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Title: Der König Candaules - Drama in drei Akten
Author: Gide, André, 1869-1951
Language: German
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  [ Anmerkungen zur Transkription:

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Dieses Buch wurde bei F. A. Lattmann in Goslar gedruckt in einer
Auflage von 600 handschriftlich numerierten Exemplaren, davon dieses
Nr. ___



  DER KÖNIG CANDAULES

  DRAMA IN DREI AKTEN
  VON ANDRÉ GIDE

  DEUTSCHE UMDICHTUNG
  VON FRANZ BLEI

  ERSCHIENEN 1905 IM
  INSEL-VERLAG LEIPZIG



ÜBER DIE ENTWICKLUNG DES THEATERS.


Die Entwicklung der dramatischen Kunst aufzuweisen, ist ein Gegenstand
von eigentümlicher Schwierigkeit. Das dramatische Kunstwerk findet und
kann seinen hinreichenden Zweck nicht in sich selber finden; der
Dramatiker richtet es vielmehr sozusagen zwischen dem Zuschauer und dem
Schauspieler auf, und so nehme ich mir vor, mich einmal auf den
Standpunkt des Dichters, dann auf den des Schauspielers und schließlich
auf den des Zuschauers zu stellen.

Eine andere Schwierigkeit, und keine geringe, kommt daher, daß zu dem
Erfolg eines Stücks oder selbst einer ganzen Gattung von Stücken,
manches in Betracht kommt, das mit der Literatur gar nichts zu tun hat.
Ich meine damit nicht nur diese vielfachen Elemente, die das dramatische
Kunstwerk zu seiner Darstellung und zu deren Erfolg braucht, wie
Dekoration, Kostüm, Frauenschönheit, Talent und Berühmtheit der
Schauspieler; ich meine damit vielmehr besonders die sozialen,
patriotischen, pornographischen oder pseudokünstlerischen vorgefaßten
Meinungen des Autors. Die erfolgreichen Stücke unserer heutigen Bühne
sind zumeist in solchem Maße aus solchen vorgefaßten Meinungen
fabriziert, daß man, läßt man eine nach der anderen fallen, fast vom
ganzen Stück nichts übrig behält.

In den meisten Fällen dankt eben diesen vorgefaßten Meinungen und
Anschauungen das Stück seinen Erfolg; und der Autor, der ihnen nicht
gehorcht, dem bloß und nichts als die Kunst seine vorgefaßte Meinung
ist, riskiert meistens, nicht nur nicht beliebt zu sein, sondern gar
nicht aufgeführt zu werden.

Da aber das Drama nur virtuell im Buche, völlig nur auf der Szene lebt,
sieht sich der Kritiker, der sich heute mit der Entwicklung des Theaters
und der hierzu parallelen der Schauspieler und des Publikums
beschäftigt, verpflichtet, von Werken zu sprechen, die nur eine sehr
entfernte Beziehung zur Kunst haben, und Werke von rein künstlerischem
Wert hinwider zu ignorieren oder von ihnen nicht anders zu sprechen, als
von Buchdramen, deren Entwicklung weit verschieden von jener anderen des
gespielten Dramas ist, zu dem sie außerdem in Opposition steht.

«Bei den in Gesellschaft lebenden Tieren, schreibt Darwin, ändert die
natürliche Zuchtwahl die Formation eines jeden Individuums in der
Richtung seines Nutzens für die Gemeinschaft, -- immer unter der
Bedingung, daß die Gemeinschaft von der Änderung profitiert.» -- In
unserm Falle profitiert die Gemeinschaft nicht ... Der nicht aufgeführte
Dramatiker schließt sich in seinem Werke ein, entzieht sich der
allgemeinen Entwicklung und endet damit, sich ihr zu widersetzen. Diese
Werke sind alles solche der Reaktion.

Reaktion gegen was? -- Ich könnte sagen: gegen den Realismus, aber
dieses bereits so vielsinnige Wort würde mich selbst sehr bald in große
Verlegenheit bringen. Der schlimmste Sinn, den ich dem Worte gegen
könnte, reichte nicht hin, die Werke des Herrn Rostand etwa des
Realismus zu überführen, oder des Antirealismus die Komödien Molières
oder die Dramen Ibsens. Ich möchte lieber von einer Reaktion gegen den
Episodismus sprechen, in Mangel eines besseren Wortes. Denn die Kunst
besteht nicht im Verbrauch heroischer, historischer oder legendärer
Personen, wie es nicht notwendig unkünstlerisch ist, die Bourgeois von
heute auf die Bühne zu bringen. Gleichwohl etwas Wahres in dem Worte
ist, das ich in Racine's Vorrede zum «Bajazet» lese: «Die tragischen
Helden wollen mit einem andern Auge angesehen sein als wir für
gewöhnlich die Leute aus unserer Nähe betrachten. Man kann sagen, unser
Respekt vor dem Helden wächst in dem Maße seiner Entfernung von uns.»
Ich möchte noch hinzufügen, daß dieser Respekt vor den dargestellten
Personen vielleicht nicht nötig ist. Daß der Künstler seine Wahl in
einer ferneren Zeit trifft, kommt wohl daher, daß die Zeit zu uns nur
ein Bild kommen läßt, das schon alles Episodische, Bizarre und
Vorübergehende verloren und nichts sonst behalten hat als sein Teil der
tiefen Wahrheit, auf der die Kunst schaffen kann. Und die
Fremdhaftigkeit, die der Künstler hervorzubringen sucht, indem er seine
Menschen von uns entfernt, zeigt eben dies sein Verlangen an: um sein
Kunstwerk als ein Kunstwerk zu geben, als nichts sonst, und nicht hinter
der Illusion einer Realität herzulaufen, die selbst wenn sie glückte nur
eine Realität noch einmal wäre: ein Pleonasmus. Und ist es nicht, und
fast mit Wissen dieses selbe Verlangen, das unsere Klassiker an den drei
Einheiten festzuhalten trieb: aus dem Drama kühn und offensichtlich ein
Kunstwerk zu machen?

Wenn immer die Kunst ermattet ist, verweist man sie auf die Natur, wie
man einen Kranken ins Bad schickt. Aber die Natur kann da nichts -- es
ist ein Quiproquo. Ich gebe zu, daß es manchmal ganz gut ist, wenn sich
die Kunst auf die Weide treibt und sie, blaß von Erschöpfung, auf freiem
Feld, im Leben die Hoffnung auf neue Kraft sucht. Aber die Griechen,
unsere Meister, wußten ganz gut, daß Aphrodite nicht aus einer
natürlichen Befruchtung geboren ward. Die Schönheit wird niemals eine
natürliche Schöpfung sein: man erreicht sie nur durch künstlichen Zwang.
Kunst und Natur sind Rivalen auf der Erde. Gewiß: der Künstler umfaßt
die Natur, die ganze Natur, drückt sie in seine Brust, aber er könnte in
Erinnerung an den berühmten Vers sagen: «Ich umarme meinen Rivalen -- um
ihn zu erdrücken.»

Die Kunst ist immer das Resultat eines Zwanges. Glauben, daß sie sich um
so höher erhebe je freier sie sei, das ist zu glauben, das was den
Papierdrachen am Steigen verhindere, sei die Schnur. Aber ohne Schnur
könnte er sich nicht erheben. Kant's Taube denkt, sie flöge besser ohne
den Widerstand der Luft, der ihrem Flügel lästig ist, aber sie weiß
nicht, daß ihrem Fliegen dieser Widerstand der Luft Bedingung ist, auf
die sie ihren Flügel stützen kann. Auf gleichen Widerstand muß sich die
Kunst stützen, um steigen zu können. Ich sprach von den drei
dramatischen Einheiten, aber was ich nun sagen will, gilt ebenso für die
Malerei als für die Plastik, für die Musik wie für das Gedicht. Die
Kunst wirbt um die Freiheit nur in Zeiten der Krankheit: sie möchte
mühelos sein. Aber wenn sie in starker Kraft ist, sucht sie den Kampf
und das Hindernis. Sie liebt ihre Blattscheiden platzen zu machen, und
deshalb wählt sie diese eng und knapp. Ist es nicht in Zeiten des
starken Überschäumens von Leben, daß die pathetischesten Geister den
Genuß der striktesten Form fühlen? Daher das Sonnet, aus der üppigen
Renaissance heraus, bei Shakespeare, bei Ronsard, Petrarca, selbst bei
Michel-Angelo; die Verwendung der Terzine durch Dante; die Liebe zur
Fuge bei Bach; dieses unruhige Bedürfnis nach dem Zwang der Fuge in den
letzten Werken Beethovens. Gibt es ein Staunen darüber, daß die
Expansionskraft des lyrischen Atems im Verhältnis zu seiner Kompression
steht, oder daß es die zu überwindende Schwere ist, welche die
Architektur ermöglicht?

Der große Künstler ist der, den die Hinderung erregt, dem das Hindernis
als Sprungbrett dient. Es wird erzählt, daß es ein fehlbehauener
Marmorblock war, der den Michel-Angelo diese starke Geste seines Moses
zu erfinden veranlaßte. Es ist die beschränkte Zahl von Stimmen, über
die er gleichzeitig auf der Szene verfügen konnte, die dem Äschylos der
Zwang war, das Schweigen des Prometheus zu erfinden, da man ihn an den
Kaukasus kettet. Griechenland schickte den in die Verbannung, der der
Lyra eine neue Saite gab. Die Kunst aus dem Zwang geboren, lebt vom
Kampfe, stirbt an der Freiheit.

Der Künstler freute sich sonst darüber, das Drama an Ausdruck gewinnen
zu lassen, was es alsbald an Schönheit verlor und er verminderte nach
und nach den Raum, der Bühne und Theatersaal trennt. Eine
verhängnisvolle Entwicklung, scheint es. Diese «Distanz» zwischen
Zuschauer und dargestellter Person zu vermindern, den Helden zu
vermenschlichen, daran arbeitete auch der Schauspieler nach Kräften.
Eins nach dem andern gab er auf, Maske, Kothurn, alles was aus ihm etwas
Fremdartiges machte und das man nach dem zitierten Wort Racine's «mit
einem andern Auge betrachten solle als wie wir gewöhnlich die Personen
betrachten, die wir aus nächster Nähe kennen.» Er unterdrückte alles,
bis auf das konventionelle Kostüm sogar, das er sozusagen abstrakt
machte und der Person nichts sonst ließ, als was ihr allgemein und
menschlich war. Wenn es darin vielleicht einen Fortschritt gab, so war
der doch gefährlich und nicht wenig. Unter dem Vorwande der Wahrheit
suchte man die Exaktheit. Kostüme, Requisiten, Dekorationen strengten
sich an, Ort und Zeit des Dramas zu präzisieren, unbekümmert darum, ob
sich Racine nicht vielleicht um das direkte Gegenteil gekümmert hatte.

Bevor Talma den «Mahomet» des Voltaire spielte, glaubte er gut daran zu
tun, zuvor den Mahomet der Geschichte einen ganzen Monat lang zu
studieren. Er erzählte es selbst, wie er «zu große Verschiedenheiten
zwischen seiner Auffassung des Mahomet und der des Voltaire gefunden und
daher sofort die Rolle abgegeben habe, die zu spielen ihm unmöglich
gewesen wäre ohne der Wahrheit Gewalt anzutun.» Der Fall zeigt besser
als man es erfinden könnte, wie der Autor den Akteur gegen sich hat.
Hier mag es ja hingehen, denn Voltaires «Mahomet» ist kein gutes Stück,
aber ... Nach einer Darstellung des «Britannicus» hielt man einem
unserer größten Schauspieler vor, daß er seine Rolle nicht so auffasse,
wie es Racine vielleicht verlangt habe. «Racine?... wer ist das?»
antwortete er. «Ich, ich kenne nur Nero.»

Die unvermeidliche Mitarbeit des Schauspielers partikularisiert dort wo
der Autor generalisiert. Ich kann darob den Schauspieler nicht anklagen;
das Drama ist kein Abstraktes; die Charaktäre sind Vorwand für
Generalisierung, aber immer Wesen von besonderer, partikularer Wahrheit;
und das Drama ist wie der Roman der Schauplatz der Charaktäre.

Das Theater ist eine merkwürdige Sache. Wir Zuschauer kommen da des
Abends zusammen, um von andern Leidenschaften gemimt zu sehen, die wir
selbst zu haben kein Recht besitzen, -- weil sich Gesetz und Sitte dem
entgegenstellt. Ich möchte an ein außerordentliches Wort Balzac's
erinnern; es steht in der «Physiologie der Ehe»: «Die Sitten, das ist
die Hypokrisie der Nationen.» -- Will er vielleicht damit sagen, daß
diese Leidenschaften, die der Schauspieler darstellt, in uns nicht von
der Sitte unterdrückt, sondern nur versteckt worden sind? Daß unsere
gemessenen Bewegungen nur sind, um auf eine falsche Spur zu leiten? Daß
wir die Komödianten sind -- Hypokrites heißt im Griechischen der
Schauspieler --, daß unsere Höflichkeit nur gemimt und die Tugend, diese
«Höflichkeit der Seele», wie sie Balzac nennt, nur ein Dekorationsstück
ist? Ist es daher, woher zum Teil unsere Lust am Theater kommt: da laut
sagen zu hören, was die Wohlanständigkeit in uns erstickt? Manchmal wohl
-- doch häufiger noch sieht der Mensch die Leidenschaften auf der Bühne
wie gebändigte wilde Bestien. Er hat die wundervolle Fähigkeit, das zu
werden, was er zu sein prätendiert, und das ist was Condorcet schreiben
ließ: «Die Hypokrisie der Sitte, das spezielle Laster der modernen
europäischen Nationen hat mehr als man glaubt dazu beigetragen, die
Energie des Charakters, welche die antiken Nationen auszeichnet, zu
zerstören.» Die Hypokrisie der Sitte hat also nicht immer existiert.

Ja, der Mensch wird das, was er zu sein prätendiert; aber das zu sein
prätendieren, was man nicht ist, das ist eine spezifisch moderne
Prätention, deutlicher: die christliche. Ich sage nicht, daß die
Intervention des Willens nichts in der Bildung oder Entbildung des
Charakters vermag; aber der antike Mensch glaubte nicht anders sein zu
müssen als er war. Der Mensch banalisierte sein Wesen nicht aus einem
Zwang, sondern trieb es auf Äußerste aus Tugend; keiner verlangte von
sich anderes als sich selbst und setzte sich neben den Gott ohne sich zu
deformieren. Daher die große Zahl der Götter -- so groß wie die
Instinkte der Menschen. Das war nicht freie Wahl, die den Menschen sich
diesem Gotte hingeben ließ; der Gott erkannte im Menschen sein Ebenbild.
Oft kam es vor, daß er, der Mensch, sich dem Ebenbilde weigerte; und der
so im Menschen verkannte Gott rächte sich, wie es so schrecklich dem
Pentheus geschah in den Bacchen des Euripides.

Selten nahmen die antiken Menschen die Qualitäten der Seele als Güter,
die man sich erwerben könnte, sondern nicht anders als die Güter des
Leibes, wie einen natürlich zukommenden Besitz. Agathokles war gut,
Charikles tapfer, so natürlich wie der eine ein blaues, der andere ein
braunes Auge hatte. Die Religion steckte ihnen nicht auf eines Kreuzes
Spitze dieses Bündel Tugenden, dieses moralische Phantom auf, dem gleich
zu sein sie alle Wichtigkeit gab, unter Strafe anders für gottlos
genommen zu werden. Der typische Mensch war nicht einer, sondern Legion
und so gab es überhaupt keinen typischen Menschen. -- So war die Maske
da im Leben ohne Sinn und Brauch -- und reserviert für den Schauspieler.

Spricht man über die Geschichte des Dramas, muß man sich vor allem
dieses fragen: _Wo ist die Maske?_ Im Saal oder auf der Bühne? Im
Theater oder im Leben? -- Sie kann nur hier _oder_ dort sein. Die
glänzendste Zeit des Theaters, jene, da die Maske auf der Bühne
triumphiert, ist die Zeit, wo die sittliche Hypokrisie aus dem Leben
verschwunden ist. Hinwider ist die Zeit, da siegte was Condorcet die
«Hypocrisie des moeurs» nennt, jene, da man dem Schauspieler die Maske
abreißt, wo man von ihm nicht mehr so sehr verlangt, daß er schön
sondern daß er natürlich sei -- was, wenn ich es recht verstehe, so viel
heißt als: der Schauspieler soll sich ein Beispiel an den Realitäten
oder mindest an deren Schein nehmen, das der Zuschauer ihm bietet, --
das will sagen, ein Beispiel an einer einförmigen oder bereits
maskierten Menschheit. Der Autor endlich, der gleichfalls in das
Natürlichsein seinen Stolz setzt, soll sich zur Aufgabe machen, das
Drama zu diesem Zustande zu liefern: ein monotones, maskiertes Drama,
ein Drama, in dem das Tragische der Situationen -- denn das Tragische
braucht man immer -- nach und nach das Tragische der Charaktere ersetzt.
Diesen beunruhigenden totalen Mangel an Charakteren kann man im
naturalistischen Drama beobachten, das die Wirklichkeit zu kopieren
vorgibt. Das ist nicht erstaunlich. Unsere moderne Gesellschaft, unsere
christliche Moral tun alles was sie können, Charaktere zu verhindern.
«Die antike Religion, schrieb schon Macchiavel, sprach nur die Männer
des weltlichen Ruhmes selig, die Heerführer, die Staatsgründer, unsere
Religion glorifiziert eher die ergebenen und beschaulichen Menschen als
die Tätigen. Unsere Religion will die Menschen stark, damit sie leiden
können, nicht um große Taten zu vollbringen.» Mit solchen Charakteren --
wenn es noch solche sind -- was bleiben da noch für dramatische Aktionen
möglich? -- Wer aber Drama sagt, sagt Charaktere, und das Christentum
widersetzt sich dem Charakter, indem es jedem Menschen ein allen
gemeinsames Ideal aufstellt.

So gibt es auch kein rein christliches Drama. Der «Polyeucte» und der
«Saint-Genest» können sich, wenn sie wollen, christliche Dramen nennen,
und sie sind christlich durch dies und jenes christliche Element darin;
aber Dramen sind sie nur durch ihr nichtchristliches Element, welches
das christliche Element bekämpft.

Ein anderer Grund der Unmöglichkeit des christlichen Theaters ist der,
daß sich der letzte Akt notwendigerweise in der Kulisse abspielen muß,
ich meine im Jenseits. Im Himmel schließt der zweite «Faust», im Himmel
schließt sicher der sechste Akt des «Polyeucte» und der sechste Akt des
«Saint-Genest». Wenn ihn weder Corneille noch Rotrou schrieben, so nicht
nur aus Respekt vor den drei Einheiten, sondern weil Polyeucte, Pauline,
Saint-Genest an der Schwelle des Paradieses alle die Leidenschaft von
sich fallen lassen, durch die das Drama Drama war und als vollendete,
völlig entcharakterisierte Christen durchaus nichts mehr zu sagen haben.

Ich schlage keine Rückkehr zur Antike vor. Ich konstatiere einfach,
woran unsere Tragödie stirbt: aus Mangel an Charakteren. Das Christentum
ist nicht allein für diese Nivellierungsarbeit verantwortlich, von der
Kierkegaard sagt: «Die Nivellierung ist nicht von Gott, und jeder gute
Mensch dürfte Augenblicke kennen, da er über dieses Werk der Verwüstung
weinen möchte.» -- Für jene, über die die Begehrungen siegreich sind,
ist es nicht schwierig an Götter zu glauben. Sie sind wahrhaft Götter,
so lange sie herrschen; um sie der Gefälschtheit zu überführen, ist es
schon nötig, daß die Einheit einer despotischen Vernunft sie verdrängt.
Das ist die Erfindung einer Moralität, die aus dem Olymp eine Wüste
machte. Der Monotheismus ist im Menschen, bevor außerhalb ihm ein Gott
ist. In sich selber und bevor er seinen Glauben ins Blaue wirft, fühlt
der Mensch Gott oder Götter. Antike oder Christentum -- das ist zuerst
eine Psychologie, dann erst eine Metaphysik. Die Antike war gleicherzeit
der Triumph des Individualismus und der Glaube, daß der Mensch sich
nicht anders machen kann, als er ist. Das war die gute Schule des
Theaters.

Noch einmal: Ich schlage hier nicht die unmögliche Rückkehr zur Antike
vor; ich kann auch nicht kühl Ende und Tod des Theaters konstatieren --
aber es liegt mir daran, an dem, was heute das Theater tötet, zu
erkennen, was es lebendig machen könnte, denn es ist nicht der
Niedergang der dramatischen Kunst, an den ich glaube, sondern ihr
Aufgang, den ich fast sehe.

Das Mittel, das Theater dem Episodismus zu entreißen, ist: ihm wieder
Zwänge finden. Das Mittel, das Theater aufs Neue mit Charakteren zu
beleben, ist: es wieder vom Leben entfernen.

Ich könnte leicht sagen, man solle uns die Freiheit der Sitten geben und
der Zwang der Kunst würde folgen; man möge die Hypokrisie des Lebens
unterdrücken, und die Maske stiege wieder auf die Bühne. Aber da nun
schon die Sittlichkeiten und Moralen immer noch nicht hören wollen, so
ist es am Künstler, den Anfang zu machen. Ich habe einige Hoffnung, daß
die Moralen folgen; und deshalb:

Es ist klar, daß die neuen gesellschaftlichen Formen, die neuen
Verteilungen des Besitzes, unvorhergesehene äußere Einschüsse viel für
die Bildung der Charaktere bedeuten; doch glaube ich, daß man all dieser
Dinge formgebende Bedeutung überschätzt: ich gebe ihnen nur die
Bedeutung des Aufdeckens, Enthüllens. Alles ist immer im Menschen
gewesen, mehr oder weniger offen oder verborgen -- und was da die neue
Zeit aufdeckt, wacht nur unter dem Blicke auf, doch war schlafend da in
aller Zeit. Wie ich glaube, daß auch in unserer Zeit noch Prinzessinnen
von Cleve und Celadone existieren, so bin ich überzeugt, daß es Adolphe,
Rastignac und sogar Julien Sorel lange gab, bevor sie in den Büchern
erschienen. Mehr noch: ich glaube, indem ich die Menschheit über die
Rasse setze, daß man auch anderswo als in Petersburg, in Brüssel zum
Beispiel oder in Paris Nedjanoff, Karamasoff und Anna Karenina finden
kann. Aber so lange die Stimmen dieser nicht im Buch, auf der Bühne
festgehalten, sind, sind sie verschlossen, erstickt unter dem Mantel der
Sitten und warten auf ihre Stunde. Man horcht auf die Welt und hört
diese Stimmen nicht, denn die Welt hört nur auf die, deren Stimme sie
erkennt, und diese neuen Stimmen sind erstickt, unterdrückt. Man schaut
auf den schwarzen Mantel der Sittlichkeiten und sieht nicht was
darunter. Und: diese neuen Formen der Menschheit kennen sich selber
nicht. Wie viele heimliche Werter kannten sich nicht und mußten erst auf
die Kugel des Goethe'schen Werter warten, um sich zu töten! Wie viele
verborgene Helden, die nur auf das Beispiel eines Helden in einem Buche
warten, auf einen daraus zu ihrem Leben hin entsprungenen Funken um zu
leben, auf sein Wort, um zu sprechen! Ist es nicht das, was wir vom
Theater hoffen, daß es der Menschheit neue Formen des Heldentums gibt,
neue Helden?

Und hier stoße ich auf eine letzte Schwierigkeit: unsere heutige
Gesellschaft gestattet uns eine einzige Form des Heldentums (wenn das
noch Heldentum ist): den Heroismus der Resignation, des Hinnehmens;
deshalb ist es, daß wenn ein so mächtiger Schöpfer von Charakteren wie
Ibsen über die Menschen seines Theaters den traurigen Mantel unserer
Sittlichkeiten legt, er mit gleicher Hand seine heldenhaftesten Helden
zum Bankerott verurteilt. Ganz notwendigerweise zeigt uns sein
außerordentliches Theater Heldenbankerotte auf der ganzen Linie. Wie
hätte er es anders gemacht, ohne sich von der Wirklichkeit zu entfernen
-- oder ebensogut, wenn nämlich die Wirklichkeit den Helden, den
vortretenden dramatischen Helden erlaubte? Diese kühne Arbeit eines
Prometheus, eines Pygmalion glaube ich jenen aufbewahrt, die beherzt
einen tiefen weiten Graben vor der Rampe ziehn, die Bühne vom Saal, von
der Wirklichkeit die Erfindung, vom Zuschauer den Schauspieler und vom
Mantel der sittlichen Konvenienzen den Helden weit trennen.

«Die langsame und unendliche Zeit, sagt der Ajax des Sophokles, bringt
ans Licht alles Verborgene und verbirgt was im Licht war, und nichts ist
was nicht kommen kann.» Wir erwarten von der Menschheit neues, das ans
Licht kommt. Oft behalten jene, die das Wort ergreifen, es schrecklich
lang; die noch stummen Generationen sind ungeduldig in Schweigen. Die da
sprechen und meinen, sie repräsentierten die Menschheit ihrer Zeit,
sollen nicht vergessen, daß andere warten und daß sie es dann nicht mehr
haben für lange, haben jene andern einmal das Wort genommen. Heute
gehört jenen das Wort, die noch nicht gesprochen haben. Welche sind es?
Das wird uns das Theater sagen.

Ich denke an das «offene Meer», von dem Nietzsche spricht, an das vom
Menschen noch unentdeckte Land voll neuer Gefahren und Überraschungen
für den kühnen Seefahrer. Ich denke was die Fahrten waren vor den Karten
und ohne das genaue und begrenzte Repertoire des Gekannten. Und ich lese
die Worte Sindbads wieder: «Nun schleuderte der Kapitän seinen Turban zu
Boden, schlug sich ins Gesicht, raufte seinen Bart und warf sich in
unsäglichem Schmerze auf dem Verdecke des Schiffes hin. Alle Reisenden
und Kaufleute umringten ihn fragend, was all das bedeute. Der Kapitän
sagte: Wir sind mit unserm Schiff vom rechten Wege ab, aus dem Meere, in
dem wir waren, in eines gekommen, dessen Wege wir kaum kennen.» Ich
denke an das Schiff des Sindbad -- und daß unser Theater die
Wirklichkeit verlasse und den Anker hebe.



DER KÖNIG CANDAULES



Personen:


  Candaules
  Gyges
  Phedros
  Syphax
  Nicomedes
  Pharnaces
  Philebos
  Simmias
  Sebas
  Archelaos
  Der Koch
  Nyssia
  Trydo

  Diener und Musikanten. -- Zu alten Zeiten in Lydien.



ERSTER AKT

  Die Szene stellt einen Teil eines wohlgepflegten Gartens dar, der zu
  einem Festsaal verwandelt ist. Etwas nach rechts ist eine Tafel reich
  gedeckt.


Prolog:

GYGES: Der, der ein Glück hält, soll sich gut verstecken! Und besser
noch: sein Glück vor Andern. Hier wird Candaules seine Schmeichler
lehren, an seinem Reichtum reich zu werden. Ich kann nicht schmeicheln,
nicht schön reden, und stärker als meine Zunge sind meine Arme. Ich, der
arme Gyges, hab' nichts, als vier Dinge auf der Welt: Meine Hütte, mein
Netz, mein Weib und meine Armut. Ein Fünftes noch: die Kraft, mit der
ich mir meine Hütte und meinen Stolz baute, die sich am Strand die
Binsen brach, mein Haus zu decken. Ebbt das Meer, so sammle ich den Tang
-- getrocknet gibt er ein rauhes duftendes Lager, auf dem wir müde ruhn,
ich und mein Weib. Zum Morgenaufgang zieh' ich aus, im einen Arm mein
Netz, im andern meine Kraft. Ich fing den Fisch hier. Ich fing ihn, mein
Weib, das wird ihn braten; seit zwei Tagen arbeitet sie draußen in den
Palastküchen. -- Wie wenn sein Glück ihm zu groß für einen einzelnen
Menschen schiene, ruft der freigebige Candaules die Könige und Großen
seines Reiches um sich. Man feiert Feste. -- Ehemals kannte ich, der
arme Gyges, Candaules, den König. Wir sind gleichen Alters und da wir
beide jung waren, kam der kleine Candaules oft herab zur Küste und
spielte da. Er spielte und wollte alle seine Spiele mit mir teilen, denn
er hatte ein gebendes Wesen. Er erinnert sich nicht mehr daran, weil er
reich ist, aber in dem Leben eines Armen bleibt alles. Seit jener Zeit
sah ich ihn nicht mehr. Doch liebe ich Candaules und leide daran, daß
ich ihn von solchen schamlosen Schmeichlern und Dummköpfen umgeben sehe,
die seine gütige Art nützen und ihn preisen, ohne ihn verstehen zu
können. Es lebe Candaules! Alle schönen Redensarten der Schmarotzer sind
nicht das eine «Danke!» wert, das ihnen der König gibt. Aber was macht
es Candaules, daß ich ihn liebe? Der Blick der Mächtigen schaut über die
Kleinen weg und sieht sie nicht. Drum geh' ich, wenn auch zum Feste in
den Küchen eingeladen, das endet spät, und später noch der Rausch. Und
morgen fehl' ich dann den Fang. -- Auf Gyges du Stolzer, Gyges du
Nüchterner, trag deine nassen Netze in die Küche; dann warte an der Tür
-- schau' nicht viel um -- bis daß dein Weib die Teller abgewaschen und
mit dir geht in's Haus des Fischers Gyges. Komm', Gyges.

  (Er geht ab.)


Erste Szene.

  Der Koch und mehrere Diener mit Schüsseln treten ein.

DER KOCH: Überallhin Früchte ... He! Gyges! Du gehst?... Nein, nicht
hierher den Salat!... Gyges, bleib doch bei uns. Der König lädt' heut'
Alles, was vorbeikommt in sein Haus. Ich lade Dich im Namen der ganzen
Küche. Der König will, daß heute so viel Wein vergossen werde, daß er
bis auf unsere Tische fließt und daß der kleinste Küchenjunge betrunken
darunter liegt.

GYGES (der mit seinen Netzen beladen zurückkommt): Ich bin kein Diener
des Königs.

DER KOCH: Was macht das? -- Wenn des Königs Tisch zu voll ist und
überläuft: mach' Dir's zu Nutzen.

GYGES: Es gefällt mir nicht, den König zu nutzen. (Er geht ab nach
links.)

DER KOCH: Was für ein Tölpel! -- Ein Glück, daß sein Weib es leichter
nimmt. (Zu den Dienern): Eilt Euch, eilt Euch!

  (Sebas und Archelaos sind eingetreten und gehen umher.)

SEBAS (nimmt eine Feige und ißt sie): Haben wir gute Plätze?

DER KOCH (zeigt ihm einen Platz):

SEBAS: Nah bei den Flötenspielerinnen, hoff' ich.

DER KOCH: 's gibt heut' keine.

SEBAS und ARCHELAOS: Oh!

DER KOCH: Die Königin will keine.

ARCHELAOS: Da werden wir uns mit dem Anblick der Königin trösten.

SEBAS: Sie wird also beim Fest sein?

DER KOCH: Das erste Mal, daß sie sich öffentlich zeigt.

SEBAS: Weshalb verbirgt sie sich? -- Hält sie sich für zu häßlich?

ARCHELAOS: Im Gegenteil: für zu schön.

SEBAS: Stolz also?

ARCHELAOS: Scham.

  (Beide lachen.)

SEBAS (nimmt wieder Feigen, ißt und reicht dem Archelaos davon): Das
macht Appetit! -- Ich bin verzweifelt, mein teurer Archelaos: Sie geht
wieder!

ARCHELAOS: Wer denn?

SEBAS: Die Köchin!

ARCHELAOS: Dein Schatz von gestern Abend?

SEBAS: Ihr Mann holt sie nach dem Essen.

ARCHELAOS: Das tut mir leid für Dich.

SEBAS: Es tut mir leid für sie, das arme Kind ... (Sie entfernen sich.)
Also Flötenspielerinnen ...

  (Man hört):

ARCHELAOS: ... Was ein Narr!!

  (Nicomedes, Syphax, Pharnaces treten auf.)

NICOMEDES: Das kleine Fest kündet sich nicht übel an, mein lieber
Syphax. Was denkst Du?

SYPHAX: Bess'res vom Fest als von Candaules.

PHARNACES: Und doch ist er besser als das Fest.

NICOMEDES: Glaubst Du?

PHARNACES: Gewiß -- denn dieses Fest läßt uns nur einen Candaules sehn,
während Candaules uns viele Feste sehen läßt.

DER KOCH (zu den Dienern): Feigen hierher.

SYPHAX (kommt mit Nicomedes vor): Ich fange wirklich an zu glauben, daß
es weder Politik noch Dummheit ist, was den König veranlaßt, uns mit
Festen und Geschenken zu überschütten, es ist vielmehr, wie Du es
sagtest, so eine Art unentschiedener Gnädigkeit.

NICOMEDES (bestätigt): Das ist es.

DER KOCH: Da fehlen noch zwei Becher.

SYPHAX (fortfahrend): Und das ist gerade, was mich geniert. So lang ich
auch den König schon verachte, ich nahm seine Geschenke gern; aber wenn
er wirklich der ist, den ich ihn zu glauben anfange, so bin ich es, den
ich nun verachten will.

NICOMEDES: Ach laß doch! Du nimmst doch nichts sonst, als was er Dir
anbietet. Komme das Gute nun vom Himmel oder vom Menschen -- die Wohltat
freudig hinnehmen, das ist das Geheimnis des Glücks.

DER KOCH: Nun ist wohl alles fertig.

  (Er zieht sich mit den Dienern zurück. -- Die Herren entfernen sich.)

  Phedros und Simmias, freundschaftlich verschlungen, Philebos.

PHEDROS: Nein, glaub' mir, Lieber: Der König Candaules ist weiser als Du
zugibst. Es ist eine große Weisheit, sich für glücklich zu halten.

SIMMIAS: Ist er denn wirklich glücklich, oder scheint er es bloß?

PHEDROS: Noch mehr Weisheit braucht es dazu, glücklich zu scheinen.

PHILEBOS: Sich glücklich glauben, ist mehr wert, als es zu sein suchen.

PHEDROS: Trotz aller seiner Schätze, weiß er doch den Wert der
Freundschaft. Er weiß, sie ist nicht mit Gold zu kaufen. So macht er
sich wenig aus der Freundschaft seiner Schmeichler und schätzt nach
ihrem Preis ihre Worte, und bezahlt er sie, so tut er's ohne Glauben.
Mehr noch -- ich sah ihn gegen nichts sonst aufgebracht, als gegen diese
süßen Worte.

PHILEBOS: Wenn eines noch sein Glück beunruhigt, ist es dies, um sich
und eben wegen seines Reichtums nur Höflinge zu spüren -- und nicht
einen Freund.

SIMMIAS: Er hat seine Frau.

PHILEBOS: Die Frau -- der Freund ist nicht dasselbe.

SIMMIAS: Man sagt, er liebe sie leidenschaftlich.

PHEDROS: Da tut er recht.

SIMMIAS: Man sagt, sie sei ganz wunderbar schön.

PHILEBOS: Nur hat sie noch niemand sehen können.

SIMMIAS: Man sagt, sie würde heut' Abend beim Fest erscheinen.

PHILEBOS und PHEDROS: Wer sagt das?

  (Währenddem ist Candaules mit einigen der Herren nähergekommen. Er
  hört die letzten Worte, und)

SIMMIAS (wendet sich zu ihm und sagt): Aber Candaules selbst.


Zweite Szene.

CANDAULES: Ja, Candaules sagt es. Ja, die Königin Nyssia wird an diesem
Abend das Fest schmücken. -- Ein köstlicher Abend ... die Schönheit
dieses Tages wuchs bis zu dieser Stunde, wie eine Freudenhymne, die bis
zum höchsten Klingen stieg, daß sie die Sinne kaum mehr noch vernehmen.
Nun ruhigt alles und verklingt ... doch draußen da, auf der kleinen
Terrasse, kaum eine Stunde ists her, da war's ein Schwelgen, Wollust ...
Ihr hättet mit uns kommen sollen, süßer Philebos. Der Lorbeer unten
steht in Blüten und ist im Schatten ein Duft davon ...

SYPHAX, NICOMEDES und PHARNACES: ... köstlich.

CANDAULES (immer zu Philebos, der sich noch zu Phedros und Simmias
hält): Ihr geniert Phedros und Simmias.

SIMMIAS (lächelnd): Oh ... nicht ...

CANDAULES: Die Beiden -- ja, von denen verlange ich nicht, daß sie mit
mir kommen. Ihre Freundschaft sucht die Einsamkeit und füllt sie aus.
Ich bin eifersüchtig auf Deine Freundschaft, schöner Simmias. Sie ist
kostbarer als all mein Gut, und ich will, daß all mein Gut sie schütze.
Sebas, für Dich ließ ich von weit her weiße Feigen pflücken, ich mag es
gern, daß Dein guter Geschmack sie den andern vorzieht -- Du findest sie
wie ich süßer und duftender. Pharnaces, Dein Witz hat mich unterhalten,
morgen mußt Du mir die Geschichte weitererzählen. Die Verse, die Du mir
lasest, lieber Syphax, sind hübsch, ich werde sie in Musik setzen
lassen. -- Armer Archelaos, diesen Abend gibt es keine Flötenspielerinnen
... die Königin wird da sein ... Siehst Du sie wieder an
wie gestern, wird ihre Scham es ungern merken. Werte Herren, --
verzeiht, ich schäme mich des Verlangens: daß Ihr bedacht in Euren Reden
seid: die Königin wird hier sein. Gleich komme ich mit ihr. (Er entfernt
sich, kommt indes ein Weniges zurück.) Was für ein köstlicher Abend!...
Wir hatten, süßer Philebos, auf der Terrasse, die süßesten Sorbetts, die
Du träumen kannst ... -- O Fülle meines Glückes! Wie hätte ich an meinen
Sinnen allein genug, es zu erschöpfen! So sei Euch, Ihr Herren, Dank
dafür, daß Ihr mir helft, das Ende dieses Tages auszupressen, wie den
Saft der Traube, alles, was der Tag an Trunkenheit und Glück enthält.
Eine Freude, mit Euch geteilt, ist zwiefach. -- Und morgen wiederholen
wir diesen schönen Tag ... (Er geht.)

SYPHAX: Candaules ist doch wundervoll!

ARCHELAOS: Er ist schön.

SEBAS: Er ist groß.

NICOMEDES: Seine Art, uns zu empfangen, ist einfach glänzend.

PHARNACES: Ja, wahrhaftig, das ist sie.

SYPHAX: Wie müssen dann gleich auf das Glück des Candaules trinken.

PHARNACES: Das ist gefährlich, Syphax.

SYPHAX: Für wen? -- Für mich?

PHARNACES: Für ihn.

SYPHAX: Ah! Woher könnte ihm das Unglück kommen?

NICOMEDES: Vielleicht von seiner Frau.

PHEDROS: Es gibt keine, die treuer wäre.

PHILEBOS: Oder ... von ihm selbst ...

SIMMIAS: Still! Schweig -- da sind sie.


Dritte Szene.

CANDAULES (zur Königin): Schlage den Schleier zurück: Alle sind meine
Freunde.

DIE KÖNIGIN: So viele Freunde, hoher Herr! Ich wußt Euch reich, doch
dacht' ich Euch es nicht so sehr. Und seien Alle mir willkommen, da Ihr
mich neben ihnen an diesem Tische wollt.

  (Alle setzen sich. Eine gewisse Verlegenheit folgt den Worten der
  Königin.)

[Illustration: Sitzordnung]

ARCHELAOS (zu Pharnaces): So sprich doch was!

PHARNACES (halblaut): Ich weiß nicht, was sagen, als daß die Königin
sehr schön ist.

ARCHELAOS (zu Philebos): Sprich Du ...

PHILEBOS (macht eine stumme Geste).

DIE KÖNIGIN: Wie das? Ihr schweigt -- ist's meinetwegen? Wie groß auch
mein Vergnügen sei, dem, was Candaules will, zu dienen und ich mich, wie
ich's tat, an diese Tafel setzte -- könnt' ich denken, daß ich die
Festfreude nur in Etwas störte, so stünde ich wohl gleich auf und ginge
wieder, denn die laute Freude ist besser hier am Platze als die Königin.

NICOMEDES: Nichts wag' ich sonst der Königin zu sagen, als dieses, daß
es die ungewohnte Schönheit ihres Angesichts, die jeden von uns so sehr
in Staunen setzt, daß unser Schweigen nichts anderes ist als stumm
schauende Bewunderung.

CANDAULES: Laß, Nicomedes! Das ists gerade, was die Königin nicht wollte
und fürchtete: daß man sie preist. -- Nyssia, ich bitt' Euch, antwortet
ihnen. Wacht Ihr mir darüber nicht, passiert's den Herren, daß sie dem
Feste nichts sonst bieten als ein langweiliges Hin und Her von
wohlgesetzten Komplimenten und Worten ohne Witz und Laune. Wohl macht
das Ungewohnte Eurer Gegenwart so sie leicht gezwungen, ängstlich. Doch
glaubt mir, sonst wissen sie wohl bessere Worte, leichtere Rede. Mög'
Euer Witz ihnen gnädig zuhülfe kommen, das Übel heilen, das Eure
Schönheit ihnen antat ... wir wollen ein Fest begehen.

DIE KÖNIGIN: Ist wirklich mein Gesicht die Schuld daran, mein hoher
Herr, ist's leicht zu machen, daß es nicht mehr schade. Erlaubt, daß ich
vor seiner Röte einen Schleier lege, den ich nur gezwungen hob, vor
Andern als vor Euch.

CANDAULES (erregt): Nein, Nyssia, nein ... noch solche Worte mehr und
unser Fest ist ohne Freude. Schlag' den Schleier zurück, Nyssia. Und
wir, Ihr Herren, wir trinken den ersten Becher auf die Freude! Die
Freude dieses Festes schläft noch, auf! Der Lärm der Stimmen soll sie
wecken! -- (Bewegung.) Nyssia! -- trink auch, Nyssia!

SYPHAX: Sprech ich im Namen Aller?

EINIGE: Sprich, Syphax, sprich zu!

CANDAULES: Füll' erst Deinen Becher wieder.

SYPHAX: Im Namen von Candaules' Freunden bringe ich dies der vollendeten
Schönheit von Nyssia, Candaules Weib ...

CANDAULES: Laß, Syphax!...

SYPHAX: Und dem Candaules, der ein so seltenes Gut sein Eigen nennt und,
statt es zu verbergen und für sich allein zu halten, erlaubt, daß unsere
ehrfurchtsvollen und entzückten Blicke sich dran berauschen.

EINIGE (heben ihren Becher): Gut! Gut gesagt, Syphax! Es lebe Candaules!

CANDAULES: Nicht doch, meine Werten! Ihr sollt mir es nicht danken, daß
ich diesem Feste die Schönheit der Königin gewähre. Wahrhaftig: ich litt
zu sehr daran, sie nur allein zu kennen. Je mehr mein Staunen vor ihr
wuchs, so mehr fühlte ich auch, wie ich Euch Alle darum beraube. Wie ein
habsüchtiger Wuch'rer kam ich mir vor, der ohne Recht das Licht
zurückhält.

PHARNACES: Ohne Recht, Candaules? Ist es nicht Recht, daß jeder sein Gut
verwendet, wie es ihm beliebt?

CANDAULES: Vielleicht, -- doch war mir, als täte ich Diebstahl an dem
Gut, mit dem ich ganz allein zur Freude war.

SEBAS: Man kann einen sublimen Gedanken nicht schöner ausdrücken.

DIE KÖNIGIN (zu Candaules): Ihr scheint, Gebieter, zu vergessen, daß
_ich_ das Gut bin, von dem man spricht.

CANDAULES: Verzeiht, Ihr gebt den Worten falschen Sinn! Ich dachte,
Nyssia, an Euch nicht mehr und was ich sagte, sagte ich nur so im
allgemeinen.

PHILEBOS: Und Ihr, Frau Königin was denkt Ihr von dem Mitbesitz und
Teilen?

SIMMIAS (zu Phedros): Philebos ist sehr kühn.

DIE KÖNIGIN (zu Philebos): Ich denke, man tötet lieber manches Glück,
als daß man's teilen könnte.

  (Das Fest wird nach und nach belebter. -- Die Stimmen drängen sich,
  und Sebas, Phedros und Candaules antworten fast gleichzeitig.)

CANDAULES (gereizt, als ob er nur die Antwort der Königin gehört hätte):
Es kommt d'rauf an, mit wem ...

PHEDROS (zu Simmias): Hast Du gehört, wie fein die Königin das gab?

SEBAS: Man kann nicht hübscher auf eine doch so heikle Frage antworten.

CANDAULES: Laß, Sebas! Gieb Dich lieber mit den Feigen ab. (Er wirft ihm
eine zu.) Phedros! Du trinkst nicht? Reich' mir Deinen Becher, komm! Ich
habe mir vorgenommen, Euch Alle auf die Probe zu stellen.

NICOMEDES: Uns auf die Probe, Candaules? -- Und womit?

CANDAULES: Mit dem Rausch.

PHEDROS: Ich bin ein trauriger Trinker, und aller Rausch erschrickt
mich. Erlaß es mir, Candaules.

CANDAULES: Was fürchtest Du, Phedros? Der Rausch zeigt nichts sonst, als
was wir in uns tragen. Was fürchtest Du ihn, der Du nur Edles in Dir
hast? Die Trunkenheit entstellt nicht, übertreibt nur, nein, sie zeigt
von jedem, was er sonst aus falscher Scham verborgen hält: Dir Phedros
Deine Klugheit; dem Pharnaces und Syphax ihren Witz, dem Archelaos --
nichts, dem Sebas die Feigen, mit denen er sich vollstopft.

PHEDROS: Der König fängt an, viel zu sprechen.

CANDAULES (zu den Dienern): Zerlegt den Fisch!

NICOMEDES: Wenn er nur braun genug ist.

CANDAULES: Ich wette, er war dort im Meer daheim, wo sich die
Sommersonne zur Ruhe legt. Seht ...

DER KOCH (zeigt den Fisch).

ARCHELAOS: Es ist ganz köstlich.

DER KOCH: Es ist ein Goldkarpfen.

CANDAULES: Trinken wir auf die Pracht dieses Fisches! Und Du, Pharnaces,
machst uns die Verse auf den Karpfen!

PHARNACES: Der König scheint zu vergessen, daß die Fische stumm sind.

SYPHAX: Nicht alle! Man erzählt von einem der Orakel gab.

PHARNACES: Mach Du die Verse, Syphax!...

EINIGE: Den Spruch! Die Verse!

SYPHAX: Paßt auf ... um so schlimmer, wenn sie schlecht sind:

    Du Sonne, deren letzten Strahlen
    Dich Karpfen durchaus goldig malen,
    Laß auch den Dichter ohne Qualen
    Dir diesen Spruch als Dank bezahlen.

PHARNACES und CANDAULES: Bravo, Syphax!

NICOMEDES: Hoffen wir, der Fisch ist besser als das Gedicht. (Man reicht
den Fisch.)

CANDAULES: Wie findet Ihr ihn, Pharnaces? Archelaos?

PHARNACES: Ausgezeichnet ...

ARCHELAOS (mit einem Schrei): Hölle! Was ist das? -- Beinahe hätt' ich
einen Ring gegessen!

NICOMEDES und ANDERE: Einen Ring? --

ARCHELAOS: Und habe mir zwei Zähne daran ausgebrochen.

SYPHAX (leise): Was ein gefräßiges Tier!

ARCHELAOS: Er war im Fleisch des Fischs versteckt. Ihr lacht dazu?!

SYPHAX und ANDERE (lebhaft widersprechend): Durchaus nicht! Nicht im
geringsten!

SEBAS: Du nimmst eben zu große Bissen.

ARCHELAOS: Ich hätte dran ersticken können.

SYPHAX: Mindestens.

NICOMEDES: Zeig' doch den Ring.

PHILEBOS (gibt ihn ihm): Er ist nicht übel.

NICOMEDES (nimmt ihn in der Reihe): Im Fisch, sagst Du?

SYPHAX: Höchst sonderbare Nahrung.

NICOMEDES: Der Stein darin ist hübsch.

CANDAULES: Ein ganz gewöhnlicher Saphir, nichts weiter. Ich hab' mehr
solche, größer noch und reiner. Morgen sollst Du sie sehen, Nicomedes.

SYPHAX (zu dem nun der Ring, der die Runde gemacht, gekommen): Wem
gehört er nun, der Ring?

ARCHELAOS: Mir gab ihn der Fisch und ich geb ihn dem König.

SYPHAX: Für Archelaos ist das Wort sehr hübsch.

EINIGE: Dem König den Ring, dem Candaules!

PHEDROS (der den Ring genommen, um ihn dem König zu geben): Halt, da ist
was eingeschrieben.

NICOMEDES (neigt sich schauend zu Phedros): Syphax hat Recht: der
Karpfen hat gesprochen.

DIE KÖNIGIN und CANDAULES: Was sagt er?

NICOMEDES: Ich seh' nicht deutlich.

PHEDROS: Pharnaces hat scharfe Augen.

PHARNACES (erhebt sich und geht mit dem Ring zu einer der Fackeln, die
die Diener mittlerweile gebracht hatten): Zwei griech'sche Worte.

CANDAULES: Und heißen?

PHARNACES: εὐτυχίαν κρύπτω

PHEDROS: «Ich verberge das Glück.»

EINIGE: «Ich verberge das Glück»? Was für ein Glück?...

NICOMEDES: Das Wort ist dunkel.

PHARNACES (als ob er noch etwas sähe): Wartet! -- Da ... (Alle in
Erwartung.) Nein -- es ist alles. König Candaules, ich stecke diesen
rätselvollen Ring an Deinen Finger.

CANDAULES (hält mit einer Geste Pharnaces zurück): Koch! -- Woher kommt
der Fisch?

DER KOCH: Ein Mensch bracht' ihn vorhin. Der Fisch war schön, so kaufte
ich ihn.

CANDAULES: Wo ist der Mensch?

DER KOCH: Er ist heim.

CANDAULES: Weshalb hast Du ihn nicht zum Gelage in der Küche
zurückgehalten?

DER KOCH: Er wollte nicht.

CANDAULES: Ich seh's nicht gern, daß man zurückweist, was ich biete ...
Was für ein Mensch?

DER KOCH: Ein armer Fischer, weiter besond'res nichts.

CANDAULES: Und Du, Du gabst ihm für den Fisch?

DER KOCH: Vier Silberstücke.

CANDAULES: Gold verdiente er dafür.

DER KOCH: Er ist so unglücklich, daß Silber ihm genug ist.

CANDAULES: Es gibt nur Glückliche in meinem Reich, -- oder es ist, daß
ich ihn nicht kenne. Wie heißt er?

DER KOCH: Er hat, zu dienen, den Namen Gyges.

CANDAULES: Man suche ihn. Ich will ihn kennen. Ich schwöre es, kein
Finger kommt in diesen Ring, bevor ich nicht den Mann gesehn. Gyges
sagst Du?

DER KOCH: Ja, Gyges.

CANDAULES: Bevor ich nicht mit Gyges, dem Fischer, gesprochen. Geh!
Such' ihn!

DER KOCH (gibt einem Mann Befehle): Auf der Stelle.

  (Ein ziemlich langes Schweigen begleitet das Schweigen des Königs.
  Dann hört man):

SEBAS: Es ist luftiger hier als drinnen im Saal.

PHILEBOS: Und diese Stelle hier im Garten ist wundervoll zur Nacht.

NICOMEDES: Was für ein Blick! Ich hab' es gern, wenn man so bis aufs
Meer sieht: -- wo sich, da seht, der wachsende Mond heraufhebt.

NYSSIA: Was ist das für ein Leuchten?

PHILEBOS: Es ist der Mond, hohe Frau.

NYSSIA: Nein! Da, da unten, ganz am Rand der Küste.

PHARNACES: Man möchte sagen, eine Hütte brennt.

NICOMEDES: Es sieht sehr schön aus, so in der Nacht, das Brennen.

SEBAS: Diese Fasane sind vorzüglich.

ARCHELAOS: Ich habe eine Wachtel genommen.

SYPHAX: Candaules spricht kein Wort und scheint bekümmert.

CANDAULES: Man sieht fast nichts mehr ... bringt Fackeln, mehr Fackeln.
(Man bringt Fackeln.) -- Mein Becher ist leer. Der Eure auch. Philebos!
Pharnaces ... der Wein verdirbt.

(Philebos, dem man Wein eingießen will, weist zurück.) Und wenn Du schon
nicht trinkst, so sprich -- ich bin voll Unruh ... dies Wort im Ring ...
was denkst Du davon? Philebos? Ich kann mein Denken nicht davon wenden.

PHILEBOS: Weshalb, Candaules? Ich glaube, nichts weiter ist's als
solcher doppelsinniger Worte Spiel, wie sie im Brauche der Orakel. Was
sie Geheimnisvolles haben, ist nur der Glaube, den man ihnen gibt. Mit
vieler Mühe findet man am Ende nichts weiter in dem Rätsel als eine ganz
gemeine Alltagswahrheit.

PHARNACES: Und öfter noch findet man überhaupt nichts.

CANDAULES: So meint Ihr, die Worte wollen fast nichts sagen?

PHILEBOS: «Ich verberge das Glück» --? Nein ... nichts.

CANDAULES: So besser so. Ich hätte mich davon beunruhigen lassen.

NICOMEDES: Und dann, wenn Worte dieser Art schon einem nüchternen
Menschen widerspenstig scheinen, sind wir, der eine nicht und nicht der
andere, glaub' ich, jetzt im Stand, das Rätsel zu lösen.

SYPHAX: Du hast recht, Nicomedes! Trinken wir kurz und gut auf das Glück
des Candaules. Er macht es dem Ring nicht nach, er verbirgt sein Glück
nicht, im Gegenteil! --

PHARNACES (erhebt sich, um mit den Anderen anzustoßen): Es lebe
Candaules, der glücklichste Mensch der Erde!

CANDAULES (schlägt mit der Faust heftig auf den Tisch): Was! Mein Glück!
Was wißt ihr von meinem Glück!? Was!

PHEDROS: Nichts, Candaules.

CANDAULES (sich besinnend): Verzeiht, Ihr werten Herren -- ich weiß
nicht, was mich so bewegen konnte ... Und Ihr, Nyssia, die Ihr schweigt,
wenn man an Euch nicht ganz besonders das Wort richtet -- sagt, was
denkt Ihr von meinem Glück?

NYSSIA: Daß es ist wie ich, hoher Herr.

CANDAULES (von Neuem erregt): Rätsel! Wieder Rätsel! -- Was meint Ihr
damit? Sprecht!

NYSSIA: Ich wollte sagen, das Glück verwelkt, wird es entschleiert.

CANDAULES (in dem der Wein zu wirken beginnt): So bedeckt Euch! Es liegt
mir nichts mehr daran nun Jeder Euch gesehen hat.

NYSSIA (macht eine Bewegung traurigen Erstaunens).

CANDAULES: O, verzeiht, Nyssia!... Was habe ich sagen können? Ach
Schmerz ... ich will Euch keinen Schmerz antun. Doch weil mein Glück,
weil mir mein unverborg'nes Glück im Andern seine Kraft und seine
Heftigkeit zu schöpfen scheint, so kommt's mir vor, oft kommt's mir vor,
es existierte nur im Wissen, daß die Andern davon haben und daß ich's
erst besitze, wenn Andere wissen, daß ich es besitze. Dies schwör' ich
Euch, Ihr Freunde, wenig läg' mir daran, die Erde mein zu nennen, wär'
ich allein auf ihr und keiner da, der wüßte, daß die Erde _mein_ ist.
Glaubt mir dies: ich fühle meinen Reichtum nur, da Ihr ihn nützt. Ich
bin so reich ...! Kein Rausch ist stark genug, daß er mich dieses
übertreiben machte: ich bin sehr reich. Und da ich vorhin unwillig ward,
als Ihr mein Wohl, das Wohl des reichsten Menschen dieser Erde tranket,
so war es nur, weil Ihr ja gar nicht wißt, wie reich ich bin.

PHEDROS: Nicht auf Deinen Reichtum tranken wir, Candaules, wir tranken
auf Dein Glück.

CANDAULES (beugt sich vor, sich ereifernd): Das ist das Schlimm're! Was?
Was wißt Ihr von meinem Glück? Weiß ich denn selbst davon? Kann man sein
Glück denn ansehn, greifen? Man sieht nur das der Anderen. Das eigene
fühlt man nur, wenn man's nicht ansieht. -- Die Luft ist schwül heut
Nacht und ihre Wollust drückend ... Und dieser Gyges! Was ist's mit ihm!
(Er erhebt sich und schwankt ein wenig, aber ganz wenig.) Wenn Gyges
kommt, so wollen wir ihn betrunken machen. (Man gießt ihm ein. -- Er
nähert sich Phedros.) Und Du weißt nicht, Phedros, noch nicht weißt Du
-- ein Geheimnis ...

  (Er setzt sich zwischen Phedros und Simmias. Die Tafel ist etwas in
  Unordnung, wie bei unsern Mahlzeiten, wenn der Kaffee gereicht wird.
  Nicomedes nähert sich der Königin und spricht zu ihr.)

CANDAULES (zu Phedros): Und dann -- was liegt mir, mir am Glück? Nicht
wahr, 's ist nur des Armen würdig, sich zu beschäftigen mit dem
Glücklichsein. Sag, verstehst Du mich, Phedros? Und Deine Weisheit,
unterschreibt sie, was ich nur Dir sagen kann? Jedes neue Gut, das man
besitzt, es schleppt sein neues Verlangen nach, es zu probieren, es zu
wagen ... Und Besitzen, das ist für mich Versuchen, Wagen. (Er schlägt
mit seinem Becher auf den Tisch und hört auf den Ton.) Warum sagst Du
nichts, Phedros? Hast Du nichts getrunken? Phedros, ist Dein Glück denn
in der Ruhe? Hab' ich mehr Weisheit, als Du Philosoph, um zu verstehen,
daß, nur wo das Leben überfließt, das Glück ist? O Phedros! Für mehr
Glück und mehr Leben verbraucht sich der Mensch, wenn er arm ist, im
Verlangen -- das ist die eine Art, verstehst Du? Aber nichts verlangen,
nein: Arbeiten für das, was man verlangt. Und wenn man es hat, es wagen.
Verstehst Du. Das Glück auf's Spiel setzen -- das ist die andere Art,
die Art der Reichen. Das ist die meine. Ich bin so reich, Phedros, und
des Lebens so voll ...

SIMMIAS: Wäre Dein Glück eine Freundschaft, Du sprächst nicht davon, mit
diesem Glück zu spielen, Candaules: aber eine Freundschaft, das ist es,
was Dir fehlt.

CANDAULES: Du hast recht. Um wieviel Schätze, schöner Simmias, kaufte
ich nicht die Deine!

DER KOCH (kommt mit Gyges, von links.)

DER KOCH: König, hier ist der Fischer.

CANDAULES (von der rechten Seite des Tisches, wo er sich
niedergelassen): Also Du bist Gyges?

GYGES: Ja, ich bin Gyges, König Candaules.

CANDAULES: Gyges, der Fischer.

GYGES: Ja, Gyges der Fischer.

CANDAULES: Gyges, der Arme.

GYGES: Gyges, der Arme, König Candaules.

ARCHELAOS: Er ist nicht sehr gesprächig.

SEBAS: Das hat er von den Fischen.

CANDAULES: Laß, Sebas, -- Komm näher, Gyges. Warum bist Du nicht beim
Gelage in den Küchen?

GYGES (antwortet nicht).

CANDAULES: Man reiche ihm einen Becher. Trinkst Du manchmal Wein?

GYGES: Sozusagen nie.

CANDAULES: Trink! (Er sieht einen Sklaven gewöhnlichen Wein eingießen.)
Nein! Nicht von dem! Bessern.

PHARNACES: He! Das schmeckt, Gyges!

CANDAULES: Laß, Pharnaces! Ist es wahr, daß Du so unglücklich bist,
Gyges?

GYGES: Nein, nicht unglücklich -- elend.

CANDAULES: Bist Du sehr arm?

GYGES: Ich habe, was ich brauche.

SYPHAX: Für einen Fischer ist er gar nicht so dumm.

CANDAULES: Was hast Du denn?

GYGES: Ich hatte ein kleines Haus. Aber mein Weib kam aus Deinen Küchen,
König, und hatte sich da ein wenig betrunken. Sie wollte das Herdfeuer
aufschüren, mir meine Suppe zu wärmen. Sie brachte Feuer an's Stroh und,
ich weiß nicht wie es kam, die Hütte war wohl ausgedörrt -- Alles
brannte nieder.

CANDAULES: Hattest Du sonst nichts, Gyges?

GYGES: Meine Netze -- sie verbrannten in der Hütte.

CANDAULES: Wie kann auf dieser selben Erde, neben einem Glück wie dem
meinen, wie kann ein solches Elend sein?... Ich will Dein Weib sehen
armer Gyges.

ARCHELAOS: Und ich auch.

GYGES: Sie sehen? -- Leicht, Candaules, sie ist nicht weit. Ich wollte
sie nicht allein lassen, denn sie ist betrunken, so nahm ich sie mit
mir. (Gyges ab.)

SEBAS (stößt Archelaos mit dem Ellenbogen, leise): Archelaos, das gibt
zu lachen! S' ist _die_! Du weißt, mein Schatz von gestern Nacht.

ARCHELAOS: Ich bin gespannt. (Zu Pharnaces.) Candaules hat da wahrhaftig
einen wunderbaren Einfall! (Zu Sebas.) Ist sie wenigstens schön?

SEBAS: Was willst Du! Ein Fischerweib!

PHARNACES: Na weißt Du, ich hab' schon Bäuerinnen gesehen, die nicht ...

PHEDROS (sieht Gyges mit seinem Weibe kommen; die ist wie eine Wilde,
das Haar wirr und schlecht gekleidet): O König, was Du tust, ist
gefährlich!

GYGES: Hier, werte Herren, ist das Weib des Gyges.

ARCHELAOS (lacht).

CANDAULES: Wie heißt sie?

GYGES: Ich ruf' sie Trydo.

SEBAS: Haha, hätt ich das gewußt! Trydo! Trydo!

CANDAULES: Gebt Frieden! (Leise.) Laßt mich gut zu diesem Menschen
sprechen. Nun, armer Gyges, das ist alles, was Du hast?

GYGES: Besser das Wenige, aber das für mich allein.

SEBAS (platzt heraus, zu Archelaos): Paß auf!

GYGES: Vier Dinge waren mein Eigen, ich hab' nur mehr zwei. Man hält
zwei Dinge besser in den Händen als vier.

CANDAULES: Was sind das für zwei Dinge, tapfrer Gyges?

GYGES: Das eine ist mein Weib.

SEBAS (kann sich nicht mehr halten): Ach, mein lieber Gyges, was das
Weib betrifft, da kannst Du sicher sein, daß Du es nicht allein
besitzest.

CANDAULES (entrüstet): Sebas!

SEBAS: Nein. Aber es darf doch dieses Schwein nicht kommen und sich
stolz vor mir machen und sagen, daß er das Weib da allein hat ...

CANDAULES: Sebas!

SEBAS: Wenn sie, während er seinen gehörnten Fisch fängt, (Archelaos
krümmt sich vor Lachen) nicht, Trydo, he? Gestern in der Küche ...

NYSSIA (zu Candaules): Aber, mein Gebieter, das ist ja fürchterlich ...

CANDAULES: Ich bitt' Euch, Nyssia. Ich werde es nicht dulden, daß man
diesen Mann beschimpft.

GYGES: Danke, Candaules. -- Und Du, Herr, dessen Namen ich gar nicht
kenne und den zu kennen mich wahrhaftig nicht verlangt -- Du vermagst
viel über mich, ich über Dich -- nichts. Aber ich vermag alles über die
da. Sie gehört mir, sag ich Dir. (Er reißt ein Messer vom Tisch und
sticht auf Trydo.) Sie gehört mir! -- (Bewegung.) Sie gehört mir!

NYSSIA: Haltet ihn doch!

NICOMEDES: Archelaos! Sebas! Haltet ihn doch!

SEBAS (der sich erhoben, verwickelt sich mit seinen Beinen in seine
Kleider und rollt, völlig betrunken, unter den Tisch).

NYSSIA (erhebt sich und will gehen).

NICOMEDES (versucht, sie zurückzuhalten.)

PHARNACES: Dieser Mensch ist scheußlich!...

CANDAULES: Nein, Pharnaces, wunderbar ist er! Und vornehmer als Du,
Sebas. -- Sebas! Wo ist er denn?

NICOMEDES: Er ist unter den Tisch geflüchtet.

CANDAULES: Laß ihn, Pharnaces, er ist besser dort, als anderswo. Nyssia!
Ihr geht?

NYSSIA (ab).

GYGES (der eine Weile neben seinem toten Weibe steht, will fort.)

CANDAULES: Bleib! Bleib! Gyges! Gyges!

GYGES: Nein, Herr.

CANDAULES: Gyges!

GYGES: Nein. -- Nichts hab' ich mehr als eines -- das kann mir keiner
rauben. (Fragende Geste des Candaules) Mein Elend!

CANDAULES: Ja, Gyges; und der es von Dir nimmt, bin ich, Dein Herr.

GYGES: Ich bin nicht Dein Knecht, o König.

CANDAULES: Das sagst Du gut. Ihr hörtet es, Philebos und Phedros. Nein,
Du bist mein Knecht nicht, Gyges, und ich bin nicht Dein Herr; Dein
Freund! (Zu den Dienern) Man richte im Palast ein Gemach für ihn. -- Die
Tafel ist aufgehoben, meine Herren. Heute wird wohl keiner mehr trinken
wollen.

  Vorhang schnell.



ZWEITER AKT

  Die Szene ist ein Gemach im Palaste, offen nach links und da von einer
  Terrasse abgeschlossen, auf der Musikanten ihren Platz haben.
  CANDAULES und GYGES sitzen noch beim Schluß eines Mahles, fast
  ausgestreckt auf niedrigen Stühlen. GYGES ist glänzend gekleidet. Die
  Musikanten spielen.


Erste Szene.

CANDAULES: Nun quält mich die Musik. Hört auf! Gyges weiß nun, was ihr
könnt. Jede Regung hat nichts sonst Köstliches als ihre Überraschung.
Unsere Freude gleicht dem beweglichen Wasser des Stromes -- es dankt die
Frische seiner währenden Flucht. (Zu den Musikanten.) Geht und zerstreut
die Gäste in den Gärten. Entschuldigt mich bei ihnen. Und daß ich später
in der Nacht noch komme. Versucht mit Eurem leichten Spiel, sie wach zu
halten. (Die Musikanten ab.) Deckt ab! (Die Diener beeilen sich damit.)
Den süßen Wein laßt da ... Vielleicht trinkt Gyges noch davon ... Gib
Deinen Becher, Gyges. -- Er kommt von Cypern. -- Liebst Du ihn? (Zu den
Dienern, die abseits stehen.) Bringt uns bald Licht. Der Abend schließt
sich. Geht! (Die Diener ab. Candaules rückt Gyges näher.) Freund Gyges!
So mußtest Du, wenn Dir das Meer nicht gnädig war, hungrig zu Bett.

GYGES: Ja, Candaules. Es gibt in Deinen Ländern mehr als einen Armen,
der öfter als an einem Abend ohne Mahl sein Lager aufsucht.

CANDAULES: Das hätt' ich früher wissen mögen.

GYGES: Wozu?

CANDAULES: Vielleicht -- um mich darum zu kümmern.

GYGES: Um Dein Glück Dir zu verderben?...

CANDAULES: Nein, nein -- mein Glück hätte das Elend besiegt ... Ich
glaubte es so groß, so strahlend groß, daß neben ihm nichts Armes
möglich wäre.

GYGES: Was Du für mich getan, das hättest Du so auch getan, so ohne mich
zu kennen?

CANDAULES: Selbst ohne Dich zu kennen, ja, wahrhaftig.

GYGES (wendet sich traurig ab): So siehst Du, daß Freundschaft zwischen
uns nicht sein kann.

CANDAULES: Weshalb denn? Sag!

GYGES: Was Du für mich getan, das tatest Du aus Mitleid. Man hat nicht
Freundschaft, man hat nur Mitleid mit den Armen.

CANDAULES: Arm! Bist Du's denn noch? Steh' auf und sieh Dich an! Dein
Kleid ist doch ein anderes. Glänzender Gyges, wer wollte Dir jetzt wohl
sein Mitleid schenken? (Gyges hat sich erhoben, er betrachtet sein
kostbares Gewand, doch sieht bekümmert und wendet sich von Candaules.)
Nimm diese Kette ... (Er nimmt eine seiner Halsketten ab und will sie
Gyges umhängen, der abwehrt.) Ich will es. (Gyges trägt nun die Kette
und setzt sich wieder. Candaules neben ihm, eindringlich): Glaubst Du
mich reich?

GYGES: Ja.

CANDAULES: Sehr reich?

GYGES: Ja, sehr reich.

CANDAULES: Dann sag mir noch, ... wie ... wie reich?

GYGES: Ich weiß, so weit mein Blick reicht, ist Dein Land.

CANDAULES: O größer, Gyges, viel größer!

GYGES: Man sagt, Du habest Inseln auf dem Meer.

CANDAULES: Meine schwerbeladenen Schiffe kommen her von dort ... Doch,
das ist nur ein kleiner Teil ... Kannst Du Dir denken, wie viel Gold in
meinen Kellern liegt?

GYGES: Fast so viel, denk' ich, als den Armen fehlt.

CANDAULES: Sprich mir nicht von den Armen, Gyges, ich kann sie reich
machen wie Könige und würd' es doch kaum spüren in meinem Schatzhause.
Morgen sollst Du es sehen. Deine Hütte war eng, Gyges, nicht wahr?

GYGES: Eng und niedrig, ja, Candaules.

CANDAULES: Und Geschmeide, glaubst Du, daß ich Geschmeide habe?

GYGES: Du zeigtest mir sehr schöne ...

CANDAULES: Ich habe noch schönere, Du wirst sehen. Was trinkst Du für
gewöhnlich?

GYGES: Wasser.

CANDAULES: Schmeckt Dir der Wein?

GYGES: Er mag nicht schlecht sein.

CANDAULES: Ich habe besseren.

GYGES (zieht seinen Kopf aus seinen Händen): König Candaules, weshalb
hältst Du so viel darauf, daß ich Deinen Reichtum kenne?

CANDAULES: Damit Dich die Freundschaft freut, die Dich von all den
Schätzen genießen läßt.

GYGES: Ich dachte, die Freundschaft, die Du wolltest, war nicht die
Deines Reichtumes, aber Deiner selbst ...

CANDAULES: Laß Deinen Spott, Gyges. Und wehr' Dich nicht gegen das
Glück. Was liegt daran, daß Einer gibt, der Andere nimmt, wo Beide sich
desselben Gutes freuen? Hör': Unmut und Kummer ist in mir, so lang' Du
nicht die ganze Fülle meines Reichtums kennst.

GYGES: Viel besitzt Du, dessen Namen nichts für mich bedeutet. Was
nanntest Du mir alle Deine Schätze? Wie sie schmecken, läßt sich das
denken? Was man nicht haben kann, ist besser, nicht daran zu denken.

CANDAULES: Aber ich geb' Dir alles das ... Alles ... Alles ... O Gyges,
zu lang unglücklicher Gyges. Ich möchte heut' Dein Glück größer als je
Dein Unglück groß war und Dein Schmerz. (Die Diener bringen Fackeln und
gehen ab. Schweigen.) An was denkt mein Freund?... Um diese Stunde, was
tat er gestern? Müde von der bittern Welle, trauriger Fischer

GYGES (unterbrechend): Kam er in seine Hütte, wo Trydo ihn erwartete.

CANDAULES: Trydo ... ja -- Du trauerst um sie! Armer Gyges ... Komm zu
mir, sag -- Du liebtest sie? (Gyges schweigt.) Hast Du für mich nur eine
Freundschaft, die kein Vertrauen kennt? -- Mein Freund Gyges, sag,
sprich doch ... Du liebtest sie? -- Gyges?

GYGES (legt den Kopf in die Hände und bebt): Die Winternächte war sie
warm in meinem Bett ... Ich sagte zu ihr: Trydo; und sie sprach:
Meister. -- Ich glaubte, sie liebte mich, und ich war glücklich.

CANDAULES: Armer Gyges! (Er hat sich erhoben, geht langsam den Saal nach
rückwärts, leise.) Was flüsterst Du mir da zu, unruhiger Gedanke? (Er
löscht entschlossen einige Fackeln; dann wendet er sich, noch immer
rückwärts, zu Gyges.) Gyges -- weißt Du, weshalb mich die Liebe zu Dir
faßte? -- Du allein hast die Schönheit der Königin verstanden ... Bevor
Du sie sahest, konntest Du glauben, Dein Weib sei schön ... Aber ich
weiß es, kaum daß Du Nyssia sahest, da schien Dir auch Trydo nicht mehr
schön. (Er kommt Gyges näher.) Deshalb ... hast Du sie getötet, nicht
wahr, Gyges?

GYGES: Wie kannst Du das denken, o König!

CANDAULES: Fing ich Dich, Gyges?

GYGES: So wahr ich an Gott glaube, dies ist nicht so.

CANDAULES (nimmt wieder sein Gehen auf): Du glaubst an Gott?

GYGES: Ich glaube.

CANDAULES: Ich nicht viel. -- Einfach Du selber kannst Du auch nur
Einfaches denken, ich aber ... (leise) lauter, sprich lauter, mein
jüngster Gedanke! Wohin willst Du mich führen? Herrlicher Candaules ...
(Er schreitet im Gemach, löscht wieder eine Fackel, dann zu Gyges
gewandt.) Also wirklich deshalb, weil ... So war es Dir so arg, zu
wissen, daß Dein Weib nicht Dir allein gehörte?

GYGES: Dafür hab' ich sie getötet -- und weil ich den Andern nicht töten
konnte.

CANDAULES: Stolzer Gyges!... Sonderbar ... muß man so wenig sein Eigen
nennen, um es so für sich allein zu wollen?... Aber -- wenn der Andere
Dein Freund gewesen wäre?

GYGES: O König, wie könnte ein Freund daran denken, mich zu betrügen?

CANDAULES: Ja ... aber, wenn er es täte, ohne Dich zu betrügen?

GYGES: Ich verstehe Dich nicht mehr, Candaules.

CANDAULES: ... Also Du hast die Königin nicht gesehen?

GYGES: Ein wenig, ja ... doch hab' ich sie nicht angesehen.

CANDAULES: Dann sahst Du sie nicht. -- Man kann den Blick nicht von ihr
wenden, sieht man sie. (Leiser.) Sie weiß das. Sie will nicht mehr, daß
man sie sieht. -- Sie sagte zu mir: Dies erste Mal, daß ich mich zeige,
sei auch das letzte Mal. (Noch näher zu Gyges und noch leiser.) Gyges
... willst Du sie sehn, die Königin?

GYGES (erhebt sich, wie ermüdet): Nun bin ich müde, laß mich gehn.

CANDAULES (hält ihn am Gewand zurück): Gyges ... verlangt es Dich, die
Königin zu sehn?

GYGES (macht sich los): Nein.

CANDAULES: Gyges, ich will Dir Nyssia zeigen.

GYGES (wendet sich heftig zu Candaules): Aber ich will sie nicht sehn.

CANDAULES (leise): Ach! Wenn Du sie angesehen hättest ...!

GYGES: Liebst Du sie denn nicht?

CANDAULES: Oh -- mehr als mich selbst! Sie dürfte es auch nicht wissen
... Und wie sie mich liebt ...! Das soll Dir ihre Schönheit sagen --
doch hör's ganz leise: (Er neigt sich Gyges ans Ohr.) Niemals, niemals
hab' ich nach anderen Frauen begehrt ... Ihr Antlitz, was ist ihr
Antlitz ... Wenn Du wüßtest, Gyges!... Und ihre Wollust ... Und wenn Du
sie da hörtest ... Ich leide, hör' ich ein andres Weib loben und sag' zu
mir: das ist nur, weil sie Nyssia nicht kennen. -- Gyges ... willst Du
Nyssia kennen?

GYGES: Du willst mich auf die Probe stellen? -- Ich versteh' Dich nicht.

CANDAULES: So schlimmer. Lassen wir's. Das Kleinod, das ich Dir um den
Nacken legte, -- alle meine Diener kennen es und gehorchen dem, der es
trägt. Es ist des Königs Halsband und ich schenk' es Dir. Zweifelst Du
noch an meiner Freundschaft?

GYGES: So lange Du es bist, der immer gibt: ja ... Entlaß mich nun, ich
möchte schlafen.

CANDAULES (ein wenig erregt): Später, später! -- Bleib, Gyges. Hör: --
Du hast mir auch etwas gegeben.

GYGES: Ich?

CANDAULES: So setz' Dich doch!... Bleib noch ein wenig. (Gyges setzt
sich halb.) Siehst Du den Ring? Gestern noch, da machte ich nicht viel
daraus. Nur, weil ich seinen Wert nicht kannte. Doch waren da zwei Worte
eingegraben, die machten mich, wie auch die sonderbare Herkunft unruhig.
Er war im Fleisch des Fisches, den Du gestern fingst. Einer fand ihn in
einem Bissen und gab ihn mir. Ich aber war erstaunt, verwirrt, und tat
den Schwur, nicht früher den Ring an meine Hand zu stecken, bevor ich
nicht den Fischer sprach, dem wir den Fisch auf unserer Tafel dankten.
-- Du kamst. Wir sprachen. Und des Mahles blutiges Ende ließ mich den
Ring vergessen, bis heute Morgen -- ich war mit meinen Gästen -- da
steckt' ich ihn gedankenlos an meinen Finger. Auf einmal: «Wohin entfloh
Candaules?» sprach einer. Ein anderer: «Er war im Augenblick noch unter
uns», «Wo ist er? Wo steckt er denn? Er ist verschwunden, fort!» Und
doch hatt' ich mich nicht vom Fleck gerührt. Ich sah die Herren neben
mir, ganz nah, wie ich bei Dir ... doch sie, sie sahn mich nicht. Und
voll Entzücken ward ich betäubend so gewahr, daß mich der Ring
unsichtbar machte. Stark genug, kein Wort zu sagen, schlich ich mich
leise aus ihrer Mitte, und dachte gleich: der Ring, der ist von Gyges,
meinem Freund, dem ich ihn schulde. -- Da ist er!

GYGES: Wär' ich _so_ Dein Freund, Candaules?

CANDAULES: Da -- sieh mich an. (Er steckt sehr deutlich auffallend den
Ring an den Finger.)

GYGES: Oh! Wie ein Körnchen Salz, so schmilzst Du weg. -- Die Luft, sie
schließt sich über Dich -- -- Du verschwandest ... Candaules? Bist Du
da? -- Wo bist Du denn?... Candaules ... (Sehr deutlich auffallend zieht
Candaules den Ring vom Finger. -- Es ist völlig unnütz, daß Candaules
durch irgendwelche Maschinerie auch immer aus dem Blick der Zuschauer
verschwindet. Worte und Gesten des Gyges genügen, anzuzeigen, daß er
Candaules nicht mehr sieht. -- Da Candaules seinen Ring wieder abgezogen
hat, wirft sich Gyges vor dem König zu Füßen und zeigt so, daß er ihn
wieder sieht.) Ah! meine Augen!... Da bist Du! -- Du verschwandest und
erschienest wieder wie ein Gott, Candaules.

CANDAULES: Nicht wie ein Gott, Gyges -- wie Du selber, wenn Du diesen
Ring an Deinen Finger steckst ... da ...

GYGES (besieht furchtsam den Ring und wagt es, ihn an den Finger zu
stecken.)

CANDAULES: Wunder! Ein Traum entflieht nicht schneller den Augen des
aufgewachten Schläfers ... Geheimnisvoller Ring, verschwunden mit dem,
den Du verschwinden läßt, schütze das Glück meines Freundes Gyges und
verbirg es! -- Bleib verborgen, Gyges!... Still! -- Ich höre Nyssia! (Er
wendet sich auf ungefähr gegen den Platz, auf dem er Gyges gelassen und
der leer ist, da Gyges, wie erfüllt von Entsetzen, zurückgewichen) Bleib
verborgen, Gyges. -- Halt fest den Ring an Deinem Finger. Sei still! Sei
wie die Luft unsichtbar. (Er löscht noch eine Fackel. Der Saal ist nur
noch ganz schwach erleuchtet von einer Fackel und dem Dämmer der Nacht,
der von der Terrasse kommt.) Seid Ihr es, Nyssia?

NYSSIA (draußen:) Geliebter?

CANDAULES: Kommt Ihr?

NYSSIA: Langsam. -- Die Nacht ist schön ... Komm, Candaules, sieh, was
eine Süßigkeit hier draußen ...

CANDAULES (horcht auf die Worte, bleibt unbeweglich, wie bebend in
trauriger Lust ... Wie zu sich spricht er und wie in Tränen): Nyssia?
Meine Liebe -- Nyssia, meine Geliebte! -- Halte Dich, halte Dich,
schwankender Gedanke!... Wein! Ist noch genug?... (Er trinkt.) Ich wurde
schwach ... (Dann -- ins Unbestimmte, Leere.) Bleib' still! -- Ich tu'
Unsinniges ...


Zweite Szene.

  Nyssia kommt langsam, doch bleibt sie noch auf der Terrasse, die nur
  der Mond beleuchtet. Im Gemach selber nur eine Fackel. Ihr unsichtbar
  und instinktiv erschauert Gyges, da er Nyssia auf die Terrasse treten
  sieht; er geht ganz leise nach links und bleibt während der ganzen
  Szene halb im Dunkel verborgen. Candaules ist Nyssia entgegengegangen.

NYSSIA: Ich wär' schon lang bei Euch, doch glaubte ich Euch nicht
allein. Es kam mir vor von Weitem, als hörte ich Euch sprechen.

CANDAULES: Ich sprach laut Verse von Syphax.

NYSSIA: Weshalb ließt Ihr die Gäste heut' allein?

CANDAULES: Sie fingen an, mich zu ermüden.

NYSSIA: Seit sie hier sind, sah ich Euch fast kaum ... Ihr wißt nicht
mehr allein zu sein. Liebt Ihr die Einsamkeit nicht mehr?

CANDAULES: Nein.

NYSSIA: Und fühlt Euch einsam auch mit mir?

CANDAULES: O Nyssia!

NYSSIA: Horcht! -- Eure Musikanten in den Gärten -- weshalb habt Ihr sie
denn hinabgeschickt?

CANDAULES: Nur, um mit Euch allein zu sein ...

NYSSIA: Von ferne so ist die Musik sehr schön -- der Abendwind bringt
sie uns her und trägt sie fort -- horcht! -- -- nun hört man nichts
sonst als die Stille. (Am Arm des Candaules und immer zärtlicher an ihn
geschmiegt.) Wie waren diese Tage, diese Nächte mir ohne Euch so lang!

CANDAULES: Und mir nicht anders. Ich bin der Worte müd', des Singens,
Lachens und warte nicht das Ende ab, zu Euch zu kommen.

NYSSIA: Und meine Liebe hungert, da Ihr fern seid, und ich leide, nicht
mehr mit Euch allein zu sein. Ihr habt mich so an's Glück verwöhnt,
Geliebter, so viel Ihr für mich tatet.

CANDAULES: Meine Nyssia, für Dich zu viel? Mehr jeden Tag und jeden Tag
verliebter. Manchmal erschreck' ich, daß ich so wenig Deiner Lust zu
finden weiß. Ach Alles, was Verliebtes diese Erde schuf, ich wollt', es
sei von mir erschaffen. Doch -- was tun?...

NYSSIA: Mich lieben.

CANDAULES: Ich bete zu Dir, Nyssia. Komm -- es wird kühl hier. (Er
nimmt, nachdem er einen schweren Vorhang vor die Terrasse so gezogen,
daß nur ein schmaler Streifen Licht von draußen hereinfällt, Nyssia den
Königsmantel von den Schultern.)

NYSSIA (wie sich hingebend): Lösch' dieses Licht.

CANDAULES (hält die Bewegung auf, die sie gegen die eine Fackel hin
macht): Laß -- ich will Dich sehen.

NYSSIA: Eure Blicke wollen mich glauben machen, daß Ihr an mir nur meine
Schönheit liebt. (Sie lacht und will selbst die Fackel löschen.)

CANDAULES (heftiger): Laß! Laß! sag' ich Dir.

NYSSIA (wie in einem Spiel): Dann will ich ein Versprechen,
Candaules -- --

CANDAULES (wie eingehend auf das Spiel): Ich verspreche --

NYSSIA: Was?

CANDAULES (löst am Kleid der Nyssia und geheimnisvoll gegen Gyges
hingewandt, scheint er nicht zu achten, was er sagt): Was immer --: Ich
versprach! -- Alles, was Du willst. Was nun?

NYSSIA (läßt das erste Kleid fallen:) Daß Du nie mehr meinen Schleier
hebst vor anderen Augen als den Deinen --

CANDAULES (wankt wie in Schmerz).

NYSSIA: Was hast Du?

CANDAULES (sinkt wie betäubt auf einen Sitz): Ich weiß nicht -- Gib mir,
ich bitte Dich, ein wenig Wein ... 's ist nichts. -- (Nyssia zum Tisch,
von ihm fort.) Was hab' ich mir auch zugetraut? -- Ich kann nicht mehr
... (Er preßt die Fäuste an sich.) Candaules, Du bist schwach! Wer sonst
kann das als Du?

NYSSIA (reicht ihm zu trinken): Ihr fühlt Euch besser?

CANDAULES: Ja, ja. 's ist besser. Ich dank' Dir. (Er trinkt.)

NYSSIA (in einem anderen Ton): Ich mag Philebos nicht, er ist zu dreist.

CANDAULES: Und Phedros -- gefällt er Dir?

NYSSIA: Ich sah ihn nicht ganz gut. Der welche war es?

CANDAULES: Macht nichts. -- Und Nicomedes?

NYSSIA: Langweilte mich. -- Doch sprechen wir nicht mehr von denen. --
Ich bin so müd. (Währenddem hat sie sich allmählich entkleidet. Sie
richtet ihr Haar. Dann setzt sie sich auf's Bett, ganz im Hintergrunde
des Gemachs, um ihre Sandalen abzustreifen.)

CANDAULES (vor ihr auf den Knieen): Laß mich Dir selber die Bänder
lösen. (Das Haar Nyssia's fällt aufgelöst über den knieenden Candaules.)
Das lieb' ich, so über mir Dein Haar ...

NYSSIA: Und der arme Fischer -- was ist aus ihm geworden? Sag. -- Was
gibst Du keine Antwort? Ich denke, Du hast sein Elend wohl getröstet ...

CANDAULES: Sei still.

NYSSIA: Weshalb denn soll ich still sein? Glaubst Du, ich kenne Deine
Güte nicht?

CANDAULES: Nyssia!...

NYSSIA: Wie heißt er doch? Was sprichst Du nicht?

CANDAULES: Ich weiß nicht mehr.

NYSSIA: Der Unglückselige. -- Was er getan hat, das war furchtbar. -- Er
tut mir leid, trotzdem ... O, wie kann dies eine Frau ...? Er hat ganz
Recht getan, als er das Messer in sie stieß ... Zwei Männern zu gehören
-- o, das ist furchtbar.

CANDAULES: So sprich doch leiser, Nyssia!

NYSSIA: Weshalb denn leiser?

CANDAULES: Die Worte tun mir weh.

NYSSIA: Verzeih! Ich will auch schon gar nicht mehr daran denken.
Vergessen wir, daß man je untreu sein könnte ... Candaules ... mein
Geliebter ...

CANDAULES: Nyssia, Geliebte ...

NYSSIA (vollendet ihre Nachttoilette): Ich kann die Öse da nicht lösen
-- mach sie auf! (Fernes Singen wird hörbar.) Hörst Du das Singen?

CANDAULES: Die Gäste sind's die mich erwarten. Sie finden die Nacht weit
vorgeschritten und ich versprach, sie heute noch zu sehen.

NYSSIA: Wenn Du sie heute ließest, sag?

CANDAULES (der fort will): Bloß einen Augenblick -- geh' nun zu Bett,
Nyssia -- gleich bin ich wieder bei Dir ... schlaf ... wie bist Du
herrlich, Nyssia!

  (Nyssia ist fast völlig entkleidet. Gyges betrachtet sie wider seinen
  Willen, und kommt näher; man fühlt den Kampf und wie er nicht hinsehen
  will. Im Augenblick, da Nyssia ihren letzten Schleier fallen läßt,
  geht er auf die Fackel zu und wirft sie zu Boden. Dunkelheit, nur der
  dämmerige Streifen von der Terrasse her, quer über die Bühne.)

CANDAULES: Gyges!

NYSSIA (bedeckt sich erschrocken): Was ist das?

CANDAULES (sehr erregt und trunken von seinem Tun): Nichts; nichts. Sei
unbesorgt -- im Gehen warf ich die Fackel um. -- Schlaf, ich bin gleich
zurück.

NYSSIA (legt sich auf's Bett.)

STIMMEN (von draußen): Candaules! König Candaules! Du wirst erwartet!

CANDAULES (ruft): Ich komme. (Er stößt auf Gyges, der gleichfalls fort
will, völlig fassungslos, den Mantel vor dem Gesicht.)

CANDAULES (leise): Bist Du's Gyges?

GYGES (sehr leise): Ja, ich bin's.

CANDAULES (befehlend): Bleib! -- (Leise.) Und nun sei alles um mich
glücklich! (Ab.)

  Vorhang.



DRITTER AKT

  Dieselbe Szene und Anordnung wie im ersten Akte. Syphax, Nicomedes und
  Pharnaces unterhalten sich rechts.

SYPHAX: Und wie gefällt Dir diese Huldigung? Ihr Schluß besonders:

    Der Schenk, der kümmert nicht den Zecher,
    Doch ist der Schenk Candaules,
    So reich' ich gerne ihm den Becher.

NICOMEDES: Ja, ja, Deine Verse sind ganz nett, aber ich sehe nicht,
worin sie sich an Candaules mehr wenden als an irgendwen.

PHARNACES: Und ich seh nicht ein, was Dich das geniert. Was wir an einem
Menschen rühmen, sind die Eigenschaften, die ihm nicht eigentlich
gehören. Was wir an Candaules lieben, ist sein Reichtum ... (Die Anderen
widersprechen.) und seine Freigebigkeit natürlich. Wäre er nicht
freigebig, so hätten wir nichts von seinem Reichtum, aber wäre er nicht
reich, was hätten wir dann von seiner Freigebigkeit?

NICOMEDES: (lacht.)

SYPHAX: Und er wäre nicht der Candaules meines Gedichtes.

NICOMEDES (wiederholt):

    Doch ist der Schenk Candaules,
    So reich' ich gerne ihm den Becher.

Ich, wenn ich Flasche wäre, ich würde mich bei Candaules bedanken, daß
er mich so vielen Leuten auf einmal zur Ergetzung gibt.

PHEDROS und SIMMIAS (sind von rückwärts gekommen, sie bleiben etwas
abseits von den Anderen.)

PHEDROS: Und wenn die Flasche sprechen könnte und sagen: ich möchte
lieber von Nicomedes als von Candaules getrunken sein, er schmeckt
besser, vielleicht hätte es Candaules dann weniger eilig, sie in Dein
Glas zu leeren.

PHARNACES: Mein lieber Phedros, nur der schlechte Wein sagt uns: ich
möchte von einem Andern getrunken werden. Der gute Wein hat zu mir immer
gesagt ...

SYPHAX (unterbricht ihn und zieht ihn am Mantel): Spar Deinen Witz.
Kommt mit mir, ich les' Euch meine Verse. Es bleibt und vor dem Mahl
nicht mehr viel Zeit. Kommt Ihr mit, Simmias und Phedros?

PHEDROS: Nein. Eure Verse werden ohne uns Euch besser vorkommen; Ihr
werdet glauben, ein ganz persönliches Gefühl viel besser auszudrücken,
seid Ihr nur zu Dritt.

NICOMEDES: Verzeiht, ich drücke überhaupt nichts aus: ich begleite nur.

PHEDROS: Und wir begleiten nicht. (Die Anderen links ab. Phedros und
Simmias gehen zu einander). Lassen wir sie, Simmias. Unser Platz ist
nicht bei ihnen.

SIMMIAS: Ist er es mehr in diesem Hause, Phedros?

PHEDROS: Du hast Recht. Hast Recht! Wir geh'n.

SIMMIAS: Und verlassen Candaules?

PHEDROS: Ich liebe ihn und schätz' ihn hoch. Seit gestern ist er
schweigsam, schließt sich ein und meidet uns. Was kann ihm auch unser
Rat, Simmias?

SIMMIAS: So willst Du weg, ganz ohne Abschied?

PHEDROS: Einmal noch möcht' ich mit ihm sprechen, mit ihm allein.

SEBAS und ARCHELAOS: (sind von rechts gekommen; sie prüfen die
Vorbereitungen zum Mahle).

PHEDROS: Lebt wohl, Sebas, Archelaos! Trinkt und eßt und freut Euch an
alldem!

SEBAS: Wie? Ihr geht?

PHEDROS: Lebt wohl!

ARCHELAOS: Ihr tut nicht recht.

SEBAS: Seht, schon ist für ein neues Gelage der Tisch gedeckt.

PHEDROS: So bleibt Euch mehr. Komm, Freund.

PHEDROS und SIMMIAS: (links ab).

SEBAS und ARCHELAOS (sehen sich an und zucken die Schulter).

ARCHELAOS: Hast Du Hunger?

SEBAS: Ja.

ARCHELAOS: Schon?

SEBAS (klagend): Archelaos, ich werde fett.

ARCHELAOS: Iß weniger.

SEBAS: Da könnt' ich mager werden.

ARCHELAOS: Dann kannst Du nachher um so mehr essen.

SEBAS: Glaubst Du? Du dürftest wahrhaftig Recht haben. Ich lege diese
Feige wieder zurück und kann dann mehr davon zu Mittag essen.

PHILEBOS (sehr schnell von rechts): Habt Ihr Pharnaces und Syphax
gesehen?

ARCHELAOS: Sie waren --

SEBAS (unterbrechend): Da sind sie.

  (Nicomedes, Syphax und Pharnaces kommen von links. Philebos läßt sich
  auf eine Bank fallen und hält sich erschöpft die Seiten.)

NICOMEDES: Hast Du Candaules gesehen, Philebos? Wir suchen ihn überall.

PHILEBOS: Grad hab' ich ihn verlassen.

SYPHAX: Wo ist er denn?

PHILEBOS: Überall und nirgends. Er streift umher, gehetzt, gejagt ...
Ach, meine Freunde, Laßt mich lachen! -- Was eine köstliche Geschichte,
ah -- (Wie außer Atem von Lachen.)

PHARNACES und SEBAS: Was ist? Was soll's?

PHILEBOS: Ihr wißt doch, dieser Ring, an dem Sebas fast erstickt wäre --

ARCHELAOS: Verzeiht, _ich_ wär' beinah' daran erstickt.

PHILEBOS: Das ist ja gleich.

ARCHELAOS: Mir ist das gar nicht gleich.

PHILEBOS: Um so schlimmer. -- Laßt mich erzählen: Du erinnerst Dich
doch, Pharnaces, an die griechischen Worte, die Du in dem Ring
geschrieben fandest?

SEBAS: Verzeiht, verzeiht! Die hat Phedros gefunden.

PHILEBOS: Aber -- unterbrecht mich doch nicht immer.

  NICOMEDES: Erzähl!         }
                             }
  PHARNACES: Erzähl' nur!    } (Gleichzeitig!)
                             }
  SYPHAX: Wir sind ganz Ohr! }

PHILEBOS: Ich weiß nicht, wie und wodurch es geschah, daß der König, der
erst noch so beunruhigt von den eingeritzten Worten war, den Ring in
seiner Hand vergessen konnte. Ich glaube, Gyges, der Fischer, war die
Schuld. Ach, Freunde! wünscht Ihr die Fortsetzung? Es ist zu komisch ...

DIE ANDEREN: Erzähl! So sprich doch!

PHILEBOS: Ich weiß gar nicht, gar nicht, wie ich's erzählen soll.

NICOMEDES und PHARNACES: Ach was! Fang einmal an. Erzähl!

PHILEBOS (den das Lachen schüttelt.): Nein ... wenn Ihr den König hättet
sehen können.

SYPHAX: Weshalb? Was macht er denn?

PHILEBOS: Er sucht.

SYPHAX und PHARNACES: Er sucht? Was sucht er denn?

PHILEBOS: Den Ring! -- -- Hört zu, hört zu ... Es ist das tollste aller
Abenteuer. (Die Anderen haben sich alle um Philebos gruppiert, der immer
auf der Bank sitzen bleibt.) Es scheint, daß gestern -- Morgen -- wozu?
Das weiß ich nicht, und wie? Das weiß ich auch nicht -- kurz, daß
gestern Morgen Candaules diesen Ring an seinen Finger steckte. Er war
mit uns. Ihr wißt doch noch, er war mit uns. Und plötzlich war er
verschwunden und wie wir ihn da suchten --

ARCHELAOS: Ja, ja. Weshalb ging er denn weg?

PHILEBOS: Er ging nicht weg.

PHARNACES, NICOMEDES: Erklär' doch deutlich. Erzähl doch weiter.

PHILEBOS: Scheint, daß der König -- doch Ihr werdet's mir nicht glauben!

DIE ANDEREN: So erzähl' doch! Was war's?

PHILEBOS: Und dieses war der Sinn der beiden griechischen Worte ...
(Ernst.) Man sieht den nicht mehr, der den Ring am Finger trägt.

NICOMEDES: Was sagst Du da?

PHILEBOS: Der Ring macht seinen Träger unsichtbar.

DIE ANDEREN (lachend): Die Geschichte ist nicht übel.

PHILEBOS: Hört doch das Ende. Und das ist nicht das Hübsche der
Geschichte. -- Candaules überrascht, sprach nichts. Und da er selber es
kaum glauben wollte -- so wenigstens hat er mir es gesagt -- wollt' er
sich von der Macht des Ringes an irgend Einem überzeugen: Der Gyges war
gerade da, und ohne weiter nach einem Anderen zu suchen, gibt er ihm den
Ring. Gyges nahm ihn ... nichts mehr!

SEBAS und ARCHELAOS: Wieso? Wieso nichts mehr?

PHILEBOS: Nichts mehr. Hat Gyges seine schnelle Macht verstanden? Fest
steht, daß er stillschweigend verschwand. Gyges trägt den Ring, der Ring
verbirgt den Gyges. Er ist verschwunden, ohne Spur verschwunden ...
Candaules hat gut suchen. So dumm ist Gyges nicht. Er ist durchaus
verborgen.

GYGES (ist währenddem von rechts ganz langsam gekommen, so daß er am
Ende von Philebos Erzählung diesem direkt gegenüber und inmitten der
Zuhörer steht; er bleibt unbeweglich, den Rücken gegen das Publikum.)

PHILEBOS: Der, ohne zu sehen, zu finden weiß, muß gar geschickt sein.
Candaules irrt umher und ruft und frägt: Habt Ihr Gyges nicht gesehn?
Habt Ihr meinen Ring gesehn? Doch -- wer kann die Beiden sehen? Nun hat
Candaules seinen Herrn gefunden. Wo immer Gyges sein will, dort kann er
sein.

DIE ANDEREN: Wunderbar! Ganz wunderbar!

PHILEBOS: Aber nichts weniger als angenehm. Vor ihm ist jeder von uns
ohne Augen. Was kann man gegen einen, den man nicht sieht? Was tun wir,
frag ich Euch? Wenn plötzlich seine Stimme da unter uns sagt, daß er da
ist, daß er da unter uns ist, hört was wir sagen und uns Dummköpfe
nennt?

GYGES (laut): Dummköpfe!

  (Beim Ton von Gyges' Stimme zerstieben die Herren nach allen Seiten.
  Im Eifer der Flucht rennt Archelaos an einen Baum, und in der Meinung,
  an Gyges gerannt zu sein.)

ARCHELAOS: Oh ... verzeiht ...

  (Kaum ist Gyges allein, stürzt er wie von Schande und Verzweiflung
  vernichtet zu Boden, gegen die Bank hin, auf der Philebos saß.)

GYGES: Mein Ring! Mein Ring! (Er drückt ihn an die Lippen.) Ach! Verbirg
mir mein Denken!... Allen jagst Du Furcht und Angst ein, unsichtbarer
Gyges. Ring! Was kannst Du mich mir selber nicht unsichtbar machen!
Gyges hat Angst vor Gyges. (Er verhüllt sein Gesicht in den Händen und
schauert.) Hab' ich Dir weh getan mit meinen allzuwilden Küssen? -- Von
Liebe voll und von Entsetzen floh ich. Schlafend ließ ich sie auf ihrem
Bette hingestreckt, lief in die Nacht, lief wie ein Dieb, im Morgentau
der kalten Wiesen das Fieber meinen Händen abzuwaschen, das Grauen von
meinem Denken, die Schande von meiner Stirn und das Verbrechen meines
Herzens ... Da kommt wer ... Nyssia! (Er bleibt auf der Erde und drückt
sich an die Bank, da er Nyssia hört.)


Dritte Szene.

NYSSIA (an Candaules gelehnt. Sie kommen näher und setzen sich beide auf
die Bank): Wie, mein Gebieter, das ist Eure Sorge? Was hat doch dieser
Ring, daß sein Verlust Euch so bewegt? Ist's deshalb, daß Ihr mich heut'
morgen so früh verließet? Im Morgendämmer, ermattet noch und kaum
erwacht, da suchten meine Hände Euch und fanden nichts sonst, als eine
kalte Stelle. Konntet Ihr mich so verlassen? Ah! Ihr wußtet nicht, was
mein Erwachen Euch noch aufbewahrte!... -- Und dann, nachher, als ich
Euch wiedersah im Garten, da waret Ihr nicht mehr so voller Liebe, wie
in dieser Nacht. Da waret Ihr unruhig; -- was habt Ihr? -- Ihr geht
fort? Ich bin eifersüchtig auf den Ring; er ist Euch wichtiger als ich.
Ihr sagt mir nichts? Wie undankbar ist Euer Mund! Was liegt mir an dem
Ring? Ihr habt doch andere genug!... Ihr, die Ihr immer schenkt, denkt
einfach, Ihr hättet ihn verschenkt.

CANDAULES: Nur _sehen_ möcht' ich ihn.

NYSSIA: Das werdet Ihr. Doch scheucht die Falten da von Eurer Stirn. Der
Morgen ist so schön! -- Seht, in dieser klaren Luft scheint alles mir
verliebt und lachend wie wir selber ... Fast bin ich müd' von dieser
Nacht ... Ach, mein Gebieter, schöner als der Tag ist mir Eure Liebe,
und diese Nacht war mir ...

CANDAULES (unterbricht): Sprich mir nicht mehr von dieser Nacht, mein
Weib.

NYSSIA: Ich kann sie auch verschweigen, doch sagt sich Eure Nyssia die
Küsse alle wieder, einen um den andern. -- Oh, von allen unsern Nächten
diese Nacht der Liebe schönste! --

CANDAULES: Die schönste, sagst Du, Nyssia? -- die schönste?

NYSSIA: Was erstaunt Ihr? Was hab' ich denn gesagt? Was habt Ihr?

CANDAULES: Die schönste ... weshalb?

NYSSIA (errötend): Oh, Ihr macht Euch lustig über mich ... Weshalb
erhebt Ihr Euch? -- Ihr geht? Was habt Ihr?

CANDAULES (für sich): Du, Candaules, eifersüchtig? -- Schweig, schlechte
Leidenschaft. (Er macht eine Geste des sich Bezähmens.) Verzeiht ...

NYSSIA (will ihn auf die Bank ziehen, faßt ihn am Kleid.)

CANDAULES: Nein, -- lass' mich. (Er befreit sich.) -- (Für sich.) Die
schönste!... Die ... Ich muß den Gyges sehn. (Zu Nyssia, von der er sich
etwas nach links entfernt hat.) Da unten seh' ich Phedros ... Verzeiht
-- gleich bin ich wieder bei Euch. Nein! Folgt mir nicht. -- Laß mich,
Nyssia.

NYSSIA: So wart' ich hier auf Euch. --

GYGES (hat sich während des Letzten nach und nach aufgerichtet).


Vierte Szene.

GYGES (leise): Die schönste aller Nächte!... Genug! Mein Ring -- genug!
(Er reißt den Ring von seinem Finger.) Und wenn ich daran sterben
muß --! (Er nähert sich der Königin.) Königin!

NYSSIA (läßt überrascht den Schleier über das Gesicht fallen): Ach! Habt
Ihr mich doch erschreckt! -- Ich hörte niemand kommen.

GYGES (vor ihr gebeugt): Königin ...

NYSSIA: Was wollt Ihr?

GYGES (reicht ihr den Ring): Der Ring, den der König sucht -- hier ist
er.

NYSSIA: Da Ihr es wußtet, daß er ihn sucht, was gabt Ihr ihn nicht
früher?

GYGES: Euch wollt' ich ihn zuerst geben.

NYSSIA: Doch -- wie kommt Ihr zu dem Ring?

GYGES: Der König gab mir ihn.

NYSSIA: Und wenn er Euch ihn gab, was sucht er ihn?

GYGES: Nicht, um den Ring zu sehen, doch mich, der ihn trug.

NYSSIA: Ich versteh Euch nicht ... Wer seid Ihr? Ihr war't nicht, glaub
ich, gestern bei dem Fest?

GYGES: Ich kam erst spät ... als es zu Ende ging ... Ich bin Gyges: --
Erinnert Ihr Euch nicht des Fischers Gyges, um den Ihr letzte Nacht
Candaules fragtet: «Der arme Fischer -- was ist aus ihm geworden?». Der
bin ich.

NYSSIA (zuerst etwas verwirrt): Wie sollte ich Euch wieder erkennen, so
reich gekleidet? -- Des Königs Güte gab Dir das?

GYGES (verwirrt): Ja, Königin; er gab mir alles das ... alles das -- und
diesen Ring hier. (Er beugt sich wieder vor ihr und reicht ihr den
Ring.)

NYSSIA: Ich will ihn dem König wiedergeben.

GYGES: Ein Wort noch, Königin, ich bitt' Euch ... dieser Ring ...

DIE KÖNIGIN (betrachtet den Ring und will ihn anstecken.)

GYGES: Ah! Steckt diesen Ring nicht an!

NYSSIA: Weshalb nicht?

GYGES (ängstlich vor dem, was er sagen will): Der Ring ...

NYSSIA: So sprich doch, sprich --

GYGES: Macht unsichtbar den, der ihn trägt.

NYSSIA (lächelnd): Ein ganz kostbarer Ring und ich verstehe nun, weshalb
Candaules ihn so suchte.

GYGES: Und auch vielleicht, warum er ihn nicht fand.

NYSSIA (wird unruhig): Du verbargst Dich, Gyges?

GYGES: Der Ring verbarg mich.

NYSSIA: Doch, sag ... weshalb denn gab der König Dir den Ring?

GYGES: Um selber ungesehen zu sehen.

NYSSIA: Und was ... was konnte denn der König so zeigen wollen?

GYGES (fällt vor Nyssia auf die Knie): Euch Nyssia! -- (Gleichzeitig
hält er ihr einen Dolch hin, den Nyssia instinktiv ergreift.) Stecht zu!
Stecht zu!... Ich war's, der diese Nacht ... ich ließ Euch schlafend
diesen Morgen ... Ach! Ich hätte schweigen können und Ihr, Ihr hättet's
nie erfahren, doch war ich da, als Ihr es sagtet, daß diese Nacht der
Liebe von allen Euren Nächten ...

NYSSIA (deren Verwirrung mit jedem Wort des Gyges zunimmt und die mit
jedem Wort zu verstehen anfängt, schreit auf): Candaules! -- (Sie
schreit wild auf.) Ich hielt mich für geliebt.

GYGES (erhebt sich ein wenig): Ihr seid es, Königin ...

NYSSIA (in jähem Zorn): Was sagst Du?

GYGES: Ihr seid geliebt, Nyssia.

NYSSIA (gibt ihm, wie von diesem Worte zu einem plötzlichen Entschluß
gebracht, den Dolch in die Hand): Geh! Erschlag' ihn!

GYGES (in tiefer Ergriffenheit): Wen?... Ihn?

NYSSIA: Erschlag ihn!

GYGES (läßt den Dolch zur Erde fallen): Ich kann nicht. Mein Freund!...

NYSSIA: Und er war mein Gemahl! Töte ihn.

GYGES: Ich kann nicht ... er war's, der mir es gab.

NYSSIA: Er war's, der mich verriet. (Sie zerreißt ihren Schleier.) Einer
von Euch Beiden muß es sein, der stirbt ... Nimm den Ring!

GYGES (bestürzt): Wie? Ohne mich zu zeigen?

NYSSIA: Für mich hast Du Dich gut verborgen!

GYGES: Er hat mir den Ring gegeben --

NYSSIA (verzweifelt vor diesem Widerstand): Es muß doch Einer von Euch
Beiden eifersüchtig sein! (Sie stürzt Gyges um den Hals und küßt ihn in
wilder Wut.) Oh! Du wirst ihn erschlagen, Gyges, nicht wahr? Du wirst
ihn erschlagen! -- Den Ring! Nimm doch den Ring. (Sie steckt ihm den
Ring an den Finger.) Und da ... den Dolch. Verbirg Dich! Der König!

CANDAULES (kommt im Gespräch mit Phedros).

NYSSIA und GYGES (ziehen sich nach rückwärts zurück).


Fünfte Szene.

CANDAULES (leise zu Phedros): Nein, Phedros, wenn Du mich liebst, so
bleibst Du noch zu diesem Mahl. Es ist das letzte, sag' ich Dir; das
letzte ... Sie werden mit dem Trinken noch nicht fertig sein, da sag
ich: Nun laßt mich. Das Haus, die Feste sind nun für mich allein, für
mich und Nyssia ... Und Nyssia, Du weißt: nun halt' ich sie für mich und
fern von Allen im Schatten wohlverschlossen, wie ein Parfüm, das allzu
leicht verduftet ... Genug davon. Du bleibst zum Fest?

PHEDROS: Ich bleibe.

CANDAULES: Laß mich nun.

PHEDROS (ab).

CANDAULES (zu Nyssia): Das Festmahl ist bereitet ... Bald ist's Mittag,
die Zeit, da meine Gäste kommen. Nyssia -- bis zu Eurem Gemach begleit'
ich Euch. (Er nähert sich ihr, sie weicht zurück.)

GYGES (ist ein Weniges hinter ihr).

NYSSIA: Nein. -- Ich bleibe bei Eurem Fest.

CANDAULES: Wie? Ihr wollt? (Er bemerkt die Erregung der Königin.) Was
habt Ihr, Nyssia?

NYSSIA (geht weiter zurück und gegen das Unsichtbare gewandt): Stoß zu!
Stoß zu, Gyges! -- Gib Acht, Candaules ... (Ängstlich.) Stoß zu! -- So
stoß doch zu!... Ah!

GYGES (erdolcht Candaules, da dieser unruhig wird).

CANDAULES: Wie! Du bist's, mein Gyges?! Warum erschlägst Du mich? --
Nichts fühlt' ich sonst in mir als Güte, Nyssia!... Gyges, ich hab Dir
auch den Dolch gegeben. Gib den Ring fort ... ich möcht' Dich sehen.

  (Gyges zaudert einen Augenblick und wirft den Ring weit von sich).

(Gyges erdrückt vor Schrecken und Verzweiflung, kniet hin und beugt sich
über Candaules): Candaules! mein Freund ...

CANDAULES (stirbt).

NYSSIA (zieht ihn am Kleide): Erhebt Euch, König Gyges.

GYGES (verstört): Ich! Gyges ... König.

NYSSIA: Ihr seid mein Gemahl und ich die Königin. Da kommen unsre Gäste.
Steht auf! (Sie nimmt das Diadem vom Haupte des Candaules.) Nehmt die
Krone. -- Ah! Der Schleier erstickt mich. (Sie reißt ihn völlig ab.)

DIE GÄSTE (kommen etwas näher. Bewegung.): Candaules! Oh! wie
schrecklich!

SYPHAX (hält Phedros zurück und zeigt ihm Gyges): -- Gebt Acht!

NYSSIA (königlich an Gyges Arm): Ihr werten Herren, kommt! Das Mahl
erwartet Euch. (Schamlos.) -- Archelaos! Heut' Abend werden wir
Tänzerinnen haben.

PHEDROS (geht mit Simmias fort).

GYGES (der sich allmählich faßt): Setzt Euch, Ihr Herren. (Feindlich zu
Nyssia) Dieses Antlitz so schön, hohe Frau, ich glaubte, es solle
verschleiert bleiben.

NYSSIA (verächtlich): Für Euch verschleiert, Gyges! Candaules hat meinen
Schleier zerrissen.

GYGES (wirft ihr sehr brutal einen Zipfel ihres Gewandes über das
Gesicht): Dann näht ihn wieder zusammen.

SYPHAX (aus der geräuschvollen Bewegung, die diesen Worten folgt): Auf,
werte Herren, trinken wir auf das Glück des Gyges.

  Vorhang.



  [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
    jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
    steht.

  ein Bild kommen läßt, das schon alles Eposidische, Bizarre und
  ein Bild kommen läßt, das schon alles Episodische, Bizarre und

  antwotete er. «Ich, ich kenne nur Nero.»
  antwortete er. «Ich, ich kenne nur Nero.»

  verschwunden ist. Hinwider ist die Zeit, da siegte was Condercet die
  verschwunden ist. Hinwider ist die Zeit, da siegte was Condorcet die

  Es ist klar, daß die neuen gesellschaftlichen Formen die neuen
  Es ist klar, daß die neuen gesellschaftlichen Formen, die neuen

  Zweite Szene:
  Zweite Szene.

  DIE KÖNIGIN (zu Candaules) Ihr scheint, Gebieter, zu vergessen, daß
  DIE KÖNIGIN (zu Candaules): Ihr scheint, Gebieter, zu vergessen, daß

  PHILEBOS: Und ihr, Frau Königin was denkt Ihr von dem Mitbesitz und
  PHILEBOS: Und Ihr, Frau Königin was denkt Ihr von dem Mitbesitz und

  PHARNACES: εὐτυχίαν κρὐπτω
  PHARNACES: εὐτυχίαν κρύπτω

  PHARNACES Und öfter noch findet man überhaupt nichts.
  PHARNACES: Und öfter noch findet man überhaupt nichts.

  Was wüßt ihr von meinem Glück!? Was!
  Was wißt ihr von meinem Glück!? Was!

  Was wisst Ihr von meinem Glück? Weiß ich denn selbst davon? Kann man sein
  Was wißt Ihr von meinem Glück? Weiß ich denn selbst davon? Kann man sein

  PHARNACES: Na weist Du, ich hab' schon Bäuerinnen gesehen, die nicht ...
  PHARNACES: Na weißt Du, ich hab' schon Bäuerinnen gesehen, die nicht ...

  CANDAULES: Dann' sag mir noch, ... wie ... wie reich?
  CANDAULES: Dann sag mir noch, ... wie ... wie reich?

  CANDAULES (ein wenig erregt) Später, später! -- Bleib, Gyges. Hör: --
  CANDAULES (ein wenig erregt): Später, später! -- Bleib, Gyges. Hör: --

  GYGES: Wär' ich _so_ Dein Freund, Gyges?
  GYGES: Wär' ich _so_ Dein Freund, Candaules?

  NYSSIA: Seid sie hier sind, sah ich Euch fast kaum ... Ihr wißt nicht
  NYSSIA: Seit sie hier sind, sah ich Euch fast kaum ... Ihr wißt nicht

  Schönheit liebt. (Sie lacht nnd will selbst die Fackel löschen.)
  Schönheit liebt. (Sie lacht und will selbst die Fackel löschen.)

  gestern morgen Candaules diesen Ring an seinen Finger steckte. Er war
  gestern Morgen Candaules diesen Ring an seinen Finger steckte. Er war

  Herzens ... Da kommt wer .. Nyssia! (Er bleibt auf der Erde und drückt
  Herzens ... Da kommt wer ... Nyssia! (Er bleibt auf der Erde und drückt

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*** End of this LibraryBlog Digital Book "Der König Candaules - Drama in drei Akten" ***

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