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Title: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 2.
Author: Humboldt, Alexander von, 1769-1859
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 2." ***


Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 2.


by Alexander von Humboldt



               In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff.

         Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers.

   Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache.

                            ------------------

                                   1859

                            ------------------

                               Zweiter Band



INHALT


Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Liste explizit genannter Werke
Anmerkungen des Korrekturlesers



NEUNTES KAPITEL.


      Körperbeschaffenheit und Sitten der Chaymas. -- Ihre Sprachen.


Der Beschreibung unserer Reise nach den Missionen am Caripe wollte ich
keine allgemeinen Betrachtungen über die Stämme der Eingeborenen, welche
Neu-Andalusien bewohnen, über ihre Sitten, ihre Sprache und ihren
gemeinsamen Ursprung einflechten. Jetzt, da wir wieder am Orte sind, von
dem wir ausgegangen, möchte ich alles dieß, das für die Geschichte des
Menschengeschlechts von so großer Bedeutung ist, unter Einem Gesichtspunkt
zusammenfassen. Je weiter wir von jetzt an ins Binnenland eindringen,
desto mehr wird uns das Interesse für diese Gegenstände, den Erscheinungen
der physischen Natur gegenüber, in Anspruch nehmen. Der nordöstliche Theil
des tropischen Amerikas, Terra Firma und die Ufer des Orinoco, gleichen
hinsichtlich der Mannigfaltigkeit der Völkerschaften, die sie bewohnen,
den Thälern des Caucasus, den Bergen des Hindoukho, dem nördlichen Ende
Asiens jenseits der Tungusen und Tartaren, die an der Mündung des Lena
hausen. Die Barbarei, die in diesen verschiedenen Landstrichen herrscht,
ist vielleicht nicht sowohl der Ausdruck ursprünglicher völliger
Culturlosigkeit, als vielmehr die Folge langer Versunkenheit. Die meisten
der Horden, die wir Wilde nennen, stammen wahrscheinlich von Völkern, die
einst auf bedeutend höherer Culturstufe standen, und wie soll man ein
Stehenbleiben im Kindesalter der Menschheit (wenn ein solches überhaupt
vorkommt) vom Zustand sittlichen Verfalls unterscheiden, in dem
Vereinzelung, die Noth des Lebens, gezwungene Wanderungen, oder ein
grausames Klima jede Spur von Cultur ausgetilgt haben? Wenn Alles, was
sich auf die ursprünglichen Zustände des Menschen und auf die älteste
Bevölkerung eines Festlandes bezieht, an und für sich der Geschichte
angehörte, so würden wir uns auf die indischen Sagen berufen, auf die
Ansicht, die in den Gesetzen Menus und im Ramajan so oft ausgesprochen
wird, nach der die Wilden aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßene,
in die Wälder getriebene Stämme sind. Das Wort _‘Barbar’_, das wir von
Griechen und Römern angenommen, ist vielleicht nur der Name einer solchen
versunkenen Horde.

Zu Anfang der Eroberung Amerikas bestanden große gesellschaftliche Vereine
unter den Eingeborenen nur auf dem Rücken der Cordilleren und auf den
Asien gegenüber liegenden Küsten. Auf den mit Wald bedeckten, von Flüssen
durchschnittenen Ebenen, auf den endlosen Savanen, die sich ostwärts
ausbreiten und den Horizont begrenzen, traf man nur umherziehende
Völkerschaften, getrennt durch Verschiedenheit der Sprache und der Sitten,
zerstreut gleich den Trümmern eines Schiffbruchs. Wir wollen versuchen, ob
uns in Ermangelung aller andern Denkmale die Verwandtschaft der Sprachen
und die Beobachtung der Körperbildung dazu dienen können, die
verschiedenen Stämme zu gruppiren, die Spuren ihrer weiten Wanderungen zu
verfolgen und ein paar jener Familienzüge aufzufinden, durch die sich die
ursprüngliche Einheit unseres Geschlechtes verräth.

Die Eingeborenen oder Ureinwohner bilden in den Ländern, deren Gebirge wir
vor Kurzem durchwandert, in den beiden Provinzen Cumana und Nueva
Barcelona, beinahe noch die Hälfte der schwachen Bevölkerung. Ihre
Kopfzahl läßt sich auf 60,000 schätzen, wovon 24,000 auf Neu-Andalusien
kommen. Diese Zahl ist bedeutend gegenüber der Stärke der Jägervölker in
Nordamerika; sie erscheint klein, wenn man die Theile von Neuspanien
dagegen hält, wo seit mehr als acht Jahrhunderten der Ackerbau besteht,
z. B. die Intendanz Oaxaca, in der die Mixteca und Tzapoteca des alten
mexicanischen Reiches liegen. Diese Intendanz ist um ein Drittheil kleiner
als die zwei Provinzen Cumana und Barcelona zusammen, zählt aber über
400,000 Einwohner von der reinen kupferfarbigen Race. Die Indianer in
Cumana leben nicht alle in den Missionsdörfern; man findet sie zerstreut
in der Umgegend der Städte, auf den Küsten, wohin sie des Fischfangs wegen
ziehen, selbst auf den kleinen Höfen in den Llanos oder Savanen. In den
Missionen der aragonesischen Kapuziner, die wir besucht, leben allein
15,000 Indianer, die fast sämmtlich dem Chaymasstamm angehören. Indessen
sind die Dörfer dort nicht so stark bevölkert, wie in der Provinz
Barcelona. Die mittlere Seelenzahl ist nur fünf- bis sechshundert, während
man weiter nach Westen in den Missionen der Franciskaner von Piritu
indianische Dörfer mit zwei- bis dreitausend Einwohnern trifft. Wenn ich
die Zahl der Eingeborenen in den Provinzen Cumana und Barcelona auf 60,000
schätzte, so meinte ich nur die in Terra Firma lebenden, nicht die
Guaiqueries auf der Insel Margarita und die große Masse der Guaraunos, die
auf den Inseln im Delta des Orinoco ihre Unabhängigkeit behauptet haben.
Diese schätzt man gemeiniglich auf 6000 bis 8000; dieß scheint mir aber zu
viel. Außer den Guaraunos-Familien, die sich hie und da auf den
sumpfigten, mit Morichepalmen bewachsenen Landstrichen (zwischen dem Caño
Manamo und dem Rio Guarapiche), also auf dem Festlande selbst blicken
lassen, gibt es seit dreißig Jahren in Neu-Andalusien keine wilden
Indianer mehr.

Ungern brauche ich das Wort _‘wild’_, weil es zwischen dem
*unterworfenen*, in den Missionen lebenden, und dem freien oder
unabhängigen Indianer einen Unterschied in der Cultur voraussetzt, dem die
Erfahrung häufig widerspricht. In den Wäldern Südamerikas gibt es Stämme
Eingeborener, die unter Häuptlingen friedlich in Dörfern leben, auf
ziemlich ausgedehntem Gebiet Pisang, Manioc und Baumwolle bauen und aus
letzterer ihre Hängematten weben. Sie sind um nichts barbarischer als die
nackten Indianer in den Missionen, die man das Kreuz hat schlagen lehren.
Die irrige Meinung, als wären sämmtliche nicht unterworfene Eingeborene
umherziehende Jägervölker, ist in Europa ziemlich verbreitet. In Terra
Firma bestand der Ackerbau lange vor Ankunft der Europäer; er besteht noch
jetzt zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom in den Lichtungen der
Wälder, wohin nie ein Missionär den Fuß gesetzt hat. Das verdankt man
allerdings dem Regiment der Missionen, daß der Eingeborene Anhänglichkeit
an Grund und Boden bekommt, sich an festen Wohnsitz gewöhnt und ein
ruhigeres, friedlicheres Leben lieben lernt. Aber der Fortschritt in
dieser Beziehung ist langsam, oft unmerklich, weil man die Indianer völlig
von allem Verkehr abschneidet, und man macht sich ganz falsche
Vorstellungen vom gegenwärtigen Zustand der Völker in Südamerika, wenn man
einerseits *christlich*, *unterworfen* und *civilisirt*, andererseits
*heidnisch*, *wild* und *unabhängig* für gleichbedeutend hält. Der
unterworfene Indianer ist häufig so wenig ein Christ als der unabhängige
Götzendiener; beide sind völlig vom augenblicklichen Bedürfnis in Anspruch
genommen, und bei beiden zeigt sich in gleichem Maße vollkommene
Gleichgültigkeit gegen christliche Vorstellungen und der geheime Hang, die
Natur und ihre Kräfte göttlich zu verehren. Ein solcher Gottesdienst
gehört dem Kindesalter der Völker an; er kennt noch keine Götzen und keine
heiligen Orte außer Höhlen, Schluchten und Forsten.

Wenn die unabhängigen Indianer nördlich vom Orinoco und Apure, d. h. von
den Schneebergen von Merida bis zum Vorgebirge Paria, seit einem
Jahrhundert fast ganz verschwunden sind, so darf man daraus nicht
schließen, daß es jetzt in diesen Ländern weniger Eingeborene gibt, als
zur Zeit des Bischofs von Chiapa, Bartholomäus Las Casas. In meinem Werke
über Mexico habe ich dargethan, wie sehr man irrt, wenn man die Ausrottung
der Indianer oder auch nur die Abnahme ihrer Volkszahl in den spanischen
Colonien als eine allgemeine Thatsache hinstellt. Die kupferfarbige Race
ist auf beiden Festländern Amerikas noch über sechs Millionen stark, und
obgleich unzählige Stämme und Sprachen ausgestorben sind oder sich
verschmolzen haben, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß zwischen den
Wendekreisen, in dem Theile der neuen Welt, in den die Cultur erst seit
Christoph Columbus eingedrungen ist, die Zahl der Eingeborenen bedeutend
zugenommen hat. Zwei caraibische Dörfer in den Missionen von Piritu oder
am Carony zählen mehr Familien als vier oder fünf Völkerschaften am
Orinoco. Die gesellschaftlichen Zustände der unabhängig gebliebenen
Caraiben an den Quellen des Esquibo und südlich von den Bergen von
Pacaraimo thun zur Genüge dar, wie sehr auch bei diesem schönen
Menschenschlag die Bevölkerung der Missionen die Masse der unabhängigen
und verbündeten Caraiben übersteigt. Uebrigens verhält es sich mit den
Wilden im heißen Erdstrich ganz anders als mit denen am Missouri. Diese
bedürfen eines weiten Gebiets, weil sie nur von der Jagd leben; die
Indianer in spanisch Guyana dagegen bauen Manioc und Bananen, und ein
kleines Stück Land reicht zu ihrem Unterhalt hin. Sie scheuen nicht die
Berührung mit den Weißen, wie die Wilden in den Vereinigten Staaten, die,
nach einander hinter die Aleghanis, hinter Ohio und Mississippi
zurückgedrängt, sich den Lebensunterhalt in dem Maaße abgeschnitten sehen,
in dem man ihr Gebiet beschränkt. In der gemäßigten Zone, in den
_provincias internas_ von Mexico so gut wie in Kentucky ist die Berührung
mit den europäischen Ansiedlern den Eingeborenen verderblich geworden,
weil die Berührung dort eine unmittelbare ist.

Im größten Theil von Südamerika fallen diese Ursachen weg. Unter den
Tropen bedarf der Ackerbau keiner weiten Landstrecken, und die Weißen
breiten sich langsam aus. Die Mönchsorden haben ihre Niederlassungen
zwischen den Besitzungen der Colonisten und dem Gebiet der freien Indianer
gegründet. Die Missionen sind als Zwischenstaaten zu betrachten; sie haben
allerdings die Freiheit der Eingeborenen beschränkt, aber fast aller Orten
ist durch sie eine Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden, wie sie
beim Nomadenleben der unabhängigen Indianer nicht möglich ist. Im Maaß als
die Ordensgeistlichen gegen die Wälder vorrücken und den Eingeborenen Land
abgewinnen, suchen ihrerseits die weißen Ansiedler von der andern Seite
her das Gebiet der Missionen in Besitz zu bekommen. Dabei sucht der
weltliche Arm fortwährend die unterworfenen Indianer dem Mönchsregiment zu
entziehen. Nach einem ungleichen Kampfe treten allmählich Pfarrer an die
Stelle der Missionäre. Weiße und Mischlinge lassen sich, begünstigt von
den Corregidoren, unter den Indianern nieder. Die Missionen werden zu
spanischen Dörfern und die Eingeborenen wissen bald gar nicht mehr, daß
sie eine Volkssprache gehabt haben. So rückt die Cultur von der Küste ins
Binnenland vor, langsam, durch menschliche Leidenschaften aufgehalten,
aber sichern, gleichmäßigen Schrittes.

Die Provinzen Neu-Andalusien und Barcelona, die man unter dem Namen
_Govierno de Cumana_ begreift, zählen in ihrer gegenwärtigen Bevölkerung
mehr als vierzehn Völkerschaften: es sind in Neu-Andalusien die Chaymas,
Guaiqueries, Pariagotos, Quaquas, Aruacas, Caraiben und Guaraunos; in der
Provinz Barcelona die Cumanagotos, Palenques, Caraiben, Piritus, Tomuzas,
Topocuares, Chacopotas und Guarives. Neun oder zehn unter diesen vierzehn
Völkerschaften glauben selbst, daß sie ganz verschiedener Abstammung sind.
Man weiß nicht genau, wie viele Guaraunos es gibt, die ihre Hütten an der
Mündung des Orinoco auf Bäumen bauen; der Guaiqueries in der Vorstadt von
Cumana und auf der Halbinsel Araja sind es 2000 Köpfe. Unter den übrigen
Völkerschaften sind die Chaymas in den Bergen von Caripe, die Caraiben auf
den südlichen Savanen von Neu-Barcelona und die Cumanagotos in den
Missionen von Piritu die zahlreichsten. Einige Familien Guaraunos sind auf
dem linken Ufer des Orinoco, da wo das Delta beginnt, der Missionszucht
unterworfen worden. Die Sprachen der Guaraunos, Caraiben, Cumanagotos und
Chaymas sind die verbreitetsten. Wir werden bald sehen, daß sie demselben
Sprachstamm anzugehören scheinen und in ihren grammatischen Formen so nahe
verwandt sind, wie, um bekanntere Sprachen zur Vergleichung
herbeizuziehen, das Griechische, Deutsche, Persische und Sanskrit.

Trotz dieser Verwandtschaft sind die Chaymas, Guaraunos, Caraiben,
Quaquas, Aruacas und Cumanagotos als verschiedene Völker zu betrachten.
Von den Guaiqueries, Pariagotos, Piritus, Tomuzas und Chacopatas wage ich
nicht das Gleiche zu behaupten. Die Guaiqueries geben selbst zu, daß ihre
Sprache und die der Guaraunos einander nahe stehen. Beide sind
Küstenvölker, wie die Malaien in der alten Welt. Was die Stämme betrifft,
die gegenwärtig die Mundarten der Cumanagotos, Caraiben und Chaymas haben,
so läßt sich über ihre ursprüngliche Abstammung und ihr Verhältniß zu
andern, ehemals mächtigeren Völkern schwer etwas aussagen. Die
Geschichtschreiber der Eroberung, wie die Geistlichen, welche die
Entwicklung der Missionen beschrieben haben, verwechseln, nach der Weise
der Alten, immer geographische Bezeichnungen mit Stammnamen. Sie sprechen
von Indianern von Cumana und von der Küste von Paria, als ob die
Nachbarschaft der Wohnsitze gleiche Abstammung bewiese. Meist benennen sie
sogar die Stämme nach ihren Häuptlingen, nach dem Berg oder dem Thal, die
sie bewohnen. Dadurch häuft sich die Zahl der Völkerschaften ins
Unendliche und werden alle Angaben der Missionäre über die ungleichartigen
Elemente in der Bevölkerung ihrer Missionen in hohem Grade schwankend. Wie
will man jetzt ausmachen, ob der Tomuza und der Piritu verschiedener
Abstammung sind, da beide cumanagotisch sprechen, was im westlichen Theil
des Govierno de Cumana die herrschende Sprache ist, wie die der Caraiben
und der Chaymas im südlichen und östlichen? Durch die große
Uebereinstimmung in der Körperbildung werden Untersuchungen der Art sehr
schwierig. Die beiden Continente verhalten sich in dieser Beziehung völlig
verschieden; auf dem neuen findet man eine erstaunliche Mannigfaltigkeit
von Sprachen bei Völkern desselben Ursprungs, die der Reisende nach ihrer
Körperlichkeit kaum zu unterscheiden vermag; in der alten Welt dagegen
sprechen körperlich ungemein verschiedene Völker, Lappen, Finnen und
Esthen, die germanischen Völker und die Hindus, die Perser und die Kurden
Sprachen, die im Bau und in den Wurzeln die größte Aehnlichkeit mit
einander haben.

Die Indianer in den Missionen treiben sämmtlich Ackerbau, und mit Ausnahme
derer, die in den hohen Gebirgen leben, bauen alle dieselben Gewächse;
ihre Hütten stehen am einen Orte in Reihen wie am andern; die Eintheilung
ihres Tagewerks, ihre Arbeit im Gemeindeconuco, ihr Verhältniß zu den
Missionären und den aus ihrer Mitte gewählten Beamten, Alles ist nach
Vorschriften geordnet, die überall gelten. Und dennoch -- und dieß ist
eine höchst merkwürdige Beobachtung in der Geschichte der Völker -- war
diese große Gleichförmigkeit der Lebensweise nicht im Stande, die
individuellen Züge, die Schattirungen, durch welche sich die
amerikanischen Völkerschaften unterscheiden, zu verwischen. Der Mensch mit
kupferfarbiger Haut zeigt eine geistige Starrheit, ein zähes Festhalten an
den bei jedem Stamm wieder anders gefärbten Sitten und Gebräuchen, das der
ganzen Race recht eigentlich den Stempel aufdrückt. Diesen Charakterzügen
begegnet man unter allen Himmelsstrichen vom Aequator bis zur Hudsonsbai
und bis zur Magellanschen Meerenge; sie sind bedingt durch die physische
Organisation der Eingeborenen, aber die mönchische Zucht leistet ihnen
wesentlich Vorschub.

Es gibt in den Missionen nur wenige Dörfer, wo die Familien verschiedenen
Völkerschaften angehören und nicht dieselbe Sprache reden. Aus so
verschiedenartigen Elementen bestehende Gemeinheiten sind schwer zu
regieren. Meist haben die Mönche ganze Nationen, oder doch bedeutende
Stücke derselben Nation in nahe bei einander gelegenen Dörfern
untergebracht. Die Eingeborenen sehen nur Leute ihres eigenen Stammes;
denn Hemmung des Verkehrs, Vereinzelung, das ist ein Hauptartikel in der
Staatskunst der Missionare. Bei den unterworfenen Chaymas, Caraiben,
Tamanacas erhalten sich die nationalen Eigenthümlichkeiten um so mehr, da
sie auch noch ihre Sprachen besitzen. Wenn sich die Individualität des
Menschen in den Mundarten gleichsam abspiegelt, so wirken diese wieder auf
Gedanken und Empfindung zurück. Durch diesen innigen Verband zwischen
Sprache, Volkscharakter und Körperbildung erhalten sich die Völker
einander gegenüber in ihrer Verschiedenheit und Eigenthümlichkeit, und
dieß ist eine unerschöpfliche Quelle von Bewegung und Leben in der
geistigen Welt.

Die Missionäre konnten den Indianern gewisse alte Gebräuche bei der Geburt
eines Kindes, beim Mannbarwerden, bei der Bestattung der Todten verbieten;
sie konnten es dahin bringen, daß sie sich nicht mehr die Haut bemalten
oder in Kinn, Nase und Wangen Einschnitte machten; sie konnten beim großen
Haufen die abergläubischen Vorstellungen ausrotten, die in manchen
Familien im Geheimen forterben; aber es war leichter Gebräuche abzustellen
und Erinnerungen zu verwischen, als die alten Vorstellungen durch neue zu
ersetzen. In den Missionen ist dem Indianer sein Lebensunterhalt
gesicherter als zuvor. Er liegt nicht mehr in beständigem Kampfe mit
feindlichen Gewalten, mit Menschen und Elementen, und führt so dem wilden,
unabhängigen Indianer gegenüber ein einförmigeres, unthätigeres, der
Entwicklung der Geistes- und Gemüthskraft weniger günstiges Leben. Wenn er
gutmüthig ist, so kommt dieß nur daher, weil er die Ruhe liebt, nicht weil
er gefühlvoll ist und gemüthlich. Wo er außer Verkehr mit den Weißen auch
all den Gegenständen ferne geblieben ist, welche die Cultur der neuen Welt
zugebracht, hat sich der Kreis seiner Vorstellungen nicht erweitert. Alle
seine Handlungen scheinen nur durch das augenblickliche Bedürfniß bestimmt
zu werden. Er ist schweigsam, verdrossen, in sich gekehrt, seine Miene ist
ernst, geheimnißvoll. Wer nicht lange in den Missionen gelebt hat und an
das Aussehen der Eingeborenen nicht gewöhnt ist, hält ihre Trägheit und
geistige Starrheit leicht für den Ausdruck der Schwermuth und des
Tiefsinns.

Ich habe die Charakterzüge des Indianers und die Veränderungen, die sein
Wesen unter der Zucht der Missionare erleidet, so scharf hervorgehoben, um
den einzelnen Beobachtungen, die den Inhalt dieses Abschnittes bilden
sollen, mehr Interesse zu geben. Ich beginne mit der Nation der Chaymas,
deren über 15,000 in den oben beschriebenen Missionen leben. Diese nicht
sehr kriegerische Nation, welche Pater Francisco de Pamplona um die Mitte
des siebzehnten Jahrhunderts in Zucht zu nehmen anfing, hat gegen West die
Cumanagotos, gegen Ost die Guaraunos, gegen Süd die Caraiben zu Nachbarn.
Sie wohnt entlang dem hohen Gebirge des Cocollar und Guacharo an den Ufern
des Guarapiche, des Rio Colorado, des Areo und des Caño de Caripe. Nach
der genauen statistischen Aufnahme des Paters Präfekten zählte man im.Jahr
1792 in den Missionen der aragonesischen Kapuziner in Cumana neunzehn
*Missions*dörfer; das älteste ist von 1728, und sie zählten 6433 Einwohner
in 1465 Haushaltungen; sechzehn Dörfer _de doctrina_; das älteste ist von
1660, und sie hatten 8170 Einwohner in 1766 Familien.

Diese Missionen hatten in den Jahren 1681, 1697 und 1720 viel zu leiden;
die damals noch unabhängigen Caraiben machten Einfälle und brannten ganze
Dörfer nieder. Zwischen den Jahren 1730 und 1736 ging die Bevölkerung
zurück in Folge der Verheerungen durch die Blattern, die der
kupferfarbigen Race immer verderblicher sind als den Weißen. Viele
Guaraunos, die bereits angesiedelt waren, entliefen wieder in ihre Sümpfe.
Vierzehn alte Missionen blieben wüste liegen oder wurden nicht wieder
aufgebaut.

Die Chaymas sind meist von kleinem Wuchs; dieß fällt namentlich auf, wenn
man sie nicht mit ihren Nachbarn, den Caraiben, oder den Payaguas und
Guayquilit in Paraguay, die sich alle durch hohen Wuchs auszeichnen,
sondern nur mit den Eingeborenen Amerikas im Durchschnitt vergleicht. Die
Mittelgröße eines Chaymas beträgt 1 Meter 57 Centimeter oder 4 Fuß 10
Zoll. Ihr Körper ist gedrungen, untersetzt, die Schultern sind sehr breit,
die Brust flach, alle Glieder rund und fleischigt. Ihre Hautfarbe ist die
der ganzen amerikanischen Race von den kalten Hochebenen Quitos und
Neugrenadas bis herab zu den heißen Tiefländern am Amazonenstrom. Die
climatischen Unterschiede äußern keinen Einfluß mehr auf dieselbe; sie ist
durch organische Verhältnisse bedingt, die sich seit Jahrhunderten
unabänderlich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen. Gegen Nord wird
die gleichförmige Hautfarbe röther, dem Kupfer ähnlicher; bei den Chaymas
dagegen ist sie dunkelbraun und nähert sich dem Lohfarbigen. Der Ausdruck
»kupferfarbige Menschen« zur Bezeichnung der Eingeborenen wäre im
tropischen Amerika niemals aufgekommen.

Der Gesichtsausdruck der Chaymas ist nicht eben hart und wild, hat aber
doch etwas Ernstes, Finsteres. Die Stirne ist klein, wenig gewölbt; daher
heißt es auch in mehreren Sprachen dieses Landstrich von einem schönen
Weibe, »sie sey fett und habe eine schmale Stirne.« Die Augen der Chaymas
sind schwarz, tiefliegend und stark in die Länge gezogen; sie sind weder
so schief gestellt noch so klein wie bei den Völkern mongolischer Race,
von denen Jornandes sagt, sie haben »vielmehr Punkte als Augen,« _magis
puncta quam lumina_. Indessen ist der Augenwinkel den Schläfen zu dennoch
merklich in die Höhe gezogen; die Augbraunen sind schwarz oder
dunkelbraun, dünn, wenig geschweift; die Augenlieder haben sehr lange
Wimpern, und die Gewohnheit, sie wie schläfrig niederzuschlagen, gibt dem
Blick der Weiber etwas Sanftes und läßt das verschleierte Auge kleiner
erscheinen, als es wirklich ist. Wenn die Chaymas, wie überhaupt alle
Eingeborenen Südamerikas und Neuspaniens, durch die Form der Augen, die
vorspringenden Backenknochen, das straffe, glatte Haar, den fast gänzlich
mangelnden Bart sich der mongolischen Race nähern, so unterscheiden sie
sich von derselben auffallend durch die Form der Nase, die ziemlich lang
ist, der ganzen Länge nach vorspringt und bei den Naslöchern dicker wird,
welch letztere nach unten gerichtet sind, wie bei den Völkern caucasischer
Race. Der große Mund mit breiten, aber nicht dicken Lippen hat häufig
einen gutmüthigen Ausdruck. Zwischen Nase und Mund laufen bei beiden
Geschlechtern zwei Furchen von den Naslöchern gegen die Mundwinkel. Das
Kinn ist sehr kurz und rund; die Kinnladen sind auffallend stark und
breit.

Die Zähne sind bei den Chaymas schön und weiß, wie bei allen Menschen von
einfacher Lebensweise, aber lange nicht so stark wie bei den Negern. Den
ersten Reisenden war der Brauch aufgefallen, mit gewissen Pflanzensäften
und Aetzkalk die Zähne schwarz zu färben; gegenwärtig weiß man nichts mehr
davon. Die Völkerstämme in diesem Landstrich sind, namentlich seit den
Einfällen der Spanier, welche Sklavenhandel trieben, so hin und her
geschoben worden, daß die Einwohner von Paria, die Christoph Columbus und
Ojeda gesehen, ohne Zweifel nicht vom selben Stamme waren wie die Chaymas.
Ich bezweifle sehr, daß der Brauch des Schwärzens der Zähne, wie Gomara
behauptet, mit seltsamen Schönheitsbegriffen zusammenhängt(1), oder daß es
ein Mittel gegen Zahnschmerzen seyn sollte. Von diesem Uebel wissen die
Indianer so gut wie nichts; auch die Weißen in den spanischen Colonien,
wenigstens in den heißen Landstrichen, wo die Temperatur so gleichförmig
ist, leiden selten daran. Auf dem Rücken der Cordilleren, in Santa-Fe und
Popayan sind sie demselben mehr ausgesetzt.

Die Chaymas haben, wie fast alle eingeborenen Völker, die ich gesehen,
kleine, schmale Hände. Ihre Füße aber sind groß und die Zehen bleiben
beweglicher als gewöhnlich. Alle Chaymas sehen einander ähnlich wie nahe
Verwandte, und diese gleichförmige Bildung, die von den Reisenden so oft
hervorgehoben worden ist, wird desto auffallender, als sich bei ihnen
zwischen dem zwanzigsten und fünfzigsten Jahr das Alter nicht durch
Hautrunzeln, durch graues Haar oder Hinfälligkeit des Körpers verräth.
Tritt man in eine Hütte, so kann man oft unter den Erwachsenen kaum den
Vater vom Sohn, die eine Generation von der andern unterscheiden. Nach
meiner Ansicht beruht dieser Familienzug auf zwei sehr verschiedenen
Momenten, auf den örtlichen Verhältnissen der indianischen Völkerschaften
und auf der niedrigen Stufe ihrer geistigen Entwicklung. Die wilden Völker
zerfallen in eine Unzahl von Stämmen, die sich tödtlich hassen und niemals
Ehen unter einander schließen, selbst wenn ihre Mundarten demselben
Sprachstamme angehören und nur ein kleiner Flußarm oder eine Hügelkette
ihre Wohnsitze trennt. Je weniger zahlreich die Stämme sind, desto mehr
muß sich, wenn sich Jahrhunderte lang dieselben Familien mit einander
verbinden, eine gewisse gleichförmige Bildung, ein organischer, recht
eigentlich nationaler Typus festsetzen.(2) Dieser Typus erhält sich unter
der Zucht der Missionen, die nur Eine Völkerschaft unter der Obhut haben.
Die Vereinzelung ist so stark wie früher; Ehen werden nur unter
Angehörigen derselben Dorfschaft geschlossen. Für diese
Blutsverwandtschaft, welche so ziemlich um eine ganze Völkerschaft ein
Band schlingt, hat die Sprache der Indianer, die in den Missionen geboren
sind oder erst nach ihrer Aufnahme aus den Wäldern spanisch gelernt haben,
einen naiven Ausdruck. Wenn sie von Leuten sprechen, die zum selben Stamme
gehören, sagen sie _mis parientes_, meine Verwandten.

Zu diesen Ursachen, die sich nur auf die Vereinzelung beziehen, deren
Einfluß sich ja auch bei den europäischen Juden, bei den indischen Kasten
und allen Gebirgsvölkern bemerklich macht, kommen nun noch andere, bisher
weniger beachtete. Ich habe schon früher bemerkt, daß es vorzüglich die
Geistesbildung ist, was Menschengesichter von einander verschieden macht.
Barbarische Nationen haben vielmehr eine Stamm- oder Hordenphysiognomie
als eine, die diesem oder jenem Individuum zukäme. Der wilde Mensch
verhält sich hierin dem gebildeten gegenüber wie die Thiere einer und
derselben Art, die zum Theil in der Wildnis leben, während die andern in
der Umgebung des Menschen gleichsam an den Segnungen und den Uebeln der
Cultur Theil nehmen. Abweichungen in Körperbau und Farbe kommen nur bei
den Hausthieren häufig vor. Welcher Abstand, was Beweglichkeit der Züge
und mannigfaltigen physiognomischen Ausdruck betrifft, zwischen den
Hunden, die in der neuen Welt wieder verwildert sind, und den Hunden in
einem wohlhabenden Hause, deren geringste Launen man befriedigt! Beim
Menschen und bei den Thieren spiegeln sich die Regungen der Seele in den
Zügen ab, und die Züge werden desto beweglicher, je häufiger,
mannigfaltiger und andauernder die Empfindungen sind. Aber der Indianer in
den Missionen, von aller Cultur abgeschnitten, wird allein vom physischen
Bedürfniß bestimmt, und da er dieses im herrlichen Klima fast mühelos
befriedigt, führt er ein träges, einförmiges Leben. Unter den
Gemeindegliedern herrscht die vollkommenste Gleichheit, und diese
Einförmigkeit, diese Starrheit der Verhältnisse drückt sich auch in den
Gesichtszügen der Indianer aus.

Unter der Zucht der Mönche wandeln heftige Leidenschaften, wie Groll und
Zorn, den Eingeborenen ungleich seltener an, als wenn er in den Wäldern
lebt. Wenn der wilde Mensch sich raschen, heftigen Gemüthsbewegungen
überläßt, so wird sein bis dahin ruhiges, starres Gesicht auf einmal
krampfhaft verzerrt; aber seine Aufregung geht um so rascher vorüber, je
stärker sie ist. Beim Indianer in den Missionen dagegen ist, wie ich am
Orinoco oft beobachten konnte, der Zorn nicht so heftig, nicht so offen,
aber er hält länger an. Uebrigens ist es auf allen Stufen menschlicher
Entwicklung nicht die Stärke oder die augenblickliche Entfesselung der
Leidenschaften, was den Zügen den eigentlichen Ausdruck gibt, sondern
vielmehr jene Reizbarkeit der Seele, die uns in beständiger Berührung mit
der Außenwelt erhält, Zahl und Maaß unserer Schmerzen und unserer Freuden
steigert und auf Physiognomie, Sitten und Sprache zugleich zurückwirkt.
Wenn Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit der Züge das belebte Naturreich
verschönern, so ist auch nicht zu läugnen, daß beide zwar nicht allein
Produkte der Cultur sind, wohl aber mit ihr sich steigern. In der großen
Völkerfamilie kommen diese Vorzüge keiner Race in höherem Maaße zu als der
caucasischen oder europäischen. Nur beim weißen Menschen tritt das Blut
plötzlich in das Gewebe der Haut und tritt damit jener leise Wechsel der
Gesichtsfarbe ein, der den Ausdruck der Gemüthsbewegungen so bedeutend
verstärkt. »Wie soll man Menschen trauen, die nicht roth werden können?«
sagt der Europäer in seinem eingewurzelten Hasse gegen den Neger und den
Indianer. Man muß übrigens zugeben, daß diese Starrheit der Züge nicht
allen Racen mit sehr dunkel gefärbter Haut zukommt; sie ist beim Afrikaner
lange nicht so bedeutend, wie bei den eingeborenen Amerikanern.

Dieser physischen Schilderung der Chaymas lassen wir einige allgemeine
Bemerkungen über ihre Lebensweise und ihre Sitten folgen. Da ich die
Sprache des Volks nicht verstehe, kann ich keinen Anspruch darauf machen,
während meines nicht sehr langen Aufenthalts in den Missionen ihren
Charakter durchgängig kennen gelernt zu haben. So oft im Folgenden von den
Indianern die Rede ist, stelle ich das, was wir von den Missionären
erfahren, neben das Wenige, was wir selbst beobachten konnten.

Die Chaymas haben, wie alle halbwilden Völker in sehr heißen Ländern, eine
entschiedene Abneigung gegen Kleider. Von mittelalterlichen
Schriftstellern hören wir, daß im nördlichen Europa die Hemden und
Beinkleider, welche die Missionäre austheilten, nicht wenig zur Bekehrung
der Heiden beigetragen haben. In der heißen Zone dagegen schämen sich die
Eingeborenen, wie sie sagen, daß sie Kleider tragen sollen, und sie laufen
in die Wälder, wenn man sie zu frühe nöthigt, ihr Nacktgehen aufzugeben.
Bei den Chaymas bleiben, trotz des Eiferns der Mönche, Männer und Weiber
im Innern der Häuser nackt. Wenn sie durch das Dorf gehen, tragen sie eine
Art Hemd aus Baumwollenzeug, das kaum bis zum Knie reicht. Bei den Männern
hat dasselbe Aermel, bei den Weibern und den Jungen bis zum zehnten,
zwölften Jahr bleiben Arme, Schultern und der obere Theil der Brust frei.
Das Hemd ist so geschnitten, daß Vorderstück und Rückenstück durch zwei
schmale Bänder auf der Schulter zusammenhängen. Es kam vor, daß wir
Eingeborenen außerhalb der Mission begegneten, die, namentlich bei
Regenwetter, ihr Hemd ausgezogen hatten und es aufgerollt unter dem Arm
trugen. Sie wollten sich lieber auf den bloßen Leib regnen, als ihre
Kleider naß werden lassen. Die ältesten Weiber versteckten sich dabei
hinter die Bäume und schlugen ein lautes Gelächter auf, wenn wir an ihnen
vorüber kamen. Die Missionäre klagen meist, daß Schaam und Gefühl für das
Anständige bei den jungen Mädchen nicht viel entwickelter seyen als bei
den Männern. Schon Ferdinand Columbus erzählt, sein Vater habe im Jahr
1498 auf der Insel Trinidad völlig nackte Weiber angetroffen, während die
Männer den _‘Guayuco’_ trugen, der vielmehr eine schmale Binde ist als
eine Schürze. Zur selben Zeit unterschieden sich auf der Küste von Paria
die Mädchen von den verheiratheten Weibern dadurch, daß sie, wie Cardinal
Bembo behauptet, ganz nackt gingen, oder, nach Gomara, dadurch, daß sie
einen anders gefärbten Guayuco trugen. Diese Binde, die wir noch bei den
Chaymas und allen nackten Völkerschaften am Orinoco angetroffen, ist nur
zwei bis drei Zoll breit und wird mit beiden Enden an einer Schnur
befestigt, die mitten um den Leib gebunden ist. Die Mädchen heirathen
häufig mit zwölf Jahren; bis zum neunten gestatten ihnen die Missionäre,
nackt, das heißt ohne Hemd, zur Kirche zu kommen. Ich brauche hier nicht
daran zu erinnern, daß bei den Chaymas, wie in allen spanischen Missionen
und indianischen Dörfern, die ich besucht, Beinkleider, Schuhe und Hut
Luxusartikel sind, von denen die Eingeborenen nichts wissen. Ein Diener,
der uns auf der Reise nach Charipe und an den Orinoco begleitet und den
ich mit nach Frankreich gebracht, konnte sich, nachdem wir ans Land
gestiegen, nicht genug verwundern, als er einen Bauern mit dem Hut auf dem
Kopf ackern sah, und er glaubte »in einem armseligen Lande zu seyn, wo
sogar die Edelleute (_los mismos caballeros_) hinter dem Pfluge gehen.«

Die Weiber der Chaymas sind nach unsern Schönheitsbegriffen nicht hübsch;
indessen haben die jungen Mädchen etwas Sanftes und Wehmüthiges im Blick,
das von dem ein wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm
absticht. Die Haare tragen sie in zwei lange Zöpfe geflochten. Die Haut
bemalen sie sich nicht und kennen in ihrer Armuth keinen andern Schmuck
als Hals- und Armbänder aus Muscheln, Vögelknochen und Fruchtkernen.
Männer und Weiber sind sehr musculös, aber der Körper ist fleischigt mit
runden Formen. Ich brauche kaum zu sagen, daß mir nie ein Individuum mit
einer natürlichen Mißbildung aufgestoßen ist; dasselbe gilt von den vielen
tausend Caraiben, Muyscas, Mexicanern und Peruanern, die wir in fünf
Jahren gesehen. Dergleichen Mißbildungen sind bei gewissen Racen ungemein
selten, besonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe stark gefärbt ist.
Ich kann nicht glauben, daß sie allein Folgen höherer Cultur, einer
weichlicheren Lebensweise und der Sittenverderbniß sind. In Europa
heirathet ein buckligtes oder sehr häßliches Mädchen, wenn sie Vermögen
hat, und die Kinder erben häufig die Mißbildung der Mutter. Im wilden
Zustand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrscht, kann nichts
einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder sehr Kränkliche zum Weibe zu
nehmen. Hat eine solche das seltene Glück, daß sie das Alter der Reife
erreicht, so stirbt sie sicher kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden
seyen alle so wohlgebildet und so kräftig, weil die schwächlichen Kinder
aus Verwahrlosung frühe wegsterben und nur die kräftigen am Leben bleiben;
aber dieß kann nicht von den Indianern in den Missionen gelten, welche die
Sitten unserer Bauern haben, noch auch von den Mexicanern in Cholula und
Tlascala, die in einem Wohlstand leben, den sie von civilisirteren
Vorfahren ererbt. Wenn die kupferfarbige Race auf allen Culturstufen
dieselbe Starrheit zeigt, dieselbe Unfähigkeit, vom ursprünglichen Typus
abzuweichen, so müssen wir darin doch wohl großentheils angeborene Anlage
erblicken, das, worin eben der eigenthümliche Racencharakter besteht. Ich
sage absichtlich: großentheils, weil ich den Einfluß der Cultur nicht ganz
ausschließen möchte. Beim kupferfarbigen Menschen, wie beim Weißen, wird
der Körper durch Luxus und Weichlichkeit geschwächt, und aus diesem Grunde
waren früher Mißbildungen in Couzco und Tenochtitlan häufiger; aber unter
den heutigen Mexicanern, die alle Landbauern sind und in der größten
Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge und Bucklichten
aufgetriehen, die Bernal Diaz bei seiner Mahlzeit erscheinen sah.

Die Sitte des frühzeitigen Heirathens ist, wie die Ordensgeistlichen
bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus nicht nachtheilig. Diese
frühe Mannbarkeit ist Racencharakter und keineswegs Folge des heißen
Klimas; sie kommt ja auch auf der Nordwestküste von Amerika, bei den
Eskimos vor, so wie in Asien bei den Kamtschadalen und Koriäken, wo häufig
zehnjährige Mädchen Mütter sind. Man kann sich nur wundern, daß die
Tragezeit, die Dauer der Schwangerschaft sich im gesunden Zustande bei
keiner Race und in keinem Klima verändert.

Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie die Tongusen und andere
Völker mongolischer Race. Die wenigen Haare, die sprossen, reißen sie aus;
aber im Allgemeinen ist es unrichtig, wenn man behauptet, sie haben nur
deßhalb keinen Bart, weil sie denselben ausraufen. Auch ohne diesen Brauch
wären die Indianer größtentheils ziemlich bartlos. Ich sage größtentheils,
denn es gibt Völkerschaften, die in dieser Beziehung ganz vereinzelt neben
den andern stehen und deßhalb um so mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hieher
gehören in Nordamerika die Chepewyans, die Mackenzie besucht hat, und die
Yabipais bei den toltekischen Ruinen von Moqui, beide mit dichtem Bart, in
Südamerika die Patagonen und Guaranys. Unter, letzteren sieht man Einzelne
sogar mit behaarter Brust. Wenn die Chaymas, statt sich den dünnen
Kinnbart auszuraufen, sich häufig rasiren, so wächst der Bart stärker.
Solches sah ich mit Erfolg junge Indianer thun, die als Meßdiener lebhaft
wünschten den Väter Kapuzinern, ihren Missionären und Meistern zu
gleichen. Beim Volk im Ganzen aber ist und bleibt der Bart in dem Maße
verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren steht. Dieser Widerwille
fließt aus derselben Quelle wie die Vorliebe für abgeflachte Stirnen, die
an den Bildnissen aztekischer Gottheiten und Helden in so seltsamer Weise
zu Tage kommt. Den Völkern gilt immer für schön, was ihre eigene
Körperbildung, ihre Nationalphysiognomie besonders auszeichnet.(3) Da
ihnen nun die Natur sehr wenig Bart, eine schmale Stirne und eine
rothbraune Haut gegeben hat, so hält sich jeder für desto schöner, je
weniger sein Körper behaart, je flacher sein Kopf, je lebhafter seine Haut
mit _‘Roucou’_, _‘Chica’_ oder irgend einer kupferrothen Farbe bemalt ist.

Die Lebensweise der Chaymas ist höchst einförmig. Sie legen sich
regelmäßig um sieben Uhr Abends nieder und stehen lange vor Tag, um halb
fünf Uhr Morgens auf. Jeder Indianer hat ein Feuer bei seiner Hängematte.
Die Weiber sind so frostig, daß ich sie in der Kirche vor Kälte zittern
sah, wenn der hunderttheilige Thermometer noch auf 18 Grad stand. Im
Innern sind die Hütten der Indianer äußerst sauber. Ihr Bettzeug, ihre
Schilfmatten, ihre Töpfe mit Manioc oder gegohrenem Mais, ihre Bogen und
Pfeile, Alles befindet sich in der schönsten Ordnung. Männer und Weiber
baden täglich, und da sie fast immer nackt gehen, so kann bei ihnen die
Unreinlichkeit nicht aufkommen, die beim gemeinen Volk in kalten Ländern
vorzugsweise von den Kleidern herrührt. Außer dem Haus im Dorfe haben sie
meist auf ihren _‘Conucos’_, an einer Quelle oder am Eingang einer recht
einsamen Schlucht, eine mit Palm- und Bananenblättern gedeckte Hütte von
geringem Umfang. Obgleich sie auf dem Conuco weniger bequem leben, halten
sie sich doch dort auf, so oft sie nur können. Schon oben gedachten wir
ihres unwiderstehlichen Triebs, die Gesellschaft zu fliehen und zum Leben
in der Wildniß zurückzukehren. Die kleinsten Kinder entlaufen nicht selten
ihren Eltern und ziehen vier, fünf Tage in den Wäldern herum, von
Früchten, von Palmkohl und Wurzeln sich nährend. Wenn man in den Missionen
reist, sieht man häufig die Dörfer fast ganz leer stehen, weil die
Einwohner in ihren Gärten sind oder auf der Jagd, _al monte_. Bei den
civilisirten Völkern fließt wohl die Jagdlust zum Theil aus denselben
moralischen Quellen, aus dem Reiz der Einsamkeit, dem angebotenen
Unabhängigkeitstrieb, dem tiefen Eindruck, den die Natur überall auf den
Menschen macht, wo er sich ihr allein gegenüber sieht.

Entbehrung und Leiden sind auch bei den Chaymas, wie bei allen
halbbarbarischen Völkern, das Loos der Weiber. Die schwerste Arbeit fällt
ihnen zu. Wenn wir die Chaymas Abends aus ihrem Garten heimkommen sahen,
trug der Mann nichts als das Messer (_machette_), mit dem er sich einen
Weg durch das Gesträuch bahnt. Das Weib ging gebückt unter einer
gewaltigen Last Bananen und trug ein Kind auf dem Arm, und zwei andere
saßen nicht selten oben auf dem Bündel. Trotz dieser gesellschaftlichen
Unterordnung schienen mir die Weiber der südamerikanischen Indianer
glücklicher als die der Wilden im Norden. Zwischen den Aleghanis und dem
Mississippi werden überall, wo die Eingeborenen nicht größtentheils von
der Jagd leben, Mais, Bohnen und Kürbisse nur von den Weibern gebaut; der
Mann gibt sich mit dem Ackerbau gar nicht ab. In der heißen Zone gibt es
nur sehr wenige Jägervölker, und in den Missionen arbeiten die Männer im
Felde so gut wie die Weiber.

Man macht sich keinen Begriff davon, wie schwer die Indianer spanisch
lernen. Sie haben einen Abscheu davor, so lange sie mit den Weißen nicht
in Berührung kommen und ihnen der Ehrgeiz fremd bleibt, civilisirte
Indianer zu heißen, oder, wie man sich in den Missionen ausdrückt,
_‘latinisirte’_ Indianer, _Indios muy latinos_. Was mir aber nicht allein
bei den Chaymas, sondern in allen sehr entlegenen Missionen, die ich
später besucht, am meisten auffiel, das ist, daß es den Indianern so
ungemein schwer wird, die einfachsten Gedanken zusammenzubringen und auf
spanisch auszudrücken, selbst wenn sie die Bedeutung der Worte und den
Satzbau ganz gut kennen. Man sollte sie für noch einfältiger halten als
Kinder, wenn ein Weißer sie über Gegenstände befragt, mit denen sie von
Kindesbeinen an vertraut sind. Die Missionäre versichern, dieses Stocken
sey nicht Folge der Schüchternheit; bei den Indianern, die täglich ins
Haus des Missionärs kommen und bei der öffentlichen Arbeit die Aussicht
führen, sey es keineswegs natürliche Beschränktheit, sondern nur
Unvermögen, den Mechanismus einer von ihren Landessprachen abweichenden
Sprache zu handhaben. Je uncultivirter der Mensch ist, desto mehr
moralische Starrheit und Unbiegsamkeit kommt ihm zu. Es ist also nicht zu
verwundern, wenn der Indianer, der vereinsamt in den Missionen lebt,
Hemmnissen begegnet, von denen diejenigen nichts wissen, die mit Mestizen,
Mulatten und Weißen in der Nähe der Städte in Pfarrdörfern wohnen. Ich war
oft erstaunt, mit welcher Geläufigkeit in Caripe der _‘Alcalde’_, der
_‘Governador’_, der _‘Sargento mayor’_ stundenlang zu den vor der Kirche
versammelten Indianern sprachen; sie vertheilten die Arbeiten für die
Woche, schalten die Trägen, drohten den Unanstelligen. Diese Häuptlinge,
die selbst Chaymas sind und die Befehle des Missionärs der Gemeinde zur
Kenntniß bringen, sprechen dabei alle auf einmal, mit lauter Stimme, mit
starker Betonung, fast ohne Geberdenspiel. Ihre Züge bleiben dabei
unbeweglich, ihr Blick ist ernst, gebieterisch.

Dieselben Menschen, die so viel Geisteslebendigkeit verriethen und
ziemlich gut spanisch verstanden, konnten ihre Gedanken nicht mehr
zusammenbringen, wenn sie uns auf unsern Ausflügen in der Nähe des
Klosters begleiteten und wir durch die Mönche Fragen an sie richten
ließen. Man konnte sie Ja oder Nein sagen lassen, je nachdem man die Frage
stellte; und ihre Trägheit und nebenbei auch jene schlaue Höflichkeit, die
auch dem rohesten Indianer nicht ganz fremd ist, ließ sie nicht selten
ihren Antworten die Wendung geben, auf die unsere Fragen zu deuten
schienen. Wenn sich Reisende auf die Aussagen von Eingeborenen berufen
wollen, können sie vor diesem gefälligen Jasagen sich nicht genug in Acht
nehmen. Ich wollte einmal einen indianischen Alcalden auf die Probe
stellen und fragte ihn, ob er nicht meine, der Bach Caripe, der aus der
Höhle des Guacharo herauskommt, laufe aus der andern Seite den Berg heraus
und durch eine unbekannte Oeffnung herein. Er schien sich eine Weile zu
besinnen und sagte dann zur Unterstützung meiner Annahme: »Freilich, wie
wäre auch sonst vorne in der Höhle immer Wasser im Bett?«

Alle Zahlenverhältnisse fassen die Chaymas außerordentlich schwer. Ich
habe nicht Einen gesehen, den man nicht sagen lassen konnte, er sey
achtzehn oder aber sechzig Jahre alt. Marsden hat dieselbe Beobachtung an
den Malaien auf Sumatra gemacht, die doch seit mehr als fünfhundert Jahren
civilisirt sind. Die Chaymassprache hat Worte, die ziemlich große Zahlen
ausdrücken, aber wenige Indianer wissen damit umzugehen, und da sie im
Verkehr mit den Missionären dazu genöthigt sind, so zählen die fähigsten
spanisch, aber so, daß man ihnen die geistige Anstrengung ansieht, bis auf
30 oder 50. In der Chaymassprache zählen dieselben Menschen nicht über 5
oder 6. Es ist natürlich, daß sie sich vorzugsweise der Worte einer
Sprache bedienen, in der sie die Reihen der Einer und der Zehner kennen
gelernt haben. Seit die europäischen Gelehrten es der Mühe werth halten,
den Bau der amerikanischen Sprachen zu studiren, wie man den Bau der
semitischen Sprachen, des Griechischen und des Lateinischen studirt,
schreibt man nicht mehr der Mangelhaftigkeit der Sprachen zu, was nur aus
Rechnung der Rohheit der Völker kommt. Man erkennt an, daß fast überall
die Mundarten reicher sind und feinere Wendungen aufzuweisen haben, als
man nach der Culturlosigkeit der Völker, die sie sprechen, vermuthen
sollte. Ich bin weit entfernt, die Sprachen der neuen Welt den schönsten
Sprachen Asiens und Europas gleichstellen zu wollen; aber keine von diesen
hat ein klareres, regelmäßigeres und einfacheres Zahlsystem als das
Oquichua und das Aztekische, die in den großen Reichen Couzco und Anahuac
gesprochen wurden. Dürfte man nun sagen, in diesen Sprachen zähle man
nicht über vier, weil es in den Dörfern, wo sich dieselben unter den armen
Bauern von peruanischem oder mexicanischem Stamm erhalten haben, Menschen
gibt, die nicht weiter zählen können? Die seltsame Ansicht, nach der so
viele Völker Amerikas nur bis zu fünf, zehn oder zwanzig sollen zählen
können, ist durch Reisende aufgekommen, die nicht wußten, daß die
Menschen, je nach dem Geist der verschiedenen Mundarten, in allen
Himmelsstrichen nach 5, 10 oder 20 Einheiten (das heißt nach den Fingern
Einer Hand, beider Hände, der Hände und Füße zusammen) einen Abschnitt
machen, und daß 6, 13 oder 20 auf verschiedene Weise durch fünf eins, zehn
drei und »Fuß zehn« ausgedrückt werden. Kann man sagen, die Zahlen der
Europäer gehen nicht über zehen, weil wir Halt machen, wenn eine Gruppe
von zehn Einheiten beisammen ist?

Die amerikanischen Sprachen sind so ganz anders gebaut, als die
Töchtersprachen des Lateinischen, daß die Jesuiten, welche Alles, was ihre
Anstalten fördern konnte, aufs Sorgfältigste in Betracht zogen, bei den
Neubekehrten statt des Spanischen einige indianische sehr reiche, sehr
regelmäßige und weit verbreitete Sprachen, namentlich das Oquichua und das
Guarani, einführten. Sie suchten durch diese Sprachen die ärmeren,
plumperen, im Satzbau nicht so regelmäßigen Mundarten zu verdrängen. Und
der Tausch gelang ohne alle Schwierigkeit; die Indianer verschiedener
Stämme ließen sich ganz gelehrig dazu herbei, und so wurden diese
verallgemeinerten amerikanischen Sprachen zu einem bequemen Verkehrsmittel
zwischen den Missionären und den Neubekehrten. Mit Unrecht würde man
glauben, der Sprache der Incas sey nur darum der Vorzug vor dem Spanischen
gegeben worden, um die Missionen zu isoliren und sie dem Einfluß zweier
auf einander eifersüchtiger Gewalten, der Bischöfe und der Statthalter, zu
entziehen; abgesehen von ihrer Politik hatten die Jesuiten noch andere
Gründe, wenn sie gewisse indianische Sprachen zu verbreiten suchten. Diese
Sprachen boten ihnen ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden
zu schlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich gesinnt, durch
die Sprachverschiedenheit geschieden waren; denn in uncultivirten Ländern
bekommen die Dialekte nach mehreren Jahrhunderten nicht selten die Form
oder doch das Aussehen von Ursprachen.

Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutsch, ein Spanier leichter
Italienisch oder Lateinisch als jede andere Sprache, so meint man
zunächst, dieß rühre daher, daß alle germanischen Sprachen oder alle
Sprachen des lateinischen Europas eine Menge Wurzeln mit einander gemein
haben; man vergißt, daß es neben dieser Aehnlichkeit der Laute eine andere
gibt, die Völker von gemeinsamem Ursprung noch ungleich tiefer anregt. Die
Sprache ist keineswegs ein Ergebniß willkührlicher Uebereinkunft; der
Mechanismus der Flexionen, die grammatischen Formen, die Möglichkeit der
Inversionen, Alles ist ein Ausfluß unseres Innern, unserer eigenthümlichen
Organisation. Im Menschen lebt ein unbewußt thätiges und ordnendes
Princip, das bei Völkern von verschiedener Race auch verschieden angelegt
ist. Das mehr oder weniger rauhe Klima, der Aufenthalt im Hochgebirg oder
am Meeresufer, die ganze Lebensweise mögen die Laute umwandeln, die
Gemeinsamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer neue erzeugen; aber
alle diese Ursachen lassen den Bau und das innere Getriebe der Sprachen
unberührt. Die Einflüsse des Klimas und aller äußern Verhältnisse sind ein
verschwindendes Moment dem gegenüber, was der Racencharakter wirkt, die
Gesammtheit der dem Menschen eigenthümlichen, sich vererbenden Anlagen.

In Amerika nun -- und dieses Ergebniß der neuesten Forschungen ist für die
Geschichte unserer Gattung von der höchsten Bedeutung -- in Amerika haben
vom Lande der Eskimos bis zum Orinoco, und von den heißen Ufern dieses
Flusses bis zum Eis der Magellanschen Meerenge den Wurzeln nach ganz
verschiedene Stammsprachen so zu sagen dieselbe Physiognomie. Nicht allein
ausgebildete Sprachen, wie die der Incas, das Aymare, Guarany, Cora und
das Mexicanische, sondern auch sehr rohe Sprachen zeigen in ihrem
grammatischen Bau die überraschendsten Aehnlichkeiten. Idiome, deren
Wurzeln einander um nichts ähnlicher sind als die Wurzeln des Slavischen
und des Baskischen, gleichen einander im inneren Mechanismus wie Sanskrit,
Persisch, Griechisch und die germanischen Sprachen. So findet man fast
überall in der neuen Welt, daß die Zeitwörter eine ganze Menge Formen und
Tempora haben, ein künstliches, sehr verwickeltes Verfahren, um entweder
durch Flexion der persönlichen Fürwörter, welche die Wortendungen bilden,
oder durch Einschieben eines Suffixes zum voraus Wesen und Verhältnisse
des Subjekts zu bezeichnen, um anzugeben, ob dasselbe lebendig ist oder
leblos, männlichen oder weiblichen Geschlechts, einfach oder in vielfacher
Zahl. Eben wegen dieser allgemeinen Aehnlichkeit im Bau, und weil
amerikanische Sprachen, die auch nicht ein Wort mit einander gemein haben
(z. B. das Mexicanische und das Oquichua), in ihrer inneren Gliederung
übereinkommen und von den Töchtersprachen des Lateinischen durchaus
abweichen, lernt der Indianer in den Missionen viel leichter eine
amerikanische Sprache als die des europäischen Mutterlandes. In den
Wäldern am Orinoco habe ich die rohesten Indianer zwei, drei Sprachen
sprechen hören. Häufig verkehren Wilde verschiedener Nationen in einem
andern als ihrem eigenen Idiom mit einander.

Hätte man das System der Jesuiten befolgt, so wären bereits weit
verbreitete Sprachen fast allgemein geworden. Auf Terra Firma und am
Orinoco spräche man jetzt nur Caraibisch oder Tamanakisch, im Süden und
Südwesten Oquichua, Guarani, Omagua und Araucanisch. Die Missionäre
könnten sich diese Sprachen zu eigen machen, deren grammatische Formen
höchst regelmäßig und fast so fest sind wie im Griechischen und Sanskrit,
und würden so den Eingeborenen, über die sie herrschen, weit näher kommen.
Die zahllosen Schwierigkeiten in der Verwaltung von Missionen, die aus
einem Dutzend Völkerschaften bestehen, verschwänden mit der
Sprachverwirrung. Die wenig verbreiteten Mundarten würden todte Sprachen;
aber der Indianer behielte mit einer amerikanischen Sprache auch seine
Individualität und seine nationale Physiognomie. Man erreichte so auf
friedlichem Wege, was die allzu sehr gepriesenen Incas, die den Fanatismus
in die neue Welt eingeführt, mit Waffengewalt durchzuführen begonnen.

Wie mag man sich auch wundern, daß die Chaymas, die Caraiben, die Saliven
oder Otomaken im Spanischen so geringe Fortschritte machen, wenn man
bedenkt, daß fünf-, sechshundert Indianern Ein Weißer, Ein Missionär
gegenübersteht, und daß dieser alle Mühe hat, einen Governador, Alcalden
oder Fiscal zum Dolmetscher heranzubilden! Könnte man statt der Zucht der
Missionäre die Indianer auf anderem Wege civilisiren, oder vielmehr ihre
Sitten sänftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten,
ohne deßhalb gebildeter zu seyn), könnte man die Weißen, statt sie ferne
zu halten, in neu gebildeten Gemeinden unter den Eingeborenen leben
lassen, so wären die amerikanischen Sprachen bald von den europäischen
verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige
Masse neuer Vorstellungen, welche die Früchte der Cultur sind. Dann
brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Incas oder
das Guarany, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Missionen des
südlichen Amerikas so lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die
Mißbräuche des Regiments der Missionare kennen gelernt, darf ich wohl die
Ansicht aussprechen, daß dieses Regiment nicht so leicht abzuschaffen seyn
wird, ein System, das sich gar wohl bedeutend verbessern läßt und das als
Vorbereitung und Uebergang zu einem unsern Begriffen von bürgerlicher
Freiheit entsprechenderen erscheint. Man wird mir einwenden, die Römer
haben in Gallien, in Bätica, in der Provinz Afrika mit ihrer Herrschaft
schnell auch ihre Sprache eingeführt; aber die eingeborenen Völker dieser
Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, sie kannten den Gebrauch
des Geldes, sie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe
Stufe der Cultur voraussetzen. Durch die Lockungen des Waarentausches und
den langen Aufenthalt der Legionen waren sie mit den Eroberern in
unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen sehen wir der Einführung der
Sprachen der Mutterländer überall fast unüberwindliche Hindernisse
entgegentreten, wo carthaginensische, griechische oder römische Colonien
auf wirklich barbarischen Küsten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und
unter allen Himmelsstrichen ist Flucht der erste Gedanke des Wilden dem
civilisirten Menschen gegenüber.

Die Sprache der Chaymas schien mir nicht so wohlklingend wie das
Caraibische, das Salivische und andere Orinocosprachen: Namentlich hat sie
weniger in accentuirten Vocalen ausklingende Endungen. Sylben wie _guaz_,
_ez_, _puic_, _pur_ kommen auffallend oft vor. Wir werden bald sehen, daß
diese Endungen zum Theil Flexionen des Zeitworts *seyn* sind, oder aber
Postpositionen, die nach dem Wesen der amerikanischen Sprachen den Worten
selbst einverleibt sind. Mit Unrecht würde man diese Rauheit des
Sprachtons dem Leben der Chaymas im Gebirge zuschreiben, denn sie sind
ursprünglich diesem gemäßigten Klima fremd. Sie sind erst durch die
Missionäre dorthin versetzt worden, und bekanntlich war den Chaymas, wie
allen Bewohnern heißer Landstriche, die Kälte in Caripe, wie sie es
nennen, Anfangs sehr zuwider. Während unseres Aufenthalts im
Kapuzinerkloster haben Bonpland und ich ein kleines Verzeichniß von
Chaymasworten angelegt. Ich weiß wohl, daß der Bau und die grammatischen
Formen für die Sprachen weit bezeichnender sind als die Analogie der Laute
und der Wurzeln, und daß diese Analogie der Laute nicht selten in
verschiedenen Dialekten derselben Sprache völlig unkenntlich wird; denn
die Stämme, in welche eine Nation zerfällt, haben häufig für dieselben
Gegenstände völlig verschiedene Benennungen. So kommt es, daß man sehr
leicht irre geht, wenn man, die Flexionen außer Augen lassend, nur nach
den Wurzeln, z. B. nach den Worten für Mond, Himmel, Wasser, Erde, zwei
Idiome allein wegen der Unähnlichkeit der Laute für völlig verschieden
erklärt. Trotz dieser Quelle des Irrthums thun, denke ich, die Reisenden
gut, wenn sie immer alles Matterial sammeln, das ihnen zugänglich ist.
Machen sie auch nicht mit der inneren Gliederung und dem allgemeinen Plane
des Baus bekannt, so lehren sie doch wichtige Theile desselben für sich
kennen. Die Wörterverzeichnisse sind nicht zu vernachläßigen; sie geben
sogar über den wesentlichen Charakter einer Sprache einigen Ausschluß,
wenn der Reisende Sätze sammelt, aus denen man ersieht, wie das Zeitwort
flektirt wird und, was in den verschiedenen Sprachen in so abweichender
Weise geschieht, die persönlichen und possessiven Fürwörter bezeichnet
werden.

Die drei verbreitetsten Sprachen in den Provinzen Cumana und Barcelona
sind gegenwärtig die der Chaymas, das Cumanagotische und das Caraibische.
Sie haben im Lande von jeher als verschiedene Idiome gegolten; jede hat
ihr Wörterbuch, zum Gebrauch der Missionen verfaßt von den Patres Tauste,
Ruiz-Blanco und Breton. Das _Vocabulario y arte de la lengua de los Indios
Chaymas_ ist sehr selten geworden. Die wenigen Exemplare der meist im
siebzehnten Jahrhundert gedruckten amerikanischen Sprachlehren sind in die
Missionen gekommen und in den Wäldern zu Grunde gegangen. Wegen der großen
Feuchtigkeit und der Gefräßigkeit der Insekten lassen sich in diesen
heißen Ländern Bücher fast gar nicht aufbewahren. Trotz aller
Vorsichtsmaßregeln sind sie in kurzer Zeit gänzlich verdorben. Nur mit
großer Mühe konnte ich in den Missionen und Klöstern die Grammatiken
amerikanischer Sprachen zusammenbringen, die ich gleich nach meiner
Rückkehr nach Europa dem Professor und Bibliothekar Severin Vater zu
Königsberg übermacht habe; sie lieferten ihm gutes Material zu seinem
schönen großen Werk über die Sprachen der neuen Welt. Ich hatte damals
versäumt meine Notizen über die Chaymassprache aus meinem Tagebuch
abzuschreiben und diesem Gelehrten mitzutheilen. Da weder Pater Gili, noch
der Abt Hervas dieser Sprache erwähnen, gebe ich hier kurz das Ergebniß
meiner Untersuchungen.

Auf dem rechten Ufer des Orinoco, südöstlich von der Mission Encaramada,
über hundert Meilen von den Chaymas, wohnen die Tamanacu, deren Sprache in
mehrere Dialekte zerfällt. Diese einst sehr mächtige Nation ist auf wenige
Köpfe zusammengeschmolzen; sie ist von den Bergen von Caripe durch den
Orinoco, durch die großen Steppen von Caracas und Cumana, und durch eine
noch schwerer zu übersteigende Schranke, durch Völker von caraibischem
Stämme getrennt. Trotz dieser Entfernung und der vielfachen örtlichen
Hindernisse erkennt man in der Sprache der Chaymas einen Zweig der
Tamanacusprache. Die ältesten Missionare in Caripe wissen nichts von
dieser interessanten Beobachtung, weil die aragonesischen Kapuziner fast
nie an das südliche Ufer des Orinoco kommen und von der Existenz der
Tamanacu so gut wie nichts wissen. Die Verwandtschaft zwischen der Sprache
dieses Volks und der der Chaymas habe ich erst lange nach meiner Rückkehr
nach Europa aufgefunden, als ich meine gesammelten Notizen mit einer
Grammatik verglich, die ein alter Missionär am Orinoco in Italien drucken
lassen. Ohne die Sprache der Chaymas zu kennen, hatte schon der Abt Gili
vermuthet, daß die Sprache der Einwohner von Paria mit dem Tamanacu
verwandt seyn müsse.

Ich thue diese Verwandtschaft auf dem doppelten Wege dar, aus dem man die
Analogie der Sprachen erkennt, durch den grammatischen Bau und durch die
Uebereinstimmung der Worte oder Wurzeln. -- Hier sind zuerst die
persönlichen Fürwörter der Chaymas, die zugleich Possessiva sind: _u-re_,
ich, _cu-re_, du, _tiu-re_, er. Im Tamanacu: _u-re_, ich, _amare_ oder
_an-ja_, du, _iteu-ja_, er. Die Wurzel der ersten und der dritten Person
ist im Chaymas _u_ und _teu_ dieselben Wurzeln finden sich im Tamanacu.

+---------------------+-----------------+
|   Chaymas           |    Tamanacu     |
+---------------------+-----------------+
|_Ure_, ich.          | _ure._          |
+---------------------+-----------------+
|_Tuna_, Wasser.      | _Tuna._         |
+---------------------+-----------------+
|_Conopo_, Regen.     | _Canepo._       |
+---------------------+-----------------+
|_Poturu_, Wissen.    | _Puturo._       |
+---------------------+-----------------+
|_Apoto_, Feuer.      | _U-apto._       |
+---------------------+-----------------+
|_Nunu_, Mond, Monat. | _Nuna._         |
+---------------------+-----------------+
|_Je_, Baum.          | _Jeje._         |
+---------------------+-----------------+
|_Ata_, Haus.         | _Aute._         |
+---------------------+-----------------+
|_Euya_, dir.         | _Auya._         |
+---------------------+-----------------+
|_Toya_, ihm.         | _Iteuya._       |
+---------------------+-----------------+
|_Guane_, Honig.      | _Uane._         |
+---------------------+-----------------+
|_Nacaramayre_, er    | _Nacaramai._    |
|hat’s gesagt.        |                 |
+---------------------+-----------------+
|_Piache_, Zauberer,  | _Psiache._      |
|Arzt.                |                 |
+---------------------+-----------------+
|_Tibin_, eins.       | _Obin._         |
+---------------------+-----------------+
|_Aco_, zwei.         | _Oco._          |
+---------------------+-----------------+
|_Oroa_, drei.        | _Orua._         |
+---------------------+-----------------+
|_Pun_, Fleisch.      | _Punu._         |
+---------------------+-----------------+
|_Pra_, nicht.        | _Pra._          |
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*Seyn* heißt im Chaymas _az_; setzt man vor das Zeitwort das persönliche
Fürwort *ich* (_u_ von _u-re_), so läßt man des Wohlklangs wegen vor dem
_u_ ein _g_ hören, also _guaz_, *ich bin*, eigentlich _g-u-az_. Wie die
erste Person durch ein _u_ so wird die zweite durch ein _m_, die dritte
durch ein _i_ bezeichnet: du bist, _maz_; »_muerepuec araquapemaz,_«, »
warum bist du traurig?« wörtlich: »das für traurig du seyn?« »_punpuec
topuchemaz,_« »du bist fett von Körper;« wörtlich: »Fleisch (_pun_) für
(_puec_) fett (_topuche_) du seyn (_maz_).« Die zueignenden Fürwörter
kommen vor das Hauptwort zu stehen: »_upatay,_« »in meinem Hause;«
wörtlich: »ich Haus in.« Alle Präpositionen wie die Negation _pra_ werden
nachgesetzt, wie im Tamanacu. Man sagt im Chaymas: »_ipuec,_ mit ihm,«
wörtlich »er mit;« »_euya,_ zu dir, oder dir zu;« »_epuec charpe guaz_«
»ich bin lustig mit dir;« wörtlich: »du mit lustig ich seyn;« »_ucarepra,_
nicht wie ich;« wörtlich: »ich wie nicht;« »_quenpotupra quoguaz_ ich
kenne ihn nicht;« wörtlich: »ihn kennend nicht ich bin;« »_quenepra
quoguaz,_ ich habe ihn nicht gesehen,« wörtlich: »ihn sehend nicht ich
bin.« Im Tamanacu sagt man: »_acurivane,_ schön,« und »_acurivanepra,_
häßlich, nicht schön;« »_uotopra,_ es gibt keinen Fisch,« wörtlich: »Fisch
nicht;« »_uteripipra,_ ich will nicht gehen;« wörtlich: »ich gehen wollen
nicht;« und dieß ist zusammengesetzt aus _iteri_ gehen, _ipiri_ wollen,
und _pra_, nicht. Bei den Caraiben, deren Sprache auch Aehnlichkeit mit
dem Tamanacu hat, obgleich weit weniger als das Chaymas, wird die
Verneinung durch ein _m_ vor dem Zeitwort ausgedrückt: »_amoyenlenganti,_
es ist sehr kalt;« »_mamoyenlenganti,_ es ist nicht sehr kalt.« In
ähnlicher Weise gibt im Tamanacu die Partikel _mna,_ dem Zeitwort nicht
angehängt, sondern eingeschoben, demselben einen verneinenden Sinn, z. B.
_taro,_ sagen, _taromnar,_ nicht sagen.

Das Hauptzeitwort *seyn*, das in allen Sprachen sehr unregelmäßig ist,
lautet im Chaymas _az_ oder _ats,_ im Tamanacu _nochiri_ (in den
Zusammensetzungen _uac, uatscha_). Es dient nicht bloß zur Bildung des
Passivs, sondern wird offenbar auch, wie durch Agglutination, in vielen
Tempora der Wurzel der attributiven Zeitwörter angehängt. Diese
Agglutinationen erinnern an den Gebrauch der Hülfszeitwörter _as_ und
_bhu_ im Sanskrit, des _fu_ oder _fuo_ im Lateinischen,(4) das _izan,
ucan_ und _eguin_ im Baskischen. Es gibt gewisse Punkte, in denen die
einander unähnlichsten Sprachen zusammentreffen; das Gemeinsame in der
geistigen Organisation des Menschen spiegelt sich ab im allgemeinen Bau
der Sprachen, und in jedem Idiom, auch dem scheinbar barbarischsten,
offenbart sich ein regelndes Princip, das es geschaffen.

Die Mehrzahl hat im Tamanacu siebenerlei Formen je nach der Endung des
Substantiv, oder je nachdem es etwas Lebendes oder etwas Lebloses
bedeutet.(5) Im Chaymas wird die Mehrzahl, wie im Caraibischen, durch _on_
bezeichnet: »_teure,_ er selbst,« »_teurecon,_ sie selbst;« »_taronocon,_
die hier;« »_montaonocon,_ die dort,« wenn der Sprechende einen Ort meint,
an dem er sich selbst befand; »_miyonocon,_ die dort,« wenn er von einem
Ort spricht, an dem er nicht war. Die Chaymas haben auch die spanischen
Adverbe _aqui_ und _alà (allà),_ deren Sinn sich in den Sprachen von
germanischer und lateinischer Abstammung nur mittelst Umschreibung
wiedergeben läßt.

Manche Indianer, die spanisch verstanden, versicherten uns, _zis_ bedeute
nicht nur Sonne, sondern auch Gottheit. Dieß schien mir um so
auffallender, da man bei allen andern amerikanischen Völkern besondere
Worte für Gott und für Sonne findet. Der Caraibe wirft »_tamoussicabo,_
den Alten des Himmels,« und »_veyou,_ die Sonne,« nicht zusammen. Sogar
der Peruaner, der die Sonne anbetet, erhebt sich zur Vorstellung eines
Wesens, das den Lauf der Sterne lenkt. In der Sprache der Incas heißt die
Sonne, fast wie im Sanskrit, _Inti_,(6) während Gott _Vinay Huayna_, der
ewig Junge, genannt wird.

Die Satzbildung ist im Chaymas wie bei allen Sprachen beider Continente,
die sich eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt haben. Das Negierte kommt vor
das Zeitwort zu stehen, das Zeitwort vor das persönliche Fürwort. Der
Gegenstand, auf den der Hauptnachdruck fällt, geht Allem voran, was sonst
ausgesagt wird. Der Amerikaner würde sagen: »Freiheit völlige lieben wir,«
statt: wir lieben völlige Freiheit; »dir nicht glücklich bin ich,« statt:
mit dir bin ich glücklich. Diese Sätze haben eine gewisse Unmittelbarkeit,
Bestimmtheit, Bündigkeit, und sie erscheinen desto naiver, da der Artikel
fehlt. Ob wohl diese Völker, bei fortschreitender Cultur und sich selbst
überlassen, mit der Zeit von dieser Satzbildung abgegangen wären? Man
könnte es vermuthen, wenn man bedenkt, wie stark die Syntax der Römer in
ihren bestimmten, klaren, aber etwas schüchternen Töchtersprachen
umgewandelt worden ist.

Im Chaymas, wie im Tamanacu und den meisten amerikanischen Sprachen,
fehlen gewisse Buchstaben ganz, so namentlich das _f,_ _b_ und _d_. Kein
Wort beginnt mit einem _l_. Dasselbe gilt von der mexicanischen Sprache,
in der doch die Sylben _tli,_ _tla_ und _itl_ als Endungen oder mitten in
den Worten so häufig vorkommen. Der Chaymas-Indianer spricht _r_ statt _l_
weil er dieses nicht aussprechen kann, was ja in allen Himmelsstrichen
vorkommt. Auf diese Weise wurden aus den *Caribes* am Orinoco im
französischen Guyana *Galibi*; an die Stelle des _r_ trat _l_ und das _c_
erweichte sich. Aus dem spanischen Wort _soldado_ hat das Tamanacu
_choraro (solalo)_ gemacht. Wenn _f_ und _b_ in so vielen amerikanischen
Mundarten fehlen, so kommt dieß vom innigen Verwandtschaftsverhältniß
zwischen gewissen Lauten, wie es sich in allen Sprachen gleicher
Abstammung offenbart. Die Buchstaben _f_ und _v_, _b_ und _p_ werden
verwechselt; z. B. Persisch: _peder_, _pater_, _father_, Vater; _burader_,
_frater_, Bruder; _behar_, ver; Griechisch: _phorton_ (forton), Bürde,
_pous_, Fuß. Gerade so wird bei den Amerikanern _f_ und _b_ zu _p_, und
aus _d_ wird _t_. Der Chaymas-Indianer spricht _patre, Tios, Atani,
aracapucha_ statt _padre, Dios, Adan, arcabuz_ (Büchse).

Trotz der erwähnten Aehnlichkeiten glauben wir nicht, daß das Chaymas als
ein Dialekt des Tamanacu zu betrachten ist, wie die drei Dialekte Maitano,
Cuchivero und Crataima. Der Abweichungen sind viele und wesentliche, und
die beiden Sprachen scheinen mir höchstens in dem Grade verwandt, wie das
Deutsche, Schwedische und Englische. Sie gehören derselben Unterabtheilung
der großen Familie der tamanakischen, caraibischen und arouakischen
Sprachen an. Da es für die Sprachverwandtschaft kein absolutes Maaß gibt,
so lassen sich dergleichen Verwandtschaftsgrade nur durch von bekannten
Sprachen hergenommene Beispiele bezeichnen. Wir rechnen zur selben Familie
Sprachen, die einander so nahe stehen, wie Griechisch, Deutsch, Persisch
und Sanskrit.

Die sprachvergleichende Wissenschaft glaubte gefunden zu haben, daß alle
Sprachen in zwei große Classen zerfallen, indem die einen, mit
vollkommenerem Bau, freier, rascher in der Bewegung, eine innere
Entwicklung durch *Flexion* bezeichnen, während die andern, plumperen,
weniger bildungsfähigen, nur kleine *Formen* oder agglutinirte Partikeln
roh neben einander stellen, die alle, wenn man sie für sich braucht, ihre
eigenthümliche Physiognomie beibehalten. Diese höchst geistreiche
Auffassung wäre unrichtia, wenn man annähme, es gebe vielsylbige Sprachen
ohne alle Flexion, oder aber diejenigen, die sich wie von innen heraus
organisch entwickeln, kennen gar keinen äußerlichen Zuwachs durch
*Suffixe* und *Affixe*, welchen Zuwachs wir schon öfters als Agglutination
oder Incorporation bezeichnet haben. Viele Formen, die wir jetzt für
Flexionen der Wurzel halten, waren vielleicht ursprünglich Affixe, von
denen nur ein oder zwei Consonanten übrig geblieben sind. Es ist mit den
Sprachen wie mit allem Organischen in der Natur; nichts steht ganz für
sich, nichts ist dem Andern völlig unähnlich. Je weiter man in ihren
innern Bau eindringt, desto mehr schwinden die Contraste, die auffallenden
Eigenthümlichkeiten. »Es ist damit wie mit den Wolken, die nur von weitem
scharf umrissen scheinen.« [Wilhelm v. Humboldt]

Lassen wir aber auch für die Sprachen keinen durchgreifenden
Eintheilungsgrund gelten, so ist doch vollkommen zuzugeben, daß im
gegenwärtigen Zustand die einen mehr Neigung haben zur Flexion, die andern
zur äußerlichen Aggregation. Zu den ersteren gehören bekanntlich die
Sprachen des indischen, pelasgischen und germanischen Sprachstammes, zu
den letzteren die amerikanischen Sprachen, das Koptische oder
Altegyptische und in gewissem Grade die semitischen Sprachen und das
Baskische. Schon das Wenige, das wir vom Idiom der Chaymas oben
mitgetheilt, zeigt deutlich die durchgehende Neigung zur Incorporation
oder Aggregation gewisser Formen, die sich abtrennen lassen, wobei aber
ein ziemlich entwickeltes Gefühl für Wohllaut ein paar Buchstaben wegwirft
oder aber zusetzt. Durch diese Affixe im Auslaut der Worte werden die
mannigfaltigsten Zahl-, Zeit- und Raumverhältnisse bezeichnet.

Betrachtet man den eigenthümlichen Bau der amerikanischen Sprachen näher,
so glaubt man zu errathen, woher die alte, in allen Missionen verbreitete
Ansicht rührt, daß die amerikanischen Sprachen Aehnlichkeit mit dem
Hebräischen und dem Baskischen haben. Ueberall, im Kloster Caripe wie am
Orinoco, in Peru, wie in Mexico, hörte ich diesen Gedanken äußern,
besonders Geistliche, die vom Hebräischen und Baskischen einige
oberflächliche Kenntniß hatten. Liegen etwa religiöse Rücksichten einer so
seltsamen Annahme zu Grunde? In Nordamerika, bei den Chactas und Chicasas,
haben etwas leichtgläubige Reisende das Hallelujah der Hebräer singen
hören, wie, den Pandits zufolge, die drei heiligen Worte der eleusinischen
Mysterien (_konx om pax_) noch heutzutage in Indien ertönen. Ich will
nicht glauben, daß die Völker des lateinischen Europa Alles hebräisch oder
baskisch nennen, was ein fremdartiges Aussehen hat, wie man lange Alles,
was nicht im griechischen oder römischen Styl gehalten war, egyptische
Denkmäler nannte. Ich glaube vielmehr, daß das grammatische System der
amerikanischen Sprachen die Missionäre des sechzehnten Jahrhunderts in
ihrer Annahme von der asiatischen Herkunft der Völker der neuen Welt
bestärkt hat. Einen Beweis hiefür liefert die langweilige Compilation des
Paters GARCIA: »_Tratad del origen de los indios._« Daß die possessiven
und persönlichen Fürwörter hinter Substantiven und Zeitwörtern stehen, und
daß letztere so viele Tempora haben, das sind Eigenthümlichkeiten des
Hebräischen und der andern semitischen Sprachen. Manche Missionare fanden
es nun sehr merkwürdig, daß die amerikanischen Sprachen dieselben Formen
aufzuweisen haben. Sie wußten nicht, daß die Uebereinstimmung in
verschiedenen einzelnen Zügen für die gemeinsame Abstammung der Sprachen
nichts beweist.

Weniger zu verwundern ist, wenn Leute, die nur zwei von einander sehr
verschiedene Sprachen, spanisch und baskisch, verstehen, an letzterer eine
Familienähnlichkeit mit den amerikanischen Sprachen fanden. Die
Wortbildung, die Leichtigkeit, mit der sich die einzelnen Elemente
auffinden lassen, die Formen des Zeitworts und die mannigfaltigen
Gestalten, die es je nach dem Wesen des regierten Worts annimmt, alles
dieß konnte die Täuschung erzeugen und unterhalten. Aber, wir wiederholen
es, mit der gleichen Neigung zur Aggregation und Incorporation ist noch
keineswegs gleiche Abstammung gegeben. Ich gebe einige Beispiele dieser
physiognomischen Verwandtschaft zwischen den amerikanischen Sprachen und
dem Baskischen, die in den Wurzeln durchgängig von einander abweichen.
*Chaymas*: _quenpotupra guoguaz_ ich kenne nicht, wörtlich: wissend nicht
ich bin. *Tamanacu*: _jarer-uacure_, tragend bin ich, ich trage; _anarepna
aichi_, er wird nicht tragen, wörtlich: tragend nicht wird seyn;
_patcurbe_ gut, _patcutari_, sich gut machen; _Tamanacu_, ein Tamanacu;
_Tamanacutari_, sich zum Tamanacu machen; _Pongheme_, Spanier;
_ponghemtari_, sich hispanisiren; _tenectschi_, ich werde sehen;
_teneicre_, ich werde wiedersehen; _tecscha_, ich gehe; _tecschare_, ich
kehre zurück; _Maypur butkè_, ein kleiner Maypure-Indianer; _aicabutkè_,
ein kleines Weib;(7) _maypuritaje_, ein böser Maypure-Indianer; _aicataje_
ein böses Weib.

*Baskisch*: _maitetutendot_, ich liebe ihn, wörtlich: ich liebend ihn bin;
_beguia_, Auge, und _beguitsa_, sehen; _aitagana_, zum Vater; durch den
Zusatz von _tu_ entsteht das Wort _aitaganatu_, zum Vater gehen;
_ume-tasuna_, sanftes, kindlich offenes Benehmen; _ume-queria_ widriges
kindisches Benehmen.(8)

Diesen Beispielen mögen einige beschreibende Composita folgen, die an die
Kindheit des Menschengeschlechts mahnen und in den amerikanischen Sprachen
wie im Baskischen durch eine gewisse Naivetät des Ausdrucks überraschen.
*Tamanacu*: Wespe, _uane-imu_, wörtlich: Vater (_im-de_) des Honigs
(_uane_); die Zehen, _ptari-mucuru_, wörtlich: die Söhne des Fußes; die
Finger, _amgna-mucuru_, die Söhne der Hand; die Schwämme, _jeje-panari_,
wörtlich: die Ohren des Baums; die Adern der Hand, _amgna-mitti_,
wörtlich: verästete Wurzeln; die Blätter, _prutpe-jareri_, wörtlich: die
Haare des Baumwipfels; _puirene-veju_, wörtlich: gerade oder senkrechte
Sonne; Blitz, _kinemeru-uaptori_, wörtlich: das Feuer des Donners oder des
Gewitters. *Baskisch*: _becoquia_, Stirne, wörtlich: was zum Auge gehört;
_odotsa_, Getöse der Wolke, der Donner; _arribicia_, das Echo, wörtlich:
der lebendige Stein.

Im Chaymas und Tamanacu haben die Zeitwörter eine Unzahl Tempora, ein
doppeltes Präsens, vier Präterita, drei Futura. Diese Häufung ist selbst
den rohesten amerikanischen Sprachen eigen. In der Grammatik des
Baskischen zählt Astarloa gleichfalls zweihundert sechs Formen des
Zeitworts auf. Die Sprachen, welche vorherrschende Neigung zur Flexion
haben, reizen die gemeine Neugier weniger als solche, die durch bloße
Nebeneinanderstellung von Elementen gebildet erscheinen. In den ersteren
sind die Elemente, aus denen die Worte zusammengesetzt sind und die meist
aus wenigen Buchstaben bestehen, nicht mehr kenntlich. Für sich geben
diese Bestandtheile keinen Sinn; alles ist verschlungen und verschmolzen.
Die amerikanischen Sprachen dagegen gleichen einem verwickelten
Mechanismus mit offen zu Tage liegendem Räderwerk. Man erkennt die
Künstlichkeit, man kann sagen den ausgearbeiteten Mechanismus des Baus. Es
ist, als bildeten sie sich erst unter unsern Augen, und man könnte sie für
sehr neuen Ursprungs halten, wenn man nicht bedächte, daß der menschliche
Geist unverrückt einem einmal erhaltenen Anstoß folgt, daß die Völker nach
einem ursprünglich angelegten Plan den grammatischen Bau ihrer Sprachen
erweitern, vervollkommnen oder ausbessern, und daß es Länder gibt, wo
Sprache, Verfassung, Sitten und Künste seit vielen Jahrhunderten wie
festgebannt sind.

Die höchste geistige Entwicklung hat bis jetzt bei den Völkern
stattgefunden, welche dem indischen und pelasgischen Stamm angehören. Die
hauptsächlich durch Aggregation gebildeten Sprachen erscheinen als ein
natürliches Hinderniß der Culturentwicklung; es geht ihnen großentheils
die rasche Bewegung ab, das innerliche Leben, die die Flexion der Wurzeln
mit sich bringt und die den Werken der Einbildungskraft den Hauptreiz
geben. Wir dürfen indessen nicht vergessen, daß ein schon im hohen
Alterthum hochberühmtes Volk, dem selbst die Griechen einen Theil ihrer
Bildung entlehnten, vielleicht eine Sprache hatte, die in ihrem Bau
unwillkürlich an die amerikanischen Sprachen erinnert. Welche Masse ein-
oder zweisylbiger Partikeln werden im Coptischen dem Zeitwort oder
Hauptwort angehängt! Das Chaymas und Tamanacu, halb barbarische Sprachen,
haben ziemlich kurze abstrakte Benennungen für Größe, Neid, Leichtsinn,
_cheictivate_, _uoite_, _uonde_; aber im Coptischen ist das Wort Bosheit,
_metrepherpeton_, aus fünf leicht zu unterscheidenden Elementen
zusammengesetzt, und bedeutet: die Eigenschaft (_met_) eines Subjektes
(_reph_), das thut (_er_) das Ding (_pet_), (das ist) böse (_on_). Und
dennoch hatte die coptische Sprache ihre Literatur, so gut wie die
chinesische, in der die Wurzeln nicht einmal aggregirt, sondern kaum an
einander gerückt sind und sich gar nicht unmittelbar berühren. So viel ist
gewiß, sind einmal die Völker aus ihrem Schlummer aufgerüttelt und auf die
Bahn der Cultur geworfen, so bietet ihnen die seltsamste Sprache das
Werkzeug, um Gedanken bestimmt auszudrücken und Seelenregungen zu
schildern. Ein achtungswerther Mann, der in der blutigen Revolution von
Quito das Leben verloren, Don Juan de la Rea, hat ein paar Idyllen
Theokrits in die Sprache der Incas einfach und zierlich übertragen, und
man hat mich versichert, mit Ausnahme naturwissenschaftlicher und
philosophischer Werke, lasse sich so ziemlich jedes neuere
Literaturprodukt ins Peruanische übersetzen.

Der starke Verkehr zwischen den Eingeborenen und den Spaniern seit der
Eroberung hat zur natürlichen Folge gehabt, daß nicht wenige amerikanische
Worte in die spanische Sprache übergegangen sind. Manche dieser Worte
bezeichnen meist Dinge, die vor der Entdeckung der neuen Welt unbekannt
waren, und wir denken jetzt kaum mehr an ihren barbarischen Ursprung
(z. B. Savane, Canibale). Fast alle gehören der Sprache der großen
Antillen au, die früher die Sprache von Haiti, Quizqueja oder Itis hieß.
Ich nenne nur die Worte Mais, Tabak, Canoe, Batata, Cazike, Balsa, Conuco
u. s. w. Als die Spanier mit dem Jahr 1498 anfingen Terra Firma zu
besuchen, hatten sie bereits Worte für die nutzbarsten Gewächse, die auf
den Antillen, wie auf den Küsten von Cumana und Paria vorkommen. Sie
behielten nicht nur diese von den Haitiern entlehnten Benennungen bei,
durch sie wurden dieselben über ganz Amerika verbreitet, zu einer Zeit, wo
die Sprache von Haiti bereits eine todte Sprache war, und bei Völkern, die
von der Existenz der Antillen gar nichts wußten. Manchen Worten, die in
den spanischen Colonien in täglichem Gebrauche sind, schreibt man indessen
mit Unrecht haitischen Ursprung zu. _Banana_ ist aus der Chacosprache,
_Arepa_ (Maniocbrod von _Jatropha Maniot_) und _guayuco_ (Schürze,
_perizoma_) sind caraibisch, _Curiaca_ (sehr langes Canoe) ist
tamanakisch, _Chinchorro_ (Hängematte) und _Tutuma_ (die Frucht der
_Crescentia Cujete_, oder ein Gefäß für Flüssigkeiten) sind Chaymaswörter.

Ich habe lange bei Betrachtungen über die amerikanischen Sprachen
verweilt; ich glaubte, wenn ich sie zum erstenmal in diesem Werke
bespräche, anschaulich zu machen, von welcher Bedeutung Untersuchungen der
Art sind. Es verhält sich damit wie mit der Bedeutung, die den Denkmälern
halb barbarischer Völker zukommt. Man beschäftigt sich mit ihnen nicht,
weil sie für sich auf den Rang von Kunstwerken Anspruch machen können,
sondern weil die Untersuchung für die Geschichte unseres Geschlechts und
den Entwicklungsgang unserer Geisteskräfte nicht ohne Belang ist.

Ehe Cortes nach der Landung an der Küste von Mexico seine Schiffe
verbrannte, ehe er im Jahr 1521 in die Hauptstadt Montezumas einzog, war
Europa auf die Länder, die wir bisher durchzogen, aufmerksam geworden. Mit
der Beschreibung der Sitten der Einwohner von Cumana und Paria glaubte man
die Sitten aller Eingeborenen der neuen Welt zu schildern. Dieß fällt
alsbald auf, wenn man die Geschichtschreiber der Eroberung liest,
namentlich die Briefe Peter Martyrs von Anghiera, die er am Hofe
Ferdinands des Katholischen geschrieben, die reich sind an geistreichen
Bemerkungen über Christoph Columbus, Leo X. und Luther, und aus denen edle
Begeisterung für die großen Entdeckungen eines an außerordentlichen
Ereignissen so reichen Jahrhunderts spricht. Eine nähere Beschreibung der
Sitten der Völker, die man lange unter der Gesammtbenennung Cumanier
(_cumaneses_) zusammengeworfen hat, liegt nicht in meiner Absicht; dagegen
scheint es mir von Belang, einen Punkt aufzuklären, den ich im spanischen
Amerika häufig habe besprechen hören.

Die heutigen Pariagotes oder Parias sind rothbraun, wie die Caraiben, die
Chaymas und fast alle Eingeborenen der neuen Welt. Wie kommt es nun, daß
die Geschichtschreiber des sechzehnten Jahrhunderts behaupten, die ersten
Besucher haben am Vorgebirge Paria weiße Menschen mit blonden Haaren
gesehen? Waren dieß Indianer mit weniger dunkler Haut, wie Bonpland und
ich in Esmeralda an den Quellen des Orinoco gesehen? Aber diese Indianer
hatten so schwarzes Haar wie die Otomacas und andere Stämme mit dunklerer
Hautfarbe. Waren es Albinos, dergleichen man früher auf der Landenge von
Panama gefunden? Aber Fälle dieser Mißbildung sind bei der kupferfarbigen
Race ungemein selten, und Anghiera, wie auch Gomara sprachen von den
Einwohnern von Paria überhaupt, nicht von einzelnen Individuen. Beide(9)
beschreiben sie wie Völker germanischen Stammes: sie seyen weiß mit
blonden Haaren. Ferner sollen sie ähnlich wie Türken gekleidet gewesen
seyn.(10) Gomara und Anghiera schreiben nach mündlichen Berichten, die sie
gesammelt.

Diese Wunderdinge verschwinden, wenn wir den Bericht, den Ferdinand
Columbus den Papieren seines Vaters entnommen, näher ansehen. Da heißt es
bloß, »der Admiral habe zu seiner Ueberraschung die Einwohner von Paria
und der Insel Trinidad wohlgebildeter, cultivirter (_de buena
conversacion_) und weißer gefunden als die Eingeborenen, die er bis dahin
gesehen.« Damit ist doch wohl nicht gesagt, daß die Pariagotos weiß
gewesen. In der helleren Haut der Eingeborenen und in den sehr kühlen
Morgen sah der große Mann eine Bestätigung seiner seltsamen Hypothese von
der unregelmäßigen Krümmung der Erde und der hohen Lage der Ebenen in
diesem Erdstrich in Folge einer gewaltigen Anschwellung der Erdkugel in
der Richtung der Parallelen. Amerigo Vespucci (wenn man sich auf seine
angebliche *erste* Reise berufen darf, die vielleicht nach den Berichten
anderer Reisenden zusammengetragen ist) vergleicht die Eingeborenen mit
den *tartarischen* Völkern, nicht wegen der Hautfarbe, sondern wegen des
breiten Gesichts und wegen des ganzen Ausdrucks desselben.

Gab es aber zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf den Küsten von Cumana
so wenig als jetzt Menschen mit weißlichter Haut, so darf man daraus
deßhalb nicht schließen, daß bei den Eingeborenen der neuen Welt das
Hautsystem durchgängig gleichförmig organisirt sey. Wenn man sagt, sie
seyen alle kupferfarbig, so ist dieß so unrichtig, als wenn man behauptet,
sie wären nicht so dunkel gefärbt, wenn sie sich nicht der Sonnengluth
aussetzten oder nicht von der Luft gebräunt würden. Man kann die
Eingeborenen in zwei, der Zahl nach sehr ungleiche Gruppen theilen. Zur
einen gehören die Eskimos in Grönland, in Labrador und auf der Nordküste
der Hudsonsbai, die Bewohner der Behringsstraße, der Halbinsel Alaska und
des Prinz-Williams-Sunds. Der östliche und der westliche Zweig dieser
Polarrace, die Eskimos und die Tschugasen, sind trotz der ungeheuern
Strecke von 800 Meilen, die zwischen ihnen liegt, durch sehr nahe
Sprachverwandtschaft eng verbunden. Diese Verwandtschaft erstreckt sich
sogar, wie in neuerer Zeit außer Zweifel gesetzt worden ist, noch weiter,
zu den Bewohnern des nordöstlichen Asiens; denn die Mundart der
Tschuktschen an der Mündung des Anadyr hat dieselben Wurzeln wie die
Sprache der Eskimos auf der Europa gegenüberliegenden Küste von Amerika.
Die Tschuktschen sind die asiatischen Eskimos. Gleich den Malayen wohnt
diese hyperboräische Race nur am Meeresufer. Sie nähren sich von Fischen,
sind fast durchgängig von kleinerer Statur als die andern Amerikaner, sind
lebhaft, beweglich, geschwätzig. Ihre Haare sind schlicht, glatt und
schwarz; aber (und dieß zeichnet die Race, die ich die
Eskimo-Tschugasische nennen will, ganz besonders aus) ihre Haut ist
ursprünglich weißlicht. Es ist gewiß, daß die Kinder der Grönländer weiß
zur Welt kommen; bei manchen erhält sich diese Farbe, und auch bei den
dunkelsten (den von der Luft am meisten gebräunten) sieht man nicht selten
das Blut auf den Wangen roth durchschimmern.

Die zweite Gruppe der Eingeborenen Amerikas umfaßt alle Völler außer den
Eskimo-Tschugasen, vom Cooksfluß bis zur Magellanschen Meerenge, von den
Ugaljachmusen und Kinais am St. Eliasberg bis zu den Puelchen und
Tehuelhets in der südlichen Halbkugel. Die Völker dieses zweiten Zweiges
sind größer, stärker, kriegerischer und schweigsamer. Auch sie weichen
hinsichtlich der Hautfarbe auffallend von einander ab. In Mexico, in Peru,
in Neugrenada, in Quito, an den Ufern des Orinoco und des Amazonenstroms,
im ganzen Strich von Südamerika, den ich gesehen, im Tiefland wie auf den
sehr kalten Hochebenen, sind die indianischen Kinder im Alter von zwei,
drei Monaten ebenso broncefarbig als die Erwachsenen. Daß die Eingeborenen
nur von Luft und Sonne gebräunte Weiße seyn möchten, ist einem Spanier in
Quito oder an den Ufern des Orinoco nie in den Sinn gekommen. Im
nordwestlichen Amerika dagegen gibt es Stämme, bei denen die Kinder weiß
sind und erst mit der Mannbarkeit so broncefarbig werden wie die
Eingeborenen von Peru und Mexico. Bei dem Häuptling der Miamis
Michikinakua waren die Arme und die der Sonne nicht ausgesetzten
Körpertheile fast weiß. Dieser Unterschied in der Farbe der bedeckten und
nicht bedeckten Theile wird bei den Eingeborenen von Peru und Mexico
niemals beobachtet, selbst nicht bei sehr wohlhabenden Familien, die sich
fast beständig in ihren Häusern aufhalten. Westwärts von den Miamis, auf
der gegenüberliegenden asiatischen Küste, bei den Koluschen und
Tschinkitanen in der Norfolkbai, erscheinen die erwachsenen Mädchen, wenn
sie angehalten werden sich zu waschen, so weiß wie Europäer. Diese weiße
Hautfarbe soll, nach einigen Reiseberichten, auch den Gebirgsvölkern in
Chili zukommen.(11)

Dieß sind sehr bemerkenswerthe Thatsachen, die der nur zu sehr
verbreiteten Ansicht von der außerordentlichen Gleichförmigkeit der
Körperbildung bei den Eingeborenen Amerikas widersprechen. Wenn wir
dieselben in *Eskimos* und *Nicht-Eskimos* theilen, so geben wir gerne zu,
daß die Eintheilung um nichts philosophischer ist, als wenn die Alten in
der ganzen bewohnten Welt nur Celten und Scythen, Griechen und Barbaren
sahen. Handelt es sich indessen davon, zahllose Volksstämme zu gruppiren,
so gewinnt man immer doch etwas, wenn man ausschließend zu Werke geht. Wir
wollten hier darthun, daß, wenn man die Eskimo-Tschugasen ausscheidet,
mitten unter den kupferbraunen Amerikanern Stämme vorkommen, bei denen die
Kinder weiß zur Welt kommen, ohne daß sich, bis zur Zeit der Eroberung
zurück, darthun ließe, daß sie sich mit Europäern vermischt hätten. Dieser
Umstand verdient genauere Untersuchung durch Reisende, die bei
physiologischen Kenntnissen Gelegenheit finden, die braunen Kinder der
Mexicaner und die weißen der Miamis im Alter von zwei Jahren zu
beobachten, sowie die Horden am Orinoco, die im heißesten Erdstrich ihr
Leben lang und bei voller Kraft die weißlichte Hautfarbe der Mestizen
behalten. Der geringe Verkehr, der bis jetzt zwischen Nordamerika und den
spanischen Colonien stattfindet, hat alle derartigen Untersuchungen
unmöglich gemacht.

Beim Menschen betreffen die Abweichungen vom ganzen gemeinsamen Racentypus
mehr den Wuchs, den Gesichtsausdruck, den Körperbau, als die Farbe. Bei
den Thieren ist es anders; bei diesen sind Spielarten nach der Farbe
häufiger als solche nach dem Körperbau. Das Haar der Säugethiere, die
Federn der Vögel, selbst die Schuppen der Fische wechseln die Farbe je
nach dem vorherrschenden Einflusse von Licht oder von Dunkelheit, je nach
den Hitze- und Kältegraden. Beim Menschen scheint sich der Farbstoff im
Hautsystem durch die Haarwurzeln oder Zwiebeln abzulagern, und aus allen
guten Beobachtungen geht hervor, daß sich die Hautfarbe wohl beim
Einzelnen in Folge von Hautreizen, aber nicht erblich bei einer ganzen
Race ändert. Die Eskimos in Grönland und die Lappen sind gebräunt durch
den Einfluß der Luft, aber ihre Kinder kommen weiß zur Welt. Ob und welche
Veränderungen die Natur in Zeiträumen hervorbringen mag, gegen welche alle
geschichtliche Ueberlieferung verschwindet, darüber haben wir nichts zu
sagen. Bei Untersuchungen der Art macht der forschende Gedanke Halt,
sobald er Erfahrung und Analogie nicht mehr zu Führern hat.

Die Völker mit weißer Haut beginnen ihre Cosmogonie mit weißen Menschen;
nach ihnen sind die Neger und alle dunkelfarbigen Völker durch die
übermäßige Sonnengluth geschwärzt oder gebräunt worden. Diese Ansicht, die
schon bei den Griechen herrschte,(12) wenn auch nicht ohne Widerspruch,
hat sich bis auf unsere Zeit erhalten. Buffon wiederholt in Prosa, was
Theodectes zweitausend Jahre früher poetisch ausgesprochen: »die Nationen
tragen die Livree der Erdstriche, die sie bewohnen.« Wäre die Geschichte
von schwarzen Völkern geschrieben worden, sie hätten behauptet, was
neuerdings sogar von Europäern angenommen worden ist, der Mensch sey
ursprünglich schwarz oder doch sehr dunkelfarbig, und in Folge der
Civilisation und fortschreitenden Verweichlichung haben sich manche Racen
gebleicht, wie ja auch bei den Thieren im zahmen Zustand die dunkle
Färbung in eine hellere übergeht. Bei Pflanzen und Thieren sind
Spielarten, die sich durch Zufall unter unsern Augen gebildet, beständig
geworden und haben sich unverändert fortgepflanzt; aber nichts weist
darauf hin, daß, unter den gegenwärtigen Verhältnissen der menschlichen
Organisation, die verschiedenen Menschenracen, die schwarze, gelbe,
kupferfarbige und weiße, so lange sie sich unvermischt erhalten, durch den
Einfluß des Klimas, der Nahrung und anderer äußerer Umstände vom
ursprünglichen Typus bedeutend abweichen.

Ich werde Gelegenheit haben auf diese allgemeinen Betrachtungen
zurückzukommen, wenn wir die weiten Hochebenen der Cordilleren besteigen,
die vier- und fünfmal höher liegen als das Thal von Caripe. Ich berufe
mich hier vorläufig nur auf das Zeugniß ULLOAs.(13) Dieser Gelehrte sah
die Indianer in Chili, auf den Anden von Peru, an den heißen Küsten von
Panama, und wiederum in Louisiana, im nördlichen gemäßigten Erdstrich. Er
hatte den Vortheil, daß er in einer Zeit lebte, wo der Ansichten noch
nicht so vielerlei waren, und es fiel ihm auf, wie mir, daß der
Eingeborene unter der Linie im kalten Klima der Cordilleren so
broncefarbig, so braun ist als auf den Ebenen. Bemerkt man Abweichungen in
der Farbe, so sind es feste Stammunterschiede. Wir werden bald an den
heißen Ufern des Orinoco Indianern mit weißlichter Haut begegnen: _est
durans originis vis._

                            ------------------



    1 Die Völker, welche die Spanier auf der Küste von Paria antrafen,
      hatten wahrscheinlich den Gebrauch, die Geschmacksorgane mit
      Aetzkalk zu reizen, wozu andere Tabak, Chimo, Coccablätter oder
      Betel brauchen. Diese Sitte herrscht noch jetzt auf derselben Küste,
      nur weiter ostwärts, bei den Guajiros an der Mündung des Rio la
      Hacha. Diese Indianer, die wild geblieben sind, führen das Pulver
      von kleinen calcinirten Muschelschaalen in einer Frucht, die als
      Kapsel dient, am Gürtel. Dieses Pulver der Guajiros ist ein
      Handelsartikel, wie früher, nach Gomara, das der Indianer in Paria.
      In Europa werden die Zähne vom übermäßigen Tabakrauchen gleichfalls
      gelb und schwarz. Wäre der Schluß richtig, man rauche bei uns, weil
      man gelbe Zähne schöner finde als weiße?

    2 S. TACITUS _Germania_. Cap. 4.

    3 So übertrieben die Griechen bei ihren schönsten Statuen die
      Stirnbildung, indem sie den Gesichtswinkel zu groß annahmen.

    4 Daher _fu-ero, amav-issem, amav-eram, post-sum (pot-sum)._

_    5 Tamanacu_ hat in der Mehrzahl _Tamanakemi_; _Pongheme_ heißt ein
      Spanier, wörtlich ein bekleideter Mensch; _Pongamo,_ die Spanier
      oder die Bekleideten. Der Pluralis auf _cne_ kommt leblosen
      Gegenständen zu; z. B. _cene,_ Ding, _cenecne,_ Dinge, _jeje_, Baum,
      _jejecne_ Bäume.

    6 In der Sprache der Incas heißt Sonne _inti,_ Liebe _munay,_ groß
      _veypul_; im Sanskrit: Sonne _indre,_ Liebe _manya_, groß _vipulo_.
      Es sind dieß die einzigen Fälle von Lautähnlichkeit, die man bis
      jetzt aufgefunden. Im grammatischen Bau sind die beiden Sprachen
      völlig verschieden.

    7 Das Diminutiv von Frau oder von Maypure-Indianer wird dadurch
      gebildet, daß man _butkè_ das Ende des Wortes _cujuputkè_, klein,
      beisetzt. _Taje_ entspricht dem Italienischen _accio_.

    8 Die Endung _tasuna_ bedeutet eine gute Eigenschaft, _queria_ eine
      schlimme und kommt her von _eria_, Krankheit.

_    9 Aethiopes nigri, crispi lanati, Paria incolae __albi__, capillis
      oblongis protensis __flavis__. Utriusque sexus indigenae __albi
      veluti nostrates, praeter eos, qui sub sole versantur__. _ Gomara
      sagt von den Eingeborenen, die Columbus an der Mündung des Flusses
      Cumana gesehen: »_Las donzellas eran amorosas, desnudas y
      __blancas__ (las de la casa); los Indios que van al campo, estan
      negros del sol._«

   10 Sie trugen nach Ferdinand Columbus ein Tuch von gestreiftem
      Baumwollenzeug um den Kopf. Hat man etwa diesen Kopfputz für einen
      Turban angesehen? Daß ein Volk unter diesem Himmelsstrich den Kopf
      bedeckt haben sollte, ist auffallend; aber was noch weit
      merkwürdiger ist, Pinzon will auf einer Fahrt, die er allein an die
      Küste von Paria unternommen und die wir bei Peter Martyr d’Anghiera
      beschrieben finden, bekleidete Eingeborene gesehen haben: »_Incolas
      omnes, genu tenus mares, foeminas surarum tenus, gossampinis
      vestibus amictos simplicibus repererunt, sed viros, more Turcarum,
      insuto minutim gossipio ad belli usum, duplicibus._« Was soll man
      aus diesen Völkern machen, die civilisirter gewesen und Mantel
      getragen, wie man auf dem Rücken der Anden trägt, und auf einer
      Küste gelebt, wo man vor und nach Pinzon nur nackte Menschen
      gesehen?

   11 Darf man an die blauen Augen der Borroas in Chili und der Guayanas
      am Uruguay glauben, die wie Völker vom Stamme Odins geschildert
      werden? (Azzara, _Reise._)

   12 Onesicritus, bei STRABO, Lib. XV. Die Züge Alexanders scheinen viel
      dazu beigetragen zu haben, die Griechen auf die große Frage nach dem
      Einfluß des Klimas aufmerksam zu machen. Sie hatten von Reisenden
      vernommen, daß in Hindostan die Völker im Süden dunkelfarbiger
      seyen, als im Norden in der Nähe der Gebirge, und sie setzten
      voraus, daß beide derselben Race angehören.

   13 »Die Indianer sind kupferroth, und diese Farbe wird durch den
      Einfluß von Sonne und Luft dunkler. Ich muß darauf aufmerksam
      machen, daß weder die Hitze noch ein kaltes Klima die Farbe merkbar
      verändern, so daß man die Indianer auf den Cordilleren von Peru und
      die auf den heißesten Ebenen leicht verwechselt, und man diejenigen,
      die unter der Linie, und die unter dem vierzigsten nördlichen und
      südlichen Breitengrade nicht unterscheiden kann.« _Noticias
      americanas_ Cap. 17 Kein alter Schriftsteller hat die beiden
      Anschauungsweisen, nach denen man sich noch gegenwärtig von der
      Verschiedenheit benachbarter Völker nach Farbe und Gesichtszügen
      Rechenschaft gibt, klarer angedeutet, als TACITUS im Leben des
      _Agricola_. Er unterscheidet zwischen der erblichen Anlage und dem
      Einfluß des Klima, und thut keinen Ausspruch als ein Philosoph, der
      gewiß weiß, daß wir von den ersten Ursachen der Dinge nichts
      wissen.»Habitus corporum varii atque ex eo argumenta. Seu durante
      originis vi, seu procurrentibus in diversa terris, positio coeli
      corporibus habitum dedit.« _Agricola._ cap. 11



ZEHNTES KAPITEL.


       Zweiter Aufenthalt in Cumana. -- Erdbeben. -- Ungewöhnliche
                                 Meteore.


Wir blieben wieder einen Monat in Cumana. Die beschlossene Fahrt auf dem
Orinoco und Rio Negro erforderte Zurüstungen aller Art. Wir mußten die
Instrumente auswählen, die sich auf engen Canoes am leichtesten
fortbringen ließen; wir mußten uns für eine zehnmonatliche Reise im
Binnenlande, das in keinem Verkehr mit den Küsten steht, mit Geldmitteln
versehen. Da astronomische Ortsbestimmung der Hauptzweck dieser Reise war,
so war es mir von großem Belang, daß mir die Beobachtung einer
Sonnenfinsterniß nicht entging, die Ende Oktobers eintreten sollte. Ich
blieb lieber bis dahin in Cumana, wo der Himmel meist schön und heiter
ist. An den Orinoco konnten wir nicht mehr kommen, und das hohe Thal von
Caracas war für meinen Zweck minder günstig wegen der Dünste, welche die
nahen Gebirge umziehen. Wenn ich die Länge von Cumana genau bestimmte, so
hatte ich einen Ausgangspunkt für die chronometrischen Bestimmungen, auf
die ich allein rechnen konnte, wenn ich mich nicht lange genug aufhielt,
um Mondsdistanzen zu nehmen oder die Jupiterstrabanten zu beobachten.

Fast hätte ein Unfall mich genöthigt, die Reise an den Orinoco aufzugeben
oder doch lange hinauszuschieben. Am 27. Oktober, den Tag vor der
Sonnenfinsterniß, gingen wir, wie gewöhnlich, am Ufer des Meerbusens, um
der Kühle zu genießen und das Eintreten der Fluth zu beobachten, die an
diesem Seestrich nicht mehr als 12--13 Zoll beträgt. Es war acht Uhr
Abends und der Seewind hatte sich noch nicht aufgemacht. Der Himmel war
bedeckt und bei der Windstille war es unerträglich heiß. Wir gingen über
den Strand zwischen dem Landungsplatz und der Vorstadt der Guaiqueries.
Ich hörte hinter mir gehen, und wie ich mich umwandte, sah ich einen
hochgewachsenen Mann von der Farbe der *Zambos*, nackt bis zum Gürtel. Er
hielt fast über meinem Kopf eine *Macana*, einen dicken, unten
keulenförmig dicker werdenden Stock aus Palmholz. Ich wich dem Schlage
aus, indem ich links zur Seite sprang. Bonpland, der mir zur Rechten ging,
war nicht so glücklich; er hatte den Zambo später bemerkt als ich, und
erhielt über der Schläfe einen Schlag, der ihn zu Boden streckte. Wir
waren allein, unbewaffnet, eine halbe Meile von jeder Wohnung auf einer
weiten Ebene an der See. Der Zambo kümmerte sich nicht mehr um mich,
sondern ging langsam davon und nahm Bonplands Hut auf, der die Gewalt des
Schlags etwas gebrochen hatte und weit weggeflogen war. Aufs Aeußerste
erschrocken, da ich meinen Reisegefährten zu Boden stürzen und eine Weile
bewußtlos daliegen sah, dachte ich nur an ihn. Ich half ihm aufstehen; der
Schmerz und der Zorn gaben ihm doppelte Kraft. Wir stürzten auf den Zambo
zu, der, sey es aus Feigheit, die bei diesem Menschenschlag gemein ist,
oder weil er von weitem Leute am Strande sah, nicht auf uns wartete und
dem *Tunal* zulief, einem kleinen Buschwerk aus Fackeldisteln und
baumartigen Avicennien. Zufällig fiel er unterwegs, Bonpland, der zunächst
an ihm war, rang mit ihm und setzte sich dadurch der äußersten Gefahr aus.
Der Zambo zog ein langes Messer aus seinem Beinkleid, und im ungleichen
Kampfe wären wir sicher verwundet worden, wären nicht biscayische
Handelsleute, die auf dem Strande Kühlung suchten, uns zu Hülfe gekommen.
Als der Zambo sich umringt sah, gab er die Gegenwehr auf; er entsprang
wieder, und nachdem wir ihm lange durch die stachligten Cactus
nachgelaufen, schlüpfte er in einen Viehstall, aus dem er sich ruhig
herausholen und ins Gefängniß führen ließ.

Bonpland hatte in der Nacht Fieber; aber als ein kräftiger Mann, voll der
Munterkeit, die eine der kostbarsten Gaben ist, welche die Natur einem
Reisenden verleihen kann, ging er schon des andern Tags wieder seiner
Arbeit nach. Der Schlag der Macana hatte bis zum Scheitel die Haut
gequetscht und er spürte die Nachwehen mehrere Monate während unseres
Aufenthaltes in Caracas. Beim Bücken, um Pflanzen aufzunehmen, wurde er
mehreremale von einem, Schwindel befallen, der uns befürchten ließ, daß im
Schädel etwas ausgetreten seyn möchte. Zum Glück war diese Besorgniß
ungegründet, und die Symptome, die uns Anfangs beunruhigt, verschwanden
nach und nach. Die Einwohner von Cumana bewiesen uns die rührendste
Theilnahme. Wir hörten, der Zambo sey aus einem der indianischen Dörfer
gebürtig, die um den großen See Maracaybo liegen. Er hatte auf einem
Caperschiff von St. Domingo gedient und war in Folge eines Streits mit dem
Capitän, als das Schiff aus dem Hafen von Cumana auslief, an der Küste
zurückgelassen worden. Er hatte das Signal bemerkt, das wir aufstellen
lassen, um die Höhe der Fluth zu beobachten, und hatte gelauert, um uns
auf dem Strande anzufallen. Aber wie kam es, daß er, nachdem er einen von
uns niedergeschlagen, sich mit dem Raub eines Hutes zu begnügen schien? Im
Verhör waren seine Antworten so verworren und albern, daß wir nicht klug
aus der Sache werden konnten; meist behauptete er, seine Absicht sey nicht
gewesen, uns zu berauben; aber in der Erbitterung über die schlechte
Behandlung am Bord des Capers von St. Domingo, habe er dem Drang, uns
eines zu versetzen, nicht widerstehen können, sobald er uns habe
französisch sprechen hören. Da der Rechtsgang hier zu Lande so langsam
ist, daß die Verhafteten, von denen die Gefängnisse wimmeln, sieben, acht
Jahre auf ihr Urtheil warten müssen, so hörten wir wenige Tage nach
unserer Abreise von Cumana nicht ohne Befriedigung, der Zambo sey aus dem
Schlosse San Antonio entsprungen.

Trotz des Unfalls, der Bonpland betroffen, war ich andern Tags, am
28. October um fünf Uhr Morgens auf dem Dach unseres Hauses, um mich zur
Beobachtung der Sonnenfinsterniß zu rüsten. Der Himmel war klar und rein.
Die Sichel der Venus und das Sternbild des Schiffes, das durch seine
gewaltigen Nebelflecke nahe aneinander so stark hervortritt, verschwanden
in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ich hatte mir zu einem so schönen
Tag um so mehr Glück zu wünschen, als ich seit mehreren Wochen wegen der
Gewitter, die regelmäßig zwei, drei Stunden nach dem Durchgang der Sonne
durch den Meridian in Süd und Südost aufzogen, die Uhren nicht nach
correspondirenden Höhen hatte richten können. Ein röthlichter Dunst, der
in den tiefen Luftschichten auf den Hygrometer fast gar nicht wirkt,
verschleierte bei Nacht die Sterne. Diese Erscheinung war sehr
ungewöhnlich, da man in andern Jahren oft drei, vier Monate lang keine
Spur von Wolken und Nebel sieht. Ich konnte den Verlauf und das Ende der
Sonnenfinsterniß vollständig beobachten. Das Ende der Finsterniß war um
2 Uhr 14 Minuten 23,4 Secunden mittlerer Zeit in Cumana. Das Ergebniß
meiner Beobachtung wurde nach den alten Tafeln von Ciccolini in Bologna
und Triesnecker in Wien berechnet und in der _Conaissance des temps_ (im
neunten Jahrgang) veröffentlicht. Dieses Ergebniß wich um nicht weniger
als um 1 Minute 9 Secunden Zeit von der Länge ab, die der Chronometer mir
ergeben; dasselbe wurde aber von Oltmanns nach den neuen Mondtafeln von
Burg und den Sonnentafeln von Delambre noch einmal berechnet, und jetzt
stimmten Sonnenfinsterniß und Chronometer bis auf 10 Secunden überein. Ich
führe diesen merkwürdigen Fall, wo ein Fehler durch die neuen Tafeln
auf 1/7 reducirt wurde, an, um die Reisenden darauf aufmerksam zu machen,
wie sehr es in ihrem Interesse liegt, die kleinsten Umstände bei ihren
einzelnen Beobachtungen aufzuzeichnen und bekannt zu machen. Die
vollkommene Uebereinstimmung zwischen den Jupiterstrabanten und den
Angaben des Chronometers, von der ich mich an Ort und Stelle überzeugt,
hatten mir großes Zutrauen zu Louis Berthoud’s Uhr gegeben, so oft sie
nicht auf den Maulthieren starken Stößen ausgesetzt war.

Die Tage vor und nach der Sonnenfinsterniß boten sehr auffallende
atmosphärische Erscheinungen. Wir waren im hiesigen sogenannten Winter,
das heißt in der Jahreszeit des bewölkten Himmels und der kurzen
Gewitterregen. Vom 10. October bis 3. November stieg mit Einbruch der
Nacht ein röthlichter Nebel am Horizont auf und zog in wenigen Minuten
einen mehr oder minder dichten Schleier über das blaue Himmelsgewölbe. Der
Saussuresche Hygrometer zeigte keineswegs größere Feuchtigkeit an, sondern
ging vielmehr oft von 90° auf 83° zurück. Die Hitze bei Tag war 28--32°,
also für diesen Strich der heißen Zone sehr stark. Zuweilen verschwand der
Nebel mitten in der Nacht auf einmal, und im Augenblick, wo ich die
Instrumente aufstellte, bildeten sich blendend weiße Wolken im Zenith und
dehnten sich bis zum Horizont aus. Am 18. October waren diese Wolken so
auffallend durchsichtig, daß man noch Sterne der vierten Größe dadurch
sehen konnte. Die Mondflecken sah ich so deutlich, daß es war, als stünde
die Scheibe vor den Wolken. Diese standen ausnehmend hoch und bildeten
Streifen, die, wie durch elektrische Abstoßung, in gleichen Abständen
fortliefen. Es sind dieß dieselben kleinen weißen Dunstmassen, die ich auf
den Gipfeln der höchsten Anden über mir gesehen, und die in mehreren
Sprachen *Schäfchen*, _moutons_ heißen. Wenn der röthliche Nebel den
Himmel leicht überzog, so behielten die Sterne der ersten Größen, die in
Cumana über 20--25 Grad hoch fast nie flimmern, nicht einmal im Zenith ihr
ruhiges, planetarisches Licht. Sie flimmerten in allen Höhen, wie nach
einem starken Gewitterregen. Diese Wirkung eines Nebels, der auf den
Hygrometer an der Erdoberfläche nicht wirkte, erschien mir auffallend. Ich
blieb einen Theil der Nacht auf einem Balkon sitzen, wo ich einen großen
Theil des Horizonts übersah. Unter allen Himmelsstrichen hat es viel
Anziehendes für mich, bei heiterem Himmel ein großes Sternbild ins Auge zu
fassen und zuzusehen, wie Haufen von Dunstbläschen sich bilden, wie um
einen Kern anschießen, verschwinden und sich von neuem bilden.

Zwischen dem 28. October und 3. November war der röthlichte Nebel dicker
als je bisher; bei Nacht war die Hitze erstickend, obgleich der
Thermometer nur auf 26° stand. Der Seewind, der meist von acht oder neun
Uhr Abends die Luft abkühlt, ließ sich gar nicht spüren. Die Luft war wie
in Gluth; der staubigte, ausgedörrte Boden bekam überall Risse. Am
4. November gegen zwei Uhr Nachmittags hüllten dicke, sehr schwarze Wolken
die hohen Berge Brigantin und Tataraqual ein. Sie rückten allmählich bis
ins Zenith. Gegen vier Uhr fing es an über uns zu donnern, aber ungemein
hoch, ohne Rollen, trockene, oft kurz abgebrochene Schläge. Im Moment, wo
die stärkste elektrische Entladung stattfand, um 4 Uhr 12 Minuten,
erfolgten zwei Erdstöße, 15 Secunden hinter einander. Das Volk schrie laut
auf der Straße. Bonpland, der über einen Tisch gebeugt Pflanzen
untersuchte, wurde beinahe zu Boden geworfen. Ich selbst spürte den Stoß
sehr stark, obgleich ich in einer Hängematte lag. Die Richtung des Stoßes
war, was in Cumana ziemlich selten vorkommt, von Nord nach Süd. Sklaven,
die aus einem 18--20 Fuß tiefen Brunnen am Manzanares Wasser schöpften,
hörten ein Getöse wie einen starken Kanonenschuß. Das Getöse schien aus
dem Brunnen herauf zu kommen, eine auffallende Erscheinung, die übrigens
in allen Ländern Amerikas, die den Erdbeben ausgesetzt sind, häufig
vorkommt.

Einige Minuten vor dem ersten Stoß trat ein heftiger Sturm ein, dem ein
elektrischer Regen mit großen Tropfen folgte. Ich beobachtete sogleich die
Elektricität der Luft mit dem Voltaschen Elektrometer. Die Kügelchen
wichen vier Linien auseinander; die Elektricität wechselte oft zwischen
positiv und negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa
zuweilen selbst bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und auf den Sturm
folgte eine Windstille, welche die ganze Nacht anhielt. Der
Sonnenuntergang bot ein Schauspiel von seltener Pracht. Der dicke
Wolkenschleier zerriß dicht am Horizont wie zu Fetzen, und die Sonne
erschien 12 Grad hoch auf indigoblauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein
stark in die Breite gezogen, verschoben und am Rande ausgeschweift. Die
Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den schönsten
Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels auseinander. Aus dem
großen Platze war viel Volk versammelt. Letztere Erscheinung, das
Erdbeben, der Donnerschlag während desselben, der rothe Nebel seit so
vielen Tagen, Alles wurde der Sonnenfinsterniß zugeschrieben.

Gegen neun Uhr Abends erfolgte ein dritter Erdstoß, weit schwächer als die
ersten, aber begleitet von einem deutlich vernehmbaren unterirdischen
Geräusch. Der Barometer stand ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber
der Gang der stündlichen Schwankungen oder der kleinen atmosphärischen H
Ebbe und Fluth wurde durchaus nicht unterbrochen. Das Quecksilber stand im
Moment, wo der Erdstoß eintrat, eben auf dem Minimum der Höhe; es stieg
wieder bis elf Uhr Abends und fiel dann wieder bis vier ein halb Uhr
Morgens, vollkommen entsprechend dem Gesetze der barometrischen
Schwankungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der röthlichte Nebel
so dick, daß ich den Ort, wo der Mond stand, nur an einem schönen Hof von
12 Grad Durchmesser erkennen konnte.

Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verflossen, seit die Stadt Cumana
durch ein Erdbeben fast gänzlich zerstört worden. Das Volk sieht die
Nebel, welche den Horizont umziehen, und das Ausbleiben des Seewindes bei
Nacht für sichere schlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Besuche, die
sich erkundigten, ob unsere Instrumente nene Stöße für den andern Tag
anzeigten. Besonders groß und allgemein wurde die Unruhe, als am
5. November, zur selben Stunde wie Tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat,
dem ein Donnerschlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ sich
kein Stoß spüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder sechs Tage zur selben
Stunde, ja fast zur selben Minute wieder. Schon seit langer Zeit haben die
Einwohner von Cumana und so vieler Orte unter den Tropen die Beobachtung
gemacht, daß scheinbar ganz zufällige atmosphärische Veränderungen
wochenlang mit erstaunlicher Regelmäßigkeit nach einem gewissen Typus
eintreten. Dieselbe Erscheinung kommt Sommers auch im gemäßigten Erdstrich
vor und ist dem Scharfblick der Astronomen nicht entgangen. Häufig sieht
man nämlich bei heiterem Himmel drei, vier Tage hinter einander an
derselben Stelle des Himmels sich Wolken bilden, nach derselben Richtung
fortziehen und sich in derselben Höhe wieder auflösen, bald vor, bald nach
dem Durchgang eines Sterns durch den Meridian, also bis auf wenige Minuten
zur selben *wahren Zeit*.

Das Erdbeben vom 4. November, das erste, das ich erlebt, machte einen um
so stärkeren Eindruck auf mich, da es, vielleicht zufällig, von so
auffallenden meteorischen Erscheinungen begleitet war. Auch war es eine
wirkliche Hebung von unten nach oben, kein wellenförmiger Stoß. Ich hätte
damals nicht geglaubt, daß ich nach langem Aufenthalt auf den Hochebenen
von Quito und an den Küsten von Peru mich selbst an ziemlich starke
Bewegungen des Bodens so sehr gewöhnen würde, wie wir in Europa an das
Donnern gewöhnt sind. In der Stadt Quito dachten wir gar nicht mehr daran,
bei Nacht aufzustehen, wenn ein unterirdisches Gebrülle (_bramidos_) das
immer vom Vulkan Pichincha herzukommen scheint (2--3, zuweilen
7--8 Minuten vorher) einen Stoß ankündigte, dessen Stärke nur selten mit
dem Grad des Getöses im Verhältniß steht. Die Sorglosigkeit der Einwohner,
die wissen, daß in dreihundert Jahren ihre Stadt nicht zerstört worden
ist, theilt sich bald selbst dem ängstlichsten Fremden mit. Ueberhaupt ist
es nicht so sehr die Besorgniß vor Gefahr, als die eigenthümliche
Empfindung, was einen so sehr aufregt, wenn man zum erstenmal auch nur
einen ganz leichten Erdstoß empfindet.

Von Kindheit auf prägen sich unserer Vorstellung gewisse Contraste ein;
das Wasser gilt uns für ein bewegliches Element, die Erde für eine
unbewegliche, träge Masse. Tiefe Begriffe sind das Produkt der täglichen
Erfahrung und hängen mit allen unsern Sinneseindrücken zusammen. Läßt sich
ein Erdstoß spüren, wankt die Erde in ihren alten Grundfesten, die wir für
unerschütterlich gehalten, so ist eine langjährige Täuschung in einen
Augenblick zerstört. Es ist als erwachte man, aber es ist kein angenehmes
Erwachen; man fühlt, die vorausgesetzte Ruhe der Natur war nur eine
scheinbare, man lauscht hinfort auf das leiseste Geräusch, man mißtraut
zum erstenmal einem Boden, auf den man so lange zuversichtlich den Fuß
gesetzt. Wiederholen sich die Stöße, treten sie mehrere Tage hinter
einander häufig ein, so nimmt dieses Zagen bald ein Ende. Im Jahr 1784
waren die Einwohner von Mexico so sehr daran gewöhnt, unter ihren Füßen
donnern zuhören, wie wir an den Donner in der Luft. Der Mensch faßt sehr
schnell wieder Zutrauen, und an den Küsten von Peru gewöhnt man sich am
Ende an die Schwankungen des Bodens, wie der Schiffer an die Stöße, die
das Fahrzeug von den Wellen erhält.

Der röthlichte Dunst, der kurz nach Sonnenuntergang den Horizont umzog,
hatte seit dem 7. November aufgehört. Die Luft war wieder so rein wie
sonst und das Himmelsgewölbe zeigte im Zenith das Dunkelblau, das den
Klimaten eigen ist, wo die Wärme, das Licht und große Gleichförmigkeit der
elektrischen Spannung mit einander die vollständigste Auflösung des
Wassers in der Luft zu bewirken scheinen. In der Nacht vom siebten zum
achten beobachtete ich die Immersion des zweiten Jupiterstrabanten. Die
Streifen des Planeten waren deutlicher, als ich sie je zuvor gesehen.

Einen Theil der Nacht verwendete ich dazu, die Lichtstärke der schönen
Sterne am südlichen Himmel zu vergleichen. Ich hatte schon zur See
sorgfältige Beobachtungen der Art angestellt und setzte sie später bei
meinem Aufenthalt in Lima, Guayaquil und Mexico in beiden Hemisphären
fort. Es war über ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Lacaille den
Strich des Himmels, der in Europa unsichtbar ist, untersucht hatte. Die
Sterne nahe am Südpol werden meist so oberflächlich und so wenig anhaltend
beobachtet, daß in ihrer Lichtstärke und in ihrer eigenen Bewegung die
größten Veränderungen eintreten können, ohne daß die Astronomen das
Geringste davon erfahren. Ich glaube Veränderungen der Art in den
Sternbildern des Kranichs und des Schiffes wahrgenommen zu haben. Nach
einem Mittel aus sehr vielen Schätzungen habe ich die relative Lichtstärke
der großen Sterne in nachstehender Reihenfolge abnehmen sehen: Sirius,
Canopus, α des Centauren, Achernar, β des Centauren, Fomalhaut, Rigel,
Procyon, Beteigeuze, ε des großen Hundes, δ des großen Hundes, α des
Kranichs, α des Pfauen. Diese Arbeit, deren numerische Ergebnisse ich
anderswo veröffentlicht habe, wird an Bedeutung gewinnen, wenn nach je
50--60 Jahren Reisende die Lichtstärke der Sterne von Neuem beobachten und
darin Wechsel wahrnehmen, die entweder von Vorgängen an der Oberfläche der
Himmelskörper oder von ihrem veränderten Abstand von unserem
Planetensystem herrühren.

Hat man in unsern nördlichen Himmelsstrichen und in der heißen Zone lange
mit denselben Fernröhren beobachtet, so ist man überrascht, wie deutlich
in letzterer, in Folge der Durchsichtigkeit der Luft und der geringeren
Schwächung des Lichts, die Doppelsterne, die Trabanten des Jupiters und
gewisse Nebelsterne erscheinen. Bei gleich heiterem Himmel glaubt man
bessere Instrumente unter den Händen zu haben, so viel deutlicher, so viel
schärfer begrenzt zeigen sich diese Gegenstände unter den Tropen. So viel
ist sicher, wird einst Südamerika der Mittelpunkt einer ausgebreiteten
Cultur, so muß die physische Astronomie ungemeine Fortschritte machen,
sobald man einmal anfängt im trockenen, heißen Klima von Cumana, Coro und
der Insel Margarita den Himmel mit vorzüglichen Werkzeugen zu beobachten.
Des Rückens der Cordilleren erwähne ich dabei nicht, weil, einige ziemlich
dürre Hochebenen in Mexico und Peru ausgenommen, auf sehr hohen Plateaus,
auf solchen, wo der Luftdruck um 10--11 Zoll geringer ist als an der
Meeresfläche, die Luft nebligt und die Witterung sehr veränderlich ist.
Sehr reine Luft, wie sie in den Niederungen in der trockenen Jahreszeit
fast beständig vorkommt, bietet vollen Ersatz für die hohe Lage und die
verdünnte Luft auf den Plateaus.

Die Nacht vom 11. zum 12. November war kühl und ausnehmend schön. Gegen
Morgen, von halb drei Uhr an, sah man gegen Ost höchst merkwürdige
Feuermeteore. Bonpland, der aufgestanden war, um auf der Galerie der Kühle
zu genießen, bemerkte sie zuerst. Tausende von Feuerkugeln und
Sternschnuppen fielen hinter einander, vier Stunden lang. Ihre Richtung
war sehr regelmäßig von Nord nach Süd; sie füllten ein Stück des Himmels,
das vom wahren Ostpunkt 30 Grad nach Nord und nach Süd reichte. Auf einer
Strecke von 60 Graden sah man die Meteore in Ostnordost und Ost über den
Horizont aufsteigen, größere oder kleinere Bogen beschreiben und, nachdem
sie in der Richtung des Meridians fortgelaufen, gegen Süd niederfallen.
Manche stiegen 40 Grad hoch, alle höher als 25--30 Grad. Der Wind war in
der niedern Luftregion sehr schwach und blies aus Ost; von Wolken war
keine Spur zu sehen. Nach Bonplands Aussage war gleich zu Anfang der
Erscheinung kein Stück am Himmel so groß als drei Monddurchmesser, das
nicht jeden Augenblick von Feuerkugeln und Sternschnuppen gewimmelt hätte.
Der ersteren waren wenigere; da man ihrer aber von verschiedenen Größen
sah, so war zwischen diesen beiden Classen von Erscheinungen unmöglich
eine Grenze zu ziehen. Alle Meteore ließen 8--10 Grad lange Lichtstreifen
hinter sich zurück, was zwischen den Wendekreisen häufig vorkommt. Die
Phosphorescenz dieser Lichtstreifen hielt 7--8 Secunden an. Manche
Sternschnuppen hatten einen sehr deutlichen Kern von der Größe der
Jupiterscheibe, von dem sehr stark leuchtende Lichtfunken ausfuhren. Die
Feuerkugeln schienen wie durch Explosion zu platzen; aber die größten, von
1--1° 13′ Durchmesser, verschwanden ohne Funkenwerfen und ließen
leuchtende, 15--20 Minuten breite Streifen (_‘trabes’_) hinter sich. Das
Licht der Meteore war weiß, nicht röthlicht, wahrscheinlich weil die Luft
ganz dunstfrei und sehr durchsichtig war. Aus demselben Grunde haben unter
den Tropen die Sterne erster Größe beim Aufgehen ein auffallend weißeres
Licht als in Europa.

Fast alle Einwohner von Cumana sahen die Erscheinung mit an, weil sie vor
vier Uhr aus den Häusern gehen, um die Frühmesse zu hören. Der Anblick der
Feuerkugeln war ihnen keineswegs gleichgültig; die ältesten erinnerten
sich, daß dem großen Erdbeben des Jahres 1766 ein ganz ähnliches Phänomen
vorausgegangen war. In der indianischen Vorstadt waren die Guaiqueries auf
den Beinen; sie behaupteten, »das Feuerwerk habe um ein Uhr Nachts
begonnen, und als sie vom Fischfang im Meerbusen zurückgekommen, haben sie
schon Sternschnuppen, aber ganz kleine, im Osten aufsteigen sehen.« Sie
versicherten zugleich, auf dieser Küste seyen nach zwei Uhr Morgens
Feuermeteore sehr selten.

Von vier Uhr an hörte die Erscheinung allmählich auf; Feuerkugeln und
Sternschnuppen wurden seltener; indessen konnte man noch eine
Viertelstunde nach Sonnenaufgang mehrere an ihrem weißen Licht und dem
raschen Hinfahren erkennen. Dieß erscheint nicht so auffallend, wenn ich
daran erinnere, daß im Jahr 1788 in der Stadt Popayan am hellen Tage das
Innere der Häuser durch einen ungeheuer großen Meteorstein stark
erleuchtet wurde; er ging um ein Uhr Nachmittags bei hellem Sonnenschein
über die Stadt weg. Am 26. September 1800, während unseres zweiten
Aufenthalts in Cumana, gelang es Bonpland und mir, nachdem wir die
Immersion des ersten Jupiterstrabanten beobachtet, 18 Minuten nachdem sich
die Sonnenscheibe über den Horizont erhoben, den Planeten mit bloßem Auge
deutlich zu sehen. Gegen Ost war sehr leichtes Gewölk, aber Jupiter stand
auf blauem Grunde. Diese Fälle beweisen, wie rein und durchsichtig die
Luft zwischen den Wendekreisen ist. Die Masse des zerstreuten Lichts ist
desto kleiner, je vollständiger der Wasserdunst aufgelöst ist. Dieselbe
Ursache, welche der Zerstreuung des Sonnenlichts entgegenwirkt, vermindert
auch die Schwächung des Lichts, das von den Feuerkugeln, vom Jupiter, vom
Mond am zweiten Tag nach der Conjunction ausgeht.

Der 12. November war wieder ein sehr heißer Tag und der Hygrometer zeigte
eine für dieses Klima sehr starke Trockenheit an. Auch zeigte sich der
röthlichte, den Horizont umschleiernde Dunst wieder und stieg 14 Grad hoch
herauf. Es war das letztemal, daß man ihn in diesem Jahre sah. Ich bemerke
hier, daß derselbe unter dem schönen Himmel von Cumana im Allgemeinen so
selten ist, als er in Acapulco auf der Westküste von Mexico häufig
vorkommt.

Da bei meinem Abgang von Europa die Physiker durch Chladnis Untersuchungen
auf Feuerkugeln und Sternschnuppen besonders aufmerksam geworden waren, so
versäumten wir auf unserer Reise von Caracas nach dem Rio Negro nicht, uns
überall zu erkundigen, ob am 12. November die Meteore gesehen worden
seyen. In einem wilden Lande, wo die Einwohner größtentheils im Freien
schlafen, konnte eine so außerordentliche Erscheinung nur da unbemerkt
bleiben, wo sie sich durch bewölkten Himmel der Beobachtung entzog. Der
Kapuziner in der Mission San Fernando de Apure, die mitten in den Savanen
der Provinz Barinas liegt, die Franciskaner an den Fällen des Orinoco und
in Maroa am Rio Negro hatten zahllose Sternschnuppen und Feuerkugeln das
Himmelsgewölbe beleuchten sehen. Maroa liegt 174 Meilen südwestlich von
Cumana. Alle diese Beobachter verglichen das Phänomen mit einem schönen
Feuerwerk, das von drei bis sechs Uhr Morgens gewährt. Einige Geistliche
hatten diesen Tag in ihrem Ritual angemerkt, andere bezeichneten denselben
nach den nächsten Kirchenfesten, leider aber erinnerte sich keiner der
Richtung der Meteore oder ihrer scheinbaren Höhe. Nach der Lage der Berge
und dichten Wälder, welche um die Missionen an den Cataracten und um das
kleine Dorf Maroa liegen, mögen die Feuerkugeln noch 20 Grad über dem
Horizont sichtbar gewesen seyn. Am Südende von spanisch Guyana, im kleinen
Fort San Carlos, traf ich Portugiesen, die von der Mission San Jose dos
Maravitanos den Rio Negro herauf gefahren waren. Sie versicherten mich, in
diesem Theile Brasiliens sey die Erscheinung zum wenigsten bis San Gabriel
das Cachoeiras, also bis zum Aequator sichtbar gewesen.(14)

Ich wunderte mich sehr über die ungeheure Höhe, in der die Feuerkugeln
gestanden haben mußten, um zu gleicher Zeit in Cumana und an der Grenze
von Brasilien, auf einer Strecke von 230 Meilen gesehen zu werden. Wie
staunte ich aber, als ich bei meiner Rückkehr nach Europa erfuhr, die
selbe Erscheinung sey auf einem 64 Breite- und 91 Längegrade großen Stück
des Erdballs, unter dem Aequator, in Südamerika, in Labrador und in
Deutschland gesehen worden! Auf der Ueberfahrt von Philadelphia nach
Bordeaux fand ich zufällig in den Verhandlungen der pennsylvanischen
Gesellschaft die betreffende Beobachtung des Astronomen der Vereinigten
Staaten, Ellicot (unter 30 Grad 42 Minuten), und als ich von Neapel wieder
nach Berlin ging, auf der Göttinger Bibliothek den Bericht der mährischen
Missionare bei den Eskimos. Bereits war damals von mehreren Physikern die
Frage besprochen worden, ob die Beobachtungen im Norden und die in Cumana,
die Bonpland und ich schon im Jahr 1800 bekannt gemacht, denselben
Gegenstand betreffen.

Ich gebe im Folgenden eine gedrängte Zusammenstellung der Beobachtungen:
1) Die Feuermeteore wurden gegen Ost und Ost-Nord-Ost, bis zu 40 Grad über
dem Horizont, von 2--6 Uhr Morgens gesehen in Cumana (Breite 10° 27′ 52″,
Länge 66° 30′), in Porto-Cabello (Breite 10° 6′ 52″, Länge 67° 5′) und an
der Grenze von Brasilien in der Nähe des Aequators unter 70° der Länge vom
Pariser Meridian. 2) In französisch Guyana (Breite 40° 56′, Länge 54° 35′)
»sah man den Himmel gegen Norden wie in Flammen stehen. Anderthalb Stunden
lang schossen unzählige Sternschnuppen durch den Himmel und verbreiteten
ein so starkes Licht, daß man die Meteore mit den sprühenden Funkengarben
bei einem Feuerwerk vergleichen konnte.« Für diese Thatsache liegt ein
höchst achtungswerthes Zeugniß vor, das des Grafen Marbois, der damals als
ein Opfer seines Rechtssinns und seiner Anhänglichkeit an
verfassungsmäßige Freiheit als Deportirter in Cayenne lebte. 3) Der
Astronom der Vereinigten Staaten, Ellicot, befand sich, nachdem er
trigonometrische Vermessungen zur Grenzberichtigung am Ohio vollendet
hatte, am 12. November im Kanal von Bahama unter 25 Grad der Breite und
81° 50′ der Länge. Er sah am ganzen Himmel »so viel Meteore als Sterne;
sie fuhren nach allen Richtungen dahin; manche schienen senkrecht
niederzufallen und man glaubte jeden Augenblick, sie werden aufs Schiff
herabkommen.« Dasselbe wurde auf dem Festland von Amerika bis zum 30° 43′
der Breite beobachtet. 4) In Labrador zu Nain (Breite 56° 55′) und
Hoffenthal (Breite 58°,4′), in Grönland zu Lichtenau (Breite 61° 5′) und
Neu-Herrnhut (Breite 64° 14′, Länge 52° 20′) erschraken die Eskimos über
die ungeheure Menge Feuerkugeln, die in der Dämmerung nach allen
Himmelsgegenden niederfielen, »und von denen manche einen Schuh breit
waren.« 5) In Deutschland sah der Pfarrer von Itterstädt bei Weimar,
Zeising (Breite 50° 59′, östliche Länge 9° 1′), am 12. November zwischen 6
und 7 Uhr Morgens (als es in Cumana zwei ein halb Uhr war) einige
Sternschnuppen mit sehr weißem Licht. »Kurz darauf erschienen gegen Süd
und Südwest 4--6 Fuß lange, röthliche Lichtstreifen, ähnlich denen einer
Rakete. In der Morgendämmerung zwischen 7 und 8 Uhr sah man von Zeit zu
Zeit den Himmel durch weißlichte, in Schlangenlinien am Horizont
hinfahrende Blitze stark beleuchtet. In der Nacht war es kälter geworden
und der Barometer war gestiegen.« Sehr wahrscheinlich hätte das Meteor
noch weiter ostwärts in Polen und Rußland gesehen werden können. Ohne die
umständliche Angabe, die Ritter den Papieren des Pfarrers von Itterstädt
entnommen, hätten wir auch geglaubt, die Feuerkugeln seyen außerhalb der
Grenzen der neuen Welt nicht gesehen worden.

Von Weimar an den Rio Negro sind es 1800 Seemeilen, vom Rio Negro nach
Herrnhut in Grönland 1300 Lieues. Sind an so weit auseinander gelegenen
Punkten dieselben Meteore gesehen worden, so setzt dieß für dieselben eine
Höhe von 411 Meilen voraus. Bei Weimar zeigten sich die Lichtstreifen
gegen Süd und Südwest, in Cumana gegen Ost und Ost-Nord-Ost. Man könnte
deßhalb glauben, zahllose Aerolithen müßten zwischen Afrika und Südamerika
westwärts von den Inseln des grünen Vorgebirges ins Meer gefallen seyn.
Wie kommt es aber, daß die Feuerkugeln, die in Labrador und Cumana
verschiedene Richtungen hatten, am letzteren Orte nicht gegen Nord gesehen
wurden, wie in Cayenne? Man kann nicht vorsichtig genug seyn mit einer
Annahme, zu der es noch an guten, an weit aus einander gelegenen Orten
angestellten Beobachtungen fehlt. Ich möchte fast glauben, daß die Chaymas
in Cumana nicht dieselben Feuerkugeln gesehen haben, wie die Portugiesen
in Brasilien und die Missionäre in Labrador; immer aber bleibt es
unzweifelhaft (und diese Thatsache scheint mir höchst merkwürdig), daß in
der neuen Welt zwischen 46° und 82° der Länge, vom Aequator bis zu 64° der
Breite in denselben Stunden eine ungeheure Menge Feuerkugeln und
Sternschnuppen gesehen worden ist. Auf einem Flächenraum von 921,000
Quadratmeilen erschienen die Meteore überall gleich glänzend.

Die Physiker (Benzenberg und Brandes), welche in neuerer Zeit über die
Sternschnuppen und ihre Parallaxen so mühsame Untersuchungen angestellt
haben, betrachten sie als Meteore, die der äußersten Grenze unseres
Luftkreises, dem Raum zwischen der Region des Nordlichts und der der
leichtesten Wolken(15) angehören. Es sind welche beobachtet worden, die
nur 14,000 Toisen, etwa 5 Meilen hoch waren, und die höchsten scheinen
nicht über 30 Meilen hoch zu seyn. Sie haben häufig über 100 Fuß
Durchmesser und ihre Geschwindigkeit ist so bedeutend, daß sie in wenigen
Secunden zwei Meilen zurücklegen. Man hat welche gemessen, die fast
senkrecht oder unter einem Winkel von 50 Grad von unten nach oben liefen.
Aus diesem sehr merkwürdigen Umstand hat man geschlossen, daß die
Sternschnuppen keine Meteorsteine sind, die, nachdem sie lange gleich
Himmelskörpern durch den Raum gezogen, sich entzünden, wenn sie zufällig
in unsere Atmosphäre gerathen, und zur Erde fallen.

Welchen Ursprung nun auch diese Feuermeteore haben mögen, so hält es
schwer, sich in einer Region, wo die Luft verdünnter ist als im luftleeren
Raum unserer Luftpumpen, wo (in 25,000 Toisen Höhe) das Quecksilber im
Barometer nicht 12/1000 Linie hoch stünde, sich eine plötzliche Entzündung
zu denken. Allerdings kennen wir das bis auf 3/1000 gleichförmige Gemisch
der atmosphärischen Luft nur bis zu 3000 Toisen Höhe, folglich nicht über
die höchste Schichte der flockigten Wolken hinauf. Man könnte annehmen,
bei den frühesten Umwälzungen des Erdballs seyen Gase, die uns bis jetzt
ganz unbekannt geblieben, in die Luftregion aufgestiegen, in der sich die
Sternschnuppen bewegen; aber aus genauen Versuchen mit Gemischen von Gasen
von verschiedenem specifischem Gewicht geht hervor, daß eine oberste, von
den untern Schichten ganz verschiedene Luftschicht undenkbar ist. Die
gasförmigen Körper mischen sich und durchdringen einander bei der
geringsten Bewegung, und im Laufe der Jahrhunderte hätte sich ein
gleichförmiges Gemisch herstellen müssen, wenn man nicht eine abstoßende
Kraft ins Spiel bringen will, von der an keinem der uns bekannten Körper
etwas zu bemerken ist. Nimmt man ferner in den uns unzugänglichen Regionen
der Feuermeteore, der Sternschnuppen, der Feuerkugeln und des Nordlichts
eigenthümliche luftförmige Flüssigkeiten an, wie will man es erklären, daß
sich nicht die ganze Schicht dieser Flüssigkeiten zumal entzündet, daß
vielmehr Gasausströmungen, gleich Wolken, einen begrenzten Raum einnehmen?
Wie soll man sich ohne die Bildung von Dünsten, die einer ungleichen
Ladung fähig sind, eine elektrische Entladung denken, und das in einer
Luft, deren mittlere Temperatur vielleicht 250° unter Null beträgt, und
die so verdünnt ist, daß die Compression durch den elektrischen Schlag so
gut wie keine Wärme mehr entbinden kann? Diese Schwierigkeiten würden
großentheils beseitigt, wenn man die Sternschnuppen nach der Richtung, in
der sie sich bewegen, als Körper mit festem Kern, als *kosmische* (dem
Himmelsraum außerhalb unseres Luftkreises angehörige), nicht als
*tellurische* (nur unserem Planeten angehörige) Erscheinungen betrachten
könnte.

Hatten die Meteore in Cumana nur die Höhe, in der sich die Sternschnuppen
gewöhnlich bewegen, so konnten dieselben Meteore an Punkten, die 310
Meilen aus einander liegen, über dem Horizont gesehen werden. Wie
außerordentlich muß nun an jenem 12. November in den hohen Luftregionen
die Neigung zur Verbrennung gesteigert gewesen seyn, damit vier Stunden
lang Milliarden von Feuerkugeln und Sternschnuppen fallen konnten, die am
Aequator, in Grönland und in Deutschland gesehen wurden! Benzenberg macht
die scharfsinnige Bemerkung, daß dieselbe Ursache, aus der das Phänomen
häufiger eintritt, auch auf die Größe der Meteore und ihre Lichtstärke
Einfluß äußert. In Europa sieht man in den Nächten, in denen am meisten
Sternschnuppen fallen, immer auch sehr stark leuchtende unter ganz
kleinen. Durch das Periodische daran wird die Erscheinung noch
interessanter. In manchen Monaten zählte Brandes in unserem gemäßigten
Erdstrich nur 60--80 Sternschnuppen in der Nacht, in andern steigt die
Zahl auf 2000. Sieht man eine vom Durchmesser des Sirius oder des Jupiter,
so kann man sicher darauf rechnen, daß hinter diesem glänzenden Meteor
viele kleinere kommen. Fallen in einer Nacht sehr viele Sternschnuppen, so
ist es höchst wahrscheinlich, daß dieß mehrere Wochen anhält. In den hohen
Luftregionen, an der äußersten Grenze, wo Centrifugalkraft und Schwere
sich ausgleichen, scheint periodisch eine besondere Disposition zur
Bildung von Feuerkugeln, Sternschnuppen und Nordlichtern einzutreten.
Hängt die Periodicität dieser wichtigen Erscheinung vom Zustand der
Atmosphäre ab, oder von etwas, das der Atmosphäre von auswärts zukommt,
während die Erde in der Ekliptik fortrückt? Von alle dem wissen wir gerade
so viel, wie zur Zeit des Anaxagoras.

Was die Sternschnuppen für sich betrifft, so scheinen sie mir, nach meiner
eigenen Erfahrung, unter den Wendekreisen häufiger zu seyn als in
gemäßigten Landstrichen, über den Festländern und an gewissen Küsten
häufiger als auf offener See. Ob wohl die strahlende Oberfläche des
Erdballs und die elektrische Ladung der tiefen Luftregionen, die nach der
Beschaffenheit des Bodens und nach der Lage der Continente und Meere sich
ändert, ihre Einflüsse noch in Höhen äußern, wo ewiger Winter herrscht?
Daß in gewissen Jahreszeiten und über manchen dürren, pflanzenlosen Ebenen
der Himmel auch nicht die kleinsten Wolken zeigt, scheint darauf
hinzudeuten, daß dieser Einfluß sich wenigstens bis zur Höhe von 5--600
Toisen geltend macht. In einem von Vulkanen starrenden Land, auf der
Hochebene der Anden ist vor dreißig Jahren eine ähnliche Erscheinung wie
die am 12. November beobachtet worden. Man sah in der Stadt Quito nur an
Einem Stück des Himmels, über dem Vulkan Cayambe, Sternschnuppen in
solcher Menge aufsteigen, daß man meinte, der ganze Berg stehe in Feuer.
Dieses außerordentliche Schauspiel dauerte über eine Stunde; das Volk lief
auf der Ebene von Exido zusammen, wo man eine herrliche Aussicht auf die
höchsten Gipfel der Cordilleren hat. Schon war eine Procession im Begriffe
vom Kloster San Francisco aufzubrechen, als man gewahr wurde, daß das
Feuer am Horizont von Feuermeteoren herrührte, die bis zur Höhe von 12 bis
15 Grad nach allen Richtungen durch den Himmel schoßen.

                            ------------------



   14 In Santa-Fe de Bogota, in Popayan und in der südlichen Halbkugel in
      Quito und Peru habe ich Niemand getroffen, der die Meteore gesehen
      hätte. Vielleicht war nur der Zustand der Atmosphäre, der in diesen
      westlichen Ländern sehr veränderlich ist, daran Schuld.

   15 Nach meinen Beobachtungen auf dem Rücken der Anden in mehr als 2700
      Toisen Meereshöhe über die *Schäfchen* oder kleinen weißen,
      gekräuselten Wolken schätzte ich die Höhe derselben zuweilen auf
      mehr als [] Toisen über der Küste.



ELFTES KAPITEL.


    Reise von Cumana nach Guayra. -- Morro de Nueva Barcelona. -- Das
            Vorgebirg Codera. -- Weg von Guayra nach Caracas.


Am 18. November um acht Uhr Abends waren wir unter Segel, um längs der
Küste von Cumana nach dem Hafen von Guayra zu fahren, aus dem die
Einwohner von Venezuela den größten Theil ihrer Produkte ausführen. Es
sind nur 60 Meilen und die Ueberfahrt währt meist nur 36--40 Stunden. Den
kleinen Küstenfahrzeugen kommen Wind und Strömungen zumal zu gut; letztere
streichen mehr oder minder stark von Ost nach West längs den Küsten von
Terra Firma hin, besonders zwischen den Vorgebirgen Paria und Chichibacoa.
Der Landweg von Cumana nach Neu-Barcelona und von da nach Caracas ist so
ziemlich im selben Zustand wie vor der Entdeckung von Amerika. Man hat mit
allen Hindernissen eines morastigen Bodens, zerstreuter Felsblöcke und
einer wuchernden Vegetation zu kämpfen; man muß unter freiem Himmel
schlafen, die Thäler des Unare, Tuy und Capaya durchziehen und über Ströme
setzen, die wegen der Nähe des Gebirgs rasch anschwellen. Zu diesen
Hindernissen kommt die Gefahr, die der Reisende läuft, weil das Land sehr
ungesund ist, besonders die Niederungen zwischen der Küstenkette und dem
Meeresufer, von der Bucht von Mochima bis Coro. Letztere Stadt aber, die
von einem ungeheuren Gehölz von Fackeldisteln und stachlichten Cactus
umgeben ist, verdankt, gleich Cumana, ihr gesundes Klima dem dürren Boden
und dem Mangel an Regen.

Man zieht zuweilen den Weg zu Land dem zur See vor, wenn man von Caracas
nach Cumana zurückgeht und nicht gerne gegen die Strömung fährt. Der
Courier von Caracas braucht dazu neun Tage; wir sahen häufig Leute, die
sich ihm angeschlossen, in Cumana krank an Typhus und miasmatischen
Fiebern ankommen. Der Baum, dessen Rinde(16) ein treffliches Heilmittel
gegen diese Fieber ist, wächst in denselben Thälern, am Saume derselben
Wälder, deren Ausdünstungen so gefährlich sind. Der kranke Reisende macht
Halt in einer Hütte, deren Bewohner nichts davon wissen, daß die Bäume,
welche die Thalgründe umher beschatten, das Fieber vertreiben.

Als wir zur See von Cumana nach Guayra gingen, war unser Plan der: wir
wollten bis zum Ende der Regenzeit in Caracas bleiben, von dort über die
großen Ebenen oder *Llanos* in die Missionen am Orinoco reisen, diesen
ungeheuren Strom südlich von den Cataracten bis zum Rio Negro und zur
Grenze von Brasilien hinauffahren und über die Hauptstadt des spanischen
Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage *Angostura*, d. h. Engpaß geheißen,
nach Cumana zurückkehren. Wie lange wir zu dieser Reise von 700 Meilen,
wovon wir über zwei Drittheile im Canoe zu machen hatten, brauchen würden,
ließ sich unmöglich bestimmen. Auf den Küsten kennt man nur das Stück des
Orinoco nahe an seiner Mündung; mit den Missionen besteht lediglich kein
Handelsverkehr. Was jenseits der Llanos liegt, ist für die Einwohner von
Cumana und Caracas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Rasen
bedeckten Ebenen von Calabozo ziehen sich achthundert Meilen gegen Süd
fort und stehen mit den Steppen oder Pampas von Buenos Ayres in
Verbindung; andere halten wegen der großen Sterblichkeit unter den Truppen
Iturriagas und Solanos auf ihrem Zug an den Orinoco alles Land südlich von
den Katarakten von Amtes für äußerst ungesund. In einem Lande, wo man so
wenig reist, findet man Gefallen daran, den Fremden gegenüber die
Gefahren, die vom Klima, von wilden Thieren und Menschen drohen, zu
übertreiben. Wir waren an diese Abschreckungsmittel, welche die Colonisten
mit naiver und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht
gewöhnt; trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Entschlusse fest. Wir
konnten auf die Theilnahme und Unterstützung des Statthalters der Provinz,
Don Vicente Emparan, uns verlassen, so wie auf die Empfehlungen der
Franziscanermönche, welche an den Ufern des Orinoco die eigentlichen
Herren sind.

Zum Glück für uns war einer dieser Geistlichen, Juan Gonzales, eben in
Cumana. Dieser junge Mönch war nur ein Laienbruder, aber sehr verständig,
gebildet, voll Leben und Muth. Kurz nach seiner Ankunft auf der Küste
hatte er sich bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Gardians der Missionen
von Piritu, wobei im Kloster zu Nueva Barcelona immer große Aufregung
herrscht, das Mißfallen seiner Obern zugezogen. Die siegende Partei übte
eine durchgreifende Reaction, welcher der Laienbruder nicht entgehen
konnte. Er wurde nach Esmeralda geschickt, in die letzte Mission am obern
Orinoco, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Insekten, welche Jahr aus
Jahr ein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war mit den Wäldern
zwischen den Katarakten und den Quellen des Orinoco vollkommen bekannt.
Eine andere Umwälzung im republikanischen Regiment der Mönche hatte ihn
seit einigen Jahren wieder an die Küste gebracht und er stand bei seinen
Obern in verdienter Achtung. Er bestärkte uns in unserem Verlangen, die
vielbestrittene Gabelung des Orinoco zu untersuchen; er ertheilte uns
guten Rath für die Erhaltung der Gesundheit in einem Klima, in dem er
selbst so lange an Wechselfiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen auf
der Rückreise vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder
anzutreffen. Da er sich in der Havana nach Cadix einschiffen wollte,
übernahm er es gefällig, einen Theil unserer Pflanzensammlungen und
unserer Insekten vom Orinoco nach Europa zu bringen, aber die Sammlungen
gingen leider mit ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der
uns sehr zugethan war, und dessen muthvoller Eifer den Missionen seines
Ordens große Dienste hätte leisten können, kam im Jahr 1801 in einem Sturm
an der afrikanischen Küste ums Leben.

Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra(17) fuhren, war eines von
denen, die zum Handel an den Küsten und mit den Antillen gebraucht werden.
Sie sind dreißig Fuß lang und haben nicht mehr als drei Fuß Bord über
Wasser; sie sind ohne Verdeck und laden gewöhnlich 200 bis 250 Centner.
Obgleich die See vom Vorgebirge Codera bis Guayra sehr unruhig ist und sie
ein ungeheures dreieckiges Segel führen, was bei den Windstößen, die aus
den Bergschluchten herauskommen, nicht ohne Gefahr ist, hat man seit
dreißig Jahren kein Beispiel, daß eines dieser Fahrzeuge auf der
Ueberfahrt von Cumana an die Küste von Caracas gesunken wäre. Die
indianischen Schiffer sind so gewandt, daß selbst bei ihren häufigen
Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den dänischen Inseln, die mit
Klippen umgeben sind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört. Diese
120 bis 150 Meilen weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küste mehr
sieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weise der Alten, ohne
Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, fast immer ohne Compaß
unternommen. Der indianische Steuermann richtet sich bei Nacht nach dem
Polarstern, bei Tag nach dem Sonnenlauf und dem Wind, der, wie er
voraussetzt, selten wechselt. Ich habe Guayqueries und Steuerleute vom
Schlage der Zambos gesehen, die den Polarstern nach der Linie zwischen
und  des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als steuerten
sie nicht sowohl nach dem Polarstern selbst als nach jener Linie. Man
wundert sich, wie sie, so bald Land zu Gesicht kommt, richtig die Insel
Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico finden; aber im Ausgleichen der
Abweichungen vom Curs sind sie nicht immer eben so glücklich. Wenn sich
die Fahrzeuge unter dem Wind dem Lande nähern, kommen sie gegen Ost gegen
Wind und Strömung nur sehr schwer weiter. In Kriegszeiten haben nun die
Schiffer ihre Unwissenheit und ihre Unbekanntschaft mit dem Gebrauch des
Octanten schwer zu büßen; denn die Caper kreuzen eben an den Vorgebirgen,
welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn sie von ihrem Curs abgekommen,
in Sicht bekommen müssen, um ihres Weges gewiß zu seyn.

Wir fuhren rasch den kleinen Fluß Manzanares hinab, dessen Krümmungen
Cocosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Weiden in unsern Klimaten. Auf
dem anstoßenden dürren Strande schimmerten auf den Dornbüschen, die bei
Tag nur staubigte Blätter zeigen, da es noch Nacht war, viele tausend
Lichtfunken. Die leuchtenden Insekten vermehren sich in der Regenzeit. Man
wird unter den Tropen des Schauspiels nicht müde, wenn diese hin und her
zuckenden röthlichen Lichter sich im klaren Wasser wiederspiegeln und ihre
Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unter einander wimmeln.

Wir schieden vom Küstenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt.
Es war das erste Land, das wir unter einem Himmelsstrich betreten, nach
dem ich mich seit meiner frühesten Jugend gesehnt hatte. Der Eindruck der
Natur im indischen Klima ist so mächtig und großartig, daß man schon nach
wenigen Monaten Aufenthalt lange Jahre darin verbracht zu haben meint. In
Europa hat der Nordländer und der Bewohner der Niederung selbst nach
kurzem Besuch eine ähnliche Empfindung, wenn er vom Golf von Neapel, von
der köstlichen Landschaft zwischen Tivoli und dem See von Nemi, oder von
der wilden, großartigen Scenerie der Hochalpen und Pyrenäen scheidet.
Ueberall in der gemäßigten Zone zeigt die Physiognomie der Pflanzenwelt
nur wenige Contraste. Die Fichten und Eichen auf den Gebirgen Schwedens
haben Familienähnlichkeit mit denen, die unter dem schönen Himmel
Griechenlands und Italiens wachsen. Unter den Tropen dagegen, in den
Tiefländern beider Indien erscheint Alles neu und wunderbar in der Natur.
Auf freiem Feld, im Waldesdickicht fast nirgends ein Bild, das an Europa
mahnt; denn von der Vegetation hängt der Charakter einer Landschaft ab;
sie wirkt auf unsere Einbildungskraft durch ihre Masse, durch den Contrast
zwischen ihren Gebilden und den Glanz ihrer Farben. Je neuer und mächtiger
die Eindrücke sind, desto mehr löschen sie frühere Eindrücke aus, und
durch die Stärke erhalten sie den Anschein der Zeitdauer. Ich berufe mich
auf alle, die mit mehr Sinn für die Schönheiten der Natur als für die
Reize des geselligen Lebens lange in der heißen Zone gelebt haben. Das
erste Land, das ihr Fuß betreten, wie theuer und denkwürdig bleibt es
ihnen ihr Lebenlang! Oft, und bis ins höchste Alter, regt sich in ihnen
ein dunkles Sehnsuchtsgefühl, es noch einmal zu sehen. Cumana und sein
staubigter Boden stehen noch jetzt weit öfter vor meinem inneren Auge als
alle Wunder der Cordilleren. Unter dem schönen südlichen Himmel wird
selbst ein Land fast ohne Pflanzenwuchs reizend durch das Licht und die
Magie der in der Luft spielenden Farben. Die Sonne beleuchtet nicht
allein, sie färbt die Gegenstände, sie umgibt sie mit einem leichten Duft,
der, ohne die Durchsichtigkeit der Luft zu mindern, die Farben
harmonischer macht, die Lichteffekte mildert und über die Natur eine Ruhe
ausgießt, die sich in unserer Seele wiederspiegelt. Um den gewaltigen
Eindruck der Landschaften beider Indien, selbst kärglich bewaldeter
Küstenstriche zu begreifen, bedenke man nur, daß von Neapel dem Aequator
zu der Himmel in dem Verhältniß immer schöner wird, wie von der Provence
nach Unteritalien.

Wir liefen während der Fluth über die Barre, welche der kleine Manzanares
an seiner Mündung gebildet hat. Der abendliche Seewind schwellte sanft die
Gewässer des Meerbusens von Cariaco. Der Mond war noch nicht aufgegangen,
aber der Theil der Milchstraße zwischen den Füßen des Centauren und dem
Sternbild des Schützen schien einen Silberschimmer auf die Meeresfläche zu
werfen. Der weiße Fels, auf dem das Schloß San Antonio steht, tauchte
zuweilen zwischen den hohen Wipfeln der Cocospalmen am Ufer auf. Nicht
lange, so erkannten wir die Küste nur noch an den zerstreuten Lichtern
fischender Guayqueries: da empfanden wir doppelt den Reiz des Landes und
das schmerzliche Gefühl, scheiden zu müssen. Vor fünf Monaten hatten wir
dieses Ufer betreten, wie ein neu entdecktes Land, Fremdlinge in der
ganzen Umgebung, in jeden Busch, an jeden feuchten, schattigen Ort nur mit
Zagen den Fuß setzend. Jetzt, da diese Küste unsern Blicken entschwand,
lebten Erinnerungen daran in uns, die uns uralt dünkten. Boden,
Gebirgsart, Gewächse, Bewohner, mit Allem waren wir vertraut geworden.

Wir steuerten zuerst nach Nord-Nord-West, indem wir auf die Halbinsel
Araya zuhielten; dann fuhren wir dreißig Meilen nach West und
West-Süd-West. In der Nähe der Bank, die das Vorgebirge Arenas umgibt und
bis zu den Bergölquellen von Maniquarez fortstreicht, hatten wir ein
belebtes Schauspiel, dergleichen die starke Phosphorescenz der See in
diesem Klima so häufig bietet. Schwärme von Tummlern zogen unserem
Fahrzeug nach. Ihrer fünfzehn oder sechzehn schwammen in gleichem Abstand
von einander. Wenn sie nun bei der Wendung mit ihren breiten Flossen auf
die Wasserfläche schlugen, so gab es einen starken Lichtschimmer; es war,
als bräche Feuer aus der Meerestiefe. Jeder Schwarm ließ beim
Durchschneiden der Wellen einen Lichtstreif hinter sich zurück. Dieß fiel
uns um so mehr auf, da außerdem die Wellen nicht leuchteten. Da der Schlag
eines Ruders und der Stoß des Schiffes in dieser Nacht nur schwache Funken
gaben, so muß man wohl annehmen, daß der starke Lichtschein, der von den
Tummlern ausging, nicht allein vom Schlag ihrer Flossen herrührte, sondern
auch von der gallertartigen Materie, die ihren Körper überzieht und vom
Stoß der Wellen abgerieben wird.

Um Mitternacht befanden wir uns zwischen nackten Felseninseln, die wie
Bollwerke aus dem Meere steigen; es ist die Gruppe der Caracas- und
Chimanaseilande. Der Mond war aufgegangen und beschien die zerklüfteten,
kahlen, seltsam gestalteten Felsmassen. Zwischen Cumana und Cap Codera
bildet das Meer jetzt eine Art Bucht, eine leichte Einbiegung in das Land.
Die Eilande Picua, Picuita, Caracas und Boracha erscheinen als Trümmer der
alten Küste, die vom Bordones in der gleichen Richtung von Ost nach West
lief. Hinter diesen Inseln liegen die Busen Mochima und Santa Fe, die
sicher eines Tages stark besuchte Häfen werden. Das zerrissene Land, die
zerbrochenen, stark fallenden Schichten, alles deutet hier auf eine große
Umwälzung hin, vielleicht dieselbe, welche die Kette der Urgebirge
gesprengt und die Glimmerschiefer von Araya und der Insel Margarita vom
Gneiß des Vorgebirges Codera losgerissen hat. Mehrere dieser Inseln sieht
man in Cumana von den flachen Dächern, und dort zeigen sich an ihnen in
Folge der verschiedenen Temperatur der über einander gelagerten
Luftschichten die sonderbarsten Verrückungen und Luftspiegelungen. Diese
Felsen sind schwerlich über 150 Toisen hoch, aber Nachts bei Mondlicht
scheinen sie von sehr bedeutender Höhe.

Man mag sich wundern, Inseln, die Caracas heißen, so weit von der Stadt
dieses Namens, der Küste der Cumanagotos gegenüber zu finden; aber Caracas
bedeutete in der ersten Zeit nach der Eroberung keinen Ort, sondern einen
Indianerstamm. Die Gruppen der sehr gebirgigten Eilande, an denen wir nahe
hinfuhren, entzog uns den Wind, und mit Sonnenaufgang trieben uns schmale
Wasserfäden in der Strömung auf Boracha zu, das größte der Eilande. Da die
Felsen fast senkrecht aufsteigen, so fällt der Meeresgrund steil ab und
auf einer andern Fahrt habe ich Fregatten hier so nahe ankern sehen, daß
sie beinahe ans Land stießen. Die Lufttemperatur war bedeutend gestiegen,
seit wir zwischen den Inseln des kleinen Archipels hinfuhren. Das Gestein
erhitzt sich am Tage und gibt bei Nacht die absorbirte Wärme durch
Strahlung zum Theil wieder ab. Je mehr die Sonne über den Horizont stieg,
desto weiter warfen die zerrissenen Berge ihre gewaltigen Schatten auf die
Meeresfläche. Die Flamingos begannen ihren Fischfang allenthalben, wo nur
in einer Bucht vor dem Kalkgestein ein schmaler Strand hinlief. Alle diese
Eilande sind jetzt ganz unbewohnt; aber auf einer der Caracas leben wilde,
braune, sehr große, schnellfüßige Ziegen mit -- wie unser Steuermann
versicherte -- sehr wohlschmeckendem Fleisch. Vor dreißig Jahren hatte
sich eine weiße Familie daselbst niedergelassen und Mais und Manioc
gebaut. Der Vater überlebte allein alle seine Kinder. Da sich sein
Wohlstand gehoben hatte, kaufte er zwei schwarze Sklaven, und dieß ward
sein Verderben: er wurde von seinen Sklaven erschlagen. Die Ziegen
verwilderten, nicht so die Kulturgewächse. Der Mais in Amerika, wie der
Weizen in Europa, scheinen sich nur durch die Pflege des Menschen zu
erhalten, an den sie seit seinen frühesten Wanderungen gekettet sind. Wohl
wachsen diese nährenden Gräser hin und wieder aus verstreuten Samen auf;
wenn sie sich aber selbst überlassen bleiben, so gehen sie ein, weil die
Vögel die Samen aufzehren. Die beiden Sklaven von der Insel Caracas
entgingen lange dem Arm der Gerechtigkeit; für ein an so einsamem Ort
begangenes Verbrechen war es schwer Beweise aufzubringen. Der eine dieser
Schwarzen ist jetzt in Cumana der Henker. Er hatte seinen Genossen
angegeben, und da es an einem Nachrichter fehlte, so begnadigte man nach
dem barbarischen Landesbrauch den Sklaven unter der Bedingung, daß er alle
Verhafteten aufknüpfte, gegen die längst das Todesurtheil gefällt war. Man
sollte kaum glauben, daß es Menschen gibt, die roh genug sind, um ihr
Leben um solchen Preis zu erkaufen und mit ihren Händen diejenigen
abzuthun, die sie Tags zuvor verrathen haben.

Wir verließen den Ort, an den sich so traurige Erinnerungen knüpfen, und
ankerten ein paar Stunden auf der Rhede von Nueva Barcelona an der Mündung
des Flusses Neveri, dessen indianischer (cumanagotischer) Namen
Inipiricuar lautet. Der Fluß wimmelt von Krokodilen, die sich zuweilen bis
auf die hohe See hinaus wagen, besonders bei Windstille. Sie gehören zu
der Art, die im Orinoco so häufig vorkommt und dem egyptischen Crokodil so
sehr gleicht, daß man sie lange zusammengeworfen hat. Man sieht leicht
ein, daß ein Thier, dessen Körper in einer Art Panzer steckt, für die
Schärfe des Salzwassers nicht sehr empfindlich seyn kann. Schon Pigasetta
sah, wie er in seinem kürzlich in Mailand erschienenen Tagebuch erzählt,
auf der Küste der Insel Borneo Crokodile, die so gut in der See wie am
Lande leben. Diese Beobachtungen werden für die Geologie von Bedeutung,
seit man in dieser Wissenschaft die Süßwasserbildungen näher ins Auge
faßt, so wie das auffallende Durcheinanderliegen von versteinerten See-
und Süßwasserthieren in manchen sehr neuen Ablagerungen.

Der Hafen von Barcelona, der auf unsern Karten kaum angegeben ist, treibt
seit 1795 einen sehr lebhaften Handel. Aus diesem Hafen werden
größtentheils die Produkte der weiten Steppen ausgeführt, die sich vom
Südabhang der Küstenkette bis zum Orinoco ausbreiten und sehr reich sind
an Vieh aller Art, fast so reich wie die Pampas von Buenos-Ayres. Die
Handelsindustrie dieser Länder gründet sich auf den Bedarf der großen und
kleinen Antillen an gesalzenem Fleisch, Rindvieh, Maulthieren und Pferden.
Da die Küsten von Terra Firma der Insel Cuba in einer Entfernung von
15--18 Tagereisen gegenüber liegen, so beziehen die Handelsleute in der
Havana, zumal im Frieden, ihren Bedarf lieber aus dem Hafen von Barcelona,
als daß sie das Wagniß einer langen Seefahrt in die andere Halbkugel zur
Mündung des Rio de la Plata übernähmen. Von der schwarzen Bevölkerung von
1,300,000 Köpfen, die der Archipel der Antillen schon jetzt zählt, kommen
auf Cuba allein über 230,000 Sklaven, deren Nahrung aus Gemüßen,
gesalzenem Fleisch und getrockneten Fischen besteht. Jedes Fahrzeug, das
gesalzenes Fleisch oder *Tasajo* von Terra Firma führt, ladet 20 bis
30,000 Arobas, deren Handelswerth über 45,000 Piaster beträgt. Barcelona
ist besonders für den Viehhandel gut gelegen. Die Thiere kommen in drei
Tagen aus den Llanos in den Hafen, während sie wegen der Gebirgskette des
Bergantin und des Imposible nach Cumana acht bis neun brauchen. Nach den
Angaben, die ich mir verschaffen konnte, wurden in den Jahren 1799 und
1800 in Barcelona 8000, in Porto-Cabello 6000, in Carupano 3000 Maulthiere
nach den spanischen, englischen und französischen Inseln eingeschifft. Wie
viele aus Burburata, Coro und aus den Mündungen des Guarapiche und Orinoco
ausgeführt werden, weiß ich nicht genau; aber trotz der Einflüsse, durch
welche die Zahl der Thiere in den Llanos von Cumana, Barcelona und Caracas
herabgebracht worden ist, müssen, nach meiner Schätzung, diese
unermeßlichen Steppen damals nicht unter 30,000 Maulthieren jährlich in
den Handel mit den Antillen gebracht haben. Jedes Maulthier zu 26 Piaster
(Kaufpreis) gerechnet, bringt also dieser Handelszweig allein gegen
3,700,000 Franken ein, abgesehen vom Gewinn durch die Schiffsfracht. De
Pons, der sonst in seinen statistischen Angaben sehr genau ist, gibt
kleinere Zahlen an. Da er nicht selbst die Llanos besuchen konnte, und da
er als Agent der französischen Regierung sich fortwährend in der Stadt
Caracas aufhalten mußte, so mögen die Besitzer der *Hatos* bei den
Schätzungen, die sie ihm mittheilten, zu niedrig gegriffen haben.

Wir gingen am rechten Ufer des Neveri ans Land und bestiegen ein kleines
Fort, el Morro de Barcelona, das 60--70 Toisen über dem Meere liegt. Es
ist ein erst seit Kurzem befestigter Kalkfels. Er wird gegen Süd von einem
weit höheren Berge beherrscht, und Sachverständige behaupten, es könnte
dem Feind, nachdem er zwischen der Mündung des Flusses und dem Morro
gelandet, nicht schwer werden, diesen zu umgehen und auf den umliegenden
Höhen Batterien zu errichten. Vergebens warteten wir auf Nachricht über
die englischen Kreuzer, die längs der Küsten stationirt waren. Zwei
unserer Reisegefährten, Brüder des Marquis del Toro in Caracas, kamen aus
Spanien, wo sie in der königlichen Garde gedient hatten. Es waren sehr
gebildete Officiere, und sie kehrten jetzt nach langer Abwesenheit mit dem
Brigadegeneral de Carigal und dem Grafen Tovar in ihr Heimathland zurück.
Ihnen mußte noch mehr als uns davor bangen, aufgebracht und nach Jamaica
geführt zu werden. Ich hatte keine Pässe von der Admiralität; aber im
Vertrauen auf den Schutz, den die großbritannische Regierung Reisenden
gewährt, die bloß wissenschaftliche Zwecke verfolgen, hatte ich gleich
nach meiner Ankunft in Cumana an den Gouverneur der Insel Trinidad
geschrieben und ihm mitgetheilt, was ich in diesen Ländern suchte. Die
Antwort, die mir über den Meerbusen von Paria zukam, war sehr
befriedigend.

Kurz bevor wir am 19. November Mittags unter Segel gingen, nahm ich
Mondshöhen auf, um die Länge des Morro zu bestimmen. Die Meridiane von
Cumana und von Barcelona, in welch letzterer Stadt ich im Jahr 1800 sehr
viele astronomische Beobachtungen anstellte, liegen 34 Minuten 48 Secunden
aus einander. Ich habe mich über diese Entfernung, über die damals viele
Zweifel herrschten, anderswo ausgesprochen. Die Inclination der
Magnetnadel fand ich gleich 42°,20; 224 Schwingungen gaben die Intensität
der magnetischen Kraft an.

Vom Morro de Barcelona bis zum Vorgebirge Codera senkt sich das Land und
zieht sich gegen Süden zurück; es streicht mit gleicher Wassertiefe drei
Seemeilen weit in das Meer hinaus. Jenseits dieser Linie ist das Wasser
25--30 Faden tief. Die Temperatur des Meeres an der Oberfläche war 25°,9,
als wir aber durch den schmalen Kanal zwischen den beiden Inseln Piritu
mit drei Faden Tiefe liefen, zeigte der Thermometer nur noch 24°,5. Der
Unterschied zeigte sich beständig; er wäre vielleicht bedeutender, wenn
die Strömung, die rasch nach West zieht, tieferes Wasser heraufbrächte,
und wenn nicht in einer so engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung der
Meerestemperatur mitwirkte. Die Inseln Piritu gleichen den Bänken, die bei
der Ebbe über Wasser kommen. Sie erheben sich nur 8--9 Zoll über den
mittleren Wasserstand. Ihre Oberfläche ist völlig eben und mit Gras
bewachsen, und man meint eine unserer nordischen Wiesen vor sich zu haben.
Die Scheibe der untergehenden Sonne schien wie ein Feuerball über der
Grasflur zu hängen. Ihre letzten, die Erde streifenden Strahlen
beleuchteten die Grasspitzen, die der Abendwind stark hin und her wiegte.
Wenn aber auch in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräser und
Riedgräser sich wie eine Wiese oder ein Rasen ausnehmen, so fehlt dem
Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine die mancherlei Wiesenblumen,
die nur eben über die Gräser emporragen und sich vom ebenen grünen Grunde
abheben. Bei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation ist unter den
Tropen ein solcher Trieb in den Gewächsen, daß die kleinsten
dicotyledonischen Pflanzen gleich zu Sträuchern werden. Man könnte sagen,
die Liliengewächse, die unter den Gräsern wachsen, vertreten unsere
Wiesenblumen. Sie fallen allerdings durch ihre Bildung stark ins Auge, sie
nehmen sich durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben sehr gut
aus, aber sie wachsen zu hoch und lassen so das harmonische Verhältniß
nicht aufkommen, das zwischen den Gewächsen besteht, die bei uns den Rasen
und die Wiese bilden. Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der
Landschaft einen ihr eigenthümlichen Reiz des Schönen.

Man darf sich nicht wundern, daß fruchtbare Inseln so nahe der Küste
gegenwärtig unbewohnt sind. Nur in der ersten Zeit der Eroberung, als die
Caraiben, die Chaymas und Cumanagotos noch Herrn der Küsten waren,
gründeten die Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlassungen. Sobald
die Eingeborenen unterworfen oder südwärts den Savanen zu gedrängt waren,
ließ man sich lieber auf dem Festlande nieder, wo man die Wahl hatte unter
Ländereien und Indianern, die man wie Lastthiere behandeln konnte. Lägen
die kleinen Eilande Tortuga, Blanquilla und Orchilla mitten im Archipel
der Antillen, so wären sie nicht unangebaut geblieben.

Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwischen Terra Firma und der
südlichsten der Piritu-Inseln. Da dieselben sehr niedrig sind, so ist ihre
Nordspitze von den Schiffern, die in diesen Strichen dem Lande zufahren,
sehr gefürchtet. Als wir uns westlich vom Morro von Barcelona und der
Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das bisher sehr still
gewesen, immer unruhiger, je näher wir Cap Codera kamen. Der Einfluß
dieses großen Vorgebirges ist in diesem Striche des Meeres der Antillen
weithin fühlbar. Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt
davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera herumkommt.
Jenseits dieses Caps ist die See beständig so unruhig, daß man nicht mehr
an der Küste zu seyn glaubt, wo man (von der Spitze von Paria bis zum
Vorgebirge San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß der Wellen
wurde auf unserem Fahrzeug schwer empfunden. Meine Reisegefährten litten
sehr; ich aber schlief ganz ruhig, da ich, ein ziemlich seltenes Glück,
nie seekrank werde. Es windete stark die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am
20. November waren wir so weit, daß wir hoffen konnten das Cap in wenigen
Stunden zu umschiffen, und wir gedachten noch am selben Tage nach Guayra
zu kommen; aber unser Schiffer bekam wieder Angst vor den Capern, die dort
vor dem Hafen lagen. Es schien ihm gerathen, sich ans Land zu machen, im
kleinen Hafen Higuerote, über den wir schon hinaus waren, vor Anker zu
gehen und die Nacht abzuwarten, um die Ueberfahrt fortzusetzen. Wenn man
Leuten, die seekrank sind, vom Landen spricht, so weiß man zum voraus,
wofür sie stimmen. Alle Vorstellungen halfen nichts, man mußte nachgeben,
und schon um neun Uhr Morgens am 20. November lagen wir auf der Rhede in
der Bucht von Higuerote, westwärts von der Mündung des Rio Capaya.

Wir fanden daselbst weder Dorf noch Hof, nur zwei oder drei von armen
Fischern, Mestizen, bewohnte Hütten. Ihre gelbe Gesichtsfarbe und die
auffallende Magerkeit der Kinder mahnten daran, daß diese Gegend eine der
ungesundesten, den Fiebern am meisten unterworfenen auf der ganzen Küste
ist. Die See ist hier so seicht, daß man in der kleinsten Barke nicht
landen kann, ohne durch das Wasser zu gehen. Die Wälder ziehen sich bis
zum Strande herunter, und diesen überzieht ein dichtes Buschwerk von
sogenannten Wurzelträgern, Avicennien, Manschenillbäumen und der neuen Art
der Gattung Suriana, die bei den Eingeborenen _‘Romero de la mar’_ heißt.
Diesem Buschwerk, besonders aber den Ausdünstungen der Wurzelträger oder
Manglebäume, schreibt man es hier, wie überall in beiden Indien, zu, daß
die Luft so ungesund ist. Beim Landen kam uns auf 15--20 Klafter ein
fader, süßlicher Geruch entgegen, ähnlich dem, den in verlassenen
Bergwerksstollen, wo die Lichter zu verlöschen anfangen, das mit Schimmel
überzogene Zimmerwerk verbreitet. Die Lufttemperatur stieg auf 34 Grad in
Folge der Reverberation des weißen Sandes, der sich zwischen dem Buschwerk
und den hochgipfligten Waldbäumen hinzog. Da der Boden einen ganz
unbedeutenden Fall hat, so werden, so schwach auch Ebbe und Fluth hier
sind, dennoch die Wurzeln und ein Theil des Stammes der Manglebäume bald
unter Wasser gesetzt, bald trocken gelegt. Wenn nun die Sonne das nasse
Holz erhitzt und den schlammigten Boden, die abgefallenen zersetzten
Blätter und die im angeschwemmten Seetang hängenden Weichthiere gleichsam
in Gährung versetzt, da bilden sich wahrscheinlich die schädlichen Gase,
die sich der chemischen Untersuchung entziehen. Auf der ganzen Küste zeigt
das Seewasser da, wo es mit den Manglebäumen in Berührung kommt, eine
braungelbe Färbung.

Dieser Umstand fiel mir auf und ich sammelte daher in Higuerote ein
ziemliches Quantum Wurzeln und Zweige, um gleich nach der Ankunft in
Caracas mit dem Aufguß des Mangleholzes einige Versuche anzustellen. Der
Aufguß mit heißem Wasser war braun, hatte einen zusammenziehenden
Geschmack und enthielt ein Gemisch von Extractivstoff und Gerbstoff. Die
Rhizophora, der Guy, der Kornelkirschbaum, alle Pflanzen aus den
natürlichen Familien der Lorantheen und Caprifoliaceen haben dieselben
Eigenschaften. Der Aufguß des Manglebaums wurde unter einer Glocke zwölf
Tage lang mit atmosphärischer Luft in Berührung gebracht; die Reinheit
derselben ward dadurch nicht merkbar vermindert. Es bildete sich ein
kleiner flockigter, schwärzlichter Bodensatz, aber eine merkbare
Absorption von Sauerstoff fand nicht statt. Holz und Wurzeln des
Manglebaums wurden unter Wasser der Sonne ausgesetzt; ich wollte dabei
nachahmen, was in der Natur auf der Küste bei steigender Fluth täglich
vorgeht. Es entwickelten sich Luftblasen, die nach Verlauf von zehn Tagen
ein Volumen von 33 Cubikzoll bildeten. Es war ein Gemisch von Stickstoff
und Kohlensäure; Salpetergas zeigte kaum eine Spur von Sauerstoff an.
Endlich ließ ich in einer Flasche mit eingeriebenem Stöpsel eine bestimmte
Menge stark benetzter Manglewurzeln auf atmosphärische Luft einwirken.
Aller Sauerstoff verschwand, und derselbe war keineswegs durch
kohlensaures Gas ersetzt, denn das Kalkwasser zeigte von diesem nur
0,02 an. Ja die Verminderung des Volumens war bedeutender, als dem
absorbirten Sauerstoff entsprach. Nach dieser nur noch flüchtigen
Untersuchung war ich der Ansicht, daß die Luft in den Manglegebüschen
durch das nasse Holz und die Rinde zersetzt wird, nicht durch die stark
gelb gefärbte Schichte Seewasser, die längs der Küste einen deutlichen
Streif bildet. In allen Graden der Zersetzung der Holzfaser habe ich nie,
auch nur in Spuren, Schwefelwasserstoff sich entwickeln sehen, dem manche
Reisende den eigenthümlichen Geruch unter den Manglebäumen zuschreiben.
Durch die Zersetzung der schwefelsauren Erden und Alkalien und ihren
Uebergang in schwefligtsaure Verbindungen wird ohne Zweifel aus manchen
Strand- und Seegewächsen, wie aus den Tangen, Schwefelwasserstoff
entbunden; ich glaube aber vielmehr, daß Rhizophora, Avicennia und
Conocarpus die Luft besonders durch den thierischen Stoff verderben, den
sie neben dem Gerbstoff enthalten. Diese Sträucher gehören zu den drei
natürlichen Familien der Lorantheen, Combretaceen und Pyrenaceen, die
reich sind an adstringirendem Stoff, und ich habe schon oben bemerkt, daß
dieser Stoff selbst in der Rinde unserer Buchen, Erlen und Nußbäume mit
Gallerte verbunden ist.

Uebrigens würde dichtes Buschwerk auf schlammigtem Boden schädliche
Ausdünstungen Verbreiten, wenn es auch aus Bäumen bestände, die an sich
keine der Gesundheit nachtheiligen Eigenschaften haben. Ueberall wo
Manglebäume am Meeresufer wachsen, ziehen sich zahllose Weichthiere und
Insekten an den Strand. Diese Thiere lieben Beschattung und Zwielicht, und
im dicken, verschlungenen Wurzelwerk, das wie ein Gitter über dem Wasser
steht, finden sie Schutz gegen den Wellenschlag. Die Schaalthiere heften
sich an das Gitter, die Crabben verkriechen sich in die hohlen Stämme, der
Tang, den Wind und Fluth an die Küsten treiben, bleibt an den sich zum
Boden niederneigenden Zweigen hängen. Auf diese Weise, indem sich der
Schlamm zwischen den Wurzeln anhäuft, wird durch die Küstenwälder das
feste Land allgemach vergrößert; aber während sie so der See Boden
abgewinnen, nimmt dennoch ihre Breite fast nicht zu. Im Maaß, als sie
vorrücken, gehen sie auch zu Grunde. Die Manglebäume und die andern
Gewächse, die immer neben ihnen vorkommen, gehen ein, sobald der Boden
trocken wird und sie nicht mehr im Salzwasser stehen. Ihre alten, mit
Schaalthieren bedeckten, halb im Sand begrabenen Stämme bezeichnen nach
Jahrhunderten den Weg, den sie bei ihrer Wanderung eingeschlagen, und die
Grenze des Landstrichs, den sie dem Meere abgewonnen.

Die Bucht von Higuerote ist sehr günstig gelegen, um das Vorgebirge
Codera, das sechs Seemeilen weit in seiner ganzen Breite vor einem
daliegt, genau zu betrachten. Es imponirt mehr durch seine Masse als durch
seine Höhe, die mir nach Höhenwinkeln, die ich am Strande gemessen, nicht
über 200 Toisen zu betragen schien. Nach Nord, Ost und West fällt es steil
ab, und man meint an diesen großen Profilen die fallenden Schichten zu
unterscheiden. Die Schichten zunächst bei der Bucht strichen Nord 60° West
und fielen unter 80° nach Nordwest. Am großen Berge Silla und östlich von
Maniquarez auf der Landenge von Araya sind Streichung und Fall dieselben,
und daraus scheint hervorzugehen, daß die Urgebirgskette dieser Landenge,
die auf eine Strecke von 25 Meilen (zwischen den Meridianen von Maniquarez
und Higuerote) vom Meere zerrissen oder verschlungen worden, im Cap Codera
wieder auftritt und gegen West als Küstenkette fortstreicht.

Meinen Reisegefährten war bei der hochgehenden See vor dem Schlingern
unseres kleinen Schiffes so bange, daß sie beschlossen, den Landweg von
Higuerote nach Caracas einzuschlagen; derselbe führt durch ein wildes,
feuchtes Land, durch die Montana de Capaja nördlich von Caucagua, durch
das Thal des Rio Guatire und des Guarenas. Es war mir lieb, daß auch
Bonpland diesen Weg wählte, auf dem er trotz des beständigen Regens und
der ausgetretenen Flüsse viele neue Pflanzen zusammenbrachte. Ich selbst
ging mit dem indianischen Steuermann allein zur See weiter; es schien mir
zu gewagt, die Instrumente, die uns an den Orinoco begleiten sollten, aus
den Augen zu lassen.

Wir gingen mit Einbruch der Nacht unter Segel. Der Wind war nicht sehr
günstig und wir hatten viele Mühe, um Cap Codera herum zu kommen; die
Wellen waren kurz und brachen sich häufig in einander; es gehörte die
Erschöpfung durch einen furchtbar heißen Tag dazu, um in einem kleinen,
dicht am Wind segelnden Fahrzeug schlafen zu können. Die See ging um so
höher, als der Wind bis nach Mitternacht der Strömung entgegen blies. Der
zwischen den Wendekreisen überall bemerkliche Zug des Wassers gegen Westen
ist an diesen Küsten nur während zwei Drittheilen des Jahrs deutlich zu
spüren; in den Monaten September, October und November kommt es oft vor,
daß die Strömung vierzehn Tage, drei Wochen lang nach Osten geht. Schon
öfter konnten Schiffe auf der Fahrt nach Guayra oder Porto Cabello die
Strömung, die von West nach Ost ging, nicht bewältigen, obgleich sie den
Wind von hinten hatten. Die Ursache dieser Unregelmäßigkeiten ist bis
jetzt nicht bekannt; die Schiffer schreiben sie Stürmen aus Nordwest im
Golf von Mexico zu, aber diese Stürme sind im Frühjahr weit stärker als im
Herbst. Bemerkenswerth ist dabei auch, daß die Strömung nach Osten geht,
bevor der Seewind sich ändert; sie tritt bei Windstille ein, und erst nach
einigen Tagen geht auch der Wind der Strömung nach und bläst beständig aus
West. Während dieser Vorgänge bleiben die kleinen Schwankungen des
Barometers auf und ab in ihrer Regelmäßigleit durchaus ungestört.

Mit Sonnenaufgang am 21. November befanden wir uns westwärts vom Cap
Codera dem Curuao gegenüber. Der indianische Steuermann erschrack nicht
wenig, als sich nordwärts in der Entfernung einer Seemeile eine englische
Fregatte blicken ließ. Sie hielt uns wahrscheinlich für eines der
Fahrzeuge, die mit den Antillen Schleichhandel trieben und -- denn Alles
organisirt sich mit der Zeit -- vom Gouverneur von Trinidad unterzeichnete
Lizenzscheine führten. Sie ließ uns durch das Boot, das auf uns zuzukommen
schien, nicht einmal anrufen. Vom Cap Codera an ist die Küste felsigt und
sehr hoch, und die Ansichten, die sie bietet, sind zugleich wild und
malerisch. Wir waren so nahe am Land, daß wir die zerstreuten von
Cocospalmen umgebenen Hütten unterschieden und die Massen von Grün sich
vom braunen Grunde des Gesteins abheben sahen. Ueberall fallen die Berge
drei, viertausend Fuß hoch steil ab; ihre Flanken werfen breite
Schlagschatten über das feuchte Land, das sich bis zur See ausbreitet und
geschmückt mit frischem Grün daliegt. Auf diesem Uferstrich wachsen
großentheils die tropischen Früchte, die man auf den Märkten von Caracas
in so großer Menge sieht. Zwischen dem Camburi und Niguatar ziehen sich
mit Zuckerrohr und Mais bestellte Felder in enge Thäler hinauf, die
Felsspalten gleichen. Die Strahlen der noch nicht hoch stehenden Sonne
fielen hinein und bildeten die anziehendsten Contraste von Licht und
Schatten.

Der Niguatar und die Silla bei Caracas sind die höchsten Gipfel dieser
Küstenkette. Ersterer ist fast so hoch als der Canigu in den Pyrenäen; es
ist als stiegen die Pyrenäen oder die Alpen, von ihrem Schnee entblöst,
gerade aus dem Wasser empor, so gewaltig erscheinen einem die
Gebirgsmassen, wenn man sie zum erstenmal von der See aus erblickt. Bei
Caravalleda wird das bebaute Land breiter, Hügel mit sanftem Abhang
erscheinen und die Vegetation reicht sehr weit hinauf. Man baut hier viel
Zuckerrohr und die barmherzigen Brüder haben daselbst eine Pflanzung und
200 Sklaven. Die Gegend war früher den Fiebern sehr ausgesetzt, und man
behauptet, die Luft sey gesünder geworden, seit man um einen Teich, dessen
Ausdünstungen man besonders fürchtete, Bäume gepflanzt hat, so daß das
Wasser weniger dem Sonnenstrahl ausgesetzt ist. Westlich von Caravalleda
läuft wieder eine nackte Felsmauer bis an die See vor, sie ist aber von
geringer Ausdehnung. Nachdem wir dieselbe umsegelt, lag das hübsch
gelegene Dorf Macuto vor uns, weiterhin die schwarzen Felsen von Guayra
mit ihren Batterien in mehreren Stockwerken über einander und in duftiger
Ferne ein langes Vorgebirge mit kegelförmigen, blendend weißen
Bergspitzen, _Cabo blanco_. Cocosnußbäume säumen das Ufer und geben ihm
unter dem glühenden Himmel den Anschein von Fruchtbarkeit.

Nach der Landung im Hafen von Guayra traf ich noch am Abend Anstalt, um
meine Instrumente nach Caracas schaffen zu lassen. Die Personen, denen ich
empfohlen war, riethen mir, nicht in der Stadt zu schlafen, wo das gelbe
Fieber erst seit wenigen Wochen aufgehört hatte, sondern über dem Dorfe
Maiquetia in einem Hause auf einer kleinen Anhöhe, das dem kühlen Luftzug
mehr ausgesetzt war als Guayra. Am 21. Abends kam ich in Caracas an, vier
Tage früher als meine Reisegefährten, die auf dem Landweg zwischen Capaya
und Curiepe durch die starken Regengüsse und die ausgetretenen Bergwasser
viel auszustehen gehabt hatten. Um nicht öfters auf dieselben Gegenstände
zurückzukommen, schließe ich der Beschreibung der Stadt Guayra und des
merkwürdigen Weges, der von diesem Hafen nach Caracas führt, alle
Beobachtungen an, die Bonpland und ich auf einem Ausflug nach Cabo Blanco
zu Ende Januars 1800 gemacht. Da Depons die Gegend nach mir besucht hat,
sein lehrreiches Werk aber vor dem meinen erschienen ist, so lasse ich
mich auf eine nähere Beschreibung der Gegenstände, die er ausführlich
behandelt hat, nicht ein.

Guayra ist vielmehr eine Rhede als ein Hafen; das Meer ist immer unruhig
und die Schiffe werden vom Wind, von den Sandbänken, vom schlechten
Ankergrund und den Bohrwürmern(18) zumal gefährdet. Das Laden ist mit
großen Schwierigkeiten verbunden und wegen des starken Wellenschlags kann
man hier nicht, wie in Nueva Barcelona und Porto Cabello, Maulthiere
einschiffen. Die freien Neger und Mulatten, welche den Cacao an Bord der
Schiffe bringen, sind ein Menschenschlag von ungemeiner Muskelkraft. Sie
waten bis zu halbem Leibe durch das Wasser, und was sehr merkwürdig ist,
sie haben von den Haisischen, die in diesem Hafen so häufig sind, nichts
zu fürchten. Dieser Umstand scheint auf denselben Momenten zu beruhen, wie
die Beobachtung, die ich unter den Tropen häufig an Thieren aus andern
Klassen, die in Rudeln leben, wie an Affen und Crokodilen, gemacht habe.
In den Missionen am Orinoco und am Amazonenstrome wissen die Indianer, die
Affen zum Verkauf fangen, ganz gut, daß die von gewissen Inseln leicht zu
zähmen sind, während Affen derselben Art, die auf dem benachbarten
Festland gefangen werden, aus Zorn oder Angst zu Grunde gehen, sobald sie
sich in der Gewalt des Menschen sehen. Die Crokodile aus der einen Lache
in den Llanos sind feig und ergreifen sogar im Wasser die Flucht, während
die aus einer andern Lache äußerst unerschrocken angreifen. Aus den äußern
Verhältnissen der Oertlichkeiten wäre diese Verschiedenheit in Gemüthsart
und Sitten nicht leicht zu erklären. Mit den Haifischen im Hafen von
Guayra scheint es sich ähnlich zu verhalten. Bei den Inseln gegenüber der
Küste von Caracas, bei Noques, Bonayre und Curacao, sind sie gefährlich
und blutgierig, während sie Badende in den Häfen von Guayra und Santa
Marta nicht anfallen. Das Volk greift, um die Erklärung der
Naturerscheinungen zu vereinfachen, überall zum Wunderbaren, und so glaubt
es denn, an den genannten zwei Orten habe ein Bischof den Haien den Segen
ertheilt.

Guayra ist ganz eigenthümlich gelegen; es läßt sich nur mit Santa Cruz auf
Teneriffa vergleichen. Die Bergkette zwischen dem Hafen und dem
hochgelegenen Thal von Caracas stürzt fast unmittelbar in die See ab und
die Häuser der Stadt lehnen sich an eine schroffe Felswand. Zwischen
dieser Wand und der See bleibt kaum ein 100--140 Toisen breiter ebener
Raum. Die Stadt hat 6--8000 Einwohner und besteht nur aus zwei Straßen,
die neben einander von Ost nach West laufen. Sie wird von der Batterie auf
dem Cerro Colorado beherrscht und die Werke an der See sind gut angelegt
und wohl erhalten. Der Anblick des Orts hat etwas Vereinsamtes,
Trübseliges; man meint nicht auf einem mit ungeheuren Wäldern bedeckten
Festland zu seyn, sondern auf einer felsigten Insel ohne Dammerde und
Pflanzenwuchs. Außer Cabo Blanco und den Cocosnußbäumen von Maiquetia,
besteht die ganze Landschaft aus dem Meereshorizont und dem blauen
Himmelsgewölbe. Bei Tag ist die Hitze erstickend, und meistens auch bei
Nacht. Das Klima von Guayra gilt mit Recht für heißer als das von Cumana,
Porto Cabello und Coro, weil der Seewind schwächer ist und durch die
Wärme, welche nach Sonnenuntergang von den senkrechten Felsen ausstrahlt,
die Luft erhitzt wird. Man machte sich übrigens von der Luftbeschassenheit
dieses Ortes und des ganzen benachbarten Küstenlandes eine unrichtige
Vorstellung, wenn man nur die Temperaturen, wie der Thermometer sie
angibt, vergleichen wollte. Eine stockende, in einer Bergschlucht
eingeschlossene, mit nackten Felsmassen in Berührung stehende Luft wirkt
auf unsere Organe ganz anders als eine gleich warme Luft in offener
Gegend. Ich bin weit entfernt, die physische Ursache dieses Unterschieds
nur in der verschiedenen elektrischen Ladung der Luft zu suchen, muß aber
doch bemerken, daß ich etwas westlich von Guayra gegen Macuto zu, weit weg
von den Häusern und über 300 Toisen von den Gneißfelsen, mehrere Tage lang
kaum schwache Spuren von positiver Elektricität bemerken konnte, während
in Cumana in denselben Nachmittagsstunden und am selben mit rauchendem
Docht versehenen Voltaschen Elektrometer die Fliedermarkkügelchen 1--2
Linien auseinander gegangen waren. Ich verbreite mich weiter unten über
die regelmäßigen täglichen Schwankungen in der elektrischen Spannung der
Luft unter den Tropen, ein Verhältniß, das mit den Schwankungen in der
Temperatur und mit dem Sonnenstand in auffallendem Zusammenhang steht.

Die von einem ausgezeichneten Arzt in Guayra neun Monate lang angestellten
thermometrischen Beobachtungen, von denen ich Einsicht bekam, setzten mich
in Stand, das Klima dieses Hafens mitdem von Cumana, Havana und Vera Cruz
zu vergleichen. Diese Vergleichung erscheint um so interessanter, als der
Gegenstand in den spanischen Colonien und unter den Seeleuten, die diese
Länder besuchen, ein unerschöpflicher Stoff der Unterhaltung ist. Da in
diesem Falle das Zeugniß der Sinne ungemein leicht täuscht, so läßt sich
über die Verschiedenheit von Klimaten nur nach Zahlenverhältnissen
urtheilen.

Die vier eben genannten Orte gelten für die heißesten auf dem Küstenstrich
der neuen Welt; ihre Vergleichung mag dazu dienen, die schon öfters von
uns gemachte Bemerkung zu bestätigen, daß im Allgemeinen nur das lange
Anhalten einer hohen Temperatur, nicht die übermäßige Hitze oder die
absolute Wärmemenge den Bewohnern der heißen Zone lästig wird.

Das Mittel aus den Beobachtungen um Mittag vom 27. Juni bis 16. November
war in Guayra 31°,6 des hunderttheiligen Thermometers, in Cumana 29°,3, in
Vera Cruz 28°,7, in der Havana 29°,5. Die täglichen Abweichungen betrugen
zur selben Stunde nicht leicht über 0°,8--1°,4. Während dieser ganzen Zeit
regnete es nur viermal, und nur 7--8 Minuten lang. Dieß ist der Zeitpunkt,
wo das gelbe Fieber herrscht, das in Guayra, wie in Vera Cruz und auf der
Insel St. Vincent, gemeiniglich aufhört, sobald die Tagestemperatur auf
24--25 Grad herabgeht. Die mittlere Temperatur des heißesten Monats war in
Guayra etwa 29°,3, in Cumana 29°,1, in Vera Cruz 27°,7, in Cairo, nach
Rouet, 29°,9, in Rom 25°,0. Vom 16. November bis 19. December war die
mittlere Temperatur in Guayra um Mittag nur 24°,3, bei Nacht 21°,6. Um
diese Zeit leidet man immer am wenigsten von der Hitze. Ich glaube
übrigens, daß man den Thermometer (kurz vor Sonnenaufgang) nicht unter 21°
fallen sieht; in Cumana fällt er zuweilen auf 21°,2, in Vera Cruz auf 16°,
in der Havana (immer nur bei Nordwind) auf 8° und selbst darunter. Die
mittlere Temperatur des kältesten Monats ist an diesen vier Orten: 23°,2,
26°,8, 21°, 21°,0; in Cairo 13°,4. Das Mittel der ganzen Jahrestemperatur
ist, nach guten, sorgfältig berechneten Beobachtungen, in Guayra ungefähr
28°,1, in Cumana 27°,7, in Vera Cruz 25°,4, in der Havana 25°,6, in Rio
Janeiro 23°,5, in Santa Cruz auf Teneriffa, unter 28° 28′ der Breite, aber
wie Guayra an eine Felswand gelehnt, 21°,9, in Cairo 22°,4, in
Rom 15°,8.(19)

Aus diesen Beobachtungen geht hervor, daß Guayra einer der heißesten Orte
der Erde ist, daß die Summe der Wärme, welche derselbe im Laufe eines
Jahres erhält, etwas größer ist als in Cumana, daß sich aber in den
Monaten November, December und Januar (bei gleichem Abstand von den zwei
Durchgängen der Sonne durch das Zenith der Stadt) die Luft in Guayra
stärker abkühlt. Sollte diese Abkühlung, die weit unbedeutender ist, als
die fast zur selben Zeit in Vera Cruz und in der Havana eintretende, nicht
von der westlicheren Lage von Guayra herrühren? Das Luftmeer, das für den
oberflächlichen Blick nur Eine Masse bildet, wird durch Strömungen bewegt,
deren Grenzen durch unabänderliche Gesetze bestimmt sind. Die Temperatur
desselben ändert sich in mannigfacher Weise nach der Gestalt der Länder
und der Meere, auf denen es ruht. Man kann es in verschiedene Becken
abtheilen, die sich in einander ergießen, und wovon die unruhigsten (wie
das über dem Golf von Mexico oder zwischen der Sierra Santa Martha und dem
Meerbusen von Darien) merkbaren Einfluß auf Erkältung und Bewegung der
benachbarten Luftsäulen äußern. Die Nordwinde verursachen zuweilen im
südwestlichen Strich des Meeres der Antillen Stauungen und
Gegenströmungen, die in gewissen Monaten die Temperatur bis zu Terra Firma
hin herabdrücken.

Während meines Aufenthalts in Guayra kannte man die Geißel des gelben
Fiebers, der _calentura amarilla_ erst seit zwei Jahren; auch war die
Sterblichkeit nicht bedeutend gewesen, da die Küste von Caracas weit
weniger von Fremden besucht war als die Havana und Vera Cruz. Man hatte
hie und da Leute, selbst Creolen und Farbige, plötzlich an gewissen
unregelmäßig remittirenden Fiebern sterben sehen, die durch galligte
Complication, durch Blutungen und andere gleich bedenkliche Symptome
einige Aehnlichkeit mit dem gelben Fieber zu haben schienen. Es waren
meist Menschen, die das anstrengende Geschäft des Holzfällens trieben, zum
Beispiel in den Wäldern bei dem kleinen Hafen von Capurano oder am
Meerbusen von Santa Fe, westlich von Cumana. Ihr Tod setzte häufig in
Städten, die für sehr gesund galten, nicht acclimatisirte Europäer in
Schrecken, aber die Keime der Krankheit, von denen sie sporadisch befallen
worden, pflanzten sich nicht fort. Auf den Küsten von Terra Firma war der
eigentliche amerikanische Typhus, _vomito prieto_ (schwarzes Erbrechen)
und gelbes Fieber genannt, der als eine Krankheitsform _sui generis_ zu
betrachten ist, nur in Porto Cabello, in Cartagena das Indias und in Santa
Martha bekannt, wo ihn Castelbondo schon im Jahr 1729 beobachtet und
beschrieben hat. Die kürzlich gelandeten Spanier und die Bewohner des
Thales von Caracas scheuten damals den Aufenthalt in Guayra nicht; man
beklagte sich nur über die drückende Hitze, die einen großen Theil des
Jahres herrschte. Setzte man sich unmittelbar der Sonne aus, so hatte man
höchstens die Haut- und Augenentzündungen zu befürchten, die fast überall
in der heißen Zone vorkommen und die häufig von Fieberbewegungen und
Congestionen gegen den Kopf begleitet sind. Viele zogen dem kühlen, aber
äußerst veränderlichen Klima von Caracas das heiße, aber beständige von
Guayra vor; von ungesunder Luft in diesem Hafen war fast gar nicht die
Rede.

Seit dem Jahr 1797 ist Alles anders geworden. Der Hafen wurde auch andern
Handelsfahrzeugen als denen des Mutterlandes geöffnet. Matrosen aus
kälteren Ländern als Spanien, und daher empfindlicher für die klimatischen
Einflüsse der heißen Zone, fingen an mit Guayra zu verkehren. Da brach das
gelbe Fieber aus; vom Typhus befallene Nordamerikaner wurden in den
spanischen Spitälern aufgenommen; man war rasch bei der Hand mit der
Behauptung, sie haben die Seuche eingeschleppt und sie sey an Bord einer
aus Philadelphia kommenden Brigantine ausgebrochen gewesen, ehe diese auf
die Rhede gekommen. Der Capitän der Brigantine stellte solches in Abrede
und behauptete, seine Matrosen haben die Krankheit keineswegs
eingeschleppt, sondern erst im Hafen bekommen. Nach den Vorgängen in Cadix
im Jahr 1800 weiß man, wie schwer es ist, über Fälle ins Reine zu kommen,
die in ihrer Zweideutigkeit den entgegengesetztesten Theorien das Wort zu
sprechen schienen. Die gebildetsten Einwohner von Caracas und Guayra waren
über das Wesen der Ansteckung beim gelben Fieber getheilter Meinung, so
gut wie die Aerzte in Europa und in den Vereinigten Staaten, und beriefen
sich auf dasselbe amerikanische Schiff, die einen, um zu beweisen, daß der
Typhus von außen gekommen, die andern, daß er im Lande selbst entstanden.
Die der letzteren Ansicht waren, nahmen an, daß das Austreten des Rio de
la Guayra eine Veränderung der Luftbeschaffenheit herbeigeführt habe.
Dieses Wasser, das meist nicht zehn Zoll tief ist, schwoll nach
sechzigstündigem Regen im Gebirge so furchtbar an, daß es Baumstämme und
ansehnliche Felsblöcke mit sich fortriß. Das Wasser wurde 30--40 Fuß breit
und 10--12 tief. Man meinte, dasselbe sey aus seinem unterirdischen Becken
ausgebrochen, das sich mittelst Einsickerung des Wassers durch loses, neu
urbar gemachtes Erdreich gebildet. Mehrere Häuser wurden von der Fluth
weggerissen und die Ueberschwemmung drohte den Magazinen um so mehr
Gefahr, als das Stadtthor, durch welches das Wasser allein abfließen
konnte, sich zufällig geschlossen hatte. Man mußte in die Mauer der See zu
ein Loch schießen; mehr als dreißig Menschen kamen ums Leben und der
Schaden wurde auf eine halbe Million Piaster angeschlagen. Das stehende
Wasser in den Magazinen, den Kellern und den Gewölben des Gefängnisses
mochte immerhin Miasmen in der Luft verbreiten, die als prädisponirende
Ursachen den Ausbruch des gelben Fiebers beschleunigt haben können;
indessen glaube ich, daß das Austreten des Rio de la Guayra so wenig die
erste Ursache desselben war, als die Ueberschwemmungen des Guadalquivir,
des Xenil und des Gual-Medina in den Jahren 1800 und 1804 die furchtbaren
Epidemien in Sevilla, Ecija und Malaga herbeigeführt haben. Ich habe das
Bett des Baches von Guayra genau untersucht und nichts gefunden als dürren
Boden und Blöcke von Glimmerschiefer und Gneiß mit eingesprengtem
Schwefelkies, die von der Sierra de Avila herunter kommen, aber nichts,
was die Luft hätte verunreinigen können.

Seit den Jahren 1797 und 1798 (denselben, in denen in Philadelphia, Santa
Lucia und St. Domingo die Sterblichkeit so ungemein groß war) hat das
gelbe Fieber seine Verheerungen in Guayra fortgesetzt; es wüthete nicht
allein unter den frisch aus Spanien angekommenen Truppen, sondern auch
unter denen, die fern von der Küste in den Llanos zwischen Calabozo und
Uritucu ausgehoben worden, also in einem Lande, das fast so heiß als
Guayra, aber gesund ist. Letzterer Umstand würde uns noch mehr auffallen,
wenn wir nicht wüßten, daß sogar Eingeborene von Vera Cruz, die zu Hause
den Typhus nicht bekommen, nicht selten in Epidemien in der Havana oder in
den Vereinigten Staaten Opfer desselben werden. Wie das schwarze Erbrechen
am Abhang der mexicanischen Gebirge auf dem Wege nach Xalapa beim Encaro
(in 476 Toisen Meereshöhe), wo mit den Eichen ein kühles, köstliches Klima
beginnt, eine unübersteigliche Grenze findet, so geht das gelbe Fieber
nicht leicht über den Bergkamm zwischen Guayra und dem Thale von Caracas
hinüber. Dieses Thal ist lange Zeit davon verschont geblieben, denn man
darf den _vomito_, das gelbe Fieber, nicht mit den atactischen und den
Gallenfiebern verwechseln. Der Cumbre und der Cerro de Avila sind eine
treffliche Schutzwehr für die Stadt Caracas, die etwas höher liegt als der
Encaro, die aber eine höhere mittlere Temperatur hat als Xalapa.

Bonplands und meine Beobachtungen über die physischen Verhältnisse der
Städte, welche periodisch von der Geißel des gelben Fiebers heimgesucht
werden, sind anderswo niedergelegt, und es ist hier nicht der Ort, neue
Vermuthungen über die Veränderungen in der pathogonischen Constitution
mancher Städte zu äußern. Je mehr ich über diesen Gegenstand nachdenke,
desto räthselhafter erscheint mir alles, was auf die gasförmigen Effluvien
Bezug hat, die man mit einem so vielsagenden Wort _‘Keime der Ansteckung’_
nennt, und die sich in verdorbener Luft entwickeln, die durch die Kälte
zerstört werden, sich durch Kleider verschleppen und an den Wänden der
Häuser haften sollen. Wie will man erklären, daß in den achtzehn Jahren
vor 1794 in Vera Cruz nicht ein einziger Fall von »Vomito« vorkam,
obgleich der Verkehr mit nicht acclimatisirten Europäern und Mexicanern
aus dem Innern sehr stark war, die Matrosen sich denselben Ausschweifungen
überließen, über die man noch jetzt klagt, und die Stadt weniger reinlich
war, als sie seit dem Jahr 1800 ist?

Die Reihenfolge pathologischer Thatsachen, auf ihren einfachsten Ausdruck
gebracht, ist folgende. Wenn in einem Hafen des heißen Erdstrichs, der bis
jetzt bei den Seeleuten nicht als besonders ungesund verrufen war, viele
in kälterem Klima geborene Menschen zugleich ankommen, so tritt der
amerikanische Typhus auf. Diese Menschen wurden nicht auf der Ueberfahrt
vom Typhus befallen, er bricht erst an Ort und Stelle unter ihnen aus. Ist
hier eine Veränderung in der Luftconstitution eingetreten, oder hat sich
in Individuen mit sehr gesteigerter Reizbarkeit eine neue Krankheitsform
entwickelt?

Nicht lange, so fordert der Typhus seine Opfer auch unter andern, in
südlicheren Ländern geborenen Europäern. Theilt er sich durch Ansteckung
mit, so ist es zu verwundern, daß er in den Städten des tropischen
Festlandes keineswegs sich an gewisse Straßen hält, und daß die
unmittelbare Berührung der Kranken die Gefahr so wenig steigert, als
Absperrung sie vermindert. Kranke, welche weiter ins Land hinein,
namentlich an kühlere, höhere Orte geschafft werden, z. B. nach Xalapa,
stecken die Bewohner dieser Orte nicht an, sey es nun, weil die Krankheit
an sich nicht ansteckend ist, sey es, weil die prädisponirenden Ursachen,
die sich an der Küste geltend machen, hier wegfallen. Nimmt die Temperatur
bedeutend ab, so hört die Seuche am Orte, wo sie ausgebrochen, gewöhnlich
auf. Mit Eintritt der heißen Jahreszeit, zuweilen weit früher, fängt sie
wieder an, obgleich seit mehreren Monaten im Hafen kein Kranker gewesen
und kein Schiff eingelaufen ist.

Der amerikanische Typhus scheint auf den Küstenstrich beschränkt, sey es
nun, weil die, welche ihn einschleppen, hier ans Land kommen und weil hier
die Waaren aufgehäuft werden, an denen, wie man meint, giftige Miasmen
haften, oder weil sich am Meeresufer eigenthümliche gasförmige Effluvien
bilden. Das äußere Ansehen der Orte, wo der Typhus wüthet, scheint oft die
Annahme eines örtlichen oder endemischen Ursprungs völlig auszuschließen.
Man hat ihn auf den canarischen Inseln, auf den Bermudas, auf den kleinen
Antillen herrschen sehen, auf trockenem Boden, in Ländern, deren Klima
früher für sehr gesund galt. Die Fälle von Verschleppung des gelben
Fiebers ins Binnenland sind in der heißen Zone sehr zweideutig; die
Krankheit kann leicht mit den remittirenden Gallenfiebern verwechselt
worden seyn. In der gemäßigten Zone dagegen, wo der amerikanische Typhus
entschiedener ansteckend auftritt, hat sich die Seuche unzweifelhaft weit
vom Uferland weg, sogar an sehr hochgelegene, frischen, trockenen Winden
ausgesetzte Orte verbreitet, so in Spanien nach Medina Sidonia, nach
Carlotta und in die Stadt Murcia. Diese Vielgestaltigkeit derselben Seuche
nach den verschiedenen Klimaten, nach der Gesammtheit der prädisponirenden
Ursachen, nach der längeren oder kürzeren Dauer, nach den Graden der
Bösartigkeit muß uns sehr vorsichtig machen, wenn es sich davon handelt,
den geheimen Ursachen des amerikanischen Typhus nachzugehen. Ein
einsichtsvoller Beobachter, der in den schrecklichen Epidemien der Jahre
1802 und 1803 Oberarzt in der Colonie St. Domingo war und die Krankheit
auf Cuba, in den Vereinigten Staaten und in Spanien kennen gelernt hat,
ist mit mir der Ansicht, daß der Typhus sehr oft ansteckend ist, aber
nicht immer.

Seit das gelbe Fieber in Guayra so furchtbare Verheerungen angerichtet,
hat man nicht verfehlt, die Unreinlichkeit des kleinen Orts zu
übertreiben, wie man mit Vera Cruz und den Kais oder _warf_s von
Philadelphia gethan. An einem Ort, der auf sehr trockenem Boden liegt,
fast keinen Pflanzenwuchs hat, und wo in 7--8 Monaten kaum ein paar
Tropfen Regen fallen, können der Ursachen der sogenannten schädlichen
Miasmen nicht eben sehr viele seyn. Die Straßen von Guayra schienen mir im
Allgemeinen ziemlich reinlich, ausgenommen den Stadttheil, wo die
Schlachtbänke sind. Auf der Rhede ist nirgends eine Strandstrecke, wo sich
zersetzte Tange und Weichthiere anhäufen, aber die benachbarte Küste nach
Osten, dem Cap Codera zu, also unter dem Winde von Guayra, ist äußerst
ungesund. Wechselfieber, Faul- und Gallenfieber kommen in Macuto und
Caravalleda häufig vor, und wenn von Zeit zu Zeit der Seewind dem Westwind
Platz macht, so kommt aus der kleinen Bucht Catia, deren wir in der Folge
oft zu gedenken haben werden, trotz der Schutzwehr des Cabo Blanco, eine
mit faulen Dünsten geschwängerte Luft auf die Küste von Guayra.

Da die Reizbarkeit der Organe bei den nördlichen Völkern so viel stärker
ist als bei den südlichen, so ist nicht zu bezweifeln, daß bei größerer
Handelsfreiheit und stärkerem und innigerem Verkehr zwischen Ländern mit
verschiedenen Klimaten das gelbe Fieber sich über die neue Welt verbreiten
wird. Da hier so viele erregende Ursachen zusammenwirken, und Individuen
von so verschiedener Organisation denselben ausgesetzt werden, können
möglicherweise sogar neue Krankheitsformen, neue Verstimmungen der
Lebenskräfte sich ausbilden. Es ist dieß eines der nothwendigen Uebel im
Gefolge fortschreitender Cultur; wer darauf hinweist, wünscht darum
keineswegs die Barbarei zurück; ebensowenig theilt er die Ansicht der
Leute, die dem Verkehr unter den Völkern gerne ein Ende machten, nicht um
die Häfen in den Colonien vom Seuchengift zu reinigen, sondern um dem
Eindringen der Aufklärung zu wehren und die Geistesentwicklung
aufzuhalten.

Die Nordwinde, welche die kalte Luft von Canada her in den mexicanischen
Meerbusen führen, machen periodisch dem gelben Fieber und schwarzen
Erbrechen in der Havana und in Vera Cruz ein Ende. Aber bei der großen
Beständigkeit der Temperatur, wie sie in Porto Cabello, Guayra, Nueva
Barcelona und Cumana herrscht, ist zu befürchten, der Typhus möchte dort
einheimisch werden, wenn er einmal in Folge des starken Fremdenverkehrs
sehr bösartig aufgetreten ist. Glücklicherweise hat sich die Sterblichkeit
vermindert, seit man sich in der Behandlung nach dem Charakter der
Epidemien in verschiedenen Jahren richtet, und seit man die verschiedenen
Stadien der Krankheit, die Periode der entzündlichen Erscheinungen, und
die der Ataxie oder Schwäche, besser kennt und auseinander hält. Es wäre
sicher unrecht, in Abrede zu ziehen, daß die neuere Medicin gegen dieses
schreckliche Uebel schon Bedeutendes geleistet; aber der Glauben an diese
Leistungen ist in den Colonien gar nicht weit verbreitet. Man hört
ziemlich allgemein die Aeußerung, »die Aerzte wissen jetzt den Hergang der
Krankheit befriedigender zu erklären als früher, sie heilen sie aber
keineswegs besser; früher sey man langsam hingestorben, ohne alle Arznei,
außer einem Tamarindenaufguß; gegenwärtig führe ein eingreifenderes
Heilverfahren rascher und unmittelbarer zum Tode.«

Wer so spricht, weiß nicht ganz, wie man früher auf den Antillen zu Werke
ging. Aus der Reise des Paters Labat kann man ersehen, daß zu Anfang des
achtzehnten Jahrhunderts die Aerzte auf den Antillen den Kranken nicht so
ruhig sterben ließen, als man meint. Man tödtete damals nicht durch
übertriebene und unzeitige Anwendung von Brechmitteln, von China und
Opium, wohl aber durch wiederholte Aderlässe und übermäßiges Purgiren. Die
Aerzte schienen auch mit der Wirkung ihres Verfahrens so gut bekannt, daß
sie, sehr treuherzig, »gleich beim ersten Besuch mit Beichtvater und Notar
am Krankenbett erschienen.« Gegenwärtig bringt man es in reinlichen, gut
gehaltenen Spitälern dahin, daß von 100 Kranken nur 15--20 und selbst
etwas weniger sterben; aber überall, wo die Kranken zu sehr auf einander
gehäust sind, steigt die Sterblichkeit auf die Hälfte, wohl gar (wie im
Jahr 1802 bei der französischen Armee auf St. Domingo) auf drei Viertheile
der Kranken.

Ich fand die Breite von Guayra 10° 36′ 19″, die Länge 69° 26′ 13″. Die
Inclination der Magnetnadel war am 24. Januar 1800 42° 20, die Declination
nach Nordost 4° 30′ 35″; die Intensität der magnetischen Kraft
= 237 Schwingungen.

Geht man an der aus Granit gebauten Küste von Guayra gegen West, so kommt
man zwischen diesem Hafen, der nur eine schlecht geschützte Rhede ist, und
dem Hafen von Porto Cabello an mehrere Einbuchtungen des Landes, wo die
Schiffe vortrefflich ankern können. Es sind die kleinen Buchten Catia, los
Arecifes, Puerto la Cruz, Choroni, Sienega de Ocumare, Turiamo, Burburata
und Patanebo. Alle diese Häfen, mit Ausnahme des von Burburata, aus dem
man Maulthiere nach Jamaica ausführt, werden gegenwärtig nur von kleinen
Küstenfahrzeugen besucht, die Lebensmittel und Cacao von den benachbarten
Pflanzungen laden. Die Einwohner von Caracas, wenigstens die weiter
Blickenden, legen einen großen Werth auf den Ankerplatz Catia, westlich
von Cabo Blanco. Diesen Küstenpunkt untersuchten Bonpland und ich während
unseres zweiten Aufenthalts in Guayra. Eine Schlucht, unter dem Namen
Quebreda de Tipe bekannt, von der weiterhin die Rede seyn wird, zieht sich
von der Hochebene von Caracas gegen Catia herunter. Längst geht man mit
dem Plane um, durch diese Schlucht einen, Fahrweg anzulegen und die alte
Straße von Guayra, die beinahe dem Uebergang über den St. Gotthard
gleicht, aufzugeben. Nach diesem Plan könnte der Hafen von Catia, der so
geräumig als sicher ist, an die Stelle des von Guayra treten. Leider ist
dieser ganze Küstenstrich unter dem Winde von Cabo Blanco mit Wurzelbäumen
bewachsen und höchst ungesund.

Fast nirgends auf der Küste ist es so heiß als in der Nähe von Cabo
Blanco. Wir litten sehr durch die Hitze, die durch die Reverberation des
dürren, staubigen Bodens noch gesteigert wurde; die übermäßige Einwirkung
des Sonnenlichts hatte indessen keine nachtheiligen Folgen für uns. In
Guayra fürchtet man die Insolation und ihren Einfluß auf die
Gehirnfunktionen ungemein, besonders zu einer Zeit, wo das gelbe Fieber
sich zu zeigen anfängt. Ich stand eines Tages auf dem Dache unseres
Hauses, um den Mittagspunkt und den Unterschied zwischen dem
Thermometerstand in der Sonne und im Schatten zu beobachten, da kam hinter
mir ein Mann gelaufen und wollte mir einen Trank aufdrängen, den er fertig
in der Hand trug. Es war ein Arzt, der mich von seinem Fenster aus seit
einer halben Stunde in bloßem Kopf hatte in der Sonne stehen sehen. Er
versicherte mich, da ich ein hoher Nordländer sey, müsse ich nach der
Unvorsichtigkeit, die ich eben begangen, unfehlbar noch diesen Abend einen
Anfall vom gelben Fieber bekommen, wenn ich kein Präservativ nehme. Diese
Prophezeihung, so ernstlich sie gemeint war, beunruhigte mich nicht, da
ich mich längst für acclimatisirt hielt; wie konnte ich aber eine
Zumuthung ablehnen, die aus so herzlicher Theilnahme entsprang? Ich
verschluckte den Trank, und der Arzt mag mich zu den Kranken geschrieben
haben, denen er im Laufe des Jahres das Leben gerettet.

Nachdem wir Lage und Luftbeschaffenheit von Guayra beschrieben, verlassen
wir die Küste des antillischen Meers, um sie bis zu unserer Rückkehr von
den Missionen am Orinoco so gut wie nicht wieder zu sehen. Der Weg aus dem
Hafen nach Caracas, der Hauptstadt einer Statthalterei von 900,000
Einwohnern, gleicht, wie schon oben bemerkt, den Pässen in den Alpen, dem
Weg über den St. Gotthard oder den großen St. Bernhard. Vor meiner Ankunft
in der Provinz Venezuela war derselbe nie bemessen worden, und man hatte
nicht einmal eine bestimmte Vorstellung davon, wie hoch das Thal von
Caracas liegen möge. Man hatte längst bemerkt, daß es von der Cumbre und
las Vueltas, dem höchsten Punkt der Straße, nach Pastora am Eingang des
Thals von Caracas nicht so weit hinab geht, als zum Hafen von Guayra; da
aber der Avila eine bedeutende Gebirgsmasse ist, so sieht man die zu
vergleichenden Punkte nicht zumal. Auch nach dem Klima des Thals von
Caracas kann man sich von der Höhe desselben unmöglich einen richtigen
Begriff machen. Die Luft daselbst wird durch niedergehende Luftströme
abgekühlt, sowie einen großen Theil des Jahrs hindurch durch die Nebel,
welche den hohen Gipfel der Silla einhüllen. Ich habe den Weg von Guayra
nach Caracas mehrere male zu Fuß gemacht und nach zwölf Punkten, deren
Höhe mit dem Barometer bestimmt wurde, ein Profil desselben entworfen. Ich
hätte gerne gesehen, daß meine Vermessung durch einen unterrichteten
Reisenden, der nach mir dieses malerische und für den Naturforscher so
interessante Land besuchte, wiederholt und verbessert worden wäre; mein
Wunsch ist aber bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen.

Wenn man zur Zeit der stärksten Hitze die glühende Luft Guayras athmet und
den Blick auf das Gebirge richtet, so scheint es einem unbegreiflich, daß
in gerader Entfernung von 5--6000 Toisen in einem engen Thal eine
Bevölkerung von 40,000 Seelen einer Frühlingskühle genießen soll, einer
Temperatur, die bei Nacht auf 12 Grad heruntergeht. Daß auf diese Weise
verschiedene Klimate einander nahe gerückt sind, kommt in den ganzen
Cordilleren der Anden häufig vor; aber überall, in Mexico, in Quito, in
Peru, in Neu-Grenada muß man weit ins Binnenland reisen, entweder über die
Ebenen oder auf Strömen hinauf, bis man in die Heerde der Cultur, in die
großen Städte, gelangt. Caracas liegt nur ein Drittheil so hoch als
Mexico, Quito und Santa Fe de Bogota; aber von allen Hauptstädten des
spanischen Amerika, die mitten in der heißen Zone ein köstlich kühles
Klima haben, liegt Caracas am nächsten an der Küste. Nur drei Meilen in
einen Seehafen zu haben und im Gebirge zu liegen, auf einer Hochebene, wo
der Weizen gediehe, wenn man nicht lieber Kaffee baute, das sind
bedeutende Vortheile.

Der Weg von Guayra in das Thal von Caracas ist weit schöner als der von
Honda nach Santa Fe und von Guayaquil nach Quito; er ist sogar besser
unterhalten als die alte Straße, die aus dem Hafen von Vera Cruz am
Südabhang der Gebirge von Neuspanien nach Perote führt. Man braucht mit
guten Maulthieren nur drei Stunden aus dem Hafen von Guayra nach Caracas
und zum Rückweg nur zwei, mit Lastthieren oder zu Fuß Vier bis fünf
Stunden. Man kommt zuerst über einen sehr steilen Felsabhang und über die
Stationen *Torre Quemada*, *Curucuti* und *Salto* zu einem großen
Wirthshaus (_la Venta_), das 600 Toisen über dem Meere liegt. Der Name
»verbrannter Thurm« bezieht sich auf den starken Eindruck, den man erhält,
wenn man nach Guayra hinuntergeht. Die Hitze, welche die Felswände und
vollends die dürre Ebene zu den Füßen ausstrahlen, ist drückend zum
Ersticken. Auf diesem Wege und überall, wo man auf starken Abhängen in ein
anderes Klima gelangt, schien mir das Gefühl von gesteigerter Muskelkraft
und von Wohlbehagen, das beim Eintritt in kühlere Luftschichten über einen
kommt, nicht so stark als umgekehrt die lästige Mattigkeit und
Erschlaffung, die einen befällt, wenn man in die heißen Küstenebenen
hinuntergeht. Der Mensch ist einmal so geschaffen, daß der Genuß, wenn uns
irgendwie leichter wird, nicht so lebhaft ist, als der Eindruck eines
neuen Ungemachs, und in der moralischen Welt ist es ja ebenso.

Von Curucuti zum Salto ist der Weg etwas weniger steil; durch die
Windungen, die er macht, wird die Steigung geringer, wie auf der alten
Straße über den Mont Cenis. Der Salto, »der Sprung,« ist eine Spalte, über
die eine Zugbrücke führt. Auf der Höhe des Bergs sind förmliche Werke
angelegt. Bei der Venta stand der Thermometer um Mittag auf 19°,3, in
Guayra zur selben Zeit auf 26°,2. Da, seit die Neutralen von Zeit zu Zeit
in den spanischen Häfen zugelassen wurden, Fremde häufiger nach Caracas
gehen durften als nach Mexico, so ist die Venta in Europa und in den
Vereinigten Staaten bereits wegen ihrer schönen Lage berühmt. Und
allerdings hat man hier bei unbewölktem Himmel eine prachtvolle Aussicht
über die See und die nahen Küsten. Man hat einen Horizont von mehr als
zweiundzwanzig Meilen Halbmesser vor sich; man wird geblendet von der
Masse Licht, die der weiße, dürre Strand zurückwirft; zu den Füßen liegen
Cabo Blanco, das Dorf Maiquetia mit seinen Cocospalmen, Guavra und die
Schiffe, die in den Hafen einlaufen. Ich fand diesen Anblick noch weit
überraschender, wenn der Himmel nicht ganz rein ist und Wolkenstreifen,
die oben stark beleuchtet sind, gleich schwimmenden Eilanden sich von der
unermeßlichen Meeresfläche abheben. Nebelschichten in verschiedenen Höhen
bilden Mittelgründe zwischen dem Auge des Beobachters und den Niederungen,
und durch eine leicht erklärliche Täuschung wird dadurch die Scenerie
großartiger, imposanter. Von Zeit zu Zeit kommen in den Rissen der vom
Winde gejagten und sich ballenden Wolken Bäume und Wohnungen zum
Vorschein, und die Gegenstände scheinen dann ungleich tiefer unten zu
liegen als bei reiner, nach allen Seiten durchsichtiger Luft. Wenn man
sich am Abhang der mexicanischen Gebirge (zwischen las Trancas und Xalapa)
in derselben Höhe befindet, ist man noch zwölf Meilen von der See
entfernt; man sieht die Küste nur undeutlich, während man auf dem Wege von
Guayra nach Caracas das Tiefland (die _Tierra caliente_) wie auf einem
Thurme beherrscht. Man denke sich, welchen Eindruck dieser Anblick auf
einen machen muß, der im Binnenlande zu Hause ist und an dieser Stelle zum
erstenmal das Meer und Schiffe sieht.

Ich habe durch unmittelbare Beobachtungen die Breite der Venta ermittelt,
um die Entfernung derselben von der Küste genauer angeben zu können. Die
Breite ist 10° 33′ 9″; die Länge des Orts schien mir nach dem Chronometer
etwa 2′ 47″ im Bogen westlich von der Stadt Caracas. Ich fand in dieser
Höhe die Inclination der Magnetnadel 41°,75, die Intensität der
magnetischen Kraft = 234 Schwingungen.

Von der Venta, auch _‘Venta grande’_ genannt zum Unterschied von drei oder
vier andern kleinen Wirthshäusern am Wege [Damals, jetzt sind fast alle
zerstört.], geht es noch über 150 Toisen hinauf zum *Guayavo*. Dieß ist
beinahe der höchste Punkt der Straße, ich ging aber mit dem Barometer noch
weiter, etwas über die *Cumbre* (Gipfel) hinauf, in die Schanze Cuchilla.
Da ich keinen Paß hatte (in fünf Jahren bedurfte ich desselben nur bei der
Landung), so wäre ich beinahe von einem Artillerieposten verhaftet worden.
Um die alten Soldaten zu besänftigen, übersetzte ich ihnen in spanische
Vares, wie viel Toisen der Posten über dem Meere liegt. Daran schien ihnen
sehr wenig gelegen, und wenn sie mich gehen ließen, so verdanke ich es
einem Andalusier, der gar freundlich wurde, als ich ihm sagte, die Berge
seines Heimathlandes, die Sierra Nevada de Grenada, seyen viel höher als
alle Berge in der Provinz Caracas.

Die Schanze Cuchilla liegt so hoch wie der Gipfel des Puy de Dome und etwa
150 Toisen niedriger als die Post auf dem Mont Cenis. Da die Stadt
Caracas, die Venta del Guayavo und der Hafen von Guayra so nahe bei
einander liegen, hätten Bonpland und ich gerne ein paar Tage
hintereinander die kleinen Schwankungen des Barometers gleichzeitig in
einem schmalen Thale, auf einer dem Wind ausgesetzten Hochebene und an der
Meeresküste beobachtet; aber die Luft war während unseres Aufenthaltes an
diesen Orten nicht ruhig genug dazu. Ueberdem besaß ich auch nicht den
dreifachen meteorologischen Apparat, der zu dieser Beobachtung
erforderlich ist, die ich Naturforschern, die nach mir das Land besuchen,
empfehlen möchte.

Als ich zum erstenmal über diese Hochebene nach der Hauptstadt von
Venezuela ging, traf ich vor dem kleinen Wirthshaus auf dem Guayavo viele
Reisende, die ihre Maulthiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von
Caracas; sie stritten über den Aufstand zur Befreiung des Landes, der kurz
zuvor stattgefunden. Joseph España hatte auf dem Schaffot geendet; sein
Weib schmachtete im Gefängniß, weil sie ihren Mann auf der Flucht bei sich
aufgenommen und nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der
Gemüther, die Bitterkeit, mit der man über Fragen stritt, über die
Landsleute nie verschiedener Meinung seyn sollten, fielen mir ungemein
auf. Während man ein Langes und Breites über den Haß der Mulatten gegen
die freien Neger und die Weißen, über den Reichthum der Mönche und die
Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten, verhandelte,
hüllte uns ein kalter Wind, der vom hohen Gipfel der Silla herab zu kommen
schien, in einen dicken Nebel und machte der lebhaften Unterhaltung ein
Ende; man suchte Schutz in der Venta. In der Wirthsstube machte ein
bejahrter Mann, der vorhin am ruhigsten gesprochen hatte, die andern
darauf aufmerksam, wie unvorsichtig es sey, zu einer Zeit, wo überall
Angeber lauern, sey es auf dem Berge oder in der Stadt, über politische
Gegenstände zu verhandeln. Diese in der Bergeinöde gesprochenen Worte
machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich sollte denselben auf
unsern Reisen durch die Anden von Neu-Grenada und Peru noch oft erhalten.
In Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen schlichten,
steigt man auf die Berge, um Einsamkeit und Freiheit zu suchen; in der
neuen Welt aber sind die Cordilleren bis zu zwölftausend Fuß Meereshöhe
bewohnt. Die Menschen tragen ihre bürgerlichen Zwiste, wie ihre
kleinlichen, gehässigen Leidenschaften mit hinauf. Auf dem Rücken der
Anden, wo die Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Städten geführt
hat, stehen Spielhäuser, und in diesen weiten Einöden, fast über der
Region der Wolken, in einer Naturumgebung, die dem Geiste höheren Schwung
geben sollte, wird gar oft durch die Kunde, daß der Hof ein Ordenszeichen
oder einen Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien gestört.

Ob man auf den weiten Meereshorizont hinausblickt oder nach Südost, nach
dem gezackten Felskamm, der scheinbar die Cumbre mit der Silla verbindet,
während die Schlucht (Quebrada) Tocume dazwischen liegt, überall bewundert
man den großartigen Charakter der Landschaft. Von Guayavo an geht man eine
halbe Stunde über ein ebenes mit Alppflanzen bewachsenes Plateau. Dieses
Stück des Wegs heißt der vielen Krümmungen wegen las Vueltas. Etwas weiter
oben liegen die Mehlmagazine, welche die Gesellschaft von Guipuzcoa,
während der Handel und die Versorgung von Caracas mit Lebensmitteln ihr
ausschließliches Monopol war, an einem sehr kühlen Ort hatte errichten
lassen. Auf dem Wege der Vueltas sieht man zum erstenmal die Hauptstadt
dreihundert Toisen tiefer in einem mit Kaffeebäumen und europäischen
Obstbäumen üppig bepflanzten Thale liegen. Die Reisenden machen gewöhnlich
Halt bei einer schönen Quelle, genannt Fuente de Sanchorquiz, die auf
fallenden Gneißschichten von der Sierra herabkommt. Ich fand die
Temperatur derselben 16°,4, was für eine Höhe von 726 Toisen bedeutend
kühl ist. Dieses klare Wasser müßte denen, die davon trinken, noch kälter
vorkommen, wenn die Quelle, statt zwischen der Cumbre und dem gemäßigten
Thale von Caracas, auf dem Abhange gegen Guayra hin entspränge. Ich habe
aber die Bemerkung gemacht, daß an diesem, dem Nordabhang des Bergs die
Schichten (eine in diesem Lande seltene Ausnahme) nicht nach Nordwest,
sondern nach Südost fallen, was Schuld daran seyn mag, daß die
unterirdischen Gewässer dort keine Quellen bilden können. Von der kleinen
Schlucht Sanchorquiz an geht es beständig abwärts bis zum Kreuz von
Guayra, das auf einem offenen Platze 632 Toisen über dem Meere steht, und
von da an, bei den Zollhäusern vorbei und durch das Quartier Pastora, in
die Stadt Caracas.

                            ------------------



   16 Die _‘cortex Angosturae’_ unserer Pharmacopöen, die Rinde der
      _Bonplandia trifolia_

   17 Man bezahlt 120 Piaster für die Ueberfahrt, wenn man das ganze Boot
      zur Verfügung hat.

_   18 La broma; teredo navalis_, Linné

   19 In Paris ist das Mittel des heißesten Monats 19--20°, demnach um
      3--4 Grade niedriger als die mittlere Temperatur des kältesten
      Monats in Guayra.



ZWÖLFTES KAPITEL.


     Allgemeine Bemerkungen über die Provinzen von Venezuela. -- Ihre
      verschiedenen Interessen. -- Die Stadt Caracas. -- Ihr Klima.


Die Wichtigkeit einer Hauptstadt hängt nicht allein von ihrer Volkszahl,
von ihrem Reichthum und ihrer Lage ab; um dieselbe einigermaßen richtig zu
beurtheilen, muß man den Umfang des Gebiets, dessen Mittelpunkt sie ist,
die Menge einheimischer Erzeugnisse, mit denen sie Handel treibt, die
Verhältnisse, in denen sie zu den ihrem politischen Einfluß unterworfenen
Provinzen steht, in Rechnung ziehen. Diese verschiedenen Umstände
modificiren sich durch die mehr oder weniger gelockerten Bande zwischen
den Colonien und dem Mutterland; aber die Macht der Gewohnheit ist so groß
und die Handelsinteressen sind so zäh, daß sich voraussagen läßt, der
Einfluß der Hauptstädte auf das Land umher, auf die unter den Namen
_‘Reinos’_, _‘Capitanias generales’_, _‘Presidencias’_, _‘Goviernos’_
verschmolzenen Gruppen von Provinzen werden auch die Katastrophe der
Trennung der Provinzen vom Mutterland überdauern. Man wird nur da Stücke
losreißen und anders verbinden, wo man, mit Mißachtung natürlicher
Grenzen, willkürlich Gebiete verbunden hatte, die nur schwer mit einander
verkehren. Ueberall wo die Cultur nicht schon vor der Eroberung in einem
gewissen Grade bestand (wie in Mexico, Guatimala, Quito und Peru),
verbreitete sie sich von den Küsten ins Binnenland, bald einem großen
Flußthal, bald einer Gebirgskette mit gemäßigtem Klima nach. Sie setzte
sich zu gleicher Zeit in verschiedenen Mittelpunkten fest, von denen sie
sofort gleichsam ausstrahlte. Die Vereinigung zu Provinzen oder
Königreichen erfolgte, sobald sich civilisirte oder doch einem festen,
geregelten Regiment unterworfene Gebiete unmittelbar berührten. Wüst
liegende oder von wilden Menschen bewohnte Landstriche umgeben jetzt die
von der europäischen Cultur eroberten Länder. Sie trennen diese
Eroberungen von einander, wie schwer zu übersetzende Meeresarme, und meist
hängen benachbarte Staaten nur durch urbar gemachte Landzungen zusammen.
Die Umrisse der Seeküsten sind leichter aufzufassen als der krause Lauf
dieses Binnengestades, auf dem Barbarei und Civilisation,
undurchdringliche Wälder und bebautes Land an einander stoßen und einander
begrenzen. Weil sie die Zustände der erst in der Bildung begriffenen
Staaten der neuen Welt außer Acht lassen, liefern so viele Geographen so
sonderbar ungenaue Karten, indem sie die verschiedenen Theile der
spanischen und portugiesischen Colonien so zeichnen, als ob sie im Innern
durchaus zusammenhingen. Die Localkenntniß, die ich mir aus eigener
Anschauung von diesen Grenzen verschafft, setzt mich in Stand, den Umfang
der großen Gebietsabschnitte mit einiger Bestimmtheit anzugeben, die
wüsten und die bewohnten Striche mit einander zu vergleichen, und den mehr
oder minder bedeutenden politischen Einfluß, den sie als Regierungs- und
Handelsmittelpunkte äußern, zu schätzen.

*Caracas* ist die Hauptstadt eines Landes, das fast zweimal so groß ist
als das heutige Peru und an Flächengehalt dem Königreich Neu-Grenada wenig
nachsteht.(20) Dieses Land, das im spanischen Regierungsstyl _Capitania
general de Caracas_ oder _de las Provincias de Venezuela_ heißt, hat gegen
eine Million Einwohner, worunter 60,000 Sklaven. Es umfaßt längs den
Küsten Neu-Andalusien oder die Provinz Cumana (mit der Insel Margarita),
Barcelona, Venezuela oder Caracas, Coro und Maracaybo; im Innern die
Provinzen Barinas und Guyana, erstere längs den Flüssen St. Domingo und
Apure, letztere längs dem Orinoco, Cassiquiare, Atabapo und Rio Negro.
Ueberblickt man die sieben vereinigten Provinzen von Terra Firma, so sieht
man, daß sie drei gesonderte Zonen bilden, die von Ost nach West laufen.

Zuvorderst liegt das bebaute Land am Meeresufer und bei der Kette der
Küstengebirge; dann kommen Savanen oder Weiden, und endlich jenseits des
Orinoco die dritte, die Waldzone, die nur mittelst der Ströme, die
hindurch laufen, zugänglich ist. Wenn die Eingeborenen in diesen Wäldern
ganz von der Jagd lebten wie die am Missouri, so, könnte man sagen, die
drei Zonen, in welche wir das Gebiet von Venezuela zerfallen lassen, seyen
ein Bild der drei Zustände und Stufen der menschlichen Gesellschaft: in
den Wäldern am Orinoco das rohe Jägerleben, auf den Savanen oder Llanos
das Hirtenleben, in den hohen Thälern und am Fuß der Küstengebirge das
Leben des Landbauers. Die Missionäre und eine Handvoll Soldaten besetzen
hier, wie in ganz Amerika, vorgeschobene Posten an der brasilianischen
Grenze. In dieser ersten Zone herrscht das Recht des Stärkeren und der
Mißbrauch der Gewalt, der eine nothwendige Folge davon ist. Die
Eingeborenen liegen in beständigem blutigem Krieg mit einander und fressen
nicht selten einander auf. Die Mönche suchen sich die Zwistigkeiten unter
den Eingeborenen zu Nutzen zu machen und ihre kleinen Missionsdörfer zu
vergrößern. Das Militär, das zum Schutz der Mönche daliegt, lebt im Zank
mit ihnen. Ueberall ein trauriges Bild von Noth und Elend. Wir werden bald
Gelegenheit haben, diesen Zustand, den die Städter als Naturzustand
preisen, näher kennen zu lernen. In der zweiten Region, auf den Ebenen und
Weiden, ist die Nahrung einförmig, aber sehr reichlich. Die Menschen sind
schon civilisirter, leben aber, abgesehen von ein paar weit aus einander
liegenden Städten, immer noch vereinzelt. Sieht man ihre zum Theil mit
Häuten und Leder gedeckten Häuser, so meint man, sie haben sich auf den
ungeheuren bis zum Horizont fortstreichenden Grasebenen keineswegs
niedergelassen, sondern kaum gelagert. Der Ackerbau, der allein die
Grundlagen der Gesellschaft befestigt und die Bande zwischen Mensch und
Mensch enger knüpft, herrscht in der dritten Zone, im Küstenstrich,
besonders in den warmen und gemäßigten Thälern der Gebirge am Meer.

Man könnte einwenden, auch in andern Theilen des spanischen und
portugiesischen Amerika, überall, wo man die allmählige Entwicklung der
Cultur verfolgen kann, sehe man jene drei Stufenalter der menschlichen
Gesellschaft neben einander; es ist aber zu bemerken, und dieß ist für
alle, welche die politischen Zustände der verschiedenen Colonien genau
kennen lernen wollen, von großem Belang, daß die drei Zonen, die Wälder,
die Savanen und das bebaute Land, nicht überall im selben Verhältniß zu
einander stehen, daß sie aber nirgends so regelmäßig vertheilt sind wie im
Königreich Venezuela. Bevölkerung, Industrie und Geistesbildung nehmen
keineswegs überall von der Küste dem Innern zu ab. In Mexico, Peru und
Quito findet man die stärkste ackerbauende Bevölkerung, die meisten
Städte, die ältesten bürgerlichen Einrichtungen auf den Hochebenen und in
den Gebirgen des Binnenlandes. Ja im Königreich Buenos Ayres liegt die
Region der Weiden, die sogenannten Pampas, zwischen dem vereinzelten Hafen
von Buenos Ayres und der großen Masse ackerbauender Indianer, welche in
den Cordilleren von Charras, la Paz und Potosi wohnen. Dieser Umstand
macht, daß sich im selben Lande die gegenseitigen Interessen der Bewohner
des Binnenlandes und der Küsten sehr verschiedenartig gestalten.

Will man eine richtige Vorstellung von diesen gewaltigen Provinzen
erhalten, die seit Jahrhunderten fast wie unabhängige Staaten von
Vicekönigen oder Generalcapitänen regiert wurden, so muß man mehrere
Punkte zumal ins Auge fassen. Man muß die Theile des spanischen Amerika,
die Asien gegenüber liegen, von denen trennen, die der atlantische Ocean
bespült; man muß, wie wir eben gethan, untersuchen, wo sich die Hauptmasse
der Bevölkerung befindet, ob in der Nähe der Küsten, oder concentrirt im
Innern auf kalten und gemäßigten Hochebenen der Cordilleren; man muß die
numerischen Verhältnisse zwischen den Eingeborenen und den andern
Menschenstämmen ermitteln, sich nach der Herkunft der europäischen
Familien erkundigen, ausmachen, welchem Volksstamm die Mehrzahl der Weißen
in jedem Theil der Provinzen angehört. Die andalusischen Canarier in
Venezuela, die _‘Montanneses’_(21) und Biscayer in Mexico, die Catalonier
in Buenos Ayres unterscheiden sich hinsichtlich des Geschicks zum
Ackerbau, zu mechanischen Fertigkeiten, zum Handel und zu geistigen
Beschäftigungen sehr wesentlich von einander. Alle diese Stämme haben in
der neuen Welt den allgemeinen Charakter behalten, der ihnen in der alten
zukommt, die rauhe oder sanfte Gemüthsart, die Mäßigkeit oder die
ungezügelte Habgier, die leutselige Gastlichkeit oder den Hang zum
einsamen Leben. In Ländern, deren Bevölkerung großen Theils aus Indianern
von gemischtem Blut besteht, kann der Unterschied zwischen den Europäern
und ihren Nachkommen allerdings nicht so auffallend schroff seyn, wie
einst in den Colonien jonischer und dorischer Abkunft. Spanier, in die
heiße Zone versetzt, unter einem neuen Himmelsstrich der Erinnerung an das
Mutterland fast entfremdet, mußten sich ganz anders umwandeln, als die
Griechen, welche sich auf den Küsten von Kleinasien oder Italien
niederließen, wo das Klima nicht viel anders war als in Athen oder
Corinth. Daß der Charakter des amerikanischen Spaniers durch die physische
Beschaffenheit des Landes, durch die einsame Lage der Hauptstädte auf den
Hochebenen oder in der Nähe der Küsten, durch die Beschäftigung mit dem
Landbau, durch den Bergbau, durch die Gewöhnung an das Speculiren im
Handelsverkehr, in manchen Beziehungen sich verändert hat, ist unleugbar;
aber überall, in Caracas, in Santa Fe, in Quito und Buenos Ayres macht
sich dennoch etwas geltend, was auf die ursprüngliche Stammeseigenheit
zurückweist.

Betrachtet man die Zustände der Capitanerie von Caracas nach den oben
angegebenen Gesichtspunkten, so zeigt es sich, daß der Ackerbau, die
Hauptmasse der Bevölkerung, die zahlreichen Städte, kurz alles, was durch
höhere Cultur bedingt ist, sich vorzugsweise in der Nähe der Küste findet.
Der Küstenstrich ist über 200 Meilen lang und wird vom kleinen Meer der
Antillen bespült, einer Art Mittelmeer, an dessen Ufern fast alle
europäischen Nationen Niederlassungen gegründet haben, das an zahlreichen
Stellen mit dem atlantischen Ocean in Verbindung steht und seit der
Eroberung auf den Fortschritt der Bildung im östlichen Theil des
tropischen Amerika sehr bedeutenden Einfluß geäußert hat. Die Königreiche
Neu-Grenada und Mexico verkehren mit den fremden Colonien und mittelst
dieser mit dem nicht spanischen Europa allein durch die Häfen von
Carthagena und St. Martha, Vera Cruz und Campeche. Diese ungeheuren Länder
kommen, in Folge der Beschaffenheit ihrer Küsten und der Zusammendrängung
der Bevölkerung auf dem Rücken der Cordilleren, mit Fremden wenig in
Berührung. Der Meerbusen von Mexico ist auch einen Theil des Jahrs wegen
der gefährlichen Nordstürme wenig besucht. Die Küsten von Venezuela
dagegen sind sehr ausgedehnt, springen weit gegen Ost vor, haben eine
Menge Häfen, man kann allenthalben in jeder Jahreszeit sicher ans Land
kommen, und so können sie von allen Vortheilen, die das innere Meer der
Antillen bietet, Nutzen ziehen. Nirgends kann der Verkehr mit den großen
Inseln und selbst mit denen unter dem Wind stärker seyn als durch die
Häfen von Cumana, Barcelona, Guayra, Porto-Cabello, Coro und Maracaybo,
nirgends war der Schleichhandel mit dem Ausland schwerer im Zaum zu
halten. Ist es da zu verwundern, daß bei diesem leichten Handelsverkehr
mit den freien Amerikanern und mit den Völkern des politisch aufgeregten
Europas in den unter der Generalcapitanerie Venezuela vereinigten
Provinzen Wohlstand, Bildung und das unruhige Streben nach
Selbstregierung, in dem die Liebe zur Freiheit und zu republikanischen
Einrichtungen zur Aeußerung kommt, gleichmäßig zugenommen haben?

Die kupferfarbigen Eingeborenen, die Indianer, bilden nur da einen sehr
ansehnlichen Theil der ackerbauenden Bevölkerung, wo die Spanier bei der
Eroberung ordentliche Regierungen, eine bürgerliche Gesellschaft, alte,
meist sehr verwickelte Institutionen vorgefunden, wie in Neuspanien
südlich von Durango und in Peru von Couzco bis Potosi. In der
Generalcapitanerie Caracas ist die indianische Bevölkerung des bebauten
Landstrichs, wenigstens außerhalb der Missionen, unbeträchtlich. Zur Zeit
großer politischer Zerwürfnisse flößen die Indianer den Weißen und
Mischlingen keine Besorgnisse ein. Als ich im Jahr 1800 die
Gesammtbevölkerung der sieben vereinigten Provinzen auf 900,000 Seelen
schätzte, nahm ich die Indianer zu einem Neuntheil an, während sie in
Mexico fast die Hälfte ausmachen.

Unter den Racen, aus denen die Bevölkerung von Venezuela besteht, ist die
schwarze, auf die man zugleich mit Theilnahme wegen ihres Unglücks und mit
Furcht wegen einer möglichen gewaltsamen Auflehnung blickt, nicht der
Kopfzahl nach, aber wegen der Zusammendrängung auf einen kleinen
Flächenraum, von Belang. Wir werden bald sehen, daß in der ganzen
Capitanerie die Sklaven nur ein Fünfzehntheil der ganzen Bevölkerung
ausmachen; auf Cuba, wo unter allen Antillen die Neger den Weißen
gegenüber am wenigsten zahlreich sind, war im Jahr 1811 das Verhältniß wie
1 zu 3. Die sieben vereinigten Provinzen von Venezuela haben 60,000
Sklaven; Cuba, das achtmal kleiner ist, hat 212,000. Betrachtet man das
Meer der Antillen, zu dem der Meerbusen von Mexico gehört, als ein
Binnenmeer mit mehreren Ausgängen, so ist es wichtig, die politischen
Beziehungen ins Auge zu fassen, die in Folge dieser seltsamen Gestaltung
des neuen Continents zwischen Ländern entstehen, die um dasselbe Becken
gelegen sind. Wie sehr auch die meisten Mutterländer ihre Colonien
abzusperren suchen, sie werden dennoch in die Aufregung hineingezogen. Die
Elemente der Zerwürfnisse sind überall die gleichen, und wie instinktmäßig
bildet sich ein Einverständniß zwischen Menschen derselben Farbe, auch
wenn sie verschiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen Küsten
wohnen. Dieses amerikanische Mittelmeer, das durch die Küsten von
Venezuela, Neu-Grenada, Mexico, die der Vereinigten Staaten und durch die
Antillen gebildet wird, zählt an seinen Ufern gegen anderthalb Millionen
Neger, Sklaven und Freie, und sie sind so ungleich vertheilt, daß es im
Süden sehr wenige, im Westen fast keine gibt; in großen Massen finden sie
sich nur auf den Nord- und Ostküsten. Es ist dieß gleichsam das
afrikanische Stück dieses Binnenmeeres. Die Unruhen, die vom Jahr 1792 an
auf St. Domingo ausgebrochen, haben sich naturgemäß auf die Küsten von
Venezuela fortgepflanzt. So lange Spanien im ungestörten Besitz dieser
schönen Colonien war, wurden die kleinen Sklavenaufstände leicht
unterdrückt; aber sobald ein Kampf anderer Art, der für die
Unabhängigkeit, entbrannte, machten sich die Schwarzen durch ihre drohende
Haltung bald der einen, bald der andern der einander gegenüberstehenden
Parteien furchtbar, und in verschiedenen Ländern des spanischen Amerika
wurde die allmählige oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt,
nicht sowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, als weil
man sich des Beistandes eines unerschrockenen, an Entbehrungen gewöhnten
und für sein eigenes Wohl kämpfenden Menschenschlags versichern wollte.
Ich bin in der Reisebeschreibung des GIROLAMO BENZONI auf eine merkwürdige
Stelle gestoßen, aus der hervorgeht, wie alt schon die Besorgnisse sind,
welche die Zunahme der schwarzen Bevölkerung einflößt. Diese Besorgnisse
werden nur da verschwinden, wo die Regierungen die Umwandlung zum Bessern,
welche durch mildere Sitten, durch die öffentliche Meinung und durch
religiöse Ansichten in der Haussklaverei nach und nach vor sich geht,
ihrerseits durch die Gesetzgebung unterstützen. »Die Neger,« sagt Benzoni,
»haben sich auf St. Domingo dergestalt vermehrt, daß ich im Jahr 1545, als
ich auf Terra Firma (an der Küste von Caracas) war, viele Spanier gesehen
habe, die gar nicht zweifelten, daß jene Insel binnen Kurzem Eigenthum der
Schwarzen seyn werde.« Unser Jahrhundert sollte diese Prophezeiung in
Erfüllung gehen und eine europäische Colonie in Amerika sich in einen
afrikanischen Staat verwandeln sehen.

Die 60,000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von Venezuela sind so
ungleich vertheilt, daß auf die Provinz Caracas allein 40,000 kommen,
worunter ein Fünftheil Mulatten, auf Maracaybo 10--12,000, auf Cumana und
Barcelona kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger und die
Farbigen auf die öffentliche Ruhe im Allgemeinen äußern, ist es nicht
genug, daß man ihre Kopfzahl kennt, man muß auch ihre Zusammendrängung an
gewissen Punkten und ihre Lebensweise als Ackerbauer oder Stadtbewohner in
Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela sind die Sklaven fast alle auf
einem nicht sehr ausgedehnten Landstrich beisammen, innerhalb der Küste
und einer Linie, die (12 Meilen von der Küste) über Panaquire, Yare,
Sabana de Ocumare, Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den
weiten Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barquesimeto, zählt
man nur 4--5000, die auf den Höfen zerstreut und mit der Hut des Viehs
beschäftigt sind. Die Zahl der Freigelassenen ist sehr beträchtlich, denn
die spanische Gesetzgebung und die Sitten leisten der Freilassung
Vorschub. Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaster bietet,
die Freiheit nicht versagen, hätte der Sklave auch wegen des besondern
Geschicks im Handwerk, das er treibt, doppelt so viel gekostet. Die Fälle,
daß jemand im letzten Willen mehr oder weniger Sklaven die Freiheit
schenkt, sind in der Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor
wir die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Valencia besuchten,
hatte eine Dame im großen Dorfe la Victoria auf dem Todbette ihren Kindern
aufgegeben, ihre Sklaven, dreißig an der Zahl, freizulassen. Mit Vergnügen
spreche ich von Handlungen, die den Charakter von Menschen, die Bonpland
und mir so viel Zuneigung und Wohlwollen bewiesen, in so schönem Lichte
zeigen.

Nach den Negern ist es in den Colonien von besonderem Belang, die Zahl der
weißen Creolen, die ich _‘Hispano-Amerikaner’_(22) nenne, und der in
Europa gebürtigen Weißen zu kennen. Es hält schwer, sich über einen so
kitzlichen Punkt genaue Auskunft zu verschaffen. Wie in der alten Welt ist
auch in der neuen die Zählung dem Volk ein Gräuel, weil es meint, es sey
dabei auf Erhöhung der Abgaben abgesehen. Andererseits lieben die
Verwaltungsbeamten, welche das Mutterland in die Colonien schickt,
statistische Aufnahmen so wenig als das Volk, und zwar aus Rücksichten
einer argwöhnischen Staatsklugheit. Diese mühsam herzustellenden Ausnahmen
sind schwer der Neugier der Colonisten zu entziehen. Wenn auch die
Minister in Madrid richtige Begriffe vom wahren Besten des Landes hatten
und von Zeit zu Zeit genaue Berichte über den zunehmenden Wohlstand der
Colonien verlangten, die Lokalbehörden haben diese guten Absichten in den
seltensten Fällen unterstützt. Nur auf den ausdrücklichen Befehl des
spanischen Hofes wurden den Herausgebern des »_peruanischen Merkurs_« die
vortrefflichen volkswirthschaftlichen Notizen überlassen, die dieses Blatt
mitgetheilt hat. In Mexico, nicht in Madrid habe ich den Vicekönig Grafen
Nevillagigedo tadeln hören, weil er ganz Neuspanien kundgethan, daß die
Hauptstadt eines Landes von fast sechs Millionen Einwohnern im Jahr 1700
nur 2300 Europäer, dagegen über 50,000 Hispano-Amerikaner zählte. Die
Leute, die sich darüber beklagten, betrachteten auch die schöne
Posteinrichtung, welche Briefe von Buenos Ayres bis nach Neu-Californien
befördert, als eine der gefährlichsten Neuerungen des Grafen Florida
Blanca; sie riethen (glücklicherweise ohne Erfolg), dem Handel mit dem
Mutterlande zu lieb, die Reben in Neu-Mexico und Chili auszureißen.
Sonderbare Verblendung, zu meinen, durch Volkszählungen wecke man in den
Colonisten das Bewußtseyn ihrer Stärke! Nur in Zeiten des Unfriedens und
des Bürgerzwistes kann es scheinen, als ob man, indem man die relative
Stärke der Menschenklassen ermittelt, die ein gemeinsames Interesse haben
sollten, zum voraus die Zahl der Streiter schätzte.

Vergleicht man die sieben vereinigten Provinzen von Venezuela mit dem
Königreich Mexico und der Insel Cuba, so findet man annähernd die Zahl der
weißen Creolen, selbst die der Europäer. Erstere, die Hispano-Amerikaner,
sind in Mexico ein Fünftheil, auf Cuba, nach der genauen Zählung von 1811,
ein Drittheil der Gesammtbevölkerung. Bedenkt man, daß in Mexico
drittehalb Millionen Menschen von der rothen Race wohnen, zieht man den
Zustand der Küsten am stillen Meer in Betracht, und wie wenige Weiße im
Verhältniß zu den Eingeborenen in den Intendanzen Puebla und Oaxaca
wohnen, so läßt sich nicht zweifeln, daß, wenn nicht in der _Capitania
general_ so doch in der Provinz Venezuela das Verhältniß stärker ist als
1 zu 5. Die Insel Cuba, auf der die Weißen sogar zahlreicher sind als in
Chili, gibt uns für die _Capitania general_ von Caracas eine »Grenzzahl«,
das heißt das Maximum an die Hand. Ich glaube, man hat 200,000--210,000
Hispano-Amerikaner auf eine Gesammtbevölkerung von 900,000 Seelen
anzunehmen. Innerhalb der weißen Race scheint die Zahl der Europäer (die
Truppen aus dem Mutterland nicht gerechnet) nicht über 12,000--15,000 zu
betragen. In Mexico sind ihrer gewiß nicht über 60,000, und nach mehreren
Zusammenstellungen finde ich, daß, sämmtliche spanische Colonien zu 14--15
Millionen Einwohnern angenommen, höchstens 3 Millionen Creolen und 200,000
Europäer darunter sind.

Als der junge Tupac-Amaru, der in sich den rechtmäßigen Erben des Reiches
der Incas erblickte, an der Spitze von 40,000 Indianern aus den Gebirgen
mehrere Provinzen von Oberperu eroberte, ruhten die Befürchtungen aller
Weißen auf demselben Grunde. Die Hispano-Amerikaner fühlten so gut wie die
in Europa geborenen Spanier, daß der Kampf ein Racenkampf zwischen dem
rothen und weißen Mann, zwischen Barbarei und Cultur sey. Tupac-Amaru, der
selbst nicht ohne Bildung war, schmeichelte Anfangs den Creolen und der
europäischen Geistlichkeit, aber die Ereignisse und die Rachsucht seines
Neffen Andreas Condorcan rissen ihn fort und er änderte sein Verfahren.
Aus einem Aufstand für die Unabhängigkeit wurde ein grausamer Krieg
zwischen den Racen; die Weißen blieben Sieger, es kam ihnen zum
Bewußtseyn, was ihr gemeinsames Interesse sey, und von nun an faßten sie
das Zahlenverhältniß zwischen der weißen und der indianischen Bevölkerung
in den verschiedenen Provinzen sehr scharf ins Auge. Erst in unserer Zeit
kam es nun dahin, daß die Weißen diese Aufmerksamkeit auf sich selbst
richteten und sich mißtrauisch nach den Bestandtheilen ihrer eigenen Kaste
umsahen. Jede Unternehmung zur Erringung der Unabhängigkeit und Freiheit
trennt die nationale oder amerikanische Partei und die aus dem Mutterland
Herübergekommenen in zwei Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere
eben der Gefahr entgangen, die sie in dem von España angezettelten
Aufstand für sich erblickt hatten. Dieser kecke Anschlag hatte desto
schlimmere Folgen, da man, statt den Ursachen des herrschenden
Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die Sache des Mutterlandes nur durch
strenge Maßregeln zu retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer
des Rio de la Plata bis Neu-Mexico auf einer Strecke von vierzehnhundert
Meilen ausgebrochen sind, stehen Menschen desselben Stammes einander
gegenüber.

Man scheint sich in Europa zu wundern, wie die Spanier aus dem
Mutterlande, deren, wie wir gesehen, so wenige sind, Jahrhunderte lang so
starken Widerstand leisten konnten, und man vergißt, daß in allen Colonien
die europäische Partei nothwendig durch eine große Menge Einheimischer
verstärkt wird. Familienrücksichten, die Liebe zur ungestörten Ruhe, die
Scheu, sich in ein Unternehmen einzulassen, das schlimm ablaufen kann,
halten diese ab, sich der Sache der Unabhängigkeit anzuschließen, oder für
die Einführung einer eigenen, wenn auch vom Mutterland abhängigen
Repräsentativregierung aufzutreten. Die einen scheuen alle gewaltsamen
Mittel und leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Colonialregiment
allgemach weniger drückend werden; Revolution ist ihnen gleichbedeutend
mit dem Verlust ihrer Sklaven, mit der Beraubung des Clerus und der
Einführung einer religiösen Duldsamkeit, wobei, meinen sie, der
herrschende Cultus sich unmöglich in seiner Reinheit erhalten könne.
Andere gehören den wenigen Familien an, die in jeder Gemeinde durch
ererbten Wohlstand oder durch sehr alten Bestand in den Colonien eine
wahre Municipalaristokratie bilden. Sie wollen lieber gewisse Rechte gar
nicht bekommen, als sie mit allen theilen; ja eine Fremdherrschaft wäre
ihnen lieber, als eine Regierung in den Händen von Amerikanern, die im
Rang unter ihnen stehen; sie verabscheuen jede auf Gleichheit der Rechte
gegründete Verfassung; vor Allem fürchten sie den Verlust der
Ordenszeichen und Titel, die sie sich mit so saurer Mühe erworben, und
die, wie wir oben angedeutet, einen Hauptbestandtheil ihres häuslichen
Glücks ausmachen. Noch andere, und ihrer sind sehr viele, leben auf dem
Lande vom Ertrag ihrer Grundstücke und genießen der Freiheit, deren sich
ein dünn bevölkertes Land unter dem Druck der schlechtesten Regierung zu
erfreuen hat. Sie selbst machen keine Ansprüche auf Amt und Würden, und so
fragen sie nichts darnach, wenn Leute damit bekleidet werden, die sie kaum
dem Namen nach kennen, und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre
ihnen eine nationale Regierung und volle Handelsfreiheit lieber als das
alte Colonialwesen, aber diese Wünsche sind gegenüber der Liebe zur Ruhe
und der Gewöhnung an ein träges Leben keineswegs so lebhaft, daß sie sich
deßhalb zu schweren, langwierigen Opfern entschließen sollten.

Mit dieser nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen entworfenen Skizze
der verschiedenen Färbung der politischen Ansichten in den Colonien habe
ich auch die Ursachen der langen friedlichen Herrschaft des Mutterlandes
über Amerika angegeben. Wenn die Ruhe erhalten blieb, so war dieß die
Folge der Gewohnheit, des großen Einflusses einer gewissen Zahl mächtiger
Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das sich zwischen feindlichen
Gewalten herstellt. Eine auf Entzweiung gegründete Sicherheit muß
erschüttert werden, sobald eine bedeutende Menschenmasse ihren Privathaß
eine Weile ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinsamen Interesses sich
verbündet, sobald dieses Gefühl, einmal erwacht, am Widerstand erstarkt
und durch fortschreitende Geistesentwicklung und die Umwandlung der Sitten
der Einfluß der Gewohnheit und der alten Vorstellungen sich mindert.

Wir haben oben gesehen, daß die indianische Bevölkerung in den vereinigten
Provinzen von Venezuela nicht stark und nicht altcivilisirt ist; auch sind
alle Städte derselben von den spanischen Eroberern gegründet. Diese
konnten hier nicht, wie in Mexico und Peru, in die Fußstapfen der alten
Cultur der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana und Coro ist
nichts indianisch als die Namen. Von den Hauptstädten des tropischen
Amerika, die im Gebirge liegen und eines sehr gemäßigten Klimas genießen
[Mexico, Santa Fe de Bogota und Quito], ist Caracas die am tiefsten
gelegene. Da die Hauptmasse der Bevölkerung von Venezuela den Küsten nahe
gerückt ist und der cultivirteste Landstrich von Ost nach West denselben
parallel läuft, so ist Caracas kein Mittelpunkt des Handels, wie Mexico,
Santa Fe de Bogota und Quito. Jede der sieben in eine _Capitania general_
vereinigten Provinzen hat ihren eigenen Hafen, durch den ihre Produkte
abfließen. Man darf nur die Lage der Provinzen, ihren mehr oder minder
starken Verkehr mit den Inseln unter dem Wind oder den großen Antillen,
die Richtung der Gebirge und den Lauf der großen Flüsse betrachten, um
einzusehen, daß Caracas auf die Länder, deren Hauptstadt es ist, niemals
einen bedeutenden politischen Einfluß haben kann. Der Apure, der Meta, der
Orinoco, die von West nach Ost laufen, nehmen alle Gewässer aus den Llanos
oder der Region des Weidelandes auf. St. Thomas in Guyana muß nothwendig
einmal ein wichtiger Handelsplatz werden, namentlich wenn einmal das Mehl
aus Neu-Grenada oberhalb der Vereinigung des Rio Negro und des Umadea
eingeschifft wird und aus dem Meta und dem Orinoco hinunter kommt, und man
dasselbe in Cumana und Caracas dem Mehl aus den Vereinigten Staaten
vorzieht. Es ist ein großer Vorzug der Provinzen von Venezuela, daß nicht
ihr ganzer Bodenreichthum in Einem Punkt zusammenfließt, wie der von
Mexico und Neu-Grenada nach Vera Cruz und Carthagena, sondern daß sie eine
Menge ziemlich gleich bevölkerter Städte haben, die eben so viele
Mittelpunkte des Handels und der Cultur bilden.

Caracas ist der Sitz einer *Audiencia* (hoher Gerichtshof) und eines der
acht Erzbisthümer, in welche das ganze spanische Amerika getheilt ist. Die
Bevölkerung war, nach meinen Erkundigungen über die Zahl der Geburten, im
Jahr 1800 etwa 40,000; die unterrichtetsten Einwohner geben sie sogar zu
45,000 an, worunter 12,000 Weiße und 27,000 freie Farbige. Im Jahr 1778
hatte man bereits 30--32,000 geschätzt. Alle unmittelbaren Aufnahmen
blieben ein Viertheil und mehr unter der wirklichen Zahl. Im Jahr 1766
hatte die Bevölkerung von Caracas und des schönen Thals, in dem es liegt,
durch eine bösartige Pockenepidemie sehr stark gelitten. In der Stadt
starben 6--8000 Menschen; seit diesem denkwürdigen Zeitpunkt ist die
Kuhpockenimpfung allgemein geworden, und ich habe sie ohne Arzt vornehmen
sehen. In der Provinz Cumana, die weniger Verkehr mit Europa hat, war zu
meiner Zeit seit fünfzehn Jahren kein Pockenfall vorgekommen, während man
in Caracas vor dieser schrecklichen Krankheit beständig bange hatte, weil
sie immer an mehreren Punkten zugleich sporadisch auftrat; ich sage
sporadisch, denn im tropischen Amerika, wo der Wechsel der atmosphärischen
Zustände und die Erscheinungen des organischen Lebens an eine auffallende
Periodicität gebunden scheinen, traten die Pocken (wenn man sich auf einen
weitverbreiteten Glauben verlassen kann) vor der Einführung der
segensreichen Kuhpockenimpfung nur alle 15--18 Jahre verheerend auf. Seit
meiner Rückkehr nach Europa hat die Bevölkerung von Caracas beständig
zugenommen; sie betrug 50,000 Seelen, als das große Erdbeben am 26. März
1812 gegen 12,000 Menschen unter den Trümmern ihrer Häuser begrub. Durch
die politischen Ereignisse, die dieser Catastrophe folgten, kam die
Einwohnerzahl auf weniger als 20,000 herunter; aber diese Verluste werden
bald wieder eingebracht seyn, wenn das äußerst fruchtbare und
handelsthätige Land, dessen Mittelpunkt Caracas ist, nur einiger Jahre
Ruhe genießt und verständig regiert wird.

Die Stadt liegt am Eingang der Ebene von Chacao, die sich drei Meilen nach
Ost gegen Caurimare und Cuesta d’Auyamas ausdehnt und zwei und eine halbe
Meile breit wird, und durch die der Rio Guayre fließt. Sie liegt 414
Toisen über dem Meer. Der Boden, auf dem Caracas liegt, ist uneben und
fällt stark von Nord-Nord-West nach Süd-Süd-Ost ab. Um eine richtige
Vorstellung von der Lage der Stadt zu bekommen, muß man die Richtung der
Küstengebirge und der großen Längenthäler zwischen denselben ins Auge
fassen. Der Guayrefluß entspringt im Urgebirge des Higuerote, das zwischen
dem Thal von Caracas und dem von Aragua liegt. Er erhält bei las Ayuntas
nach der Vereinigung der Flüßchen San Pedro und Macarao seinen Namen und
läuft zuerst nach Ost bis zur Cuesta d’Auyamas und dann nach Süd, um sich
oberhalb Yare mit dem Rio Tuy zu vereinigen. Letzterer ist der einzige
Fluß von Bedeutung im nördlichen, gebirgigen Theile der Provinz. Er läuft
30 Meilen lang, von denen über drei Viertheile schiffbar sind, geradeaus
von West nach Ost. Auf diesem Stromstück beträgt nach meinen
barometrischen Messungen der Fall des Tuy von der Pflanzung Manterola bis
zur Mündung 295 Toisen. Dieser Fluß bildet in der Küstenkette eine Art
Längenthal, während die Gewässer der Llanos, das heißt von fünf
Sechstheilen der Provinz Caracas, dem Abhang des Bodens gegen Süden nach,
sich in den Orinoco ergießen. Nach dieser hydrographischen Skizze erklärt
sich die natürliche Neigung der Bewohner derselben Provinz, ihre Produkte
auf verschiedenen Wegen auszuführen.

Das Thal von Caracas ist zwar nur ein Seitenzweig des Tuythals, dennoch
laufen beide eine Strecke weit einander parallel. Sie sind durch einen
Bergzug getrennt, über den man auf dem Wege von Caracas nach den hohen
Savanen von Ocumare über le Valle und Salamanca kommt. Diese Savanen
liegen schon jenseits des Tuy, und da das Thal dieses Flusses weit tiefer
liegt als das von Caracas, so geht es von Nord nach Süd fast beständig
bergab. Wie das Vorgebirge Codera, die Silla, der Cerro de Avila zwischen
Caracas und Guayra und die Berge von Mariara den nördlichsten und höchsten
Zug der Küstenkette, so bilden die Berge von Panaquire, Ocumare, Guiripa
und Villa de Cura den südlichsten Zug. Wir haben schon öfter bemerkt, daß
die Schichten dieses gewaltigen Küstengebirges fast durchgängig von Südost
nach Südwest streichen und gewöhnlich nach Nordwest fallen. Es ergibt sich
daraus, daß die Richtung der Schichten des Urgebirgs von der Richtung der
ganzen Kette unabhängig ist, und, was sehr bemerkenswerth ist, verfolgt
man die Kette von Porto-Cabello bis Maniquare und zum Macanao auf der
Insel Margarita, so findet man von West nach Ost zuerst Granit, dann
Gneiß, Glimmerschiefer und Urschiefer, endlich dichten Kalkstein, Gips und
Conglomerate mit Seemuscheln.

Es ist zu bedauern, daß Caracas nicht weiter ostwärts liegt, unterhalb der
Einmündung des Anauco in den Guayre; da wo, Chacao zu, sich das Thal
breit, und wie durch stehendes Gewässer geebnet, ausdehnt. Als Diego de
Losada die Stadt gründete,(23) hielt er sich ohne Zweifel an die Spuren
der ersten Niederlassung unter Faxardo. Der Ruf der Goldminen von los
Teques und Baruta hatte damals die Spanier hergelockt, aber sie waren noch
nicht Herren des ganzen Thals und blieben lieber nahe am Weg zur Küste.
Die Stadt Quito liegt gleichfalls im engsten, unebensten Theil eines Thals
zwischen zwei schönen Ebenen (Turupamba und Rumipamba), wo man sich hätte
anbauen können, wenn man die alten indianischen Bauten hätte wollen liegen
lassen.

Vom Zollhaus la Pastora über den Platz Trinidad und die _Plaza major_ nach
Santa Rosalia und an den Rio Guayre geht es immer abwärts. Nach meinen
barometrischen Messungen liegt das Zollhaus 39 Toisen über dem Platze
Trinidad, wo ich meine astronomischen Beobachtungen gemacht habe,
letzterer 8 Toisen über dem Pflaster vor der Hauptkirche auf dem großen
Platz, und dieser 32 Toisen über dem Guayrefluß bei la Noria. Trotz des
abschüssigen Bodens fahren Wagen in der Stadt, man bedient sich ihrer aber
selten. Drei Bäche, die vom Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und
Caraguata, laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; sie haben sehr hohe
Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgswassern, welche darin
auslaufen und das Terrain durchschneiden, erinnern sie im Kleinen an die
berühmten _Guaicos_ in Quito.(24) Man trinkt in Caracas das Wasser des Rio
Catuche, aber die Wohlhabenden lassen das Wasser aus Valle, einem eine
Meile weit südwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieses Wasser, so wie das aus
dem Gamboa gelten für sehr gesund, weil sie über Sassaparillwurzeln(25)
laufen. Ich habe keine Spur von Arom oder Extractivstoff darin finden
können; das Wasser von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr
Kohlensäure als das Wasser aus dem Anauco. Die neue Brücke über den
letzteren Fluß ist schön gebaut und belebt von den Spaziergängern, welche
gegen Candelaria zu die Straße von Chacao und Petara aufsuchen. Man zählt
in Caracas acht Kirchen, fünf Klöster und ein Theater, das 15 bis 1800
Zuschauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre, in dem Männer und Frauen
gesonderte Sitze haben, nicht bedeckt. Man sah zugleich die Schauspieler
und die Sterne. Da das nebligte Wetter mich um viele
Trabantenbeobachtungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus
bemerken, ob Jupiter in der Nacht sichtbar seyn werde. Die Straßen von
Caracas sind breit, gerade gezogen und schneiden sich unter rechten
Winkeln, wie in allen Städten, welche die Spanier in Amerika gegründet.
Die Häuser sind geräumig und höher, als sie in einem Lande, das Erdbeben
ausgesetzt ist, seyn sollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze Alta
Gracia und San Francisco sehr hübsch: ich sage im Jahr 1800, denn die
furchtbaren Erderschütterungen am 26. März 1812 haben fast die ganze Stadt
zerstört. Sie ersteht langsam aus ihren Trümmern; der Stadttheil la
Trinidad, in dem ich wohnte, ward über den Haufen geworfen, als ob eine
Mine darunter gesprungen wäre.

Durch das enge Thal und die Nähe der hohen Berge Avila und Silla erhält
die Gegend von Caracas einen ernsten, düstern Anstrich, besonders in der
kühlsten Jahreszeit, in den Monaten November und December. Die Morgen sind
dann ausnehmend schön; bei reinem klarem Himmel hat man die beiden Dome
oder abgerundeten Pyramiden der Silla und den gezackten Kamm des Cerro de
Avila vor sich. Aber gegen Abend trübt sich die Luft; die Berge umziehen
sich, Wolkenstreifen hängen an ihren immergrünen Seiten und theilen sie
gleichsam in übereinanderliegende Zonen. Allmählich verschmelzen diese
Zonen, die kalte Luft, die von der Silla herabkommt, staut sich im engen
Thal und verdichtet die leichten Dünste zu großen flockigten Wolken. Diese
Wolken senken sich oft bis über das Kreuz von Guayra herab und man sieht
sie dicht am Boden gegen la Pastora und das benachbarte Quartier Trinidad
fortziehen. Beim Anblick dieses Wolkenhimmels meinte ich nicht in einem
gemäßigten Thale der heißen Zone, sondern mitten in Deutschland, auf den
mit Fichten und Lerchen bewachsenen Bergen des Harzes zu seyn.

Aber dieser düstere, schwermüthige Charakter der Landschaft, dieser
Contrast zwischen dem heitern Morgen und dem bedeckten Himmel am Abend ist
mitten im Sommer verschwunden. Im Juni und Juli sind die Nächte hell und
ausnehmend schön; die Luft behält fast beständig die den Hochebenen und
hochgelegenen Thälern eigenthümliche Reinheit und Durchsichtigkeit, so
lange sie ruhig bleibt und der Wind nicht Schichten von verschiedener
Temperatur durcheinander wirft. In dieser Sommerzeit prangt die
Landschaft, die ich nur wenige Tage zu Ende Januars in schöner Beleuchtung
gesehen, in ihrer vollen Pracht. Die beiden runden Gipfel der Silla
erscheinen in Caracas fast unter demselben Höhenwinkel(26) wie der Pic von
Teneriffa im Hafen von Orotava. Die untere Hälfte des Bergs ist mit kurzem
Rasen bedeckt; dann kommt die Zone der immergrünen Sträucher, die zur
Blüthezeit der Befaria, der Alpenrose des tropischen Amerika, purpurroth
schimmert. Ueber dieser Waldregion steigen zwei Felsmassen in Kuppelform
empor. Sie sind völlig kahl und dadurch erscheint der Berg, der im
gemäßigten Europa kaum die Schneegrenze erreichte, höher, als er wirklich
ist. Mit diesem großartigen Prospekt der Silla und der Bergscenerie im
Norden der Stadt steht der angebaute Strich des Thals, die lachende Ebene
von Chacao, Petare und la Vega im angenehmsten Contrast.

Man hört das Klima von Caracas oft einen ewigen Frühling nennen, und
dasselbe findet sich überall im tropischen Amerika auf der halben Höhe der
Cordilleren, zwischen 400 und 900 Toisen über dem Meer, wenn nicht sehr
breite Thäler und Hochebenen und dürrer Boden die Intensität der
strahlenden Wärme übermäßig steigern. Was läßt sich auch Köstlicheres
denken als eine Temperatur, die sich bei Tag zwischen 20 und 26, bei Nacht
zwischen 16 und 18 Grad hält, und in der der Bananenbaum, der Orangenbaum,
der Kaffeebaum, der Apfelbaum, der Aprikosenbaum und der Weizen neben
einander gedeihen! Ein einheimischer Schriftsteller vergleicht auch
Caracas mit dem Paradiese und findet im Anauco und den benachbarten Bächen
die vier Flüsse desselben.

Leider ist in diesem so gemäßigten Klima die Witterung sehr unbeständig.
Die Einwohner von Caracas klagen darüber, daß sie an Einem Tage
verschiedene Jahreszeiten haben und die Uebergänge von einer Jahreszeit
zur andern sehr schroff sind. Häufig folgt z. B. im Januar auf eine Nacht
mit einer mittleren Temperatur von 16° ein Tag, an dem der Thermometer im
Schatten acht Stunden lang über 22° steht. Am selben Tage kommen aber
Wärmegrade von 24 und von 18° vor. Dergleichen Schwankungen sind in den
gemäßigten Landstrichen Europas ganz gewöhnlich, in der heißen Zone aber
sind selbst die Europäer so sehr an die Gleichförmigkeit der äußeren Reize
gewöhnt, daß ein Temperaturwechsel von 6 Grad ihnen beschwerlich wird. In
Cumana und überall in der Niederung ändert sich die Temperatur von 11 Uhr
Morgens bis 11 Uhr Abends gewöhnlich nur um 2--3 Grad. Zudem äußern diese
atmosphärischen Schwankungen in Caracas auf den menschlichen Organismus
stärkeren Einfluß, als man nach dem bloßen Thermometerstande glauben
sollte. Im engen Thale wird die Luft so zu sagen im Gleichgewicht gehalten
von zwei Winden, deren einer von West, von der Seeseite weht, während der
andere von Ost, aus dem Binnenlande kommt. Ersterer heißt der »Wind von
Catia,« weil er von Catia, westwärts von Cabo Blanco, durch die Schlucht
Tipe heraufkommt, deren wir oben bei Gelegenheit des Projekts einer neuen
Straße und eines neuen Hafens, statt der Straße und des Hafens von Guayra,
erwähnt haben. Der Wind von Catia ist aber nur scheinbar ein Westwind,
meist ist es der Seewind aus Ost und Nordost, der, wenn er stark bläst,
sich in der Quebrada de Tipe fängt. Von den hohen Bergen Aguas Negras
zurückgeworfen, kommt der Wind nach Caracas herauf auf der Seite des
Kapuzinerklosters und des Rio Caraguata. Er ist sehr feucht und das Wasser
schlägt sich auf ihm nieder, im Maaße als er sich abkühlt; der Gipfel der
Silla umzieht sich daher auch mit Wolken, sobald der Catia ins Thal
dringt. Die Einwohner von Caracas fürchten sich sehr vor ihm; Personen mit
reizbarem Nervensystem verursacht er Kopfschmerzen. Ich habe welche
gekannt, die, um sich dem Winde nicht auszusetzen, nicht aus dem Hause
gehen, wie man in Italien thut, wenn der Sirocco weht. Ich glaubte während
meines Aufenthalts in Caracas gefunden zu haben, daß der Wind von Catia
reiner (etwas reicher an Sauerstoff) sey als der Wind von Petare; ich
meinte auch, seine reizende Wirkung möchte eben von dieser Reinheit
herrühren. Aber die Mittel, die ich angewendet, sind sehr unzuverläßig.
Der Wind von Petare kommt von Ost und Südost, vom östlichen Ende des
Guayrethals herein und führt die trockenere Luft des Gebirgs und des
Binnenlandes herbei; er zerstreut die Wolken und läßt den Gipfel der Silla
in seiner ganzen Pracht hervortreten.

Bekanntlich sind die Veränderungen, welche die Mischung der Luft an einem
gegebenen Ort durch die Winde erleidet, auf eudiometrischem Wege nicht zu
ermitteln, da die genauesten Methoden nur 0,003 Sauerstoff angeben. Die
Chemie kennt noch kein Mittel, um den Inhalt zweier Flaschen zu
unterscheiden, von denen die eine während des Sirocco oder des Catia mit
Luft gefüllt worden ist, und die andere, bevor diese Winde wehten. Es ist
mir jetzt wahrscheinlich, daß der auffallende Effekt des Catia und aller
Luftströmungen, die im gemeinen Glauben verrufen sind, vielmehr dem
Wechsel in Feuchtigkeit und Temperatur als chemischen
Mischungsveränderungen zuzuschreiben sind. Man braucht keine Miasmen von
der ungesunden Seeküste nach Caracas heraufkommen zu lassen; es ist sehr
begreiflich, daß Menschen, die an die trockenere Gebirgsluft gewöhnt sind,
es sehr unangenehm empfinden, wenn die sehr feuchte Seeluft durch die
Tipeschlucht wie ein aufsteigender Strom in das hohe Thal von Caracas
heraufkommt, hier durch die Ausdehnung, die sie erleidet, und durch die
Berührung mit kälteren Schichten sich abkühlt und einen bedeutenden Theil
ihres Wassers niederschlägt. Diese Unbeständigkeit der Witterung, diese
etwas schroffen Uebergänge von trockener, heller zu feuchter, nebligter
Luft, sind Uebelstände, die Caracas mit der ganzen gemäßigten Region unter
den Tropen, mit allen Orten gemein hat, die in einer Meereshöhe von 4--800
Toisen entweder auf kleinen Hochebenen oder am Abhang der Cordilleren
liegen, wie Xalapa in Mexico und Guaduas in Neu-Grenada. Beständig
heiterer Himmel einen großen Theil des Jahres hindurch kommt nur in den
Niederungen an der See vor, und wiederum in sehr bedeutenden Höhen, auf
den weiten Hochebenen, wo die gleichförmige Strahlung des Bodens die
Auflösung der Dunstbläschen zu befördern scheint. Die dazwischen liegende
Zone beginnt mit den ersten Wolkenschichten, die sich über der
Erdoberfläche lagern. Unbeständigkeit und viele Nebel bei sehr milder
Temperatur sind der Witterungscharakter dieser Region.

Trotz der hohen Lage ist der Himmel in Caracas gewöhnlich weniger blau als
in Cumana. Der Wasserdunst ist dort nicht so vollkommen aufgelöst, und wie
in unserem Klima wird durch die stärkere Zerstreuung des Lichts die Farbe
der Luft geschwächt, indem sich Weiß dem Blau beimischt. Die Intensität
des Himmelsblau war auf dem Saussureschen Cyanometer vom November bis
Januar im Durchschnitt 18, nie über 20 Grad, an den Küsten dagegen 22--25
Grad. Ich habe im Thal von Caracas die Bemerkung gemacht, daß der Wind von
Petare das Himmelsgewölbe zuweilen auffallend blaß färbt. Am 23. Januar
war das Blau des Himmels um Mittag im Zenith heller, als ich es je in der
heißen Zone gesehen. Es war gleich 12 Grad des Cyanometers; die Luft war
dabei vollkommen durchsichtig, wolkenlos und auffallend trocken. Sobald
der starke Wind von Petare nachließ, stieg das Blau im Zenith auf 16 Grad.
Zur See habe ich häufig, wenn auch in geringerem Grade, einen ähnlichen
Einfluß des Windes auf die Farbe der Luft beim heitersten Himmel
beobachtet.

Welches ist die mittlere Temperatur von Caracas? Wir kennen sie nicht so
genau wie die von Santa Fe de Bogota und Mexico. Ich glaube indessen
darthun zu können, daß sie nicht viel über oder unter 21--22° beträgt.
Nach eigenen Beobachtungen fand ich für die drei sehr kühlen Monate
November, December und Januar als Durchschnitt des täglichen Maximum und
Minimum der Temperatur 20°,2, 20°,1, 20°,2. Nach dem aber, was wir jetzt
über die Vertheilung der Wärme in den verschiedenen Jahreszeiten und in
verschiedenen Meereshöhen wissen, läßt sich annähernd aus der mittleren
Temperatur einiger Monate die mittlere Temperatur des ganzen Jahres
berechnen, ungefähr wie man auf die Höhe eines Gestirns im Meridian aus
Höhen, die außerhalb des Meridians gemessen werden, einen Schluß zieht.
Das Ergebniß, das ich für richtig halte, ist nun aber auf folgendem Wege
gewonnen worden. In Santa Fe de Bogota weicht nach Caldas der Januar von
der mittleren Jahrestemperatur nur um 0°,2 ab; in Mexico, also der
gemäßigten Zone schon sehr nahe, beträgt der Unterschied im Maximum 3°. In
Guayra bei Caracas weicht der kälteste Monat vom jährlichen Mittel um 4°,9
ab; aber wenn auch im Winter zuweilen die Luft von Guayra (oder von Catia)
durch die Quebrada de Tipe ins hohe Thal von Caracas heraufkommt, so
erhält dasselbe dagegen einen größeren Theil des Jahrs hindurch die Ost-
und Südostwinde von Caurimare her und aus dem Binnenland. Wir wissen nach
unmittelbaren Beobachtungen, daß in Guayra und Caracas die Temperatur der
kältesten Monate 23°,2 und 20°,1 beträgt. Diese Unterschiede sind der
Ausdruck einer Temperaturabnahme, die im Thale von Caracas zugleich von
der hohen Lage (oder von der Ausdehnung der Luft im aufsteigenden Strome)
und vom Conflikt der Winde von Catia und von Petare herbeigeführt wird.

Nach einer kleinen Reihe von Beobachtungen, die ich in drei Jahren theils
in Caracas selbst, theils in Chacao, ganz in der Nähe der Hauptstadt,
angestellt, hielt sich der hunderttheilige Thermometer in der kalten
Jahreszeit bei Tage meistens zwischen 21 und 22°, bei Nacht zwischen 16
und 17°.(27) In der heißen Jahreszeit, im Juli und August, steigt er bei
Tag auf 25--26°, bei Nacht auf 22--23°.(28) Dieß ist der gewöhnliche
Zustand der Atmosphäre, und dieselben Beobachtungen, mit einem von mir
berichtigten Instrument angestellt, ergeben *als mittlere
Jahrestemperatur* von Caracas etwas mehr als 21°,5. Eine solche kommt aber
im System der cisatlantischen Klimate auf Ebenen unter dem
36--37. Breitengrade vor. Es ist wohl überflüssig zu bemerken, daß dieser
Vergleich sich nur auf die Summe von Wärme bezieht, die sich an jedem
Punkte im Laufe des ganzen Jahrs entwickelt, keineswegs auf’s *Klima*, das
heißt auf die Vertheilung der Wärme unter die verschiedenen Jahreszeiten.

Sehr selten sieht man in Caracas im Sommer die Temperatur ein paar Stunden
lang auf 29° [23,°2 R] steigen; sie soll im Winter unmittelbar nach
Sonnenaufgang schon auf 11° [8°,8 R] gesunken seyn. So lange ich mich in
Caracas aufhielt, waren das Maximum und das Minimum nur 25° und 12°,5. Die
Kälte bei Nacht ist um so empfindlicher, da dabei meist nebligtes Wetter
ist. Wochenlang konnte ich weder Sonnen- noch Sternhöhen messen. Der
Uebergang von herrlich durchsichtiger Luft zur völligen Dunkelheit erfolgt
so rasch, daß nicht selten, wenn ich schon, eine Minute vor dem Eintritt
eines Trabanten, das Auge am Fernrohr hatte, mir der Planet und meine
nächste Umgebung mit einander im Nebel verschwanden. In Europa ist in der
gemäßigten Zone die Temperatur auf den Gebirgen etwas gleichförmiger als
in den Niederungen. Beim Gotthardtshospiz z. B. ist der Unterschied
zwischen den mittleren Temperaturen der wärmsten und der kältesten Monate
17°,3, während derselbe unter der nämlichen Breite beinahe am
Meeresspiegel 20--21° beträgt. Die Kälte nimmt auf unsern Bergen nicht so
rasch zu, wie die Wärme abnimmt. Wenn wir den Cordilleren näher kommen,
werden wir sehen, daß in der heißen Zone das Klima in den Niederungen
gleichförmiger ist als auf den Hochebenen. In Cumana und Guayra (denn man
darf keine Orte anführen, wo die Nordwinde einige Monate lang das
Gleichgewicht der Atmosphäre stören) steht der Thermometer das ganze Jahr
zwischen 21 und 35°; in Santa Fe und Quito kommen Schwankungen zwischen 3
und 22° vor, wenn man, nicht die kältesten und heißesten Tage, sondern
Stunden des Jahres vergleicht. In den Niederungen, wie in Cumana, ist der
Unterschied zwischen Tag und Nacht meist nur 3--4°; in Quito fand ich
diesen Unterschied (ich zog dabei jeden Tag und jede Nacht das Mittel aus
4--5 Beobachtungen) gleich 7°. In Caracas, das fast dreimal weniger hoch
und auf einer unbedeutenden Hochebene liegt, sind die Tage im November und
December noch um 5--5°,5 wärmer als die Nächte. Diese Erscheinungen von
nächtlicher Abkühlung mögen auf den ersten Anblick überraschen; sie
modificiren sich durch die Erwärmung der Hochebenen und Gebirge den Tag
über, durch das Spiel der niedergehenden Luftströme, besonders aber durch
die nächtliche Wärmestrahlung in der reinen, trockenen Luft der
Cordilleren.

In den drei Monaten April, Mai und Juni regnet es in Caracas sehr viel.
Die Gewitter kommen immer aus Ost und Südost, von Petare und Valle her. In
den tief gelegenen Landstrichen hagelt es nicht unter den Tropen; in
Caracas aber kommt es so ziemlich alle 4--5 Jahre einmal vor. Man hat
sogar in noch tieferen Thälern hageln sehen, und diese Erscheinung macht
dann einen ungemeinen Eindruck auf das Volk. Ein Meteorsteinfall ist bei
uns nicht so selten als im heißen Erdstrich, trotz der häufigen Gewitter,
Hagel unter 300 Toisen Meereshöhe.

Im kühlen, köstlichen Klima, das wir eben geschildert, gedeihen noch die
tropischen Gewächse. Das Zuckerrohr wird sogar in noch höheren
Landstrichen als Caracas gebaut; man pflanzt aber im Thale wegen der
trockenen Lage und des steinigten Bodens lieber den Kaffeebaum, der nicht
viele, aber ausgezeichnet gute Früchte gibt. In der Blüthezeit des
Strauchs gewährt die Ebene nach Chacao hin den lachendsten Anblick. Der
Bananenbaum in den Pflanzungen um die Stadt ist nicht der große _Platano
harton_ sondern die Varietäten Camburi und Dominico,(29) die weniger Wärme
nöthig haben. Die großen Bananen auf dem Markte von Caracas kommen aus den
Haciendas von Turiamo an der Küste zwischen Burburata und Porto-Cabello.
Die schmackhaftesten Ananas sind die von Baruta, Empedrado und von den
Höhen von Buenavista auf dem Wege nach Victoria. Kommt ein Reisender zum
erstenmal in das Thal von Caracas herauf, so ist er angenehm überrascht,
neben dem Kaffeebaum und Bananenbaum unsere Küchenkräuter, Erdbeeren,
Weinreben und fast alle Obstbäume der gemäßigten Zone zu finden. Die
gesuchtesten Pfirsiche und Äpfel kommen von Macarao, am westlichen Ausgang
des Thals. Der Quittenbaum, dessen Stamm nur vier bis fünf Fuß hoch wird,
ist dort so gemein, daß er fast verwildert ist. Eingemachtes von Apfeln
und besonders von Quitten ist sehr beliebt, da man hier zu Lande meint,
ehe man Wasser trinkt, müsse man durch Süßigkeiten den Durst reizen. Je
stärker man in der Umgebung der Stadt Kaffee baute und je mehr mit den
Pflanzungen, die nicht älter sind als 1793, die Zahl der Arbeitsneger
stieg, desto mehr hat der Mais- und Gemüsebau die zerstreuten Apfel- und
Quittenbäume aus den Savanen verdrängt. Der Reisfelder, die man bewässert,
waren früher in der Ebene von Chacao mehr als jetzt. Ich habe in dieser
Provinz, wie in Mexico und in allen hochgelegenen Ländern der heißen Zone,
die Bemerkung gemacht, daß da, wo der Apfelbaum vortrefflich gedeiht, der
Birnbaum nur schwer fortzubringen ist. Man hat mich versichert, die
ausgezeichnet guten Äpfel, die man auf dem Markte kauft, wachsen bei
Caracas auf ungeimpften Stämmen. Kirschbäume gibt es nicht; die
Olivenbäume, die ich im Hof des Klosters San Felipe de Neri gesehen, sind
groß und schön; aber eben wegen des üppigen Wachsthums tragen sie keine
Früchte.

Wenn die Luftbeschaffenheit des Thals allen landwirthschaftlichen
Produkten, die in den Colonien gebaut werden, ungemein günstig ist, so
läßt sich von der Gesundheit der Einwohner und der in der Hauptstadt von
Venezuela lebenden Fremden nicht dasselbe sagen. Das äußerst unbeständige
Wetter und die häufige Unterdrückung der Hautausdünstung erzeugen
catarrhalische Beschwerden, die in den mannigfachsten Formen auftreten.
Hat sich der Europäer einmal an die starke Hitze gewöhnt, so bleibt er in
Cumana, in den Thälern von Aragua, überall, wo die Niederung unter den
Tropen nicht zugleich sehr feucht ist, gesunder als in Caracas und all den
Gebirgsländern, wo der gepriesene beständige Frühling herrschen soll.

Als ich vom gelben Fieber in Guayra sprach, gedachte ich der allgemein
verbreiteten Meinung, daß diese schreckliche Krankheit fast eben so wenig
von der Küste von Venezuela nach der Hauptstadt wandere, als von der Küste
von Mexico nach Xalapa. Diese Meinung stützt sich auf die Erfahrung der
letzten zwanzig Jahre. Von den Epidemien, die im Hafen von Guayra
herrschten, wurde in Caracas fast nichts bemerkt. Es sollte mir leid thun,
wenn ich durch eingebildete Besorgnisse die Bewohner der Hauptstadt aus
ihrer Sicherheit aufschreckte; ich bin aber durchaus nicht überzeugt, daß
der amerikanische Typhus, wenn er durch den starken Verkehr im Hafen auf
der Küste einheimischer wird, nicht eines Tags, wenn besondere klimatische
Verhältnisse ihm Vorschub leisten, im Thal sehr oft auftreten könnte. Denn
die mittlere Temperatur desselben ist immer noch so hoch, daß der
Thermometer sich in den heißesten Monaten zwischen 22 und 26 Grad
[17--20° R] hält. Wenn sich nicht wohl bezweifeln läßt, daß dieser Typhus
in der gemäßigten Zone durch Berührung ansteckend ist, wie sollte man da
sicher seyn, daß er bei großer Bösartigkeit nicht auch in der heißen Zone
in einer Gegend ansteckend wird, wo vier Meilen von der Küste die
Sommertemperatur die Disposition des Körpers noch steigert? Die Lage von
Xalapa am Abhang der mexicanischen Gebirge bietet ungleich mehr
Sicherheit, da die Stadt weniger volkreich und fünfmal weiter von der See
entfernt ist als Caracas, da sie um 230 Toisen höher liegt und ihre
mittlere Temperatur 3 Grad weniger beträgt. Im Jahre 1696 weihte ein
Bischof von Venezuela, Diego de Baños, eine Kirche (_ermita_) der heiligen
Rosalia von Palermo, weil sie die Hauptstadt vom schwarzen Erbrechen,
_vomito negro_, erlöst, nachdem es sechzehn Monate gewüthet. Ein Hochamt,
das alle Jahre zu Anfang Septembers in der Hauptkirche begangen wird, ist
zum Andenken an diese Seuche gestiftet, wie denn in den spanischen
Colonien auch die Tage, an denen große Erdbeben stattgefunden, durch
Prozessionen im Gedächtniß erhalten werden. Das Jahr 1696 war wirklich
durch eine Gelbefieberepidemie ausgezeichnet, die auf allen Antillen
herrschte, wo die Krankheit sich erst seit dem Jahr 1688 eigentlich
festzusetzen begonnen hatte; wie soll man aber in Caracas an eine Epidemie
des schwarzen Erbrechens glauben, die ganze sechzehn Monate gedauert, und
also die sehr kühle Jahreszeit, in der der Thermometer auf 12 oder 13
Grade fällt, überdauert hätte? Sollte der Typhus im hohen Thale von
Caracas älter seyn als in den besuchteren Häfen von Terra Firma? In diesen
war er, nach Ulloa, vor dem Jahr 1729 nicht bekannt, und so bezweifle ich,
daß die Epidemie von 1696 das gelbe Fieber oder der ächte amerikanische
Typhus war. Schwarze Ausleerungen kommen in remittirenden Gallenfiebern
häufig vor und sind an und für sich so wenig als das Blutspeien für die
schreckliche Krankheit charakteristisch, die man gegenwärtig in der Havana
und in Vera Cruz unter dem Namen _vomito_ kennt. Wenn aber keine genaue
Beschreibung vorliegt, aus der hervorgeht, daß der amerikanische Typhus in
Caracas schon zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts geherrscht habe, so ist
es leider nur zu gewiß, daß diese Krankheit in dieser Hauptstadt im Jahr
1802 eine Menge junger europäischer Soldaten weggerafft hat. Der Gedanke
ist beunruhigend, daß mitten in der heißen Zone ein 450 Toisen hoch, aber
sehr nahe an der See gelegenes Plateau die Einwohner keineswegs vor einer
Seuche schützt, die, wie man meint, nur in den Niederungen an der Küste zu
Hause ist.

                            ------------------



   20 Die _Capitanio general_ von Caracas hat 48,000 Quadratmeilen (25 auf
      den Grad) Umfang, Peru 30,000, Neu-Grenada 65,000. Es ist dieß das
      Ergebniß von Oltmanns Berechnung, wobei die Veränderungen zu Grunde
      gelegt sind, welche die Karten von Amerika durch meine
      astronomischen Bestimmungen erlitten haben.

   21 So heißen in Spanien die Bewohner der Gebirge von Santander.

   22 Nach dem Vorgang von *Anglo-Amerikaner*, welcher Ausdruck in alle
      europäischen Sprachen übergegangen ist. In den spanischen Colonien
      heißen die in Amerika geborenen Weißen *Spanier*, die wirklichen
      Spanier aus dem Mutterland *Europäer*, *Gachupins* oder *Chapetons*

   23 1567, später als Cumana, Coro, Nueva Barcelona und Caravalleda.

   24 S. Bd. I. Seite 238.

   25 In ganz Amerika glaubt man, das Wasser nehme die Eigenschaften der
      Gewächse an, in deren Schatten es fließt. So rühmt man an der
      Magellanscheu Meerenge das Wasser, das mit den Wurzeln der
      _Winterana Canella_ in Berührung kommt.

   26 Ich fand auf dem Platze Trinidad die scheinbare Höhe der Silla
      11° 12′ 49″. Ihr Abstand beträgt etwa 4500 Toisen.

   27 Nach Reaumur bei Tag 16°,8--18°, bei Nacht 12°,8-13°,6.

   28 Nach Reaumur bei Tag 20°--20°,8, bei Nacht 17°,6--18°,4.

   29 S. Bd. I, S. 80



DREIZEHNTES KAPITEL.


     Aufenthalt in Caracas. -- Berge um die Stadt. -- Besteigung des
                            Gipfels der Silla.


Ich blieb zwei Monate in Caracas. Bonpland und ich wohnten in einem
großen, fast ganz frei stehenden Hause im höchsten Theil der Stadt. Auf
einer Galerie übersahen wir mit Einem Blick den Gipfel der Silla, den
gezackten Kamm des Galipano und das lachende Guayrethal, dessen üppiger
Anbau von den finstern Bergwänden umher absticht. Es war in der trockenen
Jahreszeit. Um die Weide zu verbessern, zündet man die Savanen und den
Rasen an, der die steilsten Felsen bedeckt. Diese großen Brände bringen,
von weitem gesehen, die überraschendsten Lichteffekte hervor. Ueberall wo
die Savanen längs der aus- und einspringenden Felsgehänge die von den
Bergwassern eingerissenen Schluchten ausfüllen, nehmen sich die brennenden
Bodenstreifen bei dunkler Nacht wie Lavaströme aus, die über dem Thale
hängen. Ihr starkes, aber ruhiges Licht färbt sich röthlich, wenn der
Wind, der von der Silla herunter kommt, Wolkenzüge ins Thal niedertreibt.
Andere male, und dann ist der Anblick am großartigsten, sind die
Lichtstreifen in dickes Gewölk gehüllt und kommen nur da und dort durch
Risse zum Vorschein, und wenn dann die Wolken steigen, zeigen sich ihre
Ränder glänzend beleuchtet. Diese mannigfaltigen Erscheinungen, wie sie
unter den Tropen häufig vorkommen, werden noch anziehender durch die Form
der Berge, durch die Stellung der Abhänge und die Höhe der mit
Alpenkräutern bewachsenen Savanen. Den Tag über jagt der Wind von Petare
von Osten her den Rauch über die Stadt und macht die Luft weniger
durchsichtig.

Hatten wir Ursache, mit der Lage unserer Wohnung zufrieden zu seyn, so
waren wir es noch viel mehr mit der Aufnahme, die uns von den Einwohnern
aller Stände zu Theil wurde. Ich habe die Verpflichtung, der edlen
Gastfreundschaft zu gedenken, die wir bei dem damaligen Generalcapitän der
Provinzen von Venezuela, Herrn von Guevara Vasconzelos, genossen. Es ward
mir das Glück zu Theil, das nur wenige Spanier mit mir theilen, hinter
einander Caracas, Havana, Santa Fe de Bogota, Quito, Lima und Mexico zu
besuchen, und in diesen sechs Hauptstädten des spanischen Amerika brachten
mich meine Verhältnisse mit Leuten aller Stände in Verbindung; dennoch
erlaube ich mir nicht, mich über die verschiedenen Stufen der Cultur
auszusprechen, welche die Gesellschaft in jeder Colonie bereits erstiegen.
Es ist leichter, die Schattirungen der Nationalcultur und die vorzugsweise
Richtung der geistigen Entwicklung anzugeben, als zu vergleichen und zu
classificiren, was sich nicht unter Einen Gesichtspunkt bringen läßt. In
Mexico und Santa Fe de Bogota schien mir die Neigung zu ernsten
wissenschaftlichen Studien vorherrschend, in Quito und Lima fand ich mehr
Sinn für schöne Literatur und Alles, was eine lebendige, feurige
Einbildungskraft anspricht, in der Havana und in Caracas größere Bildung
hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse, umfassendere
Ansichten über die Zustände der Colonien und der Mutterländer. Der starke
Handelsverkehr mit Europa und das Meer der Antillen, das wir oben als ein
Mittelmeer mit mehreren Ausgängen beschrieben, haben auf die
gesellschaftliche Entwicklung auf Cuba und in den schönen Provinzen von
Venezuela gewaltigen Einfluß geäußert. Nirgends sonst im spanischen
Amerika hat die Civilisation eine so europäische Färbung angenommen. Die
Menge Ackerbau treibender Indianer in Mexico und im Innern von Neu-Grenada
gibt diesen großen Ländern einen eigenthümlichen, man könnte sagen
exotischeren Charakter. Trotz der Zunahme der schwarzen Bevölkerung glaubt
man sich in der Havana und in Caracas näher bei Cadix und den Vereinigten
Staaten als in irgend einem Theil der neuen Welt.

Da Caracas auf dem Festland liegt und die Bevölkerung nicht so beweglich
ist als auf den Inseln, haben sich die volksthümlichen Gebräuche mehr
erhalten als in der Havana. Sehr geräuschvolle und sehr mannigfaltige
Zerstreuungen bietet die Gesellschaft nicht, aber im Kreise der Familien
empfindet man das Behagen, das munteres Wesen und Herzlichkeit im Verein
mit seiner Sitte in uns erzeugen. Es gibt in Caracas, wie überall, wo eine
große Umwälzung in den Vorstellungen bevorsteht, zwei Menschenklassen, man
könnte sagen zwei streng geschiedene Generationen. Die eine, nicht mehr
sehr zahlreiche, hält fest an den alten Bräuchen und hat die alte
Sitteneinfalt und Mäßigung in Wünschen und Begierden bewahrt. Sie lebt nur
in der Vorzeit; in ihrer Vorstellung ist Amerika Eigenthum ihrer
Voreltern, die es erobert haben. Sie verabscheut die sogenannte Aufklärung
des Jahrhunderts und hegt sorgfältig, wie einen Theil ihres Erbguts, die
überlieferten Vorurtheile. Die andere lebt weniger in der Gegenwart als in
der Zukunft und hat eine nicht selten leichtfertige Vorliebe für neue
Sitten und Ideen. Kommt zu dieser Neigung der Trieb, sich gründlich zu
bilden, wird sie von einem kräftigen, hellblickenden Geiste gezügelt und
gelenkt, so wird sie in ihren Wirkungen der Gesellschaft ersprießlich. Ich
habe in Caracas mehrere durch wissenschaftlichen Sinn, angenehme Sitten
und großartige Gesinnung gleich ausgezeichnete Männer kennen gelernt, die
dieser zweiten Generation angehörten; aber auch andere, die auf alles
Schöne und Achtungswürdige im spanischen Charakter, in der Literatur und
Kunst dieses Volks herabsahen und damit ihre eigene Nationalität
einbüßten, ohne im Verkehr mit den Fremden richtige Begriffe über die
wahren Grundlagen des öffentlichen Wohls und der gesellschaftlichen
Ordnung einzutauschen. Da seit der Regierung Karls V. der
Corporationsgeist und der Municipalhaß aus dem Mutterland in die Colonien
übergegangen sind, so findet man in Cumana und andern Handelsstädten von
Terra Firma Gefallen daran, die Adelsansprüche der vornehmsten Familien in
Caracas, der sogenannten _‘Mantuanos’_, mit Uebertreibung zu schildern.
Wie sich diese Ansprüche früher geäußert, weiß ich nicht; es schien mir
aber, als ob die fortschreitende Bildung und die in den Sitten sich
vollziehende Umwandlung nach und nach und fast durchgängig den
gesellschaftlichen Unterschieden im Verkehr unter Weißen alles Verletzende
benommen hätten. In allen Colonien gibt es zweierlei Adel. Der eine
besteht aus Creolen, deren Vorfahren in jüngster Zeit bedeutende Aemter in
Amerika bekleidet haben; er gründet seine Vorrechte zum Theil auf das
Ansehen, in dem er im Mutterlande steht; er glaubt sie auch über dem Meere
festhalten zu können, gleichviel zu welcher Zeit er sich in den Colonien
niedergelassen; Der andere Adel haftet mehr am amerikanischen Boden; seine
Glieder sind Nachkommen der *Conquistadoren*, das heißt der Spanier, die
bei der ersten Eroberung im Heere gedient. Mehrere dieser Krieger, der
Waffengenossen der Cortez, Losada und Pizarro, gehörten den vornehmsten
Familien der pyrenäischen Halbinsel an; andere aus den untern Volksklassen
haben ihre Namen durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender
Zug des frühen sechzehnten Jahrhunderts ist, zu Ehren gebracht. Ich habe
oben daran erinnert,(30) daß in der Geschichte dieser Zeit der religiösen
und kriegerischen Begeisterung im Gefolge der großen Anführer mehrere
redliche, schlichte, großmüthige Männer auftraten. Sie eiferten wider die
Grausamkeiten, welche die Ehre des spanischen Namens befleckten; aber sie
verschwanden in der Menge und konnten der allgemeinen Aechtung nicht
entgehen. Der Name »Conquistadores« ist desto verhaßter geblieben, als die
wenigsten, nachdem sie. friedliche Völker mißhandelt und im Schooße des
Ueberflusses geschwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem schweren
Umschlag des Glücks gebüßt haben, der den Haß der Menschen sänftigt und
nicht selten das harte Urtheil der Geschichte mildert.

Aber nicht allein der Fortschritt der Cultur und der Conflikt zwischen
zwei Adelsklassen von verschiedenem Ursprung nöthigt die privilegirten
Stände ihre Ansprüche aufzugeben oder doch aus Klugheit nicht merken zu
lassen. Die Aristokratie findet in den spanischen Colonien noch ein
anderes Gegengewicht, das sich von Tag zu Tag mehr geltend macht. Unter
den Weißen hat sich das Gefühl der Gleichheit aller Gemüther bemächtigt.
Ueberall, wo die Farbigen entweder als Sklaven oder als Freigelassene
angesehen werden, ist die angestammte Freiheit, das Bewußtseyn, daß man
nur Freie zu Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Colonien ist die
Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen desselben. In Mexico wie in Peru, in
Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage einen Menschen, der barfuß geht,
sagen hören: »Will der reiche weiße Mann weißer seyn als ich?« Da Europa
so große Menschenmengen an Amerika abgeben kann, so ist begreiflich, daß
der Satz: jeder Weiße ist Ritter, _todo blanco es caballero_ den
altadeligen europäischen Familien mit ihren Ansprüchen sehr unbequem ist.
Noch mehr: dieser selbe Satz ist in Spanien bei einem wegen seiner
Biederkeit, seines Fleißes und seines Nationalgeistes mit Recht geachteten
Volksstamm längst anerkannt: jeder Biscayer nennt sich adelig, und da es
in Amerika und auf den Philippinen mehr Biscayer gibt als zu Hause auf der
Halbinsel, so haben die Weißen von diesem Volksstamm nicht wenig dazu
beigetragen, den Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen, deren Blut
nicht mit afrikanischem Blut vermischt ist, in den Colonien zur Geltung zu
bringen.

Zudem sind die Länder, wo man, auch ohne Repräsentativregierung und ohne
Pairschaft, auf Stammbäume und Geburtsvorzüge so sehr viel hält,
keineswegs immer die, wo die Familienaristokratie am verletzendsten
auftritt. Vergebens sucht man bei den Völkern spanischen Ursprungs das
kalte, anspruchsvolle Wesen, das durch den Charakter der modernen Bildung
im übrigen Europa nur noch allgemeiner zu werden scheint. In den Colonien
wie im Mutterlande knüpfen Herzlichkeit, Unbefangenheit und große
Anspruchslosigkeit des Benehmens ein Band zwischen allen Ständen. Ja, man
kann sagen, Eitelkeit und Selbstsucht verletzen um so weniger, da sie sich
mit einer gewissen Offenheit und Naivität aussprechen.

Ich fand in Caracas in mehreren Familien Sinn für Bildung; man kennt die
Hauptwerke der französischen und italienischen Literatur, man liebt die
Musik, man treibt sie mit Erfolg, und sie verknüpft, wie die Pflege aller
schönen Kunst, die verschiedenen Stufen der Gesellschaft. Für
Naturwissenschaften und zeichnende Künste bestehen hier keine großen
Anstalten, wie Mexico und Santa Fe sie der Freigebigkeit der Regierung und
dem patriotischen Eifer der spanischen Bevölkerung verdanken. In einer so
wundervollen, überschwenglich reichen Natur gab sich kein Mensch an dieser
Küste mit Botanik oder Mineralogie ab. Nur in einem Franciscanerkloster
fand ich einen ehrwürdigen Alten, der für alle Provinzen von Venezuela den
Kalender berechnete und vom gegenwärtigen Stand der Astronomie einige
richtige Begriffe hatte. Unsere Instrumente waren ihm höchst merkwürdig,
und eines Morgens kamen uns sämmtliche Franciscaner ins Haus und
verlangten zu unserer großen Ueberraschung einen Inclinationscompaß zu
sehen. In Ländern, die vom vulkanischen Feuer unterhöhlt sind, und in
einem Himmelsstrich, wo die Natur so großartig und dabei so geheimnißvoll
unruhig ist, steigert sich von selbst die Aufmerksamkeit auf physikalische
Erscheinungen, und damit die Neubegier.

Wenn man daran denkt, daß in den Vereinigten Staaten von Nordamerika in
kleinen Städten von 3000 Einwohnern Zeitungen erscheinen, so wundert man
sich, wenn man hört, daß Caracas mit einer Bevölkerung von 40--50,000
Seelen bis zum Jahr 1806 keine Druckerei hatte; denn so kann man doch
nicht wohl Pressen nennen, auf denen man Jahr um Jahr einen Kalender von
ein paar Seiten oder ein bischöfliches Ausschreiben zu Stande bringt. Der
Personen, denen Lesen ein Bedürfniß ist, sind nicht sehr viele, selbst in
denjenigen spanischen Colonien, wo die Cultur am weitesten fortgeschritten
ist; es wäre aber unbillig, den Colonisten zur Last zu legen, was das Werk
einer argwöhnischen Staatskunst ist. Ein Franzose, Delpeche, der durch
Heirath einer der geachtetsten Familien des Landes angehört, hat sich
durch die Errichtung der ersten guten Druckerei in Caracas verdient
gemacht. Es ist in unserer Zeit gewiß eine auffallende Erscheinung, daß
das kräftigste Mittel des Gedankenaustausches nicht vor einer politischen
Umwälzung eingeführt wird, sondern erst nachher.

In einem Land mit so reizenden Fernsichten, zu einer Zeit, wo trotz der
Aufstandsversuche die große Mehrzahl der Einwohner nur an materielle
Interessen dachte, an die Fruchtbarkeit des Jahres, an die lange Dürre, an
den Kampf zwischen den Winden von Petare und Catia, glaubte ich viele
Leute zu finden, welche mit den hohen Bergen in der Umgegend genau bekannt
wären; wir konnten aber in Caracas auch nicht Einen Menschen auftreiben,
der je auf dem Gipfel der Silla gewesen wäre. Die Jäger kommen in den
Bergen nicht bis oben hinauf, und in diesen Ländern geht kein Mensch
hinaus, um Alpenpflanzen zu sammeln, um Gebirgsarten zu untersuchen und
ein Barometer auf hohe Punkte zu bringen. Man ist an ein einförmiges Leben
zwischen seinen vier Wänden gewöhnt, man scheut die Anstrengung und die
raschen Witterungswechsel, und es ist, als lebe man nicht, um des Lebens
zu genießen, sondern eben nur, um fortzuleben.

Wir kamen auf unsern Spaziergängen häufig auf zwei Kaffeepflanzungen,
deren Eigenthümer angenehme Gesellschafter waren. Die Pflanzungen liegen
der Silla von Caracas gegenüber. Wir betrachteten mit dem Fernrohr die
schroffen Abhänge des Berges und seine beiden Spitzen, und konnten so zum
voraus ermessen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben würden,
um auf den Gipfel zu gelangen. Nach den Höhenwinkeln, die ich auf unserem
Platze Trinidad aufgenommen, schien mir dieser Gipfel nicht so hoch über
dem Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito. Diese
Schätzung stimmte aber schlecht mit den Vorstellungen der Bewohner des
Thals. Die Berge, welche über großen Städten liegen, erhalten eben dadurch
in beiden Continenten einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man sie genau
gemessen hat, schreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man
nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvorurtheil zu
verstoßen.

Der Generalcapitän Guevara verschaffte uns Führer durch den *Teniente* von
Chacao. Es waren Schwarze, denen der Weg, der über den Bergkamm an der
westlichen Spitze der Silla vorbei zur Küste führt, etwas bekannt war.
Dieser Weg wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unsere
Führer, noch die erfahrensten Leute in der Miliz, welche die
Schleichhändler in diesen Wildnissen verfolgen, waren je auf der östlichen
Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla gewesen. Während des ganzen
Decembers war der Berg, dessen Höhenwinkel mich das Spiel der irdischen
Refraction beobachten ließen, nur fünfmal unumwölkt gewesen. Da in dieser
Jahreszeit selten zwei heitere Tage auf einander folgen, hatte man uns
gerathen, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, sondern zu einer Zeit, wo
die Wolken nicht hoch stehen und man hoffen darf, über der ersten
gleichförmig verbreiteten Dunstschicht in trockene, helle Luft zu
gelangen. Wir brachten die Nacht des 2. Januars in der *Estancia* de
Gallegos zu, einer Kaffeepflanzung, bei der in einer schattigen Schlucht
der Bach Chacaito, der vom Gebirge herab kommt, schöne Fälle bildet. Die
Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir. am Vorabend eines
beschwerlichen Marsches gern einiger Ruhe genossen hätten, harrten wir,
Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei Bedeckungen der
Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte der Beobachtungen zum voraus
bestimmt und doch verfehlten wir alle, weil sich in die _Conaissance de
temps_ Rechnungsfehler eingeschlichen hatten. Ein böser Stern waltete über
den Angaben hinsichtlich der Bedeckungen für December und Januar: man
hatte mittlere und wahre Zeit verwechselt.

Dieses Mißgeschick machte mir großen Verdruß, und nachdem ich vor
Sonnenaufgang die Intensität der magnetischen Kraft am Fuße des Berges
beobachtet, brachen wir um fünf Uhr Morgens mit den Sklaven, die unsere
Instrumente trugen, auf. Wir waren unser achtzehn Personen und gingen auf
schmalem Fußpfad in einer Reihe hinter einander. Dieser Pfad läuft über
einen steilen, mit Rasen bedeckten Abhang. Man sucht zuerst den Gipfel
eines Hügels zu erreichen, der gegen Südwest hin eine Art Vorgebirge der
Silla bildet. Derselbe hängt mit der Masse des Berges selbst durch einen
schmalen Damm zusammen, den die Hirten sehr bezeichnend »die Pforte«,
_Puerta de la Silla_ nennen. Wir erreichten ihn gegen sieben Uhr. Der
Morgen war schön und kühl, und der Himmel schien bis jetzt unser Vorhaben
zu begünstigen. Der Thermometer stand ein wenig unter 14° (11°,2 R.). Nach
dem Barometer waren wir bereits 685 Toisen über dem Meer, das heißt gegen
80 Toisen höher als die Venta, wo man die prächtige Aussicht auf die Küste
hat. Unsere Führer meinten, wir werden bis auf den Gipfel noch sechs
Stunden brauchen.

Wir gingen auf einem schmalen, mit Rasen bedeckten Felsdamm, und dieser
führte uns vom Vorgebirge der Puerta auf den Gipfel des großen Berges. Man
blickt zu beiden Seiten in zwei Thäler nieder, die vielmehr dicht
bewachsene Spalten sind. Zur Rechten sieht man die Schlucht, die zwischen
beiden Gipfeln gegen den Hof Munnoz herabläuft; links hat man unter sich
die Spalte des Chacaito, deren reiche Gewässer am Hofe Gallego
vorbeifließen. Man hört die Wasserfälle rauschen, ohne den Bach zu sehen,
der im dichten Schatten der _Erythrina_, _Clusia_ und der indischen
Feigenbäume [_Ficus nymphaeifolia_, _Erythrina mitis_] fließt. Nichts
malerischer in einem Erdstrich, wo so viele Gewächse große, glänzende,
lederartige Blätter haben, als tief unter sich die Baumwipfel von den fast
senkrechten Sonnenstrahlen beleuchtet zu sehen.

Von der Puerta an wird der Berg immer steiler. Man mußte sich stark
vorüber beugen, um vorwärts zu kommen. Der Winkel beträgt häufig 30--32
Grad. Der Rasen ist dicht und er war durch die lange Trockenheit sehr
glatt geworden. Gerne hätten wir Fußeisen oder mit Eisen beschlagene
Stöcke gehabt. Das kurze Gras bedeckt die Gneißfelsen und man kann sich
weder am Grase halten, noch Stufen einschneiden, wie auf weicherem Boden.
Dieses mehr mühsame als gefährliche Ansteigen wurde den Leuten aus der
Stadt, die uns begleitet hatten und das Bergsteigen nicht gewöhnt waren,
bald zu viel. Wir verloren viele Zeit, um auf sie zu warten, und wir
entschlossen uns erst, unsern Weg allein fortzusetzen, als wir alle den
Berg wieder hinabgehen, statt weiter heraufkommen sahen. Der Himmel fing
an sich zu bedecken. Bereits stieg aus dem feuchten Buschwald, der über
uns die Region der Alpensavanen begrenzte, der Nebel wie Rauch in dünnen,
geraden Streifen auf. Es war, als wäre an mehreren Punkten des Waldes
zugleich Feuer ausgebrochen. Nach und nach ballten sich diese
Dunststreifen zusammen, lösten sich vom Boden ab und streiften, vom
Morgenwind gejagt, als leichtes Gewölk um den runden Gipfel des Gebirgs.

Dieß war für Bonpland und mich ein untrügliches Zeichen, daß wir bald in
dichten Nebel gehüllt seyn würden. Da wir besorgten, unsere Führer möchten
sich diesen Umstand zu Nutze machen, um uns im Stiche zu lassen, ließen
wir diejenigen, welche die unentbehrlichsten Instrumente trugen, vor uns
hergehen. Fortwährend ging es am Abhang, gegen die Spalte des Chacaito zu,
aufwärts. Das vertrauliche Geschwätz der schwarzen Creolen stach
merkwürdig ab vom schweigsamen Ernst der Indianer, die in den Missionen
von Charipe unsere beständigen Begleiter gewesen waren. Sie machten sich
über die Leute lustig, die ein Unternehmen, zu dem sie sich lange
gerüstet, so schnell aufgegeben hatten; am schlimmsten kam ein junger
Kapuziner weg, ein Professor der Mathematik, der immer wieder darauf kam,
daß die europäischen Spanier aller Stände an Körperkraft und Muth den
Hispano-Amerikanern denn doch weit überlegen sehen. Er hatte sich mit
weißen Papierstreifen versehen, die in der Savane zerschnitten und
ausgeworfen werden sollten, um den Nachzüglern die einzuschlagende
Richtung anzugeben. Der Professor hatte sogar seinen Ordensbrüdern
versprochen, er wolle in der Nacht ein paar Raketen steigen lassen, um
ganz Caracas zu verkünden, daß ein Unternehmen glücklich zu Ende geführt
worden, das ihm, und ich muß sagen, nur ihm, vom höchsten Belang schien.
Er hatte nicht bedacht, daß seine lange, schwere Kleidung ihm beim
Bergsteigen hinderlich werden müsse. Er hatte lange vor den Creolen den
Muth verloren, und so blieb er den Tag vollends in einer nahen Pflanzung
und sah uns durch ein auf die Silla gerichtetes Fernrohr den Berg
hinaufklettern. Zu unserem Unstern hatte der Ordensmann, dem es nicht an
physikalischen Kenntnissen fehlte, und der wenige Jahre darauf von den
wilden Indianern am Apure ermordet wurde, die Besorgung des bei einer
Bergfahrt unentbehrlichen Wassers und der Mundvorräthe übernommen. Die
Sklaven, die zu uns stoßen sollten, wurden von ihm so lange aufgehalten,
daß sie erst sehr spät anlangten und wir zehn Stunden ohne Wasser und Brod
zubrachten.

Von den zwei abgerundeten Spitzen, die den Gipfel des Berges bilden, ist
die östliche die höchste, und auf diese sollten wir mit unsern
Instrumenten hinaufkommen. Von der Einsenkung zwischen beiden Gipfeln hat
der ganze Berg den spanischen Namen _Silla_*, Sattel*. Eine Schlucht,
deren wir bereits erwähnt, läuft von dieser Einsenkung ins Thal von
Caracas hinab; bei ihrem Anfang oder am obern Ende nähert sie sich der
westlichen Spitze. Man kann dem östlichen Gipfel nur so beikommen, daß man
zuerst westlich von der Schlucht über das Vorgebirge der Puerta gerade auf
den niedrigeren Gipfel zugeht und sich erst nach Ost wendet, wenn man den
Kamm oder die *Einsattelung* zwischen beiden Gipfeln beinahe erreicht hat.
Schon ein Blick auf den Berg zeigt diesen Weg als den von selbst
gegebenen, denn die Felsen östlich von der Schlucht sind so steil, daß es
schwer halten dürfte, auf den Gipfel der Silla zu gelangen, wenn man statt
über die Puerta gerade auf den östlichen Gipfel zuginge.

Vom Fuße des Falls des Chacaito bis in 1000 Toisen Höhe fanden wir nur
Savanen. Nur zwei kleine Liliengewächse mit gelben Blüthen erheben sich
über den Gräsern, mit denen das Gestein bewachsen ist. Hie und da
erinnerte ein Himbeerbusch [_Rubus jamaicensis_] an die europäischen
Pflanzenformen. Vergebens sahen wir uns auf diesen Bergen von Caracas, wie
später auf dem Rücken der Anden, neben den Himbeerbüschen nach einem
Rosenstrauche um. In ganz Südamerika haben wir keine einheimische Rosenart
gefunden, so nahe sich auch das Klima auf den hohen Bergen der heißen Zone
und das unseres gemäßigten Erdstrichs stehen. Ja dieser liebliche Strauch
scheint der ganzen südlichen Halbkugel diesseits und jenseits des
Wendekreises zu fehlen. Erst auf den Bergen von Mexico waren wir so
glücklich, unter dem 19. Grad der Breite einen amerikanischen Rosenstrauch
zu entdecken.

Von Zeit zu Zeit wurden wir in Nebel gehüllt und fanden uns dann über die
Richtung unseres Weges nur schwer zurecht, denn in dieser Höhe besteht
kein gebahnter Pfad mehr. Man hilft mit den Händen nach, wenn einen auf
dem steilen, glitschigen Abhang die Beine im Stiche lassen. Ein drei Fuß
mächtiger Gang mit Porzellanerde erregte unsere Aufmerksamkeit. Diese
schneeweiße Erde ist ohne Zweifel zersetzter Feldspath. Ich übergab dem
Intendanten der Provinz ansehnliche Proben davon. In einem Lande, wo es
nicht an Brennmaterial fehlt, läßt sich durch Beimischung feuerbeständiger
Erden das Töpfergeschirr, selbst die Backsteine, verbessern. So oft die
Wolken uns umgaben, fiel der Thermometer auf 12° (9°,6 R.), bei hellem
Himmel stieg er auf 21°. Diese Beobachtungen wurden im Schatten gemacht;
aber auf so steilen, mit vertrocknetem, gelbem, glattem Rasen bedeckten
Abhängen fällt es schwer, den Einfluß der strahlenden Wärme
auszuschließen. Wir waren in 940 Toisen Höhe und dennoch sahen wir in
gleicher Höhe ostwärts in einer Schlucht nicht ein paar einzelne Palmen,
sondern ein ganzes Palmenwäldchen. Es war die _Palma real_ vielleicht zur
Gattung _Oreodoxa_ gehörig. Diese Gruppe von Palmen in so bedeutender Höhe
war eine seltsame Erscheinung gegenüber den Weiden [Wildenows _Salix
Humboldtiana_], die im gemäßigteren Thalgrunde von Caracas hin und wieder
wachsen; so sieht man hier Gewächse mit europäischem Typus tiefer als
solche der heißen Zone vorkommen.

Nach vierstündigem Marsch über die Savanen kamen wir in ein Buschwerk aus
Sträuchern und niedrigen Bäumen, _‘el Pejual’_ genannt, wahrscheinlich
wegen des vielen Pejoa (_Gaultheria odorata_), eines Gewächses mit
wohlriechenden Blättern [s. Bd. I. Seite 335]. Der Abhang des Berges wurde
sanfter und mit unsäglicher Lust untersuchten wir die Gewächse dieser
Region. Vielleicht nirgends findet man auf so beschränktem Raum so schöne
und für die Pflanzengeographie bedeutsame Pflanzen beisammen. In tausend
Toisen Meereshöhe stoßen die hohen Savanen der Silla an eine Zone von
Sträuchern, die durch den Habitus, die gekrümmten Aeste, die harten
Blätter, die großen schönen Purpurblüthen an die Vegetation der *Paramos*
oder *Punas*(31) erinnern, wie man in der Cordillere der Anden sie nennt.
Hier treten auf: die Familie der Alprosen, die Thibaudien, die Andromeden,
die Vaccinien (Heidelbeerarten) und die Befarien mit harzigen Blättern,
die wir schon öfters mit dem Rhododendrum der europäischen Alpen
verglichen haben.

Wenn auch die Natur in ähnlichen Klimaten, sey es nun in Niederungen aus
isothermen Parallelen (von gleicher Wärme), sey es auf Hochebenen, deren
Temperatur mit der Temperatur weiter gegen die Pole gelegener Länder
übereinkommt, nicht dieselben Pflanzenarten hervorbringt, so zeigt doch
die Vegetation noch so weit entlegener Landstriche im ganzen Habitus die
auffallendste Aehnlichkeit. Diese Erscheinung ist eine der merkwürdigsten
in der Geschichte der organischen Bildungen; ich sage in der Geschichte,
denn wenn auch die Vernunft dem Menschen sagt, wie eitel Hypothesen über
den Ursprung der Dinge sind, das unlösbare Problem, wie sich die
Organismen über die Erde verbreitet, läßt uns dennoch keine Ruhe. Eine
schweizerische Grasart(32) wächst auf den Granitfelsen der Magellanschen
Meerenge. Neuholland hat über vierzig europäische phanerogame
Pflanzenarten aufzuweisen, und die meisten Gewächse, die den gemäßigten
Zonen beider Halbkugeln gemein sind, fehlen gänzlich in dem dazwischen
liegenden Landstrich, das heißt in der äquinoctialen Zone, sowohl auf den
Ebenen als auf dem Rücken der Gebirge. Eine Veilchenart mit behaarten
Blättern, mit der die Zone der Phanerogamen am Vulkan von Teneriffa
gleichsam abschließt, und von der man lange glaubte, sie gehöre der Insel
eigenthümlich an,(33) kommt dreihundert Meilen weiter nordwärts am
beschneiten Gipfel der Pyrenäen vor. Gräser und Riedgräser, die in
Deutschland, in Arabien und am Senegal wachsen, wurden unter den Pflanzen
gefunden, die Bonpland und ich auf den kalten mexicanischen Hochebenen, an
den heißen Ufern des Orinoco und in der südlichen Halbkugel auf dem Rücken
der Anden von Quito gesammelt. Wie will man begreiflich machen, daß
Gewächse über Striche mit ganz verschiedenem Klima, und die gegenwärtig
vom Meere bedeckt sind, gewandert seyn sollen? Oder wie kommt es, daß die
Keime von Organismen, die sich im Habitus und selbst im innern Bau
gleichen, sich in ungleichen Abständen von den Polen und von der
Meeresfläche überall entwickeln, wo so weit entlegene Orte in der
Temperatur einigermaßen überein kommen? Trotz des Einflusses des
Luftdrucks und der stärkeren oder geringeren Schwächung des Lichts auf die
Lebensthätigkeit der Gewächse ist doch die ungleiche Vertheilung der Wärme
unter die verschiedenen Jahreszeiten als die Haupttriebkraft der
Vegetation anzusehen.

Der Arten, welche auf beiden Continenten und in beiden Halbkugeln
gleichmäßig vorkommen, sind lange nicht so viele, als man nach den Angaben
der ältesten Reisenden geglaubt hatte. Auf den hohen Gebirgen des
tropischen Amerika kommen allerdings Wegeriche, Baldriane, Sandkräuter,
Ranunkeln, Mispeln, Eichen und Fichten vor, die man nach ihrer
Physiognomie mit den europäischen verwechseln könnte; sie sind aber alle
specifisch von letzteren verschieden. Bringt aber auch die Natur nicht
dieselben Arten hervor, so wiederholt sie doch die Gattungen. Nahe
verwandte Arten kommen oft in ungeheuern Entfernungen von einander vor, in
den Niederungen des gemäßigten Erdstrichs die einen, in den Alpenregionen
unter dem Aequator die andern. Andere male (und die Silla von Caracas
bietet ein auffallendes Beispiel hiefür) sind nicht Arten europäischer
Gattungen wie Colonisten auf die Berge der heißen Zone herübergekommen, es
treten vielmehr hier wie dort Gattungen derselben Zunft auf, die nach dem
Habitus nicht leicht zu unterscheiden sind und unter verschiedenen Breiten
einander ersetzen.

Von den Bergen von Neu-Grenada, welche die Hochebene von Bogota umgeben,
bis zu den Bergen von Caracas sind es über zweihundert Meilen, und doch
zeigt die Silla, der einzige hohe Gipfel einer ziemlich niedrigen
Bergkette, dieselbe merkwürdige Zusammenstellung von Befarien mit
purpurrothen Blüthen, Andromeden, Gaultherien, Myrtillen, _Uvas
camaronas_, Nertera und Aralien mit wolligten Blättern, wie sie für die
Vegetation der *Paramos* auf den hohen Cordilleren von Santa Fe
charakteristisch ist. Wir fanden dieselbe _Thibaudia glandulosa_ am
Eingang der Hochebene von Bogota und im *Pejual* auf der Silla. Die
Küstenkette von Caracas hängt unzweifelhaft (über den Torito, die
Palomera, Tocuyo, die Paramos de las Rosas, Bocono und Niquitao) mit den
hohen Cordilleren von Merida, Pamplona und Santa Fe zusammen; aber von der
Silla bis zum Tocuyo, siebzig Meilen weit, sind die Berge von Caracas so
niedrig, daß für die oben erwähnten Sträucher aus der Familie der
Ericineen das Klima nicht kühl genug ist. Und wenn auch, wie
wahrscheinlich ist, die Thibaudia und die Alpenrose der Anden oder die
Befaria im Paramo von Niquitao und in der mit ewigem Schnee bedeckten
Sierra de Merida vorkommen, so ist doch auf eine weite Strecke kein
Felskamm, der hoch genug wäre, daß diese Gewächse auf ihm nach der Silla
von Caracas hätten wandern können.

Je mehr man die Vertheilung der organischen Bildungen auf der
Erdoberfläche kennen lernt, desto geneigter wird man, wenn auch nicht
diese Vorstellungen von einer Wanderung aufzugeben, doch darin keinen
ausreichenden Erklärungsgrund mehr zu erblicken. Die Kette der Anden
theilt der Länge nach ganz Südamerika in zwei ungleiche Stücke. Am Fuße
dieser Kette, ostwärts und westwärts, fanden wir in großer Anzahl
dieselben Pflanzenarten. All die verschiedenen Uebergänge der Cordilleren
sind aber der Art, daß nirgends Gewächse der heißen Zone von den Küsten
der Südsee an die Ufer des Amazonenstroms gelangt seyn können. Wenn, sey
es nun im Tiefland oder in ganz niedrigen Bergen, sey es inmitten eines
Archipels von durch unterirdisches Feuer emporgehobenen Inseln, ein
Berggipfel zu einer großen Höhe ansteigt, so ist sein Gipfel mit
Alpenkräutern bewachsen, die zum Theil in ungeheuren Entfernungen auf
andern Bergen mit ähnlichem Klima gleichfalls vorkommen. In dieser Weise
zeigen sich im Allgemeinen die Gewächse vertheilt und man kann den
Forschern die genauere Ermittlung dieser Verhältnisse nicht dringend genug
empfehlen. Wenn ich hier gegen voreilige Hypothesen spreche, so nehme ich
es keineswegs über mich, befriedigendere dafür aufzustellen. Ich halte
vielmehr die Probleme, von denen es sich hier handelt, für unlösbar, und
nach meiner Anschauung hat die Erfahrung geleistet, was sie kann, wenn sie
die Gesetze ermittelt, nach denen die Natur die Pflanzengebilde vertheilt
hat.

Man sagt, ein Berg sey so hoch, daß er die Grenze des Rhododendrum und der
Befaria erreiche, wie man schon lange sagt, ein Berg erreiche die Grenze
des ewigen Schnees. Mit diesem Ausdruck setzt man stillschweigend voraus,
daß unter dem Einflusse gewisser Wärmegrade sich nothwendig gewisse
vegetabilische Formen entwickeln müssen. Streng genommen ist nun diese
Voraussetzung allerdings nicht richtig. Die Fichten Mexico’s fehlen auf
den Cordilleren von Peru; auf der Silla von Caracas wachsen nicht die
Eichen, die man in Neu-Grenada in derselben Höhe findet. Die
Uebereinstimmung in den Bildungen deutet auf analoges Klima; aber in
analogen Klimaten können die Arten bedeutend von einander abweichen.

Die herrliche Alpenrose der Anden, die Befaria, wurde zuerst von Mutis
beschrieben, der sie bei Pamplona und Santa Fe de Bogota unter dem
4--7. Grad nördlicher Breite gefunden. Sie war vor unserer Besteigung der
Silla so wenig bekannt, daß sie sich fast in keinem Herbarium in Europa
fand. Wie die Alpenrosen Lapplands, des Caucasus und der Alpen(34) von
einander abweichen, so sind auch die beiden Befariaarten, die wir von der
Silla mitgebracht,(35) von denen bei Santa Fe de Bogota(36) specifisch
verschieden. In der Nähe des Aequators bedecken die Alpenrosen der Anden
die Berge bis in die höchsten Paramos hinauf, in 16--1700 Toisen
Meereshöhe. Weiter gegen Norden, auf der Silla von Caracas, findet man sie
weit tiefer, in etwas über 1000 Toisen Höhe; die kürzlich in Florida unter
dem 30. Grad der Breite entdeckte Befaria wächst sogar auf niedrigen
Hügeln. So rücken denn auf einer Strecke von 600 Meilen der Breite diese
Sträucher immer weiter gegen das Tiefland herab, je weiter vom Aequator
sie vorkommen. Ebenso wächst die lappländische Alpenrose 8--900 Toisen
tiefer als die der Alpen oder Pyrenäen. Wir wunderten uns, daß wir in den
Gebirgen von Mexico, zwischen den Alpenrosen von Santa Fe und Caracas
einerseits und denen von Florida andererseits, keine Befariaart fanden.

Im kleinen Buschwald auf der Silla ist die _Befaria ledifolia_ nur drei
bis vier Fuß hoch. Der Stamm theilt sich gleich am Boden in viele
zerbrechliche, fast quirlförmig gestellte Aeste. Die Blätter sind
eiförmig, zugespitzt, an der Unterfläche graugrün und an den Rändern
aufgerollt. Die ganze Pflanze ist mit langen, klebrigen Haaren bedeckt und
hat einen sehr angenehmen Harzgeruch. Die Bienen besuchen ihre schönen,
purpurrothen Blüthen, die, wie bei allen Alpenpflanzen, ungemein zahlreich
und ganz entwickelt oft gegen einen Zoll breit sind.

Das Rhododendrum der Schweiz wächst, in 800--1100 Toisen Meereshöhe, in
einem Klima mit einer mittleren Temperatur von +2° und -1°, also ähnlich
dem Klima der Ebenen Lapplands. In dieser Zone haben die kältesten Monate
+4° und -10°, die wärmsten Monate +12° und 7°. Nach thermometrischen
Beobachtungen in denselben Höhen und unter denselben Parallelen beträgt im
Pejual auf der Silla die mittlere Temperatur der Luft sehr wahrscheinlich
noch 17--18° und steht der Thermometer in der kühlsten Jahreszeit bei Tag
zwischen 15 und 20°, bei Nacht zwischen 10 und 12°. Beim
St. Gotthardshospiz, nahe der obern Grenze der helvetischen Alpenrose, ist
die größte Wärme im August um Mittag (im Schatten) gewöhnlich 12--13°;
Nachts kühlt sich in derselben Jahreszeit die Luft in Folge der
Wärmestrahlung des Bodens auf +1 oder -1°,5 ab. Unter demselben
barometrischen Druck, also in derselben Meereshöhe, aber um dreißig
Breitegrade näher beim Aequator ist die Befaria auf der Silla um Mittag
häufig einer Temperatur von 23--24 Grad ausgesetzt und bei Nacht fällt
dieselbe wahrscheinlich niemals unter 8 Grad. Wir haben hier genau die
Klimate verglichen, unter denen zwei derselben Familie angehörende
Pflanzengruppen unter verschiedenen Breiten in gleicher Meereshöhe
wachsen; das Ergebniß wäre ein ganz anderes, wenn wir Zonen verglichen
hätten, die gleich weit vom ewigen Schnee oder von der isothermen Linie
liegen.

Im Pejual wachsen neben der Befaria mit purpurrothen Blüthen eine
_Hedyotis_ mit Heidekrautblättern, die acht Fuß hoch wird, die _Caparosa_
ein großes baumartiges Johanniskraut, ein _Lepidium_, das mit dem
virginischen identisch scheint, endlich Bärlappenpflanzen und Moose,
welche Felsen und Baumwurzeln überziehen. Am berühmtesten ist aber dieses
Buschwerk im Lande wegen eines 10--15 Fuß hohen Strauches aus der Familie
der Corymbiferen. Die Creolen nennen denselben _Inciensoz_*, Weihrauch*.
Seine lederartigen, gekerbten Blätter und die Spitzen der Zweige sind mit
einer weißen Wolle bedeckt. Es ist eine neue, sehr harzreiche Trixisart;
die Blüthen riechen angenehm nach Borax, ganz anders als die der _Trixis
therebintinacea_ in den Bergen von Jamaica, die denen von Caracas
gegenüberliegen. Man mengt zuweilen den »Weihrauch« von der Silla mit den
Blüthen der _Pevetera_ gleichfalls einer Pflanze mit zusammengesetzter
Blüthe, deren Geruch dem des peruanischen Heliotrops ähnelt. Die
_Pevetera_ geht aber in den Bergen nicht bis zur Zone der Alprosen hinauf,
sie kommt im Thale von Chacao vor und die Damen von Caracas verfertigen
ein sehr angenehmes Riechwasser daraus.

Wir hielten uns im Pejual mit der Untersuchung der schönen harzigten und
wohlriechenden Pflanzen lange auf. Der Himmel wurde immer finsterer, der
Thermometer sank unter 11°. Es ist dieß eine Temperatur, bei der man in
diesem Himmelsstrich zu frieren anfängt. Tritt man aus dem Gebüsch von
Alpsträuchern, so ist man wieder in einer Savane. Wir stiegen ein Stück am
westlichen Gipfel hinauf, um darauf in die Einsattelung, in das Thal
zwischen beiden Gipfeln der Silla hinabzugelangen. Hier war wegen des
üppigen Pflanzenwuchses schwer durchzukommen. Ein Botaniker riethe nicht
leicht darauf, daß das dichte Buschwerk, das diesen Grund bedeckt, von
einem Gewächs aus der Familie der Musaceen [Scitamineen oder
Bananengewächse] gebildet wird. Es ist wahrscheinlich eine _Macantha_ oder
_Heliconia_; die Blätter sind breit, glänzend; sie wird 14--15 Fuß hoch
und die saftigen Stengel stehen dicht beisammen, wie das Schilfrohr auf
feuchten Gründen im östlichen Europa. Durch diesen Wald von Musaceen
mußten wir uns einen Weg bahnen. Die Neger gingen mit ihren Messern oder
Machettes vor uns her. Das Volk wirft diese Alpenbanane und die
baumartigen Gräser unter dem Namen *Carice* zusammen; wir sahen weder
Blüthe noch Frucht des Gewächses. Man ist überrascht, in 1100 Toisen Höhe,
weit über den Andromeden, Thibaudien und der Alpenrose der Cordilleren,
einer Monocotyledonenfamilie zu begegnen, von der man meint, sie gehöre
ausschließlich den heißen Niederungen unter den Tropen an. In einer ebenso
hohen und noch nördlicheren Gebirgskette, in den blauen Bergen auf
Jamaica, wachsen die *Papageien-Heliconia* und der *Vichai*, auch
vorzugsweise an alpinischen schattigen Orten.

Wir arbeiteten uns durch das Dickicht von Musaceen oder baumartigen
Kräutern immer dem östlichen Gipfel zu, den wir ersteigen wollten. Von
Zeit zu Zeit war er durch einen Wolkenriß zu sehen; auf einmal aber waren
wir in dicken Nebel gehüllt und wir konnten uns nur nach dem Compaß
richten; gingen wir aber weiter nordwärts, so liefen wir bei jedem Schritt
Gefahr, an den Rand der ungeheuren Felswand zu gelangen, die fast
senkrecht 6000 Fuß hoch zum Meer abfällt. Wir mußten Halt machen; und wie
so die Wolken um uns her über den Boden wegzogen, fingen wir an zu
zweifeln, ob wir vor Einbruch der Nacht auf die östliche Spitze gelangen
könnten. Glücklicherweise waren inzwischen die Neger, die das Wasser und
den Mundvorrath trugen, eingetroffen, und wir beschlossen, etwas zu uns zu
nehmen; aber unsere Mahlzeit dauerte nicht lang. Sey es nun, daß der Pater
Kapuziner nicht an unsere vielen Begleiter gedacht, oder daß die Sklaven
sich über den Vorrath hergemacht hatten, wir fanden nichts als Oliven und
fast kein Brod. Das Mahl, dessen Lob Horaz in seinem Tibur singt,(37) war
nicht leichter und frugaler; an Oliven mochte sich aber immerhin ein
stillsitzender, studirender Poet sättigen, für Bergsteiger waren sie eine
kärgliche Kost. Wir hatten die vergangene Nacht fast ganz durchwacht, und
waren jetzt seit neun Stunden auf den Beinen, ohne Wasser angetroffen zu
haben. Unsere Führer hatten den Muth verloren, sie wollten durchaus
umkehren, und Bonpland und ich hielten sie nur mit Mühe zurück.

Mitten im Nebel machte ich den Versuch mit dem Volta’schen Elektrometer.
Obgleich ich ganz nahe an den dicht gedrängten Heliconien stand, erhielt
ich deutliche Spuren von Luftelektricität. Sie wechselte oft zwischen
negativ und positiv und ihre Intensität war jeden Augenblick anders. Diese
Schwankungen und mehrere kleine entgegengesetzte Luftströmungen, die den
Nebel zertheilten und zu scharf begrenzten Wolken ballten, schienen mir
untrügliche Zeichen, daß das Wetter sich ändern wollte. Es war erst zwei
Uhr nach Mittag. Wir hofften immer noch vor Sonnenuntergang auf die
östliche Spitze der Silla gelangen und wieder in das Thal zwischen beiden
Gipfeln herabkommen zu können. Hier wollten wir von den Negern aus den
breiten dünnen Blättern der Heliconia eine Hütte bauen lassen, ein großes
Feuer anzünden und die Nacht zubringen. Wir schickten die Hälfte unserer
Leute fort, mit der Weisung, uns am andern Morgen nicht mit Oliven,
sondern mit gesalzenem Fleisch entgegenzukommen.

Kaum hatten wir solches angeordnet, so fing der Wind an stark von der See
her zu blasen und der Thermometer stieg auf 12°,5. Es war ohne Zweifel ein
aufsteigender Luftstrom, der die Temperatur erhöhte und damit die Dünste
auflöste. Kaum zwei Minuten, so verschwanden die Wolken und die beiden
Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe vor uns. Wir öffneten den
Barometer am tiefsten Punkt der Einsenkung zwischen den Gipfeln bei einer
kleinen Lache schlammigten Wassers. Hier wie auf den Antillen findet man
sumpfigte Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das bewaldete Gebirge
die Wolken anzieht, sondern weil durch die Abkühlung bei Nacht, in Folge
der Wärmestrahlung des Bodens und des Parenchyms der Gewächse, der
Wasserdunst verdichtet wird. Das Quecksilber stand auf 21 Zoll 5,7 Linien.
Wir gingen jetzt gerade auf den östlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs
hielt uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch Heliconien
umhauen, aber diese baumartigen Kräuter waren jetzt nicht mehr hoch und
standen nicht mehr so dicht. Die Gipfel der Silla selbst, wie schon öfter
erwähnt, sind nur mit Gras und kleinen Befariasträuchern bewachsen. Aber
nicht wegen ihrer Höhe sind sie so kahl; die Baumgrenze liegt in dieser
Zone noch um 400 Toisen höher; denn nach andern Gebirgen zu schließen,
befände sich diese Grenze hier erst in 1800 Toisen Höhe. Große Bäume
scheinen auf den beiden Felsgipfeln der Silla nur deßhalb zu fehlen, weil
der Boden so dürr und der Seewind so heftig ist, und die Oberfläche, wie
auf allen Bergen unter den Tropen, sooft abbrennt.

Um auf den höchsten, östlichen Gipfel zu kommen, muß man so nahe als
möglich an dem ungeheuern Absturz Caravalleda und der Küste zu hingehen.
Der Gneiß hatte bisher sein blätteriges Gefüge und seine ursprüngliche
Streichung behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufstiegen, ging er in
Granit über. Wir brauchten drei Viertelstunden bis auf die Spitze der
Pyramide. Dieses Stück des Wegs ist keineswegs gefährlich, wenn man nur
prüft, ob die Felsstücke, auf die man den Fuß setzt, fest liegen. Der dem
Gneiß aufgelagerte Granit ist nicht regelmäßig geschichtet, sondern durch
Spalten getheilt, die sich oft unter rechten Winkeln scheiden.
Prismatische, einen Fuß breite, zwölf Fuß lange Blöcke ragen schief aus
dem Boden hervor, und am Rande des Absturzes sieht es aus, als ob
ungeheure Balken über dem Abgrund hingen.

Auf dem Gipfel hatten wir, freilich nur einige Minuten, ganz klaren
Himmel. Wir genoßen einer ungemein weiten Aussicht; wir sahen zugleich
nach Norden über die See weg, nach Süden in das fruchtbare Thal von
Caracas hinab. Der Barometer stand auf 20 Zoll 7,6 Linien, die Temperatur
der Luft war 13°,7. Wir waren in 1350 Toisen Meereshöhe. Man überblickt
eine Meeresstrecke von 36 Meilen Halbmesser. Wem beim Blick in große
Tiefen schwindligt wird, muß mitten auf dem kleinen Plateau bleiben. Durch
seine Höhe ist der Berg eben nicht ausgezeichnet; ist er doch gegen 100
Toisen niedriger als der Canigou in den Pyrenäen; aber er unterscheidet
sich von allen Bergen, die ich bereist, durch den ungeheuren Absturz gegen
die See zu. Die Küste bildet nur einen schmalen Saum, und blickt man von
der Spitze der Pyramide auf die Häuser von Caravalleda hinab, so meint
man, in Folge einer öfter erwähnten optischen Täuschung, die Felswand sey
beinahe senkrecht. Nach einer genauen Berechnung schien mir der
Neigungswinkel 53°,28′; am Pic von Teneriffa beträgt die Neigung im
Durchschnitt kaum 12° 30′. Ein 6--7000 Fuß hoher Absturz wie an der Silla
von Caracas ist eine weit seltenere Erscheinung, als man glaubt, wenn man
in den Bergen reist, ohne ihre Höhen, ihre Massen und ihre Abhänge zu
messen. Seit man sich in mehreren Ländern Europas von Neuem mit Versuchen
über den Fall der Körper und ihre Abweichung gegen Südost beschäftigt, hat
man in den Schweizer Alpen sich überall vergeblich nach einer senkrechten,
250 Toisen hohen Felswand umgesehen. Der Neigungswinkel des Montblanc
gegen die _allée blanche_ beträgt keine 45 Grad, obgleich man in den
meisten geologischen Werken liest, der Montblanc falle gegen Süd senkrecht
ab.

Auf der Silla von Caracas ist der ungeheure nördliche Abhang, trotz seiner
großen Steilheit, zum Theil bewachsen. Befaria- und Andromedabüsche hängen
an der Felswand. Das kleine südwärts gelegene Thal zwischen den Gipfeln
zieht sich der Meeresküste zu fort; die Alppflanzen füllen diese
Einsenkung aus, ragen über den Kamm des Berges empor und folgen den
Krümmungen der Schlucht. Man meint unter diesen frischen Schatten müsse
Wasser fließen, und die Vertheilung der Gewächse, die Gruppirung so vieler
unbeweglicher Gegenstände bringt Leben und Bewegung in die Landschaft.

Es war jetzt sieben Monate, daß wir auf dem Gipfel des Vulkans von
Teneriffa gestanden hatten, wo man eine Erdfläche überblickt, so groß als
ein Viertheil von Frankreich. Der scheinbare Meereshorizont liegt dort
sechs Meilen weiter ab als auf der Silla, und doch sahen wir dort den
Horizont, wenigstens eine Zeitlang, sehr deutlich. Er war scharf begrenzt
und verschwamm nicht mit den anstoßenden Luftschichten. Auf der Silla, die
um 550 Toisen niedriger ist als der Pic von Teneriffa, konnten wir den
näher gerückten Horizont gegen Nord und Nord-Nord-Ost nicht sehen.
Blickten wir über die Meeresfläche weg, die einem Spiegel glich, so fiel
uns auf, wie das reflektirte Licht in steigendem Verhältniß abnahm. Wo die
Gesichtslinie die äußerste Grenze der Fläche streift, verschwamm das
Wasser mit den darüber gelagerten Luftschichten. Dieser Anblick hat etwas
sehr Auffallendes. Man erwartet den Horizont im Niveau des Auges zu sehen,
und statt daß man in dieser Höhe eine scharfe Grenze zwischen den beiden
Elementen bemerkte, schienen die fernsten Wasserschichten sich in Dunst
aufzulösen und mit dem Luftocean zu mischen. Dasselbe beobachtete ich,
nicht an einem einzigen Stück des Horizonts, sondern auf einer Strecke von
mehr als 160 Grad, am Ufer der Südsee, als ich zum erstenmal auf dem
spitzen Fels über dem Krater des Pichincha stand, eines Vulkans, der höher
ist als der Montblanc. Ob ein sehr ferner Horizont sichtbar ist oder
nicht, das hängt von zwei verschiedenen Momenten ab, von der Lichtmenge,
welche der Theil des Oceans empfängt, auf den die Gesichtslinie zuläuft,
und von der Schwächung, die das reflektirte Licht bei seinem Durchgang
durch die dazwischen liegenden Luftschichten erleidet. Trotz des heitern
Himmels und der durchsichtigen Luft kann die See in der Entfernung von
35--40 Meilen schwach beleuchtet seyn, oder die Luftschichten zunächst der
Oberfläche können das Licht bedeutend schwächen, indem sie die
durchgehenden Strahlen absorbiren.

Selbst vorausgesetzt, die Refraktion äußere gar keinen Einfluß, sollte man
auf dem Gipfel der Silla bei schönem Wetter die Inseln Tortuga, Orchila,
Roques und Aves sehen, von denen die nächsten 25 Meilen entfernt sind. Wir
sahen keine derselben, sey es nun wegen des Zustandes der Luft, oder weil
die Zeit, die wir bei heiterem Himmel dazu verwenden konnten, die Inseln
zu suchen, nicht lang genug war. Ein unterrichteter Seemann, der den Berg
mit uns hatte besteigen wollen, Don Miguel Areche, versicherte uns, die
Silla bei den Salzklippen an der Rocca de Fuera, unter 12° 1′ der Breite
gesehen zu haben [Die Silla liegt unter 10° 31′ 5″ der Breite.]. Wenn die
umgebenden Gipfel die Aussicht nicht beschränkten, müßte man von der Silla
die Küste ostwärts bis zum Morro de Piritu, westwärts bis zur Punta del
Soldado, 10 Meilen unter dem Wind von Portobello, sehen. Südwärts, dem
innern Lande zu, begrenzt die Bergkette, welche Yare und die Savane von
Ocumare vom Thale von Caracas trennt, den Horizont wie ein Wall, der in
der Richtung eines Parallelkreises hinläuft. Hätte dieser Wall eine
Oeffnung, eine Lücke, dergleichen in den hohen Bergen des Salzburger
Landes und der Schweiz häufig vorkommen, so genöße man hier des
merkwürdigsten Schauspiels. Man sähe durch die Lücke die Llanos, die
weiten Steppen von Calabozo, und da diese Steppen in gleiche Höhe mit dem
Auge des Beobachters aufstiegen, so übersähe man vom selben Punkte zwei
gleichartige Horizonte, einen Wasser- und einen Landhorizont.

Die westliche abgerundete Spitze der Silla entzog uns die Aussicht auf die
Stadt Caracas; deutlich aber sahen wir die ihr zunächstliegenden Häuser,
die Dörfer Chacao und Petare, die Kaffeepflanzungen und den Lauf des
Guayre, einen silberglänzenden Wasserfaden. Der schmale Streif bebauten
Landes stach angenehm ab vom düstern, wilden Aussehen der umliegenden
Gebirge.

Uebersieht man so mit Einem Blick diese reiche Landschaft, so bedauert man
kaum, daß kein Bild vergangener Zeiten den Einöden der neuen Welt höheren
Reiz gibt. Ueberall wo in der heißen Zone der von Gebirgen starrende, mit
dichtem Pflanzenwuchs bedeckte Boden sein ursprüngliches Gepräge behalten
hat, erscheint der Mensch nicht mehr als Mittelpunkt der Schöpfung. Weit
entfernt, die Elemente zu bändigen, hat er vollauf zu thun, sich ihrer
Herrschaft zu entziehen. Die Umwandlungen, welche die Erdoberfläche seit
Jahrhunderten durch die Hand der Wilden erlitten, verschwinden zu nichts
gegen das, was das unterirdische Feuer, die austretenden gewaltigen
Ströme, die tobenden Stürme in wenigen Stunden leisten. Der Kampf der
Elemente unter sich ist das eigentlich Charakteristische der Naturscenerie
in der neuen Welt. Ein unbewohntes Land kommt dem Reisenden aus dem
cultivirten Europa wie eine Stadt vor, aus der die Einwohnerschaft
ausgezogen. Hat man einmal in Amerika ein paar Jahre in den Wäldern der
Niederungen oder auf dem Rücken der Cordilleren gelebt, hat man in Ländern
so groß wie Frankreich nur eine Handvoll zerstreuter Hütten stehen sehen;
so hat eine weite Einöde nichts Schreckendes mehr für die
Einbildungskraft. Man wird vertraut mit der Vorstellung einer Welt, in der
nur Pflanzen und Thiere leben, wo niemals der Mensch seinen Jubelschrei
oder die Klagelaute seines Schmerzes hören ließ.

Wir konnten die günstige Lage der Silla, die alle Gipfel umher überragt,
nicht lange für unsere Zwecke nützen. Während wir mit dem Fernrohr den
Seestrich, wo der Horizont scharf begrenzt war, und die Bergkette von
Ocumare betrachteten, hinter der die unbekannte Welt des Orinoco und des
Amazonenstroms beginnt, zog ein dicker Nebel aus der Niederung zu den
Höhen herauf. Zuerst füllte er den Thalgrund von Caracas. Der von oben
beleuchtete Wasserdunst war gleichförmig milchweiß gefärbt. Es sah aus,
als stände das Thal unter Wasser, als bildeten die Berge umher die
schroffen Ufer eines Meeresarms. Lange warteten wir vergeblich auf den
Sklaven, der den großen Ramsdenschen Sextanten trug; ich mußte den Zustand
des Himmels benutzen und entschloß mich, einige Sonnenhöhen mit einem
Troughtonschen Sextanten von zwei Zoll Halbmesser aufzunehmen. Die
Sonnenscheibe war von Nebel halb verschleiert. Der Längenunterschied
zwischen dem Quartier Trinidad in Caracas und dem östlichen Gipfel der
Silla scheint kaum größer als 0° 3′ 22″.

Während ich, auf dem Gestein sitzend, die Inclination der Magnetnadel
beobachtete, sah ich, daß sich eine Menge haarigter Bienen, etwas kleiner
als die Honigbiene des nördlichen Europa, auf meine Hände gesetzt hatten.
Diese Bienen nisten im Boden. Sie fliegen selten aus, und nach ihren
trägen Bewegungen konnte man glauben, sie seyen auf dem Berg starr vor
Kälte. Man nennt sie hier zu Lande _Angelitos_, Engelchen, weil sie nur
sehr selten stechen. Trotz der Behauptung mehrerer Reisenden, ist es nicht
wahr, daß diese dem neuen Continent eigenthümlichen Bienen gar keine
Angriffswaffe haben. Ihr Stachel ist nur schwächer und sie brauchen
denselben seltener. So lange man von der Harmlosigkeit dieser Angelitos
nicht vollkommen überzeugt ist, kann man sich einiger Besorgniß nicht
erwehren. Ich gestehe, daß ich oft während astronomischer Beobachtungen
beinahe die Instrumente hätte fallengelassen, wenn ich spürte, dass mir
Gesicht und Hände voll dieser haarigten Bienen saßen. Unsere Führer
versicherten, sie setzen sich nur zur Wehr, wenn man sie durch Anfassen
der Füße reize. Ich fühlte mich nicht aufgelegt, den Versuch an mir selbst
zu machen.

Die Lufttemperatur auf der Silla schwankte zwischen 11 und 14 Grad, je
nachdem die Luft still war oder der Wind blies. Bekanntlich ist es sehr
schwer, auf Berggipfeln die Temperatur zu bestimmen, nach der man die
Barometerhöhe zu berechnen hat. Der Wind kam aus Ost, und dieß scheint zu
beweisen, daß der Seewind oder die Passatwinde in dieser Breite weit über
1500 Toisen hinaufreichen. Leopold von Buch hat die Beobachtung gemacht,
daß auf dem Pic von Teneriffa, nahe an der nördlichen Grenze der
Passatwinde, in 1900 Toisen Meereshöhe, meist ein Gegenwind (_vent de
remou_), der Westwind herrscht. Die Pariser Academie der Wissenschaften
hatte die Physiker, welche den unglücklichen La Peyrouse begleiteten,
aufgefordert zur See unter den Tropen mittelst kleiner Luftballons zu
beobachten, wie weit die Passate hinaufreichen. Dergleichen Untersuchungen
sind sehr schwierig, wenn der Beobachter an der Erdoberfläche bleibt. Die
kleinen Ballons steigen meist nicht so hoch als die Silla, und das leichte
Gewölk, das sich zuweilen in 3--4000 Toisen Höhe zeigt, wie z. B. die
sogenannten *Schäfchen*, stehen still oder rücken so langsam fort, daß
sich ihre Richtung nicht bestimmen lässt.

Während der kurzen Zeit, wo der Himmel im Zenith klar war, fand ich das
Blau der Luft um ein Bedeutendes dunkler als an der Küste. Es war gleich
26°,5 des Saussure’schen Cyanometers. In Caracas zeigte dasselbe
Instrument bei hellem, trockenem Wetter meist nur 18 Grad. Wahrscheinlich
ist in den Monaten Juli und August der Unterschied in dieser Beziehung
zwischen der Küste und dem Gipfel der Silla noch viel bedeutender. Was
aber unter allen meteorologischen Erscheinungen in der Stunde, die wir auf
dem Berge zubrachten, Bonpland und mich am meisten überraschte, war die
anscheinende Trockenheit der Luft, die mit der Entwicklung des Nebels noch
zuzunehmen schien. Als ich den (Deluc’schen) Fischbeinhygrometer aus dem
Kasten nahm, um damit zu experimentiren, zeigte er 52 Grad (87° nach
Saussure). Der Himmel war hell; aber Dunststreifen mit deutlichen Umrissen
zogen von Zeit zu Zeit zwischen uns durch am Boden weg. Der Deluc’sche
Hygrometer ging auf 49 Grad (85° nach Saussure) zurück. Eine halbe Stunde
später hüllte eine dicke Wolke uns ein; wir konnten die nächsten
Gegenstände nicht mehr erkennen und sahen mit Erstaunen, daß das
Instrument fortwährend dem Trockenpunkt zuging, bis 47 Grad (84°
Saussure). Die Lufttemperatur war dabei 12--13°. Obgleich beim
Fischbeinhygrometer der Sättigungspunkt in der Luft nicht bei 100 Grad
ist, sondern bei 84°,5 (99° S.), so schien mir doch dieser Einfluß einer
Wolke auf den Gang des Instrumentes im höchsten Grade auffallend. Der
Nebel dauerte lang genug, daß der Fischbeinstreifen durch Anziehung der
Wassertheilchen sich hätte verlängern können. Unsere Kleider wurden nicht
feucht. Ein in dergleichen Beobachtungen geübter Reisender versicherte
mich kürzlich, er habe auf der _Montagne pelée_ auf Martinique eine Wolke
ähnlich auf den Haarhygrometer wirken sehen. Der Physiker hat die
Verpflichtung, die Erscheinungen zu berichten, wie die Natur sie bietet,
zumal wenn er nichts versäumt hat, um Fehler in der Beobachtung zu
vermeiden. Saussure sah während eines heftigen Regengusses, wobei sein
Hygrometer nicht naß wurde, denselben (fast wie auf der Silla in der
Wolke) auf 84°,7 (48°,6 Deluc) stehen bleiben; man begreift aber leichter,
daß die Luft zwischen den Regentropfen nicht vollständig gesättigt wird,
als daß der Wasserdunst, der den hygroscopischen Körper unmittelbar
berührt, denselben nicht dem Sättigungspunkt zutreibt. In welchem Zustand
befindet sich Wasserdunst, der nicht naß macht und doch sichtbar ist? Man
muß, glaube ich, annehmen, daß sich eine trockenere Luft mit der, in der
sich die Wolke gebildet, gemischt hat, und daß die Dunstbläschen, die ein
weit geringeres Volumen haben als die dazwischen befindliche Luft, die
glatte Fläche des Fischbeinstreisens nicht naß gemacht haben. Die
durchsichtige Luft vor einer Wolke kann zuweilen feuchter seyn als der
Luftstrom, der mit der Wolke zu uns gelangt.

Es wäre unvorsichtig gewesen, in diesem dichten Nebel am Rande eines
7--8000 Fuß hohen Abhangs länger zu verweilen. Wir gingen wieder vom
Ostgipfel der Silla herunter und nahmen dabei eine Grasart auf, die nicht
nur eine neue, sehr interessante Gattung bildet, sondern die wir auch, zu
unserer großen Ueberraschung, später auf dem Gipfel des Vulkans Pichincha
in der südlichen Halbkugel, 400 Meilen von der Silla, wieder fanden
[_Aegopogon cenchroides_.]. _Lichen floridus_ der im nördlichen Europa
überall vorkommt, bedeckte die Zweige der Befaria und der _Gaultheria
odorata_ und hing bis zur Wurzel der Gesträuche nieder. Während ich die
Moose untersuchte, welche den Gneiß im Grunde zwischen beiden Gipfeln
überziehen, fand ich zu meiner Ueberraschung ächte Geschiebe, gerollte
Quarzstücke. Man sieht leicht ein, daß das Thal von Caracas einmal ein
Landsee seyn kann, ehe der Guayrefluß gegen Ost bei Caurimare, am Fuß des
Hügels Auyamas durchbrach, und ehe die Tijeschlucht sich nach West gegen
Catia und Cabo Blanco zu geöffnet hatte; aber wie könnte das Wasser je bis
zum Fuß des Sillagipfels gestiegen seyn, da die diesem Gipfel gegenüber
liegenden Berge von Ocumare so niedrig sind, daß das Wasser über sie in
die Llanos hätte abfließen müssen? Die Geschiebe können nicht von höheren
Punkten hergeschwemmt seyn, weil keine Höhe ringsum die Silla überragt.
Soll man annehmen, daß sie mit der ganzen Bergkette. längs des Meeresufers
emporgehoben worden sind?

Es war vier ein halb Uhr Abends, als wir mit unsern Beobachtungen fertig
waren. In der Freude über den glücklichen Erfolg unserer Reise dachten wir
nicht daran, daß der Weg abwärts im Finstern über steile, mit kurzem
glattem Rasen bedeckte Abhänge gefährlich seyn könnte. Wegen des Nebels
konnten wir nicht in das Thal hinunter sehen; wir sahen aber deutlich den
Doppelhügel der Puerta, und derselbe erschien, wie immer die Gegenstände,
die fast senkrecht unter einem liegen, ganz auffallend nahe gerückt. Wir
gaben den Gedanken auf, zwischen den beiden Gipfeln der Silla zu
übernachten, und nachdem wir den Weg wieder gefunden, den wir uns im
Heraufsteigen durch den dichten Heliconienhusch gebahnt, kamen wir in den
Pejual, in die Region der wohlriechenden und harzigen Sträucher. Die
herrlichen Befarien, ihre mit großen Purpurblüthen bedeckten Zweige nahmen
uns wieder ganz in Anspruch. Wenn man in diesen Erdstrichen Pflanzen für
Herbarien sammelt, ist man um so wählerischer, je üppiger die Vegetation
ist. Man wirft Zweige, die man eben abgeschnitten, wieder weg, weil sie
einem nicht so schön vorkommen als Zweige, die man nicht erreichen konnte.
Wendet man endlich mit Pflanzen beladen dem Buschwerk den Rücken, so will
es einen fast reuen, daß man nicht noch mehr mitgenommen. Wir hielten uns
so lange im Pejual auf, daß die Nacht uns überraschte, als wir in 900
Toisen Höhe die Savane betraten.

Da es zwischen den Wendekreisen fast keine Dämmerung gibt, sieht man sich
auf einmal aus dem hellsten Tageslicht in Finsterniß versetzt. Der Mond
stand über dem Horizont; seine Scheibe ward zuweilen durch dicke Wolken
bedeckt, die ein heftiger kalter Wind über den Himmel jagte. Die steilen,
mit gelbem trockenem Gras bewachsenen Abhänge lagen bald im Schatten, bald
wurden sie auf einmal wieder beleuchtet und erschienen dann als Abgründe,
in deren Tiefe man niedersah. Wir gingen in einer Reihe hinter einander;
man suchte sich mit den Händen zu halten, um nicht zu fallen und den Berg
hinab zu rollen. Von den Führern, welche unsere Instrumente trugen, fiel
einer um den andern ab, um auf dem Berg zu übernachten. Unter denen, die
bei uns blieben, war ein Congoneger, dessen Gewandtheit ich bewunderte: er
trug einen großen Inclinationscompaß auf dem Kopf und hielt die Last trotz
der ungemeinen Steilheit des Abhangs beständig im Gleichgewicht. Der Nebel
im Thal war nach und nach verschwunden. Die zerstreuten Lichter, die wir
tief unter uns sahen, täuschten uns in doppelter Beziehung; einmal schien
der Abhang noch gefährlicher, als er wirklich war, und dann meinten wir in
den sechs Stunden, in denen wir beständig abwärts gingen, den Höfen am
Fuße der Silla immer gleich nahe zu seyn. Wir hörten ganz deutlich
Menschenstimmen und die schrillen Töne der Guitarren. Der Schall pflanzt
sich von unten nach oben meist so gut fort, daß man in einem Luftballon
bisweilen in 3000 Toisen Höhe die Hunde bellen hört.(38) Erst um zehn Uhr
Abends kamen wir äußerst ermüdet und durstig im Thale an. Wir waren
fünfzehn Stunden lang fast beständig auf den Beinen gewesen; der rauhe
Felsboden und die dürren harten Grasstoppeln hatten uns die Fußsohlen
zerrissen, denn wir hatten die Stiefeln ausziehen müssen, weil die Sohlen
zu glatt geworden waren. An Abhängen, wo weder Sträucher, noch holzige
Kräuter wachsen, an denen man sich mit den Händen halten kann, kommt man
barfuß sicherer herab. Um Weg abzuschneiden, führte man uns von der Puerta
zum Hofe Gallegos über einen Fußpfad, der zu einem Wasserstück, el Tanque
genannt, führt. Man verfehlte den Fußpfad, und auf diesem letzten
Wegstück, wo es am allersteilsten abwärts ging, kamen wir in die Nähe der
Schlucht Chacaito. Durch den Donner der Wasserfälle erhielt das nächtliche
Bild einen wilden, großartigen Charakter.

Wir übernachteten am Fuße der Silla; unsere Freunde in Caracas hatten uns
durch Fernröhren auf dem östlichen Berggipfel sehen können. Mit Theilnahme
hörte man unsere beschwerliche Bergfahrt beschreiben, aber mit einer
Messung, nach der die Silla nicht einmal so hoch seyn sollte als der
höchste Pyrenäengipfel(39) war man sehr schlecht zufrieden. Wer möchte
sich über eine nationale Vorliebe aufhalten, die sich in einem Lande, wo
von Denkmälern der Kunst keine Rede ist, an Naturdenkmale hängt? Kann man
sich wundern, wenn die Einwohner von Quito und Riobamba, deren Stolz seit
Jahrhunderten die Höhe ihres Chimborazo ist, von Messungen nichts wissen
wollen, nach denen das Himalayagebirge in Indien alle Colosse der
Cordilleren überragt?

                            ------------------



   30 S. Bd. 1. Seite 283.

   31 Diese Worte sind oben Bd. I. Seite 255 erklärt.

_   32 Phleum alpinum_ von Brown untersucht. Nach den Beobachtungen dieses
      großen Botanikers unterliegt es keinem Zweifel, daß mehrere Pflanzen
      beiden Continenten und den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln
      zugleich angehören. _Potentilla anserina_, _Prunella vulgaris_,
      _Scirpus mucronatus_, und _Panicum Crus Galli_ wachsen in
      Deutschland, in Neuholland und in Pennsylvanien.

_   33 Viola chiranthifolia_ die Bonpland und ich beschrieben haben
      (s. Bd. I. Seite 123), ist von Kunth und Leopold von Buch unter den
      Alpenpflanzen gefunden worden, die Joseph de Jussieu aus den
      Pyrenäen mitgebracht hat.

_   34 Rhododendrum laponicum_, _R. caucasicum_, _R. ferrugineum_, _R.
      hirsutum_

_   35 Befaria glauca_, _B. ledifolia_

_   36 Befaria aestuans_, _B. resinosa_

_   37 Oden_, Buch I, 31

   38 So Gay-Lussac bei seiner Luftfahrt am 16. September 1803.

   39 Man glaubte früher, die Silla von Caracas sey so ziemlich so hoch
      als der Pic von Teneriffa.



VIERZEHNTES KAPITEL.


    Erdbeben von Caracas. -- Zusammenhang zwischen dieser Erscheinung
            und den vulkanischen Ausbrüchen auf den Antillen.


Wir verließen Caracas am 7. Februar in der Abendkühle, um unsere Reise an
den Orinoco anzutreten. Die Erinnerung an diesen Abschied ist uns heute
schmerzlicher als vor einigen Jahren. Unsere Freunde haben in den blutigen
Bürgerkriegen, die jenen fernen Ländern die Freiheit jetzt brachten, jetzt
wieder entrissen, das Leben verloren. Das Haus, in dem wir wohnten, ist
nur noch ein Schutthaufen. Furchtbare Erdbeben haben die Bodenfläche
umgewandelt; die Stadt, die ich beschrieben habe, ist verschwunden. An
derselben Stelle, auf diesem zerklüfteten Boden, erhebt sich allmählich
eine neue Stadt. Die Trümmerhaufen, die Gräber einer zahlreichen
Bevölkerung dienen bereits wieder Menschen zur Wohnung.

Die großen Ereignisse, von denen ich hier spreche, und welche die
allgemeinste Theilnahme erregt haben, fallen lange nach meiner Rückkehr
nach Europa. Ueber die politischen Stürme, über die Veränderungen, welche
in den gesellschaftlichen Zuständen eingetreten, gehe ich hier weg. Die
neueren Völker sind bedacht für ihren Ruf bei der Nachwelt und verzeichnen
sorgfältig die Geschichte der menschlichen Umwälzungen, und damit die
Geschichte ungezügelter Leidenschaften und eingewurzelten Hasses. Mit den
Umwälzungen in der äußern Natur ist es anders; man kümmert sich wenig
darum, sie genau zu beschreiben, vollends nicht, wenn sie in die Zeiten
bürgerlicher Zwiste fallen. Die Erdbeben, die vulkanischen Ausbrüche
wirken gewaltig auf die Einbildungskraft wegen des Unheils, das nothwendig
ihre Folge ist. Die Ueberlieferung greift vorzugsweise nach allem
Gestaltlosen und Wunderbaren, und bei großen allgemeinen Unfällen, wie
beim Unglück des Einzelnen, scheut der Mensch das Licht, das ihm die
wahren Ursachen des Geschehenen zeigte und die begleitenden Umstände
erkennen ließe. Ich glaubte in diesem Werke niederlegen zu sollen, was ich
an zuverlässiger Kunde über die Erdstöße zusammengebracht, die am 26. Merz
1812 die Stadt Cararas zerstört und in der Provinz Venezuela fast in Einem
Augenblick über zwanzigtausend Menschen das Leben gekostet haben. Die
Verbindungen, die ich fortwährend mit Leuten aller Stände unterhalten,
setzten mich in Stand, die Berichte mehrerer Augenzeugen zu vergleichen
und Fragen über Punkte an sie zu richten, an deren Aufklärung der
Wissenschaft vorzugsweise gelegen ist. Als Geschichtschreiber der Natur
hat der Reisende die Zeit des Eintritts großer Catastrophen festzustellen,
ihren Zusammenhang und ihre gegenseitigen Verhältnisse zu untersuchen, und
im raschen Ablauf der Zeit, im ununterbrochenen Zuge sich drängender
Verwandlungen feste Punkte zu bezeichnen, mit denen einst andere
Catastrophen verglichen werden mögen. In der unermeßlichen Zeit, welche
die Geschichte der Natur umfaßt, rücken alle Zeitpunkte des Geschehenen
nahe zusammen; die verflossenen Jahre erscheinen wie Augenblicke, und wenn
die physische Beschreibung eines Landes von keinem allgemeinen und
überhaupt von keinem großen Interesse ist, so hat sie zum wenigsten den
Vortheil, daß sie nicht veraltet. Betrachtungen dieser Art haben LA
CONDAMINE bewogen, die denkwürdigen Ausbrüche des Vulkans Cotopaxi [Am 30.
November 1744. und 3. September 1750.], die lange nach seinem Abgange von
Quito stattgefunden, in seiner »_Reise zum Aequator_« zu beschreiben.

Ich glaube dem Beispiel des großen Gelehrten desto unbesorgter vor irgend
welchem Vorwurf folgen zu dürfen, da die Ereignisse, die ich zu
beschreiben gedenke, für die Theorie von den *vulkanischen Reactionen*
sprechen, das heißt für den Einfluß, den ein *System von Vulkanen* auf
einen weiten Landstrich umher ausübt.

Als Bonpland und ich in den Provinzen Neu-Andalusien, Nueva Barcelona und
Caracas uns aufhielten, war die Meinung allgemein verbreitet, daß die am
weitesten nach Osten gelegenen Striche dieser Küsten den verheerenden
Wirkungen der Erdbeben am meisten ausgesetzt seven. Die Einwohner von
Cumana scheuten das Thal von Caracas wegen des feuchten, veränderlichen
Klimas, wegen des umzogenen, trübseligen Himmels. Die Bewohner dieses
kühlen Thales dagegen sprachen von Cumana als von einer Stadt, wo man Jahr
aus Jahr ein eine erstickend heiße Luft athme und wo der Boden periodisch
von heftigen Erdstößen erschüttert werde. Selbst Gebildete dachten nicht
an die Verwüstung von Riobamba und andern hochgelegenen Städten; sie
wußten nicht, daß die Erschütterung des Kalksteins an der Küste von Cumana
sich in die aus Glimmerschiefer bestehende Halbinsel Araya fortpflanzt,
und so waren sie der Meinung, daß Caracas sowohl wegen des Baus seines
Urgebirges, als wegen der hohen Lage der Stadt nichts zu besorgen habe.
Feierliche Gottesdienste, die in Guayra und in der Hauptstadt selbst bei
nächtlicher Weile begangen wurden,(40) mahnten sie allerdings daran, daß
von Zeit zu Zeit die Provinz Venezuela von Erdbeben heimgesucht worden
war; aber Gefahren, die selten wiederkehren, machen einem wenig bange. Im
Jahr 1811 sollte eine gräßliche Erfahrung eine schmeichelnde Theorie und
den Volksglauben über den Haufen werfen. Caracas, im Gebirge gelegen, drei
Grade westlich von Cumana, fünf Grade westlich vom Meridian der
vulkanischen caraibischen Inseln, erlitt heftigere Stöße, als man je auf
den Küsten von Paria und Neu-Andalusien gespürt.

Gleich nach meiner Ankunft in Terra Firma war mir der Zusammenhang
zwischen zwei Naturereignissen, zwischen der Zerstörung von Cumana am
14. December 1797 und dem Ausbruch der Vulkane auf den kleinen Antillen,
aufgefallen [S. Bd. I., Seite 241]. Etwas Aehnliches zeigte sich nun auch
bei der Verwüstung von Cararas am 26. Merz 1812. Im Jahr 1797 schien der
Vulkan der Insel Guadeloupe auf die Küste von Cumana reagirt zu haben;
fünfzehn Jahre später wirkte, wie es scheint, ein dem Festland näher
liegender Vulkan, der auf St. Vincent, in derselben Weise bis nach Caracas
und an den Apure hin. Wahrscheinlich lag beidemal der Heerd des Ausbruchs
in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erdoberfläche, bis zu
welchen die Bewegung sich fortpflanzte.

Von Anfang des Jahrs 1811 bis 1813 wurde ein beträchtliches Stück der
Erdfläche zwischen den Azoren und dem Thal des Ohio, den Cordilleren von
Neu-Grenada, den Küsten vou Venezuela und den Vulkanen der kleinen
Antillen fast zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erschüttert, die man
einem unterirdischen Feuerheerde zuschreiben kann. Ich zähle hier die
Erscheinungen auf, welche es wahrscheinlich machen, daß auf ungeheure
Distanzen Verbindungen bestehen. Am 30. Januar 1811 brach bei einer der
Azorischen Inseln, bei St. Michael, ein unterseeischer Vulkan aus. An
einer Stelle, wo die See 60 Faden tief ist, hob sich ein Fels über den
Wasserspiegel. Die erweichte Erdkruste scheint emporgehoben worden zu
seyn, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie dieß auch bei den
Vulkanen von Jorullo in Mexico und bei der Bildung der Insel Klein-Kameni
bei Santorin beobachtet wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war Anfangs
nur eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein sechstägiger Ausbruch,
durch den die Klippe immer größer und nach und nach 50 Toisen über dem
Meeresspiegelhoch wurde. Dieses neue Land, das Kapitän Tillard alsbald im
Namen der großbritannischen Regierung in Besitz nahm und *Sabrina* nannte,
hatte 900 Toisen Durchmesser. Das Meer scheint die Insel wieder
verschlungen zu haben. Es ist dieß das dritte mal, daß bei der Insel
St. Michael unterseeische Vulkane so außerordentliche Erscheinungen
hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieser Vulkane an eine gewisse
Periode gebunden, in der sich jedesmal elastische Flüssigkeiten bis zu
einem bestimmten Grade angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91
oder 92 Jahren wieder zum Vorschein. Es ist zu bedauern, daß trotz der
Nähe keine europäische Regierung, keine gelehrte Gesellschaft Physiker und
Geologen nach den Azoren geschickt hat, um eine Erscheinung näher
untersuchen zu lassen, durch welche für die Geschichte der Vulkane und des
Erdballs überhaupt so viel gewonnen werden konnte.

Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erschien, wurden die kleinen
Antillen, 800 Meilen südwestwärts von den Azoren gelegen, häufig von
Erdbeben heimgesucht. Vom Mai 1811 bis April 1812 spürte man auf der Insel
St. Vincent, einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über
zweihundert Erdstöße. Die Bewegungen beschränkten sich aber nicht auf das
Inselgebiet von Südamerika. Vom 16. December 1811 an bebte die Erde in den
Thälern des Mississippi, des Arkansas und Ohio fast unaufhörlich. Im Osten
der Alleghanys waren die Schwingungen schwächer als im Westen, in Tennesee
und Kentucky. Sie waren von einem starken unterirdischen Getöse begleitet,
das von Südwest herkam. Auf einigen Punkten zwischen Neumadrid und Little
Prairie, wie beim Salzwerk nördlich von Cincinnati unter dem 34° 45′ der
Breite, spürte man mehrere Monate lang täglich, ja fast stündlich
Erdstöße. Sie dauerten im Ganzen vom 16. December 1811 bis ins Jahr 1813.
Die Stöße waren Anfangs auf den Süden, auf das untere Mississippithal
beschränkt, schienen sich aber allmählich gegen Norden fortzupflanzen.

Um dieselbe Zeit nun, wo in den Staaten jenseits der Alleghanys diese
lange Reihe von Erderschütterungen anhob, im December 1811 spürte man in
der Stadt Caracas den ersten Erdstoß bei stiller, heiterer Luft. Dieses
Zusammentreffen war schwerlich ein zufälliges, denn man muß bedenken, daß,
so weit auch die betreffenden Länder auseinander liegen, die Niederungen
von Louisiana und die Küsten von Venezuela und Cumana demselben Becken,
dem Meere der Antillen angehören. Dieses *Mittelmeer mit mehreren
Ausgängen* ist von Südost nach Nordwest gerichtet und es scheint sich
früher über die weiten, allmählich 30, 50 und 80 Toisen über das Meer
ansteigenden, aus secundären Gebirgsarten bestehenden, vom Ohio, Missouri,
Arcansas und Mississippi durchströmten Ebenen forterstreckt zu haben. Aus
geologischem Gesichtspunkt betrachtet, erscheinen als Begrenzung des
Seebeckens der Antillen und des Meerbusens von Mexico im Südens die
Küstenbergkettes von Venezuela und die Cordilleren von Merida und
Pamplona, im Osten die Gebirge der Antillen und die Alleghanys, im Westen
die Anden von Mexico und die Rocky Mountains, im Norden die unbedeutenden
Höhenzüge zwischen den canadischen Seen und den Nebenflüssen des
Mississippi. Ueber zwei Drittheile dieses Beckens sind mit Wasser bedeckt.
Zwei Reihen thätiger Vulkane fassen es ein: ostwärts auf den kleinen
Antillen, zwischen dem 13. und 16. Grad der Breite, westwärts in den
Cordilleren von Nicaragua, Guatimala und Mexico, zwischen dem 11. und
20. Grad. Bedenkt man, daß das große Erdbeben von Lissabon am 1. November
1755 fast im selben Augenblick an der Küste von Schweden, am Ontariosee
und auf Martinique gespürt wurde, so kann die Annahme nicht zu keck
erscheinen, daß das ganze Becken der Antillen von Cumana und Caracas bis
zu den Ebenen von Louisiana zuweilen gleichzeitig durch Stöße erschüttert
werden kann, die von einem gemeinsamen Heerde ausgehen.

Auf den Küsten von Terra Firma herrscht allgemein der Glaube, die Erdbeben
werden häufiger, wenn ein paar Jahre lang die elektrischen Entladungen in
der Luft auffallend selten gewesen sind. Man wollte in Cumana und Caracas
die Beobachtung gemacht haben, daß seit dem Jahr 1792 die Regengüsse nicht
so oft als sonst von Blitz und Donner begleitet gewesen, und man war
schnell bei der Hand, sowohl die gänzliche Zerstörung von Cumana im Jahr
1799 als die Erdstöße, die man 1800, 1801 und 1802 in Maracaibo, Porto
Cabello und Caracas gespürt, »einer Anhäufung der Elektricität im Innern
der Erde« zuzuschreiben. Wenn man lang in Neu-Andalusien oder in den
Niederungen von Peru gelebt hat, kann man nicht wohl in Abrede ziehen, daß
zu Anfang der Regenzeit, also eben zur Zeit der Gewitter, das Auftreten
von Erdbeben am meisten zu besorgen ist. Die Luft und die Beschaffenheit
der Erdoberfläche scheinen auf eine uns noch ganz unbekannte Weise auf die
Vorgänge in großen Tiefen Einfluß zu äußern, und wenn man einen
Zusammenhang zwischen der Seltenheit der Gewitter und der Häufigkeit der
Erdbeben bemerkt haben will, so gründet sich dieß, meiner Meinung nach,
keineswegs auf lange Erfahrung, sondern ist nur eine Hypothese der
Halbgelehrten im Lande. Gewisse Erscheinungen können zufällig
zusammentreffen. Den auffallend starken Stößen, die man am Mississippi und
Ohio zwei Jahre lang fast beständig spürte, und die im Jahr 1812 mit denen
im Thal von Caracas zusammentrafen, ging in Louisiana ein fast
gewitterloses Jahr voran, und dieß fiel wieder allgemein auf. Es kann
nicht Wunder nehmen, wenn man im Vaterlande Franklins zur Erklärung von
Erscheinungen gar gerne die Lehre von der Elektricität herbeizieht.

Der Stoß, den man im December 1811 in Caracas spürte, war der einzige, der
der schrecklichen Katastrophe vom 26. März 1812 voranging. Man wußte in
Terra Firma nichts davon, daß einerseits der Vulkan auf St. Vincent sich
rührte und andererseits am 7. und 8. Februar 1812 im Becken des
Mississippi die Erde Tag und Nacht fortbebte. Um diese Zeit herrschte in
der Provinz Venezuela große Trockenheit. In Caracas und neunzig Meilen in
die Runde war in den fünf Monaten vor dem Untergang der Hauptstadt kein
Tropfen Regen gefallen. Der 26. März war ein sehr heißer Tag; die Luft war
still, der Himmel unbewölkt. Es war Gründonnerstag, und ein großer Theil
der Bevölkerung in den Kirchen. Nichts verkündete die Schrecken dieses
Tages. Um 4 Uhr 7 Minuten Abends spürte man den ersten Erdstoß. »Er war so
stark, daß die Kirchenglocken anschlugen, und währte 5--6 Sekunden.
Unmittelbar darauf folgte ein anderer, 10--12 Secunden dauernder, während
dessen der Boden in beständiger Wellenbewegung war, wie eine kochende
Flüssigkeit. Schon meinte man, die Gefahr sey vorüber, als sich unter dem
Boden ein furchtbares Getöse hören ließ. Es glich dem Rollen des Donners;
es war aber stärker und dauerte länger als der Donner in der Gewitterzeit
unter den Tropen. Diesem Getöse folgte eine senkrechte, etwa 3-4 Secunden
anhaltende Bewegung und dieser wiederum eine etwas längere wellenförmige
Bewegung. Die Stöße erfolgten in entgegengesetzter Richtung, von Nord nach
Süd, und von Ost nach West. Dieser Bewegung von unten nach oben und diesen
sich kreuzenden Schwingungen konnte nichts widerstehen. Die Stadt Caracas
wurde völlig über den Haufen geworfen. Tausende von Menschen (zwischen
9 und 10,000) wurden unter den Trümmern der Kirchen und Häuser begraben.
Die Prozession war noch nicht ausgezogen, aber der Zudrang zu den Kirchen
war so groß, daß drei bis viertausend Menschen von den einstürzenden
Gewölben erschlagen wurden. Die Explosion war am stärksten auf der
Nordseite, im Stadttheil, der dem Berge Avila und der Silla am nächsten
liegt. Die Kirchen della Trinidad und Alta Gracia, die über 150 Fuß hoch
waren und deren Schiff von 10--12 Fuß dicken Pfeilern getragen wurden,
lagen als kaum 5--6 Fuß hohe Trümmerhaufen da. Der Schutt hat sich so
stark gesetzt, daß man jetzt fast keine Spur mehr von Pfeilern und Säulen
findet. Die Kaserne _el Quartel de San Carlos_, die nördlich von der
Kirche della Trinidad auf dem Weg nach dem Zollhaus Pastora lag,
verschwand fast völlig. Ein Regiment Linientruppen stand unter den Waffen,
um sich der Procession anzuschließen; es wurde, wenige Mann ausgenommen,
unter den Trümmern des großen Gebäudes begraben. Neun Zehntheile der
schönen Stadt Caracas wurden völlig verwüstet. Die Häuser, die nicht
zusammenstürzten, wie in der Straße San Juan beim Kapuzinerkloster,
erhielten so starke Risse, daß man nicht wagen konnte darin zu bleiben. Im
südlichen und westlichen Theil der Stadt, zwischen dem großen Platz und
der Schlucht des Caraguata waren die Wirkungen des Erdbebens etwas
geringer. Hier blieb die Hauptkirche mit ihren ungeheuern Strebepfeilern
stehen.«(41)

Bei der Angabe von 9--10,000 Todten in Caracas sind die Unglücklichen
nicht gerechnet, die, schwer verwundet, erst nach Monaten aus Mangel an
Nahrung und Pflege zu Grunde gingen. Die Nacht vom Donnerstag zum
Charfreitag bot ein Bild unsäglichen Jammers und Elends. Die dicke
Staubwolke, welche über den Trümmern schwebte und wie ein Nebel die Luft
verfinsterte, hatte sich zu Boden geschlagen. Kein Erdstoß war mehr zu
spüren: es war die schönste, stillste Nacht. Der fast volle Mond
beleuchtete die runden Gipfel der Silla, und am Himmel sah es so ganz
anders aus als auf der mit Trümmern und Leichen bedeckten Erde. Man sah
Mütter mit den Leichen ihrer Kinder in den Armen, die sie wieder zum Leben
zu bringen hofften; Familien liefen jammernd durch die Stadt und suchten
einen Bruder, einen Gatten, einen Freund, von denen man nichts wußte und
die sich in der Volksmenge verloren haben mochten. Man drängte sich durch
die Straßen, die nur noch an den Reihen von Schutthaufen kenntlich waren.

Alle Schrecken der großen Katastrophen von Lissabon, Messina, Lima und
Riobamba wiederholten sich am Unglückstage des 26. März 1812. »Die unter
den Trümmern begrabenen Verwundeten riefen die Vorübergehenden laut um
Hülfe an, und es wurden auch über zwei tausend hervorgezogen. Nie hat sich
das Mitleid rührender, man kann sagen sinnreicher bethätigt, als hier, wo
es galt, zu den Unglücklichen zu dringen, die man jammern hörte. Es fehlte
völlig an Werkzeugen zum Graben und Wegräumen des Schuttes; man mußte die
noch Lebenden mit den Händen ausgraben. Man brachte die Verwundeten und
die Kranken, die sich aus den Spitälern gerettet, am Ufer des Guayre
unter, aber hier fanden sie kein Obdach als das Laub der Bäume. Betten,
Leinwand zum Verbinden der Wunden, chirurgische Instrumente, alles
Unentbehrliche lag unter den Trümmern begraben. Es fehlte an Allem, in den
ersten Tagen sogar an Lebensmitteln, und im Innern der Stadt ging vollends
das Wasser aus. Das Erdbeben hatte die Leitungsröhren der Brunnen
zertrümmert und Erdstürze hatten die Quellen verschüttet. Um Wasser zu
bekommen, mußte man zum Guayre hinunter, der bedeutend angeschwollen war,
und es fehlte an Gefässen.«

»Den Todten die letzte Ehre zu erweisen, war sowohl ein Werk der Pietät,
als bei der Besorgniß vor Verpestung der Luft geboten. Da es geradezu
unmöglich war, so viele tausend halb unter den Trümmern steckende Leichen
zu beerdigen, so wurde eine Commission beauftragt, sie zu verbrennen. Man
errichtete zwischen den Trümmern Scheiterhaufen, und die Leichenfeier
dauerte mehrere Tage. Im allgemeinen Jammer flüchtete das Volk zur Andacht
und zu Ceremonien, mit denen es den Zorn des Himmels zu beschwichtigen
hoffte. Die einen traten zu Bittgängen zusammen und sangen Trauerchöre;
andere, halb sinnlos, beichteten laut auf der Straße. Da geschah auch
hier, was in der Provinz Quito nach dem furchtbaren Erdbeben vom
4. Februar 1797 vorgekommen war: viele Personen, die seit langen Jahren
nicht daran gedacht hatten, den Segen der Kirche für ihre Verbindung zu
suchen, schloßen den Bund der Ehe; Kinder fanden ihre Eltern, von denen
sie bis jetzt verläugnet worden; Leute, die Niemand eines Betrugs
beschuldigt hatte, gelobten Ersatz zu leisten; Familien, die lange in
Feindschaft gelebt, versöhnten sich im Gefühl des gemeinsamen Unglücks.«
Wenn dieses Gefühl auf die einen versittlichend wirkte und das Herz für
das Mitleid ausschloß, wirkte es in andern das Gegentheil: sie wurden nur
noch hartherziger und unmenschlicher. In großen Unfällen geht in gemeinen
Seelen leichter der Edelmuth verloren als die Kraft; denn es geht im
Unglück wie bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Natur: nur
auf die Wenigsten wirkt sie veredlend, gibt dem Gefühl mehr Wärme, den
Gedanken höheren Schwung, und der ganzen Gesinnung mehr Milde.

»So heftige Stöße, welche in einer Minute(42) die Stadt Caracas über den
Haufen warfen, konnten sich nicht auf einen kleinen Strich des Festlandes
beschränken. Ihre verheerenden Wirkungen verbreiteten sich über die
Provinzen Venezuela, Barinas und Maracaybo, der Küste entlang, besonders
aber in die Gebirge im Innern. Guayra, Mayquetia, Antimano, Baruta, la
Vega, San Felipe und Merida wurden fast gänzlich zerstört. In Guayra und
in Villa de San Felipe bei den Kupferminen von Aroa kamen wenigstens vier
bis fünftausend Menschen ums Leben. Auf einer Linie, die von Guayra und
Caracas von Ost-Nord-Ost nach West-Süd-West den hohen Gebirgen von
Niquitao und Merida zuläuft, scheint das Erdbeben am stärksten gewesen zu
seyn. Man spürte es im Königreich Neu-Grenada von den Ausläufern der hohen
Sierra de Santa Marta bis Santa Fe de Bogota und Honda am Magdalenenstrom,
180 Meilen von Caracas. Ueberall war es in den Cordilleren auf Gneiß und
Glimmerschiefer oder unmittelbar an ihrem Fuß stärker als in der Ebene.
Dieser Unterschied war besonders auffallend in den Savanen von Barinas und
Casanare. (In dem geologischen System, nach dem alle vulkanischen und
nicht vulkanischen Gebirge auf Spalten emporgestiegen sind, erklärt sich
dieser Unterschied leicht.) In den Thälern von Araguas zwischen Caracas
und der Stadt San Felipe waren die Stöße ganz schwach. Victoria, Maracay,
Valencia, obgleich nahe bei der Hauptstadt, litten sehr wenig. In
Valecillo, einige Meilen von Valencia, spie der geborstene Boden solche
Wassermassen aus, daß sich ein neuer Bach bildete; dasselbe ereignete sich
bei Porto Cabello. Dagegen nahm der See von Maracaybo merkbar ab. In Coro
fühlte man keine Erschütterung, und doch liegt die Stadt an der Küste,
zwischen Städten, die gelitten haben.« Fischer, die den 26. März auf der
Insel Orchila, 30 Meilen nordöstlich von Guayra, zugebracht hatten,
spürten keine Stöße. Diese Abweichungen in der Richtung und Fortpflanzung
des Stoßes rühren wahrscheinlich von der eigenthümlichen Lagerung der
Gesteinsschichten her.

Wir haben im Bisherigen die Wirkungen des Erdbebens westlich von Caracas
bis zu den Schneegebirgen von Santa Marta und zu der Hochebene von Santa
Fe de Bogota verfolgt. Wir wenden uns jetzt zum Landstrich ostwärts von
der Hauptstadt. Jenseits Caurimare, im Thal des Capaya, waren die
Erschütterungen sehr stark und reichten bis zum Meridian vom Cap Codera;
es ist aber höchst merkwürdig, daß sie an den Küsten von Nueva Barcelona,
Cumana und Paria sehr schwach waren, obgleich diese Küsten eine
Fortsetzung des Littorals von Guayra und von Alters her dafür bekannt
sind, daß sie oft von unterirdischen Bebungen heimgesucht werden. Ließe
sich annehmen, die gänzliche Zerstörung der vier Städte Caracas, Guayra,
San Felipe und Merida sey von einem vulkanischen Herde unter der Insel
St. Vincent oder in der Nähe ausgegangen, so würde begreiflich, wie die
Bewegung sich von Nordost nach Südwest auf einer Linie, die über die
Eilande los Hermanos bei Blanquilla läuft, fortpflanzen konnte, ohne die
Küsten von Araya, Cumana und Nueva Barcelona zu berühren. Ja der Stoß
konnte sich auf diese Weise fortpflanzen, ohne daß die dazwischen
liegenden Punkte, z. B. die Eilande Hermanos, die geringste Erschütterung
empfanden. Diese Erscheinung kommt in Peru und Mexico häufig bei Erdbeben
vor, die seit Jahrhunderten eine bestimmte Richtung einhalten. Die
Bewohner der Anden haben einen naiven Ausdruck für einen Landstrich, der
an der Bebung ringsum keinen Theil nimmt: sie sagen, »er mache eine
Brücke« (_que hace puente_), wie um anzudeuten, daß die Schwingungen sich
in ungeheurer Tiefe unter einer ruhig bleibenden Gebirgsart fortpflanzen.

Fünfzehn bis achtzehn Stunden lang nach der großen Katastrophe blieb der
Boden ruhig. Die Nacht war, wie schon oben gesagt, schön und still, und
erst nach dem siebenundzwanzigsten fingen die Stöße wieder an, und zwar
begleitet von einem sehr starken und sehr anhaltenden unterirdischen
Getöse (_bramido_). Die Einwohner von Caracas zerstreuten sich in der
Umgegend; da aber Dörfer und Höfe so stark gelitten hatten wie die Stadt,
fanden sie erst jenseits der Berge los Teques, in den Thälern von Aragua
und in den Llanos Obdach. Man spürte oft fünfzehn Schwingungen an Einem
Tage. Am 5. April erfolgte ein Erdbeben, fast so stark wie das, in dem die
Hauptstadt untergegangen. Der Boden bewegte sich mehrere Stunden lang
wellenförmig auf und ab. In den Gebirgen gab es große Erdfälle; ungeheure
Felsmassen brachen von der Silla los. Man behauptete sogar -- und diese
Meinung ist noch jetzt im Lande weit verbreitet -- die beiden Kuppeln der
Silla seven um 50--60 Toisen niedriger geworden; aber diese Behauptung
stützt sich auf keine Messung. Wie ich gehört, bildet man sich auch in der
Provinz Quito nach allen großen Erschütterungen ein, der Vulkan Tunguragua
sey niedriger geworden.

In mehreren aus Anlaß der Zerstörung von Caracas veröffentlichten
Nachrichten wird behauptet, »die Silla sey ein erloschener Vulkan, man
finde viele vulkanische Produkte auf dem Wege von Guayra nach Caracas, das
Gestein sey dort nirgends regelmäßig geschichtet und zeige überall Spuren
des unterirdischen Feuers.« Ja es heißt weiter, »zwölf Jahre vor der
großen Katastrophe haben Bonpland und ich nach unsern mineralogischen und
physikalischen Untersuchungen erklärt, die Silla sey ein sehr gefährlicher
Nachbar für die Stadt, weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße
von Nordost her kommen müßten.« Es kommt selten vor, daß Physiker sich
wegen einer eingetroffenen Prophezeiung zu rechtfertigen haben; ich halte
es aber für Pflicht, den Vorstellungen von *lokalen Ursachen* der
Erdbeben, die nur zu leicht Eingang finden, entgegen zu treten.

Ueberall wo der Boden Monate lang fortwährend erschüttert worden, wie auf
Jamaica im Jahr 1693, in Lissabon 1755, in Cumana 1766, in Piemont 1808,
ist man darauf gefaßt, einen Vulkan sich öffnen zu sehen. Man vergißt, daß
man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung weit unter der Erdoberfläche
zu suchen hat; daß, nach zuverlässigen Aussagen, die Schwingungen sich
fast im selben Moment tausend Meilen weit über die tiefsten Meere weg
fortpflanzen; daß die größten Zerstörungen nicht am Fuß thätiger Vulkane,
sondern in aus den verschiedensten Felsarten aufgebauten Gebirgsketten
vorgekommen sind. Die Gneise, Glimmerschiefer- und Urkalkschichten in der
Umgegend von Caracas sind keineswegs stärker zerbrochen oder
unregelmäßiger geneigt, als bei Freiberg in Sachsen und überall, wo
Urgebirge rasch zu bedeutender Höhe ansteigen; ich habe daselbst weder
Basalt noch Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porphyre gefunden,
kurz keine Spur von erloschenen Vulkanen. Es konnte mir nie einfallen, zu
äußern, die Silla und der Cerro de Avila seyen für die Hauptstadt
gefährliche Nachbarn, weil diese Berge in untergeordneten Schichten von
Urkalk viele Schwefelkiese enthalten; ich erinnere mich aber, während
meines Aufenthalts in Caracas gesagt zu haben, seit dem großen Erdbeben in
Quito scheine am östlichen Ende von Terra Firma der Boden so unruhig zu
seyn, daß man besorgen müsse, mit der Zeit dürfte die Provinz Venezuela
starke Erderschütterungen erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land
lange von Erdstößen heimgesucht worden sey, so scheinen sich in der Tiefe
neue Verbindungen mit benachbarten Ländern herzustellen, und die in der
Richtung der Silla nordöstlich von der Stadt gelegenen Vulkane der
Antillen seyen vielleicht Luftlöcher, durch welche bei einem Ausbruch die
elastischen Flüssigkeiten entweichen, welche die Erdbeben auf den Küsten
des Festlandes verursachen. Zwischen solchen Betrachtungen, die sich auf
die Kenntniß der Oertlichkeiten und auf bloße Analogien gründen, und einer
durch den Lauf der Naturereignisse bestätigten Vorhersagung ist ein großer
Unterschied.

Während man im Thal des Mississippi, auf der Insel St. Vincent und in der
Provinz Venezuela gleichzeitig starke Erdstöße spürte, wurde man am
30. April 1812 in Caracas, in Calabozo mitten in den Steppen, und an den
Ufern des Rio Apure, auf einem Landstrich von 4000 Quadratmeilen, durch
ein unterirdisches Getöse erschreckt, das wiederholten Salven aus
Geschützen vom größten Caliber glich. Es fing um zwei Uhr Morgens an; es
war von keinen Stößen begleitet, und, was sehr merkwürdig ist, es war auf
der Küste und 80 Meilen weit im Land gleich stark. Ueberall meinte man, es
komme durch die Luft her, und man war soweit entfernt, dabei an einen
unterirdischen Donner zu denken, daß man in Caracas wie in Calabozo
militärische Maßregeln ergriff, um den Platz in Vertheidigungszustand zu
setzen, da der Feind mit seinem groben Geschütz anzurücken schien. Beim
Uebergang über den Apure unterhalb Orivante, beim Einfluß des Rio Rula,
hörte Palacio aus dem Munde der Indianer, man habe die »Kanonenschüsse«
eben so gut am westlichen Ende der Provinz Barinas als im Hafen von Guayra
nördlich von der Küstenkette gehört.

Am Tage, an dem die Bewohner von Terra Firma durch ein unterirdisches
Getöse erschreckt wurden, erfolgte ein großer Ausbruch des Vulkans auf der
Insel St. Vincent. Der Berg, der gegen 500 Toisen hoch ist, hatte seit dem
Jahr 1718 keine Lava mehr ausgeworfen. Man sah ihn kaum rauchen, als im
Mai 1811 häufige Erdstöße verkündeten, daß sich das vulkanische Feuer
entweder von Neuem entzündet oder nach diesem Strich der Antillen gezogen
habe. Der erste Ausbruch fand erst am 27. April 1812 um Mittag statt. Der
Vulkan warf dabei nur Asche aus, aber unter furchtbarem Krachen. Am
30. floß die Lava über den Kraterrand und erreichte nach vier Stunden die
See. Das Getöse beim Ausbruch glich »abwechselnd Salven aus dem schwersten
Geschütz und Kleingewehrfeuer, und, was sehr beachtenswerth ist, dasselbe
schien weit stärker auf offener See, weit weg von der Insel, als im
Angesicht des Landes, ganz in der Nahe des brennenden Vulkans.«

Vom Vulkan von St. Vincent bis zum Rio Apure beim Einfluß des Rula sind es
in gerader Linie 210 Seemeilen (20 auf einen Grad); die Explosionen wurden
demnach in einer Entfernung gehört gleich der vom Vesuv nach Paris. Dieses
Phänomen, dem sich viele Beobachtungen in der Cordillere der Anden
anschließen, beweist, wie viel größer die unterirdische Wirkungssphäre
eines Vulkans ist, als man nach den unbedeutenden Veränderungen, die er an
der Erdoberfläche hervorbringt, glauben sollte. Die Knalle, die man in der
neuen Welt Tage lang 80, 100, ja 200 Meilen von einem Krater hört,
gelangen nicht mittelst der Fortpflanzung des Schalls durch die Luft zu
uns; der Ton wird vielmehr durch die Erde geleitet, vielleicht am Punkte
selbst, wo wir uns befinden. Wenn die Ausbrüche des Vulkans von
St. Vincent, des Cotopaxi oder Tunguragua von so weit herschallten wie
eine ungeheuer große Kanone, so müßte der Schall im umgekehrten Verhältniß
der Entfernung stärker werden; aber die Beobachtung zeigt, daß dieß nicht
der Fall ist. Noch mehr: in der Südsee, auf der Fahrt von Guayaquil an die
Küste von Mexico, fuhren Bonpland und ich über Striche, wo alle Matrosen
an Bord über ein dumpfes Geräusch erschracken, das aus der Tiefe des
Meeres herauskam und uns durch das Wasser mitgetheilt wurde. Eben fand
wieder ein Ausbruch des Cotopaxi statt, und wir waren so weit von diesem
Vulkan entfernt als der Aetna von der Stadt Neapel. Vom Vulkan Cotopaxi
zur kleinen Stadt Honda am Ufer des Magdalenenstroms sind es nicht weniger
als 145 Meilen, und doch hörte man während der großen Ausbrüche jenes
Vulkans in Honda ein unterirdisches Getöse, das man für Geschützsalven
hielt. Die Franciscaner verbreiteten das Gerücht, Carthagena werde von den
Engländern belagert und beschossen, und alle Einwohner glaubten daran. Der
Cotopaxi ist nun aber ein Kegel, der 1800 Toisen und mehr über dem Becken
von Honda liegt; er steigt aus einer Hochebene empor, die selbst noch 1500
Toisen mehr Meereshöhe hat als das Thal des Magdalenenstroms. All die
colossalen Berge von Quito, der Provinz de los Pastos und von Popayan,
zahllose Thäler und Erdspalten liegen dazwischen. Unter diesen Umständen
läßt sich nicht annehmen, daß der Ton durch die Luft oder durch die
obersten Erdschichten fortgepflanzt worden und daß er von da ausgegangen
sey, wo der Kegel und der Krater des Cotopaxi liegen. Man muß es
wahrscheinlich finden, daß der hochgelegene Theil des Königreichs Quito
und die benachbarten Cordilleren keineswegs eine Gruppe einzelner Vulkane
sind, sondern eine einzige aufgetriebene Masse bilden, eine ungeheure von
Süd nach Nord laufende vulkanische Mauer, deren Kamm über 600
Quadratmeilen Oberfläche hat. Auf diesem Gewölbe, auf diesem
aufgetriebenen Erdstück stehen nun der Cotopaxi, der Tunguragua, der
Antisana, der Pichincha. Man gibt jedem einen eigenen Namen, obgleich es
im Grund nur verschiedene Gipfel desselben vulkanischen Gebirgsklumpens
sind. Das Feuer bricht bald durch den einen, bald durch den andern dieser
Gipfel aus. Die ausgefüllten Krater erscheinen uns als erloschene Vulkane;
wenn aber auch der Cotopaxi und der Tunguragua in hundert Jahren nur ein-
oder zweimal auswerfen, so läßt sich doch annehmen, daß das unterirdische
Feuer unter der Stadt Quito, unter Pichincha und Imbaburu in beständiger
Thätigkeit ist.

Nordwärts finden wir zwischen dem Vulkan Cotopaxi und der Stadt Honda zwei
andere *vulkanische Bergsysteme*, die Berge los Pastos und die von
Popayan. Daß diese Systeme unter sich zusammenhängen, geht unzweifelhaft
aus einer Erscheinung hervor, deren ich schon oben gedacht habe, als von
der gänzlichen Zerstörung der Stadt Caracas die Rede war. Vom November
1796 an stieß der Vulkan bei Pasto, der westlich von der Stadt dieses
Namens am Thal des Rio Guaytara liegt, eine dicke Rauchsäule aus. Die
Mündungen des Vulkans liegen an der Seite des Berges, auf seinem
westlichen Abhang; dennoch stieg die Rauchsäule drei Monate lang so hoch
über den Gebirgskamm empor, daß die Einwohner der Stadt Pasto sie
fortwährend sahen. Alle versicherten uns, zu ihrer großen Ueberraschung
sey am 4. Februar 1797 der Rauch auf einmal verschwunden, ohne daß man
einen Erdstoß spürte. Und im selben Augenblick wurde 65 Meilen weiter
gegen Süd zwischen dem Chimborazo, dem Tunguragua und dem Altar
(Capac-Urcu) die Stadt Riobamba durch ein Erdbeben zerstört, furchtbarer
als alle, die im Andenken geblieben sind. Die Gleichzeitigkeit dieser
Ereignisse läßt wohl keinen Zweifel darüber, daß die Dämpfe, welche der
Vulkan von Pasto aus seinen kleinen Mündungen oder _‘ventanillas’_
ausstieß, am Druck elastischer Flüssigkeiten theilnahmen, welche den Boden
des Königreichs Peru erschütterten und in wenigen Augenblicken dreißig bis
vierzigtausend Menschen das Leben kosteten.

Um diese gewaltigen Wirkungen der *vulkanischen Reactionen* zu erklären,
um darzuthun, daß die Vulkangruppe oder das *vulkanische System* der
Antillen von Zeit zu Zeit Terra Firma erschüttern kann, mußte ich mich auf
die Cordillere der Anden berufen. Nur auf die Analogie frischer, und somit
vollkommen beglaubigter Thatsachen lassen sich geologische Schlüsse bauen,
und wo auf dem Erdball fände man großartigere und mannigfaltigere
vulkanische Erscheinungen, als in jener doppelten vom Feuer emporgehobenen
Bergkette, in dem Lande, wo die Natur über jeden Berggipfel und jedes Thal
die Fülle ihrer Wunder ausgegossen hat? Betrachtet man einen brennenden
Krater als eine vereinzelte Erscheinung, bleibt man dabei stehen, die
Masse des Gesteins, das er ausgeworfen, abzuschätzen, so stellt sich die
vulkanische Wirksamkeit an der gegenwärtigen Erdoberfläche weder als sehr
gewaltig, noch als sehr ausgebreitet dar. Aber das Bild dieser Wirksamkeit
erweitert sich vor unserem innern Blick mehr und mehr, je früher wir den
Zusammenhang zwischen den Vulkanen derselben Gruppe kennen lernen, -- und
dergleichen Gruppen sind z. B. die Vulkane in Neapel und auf Sicilien, die
der canarischen Inseln, die der Azoren, die der kleinen Antillen, die in
Mexico, in Guatimala und auf der Hochebene von Quito --; je genauer wir
sowohl die Reactionen dieser verschiedenen Vulkansysteme auf einander, als
die Entfernungen kennen lernen, in denen sie vermöge ihres Zusammenhangs
in den Erdtiefen den Boden zu gleicher Zeit erschüttern. Das Studium der
Vulkane zerfällt in zwei ganz gesonderte Theile. Der eine, rein
mineralogische, beschäftigt sich nur mit der Untersuchung der durch das
unterirdische Feuer gebildeten oder umgewandelten Gesteine, von der
Trachyt- und Trapp-Porphyrformation, von den Basalten, Phonolithen und
Doleriten heraus bis zu den neuesten Laven. Der andere, nicht so
zugängliche und auch mehr vernachlässigte Theil hat es mit den
gegenseitigen physikalischen Verhältnissen der Vulkane zu thun, mit dem
Einfluß, den die Systeme auf einander ausüben, mit dem Zusammenhang
zwischen den Wirkungen der feuerspeienden Berge und den Stößen, welche den
Erdboden auf weite Strecken und lange fort in derselben Richtung
erschüttern. Dieses Wissen kann nur dann fortschreiten, wenn man die
verschiedenen Epochen der gleichzeitigen Thätigkeit genau verzeichnet,
ferner die Richtung, Ausdehnung und Stärke der Erschütterungen, ihr
allmäliges Vorrücken in Landstrichen, die sie früher nicht erreicht
hatten, das Zusammentreffen eines fernen vulkanischen Ausbruchs mit jenem
unterirdischen Getöse, das so stark ist, daß die Bewohner der Anden es
ausdrucksvoll *unterirdisches Gebrülle* und *unterirdischen Donner*
(_bramidos y truenos subterraneos_) nennen. Alle diese Angaben gehören dem
Gebiet der Naturgeschichte an, einer Wissenschaft, der man nicht einmal
ihren Namen gelassen hat, und die wie alle Geschichte mit Zeiten beginnt,
die uns fabelhaft erscheinen, und mit Katastrophen, deren Großartigkeit
und Gewaltsamkeit weit über das Maß unserer Vorstellungen hinausgeht.

Man hat sich lange darauf beschränkt, die Geschichte der Natur nach den
alten, in den Eingeweiden der Erde begrabenen Denkmälern zu studiren; aber
wenn auch im engen Kreis sicherer Ueberlieferung nichts von so allgemeinen
Umwälzungen vorkommt, wie die, durch welche die Cordilleren emporgehoben
und Myriaden von Seethieren begraben worden, so gehen doch auch in der
jetzigen Natur, unter unsern Augen, wenn auch auf beschränktem Raum,
stürmische Auftritte genug vor sich, die, wissenschaftlich aufgefaßt, über
die entlegensten Zeiten der Erdbildung Licht verbreiten können. Im Innern
des Erdballs hausen die geheimnißvollen Kräfte, deren Wirkungen an der
Oberfläche zu Tage kommen, als Ausbrüche von Dämpfen, glühenden Schlacken,
neuen vulkanischen Gesteinen und heißen Quellen, als Auftreibungen zu
Inseln und Bergen, als Erschütterungen, die sich so schnell wie der
elektrische Schlag fortpflanzen, endlich als unterirdische-: Donner, den
man Monate lang, und ohne Erschütterung des Bodens, in großen Entfernungen
von thätigen Vulkanen hört.

Je mehr im tropischen Amerika Cultur und Bevölkerung zunehmen werden, je
fleißiger man die vulkanischen Systeme von Popayan, los Pastos, Quito, auf
den kleinen Antillen, auf der Centralhochebene von Mexico beobachten wird,
desto mehr muß der Zusammenhang zwischen Ausbrüchen und Erdbeben, welche
den Ausbrüchen vorangehen und zuweilen folgen, allgemeine Anschauung
werden. Die genannten Vulkane, besonders aber die der Anden, welche die
ungeheure Höhe von 2500 Toisen und darüber erreichen, bieten dem
Beobachter bedeutende Vortheile. Die Epochen ihrer Ausbrüche sind
merkwürdig scharf bezeichnet. Dreißig, vierzig Jahre lang werfen sie keine
Schlacken, keine Asche aus, rauchen nicht einmal. In einer solchen Periode
habe ich keine Spur von Rauch auf dem Gipfel des Tunguragua und des
Cotopaxi gesehen. Wenn dagegen dem Krater des Vesuvs eine Rauchwolke
entsteigt, achten die Neapolitaner kaum darauf; sie sind an die Bewegungen
dieses kleinen Vulkans gewöhnt, der oft in zwei, drei Jahren hinter
einander Schlacken auswirft. Da ist freilich schwer zu beurtheilen, ob die
Schlackenauswürfe im Moment, wo man im Apennin einen Erdstoß verspürt,
stärker gewesen sind. Auf dem Rücken der Cordilleren hat Alles einen
bestimmteren Typus. Auf einen Aschenauswurf von ein paar Minuten folgt oft
zehnjährige Ruhe. Unter diesen Umständen wird es leicht, Epochen zu
verzeichnen und auszumitteln, ob die Erscheinungen in der Zeit
zusammenfallen.

Die Zerstörung von Cumana im Jahr 1797 und von Caracas im Jahr 1812 weisen
darauf hin, daß die Vulkane auf den kleinen Antillen mit den
Erschütterungen, welche die Küsten von Terra Firma erleiden, im
Zusammenhang stehen. Trotz dem kommt es häufig vor, daß die Stöße, welche
man im vulkanischen Archipel spürt, sich weder nach der Insel Trinidad,
noch nach den Küsten von Cumana und Caracas fortpflanzen. Diese
Erscheinung hat aber durchaus nichts auffallendes. Auf den kleinen
Antillen selbst beschränken sich die Erschütterungen oft auf eine einzige
Insel. Der große Ausbruch des Vulkans auf St. Vincent im Jahr 1812 hatte
in Martinique und Guadeloupe kein Erdbeben zur Folge. Man hörte, wie in
Venezuela, starke Schläge, aber der Boden blieb ruhig.

Diese Donnerschläge, die nicht mit dem rollenden Geräusch zu verwechseln
sind, das überall auch ganz schwachen Erdstößen vorausgeht, hört man an
den Ufern des Orinoco ziemlich oft, besonders, wie man uns an Ort und
Stelle versichert hat, zwischen dem Rio Arauca und dem Cuchivero. Pater
Morello erzählt, in der Mission Cabruta habe das unterirdische Getöse
zuweilen so ganz geklungen wie Salven von Steinböllern (_pedreros_) daß es
gewesen sey, als würde in der Ferne ein Gefecht geliefert. Am 21. October
1766, am Tage des schrecklichen Erdbebens, das die Provinz Neu-Andalusien
verheerte, erzitterte der Boden zu gleicher Zeit in Cumana, in Caracas, in
Maracaybo, an den Ufern des Casanare, des Meta, des Orinoco und des
Ventuario. Pater Gili hat diese Erderschütterungen in einer ganz
granitischen Gebirgsgegend, in der Mission Encaramada beschrieben, wo sie
von heftigen Donnerschlägen begleitet waren. Am Paurari erfolgten große
Bergstürze, und beim Felsen Aravacoto verschwand eine Insel im Orinoco.
Die wellenförmigen Bewegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war
gleichsam das Zeichen gegeben zu den heftigen Erschütterungen, welche die
Küsten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate lang erlitten. Man
sollte meinen, Menschen, die zerstreut in Wäldern leben und kein anderes
Obdach haben als Hütten aus Rohr und Palmblättern, fürchten sich nicht vor
den Erdbeben. Die Indianer am Erevato und Caura entsetzen sich aber
darüber, da die Erscheinung bei ihnen selten vorkommt, und selbst die
Thiere im Walde erschrecken ja dabei, und die Krokodile eilen aus dem
Wasser ans Ufer. Näher bei der See, wo die Erdstöße sehr häufig sind,
fürchten sich die Indianer nicht nur nicht davor, sondern sehen sie gern
als Vorboten eines feuchten, fruchtbaren Jahres.

Alles weist darauf hin, daß im Innern des Erdballs nie schlummernde Kräfte
walten, die mit einander ringen, sich das Gleichgewicht halten und sich
gegenseitig stimmen. Je mehr die Ursachen jener Wellenbewegungen des
Bodens, jener Entbindung von Hitze, jener Bildung elastischer
Flüssigkeiten für uns in Dunkel gehüllt sind, desto größere Aufforderung
hat der Physiker, den Zusammenhang näher zu beobachten, der zwischen
diesen Erscheinungen sichtbar besteht und auf weite Entfernungen und in
sehr gleichförmiger Weise zu Tage kommt. Nur wenn man die verschiedenen
Beziehungen und Verhältnisse aus einem allgemeinen Gesichtspunkt
betrachtet, wenn man sie über ein großes Stück der Erdoberfläche durch die
verschiedensten Gebirgsarten verfolgt, kommt man dazu, den Gedanken
aufzugeben, als ob die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben kleine
lokale Ursachen haben könnten, wie Schichten von Schwefelkiesen und
brennende Steinkohlenflöze.

Wir haben uns in diesem Kapitel mit den gewaltigen Erschütterungen
beschäftigt, welche die Steinkruste des Erdballs von Zeit zu Zeit
erleidet, und die unermeßlichen Jammer über ein Land bringen, das die
Natur mit ihren köstlichsten Gaben ausgestattet hat. Ununterbrochene Ruhe
herrscht in der obern Atmosphäre, aber -- um einen Ausdruck Franklins zu
brauchen, der mehr witzig ist als richtig -- in der *unterirdischen
Atmosphäre*, in diesem Gemisch elastischer Flüssigkeiten, deren gewaltsame
Bewegungen wir an der Erdoberfläche empfinden, rollt häufig der Donner.
Wir haben von der Zerstörung so vieler volkreichen Städte erzählt und
damit das höchste Maß menschlichen Elends geschildert. Ein für seine
Unabhängigkeit kämpfendes Volk sieht sich auf einmal dem Mangel an Nahrung
und allen Lebensbedürfnissen preisgegeben. Hungernd, obdachlos zerstreut
es sich auf dem platten Lande. Viele, die nicht unter den Trümmern ihrer
Häuser begraben worden, werden von Seuchen weggerafft. Das Gefühl des
Jammers, weit entfernt das Vertrauen unter den Bürgern zu befestigen,
untergräbt es vollends; die äußern Uebel steigern noch die Zwietracht, und
der Anblick eines mit Thränen und Blut getränkten Bodens beschwichtigt
nicht den Grimm der siegreichen Partei.

Nachdem man bei solchen Greuelscenen verweilt, läßt man die
Einbildungskraft mit Behagen bei freundlichen Erinnerungen ausruhen. Als
in den Vereinigten Staaten das große Unglück von Caracas bekannt wurde,
beschloß der zu Washington versammelte Congreß einstimmig, fünf Schiffe
mit Mehl zur Vertheilung unter die Dürftigsten an die Küste von Venezuela
zu senden. Diese großmüthige Unterstützung ward mit dem lebhaftesten Danke
aufgenommen, und dieser feierliche Beschluß eines freien Volks, dieser
Beweis der Theilnahme von Volk zu Volk, wovon die sich steigernde Cultur
des alten Europa in jüngster Zeit wenige Beispiele aufzuweisen hat,
erschien als ein kostbares Unterpfand des gegenseitigen Wohlwollens, das
auf immer die Völker des gedoppelten Amerikas verknüpfen soll.

                            ------------------



   40 Z. B. die nächtliche Prozession am 21. October zum Andenken an das
      große Erdbeben an diesem Tage um ein Uhr nach Mitternacht im Jahr
      1778. Andere sehr starke Erdstöße kamen vor in den Jahren 1641, 1703
      und 1802.

   41 DELPECHE, _sur le tremblement de terre de Venezuela en 1812_.
      (Manuscript)

   42 Die Dauer des Erdbebens, d. h. all der wellenförmigen und stoßenden
      Bewegungen (_undulacion y trepidacion_), welche die furchtbare
      Katastrophe vom 26. März 1812 herbeiführten, wurde von den einen auf
      50 Secunden, von andern auf 1 Minute 12 Secunden geschätzt.



FÜNFZEHNTES KAPITEL.


     Abreise von Caracas. -- Gebirge von San Pedro und los Teques. --
                     Victoria. -- Thäler von Aragua.


Der kürzeste Weg von Caracas an die Ufer des Orinoco hätte uns über die
südliche Kette der Berge zwischen Baruta, Salamanca und den Savanen von
Ocumare, und über die Steppen oder Llanos von Orituco geführt, worauf wir
uns bei Cabruta, an der Einmündung des Rio Guarico, hätten einschiffen
müssen; aber auf diesem geraden Wege hätten wir unsere Absicht nicht
erreicht, die dahin ging, den schönsten und kultivirtesten Theil der
Provinz, die Thäler von Aragua, zu besuchen, einen interessanten Strich
der Küste mit dem Barometer zu vermessen und den Rio Apure bis zu seinem
Einfluß in den Orinoco hinabzufahren. Ein Reisender, der sich mit der
Gestaltung und den natürlichen Schätzen des Bodens bekannt machen will,
richtet sich nicht nach den Entfernungen, sondern nach dem Interesse, das
die zu bereisenden Länder bieten. Diese entscheidende Rücksicht führte uns
in die Berge los Teques, zu den warmen Quellen von Mariara, an die
fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia und über die ungeheuren Steppen von
Calabozo nach San Fernando am Apure im östlichen Theil der Provinz
Barinas. Auf diesem Wege war unsere Richtung Anfangs West, dann Süd und am
Ende Ost-Süd-Ost, um auf dem Apure, unter dem Parallel von 7° 36′ 23″ in
den Orinoco zu gelangen.

Da auf einem Wege von sechs bis siebenhundert Meilen die Längen durch
Uebertragung der Zeit in Caracas und Cumana zu bestimmen waren, mußte
nothwendig die Lage beider Städte genau und durch absolute Beobachtungen
ermittelt werden. Oben ist das Resultat der am ersten Ausgangspunkt, in
Cumana, angestellten Beobachtungen angegeben; der zweite Punkt, der
nördliche Stadttheil von Caracas, liegt unter 10° 30′ 50″ der Breite und
69° 25′ 0″ der Länge. Die magnetische Declination fand ich am 22. Januar
1800 außerhalb der Stadt, am Thore bei der Pastora, 4° 38′ 45″ gegen
Nordost, und am 30. Januar im Innern der Stadt bei der Universität
4° 39′ 15″, also um 26′ stärker als in Cumana. Die Inclination der Nadel
war 42° 90; die Zahl der Schwingungen, welche die Intensität der
magnetischen Kraft angaben, war in zehn Minuten Zeit in Caracas 232, in
Cumana 229. Diese Beobachtungen konnten nicht sehr oft wiederholt werden:
sie sind das Ergebniß dreimonatlicher Arbeit.

Am Tage, wo wir die Hauptstadt von Venezuela verließen, die seitdem durch
ein furchtbares Erdbeben vernichtet worden ist, übernachteten wir am Fuße
der bewaldeten Berge, die das Thal gegen Südwest schließen. Wir zogen am
rechten Ufer des Guayre bis zum Dorf Antimano auf einer sehr schönen, zum
Theil in den Fels gehauenen Straße. Man kommt durch la Vega und Carapa.
Die Kirche von la Vega hebt sich sehr malerisch von einem dicht
bewachsenen Hügelzug ab. Zerstreute Häuser, von Dattelbäumen umgeben,
deuten auf günstige Verhältnisse der Bewohner: Eine nicht sehr hohe
Bergkette trennt den kleinen Guayrefluß vom Thale *de la Pascua*,(43) das
in der Geschichte des Landes eine große Rolle spielt, und von den alten
Goldbergwerken von Baruta und Oripoto. Auf dem Wege aufwärts nach Carapa
hat man noch einmal die Aussicht auf die Silla, die sich als eine
gewaltige, gegen das Meer jäh abstürzende Kuppel darstellt. Dieser runde
Gipfel und der wie eine Mauerzinne gezackte Kamm des Galipano sind die
einzigen Berggestalten in diesem Becken von Gneiß und Glimmerschiefer, die
der Landschaft Charakter geben; die übrigen Höhen sind sehr einförmig und
langweilig.

Beim Dorfe Antimano waren alle Baumgärten voll blühender Pfirsichbäume.
Aus diesem Dorf, aus Valle und von den Ufern des Macarao kommen eine Menge
Pfirsiche, Quitten und anderes europäisches Obst auf den Markt in Caracas.
Von Antimano bis las Ajuntas geht man siebzehn mal über den Guayre. Der
Weg ist sehr beschwerlich; statt aber eine neue Straße zu bauen, thäte man
vielleicht besser, dem Fluß ein anderes Bett anzuweisen, der durch
Einsickerung und Verdunstung sehr viel Wasser verliert. Jede Krümmung
bildet eine größere oder kleinere Lache. Diese Verluste sind nicht
gleichgültig in einer Provinz, wo der ganze bebaute Boden, mit Ausnahme
des Strichs zwischen der See und der Küstenbergkette von Mariara und
Niguatar, sehr trocken ist. Es regnet weit seltener und weniger als im
Innern von Neu-Andalusien, in Cumanacoa und an den Ufern des Guarapiche.
Viele Berge der Provinz Caracas reichen in die Wolkenregion hinauf, aber
die Schichten des Urgebirgs sind unter einem Winkel von 70--80° geneigt
und fallen meist nach Nordwest, so daß die Wasser entweder im Gebirg
versinken oder nicht südlich, sondern nördlich an den Küstengebirgen von
Niguatar, Avila und Mariara in reichlichen Quellen zu Tage kommen. Daraus,
daß die Gneiß- und Glimmerschieferschichten gegen Süd ausgerichtet sind,
scheint sich mir größtentheils die große Dürre des Küstenstrichs zu
erklären. Im Innern der Provinz findet man Strecken von zwei, drei
Quadratmeilen ohne alle Quellen. Das Zuckerrohr, der Indigo und der
Kaffeebaum können nur da gedeihen, wo Wasser fließt, mit dem man während
der großen Dürre künstlich bewässern kann. Die ersten Ansiedler haben
unvorsichtigerweise die Wälder niedergeschlagen. Auf einem steinigten
Boden, wo Felsen ringsum Wärme strahlen, ist die Verdunstung ungemein
stark. Die Berge an der Küste gleichen einer Mauer, die von Ost nach West
vom Cap Codera gegen die Landspitze Tucacas sich hinzieht; sie lassen die
feuchte Küstenluft, die untern Luftschichten, die unmittelbar auf der See
aufliegen und am meisten Wasser ausgelöst haben, nicht ins innere Land
kommen. Es gibt wenige Lücken, wenige Schluchten, die wie die Schlucht von
Catia oder Tipe(44) vom Meeresufer in die hochgelegenen Längenthäler
hinaufführen. Da ist kein großes Flußbett, kein Meerbusen, durch die der
Ocean in das Land einschneidet und durch reichliche Verdunstung
Feuchtigkeit verbreitet. Unter dem 8. und 10. Breitegrad werfen da, wo die
Wolken nicht nahe am Boden hinziehen, die Bäume im Januar und Februar die
Blätter ab, sicher nicht, wie in Europa, weil die Temperatur zu niedrig
wird, sondern weil in diesen Monaten, die am weitesten von der Regenzeit
entfernt sind, die Luft dem Maximum von Trockenheit sich nähert. Nur die
Gewächse mit glänzenden, stark lederartigen Blättern halten die Dürre aus.
Unter dem schönen tropischen Himmel befremdet den Reisenden der fast
winterliche Charakter des Landes; aber das frischeste Grün erscheint
wieder, sobald man an die Ufer des Orinoco gelangt. Dort herrscht ein
anderes Klima und durch ihre Beschattung unterhalten die großen Wälder im
Boden einen gewissen Grad von Feuchtigkeit und schützen ihn vor der
verzehrenden Sonnengluth.

Jenseits des kleinen Dorfes Antimano wird das Thal bedeutend enger. Das
Flußufer ist mit *Lata* bewachsen, der schönen Grasart mit zweizeiligen
Blättern, die gegen dreißig Fuß hoch wird und die wir unter dem Namen
Gynerium (_saccharoides_) beschrieben haben. Um jede Hütte stehen
ungeheure Stämme von Persea (_Laurus Persea_), an denen Aristolochien,
Paullinien und eine Menge anderer Schlingpflanzen wachsen. Die
benachbarten bewaldeten Berge scheinen dieses westliche Ende des Thales
von Caracas feucht zu erhalten. Die Nacht vor unserer Ankunft in las
Ajuntas brachten wir auf einer Zuckerpflanzung zu. In einem viereckigten
Haus lagen gegen 80 Neger auf Ochsenhäuten am Bodens. In jedem Gemach
waren vier Sklaven, und das Ganze sah aus wie eine Kaserne. Im Hof
brannten ein Dutzend Feuer, an denen gekocht wurde. Auch hier fiel uns die
lärmende Lustigkeit der Schwarzen auf und wir konnten kaum schlafen. Wegen
des bewölkten Himmels konnte ich keine Sternbeobachtungen machen; der Mond
kam nur von Zeit zu Zeit zum Vorschein, die Landschaft war trübselig
einförmig, alle Hügel umher mit Magueys bewachsen. Man arbeitete an einem
kleinen Kanal, der über 70 Fuß hoch das Wasser des Rio San Pedro in den
Hof leiten sollte. Nach einer barometrischen Beobachtung liegt der Boden
der Hacienda nur 50 Toisen über dem Bett des Guayre bei Noria in der Nähe
von Caracas.

Der Boden dieses Landstrichs erwies sich zum Bau des Kaffeebaums nicht
sehr geeignet; er gibt im Allgemeinen im Thale von Caracas einen
geringeren Ertrag, als man Anfangs vermuthet hatte, da man bei Chacao mit
dem Anbau begann. Um sich von der Wichtigkeit dieses Handelszweiges im
Allgemeinen einen Begriff zu machen, genügt die Angabe, daß die ganze
Provinz Caracas zur Zeit ihrer höchsten Blüthe vor den Revolutionskriegen
bereits 50--60,000 Centner Kaffee erzeugte. Dieser Ertrag, der den Ernten
von Guadeloupe und Martinique zusammen fast gleich kommt, muß desto
bedeutender erscheinen, da erst im Jahre 1784 ein achtbarer Bürger, Don
Bartholomeo Blandin, die ersten Versuche mit dem Kaffeebau auf der Küste
von Terra Firma gemacht hatte. Die schönsten Kaffeepflanzungen sind jetzt
in der Savane von Ocumare bei Salamanca und in Rincon, sowie im bergigten
Lande los Mariches, San Antonio Hatillo und los Budares. Der Kaffee von
den drei letztgenannten, ostwärts von Caracas gelegenen Orten ist von
vorzüglicher Güte; aber die Sträucher tragen dort weniger, was man der
hohen Lage und dem kühlen Klima zuschreibt. Die großen Pflanzungen in der
Provinz Venezuela, wie Aguacates bei Valencia und le Rincon, geben in
guten Jahren Ernten von 3000 Centnern. Im Jahr 1796 betrug die
Gesammtausfuhr der Provinz nicht mehr als 4800 Centner, im Jahr 1804
10,000 Centner; sie hatte indessen schon im Jahre 1789 begonnen. Die
Preise schwankten zwischen 6 und 18 Piastern der Centner. In der Havana
sah man denselben auf 3 Piaster fallen; zu jener für die Colonisten so
unheilvollen Zeit, in den Jahren 1810 und 1812, lagen aber auch über zwei
Millionen Centner Kaffee (im Werth von zehn Millionen Pfund Sterling) in
den englischen Magazinen.

Die große Vorliebe, die man in dieser Provinz für den Kaffeebau hat, rührt
zum Theil daher, daß die Bohne sich viele Jahre hält, während der Cacao,
trotz aller Sorgfalt, nach zehn Monaten oder einem Jahr in den Magazinen
verdirbt. Während der langen Kriege zwischen den europäischen Mächten, wo
das Mutterland zu schwach war, um den Handel seiner Colonien zu schützen,
mußte sich die Industrie vorzugsweise auf ein Produkt werfen, das nicht
schnell abgesetzt werden muß und bei dem man alle politischen und
Handelsconjunkturen abwarten kann. In den Kaffeepflanzungen von Caracas
nimmt man, wie ich gesehen, zum Versetzen nicht leicht die jungen
Pflanzen, die zufällig unter den tragenden Bäumen aufwachsen; man läßt
vielmehr die Bohnen, getrennt von der Beere, aber doch noch mit einem
Theil des Fleisches daran, in Haufen zwischen Bananenblättern fünf Tage
lang keimen und steckt sofort den gekeimten Samen. Die so gezogenen
Pflanzen widerstehen der Sonnenhitze besser als die, welche in der
Pflanzung selbst im Schatten aufgewachsen sind. Man setzt hier zu Lande
gewöhnlich 5300 Bäume auf die *Vanega*, die gleich ist 5476 Quadrattoisen.
Ein solches Grundstück kostet, wenn es sich bewässern läßt, im nördlichen
Theil der Provinz 500 Piaster. Der Kaffeebaum blüht erst im zweiten Jahr
und die Blüthe währt nur 24 Stunden. In dieser Zeit nimmt sich der kleine
Baum sehr gut aus; von weitem meint man, er sey beschneit. Im dritten Jahr
ist die Ernte bereits sehr reich. In gut gejäteten und bewässerten
Pflanzungen auf frisch umgebrochenem Boden gibt es ausgewachsene Bäume,
die 16, 18, sogar 20 Pfund Kaffee tragen; indessen darf man nur
1--1½ Pfund auf den Stamm rechnen, und dieser durchschnittliche Ertrag ist
schon größer als auf den Antillen. Der Regen, wenn er in die Blüthezeit
fällt, der Mangel an Wasser zum Ueberrieseln und ein Schmarotzergewächs,
eine neue Art Loranthus, das sich an den Zweigen ansetzt, richten großen
Schaden in den Kaffeepflanzungen an. Auf Pflanzungen von 8000 bis 10,000
Stämmen gibt die fleischige Beere des Kaffeebaums eine ungeheure Masse
organischen Stoffs, und man muß sich wundern, daß man nie versucht hat
Alkohol daraus zu gewinnen.

Wenn auch die Unruhen auf St. Domingo, der augenblickliche Ausschlag der
Colonialwaaren und die Auswanderung der französischen Pflanzer den ersten
Anlaß zum Bau des Kaffees auf dem Festland von Amerika, auf Cuba und
Jamaica gaben, so hat doch, was sie an Kaffee geliefert, keineswegs bloß
das Deficit gedeckt, das dadurch entstanden war, daß die französischen
Antillen nichts mehr ausführten. Dieser Ertrag steigerte sich, je mehr die
Bevölkerung und bei veränderter Lebensweise der Luxus bei den europäischen
Völkern zunahmen. Zu Neckers Zeit im Jahr 1780 führte St. Domingo gegen 76
Millionen Pfund Kaffee aus. Im Jahr 1817 und den drei folgenden Jahren war
die Ausfuhr, nach Colquhoun, noch 36 Millionen Pfund. Der Kaffeebau ist
nicht so mühsam und kostspielig als der Bau des Zuckerrohrs und hat unter
dem Regiment der Schwarzen nicht so sehr gelitten als letzterer. Das sich
ergebende Deficit von 40 Millionen Pfund wird nun von Jamaica, Cuba,
Surinam, Demerary, Barbice, Curaçao, Venezuela und der Insel Java weit
mehr als gedeckt, indem alle zusammen 75,900,000 Pfund erzeugen.

Die Gesammteinfuhr von Kaffee aus Amerika nach Europa übersteigt jetzt 106
Millionen Pfund französischen Markgewichts. Rechnet man dazu 4--5
Millionen von Isle de France und der Insel Bourbon, und 30 Millionen aus
Arabien und Java, so ergibt sich, daß der Gesammtverbrauch von Europa im
Jahr 1819 auf etwa 140 Millionen Pfund gestiegen seyn mag. Bei meinen
Untersuchungen über die Colonialwaaren im Jahr 1810(45) habe ich eine
geringere Zahl angenommen. Bei diesem ungeheuren Kaffeeverbrauch hat der
Verbrauch von Thee keineswegs abgenommen, vielmehr ist die Ausfuhr aus
China in den letzten fünfzehn Jahren um mehr als ein Viertheil stärker
geworden. Im gebirgigen Theil der Provinzen Caracas und Cumana könnte Thee
so gut gebaut werden als Kaffee. Man findet dort alle Klimate wie in
Stockwerken über einander, und dieser neue Culturzweig würde eben so gut
gedeihen, wie in der südlichen Halbkugel, wo in Brasilien unter einer
Regierung, die großsinnig die Industrie und die religiöse Duldung in ihren
Schutz nimmt, der Thee, die Chinesen und Fo’s Glaubenssätze zumal
eingewandert sind. Noch sind es nicht hundert Jahre her, seit in Surinam
und auf den Antillen die ersten Kaffeebäume gepflanzt wurden, und bereits
hat der Ertrag der amerikanischen Ernte einen Werth von 15 Millionen
Piastern, den Centner Kaffee nur zu 14 Piastern gerechnet.

Am 8. Februar bei Sonnenaufgang brachen wir auf, um über den Higuerote zu
gehen, einen hohen Gebirgszug zwischen den beiden Längenthälern von
Caracas und Aragua. Nachdem wir bei las Ajuntas, wo die kleinen Flüsse San
Pedro und Macarao sich zum Guayre vereinigen, über das Wasser gegangen
waren, ging es an steilem Berghang hinauf zur Hochebene von Buonavista, wo
ein paar einzelne Häuser stehen. Man sieht hier gegen Nordost bis zur
Stadt Caracas, gegen Süd bis zum Dorf los Teques. Die Gegend ist wild und
waldreich. Die Pflanzen des Thals von Caracas waren nach und nach
ausgeblieben. Wir befanden uns in 835 Toisen Meereshöhe, also fast so hoch
als Popayan, aber die mittlere Temperatur ist schwerlich höher als 17--18°
[13°,6--14°,4 Reaumur]. Die Straße über diese Berge ist sehr belebt; jeden
Augenblick begegnet man langen Zügen von Maulthieren und Ochsen; es ist
die große Straße von der Hauptstadt nach Victoria und in die Thäler von
Aragua. Der Weg ist in einen talkigten zersetzten Gneiß gehauen. Ein mit
Glimmerblättern gemengter Thon bedeckt drei Fuß hoch das Gestein. Im
Winter leidet man vom Staub und in der Regenzeit wird der Boden ein
Morast. Abwärts von der Ebene von Buonavista, etwa fünfzig Toisen gegen
Südost, kommt man an eine starke Quelle im Gneiß, die mehrere Fälle
bildet, welche die üppigste Vegetation umgibt. Der Pfad zur Quelle
hinunter ist so steil, daß man die Wipfel der Baumfarn, deren Stamm 25 Fuß
hoch wird, mit der Hand berühren kann. Die Felsen ringsum sind mit
Jungermannia und Moosen aus der Familie Hypnum bekleidet. Der Bach schießt
im Schatten von Heliconien hin und entblößt die Wurzeln der Plumeria, des
Cupey, der Brownea und des _Ficus gigantea_. Dieser feuchte, von Schlangen
heimgesuchte Ort gewährt dem Botaniker die reichste Ausbeute. Die Brownea,
von den Eingeborenen _Rosa del monte_ oder _Palo de Cruz_ genannt, trägt
oft vier bis fünfhundert purpurrothe Blüthen in einem einzigen Strauße.
Jede Blüthe hat fast immer 11 Staubfäden, und das prachtvolle Gewächs,
dessen Stamm 50--60 Fuß hoch wächst, wird selten, weil sein Holz eine sehr
gesuchte Kohle gibt. Den Boden bedecken Ananas, Hemimeris, Polygala und
Melastomen. Eine kletternde Grasart(46) schwebt in leichten Gewinden
zwischen Bäumen, deren Hierseyn bekundet, wie kühl das Klima in diesen
Bergen ist. Dahin gehören die _Aralia capitata_, die _Vismia caparosa_ die
_Clethra fagifolia_. Mitten unter diesen, der schönen Region der Baumfarn
(_region de los helechos_) eigenthümlichen Gewächsen erheben sich in den
Lichtungen hie und da Palmbäume und Gruppen von *Guarumo* oder Cecropia
mit silberfarbigen Blättern, deren dünner Stamm am Gipfel schwarz ist, wie
verbrannt vom Sauerstoff der Luft. Es ist auffallend, daß ein so schöner
Baum vom Habitus der Theophrasta und der Palmen meist nur acht bis zehn
Kronblätter hat. Die Ameisen, die im Stamm des Guarumo hausen und das
Zellgewebe im Innern zerstören, scheinen das Wachsthum des Baums zu
hemmen. Wir hatten in diesen kühlen Bergen von Higuerote schon einmal
botanisirt, im December, als wir den Generalcapitän Guevara auf dem
Ausflug begleiteten, den er mit dem Intendanten der Provinz in die *Valles
de Aragua* machte. Damals entdeckte Bonpland im dicksten Wald ein paar
Stämme des *Aguatire*, dessen wegen seiner schönen Farbe berühmtes Holz
einmal ein Ausfuhrartikel nach Europa werden kann. Es ist die von
Bredemayer und Willdenow beschriebene _Sickingia erythroxylon_.

Vom bewaldeten Berge Higuerote kommt man gegen Südwest zum kleinen Dorfe
San Pedro herunter (Höhe 584 Toisen), das in einem Becken liegt, wo
mehrere kleine Thäler zusammenstoßen, und fast 300 Toisen tiefer als die
Ebene von Buonavista. Man baute hier neben einander Bananen, Kartoffeln
und Kaffee. Das Dorf ist sehr klein und die Kirche noch nicht ausgebaut.
Wir trafen in einer Schenke (_pulperia_) mehrere bei der Tabakspacht
angestellte Hispano-Europäer. Ihre Stimmung war von der unsrigen sehr
verschieden. Vom Marsche ermüdet, brachen sie in Klagen und Verwünschungen
aus über das unselige Land (_estas tierras infelices_), in dem sie leben
müßten. Wir dagegen konnten die wilde Schönheit der Gegend, die
Fruchtbarkeit des Bodens, das angenehme Klima nicht genug rühmen.

Das Thal von San Pedro mit dem Flüßchen dieses Namens trennt zwei große
Bergmassen, die des Higuerote und die von las Cocuyzas. Es ging nun gegen
West wieder aufwärts über die kleinen Höfe las Lagunetas und Garavatos. Es
sind dieß nur einzelne Häuser, die als Herbergen dienen; die
Maulthiertreiber finden hier ihr Lieblingsgetränk, *Guarapo*, gegohrenen
Zuckerrohrsaft. Besonders die Indianer, die auf dieser Straße hin und her
ziehen, sind dem Trunke sehr ergeben. Bei Garavatos steht ein sonderbar
gestalteter Glimmerschieferfels, ein Kamm oder eine steile Wand, auf der
oben ein Thurm steht. Ganz oben auf dem Berge las Cocuyzas öffneten wir
den Barometer und fanden, daß wir hier in derselben Höhe waren wie auf
Buonaviste, kaum 10 Toisen höher.

Die Aussicht auf las Lagunetas ist sehr weit, aber ziemlich einförmig.
Dieser gebirgige, unbebaute Landstrich zwischen den Quellen des Guayre und
des Tuy ist über 25 Quadratmeilen groß. Es gibt darin sein einziges
elendes Dorf, los Teques, südöstlich von San Pedro. Der Boden ist wie
durchfurcht von unzähligen kleinen Thälern, und die kleinsten, neben
einander herlaufenden münden unter rechtem Winkel in die größeren aus. Die
Berggipfel sind eben so einförmig wie die Thalschluchten; nirgends eine
pyramidalische Bildung oder eine Auszackung, nirgends ein steiler Abhang.
Nach meiner Ansicht rührt das fast durchgängig flache, wellenförmige
Relief dieses Landstrichs nicht sowohl von der Beschaffenheit der
Gebirgsart her, etwa von der Zersetzung des Gneißes, als vielmehr davon,
daß das Wasser lange darüber gestanden und die Strömungen ihre Wirkungen
geäußert haben. Die Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen
dieselbe Bildung.

Von las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter. Dieser westliche
Abhang der Berggruppe los Teques heißt las Cocuyzas; er ist mit zwei
Pflanzen mit Agaveblättern, mit dem *Maguey de Cocuyza* und dem *Maguey de
Cocuy* bewachsen. Letzterer gehört zur Gattung Yucca (unsere _Yucca
acaulis_); aus dem gegohrenen, mit Zucker versetzten Saft wird Branntwein
gebrannt, auch habe ich die jungen Blätter essen sehen. Aus den Fasern der
ausgewachsenen Blätter werden ungemein feste Stricke verfertigt.(47) Hat
man die Berge Higuerote und los Teques hinter sich, so betritt man ein
reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern, unter denen welche
sind, die in Europa Städte hießen. Von Ost nach West, auf einer Strecke
von 12 Meilen, kommt man durch Victoria, San Matheo, Turmero, und Maracay,
die zusammen über 28,000 Einwohner haben. Die Ebenen am Tuy sind als der
östliche Ausläufer der Thäler von Aragua zu betrachten, die sich von
Guigue, am Ufer des Sees von Valencia, bis an den Fuß der Berge las
Cocuyzas erstrecken. Durch barometrische Messung fand ich das Tuythal beim
Hofe Manterola 295 Toisen und den Spiegel des Sees 222 Toisen über dem
Meer. Der Tuy, der in den Bergen las Cocuyzas entspringt, läuft Anfangs
gegen West, wendet sich dann nach Süd und Ost längs der hohen Savanen von
Ocumare, nimmt die Gewässer des Thals von Caracas auf und fällt unter dem
Winde des Cap Codera ins Meer.

Wir waren schon lange an eine mäßige Temperatur gewöhnt, und so kamen uns
die Ebenen am Tuy sehr heiß vor, und doch stand der Thermometer bei Tag
zwischen elf Uhr Morgens und fünf Uhr Abends nur auf 23--24°. Die Nächte
waren köstlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17°,5′ [14° Reaumur]
sank. Je mehr die Hitze abnahm, desto stärker schienen die Wohlgerüche der
Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus erkannten wir den köstlichen
Geruch des _Lirio hermoso_ einer neuen Art von _Pancratium_ deren Blüthe
8--9 Zoll lang ist und die am Ufer des Tuy wächst. Wir verlebten zwei
höchst angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joses de Manterola, der in der
Jugend Mitglied der spanischen Gesandtschaft in Rußland gewesen war. Als
Zögling und Günstling Xavedras, eines der einsichtsvollsten Intendanten
von Caracas, wollte er sich, als der berühmte Staatsmann ins Ministerium
getreten war, nach Europa einschiffen. Der Gouverneur der Provinz
fürchtete Manterolas Einfluß und ließ ihn im Hafen verhaften, und als der
Befehl von Hof anlangte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der
Minister bereits nicht mehr in Gunst. Es hält schwer, auf 1500 Meilen, von
der südamerikanischen Küste, rechtzeitig einzutreffen, um von der Macht
eines hochgestellten Mannes Nutzen zu ziehen.

Der Hof, auf dem wir wohnten, ist eine hübsche Zuckerplantage. Der Boden
ist eben wie der Grund eines ausgetrockneten Sees. Der Tuy schlängelt sich
durch Gründe, die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von _Hura
crepitans_, _Erythrina corallo-dendron_ und Feigenbäumen mit
Nymphäenblättern bewachsen sind. Das Flußbett besteht aus Quarzgeschieben,
und ich wüßte nicht, wo man angenehmer badete als im Tuy: das
crystallhelle Wasser behält selbst bei Tag die Temperatur von 18°,6. Das
ist sehr kühl für dieses Klima und für eine Meereshöhe von 300 Toisen,
aber der Fluß entspringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des
Eigenthümers liegt auf einem 15--20 Toisen hohen Hügel und ringsum stehen
die Hütten der Neger. Die Verheiratheten sorgen selbst für ihren
Unterhalt. Wie überall in den Thälern von Aragua weist man ihnen ein
kleines Grundstück an, das sie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen
freien Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten Hühner,
zuweilen sogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie gut sie es haben, wie im
nördlichen Europa die gnädigen Herren den Wohlstand der leibeigenen Bauern
rühmen. Am Tage unserer Ankunft sahen wir drei entsprungene Neger
einbringen, vor Kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge einer der
Prügelscenen sein zu müssen, die einem überall, wo die Sklaverei herrscht,
das Landleben verbittern; glücklicherweise wurden die Schwarzen menschlich
behandelt.

Auf dieser Pflanzung, wie überall in der Provinz Venezuela, unterscheidet
man schon von Weitem die drei Arten Zuckerrohr, die gebaut werden, das
creolische Rohr, das otaheitische und das batavische. Die erstere Art hat
ein dunkleres Blatt, einen dünneren Stengel und die Knoten stehen näher
bei einander; es ist dieß das Zuckerrohr, das aus Indien zuerst auf
Sicilien, auf den Canarien und auf den Antillen eingeführt wurde. Die
zweite Art zeichnet sich durch ein helleres Grün aus; der Stengel ist
höher, dicker, saftreicher; die ganze Pflanze verräth üppigeres Wachsthum.
Man verdankt sie den Reisen Bougainvilles, Cooks und Blighs. Bougainville
brachte sie nach Cayenne, von wo sie nach Martinique, und vom Jahr 1792 an
auf die andern Antillen kam. Das otaheitische Zuckerrohr, der *To* der
Insulaner, ist eine der wichtigsten Bereicherungen, welche die
Landwirthschaft in den Colonien seit einem Jahrhundert reisenden
Naturforschern verdankt. Es gibt nicht nur auf demselben Areal ein
Dritttheil mehr *Vezou* als das creolische Zuckerrohr; sein dicker Stengel
und seine feste Holzfaser liefern auch ungleich mehr Brennstoff. Letzteres
ist für die Antillen von großem Werth, da die Pflanzer dort wegen der
Ausrodung der Wälder schon lange die Kessel mit ausgepreßtem Rohr heizen
müssen. Ohne dieses neue Gewächs, ohne die Fortschritte des Ackerbaus auf
dem Festland des spanischen Amerika und die Einführung des indischen und
Javazuckers, hätten die Revolutionen auf St. Domingo und die Zerstörung
der dortigen großen Zuckerpflanzungen einen noch weit bedeutenderen
Einfluß auf die Preise der Colonialwaaren in Europa geäußert. Nach Caracas
kam das otaheitische Rohr von der Insel Trinidad, von Caracas nach Cucuta
und San Gil im Königreich Neu-Grenada. Gegenwärtig, nach
fünfundzwanzigjährigem Anbau, ist die Besorgniß verschwunden, die man
Anfangs gehegt, das nach Amerika verpflanzte Rohr möchte allmählig
ausarten und so dünn werden wie das creolische. Wenn es eine Spielart ist,
so ist es eine sehr constante. Die dritte Art, das violette Zuckerrohr,
_Caña de batavia_ oder _de Guinea_ genannt, ist bestimmt auf Java zu
Hause, wo man es vorzugsweise in den Distrikten Japara und Pasuruan baut.
Es hat purpurfarbige, sehr breite Blätter; in der Provinz Caracas
verwendet man es vorzugsweise zum Rumbrennen. Zwischen den *Tablones* oder
mit Zuckerrohr bepflanzten Grundstücken laufen Hecken aus einer gewaltig
großen Grasart, der *Latta* oder dem Gynerium mit zweizeiligen Blättern.
Man war im Tuy daran, ein Wehr auszubauen, durch das ein Wässerungskanal
gespeist werden sollte. Der Eigenthümer hatte für das Unternehmen 7000
Piaster an Baukosten und 4000 für die Processe mit seinen Nachbarn
ausgegeben. Während die Sachwalter sich über einen Kanal stritten, der
erst zur Hälfte fertig war, fing Manterola an zu bezweifeln, ob die Sache
überhaupt ausführbar seh. Ich vermaß das Terrain mittelst eines
Probirglases auf einem künstlichen Horizont und fand, daß das Wehr acht
Fuß zu tief angelegt war. Wie viel Geld habe ich in den spanischen
Colonien für Bauten hinauswerfen sehen, die nach falschen Messungen
angelegt waren!

Das Tuythal hat sein »Goldbergwerk«, wie fast jeder von Europäern
bewohnte, im Urgebirg liegende Ort in Amerika. Man versicherte, im Jahr
1780 habe man hier fremde Goldwäscher Goldkörner sammeln sehen, und die
Leute haben sofort in der Goldschlucht eine Wäscherei angelegt. Der
Verwalter einer benachbarten Pflanzung hatte diese Spuren verfolgt, und
siehe, man fand in seinem Nachlaß ein Wamms mit goldenen Knöpfen, und nach
der Volkslogik konnte dieses Gold nur aus einem Erzgang kommen, wo die
Schürfung durch einen Erdfall verschüttet worden war. So bestimmt ich auch
erklärte, nach dem bloßen Aussehen des Bodens, ohne einen tiefen Stollen
in der Richtung des Ganges, könne ich nicht wissen, ob hier einmal gebaut
worden sey -- es half nichts, ich mußte den Bitten meiner Wirthe
nachgeben. Seit zwanzig Jahren war das Wamms des Verwalters im ganzen
Bezirk tagtäglich besprochen worden. Das Gold, das man aus dem Schooße der
Erde gräbt, hat in den Augen des Volks einen ganz andern Reiz, als das
Gold, das der Fleiß des Landmanns auf einem fruchtbaren, mit einem milden
Klima gesegneten Boden erntet.

Nordwestlich von der Hacienda del Tuy, im nördlichen Zuge der
Küstengebirgskette, befindet sich eine tiefe Schlucht, _Quebrada Seca_
genannt, weil der Bach, dem sie ihre Entstehung verdankt, in den
Felsspalten versickert, ehe er das Ende der Schlucht erreicht. Dieses
ganze Bergland ist dicht bewachsen; hier, wie überall, wo die Höhen in die
Wolkenregion reichen und die Wasserdünste auf ihrem Zug von der See her
freien Zutritt haben, fanden wir das herrliche frische Grün, das uns in
den Bergen von Buenavista und Lagunetas so wohl gethan hatte. In den
Ebenen dagegen werfen, wie schon oben bemerkt, die Bäume im Winter ihre
Blätter zum Theil ab, und sobald man in das Thal des Tuy hinabkommt, fällt
einem das fast winterliche Aussehen der Landschaft auf. Die Luft ist so
trocken, daß der Delucsche Hygrometer Tag und Nacht auf 36--40° steht.
Weit ab vom Fluß sieht man kaum hie und da eine Hura oder ein baumartiges
Pfeffergewächs das entblätterte Buschwerk beschatten. Diese Erscheinung
ist wohl eine Folge der Trockenheit der Luft, die im Februar ihr Maximum
erreicht; sie rührt nicht, wie die Colonisten meinen, daher, daß »die
Jahreszeiten, wie sie in Spanien sind, bis in den heißen Erdstrich herüber
wirken.« Nur die auf einer Halbkugel in die andere versetzten Gewächse
bleiben hinsichtlich ihrer Lebensverrichtungen, der Blätter- und
Blüthenentwicklung an einen fernen Himmelsstrich gebunden und richten
sich, treu dem gewohnten Lebensgang, noch lange an die periodischen
Witterungswechsel desselben. In der Provinz Venezuela fangen die kahlen
Bäume fast einen Monat vor der Regenzeit wieder an frisches Laub zu
treiben. Wahrscheinlich ist um diese Zeit das elektrische Gleichgewicht in
der Luft bereits aufgehoben, und dieselbe wird allmählich feuchter, wenn
sie auch noch wolkenlos ist. Das Himmelsblau wird blässer und hoch oben in
der Luft sammeln sich leichte, gleichförmig verbreitete Dünste. In diese
Jahreszeit fällt hier eigentlich das Erwachen der Natur; es ist ein
Frühling, der, nach dem Sprachgebrauch in den spanischen Colonien,(48)
Winters Anfang verkündigt und auf die Sommerhitze folgt.

In der _Quebrada Seca_ wurde früher Indigo gebaut; da aber der
dichtbewachsene Boden nicht so viel Wärme abgeben kann, als die
Niederungen oder der Thalgrund des Tuy empfangen und durch Strahlung
wieder von sich geben, so baut man jetzt statt desselben Kaffee. Je weiter
man in der Schlucht hinauf kommt, desto feuchter wird sie. Beim *Hato*, am
nördlichen Ende der Quebrada, kamen wir an einen Bach, der über die
fallenden Gneißschichten niederstürzt; man arbeitete hier an einer
Wasserleitung, die das Wasser in die Ebene führen sollte; ohne Bewässerung
ist in diesem Landstrich kein Fortschritt in der Landwirthschaft möglich.
Ein ungeheuer dicker Baum (_Hura crepitans_) am Bergabhang, über dem Hause
des Hato, fiel uns auf. Da er, wenn der Boden im geringsten wich, hätte
umfallen und das Haus, das in seinem Schatten lag, zertrümmern müssen, so
hatte man ihn unten am Stamm abgebrannt und so gefällt, daß er zwischen
ungeheure Feigenbäume zu liegen kam und nicht in die Schlucht hinunter
rollen konnte. Wir maßen den gefüllten Baum: der Wipfel war abgebrannt,
und doch maß der Stamm noch 154 Fuß; er hatte an der Wurzel 8 Fuß
Durchmesser und am obern Ende 4 Fuß 2 Zoll.

Unsern Führern war weit weniger als uns daran gelegen, wie dick die Bäume
sind, und sie trieben uns vorwärts, dem »Goldbergwerk« zu. Wir wandten uns
nach West und standen endlich in der _Quebrada del Oro_. Da war nun am
Abhang eines Hügels kaum die Spur eines Quarzgangs zu bemerken. Durch den
Regen war der Boden herabgerutscht, das Terrain war dadurch ganz
verändert, und von einer Untersuchung konnte keine Rede seyn. Bereits
wuchsen große Bäume auf dem Fleck, wo die Goldwäscher vor zwanzig Jahren
gearbeitet hatten. Es ist allerdings wahrscheinlich, daß sich hier im
Glimmerschiefer, wie bei Goldcronach in Franken und im Salzburgischen,
goldhaltige Gänge finden; aber wie will man wissen, ob die Lagerstätte
bauwürdig ist, oder ob das Erz nur in Nestern vorkommt, und zwar desto
seltener, je reicher es ist? Um uns für unsere Anstrengung zu
entschädigen, botanisirten wir lange im dichten Wald über dem Hato, wo
Cedrela, Brownea und Feigenbäume mit Nymphäenblättern in Menge wachsen.
Die Stämme der letzteren sind mit sehr stark riechenden Vanillepflanzen
bedeckt, die meist erst im April blühen. Auch hier fielen uns wieder die
Holzauswüchse auf, die in der Gestalt von Gräten oder Rippen den Stamm der
amerikanischen Feigenbäume bis zwanzig Fuß über dem Boden so ungemein dick
machen. Ich habe Bäume gesehen, die über der Wurzel 22½ Fuß Durchmesser
hatten. Diese Holzgräten trennen sich zuweilen acht Schuh über dem Boden
vom Stamm und verwandeln sich in walzenförmige, zwei Schuh dicke Wurzeln,
und da sieht es aus, als würde der Baum von Strebepfeilern gestützt.
Dieses Gerüstwerk dringt indessen nicht weit in den Boden ein. Die
Seitenwurzeln schlängeln sich am Boden hin, und wenn man zwanzig Fuß vom
Stamm sie mit einem Beil abhaut, sieht man den Milchsaft des Feigenbaums
hervorquellen und sofort, da er der Lebensthätigkeit der Organe entzogen
ist, sich zersetzen und gerinnen. Welch wundervolle Verflechtung von
Zellen und Gefäßen in diesen vegetabilischen Massen, in diesen
Riesenbäumen der heißen Zone, die vielleicht tausend Jahre lang in einem
fort Nahrungssaft bereiten, der bis zu 180 Fuß hoch aufsteigt und wieder
zum Boden rückfließt, und wo hinter einer rauhen, harten Rinde, unter
dicken Schichten lebloser Holzfasern sich alle Regungen organischen Lebens
bergen!

Ich benützte die hellen Nächte, um auf der Pflanzung am Tuy zwei Auftritte
des ersten und dritten Jupitetstrabanten zu beobachten. Diese zwei
Beobachtungen ergaben nach den Tafeln von Delambre 4h 39′ 14″ Länge; nach
dem Chronometer fand ich 4h 39′ 10″. Dieß waren die letzten Bedeckungen,
die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoco beobachtet; mittelst derselben
wurde das östliche Ende der Thäler von Aragua und der Fuß der Berge las
Cocuyzas ziemlich genau bestimmt. Nach Meridianhöhen von Canopus fand ich
die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10° 16′ 55″, am
10. Februar 10° 16′ 34″. Trotz der großen Trockenheit der Luft flimmerten
die Sterne bis zu 80 Grad Höhe, was unter dieser Zone sehr selten vorkommt
und jetzt vielleicht das Ende der schönen Jahreszeit verkündete. Die
Inclination der Magnetnadel war 41° 60′, und 228 Schwingungen in 10
Minuten Zeit gaben die Intensität der magnetischen Kraft an. Die
Abweichung der Nadel war 4° 30′ gegen Nordost.

Während meines Aufenthalts in den Thälern des Tuy und von Aragua zeigte
sich das Zodiacallicht fast jede Nacht in ungemeinem Glanze. Ich hatte es
unter den Tropen zum erstenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr Abends
gesehen. Die Spitze der Pyramide stand 53 Grad hoch. Der Schein verschwand
fast ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit), beinahe 3 Stunden 50 Minuten
nach Sonnenuntergang, ohne daß der klare Himmel sich getrübt hätte. Schon
La Caille war auf seiner Reise nach Rio Janeiro und dem Cap aufgefallen,
wie schön sich das Zodiacallicht unter den Tropen ausnimmt, nicht sowohl
weil es weniger geneigt ist, als wegen der großen Reinheit der Luft. Man
müßte es auch auffallend finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominic
Cassini die Seefahrer, welche die Meere beider Indien besuchten, die
gelehrte Welt Europas auf diesen Lichtschimmer von so bestimmter Form und
Bewegung aufmerksam gemacht haben, wenn man nicht wüßte, wie wenig sie bis
zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sich um Alles kümmerten, was nicht
unmittelbar auf den Lauf des Schiffes und auf die Steuerung Bezug hatte.

So glänzend das Zodiacallicht im trockenen Tuythale war, so sah ich es
doch noch weit schöner auf dem Rücken der Cordilleren von Mexico, am Ufer
des Sees von Tezcuco, in 1160 Toisen Meereshöhe. Auf dieser Hochebene geht
der Delucsche Hygrometer auf 150 zurück, und bei einem Luftdruck von 21
Zoll 8 Linien ist die Schwächung des Lichts 1/1006 mal geringer als auf
den Niederungen. Im Januar 1804 reichte die Helle zuweilen mehr als 60
Grad über den Horizont herauf. Die Milchstraße erschien blaß neben dem
Glanz des Zodiacallichts, und wenn blaulichte zerstreute Wölkchen gegen
West am Himmel schwebten, meinte man, der Mond sey am Aufgehen.

Ich muß hier einer sehr auffallenden Beobachtung gedenken, die sich in
meinem an Ort und Stelle geführten Tagebuch mehrmals verzeichnet findet.
Am 18. Januar und am 15. Februar 1800 zeigte sich das Zodiacallicht nach
je zwei Minuten sehr merkbar jetzt schwächer, jetzt wieder stärker. Bald
war es sehr schwach, bald heller als der Glanz der Milchstraße im
Schützen. Der Wechsel erfolgte in der ganzen Pyramide, besonders aber im
Innern, weit von den Rändern. Während dieser Schwankungen des
Zodiacallichts zeigte der Hygrometer große Trockenheit an. Die Sterne
vierter und fünfter Größe erschienen dem bloßen Auge fortwährend in
derselben Lichtstärke. Nirgends war ein Wolkenstreif am Himmel zu sehen,
und nichts schien irgendwie die Reinheit der Luft zu beeinträchtigen. In
andern Jahren, in der südlichen Halbkugel, sah ich das Licht eine halbe
Stunde, ehe es verschwand, stärker werden. Nach Dominic Cassini sollte
»das Zodiacallicht in manchen Jahren schwächer und dann wieder so stark
werden wie Anfangs.« Er glaubte, dieser allmähliche Lichtwechsel »hänge
mit denselben Emanationen zusammen, in deren Folge auf der Sonnenscheibe
periodisch Flecken und Fackeln erscheinen;« aber der ausgezeichnete
Beobachter erwähnt nichts von einem solchen raschen, innerhalb weniger
Minuten erfolgenden Wechsel in der Stärke des Zodiacallichtes, wie ich
denselben unter den Tropen öfters gesehen. Meiran behauptet, in Frankreich
sehe man in den Monaten Februar und März ziemlich oft mit dem
Zodiacalschein eine Art Nordlicht sich mischen, das er das *unbestimmte*
nennt, und dessen Lichtnebel sich entweder um den ganzen Horizont
verbreitet oder gegen Westen erscheint. Ich bezweifle, daß in den von mir
beobachteten Fällen diese beiderlei Lichtscheine sich gemengt haben. Der
Wechsel in der Lichtstärke erfolgte in bedeutenden Höhen, das Licht war
weiß, nicht farbig, ruhig, nicht zitternd. Zudem sind Nordlichter unter
den Tropen so selten sichtbar, daß ich in fünf Jahren, so oft ich auch im
Freien lag und das Himmelsgewölbe anhaltend und sehr aufmerksam
betrachtete, nie eine Spur davon bemerken konnte.

Ueberblicke ich, was ich in Bezug auf die Zu- und Abnahme des
Zodiacallichts in meinen Notizen verzeichnet habe, so möchte ich glauben,
daß diese Veränderungen doch nicht alle scheinbar sind, noch von gewissen
Vorgängen in der Atmosphäre abhängen. Zuweilen, in ganz heitern Nächten,
suchte ich das Zodiacallicht vergebens, während es Tags zuvor sich im
größten Glanze gezeigt hatte.(49) Soll man annehmen, daß Emanationen, die
das weiße Licht reflectiren, und die mit dem Schweif der Cometen
Aehnlichkeit zu haben scheinen, zu gewissen Zeiten schwächer sind? Die
Untersuchungen über den Zodiacalschein bekommen noch mehr Interesse, seit
die Mathematiker uns bewiesen haben, daß uns die wahre Ursache der
Erscheinung unbekannt ist. Der berühmte Verfasser der _mecanique céleste_
hat dargethan, daß die Sonnenatmosphäre nicht einmal bis zur Merkursbahn
reichen kann, und daß sie in keinem Fall in der Linsenform erscheinen
könnte, die das Zodiacallicht nach der Beobachtung haben muß. Es lassen
sich zudem über das Wesen dieses Lichtes dieselben Zweifel erheben, wie
über das der Cometenschweife. Ist es wirklich reflectirtes, oder ist es
direktes Licht? Hoffentlich werden reisende Naturforscher, welche unter
die Tropen kommen, sich mit Polarisationsapparaten versehen, um diesen
wichtigen Punkt zu erledigen.

Am 11. Februar mit Sonnenaufgang brachen wir von der Pflanzung Manterola
auf. Der Weg führt an den lachenden Ufern des Tuy hin, der Morgen war kühl
und feucht, und die Luft durchwürzt vom köstlichen Geruch des _Pancratium
undulatum_ und anderer großer Liliengewächse. Man kommt durch das hübsche
Dorf Mamon oder *Consejo*, das in der Provinz wegen eines wunderthätigen
Muttergottesbildes berühmt ist. Kurz vor Mamon machten wir auf einem Hofe
der Familie Monteras Halt. Eine über hundert Jahre alte Negerin saß vor
einer kleinen Hütte aus Rohr und Erde. Man kannte ihr Alter, weil sie eine
Creolin-Sklavin war. Sie schien noch bei ganz. guter Gesundheit. »Ich
halte sie an der Sonne (_la tingo al sol_)«, sagte ihr Enkel; »die Wärme
erhält sie am Leben.« Das Mittel kam uns sehr stark vor, denn die
Sonnenstrahlen fielen fast senkrecht nieder. Die Völker mit dunkler Haut,
die gut acclimatisirten Schwarzen und die Indianer erreichen in der heißen
Zone ein hohes, glückliches Alter. Ich habe anderswo von einem
eingeborenen Peruaner erzählt, der im Alter von 143 Jahren starb und 90
Jahre verheirathet gewesen war.

Don Francisco Montera und sein Bruder, ein junger, sehr gebildeter
Geistlicher, begleiteten uns, um uns in ihr Haus in Victoria zu bringen.
Fast alle Familien, mit denen wir in Caracas befreundet gewesen waren, die
Ustariz, die Tovars, die Toros, lebten beisammen in den schönen Thälern
von Aragua, wo sie die reichsten Pflanzungen besaßen, und sie
wetteiferten, uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Ehe wir in die Wälder
am Orinoco drangen, erfreuten wir uns noch einmal an Allem, was hohe
Cultur Schönes und Gutes bietet.

Der Weg von Mamon nach Victoria läuft nach Süd und Südwest. Den Tuy, der
am Fuß der hohen Berge von Guayraima eine Biegung nach Ost macht, verloren
wir bald aus dem Gesicht. Man meint im Haslithal im Berner Oberland zu
seyn. Die Kalktuffhügel sind nicht mehr als 140 Toisen hoch, fallen aber
senkrecht ab und springen wie Vorgebirge in die Ebene herein. Ihre Umrisse
deuten das alte Seegestade an. Das östliche Ende des Thals ist dürr und
nicht angebaut; man hat hier die wasserreichen Schluchten der benachbarten
Gebirge nicht benützt, aber in der Nähe der Stadt betritt man ein gut
bebautes Land. Ich sage Stadt, obgleich zu meiner Zeit Victoria nur für
ein Dorf (_pueblo_) galt.

Einen Ort mit 7000 Einwohnern, schönen Gebäuden, einer Kirche mit
dorischen Säulen und dem ganzen Treiben der Handelsindustrie kann man sich
nicht leicht als Dorf denken. Längst hatten die Einwohner von Victoria den
spanischen Hof um den Titel _Villa_ angegangen und um das Recht einen
Cabildo, einen Gemeinderath, wählen zu dürfen. Das spanische Ministerium
willfahrte dem Gesuch nicht, und doch hatte es bei der Expedition
Iturriagas und Solanos an den Orinoco, auf das dringende Gesuch der
Franciscaner, ein paar Haufen indianischer Hütten den vornehmen Titel
_Ciudad_ ertheilt. Die Selbstverwaltung der Gemeinden sollte ihrem Wesen
nach eine der Hauptgrundlagen der Freiheit und Gleichheit der Bürger seyn;
aber in den spanischen Colonien ist sie in eine Gemeindearistokratie
ausgeartet. Die Leute, welche die unumschränkte Gewalt in Händen haben,
könnten so leicht den Einfluß von ein paar mächtigen Familien ihren
Zwecken dienstbar machen; statt dessen fürchten sie den sogenannten
Unabhängigkeitsgeist der kleinen Gemeinden. Lieber soll der Staatskörper
gelähmt und kraftlos bleiben, als daß sie Mittelpunkte der Regsamkeit
aufkommen ließen, die sich ihrem Einfluß entziehen, als daß sie der
lokalen Lebensthätigkeit, welche die ganze Masse beseelt, Vorschub
leisteten, nur weil diese Thätigkeit vielmehr vom Volk als von der
obersten Gewalt ausgeht. Zur Zeit Carls V. und Philipps II. wurde die
Municipalverfassung vom Hose klugerweise begünstigt. Mächtige Männer, die
bei der Eroberung eine Rolle gespielt, gründeten Städte und bildeten die
ersten *Cabildos* nach dem Muster der spanischen; zwischen den Angehörigen
des Mutterlandes und ihren Nachkommen in Amerika bestand damals
Rechtsgleichheit. Die Politik war eben nicht freisinnig, aber doch nicht
so argwöhnisch wie jetzt. Das vor kurzem eroberte und verheerte Festland
wurde als eine ferne Besitzung Spaniens angesehen. Der Begriff einer
Colonie im heutigen Sinn entwickelte sich erst mit dem modernen System der
Handelspolitik, und diese Politik sah zwar ganz wohl die wahren Quellen
des Nationalreichthums, wurde aber nichts desto weniger bald kleinlich,
mißtrauisch, ausschließend. Sie arbeitete auf die Zwietracht zwischen dem
Mutterlande und den Colonien hin; sie brachte unter den Weißen eine
Ungleichheit auf, von der die erste Gesetzgebung für Indien nichts gewußt
hatte. Allmählich wurde durch die Centralisirung der Gewalt der Einfluß
der Gemeinden herabgedrückt, und dieselben Cabildos, denen im 16. und
17. Jahrhundert das Recht zustand, nach dem Tode eines Statthalters das
Land provisorisch zu regieren, galten beim Madrider Hof für gefährliche
Hemmnisse der königlichen Gewalt; Hinfort erhielten die reichsten Dörfer
trotz der Zunahme ihrer Bevölkerung nur sehr schwer den Stadttitel und das
Recht der eigenen Verwaltung. Es ergibt sich hieraus, daß die neueren
Aenderungen in der Colonialpolitik keineswegs alle sehr philosophisch
sind. Man sieht solches sehr deutlich, wenn man in den _Leyes de Indias_
die Artikel von den Verhältnissen der nach Amerika übersiedelten Spanier,
von den Rechten der Gemeinden und der Einrichtung der Gemeinderäthe
nachliest.

Durch die Art des Anbaus ist der Anblick der Umgegend von Victoria ein
ganz eigenthümlicher. Der bebaute Boden liegt nur in 270--300 Toisen
Meereshöhe, und doch sieht man Getreidefelder unter den Zucker-, Kaffee-
und Bananenpflanzungen. Mit Ausnahme des Innern von Cuba werden sonst fast
nirgends im tropischen Theile der spanischen Colonien die europäischen
Getreidearten in einem so tief gelegenen Landstriche gebaut. In Mexico
wird nur zwischen 600 und 1200 Toisen absoluter Höhe der Weizenbau stark
betrieben, und nur selten geht er über 400 Toisen herab. Wir werden bald
sehen, daß, wenn man Lagen von verschiedener Höhe mit einander vergleicht,
der Ertrag des Getreides von den hohen Breiten zum Aequator mit der
mittleren Temperatur des Orts merkbar zunimmt. Ob man mit Erfolg Getreide
bauen kann, hängt ab vom Grade der Trockenheit der Luft, davon, ob der
Regen auf mehrere Jahreszeiten vertheilt ist oder nur in der Winterzeit
fällt, ob der Wind fortwährend aus Ost bläst oder von Norden her kalte
Luft in tiefe Breiten bringt (wie im Meerbusen von Mexico), ob Monate lang
Nebel die Kraft der Sonnenstrahlen vermindern, kurz von tausend örtlichen
Verhältnissen, die nicht sowohl die mittlere Temperatur des ganzen Jahrs
als die Vertheilung derselben Wärmemenge auf verschiedene Jahreszeiten
bedingen. Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß das europäische
Getreide vom Aequator bis Lappland, unter dem 69. Breitegrad, in Ländern
mit einer mittleren Wärme von +22 bis -2 Grad, aller Orten gebaut wird, wo
die Sommertemperatur über 9--10 Grad beträgt. Man kennt das *Minimum* von
Wärme, wobei Weizen, Gerste- und Hafer noch reifen; über das *Maximum*,
das diese sonst so zähen Grasarten ertragen, ist man weniger im Reinen.
Wir wissen nicht einmal, welche Verhältnisse zusammenwirken, um unter den
Tropen den Getreidebau in sehr geringen Höhen möglich zu machen. Victoria
und das benachbarte Dorf San Matheo erzeugen 4000 Centner Weizen. Man säet
ihn im December und erntet ihn am siebzigsten bis fünfundsiebzigsten Tag.
Das Korn ist groß, weiß und sehr reich an Kleber; die Deckhaut ist dünner,
nicht so hart als beim Korn auf den sehr kalten mexicanischen Hochebenen.
Bei Victoria erträgt der Morgen in der Regel 3000--3200 Pfund Weizen,
also, wie in Buenos Ayres, zwei- bis dreimal mehr als in den nördlichen
Ländern. Man erntet etwa das sechzehnte Korn, während der Boden von
Frankreich, nach Lavoisiers Untersuchungen, im Durchschnitt nur das fünfte
bis sechste, oder 1000--1200 Pfund auf den Morgen trägt. Trotz dieser
Fruchtbarkeit des Bodens und des günstigen Klimas ist der Zuckerbau in den
Thälern von Aragua einträglicher als der Getreidebau.

Durch Victoria läuft der kleine Rio Calanchas, der sich nicht in den Tuy,
sondern in den Rio Aragua ergießt, woraus hervorgeht, daß dieses schöne
Land, wo Zuckerrohr und Weizen neben einander wachsen, bereits zum Becken
des Sees von Valencia gehört, zu einem System von Binnenflüssen, die mit
der See nicht in Verbindung stehen. Der Stadttheil westlich vom Rio
Calanchas heißt _la otra banda_ und ist der gewerbsamste. Ueberall sieht
man Waaren ausgestellt, und die Straßen bestehen aus Budenreihen, Zwei
Handelsstraßen laufen durch Victoria, die von Valencia oder Porto Cabello
und die von Villa de Cura oder den Ebenen her, _camino de los lanos_
genannt. Es sind im Verhältniß mehr Weiße hier als in Caracas. Wir
besuchten bei Sonnenuntergang den Calvarienberg, wo man eine weite, sehr
schöne Aussicht hat. Man sieht gegen West die lachenden Thäler von Aragua,
ein weites, mit Gärten, Bauland, Stücken Wald, Höfen und Weilern bedecktes
Gelände. Gegen Süd und Südost ziehen sich, so weit das Auge reicht, die
hohen Gebirge von Palma, Guayraima, Tiara und Guiripa hin, hinter denen
die ungeheuren Ebenen oder Steppen von Calabozo liegen. Diese innere
Bergkette streicht nach West längs des Sees von Valencia fort bis Villa de
Cura, Cuesta de Yusma und zu den gezackten Bergen von Guigue. Sie ist
steil und fortwährend in den leichten Dunst gehüllt, der in heißen Ländern
ferne Gegenstände stark blau färbt und die Umrisse keineswegs verwischt,
sondern sie nur stärker hervortreten läßt. In dieser innern Kette sollen
die Berge von Guayraima bis 1200 Toisen hoch seyn. In der Nacht des
11. Februar fand ich die Breite von Victoria 10° 13′ 35″, die Inclination
der Magnetnadel 40°,80, die Intensität der magnetischen Kraft gleich 236
Schwingungen in 10 Zeitminuten, und die Abweichung der Nadel 4°,40 nach
Nordost.

Wir zogen langsam weiter über die Dörfer San Matheo, Turmero und Maracay
auf die Hacienda de Cura, eine schöne Pflanzung des Grafen Tovar, wo wir
erst am 14. Februar Abends ankamen. Das Thal wird allmählig weiter; zu
beiden Seiten desselben stehen Hügel von Kalktuff, den man hier zu Lande
_tierra blanca_ nennt. Die Gelehrten im Lande haben verschiedene Versuche
gemacht, diese Erde zu brennen; sie verwechselten dieselbe mit
Porzellanerde, die sich aus Schichten verwitterten Feldspaths bildet. Wir
verweilten ein paar Stunden bei einer achtungswürdigen und gebildeten
Familie, den Ustariz in *Concesion*. Das Haus mit einer auserlesenen
Büchersammlung steht auf einer Anhöhe und ist mit Kaffe- und
Zuckerpflanzungen umgeben. Ein Gebüsch von Balsambäumen
(_balsamo_)[_Amyris elata_] gibt Kühlung und Schatten. Mit reger
Theilnahme sahen wir die vielen im Thale zerstreuten Häuser, die von
Freigelassenen bewohnt sind. Gesetze, Einrichtungen, Sitten begünstigen in
den spanischen Colonien die Freiheit der Neger ungleich mehr als bei den
übrigen europäischen Nationen.

San Matheo, Turmero und Maracay sind reizende Dörfer, wo Alles den größten
Wohlstand verräth. Man glaubt sich in den gewerbsamsten Theil von
Catalonien versetzt. Bei San Matheo sahen wir die letzten Weizenfelder und
die letzten Mühlen mit wagerechten Wasserrädern. Man rechnete bei der
bevorstehenden Ernte auf die zwanzigfache Aussaat, und als wäre dieß noch
ein mäßiger Ertrag, fragte man mich, ob man in Preußen und Polen mehr
ernte. Unter den Tropen ist der Irrthum ziemlich verbreitet, das Getreide
arte gegen den Aequator zu aus und die Ernten seyen im Norden reicher.
Seit man den Ertrag des Ackerbaus in verschiedenen Erdstrichen und die
Temperaturen, bei denen das Getreide gedeiht, berechnen kann, weiß man,
daß nirgends jenseits des 45. Breitegrads der Weizen so reiche Ernten gibt
als auf den Nordküsten von Afrika und auf den Hochebenen von Neu-Grenada,
Peru und Mexico. Vergleicht man, nicht die mittlere Temperatur des ganzen
Jahrs, sondern nur die mittleren Temperaturen der Jahreszeit, in welche
der »Vegetationscyclus« des Getreides fällt, so findet(50) man für drei
Sommermonate im nördlichen Europa 15--19 Grad, in der Berberei und in
Egypten 27--29, unter den Tropen, zwischen 1400 und 300 Toisen Höhe,
14--25 Grad.

Die herrlichen Ernten in Egypten und Algerien, in den Thälern von Aragua
und im Innern von Cuba beweisen zur Genüge, daß Zunahme der Wärme die
Ernte des Weizens und der andern nährenden Gräser nicht beeinträchtigt,
wenn nicht mit der hohen Temperatur übermäßige Trockenheit oder
Feuchtigkeit Hand in Hand geht. Letzterem Umstande sind ohne Zweifel die
scheinbaren Anomalien zuzuschreiben, die unter den Tropen hie und da an
der *untern Grenze des Getreides* vorkommen. Man wundert sich, daß
ostwärts von der Havana, im vielgenannten Bezirk der _Quatro Villas_,
diese Grenze fast bis zum Meeresspiegel herabgeht, während westlich von
der Havana, am Abhang der mexicanischen Gebirge, bei Xalapa, in 677 Toisen
Höhe, die Vegetation noch so üppig ist, daß der Weizen keine Aehren
ansetzt. In der ersten Zeit nach der Eroberung wurde das europäische
Getreide mit Erfolg an manchen Orten gebaut, die man jetzt für zu heiß
oder zu feucht dafür hält. Die eben erst nach Amerika versetzten Spanier
waren noch nicht so an den Mais gewöhnt, man hielt noch fester an den
europäischen Sitten, man berechnete nicht, ob der Weizen weniger eintragen
werde als Kaffee oder Baumwolle; man machte Versuche mit Sämereien aller
Art, man stellte keckere Fragen an die Natur, weil man weniger nach
falschen Theorien urtheilte. Die Provinz Carthagena, durch welche die
Gebirgsketten Maria und Guamoco laufen, baute bis ins sechzehnte
Jahrhundert Getreide. In der Provinz Caracas baut man es schon sehr lang
im Gebirgsland von Tocuyo, Quibor und Barquesimeto, das die
Küstenbergkette mit der _Sierra nevada_ von Merida verbindet. Der
Getreidebau hat sich dort sehr gut erhalten, und allein aus der Umgegend
der Stadt Tocuyo werden jährlich gegen 5000 Centner ausgezeichneten Mehls
ausgeführt. Obgleich aber auf dem weiten Gebiet der Provinz Caracas
mehrere Striche sich sehr gut zum Kornbau eignen, so glaube ich doch, daß
dieser Zweig der Landwirthschaft dort nie eine große Bedeutung erlangen
wird. Die gemäßigtsten Theile sind nicht breit genug; es sind keine
eigentlichen Hochebenen und ihre mittlere Meereshöhe ist nicht so
bedeutend, daß die Einwohner es nicht immer noch vortheilhafter fänden,
Kaffee statt Getreide zu bauen. Gegenwärtig bezieht Caracas sein Mehl
entweder aus Spanien oder aus den Vereinigten Staaten. Wenn einmal mit der
Herstellung der öffentlichen Ruhe auch für den Gewerbfleiß bessere Zeiten
kommen und von Santa Fe de Bogota bis zum Landungsplatz am Pachaquiaro
eine Straße gebaut wird, so werden die Einwohner von Venezuela ihr Mehl
aus Neu-Grenada aus dem Rio Meta und dem Orinoco beziehen.

Vier Meilen von San Matheo liegt das Dorf Turmero; Man kommt fortwährend
durch Zucker-, Indigo-, Baumwollen- und Kaffeepflanzungen. An der
regelmäßigen Bauart der Dörfer erkennt man, daß alle den Mönchen und den
Missionen den Ursprung verdanken. Die Straßen sind gerade, unter einander
parallel und schneiden sich unter rechten Winkeln; auf dem großen
viereckigten Platz in der Mitte steht die Kirche. Die Kirche von Turmero
ist ein kostbares, aber mit architektonischen Zierrathen überladenes
Gebäude. Seit die Missionäre den Pfarrern Platz gemacht, haben die Weißen
Manches von den Sitten der Indianer angenommen. Die letzteren verschwinden
nach und nach als besondere Race, das heißt sie werden in der Gesammtmasse
der Bevölkerung durch die Mestizen und die Zambos repräsentirt, deren
Anzahl fortwährend zunimmt. Indessen habe ich in den Thälern von Aragua
noch 4000 zinspflichtige Indianer angetroffen. In Turmero und Guacara sind
sie am zahlreichsten. Sie sind klein, aber nicht so untersetzt wie die
Chaymas; ihr Auge verräth mehr Leben und Verstand, was wohl weniger Folge
der Stammverschiedenheit als der höheren Civilisation ist. Sie arbeiten,
wie die freien Leute, im Taglohn; sie sind in der kurzen Zeit, in der sie
arbeiten, rührig und fleißig; was sie aber in zwei Monaten verdient,
verschwenden sie in einer Woche für geistige Getränke in den Schenken,
deren leider von Tag zu Tag mehr werden.

In Turmero sahen wir ein Ueberbleibsel der Landmiliz beisammen. Man sah es
den Leuten an, daß diese Thäler seit Jahrhunderten eines ununterbrochenen
Friedens genossen hatten. Der Generalcapitän wollte das Militärwesen
wieder in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet. Da hatte in
einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero auf das von Victoria Feuer
gegeben. Unser Wirth, ein Milizlieutenant, wurde nicht müde, uns zu
schildern, wie gefährlich ein solches Manöver sey. »Rings um ihn seyen
Gewehre gewesen, die jeden Augenblick zerspringen konnten; er habe vier
Stunden in der Sonne stehen müssen, und seine Sklaven haben ihm nicht
einmal einen Sonnenschirm über den Kopf halten dürfen.« Wie rasch doch die
scheinbar friedfertigsten Völker sich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte
damals über eine Hasenfüßigkeit, die sich mit so naiver Offenherzigkeit
kundgab, und zwölf Jahre darauf wurden diese selben Thäler von Aragua, die
friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero, das Defilé von Cabrera und
die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia der Schauplatz der blutigsten,
hartnäckigsten Gefechte zwischen den Eingeborenen und den Truppen des
Mutterlandes.

Südlich von Turmero springt ein Bergzug aus Kalkstein in die Ebene vor und
trennt zwei schöne Zuckerpflanzungen, die Guayavita und die Paja. Letztere
gehört der Familie des Grafen Tovar, der überall in der Provinz
Besitzungen hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eisenerz entdeckt.
Nördlich von Turmero, in der Küstencordillere, erhebt sich ein
Granitgipfel, der *Chuao*, auf dem man zugleich das Meer und den See von
Valencia sieht. Ueber diesen Felskamm, der, soweit das Auge reicht, nach
West fortstreicht, gelangt man auf ziemlich beschwerlichen Wegen zu den
reichen Cacaopflanzungen auf dem Küstenstrich bei Choroni, Turiamo und
Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbarkeit ihres Bodens und wegen
ihrer Ungesundheit. Turmero, Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im
Araguathal hat seinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der
Küste führt.

Hinter dem Dorf Turmero, Maracay zu, bemerkt man auf eine Meile weit am
Horizont einen Gegenstand, der wie ein runder Hügel, wie ein grün
bewachsener Tumulus aussieht. Es ist aber weder ein Hügel, noch ein
Klumpen dicht beisammen stehender Bäume, sondern ein einziger Baum, der
berühmte _‘Zamang de Guayre’_ bekannt im ganzen Land wegen der ungeheuren
Ausbreitung seiner Aeste, die eine halbe kugelige Krone von 576 Fuß im
Umfang bilden. Der Zamang ist eine schöne Mimosenart, deren gewundene
Zweige sich gabelig theilen. Sein feines, zartes Laub hob sich angenehm
vom blauen Himmel ab. Wir blieben lange unter diesem vegetabilischen
Gewölbe. Der Stamm ist nur sechzig Fuß hoch und hat neun Fuß Durchmesser,
seine Schönheit besteht aber eigentlich in der Form der Krone. Die Aeste
breiten sich aus wie ein gewaltiger Sonnenschirm und neigen sich überall
dem Boden zu, von dem sie ringsum 12--15 Fuß abstehen. Der Umriß der Krone
ist so regelmäßig, daß ich verschiedene Durchmesser, die ich nahm, 192 und
186 Fuß lang fand. Die eine Seite des Baumes war in Folge der Trockenheit
ganz entblättert; an einer andern Stelle standen noch Blätter und Blüthen
neben einander. Tillandsien, Lorantheen, die Pitayapa und andere
Schmarotzergewächse bedecken die Zweige und durchbohren die Rinde
derselben. Die Bewohner dieser Thäler, besonders die Indianer, halten den
Baum in hohen Ehren, den schon die ersten Eroberer so ziemlich so gefunden
haben mögen, wie er jetzt vor uns steht; Seit man ihn genau beobachtet,
ist er weder dicker geworden, noch hat sich seine Gestalt sonst verändert.
Dieser Zamang muß zum wenigsten so alt seyn wie der Drachenbaum bei
Orotava. Der Anblick alter Bäume hat etwas Großartiges, Imponirendes; die
Beschädigung dieser Naturdenkmäler wird daher auch in Ländern, denen es an
Kunstdenkmälern fehlt, streng bestraft. Wir hörten mit Vergnügen, der
gegenwärtige Eigenthümer des Zamang habe einen Pächter, der es gewagt,
einen Zweig davon zu schneiden, gerichtlich verfolgt. Die Sache kam zur
Verhandlung und der Pächter wurde vom Gericht zur Strafe gezogen. Bei
Turmero und bei der Hacienda de Cura gibt es Zamangs, die einen dickeren
Stamm haben als der am Guayre, aber ihre halbkugelige Krone ist nicht so
groß.

Je näher man gegen Cura und Guacara am nördlichen Ufer des Sees kommt,
desto besser angebaut und volkreicher werden die Ebenen. Man zählt in den
Thälern von Aragua auf einem 13 Meilen langen und 2 Meilen breiten
Landstrich über 52,000 Einwohner. Dieß gibt auf die Quadratmeile 2000
Seelen, also beinahe so viel wie in den bevölkertsten Theilen Frankreichs.
Das Dorf oder vielmehr der Flecken Maracay war früher, als der Indigobau
in höchster Blüthe stand, der Hauptort für diesen Zweig der
Colonialindustrie. Im Jahr 1795 zählte man daselbst bei einer Bevölkerung
von 6000 Einwohnern 70 Kaufleute mit offenen Laden. Die Häuser sind alle
von Stein; in jedem Hof stehen Cocosbäume, deren Krone über die Gebäude
emporragt. Der allgemeine Wohlstand macht sich in Maracay noch
bemerklicher als in Turmero. Der hiesige *Anil* oder Indigo wurde im
Handel immer dem von Guatimala gleich, manchmal sogar höher geschätzt.
Seit 1772 schloß sich dieser Culturzweig dem Cacaobau an, und jener ist
wieder älter als der Baumwollen- und Kaffeebau. Die Colonisten warfen sich
auf jedes dieser vier Produkte der Reihe nach mit besonderer Vorliebe,
aber nur Cacao und Kaffee sind Artikel von Belang im Handelsverkehr mit
Europa geblieben. In den besten Zeiten konnte sich die hiesige
Indigofabrikation fast mit der mexicanischen messen: sie stieg in
Venezuela auf 40,000 Arrobas oder eine Million Pfund, im Werth von mehr
als 1,250,000 Piastern. Man bekommt einen Begriff von der
außerordentlichen Ertragsfähigkeit des Bodens in den spanischen Colonien,
wenn man einem sagt, daß der Indigo aus Caracas, der im Jahr 1794 einen
Werth von mehr als sechs Millionen Franken hatte, auf vier bis fünf
Quadratmeilen gebaut ist; In den Jahren 1789--95 kamen jährlich vier bis
fünftausend Freie aus den Llanos in die Thaler von Aragua, um beim Bau und
der Bereitung des Indigo zu helfen; sie arbeiteten zwei Monate im Taglohn.

Der Anil erschöpft den Boden, auf dem man ihn viele Jahre hinter einander
baut, mehr als jede andere Pflanze. In Maracay, Tapatapa und Turmero gilt
der Boden für ausgesogen; der Ertrag an Indigo hat auch fortwährend
abgenommen. Die Seekriege haben den Handel ins Stocken gebracht und durch
die starke Indigoeinfuhr aus Asien sind die Preise gesunken. Die
ostindische Compagnie verkauft jetzt in London über 5,500,000 Pfund
Indigo, während sie im Jahr 1786 auf ihren weiten Besitzungen nur 250,000
Pfund bezog. Je mehr der Indigobau in den Araguathälern abnahm, einen
desto größeren Aufschwung nahm er in der Provinz Barinas und auf den
heißen Ebenen von Cucuta, wo der bis da unberührte Boden am Rio Tachira
ein äußerst farbreiches Produkt in Menge liefert.

Wir kamen sehr spät nach Maracay. Die Personen, an die wir Empfehlungen
hatten, waren nicht zu Hause; kaum bemerkten die Leute unsere
Verlegenheit, so erbot man sich von allen Seiten, uns aufzunehmen, unsere
Instrumente unterzubringen, unsere Maulthiere zu versorgen. Es ist schon
tausendmal gesagt worden, aber der Reisende fühlt immer wieder das
Bedürfniß es zu wiederholen: die spanischen Colonien sind das wahre Land
der Gastfreundschaft, auch noch an Orten, wo Gewerbfleiß und Handel
Wohlstand und eine gewisse Bildung unter den Colonisten verbreitet haben.
Eine canarische Familie nahm uns mit der liebenswürdigsten Herzlichkeit
auf; man bereitete uns ein treffliches Mahl, man vermied sorgfältig alles,
was uns irgendwie einen Zwang auflegen konnte. Der Hausherr, Don Alexandro
Gonzales, war in Handelsgeschäften auf der Reise, und seine junge Frau
genoß seit Kurzem der Mutterfreude. Sie war außer sich vor Vergnügen, als
sie hörte, daß wir auf dem Rückweg vom Rio Negro an den Orinoco nach
Angostura kommen würden, wo sich ihr Mann befand. Von uns sollte er
erfahren, daß ihm sein Erstling geboren worden. In diesen Ländern gelten,
wie bei den Alten, wandernde Gäste für die sichersten Boten. Es gibt
Postreiter, aber diese machen so weite Umwege, daß Privatleute durch sie
selten Briefe in die Llanos oder Savanen im Innern gehen lassen. Als wir
aufbrachen, trug man uns das Kind zu. Wir hatten es am Abend im Schlaf
gesehen, am Morgen mußten wir es wachend sehen. Wir versprachen es dem
Vater Zug für Zug zu beschreiben; aber beim Anblick. unserer Bücher und
Instrumente wurde die junge Frau unruhig. Sie meinte, »auf einer langen
Reise und bei so vielen anderweitigen Geschäften könnten wir leicht
vergessen, was für Augen ihr Kind habe.« Wie liebenswürdig ist solche
Gastfreundschaft! wie köstlich der naive Ausdruck eines Vertrauens, das ja
auch ein Charakterzug früherer Menschenalter beim Morgenroth der Gesittung
ist!

Auf dem Wege von Maracay nach der Hacienda de Cura hat man zuweilen einen
Ausblick auf den See von Valencia. Von der Granitbergkette an der Küste
läuft ein Ast südwärts in die Ebene hinaus; es ist dieß das Vorgebirge
*Portachuelo*, durch welches das Thal beinahe ganz geschlossen würde, wenn
nicht ein schmaler Paß zwischen dem Vorgebirge und dem Felsen der Cabrera
hinliefe. Dieser Ort hat in den letzten Revolutionskriegen in Caracas eine
traurige Berühmtheit erhalten; alle Parteien stritten sich hitzig um
diesen Paß, weil der Weg nach Valencia und in die Llanos hier durchführt.
Die Cabrera ist jetzt eine Halbinsel; noch vor weniger als sechzig Jahren
war es ein Felseneiland im See, dessen Wasserspiegel fortwährend sinkt.
Wir brachten auf der Hacienda de Cura sieben Tage äußerst angenehm zu, und
zwar in einem kleinen Hause in einem Gebüsch, weil im Hause auf der
schönen Zuckerpflanzung die *Bubas* ausgebrochen waren, eine unter den
Sklaven in diesen Thälern häufig vorkommende Hautkrankheit.

Wir lebten wie die wohlhabenden Leute hier zu Lande, badeten zweimal,
schliefen dreimal und aßen dreimal in vier und zwanzig Stunden. Das Wasser
des Sees ist ziemlich warm, 24--25 Grad; aber es gibt noch ein anderes,
sehr kühles, köstliches Bad im Schatten von Ceibabäumen und großen
Zamangs, in der Toma, einem Bache, der aus den Granitbergen des *Rincon
del Diablo* kommt. Steigt man in dieses Bad, so hat man sich nicht vor
Insektenstichen zu fürchten, wohl aber vor den kleinen röthlichen Haaren
an den Schoten des _Dolichos pruriens_ die in der Luft schweben und einem
vom Winde zugeführt werden. Wenn diese Haare, die man bezeichnend
_picapica_ nennt, sich an den Körper hängen, so verursachen sie ein sehr
heftiges Jucken: man kühlt Stiche und sieht doch nicht, woher sie rühren.

Bei Cura sahen wir die sämmtliche Einwohnerschaft daran, den mit Mimosen,
Sterculia und _Coccoloba__ excoriata_ bewachsenen Boden umzubrechen, um
mehr Areal für den Baumwollenbau zu gewinnen. Dieser, der zum Theil an die
Stelle des Indigobaus getreten ist, gedeiht so gut, daß die
Baumwollenstaude am Ufer des Sees von Valencia wild wächst. Wir fanden
8--10 Fuß hohe Sträucher, mit Bignonien und andern holzigten
Schlingpflanzen durchwachsen. Indessen ist die Baumwollenausfuhr aus
Caracas noch unbedeutend; sie betrug in Guayra im Durchschnitt jährlich
kaum 3--400,000 Pfund; aber in allen Häfen der _Capitania general_ stieg
sie durch den starken Anbau in Cariaco, Nueva Barcelona und Maracaybo auf
mehr als 22,000 Centner. Es ist dieß fast die Hälfte dessen, was der ganze
Archipel der Antillen erzeugt. Die Baumwolle aus den Thälern von Aragua
ist von guter Qualität; sie steht nur der brasilischen nach, denn sie gilt
für besser als die von Carthagena, von Domingo und den kleinen Antillen.
Die Baumwollenpflanzungen liegen auf der einen Seite des Sees zwischen
Maracay und Valencia, auf der andern zwischen Guayca und Guigue. Die
großen Plantagen ertragen 60--70,000 Pfund jährlich. Bedenkt man, daß in
den Vereinigten Staaten, also außerhalb der Tropen, in einem
unbeständigen, dem Gedeihen der Pflanze nicht selten feindlichen Klima,
die Ausfuhr der einheimischen Baumwolle in achtzehn Jahren (1797--1815)
von 1,200,000 auf 83 Millionen Pfund gestiegen ist, so kann man sich nicht
leicht einen Begriff davon machen, in welch ungeheurem Maßstab dieser
Handelszweig sich entwickeln muß, wenn einmal in den vereinigten Provinzen
von Venezuela, in Neu-Grenada, in Mexico und an den Ufern des la Plata der
Gewerbfleiß nicht mehr in Fesseln geschlagen ist. Unter den gegenwärtigen
Verhältnissen erzeugen nach Brasilien die Küsten von holländisch Guyana,
der Meerbusen von Cariaco, die Thäler von Aragua und die Provinzen
Maracaybo und Carthagena am meisten Baumwolle in Südamerika.

Während unseres Aufenthalts in Cura machten wir viele Ausflüge auf die
Felseninseln im See von Valencia, zu den heißen Quellen von Mariara und
auf den hohen Granitberg *Cucurucho del Coco*. Ein schmaler, gefährlicher
Pfad führt an den Hafen Turiamo und zu den berühmten Cacaopflanzungen an
der Küste. Auf allen diesen Ausflügen sahen wir uns angenehm überrascht
nicht nur durch die Fortschritte des Landbaus, sondern auch durch das
Wachsthum einer freien Bevölkerung, die fleißig, an Arbeit gewöhnt und zu
arm ist, um Sklavenarbeit in Anspruch nehmen zu können. Ueberall hatten
kleine Landbauer, Weiße und Mulatten, zerstreute Höfe angelegt. Unser
Wirth, dessen Vater 40,000 Piaster Einkünfte hat, besaß mehr Land, als er
urbar machen konnte; er vertheilte es in den Thälern von Aragua unter arme
Leute, die Baumwolle bauen wollten. Sein Streben ging dahin, daß sich um
seine großen Pflanzungen freie Leute ansiedelten, die nach freiem Ermessen
bald für sich, bald auf den benachbarten Pflanzungen arbeiteten und in der
Ernte ihm als Tagelöhner dienten. Graf Tovar verfolgte eifrig das edle
Ziel, die Negersklaverei im Lande allmählig auszurotten, und er hegte die
doppelte Hoffnung, einmal den Grundbesitzern die Sklaven weniger nöthig zu
machen, und dann die Freigelassenen in Stand zu setzen, Pächter zu werden.
Bei seiner Abreise nach Europa hatte er einen Theil seiner Ländereien bei
Cura, westlich vom Felsen las Viruelas, in einzelne Grundstücke
zerschlagen und verpachtet. Als er vier Jahre darauf wieder nach Amerika
kam, fand er daselbst schöne Baumwollenpflanzungen und einen Weiler von 30
bis 40 Häusern, Punta Zamuro genannt, den wir oft mit ihm besucht haben.
Die Einwohner des Weilers sind fast durchaus Mulatten, Zambos und freie
Neger. Mehrere große Grundbesitzer haben nach diesem Vorgang mit gleichem
Erfolg Land verpachtet. Der Pachtschilling beträgt zehn Piaster auf die
Vanega und wird in Geld oder in Baumwolle entrichtet. Die kleinen Pächter
sind oft in Bedrängniß und geben ihre Baumwolle zu sehr geringem Preise
ab. Ja sie verkaufen sie vor der Ernte, und durch diese Vorschüsse reicher
Nachbarn geräth der Schuldner in eine Abhängigkeit, in Folge deren er
seine Dienste als Taglöhner öfter anbieten muß. Der Taglohn ist nicht so
hoch als in Frankreich. Man bezahlt in den Thälern von Aragua und in den
Llanos einem freien Tagelöhner vier bis fünf Piaster monatlich, neben der
Kost, die beim Ueberfluß an Fleisch und Gemüse sehr wenig ausmacht. Gerne
verbreite ich mich hier über den Landbau in den Colonien, weil solche
Angaben den Europäern darthun, was aufgeklärten Colonisten längst nicht
mehr zweifelhaft ist, daß das Festland des spanischen Amerika durch freie
Hände Zucker, Baumwolle und Indigo erzeugen kann, und daß die
unglücklichen Sklaven Bauern, Pächter und Grundbesitzer werden können.

                            ------------------



   43 Thal des Cortes oder *Osterthal*, so genannt, weil Diego de Losada,
      nachdem er die Teques-Indianer und ihren Caziken Guaycaypuro in den
      Bergen von San Pedro geschlagen, im Jahr 1567 die Ostertage daselbst
      zubrachte, ehe er in das Thal San Francisco drang, wo er die Stadt
      Caracas gründete.

   44 S. Bd. II, Seite 150.

   45 S. Humboldt, _Essay politique sur le Méxique._ T. II, pag. 435.

   46 S. Bd. I, Seite 294.

   47 An der Uhr in der Hauptkirche von Caracas trug ein 5 Linien dicker
      Maqueystrick seit 15 Jahren ein Gewicht von 350 Pfund.

*   48 Winter* heißt die Zeit im Jahr, wo es am meisten regnet, daher in
      Terra Firma die mit der Winter-Tag-und Nachtgleiche beginnende
      Jahreszeit Sommer genannt wird und man alle Tage sagen hört, im
      Gebirge sey es Winter, wahrend es in den benachbarten Niederungen
      Sommer ist.

   49 Mairan ist dieselbe Erscheinung in Europa aufgefallen.

   50 Die mittlere Sommertemperatur ist in Schottland (bei Edinburgh unter
      dem 56. Grad der Breite) dieselbe wie auf den Hochebenen von
      Neu-Grenada, wo in 1400 Toisen Meereshöhe und unter dem vierten Grad
      der Breite so viel Getreide gebaut wird. Auf der andern Seite
      entspricht die mittlere Temperatur der Thäler von Aragua (10° 15′
      der Breite) und aller nicht sehr hoch gelegenen Ebenen in der heißen
      Zone der *Sommertemperatur* von Neapel und Sicilien (39° 40′ der
      Breite). Die obigen Zahlen bezeichnen die Lage der *isotheren* (der
      Linien der gleichen Sommerwärme), nicht der *isothermen* Linien (der
      Linien der gleichen Jahreswärme). Hinsichtlich der Wärmemenge,
      welche ein Punkt der Erdoberfläche im Lauf eines ganzen Jahres
      empfängt, entsprechen die mittleren Temperaturen der Thäler von
      Aragua und der Hochebenen von Neu-Grenada in 300--1400 Toifen
      Meereshöhe den mittleren Temperaturen der Küsten unter dem
      23--45. Grad der Breite.



SECHZEHNTES KAPITEL.


     Der See von Valencia. -- Die beißen Quellen von Mariara. -- Die
    Stadt Nueva Valencia de el Rey. -- Weg zur Küste von Porto Cabello
                                  hinab.


Die Thäler von Aragua, deren reichen Anbau und erstaunliche Fruchtbarkeit
wir im Obigen geschildert, stellen sich als ein Becken dar, das zwischen
Granit- und Kalkgebirgen von ungleicher Höhe in der Mitte liegt. Nordwärts
trennt die Sierra Mariara sie von der Meeresküste, gegen Süden dient ihnen
die Bergkette des Guacimo und Yusma als Schutzwehr gegen die glühende Luft
der Steppen. Hügelzüge, hoch genug, um den Lauf der Gewässer zu bestimmen,
schließen das Becken gegen Ost und West wie Querdämme. Diese Hügel liegen
zwischen dem Tuy und Victoria, wie auf dem Wege von Valencia nach Nirgua
und in die Berge des Torito. In Folge dieser eigenthümlichen Gestaltung
des Bodens bilden die Gewässer der Thäler von Aragua ein System für sich
und laufen einem von allen Seiten geschlossenen Becken zu; sie ergießen
sich nicht in den Ocean, sie vereinigen sich in einem Binnensee,
unterliegen hier dem mächtigen Zuge der Verdunstung und verlieren sich
gleichsam in der Luft. Durch diese Flüsse und Seen wird die Fruchtbarkeit
des Bodens und der Ertrag des Landbaus in diesen Thälern bedingt. Schon
der Augenschein und eine halbhundertjährige Erfahrung zeigen, daß der
Wasserstand sich nicht gleich bleibt, daß das Gleichgewicht zwischen der
Summe der Verdunstung und der des Zuflusses gestört ist. Da der See 1000
Fuß über den benachbarten Steppen von Calabozo und 1332 Fuß über dem Meere
liegt, so vermuthete man, das Wasser habe einen unterirdischen Abfluß oder
versickere. Da nun Eilande darin zu Tage kommen und der Wasserspiegel
fortwährend sinkt, so meinte man, der See könnte völlig eintrocknen. Das
Zusammentreffen so auffallender Naturverhältnisse mußte mich auf diese
Thäler aufmerksam machen, in denen die wilden Reize der Natur und der
liebliche Eindruck fleißigen Anbaus und der Künste einer erwachenden
Cultur sich vereinigen.

Der See von Valencia, von den Indianern Tacarigua genannt, ist größer als
der Neuenburger See in der Schweiz; im Umriß aber hat er Aehnlichkeit mit
dem Genfer See, der auch fast gleich hoch über dem Meere liegt. Da in den
Thälern von Aragua der Boden nach Süd und West fällt, so liegt der Theil
des Beckens, der unter Wasser geblieben ist, zunächst der südlichen
Bergkette von Guigue, Yusma und dem Guacimo, die den hohen Savanen von
Ocumare zustreicht. Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees stechen
auffallend von einander ab. Das südliche ist wüste, kahl, fast gar nicht
bewohnt, eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein finsteres, einförmiges
Ansehen; das nördliche dagegen ist eine liebliche Landschaft mit reichen
Zucker-, Kaffee- und Baumwollenpflanzungen. Mit Cestrum, Azedarac und
andern immer blühenden Sträuchern eingefaßte Wege laufen über die Ebene
und verbinden die zerstreuten Höfe. Jedes Haus ist von Bäumen umgeben. Der
Ceiba mit großen gelben(51) und die Erithryna mit purpurfarbigen Blüthen,
deren Aeste sich verflechten, geben der Landschaft einen eigenthümlichen
Charakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabilischen Farben
sticht wirkungsvoll vom eintönigen Blau des wolkenlosen Himmels ab. In der
trockenen Jahreszeit, wenn ein wallender Dunst über dem glühenden Boden
schwebt, wird das Grün und die Fruchtbarkeit durch künstliche Bewässerung
unterhalten. Hin und wieder kommt der Granit im angebauten Land zu Tage;
ungeheure Felsmassen steigen mitten im Thale steil empor. An ihren
nackten, zerklüfteten Wänden wachsen einige Saftpflanzen und bilden
Dammerde für kommende Jahrhunderte. Häufig ist oben auf diesen einzeln
stehenden Hügeln ein Feigenbaum oder eine Clusia mit fleischigten Blättern
aus den Felsritzen emporgewachsen und beherrscht die Landschaft. Mit ihren
dürren, abgestorbenen Aesten sehen sie aus wie Signalstangen auf einer
steilen Küste. An der Gestaltung dieser Höhen erräth man, was sie früher
waren: als noch das ganze Thal unter Wasser stand und die Wellen den Fuß
der Gipfel von Mariara, die *Teufelsmauer* (_el Rincon del Diablo_) und
die Küstenbergkette bespülten, waren diese Felshügel Untiefen oder
Eilande.

Diese Züge eines reichen Gemäldes, dieser Contrast zwischen den beiden
Ufern des Sees von Valencia erinnerten mich oft an das Seegestade des
Waadtlands, wo der überall angebaute, überall fruchtbare Boden dem
Ackerbauer, dem Hirten, dem Winzer ihre Mühen sicher lohnt, während das
savoyische Ufer gegenüber ein gebirgigtes, halb wüstes Land ist. In jenen
fernen Himmelsstrichen, mitten unter den Gebilden einer fremdartigen
Natur, gedachte ich mit Lust der hinreißenden Beschreibungen, zu denen der
Genfer See und die Felsen von Meillerie einen großen Schriftsteller
begeistert haben. Wenn ich jetzt mitten im civilisirten Europa die Natur
in der neuen Welt zu schildern versuche, glaube ich durch die Vergleichung
unserer heimischen und der tropischen Landschaften meinen Bildern mehr
Schärfe und dem Leser deutlichere Begriffe zu geben. Man kann es nicht oft
genug sagen: unter jedem Himmelsstriche trägt die Natur, sey sie wild oder
vom Menschen gezähmt, lieblich oder großartig, ihren eigenen Stempel. Die
Empfindungen, die sie in uns hervorruft, sind unendlich mannigfaltig,
gerade wie der Eindruck der Geisteswerke je nach dem Zeitalter, das sie
hervorgebracht, und nach den mancherlei Sprachen, von denen sie ihren Reiz
zum Theil borgen, so sehr verschieden ist. Nur Größe und äußere
Formverhältnisse können eigentlich verglichen werden; man kann den
riesigen Gipfel des Montblanc und das Himalayagebirge, die Wasserfälle der
Pyrenäen und die der Cordilleren zusammenhalten; aber durch solche
vergleichende Schilderungen, so sehr sie wissenschaftlich förderlich seyn
mögen, erfährt man wenig vom Naturcharakter des gemäßigten und des heißen
Erdstrichs. Am Gestade eines Sees, in einem großen Walde, am Fuß mit
ewigem Eis bedeckter Berggipfel ist es nicht die materielle Größe, was uns
mit dem heimlichen Gefühle der Bewunderung erfüllt. Was zu unserem Gemüthe
spricht, was so tiefe und mannigfache Empfindungen in uns wach ruft,
entzieht sich der Messung, wie den Sprachformen. Wenn man Naturschönheiten
recht lebhaft empfindet, so mag man Landschaften von verschiedenem
Charakter gar nicht vergleichen; man würde fürchten sich selbst im Genuß
zu stören.

Die Ufer des Sees von Valencia sind aber nicht allein wegen ihrer
malerischen Reize im Lande berühmt; das Becken bietet verschiedene
Erscheinungen, deren Aufklärung für die Naturforschung und für den
Wohlstand der Bevölkerung von gleich großem Interesse ist. Aus welchen
Ursachen sinkt der Seespiegel? Sinkt er gegenwärtig rascher als vor
Jahrhunderten? Läßt sich annehmen, daß das Gleichgewicht zwischen dem
Zufluß und dem Abgang sich über kurz oder lang wieder herstellt, oder ist
zu besorgen, daß der See ganz eingeht?

Nach den astronomischen Beobachtungen in Victoria, Hacienda de Cura, Nueva
Valencia und Guigue ist der See gegenwärtig von Cagua bis Guayos 10 Meilen
oder 28000 Toisen lang. Seine Breite ist sehr ungleich; nach den Breiten
an der Einmündung des Rio Cura und beim Dorfe Guigue zu urtheilen, beträgt
sie nirgends über 2, 3 Meilen oder 6500 Toisen, meist nur 4--5000. Die
Maaße, die sich aus meinen Beobachtungen ergeben, sind weit geringer als
die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man könnte meinen, um das
Verhältniß der Wasserabnahme genau kennen zu lernen, brauche man nur die
gegenwärtige Größe des Sees mit der zu vergleichen, welche alte
Chronikschreiber, z. B. OVIEDO in seiner ums Jahr 1723 veröffentlichten
»_Geschichte der Provinz Venezuela_,« angeben. Dieser Geschichtschreiber
läßt in seinem hochtrabenden Styl »dieses Binnenmeer, diesen _monstruoso
cuerpo de la laguna de Valencia_«, 14 Meilen lang und 6 breit seyn; er
berichtet, in geringer Entfernung vom Ufer finde das Senkblei keinen Grund
mehr, und große schwimmende Inseln bedecken die Seefläche, die fortwährend
von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt sich auf Schätzungen
Gewicht legen, die auf gar keiner Messung beruhen und dazu in _Leguas_
ausgedrückt sind, auf die man in den Colonien 3000, 5000 und 6550
Varas(52) rechnet. Nur das verdient im Buch eines Mannes, der so oft durch
die Thäler von Aragua gekommen seyn muß, Beachtung, daß er behauptet, die
Stadt Nueva Valencia de el Rey sey im Jahr 1555 eine halbe Meile vom See
erbaut worden, und daß sich bei ihm die Länge des Sees zur Breite verhält
wie 7 zu 3. Gegenwärtig liegt zwischen dem See und der Stadt ein ebener
Landstrich von mehr als 2700 Toisen, den Oviedo sicher zu anderthalb
Meilen angeschlagen hätte, und die Länge des Seebeckens verhält sich zur
Breite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6. Schon das Aussehen des Bodens
zwischen Valencia und Guigue, die Hügel, die auf der Ebene östlich vom
Caño de Cambury steil aufsteigen und zum Theil (_el Islote_ und _la Isla
de la Negra_ oder _Caratapona_) sogar noch jetzt Inseln heißen, beweisen
zur Genüge, daß seit Oviedos Zeit das Wasser bedeutend zurückgewichen ist.
Was die Veränderung des Umrisses des Sees betrifft, so scheint es mir
nicht sehr wahrscheinlich, daß er im siebzehnten Jahrhundert beinahe zur
Hälfte so breit als lang gewesen seyn sollte. Die Lage der Granitberge von
Mariara und Guigue und der Fall des Bodens, der gegen Nord und Süd rascher
steigt als gegen Ost und West, streiten gleichermaßen gegen diese Annahme.

Wenn das so vielfach besprochene Problem von der Abnahme der Gewässer zur
Sprache kommt, so hat man, denke ich, zwei Epochen zu unterscheiden, in
welchen das Sinken des Wasserspiegels stattgefunden.

Wenn man die Flußthäler und die Seebecken genau betrachtet, findet man
überall das alte Ufer in bedeutender Entfernung. Niemand läugnet wohl
jetzt mehr, daß unsere Flüsse und Seen in sehr bedeutendem Maaße
abgenommen haben; aber zahlreiche geologische Thatsachen weisen auch
darauf hin, daß dieser große Wechsel in der Vertheilung der Gewässer vor
aller Geschichte eingetreten ist, und daß sich seit mehreren Jahrtausenden
bei den meisten Seen ein festes Gleichgewicht zwischen dem Betrag der
Zuflüsse einerseits, und der Verdunstung und Versickerung andererseits
hergestellt hat. So oft dieses Gleichgewicht gestört ist, thut man gut,
sich umzusehen, ob solches nicht von rein örtlichen Verhältnissen und aus
jüngster Zeit herrührt, ehe man eine beständige Abnahme des Wassers
annimmt. Ein solcher Gedankengang entspricht dem vorsichtigeren Verfahren
der heutigen Wissenschaften. Zu einer Zeit, wo die physische
Weltbeschreibung das freie Geisteserzeugniß einiger beredten
Schriftsteller war und nur durch Phantasiebilder wirkte, hätte man in der
Erscheinung, von der es sich hier handelt, einen neuen Beweis für den
Contrast zwischen beiden Continenten gesehen, den man in Allem herausfand.
Um darzuthun, daß Amerika später als Asien und Europa aus dem Wasser
emporgestiegen, hätte man wohl auch den See von Tacarigua angeführt, als
eines der Becken im innern Lande, die noch nicht Zeit gehabt, durch
unausgesetzte allmälige Verdunstung auszutrocknen. Ich zweifle nicht, daß
in sehr alter Zeit das ganze Thal vom Fuß des Gebirges Cocuysa bis zum
Torito und den Bergen von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der
Bergkette von Gigue, zum Guarimo und der Palma, unter Wasser stand.
Ueberall läßt die Gestalt der Vorberge und ihr steiler Abfall das alte
Ufer eines Alpsees, ähnlich den Steiermärker und Tyroler Seen, erkennen.
Kleine Helix- und Valvaarten, die mit den jetzt im See lebenden identisch
sind, kommen in 3 bis 4 Fuß dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero
und Concesion bei Victoria vor. Diese Thatsachen beweisen nun allerdings,
daß das Wasser gefallen ist; aber nirgends liegt ein Beweis dafür vor, daß
es seit jener weit entlegenen Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler
von Aragua gehören zu den Strichen von Venezuela, die am frühesten
bevölkert worden, und doch spricht weder Oviedo, noch irgend eine alte
Chronik von einer merklichen Abnahme des Sees. Soll man geradezu annehmen,
die Erscheinung sey zu einer Zeit, wo die indianische Bevölkerung die
weiße noch weit überwog und das Seeufer schwächer bewohnt war, eben nicht
bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhundert, besonders aber seit dreißig
Jahren fällt es Jedermann in die Augen, daß dieses große Wasserbecken von
selbst eintrocknet. Weite Strecken Landes, die früher unter Wasser
standen, liegen jetzt trocken und sind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und
Baumwolle bepflanzt. Wo man am Gestade des Sees eine Hütte baut, sieht man
das Ufer von Jahr zu Jahr gleichsam fliehen. Man sieht Inseln, die beim
Sinken des Wasserspiegels eben erst mit dem Festlande zu verschmelzen
anfangen (wie die Felseninsel Culebra, Guigue zu); andere Inseln bilden
bereits Vorgebirge (wie der Morro, zwischen Guigue und Nueva Valencia, und
die Cabrera südöstlich von Mariara); noch andere stehen tief im Lande in
Gestalt zerstreuter Hügel. Diese, die man schon von weitem leicht erkennt,
liegen eine Viertelseemeile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die
merkwürdigsten sind drei 30--40 Toisen hohen Eilande aus Granit auf dem
Wege von der Hacienda de Cura nach _Aguas calientes_ und am Westende des
Sees der Serrito de San Pedro, der Islote und der Caratapona. Wir
besuchten zwei noch ganz von Wasser umgebene Inseln und fanden unter dem
Gesträuch auf kleinen Ebenen, 4--6, sogar 8 Toisen über dem jetzigen
Seespiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einst die Wellen hier
abgesetzt. Auf allen diesen Inseln begegnet man den unzweideutigsten
Spuren vom allmäligen Fallen des Wassers. Noch mehr, und diese Erscheinung
wird von der Bevölkerung als ein Wunder angesehen: im Jahr 1796 erschienen
drei neue Inseln östlich von der Insel Caiguire, in derselben Richtung wie
die Inseln Burro, Otama und Zorro. Diese neuen Inseln, die beim Volk _los
nuevos Peñones_ oder _las Aparecidas_ heißen, bilden eine Art Untiefen mit
völlig ebener Oberfläche- Sie waren im Jahr 1800 bereits über einen Fuß
höher als der mittlere Wasserstand.

Wie wir zu Anfang dieses Abschnitts bemerkt, bildet der See von Valencia,
gleich den Seen im Thale von Mexico, den Mittelpunkt eines kleinen Systems
von Flüssen, von denen keiner mit dem Meere in Verbindung steht. Die
meisten dieser Gewässer können nur Bäche heißen; es sind ihrer zwölf bis
vierzehn. Die Einwohner wissen wenig davon, was die Verdunstung leistet,
und glauben daher schon lange, der See habe einen unterirdischen Abzug,
durch den eben so viel abfließe, als die Bäche hereinbringen. Die einen
lassen diesen Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe liegen sollen, in
Verbindung stehen; andere nehmen an, das Wasser fließe durch einen
schiefen Canal in das Meer. Dergleichen kühne Hypothesen über den
Zusammenhang zwischen zwei benachbarten Wasserbecken hat die
Einbildungskraft des Volkes, wie die der Physiker, in allen Erdstrichen
ausgeheckt; denn letztere, wenn sie es sich auch nicht eingestehen, setzen
nicht selten nur Volksmeinungen in die Sprache der Wissenschaft um. In der
neuen Welt, wie am Ufer des caspischen Meeres, hört man von unterirdischen
Schlünden und Canälen sprechen, obgleich der See Tacarigua 222 Toisen über
und die caspische See 54 Toisen unter dem Meeresspiegel liegt, und so gut
man auch weiß, daß Flüssigkeiten, die seitlich mit einander in Verbindung
stehen, sich in dasselbe Niveau setzen.

Einerseits die Verringerung der Masse der Zuflüsse, die seit einem halben
Jahrhundert in Folge der Ausrodung der Wälder, der Urbarmachung der Ebenen
und des Indigobaus eingetreten ist, andererseits die Verdunstung des
Bodens und die Trockenheit der Luft erscheinen als Ursachen, welche die
Abnahme des Sees von Valencia zur Genüge erklären. Ich theile nicht die
Ansicht eines Reisenden, der nach mir diese Länder besucht hat,(53) der
zufolge man »zur Befriedigung der Vernunft und zu Ehren der Physik« einen
unterirdischen Abfluß soll annehmen müssen. Fällt man die Bäume, welche
Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, so schafft man kommenden
Geschlechtern ein zwiefaches Ungemach, Mangel an Brennholz und
Wassermangel. Die Bäume sind vermöge des Wesens ihrer Ausdünstung und der
Strahlung ihrer Blätter gegen einen wolkenlosen Himmel fortwährend mit
einer kühlen, dunstigen Lufthülle umgeben; sie äußern wesentlichen Einfluß
auf die Fülle der Quellen, nicht weil sie, wie man so lange geglaubt hat,
die in der Luft verbreiteten Wasserdünste anziehen, sondern weil sie den
Boden gegen die unmittelbare Wirkung der Sonnenstrahlen schützen und damit
die Verdunstung des Regenwassers verringern. Zerstört man die Wälder, wie
die europäischen Ansiedler aller Orten in Amerika mit unvorsichtiger Hast
thun, so versiegen die Quellen oder nehmen doch stark ab. Die Flußbetten
liegen einen Theil des Jahres über trocken, und werden zu reißenden
Strömen, so oft im Gebirge starker Regen fällt. Da mit dem Holzwuchs auch
Rasen und Moos auf den Bergkuppen verschwinden, wird das Regenwasser im
Ablaufen nicht mehr aufgehalten; statt langsam durch allmälige Sickerung
die Bäche zu schwellen, furcht es in der Jahreszeit der starken
Regenniederschläge die Bergseiten, schwemmt das losgerissene Erdreich fort
und verursacht plötzliches Austreten der Gewässer, welche nun die Felder
verwüsten. Daraus geht hervor, daß das Verheeren der Wälder, der Mangel an
fortwährend fließenden Quellen und die Wildwasser drei Erscheinungen sind,
die in ursachlichem Zusammenhang stehen. Länder in entgegengesetzten
Hemisphären, die Lombardei am Fuße der Alpenkette und Nieder-Peru zwischen
dem stillen Meer und den Cordilleren der Anden, liefern einleuchtende
Beweise für die Richtigkeit dieses Satzes.

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Berge, in denen die
Thäler von Aragua liegen, mit Wald bewachsen. Große Bäume aus der Familie
der Mimosen, Ceiba- und Feigenbäume beschatteten die Ufer des Sees und
verbreiteten Kühlung. Die damals nur sehr dünn bevölkerte Ebene war voll
Strauchwerk, bedeckt mit umgestürzten Baumstämmen und
Schmarotzergewächsen, mit dichtem Rasenfilz überzogen, und gab somit die
strahlende Wärme nicht so leicht von sich als der beackerte und eben
deßhalb gegen die Sonnengluth nicht geschützte Boden. Mit der Ausrodung
der Bäume, mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwollenbaus
nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüsse des Sees von Jahr zu Jahr
ab. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, welch ungeheure
Wassermassen durch die Verdunstung in der heißen Zone aufgesogen werden,
und vollends in einem Thale, das von steil abfallenden Bergen umgeben ist,
wo gegen Abend der Seewind und die niedergehenden Luftströmungen
auftreten, und dessen Boden ganz flach, wie vom Wasser geebnet ist. Wir
haben schon oben erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura,
Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrscht, der stärksten
Sommerhitze in Neapel und Sicilien gleich kommt. Die mittlere Temperatur
der Luft in den Thälern von Aragua ist ungefähr 25°,5 [20°,4 Reaumur]; die
hygrometrischen Beobachtungen ergaben mir für den Monat Februar im
Durchschnitt aus Tag und Nacht 71°,4 am Haarhygrometer. Da die Worte:
große Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an sich haben,
und da eine Luft, die man in den Niederungen unter den Tropen sehr trocken
nennt, in Europa für feucht gälte, so kann man über diese klimatischen
Verhältnisse nur urtheilen, wenn man verschiedene Orte in derselben Zone
vergleicht. Nun ist in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht
regnet, und wo ich zu verschiedenen Stunden bei Tag und bei Nacht sehr
viele hygrometrische Beobachtungen gemacht, die mittlere Feuchtigkeit der
Luft gleich 86°, entsprechend der mittleren Temperatur von 27°,7. Rechnet
man die Regenmonate ein, das heißt schätzt man den Unterschied zwischen
der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des ganzen Jahrs,
wie man denselben in andern Theilen des tropischen Amerika beobachtet, so
ergibt sich für die Thäler von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von
höchstens 74°, bei einer Temperatur von 25°,5. In dieser warmen und doch
gar nicht sehr feuchten Luft ist nun aber eine ungeheure Menge
verdunsteten Wassers. Nach der Dalton’schen Theorie berechnet sich die
Dicke der Wasserschicht, die unter den oben erwähnten Umständen in einer
Stunde verdunstet, auf 0 Millimeter 36, oder auf 3,8 Linien in
vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in der gemäßigten Zone, z. B. für Paris,
die mittlere Temperatur zu 10°,6 und die mittlere Feuchtigkeit zu 82° an,
so ergibt sich nach denselben Formeln 0,10 Millimeter in der Stunde und
eine Linie in vierundzwanzig Stunden. Will man sich, statt dieses
unzuverlässigen theoretischen Calculs, an die Ergebnisse unmittelbarer
Beobachtung halten, so bedenke man, daß in Paris und Montmorency von
Sedileau und Cotte die jährliche mittlere Verdunstung gleich 32 Zoll 1
Linie und 38 Zoll 4 Linien gefunden wurde. Im südlichen Frankreich haben
zwei geschickte Ingenieurs, Clausade und Pin, berechnet, daß der Canal von
Languedoc und das Bassin von Saint Ferreol, über Abzug des Betrags der
Versickerung, jährlich 336 bis 360 Linien verlieren. In den pontinischen
Sümpfen hat de Prony ungefähr das gleiche Ergebniß erhalten. Aus allen
diesen Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grad der Breite und bei einer
mittleren Temperatur von 10°,5 und 16° ergibt sich eine mittlere
Verdunstung von 1 bis 1,3 Linie im Tag. In der heißen Zone, z. B. auf den
Antillen, ist die Verdunstung nach le Gaux dreimal, nach Cassan zweimal
stärker. In Cumana, also an einem Ort, wo die Luft weit stärker mit
Feuchtigkeit geschwängert ist als in den Thälern von Aragua, sah ich oft
in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 Millimeter im Schatten 3,4 Millimeter
Wasser verdunsten. Versuche dieser Art sind sehr fein und schwankend; aber
das eben Angeführte reicht hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Masse
des Wasserdunstes seyn muß, der aus dem See von Valencia und auf dem
Gebiet aufsteigt, dessen Gewässer sich in den See ergießen. Ich werde
Gelegenheit finden, anderswo auf den Gegenstand zurückzukommen: in einem
Werke, das die großen Gesetze der Natur in den verschiedenen Erdstrichen
zur Anschauung bringt, muß auch der Versuch gemacht werden, das Problem
von der *mittleren Spannung* der in der Luft enthaltenen Wasserdämpfe
unter verschiedenen Breiten und in verschiedenen Meereshöhen zu lösen.

Das Maaß der Verdunstung hängt von einer Menge örtlicher Verhältnisse ab:
von der stärkeren oder geringeren Beschattung des Wasserbeckens, von der
Ruhe und der Bewegung des Wassers, von der Tiefe desselben, von der
Beschaffenheit und Farbe des Grundes; im Großen aber wird die Verdunstung
nur durch drei Elemente bedingt, durch die Temperatur, durch die Spannung
der in der Luft enthaltenen Dämpfe, durch den Widerstand, den die Luft, je
nachdem sie mehr oder minder dicht, mehr oder weniger bewegt ist, der
Verbreitung der Dämpfe entgegengesetzt. Die Wassermenge, die an einem
gegebenen Ort verdunstet, ist proportional dem Unterschied zwischen der
Masse des Dampfes, welche die umgebende Luft im gesättigten Zustand
aufnehmen kann, und der Masse desselben, welche sie wirklich enthält. Es
folgt daraus, daß (wie schon d’Aubuisson bemerkt, der meine
hygrometrischen Beobachtungen berechnet hat) die Verdunstung in der heißen
Zone nicht so stark ist, als man nach der ungemein hohen Temperatur
glauben sollte, weil in den heißen Himmelsstrichen die Luft gewöhnlich
sehr feucht ist.

Seit der Ausbreitung des Ackerbaus in den Thälern von Aragua kommen die
Flüßchen, die sich in den See von Valencia ergießen, in den sechs Monaten
nach December als Zuflüsse nicht mehr in Betracht. Im untern Stück ihres
Laufs sind sie ausgetrocknet, weil die Indigo-, Zucker- und Kaffeepflanzer
sie an vielen Punkten ableiten, um die Felder zu bewässern. Noch mehr: ein
ziemlich ansehnliches Wasser, der Rio Pao, der am Rande der Llanos, am Fuß
des _la Galera_ genannten Hügelzugs entspringt, ergoß sich früher in den
See, nachdem er auf dem Wege von Nueva Valencia nach Guigue den Casio de
Cambury aufgenommen. Der Fluß lief damals von Süd nach Nord. Zu Ende des
siebzehnten Jahrhunderts kam der Besitzer einer anliegenden Pflanzung auf
den Gedanken, dem Rio Pao am Abhang eines Geländes ein neues Bett zu
graben. Er leitete den Fluß ab, benutzte ihn zum Theil zur Bewässerung
seines Grundstücks und ließ ihn dann gegen Süd, dem Abhang der Llanos
nach, selbst seinen Weg suchen. Auf diesem neuen Lauf nach Süd nimmt der
Rio Pao drei andere Bäche auf, den Tinaco, den Guanarito und den Chilua,
und ergießt sich in die Portuguesa, einen Zweig des Rio Apure. Es ist eine
nicht uninteressante Erscheinung, daß in Folge der eigenthümlichen
Bodenbildung und der Senkung der Wasserscheide nach Südwest der Rio Pao
sich vom kleinen *inneren Flußsystem*, dem er ursprünglich angehörte,
trennte und nun seit hundert Jahren durch den Apure und den Orinoco mit
dem Meere in Verbindung steht. Was hier im Kleinen durch Menschenhand
geschah, thut die Natur häufig selbst entweder durch allmähliche
Anschwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens in Folge starker
Erdbeben. Wahrscheinlich werden im Laufe der Jahrhunderte manche Flüsse im
Sudan und in Neuholland, die jetzt im Sande versiegen oder in Binnenseen
laufen, sich einen Weg zur Meeresküste bahnen. So viel ist wenigstens
sicher, daß es auf beiden Continenten innere Flußsysteme gibt, die man als
*noch nicht ganz entwickelte*(54) betrachten kann, und die entweder nur
bei Hochgewässer oder beständig durch Gabelung unter sich zusammenhängen.

Der Rio Pao hat sich ein so tiefes und breites Bett gegraben, daß, wenn in
der Regenzeit der _Caño grande de Cambury_ das ganze Land nordwestlich von
Guigue überschwemmt, das Wasser dieses Caño und das des Sees von Valencia
in den Rio Pao selbst zurücklaufen, so daß dieses Flüßchen, statt dem See
Wasser zuzuführen, ihm vielmehr welches abzapft. Wir sehen etwas
Aehnliches in Nordamerika, da wo die Geographen auf ihren Karten zwischen
den großen canadischen Seen und dem Lande der Miamis eine eingebildete
Bergkette angeben. Bei Hochgewässer stehen die Flüsse, die den Seen, und
die, welche dem Mississippi zulaufen, mit einander in Verbindung und man
fährt im Canoe von den Quellen des Flusses St. Maria in den Wabash, wie
auf dem Chicago in den Illinois. Diese analogen Fälle scheinen mir von
Seiten der Hydrographen alle Aufmerksamkeit zu verdienen.

Da der Boden rings um den See von Valencia durchaus flach und eben ist, so
wird, wie ich es auch an den mexicanischen Seen alle Tage beobachten
konnte, wenn der Wasserspiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit
fruchtbarem Schlamm und organischen Resten bedeckter Strich Landes trocken
gelegt. Im Maaße, als der See sich zurückzieht, rückt der Landbau gegen
das neue Ufer vor. Diese von der Natur bewerkstelligte, für die
Landwirthschaft der Colonien sehr wichtige Austrocknung war in den letzten
zehn Jahren, in denen ganz Amerika an großer Trockenheit litt,
ungewöhnlich stark. Ich rieth den reichen Grundeigenthümern im Land, statt
die jeweiligen Krümmungen des Seeufers zu bezeichnen, im Wasser selbst
Granitsäulen aufzustellen, an denen man von Jahr zu Jahr den mittleren
Wasserstand beobachten könnte. Der Marques del Toro will die Sache
ausführen und auf Gneißgrund, der im See häufig vorkommt, auf dem schönen
Granit der Sierra de Mariara *Limnometer* aufstellen.

Unmöglich läßt sich im voraus bestimmen, in welchem Maaße dieses
Wasserbecken zusammengeschrumpft seyn wird, wenn einmal das Gleichgewicht
zwischen dem Zufluß einerseits und der Verdunstung und Einsickerung
andererseits völlig hergestellt ist. Die sehr verbreitete Meinung, der See
werde ganz verschwinden, scheint mir durchaus ungegründet. Wenn in Folge
starker Erdbeben oder aus andern gleich unerklärten Ursachen zehn nasse
Jahre auf eben so viele trockene folgten, wenn sich die Berge wieder mit
Wald bedeckten, wenn große Bäume das Seeufer und die Thäler beschatteten,
so würde im Gegentheil das Wasser steigen und den schönen Pflanzungen, die
gegenwärtig das Seebecken säumen, gefährlich werden.

Während in den Thälern von Aragua die einen Pflanzer besorgen, der See
möchte ganz eingehen, die andern, er möchte wieder zum verlassenen Gestade
heraufkommen, hört man in Caracas alles Ernstes die Frage erörtern, ob man
nicht, um mehr Boden für den Landbau zu gewinnen, aus dem See einen Canal
dem Rio Pao zu graben und ihn in die Llanos ableiten sollte. Es ist nicht
zu läugnen, daß solches möglich wäre, namentlich wenn man Canäle unter dem
Boden, Stollen anlegte. Dem allmähligen Rücktritt des Wassers verdankt das
herrliche, reiche Bauland von Maracay, Cura, Mocundo, Guigue und Santa
Cruz del Escoval mit seinen Tabak-, Zucker-, Kaffee, Indigo und
Cacaopflanzungen seine Entstehung; wie kann man aber nur einen Augenblick
bezweifeln, daß nur der See das Land so fruchtbar macht? Ohne die
ungeheure Dunstmasse, welche Tag für Tag von der Wasserfläche in die Luft
aufsteigt, wären die Thäler von Aragua so trocken und dürr, wie die Berge
umher.

Der See ist im Durchschnitt 12--15, und an den tiefsten Stellen nicht, wie
man gemeiniglich annimmt 80, sondern nur 35--40 Faden tief. Dieß ist das
Ergebniß der sorgfältigen Messungen Don Antonio Manzanos mit dem Senkblei.
Bedenkt man, wie ungemein tief alle Schweizer See sind, so daß, obgleich
sie in hohen Thälern liegen, ihr Grund fast auf den Spiegel des
Mittelmeeres hinabreicht, so wundert man sich, daß der Boden des Sees von
Valencia, der doch auch ein Alpsee ist, keine bedeutenderen Tiefen hat.
Die tiefsten Stellen sind zwischen der Felseninsel Burro und der
Landspitze Caña Fistula, so wie den hohen Bergen von Mariara gegenüber; im
Ganzen aber ist der südliche Theil des Sees tiefer als der nördliche. Es
ist nicht zu vergessen, daß jetzt zwar das ganze Ufer flach ist, der
südliche Theil des Beckens aber doch am nächsten bei einer steil
abfallenden Gebirgskette liegt. Wir wissen aber, daß auch das Meer bei
einer hohen, senkrechten Felsküste meist am tiefsten ist.

Die Temperatur des Sees an der Wasserfläche war während meines Aufenthalts
in den Thälern von Aragua im Februar beständig 23°--23°,7, also etwas
geringer als die mittlere Lufttemperatur, sey es nun in Folge der
Verdunstung, die dem Wasser und der Luft Wärme entzieht, oder weil die
Schwankungen in der Temperatur der Luft sich einer großen Wassermasse
nicht gleich schnell mittheilen, und weil der See Bäche aufnimmt, die aus
kalten Quellen in den nahen Gebirgen entspringen. Zu meinem Bedauern
konnte ich trotz der geringen Tiefe die Temperatur des Wassers in 30--40
Faden unter dem Wasserspiegel nicht beobachten. Ich hatte das Senkblei mit
dem Thermometer, das ich auf den Alpenseen Salzburgs und auf dem Meere der
Antillen gebraucht, nicht bei mir. Aus Saussures Versuchen geht hervor,
daß zu beiden Seiten der Alpen Seen, die in einer Meereshöhe von 190--274
Toisen liegen, im Hochsommer in 900 bis 600, zuweilen sogar schon in 150
Fuß Tiefe beständig eine Temperatur von 4°,3 bis 6° zeigen; aber diese
Versuche sind noch niemals auf Seen in der heißen Zone wiederholt worden.
In der Schweiz sind die Schichten kalten Wassers ungeheuer mächtig. Im
Genfer- und im Bielersee fand man sie so nahe an der Oberfläche, daß die
Temperatur des Wassers je mit 10--15 Fuß Tiefe um einen Grad abnahm, also
achtmal schneller als im Meer und acht und vierzigmal schneller als in der
Luft. In der gemäßigten Zone, wo die Lufttemperatur auf den Gefrierpunkt
und weit drunter sinkt, muß der Boden eines Sees, wäre er auch nicht von
Gletschern und mit ewigem Schnee bedeckten Bergen umgeben, Wassertheilchen
enthalten, die im Winter an der Oberfläche das Maximum ihrer Dichtigkeit
(zwischen 3°,4 und 4°,4) erlangt haben und also am tiefsten niedergesunken
sind. Andere Theilchen mit der Temperatur von +0°,5 sinken aber keineswegs
unter die Schicht mit 4° Temperatur, sondern finden das hydrostatische
Gleichgewicht nur über derselben. Sie gehen nur dann weiter hinab, wenn
sich ihre Temperatur durch die Berührung mit weniger kalten Schichten um
3--4 Grad erhöht hat. Wenn das Wasser beim Erkalten in derselben
Proportion bis zum Nullpunkt immer dichter wurde, so fände man in sehr
tiefen Seen und in Wasserbecken, die nicht miteinander zusammenhängen,
*welches auch die Breite des Orts seyn mag*, eine Wasserschicht, deren
Temperatur dem Maximum der Erkaltung über dem Frierpunkt, der jährlich die
umgebenden niedern Luftregionen ausgesetzt sind, beinahe gleich käme. Nach
dieser Betrachtung erscheint es wahrscheinlich, daß auf den Ebenen der
heißen Zone und in nicht hochgelegenen Thälern, deren mittlere Wärme 25°,5
bis 27° beträgt, der Boden der Seen nie weniger als 21--22° Temperatur
haben kann. Wenn in derselben Zone das Meer in der Tiefe von 7--800 Faden
Wasser hat mit einer Temperatur von nur 7°, das also um 12--13° kälter ist
als das Minimum der Luftwärme über dem Meer, so ist diese Erscheinung,
nach meiner Ansicht, ein direkter Beweis dafür, daß eine Meeresströmung in
der Tiefe die Gewässer von den Polen zum Aequator führt. Wir lassen hier
das schwierige Problem unerörtert, wie unter den Tropen und in der
gemäßigten Zone, z. B. im Meer der Antillen und in den Schweizer Seen,
diese tiefen, bis auf 4 oder 7 Grad abgekühlten Wasserschichten auf die
Temperatur der von ihnen bedeckten Gesteinschichten einwirken, und wie
diese Schichten, deren ursprüngliche Temperatur unter den Tropen 27°, am
Genfer See 10° beträgt, auf das dem Frierpunkt nahe Wasser auf dem Boden
der Seen und des tropischen Oceans zurückwirken? Diese Fragen sind von der
höchsten Wichtigkeit sowohl für die Lebensprocesse der Thiere, die
gewöhnlich auf dem Boden des süßen und des Salzwassers leben, als für die
Theorie von der Vertheilung der Wärme in Ländern, die von großen, tiefen
Meeren umgeben sind.

Der See von Valencia ist sehr reich an Inseln, welche durch die malerische
Form der Felsen und den Pflanzenwuchs, der sie bedeckt, den Reiz der
Landschaft erhöhen. Diesen Vorzug hat dieser tropische See vor den
Alpenseen voraus. Es sind wenigstens fünfzehn Inseln, die in drei Gruppen
zerfallen. Sie sind zum Theil angebaut und in Folge der Wasserdünste, die
aus dem See aufsteigen, sehr fruchtbar. Die größte, 2000 Toisen lange, der
Burro, ist sogar von ein paar Mestizenfamilien bewohnt, die Ziegen halten.
Diese einfachen Menschen kommen selten an das Ufer bei Mocundo; der See
dünkt ihnen unermeßlich groß, sie haben Bananen, Manioc, Milch und etwas
Fische. Eine Rohrhütte, ein paar Hängematten aus Baumwolle, die nebenan
wächst, ein großer Stein, um Feuer darauf zu machen, die holzigte Frucht
des Tutuma zum Wasserschöpfen, das ist ihr ganzer Hausrath. Der alte
Mestize, der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine sehr hübsche Tochter. Unser
Führer erzählte uns, das einsame Leben habe den Mann so argwöhnisch
gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit Menschen geworden wäre. Tags
zuvor waren Jäger auf der Insel gewesen; die Nacht überraschte sie und sie
wollten lieber unter freiem Himmel schlafen, als nach Mocundo
zurückfahren. Darüber entstand große Unruhe auf der Insel. Der Vater zwang
die Tochter auf eine sehr hohe Achazie zu steigen, die auf dem ebenen
Boden nicht weit von der Hütte steht. Er selbst legte sich unter den Baum
und ließ die Tochter nicht eher herunter, als bis die Jäger abgezogen
waren. Nicht bei allen Inselbewohnern findet der Reisende solch
argwöhnische Vorsicht, solch gewaltige Sittenstrenge.

Die See ist meist sehr fischreich; es kommen aber nur drei Arten mit
weichlichem, nicht sehr schmackhaftem Fleisch darin vor, die Guavina, der
Vagre und die Sardina. Die beiden letzteren kommen aus den Bächen in den
See. Die Guavina, die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, ist 20 Zoll
lang, 3½ Zoll breit. Es ist vielleicht eine neue Art der Gattung Erythrina
des Gronovius. Sie hat große, silberglänzende, grün geränderte Schuppen;
sie ist sehr gefräßig und läßt andere Arten nicht aufkommen. Die Fischer
versicherten uns, ein kleines Crokodil, der *Bava*, der uns beim Baden oft
nahe kam, helfe auch die Fische ausrotten. Wir konnten dieses Reptils nie
habhaft werden, um es näher zu untersuchen. Es wird meist nur 3--4 Fuß
lang und gilt für unschädlich, aber in der Lebensweise wie in der Gestalt
kommt es dem Kaiman oder _Crocodilus acutus_ nahe. Beim Schwimmen sieht
man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das Schwanzende. Bei Tage
liegt es auf kahlen Uferstellen. Es ist sicher weder ein Monitor (die
eigentlichen Monitors gehören nur der alten Welt an), noch Sebas
*Sauvegarde* (_Lacerta Teguixin_), die nur taucht und nicht schwimmt.
Reisende mögen nach uns darüber entscheiden, ich bemerke nur noch, als
ziemlich auffallend, daß es im See von Valencia und im ganzen kleinen
Flußgebiet desselben keine großen Kaimans gibt, während dieses gefährliche
Thier wenige Meilen davon in den Gewässern, die in den Apure und Orinoco,
oder zwischen Porto Cabello und Guayra unmittelbar in das antillische Meer
laufen, sehr häufig ist.

Die Insel Chamberg ist durch ihre Höhe ausgezeichnet. Es ist ein 200 Fuß
hoher Gneißfels mit zwei sattelförmig verbundenen Gipfeln. Der Abhang des
Felsen ist kahl: kaum daß ein paar Clusiastämme mit großen weißen Blüthen
darauf wachsen, aber die Aussicht über den See und die üppigen Fluren der
anstoßenden Thäler ist herrlich, zumal wenn nach Sonnenuntergang Tausende
von Wasservögeln, Reiher, Flamingos und Wildenten über den See ziehen, um
auf den Inseln zu schlafen, und der weite Gebirgsgürtel am Horizont in
Feuer steht. Wie schon erwähnt, brennt das Landvolk die Weiden ab, um ein
frischeres, feineres Gras als Nachwuchs zu bekommen. Besonders auf den
Gipfeln der Bergkette wächst viel Gras, und diese gewaltigen Feuer, die
öfters über tausend Toisen lange Strecken laufen, nehmen sich aus, wie
wenn Lavaströme aus dem Bergkamm quöllen; Wenn man so an einem herrlichen
tropischen Abend am Seeufer ausruht und der angenehmen Kühle genießt,
betrachtet man mit Lust in den Wellen, die an das Gestade schlagen, das
Bild der rothen Feuer rings am Horizont.

Unter den Pflanzen, die auf den Felseninseln im See von Valencia wachsen,
kommen, wie man glaubt, mehrere nur hier vor; wenigstens hat man sie sonst
nirgends gefunden. Hieher gehören die See-Melonenbäume (_Papaya de la
laguna_) und die Liebesäpfel der Insel Cura. Letztere sind von unserem
_Solanum Lycopersicum_ verschieden; ihre Frucht ist rund, klein, aber sehr
schmackhaft; man baut sie jetzt in Victoria, Nueva Valencia, überall in
den Thälern von Aragua. Auch die _Papaya de la laguna_ ist auf der Insel
Cura und auf Cabo Blanco sehr häufig. Ihr Stamm ist schlanker als beim
gemeinen Melonenbaum (_Carica Papaya_), aber die Frucht ist um die Hälfte
kleiner und völlig kugelrund, ohne vorspringende Rippen, und hat 4--5 Zoll
im Durchmesser. Beim Zerschneiden zeigt sie sich voll Samen, ohne die
leeren Zwischenräume, die sich beim gemeinen Melonenbaum immer finden. Die
Frucht, die ich oft gegessen, schmeckt ungemein süß; ich weiß nicht, ob es
eine Spielart der _Carica Microcarpa_ ist, die Jacquin beschrieben hat.

Die Umgegend des Sees ist nur in der trockenen Jahreszeit ungesund, wenn
bei fallendem Wasser der schlammigte Boden der Sonnenhitze ausgesetzt ist.
Das von Gebüschen der _Coccoloba barbadensis_ beschattete, mit herrlichen
Liliengewächsen geschmückte Gestade erinnert durch den Typus der
Wasserpflanzen an die sumpfigen Ufer unserer europäischen Seen. Man findet
hier Laichkraut (_Potamogeton_), Chara und drei Fuß hohe Teichkolben, die
man von der _Typha __ angustifolia_ unserer Sümpfe kaum unterscheiden
kann. Erst bei genauer Untersuchung erkennt man in allen diesen Gewächsen
der neuen Welt eigenthümliche Arten. Wie viele Pflanzen von der
Magellanschen Meerenge, aus Chili und den Cordilleren von Quito sind
früher wegen der großen Uebereinstimmung in Bildung und Aussehen mit
Gewächsen der nördlichen gemäßigten Zone zusammengeworfen worden!

Die Bewohner der Thäler von Aragua fragen häufig, warum das südliche Ufer
des Sees, besonders aber der südwestliche Strich desselben gegen las
Aguacates, im Ganzen stärker bewachsen ist und ein frischeres Grün hat als
das nördliche. Im Februar sahen wir viele entblätterte Bäume bei der
Hacienda de Cura, bei Mocundo und Guacara, während südöstlich von Valencia
Alles bereits darauf deutete, daß die Regenzeit bevorstand. Nach meiner
Ansicht werden im ersten Abschnitt des Jahrs, wo die Sonne gegen Süden
abweicht, die Hügel um Valencia, Guacara und Cura von der Sonnenhitze
ausgebrannt, während dem südlichen Ufer durch den Seewind, sobald er durch
die *Abra de Porto Cabello* in das Thal kommt, eine Luft zugeführt wird,
die sich über dem See mit Wasserdunst beladen hat. Auf diesem südlichen
Ufer, bei Guaruto, liegen auch die schönsten Tabaksfelder in der ganzen
Provinz. Man unterscheidet welche der _primera_, _segunda_ und _tercera
fundacion_. Nach dem drückenden Monopol der Tabakspacht, deren wir bei der
Beschreibung der Stadt Cumanacoa gedacht haben,(55) darf man in der
Provinz Caracas nur in den Thälern von Aragua (bei Guaruto und Tapatapa)
und in den Llanos von Uritucu Tabak bauen. Der Ertrag beläuft sich auf
5--600,000 Piaster; aber die Regie ist so kostspielig, daß sie gegen
230,000 Piaster im Jahr verschlingt. Die _Capitania general_ von Caracas
könnte vermöge ihrer Größe und ihres vortrefflichen Bodens, so gut wie
Cuba, sämmtliche europäischen Märkte, versorgen; aber unter den
gegenwärtigen Verhältnissen erhält sie im Gegentheil durch den
Schleichhandel Tabak aus Brasilien auf dem Rio Negro, Cassiquiare und
Orinoco, und aus der Provinz Pore auf dem Casanare, dem Ariporo und dem
Rio Meta. Das sind die traurigen Folgen eines Prohibitivsystems, das den
Fortschritt des Landbaus lähmt, den natürlichen Reichthum des Landes
schmälert und sich vergeblich abmüht, Länder abzusperren, durch welche
dieselben Flüsse laufen und deren Grenzen in unbewohnten Landstrichen sich
verwischen.

Unter den Zuflüssen des Sees von Valencia entspringen einige aus heißen
Quellen, und diese verdienen besondere Aufmerksamkeit. Diese Quellen
kommen an drei Punkten der aus Granit bestehenden Küstencordillere zu Tag,
bei Onoto, zwischen Turmero und Maracay, bei Mariara, nordöstlich von der
Hacienda de Cura, und bei las Trincheras, auf dem Wege von Nueva Valencia
nach Porto Cabello. Nur die heißen Wasser von Mariara und las Trincheras
konnte ich in physikalischer und geologischer Beziehung genau untersuchen.
Geht man am Bache Cura hinauf, seiner Quelle zu, so sieht man die Berge
von Mariara in die Ebene vortreten in Gestalt eines weiten Amphitheaters,
das aus senkrecht abfallenden Felswänden besteht, über denen sich
Bergkegel mit gezackten Gipfeln erheben. Der Mittelpunkt des Amphitheaters
führt den seltsamen Namen *Teufelsmauer* (_Rincon del Diablo_). Von den
beiden Flügeln derselben heißt der östliche *el Chaparro*, der westliche
*las Viruelas*. Diese verwitterten Felsen beherrschen die Ebene; sie
bestehen aus einem sehr grobkörnigen, fast porphyrartigen Granit, in dem
die gelblich-weißen Feldspathkrystalle über anderthalb Zoll lang sind; der
Glimmer ist ziemlich selten darin und von schönem Silberglanz. Nichts
malerischer und großartiger als der Anblick dieses halb grüngewachsenens
Gebirgsstocks. Den Gipfel der *Calavera*, welche die Teufelsmauer mit dem
Chaparro verbindet, sieht man sehr weit. Der Granit ist dort durch
senkrechte Spalten in prismatische Massen getheilt, und es sieht aus, als
ständen Basaltsäulen auf dem Urgebirge. In der Regenzeit stürzt eine
bedeutende Wassermasse über diese steilen Abhänge herunter. Die Berge, die
sich östlich an die Teufelsmauer anschließen, sind lange nicht so hoch und
bestehen, wie das Vorgebirg Cabrera, aus Gneiß und granithaltigem
Glimmerschiefer.

In diesen niedrigeren Bergen, zwei bis drei Seemeilen nordöstlich von
Mariara, liegt die Schlucht der heißen Wasser, _Quebrada de aguas
calientes_. Sie streicht nach Nord 75° West und enthält mehrere kleine
Tümpel, von denen die zwei obern, die nicht zusammenhängen, nur 8 Zoll,
die drei untern 2--3 Fuß Durchmesser haben; ihre Tiefe beträgt zwischen 3
und 15 Zoll. Die Temperatur dieser verschiedenen Trichter (_pozos_) ist
56--59 Grad, und, was ziemlich auffallend ist, die untern Trichter sind
heißer als die obern, obgleich der Unterschied in der Bodenhöhe nicht mehr
als 7--8 Zoll beträgt. Die heißen Wasser laufen zu einem kleinen Bache
zusammen (_Rio de aquas calientes_), der dreißig Fuß weiter unten nur 48°
Temperatur zeigt. Während der größten Trockenheit (in dieser Zeit
besuchten wir die Schlucht) hat die ganze Masse des heißen Wassers nur ein
Profil von 26 Quadratzoll; in der Regenzeit aber wird dasselbe bedeutend
größer. Der Bach wird dann zum Bergstrom und seine Wärme nimmt ab, denn
die Temperatur der heißen Quellen selbst scheint nur unmerklich auf und ab
zu schwanken. Alle diese Quellen enthalten Schwefelwasserstoffgas in
geringer Menge. Der diesem Gas eigene Geruch nach faulen Eiern läßt sich
nur ganz nahe bei den Quellen spüren. Nur in einem der Tümpel, in dem mit
56,2 Grad Temperatur, sieht man Luftblasen sich entwickeln, und zwar in
ziemlich regelmäßigen Pausen von 2--3 Minuten. Ich bemerkte, daß die
Blasen immer von denselben Stellen ausgingen, vier an der Zahl, und daß
man den Ort, von dem das Schwefelwasserstoffgas aufsteigt, durch Umrühren
des Bodens mit einem Stock nicht merklich verändern kann. Diese Stellen
entsprechen ohne Zweifel eben so vielen Löchern oder Spalten im Gneiß;
auch sieht man, wenn über einem Loch Blasen erscheinen, das Gas sogleich
auch über den drei andern sich entwickeln. Es gelang mir nicht, das Gas
anzuzünden, weder die kleinen Mengen in den an der Fläche des heißen
Wassers platzenden Blasen, noch dasjenige, das ich in einer Flasche über
den Quellen gesammelt, wobei mir übel wurde, nicht sowohl vom Geruch des
Gases als von der übermäßigen Hitze in der Schlucht. Ist das
Schwefelwasserstoffgas mit vieler Kohlensäure oder mit atmosphärischer
Lust gemengt? Ersteres ist mir nicht wahrscheinlich, so häufig es auch bei
heißen Quellen vorkommt (Aachen, Enghien, Barège). Das in der Röhre eines
Fontanaschen Eudiometers aufgefangene Gas war lange mit Wasser geschüttelt
worden. Auf den kleinen Tümpeln schwimmt ein feines Schwefelhäutchen, das
sich durch die langsame Verbrennung des Schwefelwasserstoffs im Sauerstoff
der Luft niederschlägt. Hie und da ist eine Pflanze an den Quellen mit
Schwefel incrustirt. Dieser Niederschlag wird kaum bemerklich, wenn man
das Wasser von Mariara in einem offenen Gefäß erkalten läßt, ohne Zweifel
weil die Quantität des entwickelten Gases sehr klein ist und es sich nicht
erneuert. Das erkaltete Wasser macht in der Auflösung von salpetersaurem
Kupfer keinen Niederschlag; es ist geschmacklos und ganz trinkbar. Wenn es
je einige Salze enthält, etwa schwefelsaures Natron oder schwefelsaure
Bittererde, so können sie nur in sehr geringer Quantität darin seyn. Da
wir fast gar keine Reagentien bei uns hatten, so füllten wir nur zwei
Flaschen an der Quelle selbst und schickten sie mit der nahrhaften Milch
des sogenannten Kuhbaums (_Vaca_), über Porto Cabello und Havana, an
Furcroy und Vauquelin nach Paris. Daß Wasser, die unmittelbar aus dem
Granitgebirge kommen, so rein sind, ist eine der merkwürdigsten
Erscheinungen auf beiden Continenten.(56) Wo soll man aber das
Schwefelwasserstoffgas herleiten? Von der Zersetzung von Schwefeleisen
oder Schwefelkiesschichten kann es nicht kommen. Rührt es von
Schwefelcalcium, Schwefelmagnesium oder andern erdigten Halbmetallen her,
die das Innere unseres Planeten unter der oxydirten Steinkruste enthält?

In der Schlucht der heißen Wasser von Mariara, in den kleinen Trichtern
mit einer Temperatur von 56--59 Grad, kommen zwei Wasserpflanzen vor, eine
häutige, die Luftblasen enthält, und eine mit parallelen Fasern
[_Conferva_?]. Erstere hat große Aehnlichkeit mit der _Ulva
labyrinthiformis_ Vandellis, die in den europäischen warmen Quellen
vorkommt. Auf der Insel Amsterdam sah BARROW [_Reise nach Cochinchina_]
Büsche von Lycopodium und Marchantia an Stellen, wo die Temperatur des
Bodens noch weit höher war. So wirkt ein *gewohnter Reiz* auf die Organe
der Gewächse. Wasserinsekten kommen im Wasser von Mariara nicht vor. Man
findet Frösche darin, die, von Schlangen verfolgt, hineingesprungen sind
und den Tod gefunden haben.

Südlich von der Schlucht, in der Ebene, die sich zum Seeufer erstreckt,
kommt eine andere schwefelwasserstoffhaltige, nicht so warme und weniger
Gas enthaltende Quelle zu Tag. Die Spalte, aus der das Wasser läuft, liegt
sechs Toisen höher als die eben beschriebenen Trichter. Der Thermometer
stieg in der Spalte nur auf 42°. Das Wasser sammelt sich in einem mit
großen Bäumen umgebenen, fast kreisrunden, 15 bis 18 Fuß weiten und 3 Fuß
tiefen Becken. In dieses Bad werfen sich die unglücklichen Sklaven, wenn
sie gegen Sonnenuntergang, mit Staub bedeckt, ihr Tagewerk auf den
benachbarten Indigo- und Zuckerfeldern vollbracht haben. Obgleich das
Wasser des *Baño* gewöhnlich 10--14 Grad wärmer ist als die Luft, nennen
es die Schwarzen doch erfrischend, weil in der heißen Zone Alles so heißt,
was die Kräfte herstellt, die Nervenaufregung beschwichtigt oder überhaupt
ein Gefühl von Wohlbehagen gibt. Wir selbst erprobten die heilsame Wirkung
dieses Bades. Wir ließen unsere Hängematten an die Bäume, die das
Wasserbecken beschatten, binden und verweilten einen ganzen Tag an diesem
herrlichen Platz, wo es sehr viele Pflanzen gibt. In der Nähe des Baño de
Mariara fanden wir den *Volador* oder Gyrocarpus. Die Flügelfrüchte dieses
großen Baumes fliegen wie Federbälle, wenn sie sich vom Fruchtstiele
trennen. Wenn wir die Aeste des Volador schüttelten, wimmelte es in der
Luft von diesen Früchten und ihr gleichzeitiges Niederfallen gewährte den
merkwürdigsten Anblick. Die zwei häutigen gestreiften Flügel sind so
gebogen, daß die Luft beim Niederfallen unter einem Winkel von 45 Grad
gegen sie drückt. Glücklicherweise waren die Früchte, die wir auflasen,
reif. Wir schickten welche nach Europa und sie keimten in den Gärten zu
Berlin, Paris und Malmaison. Die vielen Voladorpflanzen, die man jetzt in
den Gewächshäusern sieht, kommen alle von dem einzigen Baum der Art, der
bei Mariara steht. Die geographische Vertheilung der verschiedenen Arten
von Gyrocarpus, den Brown zu den Laurineen rechnet, ist eine sehr
auffallende. Jacquin sah eine Art bei Carthagena das Indias; eine andere
Art, die auf den Bergen an der Küste von Coromandel wächst, hat Roxburgh
beschrieben; eine dritte und vierte kommen in der südlichen Halbkugel auf
den Küsten von Neuholland vor.

Während wir nach dem Bade uns, nach Landessitte, halb in ein Tuch
gewickelt, von der Sonne trocknen ließen, trat ein kleiner Mulatte zu uns.
Nachdem er uns freundlich gegrüßt, hielt er uns eine lange Rede über die
Kraft der Wasser von Mariara, über die vielen Kranken, die sie seit
einigen Jahren besuchten, über die günstige Lage der Quellen zwischen zwei
Städten, Valencia und Caracas, wo das Sittenverderbniß mit jedem Tage
ärger werde. Er zeigte uns sein Haus, eine kleine offene Hütte aus
Palmblättern, in einer Einzäunung, ganz nahe bei, an einem Bach, der in
das Bad läuft. Er versicherte uns, wir finden daselbst alle möglichen
Bequemlichkeiten, Nägel, unsere Hängematten zu befestigen, Ochsenhäute, um
auf Rohrbänken zu schlafen, irdene mit immer frischem Wasser, und was uns
nach dem Bad am besten bekommen werde, *Iguanas*, große Eidechsen, deren
Fleisch für eine erfrischende Speise gilt. Wir ersahen aus diesem Vortrag,
daß der arme Mann uns für Kranke hielt, die sich an der Quelle einrichten
wollten. Er nannte sich »Wasserinspektor und *Pulpero*(57) des Platzes.«
Auch hatte seine Zuvorkommenheit gegen uns ein Ende, als er erfuhr, daß
wir bloß aus Neugierde da waren, oder, wie man in den Colonien, dem wahren
Schlaraffenlande, sagt, »_para ver, no mas_« (um zu sehen, weiter nichts).

Man gebraucht das Wasser von Mariara mit Erfolg gegen rheumatische
Geschwülste, alte Geschwüre und gegen die schreckliche Hautkrankheit,
Bubas genannt, die nicht immer syphilitischen Ursprungs ist. Da die
Quellen nur sehr wenig Schwefelwasserstoff enthalten, muß man da baden, wo
sie zu Tage kommen. Weiterhin überrieselt man mit dem Wasser die
Indigofelder. Der reiche Besitzer von Mariara, Don Domingo Tovar, ging
damit um, ein Badehaus zu bauen und eine Anstalt einzurichten, wo
Wohlhabende etwas mehr fanden als Eidechsenfleisch zum Essen und Häute auf
Bänken zum Ruhen.

Am 21. Februar Abends brachen wir von der schönen Hacienda de Cura nach
Guacara und Nueva Valencia auf. Wegen der schrecklichen Hitze bei Tage
reisten wir lieber bei Nacht. Wir kamen durch den Weiler Punta Zamuro am
Fuß der hohen Berge las Viruelas. Am Wege stehen große Zamangs oder
Mimosen, deren Stamm 60 Fuß hoch wird. Die fast wagerechten Aeste
derselben stoßen auf mehr als 150 Fuß Entfernung zusammen. Nirgends habe
ich ein schöneres, dichteres Laubdach gesehen. Die Nacht war dunkel; die
Teufelsmauer und ihre gezackten Felsen tauchten zuweilen in der Ferne auf,
beleuchtet vom Schein der brennenden Savanen oder in röthliche Rauchwolken
gehüllt. Wo das Gebüsch am dichtesten war, scheuten unsere Pferde ob dem
Geschrei eines Thiers, das hinter uns her zu kommen schien. Es war ein
großer Tiger, der sich seit drei Jahren in diesen Bergen umtrieb und den
Nachstellungen der kühnsten Jäger entgangen war. Er schleppte Pferde und
Maulthiere sogar aus Einzäunungen fort; da es ihm aber nicht an Nahrung
fehlte, hatte er noch nie Menschen angefallen. Der Neger, der uns führte,
erhob ein wildes Geschrei, um den Tiger zu verscheuchen, was natürlich
nicht gelang. Der Jaguar streicht, wie der europäische Wolf, den Reisenden
nach, auch wenn er sie nicht anfallen will; der Wolf thut dieß auf freiem
Feld, auf offenen Landstrecken, der Jaguar schleicht am Wege hin und zeigt
sich nur von Zeit zu Zeit im Gebüsch.

Den dreiundzwanzigsten brachten wir im Hause des Marques del Toro im Dorfe
Guacara, einer sehr starken indianischen Gemeinde, zu. Die Eingeborenen,
deren Corregidor, Don Pedro Peñalver, ein sehr gebildeter Mann war, sind
ziemlich wohlhabend. Sie hatten eben bei der Audiencia einen Proceß
gewonnen, der ihnen die Ländereien wieder zusprach, welche die Weißen
ihnen streitig gemacht. Eine Allee von Carolinenbäumen führt von Guacara
nach Mocundo. Ich sah hier zum erstenmal dieses prachtvolle Gewächs, das
eine der vornehmsten Zierden der Gewächshäuser in Schönbrunn ist.(58)
Mocundo ist eine reiche Zuckerpflanzung der Familie Toto. Man findet hier
sogar, was in diesem Lande so selten ist, »den Luxus des Ackerbaus,« einen
Garten, künstliche Gehölze und am Wasser auf einem Gneißfels ein Lusthaus
mit einem *Mirador* oder Belvedere. Man hat da eine herrliche Aussicht auf
das westliche Stück des Sees, auf die Gebirge ringsum und auf einen
Palmenwald zwischen Guacara und Nueva Valencia. Die Zuckerfelder mit dem
lichten Grün des jungen Rohrs erscheinen wie ein weiter Wiesgrund. Alles
trägt den Stempel des Ueberflusses, aber die das Land bauen, müssen ihre
Freiheit daran setzen. In Mocundo baut man mit 230 Negern 77 Tablones oder
*Stücke* Zuckerrohr, deren jedes 10,000 Quadrat-Varas(59) mißt und
jährlich einen Reinertrag von 200--240 Piastern gibt. Man setzt die
Stecklinge des creolischen und des otaheitischen Zuckerrohrs im April, bei
ersterem je 4, bei letzterem 5 Schuh von einander. Das Rohr braucht 14
Monate zur Reife. Es blüht im Oktober, wenn der Setzling kräftig ist, man
kappt aber die Spitze, ehe die Rispe sich entwickelt. Bei allen
Monocotyledonen (beim Maguey, der in Mexico wegen des *Pulque* gebaut
wird, bei der Weinpalme und dem Zuckerrohr) erhalten die Säfte durch die
Blüthe eine andere Mischung. Die Zuckerfabrikation ist in Terra Firma sehr
mangelhaft, weil man nur für den Verbrauch im Lande fabricirt und man für
den Absatz im Großen sich lieber an den sogenannten *Papelon* als an
raffinirten und Rohzucker hält. Dieser Papelon ist ein unreiner,
braungelber Zucker in ganz kleinen Hüten. Er ist mit Melasse und
schleimigten Stoffen verunreinigt. Der ärmste Mann ißt Papelon, wie man in
Europa Käse ißt; man hält ihn allgemein für nahrhaft. Mit Wasser gegohren
gibt er den *Guarapo*, das Lieblingsgetränk des Volks. Zum Auslaugen des
Rohrsafts bedient man sich, statt des Kalks, des unterkohlensauren Kalis.
Man nimmt dazu vorzugsweise die Asche des *Bucare*, der _Erythrina
corallodendron_.

Das Zuckerrohr ist sehr spät, wahrscheinlich erst zu Ende des sechzehnten
Jahrhunderts, von den Antillen in die Thäler von Aragua gekommen. Man
kannte es seit den ältesten Zeiten in Indien, in China und auf allen
Inseln des stillen Meeres; in Chorasan und in Persien wurde es schon im
fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung zur Gewinnung festen Zuckers
gebaut. Die Araber brachten das Rohr, das für die Bewohner heißer und
gemäßigter Länder von so großem Werthe ist, an die Küsten des Mittelmeers.
Im Jahr 1306 wurde es auf Sicilien noch nicht gebaut, aber auf Cypern,
Rhodus und in Morea war es bereits verbreitet; hundert Jahre darauf war es
ein werthvoller Besitz Calabriens, Siciliens und der spanischen Küsten.
Von Sicilien verpflanzte der Infant Henriquez das Zuckerrohr nach Madera,
von Madera kam es auf die Canarien, wo es ganz unbekannt war; denn die
_Ferulae_ von denen Juba spricht (_quae expressae liquorem fundunt potui
jucundum_) sind Euphorbien, _Tabayba dulce_, und kein Zuckerrohr, wie man
neuerdings behauptet hat. Nicht lange, so waren zehn Zuckermühlen
(_ingenios de azucar_ auf der großen Canaria, auf Palma und auf Teneriffa
zwischen Adexe, Icod und Garachico. Man brauchte Neger zum Bau, und ihre
Nachkommen leben noch in den Höhlen von Tiraxana auf der großen Canaria.
Seit das Zuckerrohr auf die Antillen verpflanzt worden ist, und seit die
neue Welt den glückseligen Inseln den Mais geschenkt, hat der Anbau dieser
Grasart auf Teneriffa und der großen Canaria den Zuckerbau verdrängt.
Jetzt wird dieser nur noch auf Palma bei Argual und Taxacorte getrieben
und liefert kaum 1000 Centner Zucker im Jahr. Das canarische Rohr, das
Aiguilon nach St. Domingo brachte, wurde dort seit 1517 oder den sechs,
sieben folgenden Jahren unter der Herrschaft der Hieronymiter-Mönche
gebaut. Von Anfang an wurden Neger dazu verwendet, und schon 1519 stellte
man, gerade wie heutzutage, der Regierung vor, »die Antillen wären
verloren und müßten wüste liegen bleiben, wenn man nicht alle Jahre
Sklaven von der Küste von Guinea herüberbrächte.«

Seit einigen Jahren haben sich der Anbau und die Fabrikation des Zuckers
in Terra Firma bedeutend verbessert, und da auf Jamaica das Raffiniren
gesetzlich verboten ist, so glaubt man auf die Aussicht von raffinirtem
Zucker in die englischen Colonien auf dem Wege des Schleichhandels rechnen
zu können. Aber der Verbrauch in den Provinzen von Venezuela an Papelon
und an Rohzucker zu Chocolate und Zuckerbäckerei (_dulces_) ist so groß,
daß die Ausfuhr bis jetzt gar nicht in Betracht kam. Die schönsten
Zuckerpflanzungen sind in den Thälern von Aragua und des Tuy, bei Pao de
Zarete, zwischen Victoria und San Sebastiano, bei Guatire, Guarenas und
Caurimare. Wie das Zuckerrohr zuerst von den Canarien in die neue Welt
kam, so stehen noch jetzt meist Canarier oder *Islengos* den großen
Pflanzungen vor und geben beim Anbau und beim Raffiniren die Anleitung.
Dieser innige Verkehr mit den canarischen Inseln und ihren Bewohnern hat
auch zur Einführung der Kameele in die Provinzen von Venezuela Anlaß
gegeben. Der Marques del Toro ließ ihrer drei von Lancerota kommen. Die
Transportkosten waren sehr bedeutend, weil die Thiere auf den Kauffahrern
sehr viel Raum einnehmen und sie sehr viel süßes Wasser bedürfen, da die
lange Ueberfahrt sie stark angreift. Ein Kameel, für das man nur dreißig
Piaster bezahlt, hatte nach der Ankunft auf der Küste von Caracas acht-
bis neunhundert Piaster gekostet. Wir sahen diese Thiere in Mocundo; von
vieren waren schon drei in Amerika geworfen. Zwei waren vom Biß des Coral,
einer giftigen Schlange, die am See sehr häufig ist, zu Grunde gegangen.
Man braucht bis jetzt diese Kameele nur, um das Zuckerrohr in die Mühlen
zu schaffen. Die männlichen Thiere, die stärker sind als die weiblichen,
tragen 40--50 Arrobas. Ein reicher Gutsbesitzer in der Provinz-Barinas
wollte, aufgemuntert durch den Vorgang des Marques del Toro, 15,000
Piaster aufwenden und auf einmal 14 bis 15 Kameele von den canarischen
Inseln kommen lassen. Solche Unternehmungen sind um so lobenswerther, da
man diese Lastthiere zum Waarentransport durch die glühend heißen Ebenen
am Casanare, Apure und bei Calabozo benützen will, die in der trockenen
Jahreszeit den afrikanischen Wüsten gleichen. Ich habe anderwärts
bemerkt,(60) wie sehr zu wünschen wäre, daß die Eroberer schon zu Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts, wie Rindvieh, Pferde und Maulthiere, so auch
Kameele nach Amerika verpflanzt hätten. Ueberall wo in unbewohnten Ländern
sehr große Strecken zurückzulegen sind, wo sich keine Kanäle anlegen
lassen, weil sie zu viele Schleußen erforderten (wie auf der Landenge von
Panama, auf der Hochebene von Mexico, in den Wüsten zwischen dem
Königreich Quito und Peru, und zwischen Peru und Chili), wären Kameele für
den Handelsverkehr im Innern von der höchsten Bedeutung. Man muß sich um
so mehr wundern, daß die Regierung nicht gleich nach der Eroberung die
Einführung des Thiers aufgemuntert hat, da noch lange nach der
Unterwerfung von Grenada das Kameel, das Lieblingsthier der Mauren, im
südlichen Spanien sehr häufig war. Ein Biscayer, Juan de Reinaga, hatte
auf seine Kosten einige Kameele nach Peru gebracht. Pater Acosta sah sie
gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts am Fuße der Anden; da sie aber
schlecht gepflegt wurden, pflanzten sie sich spärlich fort und starben
bald aus. In diesen Zeiten der Unterdrückung und des Elends, die man als
die Zeiten des spanischen Ruhmes schildert, vermietheten die Encomenderos
den Reisenden Indianer wie Lastthiere. Man trieb sie zu Hunderten
zusammen, um Waaren über die Cordilleren zu schleppen, oder um die Heere
auf ihren Eroberungs- und Raubzügen zu begleiten. Die Eingeborenen
unterzogen sich diesem Dienst um so geduldiger, da sie, beim fast völligen
Mangel an Hausthieren, schon seit langer Zeit von ihren eigenen
Häuptlingen, wenn auch nicht so unmenschlich, dazu angehalten worden
waren. Die von Juan de Reinaga versuchte Einführung der Kameele brachte
die Encomenderos, die nicht gesetzlich, aber faktisch die Grundherrn der
indianischen Dörfer waren, gewaltig in Aufruhr. Es ist nicht zu
verwundern, daß der Hof den Beschwerden dieser Herrn Gehör gab; aber durch
diese Maaßregel ging Amerika eines Mittels verlustig, das mehr als irgend
etwas den Verkehr im Innern und den Waarenaustausch erleichtern konnte.
Jetzt, da seit Carls III. Regierung die Indianer unter einem milderen
Regimente stehen, und alle Zweige des einheimischen Gewerbfleißes sich
freier entwickeln können, sollte die Einführung der Kameele im Großen, und
von der Regierung selbst versucht werden. Würden einige hundert dieser
nützlichen Thiere auf dem ungeheuren Areal von Amerika in heißen,
trockenen Gegenden angesiedelt, so würde sich der günstige Einfluß auf den
allgemeinen Wohlstand schon in wenigen Jahren merkbar machen. Provinzen,
die durch Steppen getrennt sind, wären von Stunde an einander näher
gerückt; manche Waaren aus dem Innern würden an den Küsten wohlfeiler, und
durch die Vermehrung der Kameele, zumal der *Hedjines*, der *Schiffe der
Wüste*, käme ein ganz anderes Leben in den Gewerbfleiß und den Handel der
neuen Welt.

Am zweiundzwanzigsten Abends brachen wir von Mocundo auf und gingenüber
los Guayos nach Nueva Valencia. Man kommt durch einen kleinen Palmenwald,
dessen Bäume nach dem Habitus und der Bildung der fächerförmigen Blätter
dem _Chamaerops humilis_ an der Küste der Berberei gleichen. Der Stamm
wird indessen 24, zuweilen sogar 30 Fuß hoch. Es ist wahrscheinlich eine
neue Art der Gattung _Corypha_; die Palme heißt im Lande _Palma de
Sombrero_ weil man aus den Blattstielen Hüte, ähnlich unsern Strohhüten
flicht. Das Palmengehölz, wo die dürren Blätter beim geringsten Luftzug
rasseln, die auf der Ebene weidenden Kameele, das Wallen der Dünste auf
einem vom Sonnenstrahl glühenden Boden, geben der Landschaft ein
afrikanisches Gepräge. Je näher man an der Stadt und über das westliche
Ende des Sees hinaus kommt, desto dürrer wird der Boden. Es ist ein ganz
ebener, vom Wasser verlassener Thonboden. Die benachbarten Hügel, _Morros
de Valencia_ genannt, bestehen aus weißem Tuff, einer ganz neuen Bildung,
die unmittelbar auf dem Gneiß aufliegt. Sie kommt bei Victoria und an
verschiedenen andern Punkten längs der Küstengebirgskette wieder zum
Vorschein. Die weiße Farbe dieses Tuffs, von dem die Sonnenstrahlen
abprallen, trägt viel zur drückenden Hitze bei, die hier herrscht. Alles
ist wüst und öde, kaum sieht man an den Ufern des Rio de Valencia hie und
da einen Cacaostamm; sonst ist die Ebene kahl, pflanzenlos. Diese
anscheinende Unfruchtbarkeit schreibt man hier, wie überall in den Thälern
von Aragua, dem Indigobau zu, der den Boden stärker erschöpft (_cansa_)
als irgend ein Gewächs. Es ware interessant, sich nach den wahren
physischen Ursachen dieser Erscheinung umzusehen, über die man, wie ja
auch über die Wirkung der Brache und der Wechselwirthschaft, noch lange
nicht im Reinen ist. Ich beschränke mich auf die allgemeine Bemerkung, daß
man unter den Tropen desto häufiger über die zunehmende Unfruchtbarkeit
des Baulandes klagen hört, je näher man sich der Zeit der ersten
Urbarmachung befindet. In einem Erdstrich, wo fast kein Gras wächst, wo
jedes Gewächs einen holzigten Stengel hat und gleich zum Busch aufschießt,
ist der unangebrochene Boden fortwährend von hohen Bäumen oder von
Buschwerk beschattet. Unter diesen dichten Schatten erhält er sich überall
frisch und feucht. So üppig der Pflanzenwuchs unter den Tropen erscheint,
so ist doch die Zahl der in die Erde dringenden Wurzeln auf einem nicht
angebauten Boden geringer, während auf dem mit Indigo, Zuckerrohr oder
Manioc angepflanzten Lande die Gewächse weit dichter bei einander stehen.
Die Bäume und Gebüsche mit ihrer Fülle von Zweigen und Laub ziehen, ihre
Nahrung zum großen Theil aus der umgebenden Luft, und die Fruchtbarkeit
des jungfräulichen Bodens nimmt zu durch die Zersetzung des
vegetabilischen Stoffs, der sich fortwährend auf demselben aufhäuft. Ganz
anders bei den mit Indigo oder andern krautartigen Gewächsen bepflanzten
Feldern. Die Sonnenstrahlen fallen frei auf den Boden und zerstören durch
die rasche Verbrennung der Kohlenwasserstoff- und anderer oxydirbaren
Verbindungen die Keime der Fruchtbarkeit. Diese Wirkungen fallen den
Colonisten desto mehr auf, da sie in einem noch nicht lange bewohnten
Lande die Fruchtbarkeit eines seit Jahrtausenden unberührten Bodens mit
dem Ertrag der bebauten Felder vergleichen können. In Bezug auf den Ertrag
des Ackerbaus sind gegenwärtig die spanischen Colonien auf dem Festland
und die großen Inseln Portorico und Cuba gegen die kleinen Antillen
bedeutend im Vortheil; Erstere haben vermöge ihrer Größe, der
mannigfaltigen Bodenbildung und der verhältnißmäßig geringen Bevölkerung
noch ganz den Typus eines unberührten Bodens, während man auf Barbados,
Tabago, Santa Lucia, auf den Jungfraueninseln und im französischen Antheil
von St. Domingo nachgerade spürt, daß lange fortgesetzter Anbau den Boden
erschöpft. Wenn man in den Thälern von Aragua die Indigofelder, statt sie
aufzugeben und brach liegen zu lassen, nicht mit Getreide, sondern mit
andern nährenden und Futterkräutern anpflanzte, wenn man dazu vorzugsweise
Gewächse aus verschiedenen Familien nähme, und solche, die mit breiten
Blättern den Boden beschatten, so würden allmälig die Felder verbessert
und ihnen ihre frühere Fruchtbarkeit zum Theil wieder gegeben werden.

Die Stadt Nueva Valencia nimmt einen ansehnlichen Flächenraum ein; aber
die Bevölkerung ist kaum sechs- bis siebentausend Seelen stark. Die
Straßen sind sehr breit, der Markt (_plaza mayor_) ist übermäßig groß, und
da die Häuser sehr niedrig sind, ist das Mißverhältniß zwischen der
Bevölkerung und der Ausdehnung der Stadt noch auffallender als in Caracas.
Viele Weiße von europäischer Abstammung, besonders die ärmsten, ziehen aus
ihren Häusern und leben den größten Theil des Jahrs auf ihren kleinen
Indigo- oder Baumwollenpflanzungen. Dort wagen sie es mit eigenen Händen
zu arbeiten, während ihnen dieß, nach dem im Lande herrschenden
eingewurzelten Vorurtheil, in der Stadt zur Schande gereichte. Der
Gewerbfleiß fängt im allgemeinen an sich zu regen, und der Baumwollenbau
hat bedeutend zugenommen, seit dem Handel von Porto Cabello neue
Freiheiten ertheilt worden sind und dieser Hafen als Haupthafen, als
_puerto mayor_ den unmittelbar aus dem Mutterlande kommenden Schiffen
offen steht.

Nueva Valencia wurde im Jahr 1555 unter Villacindas Statthalterschaft von
Alonzo Diaz Moreno gegründet, und ist also zwölf Jahre älter als Caracas.
Wir haben schon früher bemerkt, daß in Venezuela die spanische Bevölkerung
von West nach Ost vorgerückt ist. Valencia war anfangs nur eine zu
Burburata gehörige Gemeinde, aber letztere Stadt ist jetzt nur noch ein
Platz, wo Maulthiere eingeschifft werden. Man bedauert, und vielleicht mit
Recht, daß Valencia nicht die Hauptstadt des Landes geworden ist. Ihre
Lage auf einer Ebene, am Ufer eines Sees würde an die von Mexico erinnern.
Wenn man bedenkt, wie bequem man durch die Thäler von Aragua in die Llanos
und an die Nebenflüsse des Orinoco gelangt, wenn man sich überzeugt, daß
sich durch den Rio Pao und die Portugueza eine Schifffahrtverbindung im
innern Lande bis zur Mündung des Orinoco, zum Cassiquiare und dem
Amazonenstrom herstellen ließe, so sieht man ein, daß die Hauptstadt der
ausgedehnten Provinzen von Venezuela in der Nähe des prächtigen Hafens von
Porto Cabello, unter einem reinen, heitern Himmel besser läge, als bei der
schlecht geschützten Rhede von Guayra, in einem gemäßigten, aber das ganze
Jahr nebligten Thale. So nahe beim Königreich Neu-Grenada, mitten inne
zwischen den getreidereichen Gebieten von Victoria und Barquesimeto, hätte
die Stadt Valencia gedeihen müssen; sie konnte aber nicht gegen Caracas
aufkommen, das ihr zwei Jahrhunderte lang einen bedeutenden Theil der
Einwohner entzogen hat. Die Mantuanosfamilien lebten lieber in der
Hauptstadt als in einer Provinzialstadt.

Wer nicht weiß, von welcher Unmasse von Ameisen alle Länder in der heißen
Zone heimgesucht sind, macht sich keinen Begriff von den Zerstörungen
dieser Insekten und von den Bodensenkungen, die von ihnen herrühren. Sie
sind im Boden, auf dem Valencia steht, in so ungeheurer Menge, daß die
Gänge, die sie graben, unterirdischen Kanälen gleichen, in der Regenzeit
sich mit Wasser füllen und den Gebäuden sehr gefährlich werden. Man hat
hier nicht zu den sonderbaren Mitteln gegriffen, die man zu Anfang des
sechzehnten Jahrhunderts auf St. Domingo anwendete, als Ameisenschwärme
die schönen Ebenen von la Vega und die reichen Besitzungen des Ordens des
h. Franciscus verheerten. Nachdem die Mönche vergebens die Ameisenlarven
verbrannt und es mit Räucherungen versucht hatten, gaben sie den Leuten
den Rath, einen Heiligen herauszuloosen, der als _Abagado contra los
Hormigas_ dienen sollte. Die Ehre ward dem heiligen Saturnin zu Theil, und
als man das erstemal das Fest des Heiligen beging, verschwanden die
Ameisen. Seit den Zeiten der Eroberung hat der Unglauben gewaltige
Fortschritte gemacht, und nur auf dem Rücken der Cordilleren fand ich eine
kleine Capelle, in der, der Inschrift zufolge, für die Vernichtung der
*Termiten* gebetet werden sollte.

Valencia hat einige geschichtliche Erinnerungen aufzuweisen, sie sind
aber, wie Alles, was die Colonien betrifft, nicht sehr alt und beziehen
sich entweder auf bürgerliche Zwiste oder auf blutige Gefechte mit den
Wilden. Lopez de Aguirre, dessen Frevelthaten und Abenteuer eine der
dramatischsten Episoden in der Geschichte der Eroberung bilden, zog im
Jahr 1561 aus Peru über den Amazonenstrom auf die Insel Margarita und von
dort über den Hafen von Burburata in die Thaler von Aragua. Als er in
Valencia eingezogen, die stolz den Namen einer *königlichen Stadt*, _Villa
de el Rey_, führt, verkündigte er die Unabhängigkeit des Landes und die
Absetzung Philipps II. Die Einwohner flüchteten sich auf die Inseln im See
und nahmen zu größerer Sicherheit alle Boote am Ufer mit. In Folge dieser
Kriegslist konnte Aguirre seine Grausamkeiten nur an seinen eigenen Leuten
verüben. In Valencia schrieb er den berüchtigten Brief an den König von
Spanien, der ein entsetzlich wahres Bild von den Sitten des Kriegsvolks im
sechzehnten Jahrhundert gibt. Der Tyrann (so heißt Aguirre beim Volk noch
jetzt) prahlt unter einander mit seinen Schandthaten und mit seiner
Frömmigkeit; er ertheilt dem Könige Rathschläge hinsichtlich der Regierung
der Colonien und der Einrichtung der Missionen. Mitten unter wilden
Indianern, auf der Fahrt auf einem großen Süßwassermeer, wie er den
Amazonenstrom nennt, »fühlt er große Besorgniß ob der Ketzereien Martin
Luthers und der wachsenden Macht der Abtrünnigen in Europa.« Lopez de
Aguirre wurde, nachdem die Seinigen von ihm abgefallen, in Barquesimeto
erschlagen. Als es mit ihm zu Ende ging, stieß er seiner einzigen Tochter
den Dolch in die Brust, »um ihr die Schande zu ersparen, bei den Spaniern
die Tochter eines Verräthers zu heißen.« »Die Seele des Tyrannen« -- so
glauben die Eingeborenen -- geht in den Savanen um in Gestalt einer
Flamme, die entweicht, wenn ein Mensch auf sie zugeht.

Das zweite geschichtliche Ereigniß, das sich an Valencia knüpft, ist der
Einfall der Caraiben vom Orinoco her in den Jahren 1578 und 1580. Diese
Horde von Menschenfressern zog am Guarico herauf und über die Llanos
herüber. Sie wurde vom tapfern Garci-Gonzalez, einem der Capitäne, deren
Namen noch jetzt in diesen Provinzen in hohen Ehren steht, glücklich
zurückgeschlagen. Mit Befriedigung denkt man daran, daß die Nachkommen
derselben Caraiben jetzt als friedliche Ackerbauer in den Missionen leben,
und daß kein wilder Volksstamm in Guyana es mehr wagt, über die Ebenen
zwischen der Waldregion und dem angebauten Lande herüberzukommen.

Die Küstencordillere ist von mehreren Schluchten durchschnitten, die
durchgängig von Südost nach Nordwest streichen. Dieß wiederholt sich von
der Quebrada de Tocume zwischen Petarez und Caracas bis Porto Cabello. Es
ist als wäre aller Orten der Stoß von Südost gekommen, und die Erscheinung
ist um so auffallender, da die Gneiß- und Glimmerschieferschichten in der
Küstencordillere meist von Südwest nach Nordost streichen. Die meisten
dieser Schluchten schneiden in den Südabhang der Berge ein, gehen aber
nicht ganz durch; nur im Meridian von Nueva Valencia befindet sich eine
Oeffnung (_Abra_), durch die man zur Küste hinunter gelangt und durch die
jeden Abend ein sehr erfrischender Seewind in die Thäler von Aragua
heraufkommt. Der Wind stellt sich regelmäßig zwei bis drei Stunden nach
Sonnenuntergang ein.

Durch diese *Abra*, über den Hof Barbula und durch einen östlichen Zweig
der Schlucht baut man eine neue Straße von Valencia nach Porto Cabello.
Sie wird so kurz, daß man nur vier Stunden in den Hafen braucht und man in
Einem Tage vom Hafen in die Thäler von Aragua und wieder zurück kann. Um
diesen Weg kennen zu lernen, gingen wir am sechs und zwanzigsten Februar
Abends nach dem Hofe Barbula, in Gesellschaft der Eigenthümer, der
liebenswürdigen Familie Arambary.

Am sieben und zwanzigsten Morgens besuchten wir die heißen Quellen bei der
Trinchera, drei Meilen von Valencia. Die Schlucht ist sehr breit und es
geht vom Ufer des Sees bis zur Küste fast beständig abwärts. Trinchera
heißt der Ort nach den kleinen Erdwerken, welche französische Flibustiers
angelegt, als sie im Jahre 1677 die Stadt Valencia plünderten. Die heißen
Quellen, und dieß ist geologisch nicht uninteressant, entspringen nicht
südlich von den Bergen, wie die von Mariara, Onoto und am Brigantin; sie
kommen vielmehr in der Bergkette selbst, fast am Nordabhang, zu Tag. Sie
sind weit stärker als alle, die wir bisher gesehen, und bilden einen Bach,
der in der trockensten Jahreszeit zwei Fuß tief und achtzehn breit ist.
Die Temperatur des Wassers war, sehr genau gemessen, 90°,3. Nach den
Quellen von Urijino in Japan, die reines Wasser seyn und eine Temperatur
von 100° haben sollen, scheint das Wasser von la Trinchera de Porto
Cabello das heißeste, das man überhaupt kennt. Wir frühstückten bei der
Quelle. Eier waren im heißen Wasser in weniger als vier Minuten gar. Das
stark schwefelwasserstoffhaltige Wasser entspringt auf dem Gipfel eines
Hügels, der sich 150 Fuß über die Sohle der Schlucht erhebt und von
Süd-Süd-Ost nach Nord-Nord-West streicht. Das Gestein, aus dem die Quelle
kommt, ist ein ächter grobkörniger Granit, ähnlich dem der Teufelsmauer in
den Bergen von Mariara. Ueberall wo das Wasser an der Luft verdunstet,
bildet es Niederschläge und Incrustationen von kohlensaurem Kalk. Es geht
vielleicht durch Schichten von Urkalk, der im Glimmerschiefer und Gneiß an
der Küste von Caracas so häufig vorkommt. Die Ueppigkeit der Vegetation um
das Becken überraschte uns. Mimosen mit zartem, gefiedertem Laub, Clusien
und Feigenbäume haben ihre Wurzeln in den Boden eines Wasserstücks
getrieben, dessen Temperatur 85° betrug. Ihre Aeste stehen nur zwei, drei
Zoll über dem Wasserspiegel. Obgleich das Laub der Mimosen beständig vom
heißen Wasserdampf befeuchtet wird, ist es doch sehr schön grün. Ein Arum
mit holzigtem Stengel und pfeilförmigen Blättern wuchs sogar mitten in
einer Lache von 70° Temperatur. Dieselben Pflanzenarten kommen anderswo in
diesem Gebirge an Bächen vor, in denen der Thermometer nicht auf 18°
steigt. Noch mehr, vierzig Fuß von der Stelle, wo die 90° heißen Quellen
entspringen, finden sich auch ganz kalte. Beide Gewässer laufen eine
Strecke weit neben einander fort, und die Eingebornen zeigten uns, wie man
sich, wenn man zwischen beiden Bächen ein Loch in den Boden gräbt, ein Bad
von beliebiger Temperatur verschaffen kann. Es ist auffallend, wie in den
heißesten und in den kältesten Erdstrichen der gemeine Mann gleich sehr
die Wärme liebt. Bei der Einführung des Christenthums in Island wollte
sich das Volk nur in den warmen Quellen am Hella taufen lassen, und in der
heißen Zone, im Tiefland und auf den Cordilleren, laufen die Eingeborenen
von allen Seiten den warmen Quellen zu. Die Kranken, die nach Trinchera
kommen, um Dampfbäder zu brauchen, errichten über der Quelle eine Art
Gitterwerk aus Baumzweigen und ganz dünnem Rohr. Sie legen sich nackt auf
dieses Gitter, das, wie mir schien, nichts weniger als fest und nicht ohne
Gefahr zu besteigen ist. Der _Rio de aguas calientes_ läuft nach Nordost
und wird in der Nahe der Küste zu einem ziemlich ansehnlichen Fluß, in dem
große Krokodile leben, und der durch sein Austreten den Uferstrich
ungesund machen hilft.

Wir gingen immer rechts am warmen Wasser nach Porto Cabello hinunter. Der
Weg ist ungemein malerisch. Das Wasser stürzt über die Felsbänke nieder,
und es ist als hätte man die Fülle der Neuß vom Gotthard herab vor sich;
aber welch ein Contrast, was die Kraft und Ueppigkeit des Pflanzenwuchses
betrifft! Zwischen blühenden Gesträuchen, aus Bignonien und Melastomen
erheben sich majestätisch die weißen Stämme der Cecropia. Sie gehen erst
aus, wenn man nur noch in 100 Toisen Meereshöhe ist. Bis hieher reicht
auch eine kleine stachligte Palme, deren zarte, gefiederte Blätter an den
Rändern wie gekräuselt erscheinen. Sie ist in diesem Gebirge sehr häufig;
da wir aber weder Blüthe noch Frucht gesehen haben, wissen wir nicht, ob
es die *Piritupalme* der Caraiben oder Jacquins _Cocos aculeata_ ist.

Je näher wir der Küste kamen, desto drückender wurde die Hitze. Ein
röthlicher Dunst umzog den Horizont; die Sonne war am Untergehen, aber der
Seewind wehte noch nicht. Wir ruhten in den einzeln stehenden Höfen aus,
die unter dem Namen *Cambury* und *Haus des Canariers* (_Casa del
Isleñgo_) bekannt sind. Der _Rio de aguas calientes_, an dem wir hinzogen,
wurde immer tiefer. Am Ufer lag ein todtes Krokodil; es war über neun Fuß
lang. Wir hätten gerne seine Zähne und seine Mundhöhle untersucht; aber es
lag schon mehrere Wochen in der Sonne und stank so furchtbar, daß wir
dieses Vorhaben aufgeben und wieder zu Pferde steigen mußten. Ist man im
Niveau des Meeres angelangt, so wendet sich der Weg ostwärts und läuft
über einen dürren anderthalb Meilen breiten Strand, ähnlich dem bei
Cumana. Man sieht hin und wieder eine Fackeldistel, ein Sesuvium, ein paar
Stämme _Coccoloba uvifera_ und längs der Küste wachsen Avicennien und
Wurzelträger. Wir wateten durch den Guayguazo und den Rio Estevan, die, da
sie sehr oft austreten, große Lachen stehenden Wassers bilden. Auf dieser
weiten Ebene erheben sich wie Klippen kleine Felsen aus Mäandriten,
Madreporiten und andern Corallen. Man könnte in denselben einen Beweis
sehen, daß sich die See noch nicht sehr lange von hier zurückgezogen; aber
diese Massen von Polypengehäusen sind nur Bruchstücke, in eine Breccie mit
kalkigtem Bindemittel eingebacken. Ich sage in eine Breecie, denn man darf
die weißen frischen Coralliten dieser sehr jungen Formation an der Küste
nicht mit den Coralliten verwechseln, die im Uebergangsgebirge, in der
Grauwacke und im schwarzen Kalkstein eingeschlossen vorkommen. Wir
wunderten uns nicht wenig, daß wir an diesem völlig unbewohnten Ort einen
starken, in voller Blüthe stehenden Stamm der _Parkinsonia aculeata_
antrafen. Nach unsern botanischen Werken gehört der Baum der neuen Welt
an; aber in fünf Jahren haben wir ihn nur zweimal wild gesehen, hier auf
der Ebene am Rio Guayguaza und in den Llanos von Cumana, dreißig Meilen
von der Küste, bei Villa del Pao; Letzterer Ort konnte noch dazu leicht
ein alter *Conuco* oder eingehegtes Baufeld seyn. Sonst überall auf dem
Festland von Amerika sahen wir die Parkinsonia, wie die Plumeria, nur in
den Gärten der Indianer.

Ich kam zu rechter Zeit nach Porto Cabello, um einige Höhen des Canopus
nahe am Meridian aufnehmen zu können; aber diese Beobachtungen, wie die am
acht und zwanzigsten Februar aufgenommenen correspondirenden Sonnenhöhen,
sind nicht sehr zuverläßig. Ich bemerkte zu spät, daß sich das
Diopterlineal eines Troughtonschen Sextanten ein wenig verschoben hatte.
Es war ein Dosensextant von zwei Zoll Halbmesser, dessen Gebrauch übrigens
den Reisenden sehr zu empfehlen ist. Ich brauchte denselben sonst meist
nur zu geodätischen Ausnahmen im Canoe auf Flüssen. In Porto Cabello wie
in Guayra streitet man darüber, ob der Hafen ostwärts oder westwärts von
der Stadt liegt, mit der derselbe den stärksten Verkehr hat. Die Einwohner
glauben, Porto Cabello liege Nord-Nord-West von Nueva Valencia. Aus meinen
Beobachtungen ergibt sich allerdings für jenen Ort eine Länge von 3--4
Minuten im Bogen weiter nach West. Nach Fidalgo läge er ostwärts.

Wir wurden im Hause eines französischen Arztes, Juliac, der sich in
Montpellier tüchtig gebildet hatte, mit größter Zuvorkommenheit
aufgenommen. In seinem kleinen Hause befanden sich Sammlungen mancherlei
Art, die aber alle den Reisenden interessiren konnten:
schönwissenschaftliche und naturgeschichtliche Bücher, meteorologische
Notizen, Bälge von Jaguars und großen Wasserschlangen, lebendige Thiere,
Affen, Gürtelthiere, Vögel. Unser Hausherr war Oberwundarzt am königlichen
Hospital in Porto Cabello, und im Lande wegen seiner tiefeingehenden
Beobachtungen über das gelbe Fieber Vortheilhaft bekannt. Er hatte in
sieben Jahren 600--800 von dieser schrecklichen Krankheit Befallene in das
Spital aufnehmen sehen; er war Zeuge der Verheerungen, welche die Seuche
im Jahr 1793 auf der Flotte des Admirals Ariztizabal angerichtet. Die
Flotte verlor fast ein Dritttheil ihrer Bemannung, weil die Matrosen fast
sämmtlich nicht acclimatisirte Europäer waren und frei mit dem Lande
verkehrten. Juliac hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inseln
gebräuchlich ist, die Kranken mit Blutlassen, gelinde abführenden Mitteln
und säuerlichen Getränken behandelt. Bei diesem Verfahren denkt man nicht
daran die Kräfte durch Reizmittel zu heben; man will beruhigen und
steigert nur die Schwäche und Entkräftung. In den Spitälern, wo die
Kranken dicht beisammen lagen, starben damals von den weißen Creolen 33
Procent, von den frisch angekommenen Europäern 63 Procent. Seit man das
alte herabstimmende Verfahren aufgegeben hatte und Reizmittel anwendete,
Opium, Benzoe, weingeistige Getränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend
abgenommen. Man glaubte, sie betrage nunmehr nur 20 Procent bei Europäern
und 10 bei Creolen, selbst dann, wenn sich schwarzes Erbrechen und
Blutungen aus der Nase, den Ohren und dem Zahnfleisch einstellen und so
die Krankheit in hohem Grade bösartig erscheint. Ich berichte genau, was
mir damals als allgemeines Ergebniß der Beobachtungen mitgetheilt wurde;
man darf aber, denke ich, bei solchen Zahlenzusammenstellungen nicht
vergessen, daß, trotz der scheinbaren Uebereinstimmung, die Epidemien
mehrerer auf einander folgenden Jahre von einander abweichen, und daß man
bei der Wahl zwischen stärkenden und herabstimmenden Mitteln (wenn je ein
absoluter Unterschied zwischen beiden besteht) die verschiedenen Stadien
der Krankheit zu unterscheiden hat.

Die Hitze ist in Porto Cabello nicht so stark als in Guayra. Der Seewind
ist stärker, häufiger, regelmäßiger; auch lehnen sich die Häuser nicht an
Felsen, die bei Tag die Sonnenstrahlen absorbiren und bei Nacht die Wärme
wieder von sich geben. Die Luft kann zwischen der Küste und den Bergen von
Ilaria freier circuliren. Der Grund der Ungesundheit der Luft ist im
Strande zu suchen, der sich westwärts, so weit das Auge reicht, gegen die
_Punta de Tucacos_ beim schönen Hafen von Chichiribiche fortzieht. Dort
befinden sich die Salzwerke und dort herrschen bei Eintritt der Regenzeit
die dreitägigen Wechselfieber, die leicht in atactische Fieber übergehen.
Man hat die interessante Bemerkung gemacht, daß die Mestizen, die in den
Salzwerken arbeiten, dunkelfarbiger sind und eine gelbere Haut bekommen,
wenn sie mehrere Jahre hinter einander an diesen Fiebern gelitten haben,
welche die *Küstenkrankheit* heißen. Die Bewohner dieses Strandes, arme
Fischer, behaupten, nicht daher, daß das Seewasser das Land überschwemme
und wieder abfließe, sey der mit Wurzelträgern bewachsene Boden so
ungesund, das Verderbniß der Luft rühre vielmehr vom süßen Wasser her, von
den Ueberschwemmungen des Rio Guayguaza und des Rio Estevan, die in den
Monaten October und November so plötzlich und so stark austreten. Die Ufer
des Rio Estevan sind bewohnbarer geworden, seit man daselbst kleine Mais-
und Pisangpflanzungen angelegt und durch Erhöhung und Befestigung des
Bodens dem Fluß ein engeres Bett angewiesen hat. Man geht damit um, dem
Estevan eine andere Mündung zu graben und dadurch die Umgegend von Porto
Cabello gesünder zu machen. Ein Kanal soll das Wasser an den Küstenstrich
leiten, der der Insel Guayguaza gegenüberliegt.

Die Salzwerke von Porto Cabello gleichen so ziemlich denen auf der
Halbinsel Araya bei Cumana. Indessen ist die Erde, die man auslaugt, indem
man das Regenwasser in kleinen Becken sammelt, nicht so salzhaltig. Man
fragt hier wie in Cumana, ob der Boden mit Salztheilchen geschwängert sey,
weil er seit Jahrhunderten zeitweise unter Meerwasser gestanden, das an
der Sonne verdunstet, oder ob das Salz im Boden enthalten sey wie in einem
sehr armen Steinsalzwerk. Ich hatte nicht Zeit, den Strand hier so genau
zu untersuchen wie die Halbinsel Araya; läuft übrigens der Streit nicht
auf die höchst einfache Frage hinaus, ob das Salz von neuen oder aber von
uralten Ueberschwemmungen herrührt? Da die Arbeit in den Salzwerken von
Porto Cabello sehr ungesund ist, geben sich nur die ärmsten Leute dazu
her. Sie bringen das Salz an Ort und Stelle in kleine Magazine und
verkaufen es dann in den Niederlagen in der Stadt.

Während unseres Aufenthaltes in Porto Cabello lief die Strömung an der
Küste, die sonst gewöhnlich nach West geht, von West nach Ost. Diese
*Strömung nach oben* (_corriente por arriba_), von der bereits die Rede
war, kommt zwei bis drei Monate im Jahr, vom September bis November,
häufig vor. Man glaubt, sie trete ein, wenn zwischen Jamaica und dem Cap
San Antonio auf Cuba Nord-Westwinde geweht haben.

Die militärische Vertheidigung der Küsten von Terra Firma stützt sich auf
sechs Punkte, das Schloß San Antonio bei Cumana, den Morro bei Nueva
Barcelona, die Werke (mit 134 Geschützen) bei Guayra, Porto Cabello, das
Fort San Carlos an der Ausmündung des Sees Maracaybo, und Carthagena. Nach
Carthagena ist Porto Cabello der wichtigste feste Platz; die Stadt ist
ganz neu und der Hafen einer der schönsten in beiden Welten. Die Lage ist
so günstig, daß die Kunst fast nichts hinzuzuthun hatte. Eine Erdzunge
läuft Anfangs gegen Nord und dann nach West. Die westliche Spitze
derselben liegt einer Reihe von Inseln gegenüber, die durch Brücken
verbunden und so nahe bei einander sind, daß man sie für eine zweite
Landzunge halten kann. Diese Inseln bestehen sämmtlich aus Kalkbreccien
von sehr neuer Bildung, ähnlich der an der Küste von Cumana und am Schloß
Araya. Es ist ein Conglomerat von Madreporen und andern
Corallenbruchstücken, die durch ein kalkigtes Bindemittel und Sandkörner
verkittet sind. Wir hatten dasselbe Conglomerat bereits am Rio Guayguaza
gesehen. In Folge der eigenthümlichen Bildung des Landes stellt sich der
Hafen als ein Becken oder als eine innere Lagune dar, an deren südlichem
Ende eine Menge mit Manglebäumen bewachsener Eilande liegen. Daß der
Hafeneingang gegen West liegt, trägt viel zur Ruhe des Wassers bei. Es
kann nur Ein Fahrzeug auf einmal einlaufen, aber die größten Linienschiffe
können dicht am Lande ankern, um Wasser einzunehmen. Die einzige Gefahr
beim Einlaufen bieten die Riffe bei Punta Brava, denen gegenüber eine
Batterie von acht Geschützen steht. Gegen West und Südwest erblickt man
das Fort, ein regelmäßiges Fünfeck mit fünf Bastionen, die Batterie beim
Riff und die Werke um die alte Stadt, welche auf einer Insel liegt, die
ein verschobenes Viereck bildet. Ueber eine Brücke und das befestigte Thor
der Estacada gelangt man aus der alten Stadt in die neue, welche bereits
größer ist als jene, aber dennoch nur als Vorstadt gilt. Zu hinterst läuft
das Hafenbecken oder die Lagune um diese Vorstadt herum gegen Südwest, und
hier ist der Boden sumpfigt, voll stehenden, stinkenden Wassers. Die Stadt
hat gegenwärtig gegen 9000 Einwohner. Sie verdankt ihre Entstehung dem
Schleichhandel, der sich hier einnistete, weil die im Jahr 1549 gegründete
Stadt Burburata in der Nähe lag. Erst unter dem Regiment der Biscayer und
der Compagnie von Guipuzcoa wurde Porto Cabello, das bis dahin ein Weiler
gewesen, eine wohlbefestigte Stadt. Von Guayra, das nicht sowohl ein Hafen
als eine schlechte offene Rhede ist, bringt man die Schiffe nach Porto
Cabello, um sie ausbessern und kalfatern zu lassen.

Der Hafen wird vorzugsweise durch die tief gelegenen Batterien auf der
Landzunge Punta Brava und auf dem Riff vertheidigt, und diese Wahrheit
wurde verkannt, als man auf den Bergen, welche die Vorstadt gegen Süd
beherrschen, mit großen Kosten ein neues Fort, den Mirador (Belvedere) de
Solano baute. Dieses Werk, eine Viertelstunde vom Hafen, liegt 400--500
Fuß über dem Meer. Die Baukosten betrugen jährlich und viele Jahre lang
20--30,000 Piaster. Der Generalcapitän von Caracas, Guevara Vasconzelos,
war mit den besten spanischen Ingenieurs der Ansicht, der Mirador, auf dem
zu meiner Zeit erst sechzehn Geschütze standen, sey für die Vertheidigung
des Platzes nur von geringer Bedeutung, und ließ den Bau einstellen. Eine
lange Erfahrung hat bewiesen, daß sehr hoch gelegene Batterien, wenn auch
sehr schwere Stücke darin stehen, die Rhede lange nicht so wirksam
bestreichen, als tief am Strand oder auf Dämmen halb im Wasser liegende
Batterien mit Geschützen von geringerem Kaliber. Wir fanden den Platz
Porto Cabello in einem keineswegs befriedigenden Vertheidigungszustand.
Die Werke am Hafen und der Stadtwall mit etwa sechzig Geschützen erfordern
eine Besatzung von 1800 bis 2000 Mann, und es waren nicht 600 da. Es war
auch eine königliche Fregatte, die an der Einfahrt des Hafens vor Anker
lag, bei Nacht von den Kanonierschaluppen eines englischen Kriegsschiffe
angegriffen und weggenommen worden. Die Blokade begünstigte vielmehr den
Schleichhandel, als daß sie ihn hinderte, und man sah deutlich, daß in
Porto Cabello die Bevölkerung in der Zunahme, der Gewerbfleiß im
Aufschwung begriffen waren. Am stärksten ist der gesetzwidrige Verkehr mit
den Inseln Curacao und Jamaica. Man führt über 10,000 Maulthiere jährlich
aus. Es ist nicht uninteressant, die Thiere einschiffen zu sehen. Man
wirft sie mit der Schlinge nieder und zieht sie an Bord mittelst einer
Vorrichtung gleich einem Krahn. Aus dem Schiffe stehen sie in zwei Reihen
und können sich beim Schlingern und Stampfen kaum auf den Beinen halten.
Um sie zu schrecken und fügsamer zu machen, wird fast fortwährend Tag und
Nacht die Trommel gerührt. Man kann sich denken, wie sanft ein Passagier
ruht, der den Muth hat, sich auf einer solchen mit Maulthieren beladenen
Goelette nach Jamaica einzuschiffen.

Wir verließen Porto Cabello am ersten Merz mit Sonnenaufgang. Mit
Verwunderung sahen wir die Masse von Kähnen, welche Früchte zu Markt
brachten. Es mahnte mich an einen schönen Morgen in Venedig. Vom Meere aus
gesehen, liegt die Stadt im Ganzen freundlich und angenehm da. Dicht
bewachsene Berge, über denen Gipfel aufsteigen, die man nach ihren
Umrissen der Trappformation zuschreiben könnte, bilden den Hintergrund der
Landschaft. In der Nähe der Küste ist alles nackt, weiß, stark beleuchtet,
die Bergwand dagegen mit dicht belaubten Bäumen bedeckt, die ihre
gewaltigen Schatten über braunes steinigtes Erdreich werfen. Vor der Stadt
besahen wir die eben fertig gewordene Wasserleitung. Sie ist 5000 Varas
lang und führt in einer Rinne das Wasser des Rio Estevan in die Stadt.
Dieses Werk hat 30,000 Piaster gekostet, das Wasser springt aber auch in
allen Straßen.

Wir gingen von Porto Cabello in die Thäler von Aragua zurück und hielten
wieder auf der Pflanzung Barbula an, über welche die neue Straße nach
Valencia geführt wird. Wir hatten schon seit mehreren Wochen von einem
Baume sprechen hören, dessen Saft eine nährende Milch ist. Man nennt ihn
den *Kuhbaum* und man versicherte uns, die Neger auf dem Hofe trinken viel
von dieser vegetabilischen Milch und halten sie für ein gesundes
Nahrungsmittel. Da alle milchigten Pflanzensäfte scharf, bitter und mehr
oder weniger giftig sind, so schien uns diese Behauptung sehr sonderbar;
aber die Erfahrung lehrte uns während unseres Aufenthalts in Barbula, daß,
was man uns von den Eigenschaften des _Palo de __ Vaca_ erzählt hatte,
nicht übertrieben war. Der schöne Baum hat den Habitus des _Chrysophyllum
cainito_ oder Sternapfelbaums; die länglichten, zugespitzten,
lederartigen, abwechselnden Blätter haben unten vorspringende, parallele
Seitenrippen und werden zehn Zoll lang. Die Blüthe bekamen wir nicht zu
sehen; die Frucht hat wenig Fleisch und enthält eine, bisweilen zwei
Nüsse. Macht man Einschnitte in den Stamm des Kuhbaums, so fließt sehr
reichlich eine klebrigte, ziemlich dicke Milch aus, die durchaus nichts
Scharfes hat und sehr angenehm wie Balsam riecht. Man reichte uns welche
in den Früchten des Tutumo oder Flaschenbaums. Wir tranken Abends vor
Schlafengehen und früh Morgens viel davon, ohne irgend eine nachtheilige
Wirkung. Nur die Klebrigkeit macht diese Milch etwas unangenehm. Die Neger
und die Freien, die auf den Pflanzungen arbeiten, tunken sie mit Mais- und
Maniocbrod, *Arepa* und *Cassave*, aus. Der Verwalter des Hofs versicherte
uns, die Neger legen in der Zeit, wo der Palo de Vaca ihnen am meisten
Milch gibt, sichtbar zu. Bei freiem Zutritt der Luft zieht der Saft an der
Oberfläche, vielleicht durch Absorption des Sauerstoffs der Luft, Häute
einer stark animalisirten, gelblichen, faserigen, dem Käsestoff ähnlichen
Substanz. Nimmt man diese Häute von der übrigen wässerigen Flüssigkeit ab,
so zeigen sie sich elastisch wie Cautschuc, in der Folge aber faulen sie
unter denselben Erscheinungen wie die Gallerte. Das Volk nennt den
Klumpen, der sich an der Luft absetzt, *Käse*; der Klumpen wird nach fünf,
sechs Tagen sauer, wie ich an den kleinen Stücken bemerkte, die ich nach
Nueva Valencia mitgebracht. In einer verschlossenen Flasche setzte sich in
der Milch etwas Gerinsel zu Boden, und sie wurde keineswegs übelriechend,
sondern behielt ihren Balsamgeruch. Mit kaltem Wasser vermischt gerann der
frische Saft nur sehr wenig, aber die klebrigten Häute setzten sich ab,
sobald ich denselben mit Salpetersäure in Berührung brachte. Wir schickten
Fourcroys in Paris zwei Flaschen dieser Milch. In der einen war sie im
natürlichen Zustand, in der andern mit einer gewissen Menge kohlensauren
Natrons versetzt. Der französische Consul auf der Insel St. Thomas
übernahm die Beförderung.

Dieser merkwürdige Baum scheint der Küstencordillere, besonders von
Barbula bis zum See Maracaybo, eigenthümlich. Beim Dorf San Mateo und nach
Bredemayer, dessen Reisen die schönen Gewächshäuser von Schönbrunn und
Wien so sehr bereichert haben, im Thal von Caucagua, drei Meilen von
Caracas, stehen auch einige Stämme. Dieser Naturforscher fand, wie wir,
die vegetabilische Milch des _Palo de Vaca_ angenehm von Geschmack und von
aromatischem Geruch. In Caucagua nennen die Eingeborenen den Baum, der den
nährenden Saft gibt, *Milchbaum, *_Arbol del leche_. Sie wollen an der
Dicke und Farbe des Laubs die Bäume erkennen, die am meisten Saft geben,
wie der Hirte nach äußern Merkmalen eine gute Milchkuh herausfindet. Kein
Botaniker kannte bis jetzt dieses Gewächs, dessen Fructificationsorgane
man sich leicht wird verschaffen können. Nach Kunth scheint der Baum zu
der Familie der Sapoteen zu gehören. Erst lange nach meiner Rückkehr nach
Europa fand ich in des Holländers Laet Beschreibung von Westindien eine
Stelle, die sich auf den Kuhbaum zu beziehen scheint. »In der Provinz
Cumana,« sagt Laet, gibt es Bäume, deren Saft geronnener Milch gleicht und
ein *gesundes Nahrungsmittel* abgibt.«

Ich gestehe, von den vielen merkwürdigen Erscheinungen, die mir im Verlauf
meiner Reise zu Gesicht gekommen, haben wenige auf meine Einbildungskraft
einen stärkeren Eindruck gemacht als der Anblick des Kuhbaums. Alles was
sich auf die Milch oder auf die Getreidearten bezieht, hat ein Interesse
für uns, das sich nicht auf die physikalische Kenntniß der Gegenstände
beschränkt, sondern einem andern Kreise von Vorstellungen und Empfindungen
angehört. Wir vermögen uns kaum vorzustellen, wie das Menschengeschlecht
bestehen könnte ohne mehligte Stoffe, ohne den nährenden Saft in der
Mutterbrust, der auf den langen Schwächezustand des Kindes berechnet ist.
Das Stärkmehl des Getreides, das bei so vielen alten und neueren Völkern
ein Gegenstand religiöser Verehrung ist, kommt in den Samen und den
Wurzeln der Gewächse vor; die nährende Milch dagegen erscheint uns als ein
ausschließliches Produkt der thierischen Organisation. Diesen Eindruck
erhalten wir von Kindheit auf, und daher denn auch das Erstaunen, womit
wir den eben beschriebenen Baum betrachten. Was uns hier so gewaltig
ergreift, sind nicht prachtvolle Wälderschatten, majestätisch
dahinziehende Ströme, von ewigem Eis starrende Gebirge: ein paar Tropfen
Pflanzensaft führen uns die ganze Macht und Fülle der Natur vor das innere
Auge. An der kahlen Felswand wächst ein Baum mit trockenen, lederartigen
Blättern; seine dicken holzigten Wurzeln dringen kaum in das Gestein.
Mehrere Monate im Jahr netzt kein Regen sein Laub; die Zweige scheinen
vertrocknet, abgestorben; bohrt man aber den Stamm an, so fließt eine
süße, nahrhafte Milch heraus. Bei Sonnenaufgang strömt die vegetabilische
Quelle am reichlichsten; dann kommen von allen Seiten die Schwarzen und
die Eingeborenen mit großen Näpfen herbei und fangen die Milch auf, die
sofort an der Oberfläche gelb und dick wird. Die einen trinken die Näpfe
unter dem Baum selbst aus, andere bringen sie ihren Kindern. Es ist, als
sähe man einen Hirten, der die Milch seiner Heerde unter die Seinigen
vertheilt.

Ich habe den Eindruck geschildert, den der Kuhbaum auf die
Einbildungskraft des Reisenden macht, wenn er ihn zum erstenmale sieht.
Die wissenschaftliche Untersuchung zeigt, daß die physischen Eigenschaften
der thierischen und der vegetabilischen Stoffe im engsten Zusammenhang
stehen; aber sie benimmt dem Gegenstand, der uns in Erstaunen setzte, den
Anstrich des Wunderbaren, sie entkleidet ihn wohl auch zum Theil seines
Reizes. Nichts steht für sich allein da; chemische Grundstoffe, die, wie
man glaubte, nur den Thieren zukommen, finden sich in den Gewächsen
gleichfalls. Ein gemeinsames Band umschlingt die ganze organische Natur.

Lange bevor die Chemie im Blüthenstaub, im Eiweiß der Blätter und im
weißlichen Anflug unserer Pflaumen und Trauben kleine Wachstheilchen
entdeckte, verfertigten die Bewohner der Anden von Quindiu Kerzen aus der
dicken Wachsschicht, welche den Stamm einer Palme überzieht [_Ceroxylon
andicola_]. Vor wenigen Jahren wurde in Europa das _Caseum_, der
Grundstoff des Käses, in der Mandelmilch entdeckt; aber seit Jahrhunderten
gilt in den Gebirgen an der Küste von Venezuela die Milch eines Baumes und
der Käse, der sich in dieser vegetabilischen Milch absondert, für ein
gesundes Nahrungsmittel. Woher rührt dieser seltsame Gang in der
Entwicklung unserer Kenntnisse? Wie konnte das Volk in der einen Halbkugel
auf etwas kommen, was in der andern dem Scharfblick der Scheidekünstler,
die doch gewöhnt sind die Natur zu befragen und sie auf ihrem
geheimnißvollen Gang zu belauschen, so lange entgangen ist? Daher, daß
einige wenige Elemente und verschiedenartig zusammengesetzte Grundstoffe
in mehreren Pflanzenfamilien vorkommen; daher, daß die Gattungen und Arten
dieser natürlichen Familien nicht über die tropischen und die kalten und
gemäßigten Himmelsstriche gleich vertheilt sind; daher, daß Völker, die
fast ganz von Pflanzenstoffen leben, vom Bedürfniß getrieben, mehligte
nährende Stoffe überall finden, wo sie nur die Natur im Pflanzensaft, in
Rinden, Wurzeln oder Früchten niedergelegt hat. Das Stärkmehl, das sich am
reinsten in den Getreidekörnern findet, ist in den Wurzeln der Arumarten,
der _Tacca pinnatifida_ und der _Jatropha Manihot_ mit einem scharfen,
zuweilen selbst giftigen Saft verbunden. Der amerikanische Wilde, wie der
auf den Inseln der Südsee, hat das Satzmehl durch Auspressen und Trennen
vom Safte *aussüßen* gelernt. In der Pflanzenmilch und den milchigten
Emulsionen sind äußerst nahrhafte Stoffe, Eiweiß, Käsestoff und Zucker mit
Cautschuc und ätzenden schädlichen Materien, wie Morphium und Blausäure,
verbunden. Dergleichen Mischungen sind nicht nur nach den Familien,
sondern sogar bei den Arten derselben Gattung verschieden. Bald ist es das
Morphium oder der narkotische Grundstoff, was der Pflanzenmilch ihre
vorwiegende Eigenschaft gibt, wie bei manchen Mohnarten, bald das
Cautschuc, wie bei der _Hevea_ und _Castilloa_ bald Eiweiß und Käsestoff,
wie beim Melonenbaum und Kuhbaum.

Die milchigten Gewächse gehören vorzugsweise den drei Familien der
Euphorbien, der Urticeen und der Apocyneen an, und da ein Blick auf die
Vertheilung der Pflanzenbildungen über den Erdball zeigt, daß diese drei
Familien(61) in den Niederungen der Tropenländer durch die zahlreichsten
Arten vertreten sind, so müssen wir daraus schließen, daß eine sehr hohe
Temperatur zur Bildung von Cautschuc, Eiweiß und Käsestoff beiträgt. Der
Saft des Palo de Vaca ist ohne Zweifel das auffallendste Beispiel, daß
nicht immer ein scharfer, schädlicher Stoff mit dem Eiweiß, dem Käsestoff
und dem Cautschuc verbunden ist; indessen kannte man in den Gattungen
Euphorbia und Asclepias, die sonst durch ihre ätzenden Eigenschaften
bekannt sind, Arten, die einen milden, unschädlichen Saft haben. Hieher
gehört der _Tubayba dulce_ der canarischen Inseln, von dem schon oben die
Rede war [_Euphorbia balsamifera_], und _Asclepias lactifera_ auf Ceylan.
Wie Burman erzählt, bedient man sich dort, in Ermanglung der Kuhmilch, der
Milch der so letztgenannten Pflanze und kocht mit den Blättern derselben
die Speisen, die man sonst mit thierischer Milch zubereitet. Es ist zu
erwarten, daß ein Reisender, dem die gründlichsten Kenntnisse in der
Chemie zu Gebot stehen, John Davy, bei seinem Aufenthalt auf Ceylan diesen
Punkt ins Reine bringen wird; denn, wie Decandolle richtig bemerkt, es
wäre möglich, daß die Eingeborenen nur den Saft der jungen Pflanze
benützten, so lange der scharfe Stoff noch nicht entwickelt ist. Wirklich
werden in manchen Ländern die jungen Sprossen der Apocyneen gegessen.

Ich habe mit dieser Zusammenstellung den Versuch gemacht, die Milchsäfte
der Gewächse und der milchigten Emulsionen, welche die Früchte der
Mandelarten und der Palmen geben, unter einen allgemeineren Gesichtspunkt
zu bringen. Es möge mir gestattet seyn, diesen Betrachtungen die
Ergebnisse einiger Versuche anzureihen, die ich während meines Aufenthalts
in den Thälern von Aragua mit dem Safte der _Carica Papaya_ angestellt,
obgleich es mir fast ganz an Reagentien fehlte. Derselbe Saft ist seitdem
von Vauquelin untersucht worden. Der berühmte Chemiker hat darin richtig
das Eiweiß und den käseartigen Stoff erkannt; er vergleicht den Milchsaft
mit reinem stark animalisirten Stoff, mit dem thierischen Blut; es stand
ihm aber nur gegohrener Saft und ein übelriechendes Gerinsel zu Gebot, das
sich auf der Ueberfahrt von Isle de France nach Havre gebildet hatte. Er
spricht den Wunsch aus, ein Reisender möchte den Saft des Melonenbaums
frisch, wie er aus dem Stengel oder der Frucht fließt, untersuchen können.

Je jünger die Frucht des Melonenbaums ist, desto mehr Milch gibt sie; man
findet sie bereits im kaum befruchteten Keim. Je reifer die Frucht wird,
desto mehr nimmt die Milch ab und desto wässeriger wird sie; man findet
dann weniger vom thierischen Stoff darin, der durch Säuren und durch
Absorption des Sauerstoffs der Luft gerinnt. Da die ganze Frucht
klebrig(62) ist, so könnte man annehmen, je mehr sie wachse, desto mehr
lagere sich der gerinnbare Stoff in den Organen ab und bilde zum Theil das
Mark oder die fleischigte Substanz. Tröpfelt man mit vier Theilen Wasser
verdünnte Salpetersäure in die ausgepreßte Milch einer ganz jungen Frucht,
so zeigt sich eine höchst merkwürdige Erscheinung. In der Mitte eines
jeden Tropfens bildet sich ein gallertartiges, grau gestreiftes Häutchen.
Diese Streifen sind nichts anderes als der Stoff, der wässeriger geworden,
weil die Säure ihm den Eiweißstoff entzogen hat. Zu gleicher Zeit werden
die Häutchen in der Mitte undurchsichtig und eigelb. Sie vergrößern sich,
indem divergirende Fasern sich zu verlängern scheinen. Die Flüssigkeit
sieht Anfangs aus wie ein Achat mit milchigten Wolken, und man meint
organische Häute unter seinen Augen sich bilden zu sehen. Wenn sich das
Gerinsel über die ganze Masse verbreitet, verschwinden die gelben Flecke
wieder. Rührt man sie um, so wird sie krümelich, wie weicher Käse. Die
gelbe Farbe erscheint wieder, wenn man ein paar Tropfen Salpetersäure
zusetzt. Die Säure wirkt hier wie die Berührung des Sauerstoffs der Luft
bei 27--35 Grad; denn das weiße Gerinsel wird in ein paar Minuten gelb,
wenn man es der Sonne aussetzt. Nach einigen Stunden geht das Gelb in
Braun über, ohne Zweifel, weil der Kohlenstoff frei wird im Verhältniß,
als der Wasserstoff, an den er gebunden war, verbrennt. Das durch die
Säure gebildete Gerinsel wird klebrig und nimmt den Wachsgeruch an, den
ich gleichfalls bemerkte, als ich Muskelfleisch und Pilze (Morcheln) mit
Salpetersäure behandelte. Nach Hatchetts schönen Versuchen kann man
annehmen, daß das Eiweiß zum Theil in Gallerte übergeht. Wirft man das
frisch bereitete Gerinsel vom Melonenbaum in Wasser, so wird es weich,
löst sich theilweise auf und färbt das Wasser gelblich. Alsbald schlägt
sich eine zitternde Gallerte, ähnlich dem Stärkmehl, daraus nieder. Dieß
ist besonders auffallend, wenn das Wasser, das man dazu nimmt, auf 40--60°
erwärmt ist. Je mehr man Wasser zugießt, desto fester wird die Gallerte.
Sie bleibt lange weiß und wird nur gelb, wenn man etwas Salpetersäure
darauf tröpfelt. Nach dem Vorgang FOURCROYs und VAUQUELINs bei ihren
Versuchen mit dem Saft der Hevea, setzte ich der Milch des Melonenbaums
eine Auflösung von kohlensaurem Natron bei. Es bildet sich kein Klumpen,
auch wenn man reines Wasser dem Gemisch von Milch und alkalischer
Auflösung zugießt. Die Häute kommen erst zum Vorschein, wenn man durch
Zusatz einer Säure das Alkali neutralisirt und die Säure im Ueberschuß
ist. Ebenso sah ich das durch Salpetersäure, Citronensaft oder heißes
Wasser gebildete Gerinsel verschwinden, wenn ich eine Lösung von
kohlensaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchigt und flüssig, wie
er ursprünglich war. Dieser Versuch gelingt aber nur mit frisch gebildetem
Gerinsel.

Vergleicht man die Milchsäfte des Melonenbaums, des Kuhbaums und der
Hevea, so zeigt sich eine auffallende Aehnlichkeit zwischen den Säften,
die viel Käsestoff enthalten, und denen, in welchen das Cautschuc
vorherrscht. Alles weiße, frisch bereitete Cautschuc, sowie die
wasserdichten Mäntel, die man im spanischen Amerika fabricirt und die aus
einer Schicht des Milchsafts der Hevea zwischen zwei Leinwandstücken
bestehen, haben einen thierischen, ekligen Geruch, der darauf hinzuweisen
scheint, daß das Cautschuc beim Gerinnen den Käsestoff an sich reißt, der
vielleicht nur ein modificirter Eiweißstoff ist.

Die Frucht des Brodfruchtbaums ist so wenig Brod, als die Bananen vor
ihrer Reise oder die stärkemehlreichen Wurzelknollen der _Dioscorea_, des
_Convolvulus Batatas_ und der Kartoffel. Die Milch des Kuhbaums dagegen
enthält den Käsestoff gerade wie die Milch der Säugethiere. Aus
allgemeinem Gesichtspunkte können wir mit Gay-Lussac das Cautschuc als den
öligten Theil, als die Butter der vegetabilischen Milch betrachten. Die
beiden Grundstoffe Eiweiß und Fett sind in den Organen der verschiedenen
Thierarten und in den Pflanzen mit Milchsaft in verschiedenen
Verhältnissen enthalten. Bei letzteren sind sie meist mit andern, beim
Genuß schädlichen Stoffen verbunden, die sich aber vielleicht auf
chemischem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird nahrhaft, wenn
keine scharfen, narkotischen Stoffe mehr darin sind und statt des
Cautschucs der Käsestoff darin überwiegt.

Ist der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeßlichen Segensfülle der
Natur im heißen Erdstrich, so mahnt er uns auch an die zahlreichen
Quellen, aus denen unter diesem herrlichen Himmel die träge Sorglosigkeit
des Menschen fließt. Mungo Park hat uns mit dem *Butterbaum* in Bambarra
bekannt gemacht, der, wie Decandolle vermuthet, zu der Familie der
Sapoteen gehört, wie unser Kuhbaum. Die Bananenbäume, die Sagobäume, die
Mauritien am Orinoco sind *Brodbäume* so gut wie die Rima der Südsee. Die
Früchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen; die Blumenscheiden
mancher Palmen und Baumrinden geben Kopfbedeckungen und Kleider ohne Nath.
Die Knoten oder vielmehr die innern Fächer im Stamm der Bambus geben
Leitern und erleichtern auf tausenderlei Art den Bau einer Hütte, die
Herstellung von Stühlen, Bettstellen und anderem Geräthe, das die
werthvolle Habe des Wilden bildet. Bei einer üppigen Vegetation mit so
unendlich mannigfaltigen Produkten bedarf es dringender Beweggründe, soll
der Mensch sich der Arbeit ergeben, sich aus seinem Halbschlummer
aufrütteln, seine Geistesfähigkeiten entwickeln.

In Barbula baut man Cacao und Baumwolle. Wir fanden daselbst, eine
Seltenheit in diesem Lande, zwei große Maschinen mit Cylindern zum Trennen
der Baumwolle von den Samen; die eine wird von einem Wasserrad, die andere
durch einen Göpel und durch Maulthiere getrieben. Der Verwalter des Hofes,
der dieselben gebaut, war aus Merida. Er kannte den Weg von Nueva Valencia
über Guanare und Misagual nach Barinas, und von dort durch die Schlucht
Callejones zum Paramo der Mucuchies und den mit ewigem Schnee bedeckten
Gebirgen von Merida. Seine Angaben, wie viel Zeit wir von Valencia über
Barinas in die Sierra Nevada, und von da über den Hafen von Torunos und
den Rio Santo Domingo nach San Fernando am Apure brauchen würden, wurden
uns vom größten Nutzen. Man hat in Europa keinen Begriff davon, wie schwer
es hält, genaue Erkundigung in einem Lande einzuziehen, wo der Verkehr so
gering ist, und man die Entfernungen gerne zu gering angibt oder
übertreibt, je nachdem man den Reisenden aufmuntern oder von seinem
Vorhaben abbringen möchte. Bei der Abreise von Caracas hatte ich dem
Intendanten der Provinz Gelder übergeben; die mir von den königlichen
Schatzbeamten in Barinas ausbezahlt werden sollten. Ich hatte beschlossen,
das westliche Ende der Cordilleren von Neu-Grenada, wo sie in die Paramos
von Timotes und Niquitao auslaufen, zu besuchen. Ich hörte nun in Barbula,
bei diesem Abstecher würden wir fünf und dreißig Tage später an den
Orinoco gelangen. Diese Verzögerung erschien uns um so bedeutender, da man
vermuthete, die Regenzeit werde früher als gewöhnlich eintreten. Wir
durften hoffen, in der Folge sehr viele mit ewigem Schnee bedeckte Gebirge
in Quito, Peru und Mexico besuchen zu können, und es schien mir desto
gerathener, den Ausflug in die Gebirge von Merida aufzugeben, da wir
besorgen mußten, dabei unsern eigentlichen Reisezweck zu verfehlen, der
darin bestand, den Punkt, wo sich der Orinoco mit dem Rio Negro und dem
Amazonenstrom verbindet, durch astronomische Beobachtungen festzustellen.
Wir gingen daher von Barbula nach Guacara zurück, um uns von der
achtungswürdigen Familie des Marques del Toro zu verabschieden und noch
drei Tage am Ufer des Sees zu verweilen.

Es war Fastnacht und der Jubel allgemein. Die Lustbarkeiten, _de carnes
tollendas_ genannt, arteten zuweilen ein wenig ins Rohe aus. Die einen
führen einen mit Wasser beladenen Esel herum, und wo ein Fenster offen
ist, begießen sie das Zimmer mit einer Spritze; andere haben Düten voll
Haare der Picapica oder _Dolichos pruriens_ in der Hand und blasen das
Haar, das auf der Haut ein heftiges Jucken verursacht, den Vorübergehenden
ins Gesicht.

Von Guacara gingen wir nach Nueva Valencia zurück. Wir trafen da einige
französische Ausgewanderte, die einzigen, die wir in fünf Jahren in den
spanischen Colonien gesehen. Trotz der Blutsverwandtschaft zwischen den
königlichen Familien von Frankreich und Spanien durften sich nicht einmal
die französischen Priester in diesen Theil der neuen Welt flüchten, wo der
Mensch so leicht Unterhalt und Obdach findet. Jenseits des Oceans boten
allein die Vereinigten Staaten dem Unglück eine Zufluchtsstätte. Eine
Regierung, die stark, weil frei, und vertrauensvoll, weil gerecht ist,
brauchte sich nicht zu scheuen die Verbannten aufzunehmen.

Wir haben früher versucht über den Zustand des Indigo-, des Baumwollen-
und Zuckerbaus in der Provinz Caracas einige bestimmte Angaben zu machen.
Ehe wir die Thäler von Aragua und die benachbarten Küsten verlassen, haben
wir uns nur noch mit den Cacaopflanzungen zu beschäftigen, die von jeher
für die Hauptquelle des Wohlstandes dieser Gegenden galten. Die Provinz
Caracas (nicht die _Capitania general_, also mit Ausschluß der Pflanzungen
in Cumana, in der Provinz Barcelona, in Maracaybo, in Barinas und im
spanischen Guyana) erzeugte am Schluß des achtzehnten Jahrhunderts
jährlich 150,000 Fanegas, von denen 30,000 in der Provinz und 100,000 in
Spanien verzehrt wurden. Nimmt man die Fanega, nach dem Marktpreis zu
Cadix, nur zu 25 Piastern an, so beträgt der Gesammtwerth der Cacaoausfuhr
aus den sechs Häfen der _Capitania general_ von Caracas 4,800,000 Piaster.

Der Cacaobaum wächst gegenwärtig in den Wäldern von Terra Firma nördlich
vom Orinoco nirgends wild; erst jenseits der Fälle von Atures und Maypures
trafen wir ihn nach und nach an. Besonders häufig wächst er an den Ufern
des Ventuari und am obern Orinoco zwischen dem Padamo und dem Gehette. Daß
der Cacaobaum in Südamerika nordwärts vom sechsten Breitegrad so selten
wild vorkommt, ist für die Pflanzengeographie sehr interessant und war
bisher wenig bekannt. Die Erscheinung ist um so auffallender, da man nach
dem jährlichen Ertrag der Ernten auf den Cacaopflanzungen in Cumana, Nueva
Barcelona, Venezuela, Barinas und Maracaybo über 16 Millionen Bäume in
vollem Ertrag rechnet. Der wilde Cacaobaum hat sehr viele Aeste und sein
Laub ist dicht und dunkel. Er trägt eine sehr kleine Frucht, ähnlich der
Spielart, welche die alten Mexicaner *Tlalcacahuatl* nannten. In die
Conucos der Indianer am Cassiquiare und Rio Negro versetzt, behält der
wilde Baum mehrere Generationen die Kraft des vegetativen Lebens, die ihn
vom vierten Jahr an tragbar macht, während in der Provinz Caracas die
Ernten erst mit dem sechsten, siebenten oder achten Jahr beginnen. Sie
treten im Binnenlande später ein als an den Küsten: und im Thal von Guapo.
Wir fanden am Orinoco keinen Volksstamm, der aus der Bohne des Cacaobaums
ein Getränk bereitete. Die Wilden saugen das Mark der Hülse aus und werfen
die Samen weg, daher man dieselben oft in Menge auf ihren Lagerplätzen
findet. Wenn auch an der Küste der *Chorote*, ein ganz schwacher
Cacaoaufguß, für ein uraltes Getränke gilt, so gibt es doch keinen
geschichtlichen Beweis dafür, daß die Eingeborenen von Venezuela vor der
Ankunft der Spanier den Chocolat oder irgend eine Zubereitung des Cacao
gekannt haben. Wahrscheinlicher scheint mir, daß man in Caracas den
Cacaobaum nach dem Vorbild von Mexico und Guatimala angebaut hat, und daß
die in Terra Firma angesiedelten Spanier die Behandlung des Baums, der
jung im Schatten der Erythrina und des Bananenbaums aufwächst, die
Bereitung der *Chocolate*-tafeln und den Gebrauch des Getränks dieses
Namens durch den Verkehr mit Mexico, Guatimala und Nicaragua gelernt
haben, drei Länder, deren Einwohner von toltekischem und aztekischem
Stamme sind.

Bis zum sechzehnten Jahrhundert weichen die Reisenden in ihren Urtheilen
über den Chocolat sehr von einander ab. BENZONI sagt in seiner derben
Sprache, es sey ein Getränk vielmehr »da porci, che da huomini.« Der
Jesuit ACOSTA versichert, die Spanier in Amerika lieben den Chocolat mit
närrischer Leidenschaft, man müsse aber an »das schwarze Gebräue« gewöhnt
seyn, wenn einem nicht schon beim Anblick des Schaums, der wie die Hefe
über einer gährenden Flüssigkeit stehe, übel werden solle. Er bemerkt
weiter: »Der Cacao ist ein Aberglauben der Mexicaner, wie der Coca ein
Aberglauben der Peruaner.« Diese Urtheile erinnern an die Prophezeiung der
Frau von SEVIGNE hinsichtlich des Gebrauchs des Kaffees. HERNAN CORTEZ und
sein Page, der _gentilhombre del gran Conquistador_, dessen
Denkwürdigkeiten RAMUSIO bekannt gemacht hat, rühmen dagegen den Chocolat
nicht nur als ein angenehmes Getränk, selbst wenn er kalt bereitet
wird,(63) sondern besonders als nahrhaft. »Wer eine Tasse davon getrunken
hat,« sagt der Page des Hernan Cortez, »kann ohne weitere Nahrung eine
ganze Tagereise machen, besonders in sehr heißen Ländern; denn der
Chocolat ist seinem Wesen nach *kalt* und *erfrischend*.« Letztere
Behauptung möchten wir nicht unterschreiben; wir werden aber bei unserer
Fahrt auf dem Orinoco und bei unsern Reisen hoch an den Cordilleren hinauf
bald Gelegenheit finden, die vortrefflichen Eigenschaften des Chocolats zu
rühmen. Er ist gleich leicht mit sich zu führen und als Nahrungsmittel zu
verwenden und enthält in kleinem Raum viel nährenden und reizenden Stoff.
Man sagt mit Recht, in Afrika helfen Reis, Gummi und Sheabutter dem
Menschen durch die Wüsten. In der neuen Welt haben Chocolat und Maismehl
ihm die Hochebenen der Anden und ungeheure unbewohnte Wälder zugänglich
gemacht.

Die Cacaoernte ist ungemein veränderlich. Der Baum treibt mit solcher
Kraft, daß sogar aus den holzigten Wurzeln, wo die Erde sie nicht bedeckt,
Blüthen sprießen. Er leidet von den Nordostwinden, wenn sie auch die
Temperatur nur um wenige Grade herabdrücken. Auch die Regen, welche nach
der Regenzeit in den Wintermonaten vom December bis März unregelmäßig
eintreten, schaden dem Cacaobaum bedeutend. Es kommt nicht selten vor, daß
der Eigenthümer einer Pflanzung von 50,000 Stämmen in einer Stunde für
vier bis fünftausend Piaster Cacao einbüßt. Große Feuchtigkeit ist dem
Baum nur förderlich, wenn sie allmählig zunimmt und lange ohne
Unterbrechung anhält. Wenn in der trockenen Jahreszeit die Blätter und die
unreife Frucht in einen starken Regenguß kommen, so löst sich die Frucht
vom Stiel. Die Gefäße, welche das Wasser einsaugen, scheinen durch
Ueberschwellung zu bersten. Ist nun die Cacaoernte äußerst unsicher, weil
der Baum gegen schlimme Witterung so empfindlich ist und so viele Würmer,
Insekten, Vögel, Säugethiere [Papageien, Affen, Agoutis, Eichhörner,
Hirsche.] die Schote fressen, hat dieser Culturzweig den Nachtheil, daß
dabei der neue Pflanzer der Früchte seiner Arbeit erst nach acht bis zehn
Jahren genießt und daß das Produkt schwer aufzubewahren ist, so ist
dagegen nicht zu übersehen, daß die Cacaopflanzungen weniger Sklaven
erfordern als die meisten andern Culturen. Dieser Umstand ist von großer
Bedeutung in einem Zeitpunkt, wo sämmtliche Völker Europas den
großherzigen Entschluß gefaßt haben, dem Negerhandel ein Ende zu machen.
Ein Sklave versieht tausend Stämme, die im jährlichen Durchschnitt 12
Fanegas Cacao tragen können. Auf Cuba gibt allerdings eine *große*
Zuckerpflanzung mit 300 Schwarzen im Jahr durchschnittlich 40,000 Arrobas
Zucker, welche, die Kiste(64) zu 40 Piastern, 100,000 Piaster werth sind,
und in den Provinzen von Venezuela producirt man für 100,000 Piaster oder
4000 Fanegas Cacao, die Fanega zu 25 Piastern, auch nur mit 300--350
Sklaven. Die 200,000 Kisten Zucker mit 3,200,000 Arrobas, welche Cuba von
1812--1814 jährlich ausgeführt hat, haben einen Werth von 8 Millionen
Piastern und könnten mit 24,000 Sklaven hergestellt werden, *wenn die
Insel lauter große Pflanzungen hätte*; aber dieser Annahme widerspricht
der Zustand der Colonie und die Natur der Dinge. Die Insel Cuba verwendete
im Jahr 1811 nur zur Feldarbeit 143,000 Sklaven, während die _Capitania
general_ von Caracas, die jährlich 200,000 Fanegas Cacao oder für 5
Millionen Piaster producirt, wenn auch nicht ausführt, in Stadt und Land
nicht mehr als 60,000 Sklaven hat. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß
diese Verhältnisse sich mit den Zucker- und Cacaopreisen ändern.

Die schönsten Cacaopflanzungen in der Provinz Caracas sind an der Küste
zwischen Caravalleda und der Mündung des Rio Tocuyo, in den Thälern von
Caucagua, Capaya, Curiepe und Guapo; ferner in den Thälern von Cupira,
zwischen Cap Codera und Cap Unare, bei Aroa, Barquesimeto, Guigue und
Uritucu. Der Cacao, der an den Ufern des Urituru am Rande der Llanos, im
Gerichtsbezirk San Sebastiano de los Reyos wächst, gilt für den besten;
dann kommen die von Guigue, Caucagua, Capaya und Cupira. Auf dem
Handelsplatz Cadix hat der Cacao von Caracas den ersten Rang gleich nach
dem von Socomusco. Er steht meist um 30--40 Procent höher im Preis als der
Cacao von Guayaquil.

Erst seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts munterten die Holländer,
im ruhigen Besitz der Insel Curaçao, durch den Schleichhandel den Landbau
an den benachbarten Küsten auf, und erst seitdem wurde der Cacao für die
Provinz Caracas ein Ausfuhrartikel. Was in dieser Gegend vorging, ehe im
Jahr 1728 die Gesellschaft der Biscayer aus Guipuzcoa sich daselbst
niederließ, wissen wir nicht. Wir besitzen lediglich keine genauen
statistischen Angaben und wissen nur, daß zu Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts aus Caracas kaum 30,000 Fanegas jährlich ausgeführt wurden.
Im Jahr 1797 war die Ausfuhr, nach den Zollregistern von Guayra, den
Schleichhandel nicht gerechnet, 70,832 Fanegas. Wegen des Schmuggels nach
Trinidad und den andern Antillen darf man kecklich ein Viertheil oder
Fünftheil weiter rechnen. Ich glaube annehmen zu können, daß von
1800--1806, also im letzten Zeitpunkt, wo in den spanischen Colonien noch
innere Ruhe herrschte, der jährliche Ertrag der Cacaopflanzungen in der
ganzen _Capitania general_ von Caracas sich wenigstens auf 193,000 Fanegas
belief.

Die Ernten, deren jährlich zwei stattfinden, im Juni und im December,
fallen sehr verschieden aus, doch nicht in dem Maaße wie die Oliven- und
Weinernten in Europa. Von jenen 193,000 Fanegas fließen 145,000 theils
über die Häfen der Halbinsel, theils durch den Schleichhandel nach Europa
ab. Ich glaube beweisen zu können (und diese Schätzungen beruhen auf
zahlreichen einzelnen Angaben), daß Europa beim gegenwärtigen Stande
seiner Civilisation verzehrt:

+---------------+-----------------------------+--------------+-------+
| 23 Mill. Pfd. | Cacao zu 120 Fr. den Ctr.   |   27,600,000 | Frs.  |
+---------------+-----------------------------+--------------+-------+
| 32 Mill. Pfd. | Thee zu 4 Fr. das Pfund     |  128,000,000 |   "   |
+---------------+-----------------------------+--------------+-------+
|140 Mill. Pfd. | Kaffee zu 114 Fr. den Ctr.  |  159,600,000 |   "   |
+---------------+-----------------------------+--------------+-------+
|450 Mill. Pfd. | Zucker zu 54 Fr. den Ctr.   |  243,000,000 |   "   |
+---------------+-----------------------------+--------------+-------+
|               |                             | ------------ |       |
+---------------+-----------------------------+--------------+-------+
|               |                             |  558,200,000 | Frs.  |
+---------------+-----------------------------+--------------+-------+

Von diesen vier Erzeugnissen, die seit zwei bis drei Jahrhunderten die
vornehmsten Artikel im Handel und der Produktion der Colonien geworden
sind, gehört der erste ausschließlich Amerika, der zweite ausschließlich
Asien an. Ich sage ausschließlich, denn die Cacaoausfuhr der Philippinen
ist bis jetzt so unbedeutend, wie die Versuche, die man in Brasilien, auf
Trinidad und Jamaica mit dem Theebau gemacht hat. Die vereinigten
Provinzen von Caracas liefern zwei Drittheile des Cacaos, der im
westlichen und südlichen Europa verzehrt wird. Dieß ist um so
bemerkenswerther, als es der gemeinen Annahme widerspricht; aber die
Cacaosorten von Caracas, Maracaybo und Cumana sind nicht alle von
derselben Qualität. Der Graf CASA-VALENCIA schätzt den Verbrauch Spaniens
nur auf 6--7 Millionen Pfund, der ABBÉ HERVAS auf 9 Millionen. Wer lange
in Spanien, Italien und Frankreich gelebt hat, muß die Bemerkung gemacht
haben, daß nur im ersteren Lande Chocolat auch von den untersten
Volksklassen stark getrunken wird, und wird es schwerlich glaublich
finden, daß Spanien nur ein Drittheil des in Europa eingeführten Cacao
verzehren soll.

Die letzten Kriege haben für den Cacaohandel in Caracas weit
verderblichere Folgen gehabt als in Guayaquil. Wegen des Preisaufschlags
ist in Europa weniger Cacao von der theuersten Sorte verzehrt worden.
Früher machte man in Spanien die gewöhnliche Chocolate aus einem Viertheil
Cacao von Caracas und drei Viertheilen Cacao von Guayaquil; jetzt nahm man
letzteren allein. Dabei ist zu bemerken, daß viel geringer Cacao, wie der
vom Marañon, vom Rio Negro, von Honduras und von der Insel Santa Lucia, im
Handel Cacao von Guayaquil heißt. Aus letzterem Hafen werden nicht über
60,000 Fanegas ausgeführt, zwei Drittheile weniger als aus den Häfen der
_Capitania general_ von Caracas.

Wenn auch die Cacaopflanzungen in den Provinzen Cumana, Barcelona und
Maracaybo sich in dem Maaße vermehrt haben, in dem sie in der Provinz
Caracas eingegangen sind, so glaubt man doch, daß dieser alte Culturzweig
im Ganzen allmählig abnimmt. In vielen Gegenden verdrängen der Kaffeebaum
und die Baumwollenstaude den Cacaobaum, der für die Ungeduld des
Landbauers viel zu spät trägt. Man behauptet auch, die neuen Pflanzungen
geben weniger Ertrag als die alten. Die Bäume werden nicht mehr so kräftig
und tragen später und nicht so reichlich Früchte. Auch soll der Boden
erschöpft seyn; aber nach unserer Ansicht ist vielmehr durch die
Entwicklung des Landbaus und das Urbarmachen des Landes die
Luftbeschaffenheit eine andere geworden. Ueber einem unberührten, mit Wald
bewachsenen Boden schwängert sich die Luft mit Feuchtigkeit und den
Gasgemengen, die den Pflanzenwuchs befördern und sich bei der Zersetzung
organischer Stoffe bilden. Ist ein Land lange Zeit angebaut gewesen, so
wird das Verhältniß zwischen Sauerstoff und Stickstoff durchaus keins
anderes; die Grundbestandtheile der Luft bleiben dieselben; aber jene
binären und tertiären Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff und
Wasserstoff, die sich aus einem unberührten Boden entwickeln und für eine
Hauptquelle der Fruchtbarkeit gelten, sind ihr nicht mehr beigemischt. Die
reinere, weniger mit Miasmen und fremdartigen Effluvien beladene Luft wird
zugleich trockener und die Spannung des Wasserdampfs nimmt merkbar ab. Auf
längst urbar gemachtem und somit zum Cacaobau wenig geeignetem Boden,
z. B. auf den Antillen, ist die Frucht beinahe so klein wie beim wilden
Cacaobaum. An den Ufern des obern Orinoco, wenn man über die Llanos
hinüber ist, betritt man, wie schon bemerkt, die wahre Heimath des
Cacaobaums, und hier findet man dichte Wälder, wo auf unberührtem Boden,
in beständig feuchter Luft die Stämme mit dem vierten Jahr reiche Ernten
geben. Auf nicht erschöpftem Boden ist die Frucht durch die Cultur überall
größer und weniger bitter geworden, sie reift aber auch später.

Sieht man nun den Ertrag an Cacao in Terra Firma allmählig abnehmen, so
fragt man sich, ob in Spanien, in Italien und im übrigen Europa auch der
Verbrauch im selben Verhältniß abnehmen, oder ob nicht vielmehr in Folge
des Eingehens der Cacaopflanzungen die Preise so hoch steigen werden, daß
der Landbauer zu neuen Anstrengungen aufgemuntert wird? Letzteres ist die
herrschende Ansicht bei allen, die in Caracas die Abnahme eines so alten
und so einträglichen Handelszweiges bedauern. Wenn einmal die Cultur
weiter gegen die feuchten Wälder im Binnenlande vorrückt, an die Ufer des
Orinoco und des Amazonenstromes, oder in die Thäler am Ostabhang der
Anden, so finden die neuen Ansiedler einen Boden und eine Luft, wie sie
beide dem Cacaobau angemessen sind.

Bekanntlich scheuen die Spanier im Allgemeinen den Zusatz von Vanille zum
Cacao, weil dieselbe die Nerven reize. Daher wird auch die Frucht dieser
schönen Orchisart in der Provinz Caracas fast gar nicht beachtet. Man
könnte sie auf der feuchten, fieberreichen Küste zwischen Porto Cabello
und Ocumare in Menge sammeln, besonders aber in Turiamo, wo die Früchte
des _Epidendrum Vanilla_ elf bis zwölf Zoll lang werden. Die Engländer und
Angloamerikaner suchen häufig im Hafen von Guayra Vanille zu kaufen, und
die Handelsleute können sie nur mit Mühe in kleinen Quantitäten
auftreiben. In den Thälern, die sich von der Küstenbergkette zum Meer der
Antillen herabziehen, in der Provinz Truxillo, wie in den Missionen in
Guyana bei den Fällen des Orinoco könnte man sehr viel Vanille sammeln,
und der Ertrag wäre noch reichlicher, wenn man, wie die Mexicaner thun,
die Pflanze von Zeit zu Zeit von den Lianen säuberte, die sie umschlingen
und ersticken.

Bei der Schilderung des gegenwärtigen Zustandes der Cacaopflanzungen in
den Provinzen von Venezuela, bei den Bemerkungen über den Zusammenhang
zwischen dem Ertrag der Pflanzungen und der Feuchtigkeit und Gesundheit
der Luft, haben wir der warmen, fruchtbaren Thäler der Küstencordillere
erwähnt. In seiner westlichen Erstreckung, dem See Maracaybo zu, zeigt
dieser Landstrich eine sehr interessante mannigfaltige Terrainbildung. Ich
stelle am Ende dieses Kapitels zusammen, was ich über die Beschaffenheit
des Bodens und den Metallreichthum in den Bezirken Aroas, Barquesimeto und
Carora habe in Erfahrung bringen können.

Von der Sierra Nevada von Merida und den *Paramos* von Niquitao, Bocono
und las Rosas an,(65) wo der kostbare Chinabaum wächst, senkt sich die
östliche Cordillere von Neu-Grenada so rasch, daß sie zwischen dem 9. und
10. Breitegrad nur noch eine Kette kleiner Berge bildet, an die sich im
Nordost der Altar und der Torito anschließen und die die Nebenflüsse des
Rio Apure und des Orinoco von den zahlreichen Gewässern scheiden, die
entweder in das Meer der Antillen oder in den See Maracaybo fallen. Auf
dieser Wasserscheide stehen die Städte Nirgua, San Felipe el Fuerte,
Barquesimeto und Tocuyo. In den drei ersteren ist es sehr heiß, in Tocuyo
dagegen bedeutend kühl, und man hört mit Ueberraschung, daß unter einem so
herrlichen Himmel die Menschen große Neigung zum Selbstmord haben. Gegen
Süden erhebt sich der Boden, denn Truxillo, der See Urao, aus dem man
kohlensaures Natron gewinnt, und la Grita, ostwärts von der Cordillere,
liegen schon in 400--500 Toisen Höhe.

Beobachtet man, in welchem constanten Verhältnisse die Urgebirgsschichten
der Küstencordillere fallen, so sieht man sich auf eine der Ursachen
hingewiesen, welche den Landstrich zwischen der Cordillere und dem Meer so
ungemein feucht machen. Die Schichten fallen meist nach Nordwest, so daß
die Gewässer nach dieser Richtung über die Gesteinsbänke laufen und, wie
schon oben bemerkt, die Menge Bäche und Flüsse bilden, deren
Ueberschwemmungen vom Cap Codera bis zum See Maracaybo das Land so
ungesund machen.

Neben den Gewässern, die in der Richtung nach Nordost an die Küste von
Porto Cabello und zur Punta de Hicacos herabkommen, sind die bedeutendsten
der Tocuyo, der Aroa und der Yaracuy. Ohne die Miasmen, welche die Luft
verpesten, waren die Thäler des Aroa und des Yaracuy vielleicht stärker
bevölkert als die Thäler von Aragua. Durch die schiffbaren Flüsse hatten
jene sogar den Vortheil, daß sie ihre eigenen Zucker- und Cacaoernten, wie
die Produkte der benachbarten Bezirke, den Weizen von Quibor, das Vieh von
Monai und das Kupfer von Aroa, leichter ausführen könnten. Die Gruben, wo
man dieses Kupfer gewinnt, liegen in einem Seitenthal, das in das Aroathal
mündet und nicht so heiß und ungesund ist als die Thalschluchten naher am
Meer. In diesen letzteren haben die Indianer Goldwäschereien, und im
Gebirge kommen dort reiche Kupfererze vor, die man noch nicht auszubeuten
versucht hat. Die alten, längst in Abgang gekommenen Gruben von Aroa
wurden auf den Betrieb Don Antonios Henriquez, den wir in San Fernando am
Apure trafen, wieder aufgenommen. Nach den Notizen, die er mir gegeben,
scheint die Lagerstätte des Erzes eine Art Stockwerk zu seyn, das aus
mehreren kleinen Gängen besteht, die sich nach allen Richtungen kreuzen.
Das Stockwerk ist stellenweise zwei bis drei Toisen dick. Der Gruben sind
drei, und in allen wird von Sklaven gearbeitet. Die größte, die Biscayna,
hat nur dreißig Bergleute, und die Gesammtzahl der mit der Förderung und
dem Schmelzen des Erzes beschäftigten Sklaven beträgt nur 60--70. Da der
Schacht nur dreißig Toisen tief ist, so können, der Wasser wegen, die
reichsten Strecken des Stockwerks, die darunter liegen, nicht abgebaut
werden. Man hat bis jetzt nicht daran gedacht, Schöpfräder aufzustellen.
Die Gesammtausbeute an gediegenem Kupfer beträgt jährlich 1200--1500
Centner. Das Kupfer, in Cadix als Caracaskupfer bekannt, ist ausgezeichnet
gut; man zieht es sogar dem schwedischen und dem Kupfer von Coquimbo in
Chili vor. Das Kupfer von Aroa wird zum Theil an Ort und Stelle zum
Glockenguß verwendet. In neuester Zeit ist zwischen Aroa und Nirgua bei
Guanita im Berge San Pablo einiges Silbererz entdeckt worden. Goldkörner
kommen überall im Gebirgslande zwischen dem Rio Yaracuy, der Stadt San
Felipe, Nirgua und Barquesimeto vor, besonders aber im Flusse Santa Cruz,
in dem die indianischen Goldwäscher zuweilen Geschiebe von vier bis fünf
Piastern Werth finden. Kommen im anstehenden Glimmerschiefer- und
Gneißgestein wirkliche Gänge vor, oder ist das Gold auch hier, wie im
Granit von Guadarama in Spanien und im Fichtelgebirg in Franken, durch die
ganze Gebirgsart zerstreut? Das durchsickernde Wasser mag die zerstreuten
Goldblättchen zusammenschwemmen, und in diesem Fall wären alle
Bergbauversuche fruchtlos. In der _Savana de la Miel_ bei der Stadt
Barquesimeto hat man im schwarzen, glänzenden, dem Bergpech (_Ampélite_)
ähnlichen Schiefer einen Schacht niedergetrieben. Die Mineralien, die man
daraus zu Tage gefördert, und die man mir nach Caracas geschickt, waren
Quarz, *nicht goldhaltige* Schwefelkiese und in Nadeln mit Seidenglanz
crystallisirtes kohlensaures Blei.

In der ersten Zeit nach der Eroberung begann man trotz der Einfälle des
kriegerischen Stammes der Giraharas die Gruben von Nirgua und Buria
auszubeuten. Im selben Bezirk veranlaßte im Jahr 1553 die Menge der
Negersklaven einen Vorfall, der, so wenig er an sich zu bedeuten hatte,
dadurch interessant wird, daß er mit den Ereignissen, die sich unter
unsern Augen auf St. Domingo begeben haben, Aehnlichkeit hat. Ein
Negersklave stiftete unter den Grubenarbeitern von San Felipe de Buria
einen Aufstand an, zog sich in die Wälder und gründete mit zweihundert
Genossen einen Flecken, in dem er zum König ausgerufen wurde. Miguel, der
neue König, liebte Prunk und Feierlichkeit; sein Weib *Guiomar* ließ er
Königin nennen; er ernannte, wie OVIEDO erzählt, Minister, Staatsräthe,
Beamte der _Casa real_, sogar einen schwarzen Bischof. Nicht lange, so war
er keck genug, die benachbarte Stadt Nueva Segovia de Barquesimeto
anzugreifen; er wurde aber von Diego de Losada zurückgeschlagen und kam im
Handgemenge um. Diesem afrikanischen Königreich folgte in Nirgua ein
Freistaat der *Zambos*, das heißt der Abkömmlinge von Negern und
Indianern. Der ganze Gemeinderath, der *Cabildo*, besteht aus Farbigen,
die der KÖNIG VON SPANIEN als seine »lieben und getreuen Unterthanen, die
Zambos von Nirgua,« anredete. Nur wenige weiße Familien mögen in einem
Lande leben, wo ein mit ihren Ansprüchen so wenig verträgliches Regiment
herrscht, und die kleine Stadt heißt spottweise _la republica de Zambos y
Mulatos_. Es ist eben so unklug, die Regierung einer einzelnen Kaste zu
überlassen, als sie ihrer natürlichen Rechte zu berauben und ihr dadurch
eine Einzelnstellung zu geben.

Wenn in den wegen ihres vortrefflichen Bauholzes berühmten Thälern des
Aroa, Yaracuy und Tocuyo der üppige Pflanzenwuchs und die große
Feuchtigkeit der Luft so viele Fieber erzeugen, so verhält es sich mit den
Savanen oder Llanos von Monaï und Caroro ganz anders. Diese Llanos sind
durch das Gebirgsland von Tocuyo und Nirgua von den großen *Ebenen an der
Portugueza und bei Calabozo* getrennt. Dürre Savanen, auf denen Miasmen
herrschen, sind eine sehr auffallende Erscheinung. Sumpfboden kommt
daselbst keiner vor, wohl aber mehrere Erscheinungen, die auf die
Entbindung von Wasserstoffgas hindeuten.(66) Wenn man Reisende, welche mit
den brennbaren Schwaden unbekannt sind, in die Höhle _del Serrito de
Monaï_ führt, so erschreckt man sie durch Anzünden des Gasgemenges, das
sich im obern Theil der Höhle fortwährend ansammelt. Soll man annehmen,
daß die ungesunde Luft hier dieselbe Quelle hat, wie auf der Ebene
zwischen Tivoli und Rom, Entwicklung von Schwefelwasserstoff?(67)
Vielleicht äußert auch das Gebirgsland neben den Llanos von Monaï einen
ungünstigen Einfluß auf die anstoßenden Ebenen. Südostwinde mögen die
faulen Effluvien herführen, die sich aus der Schlucht Villegas und Sienega
de Cabra zwischen Carora und Carache entwickeln. Ich stelle absichtlich
Alles zusammen, was auf die Ungesundheit der Luft Bezug haben mag; denn
auf einem so dunkeln Gebiete kann man nur durch Vergleichung zahlreicher
Beobachtungen hoffen das wahre Sachverhältniß zu ermitteln.

Die dürren und doch so fieberreichen Savanen zwischen Barquesimeto und dem
östlichen Ufer des Sees Maracaybo sind zum Theil mit Fackeldisteln
bewachsen; aber die gute Bergcochenille, die unter dem unbestimmten Namen
_Grana de Carora_ bekannt ist, kommt aus einem gemäßigteren Landstrich
zwischen Carora und Truxillo, besonders aber aus dem Thal des Rio Mucuju,
östlich von Merida. Die Einwohner geben sich mit diesem im Handel so stark
gesuchten Produkt gar nicht ab.

                            ------------------



_   51 Carnes tollendas;_ _Bombax hibiscifolius_

   52 Da einigermaßen richtige Begriffe über die astronomische Lage und
      die Entfernungen der Orte in den spanischen Colonien zuerst und
      lange Zeit allein durch Seeleute sich verbreiteten, so wurde in
      Mexico und in Südamerika ursprünglich die _legua nautica_ von 6650
      Varas oder 2854 Toisen (20 Meilen auf den Grad) eingeführt; aber
      diese »Seemeile« wurde allmälig um die Hälfte oder um ein Drittheil
      verkürzt, weil man in den Hochgebirgen, wie auf den dürren, heißen
      Ebenen sehr langsam reist. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der
      Zeit und schließt aus der Zeit, nach willkürlichen Voraussetzungen,
      auf die Länge der zurückgelegten Strecke.

   53 DEPONS, in seiner »_Reise nach Terra Firma_«: »Bei der unbedeutenden
      Oberfläche des Sees (er mißt übrigens 106,500,000 Quadrattoisen)
      läßt sich unmöglich annehmen, daß die Verdunstung allein, so stark
      sie auch unter den Tropen seyn mag, so viel Wasser wegschaffen kann,
      als die Flüsse hereinbringen.« In der Folge scheint aber der
      Verfasser selbst wieder »diese geheime Ursache, die Hypothese von
      einem Abzugsloch« aufzugeben.

   54 KARL RITTER, _Erdkunde_ Bd. I.

   55 S. Bd. I. Seite 316.

   56 Auf dem alten Continent kommen in Portugal und am Cantal in den
      Pyrenäen eben so reine Wasser aus dem Granit. Die Pisciarelli des
      Agnanosees in Italien sind 93° heiß. Sind etwa diese reinen Wasser
      verdichtete Dämpfe?

   57 Eigenthümer einer _Pulperia_ einer kleinen Bude, in der man Eßwaaren
      und Getränke feil hat.

   58 Sämmtliche _Carolinea princeps_ in Schönbrunn stammen aus Samen, die
      Bose und Bredemeyer von Einem ungeheuer dicken Baum bei Chacao,
      östlich von Caracas, genommen.

   59 Ein Tablon, gleich 1849 Quadrat-Toisen, entspricht etwa 1-1/5
      Morgen.

_   60 Essai politique sur la nouvelle Espagne_ T. I. p. 23, T. II. p.
      689.

   61 Nach diesen drei großen Familien kommen die _Papaveraceae_,
      _Chicoraceae_, _Lobeliaceae_, _Campanulaceae_, _Sapoteae_ und
      _Cucurbitaceae_. Die Blausäure ist der Gruppe der _Rosaceae
      amygdalaceae_ eigenthümlich. Bei den Monocotyledonen kommt kein
      Milchsaft vor, aber die Fruchthülle der Palmen, die so süße und
      angenehme Emulsionen gibt, enthält ohne Zweifel Käsestoff. Was ist
      die Milch der Pilze?

   62 Diese Klebrigkeit bemerkt man auch an der frischen Milch des
      Kuhbaums. Sie rührt ohne Zweifel daher, daß das Cautschuc sich noch
      nicht abgesetzt hat und Eine Masse mit dem Eiweiß und dem Käsestoff
      bildet, wie in der thierischen Milch die Butter und der Käsestoff.
      Der Saft eines Gewächses aus der Familie der Euphorbien, des _Sapium
      aucuparia_ der auch Cautschuc enthält, ist so klebrig, daß man
      Papagaien damit fängt.

   63 Der Pater GILI hat aus zwei Stellen bei TORQUEMADA (_Monarquia
      Indiana_) bündig dargethan, daß die Mexicaner den Aufguß *kalt*
      machten, und daß erst die Spanier den Brauch einführten, die
      Cacaomasse im Wasser zu sieden.

   64 Eine Kiste (_caxa_) wiegt 15½--16 Arrobas, die Arroba zu 23
      spanischen Pfunden.

   65 Wir wissen aus dem Munde vieler reisenden Mönche, daß der kleine
      *Paramo de las Rosas*, der in mehr als 1600 Toisen Meereshöhe zu
      liegen scheint, mit Rosmarin und rothen und weißen europäischen
      Rosen, die hier verwildert sind, bewachsen ist. Man pflückt die
      Rosen, um bei Kirchenfesten die Altäre in den benachbarten Dörfern
      damit zu schmücken. Durch welchen Zufall ist unsere
      hundertblätterige Rose hier verwildert, da wir sie doch in den Anden
      von Quito und Peru nirgends angetroffen haben? Ist es auch wirklich
      unsere Gartenrose? (S. Bd. II. Seite 174).

   66 Was ist die unter dem Namen _Farol_ (Laterne) _de Maracaybo_
      bekannte Lichterscheinung, die man jede Nacht auf der See wie im
      innern Lande sieht, z. B. in Merida, wo PALACIOS dieselbe zwei Jahre
      lang beobachtet hat? Der Umstand, daß man das Licht über 40 Meilen
      weit sieht, hat zu der Vermuthung geführt, es könnte daher rühren,
      daß in einer Bergschlucht sich jeden Tag ein Gewitter entlade. Man
      soll auch donnern hören, wenn man dem *Farol* nahe kommt. Andere
      sprechen in unbestimmtem Ausdruck von einem Luftvulkan; aus
      asphalthaltigem Erdreich, ähnlich dem bei Mena, sollen brennbare
      Dünste aufsteigen und daher beständig sichtbar seyn. Der Ort, wo
      sich die Erscheinung zeigt, ist ein unbewohntes Gebirgsland am Rio
      Catatumbo, nicht weit von seiner Vereinigung mit dem Rio Sulia. Der
      Farol liegt fast ganz im Meridian der Einfahrt (_boca_) in den See
      von Maracaybo, so daß die Steuerleute sich nach ihm richten, wie
      nach einem Leuchtfeuer.

   67 DON CARLOS DE POZO fand in diesem Bezirk, _Quebrada de Moroturo_
      eine Schichte schwarzer Thonerde, welche stark abfärbt, stark nach
      Schwefel riecht und sich von selbst entzündet, wenn man sie, leicht
      befeuchtet, lange den Strahlen der tropischen Sonne aussetzt; diese
      schlammigte Materie verpufft sehr heftig.



SIEBZEHNTES KAPITEL.


        Gebirge zwischen den Thälern von Aragua und den Llanos von
    Caracas. -- Villa de Cura. -- Parapara. -- Llanos oder Steppen. --
                                Calabozo.


Die Bergkette, welche den See von Tacarigua oder Valencia im Süden
begrenzt, bildet gleichsam das nördliche Ufer des großen Beckens der
Llanos oder Savanen von Caracas. Aus den Thälern von Aragua kommt man in
die Savanen über die Berge von Guigue und Tucutunemo. Aus einer
bevölkerten, durch Anbau geschmückten Landschaft gelangt man in eine weite
Einöde. An Felsen und schattige Thäler gewöhnt, sieht der Reisende mit
Befremden diese baumlosen Savanen vor sich, diese unermeßlichen Ebenen,
die gegen den Horizont aufzusteigen scheinen.

Ehe ich die Llanos oder die Region der Weiden schildere, beschreibe ich
kürzlich unsern Weg von Nueva Valencia durch Villa de Cura und San Juan
zum kleinen, am Eingang der Steppen gelegenen Dorfe Ortiz. Am 6. März, vor
Sonnenaufgang, verließen wir die Thäler von Aragua. Wir zogen durch eine
gut angebaute Ebene, längs dem südwestlichen Gestade des Sees von
Valencia, über einen Boden, von dem sich die Gewässer des Sees
zurückgezogen. Die Fruchtbarkeit des mit Calebassen, Wassermelonen und
Bananen bedeckten Landes setzte uns in Erstaunen. Den Aufgang der Sonne
verkündete der ferne Lärm der Brüllaffen. Vor einer Baumgruppe, mitten in
der Ebene zwischen den ehemaligen Eilanden Don Pedro und Negra, gewahrten
wir zahlreiche Banden der schon oben beschriebenen _Simia ursina_
(_Araguate_), die wie in Procession äußerst langsam von Baum zu Baum
zogen. Hinter einem männlichen Thier kamen viele weibliche, deren mehrere
ihre Jungen auf den Schultern trugen. Die Brüllaffen, welche in
verschiedenen Strichen Amerikas in großen Gesellschaften leben, sind
vielfach beschrieben. In der Lebensweise kommen sie alle überein, es sind
aber nicht überall dieselben Arten. Wahrhaft erstaunlich ist die
Einförmigkeit in den Bewegungen dieser Affen. So oft die Zweige
benachbarter Bäume nicht zusammenreichen, hängt sich das Männchen an der
Spitze des Trupps mit dem zum Fassen bestimmten schwieligen Theil seines
Schwanzes auf, läßt den Körper frei schweben und schwingt denselben hin
und her, bis es den nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht sofort
an derselben Stelle dieselbe Bewegung. ULLOA und viele gut unterrichtete
Reisende behaupten, die Marimondas [_Simia Belzebuth_], Araguaten und
andere Affen mit Wickelschwänzen bilden eine Art Kette, wenn sie von einem
Flußufer zum andern gelangen wollen; ich brauche kaum zu bemerken, daß
eine solche Behauptung sehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren
Gelegenheit gehabt, Tausende dieser Thiere zu beobachten, und eben deßhalb
glaubten wir nicht an Geschichten, die vielleicht nur von Europäern
erfunden sind, wenn auch die Indianer in den Missionen sie nachsagen, als
ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheste Mensch findet
einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern seines Landes den
Fremden in Erstaunen zu setzen. Er will selbst gesehen haben, was nach
seiner Vorstellung Andere gesehen haben könnten. Jeder Wilde ist ein
Jäger, und die Geschichten der Jäger werden desto phantastischer, je höher
die Thiere, von deren Listen sie zu erzählen wissen, in geistiger
Beziehung wirklich stehen. Dieß ist die Quelle der Mährchen, welche in
beiden Hemisphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Condor der
Anden im Schwange gehen.

Die Araguaten sollen, wenn sie von indianischen Jägern verfolgt werden,
zuweilen ihre Jungen im Stiche lassen, um sich auf der Flucht zu
erleichtern. Man will gesehen haben, wie Affenmütter das Junge von der
Schulter rissen und es vom Baum warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine
rein zufällige Bewegung für eine absichtliche genommen. Die Indianer sehen
gewisse Affengeschlechter mit Abneigung oder mit Vorliebe an; den
Viuditas, den Titis, überhaupt allen kleinen Sagoins sind sie gewogen,
während die Araguaten wegen ihres trübseligen Aeußern und ihres
einförmigen Gebrülls gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber
nachdachte, durch welche Ursachen die Fortpflanzung des Schalls durch die
Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, schien es mir nicht unwichtig,
genau zu bestimmen, in welchem Abstand. namentlich bei nasser, stürmischer
Witterung, das Geheul eines Trupps Araguaten zu vernehmen ist. Ich glaube
gefunden zu haben, daß man es noch in 800 Toisen Entfernung hört. Die
Affen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in die Llanos machen,
und mitten auf den weiten, mit Gras bewachsenen Ebenen unterscheidet man
leicht eine vereinzelte Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt ist und von
welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf diese Baumgruppe zugeht oder
sich davon entfernt, so mißt man das Maximum des Abstandes, in dem das
Geheul noch vernehmbar ist. Diese Abstände schienen mir einigemale bei
Nacht um ein Drittheil größer, namentlich bei bedecktem Himmel und sehr
warmem, feuchtem Wetter.

Die Indianer versichern, wenn die Araguaten den Wald mit ihrem Geheul
erfüllen, so haben sie immer einen Vorsänger. Die Bemerkung ist nicht
unrichtig. Man hört meistens, lange fort, eine einzelne stärkere Stimme,
worauf eine andere von verschiedenem Tonfall sie ablöst. Denselben
Nachahmungstrieb bemerken wir zuweilen auch bei uns bei den Fröschen, und
fast bei allen Thieren, die in Gesellschaft leben und sich hören lassen.
Noch mehr, die Missionäre versichern, wenn bei den Araguaten ein Weibchen
im Begriffe sey zu werfen, so unterbreche der Chor sein Geheul, bis das
Junge zur Welt gekommen sey. Ob etwas Wahres hieran ist, habe ich nicht
selbst ausmachen können, ganz grundlos scheint es aber allerdings nicht zu
seyn. Ich habe beobachtet, daß das Geheul einige Minuten aufhört, so oft
ein ungewöhnlicher Vorfall, zum Beispiel das Aechzen eines verwundeten
Araguate, die Aufmerksamkeit des Trupps in Anspruch nimmt. Unsere Führer
versicherten uns allen Ernstes, ein bewährtes Heilmittel gegen kurzen
Athem sey, aus der knöchernen Trommel am Zungenbein des Araguate zu
trinken. »Da dieses Thier eine so außerordentlich starke Stimme hat, so
muß dem Wasser, das man in seinen Kehlkopf gießt, nothwendig die Kraft
zukommen, Krankheiten der Lungen zu heilen.« Dieß ist Volksphysik, die
nicht selten an die der Alten erinnert.

Wir übernachteten im Dorfe Guigue, dessen Breite ich durch Beobachtungen
des Canopus gleich 10° 4′ 11″ fand. Dieses Dorf auf trefflich angebautem
Boden liegt nur tausend Toisen vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem
alten Sergeanten, aus Murcia gebürtig, einem höchst originellen Mann. Um
uns zu beweisen, daß er bei den Jesuiten erzogen worden, sagte er uns die
Geschichte von der Erschaffung der Welt lateinisch her. Er kannte die
Namen August, Tiber, und Diocletian. Bei der angenehmen Nachtkühle in
einem Bananengehege beschäftigte er sich lebhaft mit Allem, was am Hof der
römischen Kaiser vorgefallen war. Er bat uns dringend um Mittel gegen die
Gicht, die ihn grausam plagte. »Ich weiß wohl,« sagte er, »daß ein *Zambo*
aus Valencia, ein gewaltiger »Curioso,« mich heilen kann; aber der Zambo
macht auf eine Behandlung Anspruch, die einem Menschen von seiner Farbe
nicht gebührt, und so bleibe ich lieber, wie ich bin.«

Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette, welche im Süden des
Sees gegen Guacimo und la Palma hinstreicht. Von einem Plateau herab, das
320 Toisen hoch liegt, sahen wir zum letztenmale die Thäler von Aragua.
Der Gneiß kam zu Tage; er zeigte dieselbe Streichung der Schichten,
denselben Fall nach Nordwest. Quarzadern im Gneiß sind goldhaltig; eine
benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada del Oro. Seltsamerweise begegnet
man auf jedem Schritt dem vornehmen Namen »Goldschlucht« in einem Lande,
wo ein einziges Kupferbergwerk im Betrieb ist. Wir legten fünf Meilen bis
zum Dorfe Maria Magdalena zurück, und weitere zwei zur Villa de Cura. Es
war Sonntag. Im Dorfe Maria Magdalena waren die Einwohner vor der Kirche
versammelt. Man wollte unsere Maulthiertreiber zwingen anzuhalten und die
Messe zu hören. Wir ergaben uns darein; aber nach langem Wortwechsel
setzten die Maulthiertreiber ihren Weg fort. Ich bemerke hier, daß dieß
das einzigemal war, wo wir einen Streit solcher Art bekamen. Man macht
sich in Europa ganz falsche Begriffe von der Unduldsamkeit und selbst vom
Glaubenseifer der spanischen Colonisten.

San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa de Cura liegt in
einem sehr dürren Thale, das von Nordwest nach Südost streicht und nach
meinen barometrischen Beobachtungen eine Meereshöhe von 266 Toisen hat.
Außer einigen Fruchtbäumen hat das Land fast gar keinen Pflanzenwuchs. Das
Plateau ist desto dürrer, da mehrere Gewässer -- ein ziemlich seltener
Fall im Urgebirge -- sich auf Spalten im Boden verlieren. Der Rio de las
Minas, nordwärts von Villa de Cura, verschwindet im Gestein, kommt wieder
zu Tage und wird noch einmal unterirdisch, ohne den See von Valencia zu
erreichen, auf den er zuläuft. Cura gleicht vielmehr einem Dorfe als einer
Stadt. Die Bevölkerung beträgt nicht mehr als 4000 Seelen, aber wir fanden
daselbst mehrere Leute von bedeutender geistiger Bildung. Wir wohnten bei
einer Familie, welche nach der Revolution von Caracas i. J. 1797 von der
Regierung verfolgt worden war. Einer der Söhne war nach langer
Gefangenschaft nach der Havana gebracht worden, wo er in einem festen
Schlosse saß. Wie freute sich die Mutter, als sie hörte, daß wir auf dem
Rückweg vom Orinoco nach der Havana kommen würden! Sie übergab mir fünf
Piaster, »all ihr Erspartes.« Gern hätte ich sie ihr zurückgegeben, aber
wie hätte ich mich nicht scheuen sollen, ihr Zartgefühl zu verletzen,
einer Mutter wehe zu thun, die in den Entbehrungen, die sie sich
auferlegt, sich glücklich fühlt! Die ganze Gesellschaft der Stadt fand
sich Abends zusammen, um in einem Guckkasten die Ansichten der großen
europäischen Städte zu bewundern. Wir bekamen die Tuilerien zu sehen und
das Standbild des großen Kurfürsten in Berlin. Es ist ein eigenes Gefühl,
seine Vaterstadt, zweitausend Meilen von ihr entfernt, in einem Guckkasten
zu erblicken.

Ein Apotheker, der durch den unseligen Hang zu bergmännischen
Unternehmungen heruntergekommen war, begleitete uns zum Serro de Chacao,
der an goldhaltigen Kiesen sehr reich ist. Der Weg läuft immer am
südlichen Abhang der Küstencordillere hinab, in welcher die Ebenen von
Aragua ein Längenthal bilden. Die Nacht des 11. brachten wir zum Theil im
Dorfe San Juan zu, bekannt wegen seiner warmen Quellen und der sonderbaren
Gestalt zweier benachbarten Berge, der sogenannten *Morros de San Juan*.
Diese Kuppen bilden steile Gipfel, die sich auf einer Felsmauer von sehr
breiter Basis erheben. Die Mauer fällt steil ab und gleicht der
*Teufelsmauer*, die um einen Strich des Harzgebirges herläuft. Diese
Kuppen sieht man sehr weit in den Llanos, sie machen starken Eindruck auf
die Einbildungskraft der Bewohner der Ebenen, die an gar keine Unebenheit
des Bodens gewöhnt sind, und so kommt es, daß ihre Höhe im Lande gewaltig
überschätzt wird. Sie sollten, wie man uns gesagt, mitten in den Steppen
liegen, während sie sich am nördlichen Saume derselben befinden, weit
jenseits einer Hügelkette, die la Galera heißt. Nach Winkeln, die im
Abstand von zwei Seemeilen genommen worden, erheben sich die Kuppen nicht
mehr als 156 Toisen über dem Dorf San Juan und 350 über dem Meer. Die
warmen Quellen entspringen am Fuß der Kuppen, die aus Uebergangskalkstein
bestehen; sie sind mit Schwefelwasserstoff geschwängert, wie die Wasser
von Mariara, und bilden einen kleinen Teich oder eine Lagune, in der ich
den Thermometer nur auf 31°,3 steigen sah.

In der Nacht vom 9. zum 10. März fand ich durch sehr befriedigende
Sternbeobachtungen die Breite von Villa de Cura 10°, 2′ 47″. Die
spanischen Officiere, welche im Jahr 1755 bei der Grenzexpedition mit
astronomischen Instrumenten an den Orinoco gekommen sind, können zu Cura
nicht beobachtet haben, denn die Karte von CAULIN und die von CRUZ
OLMEDILLA setzen diese Stadt einen Viertelsgrad zu weit südwärts.

Villa de Cura ist im Lande berühmt wegen eines wunderthätigen
Marienbildes, das Nuestra Sennora de los Valencianos genannt wird. Dieses
Bild, das um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts von einem Indianer in
einer Schlucht gefunden wurde, gab Anlaß zu einem Rechtshandel zwischen
den Städten Cura und San Sebastiano de los Reyes. Die Geistlichen der
letzteren Stadt behaupteten, die h. Jungfrau sey zuerst in ihrem Sprengel
erschienen. Der Bischof von Caracas, dem langen ärgerlichen Streite ein
Ende zu machen, ließ das Bild in das bischöfliche Archiv schaffen und
behielt es daselbst dreißig Jahre unter Siegel: es wurde den Einwohnern
von Cura erst i. J. 1802 zurückgegeben. DEPONS gibt umständliche Nachricht
von diesem seltsamen Handel.

Nachdem wir im kleinen Fluß St. Juan aus einem Bette von basaltischem
Grünstein, in frischem, klarem Wasser gebadet, setzten wir um zwei Uhr in
der Nacht unsern Weg über Ortiz und Parapara nach *Mesa de Paja* fort. Die
Llanos waren damals durch Raubgesindel unsicher, weßhalb sich mehrere
Reisende an uns anschlossen, so daß wir eine Art Caravane bildeten. Sechs
bis sieben Stunden lang ging es fortwährend abwärts; wir kamen am Cerro de
Flores vorbei, wo die Straße zum großen Dorfe San Jose de Tisnao abgeht.
An den Höfen Luque und Juncalito vorüber gelangt man in die Gründe, die
wegen des schlechten Wegs und der blauen Farbe der Schiefer Malpasso und
Piedras Azules heißen. Wir standen hier auf dem alten Gestade des großen
Beckens der Steppen, auf einem geologisch interessanten Boden.

Der südliche Abhang der Küstencordillere ist ziemlich steil, da die
Steppen nach meinen barometrischen Messungen tausend Fuß tiefer liegen als
der Boden des Beckens von Aragua. Vom weiten Plateau von Villa de Cura
kamen wir herab an das Ufer des Rio Tucutunemo, der sich ins
Serpentingestein ein von Ost nach West streichendes Längenthal gegraben
hat, ungefähr im Niveau von la Victoria. Von da führte uns ein Querthal
über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos. Dieses Thal streicht im
Ganzen von Nord nach Süd und verengt sich an mehreren Stellen. Becken mit
völlig wagrechtem Boden stehen durch schmale, abschüssige Schluchten mit
einander in Verbindung. Es waren dieß einst ohne Zweifel kleine Seen, und
durch Aufstauung der Gewässer oder durch eine noch gewaltsamere
Katastrophe sind die Dämme zwischen den Wasserbecken durchbrochen worden.
Diese Erscheinung kommt gleichzeitig in beiden Continenten vor, überall wo
Längenthäler Pässe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen bilden.(68)
Wahrscheinlich rührt die ruinenhafte Gestalt der Kappen von San Juan und
San Sebastiano von den gewaltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der
Gewässer gegen die Llanos erfolgten.

Bei der *Mesa de Paja*, unter dem 9. Grad der Breite, betraten wir das
Becken der Llanos. Die Sonne stand beinahe im Zenith; der Boden zeigte
überall, wo er von Vegetation entblöst war, eine Temperatur von 48--50°.
In der Höhe, in der wir uns auf unsern Maulthieren befanden, war kein
Lufthauch zu spüren; aber in dieser scheinbaren Ruhe erhoben sich
fortwährend kleine Staubwirbel in Folge der Luftströmungen, die dicht am
Boden durch die Temperaturunterschiede zwischen dem nackten Sand und den
mit Gras bewachsenen Flecken hervorgebracht werden. Diese »Sandwinde«
steigern die erstickende Hitze der Luft. Jedes Quarzkorn, weil es wärmer
ist als die umgebende Luft, strahlt ringsum Wärme aus, und es hält schwer
die Lufttemperatur zu beobachten, ohne daß Sandtheilchen gegen die Kugel
des Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum schienen zum Himmel
anzusteigen, und die weite unermeßliche Einöde stellte sich unsern Blicken
als eine mit Tang und Meeralgen bedeckte See dar. Da die Dunstmassen in
der Luft ungleich vertheilt waren, und die Temperaturabnahme in den
übereinandergelagerten Luftschichtens keine gleichförmige ist, so zeigte
sich der Horizont in gewissen Richtungen hell und scharf begrenzt, in
andern wellenförmig auf- und abgebogen und wie gestreift. Erde und Himmel
schmolzen dort in einander. Durch den trockenen Nebel und die
Dunstschichten gewahrte man in der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer
grünenden Wipfel beraubt, erschienen diese Stämme wie Schiffsmasten, die
am Horizont auftauchen.

Der einförmige Anblick dieser Steppen hat etwas Großartiges, aber auch
etwas Trauriges und Niederschlagendes. Es ist als ob die ganze Natur
erstarrt wäre; kaum daß hin und wieder der Schatten einer kleinen Wolke,
die durchs Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Savane
fällt. Der erste Anblick der Llanos überrascht vielleicht nicht weniger
als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer, welches auch die absolute Höhe
ihrer höchsten Gipfel seyn mag, haben eine gemeinsame Physiognomie; aber
nur schwer gewöhnt man sich an den Anblick der Llanos von Venezuela und
Casanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco, die beständig, zwanzig,
dreißig Tagereisen lang, ein Bild der Meeresfläche bieten. Ich kannte die
Ebenen oder Llanos der spanischen Mancha und die Heiden (_ericeta_), die
sich von den Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Westphalen bis nach
Belgien hinein erstrecken. Letztere sind wahre Steppen, von denen der
Mensch seit Jahrhunderten nur kleine Strecken kulturfähig zu machen im
Stande war; aber die Ebenen im Westen und Norden von Europa geben nur ein
schwaches Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im Südosten
unseres Continents, in Ungarn zwischen der Donau und der Theiß, in Rußland
zwischen dem Dnieper, dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten
Weideländer auf, die durch langen Aufenthalt der Wasser geebnet scheinen
und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die ungarischen Ebenen bereist
habe, an den Grenzen Deutschlands zwischen Preßburg und Oedenburg,
beschäftigen sie die Einbildungskraft des Reisenden durch das fortwährende
Spiel der Luftspiegelung; aber ihre weiteste Erstreckung ist ostwärts
zwischen Czegled, Debreczin und Tittel. Es ist ein grünes Meer mit zwei
Ausgängen, dem einen bei Gran und Weitzen, dem andern zwischen Belgrad und
Widdin.

Man glaubte die verschiedenen Welttheile zu charakterisiren, indem man
sagte, Europa habe *Heiden*, Asien *Steppen*, Afrika *Wüsten*, Amerika
*Savanen*; aber man stellt damit Gegensätze auf, die weder in der Natur
der Sachen, noch im Geiste der Sprachen gegründet sind. Die asiatischen
Steppen sind keineswegs überall mit Salzpflanzen bedeckt; in den Savanen
von Venezuela kommen neben den Gräsern kleine krautartige Mimosen,
Schotengewächse und andere Dicotyledonen vor. Die Ebenen der Songarei, die
zwischen Don und Wolga, die ungarischen *Puszten* sind wahre Savanen,
Weideländer mit reichem Graswuchs, während auf den Savanen ost- und
westwärts von den Rocky-Mountains und von Neu-Mexico Chenopodien mit einem
Gehalt von kohlensaurem und salzsauren Natrum vorkommen. Asien hat ächte
pflanzenlose Wüsten, in Arabien, in der Gobi, in Persien. Seit man die
Wüsten im Innern Afrika’s, was man so lange unter dem allgemeinen Namen
Sahara begriffen, näher kennen gelernt hat, weiß man, daß es im Osten
dieses Continents, wie in Arabien, Savanen und Weideländer gibt, die von
nackten, dürren Landstrichen umgeben sind. Letztere, mit losem Gestein
bedeckte, ganz pflanzenlose Wüsten, fehlen nun aber der neuen Welt fast
ganz. Ich habe dergleichen nur im niedern Strich von Peru, zwischen
Amotape und Coquimbo, am Gestade der Südsee gesehen. Die Spanier nennen
sie nicht Llanos, sondern _desiertos_ von Sechura und Atacamez. Diese
Einöde ist nicht breit, aber 440 Meilen lang. Die Gebirgsart kommt überall
durch den Flugsand zu Tag. Es fällt niemals ein Tropfen Regen, und wie in
der Sahara nördlich von Tombuctu sindet sich in der peruanischen Wüste bei
Huaura eine reiche Steinsalzgrube. Ueberall sonst in der neuen Welt gibt
es öde, weil unbewohnte Flächen, aber keine eigentlichen Wüsten.

Dieselben Erscheinungen wiederholen sich in den entlegensten Landstrichen,
und statt diese weiten baumlosen Ebenen nach den Pflanzen zu
unterscheiden, die auf ihnen vorkommen, unterscheidet man wohl am
einfachsten zwischen *Wüsten* und *Steppen* oder *Savanen*, zwischen
nackten Landstrichen ohne Spur von Pflanzenwuchs und Landstrichen, die mit
Gräsern oder kleinen Gewächsen aus der Classe der Dicotyledonen bedeckt
sind. In manchen Werken heißen die amerikanischen Savanen, namentlich die
der gemäßigten Zone, *Wiesen* (Prairien); aber diese Bezeichnung paßt, wie
mir dünkt, schlecht auf Weiden, die oft sehr dürr, wenn auch mit 4 bis 5
Fuß hohen Kräutern bedeckt sind. Die amerikanischen Llanos oder Pampas
sind wahre *Steppen*. Sie sind in der Regenzeit schön begrünt, aber in der
trockensten Jahreszeit bekommen sie das Ansehen von Wüsten. Das Kraut
zerfällt zu Staub, der Boden berstet, das Krokodil und die großen
Schlangen liegen begraben im ausgedörrten Schlamm, bis die ersten
Regengüsse im Frühjahr sie aus der langen Erstarrung wecken. Diese
Erscheinungen kommen auf dürren Landstrichen von 50--60 Quadratmeilen
überall vor, wo keine Gewässer durch die Savane strömen; denn am Ufer der
Bäche und der kleinen Stücke stehenden Wassers stößt der Reisende von Zeit
zu Zeit selbst in der dürrsten Jahreszeit auf Gebüsche der Mauritia, einer
Palmenart, deren fächerförmige Blätter beständig glänzend grün sind.

Die asiatischen Steppen liegen alle außerhalb der Wendekreise und bilden
sehr hohe Plateaus. Auch Amerika hat auf dem Rücken der Gebirge von
Mexico, Peru und Quito Savanen von bedeutender Ausdehnung, aber seine
ausgedehntesten Steppen, die Llanos von Cumana, Caracas und Meta, erheben
sich nur sehr wenig über dem Meeresspiegel und fallen alle in die
Aequinoctialzone. Diese Umstände ertheilen ihnen einen eigenthümlichen
Charakter. Die Seen ohne Abfluß, die kleinen Flußsysteme, die sich im Sand
verlieren oder durch die Gebirgsart durchseigen, wie sie den Steppen im
östlichen Asien und den persischen Wüsten eigen sind, kommen hier nicht
vor. Die amerikanischen Llanos fallen gegen Ost und Süd und ihre
strömenden Gewässer laufen in den Orinoco.

Nach dem Lauf dieser Flüsse hatte ich früher geglaubt, daß die Ebenen
Plateaus bilden müßten, die mindestens 100 bis 150 Toisen über dem Meer
gelegen wären. Ich dachte mir, auch die Wüsten im inneren Afrika müßten
beträchtlich hoch liegen und stufenweise von den Küsten bis ins Innere des
großen Continents über einander aufsteigen. Bis jetzt ist noch kein
Barometer in die Sahara gekommen. Was aber die amerikanischen Llanos
betrifft, so zeigen die Barometerhöhen, die ich zu Calabozo, zu Villa del
Pao und an der Mündung des Meta beobachtet, daß sie nicht mehr als 40 bis
50 Toisen über dem Meeresspiegel liegen. Die Flüsse haben einen sehr
schwachen, oft kaum merklichen Fall. So kommt es, daß beim geringsten
Wind, und wenn der Orinoco anschwillt, die Flüsse, die in ihn fallen,
rückwärts gedrängt werden. Im Rio Arauca bemerkt man häufig diese Strömung
*nach oben*. Die Indianer glauben einen ganzen Tag lang abwärts zu
schiffen, während sie von der Mündung gegen die Quellen fahren. Zwischen
den abwärtsströmenden und den aufwärtsströmenden Gewässern bleibt eine
bedeutende Wassermasse still stehen, in der sich durch
Gleichgewichtsstörung Wirbel bilden, die den Fahrzeugen gefährlich werden.

Der eigenthümlichste Zug der Savanen oder Steppen Südamerikas ist die
völlige Abwesenheit aller Erhöhungen, die vollkommen wagerechte Lage des
ganzen Bodens. Die spanischen Eroberer, die zuerst von Coro her an die
Ufer des Apure vordrangen, haben sie daher auch weder Wüsten, noch
Savanen, noch Prairien genannt, sondern Ebenen, _los Llanos_. Auf dreißig
Quadratmeilen zeigt der Boden oft keine fußhohe Unebenheit. Diese
Aehnlichkeit mit der Meeresfläche drängt sich der Einbildungskraft
besonders da auf, wo die Ebenen gar keine Palmen tragen, und wo man von
den Bergen an der Küste und vom Orinoco so weit weg ist, daß man dieselben
nicht sieht, wie in der Mesa de Pavones. Dort könnte man sich versucht
fühlen, mit einem Reflexionsinstrument Sonnenhöhen aufzunehmen, wenn nicht
der *Land-Horizont*, in Folge des wechselnden Spiels der Refractionen,
beständig in Nebel gehüllt wäre. Diese Ebenheit des Bodens ist noch
vollständiger unter dem Meridian von Calabozo als gegen Ost zwischen Cari,
Villa del Pao und Nueva Barcelona; aber sie herrscht ohne Unterbrechung
von den Mündungen des Orinoco bis zur Villa de Araure und Ospinos, auf
einem *Parallel* von 180 Meilen, und von San Carlos bis zu den Savanen am
Caqueta aus, einem *Meridian* von 200 Meilen. Sie vor Allem ist
charakteristisch für den neuen Continent, so wie für die asiatischen
Steppen zwischen dem Dnieper und der Wolga, zwischen dem Irtisch und dem
Obi. Dagegen zeigen die Wüsten im inneren Afrika, in Arabien, Syrien und
Persien, die Cobi und die Casna viele Bodenunebenheiten, Hügelreihen,
wasserlose Schluchten und festes Gestein, das aus dem Sand hervorragt.

Trotz der scheinbaren Gleichförmigkeit ihrer Fläche finden sich indessen
in den Llanos zweierlei Unebenheiten, die dem aufmerksamen Beobachter
nicht entgehen. Die erste Art nennt man _bancos_; es sind wahre Bänke,
Untiefen im Steppenbecken, zerbrochene Schichten von festem Sandstein oder
Kalkstein, die 4 bis 5 Fuß höher liegen als die übrige Ebene. Diese Bänke
sind zuweilen drei bis vier Meilen lang; sie sind vollkommen eben und
wagerecht und man bemerkt ihr Vorhandenseyn überhaupt nur dann, wenn man
ihre Ränder vor sich hat. Die zweite Unebenheit läßt sich nur durch
geodätische oder barometrische Messungen oder am Lauf der Flüsse erkennen;
sie heißt Mesa. Es sind dieß kleine Plateaus, oder vielmehr convexe
Erhöhungen, die unmerklich zu einigen Toisen Höhe ansteigen. Dergleichen
sind ostwärts in der Provinz Cumana, im Norden von Villa de la Merced und
Candelaria, die *Mesas Amana, Guanipa und Jonoro*, die von Südwest nach
Nordost streichen und trotz ihrer unbedeutenden Höhe die Wasser zwischen
dem Orinoco und der Nordküste von Terra firma scheiden. Nur die sanfte
Wölbung der Savane bildet die Wasserscheide; hier sind die _divortia
aquarum_,(69) wie in Polen, wo fern von den Karpathen die Wasserscheide
zwischen dem baltischen und dem schwarzen Meere in der Ebene selbst liegt.
Die Geographen setzen da, wo eine Wasserscheide ist, immer Bergzüge
voraus, und so sieht man denn auch auf den Karten dergleichen um die
Quellen des Rio Neveri, des Unare, des Guarapiche und des Pao
eingezeichnet. Dieß erinnert an die mongolischen Priester, die nach einem
alten abergläubischen Brauch an allen Stellen, wo die Wasser nach
entgegengesetzten Seiten fließen, *Obos* oder kleine Steinhaufen
errichten.

Das ewige Einerlei der Llanos, die große Seltenheit von bewohnten Plätzen,
die Beschwerden der Reise unter einem glühenden Himmel und bei
stauberfüllter Luft, die Aussicht auf den Horizont, der beständig vor
einem zurückzuweichen scheint, die vereinzelten Palmstämme, deren einer
aussieht wie der andere, und die man gar nicht erreichen zu können meint,
weil man sie mit andern Stämmen verwechselt, die nach einander am
Gesichtskreis auftauchen -- all dieß zusammen macht, daß einem die Steppen
noch weit größer vorkommen, als sie wirklich sind. Die Pflanzer am
Südabhang des Küstengebirges sehen die Steppen grenzenlos, gleich einem
grünen Ocean gegen Süd sich ausdehnen. Sie wissen, daß man vom Delta des
Orinoco bis in die Provinz Barinas und von dort über die Flüsse Meta,
Guaviare und Caguan, Anfangs von Ost nach West, sodann von Nordost nach
Nordwest, 380 Meilen weit in den Steppen fortziehen kann, bis über den
Aequator hinaus an den Fuß der Anden von Pasto. Sie kennen nach den
Berichten der Reisenden die Pampas von Buenos Ayres, die gleichfalls mit
feinem Gras bewachsene, baumlose Llanos sind und von verwilderten Rindern
und Pferden wimmeln. Sie sind, nach Anleitung unserer meisten Karten von
Amerika, der Meinung, der Continent habe nur Eine Bergkette, die der
Anden, die von Süd nach Nord läuft, und nach einem unbestimmten
systematischen Begriff lassen sie alle Ebenen vom Orinoco und vom Apure an
bis zum Rio de la Plata und der Magellan’schen Meerenge untereinander
zusammenhängen.

Ich entwerfe im Folgenden ein möglichst klares und gedrängtes Bild vom
allgemeinen Bau eines Festlandes, dessen Endpunkte, unter so verschiedenen
Klimaten sie auch liegen, in mehreren Zügen mit einander übereinkommen. Um
den Umriß und die Grenzen der Ebenen richtig aufzufassen, muß man die
Bergketten kennen, welche den Uferrand derselben bilden. Von der
Küstencordillere, deren höchster Gipfel die Silla bei Caracas ist, und die
durch den Paramo de las Rosas mit dem Nevado von Merida und den Anden von
Neu-Grenada zusammenhängt, haben wir bereits gesprochen. Eine zweite
Bergkette, oder vielmehr ein minder hoher, aber weit breiterer Bergstock
läuft zwischen dem 3. und 7. Parallelkreise von den Mündungen des Guaviare
und Meta zu den Quellen des Orinoco, Marony und Esquibo, gegen das
holländische und französische Guyana zu. Ich nenne diese Kette die
*Cordillere der Parime* oder der großen Fälle des Orinoco; man kann sie
250 Meilen weit verfolgen, es ist aber nicht sowohl eine Kette, als ein
Haufen granitischer Berge, zwischen denen kleine Ebenen liegen und die
nicht überall Reihen bilden. Der Bergstock der Parime verschmälert sich
bedeutend zwischen den Quellen des Orinoco und den Bergen von Demerary zu
den Sierras von Quimiropaca und Pacaraimo, welche die Wasserscheide bilden
zwischen dem Carony und dem Rio Parime oder Rio de Aguas blancas. Dieß ist
der Schauplatz der Unternehmungen, um den Dorado aufzusuchen und die große
Stadt Manoa, das Tombuctu der neuen Welt. Die Cordillere der Parime hängt
mit den Anden von Neu-Grenada nicht zusammen; sie sind durch einen 80
Meilen breiten Zwischenraum getrennt. Dächte man sich, dieselbe sey hier
durch eine große Erdumwälzung zerstört worden, was übrigens gar nicht
wahrscheinlich ist, so müßte man annehmen, sie sey einst von den Anden
zwischen Santa Fe de Bogota und Pamplona abgegangen. Diese Bemerkung mag
dazu dienen, die geographische Lage dieser Cordillere, die bis jetzt sehr
wenig bekannt geworden, dem Leser besser einzuprägen. -- Eine dritte
Bergkette verbindet unter dem 16. und 18. Grad südl. Breite (über Santa
Cruz de la Sierra, die Serranias von Aguapehy und die vielberufenen Campos
dos Parecis) die peruanischen Anden mit den Gebirgen Brasiliens. Dieß ist
die *Cordillere von Chiquitos*, die in der Capitania von Minas Geraes
breiter wird und die Wasserscheide zwischen dem Amazonenstrom und dem La
Plata bildet, nicht nur im innern Lande, im Meridian von Villa Boa,
sondern bis wenige Meilen von der Küste, zwischen Rio Janeiro und Bahia.

Diese drei Querketten oder vielmehr diese drei *Bergstöcke*, welche
innerhalb der Grenzen der heißen Zone von West nach Ost streichen, sind
durch völlig ebene Landstriche getrennt, *die Ebenen von Caracas* oder am
untern Orinoco, *die Ebenen des Amazonenstroms* und des Rio Negro, *die
Ebenen von Buenos Ayres* oder des La Plata. Ich brauche nicht den Ausdruck
*Thäler*, weil der untere Orinoco und der Amazonenstrom keineswegs in
einem Thale fließen, sondern nur in einer weiten Ebene eine kleine Rinne
bilden. Die beiden Becken an den beiden Enden Südamerikas sind Savanen
oder Steppen, baumlose Weiden; das mittlere Becken, in welches das ganze
Jahr die tropischen Regen fallen, ist fast durchgängig ein ungeheurer
Wald, in dem es keinen andern Pfad gibt als die Flüsse. Wegen des
kräftigen Pflanzenwuchses, der den Boden überzieht, fällt hier die
Ebenheit desselben weniger auf, und nur die Becken von Caracas und La
Plata nennt man *Ebenen*. In der Sprache der Colonisten heißen die drei
eben beschriebenen Becken: die *Llanos* von Barinas und Caracas, die
*Bosques* oder *Selvas* (Wälder) des Amazonenstromes, und die *Pampas* von
Buenos Ayres. Der Wald bedeckt nicht nur größtentheils die *Ebenen des
Amazonenstroms* von der Cordillere von Chiquitos bis zu der der Parime, er
überzieht auch diese beiden Bergketten, welche selten die Höhe der
Pyrenäen erreichen. Deßhalb sind die weiten Ebenen des Amazonenstromes,
des Madeira und Rio Negro nicht so scharf begrenzt wie die *Llanos* von
Caracas und die *Pampas* von Buenos Ayres. Da die *Waldregion* Ebenen und
Gebirge zugleich begreift, so erstreckt sie sich vom 18° südlicher bis zum
7 und 8° nördlicher Breite, und umfaßt gegen 120,000 Quadratmeilen. Dieser
Wald des südlichen Amerika, denn im Grunde ist es nur Einer, ist sechsmal
größer als Frankreich; die Europäer kennen ihn nur an den Ufern einiger
Flüsse, die ihn durchströmen, und er hat Lichtungen, deren Umfang mit dem
des Forstes im Verhältniß steht. Wir werden bald an sumpfigen Savanen
zwischen dem obern Orinoco, dem Conorichite und Cassiquiare, unter dem 3.
und 4. Grad der Breite, vorüberkommen. Unter demselben Parallelkreise
liegen andere Lichtungen oder _Savanas limpias_(70) zwischen den Quellen
des Mao und des Rio de Aguas blancas, südlich von der Sierra Pacaraima.
Diese letzteren Savanen sind von Caraiben und nomadischen Macusis bewohnt;
sie ziehen sich bis nahe an die Grenzen des holländischen und
französischen Guyana fort.

Wir haben die geologischen Verhältnisse von Südamerika geschildert; heben
wir jetzt die Hauptzüge heraus. Den Westküsten entlang läuft eine
ungeheure Gebirgsmauer, reich an edlen Metallen überall, wo das
vulkanische Feuer sich nicht durch den ewigen Schnee Bahn gebrochen: dieß
ist die *Cordillere der Anden*. Gipfel von Trappporphyr steigen hier zu
mehr als 3300 Toisen Höhe auf, und die mittlere Höhe der Kette beträgt
1850 Toisen. Sie streicht in der Richtung eines Meridians fort und schickt
in jeder Halbkugel, unter dem 10. Grad nördlicher und unter dem 16. und
18. Grad südlicher Breite einen Seitenzweig ab. Der erstere dieser Zweige,
die Küstencordillere von Caracas, ist minder breit und bildet eine
eigentliche Kette. Der zweite, die Cordillere von Chiquitos und an den
Quellen des Guapore, ist sehr reich an Gold und breitet sich ostwärts, in
Brasilien, zu weiten Plateaus mit gemäßigtem Klima aus. Zwischen diesen
beiden, mit den Anden zusammenhängenden Querketten liegt vom 3. zum 7.
Grad nördlicher Breite eine abgesonderte Gruppe granitischer Berge, die
gleichfalls parallel mit dem Aequator, jedoch nicht über den 71. Grad der
Länge fortstreicht, dort gegen Westen rasch abbricht und mit den Anden von
Neu-Grenada nicht zusammenhängt. Diese drei Querketten haben keine
thätigen Vulkane; wir wissen aber nicht, ob auch die südlichste, gleich
den beiden andern, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer
Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere Höhe der
Cordillere der Parime und der Küstencordillere von Caracas beträgt nicht
ganz 600 Toisen, wobei übrigens manche Gipfel sich doch 1400 Toisen über
das Meer erheben. Zwischen den drei Querketten liegen Ebenen, die
sämmtlich gegen West geschlossen, gegen Ost und Südost offen sind. Bedenkt
man ihre so unbedeutende Höhe über dem Meer, so fühlt man sich versucht,
sie als *Golfe* zu betrachten, die in der Richtung des Rotationsstroms
fortstreichen. Wenn in Folge einer ungewöhnlichen Anziehung die Gewässer
des atlantischen Meers an der Mündung des Orinoco um fünfzig Toisen, an
der Mündung des Amazonenstroms um zweihundert Toisen stiegen, so würde die
Fluth mehr als die Hälfte von Südamerika bedecken. Der Ostabhang oder der
Fuß der Anden, der jetzt sechshundert Meilen von den Küsten Brasiliens
abliegt, wäre ein von der See bespültes Ufer. Diese Betrachtung gründet
sich auf eine barometrische Messung in der Provinz Jaen de Bracamoros, wo
der Amazonenstrom aus den Cordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß
dort der ungeheure Strom bei mittlerem Wasserstand nur 194 Toisen über dem
gegenwärtigen Spiegel des atlantischen Meeres liegt. Und diese in der
Mitte gelegenen waldbedeckten Ebenen liegen noch fünfmal höher als die
grasbewachsenen Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas und am
Meta.

Diese Llanos, welche das Becken des untern Orinoco bilden und die wir
zweimal im selben Jahr, in den Monaten März und Juli, durchzogen haben,
hängen zusammen mit dem Becken des Amazonenstroms und des Rio Negro, das
einerseits durch die Cordillere von Chiquitos, andererseits durch die
Gebirge der Parime begrenzt ist. Dieser Zusammenhang vermittelt sich durch
die Lücke zwischen den letzteren und den Anden von Neu-Grenada. Der Boden
in seinem Anblick erinnert hier, nur daß der Maaßstab ein weit größerer
ist, an die lombardischen Ebenen, die sich auch nur 50 bis 60 Toisen über
das Meer erheben und einmal von der Brenta nach Turin von Ost nach West,
dann von Turin nach Coni von Nord nach Süd streichen. Wenn andere
geologische Thatsachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am untern
Orinoco, am Amazonenstrom und am Rio de la Plata als alte Seebecken zu
betrachten, so ließen sich die Ebenen am Rio Vichada und am Meta als ein
Kanal ansehen, durch den die Wasser des oberen Sees, des auf den Ebenen
des Amazonenstroms, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas,
durchgebrochen wären und dabei die Cordillere der Parime von der der Anden
getrennt hätten. Dieser Kanal ist eine Art Land-Meerenge (_détroit
terrestre_). Der durchaus ebene Boden zwischen dem Guaviare, dem Meta und
Apure zeigt keine Spur von gewaltsamem Einbruch der Gewässer; aber am Rand
der Cordillere der Parime, zwischen dem 4. und 7. Grad der Breite, hat
sich der Orinoco, der von seiner Quelle bis zur Einmündung des Guaviare
westwärts fließt, auf seinem Lauf von Süd nach Nord durch das Gestein
einen Weg gebrochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald sehen
werden, auf dieser Strecke. Aber mit der Einmündung des Apure, dort, wo im
so niedrig gelegenen Lande der Abhang gegen Nord mit dem Gegenhang nach
Südost zusammentrifft, das heißt mit der Böschung der Ebenen, die
unmerklich gegen die Gebirge von Caracas *ansteigen*, macht der Fluß
wieder eine Biegung und strömt sofort ostwärts. Ich glaubte den Leser
schon hier auf diese sonderbaren Windungen des Orinoco aufmerksam machen
zu müssen, weil er mit seinem Lauf, als zwei Becken zumal angehörend,
selbst auf den mangelhaftesten Karten gewissermaßen die Richtung des
Theils der Ebenen bezeichnet, der zwischen die Anden von Neu-Grenada und
den westlichen Saum der Gebirge der Parime eingeschoben ist.

Die Llanos oder Steppen am untern Orinoco und am Meta führen, gleich den
afrikanischen Wüsten, in ihren verschiedenen Strichen verschiedene Namen.
Von den Boccas del Dragon an folgen von Ost nach West auf einander: die
Llanos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder Venezuela. Wo die
Steppen vom 8. Breitegrad an, zwischen dem 70. und 73. Grad der Länge,
sich nach Süd und Süd-Süd-West wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos
von Barinas, Casanare, Meta, Guaviare, Caguan und Caqueta. In den Ebenen
von Barinas kommen einige nicht sehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein
nicht mehr vorhandenes Volk deuten. Man findet zwischen Mijagual und dem
Caño de la Hacha wahre Grabhügel, dort zu Lande _Serillos de los Indios_
genannt. Es sind kegelförmige Erhöhungen, aus Erde von Menschenhand
aufgeführt, und sie bergen ohne Zweifel menschliche Gebeine, wie die
Grabhügel in den asiatischen Steppen. Ferner beim Hato de la Calzada,
zwischen Barinas und Caragua, sieht man eine hübsche Straße, fünf Meilen
lang, vor der Eroberung, in sehr alter Zeit von den Eingeborenen angelegt.
Es ist ein Erddamm, fünfzehn Fuß hoch, der über eine häufig überschwemmte
Ebene führt. Hatten sich etwa civilisirtere Völker von den Gebirgen von
Truxillo und Merida über die Ebenen am Rio Apure verbreitet? Die heutigen
Indianer zwischen diesem Fluß und dem Meta sind viel zu versunken, um an
die Errichtung von Kunststraßen oder Grabhügeln zu denken.

Ich habe den Flächenraum dieser Llanos von der Caqueta bis zum Apure und
vom Apure zum Delta des Orinoco auf 17,000 Quadratmeilen (20 auf den Grad)
berechnet. Der von Nord nach Süd sich erstreckende Theil ist beinahe
doppelt so groß als der von Ost nach West zwischen dem untern Orinoco und
der Küstencordillere von Caracas streichende. Die *Pampas* nord- und
nordwestwärts von Buenos Ayres, zwischen dieser Stadt und Cordova, Jujuy
und Tucuman, sind ungefähr eben so groß als die Llanos; aber die Pampas
setzen sich noch 18 Grad weiter nach Süden fort, und sie erstrecken sich
über einen so weiten Landstrich, daß am einen Saume Palmen wachsen,
während der andere, eben so niedrig gelegene und ebene, mit ewigem Eis
bedeckt ist.

Die amerikanischen Llanos sind da, wo sie parallel mit dem Aequator
streichen, viermal schmäler als die große afrikanische Wüste. Dieser
Umstand ist von großer Bedeutung in einem Landstrich, wo die Richtung der
Winde beständig von Ost nach West geht. Je weiter Ebenen in dieser
Richtung sich erstrecken, desto heißer ist ihr Klima. Das große
afrikanische Sandmeer hängt über Yemen mit Gedrosia und Beludschistan bis
ans rechte Ufer des Indus zusammen; und in Folge der Winde, die über die
ostwärts gelegenen Wüsten weggegangen sind, ist das Becken des rothen
Meers, in der Mitte von Ebenen, welche auf allen Punkten Wärme strahlen,
eine der heißesten Gegenden des Erdballs. Der unglückliche Capitän Tuckey
berichtet, daß der hunderttheilige Thermometer sich dort fast immer bei
Nacht auf 34°, bei Tag auf 40 bis 44° hält. Wie wir bald sehen werden,
haben wir selbst im westlichsten Theil der Steppen von Caracas die
Temperatur der Luft, im Schatten und vom Boden entfernt, selten über 37°
gefunden.

An diese physikalischen Betrachtungen über die Steppen der neuen Welt
knüpfen sich andere, höhere, solche, die sich auf die Geschichte unserer
Gattung beziehen. Das große afrikanische Sandmeer, die wasserlosen Wüsten
sind nur von Caravanen besucht, die bis zu 50 Tagen brauchen, sie zu
durchziehen. Die Sahara trennt die Völker von Negerbildung von den Stämmen
der Araber und Berbern und ist nur in den Oasen bewohnt. Weiden hat sie
nur im östlichen Striche, wo als Wirkung der Passatwinde die Sandschicht
weniger dick ist, so daß die Quellen zu Tage brechen können. Die Steppen
Amerikas sind nicht so breit, nicht so glühend heiß, sie werden von
herrlichen Strömen befruchtet und sind so dem Verkehr der Völker weit
weniger hinderlich. Die *Llanos* trennen die Küstencordillere von Caracas
und die Anden von Neu-Grenada von der Waldregion, von jener Hyläa(71) des
Orinoco, die schon bei der Entdeckung Amerikas von Völkern bewohnt war,
welche auf einer weit tieferen Stufe der Cultur standen, als die Bewohner
der Küsten und vor allen des Gebirgslands der Cordilleren. Indessen waren
die Steppen einst so wenig eine Schutzmauer der Cultur, als sie
gegenwärtig für die in den Wäldern lebenden Horden eine Schutzmauer der
Freiheit sind. Sie haben die Völker am untern Orinoco nicht abgehalten,
die kleinen Flüsse hinaufzufahren und nach Nord und West Einfälle ins Land
zu machen. Hätte es die mannigfaltige Verbreitung der Thiergeschlechter
über die Erde mit sich gebracht, daß das Hirtenleben in der neuen Welt
bestehen konnte; hätten vor der Ankunft der Spanier auf den Llanos und
Pampas so zahlreiche Heerden von Rindern und Pferden geweidet wie jetzt,
so wäre Columbus das Menschengeschlecht hier in ganz anderer Verfassung
entgegengetreten. Hirten-Völker, die von Milch und Käse leben, wahre
Nomaden hätten diese weiten, mit einander zusammenhängenden Ebenen
durchzogen. In der trockenen Jahreszeit und selbst zur Zeit der
Ueberschwemmungen hätten sie den Besitz der Weiden einander streitig
gemacht, sie hätten einander unterjocht, und vereint durch das gemeinsame
Band der Sitten, der Sprache und der Gottesverehrung, sich zu der Stufe
von Halbcultur erhoben, die uns bei den Völkern mongolischen und
tartarischen Stammes überraschend entgegentritt. Dann hätte Amerika,
gleich dem mittleren Asien, seine Eroberer gehabt, welche aus den Ebenen
zum Plateau der Cordilleren hinauf stiegen, dem umherschweifenden Leben
entsagten, die cultivirten Völker von Peru und Neu-Grenada unterjochten,
den Thron der Incas und des Zaque(72) umstürzten und an die Stelle des
Despotismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Despotismus setzten,
wie ihn das patriarchalische Regiment der Hirtenvölker mit sich bringt.
Die Menschheit der neuen Welt hat diese großen moralischen und politischen
Wechsel nicht durchgemacht, und zwar weil die Steppen, obgleich
fruchtbarer als die asiatischen, ohne Heerden waren, weil keines der
Thiere, die reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigenthümlich
ist, und weil in der Entwicklung amerikanischer Cultur das Mittelglied
zwischen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern fehlte.

Die hier mitgetheilten allgemeinen Bemerkungen über die Ebenen des neuen
Continents und ihre Eigenthümlichkeiten gegenüber den Wüsten Afrikas und
den fruchtbaren Steppen Asiens schienen mir geeignet, den Bericht einer
Reise durch so einförmige Landstriche anziehender zu machen. Jetzt aber
mag mich der Leser auf unserem Wege von den vulkanischen Bergen von
Parapara und dem nördlichen Saum der Llanos zu den Ufern des Apure in der
Provinz Barinas begleiten.

Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde gewesen und vergeblich unter Gebüsch von
Murichipalmen Schutz gegen die Sonnengluth gesucht hatten, kamen wir vor
Nacht zum kleinen Hofe »_el Cayman_« auch la Guadalupe genannt. Es ist
dieß ein _Hato de ganado_, das heißt ein einsames Haus in der Steppe,
umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte Hütten. Das Vieh,
Rinder, Pferde, Maulthiere, ist nicht eingepfercht; es läuft frei auf
einem Flächenraum von mehreren Quadratmeilen. Nirgends ist eine Umzäunung.
Männer, bis zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, streifen zu
Pferd über die Savanen, um die Heerden im Auge zu behalten,
zurückzutreiben, was sich zu weit von den Weiden des Hofes verläuft, mit
dem glühenden Eisen zu zeichnen, was noch nicht den Stempel des
Eigenthümers trägt. Diese Farbigen, _Peones llaneros_ genannt, sind zum
Theil Freie oder Freigelassene, zum Theil Sklaven. Nirgends ist der Mensch
so anhaltend dem sengenden Strahl der tropischen Sonne ausgesetzt. Sie
nähren sich von luftdürrem, schwach gesalzenem Fleisch; selbst ihre Pferde
fressen es zuweilen. Sie sind beständig im Sattel und meinen nicht den
unbedeutendsten Gang zu Fuß machen zu können. Wir trafen im Hof einen
alten Negersklaven, der in der Abwesenheit des Herrn das Regiment führte.
Heerden von mehreren tausend Kühen sollten in der Steppe weiden; trotzdem
baten wir vergeblich um einen Topf Milch. Man reichte uns in
Tutumofrüchten gelbes, schlammigtes, stinkendes Wasser: es war aus einem
Sumpf in der Nähe geschöpft. Die Bewohner der Llanos sind so träg, daß sie
gar keine Brunnen graben, obgleich man wohl weiß, daß sich fast
allenthalben in zehn Fuß Tiefe gute Quellen in einer Schicht von
Conglomerat oder rothem Sandstein finden. Nachdem man die eine Hälfte des
Jahres durch die Ueberschwemmungen gelitten, erwägt man in der andern
geduldig den peinlichsten Wassermangel. Der alte Neger rieth uns, das
Gefäß mit einem Stück Leinwand zu bedecken und so gleichsam durch ein
Filtrum zu trinken, damit uns der üble Geruch nicht belästigte und wir vom
feinen, gelblichten Thon, der im Wasser suspendirt ist, nicht so viel zu
verschlucken hätten. Wir ahnten nicht, daß wir von nun an Monate lang auf
dieses Hülfsmittel angewiesen seyn würden. Auch das Wasser des Orinoco hat
sehr viele erdigte Bestandtheile; es ist sogar stinkend, wo in
Flußschlingen todte Krokodile auf den Sandbänken liegen oder halb im
Schlamm stecken.

Kaum war abgepackt und unsere Instrumente aufgestellt, so ließ man unsere
Maulthiere laufen und, wie es dort heißt, »Wasser in der Savane suchen.«
Rings um den Hof sind kleine Teiche; die Thiere finden sie, geleitet von
ihrem Instinkt, von den Mauritia-Gebüschen, die hie und da zu sehen sind,
und von der feuchten Kühlung, die ihnen in einer Atmosphäre, die uns ganz
still und regungslos erscheint, von kleinen Luftströmen zugeführt wird.
Sind die Wasserlachen zu weit entfernt und die Knechte im Hof zu faul, um
die Thiere zu diesen natürlichen Tränken zu führen, so sperrt man sie
fünf, sechs Stunden lang in einen recht heißen Stall, bevor man sie laufen
läßt. Der heftige Durst steigert dann ihren Scharfsinn, indem er gleichsam
ihre Sinne und ihren Instinkt schärft. So wie man den Stall öffnet, sieht
man Pferde und Maulthiere, die letzteren besonders, vor deren Spürkraft
die Intelligenz der Pferde zurückstehen muß, in die Savane hinausjagen.
Den Schwanz hoch gehoben, den Kopf zurückgeworfen, laufen sie gegen den
Wind und halten zuweilen an, wie um den Raum auszukundschaften; sie
richten sich dabei weniger nach den Eindrücken des Gesichts als nach denen
des Geruchs, und endlich verkündet anhaltendes Wiehern, daß sich in der
Richtung ihres Laufs Wasser findet. In den Llanos geborene Pferde, die
sich lange in umherschweifenden Rudeln frei getummelt haben, sind in allen
diesen Bewegungen rascher und kommen dabei leichter zum Ziele als solche,
die von der Küste herkommen und von zahmen Pferden abstammen. Bei den
meisten Thieren, wie beim Menschen, vermindert sich die Schärfe der Sinne
durch lange Unterwürfigkeit und durch die Gewöhnungen, wie feste Wohnsitze
und die Fortschritte der Cultur sie mit sich bringen.

Wir gingen unsern Maulthieren nach, um zu einer der Lachen zu gelangen,
aus denen man das trübe Wasser schöpft, das unsern Durst so übel gelöscht
hatte. Wir waren mit Staub bedeckt, verbrannt vom Sandwind, der die Haut
noch mehr angreift als die Sonnenstrahlen. Wir sehnten uns nach einem Bad,
fanden aber nur ein großes Stück stehenden Wassers, mit Palmen umgeben.
Das Wasser war trüb, aber zu unserer großen Verwunderung etwas kühler als
die Luft. Auf unserer langen Reise gewöhnt, zu baden, so oft sich
Gelegenheit dazu bot, oft mehrmals des Tages, besannen wir uns nicht lange
und sprangen in den Teich. Kaum war das behagliche Gefühl der Kühlung über
uns gekommen, als ein Geräusch am entgegengesetzten Ufer uns schnell
wieder aus dem Wasser trieb. Es war ein Krokodil, das sich in den Schlamm
grub. Es wäre unvorsichtig gewesen, zur Nachtzeit an diesem sumpfigten Ort
zu verweilen.

Wir waren nur eine Viertelmeile vom Hof entfernt, wir gingen aber über
eine Stunde und kamen nicht hin. Wir wurden zu spät gewahr, daß wir eine
falsche Richtung eingeschlagen. Wir hatten bei Anbruch der Nacht, noch ehe
die Sterne sichtbar wurden, den Hof verlassen und waren auf Gerathewohl in
der Ebene fortgegangen. Wir hatten, wie immer, einen Compaß bei uns; auch
konnten wir uns nach der Stellung des Canopus und des südlichen Kreuzes
leicht orientiren; aber all dieß half uns zu nichts, weil wir nicht gewiß
wußten, ob wir vom Hof weg nach Ost oder nach Süd gegangen waren. Wir
wollten an unsern Badeplatz zurück und gingen wieder drei Viertelstunden,
ohne den Teich zu finden. Oft meinten wir Feuer am Horizont zu sehen; es
waren aufgehende Sterne, deren Bild durch die Dünste vergrößert wurde.
Nachdem wir lange in der Savane umhergeirrt, beschlossen wir, unter einem
Palmbaume, an einem recht trockenen, mit kurzem Gras bewachsenen Ort uns
niederzusetzen; denn frisch angekommene Europäer fürchten sich immer mehr
vor den Wasserschlangen als vor den Jaguars. Wir durften nicht hoffen, daß
unsere Führer, deren träge Gleichgültigkeit uns wohl bekannt war, uns in
der Savane suchen würden, bevor sie ihre Lebensmittel zubereitet und
abgespeist hätten. Je bedenklicher unsere Lage war, desto freudiger
überraschte uns ferner Hufschlag, der auf uns zukam. Es war ein mit einer
Lanze bewaffneter Indianer, der vom »_Rodeo_« zurückkam, das heißt von der
Streife, durch die man das Vieh auf einen bestimmten Raum zusammentreibt.
Beim Anblick zweier Weißen, die verirrt seyn wollten, dachte er zuerst an
irgend eine böse List von unserer Seite, und es kostete uns Mühe, ihm
Vertrauen einzuflößen. Endlich ließ er sich willig finden, uns zum Hof zu
führen, ritt aber dabei in seinem kurzen Trott weiter. Unsere Führer
versicherten, »sie hätten bereits angefangen besorgt um uns zu werden,«
und diese Besorgnis; zu rechtfertigen, zählten sie eine Menge Leute her,
die, in den Llanos verirrt, im Zustand völliger Erschöpfung gefunden
worden. Die Gefahr kann begreiflich nur dann sehr groß seyn, wenn man weit
von jedem Wohnplatz abkommt, oder wenn man, wie es in den letzten Jahren
vorgekommen ist, von Räubern geplündert und an Leib und Händen an einen
Palmstamm gebunden wird.

Um von der Hitze am Tage weniger zu leiden, brachen wir schon um 2 Uhr in
der Nacht auf und hofften vor Mittag *Calabozo* zu erreichen, eine kleine
Stadt mit lebhaftem Handel, die mitten in den Llanos liegt. Das Bild der
Landschaft ist immer dasselbe. Der Mond schien nicht, aber die großen
Haufen von Nebelsternen, die den südlichen Himmel schmücken, beleuchteten
im Niedergang einen Theil des Land-Horizonts. Das erhabene Schauspiel des
Sternengewölbes in seiner ganzen unermeßlichen Ausdehnung, der frische
Luftzug, der bei Nacht über die Ebene streicht, das Wogen des Grases,
überall wo es eine gewisse Höhe erreicht -- Alles erinnerte uns an die
hohe See. Vollends stark wurde die Täuschung (man kann es nicht oft genug
sagen), als die Sonnenscheibe am Horizont erschien, ihr Bild durch die
Strahlenbrechung sich verdoppelte, ihre Abplattung nach kurzer Frist
verschwand, und sie nun rasch gerade zum Zenith aufstieg.

Sonnenaufgang ist auch in den Ebenen der kühlste Zeitpunkt am Tage; aber
dieser Temperaturwechsel macht keinen bedeutenden Eindruck auf die Organe.
Wir sahen den Thermometer meist nicht unter 27°,5 [22° Reaumur] fallen,
während bei Acapulco in Mexico auf gleichfalls sehr tiefem Boden die
Temperatur um Mittag oft 32°, bei Sonnenaufgang 17--18° beträgt. In den
Llanos absorbirt die ebene, bei Tag niemals beschattete Fläche so viel
Wärme, daß Erde und Luft, trotz der nächtlichen Strahlung gegen einen
wolkenlosen Himmel, von Mitternacht bis zu Sonnenaufgang sich nicht
merkbar abkühlen können. In Calabozo war im März die Temperatur bei Tag
31--32°,5, bei Nacht 28--29°. Die mittlere Temperatur dieses Monats, der
nicht der heißeste im Jahr ist, mag etwa 30°,6 seyn, eine ungeheure Hitze
für ein Land unter den Tropen, wo Tage und Nächte fast immer gleich lang
sind. In Cairo ist die mittlere Temperatur des heißesten Monats nur 29°,9,
in Madras 31°,8, und zu Abushär im persischen Meerbusen, von wo Reihen von
Beobachtungen vorliegen, 34°; aber die mittleren Temperaturen des ganzen
Jahres sind in Madras und Abushär niedriger als in Calabozo. Obgleich ein
Theil der Llanos, gleich den fruchtbaren Steppen Sibiriens, von kleinen
Flüssen durchströmt wird, und ganz dürre Striche von Land umgeben sind,
das in der Regenzeit unter Wasser steht, so ist die Luft dennoch im
Allgemeinen äußerst trocken. Delucs Hygrometer zeigte bei Tag 34°, bei
Nacht 36°.

Wie die Sonne zum Zenith aufstieg und die Erde und die über einander
gelagerten Luftschichten verschiedene Temperaturen annahmen, zeigte sich
das Phänomen der *Luftspiegelung* mit seinen mannichfaltigen Abänderungen.
Es ist dieß in allen Zonen eine ganz gewöhnliche Erscheinung, und ich
erwähne hier derselben nur, weil wir Halt machten, um die Breite des
Luftraumes zwischen dem Horizont und dem aufgezogenen Bilde mit einiger
Genauigkeit zu messen. Das Bild war immer hinaufgezogen, *aber nicht
verkehrt*. Die kleinen, über die Bodenfläche wegstreichenden Luftströme
hatten eine so veränderliche Temperatur, daß in einer Heerde wilder Ochsen
manche mit den Beinen in der Luft zu schweben schienen, während andere auf
dem Boden standen. Der Luftstrich war, je nach der Entfernung des Thiers,
3--4 Minuten breit. Wo Gebüsche der Mauritiapalme in langen Streifen
hinliefen, schwebten die Enden dieser grünen Streifen in der Luft, wie die
Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegenstand meiner Beobachtungen
gewesen.(73) Ein unterrichteter Mann versicherte uns, er habe zwischen
Calabozo und Urituru das verkehrte Bild eines Thieres gesehen, ohne
direktes Bild. Niebuhr hat in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters
meinten wir am Horizont Grabhügel und Thürme zu erblicken, die von Zeit zu
Zeit verschwanden, ohne daß wir die wahre Gestalt der Gegenstände
auszumitteln vermochten. Es waren wohl Erdhaufen, kleine Erhöhungen,
jenseits des gewöhnlichen Gesichtskreises gelegen. Ich spreche nicht von
den pflanzenlosen Flächen, die sich als weite Seen mit wogender Oberfläche
darstellten. Wegen dieser Erscheinung, die am frühesten beobachtet worden
ist, heißt die Luftspiegelung im Sanscrit ausdrucksvoll die *Sehnsucht
(der Durst) der Antilope*. Die häufigen Anspielungen der indischen,
persischen und arabischen Dichter auf diese magischen Wirkungen der
irdischen Strahlenbrechung sprechen uns ungemein an. Die Griechen und
Römer waren fast gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem Reichthum
ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten sie wenig Sinn für eine
solche Poesie der Wüste. Die Geburtsstätte derselben ist Asien; den
Dichtern des Orients wurde sie durch die natürliche Beschaffenheit ihrer
Länder an die Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die sich
gleich Meeresarmen und Buchten zwischen Länder eindrängen, welche die
Natur mit überschwenglicher Fruchtbarkeit geschmückt, wurde für sie zu
einer Quelle der Begeisterung.

Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh, das sich bei Nacht
längs der Teiche oder unter Murichi- und Rhopalabüschen gelagert hatte,
sammelte sich zu Heerden, und die Einöde bevölkerte sich mit Pferden,
Maulthieren und Rindern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als
freie Thiere leben, ohne festen Wohnplatz, der Pflege und des Schutzes des
Menschen leicht entbehrend. In diesen heißen Landstrichen sind die Stiere,
obgleich von spanischer Race wie die auf den kalten Plateaus von Quito,
von sanfterem Temperament. Der Reisende läuft nie Gefahr, angefallen und
verfolgt zu werden, was uns bei unsern Wanderungen auf dem Rücken der
Cordilleren oft begegnet ist. Dort ist das Klima rauh, zu heftigen Stürmen
geneigt, die Landschaft hat einen wilderen Charakter und das Futter ist
nicht so reichlich. In der Nähe von Calabozo sahen wir Heerden von Rehen
friedlich unter Pferden und Rindern weiden. Sie heißen *Matacani*; ihr
Fleisch ist sehr gut. Sie sind etwas größer als unsere Rehe und gleichen
Damhirschen mit sehr glattem, fahlbraunem, weiß getupftem Fell. Ihre
Geweihe schienen mir einfache Spieße. Sie waren fast gar nicht scheu, und
in Rudeln von 30--40 Stück bemerkten wir mehrere ganz weiße. Diese
Spielart kommt bei den großen Hirschen in den kalten Landstrichen der
Anden häufig vor; in diesen tiefen, heißen Ebenen mußten wir sie
auffallend finden. Ich habe seitdem gehört, daß selbst beim Jaguar in den
heißen Landstrichen von Paraguay zuweilen *Albinos* vorkommen, mit so
gleichförmig weißem Fell, daß man die Flecken oder Ringe nur im Reflex der
Sonne bemerkt. Die Matacanis oder kleinen Damhirsche sind so häufig in den
Llanos, daß ihre Häute einen Handelsartikel abgeben könnten. Ein gewandter
Jäger könnte über zwanzig im Tage schießen. Aber die Einwohner sind so
träge, daß man sich oft gar nicht die Mühe nimmt, dem Thier die Haut
abzuziehen. Ebenso ist es mit der Jagd auf den Jaguar oder großem
amerikanischen Tiger. Ein Jaguarfell, für das man in den Steppen von
Barinas nur einen Piaster bezahlt, kostet in Cadix vier bis fünf Piaster.

Die Steppen, die wir durchzogen, sind hauptsächlich mit Gräsern bewachsen,
mit Killingia, Cenchrus, Paspalum. Diese Gräser waren in dieser Jahreszeit
bei Calabozo und St. Geronimo del Pirital kaum 9 bis 10 Zoll hoch. An den
Flüssen Apure und Portuguesa wachsen sie bis 4 Fuß hoch, so daß der Jaguar
sich darin verstecken und die Pferde und Maulthiere in der Ebene
überfallen kann. Unter die Gräser mischen sich einige Dicotyledonen, wie
Turnera, Malvenarten, und was sehr auffallend ist, kleine Mimosen mit
reizbaren Blättern, von den Spaniern _Dormideras_ genannt. Derselbe
Rinderstamm, der in Spanien mit Klee und Esper gemästet wird, findet hier
ein treffliches Futter an den krautartigen Sensitiven. Die Weiden, wo
diese Sensitiven besonders häufig vorkommen, werden theurer als andere
verkauft. Im Osten, in den Llanos von Cari und Barcelona, sieht man Cypura
und Craniolaria mit der schönen weißen, 6--8 Zoll langen Blüthe sich
einzeln über die Gräser erheben. Am fettesten sind die Weiden nicht nur an
den Flüssen, welche häufig austreten, sondern überall, wo die Palmen
dichter stehen. Ganz baumlose Flecke sind die unfruchtbarsten, und es wäre
wohl vergebliche Mühe, sie anbauen zu wollen. Dieser Unterschied kann
nicht daher rühren, daß die Palmen Schatten geben und den Boden von der
Sonne weniger ausdörren lassen. In den Wäldern am Orinoco habe ich
allerdings Bäume aus dieser Familie mit dicht belaubten Kronen gesehen;
aber am Palmbaum der Llanos, der Palmade de Cobija [Dachpalme, _Corypha
tectorum_], ist der Schatten eben nicht sehr zu rühmen. Diese Palme hat
sehr kleine, gefaltete, handförmige Blätter, gleich denen des Chamärops,
und die untern sind immer vertrocknet. Es befremdete uns, daß fast alle
diese Coryphastämme gleich groß waren, 20 bis 24 Fuß hoch, bei 8 bis 10
Zoll Durchmesser unten am Stamm. Nur wenige Palmenarten bringt die Natur
in so ungeheuren Mengen hervor. Unter Tausenden mit olivenförmigen
Früchten beladenen Stämmen fanden wir etwa ein Hundert ohne Früchte.
Sollten unter den Stämmen mit hermaphroditischer Blüthe einige mit
einhäusigen Blüthen vorkommen? Die Llaneros, die Bewohner der Ebenen,
schreiben allen diesen Bäumen von unbedeutender Höhe ein Alter von
mehreren Jahrhunderten zu. Ihr Wachsthum ist fast unmerklich, nach
zwanzig, dreißig Jahren fällt es kaum auf. Die Palma de Cobija liefert
übrigens ein treffliches Bauholz. Es ist so hart, daß man nur mit Mühe
einen Nagel einschlägt. Die fächerförmig gefalteten Blätter dienen zum
Decken der zerstreuten Hütten in den Llanos, und diese Dächer halten über
20 Jahre aus. Man befestigt die Blätter dadurch, daß man die Enden der
Blattstiele umbiegt, nachdem man dieselben zwischen zwei Steinen
geschlagen, damit sie sich biegen, ohne zu brechen.

Außer den einzelnen Stämmen dieser Palme findet man hie und da in der
Steppe Gruppen von Palmen, wahre Gebüsche (_Palmares_), wo sich zur
Corypha ein Baum aus der Familie der Proteaceen gesellt, den die
Eingebornen _Chaparro_ nennen, eine neue Art _Rhopala_ mit harten,
rasselnden Blättern. Die kleineren Rhopalagebüsche heißen _Chaparrales_
und man kann sich leicht denken, daß in einer weiten Ebene, wo nur zwei
oder drei Baumarten wachsen, der Chaparro, der Schatten gibt, für ein sehr
werthvolles Gewächs gilt. Der Corypha ist in den Llanos von Caracas von
der Mesa de Paja bis an den Guayaval verbreitet; weiter nach Nord und
Nordwest, am Guanare und San Carlos, tritt eine andere Art derselben
Gattung mit gleichfalls handförmigen, aber größeren Blättern an seine
Stelle. Sie heißt _Palma real de los Llanos_. Südlich vom Guayaval
herrschen andere Palmen, namentlich der *Piritu* mit gefiederten Blättern
und der *Murichi* (Moriche), den Pater GUMILLA als _arbol de la vida_ so
hoch preist. Es ist dieß der Sagobaum Amerikas; er liefert »victum et
amictum«(74) Mehl, Wein, Faden zum Verfertigen der Hängematten, Körbe,
Netze und Kleider. Seine tannenzapfenförmigen, mit Schuppen bedeckten
Früchte gleichen ganz denen des _Calamus Rotang_; sie schmecken etwas wie
Apfel; reif sind sie innen gelb, außen roth. Die Brüllaffen sind sehr
lüstern darnach, und die Völkerschaft der Guaranos, deren Existenz fast
ganz an die Murichipalme geknüpft ist, bereitet daraus ein gegohrenes,
säuerliches, sehr erfrischendes Getränk. Diese Palme mit großen,
glänzenden, fächerförmig gefalteten Blättern bleibt auch in der dürrsten
Jahreszeit lebhaft grün. Schon ihr Anblick gibt das Gefühl angenehmer
Kühlung, und die mit ihren schuppigen Früchten behangene Murichipalme
bildet einen auffallenden Contrast mit der trübseligen Palma de Cobija,
deren Laub immer grau und mit Staub bedeckt ist. Die Llaneros glauben,
ersterer Baum ziehe die Feuchtigkeit der Luft an sich, und deßhalb finde
man in einer gewissen Tiefe immer Wasser um seinen Stamm, wenn man den
Boden ausgräbt. Man verwechselt hier Wirkung und Ursache. Der Murichi
wächst vorzugsweise an feuchten Stellen, und richtiger sagte man, das
Wasser ziehe den Baum an. Es ist eine ähnliche Schlußfolge, wenn die
Eingeborenen am Orinoco behaupten, die großen Schlangen helfen einen
Landstrich feucht erhalten. Ein alter Indianer in Javita sagte uns mit
großer Wichtigkeit: »Vergeblich sucht man Wasserschlangen, wo es keine
Sümpfe gibt; denn es sammelt sich kein Wasser, wenn man die Schlangen, die
es anziehen, unvorsichtigerweise umbringt.«

Auf dem Wege über die Mesa bei Calabozo litten wir sehr von der Hitze. Die
Temperatur der Luft stieg merkbar, so oft der Wind zu wehen anfing. Die
Luft war voll Staub, und während der Windstöße stieg der Thermometer auf
40 bis 41°. Wir kamen nur langsam vorwärts, denn es wäre gefährlich
gewesen, die Maulthiere, die unsere Instrumente trugen, dahinten zu
lassen. Unsere Führer gaben uns den Rath, Rhopalablätter in unsere Hüte zu
stecken, um die Wirkung der Sonnenstrahlen auf Haare und Scheitel zu
mildern. Wir fühlten uns durch dieses Mittel erleichtert, und wir fanden
es besonders dann ausgezeichnet, wenn man Blätter von Pothos oder einer
andern Arumart haben kann.

Bei der Wanderung durch diese glühenden Ebenen drängt sich einem von
selbst die Frage auf, ob sie von jeher in diesem Zustand dagelegen, oder
ob sie durch eine Naturumwälzung ihres Pflanzenwuchses beraubt worden? Die
gegenwärtige Humusschicht ist allerdings sehr dünn. Die Eingeborenen sind
der Meinung, die _Palmares_ und _Chaparrales_ (die kleinen Gebüsche von
Palmen und Rhopala) seyen vor der Ankunft der Spanier häufiger und größer
gewesen. Seit die Llanos bewohnt und mit verwilderten Hausthieren
bevölkert sind, zündet man häufig die Savane an, um die Weide zu
verbessern. Mit den Gräsern werden dabei zufällig auch die zerstreuten
Baumgruppen zerstört. Die Ebenen waren ohne Zweifel im fünfzehnten
Jahrhundert nicht so kahl wie gegenwärtig; indessen schon die ersten
Eroberer, die von Coro herkamen, beschreiben sie als Savanen, in denen man
nichts sieht als Himmel und Rasen, im Allgemeinen baumlos und beschwerlich
zu durchziehen, wegen der Wärmestrahlung des Bodens. Warum erstreckt sich
der mächtige Wald am Orinoco nicht weiter nordwärts auf dem linken Ufer
des Flusses? Warum überzieht er nicht den weiten Landstrich bis zur
Küstencordillere, da dieser doch von zahlreichen Gewässern befruchtet
wird? Diese Frage hängt genau zusammen mit der ganzen Geschichte unseres
Planeten. Ueberläßt man sich geologischen Träumen, denkt man sich, die
amerikanischen Steppen und die Wüste Sahara seyen durch einen Einbruch des
Meeres ihres ganzen Pflanzenwuchses beraubt worden, oder aber, sie seyen
ursprünglich der Boden von Binnenseen gewesen, so leuchtet ein, daß sogar
in Jahrtausenden Bäume und Gebüsche vom Saume der Wälder, vom Uferrand der
kahlen oder mit Rasen bedeckten Ebenen nicht bis zur Mitte derselben
vordringen und einen so ungeheuern Landstrich mit ihrem Schattendach
überwölben konnten. Der Ursprung kahler, von Wäldern umschlossener Savanen
ist noch schwerer zu erklären, als die Thatsache, daß Wälder und Savanen,
gerade wie Festländer und Meere, in ihren alten Grenzen verharren.

In *Calabozo* wurden wir im Hause des Verwalters der _Real Hacienda_, Don
Miguel Cousin, aufs gastfreundlichste aufgenommen. Die Stadt, zwischen den
Flüssen Guarico und Uritucu gelegen, hatte damals nur 5000 Einwohner, aber
ihr Wohlstand war sichtbar im Steigen. Der Reichthum der meisten Einwohner
besteht in Heerden, die von Pächtern besorgt werden, von sogenannten
_Hateros_, von _Hato_, was im Spanischen ein Haus oder einen Hof im
Weideland bedeutet. Die über die Llanos zerstreute Bevölkerung drängt sich
an gewissen Punkten, namentlich in der Nähe der Städte enger zusammen, und
so hat Calabozo in seiner Umgebung bereits fünf Dörfer oder Missionen. Man
berechnet das Vieh, das auf den Weiden in der Nähe der Stadt läuft, auf
98,000 Stücke. Die Heerden auf den Llanos von Caracas, Barcelona, Cumana
und des spanischen Guyana sind sehr schwer genau zu schätzen. DEPONS, der
sich länger als ich in Caracas aufgehalten hat, und dessen statistische
Angaben im Ganzen genau sind, rechnet auf den weiten Ebenen von den
Mündungen des Orinoco bis zum See Maracaybo 1,200,000 Rinder, 180,000
Pferde und 90,000 Maulthiere. Den Ertrag der Heerden schätzt er auf 5
Millionen Franken, wobei neben der Ausfuhr auch der Werth der im Lande
consumirten Häute in Anschlag gebracht ist. In den Pampas von Buenos Ayres
sollen 12 Millionen Rinder und 3 Millionen Pferde laufen, ungerechnet das
Vieh, das für herrenlos gilt.

Ich lasse mich nicht auf solche allgemeine Schätzungen ein, die der Natur
der Sache nach sehr unzuverlässig sind; ich bemerke nur, daß die Besitzer
der großen Hatos in den Llanos von Caracas selbst gar nicht wissen, wie
viel Stücke Vieh sie besitzen. Sie wissen nur, wie viele junge Thiere
jährlich mit dem Buchstaben oder der Figur, wodurch die Heerden sich
unterscheiden, gezeichnet werden. Die reichsten Viehbesitzer zeichnen
gegen 14,000 Stücke im Jahr und verkaufen 5 bis 6000. Nach den officiellen
Angaben belief sich die Ausfuhr an Häuten aus der ganzen _Capitania
general_ jährlich nur nach den Antillen auf 174,000 Rindshäute und 11,500
Ziegenhäute. Bedenkt man nun, daß diese Angaben sich nur auf die
Zollregister gründen, in denen vom Schleichhandel mit Häuten keine Rede
ist, so möchte man glauben, daß das Hornvieh auf den Llanos vom Carony und
dem Guarapiche bis zum See Maracaybo zu 1,200,000 Stück viel zu niedrig
angeschlagen ist. Der einzige Hafen von Guayra hat nach den Zollregistern
von 1789--1792 jährlich 70--80,000 Häute ausgeführt, wovon kaum ein
Fünftheil nach Spanien. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts belief sich
nach Don FELIX D’AZZARA die Ausfuhr von Buenos Ayres auf 800,000 Häute.
Man zieht in der Halbinsel die Häute von Caracas denen von Buenos Ayres
vor, weil letztere in Folge des weiteren Transports beim Gerben 12 Procent
Abgang haben. Der südliche Strich der Savanen, gemeiniglich _Llanos de
arriba_ genannt, ist ausnehmend reich an Maulthieren und Rindvieh; da aber
die Weiden dort im Ganzen minder gut sind, muß man die Thiere auf andere
Ebenen treiben, um sie vor dem Verkauf fett zu machen. Die Llanos von
Monaï und alle _Llanos de abaxo_ haben weniger Heerden, aber die Weiden
sind dort so fett, daß sie vortreffliches Fleisch für den Bedarf der Küste
liefern. Die Maulthiere, die erst im fünften Jahre zum Dienste taugen, und
dann _Mulas de saca_ heißen, werden schon an Ort und Stelle für 14--18
Piaster verkauft. Im Ausfuhrhafen gelten sie 25 Piaster, und auf den
Antillen steigt ihr Preis oft auf 60--80 Piaster. Die Pferde der Llanos
stammen von der schönen spanischen Race und sind nicht groß. Sie sind
meist einfarbig, dunkelbraun, wie die meisten wilden Thiere. Bald dem
Wassermangel, bald Ueberschwemmungen, dem Stich der Insekten, dem Biß
großer Fledermäuse ausgesetzt, führen sie ein geplagtes, ruheloses Leben.
Wenn sie einige Monate unter menschlicher Pflege gewesen sind, entwickeln
sich ihre guten Eigenschaften und kommen zu Tag. Ein wildes Pferd gilt in
den Pampas von Buenos Ayres ½--1 Piaster, in den Llanos von Caracas 2--3
Piaster; aber der Preis des Pferdes steigt, sobald es gezähmt und zum
Ackerbau tüchtig ist. Schafe gibt es keine; Schafheerden haben wir nur auf
dem Plateau der Provinz Quito gesehen.

Die Rindvieh-Hatos haben in den letzten Jahren viel zu leiden gehabt durch
Banden von Landstreichern, die durch die Steppen streifen und das Vieh
tödten, nur um die Haut zu verkaufen. Diese Räuberei hat um sich
gegriffen, seit der Handel mit dem untern Orinoco blühender geworden ist.
Ein halbes Jahrhundert lang waren die Ufer dieses großen Stromes von der
Einmündung des Apure bis Angostura nur den Missionären bekannt. Vieh wurde
nur aus den Häfen der Nordküste, aus Cumana, Barcelona, Burburata und
Porto Cabello ausgeführt. In neuester Zeit ist diese Abhängigkeit von der
Küste weit geringer geworden. Der südliche Strich der Ebenen ist in
starken Verkehr mit dem untern Orinoco getreten, und dieser Handel ist
desto lebhafter, da sich die Verbote dabei leicht umgehen lassen.

Die größten Heerden in den Llanos besitzen die Hatos Merecure, La Cruz,
Belen, Alta Gracia und Pavon. Das spanische Vieh ist von Coro und Tocuyo
in die Ebenen gekommen. Die Geschichte bewahrt den Namen des Colonisten,
der zuerst den glücklichen Gedanken hatte, diese Grasfluren zu bevölkern,
auf denen damals nur Damhirsche und eine große Aguti-Art, _Cavia Capybara_
im Lande *Chiguire* genannt, weideten. Christoval Rodriguez schickte ums
Jahr 1548 das erste Hornvieh in die Llanos. Er wohnte in der Stadt Tocuyo
und hatte lange in Neu-Grenada gelebt.

Wenn man von der »unzählbaren Menge« von Hornvieh, Pferden und Maulthieren
auf den amerikanischen Ebenen sprechen hört, so vergißt man gewöhnlich,
daß es im civilisirten Europa bei ackerbauenden Völkern auf viel kleinerer
Bodenfläche gleich ungeheure Mengen gibt. Frankreich hat nach PEUCHET 6
Millionen Stück Hornvieh, wovon 3,500,000 Ochsen zum Ackerbau verwendet
werden. In der österreichischen Monarchie schätzt Lichtenstern 13,400,000
Ochsen, Kühe und Kälber. Paris allein verzehrt jährlich 155,000 Stück
Rindvieh; nach Deutschland werden alle Jahre aus Ungarn 150,000 Ochsen
eingeführt. Die Hausthiere in nicht starken Heerden gelten bei
ackerbauenden Völkern als ein untergeordneter Gegenstand des
Nationalreichthums. Sie wirken auch weit weniger auf die Einbildungskraft
als die umherschweifenden Rudel von Rindern und Pferden, die einzige
Bevölkerung der unangebauten Steppen der neuen Welt. Cultur und
bürgerliche Ordnung wirken in gleichem Maaße auf die Vermehrung der
menschlichen Bevölkerung und auf die Vervielfältigung der dem Menschen
nützlichen Thiere.

Wir fanden in Calabozo, mitten in den Llanos, eine Elektrisirmaschine mit
großen Scheiben, Elektrophoren, Batterien, Elektrometern, kurz einen
Apparat, fast so vollständig, als unsere Physiker in Europa sie besitzen.
Und all dieß war nicht in den Vereinigten Staaten gekauft, es war das Werk
eines Mannes, der nie ein Instrument gesehen, der Niemanden zu Rathe
ziehen konnte, der die elektrischen Erscheinungen nur aus der Schrift des
SIGAUD DE LA FOND und aus FRANKLINs Denkwürdigkeiten kannte. Carlos del
Pozo -- so heißt der achtungswürdige, sinnreiche Mann -- hatte zuerst aus
großen Glasgefäßen, an denen er die Hälse abschnitt, Cylindermaschinen
gebaut. Erst seit einigen Jahren hatte er sich aus Philadelphia zwei
Glasplatten verschafft, um eine Scheibenmaschine bauen und somit
bedeutendere elektrische Wirkungen hervorbringen zu können. Man kann sich
vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten Pozo zu kämpfen hatte, seit die
ersten Schriften über Elektricität ihm in die Hände gefallen waren, und er
den kühnen Entschluß faßte, Alles, was er in den Büchern beschrieben fand,
mit Kopf und Hand nachzumachen und herzustellen. Bisher hatte er sich bei
seinen Experimenten nur am Erstaunen und der Bewunderung von ganz rohen
Menschen ergötzt, die nie über die Wüste der Llanos hinausgekommen waren.
Unser Aufenthalt in Calabozo verschaffte ihm einen ganz neuen Genuß. Er
mußte natürlich Werth auf das Urtheil zweier Reisenden legen, die seine
Apparate mit den europäischen vergleichen konnten. Ich hatte verschiedene
Elektrometer bei mir, mit Stroh, mit Korkkügelchen, mit Goldplättchen,
auch eine kleine Leidner Flasche, die nach der Methode von INGENHOUSS
durch Reibung geladen wurde und mir zu physiologischen Versuchen diente.
Pozo war außer sich vor Freude, als er zum erstenmal Instrumente sah, die
er nicht selbst verfertigt, und die den seinigen nachgemacht schienen. Wir
zeigten ihm auch die Wirkungen des Contakts heterogener Metalle auf die
Nerven des Frosches. Die Namen Galvani und Volta waren in diesen weiten
Einöden noch nicht gehört worden.

Was nach den elektrischen Apparaten von der gewandten Hand eines
sinnreichen Einwohners der Llanos uns in Calabozo am meisten beschäftigte,
das waren die Zitteraale, die lebendige elektrische Apparate sind. Mit der
Begeisterung, die zum Forschen treibt, aber der richtigen Auffassung des
Erforschten hinderlich wird, hatte ich mich seit Jahren täglich mit den
Erscheinungen der galvanischen Elektricität beschäftigt; ich hatte, indem
ich Metallscheiben aufeinander legte und Stücke Muskelfleisch oder andere
feuchte Substanzen dazwischen brachte, mir unbewußt, ächte *Säulen*
aufgebaut, und so war es natürlich, daß ich mich seit unserer Ankunft in
Cumana eifrig nach elektrischen Aalen umsah. Man hatte uns mehrmals welche
versprochen, wir hatten uns aber immer getäuscht gesehen. Je weiter von
der Küste weg, desto werthloser wird das Geld, und wie soll man über das
unerschütterliche Phlegma des Volkes Herr werden, wo der Stachel der
Gewinnsucht fehlt?

Die Spanier begreifen unter dem Namen _tembladores_ (Zitterer) alle
elektrischen Fische. Es gibt welche im antillischen Meer an den Küsten von
Cumana. Die Guayqueries, die gewandtesten und fleißigsten Fischer in jener
Gegend, brachten uns einen Fisch, der, wie sie sagten, ihnen die Hände
starr machte. Dieser Fisch geht im kleinen Flusse Manzanares aufwärts. Es
war eine neue Art _Raja_ mit kaum sichtbaren Seitenflecken, dem
Zitterrochen Galvanis ziemlich ähnlich. Die Zitterrochen haben ein
elektrisches Organ, das wegen der Durchsichtigkeit der Haut schon außen
sichtbar ist, und bilden eine eigene Gattung oder doch eine Untergattung
der eigentlichen Rochen. Der cumanische Zitterrochen war sehr munter,
seine Muskelbewegungen sehr kräftig, dennoch waren die elektrischen
Schläge, die wir von ihm erhielten, äußerst schwach. Sie wurden stärker,
wenn wir das Thier mittelst der Berührung von Zink und Gold galvanisirten.
Andere Tembladores, ächte Gymnoten oder Zitteraale, kommen im Rio
Colorado, im Guarapiche und verschiedenen kleinen Bächen in den Missionen
der Chaymas-Indianer vor. Auch in den großen amerikanischen Flüssen, im
Orinoco, im Amazonenstrom, im Meta sind sie häufig, aber wegen der starken
Strömung und des tiefen Wassers schwer zu fangen. Die Indianer fühlen weit
häufiger ihre elektrischen Schläge beim Schwimmen, und Baden im Fluß, als
daß sie dieselben zu sehen bekommen. In den Llanos, besonders in der Nähe
von Calabozo, zwischen den Höfen Morichal und den Missionen _de arriba_
und _de abaxo_ sind die Gymnoten in den Stücken stehenden Wassers und in
den Zuflüssen des Orinoco (im Rio Guarico, in den Caños Rastro, Berito und
Paloma) sehr häufig. Wir wollten zuerst in unserem Hause zu Calabozo
unsere Versuche anstellen; aber die Furcht vor den Schlägen des Gymnotus
ist im Volk so übertrieben, daß wir in den ersten drei Tagen keinen
bekommen konnten, obgleich sie sehr leicht zu fangen sind und wir den
Indianern zwei Piaster für jeden recht großen und starken Fisch
versprochen hatten. Diese Scheu der Indianer ist um so sonderbarer, als
sie von einem nach ihrer Behauptung ganz zuverlässigen Mittel gar keinen
Gebrauch machen. Sie versichern die Weißen, so oft man sie über die
Schläge der Tembladores befragt, man könne sie ungestraft berühren, wenn
man dabei Tabak kaue. Dieses Mährchen vom Einfluß des Tabaks auf die
thierische Elektricität ist auf dem Continent von Südamerika so weit
verbreitet, als unter den Matrosen der Glaube, daß Knoblauch und Unschlitt
auf die Magnetnadel wirken.

Des langen Wartens müde, und nachdem ein lebender, aber sehr erschöpfter
Gymnotus, den wir bekommen, uns sehr zweifelhafte Resultate geliefert,
gingen wir nach dem Caño de Bera, um unsere Versuche im Freien,
unmittelbar am Wasser anzustellen. Wir brachen am 19. März in der Frühe
nach dem kleinen Dorf Rastro _de abaxo_ auf, und von dort führten uns
Indianer zu einem Bach, der in der dürren Jahreszeit ein schlammigtes
Wasserbecken bildet, um das schöne Bäume stehen, Clusia, Amyris, Mimosen
mit wohlriechenden Blüthen. Mit Netzen sind die Gymnoten sehr schwer zu
fangen, weil der ausnehmend bewegliche Fisch sich gleich den Schlangen in
den Schlamm eingräbt. Die Wurzeln der _Piscidia Erythrina_ der _Jacquinia
armillaris_ und einiger Arten von _Phyllanthus_ haben die Eigenschaft, daß
sie, in einen Teich geworfen, die Thiere darin berauschen oder betäuben:
dieses Mittel, den sogenannten *Barbasco*, wollten wir nicht anwenden, da
die Gymnoten dadurch geschwächt worden wären. Da sagten die Indianer, sie
wollen *mit Pferden fischen*, _embarbascar con cavallos_ [Wörtlich: mit
Pferden die Fische einschläfern oder betäuben]. Wir hatten keinen Begriff
von einer so seltsamen Fischerei; aber nicht lange, so kamen unsere Führer
aus der Savane zurück, wo sie ungezähmte Pferde und Maulthiere
zusammengetrieben. Sie brachten ihrer etwa dreißig und jagten sie ins
Wasser.

Der ungewohnte Lärm vom Stampfen der Rosse treibt die Fische aus dem
Schlamm hervor und reizt sie zum Angriff. Die schwärzlicht und gelb
gefärbten, großen Wasserschlangen gleichenden Aale schwimmen auf der
Wasserfläche hin und drängen sich unter den Bauch der Pferde und
Maulthiere. Der Kampf zwischen so ganz verschieden organisirten Thieren
gibt das malerischste Bild. Die Indianer mit Harpunen und langen, dünnen
Rohrstäben stellen sich in dichter Reihe um den Teich; einige besteigen
die Bäume, deren Zweige sich wagerecht über die Wasserfläche breiten.
Durch ihr wildes Geschrei und mit ihren langen Rohren scheuchen sie die
Pferde zurück, wenn sie sich aufs Ufer flüchten wollen. Die Aale, betäubt
vom Lärm, vertheidigen sich durch wiederholte Schläge ihrer elektrischen
Batterien. Lange scheint es, als solle ihnen der Sieg verbleiben. Mehrere
Pferde erliegen den unsichtbaren Streichen, von denen die wesentlichsten
Organe allerwärts getroffen werden; betäubt von den starken,
unaufhörlichen Schlägen, sinken sie unter. Andere, schnaubend, mit
gesträubter Mähne, wilde Angst im starren Auge, raffen sich wieder auf und
suchen dem um sie tobenden Ungewitter zu entkommen; sie werden von den
Indiern ins Wasser zurückgetrieben. Einige aber entgehen der regen
Wachsamkeit der Fischer; sie gewinnen das Ufer, straucheln aber bei jedem
Schritt und werfen sich in den Sand, zum Tod erschöpft, mit von den
elektrischen Schlägen der Gymnoten erstarrten Gliedern.

Ehe fünf Minuten vergingen, waren zwei Pferde ertrunken; Der fünf Fuß
lange Aal drängt sich dem Pferd an den Bauch und gibt ihm nach der ganzen
Länge seines elektrischen Organs einen Schlag; das Herz, die Eingeweide
und der _plexus coeliacus_ der Abdominalnerven werden dadurch zumal
betroffen. Derselbe Fisch wirkt so begreiflicherweise weit stärker auf ein
Pferd als auf den Menschen, wenn dieser ihn nur mit einer Extremität
berührt. Die Pferde werden ohne Zweifel nicht todtgeschlagen, sondern nur
betäubt; sie ertrinken, weil sie sich nicht aufraffen können, so lange der
Kampf zwischen den andern Pferden und den Gymnoten fortdauert.

Wir meinten nicht anders, als alle Thiere, die man zu dieser Fischerei
gebraucht, müßten nach einander zu Grunde gehen. Aber allmählich nimmt die
Hitze des ungleichen Kampfes ab und die erschöpften Gymnoten zerstreuen
sich. Sie bedürfen jetzt langer Ruhe(75) und reichlicher Nahrung, um den
erlittenen Verlust an galvanischer Kraft wieder zu ersetzen. Maulthiere
und Pferde verriethen weniger Angst, ihre Mähne sträubte sich nicht mehr,
ihr Auge blickte ruhiger. Die Gymnoten kamen scheu ans Ufer des Teichs
geschwommen, und hier fing man sie mit kleinen, an langen Stricken
befestigten Harpunen. Wenn die Stricke recht trocken sind, so fühlen die
Indianer beim Herausziehen des Fisches an die Luft keine Schläge. In
wenigen Minuten hatten wir fünf große Aale, die meisten nur leicht
verletzt. Auf dieselbe Weise wurden Abends noch andere gefangen.

Die Gewässer, in denen sich die Zitteraale gewöhnlich aufhalten, haben
eine Temperatur von 26--27°. Ihre elektrische Kraft soll in kälterem
Wasser abnehmen, und es ist, wie bereits ein berühmter Physiker bemerkt
hat, überhaupt merkwürdig, daß die Thiere mit elektrischen Organen, deren
Wirkungen dem Menschen fühlbar werden, nicht in der Luft leben, sondern in
einer die Elektricität leitenden Flüssigkeit. Der Gymnotus ist der größte
elektrische Fisch; ich habe welche gemessen, die fünf Fuß und fünf Fuß
drei Zoll lang waren; die Indianer wollten noch größere gesehen haben. Ein
drei Fuß zehn Zoll langer Fisch wog zehn Pfund. Der Querdurchmesser des
Körpers (die kahnförmig verlängerte Afterflosse abgerechnet) betrug drei
Zoll fünf Linien. Die Gymnoten aus dem Cerro de Vera sind hübsch
olivengrün. Der Untertheil des Kopfes ist röthlich gelb. Zwei Reihen
kleiner gelber Flecken laufen symmetrisch über den Rücken vom Kopf bis zum
Schwanzende. Jeder Fleck umschließt einen Ausführungskanal; die Haut des
Thieres ist auch beständig mit einem Schleim bedeckt, der, wie Volta
gezeigt hat, die Elektricität 20--30mal besser leitet als reines Wasser.
Es ist überhaupt merkwürdig, daß keiner der elektrischen Fische, die bis
jetzt in verschiedenen Welttheilen entdeckt worden, mit Schuppen bedeckt
ist.

Den ersten Schlägen eines sehr großen, stark gereizten Gymnotus würde man
sich nicht ohne Gefahr aussetzen. Bekommt man zufällig einen Schlag, bevor
der Fisch verwundet oder durch lange Verfolgung erschöpft ist, so sind
Schmerz und Betäubung so heftig, daß man sich von der Art der Empfindung
gar keine Rechenschaft geben kann. Ich erinnere mich nicht, je durch die
Entladung einer großen Leidner Flasche eine so furchtbare Erschütterung
erlitten zu haben wie die, als ich unvorsichtigerweise beide Füße auf
einen Gymnotus setzte, der eben aus dem Wasser gezogen worden war. Ich
empfand den ganzen Tag heftigen Schmerz in den Knien und fast in allen
Gelenken. Will man den ziemlich auffallenden Unterschied zwischen der
Wirkung der Volta’schen Säule und der elektrischen Fische genau
beobachten, so muß man diese berühren, wenn sie sehr erschöpft sind. Die
Zitterrochen und die Zitteraale verursachen dann ein Sehnenhüpfen vom
Glied an, das die elektrischen Organe berührt, bis zum Ellbogen. Man
glaubt bei jedem Schlag innerlich eine Schwingung zu empfinden, die zwei,
drei Secunden anhält und der eine schmerzhafte Betäubung folgt. In der
ausdrucksvollen Sprache der Tamanacos heißt daher der Temblador *Arimna*,
das heißt, »der die Bewegung raubt.«

Die Empfindung bei schwachen Schlägen des Gymnotus schien mir große
Aehnlichkeit zu haben mit dem schmerzlichen Zucken, das ich fühlte, wenn
auf den wunden Stellen, die ich auf meinem Rücken durch spanische Fliegen
hervorgebracht, zwei heterogene Metalle sich berührten.(76) Dieser
Unterschied zwischen der Empfindung, welche der Schlag des elektrischen
Fisches, und der, welche eine Säule oder schwach geladene Leidner Flasche
hervorbringt, ist allen Beobachtern aufgefallen; derselbe widerspricht
indessen keineswegs der Annahme, daß die Elektricität und die galvanische
Wirkung der Fische dem Wesen nach eins sind. Die Elektricität kann
beidemal dieselbe seyn, sie mag sich aber verschieden äußern in Folge des
Baus der elektrischen Organe, der Intensität des elektrischen Fluidums,
der Schnelligkeit des Stroms oder einer eigenthümlichen Wirkungsweise. In
holländisch Guyana, zum Beispiel zu Demerary, galten früher die Zitteraale
als ein Heilmittel gegen Lähmungen. Zur Zeit, wo die europäischen Aerzte
von der Anwendung der Elektricität Großes erwarteten, gab ein Wundarzt in
Essequibo, Namens VAN DER LOTT, in Holland eine Abhandlung über die
Heilkräfte des Zitteraals heraus. Solche »elektrische Curen« kommen bei
den Wilden Amerika’s wie bei den Griechen vor. SCRIBONIUS LARGUS, GALENUS
und DIOSCORIDES berichten uns, daß der Zitterrochen Kopfweh, Migräne und
Gicht heile. In den spanischen Colonien, die ich durchreist, habe ich von
dieser Heilmethode nichts gehört; aber soviel ist gewiß, daß Bonpland und
ich, nachdem wir vier Stunden lang an Gymnoten experimentirt, bis zum
andern Tag Muskelschwäche, Schmerz in den Gelenken, allgemeine Uebligkeit
empfanden, eine Folge der heftigen Reizung des Nervensystems.

Während die Gymnoten für die europäischen Naturforscher Gegenstände der
Vorliebe und des lebhaftesten Interesses sind, werden sie von den
Eingebornen gefürchtet und gehaßt. Ihr Muskelfleisch schmeckt allerdings
nicht übel, aber der Körper besteht zum größten Theil aus dem elektrischen
Organ, und dieses ist schmierig und von unangenehmem Geschmack; man
sondert es daher auch sorgfältig vom Uebrigen ab. Zudem schreibt man es
vorzüglich den Gymnoten zu, daß die Fische in den Sümpfen und Teichen der
Llanos so selten sind. Sie tödten ihrer viel mehr, als sie verzehren, und
die Indianer erzählten uns, wenn man in sehr starken Netzen junge
Krokodile und Zitteraale zugleich fange, so sey an letzteren nie eine
Verletzung zu bemerken, weil sie die jungen, Krokodile lähmen, bevor diese
ihnen etwas anhaben können. Alle Bewohner des Wassers fliehen die
Gemeinschaft der Zitteraale. Eidechsen, Schildkröten und Frösche suchen
Sümpfe auf, wo sie vor jenen sicher sind. Bei Uritucu mußte man einer
Straße eine andere Richtung geben, weil die Zitteraale sich in einem Fluß
so vermehrt hatten, daß sie alle Jahre eine Menge Maulthiere, die belastet
durch den Fluß wateten, umbrachten.

Am 24. März verließen wir die Stadt Calabozo, sehr befriedigt von unserem
Aufenthalt und unsern Versuchen über einen so wichtigen physiologischen
Gegenstand. Ich hatte überdieß gute Sternbeobachtungen machen können und
zu meiner Ueberraschung gefunden, daß die Angaben der Karten auch hier um
einen Viertelsgrad in der Breite unrichtig sind. Vor mir hatte Niemand an
diesem Ort beobachtet, und wie denn die Geographen gewöhnlich die
Distanzen von der Küste dem Binnenlande zu zu groß annehmen, so hatten sie
auch hier alle Punkte zu weit nach Süden gerückt.

Auf dem Wege durch den südlichen Strich der Llanos fanden wir den Boden
staubiger, pflanzenloser, durch die lange Dürre zerrissener. Die Palmen
verschwanden nach und nach ganz. Der Thermometer stand von 11 Uhr bis zu
Sonnenuntergang auf 34--35°. Je ruhiger die Luft in 8--10 Fuß Höhe schien,
desto dichter wurden wir von den Staubwirbeln eingehüllt, welche von den
kleinen, am Boden, hinstreichenden Luftströmungen erzeugt werden. Gegen 4
Uhr Abends fanden wir in der Savane ein junges indianisches Mädchen. Sie
lag auf dem Rücken, war ganz nackt und schien nicht über 12--13 Jahre alt.
Sie war von Ermüdung und Durst erschöpft, Augen, Nase, Mund voll Staub,
der Athem röchelnd; sie konnte uns keine Antwort geben. Neben ihr lag ein
umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück hatten wir ein Maulthier bei
uns, das Wasser trug. Wir brachten das Mädchen zu sich, indem wir ihr das
Gesicht wuschen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war Anfangs
erschrocken über die vielen Leute um sie her, aber sie beruhigte sich nach
und nach und sprach mit unsern Führern. Sie meinte, dem Stand der Sonne
nach müsse sie mehrere Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu
zu bringen, eines unserer Lastthiere zu besteigen. Sie wollte nicht nach
Uritucu zurück; sie hatte in einem Hofe in der Nähe gedient und war von
ihrer Herrschaft verstoßen worden, weil sie in Folge einer langen
Krankheit nicht mehr soviel leisten konnte als zuvor. Unsere Drohungen und
Bitten fruchteten nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Race,
in die Gegenwart versunken ohne Bangen vor künftiger Gefahr, beharrte sie
auf ihrem Entschluß, in eine der indianischen Missionen um die Stadt
Calabozo her zu gehen. Wir schütteten den Sand aus ihrem Krug und füllten
ihn mit Wasser. Noch ehe wir wieder zu Pferd waren, setzte sie ihren Weg
in der Steppe fort. Bald entzog sie eine Staubwolke unsern Blicken.

In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in dem zahlreiche,
auffallend wilde Krokodile hausen. Man warnte uns, unsere Hunde nicht am
Fluß saufen zu lassen, weil es gar nicht selten vorkomme, daß die
Krokodile im Uritucu aus dem Wasser gehen und die Hunde aufs Ufer
verfolgen. Solche Keckheit fällt desto mehr auf, da sechs Meilen von da,
im Rio Tisnao, die Krokodile ziemlich schüchtern und unschädlich sind. Die
Sitten der Thiere einer und derselben Art zeigen Abweichungen nach
örtlichen Einflüssen, die sehr schwer aufzuklären sind. Man zeigte uns
eine Hütte oder vielmehr eine Art Schuppen, wo unser Wirth in Calabozo,
Don Miguel Cousin, einen höchst merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er
schlief mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank, da wird er
früh Morgens durch heftige Stöße und einen furchtbaren Lärm aufgeschreckt.
Erdschollen werden in die Hütte geschleudert. Nicht lange, so kommt ein
junges 2--3 Fuß langes Krokodil unter der Schlafstätte hervor, fährt auf
einen Hund los, der auf der Thürschwelle lag, verfehlt ihn im ungestümen
Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in den Fluß. Man untersuchte den Boden
unter der Barbacoa oder Lagerstätte, und da war denn der Hergang des
seltsamen Abenteuers bald klar. Man fand die Erde weit hinab aufgewühlt;
es war vertrockneter Schlamm, in dem das Krokodil im *Sommerschlaf*
gelegen hatte, in welchen Zustand manche Individuen dieser Thierart
während der dürren Jahreszeit in den Llanos verfallen. Der Lärm von
Menschen und Pferden, vielleicht auch der Geruch des Hundes hatten es
aufgeweckt. Die Hütte lag an einem Teich und stand einen Theil des Jahres
unter Wasser; so war das Krokodil ohne Zweifel, als die Savane
überschwemmt wurde, durch dasselbe Loch hineingekommen, durch das es Don
Miguel herauskommen sah. Häufig finden die Indianer ungeheure Boa’s, von
ihnen Uji oder Wasserschlangen genannt, im selben Zustand der Erstarrung.
Man muß sie, sagt man, reizen oder mit Wasser begießen, um sie zu
erwecken. Man tödtet die Boa’s und hängt sie in einen Bach, um durch die
Fäulniß die sehnigten Theile der Rückenmuskeln zu gewinnen, aus denen man
in Calabozo vortreffliche Guitarrensaiten macht, die weit besser sind als
die aus den Därmen der Brüllaffen.

Wir sehen somit, daß in den Llanos Trockenheit und Hitze auf Thiere und
Gewächse gleich dem Frost wirken. Außerhalb der Tropen werfen die Bäume in
sehr trockener Luft ihre Blätter ab. Die Reptilien, besonders Krokodile
und Boa’s, verlassen vermöge ihres trägen Naturels die Lachen, wo sie beim
Austreten der Flüsse Wasser gefunden haben, nicht leicht wieder. Je mehr
nun diese Wasserstücke eintrocknen, desto tiefer graben sich die Thiere in
den Schlamm ein, der Feuchtigkeit nach, die bei ihnen Haut und Decken
schmiegsam erhält. In diesem Zustand der Ruhe kommt die Erstarrung über
sie; sie werden wohl dabei von der äußern Luft nicht ganz abgesperrt, und
so gering auch der Zutritt derselben seyn mag, er reicht hin, den
Athmungsprozeß bei einer Eidechse zu unterhalten, die ausnehmend große
Lungensäcke hat, die keine Muskelbewegungen vornimmt und bei der fast alle
Lebensverrichtungen stocken. Die Temperatur des vertrockneten, dem
Sonnenstrahl ausgesetzten Schlammes beträgt im Mittel wahrscheinlich mehr
als 40°. Als es im nördlichen Egypten, wo im kühlsten Monat die Temperatur
nicht unter 13°,4 sinkt, noch Krokodile gab, wurden diese häufig von der
Kälte betäubt. Sie waren einem *Winterschlaf* unterworfen, gleich unsern
Fröschen, Salamandern, Uferschwalben und Murmelthieren. Wenn die
Erstarrung im Winter bei Thieren mit warmem Blut, wie bei solchen mit
kaltem vorkommt, so kann man sich eben nicht wundern, daß in beiden
Klassen auch Fälle von *Sommerschlaf* vorkommen. Gleich den Krokodilen in
Südamerika liegen die Tenrecs oder Igel auf Madagascar mitten in der
heißen Zone drei Monate des Jahres in Erstarrung.

Am 25. März kamen wir über den ebensten Strich der Steppen von Caracas,
die *Mesa de Pavones*. Die Corypha- und Murichepalme fehlen hier ganz.
Soweit das Auge reicht, gewahrt man keinen Gegenstand, der auch nur
fünfzehn Zoll hoch wäre. Die Luft war rein und der Himmel tief blau, aber
den Horizont säumte ein blasser, gelblicher Schein, der ohne Zweifel von
der Menge des in der Luft schwebenden Sandes herrührte. Wir trafen große
Heerden, und bei ihnen Schaaren schwarzer Vögel mit olivenfarbigem Glanz
von der Gattung _Crotophoga_ die dem Vieh nachgehen. Wir sahen sie häufig
den Kühen auf dem Rücken sitzen und Bremsen und andere Insekten suchen.
Gleich mehreren Vögeln dieser Einöde scheuen sie so wenig vor dem
Menschen, daß Kinder sie oft mit der Hand fangen. In den Thälern von
Aragua, wo sie sehr häufig sind, setzten sie sich am hellen Tag auf unsere
Hängematten, während wir darin lagen.

Zwischen Calabozo, Uritucu und der Mesa de Pavones kann man überall, wo
der Boden von Menschenhand wenige Fuß tief ausgegraben ist, die
geologischen Verhältnisse der Llanos beobachten. Ein rother Sandstein(77)
(altes Conglomerat) streicht über mehrere tausend Quadratmeilen weg. Wir
fanden ihn später wieder in den weiten Ebenen des Amazonenstroms, am
östlichen Saum der Provinz Jaen de Bracamoros. Diese ungeheure Verbreitung
des rothen Sandsteins auf den tiefgelegenen Landstrichen ostwärts von den
Anden ist eine der auffallendsten geologischen Erscheinungen, die ich
unter den Tropen beobachtet.

Nachdem wir in den öden Savanen der Mesa de Pavones lange ohne die Spur
eines Pfades umhergeirrt, sahen wir zu unserer freudigen Ueberraschung
einen einsamen Hof vor uns, den _Hato de alta Gracia_ der von Gärten und
kleinen Teichen mit klarem Wasser umgeben ist. Hecken von *Azedarac*
liefen um Gruppen von *Icaquesbäumen*, die voll Früchten hingen. Eine
Strecke weiter übernachteten wir beim kleinen Dorfe San Geronymo del
Guayaval, das Missionäre vom Kapuzinerorden gegründet haben. Es liegt am
Ufer des Rio Guarico, der in den Apure fällt. Ich besuchte den
Geistlichen, der in der Kirche wohnen mußte, weil noch kein Priesterhaus
gebaut war. Der junge Mann nahm uns aufs zuvorkommendste auf und gab uns
über Alles die verlangte Auskunft. Sein Dorf, oder, um den officiellen
Ausdruck der Mönche zu gebrauchen, seine *Mission*, war nicht leicht zu
regieren. Der Stifter, der keinen Anstand genommen, auf seine Rechnung
eine *Pulperia* zu errichten, das heißt sogar in der Kirche Bananen und
Guarapo zu verkaufen, war auch bei Aufnahme der Colonisten nicht ekel
gewesen. Viele Landstreicher aus den Llanos hatten sich in Guayaval
niedergelassen, weil die Einwohner einer Mission dem weltlichen Arm
entrückt sind. Hier wie in Neu-Holland kann man erst in der zweiten oder
dritten Generation auf gute Colonisten rechnen.

Wir setzten über den Rio Guarico und übernachteten in den Savanen südlich
vom Guayaval. Ungeheure Fledermäuse, wahrscheinlich von der Sippe der
Phyllostomen, flatterten, wie gewöhnlich, einen guten Theil der Nacht über
unsern Hängematten. Man meint jeden Augenblick, sie wollen sich einem ins
Gesicht einkrallen. Am frühen Morgen setzten wir unsern Weg über tiefe,
häufig unter Wasser stehende Landstriche fort. In der Regenzeit kann man
zwischen dem Guarico und dem Apure im Kahn fahren, wie auf einem See. Es
begleitete uns ein Mann, der alle Höfe (Hatos) in den Llanos besucht
hatte, um Pferde zu kaufen. Er hatte für tausend Pferde 2200 Piaster
gegeben.(78) Man bezahlt natürlich desto weniger, je bedeutender der Kauf
ist. Am 27. März langten wir in der Villa de San Fernando, dem Hauptort
der Missionen der Kapuziner in der Provinz Barinas, an. Damit waren wir am
Ziel unserer Reise über die Ebenen, denn die drei Monate April, Mai und
Juni brachten wir auf den Strömen zu.

                            ------------------



   68 Ich erinnere die Reisenden an den Weg vom Ursernthal zum
      Gotthardshospiz und von da nach Airolo.

   69 LIVIUS, _L. 38_, c. 75

   70 Offene baumlose Savanen, _limpias de arboles_

   71 Yλαίη. HERODOT, _Melpomene_.

   72 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca. Er theilte
      die oberste Gewalt mit dem Hohenpriester (Lama) von Iraca.

   73 Band I, Seite 216

   74 PLINIUS, _L. XII_, c. VII.

   75 Die Indianer versichern, wenn man Pferde zwei Tage hinter einander
      in einer Lache laufen lasse, in der es sehr viele Gymnoten gibt,
      gehe am zweiten Tag kein Pferd mehr zu Grunde.

   76 HUMBOLDTs _Versuche über die gereizte Muskelfaser_. Vol. 1. p.
      323--329.

   77 Rothes Todtliegendes, oder ältester Flötzsandstein der Freiberger
      Schule.

   78 In den Llanos von Calabozo und am Guayaval kostet ein junger Stier
      von zwei bis drei Jahren einen Piaster. Ist er verschnitten (in sehr
      heißen Ländern eine ziemlich gefährliche Operation), so ist er 5 bis
      6 Piaster werth. Eine an der Sonne getrocknete Ochsenhaut gilt 2½
      Silberrealen (1 Peso = 8 Realen); ein Huhn 2 Realen; ein Schaf, in
      Barquesimeto und Truxillo, denn ostwärts von diesen Städten gibt es
      keine, 3 Realen. Da diese Preise sich nothwendig verändern werden,
      je mehr die Bevölkerung in den spanischen Colonien zunimmt, so
      schien es mir nicht unwichtig, hier Angaben niederzulegen, die
      künftig bei nationalökonomischen Untersuchungen als Anhaltspunkte
      dienen können.



LISTE EXPLIZIT GENANNTER WERKE


Die folgenden Werke werden von Humboldt im Text in Kurzform genannt.

BARROW, SIR JOHN. _A Voyage to Cochinchina in the Years 1792 and 1793._
(1806)
DELPECHE. _Sur le tremblement de terre de Venezuela en 1812._
GARCÍA, GREGORIO. _Origen de los indios del nuevo mundo._ (1607)
HERODOT. _Melpomene._
HORAZ. _Oden._
HUMBOLDT, ALEXANDER. _Essay politique sur le Méxique._
HUMBOLDT, ALEXANDER. _Essai politique sur le royaume de la nouvelle
Espagne._
HUMBOLDT, ALEXANDER. _Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser :
nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier-
und Pflanzenwelt._ (1797)
LA CONDAMINE, CHARLES MARIE DE. _Journal du voyage fait par ordre du Roi,
à l’Équateur servant d’introduction historique à la Mesure des trois
premiers degrés du Méridien._ (1751)
LIVIUS. _L. 38._
OVIEDO Y BAÑOS, JOSÉ DE. _Historia de la conquista y población de la
Provincia de Venezuela._ _Geschichte der Provinz Venezuela._ (1723)
PLINIUS. _L. XII._
DE PONS, FRANÇOIS RAYMOND JOSEPH. _Reise in den oestlichen Theil von
Terrafirma in Sued-Amerika : unternommen in den Jahren 1801, 1802, 1803
und 1804 / von Depons. Aus d. Franz. übers. von Chr. Weyland._ (1808)
RITTER, KARL. _Erdkunde._ Bd. I.
TACITUS. _Agricola._
TACITUS. _Germania._
TORQUEMADA, JUAN DE. _Monarchia Indiana. Los veintiún libros rituales i
monarchia indiana con el origen y guerras de los Indios Occidentales, de
sus poblaciones, descubrimientos, conquista, conversión y otras cosas
maravillosas de la misma tierra._ (1615)
ULLOA, ANTONIO DE. _ Noticias americanas: entretenimientos
físico-históricos sobre la América Meridional, y la Septentrional
oriental: comparacion general de los territorios, climas y producciones en
las tres especies vegetal, animal y mineral; con una relacion particular
de los Indios de aquellos paises, sus costumbres y usos, de las
petrificaciones de cuerpos marinos, y de las antigüedades. Con un discurso
sobre el idioma, y conjeturas sobre el modo con que pasáron los primeros
pobladores._ (1792)



ANMERKUNGEN DES KORREKTURLESERS


Vom Korrekturleser wurden mehrere Änderungen am Originaltext vorgenommen.
Inkonsistente Schreibweisen, die nichts an der Aussprache des Wortes
ändern, wurden im Text belassen.

Es folgen paarweise Textzeilen im Original und in der vorliegenden
geänderten Fassung.



Ausdrucks überraschen. Tumanacu: Wespe, uane-imu, wörtlich: Vater
Ausdrucks überraschen. Tamanacu: Wespe, uane-imu, wörtlich: Vater

stieg wieder bis eilf Uhr Abends
stieg wieder bis elf Uhr Abends

des Centauren, Achernar, ß des Centauren, Fomahault
des Centauren, Achernar, ß des Centauren, Fomalhaut

darnach, und die Völkerschaft der Guaraons, deren Existenz
darnach, und die Völkerschaft der Guaranos, deren Existenz

Governador, Alcaden oder Fiscal zum Dolmetscher heranzubilden!
Governador, Alcalden oder Fiscal zum Dolmetscher heranzubilden!

Sterculia und Coccololoba excoriata bewachsenen Boden
Sterculia und Coccoloba excoriata bewachsenen Boden





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 2." ***

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