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Title: Der Rubin
Author: Sack, Gustav
Language: German
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Transcriber's Note:
Die Entfaltung, Max Krell (Ed.), Ernst Rowohlt Verlag, Berlin, 1921,
pp. 188-192.



Gustav Sack

Der Rubin



Um die Zeit, in der an der Küste die Linden blühen, saß der
Einjährig-Freiwillige Wiekannmannur rittlings auf der Mauer, die das
Kasernement umschloß. Denn außer dem dreitägigen Arrest und der
Degradierung zum Gefreiten bestand seine Strafe, die er sich wegen einer
handgreiflichen Äußerung moralischer Dekadenz zugezogen hatte, in der
Einkasernierung: Darum mußte er sich allnächtlich aus der Stube, in der er
mit den Leuten seiner Korporalschaft schlief, herausstehlen, mußte sich
sachte über die Flur und die hallenden Treppen und durch die lauernden
Schatten des Kasernenhofes schleichen und dann sich über die Mauer ins
Freie schwingen. Dort erwartete ihn die blonde Madelon, mit der er eilig in
seiner Wohnung verschwand. --

Knarrend zog die alte Uhr Luft in ihre rostigen Lungen und rief zwölf
rasselnde Schläge in die Nacht und hart und dumpf tapsten die
nägelbeschlagenen Stiefel der patrouillierenden Posten auf dem Pflaster
oder glitten langsam und tückisch über den knirschenden Kies. Ringsum aber
breitete sich in weißen Lachen und Seen der Nebel, aus dem gleich wulstigen
Echsenköpfen die Wipfel der Ulmen und Linden ragten und die Lichter einer
Bahn wie rote Kakerlakenaugen glotzten; und mitten aus der sternleeren
Nacht hing der Mond wie eine blankgescheuerte Messingampel herab. Eine
Handvoll verlorener Klänge kam durch die Luft und flatterte träumerisch
zwischen den rotbraunen Gebäuden und versank gerade wimmernd in den
traurigen Nebeln --

Halt!

Mit einem brutalen Griff packte ihn eine rote haarige Faust am Fuß und zog
ihn herab. Aber fluchend riß er sich hoch, trat dem Kerl mit Wut ins
Gesicht, daß er zurücktaumelte und Helm und Gewehr auf die Erde kollerten,
und schwang sich herab.

O Madelon!

In dichten Wolken quoll aus den Lindenblüten der Duft in das Zimmer, von
dessen Decke braune Schattenfransen in das rote Licht herabhingen, das da
zwischen den vier Wänden lag wie ein riesiger Rubin. Und willst du den
Rubin gelten lassen, so wirst du die zitternd graue Rauchwolke, die aus
einer bläulichen Aschenschale hochstieg, sich schirmartig verbreitete, und
in phantastischen Akanthuskapitälen und krausen Arabesken sich auflöste,
als einen vertikalen Riß oder eine Trübung des Steines ansprechen dürfen.
Und nicht mehr als Trübung, sondern als das innerste Geheimnis, als das
Herz des Edelsteines wirst du die Karaffe öligen Weins bezeichnen müssen,
in der es zuweilen in einem tiefen Purpur aufleuchtete, als sei es eben das
pulsierende Herz des roten Rubins. Aber eine hohe weiße Flamme, den
brennenden sehnsüchtigen Geist des Steins, muß ich Madelon nennen, als sie
in unbekümmerter Nacktheit an das Lager trat, auf das sich ihr Geliebter
hingeworfen hatte. --

Willst du dich nicht ausziehen?

Nein, denn du siehst weißer und seidener aus neben dem stumpfen Blau und
dem knalligen Rot und den grellblanken Knöpfen dieses -- ach, dieses
Ehrenrockes! O Madelon!

Dann zog er sie an sich und bat sie, sich rittlings auf seine Brust zu
setzen. Darauf faßte er ihre Hände und suchte ihre Augen und, versenkte
sich in ihrer strahlenden Bläue wie in ein immer grundloseres Meer.

Hast du gesehen, wie draußen der Mond in der sternleeren Nacht hing, wie
eine einsam leuchtende Ampel, wie ein vergessenes Licht? So hänge auch ich
in meiner Welt, ratlos und einsam in ihrer unbeschreiblichen Sinnlosigkeit
und ihrer ewigen Brutalität. -- Ich habe dieser Welt nicht fluchen können,
ich bin viel zu klug zum Fluch; denn ich weiß, mein Fluch wäre bedingt und
bejahte irgendein Gespenst, ein fernes irrlichterndes Ideal. -- Ich baue
mir auch nicht auf diesem Fundament und trotz diesem Fundament von
Sinnlosigkeit und Brutalität ein hohes helles Haus; ich bin viel zu schwach
zu diesem »Trotz« und mein Wille zergeht in dem Licht meiner Augen. -- Ich
gehe abseits und vergesse die Welt im Rausch, in dem rigorosen Wegsehen von
Allem und dem inbrünstigen Untertauchen in deiner roten Liebe und deinem
seidenen Leib.

Du schöne gischtende Welle, die der Sturm da draußen ins Leben rief und
brausend weiter treibt und sie nicht ruhen heißt, bis sie den Felsen, den
sie umschäumt und umstrudelt und umkost Tag und Nacht, in ihre weichen Arme
sinken sieht. --

Ist es nicht wie in einer Kirche, in deren dämmernden Bögen und Nischen
sich Weihrauchwolken und Orgeltöne verfangen? -- Willst du nicht trinken?
Sieh, der Wein ist so rot, rot wie die Knäufe deiner stolzen Brüste.

O Madelon, in deiner Liebe liegt für mich die Möglichkeit, die Welt
anzuschauen als ein Gemälde, an dessen Buntheit und Farbenreichtum ich mich
erfreue, ohne nach dem Zweck, dem Schöpfer und der Zusammensetzung der
Farben zu fragen. Du süße Aster, du roter Wein und seidener Leib, o du
gischtende Welle, du letztes verlorenes Glück und veilchenblaues Lächeln im
Winkel, du -- mein -- Gott!

Da rieselte es über ihren Leib und sie sank über ihn so, daß sein Kopf
zwischen ihren Brüsten zu liegen kam. -- --

Als der Einjährig-Freiwillige Wiekannmannur am nächsten Tage vom Feldwebel
aus dem Bett geholt wurde und erfuhr, daß er mit zehntägigem Arrest und
Verlust der Schnüre bestraft werden würde, nahm ihn einer seiner Kameraden
beiseite: Ich verstehe Sie nicht -- ein Mädchen, das Sie notorisch betrügt!
Ich habe noch heute morgen gesehen, wie sie von Ihnen drei Häuser weiter zu
einem andern auf die Bude stieg. Und da Sie auch des Nachts erst um zwölf
zu Ihnen kommt, nicht wahr? und Sie nicht wissen können, -- --

Da ging der Einjährig-Freiwillige Wiekannmannur auf seine Wohnung,
entkleidete sich gemächlich und legte sich in die Kissen, die noch die
Wärme ihres Körpers trugen.

Dort wartete er, bis die Patrouille kam, die ihn abholen wollte, und in dem
Augenblick, da sie die Tür aufrissen, schoß er sich die Kugel in den Mund.
-- -- --

Wirst du nun zugeben, daß du mit ihm verkehrt hast? Wirst du?

Und da sie schwieg und sich nur wimmernd vor ihm krümmte, fuhr wiederum die
Peitsche klatschend über ihren Rücken.

Es ist ein Skandal! Sich wegen so einer Dirne zu erschießen! Gib es
wenigstens zu! Hörst du?

Und da sie immer noch schwieg und sich nur wimmernd vor ihm krümmte, fuhr
wiederum die Hundepeitsche klatschend ein-, zwei-, dreimal über ihren
entblößten Rücken. Dann ließ er ihre Hand los, daß die vor ihm Kniende
zusammenbrach und mit der Stirn auf die Stuhlkante schlug; und so blieb sie
liegen.

Er aber lief schnaufend in dem Zimmer umher, in dem eine saure Bier- und
Tabaksatmosphäre brütete, fuchtelte mit der Peitsche und warf sie
schließlich mit einem »Du Aas!« auf den striemenbedeckten Rücken der
blonden Madelon. Dann trat er an das Fenster, öffnete es und wischte sich
den Schweiß von der Stirn.

Da flog zitternd die Nachtluft herein und streichelte Madelons zerwühltes
Haar und hielt vor ihre schluchzenden Augen das Bild von dem dunklen Rubin
und seinem purpurnen Herzen. --

Als aber dieser Musensohn ihren Hauch auf seiner zerhauenen Stirn fühlte,
riß er einen Mensursäbel von der Wand und warf sich in Fechterpositur und
begann mit dröhnenden Quarten das Ofenrohr zu bearbeiten.

Da verlor Madelon den roten Rubin und vergaß zu weinen und fing an, leise
in sich zu lächeln, und als der Unermüdliche den Säbel polternd in die Ecke
warf, einen Kasten Flaschenbier an das Sofa zog und zu trinken begann, ließ
sie ihre Augen leuchten und wartete nur auf das »Na, Kind, wir wollen uns
wieder vertragen«. Und wie es endlich kam, rutschte sie auf den Knien zu
ihm und umfaßte mit ihren Armen seinen trunkenen Leib.

Dann zog sie ihm Stiefel und Strümpfe aus und drückte ihre Lippen auf
seinen Fuß --

Am nächsten Morgen um neun lag die Sonnenglut auf der Straße wie ein böses
weißes Tier, das mit seinen gläsernen Tatzen und seinem stickenden Atem
jeden ansprang, der aus der nächtigen Kühle der Wohnungen trat; dann preßte
es ihm die Lungen zurück, griff beißend und brennend in seine Augen und
hängte sich ihm schwer wie Blei an die Füße. Und je höher die Sonne stieg,
desto größer wurde das Tier und desto weißer seine gläserne Haut; desto
höher kletterte es an den Häusermauern hoch und stieg durch die Fenster und
wälzte sich in die Zimmer, faul und schwer und schwül. Am wohlsten aber
fühlte es sich und blähte sich vor Vergnügen in dem Zimmer, in dem neben
dem zerbeulten Ofenrohr und den geleerten Bierflaschen der schartige Säbel
an der Erde lag. Da sog es in tiefen Zügen den Schweiß- und Bierdunst ein,
erwärmte ihn glühend in seiner Brust und hauchte ihn mit einem teuflischen
Grinsen über die beiden Schlafenden wieder aus.

Davon erwachte Madelon. Und da sie den hellen Tag und das weiße Sonnentier
sah, wandte sie sich um und weckte ihren Geliebten und ließ über sein
rotgedunsenes Gesicht, seinen halbgeöffneten Mund, aus dem der sauersüße
Alkoholschwaden stieg, und seine verschleimten Augen die ihren in ihrer
blauesten Zärtlichkeit streifen. Dann preßte sie sich an seinen
warmfeuchten Leib und fühlte, wie plötzlich ein klebriger Schweiß aus allen
seinen Poren quoll --

»Oh Liebling, nun bist du nicht mehr böse --,«

Da hallten ein, zwei, drei Salven durch den Morgen -- --

»Nun haben sie ihn begraben« --

Aber sie schüttelte mit lächelndem Unwillen ihr Haar, ein Sturm süßer
Zärtlichkeit flog über ihr feines Gesicht, und während sie den behaglich
Grunzenden fiebernd umklammerte, flüsterte sie in seine roten Eselsohren:
»Warum habe ich dich nur so lieb?«





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