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Title: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften
Author: Luxemburg, Rosa, 1871-1919
Language: German
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  Anmerkungen zur Transkription:

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  Rechtschreibreformen entstandene.

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  Im Original gesperrt gesetzter Text ist mit _ gekennzeichnet.
  Im Original in Antiqua gesetzter Text ist mit # gekennzeichnet.



  Massenstreik, Partei
  und Gewerkschaften

  Von

  Rosa Luxemburg

  Im Auftrage des Vorstandes der sozialdemokratischen
  Landesorganisation Hamburgs und
  der Vorstände der sozialdemokratischen Vereine
  von Altona, Ottensen und Wandsbek

  Verlag von Erdmann Dubber in Hamburg
  1906



I.


Fast alle bisherigen Schriften und Äußerungen des internationalen
Sozialismus über die Frage des Massenstreiks datieren aus der Zeit _vor_
der russischen Revolution, dem ersten geschichtlichen Experiment mit
diesem Kampfmittel auf größter Skala. Daher erklärt sich auch, daß sie
meistenteils antiquiert sind. In ihrer Auffassung stehen sie wesentlich
auf demselben Standpunkt wie Friedrich Engels, der 1873 in seiner Kritik
der Bakunistischen Revolutionsmacherei in Spanien schrieb:

»Der allgemeine Streik ist im Bakunistischen Programm der Hebel, der zur
Einleitung der sozialen Revolution angesetzt wird. Eines schönen Morgens
legen alle Arbeiter aller Gewerke eines Landes oder gar der ganzen Welt
die Arbeit nieder und zwingen dadurch in längstens vier Wochen die
besitzenden Klassen, entweder zu Kreuze zu kriechen oder auf die
Arbeiter loszuschlagen, so daß diese dann das Recht haben, sich zu
verteidigen und bei dieser Gelegenheit die ganze alte Gesellschaft über
den Haufen zu werfen. Der Vorschlag ist weit entfernt davon, neu zu
sein; französische und nach ihnen belgische Sozialisten haben seit 1848
dies Paradepferd stark geritten, das aber ursprünglich englischer Rasse
ist. Während der auf die Krise von 1837 folgenden raschen und heftigen
Entwicklung des Chartismus unter den englischen Arbeitern war schon 1839
der »heilige Monat« gepredigt worden, die Arbeitseinstellung auf
nationalem Maßstab (siehe Engels: »Lage der arbeitenden Klasse«, zweite
Auflage, Seite 234), und hatte solchen Anklang gefunden, dass die
Fabrikarbeiter von Nordengland im Juli 1842 die Sache auszuführen
versuchten. -- Auch auf dem Genfer Allianzistenkongreß vom 1. September
1873 spielte der allgemeine Streik eine große Rolle, nur wurde allseitig
zugegeben, dass dazu eine vollständige Organisation der Arbeiterklasse
und eine gefüllte Kasse nötig sei. Und darin liegt eben der Haken.
Einerseits werden die Regierungen, besonders wenn man sie durch
politische Enthaltung ermutigt, weder die Organisation noch die Kasse
der Arbeiter je soweit kommen lassen, und anderseits werden die
politischen Ereignisse und die Übergriffe der herrschenden Klassen die
Befreiung der Arbeiter zu Wege bringen, lange bevor das Proletariat dazu
kommt, sich diese ideale Organisation und diesen kolossalen Reservefonds
anzuschaffen. Hätte es sie aber, so brauchte es nicht den Umweg des
allgemeinen Streiks, um zum Ziele zu gelangen.«[1]

[Fußnote 1: Fr. Engels, Die Bakunisten an der Arbeit. Internationales
aus dem »Volksstaat«, S. 20.]

Hier haben wir die Argumentation, die für die Stellungnahme der
internationalen Sozialdemokratie zum Massenstreik in den folgenden
Jahrzehnten maßgebend war. Sie ist ganz auf die anarchistische Theorie
des Generalstreiks zugeschnitten, d. h. auf die Theorie vom
Generalstreik als Mittel, die soziale Revolution einzuleiten, im
Gegensatz zum täglichen politischen Kampf der Arbeiterklasse, und
erschöpft sich in dem folgenden einfachen Dilemma: entweder ist das
gesamte Proletariat noch nicht im Besitz mächtiger Organisationen und
Kassen, dann kann es den Generalstreik nicht durchführen, oder es ist
bereits mächtig genug organisiert, dann braucht es den Generalstreik
nicht. Diese Argumentation ist allerdings so einfach und auf den ersten
Blick so unanfechtbar, daß sie ein Vierteljahrhundert lang der modernen
Arbeiterbewegung ausgezeichnete Dienste leistete, als logische Waffe
wider die anarchistischen Hirngespinnste und als Hülfsmittel, um die
Idee des politischen Kampfes in die weitesten Kreise der Arbeiterschaft
zu tragen. Die großartigen Fortschritte der Arbeiterbewegung in allen
modernen Ländern während der letzten 25 Jahre sind der glänzendste
Beweis für die von Marx und Engels im Gegensatz zum Bakunismus
verfochtene Taktik des politischen Kampfes, und die deutsche
Sozialdemokratie in ihrer heutigen Macht, in ihrer Stellung als Vorhut
der gesamten internationalen Arbeiterbewegung, ist nicht zum geringsten
das direkte Produkt der konsequenten und nachdrücklichen Anwendung
dieser Taktik.

Die russische Revolution hat nun die obige Argumentation einer
gründlichen Revision unterzogen. Sie hat zum ersten Male in der
Geschichte der Klassenkämpfe eine grandiose Verwirklichung der Idee des
Massenstreiks und -- wie wir unten näher ausführen werden -- selbst des
Generalstreiks gezeitigt und damit eine neue Epoche in der Entwicklung
der Arbeiterbewegung eröffnet. Freilich folgt daraus nicht etwa, daß die
von Marx und Engels empfohlene Taktik des politischen Kampfes oder ihre
an dem Anarchismus geübte Kritik falsch war. Umgekehrt, es sind
dieselben Gedankengänge, dieselbe Methode, die der Marx-Engelschen
Taktik, die auch der bisherigen Praxis der deutschen Sozialdemokratie zu
grunde lagen, welche jetzt in der russischen Revolution ganz neue
Momente und neue Bedingungen des Klassenkampfes erzeugten. Die russische
Revolution, dieselbe Revolution, die die erste geschichtliche Probe auf
das Exempel des Massenstreiks bildet, bedeutet nicht bloß keine
Ehrenrettung für den Anarchismus, sondern sie bedeutet geradezu eine
_geschichtliche Liquidation des Anarchismus_. Das triste Dasein, wozu
diese Geistesrichtung von der mächtigen Entwicklung der Sozialdemokratie
in Deutschland in den letzten Jahrzehnten verurteilt war, mochte
gewissermaßen durch die ausschließliche Herrschaft und lange Dauer der
parlamentarischen Periode erklärt werden. Eine ganz auf das
»Losschlagen« und die »direkte Aktion« zugeschnittene, im nacktesten
Heugabelsinne »revolutionäre« Richtung mochte immerhin in der Windstille
des parlamentarischen Alltags nur zeitweilig verkümmern, um erst bei
einer Wiederkehr der direkten offenen Kampfperiode, bei einer
Straßenrevolution aufzuleben und ihre innere Kraft zu entfalten. Zumal
schien Rußland besonders dazu angetan, das Experimentierfeld für die
Heldentaten des Anarchismus zu werden. Ein Land, wo das Proletariat gar
keine politischen Rechte und eine äußerst schwache Organisation hatte,
ein buntes Durcheinander verschiedener Volksschichten mit sehr
verschiedenen, wirr durcheinanderlaufenden Interessen, geringe Bildung
der Volksmasse, dafür äußerste Bestialität in der Gewaltanwendung
seitens des herrschenden Regimes -- alles das schien wie geschaffen, um
den Anarchismus zu einer plötzlichen, wenn auch vielleicht kurzlebigen
Macht zu erheben. Und schließlich war Rußland die geschichtliche
Geburtsstätte des Anarchismus. Allein, das Vaterland Bakunins sollte für
seine Lehre zur Grabesstätte werden. Nicht bloß standen und stehen in
Rußland nicht die Anarchisten an der Spitze der Massenstreikbewegung;
nicht bloß liegt die ganze politische Führung der revolutionären Aktion
und auch des Massenstreiks in den Händen der sozialdemokratischen
Organisationen, die von den russischen Anarchisten als »bürgerliche
Partei« bitter bekämpft werden, oder zum Teil in den Händen solcher mehr
oder weniger von der Sozialdemokratie beeinflußten und sich ihr
annähernden sozialistischen Organisationen, wie die terroristische
Partei der »Sozialisten-Revolutionäre«, -- die Anarchisten existieren
als ernste politische Richtung überhaupt in der russischen Revolution
gar nicht. Nur in einer litauischen Kleinstadt mit besonders schwierigen
Verhältnissen -- bunte nationale Zusammenwürfelung der Arbeiter,
überwiegende Zersplitterung des Kleinbetriebs, sehr tiefstehendes
Proletariat --, in _Bialystok_, gibt es unter den sieben oder acht
verschiedenen revolutionären Gruppen auch ein Häuflein halbwüchsiger
»Anarchisten«, das die Konfusion und Verwirrung der Arbeiterschaft nach
Kräften fördert, und letzthin macht sich in _Moskau_ und vielleicht noch
in zwei bis drei Städten je ein Häuflein dieser Gattung bemerkbar.
Allein, was ist jetzt, abgesehen von diesen paar »revolutionären«
Gruppen, die eigentliche Rolle des Anarchismus in der russischen
Revolution? Er ist zum Aushängeschild für gemeine Diebe und Plünderer
geworden; unter der Firma des »Anarcho-Kommunismus« wird ein großer Teil
jener unzähligen Diebstähle und Plündereien bei Privatleuten ausgeübt,
die in jeder Periode der Depression, der momentanen Defensive der
Revolution wie eine trübe Welle emporkommen. Der Anarchismus ist in der
russischen Revolution nicht die Theorie des kämpfenden Proletariats,
sondern das ideologische Aushängeschild des kontrerevolutionären
Lumpenproletariats geworden, das wie ein Rudel Haifische hinter dem
Schlachtschiff der Revolution wimmelt. Und damit ist die geschichtliche
Laufbahn des Anarchismus wohl beendet.

Auf der anderen Seite ist der Massenstreik in Rußland verwirklicht
worden nicht als ein Mittel, unter Umgehung des politischen Kampfes der
Arbeiterklasse und speziell des Parlamentarismus durch einen Theatercoup
plötzlich in die soziale Revolution hineinzuspringen, sondern als ein
Mittel, erst die Bedingungen des täglichen politischen Kampfes und
insbesondere des Parlamentarismus für das Proletariat zu schaffen. Der
revolutionäre Kampf in Rußland, in dem die Massenstreiks als die
wichtigste Waffe zur Anwendung kommen, wird von dem arbeitenden Volke
und in erster Reihe vom Proletariat gerade um dieselben politischen
Rechte und Bedingungen geführt, deren Notwendigkeit und Bedeutung im
Emanzipationskampfe der Arbeiterklasse Marx und Engels zuerst
nachgewiesen und im Gegensatz zum Anarchismus in der Internationale mit
aller Macht verfochten haben. So hat die geschichtliche Dialektik, der
Fels, auf dem die ganze Lehre des Marxschen Sozialismus beruht, es mit
sich gebracht, daß heute der Anarchismus, mit dem die Idee des
Massenstreiks unzertrennlich verknüpft war, zu der Praxis des
Massenstreiks selbst in einen Gegensatz gerathen ist, während umgekehrt
der Massenstreik, der als der Gegensatz zur politischen Betätigung des
Proletariats bekämpft wurde, heute als die mächtigste Waffe des
politischen Kampfes um politische Rechte erscheint. Wenn also die
russische Revolution eine gründliche Revision des alten Standpunkts des
Marxismus zum Massenstreik erforderlich macht, so ist es wieder nur der
Marxismus, dessen allgemeine Methoden und Gesichtspunkte dabei in neuer
Gestalt den Sieg davontragen. Moors Geliebte kann nur durch Moor
sterben.



II.


Die erste Revision, die sich aus den Ereignissen in Rußland für die
Frage vom Massenstreik ergibt, bezieht sich auf die allgemeine
_Auffassung_ des Problems. Bis jetzt stehen sowohl die eifrigen
Befürworter eines »Versuchs mit dem Massenstreik« in Deutschland von der
Art Bernsteins, Eisners usw., wie auch die strikten Gegner eines solchen
Versuchs, wie sie im gewerkschaftlichen Lager z. b. durch Bömelburg
vertreten sind, im grunde genommen auf dem Boden derselben, und zwar der
anarchistischen Auffassung. Die scheinbaren Gegenpole schließen sich
nicht bloß gegenseitig aus, sondern, wie stets, bedingen auch und
ergänzen zugleich einander. Für die anarchistische Denkweise ist nämlich
die Spekulation direkt auf den »großen Kladderadatsch«, auf die soziale
Revolution nur ein äußeres und unwesentliches Merkmal. Wesentlich ist
dabei die ganze abstrakte, unhistorische Betrachtung des Massenstreiks,
wie überhaupt aller Bedingungen des proletarischen Kampfes. Für den
Anarchisten existieren als stoffliche Voraussetzungen seiner
»revolutionären« Spekulationen lediglich zwei Dinge: zunächst die blaue
Luft und dann der gute Wille und der Mut, die Menschheit aus dem
heutigen kapitalistischen Jammertal zu erretten. In der blauen Luft
ergab sich aus dem Raisonnement schon vor 60 Jahren, dass der
Massenstreik das kürzeste, sicherste und leichteste Mittel ist, um den
Sprung ins bessere soziale Jenseits auszuführen. In derselben blauen
Luft ergibt sich neuerdings aus der Spekulation, dass der
gewerkschaftliche Kampf die einzige wirkliche »direkte Aktion der
Massen« und also der einzige revolutionäre Kampf ist -- dies bekanntlich
die neueste Schrulle der französischen und italienischen
»Syndikalisten«. Das Fatale für den Anarchismus war dabei stets, daß
die in der blauen Luft improvisierten Kampfmethoden nicht bloß eine
Rechnung ohne den Wirt, das heißt reine Utopien waren, sondern daß sie,
weil sie eben mit der verachteten, schlechten Wirklichkeit gar nicht
rechneten, in dieser schlechten Wirklichkeit meistens aus revolutionären
Spekulationen unversehens zu praktischen Helferdiensten für die Reaktion
wurden.

Auf demselben Boden der abstrakten, unhistorischen Betrachtungsweise
stehen aber heute diejenigen, die den Massenstreik nächstens in
Deutschland auf dem Wege eines Vorstandsbeschlusses auf einen bestimmten
Kalendertag ansetzen möchten, wie auch diejenigen, die, wie die
Teilnehmer des Kölner Gewerkschaftskongresses, durch ein Verbot des
»Propagierens« das Problem des Massenstreiks aus der Welt schaffen
wollen. Beide Richtungen gehen von der gemeinsamen, rein anarchistischen
Vorstellung aus, daß der Massenstreik ein bloßes technisches Kampfmittel
ist, das nach Belieben und nach bestem Wissen und Gewissen »beschlossen«
oder auch »verboten« werden könne, eine Art Taschenmesser, das man in
der Tasche »für alle Fälle« zusammengeklappt bereit halten oder auch
nach Beschluß aufklappen und gebrauchen kann. Zwar nehmen gerade die
Gegner des Massenstreiks für sich das Verdienst in Anspruch, den
geschichtlichen Boden und die materiellen Bedingungen der heutigen
Situation in Deutschland in Betracht zu ziehen, im Gegensatz zu den
»Revolutionsromantikern«, die in der Luft schweben und partout nicht mit
der harten Wirklichkeit und ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten
rechnen wollen. »Tatsachen und Zahlen, Zahlen und Tatsachen!« rufen sie
wie Mr. Gradgrind in Dickens' »Harte Zeiten«. Was die gewerkschaftlichen
Gegner des Massenstreiks unter »geschichtlichem Boden« und »materiellen
Bedingungen« verstehen, sind zweierlei Momente: einerseits die Schwäche
des Proletariats, anderseits die Kraft des preußisch-deutschen
Militarismus. Die ungenügenden Arbeiterorganisationen und Kassenbestände
und die imponierenden preußischen Bajonette, das sind die »Tatsachen und
Zahlen«, auf denen diese gewerkschaftlichen Führer ihre praktische
Politik im gegebenen Falle basieren. Nun sind freilich gewerkschaftliche
Kassen sowie preußische Bajonette zweifellos sehr materielle und auch
sehr historische Erscheinungen, allein die darauf basierte Auffassung
ist kein historischer Materialismus im Sinne von Marx, sondern ein
polizeilicher Materialismus im Sinne Puttkamers. Auch die Vertreter des
kapitalistischen Polizeistaats rechnen sehr, und zwar ausschließlich mit
der jeweiligen tatsächlichen Macht des organisierten Proletariats, sowie
mit der materiellen Macht der Bajonette, und aus dem vergleichenden
Exempel dieser beiden Zahlenreihen wird noch immer der beruhigende
Schluß gezogen: die revolutionäre Arbeiterbewegung wird von einzelnen
Wühlern und Hetzern erzeugt, #ergo# haben wir in den Gefängnissen und
den Bajonetten ein ausreichendes Mittel, um der unliebsamen
»vorübergehenden Erscheinung« Herr zu werden.

Die klassenbewußte deutsche Arbeiterschaft hat längst das Humoristische
der polizeilichen Theorie begriffen, als sei die ganze moderne
Arbeiterbewegung ein künstliches, willkürliches Produkt einer handvoll
gewissenloser »Wühler und Hetzer«.

Es ist aber genau dieselbe Auffassung, die darin zum Ausdruck kommt,
wenn sich ein paar brave Genossen zu einer freiwilligen
Nachtwächterkolonne zusammentun, um die deutsche Arbeiterschaft vor dem
gefährlichen Treiben einiger »Revolutionsromantiker« und ihrer
»Propaganda des Massenstreiks« zu warnen; oder wenn auf der anderen
Seite eine larmoyante Entrüstungskampagne von denjenigen inszeniert
wird, die sich durch irgendwelche »vertraulichen« Abmachungen des
Parteivorstandes mit der Generalkommission der Gewerkschaften um den
Ausbruch des Massenstreiks in Deutschland betrogen glauben. Käme es auf
die zündende »Propaganda« der Revolutionsromantiker oder auf
vertrauliche oder öffentliche Beschlüsse der Parteileitungen an, dann
hätten wir bis jetzt in Rußland keinen einzigen ernsten Massenstreik. In
keinem Lande dachte man -- wie ich bereits im März 1905 in der »Sächs.
Arbeiterzeitung« hervorgehoben habe -- so wenig daran, den Massenstreik
zu »propagieren« oder selbst zu »diskutieren« wie in Rußland. Und die
vereinzelten Beispiele von Beschlüssen und Abmachungen des russischen
Parteivorstandes, die wirklich den Massenstreik aus freien Stücken
proklamieren sollten, wie z. B. der letzte Versuch im August dieses
Jahres nach der Duma-Auflösung, sind fast gänzlich gescheitert. Wenn uns
also die russische Revolution etwas lehrt, so ist es vor allem, daß der
Massenstreik nicht künstlich »gemacht«, nicht ins Blaue hinein
»beschlossen«, nicht »propagiert« wird, sondern daß er eine historische
Erscheinung ist, die sich in gewissem Moment aus den sozialen
Verhältnissen mit geschichtlicher Notwendigkeit ergibt.

Nicht durch abstrakte Spekulationen also über die Möglichkeit oder
Unmöglichkeit, den Nutzen oder die Schädlichkeit des Massenstreiks,
sondern durch die Erforschung derjenigen Momente und derjenigen sozialen
Verhältnisse, aus denen der Massenstreik in der gegenwärtigen Phase des
Klassenkampfes erwächst, mit anderen Worten: nicht durch _subjektive
Beurteilung_ des Massenstreiks vom Standpunkte des Wünschbaren, sondern
durch _objektive Untersuchung_ der Quellen des Massenstreiks vom
Standpunkte des geschichtlich Notwendigen kann das Problem allein erfaßt
und auch diskutiert werden.

In der freien Luft der abstrakten logischen Analyse läßt sich die
absolute Unmöglichkeit und die sichere Niederlage, sowie die vollkommene
Möglichkeit und der zweifellose Sieg des Massenstreiks mit genau
derselben Kraft beweisen. Und deshalb ist der Wert der Beweisführung in
beiden Fällen derselbe, nämlich gar keiner. Daher ist auch insbesondere
die Furcht vor dem »Propagieren« des Massenstreiks, die sogar zu
förmlichen Bannflüchen gegen die vermeintlichen Schuldigen dieses
Verbrechens geführt hat, lediglich das Produkt eines drolligen
Quiproquo. Es ist genau so unmöglich, den Massenstreik als abstraktes
Kampfmittel zu »propagieren«, wie es unmöglich ist, die »Revolution« zu
propagieren. »Revolution« wie »Massenstreik« sind Begriffe, die selbst
bloß eine äußere Form des Klassenkampfes bedeuten, die nur im
Zusammenhang mit ganz bestimmten politischen Situationen Sinn und Inhalt
haben.

Wollte es jemand unternehmen, den Massenstreik überhaupt als eine Form
der proletarischen Aktion zum Gegenstand einer regelrechten Agitation zu
machen, mit dieser »Idee« hausieren zu gehen, um für sie die
Arbeiterschaft nach und nach zu gewinnen, so wäre das eine ebenso müßige
aber auch ebenso öde und abgeschmackte Beschäftigung, wie wenn jemand
die Idee der Revolution oder des Barrikadenkampfes zum Gegenstand einer
besonderen Agitation machen wollte. Der Massenstreik ist jetzt zum
Mittelpunkt des lebhaften Interesses der deutschen und der
internationalen Arbeiterschaft geworden, weil er eine neue Kampfform und
als solche das sichere Symptom eines tiefgehenden inneren Umschwunges in
den Klassenverhältnissen und den Bedingungen des Klassenkampfes
bedeutet. Es zeugt von dem gesunden revolutionären Instinkt und der
lebhaften Intelligenz der deutschen Proletariermasse, daß sie sich --
ungeachtet des hartnäckigen Widerstandes ihrer Gewerkschaftsführer --
mit so warmem Interesse dem neuen Problem zuwendet. Allein diesem
Interesse, dem edlen intellektuellen Durst und revolutionären Tatendrang
der Arbeiter kann man nicht dadurch entsprechen, daß man sie mit
abstrakter Hirngymnastik über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des
Massenstreiks traktiert, sondern dadurch, daß man ihnen die Entwicklung
der russischen Revolution, die internationale Bedeutung dieser
Revolution, die Verschärfung der Klassengegensätze in Westeuropa, die
weiteren politischen Perspektiven des Klassenkampfes in Deutschland, die
Rolle und die Aufgaben der Masse in den kommenden Kämpfen klar macht.
Nur in dieser Form wird die Diskussion über den Massenstreik dazu
führen, den geistigen Horizont des Proletariats zu erweitern, sein
Klassenbewußtsein zu schärfen, seine Denkweise zu vertiefen und seine
Tatkraft zu stählen.

Steht man aber auf diesem Standpunkte, dann erscheint in seiner ganzen
Lächerlichkeit auch der Strafprozeß, der von den Gegnern der
»Revolutionsromantik« gemacht wird, weil man sich bei der Behandlung des
Problems nicht genau an den Wortlaut der Jenaer Resolution halte. Mit
dieser Resolution geben sich die »praktischen Politiker« allenfalls noch
zufrieden, weil sie den Massenstreik hauptsächlich mit den Schicksalen
des allgemeinen Wahlrechts verkoppelt, woraus sie zweierlei folgern zu
können glauben: erstens, daß dem Massenstreik ein rein defensiver
Charakter bewahrt, zweitens, daß der Massenstreik selbst dem
Parlamentarismus untergeordnet, in ein bloßes Anhängsel des
Parlamentarismus verwandelt wird. Der wahre Kern der Jenaer Resolution
liegt aber in dieser Beziehung darin, daß bei der gegenwärtigen Lage in
Deutschland ein Attentat der herrschenden Reaktion auf das
Reichstagswahlrecht höchst wahrscheinlich das Einleitungsmoment und das
Signal zu jener Periode stürmischer politischer Kämpfe abgeben dürfte,
in denen der Massenstreik als Kampfmittel in Deutschland wohl zuerst
in Anwendung kommen wird. Allein die soziale Tragweite und den
geschichtlichen Spielraum des Massenstreiks als Erscheinung und
als Problem des Klassenkampfes durch den Wortlaut einer
Parteitagsresolution einengen und künstlich abstecken zu wollen, ist
ein Unternehmen, das an Kurzsichtigkeit jenem Diskussionsverbot des
Kölner Gewerkschaftskongresses gleichkommt. In der Resolution des Jenaer
Parteitages hat die deutsche Sozialdemokratie von dem durch die
russische Revolution in den internationalen Bedingungen des
proletarischen Klassenkampfes vollzogenen tiefen Umschwung offiziell Akt
genommen und ihre revolutionäre Entwicklungsfähigkeit, ihre
Anpassungsfähigkeit an die neuen Anforderungen der kommenden Phase der
Klassenkämpfe bekundet. Darin liegt die Bedeutung der Jenaer Resolution.
Was die praktische Anwendung des Massenstreiks in Deutschland betrifft,
darüber wird die Geschichte entscheiden, wie sie darüber in Rußland
entschieden hat, die Geschichte, in der die Sozialdemokratie mit ihren
Entschlüssen allerdings ein wichtiger Faktor, aber bloß _ein_ Faktor
unter vielen ist.



III.


Der Massenstreik, wie er meistens in der gegenwärtigen Diskussion in
Deutschland vorschwebt, ist eine sehr klar und einfach gedachte, scharf
umrissene Einzelerscheinung. Es wird ausschließlich vom politischen
Massenstreik gesprochen. Es wird dabei an einen einmaligen grandiosen
Ausstand des Industrieproletariats gedacht, der aus einem politischen
Anlaß von höchster Tragweite unternommen, und zwar auf Grund einer
rechtzeitigen gegenseitigen Verständigung der Partei- und der
gewerkschaftlichen Instanzen unternommen, dann im Geiste der Disziplin
in größter Ordnung durchgeführt und in noch schönster Ordnung auf
rechtzeitig gegebene Losung der leitenden Instanzen abgebrochen wird,
wobei die Regelung der Unterstützungen, der Kosten, der Opfer, mit einem
Wort die ganze materielle Bilanz des Massenstreiks im voraus genau
bestimmt wird.

Wenn wir nun dieses theoretische Schema mit dem wirklichen Massenstreik
vergleichen, wie er in Rußland seit fünf Jahren auftritt, so müssen wir
sagen, daß der Vorstellung, die in der deutschen Diskussion im
Mittelpunkt steht, fast kein einziger von den vielen Massenstreiks
entspricht, die stattgefunden haben, und daß anderseits die
Massenstreiks in Rußland eine solche Mannigfaltigkeit der
verschiedensten Spielarten aufweisen, daß es ganz unmöglich ist, von
»dem« Massenstreik, von einem abstrakten schematischen Massenstreik zu
sprechen. Alle Momente des Massenstreiks sowie sein Charakter sind nicht
bloß verschieden in verschiedenen Städten und Gegenden des Reiches,
sondern vor allem hat sich ihr allgemeiner Charakter mehrmals im Laufe
der Revolution geändert. Die Massenstreiks haben in Rußland eine
bestimmte Geschichte durchgemacht, und sie machen sie noch weiter durch.
Wer also vom Massenstreik in Rußland redet, muß vor allem seine
Geschichte ins Auge fassen.

Die jetzige sozusagen offizielle Periode der russischen Revolution wird
mit vollem Recht von der Erhebung des Petersburger Proletariats am 22.
Januar 1905, von jenem Zuge der 200 000 Arbeiter vor das Zarenschloß
datiert, der mit einem furchtbaren Blutbade endete. Das blutige Massacre
in Petersburg war bekanntlich das Signal zum Ausbruch der ersten
Riesenserie von Massenstreiks, die sich binnen weniger Tage über das
gesamte Rußland gewälzt und den Sturmruf der Revolution aus Petersburg
in alle Winkel des Reiches und in die breitesten Schichten des
Proletariats getragen haben. Die Petersburger Erhebung vom 22. Januar
war aber auch nur der äußerste Moment eines Massenstreiks, der vorher
das Proletariat der Zarenhauptstadt im Januar 1905 ergriffen hatte.
Dieser Januar-Massenstreik in Petersburg spielte sich nun zweifellos
unter dem unmittelbaren Eindruck jenes riesenhaften Generalstreiks ab,
der kurz vorher, im Dezember 1904, im Kaukasus, in Baku, ausgebrochen
war und eine Weile lang ganz Rußland im Atem hielt. Die
Dezemberereignisse in Baku waren aber ihrerseits nichts anderes, als an
letzter und kräftiger Ausläufer jener gewaltigen Massenstreiks, die wie
ein periodisches Erdbeben in den Jahren 1903 und 1904 ganz Südrußland
erschütterten und deren Prolog der Massenstreik in Batum (im Kaukasus)
im März 1902 war. Diese erste Massenstreikbewegung in der fortlaufenden
Kette der jetzigen revolutionären Eruptionen ist endlich nur um fünf bis
sechs Jahre von dem großen Generalstreik der Petersburger Textilarbeiter
in den Jahren 1896 und 1897 entfernt, und wenn diese Bewegung äußerlich
von der heutigen Revolution durch einige Jahre scheinbaren Stillstands
und starrer Reaktion getrennt scheint, so wird doch jeder, der die
innere politische Entwicklung des russischen Proletariats bis zu der
heutigen Stufe seines Klassenbewußtseins und seiner revolutionären
Energie kennt, die Geschichte der jetzigen Periode der Massenkämpfe mit
jenen Petersburger Generalstreiks beginnen. Sie sind für das Problem des
Massenstreiks schon deshalb wichtig, weil sie bereits alle Hauptmomente
der späteren Massenstreiks im Keime enthalten.

Zunächst erscheint der Petersburger Generalstreik des Jahres 1896 als
ein rein ökonomischer partieller Lohnkampf. Seine Ursachen waren die
unerträglichen Arbeitsbedingungen der Spinner und Weber Petersburgs:
eine 13-, 14- und 15stündige Arbeitszeit, erbärmliche Akkordlöhne und
eine ganze Musterkarte nichtswürdiger Unternehmerschikanen. Allein diese
Lage ertrugen die Textilarbeiter lange geduldig, bis ein scheinbar
winziger Umstand das Maß zum Überlaufen gebracht hat. Im Jahre 1896 im
Mai wurde nämlich die zwei Jahre lang aus Angst vor den Revolutionären
hinausgeschobene Krönung des heutigen Zaren Nikolaus II. abgehalten,
und aus diesem Anlaß bezeugten die Petersburger Unternehmer ihren
patriotischen Eifer dadurch, dass sie ihren Arbeitern drei Tage
Zwangsferien auferlegten, wobei sie jedoch merkwürdigerweise für diese
Tage die Löhne nicht auszahlen wollten. Die dadurch aufgebrachten
Textilarbeiter kamen in Bewegung. Nach einer Beratung von za. 800 der
aufgeklärtesten Arbeiter im Jekaterinenhofer Garten wurde der Streik
beschlossen und die Forderungen formuliert: 1. Auszahlung der Löhne für
die Krönungstage; 2. zehneinhalbstündige Arbeitszeit; 3. Erhöhung der
Akkordlöhne. Dies geschah am 24. Mai. Nach einer Woche standen
_sämtliche_ Webereien und Spinnereien still, und 40 000 Arbeiter waren
im Generalstreik. Heute mag dieses Ereignis, an den gewaltigen
Massenstreiks der Revolution gemessen, als eine Kleinigkeit erscheinen.
In der politischen Eisstarre des _damaligen_ Rußlands war ein
Generalstreik etwas Unerhörtes, er war selbst eine ganze Revolution im
kleinen. Es begannen selbstverständlich die brutalsten Verfolgungen, za.
1000 Arbeitet wurden verhaftet und nach der Heimat abgeschoben, und der
Generalstreik wurde unterdrückt.

Bereits hier sehen wir alle Grundzüge der späteren Massenstreiks. Der
nächste Anlaß der Bewegung war ein ganz zufälliger, ja untergeordneter,
ihr Ausbruch ein elementarer; aber in dem Zustandekommen der Bewegung
zeigten sich die Früchte der mehrjährigen Agitation der
Sozialdemokratie, und im Laufe des Generalstreiks standen die
sozialdemokratischen Agitatoren an der Spitze der Bewegung, leiteten und
benutzten sie zur regen revolutionären Agitation. Ferner: Der Streik war
äußerlich ein bloßer ökonomischer Lohnkampf, allein die Stellung der
Regierung sowie die Agitation der Sozialdemokratie haben ihn zu einer
politischen Erscheinung ersten Ranges gemacht. Und endlich: Der Streik
wurde unterdrückt, die Arbeiter erlitten eine »Niederlage«. Aber bereits
im Januar des folgenden Jahres, 1897, wiederholten die Petersburger
Textilarbeiter nochmals den Generalstreik und errangen diesmal
einen hervorragenden Erfolg: die gesetzliche Einführung des
elfeinhalbstündigen Arbeitstages in ganz Rußland. Was jedoch ein viel
wichtigeres Ergebnis war: seit jenem ersten Generalstreik des Jahres
1896, der ohne eine Spur von Organisation und von Streikkassen
unternommen war, beginnt im eigentlichen Rußland ein intensiver
gewerkschaftlicher Kampf, der sich bald aus Petersburg auf das übrige
Land verbreitet und der sozialdemokratischen Agitation und Organisation
ganz neue Aussichten eröffnet, damit aber in der scheinbaren
Kirchhofsruhe der folgenden Periode durch unsichtbare Maulwurfsarbeit
die proletarische Revolution vorbereitet.

Der Ausbruch des kaukasischen Streiks im März des Jahres 1902 war
anscheinend ebenso zufällig und von rein ökonomischen, partiellen, wenn
auch ganz anderen Momenten erzeugt, wie jener vom Jahre 1896. Er hängt
mit der schweren Industrie- und Handelskrise zusammen, die in Rußland
die Vorgängerin des japanischen Krieges und mit ihm zusammen der
mächtigste Faktor der beginnenden revolutionären Gährung war. Die Krise
erzeugte eine enorme Arbeitslosigkeit, die in der proletarischen Masse
die Agitation nährte, deshalb unternahm es die Regierung, zur Beruhigung
der Arbeiterklasse die »überflüssigen Hände« nach ihren entsprechenden
Heimatsorten per Schub zu transportieren. Eine solche Maßnahme eben, die
za. 400 Petroleumarbeiter betreffen sollte, rief in Batum einen
Massenprotest hervor, der zu Demonstrationen, Verhaftungen, einem
Massacre und schließlich zu einem politischen Prozeß führte, in dem
plötzlich die rein ökonomische, partielle Angelegenheit zum politischen
und revolutionären Ereignis wurde. Der Widerhall des ganz »resultatlos«
verlaufenen und niedergeschlagenen Streiks in Batum war eine Reihe
revolutionärer Massendemonstrationen der Arbeiter in Nischni-Nowgorod,
in Saratow, in anderen Städten, also ein kräftiger Vorstoß für die
allgemeine Welle der revolutionären Bewegung.

Bereits im November 1902 folgt der erste echt revolutionäre Nachhall in
Gestalt eines Generalstreiks in _Rostow_ am Don. Den Anstoß zu dieser
Bewegung gaben Lohndifferenzen in den Werkstätten der Wladikaukasischen
Eisenbahn. Die Verwaltung wollte die Löhne herabsetzen, darauf gab das
Donsche Komitee der Sozialdemokratie einen Aufruf heraus, mit der
Aufforderung zum Streik um folgende Forderungen: Neunstundentag,
Lohnaufbesserung, Abschaffung der Strafen, Entlassung unbeliebter
Ingenieure &c. Sämtliche Eisenbahnwerkstätten traten in den Ausstand.
Ihnen schlossen sich alsbald alle anderen Berufe an, und plötzlich
herrschte in Rostow ein nie dagewesener Zustand: jede gewerbliche Arbeit
ruht, dafür werden Tag für Tag Monstre-Meetings von 15 000 bis 20 000
Arbeitern im Freien abgehalten, manchmal umzingelt von einem Kordon
Kosaken, wobei zum ersten Male sozialdemokratische Volksredner offen
auftreten, zündende Reden über Sozialismus und politische Freiheit
gehalten und mit ungeheurer Begeisterung aufgenommen, revolutionäre
Aufrufe in Zehntausenden von Exemplaren verbreitet werden. Mitten in dem
starren absolutistischen Rußland erobert das Proletariat Rostows zum
ersten Male sein Versammlungsrecht, seine Redefreiheit im Sturm.
Freilich geht es auch hier nicht ohne ein Massacre ab. Die
Lohndifferenzen der Wladikaukasischen Eisenbahnwerkstätten haben sich in
wenigen Tagen zu einem politischen Generalstreik und zu einer
revolutionären Straßenschlacht ausgewachsen. Als Nachklang erfolgte
sofort noch ein Generalstreik auf der Station _Tichoretzkaja_ derselben
Eisenbahnlinie. Auch hier kam es zu einem Massacre, ferner zu einem
Prozeß, und auch Tichoretzkaja hat sich als Episode gleichfalls in die
unzertrennliche Kette der Revolutionsmomente eingeflochten.

Der Frühling 1903 gibt die Antwort auf die niedergeschlagenen Streiks in
Rostow und Tichoretzkaja: der ganze Süden Rußlands steht im Mai, Juni
und Juli in Flammen. _Baku_, _Tiflis_, _Batum_, _Jelissawetgrad_,
_Odessa_, _Kijew_, _Nikolajew_, _Jekaterinoslaw_ stehen im Generalstreik
im buchstäblichen Sinne. Aber auch hier entsteht die Bewegung nicht nach
irgend einem vorgefaßten Plan aus einem Zentrum, sie fließt zusammen aus
einzelnen Punkten, in jedem aus anderen Anlässen, in anderen Formen. Den
Anfang macht _Baku_, wo mehrere partielle Lohnkämpfe einzelner Fabriken
und Branchen endlich in einen Generalstreik ausmünden. In _Tiflis_
beginnen den Streik 2000 Handelsangestellte, die eine Arbeitszeit von 6
Uhr Morgens bis 11 Uhr Abends hatten; sie verlassen alle am 4. Juli um 8
Uhr Abends die Läden und machen einen Umzug durch die Stadt, um die
Ladeninhaber zur Schließung der Geschäfte aufzufordern. Der Sieg ist ein
vollständiger: die Handelsangestellten erringen eine Arbeitszeit von 8
bis 8 und ihnen schließen sich sofort alle Fabriken, Werkstätten,
Bureaux an. Die Zeitungen erscheinen nicht, der Trambahnverkehr kann nur
unter dem Schutze des Militärs stattfinden. -- In _Jelissawetgrad_
beginnt am 10. Juli in allen Fabriken der Streik mit rein ökonomischen
Forderungen. Sie werden meistens bewilligt, und am 14. Juli hört der
Streik auf. Allein zwei Wochen später bricht er wieder aus; diesmal
geben die Bäcker die Parole, ihnen folgen die Steinarbeiter, Tischler,
Färber, Mühlenarbeiter und schließlich wieder alle Fabrikarbeiter. -- In
_Odessa_ beginnt die Bewegung mit einem Lohnkampfe, in den der von
Regierungsagenten nach dem Programm des berühmten Gendarmen _Subatow_
gegründete »legale« Arbeiterverein verwickelt wurde. Die geschichtliche
Dialektik hat wieder Gelegenheit genommen, einen ihrer hübschen
boshaften Streiche auszuführen: Die ökonomischen Kämpfe der früheren
Periode -- darunter der große Petersburger Generalstreik von 1896 --
hatten die russische Sozialdemokratie zur Übertreibung des sogen.
»Ökonomismus« verleitet, wodurch sie in der Arbeiterschaft für das
demagogische Treiben des Subatow den Boden bereitet hatte. Nach einer
Weile drehte aber der große revolutionäre Strom das Schifflein mit der
falschen Flagge um und zwang es, gerade an der Spitze der revolutionären
proletarischen Flottille zu schwimmen. Die Subatowschen Vereine gaben im
Frühling 1904 die Parole zu dem großen Generalstreik in Odessa, wie im
Januar 1905 zu dem Generalstreik in Petersburg. Die Arbeiter in Odessa,
die in den Wahn von der aufrichtigen Arbeiterfreundlichkeit der
Regierung und ihrer Sympathie für rein ökonomischen Kampf gewiegt
wurden, wollten plötzlich eine Probe aufs Exempel machen und zwangen den
Subatowschen »Arbeiterverein«, in einer Fabrik den Streik um
bescheidenste Forderungen zu erklären. Sie wurden darauf vom Unternehmer
einfach aufs Pflaster gesetzt, und als sie von dem Leiter ihres Vereins
den versprochenen obrigkeitlichen Schutz forderten, verduftete der Herr
und ließ die Arbeiter in wilder Gärung zurück. Alsbald stellten sich die
Sozialdemokraten an die Spitze und die Streikbewegung sprang auf andere
Fabriken über. Am 1. Juli streiken 2500 Eisenbahnarbeiter, am 4. Juli
treten die Hafenarbeiter in den Streik um eine Erhöhung der Löhne von 80
Kopeken auf 2 Rubel und Verkürzung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde.
Am 6. Juli schließen sich die Seeleute der Bewegung an. Am 13. Juli
beginnt der Ausstand des Trambahnpersonals. Nun findet eine Versammlung
sämtlicher Streikenden, 7-8000 Mann, statt; es bildet sich ein Zug, der
von Fabrik zu Fabrik geht und, lawinenartig anwachsend, schon als eine
40-50 000köpfige Menge sich zum Hafen begibt, um hier jede Arbeit zum
Stillstand zu bringen. Bald herrscht in der ganzen Stadt der
Generalstreik. -- _In Kijew_ beginnt am 21. Juli der Ausstand in den
Eisenbahnwerkstätten. Auch hier ist der nächste Anlaß miserable
Arbeitsbedingungen, und es werden Lohnforderungen aufgestellt. Am
anderen Tage folgen dem Beispiel die Gießereien. Am 23. Juli passiert
darauf ein Zwischenfall, der das Signal zum Generalstreik gibt. In der
Nacht wurden zwei Delegierte der Eisenbahnarbeiter verhaftet; die
Streikenden fordern sofort ihre Freilassung, und als dies nicht erfüllt
wird, beschließen sie, die Eisenbahnzüge nicht aus der Stadt
herauszulassen. Am Bahnhof setzen sich auf den Schienenstrang sämtliche
Streikende mit Weib und Kind -- ein Meer von Menschenköpfen. Man droht
mit Gewehrsalven. Die Arbeiter entblößen darauf ihre Brust und rufen:
»Schießt!« Eine Salve wird auf die wehrlose, sitzende Menge abgefeuert
und 30-40 Leichen, darunter Frauen und Kinder, bleiben auf dem Platze
liegen. Auf diese Kunde erhebt sich am gleichen Tage ganz Kijew zum
Streik. Die Leichen der Ermordeten werden von der Menge emporgehoben und
in einem Massenzug herumgetragen. Versammlungen, Reden, Verhaftungen,
einzelne Straßenkämpfe -- Kijew steht mitten in der Revolution. Die
Bewegung geht bald zu Ende; dabei haben aber die Buchdrucker eine
Verkürzung der Arbeitszeit um eine Stunde und eine Lohnerhöhung um einen
Rubel gewonnen; in einer Hefefabrik ist der Achtstundentag eingeführt
worden; die Eisenbahnwerkstätten wurden auf Beschluß des Ministeriums
geschlossen; andere Branchen führten partielle Streiks um ihre
Forderungen weiter. -- _In Nikolajew_ bricht der Generalstreik unter dem
unmittelbaren Eindruck der Nachrichten aus Odessa, Baku, Batum und
Tiflis aus, trotz des Widerstandes des sozialdemokratischen Komitees,
das den Ausbruch der Bewegung auf den Zeitpunkt hinausschieben wollte,
wo das Militär zum Manöver aus der Stadt ziehen sollte. Die Masse ließ
sich nicht zurückhalten; eine Fabrik machte den Anfang, die Streikenden
gingen von einer Werkstatt zur anderen, der Widerstand des Militärs goß
nur Öl ins Feuer. Bald bildeten sich Massenumzüge mit revolutionärem
Gesang, die alle Arbeiter, Angestellten, Trambahnbedienstete, Männer und
Frauen, mitrissen. Die Arbeitsruhe war eine vollkommene. -- In
_Jekaterinoslaw_ beginnen am 5. August die Bäcker, am 7. die Arbeiter
der Eisenbahnwerkstätte, darauf alle anderen Fabriken den Streik; am 8.
August hört der Trambahnverkehr auf, die Zeitungen erscheinen nicht. --
So kam der grandiose Generalstreik Südrußlands im Sommer 1903 zu stande.
Aus vielen kleinen Kanälen partieller ökonomischer Kämpfe und kleiner
»zufälliger« Vorgänge floß er rasch zu einem gewaltigen Meer zusammen
und verwandelte den ganzen Süden des Zarenreichs für einige Wochen in
eine bizarre, revolutionäre Arbeiterrepublik. »Brüderliche Umarmungen,
Rufe des Entzückens und der Begeisterung, Freiheitslieder, frohes
Gelächter, Humor und Freude hörte man in der vieltausendköpfigen Menge,
die von Morgen bis Abend in der Stadt wogte. Die Stimmung war eine
gehobene; man konnte beinahe glauben, daß ein neues, besseres Leben auf
Erden beginnt. Ein tiefernstes und zugleich idyllisches, rührendes
Bild«... So schrieb damals der Korrespondent im liberalen »Oswoboshdenje«
des Herrn Peter v. Struve.

Das Jahr 1904 brachte gleich im Anfang den Krieg und für eine Weile eine
Ruhepause in der Massenstreikbewegung mit sich. Zuerst ergoß sich eine
trübe Welle polizeilich veranstalteter »patriotischer« Demonstrationen
über das Land. Die »liberale« bürgerliche Gesellschaft wurde vorerst von
dem zarisch-offiziellen Chauvinismus ganz zu Boden geschmettert. Doch
nimmt die Sozialdemokratie bald den Kampfplatz wieder in Besitz; den
polizeilichen Demonstrationen des patriotischen Lumpenproletariats
werden revolutionäre Arbeiterdemonstrationen entgegengestellt. Endlich
wecken die schmählichen Niederlagen der zarischen Armee auch die
liberale Gesellschaft aus der Betäubung; es beginnt die Ära liberaler
und demokratischer Kongresse, Bankette, Reden, Adressen und Manifeste.
Der durch die Schmach des Krieges zeitweilig erdrückte Absolutismus läßt
in seiner Zerfahrenheit die Herren gewähren, und sie sehen bereits den
Himmel voller liberaler Geigen. Für ein halbes Jahr nimmt der
bürgerliche Liberalismus die politische Vorderbühne in Besitz, das
Proletariat tritt in den Schatten. Allein nach längerer Depression rafft
sich der Absolutismus seinerseits wieder auf, die Kamarilla sammelt ihre
Kräfte und durch ein einziges kräftiges Aufstampfen des Kosakenstiefels
wird die ganze liberale Aktion im Dezember ins Mauseloch gejagt. Die
Bankette, Reden, Kongresse werden kurzerhand als eine »freche Anmaßung«
verboten und der Liberalismus sieht sich plötzlich am Ende seines
Lateins. Aber genau dort, wo dem Liberalismus der Faden ausgegangen ist,
beginnt die Aktion des Proletariats. Im Dezember 1904 bricht auf dem
Boden der Arbeitslosigkeit der grandiose Generalstreik in _Baku_ aus:
Die Arbeiterklasse ist wieder auf dem Kampfplatz. Als das Reden verboten
wurde und verstummte, begann wieder das Handeln. In Baku herrschte
während einiger Wochen mitten im Generalstreik die Sozialdemokratie als
unumschränkte Herrin der Lage, und die eigenartigen Ereignisse des
Dezembers im Kaukasus hätten ein ungeheures Aufsehen erregt, wenn sie
nicht so rapid von der steigenden Woge der Revolution übertroffen worden
wären, die sie selbst aufgepeitscht hatten. Noch waren die
phantastischen, unklaren Nachrichten von dem Generalstreik in Baku nicht
in alle Enden des Zarenreichs gelangt, als im Januar 1905 der
Massenstreik in _Petersburg_ ausbrach.

Auch hier war der Anlaß bekanntlich ein winziger. Zwei Arbeiter der
Putilow-Werke wurden wegen ihrer Zugehörigkeit zum legalen Subatowschen
Verein entlassen. Diese Maßregelung rief am 16. Januar einen
Solidaritätsstreik sämtlicher 12 000 Arbeiter dieser Werke hervor. Die
Sozialdemokraten begannen aus Anlaß des Streiks eine rege Agitation um
die Erweiterung der Forderungen und setzten die Forderung des
Achtstundentages, des Koalitionsrechts, der Rede- und Preßfreiheit usw.
durch. Die Gärung der Putilowschen Arbeiter teilte sich rasch dem
übrigen Proletariat mit, und in wenigen Tagen standen 140 000 Arbeiter
im Streik. Gemeinsame Beratungen und stürmische Diskussionen führten zur
Ausarbeitung jener proletarischen Charte der bürgerlichen Freiheiten mit
dem Achtstundentag an der Spitze, womit am 22. Januar 200 000 Arbeiter,
von dem Priester Gapon geführt, vor das Zarenschloß zogen. Der Konflikt
der zwei gemaßregelten Putilow-Arbeiter hat sich binnen einer Woche in
den Prolog der gewaltigsten Revolution der Neuzeit verwandelt.

Die zunächst darauffolgenden Ereignisse sind bekannt: Das Petersburger
Blutbad hat im Januar und Februar in sämtlichen Industriezentren und
Städten Rußlands, Polens, Litauens, der baltischen Provinzen, des
Kaukasus, Sibiriens, vom Norden bis zum Süden, vom Westen bis zum Osten
riesenhafte Massenstreiks und Generalstreiks hervorgerufen. Allein bei
näherem Zusehen treten jetzt die Massenstreiks in anderen Formen auf,
als in der bisherigen Periode. Diesmal gingen überall die
sozialdemokratischen Organisationen mit Aufrufen voran; überall war die
revolutionäre Solidarität mit dem Petersburger Proletariat ausdrücklich
als Grund und Zweck des Generalstreiks bezeichnet; überall gab es
zugleich Demonstrationen, Reden, Kämpfe mit dem Militär. Doch auch hier
war von einem vorgefaßten Plan, einer organisierten Aktion keine Rede,
denn die Aufrufe der Parteien vermochten kaum, mit den spontanen
Erhebungen der Masse Schritt zu halten; die Leiter hatten kaum Zeit, die
Losungen der vorausstürmenden Proletariermenge zu formulieren. Ferner:
Die früheren Massen- und Generalstreiks entstanden aus einzelnen
zusammenfließenden Lohnkämpfen, die in der allgemeinen Stimmung der
revolutionären Situation und unter dem Eindruck der sozialdemokratischen
Agitation rapid zu politischen Kundgebungen wurden; das ökonomische
Moment und die gewerkschaftliche Zersplitterung waren der Ausgangspunkt,
die zusammenfassende Klassenaktion und die politische Leitung das
Schlußergebnis. Jetzt ist die Bewegung eine umgekehrte. Die Januar- und
Februargeneralstreiks brachen im voraus als einheitliche revolutionäre
Aktion unter der Leitung der Sozialdemokratie aus; allein diese Aktion
zerfiel bald in eine unendliche Reihe lokaler, partieller, ökonomischer
Streiks in einzelnen Gegenden, Städten, Branchen, Fabriken. Den ganzen
Frühling des Jahres 1905 hindurch bis in den Hochsommer hinein gährte im
gesamten Riesenreich ein unermüdlicher ökonomischer Kampf fast des
gesamten Proletariats gegen das Kapital, ein Kampf, der nach oben hin
alle kleinbürgerlichen und liberalen Berufe: Handelsangestellte,
Bankbeamte, Techniker, Schauspieler, Kunstberufe, ergreift, nach unten
hin bis ins Hausgesinde, in das Subalternbeamtentum der Polizei, ja bis
in die Schicht des Lumpenproletariats hineindringt und gleichzeitig aus
der Stadt aufs flache Land hinausströmt und sogar an die eisernen Tore
der Militärkasernen pocht.

Es ist dies ein riesenhaftes buntes Bild einer allgemeinen
Auseinandersetzung der Arbeit mit dem Kapital, das die ganze
Mannigfaltigkeit der sozialen Gliederung und des politischen Bewußtseins
jeder Schicht und jedes Winkels abspiegelt und die ganze lange
Stufenleiter vom regelrechten gewerkschaftlichen Kampf einer erprobten
großindustriellen Elitetruppe des Proletariats bis zum formlosen
Protestausbruch eines Haufens Landproletarier und zur ersten dunklen
Regung einer aufgeregten Soldatengarnison durchläuft, von der
wohlerzogenen eleganten Revolte in Manschetten und Stehkragen im Kontor
eines Bankhauses bis zum scheu-dreisten Murren einer klobigen
Versammlung unzufriedener Polizisten in einer verräucherten, dunklen und
schmutzigen Polizeiwachtstube.

Nach der Theorie der Liebhaber »ordentlicher und wohldisziplinierter«
Kämpfe nach Plan und Schema, jener besonders, die es von weitem stets
besser wissen wollen, wie es »hätte gemacht werden sollen«, war der
Zerfall der großen politischen Generalstreikaktion des Januar 1905 in
eine Unzahl ökonomischer Kämpfe wahrscheinlich »ein großer Fehler«, der
jene Aktion »lahmgelegt« und in ein »Strohfeuer« verwandelt hatte. Auch
die Sozialdemokratie in Rußland, die die Revolution zwar mitmacht, aber
nicht »macht«, und ihre Gesetze erst aus ihrem Verlauf selbst lernen
muß, war im ersten Augenblick durch das scheinbar resultatlose
Zurückfluten der ersten Sturmflut des Generalstreiks für eine Weile
etwas aus dem Konzept gebracht. Allein, die Geschichte, die jenen
»großen Fehler« gemacht hat, verrichtete damit, unbekümmert um das
Räsonieren ihrer unberufenen Schulmeister, eine ebenso unvermeidliche
wie in ihren Folgen unberechenbare Riesenarbeit der Revolution.

Die plötzliche Generalerhebung des Proletariats im Januar unter dem
gewaltigen Anstoß der Petersburger Ereignisse war nach außen hin ein
politischer Akt der revolutionären Kriegserklärung an den Absolutismus.
Aber diese erste allgemeine direkte Klassenaktion wirkte gerade als
solche nach innen um so mächtiger zurück, indem sie zum ersten Mal das
Klassengefühl und Klassenbewußtsein in den Millionen und Abermillionen
wie durch einen elektrischen Schlag weckte. Und dieses Erwachen des
Klassengefühls äußerte sich sofort darin, daß der nach Millionen
zählenden proletarischen Masse ganz plötzlich scharf und schneidend die
Unerträglichkeit jenes sozialen und ökonomischen Daseins zum Bewußtsein
kam, das sie Jahrzehnte in den Ketten des Kapitalismus geduldig ertrug.
Es beginnt daher ein spontanes allgemeines Rütteln und Zerren an diesen
Ketten. Alle tausendfältigen Leiden des modernen Proletariats erinnern
es an alte blutende Wunden. Hier wird um den Achtstundentag gekämpft,
dort gegen die Akkordarbeit, hier werden brutale Meister auf einem
Handkarren im Sack »hinausgefahren«, anderswo gegen infame Strafsysteme,
überall um bessere Löhne, hier und da um Abschaffung der Heimarbeit
gekämpft. Rückständige, degradierte Berufe in großen Städten, kleine
Provinzstädte, die bis dahin in einem idyllischen Schlaf dahin
dämmerten, das Dorf mit seinem Vermächtnis aus dem Leibeigentum -- alles
das besinnt sich plötzlich, vom Januarblitz geweckt, auf seine Rechte
und sucht nun fieberhaft, das Versäumte nachzuholen. Der ökonomische
Kampf war hier also in Wirklichkeit nicht ein Zerfall, eine
Zersplitterung der Aktion, sondern bloß eine Frontänderung, ein
plötzlicher und natürlicher Umschlag der ersten Generalschlacht mit dem
Absolutismus in eine Generalabrechnung mit dem Kapital, die, ihrem
Charakter entsprechend, _die Form_ einzelner zersplitterter Lohnkämpfe
annahm. Nicht die politische Klassenaktion wurde im Januar durch den
Zerfall des Generalstreiks in ökonomische Streiks gebrochen, sondern
umgekehrt; nachdem der in der gegebenen Situation und auf der gegebenen
Stufe der Revolution mögliche Inhalt der politischen Aktion erschöpft
war, zerfiel sie oder schlug vielmehr in eine ökonomische Aktion um.

In der Tat: was konnte der Generalstreik im Januar weiter erreichen? Nur
völlige Gedankenlosigkeit durfte eine Vernichtung des Absolutismus auf
einen Schlag durch einen einzigen »ausdauernden« Generalstreik nach dem
anarchistischen Schema erwarten. Der Absolutismus muß in Rußland durch
das Proletariat gestürzt werden. Aber das Proletariat bedarf dazu eines
hohen Grades der politischen Schulung, des Klassenbewußtseins und der
Organisation. Alle diese Bedingungen vermag es sich nicht aus
Broschüren und Flugblättern, sondern bloß aus der lebendigen
politischen Schule, aus dem Kampf und in dem Kampf, in dem
fortschreitenden Verlauf der Revolution aneignen. Ferner kann der
Absolutismus nicht in jedem beliebigen Moment, wozu bloß eine genügende
»Anstrengung« und »Ausdauer« erforderlich, gestürzt werden. Der
Untergang des Absolutismus ist bloß ein äußerer Ausdruck der inneren
sozialen und Klassenentwicklung der russischen Gesellschaft. Bevor und
damit der Absolutismus gestürzt werden kann, muß das künftige
bürgerliche Rußland in seinem Innern, in seiner modernen
Klassenscheidung hergestellt, geformt werden. Dazu gehört die
Auseinandergrenzung der verschiedenen sozialen Schichten und Interessen,
die Bildung außer der proletarischen, revolutionären, auch nicht minder
der liberalen, radikalen, kleinbürgerlichen, konservativen und
reaktionären Parteien, dazu gehört die Selbstbesinnung, Selbsterkenntnis
und das Klassenbewußtsein nicht bloß der Volksschichten, sondern auch
der bürgerlichen Schichten. Aber auch diese vermögen sich nicht anders
als im Kampf, im Prozeß der Revolution selbst, durch die lebendige
Schule der Ereignisse, im Zusammenprall mit dem Proletariat, sowie
gegeneinander, in unaufhörlicher gegenseitiger Reibung bilden und zur
Reife gedeihen. Diese Klassenspaltung und Klassenreife der bürgerlichen
Gesellschaft sowie ihre Aktion im Kampfe gegen den Absolutismus wird
durch die eigenartige führende Rolle des Proletariats und seine
Klassenaktion einerseits unterbunden und erschwert, anderseits
angepeitscht und beschleunigt. Die verschiedenen Unterströme des
sozialen Prozesses der Revolution durchkreuzen einander, hemmen
einander, steigern die inneren Widersprüche der Revolution, im Resultat
beschleunigen und potenzieren aber damit nur ihre gewaltigen Ausbrüche.

So erfordert das anscheinend so einfache und nackte rein mechanische
Problem: der Sturz des Absolutismus einen ganzen langen sozialen Prozeß,
eine gänzliche Unterwühlung des gesellschaftlichen Bodens, das Unterste
muß nach oben, das Oberste nach unten gekehrt, die scheinbare »Ordnung«
in einen Chaos und aus dem scheinbaren »anarchistischen« Chaos eine neue
Ordnung umgeschaffen werden. Und nun in diesem Prozeß der sozialen
Umschachtelung des alten Rußland spielte nicht nur der Januar-Blitz des
ersten Generalstreiks, sondern noch mehr das darauffolgende große
Frühlings- und Sommergewitter der ökonomischen Streiks eine
unersetzliche Rolle. Die erbitterte allgemeine Auseinandersetzung der
Lohnarbeit mit dem Kapital hat im gleichen Maße zur Auseinandergrenzung
der verschiedenen Volksschichten wie der bürgerlichen Schichten, zum
Klassenbewußtsein des revolutionären Proletariats wie auch der liberalen
und konservativen Bourgeoisie beigetragen. Und wie die städtischen
Lohnkämpfe zur Bildung der starken monarchischen Moskauer
Industriellen-Partei beigetragen haben, so hat der rote Hahn der
gewaltigen Landerhebung in Livland zur raschen Liquidation des berühmten
adelig-agrarischen Semstwo-Liberalismus geführt.

Zugleich aber hat die Periode der ökonomischen Kämpfe im Frühling und
Sommer des Jahres 1905 dem städtischen Proletariat in der Gestalt der
regen sozialdemokratischen Agitation und Leitung die Möglichkeit
gegeben, die ganze Summe der Lehren des Januar-Prologs sich nachträglich
anzueignen, sich die weiteren Aufgaben der Revolution klar zu machen. Im
Zusammenhang damit steht aber noch ein anderes Ergebnis dauernden
sozialen Charakters: _eine allgemeine Hebung des Lebensniveaus des
Proletariats_, des wirtschaftlichen, sozialen und intellektuellen. Die
Frühlingsstreiks des Jahres 1905 sind fast durchweg siegreich verlaufen.
Als eine Probe aus dem enormen und noch meistens unübersehbaren
Tatsachenmaterial seien hier nur einige Daten über ein paar der allein
in Warschau von der Sozialdemokratie Polens und Litauens geleiteten
wichtigsten Streiks angeführt. In den größten Fabriken der
_Metallbranche_ Warschaus: Aktiengesellschaft Lilpop, Rau & Löwenstein,
Rudzki & Co., Bormann, Schwede & Co., Handtke, Gerlach & Pulst, Gebrüder
Geisler, Eberhard, Wolski & Co., Aktiengesellschaft Konrad &
Jarmuszkiewicz, Weber & Daehn, Gwizdzinski & Co., Drahtfabrik
Wolanowski, Aktiengesellschaft Gostynski & Co., R. Brun & Sohn, Fraget,
Norblin, Werner, Buch, Gebrüder Renneberg, Labor, Lampenfabrik Dittmar,
Serkowski, Weszyski, zusammen 22 Fabriken errangen die Arbeiter sämtlich
nach einem vier- bis fünfwöchigen Streik (seit dem 25. und 26. Januar)
den neunstündigen Arbeitstag, eine Lohnerhöhung von 15 bis 25 pZt. und
verschiedene geringere Forderungen. In den größten Werkstätten der
_Holzbranche_ Warschaus, nämlich bei Karmanski, Damiecki, Gromel,
Szerbinski, Tremerowski, Horn, Bevensee, Tworkowski, Daab & Martens,
zusammen 10 Werkstätten, errangen die Streikenden bereits am 23. Februar
den Neunstundentag; sie gaben sich jedoch nicht zufrieden und bestanden
auf dem Achtstundentag, den sie auch nach einer weiteren Woche
durchsetzten, zugleich mit einer Lohnerhöhung. Die gesamte
_Maurerbranche_ begann den Streik am 27. Februar, forderte gemäß der
Parole der Sozialdemokratie den Achtstundentag und errang am 11. März
den Neunstundentag, eine Lohnerhöhung für alle Kategorien, regelmäßige
wöchentliche Lohnauszahlung usw. usw. Die _Anstreicher_, _Stellmacher_,
_Sattler_ und _Schmiede_ errangen gemeinsam den Achtstundentag ohne
Lohnverkürzung. Die _Telephon_-Werkstätten streikten zehn Tage und
errangen den Achtstundentag und eine Lohnerhöhung um 10 bis 15 pZt. Die
große _Leinenweberei_ Hielle & Dietrich (10 000 Arbeiter) errang nach
neun Wochen Streik eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine Stunde und
Lohnaufbesserung um 5 bis 10 pZt. Und dasselbe Ergebnis in unendlichen
Variationen sehen wir in allen übrigen Branchen Warschaus, in Lodz, in
Sosnowitz.

Im eigentlichen Rußland wurde der _Achtstundentag_ erobert: im September
1904 von einigen Kategorien der Naphthaarbeiter in Baku, im Mai 1905 von
den Zuckerarbeitern des Kijewer Rayons, im Januar 1905 in sämtlichen
Buchdruckereien der Stadt Samara (wo zugleich eine Erhöhung der
Akkordlöhne und Abschaffung der Strafen durchgesetzt wurde), im Februar
in der Fabrik kriegsmedizinischer Instrumente, in einer Möbeltischlerei
und in der Patronenfabrik in Petersburg, ferner wurde eine achtstündige
Schicht in den Gruben von Wladiwostok eingeführt, im März in der
staatlichen mechanischen Werkstatt der Staatspapiere, im April bei den
Schmieden der Stadt Bobrujsk, im Mai bei den Angestellten der
elektrischen Stadtbahn in Tiflis, gleichfalls im Mai der
achteinhalbstündige Arbeitstag in der Riesenbaumwollweberei von Morosow
(bei gleichzeitiger Abschaffung der Nachtarbeit und Erhöhung der Löhne
um 8 pZt.), im Juni der Achtstundentag in einigen Ölmühlen in Petersburg
und Moskau, im Juli achteinhalb Stunden bei den Schmieden des
Petersburger Hafens, im November in sämtlichen Privatdruckereien der
Stadt Orel (bei gleichzeitiger Erhöhung des Zeitlohnes um 20 pZt. und
der Akkordlöhne um 100 pZt., sowie der Einführung eines paritätischen
Einigungsamtes).

Der _Neunstundentag_ in sämtlichen Eisenbahnwerkstätten (im Februar), in
vielen staatlichen Militär- und Marinewerkstätten, in den meisten
Fabriken der Stadt Berdjansk, in sämtlichen Druckereien der Stadt
Poltawa sowie der Stadt Minsk; neuneinhalb Stunden auf der Schiffswerft,
Mechanischen Werkstatt und Gießerei der Stadt Nikolajew, im Juni nach
einem allgemeinen Kellnerstreik in Warschau in vielen Restaurants und
Cafés (bei gleichzeitiger Lohnerhöhung um 20 bis 40 pZt. und einem
zweiwöchentlichen Urlaub jährlich).

Der _Zehnstundentag_ in fast sämtlichen Fabriken der Städte Lodz,
Gosnowitz, Riga, Kowno, Reval, Dorpat, Minsk, Charkow, bei den Bäckern
in Odessa, in den Handwerkstätten in Kischinew, in einigen Hutfabriken
in Petersburg, in den Zündholzfabriken in Kowno (bei gleichzeitiger
Lohnerhöhung um 10 pZt.), in sämtlichen staatlichen Marinewerkstätten
und bei sämtlichen Hafenarbeitern.

Die Lohnerhöhungen sind im allgemeinen geringer als die Verkürzung der
Arbeitszeit, immerhin aber bedeutende; so wurde in Warschau Mitte März
1905 von dem städtischen Fabrikamt eine allgemeine Lohnerhöhung um 15
pZt. festgestellt; in dem Zentrum der Textilindustrie Iwanowo-Wosnesensk
erreichten die Lohnerhöhungen 7 bis 15 pZt.; in Kowno wurden von der
Lohnerhöhung 78 pZt. der gesamten Arbeiterzahl betroffen. Ein fester
_Minimallohn_ wurde eingeführt: in einem Teile der Bäckereien in Odessa,
in der Newaschen Schiffswerft in Petersburg usw.

Freilich werden die Konzessionen vielfach bald hier bald dort wieder
zurückgenommen. Dies gibt aber nur den Anlaß zu erneuten, noch
erbitterteren Revanchekämpfen, und so ist die Streikperiode des
Frühlings 1905 von selbst zum Prolog einer unendlichen Reihe sich immer
weiter ausbreitender und ineinanderschlingender ökonomischer Kämpfe
geworden, die bis auf den heutigen Tag dauern. In den Perioden des
äußerlichen Stillstandes der Revolution, wo die Telegramme keine
Sensationsnachrichten vom russischen Kampfplatz in die Welt tragen und
wo der westeuropäische Leser mit Enttäuschung seine Morgenzeitung aus
der Hand legt, mit der Bemerkung, daß in Rußland »nichts passiert sei«,
wird in Wirklichkeit in der Tiefe des ganzen Reiches die große
Maulwurfsarbeit der Revolution ohne Rast Tag für Tag und Stunde für
Stunde fortgesetzt. Der unaufhörliche intensive ökonomische Kampf setzt
in rapiden abgekürzten Methoden die Hinüberleitung des Kapitalismus aus
dem Stadium der primitiven Akkumulation, des patriarchalischen Raubbaus
in ein hochmodernes, zivilisiertes Stadium durch. Heute läßt die
tatsächliche Arbeitszeit in der russischen Industrie nicht nur die
russische Fabrikgesetzgebung, d. h. den gesetzlichen elfeinhalbstündigen
Arbeitstag, sondern selbst die deutschen tatsächlichen Verhältnisse
hinter sich. In den meisten Branchen der russischen Großindustrie
herrscht heute der Zehnstundentag, der in Deutschland von der
Sozialgesetzgebung als unerreichbares Ziel hingestellt wird. Ja, noch
mehr; jener ersehnte »industrielle Konstitutionalismus«, für den man in
Deutschland schwärmt und um deswillen die Anhänger der opportunistischen
Taktik jedes schärfere Lüftchen von den stehenden Gewässern des
allein-seligmachenden Parlamentarismus fernhalten möchten, wird in
Rußland gerade mitten im Revolutionssturm, _aus_ der Revolution,
zusammen mit dem politischen »Konstitutionalismus« geboren! Tatsächlich
ist nicht bloß eine allgemeine Hebung des Lebensniveaus oder vielmehr
des Kulturniveaus der Arbeiterschaft eingetreten. Das materielle
Lebensniveau als eine dauernde Stufe des Wohlseins findet in der
Revolution keinen Platz. Voller Widersprüche und Kontraste, bringt sie
zugleich überraschende ökonomische Siege und brutalste Racheakte des
Kapitals: heute den Achtstundentag, morgen Massenaussperrungen und
nackten Hunger für Hunderttausende. Das Kostbarste, weil bleibende, bei
diesem scharfen revolutionären Auf und Ab der Welle ist ihr _geistiger
Niederschlag_: das sprungweise intellektuelle, kulturelle Wachstum des
Proletariats, das eine unverbrüchliche Gewähr für sein weiteres
unaufhaltsames Fortschreiten im wirtschaftlichen wie im politischen
Kampfe bietet. Allein, nicht bloß das. Das Verhältnis selbst
des Arbeiters zum Unternehmer wird umgestülpt; seit den
Januar-Generalstreiks und den darauffolgenden Streiks des Jahres 1905
ist das Prinzip des kapitalistischen »Hausherrentums« #de facto#
abgeschafft. In den größten Fabriken aller wichtigsten Industriezentren
hat sich wie von selbst die Einrichtung der Arbeiterausschüsse gebildet,
mit denen allein der Unternehmer verhandelt, die über alle Konflikte
entscheiden. Und schließlich noch mehr: Die anscheinend chaotischen
Streiks und die »desorganisierte« revolutionäre Aktion nach dem
Januar-Generalstreik wird zum Ausgangspunkt einer fieberhaften
_Organisationsarbeit_. Madame Geschichte dreht den bureaukratischen
Schablonenmenschen, die an den Toren des deutschen Gewerkschaftsglücks
grimmige Wacht halten, von weitem lachend eine Nase. Die festen
Organisationen, die als unbedingte Voraussetzung für einen eventuellen
Versuch zu einem eventuellen deutschen Massenstreik im voraus wie eine
uneinnehmbare Festung umschanzt werden sollen, diese Organisationen
werden in Rußland gerade umgekehrt aus dem Massenstreik geboren! Und
während die Hüter der deutschen Gewerkschaften am meisten befürchten,
daß die Organisationen in einem revolutionären Wirbel wie kostbares
Porzellan krachend in Stücke gehen, zeigt uns die russische Revolution
das direkt umgekehrte Bild: aus dem Wirbel und Sturm, aus Feuer und Glut
der Massenstreiks, der Straßenkämpfe steigen empor wie die Venus aus dem
Meerschaum: frische, junge, kräftige und lebensfrohe .....
Gewerkschaften.

Hier nur wieder ein kleines Beispiel, das aber für das gesamte Reich
typisch ist. Auf der zweiten Konferenz der Gewerkschaften Rußlands, die
Ende Februar 1906 in Petersburg stattgefunden hat, sagte der Vertreter
der Petersburger Gewerkschaften in seinem Bericht über die Entwicklung
der Gewerkschaftsorganisationen der Zarenhauptstadt:

»Der 22. Januar 1905, der den Gaponschen Verein weggespült hat, bildete
einen Wendepunkt. Die Arbeiter aus der Masse haben an der Hand der
Ereignisse gelernt, die Bedeutung der Organisation zu schätzen und
begriffen, daß nur sie selbst diese Organisationen schaffen können. --
In direkter Verbindung mit der Januarbewegung entsteht in Petersburg die
erste Gewerkschaft: die der Buchdrucker. Die zur Ausarbeitung des Tarifs
gewählte Kommission arbeitete die Statuten aus, und am 19. Juni begann
die Gewerkschaft ihre Existenz. Ungefähr um dieselbe Zeit wurde die
Gewerkschaft der Kontoristen und der Buchhalter ins Leben gerufen. Neben
diesen Organisationen, die fast offen (legal) existieren, entstanden vom
Januar bis Oktober 1905 halbgesetzliche und ungesetzliche
Gewerkschaften. Zu den ersteren gehört z. B. die der Apothekergehülfen
und der Handelsangestellten. Unter den ungesetzlichen Gewerkschaften muß
der Verein der Uhrmacher hervorgehoben werden, dessen erste geheime
Sitzung am 24. April stattfand. Alle Versuche, eine allgemeine offene
Versammlung einzuberufen, scheiterten an dem hartnäckigen Widerstand der
Polizei und der Unternehmer in der Person der Handwerkskammer. Dieser
Mißerfolg hat die Existenz der Gewerkschaft nicht verhindert. Sie hielt
geheime Mitgliederversammlungen am 9. Juni und 14. August ab, abgesehen
von den Sitzungen der Vorstände der Gewerkschaft. Die Schneider-und
Schneiderinnengewerkschaft wurde im Frühling des Jahres 1905 in einer
Versammlung im Walde gegründet, wo 70 Schneider anwesend waren. Nachdem
die Frage der Gründung besprochen wurde, wählte man eine Kommission, die
mit der Ausarbeitung des Statuts beauftragt wurde. Alle Versuche der
Kommission, für die Gewerkschaft eine gesetzliche Existenz
durchzusetzen, blieben erfolglos. Ihre Tätigkeit beschränkt sich auf die
Agitation und Mitgliederwerbung in den einzelnen Werkstätten. Ein
ähnliches Schicksal war der Schuhmachergewerkschaft beschieden. Im Juli
wurde Nachts in einem Walde außerhalb der Stadt eine geheime Versammlung
einberufen. Mehr als 100 Schuhmacher kamen zusammen; es wurde ein
Referat über die Bedeutung der Gewerkschaften, über ihre Geschichte in
Westeuropa und ihre Aufgaben in Rußland gehalten. Darauf ward
beschlossen, eine Gewerkschaft zu gründen; 12 Mann wurden in eine
Kommission gewählt, die das Statut ausarbeiten und eine allgemeine
Schuhmacherversammlung einberufen sollte. Das Statut wurde
ausgearbeitet, aber es gelang vorläufig weder es zu drucken, noch eine
allgemeine Versammlung einzuberufen.«

Das waren die ersten schweren Anfänge. Dann kamen die Oktobertage, der
zweite allgemeine Generalstreik, das Zarenmanifest des 30. Oktober und
die kurze »Verfassungsperiode«. Mit Feuereifer stürzen sich die Arbeiter
in die Wogen der politischen Freiheit, um sie sofort zum
Organisationswerk zu benutzen. Neben tagtäglichen politischen
Versammlungen, Debatten, Vereinsgründungen wird sofort der Ausbau der
Gewerkschaften in Angriff genommen. Im Oktober und November entstehen in
Petersburg _vierzig_ neue Gewerkschaften. Alsbald wird ein
»Zentralbureau«, d. h. ein Gewerkschaftskartell gegründet, es erscheinen
verschiedene Gewerkschaftsblätter und seit dem November auch ein
Zentralorgan: »Die Gewerkschaft«. Das, was im obigen über Petersburg
berichtet wurde, trifft im großen und ganzen auf Moskau und Odessa,
Kijew und Nikolajew, Saratow und Woronesch, Samara und Nischni-Nowgorod,
auf alle größeren Städte Rußlands und in noch höherem Grade auf Polen
zu. Die Gewerkschaften einzelner Städte suchen Fühlung miteinander, es
werden Konferenzen abgehalten. Das Ende der »Verfassungsperiode« und die
Umkehr zur Reaktion im Dezember 1905 macht zeitweilig auch ein Ende der
offenen, breiten Tätigkeit der Gewerkschaften, bläst ihnen aber das
Lebenslicht nicht aus. Sie wirken weiter im geheimen als Organisation
und führen gleichzeitig ganz offen Lohnkämpfe. Es bildet sich ein
eigenartiges Gemisch eines gesetzlichen und ungesetzlichen Zustandes des
Gewerkschaftslebens aus, entsprechend der widerspruchsvollen
revolutionären Situation. Aber mitten im Kampf wird das
Organisationswerk mit aller Gründlichkeit, ja mit Pedanterie weiter
ausgebaut. Die Gewerkschaften der Sozialdemokratie Polens und Litauens
z. B., die auf dem letzten Parteitag (im Juli 1906) durch fünf
Delegierte von 10 000 zahlenden Mitgliedern vertreten waren, sind mit
ordentlichen Statuten, gedruckten Mitgliedsbüchlein, Klebemarken usw.
versehen. Und dieselben Warschauer und Lodzer Bäcker und Schuhmacher,
Metallarbeiter und Buchdrucker, die im Juni 1905 auf den Barrikaden
standen und im Dezember nur auf eine Parole aus Petersburg
zum Straßenkampf warteten, finden zwischen einem Massenstreik
und dem anderen, zwischen Gefängnis und Aussperrung, unter
dem Belagerungszustand Muße und heiligen Ernst, um ihre
Gewerkschaftsstatuten eingehend und aufmerksam zu diskutieren. Ja, diese
gestrigen und morgigen Barrikadenkämpfer haben mehr als einmal in
Versammlungen ihren Leitern unbarmherzig den Kopf gewaschen und mit dem
Austritt aus der Partei gedroht, weil die unglücklichen
gewerkschaftlichen Mitgliedsbüchlein nicht rasch genug -- in geheimen
Druckereien unter unaufhörlicher polizeilicher Hetzjagd -- gedruckt
werden konnten. Dieser Eifer und dieser Ernst dauern bis zur Stunde
fort. In den ersten zwei Wochen des Juli 1906 sind z. B. in
Jekaterinoslaw 15 neue Gewerkschaften entstanden: in Kostroma 6
Gewerkschaften, mehrere in Kijew, Poltawa, Smolensk, Tscherkassy,
Proskurow -- bis in die kleinsten Provinznester. In der Sitzung des
Moskauer Gewerkschaftskartells vom 4. Juni d. J. wurde nach
Entgegennahme der Berichte einzelner Gewerkschaftsdelegierten
beschlossen: »Daß die Gewerkschaften ihre Mitglieder disziplinieren und
von Straßenkrawallen zurückhalten sollen, weil der Moment für den
Massenstreik als ungeeignet betrachtet wird. Angesichts möglicher
Provokationen der Regierung sollen sie achtgeben, daß die Masse nicht
auf die Straße hinausströmt. Endlich beschloß das Kartell, daß in der
Zeit, wo eine Gewerkschaft einen Streik führt, die anderen sich von
Lohnbewegungen zurückzuhalten haben.« Die meisten ökonomischen Kämpfe
werden jetzt von den Gewerkschaften geleitet.[2]

[Fußnote 2: In den zwei ersten Wochen des Juni 1906 allein wurden
folgende Lohnkämpfe geführt: bei den Buchdruckern in _Petersburg_,
_Moskau_, _Odessa_, _Minsk_, _Wilna_, _Saratow_, _Mogilew_, _Tambow_ um
den Achtstundentag und die Sonntagsruhe; ein Generalstreik der Seeleute
in _Odessa_, _Nikolajew_, _Kertsch_, _Krim_, _Kaukasus_, auf der
_Wolga_-Flotte, in _Kronstadt_, in _Warschau_ und _Plock_ um die
Anerkennung der Gewerkschaft und Freilassung der verhafteten
Arbeiterdelegierten; bei den Hafenarbeitern in _Saratow_, _Nikolajew_,
_Zarizin_, _Archangel_, _Nischni-Nowgorod_, _Rybinsk_. Die Bäcker
streikten in _Kijew_, _Archangel_, _Bialystock_, _Wilna_, _Odessa_,
_Charkow_, _Brest-Litowsk_, _Radom_, _Tiflis_; die Landarbeiter in den
Distrikten Werchne-Dneprowsk, Borisowsk, Simferopol, in den
Gouvernements Podolsk, Tula, Kursk, in den Distrikten Koslow, Lipowetz,
in Finnland, im Gouvernement Kijew, im Jelissawetgrader Distrikt. In
mehreren Städten streikten in dieser Periode _gleichzeitig fast
sämtliche Gewerbezweige_, so in Saratow, Archangel, Kertsch,
Krementschug. In _Bachmut_ gab es einen Generalstreik der Kohlenarbeiter
des ganzen Reviers. In anderen Städten ergriff die Lohnbewegung binnen
der erwähnten zwei Wochen _nacheinander alle_ Gewerbezweige, so in
Kijew, Petersburg, Warschau, Moskau, im ganzen Rayon Ivanowo-Wosnesensk.
Zweck der Streiks überall: Verkürzung der Arbeitszeit, Sonntagsruhe,
Lohnforderungen. _Die meisten Streiks verliefen siegreich._ Es wird in
den lokalen Berichten hervorgehoben, dass sie zum Teil Arbeiterschichten
ergriffen, die sich zum ersten Male an einer Lohnbewegung beteiligten.]

So hat der vom Januar-Generalstreik ausgehende große ökonomische Kampf,
der von da an bis auf den heutigen Tag nicht aufhört, einen breiten
Hintergrund der Revolution gebildet, aus dem sich in unaufhörlicher
Wechselwirkung mit der politischen Agitation und den äußeren Ereignissen
der Revolution immer wieder bald hier und da einzelne Explosionen, bald
allgemeine, große Hauptaktionen des Proletariats erheben. So flammen auf
diesem Hintergrund nacheinander auf: am 1. Mai 1905 zur Maifeier ein
beispielloser absoluter Generalstreik in _Warschau_ mit einer völlig
friedlichen Massendemonstration, die in einem blutigen Renkontre der
wehrlosen Menge mit den Soldaten endet. Im Juni führt in _Lodz_ ein
Massenausflug, der von Soldaten zerstreut wird, zu einer Demonstration
von 100 000 Arbeitern auf dem Begräbnis einiger Opfer der Soldateska, zu
erneutem Renkontre mit dem Militär und schließlich zum Generalstreik,
der am 23., 24. und 25. in den ersten Barrikadenkampf im Zarenreiche
übergeht. Im Juni gleichfalls explodiert im Odessaer Hafen aus einem
kleinen Zwischenfall an Bord des Panzerschiffes »Potemkin« die erste
große Matrosenrevolte der Schwarzmeerflotte, die sofort als Rückwirkung
in _Odessa_ und _Nikolajew_ einen gewaltigen Massenstreik hervorruft.
Als weiteres Echo folgen: der Massenstreik und Matrosenrevolten in
_Kronstadt_, _Libau_, _Wladiwostok_.

In den Monat Oktober fällt das grandiose Experiment Petersburgs mit der
Einführung des Achtstundentags. Der Rat der Arbeiterdelegierten
beschließt, in Petersburg auf revolutionärem Wege den Achtstundentag
durchzusetzen. Das heißt: an einem bestimmten Tage erklären sämtliche
Arbeiter Petersburgs ihren Unternehmern, daß sie nicht gewillt sind,
länger als acht Stunden täglich zu arbeiten und verlassen zur
entsprechenden Stunde die Arbeitsräume. Die Idee gibt Anlaß zu einer
lebhaften Agitation, wird vom Proletariat mit Begeisterung aufgenommen
und ausgeführt, wobei die größten Opfer nicht gescheut werden. So
bedeutete zum Beispiel der Achtstundentag für die Textilarbeiter, die
bis dahin elf Stunden und zwar bei Akkordlöhnen arbeiteten, einen
enormen Lohnausfall, den sie jedoch bereitwillig akzeptierten. _Binnen
einer Woche herrscht in sämtlichen Fabriken und Werkstätten Petersburgs
der Achtstundentag_, und der Jubel der Arbeiterschaft kennt keine
Grenzen. Bald rüstet jedoch das anfangs verblüffte Unternehmertum zur
Abwehr: es wird überall mit der Schließung der Fabriken gedroht. Ein
Teil der Arbeiter läßt sich auf Verhandlungen ein und erringt hier den
Zehn-, dort den Neunstundentag. Die Elite des Petersburger Proletariats
jedoch, die Arbeiter der großen staatlichen Metallwerke bleiben
unerschüttert und es erfolgt eine Aussperrung, die 45 bis 50 000 Mann
für einen Monat aufs Pflaster setzt. Durch diesen Abschluß spielt die
Achtstundenbewegung in den allgemeinen Massenstreik des Dezember hinein,
den die große Aussperrung in hohem Maße unterbunden hat.

Inzwischen folgt aber im Oktober als Antwort auf das Bulyginsche
Duma-Projekt der zweite gewaltigste allgemeine Massenstreik im gesamten
Zarenreich, zu dem die Eisenbahner die Parole ausgeben. Diese zweite
revolutionäre Hauptaktion des Proletariats trägt schon einen wesentlich
anderen Charakter, als die erste im Januar. Das Element des politischen
Bewußtseins spielt schon eine viel größere Rolle. Freilich war auch hier
der erste Anlaß zum Ausbruch des Massenstreiks ein untergeordneter und
scheinbar zufälliger: der Konflikt der Eisenbahner mit der Verwaltung
wegen der Pensionskasse. Allein die darauf erfolgte allgemeine Erhebung
des Industrieproletariats wird vom klaren politischen Gedanken getragen.
Der Prolog des Januarstreiks war ein Bittgang zum Zaren um politische
Freiheit, die Losung des Oktoberstreiks lautete: Fort mit der
konstitutionellen Komödie des Zarismus! Und Dank dem sofortigen Erfolg
des Generalstreiks: dem Zarenmanifest vom 30. Oktober, fließt die
Bewegung nicht nach innen zurück, wie im Januar, um erst die Anfänge des
ökonomischen Klassenkampfes nachzuholen, sondern gießt sich nach außen
in eine eifrige Betätigung der frisch eroberten politischen Freiheit
über. Demonstrationen, Versammlungen, eine junge Presse, öffentliche
Diskussionen und blutige Massacres als das Ende vom Liede, darauf neue
Massenstreiks und Demonstration -- das ist das stürmische Bild der
November- und Dezembertage. Im November wird auf den Appell der
Sozialdemokratie hin in Petersburg der erste demonstrative Massenstreik
veranstaltet als Protestkundgebung gegen die Bluttaten und die
Verhängung des Belagerungszustandes in Livland und Polen. Die Gärung
nach dem kurzen Verfassungstraum und dem grausamen Erwachen führt
endlich im Dezember zum Ausbruch des dritten allgemeinen Massenstreiks
im ganzen Zarenreich. Diesmal ist der Verlauf und der Ausgang wieder ein
ganz anderer, wie in den beiden früheren Fällen. Die politische Aktion
schlägt nicht mehr in eine ökonomische um, wie im Januar, sie erringt
aber auch nicht mehr einen raschen Sieg, wie im Oktober. Die Versuche
der zarischen Kamarilla mit der wirklichen politischen Freiheit werden
nicht mehr gemacht und die revolutionäre Aktion stößt somit zum ersten
Male in ihrer ganzen Breite auf die starre Mauer der physischen Gewalt
des Absolutismus. Durch die logische innere Entwicklung der
fortschreitenden Ereignisse schlägt der Massenstreik diesmal um in einen
offenen Aufstand, einen bewaffneten Barrikaden- und Straßenkampf in
Moskau. Die Moskauer Dezembertage schließen als der Höhepunkt der
aufsteigenden Linie der politischen Aktion und der Massenstreikbewegung
das erste arbeitsreiche Jahr der Revolution ab.

Die Moskauer Ereignisse zeigen zugleich im kleinen Probebild die
logische Entwicklung und die Zukunft der revolutionären Bewegung im
ganzen: ihren unvermeidlichen Abschluß in einem allgemeinen offenen
Aufstand, der aber seinerseits wieder nicht anders zu stande kommen
kann, als durch die Schule einer Reihe vorbereitender partieller
Aufstände, die eben deshalb vorläufig mit partiellen äußeren
»Niederlagen« abschließen und, jeder einzeln betrachtet, als »verfrüht«
erscheinen mögen.

Das Jahr 1906 bringt die Duma-Wahlen und die Duma-Episode. Das
Proletariat boykottiert aus kräftigem revolutionären Instinkt und klarer
Erkenntnis der Lage die ganze zarisch-konstitutionelle Farçe, und den
Vordergrund der politischen Bühne nimmt für einige Monate wieder der
Liberalismus ein. Die Situation des Jahres 1904 kehrt anscheinend
wieder: eine Periode des Redens tritt an Stelle des Handelns, und das
Proletariat tritt für eine Zeitlang in den Schatten, um sich desto
fleißiger dem gewerkschaftlichen Kampf und dem Organisationswerk zu
widmen. Die Massenstreiks verstummen, während knatternde Raketen der
liberalen Rethorik Tag für Tag abgefeuert werden. Schließlich rasselt
der eiserne Vorhang plötzlich herunter, die Schauspieler werden
auseinander gejagt, von den liberalen Raketen bleibt nur Rauch und Dunst
übrig. Ein Versuch des Zentralkomitees der russischen Sozialdemokratie,
als Demonstration für die Duma und für die Wiedereröffnung der Periode
des liberalen Redens einen vierten Massenstreik in ganz Rußland
hervorzurufen, fällt platt zu Boden. Die Rolle der politischen
Massenstreiks allein ist erschöpft, der Übergang des Massenstreiks in
einen allgemeinen Volksaufstand und Straßenkampf aber noch nicht
herangereift. Die liberale Episode ist vorbei, die proletarische hat
noch nicht wieder begonnen. Die Bühne bleibt vorläufig leer.



IV.


Wir haben im vorigen in wenigen knappen Zügen die Geschichte der
Massenstreiks in Rußland zu skizzieren gesucht. Schon ein flüchtiger
Blick auf diese Geschichte zeigt uns ein Bild, das in keinem Strich
demjenigen ähnelt, welches man sich bei der Diskussion in Deutschland
gewöhnlich vom Massenstreik macht. Statt des starren und hohlen Schemas
einer auf Beschluß der höchsten Instanzen mit Plan und Umsicht
ausgeführten trocknen politischen »Aktion«, sehen wir ein Stück
lebendiges Leben aus Fleisch und Blut, das sich gar nicht aus dem großen
Rahmen der Revolution herausschneiden läßt, das durch tausend Adern mit
dem ganzen Drum und Dran der Revolution verbunden ist.

Der Massenstreik, wie ihn uns die russische Revolution zeigt, ist eine
so wandelbare Erscheinung, daß er alle Phasen des politischen und
ökonomischen Kampfes, alle Stadien und Momente der Revolution in sich
spiegelt. Seine Anwendbarkeit, seine Wirkungskraft, seine
Entstehungsmomente ändern sich fortwährend. Er eröffnet plötzlich neue,
weite Perspektiven der Revolution, wo sie bereits in einen Engpaß
geraten schien, und er versagt, wo man auf ihn mit voller Sicherheit
glaubt rechnen zu können. Er flutet bald wie eine breite Meereswoge über
das ganze Reich, bald zerteilt er sich in ein Riesennetz dünner Ströme;
bald sprudelt er aus dem Untergrunde wie ein frischer Quell, bald
versickert er ganz im Boden. Politische und ökonomische Streiks,
Massenstreiks und partielle Streiks, Demonstrationsstreiks und
Kampfstreiks, Generalstreiks einzelner Branchen und Generalstreiks
einzelner Städte, ruhige Lohnkämpfe und Straßenschlachten,
Barrikadenkämpfe -- alles das läuft durcheinander, nebeneinander,
durchkreuzt sich, flutet ineinander über; es ist ein ewig bewegliches,
wechselndes Meer von Erscheinungen. Und das Bewegungsgesetz dieser
Erscheinungen wird klar: Es liegt nicht in dem Massenstreik selbst,
nicht in seinen technischen Besonderheiten, sondern in dem politischen
und sozialen Kräfteverhältnis der Revolution. Der Massenstreik ist bloß
die Form des revolutionären Kampfes und jede Verschiebung im Verhältnis
der streitenden Kräfte, in der Parteientwicklung und der
Klassenscheidung, in der Position der Kontrerevolution, alles das
beeinflußt sofort auf tausend unsichtbaren, kaum kontrollierbaren Wegen
die Streikaktion. Dabei hört aber die Streikaktion selbst fast keinen
Augenblick auf. Sie ändert bloß ihre Formen, ihre Ausdehnung, ihre
Wirkung. Sie ist der lebendige Pulsschlag der Revolution und zugleich
ihr mächtigstes Triebrad. Mit einem Wort: der Massenstreik, wie ihn uns
die russische Revolution zeigt, ist nicht ein pfiffiges Mittel,
ausgeklügelt zum Zwecke einer kräftigeren Wirkung des proletarischen
Kampfes, sondern er ist _die Bewegungsweise der proletarischen Masse,
die Erscheinungsform des proletarischen Kampfes in der Revolution_.

Daraus lassen sich für die Beurteilung des Massenstreikproblems einige
allgemeine Gesichtspunkte ableiten.

1. Es ist gänzlich verkehrt, sich den Massenstreik als einen Akt, eine
Einzelhandlung zu denken. Der Massenstreik ist vielmehr die Bezeichnung,
der Sammelbegriff einer ganzen jahrelangen, vielleicht jahrzehntelangen
Periode des Klassenkampfes. Von den unzähligen verschiedensten
Massenstreiks, die sich in Rußland seit vier Jahren abgespielt haben,
paßt das Schema des Massenstreiks als eines rein politischen, nach Plan
und Absicht hervorgerufenen und abgeschlossenen, kurzen Einzelaktes
lediglich auf eine und zwar untergeordnete Spielart: auf den reinen
Demonstrationsstreik. Im ganzen Verlauf der fünfjährigen Periode sehen
wir in Rußland bloß einige wenige Demonstrationsstreiks, die sich
notabene gewöhnlich nur auf einzelne Städte beschränken. So der
jährliche Maifeier-Generalstreik in Warschau und in Lodz -- im
eigentlichen Rußland ist der 1. Mai bis jetzt noch nicht in
nennenswertem Umfange durch Arbeitsruhe gefeiert worden; der
Massenstreik in Warschau am 11. September 1905 als Trauerfeier zu Ehren
des hingerichteten Martin Kasprzak, im November 1905 in Petersburg als
Protestkundgebung gegen die Erklärung des Belagerungszustandes in Polen
und Livland, am 22. Januar 1906 in Warschau, Lodz, Czenstochau und dem
Dombrowaer Kohlenbecken, sowie zum Teil in einigen russischen Städten
als Jahresfeier des Gedenktages des Petersburger Blutbades; ferner im
Juli 1906 ein Generalstreik in Tiflis als Sympathiekundgebung für die
vom Kriegsgericht wegen der Militärrevolte abgeurteilten Soldaten,
endlich aus gleichem Anlaß im September d. J. während der Verhandlung
des Kriegsgerichts in Reval. Alle übrigen großen und partiellen
Massenstreiks und Generalstreiks waren nicht Demonstrations- sondern
Kampfstreiks, und als solche entstanden sie meistens spontan, jedesmal
aus spezifischen lokalen zufälligen Anlässen, ohne Plan und Absicht und
wuchsen sich mit elementarer Macht zu großen Bewegungen aus, wobei sie
nicht einen »geordneten Rückzug« antraten, sondern sich bald in
ökonomischen Kampf verwandelten, bald in Straßenkampf, bald fielen sie
von selbst zusammen.

In diesem allgemeinen Bilde spielen die reinen politischen
Demonstrationsstreiks eine ganz untergeordnete Rolle -- die einzelner
kleiner Punkte mitten unter gewaltigen Flächen. Dabei läßt
sich, zeitlich betrachtet, folgender Zug wahrnehmen: Die
Demonstrationsstreiks, die im Unterschied von den Kampfstreiks das
größte Maß von Parteidisziplin, bewußter Leitung und politischem
Gedanken aufweisen, also nach dem Schema als die höchste und reifste
Form der Massenstreiks erscheinen müßten, spielen in Wahrheit die größte
Rolle in den _Anfängen_ der Bewegung. So war z. B. die absolute
Arbeitsruhe am 1. Mai 1905 in Warschau, als der erste Fall eines so
staunenswert durchgeführten Beschlusses der Sozialdemokratie, für die
proletarische Bewegung in Polen ein Ereignis von großer Tragweite.
Ebenso hat der Sympathiestreik im November des gleichen Jahres in
Petersburg als die erste Probe einer bewußten planmäßigen Massenaktion
in Rußland großen Eindruck gemacht. Genau so wird auch der
»Probemassenstreik« der Hamburger Genossen vom 17. Januar 1906 eine
hervorragende Rolle in der Geschichte der künftigen deutschen
Massenstreiks spielen, als der erste frische Versuch mit der soviel
umstrittenen Waffe und zwar als ein so wohlgelungener, von der
Kampfstimmung und Kampffreude der Hamburger Arbeiterschaft so
überzeugend sprechender Versuch. Und ebenso sicher wird die Periode der
Massenstreiks in Deutschland, wenn sie einmal im Ernst begonnen hat, von
selbst zu einer wirklichen allgemeinen Arbeitsruhe am 1. Mai führen. Die
Maifeier dürfte naturgemäß als die erste große Demonstration im Zeichen
der Massenkämpfe zu Ehren kommen. In diesem Sinne hat der »lahme Gaul«,
wie die Maifeier auf dem Kölner Gewerkschaftskongreß genannt wurde, noch
eine große Zukunft und eine wichtige Rolle im proletarischen
Klassenkampfe in Deutschland vor sich. Allein mit der Entwicklung der
ernsten revolutionären Kämpfe nimmt die Bedeutung solcher
Demonstrationen rasch ab. Gerade dieselben Momente, die das
Zustandekommen der Demonstrationsstreiks nach vorgefaßtem Plan und auf
die Parole der Parteien hin objektiv ermöglichen: das Wachstum des
politischen Bewußtseins und der Schulung des Proletariats, machen
diese Art von Massenstreiks unmöglich: heute will das Proletariat
in Rußland, und zwar gerade die tüchtigste Vorhut der Masse, von
Demonstrationsstreiks nichts wissen; die Arbeiter verstehen keinen Spaß
mehr und wollen nunmehr bloß an ernsten Kampf mit allen seinen
Konsequenzen denken. Und wenn in dem ersten großen Massenstreik im
Januar 1905 das demonstrative Element, zwar nicht in absichtlicher,
sondern mehr in instinktiver, spontaner Form, noch eine große Rolle
spielte, so scheiterte umgekehrt der Versuch des Zentralkomitees der
russischen Sozialdemokratie, im August einen Massenstreik als Kundgebung
für die aufgelöste Duma hervorzurufen, unter anderem an der
entschiedenen Abneigung des geschulten Proletariats gegen schwächliche
Halbaktionen und bloße Demonstrationen.

2. Wenn wir aber anstatt der untergeordneten Spielart des demonstrativen
Streiks den Kampfstreik ins Auge fassen, wie er im heutigen Rußland den
eigentlichen Träger der proletarischen Aktion darstellt, so fällt weiter
ins Auge, daß darin das ökonomische und das politische Moment unmöglich
voneinander zu trennen sind. Auch hier weicht die Wirklichkeit von dem
theoretischen Schema weit ab, und die pedantische Vorstellung, in der
der reine politische Massenstreik logisch von dem gewerkschaftlichen
Generalstreik als die reifste und höchste Stufe abgeleitet, aber
zugleich klar auseinandergehalten wird, ist von der Erfahrung der
russischen Revolution gründlich widerlegt. Dies äußert sich nicht bloß
geschichtlich darin, daß die Massenstreiks, von jenem ersten großen
Lohnkampf der Petersburger Textilarbeiter im Jahre 1896-1897 bis zu dem
letzten großen Massenstreik im Dezember 1905, ganz unmerklich aus
ökonomischen in politische übergehen, so daß es fast unmöglich ist, die
Grenze zwischen beiden zu ziehen. Auch jeder einzelne von den großen
Massenstreiks wiederholt sozusagen im kleinen die allgemeine Geschichte
der russischen Massenstreiks und beginnt mit einem rein ökonomischen
oder jedenfalls partiellen gewerkschaftlichen Konflikt, um die
Stufenleiter bis zur politischen Kundgebung zu durchlaufen. Das große
Massenstreikgewitter im Süden Rußlands 1902 und 1903 entstand, wie wir
gesehen, in Baku aus einem Konflikt infolge der Maßregelung
Arbeitsloser, in Rostow aus Lohndifferenzen in den Eisenbahnwerkstätten,
in Tiflis aus einem Kampf der Handelsangestellten um die Verkürzung der
Arbeitszeit, in Odessa aus einem Lohnkampf in einer einzelnen kleinen
Fabrik. Der Januar-Massenstreik 1905 entwickelt sich aus dem internen
Konflikt in den Putilow-Werken, der Oktoberstreik aus dem Kampf der
Eisenbahner um die Pensionskasse, der Dezemberstreik endlich aus dem
Kampf der Post- und Telegraphenangestellten um das Koalitionsrecht. Der
Fortschritt der Bewegung im ganzen äußert sich nicht darin, daß das
ökonomische Anfangsstadium ausfällt, sondern vielmehr in der Rapidität,
womit die Stufenleiter zur politischen Kundgebung durchlaufen wird und
in der Extremität des Punktes, bis zu dem sich der Massenstreik
voranbewegt.

Allein die Bewegung im ganzen geht nicht bloß nach der Richtung vom
ökonomischen zum politischen Kampf, sondern auch umgekehrt. Jede von den
großen politischen Massenaktionen schlägt, nachdem sie ihren politischen
Höhepunkt erreicht hat, in einen ganzen Wust ökonomischer Streiks um.
Und dies bezieht sich wieder nicht bloß auf jeden einzelnen von den
großen Massenstreiks, sondern auch auf die Revolution im ganzen. Mit der
Verbreitung, Klärung und Potenzierung des politischen Kampfes tritt nicht
bloß der ökonomische Kampf nicht zurück, sondern er verbreitet sich,
organisiert sich und potenziert sich seinerseits in gleichem Schritt. Es
besteht zwischen beiden eine völlige Wechselwirkung.

Jeder neue Anlauf und neue Sieg des politischen Kampfes verwandelt sich
in einen mächtigen Anstoß für den wirtschaftlichen Kampf, indem er
zugleich seine äußeren Möglichkeiten erweitert und den inneren Antrieb
der Arbeiter, ihre Lage zu bessern, ihre Kampflust erhöht. Nach jeder
schäumenden Welle der politischen Aktion bleibt ein befruchtender
Niederschlag zurück, aus dem sofort tausendfältige Halme des
ökonomischen Kampfes emporschießen. Und umgekehrt. Der unaufhörliche
ökonomische Kriegszustand der Arbeiter mit dem Kapital hält die
Kampfenergie in allen politischen Pausen wach, er bildet sozusagen das
ständige frische Reservoir der proletarischen Klassenkraft, aus dem der
politische Kampf immer von neuem seine Macht hervorholt, und zugleich
führt das unermüdliche ökonomische Bohren des Proletariats alle
Augenblicke bald hier, bald dort zu einzelnen scharfen Konflikten, aus
denen unversehens politische Konflikte auf großem Maßstab explodieren.

Mit einem Wort: Der ökonomische Kampf ist das Fortleitende von einem
politischen Knotenpunkt zum andern, der politische Kampf ist die
periodische Befruchtung des Bodens für den ökonomischen Kampf. Ursache
und Wirkung wechseln hier alle Augenblicke ihre Stellen, und so bilden
das ökonomische und das politische Moment in der Massenstreikperiode,
weit entfernt, sich reinlich zu scheiden oder gar auszuschließen, wie es
das pedantische Schema will, vielmehr nur zwei ineinandergeschlungene
Seiten des proletarischen Klassenkampfes in Rußland. Und _ihre Einheit_
ist eben der Massenstreik. Wenn die spintisierende Theorie, um zu dem
»reinen politischen Massenstreik« zu gelangen, eine künstliche logische
Sektion an dem Massenstreik vornimmt, so wird bei diesem Sezieren, wie
bei jedem anderen, die Erscheinung nicht in ihrem lebendigen Wesen
erkannt, sondern bloß abgetötet.

3. Endlich zeigen uns die Vorgänge in Rußland, daß der Massenstreik von
der Revolution unzertrennlich ist. Die Geschichte der russischen
Massenstreiks das ist die Geschichte der russischen Revolution. Wenn
freilich die Vertreter unseres deutschen Opportunismus von »Revolution«
hören, so denken sie sofort an Blutvergießen, Straßenschlachten, an
Pulver und Blei, und der logische Schluß daraus ist: der Massenstreik
führt unvermeidlich zur Revolution, _ergo_ dürfen wir ihn nicht machen.
In der Tat sehen wir in Rußland, daß beinahe jeder Massenstreik im
letzten Schluß auf ein Renkontre mit den bewaffneten Hütern der
zarischen Ordnung hinausläuft; darin sind die sogenannten politischen
Streiks den größeren ökonomischen Kämpfen ganz gleich. Allein die
Revolution ist etwas anderes und etwas mehr als Blutvergießen. Im
Unterschied von der polizeilichen Auffassung, die die Revolution
ausschließlich vom Standpunkte der Straßenunruhen und Krawalle, d. h.
vom Standpunkte der »Unordnung« ins Auge faßt, erblickt die Auffassung
des wissenschaftlichen Sozialismus in der Revolution vor allem eine
tiefgehende innere Umwälzung in den sozialen Klassenverhältnissen. Und
von diesem Standpunkt besteht zwischen Revolution und Massenstreik in
Rußland auch noch ein ganz anderer Zusammenhang als der von der
trivialen Wahrnehmung konstatierte, daß der Massenstreik gewöhnlich im
Blutvergießen endet.

Wir haben oben den inneren Mechanismus der russischen Massenstreiks
gesehen, der auf der unaufhörlichen Wechselwirkung des politischen und
des ökonomischen Kampfes beruht. Aber gerade diese Wechselwirkung ist
bedingt durch die Revolutionsperiode. Nur in der Gewitterluft der
revolutionären Periode vermag sich nämlich jeder partielle kleine
Konflikt zwischen Arbeit und Kapital zu einer allgemeinen Explosion
auszuwachsen. In Deutschland passieren jährlich und täglich die
heftigsten, brutalsten Zusammenstöße zwischen Arbeitern und
Unternehmern, ohne daß der Kampf die Schranken der betreffenden
einzelnen Branche oder der einzelnen Stadt, ja Fabrik überspringt.
Maßregelungen organisierter Arbeiter wie in Petersburg, Arbeitslosigkeit
wie in Baku, Lohnkonflikte wie in Odessa, Kämpfe um das Koalitionsrecht
wie in Moskau sind in Deutschland auf der Tagesordnung. Kein einziger
dieser Fälle schlägt jedoch in eine gemeinsame Klassenaktion um. Und
wenn sie sich selbst zu einzelnen Massenstreiks auswachsen, die
zweifellos einen politischen Anstrich haben, so entzünden sie auch dann
noch kein allgemeines Gewitter. Der Generalstreik der holländischen
Eisenbahner, der trotz wärmster Sympathien mitten in völliger
Unbeweglichkeit des Proletariats im Lande verblutete, liefert einen
frappanten Beweis dafür.

Und umgekehrt, nur in der Revolutionsperiode, wo die sozialen Fundamente
und die Mauern der Klassengesellschaft aufgelockert und in ständiger
Verschiebung begriffen sind, vermag jede politische Klassenaktion des
Proletariats in wenigen Stunden ganze, bis dahin unberührte Schichten
der Arbeiterschaft aus der Unbeweglichkeit zu reißen, was sich sofort
naturgemäß in einem stürmischen ökonomischen Kampf äußert. Der plötzlich
durch den elektrischen Schlag einer politischen Aktion wachgerüttelte
Arbeiter greift im nächsten Augenblick vor allem zu dem nächstliegenden:
zur Abwehr gegen sein ökonomisches Sklavenverhältnis; die stürmische
Geste des politischen Kampfes läßt ihn plötzlich mit ungeahnter
Intensität die Schwere und den Druck seiner ökonomischen Ketten fühlen.
Und während z. B. der heftigste politische Kampf in Deutschland: der
Wahlkampf oder der parlamentarische Kampf um den Zolltarif kaum einen
vernehmbaren direkten Einfluß auf den Verlauf und die Intensität der
gleichzeitig in Deutschland geführten Lohnkämpfe ausübt, äußert sich
jede politische Aktion des Proletariats in Rußland sofort in der
Erweiterung und Vertiefung der Fläche des wirtschaftlichen Kampfes.

So schafft also die Revolution erst die sozialen Bedingungen, in denen
jenes unmittelbare Umschlagen des ökonomischen Kampfes in politischen
und des politischen Kampfes in ökonomischen ermöglicht wird, das im
Massenstreik seinen Ausdruck findet. Und wenn das vulgäre Schema den
Zusammenhang zwischen Massenstreik und Revolution nur in den blutigen
Straßen-Renkontres erblickt, mit denen die Massenstreiks abschließen, so
zeigt uns ein etwas tieferer Blick in die russischen Vorgänge einen ganz
_umgekehrten_ Zusammenhang: in Wirklichkeit produziert nicht der
Massenstreik die Revolution, sondern die Revolution produziert den
Massenstreik.

4. Es genügt, das Bisherige zusammenzufassen, um auch über die Frage der
bewußten Leitung und der Initiative bei dem Massenstreik Aufschluß zu
bekommen. Wenn der Massenstreik nicht einen einzelnen Akt, sondern eine
ganze Periode des Klassenkampfes bedeutet, und wenn diese Periode mit
einer Revolutionsperiode identisch ist, so ist es klar, daß der
Massenstreik nicht aus freien Stücken hervorgerufen werden kann, auch
wenn der Entschluß dazu von der höchsten Instanz der stärksten
sozialdemokratischen Partei ausgehen mag. Solange die Sozialdemokratie
es nicht in ihrer Hand hat, nach eigenem Ermessen Revolutionen zu
inszenieren und abzusagen, genügt auch nicht die größte Begeisterung und
Ungeduld der sozialdemokratischen Truppen dazu, eine wirkliche Periode
der Massenstreiks als eine lebendige mächtige Volksbewegung ins Leben zu
rufen. Auf Grund der Entschlossenheit einer Parteileitung und der
Parteidisziplin der sozialdemokratischen Arbeiterschaft kann man wohl
eine einmalige kurze Demonstration veranstalten, wie der schwedische
Massenstreik oder die jüngsten österreichischen oder auch der Hamburger
Massenstreik vom 17. Januar. Diese Demonstrationen unterscheiden sich
aber von einer wirklichen Periode revolutionärer Massenstreiks genau so,
wie sich die bekannten Flottendemonstrationen in fremden Häfen bei
gespannten diplomatischen Beziehungen von einem Seekrieg unterscheiden.
Ein aus lauter Disziplin und Begeisterung geborener Massenstreik wird im
besten Falle als eine Episode, als ein Symptom der Kampfstimmung der
Arbeiterschaft eine Rolle spielen, worauf die Verhältnisse aber in den
ruhigen Alltag zurückfallen. Freilich fallen auch während der Revolution
die Massenstreiks nicht ganz vom Himmel. Sie müssen so oder anders von
den Arbeitern gemacht werden. Der Entschluß und Beschluß der
Arbeiterschaft spielt auch dabei eine Rolle, und zwar kommt die
Initiative sowie die weitere Leitung natürlich dem organisierten und
aufgeklärtesten sozialdemokratischen Kern des Proletariats zu. Allein
diese Initiative und diese Leitung haben einen Spielraum meistens nur in
Anwendung auf die einzelnen Akte, einzelnen Streiks, wenn die
revolutionäre Periode bereits vorhanden ist, und zwar meistens in den
Grenzen einer einzelnen Stadt. So hat z. B., wie wir gesehen, die
Sozialdemokratie mehrmals direkt die Losung zum Massenstreik in Baku, in
Warschau, in Lodz, in Petersburg mit Erfolg gegeben. Dasselbe gelingt
schon viel weniger in Anwendung auf allgemeine Bewegungen des gesamten
Proletariats. Ferner sind dabei der Initiative und der bewußten Leitung
ganz bestimmte Schranken gesteckt. Gerade während der Revolution ist es
für irgend ein leitendes Organ der proletarischen Bewegung äußerst
schwer, vorauszusehen und zu berechnen, welcher Anlaß und welche Momente
zu Explosionen führen können und welche nicht. Auch hier besteht die
Initiative und Leitung nicht in dem Kommandieren aus freien Stücken,
sondern in der möglichst geschickten Anpassung an die Situation und
möglichst engen Fühlung mit den Stimmungen der Masse. Das Element des
Spontanen spielt, wie wir gesehen, in allen russischen Massenstreiks
ohne Ausnahme eine große Rolle, sei es als treibendes oder als hemmendes
Element. Dies rührt aber nicht daher, weil in Rußland die
Sozialdemokratie noch jung oder schwach ist, sondern daher, weil bei
jedem einzelnen Akt des Kampfes so viele unübersehbare ökonomische,
politische und soziale, allgemeine und lokale, materielle und psychische
Momente mitwirken, daß kein einziger Akt sich wie ein Rechenexempel
bestimmen und abwickeln läßt. Die Revolution ist, auch wenn in ihr das
Proletariat mit der Sozialdemokratie an der Spitze die führende Rolle
spielt, nicht ein Manöver des Proletariats im freien Felde, sondern es
ist ein Kampf mitten im unaufhörlichen Krachen, Zerbröckeln, Verschieben
aller sozialen Fundamente. Kurz, in den Massenstreiks in Rußland spielt
das Element des Spontanen eine so vorherrschende Rolle, nicht weil das
russische Proletariat »ungeschult« ist, sondern weil sich Revolutionen
nicht schulmeistern lassen.

Anderseits aber sehen wir in Rußland, daß dieselbe Revolution, die der
Sozialdemokratie das Kommando über den Massenstreik so sehr erschwert
und ihr alle Augenblicke launig das Dirigentenstöckchen aus der Hand
schlägt oder in die Hand drückt, daß sie dafür selbst gerade alle jene
Schwierigkeiten der Massenstreiks löst, die im theoretischen Schema der
deutschen Diskussion als die Hauptsorgen der »Leitung« behandelt werden:
die Frage der »Verproviantierung«, der »Kostendeckung« und der »Opfer«.
Freilich, sie löst sie durchaus nicht in dem Sinne, wie man es bei einer
ruhigen, vertraulichen Konferenz zwischen den leitenden Oberinstanzen
der Arbeiterbewegung mit dem Bleistift in der Hand regelt. Die
»Regelung« all dieser Fragen besteht darin, daß die Revolution eben so
enorme Volksmassen auf die Bühne bringt, daß jede Berechnung und
Regelung der Kosten ihrer Bewegung, wie man die Kosten eines
Zivilprozesses im voraus aufzeichnet, als ein ganz hoffnungsloses
Unternehmen erscheint. Gewiß suchen auch die leitenden Organisationen in
Rußland die direkten Opfer des Kampfes nach Kräften zu unterstützen. So
wurden z. B. die tapferen Opfer der Riesenaussperrung in Petersburg
infolge der Achtstundenkampagne wochenlang unterstützt. Allein alle
diese Maßnahmen sind in der enormen Bilanz der Revolution ein Tropfen im
Meere. Mit dem Augenblick, wo eine wirkliche ernste Massenstreikperiode
beginnt, verwandeln sich alle »Kostenberechnungen« in das Vorhaben, den
Ozean mit einem Wasserglas auszuschöpfen. Es ist nämlich ein Ozean
furchtbarer Entbehrungen und Leiden, durch den jede Revolution für die
Proletariermasse erkauft wird. Und die Lösung, die eine revolutionäre
Periode dieser scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeit gibt, besteht
darin, daß sie zugleich eine so gewaltige Summe von Massenidealismus
auslöst, bei der die Masse gegen die schärfsten Leiden unempfindlich
wird. Mit der Psychologie eines Gewerkschaftlers, der sich auf keine
Arbeitsruhe bei der Maifeier einläßt, bevor ihm eine genau bestimmte
Unterstützung für den Fall seiner Maßregelung im voraus zugesichert
wird, läßt sich weder Revolution noch Massenstreik machen. Aber im Sturm
der revolutionären Periode verwandelt sich eben der Proletarier aus
einem Unterstützung heischenden vorsorglichen Familienvater in einen
»Revolutionsromantiker«, für den sogar das höchste Gut, nämlich das
Leben, geschweige das materielle Wohlsein, im Vergleich mit den
Kampfidealen geringen Wert besitzt.

Wenn aber die Leitung der Massenstreiks im Sinne des Kommandos über ihre
Entstehung und im Sinne der Berechnung und Deckung ihrer Kosten Sache
der revolutionären Periode selbst ist, so kommt dafür die Leitung bei
Massenstreiks in einem ganz anderen Sinne der Sozialdemokratie und ihren
führenden Organen zu. Statt sich mit der technischen Seite, mit dem
Mechanismus der Massenstreiks fremden Kopf zu zerbrechen, ist die
Sozialdemokratie berufen, die _politische_ Leitung auch mitten in der
Revolutionsperiode zu übernehmen. Die Parole, die Richtung dem Kampfe zu
geben, die _Taktik_ des politischen Kampfes so einzurichten, daß in
jeder Phase und in jedem Moment des Kampfes die ganze Summe der
vorhandenen und bereits ausgelösten, betätigten Macht des Proletariats
realisiert wird und in der Kampfstellung der Partei zum Ausdruck kommt,
daß die Taktik der Sozialdemokratie nach ihrer Entschlossenheit und
Schärfe nie _unter_ dem Niveau des tatsächlichen Kräfteverhältnisses
steht, sondern vielmehr diesem Verhältnis vorauseilt, das ist die
wichtigste Aufgabe der »Leitung« in der Periode der Massenstreiks. Und
diese Leitung schlägt von selbst gewissermaßen in technische Leitung um.
Eine konsequente, entschlossene, vorwärtsstrebende Taktik der
Sozialdemokratie ruft in der Masse das Gefühl der Sicherheit, des
Selbstvertrauens und der Kampflust hervor; eine schwankende,
schwächliche, auf der Unterschätzung des Proletariats basierte Taktik
wirkt auf die Masse lähmend und verwirrend. Im ersteren Falle brechen
Massenstreiks »von selbst« und immer »rechtzeitig« aus, im zweiten
bleiben mitunter direkte Aufforderungen der Leitung zum Massenstreik
erfolglos. Und für beides liefert die russische Revolution sprechende
Beispiele.



V.


Es fragt sich nun, wie weit alte Lehren, die man aus den russischen
Massenstreiks ziehen kann, auf Deutschland passen. Die sozialen und
politischen Verhältnisse, die Geschichte und der Stand der
Arbeiterbewegung sind in Deutschland und in Rußland völlig verschieden.
Auf den ersten Blick mögen auch die oben aufgezeichneten inneren Gesetze
der russischen Massenstreiks lediglich als das Produkt spezifisch
russischer Verhältnisse erscheinen, die für das deutsche Proletariat gar
nicht in Betracht kommen. Zwischen dem politischen und ökonomischen
Kampf in der russischen Revolution besteht der engste innere
Zusammenhang; ihre Einheit kommt in der Periode der Massenstreiks zum
Ausdruck. Aber ist das nicht eine einfache Folge des russischen
Absolutismus? In einem Staate, wo jede Form und jede Äußerung der
Arbeiterbewegung verboten, wo der einfachste Streik ein politisches
Verbrechen ist, muß auch logischerweise jeder ökonomische Kampf zum
politischen werden.

Ferner, wenn umgekehrt gleich der erste Ausbruch der politischen
Revolution eine allgemeine Abrechnung der russischen Arbeiterschaft mit
dem Unternehmertum nach sich gezogen hat, so ist das wiederum die
einfache Folge des Umstandes, daß der russische Arbeiter bis dahin auf
dem tiefsten Niveau der Lebenshaltung stand und überhaupt noch niemals
einen regelmäßigen ökonomischen Kampf um die Besserung seiner Lage
geführt hatte. Das Proletariat in Rußland mußte sich gewissermaßen aus
dem allergröbsten erst herausarbeiten, was Wunder, daß es dazu mit
jugendlichem Wagemut griff, sobald die Revolution den ersten frischen
Hauch in die Stickluft des Absolutismus hineingebracht hatte. Und
endlich erklärt sich der stürmische revolutionäre Verlauf der russischen
Massenstreiks, sowie ihr vorwiegend spontaner, elementarer Charakter
einerseits aus der politischen Zurückgebliebenheit Rußlands, aus der
Notwendigkeit, erst den orientalischen Despotismus zu stürzen,
anderseits aus dem Mangel an Organisation und Schulung des russischen
Proletariats. In einem Lande, wo die Arbeiterklasse 80 Jahre Erfahrung
im politischen Leben, eine drei Millionen starke sozialdemokratische
Partei und eineinviertel Million gewerkschaftlich organisierte
Kerntruppen hat, kann der politische Kampf, können die Massenstreiks
unmöglich denselben stürmischen und elementaren Charakter annehmen wie
in einem halbbarbarischen Staate, der erst den Sprung aus dem
Mittelalter in die neuzeitliche bürgerliche Ordnung macht. Dies die
landläufige Vorstellung bei denjenigen, die den Reifegrad der
gesellschaftlichen Verhältnisse eines Landes aus dem Wortlaut seiner
geschriebenen Gesetze ablesen wollen.

Untersuchen wir die Fragen nach der Reihe. Zunächst ist es verkehrt, den
Beginn des ökonomischen Kampfes in Rußland erst von dem Ausbruch der
Revolution zu datieren. Tatsächlich waren die Streiks, die Lohnkämpfe im
eigentlichen Rußland seit Anfang der neunziger Jahre, in Russisch-Polen
sogar seit Ende der achtziger Jahre, immer mehr auf der Tagesordnung und
hatten sich zuletzt das faktische Bürgerrecht erworben. Freilich zogen
sie häufig brutale polizeiliche Maßregelungen nach sich, gehörten aber
trotzdem zu den alltäglichen Erscheinungen. Bestand doch z. B. in
Warschau und Lodz bereits im Jahre 1891 je eine bedeutende allgemeine
Streikkasse, und die Schwärmerei für die Gewerkschaften hat in diesen
Jahren in Polen für kurze Zeit sogar jene »ökonomischen« Illusionen
geschaffen, die in Petersburg und im übrigen Rußland einige Jahre später
grassierten.[3]

[Fußnote 3: Es beruht deshalb auf einem tatsächlichen Irrtum, wenn die
Genossin Roland-Holst in der Vorrede zur russischen Ausgabe Ihres Buches
über den Massenstreik meint: »Das Proletariat (in Rußland) war, fast
seit dem Aufkommen der Großindustrie, mit dem Massenstreik vertraut
geworden, aus dem einfachen Grunde, weil partielle Streiks sich unter
dem politischen Drucke des Absolutismus unmöglich erwiesen.« (S. »Neue
Zeit« Nr. 33, 1906.) Das Umgekehrte war vielmehr der Fall. So sagte auch
der Berichterstatter des Petersburger Gewerkschaftskartells auf der
zweiten Konferenz der russischen Gewerkschaften im Februar 1906 eingangs
seines Referats: »Bei der Zusammensetzung der Konferenz, die ich hier
vor mir sehe, habe ich nicht nötig, erst hervorzuheben, daß unsere
Gewerkschaftsbewegung nicht etwa von der »liberalen« Periode des Fürsten
Swiatopolk-Mirski (im Jahre 1904. R. L.) oder vom 22. Januar herrührt,
wie manche zu behaupten versuchen. Die gewerkschaftliche Bewegung hat
viel tiefere Wurzeln, sie ist unzertrennlich verknüpft mit der ganzen
Vergangenheit unserer Arbeiterbewegung. Unsere Gewerkschaften sind bloß
neue Organisationsformen zur Leitung jenes ökonomischen Kampfes, den das
russische Proletariat bereits Jahrzehnte lang führt. Ohne uns weit in
die Geschichte zu vertiefen, darf man wohl sagen, daß der ökonomische
Kampf der Petersburger Arbeiter mehr oder weniger organisierte Formen
annimmt seit den denkwürdigen Streiks der Jahre 1896 und 1897. Die
Leitung dieses Kampfes wird, glücklich kombiniert mit der Leitung des
politischen Kampfes, Sache jener sozialdemokratischen Organisation, die
der »Petersburger Verein des Kampfes um die Befreiung der
Arbeiterklasse« hieß, und die sich nach der Konferenz im März 1898 in
das »Petersburger Komitee der russischen sozialdemokratischen
Arbeiterpartei« verwandelte. Es wird ein kompliziertes System der
Fabrik-, Bezirks- und Vorstadt-Organisationen geschaffen, welches die
Zentrale durch unzählige Fäden mit den Arbeitermassen verknüpft und es
ihr ermöglicht, auf alle Bedürfnisse der Arbeiterschaft durch
Flugschriften zu reagieren. Es wird die Möglichkeit geschaffen, die
Streiks zu unterstützen und zu leiten.«]

Desgleichen liegt viel Übertreibung in der Vorstellung, als habe der
Proletarier im Zarenreich vor der Revolution durchweg auf dem
Lebensniveau eines Paupers gestanden. Gerade die jetzt im ökonomischen
wie im politischen Kampfe tätigste und eifrigste Schicht der
großindustriellen großstädtischen Arbeiter stand in bezug auf ihr
materielles Lebensniveau kaum viel tiefer als die entsprechende Schicht
des deutschen Proletariats, und in manchen Berufen kann man in Rußland
gleiche, ja hier und da selbst höhere Löhne finden als in Deutschland.
Auch in Bezug auf die Arbeitszeit wird der Unterschied zwischen den
großindustriellen Betrieben hier und dort kaum ein bedeutender sein.
Somit sind die Vorstellungen, die mit einem vermeintlichen materiellen
und kulturellen Helotentum der russischen Arbeiterschaft rechnen,
ziemlich aus der Luft gegriffen. Dieser Vorstellung müßte bei einigem
Nachdenken schon die Tatsache der Revolution selbst und der
hervorragenden Rolle des Proletariats in ihr widersprechen. Mit Paupers
werden keine Revolutionen von dieser politischen Reife und
Gedankenklarheit gemacht, und der im Vordertreffen des Kampfes stehende
Petersburger und Warschauer, Moskauer und Odessaer Industriearbeiter ist
kulturell und geistig dem westeuropäischen Typus viel näher, als sich
diejenigen denken, die als die einzige und unentbehrliche Kulturschule
des Proletariats den bürgerlichen Parlamentarismus und die regelrechte
Gewerkschaftspraxis betrachten. Die moderne großkapitalistische
Entwicklung Rußlands und die anderthalbjahrzehnte lange geistige
Einwirkung der Sozialdemokratie, die den ökonomischen Kampf ermutigte
und leitete, haben auch ohne die äußeren Garantien der bürgerlichen
Rechtsordnung ein tüchtiges Stück Kulturarbeit geleistet.

Der Kontrast wird aber noch geringer, wenn wir auf der anderen Seite
etwas tiefer in das tatsächliche Lebensniveau der _deutschen_
Arbeiterschaft hineinblicken. Die großen politischen Massenstreiks haben
in Rußland vom ersten Augenblick die breitesten Schichten des
Proletariats aufgerüttelt und in fieberhaften ökonomischen Kampf
gestürzt. Allein, gibt es in Deutschland nicht ganze dunkle Winkel im
Dasein der Arbeiterschaft, wo das wärmende Licht der Gewerkschaften bis
jetzt sehr spärlich eindringt, ganze große Schichten, die bis jetzt gar
nicht oder vergeblich auf dem Wege alltäglicher Lohnkämpfe sich aus dem
sozialen Helotentum emporzuheben versuchen? Nehmen wir das
_Bergarbeiterelend_. Schon in dem ruhigen Werkeltag, in der kalten
Atmosphäre des parlamentarischen Einerlei Deutschlands -- wie in den
anderen Ländern auch, selbst im Dorado der Gewerkschaften, in England --
äußert sich der Lohnkampf der Bergarbeiter fast nicht anders als von
Zeit zu Zeit in gewaltigen Eruptionen, in Massenstreiks von typischem,
elementarem Charakter. Dies zeigt eben, daß der Gegensatz zwischen
Kapital und Arbeit hier ein zu scharfer und gewaltiger ist, als daß er
sich in die Form ruhiger, planmäßiger, partieller Gewerkschaftskämpfe
zerbröckeln ließe. Dieses Bergarbeiterelend aber mit seinem eruptiven
Boden, das schon in »normalen« Zeiten einen Wetterwinkel von größter
Heftigkeit bildet, müßte sich in Deutschland bei jeder größeren
politischen Massenaktion der Arbeiterklasse, bei jedem stärkeren Ruck,
der das momentane Gleichgewicht des sozialen Alltags verschiebt,
unvermeidlich sofort in einen gewaltigen ökonomisch-sozialen Kampf
entladen. Nehmen wir ferner das _Textilarbeiterelend_. Auch hier geben
die erbitterten und meistens resultatlosen Ausbrüche des Lohnkampfes,
der das Vogtland alle paar Jahre durchtobt, einen schwachen Begriff von
der Vehemenz, mit der die große, zusammengeknäuelte Masse der Heloten
des kartellierten Textilkapitals bei einer politischen Erschütterung,
bei einer kräftigen und kühnen Massenaktion des deutschen Proletariats
explodieren müßte. Nehmen wir ferner das _Heimarbeiterelend_, das
_Konfektionsarbeiterelend_, das _Elektrizitätsarbeiterelend_, lauter
Wetterwinkel, in denen um so sicherer bei jeder politischen
Lufterschütterung in Deutschland gewaltige wirtschaftliche Kämpfe
ausbrechen werden, je seltener das Proletariat hier sonst, in ruhigen
Zeiten, den Kampf aufnimmt und je erfolgloser es jedesmal kämpft, je
brutaler es vom Kapital gezwungen wird, zähneknirschend ins Sklavenjoch
zurückzukehren.

Nun aber kommen in Betracht ganze große Kategorien des Proletariats, die
überhaupt bei dem »normalen« Lauf der Dinge in Deutschland von jeder
Möglichkeit eines ruhigen wirtschaftlichen Kampfes um die Hebung ihrer
Lage und von jedem Gebrauch des Koalitionsrechts ausgeschlossen sind.
Vor allem nennen wir zum Beispiel das glänzende Elend der _Eisenbahn-_
und der _Postangestellten_. Bestehen doch für diese Staatsarbeiter
mitten im parlamentarischen Rechtsstaat Deutschland russische Zustände,
wohlgemerkt russische, wie sie nur _vor_ der Revolution, während der
ungetrübten Herrlichkeit des Absolutismus, bestanden. Bereits in dem
großen Oktoberstreik 1905 stand der russische Eisenbahner in dem noch
formell absolutistischen Rußland in bezug auf seine wirtschaftliche und
soziale Bewegungsfreiheit turmhoch über dem deutschen. Die russischen
Eisenbahner und Postangestellten haben sich das Koalitionsrecht faktisch
im Sturm erobert, und wenn es auch momentan Prozeß auf Prozeß und
Maßregelung auf Maßregelung regnet, den inneren Zusammenhalt vermag
ihnen nichts mehr zu nehmen. Es wäre aber eine völlig falsche
psychologische Rechnung, wollte man mit der deutschen Reaktion annehmen,
daß der Kadavergehorsam der deutschen Eisenbahner und Postangestellten
ewig dauern wird, daß er ein Fels ist, den nichts zermürben kann. Wenn
sich auch die deutschen Gewerkschaftsführer an die bestehenden Zustände
dermaßen gewöhnt haben, daß sie ungetrübt durch diese in ganz Europa
fast beispiellose Schmach mit einiger Genugtuung die Erfolge des
Gewerkschaftskampfes in Deutschland überblicken können, so wird sich der
tiefverborgene, lange aufgespeicherte Groll der uniformierten
Staatssklaven bei einer allgemeinen Erhebung der Industriearbeiter
unvermeidlich Luft zu verschaffen suchen. Und wenn die industrielle
Vorhut des Proletariats in Massenstreiks nach weiteren politischen
Rechten greifen oder die alten wird verteidigen wollen, muß der große
Trupp der Eisenbahner und Postangestellten sich naturnotwendig auf seine
besondere Schmach besinnen und endlich einmal zur Befreiung von der
Extraportion russischen Absolutismus erheben, die für ihn speziell in
Deutschland errichtet ist. Die pedantische Auffassung, die große
Volksbewegungen nach Schema und Rezept abwickeln will, glaubt in der
Eroberung des Koalitionsrechts für die Eisenbahner die notwendige
_Voraussetzung_ zu erblicken, bei der man erst an einen Massenstreik in
Deutschland wird »denken dürfen«. Der wirkliche und natürliche Gang der
Ereignisse kann nur ein umgekehrter sein: nur aus einer kräftigen
spontanen Massenstreikaktion kann tatsächlich das Koalitionsrecht der
deutschen Eisenbahner wie der Postangestellten geboren werden. Und die
bei den bestehenden Verhältnissen in Deutschland unlösbare Aufgabe wird
unter dem Eindruck und dem Druck einer allgemeinen politischen
Massenaktion des Proletariats ganz plötzlich ihre Möglichkeiten und ihre
Lösung finden.

Und endlich das größte und wichtigste: das _Landarbeiterelend_. Wenn die
englischen Gewerkschaften ausschließlich auf die Industriearbeiter
zugeschnitten sind, so ist das der dem spezifischen Charakter der
englischen Nationalwirtschaft, bei der geringen Rolle der Landwirtschaft
im ganzen des ökonomischen Lebens eher eine begreifliche Erscheinung. In
Deutschland wird eine gewerkschaftliche Organisation, und sei sie noch
so glänzend ausgebaut, wenn sie lediglich die Industriearbeiter umfaßt
und für das ganze große Heer der Landarbeiter unzugänglich ist, immer
nur ein schwaches Teilbild der Lage des Proletariats im ganzen geben. Es
wäre aber wiederum eine verhängnisvolle Illusion, zu glauben, daß die
Zustände auf dem flachen Lande unveränderliche und unbewegliche seien,
daß sowohl die unermüdliche Aufklärungsarbeit der Sozialdemokratie, wie
noch mehr die ganze innere Klassenpolitik Deutschlands nicht beständig
die äußere Passivität des Landarbeiters unterwühlen, und daß bei
irgend einer größeren allgemeinen Klassenaktion des deutschen
Industrieproletariats, zu welchem Zweck sie auch unternommen sei, nicht
auch das ländliche Proletariat in Aufruhr kommt. Dies kann sich aber
ganz naturgemäß nicht anders als zunächst in einem allgemeinen
stürmischen ökonomischen Kampf, in gewaltigen Massenstreiks der
Landarbeiter äußern.

So verschiebt sich das Bild der angeblichen wirtschaftlichen
Überlegenheit des deutschen Proletariats über das russische ganz
bedeutend, wenn wir den Blick von der Tabelle der gewerkschaftlich
organisierten Industrie- und Handwerksbranchen auf jene großen Gruppen
des Proletariats richten, die ganz außerhalb des gewerkschaftlichen
Kampfes stehen oder deren besondere wirtschaftliche Lage sich nicht in
den engen Rahmen des alltäglichen gewerkschaftlichen Kleinkriegs
hineinzwängen läßt. Wir sehen dann ein gewaltiges Gebiet nach dem
anderen, wo die Zuspitzung der Gegensätze die äußerste Grenze erreicht
hat, wo Zündstoff in Hülle und Fülle aufgehäuft ist, wo sehr viel
»russischer Absolutismus« in nacktester Form steckt und wo
wirtschaftlich die allerelementarsten Abrechnungen mit dem Kapital erst
nachzuholen sind.

Alle diese alten Rechnungen würden dann bei einer allgemeinen
politischen Massenaktion des Proletariats unvermeidlich dem herrschenden
System präsentiert werden. Eine künstlich arrangierte einmalige
Demonstration des städtischen Proletariats, eine bloße aus Disziplin und
nach dem Taktstock eines Parteivorstandes ausgeführte Massenstreikaktion
könnte freilich die breiteren Volksschichten kühl und gleichgültig
lassen. Allein eine wirkliche, aus revolutionärer Situation geborene,
kräftige und rücksichtslose Kampfaktion des Industrieproletariats
müßte sicher auf tiefer liegende Schichten zurückwirken und gerade
alle diejenigen, die in normalen ruhigen Zeiten abseits des
gewerkschaftlichen Tageskampfes stehen, in einen stürmischen allgemeinen
ökonomischen Kampf mitreißen.

Kommen wir aber auch auf die organisierten Vordertruppen des deutschen
Industrieproletariats zurück und halten uns anderseits die heute von der
russischen Arbeiterschaft verfochtenen Ziele des ökonomischen Kampfes
vor die Augen, so finden wir durchaus nicht, daß es Bestrebungen sind,
auf die die deutschen ältesten Gewerkschaften Grund hätten, wie auf
ausgetretene Kinderschuhe über die Achsel zu schauen. So ist die
wichtigste allgemeine Forderung der russischen Streiks seit dem 22.
Januar 1905, der Achtstundentag, gewiß kein überwundener Standpunkt für
das deutsche Proletariat, vielmehr in den allermeisten Fällen ein
schönes fernes Ideal. Dasselbe trifft auf den Kampf mit dem
»Hausherrnstandpunkt« zu, auf den Kampf um die Einführung der
Arbeiterausschüsse in allen Fabriken, um die Abschaffung der
Akkordarbeit, um die Abschaffung der Heimarbeit im Handwerk, um völlige
Durchführung der Sonntagsruhe, um Anerkennung des Koalitionsrechts. Ja,
bei näherem Zusehen sind sämtliche ökonomischen Kampfobjekte des
russischen Proletariats in der jetzigen Revolution auch für das deutsche
Proletariat höchst aktuell und berühren lauter wunde Stellen des
Arbeiterdaseins.

Daraus ergibt sich vor allem, daß der reine politische Massenstreik, mit
dem man vorzugsweise operiert, auch für Deutschland ein bloßes lebloses
theoretisches Schema ist. Werden die Massenstreiks aus einer starken
revolutionären Gärung sich auf natürlichem Wege als ein entschlossener
politischer Kampf der städtischen Arbeiterschaft ergeben, so werden sie
ebenso natürlich, genau wie in Rußland, in eine ganze Periode
elementarer ökonomischer Kämpfe umschlagen. Die Befürchtungen also der
Gewerkschaftsführer, als könnte der Kampf um die ökonomischen Interessen
in einer Periode stürmischer politischer Kämpfe, in einer Periode der
Massenstreiks, einfach auf die Seite geschoben und erdrückt werden,
beruhen auf einer ganz in der Luft schwebenden schulmäßigen Vorstellung
von dem Gang der Dinge. Eine revolutionäre Periode würde vielmehr auch
in Deutschland den Charakter des gewerkschaftlichen Kampfes ändern und
ihn dermaßen potenzieren, daß der heutige Guerillakrieg der
Gewerkschaften dagegen ein Kinderspiel sein wird. Und anderseits würde
aus diesem elementaren ökonomischen Massenstreikgewitter auch der
politische Kampf immer wieder neue Anstöße und frische Kräfte schöpfen.
Die Wechselwirkung zwischen ökonomischem und politischem Kampf, die die
innere Triebfeder der heutigen Massenstreiks in Rußland und zugleich
sozusagen den regulierenden Mechanismus der revolutionären Aktion des
Proletariats bildet, würde sich ebenso naturgemäß auch in Deutschland
aus den Verhältnissen selbst ergeben.



VI.


Im Zusammenhang damit bekommt auch die Frage von der Organisation in
ihrem Verhältnis zum Problem des Massenstreiks in Deutschland ein
wesentlich anderes Gesicht.

Die Stellung mancher Gewerkschaftsführer zu der Frage erschöpft sich
gewöhnlich in der Behauptung: »Wir sind noch nicht stark genug, um eine
so gewagte Kraftprobe wie einen Massenstreik zu riskieren.« Nun ist
dieser Standpunkt insofern ein unhaltbarer, weil es eine unlösbare
Aufgabe ist, auf dem Wege einer ruhigen, zahlenmäßigen Berechnung
festzustellen, wann das Proletariat zu irgend einem Kampfe »stark genug
sei«. Vor 30 Jahren zählten die deutschen Gewerkschaften 50 000
Mitglieder. Das war offenbar eine Zahl, bei der, nach dem obigen
Maßstab, an einen Massenstreik nicht zu denken war. Nach weiteren 15
Jahren waren die Gewerkschaften viermal so stark und zählten 237 000
Mitglieder. Wenn man jedoch damals die heutigen Gewerkschaftsführer
gefragt hätte, ob nun die Organisation des Proletariats zu einem
Massenstreik reif wäre, so hätten sie sicher geantwortet, daß dies bei
weitem nicht der Fall sei und daß die gewerkschaftlich Organisierten
erst nach Millionen zählen müßten. Heute gehen die organisierten
Gewerkschaftsmitglieder bereits in die zweite Million, aber die Ansicht
ihrer Führer ist genau dieselbe, was offenbar so ins Unendliche gehen
kann. Stillschweigend wird dabei vorausgesetzt, daß überhaupt die
gesamte Arbeiterklasse Deutschlands bis auf den letzten Mann und die
letzte Frau in die Organisation aufgenommen werden müsse, bevor man
»stark genug sei«, eine Massenaktion zu wagen, die alsdann, nach der
alten Formel, sich auch noch wahrscheinlich als »überflüssig«
herausstellen würde. Diese Theorie ist jedoch aus dem einfachen Grunde
völlig utopisch, weil sie an einem inneren Widerspruch leidet, sich im
schlimmen Zirkel dreht. Die Arbeiter sollen, bevor sie irgend einen
direkten Klassenkampf vornehmen können, sämtlich organisiert sein. Die
Verhältnisse, die Bedingungen der kapitalistischen Entwicklung und des
bürgerlichen Staates bringen es aber mit sich, daß bei dem »normalen«
Verlauf der Dinge, ohne stürmische Klassenkämpfe, bestimmte Schichten
-- und zwar gerade das Gros, die wichtigsten, die tiefststehenden, die
vom Kapital und vom Staate am meisten gedrückten Schichten des
Proletariats -- eben gar nicht organisiert werden können. Sehen wir doch
selbst in England, daß ein ganzes Jahrhundert unermüdlicher
Gewerkschaftsarbeit ohne alle »Störungen« -- ausgenommen im Anfange die
Periode der Chartistenbewegung -- ohne alle »revolutionsromantischen«
Verirrungen und Lockungen, es nicht weiter gebracht haben, als dahin,
eine _Minderheit_ der bessersituierten Schichten des Proletariats zu
organisieren.

Anderseits aber können die Gewerkschaften, wie alle Kampforganisationen
des Proletariats, sich selbst nicht auf die Dauer anders erhalten, als
gerade im Kampf, und zwar nicht im Sinne allein des Froschmäusekrieges
in den stehenden Gewässern der bürgerlich-parlamentarischen Periode,
sondern im Sinne heftiger, revolutionärer Perioden des Massenkampfes.
Die steife, mechanisch-bureaukratische Auffassung will den Kampf nur als
Produkt der Organisation auf einer gewissen Höhe ihrer Stärke gelten
lassen. Die lebendige dialektische Entwicklung läßt umgekehrt die
Organisation als ein Produkt des Kampfes entstehen. Wir haben bereits
ein grandioses Beispiel dieser Erscheinung in Rußland gesehen, wo ein so
gut wie gar nicht organisiertes Proletariat sich in anderthalb Jahren
stürmischen Revolutionskampfes ein umfassendes Netz von
Organisationsansätzen geschaffen hat. Ein anderes Beispiel dieser Art
zeigt die eigene Geschichte der deutschen Gewerkschaften. Im Jahre 1878
betrug die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder 50 000. Nach der Theorie der
heutigen Gewerkschaftsführer war diese Organisation, wie gesagt, bei
weitem nicht »stark genug«, um einen heftigen politischen Kampf
aufzunehmen. Die deutschen Gewerkschaften _haben_ aber, so schwach sie
damals waren, den Kampf aufgenommen -- nämlich den Kampf mit dem
Sozialistengesetz -- und sie erwiesen sich nicht nur »stark genug«, aus
dem Kampfe als Sieger hervorzugehen, sondern sie haben in diesem Kampfe
ihre Kraft verfünffacht; sie umfaßten nach dem Fall des
Sozialistengesetzes im Jahre 1891 277 659 Mitglieder. Allerdings
entspricht die Methode, nach der die Gewerkschaften im Kampfe mit dem
Sozialistengesetz gesiegt haben, nicht dem Ideal eines friedlichen,
bienenartigen ununterbrochenen Ausbaus; sie gingen erst im Kampfe
sämtlich in Trümmer, um sich dann aus der nächsten Welle
emporzuschwingen und neu geboren zu werden. Dies ist aber eben die den
proletarischen Klassenorganisationen entsprechende spezifische Methode
des Wachstums: im Kampfe sich zu erproben und aus dem Kampfe wieder
reproduziert hervorzugehen.

Nach näherer Prüfung der deutschen Verhältnisse und der Lage der
verschiedenen Schichten der Arbeiter ist es klar, daß auch die kommende
Periode stürmischer politischer Massenkämpfe für die deutschen
Gewerkschaften nicht den befürchteten drohenden Untergang, sondern
umgekehrt neue ungeahnte Perspektiven einer rapiden sprungweisen
Erweiterung ihrer Machtsphäre mit sich bringen würde. Allein die Frage
hat noch eine andere Seite. Der Plan, Massenstreiks als ernste
politische Klassenaktion bloß mit Organisierten zu unternehmen, ist
überhaupt ein gänzlich hoffnungsloser. Soll der Massenstreik, oder
vielmehr sollen die Massenstreiks, soll der Massenkampf einen Erfolg
haben, so muß er zu einer wirklichen _Volksbewegung_ werden, d. h. die
breitesten Schichten des Proletariats mit in den Kampf ziehen. -- Schon
bei der parlamentarischen Form beruht die Macht des proletarischen
Klassenkampfes nicht auf dem kleinen organisierten Kern, sondern auf der
breiten umliegenden Peripherie des revolutionär gesinnten Proletariats.
Wollte die Sozialdemokratie bloß mit ihren paar Hunderttausend
Organisierten Wahlschlachten schlagen, dann würde sie sich selbst zur
Nullität verurteilen. Und ist es auch eine Tendenz der Sozialdemokratie,
womöglich fast den gesamten großen Heerbann ihrer Wähler in die
Parteiorganisationen aufzunehmen, so wird doch nach 30jähriger Erfahrung
der Sozialdemokratie nicht ihre Wählermasse durch das Wachstum der
Parteiorganisation erweitert, sondern umgekehrt die durch den Wahlkampf
jeweilig eroberten frischen Schichten der Arbeiterschaft bilden das
Ackerfeld für die darauffolgende Organisationsaussaat. Auch hier liefert
nicht nur die Organisation die Kampftruppen, sondern der Kampf liefert
in noch größerem Maße die Rekrutiertruppen für die Organisation. In viel
höherem Grade als auf den parlamentarischen Kampf bezieht sich dasselbe
offenbar auf die direkte politische Massenaktion. Ist auch die
Sozialdemokratie, als organisierter Kern der Arbeiterklasse, die
führende Vordertruppe des gesamten arbeitenden Volkes und fließt auch
die politische Klarheit, die Kraft, die Einheit der Arbeiterbewegung
gerade aus dieser Organisation, so darf doch die Klassenbewegung des
Proletariats niemals als Bewegung der organisierten Minderheit aufgefaßt
werden. Jeder wirkliche große Klassenkampf muß auf der Unterstützung und
Mitwirkung der breitesten Massen beruhen, und eine Strategie des
Klassenkampfes, die nicht mit dieser Mitwirkung rechnete, die bloß auf
die hübsch ausgeführten Märsche des kasernierten kleinen Teils des
Proletariats zugeschnitten wäre, ist im voraus zum kläglichen Fiasko
verurteilt.

Die Massenstreiks, die politischen Massenkämpfe können also unmöglich in
Deutschland von den Organisierten allein getragen und auf eine
regelrechte »Leitung« aus einer Parteizentrale berechnet werden. In
diesem Falle kommt es aber wieder -- ganz wie in Rußland -- nicht sowohl
auf »Disziplin«, »Schulung« und auf möglichst sorgfältige
Vorausbestimmung der Unterstützungs- und der Kostenfrage an, als
vielmehr auf eine wirkliche revolutionäre, entschlossene Klassenaktion,
die im stande wäre, die breitesten Kreise der nichtorganisierten, aber
ihrer Stimmung und ihrer Lage nach revolutionären Proletariermassen zu
gewinnen und mitzureißen.

Die Überschätzung und die falsche Einschätzung der Rolle der
Organisation im Klassenkampf des Proletariats wird gewöhnlich ergänzt
durch die Geringschätzung der unorganisierten Proletariermasse und ihrer
politischen Reife. In einer revolutionären Periode, im Sturme großer,
aufrüttelnder Klassenkämpfe zeigt sich erst die ganze erzieherische
Wirkung der raschen kapitalistischen Entwicklung und der
sozialdemokratischen Einflüsse auf die breitesten Volksschichten, wovon
in ruhigen Zeiten die Tabellen der Organisationen und selbst die
Wahlstatistiken nur einen ganz schwachen Begriff geben.

Wir haben gesehen, daß in Rußland seit zirka zwei Jahren aus dem
geringsten partiellen Konflikt der Arbeiter mit dem Unternehmertum, aus
der geringsten lokalen Brutalität der Regierungsorgane sofort eine
große, allgemeine Aktion des Proletariats entstehen kann. Jedermann
sieht und findet es natürlich, weil in Rußland eben »die Revolution« da
ist. Was bedeutet aber dies? Es bedeutet, daß das Klassengefühl, der
Klasseninstinkt bei dem russischen Proletariat in höchstem Maße lebendig
ist, so daß es jede partielle Sache irgend einer kleinen Arbeitergruppe
unmittelbar als allgemeine Sache, als Klassenangelegenheit empfindet und
blitzartig darauf als Ganzes reagiert. Während in Deutschland, in
Frankreich, in Italien, in Holland die heftigsten gewerkschaftlichen
Konflikte gar keine allgemeine Aktion der Arbeiterklasse -- und sei es
auch nur des organisierten Teils -- hervorrufen, entfacht in Rußland der
geringste Anlaß einen ganzen Sturm. Das will aber nichts anderes
besagen, als daß gegenwärtig der Klasseninstinkt -- so paradox es
klingen mag -- bei dem jungen, ungeschulten, schwach aufgeklärten und
noch schwächer organisierten russischen Proletariat ein unendlich
stärkerer ist, als bei der organisierten, geschulten und aufgeklärten
Arbeiterschaft Deutschlands oder eines anderen westeuropäischen Landes.
Und das ist nicht etwa eine besondere Tugend des »jungen, unverbrauchten
Ostens« im Vergleich mit dem »faulen Westen«, sondern es ist ein
einfaches Resultat der unmittelbaren revolutionären Massenaktion. Bei
dem deutschen aufgeklärten Arbeiter ist das von der Sozialdemokratie
gepflanzte Klassenbewußtsein ein _theoretisches_, _latentes_: in der
Periode der Herrschaft des bürgerlichen Parlamentarismus kann es sich
als direkte Massenaktion in der Regel nicht betätigen; es ist hier die
ideelle Summe der vierhundert Parallelaktionen der Wahlkreise während
des Wahlkampfes, der vielen ökonomischen partiellen Kämpfe und
dergleichen. In der Revolution, wo die Masse selbst auf dem politischen
Schauplatz erscheint, wird das Klassenbewußtsein ein _praktisches_,
_aktives_. Dem russischen Proletariat hat deshalb ein Jahr der
Revolution jene »Schulung« gegeben, welche dem deutschen Proletariat 30
Jahre parlamentarischen und gewerkschaftlichen Kampfes nicht künstlich
geben können. Freilich wird dieses lebendige, aktive Klassengefühl des
Proletariats auch in Rußland nach dem Abschluß der Revolutionsperiode
und nach der Herstellung eines bürgerlich-parlamentarischen
Rechtsstaates bedeutend schwinden oder vielmehr in ein verborgenes,
latentes umschlagen. Ebenso sicher wird aber umgekehrt in Deutschland in
einer Periode kräftiger politischer Aktionen das lebendige,
aktionsfähige revolutionäre Klassengefühl die breitesten und tiefsten
Schichten des Proletariats ergreifen und zwar umso rascher und umso
mächtiger, je gewaltiger das bis dahin geleistete Erziehungswerk der
Sozialdemokratie ist. Dieses Erziehungswerk sowie die aufreizende und
revolutionierende Wirkung der gesamten gegenwärtigen deutschen Politik
wird sich darin äußern, daß der Fahne der Sozialdemokratie in einer
ernsten revolutionären Periode alle jene Scharen plötzlich Folge leisten
werden, die jetzt in scheinbarer politischer Stupidität gegen alle
Organisierungsversuche der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften
unempfindlich sind. Sechs Monate einer revolutionären Periode werden an
der Schulung dieser jetzt unorganisierten Massen das Werk vollenden, das
zehn Jahre Volksversammlungen und Flugblattverteilungen nicht fertig zu
bringen vermögen. Und wenn die Verhältnisse in Deutschland für eine
solche Periode den Reifegrad erreicht haben, werden im Kampfe die heute
unorganisierten zurückgebliebensten Schichten naturgemäß das radikalste,
das ungestümste, nicht das mitgeschleppte Element bilden. Wird es in
Deutschland zu Massenstreiks kommen, so werden fast sicher nicht die
bestorganisierten -- gewiß nicht die Buchdrucker -- sondern die
schlechter oder gar nicht organisierten, die Bergarbeiter, die
Textilarbeiter, vielleicht gar die Landarbeiter die größte
Aktionsfähigkeit entwickeln.

Auf diese Weise gelangen wir aber auch in Deutschland zu denselben
Schlüssen in bezug auf die eigentlichen Aufgaben der _Leitung_, auf die
Rolle der Sozialdemokratie gegenüber den Massenstreiks, wie bei der
Analyse der russischen Vorgänge. Verlassen wir nämlich das pedantische
Schema eines künstlich von Partei und Gewerkschafts wegen kommandierten
demonstrativen Massenstreiks der organisierten Minderheit, und wenden
wir uns dem lebendigen Bilde einer aus äußerster Zuspitzung der
Klassengegensätze und der politischen Situation mit elementarer Kraft
entstehenden wirklichen Volksbewegung zu, die sich sowohl in
politischen wie in ökonomischen stürmischen Massenkämpfen,
Massenstreiks entladet, so muß offenbar die Aufgabe der Sozialdemokratie
nicht in der technischen Vorbereitung und Leitung des Massenstreiks,
sondern vor allem in der _politischen Führung_ der ganzen Bewegung
bestehen.

Die Sozialdemokratie ist die aufgeklärteste, klassenbewußteste Vorhut
des Proletariats. Sie kann und darf nicht mit verschränkten Armen
fatalistisch auf den Eintritt der »revolutionären Situation« warten,
darauf warten, daß jene spontane Volksbewegung vom Himmel fällt. Im
Gegenteil, sie muß, wie immer, der Entwicklung der Dinge _vorauseilen_,
sie zu _beschleunigen_ suchen. Dies vermag sie aber nicht dadurch, daß
sie zur rechten und unrechten Zeit ins Blaue hinein plötzlich die
»Losung« zu einem Massenstreik ausgibt, sondern vor allem dadurch, daß
sie den breitesten proletarischen Schichten den unvermeidlichen
_Eintritt_ dieser revolutionären Periode, die dazu führenden inneren
_sozialen Momente_ und die _politischen Konsequenzen_ klar macht. Sollen
breiteste proletarische Schichten für eine politische Massenaktion der
Sozialdemokratie gewonnen werden und soll umgekehrt die Sozialdemokratie
bei einer Massenbewegung die wirkliche Leitung ergreifen und behalten,
der ganzen Bewegung _im politischen Sinne_ Herr werden, dann muß sie mit
voller Klarheit, Konsequenz und Entschlossenheit die _Taktik_, die
_Ziele_ dem deutschen Proletariat in der Periode der kommenden Kämpfe zu
stecken wissen.



VII.


Wir haben gesehen, daß der Massenstreik in Rußland nicht ein künstliches
Produkt einer absichtlichen Taktik der Sozialdemokratie, sondern eine
natürliche geschichtliche Erscheinung auf dem Boden der jetzigen
Revolution darstellt. Welche sind nun die Momente, die in Rußland diese
neue Erscheinungsform der Revolution hervorgebracht haben?

Die russische Revolution hat zur nächsten Aufgabe die Beseitigung
des Absolutismus und die Herstellung eines modernen
bürgerlich-parlamentarischen Rechtsstaates. Formell ist es genau
dieselbe Aufgabe, die in Deutschland der Märzrevolution, in Frankreich
der großen Revolution am Ausgang des 18. Jahrhunderts bevorstand. Allein
die Verhältnisse, das geschichtliche Milieu, in dem diese formell
analogen Revolutionen stattfanden, sind grundverschieden von den
heutigen Rußlands. Das Entscheidende ist der Umstand, daß zwischen jenen
bürgerlichen Revolutionen des Westens und der heutigen bürgerlichen
Revolution im Osten der ganze Cyklus der kapitalistischen Entwicklung
abgelaufen ist. Und zwar hatte diese Entwicklung nicht bloß die
westeuropäischen Länder, sondern auch das absolutistische Rußland
ergriffen. Die Großindustrie mit allen ihren Konsequenzen, der modernen
Klassenscheidung, den schroffen sozialen Kontrasten, dem modernen
Großstadtleben und dem modernen Proletariat, ist in Rußland die
herrschende, d. h. in der sozialen Entwicklung ausschlaggebende
Produktionsform geworden. Daraus hat sich aber die merkwürdige,
widerspruchsvolle, geschichtliche Situation ergeben, daß die nach ihren
formellen Aufgaben bürgerliche Revolution in erster Reihe von einem
modernen klassenbewußten Proletariat ausgeführt wird, und in einem
internationalen Milieu, das im Zeichen des Verfalls der bürgerlichen
Demokratie steht. Nicht die Bourgeoisie ist jetzt das führende
revolutionäre Element, wie in den früheren Revolutionen des Westens,
während die proletarische Masse, aufgelöst im Kleinbürgertum, der
Bourgeoisie Heerbanndienste leistet, sondern umgekehrt, das
klassenbewußte Proletariat ist das führende und treibende Element,
während die großbürgerlichen Schichten teils direkt kontrerevolutionär,
teils schwächlich-liberal, und nur das ländliche Kleinbürgertum nebst
der städtischen kleinbürgerlichen Intelligenz entschieden oppositionell,
ja revolutionär gesinnt sind. Das russische Proletariat aber, das
dermaßen zur führenden Rolle in der bürgerlichen Revolution bestimmt
ist, tritt selbst frei von allen Illusionen der bürgerlichen Demokratie,
dafür mit einem stark entwickelten Bewußtsein der eigenen spezifischen
Klasseninteressen, bei einem scharf zugespitzten Gegensatz zwischen
Kapital und Arbeit, in den Kampf. Dieses widerspruchsvolle Verhältnis
findet seinen Ausdruck in der Tatsache, daß in dieser formell
bürgerlichen Revolution der Gegensatz der bürgerlichen Gesellschaft zum
Absolutismus von dem Gegensatz des Proletariats zur bürgerlichen
Gesellschaft beherrscht wird, daß der Kampf des Proletariats sich mit
gleicher Kraft gleichzeitig gegen den Absolutismus und gegen die
kapitalistische Ausbeutung richtet, daß das Programm der revolutionären
Kämpfe mit gleichem Nachdruck auf die politische Freiheit und auf die
Eroberung des Achtstundentages sowie einer menschenwürdigen materiellen
Existenz für das Proletariat gerichtet ist. Dieser zwiespältige
Charakter der russischen Revolution äußert sich in jener innigen
Verbindung und Wechselwirkung des ökonomischen mit dem politischen
Kampf, die wir an der Hand der Vorgänge in Rußland kennen gelernt haben,
und die ihren entsprechenden Ausdruck eben im Massenstreik findet.

In den früheren bürgerlichen Revolutionen, wo einerseits die politische
Schulung und Anführung der revolutionären Masse von den bürgerlichen
Parteien besorgt wurde und wo es sich anderseits um den nackten Sturz
der alten Regierung handelte, war die kurze Barrikadenschlacht die
passende Form des revolutionären Kampfes. Heute, wo die Arbeiterklasse
sich selbst im Laufe des revolutionären Kampfes aufklären, selbst
sammeln und selbst anführen muß, und wo die Revolution ihrerseits ebenso
gegen die alte Staatsgewalt wie gegen die kapitalistische Ausbeutung
gerichtet ist, erscheint der Massenstreik als das natürliche Mittel, die
breitesten proletarischen Schichten in der Aktion selbst zu rekrutieren,
zu revolutionieren und zu organisieren, ebenso wie es gleichzeitig ein
Mittel ist, die alte Staatsgewalt zu unterminieren und zu stürzen und
die kapitalistische Ausbeutung einzudämmen. Das städtische
Industrieproletariat ist jetzt die Seele der Revolution in Rußland. Um
aber irgend eine direkte politische Aktion als Masse auszuführen, muß
sich das Proletariat erst zur Masse wieder sammeln und zu diesem Behufe
muß es vor allem aus Fabriken und Werkstätten, aus Schächten und Hütten
heraustreten, muß es die Pulverisierung und Zerbröckelung in den
Einzelwerkstätten überwinden, zu der es im täglichen Joch des Kapitals
verurteilt ist. Der Massenstreik ist somit die erste natürliche,
impulsive Form jeder großen revolutionären Aktion des Proletariats, und
je mehr die Industrie die vorherrschende Form der sozialen Wirtschaft,
je hervorragender die Rolle des Proletariats in der Revolution und je
entwickelter der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, um so mächtiger
und ausschlaggebender müssen die Massenstreiks werden. Die frühere
Hauptform der bürgerlichen Revolutionen, die Barrikadenschlacht, die
offene Begegnung mit der bewaffneten Macht des Staates, ist in der
heutigen Revolution nur ein äußerster Punkt, nur ein Moment in dem
ganzen Prozeß des proletarischen Massenkampfes.

Und damit ist in der neuen Form der Revolution auch jene Zivilisierung
und Milderung der Klassenkämpfe erreicht, die von den Opportunisten der
deutschen Sozialdemokratie, von den Bernstein, David u. a. prophetisch
vorausgesagt wurde. Die Genannten erblickten freilich die ersehnte
Milderung und Zivilisierung des Klassenkampfes, im Geiste
kleinbürgerlich-demokratischer Illusionen, darin, daß der Klassenkampf
ausschließlich zu einem parlamentarischen Kampf beschränkt und die
Straßenrevolution einfach abgeschafft wird. Die Geschichte hat die
Lösung in einer etwas tieferen und feineren Weise gefunden: in dem
Aufkommen des revolutionären Massenstreiks, der freilich den nackten
brutalen Straßenkampf durchaus nicht ersetzt und nicht überflüssig
macht, ihn aber bloß zu einem Moment der langen politischen Kampfperiode
reduziert und gleichzeitig mit der Revolutionsperiode ein enormes
Kulturwerk im genauesten Sinne dieses Wortes verbindet: die materielle
und geistige Hebung der gesamten Arbeiterklasse durch die
»Zivilisierung« der barbarischen Formen der kapitalistischen Ausbeutung.

So erweist sich der Massenstreik also nicht als ein spezifisch
russisches, aus dem Absolutismus entsprungenes Produkt, sondern als eine
allgemeine Form des proletarischen Klassenkampfes, die sich aus dem
gegenwärtigen Stadium der kapitalistischen Entwicklung und der
Klassenverhältnisse ergibt. Die drei bürgerlichen Revolutionen: die
große französische, die deutsche Märzrevolution und die jetzige
russische bilden von diesem Standpunkt eine Kette der fortlaufenden
Entwicklung, in der sich das Glück und Ende des kapitalistischen
Jahrhunderts spiegelt. In der großen französischen Revolution geben die
noch ganz unentwickelten inneren Widersprüche der bürgerlichen
Gesellschaft für eine lange Periode gewaltiger Kämpfe Raum, wo sich alle
die erst in der Hitze der Revolution rasch aufkeimenden und reifenden
Gegensätze ungehindert und ungezwungen mit rücksichtslosem Radikalismus
austoben. Ein halbes Jahrhundert später wird die auf halbem Wege der
kapitalistischen Entwicklung ausgebrochene Revolution des deutschen
Bürgertums schon durch den Gegensatz der Interessen und das
Gleichgewicht der Kräfte zwischen Kapital und Arbeit in der Mitte
unterbunden und durch einen bürgerlich-feudalen Kompromiß erstickt, zu
einer kurzen, kläglichen, mitten im Worte verstummten Episode abgekürzt.
Noch ein halbes Jahrhundert, und die heutige russische Revolution steht
auf einem Punkt des geschichtlichen Weges, der bereits über den Berg,
über den Höhepunkt der kapitalistischen Gesellschaft hinweggeschritten
ist, wo die bürgerliche Revolution nicht mehr durch den Gegensatz
zwischen Bourgeoisie und Proletariat erstickt werden kann, sondern
umgekehrt zu einer neuen, langen Periode gewaltigster sozialer Kämpfe
entfaltet wird, in denen die Begleichung der alten Rechnung mit dem
Absolutismus als eine Kleinigkeit erscheint gegen die vielen neuen
Rechnungen, die die Revolution selbst aufmacht. Die heutige Revolution
realisiert somit in der besonderen Angelegenheit des absolutistischen
Rußland zugleich die allgemeinen Resultate der internationalen
kapitalistischen Entwicklung und erscheint weniger ein letzter
Nachläufer der alten bürgerlichen, wie ein Vorläufer der neuen Serie der
proletarischen Revolutionen des Westens. Das zurückgebliebenste Land
weist, gerade weil es sich mit seiner bürgerlichen Revolution so
unverzeihlich verspätet hat, Wege und Methoden des weiteren
Klassenkampfes dem Proletariat Deutschlands und der vorgeschrittensten
kapitalistischen Länder.

Demnach erscheint es, auch von dieser Seite genommen, gänzlich verfehlt,
die russische Revolution als ein schönes Schauspiel, als etwas
spezifisch »Russisches« von weitem zu betrachten und höchstens das
Heldentum der Kämpfer, d. h. die äußeren Akzessorien des Kampfes zu
bewundern. Viel wichtiger ist es, daß die deutschen Arbeiter die
russische Revolution _als ihre eigene Angelegenheit_ zu betrachten
lernen, nicht bloß im Sinne der internationalen Klassensolidarität mit
dem russischen Proletariat, sondern vor allem als _ein Kapitel der
eigenen sozialen und politischen Geschichte_. Diejenigen
Gewerkschaftsführer und Parlamentarier, die das deutsche Proletariat als
»zu schwach« und die deutschen Verhältnisse als zu unreif für
revolutionäre Massenkämpfe betrachten, haben offenbar keine Ahnung
davon, daß der Gradmesser der Reife der Klassenverhältnisse in
Deutschland und der Macht des Proletariats nicht in den Statistiken der
deutschen Gewerkschaften oder in den Wahlstatistiken liegt, sondern --
in den Vorgängen der russischen Revolution. Genau so, wie sich die Reife
der französischen Klassengegensätze unter der Julimonarchie und die
Pariser Junischlacht in der deutschen Märzrevolution, in ihrem Verlauf
und ihrem Fiasko spiegelte, ebenso spiegelt sich heute die Reife der
deutschen Klassengegensätze in den Vorgängen, in der Macht der
russischen Revolution. Und während die Bureaukraten der deutschen
Arbeiterbewegung den Nachweis ihrer Kraft und ihrer Reife in den
Schubfächern ihrer Kontore auskramen, sehen sie nicht, daß das Gesuchte
gerade vor ihren Augen in einer großen historischen Offenbarung liegt,
denn geschichtlich genommen ist die russische Revolution ein Reflex der
Macht und der Reife der internationalen, also in erster Linie der
deutschen Arbeiterbewegung.

Es wäre deshalb ein gar zu klägliches, grotesk winziges Resultat der
russischen Revolution, wollte das deutsche Proletariat aus ihr bloß die
Lehre ziehen, daß es -- wie die Gen. Frohme, Elm und andere wollen --
von der russischen Revolution die äußere Form des Kampfes, den
Massenstreik entlehnt und zu einer Vorratskanone für den Fall der
Kassierung des Reichstagswahlrechts, also zu einem passiven Mittel der
parlamentarischen Defensive kastriert. Wenn man uns das
Reichstagswahlrecht nimmt, dann wehren wir uns. Das ist ein ganz
selbstverständlicher Entschluß. Aber zu diesem Entschluß braucht man
sich nicht in die heldenhafte Pose eines Danton zu werfen, wie es z. B.
Genosse Elm in Jena getan; denn die Verteidigung des bereits besessenen
bescheidenen Maßes der parlamentarischen Rechte ist weniger eine
himmelstürmende Neuerung, zu der erst die furchtbaren Hekatomben der
russischen Revolution als Ermunterung notwendig waren, als vielmehr die
einfachste und erste Pflicht jeder Oppositionspartei. Allein die bloße
Defensive darf niemals die Politik des Proletariats in einer
Revolutionsperiode erschöpfen. Und wenn es einerseits schwerlich mit
Sicherheit vorausgesagt werden kann, ob die Vernichtung des allgemeinen
Wahlrechts in Deutschland in einer Situation eintritt, die unbedingt
eine sofortige Massenstreikaktion hervorrufen wird, so ist es anderseits
ganz sicher, daß, sobald wir in Deutschland in die Periode stürmischer
Massenaktionen eingetreten sind, die Sozialdemokratie unmöglich auf die
bloße parlamentarische Defensive ihre Taktik festlegen darf. Den Anlaß
und den Moment vorauszubestimmen, an dem die Massenstreiks in
Deutschland ausbrechen sollen, liegt außerhalb der Macht der
Sozialdemokratie, weil es außerhalb ihrer Macht liegt, geschichtliche
Situationen durch Parteitagsbeschlüsse herbeizuführen. Was sie aber kann
und muß, ist, die politischen Richtlinien dieser Kämpfe, wenn sie einmal
eintreten, klarlegen und in einer entschlossenen, konsequenten Taktik
formulieren. Man hält nicht die geschichtlichen Ereignisse im Zaum,
indem man ihnen Vorschriften macht, sondern indem man sich im voraus
ihre wahrscheinlichen berechenbaren Konsequenzen zum Bewußtsein bringt
und die eigene Handlungsweise danach einrichtet.

Die zunächst drohende politische Gefahr, auf die sich die deutsche
Arbeiterbewegung seit einer Reihe von Jahren gefaßt macht, ist ein
Staatsstreich der Reaktion, der den breitesten Schichten der arbeitenden
Volksmasse das wichtigste politische Recht, das Reichstagswahlrecht,
wird entreißen wollen. Trotz der ungeheuren Tragweite dieses eventuellen
Ereignisses ist es, wie gesagt, unmöglich, mit Bestimmtheit zu
behaupten, daß auf den Staatsstreich alsdann sofort eine offene
Volksbewegung in der Form von Massenstreiks ausbricht, weil uns heute
alle jene unzähligen Umstände und Momente unbekannt sind, die bei einer
Massenbewegung die Situation mitbestimmen. Allein, wenn man die
gegenwärtige äußerste Zuspitzung der Verhältnisse in Deutschland und
anderseits die mannigfachen internationalen Rückwirkungen der russischen
Revolution und weiter des künftigen renovierten Rußlands in Betracht
zieht, so ist es klar, daß der Umsturz in der deutschen Politik, der aus
einer Kassierung des Reichstagswahlrechts entstehen würde, nicht bei dem
Kampf um dieses Wahlrecht allein Halt machen könnte. Dieser
Staatsstreich würde vielmehr in kürzerer oder längerer Frist mit
elementarer Macht eine große allgemeine politische Abrechnung der einmal
empörten und aufgerüttelten Volksmassen mit der Reaktion nach sich
ziehen -- eine Abrechnung für den Brotwucher, für die künstliche
Fleischteuerung, für die Auspowerung durch den uferlosen Militarismus
und Marinismus, für die Korruption der Kolonialpolitik, für die
nationale Schmach des Königsberger Prozesses, für den Stillstand der
Sozialreform, für die Entrechtung der Eisenbahner, der Postbeamten und
der Landarbeiter, für die Bemogelung und Verhöhnung der Bergarbeiter,
für das Löbtauer Urteil und die ganze Klassenjustiz, für das brutale
Aussperrungssystem -- kurz, für den gesamten zwanzigjährigen Druck der
koalierten Herrschaft des ostelbischen Junkertums und des kartellierten
Großkapitals.

Ist aber einmal der Stein ins Rollen gekommen, so kann er, ob es die
Sozialdemokratie will oder nicht, nicht mehr zum Stillstand gebracht
werden. Die Gegner des Massenstreiks pflegen die Lehren und Beispiele
der russischen Revolution, als für Deutschland gar nicht maßgebend, vor
allem deshalb abzuweisen, weil ja in Rußland erst der gewaltige Sprung
aus einer orientalischen Despotie in eine moderne bürgerliche
Rechtsordnung gemacht werden mußte. Der formelle Abstand zwischen der
alten und der neuen politischen Ordnung soll für die Vehemenz und die
Gewalt der Revolution in Rußland als ausreichender Erklärungsgrund
dienen. In Deutschland haben wir längst die notwendigsten Formen und
Garantien des Rechtsstaats, weshalb hier ein so elementares Toben der
sozialen Gegensätze unmöglich ist. Die also spekulieren, vergessen, daß
dafür in Deutschland, wenn es einmal zum Ausbruch offener politischer
Kämpfe kommt, eben das geschichtlich bedingte Ziel ein ganz anderes sein
wird, als heute in Rußland. Gerade weil die bürgerliche Rechtsordnung in
Deutschland längst besteht, weil sie also Zeit hatte, sich gänzlich zu
erschöpfen und auf die Neige zu gehen, weil die bürgerliche Demokratie
und der Liberalismus Zeit hatten, auszusterben, kann von einer
_bürgerlichen_ Revolution in Deutschland nicht mehr die Rede sein. Und
deshalb kann es sich bei einer Periode offener politischer Volkskämpfe
in Deutschland als letztes geschichtlich notwendiges Ziel nur noch um
die _Diktatur des Proletariats_ handeln. Der Abstand aber dieser Aufgabe
von den heutigen Zuständen in Deutschland ist ein noch viel
gewaltigerer, als der Abstand der bürgerlichen Rechtsordnung von der
orientalischen Despotie, und deshalb kann diese Aufgabe auch nicht mit
einem Schlag, sondern gleichfalls in einer langen Periode gigantischer
sozialer Kämpfe vollzogen werden.

Liegt aber nicht ein krasser Widerspruch in den von uns aufgezeichneten
Perspektiven? Einerseits heißt es, bei einer eventuellen künftigen
Periode der politischen Massenaktion werden vor allem die
zurückgebliebensten Schichten des deutschen Proletariats, die
Landarbeiter, die Eisenbahner, die Postsklaven, erst ihr Koalitionsrecht
erobern, die ärgsten Auswüchse der Ausbeutung erst beseitigt werden
müssen, anderseits soll die politische Aufgabe dieser Periode schon die
politische Machteroberung durch das Proletariat sein! Einerseits
ökonomische, gewerkschaftliche Kämpfe um die nächsten Interessen, um die
materielle Hebung der Arbeiterklasse, anderseits schon das äußerste
Endziel der Sozialdemokratie! Gewiß, das sind krasse Widersprüche, aber
nicht Widersprüche unseres Raisonnements, sondern Widersprüche der
kapitialistischen Entwicklung. Sie verläuft nicht in einer hübschen,
geraden Linie, sondern im schroffen blitzähnlichen Zickzack. Ebenso wie
die verschiedenen kapitalistischen Länder die verschiedensten Stadien
der Entwicklung darstellen, ebenso innerhalb jedes Landes die
verschiedenen Schichten derselben Arbeiterklasse. Die Geschichte wartet
aber nicht geduldig, bis erst die zurückgebliebenen Länder und Schichten
die fortgeschrittensten eingeholt haben, damit sich das Ganze wie eine
stramme Kolonne symmetrisch weiter bewegen kann. Sie bringt es bereits
in den vordersten exponiertesten Punkten zu Explosionen, sobald die
Verhältnisse hier dafür reif sind, und im Sturme der revolutionären
Periode wird dann in wenigen Tagen und Monaten das Versäumte nachgeholt,
das Ungleiche ausgeglichen, der gesamte soziale Fortschritt mit einem
Ruck in Sturmschritt versetzt.

Wie in der russischen Revolution sich die ganze Stufenleiter der
Entwicklung und der Interessen der verschiedenen Arbeiterschichten in
dem sozialdemokratischen Programm der Revolution und die unzähligen
partiellen Kämpfe in der gemeinsamen großen Klassenaktion des
Proletariats vereinigen, so wird es, wenn die Verhältnisse dafür reif
sind, auch in Deutschland der Fall sein. Und Aufgabe der
Sozialdemokratie wird es alsdann sein, ihre Taktik nicht nach den
zurückgebliebensten Phasen der Entwicklung, sondern nach den
fortgeschrittensten zu richten.



VIII.


Das wichtigste Erfordernis in der früher oder später kommenden
Periode der großen Kämpfe, die der deutschen Arbeiterklasse harren,
ist, neben der vollen Entschlossenheit und Konsequenz der Taktik, die
möglichste Aktionsfähigkeit, also mögliche Einheit des führenden
sozialdemokratischen Teils der proletarischen Masse. Indes bereits die
ersten schwachen Versuche zur Vorbereitung einer größeren Massenaktion
haben sofort einen wichtigen Übelstand in dieser Hinsicht aufgedeckt:
die völlige Trennung und Verselbständigung der beiden Organisationen der
Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften.

Es ist klar aus der näheren Betrachtung der Massenstreiks in Rußland
sowie aus den Verhältnissen in Deutschland selbst, daß irgend eine
größere Massenaktion, wenn sie sich nicht bloß auf eine einmalige
Demonstration beschränken, sondern zu einer wirklichen Kampfaktion
werden soll, unmöglich als ein sogenannter politischer Massenstreik
gedacht werden kann. Die Gewerkschaften würden an einer solchen Aktion
in Deutschland genau so beteiligt sein wie die Sozialdemokratie. Nicht
aus dem Grunde, weil, wie die Gewerkschaftsführer sich einbilden, die
Sozialdemokratie angesichts ihrer viel geringeren Organisation auf die
Mitwirkung der 1¼ Million Gewerkschaftler angewiesen wäre und ohne sie
nichts zu stande bringen könnte, sondern aus einem viel tiefer liegenden
Grunde: weil jede direkte Massenaktion oder Periode offener
Klassenkämpfe zugleich eine politische und ökonomische sein würde. Wird
es in Deutschland aus irgend einem Anlaß und in irgend einem Zeitpunkt
zu großen politischen Kämpfen, zu Massenstreiks kommen, so wird das
zugleich eine Ära gewaltiger gewerkschaftlicher Kämpfe in Deutschland
eröffnen, wobei die Ereignisse nicht im mindesten danach fragen werden,
ob die Gewerkschaftsführer zu der Bewegung ihre Zustimmung gegeben haben
oder nicht. Stehen sie auf der Seite oder suchen sich gar der Bewegung
zu widersetzen, so wird der Erfolg dieses Verhaltens nur der sein, daß
die Gewerkschaftsführer, genau wie die Parteiführer im analogen Falle,
von der Welle der Ereignisse einfach auf die Seite geschoben und die
ökonomischen wie die politischen Kämpfe der Masse ohne sie ausgekämpft
werden.

In der Tat. Die Trennung zwischen dem politischen und dem ökonomischen
Kampf und die Verselbständigung beider ist nichts als ein künstliches,
wenn auch geschichtlich bedingtes Produkt der parlamentarischen Periode.
Einerseits wird hier, bei dem ruhigen, »normalen« Gang der bürgerlichen
Gesellschaft, der ökonomische Kampf zersplittert, in eine Vielheit
einzelner Kämpfe in jeder Unternehmung, in jedem Produktionszweige
aufgelöst. Anderseits wird der politische Kampf nicht durch die Masse
selbst in einer direkten Aktion geführt, sondern, den Formen des
bürgerlichen Staates entsprechend, auf repräsentativem Wege, durch den
Druck auf die gesetzgebenden Vertretungen. Sobald eine Periode
revolutionärer Kämpfe eintritt, d. h. sobald die Masse auf dem
Kampfplatz erscheint, fallen sowohl die Zersplitterung des ökonomischen
Kampfes wie die indirekte parlamentarische Form des politischen Kampfes
weg; in einer revolutionären Massenaktion sind politischer und
ökonomischer Kampf eins und die künstliche Schranke zwischen
Gewerkschaft und Sozialdemokratie als zwei getrennten, ganz
selbständigen Formen der Arbeiterbewegung wird einfach weggeschwemmt.
Was aber in der revolutionären Massenbewegung augenfällig zum Ausdruck
kommt, trifft auch für die parlamentarische Periode als wirkliche
Sachlage zu. Es gibt nicht zwei verschiedene Klassenkämpfe der
Arbeiterklasse, einen ökonomischen und einen politischen, sondern es
gibt nur _einen_ Klassenkampf, der gleichzeitig auf die Einschränkung
der kapitalistischen Ausbeutung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft
und auf die Abschaffung der Ausbeutung mitsamt der bürgerlichen
Gesellschaft gerichtet ist.

Wenn sich diese zwei Seiten des Klassenkampfes auch aus technischen
Gründen in der parlamentarischen Periode voneinander trennen, so stellen
sie doch nicht etwa zwei parallel verlaufende Aktionen, sondern bloß
zwei Phasen, zwei Stufen des Emanzipationskampfes der Arbeiterklasse
dar. Der gewerkschaftliche Kampf umfaßt die Gegenwartsinteressen, der
sozialdemokratische Kampf die Zukunftsinteressen der Arbeiterbewegung.
Die Kommunisten, sagt das kommunistische Manifest, vertreten gegenüber
verschiedenen Gruppeninteressen (nationalen, lokalen Interessen) der
Proletarier die gemeinsamen Interessen des gesamten Proletariats und in
den verschiedenen Entwicklungsstufen des Klassenkampfes das Interesse
der Gesamtbewegung d. h. die Endziele der Befreiung des Proletariats.
Die Gewerkschaften vertreten nun die Gruppeninteressen und eine
Entwicklungsstufe der Arbeiterbewegung. Die Sozialdemokratie vertritt
die Arbeiterklasse und ihre Befreiungsinteressen im ganzen. Das
Verhältnis der Gewerkschaften zur Sozialdemokratie ist demnach das eines
Teiles zum Ganzen, und wenn unter den Gewerkschaftsführern die Theorie
von der »Gleichberechtigung« der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie
soviel Anklang findet, so beruht das auf einer gründlichen Verkennung
des Wesens selbst der Gewerkschaften und ihrer Rolle im allgemeinen
Befreiungskampfe der Arbeiterklasse.

Diese Theorie von der parallelen Aktion der Sozialdemokratie und der
Gewerkschaften und von ihrer »Gleichberechtigung« ist jedoch nicht
völlig aus der Luft gegriffen, sondern hat ihre geschichtlichen Wurzeln.
Sie beruht nämlich auf einer Illusion der ruhigen, »normalen« Periode
der bürgerlichen Gesellschaft, in der der politische Kampf der
Sozialdemokratie in dem _parlamentarischen_ Kampf aufzugehen scheint.
Der parlamentarische Kampf aber, das ergänzende Gegenstück zum
Gewerkschaftskampf, ist ebenso wie dieser ein Kampf ausschließlich auf
dem Boden der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Er ist seiner Natur
nach politische Reformarbeit, wie die Gewerkschaften ökonomische
Reformarbeit sind. Er stellt politische Gegenwartsarbeit dar, wie die
Gewerkschaften ökonomische Gegenwartsarbeit darstellen. Er ist, wie sie,
auch bloß eine Phase, eine Entwicklungsstufe im Ganzen des
proletarischen Klassenkampfes, dessen Endziele über den
parlamentarischen Kampf wie über den gewerkschaftlichen Kampf in
gleichem Maße hinausgehen. Der parlamentarische Kampf verhält sich zur
sozialdemokratischen Politik denn auch wie ein Teil zum Ganzen, genau so
wie die gewerkschaftliche Arbeit. Die Sozialdemokratie ist eben heute
die Zusammenfassung sowohl des parlamentarischen wie des
gewerkschaftlichen Kampfes in einem auf die Abschaffung der bürgerlichen
Gesellschaftsordnung gerichteten Klassenkampf.

Die Theorie von der »Gleichberechtigung« der Gewerkschaften mit der
Sozialdemokratie ist also kein bloßes theoretisches Mißverständnis,
keine bloße Verwechslung, sondern sie ist ein Ausdruck der bekannten
Tendenz jenes opportunistischen Flügels der Sozialdemokratie, der den
politischen Kampf der Arbeiterklasse auch tatsächlich auf den
parlamentarischen Kampf reduzieren und die Sozialdemokratie aus einer
revolutionären proletarischen in eine kleinbürgerliche Reformpartei
umwandeln will.[4] Wollte die Sozialdemokratie die Theorie von der
»Gleichberechtigung« der Gewerkschaften akzeptieren, so würde sie damit
in indirekter Weise und stillschweigend jene Verwandlung akzeptieren,
die von den Vertretern der opportunistischen Richtung längst angestrebt
wird.

[Fußnote 4: Da das Vorhandensein einer solchen Tendenz innerhalb der
deutschen Sozialdemokratie gewöhnlich geleugnet wird, so muß man die
Offenherzigkeit begrüßen, mit der die opportunistische Richtung neulich
ihre eigentlichen Ziele und Wünsche formuliert hat. In einer
Parteiversammlung in Mainz am 10. September d. J. wurde folgende von Dr.
_David_ vorgelegte Resolution angenommen:

»In der Erwägung, daß die sozialdemokratische Partei den Begriff
»Revolution« nicht im Sinne des gewaltsamen Umsturzes, sondern im
friedlichen Sinne der Entwicklung, d. h. der allmählichen Durchsetzung
eines neuen Wirtschaftsprinzips, auffaßt, lehnt die Mainzer öffentliche
Parteiversammlung jede »Revolutionsromantik« ab.

»Die Versammlung sieht in der Eroberung der politischen Macht nichts
anderes als die Eroberung der Mehrheit des Volkes für die Ideen und
Forderungen der Sozialdemokratie; eine Eroberung, die nicht geschehen
kann mit gewaltsamen Mitteln, sondern nur durch die Revolutionierung der
Köpfe auf dem Wege der geistigen Propaganda und der praktischen
Reformarbeit auf allen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Lebens.

In der Überzeugung, daß die Sozialdemokratie weit besser gedeiht bei den
gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz, lehnt
die Versammlung die »_direkte Massenaktion_« als taktisches Prinzip ab
und hält an dem Prinzip der _parlamentarischen Reformation_ fest, d. h.,
sie wünscht, daß die Partei nach wie vor ernstlich bemüht ist, _auf dem
Wege der Gesetzgebung und der organischen Entwicklung allmählich unsere
Ziele zu erreichen_.

Die fundamentale Voraussetzung dieser reformatorischen Kampfesmethode
ist freilich, daß die _Möglichkeit der Anteilnahme der besitzlosen
Volksmasse an der Gesetzgebung_ im Reiche und in den Einzelstaaten nicht
verkürzt, sondern bis zur _vollen Gleichberechtigung_ erneuert wird. Aus
diesem Grunde hält es die Versammlung für ein unbestreitbares Recht der
Arbeiterschaft, zur Abwehr von Attentaten auf ihre gesetzlichen Rechte
sowie zur Erringung weiterer Rechte, wenn alle anderen Mittel versagen,
auch die Arbeit für kürzere oder längere Dauer zu verweigern.

Da der politische Massenstreik aber nur dann siegreich für die
Arbeiterschaft durchgeführt werden kann, wenn er sich _in streng
gesetzlichen Bahnen_ hält und seitens der Streikenden kein berechtigter
Anlaß zum Eingreifen der bewaffneten Macht geboten wird, so erblickt die
Versammlung die einzig notwendige und wirksame Vorbereitung auf den
Gebrauch dieses Kampfmittels in dem weiteren Ausbau der politischen,
gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Organisation. Denn nur
dadurch können die Voraussetzungen in der breiten Volksmasse geschaffen
werden, die den erfolgreichen Verlauf eines Massenstreiks garantieren:
zielbewußte Disziplin und einen geeigneten wirtschaftlichen Rückhalt.«]

Indes ist in Deutschland eine solche Verschiebung des Verhältnisses
innerhalb der Arbeiterbewegung unmöglicher als in irgend einem anderen
Lande. Das theoretische Verhältnis, wonach Gewerkschaften bloß ein Teil
der Sozialdemokratie sind, findet gerade in Deutschland seine klassische
Illustration in den Tatsachen, in der lebendigen Praxis, und zwar äußert
sich dies nach drei Richtungen hin. Erstens sind die deutschen
Gewerkschaften direkt ein Produkt der Sozialdemokratie; sie ist es, die
die Anfänge der jetzigen Gewerkschaftsbewegung in Deutschland geschaffen
hat, sie ist es, die sie großgezogen, sie liefert bis auf heute
ihre Leiter und die tätigsten Träger ihrer Organisation. Zweitens
sind die deutschen Gewerkschaften ein Produkt der Sozialdemokratie
auch in dem Sinne, daß die sozialdemokratische Lehre die Seele der
gewerkschaftlichen Praxis bildet, die Gewerkschaften verdanken ihre
Überlegenheit über alle bürgerlichen und konfessionellen Gewerkschaften
dem Gedanken des Klassenkampfes; ihre praktischen Erfolge, ihre Macht
sind ein Resultat des Umstandes, daß ihre Praxis von der Theorie des
wissenschaftlichen Sozialismus erleuchtet und über die Niederungen eines
engherzigen Empirismus gehoben ist. Die Stärke der »praktischen Politik«
der deutschen Gewerkschaften liegt in ihrer Einsicht in die tieferen
sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge der kapitalistischen
Ordnung; diese Einsicht verdanken sie aber niemand anderem, als der
Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, auf der sie in ihrer Praxis
fußen. In diesem Sinne ist jenes Suchen nach der Emanzipierung der
Gewerkschaften von der sozialdemokratischen Theorie nach einer anderen
»gewerkschaftlichen Theorie« im Gegensatz zur Sozialdemokratie vom
Standpunkte der Gewerkschaften selbst und ihrer Zukunft nichts anderes,
als ein Selbstmordversuch. Die Loslösung der gewerkschaftlichen Praxis
von der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus würde für die
deutschen Gewerkschaften einen sofortigen Verlust der ganzen
Überlegenheit gegenüber allen bürgerlichen Gewerkschaftssorten, einen
Sturz von ihrer bisherigen Höhe auf das Niveau eines haltlosen Tastens
und reinen platten Empirismus bedeuten.

Endlich aber drittens sind die Gewerkschaften, wovon ihre Führer
allmählich das Bewußtsein verloren haben, auch direkt in ihrer
_zahlenmäßigen_ Stärke, ein Produkt der sozialdemokratischen Bewegung
und der sozialdemokratischen Agitation. Gewiß ging und geht die
gewerkschaftliche Agitation in manchen Gegenden der sozialdemokratischen
voran und überall ebnet die gewerkschaftliche Arbeit auch der
Parteiarbeit die Wege. Vom Standpunkte ihrer _Wirkung_ arbeiten Partei
und Gewerkschaften einander völlig in die Hand. Allein, wenn man das
Bild des Klassenkampfes in Deutschland im ganzen und in seinen tiefer
liegenden Zusammenhängen überblickt, so verschiebt sich das Verhältnis
erheblich. Manche Gewerkschaftsleiter pflegen gern mit einigem Triumph
von der stolzen Höhe ihrer 1¼ Millionen Mitglieder auf die armselige,
noch nicht volle halbe Million der organisierten Mitglieder der
Sozialdemokratie herabzublicken und sie an jene Zeiten vor 10 bis 12
Jahren zu erinnern, wo man in den Reihen der Sozialdemokratie über die
Perspektiven der gewerkschaftlichen Entwicklung noch pessimistisch
dachte. Sie bemerken gar nicht, dass zwischen diesen zwei Tatsachen: der
hohen Ziffer der Gewerkschaftsmitglieder und der niedrigen Ziffer der
sozialdemokratisch Organisierten in gewissem Maße _ein direkter kausaler
Zusammenhang besteht_. Tausende und Abertausende von Arbeitern treten
den Parteiorganisationen nicht bei, eben _weil_ sie in die
Gewerkschaften eintreten. Der Theorie nach müßten alle Arbeiter zweifach
organisiert sein: zweierlei Versammlungen besuchen, zweifache Beiträge
zahlen, zweierlei Arbeiterblätter lesen usw. Um dies jedoch zu tun, dazu
gehört schon ein hoher Grad der Intelligenz und jener Idealismus, der
aus reinem Pflichtgefühl gegenüber der Arbeiterbewegung tägliche Opfer
an Zeit und Geld nicht scheut, endlich auch jenes leidenschaftliche
Interesse für das eigentliche Parteileben, das nur durch die
Zugehörigkeit zur Parteiorganisation befriedigt werden kann. All das
trifft bei der aufgeklärtesten und intelligentesten Minderheit der
sozialdemokratischen Arbeiterschaft in den Großstädten zu, wo das
Parteileben ein inhaltreiches und anziehendes, wo die Lebenshaltung der
Arbeiter eine höhere ist. Bei den breiteren Schichten der
großstädtischen Arbeitermasse aber, sowie in der Provinz, in den
kleineren und kleinsten Nestern, wo das lokale politische Leben ein
unselbständiges, ein bloßer Reflex der hauptstädtischen Vorgänge, wo das
Parteileben folglich auch ein armes und monotones ist, wo endlich die
wirtschaftliche Lebenshaltung des Arbeiters meistens eine sehr
kümmerliche, da ist das doppelte Organisationsverhältnis sehr schwer
durchzuführen.

Für den sozialdemokratisch gesinnten Arbeiter aus der Masse wird dann
die Frage von selbst in der Weise gelöst, daß er eben seiner
Gewerkschaft beitritt. Den unmittelbaren Interessen seines
wirtschaftlichen Kampfes kann er nämlich, was durch die Natur dieses
Kampfes selbst bedingt ist, nicht anders genügen, als durch den Beitritt
zu einer Berufsorganisation. Der Beitrag, den er hier vielfach unter
bedeutenden Opfern seiner Lebenshaltung zahlt, bringt ihm unmittelbaren,
sichtlichen Nutzen. Seine sozialdemokratische Gesinnung aber vermag er
auch ohne Zugehörigkeit zu einer speziellen Parteiorganisation zu
betätigen: durch Stimmabgabe bei den Parlamentswahlen, durch den Besuch
sozialdemokratischer Volksversammlungen, durch das Verfolgen der
Berichte über sozialdemokratische Reden in den Vertretungskörpern, durch
das Lesen der Parteipresse -- man vergleiche zum Beispiel die Zahl der
sozialdemokratischen Wähler sowie die Abonnentenzahl des »Vorwärts« mit
der Zahl der organisierten Parteimitglieder in Berlin. Und, was das
Ausschlaggebende ist: der sozialdemokratisch gesinnte durchschnittliche
Arbeiter aus der Masse, der als einfacher Mann kein Verständnis für die
komplizierte und feine sogenannte »Zweiseelentheorie« haben kann, fühlt
sich eben auch in der Gewerkschaft _sozialdemokratisch_ organisiert.
Tragen die Zentralverbände auch kein offizielles Parteischild, so sieht
doch der Arbeitsmann aus der Masse in jeder Stadt und jedem Städtchen an
der Spitze seiner Gewerkschaft als die tätigsten Leiter diejenigen
Kollegen, die er auch als Genossen, als Sozialdemokraten aus dem
öffentlichen Leben kennt: bald als sozialdemokratische Reichstags-,
Landtags- oder Gemeindeabgeordnete, bald als sozialdemokratische
Vertrauensmänner, Wahlvereinsvorstände, Parteiredakteure,
Parteisekretäre, oder einfach als Redner und Agitatoren. Er hört ferner
in der Agitation in seiner Gewerkschaft meistens dieselben ihm lieb und
verständlich gewordenen Gedanken über die kapitalistische Ausbeutung,
über Klassenverhältnisse, die er auch aus der sozialdemokratischen
Agitation kennt; ja die meisten und beliebtesten Redner in den
Gewerkschaftsversammlungen sind eben bekannte Sozialdemokraten.

So wirkt alles dahin, dem klassenbewußten Durchschnittsarbeiter das
Gefühl zu geben, daß er, indem er sich gewerkschaftlich organisiert,
dadurch auch seiner Arbeiterpartei angehört, sozialdemokratisch
organisiert ist. _Und darin liegt eben die eigentliche Werbekraft der
deutschen Gewerkschaften_. Nicht dank dem Schein der Neutralität,
sondern dank der sozialdemokratischen Wirklichkeit ihres Wesens,
haben es die Zentralverbände vermocht, ihre heutige Stärke zu
erreichen. Dies ist einfach durch dieselbe Mitexistenz verschiedener
bürgerlich-parteilicher: katholischer, Hirsch-Dunckerscher &c.
Gewerkschaften begründet, durch die man eben die Notwendigkeit jener
politischen »Neutralität« zu begründen sucht. Wenn der deutsche
Arbeiter, der die volle freie Wahl hat, sich einer christlichen,
katholischen, evangelischen oder freisinnigen Gewerkschaft
anzuschließen, keine von diesen, sondern die »freie Gewerkschaft«
wählt, oder gar aus jenen in diese übertritt, so tut er dies nur,
weil er die Zentralverbände als ausgesprochene Organisationen des
modernen Klassenkampfes, oder, was in Deutschland dasselbe, als
sozialdemokratische Gewerkschaften auffaßt. Kurz: der Schein der
»Neutralität«, der für manche Gewerkschaftsführer existiert, besteht für
die Masse der gewerkschaftlich Organisierten nicht. Und dies ist das
ganze Glück der Gewerkschaftsbewegung. Sollte jener Schein der
»Neutralität«, jene Entfremdung und Loslösung der Gewerkschaften von der
Sozialdemokratie zur Wahrheit und namentlich in den Augen der
proletarischen Masse zur Wirklichkeit werden, dann würden die
Gewerkschaften sofort ihren ganzen Vorzug gegenüber den bürgerlichen
Konkurrenzverbänden und damit auch ihre Werbekraft, ihr belebendes
Feuer, verlieren. Das Gesagte wird durch allgemein bekannte Tatsachen
schlagend bewiesen. Der Schein der partei-politischen »Neutralität« der
Gewerkschaften konnte nämlich als Anziehungsmittel hervorragende Dienste
leisten in einem Lande, wo die Sozialdemokratie selbst keinen Kredit bei
den Massen besitzt, wo ihr Odium einer Arbeiterorganisation in den Augen
der Masse noch eher schadet als nützt, wo mit einem Wort die
Gewerkschaften ihre Truppen erst aus einer ganz unaufgeklärten,
bürgerlich gesinnten Masse selbst rekrutieren müssen.

Das Muster eines solchen Landes war das ganze vorige Jahrhundert
hindurch und ist auch heute noch in gewissem Maße -- _England_. In
Deutschland jedoch liegen die Parteiverhältnisse ganz anders. In einem
Lande, wo die Sozialdemokratie die mächtigste politische Partei ist, wo
ihre Werbekraft durch ein Heer von über drei Millionen Proletariern
dargestellt wird, da ist es lächerlich, von dem abschreckenden Odium der
Sozialdemokratie zu sprechen und von bei Notwendigkeit einer
Kampforganisation der Arbeiter, die politische Neutralität zu wahren.
Die bloße Zusammenstellung der Ziffer der sozialdemokratischen Wähler
mit den Ziffern der gewerkschaftlichen Organisationen in Deutschland
genügt, um für jedes Kind klar zu machen, daß die deutschen
Gewerkschaften ihre Truppen nicht, wie in England, aus der
unaufgeklärten bürgerlich gesinnten Masse, sondern aus der Masse der
bereits durch die Sozialdemokratie aufgerüttelten und für den Gedanken
des Klassenkampfes gewonnenen Proletarier, aus der sozialdemokratischen
Wählermasse werben. Manche Gewerkschaftsführer weisen mit Entrüstung --
dies ein Requisit der »Neutralitätstheorie« -- den Gedanken von sich,
die Gewerkschaften als Rekrutenschule für die Sozialdemokratie zu
betrachten. Tatsächlich ist diese ihnen so beleidigend erscheinende, in
Wirklichkeit höchst schmeichelhafte Zumutung in Deutschland durch den
einfachen Umstand zur Phantasie gemacht, weil die Verhältnisse meistens
umgekehrt liegen; es ist die Sozialdemokratie, die in Deutschland die
Rekrutenschule für die Gewerkschaften bildet. Wenn auch das
Organisationswerk der Gewerkschaften meistens noch ein sehr schweres und
mühseliges ist, so ist, abgesehen von manchen Gegenden und Fällen, im
großen und ganzen nicht bloß der Boden bereits durch den
sozialdemokratischen Pflug urbar gemacht worden, sondern die
gewerkschaftliche Saat selbst und endlich der Säemann müssen auch noch
»rot«, sozialdemokratisch sein, damit die Ernte gedeiht. Wenn wir aber
auf diese Weise die gewerkschaftlichen Stärkezahlen nicht mit den
sozialdemokratischen Organisationen, sondern, was das einzig richtige
ist, mit der sozialdemokratischen Wählermasse vergleichen, so kommen wir
zu einem Schluß, der von der landläufigen Vorstellung in dieser Hinsicht
bedeutend abweicht. Es stellt sich nämlich heraus, daß die »freien
Gewerkschaften« heute tatsächlich noch die Minderheit der
klassenbewußten Arbeiterschaft Deutschlands darstellen, haben sie doch
mit ihrer 1¼ Million Organisierter noch nicht die Hälfte der von der
Sozialdemokratie aufgerüttelten Masse ausschöpfen können.

Der wichtigste Schluß aus den angeführten Tatsachen ist der, daß die für
die kommenden Massenkämpfe in Deutschland unbedingt notwendige völlige
_Einheit_ der gewerkschaftlichen und der sozialdemokratischen
Arbeiterbewegung _tatsächlich vorhanden ist_, und zwar ist sie
verkörpert in der breiten Masse, die gleichzeitig die Basis der
Sozialdemokratie wie der Gewerkschaften bildet und in deren Bewußtsein
beide Seiten der Bewegung zu einer geistigen Einheit verschmolzen sind.
Der angebliche Gegensatz zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften
schrumpft bei dieser Sachlage zu einem Gegensatz zwischen der
Sozialdemokratie und einem gewissen Teil der Gewerkschaftsbeamten
zusammen, der aber zugleich ein Gegensatz innerhalb der Gewerkschaften
zwischen diesem Teil der Gewerkschaftsführer und der gewerkschaftlich
organisierten proletarischen Masse ist.

Das starke Wachstum der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland im Laufe
der letzten 15 Jahre, besonders in der Periode der wirtschaftlichen
Hochkonjunktur 1895-1900, hat von selbst eine große Verselbständigung
der Gewerkschaften, eine Spezialisierung ihrer Kampfmethoden und ihrer
Leitung und endlich das Aufkommen eines regelrechten gewerkschaftlichen
Beamtenstandes mit sich gebracht. All diese Erscheinungen sind ein
vollkommen erklärliches und natürliches geschichtliches Produkt des
fünfzehnjährigen Wachstums der Gewerkschaften, ein Produkt der
wirtschaftlichen Prosperität und der politischen Windstille in
Deutschland. Sie sind, wenn auch von gewissen Übelständen
unzertrennlich, doch zweifellos ein historisch notwendiges Übel. Allein
die Dialektik der Entwicklung bringt es eben mit sich, daß diese
notwendigen Förderungsmittel des gewerkschaftlichen Wachstums auf einer
gewissen Höhe der Organisation und bei einem gewissen Reifegrad der
Verhältnisse in ihr Gegenteil, in Hemmnisse des weiteren Wachstums
umschlagen.

Die Spezialisierung ihrer Berufstätigkeit als gewerkschaftlicher Leiter
sowie der naturgemäß enge Gesichtskreis, der mit den zersplitterten
ökonomischen Kämpfen in einer ruhigen Periode verbunden ist, führen bei
den Gewerkschaftsbeamten nur zu leicht zum Bureaukratismus und zu einer
gewissen Enge der Auffassung. Beides äußert sich aber in einer ganzen
Reihe von Tendenzen, die für die Zukunft der gewerkschaftlichen Bewegung
selbst höchst verhängnisvoll werden könnten. Dahin gehört vor allem die
Überschätzung der Organisation, die aus einem Mittel zum Zweck
allmählich in einen Selbstzweck, in ein höchstes Gut verwandelt wird,
dem die Interessen des Kampfes untergeordnet werden sollen. Daraus
erklärt sich auch jenes offen zugestandene Ruhebedürfnis, das vor einem
größeren Risiko und vor vermeintlichen Gefahren für den Bestand der
Gewerkschaften, vor der Ungewißheit größerer Massenaktionen
zurückschreckt, ferner die Überschätzung der gewerkschaftlichen
Kampfesweise selbst, ihrer Aussichten und ihrer Erfolge. Die beständig
von dem ökonomischen Kleinkrieg absorbierten Gewerkschaftsleiter, die
es zur Aufgabe haben, den Arbeitermassen den hohen Wert jeder noch
so geringen ökonomischen Errungenschaft, jeder Lohnerhöhung oder
Verkürzung der Arbeitszeit plausibel zu machen, kommen allmählich
dahin, daß sie selbst die größeren Zusammenhänge und den Überblick
über die Gesamtlage verlieren. Nur dadurch kann erklärt werden, daß
manche Gewerkschaftsführer z. B. mit so großer Genugtuung auf die
Errungenschaften der letzten 15 Jahre, auf die Millionen Mark
Lohnerhöhungen hinweisen, anstatt umgekehrt den Nachdruck auf die andere
Seite der Medaille zu legen: auf die gleichzeitig stattgefundene
ungeheure Herabdrückung der proletarischen Lebenshaltung durch den
Brotwucher, durch die gesamte Steuer- und Zollpolitik, durch den
Bodenwucher, der die Wohnungsmieten in so exorbitanter Weise in die Höhe
getrieben hat, mit einem Wort, auf all die objektiven Tendenzen der
bürgerlichen Politik, die jene Errungenschaften der 15jährigen
gewerkschaftlichen Kämpfe zu einem großen Teil wieder wett machen. Aus
der _ganzen_ sozialdemokratischen Wahrheit, die neben der Betonung der
Gegenwartsarbeit und ihrer absoluten Notwendigkeit das Hauptgewicht auf
die _Kritik_ und die Schranken dieser Arbeit legt, wird so die _halbe_
gewerkschaftliche Wahrheit zurechtgestutzt, die nur das Positive des
Tageskampfes hervorhebt. Und schließlich wird aus dem Verschweigen der
dem gewerkschaftlichen Kampfe gezogenen objektiven Schranken der
bürgerlichen Gesellschaftsordnung eine direkte Feindseligkeit gegen jede
theoretische Kritik, die auf diese Schranken im Zusammenhang mit den
Endzielen der Arbeiterbewegung hinweist. Die unbedingte Lobhudelei, der
grenzenlose Optimismus werden zur Pflicht jedes »Freundes der
Gewerkschaftsbewegung« gemacht. Da aber der sozialdemokratische
Standpunkt gerade in der Bekämpfung des kritiklosen gewerkschaftlichen
Optimismus, ganz wie in der Bekämpfung des kritiklosen parlamentarischen
Optimismus besteht, so wird schließlich gegen die sozialdemokratische
Theorie selbst Front gemacht: man sucht tastend nach einer »neuen
gewerkschaftlichen Theorie«, d. h. nach einer Theorie, die den
gewerkschaftlichen Kämpfen im Gegensatz zur sozialdemokratischen Lehre
auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung ganz unbeschränkte
Perspektiven des wirtschaftlichen Aufstiegs eröffnen wurde. Eine solche
Theorie existiert freilich schon seit geraumer Zeit: es ist dies die
Theorie von Prof. _Sombart_, die ausdrücklich mit der Absicht
aufgestellt wurde, einen Keil zwischen die Gewerkschaften und die
Sozialdemokratie in Deutschland zu treiben und die Gewerkschaften auf
bürgerlichen Boden hinüberzulocken.

Im engen Zusammenhang mit diesen theoretischen Tendenzen steht ein
Umschwung im Verhältnis der Führer zur Masse. An Stelle der kollegialen
Leitung durch lokale Kommissionen mit ihren zweifellosen
Unzulänglichkeiten tritt die geschäftsmäßige Leitung des
Gewerkschaftsbeamten. Die Initiative und die Urteilsfähigkeit werden
damit sozusagen zu seiner Berufsspezialität, während der Masse
hauptsächlich die mehr passive Tugend der Disziplin obliegt. Diese
Schattenseiten des Beamtentums bergen sicherlich auch für die Partei
bedeutende Gefahren in sich, die sich aus der jüngsten Steuerung, aus
der Anstellung der lokalen Parteisekretäre, seht leicht ergeben können,
wenn die sozialdemokratische Masse nicht darauf bedacht sein wird, daß
die genannten Sekretäre reine Vollziehungsorgane bleiben und nicht etwa
als die berufenen Träger der Initiative und der Leitung des lokalen
Parteilebens betrachtet werden. Allein dem Bureaukratismus sind in der
Sozialdemokratie durch die Natur der Sache, durch den Charakter des
politischen Kampfes selbst engere Grenzen gezogen, als im
Gewerkschaftsleben. Hier bringt gerade die technische Spezialisierung
der Lohnkämpfe, z. B. der Abschluß von komplizierten Tarifverträgen und
dergleichen, mit sich, daß der Masse der Organisierten häufig der
»Überblick über das gesamte Gewerbsleben« abgesprochen und damit ihre
Urteilsunfähigkeit begründet wird. Eine Blüte dieser Auffassung ist
namentlich auch die Argumentation, mit der jede theoretische Kritik an
den Aussichten und Möglichkeiten der Gewerkschaftspraxis verpönt wird,
weil sie angeblich eine Gefahr für die gewerkschaftsfromme Gesinnung der
Masse darstelle. Es wird dabei von der Ansicht ausgegangen, daß die
Arbeitermasse nur bei blindem, kindlichen Glauben an das Heil des
Gewerkschaftskampfes für die Organisation gewonnen und erhalten werden
könne. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie, die gerade auf der Einsicht
der Masse in die Widersprüche der bestehenden Ordnung und in die ganze
komplizierte Natur ihrer Entwicklung, auf dem kritischen Verhalten der
Masse zu allen Momenten und Stadien des eigenen Klassenkampfes ihren
Einfluß basiert, wird der Einfluß und die Macht der Gewerkschaften nach
dieser verkehrten Theorie auf der Kritik- und Urteilslosigkeit der Masse
gegründet. »Dem Volke muß der Glaube erhalten werden« -- dies der
Grundsatz, aus dem heraus manche Gewerkschaftsbeamten alle Kritik an den
objektiven Unzulänglichkeiten der Gewerkschaftsbewegung zu einem
Attentat auf diese Bewegung selbst stempeln. Und endlich ein Resultat
dieser Spezialisierung und dieses Bureaukratismus unter den
Gewerkschaftsbeamten ist auch die starke Verselbständigung und die
»Neutralität« der Gewerkschaften gegenüber der Sozialdemokratie. Die
äußere Selbständigkeit der gewerkschaftlichen Organisation hat sich mit
ihrem Wachstum als eine natürliche Bedingung ergeben, als ein
Verhältnis, das aus der technischen Arbeitsteilung zwischen der
politischen und der gewerkschaftlichen Kampfform erwächst. Die
»Neutralität« der deutschen Gewerkschaften kam ihrerseits als ein
Produkt der reaktionären Vereinsgesetzgebung, des preußisch-deutschen
Polizeistaates auf. Mit der Zeit haben beide Verhältnisse ihre Natur
geändert. Aus dem polizeilich erzwungenen Zustand der politischen
»Neutralität« der Gewerkschaften ist nachträglich eine Theorie ihrer
freiwilligen Neutralität als einer angeblich in der Natur des
Gewerkschaftskampfes selbst begründeten Notwendigkeit zurechtgemacht
worden. Und die technische Selbständigkeit der Gewerkschaften, die
auf praktischer Arbeitsteilung innerhalb des einheitlichen
sozialdemokratischen Klassenkampfes beruhen sollte, ist in die
Lostrennung der Gewerkschaften von der Sozialdemokratie, von ihren
Ansichten und von ihrer Führung, in die sogenannte »Gleichberechtigung«
mit der Sozialdemokratie umgewandelt.

Dieser Schein der Lostrennung und der Gleichstellung der Gewerkschaften
mit der Sozialdemokratie wird aber hauptsächlich in den
Gewerkschaftsbeamten verkörpert, durch den Verwaltungsapparat der
Gewerkschaften genährt. Äußerlich ist durch die Nebenexistenz eines
ganzen Stabes von Gewerkschaftsbeamten, einer gänzlich unabhängigen
Zentrale, einer zahlreichen Berufspresse und endlich der
gewerkschaftlichen Kongresse der Schein einer völligen Parallelität mit
dem Verwaltungsapparat der Sozialdemokratie, dem Parteivorstand, der
Parteipresse und den Parteitagen geschaffen. Diese Illusion der
Gleichstellung zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften hat auch
u. a. zu der monströsen Erscheinung geführt, daß auf den
sozialdemokratischen Parteitagen und den gewerkschaftlichen Kongressen
zum Teil ganz analoge Tagesordnungen behandelt und zu derselben Frage
verschiedene, ja, direkt entgegengesetzte Beschlüsse gefaßt werden. Aus
der natürlichen Arbeitsteilung zwischen dem Parteitag, der die
allgemeinen Interessen und Aufgaben der Arbeiterbewegung vertritt, und
den Gewerkschaftskonferenzen, die das viel engere Gebiet der speziellen
Fragen und Interessen des beruflichen Tageskampfes behandeln, ist der
künstliche Zwiespalt zwischen einer angeblichen gewerkschaftlichen und
einer sozialdemokratischen Weltanschauung in bezug auf _dieselben_
allgemeinen Fragen und Interessen der Arbeiterbewegung konstruiert
worden.

So hat sich der eigenartige Zustand herausgebildet, daß dieselbe
Gewerkschaftsbewegung, die mit der Sozialdemokratie unten, in der
breiten proletarischen Masse, vollständig eins ist, oben, in dem
Verwaltungsüberbau, von der Sozialdemokratie schroff abspringt und sich
ihr gegenüber als eine unabhängige zweite Großmacht aufrichtet. Die
deutsche Arbeiterbewegung bekommt dadurch die eigentümliche Form einer
Doppelpyramide, deren Basis und Körper aus einem Massiv besteht, deren
beide Spitzen aber weit auseinanderstehen.

Es ist aus dem Dargelegten klar, auf welchem Wege allein in natürlicher
und erfolgreicher Weise jene kompakte Einheit der deutschen
Arbeiterbewegung geschaffen werden kann, die im Hinblick auf die
kommenden politischen Klassenkämpfe, sowie im eigenen Interesse der
weiteren Entwicklung der Gewerkschaften, unbedingt notwendig ist. Nichts
wäre verkehrter und hoffnungsloser, als die erstrebte Einheit auf dem
Wege sporadischer oder periodischer Verhandlungen über Einzelfragen der
Arbeiterbewegung zwischen der sozialdemokratischen Parteileitung und der
gewerkschaftlichen Zentrale herstellen zu wollen. Gerade die obersten
Organisationsspitzen der beiden Formen der Arbeiterbewegung verkörpern,
wie wir gesehen, ihre Trennung und Verselbständigung in sich, sind also
selbst Träger der Illusion von der »Gleichberechtigung« und der
Parallelexistenz der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Die
Einheit der beiden durch die Verbindung des Parteivorstandes und der
Generalkommission herstellen wollen, hieße eine Brücke gerade dort
bauen, wo der Abstand am weitesten und der Übergang am schwersten ist.
Nicht oben, in den Spitzen der Organisationsleitungen und ihrem
föderativen Bündnis, sondern unten in der organisierten proletarischen
Masse liegt die Gewähr für die wirkliche Einheit der Arbeiterbewegung.
Im Bewußtsein der Million Gewerkschaftsmitglieder sind Partei und
Gewerkschaften tatsächlich _Eins_, sie sind nämlich der
_sozialdemokratische_ Emanzipationskampf des Proletariats in
verschiedenen Formen. Und daraus ergibt sich auch von selbst die
Notwendigkeit, zur Beseitigung jener Reibungen, die sich zwischen der
Sozialdemokratie und einem Teil der Gewerkschaften ergeben haben, ihr
gegenseitiges Verhältnis dem Bewußtsein der proletarischen Masse
anzupassen, d. h. _die Gewerkschaften der Sozialdemokratie wieder
anzugliedern_. Es wird damit nur die Synthese der tatsächlichen
Entwicklung zum Ausdruck gebracht, die es von der ursprünglichen
Inkorporation der Gewerkschaften zu ihrer Ablösung von der
Sozialdemokratie geführt hatte, um nachher durch die Periode des starken
Wachstums sowohl der Gewerkschaften wie der Sozialdemokratie die
kommende Periode großer proletarischer Massenkämpfe vorzubereiten, damit
aber die Wiedervereinigung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften
im Interesse beider zur Notwendigkeit zu machen.

Es handelt sich dabei selbstverständlich nicht etwa um die Auflösung des
jetzigen gewerkschaftlichen Aufbaues in der Partei, sondern es handelt
sich um die Herstellung jenes natürlichen Verhältnisses zwischen der
Leitung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, zwischen
Parteitagen und Gewerkschaftskongressen, die dem tatsächlichen
Verhältnis zwischen der Arbeiterbewegung im ganzen und ihrer
gewerkschaftlichen Teilerscheinung entspricht. Ein solcher Umschwung
wird, wie es nicht anders gehen kann, eine heftige Opposition eines
Teils der Gewerkschaftsführer hervorrufen. Allein es ist hohe Zeit, daß
die sozialdemokratische Arbeitermasse lernt, ihre Urteilsfähigkeit und
Aktionsfähigkeit zum Ausdruck zu bringen, und damit ihre Reife für jene
Zeiten großer Kämpfe und großer Aufgaben darzutun, in denen sie, die
Masse, der handelnde Chorus, die Leitungen nur die »sprechenden
Personen«, d. h., die Dolmetscher des Massenwillens sein sollen.

Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht das, was sich in den vollkommen
erklärlichen, aber irrtümlichen Illusionen einer Minderheit der
Gewerkschaftsführer spiegelt, sondern das, was im Bewußtsein der großen
Masse der für den Klassenkampf gewonnenen Proletarier lebt. In diesem
Bewußtsein ist die Gewerkschaftsbewegung ein Stück der Sozialdemokratie.
»Und was sie ist, das wage sie zu scheinen.«

Druck: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co. in Hamburg.





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