.

[944] Vgl. H. Herkner, a.a.O., S. 222.

[945] Vgl. Karl Kautsky, a.a.O., S. 366 f.

[946] Vgl. A. Cohen, Der Entwurf von Bestimmungen über die Beschäftigung
der Gastwirtsgehilfen, in Brauns Archiv, 17. Bd.

[947] Vgl. A. Cohen, a.a.O.

[948] Vgl. Henning, Denkschrift über das Kellnerinnenwesen.
Kommissionsvortrag. Wallmann. Leipzig (ohne Jahr). S. 19.

[949] Vgl. Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung, 1898. S.
201.

[950] Vgl. C. Legien, Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter in
Theorie und Praxis. Hamburg 1899. S. 35.

[951] Louis Frank, Dr. Keiffer, Louis Maingie, L'Assurance maternelle.
Bruxelles-Paris 1897.

[952] Vgl. Ernst Lange, Die positive Weiterentwicklung der deutschen
Arbeiterversicherungsgesetzgebung, in Brauns Archiv, 5. Bd. Berlin 1892.
S. 383 ff. und H. von Frankenberg, Die Versorgung der Arbeiterwitwen und
-Waisen in Deutschland. In demselben Archiv, 10. Bd. Berlin 1897. S. 466
ff.

[953] Vgl. Georg Schanz, Dritter Beitrag zur Frage der
Arbeitslosen-Versicherung und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Berlin 1901.





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