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Title: Irmela - Eine Geschichte aus alter Zeit
Author: Steinhausen, Heinrich, 1836-1917
Language: German
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          IRMELA



          Eine Geschichte aus alter Zeit


          von


          Heinrich Steinhausen.

          – – –

          Achtzehnte Auflage.

          – – –

          Titelbild von W. Steinhausen.

          – – –



          Leipzig 1899.

          Verlag von E. Ungleich.



Eingang.


Die heitre Sonne des Pfingstsonntages im Jahre des HErrn 13.. sank
hinter die rebenbepflanzten Berge, welche von Westen her das liebliche
Thal einschließen, in dem die stattlichen Gebäude der wohlbekannten
Cisterzienser-Abtei Maulbronn sich erheben. Eben war der
Vespergottesdienst mit dem Magnificat beschlossen, das heute nicht nur
von den Brüdern im Chor, sondern auch von dem zahlreich versammelten
Volke im vorderen Theile der Kirche gesungen worden war. Nur Bruder
Diether ließ das Örglein noch nicht schweigen, vor dem er saß, und
drückte die breiten Tasten durch kräftige Schläge nieder, daß sich
langhallende Töne hören ließen, während das Gotteshaus sich leerte.

»Wie, schon All’ hinaus?« sagte er, als er, nach kurzer Weile sich
umwendend, den ganzen Raum unten verlassen fand. »Sie haben halt Eil’
heut,« setzte er hinzu, »das Volk will des milden Maien genießen unter
der Linde, und die Confratres sind dem Refectorio am Pfingstabend auch
nicht feind. So wollen wir denn des Tönens genug sein lassen, uns mit
dem Paternoster segnen und von hinnen gehn!«

Während er bedächtig die Treppe herniederstieg, welche vom Orgelchor
in’s Schiff führte, schritten die Mönche bereits nach Gefallen einzeln
oder zu mehreren gesellt dem Klostergarten zu oder wohin sonst einem
Jeden sein Sinn stand; denn nach Gewohnheit ward St. Bernhards Regel
heut nicht eben ängstlich befolgt und Abt Rothad war zu keiner Zeit
der Mann, von dem ein straffes Anziehen derselben zu besorgen war. So
war es denn auch bald im Kreuzgang einsam, der sich an die Kirche
gegen Mitternacht anschließt und im Viereck einen Friedhof umgibt, der
doch schon damals mehr einem mit Bäumen und Gesträuch wohlbepflanzten
Gärtlein glich.

Als Diether aus der nördlichen niederen Kirchenpforte in die
kunstreich gewölbten Gänge trat, däuchte ihn die abendliche Stille,
die ihn so mailich und freundlich anwehte, keineswegs unwillkommen,
sondern wie er langsam daherschritt und immer wieder zwischen den
Pfeilern still stehend zum blauklaren Himmel emporblickte und vor sich
auf die Pracht der Blüthen im frischen Grün, da war’s, als leuchtete
die Lenzwonne auch aus seinen dunklen Augen, so froh schauten sie
darein, und als fühlte seine Brust mit der Jugend des Jahres auch die
Jugend des Herzens wieder, so freudig und kräftig hob sie sich. Dicht
neben ihm aus dem Gebüsch erscholl die Stimme einer Nachtigall. Er
blieb stehen und lauschte. Ihm schien’s, als wäre das die Seele dieses
Maiabends, die wollte all’ ihre reine und himmlische Freude ihm mit zu
empfinden geben. Sie schwieg. Aber als nach kurzer Weile ihre Töne
wieder erklangen, lang gezogen und klagend, da tauchten sie auch seine
Seele in sanfte Schwermuth und seine Gedanken wurden wie mit
freundlichem Zwange rückwärts gezogen; und wie um ihn her die
Dämmerung ihre ersten Schatten breitete, versank auch vor seinem
inneren Auge die Gegenwart allgemach und Blüthenduft und Abendstille
trieben ihn der Erinnerung längst vergangener Tage zu. So stößt ein
Kahn sanft vom beschatteten Ufer ab und gleitet auf kaum bewegter
Fluth dem Eilande zu, das dem Schiffer sonnig entgegenwinkt! –

Leise hatte er sich niedergelassen auf die steinerne Brüstung. Ein
Hauch der Abendluft rauschte durch den Garten und wehte wie kleine
Sterne weiße Blüthen des Flieders ihm auf Haupt und Gewand. Er blickte
auf, als wollt’ er Jemand suchen, und »Irmela« klang es wie im Traume
von seinen Lippen. Der Name hallte wieder von den Pfeilern drüben. Er
horchte auf wie freudig erschrocken; aber gleich darauf, sich
besinnend, sah er lächelnd auf seinen Blüthenschmuck und verharrte
schweigend, in sich versunken. –

Da weckten ihn geräuschvolle Schritte; sie kamen von der vorderen
Thür, die in die westliche Seite des Kreuzganges führt. Er wandte sich
um und sah zwei junge Gesellen munter herbeieilen. Sie grüßten ihn
fröhlich und auch er hieß sie von Herzensgrund willkommen; war er doch
den Beiden von ganzer Seele zugethan, wie das Alter an der
wohlgezogenen Jugend seine Lust hat und wie der Lehrer seine Schüler
liebt, an denen seine Arbeit nicht umsonst ist. »Vater, Meister!« rief
der Eine, »Zürnet uns nicht, daß wir heute so spät erst nach Euch
Nachfrage thun. Mußten wir doch gewärtig sein, hätten es auch wohl
verdienet, Euer heut gar nicht mehr ansichtig zu werden. Aber der
wonnigliche Lenztag lockte uns in’s Freie und so streiften wir durch
Wald und Feld, bis der Abend hereinbrach.«

»Wollten doch auch des Fiedlers Heiner neue Weisen mit anhören, der
sich in Hohenklingen auf dem Wiesenplan vernehmen ließ, fiel der
Andere ein, »aber als er zum Tanz aufspielte den Dörflern, da war es
hier Rupert nicht, der nicht mit mir von dannen wollte und wieder
Rupert nicht, der hernach mit des Klosterbauern flachszöpfiger Jutta
daherschwenkte.«

»Scherze nur!« unterbrach ihn der Gemeinte. »Es brauchte wenig
Überredungskunst, um Dir das Verweilen lieb zu machen. O, Meister!
haltet solches Geschwätz unserer Thorheit zu gut. Wir hätten zeitiger
bei Euch einsprechen sollen. Ihr waret einsam!«

»Daß Ihr junges Volk Euch doch so gern für unentbehrlich haltet uns
Alten!« versetzte Diether mit freundlichem Ernst. »Wüßtet Ihr, welch’
treffliche Gesellschaft ich gehabt habe, da Ihr kamt, so hättet Ihr
sicher mich darum geneidet.«

»Wer war denn bei Euch?« fragten die Beiden. »Wir sahen Niemanden!«

»Eine Fraue und gar holde«.

»Wie heißt sie?«

»Erinnerung! – Sie hat mich sanft bei der Hand genommen und gern bin
ich ihr gefolgt.«

»So weiß ich auch, Vater«, sprach Waltram, Ruperts Geselle, »was Euch
so bewegt, daß Stimme, Auge und Gebärde davon zeugen. Das kommt von
den Gedanken, die inwendig in Euch Erinnerung lebendig gemacht hat.
Möcht’ es Euch doch gefallen, auch uns davon zu erzählen. Der Abend
ist warm und still der Ort.«

»Wohl, ich will’s thun!« erwiederte Diether willfahrend. »Und wie Ihr
just mich also angetroffen habt, so soll zu Euch mein Mund sich
aufthun von dem, was Erinnerung mir gewiesen und wovon ich bis diesen
Tag geschwiegen. Kommt! und laßt uns niedersitzen, wo dort die Halle
sich um den Steinbrunnen wölbt. – Aber ob ich’s wohl werde so
kurzweilig machen, wie Heiner seine Aventiuren?« fragte er scherzend
zu Rupert gewandt, als sie sich setzten.

»Ist’s eine Aventiure?«

»So mögt Ihr sie wohl heißen!«

»Dann gebt ihr einen Namen!«

»Irmela!« sagte Diether nach kurzem Bedenken, »das soll ihr Name
sein.«



Diethers Geschichte,

von ihm selbst erzählt.



       *       *       *       *       *



Erstes Capitel.

Meister Ulrich.


Das war vor Zeiten, da noch Abt Albrecht den Abtstab führte, ein viel
ander Wesen allhier im Kloster, als heutzutage. Er war ein gar
gestrenger Herr und manchem Novizen vergieng das Verlangen nach St.
Bernhards weißer Kutte, weil ihm des Heiligen Regel ein allzuschweres
Joch für die Schultern däuchte, und manch’ Anderen, der gern geblieben
wäre, trieb der Abt selber hinweg. »Denn«, so pflegt’ er zu sagen:
»Unmüßigkeit muß auch in der Muße suchen, wer in’s Kloster taugen
will.« Und so mußt’ es denn zu seinen Zeiten hergehen, wie im
Bienenkorb, wo Jedes emsig am Werke schafft, das ihm angewiesen ist,
von früh bis spät, nur daß unseres Volkes Meister seine Bienen gar
selten ausfliegen ließ und wenig darnach fragte, ob sie fröhlich
summten bei der Arbeit oder nicht. Für Jeden fand er was zu thun und
wußt’ ihn an seinen Ort zu stellen, und dem Zaudern oder Widersprechen
war Niemand feinder als er. Und weil er allezeit etwas betrieb, was
ihm selbst am Herzen lag, so gab’s auch immer Arbeit genug für Alle.

Dazumal ward des Klosters Gebäu mit Kirche und allem so stattlich
hergestellt, wie man sich heut dessen erfreut. Aber ohne viel Seufzen
gieng’s bei Denen nicht ab, die sich des Bauwesens anzunehmen hatten.
Und der Abt nahm Keinen aus, so oder so mußte Jeglicher mitschaffen.
_Impendere curam, impendere substantiam, impendere et se ipsum._
Diesen Spruch unseres Ordensheiligen legte er oft seinen Mönchen vor,
wenn er sie im Capitelsaal um sich versammelt hatte, und sorgte
weislich dafür, daß sie durch Übung solches Spruches Verstand um so
besser inne würden.

Wie er dann die Trägen, Lässigen und die seinem scharfen Regiment
abhold waren, bald herausgefunden hatte, so verhehlten auch diese
unter einander ihren Groll nicht und hießen ihn, wenn sie von ihm
sprachen, nur immer: Monoceros. Ich fragte, was solches Namens Meinung
wäre. Da erfuhr ich: Monoceros sei ein bös Thier, gar ungeschlacht,
habe ob dem Haupte ein großes Horn, gewaltiglich damit um sich zu
stoßen. Ob dieser Auskunft entsetzt’ ich mich schier und sah Abt
Albrecht darauf hin recht bedenklich und bänglich an. Doch konnt’ ich
mich von ihm keines Bösen gewärtigen. Denn, wiewohl ich zu der Zeit
noch gar jung war, dazu ungeschickt und muthwillig nach Knabenart, so
war doch der gefürchtete Abt voll Gütigkeit gegen mich, und sein
Angesicht, wenn’s noch so strenge sah, schaute sogleich freundlich
drein, wenn ich daher kam, mich ehrbarlich neigte und ihn grüßte:
_Salve, domine!_ Ja, er trug eine sonderliche Lieb zu mir und die that
mir gar wohl; denn ich war da fast ein schmächtig und schwächlich
Bürschlein, stak noch halb in den Kinderschuhen, und des Lernens, dazu
Bruder Berthold mich anhielt, den der Abt mir zum Magister bestellt
hatte, däuchte mich oft zu viel. Schon bei den ersten Schritten auf
der Bahn des Triviums vermeint’ ich, es gienge nimmer weiter mit mir
und ich könnte über all’ die Blöcke und Steine, so die Grammatik mir
in den Weg warf, gar nimmer hinwegklimmen. Dennoch verfuhr der Abt
nach Lindigkeit mit mir, auch wenn Magister Berthold über seinen
uneifrigen Scholaren sich hart beklagte; ja, der sonst Monoceros war,
begütigte den unzufriedenen Lehrer von meinetwegen.

»Geduldet Euch nur, Berthold«, sagt’ er wohl, »und zwinget Dietherum
nicht allzu hart! Aus dem Schwarzaug schaut kein blöder Geist; er wird
wohl noch durch gelehrte Kunst unsers Klosters Zierde, wenn ihm erst
die Flügel gewachsen sind. Noch ist er ja gar zart und muß sich erst
festigen.«

Wie nun aber etliche Jahre herumgegangen waren, da hatte das
Dietherlein sich wohl gefestigt und war kräftig in die Höh’ gewachsen,
aber von den Flügeln, die sein Geist ansetzen sollte, sich in die
gelehrte Kunst zu schwingen, war leider noch gar wenig zu spüren.
Dennoch blieb mir unser gestrenger Abt noch immer zugethan. Und das
gieng so zu.

Er hatte eine sonderliche Lust an allerlei Werk und Kunst, und wie er
vormals in Welschland gewesen war und sein Auge wohl gewöhnt war zu
erkennen, was Tugend hatte und Wissenschaft, so trachtete er auch
eifrig danach, sein Kloster zu schmücken. Nun hatte er damals Meister
Ulrich von Prag herbeigerufen, der war in der Malkunst trefflich
geschickt. Welche Freude hat an ihm der Abt gehabt; wie hat er ihn
aber auch angespannt und angetrieben, zu schildern und zu schaffen in
der Kirch’ und im Capitelsaal und an andern Orten, wie Ihr das Alles
nun fertig sehet. Ihm wär’ es schier am liebsten gewesen, Meister
Ulrich wäre gar nimmer von seinem Gerüste herabgekommen oder hätte
zehn Hände gehabt, und in jeder einen Pinsel.

Was aber Meister Ulrich mit meinem ausbleibenden gelehrten Eifer zu
thun hatte, das war dieses. Seitdem er bei uns schuf und bildete,
trachtete ich nur danach, um ihn zu sein und ihm zuzuschauen, wenn er
am Werk war. Da verbracht’ ich denn, wo er an Wand und Decke zu malen
hatte und drüben im Abthaus, wo ihm ein helles Stüblein zur Werkstatt
hergerichtet war, am liebsten meine Zeit. Mit Bewunderung sah ich ihm
zu, wie unter seiner kunstreichen Hand Christus und Unsre Frau und
Engel und Heilige, ja Gott Vater selbst sichtbar wurden, wo zuvor eine
weiße Wand oder ein leeres Blatt gewesen war. Ich hatte immer meine
Augen an Gestalt und Farbe geweidet und Blumen und Blättlein, auch den
Wiesengrund, Baum und Berg fleißig betrachtet, nicht minder den Zug
der Wolken, den Glanz des Himmels. Nun dacht’ ich oft: könntest du
doch auch so nachbilden, was ringsum ist; und oft betete ich zu St.
Niclas, meinem Schutzheiligen, er möchte für mich auch solche Kunst
erbitten, wie Meister Ulrich sie verstund. Der hatte mir auch bald
abgemerkt, wonach mich’s verlangte, und so sagt’ er einst: »Diether,
hast Du wohl auch Lust zu solcher Kunst, sie zu erlernen?«

»Gar gerne, Meister!« antwortete ich. »Wenn Ihr mich unterweisen
wolltet, und durch St. Niclasens Hilfe!«

Da sagt’ er: »St. Niclas nicht, sondern St. Lucas Evangelista ist
dieser Kunst Patron. Der mag Dir wohl günstig werden, wenn Du fromm
bist. Aber unterweisen will ich Dich gern nach allem Vermögen.«

Und von Stund an durft’ ich dann bei ihm nicht mehr müßig sein,
sondern mit Stift und Kohle wies er mich an gar sorgfältig. Das
geschah heimlich, wenn Niemand bei uns war, weil wir fürchteten, der
Abt möcht’s nicht gerne wollen leiden.

Aber je heimlicher, je lieber!

Manche Stunde, die ich sonst draußen vertummelt hatte, die versaß ich
jetzt bei Meister Ulrich, auch manche, die mich hätte über den Büchern
Magister Berthold’s finden sollen. Der fand denn um so häufiger
Ursach’, mich zu tadeln.

»Du hast einen raschen Kopf«, sagt’ er zu mir, »dringest geschwind ein
in den Verstand der Sachen; aber Du bleibst nicht im rechten Geleis,
bist nicht bedachtsam und ich bring’ Dich nimmer durch’s Quadrivium.
Diether, Du setzest nicht Deinen ganzen Eifer in die hohe
Wissenschaft! Ich glaube, Pragensis mit seinen Schildereien hat Dir’s
angethan.« Ich schwieg und trieb mein’ Sach’ nur um so mehr verhohlen;
aber sie blieb’s nicht lange so.

Denn einmal, als Ulrich dort in der Geißelkammer die Geschichte vom
reichen Mann malte, wie er in der Flamme Pein leidet, und Lazarum
droben in Abraham’s Schooß, da war ich auch bei ihm, und weil’s just
die Zeit am Tage war, in der nach der Cisterzienserregel die Brüder in
ihren Zellen der Betrachtung obliegen, so waren wir im Geringsten
nicht einer Störung gewärtig. Meister Ulrich hatte mich heißen einen
leinenen Kittel überthun, wie er selbst trug, wenn er mit Farben
umgieng; und da ich so in dieser Tracht vor ihm stund, hat er lachend
zu mir gesagt: »Nun trägst Du den Rock wie Unsereiner und ich hab’
Dich für unsern Heerbann angeworben; aber dem Kriegsmann frommt die
Rüstung allein nicht, er muß auch bewehrt sein. So geb’ ich denn Dir
auch unsrer Mannen Speer und Spieß und verhoffe, Deine Hand wird
solchen allezeit mit Weisheit und Verstand Gott und Seinen Heiligen
zum Ruhme, unserer Zunft zu Ehren, den Guten zur Herzfreude führen.«

Damit fuhr er mir dreimal mit einem gar langen Pinsel über Rücken und
Haupt und händigte mir dann solches Gewaffen aus. Darauf sollt’ ich,
wie er sagte, sogleich mit ihm die erste Ausfahrt thun, d. i., ich
mußte zu ihm auf sein Gerüst hinauf, allda ihm am Bilde zu helfen.
Aber weil er just dabei war, der Hölle Flammen herzustellen, darin die
armen Seelen brennen, so hieß er mich rechts hintreten, wo höher oben
die Seligen schweben.

»Es möcht’«, sagt’ er dabei, »eine böse Vorbedeutung geben, wenn Du
mit der preislichen Kunst an so unseligem Ort anhübest. An die
schimmernden Wölklein droben sollst Du Dich machen, aus denen die
Engel herfürlugen.«

Mir klopfte schier das Herz vor Freuden, als dräng’ ich selber in den
wahrhaftigen Himmel, wie ich die Leiter noch höher hinanstieg, um nach
seiner Anweisung am gemalten mitzuhelfen. Ich war bald mit großem
Eifer in mein Thun vertieft, als plötzlich die Thür in den Angeln
knarrte und laute Schritte die steinernen Stufen herniederkamen. Ich
erschrak; denn zwischen den Brettern hindurch, auf denen meine Leiter
stund, sah ich Abt Albrecht’s hohe Gestalt und Magister Berthold
hinter ihm.

»Gebt Acht«, hört’ ich diesen sagen, »hier ist er und sonst
nirgends.«

»Wartet nur«, rief der Abt zorneifrig, »wartet nur; ich will ihn wohl
zu Euern Büchern treiben; will er denn keine Gelahrtheit lernen, so
soll er doch lernen fleißig sein! He Diether, bist hier? Albertus
Abbas hat mit Dir zu sprechen?«

Was half’s! Ich konnt’ ihm doch nicht entgehen. Zudem, wenn er so
scharf sprach, war es gefährlich, ihm ungefügig zu sein. So rief ich
denn: »Ja, Ew. Gnaden!« aus meinem Himmel, aber meine Stimme klang gar
nicht wie eines Seligen.

»Um aller Heiligen willen!« sprach der Abt. »Was schafft der da
droben. Sogleich komm hernieder und hurtig!«

Aber ich konnt’ nicht behender; denn mir wankten die Kniee, als ich
auf den Sprossen der Leiter ihm näher kam. So trat ich denn vor ihn im
leinenen Überkleid mit vielerlei bunten Farben geziert wie eines
Stieglitzen, den Pinsel hinter mich haltend, und, wie ich meine, mit
gar erbärmlicher Miene.

»O der Possen«, begann er zu schelten, »in meinem Kloster; o des
Müßigganges, der solche verschuldet! _Otiositas mater nugarum, noverca
virtutum!_ Mißrathener Diether, jetzt sollst Du unsre Strenge fühlen,
denn unsre Güte hast Du mit solcher Verkehrtheit gelohnt! Du
versäumest das Deine und bist eine Störung und Hinderung für Meister
Ulrich obendrein. Fortan wirst Du besser in Zucht genommen werden und
Meister Ulrich wird Dein ledig sein.«

Wie ich das vernahm, da entfiel mir mein Herz; ich konnte nichts
erwiedern; mir war’s, als würd’ ich aus dem Paradies verwiesen. Da
aber ist Ulrich, mein lieber Meister, mein Engel worden, nicht der mit
dem hauenden Schwerte, den Eingang zu wehren, sondern wie einer, der
die Flügel um uns breitet, zu schirmen und zu erretten. Denn er trat
herfür, wagt’ es und sprach:

»Wollet verzeihen, Ew. Gnaden, aber der Diether hier ist mir nie keine
Hinderung oder Störung gewesen noch hat er hier Müßiggangs gepflogen
oder Possenspiels. In dem Anzug, der Euch so befremdet, steht er wohl
mit Fug hier; denn wer beim Malen ist, sollte dem solch Kleid nicht
ziemen? Läßt es gleich bunt und scheckig, so bezeugt’s damit die
Arbeit, so drin gethan wird. Und glaubt mir, Euch und dem Kloster
macht die Kunst keine Schand’, die in Diether ist. – Seht hier!«

Damit zeigte er dem Abt etliche Zeichnungen von mir, die bei der Hand
waren. Der nahm sie mit großem Erstaunen und seine Augen glänzten, wie
er die Blätter prüfte.

»Das hat Diether gemacht; das hat Diether gemacht?« fragt’ er immer
wieder.

»Ja!« sagte Ulrich, »all’ das hat Diether gemacht und, ich sag’
Euch, er wird noch ganz Anderes machen Euch zum Erstaunen, wenn Ihr
ihn bei mir laßt, daß er mein Schüler sei, so lang ich hier bin.«

»So nehmt ihn, nehmt ihn immer, lieber Meister!« rief der Abt ganz
freudig. »Sünde war’s, solche Gottesgabe zu unterdrücken. Diether, nun
magst Du doch noch unseres Klosters Zierde werden; halt Dich recht und
nimm Deines Meisters Lehren Dich an! Wie es forthin mit Deinen
gelehrten Studien zu halten sein wird, das wollen wir mit Magister
Berthold des Weiteren besprechen; aber nun mach’ Dich wieder an Deine
Arbeit! – Ei, Meister, Ihr habt wacker geschafft die letzten Tage.
Und wie das leuchtet und lebt!« fuhr er fort, während er wieder
hinaufstieg.

Darauf giengen sie hinweg und wie sie an der Treppe waren, hört’ ich
den Abt noch sagen: »Bruder Berthold, nun wachsen ihm doch noch die
Flügel, aber andere, als wir dachten. Wir können’s nicht wehren,
wollen’s auch nicht. Wenn Meister Ulrich Recht hätte! Eine Zierde des
Klosters! Ich hofft’ es immer!«

Als sie hinaus waren, da sagte mein Meister: »So bist Du denn,
Diether, des Malerordens heut wirklich ein Jünger worden. Gott gnade
Dir dazu und alle Heiligen. Und zum guten Anfang wollen wir heut Abend
beim Klostermeier nach Gebühr in Elsinger einen Trunk thun!«

Aber Magister Berthold bracht’ es auf, daß sie mich von diesem Tage
her scherzweise nur nannten: _Pencillatus_, d. i. Pinselheld.

So war ich nun Ulrich’s Schüler und blieb es, so lang er bei uns war.
Das dauerte noch ganze zwei Jahre. Da zog er von dannen nach Speyer,
wohin Bischof Gebhard ihn gerufen, allda im Dom zu malen. Sein
Abschied geschah von uns mit großen Ehren und der Abt, der sehr wohl
mit all’ seinen Werken zufrieden war, lohnte ihm reichlich. Mir aber
gieng am meisten sein Scheiden nah, und als ich ihn bis zur
Klostermühle am Teich drüben geleitet hatte, mochte ich noch nicht
umkehren. Er aber sprach:

»Diether, laß genug hier sein! Gott stärk’ Dich in all’ Deiner
Kunst, wie Du meine Freude gewesen bist diese ganze Zeit.«

»Gott laß’ Euch immer fröhlich leben!« sagt’ ich.

Drauf gaben wir uns die Hände, rissen uns von einander und Keiner sah
hinter sich.



Zweites Capitel.

Ausfahrt.


Seitdem mein Meister von uns geschieden war, mochte ein Jahr vergangen
sein. Die Zeit kam heran, da ich sollte das Gelübd’ ablegen für unsern
Convent. Mich bewegte das nicht sonderlich, denn ich wußt’s nicht
anders von Kindesbeinen an, als daß ich ein Mönch von St. Bernards
Orden werden sollte. Mir war’s weder lieb noch leid, wenigstens
glaubt’ ich’s so. Inzwischen hatte ich meine Kunst fleißig geübt und
mit dem Vermögen dazu war die Lust daran größer geworden. Damit mein’
ich gar nicht, daß ich immer fröhlich gewesen wäre und guter Dinge von
ihretwegen, sondern oft machte sie mir einen sorgenhaften Sinn, als
wär’ ich ihrer nicht werth und wäre Gott nicht dankbar genug für ihre
Gunst, die er mir zugewandt. Dazu machte sie mir die Einsamkeit lieb,
denn ich hatte keinen Genossen bei meiner Arbeit, und so sucht’ ich
denn oft allein zu sein, auch wann ich Gesellschaft hätte haben
können. Denn da konnt’ ich am besten den Gedanken nachhängen, die mit
leuchtenden und glänzenden Farben und himmlischen heiligen Gestalten
in meiner Seele aufstiegen, daß ich mich von Herzen daran erlabte und
ergetzte. So war ich denn um die Zeit des Lebens, wo die Kraft und
Lust der Jugend besonders laut zu werden pflegt, vielmehr stiller und
in mich gekehrter worden, denn zuvor. Sie merkten das im Kloster und
sagten: das wäre die Melancholia. Ich lachte ganz fröhlich dazu, denn
ich wußt’ es besser.

Die heiligen Ostertage waren vorüber. Mit ihnen war der erste Frühling
in’s Land gekommen. Der letzte Schnee war zergangen, und in den hellen
Strahlen der Sonne lächelte die Erde, wie ein erwachendes Kind die
Mutter anlacht, das sich die Wangen roth geschlafen hat. Von den
Äckern wehte der frische Erdgeruch, die Wiesen überzogen sich mit
jungem Grün und aus den Nußbäumen drüben pfiffen Abends und Morgens
mit lustigem Gelärme die heimgekehrten Staaren. Mit einem Wort: Es war
just so, wie es alle Jahr’ ist, seit der Herr zu Noah gesprochen: es
soll nicht aufhören Sommer und Winter, und hat einen Bund darüber
gemacht. Aber mir sind jene ersten Frühlingstage aus sonderlicher
Ursach in Erinnerung geblieben.

Denn an einem solchen Tage war ich mit Lust seit langer Zeit zum
ersten Male durch Feld und Wald gestreift und kam heim mit frischem
Muth, als wäre meine Brust weiter worden von der Frühlingsluft, die
sie geschöpft, und schlüge mein Herz höher darin. Und doch wollt’s mir
mit dem Malen nicht vorwärts rücken, als ich mich an das Bild machte,
das ich vor hatte. Das war im Brüderchor rechts über den Gefühlen, wo
mir der Abt eine gar große Arbeit zugewiesen. Ich sollt’ ihm da
schildern an der Wand den engelischen Gruß, die Anbetung der heiligen
drei Könige und die Darstellung im Tempel, wie es jetzt Alles zu sehen
ist. Dazumal war ich mit der Verkündigung, die Unserer lieben Frau
geschieht, kaum über den Anfang hinaus, und weil ich die heilige
Jungfrau recht in die Maienwonne hineinsetzen wollte, so hatt’ ich
mich, wenn in den kurzen Wintertagen des Bildes Entwurf mir gar nicht
zu Gefallen gerieth, immer auf den Lenz vertröstet, der sollte Leben
schaffen draußen in der Welt und hier auf dem Bilde. Nun hatt’ ich ja
seinen Gruß empfangen und griff meine Arbeit mit allem Eifer an. Aber
meine Gedanken hafteten nicht daran.

»Es hat keinen Segen heut«, sprach ich da zu mir selbst, legte den
Pinsel weg und setzte mich vor den Lettner in’s Gestühl.

Ich war wohl müde vom ungewohnten Gange, den ich im Freien gethan, und
so schlief ich ein. Da träumte mir, ich wandelte durch ein lieblich
Wiesenthal, allwo die Blumen im Morgenthau glänzten, und die Bäume
rauschten über dem Bach, der hart am Wege dahinfloß. Wie ich voll
Freude fürder schritt, sah ich vor mir einen seltsamen Wandersmann des
Weges ziehen. Sein Kleid war schneeweiß, seine Gestalt hoch, und wie
golden wehte sein Gelock im Morgenwinde. Ich eilte ihm nach und bot
ihm höfischen Gruß. Jung und holdselig war das Angesicht, das er mir
zuwandte. Er dankte mir meinen Gruß gar freundlich, doch wagt’ ich
nicht, weiter ihn anzureden, so hochgemuth und feierlich war seine
Miene. Er aber erkannte mein Begehren und sagte: »Ich kenne Dich wohl,
Diether, aber Dein Weggeselle kann ich nicht sein; denn ich muß meines
Herrn Gebot eilend thun.«

Da sagt’ ich: »Das muß ein reicher und milder Herr sein, der solche
Boten sendet; und selig mag wohl sein, wem von Euch Botschaft wird.«

»Du findest mich auch wohl wieder«, versetzte er, »wenn Du hier auf
diesem Wege beharrst; denn das ist die Straße, die ich ziehe in
Maientagen.«

Darauf verschwand er vor meinen Augen, als flög’ er hinweg, und ich
betete an zur Erde; denn ich merkte, daß es ein Engel gewesen war, der
Gott an einem seiner Heiligen dienen wollte. Ich beschloß, da zu
harren, bis er wiederkehrte, um ihn dann zu bitten, daß er mich segnen
möchte. So setzt’ ich mich nieder an des Baches Rand. Aber der fieng
an zu brausen und zu wallen von den Bergen her und stieg und trieb
mich hinweg. Er ward zum reißenden Strome, drin alle Blumen ertranken,
und sein Gischt verhüllte die Sonne. Ich schrie: »Wehe!« und entlief,
denn wie verderbliche Lindwürmer drangen die Wellen hinter mir her.

Die Angst weckte mich auf. Ich war nicht mehr allein. Der Abt stund
vor mir. Ich wollt’ eilig aufstehen vor ihm. Aber er hieß mich sitzen
bleiben, ließ sich neben mich in den nächsten Chorstuhl und redete
mich ganz freundlich an:

»Diether«, sprach er, »ich sehe, Dir will’s nicht mehr von der Hand
gehen mit Deiner Kunst, wie bisher. Ich glaub’ wohl, daß nicht
Trägheit daran Schuld ist. Denn Fleiß allein thut’s nicht bei so edlem
Werk. Der Wille ist da, aber Seele und Sinn wollen nicht mit der alten
Lust dahin, und wo die nicht gefüge sind, müssen wohl auch die Hände
feiern. Denn gezwungen gedeiht solche Gotteswirkung nicht. Nun hör’
ich, merk’ es auch selbst zum Theil, daß Deine vorige Munterkeit
verschwunden und Du der Einsamkeit und des Sinnirens ein Liebhaber
worden bist. Wohl ziemt sich Dir ein ernster Sinn, und heilige
Betrachtung schickt sich für Dich, da Du bald dem Convent Dich für
immer geloben sollst. Aber weil ein Jeglicher dem Orden und der Kirche
mit der Gabe dienen muß, die er von Gott empfangen hat, so müssen wir
bedacht sein, Dich in Deiner Kunst zu fördern.«

»Wohlan, Diether«, fuhr er fort, »fast ist mir’s lieb, daß Du mit
Deinem Bilde da nicht weiter gekommen bist, wie ich sehe. Denn heut’
hab’ ich Nachricht empfangen aus Speyer, daß dahin zum Bischof ein
sonderlich köstliches Bild aus Welschland gebracht worden ist, darauf
die gebenedeite Gottesmutter so preislich und herrlich gemalt ist, wie
man ihres Gleichen noch nicht gesehen hat in deutschen Landen. Das
wäre nun ein löblich und rühmlich Ding und eine rechte Freude für
mich, wenn wir davon ein Conterfei hätten hier bei uns. Darum hab’ ich
gleich an Dich gedacht, daß Du gen Speyer ziehest mit Briefen von mir,
dort vom Bild eine Copey nehmest und dieselbe Gestalt der heiligen
Jungfrau gebest hier auf Deinem Bilde. Da wirst Du zugleich Dein Auge
an vielen andern Werken Deiner Kunst weiden können, und ich bin gewiß,
Du kommst mit erneuerter Lust und erhöhter Kraft zurück. Daß ich Dich
aber in die Welt allein hinauslasse, die Du bisher noch weiter nicht
gesehen als eine Meile um’s Kloster, das zeigt Dir, ein wie groß
Vertrauen ich zu Dir trage, daß Du beständig im Herzen haben wirst,
wie Du zu Gottes und Deines Klosters Ehre diese Fahrt thust. Und
weil’s Dir«, setzte er lächelnd hinzu, »mit Stift und Pinsel nicht
mehr recht vorwärts will diese letzte Zeit, so mögen Wald und Feld und
Wiese und Flur Dir vielleicht nützer sein, Dich zu unterweisen, wenn
Du ziehest, wie auch St. Bernard gesagt hat: die Bücher, aus denen er
das Beste gelernet, seien die Bäume des Waldes.«

Während er so sprach, wußt’ ich selbst nicht, was ich denken sollte.
Der Traum, den ich geträumt, stund vor meiner Seele lieblich und
zugleich schrecklich, als lockt’ er und drohte auch zugleich. Aus dem
Kloster in die Welt hinaus hatte ich nie ein Verlangen gehabt, auch
die letzte Zeit keine Wanderlust, wie der Abt zu denken schien. Mich
wirrte die unerwartete Aussicht. Fast hätt’ ich den Abt gebeten, mich
daheim zu lassen. Aber ich schämte mich dessen, weil es feigen und
stumpfen Sinn verrathen hätte. Und so sagt’ ich bloß, als er geendet:

»Hochwürdiger Vater, ich will Euch gern gehorsamen in allen Stücken.«

»Ei, Diether«, rief er und klopfte mich auf die Schulter, »das ist für
Deinen Gehorsam wohl kein zu schweres Stück, das ich Dir auflege. Ich
wüßte Manchen im Convent, der thät es übergerne an Deiner Statt.« –

Darauf gebot er mir, mich zu rüsten und nach der Vesper zu ihm zu
kommen. Da wollt’ er mir Briefe und Vollmacht geben und weitere
Anweisung. »Denn morgen in der Frühe«, sagt’ er, »sollst Du von
dannen, und um die Pfingstzeit bist Du wieder da durch Gottes unsers
Heilands Gnade.«

Darauf reicht’ er mir die Hand und gieng.

So schritt ich denn am anderen Morgen ganz früh wegfertig über den
Klosterhof, nachdem ich Abends zuvor von Allen Abschied genommen
hatte. Aber Mancher kam mir nach, mir zur Letze nochmal die Hand zu
drücken. Am Bronnen blieb ich stehen und sagte: »Laßt mich hier noch
einmal aus diesem guten Quell, dessen Rauschen und Plätschern ich so
oft mit Freuden betrachtet, mit meinem Reisebecher schöpfen, und wer
mit mir wünscht, daß ich ihn fröhlich wieder mit Euch trinke, wenn ich
heim bin, der thue mir Bescheid!«

Da trat Rigbold heran, der Bruder Kellermeister, und sagte: »Das ist
nicht Brauch, Diether, mit Wasser sich zuzutrinken. Hier hab’ ich
Besseres, Dein Glas zu füllen, Liebfrauenmilch, geschöpft zu Worms am
Rheine. Du sollst den Wein haben zur Labe auf Deiner Fahrt.« Da
schenkt’ ich ein, weil sie so wollten, und auch sie thaten einen Zug
und »Gott gesegn’es!« wünschten wir einander dabei. Darnach that mir
der Pförtner auf; ich gieng über die Brücke am Thor und war im Freien.

Rüstig stieg ich den Weg hinan, der gen Mitternacht aufwärts führt.
Es war noch dunkel und dämmerte kaum. Als ich oben auf der Höh’ war,
hatt’ es sich genug erhellt, daß ich rings umschauen konnte. Ich
wandte mich und sah das Kloster liegen im Thal, wie ich es zu
tausend Malen von hier aus betrachtet hatte. Nun lag doch die weite
Welt vor mir, und dennoch war mir’s weh um’s Herz, als ob’s mich
zurück sehnte. Die ersten Strahlen der Morgensonne trafen da das
Kirchdach und der Wind trug das Geläut herüber, das zur Matutine
rief. Mir war’s, als kläng’ es anders wie sonst, lauter,
feierlicher, und als wüßten die Glocken, daß ich hier oben stünd’,
und wollten mir auch einen Gottessegen herübertönen zum Abschied. Da
sprach ich das Benedictus im Stillen mit, winkte noch einmal hinab
und zog landein.

Ich schritt tapfer aus. Im ersten Dorf, durch das ich kam, zogen
die Leute eben zur Arbeit auf’s Feld. »Sie haben Alle ihr besonderes
Tagewerk«, dacht’ ich da, »meines ist heute das Wandern.« Mit dem
erwachten Tage wuchs auch meine Wanderlust. Ich hatte meine Freude
an Allem, was ich hört’ und sah, und fühlte mich gar nicht einsam.
Die hellen Wolken, die über mir herzogen, die Finken, die von den
Bäumen am Wege, die Ammern, die aus dem Wald her riefen, die ersten
Blumen am Rain, die ich mir zum Sträußlein pflückte, boten mir
Gesellschaft genug. Der Laubwald schimmerte im ersten, jungen Grün,
als hienge ein zarter Schleier über dem Gezweig. Da hindurch
spielten die Sonnenstrahlen gar lieblich, denn es war ein heiterer,
wonnesamer Frühlingstag.

Gegen den Mittag kam ich in ein Waldgebirge, wo der Weg in
Krümmungen an der Seite der Berge sich hinzog. Unten brauste ein
Wasser; aber nur zuweilen sah ich’s durch das dunkle Grün der Bäume
hervorblitzen. Denn dicht und ragend stunden die Tannen rings umher,
so daß sie, wo der Weg eng war, schier ein Dach über mich bauten mit
ihren Wipfeln. Die Sonne war im Mittag, und ich hätte hier gerne
gerastet, mein Mahl zu halten. Schon gedacht’ ich, dazu
niederzusitzen, als ich vor mir nicht gar ferne Stimmen hörte. Bald
darauf ward ich eines Weibes ansichtig, das auf dem Arm ein Kindlein
trug, und ein anderes führte sie an der Hand. Das weinte sehr und
wollte sich gar nicht beschwichtigen lassen. Da eilt’ ich hinzu,
grüßte und fragte das Weib, aus was Ursach’ das Mägdlein weinte und
ob ich ihr helfen könnte. Da sagte sie: »’S ist mein Töchterlein,
lieber Gesell, Else heißt sie und büßt jetzo ihren Willen. Da
seitwärts hinunter steht unsere Hütte, und ich gehe jetzt hinauf
dorthin, wo Ihr den Rauch aufsteigen sehet. Der kommt von einem
Meiler; da ist mein Mann, der brennt Kohlen dorten für den gnädigen
Herrn, deß wir eigen sind. Es ist ein beschwerlicher Weg dahin; aber
Else wollt’ nicht daheim bleiben; sie hat müssen mitgenommen sein.
Ich hab’s ihr zuvor gesagt, daß ich sie nicht tragen könnt’, wenn
sie müd’ würde, weil ich das Büblein da auf dem Arm hab’. – Bist
still, Kind, sonst kommst Du nimmer mit zu Deinem Vater.« Da nahm
ich die Kleine auf meinen Arm, redete ihr freundlich zu und hatte
sie bald so zutraulich, daß sie des Weinens und aller Furcht vergaß
und freundlich mich anlachte.

»Ihr versteht’s, Euch die Kinder zu befreunden«, sagte das Weib, »denn
sonst geht Elslein ihrer Mutter nicht von der Hand im Angesicht eines
Fremden. Das Kind kommt gar selten unter die Leute.«

»So gehören wir wohl zusammen, Elslein«, rief ich ganz fröhlich, »denn
auch ich bin fremder Gesellschaft ungewohnt; und daß Du mich magst,
thut mir gar wohl!«

»Ja, mit Fug«, sagte die Frau, »denn Kinderlachen bringt Glück, und so
mag Euch auch wohl gerathen, was Ihr vorhabt.«

Nicht lange waren wir unter solchen Gesprächen vorwärts geschritten,
so kamen wir an eine Rodung, wo die Meiler dampften. Kaum hatte das
Kind den Vater erschaut, so mußt ich’s vom Arme lassen, und lustig
sprang es dem Köhler entgegen. Da gab’s zwischen den Leuten ein
freudiges Grüßen. Sie hielten das Mahl zusammen, ich setzte mich auch
dazu und wir theilten einander mit, was wir hatten. Sie sprachen von
ihrem Heimwesen, von ihren Sorgen, denn sie waren gar arm, und von
ihren Kindern. Ich hört’ ihnen stille zu, denn wir waren das Alles
fremde Dinge. Aber wie traurig auch Manches war, was sie sprachen; ich
hätte sie nicht besser trösten können, wie sie selbst einander ihre
Last erleichterten durch die Herzlichkeit ihrer Rede. Und wie, nachdem
das Gratias gesprochen war, der Mann die Kinder beide auf seine Kniee
nahm, und sie ihn liebkosten, auch das Elslein nicht von ihm ließ, so
geschwärzt und rauh er aussah, und mir öftermals zurief: »Seht, das
ist mein Vater lieb!« da wußt’ ich nicht, sollt’ ich den armen Mann
oder die Kinder für glücklicher halten, und zum ersten Mal in meinem
Leben fragt’ ich mich, ob ich wohl auch je von Mutter oder Vater so
gekoset worden wäre oder mit ihnen gekost hätte, und ich wünschte, es
möchte geschehen sein, ob ich auch deß nicht mehr gedenken könnte, und
die Hände, die mich gestreichelt, eben so arbeitshart gewesen wären,
wie dieser Eltern ihre.

»Nehmt’s nicht für ungut«, sagte der Köhler, wie er mich so
schweigend sitzen sah, »daß ich Euch versäume. Ich sehe meine
Herzkinder selten, und so denken sie, es muß so sein.«

»Gott helf Euch«, sprach ich da, »daß Ihr sie immer so in Freuden
sehet, und lasse sie Euch und Eurem Weibe zur Freude gesetzt sein all’
Euer Leben lang.« Darnach gesegnet’ ich sie, denn ich wollte weiter
ziehen, und auch Elslein reichte mir ihre Hand, sagte: »Wohlauf zur
Fahrt!« und lachte mir fröhlich zu.

Oft noch beim Weitergehen sah ich zurück nach dem Weibe und dem Manne
mit den Kindern auf seinen Knieen, und wie ich sie nicht mehr
erschauen konnte, tönte doch des Mägdleins Lachen mir im Herzen nach
hell und lieblich, wie eines silbernen Glöckleins Klingen beim
heiligen Amt, und ich sagte zu mir: »Wohlan, Diether, Kinderlachen
bringt Glück!«

Das war mir einsamem Wandersmann, wie es schien, an diesem Tage
nicht beschieden. Denn gegen Abend zog ein Wetter herauf mit einem
Sturmwind, der die gewaltigen Bäume schier zu entwurzeln drohte. Der
Himmel überzog sich mit finstern Wolken und schwere Regentropfen
fielen hernieder. Ich beschleunigte meine Schritte, weil das Kloster
von Thüngen, welches unseres Ordens ist und wo ich die Nacht
herbergen wollte, nicht mehr ferne sein konnte. Aber in dem wilden
Gebirg’ verlor ich den rechten Weg. Ich hatte deß eine ganze Meile
gar nicht Acht, weil ich so in Hast lief; denn ein wüst Gewitter war
losgebrochen. Die Blitze flammten durch den dunkeln Wald und die
Donnerschläge hallten brüllend von den Bergen wieder. Dazu goß der
Regen in Strömen, daß auch die Tannen mit ihrem dichten Gezweig kein
Schirmdach mehr boten und ich über und über durchnäßt war. Doch
fragt’ ich wenig darnach; denn wie ich merkte, daß ich irre
gegangen, das schuf mir größere Sorge. Ich war auf einen Weg
gerathen, der Anfangs abwärts führte, aber allgemach und in gleicher
Richtung wie der, auf dem ich bisher gezogen. Dann aber lenkt’ er
mich steiler hinab an das Waldwasser und an dessen Rand entlang in
ein Thal, das sich in mancherlei Biegungen immer mehr verengte. Da
war meine Wanderung beschwerlich und voll Mühsal und ich däuchte
mich gar verlassen in dieser Wildniß. Dazu des Gewitters Zorn und
des Wassers Getose! »Hilf Gott«, sprach ich, »wo soll ich rasten bei
solchem Wetter in der Einöde, wenn die Nacht kommt?« Und ich dachte
an das Vespergeläut im Kloster, das alle Abend’ die Brüder in
Frieden zu Ruhe und Schutz zusammenruft.

Aber horch! war’s da nicht wirklich wie ein Läuten durch den Wald?
Jetzt vernahm ich’s wieder; ich täuschte mich nicht. Wie mir das
tröstlich und lockend erscholl! Ich förderte meine Schritte, und bald
öffnete sich vor mir das Thal zu einer freien Halde.

Die Berge traten zurück wie in einen Kreis, und an dem Abhang des
einen stund freundlich winkend ein Waldkirchlein, von dem das Läuten
kam. Ich fand bald den Weg, der dahin führte. Wie ich ihn
eingeschlagen hatte, ließ allgemach das Unwetter nach. Der Donner
verstummte, der Sturm legte sich und sanft fiel der Regen. Auf einem
Felsenvorsprung in halber Höhe des Bergabhanges sah ich das Kirchlein
vor mir.

Zu seinen Füßen, seitwärts des Pfades, der hinaufleitete, ward eine
Klause sichtbar, von Holz erbaut, deren niederes Dach nur wenig aus
dem Gestein hervorlugte, an das sie sich lehnte. Ein Wässerlein
plätscherte von der Höhe daran vorbei und ergoß sich in Sprüngen auf
die Waldwiese, auf die das Blockhaus niedersah. Wie ich emporklomm,
strahlte das Thürmlein der Kirche, darin die Glocke hieng, im rothen
Schein der untergehenden Sonne, und darüber hin wölbte sich gegen
Morgen schimmernd und feierlich ein Regenbogen. Ich hielt meine
Schritte an und freute mich des lieblichen Scheideblickes, mit dem der
Tag zu Ruhe gieng. Wie ich so stund, vernahm ich von der Klause her
die Klänge einer Laute und dazu die sanft schwebende Weise dieses
Liedes:

     Es liegt die Welt mit ihrem Glücke,
     Ein fernes Eiland, hinter mir,
     Und keine Fähre, keine Brücke,
     Trägt jemals mich zurück zu ihr.

     Ein ander Ziel hab’ ich erlesen,
     Deß Bild die Seele fest umschlingt.
     Wie wird mein trübes Aug’ genesen,
     Wenn die ersehnte Küste winkt!

     Schon rauscht der Kiel, die Segel blühen,
     An’s Steuer denn mit fester Hand,
     Laß Stürme brausen, Blitze sprühen,
     Doch endlich, Herr, mich rufen: Land!

Mir klang das Lied seltsam und fremd, voll Schwermuth und Freudigkeit,
voll Sehnsucht und Zuversicht. Aber es schien mir schön zu stimmen zu
dem heiteren Abend nach all’ dem Sturm und bösen Wetter, und ich
dachte: »Das kann nur das Land der zukünftigen Seligkeit, die
himmlische Heimath, sein, darnach das Lied Verlangen trägt, und es ist
wohl ein fromm Herz, welches zu solchen Gedanken erweckt wird durch
den Bogen Gottes.«

So gieng ich mit gutem Vertrauen auf die Klause zu.

Aber ich ward fast entmuthigt, als ich ihren Bewohner ersah, der
unter der offenen Thür stund. Es war ein greiser Mann von gewaltigem
Wuchs, bekleidet mit einem Mantel von grobem Zeug, den ein Strick
zusammenhielt; unten sahen die Füße bloß hervor. Sein Haupt war
mächtig und von breiter Stirn; unter den überhangenden Brauen blickten
lebhaft die blauen Augen. Die Nase war vorspringend und gebogen, der
Mund von festen entschlossenen Lippen und sein Angesicht tief
gefurcht, als stünde da manch Geheimniß früherer Jahre geschrieben.
Ich merkte wohl, wie mein Anblick ihm wenig willkommen war; denn
forschend sah er mich an und bewegte sich nicht von der Stelle.

»Ehrwürdiger«, redete ich ihn an, »ein wegmüder Wandersmann, der in
die Irre gerathen ist, spricht Euch um Obdach an für diese Nacht.
Wollet ihm solche Bitte um Gottes Lohn nicht versagen!«

»Das da droben«, antwortete er, »ist St. Wigbert’s Kirchlein, und die
ihm da in Andacht dienen wollen, denen helf’ ich dazu und geleite sie.
Aber zu herbergen ist meines Amtes und meiner Neigung nicht.«

»So verdienet an mir«, sprach ich, »St. Wigbert’s Fürsprach, in
dessen Bann und Schutz ich ohne meinen Willen geführt worden bin
durch des reichen Gottes Güte.«

»Du redest wie ein Pfaff«, sagt’ er darauf, »und nach Deinem Kleid
möcht’ man Dich für einen Mönch halten; aber Dein Haar fällt Dir lang
auf die Schultern, und Dein Auge blickt frei umher, als wär’s nicht
eben gewohnt, sich demüthig zu senken. Die falsche Welt liebt sich
Gevögel mit allerlei Federn, auch wohl mit falschen, und sie ist weit
genug dazu.«

Da sagt’ ich: »Ihr vertraut mir nun viel oder wenig, so will ich Euch
doch treulich berichten, wie es um meinen Weg steht, den ich ziehe«,
und so erzählt’ ich ihm, von wannen ich käme und wozu der Abt mich
ausgesandt hätte.

»Dein Abt ist ein Narr«, rief er mir da zu, »Dich so jung und
unbehütet um solches Tandes willen aus dem Kloster zu stoßen, kurz ehe
Du gemöncht werden sollst, und weiß nicht, was er thut. Dort die
Stufen hinan ist eine Kluft, wohlverwahrt, und reichlich Moos zum
Lager darin, wo die Pilger zu rasten pflegen nach der Wallfahrt. Da
lagere Dich. Denn in meiner Zelle geht’s nicht an, ich habe mir jede
Gesellschaft widersagt für immer. Sogleich komm’ ich nach.«

»Daß Ihr meinen Abt scheltet und meine Kunst verachtet, das thut Ihr
ohne meinen Dank,« antwortet’ ich gekränkt. »Aber ich bin müde und
will die Ruhe suchen, die Ihr mir erbietet.«

Darauf wandt’ ich mich, zu gehen. Doch er kam mir nach und ergriff
meine Hand, indem er sagte: »Nu, nu, Junker Hochgemuth! Deine Kunst
bleibt unverachtet. Komm denn hinein zu mir, bist ja ganz kläglich
zugerichtet vom Wetter. Aber Dein Abt ist ein Narr! – ich sag’s,
Brun, St. Wigbert’s Meßknecht und Einsiedel.«

Mir fiel es auf, als ich an seiner Seite gieng und er so redete, wie
freundlich der Klang seiner Stimme ward und wie mild sein Angesicht
drein sah gegen vorhin.

Der Raum seiner Klause, in die wir traten, war niedrig und eng. Sie
hatte außer der Thüre nur eine kleine Fensteröffnung zu Luft und
Licht. Schmucklos waren die Wände aus rohen Balken aufgerichtet: nur
über der Thür ein Crucifix und zwischen ihr und dem Fenster, das in
der schmalen Seitenwand angebracht war, unter einem hölzernen
Überdach das geschnitzte Bild unserer lieben Frau mit dem Schwert im
Herzen. Vor demselben stund ein eichener Tisch, kunstlos zugehauen und
ein Baumstumpf als Sitzschemel. Die dem Eingang gegenüberliegende Wand
der Hütte ward vom Gestein gebildet, das senkrecht abfiel. Darin war
eine Höhlung zu sehen, die zum Herde diente mit einem Sims, darauf
weniges Kochgeräth stand. Unten davor lag Holz bereit. Die Hälfte aber
dieser Felsenwand wich zurück zu einer Nische, die ganz schicklich als
eine Kemenate zur Lagerstatt gelten konnte. Sie verengte sich nach
hinten und schien tief in das Gestein hineinzudringen. So leicht das
Alles zu übersehen war, so konnt’ ich’s doch nur mit Mühe wahrnehmen;
denn das Abendroth, welches zum Fenster hineinblickte, war im
Versinken, und der Raum fast dunkel.

Aber bald lenkte mein Wirth mein ganzes Aufmerken auf sich und sein
Thun. Er tummelte sich geschäftig wie ein Schaffner für mich, und je
rauher zuweilen seine Rede war, um so sorgsamer mühte er sich.

»Setz’ Dich da, Meister Irregang«, sagte er halb spottend, halb
ernstlich, indem er in die glimmenden Herdkohlen blies und dürres
Reisig darüber legte, »setz’ Dich da auf den Klotz, der mir Bank,
Stuhl und Schemel zugleich ist. Weiß nicht, welches Sitzes Du in
Deinem Convent gewohnt bist; hätt’st Dir wohl einen weicheren
gegönnt zur Rast. – Doch nein!« fuhr er nach kurzer Weile fort, als
das helle Feuer knisternd zu flackern anhub, »nein, junges Blut!
rück’ hier heran an die Herdwärme. Denn es läßt, als ob Dich’s
fröre. – Heilige Mutter Gottes, wie bist Du durchnäßt! Hab’s gar
nicht so bemerkt, welche Unbilden Dir zartem Knaben das Unwetter
gethan hat. Wart’, wie Brun Dein pflegen wird.«

Damit gieng er nach hinten und brachte mir von dort trockne Kleider.
Er war mir selbst behilflich, mein naß Zeug abzuziehen, hängt’ es
seitwärts gegen den Herd, half mir in’s trockene Gewand und breitete
mir möglichst nah dem Herde, von Moos und mit Hilfe von wollenen
Decken, die er hervorholte, in der Nische, wo er seine Lagerstatt
hatte, ein Pfühl, darauf ich meine ermatteten Glieder gar gemächlich
ausstrecken konnte.

Ich dankt’ ihm für all’ seine Lieb’; ich fühlte, wie wohl sie mir
that. »Ja,« sagte er, indem er mir mit Wein, den er vorgelangt hatte,
meine brennenden Füße wusch, »das glaub’ ich gern, daß dem Täublein
nun sanfter ist; mit all’ seiner Kunst und des Abts Vollmachten dazu
sollt’ es sich wohl wenig trösten, wenn jetzt Brun nicht hinausgelangt
und’s in seine Arche genommen hätte.«

Daß er sich mit dem Erzvater Noah verglich, machte mich lachen; aber
es gieng mir nicht von Herzen. Vielmehr fühlt’ ich, wie ich roth ward,
weil seine Rede mich an die ungefüge Antwort erinnerte, mit der ich
ihm draußen begegnet war. Sie that mir leid und ich sagt’ ihm das.

»Wie heißest Du?« fragt’ er mich drauf und hängte den Kessel über
dem Herdfeuer ein.

»Diether, ehrwürdiger Vater.«

»Wohlan, Diether, darum mach’ Dir keine Sorgen. Aber von Deinem Abt
und Deiner Fahrt wollen wir hernach reden; da will ich auch an Dich
eine Frage thun. Jetzo merk’ nur dies, daß ich Brun heiße, und so
magst Du mich nennen. Das ist genug. Und nun gedenke des Mahles, denn
es ist bereit.«

Drauf legt’ er mir vor, was er hatte, Brot und Käs und von dem Brei,
den er gekocht hatte, und ein wenig Wein. Während ich aß und trank,
durft’ ich nicht sprechen, denn er hatte mir _Silentium_ auferlegt mit
strenger Miene, als wären wir im Refectorium. Mir war sein Gebot ganz
recht, und mit Lust und Eifer that ich der Mahlzeit Bescheid. Er sah
mir freundlich und ermunternd zu und bedachte dabei das Feuer, das,
den ganzen Raum angenehm erhellend und erwärmend, den felsigten Kamin
hinaufschlug und den Schatten seiner Gestalt in wunderlichem Wechsel
an die Wand malte.

Als ich vollendet hatte, hieß er mich wieder meine vorige Lagerstätte
einnehmen, that die Zurüstung des Mahles beiseit und setzte sich mir
gegenüber an den Herd.

»Diether«, sagt’ er da, »warum kam Dir vorhin das Lachen an?«

Ich ward ob der Frage verlegen, und zögernd erwiederte ich: »Wenn Ihr
die Wahrheit zu wissen begehrt, ehrwürdiger Vater« –

»Brun heiß ich,« unterbrach er mich ungeduldig.

»Wenn Ihr die Wahrheit zu wissen begehrt, Brun: es geschah, weil Ihr
Eure Klause hier der Arche Noä verglicht und mich mit dem Täublein,
das der Erzvater hineinnahm.«

»Und warum that denn dem Thierlein der Einlaß in den Kasten noth?«
fragt’ er eindringlich.

»Weil draußen die Wasser der Sintfluth allum es bedrohten«, gab ich
zur Antwort.

»Wohlan, Diether«, sagt’ er eifrig darauf. »Was ist die Welt anders,
als ein tiefes Meer des Verderbens, gleich gefährlich, ob’s den blauen
Himmel spiegelt oder schäumt und braust, voll Untreue, Gewalt und
Tücken? Und was hat Dein Abt anders gethan, als Dich hinausgescheucht
wie einen Vogel, der nicht schwimmen kann, auf die weite See?«

»Ihr seht wohl«, sagt’ ich bescheiden, »von Eurer Klause die Welt zu
ungünstig an und urtheilet zu hart über sie, weil Ihr sie nicht
genugsam kennet in Eurer Abgeschiedenheit.«

»Hoho!« rief er, bitter lachend, »ich kenne sie nicht? Ich kenne sie
nicht?« und sah in’s Feuer, als könnt’ ihm das gar etwas Anderes
bezeugen. – »Du hast ihr Wesen wohl heut’ schon lieb gewonnen beim
ersten Ausflug?« wandt’ er sich dann fragend an mich, »fühlst Dich
schon wohl darin?«

»Ich weiß darauf nicht zu antworten«, erwiedert’ ich, »aber Ihr thut,
dünkt mich, zu viel, wenn Ihr die Welt schlecht nur der Untreue
zeihet. Ich hab’ wohl befunden von ungefähr, daß sie auch der Treue
die Probe hält.« Und so erzählt’ ich ihm mit Wärme, was ich von den
armen Köhlerleuten heute gesehen hatte und wie sie durch ihre treue
Liebe gegen einander so glücklich wären in aller Dürftigkeit. »Die
hegen«, schloß ich, »gewiß kein Falsch gegen einander.«

»Weißt Du das für gewiß?« fragt’ er wieder. »Hat ihre Treue schon
die letzte Versuchung bestanden? Wenn die Noth bis zu Hunger und
Blöße steigt; wenn Siechthum und Jammer Heimrecht gewonnen haben bei
ihnen, wenn ihre Ehe zur klirrenden Kette geworden ist, welche ohne
Hoffen Mann und Weib an die Marterbank des gemeinsamen Elends
schmiedet und wenn die Kinder vergeblich Brot heischen, für Vater
und Mutter unablässige Mahner ihrer Noth und Mehrer derselben: dann
siehe zu, ob Ungeduld, Mißtrauen, Überdruß, die Unholde, der Lieb’
und Treue noch nicht das letzte Herzblut ausgesogen haben. Ja, wenn
dann noch Mann und Weib sich zum Trost da sind, die Kinder den
Eltern zum Labsal der Liebe, zu Dank und Gehorsam, – dann magst Du
sagen, sie haben Treue gehalten. Und bis dahin, und wenn sie noch
alsdann und immerdar sie hielten«, fuhr er ergriffen fort, »wird sie
ihnen doch zehn Tropfen Bitterniß einschenken neben einem Tröpflein
Süße. Denn wo eine Quelle ist, daraus dem Menschen reine Wonne
zufließen könnte, da leidet solches der Welt Lauf nicht und wirft
Gift hinein. Vielleicht brennt Junker Schlapphahn schon morgen die
Hütte nieder, bloß zur Kurzweil und aus Ärger, daß ihm ein Fang
entgangen ist. Dann wird den Mann nicht sein eignes, aber seines
Weibes und seiner Kinder Elend unglücklich machen, und das um so
mehr, je treuer er sie liebt.«

Er hielt inne und fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als wollt’
er sich der Erregung, mit der er gesprochen hatte, entledigen. Darauf
fügt’ er ruhiger hinzu: »Diether, ich bleib’ dabei, Dein Abt ist ein
Unweiser, daß er Dich so unbesorgt in die Welt gesandt hat.«

»Aber«, warf ich munter ein, »Brun, laßt die Welt so bös sein, wie sie
mag. Was gilt mir das, der ich in ihr weder streiten, noch arbeiten,
noch freien, noch ihres Theils sein will in keinerlei Weise, auch im
Geringsten nicht ein Verlangen danach trage, als der ich dem Kloster
von Kind an verlobt bin.«

Da sah er mich ernst, fast schwermüthig an und sagte: »Diether, hör’
nur zu! Wodurch die Welt die Leute schlimm macht und gottlos und
unglücklich, das wohnet inwendig in eines jeglichen Menschen Herzen.
Da schläft es und regt sich nicht, und er weiß nichts davon, bis die
Welt es aufweckt und stärkt. Sie thut es mit gar lieblicher Stimme,
denn Alles, was süß und sanft thut dem Herzen, was wonnig ist und
holdselig, das nennt sie ihm mit Namen und verheißt es ihm. Aber wenn
er dessen am frohsten zu werden gedenkt, dann muß er erfahren, daß sie
auch das Verderben groß gezogen, das ihn um Fried’ und Freude bringt.
Lang und schwer ist hernachmals der Weg zurück zu finden, und Mancher
kommt um unterwegs. Darum ist’s besser, es bleibt Beides unerprobt,
der Welt Lust und der Welt Leid, denn sie lohnet jenes mit diesem
allzu hart, und recht erwogen, ist ihre Wonne ihres Wehes nicht
werth.«

Mir war’s, als seufzte er leise bei diesen Worten.

»Nun denn«, sagt’ ich wie vorhin, »ich hab’ diesen Dingen noch wenig
nachgesonnen, acht’s auch nicht für wohlgethan, denn sie helfen nur
zur Herzensschwere, wie mich dünkt. Aber unter Gottes Schutz gedenke
ich getrost gen Speyer zu ziehen, dort meine Sache zu beschicken und
denselben Muth und Sinn heimzubringen, mit dem ich ausgezogen bin aus
unserm Kloster.«

»Du thätest besser«, sprach er, »so Du umkehrtest und ließest den Abt
ohne das Conterfey. Du sagtest ihm, Deine Seele müßte Dir mehr gelten,
als das Bild.«

»Das würde mir übel stehen«, sagt’ ich fast unwillig, »und mich zum
Gelächter machen im ganzen Convent.«

»So will ich Dir noch einen Rath geben«, fuhr er fort, als wollt’ er
mich durch Scherz begütigen, »sieh zu, daß Du ihn besser befolgst.
Bleib hier und siedle bei St. Wigbert’s Kirchlein. Wir leben hier in
Verborgenheit und edler Freiheit mit einander, bis Du mir mein Grab
gräbst und mich hineinbettest. Wie? Du sagst nicht mit Freuden ja und
mißkennest solche Ehre? So verbeut Dir Brun jede Ausrede und will, daß
Du Dich auf’s Ohr legest und schlafest.«

Damit stund er auf und achtete nicht weiter auf mich.

Wirklich war ich so müde, daß sich meine Augen willig senkten und ich
bald entschlief. Aber zu vielerlei und zu Neues hatte ich an diesem
ersten Wandertage durchlebt, als daß mein Schlaf hätte traumlos sein
können. Sonderlich des Alten eindrucksvolle Gestalt stund immer wieder
mir vor der Seele; bald rauh, bald milde erschien er mir, wie ich ihn
am Tage gesehen hatte. Zuletzt war mir’s, als führ’ ich mit ihm über
ein strudelndes Wasser und er spräche zu mir: »Das ist die Welt!
Willst Du sie kennen lernen, so spring hinein und wag’ es zu
schwimmen.« Da warf er die Ruder weg, und unser Kahn tanzte in immer
engeren Kreisen dem Abgrunde zu. Ich bat ihn flehentlich, mich und
sich zu retten und wollte seine Knie’ umfassen. Im Schlaf mocht’ ich
da wohl eine heftige Bewegung gemacht haben, denn ich erwachte. Doch
wie! saß er da nicht noch immer an den letzten Gluthen des
verglimmenden Feuers?

Ich behielt den Anschein des Schlafens und sah ihm zu.

Vor sich hatte er eine geöffnete Truhe, die er aus der Kluft
hervorgeholt haben mochte, und mit Staunen sah ich, wie er daraus
gestickte Zeuge, Schapel, Schleier, Spangen von großer Kostbarkeit
hervorlangte. Nur für einen Augenblick kam mir der Gedanke, ich könnte
in die Höhle eines Räubers gerathen sein. Denn das waren nicht die
Blicke der Habgier, mit denen er die Kleinode betrachtete. Vielmehr
drückte sich ein tiefer Gram aus in seinem Angesicht, wie er mit
zögernden Händen ein Stück nach dem anderen herausnahm und sorglich
wieder an seinen Ort legte. Endlich schien er gefunden zu haben, was
er suchte. Es war ein Bündlein von vergilbten Blättern. Es mochten
Handschriften oder Briefe sein; denn ich sah, wie er sich zu lesen
anschickte. Aber reichte das Licht nicht zu oder waren seine Augen
trübe, er ließ die Hand, welche das Blatt hielt, auf die Knie’ sinken.
Da entfiel dem Papier etwas, wie eine verwelkte Rose. Hastig hub er
sie auf, als wäre die arme Blume ein großer Schatz. Er sah sie lange
an, öfters seufzend, und sein Haupt sank ihm tief auf die Brust. Da
verlosch das Feuer, und das mildere Mondenlicht fiel durch das Fenster
in die Zelle. Seine Strahlen umflossen den Regungslosen. »Er ist
eingeschlafen«, dacht’ ich. Aber im flimmernden Mond blinkten
reichliche Thränen die Furchen seiner Wangen hinab in seinen Bart, und
was ich anfangs für das Rauschen ferner Wipfel gehalten hatte, war
sein leises Schluchzen.

»Tröst’ ihn, lieber Heiland, in seinem Leide«, betet’ ich da in
meinem Herzen, »und gib Deine Gnad’ uns Allen!«

Und damit entschlief ich.



Drittes Capitel.

Irrfahrt.


Des andern Tages früh, da ich mich wieder auf den Weg machte, wollte
mich Brun doch nicht allein ziehen lassen, sondern er geleitete mich
eine gute Strecke. Das that er, nicht bloß, weil er besorgte, ich
möchte aus der Irre, in die ich gestern gerathen war, die rechte
Straße allein nicht wieder finden, sondern auch, daß ich an ihm einen
Schutz hätte gegen Fährlichkeiten. »Denn«, sagt’ er, »hier herum ist
das Wegelagern nicht selten, und wer sicher durchziehen will und
ungekränkt an Hab und Leben, der sollt’s, wenn er nicht selbst wohl
bewehrt ist, nicht wagen ohne Geleit. Da und dort auf den Bergen ragen
stolze Burgen, drin hausen gestrenge Ritter, wie man sie heißt, die
aber das Rauben treiben wie ihr Handwerk.«

»Ich hab’ wohl wenig zu fürchten, Brun«, sagt’ ich gutes Muthes,
»daß mich dieser kampflichen Gesellen einer anrenne, der ich
unbeschwert von Gut und Habe meines Weges ziehe. Was sollte man an
mir armem Klösterling gewinnen, so man mich fienge?«

»Man könnt’ Dich doch für einen Andern halten, als Du bist, Diether,
wie auch ich Dich mißkannte, als Du mich ansprachst. – Daß ich da so
rauh mit Dir fuhr,« setzte er freundlich hinzu, »muß Dich nicht irren:
es war aus guter Meinung geschehen. Denn sieh, so schlimm ist
heutzutage die Welt, daß auch ein Einsiedel sein löblich Thun mit
großer Vorsicht und Heimlichkeit betreiben muß, als hätte er dabei ein
bös Gewissen. Weil ich nämlich, was sich hier in Wald und Bergen
zuträgt, und das Gehen und Kommen der Herren, ihr Liegen und Kriegen,
Frieden und Fehde gut genug erkunde, so bin ich den redlichen Leuten,
die hierdurch in Frieden fahren wollen, gern zu Rath und Warnung
bereit. Sie kennen mich wohl auch und haben mich erprobt. So werd’ ich
oft beschickt, daß man mich fragt, ob’s wohl stehe im Gebirg oder
nicht. Aber ich darf Keinem trauen, der mir nicht Bürgschaft gibt, daß
er sicher ist und kein Schelm, von den Geiern hier herum abgesandt,
die mir längst auf der Lauer sind.«

»So habt Ihr auch an mir Euch als Helfer und Berather treulich
bewiesen und meinen armen Dank wohl verdient«, sagte ich, indem ich
seine Hand ergriff, »und nimmer werd’ ich Euer vergessen.«

Da schlug er ein, sah mich gar gütig an und sagte: »Ist das Dein
Ernst, Diether, so hab’ Du allerwege ein Vertrauen zu mir. Es mag sich
wohl fügen, daß es Dir eine Freud’ ist oder ein Trost, zu denken, es
lebe Einer, der Dir von Herzen gern diente, weil er Dir von Herzen
gern das Beste gönnt – hauset er auch gleich einsam und hat nicht
Macht, Gut, noch Ehre in der Welt. Vielleicht ist’s Dir dann lieb, den
Weg zu wissen, der durch den Wald fern zu St. Wigbert führt, und Du
verlangst, sein Kirchlein Dir winken zu sehen und in der Klause Deinen
getreuen Eckhart, den alten Brun. – Nun, Jüngling, fahr’ wohl! Die
Landstraße, die da entlang sich zieht, heißt uns scheiden. Aber in
aller Ferne bleibt’s dabei: Brun gedenkt und, willst Du zu ihm, harret
Dein immerdar.«

Ich wollt’ ihm nochmals danken zum Abschied, aber er wollt’s nicht
haben, drückte mir liebreich und herzhaft die Hand und gieng.

Ich sah ihm nach, bis er hinter den Tannen des Waldpfades verschwunden
war, der ihn in seine Siedelei zurückleitete.

Dann gieng auch ich wohlgemuth meine Straße. –

Ob wohl am jüngsten Tage, wenn zum Endegerichte die Bücher werden
aufgeschlagen werden, darin eines Jeglichen Thun beschrieben ist,
welcherlei es gewesen ist bei Leibesleben, die Tage und Zeiten auch
werden leere Blätter weisen, an die wir uns wenig erinnern, weil uns
darin nichts Sonderliches begegnet ist, und dahingegen die, an denen
unsere Gedanken vor andern haften und unseres Herzens Sinn, auch dort
werden mit großen Buchstaben eingezeichnet sein? Dem hab’ ich manchmal
nachgesonnen, und unsere Vernunft muß wohl also schließen. Und doch
kann es leichtlich anders sein; denn ich achte, oft ohne daß wir’s
merken und spüren, nimmt unser Herz ein Saatkörnlein auf, das
unvermerkt Wurzel darinne treibt, und dessen Frucht, bitter oder süße,
unser ewiges Schicksal entscheidet. Hinwieder mag von hoher Lust und
tiefem Leid, darin unser Herz gestanden hat, daß es durch’s ganze
Leben deß nicht vergißt so lang’ es schlägt, keine Spur uns nachfolgen
in die zukünftige Welt, wie man dem Wasser des stillen Gebirgsee’s
nichts ansieht von dem Gebraus des Sturzbaches, der ihn nährt.

Solcher Betrachtungen zu gedenken, dazu bewegt mich die Erinnerung an
das, was mir weiter auf meiner Wanderschaft begegnete. Sie gieng auch
in einem solchen Wechsel hin zwischen dem, was man schnell vergißt und
was fest in der Seele haftet. So trug sich mir in den zween nächsten
Tagen, nachdem ich von Brun geschieden, nichts Sonderliches zu, und
schon hoffte ich in Tagesfrist in Heidelberg zu sein, allwo ich eine
Weile zur Rast in Herberge bei den Benedictiner Brüdern liegen sollte.
Aber gar unerwartet und plötzlich wurde ich von meinem Ziele
abgelenkt, und wie das geschah, das steht noch so deutlich vor meiner
Seele, als hätt’ ich’s gestern erlebt.

Der Tag war trüb’, und ein kalter Wind trieb mir feinen Regen in’s
Angesicht. Ich hüllte mich dichter in mein langes Gewand und
beförderte meinen Gang. Da hörte ich hinter mir Schritte wie von
Nacheilenden und ward gewahr, daß sie mir schleunig näher kamen. Ich
wandte mich und erblickte ein gar seltsames Paar: zween Gesellen, von
denen Jeder für sich verwunderlich genug anzusehen war, noch mehr
aber, wenn man ihn zugleich mit seinem Gespons betrachtete. Denn die
Beiden hielten sich in Allem das Widerspiel. War der Eine lang und
fast dünn, von schwarzem Haar, das tief auf die Schultern fiel, und
schmalen Wangen, so war der Andere gar kurz und wohl bei Leib’, und
das runde Haupt mit ganz rothem Kraushaar saß ihm dicht auf dem
breiten Nacken. Nicht minder war die Tracht, in der sie daherzogen,
sonderbarlich anzusehen. Der Lange trug einen knappen, blauen Rock mit
silberglänzenden großen Knöpfen, der kaum bis unter die Hüften
reichte, mit buntfarbigen Schleifen hin und wieder ausgeziert. Auf dem
Scheitel saß ihm eine Kappe von gleicher Farbe mit langem
Federschmuck, von Wind und Wetter übel zerzaust. Seine Hosen aber
waren gelb und eng anliegend; an der Seite hieng ihm ein kurzes
Schwert, wie die Bauern tragen, wenn sie bewehrt sind. Der Kleine
hingegen trug einen großen, braunen Hut mit so mächtiger Krempe, als
wär’s der vom wilden Jäger selber, und seine kurze Gestalt erschien
noch breiter durch einen dunkelrothen, faltenreichen Mantel, der ihm
vom Halse bis zu den Knieen herunterhieng.

Wie ich die Beiden mit steigender Verwunderung betrachtete, hatten sie
mich bald eingeholt. Der Kurze Schwenkte mir zum Gruß seinen Hut
entgegen und rief:

     »Ja, wohlgethan, daß Ihr bleibt stehn!«

Darauf setzte der Andere ein:

     »Selb dreie wöll’n wir fürder gehn.«

Damit waren sie mir zur Seite, und ich fand mich in ihrer Mitte
wandelnd, als wären sie mir Geleitsmänner. Vielleicht sahen sie mir’s
an, daß ich bedenklich war über ihre Gesellschaft und halb
entschlossen, mich ihrer so oder so zu erwehren. Darum war sonderlich
der Kleine geschäftig, Wechselrede in Gang zu bringen. Ich war zu
arglos und, was ich an meinen beiden Gefährten sah und von ihnen
erfuhr, mir zu neu, daß Ihre Begleitung mir nicht erträglich und nicht
auch bald erwünscht gewesen wäre.

     »Ihr seid gewiß ein heilig Mann«,

sagte der Kleine, und sah wie prüfend zu mir auf.

     »Man sieht’s an Euerm Kleid Euch an.«

»Ja«, erwiederte ich, »einem heiligen Stande gehöre ich an und bin dem
Kloster zugesprochen.«

Da versetzte der mit dem blauen Rock gar ernsthaft:

     »Ein selig Leben ist Euch beschieden,
     Voll guter Sicherheit und Frieden,«

und sprach das in einem Ton, als hätt’ er solch Glück aus eigener
Erfahrung wenig erprobt.

Sogleich rief ihm der Andere zu, als wollt’ er ihn trösten:

     »Was mancher Mann zumeist begehrt,
     Wenn er’s erlangt, hält er’s nicht werth.«

Dann wandte er sich zu mir und sagte: »Mein Geselle da hat die
Regenlaune; allemal, wenn’s unhold Wetter gibt, ist er so.

     Scheint aber erst die Sonne frei,
     Dann singt er and’re Melodei!

Nicht, Bruder? Ah, ob er’s wohl kann auf Saitenspiel?«

Damit strich er mit der Gerte, die er in der Hand hatte, hinter mir
vorbei seinem Gesellen auf den Rücken, und ich hörte die Saiten einer
Fiedel erklingen, die da, wie ich nun merkte, wohl eingehüllt am Bande
hieng.

     »Mißschaffen ist dein Scherz und Schimpf!«

murrte ärgerlich der Gestrichene; aber der Andre lachte dazu und rief:

     »Ei, nimm ihn auf mit Gunst und Glimpf!«

»Ich denke«, sagte ich da, »weil Ihr von mir erkundet habt,
welcherlei Stande ich angehöre, so hab’ ich wohl auch ein Recht, nach
dem Eurigen zu fragen. Doch das ist nicht noth; denn wiewohl ich mich
wenig auf der Welt Brauch und ihre Sitten verstehe, so fehl’ ich gewiß
nicht der Wahrheit, wenn ich dafür halte, daß Ihr fahrende Spielleute
seid. Aus den gereimten Sprüchen und der Fiedel schließ’ ich das.«

»O, wohlgerathen«, rief lustig der Kleine, »ist Euch das _Studium
logices_. Euer Syllogismus ist demantfest. Und doch traft Ihr nicht
haarscharf das Ziel. Fahrende sind wir, das ist wahr, aber Spielende
nicht zumal, das gieng Euch fehl’. Wer die Braut hat, der ist der
Bräutigam; wer die Fiedel trägt, der ist der edlen Sang- und
Klangkunst Adept.

     Der Tannhäuser wird er genannt,
     Ich aber Klingsohr von Ungarland.«

»Und was ist +Eure+ Kunst?« fragt’ ich ihn.

Da blinzelte er mich mit den Augen schlauen Blickes an, sah dann in
den grauen Himmel und spitzte den Mund, als besänn’ er sich, ob er mir
eine gerade Antwort geben sollte. Darauf blieb er plötzlich stehen und
schien zu horchen. Der Andere that desgleichen und fragte:

     »Sag’, Bruder, hörst du ichtes was?«

worauf Klingsohr nach kurzer Weil’:

     »Nein, nichts! – Doch laßt uns eilen baß.«

»Ja«, fuhr er im Gehen zu mir fort, indem er ausschritt, was seine
kurzen Beine vermochten, »die Kunst, die ich übe, ist eine hohe Kunst
und eine nützliche Kunst und hat viel’ Liebhaber im Volk. ’S ist aber
auch eine gefährliche Kunst und wird arg befehdet von den
Hochgelahrten. Eure Heiligen und Scholastici zählen sie nicht unter
die sieben freien Künste. Ich möcht’ ihrer auch gern ledig sein. Aber
was hilft’s! Jeder Vogel muß bei seinem Liede bleiben. Frau Aventiure
ist mir nicht günstig gewesen und hat zu sagen und singen mich nicht
gelehrt, wie den da.«

»Aber Ihr reimet doch, als wäret Ihr Worte zu stellen wohl geübt?«

»Macht der Gewohnheit und Freundschaft! Des Tannhäusers edle Gabe ist
mir ein wenig zu Gut gekommen. Wenn man die Singekunst so liebt, wie
ich, da muß die Gesellschaft solchen Meisters wohl Etwas nütze sein.

     Was ich vermag, das ist allein
     Von seiner Kunst ein Wiederschein.

Doch Ihr habt«, setzte er hinzu, »in Eurem Brevier von solchen Dingen
allen nichts gefunden und begehrt ihrer nicht.«

»Da ist denn die Reihe des Fehlens an Euch gekommen, Meister
Klingsohr!« sagt’ ich munter, »denn auch ich übe eine Kunst, und mit
all’ meinem Denken trag’ ich Lust zu ihr.«

Da sahen mich Beide verwundert an und Klingsohr fragte: »Welche
ist’s?«

»Zwar sollt’ ich dem Klingsohr nicht offenbaren, was er mir hehlt«,
erwiederte ich. »Doch will ich’s sagen: Zum Tannhäuser dem Singer hat
Diether der Maler sich gesellt.«

»So wohl uns, daß wir uns trafen!« rief Klingsohr, streckte mir seine
Hand entgegen, und der Tannhäuser reichte mir seine. »Wir drei gehören
zusammen, ob Kutte, Wams oder Mantel; wir sind eines Ordens. He,
Bruder Tannhäuser, nimm Deine Fiedel und streich eins auf!«

Der aber sagte:

     »In Regen und Wind des Fiedelns pflegen,
     Heißt unterm Schnee nach Veiglein fegen.«

»Wohl«, rief da der Kurze, »so will ich ein neu Lied singen von den
drei jungen Gesellen, die sie in Augsburg henken wollten, wie sie
zusammen entrannen und hernach in England der eine Bischof, der
andere« –

»Sagt mir doch lieber«, unterbrach ich ihn, »was Eure Kunst sei!«

»Warum sollt’ ich’s nicht«, erwiederte er, wenn’s Euch, Malbruder,
zu wissen lieb ist? Kennt Ihr die schwarze Magia?«

»Alle guten Geister!« rief ich und schlug ein Kreuz. »Das ist ja eine
Teufelskunst!«

»Die treib’ ich ja auch nicht«, rief das Männlein und lachte
unbändig. »Sie ist ja durch kaiserlich und päpstlich Recht verpönt
und vermaledeit. Der +weißen+ Magia bin ich ein Jünger.«

Wie ich ihn fragend und befremdet ansah, fuhr er fort: »Das nimmt Euch
Wunder, daß ein Biedermann die weiße Magia bekennt, und Albertus
Magnus ist doch durch sie hoch zu Ehren gekommen? Macht +das+ den
Unterschied, daß ich Jedermann, Bürger und Bauer und Knecht und Magd,
wer’s begehrt, die Wohlthaten meiner Kunst erweise? Hätt’ ich nur die
Instrumenta und wäre in jungen Jahren länger hinter’s Latein gesessen
– ich wollt’ Euch einen redenden Kopf machen, der sollt’ Euch noch
weit andere Geheimnisse sagen, als Albertus’ seiner.«

»Dann thätest Du besser«, spottete der Tannhäuser, »Du ließest den
Kopf und schüfest uns einen Wintergarten, wie der Kölner Meister, mit
warmer Sommerluft. Aber Deine weiße Meisterschaft läßt uns noch im
Aprilen frieren.«

»Ei«, sagte gekränkt der Kleine, »Dir wär’s doch in keinem Wege
recht zu machen. Hast Du nicht warm gesessen bei der Frau Venus? Und
doch hat Du’s nicht behagt im Hörselberg.«

»Ach, Narrethei!« rief der Tannhäuser, »samt Deiner Frau Venus und
Hörselberg! Wollt’ lieber, ich hätte jetzo was Gares zu kosten und was
Wärmendes auf dem Leib.« Dabei schüttelt’ er sich verdrießlich die
Tropfen von der Mütze ab.

     »Frau Nachtigall, hat sie keine Speis’,
     Schweigt oder singt nach Spatzenweis’.«

Er dauerte mich und ich sagte: »Mir ist’s gar leid, daß Ihr nicht
besser vor’m Unwetter bewahrt seid. Wie wohl thut mir doch heut’ mein
langes Wollenkleid!«

»Oh!« sagt’ er und sah es fast begehrlich an,

     »Im warmen Kleid und sichern Nest
     Den Mönchen Gott nichts mangeln läßt.«

»Freilich«, hub wieder der Kleine an, »fahrende Meister müssen sich
alles Glückwechsels versehen: gestern willkommen und heut’ schabab. Da
heißt’s oft:

     Duck Dich Hännsl, laß übergahn!
     Unwetter will seinen Willen han!

Sprich auch diesen Spruch jetzt, Gutgesell! Da hilft nichts Anderes.
Denn zum Wärmenden auf Deinen Leib ist hier kein Rath;

     Aber Gares zu kosten, das mag wohl sein,
     Hab’ auch nicht die Meinung, mich zu kastei’n.

Wir wollen eine Mahlzeit halten, die lecker ist, und St. Bernhardt
selber wird mir die Gutthat danken, die ich an seinem Jünger thue. Wir
sind auf der Wanderung gebrüdert und haben Alles gemein. Seid erst bei
Klingsohr zu Gast und dann gebt Acht, ob seine Kunst Dank verdient!«

»Ist’s Eure Magie, die uns letzen wird?« fragt’ ich ihn.

»Gewißlich sie«, rief er lachend, »und immer die weiße! Gleich sollt
Ihr deß gewahr werden.«

Nun führte der Weg an einem verlassenen Steinbruch vorbei, der manche
Wölbung darbot, wo man vor Wind und Regen wohl gesichert war. Da hatte
auch alsbald Klingsohr die zum Lager geschickteste erkürt und hieß uns
folgen. Als wir angelangt waren, sprang er auf einen Stein, der da
lag, und sagte im Befehlston:

     »Nun kommt herfür aus Eurer Haft!
     Sollt Euch nicht mehr verstecken.
     Beweist Eure edle Kraft und Saft!
     Wir wollen schmecken und schlecken.«

Damit hockte er etwas von seinem Rücken, das schier einem gewaltigen
Buckel geglichen hatte, und langte drei Gänse hervor, die an ihren
Hälsen zusammengebunden waren, wie man pflegt, wenn man sie
geschlachtet zu Markte bringt. »Sind Sie nicht weiß«, fragte er mich
vergnügt, »wie die Kunst, die sie mir eingebracht? Und fett dazu! Sie
drückten mich schier, daß ich nicht mehr ausschreiten konnte. Aber
harret! Eine soll’s nicht mehr thun, ’s müßte denn im Magen sein.«

Darauf macht’ er sich an’s Küchenwerk und nahm uns dabei ganz
weidlich in seinen Dienst. Während er die Gans rupfte und zum Braten
bereitete, mußte ihm sein Geselle Handreichung thun, der auch, wie ich
sah, in solchen Dingen wohl geübt war. Ich ward ausgeschickt, indeß
zum Feuer Holz herbei zu holen. Dazu gab mir der Tannhäuser sein
breites Schwert, und weil ringsum der Wald dicht war, so hatt’ ich
nach kurzer Weile zum Brennen genug herzutragen. Der Singmeister hatte
bald ein Feuer angezündet, und die Flamme schlug hell empor. Sie
verbreitete in unserem Winkel eine willkommene Wärme und sollte unsern
durchnäßten Kleidern zu Gute kommen. Klingsohr und ich spreiteten
unsere Mäntel und der Spielmann sein Wams vor der Gluth zum Trocknen
aus und rückten selber an ihr zusammen so nah, als wir konnten. Es war
mir lustig den Beiden zuzuschauen, mit welchem Eifer sie zurüsteten.
Bald war der Magus mit der Gans zu Stand, daß sie zum Braten fertig
war. »Hier noch das Leberlein und hier die Zwiebel (er nahm sie aus
seinem Ranzen) selbander hinein«, sagt’ er; »jetzt geschwind Nadel und
Zwirn, – so ist’s gethan; – nun kann sie rösten.« Damit schürte er
das Feuer, wie er’s haben wollte.

»Das ist auch eine feine Meisterschaft, die Ihr versteht«, sagt’ ich
lobend.

»Was nützte sie, wenn ich sie nicht üben könnte!« gab er zur Antwort.
»An des heiligen römischen Reiches Truchseß selber wäre sein Amt
verloren, trügen nicht Jäger und Metzger und Bauer und Müller ihm die
Küche voll.«

»O«, sagt’ ich scherzend, »ich merke wohl, Ihr wollt nur Eure
magischen Künste ausstreichen, und wahr ist’s, das hätt’ ich nie
gedacht, daß sie Gänse an den Spieß zu bringen vermag. Aber nun seh’
ich’s mit eigenen Augen.«

»Ja, und sollt’s schmecken mit eigener Zunge, das ist die Hauptsach’.
Euer Heiliger muß sich freuen, wie man Euer auf der Wanderung pflegt.«

»Mein Treu«, rief da der Fiedler dazwischen und wandte, wie der
Andere ihn anwies, die Gans um, die schon ganz lieblich zu duften sich
anschickte. »Eine Schand’ ist’s, wenn ich gedenke, wie unmild
dahingegen die Singekunst heuer gelohnet wird. Man will unser nicht
mehr in Klöstern und Burgen, und die Städter, seit sie reich werden,
fangen selbst an, gar zierlich und fürnehm zu singen, und weil sie’s
umsonst herklimpern, verachten sie uns aus Geiz; bleibt nur das
gemeine Volk für uns, sperrt’s Maul auf, weint und lacht, wie man’s
haben will, das ist Alles!«

»Drum auch«, sagte der Kleine, »sollst Du Dich gesegnen, daß wir
zusammen fahren. Sind wir nicht noch immer ehrlich verbrüdert gewesen?

     Sei’s Gans oder Ferkel, sei’s Huhn oder Hahn,
     Zusammen wird Alles und Jedes verthan!

Jetzt wend’ sie um!« Und frohmüthig rieb er sich die Hände.

»Wie aber vermögt Ihr’s denn«, fragt’ ich wieder, »Eure magische
Kunst so in Ehren und gutem Lohn zu erhalten, daß sie Euch Beiden
zuträgt?«

»Sie hieße nicht Magia, wenn sie nicht Geheimniß wäre. Euch,
geistlicher Kunstbruder, sei’s genug, daß Ihr wisset: die weiße ist
unverboten und gibt ehrliche Nahrung.« Dabei blinzelte er wieder gar
listig mit den Augen mich an und lachte. »Nur den Spruch merkt Euch
wohl:

     Wer sich der Welt gelieben will,
     Muß halten ihrem Treiben still;
     Denn will er wider ihre Art,
     So macht er bald allein die Fahrt.

Und jetzo, Bruder«, ermunterte er seinen Gesellen, »derweil der
Braten schmort und die Kleider trocknen, nimm die Fiedel zur Hand und
spiel’!«

Da langte der Fiedler seine Geige her, stimmte die Saiten und ließ
dann den Bogen über dieselben springen, daß die Töne wie Funken
heraussprühten. Darnach hub er auch an zu singen ein Lied, das zu der
fröhlichen Weise wohl stimmte; aber ernst und traurig gieng es
hernach, und schwermüthig endete es also:

     »Auf den Bergen zergieng der Schnee,
     Die Brünnlein, sie rieseln ohn’ Ende:
     O Vater und Mutter, Ihr seht mich nimmermeh’,
     Muß sterben im Elende. –
     Gottes Wille, der muß ergehn.«

Noch einmal holt’ er dazu aus seiner Fiedel lauten und wilden Klang
hervor, als wär’s ein Wehgeschrei. Dann verhallten seine Töne langsam
und leise. Ich war der Singekunst Freund immer gewesen und hatte der
Sequenzen und Leisen Kraft in der Kirche oft an mir erfahren. Aber
dieses Fiedlers Gewalt über meine Seele war anderer Art. Seines
Spieles Lust wie Leid ergriffen mich gleich sehr, aber sie verwirrten
mich auch. Es war nicht die gewohnte Bahn, auf die sein Spiel mich
zog, und doch erweckte es in mir einen Wiederhall – ich wußt’ mir
nicht zu deuten, wie? –

»Heb’ aber an, Bruder!« rief da Klingsohr, »leg nicht weg die Fiedel.
Hast da unserem geistlichen Gast schier das Herz im Leib’ umgekehrt
mit Deinem Lied, wie ich merke. Noch eins! Und eine Weise, die sanfter
eingeht!« Der Andere stimmte seine Fiedel wieder zurecht, und jetzt
giengen seine Töne ebenen Weg. Dies war sein Lied:

     »Des Herzens Schwere zu verjagen,
     Gab ich es ganz der Minne hin;
     Hört’ ich doch viel die Meister sagen
     Von ihr als Leidverleiderin.

     Da hub sich’s an in mir zu lenzen;
     Doch schwand die Sälde allzujach, –
     Denn ach, von allen bunten Kränzen
     Blieb nur der Dorn im Herzen nach.

     So mißgerieth mir all’ mein Wähnen,
     Und was ich wollt’, gedieh mir schlecht.
     Erst hochgemuth sein, dann in Thränen:
     Das ist der Minne altes Recht.«

»’S ist auch in dem noch was vom Regenwetter«, meinte Klingsohr. »Und
doch bist Du unter Dach und überm Feuer brät die Gans. Wohlan thu sie
her! Ist sie nicht bräunlich und schön?« Und er betrachtete sie
wohlgefällig.

Plötzlich sah er auf. »Das ist nicht des Windes Geräusch«, murmelte er
bedenklich. »Ihr seid jung und behend, Bruder Diether. Springt dort
hinan, wo der Ausblick offen ist auf den Weg, den wir kamen, und
schaut, was sich naht.«

Was sollt’ ich mich bedenken? Ich klomm mit Eil’ die Höhe hinan, die
er mir angezeigt hatte. Als ich oben war, sah ich hinter der nächsten
Windung des Weges einen reisigen Haufen herankommen. Spieße und
Hellebarden konnt’ ich wohl erkennen. Das rief ich den Beiden zu und
schickte mich an hinabzusteigen. Schon aber hört’ ich sie unten sich
tummeln, und bevor ich noch die Hälfte des Weges zurück war, kamen sie
eilig hervor und liefen grad über den Weg dem Tannenwald zu, wo er
besonders dicht stund, als suchten sie dort eine Bergung. Fast lustig
war es anzusehen, wie sie all’ ihr Geräth zusammengerafft hatten,
Jeder, was ihm die Hände gefaßt, wie sie auch die zwo Gänse nicht
vergessen, die der Kleine hinter sich her zog. Aber wie ward mir zu
Sinne, als ich den Fiedler sah mit meiner Kutte von dannen rennen! Das
schuf mir große Noth. »He, Freunde!« rief ich ihnen nach, »was soll
das? Was fliehet Ihr? Harret doch, daß ich mein Kleid anthue!« Und mit
höchster Eil’ stieg ich hinab. Aber sie hörten nicht, noch hemmten sie
ihre Flucht, und ich erkannte, daß es mir ganz unmöglich wäre, sie
einzuholen. Denn mein Weg war behindert durch’s Gestein, der ihrige
nicht. Da gerieth ich außer mir; denn ich sah, daß sie unredlich
handelten mit mir, und schrie aus allem Vermögen: »So wollet Ihr
treulos entlaufen, unehrliche Gesellen! Raubt mir mein Kleid, Schelme
und Unbiedermänner, die Ihr seid?«

Sie aber hielten nicht an, als bis sie den Waldsaum erreicht hatten.
Da blieben sie stehen, und, indem der Große meinen Rock anlegte, rief
der Kleine mir zu:

     »O Freund, gedenk’ der Sanftmuth Gebot!
     Fürwahr uns zwingt wahrhafte Noth.
     Wir sind um’s Mahl mit einand’ betrogen,
     Von unserm Unstern fortgezogen.
     Laßt Euch die Kutte nicht gereu’n!
     Sie wird den Fiedler baß erfreu’n.«

Der aber fügte hinzu:

     »Ich laß Euch mein blaues Wams zurück,
     Es bring’ Euch mehr als dem Fiedler Glück!«

Darauf sah ich den Magus dem Singer die Gänse aufhocken und hört’ ihn
noch sagen:

     »Sollt’ ich die Gänslein liegen lân?
     Mein’ Treu, das wär’ nicht wohlgethan!«

Er lupfte mir noch seinen Hut zum Abschied, und im nächsten Augenblick
waren sie behend in den Wald gedrungen und meinen Augen verschwunden.

Da stund ich, verlassener Diether, nun in großer Betrübniß, betrogen,
beraubt, in der Fremde, schalt meinem Unbedacht und war meiner Reise
gram. Aber was half Zürnen und Klagen! Frieren überkam mich in meinem
Leinen unter dem kalten Himmel. Die Noth zwang mich unter das
steinerne Überdach zurück; das Feuer brannte noch. Voll Unmuth stieß
ich die Gluth auseinander. Die verlöschende Flamme mahnte mich daran,
daß ich in dieser Einsamkeit nicht bleiben könnte und eilen müßte, ehe
der Abend käme. Unmöglich aber konnte ich ohne Kleid durch den Regen
hinaus. Da lag das blaue Wams; ich durfte nicht zaudern und that es
an. Mir war’s, als verwunderte sich Stein und Baum selbst über mich
und ich würde doch nicht bedauert, sondern Fink und Meise und Alles,
was im Walde lebte, müßte mich verlachen. Das machte mich noch
unwirscher in meinem Gemüth. So trat ich hinaus und hatte nie ein
solches Mißfallen an mir selber.

Ehe ich noch wenige Schritte gethan hatte, hört’ ich hinter mir lautes
Gelärm. Die Reisigen waren herangekommen.

»Wohl dran, Gesellen! Hier ist der Vögel einer. Fangt ihn geschwind!
Daß er uns nicht entwische, dafür will ich wohl sorgen, so wahr ich
Peter Krummholz bin, der Bäckerzunft Obermeister?«

Der so mit schriller Stimme schrie, daß ihm schier der Odem ausgieng,
saß auf einem Gaul, was wohl nothweise geschah. Denn er war so gar
fett, daß ihn gewißlich seine Füße nicht bis hieher getragen hätten.
Neben und hinter ihm giengen etwa zwölf Fußknechte mit Eisenhauben.
Etlichen fehlten auch Schilde nicht.

»Thut nicht so übel«, rief ich da, »daß Ihr einen Unschuldigen
angreifet! Ich bin nicht der, für den Ihr mich anseht, hab’ weder Euch
noch sonst Keinem ein Leid zugefügt.«

Ich wollte ihnen noch ferner zureden, aber der auf dem Rosse schrie
noch viel ungeberdiger denn zuvor die Seinen an:

»Wohl dran, Gesellen, sage ich! Fangt mir den losen Buben! Ich kenn’
ihn wohl wieder am blauen Wams und dem schwarzen Langhaar. Wohl dran,
sag’ ich noch einmal! Eine Kanne gut Bier Jeglichem, und wer ihn
zuerst angreift, zwo!«

Wie er sie so muthig auf mich hetzte und ihrer zween oder drei mit
vorgehaltenen Spießen auf mich drangen, als wär’ ich ein schändlich
Wild, da überkam mich ein Grimm und meinen Sehnen wuchs die Kraft. Mit
mächtigem Prall stieß ich auf den Ersten, der auf mich einwollte, daß
er zurücktaumelte, und sprang an den Andern vorbei, die sich deß nicht
versahen, zurück zu unserer Feuerstätte, wo ich noch des Fiedlers
Schwert liegen wußte. Ich griff es auf, faßt’ es fest und schrie ganz
außer mir: »Heran denn, wen’s lüstet, seinen Lohn an mir zu
verdienen!«

Daß ich mich mit einem Gewaffen zur Wehr setzen würde, hatte sich
Keiner befahren, und so stunden sie einen Augenblick unentschlossen,
wie sie ihr Werk angreifen sollten. Da gedacht’ ich, durch sie
hindurchzudringen und zu entrinnen. Des Einen Spieß hielt mich auf.
Ich schlug ihn seitwärts und überrannte den Mann. Aber der Stoß eines
Anderen traf mir den linken Arm und gab mir heftigen Schmerz. Alsbald
rannten sie Alle wider mich zusammen und es ward ein groß Getümmel.
Ihr Meister tobte mit bösen Worten und scharfem Kreischen, wie von
Sinnen, indeß ich mich mit meinem Eisen wehrte, wild um mich
schlagend. Denn so viel ich von mir wußte, wollt’ ich eher mein Leben
lassen, als mich in ihre Hände geben. So wär’ mir’s auch allerdinge
ergangen bei der Übermacht meiner Feinde, und weil ich so ganz
ungeübt war zu streiten, wenn nicht Gott mit mir ein Anderes
beschlossen hätte.

Denn von Ungefähr trug sich’s gewißlich nicht zu, daß just zu dieser
Zeit drei Reiter den Weg geritten kamen von der Richtung, nach der
meine Fahrt gieng. Es war ein rittermäßig angethaner Herr und zween
Knechte. Diese mochten von ihm, da er unseres Streitens ansichtig
geworden war, vorausgeschickt sein, denn sie sprengten, ohne daß Einer
vor Eifer und Gedrang ihr Nahen wahrgenommen hatte, weil aller Blicke
und Gebärden auf mich gerichtet waren, mit höchster Eil’ und ungedacht
in den Haufen meiner Widersacher mitten hinein, daß männiglich vor
ihnen zurückwich.

»Städter sind’s, Helmbold«, sagte der Eine zum Anderen und rief dann:
»Seid Ihr so unbescheiden oder so erhitzt gegen einander, daß Ihr es
wagen dürft, unserm gnädigen Herrn den Weg zu verlegen mit Eurem
Hadern?«

Da schrieen sie zumal, der Eine dies, der Andere das, indem sie auf
mich wiesen, und schlugen auf’s Neue auf mich ein.

»Gebt Ruhe alsogleich!« geboten die Beiden da drohend, ritten durch
sie hindurch nahe an mich heran und schirmten mich so vor ihrer Wuth.

Als dergestalt Niemand an mich durfte, ward der Bäckermeister ganz
unsinnig auf seinem Roß und that des Tobens und Scheltens um so mehr.
Aber es währte nur eine kleine Weile, da kam der Ritter selbst heran,
ein ältlicher Herr, der etwas gebückt, aber noch gar fest im Sattel
saß.

»Bei Gottes Thron!« rief er und sah Krummholz und seinen Troß mit
Staunen an, »das sind Leute aus Waibstadt, das ist der ehrsamen
Bäckerzunft Obermeister!«

»Peter Krummholz, edler Herr«, antwortete der, sich verneigend, »bei
dem Ihr vor drei Jahren, als Ihr durch Waibstadt gen Basel zogt, zur
Herberge gelegen.«

»Wo mir Euer Töchterlein, – heißt sie nicht Bärbel? – den Willkomm
credenzte; ich entsinne mich deß wohl. Aber wie geschieht das, daß Ihr
hier auf meinem Grunde zu Felde liegt und wider Gesetz und Recht den
Frieden brechet? Hat nicht auch Eure Stadt mir in die Hand gelobt,
ihre Streitsachen gütlich zu vertragen, auch dieselben an mich zu
bringen, ob sie nicht beizulegen? Und nun find’ ich, nachdem ich
wenige Zeit von dannen gewesen, daheim wieder den alten Hader, und auf
offener Landstraße am helllichten Tage!« Und unmuths schlug er sich
auf die Hüfte.

»Keine Streitsache ist es, Ew. Gnaden«, erwiederte der Bürger, sich
rechtfertigend, »unter uns oder mit unsern Nachbarn entstanden, um die
wir allhier bewehrt von Euch angetroffen werden, sondern ein
Schelmenstück, uns und gemeiner Sicherheit zum Schaden zugefügt. Das
begehren wir zu richten.«

Ehe er fortfuhr, weil die Luft ihm ausgegangen, rief ich, noch immer
im Zorn: »Ohne Urtheil und Spruch oder einige Ursach’ haben sie mich
ganz Schuldlosen wie einen Schächer überfallen. Ich bitte aber Euer
Gnaden durch Gottes Marter, daß Ihr zur Beweisung meiner Sache mich
hören wollet; denn dieser da weiß auf jeglich Wort, das ich ihm sage,
nichts Anderes, als mit Wüthen und Toben auf mich zu hetzen, so er
doch fürgibt, gemeiner Sicherheit zu dienen.«

Ich wollte weiter reden, aber heftig brach der Bäckermeister wieder
los: »O wie listig der lose Bube plaudert! Das ist seine ausbündige
Kunst, sich mit Worten zu schmücken; aber sie soll, will’s Gott! nun
am Längsten geschadet haben! – Euer Gnaden kennet meine Tochter, das
Bärbel; hat Euch credenzet vor drei Jahren, eine feine Dirne und mein
einzig Kind. Sie hab’ ich am letzten Andreastage des Schultheißen
Sohne verlobt, Mathias Kaulfuß, einem tugendhaften Jüngling. Vor vier
Tagen haben wir den Brautleuten die Hochzeit ausgerichtet und
dieselbige gestern mit einem Freudenmahl zu beschließen gedacht. Denn
unsere Freundschaft ist groß, und um des Schultheißen willen war der
Stadtobrigkeit und um meinetwillen der Bäckerinnung Ehr’ und Ansehen
höchst nöthig zu wahren. Doch Ihr müßt wissen, edler Herr, in unserer
Stadt ist von Alters her leider zwischen den Bäckern und Metzgern viel
Verdrieß und Hinderung, welches Alles aber als Nichts zu rechnen ist
gegen die Feindschaft, die nun um sich gefressen. Denn Heinrich
Häsener, des Metzgergewerkes Obermeister, hat öftermalen bei mir um’s
Bärbel für seinen Sohn werben lassen, auch öffentlich geprahlt, ich
müßt’ sie ihm geben. Wie er’s nun nicht erlangte, auch nicht hindern
konnte, daß Bärbel des Schultheißen Schwiegertochter ward, da hat er
sich hoch vermessen, er wolle uns mit seinem Anhang die Hochzeit
verderben. Darum mußten wir beweisen, daß wir auch trotz den Metzgern
etwas vermöchten.«

»Macht’s kurz, Meister!« unterbrach ihn der Ritter. »Was geht Eure
Hochzeit diesen Handel hier auf der Straße an?«

»Sehr viel, Euer Gnaden! Gebt nur Acht! Denn wie Häsener und sein
Anhang uns in allen Stücken den Widerpart hielt, so kommt’ er doch
dem Zulauf bei uns und der Ehre, die wir einlegten, im Geringsten
Nichts abbrechen. Denn wir hatten die Stadt-Zinkenisten, daß sie
pfiffen und bliesen bei der Heimholung und in meinem Haus; so hatten
sie sich die Stadtpfeifer von Bischofsheim verschrieben. Mit denen
zogen sie den Unsern nach und ließen sie gegen meinem Hause über in
der Metzger Gesellenstube aufspielen, so oft unsere Zinkenisten mit
Blasen anhuben. Aber die Pfeifer stunden bald ab, denn sie sahen,
daß sie gegen unsere Zinkenisten Nichts vermochten, sondern jedesmal
übertönt wurden. Gewißlich auch wären die Metzger endlich zum Gelach
geworden der ganzen Stadt, denn sie konnten mir nicht +einen+
Hochzeitsgast abwendig machen. Aber gestern hat der üble Teufel, der
an jeglichem Tuck seine Freud’ hat, zwei fahrende Landstreicher
dahergeführt, den Gauch da und seinen Gesellen; die haben ihnen das
Spiel gewonnen. – O wartet ein klein wenig, Ew. Gnaden«, fuhr er
aufgeregt fort und entknöpfte seinen Brustlatz, »mir versetzt es
schier die Luft, wenn ich daran gedenke, aber ich will’s Euch ganz
nach der Wahrheit berichten.«

»Das sei Euch gespart, Meister!« rief ihm der Ritter ungeduldig zu.
»Wenngleich man Euch die Hochzeit verdorben hat, könnt Ihr doch darum
Keinen wollen kampflich anrennen und schlagen, wie Ihr thut.«

»Das ist mir wohl wissend«, fuhr der Bäcker fort, hier stehen meine
zünftigen Gesellen alle, die sollen mir bezeugen, ob ich ein Einiges
aufbringe, das nicht nach der Wahrheit ist! Sind nicht die zween
fahrenden losen Leute auf den Markt gestanden gestern unter der
Metzger Geleite und haben mit ihrem losen Wesen schier Alt und Jung
nach sich gezogen? Der Eine nannte sich Klingsohr, mit Zauberspruch,
Arzeneiung und Teufelskunst, der brauchte kündlich Höllenlist. Der
Andere nannte sich Tannhäuser, strich die Fiedel so ausbündig und
wußte zu singen und zu sagen, was die Leute gern hören, von Walther,
König Rother, vom hörnenen Siegfried und allen Mären, die doch nicht
zur Gottseligkeit, noch zu ehrsamer Kunstübung dienen. Das ist der da
im blauen Rock! Ist nicht zu ihm Abends, als kaum der Brauttrunk
umgegangen war nach dem Schmaus, das junge Volk allsammt hinüber
gewichen in der Metzger Gesellenstube, wohin Häsener sie genöthigt
hatte, und konnte gar der Umtanz der Hochzeiter nicht gesprungen
werden, wie es doch Brauch ist, weil bei uns nur die Alten sitzen
geblieben waren auf der Bank und auch die nicht Alle! Und gar
trübselig und des Ärgers voll war uns der Hochzeit Ende schon in
früher Nachtstunde; die drüben aber hatten der Kurzweil und des
Springens kein Ende bei dieses Buben losen Künsten. Denn ein Gauch ist
er, wie der Andere, sag’ ich, und ein Dieb. Während der Fiedler Aller
Ohren und Sinne auf sich lenkte, da hat er dem Teufelskünstler Raum
geschafft zu seinen Schelmenstücken. Sagt, meine Gesellen, sind nicht
heute Morgen alle drei Gänse aus meinem Stalle weg gewesen, die ich
den Winter über gefüttert? Hat nicht Catherin, die Magd, bekannt, sie
selbst habe den Klingsohr in den Hof hinter die Küch’ geführt, weil er
fürgegeben, er wolle ihr da für ihren ungetreuen Liebsten die Nestel
knüpfen? Er ist entwischt, aber seinen Diebsgesellen haben wir durch
gutes Glück gefunden. Da steht er überführt, und seine Straf’ soll
Andern, will’s Gott, ein Exempel sein.«

Als ich des Beleidigten und Bestohlenen Rede hörte, erschrak ich über
die Maßen sehr, und meine Wuth wich großer Besorgniß; denn ich sah,
daß mein Kleid, das Feuer und des Mahles Zurüstung, meine wagende
Gegenwehr, Alles wider mich zeugte, und es entfiel mir mein Herz, da
ich daran gedachte, daß mir des Abtes Schrift und Brief, wodurch ich
mir freilich hätte leichtlich Glauben verschaffen können, samt der
Kutte geraubt waren.

Wohl mochte mir der Ritter ansehen, wie verstürzt ich war, als er mich
hart anredete:

»Du bist also der Tannhäuser?«

»Gewißlich, Herr, das ist mein Name nicht; Diether bin ich genannt«,
antwortet’ ich ihm mit wenig kecklicher Stimme.

»Freilich bist Du so wenig der Tannhäuser selber, wie Dein Gefährte
der Klingsohr«, sagt’ er. »Aber Du bist es doch, der sich vom Volke
also heißen läßt?«

»Ja, er!« riefen die Anderen zumal.

»Du bist es, der die alten Mären von Siegfried und den ruhmeswerthen
Helden zu sagen so wohl verstanden?«

Wieder bezeugten sie, es wäre Alles wahr, was der Obermeister von mir
berichtet hätte.

»Genug denn des Säumens!« sprach der Ritter und befahl seinen
Knechten, mich zu binden und zwischen ihren Rossen von dannen zu
führen.

»Ihr, ehrsamer Meister«, sagt’ er zu Krummholz, »zieht in Frieden heim
mit Euren Leuten; den fahrenden Spielmann will ich bei mir in
Gewahrsam halten, ihn zu richten, wie ihm nach den Rechten
kaiserlicher Majestät für seine begangene Untugend gebührt. Und Ihr,
noch der Schultheiß, sorget nicht, daß es nicht nach Strenge geschehe.
Der Bärbel bringt meinen Gruß! – Euch Allen freundlichen Dienst und
des reichen Gottes Geleit!«

Der Obermeister wagt’ ihm nicht zu widerreden. – Sie reichten sich
die Hände und schieden. Der Ritter hieß seine Knechte eilen und ritt
gemach voraus. Sie hatten bald meine Hände auf den Rücken gebunden und
trieben mich zwischen sich her. Die Städter blieben noch an der
Stätte, zu verschnaufen, ehe sie die Rückfahrt anhüben. »Gedenkt Eures
Verspruchs«, hört’ ich noch die Gesellen zum Meister sagen, der
erwiederte: »Zwar es hat ihn Keiner gegriffen, doch das Bier sollt Ihr
haben, denn heut’ bleibt die Zunft noch lange zusammen!«

Mit der Weile war der Abend hereingebrochen, aber er hatte den
wehenden Wind nicht zur Ruhe gebracht. Wundersam gestaltet flogen die
Wolken über uns, den Mond verbergend und von seinem Glanze röthlich
umsäumt. Schwere Tropfen schüttelten die rauschenden Buchen, die den
Waldweg überhiengen, den wir eingeschlagen hatten. Er war moosig und
von Baumwurzeln behindert, die, wenn ich sie vor mir sah, Schlangen
glichen, darüber hin sich windend. Schweigend zogen wir hindannen, und
ich hätte gute Muße gehabt, des Weiteren über mein Geschick
nachzudenken, und wie ich mich fürder am besten verhielte. Aber ich
vermochte nicht, meinen Gedanken zu gebieten; ich war wie mir selbst
entfremdet. Ich betrachtete genau die gebräunten Angesichter der
beiden Reiter, ihre Eisenhauben, Brünnen und die Falten ihrer wehenden
Mäntel. Ich horchte auf das Schnauben der Rosse, deren feuchten Odem
ich an meinen Wangen fühlte, auf das Geknirsch ihrer Gebisse, auf das
Gestampf ihrer Hufen. An das, was ich vor wenigen Stunden gethan und
erlebt hatte, gedacht’ ich nicht, auch nicht, was mir ferner zu
erleiden vorhanden wäre. Nur als der Mond klar durch die Wolken trat
und mir hell in’s Angesicht leuchtete desselben Glanzes, den er mir so
oft durch’s kleine Fenster in meine Zelle gesendet hatte, wenn ich
nicht schlafen konnte, da gedacht’ ich, ob auch wohl in der weiten
Christenheit Jemand zu finden wäre, der in dieser Stunde so
sorgenhaften und elenden Herzens zu ihm aufblickte, als der hier
gefangen durch die Nacht getrieben ward, und fast wie ein Schrecken
überkam’s mich, daß ich das selber war, Diether von Maulbronn.



Viertes Kapitel.

Auf Elzeburg.


Das Elzewässerlein fließt im Gebirge durch ein freundliches
Wiesenthal gen den Neckar. Längs seinem Lauf ziehen sich Berge hin von
mäßiger Höhe, fast durchaus mit Buchen und andern Laubhölzern schön
geziert. Auf einem dieser Berge, der über seine Brüder in der
Nachbarschaft stattlich hervorragte, stund die Burg, dahin ich geführt
ward. Sie hatte von dem Flüßlein, das unten vorbeirauschte, den Namen,
und hieß Elzeburg. Auf ihr hausete der Reichsgraf und Bannerherr Herr
Eberhard, wie auch sein Geschlecht seit undenklichen Zeiten da
eingesessen war. Derselbe war immer unbeweibt gewesen, hatte in
jüngeren Jahren mit des Kaisers Kriegsvölkern viel zu Felde gelegen in
Welschland und stund bei der Kaiserlichen Majestät nicht bloß wegen
seines tapferen Muthes, sondern auch wegen seines kundigen Rathes in
hohen Ehren. Aber je älter er ward, desto weniger machte es ihm
Freude, wenn er zu Hofe reiten mußte, um allda große Welthändel zu
Recht bringen zu helfen, obwohl er gehorsamte, so oft er entboten
ward; sondern am liebsten weilte er in waldgrüner Einsamkeit auf
seiner Väter Burg, ringsum in der Gegend ein hoch angesehener, wohl
auch gefürchteter Herr.

Und wahr ist’s: auf ein schön Stücklein Erde blickte man von der
Elzeburg nieder, sonderlich lustsam dem Auge zur Frühlingszeit, wie
ich es sah, wo allerlei bunte Blumen den Wiesengrund zierten und das
Elzewässerlein unter hellen Weiden und an dunklen Tannen vorbei in
munteren Sprüngen daher brausete. Vom Fenster des Erkerstübleins oben
im Thurm über dem Burgthor, wo mir die Wohnung zugewiesen war, konnte
das Auge weithin über die Berge in die Ferne schweifen, über den
rauschenden Wipfeln der Bäume den Nebelwolken zuschauen, wenn sie wie
Geister des Waldes aus dem Dickicht emporstiegen und bald sich
zusammenballten, bald auseinander stoben, oder auch mit der Weihe in
den klaren Himmel schweben und ohne Schranken sich fühlen in dem
grenzenlosen Raume.

Aber auf irgend etwas dergleichen zu achten, trug ich an jenem ersten
Abend, da ich im Stüblein oben allein war, wenig Verlangen. Schweigend
hatten sie mich dahinauf gebracht und die Thür zugeschlossen. Herrn
Eberhards war ich nicht mehr ansichtig geworden. Zur Nachtkost stand
ein Imbiß auf dem Tisch, aber ich mocht’ ihn nicht anrühren. Und so
saß ich verdrossenen Gemüths vor dem Feuer, das im Kamin des weit in
die Stube vorgebauten Schornsteins mir zur Erwärmung angezündet war.

Nach einer Weile verdroß mich doch diese meine Verdrießlichkeit
selbst.

»Diether«, so schalt ich mich, »bist Du nicht bei Deinen Jahren und
bei aller Kunst und Gabe, die Du hast, ein recht blödes, hilfeloses
Kind? Nun Dir der Abt nicht befiehlt, auch Brun Dir nicht rathen kann,
so willst Du gleich am Ende sein mit Witz und Wissen? Verzehrest Dich
und grämest Dir die Stunden hinweg mit Zürnen und Murren, weil Du von
Gäuchen Dich hast überlisten lassen und hernach mit Dreinschlagen Dir
auch nicht hast helfen können! Frisch an’s Werk und brauch’ Deinen
Kopf, wie Du mit Gott Dir am klüglichsten heraushelfest aus dieser
Noth, darein Deine Unbedachtsamkeit Dich gebracht hat!«

Damit schickte ich mich an, darüber zu sinnen, wie ich morgen dem
Grafen am besten begegnen möchte, wenn ich zur Verhörung vor ihm
stünde. Denn daß ich solches zu gewarten hätte, war mir gewiß. Recht
als ob es gälte, eine _chria_ für Magister Berthold zu Stand zu
bringen mit _Protasis_, _Aetiologia_, _Amplificatio_ und
_Conclusio_, legt’ ich mir eine wohlgefügte Rede zurecht, mit
beweglichen Worten trefflich geziert und mit manchem guten
Sprüchlein durchflochten. Und als ich Alles und Jedes gehörig
überdacht hatte, war ich damit so gar zufrieden, daß ich mich
wunderte über meine Thorheit, daß ich je hätte denken können: es
würde mir nicht ein Leichtes sein, mich als den Klösterling
auszuweisen, der ich war, und den Fahrenden von mir zu thun, deß
Kleid ich trug.

Sonderlich wohl gefiel mir die Anrede, mit der ich anzuheben
gedachte: »Weislich sonder Zweifel, gnädiger Herr!« so wollt’ ich vor
ihn treten, »weislich haben die wohlerfahrenen Alten den Spruch
gethan, daß keine Sache so übel gerathe, sie habe denn auch etwas
Gutes bei sich, daran der verständige Mann sich halten könne. Das ist
auch in dieser unfrohen Aventiure mein mächtiger Trost. Denn welches
Beistandes und welcherlei Rechtfertigung sollt’ ich Gekränkter mich
nicht von Eurer Lindigkeit, Weisheit und Gerechtigkeit versehen und
wie sollt’ ich unter ihre Fittiche aus aller Fährniß und Verlästerung
nicht gerne geflüchtet sein?«

Dieser Vorspruch däuchte mich trefflich gestellt und ich wiederholte
ihn öftermalen, auf daß ich ja keines Wortes verfehlen möchte.

Nach solcher Hirnarbeit war mir ganz sänftiglich zu Muth und schon
gedacht’ ich mich zum Schlaf auf’s Pfühl zu strecken, als es mir
schwer auf die Seele fiel, daß ich der Gebetszeiten dieses Tages keine
gehalten und nicht einmal aus den Brevierblättern, die sie im Kloster
mir mitgegeben, den Heiligen erfragt hatte, dem der Tag zugehörte. »So
konnt’ ich auch seiner Fürbitte nicht gewarten«, dacht’ ich und griff
hurtig nach dem Brustlatz, das Brevier herfürzulangen. Aber das war ja
mit dem Rock dahin und sammt des Abtes Briefen den Fahrenden zur Beute
geworden! Doch sieh’! auch die Tasche von Klingsohrs Wamse war nicht
leer. Ich zog etliche arg vergilbte Blätter daraus hervor von gutem
alten Pergamen. Sie waren zierlich beschrieben, wie man in der
Klostermuße der Schreibkunst pflegt; aber da war nichts darin, womit
ein Christenmensch seiner Seele zum Heil um die Matutin oder Vesper
dem waltenden Gott und Seinen Heiligen diesen mag, sondern Geschichten
stunden darin, deren gleichen ich zuvor nie gehört hatte noch gedacht,
daß sie jemals geschrieben wären. War’s Anfangs nichts als Neugierde,
die mich zu lesen trieb, so zwang mich bald die Gewalt der Dinge, die
da berichtet waren, und die Kraft der Worte, die so mit Macht das Ohr
trafen, daß ich nicht ablassen konnte, weiter zu lesen. Es war da
zuerst eine Aventiure, »_wie Kriemhilde troumte!_« auf die eine andere
folgte: »_von Sifride wie der erzogen wart_« und endlich stund noch zu
lesen: »_wie Sifrid Kriemhilde alrêrste ersach_«. Aber wie die letzte
Aventiure sich begab, davon erfuhr ich nichts, wenngleich ich über dem
Lesen leichtlich die ganze Nacht versessen hätte, denn das Feuer im
Kamin verlosch allgemach und der Vorrath, es zu nähren, war zu Ende.

Lange sah ich wie träumend in die verglimmende Gluth. Mir war’s, als
erblickt’ ich den schnellen Sigfried und die anderen Recken und sähe
sie auf- und niederschweben in dem emporsteigenden röthlichen Rauch.
Ich sah Alles, was ich gelesen hatte, leibhaftig und wußte doch, daß
kein Anderer neben mir etwas davon erblicken würde – nur von
Kriemhilden konnt’ ich nichts ersehen, wenngleich es mir war, als ob
ich sie wohl erkennen würde, wenn sie neben den Andern erschiene.

Als die letzte Kohle erblindete, verschwanden auch die Gesichte und
ich besann mich wieder auf mich selbst.

»Hilf Himmel!« rief ich da, »thörichter Diether, Dich plagen wohl gar
Klingsohrs magische Künste noch! Was gehen Dich die Ritter und
Aventiuren an, der Du geistlich bist und allhier ein gefangener Vogel
in fremden Federn. Wie Du Dich wieder hinaufschwingst aus Deinem Netz
und in das Nest zurückfleuchst, das St. Bernhard Dir gebaut hat, das
laß Deine Sorge sein!«

Und so gieng ich zur Ruhe.

Also gethan ist des Menschen unbeständig Gemüth, daß auch des liebsten
Gutes Genieß uns endlich verleidet würde, wenn wir nicht unterweilen
sein entbehren müßten, und wenn er immer währte, würde selber der
wonnigliche Mai uns verdrießen; so lacht uns auch die liebe Sonne
freudenheller nicht an vom blauen Himmelsdach, als wenn sie sich mit
ihm eine Weile hinter dichtem Regengewölk gleich wie hinter einer
grauen Wand verborgen hat. Das fühlt’ ich anderen Tages nicht bloß an
mir selber, sondern ich merkt’s auch den Andern auf Elzeburg an, so
viel ich ihrer sah. Wie wohl war mir zu Muthe, als ich früh morgens
Thal und Höhe im lichten Sonnenschein durch’s Fenster glänzen sah!
Weißer, zarter Nebel dampfte aus Wiese und Wald, aber der warme Strahl
zerstreute ihn bald und kein Wölkchen stund am Himmel. So tief blau
und spiegelklar wölbte der sich über die Erde hin, als hätte er sie
voll Liebe näher zu sich emporgezogen, damit sie seiner Klarheit
besser genießen möchte; und recht voll Wonne lag sie an seiner warmen
Brust und all’ die unzähligen Tröpflein an Halmen und Zweigen, die in
der Sonne erfunkelten, erschienen mir wie Freudenthränen der irdischen
Creatur, die da fühlte, die selige Zeit des vollen Frühlingssegens sei
nun gekommen.

Daß solcherlei Gedanken auch durch Herrn Eberhards Seele giengen an
jenem Morgen, das, däuchte mich, war ihm anzusehen, als ich in der
Frühstunde unten im Saale auf sein Erfordern vor ihn geführt ward. Er
saß am Fenster beim Frühstück im hohen Gestühl, gemächlich
zurückgelehnt. Über die Berge und durch das kaum belaubte Gezweig des
Nußbaums, der im Burggarten nahe dem Gemäuer stund, schickte die Sonne
ihren warmen Strahl in’s Gemach und schaute dem Burgherrn voll in’s
Angesicht. Schon stund ich eine Weile in der Thür, der Anrede harrend,
währenddem sein Haupt noch immer mit Wohlbehagen dem Licht des jungen
Tages und der weichen Frühlingsluft zugekehrt blieb, die durch das
Fenster hereinströmte. Endlich schien er sich zu erinnern, daß er
Helmbold geboten hatte, mich vor ihn zu bringen.

»Ei sieh!« rief er, indem er, sich umwendend, mir winkte näher zu
kommen, »Meister Tannhäuser! – Gelt, Diether! heut’ läßt’s sich
drauß’ besser an für die fahrende Kunst als im unholden Wetter
gestern«, und er wies mit der Hand in die fröhliche Welt hinaus. »Nun
freilich, das Schweifen ist Dir für’s Erste verlegt. Und doch sei deß
nicht gar zu betrübt. – Auch auf der Elzeburg läßt’s sich ganz
wohlgemuth hausen«, setzte er behaglich hinzu; »gibt’s auch hier nicht
alltag Gänsebraten, so darf Dir zwischen Zurüsten und Niedersitzen
doch Niemand, auch kein Waibstädter nicht, das Mahl verderben.«

Jetzt, glaubt’ ich, wäre der rechte Augenblick gekommen, meinen Spruch
anzuheben, und so sagt’ ich, recht mit der Betonung, wie in der
Rhetorica ich’s gelehrt worden:

»Weislich, sonder Zweifel, gnädiger Herr! haben die wohlerfahrenen
Alten gesagt, daß kein Ding so übel gerathe, es habe denn auch etwas
Gutes bei sich, daran der verständige Mann sich halten könne. Dies ist
auch in dieser unfrohen Aventiure mein mächtiger Trost. Denn welches
Beistandes und welcher Rechtfertigung sollte ich Gekränkter – –«

»Laß genug sein, Diether!« unterbrach mich da der Graf. »Spar’ Deine
Worte; sie sind Dir hier nicht von nöthen. Denn Du brauchst Dich
keines Übels auf Elzeburg zu befahren. Vielmehr (und hier sah er mich
ernster an) laß es Dich dünken, es sei Dir wohlgerathen, daß ich von
Ungefähr gezogen kam und Dich den Waibstädtern entriß. Denn mein’
Treu! sie hätten Dir Dein Gefiedel zu Bärbel’s Hochzeit übel gelohnt.
Thurm und Stock wäre Dein Singerlohn gewesen. Hier bist Du allerdinge
gefangen und das mit Recht; aber, so Du Dich fügst, soll Dir Deine
Kunst hier wohl zu Danke sein.«

»Ach! gnädiger Herr«, bat ich da, »wollet doch nicht dafür halten,
daß, was die Städter wider mich geredet haben, etwas Anderes als
vermaledeite Lügen seien, und laßt Euch sagen, daß ich ebensowenig
ihnen die Hochzeit gestört habe, als ich gewißlich kein Fahrender noch
der Singekunst kundig bin, wovon ich allsogleich Euch überführen
werde, so Ihr mich nach Eurer Gütigkeit weiter hören wollt.«

»Bei Gottes Thron!« fuhr Herr Eberhard da heftig auf. »So gedenkst Du
noch immer durch Läugnen Dich herauszuwinden? Kein Wort mehr davon!
sag’ ich. Und das ist die Meinung. Du bekennst Dich frei offen zu
Deiner Kunst und willigst ein, auch auf Elzeburg mit ihr zu dienen,
oder Du wirst noch heut’ nach Waibstadt zurückgeführt und dort acht’
ich für gewiß, wird Krummholz und sein Anhang reichlich dafür sorgen,
daß Du bald ein Liedlein zu singen anhebst, aber aus einem neuen Tone
und einem gar kläglichen.«

Und unmuthig wandte er sein Angesicht wieder von mir ab, dem Fenster
zu.

Da merkt’ ich wohl, daß ich mich meiner Chria nicht länger trösten
könnte und ihre Kraft besser unversucht ließe. Darum fragt’ ich ihn
bloß ganz kleinmüthig:

»Gnädiger Herr! Was ist es, das Ihr von mir nothhaftem Mann begehrt?«

»Nichts«, erwiedert er gelassener, »als worüber, wenn Du gefügen
Sinnes bist, Du eitel Freude haben mußt. Dieselbe Kunst, die Dich in
Noth gebracht, soll Dir auch heraushelfen. Gerade dessen begehr’ ich,
was Du, dummer Mann, zum eigenen Schaden hehlen willst. Deine Mären
und Aventiuren, um die sie Dir in Waibstadt gram worden sind, sollen
auf Elzeburg Dich und Andere erfreuen.«

»Ach Herr«, betheuerte ich und legte die rechte Hand auf die Brust,
»zürnet nicht! Aber ich habe nie von keiner Märe und dergleichen zu
singen und zu sagen gewußt.«

»Gut denn!« rief er unwillig und gebot dann seinem Knecht: »Fort,
Helmbold, mit ihm nach Waibstadt und zwar noch heut’, sobald ich über
ihn an den ehrsamen Rath daselbst werde geschrieben haben! Sitz bald
auf und bind’ ihn an’s Pferd, daß er Dir nicht entwischt!«

Da stund mir denn sonder Frage ein jammerhaft Geschick bevor. Aber in
dieser höchsten Noth hat, wie ich wähne, meiner heiligen Patrone einer
an mich gedacht und von Gott gewirkt, daß da zu eben dieser Frist die
Thür aufgieng und ein Mägdlein leichten Schrittes hereintrat, Helmbold
und auch mir zunickte und fröhlich Herrn Eberhard entgegeneilte, mit
heller, munterer Stimme ihn begrüßend. Wie sie den Arm um seine
Schulter legte und sich zu ihm niederbeugte, ihn zu küssen, bemerkte
ich wundernd, wie goldig ihr das Haar im Sonnenstrahl um ihr Haupt
floß; und ob ich gleich ihr Angesicht nicht sehen konnte, so wußt’ ich
doch, wie Herr Eberhard zu ihr aufblickte, daß sie die rechte
Maiensonne war, die über die Herbst- und Winterszeit seines Lebens den
herzerquickenden Schein des Glücks und der Freude breitete.

Daß ich aber glaubte, durch Gottes Fügung wäre das Mägdlein gerade
jetzo hereingetreten, um meinetwillen, das geschah darum, weil bei dem
klaren Ton ihrer Stimme mir Kriemhildens wieder vor die Seele trat,
wie ich gestern sie mir vorgestellt hatte. Und siehe! da ich an das
Pergamen mit den drei Aventiuren oben gedachte, schien ich mir auch
gefunden zu haben, wie ich die mir jetzt drohende Gefahr von mir
wenden könnte. War’s nur die Sorge um Krummholtzens Rache oder war’s
auch zugleich etwas vom Gelust der Jugend am Seltsamen: ich beschloß,
ihnen den Willen zu thun und mich für das auszugeben, wofür sie mich
haben wollten. In jener Stunde wenigstens däuchte es mich der einzige
kluge Rath. Die Wahrheit konnten sie ja jeder Zeit erfahren, wenn sie
es möglich machten, sie ihnen beizubringen. Sie wollten sie jetzt
nicht hören, und ihre Sache war es, die Täuschung zu verantworten, zu
der sie mich zwangen. Hatte nicht auch David, der hohe Gottesheld,
sich verstellt vor dem Philisterkönig aus zwingender Noth?

Und so trat ich denn, da inzwischen Helmbold schon sich bereit
gemacht hatte, mich hinwegzuführen, zögernd einen Schritt vor,
verneigte mich und sprach: »Mit Verlaub, gnädiger Herr, wenn Ihr denn
befehlet, so will ich nach Vermögen mit meinen Mären Euch zu Diensten
sein; allein schicket mich nur nicht gen Waibstadt, denn vor den
Städtern grauset’s mir.«

»Das war vernünftig geredt«, sagte begütigt der Graf. »Auch wär’s
eine ausbündige Thorheit, schier befremdlich an einem aus dem
gewitzten Volk der fahrenden Brüderschaft, wenn Du bei Deinem
Starrsinn verharret wärest. Doch ich wußte wohl, daß Du Dich noch
darauf besinnen würdest, was Dir das Klügste zu thun ist. – Und
hier, Irmela«, sagte er und ergriff des Mägdleins Hand, »siehe, das
ist Diether, Dein Singemeister, von dem ich Dir gesagt. Wohlan, heiß
ihn willkommen und hab’ wohl Acht, daß Du fleißig von ihm lernest,
was zu behalten Freude macht.«

»Seid mir Gottwillkommen, Meister Diether, auf Elzeburg!« redete mich
da das Mägdlein an und ihr freundlich Grüßen that mir gar wohl. Es war
mir, als gewänn’ ich davon eine Freudigkeit zu dem Amt, das sie mir
aufgezwungen hatten, und sagte getrost:

»Habt Dank, Jungfräulein, und seid gebeten fürlieb zu nehmen mit
meiner Kunst; denn sie ist geringen Vermögens.«

Da lachte Herr Eberhard laut: »Ei Diether, so magst Du aus Höflichkeit
reden; aber daß Du mit Mären zu wenig vermagst, darum haben die
Waibstädter Dich nicht verklagt. Deß also sei sorgenohne und vermeld’
uns sogleich, welcher guten Aventiure Du zuerst Dich annehmen willst,
daß meine Nichte sie von Dir höre.«

Ich besann mich nicht lange und antwortete: »_Wie Kriemhilde troumte_«,
so es Eures Gefallens ist.«

»Ei wohl, Diether!« rief er erfreut. »Das ist eine gute alte
Aventiure, und die hernach folgen, sind es auch. Ach, ich hörte sie
einst in meinen jungen Jahren oft und gern. Da stunden dergleichen
Geschichten bei Rittern und Herren in hohen Ehren und selber des
Kaisers Pfalz herbergte die Singer, die ihrer wohl konnten. Jetzt
schämt man sich ihrer zu Hof und begehrt feinerer Kunst. Ich aber lobe
und liebe mir die alte. Und wenn Du, Irmela, zur Winterszeit Deinem
alten Ohm die langen Abende mit Lesen aus alten Büchern kürzest, dann
sollst Du unterweilen auch die alten Mären mich hören lassen, wie ich
einst sie vernahm, und ich weiß, sie werden mich erfreuen, wie
dazumal. Sorg’ nur, daß Du Alles wohl aufschreibest, was und wie er
Dir’s sagt! – Und Du, Diether, merk’ Dir’s wohl: je früher Du mit
Deinen Aventiuren zu Ende kommst, um so bälder bist Du Deines Dienstes
hier entledigt und magst ziehen, wohin Du willst.«

So war ich denn zu des Mägdleins Lehrmeister gar unversehens bestellt
und wußte nicht, wie mir das gerathen würde. Denn worin ich hätte
unterweisen können, darin durft’ ich’s nicht, und was ich lehren
sollte, das hatte ich selbst nicht gelernt. Doch ich tröstete mich mit
meinem Pergamen und dachte, wie so manch’ ein Hochgelahrter auch
nichts vermöchte der Welt zu Dank, wenn er nicht allezeit seine
Weisthümer aus der Bücherei erborgen könnte.

Soll ich nun berichten, wie mir’s auf Elzeburg weiter ergieng, so
wundre ich mich darüber, wie doch so oft Neid getragen wird von den
Alten gegen die Jungen um der fröhlichen Hoffnungen willen für die
Zukunft, mit denen diese in trübnißvoller Gegenwart sich leichtlich zu
trösten und selber über große Widerwärtigkeit hochgemuth sich
hinwegzuschwingen vermöchten; wohingegen das Alter leider gewitzigt
worden sei, von den kommenden Tagen so wenig zu erwarten, wie die
gegenwärtigen ihm Genüge gebracht haben. Dem gegenüber will mich’s
immer bedünken, daß dem Alter die Erinnerungen an entwichene Tage zu
gleicher Hilfe an der Hand sind, als der Jugend die Hoffnungen auf
bessere künftige, ja zu noch größerer. Denn unser Herrgott hat dem
menschlichen Herzen eine wundersame Kraft geschaffen, daß ihm jegliche
hohe Freude oder tiefe Trübniß, je weiter sie zurückweichen in die
Vergangenheit, allgemach hinaufrücken in ein stilles, sanftes Licht,
wie es nicht Sonne, nicht Mond und liebe Sterne auf die Erde zu
schicken vermögen. Sondern ich achte: es strahlt aus der Tiefe des
menschlichen Gemüths, dahinein Gott es versenkt hat aus der
unsichtbaren Welt. Darum streift alles Wichtige, an das wir
zurückdenken, mit der Zeit immer mehr das irdische Wesen ab und
leuchtet endlich über uns in keinem minderen Glanz und Schimmer, als
das noch Unerlebte, was die Hoffnung oft mit trügerischem Glanz vor
die Seele stellt. So sehen wir ja auch Gold und Purpur und alle
Farben, womit die Sonne den Himmel zu zieren vermag, erst dann in
ihrer Pracht, wenn sie selbst nicht mehr am Himmel steht, und schauen
nach dem süßen Licht am liebsten, wenn der Tag hinunter ist.

Also stehen auch die längst geschwundenen wenigen Tage, die ich auf
Elzeburg war, so oft ich ihrer gedenke, in beständiger Gegenwart mir
vor der Seele, als genöß’ ich ihrer noch: der frischen Morgenluft, die
mir um’s Haupt wehte und in Lebensfreude die junge Brust dehnte, wenn
ich mit Helmbold in’s Thal herniederreiten durfte und in den Wald
hinein auf bethauten Wegen; des süßen Duftes der Linde, unter der ich
oftmals saß im Burggarten zur Mittagszeit, wenn die Bienen darin
summten mit freudigem Gebraus, oder des Abends, wenn die Läuber leise
rauschten im sanften Mondenschein. Ach, es hat Alles und Jedes seine
Spur zurückgelassen in meiner Seele und ist ihr unverloren. –

Meine Unterweisungen, mit denen ich des Burgherrn junger Nichte zu
dienen hatte, nahmen noch in den ersten Tagen ihren Anfang. Da mußt’
ich hinunter in den Saal kommen und ihr gegenüber niedersitzen an
einen großen Tisch, allwo sie meiner schon wartete. Sie hatte ein
großes Buch vor sich mit vielen guten Sprüchen und Liedern
unterschiedlicher Singer zum Theil beschrieben. Dahinein sollten nun
auch durch Irmela meine Mären kommen, wie sie das Mägdlein von mir
hören würde. Darum saß sie auch da zum Werk bereit, die Feder in ihrer
zierlichen Hand.

Mir war doch, da ich mich vor dem Fräulein sah, nicht muthiger zu Sinn
als vor Abt Albrecht im Capitelsaal und ich fühlte, ob ich gleich
vermied sie anzuschauen, daß sie mein linkisch Wesen wohl bemerkte.
Als ich nun vor mich hinsah auf den Tisch, das Buch und die Feder in
ihrer Hand und mich besann, wie ich am besten anfangen möchte, sagte
sie, indem sie die Feder tränkte und das Buch zurechtlegte, bescheiden
aber im Geringsten nicht scheu oder furchtsam:

»Hebet nun an, Meister Diether, wenn’s Euch geliebt, und sprechet
recht langsam jegliche Zeile mir vor, damit ich im Schreiben nicht aus
Übereilung mißthue, und mir die Buchstaben wohl gerathen. Denn in
diesem Buch muß Alles ohne Tadel und löblich sein. Auch mag ich viel
lieber beim Schreiben der Unmuße mehr haben, als daß mich darnach beim
Lesen die ungleiche und übelgerathene Schrift verdrieße.«

Dies sagte mir das Mägdlein gar sehr nach Wunsch. Denn weil ich,
solange sie mich für einen fahrenden Singer hielten, doch nicht gar zu
wenig Ehre einlegen wollte mit meiner Kunst, so hielt ich’s für
ungeziemend, nur aus meinem Pergamen fürzulesen als der Ungeübten
Einer. Daher hatt’ ich, so viel ich behalten konnte, von der ersten
Aventiure gelernet. Nun war mir das freilich ja ein Trost, daß mir
Zeit gegönnet ward, mich auf Jegliches wohl zu besinnen und daß mein
Vorrath nicht gar zu bald zu Ende gehen sollte; denn wie ich mir
helfen möchte, sobald mein geheimes Ölkrüglein droben, aus dem ich
schöpfte, leer geworden sein würde: deß wußte ich keinen Rath.

So erwiedert’ ich denn: »Gerne, Jungfräulein, wie Ihr gebietet.«

Und danach hub ich an: »Ez troumte Kriemhilden in tugenden der sie
pflac« und wie ich’s eben oben weiter erlernet hatte. Ich sprach ganz
bedächtiglich und, indem ich auf ihr Schreiben Acht hatte, nur immer
dann ein weiteres Wort, wenn ich sah, daß sie mit dem vorhergehenden
fertig war. Ihre Sorgfalt zu betrachten, mit der sie Jegliches
bedachte, und ihren Eifer, mit dem sie die Buchstaben zog, machte mir
große Freude, und der Fleiß, mit dem sie Alles recht zierlich
herzurichten trachtete, erregte auch mich, aufzumerken auf das Werk.
Und so kam es wohl, daß ich zu meiner Aventiure etwas hinzuthat, was
die Niederschrift angieng: »Hier setzet ab, dieses Wort rückt näher
heran, denn die Zeile wird lang« und Anderes mehr. Wie sie erfand, daß
mein Rath allerorten das Richtige traf, hielt sie inne im Schreiben
und fragte mich: »Ihr scheinet wohl erfahren in der Schreibekunst?«

Ich antwortete: »Guter Lehre darin habe ich genug gehabt!«

Da sah sie mich verwundert an und sagte: »Das hätt’ ich nicht gedacht,
daß Ihr Muße gefunden zu solch sitzender Kunst.«

So langsam nun auch ich Kriemhildens Traum in das Buch Wort nach Wort
niedertröpfeln ließ, so war ich doch nach wenigen Tagen unserer
Schulzeit damit zu Ende, und wie Ute, die Mutter, den Traum gedeutet
hat von einem Manne, den Kriemhilde zu Lieb und Leide gewinnen sollte
und wie, um Beides zu meiden, die hehre Frau immer bleiben wollte ohne
Recken-Minne, – das war nun Alles im Buch geschrieben. »O weh,«
dacht’ ich da, als ich meine Kanzlerin das letzte Wort niederschreiben
sah, »wie willst Du bestehen, wenn Dein Kunstvorrath so schnell zu
Ende geht? Da wird Deine zweite Noth hier größer werden als die erste.
Zum Wenigsten heut nimmst Du die zweite Aventiure nicht mehr vor.«

Das that auch nicht Noth, denn Irmela, wie sie das letzte Wort
geschrieben, legte die Feder weg, that das Buch zu und sagte:
»Erzählet mir doch, Meister Diether, wie das nachher sich zutrug mit
Kriemhilden und ob denn wirklich Ute sie wahr beschieden hat.«

Ob dieser Rede erschrak ich nicht wenig; denn ich sollte das Mägdlein
einen Weg führen, den ich selber nie gegangen war, von dem ich auch im
Geringsten die Richtung nicht wußte. Ich faßte mich aber und sagte:
»Nein Jungfräulein, das geht nicht an. Die Geschichte ist überlang und
jegliche Aventiure muß in ihrer Ordnung unverrückt bleiben. Jetzt
folgt die »_von Sifride wie der erzogen wart!_« Auch möcht’ Euch das
mühevolle Schreiben verdrießlich werden, wenn Ihr allbereits am Anfang
des Fortgangs und Endes kundig seid.«

Da versetzte Irmela lachend: »Mit Verlaub, Meister, aber Ihr irret,
wenn Ihr denket, daß ich an diesen Mären so groß Gefallen habe und
heftig verlange zu wissen, was sich weiter zugetragen hat. Wollt Ihr
es noch verschweigen, so thut es immerhin. Wär’s nicht um meinen Ohm,
der daran so größliche Freude hat, ich schriebe wohl Anderes in dieses
Buch. Solche Kunst mit Worten, die bloß zu sagen sind, acht’ ich nicht
groß; wo die Worte nach einer Weise gehen, die zu singen ist, das ist
mir die rechte Kunst. Und, Meister Diether, wenn Ihr mich von Euren
Liedern hören ließet und ich könnt’ etliche, die mir zumeist gefielen,
von Euch erlernen, das wäre mir lieb. Eurer Fiedel freilich seid Ihr
ledig, aber nähmet Ihr die Laute zu Eurem Singen, so wäre mir das zu
größerem Nutzen: ich gäb’ Euch die meinige in die Hand, und ich
vertrau’ wohl, daß ich die Griffe Euch bald würde nachthun können.«

Wie sie dabei fragend und bittend mich anblickte, hätt’ ich sie von
Herzen gern ihres Wunsches gewährt. Aber ich sagte bloß: »Die Laute zu
schlagen, bin ich gänzlich unkundig.«

»Nun denn«, fuhr sie fort, »so mögt Ihr Eure Lieder bloß singen, und
wenn ich eine Weise wohl aufgefaßt habe, so gedenk’ ich selbst die
Griffe zu finden, die sich dazu schicken. Wagt nur immer mich in Eure
Schule zu nehmen!«

Da mußt’ ich mir mit einer List helfen:

»Gerne, Jungfräulein! Aber wisset, daß es wider Recht und Brauch
unserer Kunstbrüderschaft ist, unsere Lieder so bar mit der Stimme
hinauszusingen, ohne daß Saitenklang dazu ertönt.«

»Das ist ein seltsam Recht«, erwiederte sie darauf verwundert, »das
Ihr da aufgerichtet habt. Doch«, setzte sie munter hinzu, »ist’s Euch
ein Ernst, mich Eurer Singekunst froh werden zu lassen, so soll Euer
Recht und Brauch weder Euch noch mir leid sein. Ich will Euch lehren
die Laute schlagen, und, deß bin ich gewiß, ein Meister wie Ihr, wird
bald vermögen auf ihr zu spielen zu jedem Liede, das Ihr singet. Doch
könnet Ihr wohl unterdessen von Euren Liedern etwelche mir
aufschreiben, und an denen ich Gefallen finde, das sollen die sein,
deren Weise ich hernach zuerst von Euch zu hören gedenke.«

»Was aber«, fragt’ ich, »wird aus »_Sifride wie der erzogen wart_«
und den Aventiuren darnach?«

»O«, sagte sie beschwichtigend, »seid deß unbesorgt. Die sollen nicht
versäumet werden, dürfen es auch nicht, um meines Ohms willen. Aber
jedesmal, wenn wir mit ihnen ein gut Stück vorwärts gekommen sind und
es verdrießt Euch nicht, so fangen wir an mit Lautespielen.«

Solch’ Begehren des Mägdleins war mir lieb und auch leid. Lieb war es
mir, weil ich gedachte an ihrem Spiel und Gesang Freude zu haben, leid
aber, weil ich besorgte, ich würde nun mit meinen zwo Aventiuren um so
geschwinder am Ende sein, wenn ihr Sinn erst eifrig nach meinen
Liedern stünde, und weil ich, je gelehrigerer Schüler ich ihr ward, um
so bälder ihr Lehrer werden sollte. Denn wie sollte ich als der
bestehen?

Aber ungedacht gerieth mir Irmela’s Singelust durch meine Malkunst zum
Heile. Denn einst, als die Stunde unseres Schulhaltens gekommen, war
ich durch Helmbold zu ihr draußen in den Garten beschieden worden. Da
waren auf grünem Rasen mit wohlgepflegten Beeten, auf denen
buntfarbige Primeln und schlanke Narzissen blühten, ein weitästiger
Apfelbaum, der stund voll rother Blüthenknospen recht wie mit
unzähligen Sträußlein geschmückt. Im Halbkreis um diesen Baum war wie
eine grüne Wand dichtes Gebüsch von Flieder gezogen, der dem Ort in
der heißen Jahreszeit Kühlung und Schatten lieh. Dahin hatte Irmela
Tisch und Stühle bringen lassen und dort sollt’ ich ihrer warten. Ein
gar lieblicher Platz war es, den sie für unser Schulhalten ausersehen
hatte. Denn man sah über Blumen und Rasen vorn über die Wipfel der
Obstbäume, mit denen stufenweise der sich hinabsenkende Garten des
Burghofes bepflanzt war, weit hinauf und hinab in das Thal, wie da das
Elzewässerlein bald aus dem Grün hervorblitzte, bald hinter dem Laube
der Uferbäume sich verbarg, und frei konnte zugleich der Blick
hinüberschauen in’s Gebirg. So saß man dort uneingeengt und doch
ungesehen und heimelich.

Mit rechter Lust schaute ich in die heitere Welt hinaus, die nah
und fern so friedlich vor mir lag, und daß wir unser Werk so mitten
in der Lenzlust treiben sollten, machte mich recht herzensfroh, und
dem Mägdlein wußt’ ich’s im Stillen Dank. Da sich von ungefähr ihr
Kommen verzögerte, nahm ich das große, schön gebundene Buch, das
schon bereit lag, in die Hand und schlug es auf. Bald fand ich die
Blätter, auf denen Lieder und Sprüche der besten Singer zu lesen
waren. Ich staunte nicht wenig über die meisterliche Kunst, mit der
da in Wort und Reim gefaßt war, was des Menschen Herz zumeist
bewegt, und immer wieder auf neue Weise, wie wohl die Vöglein alle
im Mai dieselbe Lenzwonne singen, doch aber jedes in seiner
sonderlichen Art.

»Reicher Gott!« dacht’ ich, »wie mag dir das gute Mägdlein so hohe
Kunst zutrauen und wie könnt’ ich sie je erlernen; sie muß von Gott
verliehen sein.«

Während ich so der Muße genoß, sah ich auch die Feder schon bereit
liegen, und das Tintenfäßlein stund dabei. Ich nahm sie in die Hand
und schrieb, wo Irmela zuletzt aufgehört hatte, oben auf das nächste
Blatt in den zierlichsten Buchstaben, die ich vermochte, was nun
weiter folgte: »_Von Sifride wie der erzogen wart._« Ich that zu
mehrerem Schmuck manchen Zug hinzu fein und geschwungen, wie ich’s in
den besten Schriften unserer Klosterbücherei gesehen hatte. Damit war
ich noch beschäftigt, als das Mägdlein herzutrat.

Noch seh’ ich die schlanke Gestalt, wie sie voll kindlich
jungfräulicher Heiterkeit durch die Blumen schritt, mit Aufmerksamkeit
hie und da vor einer neu entfalteten Blüthe ihrer Frühlingsbeete
stille stund oder eine schimmernde Narzisse, die sie in der Hand
hatte, gegen die Sonne hielt und in die Betrachtung des leuchtenden
Blumensterns mit dem gelb-purpurnen Kern sich versenkte. Mir war’s nun
erst, als wüßten Laub und Blüthen um mich her, wem zur Freude sie von
Gott so schön geschmückt wären, und ich gedachte, daß es am Anfang
auch ein Garten gewesen, in den unser Herrgott die unschuldigen
Menschen setzte.

»Ich hab’ Euch harren lassen heute«, sagte sie zu mir nach
freundlichem Gruß, als sie vor mir stund. »Aber ich denke, der Lenz
macht’s heute hier außen so schön, daß einem wintermüden Menschen die
Weile schwerlich zu lang wird. Um so fleißiger, gebt Acht, werd’ ich
Euch nun beim Schreiben sein. Doch seht«, rief sie mit Verwunderung,
als sie in das Buch sah, »Ihr seid nicht müßig gewesen; wie kunstreich
Ihr schreiben könnt! ich wähne, ein Maler vermöcht’s nicht besser in
eines Kaisers Brevier.«

Da sagt’ ich: »Wenn es Euch gefällt, Jungfräulein, so könnt’ ich des
Schreibens Mühe Euch wohl ersparen und mit eigner Hand die Aventiure
in’s Buch bringen, so gut ich’s vermag. Während dem könnt Ihr die
Laute spielen, und beim Schreiben würde mir das Hören Eures Spiels
wohl nützlich sein, daß ich hernach Eurer Unterweisung desto besser
zu folgen vermag.«

»Nicht wegen der Muße für mich«, erwiederte sie, »sondern um Eurer
preislichen Schrift willen, die ich dem Buch wohl gönne, nehm’ ich
gern Euer Erbieten an.«

Und so geschah’s denn von dem Tag an, daß ich die Feder führte. Weil
mir aber aus glaublicher Ursach’ Eile nicht am Herzen lag und ich
zugleich das Mägdlein erfreuen wollte, so that ich all’ mein Bestes an
dem Buch. Ich brauchte zur Niederschrift nicht allein Rohr und Feder,
sondern auch Pinsel und Farbe, die ich mir von Irmela erbat oder
selber nach Malergewohnheit bereitete. Was waren das für selige
Stunden in jenen Maientagen im Garten unter dem blühenden Apfelbaum!
Fröhlicher hat wohl nie Keiner Unmuße gehabt, noch größere,
herzlichere Lust zu seiner Arbeit getragen. Ist es ein Wunder, daß ich
der Sorge um die Zukunft, wie es weiter mit mir werden sollte, gerne
vergaß und, unbekümmert um den morgenden Tag, ganz nur dem heutigen
lebte und dem reinen Glück, das er mir brachte? Gieng da, mir selbst
nicht bewußt, eine Änderung in meinem Gemüth vor sich, so konnte sie
bös nicht sein; denn nie zuvor hatte ich höhere Freude an meiner Kunst
gehabt und ernsteren Eifer auf sie gewendet, als da ich wußte: ihr
Auge ruhte mit Wohlgefallen auf meinem Schaffen. Die ganze herrliche
Gotteswelt um mich her sprach deutlicher zu mir, und es war, als ob
das inwendige Vermögen meiner Seele eine neue Kraft gewonnen hätte.
Heller strahlte mir die Sonne, leuchtender schien mir der Frühling,
und wie von einem Gefühl stiller aber starker Freude am Leben und
allen Werken des HErrn ward mein Gemüth beschwingt. Daß solches Alles
eine Folge von dem Eindruck war, den das liebliche Wesen des Mägdleins
auf mich machte, war mir nicht verborgen. In ihrer Nähe hätte kein
Mensch traurig bleiben können oder Arges hegen! Und an der
Anhänglichkeit, mit welcher alles Ingesinde in der Burg ihr zugethan
war, konnte man die Macht der Unschuld und Güte ersehen, zumal wenn zu
ihr holde Gestalt und fröhliche Jugend sich gesellt. Keiner hätt’ es
vermocht, sie zu betrüben, und Helmbold, dem der Graf (er hatte bald
nach meiner Ankunft wieder die Burg verlassen) ihren Dienst
zugewiesen, sah das Amt, das ihm vertraut war, als seine höchste Ehre
und Freude an. Von ihm erfuhr ich, daß Irmela schon in früher
Kindheit, da sie Waise geworden, von ihrem Ohm aufgenommen und zwar
fern von der großen Welt, aber mit aller Sorgfalt und Liebe
unterrichtet und erzogen wäre. Alsdann betheuerte der Alte, wie mit
ihr ein neuer Tag des Glücks für Alle, sonderlich für den Grafen in
der abgeschiedenen Burg aufgegangen wäre und wie trübselig es hergehen
würde auf Elzeburg, wenn das Fräulein einmal da nicht mehr weilte. Und
gewiß ein edler Freiersmann würde sich bald genug finden, wenn sie nur
erst hinausgeführt sein würde in die Welt, die sie bis jetzt nur gar
wenig gesehen.

So war denn auch sie wie ich ohne Vater und Mutter aufgewachsen und
in der engsten Umgebung, und bei aller Verschiedenheit sonst, kam doch
darin die Gestalt ihres und meines Lebens überein. Wohl gern hätt’ ich
ihr die Wahrheit über mich gesagt; und daß sie von mir, wenn auch
unfreiwillig, getäuscht ward, that mir oftmals leid, und der Vorwurf
darüber legte sich je zuweilen wie der einzige Schatten jener hellen
Maienzeit über meine Seele. Aber ich konnt’s doch nimmer über’s Herz
bringen, ihren immer sich gleich bleibenden heiteren Sinn durch eine
Mittheilung zu betrüben, die sie an ihrer Arglosigkeit irre machen
mußte. Zudem wär’ es mir schrecklich gewesen, ihren Zorn zu tragen.
War es dennoch unrecht von mir, daß ich mir den Trug, in den man mich
hineingestoßen hatte, gefallen ließ, ja hernach zu scheinen selber
fortfuhr, was ich nicht war: so weiß ich’s nicht und will’s nicht
widerfechten. Gutes und Schlimmes sind durch eine tiefe Kluft von
einander geschieden, aber in des Menschen Gemüth liegt oft Beides gar
nahe bei einander.

Indessen wuchs ich täglich mehr in den Singerstand hinein, dem ich
zugewiesen war; mit dem Lauteschlagen gelang es mir zu größlichem Lobe
meiner Lehrmeisterin und, wie ich fand, zu meiner eignen Freude; ja es
regte sich in mir auch die Lust, selbst ein Lied zu ersinnen nach der
Art derer, die in Irmela’s Buche geschrieben stunden und eine Weise
dazu zu suchen. Doch dies that ich heimlich, damit das Mägdlein an der
Versicherung, die ich ihr, um Zeit zu gewinnen, gegeben hatte, nicht
ohne Noth irre würde. Aber da sie öftermalen in mich drang, aus dem,
wie sie meinte, großen Vorrath meiner Kunst doch endlich ihr etliche
Probestücklein herfürzulangen, so durft’ ich nicht gänzlich ungefüge
sein, noch ihr Mißtrauen erwecken.

»Laßt mich doch nun einmal die Worte eines Liedes hören«, bat sie
einst, als ich Griffel und Pinsel zusammenlegte, womit ich die
Siegfrieds-Aventiure nach Kräften geziert hatte, »das Ihr auf Euren
Fahrten sonderlich gerne gesungen habt oder das von den Leuten Euch
zumeist Beifall eingetragen.«

Da erwiedert’ ich: »Jungfräulein, laßt mich darüber sinnen und morgen
will ich Eurem Wunsch genügen, wie ich kann.«

Tags darauf bracht’ ich ihr, zierlich auf ein Blättlein geschrieben,
ein Lied, das ich erdacht hatte.

So giengen die Worte:

     »Ein Vöglein sang so wohl hienacht
     Und lockt’ und rief;
     Ich hatt’ des Sanges wenig Acht
     Und schlief und schlief.

     Doch mir im Traume bracht’ er nah
     Ein süßes Bild;
     Ach, all mein Sehnen wurde da
     Gestillt, gestillt.
     Doch es zerfloß im Morgenlicht;
     In Fern und Näh’
     Irr’ ich nun um und ruhe nicht
     Und späh’ und späh’. –
     Mach wieder, süßes Vögelein,
     Den Träumer froh:
     Wo wohnest Du, in welchem Hain,
     Ach wo, ach wo?
     Vom Suchen bin ich worden krank –
     Sag’ an, sag’ an:
     Wann hör’ ich wieder Deinem Sang,
     Ach wann? ach wann?«

»Wohl«, sagte sie zufrieden, als sie zu Ende gelesen hatte. »Die Worte
gefallen mir, und wenn auch die Weise eben klingt, so will ich das
Lied von Euch lernen. – Ich denke«, fuhr sie fort, »Ihr müsset nun
bald vermögen, zu jeglichem Ton, den Ihr singet, die Laute erklingen
zu lassen. Wollt Ihr’s nicht jetzt versuchen?«

Als wollte sie mir Frist geben, mich besser zu besinnen, beugte sie
sich wieder zu dem Werke, das sie unter den Händen hatte. Es war ein
köstlich Gewand, wie wohl die Leute im Gefolg eines edlen Herrn
tragen. Wie mir nun alles Besinnen nicht geholfen hätte, dem Mägdlein
vorzusingen, was ich selber noch nicht vermochte, ich aber in Noth
war, was ich auf ihre Bitte erwiedern sollte, ohne ihre
Unzufriedenheit zu erregen, so fiel mein Blick auf das kunstreiche
Thun ihrer feinen Hände. Um denn vielleicht ihre Gedanken abzulenken,
fragt’ ich sie nach dem Werk, das sie da schuf, für wen und wozu es
wohl bestimmt wäre. Da sah sie mich fest an und sagte: »Ja, Meister
Diether! solltet von uns Beiden nur Ihr ein Geheimniß haben?«

Ob dieser Rede erschrak ich nicht wenig, faßte mich aber und fragte
mit verwunderter Miene zurück: »Jungfräulein, welches?«

»Wie, Lehrmeister!« hub sie da wieder an, »Ihr wähnet doch nicht, daß
ich meine, Ihr habt mir damals Eures Nichtsingens wahren Grund gesagt?
Gewiß, einen solchen Brauch des Singerstandes gibt es nicht und wenn
ja, warum solltet Ihr hier auf Elzeburg daran gebunden sein! Nein, mit
dem Singen, das Ihr mich nicht wollt hören lassen, hat es eine
besondere Bewandniß.«

»Nun ja!« erwiedert’ ich noch immer nicht ohne Unruhe des Gemüthes,
»weil es doch vergeblich ist, Euch etwas vorzuwenden: daß ich mit
Singen Euch nicht zu Willen gewesen bin bisher, die eigentliche
Ursach’ davon hab’ ich Euch verschwiegen. Doch zürnet mir darum nicht,
denn es ist nicht aus Leichtfertigkeit geschehen oder Eigensinn.«

Da lachte sie in ihrer Weise, sah mich ganz fröhlich an und sagte
begütigend: »Seid deß sorgenohne, Meister! Bin ich gleich Evens
Tochter, so gelüstet’s nach Eurem Geheimniß mich nicht so sehr, wie
Ihr zu denken scheint, noch plagt mich irgend ein böser Argwohn. Aber
nun sagt mir zur Stunde: wann werd’ ich Euch das Lied zur Laute singen
hören, das Ihr mir aufgeschrieben? Oder bindet Euch etwan ein Gelübde,
daß Ihr der Übung Eurer Kunst auf Elzeburg völlig widersagt habt? –
Wenn’s nicht der Fall ist, Meister Diether«, setzte sie hinzu und
schickte sich wieder zu ihrer Arbeit, »so laßt mich auf Euer Singen
nicht länger harren, als bis Ihr das Geheimniß hiervon – sie wies auf
ihr Werk hin – erfahren habt. Noch bleibt’s Euch eines und«, schloß
sie scherzend, »geduldet Euch, so gut Ihr könnt.«

Es war, denk’ ich, nur wenige Tage nach diesem Gespräch, als wir an
der gewohnten Stelle uns wieder gegeneinander über saßen. Durchsichtig
im Strahl der hellen Junisonne leuchtete das grüne Laub, das uns
überhieng, und wo es den Himmel durchließ, schimmerte er in tiefem
glänzendem Blau; um uns her blühten die ersten Rosen und mischten
ihren Duft mit dem des Flieders. Weithin lag die Welt vor uns in
ruhiger Pracht und nur zuweilen schwebte der leise Schatten einer
Wolke über Thal und Gebirg, die selbst glänzend das Licht der
Junisonne zugleich wiederstrahlte und milderte, wie die Cherubinen die
Herrlichkeit der göttlichen Majestät abglänzen zugleich und verhüllen,
deren Thron sie umgeben.

Ja, es war über alle Gottescreatur jene friedliche und selige Ruhe
ausgebreitet, wie sie wohl ein schwacher Wiederschein sein mag des
Schöpfungssabbaths am Anfang, den Gott der HErr heiligte und segnete,
da Er selber ruhte und die Morgensterne Ihn lobten und Ihm zujauchzten
alle Kinder Gottes. Nur das Gesumme der nimmer ruhenden Immen und im
Sonnenschein spielender Thierlein mit buntem Flügelkleid traf unser
Ohr und zuweilen vom Thal herauf der Ruf der Ammer, der immer so wohl
in die Sommerstille hineintönt.

Wir saßen schweigend, Jeder über seinem Werk. Doch konnt’ ich’s nicht
lassen, unterweilen mit Bewunderung zu ihr hinüberzublicken, wie sie
gesenkten Hauptes mit kunstreichen Fingern gar emsiglich den zarten
Faden zog.

Da erscholl ganz nah aus dem Gebüsch der laute Gesang der Nachtigall.
So lieblich-plötzlich ward die vorige Stille unterbrochen, daß wir
Beide unwillkürlich aufsahen und lauschten. Wie mit frohem Jubel
klangen zuerst hell die Töne, danach wandelten sie sich wie in ein
dumpfes Schluchzen und verhallten endlich langsam und leise.

Schweigend sah Irmela vor sich hin, dann sagte sie nachdenklich: »Wer
doch der Vogelsprache kundig wäre, wie Salomo!«

»Vielleicht«, versetzte ich, »machten uns ihre Geheimnisse selten
froh.«

»Aber die der Nachtigall zu verstehen«, meinte das Mägdlein, »dünkt
mich doch ein selig Ding sein. Sie ist doch alles Gesanges Meisterin.
– Habt Ihr auch davon gehört, Meister Diether, daß sie mit der Gewalt
ihrer Töne ihre Brut hervorlocke aus dem Ei in Licht und Leben, und
also dies Vöglein selber sein Dasein der Macht des süßen Gesanges
verdanke?«

»Wohl hab’ ich davon gehört«, sagt’ ich. »Die Creatur Gottes ist
überall voll tiefer Wunder.«

Ein Windhauch rauschte durch die Büsche und schüttete die Fülle weißer
Fliederblüthen just über das liebe Mägdlein, so daß sie vom Haupt bis
hernieder zu den Füßen mit den schimmernden Sternlein bestreut ward.

»Seht«, rief ich da, wie sie mit Lächeln sich betrachtete, »hat sich
das nicht wunderbar gefügt, und sollen wir nicht wähnen: Frau
Nachtigall habe Euch grüßen wollen und habe die duftenden Blüthen
ermahnt, ein Gleiches zu thun? Euch huldigt heute der Frühling auf’s
Beste!«

»Nun wahrlich«, sagte sie darauf heiter, »wer ließe solchen Schnee im
Lenz sich nicht gefallen? Er ist eine Erinnerung an den rauhen Winter,
die nimmer Wehe thut. Zu Rom, so ward mir erzählt, haben sie eine
Kirche, die trägt von »der h. Maria zum Schnee« ihren Namen.
Vielleicht, Meister, mag es Euch thöricht dünken: aber ich stelle mir
da die hehre Gottesmutter auch so im Blüthenschnee für, und es scheint
mir ein gar lieblich Bild.«

Wie ward ich ungedacht durch solche Rede gemahnt an meine Sache! Ein
gepriesenes Bild Unsrer lieben Frau heimzubringen in’s Kloster war ich
ausgezogen und auf wie andere Bahn war ich nun gerathen! Drob erschrak
ich; und doch, vermochte irgend ein Meister mir ein Bild gegenüber zu
stellen, für Sinn und Seele zu so hoher Freude der Betrachtung als
diese liebliche Gestalt des Mägdleins vor mir? War ich denn ausgesandt
nach einem hochpreislichen Gegenstand edler Kunst – konnt’ ich in der
Welt ein edler Ziel finden, als ich hier angetroffen hatte? So ergriff
mich denn der Wunsch, des Mägdleins Bild, wie ich es vor mir
erschaute, nach Vermögen fest zu halten, wär’ es auch nur zu eignem
Erinnern. Denn ach! Damals fiel es mir schwerer als sonst auf das
Herz, daß es von Elzeburg geschieden sein mußte, und ich schon zu
lange hinausgeschoben hatte, was doch unabwendig war.

Gern war es das Mägdlein bereit, daß ich mich sogleich anschickte,
wie Ort und Zeit es zuließ, ihr Bildniß zu entwerfen. Während ich mit
Stift und Pinsel geschäftig war, Alles, wie ich es sah, das Mägdlein,
die Pracht des Gartens um sie her und den hellen Himmel über ihr in
allen Treuen auf mein Papier zu bringen, pflog sie nach ihrer Art
munterer Rede. Aber mir wuchs unter meinem Thun die Herzensschwere.
Immer lauter tönte in meiner Seele der Ruf: »Diether, was weilest du
noch hier, besinne dich, wer du bist, und mach dich hinweg!« – immer
drückender legte sich die Frage auf mein Gemüth: wie ich
hinwegzuziehen vermögen würde, ohne auf Elzeburg die Leute, sonderlich
Irmela, an mir irre zu machen. Ich fand da keinen Ausweg und nur das
Gefühl blieb zurück, daß das Bildniß, an dem ich da schaffte, den
Abschied bedeutete, den ich nehmen mußte aber nicht zu sagen wagte. So
von mancherlei Gedanken bestürmt, förderte ich schweigend mein Werk
und hinter meinem eifrigen Thun suchte ich vor dem Jungfräulein meinen
sorgenhaften Sinn zu verbergen. Aber sie war wohl in meinen Mienen der
ungewohnten Traurigkeit gewahr worden, und so ward auch sie
schweigsam. Wie in stilles Wundern versunken, sah sie vor sich nieder,
wenn ich meinen Blick auf sie richtete, um ihr Conterfey zu gewinnen.
Die Nachmittagssonne war nun mehrere Stunden gen Abend gerückt, als
ich es, so weit es nöthig war, vollendet hatte. Ich reichte ihr das
Bild.

»So will ich ihm denn auch seine Unterschrift setzen!« sagte sie,
nachdem sie es betrachtet hatte. Sie nahm den Griffel, schrieb damit
auf das Blatt und gab es mir zurück. Ich las: »Irmela zum Schnee!«

»Ja!« rief ich bewegt, »so walte es der reiche Gott vom Himmel, daß
nie kein andrer Schnee in die Lenzzeit Eures Lebens falle als der Euch
so mit duftenden Blüthen bestreut, und unselig immer sei die Hand, die
Euch auch nur Eine zerdrückt, an der Ihr Freude habt.«

»So wohl mir Eures Wunsches«, sagte sie ruhig. »Ich denk’ auch nicht,
daß ich Jemand wüßte, von dem mir Harm kommen sollte.«

»Und auch von mir, Jungfräulein«, sprach ich da, »denket das nimmer!«

»Nur wenn Ihr Euren Verspruch nicht haltet von wegen des Liedes, den
Ihr mir gabt«, sagte sie lachend. – »Doch nun, Meister«, fuhr sie
fort, »laßt mich auch die Aventiure sehen, die Ihr zuletzt in das Buch
niedergeschrieben und mit Eurer Kunst geziert habt.«

Sie trat zu mir herüber und beugte sich über die Blätter. Es war die
Aventiure: _Wie Sifrid Kriemhilde alrêrste ersach_. Da stunden die
Worte:

     Der Held in seinem Muthe war da hocherfreut.
     Er trug in seinem Herzen Liebe sonder Leid,
     Daß er der schönen Ute Tochter sollte sehn:
     Minniglicher Weise sie grüßte Siegfrieden schön.

     Als er die Hochgemuthe vor sich stehen sah,
     Da erglühte seine Farbe; die Schöne sagte da:
     »Willkommen, Herr Siegfried, ein edler Ritter gut.«
     Da ward ihm von dem Gruße wohl erhöhet der Muth.

Wie sie das las, hatte von ungefähr ihre Hand die meine über dem Buch
berührt, ich spürte ihren Odem an meiner Wange und fühlte das Geflecht
ihrer Haare an meinem Schlaf. Aber das währte nur einen kurzen
Augenblick; es war, als hätte ich nur geträumt. Wieder stund sie vor
mir in voriger Ruhe, ihr Angesicht ein klarer Spiegel ihres schuldlos
heiteren Gemüthes, nur daß es mir schien, als hätte sich der
Lieblichkeit ihres Wesens eine gebietende Hoheit zugesellt.

»Ich muß nun eilen, Meister«, sagte sie freundlich. »Der Abend kommt
und schon zu lange wird man droben meiner harren.«

Mit Aufmerken meiner ganzen Seele sah ich ihr nach, wie sie die
Laubgänge des Gartens dahin wandelte und die Stufen zur Burghofspforte
leichtschreitend hinanstieg. Dann erhub auch ich mich. Aber ich gieng
zögernd und langsam wie Einer, der sich zu einem Entschluß gedrängt
sieht, von dem Neigung und Wunsch ihn zurückhalten. Wie sehr diese mir
zum Bleiben auf Elzeburg riethen, so lang es gieng, und auch hinwieder
wie stark Pflicht und Treue mich hinwegmahnten, beides war mir heute
wie von ungefähr vor die Seele gehalten. Es war ein schmerzlicher
Widerstreit in ihr. Aber wagt auch eines Jünglings Muth und Wille in’s
Unerreichbare die Fahrt, so war mir doch, sobald ich nur ein Wenig
mich besann, diese ganze Welt, in die mich unversehens ein Irrthum
geworfen, auf ewig verschlossen: nur unter fremdem Namen hatt’ ich
hier eine Stätte und auf der weiten Erde nur +eine+ Heimath, das
Kloster, in dem ich erzogen und für das ich bestimmt war. War es nicht
die höchste Zeit, mich dahin wieder aufzumachen und mir genügen zu
lassen wie an des Mägdleins Bilde, das ich durch eine freundliche
Fügung erlangt hatte, so am Bild all’ meines Erlebnisses – nämlich an
seiner Erinnerung?

Solches bedacht’ ich oben in meinem Gemach, dahin ich mich begeben
hatte, und heute noch nahm ich mir vor von dannen zu ziehen, sollte es
auch fluchtweise geschehen müssen. Aber leider die Einsicht in das,
was uns das Beste zu thun ist, und der Wille, ihr zu folgen, bringt
nicht auch das Herz zur Ruhe, und solches sein Widersprechen, sei es
nun seiner Schwäche oder seines Trotzes ein Beweis, dünkt mich des
menschlichen Elends häufigster Ursprung.

So sah ich nun mit gar trüben Blicken, unterm Fensterbogen sitzend, in
das Thal und über die Berge hin, welche die heitere Sonne mit goldnem
Dufte bekrönte. Eine Landschaft, die wir zum ersten Male erschauen,
prägt sich tief in unser Gemüth, aber ich wähne: tiefer noch haftet
der Anblick in der Seele, von dem uns die Ahnung sagt: er erfreut uns
zum letzten Mal. – Zum letzten Mal! welch’ tiefe Schwermuth von
solchem Wort über unsere Seele fließt, das erfuhr ich in jener stillen
Abendstunde. Aber siehe! da gerieth mir die Kunst, die ich auf
Elzeburg von dem Mägdlein erlernt hatte zu erquicklichem Trost. Manche
Weise, die ich von ihr vernommen, schwebte mir über die Lippen, und
ungesucht, als vernähme sie mein Ohr, kamen mir auch die Töne zu dem
Liede, das ich für Irmela aufgeschrieben hatte.

Schon senkten sich unten über das Wiesenthal tiefer die Schatten und
der kühler von den Bergen her wehende Hauch mahnte mich an den
vergehenden Tag, und daß, wenn der nächste anbräche, ich von hinnen
sein müßte. Da man schon seit lange sich von mir keiner Flucht
gewahrte, so ward ich auch nicht mehr gehalten wie ein Gefangener, und
ich konnte gewiß sein, daß manche Stunde vergehen würde, bevor man
sich von meinetwegen beunruhigte. Nur das Bild des Mägdleins nahm ich
zu mir und war entschlossen, nach dem Abendimbiß mir eine Gelegenheit
zum unbemerkten Enteilen zu ersehen.

Da trat Helmbold in’s Gemach.

»Ich bin Euch«, sprach er nach freundlichem Gruß, »ein Bringer
unerwarteter und, wie ich wähne, froher Zeitung, auch komm’ ich Euch
als Bote nicht mit leeren Händen. Seht hier die Gabe, die Euch das
Fräulein reichen läßt zugleich als Lohn, den Euch mein Herr, der Graf,
bestimmt hat für den Dienst, mit dem Ihr ihm zu Willen gewesen seid.«

Dabei reichte er mir eben das Gewand dar, das ich Irmela hatte
zurüsten sehen. Wie ich’s verwundert und verwirrt in Händen hielt,
fuhr Helmbold fort: »Die Zeitung ist aber diese, daß Briefe gekommen
sind vom Grafen, darin er anzeigt, daß er gen Speyer zieht, allda
längere Zeit zu verweilen, und daß er dabei aus besonderer Ursach
seine Nichte an den Hof des Bischofs zu führen gedenkt. Euch nun,
Meister, will er Eurer Haft allhier entlassen haben und gibt Euch frei
– und daß Ihr Euch hinfort so schlimmen Gesellen entzieht, als die
waren, mit denen man Euch betroffen hat vor Waibstadt, brauch’ er Euch
nicht zu mahnen. Wäret Ihr aber des fahrenden Wesens satt, so wolle er
Euch als Schreiber in seinen Dienst nehmen, weil er ein Vertrauen zu
Euch gewonnen, und von wegen Eurer sonderlichen Kunst, mit Feder und
Schrift umzugehen, Euch ehrlich halten. – Wenn Ihr dann, Meister,
solch’ gnädig Anerbieten annehmet, so sollet Ihr mit mir und etlichen
Knechten zusammen zu ihm stoßen in Bretten, allwo er jetzo in
kaiserlichen Geschäften weilt und Eures Dienstes sogleich brauchen
kann. Aber eiligen Auftrag hab’ ich von ihm und so dürfen wir nicht
säumen; noch heute müssen wir reiten. Habt Ihr doch nun nicht umsonst
von mir gelernet im Sattel sitzen.«

»Guter Helmbold«, erwiedert’ ich, »es ist so; Eure Botschaft ist mir
hochwillkommen. Ich ziehe mit Euch. Über Anderes, was ich meine und
sinne, laßt mich zu Euch reden, wenn wir auf der Fahrt sind.«

»Wohl denn«, versetzte er darauf, indem er noch im Gehen auf das mir
geschenkte Gewand deutete, »so macht Euch fertig; sobald der Troß
zugerüstet ist, müssen wir auf sein!«

Schon drang der Wiederhall der Geschäftigkeit, die bald in der Burg
laut ward, in mein Ohr und mahnte auch mich zur Eile. Schnell legte
ich das Kleid an, das mir so unerwartet zum Lohne geworden war.
Darnach trieb es mich noch einmal, die Stätten der Burg zu besuchen.
Wo die Leute mich sahen, riefen sie mir gutes Wort zum Abschied zu;
denn sie hatten schon erfahren, daß ich mitzöge. Ich kam an die
Gartenpforte, öffnete sie und stieg die Stufen hinab. Die Sonne war
nun lang hinunter und das Dämmerlicht der Juninacht umhüllte Laub und
Blüthen. Süßer Duft hauchte mir aus den Blumen entgegen, und die
Blätter, die ich streifte, netzten mir die Schläfe mit kühlem Thau.
Ohne Widerstand zog es mich hin zur gewohnten Stelle. Dort saß ich
nieder und sah hinaus in die nächtliche Stille. Tiefer Friede wehte
mich von aller Gottes-Creatur an. Mir war es, als ob Ferne und Nähe
zusammenflössen in Eines und jegliche Creatur gerne ihre eigne
Schönheit verbärge, damit nur die Macht, Weisheit und Güte des Ewigen
verherrlicht würde, der sie alle zu seiner Ehre geschaffen. Da
gedacht’ ich daran, daß es auch des Menschen bestes Theil und reinste
Seligkeit wäre, für sich nichts zu sein und zu begehren, sondern nur
ganz in Gott zu ruhn; ich gedachte daran, daß für alle Herzensfreude,
die mir je geworden, ich Ihm die Ehre schuldig wäre, und daß ich Ihm
gerne dienen wollte nach Seinem Willen in allem Gehorsam.

Über solchem Sinnen gewahrte ich vor mir auf dem Tisch die Laute des
Mägdleins. Aus dem Dunkel um mich her trat ihr Bild glänzend vor meine
Seele. Ich nahm die Laute zur Hand und stimmte zu ihr die Weise von
vorhin an. So wenig auch ich daran gedacht hatte, als das Lied
entstanden war, so flossen nun meine Herzensgedanken mit Wort und
Weise zusammen, und wohl von Grund der Seele klang es hinaus in die
Stille:

     Mach’ wieder, süßes Vögelein,
     Den Träumer froh;
     Wo wohnest Du, in welchem Hain,
     Ach wo? ach wo?
     Vom Suchen bin ich worden krank,
     Sag’ an, sag’ an!
     Wann hör’ ich wieder Deinen Sang,
     Ach wann? ach wann?

Ja, zum Traumbild, das der Erwachte doch nicht vergißt, ward Alles,
was ich hier erlebt hatte, und der wachende Träumer fühlte, es würde
ihm nie wieder erscheinen!

Nun war der volle Mond über das Gebirge emporgestiegen; von seinem
Licht erblichen die Sterne am wolkenlosen Himmel, aber ringsumher
erblitzten in seinem Strahl auf Blättern und Blüthen viel tausend
Tropfen. So war mir hier Irmela erschienen und hatte über meine Seele
und über die Welt um mich her ein mildes, verklärendes Licht
gebreitet. Leise trat ich hinaus in den vollen Schein. Da vernahm ich
leichte Schritte, und dort, umglänzt vom leuchtenden Gestirn, trat sie
selbst hervor wie ein schimmerndes Traumbild. Als sie auf mich zukam,
nahte ich mich ihr mit ehrerbietigem Gruß und dankte ihr für die
reiche Gabe, mit der sie mich erfreut hatte.

»Meister«, sagte sie gütig, »es ist nur die Antwort auf Eure Frage um
mein Geheimniß. Und ob Ihr wohl Eures behalten habt, so seid Ihr doch
nun auch Eures Verspruchs ledig, denn wie er lautete, so habt Ihr auf
Euer Singen mich jetzt nicht länger harren lassen. Ich hörte droben
Euer Lied und das eben lockte mich hierher. Wohlklingend ist die
Weise, die Ihr als die erste mir gesungen habt, doch gar traurig.«

»Es hat auch die letzte sein sollen, Jungfräulein!« erwiedert’ ich.
»Ihr wißt, ich scheide heut’ von Elzeburg.«

»Aber doch nicht für immer«, fuhr sie fort. »Ich denke, Ihr bleibt
fortan in meines Oheims Dienst und schon in Speyer nach wenigen Wochen
verhoff’ ich Euch bei ihm zu finden; denn zum Johannisfest hat er mich
dorthin beschieden.«

»Wär’ es aber doch vom waltenden Gott anders gefügt«, sagt’ ich
wieder, »denn ungewiß von einem Tag zum anderen ist des Menschen
Vornehmen, so vergesset, Jungfräulein, nicht meiner Bitte und denket
nimmer Arges von mir!«

Da reichte sie mir die Hand und sprach: »Das versprech’ ich Euch,
Meister Diether! Aber ich achte, Ihr seid zu besorglich und habt wohl
noch Euer unsicher fahrend Leben im Sinn. Nein, noch manch Lied hoff’
ich Euch singen zu hören und manch fröhliches.«

»Das walte der reiche Gott, daß frohen Gesanges immer Euer Sinn
begehre!« rief ich da.

»Gott und Seine Engel geleiten Euch!« gab sie zurück, ihre Hand löste
sich aus der meinigen und flüchtigen Schrittes eilte sie durch die
Schattenwege der Pforte zu. Dort im hellen Mondenlicht sah ich sie
noch einmal sich wenden, mir den Scheidegruß zu winken. Dann war ich
allein. –

Um Mitternacht brachen wir auf zur Fahrt, so viel ihrer Helmbold zur
Reise sich ausersehen hatte. Der Hof hallte wieder von den Rufen der
Scheidenden. Als wir durch das Thor über die Brücke zogen, stieß der
Thürmer in’s Horn und der Gesang erscholl: »In Gottes Namen fahren
wir.«

Unten im Thal ließ ich die Anderen hindann reiten und blieb an der
Lichtung zurück, von wo aus man die Burg droben liegen sah. Hell
erglänzten Dächer und Zinnen im Spiegellicht des Mondes. Aber wo aus
kleinem Fenster durch tiefen Schatten ein Lichtschein herniederdrang,
dahin richtete ich unverwandt meinen Blick.

Darauf lenkte ich mein Roß herum und sang leise im Weiterreiten:

     Sag’ an, sag’ an!
     Wann hör’ ich wieder Deinen Sang,
     Ach wann? ach wann?



Fünftes Capitel.

Heimfahrt.


Unsere Reise führte uns ebendenselben Weg zurück, auf dem ich vor
wenigen Wochen unter vermeldeten sonderbarlichen Umständen und wider
meinen Willen gen Elzeburg gebracht war. Kein Wunder wär’s gewesen,
wenn ich das nicht bemerkt hätte; denn wie gar anders sah mich heut’
die Welt an und ich sie! Aber wenn auch der liebe Mond so viel
heiterer vom wolkenlosen Himmel durch das Laubdach der Bäume zu mir
herniedersah denn damals, als ich fast erschrak bei seinem Anblick,
und sein heller Schein schier lauter lichte Bilder vor meine Augen
brachte: die vom sommerlichen Nebel silbern erschimmernden Waldwiesen,
den fröhlichen Zug meiner mannlichen Reisegesellen und endlich mich
selber hoch zu Roß und zierlich geschmückt: ich erkannte wohl die
Stätte meines vormaligen trübseligen Abenteuers wieder und dachte nur
bei mir selber ganz fröhlich: »Was gilt’s, die Welt hier außen hat
seitdem Pracht angezogen und ich auch!«

Weil denn nun bei mir allerdinge beschlossen war, (auch mir der
Gedanke nicht kam, es könnte nicht geschehen) in mein Kloster
heimzukehren, so überließ ich mich der stattlichen Freiheit, deren ich
hie genoß, mit rechter Lust, und je ferner Elzeburg hinter uns wich,
desto mehr wich auch meine nachdenksame Schweigsamkeit, und ich
gesellte mich den Andern zu, ritt und redete mit ihnen, als wär’ ich
des Dinges längst gewohnt.

»He!« rief da Helmbold mir zu und lenkte sein Roß an meine Seite; »das
thut mir heut’ noch sanft, daß wir Euch dazumal nicht haben entwischen
lassen; denn, Meister Diether, man ersieht’s wohl, Euch geliebt’s viel
mehr mit Graf Eberhard’s Leuten hier durch den grünen Wald zu reiten,
als bei den Waibstädtern zu liegen. Und traun! uns auch. Ihr seid uns
Allen ein werther Reisegesell’, und auch ein wackerer Reitersmann seid
Ihr worden.«

Das bekräftigten die Anderen einmüthig, und Einer sagte, solcher
Gewalt und Gefangenschaft, wie ich sie erlitten hätte, würd’ er auch
nicht gram sein.

Da entstund ein Gelächter, und ich lachte auch und sagte: »Mit den
Städtern wär’ ich wohl noch allein fertig worden und von der
Waibstädter Herberge frei geblieben ohne die Elzeburger.«

»Ja freilich«, sagte Helmbold wieder, »frei wie der Vogel in der Luft
und das Wild im Busch immer auf der Flucht ohne Nest und Rast!«

»O«, erwiederte ich munter, »Ihr scheltet mir mein früher Leben zur
Ungebühr; es war ganz anders, als Ihr denket und weit so elend nicht.«

»Hört Ihr’s?« rief da Helmbold wieder. »Er hat die Lust zum fahrenden
Wesen noch in den Gliedern, und gebt Acht, ’s ist ihm schon leid auf
des Grafen Roß, schliche lieber zu Fuß.«

»Hm«, sagt’ ich ärgerlich, »was nicht reitet, das gilt Euch nichts.«

     »Ein Mann, sitzt er nur hoch zu Pferd,
     Dünkt zwier sich mehr als Andre werth!«

»So ist’s recht!« rief da Helmbold wieder mit Lachen. »Jetzt, Diether,
kommt Ihr auf Eure Kunst. Und weil sie trefflich geschickt ist, den
Weg zu kürzen, so ist’s billig, daß wir des Singemeisters in unserer
Mitte genießen. Hebt denn an und laßt uns etwas hören!«

Da stimmten sie alle zu: »Ja, Diether! singt uns vor und herzhaft.«

Weil sie also anhielten, einen Gesang zu heischen, so that ich ihnen
den Willen und sang

     Das Lied vom Schützen Oswald.

     »Und hätt’ ich gegriffen ihn nicht in der Schlucht
     Mit Listen: noch wär’ ich vor ihm auf der Flucht;
       Geweiht
     War dem Tode zu jeglicher Zeit,
     Was lebend sein Pfeil zum Ziel sich ersah,
       Ob fern, ob nah:
     Den Hirsch im Sprung und den Aar im Flug,
     Herr Oswald der Schütz traf ihn gut genug.

     Nun liegt er gefangen im tiefen Thurm,
     Umkrächzt von den Krähen, umheult vom Sturm,
       Und aus
     Stach ich ihm (baß schmeckt nun der Schmaus
     Und ungekränkt trag’ ich die Grafenkron’)
       Die Augen zum Hohn;«
     Graf Otto ruft’s laut. »Ich sag’s Euch mit Fug,
     Herr Oswald der Schütze traf gut genug.«

     Und der Graf ruft wieder, »daß Wahrheit dies:
     Auf, holt mir den Schützen hervor vom Verließ!
       Wohlan!
     Herr Oswald, du blinder Mann,
     Deine Augen zwar sind Dir nun nimmer zu Dank,
     Doch das Ohr merkt den Klang.
     Nun hab’ mir wohl Acht, wie ich schlage den Krug,
     Ziel’, Oswald, und schieß und triff gut genug!«

     Und Oswald lauscht, wo der Klang herkam,
     Er lauscht auch, woher er die Stimme vernahm.
       Die Hand,
     Schon hat sie den Bogen gespannt –
     Hui, schwirrt von der Sehne der Pfeil durch den Saal!
     Mit Geschrei sinkt zu Thal
     Graf Otto, getroffen in’s Herz. »’S war kein Trug,
     Weh, Oswald du Schütze, trafst gut genug!«

Als ich geendet hatte, bezeugten sie Alle: Ja, das wär’ ein tapfer
Lied! und den Sänger lobten sie ausbündig und sagten auch dabei, es
wäre doch eine auserwählte Kunst, der ich gedienet hätte.

Unter so gethaner Kurzweil gieng die Nacht bald herum und weil wir
auch im Reiten nicht laß gewesen waren, so hatten wir, als wir früh
das Morgenlied anstimmten: »Der Tag vertreibt die finstre Nacht«,
schon manch’ gute Meile hinter uns. Den Tag über, der sehr heiß ward,
hielten wir Rast, und erst mit der Abendkühle saßen wir wieder auf.
Alle aus dem Troß sahen mich an als einen der Ihren und ich hielt mich
auch so. Zwar dacht’ ich öftermalen, mich Helmbolden zu offenbaren und
gefügen Abschied von ihnen zu nehmen, wie ich mir solches zu thun auch
von Anfang der Reise an vorgesetzt hatte. Aber es war immer, als
könnt’ ich den Weg zu solchem Geständniß gegen ihn nicht finden, und
eh’ ich mich’s versah, war er oder ein Anderer mit einer Scherzrede
dazwischen, auf welche ich dann auch (der frohe Muth trieb mich dazu)
die scherzende Antwort nicht schuldig blieb. Und so sah ich’s denn zum
zweiten Mal licht Morgen werden, als ich zwar Albrecht’s Abtei ein
erheblich Theil näher war denn Tage zuvor, aber dafür noch ebenso fest
auf des Grafen Pferd saß und so dicht unter seine Leute gemengt, daß
ich schier selber nicht wußte, wie ich mir heraushelfen sollte und
beinah’ wünschte, es sprengte uns wieder unversehens eine Aventiure
auseinander, wie vormals den fahrenden Leuten und mir geschehen war.

Aber dergleichen begab sich nichts, und weil wir just wieder durch
dichten Wald ritten, den ich von Brun’s Begleitung her wohl wieder
erkannte, so gedacht’ ich hier, da es doch einmal geschehen müßte,
mich von ihnen zu reißen und für’s Erste zu Brun zu entfliehen. Ich
erspähte mir also die Gelegenheit und ritt, als geschäh’ es von
Ungefähr, dem Troß eine gute Strecke voraus, wo der Weg sich krümmte,
bis ich vor ihrer Aller Augen entschwunden war. Da saß ich eilend ab,
band mein Roß an den Ast des nächsten Baumes und sprang flugs waldein,
wo Gebüsch und Gezweig am dichtesten mich verbargen. Zuvor aber hatte
ich unvermerkt an den Sattelknopf meines Thieres ein Blättlein
geheftet, darauf mein Abschiedsspruch zu lesen stund:

     Nicht weiter folgt Euch Diether mehr,
     Und sang
     Er je, trugt Ihr darnach Begehr,
     Zu Dank,
     So forschet nicht –
     Dieweil er schied
     Mit Weh –
     Wohin?
     Ihn ruft die Pflicht,
     Ernst klingt das Lied:
     »Ade;
     Fahr’ hin!«

Es mochte gegen Mittag sein, als ich auf verschlungenen Waldpfaden
endlich in die Schlucht gelangt war, von der ich wußte, daß von da St.
Wigbert’s Kirchlein nicht fern wäre. Wie war ich froh, da sich die
Halde vor mir aufthat und die beblümte Wiese mit dem muntern
Bergwässerlein, und mir von drüben das Ziel meiner Flucht
entgegenwinkte. Wohl klopfte mein Herz stärker, je näher ich die Höhe
zur Klause hinanstieg, und die Unruhe meines Gemüths wuchs in der
Erwartung, welcherlei Weise mich Brun empfangen würde, wenn er zuerst
meiner ansichtig werden würde in dieser Umwandlung. Darum hielt ich
mir selbst recht eifrig seine freundliche Zusage vor die Seele, mit
der er von mir schied, daß er all’zeit mit willigem Herzen mich
aufnehmen wolle, und was er sonst Liebreiches damals zu mir gesprochen
hatte.

Und so schritt ich getrost der Klause zu. Aber wie erschrak ich, als
ich plötzlich hinter dichtem Gerank von Waldreben und Geisblatt, das
sich der Alte seitwärts seiner Behausung zu einer Sommerlaube zurecht
gezogen hatte, seine Stimme hörte, laut und fast heftig wie von
Jemand, dem die Einsamkeit das Reden mit sich selbst zur Gewohnheit
gemacht hat.

»Wohl gesprochen, St. Augustine! _Pereant omnia et dimittantur haec
vana et inania! conferamus nos ad solam inquisitionem veritatis! Vita
haec misera, mors incerta_.«[A]

[Fußnote A: Hinweg mit all’ diesen eitlen und leeren Dingen! Die
Wahrheit allein laßt uns suchen. Dies Leben ist elend, die Todesstunde
ungewiß.]

»Hilf Gott!« sagt’ ich da zu mir selbst mit Bangen, »ich höre mein
Urtheil; wie werd’ ich vor ihm besteh’n, wenn er so gemuthet ist!« Und
zögernd schritt ich vorwärts, während er fortfuhr lateinisch zu reden,
wie vorhin.

Als ich seiner ansichtig ward, saß er tiefgebückt über ein großes
Buch, darin er eifrig las, als straft’ und vermahnt’ er daraus sich
selbst. Ich stund beinah’ vor ihm und noch immer hatt’ er mein Kommen
nicht wahrgenommen. Endlich wagt’ ich’s und sprach, aber zaghaft kam
es heraus:

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit, Amen«, fuhr er fort und hielt mit seinem Finger die
Stelle im Buche fest, bei der ich ihn unterbrochen hatte. Dann erst
sah er auf.

»Wie!« rief er da mit höchstem Erstaunen, und schob das Buch zur
Seite. »Du, Diether? Du selbst? Bist Du’s wirklich? Dich seh’ ich
wieder und in solchem Aufzug! Treibst Du Mummenschanz mitten zur
Sommerzeit; oder bist Du so bald bezaubert, der Du Dich so sicher
däuchtest, als ich Dich warnte?«

»Und wie zierlich der Knabe aussieht«, fuhr er fort, nachdem er mich
wieder und wieder betrachtet, »ein Herzog könnt’ sich mit Dir sehen
lassen, so er Dich in seinem Gefolg’ hätte, und mit Dir zu Hofe ziehn.
Aber nicht zu mir, Diether, mußt Du als ein solcher kommen, wenn Du
gelobt sein willst.«

Streng sah er mich an, und dennoch war mir’s, als hätt’ er ein
Wohlgefallen an mir.

»Ihr thut mir Unrecht, Brun«, sagt’ ich da, und trat ihm einen Schritt
näher, »Ihr thut mir zur Wahrheit Unrecht, wenn Ihr wähnet, ich komme
im Übermuth zu Euch und zeige mich Euch in diesem höfischen Kleide,
weil ich bethört sei von der Welt Eitelkeit. Sondern gedenket, wie Ihr
einst selbst Eure Klause mit des Erzvaters Noä Arche verglichet, da
Ihr mir Verirrtem eine Rast hier schufet vor des Wetters Ungestüm.
Heut’ gleich’ ich dem Täublein, das draußen nirgend haften kann, mehr
denn damals, und bitte, schleußt vor dem Flüchtigen Euer Fenster nicht
zu!«

»Aber«, sagte der Alte hinwieder mit einem scharfen Blick auf mich,
»Du hast das Ansehen nicht, als hätte Dir die Welt bei Deinem ersten
Ausflug übel gelohnt und reute Dich der Dank, der Dir von ihr
geworden.«

»O, Brun!« versetzte ich darauf. »Vergönnt mir nur bei Euch wenige
Tage zu weilen und mich zu bergen; ein Anderes begehr’ ich nicht. Und
wenn ich Euch werde berichtet haben, was mir begegnet ist, so werdet
Ihr selbst erkennen, wie ich aus Noth in dieses Kleid gekommen bin und
nicht aus Fürwitz, und Ihr werdet mir heim helfen, wohin mein Sinn
steht, in’s Kloster.«

»Wie?« fragt’ er mit Staunen. »In’s Kloster begehrst Du zurück?«

»Ja, ich!« betheuert’ ich; »heim gen Maulbronn.«

»Nun, Diether!« sprach da Brun, derweil er aufstund und sich
anschickte, mich in seine Hütte zu geleiten. »Traun! Seltsames muß
sich zugetragen haben, oder Du bist in Deinen Jahren gewitzigter als
Viele, wenn in so wenigen Wochen die Welt Dich Unerfahrenen auf ihren
Kloben pfeifen konnte, aber nicht länger Dich festhalten, und Du schon
gelernt hast, ihres Wesens überdrüssig zu sein. Manch’ Einer lernt’s
mit grauen Haaren kaum! Doch komm und pflege Dein! Du sollst mir
hernach erzählen. Und vor wem Du Dich auch zu bergen hast, sorge Dich
nicht. St. Wigbert’s Schutz ist gut, wem der einmal zugesagt worden
ist.«

So war ich denn den Tag über in seiner Klause, und sanft that mir da
die Ruh. Mein Wirth trug auf’s Beste Sorge für mich und spähte
fleißig, ob sich Jemand nahte. Aber den Waldpfad entlang ward nichts
sichtbar, als etwa ein Wild, das zum Äsen der Lichtung zuschritt aus
dem Dickicht; und außer durch das Geschrei des Hähers oder der Weihe
droben in der blauen Luft und den Gesang der Waldvögel aus dem
Erlengebüsch am Bach und dessen Rauschen ward die Stille der
Einsamkeit durch Nichts unterbrochen.

Über das, was mit mir vorgegangen, vermied Brun jede Frage. Aber als
der Abend hereingekommen war und der Alte droben zur Vesper geläutet
hatte, rief er mich hinaus und führte mich in seine Sommerlaube. Dort
hieß er mich erzählen, was ich erlebt hätte, seit ich von ihm gezogen
wäre. Da berichtete ich die Aventiure mit den zween Fahrenden, und wie
ich durch sie um Klosterkleid und Briefe gekommen; ich schilderte
meinen Strauß mit den Städtern, wie sie an mich wollten und ich mich
ihrer erwehrte, ich erzählte auch darnach von Elzeburg, wie ich wäre
dahin gebracht worden, wie sie mich für einen fahrenden Singemeister
gehalten hätten und wie ich zuletzt mir anders nicht Rath’s gewußt,
als von der Heerstraße hier zu ihm zu entweichen, daß ich bei ihm, so
viel es Noth wäre, stille läge und darnach ungesäumt heimkehrte, woher
ich ausgesandt.

Als so mit der Erzählung mein Gemüth all’ den Dingen nachgieng, wie
sie sich zugetragen, wurden sie selbst in meiner Seele wieder
lebendig, als erlebt’ ich sie zum zweiten Male. So trachtete ich denn
auch darnach, was ich zu schildern hatte, mit rechtem Nachdruck meinem
Zuhörer fürzustellen. Der, merkt’ ich wohl, hatte so Seltsames zu
hören sich nicht versehen, und so bezeugt’ er mit Blick und Gebärde,
welchen Antheil er am Erzählen nähme und am Erzähler. Ja, ich
berichtete Alles, nur Eines, ich war mir selber nicht wissend, welche
Scheu mich davon abhielt, verschwieg ich ihm. Ich sagt’ ihm nichts von
Irmela und meinem Schulhalten, sondern nur, wie ich hätte müssen die
Aventiure von Sifride niederschreiben für Herrn Eberhard. Da Brun den
Namen des Grafen zum ersten Mal vernahm und den seiner Burg, so
horcht’ er auf, schien es mir, aber er sagte nichts.

Als ich zu Ende war, sah er mich noch eine Weile schweigend an und wie
mit prüfendem Aufmerken, und wieder wundert’ ich mich, wie milden
Glanzes seine Augen blicken konnten, die doch zu Zeiten so gewaltig
ernst und strenge, ja finster hinter den Brauen hervorsahen, die sie
tief überdeckten.

»Diether«, hub er darnach an, »Du bist unverbrüchlich dem Kloster
zugesprochen?«

Seine Frage kam mir unerwartet und es geschah wohl mit gar
zweifelhafter Miene, daß ich zu ihm aufblickte.

»Bescheide mich immer«, sagte er ruhig weiter, »was Du von Deinem
Verlöbniß weißt.«

»Nur das«, erwiedert’ ich, »daß man mir immer gesagt hat, wie ich noch
gar jung als hilfeloser Findling vom Abt um Gottes Willen aufgenommen
und zuerst zu Leuten, die des Klosters eigen waren, ausgethan worden
sei. Hernach bin ich zu den Brüdern gekommen und für St. Bernhard’s
Orden ausersehen, dem ich auch, wie sie mir sagen, nach heiligen
canonischen Rechten versprochen bin.«

»Wohlan, Diether!« sagte Brun wieder, »ich merke wohl, Du bist durch
Gottes Walten ohne Dein Wollen und Zuthun von Deiner Bahn gelenkt.
Danke dem reichen Christ, daß Du so geschwind Dich auf den Weg
zurückgefunden hast, der Dir der vertraute ist von Kindesbeinen an.
Dank ihm auch dafür, daß Du, so wechselsvoll diese Fahrt für Dich
gewesen ist, dennoch in Deinem Sinnen und Meinen nicht ein Anderer
worden bist, denn zuvor. Aber begehre nie ein Mehreres von der Welt zu
sehen! Bist Du jetzt noch unbetrogen geblieben und ungeblendet, so hat
sie wohl andere Larven, die noch süßer lächeln, aber die Hölle hinter
sich haben. Darum, Jüngling, zeuch zurück in Deinen Frieden, und ich
will Dir wohl dazu helfen. – Sollte sich’s aber«, fuhr er fort,
»anders befinden, als ich halte, und Du hegst ein heimlich Verlangen
zurück in das Wesen, dem Du entronnen bist, und Dein waglicher Sinn
ist Dir erweckt, o Diether, so vertrau’ auch dann Dich mir an und
hehle mir nichts!«

Wohl fühlt’ ich die Röthe mir in’s Angesicht steigen bei solchen
Worten. Denn sie erinnerten mich an das, was ich ihm schon jetzt
verschwiegen hatte, und ich mußte gedenken, wie leichtlich seine Worte
anders lauten würden, hätt’ ich ihm Alles erzählt. Um so mehr gieng
mir seine redliche Art zu Herzen, und dankerfüllt wagt’ ich’s, seine
Hand zu fassen, und sagte, indem ich sie küßte: »Da sei Gott für,
Brun! daß ich so mit frevlem Sinn hinwegtrachte aus dem heiligen
Stand, in den ich berufen bin, und Euer treues Mahnen vergesse.«

»So wohl Dir, Diether!« sagte da der Alte wieder, hielt mit einer Hand
die meine fest und legte die andere mir auf’s Haupt. »So wohl Dir,
wenn Du Dein Leben lang vor dem schwersten Streit bewahrt bleibst, dem
mit Dir selber. Denn in seinem eignen Herzen hegt der Mensch seinen
schlimmsten Feind. Er ist übermächtig und in allen Listen geschickt.
Weh’ dem Manne, der ihn erst aufgeregt hat! Bittere Schmerzen sind des
Überwundenen Theil. Wohl erwählen sich die Meisten unter den
Menschenkindern, lieber nachher zu büßen, als vorher dem Streit aus
dem Wege zu gehen. Sie achten’s für leichter, aber der üble Teufel
betrügt sie darin allzumal.«

Wohl hört’ ich’s am Klang seiner Worte, daß er mit sonderlicher
Bewegung seines Gemüthes redete, und als wir nun aus dem Dunkel der
Laube hinaustraten, zeigte mir ein Blick in sein gefurchtes Angesicht,
daß er da mir von Schmerzen gesagt hatte, die ihm selber wohl bekannt
waren.

Alles war still ringsum. Nur das leise Gesumme der um die duftenden
Blüthen des Geisblattes schwirrenden Schmetterlinge nahebei und von
unten her das Rauschen des Wassers vernahm unser Ohr. Drüben streifte
das letzte Roth die Bergesspitzen, und über die Wiese senkte sich
braune Dämmerung, während droben die ersten Sterne erglommen, wie
Augen der seligen Engel Gottes sich aufschlagen, in denen die
Herrlichkeit seiner Schöpfung sich schöner wiederspiegelt.

Schweigend versenkte ich meinen Blick in die wonnesame Ruhe. Und auch
Brun stand ohne Regung und schaute hinaus, als eilten seine Blicke dem
schwindenden Lichte des Tages nach.

Noch hielt er mich bei der Hand. Als nach kurzer Weile der letzte
Abendschein von den Gipfeln der Berge verschwunden war, wandte er sich
zu mir.

»Diether!« sprach er, »laß uns selbander hinangehen, dem Bergwasser
nach. Nicht lange, so geht drüben der Mond auf, denn schon hellt sich
dort über den Bäumen der Himmel. Ich weile gern in seinem Licht auf
der Höhe, wenn unten das Thal im Schatten liegt.« Und er zeigte
hinauf.

Mit Freuden folgt’ ich ihm, und wir stiegen den Pfad hart am Bach
hinan, der bald in Sprüngen von Gestein zu Gestein sich
hindurchzwängte, bald sanfter dahinglitt. Da ward zwischen uns wenig
geredet. Vielleicht waren von vorhin die Gedanken noch zu lebendig in
Brun’s Seele. Und auch ich hatte meine Betrachtung. Ich gedachte, wenn
ich über mir zu den Sternen emporblickte: wie sie beständig in ihrer
ersten Pracht scheinen unverändert, so oft nur die Wolkendecken sich
vor ihnen hinwegthun; wie ich’s dagegen nun erfahren, daß über das
menschliche Gemüth sich Schatten legen, von denen es nimmer geneset,
und dann trat vor meine Seele der Garten, den jetzt dieselbe gestirnte
Nacht umfieng, und ich wünschte, sie, die mich dort zum letzten Mal
gegrüßt hatte, möchte niemals weniger heiter zu den Lichtern droben
hinaufblicken, als diese zur Stunde hernieder zu ihr.

Rauher ward unser Weg, von manchem Felsblock behindert und so von Baum
und Gestrüpp beschattet, daß ohne des Alten Führung mein Fuß nicht
vermocht hätte, weiter zu dringen. Aber der leitete mich sicher bei
der Hand und zog mich ihm nach. So klommen wir empor, bis wir zu einer
moosigen Felsplatte kamen, von wo der Ausblick frei war in die
Waldeinsamkeit ringsum. Hier sah man weithin die Züge des Gebirges mit
endlosen Waldungen, gleich Wellen eines dunklen Meeres fern und ferner
sich dehnend, und unter uns das Kirchlein mit Brun’s Clause und tiefer
das Wiesenthal. Alles lag da vor uns ausgebreitet im Dämmer der
Sommernacht. Da stieg drüben der Mond hinter den Bergen hervor und
erhellte die Höhe, die wir erstiegen hatten.

»Laß uns hier«, sagte Brun, indem er sich setzte, und mich einlud zu
thun wie er, »laß uns hier der Betrachtung pflegen und dazu das
Silentium halten! Ort und Stunde sind geschickt dazu.«

Nach diesen Worten verharrt’ er schweigend und blickte in die Tiefe
vor uns hinunter, als stiegen von dort Gestalten zu ihm auf, dicht vor
seine Seele hin; je zuweilen wandt’ er sein Haupt und fuhr mit der
Hand über Stirn und Angesicht, als begehrte er sie nicht länger zu
schauen und spräche zu ihnen: »Vorüber, vorüber!«

Wie er so, als mich däuchte, geschlossenen Auges da saß, im vollen
Mondlicht regungslos, und nur unterweilen im Hauche der Nacht sein
Barthaar sich bewegte, so mußt’ ich denken beim Anblick der mächtigen
Felsblöcke umher, die durch eine Riesenhand hier zersprengt und
verstreut zu sein schienen: Er wie diese Steine, jetzt so friedlich
beglänzt vom sanften Mondlicht – von welchen Stürmen und Ungewittern,
die über sie ergangen, könnten sie wohl berichten!

Immer tiefer indeß sanken unter uns die Schatten und immer höher
rückte der Bergeshang in den Glanz, der uns umfloß. Es war, als wollt’
er hienacht mit seinen Strahlen zwischen Farn- und Baumgezweig manche
feuchte Kluft besuchen, die sonst im ewigen Dunkel lag.

Da ich so dieses Spieles des freundlichen Lichts gewahrte, wie es
emsig immer weiter seine güldnen Fäden zog, siehe! da blitzte mir
etwas aus einer Höhlung nicht weit von uns entgegen, darin das
Mondenlicht sich hell und heller spiegelte, als hätt’ es einen
unverhofften Fund gethan und wollte den mir mit Freuden zeigen.

Es waren nur wenige Schritte dahin und die Neugier trieb mich
hinzugehen. Ein gülden Ringlein lag da am wohlbeschirmten Ort und
seltsam beigesellt dicht neben eine Eidechse, als hätte sie des
Schatzes zu hüten. Da ich näher zusah, merkt’ ich, sie war todt und
ihre Vorderfüße hatte sie gekreuzt über ihrer Brust. Ich wußte wohl,
daß Solches die Art dieser Thierlein ist, wenn sie gestorben sind,
aber es däuchte mich, als waltete hier mehr als ein Ungefähr, und Ring
und Thier wären Hüter +eines+ Geheimnisses.

Der Ausruf des Erstaunens, der mir entfuhr, ob dem unerwarteten
Anblick, weckte den Alten aus seinen Träumen. Auf seine Frage, was es
gäbe, brachte ich den Ring herbei und sagte ihm von der Eidechse hart
daneben, und wie es mir geschienen hätte, als wäre dieser Hort ihr und
sie könnte nicht von ihm lassen auch im Tode nicht, und hätt’ an ihm
eine große Schuld auf sich; darum läge sie da so ausgestreckt mit
gekreuzten Armen gleich einer armen Seele, die Buße thut.

Mit Hast griff Brun nach dem Ringe und hielt ihn prüfend gegen das
Mondenlicht.

»Joconda!« rief er dann und ein Seufzer aus tiefstem Herzen gesellte
sich zu dem Namen. »Ach, und nie wird die arme Seele genug büßen um
Deinetwillen!«

»Euer Gemüth ist in große Bewegung gebracht durch den Ring«, sagt’ ich
und trat zu ihm.

»Wohl, Diether!« erwiedert’ er, nachdem er eine Weile schweigend vor
sich hin gesehen, »weiß ich um dies Kleinod. Frage nicht, wie ich’s
erfahren. Besser vielleicht bliebe die Geschichte von ihm so jungen
Ohren verschwiegen; aber da das Licht dieser Mondnacht durch Dich
diesen Reif herwiedergebracht hat, sollst Du hören, wie sie sich
zutrug, und dann gedenk’ auch Du in heil’gen Stunden der armen Seele,
von der Du sagtest, und bitte Gott im Himmel für sie, daß ihre Buße
recht gethan sei und ihm wohlgefalle!«

Wieder schwieg er eine kurze Weile. Dann winkt’ er mir, mich zu ihm zu
setzen, und hub also an zu erzählen.


     Die Geschichte, so Brun Diethern erzählte.

Es ist manches Jahr her, Diether, da lagen in Welschland deutsche
Kriegsvölker vor der Stadt Bologna. Aber sie konnten sie nicht
gewinnen, ob sie gleich die Stadt berannten und mit Einschließung
lange und hart ängstigten. Da mehrte sich die Erbitterung täglich auf
beiden Seiten, und wer weiß, wieviel Jammers und Elends da noch
zugefügt und erlitten wäre, wenn göttlicher Wille es nicht gnädig
abgewendet hätte. Denn die deutschen Herren, so das Heer führten,
hielten es endlich aus trefflichen Ursachen für wohlgerathener, die
entstandene Fehde gütlich zu vertragen. Und so ward denn den Städtern
entboten, daß sie, was Leute hohen Ansehens und klugen Raths wären,
aus den Ihren verordneten, damit man sich miteinander der Sachen
annähme, wie sie beizulegen.

Unter den deutschen Rittern, die da den Herren, wenn sie zur
Berathung zusammenkamen draußen im Lager oder drinnen in der Stadt, zu
Schutz und Beistand zugesellt wurden, war Einer, den Jedermann solcher
Ehre vor Andern für würdig auserkannte. Bruno war sein Name, er hatte
in allen Dingen, die dem Manne wohl stehen, den ersten Preis. Er war
edler Gestalt und reichen Gutes; sein Wuchs war hoch und sein Ansehen
stattlich und gebietend; sein Arm eben so tapfer zu streiten, wie sein
Geist hell und auch, wo es schwierige Entscheidung galt, das Richtige
zu treffen, geschwind. Dazu hatte er die sonderliche Gabe, die
Gemüther der Menschen, welche er wollte, für sich zu gewinnen und die
Vorzüge, die ihn zierten, so zu brauchen, daß sie in Andern nur
Bewunderung schufen und Freude ihrer mitzugenießen, und Willigkeit ihm
zu dienen. Darum war’s kein Wunder, daß Bruno sich der Macht bewußt
war, die er über die Menschen hatte, noch, daß er ihrer brauchte. Sein
hochfliegender Geist war es nicht anders gewohnt, als daß seines
Gleichen sich ihm unterordnete. In so hohen Ehren und von jedem Glück,
dessen er begehrte, umgeben, war Bruno bis an den Mittag seines Lebens
gekommen. Aber gewohnt, Alles, wonach ihm sein Trachten stund, wie
spielend und nur zur Übung seiner überlegenen Kraft zu erreichen,
glänzte sein Angesicht noch im ungedämpften Feuer der ersten Jugend.

Doch, Diether, all’ diese hohen Vorzüge waren ihm verliehen, nur um in
seinem Herzen die schlimmsten Kräfte groß zu ziehen, ihm selber
unbewußt, ihm zur Unseligkeit und Andern. In so langen Jahren des
Gelingens seiner Pläne und der aus seinem Thun wachsenden Ehre war er
sicher geworden, daß recht wäre, was ihm gut däuchte, und während er
Andere berieth und leitete, wachte er nicht über seine eigenen
Wünsche.

Die Zeit kam, ihn auf die Probe zu stellen, Diether! und Du wirst
sehen: er bestund die Probe nicht.

Unter den Edlen Bologna’s war Einer auserlesen vor Allen. Wie die
Sonne am Frühlingstage heraustritt aus den Thoren des Morgenroths,
ihren Lauf zu beginnen mit Freuden, so schritt Guido, noch prangend im
Thau der ersten Jugend, die Bahn der Ehre und des ruhmvollen Thuns
hinan. Ihn konnte Niemand sehen, ohne ihn zu lieben. Und nur wenige
Male hatten Bruno und Guido bei den Berathungen, die zum Frieden
helfen sollten, sich gegenübergestanden, als der deutsche Mann mit
sonderlichem Wohlgefallen sich hingezogen fühlte zum welschen
Jüngling. Der aber war ihm bald mit der vollen Hingabe seines
jugendlich entflammten Herzens zugethan, und wiewohl die Beiden in
dem, worüber sie zu rathschlagen hatten, sich nur als Feinde
betrachten durften, so sah Bruno doch, wie der Jüngling mit
zunehmendem Eifer sich jegliche Gelegenheit zu freundschaftlicher
Zwiesprach erlas und wie er zu ihm aufsah, als dem Manne erfahrener
Ehre und erwiesen in jeder edlen ritterlichen Tugend. Solches sah
Bruno mit Freuden, und was er vermochte, des Jünglings Herz an sich zu
fesseln und sein Vertrauen zu gewinnen, davon unterließ er nichts,
denn er liebte ihn. Schöneren Bund sah man wohl selten, als da diese
Freundschaft erblühte zwischen den Beiden, gleichwie eine Blume sich
aufthut, lieblich im rauhen Nordsturm, und wenn, nachdem man Raths
gepflogen, Guido an Bruno’s Seite durch Bologna’s Straßen schritt, ihn
zu geleiten, so blieben wohl die Leute stehen, die vorübergiengen, und
sahen mit Bewunderung den Beiden nach.

Nicht lange, so erbat sich Guido vom Rath die Gunst, Bruno in sein
Haus zu führen, und weil er Bürgschaft leistete und die Hoffnung auf
nahen Vergleich und Frieden sich mehrte, so ward ihm solches
verwilligt. Er wohnte im weiten Palast allein mit seiner Schwester.
Seinem Schutz hatten die Eltern, die beide unlange an der Pest
gestorben waren, Joconda übergeben. Treuerer brüderlicher Hut ward nie
eine Schwester anvertraut, als die Liebe war, mit welcher Guido über
Joconda wachte, und wie zwei nachbarliche Pflanzen einem Licht
entgegenwachsen, gepflegt von einer Hand und genährt von einer Quelle,
so waren diese Geschwister. Oft schon hatte Guido zu Bruno von seiner
Schwester gesprochen, und wenn er ihrer gedachte, leuchtete sein Auge
von brüderlichem Stolz. Ja, Alles was von süßer Zärtlichkeit und
Weichheit in der Seele des Jünglings wohnte, ward mit +einem+ Namen
gerufen, mit dem Namen: Joconda. Von ihr hatte er Bruno auch gesagt,
daß sie aus Verabredung beider Väter mit einem Jünglinge zu Pisa
verlobt wäre, und daß, wenn ruhige Zeiten wiederkehrten, auf die
Hochzeit gedacht werden sollte.

Vornehmlich also, daß Bruno seine Schwester sehen möchte und sie ihn,
den Freund, den er sich gewonnen, führte Guido diesen in seines Vaters
Haus. O, wäre es doch nimmer geschehen, Diether! Oder wäre einer von
den Blitzen, die an jenem Abend bei Bruno’s Rückkehr aus der Stadt vom
Himmel flammten, auf ihn herniedergezuckt! Freundlich war zwar das
Grüßen, das zwischen dem Freunde des Bruders und der Schwester
geschah, aber unsäglich Weh und großen Jammer hatte es hinter sich.
Und hätte Guido bei jenem ersten Gruß das sanfte Erröthen im Angesicht
seiner Schwester und in Bruno’s das frohe Erstaunen über ihre große
Schönheit besser verstanden, fürwahr, er hätte sich nicht, wie er
that, des Anblicks im brüderlichen Stolz gefreut, sondern ganz andere,
schreckliche Weissagung darin erkannt.

Von Stund an war Bruno’s Sinn von heftiger Liebe zu Joconda erfüllt
und allein darauf gerichtet, ihre Liebe sich zu gewinnen. Klugheit,
Ehre und Treue riefen ihm zu, abzulassen und nicht zu begehren, was
Gott ihm versagte. Denn heilig war Guido die Pflicht, dem Verlobten
die Schwester zu erhalten. Aber ein Sturzbach wäre mit einem Strohhalm
eher aufzuhalten gewesen, als Bruno’s Gemüth mit allen Einreden der
Pflicht und des Gewissens vom Trachten nach dem, wovon es jetzt einzig
entflammt war. Nun erst däuchte er sich ein Ziel gefunden zu haben,
werth, all’ seine Kräfte daran zu setzen, und wie er sich der Gewalt
der Leidenschaft, die ihn beseelte, ganz überließ, so zeigte auch
Liebe, die Zauberin, Alles, was er in ihrem Dienste that oder dachte,
in einem hellen, reizenden Lichte, aber die dunklen Abgründe seines
Herzens, aus denen sein Trachten hervorgieng, ließ sie ihn nicht
sehen; ja jeglich Hinderniß und jegliche Gefahr, welche auf dieser
seiner Bahn ihn bedrohte, steigerte nur mehr seinen verwegenen Muth.

Ohne Arg trat Joconda dem Freunde ihres Bruders gegenüber und voll
heiteren Vertrauens. Aus Wahrheit ihres Herzens stimmte sie in Guido’s
Lob, wenn er Bruno’s Tugend lobte, und wie sie immer sorgloser seinem
Worte lauschte und seines Kommens immer gewohnter ward, so ward sie
von der süßen Macht der Liebe bezwungen wie unvermerkt, und da sie das
Geheimniß ihres Herzens von dem Einzigen errathen sah und solches aus
Scheu ihrem Bruder verschwieg, da hub sich allererst auch ihre
Mitschuld an. Und von Stund an ward sie glücklich, als schwebt’ ihr
Herz in Wonne, durch Bruno’s Liebe, die dem Fluge des Adlers glich,
über alle Höhen sich schwingend – und elend zugleich. Die Heimlichkeit
ihres Bundes und seine beständige Gefahr trieben ihr geängstet Herz
nur um so mehr, sich Bruno zu vertrauen und seiner Führung, dessen
Zuversicht und Kühnheit nur zu wachsen schien wie eines seines Auges
und seiner Hand sicheren Steuermanns, wenn er das Schiff durch tosende
Brandung lenkt.

Bald kamen sie heimlich zusammen zu süßer Zwiesprach. Wohl wußte
Bruno, daß er damit wider Ehre und Treue den Freund betrog, aber er
achtete es nicht und fuhr fort, den Arglosen zu täuschen.

Und wenn er wußte, sie harrte seiner, so galt ihm Nichts die Bedrohung
der feindlichen Wächter an den Thoren und ihr Geschoß, sondern
vermummt in der Dämmerung schlich er hindurch bis unter die Hallen der
Paläste und harrte seiner lieben Trauten.

Da hörte ihr Ohr manch süßes Wort, wenn er kam, und manch heißen
Schwur, wenn er von ihr schied, und die Todesgefahr, in der er
schwebte um ihretwillen und die er verlachte, drängte ihr Herz immer
näher an seines.

O! wohl mag der Jüngling sich hüten, wenn starke Leidenschaft ihn
beseelt, daß ihr Wirbel sein leicht erregtes Herz nicht überwältigt
und sein Lebensschifflein rettungslos in die Brandung reißt. Doch wehe
dem gereiften Manne, wenn die Liebe seines Herzens ihn von Pflicht und
Ehre scheiden! Er muß seinen Wünschen ganz entsagen oder er fällt der
finstern Macht anheim, die alle seine Tugenden verzehrt und alle seine
Kräfte in ihren Dienst nimmt, um ihn und durch ihn zu verderben.

So, Diether, ward Bruno’s Liebe verderblich für Joconda, für Guido,
für ihn selbst!

Schuldvoll war diese Liebe schon mit ihrer ersten zarten Regung und
fluchvoll mußte sie endigen. Ihr stand kein Engel göttlichen Heiles
und göttlichen Schutzes zur Seite.

Die Fehde ward vertragen, der Friede geschlossen.

Just am Tage der Fastnacht ward er feierlich verkündigt. Die Thore
der Stadt wurden aufgethan und unter dem Geläute der Glocken erscholl
der Ruf der Freude von Deutschen und Welschen wie aus einem Munde. Da
überließ sich Jeglicher mit ganzem Herzen dem frohen Gefühle der
wieder erlangten Sicherheit, und die, so sich bis dahin so hart
befehdet hatten, zogen in munterem Gedränge verbrüdert durch die
Straßen der befreiten Stadt, und weil man so lange in Furcht gelebt
und der Freude entbehrt hatte, so war auf diesen Tag die Stadt zu
ausgelassener Lustbarkeit gerüstet. Da man Gott gedienet hatte und das
Tedeum in der Kirche St. Petronii verklungen war, wurde auf dem
Rathhause von den Herren Bologna’s den edelsten unter den Rittern eine
stattliche Bewirthung gethan, indeß das Volk außen auf Straßen und
Plätzen seine Kurzweil hatte. Zum Abend sollte die Stadt, wie es in
Welschland Brauch ist an Freudentagen, mit Fackeln und bunten Lichtern
erleuchtet und zu Ehren der Fastnacht Schimpfspiel und Mummenschanz
gehalten werden. Daß nicht etwan von den Städtern den Deutschen,
welche hineinkamen, ein Übel geschähe, hatte der Rath jegliche
Störung des Friedens mit Todesstrafe bedroht; so war auch den
Deutschen verboten, die in der Stadt weilen wollten, an dem Tage
Waffen oder Wehre zu tragen.

So war da auf Aller Angesicht Freude und Jubel. Vor Andern erschienen
Bruno und Guido hochbeglückt, da sie sich trafen an der Kirchthür, als
man die heilige Messe gelesen. Droben im Festsaal saßen sie bei
einander und wie stolz schien Guido, allen den Herren es zeigen zu
können, welchen Freund er sich gewonnen habe! Und wahrlich! Bruno ward
da als ein Muster ritterlicher Tugend und höfischer Sitte auserkannt.
So edel war sein Wesen, so zierlich und klug seine Rede, daß Jedermann
im Saal auf ihn achtete.

»Treue und Freundschaft auf ewig!« rief ihm Guido zu, als man wieder
die Becher gefüllt hatte und ergriff seine Hand.

»So sei es!« that ihm der Angeredete Bescheid und schlug ein: »Treue
und Freundschaft auf ewig!«

Und indem sie sich mit den Augen zuwinkten, setzten sie die Becher an
die Lippen.

»Halt!« rief da Guido, dessen Herz vor Freude überwallte. »Harre noch,
Bruder, ehe Du trinkest den Trunk der Treue; es gilt noch ein Wort:
»Joconda!«

Und Bruno hörte dieses Wort, Diether, und er las seine Bedeutung in
der Seele des Jünglings, der es aussprach, aber er zögerte nicht und
rief den Namen auch und trank den Becher bis zur Neige.

Ward ihm denn die Frucht des Weinstocks nicht zum Feuer in seinen
Gebeinen, da er diesen Becher dem Bruder zutrank, den er an diesem
Tage so treulos zu betrügen entschlossen war? Erstarb ihm nicht jener
holde Name auf den Lippen, den er in einem Athem mit dem Bruder
auszusprechen wagte, obwohl er wußte, daß er damit schändlich log?

Aber Bruno’s Angesicht blieb heiter wie zuvor und kein Laut seines
Mundes verrieth das Vorhaben, von dem sein Herz jetzt einzig erfüllt
war.

Als die Bewirthung zu Ende war, und man das Rathhaus verließ, gab er
vor, wegen nöthiger Geschäfte hinaus in’s Lager zu müssen, und mit
trüglichem Wort ward er eins mit Guido, daß er ihn dort an bestimmter
Stelle aufsuchen möchte gegen Abend, dann selbander in die Stadt
zurückzukehren, das Fest zu beschauen und an der Lust des Volkes Theil
zu nehmen. So trennten sich die Beiden.

Bruno hatte einen Waffengenossen, der ihm in Allem ergeben war.

Adelbert wußte um Bruno’s Liebe; er wußte auch, daß heute die Flucht
geschehen sollte, und gerne war er bereit, dazu zu helfen. Die Stadt
Bologna hat ein Thor, das ist vor andern klein, und Wenige ziehen
hindurch. Die Straßen, die dahin führen, sind gar enge und einsam, so
auch die Landstraße, wenn man das Thor hinter sich hat. Das däuchte
ihnen am sichersten da hindurch zu entkommen. Weil an dem Tage auch
unter den Rittern und Fußknechten einer auf den andern wenig Acht
hatte, denn nach der langen Belagerung überließ sich Jedermann der
ungewohnten Lust, und keiner mißgönnte sie ihm, so ward verabredet,
daß Adelbert mit Rossen und einem Häuflein Knechten, wenn es würde
völlig dunkel geworden sein, nach dem Thor S. Rocco aufbrechen und
allda seiner harren sollte.

Zur selben Stunde barg der tiefste Schatten eines Pfeilers der Kirche
des heiligen Petronius Bruno’s vermummte Gestalt. Er hatte sich
angethan, als einer, der an der Lustbarkeit theilnehmen wollte, und
auch sein Angesicht war verlarvt. Er drückte sich hart an’s Gemäuer
und regte sich nicht. Mit Eifer forschte sein Auge durch das Dunkel,
und so Schritte sich nahten, schlug sein Herz stärker, indeß sein Ohr
ohne Aufhören auf das Getön der Orgel und die Stimme des Priesters
drinnen in der Kirche lauschte, wo man die Vesper sang. Aber seine
Seele war da fern vom Verlangen nach Gott. Sie war nur bei der, die er
jetzt drinnen im Gotteshause wußte und mit der er eins geworden war,
heut zu entfliehen. Hier von dieser Stelle aus sollte es geschehen.

Der heilige Dienst war zu Ende. Hunderte giengen an dem Harrenden
vorüber, ohne sein zu achten, aber als jetzt zögernd und mit kaum
hörbaren Schritten eine verhüllte Gestalt sich nahte, so bewegte auch
er sich wie mit freudigem Schreck ihr einen Schritt entgegen.

Als er leise ihren Namen nannte und sie mit heißer Inbrunst umschlang,
fühlte er, wie sie zitterte, und da sie nach kurzem Geflüster jetzt
hinaustraten und das Licht festlich erhellter Häuser ihr Angesicht
traf, so fiel es ihm auf, wie bleich es war und wie schön. Der Stolz
und das Glück, solch ein Weib sich gewonnen zu haben, stählte seinen
Muth und sein Vertrauen zu sich; sein Gang war so sicher und sorglos,
als suchte er keine andere Fröhlichkeit als die, welcher die Menge
nachgieng, die an ihnen vorüber wogte. Manchen neckischen Zuruf mußte
er hören, wie man dergleichen treibt zu solchen Zeiten; er erwiederte
jeden Scherz mit Lachen und beschleunigte seine Schritte.

Schon hatten sie die Straßen, die am meisten belebt und am hellsten
erleuchtet waren, hinter sich; durch die engen Gassen, die heute noch
stiller waren denn sonst, kamen sie dem Roccothore näher. Bruno
mäßigte Joconda zu lieb seine Eile, denn nachdem sie bis dahin
unerkannt und unaufgehalten geblieben, war er keiner Hinderung ferner
gewärtig.

Da, als sie in die letzte Gasse einlenkten, die zum Thore führte,
that sich unweit von ihnen die Thür eines Hauses auf, und hervor kam
lärmend eine Schaar Vermummter mit Fackeln und Windlichtern als
solche, die auch noch zum Feste ziehen wollten. Der Ort, da die
Flüchtigen an ihnen vorüber mußten, war gar enge und so geriethen die
beiden in die helle Beleuchtung ihrer Lichter. Alsbald ward Bruno von
dem Kecksten unter ihnen angeredet.

»Eure Dame, Freund«, rief er, »wird’s Euch wenig danken, daß Ihr sie
so früh hinwegführt vom Fest, das schönen Frauen so vieles zu schauen
gibt.«

»Kehrt um und kommt mit uns!« riefen die Anderen da und umringten die
Beiden, als wollten sie in ihre Mitte sie nehmen.

Da Bruno ihrer nicht achtete und ohne sich aufzuhalten weiter schritt,
so ward dadurch der Übermuth der trunkenen Gesellen nur noch mehr
erregt.

»Das macht: er ist eifersüchtig, Nicolo!« sagte wieder einer, »und
mißgönnt Bologna den Anblick seiner Schönen.«

»Er hat wohl Grund dazu«, erwiederte der Angeredete, »wenn das
Angesicht der Dame hält, was ihre reizende Gestalt verspricht.«

»O, hebt den Schleier!« riefen sie, und hatten das Ansehen, als
wollten sie Joconda näher treten.

Wie die Erschreckte sich dichter an ihren Begleiter anschmiegte, so
stieß der mit gewaltiger Faust den, der sich zumeist herangedrängt
hatte, zu Boden, und ein deutscher Fluch entfuhr seinen Lippen, indem
er durch die nun wieder geöffnete Bahn weiter schritt. Einen
Augenblick waren die Zudringlichen zurückgewichen, aber die Überzahl
und das Gelage, von dem sie kamen, machte sie kühn, und mit dem Ruf:
»Wie! die deutsche Bestie will uns schlagen und wider ergangenes
Gesetz beleidigen?« drängten sie sich auf’s neue heran und vertraten
den Weg.

Da reckte sich Bruno in die Höhe und drohend rief er, daß es laut
erscholl: »Ha, ihr welschen Hunde, wem sein Leben lieb ist, der lasse
uns hindurch!« Und es würde ihn wohl keiner aufgehalten haben, wenn er
allein gewesen wäre, aber, wie er die Zitternde an seinem Arme fühlte,
so stund er unschlüssig, ob er jetzt das Äußerste thun sollte seinen
Gegnern gegenüber, die fortfuhren, durch Toben und Schreien sich Muth
zu machen. Inzwischen war vom entstandenen Gelärme die Straße an
beiden Seiten in Aufruhr gebracht. Lichter erschienen, Fenster und
Thüren wurden aufgethan und eine Menge Neugieriger strömte herbei.

Da sah Bruno den Augenblick höchster Noth gekommen; während rings um
ihn das Wuthgeschrei wider den Deutschen die Luft erfüllte, umfaßte er
fest Joconda, entschlossen, sich mit Gewalt hindurchzuschlagen. Aber
das wäre sonder Zweifel Beider Verderben gewesen, wenn nicht da vom
Thor aus Rettung gekommen wäre. Denn da dort Adelbert und seine Leute,
die mit Eifer nach dem Wege suchten, von dem Bruno zu ihnen stoßen
sollte, nun hörten, wie sich von da Geschrei erhub und vernahmen den
Ruf wider den Deutschen, so drangen sie eilend in die Stadt hinein.
Sie sprengten unter das Gedränge, und unter ihren Hieben rechts und
links stoben die Welschen auseinander. Die nun Bruno bedrängten, wie
sie das neue Getümmel hinter sich hörten und die streitbaren Stimmen
der Deutschen, wandten sie sich, die Meisten, um zu entfliehen,
Etliche, um sich zur Wehre zu setzen. Da gewannen die beiden
Flüchtigen, auf die nun Keiner mehr Acht hatte, Raum, und froh der
ihnen ungedacht gewordenen Hülfe eilte Bruno dem Thore zu.

Wohl wankten Joconda’s Schritte an seiner Seite, aber er wies sie hin
auf die Nähe ihres Zieles, und die Hoffnung belebte ihre sinkende
Kraft. Nun traten sie unter den Bogen des Thores. Aus dem dichten
Dunkel, das da herrschte, sah Bruno’s scharfes Auge, wie von draußen
eine Gestalt ihnen entgegenschritt. Als sie zum Thore hinaus traten,
gieng diese Gestalt hart an ihnen vorüber in das Dunkel des Thores,
das die Beiden eben hinter sich ließen.

Eilig waren die Schritte der sich Begegnenden, und der Abendhimmel,
wenn auch vom Mondenlicht erhellt, war regentrüb; so konnte Bruno das
Angesicht des an ihm Vorübergehenden nur einen Augenblick sehen. Er
hatte nicht Acht darauf, denn sein Gemüth war auf Anderes gerichtet,
und doch war es ihm, als hätte er in diese Augen schon geblickt.
Verstummte da nicht plötzlich der Hall der im Thorbogen dröhnenden
Schritte hinter ihm? Als er zurücksah im Weiterschreiten, stund, so
schien es ihm, im Thor noch immer die Gestalt, als sähe sie ihm nach.

Etwa hundert Schritt vom Thor am Wege war eine vorlängst verfallene
Kapelle. Allda sollte Adelbert mit den Rossen und Knechten halten.

Als Bruno dort Niemand fand, denn sie waren Alle, da der Streit sich
in der Stadt erhoben, von da gewichen, so rief er laut das Wort, bei
dem sie unter einander übereingekommen waren sich zu erkennen, wie man
pflegt, wenn man zu Felde liegt. Alsbald erscholl die Antwort näher
vom Thor her und Bruno gedachte da die Rosse zu finden. Er wandte sich
also zurück und ließ indeß Joconda an der Kapelle. Da er unweit dem
Thore war und auch schon den Tritt der Rosse hörte, die herzu gebracht
wurden, sah er wieder dieselbe Gestalt von vorhin im Schatten des
Thores und noch an derselben Stelle und wieder war’s, als suchte sie
nach ihm. Da zerriß eine Wolke und das Mondenlicht ergoß sich hell.
Wie es mit voller Klarheit Bruno beleuchtete, der hier außen vor der
Stadt die Larve von seinem Angesicht gethan hatte, drang an sein Ohr
aus dem Dunkel des Thores ein Aufschrei, den er nimmer vergessen hat;
es war ein Schrei des heftigsten Zornes und auch der unsäglichsten
Trauer. Und mit diesem Aufschrei löste sich die Gestalt aus der
Finsterniß der Beschattung, darin sie bis jetzt geharrt, und stürzte
ungestüm auf Bruno zu, der eilend sich den Rossen näherte, welche
jetzt ihm zugeführt wurden. Er wandte sich und sah in des Anstürmenden
Angesicht. Nicht länger als bis man eins zählt, sah er hinein. Aber er
ward von einem Blick getroffen, der so gethan war, daß vor ihm ein
Teufel aus der untersten Hölle hätte zur Umkehr oder der hehrste der
heiligen Engel zu Fall und Verstockung gebracht werden können.
»Bruno!« hörte er sich rufen. Aber er sagte nichts und packte mit
mächtigem Griff den sich zwischen ihn und die Rosse Drängenden. Da hub
sich ein Arm gegen ihn und ein Dolch blitzte im Mondlicht. Doch im Nu
hatte Bruno den Stahl der Hand entwunden, die ihn führte, und stieß
ihn tief in seines Gegners Brust. »Schwester!« rief der mit
versagender Stimme und brach lautlos zusammen.

Starr stund Bruno, in der Hand die Waffe, mit welcher der tödtliche
Streich geschehen war.

Die Mahnung der Knechte, sich zu eilen, und ihr Ruf, daß das Fräulein
käme, brachte ihn zu sich.

Geschwind verhüllte Bruno des Erschlagenen Angesicht, und als Joconda
neben ihm stund und zitternd auf die klaffende Wunde deutete, da sagte
er. »Es galt mein Leben und das Gelingen unserer Flucht, Joconda, oder
seines. – Hinweg, hinweg!«

Doch auch seine Stimme bebte und war tonlos, und er fühlte eine eisige
Kälte in seinem Gebein.

»Hinweg, hinweg!« riefen da wieder die Knechte und vom Thor her hörte
man Getümmel.

Noch wenige Augenblicke, und die hurtigen Rosse trugen die Fliehenden
auf verschlungenen Wegen durch die Nacht. Bald hatten sie die Stadt
weit hinter sich. Aber Bruno war’s noch immer, als schlüge das Brausen
der empörten Volksmenge laut und lauter an sein Ohr und würden die
Sturmglocken gezogen und ihre ehernen Stimmen riefen vernehmlicher und
immer vernehmlicher: »Mord, Mord!«

Es ist nicht noth, Diether, Dir von den Tagen zu berichten, die nun
folgten, welcherlei sie gewesen sind für die Beiden: Tage der Flucht,
Gefahr und Noth.

Bologna’s Rath und Volk forderte Rache für den Friedensbruch und die
Blutthat. Bruno’s Leben ward in ihre Hand gegeben, er ward all’ seiner
Güter beraubt und schlagen durft’ ihn, wer ihn fände. Mit großem
Verlangen trachtete er darum aus Welschland hinweg und auch weil er
keine Ruhe fand unter dem Himmel dort und die welsche Zunge Pein schuf
seinen Ohren; wenn er nur erst wieder deutsche Tannen ersähe und
deutschen Laut vernähme, wähnte er, würde sein Gemüth sich entledigter
fühlen und frei. Unter großen Mühseligkeiten ward die Flucht gethan.
Aber endlich kamen sie an in deutschem Lande und fanden Rast und
Bergung auf der Burg Adelberts. Allda gedachte Bruno zu harren, ob
etwa der Sache Rath würde und seine Freunde für ihn Gnade erwirkten
beim Kaiser. Aber als der Sommer herum war, gelangte Zeitung an ihn,
daß das Urtheil wider ihn bestätiget und all’ sein Lehn vom
kaiserlichen Vogt eingenommen wäre. Da zeigte es sich, was die treue
Liebe eines Weibes vermag. Joconda schien nur das Ungemach zu fühlen,
was Bruno bereitet war; ja sie theilte seine Sorgen, als trüge sie den
größeren Theil der Schuld daran, und über das eigene Elend ließ sie
nie eine Klage laut werden. Da ward seine Seele durch solche Geduld
mächtig ermuthigt und durch ihre Zuversicht, darin sie nicht wankte,
daß bessere Tage nahe wären. Aber so oft sie ihre Rede zu ihrem Bruder
hinkehrte, was wohl täglich geschah, und dabei gedachte, wie gewißlich
sie hoffte, er würde ihr noch verzeihen; und wenn sie dann fragte, ob
von ihm noch keine Kunde gekommen: dann trat vor Bruno’s Seele
jedesmal das blutige Bild des Erschlagenen und jenes Wort ward wieder
laut in seinem Herzen, das die Sturmglocken Bologna’s ihm nachgerufen
hatten in der Nacht, da die Flucht geschah. – Dann wandte er sich und
sein Blick ward finster und immer finsterer, je beweglicher sein Weib
ihm Trost zusprach; denn sie wähnte, das sehnende Verlangen der
Freundschaft nach Guido und ihr heimliches Entfliehen beschwerte ihm
den Muth also. Bruno aber, wie oft er’s auch beschlossen hatte, und
wie gewiß er erkannte, daß es einmal geschehen müßte, gewann das Herz
nicht, ihr zu sagen von Guido’s Tod.

So kam der Herbst heran, und wie den Beiden der gute Bote noch immer
verzog, so wollte Joconda nicht länger leiden, daß Bruno ferner in
träger Ruhe seine Tage versäße und allein fremder Hülfe harrete. Wenn
er selber sein Vermögen brauchte, so würd’ es nicht vergeblich sein;
oder warum sollte für ihn kein Mitleid vorhanden sein, der bis dahin
so werth gehalten worden und dessen Ritterdienste dem Kaiser selber
nicht unbekannt geblieben. Und weil zu der Zeit ihnen Kunde geworden
war, daß die Majestät zu Costnitz Hof hielt, so lag Joconda ihrem
Gemahl mit vielen Bitten an, dahin zu ziehen, als Bittender seine
Sache zu betreiben, Sühne zu bieten und Gnade zu suchen. Es war schier
ihm eine Bußfahrt, die da ihm zu thun vorhanden war, und schwer ward
es ihm, den stolzgewohnten Sinn dahin zu kehren. Denn er mußte ohne
Geleit ziehen und verhohlen, daß es nicht schiene, als gedächte er
sich wider das Urtheil mit Gewalt zu setzen, das ihm gesprochen war.
Sein Weib wollte nicht von ihm weichen in keiner Fährniß und Noth und
zog mit ihm. Das geschah ihr zum Leide. Denn da sie auf dem Wege
waren, kam ihre Stunde. In großen Schmerzen gelangte sie, von Bruno
geführt, in eine Höhle, die sie da erspähten, denn sie wanderten im
Waldgebirg. Allda genas sie eines Sohnes. Als Bruno mit Weh und Wonne
das feine Knäblein in seinen Armen hielt, da hatte es ein Mal,
gestaltet wie eine blutende Wunde. Er erschrack des Anblickes, doch
sagt’ er nichts.

Wie groß nun die Noth in jener Höhle war, läßt sich leicht ermessen,
und Bruno, da er sah, daß er ihm und den Seinen anstatt Honigs lauter
Gallen erlesen hatte, hub an, seinem Leben feind zu werden. Der Fürst
der Höllenschlünde sandte ihm einen bösen Geist des Unmuths und der
Ungeduld.

Da ward auch Joconda ihm nicht mehr zum lichten Engel, das Banner der
Hoffnung, des Heils und der Ehre ihm fürzutragen. Selber im Elend zu
sein und im Ungemach auszuharren ohne Murren, hatte sie ihr hoher Sinn
gelehrt und ihre starke Herzensliebe; aber da sie das Kind, das sie
gewonnen, in gleiches Weh verschlungen sah, verzagte sie, und gegen
die mütterlichen Sorgen aufrecht zu bleiben, gebrach ihr die Kraft. Da
hört Bruno sie oft, über ihr Kind gebeugt, weinen und desselben
jammerhaftes Loos beklagen. Dann trat er nicht hinzu, ihr Trost zu
sagen mit liebem Wort, sondern er wandte sich hinweg mürrisch, daß sie
vor ihm ihren Jammer ausließe, der wohl gleich sehr zu klagen hätte
oder mehr. Und einst in solcher Stunde, da sie ihres Bruders gedachte,
und wie er ihrer Noth sich gewißlich erbarmen würde, da murmelte er,
die Hoffnung auf Guido wäre verloren.

Joconda sah ihn fragend an.

»Der Todte, dessen Anblick vor Bologna’s Thor Dich erschreckte« – hub
er an, und finster waren seine Brauen zusammengezogen, da er redete.

»War mein Bruder?« schrie sie auf.

Bruno nickte und sah zur Erde.

»Und Deine Hand war’s, die ihn schlug?« keuchte sie schwer athmend und
richtete sich hoch empor.

»Die Liebe zu Dir bezwang mich also, daß ich’s that,« sagt’ er, düster
blickend wie vorhin.

»So Fluch Deiner Liebe!« hört’ er sie rufen, und schrecklich klang
ihre Stimme. – »Fluch Deiner Liebe, Fluch jeder Augenweide, damit ich
geschmückt war, sie zu wecken, und Fluch jeglichem Wort und Lächeln,
dadurch das höllische Band sich knüpfte!«

»Halt ein, Joconda!« rief Bruno entsetzt. »Du fluchst Dir und unserem
Kinde dort.«

Da war sie mit einem Sprunge hin zum schlafenden Knaben, riß ihn vom
Lager und umschlang ihn fest mit ihren Armen. So stund sie drohend,
der Löwin gleich, die ihr Junges vertheidigt. »Nimmer soll dies Kind,
das Deine Blutthat mit dem Kainsmal des Brudermordes gezeichnet hat,
Dich mit dem süßen Vatersnamen rufen lernen, den Du mit Trug und Mord
Dir erschlichen; und zuvor müssest Du mich erschlagen wie meinen
Bruder, ehe Deine Mörderhände je wieder den Knaben berühren oder
mich.«

Er wagte nicht, sich ihr zu nähern, noch Antwort zu geben auf ihre
wilden Worte; ihre Blicke schienen ihm wie Blitze, daß er nicht zu ihr
aufzusehen vermochte. Aber flehend streckte er seine Arme aus nach
ihr.

Da stürzte sie, als litte ein Grauen sie nicht mehr nahe bei ihm, ehe
er’s hindern konnte, an ihm vorbei hinaus in die Wildniß.

Als er mit Schrecken ihr nacheilte und sie mit Namen rief, wandte sie
sich und rief: »Wag’s, mir zu folgen, so wird der Abgrund hier zu
meinen Füßen mich und das Kind zerschellen.«

Und er zweifelte nicht, wie er sie sah, daß sie thun würde nach ihren
Worten. – Als ob eine neue Kraft ihr verliehen wäre, klomm sie
behende, dem gescheuchten Wilde gleich, den Bergeshang hinan, und
droben auf vorspringendem Felsgestein sah sie noch einmal hernieder,
bog ihr Haupt, das wirr das schwarze Haar, vom Winde aufgelöst,
umwehte, zurück und reckte ihren Arm abwehrend gegen den Genossen
ihrer Schuld. Dann hub sie das Kind, das sie trug, hoch gegen den
Himmel und war verschwunden. –

Bruno hat Tage und Nächte nach ihr gesucht, gerufen, geweint; aber nur
die Felsenwände hallten ihren Namen zurück. Er hat sie nie wieder
gesehen, noch erfahren, ob die Beiden in der Einöde des Gebirgs
verschmachtet oder den wilden Thieren des Waldes zum Raub geworden
sind, oder ob die Mutter sich und ihrem Kinde eine Ruhstatt gefunden
hat. Da hat auch Bruno seinen Namen erlöschen lassen im Gedächtniß der
Menschen und für sein Theil erkannt, sich ganz zu Gott zu gesinden und
sein Herz zur Buße zu kehren, daß er der Hölle im Tode entfliehen
möchte.

Die Höhle aber nieden St. Wigbert’s Kirchlein mit der Klause, darin
jetzt ich hause, Diether, die ist’s, darin sich zutrug, was ich Dir
erzählte, und hier auf dem Gestein, da wir sitzen, sah Bruno sein Weib
zum letzten Mal mit der Gebärde des Grauens vor ihm und des Flehens um
Erbarmen zu Gott für ihr Kind. Und der Ring, den Du fandest, ist
Joconda’s; sie hat ihn hier von sich gethan, das Siegel und Zeichen
ihrer schuldvollen Gemeinschaft. –

Und nun weißt Du, Diether, warum ich Dich bat, der armen Seele vor
Gott zu gedenken, von der Du sagtest, da Du den Reif erblicktest und
das Thierlein daneben.«


Allhier endet die von Brun erzählte Geschichte.


»Gnade der milde Christ nach seiner Gütigkeit denen Allen, so in
Unglück gerathen sind – und uns!« sagt’ ich, und gar sehr war ich
bewegt im Herzen von der Geschichte, die ich gehört hatte.

Wohl trieb’s mich, noch ferner mit Brun davon zu reden, und von Bruno,
was denn aus ihm geworden, ob er noch lebe und wo er weile. Aber ich
ersah, der Alte wollte ungefragt sein, denn er stund auf und sagte:
»Auf, Diether! – Schon ist Mitternacht vorüber, denn sieh, der Mond
neigt sich auf seiner Bahn dort den Bergen zu. Kühl hat sich der
Nachtwind aufgemacht und der Thau fällt stark. Lang’ schon solltest
Du, junger Knabe, unter Dach geborgen sein.«

Und so stieg er mir voran den Bergeshang abwärts. Wie wir schweigend
giengen und über uns die Wipfel der Tannen rauschten, bald lauter,
bald leiser und sich gegen einander bogen, und unter uns die Wellen
brausten, jetzt heller klingend, jetzt dumpfer murmelnd, war mir’s,
als erzählten auch sie sich in der Sommernacht die traurige Mär’ von
dem ewigen Geheimniß des Menschenherzens, das wähnet, das Paradies zu
gewinnen, und die Schmerzen der Hölle sich bereitet.

Bald lag ich auf meinem Lager drinnen in der Klause. Ich weiß nicht,
wie mir da geschah und ob ich schon eingeschlafen war oder just die
Augen zum Schlummer sich senkten: ich sah Brun nahe bei mir stehen und
unverwandt mich betrachten.

Zuweilen beugte er sich hernieder und bewegte seine Hand, mich zu
berühren. Dann wich er wieder ein wenig zurück, als scheute er sich zu
thun, wozu doch sein Sinn ihn zog, oder er fürchtete, ich möchte
erschreckt werden und erwachen. Nach einer Weile ließ er ab von diesem
Streit. Aber eine größere Unruhe schien in seiner Seele sich
anzuheben. Es war, als ob mein Anblick davon die Ursache wäre. Er sah
noch einmal lang’ nach mir hin, schauderte dann jählings zusammen und
sank in seinen Sitz nieder, sein Angesicht von mir gewendet und mit
beiden Händen verhüllend.

»Nein, nein, HErr!« hört’ ich ihn murmeln. »Nicht dieses Bild jetzt
neben die süße Erinnerung!«

Ein breiter Strahl des Mondes drang durch das dichte Gitter der Bäume
draußen und das kleine Fenster und glitt durch den engen Raum hin zur
Wand dem Alten gegenüber. Wie es dort hell das Bild der Gottesmutter
umspielte, ward sein Blick, da er sein Haupt wieder erhob, dorthin
gelenkt. Irgend etwas an dem Bilde mußte ihn erschrecken. Denn er
erzitterte auf’s Neue. Und doch konnt’ er nicht widerstehen, dahin zu
blicken, was der lichte Schein ihm wies.

»Und Du drohest immer wieder«, sagt’ er dabei mit Flüstern, »und ewig
blutet die Wunde?«

Da sah ich ihn aufspringen und das Schwert aus der Seite des Bildes
ziehen, darin es stak. Er trat damit in das Licht und ließ den Stahl
darin blitzen.

»Ja«, rief er dann mit leisem Stöhnen, »sie sind noch immer da – die
blutigen Flecken, und keine Zeit hat Rost genug, sie zu verzehren!«

Und jetzt schwang er die Waffe mit wilder Gebärde, und es hatte das
Ansehen, als wollt’ er sie gegen sich selber richten und es schüfe ihm
Mühe, davon abzulassen, und ich hört’ ihn dabei klagen: »Verloren all’
– all’ verloren!«

»Hilf, Herr!« dacht’ ich. »Er ist von Sinnen kommen!« und richtete
mich in die Höh’.

Da wandt’ er sich und wie er mich ersah, schüttelte er heftig sein
Haupt, streckte die Arme gegen mich und rief mit drohender Stimme: »Du
da? Du bist der Bringer schrecklicher Dinge! Du weckst auf zur
Mitternacht, was mit Mühe begraben war!«

Und als ich weiten Auges und sprachlosen Staunens voll nach ihm
blickte, rief er wieder: »Sieh nicht so her mit diesen Augen! Es ist
nicht! Es ist Lug auch dies, und nimmer heilt die Wunde!«

Aber plötzlich sprang er auf mich zu, und, eh’ ich’s hindern konnte,
hatte er von meiner Schulter das Linnen gestreift, das ich trug. Als
er, die Waffe in der Hand, sich dicht über mich beugte, wähnt’ ich
nicht anders, denn daß der Rasende mich morden wollte. Und ich schrie
laut.

Im selben Augenblick aber war er zur Seite meines Lagers in die Knie’
gesunken und seine Arme hielten mich umschlungen. »O Gott, o Gott!«
rief er mit einer Stimme, weich wie die eines Kindes. Und seine Hand
strich mir kosend über Stirn und Wangen und seine Thränen tropften auf
mich nieder. »Schlaf, Diether, schlaf!« sprach er wieder, »kein
Schrecken des Ortes müsse Dir nahen, und Engel des Friedens müssen
Dich beschirmen.«

Darnach ergriff er meiner Hände eine und hielt sie an sein Herz, als
würde von der Berührung der Sturm sich legen in seiner Seele. Als er
so gethan, beharrte er eine Weile, wie mich däuchte, im Gebet,
bekreuzigte dann sich und mich, stund auf und gieng der Thür zu. Bevor
er hinausschritt, kehrte er sich noch einmal zu mir und sagte wieder:
»So schlaf denn, Diether! und zürne dem Alten nicht um sein wirres
Wesen, damit er Dich erschreckt hat; Du siehst, es ist vorüber.«

Aber wie hätt’ ich nach dem Allen vermocht, jetzt nach seinem Wunsch
zu thun. Mich trieb’s dem Alten nach zu seh’n. Ich erblickt’ ihn
durch’s Fenster, wie er ein nahes Gestein erstieg, unter dem das
Wasser breiter und stiller dahinfloß als anderwärts. Dort stund er
eine kurze Weile unbeweglich und warf die Waffe, die er mit sich
genommen, hinab in die Tiefe. Vorgebückt sah er ihr nach, wo sie
versunken war. Dann gieng er festen Schrittes die Höhe hinan. Ich
konnte nicht ersehen, wohin er seinen Weg nahm.

Aber da ich leise das Fenster geöffnet hatte und, wie ich mich
hinauslehnte, den ersten bleichen Schimmer des Tages über die Berge
aufdämmern sah, tönt’ es wie ferner Gesang in mein Ohr. Und bald
unterschied ich heilige Klänge und Orgelton.

Da trat ich hinaus.

Laut und lauter ertönte der Gesang und deutlicher erscholl der
Orgelton; und jetzt schwangen sich die Töne auf, wie nächtliche Nebel
aus der Tiefe zu lichten Morgenwolken werden, und ich hörte
vernehmlich den Lobgesang St. Ambrosii. Aus voller Brust stimmt’ auch
ich ein und sang die sel’gen Klänge mit. Da schienen mir die
Waldvöglein, die davon erwachten, auch mit uns Gott zu loben in ihrer
Weise; und wie ich hinaufsah nach St. Wigbert’s Kirchlein, gieng der
erste Sonnenstrahl über sein Dach, die nächtlichen Schatten entflohen
und ich grüßte das süße Licht.



Sechstes Kapitel.

Widerstreit.


Gewißlich ist’s nichts Sonderliches, daß ein müßiger Mann den
Sonnenstrahl betrachtet, der durch’s Fenster strömt und die Stäublein
darin, wie sie hin und wieder schweben. Und ich durfte müßig sein in
jener Nachmittagsstunde, da ich im Chor unserer Kirche ins Gestühl
niedersaß dem Bilde gegenüber, das ich eben vollendet hatte. Es war
die Nachmittagsstunde eines heißen wolkenlosen Sommertages, unlange
vor dem Feste St. Johannis Baptistae; auch in der Kirche war die Luft
fast schwül, draußen regte sich kein Laub, und nur das Flattern
geängsteter Schmetterlinge unterbrach die Stille, die durch die Wärme
aus ihren Puppen heute hervorgelockt sein mochten und nun, die
Freiheit suchend, gegen die Scheiben flogen, oder auch, weil sie die
bunten Gläser für leuchtende Blüthen hielten. Sonderliches also war es
nicht, daß ich malmüder Mann der sommerlichen Ruhe rings umher
behaglich mitgenoß, die Hände ineinander gelegt hielt und den
spielenden Sonnenstrahl betrachtete, der drüben vom Fenster her hart
neben mir auf das Schnitzwerk am Gestühle gieng. Doch ich betrachtete
ihn und betrachtete ihn auch wieder nicht. Mein Auge blieb daran
haften, aber meine Gedanken thaten nicht also. Er war ihnen wie eine
Brücke, auf der sie die Fahrt nahmen, woher er kam: hinaus in die
Weite. Allda besuchten sie manche wohlbekannte Stelle. Es war, als ob
derselbe Sonnenstrahl sie ihnen beleuchtete, den jetzt meine Augen
hier in der Kirche vor sich sahen.

»Zeuch in Frieden zurück in Dein Kloster!« hatte Brun gar freundlich
zu mir gesagt zur Letze, da wir schieden, und hatte wie zum Segen
seine Hand erhoben. – »Zeuch zurück, Diether, in Deinen Frieden, und
auch die Erinnerung an all’ das, was Du auf Deiner Fahrt hier bei mir
und anderswo erlebt, störe ihn Dir nicht! Jeder Tag hat seinen Ruf zu
gewohnter Pflicht. Überhöre keinen; und in solchem Gottesdienst wird
Dir allzeit die Gegenwart freundlich bleiben auch im Ernst und in der
Mühe, sie wird Dir nicht verleidet werden durch ungeduldiges
Hinausschweifen in die Zukunft, noch wird, was in der Vergangenheit
hinter Dir liegt, Dein Wünschen und Wähnen zu eig’ner Qual gefangen
nehmen!« Dann hatt’ er mir auch gesagt, ich sollte die Aventiure, so
mir begegnet war, und all’ meine Fahrt als das ansehen, wozu sie mir
auch ursprünglich bestimmt gewesen: als etwas, das nicht mich
angienge, mein Sinnen und Meinen, sondern allein nur meine Kunst, mit
ihr desto besser Gott zu dienen.

Nach solchem Rath hatt’ ich denn treulich gethan, und mich däuchte, er
war mir trefflich gediehen.

Ich hatte mir fürgesetzt, von Allem, was sich mit mir zugetragen
hatte, so es möglich wäre, gegen Niemand im Convent zu reden: ich
würde denn gedrungen dazu. Denn ich wußte wohl, daß dann des Fragens
kein Ende sein würde, auch des Spottes nicht und des Verdachts. Nur
wie ich vor Abt Albrecht bestehen sollte mit meiner Beichte, wenn er
mich vor sich erfordern würde zur Rechenschaft von meiner Reise und
von dem, was ich ausgerichtet – das schuf mir Noth. Mein Bleiben auf
Elzeburg, und daß ich mir die Verwechselung so lang gefallen ließ, die
Ursach’ auch, aus der ich dahin gerathen, meine Gesellung zu den zween
Fahrenden: wie konnt’ ich denken, dies Alles dem Gestrengen so
glimpflich fürzubilden, auch wenn ich dabei der besten Kunst brauchte,
die ich vermöchte, daß er darob seine Gunst nicht von mir wendete,
mich hart anließ’ und gar in die Geißelkammer schickte zur Pön und
Büßung.

Damit aber war es mir viel besser gerathen, als ich mich deß versehen
hatte. Denn da ich wieder gen Maulbronn kam und in den Klosterhof
trat, und die Brüder, eine gute Zahl, mich sogleich umringten, so
Viele meines Kommens wahrgenommen, und ich von allen Seiten hörte:
»_Salve, Diethere!_« oder: »_Quid novi?_« oder: »Heah, Diether, wie hast
Du ein ander Aussehen gewonnen auf der Fahrt!« und da beinahe ein
Getümmel entstund von der Menge der Herzulaufenden und dem
»Diether«-Rufen – so merkt’ ich allsogleich, daß es heut an Abt
Albrecht’s Regiment fehlen müßte, denn es war die Stunde des Tages, da
sonst keiner der Brüder, zwingende Ursach’ ausgenommen, sich in Hof
und Kreuzgang zeigen durfte. Wie ich denn des Abtes drohende Gestalt
nirgend aus einer Pforte oder zwischen Pfeilern hervortreten sah,
fragt’ ich nach ihm. Da thaten sie mir Bescheid, daß er, hochwichtige
Rechte unseres Klosters zu verfechten, gen Pforzheim gezogen wäre,
allda mit etlichen hohen weltlichen Herren zu handeln, die sich
unterwunden, unseres Stiftes Privilegien anzutasten. Unser Prior, dem
er zumeist vertraute, wäre auch mit ihm, und so möcht’ ich mich um
deswillen nichts besorgen, sondern unter ihnen bleiben und von meiner
Fahrt erzählen. Da sagt’ ich ihnen, vom weiten Wege wär’ ich übermüde,
und ob sie nicht wüßten, daß zu dem Willkomm’, damit man den Waller
begrüße, bevor Allem sich die Atzung schicke, die man ihm erbiete.
»Und wenn Ihr mir die gegönnt habt«, sagt’ ich, indem ich dem
Refectorio zuschritt, »so seid gefüge und laßt mir heute die Ruhe, die
ich Wegmüder wohl mir verdienet habe.« Da meinten Etliche, ich wäre
wohl gar stolz worden, die Meisten aber lachten und sagten, man sähe,
daß ich in des Bischofs Pfalz die höfischen Sitten erlernet hätte.

Nun ward mir nicht um ein Kleines sänftiglicher zu Sinne, daß ich
dergestalt heut und morgen des Erscheinens vor des Abtes hellem Auge
überhoben war; und wie ich mich der Brüder, sonderlich der Neugierigen
unter ihnen auch ferner erwehrte, ihnen von meinen Aventiuren nichts
zu verrathen, auch dazu ward mir Rath. Denn andern Tages früh,
sogleich nach der Matutin, überkam ich den Befehl, den der Abt für
mich zurückgelassen hatte: ich sollte, sobald ich von meiner Fahrt
heimgekommen, schier ungesäumt mich an mein Malwerk in der Kirche
machen und dasselbige also fördern daß die Verzögerung, so ihm durch
mein Abwesen widerfahren, nach Möglichkeit wiederum eingeholt würde.

Behender, dünkt mich, bin ich nie auf’s Gerüst hinangestiegen, als
dazumal, und lieber hab’ ich nimmer darauf mit Stift und Pinsel
geschafft, noch eifriger. Und das nicht allein darum, weil ich, so
lang’ ich droben weilte, vor aller Bedrängniß durch lästige Frager
geborgen war; – denn Niemand durfte mich aus sonderlichem Untersagen
des Abts da heimsuchen, er mußte denn zu Hilf’ und Handreichung von
mir begehrt sein – sondern ich erfand auch eben da, wie weise Brun
bei meinem Abschiede mir gerathen. Ja, noch trefflicher wies sein Rath
sich mir aus, als er wohl selbst gedacht hatte. Denn diese Arbeit,
dazu jeder Tag mich rief, lenkte freilich all’ meine Gedanken auf sich
und forderte mein Vermögen, es gänzlich daran zu kehren. So wurde mein
Gemüth vom unruhigen Schweifen durch sie heilsam zurückgehalten. Aber
da bewies Frau Kunst an mir Unmüßigem noch eine besondere Tugend. Denn
sie versagt denen, die sie meinen und minnen, nichts von Allem, wonach
sie Herze tragen, und freiet sie doch zugleich von vergeblichem Sehnen
darnach und seiner Unlust. – Sie läßt die Seele der Dinge, daran sie
hängt, genießen, als wären sie beständig gegenwärtig, und kein Herbst
drohte den Blüthen und keines Todes brauchten sie sich zu entsetzen;
damit mein’ ich gar nicht, daß die, so einer edlen Kunst rechte Jünger
sind und mit solcher Gotteskraft begabt, Leid und Mühe in der Übung
solcher Gabe nicht kennen: der Wiederhall von der Menschheit Weh und
Wonne, ja von Himmel und Hölle ertönet wohl lauter in ihrem Herzen als
in anderen; aber das sag’ ich, daß die Bilder der Dinge in ihrem
Gemüth sich spiegeln können in all’ ihrem unterschiedlichen Licht und
Glanz, und dennoch das Herz davon nicht verwirrt wird, sondern in der
Stille bleiben kann und edlen Freiheit.

Also, ist mein Wähnen, geschah auch mir in jenen Wochen nach meiner
Wiederkunft, da ich das Bild malte im Chor vom englischen Gruß. Ohne
Absicht gerieth es mir da nach dem Bilde, das ich von den draußen
erlebten Maientagen in der Seele trug, und je eifriger ich allen Fleiß
zu meiner Arbeit kehrte, desto näher brachte sie mir das Erlebte, und
Vergangenheit und Gegenwart, Thun und Betrachtung flossen in Eins
zusammen und störten sich nicht. Da geschah’s auch, daß, wie ich die
sel’ge Gottesmutter auf das Bild gebracht hatte, die hehre Fraue
Irmela’s Züge an sich trug, und ich hielt’s nicht für sündlich,
sondern setzte mit Freuden die Glorie um’s Haupt aus lauterem Golde;
denn ich gedachte, daß wir ja auch das Heiligste nicht anders bilden
können, als indem wir Gottes Creatur dafür zum Gleichniß erkiesen. Ich
malte aber auch unter das Laub, so die heilige Maria überhängt, ein
Gezweig blühenden Flieders und zu der Lilie im Gefäß that ich ein Reis
mit röthlich schimmernden Apfelblüthen. Solches und Anderes fügt’ ich
hinzu, nach dem Bildniß, das ich von Elzeburg mit mir gebracht hatte.

Als es nun Alles vollendet war, mit größerem Fleiß und eifrigerem
Trachten das Beste meines Vermögens zu thun, als ich je zuvor an ein
Bild gekehrt, däuchte mich’s wohl gerathen und ich dachte: »Was
gilt’s! Schwerlich hätte Abt Albrecht dem welschen Bilde, nach dem er
mich ausgesandt, eine bessere Zierde für unsere Kirche verdankt, als
er nun gewonnen hat!«

Mit solchen Gedanken saß ich nieder in’s Gestühl an jenem Vormittag
mit dem Behagen Eines, der sein Werk vollbracht hat und nun ganz der
Ruhe genießt. Aber da zog der Sonnenstrahl meine Betrachtung hinweg
vom Bilde und lenkte sie hinaus, und zum ersten Mal nach meiner
Heimkunft, dünkt mich, stieg in mir die Frage auf, ob ich wohl für
immer von dieser bunten Welt draußen und von Elzeburg und ihrem
Ingesinde sollte geschieden bleiben. Irmela’s Zuversicht kam mir in
Gedanken, die sie bezeugte, da sie mir beim Scheiden die Hand bot, daß
sie mich um die Sonnenwende zu Speyer wieder zu sehen gedächte, als
ihrem Ohm gesindet. Ich mußte auch gedenken, wie sie sagte, sie
verhoffe noch manche Lieder von mir zu hören und fröhliche. »Wie wird
sie sich verwundern«, dacht’ ich, »wenn sie vernimmt, ich sei
entschwunden«, und ich fragte: »ob sie dann auch meiner Bitte sich
erinnern wird, die ich that, nimmer schlimm von mir zu halten?« Und
ich wünscht’ es mir also. – »St. Johannistag ist nahe«, dacht’ ich
wieder, »nun wird das Mägdlein auf sein gen Speyer; leichtlich ist sie
schon allda. In der Kurzweil’ und im fürstlichen Glanz des Hofes wird
sie die enge Burg am stillen Wiesenthal bald vergessen haben – und,
eitler Diether, noch bälder Dich!«

Da wandte ich mich hinweg vom Sonnenstrahl, denn er, so schien’s mir,
lockte meine Gedanken auf diese Bahn, und ich beschloß, solchem Sinnen
nicht ferner nachzuhangen. Brun’s gedachte ich und seiner Mahnung, da
er mich von sich ließ; ich gedachte auch der traurigen Geschichte, die
er mir erzählt hatte. Wie war er doch selbst von ihr so bewegt worden
und wie eindringlich warnte sie mich! Am Tage nach jener Nacht, da ich
ihn so gar verändert und erschreckend gesehen, hatte er Alles dessen,
was er da gethan und gesprochen, nicht mehr gedacht, als wär’ es von
ihm vergessen wie ein Fiebertraum, aber mit viel freundlichen Worten
hatte er meine Lust gelobt in’s Kloster zurück und sie gemehrt. Auch
hatt’ er mir gesagt: diesmal sollte unser Wiedersehen nicht aufgespart
bleiben, bis ich auf’s Neue eine Verwandlung leiden und die Flucht
geben müßte, denn dann würd’ er und gewißlich ich auch sie nimmer
wünschen; sondern um meinetwillen wollt’ er unterweilen aus seiner
Waldestiefe herfürtauchen und mich heimsuchen im Kloster. Einem alten
Waldbruder würde der Convent den Eingang nicht versperren. Um den
Johannistag wollt’ er mich sehen. Dessen gedacht’ ich jetzt und wie
übelgethan es von mir wäre und Zeichen eines unverständigen Sinnes,
wenn ich des treuen Berathers vergäße, den ich mir gewonnen hatte, und
außer seiner Gunst von meiner Reise sonst noch etwas mehr begehrte,
als was sie mir droben für mein Bild eingebracht hatte. – »So will
ich denn«, sagt’ ich bei mir, »in dieser Sommerzeit nur des Alten
harren und sonst nichts suchen zu schauen von Allem, was jetzt das
Sonnenlicht mir gezeigt.«

Ich hatte mich wohl kaum erhoben und gedachte die Kirche zu verlassen,
als ich im Laienchor feste und eilige Schritte hörte, und gleich
darauf durch das Lettnerpförtlein Abt Albrecht und hinter ihm der
Prior sichtbar wurden. Er war immer ein Herr von wenig Worten, und so
mocht’ er auch von Andern keins zum Überfluß hören. So fragt’ er nach
kurzem Gruß allsogleich, wie’s mir mit dem Bilde gerathen wäre. Ich
verneigte mich und wies hinauf. Er betrachtete das Werk aufmerksam und
rief dann nach kurzer Weile:

»Ei, Diether! Das ist Dir trefflich gerathen, und an dem Eifer, mit
dem Du daran geschafft hast, vermerke ich mit Freuden, wie fördersam
Dir die Reise gewesen ist. Zwar«, fuhr er fort, » ich sehe, Du hast
von dem Deinen hinzugethan, aber ausbündig herrlich muß das Muster
sein, nach welchem Dir hier dies Bild unserer lieben Frau gelungen
ist, und nicht zuviel nach meinem Wahn hat man mir die hohe Kunst des
welschen Meisters gerühmt.«

Und er betrachtete wieder das Bild.

»Wir sind wohl zufrieden mit Dir«, sagt’ er dann noch, indem er sich
zu mir kehrte – »erwarten nun aber, daß Du nicht minder Eifer und
Kunst an dem Werke beweisest, das Dir noch zu thun vorhanden ist.
Hier, weißt Du, sollen die heil’gen drei Könige fürgestellt werden
(und er zeigte auf die Stelle der Wand), wie sie gezogen kommen, den
Gottessohn anbeten und ihre Gaben opfern. Dies sei das Bild, Diether,
das Du nun angreifest. Und ohne Verzug! Denn wenn Du Profeß thust, muß
zu mehrerer Ehre solcher Feier all’ diese heil’ge Zier von den Wänden
auf Dich herniedersehen, der durch Gottes Gabe und Gnade sie dahin
gebracht hat.«

»So eben zur Stunde, ehrwürdiger Vater«, sagt’ ich bescheiden, »hab’
ich das Letzte dort am englischen Gruß gethan.«

»So ruhe heut«, sagt’ er wieder, »und heb morgen mit den heil’gen drei
Königen an.«

»Noch weiß ich nicht, wie ich’s am Besten angreifen mag, und die
Königliche Pracht fürzubilden dünkt mich schwer zu sein, der ich des
ritterlichen Wesens wenig erschaut habe.«

»Doch mancherlei davon, Diether, ist sonder Zweifel Deinem Auge kund
worden auf Deiner Fahrt, und wie hier am englischen Gruß der Gewinn
spürbar ist, den Deine Kunst aus Deiner Wanderung gezogen, so verhoff’
ich, wird auf dem Bild von den Weisen aus dem Morgenlande noch mehr
davon sichtbar werden. – Wohlauf, Diether! sei Dir heute Freiheit
gewährt, durch Feld und Wald zu streifen. Brauch’ solcher Muße, dem
Werke nachzusinnen, das Dir nun obliegt. Ist es nur erst in Deiner
Seele lebendig, so werden die Hände bald nachfolgen, es zu gestalten.
Nur zögere nicht und laß Deine Kraft nicht erlahmen. Was etwan durch
Dich von Gebhardus Episcopus aus Speyer mir entboten ist, darüber
sollst Du mir berichten, wenn ich Dich mit Nächstem darum vor mich
fordere. Denn zur Zeit liegt Anderes zu Recht zu bringen uns hart an.«

Damit winkt’ er seinem Begleiter, hub zu Gruß und Segen die Hand gegen
mich, und als ich aufsah, schritten sie schon das Pförtlein hinaus,
durch das sie gekommen waren.

Da verließ auch ich die Kirche. Nach des Abtes Rath und dem Antriebe
meines eigenen Herzens eilt’ ich die Klostermauern hinter mir zu
haben. Wacker waren meine Schritte, da ich den Weg hinan schritt gen
Bretten, und doch hatt’ ich kein Ziel. Mich trieb’s nur zur Bewegung,
und zu rasten wär’ mir unmöglich gewesen. Und ob ich gleich mit allem
Fleiß mein Gemüth dahin zwang, über das Bild zu sinnen, das ich
allsofort zu malen anheben sollte, so gelang es mir damit nicht, meine
Gedanken zur Ruhe zu bringen und zum stillen Aufmerken, wie meine Hand
das Alles gestalten möchte. Sondern immer wieder schweiften sie hinaus
und zurück in die Welt, der ich ungedacht eine Weile zugesellt gewesen
war. Ja, das Sinnen über das Malwerk selber, so mir aufgetragen war,
half ihnen heute auf diesen Weg. Denn so oft ich mir die heiligen
Waller fürstellte mit ihrer reichen Pracht, und mit ihnen den reisigen
Troß; immer wieder waren es da Gestalten von Elzeburg, die dahin
zogen, zierlich geschmückt, und dann schienen sie mir mit ihren
Fähnlein zu winken, als grüßten sie herüber und riefen: »Irmela der
Herrin fahren wir entgegen!« Dann war’s, als müßt’ ich selber mich zu
ihnen gesinden und ich sähe mich da auch unter dem Troß.

Da sprach ich zu mir: »Diether, es taugt Dir heut hier außen nicht,
mach’ Dich zurück in die Abtei, schleuß Dich ein in Deine Zelle, nimm
Kohle und Stift zur Hand, und hefte Dein Auge stracks nur auf’s
Papier, so werden die schweifenden Gedanken zur Ruhe kommen!« Aber dem
Willen folgte die That nicht, und statt umzukehren, schritt ich
fürbaß, als würde ich vor mir stärker gelockt.

Nun machte der Weg, den ich zog, eine Wende und lenkte zwischen
felsigten Bergen in ein Thal hinein, das mit grünem Wiesenplan gar
freundlich sich vor meinen Blicken aufthat. Hier wandelt’ ich zumeist
schon im Schatten, der die Hitze des allgemach sinkenden Sommertages
milderte, indeß droben auf den Höhen das röthliche Gestein, von hellem
Grün dicht belaubten Buchenwaldes umgeben, im Glanze der Sonne desto
leuchtender herniedersah. Mir zur Seite floß ein rauschendes Wasser.
Seine Wellen hüpften in Sprüngen dahin, als lüden sie mich ein
auszuschreiten ihnen nach, und wüßten mir noch Schönes zu zeigen. Und
fürwahr! darin trogen sie nicht. Denn nicht gar lange war ich das Thal
hindurchgezogen, da that sich mir ein Bild auf, unmaßen lieblich dem
Auge anzusehen. Hier waren die Bergzüge noch höher, aber sie stiegen
zu beiden Seiten sanfter hinan und hatten in ihre Mitte, als wollten
sie es beschirmen mit Riesenarmen, ein Dörflein genommen. Das hieng an
der Lehne eines waldigen Hügels, aus dem ein Felsen steil
emporstarrte. Auf diesem Felsen ragte eine bethürmte Burg, gar trutzig
über die Dächer unten hinausschauend in die Ferne, dem wachsamen
Hirten gleich, der sich bewehrt hat, seine Heerde vor dem Wolf zu
schirmen. So friedlich und sicher lagerten sich hier die Häuser an den
Bergeshang, der die Burg trug, dicht zusammengedrängt, und nur hie und
da lugte noch ein Dach weiter unten im Thal zwischen breitwipfligen
Nußbäumen hervor. Rebenpflanzungen und Ackerfelder bis oben an den
Waldrand der Berge, wohlbestellte Gärten und fette Weiden um’s Dorf
her bezeugten, daß es diesem Winkel der Erde nicht am Segen des
Himmels, noch am Fleiß der Menschenhände fehlte.

Froh überrascht von dem unerwarteten Anblick hielt ich meine Schritte
an. Noch besser sein zu genießen, klomm ich einen Pfad hinan, der die
Höhe aufwärts führte zur Seite meines Weges. Da gewann ich bald vom
Vorsprung eines Felsens ein herrliches Lugaus. Burg und Dorf und
Gärten und Wiesen, in vielen Schlingungen vom fließenden Wasser
durchzogen, und weiterhin ringsum die Höhen, hier sanfter
anschwellend, dort schroffer emporsteigend, zumeist herrlich prangend
mit reifenden Saatfeldern und weitästigen Obstbäumen, dazu die
mächtigen Waldungen, die oben die Bergrücken bekrönten und auch, wo
Schluchten und Klüfte waren, bis unten zur Wiese sich hinabsenkten:
Dies Alles übersah ich nun mit einem Blick und es däuchte mich, als
schaut’ ich ein Bild, gemalt von des besten Meisters Händen. Da zog
sich auch der Weg, den ich gegangen war, weiter zwischen Wiesen und
Gärten an dem Burgberg vorbei in das Dörflein hinein. Drüben, wo es zu
Ende war, ward er wiederum sichtbar, wie er zum Thal hinausführte, das
da als in einem Bogen sich abschloß. Die Straße theilte sich dort, so
daß ein Arm zur Rechten des Wassers blieb und mit diesem zugleich,
sich allgemach krümmend, hinter einem Berge verschwand, der da steil
aus dem Wiesengrunde emporstieg. Quer durch diesen Wiesengrund
linkswärts zweigte sich von dem ersten Weg ein zweiter ab; den führte
eine stattliche Brücke über das Flüßlein, und darnach schien er in das
Gebirg gen Mittag hinaufzuleiten. –

Wie ich so all’ dies mit Muße von meiner Höhe aus betrachtete und
mich recht eine Freude durchdrang über die stille Herrlichkeit der
Gotteswelt vor mir, da ward mir’s gewiß: Dies wäre mir nicht
vergeblich gezeigt. »Könntest Du«, sagt’ ich zu mir, »Etwas ersinnen,
was wohlgefälliger anzuschaun wäre und würdiger, die Stätte
vorzustellen, da die heiligen Könige dem Gotteskinde und seiner Mutter
begegnen – als hier dies bergumschlossene Gefild? He, Diether! Nun
präge Dir all’ diese Augenlust recht tief ein in Dein Gemüth nach
Gestalt, Licht und Farbe; denn traun! wenn jetzt der Abendstern schon
erblinkte und schickte seine Strahlen von dort oben: auf eine minder
wonnesame Welt, wähn’ ich, säh’ er nicht hernieder, als damals der
Wunderstern, der über Bethlehem stille stund.« Solches sagt’ ich zu
mir und ließ meinen Blick über Alles wandern, was da zur Weide vor ihm
ausgebreitet war. Drüben vom Abend her, wo der Weg hinausführte aus
dem Thal, quoll zwischen den Bergen, die dort ein wenig
auseinanderwichen, ein breiter Strom goldenen Lichtes herein und
streifte die Baumwipfel des Waldes und traf auch die Zinnen der Burg.
Von da, dacht’ ich, sollte nun die reisige Schaar heranziehen, so die
Helden der Gottesminne geleitet, und wie würden sie voll Freude
jauchzen, wenn sie hier das Ziel ihrer Fahrt ersähen. Und wieder
stellten sich die Gedanken von vorhin ein, wie ein erwünschtes Ding es
doch wäre, wenn ich selber da heute so mitreiten könnte über Berg und
Thal, und zöge durch die geschmückte Welt zur Sommerzeit. –

Träumt’ ich da, oder befieng ein Zauber meine Sinne, der mir zum
Spott vor’s Gesicht brachte, was doch nicht war?! Denn siehe! Dort
drüben auf dem Wege zum Thal hinein kam’s hervor, zuerst nur
undeutlich zu sehen zwischen den Waldbäumen, dann glänzend im
Sonnenlicht, ein reisiger Zug, stattliche Reiter voran und, wie ich am
blitzenden Zierrath erkennen konnte, den Mannen und Rosse trugen,
herrlich geschmückt. Wappenherolde schienen die Vordersten zu sein,
denn sie waren reich in Purpur und Gold gekleidet; sie trugen ein
Banner, und von den Häuptern ihrer Pferde nickten bunte Federbüsche;
ihnen folgten gewappnete Knechte zu Fuß und andere reitend auf Rossen,
die auf’s Zierlichste aufgezäumt waren. Darnach kamen Ritter und
Herren, alle prächtig angethan, nicht gerüstet, sondern als hätten sie
sich einem Feste entgegengeziert und an Seide, an Sammet und an
köstlichen Fellen und Borten nichts gespart. Unter ihnen war auch
Einer, der saß gemächlich auf weißem Zelter: nach Hut und Gewand sah
er aus wie ein hoher geistlicher Herr; Diener führten sein Thier. Nach
diesen kamen Saumthiere, mit allerlei Gezeug und Geräth hochbeladen,
wie zur Lagerung und Hofhaltung, zu Gezelt und Küchenwerk bestimmt,
und letzlich zog ein bunter Haufe allerlei Volks hinterher, wie sich
allweg solcher Leute genug zusammenfinden, wo immer es etwas zu
schauen, vielleicht auch zu gewinnen gibt. So entfaltete sich dieser
Zug, aus dem Walde herfürkommend, und war nun ganz sichtbar auf dem
Wege, den er erfüllte.

Schon wähnt’ ich, sie würden ihre Fahrt etwan hinein in’s Dorf nehmen
und hinauf zur Burg oder an mir vorüber; aber da sie an die Scheide
des Weges gekommen waren, wandten sie sich linkswärts zur Brücke und
zogen da die Straße quer durch’s Thal in das Gebirg’ hinauf. Staunend
ruhte mein Auge auf all’ der ritterlichen und lustsamen Pracht, wie
ich zuvor ihres Gleichen nie ersehen hatte, und haftete so viel
möglich an jedem Einzelnen, bis auch der Letzte aus dem Zuge hinter
den Bergen verschwunden war. Das war bald geschehen und drüben war mir
der Weg wieder so einsam wie vordem.

Wohl durft’ ich mich da fragen, ob’s Wirklichkeit gewesen wäre, was
ich erschaut oder nur Wahn und Einbildung. Doch solcher Zweifel ward
mir bald benommen, denn ich sah zween Knappen zurückkehren sogleich
darauf, und als solche, die zu einer Botschaft ausgeschickt sind, die
Straße heranreiten, welche in’s Dorf führte. Sie mußten frohe Märe zu
bringen haben und selber frohen Muthes sein; denn Alt und Jung, so auf
der Dorfstraße zusammen kam, durfte die fremden Gäste fragen und
gewann, wie ich an dem Winken und Rufen der Leutlein wahrnahm, schier
guten Bescheid. Der eine der Beiden lenkte seitwärts hinan zur Burg,
der andere ritt weiter fürbaß.

Als ich sah, daß er den Weg zog, den ich gekommen war, und also an mir
vorüber mußte, stieg ich behend von meiner Warte hinab, und da er
nahte, schritt ich ihm entgegen, grüßte ihn mit Züchten und fragte, ob
er mich wohl bescheiden wollte, welcherlei Herren das gewesen wären,
die da mit also stolzer Pracht hindurchgezogen, und was wohl ihrer
Reise Ziel. Auch sagte ich noch dabei: ich hielte wohl, es müßten vor
Andern auserlesene Ritter sein, und gewißlich war’s ein hohes
Freudenfest, dem sie in solchem Schmuck entgegenführen.

Da erwiederte der Gefragte: »Ihr habt meiner Treu mit Beidem das
Richtige getroffen, wenn anders eine Hochzeit ein Freudenfest ist und
ein Bischof und Grafen und Herren ihr Bestes thun, sie stattlich
auszurichten.«

Darnach sagt’ er mir, daß sie von Speyer kämen, dahin die junge Braut
zu geleiten, welche Conrad, dem Neffen des Bischofs Gebhard, bestimmt
wäre. Der Bischof selber führte ihr den Bräutigam zu, und manch’ Edler
wäre noch in seinem Gefolge. Hier unweit sollte die Begegnung
stattfinden und einen herrlichen Empfang wollte man der Braut und
ihrem Geleite bereiten. »Da wird es,« schloß er, »an Ehr’ und
Herrlichkeit nicht fehlen, noch an edler Lustbarkeit und ritterlichem
Spiel, wie es Brauch ist in deutschen Landen, wenn man höfische Tugend
und milde Sitten beweisen will; so wird’s auch Euch nicht reuen,
geistlicher Bruder, wenn Ihr anders Euch solchem Weltwesen nicht ganz
widersagt habt, da das Fest mitzuschauen und nach Eurem Theile seiner
Freude mit zu genießen. Gewiß! Ihr bringt genug der Erinnerung heim,
davon noch lange zu zehren hinter den Mauern Eures Klosters.«

Darauf trieb er sein Roß an und trabte von dannen. Das war mir leid,
denn was er mir berichtet hatte, gieng mir näher zu Herzen, als er’s
denken konnte, und gerne hätt’ ich von ihm noch mehr erfragt.

Aber der ritterliche Zug und was ich von ihm erkundet hatte, das kam
mir auf meinem Heimwege nicht aus dem Sinn. Wieder waren meine
Gedanken nach Speyer gelenkt, wo ich um diese Zeit auch weilen sollte,
wenn ich nicht von den Elzeburgern mich losgerissen hätte, und ich
fragte mich, ob Irmela wohl schon allda wäre mit ihrem Ohm oder ihr
diese hochzeitliche Fahrt gälte. Schalt ich mich dann wegen solchen
Fragens, das mir doch zu nichts diente als zur Mehrung meines
unruhigen Muthes, so half solche Scheltung nichts. Denn immer wieder
sah ich vor mir die Ritter und Mannen und plagte mich mit der Frage:
»Ist’s Irmela, der sie entgegen ziehen?« –

So war denn mein Zweifel und meine Unruhe groß, da ich spät gen
Maulbronn zurückgelangt war, und vor Herzensschwere und Widerstreit in
meiner Seele durchwachte ich diese ganze Nacht. Ich erfand in mir die
heftigste Lust, noch einmal mich aufzumachen und unter dem Volke das
Fest mit zu schauen, ob ich da die Elzeburgerin sehen möchte,
vielleicht als die, der zu Ehren all’ diese herrliche Pracht gezeigt
ward. Und ich sagte mir, daß es ja nichts Arges wäre, das mich triebe,
der Gelegenheit zu brauchen, das Mägdlein unvermerkt wieder zu sehen,
ja, daß freilich das Gegentheil verwunderlich sein würde, und Zeichen
eines blöden Sinnes; ich fand auch, daß jenes Thal mit der ragenden
Burg noch einmal zu erschauen und dann das ritterliche Fest, mir
weidlich am Bilde zum Guten gedeihen würde. Hatte mich doch der Abt
selber dahin gewiesen, draußen zu suchen und mich umzuschauen, wie ich
dem neuen Bilde am besten rathen könnte. Wenn mich aber so mein Sehnen
schuldlos däuchte und daß es nicht noth wäre, meinem dahin gerichteten
Gemüthe zu wehren, so warnte mich alsdann eine andere Stimme in meinem
Herzen gar ernstlich, als wär’ es doch nur eine Versuchung, die mich
hinauslockte, um mich in Schaden und Unseligkeit zu stürzen.

Und eine Bangigkeit kam über mich, als ob es mir übel gerathen würde,
so ich hinzöge. Als es aber lichtmorgen worden war und ich im
Klostergarten der würzigen Luft genoß, da schöpfte meine Brust auch,
däuchte mich, wieder frischen Lebensmuth, und es schien mir, die
ruhelose Nacht hätte mich furchtsam gemacht, und ich sah nichts
Schlimmes in meinem Wunsche.

Zwar an jenem Tage that ich ihm noch nicht Genüge. Sondern, wie sie
mir in der Erinnerung lebte, zeichnete ich die Gegend, die ich gestern
mir zum Bilde auserwählt, mit allem Fleiß, und auch die heiligen
Wallfahrer mit ihrem Troß entwarf ich auf der Stelle, wo mir der
festliche Zug erschienen war. Unmüßig war ich den ganzen Tag, daß ich
morgen die Versäumniß mir desto weniger zum Vorwurf zu nehmen
brauchte. Was ich dann an auserlesener Pracht und zierlichem Schmuck
beim Feste sehen möchte, das wollt’ ich mir wohl in der Erinnerung
bewahren und für’s Bild verwenden. Denn nur einen halben Tag gedacht’
ich aus zu sein und den nächsten wieder im Kloster meiner stillen
Arbeit obzuliegen. Je fester nun so mein Wille sich dahin kehrte, die
Spiele mit anzusehen, die der Braut zu Ehren sollten gefeiert werden,
und mich des Dinges weiter zu erkunden, und je mehr ich dabei Irmela’s
gedachte, ob und wie ich sie wohl wiederfinden würde, desto heiterer
schien mir die Fahrt, die ich vorhatte, als wär’ ich auch zum Feste
geladen, und mich däuchte, wenn ich zu Roß da hinauf zöge, so hätt’
ich das auf Elzeburg also erlernet, daß ich keinem der Herren zur
Schande da sein würde.

In solchem Muthe machte ich mich denn Tags darauf, noch ehe man
Mittags zur Speisung im Refectorio zusammenkam, von dannen. Dem
Pförtner sagt’ ich, meiner Kunst zu Dienst müßt’ ich aus sein und am
Abend würd’ ich wiederkehren. Daß mir solche Freiheit verstattet war,
mehr als den Brüdern, deß waren sie gewohnt im Convent, und so ward
ich auch heute nicht weiter gefragt und schritt ungehindert durch die
geöffnete Pforte.

Draußen in einem der letzten Häuser, die um’s Kloster gebaut sind,
wohnten alte Leute, die der Abtei hörig waren. Es war ein Ehepaar,
Mann und Weib wohlbetagt. Ihnen gieng ich nie vorbei, ohne einzutreten
in ihre Hütte oder wenigstens durch’s Fenster sie zu grüßen. Es
geschah immer zu ihrer großen Freude; denn in meinen jungen
Kinderjahren war ich in ihrer Pflege gewesen, und noch immer hegten
sie eine sonderliche Liebe zu mir. Bei ihnen hatt’ ich, da ich von
Brun wiederkam, das köstliche von Irmela mir geschenkte Kleid
niedergelegt. Denn Brun zwar, der mir einen klösterlichen Rock
angezogen hatte, dem ähnlich, den ich sonst zu tragen gewohnt war,
wollte, daß ich das zierliche Gewand bei ihm für immer zurückließe.
Aber da ich wünschte, es zu behalten, weil mir zu meiner Malkunst
solch’ auserwähltes Kleid leicht noch nütze werden könnte, so willigte
er ein und ich trug’s im wohlverhüllten Bündlein mit mir. Niemand
hätte mir wehren können, es mit mir in’s Kloster zu nehmen und mit dem
anderen Geräth und den Kleinoden meiner Kunst zu bewahren, aber ich
hatt’ es doch für viel gerathener gehalten, um alles Verdachts desto
lediger zu bleiben, es nicht allsogleich mit hinein zu bringen. Und so
hatt’ ich Irmela’s Gabe bei den Alten in Verwahrung gethan.

Zu ihnen gieng ich denn hinein, und gerne gaben sie mir, wie ich’s
heischte und unversehrt, das wohlverwahrte Kleid zurück. »Mir ist’s
bestimmt zu tragen«, dacht’ ich. »Zwar die Kunst, mit der ich mir’s
verdient zum Lohn, gedenk’ ich nicht mehr zu üben; aber wenn je, so
mag es mir noch einmal dienen heute auf dieser Fahrt. Ist ihr Ziel
heimlich, so sichert mir wohl dies Kleid, wenn’s Noth ist, meine
Heimlichkeit.«

Und so nahm ich’s mit mir.



Siebentes Capitel.

Beim Feste.


Es war noch hoch am Tage, denn ich war rüstig zugeschritten, als ich
wieder zur Seite des Baches das Thal durchzog, von dem aus ich zum
Dorf gelangen sollte, das so sicher sich lagert um die bethürmte Burg.
Je näher ich dem Orte kam, desto merkbarer ward es, daß heut den
Leutlein und der Gegend umher ein seltner Festtag angebrochen war, den
mit zu feiern Keiner versäumen wollte, der wohl auf war und gerne
fröhlich. Allerlei Volk zog, wie ich wohl sah, demselben Ziele nach
wie ich; und gar am Orte selbst, als ich darkam, fand ich der fremden
Gäste viele. Die Lustbarkeit der Herren mußte wohl bekannt worden sein
aller Orten ringsum. Da waren Junker und Knechte, Bürger und Bauern,
auch fahrende Sänger, Luftspringer, Gaukler und Hebräer, und was sonst
Leute dem Gewinne nachgehn, wo müßiges Volk sich zusammenfindet, das
die Lust an der Kurzweil der Sparsamkeit vergessen läßt. Alle zogen
sie hindurch der Brücke zu jenseit des Dorfes, und auch von drüben
ward der Haufe durch Gäste vermehrt, die den Weg zogen, auf dem ich
die Herren hatte quer durch’s Thal reiten sehen.

Ich hatte mich, da ich durch’s Dorf schritt, Bauern zugesellt. Von
ihnen erfuhr ich, daß heute Morgen die Braut und ihr Geleite unweit
des Ortes angelangt und vom Bischof und den Herren mit ihm herrlich
empfangen worden wäre. Alsbald hätten die Speyerischen die Ankömmlinge
zum Lustlager geführt, das sie zugerichtet, allda zu rasten und die
Begegnung fürstlich zu feiern.

Wie die Braut geheißen würde und woher sie käme, konnt’ ich nicht
erkunden; doch bezeugten sie, das volle Lob, das edlen Sitten und
prangender Jugend gebühret, würde von der Sage der Leute ihr
zuerkannt.

Unser Weg führte uns im Bogen aus dem Thal eine nicht kleine Höhe
hinan. Weil die Bauern da oben zu ihrem Ackerwerk hinaufziehen mußten,
wie sie mir sagten, so war die Straße breit und sanft ansteigend
bereitet und gemächlich aus ihr zu schreiten. Hoher Buchenwald zu
Seiten unseres Weges hinderte den Ausblick. Um so mehr war ich
betroffen von der weiten Fernsicht, die mir sich darbot, da ich auf
dem Scheitel des Berges angelangt war und aus dem Wald in’s Freie
trat. Da sah man weithin Gebirg’ und Land, und unten vor sich das
muntere Thal mit Burg und Dorf auf und nieder, wie es von den Bergen
anmuthig umkränzt war. Aber auf dies Alles blieb mein Blick nur einen
Augenblick hingelenkt; denn das Bild, das ich in der Nähe vor mir sah,
nahm all’ mein Aufmerken gefangen.

Da lag vor mir weit hingestreckt ein Wiesenplan, der beinahe die
ganze Breite des Berggipfels einnahm. Sonst besuchte diese Stätte wohl
nur der Hirt mit seiner Heerde, wenn er sie hinauf zur Weide trieb,
oder auch die Bauern kamen dahin zur Grummetzeit, und wenn sie auf den
anliegenden Feldern ackern oder ernten wollten. Aber heut’ gieng’s auf
der Höhe ganz anders, lärmend und fröhlich zu. Zu Haufen stunden da
die Menschen umher, thaten sich gütlich und hatten ihre Kurzweil, die
gekommen waren, das Lustlager der Herren und Ritter und was dabei an
Festlichkeiten vorkommen würde, mit anzusehen. Da verführte
männiglich, wie es zu geschehen pflegt, wenn die Menge müßig ist und
in Erwartung neuer Dinge, ein Getöse rings um mich her, da ich unter
sie schritt, daß es schier in meinen Ohren erbrauste. Ich merkte bald,
daß der Meisten Augen und Sinne nach jener Seite gerichtet waren, wo
ich gleich anfangs, da ich die Aue übersah, das Lager der Herrschaften
wahrgenommen hatte.

Da war unter einem Nußbaum, der hoch und weit seine dichtbelaubten
Äste streckte, und etwas in der Mitte der Bergwiese stund, von seinem
Stamme aus ein Überdach aus buntem Gewebe gespannt mit purpurnen
Quasten, das vorne Stäbe trugen, die in Gold und Silber erglänzten.
Unter diesem Überdach zur Erde waren Teppiche gebreitet mit
schimmernden Borten; darauf stunden Sessel, die auch mit kunstreich
gesticktem Zeuge überdeckt waren; als das Meisterlichste aber in
zierlicher Arbeit und reicher Pracht mußte Jedermann die Decken
auserkennen, so von der Höhe des Daches zur Erde niederhiengen und
hinten den Raum abschlossen: sie schienen aus lauter Seide, Purpur und
Gold gewebt zu sein. Als ich mit Staunen all diese edle Kunst
betrachtete und Einen, der mir zunächst stund, fragte, was wohl des
Gezeltes Bedeutung wäre, sagt’ er mir, das wäre für die Braut
bestimmt, von da aus den Spielen zuzuschauen, die zu ihren Ehren
würden gehalten werden. Die reichen Decken aber hätte der Bischof aus
seiner Hofhaltung von Speyer hergeführt. Daß ich da wieder vom Bischof
Gebhard hörte, schuf mir wenig Freude, und mahnte mich daran, daß ich
sicherer anderswo weilte, als wo er mir begegnen könnte oder ich ihm;
doch er kannte mich ja nicht von Person, und wie sollte mich Irgendwer
aus der Menge herausfinden, so ich mich nur klüglich hielt. Zudem
wuchs mir heftig die Neugier, da ich von der Braut hörte, ihren Namen
zu erkunden und ob es wohl Irmela wäre. So lugt’ ich denn mit Eifer
nach vorn, vielleicht da unter den Knechten, die hin und wieder
liefen, einen vom Elzeburger Gesinde zu erkennen. Mit meiner hohen
Gestalt sah ich, wenn ich mich ausreckte, leicht über die Häupter der
Meisten. So erblickt’ ich denn, ungehindert von dem Haufen, der mich
umdrängte, Alles, was da für die Herren und ihre Gäste hergerichtet
war. Ich sah reiche Gezelte und unter grünem Gezweig Tische, das Mahl
zu halten. Seitwärts im Schatten des Waldraines stunden Rosse und
Saumthiere, mit Halftern an die Äste der Bäume gebunden, oder an
eingezäunten Stellen grasend.

Unweit von da waren von Brettern Tische und Bänke für die Knechte
hergerichtet, und unterschiedliche Rauchsäulen, die hie und dort
hinter Bäumen emporstiegen, ließen erkennen, daß man zum Mahle
rüstete; wie denn auch jetzt schon unter einer schattenden Buche ein
Schenke aus einem großen Faß Jedermann, der aus dem Volk da hinzutrat,
den Becher oder Krug füllte. Wiewohl nun da die Geschäftigkeit der
Diener um die Zelte und Tische groß war, und auch ritterliche Herren,
in reichem Schmuck gekleidet, sichtbar wurden, so konnt’ ich doch aus
der Menge Keinen unterscheiden als einen Solchen, den ich vordem schon
gesehen hätte. Aber all’ dies Wesen und Leben vor mir erschien meinen
Neulingsblicken doch so werth der Betrachtung, daß ich nur immer
unverwandt hinstarrte und mit Herzklopfen nach den Zelten, ob etwan
aus deren einem die Braut schreiten möchte.

So mocht’ ich höher denn sonst mich gereckt haben, gar nicht achtend,
ob ich nicht auch selbst ringsum Allen so bemerkbar würde, als ich
hinter mir eine Stimme vernahm, von der ich gewiß war, daß ich sie
nicht zum ersten Mal hörte.

     »Sieh dort den Mönch, der mit uns briet
     Dein Gänslein, eh’ uns Krumholz schied.«

Darauf kam die Antwort:

     »Wie Dir sein Kleid auch wohlgerieth:
     Ihm liebt nicht mehr, Gesell, Dein Lied.
     Drum fort, daß er uns nicht ersieht!«

Geschwind hatt’ ich mich bei dieser Wechselrede, deren Sinn mir nur
allzuverständlich war, umgewandt; aber gar eilig befolgte das
ungleiche Paar den Rath des Kleinen, und nur noch einen kurzen
Augenblick sah ich die Beiden, wie sie sich mit Ungestüm durch die
Menge hindurch drängten, in der sie sogleich darauf verschwunden
waren. Da mußt’ ich bei mir lachen, daß hier Jemand vor mir die Flucht
gab, dem doch selber nichts mehr Noth that, als unbemerkt zu bleiben
und unerkannt. Und so gedacht’ ich hinfort fürsichtiger zu sein und
mich sorglicher unter dem Haufen verborgen zu halten.

Aber da geschah es, daß, mir zum Wenigsten ganz unerwartet, drüben um
die Gezelte eine Bewegung nicht kleine entstund und Diener in bunten
Röcken unterschiedlicher Farben, wie die Sitte ist bei solchen Festen
der Ritterschaft, hervorsprengten und mit Stäben, die sie in Händen
schwangen, die umherstehenden Leute zurücktrieben, daß vor uns der
ganze Platz frei würde. Wie nun von den also Bedrängten der Eine hier
und der Andre dahin lief, und ich, des Dinges ungewohnt, zuerst nicht
wußte, wohin ich mich wenden sollte und hernach öftermalen immer
wieder an einen Wärtel gerieth, der mich dann mit Schelten
zurücktrieb, so fiengen die Leute an über dies Spiel zu lachen, was
mich noch mehr verwirrte, so daß ich endlich gar nicht mehr durch die
Vordersten durchbrechen konnte und Allen sichtbar vorn unter den
Ersten stehen bleiben mußte.

Doch im nächsten Augenblick waren Aller Augen nur vor sich nach den
Zelten gerichtet, sich nichts entgehen zu lassen, was da vorgieng. Da
traten zuerst die zween Wappenherolde hervor, die ich schon unten im
Thale gesehen hatte, stellten sich an den Eingang des einen sonderlich
geschmückten Zeltes, richteten ihre Banner auf, setzten ihre Hörner an
den Mund und ließen die ertönen, daß es ringsum aus dem Wald und
trüben von den Bergen wiederhallte. Da ward Alles still, und heraus
traten aus demselben Gezelt der Bischof Gebhardus Spirensis, auf
dessen Ornat ein Kreuz mit Edelsteinen funkelte, das da an güldner
Kette ihm an der Brust befestigt war, und ihm zur Seite ein junger
Ritter, stolzen und strengen Aussehns, über dessen Schulter nach
fränkischem Schnitt an seidnen Schnüren ein Mantel hieng von Sammet
und köstlichem Zobel. Dieser Ritter, so hört’ ich, war Gebhard’s
Neffe, reich an Gütern und aus fürstlichem Hause; ihm hätte der Ohm
selber die Braut geworben, die jetzt gen Speyer geleitet würde, und
Wunder hörte man von dem Mahlschatz sagen, der ihr bestimmt wäre.

Während dem schritten die Beiden, die Herolde voran und in ihrem
Gefolge Herren und Junker und dem Zuge zur Seite Knechte mit
Hellebarden oder gezogenen Schwertern, einem gegenüber aufgeschlagenen
Zelte zu. Allda machten sie Halt und zween Edelknaben giengen hinein.
Alsbald stießen die beiden Herolde wiederum in ihre Hörner, daß es
laut erscholl. Da wurden die Zeltvorhänge zurückgeschlagen und heraus
ward die Braut geführt; ihr folgten Dienerinnen. O, ich erkannte sie
wohl und Den, der sie an der Hand führte, ob auch gleich, seitdem ich
sie zuletzt gesehen, eine große Veränderung mit ihr vorgegangen war!
Ihre Schönheit, däuchte mich, war strahlender geworden: nicht Dank der
Pracht, welche die Maid da trug; denn Wer mochte noch dem seidenen
Gewande mit den gestickten Borten, dem edlen Gesteine am purpurnen
Gürtel und dem sonstigen Geschmuck einen Blick gönnen, wenn er nur
einmal dies Angesicht geschaut hatte, das da vom Schleier umwallt
leuchtete, wie wenn Lilien und Rosen zusammenstehen. Sondern was nach
meinem Wähnen ihrer Schönheit zur Erhöhung diente, war, daß sie all’
der Zier, mit der man sie heute sah, nicht zu begehren noch zu
bedürfen schien, und daß sie auf die Herrlichkeit, die sie hier umgab,
kein größeres Aufmerken hinkehrte, wie mich däuchte, als damals auf
ihre einfache Tracht, in der ich sie in Elzeburg zu sehen gewohnt
gewesen war. Und dies eben schien mir als eine Veränderung in ihrer
Seele, daß sie an der gegenwärtigen Pracht keinen größeren Antheil
nahm, die doch, als ich wähnte, vor wenigen Wochen über den geringsten
Theil dieser Augenweide der kindlichen Freude viel gezeigt hätte.

Als die Maid hervortrat, neigte sich vor ihr Ritter Conrad mit
zierlichem Gruß, den sie mit Züchten erwiederte, wie sie auch mit
Ehrerbietung vor den Bischof trat. Da ward von allen Seiten ein
freundlich Grüßen gethan. Darnach trat der Bischof der Braut zur
Seite, sie zu geleiten, als der die größte Ehre an diesem Tage
gebührte, und zu ihrem Ohm Eberhard gesellte sich der Bräutigam.
Hernach folgten die Andern in ihrer Ordnung. So begaben sie sich
allsammt nach dem Sommerzelt, das am Nußbaum ausgespannt war, wo auf
den Sesseln Irmela in der Mitte und ihr zu beiden Seiten der Bischof
und der Graf sich niederließen. Hinter sie stellte sich Conrad und
sonst zween oder drei der Edelsten aus Gebhard’s Gefolge. Die Andern
alle, Ritter, Junker und Knechte, ordneten sich, ein Jeglicher, wie
ihm gebührte, diesen Herrschaften zur Rechten und zur Linken.

Wie ich das Alles betrachtete, wundert’ ich mich, wie wenig doch
Irmela, der zu Genieß dies Gepränge bereitet war, die Glückseligkeit
einer Braut sehen ließ; wie selten sie des Mannes achtete, der ihr zum
Gemahl erkoren war, und nur wenn er mit ihr redete; wie liebevoll
sorglich aber oft ihr Ohm sich zu ihr wendete und wie freundlich
jedesmal ihr Angesicht lächelte, wenn er’s that, als sollt’ er nicht
zweifeln, daß sie ganz glücklich wäre.

Nun gab der Bischof ein Zeichen, die Diener geboten dem Volke Stille
und einer der Herolde trat vor, verneigte sich gegen die Herrschaften
im Gezelte und rief dann, zum Volk gewandt, mit lauter Stimme
folgendermaßen:

»Nachdem es seiner bischöflichen Gnaden geliebt hat, ihren Neffen, den
trefflichen Ritter Conrad, von Gernstein zubenannnt, auf seiner
fröhlichen Brautfahrt hierher zu begleiten, haben Sie zu mehrerer Ehre
dieses Tages und zur Erhöhung werther Lustbarkeit nach alter Sitte
öffentliche Spiele halten wollen. Und weil denn die vieledle Braut«
(hierbei neigte der Herold sich gegen das Fräulein) »der preislichen
Singekunst sonderlich zugethan ist, lassen Seine bischöfliche Gnaden
zuvörderst Alle, die in der Singekunst etwas vermögen und sich deß
getrauen, hiermit zum Wettkampf entbieten, darin ihr Bestes zu
versuchen. Ein Kranz und silberner Becher ist der Preis. Die holde
Braut selber wird die Gabe darreichen Dem, den sie als Sieger
auserkennt.«

Darauf schwieg dieser Herold und trat zurück an seinen Ort. Da winkte
der Bischof einem Edelknaben, der hinter im stund. Der kam hervor, bog
vor Irmela das Knie und bot ihr in silbernem Gefäße, das er in Händen
trug, ein weißes Blatt und Griffel dar. Sie nahm Beides, reichte es
aber hinter sich dem Gernsteiner. Der besann sich nicht lange,
beschrieb das Papier und legt’ es wieder in die Schüssel. Nun gieng
der Knabe, nahm das Blatt heraus und übergab es dem andern Herold.
Nachdem dieser gethan, wie der erste, entfaltete er das Papier, erhub
seine Stimme und las, was da geschrieben stund:

»Woraus die Herzensliebe zumeist Gedeihn gewinnt!« Das ist’s, worauf
die Singer Antwort geben sollen, wer die beste findet. Wohlauf denn,
wer hoher Ehren begehrt! – Zum Sinnen ist eine kurze Frist
verstattet!«

Dies schien mir nun eine geschickte Zeit, mich von der Stelle hinweg
zu machen, auf der ich stund. Nicht allein des Bischofs wegen, wenn
ihn etwa die Lust ankäme, nach dem Klösterling zu fragen und mich vor
sich zu bescheiden, sondern ich scheute mich nicht weniger, in dieser
meiner Tracht von der Jungfrau Irmela erkannt zu werden; und nahe
genug war ich ihr da. Ich sucht’ also und fand, da nun eine
Zwischenzeit, bis sich das Wettsingen anheben sollte, gegeben war,
eine Gasse durch die Menge und war bald im Walde ihr entgangen. Aber
vom Schaun der Herrlichkeit wie von der Erwartung, was nun folgen
sollte, war mein Gemüth so erregt, daß es mir eine Pein schien, dem
Spiele fern zu bleiben. Auch war mir, ich wußte selber nicht warum,
Irmela’s Anblick hier im festlichen Glanz so leid wie lieb gewesen,
aber ein sehnendes Verlangen zwang mich zurück, sein ferner zu
genießen.

So hieng ich zwischen der Lust, mich wieder hinzukehren, und der
Sorge, durch meine Tracht in Beschwerniß zu gerathen. Da vernahm ich
von ferne den Schall der Hörner und den Ruf des Heroldes, daß das
Spiel begönne. Alsbald sucht’ ich mir einen sicheren Versteck unter
überhängendem Gestein. Daselbst legt’ ich meinen Klosterrock ab,
verbarg ihn wohl und kam in der Singertracht herfür, die ich mir in
Elzeburg zum Lohne verdient hatte.

Eilig kehrt’ ich nun zurück und mischte mich unter’s Volk wie vorhin,
nur daß ich so weit wie möglich von meinem ersten Standorte fern blieb
und mich weislich nicht unter die Vordersten drängte.

Schon hatte das Wettsingen seinen Anfang genommen und unter den
Zusehern, acht’ ich, merkte Keiner eifriger darauf, als ich. Wie viel
Singer vortraten, ihr Vermögen zu erproben, weiß ich nicht. Sie
zeigten Alle ihre beste Kunst. Auch der Lange, mein einstiger
Reisegesell, der mich mit in die Waibstädter Händel gebracht hatte,
kam, sich Kranz und Becher zu ersingen. Ich bückte mich, da er in den
Kreis trat, denn mir schien, als säh’ er sich sorglich um und schritte
nur zögernd hinzu; aber der Kurze hinter ihm, sah ich wohl, trieb ihn
vorwärts mit Ermunterung und Spott. Wohl durfte sich der Fiedler sehen
lassen, denn Frau Aventiure war ihm, nach seinem Kleid, das er jetzt
trug, zu urtheilen, hold gewesen, wenn er’s anders seiner Kunst
verdankte. Daß die nicht kleine war, ward auch am Spruch offenbar, den
er hören ließ. Lautes Lob erscholl, da er zu Ende war.

Derweilen saß Irmela, das Haupt ein wenig auf den linken Arm
stützend, und regte sich nicht. Ihre Augen waren gesenkt, und nur
selten ließ sie einen Blick über den Singer gehen, der vor ihr stund.
An dem Allen war zu spüren, wie aufmerksam sie auf das Gesungene
hörte, und wie sie nachsann über das, was ihr Ohr vernahm. Doch ihr
Eifer, Alles recht zu erfassen, schien mir kein anderer, als den sie
damals erzeigt hatte, da sie von mir die alten Mären vernahm, von
Sifrit, dem kühnen Recken. Sie hatte wohl Freude daran, aber Herz und
Sinn giengen ihr dahin nicht. Sie achtete auf die Kunst, die da
bewiesen ward; aber ihr Gemüth, schien es, war nicht vertraut mit dem,
was sie hörte. Daß sich das Fräulein also erzeigte, däuchte mich
verwunderlich und nicht so gethan, wie ich mir’s von einer jungen
Braut gedachte, die zu ihrem Trauten Herzenliebe trüge.

Nun wuchs aber auch mir unterm Hören der Eifer um die Sache, der sich
da die Singer beflissen. Sie gaben auf die Frage, so ihnen gestellt
war, unterschiedliche Antworten. Der Eine rühmte Ehre und tugendliche
Sitten, als wodurch der Liebe Gedeihn erwüchse; der Andere strich dazu
die Freude aus und hochgemuthes Leben; ein Dritter Herzensreinheit und
Treue falschesfreie; ein Vierter glückselige Schönheit und frohe
Jugend. Und zuletzt wandten sie immer ihren Spruch auf das Brautpaar
vor ihnen, als bei dem solche Gaben und Tugenden im Überschwang zu
finden wären, und ließen es ihm an keinem Lobe fehlen. Doch davon
schien sich Irmela nichts anzunehmen, nicht zwar aus Stolz, sondern
als wüßte sie nicht, warum sie solchen Ruhm sonderlich werth halten
sollte.

Da rief der Herold wieder, ob noch Einer da wäre, der sich des Singens
unterwinden wollte. Denn so Viele zuerst in den Ring getreten waren,
die hatten nun Alle das Ihre gethan und stunden seitwärts, des
Richterspruches harrend. Wie Alles stille blieb, geschah es, als ich
wahrnahm, zum ersten Male, daß Irmela ihre lichten Augen aufhub und
frei umschweifen ließ über die Menge.

Da schlug mir mein Herz hoch auf, denn mir war’s in dem Augenblick
nicht anders, als erwartete sie mich zu sehen. Und so that ich ohne
Wahl einen Schritt vorwärts. Wie diese meine Bewegung nun gerade auf
den Ruf des Herolds geschah und nach meiner Tracht die Leute mich wohl
für einen Singer halten konnten, der zu diesem Feste seinen besten
Schmuck angelegt, so wichen sie seitwärts und riefen den vorn
Stehenden zu, das Gleiche zu thun und mich durchzulassen. Da war auch
schon ein Diener zur Stelle und schuf mir Raum, mich in den Ring zu
geleiten.

Noch stund ich im Zweifel, was ich thun sollte. Aber als ich nach dem
Herrensitz hinblickte und sah, wie Irmela, das edle Kind, mit Freuden
mich gewahrte und mit stummem Gruße mir zu winken schien, da hätte
keine Scheu und kluge Fürsicht mich zurückgehalten; und nur heftiges
Sehnen überkam mich, ihr noch einmal nahe zu sein, wohl zum letzten
Mal, und mit der Kunst, durch die ich ihr werth geworden war und die
ich ihr verdankte, ihr zu gefallen und sie zu grüßen auf
Nimmerwiedersehn!

So beschloß ich denn, wohl darauf zu achten, daß ich mich nicht
verriethe, nahm all’ meinen Muth zusammen und schritt, dem Diener
nach, ziemlicher Weise in den Kreis. Vor der Laube angekommen, neigte
ich mich vor Allen und vor der Richterin in diesem Wettspiel
sonderlich. In ihrer Miene las ich freilich ein fragendes Staunen über
mein plötzliches Verschwinden und meine unerwartete Wiederkehr; aber
war da ein Zweifel, so ward er überglänzt vom freundlichen Willekomm,
das, wiewohl nur leise, mir ihr Auge sagte. Davon gewann mein
hochsteigendes Herz Vertrauen zu meiner Kunst, und wie ich schon zuvor
während dem Hören mein Sinnen auf die Frage gelenkt hatte, darauf im
Liede zu antworten war, so fügten sich jetzt Wort und Weise in meiner
Seele selbst zu einander.

Ich ließ mir von einem der Singer, die da gesungen hatten, eine Laute
reichen, griff in die Saiten und that ein kurzes Vorspiel. Darauf hub
ich an und sang also:

     Wo tief im Herzen Minne wohnt,
     Als Siegerin darinne thront,
     (Bedenkt es wohl, ihr zarten Kinde!)
     Da ist auch Leid ihr Ingesinde.
     Wahr ist’s, was man seit Alters spricht:
     Die Liebe läßt vom Leide nicht;
     Und doch ist Lieb’ des Leides Feind.
     Vernehmet nun, wie das gemeint!

     Die Rose kehrt ihr Angesicht
     Allzeit empor zum Sonnenlicht,
     Das macht sie also wonnig roth,
     Die Finsterniß brächt’ leiden Tod.
     Doch streckt sie unter feuchtes Moos
     Die Wurzeln rief in dunklen Schooß.
     Dich lacht sie an mit rothem Munde
     Und haftet doch im finstren Grunde,
     Aus dem ihr Kraft und Leben quillt:
     Das ist der Liebe Ebenbild!

     Es bringt das Leid der Liebe Pein,
     Doch ohne Leid kann Lieb’ nicht sein,
     Es liebt die Lieb’ Leid zum Gedeihn.
     Und wird vom Leid ihr Noth geschafft,
     Doch zieht sie Nahrung draus und Kraft.
     Drum, wer der Minne Flug will wagen,
     Der darf dem Leid sich nicht entschlagen;
     Denn will er’s auf das Leid nicht wagen,
     Muß er der Lieb’ auch sich entschlagen.
     Wer jemals diesen Weg gefahren,
     Lobt meinen Spruch gewiß als wahren.
     Ward er von Leid’ in Liebe wund,
     Werd’ er von Lieb’ in Leid’ gesund!

Als ich ausgesungen hatte und an den Gebärden Graf Eberhard’s, mit
denen er sich zu seiner Nichte hinüberneigte, wahrnahm, daß ich von
ihm auch wohl erkannt war, gedacht’ ich ungesäumt in die Menge zurück
zu fliehen und mich so davon zu machen. Ich hatte aber kaum die Laute
Dem wiederum gegeben, aus dessen Hand ich sie empfangen, und suchte
nun durch die Singer, die da stunden, hindurch zu kommen, nachdem ich
mich ziemlicher Maßen vor den Herrschaften verneigt: da geschah es,
daß allum ein Rufen sich erhub und männiglich mich bedeutete, daß ich
doch stille hielte; denn zur Stunde würde es verkündigt werden von
wegen des Preises, wer ihn davontragen sollte. Derweilen ertönten auch
schon die Drommeten der Herolde auf’s Neue und im Volk entstund eine
freudige Bewegung; Alle winkten mir, hinter mich zu blicken, und da
ich denn mich umsah, war einer der Knechte mir zur Seite und lud mich
ein, mit ihm zu gehen. Es nahm ihn Wunder, wie er sah, daß ich
zauderte, ihm zu folgen, und so ergriff er mich am Arme, daß er mich
zwänge, weil er nicht anders denken mochte, als daß ich mich aus
großer Blödigkeit also erzeigte. Da lachten die Leutlein, wie sie
vorhin über mich gelacht hatten, und Einer sagte, man sähe da eine
seltne Tugend, daß ein Meister der Kunst begehre, aber ihres Lohnes
nicht. Nun lachten sie noch mehr und hatten so ihre Kurzweil.

Da hub ich mein Haupt empor, und schritt, weil es so sein mußte, dem
Diener nach stracks vor mich, zurück in den Ring. Aber wie ich da das
theure Mägdlein ersah, freundlich mir winkend und mit dem Kranze mein
harrend, das wirrte mich nicht wenig, und ich fühlte die Röthe, die
mein Angesicht übergoß: die Ehre, die mir bereit war aus ihren Händen
vor allem Volk, höhete meinen Muth, aber sie drückte zugleich mich
nieder, als der ich ungedacht sie überkam, ich wußte nicht wie. So
schritt ich gesenkten Auges vor das edle Fräulein hin und bog da in
höfischer Zucht das Knie.

Wie sie mir den Kranz auf’s Haupt setzte, streifte von ungefähr ihre
Hand meine Stirn; da erzuckte mir von der leisen Berührung das Herz
und ich blickte auf zu ihr. Indem ließen Spielleute, die da hinter dem
Gesinde der Herren stunden, ihre Fiedeln und Lauten erklingen, und zum
Saitenspiel schallten Flöten und Cymbeln, daß es ein helles und
liebliches Getöne gab.

»Solche Ehre, Meister, dankt Ihr Eurer Kunst,« sagte Irmela, indem sie
sich über mich beugte.

»Nein, Herrin, Eurer Güte, so ist sie mir werther,« erwiedert’ ich,
und Niemand außer uns zween hörte, was da zwischen uns gesagt ward.

Nun trat ein Edelknecht mit dem Kleinode herzu, daß die Maid mich
damit begabte. Sie aber sprach zu mir: »Diesen Becher will ich Euch
zuvor credenzen, dann sollt Ihr ihn aus meiner Hand empfahn.«

Darauf erhuben sich die Herrschaften von ihren Sitzen, daß sie zu den
Tischen giengen und sich am Mahle erletzten, ehe die ferneren
Freudenspiele mit Stechen, Laufen und Tanzen angestellt würden. Ich
aber, als ich wieder aufrecht stund, wußte nicht, was ich erwählen
sollte: Die Klugheit rieth mir von hinnen zu weichen, aber Sinn und
Gemüth hielten mich fest an der Stelle. Da nickte auch der Herr
Gebhardus mir gnädigen Beifall, und ich sah, daß Graf Eberhard sich
anschickte, mit mir zu reden; aber weil just die Herren alle
aufbrachen und der Bischof sich zu ihm wandte, daß sie selbander
hinweggiengen, so ward der Graf von mir geschieden und dadurch mein
Herz ein Merkliches erleichtert; denn gewißlich wär’ ich seines
Forschens wenig froh worden.

Während man so sich aufmachte, schritt Irmela unterm Überdach der
Laube herfür an mich heran, grüßte mich und sprach: »So ist’s denn
doch also geschehen, wie ich sagte, da Ihr von Elzeburg schiedet,
Meister Diether, und Ihr habt uns mit Eurer Kunst gedient.«

»Ja, vieledle Jungfrau,« erwiedert’ ich, »und am hohen Freudenfeste
Euch zu Ehren, zu dem ich ungedacht gekommen bin.«

»Und nachdem Ihr von den Elzeburgern ungedacht entwichen seid,« sagte
sie hinwieder und lachte.

Da sah ich die Maid inniglich bittend an: »O lasset, warum ich’s that,
als eine Heimlichkeit meines Herzens verschlossen darinne bleiben, und
wenn ich heut für immer von Euch scheide, so glaubet, daß Euch in
Freuden und Glückseligkeit zu leben Diether ohne Unterlaß von Gott
erwünschet und dem ganzen himmlischen Heer.«

»Wohl,« sprach sie da, »so sei es darum und Ihr möget Eure
Heimlichkeit bewahren; ich will nicht arg von Euch denken, wiewohl sie
groß ist.«

Damit hielt sie mir mit Gütigkeit ihre Hand entgegen, daß ich sie an
den Spitzen der Finger erfaßte. Das geschah behende und mit Scheu,
aber mein Gemüth gewann davon eine Freudigkeit.

Doch da nahete der von Gernstein. »Man harret Euer«, sagt’ er zur
erkieseten Braut mit höfischer Gebärde, und führte Irmela den Tischen
zu; mich aber streifte sein Blick herrisch und unmuthig. Da merkt’
ich, daß er überstolzen Sinnes war. Aber die Maid an seiner Seite
schien deß nicht zu achten; sie kehrte im Gehen ihr Angesicht noch
einmal freundlich zu mir hin und sagte: »Gedenket des Bechers zeitig
genug und kommet, wenn wir zu Tische sitzen, daß ich ihn Euch
credenze.«

Damit giengen die Beiden hindann und mir schien’s, als wäre er
unmuthig, daß sie mir das Gespräch gegönnt hatte.

Nun erhub sich eine nicht kleine Bewegung um die Tische, wo die
Herrschaften das Mahl halten sollten, und unfern davon, wo den
Knechten die Bewirthung bereitet war. Auch das Volk zerstreute sich
hierhin und dorthin nach Gefallen, die Meisten, um sich zum Imbiß zu
lagern, den sie mit sich gebracht, oder der Verehrung nachzugehen, die
der Bischof in seiner Mildigkeit Jedermann spenden ließ, der ihrer
begehrte. So kamen auch Viele an mir vorüber, wiesen auf meinen Kranz
und preiseten mich öffentlich wegen meiner Kunst und des Lohnes, der
ihr geworden. Manche wunderten sich dabei, daß ich da also stille
stund, wie ein Verlassener, und meinten, mich hätte die Huld, die ich
genossen, allzu blöde gemacht.

Da gedacht’ ich daran, daß es hochnoth wäre, mich davon zu machen,
bevor mich Einer von vorhin wiedererkennte, der mich da im Klosterrock
gesehen hatte. Zudem trieb mich auch der Anblick der beiden Fahrenden
hinweg, die ich unweit gewahrte, wie sie mit Fleiß auf mich achteten,
als solche zwar, die darüber nicht von mir gesehen sein wollten.

Ich säumte also nicht länger und schritt in den Wald, wo ich das
wenigste Volk wahrnahm. Da wär’s gewißlich mir das Nöthigste und
Fördersamste gewesen, wenn ich sogleich den Versteck aufgesucht hätte,
in dem ich vorhin meinen langen Rock verborgen, hätte den angethan und
mich davon gemacht. Aber da ich am Waldessaum mich sicher wähnte und
unbeachtet, sah ich mich noch einmal um, ließ meinen Blick über all’
das bunte Gewimmel schweifen und lugte über die Zelte und nach den
Tischen hin, Irmela im Geist noch einmal zu grüßen. Da fühlt’ ich, daß
es mir schwer ward, von dem Allen Abschied zu nehmen, und wie ich doch
dieses Mal als ein Anderer in’s Kloster heimkehren würde, als der ich
von dannen gezogen war. So stund ich mit eifrigem Aufmerken der Augen
und doch in vielerlei Gedanken.

Da rief mir, eilend herankommend, ein Diener zu, und sagte dabei, wie
er mich am Gezelte vergeblich gesucht und eine Botschaft an mich
hätte. Ich trat herzu und fragte: »welche?«

»Von meinem gnädigen Herrn, Herrn Conrad von Gernstein«, erwiederte
er, »der Euch durch mich entbieten läßt, es sei nicht von Nöthen, daß
Ihr das ersungene Kleinod aus der Hand des Fräuleins emphahet, Ihr
möget es Euch von des Bischofs Kämmerer holen, zu dem ich Euch
geleiten soll. Auch wünscht mein Herr Euch nicht über Tische zu sehen,
sondern begehrt, daß Ihr Euch unverweilt von diesem Feste scheidet,
maßen es Euch schon genug des Genießes eingebracht habe. Auf daß Ihr
Euch aber anderswo desto baß gütlich thun könnet, läßt er Euch hier
einen Goldgulden reichen.« Damit hielt er mir das Geld dar.

Das kränkte mich, daß ich angesehen ward als Einer, der nur bloß auf
den Lohn sah, und der Ritter denken sollte, wenn ich nun gienge, ich
hätt’ ihm um sein Geld den Willen gethan. Darum sagt’ ich verächtlich:
»Behaltet Euren Gulden, und laßt Euren Herrn wissen, mir liegt am
Kleinod alleine nichts und an seinem Gelde noch minder! Und wenn ich
dahinten bleibe, daß er mich über Tisch nicht sieht, wohin das
Fräulein mich entboten hat, so bewegen mich andere treffliche
Ursachen.«

»Das Lob Eurer Kunst, fahrender Bruder«, sagte der Knecht spöttisch
wieder, »macht, daß Ihr Euch zu hoch vermeßt. – Besinnet Euch:
nehmt’s Geld, holt das Kleinod und geht!«

Darauf hielt er mir auf’s Neue seinen Goldgulden hin und lachte. Da
schwellte der Unmuth mein Herz, zumal ich sah, wie Leute herangekommen
waren und auf uns Acht hatten, und ich stieß das Geldstück aus seiner
Hand, also daß es zur Erde rollte.

Wie nun der Bote betroffen dastund, denn er hatte sich von mir deß
nicht versehen, so ward nun er den Umstehenden zum Gelächter und einer
von ihnen rief ihm zu: »Fahrt säuberlich, Freund, mit dem
Singemeister, denn er hat die Art nicht, als geliebt’ es ihm, mit Euch
zu scherzen!«

»Dafür trägt er den Kranz«, sagte ein Anderer, »der gibt ihm also
hohen Muth.«

Zu solchen Worten wollte des Gernsteiners Knecht auch nicht müßig
bleiben, sondern gedachte sein Botenbrot an mir wohl zu verdienen. Er
griff also nach einem dürren Stecken, der da nahe bei einem Baume lag,
sprang damit auf mich zu und indem er rief:

»Solch’ unartigen Knaben gebührt die Ruthe, sie bessere Zucht zu
lehren!« strich er mich, bevor ich mich wenden konnte, über den
Rücken. Da enthielt ich meinen Zorn nicht länger, drang auf den Mann
mit Ungestüm, eh er sich bedachte, und stürzte ihn mit Wucht zur Erde,
daß er stöhnend um Hilfe rief.

Er that es nicht vergebens, denn die Menge lief herzu, und darunter
war auch von den Gernsteiner und Speyerischen Knechten ein ziemlicher
Haufe. Wie die nun von ihrem beleidigten Gesellen die Ungebühr
vernommen hatten, die ihm von mir geschehen war, so wär’ ich gewißlich
ohne Aufenthalt in ihre Hände gerathen, und sänftiglich hätten sie mir
nicht mitgespielt, wenn da nicht gegen die Anstürmenden mir eine
unverhoffte Rettung gekommen wäre.

»Laßt Euch rathen und tastet uns den Singemeister nicht an!« so hört’
ich eine Stimme, die ich wohl kannte; und wie ich seitwärts blickte,
woher sie kam, sah ich Helmbolden und Andere mehr vom Elzeburger
Gesinde. Die brachen durch den umstehenden Haufen und drängten die, so
auf mich einwollten, von mir ab, also daß mich ihrer Keiner verletzen
durfte. Solches verdroß die Gernsteiner und ihre Genossen nicht wenig,
daß sie den Schimpf nicht strafen sollten, der ihrem Gesellen
widerfahren war, und sie bedroheten die Elzeburger laut, wenn sie
ihnen nicht Raum gäben, mich zu greifen. Die aber wollten auf sie
nicht hören, trutzten ihnen und sprachen mir zu: »Diether, fürcht’
Dich nit; denn wir gedenken Dir’s wohl, daß Du vormalen unsrer Sippe
gewesen bist.«

Und so waren sie als eine Mauer um mich herum.

Alsbald entstund zwischen diesen Knechten ein nicht kleiner Zank um
meinetwillen und ein feindliches Drängen hin und wieder, wie es die
Streitlust erhöht und Brauch ist, wenn es bald zum Hauen und Stechen
kommen soll.

Das war denn sonder Zweifel auch hier ganz nahe, und statt des
Freudenspiels, das sie halten sollten, waren sie dabei, sich hitzig zu
bestreiten. Aber wie der Lärm wuchs und der Haufe der Gaffer sich
mehrte, konnte das Getümmel um mich her auch dem Wahrnehmen der Herren
nicht entgehen. Vielleicht auch hatte einer aus dem Gesinde dem Ritter
von Gernstein Botschaft dessen gebracht, was sich zutrug. Denn just,
als die Knechte auf beiden Seiten das Beste thaten, sich kampflich
anzurennen und des Scheltens und Höhnens übergenug verführten: trat
Herr Conrad, dem etliche Ritter zur Seite giengen, eilend zwischen sie
und gebot ihnen mit drohender Stimme, von einander abzulassen. Er und
seine Begleiter hatten Mühe, die Hadernden auseinander zu bringen.
Aber sie durften auf die Länge den Herren nicht trutzen. Als nun der
ärgste Sturm sich gelegt hatte, ließ der Gernsteiner seine Leute
zornmuthig an und schwur theuer bei seiner ritterlichen Ehre, an ihnen
den Schimpf zu strafen, den sie da gegen das Gesinde seines werthen
Gastes verübten. Da trat der Bote vor, den der Ritter an mich
geschickt hatte, berichtete mit vielen beweglichen Worten, wie es ihm
ergangen wäre, wie unehrerbietig ich des Herrn Verehrung, die mir
zugedacht gewesen, verschmäht, den Überbringer mit Hohn gereizt und
zuletzt übel zu Boden gestreckt hätte. Nun schrieen die Andern wieder,
bloß mich hätten sie zu greifen begehrt, die ihrem Gesellen von mir
zugefügte Schmach gebührend zu rächen, und auch meine gegen ihren
Herrn bewiesene Hoffahrt zu strafen. Aber die Elzeburger hätten ihnen
ohn’ Ursach gewehret und den überdreisten Singer schutzweise umringt.
Da sah sich der Herr Conrad zornigen Blickes nach mir um und zugleich
auch, als wär’ es ihm eben recht, daß er so eine Sache wider mich
hätte, mich in Schmach zu bringen.

»Komm heraus da!« rief er mit gebietender Stimme mir zu, als er mich
erblickte.

Ich trat festen Schrittes vor und sah ihn gerad an, als ich vor ihm
stund. Seine linke Hand stützte er gegen seinen Schwertgriff, und mit
seiner rechten strich er gemächlich den Bart über seinen Lippen, die
er verächtlich zusammenzog.

»Das also ist der Meister Nirgenddaheim, den seine überzarte Kunst
durch Hoffahrt zum Narren gemacht hat!« sagt’ er spöttisch lachend.

»Herr!« sagt’ ich darauf, »Eure Jungfrau Braut hat den Narren mit
diesem Kranz geziert.«

Daß ich dergestalt vor ihm Irmela’s und ihrer Gütigkeit gegen mich
gedachte, trieb die hellen Zornflammen in des Stolzen Angesicht.

»So unwerther bist Du, Lotterbube, ihn zu tragen!« rief er voll Grimm
und schlug mit seinem Handschuh mir nach dem Haupte, daß der Kranz
herunterfiel und das Haar mir wirr um die Stirn wehte. Drauf streckt’
er seinen Arm aus und rief weiter: »Heb’ Dich hinweg, und ohne Säumen,
eh’ ich noch meinen Knechten gebiete, Dir den Rücken zu bläuen, wie
Du’s um Dein übermüthig Unterfangen verdient hast!«

Das war mir unerträglich, daß ich so vor Aller Augen von ihm wie ein
Ehrloser geschlagen sein und mit Schmach und Schimpf hinweggetrieben
werden sollte. Und so reckte ich mich hoch empor, sah ihn wild an und
rief ihm wüthend zu: »Wär’ ich bewehrt, Herr, wie Ihr: bei Gott, dem
Hohen! der Schlag sollt’ Euch gereuen, mit dem Ihr mich schlugt und
Ihr dürftet mir so nicht drohen!«

Da griff er nach seinem Schwerte, es zorneifrig wider mich zu zücken.
Als ich’s sah, erfaßte auch mich eine Wuth, daß mir Alles gleich galt,
nur nicht ungerochen zu bleiben an seinem Überstolz. Ich hub meinen
Arm hoch und drang auf ihn ein.

Wohl sah ich, wie er vor’m unerwarteten Angriff, der ihn bedrohte,
sich zurückbog und hastiger nach mir ausholte; aber das war ihm nicht
mehr von Nöthen. Denn schon fühlt’ ich mich aufgehalten und von den
Knechten gepackt, die herzugelaufen waren, den Frevel, der ihrem Herrn
bevorstund, zu hindern. So Viele umringten mich, und so sicher waren
ihre Griffe, daß wie ich auch mich wand, ich in keinerlei Weise aus
der Gewalt ihrer Fäuste mich lösen konnte.

»Bindet ihn«, befahl da der hart beleidigte Ritter, »und bewahrt ihn
wohl, den Gauch, der bereit war, sich an mir zu vergreifen; und im
tiefsten Kerker meiner Burg mög’ er verschmachten!« Ich wußte, daß
sein Haß gegen mich tödtlich war, und dennoch wollt’ ich ihn nicht um
Erbarmen bitten. Ich hätt’ es nicht gethan, auch wenn ich da den
grausamsten Tod an der Hand gehabt hätte.

Aber Gott verschaffte in dieser meiner höchsten Noth, daß eine
Fürbitte für mich laut ward, wie süßere mein Ohr nicht vernehmen
konnte. Denn an der Seite des Bischofs war Irmela herzugekommen und
hatte kaum den Jammer ersehen, in dem ich schwebte, als sie an den
Ritter sich wandte, und ich merkte wohl, wie sie bleich war und ihre
Stimme erbebte in mitleidiger Sorge um meinetwillen.

»Gilt Euch etwas meine Bitte, Herr Conrad«, sprach sie, »so begnadet
den Singer, wie schwer auch seine Fehle sein mag, mit der er Euch
erzürnet hat, und laßt ihn frei!«

»Ihr thut Eurer Ehre zu nahe, Werthe!« sprach er unwillig, »so Ihr die
Macht Eurer Fürbitte für einen Solchen einlegt. – Kommt! Laßt uns
nicht länger durch ihn das Fest gestört sein!«

Damit winkt’ er den Schergen, die mich hielten, daß sie mit mir thäten
nach seinem vorigen Befehle, und gab den Herren ringsum ein Zeichen,
mit ihm zur Lustbarkeit zurückzukehren, indem er sich zur Braut
gesellte, sie zu den Tischen zu geleiten. Die aber stund noch
unbeweglich: in ihrem Herzen bestritt die maidliche Scheu den
sehnlichen Wunsch, mir zu helfen. Aber wie sollte das geschehen? Noch
einen Augenblick, so war ich in Banden gefesselt und zu jammerhaftem
Ziel hinweggeführt.

Indem waren Andere bereit, meine Errettung aus des Gernsteiners Gewalt
zu Handen zu nehmen; wie wohl ihnen das übel und mir zu großem Leide
gerieth: nicht die Elzeburger, die noch da stunden; denn sie durften
Angesichts der Ritterschaft nicht wagen, sich für mich ferner
einzulegen. Aber die zween Fahrenden stürmten in Eile herzu und
verlegten dem Bischof, der sich eben zum Gehen anschickte, den Weg.

»Würdiger Herr!« riefen sie mit Hast, und so daß Einer des Andern
Rede ergänzte, wenn ihm darüber der Odem ausgieng, »Würdiger Herr! Ihr
dürft nicht leiden, daß Dieser weltlichem Gericht überantwortet werde
– Ihr dürft nicht! Der Singer ist nicht, wofür er das Ansehen hat.
Wir können’s mit Schriften darthun. Er gehört der heiligen Kirche zu
– ist dem Kloster zugesprochen – ist geistlich! Der Abt von
Maulbronn hat über ihn Gewalt!« –

Auf diese Worte entgieng mir aller Trost, meine Kraft verließ mich und
die Scham, daß ich so zu Schanden ward, schlug mich nieder. Alle
mußten es mir ansehen, daß es sich also hielte, was Jene von mir
bezeugten, und als der Herr Gebhardus sich zu mir wendete, mich zu
fragen, ob ich etwas vorzubringen wüßte wider der Beiden Zeugniß,
wagte ich nicht zu antworten, noch die Augen zu erheben. Nur, als ich
den Gernsteiner höhnisch sagen hörte: »Ein verlaufener Mönch, Irmela!«
zwang mich der Schmerz aufzusehen und ich erbebte, ob ich auch in
ihrem Angesicht nur Unwillen und Verdammung finden würde, oder ach!
nur ein wenig Mitleid untermischt. Doch als ich flehentlich zu ihr
hinüber blickte, kehrte sie sich von mir hinweg, und mit bitterem Weh’
im Herzen ließ ich meine Arme wieder sinken, die ich nach ihr erhoben
hatte, und die Sinne wollten mir vergehen vor kläglicher Kümmerniß.

Derweilen hub der Bischof an, mit großer Strenge Befehl zu geben, daß
ich, bis der Sache weiter gerathen wäre, unten in die Burg in
Gewahrsam gebracht würde; denn der Herr derselben war des Speyerischen
Bisthums Hintersasse. Das sollte ohne Säumen geschehen, damit das Fest
nicht länger Verzögerung erlitte; Tags darauf wollt’ er das Nöthige
vornehmen. Die Fahrenden hieß er zu fernerer Bekundung zur Stelle
bleiben.

Als der Bischof Solches über mich verfügt hatte, begab er sich mit den
Übrigen von der Ritterschaft, die um ihn waren, hinweg, und auch der
Troß und die Menge verlief sich allgemachsam; aber Wunders hatten sie
genug über das, was sich mit mir zugetragen.

So ward ich denn als Gefangener des Bischofs von dannen geführt, ein
kläglicher Mann. Die Leute, so uns auf unserem Wege begegneten,
blieben stehen und beklagten meine Jugend; sie mußten denken, ich wär’
als Schächer ergriffen und würde zur Richtstatt geschleppt; denn
gewißlich so war mein Aussehen. Mich reute zu leben, und die Welt vor
mir war verwandelt. Die Läuber des Waldes erschreckten mich mit ihrem
Rauschen, der Himmel über mir hieng wie ein härener Sack, und als wir
in’s Thal hinabkamen, dessen lieblich Bild sich so licht meiner Seele
eingeprägt hatte, lag es vor meinen Blicken wie überdeckt mit einem
schwarzen Schleier.

Im Dorf, als wir hindurchgiengen, that sich manches Fenster auf, und
Männer und Frauen lugten nach mir aus; sie fragten wohl auch nach
meiner Missethat, welche das wäre. Da sagten meine Schergen, um
Übermuths willen und Frevels gegen den heiligen Stand wär’ ich
gefangen auf des Bischofs Geheiß; »So gnad’ ihn Gott«, hört’ ich dann,
»nun ist ihm das Pochen und die weltliche Lust vergangen.« Kinder, die
auf der Straße spielten, wichen vor mir scheu hinweg und liefen zur
Seite hin zu ihren Müttern, die auf ihren Armen die kleineren trugen.
Sie huben sie wohl dann in die Höhe, daß sie mich besser ersehen
möchten, und wiesen auf mich und mahnten ihre Kinder, nicht auch bös
zu werden, auf daß es ihnen nicht widerführe wie mir.

Dies Alles sah und hört’ ich, ob ich gleich meine Blicke tief zur Erde
senkte und meine Ohren vor Allem, was um mich her vorgieng, in dieser
martervollen Stunde zu verschließen trachtete. Denn des Menschen Herz,
wenn es recht unselig ist und ganz trostlos, hat die Art an sich, auch
wider Willen für seinen Jammer Nahrung zu suchen, sich um so mehr zu
kränken und zu betrüben.

Wir waren zur Wegscheide gekommen, wo der Anstieg zur Burg hinauf sich
abzweigt. Festlich flatterte von des Thurmes Zinne zu Ehren der
Fröhlichkeit des Tages das Speyerische und des Burgvoigts Banner. Mich
sahen sie an, wie Fahnen, die in der Krypte um eine Tumba traurig
wehen, und schaudernd lenkte ich meinen Blick hinweg und folgte mit
Seufzen meinen Führern den steilen Pfad hinan. Wir waren nur erst eine
kleine Strecke zur Höhe gedrungen, als ich hinter mir vom Wege her
mich laut mit Namen rufen hörte.

Ich wandte mich, und: »Brun! ach, Brun!« – mehr konnt’ ich vor
inniglichem Leide nicht sprechen.

Er aber stund an seiner Stelle als Einer, der sich über meinen Anblick
schier entsetzte; seine Brust keuchte und seine Stimme war gedämpft,
wie unter der Last tiefen Grams.

»Also muß ich’s doch mit diesen meinen alten Augen sehen, was mich so
manchmal im Traum erschreckt hat, und was abzuwenden ich zu Gottes
Gnade in allen meinen Gebeten für Dich gefleht? Diether, Diether –
was hast Du gethan? Welch’ Herzeleid schaffst Du mir?! Ach, ich soll
nicht Frieden finden – nimmer – nimmer!«

Seine Klagen jammerten meine Schergen, und einer von ihnen hub an und
erzählte, wie es mit mir ergangen wäre; wie ich oben beim Feste vor
allem Volk das Beste im Singen vermocht, wofür mir das Fräulein den
ausgesetzten Preis zuerkannt hätte; darnach wär’ ich in Händel
gerathen, zuerst mit dem Troß der Herren, sodann hätt’ ich des
Bischofs Neffen zum Zorn gegen mich gereizt, bis es von Ungefähr an
Tag gekommen wäre, daß ich dem Kloster entronnen; so hätte der Bischof
geboten, mich gefangen hinwegzuführen, daß nachfolgends mir mein Recht
geschähe.

Auf diese Worte meint’ ich, Brun würde mit harter Scheltung mich
strafen, wie ich das reichlich von ihm verdiente; aber er that davon
nichts, sondern das Leid, darin ich stak, nahm er auf, als trüg’ auch
er daran einen Theil der Schuld. »O, ich konnt’s denken, konnt’s
denken!« murmelte er etliche Male und strich sich mit seiner Hand in
tiefem Sinnen die Stirn.

Dann rafft’ er sich auf und fragte, ob es ihm verstattet wäre, noch
einmal mich zu umfahen; und als sie ihn beschieden: Ja, das dürfte
geschehen! so stieg er hinan uns nahe, und mich ließen sie los, daß
ich ihm entgegen schreiten konnte. Da umfieng er mich mit seinen Armen
ganz liebreich, und ich konnte die meinen nicht um ihn schlingen (denn
sie waren mir rücklings gebunden) und hätt’ es doch so gern gethan,
ach! nur einen Augenblick: ich Verstoßener!

Er aber sprach: »Diether, ich gedachte, Du solltest vor diesen
Versuchungen bewahrt bleiben; ich sah, daß sie Dir drohten. Nun
erkenn’ ich: es sollte nicht sein, daß es nach meinem Dünken angienge.
– Heute war ich in der Abtei, Dich heimzusuchen; man sagte, Du wärest
haußen und daß ich Deiner harren sollte. Aber mich trieb’s hinweg, und
die Sage der Leute von dem Feste hier lenkte mich her. – Jetzt kommen
Rath und Warnung zu spät. Gott gnade uns nach Seiner Langmüthigkeit
und Geduld! Diether, fahr wohl! Du siehst mich am frohen Tage wieder
oder auf Erden nimmer mehr!«

Als er darauf mich küßte, fühlt’ ich eine Zähre aus seinem Auge auf
meiner Wange; sie hieng da noch, als er schon hinab war und, ohne sich
noch einmal umzukehren nach mir, eilig durch das Dorf fürder schritt.
Oft hab’ ich später Gott dem Hohen gedankt um diese Zähre, daß ich sie
nicht hinwegwischen konnte mit meinen gebundenen Händen (vielleicht
hätt’ ich’s sonst gethan) und also nur die Luft des Himmels ihn
berühren durfte – den gebenedeiten Tropfen, das schmerzlich köstliche
Vermächtniß. –



Achtes Capitel.

In Haft.


Droben in der Burg über dem düstren Eingangsthore war die
Pförtnerswohnung. Ich erfuhr’s, noch ehe wir unter den gewölbten Bogen
schritten. Denn wiewohl die Thorflügel offen stunden, hielten wir doch
vor ihnen mit Gehen still, und einer der Leute, so mich gefangen
führten, rief zum kleinen Fenster in der tiefen Mauer hinauf. Auf
seinen Ruf lugte alsbald ein Weib hernieder, so alt und greise, daß
man’s schier nicht erdenken konnte, sie möchte je jung und glatt
ausgesehen haben; die fragte mit keifernder Stimme, was man schon
wieder begehrte, das Thor wäre ja offen und Keiner gehindert, hindurch
zu gehen; ob denn sie allein heute, da Alle ihre Ergötzung hätten, der
Ruhe entbehren sollte und nicht ein Wenig stille sitzen.

»Wir kommen ja nicht allein, Mutter!« sagte der Knecht wieder,
»begehren auch nicht Eures Dienstes für uns. Wir bringen Euch einen
Gefangenen, den Ihr mit allem Fleiß hüten sollt, wie unser gnädiger
Herr Euch scharf einbindet; denn der Bischof Gebhard selber hat ihn
hieher verordnet.«

»So gnade mir Gott und der heiligen Nothhelfer ganzer Hauf’, als ich
da nicht unterscheiden kann, ob ein Fremder unter Euch ist. – Ich
hör’ das Mäuslein rascheln im Thurm, aber meine Augen sind trüb.«

Nach diesen Worten verschwand sie und eines alten Mannes Gesicht ward
an ihrer Stelle gesehen. Das war nicht minder welk und greis als das
ihrige und verwittert, wie das Gemäuer, aus dem es hervorlugte.

»So bringt ihn herauf!« sagte der Alte mürrisch, nachdem er einen
Blick nach mir gethan, und zog dann seinen Kopf wieder zurück.

Eine hölzerne Stiege außen an der Mauer führte in die Wohnung der
Leute. Als wir durch das Thor geschritten waren und ich oben auf der
Stiege ankam, stund die Alte schon in der geöffneten Thür.

»So jung, so jung und schmuck dazu!« sagte sie, indem sie mir
hereinwinkte und mit ihrem Gesichte mich ganz nahe musterte; dann zu
den Knechten gekehrt: »Ja, die Augen wollen nicht mehr, aber die Ohren
sind scharf; doch mit meinem tauben Alten zusammen, der sieht wie ein
Luchs: das thut’s.« Zu diesen Worten verzog sie ihren zahnlosen Mund
zum Lachen.

Indem hatte der Alte mit Mühe eine schmale Thür aufgeriegelt, die auf
mehreren Stufen aus dem Gemach der Alten in einen dunklen Gang führte.
Wirklich mußt’ es wohl wahr sein, was das Weib von ihres Mannes
scharfem Gesicht gerühmt hatte; denn selbiger gieng, nachdem ich
geheißen war ihm zu folgen, so sicher seinen Weg da hindurch, daß ich,
der ich mit meinen Füßen tastete, hinter ihm verzog. Nun schloß er mir
eine zweite Thür auf und öffnete den Raum, der mir zur Haft bestimmt
war. Die Alte brachte mir Brot und Wasser, und dann giengen die
Beiden, ohne ferner mit mir ein Wort zu reden, und schlossen die Thür
hinter sich.

So war ich allein und von aller Welt abgeschieden; selber das kleine
Stücklein Himmel, von dem durch die schmale Maueröffnung dürftiges
Licht hereindringen sollte, war durch häufige Spinnweben zwischen den
Eisenstangen mir so verdeckt, daß er grau schien und trübe.

In dieser Einöde brach mein Schmerz, der so lange stumm gewesen war,
mit aller Macht hervor, und ich wehrte ihm nicht. Ich hub bitterlich
an zu weinen und zu klagen, nannte mich unselig und den Elendesten
unter allen Menschen. Mein waglicher Sinn und mein froher Muth waren
nun gänzlich niedergelegt und gar hin, dagegen Seel’ und Leib lauter
Zagheit und Blödigkeit.

Ja, ich war in schwere Sünde und Untugend gerathen und darinnen
verharret beinahe vom ersten Tage meiner Fahrt aus dem Kloster bis
hierher. Ich war mit Lug und Trug umgegangen und dessen gewohnet
worden in Elzeburg, ich hatte meine Lust daran gehabt auch hernach und
damals belacht, was ich jetzt so kläglich beweinen mußte. Dazu waren
Hoffahrt gekommen und eitler Stolz auf meinen Witz und die Kunst, von
der ich nie hätte erfahren sollen, daß ich sie besäße. – Ach, und
nicht allein mich, sondern alle die, so mir zumeist Gutes gönnten,
denen ich dienen sollte und zur Freude helfen nach Pflicht und allem
Vermögen, hatt’ ich bitter gekränkt und in Leid gebracht; mußte nicht
Irmela irre an mir geworden sein und Brun mich verachten und der Abt,
dessen Vertrauen ich so grob getäuscht hatte?

»Wie wird mir’s im Convent ergehen, wenn da meine Missethat auskommen
wird«, rief ich, »wie wird Albrecht’s strenger Eifer für die Ehre der
Abtei mich treffen, der ich den Namen des Klosters in allen frommen
Ohren stinkend gemacht habe?« Und dann trat vor mich der Gedanke an
all’ die Schmach, an Spott und Schande, die mein warteten; an ödes,
dumpfes Gefängniß, an Geißel, Kasteiung und Einsamkeit. Dem gegenüber
stellte sich wieder die Erinnerung an das bunte Leben der sonnigen
Welt, das mich so fröhlich angelacht hatte, und der Wunsch, nach ihren
Ehren zu trachten, und Irmela’s süßes Bild. Da gedacht’ ich auch, daß
der Abt selber mich auf den Weg gedrängt hätte, wo sich diese Welt mir
aufgethan, daß sie mich nach Elzeburg gezwungen hatten und die erste
List mir nothweise aufgedrungen war.

War’s nicht doch ungerecht, daß ich nun so hart dafür büßen und darum
in Schande und Strafe kommen sollte, um was draußen mir Lohn und Lob
gewiß war! Und ich dachte des seligen Augenblickes, da ich vor Irmela
kniete und den Kranz empfieng; ich dachte auch der Huld, mit der sie
für mich bat, und ihrer Traurigkeit zuletzt, da sie es nicht mehr
konnte.

»O, daß ich sie noch einmal bitten könnte, mir nicht zu hart zu
zürnen, daß ich ein Wort nur der Vergebung aus ihrem Munde vernähme!«

Aber meine Seufzer hallten von den dumpfen Mauern wieder, die mich
umschlossen, und mir blieb nichts, als mit meinem Jammer wider mich
selbst zu wüthen in unmächtigen Klagen.

O, der Seele, die in Nöthen schwebt, wird schlecht gelohnt, so sie
sich in Zweifel verfängt und nicht vermag, sich stracks zu Gott zu
kehren.

So wünscht’ auch ich, daß ich nie geboren wäre und zu solchem Unglück
gespart; ich that des kläglichen Jammers immer mehr und des Scheltens
und Anklagens, bis ich nicht mehr konnte und schweigend niedersaß auf
die bloße Erde, mit beiden Händen mein Gesicht überdeckend.

Wie lange ich so saß regungslos, weiß ich nicht; aber allgemach
wurden meine Klagen stiller und meine Traurigkeit sanfter. Vor meinen
verschlossenen Augen verschwand der trübselige Ort, der mich gefangen
hielt, und meiner Seele wuchsen Flügel, die sie hinaustrugen zurück
in’s helle Sonnenlicht, in die freie Welt. Ich sah mich wieder auf der
Höhe, und die Festfreude umgab mich. Irmela’s lichte Augen sah ich,
wie sie aufblickten und ich nicht widerstehen konnte, weil’s mir war,
als suchten sie mich; vor sie trat ich, zu singen, was mein Herz mir
eingab, und wunderte mich, daß ich dazu die Kühnheit gewann und wußte
doch, sie zu erfreuen, hätt’ ich Alles gewagt. Und nun tönte der Klang
ihrer süßen Stimme wieder mir in den Ohren und sie beugte sich
hernieder, mich mit dem Kranz zu zieren, und grüßte mich mit gütigem
Wort. Daß ich davon hohen Muth empfieng, warum verdachten sie mir das?
Durft’ ich den Unglimpf nicht rächen, den sie mir zufügten; durft’ ich
ihnen nicht zeigen, daß ich ein Vermögen in mir fühlte, und mich nicht
verachten ließ; hatte sie mich doch nach allen Ehren belohnt!
– Gewißlich, wenn ich ihr noch einmal nahen, wenn ich ihr offenbaren
könnte, wie Alles sich mit mir begeben hatte: sie würde mir nicht
länger zürnen, sie würde mit Trost mich aufrichten, sie würde mir, was
ich gethan, zur Unehre nicht anrechnen. Dann dürfte mich Niemand
verachten – nein, auch jetzt nicht.

Jetzt?! Wo war ich denn? Gefangen gelegt, frevlen Truges überwiesen;
und alles Trachten und Wähnen, das mich hinauszog: es war nichts
Anderes, als eitles Träumen, vergebliches, ja verbotenes Wünschen!

Ich sprang auf und sah mich um.

Aus der Dämmerung, die hier schon sich verbreitet hatte, starrten die
geschwärzten Wände fremd und schweigend mich an. Die Erinnerung an den
sich neigenden Tag und die Erwartung der Nacht, die kommen würde, öde,
traurig, lichtlos, erneuerte in mir das Gefühl meines Elends. Es war
mir schier, als könnt’ ich’s nicht ferner ertragen, so eingesperrt zu
sein und einsam den Übeln entgegen zu harren, die mir bevorstunden.
Der thörichte Gedanke, als wär’ mir ein Entrinnen möglich, ergriff
mich. Ich eilte nach der Thür, stemmte mich gegen die Riegel, hub an
den Angeln, rüttelte an den Pfosten; ich lief immer wieder die Wände
entlang, tastete herum, pochte an’s Gestein aus aller Macht, ob etwan
ein verborgener Ausgang zu finden wäre, und ich stund stille mit
tiefem Seufzer, als ich erfunden hatte, wie Alles vergeblich war. Mit
sehnendem Verlangen blickt’ ich hinauf zur Öffnung. Nur ein Wölklein
wünscht’ ich zu sehen, vorüberschwimmend, wohin der Wind es trieb,
oder eine Schwalbe im Husch durch die Luft streichend: aber da hieng
düster der Vorhang der staubigen Spinnweben und bewegte sich nur etwa
von einem armen Schmetterlinge, der in den Fäden gefangen war und sich
nun zu Tode flatterte.

»Wenn nur zum wenigsten diese große Stille nicht wäre, die mit der
Dämmerung zu wachsen schien; wenn ich nur einen Laut vernähme, nur
einen! Den Hall einer menschlichen Stimme unten vom Thal her oder den
Ruf eines Vogels aus den Lüften!« Ich lauschte, aber ich hörte nichts.
Ich erhub selber meine Stimme, aber der Wiederhall von diesen Wänden
klang hohl und erschreckte mich.

Da drückte ich mich in eine Ecke, als könnt’ ich mich so vor den
Schrecknissen bergen, die mich umgaben näher – näher, und versank in
dumpfes Brüten. Bald hieng ich zwischen Wachen und Schlafen und merkte
nicht auf die Zeit, wie sie hinschlich, nur daß es immer dunkler um
mich her ward, und endlich ganz finster. Dennoch ließ ich nicht ab,
meine Augen weit aufzuthun, ob ich gleich wußte, es diente zu nichts,
und entriß mich der Müdigkeit, um mit allem Fleiß zu horchen: –
vergeblich – vergeblich! –

Aber nein! Das war ein Geräusch wie von einem zurückgeschobenen
Riegel, wie von einer in ihren Angeln erknarrenden Pforte. Jetzt
wurden Schritte hörbar, nur leise, aber sie kamen näher; jetzt machte
sich Einer am Schloß der Gefängnißthür zu schaffen, dann ward ein
Schlüssel darin umgedreht – ein Lichtschein ward sichtbar – die Thür
that sich auf.

     »Pst, Junker Diether, lebt Ihr noch?«

hört’ ich eine Stimme, die im Flüsterton zu bleiben trachtete und
doch laut genug schnarrte; ein runder Krauskopf streckte sich durch
die geöffnete Thür und eine kurze Gestalt schob sich ihm nach und ließ
den schwachen Schein der Leuchte in ihrer Hand im Gefängniß
umherwandern.

     »Hu, was ein ödes Jammerloch!«

sagte der Kurze dabei und verzog seinen breiten Mund.

Ich konnte mich nicht genug verwundern über das Alles, daß ich vor
Staunen schier wie angewurzelt war und meinen unerwarteten Gast nur
anstarrte. Endlich traf mich der Schein seines Windlichts. Da setzte
er es zur Erde, machte etliche Schritte mir entgegen und kratzte mit
seinem rechten Fuß hinten aus, indem er, seinen Hut schwenkend, sich
tief vor mir verneigte.

     »Euer Knecht in aller Willigkeit,
     Zu jedem Dienst allzeit bereit,«

sprach er und legte die freie Hand auf seine Brust, seine
Ehrerbietigkeit noch deutlicher zu bezeugen.

»Ei, ei!« sagt’ er dann wieder und wies auf den Platz, den ich inne
hatte:

     »Wie hat man doch hienacht
     Die Ruhstätt’ übel Euch gemacht!

Ach, ja! und ’nem Junker! – ’s ist ’ne Schand! – Das will ein Bischof
sein und eines Bischofs Voigt?! ’s ist ’ne Schand’ für die ganze
christliche Ritterschaft!« – Er sah wieder verächtlich sich um. »So
ein Otternloch! So eine Löwengrube!! Es vergeht einem schier das
Reimen, wenn man Euch da sieht, ob sich’s gleich mit der »Ecken«, drin
Ihr hockt, und »Verstecken« so leicht thun ließe!«

Ich richtete mich auf, ihm näher zu kommen; da wich er einen Schritt
hinter sich, neigte sein Haupt zur Seite und hub an mit seinen kleinen
Augen mich von Kopf zu Füßen zu messen und hinwieder, indem er dabei
eine seiner Hände über die Stirn legte.

»Ah«, rief er dabei, »so ein stattlicher Junker, schlank und gerade
– so fest im Gang, so zierlich in den Hüften, so breit in den
Schultern, so stolzen Hauptes!« Und er schnalzte mit seinen dicken
Lippen. »Ho, ho! So wahr ich Klingsohr heiße: Ihr werdet ein wackerer
Ritter und bald noch andere Kränzlein davon tragen, die Euch kein
Gernsteiner herunterreißen soll – ein Prahler, Junker! nichts weiter
– ah! und schöne Frauen und edle (dabei blinzelte er mich an und
schlug sich vergnügt auf die feiste Lende) – schöne und edle Frauen
werden Euch die Kränzlein aufsetzen, vor welchen immer es Euch geliebt
hohe Ehren zu erjagen.«

Ich achtete seines Geschwätzes nicht, darin ich keinen Sinn erfand,
auch nicht eines Haares breit, und fragte nur, immer noch des Wunderns
voll, wie er hier hereingekommen wäre.

»Rathet, Junker!« gab er zur Antwort. »Wem dank’ ich’s wohl? – Daß
Ihr’s wißt: meiner Kunst, der Magie, der weißen oder schwarzen,
gleichviel!

     Sie füllt Topf und Tiegel,

das wißt Ihr schon,

     Aber sie sprengt Schloß und Riegel,

das erfahrt Ihr jetzt. – Mein Gesell, der Tannhäuser – er versteht
sein’ Sach’ ausbündig, nicht? – der hätt’ sich hierhinein und durch
die Thüren nicht gefiedelt und nicht gesungen, beharrt’ er gleich bei
seiner Musica bis zum jüngsten Tage. Aber die Magie ist in solchem
Handel, wie der Eurige, eine wundertreffliche Kunst, wer ihrer wohl
kann. Seht, Junker, wir machten uns an die beiden Alten im Stüblein
überm Thor. Nu, man wird gewitzigt und lernt, wie das anzufangen! ’S
war just nicht leicht, Junker! Denn die magische Kunst, die bei dem
Alten taugte, ihm die Augen zufallen zu machen, verfieng bei seiner
Hex nichts mit dem scharfen Gehör, und so hinwieder.

Und so war verschiedentliche Arzeneiung vonnöthen; aber wir machten
die Symptomata bald ausfindig, wie die Medici sagen.

Wisset, Meister, – nein, Junker Diether: es gibt eine _materia_, die
schlägt Euch in der Welt bei den Menschen allermeist sicher an, ihre
Complexiones und Humores mögen sein, welche sie wollen. Ihr braucht
sie ihnen nur von Ferne zu weisen, so fäht sie allbereits zu wirken
an. Das Gold ist diese Materie, _aurum_ nach lateinischer Zunge; aber
wir Magi nennen sie die _essentia quinta_: denn es ist der Vorsprung und
Ausbund aller Elemente. – Gut! damit versucht’ ich’s nach _regula
artis_ bei der Alten; ich sagt’ ihr vom Alrunmännlein, wie man von dem
täglich einen Ducaten bekäme. – Ah! der Köder lockte den Vogel, und
sie fragte, wie das anzugreifen wäre, daß man sich den Unhold zu Wege
brächte. Ich gab ihr Bescheid: »Ja, die Johanniszeit wär’ wohl
geschickt dazu, ein Würzlein zu gewinnen, das kräftig wäre, und von
Ungefähr hätt’ ich wohl drüben auf dem Berge um den Galgen herum eines
gesehen, das aus dem Blut eines mit dem Rade gebrochenen Schächers
gewachsen sein möchte: aber solch’ ein Fäntlein draus zu bereiten, das
Tugend hätte, kostete nicht bloß Kunst, sondern auch Eifer und
Unverzagtheit. – Kurz, Junker, um weidlichen Lohn und auf ihren Eid,
daß sie Nichts von der Heimlichkeit ausbrächte, verstunden wir uns
dazu, der Alten den Willen zu thun. Sie steht jetzt unterm Galgen, gen
Mitternacht gekehrt, darf kein Wort sprechen, noch sich umkehren,
dieweil mein Gesell hinter ihr hantiert mit Spruch und Beschwörung um
die Alrune.

Ich aber bin droben geblieben im Stüblein; denn ich mußte doch die
Salben bereiten, das Galgenmännlein damit einzureiben, wenn sie’s heim
brächten. Aus dem Weinkrug, den sie mir gefüllt zurückließ, als sie
gieng, hab’ ich auch dem Alten eingeschenkt, dem die geizige Hex das
Naß gar selten gönnet, so theuer er es liebt. Er ist davon bald
eingeschlafen und, wie es sich ansieht, fest und lange, wozu etlicher
Maßen das Pülverlein geholfen haben mag, das ich ihm in den Trunk
geschüttet. – So hab’ ich denn gedacht, bis die Alte heimkommt, daß
wir ihr die Wurzel feien, könnt’ ich eben so gut die Schlüssel
brauchen, die da drinnen ob dem Alten an der Wand hiengen, und Euch
heimsuchen, Junker Diether, dessen Herberge ich mir von Eurem Wirth
zufallens hatte sagen lassen.«

Darauf lupfte er wieder seinen Hut, neigte sich und sprach:

     »So wißt Ihr nun das Wo, und wie
     Ich kommen bin zu Euch allhie:
     Durch meine Kunst, durch die Magie.«

Dazu rieb er sich vergnüglich die Hände. »Doch nun hebt wieder an,
Junker!« sagt’ er dann und drehte die Daumen um einander.

»Womit soll ich wieder anheben?« fragt’ ich ihn.

»Ach, Junker, besinnt Euch!« und er wiegte sein Haupt langsam hin und
wieder.

»Was meinet Ihr?« fragt’ ich wiederum.

»Junker, Junker!!« Weiter erwiedert’ er nichts, indem er beide Hände,
die Finger ausgespreizt und ihren Rücken mir zugekehrt, langsam in die
Höhe hub.

»Was nennt Ihr mich immer Junker?« rief ich ärgerlich, da er die Worte
sonderbarlich in die Länge zog.

Auf diese Frage wurde er überlustig, sprang mit Lachen hin und her und
sagte dabei: »Nu, habt Ihr’s endlich gefunden?! Just die Frage ist’s,
die ich von Euch hören wollte; just sie. O, was seid Ihr wunderlich!
Laßt Euch an sogethane Frage lang’ erinnern, und sie war doch so
leicht zu stellen. – Warum nenn’ ich Euch Junker?« Dabei stellt’ er
sich wichtig vor mich hin und stemmte die Hände gegen seine Hüften:
»Ja, freilich! Das ist’s! Das ist das _punctum saliens_, wie es die
Grammatici heißen, nicht? – So gebt wohl Acht, daß Ihr wohl höret,
was Ihr wissen wollt! Aber zuvor harret noch einen Augenblick!«

Bei diesen Worten gieng er hin, wo das Windlicht von ihm hingestellt
war, und rückte es so, daß ich wieder ganz in seinem Scheine stund.

»Also, warum ich Euch Junker nenne? Das ist die Frage; sie ist klar
und weislich; und das ist die Antwort, nicht minder klar und
gewißlich: Weil Ihr’s seid, weil Ihr eben dies seid und gar nichts
anderes, als ein Junker; ein ehrlicher, ein wohlgeschaffener, adeliger
Junker, wie nur irgend einer in der Christenheit zu finden ist vom
Aufgang bis zum Niedergang. – He, nun? Was dünkt Euch davon?! Gewiß,
Ihr denket: Was ist’s? Klingsohr ist ein Gauch, ihm darf man nicht
trauen, er leugt daran! – Denket Ihr nicht also, Herr? – Thut’s
immerhin, aber zuvor hört mich an!«

Darauf erzählt’ er in seiner Weise, die Worte nicht sparend und sie
hastig hervorsprudelnd, wie, nachdem ich abgeführt worden wäre, er und
sein Geselle hätten dem Bischof Rede stehen müssen über mich, was sie
von meiner Person und von meinem Stande wüßten. Darnach hätten sich
die Herrschaften zu Tische gesetzt, die Mahlzeit zu halten; dabei wäre
Herr Conrad sehr aufgeräumt gewesen, aber seine verlobte Braut desto
nachdenklicher und stiller. Als man nun da kaum zu tafeln angefangen,
wäre ein alter Mann mit langem, greisen Barte, des Aussehens und
angethan wie ein Siedler oder Waldbruder, herzugestürmt und hätte mit
hochbeweglichen Worten den Bischof angerufen, den gefangenen Jüngling
frei zu geben, maßen der dem Kloster nicht fürder angehören dürfte.
Denn Diether wäre adeligen Stammes, von hochberühmtem Geschlecht, wie
er selber. Der Jüngling wäre sein Sohn. Das wolle er nach aller Gebühr
darthun und verlange ihn in Kraft väterlicher Gewalt in seine Hände
aus dem Kloster, darin er bis dahin gesessen, wiewohl er die heiligen
Gelübde noch nicht abgelegt und auf sich genommen habe.

Über solche Rede hätten sich Alle nicht genug verwundern können. Der
Bischof hätte ernst drein gesehen, als machte er sich hart, und der
Gernsteiner finster; auch hätte der spöttisch sich hinweggewendet, als
dächt’ er nicht anders, denn daß es Possen wären, die da fürgewendet
würden. Aber wer Graf Eberhard betrachtet hätte, der hätte spüren
müssen, wie nahe dem Elzeburger Herrn des Alten Rede zu Herzen gieng.
Als nun aber Beider Blicke sich begegnet und nach kurzem staunendem
Stillschweigen der Alte gerufen hätte: »Eberhard, gedenkst Du Bruno’s
noch? Schläft in Deiner Seele noch ein Gedächtniß unserer Freundschaft
aus längst verschwundenen Jahren, das aufgeweckt werden kann?« als
darauf die Beiden sich umfangen und keines Wortes mächtig unter
inniglichen Zähren sich begrüßt, da wäre Manchem das Herz entbrannt
über solchen Anblick, und alle hätten aufgehorcht, wie er wieder
gesagt: »Er ist mein Sohn, Eberhard, mein Sohn! – Gott hat ihn mir
zugeführt. Ich wagte nicht, mich zu ihm zu bekennen; der finstere
Schatten meiner Schuld, dacht’ ich, sollte auf die friedliche Bahn
seines jungen Lebens nicht fallen; ich, ich trieb ihn in’s Kloster
zurück, und wollte selber verborgen bleiben vor ihm, vor der Welt.
Aber nun ruft er mich in sie zurück nach Pflicht und Liebe, und bei
unserer einstigen Waffenbrüderschaft bitt’ ich Dich: Hilf ihn mir
retten, Eberhard, hilf ihn mir retten!«

»Auf diese Worte«, erzählte Klingsohr weiter, »gönnten wir Alle dem
Alten, daß ihm nach seiner Bitte geschähe; denn daß er in Allem die
Wahrheit bezeugte, daran zweifelte Keiner, und Graf Eberhard lag dem
Bischof mit starker Fürsprach’ an, Euch, Junker, herauszugeben und des
Klosters zu entbinden, auch die Ungebühr, damit Ihr Euch versündigt
hättet, an Euch nicht ferner zu strafen, sondern selbige dem wallenden
Muth der aufstrebenden Jugend zuzurechnen. Dazu, wiewohl sie bis dahin
wenig sich zu ihrem Bräutigam gekehrt hatte, hub auch die edle
Jungfrau Braut herzlich in Herrn Conrad zu dringen an, daß er Euch zur
Freiheit hülfe und dazu seinen Ohm bewegte. Aber an der verlangten
Fürsprach’ hatte, wie es männiglich kund ward, der Ritter weder Lust
noch zeigte er einigen Eifer dazu, und seine unmilde Gebärde
erschweigte die Jungfrau, daß sie traurig abließ, ferner ihn zu
bitten. Desgleichen auch Seine Gnaden, der Herr Bischof, was meint Ihr
wohl, ob seine Antwort gnädig lautete? Mein’ Treu, nein!«

»Er zog freilich seinen Worten ein solch’ Kleid an, daß sie ihm, dem
geistlichen Vater, nicht gar zu übel stunden, noch unhübsch erschienen
und ungelind: aber, glaubt mir, sie hatten die Absage hinter sich, die
harte Absage, nichts anderes. Er sagte – o, er stellte Euch die Worte
meisterlich! – er sagte also: Es stünde leider bei ihm gar nicht, der
Meinung seines Herzens nachzugeben, das auf so bewegliches Ersuchen
und so eindringliche Bitten werthester Freundschaft freilich ohne
Verzug ihm die Gewährung abzwingen würde; aber er dürfte nichts in
dieser Sache wider die Satzungen der heiligen Kirche, und das sei ein
bedenklicher Handel; was dazu von Maulbronn und sonst für Beweis und
Urkund für und wider würde an’s Licht gebracht werden – darauf käm’
es an, und bis dahin müßte Inculpat allerdinge dem geistlichen Gericht
unterstehen und dürfte des Gewahrsams in keinem Wege entledigt werden.
Im Übrigen würde er sich die Ehre der Kirche und des heiligen Ordens,
wie das Begehren seiner Freunde und Euer Bestes, Junker, beständig vor
Augen halten.

Da hättet Ihr sehen sollen, Herr Diether, wie starken Kummer Euer
Vater aus solchen Worten sich zu Herzen gezogen hat. Denn er hatte
wohl die Vereinigung mit Euch näher gesehen. Er senkte eine kurze
Weile schweigend sein Haupt. Dann sprach er zum Bischof mit großem
Ernst: »Würdiger Herr! Ich ehre die heiligen Gebote der Kirche. Aber
wehe! wenn sie sich wider Gottes Gebot und Willen setzen. Er begehrt
gezwungnen Dienstes nicht. Er ruft meinen Sohn zu mir. Daß ihm
Freiheit werde, diesem Ruf zu folgen, das ist mein Tagwerk; ich muß es
vollbringen!«

Alsdann winkt’ er dem Grafen zu und sie unterredeten sich, indem sie
ein wenig abseits wichen. Aber nur eine kleine Zeit, so ließ Herr
Bruno sich nicht aufhalten, sondern umfieng Herrn Eberhard mit
herzlichen Worten, nahm seinen Urlaub und gieng ungesäumt und mit
eilenden Schritten von dannen.«

Muß ich sagen, wie mir zu Sinne war bei Allem, was mir Klingsohr
berichtete; wie ich erschrak, als ich zuerst von Brun’s Ankunft auf
der Höhe vernahm; wie mir’s dann im Herzen aufgieng einem
freudenhellen Sommertage gleich, dessen aufgehende Sonne von jubelnden
Lerchen tausendstimmig begrüßt wird und in ungezählten Thautropfen
sich spiegelt, als ich erfuhr, wer Brun war, welch’ heilig Band mich
mit ihm verknüpfte, und daß er mir in Bruno’s Geschichte seine eigne
Vergangenheit, die Wunden und Hoffnungen seiner Seele anvertraut
hatte! Mir war’s dem Falken gleich, dessen von der Hülle befreitem
Auge man hoch in den Lüften das Ziel weist, dem er sich mit freudigem
Geschrei entgegenschwinget. Auch mir winkte nun solch’ ein Ziel:
meinem Vater, der mich so und den ich so liebte, nahe zu sein, ihm zu
Trost und Erquickung, ihn der Einsamkeit und jeglichem Trübsinn zu
entreißen, ritterliche Ehre von ihm zu erlernen, sie dem Namen, den
wir trugen, zu erjagen und seinen Segen zu erben. – O, und meine
Mutter! Mich durchschauerte ein froher Schreck, da ich ihn dachte,
diesen Namen: nie bis dahin von mir gerufen: ödes, schmerz-, aber auch
freudenleeres Leben, wie hatt’ ich’s nur ertragen mögen! – Gott!
Gott! Wenn ich auch sie einst fände, meine arme Mutter; wenn ich ihr
an meiner Hand den Vater zuführen könnte, und in einer Umschlingung
Beide an dies Herz drückend, spräche: »Seht, Euer Sohn ist glückselig,
er hat Euch wieder! Seid es nun auch Ihr!« – gewiß dann würden die
alten Wunden sie nicht mehr schmerzen, sie würden ihrer Schuld
Vergebung glauben und üben, und ich, ihr Sohn, mit dem Mal der blutgen
That gezeichnet, durch deren Kunde die Erschreckte in die Wildniß
getrieben ward, hülfe ihnen zur neuen Freude, zur Liebe und zum
Frieden! –

So frohe Bilder leuchteten in meiner Seele auf, und um die Sonne, von
der sie bestrahlt wurden und all’ mein Sinn und Muth, stunden selber
schimmernd im himmlischen Glanz die Worte geschrieben: »Dein Vater ist
dir gefunden!«

Da hätten gewißlich auch Augen, die mich minder scharf ansahen als die
kleinen blitzenden Klingsohr’s, derweilen er sprach, solches
Entbrennen meines Herzens vermerkt. Er aber, als er mit seiner
Erzählung zu Ende war, trat dicht zu mir und sagte:

     »Auf, Junker, sinnt nicht lang also,
     Sagt, macht Euch nicht die Märe froh?«

»Klingsohr, lieber Klingsohr!« gab ich zur Antwort, »ist’s so, wie Ihr
mir sagt, und ich trage daran keinen Zweifel, so harr’ ich der Stunde,
die mir Befreiung bringt, mit zwiefachem Sehnen. O daß sie bald
erschiene!«

»Harren wollet Ihr, harren?« fragte der Kleine wieder, und er
schnarrte das Wort spöttisch heraus und schlug seine Hände beide in
einander, als wär’ es etwas recht Erstaunliches, was er hätte hören
müssen. – »Wie lange, Herrlein, seid Ihr denn bereit und willfertig,
hier zu harren?«

»Mich dünkt«, antwortet’ ich wieder, »nach Allem, was Ihr mir sagtet,
kann es unmöglich anstehen, daß meines Vaters Begehren unerfüllt
bleibe, dem eine so mächtige Fürsprache zur Seite steht, wie die Graf
Eberhard’s.«

»Mich dünkt, mich dünkt«, sprach Klingsohr ärgerlich nach. – »Was
dünkt Euch denn von +uns+? Wähnet Ihr, Meister Tannhäuser und hier ich,
der Magus, haben uns oben davon gemacht und seien in dieser Burg bei
den geizigen Alten in harter Arbeit gestanden, ich mit dem Pülverlein
drinnen beim griesgreisen Pförtner, mein Gesell gar mit dem
Alrunzauber bei der scharfohrigen Pförtnerin allein unter’m Galgen,
allwo er jetztunder noch aushält, das edle Herz; wähnet Ihr, dies
Alles sei von uns gethan, bloß daß Ihr zeitiger Euren edlen Namen
erführet und Eure ritterliche Geburt, als es sonst geschehen wäre.
Wähnet Ihr das wirklich? Ja freilich, ’s ist ja eine Zeitung, die man
nicht alltag zubringen kann, daß aus einem Singer ein Junker worden
ist, und daß einer aus der Abtei und den Regeln St. Bernhard’s in die
Herrschaft über Land und Leute gesetzt werden soll. – Jedennoch,
Junker, das ist hier die Meinung nicht. Wie? dort die Thür steht
offen, der Alte schläft und sie sucht nach der Alrune – und Ihr
besinnt Euch noch? Auf, gewinnet Euch selbst die Freiheit, nach der
Euch gelüstet! Der Weg ist offen; ich führe Euch.«

Und er nahm sein Windlicht wieder zur Hand.

»Aber«, sprach ich, tief erregt von dem, wozu er mich ermunterte,
»wenn ich’s thäte und ohn’ Urtheil und Recht dem Kloster entränne, so
brächt’ ich mich auf’s Neue in Fährniß, und geistlicher und weltlicher
Arm möchte mich bedrohen; ich hinderte die, so meiner Erledigung
günstig sind, daran, mich zu schützen, und der Bischof würde mich, wie
auch unser Orden des geistlichen Standes desto weniger entlassen!«

»Wie?« rief da der Kurze unwillig wieder. – »Dahin steht Euch der
Sinn? – Als Ihr die Friedsamkeit und Demuth beweisen solltet, die man
Euch im Kloster gelehrt hat, da waret Ihr kampflich gemuthet, und da
es Euch als fahrendem Singbruder viel nützer gewesen wäre, Euch fein
zu ducken, daß Ihr heil entschlüpfen möchtet, da bewieset Ihr Trutz
und waglichen Widerstand – aber jetzt, wo Ihr des Ritterthums
genießen sollt, zeigt Ihr ein Herz wie ein Lämmlein! – O, lieber
Junker, denket doch nicht, wen die Kirche einmal eingethan hat und gar
dem Mönchsstand zugezählt, den werde sie so bald wieder losgeben; habt
nur wohl Acht, mancher Tag wird vergehen, bis sie sich über die
geistlichen und weltlichen Rechte verglichen haben werden, dieweil Ihr
in Haft hungert, schwitzt oder frieret, wie es Euch geliebt! Der
Gernsteiner, halt’ ich, wird schon dafür sorgen, daß Ihr Euch an
solch’ Leben gewöhnet. Und endlich, seid Ihr wiederum im Kloster,
nimmer mehr daraus zu entwischen« – –

»So rathet Ihr mir –?« unterbrach ich ihn.

»Ich rathe Euch – ho! wie sanft das ’nem fahrenden Magus thut, daß
er einem Junkerlein rathen darf – ja, ich rath Euch gut, Herr; traut
dem Bischof nicht, noch seinem Voigt, noch sonst wem außer Euch selber
und der Gunst der jetzigen Stunde, die Euch freien Ausgang verstattet
dank der Kunstübung Eures geringen Dieners und seines Gesellen! – Ah,
Junker, ’s ist wahr: Ihr seid dazumal übel gefahren mit uns, und habt
uns billig darum gescholten – aber die Noth, Junker, die zwingende
Noth trug die Schuld daran! Drum laßt uns jetzt desto baß Euren Dank
verdienen. Hatten wir nicht sogleich am Anfang uns’re Freud’ an Euch?
Haben wir uns nicht gebrüdert? Sahen wir heut’ nicht und hörten’s, daß
an Euch ein meisterlicher Singer verloren wäre, und ein wackerer
Ritter dazu, so Euch das Kloster erhielte?«

»Doch seid Ihr’s gewesen«, sagt’ ich, »die mich durch ihr Anzeigen
meines Standes dem Bischof überantworteten!«

»So brachten wir Euch doch aus des Gernsteiners Gewalt, der Euch wohl
so fest verwahret hätte und übel gehalten, daß wir mit keiner Kunst
Euch hätten erlösen können. – Das sind wir nun zu thun willens worden
und lag uns doppelt hart an, nachdem Eure Ritterschaft an’s Licht
gekommen ist. – Eilet denn, werther Junker! Gewinnet die Freiheit,
indem Ihr sie brauchet! Wie süß wird sie Euch eingehen an der Seite
Herrn Bruno’s! Wir geleiten Euch, wir Wegkundige, und gewiß, wir
werden ihn finden.«

Ich hatte sinnend gestanden und wußte nicht, was erwählen; denn ich
fühlte, daß ich vor eine große Entscheidung geführt war. Aber der Ruf,
der an mich ergieng, lockte zu laut – und so folgt’ ich dem
Klingsohr, der schon in der geöffneten Pforte stund, ungeduldig mein
harrend.

Ohne sonderliche Fürsicht schritt er mir den Gang voran. »Die beiden
Alten sind noch festgehalten«, sagt’ er dabei: »er vom Pülverlein, sie
von der Alrune, und vor anderer Begegnung sind wir sicher allhie!«

Also befand sich’s auch; der Alte schlief, da wir durch’s Stüblein
kamen, und wir gelangten unangefochten hinaus auf die Stiege. Von
derselben führte ein hölzerner Gang außen zu einem Pförtlein in der
Mauer des Burghofs, durch das die Alten in einen zur Burg gehörigen
Krautgarten den Zugang hatten. Er war von einer hohen Mauer
eingeschlossen.

»Hier können wir nicht hinab«, sagte mein Geleitsmann leise zu mir;
»nur drüben, wo der Berg steiler ist und die Mauer drum nicht so hoch,
mögen wir’s vollbringen.«

Damit drängte er mich weiter, den schmalen Weg voran zur Seite der
Mauer. So kamen wir an’s Ende des Gärtleins und zu einer Thür, die war
offen, und auf steinernen Stufen traten wir in einen zweiten
Burggarten ein, der aber zur Sommerlust bestimmt war und in lauter
lieblichen Blumen und Ziergebüschen prangte. Ja, das that er auch in
dieser Sommernacht, denn obgleich weder Mond noch Sterne schienen, war
sie als zur Johanniszeit hell und wie von einem milden Dämmerlicht
übergossen, in dem man Jegliches umher deutlich sah; und Blätter und
Blüthen schimmerten mit einem sanften Lichte, als hätten sie etwas vom
Glanze des langen Sommertages zurückbehalten wie einen schwachen
Widerstrahl. Es hatte einen warmen Regen zur Nacht gegeben: noch
hiengen die Blätter tropfenschwer, und die Luft, von keinem Windhauche
bewegt, war weich und feucht; sie war auch voll würzigen Geruchs und
süßen Duftes, der aus ungezählten neu erfrischten Blüthen quoll und
aus solchen, die in dieser wonnigen Sommernacht zum ersten Mal ihren
Kelch erschlossen. Wie sog’ ich all’ diese stille Herrlichkeit mit
Sinnen und Herzen ein nach der Angst des Gefängnisses, ob ich gleich
an dem Frieden und der Glückseligkeit, die mich umgab, keinen Theil
haben durfte; denn mein Weg war ohne Recht, verhohlen und bedroht.

Leise schritten wir hindann.

»Seht Ihr das Fenster dort, von Rosengezweig umrankt?« flüsterte
Klingsohr.

Ich sah dahin und gewahrte auch dicht dabei eine Pforte, die von der
Burg her in unser Gärtlein führte.

»Des Grafen Eberhard Nichte, Junker, von der Ihr den Kranz empfienget,
wohnt heint allda zur Herberge. Von der Alten erfuhr ich’s, die am
Abend das Fräulein heraufreiten sah, stattlich geleitet. – Wenn wir
ihr allhie begegneten, Junker, wie geschwinde liefet Ihr wohl davon?«
Dabei kicherte er verhohlen.

Ich sagte nichts; doch sah ich im Gehen hinauf zum Fenster, und ich
fühlte mein Herz stärker klopfen.

Da klang ein Ton durch die Stille, fein und leise. Wir hielten mit
Gehen an und horchten auf. Es war das verhaltene Summen einer
menschlichen Stimme, das von drüben herkam, wo am Ausgang aus dem
Garten über der Ringmauer der Burg ein Sommerhaus als ein Thürmlein
gebaut war zum Lugaus hinunter in Dorf und Thal. – Jetzt vernahm ich,
halb gesungen und halb gesprochen, als würden sie nur laut gedacht,
die Worte:


     – – – – – – – – – – – – – – – – – –
     Dich lacht sie an mit rothem Munde
     Und haftet doch im finstren Grunde,
     Aus dem ihr Kraft und Leben quillt:
     Das ist der Liebe Ebenbild!
     Es schafft das Leid der Liebe Pein,
     Doch ohne Leid kann Lieb nicht sein,
     Es liebt die Lieb’ Leid zum Gedeihn! –

Dieser mein Spruch, den ich vorhin gesungen, da es Kranz und Kleinod
galt – welch’ neue Gewalt hatte er doch jetzt über mich! Ich erschrak
und erzitterte schier, und doch schwebte mein Herz hoch auf in Wonne;
mir war’s, als träumt’ ich nur, und sodann wieder, als erwacht’ ich
nun erst aus ungewissem Wahn zur Wahrheit und zum Leben.

»Irmela!« rief ich und eilte, ohne auf Klingsohrs eifrige Gebärden zu
achten, mit denen er mich trachtete zurückzuhalten, hin, woher die
Klänge kamen.

Sie mußte den Namen gehört haben; denn als ich zum Sommerhause kam,
erblickt’ ich sie, wie sie am offenen Eingang desselben stund,
regungslos, als spähte sie hinaus.

»Irmela!« so rief ich wieder und fand vor Freude und Bangigkeit kaum
den Odem zu dem Worte, wie ich nun nahe vor sie trat.

»So bist Du’s, Diether, und bist frei?« Wiewohl ihre Stimme bebte, als
sie das sagte, klang es doch im hellsten Jubelton wie der Ausruf einer
Seele, der unerwartet die Bande schweren Leides gelöset sind.

Ein Schauer durchrieselte mein Gebein, als sie in hochgehender Freude
mir entgegen eilte und mit ihren beiden Händen die meinigen ergriff.
Ich sah ihr in’s Angesicht: ihr Mund lächelte und ihre Augen waren
voll Thränen.

Da konnt’ ich mich nicht länger enthalten, umfieng sie mit meinen
Armen und küßte sie.

»Ja«, flüsterte ich, indem ich sie umschlungen hielt, »ich bin frei,
und immer selig sei die Stunde, da ich’s ward; denn sie offenbarte
mir, Süße, Deine und meine Herzensliebe!«

»Weh!« rief sie da mit dem Tone des Schreckens, indem sie mit
Heftigkeit sich mir entriß, »weh, was hab’ ich geduldet! Diether, ich
bin verlobt! Nimmer wieder laß mich solch ein Wort hören! Nein, nein!
– Entweich, wir sind ewig geschieden!«

Flehend bat sie so, aber streng zugleich und gebietend stund sie vor
mir, hoch aufgerichtet. Der Gedanke, so von ihr verstoßen zu werden,
erfüllte mich mit Grauen. Ich sank vor ihr auf die Knie.

»Irmela,« bat ich, »nicht also treibt mich von hinnen! Kein Gefängniß
sieht so finster und freudlos mich an, als rings die weite Welt, so
ich Euch muß verloren geben. Ich kann nicht mehr von Euch lassen,
nimmer, nimmer! Die sehnende Herzensliebe hat mich bezwungen! O, auch
Dich, Irmela; läugn’ es nicht! Das Leid, das über mich gekommen ist,
hat ihre Heimlichkeit Dir kund gethan und diese Stunde auch mir. Nie
kannst Du dem Manne folgen, dem Dein Herz nicht zugehört!«

»Ich lieb’ ihn nicht,« sagte sie leise.

»Aber hier in meinem Herzen bist Du beschlossen, Irmela, und ich bin’s
in Deinem. Ach, wohl gleicht unsere Liebe dem Sturmvogel, der gegen
Wind und Wetter durch zuckende Blitze in mitternächt’ge Wolken fliegt;
aber hinter ihnen, Irmela, glänzt die Sonne und seine Schwingen sind
Adlerschwingen!«

Sie schwieg; aber mir war’s, als athmete sie schwer und mit leisem
Beben erzitterte sie.

»O, sprich nur ein Wort!« bat ich wieder. »Ein einzig Wort, daß ich
wisse, die Rose, die sich mir zur Wonne erschlossen in dieser
Blüthennacht, sei nicht auch zugleich entblättert; daß mir eine Hoffnung
leuchte auf der dunklen Bahn, die ich beschreite. – Sprich dies Wort,
Irmela, dies eine Wort, und ich will kämpfen, ringen und nicht ermüden,
bis der Tag kommt, da der Bund dieser Mitternachtsstunde vor Gott und
Menschen gesegnet wird!«

Da war’s, als bewegte sie ihre Hand mir entgegen; ich erfaßte sie und
drückte sie mit Inbrunst an Herz und Lippen.

»Hab Dank, hab Dank, Irmela!« sagt’ ich, indem ich mich erhub, »und fahr
wohl!«

»Fahr wohl auch Du!« sprach sie zum Scheiden.

Indem kam auch schon Klingsohr herbei mit großer Eil und vielem Winken:
»Geschwind, Junker, geschwind! Wir dürfen nicht länger säumen. Man ist
uns auf der Spur. Dort den Weg kommen sie, den wir vorhin nahmen. Gewiß
ist die Alte heimgekommen, hat das Nest leer gefunden und Lärm gemacht.«

Ich wollte mich auf diese Worte fürder wenden, mit ihm die Flucht
fortzusetzen, als wir auch schon die, so uns zu suchen ausgegangen, in
der offnen Pforte ersahen, durch die wir in den Garten gekommen waren.

»Da drüben um’s Thürmlein müssen sie sein,« so vernahmen wir: »dort
hört’ ich flüstern, als ich hinaushorchte.«

Es war die Stimme der Alten.

»Sie werden mich finden!« sagte Irmela mit Bangen, »was beginn’ ich?«

Wohl sah ich, daß sie ihnen nicht entgehen konnte. Sie konnte sich im
Garten nicht verbergen, den die Leute gewiß durchsuchen würden, und
auch, wenn sie zurück wollte in ihr Gemach, mußte man auf sie treffen.

Sollte sie durch mich in Verdacht gerathen und Ungemach? Sollte sie
gepeinigt werden mit Fragen nach mir und ihr reines Gemüth zwischen
dem Wunsch schweben, unsere Heimlichkeit mir zum Schaden nicht
auszubringen, und der ungewohnten Nöthigung, durch Falschheit sich
heraus zu helfen?

Das durfte nicht geschehen. Die Gewißheit ihrer Herzensliebe zu mir
hätte mir jeglich Opfer leicht gemacht. Ich besann mich nicht.

»Seid getrost, Irmela!« rief ich. »Ich gewinn’ Euch Zeit.« Und bevor
sich Klingsohr deß versehen konnte, der allbereits zur Weiterflucht
vorangeeilt war, nicht zweifelnd, daß ich ihm folgte, sprang ich den
Weg zurück, den wir gekommen waren, gerade auf die Gartenpforte zu,
den Eindringenden entgegen.

Ich gedachte durch die Überraschten hindurchzustreichen, oder doch,
so das nicht gelänge, sie so lange aufzuhalten, bis Irmela hinein
wäre, und dann ihnen zu entrinnen. Meine schnellen Füße, hofft’ ich,
sollten mich retten, bis ich an einen Ort käme, geschickt zu einem
Sprung die Ringmauer hinab.

Aber was soll ich sagen? So gerieth es mir nicht. Zwar daß meine
Verfolger in den Garten eindrangen, verhindert’ ich. Denn wie ich nach
der Pforte rannte, wandten sie sich mir Alle zu mit lautem Geschrei.
Doch es waren Ihrer zu viele, als daß ich hindurchzubrechen vermochte
oder sie bestreiten konnte, ich Waffenloser. Es währte nur eine kleine
Weile, so war ich von ihnen umringt und ergriffen, und ein Gefangener
des Bischofs von Speyer, wie vorhin.



Neuntes Kapitel.

Entscheidung.


Wenn im Frühling die schwanken Birkenzweige im ersten Grün erprangen,
wenn der laue Hauch der Luft die glänzenden Hüllen von den schwellenden
Blattknospen der Buchen und Linden streift, wenn die Blumen aus dem
Grase dringen und überall wieder das Leben sich regt und schmückt: dann
ist solcher Anblick wohl für jeglichen Menschen, der sein genießt, eine
Ursach zur Freude, und, sein Muth sei froh oder traurig, ihm sei wohl
oder weh, so vernimmt er in solchem Walten Gottes zur Frühlingszeit
einen Ruf, sein Herz zu stärken und jede gute Hoffnung aufschweben zu
lassen, wäre sie auch oft schon zu Boden gestoßen und gar flügellahm
worden.

Anders, acht’ ich, ist’s im Herbst, wenn der Schmuck der Erde allgemach
vergeht und von Tag zu Tag die Gärten leerer, die Wiesen fahler und die
Wälder kahler werden. Davon mögen die Menschen, je nachdem es ihnen um’s
Herz ist, leicht oder schwer, einen gar verschiednen Muth gewinnen. Es
kann sich ganz lustig ansehen, wie so ein gelbes Blatt nach dem andern
vom Baum gelöst und tanzend vom Winde hinweggeführt wird, wenn die
Früchte sicher eingethan sind, die der Baum gegeben hat, und dem Genieß
aufbehalten; auch weiß sonder Zweifel das Auge des Hoffnungsvollen am
sich entblätternden Baume überall die Knospen wahrzunehmen, darin
Blätter und Blüthen wohl verwahrt sind schon für’s kommende Jahr. Ja,
wem daheim der warme Herd in die Mitte der Seinen winkt und zu
willkommener Ruhe nach gethaner Arbeit: wie gern mag der sich von den
rauhen Herbststürmen hinein scheuchen lassen! Kürzlich: wem die Wurzeln
seines Lebensbaumes noch fest und kräftig genug in der Erde haften,
Nahrung daraus zu ziehen, wer da im Stamm inwendig noch den Saft
aufsteigen weiß: der ersieht auch im Winter nur den Vortraum und
Stärkungsschlaf für Leben und Lust des kommenden Lenzes und mag die
kalte Hand, die das Laub entstreift, mit Freuden begrüßen. – Aber für
die Meisten freilich hält der Herbst, wenn er dem Winter die Bahn macht,
eitel Leichensermone; denn unter den Menschen, so zum Nachsinnen über
sich gekommen sind, wozu Frau Unglück weit besser anleitet, als ihre
ungleiche Zwillingsschwester, sind, wie ich sorge, viel mehrere, welche
von der Zukunft hienieden lieber zu wenig hoffen, als zu viel und darum
die Trauerlieder des sinkenden Jahres überleicht verstehen und
nachsingen.

Dazu war wohl auch ich weidlich geschickt geworden nach meiner
Gefangennahme, seit ich wieder in’s Kloster zurückgebracht war, allda
des Ausgangs meiner Sache zu harren. Zwar nur wenige Monate waren
seitdem verstrichen. Aber als ich aus meiner Zelle, die mir zur Büßung
abseits von denen der Brüder angewiesen war, in den grauen Novembertag
hinaussah, drückten seine tiefhangenden Wolken schier auf mein Herz,
und der Wind, der durch die kahlen Äste des Nußbaumes vor meinem
Fenster fuhr, seufzte, als wollt’ er mir helfen trauern und klagen.

Wie manchen Tag hatt’ ich schon vom nämlichen Schemel, den Ellenbogen
auf dem Tisch vor mir gestützt, durch dies kleine Fenster
hinausgesehen nach dem Nußbaum und dem Himmel, so viel davon zu
erblicken war; denn sonst war die Welt meinen Augen versperrt. –

Wenn ich früher ihn betrachtet hatte, wie er so mächtig aus dem
Zwinger emporstrebte, hatt’ ich nicht gedacht, wie sehr ich’s ihm
einstmal noch danken würde, daß er also hoch gewachsen war, so hoch,
daß er mit seinem Wipfel auch über das kleine Fenster der einsamen
Zelle hinausragte, deren Bewohner nun ich war. – Wie doch heute
sonderlich die Äste stöhnten, wenn der Wind sie schüttelte und, ihre
Zähigkeit erprobend, sie gegen einander schlug; wie knarrend die
dürren Zweige zerbrachen, und wie ängstlich die wenigen gelben
Blätter, die noch am Gezweige saßen, sich hin und wieder wendeten, so
oft ein Windstoß sie erfaßte, als sträubten sie sich gegen ihn und
riefen um Hilfe! –

Es war doch Alles umsonst; eins nach dem Andern ward abgerissen und
wie zum Hohn wild durch die Luft geführt, oder es sank zitternd zur
Erde nieder – eins nach dem andern! – Schon konnt’ ich die übrigen
an den Fingern meiner Hände zählen – dort eins – dort eins – und
dort eins!

Ob wohl auch sie heute würden abgelöst und der Baum ganz kahl werden? –

Ach, es war heut ein traurig Ding um ihn und den Himmel dahinter! –

Als ich zuerst hier in diese Zelle hereingeführt und hinter mir die
Thür verschlossen ward, daß ich allein wäre (wie war ich’s gewohnt
geworden seitdem!) mein Sinnen und Denken abzuziehen vom eitlen Wesen
der Welt und nur auf meine Schuld zu lenken und heilsame Büßung: wie
winkte mir da durch’s Fenster das dichtbelaubte Gezweig so freundlich
entgegen! Schwellende Früchte, zu Trauben gesellt, schauten daraus
hervor, und blitzendes Licht vom blauen Himmel her spielte zwischen
den grünglänzenden Blättern. –

Das war zur Johanniszeit, am Tage, nachdem ich in’s Kloster auf
Erfordern des Abtes und mit Bewilligung des Bischofs war zurückgeführt
worden. Ich war in den Capitelsaal gebracht, allwo der ganze Convent
sich versammelt hatte, daß ich vor den Abt gestellt würde, mein
Urtheil zu empfahen, wie mit mir zu handeln wäre im Kloster. Denn
obgleich meine Erledigung zurück in den weltlichen Stand allerdinge
nach dem Spruch derer, denen die Entscheidung unterstünde, zu erharren
wäre, so hätte ich doch meine Untugend und all’ das Ärgerniß, so ich
gegeben, als dem Cisterzienser Orden zugehörig, verübt, und müßte
daher gemäß der heiligen Observanz und St. Bernard’s Regel zum Heil
meiner Seele, zur Befestigung der Guten, zur Stärkung der Schwachen,
zur Warnung der Sichern mit mir gethan werden.

Solches Alles ward mir vor den Brüdern im Capitel von Abt Albrecht
verkündigt, der dazu eine Rede that, die mir recht das Heimlichste
meines Herzens vor Augen kehrte, daß ich sah, wie schwarzer Farbe es
war; denn er war gewaltig in Worten. Er nannte den Tag, da er von
meiner Sünde hätte hören müssen, den traurigsten von allen, seit ihm
der Abtstab in die Hand gegeben wäre; er beschrieb meinen Sinn, wie
schlimm geartet er wäre und unwerth, daß ich all’ sein Vertrauen, das
er zu mir gekehrt, und seine gute Meinung so gröblich zu Muthwillen
und Verübung loser Narretheidinge gemißbraucht hätte; er sagte auch:
wenn der Herr und Weltenrichter schon den unnützen Knecht in die
äußerste Finsterniß und in die schrecklichen Höllenschlünde verweisen
wolle, darum daß der Schalk mit dem einigen ihm verliehenen Centner
nicht gewuchert habe, welche Qual werde sich der verdienen, welcher
hohe und edle Gaben, so er von Gott empfangen, dazu verwende, daß er
damit unsers Herrn und seiner heiligen Kirche Ehre, statt sie zu
erbauen, kränke und ganz niederlege!

Darnach fragt’ er mich, ob ich etwas zu sagen hätte, so sollte mir das
verstattet sein.

»Würdiger Vater!« sagt’ ich da. »Es ist Alles wahr, deß Ihr mich
zeiht. Ich habe schwer gesündigt wider Gott, wider Euch, wider den
heiligen Orden. Aber so wahr ich Euch und dem würdigen Convent hier
von der ewigen Dreifaltigkeit beständige Genüge erwünsche, so
gewißlich kann ich Gott im heiligen Stande nicht länger dienen, habe
nur ein Verlangen, mich zum ritterlichen Leben zu schicken, und bitt’
Euch demüthig: Helfet mir dazu!«

Durch solche Worte, sagte wieder der Abt, erfände sich’s desto
gewisser, wie völlig mein Herz geblendet wäre. Darauf ward ich dem
_Frater poenitentiarius_ zugewiesen, daß er die geistlichen Büßungen, so
mir aufzulegen, leiten und in Allem meiner armen Seele rathen möchte,
die Bosheit auszuziehen und Gnade zu gewinnen.

Der hatte denn auch das Amt, so er überkommen, an mir mit allem Eifer
angegriffen. Einsamkeit, Casteiung und allerlei Plage sollte meinen
Sinn ändern, dazu stetes Gespräch mit ihm von heiligen Dingen und von
Verachtung der Welt. War ich nicht manchen Tag hinunter in die
Geißelkammer geführt worden, auch dazu aus dem Schlaf geweckt, allda
das Miserere zu singen und Schläge zu leiden?

Doch wiewohl mir meine große Fehle, damit ich mich verschuldet hatte,
leid war, so blieb doch mein Muth und Wille hinausgerichtet, wie
anfangs, und die himmlischen Dinge, die mich hinwegziehen sollten von
allem weltlichen Trachten, erlangten diese Gewalt nicht über mich. Ja,
wenn oft unter den Geißelschlägen mein Rücken rünstig ward und ich
dennoch ihnen stille hielt und nicht zuckte; wenn ich jegliche Pein,
mit Wachen und Fasten mir auferlegt, williglich trug und nicht murrte,
so wähnte mein Beichtiger wohl, es wäre die wahre Zerknirschung und
herzliche Reue, die mich so harte Buße demüthig tragen lehrte: aber es
stund viel anders mit mir. Ich hätte das Schwerste auf mich genommen
in dem Gedanken, der mir auch all’ dies Ungemach leicht machte: daß
ich es litte, weil ich mich gefangen gegeben für sie, für die Maid,
die mir allzeit im Sinne lag, deren Bild in aller Pön mir winkte.

O, welche Gewalt hat doch eine starke Hoffnung über des Menschen
Herz! Sie ist allgegenwärtig, wie das Sonnenlicht. All’ unser Denken
und Thun, Mühe und Plage, Leid und Noth durchleuchtet sie; sie
durchsüßet die Bitterniß und durchblümet selber die Wüstenei, die wir
durchwandern müssen.

So hab’ auch ich’s erfahren in jenen Tagen.

Wie oft, wenn ich einsam in der Zelle weilte, brachte mir die gewisse
Hoffnung, der Tag der Befreiung würde erscheinen, Stärkung und Trost!
Wie malte sie mir mit dem Sonnenstrahle, der an der Wand zitterte,
lichte Bilder hin von Aventiuren, Ehren und ritterlichen Thaten, von
Freiheit und Wiedersehen! Wie hört’ ich ihr Flüstern im Rauschen des
Nußbaumes, wenn der sanfte Wind das Laub bewegte!

Mit jedem Tage stieg diese Hoffnung; denn jeder brachte ihre Erfüllung
näher.

Mit Fleiß achtete ich auf die grünen Früchte, die mir der Nußbaum
durch’s Fenster zeigte, wie sie allgemach größer wurden. »Eure Schaale
ist bitter«, sprach ich oft, »und selber dem Anblick wird sie unhold
mit der Zeit. Aber drinnen hegt sie wohlverwahrt den süßen Kern; die
Hülle springt, und er tritt an’s Licht. So tragen auch diese Tage,
deren Bitterkeit ich schmecken muß, in ihrem Schooße für mich die
köstliche Frucht der ersehnten Freiheit; noch ist sie mir verborgen,
aber unmerklich reift sie heran.«

Doch ach! eine Woche nach der anderen war herumgegangen, und noch
immer hört ich nichts davon, daß draußen meiner gedacht ward.
Jeglichen Morgen sah ich klopfenden Herzens in meines Beichtigers
Angesicht, prüfend, ob er die erhoffte Nachricht mir nicht zu
verkünden hätte. Aber er schwieg davon, und der neue Tag schwand
gleich dem vorigen.

So einförmig giengen die Tage hin, so geräuschlos schlich die Zeit
durch Wochen und Monate, daß ich ihrer Zahl und Menge, wie viel ihrer
waren, gar nicht Acht hatte. Aber wohl sah ich, wie die Nüsse sich aus
ihren Hülsen schälten, vom Baume fielen und die leeren Schalen
zurückließen; wie die Blätter sich entfärbten und das Geäst allgemach
lichter ward; wie dann der Himmel, der da hindurch blickte, als durch
ein immer weiter sich öffnendes Gegitter, öfters trüb schien und
seltener in blauer Klarheit glänzte. Ich sah, wie das Sonnenlicht
immer später meine Zelle besuchte, immer schmaler darin seine goldenen
Streifen zog und nimmer bälder daraus verschwand.

Wenn auf trübe Tage wieder ein sonnenheiterer folgte, hatte ich schier
mit Ungeduld geharrt, den Schein zu sehen, ob er wohl merklich würde
zurückgewichen sein gegen das letzte Mal, da er an der Wand geglänzt;
und als es geschah, daß ich wahrnahm, wie die Sonne meine Zelle nicht
mehr erreichte und den letzten Scheideblick des Jahres herein
geschickt hatte in meine Einsamkeit: da war eine große Traurigkeit
über mich gekommen, als sollt’ ich auch den güldnen Träumen von
Erledigung und Freiheit den Abschied geben.

Aber ich hatt’ es nicht vermocht, ich hatte um so sehnlicher gehofft
und war nicht müde darin geworden, wie auch die Blätter immer
zahlreicher fielen und die kahlen Zweige schmucklos zu mir herein
starrten. – –

Wie mit Fleiß ich an dies Alles heut’ zurückdachte am stürmischen
Novembertage, als ich zum grauen Himmel hinaussah, und wie die letzten
Blätter sich wehrten wider den Wind, der sie zauste, und half ihnen
doch Alles nichts!

Nein, es half auch mir nichts: mein Hoffen und Sorgen, Zagen,
Wünschen und Ungeduld! – Wenn es der Weltenherr so beschlossen hätte,
daß mein Leben und die Welt draußen immer geschieden blieben von
einander! Wenn das Gelübde meiner Mutter, da die Gottesminne ihre
Liebe zu mir bezwang und durchklärte und sie mich der frommen Hut des
Klosters übergab, gewißlich ach, mit heißen Gebeten! im Himmel
versiegelt ward!

Aber konnte das sein? Wäre mir dann die Einfalt und der Frieden meiner
Jugend so verwirrt durch Lust und Weh der Welt, durch das Eindringen
ihrer Süße und Herbe in mein unerprobtes Herz? Wären dann jene
Versuchungen an mich herangedrungen, um welcher willen, daß ich vor
ihnen geborgen bliebe, ich hieher gebracht worden war an diese Stätte
geschützten Friedens?

Doch wie? Durft’ ich mich unterwinden und all’ dies, was mich abwendig
gemacht hatte dem heil’gen Stande, ansehen als von dem waltenden Gott
so gefügt? War es nicht vielmehr der Dünkel und Wahn meines
unberathenen Herzens, eigenwilliges Entweichen vom Wege, der mir
verordnet war? O, dann war es ein unmächtiges Ankämpfen, ein
schuldvoller Ungehorsam. Und dies sehnliche Verlangen in mir nach
Ehre, Freude und Glück der Welt, nur darnach? nein! auch nach ihren
Kämpfen, Mühen und Schmerzen: sagte es nicht noch jeden Augenblick Ja!
zu der Hoffahrt und Eitelkeit meiner Seele, bedrohte es mich nicht mit
immerwährender Unseligkeit, so der Spruch fiele, daß ich im Kloster
bleiben müßte? Dann wäre mir die Erde vergällt und für die Ewigkeit
meine Seele der finsteren Schaar zugeordnet. –

Ich erschrak vor solchen Gedanken! Ich sah hinweg vom Fenster und
lenkte meinen Blick auf das Buch, so vor mir aufgeschlagen war. Es
waren S. Anselmi Betrachtungen. Mein Beichtiger hatte mir das Buch
hereingegeben zu heilsamem Nachdenken. Täglich mußt’ ich ein Stück
darin lesen und auf sein Befragen davon Rechenschaft thun, ob ich die
Meinung recht verstanden hätte. Ich that es; aber meine Seele war
nicht dabei. Heute zum ersten Mal kehrt’ ich allen Eifer dazu. Ich las
von dem Meere des Verderbens, welches wäre die Tiefe weltlichen
Begehrens, und vom bodenlosen Schlamme der fleischlichen Lüste; ich
las von dem Elend dieses Lebens: wie es gliche einem finstren Thale,
in seinem Grunde voll Martern; darüber eine einzige Brücke, sehr lang,
aber nur eines Fußes breit; über diese so schmale, so hohe, so
gefährliche Brücke gehen müssen, mit verbundnen Augen, also daß man
seine Schritte nicht sehen kann, mit rücklings gefesselten Händen: so
in Furcht und Ängsten des Herzens schweben: Das wäre dieses Leben.
Ich las vom Tode, wie er alle Schönheit der Gestalt verderbt und die
zarten Glieder der Verwesung und den Würmern überantwortet; vom Grauen
der Sterbestunde, von den Schrecken des jüngsten Tages.

Solches Alles las ich, wie es in der ersten Meditatio des heiligen
Lehrers zu finden ist. Davon überkam mein Gemüth große Pein. Denn wenn
ich es untersuchte, so erfand ich doch darin die Abkehr von dem
vergänglichen Weltwesen nicht erwirkt, noch das Verlangen nach der
himmlischen Freude entzündet; sondern daß ich frei würde und ein
wackerer Held, der Ehren erwürbe Brun zum Trost und Irmela zur Freude:
das war all’ mein Verhoffen und mein Begehr, wie vorhin.

Da schickt’ ich mich an, zu Gott zu rufen, daß Er mir die Verachtung
der Welt in die Seele senken möchte und die völlige Gelassenheit, aber
unvermerkt ward solch’ Gebet zur Bitte, die Stunde meiner Losgebung
möchte bald erscheinen – und Beides zusammen konnte doch nicht
bestehen.

So hub ich denn in also zweifellichem Wahn meine Augen auf und sah
hinaus, wie ich zuvor gethan hatte. Der Wind fuhr noch immer durch die
Zweige und schüttelte sie. Hatte er denn schon alle Blätter nun davon
geführt, alle? – Nein, eines hieng noch fest, ein einziges. Ich faßt’
es in’s Auge und blieb daran haften mit meinem Blick, wie es ohne
Aufhören auf und nieder und zu den Seiten flatterte und doch nicht
abriß. – »Du willst, guter Baum,« sagt’ ich, »das Einzige, was Dir
vom sommerlichen Schmuck geblieben ist, nicht lassen; also auch ich
nicht die Hoffnung von daher. Aber das Jahr ist spät und wie lang’
kann Dein Widerstand noch dauern – und meiner?«

Aus solcher trübseligen Betrachtung erweckte mich ein Klopfen an der
Thüre. Die kleine Öffnung in ihrer Mitte, deren Thürlein aufgethan
ward, ließ eine Hand sehen, die ein Papier in die Zelle fallen ließ.
Als ich es aufnahm, war schon die Hand wieder zurückgezogen und die
Öffnung verschlossen.

Es war ein Brief, erbrochen und durch den Abt mir überschickt – ein
Brief, mir von Brun geschrieben aus Rom. Wie froh erschrak ich, als
ich den Namen las, und wie faßt’ ich jeglich Wort, das da geschrieben
stund, zu Herzen!

Gewißlich entsänn’ ich mich seines Scheidewortes an mich. Ihm wär’ es
allzeit lebendig im Herzen geblieben, und Anderes hätt’ er nicht
erstrebt, als daß er mir Befreiung erwürbe und mich in das Erbe seines
Namens und seiner Güter setzte. Er hätte manchen Gang darum gethan und
auch Graf Eberhard – ich kennte doch Adelbert aus Bruno’s Geschichte?
– – wäre ihm eifrig zur Seite gestanden. Auch andere seiner Freunde
aus jungen Jahren hätten sich für ihn eingelegt und selber ihm zur
Hoffnung verholfen, daß er Land und Leute, so er einst besessen,
wiederum zu Handen erhielte. Aber es hätte sich erwiesen, daß
geistliche Rechte wider ihn wären.

Und nun ließ er mich wissen, daß meine Mutter nach altem Brauch mich
feierlich dem Kloster und geistlichem Orden übergeben, daß der
Priester aus ihrer Hand mich auf den Hochaltar genommen und als ein
Opfer und süßen Geruch dem Himmelskaiser geweiht hätte. Da wäre die
Stola um des Knäbleins Arm von ihm geschlungen worden und meine Mutter
hätte alle heiligen Gelübde, vom Priester ihr vorgesprochen, für mich
vollbracht. Auch wäre darüber eine Urkund nach allem Erforderniß in
der Abtei niedergelegt. Auf solches Alles hätte sich der Bischof
berufen, und zu ihm hätten die höchsten Oberen des Cisterzienserordens
gestanden. – Darum hätt’ er sich aufgemacht und wäre gen Rom gezogen,
dort beim heiligen Stuhl für mich zu bitten; aber man hätte ihn
schlecht an die Entscheidung des Bischofs und des Ordens gewiesen,
darnach müßte der Spruch gefällt werden.

Ob ich ihn wohl zu lieben angefangen hätte, als das Kind den Vater
soll? Ob ich mir wohl fürbilden könnte, wie selig ihm die Stunde
gewesen, da er mich gefunden und wie er seitdem nichts wüßte, als mein
Bestes zu suchen? – Dann sollt’ ich nicht wider Gott fechten, den
Frieden meiner Seele in Acht nehmen und mich in’s Kloster ergeben. Ich
sollte nicht hinaustrachten um seinetwillen, denn er hätte aller Dinge
beschlossen, daß wir unser Angesicht nicht mehr sähen. Es wäre besser
so. Er hätte ja eine Weile gedacht, der hehre Christ hätte seine Buße
angenommen und wollte sein brauchen, Freude für seinen Sohn zu säen
und ihm die Wege durch die wirre Welt zu ebnen, in denen er selber
sich verloren. Unterweilen hätt’ er auch einen hellen Traum gehabt,
als möcht’ er Joconda wiederfinden. Aber sie wäre, wie er erkundet
hätte, schon lange in Frieden, wohin dies zeitliche Jammerwesen nicht
reichte, und um mich wär’ er solches Glückes nicht würdig erfunden.
Darum wollt’ er von Stund’ an seine Buße vollenden und die göttliche
Güte unablässig bitten, daß sie meine Seele von allem irdischen
Dichten reinigte und ganz ausleerte von jeglichem Verlangen, das doch
nicht erfüllt werden könnte, bis mein inwendiger Geist ganz stille
würde und offen für die Süße der himmlischen Liebe. Weil er denn
bedächte, daß das Band, so mich mit ihm verknüpfte, mich sonderlich
stark hinauszöge in die Welt, so hielte er es für wohlgethan, auch
dies Gott aufzuopfern, daß ich mich leichter losmachte und, was ich
aufgeben müßte, desto minder schätzte.

»So scheide ich denn«, so beschloß der Brief, »mein herzgeliebter
Sohn, hiemit von Dir, nicht nach dem Herzen und nicht für ewig. Unser
kleines Leben ist wie ein Rauch; meines ist bald verschwunden. Denke,
daß es heut geschieht! – Die ewige Dreifaltigkeit nehme Deiner in
Gnaden wahr, sie enthebe Dich aller Wirrsal und gebe Dir Freude und
Frieden! Das ist mein Segen. Fahr wohl! –

     Mein Sohn, bitte für mich!

     Gegeben in Rom in St. Augustini Kloster.

     +Bruno+.«

Als ich ausgelesen hatte, entfiel der Brief meinen Händen und meine
Arme sanken schlaff herab. »Fahr wohl, fahr wohl!« rief es mir nach.
»Fahr wohl, mein Vater! fahr wohl jede süße Hoffnung; fahr ewig wohl!«
In dumpfem Klageton hört’ ich’s so; aber ich fühlte, wenn ich’s
ausspräche, so müßt’ ich’s hinausschreien, und ich verharrte im
Schweigen. Denn in allzugroßem Weh mißgönnt sich der Mensch auch den
Trost der lauten Klage. –

Eine starke Windsbraut, die mit klatschendem Regen gegen das Fenster
fuhr, schreckte mich auf und riß meinen Blick empor. Die Äste
schlugen gegen die Scheiben, also daß sie erklirrten, und das letzte
Blatt, von seinem Zweige geschieden, wirbelte durch die Luft; eine
kleine Weile ward es umhergetrieben, dann entschwand es meinen
Blicken.

»Fahr wohl, fahr wohl!«

Da quoll ein Dunkel auf um mich her, als wollten Wellen eines Meeres
mich verschlingen, und die Sinne vergiengen mir. – Als ich mich
wiederum besann, fand ich mich auf der Diele liegend; der kurze Tag
war herum und die Zelle ganz finster. Vom Himmel und vom Nußbaum war
nichts mehr zu sehen, nur der Wind gieng draußen wie vorhin, und so
oft er die Äste gegen das Fenster bog, hört ich’s noch immer rufen:
»Fahr wohl, fahr wohl.«

Ich weiß nicht, wie lange dies währte, als es geschah, daß an der Thür
der Riegel zurückgeschoben ward und gleich darauf Einer aus dem
Convent, nicht der meiner Pönitenz vorgeordnet war, mit Licht in meine
Zelle trat.

So geschlagen ich war in jener Stunde vor großem Leide, wollt’ ich
doch nicht, daß Solches im Convent offenbar würde; ich hatte mich also
aufgerafft und trat dem, der mich heimsuchte, so gelassenen Angesichts
entgegen, wie ich’s vermochte.

Der aber sprach, mich betrachtend: »Diether, wie siehst Du verhärmet
aus! Fasse Muth in’s Herz; leichtlich wirst Du bald wieder froh. Denn
so erfindet sich’s unselten im Leben, daß die besten Tage die bösesten
ablösen.«

Darnach sagt’ er mir, daß Abt Albrecht ihn geschickt hätte, mich
allsogleich vor ihn zu führen, und, wie sich’s ansähe, hätte der für
mich wichtige Zeitung.

Als ich in des Abtes Gemach trat, saß der, wie er pflegte in Stunden
der Muße, im hohen Gestühl, vor sich ein Buch zu heiliger Betrachtung
und gelehrtem Fleiß oder, wenn es mit Bildwerk geziert war, auch zu
lustsamer Beschauung bestimmt. Doch er hatte das Ansehen nicht, als ob
er heute sein Nachdenken da hinein tief versenkt hätte. Denn kaum
erblickt’ er mich, als er mich näher winkte, eine kleine Weile prüfend
seine Augen auf mir ruhen ließ, seinen Mund aufthat und folgendermaßen
anhub:

»Wir haben Dir eben heute, Diether, einen Brief zugehändigt, der
billigermaßen Dein Gemüth beschwert und in Traurigkeit gesetzt hat.
Denn darinnen ist Dir kund geworden, daß Du Deines Vaters Angesicht
nicht mehr sehen sollst in dieser Zeitlichkeit.« –

Als ich diese Worte hörte, fühlte ich die Trübniß, die mich vorhin
überwältigt hatte, wiederkehren, und wiewohl ich mich gedachte fest zu
machen, konnt ich’s nicht wehren, daß meinen Augen vor übergroßem
Leide Zähren entflossen.

»Ja, gewißlich«, sprach er weiter, als er solches wahrnahm, »ist
davon Deine Seele hochbewegt; und wir nehmen noch sonst ein
Verständiger, sogethane Trauer Dir nicht für Übel; denn kindliche
Liebe ist göttlicher Schöpfung, und Fleisch und Blut thun nach ihrem
Willen. Doch, Diether, ich verhoffe, die ernstlichen Ermahnungen aus
theurem väterlichem Munde, auch die Erkenntniß Deines eigenen Herzens
und deß, was ihm das Beste ist, dazu Du mit allem Fleiß angehalten
worden bist, werden Dir geholfen haben, jene Traurigkeit zu
überwinden, die eitle Herzen unter sich bringt, denen der Welt Lust
versagt ist, darnach sie vergeblich trachten. Ich verhoffe, Du siehest
fürder diese Abtei, in der Du auferzogen bist, nicht als ein Gefängniß
an, sondern bedenkest wohl, daß Du allhie nicht allein der Seele Heil
am ungefährdetsten erwirken, sondern Gott mit der edlen Kunst, deren
Vermögen Er Dir verliehen hat, am würdigsten dienen magst. – Daß in
dem Allen Dein Sinn erprobt werde, dazu ist Dir zur Stunde Gelegenheit
geboten.«

Ich horchte auf bei diesen Worten und sah ihm mit großer Erwartung zu,
als er eine Schrift, die er zur Seite liegen hatte, in die Hand nahm
und entfaltete.

»Wir haben eben heute Briefe empfangen«, sagt’ er dabei, »Deine Sache
angehend, welche darthun, daß die, so zuvörderst das Urtheil darüber
zu fällen haben, anderen Sinnes worden sind, wie es mit Dir zu halten
sei, als es sich zuvor anließ. Auf dringendes Ansuchen des Bischofs,
dem unsere Abtei untersteht, hat das General-Capitel unseres Ordens
neuerdings verwilligt, daß unser Convent Dich losgebe, und Dich des
Gelübdes, einst für Dich gethan, entbinde.«

Als ich diese Worte hörte, überkam mich eine Freude, als dränge ein
heller Sonnenstrahl plötzlich in mein von Traurigkeit ganz
überschattetes Gemüth.

»So soll ich frei sein, ehrwürdiger Vater?« fragt’ ich mit Pochen
meines Herzens. »Ist es das, was Ihr sagtet – frei?«

Ihm war aus der Hast, mit der ich Solches redete, die Unruhe meiner
Seele wohl offenbar. Mit Verwunderung und auch, als hätt’ er weiseren
Sinn mir zugetraut, sah er mich an und gab mir weiter Bescheid: »Auch
soll von dem liegenden Gute, einstmals Deinem Stamme zugehörig, auf
Verwendung der bischöflichen Gnade und mächtiger Freunde so viel durch
Lehenshand Dir wiederum zufallen, als zur ziemlichen Erhaltung
ritterlichen Standes für nöthig erachtet wird; wie Solches die
Schriften hier besagen und urkunden.«

»So bin ich nicht fürder hier zu bleiben gehalten?« fragt’ ich wieder;
denn mir war’s nicht anders, als träumt’ ich nur.

»Allein Deine Wahl, Diether!« sprach der Abt, »bestimmen forthin Dein
Bleiben oder Gehen. Möge Gott, Jüngling, Dich dazu erleuchten, daß Du
Dich recht berathest.«

Da konnt’ ich mich nicht länger enthalten, eilte auf ihn zu und, vor
ihm auf die Kniee fallend, ergriff ich mit Ungestüm seine Hände, küßte
sie und sprach: »Dank, dank, lieber Vater, für die Kunde, die mir von
Euch geworden ist! Sie macht mich wieder lebendig. Ein schwerer Muth
war über mich gekommen, als sollt’ ich solcher Märe nimmer froh
werden.«

»So steht Dein Wunsch und Wille noch allerdinge hinweg von uns?«
fragt’ er mit Strenge und doch auch, als lebte, da ich so beweglich
und nahe zu ihm redete, etwas von seiner früheren Gütigkeit gegen mich
wieder auf in ihm. »Nur Freude schafft Dir dies, auch nachdem Du die
Worte Deines Vaters, Herrn Bruno’s, vernommen?«

»Ehrwürdiger Vater!« erwiedert’ ich, indem ich’s wagte und seine Kniee
umfaßte. »Immer spende die göttliche Gnade den Lohn Euch
überschwänglich für alle Treue, die Ihr an mir gethan habt, und Gott
mit seinem Frieden sei eines Jeglichen Geleitsmann ewiglich, so viel
allhier Eurem Hirtenstabe unterstehen: aber mich leidet’s in dieser
Abgeschiedenheit nicht länger, und mein inniges Trachten ist noch zur
Stunde, wie es vorhin war, hinaus.«

»Und doch«, sprach Albrecht wieder, »magst Du leichtlich in der weiten
Welt Dich einsamer und verlassener finden, als hier, wo Du so Vielen
vertraut bist. Denn bedenk’ es wohl: Dein Vater harret Dein nicht, und
an welchem Ort er weilet, ist Dir verborgen!«

»Noch ist ein Ruf«, sagt’ ich wieder, »dem ich folgen muß. O, zürnet
nicht über das, was ich sage: aber begehrete Herr Bruno zur Stunde
selber von mir, daß ich bliebe; so lange die Freiheit zu bleiben oder
zu gehen in meine Wahl gelegt ist, könnt’ ich ihm nicht gehorsamen.
Nein, ich könnte und würde nicht!«

Als ich ausgeredet hatte, erhub sich Herr Albrecht mit finstrem
Angesicht, hieß mich gehen und selber mit meinem eitlen Dünken mich
berathen.

So von ihm hinweggewiesen zu werden, gieng mir schwer ein. Darum bat
ich ihn und sprach:

»Nicht so, ehrwürdiger Vater! nicht so heißt mich von Euch geh’n!
Gebt mir ein Wort der Verzeihung und des Segens mit!«

»Ich sorge wohl«, sprach er wieder mit großem Ernst, »die Stunde wird
kommen, darin Dir Beides hoch noth sein wird. Möge sie nicht zu
schmerzlich für Dich sein! Alsdann wirst du unsern Segen nicht
vergeblich suchen. Wisse das, Diether, und geh!«

Auf diese Worte, die er mit strenger Gebärde begleitete, durft’ ich
nichts erwiedern. Ich verneigte mich vor ihm und gieng.

Was nun im Convent und allerorten in der Abtei für ein Fragen
entstund, und wie groß das Aufsehen war, als es ruchbar ward, daß ich
auszöge für immer; wie Manche mich da berathen wollten, mahnen und
warnen, Andere es nicht hehl hatten, daß sie mich neideten, so Viele
auch eine herzliche Neigung zu mir kund thaten und sich mühten, zur
Letze mir zu zeigen, daß ich ihnen lieb war; wie sich da, als ich
Abschied nahm, Freud und Leid an der Hand hatten und ganz dicht zu
einander gesellet waren: von dem Allen gedenk’ ich nichts zu
vermelden. Denn wer selber einmal eine Stätte hinter sich gelassen
hat, der er gewohnet war und die er nicht wiederum zu betreten
gedachte, der kann sich leichtlich fürbilden, wie es sich zutrug mit
meinem Urlaub nach Maulbronn. Ihm ist auch nicht noth zu sagen, wie
mir dabei um’s Herze war. Denn er weiß, daß solche Scheidestunden auch
für den Menschen, der mit allem Verlangen nach der Ferne strebt, etwas
von jenen sanften und feierlichen Schauern in sich hegen, dergleichen
auch in der letzten Scheidestunde die gottminnende Seele durchzittern
mögen, wenn sie mit Freuden zum Himmel eilt und doch zugleich mit
doppelter Inbrunst liebt und segnet, was ihr auf Erden theuer war.



Zehntes Capitel.

In der Welt.


Schwerlich zog Jemand wanderlustiger seine Straße an jenem
Novembertage als ich, nachdem ich Maulbronn verlassen hatte. Es
mochten seitdem zween Tage verstrichen sein oder drei. Allgemach waren
mir die schweren Gedanken vergangen; die lang entbehrte Freiheit, die
Erfüllung sehnlicher Hoffnung und heute das klare röthliche
Sonnenlicht, das die Welt beschien, machten mir das Herz froh und
leicht. Munter schritt ich hindann. War ich nicht auf dem Wege nach
Speyer, allda vom Bischof weitere Vollmacht zu erhalten für meinen
ritterlichen Stand, und gedacht’ ich nicht von dort aus mich an Graf
Eberhard zu wenden, seinen Rath zu erbitten, wie ich mich weiter
hielte, und winkte mir dann nicht noch ein anderes, ersehnteres
Wiedersehen?

Weil mein Blick mit Lust um sich schaute und des freien Umblickes mit
Freuden genoß, so hatt’ ich der Stunden unterm Wandern nicht geachtet,
wie sie dahin gegangen waren. So brach der Abend herein, und ich wußte
noch nicht, wo ich die Nacht zur Herberge liegen sollte; Stadt oder
Dorf waren nirgends ringsum zu sehen. Mein Mundvorrath war zu Ende,
und ich begann die Müdigkeit meiner Glieder zu fühlen.

Indem sah ich durch die Abenddämmerung über ein blaches Feld ein Feuer
leuchten, das am Fuße eines Hügels angezündet war, der die Flamme
etlichermaßen vor dem Winde schützte.

»Vielleicht ist’s ein Hirt, der dort sich seine Abendkost rüstet«,
dacht’ ich. »Er mag Dir wohl auch Rast und Erwärmung an seinem Feuer
und einen Imbiß gönnen, so Du ihn darum ansprichst.«

So bog ich dahin vom Wege ab.

Als ich nahebei kam, trieb mir just der Rauch in’s Angesicht, daß ich
nicht wohl aufsehen konnte. Wer aber da der Flamme pflegte, das ward
mir mit dem ersten Gruß bewußt, den ich hörte:

     »Geschwind, Klingsohr, Gesell, Sieh da!
     Er selbst: _lupus in fabula!_«

Allsogleich darauf fühlt’ ich mich von dem Gerufenen an beiden Händen
erfaßt und unter überlustigen Sprüngen näher gezogen, indem er sang:

     »Nun fiedelen und tanzen wir, heisa, hopei!
     Herr Diether, der Junker, Herr Diether ist frei!«

»Gelt, mein Tannhäuser!« sagt’ er dann zu seinem Gespons, indem sie
beide eine wollene Decke an die bequemste Stelle neben dem Feuer
spreiteten, »das hätten wir nicht gedacht, daß der werthe Junker uns
die Sach’ so leicht machen würde. – Ho, ein gutes Glück! Eine
treffliche Conjunctio! wie die Astrologi sagen. – Möcht’ ein
Kalendarium haben, die Zeichen einzusehen, wie sie heute stehen. –
Gewißlich im besten Aspect; geschickt zu großer Unternehmung! – Ah,
Herr Diether! Die bleibt ungethan, und wenn sie uns den Stein der
Weisen zu gewinnen brächte, nun wir Euer theilhaftig worden sind.«

Und er schüttelte mir wieder die Hand und der Tannhäuser auch.

»Ihr scheinet meiner gedacht zu haben«, fragt’ ich, selber schier
erstaunt über die unverhoffte Begegnung, indem ich, wie sie es
wollten, zwischen ihnen niedersaß.

»Ob wir des Junkers gedacht haben, Gesell!« sprach da der Kurze und
stieß den Angeredeten hinter meinem Rücken an. »Nur gedacht?!
– Gesprochen haben wir von Euch, Herr, alltag und heut sonderlich und
eben jetzt wieder! Und, Junker, ich sag’ Euch: immer in solcher
Meinung, wie sie treuer nicht sein könnte, wenn Ihr schlecht unser
Kunstbruder wäret und nicht hochbürtigen Stammes.«

»Seid von Herzen bedankt dafür«, sagt’ ich, »aber der Singekunst denk’
ich auch jetzt nicht zu entsagen, habe ich sie letzthin gleich nicht
geübt.«

     »Die Kunst verbrüdert, aber mehr
     Doch scheidet Ansehn, Stand und Ehr,«

sprach der Tannhäuser dazwischen und war nachdenklich.

     »Fürwahr! so ist die Welt gericht’t,
     Doch unser Junker Diether nicht«,

sagte Klingsohr ihn begütigend. – »Nein! Ihr nicht, um den wir uns
gegrämet haben und gesorgt, seitdem sie Euch von uns rissen und wir
trotz all’ unserer harten Arbeit und Zauberkunst und Alrune Euch
dahinten lassen mußten, wo Ihr zuvor gesessen, eingethan und
versperrt! Ihr nicht!«

»Ach, Junker«, fuhr Klingsohr fort, »wie schön hatt’ ich Euch
allbereits hinaus, und wie balde wären wir hinunter gewesen, aber das
Fräulein – das Fräulein!« – dabei sah er mich von der Seite an und
winkte mit dem Finger. – »Ach, Junker, es war da auch ein Zauber, der
Euch zurückhielt und ein stärkrer als meiner, der Euch des
Gefängnisses entledigen sollte.«

Und er lachte und schlug, als wüßt’ er genug von derlei Sachen, um
sich ihrer noch zu verwundern, mit seiner Hand scherzweise auf mein
Knie.

     »Jungfraunlieb ist fahrend Hab,
     Heut Herzliebster und morgen: schab ab!«

sang der Tannhäuser, als thät er’s in Gedanken.

War ich über Klingsohr’s Rede roth geworden, so verdroß mich seines
Gesellen Liedlein. »Schweig!« gebot ihm der Magus, der meinen Ärger
wohl vermerkte. »Schweig, Gesell, und laß mich dem Junker vermelden,
wie wir keine Ruh’ gehabt haben, bis wir für gewiß über ihn
erkundeten, was aus ihm geworden; wie wir endlich überein gekommen
sind, nach ihm zu spüren in Maulbronn, müßt’s selber unter seines
Abtes Bettsponde sein. – Ach, Junker, wir dachten nicht anders, als
es wär’ Euch Luft und Licht versagt und Ihr hörtet außer der Litanei,
die Ihr selber singen müßtet, nur die Mäuslein pfeifen Tag und Nacht.
’s ist uns drüber, Junker, manches Mal die Lust vergangen am Essen –
und am Trinken auch.«

     »Daran verloren unterdessen
     Nicht viel die Kehle noch der Bauch,«

sagte Tannhäuser und winkte abwehrend mit der Hand.

»Ah, ah, Junker!« sprach Klingsohr wieder; »Er red’t nur so – nur
aus Bescheidenheit, sag’ ich Euch; nur aus Bescheidenheit. – Ein
kaiserlich Mahl hätten wir uns versagt für Euch – und heut, ja heut
möchten wir eins halten für lauter Freuden, daß Ihr wieder heraus
seid. – Sagt’ uns nun, wie ist’s Euch gelungen damit, Junker? Aus
einem Thurm Einen von dannen bringen, freilich, ist auch ’ne Sach’!
Aber aus ’nem Kloster sich davon machen, wenn sie erst einen redlich
eingefangen haben und mit Geißelung und Pön ihn christlich bedienen –
ha, ha! – das nenn’ ich eine rechtschaffene Kunst.« Und er schüttelte
sich vor Lachen. »Ihr versteht sie, Junker! Ihr versteht sie! Welche
habt Ihr gebraucht? Des Nachts entwischt, he? oder am Tag die Wächter
getäuscht, oder Gewalt geübt oder –«

»Nichts von dem Allen hab’ ich geübt, noch sonst keinerlei
Widerrecht«, gab ich ihm zur Antwort; »sondern nachdem ich des
Klosterlebens entlassen, bin ich nach eigener Wahl gegangen und frei
öffentlich.«

     »Die Welt ist böse aller Orten
     Und selten gut;
     Gern weilt’ ich hinter Klosterpforten
     In sichrer Hut«,

sagte der Tannhäuser und sah sinnend in’s Feuer.

»Wie, Junker?« fragte Klingsohr und sperrte vor Verwunderung seine
kleinen Augen so weit auf, als er’s vermochte, »wie? Ihr seid nach
Urtheil und Recht losgegeben?«

»So ist’s«, sagt’ ich, »und anders nicht. Der Bischof selber hat sich
bei des Ordens Oberhäuptern für mich eingelegt, daß nach meines Vaters
Willen geschehe. Darnach hat das General-Capitel der Cisterzienser es
verwilligt, und hier bin ich auf dem Wege gen Speyer, allda von Herrn
Gebhard die Vollmachten zu empfahen, und was sonst nöthig ist zur
Wiedererlangung meiner ererbten Rechte zu betreiben.«

Auf diese Worte schlug der Kleine die Hände zusammen und rief:

     »O Wunder groß! Nun dies geschah,
     Wähn’ ich, der jüngste Tag ist nah!«

»Was ist da so größlich zu verwundern«, fragt’ ich wieder, »daß man
mildiglich handelt und nicht so gar nach dem strengen Recht, so Keinem
dabei zu nahe geschieht?«

»Herr, Herr!« rief der Klingsohr. »Ihr kennt der Welt Lauf nicht; Ihr
kennet ihn bis auf’s Härlein nicht, sag’ ich, Klingsohr! – Entweder
die Welt hat sich geändert und die heilige Kirche dazu – oder Ihr
seid ein Sonntagskind, eine weise Frau hat Euch zur Tauf’ gebracht und
ein Nix war zum Gevatterschmause geladen. – Sonst steckt noch was
dahinter, sag’ ich Euch; könnt’ ich’s nur ausfindig machen.«

Dabei lupfte er seinen Hut, strich mit der Hand durch sein Kraushaar
und sah mit gespitztem Munde den entschwebenden Rauchwolken nach. –
Ich wußte zu seinem seltsamen Wesen, das er zeigte, nichts zu sagen
und schwieg.

»Und was gedenkt Ihr, wenn Ihr beim Bischof Alles nach Wunsch
ausgerichtet habt«, fragt’ er, sich wieder zu mir wendend, »was
gedenkt Ihr hernachmals zu thun, Junker, so man das wissen darf?«

»Warum nicht, Klingsohr!« gab ich ihm Bescheid. »Dann gedenke ich
Herrn Eberhards Gunst und Beistand zu suchen –«

»Wozu?« fragte er rasch. Ich war von der Art, wie er das Wort sprach,
ein wenig gewirret; doch faßte ich mich und sagte: »Zu Vielem; zu
Allem, deß ich Neuling in der Welt an Rath und Führung brauchen werde,
denn meinen Vater weiß ich nicht zu erlangen.«

»Zu weiter Nichts? Junker, zu weiter Nichts?« fragt’ er wieder.

»Wie wunderlich Ihr seid!« sprach ich. »Zu was noch sonst?« – Aber
ich mocht’ ihn dabei nicht ansehn; denn ich wußte wohl, daß er mit
seinen Blicken auf mich hielt.

»Dann rath’ ich Euch, Junker!« hub er wieder an – »brauchet Herrn
Eberhards nicht! – Was wolltet Ihr, da Euch die Flügel losgebunden
sind, noch fürder hier herumschleichen, als stünd’ Euch draußen nicht
die weite Welt offen? – Seid Ihr nicht selber gewitzigt genug, Eurer
Sache zu helfen, und werdet Ihr nicht Freunde, Euch beizustehen, bald
genug finden, so Ihr sie weislich prüfet? – Wär’ ich, Herr Diether,
an Eurer Statt, ich rüstete mir in Speyer alsbald ein hübsch’ Pferd
und durchzöge die Lande der Christenheit: wo Kurzweil zu finden, Ehre
zu erjagen wäre, da macht ich Halt, und, glaubt mir’s, Junker! wenn
Ihr so thut, so werden, wenn ein Jahr herum ist, allerorten die
Männer, so des Ritterthums verstehen, Euch rühmen – und gar die edlen
Frauen! – ah, Junker, Ihr seid ein glückseliger Mann, denn die
Frauengunst, Junker –«

»Was sollt’ ich mich nicht zuvörderst zu Herrn Eberhard wenden und die
Elzeburg meiden?« sagt’ ich, ihn unterbrechend.

»Nur allda den Grafen heimzusuchen, Junker Diether?« und mir schien’s,
als winkte Klingsohr seinem Gesellen, wohl acht zu haben, da er so
fragte.

»Nun, ihn und das Fräulein auch«, erwiederte ich kurz.

»Wenn Ihr nur nicht just um sie des Frauenzimmers da zu wenig findet«
– meinte Klingsohr.

»Oder aus der Ritterschaft einen zuviel«, fuhr der Tannhäuser fort.

»Ich versteh’ Euch nicht!« rief ich ärgerlich.

Da sang der Lange:

     »Gar manchem Mann
     Bleibt’s Herz gesund,
     Nur wenn ihm, was ihn nah geht an,
     Nicht wird auch kund.«

»Wahr, Bruderherz, wahr ist Dein Spruch!« rief Klingsohr. »Drum sag’
ich:

     Nimm jede Gunst, wie sie Dir ward,
     Und baue nicht auf ferne!
     Du findst zuletzt die Schale hart
     Und Bitterkeit im Kerne!«

»Nicht zuletzt nur!« sagte der Singer wieder und schüttelte sein
Haupt, als wär’ ihm an All’ dem in keiner Weise gelegen:

     »Frauengunst, –
     Blauen Dunst
     Ich acht’ sie.
     Wer begehrt,
     Was da werth,
     Verlacht sie!«

Da mocht’ ich dies ihr Räthselspiel, mit dem sie, wie ich wohl
vermerkte, auf mich zielten, nicht länger ertragen. Ich sprang vom
Sitze zwischen ihnen ärgerlich auf, sah sie finstrer Miene an und
sagte: »Ich bitt’ Euch, Freunde, lasset ab von solchem Gespräch; denn
es ist mir verdrießlich zu hören. Sagt mir frei offen, was Ihr wisset
von Elzeburg, das mir Hinderung sein sollte, dorthin mich zu wenden.«

Auf solche Worte gab sich der Tannhäuser das Wesen, als nähm’ er sich
meiner Rede nicht an und müßte sein Gefährte alleine zusehen, wie mir
zu antworten wäre.

Der aber stellte sich vor mich hin, blickte scharf in mein Gesicht
und hub also an: »Junker Diether, seht Ihr! Euch ist’s um des Grafen
Schutz und Beistand allein nicht zu thun! Noch eine andere Gewalt
zieht Euch nach Elzeburg. Schaut nicht weg! Ach, ich verarg’s Euch
nicht. Kein Christenmensch darf’s Euch verargen, der das Fräulein
gesehen hat und was Huld sie Euch erwiesen. Und ich – wie sollt
ich’s, der ich vom minniglichen Abschied weiß, den Ihr von ihr nahmet?
O, Herr! so etwas vergißt sich nicht. Wie? Zum Wenigsten in Euren
Jahren nicht. Es spinnt seine Fäden zart und gülden wie Sonnenstrahlen
durch die Werke des Tages und durch die Träume des Nachts – immer
fester, immer zäher – und um’s Herz wickeln sich die Fäden, bis es
sich gar darin verstrickt – und die Einsamkeit ist die Spinnerin. –
Nicht so, Junker, nicht so? Ah, Ihr wagt nicht zu leugnen – es
braucht’s auch nicht gegen den Klingsohr – es braucht’s wahrlich
nicht? – Nun denn, Junker, hört wohl zu! – Aber zuvor versprecht mir
Eins! Laßt den Boten seine Botschaft nicht entgelten. ’s wär Unrecht;
es wär’ gegen uns wahrlich groß Unrecht! Denn so Ihr’s heut erfahret,
und Ihr nehmt’s auf mit ziemlichem Verstand und als ein Mann, der
seine Fahrt durch die Welt ruhmeswerth und klüglich ausrichten will,
so werdet Ihr Euch in’s Künftige viel nutzlos Weh und Ach ersparen und
die Sprüchlein, die Ihr von uns zur Stunde gehört habt, werden mit
ihrer Weisheit an Euch nicht verloren sein. – Wohl! Nein, nicht wohl;
Euch wird’s übel dünken, so übel, daß Euch die Wiederfahrt gen
Elzeburg gar verleidet wird: und just das ist’s, was ich Euch vorhin
rieth. – Also, Junker, Euer Graf möcht’ jetzt für Euch die Zeit nicht
haben und seine Nichte desgleichen nicht. ’S sind zur Stunde andere
Gäste willkommen in Elzeburg. Wir, mein Gesell hier und ich, zogen
vorbei da jüngst vor etlichen Tagen. Es geht da hoch her, in lauter
Lustbarkeit. Warum auch nicht? Der Gernsteiner hat seine Braut
wiedergewonnen und ihren Mahlschatz dazu – so doch Beides, wie es das
Ansehen hatte, ihm eine Weile verloren war. – Ist nicht erneute Liebe
zwier so heiß? Und kann man sich über die Glückseligkeit, die jetzt
das Fräulein neben ihrem Bräutigam merken läßt, verwundern, so man
bedenkt, er möchte sonst besorgen, sie gedächte Eurer etwan – und ist
doch schon bereits vier Monde her oder fünf, seit sie Euch nimmer
gesehen. Stellt’s Euch nur für! fünf Monde!!« –

     »’ne lange Zeit
     für eine Maid,
     Zweimal eine Ewigkeit.«

sagte der Tannhäuser dazwischen.

»Ja, mein Treu, Junker, das ist’s«, sagte Klingsohr bestätigend. »Ihr
seid zu lang ausgeblieben.«

»Ihr seid unrecht berichtet«, rief ich, »gewiß, Ihr seid es in dem,
was Ihr da von Elzeburg sagt. Ich glaub’ es nicht, es kann nicht sein.
Ist aber Eure Rede dennoch nach der Wahrheit, so werd’ ich’s in Speyer
erfahren. Bis dahin, bitt’ ich Euch, laßt uns der Sache nicht mehr
gedenken, sondern des Mahles, so Ihr etwas zuzurüsten habt, daß wir
unser Herz stärken und dann des Weges weiter ziehen.«

So sprach ich. Aber mein Gemüth gedachte gar anders. Inwendig war’s
mir, da ich diese Zeitung von Irmela vernahm, als erschallte aller
meiner Freude recht das Grabgeläute und wäre mein froher Muth mitten
in’s Herze getroffen. Ich saß schweigend nieder und mochte auch nicht
ferner auf die Beiden merken, wie sie ihr Küchenwerk angriffen. –
Darum war mir’s lieb, daß sie fragten, ob ich, derweilen sie
zurüsteten, auf das Feuer Acht haben wollte.

Der Abend war schnell dunkel geworden und die Rauchwolken wirbelten
im röthlichen Glanze weithin sichtbar empor. Ich blickte ihnen nach
unverwandt, wie eine nach der andern sich dahinwälzte und immer wieder
gleich dieser im Dunkeln sich spurlos verlor. Sollte so auch der helle
Glanz der Glückseligkeit, der mir im Herzen aufgegangen war, trüb und
trüber werden und endlich in Nacht verschwinden? O, ich fühlte, das
könnte nicht sein. Ich fühlte, wenn sie, der all’ mein Herz in Treue
zugethan war, mir verloren wäre, wenn sie mein vergessen hätte, dann
müßte mir die Welt immer öde bleiben und ich aus ihrem Glück
verwiesen. Aber, sollt’ es denn Wahrheit sein, was ich gehört hatte?
Sollten diese lieblich lichten Blicke, sollte dieser lächelnde,
falschesfreie Mund, sollte der innigliche Druck dieser Hände mir
gelogen haben? Sollte dies Alles, was mich umgewandelt hatte und mein
innerstes Sinnen und Meinen bezwungen, ihr nur Spiel gewesen sein?
Konnte sie sich von mir kehren und nicht darnach fragen, daß die tiefe
Wunde, so ich von ihr empfangen, immer offen stehen würde? Nein, es
war nicht möglich! Und unmuthig stieß ich in die Flamme, daß die
Funken mit Geprassel stoben und zuckend in der Luft auf und nieder
fuhren, ehe sie verloschen. Ihnen glichen die Gedanken, die mir jetzt
wild durch’s Herz strichen. Wie? Wenn man die Maid wider ihren Willen
zwänge zum verhaßten Ehebunde? Wenn unsere Heimlichkeit kund geworden
wäre und sie wähnte, ich bliebe festgehalten im Kloster und sie harrte
mein umsonst? – O, dann wollt’ ich jeglich Wagniß bestehen, sie zu
befreien, und keine Fährniß sollte mich schrecken, gerieth ich gleich
in die Irre und mein Pfad in die Nacht.

Da blickte mich ein theures Angesicht wie aus einem Spiegel traurig
und liebreich an. Immer mit den aufsteigenden Flammen schwebt’ es
empor; es winkte und warnte und rief mich leise mit süßem Namen.
– »Unser kleines Leben ist wie ein Rauch; meines ist bald
verschwunden. Denke, daß es heut geschieht.«

Und ich saß und sah in’s Feuer, wie die Flammen züngelten und die
Wolken röthlich dahin zogen, bis die Nacht sie verschlang. –

       *       *       *       *       *

In Speyer, als ich dargekommen war, war es mir mit meinen Sachen wohl
gerathen. Ich hatte die Bestätigung meiner Freiheit und meines
ritterlichen Standes erlangt. Das Lehn, in Schwaben gelegen, so mir
zugestanden war, ward mir überantwortet, und was weidliche Leute und
Geschlechter in der Stadt waren, von denen ward ich aufgenommen und
ehrlich angesehen; sie litten mich allenthalben gern und wähnten nicht
anders, denn daß ich bald zu hohen Ehren kommen würde. Doch that ich
dazumal Alles mit halbem Herzen; denn die Gewißheit, daß Irmela Ritter
Conrad freien würde, wie mir die Fahrenden das berichtet, hatt’ ich
bald nach meiner Ankunft in Speyer erlangt. Davon erstarb mir die
Freudigkeit, und von dem großen Leide, das ich da gewann, konnt’ ich
mein Gemüth nicht hinwegziehn. Doch schöpft’ ich noch ein kleines
Tröstelein. Denn wie? Ich mußt’ es ja glauben, was sie Alle sagten,
und glaubt’ es doch wieder nicht. Von ihr selbst, dacht’ ich, will
ich’s erfahren. Hinaufzuziehen gen Elzeburg, deß unterwand ich mich
nicht, denn ich besorgte, ich möchte nicht vor sie gelassen werden und
dem Gernsteiner dann begegnen, der dort weilte, wie ich hörte. So
schrieb ich einen Brief an die Maid, darin ich ihr meine Erledigung
aus dem Kloster vermeldete und ihr theuer schwur, meine Treue würd’
ich ihr ewiglich halten und wie mein Gemüth unbeweglich auf demselben
Sinn stünde. Darnach ließ ich sie wissen, wie große Sorge und Zweifel
ich gewonnen hätte, da mir die Sage von ihr zu Ohren gekommen wäre,
daß sie dem Gernsteiner mit Nächstem sollte angetraut werden, und ich
bat sie beweglich mit dringenden Worten, daß sie mir doch ihres
Herzens Willen und Meinung kund thäte, und ob sie, wie ich wohl
glaubte, zu solchem Ehestande gezwungen würde. Dann wollt’ ich alle
Macht daran setzen, so oder so ihr zu helfen und mir. Nur das +eine+
selige Wörtlein möchte sie mir schreiben, daß ihr Sinn und Wille
unverändert wäre, gleich wie sie in meinem Herzen beschlossen bliebe
ewiglich.

Solchen Brief gab ich Klingsohr, daß er ihn sicher und geheim
überbrächte, auch die Antwort, welche er erlangen würde, heimlich
hielte. Denn die beiden Fahrenden waren mir gen Speyer gefolgt.

Mit Ungeduld wartet’ ich des Bescheides. Es währte nicht gar lange,
daß ich ihn durch Klingsohr erhielt. Es waren nur wenige Worte, die
sie mir überschickte, aber solche, die wie der Frost im Märzen jedes
noch keimende Blümlein meiner Hoffnung und Zuversicht ertödteten. Sie
bat mich um Gottes Willen, ihr nie wieder mit keinerlei Botschaft oder
Brief zu nahe zu kommen, noch etwa selbst sie heimzusuchen; sie
wünschte mir von Gott und seinem himmlischen Heer alle Genüge und
Freude allerwegen; aber wir müßten geschieden bleiben forthin, und sie
bäte mich, ihrer zu vergessen; denn das sollt’ ich wissen: sie reiche
aus keinerlei Zwang dem Gernsteiner die Hand als ihrem Ehegemahl,
sondern willig und aus freiem Erbieten. Der reiche Christ möge meiner
Seele pflegen hier und dort. Dies wäre ihr letzter Gruß.

Von Stund’ an hatt’ ich keine Ruhe mehr in Speyer, und alle Lust an
Freud’ und Festlichkeit, ihrer mit zu genießen, war mir verdorben. Wo
ich immer weilte, giengen die schweren Nachgedanken mit mir an die
hohe Wonne, die sich in Weh verwandelt hatte, und oft, wenn ich mitten
unter Menschen war, die mich fröhlich sein hießen, ward ich etwas inne
von dem, was Herr Albrecht mir gesagt hatte, daß man sich auch in der
Welt und ihrem Geräusch einsam fühlen könne. –

Da reichte eine Traurigkeit der andern die Hand; denn der Schmerz um
Bruno, meinen Vater, überkam mich mit neuer Gewalt. Ich schalt mich
unkindlichen Sinnes, daß ich mich unbeständiger Frauenliebe hätte
trösten wollen und ihr noch Raum gelassen in meinem Herzen, da ich
allein seiner hätte gedenken sollen, wie ich ihn wiederfände und aus
seinem Kummer um mich befreite. So bist du jetzt betrogen, sagt’ ich
mir, dieweil du eitlem Glück nachgelaufen bist und hast die ächte
Treue nicht genugsam geschätzet. Und wiederum dacht’ ich: wenn du ihn
gefunden haben wirst und bekennest ihm das Glück, so du verloren, und
das Leid, so du gewonnen hast: dann wird’s dir leichter zu tragen
sein; du wirst wiederum einen guten Muth und Freudigkeit gewinnen,
wenn seine Liebe und sein Lob dich anspornt.

So faßt’ ich denn nichts Anderes zu Sinne, als Herrn Bruno zu
erkunden, wo er weilte, auf daß ich ihn heimsuchte und er meine
Losgebung aus dem klösterlichen Stande erführe. Ich nahm Urlaub von
Speyer und zog zuvörderst gen Schwaben, daselbst das mir zugetheilte
Erbgut einzunehmen; ich verblieb da nur kleine Zeit, richtete die
nöthigen Sachen aus nach erfahrener Leute Rath, wie es während meinem
Abwesen gehalten werden sollte, und setzte auch Klingsohr und seinen
Gesellen in ein Leibgedinge, so lange sie lebten, wofern sie des
seßhaften Lebens anstatt des schweifenden sich annehmen wollten,
worein, wie es schien, der Tannhäuser mit Freuden willigte, aber der
Magus nicht so völlig.

Als ich solchermaßen meine Sachen beschickt hatte, richtete ich mein
Angesicht stracks gen Mittag, nach Welschland zu ziehen. Da führte
mich mein Weg über Gebirg und Thal, auf felsigten Pfaden an steilen
Klippen vorbei und durch dunkle Wälder, grüne Auen und fruchtbares
Gelände; ich kam in manche volkreiche Stadt und sah der Menschen Weise
aller Orten, nach ihrer Müh’ und Plage, Tugend und Kunst.

Ich nahm der Armuth in den Hütten wahr, wie sie um die Nothdurft des
Lebens das ganze Leben hindurch ringet und die Geduld dazu nur von der
Gewohnheit lernet und von der Hoffnung, daß sie mit dem Tode erledigt
wird. Ich klopfte auch an das Thor mancher Burg, manches stolzen
Hauses und manches gastlichen Klosters. Weltliche Herren, kühn von
Thaten und klug von Rath, Geistliche frommen Wandels lernt’ ich
kennen, wie auch ihr Widerspiel. Auch sah ich in deutschen wie in
welschen Landen der wohlgezogenen Maide genug, die schöne Huldgestalt
zierte und edle Sitten. Da geschah es mancher Orten, daß man mich
nicht allsofort fürder ziehen ließ, sondern mich zu weilen drängte,
frohen ritterlichen Festen beizuwohnen. Was nur den Augen lustsam zu
schauen war und den Ohren zu hören, wonach das Herz gelüstete; das war
mir da zum Genieß bereit. Aber wenn ich alsdann auch, daß ich nicht
unhöfisch erschiene und blöden Sinnes, mein Vermögen bewies in derlei
Spielen, wie es der edelbürtigen Jugend geziemt, so war doch mein
Gemüth nicht dabei, und man sah mich selten froh.

Sonderlich in Florenz, der Toskaner Stadt, ward ich wohl aufgenommen
und nach Ehren als ein Gast gehalten, der dahin in ein edles Haus
gewiesen war. Ich verblieb in dieser hochberühmten Stadt zur Lenzzeit
zwo Wochen lang, vielleicht auch drei. Dort pflegen sie mächtig des
edlen Gesanges, und was die besten Meister solcher Kunst und
zierlicher Rede sind in Welschland, die sind allda zu Hause; ja, so
hoch angesehen ist die Kunst bei männiglich, daß auch Fürsten und
Herren zur Kurzweil nicht zusammenkommen, es sei denn, daß sie mit
Liedern und Gedichten mancher Hand sich erfreuen. So wollten sie wohl
auch von mir ein deutsches Lied oder Spruch. Ließ ich sie dann derlei
hören, so konnten sie sich nicht genug verwundern, zuvor die Frauen
und Maide, warum ich Junger nicht fröhlichere Weisen brächte, und
fragten, aus was Ursach das geschähe. Ich wollte nicht ungefüge sein,
sie unbeschieden zu lassen und sang:

     Ihr fraget mich,
     Warum mein Lied
     In Maienluft nicht heitrer klinget,
     Da uns der Lenz der Wonne viel beschied
     Und Rose sich um Rebe schlinget.

     So frag’ auch ich:
     Mein Herz, o gib,
     Warum Du traurig so, die Kunde:
     So manche Gunst Dir ja zur Hage blieb,
     Willkomm’ne Gab’ beut jede Stunde.

     »Wenn +eine+ Wolke nur
     Der Sonne Licht verdunkelt,
     Glänzt auf der weiten Flur
     Kein Halm, der noch im Thau erfunkelt.
     Schwebt auch in Freuden sehr
     Ein Herz: ist ihm Frau Minne
     Ungnädig: immer mehr
     Wird dann ihm sorgenhaft zu Sinne!«

Darnach ließen sie ab, mich ferner zu fragen. –

       *       *       *       *       *

Sobald es angieng, schickte ich mich zum Urlaub von Florenz und
trachtete eilend gen Rom. Als ich angelangt war in dieser ersten Stadt
der Christenheit, die der Apostelfürsten Gebeine hegt und vieler
Heiligen, die da gemartelt wurden, konnt’ ich doch mein Herz nicht
darbringen, so großen Heilthümern nachzugehn, noch sonst die
Herrlichkeiten zu beschauen, die dort zu finden sind, sondern mein
einziges Verlangen stund nach meinem Vater. Je länger, je heftiger
hatte mein Sehnen nach ihm zugenommen. Von den Augustinerbrüdern, zu
denen ich mich begab, erfuhr ich, daß er schon vor Winter, da er seine
Sache, die er beim heiligen Stuhl betrieb, zu erlangen verzweifelte,
hinweggezogen wäre aus der Stadt, trüben Muthes, und Keinem sich
vertrauet hätte, nach welchem Ziel ihm sein Sinn stünde. Doch wäre
unlange Einer aus des heiligen Franzen Orden, dem Mutterkloster der
Barfüßer zugehörig, bei ihnen zur Herberge gelegen, der hätte ihnen
von einem Deutschen gesagt; das möchte wohl Herr Brun sein.

Alsbald hatt’ ich keine Ruh mehr in Rom, ließ die Stadt und wandte
mich gen Assisi. Diese Stadt ist zur Seiten des Gebirges gelegen,
selber in stolzer Höhe, reich an Kirchen, Kapellen, Stiftern und
Klöstern, mit freiem Ausblick in’s Land hinaus, das da mit Thälern und
Höhen, Feldern und Wäldern und mancherlei Flüssen und Bächen prangt
als ein Garten Gottes. Auch liegt daselbst in seiner Kirche in der
Krypta der seraphische Vater begraben. Im Kloster fragte ich nach
Herrn Bruno, ob sie mir Bescheid geben könnten über ihn. Sie sagten,
ein Fremder, nach meiner Beschreibung der, den ich suchte, wäre im
verwichenen Winter bei ihnen eingekehrt, nach wenigen Tagen aber höher
hinauf in die Einsamkeit der Berge gepilgert. Ob er allda noch weilte,
das könnte ich am füglichsten von einem Eremiten erfragen, der droben
seit vielen Jahren wohnte und der Gegend am Besten kundig wäre, wie
auch der deutschen Rede. Zu demselben Einsiedel riethen sie mir zu
gehen, auch wollten sie mich durch einen ihrer Laienbrüder dahin
geleiten lassen.

Ich that also, verzog nicht und schritt an der Seite des Bruders, den
sie mir mitgegeben hatten, hindann.

Doch zuvor war ich in des heiligen Franzen Kirche gegangen, sein Grab
zu besuchen und Gott zu bitten, mir auf meiner Fahrt auch ferner
beizustehen, daß sie ihr Ziel fände. Da sah ich auch die Krypta und
oben die Kirche mit Bildern von hochberühmter Meister Händen herrlich
geschmückt. Von ihrer Beschauung gerieth mein Gemüth in große
Verwunderung: ich hatte nie zuvor gewähnet, daß Sichtbares mit also
starker Gewalt himmlische Dinge bezeugen könnte, und ich gedachte:
Glückseliger Mann, der Solches sinnet und bildet! Wie muß er mit
seinem Herzen alles Geschaffene umschließen, also daß keine
Gottescreatur ihm fremde bleibt; und hinwieder, wie sehnet er sich
zugleich aus allem Sinnentrug hinaus und ist in Gottes selige
Geheimnisse versenkt! Ja, zwischen seine Seele und ihren Schöpfer darf
das Geschöpf nicht scheidend in die Mitte treten, sondern die
irdischen Wesen sind gleich den Sprossen der Jacobsleiter, auf welchen
die Engel des Herrn herniedersteigen und hinauf; und oben siehet er
die Pforte des Himmels geöffnet, auch wenn er hienieden kein besser
Lager hat, als das harte eines Steines. –

Der Eremit, zu dem wir uns begaben, hausete in einer Höhle, wie sich
dergleichen dorten im Gebirge häufig finden. Es war ein greiser Mann,
ernsten und milden Angesichts: einer von den Wenigen, welche die
Gebrechen und Leiden, so unser Theil sind, nicht aus eigner Verirrung,
sondern aus tiefer Betrachtung und aus lebendigem Mitleid mit fremden
Schmerzen kennen und darum sie zu verstehen und zu heilen gleich
geschickt sind.

Er grüßte mich freundlich und fragte nach meinem Begehr.

Darauf gab ich ihm Bescheid, sagte ihm, wer ich wäre, und fragte auch,
ob er von meinem Vater wüßte und ob es ihm wohl gienge.

Da war er verwundert, mich zu sehen, blickte mich nachdenklich an und
sprach also:

»Ja, Herr, ich weiß von Eurem Vater, und wo er ist durch Gottes
Gnade, geht’s ihm auch wohl. – Er kam in diese Einsamkeit in großer
Herzensschwere, als einer, der des Lebens satt ist und doch vor
schmerzlicher Erinnerung und großen Sorgen in Frieden nicht scheiden
kann. Die Erinnerung galt seiner Schuld und die Sorge Euch, seinem
Sohne. Euer Geschick, Herr, das er nicht hatte wenden können, sah er
als eine Strafe an für seine Sünden und als ihren fortwirkenden Fluch.
Er verklagte sich hart, daß er beide Mal übel an Euch gethan und nach
fleischlicher Wahl, da er Euch in die Abtei zurückgedrängt und Euch
Eure Geburt verschwiegen und sodann, da er Eure Lossprechung begehrt
hätte. Das wäre Alles Gott mißfällig gewesen und gern wollt’ er
zwiefältig dafür büßen; nur daß sein Sohn, des ersten Friedens
beraubt, mit weltlichem Trachten und heißen Wünschen im Herzen hinter
den Klostermauern sein Leben vertrauern und verzehren müßte: das wär’
ihm eine allzu schwere Pein, die ihn nicht ruhen ließe. Darum hätt’ er
sich zum Schwersten entschlossen, Euch ganz zu entsagen und Eurem
Anblick; denn einen großen jähen Schmerz überwände die Jugend
leichter, als eine immer wieder verzögerte und getäuschte Hoffnung.

So fand ich Euren Vater. Die Tiefe seiner Traurigkeit, die
Aufrichtigkeit seiner Buße und die Größe seiner Liebe zu Euch machten
ihn mir werth; ich gewann sein Vertrauen und ward sein Berather. Ich
sprach zu ihm von der Liebe Gottes, welche die Seele der Kinder nicht
für die Missethat der Eltern fordert; daß es Seinen Zorn nicht
erwecke, wenn ein Vater seines Kindes Bestes suche, gescheh’ es auch
irrender Weise; denn Elternliebe sei göttlichen Ursprungs. Vor Allem
erweckt’ ich ihm wieder den Muth zu hoffen für Euch, Herr! – Denn wie
das Spinnlein von einem Faden aus, den es befestigt, sein ganzes
Gewebe zieht, also mag auch ein zerstoßenes und zerbrochenes Herz an
+einer+ wiederbelebten Hoffnung sich zurückfinden in Licht und Leben.

Ich hieß ihn mir von Euch erzählen oft und viel, auf daß seine
Gedanken an Euch, die ihn nie verließen, sich mit solchen verbänden,
die ich aussprach. Allgemach gewöhnt’ ich ihn daran, Euch im Kloster
zu denken, ohne daß Ihr Euch plagtet mit heftigen Wünschen hinaus, und
nicht in dumpfer, brütender Traurigkeit, sondern, ungestört durch des
weltlichen Lebens Sorg’ und Lust, die hohe Kunst übend und die edlen
Gaben brauchend, so Euch Gott verliehen. Ich bracht’ ihn dahin, ein
Vertrauen zu fassen, daß seine Gebete für Euer Glück und Heil, die er
unablässig Gott darbrachte, erhört würden im Himmel. Und so stieg auch
seine Seele über sich, über ihre Schuld und Fehle, Sorgen und eignen
Werke in die Gelassenheit, die sich gänzlich in Gott ergibt und nichts
Anderes weiß und will, als Sein Wohlgefallen, weil sie glaubt: das ist
die Seligkeit. Er ward ruhiger, wenn auch nicht ruhig, er ward
fröhlicher, wenn auch nicht froh, getrösteter, wenn auch nicht
trostvoll.

Es gibt Leiden, davon genest die Seele, aber der Leib wird mürb. Ja,
sein Siechthum dienet ihr dazu, daß sie ihre Augen desto heller
aufthut, ihren himmlischen Ursprung zu suchen und das ewige Licht zu
erfassen, das aus dem Herzen Gottes leuchtet. So, Herr, ergieng es
Eurem Vater. Habt Ihr vom Demant gehört, daß er die Natur der Sonne an
sich nimmt, deren Licht er eingesogen, und selber leuchtet wie sie? So
man ihn in Finsterniß bringt, beweist er solche Tugend. Für des
Menschen Seele ist Leiden und Todesnähe solche Finsterniß. Alsdann
erblindet jeglicher Glast, darin sie sonst stolzirte, blendete und
selbst geblendet war; aber was sie von göttlicher Natur in sich
aufgenommen hat, das tritt herfür: heiligt, tröstet, überwindet. –
Wenn er Euer gedachte, geschah’s mit Wehmuth, aber ohne nagende
Vorwürfe. Ja, der solche Hoffnung nie gewagt hatte auszusprechen, weil
er meinte, Gott fordere das Opfer gänzlicher Entsagung von ihm, hub
zuletzt an zu gedenken: es möcht’ ihm bescheert sein, Euch
wiederzusehn.

»O!« rief er, »wenn mein Sohn wiederum froh würde und zufriedenen
Herzens, so wollt’ ich den milden Christ bitten, daß ich noch genesen
möchte und eine kleine Zeit leben. Dann zöge ich hin zur Lenzzeit, ihn
noch einmal zu sehen – nur einmal, ohne daß er darum wüßte. Ich
harrte sein am Wege, wo mich Niemand ersähe, bis er käme, und wenn es
Abend würde, müßt’ es Mondenlicht sein, daß ich sein Angesicht schauen
könnte, ob da keine Spur des frühen Kummers zurückgeblieben; oder ich
lauschte unterm heil’gen Dienst im dunklen Gange seiner Stimme
– gewiß, ich hörte sie bald heraus – oder käme leise heran und sähe
ihm unbemerkt zu, wie er seinen hohen Träumen Gestalt und Leben gibt
und seine Augen davon leuchten! Oder ach, ich fände ihn schlafend
unterm heißen Mittag im Garten, daß ich ihm sanft das Haupt berühren
und eine Blume auf’s Herz legen könnte, und im Gebüsch verborgen, wenn
er erwachte, säh’ ich ihn froh erstaunen über die Gabe – und
lächeln!«

Und er lächelte selber, seit wie lange zum ersten Male! und seltsam
war dies Lächeln. Es spielte noch immer um seinen Mund, als er
unbeweglich lag, geschlossenen Auges, und der Odem ihm leiser gieng.
Und dies Bild schien ihm vor der Seele zu bleiben. »Nein, nein!« rief
er, »’s ist nicht vom Dolch, den ich zückte – Joconda, fliehe nicht!
– Es ist eine Rose – Komm – er ist glücklich – unser Sohn!« –
Alsdann breitete er seine Arme aus und ließ sie kraftlos zurücksinken,
betete leise: »Gott – Gott! – seufzte und entschlief.«

Solches sprach der Greis. Als er ausgeredet hatte, nahm er mich an der
Hand und führte mich an einen Hügel nahe bei seiner Siedelei.

Als ich da am Grabe meines Vaters stund, hub ich meine Stimme auf und
klagte und weinte über die Maßen sehr.



Elftes Capitel.

Einkehr.


Was ich da empfunden hatte, daran dacht’ ich zurück, als ich zum
ersten Mal wieder die Gefilde um Maulbronn erblickte, die mir von
Kindheit her so vertraut waren. Jeden Bergzug, jedes Thal erkannt’ ich
wieder, obgleich die frühe Dämmerung stark hereinbrach und Nähe und
Ferne in ihre Schatten hüllte. Dennoch wie fremd sah mich Alles an!

Wenn ich so umherspähte, hie eine Stelle zu suchen mit meinen Augen,
daran sich eine Erinnerung meiner Kindheit knüpfte, und ich fand sie,
und dort wiederum eine: so war mir’s nicht anders, als erschräk’ ich
über die Entdeckung und müßt’ ich mir erst ein Herz fassen zu meiner
Heimath, mich nicht so sehr an sie, als sie an mich zu gewöhnen.

Es war doch kaum mehr als ein Jahr verstrichen, seit ich
hinweggezogen war, auf neuer Bahn das Leben zu versuchen: ich war in
dieser Frist weit und fern geschweift, aber hier war kein Wald
verhauen, kein Feld bereitet indeß, Alles noch wie weiland – und
doch, wie fremd, wie fremd!!

War davon etwan der frische Schnee die Ursach, der heute über das
wintermüde Land seine Decke gebreitet hatte, die noch eben jetzt von
den niederschwebenden Flocken erhöht ward? Freilich war es heuer das
erste Mal, daß ich die Erde in solchem weißen Kleide sah, und immer
war mir diese ihre Verwandlung zu Herzen gedrungen: aber diese Höhen
und diese Thäler, wie oft hatt’ ich sie so gesehen! Was nun im Bilde
der Erinnerung mir so gegenwärtig war, warum blickte das so fremd mich
an in der Wirklichkeit?!

Schritt ich nicht der Heimath zu, meiner Heimath? – Süßer Name!
– Nahte ich mich nicht dem Ziele, deß ich seit Monden begehrte? – Und
doch, wo war das freudige Pochen des Herzens, das in der Menschenbrust
der Gedanke an Heimkehr weckt und Wiedersehn? Wo das frohe Erjauchzen
der Seele, das laut wird, wenn die Wipfel der Bäume auftauchen sollen,
unter deren Schatten er die ersten Träume seiner Kindheit träumte, und
die Spitzen der Thürme seiner Heimath ihm winken: Willkommen!

Schlich nicht neben der Ungeduld, noch heut unter das Dach der Abtei
zu treten, ein seltsames Erbangen eben davor in meine Seele! War es
mir nicht lieb, daß mein Weg so einsam war, die Welt ringsum so
stille, als wäre sie schlafen gegangen zugleich mit dem Gestirn des
Tages, und auch mein Schritt durch den weichen Schnee so geräuschlos,
als bliebe mein Kommen dadurch um so gewisser und länger unbemerkt!

Nein, nein! Ich selber war ein Anderer worden, ich selber!

Zwischen dem Diether, der einst hier aufwuchs in Frohsinn und
ungestörtem Frieden, der dann erweckt ward zu neuem unbekanntem Genieß
und Drang des Lebens, den die Welt hinauszog mit starken Seilen, die
sich fest um sein glühend Herze wanden, und zwischen dem, der jetzt
durch die stille Dämmerung des Christmondabends schritt: welch’ ein
Unterschied! Wenn er sich selbst denn so verwandelt hatte, wenn ihm
die Welt eine ander Angesicht zeigte: was Wunder, daß auch nun die
Heimath ihm verwandelt schien!

Ich strich mit der Hand über meine Stirn – sie war noch glatt; über
die Wangen – sie waren rund und frisch; durch mein Haar – es wehte
noch lockig und dicht um meine Schläfe. In meinen Gliedern, ich fühlt’
es, wohnte noch ungebrochen die Kraft der ersten Jugend.

Aber das Herz und sein Dichten: das war nicht das alte mehr.

»Ach, ihr sanft niederschwebenden Flocken, die ihr so weich jedes
zarte Keimlein einbettet, daß seinen linden Schlaf nichts störe; die
ihr so geschäftig jetzt jede Spur meiner Schritte zudecket, so ich
heute wandle, daß ihrer keine auf diesem Wege zurückbleibt: vermöget
Ihr denn nicht auch die Spuren so mancher Stunde aus diesem Herzen zu
vertilgen, die ihre Wonnen und ihre Wehen ihm allzutief eingedrückt
haben, daß es wieder schlage wie vorhin und wiederum heimisch werde in
seiner Heimath?«

Aber wollt’ ich das wirklich? Konnt’ ich auch nur wünschen, daß
Erinnerung, dies ruhelose Kind von Schmerz und Freude, jemals
eingewiegt würde durch das Wiegenlied der unermüdlichen Wärterin Zeit?
War das die Ruhe, die ich suchte, da ich am Grabe meines Vaters eins
mit mir worden war, in die Stille der Stätte heimzukehren, der ich
jetzt entgegenschritt?

Und ich gedachte an jene bittre Stunde.

Als ich damals den Verlust so treuer und starker Liebe beweinte, als
ich klagte, daß auch diese freudespendende Sonne, die meinem Leben so
unerwartet und verheißungsvoll aufgegangen war, in das Dunkel des
Grabes sich gesenkt hatte, ach! so bald und eben zu der Zeit, da ich
mit so feurigem Sehnen in ihren Strahlen meinen gedrückten Muth zu
laben gedachte: da wirkte der gewaltige Schmerz, der mir durch alle
Saiten meiner Seele riß, daß jegliche Thatenlust, mich in der großen
Welt zu regen, in mir erstarb. Über mich kam das Gefühl grenzenloser
Vereinsamung, alle Freude und Wonne der Erde erschien mir als Schein
und Traum, all’ ihre Lust ein Wahn, all’ ihre Hoffnungen Lügen: als
das einzig Wirkliche die überall lauernde Larve des Todes, und vom
Thun der Menschen das Meiste vergeblich, eitel Alles!

Dennoch war es nicht das dumpfe Verzagen am Leben, noch die furchtsame
Flucht vor seinen Übeln und Mühen, auch nicht das Verlangen nach
solcher Ruhe, deren der Lebensmüde begehret, wodurch ich in jener
Stunde mich zurückgetrieben fühlte in die Heimath. Nein, solche Ruhe
sucht’ ich nicht.

Zwar jedes Ziel, mit welchem Gunst und Ehre der Welt mir winken
konnten, hatte in jener Stunde der Einkehr in mich selbst seinen
Schein verloren. Die tiefe Trauer, die Hand des bitteren Todes hatten
ihn ausgethan.

Aber siehe! ein ander Ziel war mir in jener Nacht des Grames
aufgeleuchtet: hehr, herrlich und heilig! – Ihm nachzutrachten, daran
war alles Weh, das ich geschmeckt hatte, keine Hinderung, sondern
Weihe und Antrieb war es dazu. Gab es für mich nicht noch ein ander
Thun und Wirken als das, so mir nun verleidet war? Hatte mir Gott
nicht die Kunst verliehen, was ich im inwendigen Geist hegte, zu
bilden und so mich über die Erde zu erheben und des Lebens Noth und
dennoch im Herzen die Freude an Gottes Werken zu bewahren?

Da schauten mich die heiligen, stillen Gestalten, so ich unten in St.
Franzisci Kirche gesehen, wieder grüßend an; sie sagten mir von einer
Welt, von der die sichtbare um uns her mit ihren langen Ängsten und
kurzen Freuden nur ein Gleichniß und eine Weissagung ist; von einer
Welt, die nur in den Ahnungen und Hoffnungen der fühlenden und guten
Menschen lebt, aber aus den Bildern der Meister, die Gott mit Kunst
begabt hat, tröstend und ermuthigend zu uns herniederwinkt. In ihr
wird kein Leid, das durch ein Menschenherz geht, vergessen, und keine
Zähre in der Menschheit Angesicht wird verachtet, aber auch in jeder
spiegelt sich ein Strahl himmlischen Trostes, und über alles Weh sieht
man den Glast der ewigen Liebe gebreitet.

Und siehe! wie mein Vater in seiner letzten Stunde mich gesehen
hatte: nicht hinbrütend in träger Ruhe, sondern erglühend von hohen
Träumen, denen in Bild und Ton Gestalt und Leben zu geben die Seele
ringt, und in solchem Trachten, dem alle Creatur Gottes dient, in
verborgner, bescheidner und stolzer Stille verharrend, unbedürftig der
Welt und ihrer Güter: so sah ich mich nun selbst, so wünscht’ ich mich
zu sehen.

Und ich war in die Knie gesunken und hatte Gott im Himmel gedankt, daß
ich also einen Willen, ja eine heilig ernste Freude zu leben und zu
wirken wieder gewonnen; ich hatte seine große Güte angefleht, Er
möchte in so gethanem Fürsatz mich beständig verharren lassen und
unwankend erhalten, daß ich in solchem Dienst all’ mein Genügen fände;
ich hatte Ihm gelobt, dazu in die Stille und Verborgenheit des
Klosters zurückzugehn, wohin nun Sein Walten, wie das letzte Denken
meines Vaters und das fromme Gelübde meiner Mutter mich wiesen.

Mit solchem Sinn hatt’ ich mich aufgemacht und war aus Welschland
wiederum heimgezogen. Ich mied, Denen wieder zu begegnen, die mich
kannten; denn ich wußte, Ihrer Viele würden mich von dem Ziele, das
ich erwählt hatte, wiederum abzuwenden trachten, als wäre nur von der
unmäßigen Traurigkeit mir dazu gerathen; und es war und blieb doch
mein fester Wille.

Ich hatte auch, da ich wiederum in Deutschland angelangt war, mein
Erbgut aus meinem Besitz entlassen und dabei allen Grundholden, so
darauf saßen, eine merkliche Erleichterung in ihren Frohnden und
Lasten erwirkt, auch dafür gesorgt, daß ein Stift, das da nahebei
gelegen war, für festbenannten jährlichen Schoß und Zins männiglich
von meinen Leuten in Alter und Siechthum pflegen mußte und was
preßhafte Leute waren, aufnehmen. Desto mehr trugen sie Leide, daß sie
meiner als ihres Herrn so geschwind wiederum beraubt werden sollten,
und als ich von ihnen Urlaub nahm, wünschten mir Alle Gottes Geleit
immerdar, und Manche wehklagten um mein Scheiden mit vielen Thränen;
die beiden Fahrenden aber nicht also, denn sie waren mit dem
wiederkehrenden Lenz davongezogen und hatten lieber ihr Geding als ihr
gewohntes Schweifen missen wollen; doch sicherte ich ihnen ihr
Ausgesetztes, daß sie es wiederum erhielten, so sie wiederkehrten. –

So zurückgewendet waren meine Gedanken, da ich zur winterlichen
Abendzeit die Gefilde Maulbronns vor mir liegen sah.

Wenn da die wechselnden Erinnerungen auftauchten und im bunten Gedräng
an meiner Seele vorüberzogen, konnt’ ich mich wundern, daß ich als so
sehr ein Anderer heimkehrte, und daß ich deß jetzt beim Anblick der
alten Stätten mehr inne ward, als vordem? Doch ich wollte diesen
Erinnerungen nicht wehren, mich zu besuchen, auch ferner nicht. Sie
Alle sollten mir helfen aussprechen, was das Menschenherz zumeist
bewegt und was es über sich hinaushebt; sie sollten haften in meiner
Seele, bis sie, gereinigt von allen Schlacken, ein verklärtes Leben
wiedergewönnen in den Gebilden meiner Hand.

Sie Alle? Auch die, welche mich in so heitre und hohe Wonnen
zurückrief und zugleich in das Nachgefühl so grausamer Enttäuschung?
Schwebte nicht jetzt wieder ihr winkend Bild meiner Seele vor, schön
wie der Mond und prangend in blühender Jugend, aber auch ernst und nur
in Schwermuth lächelnd wie er! »O«, dacht’ ich, »so traurigen Blickes
sah ich sie nie, und nur der Wahn malt sie mir in diesem Bilde, als
fühlte sie noch mit mir das Leid, so ich erfahren, und begleitete mich
auf meinen Wegen mit treuem Angedenken, da sie doch ihr eigen Glück
erwählt und meiner längst vergessen hat.« Und ich wünscht’ ihr alles
Gottesheil und setzte mir vor im Geist, in’s Künftige nie keinerlei
Unmuth zu hegen darum, daß sie mich verstoßen hatte; denn ich fand,
ohne solchen Willen hätt’ ich keine Ruhe des Gemüths und Frieden zu
erhoffen. – Aber ach! dazu war jetzt mein Herz noch nicht geschickt.
Es vermochte nicht ihrer zu gedenken ohne ein anderes Weh als das der
Trauer und gerieth darüber mit ihm selber in Widerstreit.

»Still«, sprach ich, »die Abgeschiedenheit wird Dich lehren, auch das
zu überwinden, und alsdann wird auch diese Erinnerung Dich nicht mehr
verwirren.« Aber es war, als spräche eine andere Stimme dazu: »Nein!
das wird nicht geschehen.«

Unter solchen Gedanken hatt’ ich die Höhe erreicht, von der aus ich
die Abtei vor mir liegen sah in der Abenddämmerung: es war derselbe
Ort, von wo aus ich einst, als ich zum ersten Mal hinauszog, mich
zurück gewendet hatte, auf die Glocken zu lauschen, die zur Matutin
riefen.

War das nicht auch Glockenklang, den ich jetzt vernahm? Wie anders
däuchte mich der, als ich ihn gewohnt war zu hören! – Gewiß, es rief
zur Vesper! Und ich faltete meine Hände, das _Ave_ zu beten. Doch nein!
Das war nicht das Geläut, das täglich zur Abendzeit ertönt. Auch
dieser Schall war mir nicht unbekannt. Ein Windhauch brachte mir ihn
deutlicher zu Ohren. Ja, es war die Sterbeglocke, die gezogen ward.
Davon kam eine große Herzensschwere über mich, und als ich vom
klagenden Schall geleitet hinabschritt, bat ich die göttliche
Erbarmung, doch heut und immer, wenn der Gedanke an Tod und Grab mir
allzuscharf durch die Seele schnitte, mein inwendiges Ohr auch den
Harfentönen aufzuthun, die um Seinen Thron die lichten Schaaren
beständig erklingen lassen, von solchen Himmelsklängen hier im Dunkel
nur ein Weniges zu vernehmen, nur ganz leise wie im fernsten
Wiederhall!

Der Thorbogen unterm Thurm an der Brücke stund offen, und der Schnee
dämpfte meine Schritte, also daß Niemand mich bemerkte, als ich
hindurch schritt. Auch im Klosterhof traf ich auf Niemanden; nur des
Pförtners Hündlein kam herzugelaufen, hatte mich erkannt und sprang
mit kosender Freude an mir in die Höh’, wie dieser Thiere Weise ist;
aber mein Kommen verrieth es nicht.

Ich trat unter die Halle vor der Kirche, Paradies geheißen, dann
linkswärts in den überwölbten Gang und durch die Öffnung, welche in
die Kreuzgänge führt, die hier den Friedhof umgeben. Zögernd schritt
ich vorwärts, und die nun nahe über mir erdröhnenden Schläge der
Glocke erschreckten mich seltsam. Nun sah ich, zwischen den Pfeilern
stehend, den überschneiten Friedhof und dort drüben die Brüder, einen
gedrängten Haufen.

Es brauchte nicht des dumpfen Geräusches der hinabrollenden
Erdschollen, das zwischen dem Rufen der Glocke an mein Ohr schlug, um
mir kund zu thun, daß man da einen Leichgang gehalten, die Feier
soeben beendet hatte und nun die Gruft zuschaufelte. Sie hatten Alle
nur Acht auf ihr traurig Thun, und Ihrer Keiner hatte mein Nahen
gewahrt. Auch barg mich das Dunkel des Kreuzgangs. Wo es am tiefsten
war, da trat ich hin und sah hinüber. Wie manches Mal hatt’ ich als
Kind schon diesen Anblick gehabt und da des Rechts genossen, das
allein die Kinder mit den Gottesengeln theilen, auch vom Anblick des
Todes nicht gestört zu werden in ihrer schuldlos spielenden Freude,
weil beide seine bittere Erfahrung nicht kennen. Aber welch’ herbes
Weh durchzuckte mich heute!

Nun verstummte das Geläute, und die Brüder erhuben nach Gewohnheit den
Gesang:

     »_Flens ego sum genitus, celebrantur funera fletu,
     transacta innumeris vita fuit lacrimis,
     O miserum mortale genus lacrimabile semper,
     quod factum ex cinere est, solvitur in cinerem._«

     (Weinend erblickt ich die Welt, mit Weinen begräbt man die Todten,
     Unter viel Thränenerguß schwindet das Leben dahin;
     Sterbliches armes Geschlecht, wie bist du beweinenswerth immer!
     Was genommen von Staub wandelt sich wieder in Staub.)


Dann ward eine kleine Stille, und der Priester sprach: »Lasset uns
beten: Herr, schenke ihr die ewige Ruhe!« Und die Brüder antworteten:
»Und das ewige Licht leuchte ihr!«

Darnach hub der Priester wiederum an: »Löse, HErr, die Seele Deiner
Dienerin Irmela von allen Banden der Sünde, auf daß sie in der
herrlichen Urstände unter Deinen Heiligen und Auserwählten wieder
auflebe.« Und der Abt betete: »Leite auch, Herr, unsern Diether an
Deiner Hand, und so er erfährt von diesem Begräbniß, so sei’s ihm zum
Heil und Segen!« Darauf sprachen sie Amen! und wandten sich zu gehen,
denn die Finsterniß war hereingebrochen.

Ich wollte hinzueilen, aber die Kraft entgieng mir und ich sank zur
Erde.

»Hilf Gott! Diether, armer Diether!« hört’ ich rufen, als mir die
Sinne wiederkehrten. Da winkte Herr Albrecht den Andern, daß sie von
mir abließen, richtete mich auf und leitete mich an das frische Grab.

Daselbst schluchzte ich bitterlich an seinem Halse, und er litt es
ganz väterlich.

Droben in seinem Gemach, dahin er mich geleitet hatte, wollt’ er nicht
leiden, daß ich ihm berichtete von meiner Fahrt und wie es mir damit
gerathen wäre, sondern zuvor gab er mir eine Schrift, die wäre für
mich bestimmt, sagt’ er, sie zu lesen, – tröstete mich mit lindem
Wort und ließ mich allein.

Es war die Geschrift von einem guten Pfaffen geschrieben, dem die
selige Maid ihre letzte Beichte gethan hatte mit dem Geheiß, so sie
verschieden sein würde, solch’ ihr Wort mit nach Maulbronn zu geben,
daß es mir, wenn es Gott so fügte, zu Handen käme: denn dort wollte
sie begraben werden.

»Er soll wissen«, hieß es darin, »daß meine Treue gegen ihn alle Zeit
unwankend geblieben ist und ich keine größere Glückseligkeit wußte im
Leben, als mit ihm unzertrennlich verbunden zu sein. Aber ich ersah
bald, daß das nimmer geschehen würde, sondern daß allerdinge über ihn
beschlossen war, in seine Losgebung nicht zu willigen, und daß, was
man von meiner Herzensneigung zu ihm gespürt hatte, um so mehr zur
Ursach’ ward, ihn im Kloster zu behalten. Da war’s mir ein großes
Leid, wider seinen Willen ihn da verschlossen zu wissen sein Leben
lang, und ich willigte in die mir bestimmte Ehe; aber ich begehrte
dafür, daß Diether’s Losgebung vom Bischof erwirkt würde. Ich wußte,
daß ich mich damit von Glück und Freude schiede für immer; aber es war
mir ein süßer Trost, mit meinem Leide seine Freiheit zu erwerben. Doch
daß ich ihn nie wiedersehen dürfte, noch er je erfahren, durch wen er
seine Losgebung erlangte, sondern im Wahn verbleiben, als hätt’ ich
ihn verstoßen und die Treue gebrochen, daß ich auch gegen den, der
mich zum Gemahl erkieste, die Heimlichkeit in meinem Herzen bewahren
mußte: dies nagte an meinem Leben allzusehr, und ist Ursach’ worden,
daß eine andere Hochzeit für mich vorhanden ist, als die, für welche
man mich ausersehen hat. Ich danke Gott im Himmel dafür. Die reinste
Wonne, so die Erde gibt, hab’ ich erfahren; sie kann nur kurz sein.
Ich bin zufrieden, abzuscheiden; nur um meinen Ohm ist’s mir Leid. Die
ewige Dreifaltigkeit mög’ ihn trösten!«

»Mein Gebein aber soll an der Stätte der Urstände harren, die
Diether’s Heimath war. Ihm möge Gott des Lebens Glück bescheren und
hernach die ewige Seligkeit. Nie soll ihm die Erinnerung an mich
hinderlich an einer Freude sein. – Kommt er aber einst zurück nach
Maulbronn, weil die Dörner rauher Wege, die er geführt ward, seine
Füße zu hart verletzt haben, so schöpfe er aus diesem meinem letzten
Gruß eine Linderung.«

»Einstmals zur Maienzeit, als der Wind unter’m Schall der Nachtigall
weiße Blüthen über mich schüttete, wünschtest Du mir, Diether, es
möchte nie kein anderer Schnee in die sorglosen Tage meiner Jugend
fallen, als dieser. Es ist anders worden mit mir! Aber wenn auch Dir
der Winter manchen Schmuck des Lebens verdirbt und Du über allzufrüh
verwelkte Blumen trauerst, alsdann denke, daß nicht bloß auf jeden
Lenz ein Herbst, sondern auch auf jeden Herbst ein Lenz folget. –
Gott und Sein Heer lasse mich den gewinnen, der ewig blüht!«

     (Allhier endet Diether’s von ihm selbst erzählte Geschichte.)



Beschluß.


Diether schwieg eine Weile, als er mit Erzählen zu Ende war, und auch
die beiden jungen Gesellen, die ihm zugehört hatten, wagten nicht, das
Wort zu nehmen.

»Das ist nun die Aventiure, die Ihr zu hören begehrtet«, sagte der
Alte dann und stund auf vom Steinsitz unter der Halle, als wollt’ er
hineingehen der Pforte zu.

Es war zum dritten Male in der Pfingstwoche, daß der Abend die Drei um
den Steinbrunnen versammelt hatte am Kreuzgang, der im Viereck den
Friedhof der Abtei umgibt, und für den Erzähler wie für seine
zuhörenden Schüler blieb die abendliche Stille ungestört; denn nur
sanft rieselte das Wasser und nur leise rauschten zuweilen die
Blüthengebüsche über den Grüften.

Heut hatten sie länger draußen verzogen denn sonst, und als Diether
sich anschickte, zu gehen, sah er schon den Silberglanz des
Mondenlichts auf dem Dach der Kirche flimmern und in den Garten
herabgleiten, wo er die Wipfel eines dichtbelaubten Flieders mit
sonderlicher Helle bestrahlte.

Der Alte blieb stehen und richtete dahin seinen Blick.

»Wie heint die Blüthen leuchten!« sprach er vor sich und schritt durch
das Gras langsam der Stelle zu.

Nun stund er dicht am überhangenden Gezweig, der würdige Meister, ihm
zur Seite gesellt die Jünglinge.

Da zog eine Wolke wie ein goldumsäumter Schleier über des Mondes
leuchtend Angesicht, und ein behendes Dunkel flog von ihr her über das
Dach der Kirche und beschattete Garten und Kreuzgang.

»Sie ist sogleich vorüber!« sagte Diether und blickte hinauf.

Als der Glanz wiederkehrte, sahen die Drei zu ihren Füßen einen
Grabstein, von weißen Blüthen ganz überdeckt.

Der Alte bückte sich bedächtig und strich sie leise mit der Hand zur
Seite. Da ward, eingegraben auf dem moosigen Steine, eine Lilie
sichtbar und eine Inschrift. Die Augen der Jünglinge hatten sie bald
entziffert.

»_Irmela virgo_«, lasen sie.

Der Alte sprach’s nicht nach; doch wandte er seinen Blick nicht weg
von den halbverwischten Zeichen.

»Laßt uns gehen«, sagte er dann. »Der Thau fällt kühl und die Nacht
ist bald herum.« –

Den Grabstein aber und seine Inschrift findest Du in Maulbronn noch
heutigen Tages. –

       *       *       *       *       *

Gebauer-Schwetschke’sche Buchdruckerei, Halle a. S.



       *       *       *       *       *



Anmerkungen zur Transkription:

Die Originalschreibweise und kleinere Inkonsistenzen
in der Formatierung wurden prinzipiell beibehalten.

Auflistung aller gegenüber dem
Originaltext vorgenommenen Korrekturen:

     S. 61: Urthel –> Urtheil

     S. 65: vorauf –> voraus

     S. 108: den Krug, (Komma ergänzt)

     S. 124: zwischem –> zwischen

     S. 139: »Nimmer soll dies Kind, das Deine Blutthat mit
     den Kainsmal des Brudermordes gezeichnet hat ...
     –> mit dem Kainsmal

     S. 171: ihr folgten Dienerinnnen –> ihr folgten Dienerinnen

     S. 193: (denn sie waren mir rucklings gebunden) –> rücklings

     S. 228: verschwad –> verschwand

     S. 231: Komma nach 'guter Baum' ergänzt

     S. 231: Komma nach 'sommerlichen' entfernt

     S. 233: wollte sein brauchen (Nach 'sein' fehlt Wort)

     S. 236: Als ich diese Worte hörte, überkam ich eine Freude,
             –> überkam mich eine Freude

     S. 270: geschickt. es vermochte nicht –> geschickt. Es vermochte
     nicht

     S. 272: solvitur in cinerem.« Anführungszeichen ergänzt.

Das Wort Herr wird im Originaltext einheitlich HErr geschrieben (wenn
es sich auf Gott bezieht).

Ae, Oe und Ue wurden durch Ä, Ö und Ü ersetzt.


Formatierung:

Der Originaltext ist in Fraktur gedruckt.
Text in Antiqua (nicht in Fraktur)
wurde mit Unterstrich _ gekennzeichnet: _Text_
Gesperrt gedruckter Text wurde mit + gekennzeichnet: +Text+

Überschriften sind im Original hervorgehoben. Diese Hervorhebungen
wurden in der Transkription nicht berücksichtigt.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Irmela - Eine Geschichte aus alter Zeit" ***

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