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Title: Die Colonie. Dritter Band - Brasilianisches Lebensbild
Author: Gerstäcker, Friedrich, 1816-1872
Language: German
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DIE COLONIE.

Brasilianisches Lebensbild

von

FRIEDRICH GERSTÄCKER.

Der Verfasser behält sich die Übersetzung dieses Werkes vor.

DRITTER BAND.



Leipzig,
Hermann Costenoble.
1864.



Inhalts-Verzeichniss.


                                      Seite
  Erstes Kapitel.
  Die Abendgesellschaft                   7

  Zweites Kapitel.
  Fortsetzung                            33

  Drittes Kapitel.
  Auf Köhler's Chagra                    57

  Viertes Kapitel.
  Helene                                 87

  Fünftes Kapitel.
  Gerichtspflege in der Colonie         117

  Sechstes Kapitel.
  Vorbereitungen                        143

  Siebentes Kapitel.
  Bux auf der Flucht                    164

  Achtes Kapitel.
  Gefunden                              194

  Neuntes Kapitel.
  Herr von Pulteleben                   214

  Zehntes Kapitel.
  Graf Rottack's weitere Beschäftigung  236

  Elftes Kapitel.
  Abschiednehmen                        253

  Zwölftes Kapitel.
  Schluß                                276



1.

Die Abendgesellschaft.


In der Wohnung der Frau Gräfin sollte heute Abend große Gesellschaft
sein, und die Zimmer waren deshalb alle festlich mit Blumen geschmückt,
die Cigarrentische ängstlich bei Seite geschafft und einige Dutzend
Stearinlichte in den verschiedenen Räumen angezündet, ja, selbst
Helenens Instrument in das Empfangszimmer gebracht worden. Auf acht Uhr
lautete die Einladung, und es fehlten noch etwa fünf Minuten daran,
als die Frau Gräfin, in einem schweren Seidenkleid, das ihr Herr von
Pulteleben extra aus Rio verschrieben und das _sehr_ viel Geld gekostet
hatte, in den Empfangssaal rauschte, um vor dem Spiegel dort ihre
Toilette noch einmal zu mustern.

Helene saß am Fenster, hatte den Kopf in die Hand gestützt und schaute
nach dem letzten Streifen fahlen Lichtes, der noch den westlichen
Horizont begränzte, und die Conturen des malerisch eingeschnittenen
Gebirgszuges scharf und deutlich in der klaren Luft abzeichnete.

»Wenn nur der Jeremias heute Alles richtig besorgt hat,« sagte die
Mutter endlich und suchte vergebens in dem Spiegel eine Frontansicht
von ihrem Rückgrat zu bekommen -- »ich traue ihm nicht recht; er ist ein
ganz entsetzlicher Mensch mit seinen Verkehrtheiten.«

»Ein Irrthum war dieses Mal in den Einladungen nicht möglich,« sagte
Helene, »denn er hatte ja alle Namen deutlich aufgeschrieben.«

»Aufrichtig gesagt,« fuhr die Mutter fort, »ist es mir _nicht_ recht
angenehm, daß wir bei der heutigen Gelegenheit gerade wildfremde
Menschen haben, von denen ein paar sogar mit dem früheren Director
eng liirt waren. Der Baron wird wieder schön über die »_bürgerliche_
Versammlung« die Nase rümpfen.«

»Es sollte mir leid thun,« sagte Helene gleichgültig, »wenn der _alte_
Adel des Barons sich dadurch unangenehm berührt fände; wenn er aber
unter seines Gleichen leben wollte, hätte er nicht nach Brasilien
auswandern, wenigstens hier keine deutsche Colonie zum Aufenthalt wählen
sollen. Der Eine der Herren ist übrigens, um Dich und den Herrn Baron zu
beruhigen, von Adel, und zwar ein früherer Artillerieofficier, ein Herr
von Schwartzau.«

»Und wie heißt Dein kühner Pferdebändiger?«

»In der Colonie wird er kurzweg Herr Randolph genannt; ich weiß aber
nicht einmal, ob das sein Vor- oder Zuname ist -- wen interessirt das
auch, wenn wir nur einen Namen haben, mit dem wir ihn anreden können.«

»Und Du nimmst weiter kein Interesse an ihm?« fragte die Frau und sah
ihre Tochter forschend dabei an.

»Zu welchem Zweck kommen wir heute Abend hier zusammen?« fragte Helene
kalt und stolz.

»Es ist gut,« sagte die Mutter und sah nach der Uhr, die sie am Gürtel
trug -- »ah, schon acht Uhr, und da hör' ich auch Jemanden auf der
Treppe.«

Die Thür des Zimmers wurde in diesem Augenblicke rasch geöffnet; Oskar
trat herein und warf, wie gewöhnlich, seine Mütze in die Ecke.

»Er ist's richtig,« lachte er dabei, zu Helenen an's Fenster gehend;
»hab' ich Dir's nicht gleich gesagt?«

»Wer ist's? Was habt Ihr nur wieder?« fragte die Mutter. »Du könntest
Dich doch wenigstens heute Abend ein Bißchen zusammennehmen, Oskar, und
Dein wildes, ungestümes Wesen lassen. Ist das nun eine Manier, die
Mütze auf's Sopha zu werfen, wo wir jeden Augenblick unsere Gesellschaft
erwarten! Wer ist wer?«

»Jener Mensch,« rief Oskar, »den wir neulich Morgens überholten, als uns
die Pferde durchgegangen waren, und der Deinem Schimmel, glaub' ich,
in die Zügel gesprungen, ist richtig unser heimlicher Violinspieler von
früher her, hinter dem ich, wer weiß wie oft, mit einem Eimer Wasser
hergekrochen bin und ihn nie habe erwischen können -- aber abgewöhnt
hab' ich's ihm wenigstens, daß er das Gekratze hat sein lassen.«

Helene antwortete Nichts darauf und wandte sich wieder dem Fenster zu,
und Oskar, mit einer Quantität anderer Neuigkeiten im Kopfe, fuhr, ohne
auf die Schwester weiter zu achten, fort:

»Und mit des Meier Frau ist es auch richtig -- die ist in den Fluß
gesprungen, weil sie der alte Einsiedler da drüben so furchtbar
geprügelt hat, daß sie's zuletzt nicht mehr aushalten konnte.«

»Gemeines Volk!« sagte die Frau Gräfin wegwerfend; »aber ich glaubte, Du
wolltest zu der Auction hinausreiten?«

»Da bin ich auch gewesen; die langweilige Geschichte hat eben so lange
gedauert, da war gar kein Fertigwerden mit all' den tausend und tausend
Kleinigkeiten.«

»Und hat Herr von Pulteleben viel gekauft?«

»Verwünscht wenig,« sagte Oskar; »ein Herr Könnern -- Du mußt ihn schon
in Santa Clara gesehen haben, und er wohnte ja bei Sarno im Hause --
schien ordentlich versessen auf Alles, was sich noch irgend brauchbar
erwies, und es war gar nicht möglich gegen ihn anzubieten.«

»Herr von Pulteleben ist zurück?«

»Hörst Du ihn nicht oben herumpoltern? Er kann wieder seine Stiefeln
nicht ankriegen.«

»Du bist ein schrecklicher Mensch, Oskar!« sagte die Mutter und sah nach
ihrer Uhr -- »aber wo unsere Gäste bleiben, ist mir unbegreiflich.«

»Die Meisten sind erst jetzt von der Auction zurück,« sagte Oskar; »der
Director war auch oben und wollte gern einige der guten Möbel haben,
aber Gott bewahre, Herr Könnern brauchte sie selber -- der muß
schmählich reich sein.«

»Herr Könnern ist ja wohl auch mit eingeladen?« fragte die Frau Gräfin
ihre Tochter.

»Ja,« sagte Helene; »er hat sich aber entschuldigen lassen.«

»So -- entschuldigen? Wir sind dem Herrn wahrscheinlich nicht vornehm
genug. Was sich, um Gottes willen, solche Menschen nur einbilden?«

»Da unten hör' ich Jemanden,« rief Oskar -- »Jeremias unterhält sich --
der Bursche ist heute göttlich -- hast Du ihn schon in seiner Galatracht
gesehen?«

Die Frau Gräfin hatte aber keine Zeit mehr zu antworten, denn in diesem
Augenblick wurde die Thür weit aufgerissen, und Jeremias, der wirklich
heute im Glanz seines gewöhnlichen Ballornats erschien, meldete:

»Se. Ehrwürden der Herr Pastor Beckstein mit Ihro Ehrwürden der Frau
Gemahlin.«

Oskar drehte sich auf dem Absatz herum und drückte sein Taschentuch in
den Mund, und seine Mutter konnte ihm nur noch einen wüthenden Blick
zuschleudern, denn im nächsten Moment mußte sie schon mit lächelndem
Gesicht den Herrn Pastor begrüßen, der in schwarzem Frack, weißer Weste,
gesticktem Vorhemdchen und eben solchem weißen Halstuch, darunter aber,
etwas unpassend, mit Nanking-Beinkleidern in der Thür erschien und seine
Frau hinter sich herschleppte.

Die Frau war eine hagere, ausgetrocknete Gestalt mit etwas spitzer Nase
und eben solchen Backenknochen, kleinen, grauen Augen und dünnen Lippen
-- außerdem allbekannt in Santa Clara als Schrecken der Dienstboten und
-- wenn das Gerücht nicht log -- auch ihres eigenen Mannes. Jetzt aber
schien das ganze Gesicht nur Licht und Sonnenschein, so freute sie sich,
die Frau Gräfin wohl und munter zu sehen, so glücklich war sie über das
vortreffliche Aussehen der gnädigen Comtesse -- von Oskar nahm sie keine
Notiz, denn sie hatte noch zwischen ihrem Manne und der Thür durch
sein Lachen gesehen und strafte ihn jetzt mit stiller, aber furchtbarer
Verachtung.

Pastor Beckstein selber, eine grobe, vierschrötige Gestalt, schien sich
noch nicht recht wohl in seiner Umgebung zu fühlen, und so behaglich er
drüben in der Schenke hinter einer Flasche Bier oder einer Partie Solo
saß, so beengt fühlte er sich von jeder anständigen Umgebung. Pastor
Beckstein war auch in der That nicht in ähnlichen Verhältnissen
aufgewachsen, sondern daheim ein gar ärmliches Dorfschulmeisterlein
gewesen. Aus einem oder dem andern Grunde mußte er aber seinen Dienst
quittiren, war dann eine Zeit lang Unterschaffner an einer Eisenbahn
und wanderte zuletzt nach Brasilien aus. Hier, da er eben keine andere
Stellung bekommen konnte, wurde er Geistlicher und kanzelte jetzt seine
Zuhörer jeden Sonntag Morgen ab. Er hatte wenigstens, wie der Amerikaner
sagt, #the gift of the gab#, und mit einer Unzahl citirter Bibelstellen,
die natürlich Niemand nachschlug, gelang es ihm, sich ziemlich geschickt
in seiner Stellung zu behaupten -- konnten die Colonisten doch auch
keinen andern und besseren auftreiben.

Übrigens war er, und besonders außerhalb der Kirche, tolerant genug,
viel toleranter wenigstens, als die Frau Pastorin, die eine strenge
Controle über sämmtliche Kirchgänger in der Colonie hielt. Aber auch sie
schien das Umgehen der Kirche weniger für eine Sünde gegen Gott selber,
als für eine persönliche Beleidigung ihres Mannes zu halten, und vergab
es deshalb nie. -- Sie ging natürlich in ein ziemlich abgetragenes
schwarzes Seidenkleid wie eingeschnürt und ohne Crinoline, mit einer
großen, weißen Haube auf, die weiter nichts Merkwürdiges als
zwei furchtbar große, reich gestickte -- leider auch schon einmal
ausgebesserte -- Zipfellappen und eine sehr große, orangenfarbige Rose
trug.

Glücklicherweise blieben diese Beiden nicht lange die einzigen Gäste,
denn die Unterhaltung wäre unter so verschiedenen Elementen sehr bald
in's Stocken gerathen. Bald danach meldete Jeremias: »Herr Balthasar
Rohrland nebst Frau Gemahlin, Madame Rohrland.«

Madame Rohrland war ganz das Gegentheil der Frau Pastorin: ein kleines,
rundes, munteres Frauchen, sehr einfach, aber gar nicht geschmacklos
gekleidet, mit weiter keinem Schmuck, als ihrem Trauring und einer
einzelnen Achatschnur um den Hals.

Rohrland selber war ein schlichter, praktischer Mann mit gesundem
Mutterwitze, und er wie seine Frau bewegten sich vollkommen ungenirt in
der bis jetzt noch immer etwas steifen Umgebung.

Mit dem Schlage halb Neun erschien Baron Jeorgy, und zwar grundsätzlich
stets genau eine halbe Stunde später, als die an ihn ergangene Einladung
lautete. Er war natürlich #à quatre épingles# gekleidet; seine Toilette
ließ Nichts zu wünschen übrig, und er hätte eben so gut damit bei
dem Lever irgend eines europäischen Fürsten erscheinen können. Pastor
Beckstein schrak auch wirklich ordentlich in sich zusammen, als er
zufällig einmal einen Blick auf seine Nankings warf. Die Frau Pastorin
haßte den Baron aber seit diesem Augenblicke noch viel mehr, als sie ihn
je gehaßt hatte -- es versteht sich von selber, nur seines Stolzes und
Hochmuths wegen, der ihn sogar nicht ein einziges Mal in _ihre_ Kirche
ließ.

Jetzt erschien auch endlich -- als Hausgenosse jedoch eben so
gewissenhaft und laut von Jeremias angemeldet -- Herr von Pulteleben,
gleichfalls sehr elegant gekleidet, sogar mit einem noch neueren
Frackschnitt als der Baron, was seinerseits _diesen_ wieder ärgerte.
Herr von Pulteleben ging übrigens vor allen Dingen auf die Damen zu,
diese zu begrüßen, machte dem Baron dann die gehörige Verbeugung und
grüßte den Herrn Pastor mit seiner Gattin, die anfingen, sich in eine
Ecke zu drücken und dort festzusetzen, in etwas summarischer Weise --
was wieder einen Stachel in der Brust der Frau Pastorin zurückließ.
Die Frau Pastorin sammelte überhaupt heute Abend Stacheln -- wären
es thatsächliche gewesen, ihr Herz hätte beim Nachhausegehen wie
ein blutiges Nadelkissen aussehen müssen. Dann näherte sich Herr von
Pulteleben der Frau Gräfin, um ihr nur vorläufigen, übrigens nicht
befriedigenden Bericht über die Auction abzustatten. Die Frau Gräfin
hatte nämlich gehofft, daß er eine ganze Menge sehr hübscher, wenn auch
vielleicht sehr unnöthiger Dinge mitbringen würde, und sah sich darin
eben nicht angenehm getäuscht.

Jetzt meldete Jeremias wieder einen neuen Gast, den Herrn Director von
Reitschen, dem er aber vorher noch einmal, aus Ungeschicklichkeit
oder Malice, die Thür vor der Nase zumachte, und dann tausendmal um
Entschuldigung bat.

Günther und Felix waren die Letzten, die erschienen, und Felix in der
That noch bis zum letzten Augenblick unschlüssig gewesen, ob er gehen
oder bleiben solle. Ja, noch vor der Thür hatte er des Freundes Arm
gefaßt und gesagt:

»Laß mich lieber unten, Günther -- es ist wahrhaftig besser, und die
Frau da oben mag ihre Rolle weiter spielen nach Herzenslust. Wir sind ja
alle mit einander Komödianten auf dieser wunderlichen Weltbühne, und die
Gesellschaft betrügt entweder selber oder verlangt dringend, betrogen zu
werden -- warum ihr also den Spaß verderben?«

»Ich würde Dir trotzdem zureden, mit hinauf zu kommen,« sagte Günther,
»wenn ich nicht heute zufällig gehört hätte, daß diese Abendgesellschaft
wirklich zu einer Art Verlobungsfeier benutzt werden soll, und ich kann
mir denken, daß Dir das nicht angenehm wäre. Hast Du also nicht ganz
besondere Lust mit hinaufzugehen, so kehre ruhig nach Haus zurück; ich
will Dich dann schon oben entschuldigen. Es findet sich später wohl
einmal eine andere und bessere Gelegenheit, die Frau _Gräfin_ wenigstens
wissen zu lassen, daß man ihre wahre Abkunft kennt.«

»Glaubst Du, daß mich die Verlobung stören würde?« lachte der junge Graf
bitter -- »wahrhaftig nicht! Im Gegentheil gönne ich der nachgemachten
Comtesse von Herzen diesen Herrn von Pulteleben, und ihm eben so gern
die Kammerfrau als Schwiegermutter -- ich würde mich sogar hüten, die
Verbindung zu stören, und wenn mir das auch nur _ein_ Wort kostete. Aber
in _einer_ Art hast Du Recht -- wenn auch in einem andern Sinn, wie
Du es gemeint -- Helene selber könnte nämlich glauben, ich sei der
Verlobung ausgewichen, und deshalb -- gehen wir hinauf. Ich freue mich
jetzt selber darauf, einmal einer echt aristokratischen Gesellschaft in
einer brasilianischen Colonie beizuwohnen.«

»Du willst mitgehen?«

»Gewiß,« lachte Felix, des Freundes Arm wieder ergreifend und ihn mit
fortziehend; »es muß überhaupt schon fast dreiviertel sein, und wir
werden jedenfalls mit Schmerzen erwartet. Wie sich die Frau Gräfin
freuen wird, meine Bekanntschaft zu erneuern! Aber ich bitte Dich,
Günther, nie selber über meine Entdeckung zu reden. Das Geheimniß ist
mein eigen.«

»Gewiß -- aber glaubst Du, daß sie Dich wiedererkennt?«

»Ich glaube kaum -- zu viele Jahre sind verflossen, seit wir uns nicht
gesehen, und ich selber -- bin alt dabei geworden; vielleicht kann ich
jedoch ihrem Gedächtnisse nachhelfen.«

»Da sind wir.«

»Allerdings; es weht ordentlich ein feierlicher Duft durch diese
erleuchteten Hallen -- wenn nur das Ganze nicht so nach dem Tischler
röche -- und Jeremias in Gala -- Ich fürchte fast, Günther, daß wir
nicht in standesgemäßer Toilette erscheinen.«

»Immer 'rein, meine Hörrschaften,« rief ihnen Jeremias unten im Hausflur
entgegen -- »immer 'rein -- _hür_ ist der Platz, wo Sie Staunenswerthes
sehen und erleben werden -- immer hereun! Erwachsene Herrschaften zahlen
gar Nichts und Säuglinge unter zwölf Jahren die Hälfte!«

»So recht, Jeremias,« lachte Günther -- »ist die Gesellschaft
versammelt?«

»Alle da, meine Hörrschaften,« erwiederte Jeremias mit größtem Ernste --
»fehlten nur noch, wie der Dichter sagt, zwei lumpige Personen« --
und damit stieg er die Treppe vor ihnen hinauf, riß die Thür auf und
meldete:

»Herr Baron, Günther von Schwartzau mit -- Donnerwetter, ich weiß ja
_Ihren_ Namen nicht!«

Oskar lachte g'rad' hinaus, und auch der Director konnte ein Lächeln
nicht unterdrücken; nur die Frau Gräfin schoß einen zürnenden Blick
auf den tactlosen Diener, und Baron Jeorgy schien ebenfalls bis in die
Fingerspitzen hinein empört, über diese Mißhandlung jedes Anstandes,
jeder Sitte. Günther übrigens, ohne sich im Geringsten außer Fassung
bringen zu lassen, nahm Felix bei der Hand, ging mit ihm auf die Gräfin
zu und sagte mit einer leichten Verbeugung:

»Gnädige Frau, Sie waren so gütig, mich und Freund Randolph auf
heute Abend einzuladen, und ich erlaube mir deshalb, uns Beide hier
vorzustellen.«

Die Frau Gräfin machte eine stumme Verbeugung gegen Herrn von
Schwartzau, die nur an der äußersten Kante den neben ihm stehenden
Freund einschloß; Helene aber, die hinter ihrer Mutter gestanden, trat
jetzt vor, und von Schwartzau die Hand reichend, sagte sie herzlich:

»Sie haben _mir_ besonders eine große Freude gemacht, daß Sie der
Einladung gefolgt sind, denn draußen im Walde wurde mir ja gar keine
Zeit gegeben, Ihnen so herzlich für die Hülfe zu danken, die Sie mir
geboten, wie ich es wohl gemocht.«

»Comtesse,« sagte Günther, wirklich überrascht von der fast wunderbaren
Schönheit des Mädchens -- »so sehr wir den Unfall _Ihretwegen_ bedauert
haben, so glücklich hat uns der kleine Dienst gemacht, den wir Ihnen
leisten durften. Übrigens muß ich die Haupthandlung vollkommen von
mir abwenden, denn Freund Randolph hier war der eigentliche Held des
Morgens, indem er sich Ihrem Pferd entgegenwarf.«

Helene hatte sich mit ihrem Danke gegen _beide_ Männer gewandt gehabt,
aber während sie sprach doch immer nur Günther angesehen, und höchstens
einmal ihren Blick wie scheu zu seinem Begleiter, aber nie bis zu dessen
Antlitz erhoben. Jetzt konnte sie es nicht länger vermeiden, und auch
ihm die Hand reichend und tief dabei erröthend, sagte sie, aber nicht
mehr so zuversichtlich, als vorher:

»Entschuldigen Sie, mein Herr, aber ich war an jenem Morgen so mit
meinem wild gewordenen Thier beschäftigt, daß ich wirklich kaum mehr
hörte oder sah, was um mich her vorging -- viel weniger denn hätte
Personen unterscheiden können. Nehmen auch Sie meinen herzlichsten
Dank.«

»Bitte, mein gnädiges Fräulein,« sagte Felix ruhig, indem er die
gebotene Hand nahm, leicht an seine Lippen hob und dann wieder los ließ
-- »machen Sie keine Umstände. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß
ich dem Pferd nur aus einer Art von alter Angewohnheit entgegen sprang.
Ich kann nämlich keine durchgehenden Pferde leiden, und fahre ihnen
stets in den Weg, wo ich sie eben treffe.«

»Sie wollen also damit sagen,« lächelte der Director, »daß Sie dem
Pferde mehr des Pferdes als der Reiterin wegen in den Zügel fielen.«

»Genau dasselbe,« sagte Felix, sich hoch aufrichtend und den Director
ansehend -- »mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Herr Director von Reitschen,« sagte Günther, ihn vorstellend, und die
beiden Männer verbeugten sich vornehm gegen einander.

»Der Herr Randolph hat etwas sehr Anständiges in seinem Benehmen,«
flüsterte Baron Jeorgy leise der Frau Gräfin zu, neben der er stand.

»Finden Sie?« sagte die Gräfin und musterte den Fremden mit einem
gleichgültigen Blick; sie hatte ihr Auge auch schon wieder von ihm
abgewandt, als es noch einmal dahin zurückkehrte und ihn aufmerksamer
betrachtete. Wo hatte sie denn das Gesicht schon einmal in ihrem Leben
gesehen?

Helene erröthete noch tiefer, als der junge Fremde ihren Dank auf so
fast leichtfertige Art zurückwies; sein ganzes Benehmen dabei war aber
so achtungsvoll und gewandt, daß sie ihm auch wieder nicht böse sein
konnte.

Jeremias störte die Unterhaltung auf sehr directe Weise, indem er ein
sehr großes Theebret mit einer Anzahl Tassen und Rahmgießer, Zuckerdose
und Rumflasche mitten zwischen die Gruppe hineinschob und auf das
Verbindlichste fragte:

»Irgend Etwas gefällig? Bitte, langen Sie zu. Herr von Schwartzau
-- hurrjeh, jetzt hätten Sie gleich die Rumflasche mit dem Ellbogen
heruntergefegt!«

Bald war der Thee allgemein und eben so das Gespräch, denn der Thee
verschwemmt eigentlich jede Gesellschaft, und eine ernsthafte oder
geistreiche Unterhaltung ist bei häufigem Genuß von Thee kaum möglich.
Er schläfert viel mehr ein, als daß er aufweckt, und daher sehr
häufig die entsetzlichen Folgen, wenn bei Vorlesungen auch noch Thee
umhergereicht wird.

Sehr natürlicher Weise drehte sich aber das Gespräch anfänglich fast
ausschließlich um die Tagesbegebenheit -- die Auction des Meier'schen
Gutes und Eigenthums, den Selbstmord der Frau und den raschen,
geheimnißvollen Abzug von Vater und Tochter, der mehr einer Flucht als
einer wirklichen Abreise glich. Günther dankte auch Gott im Stillen,
daß Könnern die Einladung ausgeschlagen, denn jedes Wort hier wäre ein
Messerstich für ihn gewesen.

»Apropos, Herr von Schwartzau,« wandte sich endlich der Director
an diesen -- »will sich denn Ihr Freund Könnern bleibend bei uns
niederlassen? Wie ich erst verstand, war er blos auf einer Durch- oder
vielmehr Kunstreise hier. Nach den bedeutenden Einkäufen aber, die
er heute, besonders an Möbeln und anderen, schwer zu transportirenden
Gegenständen gemacht, sieht es doch viel eher aus, als ob er sich hier
eine Wirtschaft und einen eigenen Heerd gründen wolle.«

»Ich muß sehr bedauern, Ihnen darüber keine genaue Auskunft geben zu
können, Herr Baron,« sagte Günther, »denn ich selber habe hier das Erste
von diesen Einkäufen gehört. Möglich, daß er dazu den Auftrag von Herrn
Meier selber bekommen, denn so viel ich weiß, gedenkt jener Herr hierher
zurückzukehren. Er hat wahrscheinlich nur das Überflüssige verkaufen
lassen.«

»In der That? Und waren Sie näher mit der Familie befreundet?«

»Ganz und gar nicht -- ich habe das Haus kurz vor ihrer Abreise zum
ersten Male betreten.«

»Sonderbar,« sagte der Director; »es scheint eigentlich Niemand im
ganzen Ort zu sein, der sie kennt.«

»Ich weiß Niemanden. Sie haben wenig oder gar keinen Umgang mit Fremden
gehabt.«

»Und weshalb die Frau den Tod könnte gesucht haben?«

»Das Geheimniß ruht wohl mit ihr im Grabe,« sagte Günther ausweichend,
»denn ich glaube nicht, daß die Familie selber darüber Auskunft geben
würde. Sie soll übrigens immer tiefsinnig gewesen sein, und es ist
möglich, daß die vollkommen abgeschiedene Lebensweise nicht wenig dazu
beigetragen hat, eine solche krankhafte Idee zum Ausbruch zu bringen.«

»Sehr wahrscheinlich,« sagte der Director -- er sah, daß er aus Günther
Nichts weiter herausbringen würde, selbst wenn dieser wirklich um Eins
oder das Andere gewußt hätte.

Das Gespräch drehte sich endlich wieder anderen Gegenständen zu, und
Jeremias reichte zum zweiten Mal den Thee zwischen die Frau Pastorin
und Madame Rohrland hinein, die eben tief in wirthschaftliche Dinge
verwickelt waren.

»Ja,« entgegnete die Frau Pastorin auf eine Äußerung der andern Dame
bezüglich des Strickens, indem sie Jeremias die wieder gefüllte Tasse
abnahm und sich Zucker und Milch nahm -- »das ist gar Nichts -- denken
Sie nur, was ich für Füße zu versorgen habe, die Strümpfe verlangen. Ich
muß für meinen Mann und mich, für meine fünf Kinder und auch noch für
den Schwager von meinem Mann, also für acht Personen, stricken.«

»Alle Wetter!« sagte Jeremias erstaunt -- »für zweiunddreißig Beine!«

Die Frau Pastorin warf ihm einen wüthenden Blick zu und Jeremias ging
weiter, wo Herr von Pulteleben neben Helenen und dem Director stand.

»Trotzdem, daß wir selber bei den Cigarren interessirt sind,« lachte
Helene, »so halte ich es doch für eine entsetzliche und fatale
Gewohnheit, die aber eben nicht abzuschaffen ist und deshalb ertragen
werden muß.«

»Und doch stände es in der Gewalt der Damen, das zu thun,« sagte der
Director galant; »die jungen Damen sollten sich nur alle verschwören,
keinen Mann zu küssen der raucht.«

»Das hälfe gar Nichts,« meinte Jeremias trocken, indem er das Theebret
vorschob -- »bitte, langen Sie zu, mir schläft der Arm schon ein --
die jungen Damen sollten sich lieber verschwören, Jeden zu küssen der
_nicht_ raucht -- was nachher für ein Gereiße um den Herrn Director
wäre!«

Helene und Herr von Pulteleben lachten dieses Mal und der Director sah
Jeremias über die Schulter verächtlich an, was aber an diesem ruhig
abprallte.

Oskar, welchen die Gesellschaft langweilte, hatte sich an's Instrument
gesetzt und spielte einen Walzer, aber so falsch und außer allem Tact,
daß ihn selbst seine Mutter bat, aufzuhören.

»Bitte, Comtesse,« fragte der Director, »wollten _Sie_ nicht die
Freundlichkeit haben und uns Etwas zum Besten geben? Ich habe schon so
viel von Ihrem Spiel gehört, aber noch nie die Freude gehabt, selber
Ohrenzeuge zu sein.«

Helene verneigte sich leicht, zog ihre Handschuhe aus und ging auf das
Clavier zu. Jeremias blieb mit dem Theegeschirr vor Herrn von Pulteleben
stehen.

»Und sind _Sie_ nicht musikalisch, würdiger Greis?« sagte der junge
Mann, indem er zulangte und sich eine Tasse bereitete.

»Ich leider nicht,« meinte Jeremias, indem er zusah, wie sich Jener ein
Stück Zucker nach dem andern in die Tasse warf -- »aber ich stamme aus
einer ganz musikalischen Familie.«

»So?«

»Ja,« sagte Jeremias -- »ich habe drei Schwestern, die sind alle
musikalisch, die eine schlägt das Clavier, die andere spielt das
Pianoforte und die dritte ist Witwe -- nehmen Sie nicht _noch_ ein
Stückchen Zucker?«

»Ruhig da,« sagte Günther, als Helene gerade zu präludiren begann, und
Jeremias drückte sich mit dem jetzt überall herumgereichten Bret zur
Thür hinaus.

Helene, die einen vortrefflichen Lehrer gehabt, spielte wirklich
wunderschön, und das Beste dabei, mit tiefem Gefühl -- und wie
seelenvoll trug sie jetzt das Adagio von Mozart vor, wie kräftig und
frisch sprang sie zu dem Allegro über, durch das immer und immer wieder
die süßen und wehmüthigen Klänge zuckten.

Felix lehnte mit in einander geschlagenen Armen an dem Fenster nächst
dem Clavier. Er hatte kalt und gleichgültig bleiben wollen, aber die
Töne sprachen zu mächtig zu ihm. Es war die nämliche Melodie, mit der
ihm Helene, als er den letzten Abend unter ihrem Fenster gespielt,
geantwortet hatte, und jetzt -- er deckte seine Augen mit der Hand, und
Alles, was ihn umgab, schwamm in einem wilden, wirren Chaos zusammen,
aus dem nur die Töne wie Sphärenmusik zu ihm herüber drangen.

Jetzt schwiegen sie -- »Bravo, Bravo, vortrefflich -- wirklich
meisterhaft!« tönte es von allen Seiten -- nur Felix wandte sich ab
und schaute stumm und still in die dunkle Nacht hinaus, deren frischer
Luftzug seine Schläfe kühlte -- die leeren Beifallsphrasen thaten ihm
weh.

Ein anderer Spieler hatte den Platz am Pianoforte eingenommen -- die
junge Frau Rohrland, die eine sehr hübsche Polka ganz allerliebst und
mit großer Fertigkeit abspielte. Felix hörte es gar nicht, als eine
leise Stimme an seiner Seite sagte:

»Sind Sie nicht auch musikalisch?«

Der junge Mann schrak empor, als ob er einen Stich in's Herz bekommen
hätte, und als er sich wandte, stand neben ihm Helene, das liebe Antlitz
fragend zu ihm aufgehoben, während der Glanz der Lichter ihr goldblondes
Haar wie mit einem Heiligenscheine zu umgießen schien.

»Sind Sie nicht auch musikalisch?« wiederholte Helene die Frage, als
sie sah, daß sie der Fremde fast verwirrt anstarrte, als ob er die Worte
überhört hätte.

»Ich? -- Nein,« stammelte Felix und biß die Zähne auf einander, daß er
sich, gerade _dem_ Mädchen gegenüber, so schwach und unbeholfen gezeigt
-- »nein, Comtesse,« wiederholte er fest, und fast rauh -- »mir träumte
einmal, daß ich spielen könnte -- aber die Zeit liegt dahinten und --
ich sehne sie auch nicht zurück.«

»Und hören Sie gern Musik?« fragte Helene weich.

»Nein,« erwiederte der junge Graf nach einigem Zögern -- »Musik sollte
ein Genuß, eine Erholung für uns sein, und mir -- reißt sie nur immer
wieder alte Erinnerungen und Bilder wach, die besser abgethan im Dunkeln
schlafen. Ich _hasse_ Musik!«

»Oder _fürchten_ sie,« sagte Helene ernst.

»Fürchten? Es giebt wenig, was ich auf der Welt fürchte, Comtesse -- und
doch könnten Sie Recht haben -- ich fürchte sie vielleicht.«

»Und bietet uns nicht auch gerade die Musik so manchen süßen Trost in
Schmerz und Leid!«

»Sie reden, Comtesse,« sagte Felix, fast spöttisch lächelnd, »als ob
_Sie_ schon ein Leben voll bitterer Erfahrungen hinter sich und nicht --
einen Blumengarten knospender Erwartungen vor sich hätten.«

»Lieber Gott,« sagte das junge Mädchen unbefangen -- »Jeder von
uns trägt seine Last an Sorgen und Schmerz, die sich oft hinter der
glattesten Stirn verstecken -- wer will sagen, daß er die schwereren
trüge. -- Aber wir werden zu ernst,« brach sie freundlich ab -- »wissen
Sie, Herr Randolph, daß wir Beide eine merkwürdige Übereinstimmung in
unseren Träumen haben?«

»_Wir_ Beide?«

»Ja -- auch mir träumte neulich einmal, daß Sie -- spielen könnten, und
doch hatte ich Sie selber kaum mehr als einmal und nur flüchtig auf der
Straße gesehen. Finden Sie das nicht wunderbar?«

»Allerdings -- _sehr_ wunderbar!« rief Felix und schaute überrascht zu
ihr auf, Helene sah ihn aber so ruhig und unbefangen an, daß er den Kopf
wieder abwandte und sagte: »Aber wer kann für seine Träume? Sie kommen
eben und gehen, und drücken dabei trotzdem ihre Fährten in unsere
Erinnerung, daß wir in späteren Jahren die wirklichen von den geträumten
kaum noch unterscheiden können. Lassen Sie uns Beide unsere Träume
vergessen.«

Dunkles Roth schoß in Helenens Züge und ihre Lippen öffneten sich wie zu
einer Erwiederung, aber kein Wort verließ sie, und der laute Applaus
der eben beendeten Polka, bei dem besonders Pastor Beckstein mit seinen
breiten Händen wacker arbeitete, brachte die Gesellschaft wieder unter
einander, die sich jetzt um Frau Rohrland drängte und ihren Dank für den
Genuß aussprach. Helene wurde dadurch ebenfalls von Felix getrennt,
und Oskar's laute Ankündigung, daß der Tisch gedeckt sei und der Gäste
harre, machte überhaupt jede weitere Unterhaltung unmöglich.



2.

Fortsetzung.


Herr von Pulteleben hatte sich rasch zu Helenen durchgearbeitet, um ihr
seinen Arm anzubieten, Baron Jeorgy bot den seinen der Frau Rohrland,
da der Director schon die Frau Gräfin um die Ehre gebeten, und Herr
Rohrland führte, zur augenscheinlichen Erleichterung ihres Gatten, die
Frau Pastorin zu Tische; die übrigen Gäste folgten mit Oskar der kleinen
Escorte in das Speisezimmer, wo sich Oskar indessen den Spaß gemacht
hatte, die von seiner Mutter vorher sorgfältig geprüfte und durch
kleine Namenszettel bezeichnete Rangliste der Sitzenden, gründlich durch
einander zu werfen und zu verwirren.

Die Frau Pastorin kam dadurch oben an die Tafel, mit Herrn Randolph an
der einen und dem Director an der andern Seite; neben diesen die Frau
Gräfin, Pulteleben zwischen den Pastor und Herrn Rohrland, Oskar selber
zwischen dessen Frau, mit der er sich sehr gern unterhielt, und den
Baron, der ihn nicht leiden konnte, Günther auf die andere Seite
zwischen Frau Rohrland und Helenen, die wiederum rechts von Felix zu
sitzen kam.

Ehe die Verwirrung auch nur bemerkt wurde, hatten die Frau Pastorin und
mehrere Andere, die ihre Zettel aufgelegt fanden, schon Platz genommen.
Unter ihnen, das Gefühl gekränkter Eitelkeit in Fracturbuchstaben an
der Stirn, der Baron, der dabei der Gräfin einen Bände sprechenden Blick
zuwarf.

Die Gräfin, in dem Gefühl vollständiger Sicherheit, Alles nach besten
Kräften angeordnet zu haben, trat nur eben noch einmal in die Thür,
um Jeremias ein paar Befehle hinauszurufen, und als sie sich wieder
umdrehte, war das Unglück geschehen.

»Aber, meine Herrschaften,« rief sie entsetzt -- »wie -- wie haben Sie
sich denn gesetzt?«

»Wie unsere Zettel lagen, meine Gnädigste,« antwortete der Baron scharf
-- es war die einzige Rache, die er nicht unter seiner Würde hielt.

»Aber das ist ja ganz falsch -- eine Verwechselung!«

»Ach, wir sitzen ja recht hübsch hier,« sagte die Frau Pastorin, die
sich an der Seite des Herrn Directors wohl fühlte -- »wir bleiben so,
nicht wahr?«

»Ja, wir bleiben so,« lachte auch die kleine, muntere Frau Rohrland, der
Oskar schon mit ein paar Worten seinen Streich erzählt hatte -- »so ein
Durcheinander ist ganz hübsch und gemüthlich.«

Die Gräfin warf ihrem Sohn einen Dolchblick zu, dem sich aber Oskar
wohl zu begegnen hütete, und von Pulteleben, der noch immer seinen
Platz nicht eingenommen hatte und hinter seinem Stuhl in Erwartung einer
Änderung stehen geblieben war, setzte sich endlich auch seufzend und
mit einem kläglichen Blick zwischen den Herrn Pastor und Herrn
Rohrland hinein. Dann kam Jeremias mit der Suppe, und unter den also
Zusammengewürfelten begann bald, mit dem Klappern der Teller und Löffel,
eine lebhafte Unterhaltung.

Herr von Pulteleben allein fand sich auf seinem Platz vollkommen an die
Luft gesetzt. Wie hatte er sich Alles ausgedacht, die Rede, welche er zu
halten sich vorgenommen »mit der jungen Dame an meiner Seite« --
rechts saß der Pastor, links der trockene Kaufmann Rohrland, und seine
Schwiegermutter in spe konnte er nicht einmal ansehen, um den geeigneten
Moment aufzufangen; er hätte dann um den dicken Beckstein herumgucken
müssen.

Helene, die ebenfalls augenblicklich ihren Bruder in Verdacht hatte, die
Verwirrung bewirkt zu haben, fühlte sich am Unbehaglichsten zwischen den
beiden Fremden, noch dazu, da Felix mit der größten Unbefangenheit ein
vollkommen gleichgültiges Gespräch mit ihr anknüpfte und sogar mit dem
Wetter begann. Sie gab ihm auch nur kurze und einsilbige Antworten --
und doch war ihr das Herz dabei so weh -- so sonderbar bedrückt -- sie
wußte sich selber nicht ordentlich Rechenschaft zu geben, weshalb -- und
ihr Nachbar an der andern Seite, Herr von Schwartzau, beschäftigte sich
ausschließlich mit _seiner_ Nachbarin zur Rechten.

Am Besten nahm die Frau Pastorin die Gelegenheit wahr, die sich ihr
vielleicht nicht so bald wieder bot, ihren Nachbar, den Herrn Director,
gründlich mit ihren Ansichten über Gemüsebau und Schweinezucht bekannt
zu machen, die, wenn er sie befolgen wollte, die segensreichsten Folgen
für die Colonie tragen mußten.

Der Director versuchte, um dieser Plage zu entgehen, verschiedene Male,
sich ausschließlich der Frau Gräfin zuzuwenden -- aber umsonst. Die Frau
Pastorin hielt, was sie einmal hatte -- welches Zeugniß ihr auch ihr
Mann zu Zeiten ausstellte -- und er mußte sich endlich in sein Schicksal
ergeben und ruhig und geduldig ausharren.

Die Gräfin hatte indessen über den Tisch hinüber, so oft das nur
unbemerkt geschehen konnte, die Züge des jungen Grafen gemustert, der
sich unter dem bescheidenen Namen Randolph bei ihr eingeführt. Wo
nur hatte sie das Gesicht schon gesehen -- wo diese Züge, die ihr so
merkwürdig bekannt waren, und durch eine zufällige Ähnlichkeit mit einem
jungen Brasilianer in Santa Catharina ihr Gedächtniß immer wieder auf
eine falsche Fährte brachten? -- Felix konnte es eben so wenig entgehen,
daß ihn die Dame oft und stark fixirte, wenn er auch dann nie nach
ihr hinübersah -- aber ein paar Mal zuckte es wie ein leichtes, fast
spöttisches Lächeln um seine Lippen und beunruhigte sein #vis-à-vis#
zuletzt so, daß sie sich fest vornahm, ihn gleich nach Tisch selber zu
fragen, wo sie sich schon einmal im Leben getroffen hätten, ob in Rio
oder wirklich auf Santa Catharina. Sie war dadurch so in ihre Gedanken
vertieft geblieben, daß sie ganz überhörte, wie Herr von Pulteleben in
einem geringen Grade von Verzweiflung schon ein paar Mal hinter seinem
dicken Nachbar weggerufen hatte: »Beste Frau Gräfin, beste Frau Gräfin!«
-- und der Pastor, durch den Schall getäuscht, sich dann jedesmal nach
der verkehrten Seite umsah.

Jetzt endlich konnte er seine Ungeduld nicht länger bezähmen, stand auf,
trat hinter den Stuhl der Gräfin und flüsterte:

»Beste Frau Gräfin, glauben Sie nicht, daß es -- daß es jetzt etwa Zeit
sein dürfte, der Gesellschaft -- der Gesellschaft den wichtigen Schritt
mitzutheilen? -- Wir sind schon beim Dessert.«

»Sie haben Recht,« erwiederte die Gräfin, rasch aufstehend und einen
flüchtigen Blick über die Gäste werfend -- »es wird in der That Zeit;
bitten Sie den Baron darum, er wollte den Toast übernehmen.«

Herr von Pulteleben verneigte sich -- es war ihm in der That _nicht_
recht, jetzt erst noch einmal den Baron darum zu bitten, aber es ließ
sich Nichts mehr an der Sache thun. Er warf einen Blick nach Helenen
hinüber, die das Flüstern bemerkt und dessen Bedeutung errathen haben
mochte, denn sie erbleichte sichtbar.

Herr von Pulteleben war aber in diesem Augenblick viel zu sehr mit sich
selber beschäftigt, um das zu bemerken oder zu beachten. Er trat zum
Baron und flüsterte diesem einige Worte leise zu.

»Mein lieber junger Freund,« sagte der Baron achselzuckend, »hier
_unten_ von der Tafel? Wünschen Sie das wirklich?«

»Ich bitte Sie dringend darum im Namen der Frau Gräfin.«

»Bitte, lieber Baron,« winkte ihm auch die Dame von ihrem Platze zu.

»Hm,« sagte der Baron und wischte sich mit der Serviette den Mund -- »hm
-- es ist -- eigentlich gegen meine Grundsätze, aber -- wenn Ihnen damit
ein Gefallen geschieht, junger Freund« -- und er stand dabei langsam
von seinem Stuhl auf und legte seine Finger auf den Fuß des vor ihm
stehenden, erst gefüllten Glases, während er mit der andern Hand leicht
seinen Messerrücken dagegen schlug.

»Meine Herrschaften!«

»Wollen Sie Käse?« fragte Jeremias, der das Anschlagen des Glases gehört
hatte und mit dem Käseteller auf den Baron zufuhr.

»Meine Herrschaften!« wiederholte der Baron, indem er Jeremias mit
seinem Teller verächtlich den Rücken zukehrte und alle Gäste ihn
erwartungsvoll ansahen. »Es ist mir die sehr angenehme und ehrenvolle
Pflicht geworden, die Namen zweier junger Leute neben einander zu
nennen, die gesonnen sind, hinfüro eben so neben einander durch dieses
Leben zu wandern. Ich weiß, daß Sie alle von Herzen in meine Wünsche
einstimmen werden, daß ihnen nämlich eben dieses Leben nur Rosen und
keine Dornen, nur Sonne und keinen Schatten ....«

»Hübsch in Brasilien,« sagte Jeremias halblaut.

»Nur Freuden und keine Leiden bieten möge,« fuhr der Baron fort, »und
ich bitte Sie deshalb, mit mir anzustoßen auf das Wohl von Comtesse
Helene und Herrn Arno von Pulteleben -- Sie leben hoch!«

»Hoch! Hoch!« rief Alles, von den Stühlen aufstehend und die Gläser
erhebend und gegen einander stoßend.

»Jetzt ist die Bombe geplatzt,« sagte Jeremias, und sprang an einen
Nebentisch, wo er sich ebenfalls ein Glas bis zum Rande mit Rheinwein
füllte.

Neben Helenen war Felix von Rottack aufgestanden, und ihr sein Glas
entgegenhaltend, sagte er artig, aber kalt:

»Erlauben Sie, _Comtesse_, daß ich der Erste sei, der Ihnen seinen
aufrichtigen Glückwunsch zu Ihrer Verlobung mit Herrn von Pulteleben
bringt -- es ist ja auch das Einzige, was wir anderen armen Teufel
bringen können, die außerdem nur noch den Glücklichen beneiden mögen,
daß er die -- schönste Blume Santa Clara's pflücken darf.«

Helene, als sie ihr Glas mit dem seinigen berührte, sah scheu zu ihm
auf, denn sie fühlte das Bittere im Tone. Jeder Blutstropfen hatte dabei
ihr Angesicht verlassen, und ein so tiefer Schmerz lag in diesem Moment
in ihren Zügen, daß Felix unwillkürlich davor erschrak und mit leiser,
herzlicher Stimme hinzusetzte: »Sein Sie glücklich!«

Herr von Pulteleben mußte um den ganzen Tisch herum, um zu seiner Braut
zu gelangen. Er hatte erst auf des Barons Toast noch Etwas erwiedern
wollen, aber es ging nicht; der Spectakel war zu groß geworden, und er
drängte sich jetzt nur zwischen die Übrigen hinein, um nicht ganz aus
dem Weg gesetzt zu sein.

»Das ist ja in der That eine große Überraschung,« sagte die Frau
Pastorin, die das Geheimniß schon einige Tage früher als die
betreffenden Personen selbst gewußt hatte -- »ei, da gratulir' ich ja
recht von Herzen und von ganzer Seele und mit ganzem Gemüth, und der
Herr gebe seinen reichsten Segen dazu -- und was man Ihnen sonst noch
alles Gute wünschen kann!«

Helene stieß mit Allen an -- sie wußte gar nicht mit wem -- sie bemerkte
auch kaum, daß ihr Bräutigam sich ihr nahte und verlegen sein Glas mit
dem ihrigen berührte; sie hörte nur, wie er flüsterte:

»Meine liebe, liebe Helene -- o, daß ich Sie jetzt so nennen darf!«

Der Herr Director Reitschen, der eben sein Glas erhoben hatte, fühlte
sich leise am Ellbogen berührt und wandte sich danach. Er sah auch
Jeremias mit dem gefüllten Pokal vor sich; ehe er es aber verhindern
konnte, stieß der kleine Bursche, ihm freundlich und vertraulich
zunickend, mit ihm an und leerte seinen Wein dann auf einen Zug.

Der Baron war ein entsetzter Zeuge dieser Zwischenscene gewesen.

Die Gläser wurden wieder gefüllt, und vielleicht zum Beweis, wie
unvorbereitet ihnen Allen diese Nachricht kam, las der Herr Pastor
jetzt ein langes Gedicht ab, das er zur Feier dieser »unerwarteten«
Gelegenheit verfaßt hatte.

Während sie übrigens standen, zog ihnen Jeremias, der seine besonderen
Gründe haben mochte, den Nachtisch nicht zu lange auszudehnen,
vorsichtig die Stühle weg, stellte sie in die Ecke und meldete zugleich,
daß der Kaffee im andern Zimmer servirt sei. Die Übrigen sahen es auch
alle, nur Beckstein, mit seinem etwas unleserlich geschriebenen Gedichte
beschäftigt, hatte nicht darauf geachtet, wollte sich nach Beendigung
desselben wieder niedersetzen und wäre mitten in die Stube geschlagen,
wenn ihn der dicht hinter ihm stehende Rohrland nicht noch gefaßt und
gehalten hätte.

Der Kaffee wurde im andern Zimmer servirt, und dort hatte sich Felix
wieder von den Übrigen zurückgezogen. Günther, der es bemerkte, trat zu
ihm und sagte freundlich:

»Ziehe doch nicht ein so furchtbar grämliches Gesicht, Felix. Siehst ja,
bei Gott, aus, als ob wir nicht zu einer Verlobung, sondern viel eher zu
einem Begräbniß geladen wären!«

»Es hat auch so etwas Ähnliches,« sagte der junge Mann düster; »aber
wahrhaftig, Günther, ich -- wollte, ich wäre gar nicht hierher gekommen.
Ich fühle, daß ich anfange bitter und vielleicht ungerecht zu werden,
und -- Andere entgelten lasse, was -- möglicher Weise Andere gar nicht
verschuldet haben.«

»Du bist und bleibst ein Träumer,« sagte Günther; »aber warte nur; wenn
ich Dich erst im Walde draußen habe, will ich Dich schon curiren. Morgen
früh um acht Uhr geht's an die Arbeit.«

»Ich wollte, ich wäre schon draußen. Glaubst Du nicht, daß wir uns jetzt
empfehlen könnten?«

»Nur noch einen Augenblick; ich muß Etwas mit dem Director besprechen,
was mir morgen einen Weg erspart, und habe ihm bis jetzt nicht beikommen
können.«

»So eile Dich, mir brennt der Boden unter den Füßen.«

Günther mischte sich wieder unter die Gesellschaft, um des Directors
habhaft zu werden, der gerade mit dem Pastor in einer sehr eifrigen
Debatte über die Einführung von Futterkräutern in die Colonie
verhandelte.

Die Frau Gräfin ging mit Herrn von Pulteleben Arm in Arm im Saale auf
und ab, während Jeremias gerade mit dem Kaffee hereingetreten war, und
der Baron stand nicht weit von Felix an der Seite mit seiner Tasse und
beobachtete Helene, die neben der jungen Frau Rohrland auf dem Sopha
saß.

Die Gräfin schwelgte in dem Gefühl, ihren Zweck erreicht zu haben --
die nächste Zeit war ihr wieder gesichert, und auf weiter dachte sie ja
überhaupt nie hinaus.

»Ach, Jeremias,« rief Oskar, der sich bis jetzt damit beschäftigt hatte,
einen defecten Stuhl als »Falle« irgendwo am Tische aufzustellen, mit
der stillen Hoffnung, daß sich Jemand darauf setzen würde -- »thun Sie
mir den Gefallen und holen Sie mir ein Glas Wasser -- ich werde Sie
königlich belohnen!«

»So? Sie wollen mir wohl einen Orden geben?« sagte der kleine Bursche,
ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen -- da hinten steht die Caraffe mit
Gläsern -- bitte, langen Sie zu -- oder wollen Sie lieber den Kaffee
haben? Der ist dünn genug.«

Die Frau Gräfin ging an Felix vorüber und warf ihm einen flüchtigen,
sehr vornehmen Blick zu, vor welchem der junge Mann die Zähne fest
zusammenbiß. Als sie sich wandte, verließ sie Herr von Pulteleben,
um nach Helenen hinüber zu gehen. Wie die Dame wieder an Felix
vorüberrauschte und mit dem Fächer dabei wedelte und Herrn Rohrland
gnädig zuwinkte, der ihr das heruntergefallene Taschentuch aufgehoben,
wandte sie sich plötzlich gegen den jungen Grafen, und in einer
imposanten Stellung vor ihm haltend, und ihn vom Kopfe bis zu den Füßen
musternd, sagte sie scharf:

»Apropos, mein Herr, wie war doch gleich Ihr Name -- ah, ja, Randolph
-- wo habe ich Sie eigentlich schon gesehen, denn Ihr Gesicht kommt
mir merkwürdig bekannt vor. Waren Sie nicht einmal Commis auf Santa
Catharina?«

»Es wundert mich kaum, daß Sie mich nicht mehr kennen, Madame Baulen,«
sagte Felix und sah sie fest an, »denn als Sie den Dienst meiner Mutter
verließen, trug ich noch keinen Bart. Mein Name ist Felix Randolph, Graf
von Rottack.«

Er sprach das Erste mit nur halblauter Stimme, seinen Namen jedoch klar
und deutlich, wie für die ganze Gesellschaft bestimmt. Hätte aber ein
Erdbeben das Haus in seinen Grundfesten erzittern machen, und Wände und
Decke durch einander geworfen, die Frau Gräfin Baulen würde nicht mehr
und furchtbarer erbebt sein, wie sie jetzt, an allen Gliedern gelähmt,
vor ihm stand, und ihn mit stieren, entsetzten Blicken anstarrte.

»Um Gottes willen, was ist Dir, Mama?« rief Helene, welche in diesem
Augenblicke auf sie zuflog und sie mit ihren Armen stützte.

»Nichts als ein leichtes Unwohlsein,« sagte Graf Rottack kalt, verbeugte
sich flüchtig und schritt auf Günther zu, der eben mit dem Director
gesprochen hatte. Er nahm auch ohne Weiteres dessen Arm und führte ihn
vor die Thür hinaus.

»Willst Du fort?« fragte dieser.

»Ich sagte Dir vorhin, daß ich schon zu lange geblieben bin,« erwiederte
Felix, und ihre Hüte von den Haken nehmend, schritten die beiden Freunde
in die Nacht hinaus.

Die Gräfin hatte sich indessen gewaltsam gesammelt, und ihr Auge
scheu umher werfend, traf ihr Blick den des Barons, welcher ein sehr
erstaunter Zeuge der ganzen Scene gewesen, aber leider etwas schwerhörig
war, um Alles genau zu verstehen. Nur den letzten Namen hatte er
vernommen. Er trat indessen rasch auf sie zu und fragte artig:

»Ist Ihnen nicht wohl, meine Gnädige? Wenn die Comtesse vielleicht ein
wenig englisches Salz in der Nähe hätte.«

»Ich danke Ihnen, Baron,« wies aber die Gräfin die Hülfe zurück -- »ich
danke Dir, mein Kind -- »es ist schon vorüber. Meine albernen Nerven
spielen mir manchmal einen solchen Streich.«

Herr von Pulteleben, welcher von der ganzen Scene gar Nichts gesehen und
gehört hatte, da er sich gerade auf den von Oskar hingestellten
Stuhl gesetzt und beinahe damit umgefallen wäre, schlug jetzt einen
Spaziergang im Garten vor. Es war eine wundervolle Nacht, und er hoffte
jedenfalls auf eine Promenade Arm in Arm mit seiner Braut. Die meisten
Gäste waren aber müde, da sie heute den ganzen Tag auf der Auction
zugebracht, der Director schien ebenfalls erschöpft, da er noch außerdem
dem Wein sehr tüchtig zugesprochen, und es dauerte nicht lange, so
rüstete sich Alles zum Aufbruche.

Eine kleine Verwirrung entstand jetzt, da durch irgend ein Versehen --
Oskar war außer sich über Jeremias' Tölpelhaftigkeit -- alle Tücher und
Hüte an falsche Plätze und in die größte Unordnung gerathen waren. Aber
auch das regulirte sich endlich, und während Oskar noch ein Wenig in den
Garten ging, um dort unten in aller Bequemlichkeit und in der frischen
Nachtluft seine Cigarre rauchen zu können, trat Herr von Pulteleben
noch einmal in das Zimmer der Damen -- hatte er doch jetzt ein Recht
gewonnen, sich ihnen vertraulich zu nähern -- und bat Helenen, daß sie
ihm erlauben möchte, ihr noch einmal zu sagen, wie glücklich sie ihn
heute gemacht habe.

»Bleiben Sie noch hier, lieber Arno,« sagte aber auch die Gräfin, denn
sie nannte ihn von heute an vertraulich bei seinem Vornamen -- »ich
habe selber noch mit Ihnen zu reden, und zum zu Bette gehen ist es doch
eigentlich noch zu früh.«

»Aber was hattest Du nur vorher mit dem jungen Fremden, Mama?« fragte
Helene; »er verließ uns auch nachher so plötzlich.«

»Er hatte sich schon vorher bei mir empfohlen,« sagte die Mutter, die
ihre ganze Fassung schon lange wieder gewonnen und ihren weiteren Plan
entworfen hatte -- »wir sind wirklich alte Bekannte von Deutschland her
-- er ist der Sohn einer Jugendfreundin von mir, der Gräfin Rottack.«

»Ein Graf Rottack?« rief Herr von Pulteleben erstaunt, und Helene sah
ihre Mutter überrascht und fragend an.

»Ja -- ist das etwas so Außerordentliches?« fuhr aber diese fort --
»Randolph war nur sein Vorname, und er theilte mir eine erschütternde
Nachricht mit -- den Tod einer Verwandten von ihm, was mich etwas
angegriffen hat. Übrigens will er hier nicht gekannt sein, lieber Arno,
und ich bitte Sie darum, sich nicht merken zu lassen, daß ich sein
Geheimniß verrathen habe -- aber Sie gehören ja doch jetzt natürlich mit
zur Familie. Was ich Euch Beiden nur noch sagen wollte -- ich habe
mir die Sache heute hin und her überlegt, und -- da Ihr doch jetzt mit
einander verlobt seid, so -- thut es eigentlich kein Gut, die Sache
zu lange hinaus zu schieben, und ich wünsche deshalb, daß die Hochzeit
recht bald -- so bald als irgend möglich gefeiert werde.«

»Beste Mutter, Sie machen mich so unendlich glücklich!« rief Herr von
Pulteleben entzückt aus.

»Aber, Mama, das ist ganz gegen unsere Abrede,« sagte Helene, und ein
eigenes eisiges Gefühl erfaßte ihr Herz.

»Liebes Kind,« sagte die Mutter, »die Verhältnisse reißen uns zu Zeiten
mit fort, ohne daß wir sie nach unseren Wünschen regeln oder beherrschen
können, und eben diese Verhältnisse zwingen uns, von hier fort und nach
Santa Catharina zu ziehen.«

»Nach Santa Catharina?« rief Herr von Pulteleben erstaunt -- »woraus
schließen Sie das?«

»Ich habe den Gedanken schon einige Zeit mit mir herumgetragen,« fuhr
die Gräfin fort, »da besonders für unser Geschäft Santa Clara ein Nichts
weniger als passender Platz ist.«

»Aber wird die Insel besser sein, Frau Gräfin?«

»Entschieden -- aber Du darfst nicht glauben, Helene, daß ich einen
solchen Schritt leichtsinnig und auf das Gerathewohl thun würde, und
ich habe mich vorher sorgfältig nach allen Verhältnissen der Insel
erkundigt. Erstens bekommen wir dort Arbeiter billiger, dann haben wir
die Auswahl unter den besten Tabakssorten, die gerade von dort aus in
Massen nach dem Süden verschickt werden und viel billiger sind als hier,
und dann -- die Hauptsache -- finden wir selber einen viel besseren
Markt für unser Product, da wir von dort aus in directer Verbindung mit
dem Süden, ja, selbst mit Montevideo und Buenos-Ayres stehen.«

»Aber, Mama, wenn Du Dich darin nur nicht irrst, und auf bloße
Vermuthung hin eine solche Reise ...«

»Bloße Vermuthung -- das Kind glaubt Nichts, Pulteleben, was sie nicht
sieht -- Sie werden noch Ihre rechte Noth mit ihr bekommen. So laß
Dir denn sagen, daß ich, um _ganz_ sicher zu gehen, schon vor mehreren
Wochen an die Präsidentin geschrieben und mit dem letzten Dampfer
Nachricht bekommen habe, wie die Sachen dort stehen -- und zwar sehr
günstige Nachricht.«

»Aber der Brief, welchen Du erhieltest, war ja von Deutschland, mit dem
kleinen Wechsel darin.«

»Das Kind bringt Einen noch zur Verzweiflung, Pulteleben,« lächelte die
Mutter -- »ich habe _zwei_ bekommen, einen von Deutschland und einen von
Santa Catharina, den mir der Director selber mitgebracht; wenn Du dem
aber, was _ich_ sage, nicht glauben willst, so sollst Du Dich wenigstens
selber überzeugen -- hole mir einmal den Brief herüber; er liegt auf
meiner Toilette; der in dem gelben Couvert -- es ist nur der eine da.«

Helene erhob sich, um den Auftrag auszuführen, als sie die Gräfin wieder
zurückrief.

»Ach nein, bleib' da,« sagte sie, »ich habe ihn weggeschlossen.«

»Wenn Du mir den Schlüssel giebst, Mama, hol' ich ihn.«

»Nein, ich gehe selber, Du reißt mir sonst meine Papiere durch
einander,« -- und von dem Sopha aufstehend, ging sie in ihre Kammer, aus
der sie gleich wieder mit dem gelb couvertirten Briefe zurückkam.

»Da,« sagte sie, indem sie der Tochter den Brief in den Schooß warf,
»nun lies selber, was die Präsidentin schreibt. Danach werden Sie sich
ebenfalls überzeugen, lieber Arno, daß wir wirklich gar nicht besser
thun können, als nach der Insel überzusiedeln. Die Kosten sind
unbedeutend, und wir bringen in zwei Monaten reichlich die möglichen
Mehr-Ausgaben wieder ein. Ehe wir aber diese Reise zusammen machen,
werden Sie selber einsehen, daß es nöthig ist die Trauung vorher zu
halten -- schon des Geredes der Leute wegen. Nun, lies nur laut, Helene,
Arno soll ebenfalls wissen, wie die Präsidentin über unseren Umzug
denkt. Sie ist unendlich liebenswürdig, und bietet uns sogar an in ihrem
Hause zu wohnen, bis wir uns eine eigene Wohnung hergerichtet haben.«

Helene hatte den Brief überflogen, und sah jetzt darüber hinaus ihre
Mutter groß und starr an.

»Nun, was hast Du denn? So lies doch! Die Präsidentin schreibt doch eine
ganz leserliche Hand. Aber ich vergaß -- der Brief ist ja portugiesisch,
und Sie verstehen ihn nicht, Arno -- gieb ihn mir, ich werde ihn
übersetzen.«

»Der Brief hier,« sagte Helene mit fast tonloser Stimme, ohne ihn aus
der Hand zu geben, oder ein Auge von ihrer Mutter zu verwenden, »ist
_nicht_ von Santa Catharina.«

»_Nicht_ von Santa Catharina?« rief die Gräfin, sich erschreckt halb vom
Sopha hebend -- »dann -- dann habe ich die Couverts verwechselt -- gieb
ihn mir -- gieb ihn mir!« -- und in einer Aufregung, die besonders Herrn
von Pulteleben staunen machte, streckte sie die Hand nach dem Briefe
aus.

»Laß ihn mir noch eine Weile, Mutter,« erwiederte aber Helene aufstehend
-- »er ist so interessant, daß ich ihn gern noch _einmal_ lesen möchte
-- gute Nacht!« -- und ehe sie die Mutter daran verhindern, oder der
verblüffte Bräutigam ein Wort dagegen einwenden konnte, schritt sie
durch die Stube in ihr dicht daran stoßendes Zimmer und riegelte die
Thür hinter sich ab.

»Aber ich begreife gar nicht,« sagte Herr von Pulteleben, ebenfalls
aufstehend und seine Schwiegermutter #in spe# etwas verdutzt ansehend --
»was hat nur Helene? Sie war ja auf einmal so furchtbar ernst geworden?«

Die Gräfin wollte Etwas darauf erwiedern -- wollte Herrn von Pulteleben
eine ausweichende Antwort geben, aber sie vermochte es in diesem
Augenblick nicht.

»Ich bitte -- lieber Arno -- lassen Sie -- lassen Sie mich jetzt
allein,« sagte sie verstört -- »ich habe mit dem Mädchen zu reden -- Sie
-- Sie wissen, welche wunderlichen Launen sie hat.«

»Ich möchte um Gottes willen nicht stören,« sagte der junge Mann, indem
er seinen Hut ergriff -- »es sollte mir unendlich leid thun, wenn ich
vielleicht ...«

»Es ist Nichts -- Helene ist -- ein verzogenes Kind.«

»Aber liebenswürdig verzogen,« lächelte Herr von Pulteleben in einem
vollständig mißglückten Versuch, dem Gespräch eine freundlichere
Richtung zu geben. Er fühlte selber, daß er in diesem Augenblick hier
unten total überflüssig sei -- wenn er auch noch lange nicht begriff
weshalb, und in tiefen Gedanken stieg er die Treppe zu seinem eigenen
Zimmer empor und legte sich zu Bett. Kaum hatte er das Zimmer verlassen,
und die Gräfin hörte ihn auf den knarrenden Stufen, als sie an Helenen's
Thür ging, und dort -- fast wie schüchtern -- anklopfte.

»Helene!«

Keine Antwort von innen. Sie pochte stärker.

»Helene! -- Mach' auf -- laß uns vernünftig mit einander reden.«

Keine Antwort. Im Zimmer war Alles todtenstill, und doch konnte sie
durch das Schlüsselloch erkennen, daß das Licht noch drinnen brannte.

»Helene! Sprich wenigstens mit mir!«

Kein Laut tönte von innen heraus, und seufzend wandte sich die Frau
Gräfin endlich ab und suchte ihr eigenes Lager.



3.

Auf Köhler's Chagra.


Es war noch früh am Morgen des nächsten Tages, als schon in Bohlos'
Hotel die Pferde für Herrn von Schwartzau und seinen Begleiter, so wie
die nöthigen Packthiere gesattelt und vorgeführt wurden, denn Günther
schien jetzt ernstlich gewillt, seine noch nöthigen Arbeiten aus
allen Kräften vorzunehmen und zu beenden, um damit seine sechsjährige
Thätigkeit in Brasilien abzuschließen.

Baron Jeorgy, welcher dem Hotel schräg gegenüber wohnte, hatte diese
Zurüstungen gesehen, sich angezogen -- er machte überhaupt jeden Morgen
zu einer genau bestimmten Zeit einen genau bestimmten Spaziergang --
und war hinuntergegangen, zögerte aber heute, seine gewöhnliche Bahn
einzuschlagen, und hielt sich noch in der Nähe des Hotels auf, als ob er
Jemanden erwarte.

Indem er in der Straße auf und ab ging und hier und da vor einer Thür
oder einem Fenster stehen blieb, um mit den dort wohnenden Handwerkern
ein paar huldvolle Worte zu wechseln -- er zeigte sich gern
herablassend, wo er genau wußte, daß er seiner Stellung Nichts vergab
-- kam er auch zu Pilger's Fenster, der dahinter still und allein bei
seiner Arbeit saß, und den hineingerufenen Gruß freundlich aber nur kurz
erwiederte.

»Nun, Pilger, wie geht's?« sagte der Baron, indem er seine Hand auf das
Fensterbret legte -- »immer so fleißig?«

»Muß wohl, Herr Baron,« sagte der Mann, ohne von seiner Arbeit
aufzusehen, »um das Bißchen Brod zu verdienen und -- die Zeit todt zu
schlagen. Was soll man anders thun?«

»Hm,« sagte der Baron, der mit dieser Ansicht vom »Zeit todt schlagen«
nicht so ganz einverstanden schien -- »ja -- ist eigentlich ein einsames
Leben in der Colonie.«

»Das weiß Gott!« seufzte der Mann aus voller Brust vor sich hin, und
stach nur so viel eifriger in das Leder.

»Apropos,« fuhr der Baron fort, der durch den Seufzer an die
Familienverhältnisse des Schuhmachers erinnert wurde -- »Nichts wieder
gehört von Eurem Proceß?«

»Mit der Geistlichkeit?«

»Ja.«

»Nicht das Geringste und -- werde auch wohl Nichts wieder darüber hören,
als daß Alles beim Alten bleibt. Der neue Director will so Nichts damit
zu thun haben, weil er meint, gegen die Gesetze des Landes ließe sich
nicht ankämpfen -- der alte hätte mir vielleicht besser beigestanden.
Der Herr Pastor zuckt ebenfalls mit den Schultern, da -- hab' ich denn
natürlich Unrecht, und kann meine Schuhe ruhig weiter flicken.«

»Böse Geschichte,« sagte der Baron, welchem das Gespräch unangenehm
wurde -- »sehr böse Geschichte! Na, guten Morgen, Pilger!«

»Guten Morgen, Herr Baron,« sagte der Mann, an sein Mützchen greifend,
ohne jedoch weiter von dem Herrn Notiz zu nehmen.

Die Straße herunter kam ein anderer Colonist, der Schneider Berthold,
der für den Baron arbeitete.

»Guten Morgen, Herr Baron! Wissen Sie's schon?« sagte der Mann, indem er
vor dem Baron stehen blieb und seine Mütze abzog.

»Guten Morgen, Meister Berthold -- ob ich _was_ weiß?«

»Der Justus ist fort -- der Kernbeutel, mein' ich, der andere Schneider
-- den verrückten Kerl haben Sie ja doch gekannt?«

»Fort? Wohin? Durchgegangen?«

»Niemand weiß es,« sagte der Mann. »Er war neulich Abends von Haus
fortgegangen, um Zuhbel auf seiner Chagra zu besuchen, dort hat aber
Niemand Etwas von ihm gesehen, und er ist auch seit der Zeit -- es sind
nun schon ein paar Tage her -- nicht wieder nach Haus gekommen. Die
Frau jammert nun und wehklagt, daß er sie ohne einen Groschen Geld habe
sitzen lassen, und die Soldaten sind heute Morgen in der Nachbarschaft
herumgeschickt, um nach ihm zu suchen, denn er ist Gott und der Welt
schuldig, der Lump!«

»Hm, hm, hm, was man nicht Alles hört -- guten Morgen, Meister!« sagte
der Baron, und brach das Gespräch kurz ab, denn in Bohlos' Hotelthür
erschien eben der junge Fremde, der sich hier in der Colonie unter dem
Namen Randolph eingeführt, und trat zu seinem Pferd, um dessen Gurt noch
einmal nachzuziehen. Der Baron kam an der nämlichen Seite der Straße
herauf, als ob er nur zufällig dort vorbeiging, und als er dem jungen
Mann gegenüber war, blieb er stehen wandte sich gegen ihn und sagte
lächelnd:

»Ei, guten Morgen, mein junger Freund. Der gestrige Abend scheint Ihnen
gut bekommen zu sein, daß Sie so früh schon wieder zur Reise gerüstet
sind.«

»Ah, guten Morgen, Herr Baron -- auch schon auf?«

»In meinem Alter muß man sich an ein regelmäßiges Leben gewöhnen, wenn
man gesund bleiben will,« sagte achselzuckend der Baron. Sie jungen
Leute können freilich noch mit Ihrem Körper machen was Sie wollen,
ohne augenblicklich dafür gestraft zu werden. Aber wo soll die Reise
hingehen, wenn man fragen darf?«

»In den Wald,« sagte fröhlich der junge Graf, indem er den Baron leicht
auf die Schulter schlug -- »in den Wald, mein lieber Herr, daß ich
einmal eine Zeit lang keine Schornsteine und Glasscheiben mehr zu sehen
brauche. -- Ich gebe Ihnen mein Wort, ich habe einen wahren Ekel vor der
Civilisation.«

»Dann wollen Sie wohl unter die Indianer gehen?« lächelte der Baron
etwas verlegen, denn diese Ansichten waren ihm zu barock, als daß er
ihnen hätte folgen können.

»Vielleicht,« lachte Felix -- »und ich glaube bei Gott, ich passe besser
zu _ihnen_, als in diese erlogenen und künstlichen Verhältnisse, die wir
im gewöhnlichen Leben die _Gesellschaft_ nennen.«

»Das sind ja wahrhaft haarsträubende Ansichten,« sagte der Baron
schmunzelnd, »aber -- ehe wir Sie denn für immer verlieren, um da
draußen im Walde mit Federschmuck und Blasrohr umher zu laufen -- und
wenn Sie zurückkommen, müssen Sie mir das einmal vormachen, wie sich die
Indianer auf den Rücken legen und den Bogen mit den Füßen spannen, um
einen Vogel aus der Luft zu schießen -- möchte ich noch eine Frage an
Sie richten, lieber _Graf_.«

»_Graf_?« sagte Felix und drehte sich ihm rasch zu.

»Bst, bst,« lächelte der Baron -- »ich weiß recht gut daß Sie ein Schelm
sind -- hier mein kleiner Finger hat es mir gesagt -- aber ganz unter
uns, versteht sich, wenn Sie nicht selber mit dem Ihnen gebührenden
Rechte hier auftreten wollen -- doch -- eine Frage müssen Sie mir
beantworten, ehe Sie gehen« -- und er schob dabei seinen Arm in den des
jungen Grafen und führte ihn etwas die Straße hinauf, denn er wollte
sicher sein, daß sie nicht gleich gestört würden.

»Und die ist? Ich bin doch begierig.«

»Glauben Sie auch um Gottes willen nicht,« wehrte der Baron im Voraus
jeden falschen Verdacht ab, »daß ich aus bloßer ungerechtfertigter
Neugierde frage, denn ich bin ein intimer Freund der Frau Gräfin Baulen
und der liebenswürdigen Comtesse, und nehme deshalb den innigsten
Antheil an ihrem Wohlergehen.«

»Das ist eine lange Vorbereitung, Herr Baron.«

»Ich komme gleich zur Sache -- Sie -- machten gestern Abend der Frau
Gräfin eine Entdeckung.«

»Sie standen in der Nähe?« sagte Graf Rottack und sah ihn scharf an.

»Hm -- nicht unmittelbar -- zufällig -- die Frau Gräfin schien sehr
bestürzt darüber -- auffallend bestürzt -- ich habe sie in der That so
noch nie gesehen, denn sie ist eine sehr resolute und charakterfeste
Dame.«

»Es schien so,« erwiederte der junge Mann, der fest entschlossen war,
dem Baron _nicht_ auf halbem Wege entgegen zu kommen.

»Hm ja,« fuhr der Baron augenscheinlich verlegen fort, denn er wußte
nicht, wie er auf die geschickteste Weise sein Ziel erreichen sollte --
»ich -- ich muß Ihnen nur gestehen, lieber Graf -- aber ich gebe
Ihnen nochmals mein Wort, auch ohne den leisesten, unfreundlichen
Hintergedanken -- daß ich schon seit einiger Zeit -- ich weiß eigentlich
selber nicht recht, weshalb -- den Verdacht gefaßt hatte, daß ....«

»Daß?«

»Daß die Frau Gräfin -- daß der Rang der Frau Gräfin, wollte ich sagen
-- verstehen Sie mich vielleicht?«

»Noch hab' ich keine Ahnung,« lächelte Felix, den die Verlegenheit des
Barons amüsirte.

»Es ist eine kitzliche Sache, darüber zu reden -- ich gebe es zu,« fuhr
der Baron also gedrängt fort, indem er langsam seine Hände in einander
rieb, als ob er sie bildlich in Unschuld waschen wollte -- »und unter
anderen Verhältnissen möchte ein Eingehen darauf vielleicht nicht einmal
gerechtfertigt erscheinen.«

»Stehen Sie in einem _Verhältnisse_, Herr Baron?«

»Mißverstehen Sie mich um Gottes willen nicht!« rief dieser rasch und
ordentlich erschreckt. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, es ist
kein persönliches Interesse, sondern nur das, was ich an der
Aufrechterhaltung des _Standes_ im Allgemeinen nehme. _Jetzt_ haben Sie
mich doch verstanden?«

»Nicht um ein Jota mehr, als früher,« erwiederte der junge Graf mit
einem boshaften Lächeln.

»Gut,« sagte der Baron entschlossen, »dann zwingen Sie mich, deutlich zu
reden, denn die Sache ist in der That zu wichtig. Lassen Sie mich also
ganz aufrichtig sein und ich erwarte nachher das Nämliche von Ihnen,
denn wir Beide _sind_ es unserem Stande schuldig.«

»Sie spannen mich wirklich auf die Folter.«

Der Baron erfaßte des Grafen Arm, blieb vor ihm stehen, sah ihm fest
in's Auge und sagte:

»Hat die Frau Gräfin von Baulen wirklich den Grafenrang?«

»Aber, lieber Baron,« bat jetzt seinerseits der junge Mann, »ich bin
heute Morgen wirklich in Eile, denn Schwartzau wird den Augenblick
herunter kommen. Die Pferde sind, wie ich sehe, schon gepackt, und Sie
thun mir einen wesentlichen Gefallen, wenn Sie alle Kleinigkeiten
bei Seite lassen und mir gerade heraus sagen, um welchen _wichtigen_
Gegenstand Sie mich fragen wollten.«

Der Baron stand, ein Bild sprachlosen Erstaunens, vor Felix.

»Und ist Ihnen _der_ Gegenstand _noch_ nicht wichtig genug?« brachte er
endlich mühsam heraus.

»Und das war wirklich Alles, was Sie von mir wissen wollten?« lachte der
junge Mann jetzt gerade heraus.

»Alles,« sagte der Baron, völlig vernichtet.

»Dann thut es mir in der That leid, Ihnen keine _bestimmte_ Antwort
darüber geben zu können, und ich muß Sie -- wieder auf Ihren kleinen
Finger verweisen. -- Da kommt auch schon Schwartzau mit Könnern -- wir
müssen fort -- also auf Wiedersehen, lieber Baron!« und mit den Worten
ließ er den über solche Gefühllosigkeit völlig empörten Mann mitten auf
dem Wege stehen, schwang sich in den Sattel und sprengte gleich darauf
mit Günther und von den Packthieren und ihren Treibern gefolgt, die
Straße hinauf. --

Könnern, der seine Bekanntschaft mit Felix von jenem Morgen im Walde
erneuert hatte, war nur mit herunter gekommen, die Freunde abreiten
zu sehen. Ihn selber drängte es, allein zu sein, wenigstens nur mit
fremden, gleichgültigen Menschen zu verkehren, mit denen er über
alltägliche Dinge sprechen konnte. Das Herz war ihm noch so schwer --
so schwer und der Gedanke dabei peinlich, selbst von dem besten Freund
bemitleidet zu werden.

Sein Pferd hatte er sich indessen auch vorführen lassen, stieg auf und
ritt langsam und im Schritt dieselbe Straße hinab, die er mit Günther
gekommen war, als sie zum ersten Mal die Colonie betraten. Er war damals
so leichten Herzens -- so glücklich gewesen -- er wollte die Stunden
noch einmal durchleben in der Erinnerung; war ihm doch Nichts weiter
geblieben auf der Welt, als an _gehofftes_ Glück _zurück_zudenken.

So ritt er langsam aus der Colonie hinaus bis zu dem Fuß des
Gebirgszuges, der in einzelnen Abläufern seine Hänge in's niedere
Land dehnte, dann den schmalen Pfad hinauf, der die noch immer nicht
ausgebesserte und geborstene Brücke umging, und hielt erst wieder, als
er den freien Kopf erreichte, von dem man eine Aussicht über die ganze
Colonie Santa Clara und die benachbarten Hügelgruppen gewann.

Und mit anderen Augen schaute er jetzt hinab, als damals, wo er sich
zuerst dem fremden Platze näherte; wie suchte der umherschweifende Blick
so rasch den kleinen, von hier aus kaum erkennbaren Punkt, in dem er
Alles gefunden was das Menschenherz zu fassen vermag, Glück und Liebe --
und Alles wiederum verloren hatte -- Glück und Liebe.

Da drüben lag der sonst so freundliche Platz stumm und öde -- da unten
in dem Strom, dessen Lauf das dunkle, saftige Laub der Bäume zeigte,
ruhte die Mutter, die Reue und Verzweiflung in die Fluth gejagt, und da
drüben zwischen jenen lichten Höhenzügen irrte vielleicht jetzt das
arme süße Kind umher, das seinem ganzen Leben Glück und Frieden bringen
sollte und jetzt -- wenn auch mit zitternder Hand -- den Wanderer wieder
allein und freundlos hinausgestoßen hatte in dieses Leben.

Und was wollte er selber jetzt noch hier? Warum spornte er sein Pferd
nicht einer andern Gegend zu, nur um sich hier in nutzlosem Gram und
Kummer zu verzehren? Er wußte recht gut wie wenig Hoffnung ihm geblieben
war, sie je wiederzusehen, aber er hatte auch den Muth nicht sich jetzt
schon freiwillig aus ihrer Nähe zu verbannen. So lange er sich noch in
dem Bereich des Platzes wußte, in dem er ihr stilles, häusliches Wirken
gesehen, ihre liebe Stimme gehört, in ihre treuen Augen geschaut hatte,
so lange war es ihm, als ob er noch nicht ganz verlassen sei, als ob sie
wiederkehren _müsse_, um ihr Haupt an seine Schulter zu legen und mit
leiser, zitternder Stimme seinen Namen zu nennen.

Fort, fort mit den Gedanken! -- Das bittere Gefühl der Verlassenheit
stach ihn wie ein Dolch in's Herz, und sein Pferd herumwerfend, als ob
er auch seiner Erinnerung entfliehen könne, wenn er den theuren Platz
selber nicht mehr vor sich sah, sprengte er den Weg entlang und sah sich
plötzlich seinem alten Bekannten, dem jungen Bauer Köhler gegenüber, in
dessen Haus er an jenem Tage ebenfalls eingekehrt war und dem er sogar
versprochen hatte, ihn zu besuchen. Lieber Gott, was hatte er nicht
Alles vergessen und vergessen _müssen_ in der Zeit!

Desto besser schien es aber der junge Bauer im Gedächtniß behalten zu
haben, denn er erkannte kaum den Reiter, als er ihm auch freundlich
entgegenrief:

»Na, das ist recht daß Sie Wort halten, wenn es auch ein Bißchen
lang gedauert hat. Meine Alte wird sich auch freuen, Sie einmal
wiederzusehen, denn wir haben noch oft und viel von Ihnen gesprochen.
Und wie ist's gegangen in der Colonie?« fuhr er fort, als er zum Pferd
trat und Könnern herzlich die Hand schüttelte. »Gut, nicht wahr? Und der
Graue sieht auch prächtig aus. Dem ist da unten Nichts abgegangen,
wie es scheint. -- Aber so steigen Sie doch nur ab; Sie wollen doch
wahrhaftig nicht im Sattel sitzen bleiben?«

Eine Weigerung hätte Nichts geholfen, das sah Könnern recht gut ein. Die
Einladung war auch so treuherzig geboten -- er hätte dem guten Menschen
schon nicht weh' thun mögen, selbst wenn es ihm auch nicht recht gewesen
wäre, einmal eine halbe Stunde hier zu plaudern, und seinen eigenen
Trübsinn zu vergessen.

Und wie freundlich wurde Könnern von der lieben jungen Frau empfangen!

»Das ist gescheidt,« sagte diese, als er das Zimmer betrat und ihr die
Hand entgegenreichte -- »das ist grundgescheidt von Euch, daß Ihr Euch
auch wieder einmal bei uns sehen laßt, und da unten bei den Grafen und
Baronen nicht gar so stolz geworden seid. Aber Ihr seht schlecht aus,«
setzte sie rasch hinzu und sah ihn forschend an -- »gar schlecht seht
Ihr aus, blaß und eingefallen, und lange nicht mehr so frisch und
munter wie damals, als Ihr zum ersten Mal bei uns war't. Seid Ihr krank
gewesen? Der Platz ist doch eigentlich sonst gesund genug?«

»Krank wohl nicht,« antwortete Könnern ausweichend -- »vielleicht der
Klimawechsel. Aber was macht Euer kleiner Bursche? Geht's ihm gut?«

»Da liegt der Schlingel in dem Bettchen drin,« sagte die Frau, mit einem
glücklichen Lächeln auf den Liebling zeigend -- sie hatte im Nu alles
Andere darüber vergessen. »Da liegt er und thut als ob's gar keine
Arbeit auf der Welt gäbe, und die Mutter nur zu _ihm_ springen müsse,
sobald er die großen Guckaugen und das kleine Mäulchen aufthut.« --
»Aber setzt Euch,« fuhr sie rasch fort, und sah sich dabei im Zimmer
um -- »Ihr werdet hungrig sein nach dem Ritt, und es sieht auch heute
Morgen noch so wild bei uns aus -- freilich, Besuch hatten wir so früh
noch nicht erwartet, und es giebt gar so viel im Hause zu thun, und noch
dazu, wenn man so eine kleine Plage dabei hat, die einen geradezu von
Allem abhält, was man thun möchte.«

»Aber Ihr möchtet sie doch nicht missen?«

»Den Jungen da?« rief die Frau ordentlich erschreckt aus -- »da sei Gott
vor, daß ich den Buben je wieder missen müßte -- ich glaube, ich -- aber
ich will's auch nicht einmal denken. Was Ihr nur auch für Reden führt!«

»Na, da setzt Euch her und frühstückt ein Bißchen,« sagte der Mann, »und
ich gehe derweil in's Feld hinaus, wo ich 'was zu besorgen habe. Nachher
komme ich wieder herein, und dann schwatzen wir noch Eins zusammen.«

»Dann gehe ich lieber jetzt mit Euch in's Feld,« sagte Könnern, »denn
Kaffee habe ich schon getrunken, ehe ich unten wegritt.«

»Desto besser,« rief der junge Bauer, den das augenscheinlich zu freuen
schien, »dann zeig' ich Euch vorher einmal meine Felder draußen -- wir
haben tüchtig geschafft die Zeit, in der ich da oben bin, und nachher
frühstücken wir mit einander. Es schmeckt auch gleich besser, wenn man
sich erst ein Bißchen Bewegung gemacht hat.«

»Jetzt lauft Ihr wieder Alle fort,« sagte die junge Frau, »und ich kann
allein bleiben -- ist das auch ein Besuch? Aber der kleine Bengel da
wird doch bald kommen, dann hab' ich alle Hände voll zu thun, bis dem
erst der Schreihals gefüllt ist. -- So macht nur daß Ihr wiederkommt.
Grüß' Gott, Fremder!«

Könnern ging schweigend neben dem jungen Mann in den Hof hinaus, sah,
wie dieser dort sein Pferd absattelte und in den kleinen Weidegrund
jagte, und folgte ihm dann in das Feld.

»Ihr seid so still heute,« sagte der Mann -- »fehlt Euch wirklich
Etwas?«

»Nein,« erwiederte Könnern mit einem wehmüthigen Lächeln -- »das Einzige
ausgenommen, was _Ihr_ habt und mir kein Arzt der Welt geben kann --
eine glückliche Häuslichkeit.«

»Ei,« lachte der junge Bauer, »dazu hab' ich _auch_ keinen Arzt
gebraucht; die macht man sich eben selber.«

»Wie man's trifft,« seufzte Könnern -- »Ihr aber habt das große Loos
gezogen mit der Frau.«

»Sollt's denken,« schmunzelte der junge Bauer vergnügt vor sich hin, »'s
ist ein Prachtweibel, und immer bei der Hand, immer guter Laune -- ich
kann eigentlich gar nicht sagen, wie glücklich ich mit ihr bin. -- Und
der Junge -- ist das nicht ein Prachtkerl -- habt Ihr schon einmal
einen solchen Jungen gesehen? -- Aber der Alten darf ich's nicht merken
lassen, daß ich so stolz auf ihn bin, sonst neckte sie mich bis auf's
Blut -- und das kann sie -- das versteht sie aus dem Grunde.«

Der junge Mann schwatzte noch immer so fort von seinem Familienglück,
bis sie schon weit draußen im Feld waren, und Könnern schritt schweigend
an seiner Seite dahin und sah im Geist, wie Elise mit dem Vater hinaus
in den dunkeln Wald zog -- freudlos und allein -- sah sie mit wunden
Füßen und krank in einer Hütte liegen -- sah den Vater über sie gebeugt,
der ihr nicht helfen konnte und ihren Kummer, ihre Sorge nur vermehrte,
und hielt dabei krampfhaft sein eigenes Herz mit der rechten Hand
gefaßt, daß es ihm in Jammer und Weh die arme Brust nicht von einander
sprengte.

Draußen im Feld nahmen seines Führers Gedanken aber eine andere
Richtung, denn er hatte auch Freude an seiner Arbeit, die sich ihm
trefflich auf dem guten Land belohnte.

»Da, sehen Sie her,« sagte er, als sie eine dichte Hecke von
wildverwachsenen Quittenbäumen durch ein kleines Thor passirt waren --
»da habe ich einen Versuch gemacht, und Sorgho[1] zu Viehfutter gesteckt
-- und wie ist das aufgegangen, und wie giebt's aus! Das ist ein famoses
Gewächs, das jeder brasilianische Bauer ziehen sollte -- und wie leicht
ist's zu behandeln! Wie den Mais legen wir ihn in den Boden, drei
Spannen im Quadrat etwa, halten das Unkraut weg und den Boden locker,
und nach acht Wochen schon schneid' ich ihn zum ersten Mal. Aber er
giebt nicht nach. Als ob er sagen wollte: »Nu erst recht!« treibt er
noch viel mehr Stengel als vorher, die nach vier oder fünf Wochen
schon wieder geschnitten werden können, und dann kommt er in einem
ordentlichen Busch aus dem Boden heraus. Mein Vater hat mir versichert,
daß er seinen Sorgho schon in Einem Jahr _fünf_mal geschnitten hätte.«

»Und verlangt er guten Boden?« fragte Könnern, dem es wohl that, daß der
Mann nicht mehr von seiner Familie erzählte.

»Nicht besonders -- leichter Boden thut's, und selbst Hitze und
Trockenheit hat dem Zeug Nichts an. Gott weiß, wo es den Saft alle
herbekommt. -- Und sehen Sie 'mal, was daneben für ein Wälschkorn
gestanden hat -- was für Stengel -- ja, das muß wahr sein, der Boden
hier ist eine wahre Pracht, und ich habe ihn merkwürdigerweise da oben
viel besser als die im Thal unten; aber Arbeit kostet's auch, und das
Unkraut herauszuhalten ist schwere Müh', und ordentlich als ob's hinter
einem wieder herauswüchse, wenn man's eben erst ausgerissen hat.«

»Zuhbel drüben klagte, daß sich das Land nicht zum Bau von
Futterkräutern eignete.«

»Zuhbel,« lachte der junge Mann, »der klagt über Manches, und lobt
Nichts als seinen eigenen Wein -- gerade aus Widerspruch, weil's eben
kein Anderer thut. Nein, wir können hier bauen was wir wollen, es geräth
Alles -- wenn's nur ordentlich behandelt wird, natürlich. -- Nur mit dem
Weizen hat's uns Allen nicht so recht glücken wollen. Im Anfang, ja, da
ging's gut, und wir glaubten schon, wir hätten gewonnen, aber nachher
gab's auf einmal aus, und was man auch thun mag, es will nicht mehr
vorwärts damit. Aber was schadt's, desto bessere schwarze Bohnen ziehen
wir, Kartoffeln, besonders süße, nach Herzenslust, Maniok, Erdnüsse
und recht guten Reis; da kann man's zur Noth auch schon ohne den Weizen
aushalten, mit dem sie weiter unten im Süden doch mehr ausrichten als
wir hier.«

»Und wie steht's mit dem Tabak?«

»Gut -- von der Art wenigstens wie er hier wächst. Ich hab' ganz
hübschen Tabak gebaut, und auch gut in die Stadt hinein verkauft, aber
-- ob wir hier nicht recht mit den Blättern umzugehen wissen, oder an
was es sonst vielleicht liegt -- der ganze Tabak taugt eigentlich nicht
viel, und die Cigarren, die wir manchmal mit einem Schiff von anderen
Ländern herüber bekommen, sind doch ein ander Ding; selbst viel besser
als die von Bahia.«

»Und wie hübsch und sauber die Chagra eingerichtet ist,« sagte Könnern,
der den Blick mit Vergnügen über die reinlichen Felder und die guten
Umzäunungen gleiten ließ -- »man sieht doch gleich, wo eine deutsche
Hand gearbeitet hat.«

»Nun,« lächelte Köhler, »ich bin zwar ein Brasilianer, das heißt im
Lande geboren, aber das deutsche Blut steckt freilich drin, und wie
wir's daheim gesehen und gelernt haben, so machen wir's eben nach, wenn
wir selber selbstständig werden.«

»Euer Vater hat Vermögen mit nach Brasilien gebracht?«

»Nicht eine rothe Kupfermünze, aber Schulden dafür genug,« lautete die
Antwort. »Nein, er kam damals mit einer ganzen Ladung Bauern, alle vom
Hundsrück in Deutschland und arm genug, herüber, nur mit einer Frau
und zwei Kindern -- meiner Mutter und den beiden ältesten Brüdern. Die
Regierung gab ihm ein Stück Land, was sie hier eine »Colonie« nennen,
und auch noch Subsidiengelder, daß er sich die erste Zeit über Wasser
halten konnte. Ackergeräthe bekamen sie ebenfalls von der Regierung, und
nun ging's her über die Bäume, und Land wurde klar gemacht, daß es eine
Lust und Freude war. Die Arbeit lohnte auch. Alle die armen Teufel, die
daheim nicht das Brod zum Brechen und Sorgen und Kummer genug gehabt,
wie mir mein Vater oft erzählt, bauten sich zuerst eine nothdürftige
Hütte und dann ein ordentliches Haus, vergrößerten ihre Felder,
sahen ihre Heerden sich vermehren -- und ihre Kinder auch, und fanden
plötzlich, daß sie gar nicht mehr alle zusammen Platz auf der alten
Chagra hätten. Mein Alter -- und viele andere Alte machten es eben so
-- schickte aber nicht etwa seine ältesten Söhne hinaus, um sich einen
neuen Platz zu gründen, nein, er kaufte von der Regierung eine andere
Colonie für sich selber, auf der er wieder frisch an zu wirthschaften
fing, weil er sich nicht überreden konnte, daß es die Jungen eben so
gut verständen, wie er. Jetzt ist er freilich zu alt geworden, um noch
einmal von vorn anzufangen, und wie _ich_ flügge wurde, ließ er mich
hinaus, um mein eigen Nest zu bauen.

»So haben wir uns denn vermehrt und ausgebreitet, und wenn Ihr hier in
der Gegend und in vielen anderen Gegenden Süd-Brasiliens herumfragt,
werdet Ihr überall Leute finden, die sich wohl befinden in der Welt, und
deren Eltern doch daheim nicht genug hatten, daß sie sich in der Woche
ein halbes Pfund Fleisch gönnen konnten.«

Der junge Mann plauderte noch eine ganze Weile so munter fort und hatte
besondere Freude daran, seinem Besuch zu erzählen, wie Der oder Jener
vor fünf, sechs oder acht Jahren herüber gekommen sei und Nichts
mitgebracht habe als sein Elend, und eine verkümmerte Familie, und wie
gut es ihnen ginge. Dabei blieb er bald hier, bald da einmal stehen und
zeigte dem Fremden die neue Anlage von Pfirsichbäumen, die das nächste
Jahr schon wahrscheinlich tragen würden; dann den Flachs, den er für
seine Frau gebaut, der aber nicht recht fortkommen wollte -- und dann,
nachdem er nach seinen Arbeitern gesehen, die wieder frisches Land urbar
machten, führte er ihn zu dem Hause selber zurück, um ihm auch noch
den Gemüsegarten und die Ställe zu zeigen -- Ställe nämlich nur für die
Mastschweine, die er mit dem Sorgho fütterte, denn das andere Vieh lief
lustig draußen im Freien auf einem großen, eingezäunten Platz umher.

Der Garten selber stieß an ein kleines Dickicht alter Pfirsichbäume,
an denen der frühere Besitzer Weinreben gepflanzt, die sich jetzt ganz
erstaunlich ausgebreitet hatten. Köhler nannte den Platz »des Barons
Laube«. Der Gemüsegarten selber lag dicht und unmittelbar hinter dem
Hause, und nur die Fenster der Küche und Schlafkammer führten darauf
hinaus.

Die beiden jungen Männer hatten übrigens kaum den Rand des Gemüsegartens
erreicht, als ein eigenthümlich lautes Sprechen, fast wie ein Ruf
aus dem Hause drang. Köhler zeigte gerade Könnern den trefflichen
Blumenkohl, den er hier gezogen -- er schwieg plötzlich und horchte nach
dem Hause hinüber; es war Alles wieder still, nur das Kind schrie.

»Was das für ein klinger Schlingel ist!« sagte er lachend; »die Frau
hat den ganzen Tag mit ihm zu zanken, und er macht sich nicht _so_ viel
daraus. -- Ja, was ich gleich sagen wollte, der Blumenkohl hier ist
meiner Frau größter Stolz, denn den hat« -- wieder hielt er inne, denn
nochmals kam aus dem Hause ein merkwürdiger Laut, der weit mehr einem
ärgerlichen Schrei als einem Zanken glich.

»Jetzt wollt' ich doch drauf schwören, daß ich meinen Namen gehört
hätte,« sagte Köhler, schritt aber dabei schon rasch dem Hause zu, wohin
ihm Könnern folgte.

»Hans! Hans!« schrie es in dem Augenblick klar und deutlich, und mit
zwei Sätzen waren beide Männer im Hause, denn etwas Ungewöhnliches
_mußte_ dort geschehen sein.

Köhler sprang voran in die Stube, deren Thür nur angelehnt war, und
blieb erstaunt mit einem lauten _Halloh_? auf der Schwelle stehen, denn
in dem Zimmer stand ein sehr anständig gekleideter ältlicher Herr, hatte
_seine_ Frau umfaßt, die sich aus allen Kräften gegen ihn wehrte, und
suchte sie mit dem einen Arme an sich zu ziehen, während er mit dem
andern ein paar gut gemeinte Stöße parirte, welche sie nach seinem
Gesicht führte. Bei dem Ausruf des Mannes ließ er freilich die Frau
augenblicklich los, die, aufgeregt und erhitzt, mit funkelnden Augen und
zitternden Gliedern ihrem Mann entgegen rief:

»Gut, daß Du da bist -- schmeiß' mir einmal den Kerl hinaus!«

»Sie verstehen aber auch gar keinen Spaß,« lachte der fremde Herr
verlegen, der jetzt sein Taschentuch heraus nahm und sich etwas Blut aus
dem Gesicht wischte, denn die »Trine« schien nicht immer fehl getroffen
zu haben.

Der Herr selber sah außerordentlich echauffirt und nichts weniger als
erfreut aus, die beiden Männer in der Thür zu finden. Köhler selber war
aber wirklich im ersten Augenblick so verblüfft, daß er gar nicht
wußte was er thun oder sagen sollte, und kam eigentlich erst wieder zur
Besinnung, als Könnern mit einem ironischen Lächeln bemerkte:

»Der Herr Director machen wohl eine Inspectionsreise durch die
verschiedenen Colonien?«

»Also _das_ ist der neue Director?« rief Köhler jetzt, der vor innerem
Zorne gar noch nicht recht wußte, wo er zuerst anfassen sollte -- »das
ist der Lump, der den ehrlichen Sarno aus seiner Stelle gebissen hat und
jetzt in den Colonien herumkriechen und Stänkereien anrichten will! Ei,
da soll doch gleich ein heiliges Kreuzdonnerwetter ...«

»Herr Köhler, ich warne Sie wohlmeinend,« rief Herr von Reitschen, vor
der auf ihn einschreitenden Gestalt aber doch zurückweichend -- »ich
sage Ihnen, ich habe nur einen Scherz ...«

»Ich mache _auch_ nur Spaß,« sagte der junge Bauer, den Arm nach ihm
ausstreckend und seinen Kragen erfassend -- »nur zum Spaß will ich
Sie einmal ein Bißchen vor die Thür setzen, daß Sie sich doch für das
nächste Mal merken, wie man sich bei den Colonisten zu benehmen hat.«

»Herr Köhler -- ich werde jeden gewaltsamen Angriff« -- schrie der
Director unter dem eisernen Griff des jungen Bauers -- aber er kam nicht
weiter; Könnern trat lächelnd zur Seite, als er vorbeigeschleppt wurde,
als ob ihn irgend ein Maschinenwerk beim Kragen hätte, und im nächsten
Moment flog er auch schon über die Schwelle mit unwiderstehlicher Gewalt
hinaus, stolperte über ein paar dort liegende Stücke Feuerholz und fiel
mit solcher Gewalt gegen einen jungen Orangenstamm, daß dieser eine
ganze Menge seiner Früchte auf ihn herabschüttelte.

»Bitte, bedienen Sie sich,« lachte Köhler, der bei der ganzen Scene auch
noch nicht einen Moment seine Ruhe verloren und selbst den Fluch vorher
gerade so ausgesprochen hatte, als ob er »gesegnete Mahlzeit« sagte --
»es ist doch wohl das letzte Mal, daß ich die Ehre hatte Sie hier oben
bei mir zu sehen?«

Herr von Reitschen mußte fühlen welche traurige Rolle er hier oben
spielte, und besonders peinlich war ihm natürlich dabei Könnern's
Gegenwart, da er sich über das Andere würde viel leichter hinweggesetzt
haben. Er sprang auch rasch in die Höhe, und ohne sich selber so
lange aufzuhalten, seinen sehr beschmutzten Rock nur oberflächlich zu
reinigen, ging er zu seinem Pferd, löste den Zügel, warf ihn über, stieg
in den Sattel und sprengte, so rasch ihn das Thier trug, der Colonie
wieder zu.

»Das ist doch ein Hauptlump,« sagte Köhler, als er sich nach Könnern
umdrehte, der ein vollkommen ruhiger lächelnder Zeuge der ganzen Scene
gewesen war -- »hat er Dir weh gethan, Trine?«

»Ich hab' _ihm_ weh gethan,« sagte die junge, prächtige Frau lachend,
»und das blaue Auge und die blutige Nase wird er wohl eine Woche unten
im Ort zu meiner Erinnerung tragen.«

»Das wird eine schöne Wirthschaft hier geben, wenn der das so
forttreibt,« sagte Köhler kopfschüttelnd -- »eigentlich hätt' ich ihm
vorher die Jacke tüchtig aushauen sollen -- es ist mir nur zu spät
eingefallen -- des guten Beispiels wegen, mein' ich.«

»Es ist so besser,« lachte Könnern, »und ich gebe Ihnen mein Wort, die
härteste Strafe für ihn war, daß gerade _ich_ daneben stand und Zeuge
seiner Demüthigung sein konnte.«

»Nun, ich weiß nicht,« meinte Köhler, »so eine recht gesunde Tracht
Schläge ist auch nicht so übel, und verdient _hatte_ er sie.«

»Und aus dem FF,« bestätigte die Frau -- »'s ist aber so auch vielleicht
besser, denn nachher hättest Du am Ende mit den Gerichten zu thun
gekriegt, und wenn's weiter Nichts gewesen wäre, hätt's Geld gekostet
und Laufereien gemacht. Jetzt wird er schon das Maul halten und Dich
ungeschoren lassen.«

»Das glaub' ich selber,« lachte der Mann.

»Und wie der Junge schrie, wie er mich anfaßte,« schmunzelte die Frau --
»_das_ ist ein Mordkerl -- der wollte seiner Mutter Nichts zu Leide thun
lassen. Wo war't _Ihr_ denn draußen?«

»Gerade kamen wir durch des Barons Laube und wollten Deinen Blumenkohl
besehen, wie ich den Lärm drinnen hörte; aber wer denkt denn an so
'was?«

»Aber jetzt frühstückt,« sagte die Frau, denn sie waren indessen wieder
in die Stube gegangen, und sie setzte den Jungen mitten in dieselbe auf
die Erde -- »ich hol' Euch gleich Alles herein -- es ständ' schon
auf dem Tisch, wenn der Lump nicht gekommen wäre -- und wie er mich
zugerichtet hat!« sagte sie, als sie an dem kleinen Spiegel vorbeiging,
einen Blick hinein warf und sich dann die Haare wieder flüchtig in
Ordnung brachte.

»Aber was wollt' er denn eigentlich?« fragte Köhler, der sich an den
Tisch setzte und Könnern ebenfalls einen Stuhl hinrückte.

»Was weiß ich's,« sagte die Frau im Hinausgehen -- »er fragte nach Dir,
und wie ich ihm sagte, daß Du im Felde wärst, glaubte er wahrscheinlich,
_er_ hätt's Preh! Der alte Esel!« und lachend warf sie die Thür hinter
sich zu.



4.

Helene.


Am nächsten Morgen nach dem Verlobungsabend war Herr von Pulteleben
sehr früh aufgestanden, um angezogen zu sein und keinen Augenblick zu
versäumen, seine liebenswürdige Braut begrüßen zu können. Was hatte sie
nur gestern Abend mit ihrer Mutter gehabt? Er hielt unwillkürlich
mitten im Binden seiner Cravattenschleife ein, als er wieder an seinen
gestrigen Abschied dachte -- aber die alte Dame war ja oft so wunderlich
und eigenwillig. Nur gestern Abend schien der Anlaß von Helenen selber
ausgegangen zu sein, und wie sonderbar ernst dieselbe ausgesehen, als
sie vom Tische aufstand und in ihr Zimmer ging.

Was nur in dem _Briefe_ gestanden hatte? Der war jedenfalls schuld daran
gewesen -- aber wenn er Helene heute darum fragte, _ihm_ sagte sie es
gewiß, denn sie waren ja jetzt mit einander verlobt, schon beinahe so
gut wie Eheleute, und Eheleute sollen ja nie Etwas vor einander geheim
halten.

Eheleute -- wie sonderbar dem jungen Mann das Wort, auf sich selber
angewandt, vorkam -- er wurde mit seiner Cravatte heute gar nicht fertig
-- Eheleute -- wie ehrbar das klang und wie -- wie solid und dauernd
-- und wie schnell sich das eigentlich Alles gemacht hatte -- und wie
wunderlich. Wenn er's recht überlegte, war Niemand daran schuld wie der
Jeremias, der ihn hier gewissermaßen in das Stübchen eingeschmuggelt
hatte. Herr von Pulteleben vergaß ganz seine Cravatte, ließ die beiden
Zipfel rechts und links niederhangen und blieb mit gesenkten Händen
nachdenkend auf seinem Stuhl sitzen.

Ob die -- Schwiegermutter nicht darum gewußt haben sollte, daß er hier
als Miethsmann hergebracht wurde? Wie eigenthümlich, daß ihm das jetzt
gerade einfiel -- aber eine Menge bezahlter Rechnungen, seidene Kleider
-- Putzsachen und tausend andere Dinge zuckten ihm hin und her durch den
Kopf wie in einem geschüttelten Kaleidoskop, und wenn er es einmal einen
Augenblick still hielt, formte sich aus all' den bunten durch
einander zerstreuten Dingen doch immer nur wieder das eine Bild: die
Schwiegermutter.

Es war eine außerordentliche Frau, so viel ließ sich in der That
nicht läugnen, und Herr von Pulteleben dachte gar nicht daran es ihr
abzustreiten -- eine ganz außerordentliche Frau, und er konnte sich
gratuliren, daß er eine so praktische Schwiegermutter bekam. Das sagte
er sich selber nämlich, um sich zu überzeugen, und anderen Gedanken
nicht Raum zu geben, die ihm trotzdem immer und immer wieder aufsteigen
wollten.

Es war überhaupt eine ihm selber noch nicht einmal recht klar gewordene
Thatsache, daß er nie an die Schwiegermutter _allein_, sondern immer in
Verbindung mit ihr auch an _Geld_ denken mußte. So fiel ihm denn auch
jetzt, in ganz natürlicher Reihenfolge, sein gegenwärtiger Cassenbestand
ein und was die Hochzeit davon etwa wohl verschlingen würde. -- Aber er
hatte an seine Mutter geschrieben und der Brief war vorgestern mit einem
Schooner nach Rio direct abgegangen. Die Mutter drückte schon noch ein
kleines Capital aus dem Vater heraus, wenn sie erfuhr, daß ihr Arno
unterdessen eine Comtesse geheirathet habe, die noch außerdem die
einzige Erbin eines verkauften Rittergutes war. Und wie schön -- wie
bildschön war Helene, und wie stolz würden die Eltern auf sie sein, wenn
er sie einmal mit hinüber nach Deutschland brachte!

Da klopfte Jemand -- es war die Dorothea mit dem Kaffee; er mußte
wahrhaftig seine Toilette beenden, und Helene war gewiß schon munter und
unten im Garten, und lachte den Langschläfer nachher aus.

»Ist Comtesse Helene schon sichtbar?« fragte er die Magd, die mit dem
einen Arme ein wahres Chaos auf dem Tisch zusammenfegte und mit der
andern Hand das Kaffeebret darauf schob. Die Alte sah ihn aber nur
verwundert an und sagte:

»Sichtbar?«

»Ist sie schon angezogen und auf?«

»Weiß ich nicht.«

»Im Garten war sie noch nicht?«

»Nee.«

»Hm,« sagte Herr von Pulteleben, sich vergnügt die Hände reibend,
während die Alte wieder hinunter ging, »dann kann ich meinen Kaffee erst
noch in aller Ruhe trinken -- ist doch eigentlich der schönste Moment
vom ganzen Tage.« Und damit setzte er sich an seinen Tisch nieder, um
sein Frühstück einzunehmen. Glücklicher Weise hatte seine Braut diese
letzte Bemerkung nicht gehört.

Nach dem Kaffee beendete er rasch seine Toilette und ging dann, als
Geschäftsmann, vor allen Dingen in das Arbeitszimmer hinunter, wo heute
übrigens nur drei Cigarrenmacher saßen. Die anderen hatten sich mit der
Frau Gräfin gezankt und waren nicht allein weggeblieben, sondern der
Eine von ihnen, gerade der beste Arbeiter, begann an dem nämlichen
Morgen ein Concurrenzlocal aufzustellen, was der Frau Gräfin ernstliche
Schwierigkeiten zu bereiten drohte.

Herr von Pulteleben dachte aber jetzt nicht an derlei prosaische Dinge;
er war nur in das Arbeitszimmer gegangen, um nachher, wenn er die
Schwiegermutter sprach, mit gutem Gewissen versichern zu können, er »sei
schon unten gewesen«, und stieg dann die Treppe wieder hinauf, um
bei Helenen anzuklopfen und zu fragen, ob sie nicht einen kleinen
Spaziergang mit ihm machen wolle.

Es war indessen schon neun Uhr geworden und Helene um diese Zeit fast
jeden Tag auf und im Hause; heute dagegen fand er ihr Zimmer noch
verschlossen und bekam sogar nicht einmal eine Antwort.

Er ließ dann durch die Dorothea bei der Frau Gräfin anfragen, wie sie
geschlafen hätte, alles Weitere der Frau Gräfin selber überlassend, und
die Dorothea kam wieder heraus und sagte blos das eine Wort »gut« --
weiter Nichts.

Herr von Pulteleben setzte dann seinen Hut wieder auf und ging sehr
nachdenkend in den Garten hinunter, wo er wenigstens die Gewißheit
erhielt, daß bei der Frau Gräfin wie bei Helenen die Fenster geöffnet
seien -- beide Damen waren also schon auf -- an beiden Fenstern waren
aber auch die Rouleaux noch herunter -- also nach allen menschlichen
Berechnungen die Insassen noch nicht zu sprechen.

Herr von Pulteleben fühlte sich dadurch beunruhigt -- er wußte
eigentlich selber nicht recht warum, es müßte denn eine Art von
Ahnungsvermögen gewesen sein, was wir bei den Thieren Instinct nennen.
Von diesem Instinct getrieben, ging er also einmal zum Baron hinüber,
der seinen Spaziergang schon beendet hatte und eben seinen Kaffee trank,
und hätte bei diesem zu keiner ungünstigeren Zeit vorsprechen können,
denn der Baron war heute Morgen ganz ausnahmsweise sehr schlechter
Laune. Der junge Mann hielt sich deshalb hier gar nicht auf, machte
eine kleine Promenade um die Stadt herum und sprach dann einmal bei
dem Director vor, den er eben von einem Spazierritt hatte zurückkommen
sehen. Er ließ sich auch hier gar nicht melden, sondern folgte dem Herrn
gleich hinauf und klopfte an, fand aber, daß er schon wieder einmal zur
falschen Zeit gekommen sei.

Der Director, der wahrscheinlich mit dem Pferde gestürzt war, denn er
hatte ein blau unterlaufenes Auge und eine geschundene Nase, mußte Herrn
von Pulteleben's Verlobung von gestern Abend total vergessen haben,
denn er ließ ihn nicht einmal hinein. Er öffnete nur halb, fragte ihn
ziemlich barsch was er wolle, und drückte ihm dann die Thür wieder vor
der Nase zu.

»Hol's der Henker!« dachte Herr von Pulteleben -- denn dem sonst so
gutmüthigen Menschen lief endlich die Galle über, »da geh' ich doch
lieber auf mein Zimmer und lasse die Leute zu _mir_ kommen. Die
behandeln Einen ja wie einen -- als ob sie Einen auf der Straße
aufgelesen hätten!« Und dem Entschluß die That folgen lassend, ging er
rasch in seine eigene Wohnung zurück, zog seinen Rock aus, nahm sein
Schreibzeug her und entwarf die Idee zu einem Epos, in dem er die
Erbärmlichkeit des Menschengeschlechts schildern wollte.

Indessen bereitete sich unter ihm eine andere Scene vor. Oskar war
vor etwa einer halben Stunde allein fortgeritten, und Helene, schon
vollständig angezogen, aber in einem ganz einfachen Mousselinkleide,
öffnete ihr Zimmer, ging zu dem ihrer Mutter hinüber und klopfte an.

»Wer ist da?«

»Ich bin's.«

»Gleich!« sagte die Stimme inwendig -- »einen Augenblick nur,« und
Helene hörte, wie drinnen ein paar Schiebladen hastig auf- und zugemacht
wurden. Jetzt drehte sich der Schlüssel im Schlosse und die Comtesse
trat ein.

»Guten Morgen,« sagte Helene ruhig und kalt, und trat zum Fenster,
um das eine Rouleau hinauf zu ziehen, und den Sonnenschein herein zu
lassen.

»Guten Morgen, mein Kind,« sagte die Gräfin, die sich aber heute, der
Tochter gegenüber, merkwürdig verändert benahm, denn sie schien ganz
das hochfahrende, nachlässige Benehmen, das sie sonst selbst Helenen
gegenüber beibehielt, abgelegt zu haben. Sie stand im Zimmer, sie zu
begrüßen, rückte ihr sogar einen Stuhl und sagte:

»Du siehst heute Morgen bleich aus, Helene; hast Du schlecht geschlafen,
mein Kind?«

»Ich glaube ich habe gar nicht geschlafen,« sagte Helene ruhig, ohne die
Mutter anzusehen -- »doch -- das hat mit dem Nichts zu thun, über das
ich mit Ihnen sprechen möchte.«

»Mit _Ihnen_?« rief die Gräfin erschreckt -- »Helene!«

»Bitte, setzen Sie sich,« sagte das junge Mädchen kalt -- »wir haben
Manches mit einander zu besprechen, und es ist nöthig, daß dies in aller
Ruhe geschieht.«

»Aber um Gottes willen, Helene, was hast Du nur -- wie bist Du?« rief
die Frau und wollte Helenens Hand ergreifen.

»Was ich habe?« sagte das junge Mädchen staunend und sah ihr zum ersten
Mal voll und ernst in's Auge -- »und das fragen Sie noch? Aber, bitte,
setzen Sie sich, und erlauben Sie vor allen Dingen, daß ich Ihnen einen
Brief vorlese, der gestern zufällig in meine Hände kam.«

»Der unglückselige Brief!« jammerte die Frau und setzte sich mit
gefalteten Händen und wie gebrochen auf das Sopha nieder.

»Derselbe,« sagte Helene mit eiserner Ruhe, faltete den Brief dann aus
einander, den sie die Nacht über schon unzählige Male gelesen und
über den sie heiße, bittere Thränen geweint, und las jetzt mit fester,
ruhiger, auch nicht die geringste Bewegung verrathender Stimme:

  »Liebe Constance!

  Anbei sende ich Ihnen -- dieses Mal _direct_ -- den zweiten
  Semester-Wechsel für die Erziehung meiner Tochter Helene. Sie sehen,
  ich   habe auch Ihren Wunsch erfüllt und die Adresse an die
  _Gräfin_ Baulen   gerichtet, obgleich ich mit einer solchen Täuschung
  nicht einverstanden   und vollkommen dagegen bin. Ich kenne aber die
  brasilianischen Verhältnisse nicht, und es _mag_ vielleicht dort
  nöthig sein. So geschehe es denn Helenens wegen.

  Es freut mich, so Günstiges über die Fortschritte des Kindes zu hören,
  und ich hoffe, daß Sie Ihr Wort halten und wie eine Mutter für sie
  sorgen.«

»Und hab' ich das nicht gethan, Helene? Hab' ich das nicht immer und
immer gethan und Dir jetzt wieder bewiesen, indem ich einen braven
Mann für Dich gesucht?« rief die Frau und hob die Hände zu der Jungfrau
empor.

Helene las ruhig weiter:

  »Es grüßt Sie freundlich Ihre Ottilie von ....«

»Der Name wie Ort und Datum fehlen.«

»Hab' ich das nicht immer gethan? Sag' wahr und aufrichtig, ob ich das
_nicht_ gethan habe?«

»Nein,« sagte Helene, und das Wort hatte eigentlich keinen Klang,
aber es traf doch deutlich und furchtbar an das Ohr der Frau, die ihr
Taschentuch herausnahm und es gegen die Augen hielt.

»Wie heißt meine Mutter?« fragte Helene endlich mit derselben tonlosen
Stimme wie vorher -- »wie heißt sie und wo wohnt sie, und welches
Geheimniß liegt auf meiner Abstammung, daß ich hinausgeschickt wurde
unter fremde Menschen?«

»Liebe Helene,« sagte da die Frau, das Tuch vom Gesicht nehmend und ihre
Augen trocknend -- »ich habe einen furchtbaren Eid schwören müssen das
Geheimniß zu bewahren, wenigstens so lange zu bewahren, bis ich den
Auftrag dazu von Deiner Mutter selber bekomme, es Dir mitzutheilen. Ich
darf und kann den Eid nicht brechen -- fordere es nicht!«

Helene schwieg; ihr Auge haftete noch immer fest auf der Frau und ein
schwerer Seufzer hob ihre Brust.

»Ich bin mündig,« sagte sie endlich -- »ich bin einundzwanzig Jahr.
_Darf_ mir der Name meiner Mutter -- meiner Eltern länger vorenthalten
werden?«

»Ich will augenblicklich nach Deutschland schreiben,« sagte die Frau --
»gewiß, Helene, mit dem nächsten Schiff, und will Deine Mutter bitten
mich meines Eides zu entbinden; aber ehe das geschehen ist, und wenn
sie _nicht_ darein willigt, kann und darf ich es ja doch nicht thun. Du
selber wirst doch nicht wollen, daß ich einen Meineid auf meine Seele
lade.«

Helene hatte ihr Herz wie krampfhaft mit der Hand gefaßt und sah die
Frau noch immer mit ihrem kalten, durchdringenden Blick an, endlich
sagte sie leise:

»Also Sie wollen mir den Namen meiner Mutter nicht nennen?«

»Ich _kann_, ich _darf_ nicht, Kind -- wenigstens jetzt noch nicht. Laß
Dir Zeit -- in wenig Monaten kann ein Brief hinüber- und zurückgehen,
und ich zweifle keinen Augenblick, daß Deine Mutter mich meines Eides
entbinden wird. Dann von Herzen gern. Aber -- was nutzt es Dir, Helene?«
fragte sie wie schüchtern nach kurzer Pause, »denn -- Du würdest ihr
doch nicht nahen dürfen.«

»Nicht nahen dürfen?« rief Helene erschreckt; »wer will das Kind dem
Herzen der Mutter fern halten?«

»Frage mich nicht weiter -- dringe nicht in mich, Deiner eigenen Ruhe
wegen.«

»Also _das dürfen_ Sie mir doch sagen,« rief Helene rasch, »und aus
Schonung für mich glaube ich nicht, daß Sie es zurückzuhalten brauchen.
Ich verlange von Ihnen zu wissen, _weshalb_ mir die Mutter vorenthalten
werden soll. Ich mache Sie für Alles verantwortlich was daraus entstehen
kann, wenn ich es _nicht_ erfahre, und beim ewigen Gott! ich halte was
ich verspreche, wenn ich Ihnen zuschwöre, daß Sie bei einer Weigerung
keine schlimmere Feindin in der Colonie haben sollen, wie mich. Ich
denke, Sie trauen mir zu daß ich mein Wort halte.«

Helene war von ihrem Stuhl aufgesprungen und stand der Frau mit
zürnendem, drohendem Blick gegenüber.

»Thörichtes Kind,« sagte Frau Baulen, ohne sich jedoch dieses Mal aus
ihrer Ruhe bringen zu lassen, denn sie kannte die Waffe, über die sie
verfügte -- »Du verlangst Etwas, was Dich unglücklich für Dein ganzes
Leben machen wird.«

»_Noch_ unglücklicher als ich jetzt schon bin?« lachte Helene bitter --
»Sie scherzen, Frau _Gräfin_.«

»Und wem zu Liebe nahm ich den Titel an, der mir nicht gebührt?« rief
die Frau, jetzt selber gereizt -- »wem zu Liebe stürzte ich mich in
Ausgaben, die über meine Mittel gingen -- wem zu Liebe hab' ich selbst
die Heimath verlassen, in der ich glücklich und zufrieden mit meinem
Sohn hätte leben können?«

»_Mir_ zu Liebe, nicht wahr?« sagte Helene kalt und bitter, »nur Alles
_mir_ zu Liebe, nicht dem Jahrgehalte! Doch genug, übergenug der Reden!
Täuschen Sie sich nicht, daß ich nach dem, was ich jetzt weiß, auch nur
noch einen Augenblick an Ihren wahren Gesinnungen zweifeln könnte. Wir
Beide haben fortan Nichts mehr mit einander gemein, und das nur verlange
ich jetzt von Ihnen zu wissen, welche Schuld auf mir oder meiner Mutter
lastet, daß ich ihr nie im Leben angehören soll?«

»Gut -- Du _sollst_ es wissen, Undankbare!« sagte die Frau jetzt nach
kurzem Zögern mit entschlossenem Blick -- »Du sollst es wissen, um zu
fühlen, _wie_ allein Du auf der Welt stehst, und wie es mich Ein Wort
kostet, Herrn von Pulteleben, auf dessen Hülfe Du jetzt pochst, von Dir
zurücktreten zu lassen. Ich hoffe, Du wirst dann vernünftig werden und
einsehen, wie ich nur stets und immer Dein Bestes gewollt, wie ich es
_noch_ will, und wie kein Mensch hier _so_ für Dich sorgen kann und
wird, als gerade _ich_. Vielleicht ist es auch gut so, daß der Brief in
Deine Hände kam, denn über kurz oder lang hättest Du es doch erfahren
müssen. Es wird Deinen starren Charakter milder und nachgiebiger machen
und Dich wieder in die Arme _der_ Frau führen, die bis jetzt allein eine
wirkliche und wahre Mutter für Dich gewesen ist. Pulteleben selber wird
es mir später danken -- wenn _er_ auch Nichts davon zu wissen braucht.«

»Herr von Pulteleben,« sagte Helene mit all' der alten Bitterkeit im
Ton -- »doch davon später -- nun Ihr Geheimniß, Madame, wenn es Ihnen
gefällig ist.«

Die Frau war selber zum Äußersten gereizt; sie stand rasch vom Sopha
auf, ging nach der Thür, öffnete sie und sah hinaus. Dann kam sie zurück
auf Helenen zu, bog sich zu ihr nieder und flüsterte ihr einige Worte
in's Ohr.

Helene wurde todtenbleich; sie schloß die Augen und stand wohl eine
Minute lang regungslos wie aus Stein gehauen. Dann hob sie die Hände,
deckte ihr Antlitz, und heiße, heiße Thränen quollen ihr zwischen den
Fingern durch. Endlich sah sie wieder auf. Ihr Gesicht war marmorbleich,
aber ohne einen Zug von Schmerz oder Leid, und sie wandte sich, als ob
sie das Zimmer verlassen wollte.

»Geh' jetzt nicht, Kind,« sagte aber die Frau, ihre Hand ergreifend und
sie zurückhaltend -- »die Leute draußen brauchen nicht zu erfahren,
daß zwischen uns irgend ein Mißverständniß vorgefallen. Bleibe hier in
meinem Zimmer, bis Du Dich vollständig erholt hast, und denke ruhig über
das Gehörte nach; Dein eigener gesunder Verstand wird Dir dann schon
sagen, was Du zu thun und zu lassen hast.«

»Und glauben Sie, daß ich _darüber_ auch nur noch einen Augenblick in
Zweifel bin?« fragte das Mädchen, und der Blick, den sie auf die Frau
heftete, schien sich in deren Inneres zu bohren.

»Was das Kind für einen Trotzkopf hat,« sagte die Frau, den Kopf herüber
und hinüber werfend -- »es ist nur ein Glück, daß Andere noch für Dich
denken und handeln, Du richtetest Dich von vorn herein zu Grunde. Der
arme Pulteleben wird seine bittere Noth mit Dir bekommen.«

»Ich glaube nicht, daß ich Herrn von Pulteleben je belästigen werde,«
erwiederte Helene. »Ich hatte mich dem Furchtbaren gefügt, einen Mann zu
heirathen, den ich nicht liebe -- ja, nicht einmal _achten_ konnte,
nur der _Mutter_ wegen. Ich glaubte damit eine Schuld loszukaufen,
die schwer auf meiner Seele lastete. Gott sei Dank, daß der Himmel
wenigstens _das_ Opfer nicht von mir angenommen hat -- ich wäre
unglücklich und elend gewesen mein ganzes Leben lang.«

»Helene, sei vernünftig!« rief Madame Baulen erschreckt; »Du wirst doch
nicht ...«

»Ich werde Herrn von Pulteleben sein Wort zurückgeben.«

»Das darfst Du nicht ...«

»Und wenn Sie mich drängen, ihm auch sagen, weshalb.«

»Du handelst wie eine Wahnsinnige. Und wovon willst Du leben?«

»Was mein Eigenthum hier im Hause ist, mein Instrument, meinen
Schreibtisch, meine Bücher und mein Pferd werde ich zum Theil verkaufen,
und mit dem Erlös mein Leben fristen, bis ich mir selber in ehrlicher
Weise mein Brod verdienen kann.«

»Aber das Geschäft, das wir begonnen haben -- Herr von Pulteleben
wird den Augenblick zurücktreten, wenn _Du_ ihn so auf das Tödtlichste
beleidigst.«

»Und was kümmert das _mich_?«

Die Frau erschrak, denn erst jetzt fühlte sie, daß sie ihr Spiel mit
Helenen vollständig verloren hatte. Das Mädchen, welches sie die
langen Jahre benutzt, mit allen nur erdenkbaren Intriguen ein bequemes
Wohlleben für sich und ihren vollkommen nutzlosen Sohn zu schaffen,
glitt ihr unter den Händen fort, und zum ersten Mal trat ihr die
furchtbare Möglichkeit vor Augen, daß sie auf sich selber angewiesen
werden könne. Helene aber, die wohl ahnen mochte welche Gedanken sie
jetzt bewegten, wandte sich verächtlich von ihr ab, und schritt der Thür
zu, die sie aufschloß. Dort blieb sie noch einmal stehen und sagte, ohne
sich aber umzusehen:

»Was ich heute oder morgen über meinen künftigen Aufenthaltsort
beschließen werde, weiß ich noch nicht -- aber ich weiß, daß ich ein
Recht habe, hier in diesem Hause zu wohnen, so lange ich es für passend
finde. Ich werde Sie später das Nöthige wissen lassen« -- und ehe
Madame Baulen ein Wort darauf erwiedern konnte, war sie durch die Thür
verschwunden.

Arno von Pulteleben, ahnungslos über alles Das, was in der nämlichen
Zeit unter ihm vorging, saß indessen oben in seinem Zimmer, kaute an
seiner Feder und verdarb ein paar Bogen sehr gutes Velinpapier
mit seinen poetischen Ergießungen über die Erbärmlichkeit des
Menschengeschlechts, die endlich darauf hinausliefen, daß er Helenen
als einen Engel schilderte, der eigentlich gar nicht hieher gehöre, und
einzig und allein aus Versehen auf die Welt gekommen sei.

Von dem nämlichen Engel -- er war gerade aufgestanden, hatte seinen
Rock wieder angezogen, seine Frisur in Ordnung gebracht, und wollte eben
hinunter gehen, um seine Verlobte aufzusuchen -- erhielt er da einen
Brief, den die alte Dorothea heraufbrachte und den er mit einem
selbstzufriedenen Lächeln öffnete. Was konnte ihm seine Braut anders
schreiben als einen freundlichen Morgengruß! Der Brief lautete:

  »Herrn Arno von Pulteleben.

  »Mein Herr! Wir sind Beide das Opfer einer Täuschung geworden. Der
  einzige Trost nur bleibt mir, daß es noch nicht zu spät ist, den Schritt
  zurück zu thun, der uns für dieses Leben an einander ketten sollte. Ich
  weiß, daß Sie von Herzen ein guter Mensch sind, aber -- wir passen
  nicht für einander -- ich habe Sie nie geliebt, und wir wären auch nie
  glücklich zusammen geworden.

  »Die einzige Bitte, die ich noch an Sie habe, ist: meinen festen und
  unumstößlichen Entschluß zu achten, und keinen Versuch zu machen ihn zu
  ändern -- es wäre doch vergeblich.

  »Indem ich Ihnen noch hiermit für die freundliche Gesinnung danke,
  die Sie mir stets bewiesen, und in dem Bewußtsein, selbst _mit_ diesem
  Schritt Nichts gethan zu haben, was mich könnte in Ihrer Achtung sinken
  lassen, zeichnet sich

  _Helene_.«

Herr von Pulteleben las den Brief drei- oder viermal durch, und drehte
ihn dann immer noch in der Hand herum und besah ihn als ob er in einer
vollkommen fremden, ja unbekannten Sprache geschrieben wäre. Endlich
bekam sein Erstaunen Worte, ohne sich aber anfänglich auch nur in mehr
als gebrochenen Sätzen und Ausrufungen zu äußern.

»Opfer einer Täuschung? -- einziger Trost? -- guter Mensch? --
unumstößlicher Entschluß? -- Achtung sinken lassen? -- Bin _ich_ denn
verrückt, oder ist irgendwo im Weltgebäude eine Schraube losgegangen? --
Freundliche Gesinnung? -- Bewußtsein? -- Wenn ich auch nur Ein Wort von
dem ganzen Brief verstehe, will ich mir den Hals mit einem Falzbein
abschneiden lassen! -- Hab' ich denn nur, um Gottes Christi willen,
irgend Etwas in der weiten Welt gethan, womit ich sie hätte beleidigen
können? -- Hab' ich denn je, auch nur einen Augenblick, die
schuldige Ehrerbietung aus den Augen gesetzt? -- Hat denn nicht die
Schwiegermutter selber -- holla, da sitzt der Haken -- in _dem_ Kuchen
hat die Schwiegermutter wieder einen Finger -- meinen Kopf wollte ich
drauf verwetten! Das ist wirklich eine ganz erschreckliche Frau, und es
wird wieder viel, sehr viel Geld kosten, um sie vollkommen zufrieden zu
stellen. Jetzt bin ich nur neugierig, was sie _nun_ haben will, denn
bis jetzt hat sie mir auch nicht die geringste Andeutung gegeben. Na, es
wird schon herauskommen,« tröstete er sich selber, »denn damit hält sie
gewöhnlich nicht lange hinter dem Berge.«

Mit dieser Schlußfolgerung hatte sich von Pulteleben vollkommen
beruhigt, denn er war jetzt so fest überzeugt, daß der ganze Brief auf
Nichts weiter als eine pecuniäre Laune der Schwiegermutter hinauslief,
daß er sich weiter gar keine Sorgen mehr machte. Helene _konnte_ ja doch
_die_ Zeilen nicht im Ernst geschrieben haben. Übrigens bildeten sich
bei ihm schon ganz in der Stille dunkle Pläne von Widersetzlichkeit
gegen das drückende Regiment der Schwiegermutter -- »wenn er nur erst
einmal verheirathet war« -- denen er aber vorerst noch keine bestimmte
Form gab.

Somit nahm er allerdings die ganze Sache auf die leichte Achsel. Aber
es war ihm doch trotzdem ein unbehagliches Gefühl, sich den Morgen nach
seiner Verlobung, den er sich so wunderhübsch gedacht und ausgemalt, auf
eine solche Weise verbittern zu lassen, und er beschloß, ohne Weiteres
hinunterzugehen, und der Sache auf den Grund zu kommen; nachher --
daran zweifelte er keinen Augenblick -- war dann Alles rasch in's Reine
gebracht.

Diesem Vorsatz ließ er die That auf dem Fuße folgen, und um die Sache
gleich beim richtigen Ende anzufassen, gedachte er sich vor allen Dingen
der Schwiegermutter zu versichern, erstaunte aber nicht wenig, als er
deren Thür noch immer verschlossen fand, und auf sein Anklopfen von
innen die Antwort erhielt, sie sei nicht recht wohl, und könne ihn jetzt
unmöglich sehen.

Auch Helenens Thür blieb für ihn verschlossen, und selbst zum
Mittagessen ließ sich keine der beiden Damen sehen; Pulteleben mußte
mit Oskar, dem er aber natürlich kein Wort von dem Vorgang sagte, seine
Mahlzeit allein verzehren.

In dem kleinen, sonst so ruhigen Städtchen war es indessen merkwürdig
lebhaft und bewegt geworden. Die Leute liefen auf der Straße, oder
standen in kleinen Gruppen zusammen, irgend Etwas eifrig zu besprechen.
Es mußte augenscheinlich etwas ganz Außergewöhnliches vorgegangen sein,
das sie derart bewegen konnte. Selbst Herr von Pulteleben merkte das,
und als er aus reiner Verzweiflung noch einmal unten in den Arbeitssaal
getreten, und dann vor die Thür ging, um frische Luft zu schöpfen -- die
ganze Atmosphäre kam ihm heute so dumpf und schwül vor -- fiel ihm eben
dieses rege Leben auf.

»Na, was ist denn -- was habt Ihr denn heute?« fragte er einen
vorbeigehenden Arbeitsmann, der ebenfalls in großer Eile zu sein schien.

»Sie haben ihn gefunden!« sagte dieser, und zog seine Mütze ab.

»Gefunden -- wen?«

»Nu, den Justus!« sagte der Mann.

»Den Justus? -- Wer ist denn der Justus?«

»Na, der verrückte Schneider, von dem man geglaubt hatte, daß er
durchgebrannt wäre. Todtgeschlagen haben sie ihn im Wald, den armen
Teufel, und jetzt läuft Alles hinaus, um ihn anzusehen, denn er soll so
schrecklich zugerichtet sein, daß er sich gar nicht mehr transportiren
läßt -- bei die Hitze auch!«

Und der Mann machte ebenfalls daß er hinauskam, um sich den
schauerlichen Anblick eines Ermordeten zu gönnen, und dann Nächte lang
in dem Gedanken daran nicht schlafen zu können.

Herr von Pulteleben, froh nur Etwas zu haben, das ihn in diesem
Augenblick von seinen Gedanken abzog, schlenderte langsam mit hinaus, um
sich das Nähere selbst anzusehen.

Vor Buttlich's Wirthshaus hielt eine Familie, die eben, wie es schien,
ausziehen wollte. Es war Bux mit Frau und Kindern, und der Mann
beschäftigt, das wenige Gepäck das er bei sich führte, auf einen Esel zu
laden. Die Frau und der älteste Junge halfen ihm dabei, und das Kleinste
lag vor dem Haus auf seinem Bettchen, damit es die Mutter gleich nehmen
konnte, wenn es schrie.

Bux hatte den größten Theil seiner Sachen theils versetzt, theils
verkauft -- um nicht zu verhungern, wie er sagte -- und wollte nun Santa
Clara verlassen, um in einer andern Colonie sein »Glück« zu versuchen.
Schon seit ein paar Tagen hatte er das bewerkstelligt, und heute Morgen
brach er mit seiner Familie auf.

Gerade als von Pulteleben vorüberging, schnürte er das Gepäck auf
dem Esel fest, und der Junge sollte ihm von der andern Seite das Seil
herübergeben. Er reichte ihm aber aus Versehen das falsche, und als
er seinen Fehler auf Anschreien des Vaters, der ihn dadurch nur noch
verwirrter machte, nicht gleich verbesserte, sprang der rohe Mensch um
den Esel herum, und trat den armen Jungen mit einem gotteslästerlichen
Fluch gegen den Schenkel, daß er heulend mitten in die Straße flog.

»Aber Ihr seid doch wahrhaftig schlimmer als ein Vieh,« rief von
Pulteleben, der Zeuge dieser Scene gewesen war, entrüstet aus -- »das
nehme mir denn doch kein Mensch übel!«

»Geht's _Euch_ was an?« knurrte der Mann, indem er, ohne sich um seinen
mißhandelten Jungen weiter zu bekümmern, das Seil selber herumwarf und
festschnürte, und zwar so fest, daß das arme Thier kaum noch athmen
konnte -- »einen Quark habt _Ihr_ drein zu reden, und ich kann mit
meinem Jungen machen was ich will!«

»Gefühlloser Mensch,« murmelte der junge Mann vor sich hin und ging
vorbei, denn er dachte gar nicht daran, sich mit einem so rohen Burschen
auf offener Straße in einen Streit einzulassen. Er hätte auch jedenfalls
den Kürzeren ziehen müssen.

Die Leute zogen sich die Straße hinauf, in welcher der Schneider Justus
gelebt hatte. Vor der Thür seiner Wohnung stand die alte Frau und
erzählte heulend und schreiend drei oder vier anderen alten Damen Scenen
aus dem Leben des Verstorbenen, die als höchst brauchbarer Stoff zu
weiterer Verwendung begierig aufgefangen wurden.

Herr von Pulteleben ging die Straße hinauf, weiter und weiter. Er
bedauerte schon sein Pferd nicht mitgenommen zu haben, denn er war kein
Freund von langen Spaziergängen, aber es ließ sich jetzt nicht mehr
ändern -- der Weg zog sich schmählich in die Länge und die Sonne brannte
unausstehlich. Jetzt bogen die Leute rechts ab und kletterten in
die heißen Felsen hinauf, in denen ein, gegenwärtig freilich sehr
unbedeutender Bergbach in der Regenzeit mächtiges Gestein mit
heruntergewaschen und durch einander geworfen hatte. Oben zog sich
ein kleiner Damm quer durch die Schlucht, der einen dünnen Wasserfall
bildete, und rechts davon, vielleicht zweihundert Schritt entfernt,
in einem Dickicht von Lorber und Cactus, lag die furchtbar entstellte
Leiche des Ermordeten, der man sich unter dem Winde gar nicht nähern
durfte.

Herr von Pulteleben schauderte übrigens zurück, wie er nur einen Blick
darauf geworfen; er konnte etwas Derartiges nicht sehen und begriff
jetzt selber nicht, weshalb er hier eigentlich heraufgestiegen sei. Von
den Umstehenden erfuhr er aber bald die Einzelheiten des Thatbestandes.
Der Justus war, wie sich ganz zweifellos ergab, einfach todtgeschlagen
worden, und zwar mit einem etwa vierpfündigen Steine, den man circa
vierzig Schritt von der Stelle, wo die Leiche lag, ganz mit Blut bedeckt
gefunden hatte. Der Ermordete konnte ihn dort nicht hingeworfen
haben, denn der ganze Schädel war ihm zerschmettert, und er todt da
niedergesunken, wo er lag. Der Mörder mußte den Stein also weggeworfen
haben.

Daß der Unglückliche bei einem zufälligen Sturz um's Leben gekommen sei,
zeigte sich als unmöglich, denn wenn auch ein kleiner Felshang gerade
dort emporragte, so hätte er doch von da oben herunter nie an die Stelle
stürzen können, wo er sich befand und wo sich die einzigen Blutspuren
zeigten, und dann war auch der Abhang nicht hoch genug, eine solche
Beschädigung glaubbar zu machen -- selbst ohne den entfernt davon
gefundenen blutigen Stein.

Geld trug der Ermordete nicht bei sich, ein paar Kupfermünzen
ausgenommen, eben so wenig eine Uhr, obgleich er nie ohne eine solche
ausging. Er lag -- als man ihn, durch eine Unmasse darüber kreisender
Aasgeier aufmerksam gemacht, gefunden hatte -- auf dem Gesicht, beide
Arme von sich gestreckt, und war jetzt nur noch halb bekleidet, denn
die Beinkleider hatten ihm schon die Soldaten ausgezogen und bei Seite
gebracht. Die Stiefel mochten sie wohl nicht abbekommen haben.

Jeremias stand auch oben, die Hände in beiden Hosentaschen, und
betrachtete sich nachdenklich, ohne jedoch den geringsten Ekel zu
verrathen, den Ermordeten; aber er machte keine Bemerkung, that keine
Frage und ging, nachdem er sich Alles genau angesehen, wieder ruhig in
die Stadt zurück.

Als er die Straße hinunter kam, hatte Bux mit seiner Familie und seinem
Esel schon Santa Clara verlassen und den Weg eingeschlagen, der an der
früheren Meierei -- den Namen hatte die Chagra noch immer behalten --
vorüber führte.

Herr von Pulteleben kehrte etwas echauffirt in das Haus zurück und
betrat es mit dem unbehaglichen Gefühl, daß er darin nicht Alles in der
gehörigen Ordnung wußte. Sollte er jetzt noch einmal bei der Frau Gräfin
anklopfen? Er stand noch unschlüssig an der Treppe, da ging plötzlich
die Thür auf und die Dame trat selber heraus. Sie schien allerdings
Herrn von Pulteleben nicht erwartet oder besonders gesucht zu haben, und
ihr erstes Gefühl das zu sein, wieder in ihr Zimmer zurückzutreten. Das
aber war jetzt nicht mehr möglich; der junge Mann näherte sich ihr auch
schon und sagte mit sehr bestürztem Gesicht:

»Aber ich bitte Sie um Gottes willen, Frau Gräfin, was ist denn nur
eigentlich vorgefallen? Helene hat mir einen so schrecklichen Brief
geschrieben, daß ich ...«

»Hat sie in der That?« sagte die Dame ruhig -- »das Mädchen ist voller
Launen, aber ängstigen Sie sich nicht deshalb, mein junger Freund, ich
werde das Alles schon wieder in Ordnung bringen.«

»Sie glauben wirklich?«

»Lassen Sie mich nur machen« -- und die Thür schloß sich wieder hinter
der Schwiegermutter.



5.

Gerichtspflege in der Colonie.


In Santa Clara, wo Alles sonst im gewohnten Geleise seinen stillen und
ruhigen Gang ging, schien die ganze bestehende Ordnung auf den Kopf
gestellt zu sein, als gegen Abend der junge Köhler, und zwar als Mörder
des Justus Kernbeutel angeklagt, von seiner Chagra herunter, gefangen
eingebracht wurde. In Todesangst folgte ihm dabei seine junge, hübsche
Frau mit dem Kind auf dem Arme und erzählte unter Thränen, wie die
Soldaten oben bei der Verhaftung gewirthschaftet, ihr Geschirr und
Fenster zerschlagen und sie selber auf die boshafteste und rohste Art
gekränkt und beleidigt hätten.

Köhler selber, als er durch die Colonie geführt wurde, sah wohl
todtenblaß vor innerlich kochender Wuth aus, ließ aber sonst nicht durch
ein Wort, nicht durch eine Miene merken was in ihm vorging; mußte er
sich ja doch auch dem Unabänderlichen fügen, denn die Hände hatten ihm
die Burschen auf dem Rücken zusammengeschnürt, und als er sich unterwegs
nur ein einziges Mal an seine ihm folgende Frau wenden wollte, war
er mit Kolbenstößen bedeutet worden, daß er sich mit Niemandem zu
unterhalten hätte, bis er von seinem Richter verhört und vielleicht auch
gleich abgeurtheilt sei.

»Ehe er gehängt würde,« tröstete ihn einer der rohen Gesellen, »dürfe er
seiner Frau noch einmal einen Kuß geben. -- Wenn er selber einen dafür
von ihr bekomme, wolle _er_ ihm das erlauben.«

Köhler knirschte mit den Zähnen und vertröstete sich nur darauf, daß
sich seine Unschuld ja gleich bei dem ersten Verhör herausstellen müsse
und er dann schon Rechenschaft von Allem fordern wolle, was ihm jetzt
geschehen. -- Darin hatte er sich aber geirrt und ganz vergessen, daß
kein neuer brasilianischer Delegado in der Colonie angestellt und dem
Director gegenwärtig von dem Präsidenten auch die oberste Polizeigewalt
übergeben sei.[2] Er hatte hier also keine Behörde über sich als den
Director selber, von dem er, wie er recht gut wußte, nach den letzten
Vorgängen keine besondere Freundlichkeit erwarten durfte.

Er wurde auch ohne Weiteres in das gegenwärtige Stadtgefängniß -- ein
kleines, heißes, aus rohen Balken erbautes Loch mit schweren Gittern vor
dem niedern Fenster -- abgeführt und dort trotz seiner Berufung, daß er
verhört werden wolle, mit Spott und rohem Gelächter eingeschlossen und
allein gelassen.

Könnern, der kurz vorher in die Stadt zurückgeritten war, hörte kaum
von der Verhaftung Köhler's und dem Verdacht der auf ihm ruhte, als
er augenblicklich zu ihm eilte. Er wurde aber zurückgewiesen. Es war
strenger Befehl des Directors, keinen Menschen zu ihm zu lassen, bis
die Untersuchung geschlossen sei, und daß eine Bitte von _ihm_ bei
dem Director Nichts fruchten würde, wußte er vorher. Köhler's Frau war
indessen zu Kaufmann Rohrland gegangen, um dessen Hülfe in Anspruch zu
nehmen und vor allen Dingen gleich nach ihrem nicht weit von Santa Clara
wohnenden Bruder zu schicken, daß der so lange oben auf der Chagra bei
ihr wohne, bis ihr Mann seine Unschuld bewiesen haben konnte; denn
sie getraute sich jetzt nicht, bei all' dem in der Nachbarschaft
herumstreifenden Soldatenvolk, allein dort oben zu bleiben, und konnte
doch auch ihr mühsam erarbeitetes Eigenthum nicht im Stich lassen.

Eine Voruntersuchung, ohne indessen den Angeschuldigten selber dazu zu
ziehen, hatte unter der Zeit im Directionsgebäude stattgefunden, die der
Director selber abhielt, obgleich er sich eigentlich heute nicht wohl
fühlte. Er war, wie er ausgesagt hatte, mit dem Pferde gestürzt, als
er den steilen Hang herunterritt, und hätte sich eigentlich recht
beschädigen können. Glücklicher Weise lief es noch gut ab.

Die beiden Hauptzeugen gegen Köhler waren Justus' alte Haushälterin und
der Wirth Buttlich. Die Frau erzählte, daß der »arme, unglückliche Mann«
an dem Tage mit dem Angeschuldigten einen Wortwechsel gehabt und dann
mit ihm fort in den Wald gegangen wäre. Der Angeschuldigte sei dann erst
am nächsten Abend mit der Dämmerung wiedergekommen und der Justus gar
nicht, weil er da schon, von Mörderhand erschlagen, im Walde gelegen
hätte.

Eine Uhr habe der Ermordete bei sich gehabt, als er von Hause
fortgegangen sei, denn er wäre nie ohne seine Uhr ausgegangen. Die Frau
erinnerte sich genau auf die Uhr, die sie oft in Händen gehabt. Es war
eine silbervergoldete Uhr mit weißem Zifferblatt, und in den innern
Deckel hatte Justus selber die Anfangsbuchstaben seines Namens, #J.
K.#, eingravirt oder vielmehr eingekratzt gehabt, darunter ein von einem
Pfeile durchstochenes Herz -- wovon aber die Frau nicht wußte, auf was
es sich beziehen sollte.

Geld habe Justus ebenfalls stets etwas bei sich gehabt. Sie konnte
allerdings nicht angeben wie viel und was für Münzen, aber ohne Geld
wäre er nie im Leben über Land gegangen, und wenn er hätte 'was dafür
versetzen müssen. Ein paar Milreis seien es gewiß gewesen, wenn nicht
vielleicht noch mehr.

Der Wirth, Buttlich, sagte aus, daß er an Justus' Haus vorbeigekommen
wäre, als Köhler davor gestanden und sich mit dem Schneider heftig
gezankt hätte. Es sei ihm so auffallend gewesen, daß er noch gerufen
hätte: sie möchten doch nicht einen solchen Skandal machen und sich ein
wenig vor den Leuten und der Nachbarschaft schämen -- er erinnere sich
aber nicht mehr genau der Worte, die er gebraucht hätte, oder was die
Zankenden sich einander vorgeworfen. So viel wisse er außerdem, daß der
Köhler den Schneider nie hätte leiden können -- wenigstens so lange _er_
jetzt in der Colonie sei -- und ihm stets alles nur erdenkliche
Böse nachgesagt habe. Er selber könne ein solches Urtheil aber nicht
bestätigen. Der Justus sei oft zu ihm gekommen, habe sich aber immer als
ein nüchterner, anständiger Mensch gezeigt, der nur manchmal gegen
die Ungesetzlichkeiten des vorigen Regiments protestirt haben mochte.
Deshalb wollten auch alle die Anhänger des früheren Directors, zu denen
Köhler ebenfalls gehöre, Nichts von ihm wissen. An jenem Abend besonders
sei Justus' Absicht gewesen, nach Zuhbel's Chagra hinauszugehen, um dort
den Antritt des neuen Herrn Directors durch einen fröhlichen Abend zu
feiern. Er sei dazu in seinem Sonntagsstaat gewesen. Köhler war nicht
dort eingeladen, aber doch mit ihm denselben Weg in den Wald gegangen.
Es wäre auch möglich, daß sich die beiden Männer gerade über diesen
nämlichen Gegenstand vorher gezankt hätten, denn die eine Partei hätte
über diese sogenannten »Director-Feste« immer ihren Spott gehabt und die
andere verhöhnt.

So weit Buttlich, der außerdem noch zwei andere Zeugen brachte, die
Justus und Köhler zusammen auf der Straße etwas vor Sonnenuntergang und
ganz allein im Walde begegnet waren, aber nicht bestätigen konnten, daß
sie irgend Etwas von einem unfreundlichen Benehmen zwischen den Beiden
bemerkt hätten. Sie seien freilich auch zu rasch vorbeigeritten, um
darauf zu achten.

Das waren die letzten Menschen, die den Justus Kernbeutel lebend gesehen
hatten, und zwar in Begleitung Köhler's und gar nicht so weit von der
Stelle entfernt, auf der man den Leichnam des Ermordeten gefunden,
ja, noch dazu der Richtung entgegengehend. Was dann weiter geschehen,
darüber lag das Dunkel der Nacht und konnte nur vielleicht durch die
weitere Untersuchung aufgehellt werden.

Der Verhaftete selber wurde an diesem Tage nicht verhört; es sollten
vorher noch mehr Beweise gegen ihn gesammelt werden, und mit Mühe und
Noth erlangte Rohrland persönlich die Erlaubniß vom Director, ihm ein
Bett und gute Speisen in das Gefängniß schicken zu dürfen. Vor diesem
standen außerdem sechs Mann Wache mit geladenem Gewehr, um irgend einen
etwaigen Befreiungsversuch der Colonisten zurückzuweisen. Niemand dachte
aber an einen solchen, denn Köhler hatte ein viel zu reines Gewissen, um
sich durch die Flucht einer Haft zu entziehen, die ja doch nur höchstens
bis zum nächsten Morgen dauern konnte. Da er seine Frau und sein Kind
jetzt gut aufgehoben wußte, kümmerte er sich um das Andere wenig genug.

Desto mehr aber empörte es den besseren Theil der Colonisten, einen
aus ihrer Mitte, einen Mann, den Alle als einen braven und ehrlichen
Menschen seit Jahren gekannt hatten, nur auf solch' oberflächlichen
Verdacht hin wie einen Missethäter und gemeinen Verbrecher behandelt
zu sehen, und selbst Rohrland, Pilger, der Bäckermeister Spenker und
mehrere andere ansässige Handwerker und auch Colonisten ließen sich noch
an dem nämlichen Abend beim Director melden und erboten sich, für Köhler
irgend eine verlangte Bürgschaft zu stellen, daß er keiner Untersuchung
ausweichen würde. Der Baron von Reitschen nahm etwas Derartiges nicht
an.

Der Verhaftete, gegen den, seiner Meinung nach, ein dringender Verdacht
vorlag, mußte sorgfältig von jeder Verbindung abgeschnitten werden, bis
die Untersuchung beendet sei, damit er nicht von Außen auf irgend eine
Weise beeinflußt werden könne. Nach geschlossener Untersuchung könne
ihn besuchen wer da wolle, oder er auch vielleicht gegen Bürgschaft
entlassen werden.

Es war indessen Abend geworden, und die Leute, die heute alle keine Ruhe
zur Arbeit gehabt, sammelten sich bei Bohlos, um dort noch das Weitere
zu besprechen und ihrer Entrüstung in gemäßigter Weise bei einem Glas
Bier den natürlichen Ausfluß geben zu können. Ursache zu klagen hatten
sie außerdem genug, denn schon in der kurzen Regierungszeit ihres neuen
»Herrn« waren eine Menge von Mißbräuchen zu Tage getreten, von denen die
Colonisten unter Sarno gar keine Ahnung gehabt.

»Das wird ja wahrhaftig alle Tage besser!« rief der Schneidermeister
Berthold, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. »Jetzt stecken
sie einen ehrlichen Mann ein, weil ein Lump zu Schaden gekommen ist,
und wollen nicht einmal eine Caution annehmen! Ist so Etwas schon da
gewesen?«

»Das wäre das Wenigste,« meinte der Bäckermeister Spenker, »denn den
Köhler können sie nicht lange im Loch behalten, aber der Herr Director
fängt seine Wirthschaft hier auch in anderer Weise schon gut an. Wißt
Ihr, daß er jetzt den neu angekommenen Colonisten nicht einmal mehr baar
Geld als ihre Subsidien, sondern kleine Anweisungen auf Buttlich giebt,
für die ihnen dieser nur Waaren aus seinem eigenen Laden verabfolgt?
Das will denn doch bei Gott die Regierung nicht, daß die armen Leute auf
solche Art geschunden werden, blos um es dem Lump, dem Buttlich, in den
Hals zu jagen.«

»Lieber Meister, zu _Buttlich's_ Nutzen geschieht das auch nicht,«
lachte Rohrland, der mit am Tische saß; »ich weiß aus ganz sicherer
Quelle, daß unser sehr verehrter Director ein stiller Compagnon des
Buttlich'schen Geschäfts ist, da er als Director offen keinen Laden
halten darf. Auf solche Weise sichert er sich dann, eben durch die
Subsidiengelder, einen ganz bestimmten Absatz von wenigstens fünfhundert
Milreis monatlich.«

»Und ist das etwa recht und billig?« rief Berthold.

»Davon sage ich kein Wort,« meinte Rohrland, »aber ich erzähle Nichts,
was ich nicht beweisen kann.«

»Aber da sollte man ihn darauf verklagen!« rief Spenker.

»Wo?« sagte Rohrland ruhig -- »bei der Regierung in Rio ist Keiner von
uns bekannt, und beim Herrn Präsidenten in Santa Catharina? Das wäre
schade um das Papier, das man damit verschriebe!«

»Und hat ein Director das Recht,« sagte ein anderer Mann, der Tischler
Nithal, »daß er mir einen Platz verweigert, wo ich mich niederlassen
kann? Ich hab' allerdings noch nicht das baare Geld, aber ich weiß auch,
daß sich die Regierung selber die größte Mühe giebt, ordentliche und
tüchtige Handwerker in's Land zu bekommen, und der -- Herr da treibt
mich wieder hinaus, weil ich nicht zu seiner Partei gehöre und in sein
krummes Horn stoße.«

»Deshalb braucht Ihr nicht zu gehen, Nithal,« sagte Spenker -- »_ich_
geb' Euch einen Platz auf Credit, auf fünf Jahre, wie's die Regierung
thut, und kein Teufel soll Euch von dem herunter bringen.«

»Vergelt's Euch Gott, Meister, und Ihr sollt wahrlich nicht dabei zu
Schaden kommen!«

»Das weiß ich und bin nicht bange drum.«

»Und weshalb hat er die Soldaten mitgebracht?« fuhr Rohrland fort --
»der Indianer wegen? Unsinn! So lange wir hier sind, und wenigstens seit
den letzten zehn Jahren, hat kein Mensch 'was von einer Rothhaut gehört
und gesehen. Wenn sie aber an den Gränzen herumschlichen, wohin gehörten
die Soldaten denn da anders, als eben an die Gränze, um uns wirklich
zu schützen? So aber lagern sie unten am Flusse, mit der ganzen Colonie
zwischen sich und den eingebildeten Wilden, die, wenn sie wirklich da
wären, alle die Gränz-Colonien abschneiden und selbst die Stadt anzünden
könnten, ehe das Militär auch nur ein Wort davon erführe, viel weniger
denn zu Hülfe kommen könnte.«

»Ja, das ist, Gott straf' mich! wahr,« sagte Berthold -- »da unten
am Fluß nutzen sie doch wahrhaftig Nichts, als daß sie wie die Raben
stehlen, denn seit sie da sind, kann man kein Ruder mehr fünf Minuten
lang unbewacht in einem Canoe liegen lassen, oder fort ist's, und da
klage nachher einmal Jemand -- was wär's dann? _Die_ Halunken verrathen
einander schon lange nicht.«

»Guten Abend mit einander,« sagte da ein Fremder, der zu ihnen in die
Wirthsstube trat, seine Mütze abnahm und sich an einen andern kleinen
Tisch allein setzte. Der Mann war sehr ärmlich gekleidet und sah
vollkommen aschfarben und krank im Gesicht aus. Er schien auch schwach
auf den Füßen, und bat den Wirth um ein Glas Bier und ein Stück
Schwarzbrod.

Bohlos brachte es ihm und blieb dann neben seinem Tische stehen.

»Wohl bekomm's!« sagte er -- »und wo kommt Ihr denn her? Ihr seid wohl
krank gewesen.«

»Danke schön,« antwortete der Mann -- »nein, krank gerade nicht, aber
das Klima hat mich ein Bißchen heruntergebracht. Wir kommen aus dem
Norden.«

»Aus dem Norden? Von Rio?«

»Nein, noch weiter herunter, aus der Provinz Minas Geraes.«

»Alle Teufel -- und habt Ihr lange da oben gesteckt?«

»Zehn Jahre,« sagte der Mann, und ein schwerer Seufzer hob seine Brust.

»Da seid Ihr wohl Einer von den Parcerieleuten?« fragte Berthold vom
andern Tische herüber -- »kommt, setzt Euch mit zu _uns_ herüber; was
hockt Ihr da allein an einem Tisch?«

»Wenn's erlaubt ist,« sagte der Mann demüthig, und nahm sein Bier und
Brod und ging hinüber; »ja, Landsmann, wir sind unserer Sieben, die
jetzt aus dem Parcerievertrag zurückgekommen, meine Frau und ich und
zwei Kinder -- drei sind mir gestorben -- und mein Schwager mit _seiner_
Familie.«

»Und ist's Euch schlecht da oben gegangen?«

»_Recht_ schlecht,« erwiederte der Mann, noch einmal tief aufseufzend
-- »und wie wir's Alle ausgehalten, begreife ich eigentlich selber noch
nicht. Wir waren aber freilich lauter kerngesunde Menschen, wenn ich
auch jetzt ein Bißchen abgemagert aussehe.«

Abgemagert aussehe -- Du lieber Gott, der Mann glich eher einem Skelett
als einem lebendigen Menschen, und schien sich doch geduldig in sein
Schicksal zu ergeben! Freilich waren auch durch die lange, schwere Zeit
Geist und Körper bei ihm gebrochen.

»Und haben sie Euch schlecht behandelt dort?« fragte Rohrland.

»Ih nu, schlecht behandelt nun gerade nicht,« sagte der Deutsche, »aber
arbeiten mußten wir noch viel mehr wie die Sclaven, denn es war Alles
Accord-Arbeit, nur konnten wir immer keine Abrechnung kriegen, und unser
Herr machte uns manchmal Vorwürfe, daß wir so viel brauchten und immer
mehr in Schulden kämen. Ja, lieber Gott, leben mußten wir doch, und
weiter wie das Bißchen schlechtes Essen und die nothwendigsten Kleider
bekamen wir so Nichts. Wenn sie uns nur gehalten hätten, was uns der
Agent in Deutschland damals versprach und was wir auch unterschrieben
haben, daß wir nämlich ein Stück Land sollten angewiesen bekommen, was
wir uns selber hätten bebauen können -- dann wär's gut gewesen.«

»Aber das _mußten_ sie Euch ja doch geben, wenn's einmal ausgemacht
war!« rief der Tischler.

»Ja, lieber Herr, sie gaben's auch,« lächelte der Mann verlegen, »aber
nur freilich anders, wie wir's gemeint und verstanden hatten, und wie's
uns auch der Agent erklärte -- daß das _eigenes_ Land sein sollte. Aber
hier war's anders. Ein Stück Land bekamen wir richtig angewiesen --
Waldland mit großen dicken Bäumen darauf, und das mußten wir uns urbar
machen und wir thaten's auch gern. Alle Sonntage arbeiteten wir darauf
bis in die späte Nacht, bis wir's glatt wie meine Hand hatten, und dann
bauten wir zwei Jahre drauf was wir brauchten. Wie aber die zwei Jahre
um waren, nahm's uns der Eigenthümer weg, pflanzte Kaffeebäume drauf und
wies uns ein anderes Stück Land an, wieder mit dicken Bäumen, und wenn
wir uns nur ein paar Säcke Bohnen, ein Bißchen Reis und dergleichen
ziehen und nicht gar hungern wollten, so mußten wir richtig wieder an
die schwere Arbeit gehen, und das ist für Jemanden, der eigentlich an
ein kaltes Klima gewöhnt war, bei _der_ Hitze da oben wahrhaftig keine
Kleinigkeit!«

»Das war ja aber schändlich -- und litt denn das die Regierung?«

»Ja, lieber Gott,« sagte der Mann, »es war einmal so ein vornehmer
deutscher Herr, so ein Consul, glaub' ich, war's, oben, und der wohnte
bei unserm Herrn und ritt immer mit ihm spazieren, und das war ein
Tractiren und eine Festlichkeit! Dem klagten wir unser Leid und fragten
ihn, ob er uns nicht helfen könnte, denn es ginge uns doch gar zu
schlecht und wir wären lauter ehrliche, brave Menschen, die ja nichts
Unrechtes wollten, blos ihr Recht. Aber der Herr zuckte die Achseln und
meinte, wir sollten nur noch eine Weile geduldig ausharren, bis wir das
abgearbeitet hätten, was der Herr für uns ausgelegt habe, und dann wären
wir ja wieder frei und könnten thun und lassen, was wir wollten.«

»Und habt Ihr das gethan?« fragte Rohrland.

»Ach nein, lieber Herr,« sagte der Mann wehmüthig -- »wie sich's nachher
herausstellte, wären wir damit im ganzen Leben nicht fertig geworden.
Aber es kam wieder einmal vor ganz kurzer Zeit ein anderer Herr hin
und erkundigte sich nach Allem, und dann reiste er wieder fort und kam
nachher zurück und sagte uns, wir brauchten nicht mehr dort zu arbeiten,
denn unser Herr hätte nicht ordentlich in seine Bücher eingeschrieben,
was der Kaffee gekostet und was er verdient habe an uns, und es wäre
sehr leicht möglich, daß wir unsere Schuld schon zehn Mal bei ihm
abgearbeitet hätten. Aber es ließe sich Nichts weiter dagegen machen,
denn er sei ein sehr vornehmer Herr, und hätte eine Menge Verwandte in
Rio -- und der Brasilianer wollte uns auch _noch_ nicht fort lassen,
aber da wurden wir böse, und wie er sah daß er Nichts mehr ausrichten
konnte, da ließ er uns eben ziehen.«

»Und habt Ihr Euch in der ganzen langen Zeit gar Nichts verdienen
können?« fragte Spenker kopfschüttelnd -- »zehn Jahre waret Ihr dort
oben, nicht wahr?«

»Zehn Jahre und zwei Monate,« bestätigte der Mann -- »aber verdienen?
Du lieber Gott! Nichts als was wir auf dem Leibe tragen, und vielleicht
Jeder noch ein Hemd zum Wechseln. Ja, in dem Brasilien geht das nicht so
rasch.«

»Nicht so rasch?« rief Rohrland erschüttert von der einfachen, rührenden
Schilderung des Mannes, »der Zuhbel, der Benkhof, der Binder, der
Metweiher, der Wurzer, die sind alle nur erst zehn Jahre hier, der
Bellheim erst acht, der Bastel drüben gar erst sieben, und mit Nichts
herübergekommen, mit Nichts in der Gotteswelt als einer kleinen Lade
voll Wäsche und einige achtzig Milreis Schulden obendrein, und kommt zu
denen hinaus, seht, was sie für eine hübsche Chagra, Vieh, Ackergeräth,
Häuser und gesunde Familien haben, und abgehen ließen sie sich in der
Zeit doch auch wahrlich Nichts.«

»Ja, Manchem glückt's,« seufzte der Mann -- »aber die Gegend soll ja
auch gut sein, und der Herr, der uns frei gemacht und uns auch
freie Fahrt auf dem kleinen Schiff hieher geschafft hat, gab uns die
Versicherung, daß wir hier ein Unterkommen finden und von dem Director
Unterstützung bekommen würden. -- Aber 's ist wieder Nichts, und was wir
jetzt mit uns anfangen sollen, weiß nur Gott -- ich nicht!«

»Wart ihr schon bei dem Director?« fragte Spenker rasch.

»Ja -- unserer Drei. Wir baten ihn um ein Stückchen Land und ein paar
Milreis Subsidiengelder, daß wir nur anfangen könnten -- lieber Gott,
schaffen wollen wir ja schon und können's auch. Aber er schlug es uns
rund ab und meinte, wer schon zehn Jahre in Brasilien sei und noch
keinen ordentlichen Rock auf dem Leibe hätte, mit dem wolle er auch
Nichts zu thun haben, und je eher wir machten, daß wir wieder aus seiner
Colonie kämen, desto besser.«

»Aus _seiner_ Colonie?« rief Berthold in voller Entrüstung -- »na, Gott
straf' mich, 's wird doch alle Tage besser! Aus _seiner_ Colonie!
Aber heute geht Ihr noch nicht, Ihr Leute, und morgen auch nicht und
übermorgen auch nicht, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob die
Colonisten hier in der Nachbarschaft nicht so viel zusammen auftreiben
können, um ein paar arme Landsleute, die zehn Jahre in der Sclaverei
gewesen, wieder auf die Beine zu bringen. He, Landsleute!« wandte er
sich, plötzlich aufstehend, an die übrigen Gäste, von denen sich
nach und nach eine ziemliche Zahl im Zimmer gesammelt und an den
verschiedenen Tischen vertheilt hatte -- »hier sind zwei arme deutsche
Familien eben aus so einem schurkischen Parcerievertrag von Minas Geraes
herunter gekommen -- krank dabei und elend, denen der Director Subsidien
verweigert, und die er wieder aus der Colonie jagen will, weil sie
kein Geld mitbringen. Sollten wir denn nicht hier unter uns so viel
zusammenbringen können, um den armen Leuten einen vergnügten Abend zu
machen und ihnen zu beweisen, daß sie wieder unter Landsleuten und nicht
unter Sclavenhaltern sind? Hier ist von mir ein Milreis -- wer hat noch
ein Bißchen klein Geld bei sich?«

»Hier ist auch einer -- hier auch einer!« rief es von allen Seiten --
»hier sind fünf,« sagte der Bäckermeister, »und hier auch,« erwiederte
Rohrland, und es dauerte keine zehn Minuten, so war die Mütze des
Schneiders mit Silbermünzen fast halb angefüllt.

»Da, nun gebt einmal _Eure_ Mütze her,« lachte Berthold den armen Teufel
an, der ganz verdutzt und seinen Sinnen kaum trauend daneben stand,
indem er ihm das Geld klirrend hineinschüttelte -- »so, nun lauft heim
und zeigt's Eurer Frau und Eurem Schwager -- denn für den ist's auch
mit, und morgen reden wir weiter, wo wir ein paar Colonien für Euch
herbekommen. Nur nicht ängstlich; es geht Alles in der Welt, wenn man's
nur auf der rechten Seite anfaßt.«

»Ja, aber du lieber Gott ...« stotterte der Mann.

»Fort mit Euch!« rief aber der Schneider, der ihm die Verlegenheit
ersparen wollte, und schob ihn lachend zur Thür hinaus -- »wenn Ihr
wollt, könnt Ihr nachher wieder herkommen, aber jetzt liefert erst Eure
Capitalien ab.«

»O, so vergelt's Ihnen Gott tausend und tausendmal!« rief der
Überglückliche, aber Berthold hatte die Thür schon hinter ihm zugemacht.

Immer mehr Gäste kamen herein, so daß sich das große Zimmer ziemlich
gefüllt hatte, und das Gespräch wurde immer lebhafter, gab es doch heute
auch genügenden Stoff, um bei einem Glas Bier oder Wein die Tagesfragen
gehörig durchzunehmen! Das junge Volk aber, das sich darüber bald
ausgesprochen hatte -- denn Keiner von Allen glaubte, daß Köhler länger
als bis morgen früh zu sitzen haben würde -- fing an zu singen. An dem
einen Ecktisch bildete sich ein Quartett, und »Ännchen von Tharau«,
»Wir sitzen so fröhlich beisammen« und eine Menge andere deutsche Lieder
wurden vorgenommen.

Bohlos' Hotel war nämlich das beliebteste in Santa Clara, denn man wußte
jetzt, daß Buttlich nur eine Creatur des neuen Directors war, und wollte
Nichts mit ihm zu thun haben.

Indessen war es neun Uhr geworden, als die Thür plötzlich aufging,
einer der braunen brasilianischen Soldaten den Kopf hereinsteckte und in
portugiesischer Sprache nach dem Wirth fragte. Bohlos, der gerade, eine
Partie Bierkrüge in der Hand, an der Thür vorbeigehen wollte, blieb
stehen, sah den Burschen an und fragte:

»Na? Was ist nu wieder los?«

»Es ist neun Uhr,« erwiederte der Soldat, der jetzt voll in's Zimmer
trat.

»So?« sagte Bohlos, »bist Du Nachtwächter hier im Orte geworden?«

»Es ist neun Uhr,« wiederholte jedoch der Bursche, »und der Director hat
befohlen, daß um neun Uhr alle Leute nach Hause gehen und daß nicht mehr
gesungen wird.«

»Nanu?« rief Bohlos, beinahe stumm vor Staunen.

»Was ist los? Was giebt's da?« riefen eine Menge Gäste durch einander,
welche den Soldaten bemerkt hatten und Bohlos' Erstaunen sahen. »Was
will er, Bodenlos? Ist er durstig?«

»Polizeistunde, bei Gott!« rief jetzt der Wirth, »und das Singen stört
den Herrn Director.«

»Da soll er sich doch Baumwolle in die Ohren stecken,« lachte Berthold
-- »Polizeistunde, na, weiter fehlte Nichts in Brumsilien!«

»Alle sollen nach Hause gehen und Singen aufhören!« schrie der Soldat
über den ganzen Lärm hinaus, und stieß dabei seinen Gewehrkolben heftig
auf den Boden nieder, und wie er das gethan hatte, antwortete es draußen
dem Signal. Die Gewehrkolben ziemlich der ganzen Mannschaft stießen
draußen auf, die Thür wurde aufgerissen, und die Gäste sahen zu ihrem
Staunen, daß hier wirklich Ernst gemacht wurde.

»Ei, da schlag' denn doch ein Himmeldonnerwetter drein!« schrien aber
ein paar von den jungen Leuten, die sich einer solchen boshaften Willkür
nicht gutwillig fügen mochten, und sprangen von ihren Sitzen auf. Die
Soldaten wollten jetzt in's Zimmer dringen, aber die deutschen Burschen
faßten ein paar von den braunen, verlebten Gestalten, daß diese eben
nicht sanft und pfeilschnell auf ihre Kameraden zurückflogen, und es
wäre jedenfalls zu einer ganz ordentlichen Schlägerei gekommen, wenn
nicht Bohlos dazwischen gesprungen wäre.

»Meine Herren,« rief er auf die Gäste ein, »ich bitte Sie um Gottes
willen, widersetzen Sie sich nicht den, wenigstens angeblich gesetzlich
gegebenen Anordnungen des Directors, der auch zugleich Delegado ist. Sie
wissen nicht, in was für Schererei wir deshalb kommen können. Thun Sie
_mir_ den Gefallen und gehen Sie heute Abend ruhig nach Haus -- morgen
wollen wir dann schon sehen, was sich in der Sache thun läßt.«

Es gelang ihm auch wirklich, die Ruhe wieder herzustellen, und die Gäste
folgten seinen Bitten und verließen -- aber alle mit bitteren Flüchen
auf den Director in portugiesischer Sprache, damit es die Soldaten
verstehen sollten -- das Hotel. Draußen aber formirten sie sich zwei
Mann hoch und zogen jetzt Arm in Arm und laut singend und jubelnd vor
des Directors Haus. Natürlich schlossen sich ihnen noch gleich eine
Menge anderer Colonisten an, und das Resultat war dann eine ganz
richtige deutsche Katzenmusik, die ihrem weltlichen Oberhaupt in der
Stille der Nacht gebracht wurde; dann zerstreuten sie sich lachend durch
den Ort, um ihre eigenen Wohnungen aufzusuchen.

Etwa drei Viertelstunden später traten drei Soldaten in Bohlos' Hotel,
gingen in die nur von einem Talglicht erhellte und sonst vollkommen
leere Gaststube, und verlangten eine Flasche Branntwein zu kaufen.

»Thut mir leid, meine Herren,« sagte Bohlos ruhig -- »Sie haben mir
im Namen des Herrn Directors selber verboten, nach neun Uhr noch
Etwas auszuschenken; von mir können Sie also Nichts bekommen. Ich
habe übrigens gesehen, daß sich das Verbot nicht auf den andern Wirth
Buttlich auszudehnen scheint. Bei dem sitzen die Gäste noch fest; wenn
Sie also Branntwein haben wollen, bemühen Sie sich dort hinüber.«

Indessen waren noch drei oder vier andere Soldaten nachgekommen,
und sprachen leise mit den übrigen. Endlich drehten sie sich, um
hinauszugehen.

»Hier ist's verdammt dunkel!« rief der Eine, und da er draußen ein
Gepolter hörte, nahm Bohlos das Licht vom Tisch und trat hinaus auf den
Hausflur. In dem Augenblick sah er, daß einer der Soldaten mit einem
großen Zaunpfahl, den er von draußen mit hereingebracht hatte, gegen ihn
ausholte. Er behielt eben noch Zeit, seinen rechten Arm empor zu werfen,
um sich vor dem Schlag zu schützen, als dieser mit voller Wucht auf ihn
niedertraf. Unwillkürlich stieß er einen Schmerzens- und Hülfeschrei
aus, als die Soldaten lachend und fluchend aus der Thür sprangen, und im
nächsten Augenblick im Dunkel draußen verschwunden waren.

Bohlos' Frau kam jetzt aus ihrem Zimmer gestürzt, und die Dienstleute
eilten herbei. Bohlos aber, der noch mit dem Licht in der Hand, doch
todtenbleich vor ihnen stand, sagte ruhig:

»Lauf doch einmal Einer von Euch zum Bader. Die Halunken haben mir den
Arm zerbrochen« -- und sank dann ohnmächtig zusammen.



6.

Vorbereitungen.


So lange die Colonie Santa Clara stand, hatte noch keine solche
Aufregung geherrscht, wie in diesen Tagen, und es fehlte wahrlich nicht
viel, so wäre eine wirkliche Revolution ausgebrochen. Nur die
älteren Leute hielten das junge Volk noch zurück, daß sie nicht das
Directions-Haus stürmten und Herrn von Reitschen selber »zu allen
Teufeln« jagten.

Herr von Reitschen mochte auch etwas Ähnliches fürchten, denn die
Stimmung gegen ihn _konnte_ ihm nicht verborgen bleiben, und er hatte
zwölf Mann seines sogenannten Indianerschutzes unten in sein eigenes
Haus gelegt, wo sie mit geladenen Gewehren Wache halten mußten. Die
Übrigen waren theils vor das Gefängniß, theils in das »Auswanderer-Haus«
postirt worden, und die armen Parcerie-Arbeiter hätten am Fluß-Ufer
lagern müssen, wäre ihnen nicht durch Bohlos eines seiner Hintergebäude
angewiesen worden.

Bohlos' Arm war übrigens durch den Schlag dicht über dem Handgelenke
wirklich gebrochen, und auf eine Klage seiner Frau bei dem Director
erwiederte dieser:

Bohlos sei ein widerspänstiger Gesell und in seinem Hause gestern
sogar offene Widersetzlichkeit gegen die Militärgewalt vorgefallen, was
übrigens noch weiter geahndet werden würde. Diesen Fall nun betreffend,
der unwahrscheinlich genug klinge, daß der Wirth nämlich von einem
Polizeisoldaten solle ohne weitere Veranlassung überfallen und ihm der
Arm zerschlagen sein, so möge er den betreffenden Soldaten bringen und
die Sache werde dann weiter untersucht werden.[3]

Natürlich war das unmöglich, denn auf dem dunklen Hausflur, zwischen
den braunen, schmutzigen Gesichtern, alle in ähnlicher Uniform, die
sich selbst am Tag auffallend glichen, wäre es ganz unmöglich für
Bohlos gewesen, den Thäter mit Bestimmtheit bezeichnen zu können -- und
vielleicht wußte das auch der Director, denn es geschah weiter Nichts
in der Sache. Wohl aber wurde Bohlos drei Tage später davon in Kenntniß
gesetzt, daß er »wegen Widersetzlichkeit gegen die Behörden« fünfzig
Milreis Strafe zu zahlen habe, und ihm, bei einem Wiederholungsfalle,
die Schankgerechtigkeit entzogen werde.

Und Köhler kam nicht frei. Erst am fünften Tage, als das Gesicht des
Directors nicht mehr so deutlich die Spuren der erlittenen Mißhandlung
zeigte, wurde er zum _ersten_ Mal zu seinem Verhör geführt und -- als er
nicht bekennen wollte -- wieder in seine Zelle zurückgebracht.

Könnern war indessen abwesend und nach irgend einer andern Colonie
geritten, Niemand wußte wohin. Als er aber nach acht Tagen zurückkehrte,
saß Köhler noch immer, und er beschloß jetzt den Director selber
aufzusuchen. Der Erfolg war indessen, wie er sich hätte voraus denken
können, kein günstiger, denn daß ihm der Director nicht freundlich
gesinnt sei, da dieser ihn als Sarno's Freund kannte, läßt sich denken.
Außerdem war er Zeuge oben auf Köhler's Chagra gewesen, wie er
jene Mißhandlung erlitten, und mit aller Höflichkeit und einigen
nichtssagenden Redensarten wurde der junge Mann abgespeist, daß er das
Directionsgebäude empört verließ.

Was jetzt thun? Er war fest entschlossen, die Sache zum Äußersten
zu treiben, und beschloß nun Günther aufzusuchen und dessen Rath
einzuholen. Günther stak aber irgendwo im Walde bei seinen Vermessungen,
Niemand konnte ihm genau die Stelle angeben, wo er ihn möglicher Weise
treffen würde, und es dauerte drei Tage, bis er ihn endlich in seinem
aufgeschlagenen Lager fand.

Hier erzählte er Günther mit kurzen Worten die Vorgänge in Santa Clara,
und dieser saß dabei, nickte mit dem Kopfe und lächelte nur still vor
sich hin.

»Ich hab' mir's gedacht, daß es etwa so kommen würde,« sagte er endlich,
»und der Herr Baron scheint seiner Protectorin alle Ehre zu machen;
aber ich denke, sein Spiel soll nicht ewig dauern. Haben Sie guten Muth,
Könnern, dem armen Teufel, dem Köhler, können sie doch Nichts anhaben,
denn das darf er nicht wagen, und er läßt es auch nicht zum Äußersten
kommen, und wenn es jetzt für unseren jungen Freund auch schlimm genug
ist, von dem allerliebsten Frauchen so lange getrennt zu sein, kann er
sich doch darauf verlassen, daß er glänzende Genugthuung erhält. Also
Ihr habt den Herrn Director droben auf verbotenen Wegen erwischt? Was
gäb' ich nicht drum, wenn ich dabei gewesen wäre und das später einmal
der Frau Präsidentin hätte recht ausführlich erzählen können! Aber die
alte Geschichte -- wenn's Brei regnet, fehlt mir jedes Mal der Löffel --
so 'was Gutes kommt an mich nicht!«

»Und können Sie mit hinunter?«

»Ja,« sagte Günther nach einigem Zögern -- »das heißt heute nicht
mehr, aber morgen Abend oder spätestens übermorgen früh habe ich meine
Arbeiten hier oben so weit beendet, daß ich das Übrige an jeder andern
Stelle fertig machen kann -- mein neuer Hülfsarbeiter hat mich aber auch
wacker dabei unterstützt.«

»Und haben Sie sich leicht in die Arbeit gefunden, lieber Graf?«

»Vortrefflich!« lachte der junge Mann -- »und außerdem hatte ich nie im
Leben wirklich geglaubt, daß ich noch je einmal zu Etwas nützlich
sein könnte, während ich sogar jetzt das volle Vertrauen des von der
Regierung angestellten Beamten besitze.«

»Du findest gewiß noch solche Freude an dieser Beschäftigung,« sagte
Günther, »daß Du wacker dabei aushältst, und gar noch ebenfalls
brasilianischer Beamter wirst.«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich,« sagte Felix achselzuckend;
»jedenfalls hat es mir hier geholfen eine Quantität Zeit todtzuschlagen,
und das ist schon immer ein unberechenbarer Gewinn, den ich selber gar
nicht hoch genug anzuschlagen weiß.«

»Du bist unverbesserlich!« lachte Günther -- »und nun wieder an die
Arbeit, denn wenn ich bis morgen fertig werden will, haben wir Beide
noch genug zu thun.«

Die Arbeit wurde in der That in der angegebenen Zeit beendet, aber
doch zu spät, um noch an dem nämlichen Abend an den Abmarsch denken zu
können, den sie auf den andern Morgen mit Tagesanbruch festsetzten.

»Und haben Sie Nichts wieder von jenem alten Mann und seiner Tochter
gehört?« fragte Günther den Freund, als er mit ihm zusammen einen
Waldweg nach Santa Clara hinüber ritt -- Felix war gerade ein Stück
zurückgeblieben.

»Nichts -- gar Nichts,« sagte Könnern leise -- »ich habe sie sogar
gesucht -- ich bin fünf Tage nach ihnen in der ganzen Nachbarschaft
umher geritten, und die ersten zwei ihrer Spur gefolgt. Dann war diese
urplötzlich verschwunden. Kein Mensch konnte mir weitere Nachricht von
den Verschollenen geben, und der Gedanke ist mir jetzt furchtbar, daß
ihnen, allein und hülflos wie sie waren, ein Unglück zugestoßen sein
könne. Meine arme, arme Elise!«

»Spurlos verschwunden?« sagte Günther, ungläubig mit dem Kopf schüttelnd
-- »wie wäre das _hier_ in der Colonie _möglich_?«

»Und warum nicht? Sobald sie die Hauptstraße verlassen und sich nach
rechts oder links in den Wald ziehen, wo überall noch einzeln zerstreute
Hütten liegen, wer soll ihnen da folgen? Und ehe ich sie aufzufinden
vermöchte, können sie verdorben sein.«

»Und von dem Mörder des Schneiders hat man ebenfalls keine Spur? Gar
keinen Verdacht?«

»Keinen -- der liederliche Gesell hatte zu wenig Geld bei sich, als daß
das könnte einen Menschen zum Morde gereizt haben, und, kleine Häkeleien
ausgenommen, hat er sich auch Niemanden in der Colonie so zum Feinde
gemacht, daß man glauben könne, der Mord sei irgendwie aus Rache verübt.
Es bleibt räthselhaft.«

»Der Director kann doch unmöglich Köhler für schuldig halten?«

»Sicher nicht,« sagte Könnern, »aber eine bessere Gelegenheit fände er
im Leben nicht, sich an dem zu rächen, der ihn einmal mißhandelt hat,
und daß er sie eben benutzt, liegt in seiner Natur.«

»Gut, dann wollen wir einmal sehen, was wir gegen ihn ausrichten können.
Die erste Warnung vor dem Mann, der hierher als Director gesetzt ist,
hat der Minister des Innern schon von mir aus Santa Catharina bekommen;
jetzt ist Nichts weiter nöthig, als in Santa Clara die genauen Daten der
letzten Vorfälle zu sammeln, und dann gehe ich selber mit der nächsten
Gelegenheit nach Rio ab, um das Weitere zu betreiben.«

»Sie wollen wirklich fort -- und dann nach Deutschland?«

»Dann nach Deutschland, nach meinem Thüringen!« rief Günther, und
spornte fast unwillkürlich sein Pferd zu schärferem Trab, als ob ihn
schon der Gedanke seinem Ziele rascher entgegenführe.

»Und Sie kommen vorher nicht noch einmal hieher zurück?«

»Hieher? Gewiß nicht! Ich habe das wilde, unstäte Leben recht von Herzen
satt bekommen und muß doch jetzt auch wieder einmal fühlen lernen, wie
einem wirklichen Menschen zu Muth ist. Sechs Jahre, Könnern -- sechs
Jahre lebe ich jetzt hier, mit dem Bewußtsein, daß Alles, was mir lieb
und theuer auf der Welt ist, da drüben treu und geduldig, aber mit immer
wachsender Sehnsucht meiner harrt. Jetzt ist's genug! Der Brief, der
mich drüben anmeldet, ist schon damals von Santa Catharina abgegangen;
jetzt habe ich weiter Nichts in Rio zu thun, als meine Berechnungen
vorzulegen und mein Geld einzucassiren -- wobei ich aber dafür sorgen
werde, daß Sarno Gerechtigkeit widerfährt, und dann mit dem nächsten
Dampfer heim -- heim -- es giebt ja gar kein schöneres Wort in unserer
reichen, deutschen Sprache -- _heim_!«

Könnern war schweigend neben ihm hingeritten, denn die heiße Sehnsucht,
welche den Freund zurück in die Heimath trieb, fand in _seinem_ Herzen
keinen Wiederklang. Für ihn war die Heimath todt und leer, denn all'
_sein_ Hoffen, all' _sein_ Lieben deckten die düsteren Schatten des
brasilianischen Urwaldes -- vielleicht schon mit Todesnacht -- arme
Elise!

Noch an demselben Nachmittag erreichten sie die Colonie, in der sich in
den Tagen Nichts verändert hatte, das ausgenommen, daß die Erbitterung
gegen den Director fast noch mit jedem Tage gestiegen war. Herr von
Reitschen verkehrte jetzt auch nur noch mit dem Baron und der Gräfin;
die gewöhnlichen Colonisten durften seine Stube gar nicht mehr betreten
und wurden stets auf dem Vorsaal abgefertigt, wo sie mit abgezogenem Hut
warten mußten, bis der Herr Director einmal einen Augenblick zu ihnen
heraustrat.

Günther von Schwartzau ließ sich übrigens, als er Alles das erfuhr, gar
nicht bei ihm melden und sandte ihm nur ein paar Zeilen, worin er ihm
anzeigte, daß er seine Arbeiten in der Colonie beendet habe und mit der
ersten Gelegenheit nach Rio Janeiro gehen würde. Wünsche der Herr Baron
ihn zu sprechen, so sei er Morgens bis zehn Uhr in Bohlos' Hotel zu
finden.

Natürlich kam Herr von Reitschen, über eine solche Zumuthung empört,
_nicht_, arbeitete aber dafür sehr fleißig an verschiedenen Depeschen,
die allen möglichen ungünstigen Berichten in Rio entgegenwirken
sollten. Wußte er doch recht gut, daß er an Herrn von Schwartzau keinen
Fürsprecher finden würde.

Könnern hatte den Mittag wieder einen vergeblichen Versuch gemacht, bei
dem Gefangenen vorgelassen zu werden, und saß eben in seiner Stube
mit einiger Correspondenz beschäftigt, die Günther mit nach Rio nehmen
sollte, als es an die Thür klopfte. Er rief: »Herein!« und im nächsten
Augenblicke steckte Jeremias sein dickes, gutmüthiges Gesicht, aber mit
einem besondern Grad von Vorsicht, in die Thür.

»Heda, Jeremias!« rief Könnern, der den kleinen, komischen Burschen
gern leiden mochte, noch dazu da er wußte, wie treu er früher an Sarno
gehangen -- »läßt Du Dich denn auch einmal wieder sehen?«

»Wieder sehen?« sagte Jeremias, nachdem er sich überzeugt hatte, daß
Könnern allein im Zimmer sei -- »Sie haben mich wohl erwartet, und _ich_
laufe mir seit beinahe einer Woche im ganzen Neste die Beine ab und
suche den Herrn Könnern in allen Winkeln und Ecken.«

»Mich -- und weshalb? -- Ich war im Walde draußen.«

»Na ja, das hab' ich mir etwa gedacht, aber -- wollen Sie mir einen
Gefallen thun?«

»Wenn ich kann, recht gern, doch jetzt bin ich beschäftigt.«

»Wie lange?«

»Ist es so wichtig?«

»Ja.«

»Nun denn, heraus damit!«

»Hier nicht. Sie müssen einen Spaziergang mit mir machen.«

»Was hast Du denn nur, Du thust ja so geheimnisvoll?«

»Es ist auch ein Geheimniß,« sagte Jeremias, sich leise und scheu
umsehend, »das ich zwischen den papiernen Wänden hier nicht auskramen
möchte, denn man weiß nicht wer dahinter steckt.«

»Und wie lange wird es mich aufhalten?«

»Eine gute Stunde -- vielleicht zwei -- vielleicht eine Woche.«

»Alle Teufel,« lachte Könnern, »Dein Geheimniß scheint dehnbar zu sein;
doch dann laß mich erst diesen Brief schließen und siegeln, nachher habe
ich eine Stunde Zeit für Dich -- vorausgesetzt aber, daß es wirklich
wichtig ist.«

Jeremias antwortete gar nicht; er setzte sich ruhig auf einen Stuhl,
seinen Hut zwischen den Knieen, und wartete dort geduldig, bis Könnern
seine Correspondenz völlig beendet und seine Schreibmaterialien
weggeschlossen hatte. Dann erst, als er seinen eigenen Hut nahm und nun
sagte: »So komm!« stand er auf, öffnete dem jungen Mann die Thür und
folgte ihm die Treppe hinunter.

»Und wohin wollen wir?« fragte Könnern, unten angelangt, und sah zu
seinem Erstaunen, daß ihm Jeremias schon sein Pferd gesattelt und
angebunden hatte -- »ist es so weit?«

»Nein,« meinte Jeremias; »aber Sie können's sich eben so gut bequem
machen. Nur den Berg hinauf steigen Sie ab und ich erzähle Ihnen dann
die ganze Geschichte.«

Könnern wurde wirklich neugierig; Jeremias hielt sich aber hinter seinem
Pferde, bis sie den Fuß des Hügelrückens erreichten, über den der
Weg nach Zuhbel's Chagra führte. Dort sprang er vor, hielt Zügel und
Steigbügel, bis der Reiter abgestiegen war, nahm dann das Pferd am Zügel
und begann nun, ohne die geringste Vorbereitung, Könnern, zu dem er ein
großes Vertrauen hegte, seine ganzen Geldverhältnisse zu erzählen und
ihm den Platz zu beschreiben, wo er den Sack versteckt gehalten. Dann
kam er auf den Abend, an dem er das vom Director Sarno erhaltene Geld
dort einheimsen wollte, und zuletzt zu seinem Abenteuer, wie ihm der
Dieb seines eigenen Geldes, den gestohlenen Sack, freilich unfreiwillig,
vor die Füße geworfen habe, und dann in wilder Flucht in den Wald
gesprungen sei. -- Sie hatten indeß dieselbe Stelle erreicht und
Jeremias konnte dem jungen Mann genau den Fleck zeigen, wo der
Verbrecher gestürzt und in den Busch hineingebrochen war.

»Ja, mein guter Jeremias,« sagte Könnern endlich, »das ist eine ganz
interessante und höchst wunderbare Geschichte, aber -- nimm mir's nicht
übel -- was geht _mich_ das eigentlich an?«

»Das will ich Ihnen gleich sagen,« erwiederte der kleine Bursche, nicht
im Mindesten dadurch gekränkt. »Sie wissen doch, daß sie den Köhler, als
des Mordes verdächtig, eingesperrt haben? -- ich weiß aber jetzt wer der
wirkliche Mörder ist.«

»Du -- Du kennst ihn?« rief Könnern rasch und erstaunt.

»Ahem!« nickte Jeremias entschieden mit dem Kopfe -- »Bux.«

»Bux? -- Wer ist Bux?«

»Sie kennen Buxen nicht? -- den Bauchredner, den Lump?«

»Und wo ist er jetzt?«

»Pfutsch!« sagte Jeremias mit einer entsprechenden Handbewegung.

»Und woher glaubst Du das?«

Jeremias holte, ohne zu antworten, aus seiner Tasche ein altes
Klappmesser und zeigte es Könnern.

»Sehen Sie,« sagte er, »das hat der Lump bei der Arbeit verloren und im
Stich gelassen. Es war mir auch gleich so, wie er an mir vorübersprang,
als ob ich die Canaille kennte. In der Stadt hab' ich mich indessen
vorsichtig erkundigt, wem das Messer gehört, und der Buttlich kannt'
es und wollt' es mir abnehmen. -- So, und jetzt steigen wir zu meinem
Versteck hinauf, in dem das Messer eingeklemmt war, und dort zeig' ich
Ihnen die ganze Bescheerung, auch den Platz, wo der Mann erschlagen
ist.«

»Und weshalb sollte der den Schneider ermordet haben?«

»Die Sache ist einfach genug,« sagte Jeremias, der mit ziemlich
richtiger Combination der That folgte. »Die beiden Lumpen, denn der
Justus war nicht um ein Haar besser, haben mir, Gott weiß _wie_,
nachgespürt, oder auch vielleicht hier oben irgendwo gerade Etwas
ausgeheckt, als ich vorbei kam. Nachher sind sie mir nachgekrochen und
haben mein Versteck gefunden; dann hat der Bux den Schneider auf den
Kopf geklopft, um den ganzen Sack für sich allein behalten zu können.
Mit dem bösen Gewissen aber und dem Mord auf der Seele bekam er
die Angst, sah nicht auf den Weg, stürzte und glaubte nun im ersten
Schrecken, als er eine Stimme neben sich hörte, er solle des Mordes
wegen abgefaßt werden, weshalb er, wie vom Teufel gehetzt, in die Büsche
fuhr.«

»Bux? -- Bux? -- Ich kann mich auf den Menschen gar nicht besinnen.«

»Aber ich bitte Sie,« sagte Jeremias -- »der Liedrian, der immer einen
Tressenstreifen um die Mütze trug.«

»Der?« rief Könnern, rasch auffahrend -- »den hab' ich neulich auf
meinem Ritt in die Colonien getroffen. -- Es war ihm Etwas geschehen,
ich glaube, sein Lastthier, ein Esel oder Maulthier, war ihm gestürzt,
und er mußte dort bei einem Bauer liegen bleiben.«

»Dann kriegen wir ihn auch,« sagte Jeremias bestimmt.

»Aber weshalb, um Gottes willen, hast Du den Verdacht, der fast an
Gewißheit gränzt, nicht schon lange ausgesprochen?« rief Könnern
vorwurfsvoll -- »und der arme Köhler sitzt die ganze Zeit!«

»So?« sagte Jeremias, »und wenn ich Etwas gegen den Buttlich oder einen
von den Consorten hätte merken lassen, dann wär' der Bux wohl nicht
unter Hand gewarnt worden, nur um den Köhler noch ein Bißchen länger
unter dem Daumen zu halten? Und dann, sollt ich's _denen_ wohl auch auf
die Nase binden, daß ich so viel Geld hätte, um es verstecken zu müssen?
-- Über jeden Milreis würden sie mir Rechenschaft abverlangt haben, und
meines eigenen Lebens wäre ich von da an keinen Augenblick mehr sicher
gewesen. Nein, lieber nicht, und ich hätt's auch jetzt noch nicht, und
selbst Ihnen nicht gesagt, wenn nicht -- der Köhler heute krank geworden
wäre. Der arme Teufel hält die Hitze in dem Loche aber nicht mehr
lange aus, und wenn dem 'was passirte -- _das_ möcht' ich nicht auf dem
Gewissen haben -- da noch lieber die Angst, bestohlen zu werden. Fassen
sie den Bux, so kommt's nachher mit _meinem_ Gelde auch heraus, das
ist sicher, denn gestehen muß er und wird er, weshalb er den Justus
todtgeschlagen. Nachher freue ich mich aber nur auf das dumme Gesicht
von ihm, wenn er erfährt, wo er sein Geld die Nacht hingeworfen hat, und
daß ich beinahe eben so erschreckt gewesen wäre, als er selber.«

»Dann wollen wir augenblicklich hinunter und die Anzeige machen,« rief
Könnern rasch.

»Nein,« sagte Jeremias ruhig, »wir wollen gerade das Gegentheil thun und
augenblicklich hinaufsteigen und meinen Versteck betrachten, damit Sie
sich erst von Allem überzeugen, und nachher noch lange keine Anzeige
machen, bis wir den Bux fest haben. Wissen Sie ungefähr wo er steckt,
so wird das auch nicht so schwer halten, und wenn wir dem Herrn
Director dann die Beweise unter die Nase reiben, _muß_ er den Gefangenen
herausgeben, oder -- wir stecken ihm das Haus über dem Kopf an und
räuchern ihn zum Tempel hinaus. Gott straf' mich, es wird überhaupt
Zeit, daß die Wirthschaft einmal ein Ende nimmt!«

Könnern mußte sich, er mochte wollen oder nicht, dem kleinen Burschen
fügen, der sein Pferd in das Dickicht führte und dort anband und dann
mit ihm in die Schlucht hinaufstieg, damit er mit dem Terrain genau
bekannt würde. Dabei erzählte er ihm eine Menge Einzelheiten aus Bux'
Leben, wie er seine Familie mißhandelte und sich überhaupt die kurze
Zeit in der Colonie benommen habe, und kehrte dann Nachmittags mit dem
jungen Mann nach Santa Clara zurück, wo dieser ohne Säumen die beiden
Freunde aufsuchte, um mit ihnen das Nöthige zu berathen.

Herr von Schwartzau billigte auch ganz Jeremias' Vorschlag: vor allen
Dingen sich der Person des wahrscheinlichen Mörders zu versichern, ehe
man gegen den Director ein Wort von dem Verdacht äußerte. Es schien
allerdings kaum möglich, daß dieser, nur um einem Gefühl der Rache zu
folgen, dem wirklichen Verbrecher Gelegenheit zur Flucht verschaffen
würde, aber -- sicher blieb sicher, und er hatte nachher keine Ausrede
mehr.

Graf Rottack erbot sich augenblicklich, Könnern zu begleiten, brachte
das doch einmal eine Abwechslung in sein monotones Leben, wie er meinte,
und die jungen Leute beschlossen, keinem Menschen ein Wort von ihrer
Expedition zu sagen. Daß Jeremias schwieg wußten sie außerdem, und je
geheimer das Ganze betrieben wurde, auf desto sicherern Erfolg konnten
sie rechnen.

An dem nämlichen Tage hatten fast sämmtliche Einwohner Santa Clara's auf
Günther's Veranlassung eine Adresse an die Regierung in Rio aufgesetzt
und unterzeichnet, in der sie mit einfachen aber klaren Worten die
gegenwärtigen Verhältnisse und deren Rechtszustand schilderten und um
Abhülfe baten. Sie sagten außerdem darin, »sie wollten die Regierung
nicht drängen, ihren jetzigen Director wieder abzurufen, obgleich es
keinen verhaßteren Menschen in der Colonie gäbe, aber das könnten
sie verlangen, daß wenigstens ein ehrlicher Mann als Delegado ihnen
zugetheilt würde und die Polizeigewalt, nicht länger in Einer Hand mit
der bürgerlichen Obrigkeit sei. Die Colonisten wären sonst verrathen
und verkauft und hätten keinen Platz in der Welt, wo sie Recht und
Gerechtigkeit bekommen könnten, als das abgelegene und schwer zu
erreichende Rio de Janeiro.«

Der eigentliche Postdampfer, der zwischen den Colonien und Rio,
angeblich regelmäßig, lief, wäre allerdings schon wieder seit zwei Tagen
fällig gewesen, aber es herrscht unter den Dampfern aller jener Linien
an der brasilianischen Küste eine solche consequente Unregelmäßigkeit,
daß man nie mit Sicherheit darauf rechnen konnte; ja, es war schon
vorgekommen, daß der eine vierzehn Tage über seine Zeit ausblieb und der
andere dann dicht hinter ihm her oder mit ihm gar zu einer Zeit eintraf.

Günther wollte sich also dem nicht aussetzen und nahm Passage auf einem
nach Rio bestimmten Schooner, demselben, der die Parcerie-Colonisten
hieher gebracht und indessen eine Ladung Bohnen, Maniokmehl und etwas
geräuchertes Fleisch eingenommen. Er hatte die ganze Nacht gearbeitet
und seine Karte über die Vermessung der Colonie beendet und copirt, da
er die Copie dem Director zurücklassen mußte, schickte ihm dieselbe am
nächsten Morgen in's Haus und nahm dann von den Freunden Abschied, die
ihn bis zur Landung hinunter begleiteten. Beide junge Leute versprachen
ihm auch fest, ihn in der Heimath aufzusuchen, sobald sie selber wieder
Fuß auf deutschen Boden setzen würden, und eine halbe Stunde später
sprengten Graf Rottack und Könnern auf der Straße hinaus, die an der
Meierei vorüber in den Wald führte.



7.

Bux auf der Flucht.


»Was wir doch eigentlich für ein wunderliches, abenteuerliches Leben
führen,« brach Felix endlich das Schweigen, denn Könnern's Herz war
heute, wo er sich dem Platze wieder näherte, an dem er Elisen zum
ersten Mal gesehen, schwer und gedrückt, und wie die Ahnung eines großen
Unglücks lag es auf seiner Seele. -- »Heute hier, morgen da, heute
philisterhaft sich mühend, um das tägliche Brod zu verdienen, nur des
täglichen Brodes wegen, und morgen wieder im Sattel -- wie wir Beide
heute -- als Rächer und Verfolger: ein paar richtige Romanhelden, wie
man sie nicht brauchbarer erfinden könnte.«

»Mein lieber Graf,« sagte Könnern, »wie oft auch gleicht unser Leben
einem künstlich erdachten und selbst unnatürlich combinirten Romane,
mit all' den Zufälligkeiten, die hineingreifen und alle Pläne über
den Haufen werfen. Und wir brauchen dazu nicht einmal nach Brasilien
auszuwandern; Tausende und Tausende solcher Beispiele finden wir eben so
gut daheim, eben so in den anscheinend hausbackensten Verhältnissen, die
nach außen die glatte, nichtssagende Oberfläche zeigen. Könnten wir
oft den Schleier heben, der darauf liegt, was für wunderbare und
interessante Dinge würden wir zu sehn bekommen!«

Graf Rottack lächelte still vor sich hin, denn er dachte in diesem
Augenblick an seine Scene mit der Madame Baulen.

»Apropos,« sagte er, »haben Sie kürzlich Nichts von unserer _Gräfin_
gehört? Ich vergaß in der kurzen Zeit, die ich in Santa Clara war, ganz
nach ihr zu fragen -- oder kennen Sie die Dame gar nicht?«

»Ich habe sie wohl ein paar Mal auf der Straße gesehen,« sagte Könnern,
»aber nie das Vergnügen ihrer persönlichen Bekanntschaft gehabt. Ja, ich
muß sogar zu meiner Schande gestehen, daß ich selbst meine Schuldigkeit
versäumt habe: ihr nämlich meine Aufwartung nach der unbenutzten
Einladung zu machen. Wie ich aber neulich von Jeremias zufällig gehört,
so scheinen Mißhelligkeiten in der Familie ausgebrochen zu sein.«

»In der gräflichen?« lachte Felix.

»Allerdings; da ich mich jedoch für die Leute nicht interessire, sind
mir auch die Einzelheiten wieder entfallen -- ich hatte überhaupt damals
den Kopf voll genug. Nur so viel erinnere ich mich, daß die Verbindung
zwischen der Comtesse und Herrn von Pulteleben abgebrochen ist ...«

»Ha!« rief Felix, sich erstaunt im Sattel aufrichtend.

»Und daß sich die Comtesse sogar von ihrer Mutter getrennt hat,« fuhr
Könnern fort, »was vielleicht Aufsehen in der Colonie erregt hätte, wenn
die Leute nicht in der Zeit gerade mit wichtigeren Dingen beschäftigt
gewesen wären. Gesprochen wurde aber doch viel darüber.«

»Helene fort?« sagte Felix nachdenkend; »was mag da vorgefallen sein? --
Und wo wohnt sie jetzt? -- Wo konnte sie hin?«

»Das habe ich zufällig bei Rohrlands gehört, ohne der jungen Dame selber
aber dort zu begegnen. Sie hat sich in Rohrland's Hause ein Zimmer
gemiethet und einen Theil ihrer Möbel wie ebenfalls ihr Pferd an
Director von Reitschen verkauft.«

»Wunderbar, wunderbar!« murmelte der junge Mann kopfschüttelnd vor sich
hin. »Von der _Mutter_ getrennt, und die Verbindung mit dem Bräutigam
abgebrochen, da muß etwas ganz Absonderliches geschehen sein. Sehen Sie,
Könnern, da haben Sie gleich wieder einen kleinen Familienroman mit
den interessantesten Persönlichkeiten: einem schönen Mädchen, einer
intriguanten Mutter und -- einem überflüssigen Bräutigam. Schade nur,
daß der wirkliche _Geliebte_ fehlt, der zu einem wünschenswerthen Schluß
gehört, denn _die_ Damen, die in einem Buche immer zuerst die letzten
Seiten lesen, betrachten das als eine stillschweigende Bedingung. -- Und
da drüben auch,« fuhr er fort und deutete mit der linken Hand nach der
Stelle hinüber, wo des alten Meier Haus lag -- »dort hat sich ebenfalls
eine anscheinend glückliche Familie plötzlich ohne bekannt gewordene
Veranlassung zerstreut -- die Mutter ist in's Wasser gesprungen, Vater
und Tochter sind verschwunden -- verdorben vielleicht, und Alle hatten
die Berechtigung an dieses Leben, wie wir -- gerade so gut als wir, und
jetzt Alles -- Alles zerstoben wie ein Traum! Sonderbare Geschichte das,
höchst sonderbare Geschichte, und man weiß zuletzt wirklich nicht einmal
ganz gewiß, wer von uns Allen denn auch sicher _wacht_.«

Könnern, dem die Worte des Grafen den alten Schmerz auf's Neue wach
riefen, ohne daß Felix eine Ahnung davon haben konnte wie erbarmungslos
er in die frische Wunde eingeschnitten, ritt schweigend an seiner Seite,
und da auch durch Rottack's Seele eine Menge von alten Erinnerungen
und Bildern zuckte, trabten die Beide eine lange Strecke still und
schweigend neben einander hin.

»Hol' der Teufel die Grillen,« sagte Felix plötzlich mit seinem frühern
wilden Humor, »man ist bei Gott ein Thor, sich ihnen hinzugeben, wenn
man selbst überflüssige Zeit hat, und das -- haben wir hier nicht
einmal! Wir wollen an unsere Jagd denken, Könnern, Diebsfänger, die
wir doch jetzt nun einmal sind, an den mörderischen Schuft und an das
glückliche Gesicht der jungen allerliebsten Frau -- um die ich den
Gefangenen, aufrichtig gesagt, beneide. Sie mögen mich auslachen wie
Sie wollen, aber ich tauschte den Augenblick mit ihm, selbst mit seinem
jetzigen Aufenthalt in dem ungesunden Loch, wenn ich nur wüßte, daß
mich beim Herauskommen ein Paar _solcher_ Arme in Glück und Seligkeit
umschlingen würden. -- Aber was haben _wir_ Beiden, wenn wir
zurückkommen? -- Quartier bei Bodenlos für unser gutes Geld und ein
einschläfiges Gastbett, zweischläfig mit Flöhen versehen -- es ist zum
Todtschießen!«

»Ich denke Sie wollen nicht mehr sentimental werden?« lächelte Könnern.

»Wollt' ich auch nicht,« sagte der junge Graf; »aber unwillkürlich
steckt die sentimentale Fratze den Kopf durch jedes Gespräch, selbst
wenn man sich von Mördern und Dieben unterhält. Wo haben Sie denn jenen
Bux -- so heißt der Kerl ja wohl -- zum letzten Mal gesehen?«

»Wir biegen an der nächsten Chagra links in den Wald,« sagte Könnern,
»und können den Ort dann etwa mit Dunkelwerden erreichen.«

»In den Wald? Wie, zum Henker, sind Sie denn da hineingekommen -- auf
der Jagd?«

»Wo streift ein Maler nicht überall umher,« war Könnern's ausweichende
Antwort -- »noch dazu, wenn er sein Gewehr auf dem Rücken hat!«

»Von dem sind Sie unzertrennlich?«

»Bei unserm jetzigen Ritte war es nöthig, denn wir wissen nicht, wie wir
es gebrauchen können. Es ist wenigstens unwahrscheinlich, daß sich jener
verwegene Bursche so gutwillig wird gefangen geben. Sind _Sie_ kein
Jäger?«

»Nein, und nie gewesen,« sagte der junge Mann; »zu Hause hätte ich dazu
Gelegenheit genug gehabt, aber ich konnte nie Freude daran finden,
mich irgendwo in den Hinterhalt zu legen und ein armes, ahnungslos
daherkommendes Stück Wild wie ein Meuchelmörder niederzuschießen. Die
Jäger nennen das freilich »auf dem Anstand«, ich hielt es aber für
unanständig -- wie ich denn überhaupt mein ganzes Leben lang mit den
verschiedenen Menschenklassen verschiedener Meinung gewesen bin. Ich
habe auch nur selten ein Gewehr in die Hand genommen; desto häufiger
hetzte ich aber dafür Füchse und Hasen im freien Felde. Das ist List
gegen List, Muskel gegen Muskel, und ein viel gleicherer Kampf als mit
Pulver und Blei, dem das arme Wild keine ähnliche Waffe entgegenzusetzen
vermag.«

»Aber eine Tigerjagd mit der Büchse hier in Brasilien würden Sie doch
nicht für so ungleichen Kampf halten?«

»Nein,« meinte Felix; »wenn die Tiger nur nicht anderer Meinung wären.
Aber Wochen lang hier im Gestein und Dorngestrüpp umherkriechen, von
Durst und Hitze halb aufgerieben werden und dann nicht einmal einen
Tiger zu Gesicht zu bekommen, nur höchstens einmal seine Fährte zu
finden, wo _er_ seinen Durst löschte, während ich auf irgend einem
unwirthbaren Bergrücken saß und schmachtete, dafür danke ich ebenfalls.
Dazu gehört eben eine Passion die mir fehlt, und ich überlasse es denen,
die wirklich Freude daran finden.«

Die Reiter hatten indessen die nächste Chagra, die ebenfalls einem
Deutschen gehörte, erreicht, und Könnern hielt hier, ohne das Haus zu
berühren, gleich schräg in den Wald hinein, umritt die Umzäunung und
traf auf der andern Seite derselben wieder einen schmalen Weg, der fast
direct nach Westen hinüberlief. Diesem folgten sie mehrere Stunden lang
und mußten sogar Einer hinter dem Andern reiten, so schmal war die Bahn
an vielen Stellen und so viel hineingebrochenes Holz lag darin. Hier und
da führte auch manchmal ein schmaler Pfad rechts und links ab; Könnern
schien aber völlig vertraut mit seiner Bahn und zögerte nur immer lange
genug, ehe er die als richtig erkannte verfolgte, bis er die Abwege
genau und sorgfältig untersucht hatte.

Endlich erreichten sie einen Fleck, wo Reisende eine Nacht zugebracht
hatten. Halbdurchgebrannte Stücke zusammengetragenen Holzes lagen dort,
und abgebrochene, nicht mit Messer oder Beil abgehauene Zweige waren
mit unkundiger Hand verwandt worden, eine Art von Schutzdach gegen den
Nachtthau herzustellen.

Könnern erfaßte ein herbes, bitteres Weh, als er den Platz wieder sah,
denn hier hatte -- dem Berichte der Leute nach, die in der nächsten
Colonie wohnten -- seine arme Elise mit dem Vater eine Nacht im Walde
zugebracht und mit ihren zarten, solcher Arbeit ungewohnten Händen
Holz herbeigetragen, sein Lager weich mit trockenem Laube bereitet, und
versucht eine Hütte für ihn zu spannen. -- Und an der nächsten Chagra
eben verlor sich vollständig ihre Spur. Der Pfad war von da an
steinig, da er in das Gebirge hineinlief, aber selbst in der nächsten
menschlichen Wohnung wollte Niemand Etwas von ihnen gesehen haben. Weit
noch war er damals umhergestreift, rechts und links vom Wege ab, durch
Dornen und Dickicht brechend, immer das Eine, theure Ziel im Auge --
umsonst, wie in den Boden hinein schien das hülflose Paar verschwunden,
und es blieb keine andere Möglichkeit, als daß sie vom Wege abgekommen
seien und sich verirrt hätten, wo sie dann rettungslos in der
furchtbaren Wildniß verderben mußten.

Wieder durchlebte Könnern, als er sich dieser Gegend auf's Neue näherte,
alle jene furchtbaren Stunden, die damals so schwer auf seinem Herzen
gelegen; aber er scheute sich, dem Begleiter sein nagendes Leid
mitzutheilen -- was konnte er ihm auch helfen, wo durfte er selbst
hoffen, daß er ihn verstehen würde?

»Hier haben Reisende campirt,« sagte Rottack, als Könnern unwillkürlich
sein Pferd neben dem alten Lagerplatze anhielt und darauf niederstarrte,
-- »ob das _unsere_ Familie gewesen ist?«

»Nein -- Andere,« sagte Könnern leise -- »Bux hat mit seiner Familie an
dem nächsten Hause gelagert und sich Essen auf der Chagra geben lassen.
-- Aber vorwärts, oder wir versäumen hier die schöne Zeit!«

Weiter und weiter ritten sie durch den wilden Wald, bis sie plötzlich
wieder eine kleine Hochebene erreichten, in der sich ebenfalls Deutsche
niedergelassen hatten, und zwar, unbesorgt vor Indianern, welche
der Director zur Entschuldigung brauchte, sich eine Polizei- und
Militärmacht in die Colonie zu legen.

Die Sonne neigte sich indessen dem Horizont zu, und die Reisenden
beschlossen, hier zu übernachten. Essen und Trinken fanden sie auch
genug. Die deutschen Colonisten brachten willig was sie hatten, und
waren außerdem froh, wieder einmal ein menschliches Wesen in ihrer
Einsamkeit zu sehen.

Felix fragte sie auch, was um Gottes willen sie nur bewogen haben
könnte, sich in dieser Einöde niederzulassen, wo sie ihre Producte nicht
einmal verwerthen konnten. Die Sache war einfach genug: die Regierung
hatte früher die Absicht gehabt, an dieser Stelle eine neue deutsche
Colonie anzulegen, die mit Santa Clara sollte in Verbindung gebracht
werden. -- Ähnliche Projecte haben an vielen Stellen stattgefunden, und
anstatt einen Centralpunkt anzunehmen und von dem aus weiter in das
Land hinein zu bauen, versuchte man es auf andere Art, wählte im Walde
zerstreute Punkte und wollte von diesen aus gleichzeitig nach dem
Centralpunkt zu arbeiten -- aber es ging nicht.

Diese in den Wald mitten hinein gezwungenen Colonien konnten mit den
besser gelegenen nicht concurriren, weil ihnen der Transport ihrer
Producte zu viel Geld kostete. In der Regenzeit wurden außerdem noch
die, nie von einem Sonnenstrahl getrockneten, engen Waldpfade zu
bahnlosen Morästen, und die darauf gesetzten Colonisten verließen meist
alle ihr Land wieder, um sich an einer Stelle anzubauen, wo sie mit der
Welt noch in Verbindung standen.

Einzelne blieben aber trotzdem zurück; es gewährte ihnen einen eigenen
Reiz, so mitten im Walde zu sitzen und mit keinen Nachbarn Etwas zu
schaffen zu haben. Land konnten sie hier ebenfalls in Besitz nehmen so
viel sie wollten, kein Mensch hatte Etwas dawider; die Jagd bot ihnen
auch hier und da Unterhaltung, und im Stillen hofften sie immer noch,
daß die für jetzt aufgegebene Colonie doch wieder erneuert werden
könnte. Dann aber stieg nachher ihr Land natürlich bedeutend im Werth,
und ihre Producte fanden schon unter den frischen Einwanderern raschen
und günstigen Absatz.

Hier erhielten die Verfolger Nachricht von Bux, denn dies war der Platz,
an dem ihm sein Esel damals zusammenbrach und mit der zu großen Last
nicht weiter konnte. Der alte Deutsche hier hatte aber kaum Worte
dafür, wie roh und niederträchtig er die arme Frau sowohl wie auch sein
überladenes Lastthier behandelt habe. Seiner Aussage nach wollte er
nach einer andern Colonie hinüberschneiden, nach der zu ein Weg von
der nächsten Chagra aus abging. Er hatte angegeben, daß er das
Schmiedehandwerk verstehe -- was recht gut sein konnte -- und als er
hier erfuhr, daß sie dort einen Schmied nothwendig brauchten, schien er
den Entschluß gefaßt zu haben. Was sein eigentliches Ziel gewesen, und
weshalb er hieher in den Wald gekommen sei, darüber sollte er kein Wort
geäußert haben, und die Colonisten waren auch froh gewesen, als sich
sein Esel wieder so weit erholt hatte, daß er weiter konnte.

Die beiden jungen Leute erwähnten kein Wort davon, weshalb sie hinter
dem Burschen her seien und daß sie ihn überhaupt suchten, machten sich
die Nacht ihr eigenes Lager mit ihren Sätteln und Satteldecken zurecht
und brachen am nächsten Morgen mit Tagesgrauen wieder auf. Die nächste
Chagra lag etwa zwei Legoas entfernt, und dort konnten sie recht gut
frühstücken.

Jene Chagra erreichten sie etwa um neun Uhr Morgens und hörten hier zu
ihrem Erstaunen, daß Bux bis gestern dort gehalten habe und in der
That noch länger geblieben sein würde, wenn die Deutschen nicht seiner
überdrüssig geworden wären. Ein Theil seiner Ladung lag aber noch hier,
denn der ermattete Esel, der sich in den ersten Tagen nothdürftig wieder
erholt, war nicht im Stande gewesen, seine frühere Last noch einmal
aufzunehmen. Der Meinung des Bauers nach konnte der Bursche indessen
kaum zwei oder drei Legoas entfernt sein, denn die Frau war ebenfalls
krank geworden und so schwach, daß sie sich mit dem Kinde kaum vorwärts
schleppte.

Nachdem Könnern und Rottack gefrühstückt und ihre Pferde gefüttert
hatten, folgten sie in scharfem Trab dem Flüchtigen, der ihnen jetzt
nicht mehr entgehen konnte. Überall an weichen Stellen im Wege sahen sie
die kleinen, zierlichen Spuren des Esels und die der nägelbeschlagenen
Schuhe des Mannes; nur gegen Mittag etwa waren die Spuren plötzlich
verschwunden und der Weg hier augenscheinlich wohl von Pferden, aber von
keinem kleinen Eselshuf und keinem nägelbeschlagenen Mannesschuh berührt
worden. Sie fanden ein paar Stellen, wo sich in dem weichen Boden jede
Fährte hätte abdrücken _müssen_, und die Wanderer, des Gebüsches wegen,
auch weder rechts noch links ausweichen konnten, und trotzdem keine Spur
der Verfolgten irgendwo hinein.

»Nun, durch die Luft sind sie _nicht_,« tröstete sich aber Könnern, »und
jedenfalls hat sich der Bursche rechts oder links irgendwo abgewandt,
um etwaige Verfolger irre zu führen; daß sie ihm so dicht auf den Fersen
wären, dachte er wohl nicht. Wir müssen also ein Stück zurück, Graf
Rottack, und jetzt aufgepaßt, wo wir den schmalen Eselshuf zuerst wieder
in Sicht bekommen.«

Sie wandten ihre Pferde, hatten aber kaum zweihundert Schritt
zurückgelegt, als sie wieder auf die Spur kamen, und jetzt entdeckte
Könnern's scharfes und an den Wald gewöhntes Auge auch einen ganz
schmalen Fußweg, der, von Gras überwachsen, links in den Wald führte
und kaum zu passiren war. Und doch wurde der Eselshuf und der
nägelbeschlagene Schuh hier wieder sichtbar.

»Wohin, im Namen jedes gesunden Menschenverstandes,« rief Felix, »hat
sich der unglückselige Mensch gewandt? Er wird doch nicht mitten in den
Wald hinein gelaufen sein, denn in diesem brasilianischen Urwald einer
Fährte zu folgen, davor habe ich allen möglichen Respect!«

»Ich habe mich nur gewundert,« sagte Könnern, »daß er nicht schon lange
vorher einen solchen Abstecher gemacht hat, denn die Möglichkeit
einer Verfolgung war doch da, und der konnte er auf solche Weise am
Allerleichtesten entgehen. Jetzt möchte ich aber die größte Wette
eingehen, daß wir ihn am nächsten Wasser finden.«

»Ja,« sagte Felix leise, »und seine Frau und Kinder auch. Hören Sie,
Könnern, wir haben uns die Geschichte eigentlich doch nicht ordentlich
überlegt, und hätten es am Ende lieber der Polizei überlassen sollen,
den entflohenen Verbrecher einzufangen. Das wird jedenfalls eine
Scene geben, an die wir später einmal mit Schaudern und Entsetzen
zurückdenken. Den Schuft selber, ja mit Wonne wollt' ich ihn einfangen
und vor Gericht schleppen, aber wenn nachher eine jammernde Frau dazu
kommt -- und krank soll sie ohnedies sein -- und kleine Kinder --
verfluchte Geschichte, und daß mir das gerade erst jetzt einfällt, wo es
natürlich schon ein paar Posttage zu spät ist!«

»Ein angenehmes Amt ist's gerade nicht,« sagte Könnern ernst, »aber
ich habe die feste Überzeugung, daß der Frau gar kein größerer Segen
widerfahren kann, als von diesem nichtsnutzigen Galgenstrick befreit
zu werden, und wer weiß, ob sie uns nicht unendlich dankbar dafür ist.
Keinesfalls können wir's jetzt ändern, und denken Sie nur immer an
Köhler's junges Weibchen, das sich jetzt die Augen roth weint, weil ihr
nicht einmal verstattet wird, den _erkrankten_ Mann zu pflegen. _Der_
müssen wir ihren Frieden wiederbringen, und ich denke, nachher werden
wir auch wohl im Stande sein, für das arme Weib mit ihren Kindern zu
sorgen. Meinen Sie nicht?«

»Sie haben Recht!« rief Felix jetzt entschlossen aus -- »der armen Frau
soll es an Nichts fehlen, damit sie nicht an dem unverschuldeten Leid zu
tragen hat, und eine Beschäftigung für sie wird sich auch schon finden.
So denn jetzt mit allem Eifer hinter dem Mörder her. Ich freue mich
wie ein Kind auf den Augenblick, wo wir ihn gebunden dem Herrn Director
überliefern können. Aber sind wir denn noch auf der Fährte? Ich sehe
hier gar Nichts mehr.«

»Hier laufen die Spuren hin, gerade nach jenem Thal hinab,« erwiederte
Könnern, der kein Auge vom Boden verwandt hatte.

»Und dort unten liegt auch eine Ansiedlung,« rief Felix plötzlich, denn
Könnern hatte gar nicht voraus und nur auf die Spuren gesehen -- »das da
unten muß doch eine Chagra sein.«

»Wahrhaftig, dort liegt eine Hütte,« sagte Könnern, der Richtung mit den
Augen folgend -- »wie hat sich denn nur ein Colonist dort hinunter in
das enge Thal verloren? Aber hier biegen die Fährten wieder links ab,
als ob er die Stelle hätte umgehen wollen.«

»Er wird nicht gerade aus gekonnt haben,« sagte Rottack, »denn
wir verdanken den Blick auf das Haus wahrscheinlich einem steilen,
dazwischen liegenden Hange, den er umgehen mußte.«

Dieses erwies sich in der That so. Die Lehmwand, mit röthlichen
Porphyrblöcken untermischt, fiel ein kleines Stück weiter vor so schräg
ab, daß die Passage mit Lastthieren, wenn nicht gefährlich, doch sehr
beschwerlich gewesen wäre, und die beiden Reiter suchten sich eben einen
Platz aus, an dem sie bequemer und sicherer zu Thal kommen konnten, als
Könnern plötzlich leise rief:

»Halt! Ich höre Stimmen!«

Beide hielten ihre Pferde an und horchten, und deutlich ließ sich jetzt,
unmittelbar vor ihnen, aber noch durch das Dickicht verdeckt, die rauhe
Stimme eines Mannes hören, der wilde Flüche ausstieß. Dazwischen klagte
die Stimme einer Frau.

»Das ist er!« flüsterte Rottack -- »gleich dort hinter der Palmengruppe
muß er stecken.«

Könnern winkte ihm, zu folgen, lenkte sein Pferd einer etwas offeneren
Stelle zu und spornte es dann, so rasch es ihm der hier sehr rauhe Weg
erlaubte, vorwärts. Kaum hatte er auch eine Distanz von etwa hundert
Schritten in dieser Richtung zurückgelegt, als er die kleine Carawane
vor sich sah und nun sein Thier anhielt, um nicht zu rasch über sie zu
kommen. Er wußte, daß ihm der Bursche nun nicht mehr entgehen konnte.
Rottack hielt sich dicht an seiner Seite.

Es war in der That der würdige Bux mit seiner Familie, dem -- wie
Könnern ganz richtig vermuthet hatte -- der unbehagliche Gedanke
gekommen war, daß er doch am Ende verfolgt werden könne. Wie der
Verdacht auf _ihn_ fallen sollte, wußte er freilich nicht, denn hatte er
auch sein Messer in der Zeit vermißt, so war es sehr die Frage, wann
das je einmal gefunden, und ob es überhaupt Jemand kennen würde, und
bis dahin war er weit von hier. Wer ihm damals in der Nacht konnte
aufgelauert haben, darüber zerbrach er sich freilich den Kopf, aber
erkannt hatten sie ihn in der Dunkelheit nicht, so viel blieb sicher,
sonst wäre er schon lange vorgefordert worden, und wer das Geld jetzt
hatte? -- er knirschte mit den Zähnen, wenn er daran dachte -- sagte
ohnehin Nichts weiter von der Geschichte. Die Vorsicht wollte er nur
gebrauchen, den Weg für kurze Zeit zu verlassen und lieber ein paar
Wochen im Walde, in irgend einer einsamen Hütte sitzen und seine Zeit
abwarten, als sich, wie er bei sich dachte, »ewig den Kopf abzudrehen,
ob Jemand hinter ihm her käme.«

So verstockt der Bube auch sein mochte, das Gewissen hatte ihn doch
nicht ruhen lassen.

Als Könnern zuerst die kleine Carawane entdeckte, hielt sie still. Die
Frau war am Weg niedergesunken und der Mann stand vor ihr und fluchte.

»Aber ich _kann_ ja nicht mehr, Bux,« sagte die Unglückliche -- »laß
mich nur eine kleine halbe Stunde hier ausruhen, nachher wird's schon
wieder gehen.«

»Aber das Haus muß dicht vor uns sein,« rief der Mann mit einem
abscheulichen Fluch -- »wir haben die Hähne von da oben ganz deutlich
krähen hören -- es _kann_ nicht mehr weit sein.«

»Ich bin's nicht im Stande,« stöhnte die Frau und sank mit dem Kinde,
das sie den ganzen Weg geschleppt hatte, unter einen Baum -- »mach'
mit mir was Du willst, schlag' mich todt oder laß mich liegen und hier
umkommen, aber ich kann nicht weiter.«

»Dann komm allein nach,« fluchte der Bursche, »warten thu' ich,
Gott straf' mich! nicht mehr auf Dich, Du Gottverdammte« -- er fuhr
erschreckt empor, denn dicht dabei hörte er den Schritt der Pferde im
Laub, und erstaunt starrte er die beiden Reiter an.

Rottack ritt dicht an ihn hinan und sagte finster:

»Seid Ihr denn auch ein Mensch, daß Ihr die arme Frau zu Tode hetzt? Ihr
geht leer, Euren Stock auf der Schulter, und das schwache, kranke Weib
muß auch noch das schwere Kind schleppen -- 's ist doch wahrlich eine
Schande!« Und ohne weiter auf ihn zu achten, stieg er ab, nahm seine
Feldflasche, und zu der Frau tretend, fuhr er fort: »Da, trinkt einmal
einen Schluck Wein, das wird Euch gut thun -- Ihr seht aus, als ob Ihr's
nöthig hättet.«

»Das weiß der Allerbarmer!« stöhnte die Frau -- »und der mag's vergelten
-- Ihr seid doch auch _Menschen_, Ihr werdet mich nicht hier im Walde
allein liegen und mit dem Kinde verhungern lassen.«

»Hier in Brasilien kann Jeder thun was ihn freut,« sagte der Mann
finster, aber doch scheu zu Könnern emporsehend, der, sein Gewehr vor
sich auf dem Sattelknopfe, schweigend neben der Gruppe gehalten und den
Mörder finster und ernst betrachtet hatte. Daß er dabei den Rechten vor
sich hatte, daran zweifelte er keinen Augenblick mehr. Die scheue,
ekle Gestalt paßte vollkommen zu der Beschreibung, und der unechte
Tressenstreifen um die blaue schirmlose Mütze lieferte noch den letzten
Beweis, wenn es dessen bedurft hätte.

»Na,« sagte Bux endlich, dem der Blick des Fremden unbehaglich wurde
-- »was stiert Ihr mich so an, als ob Ihr noch in Eurem Leben keinen
Menschen mit einem kaputen Esel und einer miserablen Frau gesehen
hättet? Das glaub' ich! _Ihr_ könnt's aushalten auf Euren Pferden
oben, aber so ein armer Teufel, der muß sich wie ein Hund durch's Leben
schinden -- na, was habt Ihr denn an mir zu gucken?«

Könnern hatte kein Wort erwiedert und nur den Blick fest auf dem Mörder
gehalten, den dieser nicht ertragen konnte. Jetzt sagte er langsam:

»Ihr heißt Bux, nicht wahr?«

»Wie ich heiße, darum hat Niemand 'was zu fragen,« knurrte der Gesell
-- »ich bin ein Colonist und suche einen Fleck Erde, wo ich mich
niederlassen und mein Brod ehrlich verdienen kann.« Er hatte dabei einen
scheuen Seitenblick auf Rottack geworfen, der, seine Flasche in den
Händen der Frau lassend, von der Seite gegen ihn herantrat, und machte
jetzt einen Schritt zurück, um Beide besser im Auge behalten zu können.

»Es ist eine verwünschte Geschichte!« rief der junge Graf Könnern
in französischer Sprache zu -- »die Frau und die Kinder werden ein
Jammergeschrei erheben, wenn wir ihn fassen. Sollen wir nicht lieber
warten, bis wir ihn allein haben?«

Ehe aber Könnern Etwas darauf erwiedern konnte, überhob sie Bux
selber jeder weiteren Bedenklichkeit. Der Bursche war, wie sich später
herausstellte, aus dem Elsaß und verstand recht gut die französisch
gesprochenen Worte. Hatte er aber vorher schon Mißtrauen gegen die
beiden Reiter gefaßt, von denen er sich recht gut erinnerte, den Einen
in Santa Clara gesehen zu haben, so wurde das jetzt zur Gewißheit. Sie
waren gekommen ihn zu verhaften, und sein einziger Gedanke war jetzt
Rettung -- Flucht!

»Aha, darauf läuft's hinaus!« schrie er, und ehe Rottack eine Ahnung von
dem Vorhaben des Verzweifelten hatte, riß dieser ein gewöhnliches langes
Küchenmesser aus der Weste, wo er es versteckt gehalten, führte einen
Stoß nach dem ihm im Wege Stehenden, und flog dann mit _einem_ Satz
in Dorn und Gebüsch hinein, den steilen Hang mehr hinab stürzend, wie
laufend.

Rottack brauchte in der That seine ganze Gewandtheit, um dem Stoß
auszuweichen, der ihn noch leicht am Arm streifte, seinen Rock
zerschnitt und ihm die Haut ritzte, kam aber dadurch in's Straucheln
und fiel auf den rauhen Boden, so daß der Flüchtling, ehe er sich wieder
aufraffen konnte, wenigstens zehn bis zwölf Schritt Vorsprung vor ihm
hatte.

Könnern spornte allerdings in dem Moment, wo er die erste drohende
Bewegung sah, sein Pferd gerade auf ihn ein. Das Terrain war aber hier
dem Reiter Nichts weniger als günstig, und während sein junger Begleiter
mit einem Wuthschrei wieder auf die Füße schnellte und rücksichtslos
um seine eigene Sicherheit hinter dem Flüchtling hersprang, bäumte
Könnern's Pferd vor den Dornen und schwankenden Schlingpflanzen zurück
und wollte nicht vorwärts.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, was habt Ihr mit dem Mann?« gellte die
Frau in Todesangst und fuhr, ihre Mattigkeit bezwingend, empor, und
auch die Kinder stießen ein Wehegeschrei aus. Könnern aber riß das Pferd
zurück, warf sich aus dem Sattel, und ihr nur rasch zurufend, daß sie
Nichts zu befürchten hätte, griff er sein Gewehr auf und folgte der
Jagd.

Den Mörder jagte die Verzweiflung, aber er war von dem heutigen
Tagesmarsch und der ungewöhnlichen Hitze nicht allein ermattet, sondern
hatte auch, um seinen Durst zu löschen, mehr Branntwein heute Morgen
getrunken, als ihm gut war. Rottack dagegen, jung, gewandt und
unermüdet, mit kaltem Blut und frischen Kräften, mit denen er jede
Öffnung in den Büschen benutzte, während der Fliehende rücksichtslos
mitten hindurch brach und damit seine Kraft schwächte, sah bald, daß er
dem Flüchtigen an Schnelligkeit überlegen war, und suchte ihm deshalb
den Weg abzuschneiden.

Bux dagegen hatte gar kein bestimmtes Ziel! er wollte nur fort -- weiter
-- aus dem Bereich seiner Verfolger, und in demselben Augenblick, wo
sich Rottack nach links wandte, brach er selber nach rechts hinüber
-- vergrößerte er dadurch doch wieder den Vorsprung. Aber sein zweiter
Verfolger gewann an ihm, denn dieser konnte, den nämlichen Hang jetzt
hinunterspringend, ihm nach rechts zu besser den Weg abschneiden, und
erst als Bux auch diesen zu Fuß bemerkte -- denn daß ihm hier ein Pferd
nicht folgen konnte, wußte er --, sah er, daß er verloren war. Aber er
ließ deshalb in seiner Flucht nicht nach, nur weder rechts noch links
schaute er mehr, vorwärts brach er über Alles, was ihm im Wege stand
und lag -- vorwärts! Dort war Freiheit und Leben, hinter ihm folgten die
Rächer! -- Er stürzte, aber er raffte sich wieder empor; er blieb mit
seinem Rock in einem Dornbusch hangen; mit rasender Gewalt riß er
sich los, daß ihm die Fetzen am Leibe hingen -- seine Mütze hatte
er verloren, das lange, struppige Haar flatterte ihm um die blutig
gekratzte Stirn -- vorwärts -- vorwärts -- bis seine Kräfte ermatteten
und er mit einem Wuthgeheul zusammenbrach.

Mit dem nächsten Satze war Könnern an seiner Seite und stand, mit der
Flinte im Anschlag, neben ihm, während Rottack jetzt ebenfalls mit einem
Jubelruf herbeisprang. Er hob etwas Blinkendes in der Hand empor und
zeigte es dem Freunde.

»Haben Sie ihn?« schrie er schon von Weitem.

»Hier liegt er -- er ist sicher -- aber was haben Sie dort?«

»Des Schneiders Uhr, die der Schuft auf der Flucht von sich warf. Ich
sah, wie er etwas Blankes in die Büsche schleuderte, und sprang danach,
da ich Sie dicht hinter ihm wußte. Die Uhr hebt den letzten Zweifel. Da
liegt die Canaille -- ist er todt? Den Teufel auch, wie wir aussehen,
der hat uns noch eine hübsche Hetze gemacht! -- Wenn ich nur meine Hunde
hier gehabt hätte!«

Bux lag auf dem Gesicht und rührte sich nicht -- nur sein schweres,
hastiges Athmen verrieth, daß er noch lebe. Könnern sah schaudernd auf
die vor ihm ausgestreckte, regungslose Gestalt.

»Wir haben's übernommen, Graf,« sagte er ernst, »und jetzt auch
durchzuführen, denn den Cadaver hier müssen wir in die Colonie schaffen,
und wenn er sich zu gehen weigert, bleibt uns nichts Anderes übrig als
ihn auf ein Pferd zu binden.«

»Wir wollen ihm schon Beine machen,« sagte Rottack finster, »denn
Mitleid verdient die Canaille nicht. -- Aber dort drüben ist ein Weg,
Könnern, bei Gott -- und da hinten liegt das Haus -- wir sind dicht an
der Chagra.«

»Desto besser,« sagte Könnern, »dann können wir vielleicht von dort
Hülfe bekommen. Vor allen Dingen müssen wir den Burschen erst einmal
binden. Hat er Sie verwundet? Sie bluten?«

»Es ist gar Nichts,« lachte der junge Mann -- »eben nur geritzt,
nicht einmal so schlimm wie einer von den verdammten Dornen -- das ist
wirklich niederträchtiges Zeug! Aber der Gesell kann nicht hier liegen
bleiben -- holla, Freund -- steh' auf, Deine Zeit ist um und Du mußt
wieder wandern.«

»Nehmen Sie sich in Acht, Rottack,« sagte Könnern -- »trauen Sie ihm
nicht!«

»Er ist fertig,« rief aber der junge Graf, Bux an der Schulter nehmend
und heftig schüttelnd. -- »Sei jetzt vernünftig; Widerstand kann Deine
Sache nur noch verschlimmern, denn in die Colonie mußt Du mit zurück,
und wenn ich Dich auf meinem Rücken hineintragen sollte.«

Bux regte sich nicht.

»Willst Du nicht gehorchen? -- gut, dann darfst Du Dich auch nicht
beklagen!« -- und mit den Worten hatte er ein dünnes aber starkes Seil
aus der Tasche genommen, legte die obere Schlinge desselben leicht um
die ausgestreckte Hand des Regungslosen und wollte eben den andern Arm
ergreifen, um beide zusammenzuziehen. Wie aber Bux die Fessel an der
Hand fühlte, schnellte er sich in letzter Verzweiflung vom Boden empor
-- doch zu spät. Könnern, der ihn scharf beobachtet hatte, ließ in
demselben Moment sein Gewehr fallen und faßte seinen andern Arm. Bux
wollte sich losreißen, aber seine Kraft reichte nicht aus, und zwei
Minuten später, während er mehr wie ein wildes Thier als wie ein Mensch
um Hülfe brüllte, war er gebunden und in den Händen seiner Verfolger.

»So,« sagte Könnern, indem er das Ende der Leine um den nächsten jungen
Stamm schlug, »jetzt sein Sie so gut, nehmen Sie mein Gewehr und halten
Sie bei dem Burschen eine kurze Wacht, während ich hinunter in das Haus
springe und nachsehe, was dort für Leute wohnen und ob sie uns Etwas
nützen können.«

»Thäten wir nicht besser, wir schafften ihn gleich zum Hause hinunter
und holten dann seine Familie und unsere Pferde nach?«

»Vielleicht kann ich Jemanden aus dem Hause nach den Thieren schicken,
daß wir den Hang nicht wieder hinaufbrauchen. Es ist jedenfalls besser,
wir wissen erst wer hier unten wohnt.«

»Gut, dann bleiben Sie nur nicht zu lange; daß er mir indessen nicht
entwischt, dafür will ich schon sorgen.«

Könnern kletterte zu dem Weg hinunter, von dem sie hier nur noch durch
einen kleinen, terrassenartigen Felskamm getrennt wurden, und schritt
rasch darauf hin dem Hause zu, als er von dorther einen Mann sich
entgegenkommen sah.

»Habt _Ihr_ um Hülfe geschrieen?« fragte ihn dieser schon von Weitem in
portugiesischer Sprache. »Was ist denn geschehen? Seid Ihr angefallen?«

»Gerade das Gegentheil, Senhor,« erwiederte Könnern -- »wir haben einen
Verbrecher verfolgt und eingeholt, der von Santa Clara entflohen war
und, wie es scheint, die Richtung nach Eurer Chagra genommen hatte.
Könnt Ihr uns helfen, ihn zu transportiren?«

»Jetzt nicht,« sagte der Mann, der stehen geblieben war und Könnern
erwartete, indem er traurig mit dem Kopf schüttelte -- »ich habe
einen Sterbenden oder Todten da drin in der Hütte und kann den nicht
verlassen.«

»Das thut mir recht leid, daß wir Euch zu so ungelegener Zeit gestört
haben,« sagte der junge Mann theilnehmend, »Ihr habt Krankheit in Eurer
Familie gehabt?«

»_Wir_, Gott sei Dank, nicht,« erwiederte der Brasilianer; »aber ein
Fremder, der vor kurzer Zeit mit seiner Tochter zu uns kam, legte sich
und wird nicht wieder aufstehen. Er war aber schon krank, als er mein
Haus betrat.«

»Ein Fremder? -- mit seiner Tochter?« rief Könnern und fühlte, wie ihm
dabei das Blut in den Adern stockte.

»Ja, Senhor.«

»Ein Mann mit weißen Haaren?«

»Kennt Ihr ihn?«

»Großer, allmächtiger Gott!« rief Könnern erschüttert aus -- »hier also
-- hier -- aber da komm' ich doch noch vielleicht zur rechten Zeit! --
Laßt mich zum Hause gehen, Senhor, und wenn Ihr mir eine Liebe erzeigen
wollt, so haltet Euch indessen nur etwa hundert Schritt die Straße
hinauf. Ruft nur dort, mein Freund wird Euch antworten, und gebt ihm
einen guten Rath, was er mit seinem Gefangenen machen soll.«

»Seid _Ihr_ ein Verwandter von dem Alten?«

»Sein nächster und einziger, der ihm in Brasilien lebt.«

»Dann hat Euch der Himmel selber hierher geführt -- und nun macht nur,
daß Ihr hineinkommt, wenn Ihr ihn noch am Leben finden wollt. Das Andere
will ich schon mit Eurem Freund besorgen.«



8.

Gefunden.


Tief im Urwald drin lag die einsame Chagra des Brasilianers, der hier
ein kleines, in die Hügel gedrücktes, aber äußerst fruchtbares Thal
gefunden und in Besitz genommen hatte. Waren doch so viel Deutsche in
diese Nachbarschaft gekommen, daß er ziemlich sicher darauf rechnen
konnte, in einiger Zeit die Gränzen ihrer Niederlassungen zu sich
herausgerückt zu sehen, und geschah das, so besaß er selber genug Land,
ihnen gute Colonien zu verkaufen, und konnte nachher in kurzer Zeit ein
reicher Mann sein. Daß er vorher und um das zu erreichen, Jahre lang
allein und einsam in der Wildniß sitzen mußte, rechnete er nicht.

Natürlich hatte er für sich und seine Familie, wie für ein paar Sclaven,
die er hielt, nur eine kleine, ziemlich dürftige Hütte gebaut, denn der
Landbau nahm in den ersten Jahren alle seine Arbeitskräfte in Anspruch.
So beschränkt aber der Raum war, den er bewohnte, so willig theilte
er ihn, wie fast alle Brasilianer, mit dem Fremden -- war es nun
ein einzelner Jäger, der den Wald durchstreifte, oder eine wandernde
Colonistenfamilie, obgleich er die letzteren selten genug zu sehen
bekam. Für die Frau -- denn der Mann konnte doch wenigstens manchmal
fort und unter Leute, während sie das ganze Jahr allein in ihrer Wildniß
saß -- war ein Besuch aber zugleich immer ein Fest, und was die Küche
wie Chagra und Wald boten, wurde willig herbeigebracht und aufgetischt.

Diesen Ort hatte, verirrt und zum Tod ermattet, der alte Mann mit seinem
Kinde erreicht, und die Frau in den ersten Tagen unter keiner Bedingung
zugegeben, daß sie ihre Reise fortsetzten, ehe sich der abgemattete Alte
wieder vollständig erholt hätte. Aber er erholte sich nicht mehr. Die
Gewissensbisse der vergangenen langen Jahre hatten an seinem sonst
gesunden Körper gearbeitet und gezehrt -- die furchtbare Zeit der
Entdeckung kam dazu, und jetzt, von Angst und Sorge, wie der ungewohnten
Anstrengung niedergebrochen, war die Kraft erschöpft, die ihn bis dahin
noch fast gewaltsam aufrecht gehalten.

Eine furchtbare Zeit verlebte indessen die Jungfrau mit ihm, denn zu der
körperlichen Erschöpfung bei ihm gesellte sich ein geistiger Stumpfsinn,
der nur manchmal in krankhafter Flamme wild und erschreckend aufloderte.

Die Stunden, in denen der Furchtbare, der in sein Leben getreten war und
seinen Aufenthalt entdeckt hatte, vermittelnd für ihn eingestanden war,
so daß seine persönliche Sicherheit von da an ungefährdet blieb,
waren aus seinem Gedächtniß verschwunden. Im Geist sah er nur noch den
gräßlichen Moment, wo er entdeckt worden, und hielt sich von da an für
flüchtig vor dem Gesetz und von Häschern verfolgt. Umsonst suchte ihn
Elise zu beruhigen, umsonst trug sie mit einer wahren Engelsgeduld
sowohl das eigene Leid wie die Klagen und Beschwörungen des
unglücklichen Vaters, wenn er sie bat, ihn nicht zu verlassen und der
Polizei auszuliefern. Was sie körperlich dabei dulden mußte, schwand
zu einem Nichts zusammen, und ihre Lage wurde erst dann wirklich
gefährlich, als die wilden Phantasien dem Unglücklichen auf keinem
gebahnten Weg mehr Ruhe ließen, sondern ihn in den Wald trieben, um den
Verfolgern zu entgehen, die er fortwährend auf seiner Fährte glaubte.

Als sie ihn gewaltsam zurückhalten wollte, brach er von ihr fort, daß
sie ihn kaum wieder einholen konnte, und in Todesangst indessen zu
vergehen drohte. So lagerte sie mit ihm die eine Nacht verirrt, ohne
einen Trunk Wasser, ohne einen Bissen Brod im wilden Walde, und erst
gegen Morgen zeigte ihr der frühe Hahnenschrei von des Brasilianers
Chagra, der auch dem Verbrecher Bux die abgelegene Hütte verrathen
hatte, Hülfe in der schrecklichsten Noth.

Jetzt war Alles vorbei -- Alles überstanden. Wie sich der Körper des
unglücklichen alten Mannes seiner Auflösung näherte, klärte sich auch
wieder der bis dahin auf irren Bahnen schweifende Geist. Er war so
schwach geworden, daß er kaum noch den müden Arm heben konnte; aber
heute zum ersten Mal, wie die Sonne ihren lichten Schein durch das
Fenster warf, und sich Elise über sein Lager beugte und ihn fragte,
ob sie ihm irgend eine Hülfe leisten könne, strich er ihr mit der
fleischlosen, bleichen Hand das Haar von der Stirn und sagte leise:

»Meine arme, arme Elise!«

»Vater, mein lieber, guter Vater!« rief das Mädchen in ausbrechenden
Thränen -- »kennst Du mich denn?«

»Soll ich _Dich_ nicht kennen, meine treue Gefährtin in Jammer und in
Leid, die wacker und brav ausgehalten hat bei dem alten, verlassenen
Manne?«

»Mein guter Vater!«

»Gottes Segen über Dich -- Gottes reichsten Segen, und daß er die Schuld
nicht an Dir heimsuchen möge, die auf Deines Vaters Seele liegt!«

»Vater -- _Vater_!«

»Stille, mein Kind -- stille -- weine nicht; es ist jetzt Alles gut, und
es wird mir so ruhig und leicht im Herzen, wie mir seit langen, langen
Jahren nicht gewesen ist. Nur _eine_ -- _eine_ Sorge liegt mir noch
darauf, und das bist _Du_, mein Kind, das ich allein und hülflos in dem
weiten, fremden Lande zurücklasse.«

»Vater, sprich nicht so -- Du wirst noch viele, viele Jahre bei mir
bleiben, und wir werden ein neues, frohes Leben beginnen, mit frischen
Kräften.«

»Armes Lieschen,« sagte aber der Kranke, der nur seinen eigenen Gedanken
folgte -- »und auch daran trage ich die Schuld -- auch daran, daß
ich Dich fern gehalten von Allen, nur den eigenen, selbstsüchtigen,
sündhaften Plänen folgend -- auch daran, und _das_ Gewicht muß ich jetzt
mit mir hinab nehmen -- hinab in's Grab!«

Elise hatte ihr Haupt auf seine Schulter gelegt und weinte still, und
der alte Mann suchte mit seiner linken Hand ihr Lockenhaar, und zog die
dünnen, fast durchsichtigen Finger langsam hindurch.

»Weine nicht, Elise,« sagte er leise -- »weine nicht -- wir sehen uns
wieder -- wenn nicht Gott sein Angesicht ganz von mir abwendet. Hat er
seine Hand aber in dieser letzten schweren Zeit über Dir gehalten, so
wird er Dich auch jetzt nicht verlassen in dem fremden Lande -- nicht
so verlassen, wie Dich Dein alter Vater verlassen muß, wo Du doch Hülfe
gerade so nöthig brauchst. Komm, sei gefaßt, mein Kind -- sei stark,
Lieschen, wie Du ja immer stark gewesen bist.«

»Du wirst _nicht_ sterben, Vater!« schluchzte das arme Kind und preßte
ihre Stirn nur fester an seine Schulter -- »Du wirst leben, mir -- mir
zum Troste, daß ich Dich pflegen und hegen kann bis in Dein spätes,
spätes Alter hinein!«

»Du willst mir den Abschied recht schwer machen,« seufzte der alte Mann,
»und ich habe doch keine Thränen mehr, die mir die Brust erleichtern
könnten! -- Sieh, wie der Sonnenschein so warm durch's Fenster dringt,«
fuhr er nach einer kleinen Pause fort, die nur durch Elisens Schluchzen
unterbrochen wurde -- »und draußen liegt in Licht und Glanz die Welt,
der schöne Wald. -- Grüß' mir den Wald, mein Lieschen, wenn Du ihn
wiedersiehst -- die schattigen Bäume und den murmelnden Bach, und --
wenn Du an den Vater manchmal denkst, mag der Gedanke Dich versöhnen,
daß er im frischen, grünen Walde schläft und das Rauschen der ewigen
Wipfel wie ein frommes Gebet zum Höchsten steigt für den reuigen
Sünder!«

»Vater!«

»Fasse Dich, mein Lieschen -- es _muß_ sein -- und nun noch Eins -- rufe
mir unseren freundlichen Wirth herein, daß ich ihm danken kann für alles
Liebe und Gute, das er uns erzeigt. Habe ich doch Nichts weiter auf der
Welt, was ich ihm bieten könnte, wie meinen Dank! -- Er wird Dich auch
nicht gleich verstoßen; seine Frau ist gut und freundlich -- war sie
doch gut und freundlich gegen mich -- o, wenn ich _den_ Trost mit mir
hinübernehmen könnte, daß mein armes Kind nicht ganz verlassen wäre!«

Elise richtete sich gewaltsam empor -- sie durfte jetzt nicht
zurückdenken -- nur _jetzt_ nicht -- oder das Herz hätte ihr brechen
mögen in Jammer und Weh.

»Ich gehe, Vater, und rufe ihn,« sagte sie leise -- »nur einen
Augenblick, ich bin gleich wieder zurück.«

Der alte Mann hielt noch immer ihre Hand. »Mein armes Lieschen!« sagte
er traurig.

»Ich bin gleich -- gleich wieder bei Dir, Vater. -- Er ist jedenfalls
draußen -- ich höre schon seinen Schritt.«

Der Kranke winkte ihr nur mit den Augen, und Elise flog nach der Thür,
als sich diese öffnete und Könnern auf der Schwelle stand.

Das Mädchen sah und erkannte ihn, aber jede weitere Willenskraft
schien in dem Augenblick ihren Körper verlassen zu haben. Sie stand wie
eingewachsen in den Boden; ihre Arme hoben sich langsam, aber mehr wie
abwehrend gegen das, was sie für eine Erscheinung ihrer erregten Sinne
hielt, und mit leise flehendem Ton murmelte sie: »Bernard!«

»Elise -- Elise!« rief Könnern, auf sie zueilend und sie in seine Arme
schließend -- »o, nun ist Alles gut -- Alles, und Nichts im Leben soll
uns wieder trennen!«

»Und bist Du's wirklich, Bernard? -- Ist es nicht Dein Geist, der nur
gekommen, um mich in meinem größten, furchtbarsten Schmerz zu trösten?«
hauchte Elise und drückte ihn wie scheu und furchtsam von sich.

»Wer ist der Fremde, Lieschen?« fragte der alte Mann und wandte bestürzt
den Kopf der Thür zu.

»Ein Freund,« sagte Könnern, die Geliebte mit dem linken Arm
umschlingend, indem er sie mit der rechten stützte -- »ein Freund, der
nicht mehr von Elisens Seite weichen wird, so lange sie ihn selbst nicht
von sich stößt!«

»Lieschen!«

»Vater!« rief das Mädchen, wand sich aus Könnern's Arm, flog an seine
Seite und barg ihr Haupt wieder an seiner Schulter.

Der alte Mann lag still und regungslos; er hatte die Augen geschlossen,
und nur das leise Athmen seiner Brust verrieth, daß er noch lebe.
Endlich schlug er die Augen wieder auf. Sein Blick fiel auf das zu ihm
niedergebeugte, schmerzbewegte Gesicht des jungen Mannes.

»Herr Gott, ich danke Dir,« sagte er leise -- »Lies--chen, leb' -- wohl
-- sei glücklich -- Gott segne Dich« -- und wie er noch einmal seine
Hand auf ihr Haupt legen wollte, sank sie ihm herunter -- er war
todt. -- --

Draußen im Walde hielt Rottack neben dem gebundenen Verbrecher Wache,
der jetzt still und verstockt am Boden lag und mit den Zähnen knirschte.
Wohl hatte er schon vorsichtig versucht, die Bande von seinen Armen zu
streifen, aber die Schleife, welche Könnern gezogen, saß zu fest,
und als sein Wächter es merkte, drohend den Gewehrkolben hob und ihm
versicherte, er würde ihn bei dem geringsten Fluchtversuche zu Boden
schlagen, lag er still. Er trotzte noch darauf, daß die beiden Fremden
hier im Wald nicht im Stande sein würden, ihn gebunden zu transportiren,
und baute für die Nacht seine Pläne zur Flucht.

Da rief unten vom Weg eine Stimme ihr »Hallo«, und als Rottack darauf
geantwortet, brachen und rauschten die Büsche, und der Brasilianer stand
im nächsten Augenblick vor der Gruppe.

»Ei sieh' da,« sagte er, einen Blick auf den am Boden Liegenden werfend,
»das scheint ja ein sauberer Patron, der hier im Sprenkel hängt! -- Wie
geht's, Fremder? Wollt Ihr Euch den mit in die Colonie nehmen?«

»Er hat einen Mord verübt,« sagte Rottack, nachdem er den Gruß des Alten
erwiedert -- »und da sind wir hinter ihm drein und haben ihn da oben
im Wald, wo er wahrscheinlich vom Wege abschnitt, um nicht verfolgt zu
werden, erwischt. Aber wo ist mein Kamerad?«

»Im Hause -- ich hab' einen Deutschen mit seiner Tochter dort, und der
Mann liegt im Sterben.«

»Im Sterben?«

»Ja -- aber jetzt kommt, daß wir den Patron da hinunterschaffen. Wo sind
Eure Pferde?«

»Oben am Hang stehen sie und die unglückliche Familie dieses Schuftes
sitzt dort ebenfalls.«

»Und hat der Lump auch Familie?« sagte der alte Brasilianer entrüstet;
»das ist recht, nur immer gleich Frau und Kinder mit unglücklich
gemacht! Und was wird nun aus denen?«

»Sie müssen mit in die Colonie zurück; es sind Deutsche genug dort, die
für sie sorgen werden -- besser als der da es gethan. Soll ich hinauf
und die Pferde lieber holen?«

»Laßt's nur sein, Fremder,« sagte der Brasilianer, »die Familie könntet
Ihr doch nicht gleich mitbringen; ich schicke dann vom Hause aus ein
paar von meinen Negerjungen hinauf, die das viel besser und rascher
besorgen. Aber Ihr blutet ja!«

»Nur ein Ritz; der Schuft stieß mit dem Messer nach mir, als wir ihn
fassen wollten.«

»Natürlich -- wenn's einmal an den Kragen geht, kommt's nachher auf
die Kleinigkeit mehr oder weniger auch nicht an. Also vorwärts, mein
Bursche, steh' einmal auf und gebrauch' Deine Spazierhölzer -- oder
sollen wir Dir Beine machen?«

»Er versteht kein Portugiesisch.«

»Oho -- noch ein Frischer? Also importirt ihr derartige Sorte auch nach
Brasilien? Für die ist's aber kaum der Mühe werth, daß der Staat Passage
bezahlt, denn es kostet ihm nachher immer noch außerdem einen Strick.
-- So sagt _Ihr_ ihm einmal auf gut Deutsch, daß er gutwillig mitgeht,
sonst kann ich es ihm doch vielleicht auf Brasilianisch begreiflich
machen.«

Er nahm dabei sein schweres Buschmesser aus dem Gürtel, hieb einen
jungen Stamm ab und hackte, noch während er sprach, die Äste davon
herunter.

Bux hatte dem Gespräch der Männer in der ihm unverständlichen Sprache
mit scheuem Blick gelauscht. So lange er sich noch allein in den Händen
der Deutschen befand, schien ihm seine Lage immer nicht zum Äußersten
gefährlich. Jetzt zum ersten Mal überkam ihn der Gedanke an die Strafe,
der er entgegenging, überkam ihn zugleich die Angst davor.

»Steh' auf,« sagte Rottack zu ihm; »Du wirst einsehen, daß Dir
weiteres Sträuben Nichts hilft, und Du kannst höchstens Deine Lage noch
verschlimmern.«

»Landsmann,« sagte Bux mit heiserer, angstgepreßter Stimme, »Ihr werdet
mich nicht den Fremden übergeben -- ich -- ich will ja Alles gestehen --
ich bin ein armer Teufel -- der Böse plagte mich -- der Justus war
auch ein schlechter Kerl -- er hat mich verführt -- er reizte mich.
-- Landsmann,« bat er dringender, als sich Rottack mit Ekel von ihm
abwandte, indem er sich auf die Kniee warf und die gebundenen Hände zu
ihm aufhob -- »laßt mich laufen -- ich will ein ordentlicher, braver
Kerl werden -- ich will meine Frau nicht mehr prügeln und die Kinder
-- ich will arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln vorspritzt --
Landsmann, habt Barmherzigkeit -- Barmherzigkeit!« -- und er schrie die
letzten Worte in Todesangst gellend heraus.

»Die suche Dir bei Gott,« sagte Rottack erschüttert -- »Deinetwegen
sitzt schon ein unschuldiger, braver Mann die ganze Zeit, und der muß
frei werden. Komm, wir haben keine Zeit mehr zu versäumen.«

Unten auf dem schmalen Waldwege knarrten Räder, und der Brasilianer,
der einen Blick hinabgeworfen, pfiff auf seinem Finger. Bei dem
Karren gingen vier Neger, die Bauholz zu einer neuen Scheune im Walde
geschlagen. Drei von ihnen kamen den kleinen Abhang heraufgesprungen.

»Werft einmal Euer Holz ab,« sagte der Brasilianer, »und ladet den
Burschen hier auf; fahrt ihn aber nicht zum Hause, sondern in den
kleinen Schuppen drüben bei den Kaffeebäumen, daß ihn meine Frau und die
Kinder nicht zu sehn bekommen. Du, Joao, springst hinauf -- wo ungefähr
sind Ihre Pferde mit der Familie des Burschen da?«

»Etwa in dieser Richtung,« sagte Rottack, mit dem Arm aufwärts deutend
-- »aber die Frau versteht kein Portugiesisch, ich will lieber mit
den Leuten gehen; wenn Sie nur so lange die Bewachung des Verbrechers
übernehmen wollen.«

»Für den steh' ich gut. Also Du gehst mit dem Senhor dort hinauf, und
thust was er Dir sagt; und Ihr Beiden packt einmal den Gesellen da auf,
wenn er nicht gutwillig gehen will, und werft ihn auf den Karren.«

Die Neger sprangen lachend auf den Gebundenen zu, der in Angst und
Entsetzen auffuhr und sich den Hang hinabwerfen wollte; aber die Leine,
mit der er an den jungen Stamm befestigt war, warf ihn zu Boden, und
wenige Minuten später fand er sich machtlos in der Gewalt der beiden
riesigen Schwarzen, die ihn wie ein Kind zwischen sich nahmen und
hinabschleppten. --

Eine Stunde später etwa kam Rottack mit der armen, in Thränen
aufgelösten Frau und den Kindern, die vor Angst und Bangen sprachlos
schienen, hinunter zur Chagra. Es war ein schweres Amt für ihn gewesen,
den Jammer der Frau mit anzusehen und sich dabei sagen zu müssen, daß er
eigentlich die Mitschuld daran trage; aber es konnte auch nicht umgangen
werden, denn die so schon unglückliche Frau durften sie hier nicht
allein und hülflos mitten in dem fremden Walde zurücklassen; sie wäre
_mit_ den Kindern verdorben. Was aber in seinen Kräften stand, sie zu
trösten, that er. Er gab ihr vor allen Dingen alles Geld das er bei
sich führte, und versprach, für sie in Santa Clara zu sorgen, auch ihre
Kinder unterzubringen -- sie ginge jetzt einem bessern Leben entgegen,
als sie an der Seite des Verbrechers geführt -- die Colonisten in Santa
Clara würden sich ihrer annehmen, und sie solle außer Sorgen für die
Zukunft sein. Er nahm ihr auch das kleinste Kind ab und trug es selber,
daß sie leichter vorwärts kam, und that alles Mögliche, nur erst einmal
ihre Thränen zu stillen. Es war ihm furchtbar, wenn er einen erwachsenen
Menschen weinen sah.

So erreichten sie endlich die Chagra, der junge Graf noch immer das
schreiende Kind auf dem Arm, als ihm Könnern entgegensprang.

»Graf Rottack, _Sie_ als Kinderwärter?« sagte er lächelnd, indem er
vor ihm stehen blieb, »und doch steht es Ihnen gut -- Sie haben ein
schweres, schweres Amt gehabt!«

»Allerdings,« seufzte der junge Mann, indem er einer auf ihn zukommenden
Negerin das Kind übergab -- »da, mein Schatz, sei Du so gut und sieh
einmal zu, ob Du den Schreihals stopfen kannst, der Außerordentliches
auf dem Weg hierher geleistet -- und daß die arme Frau da Etwas zu essen
bekommt. Ich fürchte fast, daß ihre Hauptkrankheit der Hunger ist. --
Aber was ist denn mit Ihnen vorgegangen, Könnern? -- Ihr Gesicht strahlt
ja ordentlich vor Seligkeit!«

»Rottack -- Rottack,« rief Könnern, seine Hand ergreifend -- »ich habe
sie gefunden!«

»_Sie_ -- so?« sagte der junge Graf in komischem Erstaunen; »so viel ich
weiß, hatte _ich sie_ gesucht, und Sie hatten es nur mit einem _ihn_ zu
thun.«

»Elise mein' ich.«

»Elise? -- des alten Meier Tochter?«

»Sie ist hier -- hierher geflüchtet; ihr Vater wurde krank, und ist eben
in ihren Armen verschieden.«

»Nun,« sagte Rottack trocken, »für einen derartigen Sterbefall sehen Sie
leidlich vergnügt aus. Wollen Sie aber so freundlich sein und mir sagen,
weshalb _Sie_ darüber so entzückt sind?«

»Aber wissen Sie denn nicht, daß ich Elise schon wie ein Verzweifelter
im ganzen Walde gesucht hatte?«

»So? -- nicht übel; also deshalb dieser Eifer, dem armen Köhler wieder
zu seiner Freiheit zu verhelfen und dem Mörder auf die Spur zu kommen,
und ich wurde eigentlich blos mitgenommen, um zuerst den Diebsfänger,
nachher den Brautführer zu machen, und nebenbei schreiende Kinder durch
den Wald zu schleppen, wie verzweifelte Mütter zu trösten!«

»Lieber, bester Graf!«

»Lassen Sie es gut sein; ich sehe schon wie es ist, immer die alte
Geschichte -- Günther geht heim zu seiner Braut, Köhler wartet nur
darauf bis wir zurückkommen, und sitzt dann wieder mit seiner jungen
Frau da oben in dem Miniaturparadies -- Sie haben ebenfalls jetzt
_gefunden_, was Sie gesucht, und ich bin wie gewöhnlich der, welcher
leer ausgeht. _Mein_ einzig sichtbarer Vortheil ist auch wohl nur der,
daß ich mich jetzt von Kopf bis zu Füßen neu kleiden kann und außerdem
noch eine Apotheker-Rechnung für Pflaster zahlen, und für Herrn Bux'
Familie sorgen darf! Hol' der Teufel Brasilien!«

»Armer Rottack!« lachte Könnern gutmüthig.

»Ja wohl, armer Rottack,« sagte der junge Mann, »und das ist noch nicht
einmal Alles! Sie können natürlich die junge Dame jetzt nicht mit dem
todten Vater allein lassen, um alles das zu besorgen, was irgend nöthig
ist. Also darf _ich_ mit ein paar sehr unangenehm ausdünstenden Negern
wahrscheinlich den Transport allein übernehmen -- wieder ein Vortheil!«

»Von Herzen gern will _ich_ das thun,« rief Könnern rasch, »wenn _Sie_
nur dann meine Stelle _hier_ vertreten wollen.«

»Hm, so? -- damit Sie mir dann auch noch in Santa Clara den Dank der
jungen Frau wegschnappen? Nein, damit ist's denn doch Nichts; _das will_
ich wenigstens haben, und wenn ich's mir stehlen müßte. Aber wie weit
ist's von hier nach Santa Clara -- haben Sie eine Idee?«

»Dieser Weg,« erwiederte Könnern, »führt nach der Colonie Santa Martha
hinüber und soll bequem im Thal hinlaufen. Von dort haben Sie breite,
trockene Fahrstraße bis Santa Clara, etwa sieben Legoas im Ganzen.«

»Nun, das geht an; dann brech' ich aber in einer Stunde auf. -- Und wann
kommen Sie nach?«

»Morgen früh wird die Leiche des alten Mannes beerdigt, dann hält mich
hier Nichts weiter, und wenn es irgend möglich ist, bringe ich die
Familie des Verbrechers gleich mit. Wir müssen jedenfalls sehen, daß wir
für die arme Frau ein Unterkommen in der Colonie finden.«

»Das giebt wieder eine passende Beschäftigung für mich,« sagte Rottack,
indem er zu seinem Pferde ging und es absattelte. Es mußte erst ein
Wenig gefüttert werden, ehe er den Heimritt darauf antreten konnte.



9.

Herr von Pulteleben.


Nur verhältnißmäßig kurze Zeit war doch vergangen, seit Sarno die
Colonie Santa Clara verlassen und Baron von Reitschen sein Regiment dort
begonnen hatte, und welche traurige Veränderung brachte dieser kurze
Wechsel in dem sonst so gemüthlichen, selbst freundlichen Orte hervor!
Jede Beschäftigung schien darnieder zu liegen; die Colonisten zeigten
zu keiner Arbeit mehr Lust; die Handwerker saßen den Tag über in der
Schenke, um ihrem Ingrimm bei einem Glas oder mehreren Gläsern Bier Luft
zu machen, und Herr von Reitschen -- regierte indessen ruhig weiter
und verübte unter dem Schutz seiner, stets bis an die Zähne bewaffneten
Soldaten, jede Willkür, die ihm irgend beliebte.

Die wenigen Menschen, die noch zu ihm hielten -- und das waren in der
That wenige genug -- wurden in jeder Weise begünstigt und konnten thun
und lassen was sie wollten; die Übrigen durften nicht einmal ihr Recht
fordern, wo es gekränkt worden, und die Soldaten besonders verübten in
rohem Übermuth so viel nutzlose Streiche, daß wirklich der urgeduldige
deutsche Charakter dazu gehörte, das Alles zu ertragen, ohne gewaltsam
dagegen aufzustehen.

Herr von Reitschen kümmerte sich um das Alles nicht; er machte mit
dem Baron, von dem er jetzt unzertrennlich schien, seine regelmäßigen
Spaziergänge -- bei denen er aber stets einen Revolver bei sich führte
-- und hatte dem Baron sogar, was er den armen Parcerie-Arbeitern rund
abgeschlagen, eine der bestgelegenen Colonien _gratis_ überlassen, der
Regierung gegenüber unter dem Vorwande natürlich daß der Baron eine
»Musterwirthschaft« darauf anlegen und dadurch den Ackerbau in der
Colonie »wissenschaftlich« heben wolle.

Der gute Baron, der nicht einmal seine eigene kleine Chagra hatte
lebensfähig verwalten können!

Natürlich machte das Alles nur immer mehr böses Blut, aber es half eben
Nichts -- es blieb Alles beim Alten, und nur der Polizeizwang wuchs von
Tage zu Tage. Besonders litt darunter der arme Köhler, der immer noch in
seinem Gefängniß stak und trotz seiner sonst gesunden Natur ein Fieber
davongetragen hatte. So wenig weitere Beweise aber gegen ihn vorlagen,
schien der Director fest entschlossen, sich an dem jungen Bauer für die
erlittene Behandlung zu rächen, wo er die Gewalt dazu so trefflich in
Händen hatte, und was etwaige Klagen oder Beschwerden der Colonisten
selber in Rio de Janeiro betraf, so vertraute er dabei mit ziemlicher
Sicherheit dem Schlendrian der brasilianischen Obergerichte, deren
Gefahr sich auf Null reducirte, wenn er seine eigenen dort lebenden
Freunde mit in Rechnung brachte. Er wußte auch besser als mancher
Andere, daß sich alle diese Beamten, theils so oder so, compromittirt
hatten, und nur dadurch, daß sie Einer den Andern hielten, konnten sie
selber hoffen, keine Untersuchungen gegen sich und ihr eigenes Gebahren
aufgebracht zu sehen.

Ganz Südamerika leidet ja an dem nämlichen Übel.

Äußerst wenig um die politischen, aber desto mehr um seine eigenen
Verhältnisse kümmerte sich indessen Herr von Pulteleben, der bis dahin
des festen und süßen Glaubens gelebt hatte, daß er mit schwellenden
Segeln in einen reizenden und vollkommen sichern Hafen eingelaufen sei,
und mit der ersten Morgendämmerung zu seiner Bestürzung fand, er sei gar
nicht mehr flott, sondern sitze wie fest genagelt auf dem Trockenen in
Schlamm und Sand, mit keiner Aussicht wieder loszukommen.

Von dem Augenblick an, wo er Helenens Brief erhielt, war er solcher Art
von dem Gipfel seiner Hoffnungen herunter gerutscht -- im Anfange zwar
noch langsam und widerstrebend, je mehr er aber in Schuß kam, desto
rascher, und jetzt fuhr er mit einer Schnelle in die Tiefe der
prosaischen Wirklichkeit hinab, daß ihm ordentlich selber die Sinne
darüber vergingen.

Umsonst hatte er sich dabei mit einer wahrhaft rührenden Ausdauer
bemüht, von der einst gehofften Schwiegermutter genügende Auskunft über
Helenens räthselhaftes Betragen zu erhalten. Das Einzige _was_ er von
ihr erhielt, war die Erlaubniß, die einlaufenden Rechnungen zu bezahlen,
und daß _er_ unter solchen Umständen darin bald ermüdete, läßt sich
denken.

Das erste Resultat war, daß die Arbeiter ihre Beschäftigung einstellten,
was ihn aber nicht im Geringsten mehr interessirte, denn er hatte
den Arbeitsplatz schon lange nicht mehr betreten, und er schloß
nur _daraus_, das noch genügender Absatz vorhanden sei, weil die
aufgestapelten Kisten mit frischen Cigarren zusehends abnahmen -- ohne
daß er selber freilich das Geld für eine einzige derselben eincassirt
hätte.

In der Colonie konnten diese Vorgänge natürlich auch nicht unbeachtet
bleiben, denn daß die Comtesse ihrer Mutter Wohnung verließ und zu
fremden Leuten zog, war ein zu sehr in die Augen springendes Factum.
Aber mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigt, bildete man sich
rasch eine eigene Motivirung dieses Schrittes, die auch manches
Wahrscheinliche für sich hatte. Diese lautete: die alte Frau Gräfin
wolle der Comtesse den Herrn von Pulteleben zum Mann aufdringen, die
Comtesse wolle aber den Herrn von Pulteleben nicht haben, und da sie
allbekannt stets sehr selbstständig aufgetreten, so war sie einfach aus
dem Hause gezogen, bis es der ihr nicht zusagende Bräutigam verlassen
habe. Sobald der fort war, würde sie natürlich zu ihrer Mutter
zurückkehren.

Das klang freilich nicht sehr schmeichelhaft für Herrn von Pulteleben,
aber der arme Teufel sah, wenn er recht darüber nachdachte, selber
keinen andern Grund für das merkwürdige Betragen seiner früheren Braut,
und begriff dann nur nicht, weshalb sie früher so freundlich mit ihm
gewesen war und selbst die Verlobung stillschweigend geduldet hatte.
-- Er ärgerte sich jetzt noch, wenn er daran zurückdachte, daß er sich
nicht wenigstens an jenem Abend den Verlobungskuß hatte geben lassen,
und daran war Niemand weiter schuld, wie der nichtsnutzige Junge, der
Oskar, mit seinen albernen Streichen. Über die Tafel hinüber ging das
freilich nicht.

Und was sollte jetzt werden? Sein Geld ging auf die Neige, neuen Zuschuß
von Hause konnte er kaum unter drei Monaten erwarten -- und was würden
sie zu Hause sagen, wenn sie von der rückgängig gewordenen Verbindung
mit der Comtesse hörten? -- Er _wollte_ -- er _mußte_ fort -- aber die
Schwiegermutter -- er hatte eine Heidenangst vor der Frau Gräfin, und
saß heute wieder in seinem Zimmer, wo er schon so oft gesessen, und
überlegte und grübelte, wie er sich am Besten und Anständigsten aus der
Affaire ziehen könne.

Draußen wurden Schritte laut, und gleich darauf ging die Thür auf, durch
die Oskar, eben von einem Ritt zurückkehrend, trat und sich mit einem
»Donnerwetter, ich bin müde!« auf das Sopha warf. Herr von Pulteleben
rührte sich nicht, und Oskar, der ihn eine Weile von der Seite
betrachtete, lachte; endlich sagte er:

»Na, Pulteleben, Sie schneiden ja ein Gesicht, als ob Ihnen die
Petersilie verhagelt wäre. Was ist nun wieder los?«

»Nichts Besonderes, daß ich wüßte,« erwiederte der junge Mann, gerade
nicht in der Stimmung, eine Unterhaltung mit seinem Besuche anzuknüpfen.

»Was der Lene in den Kopf gefahren ist,« nahm Oskar das Gespräch auf,
der die Niedergeschlagenheit seines Gesellschafters natürlich auf
diese Quelle zurückführte -- »das weiß der Henker! Das Mädel muß
übergeschnappt sein, denn sie nimmt _meinen_ Besuch nicht einmal mehr
an. Was sagen Sie dazu?«

Herr von Pulteleben antwortete nicht, er war entschlossen den jungen
Grafen todtzuschweigen.

»Die Alte steckt dahinter,« fuhr Oskar aber trotzdem, und etwas
unehrerbietig diese »Alte« auf die Frau Gräfin beziehend fort --
»so viel ist sicher, und Sie müssen durch irgend Etwas bei ihr in's
Fettnäpfchen getreten haben. Machen Sie nur um Gottes willen wieder
Frieden mit ihr, denn das ist ja hier im Hause jetzt gar nicht mehr
auszuhalten. Ihr seid _Alle_ unausstehlich, und das Schlimmste dabei,
daß man Euch noch dazu Alle einzeln aufsuchen muß, um sich einzeln über
Euch zu ärgern.«

Herr von Pulteleben schwieg. Er hatte auch andere Ansichten über die
»Alte«, denn von seiner Seite war in der That Alles geschehen, ein
mögliches Mißverständniß -- wenn _er_ auch nicht wußte, durch was es
entstanden sein konnte -- aufzuklären. Helene war verändert, seit sie
den _Brief_ gelesen hatte, so viel blieb sicher, aber was in dem Briefe
gestanden und wie weit er damit in Beziehung stehen konnte, begriff er
nicht, wenn nicht -- er sprang mit einem Mal von seinem Stuhl auf
und lief in der Stube auf und ab, ohne Oskar's Gegenwart weiter zu
berücksichtigen. -- Hatten sie -- es lief ihm mit einem unbehaglichen
Gefühl über die Seele -- hatten sie vielleicht nach Deutschland
geschrieben und von dort aus Nachricht erhalten, daß _seine_
Verhältnisse nicht so glänzend waren, wie er hier zuweilen angedeutet?

»Na, wo brennt's nun wieder?« sagte Oskar, der dem Hausgenossen erstaunt
zugesehen hatte.

Herr von Pulteleben war aber schon mit sich einig -- er hatte noch nie
so schnell gedacht. -- Um aus dieser Ungewißheit gerissen zu werden,
mußte er, und zwar gleich, mit der Gräfin sprechen. Es war überhaupt
nothwendig, daß er sie aufsuchte, denn _so konnte_ ihr Verhältniß nicht
mehr fortbestehen, und ein entscheidender Schritt mußte nach der einen
oder andern Seite hin geschehen.

»Lieber Oskar,« sagte er plötzlich zu dem jungen Manne -- »Sie erlauben
wohl, daß ich mich anziehen kann, ich -- muß Ihre Frau Mutter sprechen.«

»Ja, ich habe Nichts dagegen,« lachte Oskar -- »aber Sie _sind_ ja
angezogen.«

»Ich -- habe schon einen Spaziergang gemacht und -- möchte meine Wäsche
wechseln.«

»So -- aha, und da soll ich derweil gehen?« sagte Oskar, sich langsam
erhebend -- »nun, meinetwegen. Aber, Pulteleben, noch Eins, weshalb ich
eigentlich heraufgekommen war. Bitte, borgen Sie mir doch bis morgen
früh zwanzig Milreis; ich brauche sie nothwendig.«

Herr von Pulteleben, der schon angefangen hatte seine Cravatte
abzubinden, hörte mit seiner Beschäftigung auf und sah sich nach dem
jungen Mann um.

»Lieber Oskar,« sagte er endlich, »es thut mir wirklich leid, keine
zwanzig Milreis mehr über zu haben, denn Ihre Frau Mutter hat in der
letzten Zeit so bedeutend auf mich gezogen, daß ich -- daß ich wirklich
das wenige mir noch Gebliebene zusammenhalten muß.«

»S--o?« sagte Oskar gedehnt und sah von Pulteleben an.

»Überhaupt,« fuhr dieser fort, »müssen Sie in den letzten Tagen mehrere
recht hübsche Einnahmen _gehabt_ haben, denn ich sehe, daß sich die
Cigarrenkisten da unten auffallend vermindern.«

»Da fragen Sie meine Mutter,« rief der junge Bursche, »_die_ besorgt
das; ich habe mit Müh' und Noth tausend Stück für mich gerettet.«

»Gerettet? -- hm!«

»Also Sie haben Nichts?«

»Im Augenblick wirklich nicht. Zu was brauchen Sie's denn?«

»Na, wissen Sie,« sagte Oskar, »wenn Sie Nichts haben, kann Ihnen das
auch einerlei sein. -- Guten Morgen!« Und damit verließ er das Zimmer
und warf die Thür hinter sich in's Schloß.

»Weiter fehlte mir gar Nichts,« brummte von Pulteleben, riegelte hinter
ihm zu und begann dann mit äußerster Sorgfalt seine Toilette zu machen.
Selbst den schwarzen Frack bürstete er sehr sorgfältig aus, seufzte über
einige Mottenlöcher, die ihm hineingefressen waren, klingelte dann, und
als Dorothea heraufkam, ließ er sich bei der Frau Gräfin melden, »da er
etwas Wichtiges mit ihr zu sprechen habe.«

Das Mädchen kam nach einiger Zeit zurück und berichtete, es würde der
Frau Gräfin sehr angenehm sein, und von Pulteleben stieg jetzt genau mit
dem nämlichen Gefühl die Treppe hinab, als ob in der ersten Etage ein
Zahnarzt wohne, unter dessen Händen er sich einer sehr gefürchteten
Operation unterwerfen wolle.

Die »Frau Gräfin« -- wir müssen sie doch jetzt schon so fort nennen,
da ja von Pulteleben auch keine Ahnung vom Gegentheil hatte -- saß
in voller Toilette auf ihrem Sopha, denn auch sie war eben im Begriff
gewesen auszugehen und einen Besuch bei Rohrlands zu machen. Immer
wiederholte sie diese Besuche, in der steten Hoffnung Helenen dort
einmal allein treffen und sprechen zu können, und immer wich ihr Helene
aus, ja, schloß sich sogar ein, wenn sie es erzwingen wollte.

»Sie haben gewünscht mich zu sprechen, Herr von Pulteleben?«

»Ja -- Frau Gräfin,« sagte der junge Mann, mit dem Hut in der Hand und
sich verlegen nach einem Stuhl umsehend -- »ich -- und ich bin Ihnen
sehr dankbar dafür, daß Sie ....«

»Und mit was kann ich Ihnen dienen? Bitte, nehmen Sie Platz,« sagte die
Gräfin.

»Sie erlauben -- ja, Frau Gräfin -- Sie können sich doch wohl denken,«
sprang von Pulteleben verzweifelt gleich mitten in die Frage hinein,
»daß mir der jetzige Zustand -- die Vernachlässigung meiner -- Ihrer
Fräulein Tochter, der Comtesse, unerträglich werden muß, und ich habe
mir Tag und Nacht den Kopf darüber zerquält, _was_ die Veranlassung
dazu gewesen sein könnte. Wenn -- wenn Sie mich nur über Eines beruhigen
möchten.«

»Und das wäre?«

»Der Brief,« sagte von Pulteleben entschlossen.

»Welcher Brief!« fuhr die Frau Gräfin auf und schoß einen mißtrauischen
Blick nach ihrem #vis-à-vis#. Hatte Helene etwa ihr Geheimniß verrathen?
Aber von Pulteleben verscheuchte bald diese Befürchtung.

»Der Brief, den die junge Dame an jenem Abend aus Ihrem Zimmer brachte,«
sagte er entschlossen, »denn von jenem Augenblick an datirt sich die mir
so ungünstige Veränderung, und ich kann in der That jetzt nicht
anders glauben, als daß irgend eine mir böswillig gesinnte Hand darin
Nachrichten über mich gegeben hat, die zu widerlegen mir wahrscheinlich
ein Leichtes sein würde, wenn ich -- nur eben wüßte worauf sie
basirten.«

»Beruhigen Sie sich darüber,« erwiederte die Gräfin, der damit ein Stein
vom Herzen fiel; »der Brief hatte nicht das Geringste mit Ihnen zu thun
und betraf in der That auch nur gleichgültige Gegenstände. Meine Tochter
benutzte das nur als Vorwand. Sein Sie versichert, daß von Ihnen nie auf
ungünstige Weise die Rede gewesen ist, und ich hoffe selbst jetzt noch
Helene zu bestimmen, ihre Meinung zu ändern. Lassen Sie uns die Sache
nur ruhig abwarten und Nichts übereilen. Wir müssen im Gegentheil unser
in der letzten Zeit sehr vernachlässigtes Geschäft wieder mit frischen
Kräften in die Hand nehmen und ich bin dann überzeugt ....«

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche,« sagte von Pulteleben, den
schon bei Erwähnung des »Geschäfts« ein eigenes Grauen beschlich; wußte
er doch jetzt, daß sich das Ganze allein darauf beschränkte, zu einem
ihm vollkommen räthselhaften Betrieb nur fortwährend frische Summen aus
ihm herauszudrücken. Selbst die Aussicht auf die für das Rittergut zu
erwartenden Gelder hatte bei ihm den Zauber eingebüßt, der sie sonst
verklärte. -- »Ich für meine Person setze nicht mehr die geringste
Hoffnung auf die Comtesse, denn -- wie groß auch meine Liebe für sie war
und ist, darf ich doch nicht daran denken, mich ihr aufzudringen, und
jedem weiteren Schritt von meiner Seite ließe sich kein anderer Name
geben.«

»Aber, lieber Pulteleben!«

»Deshalb,« fuhr aber der junge Mann unbeirrt fort, »bin ich auch fest
entschlossen, mich -- von dem Geschäft zurückzuziehen, da ich -- doch
auch nachgerade anfange einzusehen, daß ich einer solchen Arbeit
nicht gewachsen bin, und Oskar -- sich entschieden weigert, mir darin
beizustehen.«

»Aber das wird sich Alles reguliren,« suchte ihn die Gräfin zu
beschwichtigen; »wir müssen nur nicht verlangen, daß wir mit _einem_ Mal
Schätze sammeln wollen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir mit dem neuen
Tabak ....«

»Ich bin fest entschlossen, für _meine_ Rechnung _keinen_ Tabak mehr
zu kaufen,« sagte der zur Verzweiflung Getriebene. »Wollen Sie es auf
_eigene_ Rechnung fortführen, so wünsche ich Ihnen alles Glück und allen
Segen dabei, Frau Gräfin, aber ich bitte Sie ernstlich, mich von diesem
Augenblick an von jedem Betrieb desselben zu dispensiren.«

»So?« sagte jetzt die Frau Gräfin, die wohl fühlte, daß die Bande
gelockert, ja, vielleicht schon gelöst waren, die den jungen,
schüchternen Menschen bis dahin an sie gefesselt gehalten, indem sie zu
ihrer _letzten_ Waffe griff, denn sagte sich Helene jetzt vollständig
von ihr los, von was sollte sie dann mit ihrem Sohn leben? -- »und das
sind Sie im Stande mir in's Gesicht zu sagen? Das halten Sie jetzt
für gut und nützlich, nachdem Sie mich erst, eine arme Frau, die von
Geschäften gar Nichts verstehen _kann_, verleitet haben, meine ganzen
Existenzmittel in ein solches Unternehmen zu stecken?«

»Aber, Frau Gräfin!« rief von Pulteleben wirklich entsetzt, denn auf
_diese_ Anschuldigung war er nicht gefaßt gewesen.

»Ist das männlich, ist das selbst nur _ehrlich_ gehandelt?« fuhr die
Frau fort, die wieder Boden zu fühlen glaubte. -- »Ich habe mein ganzes
Vertrauen auf Sie gestellt gehabt, junger Mann, ich sah, daß ich es mit
einem braven, rechtlichen Menschen zu thun hatte, und überließ Ihnen
_ohne_ Rückhalt Alles, und jetzt wollen Sie, wo einmal eine flüchtige
Wolke vor die Sonne tritt, muthlos und feig die Flinte in's Korn werfen
und mich im Stich, mich allein mit allen übernommenen Verbindlichkeiten
lassen? _Können_ Sie das über's Herz bringen, _dürfen_ Sie das? Nein,
ich sehe, daß Sie den unüberlegten Schritt schon bitter bereuen; ich
trage Ihnen auch keinen Groll deshalb nach, Arno -- ich will sogar
diesen Augenblick, der recht, _recht_ bitter für mich war, das sage
ich Ihnen aufrichtig, vergessen -- es soll nicht einmal der Schatten
desselben mehr zwischen uns liegen!«

»Frau Gräfin!«

»Keine Entschuldigung, lieber Arno,« sagte die Dame, die ihre besonderen
Gründe hatte sich auf keine Einzelnheiten einzulassen. »Ich gehe jetzt
zu meiner Tochter Helene -- in wenigen Tagen kommt außerdem der schon
längst erwartete Dampfer, der mir sicher meine Briefe bringt, und -- Sie
werden mir noch fußfällig abbitten, daß Sie je an mir gezweifelt haben.
-- Werd' ich Ihnen doch beweisen können, daß ich wirklich wie eine
Mutter für Sie gesorgt!«

»Beste Frau Gräfin!«

»Es ist schon gut,« lächelte seine Gönnerin -- »wir sprechen heute Abend
weiter darüber. -- Guten Morgen, lieber Arno -- guten Morgen!«

Die Frau Gräfin stand auf, grüßte noch einmal freundlich mit der Hand
und rauschte dann durch die Thür die Treppe hinunter -- hätte sie aber
sehen können, was in Arno von Pulteleben's Busen vorging, sie hätte ihn
nicht so rasch verlassen -- wenigstens jetzt noch nicht.

Gerade als die Gräfin um die Ecke bog, kam Jeremias in das Haus herein
und stieg langsam die Treppe hinauf. Herr von Pulteleben hatte ihn
kommen sehen und erwartete ihn oben. Leise murmelte er dabei: Ja, ich
weiß schon: mit Helenen sprechen, Briefe von Deutschland erwarten, mit
den Wechseln, die nie eintreffen! -- Nein, Frau Gräfin, _das_ zieht
nicht mehr, und wenn ich da nicht Gewalt brauche, bin ich wieder
angeführt! -- »He -- Jeremias -- Jeremias! Kommen Sie einmal rasch
herauf!«

»Nun?« sagte Jeremias, indem er dem Rufe Folge leistete, »was haben Sie
denn heute so Eiliges? Die Post geht noch nicht!«

»Jeremias,« sagte von Pulteleben, der sich in sichtbarer Aufregung
befand, »wollen Sie -- wollen Sie zwei Milreis verdienen?«

»Sind Sie ein komischer Mensch!« schmunzelte Jeremias; »können Sie mir
einen vernünftigen Grund sagen, warum nicht?«

»Wo ist Oskar?«

»Sitzt drüben bei Buttlichs und trinkt eine Flasche Bier.«

»Gut, dann schaffen Sie mir dieses Gepäck in Bohlos' Hotel hinüber. Wenn
Sie binnen jetzt und fünfzehn Minuten drüben sind, bekommen Sie zwei
Milreis; für jede Minute, die Sie es _früher_ abmachen, lege ich Ihnen
hundert Reis auf, für jede, die Sie _später_ dorthin kommen, ziehe ich
Ihnen hundert ab. Sind Sie das zufrieden?«

»Aber die Koffer sind ja noch nicht einmal gepackt!«

»Das ist in zwei Minuten geschehen und zählt nicht.«

»Hurrjeh!« sagte Jeremias, indem er aufgriff was auf den Stühlen lag,
und rücksichtslos in die offenen Koffer hineinstopfte -- »mein Karren
steht gerade unten an der Thür, in sieben und einer halben Minute bin
ich drüben.«

»Um Gottes willen, Sie zerdrücken mir ja Alles!« rief Herr von
Pulteleben, über den Eifer jetzt ordentlich erschreckt, den der kleine
Bursche entwickelte.

»Schad' Nichts, bügeln wir Alles wieder aus!«

»Hier die Stiefel.«

»Nehmen wir in die Hand.«

»Den Plaid.«

»Können wir oben aufschnallen.«

»Die Hutschachtel.«

»Schmeißen wir auf den Karren -- und die Cigarrenkiste auch.«

»Die bleibt hier.«

»Desto besser -- geben Sie einmal den Schlafrock her.«

»Da klingelt noch Etwas darin.«

»Macht Nichts -- werden ein paar Louisd'or sein -- können Sie drüben
herauspuddeln -- Einer wär' fertig!«

»Da hängt noch eine Weste -- halt, das Handtuch bleibt auch hier.«

»Sollten Sie sich eigentlich zum Andenken mitnehmen,« meinte Jeremias;
»Jemine, ist das ein Vergnügen! -- Sonst noch 'was? -- Haarlocken
vielleicht oder getrocknete Blumen?«

»Hinunter mit dem, ich mache indessen den andern fertig!«

Jeremias packte den einen Koffer auf, und die Dorothea stürzte
erschreckt aus der Küche heraus, als er damit auf der oberen Treppe
ausrutschte und sechs oder acht Stufen mit furchtbarem Spectakel
hinabpolterte. Jeremias war aber nicht der Mann, sich bei Kleinigkeiten
aufzuhalten, und stand im Nu wieder auf den Füßen.

»Herr du meine Güte!« rief aber Dorothea bestürzt -- »ist denn Feuer
oben?«

»Noch nicht, aber 's riecht schon nach Rauch,« sagte Jeremias und war im
Handumdrehen die zweite Treppe hinunter.

Zehn Schritt vom Hause stand sein Karren, den er rasch vor die Thür zog;
der Koffer lag darauf und mit immer drei Stufen auf einmal lief er
nach dem zweiten, den ihm Herr von Pulteleben schon durch die Thür
entgegenzog.

Wie er mit einer Masse kleinen Handgepäcks beladen auf die erste Etage
kam, stand die Dorothea da, schlug die Hände zusammen und sagte:

»Aber Herr von Pulteleben, wollen Sie denn _auch_ fort?«

»Ich -- werde eine kleine Reise machen, Dorothea,« sagte der junge Mann,
der sich selber vor der alten Magd genirte, seine Flucht einzugestehen;
»hier -- ist Etwas für Ihre Bemühungen für mich,« und er drückte ihr
dabei fünf Milreis in die Hand.

»Ach, ich danke auch schön -- das war ja gar nicht nöthig -- na, da
wird's aber jetzt recht einsam bei uns werden.«

»Guten Morgen, Dorothea!«

»Guten Morgen, Herr von Pulteleben!«

Unten an der Treppe begegnete er dem Bäckermeister Spenker, der eben
hinauf wollte.

»Ach, Sie wollen wohl verreisen, Herr von Pulteleben, da ist mir's sehr
lieb, daß ich Sie noch treffe. -- Ich wollte meine Miethe holen. Die
Frau Gräfin hat mich wieder so lange damit hinausgezogen.«

»Die Frau Gräfin wird den Augenblick wieder zurück sein,« sagte Herr
von Pulteleben -- »ich habe die Casse nicht mehr -- guten Morgen, Herr
Spenker!«

»_Sie_ haben die Casse nicht mehr?« brummte der Bäckermeister leise vor
sich hin, als Herr von Pulteleben schon aus dem Hause war -- »na, da
bin ich wirklich neugierig, wer sie jetzt hat. Das ist eine
Staatswirthschaft!«

»Wollen Sie nicht lieber warten, bis die Frau Gräfin zurückkommt?«
schmunzelte Jeremias, als er sein Tragband draußen umhing und sich
vorspannte, und sah dabei Herrn von Pulteleben mit einem höchst
komischen Blick von der Seite an; »würde ihr doch unendlich leid
thun --«

»Sieben Minuten sind schon um,« sagte Herr von Pulteleben, nach seiner
Uhr sehend.

»Und in dreien bin ich drüben!« rief Jeremias und rasselte auch im
nächsten Augenblick mit seinem Karren die Straße hinab, als ob er
vor eine Feuerspritze gespannt wäre und zur Rettung eilte. Herr von
Pulteleben konnte gar nicht mit ihm Schritt halten. --



10.

Graf Rottack's weitere Beschäftigung.


Durch die kleine Colonistenstadt wälzte sich ein Menschenschwarm, der
von Minute zu Minute wuchs und gerade auf das Directionsgebäude zu
hielt.

Herr von Reitschen spielte eben mit dem Baron eine Partie Schach, als
das Geschrei und Jubeln an sein Ohr schlug, und er sprang erschreckt in
die Höhe, denn er kannte recht gut die gegen ihn herrschende Stimmung
der Colonisten, und hielt den Ausbruch einiger Tollköpfe gar nicht für
unmöglich. Freilich wußte er aber auch, daß sie keinen Führer
hatten, und was die Masse auch vielleicht gethan hätte, wenn richtig
zusammengehalten, die Einzelnen wieder waren viel zu indolent, aus
eigenem Antrieb etwas Derartiges zu beginnen.

Übrigens hatte er die bewaffnete Mannschaft größtentheils unten in
seinem Wohngebäude liegen, die Übrigen waren seines Rufes gewärtig im
Auswanderungshaus, und diese Macht hielt er für vollkommen genügend,
ein paar unzufriedene deutsche Bauern im Zaum zu halten. Nichts desto
weniger sprang er an's Fenster, um zu sehen was es gäbe, und mit dem
Baron neben sich beobachtete er die Schaar, die wunderlich geführt war,
aber allem Anschein nach doch nichts Feindseliges gegen ihn bezweckte.

»Was zum Teufel haben die Holzköpfe nur wieder, Jeorgy, daß sie da am
hellen Tag durch die Straßen brüllen? So wie man ihnen die Zügel nicht
immer straffer und straffer zieht, werden sie den Augenblick wieder
übermüthig. Wen, um Gottes willen! bringen sie denn da auf einem
Maulthier? Ist der Mann nicht gebunden?«

»Wahrhaftig!« sagte der Baron Jeorgy, der sein Opernglas aufgeschraubt
hatte und damit hinaus auf den Zug sah -- »das ist der Mensch, der
sich hier eine Zeit lang herumgetrieben und dann mit seiner Familie
die Colonie verlassen hat. Bux heißt er, glaub' ich, und wollte hier
Vorstellungen im Bauchreden und dergleichen geben, was ihm aber nicht
glückte.«

»Und wer ist der Reiter neben ihm?«

»Der junge Graf Rottack; wie aber _die_ Beiden auf solche Art
zusammenkommen, ist mir ein Räthsel.«

»Nun, wir werden ja gleich hören, denn augenscheinlich kommen sie
hierher. -- Daß Ihr mir Keinen von dem Volk in's Haus laßt!« rief er
dann auf Portugiesisch den beiden Soldaten zu, die vor seinem Haus
standen -- »nur der Herr, der zu Pferd sitzt, kommt herauf.«

Vor dem Hause hielt der Schwarm, der noch ununterbrochen von
Hinzuströmenden anwuchs. Und in der That war es auch ein wunderliches
Schauspiel, denn auf dem Maulthier, das von zwei fremden Negern
geführt wurde, festgeschnürt, die Ellbogen außerdem noch auf dem Rücken
zusammengebunden, saß bleich und blutig der gefangene Mörder, während
der junge Graf, in seinen zerfetzten Kleidern, Könnern's Gewehr über der
Schulter, auf seinem Rappen daneben saß und zu den Umstehenden sprach.

Endlich stieg der Reiter ab, gab sein Pferd einem der Leute, der es
augenblicklich in das Hotel hinüberführte, um nur recht bald wieder
zurück zu sein, und schritt dann langsam in das Haus. Die beiden
Soldaten ließen ihn, dem Befehl gehorsam, hinein und verstellten dann
wieder die Thür -- aber es wollte ihm außerdem Niemand folgen, denn er
hatte sie gebeten, seine Rückkunft hier draußen abzuwarten.

Unten im Hause trieben sich noch einige Soldaten herum, die ihn
neugierig betrachteten -- sonst war Alles leer und öde. Der junge Mann
stieg langsam die Holztreppe hinauf, die zu dem Zimmer des Directors
führte, welchem er wenige Minuten später gegenüberstand.

»Guten Abend, meine Herren!«

»Ah, guten Abend lieber Graf,« sagte der Baron mit etwas verlegener
Freundlichkeit, während der Director nur eine stumme Verbeugung machte
-- »Parbleu! Sie sind gut zugerichtet; wo, um Gottes willen! haben Sie
nur gesteckt?«

»Draußen im Walde, Baron. -- Herr Director, ich weiß nicht ob es nöthig
ist, daß ich mich Ihnen noch einmal vorstelle?«

»Graf Rottack?« sagte der Director -- »ich hatte das Vergnügen bei der
Frau Gräfin.«

»Ja,« sagte der junge Mann, während ein spöttisches Lächeln um seine
Lippen zuckte -- »bei der Frau Gräfin -- doch zur Sache. Ich bringe
Ihnen den Mörder des Schneiders, jenen Bux, an dessen Statt Sie den
armen Köhler so lange unschuldig eingesperrt gehalten haben.«

»Und sind Sie dessen gewiß?« fragte der Director, eben nicht angenehm
überrascht.

»Hier,« sagte Rottack vollkommen ruhig, indem er eine Uhr und ein
rothseidenes Tuch aus der Brusttasche nahm, »sind zwei Gegenstände,
welche dem Ermordeten gehört, und die wir bei seinem Mörder gefunden
haben. Die Uhr warf er auf der Flucht von sich und ich hob sie selber
auf -- das Tuch hatte er unter seinem Hemd um den Leib gebunden.
Außerdem gestand er schon den Mord, welchen er nur auf allerlei
ausweichende Art zu entschuldigen sucht.«

»Hm,« sagte der Director, ohne die auf den Tisch gelegten Sachen
anzufassen -- »und sind Sie fest überzeugt, daß Uhr wie Tuch dem
Ermordeten -- wie hieß er gleich, Baron?«

»Justus Kernbeutel.«

»Dem Justus Kernbeutel gehört haben?«

Rottack sah etwas überrascht Herrn von Reitschen an, dann antwortete er
wieder ruhig:

»Ich habe Ihnen schon gesagt, Herr Director, daß der Mann den
Mord gestanden hat. Außerdem haben wir beide Gegenstände der alten
Haushälterin des Ermordeten gezeigt, und sie ist erbötig, jeden
Augenblick zu beschwören, daß sie nicht allein sein Eigenthum waren,
sondern daß er sie auch am Tage der That getragen hat.«

»Hm -- das sind allerdings sehr starke Beweise, und demnach scheint es,«
sagte der Director, »als ob der Köhler nicht den Mord begangen hat --
keinesfalls wenigstens allein.«

»Außerdem,« fuhr Rottack fort, »ist, wie ich eben da unten höre, der
Colonist jetzt mit vor der Thür und hat seinen Schwager und seine beiden
Brüder mitgebracht, in dessen Hause sich Köhler gerade die Nacht, in
welcher der Mord verübt wurde, aufgehalten. Der Mann war schon einmal
da, um seine Aussage zu beschwören, wurde aber nicht vorgelassen, und
mußte wieder nach Hause, weil seine Frau schwer krank lag.«

»Hm -- gut -- ich will wünschen daß er unschuldig ist,« sagte der
Director, nach seiner Uhr sehend -- »doch das werden wir ja Alles
bei dem Verhör herausbekommen. Ich werde gleich Auftrag geben, den
gefangenen Verbrecher in Gewahrsam zu nehmen -- heute ist es doch zu
spät noch daran zu gehen, und morgen früh um zehn Uhr ersuche ich Sie
dann, sich wieder hierher zu verfügen, um das Weitere zu erwarten.«

»Herr Director,« sagte Rottack staunend, »der arme Mann, der Köhler,
hat Wochen lang unschuldig gesessen, und ist in seinem Gefängniß sogar
erkrankt; wir haben jetzt den bestimmten Beweis, daß er unschuldig
war -- wollen Sie ihn noch eine Nacht länger ohne Noth in dem Zustande
lassen?«

»_Sie_ haben den Beweis, mein lieber Herr Graf,« lächelte der Director,
»aber _ich_ habe ihn nicht eher, als bis das Verhör geschlossen ist. Sie
nehmen sich überhaupt der Sache mit einem solchen Feuereifer an, daß Sie
sogar ganz in Gedanken bewaffnet in mein Zimmer gekommen sind.«

»Herr Director,« sagte der junge Graf finster, »der Ort wimmelt hier
so von Bewaffneten, daß man sich ordentlich in einem Belagerungszustand
glaubt, und da kann Einem etwas Derartiges wohl passiren. Doch das sind
Nebendinge, und im Auftrag der sämmtlichen Colonisten von Santa Clara
ersuche ich Sie recht freundlich, das Verhör des Gefangenen jetzt
_gleich_ vorzunehmen und den Unschuldigen seiner Familie wieder zu
geben.«

Der Baron bog sich zu dem Director über und flüsterte ihm ein paar Worte
in's Ohr. Es lag Etwas in Rottack's Auge, das ihm nicht gefiel, und er
war von je ein Mann des Friedens gewesen.

»Mein lieber Baron,« sagte aber der Director, »es thut wir wirklich
leid, aber ich kann und werde von meinen bestimmten Geschäftsstunden
nicht abgehen. Es ist vier Uhr vorüber« -- er sah wieder nach der Uhr
-- »ja, sogar schon ein Viertel auf Fünf vorbei, und es bleibt uns heute
keine Zeit mehr, die Sache vorzunehmen. Wie ich Ihnen also gesagt habe,
Herr Graf, morgen früh um zehn Uhr.«

Graf Rottack stand Herrn von Reitschen gerade gegenüber -- nur der
Tisch war zwischen ihnen -- und man sah es ihm an, wie er sich gewaltsam
zwang, ruhig zu bleiben.

»Herr Director, im Namen der Menschlichkeit bitte ich Sie, von Ihrem
Grundsatz heute einmal abzugehen. Köhler _muß_ seiner Familie heute
wiedergegeben werden.«

»Von einem _Muß_, Herr Graf, kann hier gar keine Rede sein,« erwiederte
ihm Herr von Reitschen kalt und fast höhnisch -- »ich bitte Sie, _Ihre_
Worte ein Wenig auf die Wage zu legen; _mein_ letztes Wort haben Sie.«

»Nun denn, beim ewigen Gott!« rief Rottack, der seinen ausbrechenden
Zorn nicht mehr mäßigen konnte -- »dann hören Sie auch meines! Glauben
Sie denn, Sie erbärmlicher Miniatur-Tyrann, daß Sie hier wirthschaften
können wie Sie wollen, und mit Sclaven, anstatt mit freien Colonisten zu
thun haben? Ich gebe Ihnen zwanzig Minuten Zeit, und hat bis dahin das
Verhör nicht begonnen, dann verderbe meine Seele, wenn ich nicht an
der Spitze der Schaar da unten dieses Gaunernest stürme und Sie
höchsteigenhändig aus dem Fenster werfe!«

»Herr Graf!« rief der Director erschreckt und trat an's Fenster.

»Lieber, bester Graf!« bat der Baron.

»Zum Teufel mit Ihrem Grafen!« rief der junge Mann außer sich. »Soll
Einem die Galle nicht überlaufen, wenn man da eine solche bleiche
Canaille alle Menschenrechte mit Füßen treten sieht! Ha, sehen Sie sich
nach Ihren Soldaten um -- glauben Sie, der Schwarm hohläugiger, in Mark
und Saft verdorbener Brasilianer könnte einem einzigen Anprall unserer
deutschen Bauern widerstehen? Ist _das_ der ganze Schutz den Sie
haben, und mit dem hatten Sie die Frechheit, hier aufzutreten wie Sie
aufgetreten sind? Hier, meine Uhr zeigt auf fünf Minuten vor halb -- hat
um drei Viertel das Verhör nicht begonnen, dann sind Sie jetzt gewarnt.
Das Blockhaus, in dem Köhler sitzt, wird mit dem Schlag drei Viertel
über den Haufen geworfen, und fällt ein einziger Schuß von Ihrer Schaar,
so stürmen wir das Nest hier, und daß _Sie_ schneller hinausfliegen als
Sie hereingekommen sind, dafür bürgt Ihnen mein Ehrenwort -- also auf
Wiedersehen!« und mit den Worten stürmte er hinaus, die Treppe hinunter
und unbelästigt von den Wachtposten, die mit Staunen den Lärm da oben
gehört hatten, unter die vor dem Hause versammelten Colonisten.

Die Erbitterung gegen den Director hatte aber in der ganzen Colonie
schon einen solchen Grad erreicht, daß es wirklich nur noch des
zündenden Funkens bedurfte, den jetzt der junge, wüthende Graf unter sie
brachte, um zu explodiren. Kaum hatte er ihnen unten zugerufen, was
der Director beabsichtige und was _er_ ihm zugeschworen, als die jungen
Burschen nach allen Richtungen auseinander stoben, und kaum zehn
Minuten später mit Gewehren, Heugabeln, Sensen, Dreschflegeln und allen
möglichen anderen, zu Waffen zu verwendenden Dingen angesprungen kamen.

Der Director war indessen fast sprachlos vor ohnmächtiger Wuth in
seinem Zimmer auf und ab gelaufen, und sein eigenes Gewehr von der Wand
reißend, schwor er, daß er die Bande wolle zusammenschießen lassen, und
wenn er selber dabei zu Grunde ginge. Der Baron aber sah weiter:
Brach hier im Ort eine Revolution aus, so warfen sich die »Demokraten«
allerdings zuerst auf das Directionsgebäude -- und er selber hatte nur
geringes Vertrauen zu den brasilianischen Soldaten. Dann aber mußte sich
die Wuth, ihr erstes Ziel erreicht, im natürlichen Lauf der Dinge gegen
die übrige Aristokratie wenden, und daß er selber nicht übermäßig im Ort
beliebt war, wußte er eben so gut. Aus innerstem Herzen heraus bat er
deshalb den Director -- nur um Blutvergießen zu vermeiden -- der Gewalt
nachzugeben, eine spätere Untersuchung sollte dann schon die Schuldigen
bestrafen und besonders den Rädelsführer treffen. Er war Zeuge, und der
Director konnte in allen Fällen auf ihn rechnen -- wozu jetzt Alles auf
Eine Karte setzen, während noch dazu die Chancen des Spieles gegen ihn
waren.

Der Director sah aus dem Fenster -- unten wogte und tobte es -- mehr
als dreihundert Männer in Hemdsärmeln, ihre Gewehre und andere Waffen im
Arm, sammelten sich dort um den Grafen Rottack, der mit der Uhr in der
Hand zwischen ihnen stand. Der Director sah nach seiner eigenen Uhr --
es fehlten noch fünf Minuten an drei Viertel. -- Die Soldaten im Hause
hatten sich vor der drohenden Bewegung gesammelt, und der Unterofficier
steckte jetzt ganz verblüfft den Kopf in die Thür und fragte, welche
Befehle der Herr Director gäbe. Es war den Blaujacken da unten auch
nicht wohl geworden, denn einem einzelnen hülflosen Colonisten gegenüber
hatten sie Muth genug gezeigt, heute aber sah es beinahe aus, als ob
sich das Spiel umdrehen solle, und die kleine Schaar hatte eigentlich
schon unter sich einen Plan gemacht, wenn die Sache bös abliefe,
in geschlossenem Trupp nach den Booten zu fliehen und den Fluß
hinabzugehen.

Der Director lief noch immer im Zimmer auf und ab.

»Sie weichen ja nur der Übermacht -- der rohen Gewalt,« sagte der Baron
-- »kein Mensch in der Welt kann Ihnen darüber einen Vorwurf machen, und
die Regierung wird Ihre Mäßigung lobend anerkennen. -- Nachher kommen
_wir_ wieder oben auf, und wenn _Sie_ dann Ihren Vortheil benutzen, kann
Sie ebenfalls kein Mensch deshalb tadeln.«

»Gut -- so will ich Ihrem Rathe folgen,« sagte der Director endlich --
es fehlten nur noch zwei Minuten an drei Viertel. -- »Nehmt zwei Mann,
Unterofficier, geht augenblicklich in's Gefängniß und holt den dort
sitzenden Deutschen her.«

»Aber die Leute draußen,« sagte der Soldat mit eben nicht sehr großer
Zuversicht -- »sie schreien und toben und sind Alle gut bewaffnet.«

»Ihr habt Nichts zu fürchten,« sagte der Director mit finsterem Blick --
»geht direct auf den Schwarm zu und bittet den Herrn, der eben oben
bei mir war, augenblicklich seine Zeugen zusammenzurufen und mit ihnen
heraufzukommen. Nun, was steht Ihr noch da und sperrt das Maul auf? --
_Rasch_, die Zeit vergeht!«

»Zu Befehl, Herr Director,« sagte der Soldat, drehte sich auf dem Absatz
herum und stieg hinunter, den Befehl auszuführen. Gerade als er mit den
zwei Mann das Haus verließ, wies der Zeiger auf drei Viertel; aber Graf
Rottack hatte die Boten schon bemerkt und erwartete sie. Es bedurfte
jetzt aber auch seiner Autorität, die Colonisten abzuhalten, daß sie
den Soldaten nicht ihren Auftrag abnahmen und den Gefangenen selber
befreiten. Sie waren einmal warm geworden und hätten nun auch gern eine
kleine Beschäftigung gehabt.

Rottack rief alle nöthigen Zeugen zusammen; Bux wurde vom Maulthier
gehoben und der Obhut einiger Colonisten übergeben -- man traute den
Soldaten noch nicht, bis Köhler wirklich freigesprochen war. Justus'
Wirthschafterin mußte dann ebenfalls herbei, und um das Directionshaus
gruppirte sich jetzt die wilde, malerische Schaar, um den Erfolg, den
sie Alle vorher wußten, abzuwarten.

Rottack hatte indessen strengen Befehl gegeben, daß Niemand die Soldaten
belästige, die Köhler aus seinem Gefängniß brachten, Niemand sogar mit
ihm sprechen solle, um jede Unregelmäßigkeit zu vermeiden. Das aber
konnte er nicht verhindern, daß ein allgemeines Hurrah! ausbrach, als
die Schaar zum ersten Mal wieder ihres Kameraden ansichtig wurde -- und
wie bleich und elend war er in der kurzen Zeit geworden, die man ihn
hier festgehalten!

Wunderbar schnell ging aber Alles von Statten. Köhler behielt kaum
Zeit, seinen Freunden zuzunicken und zu winken, so fand er sich schon im
Directionsgebäude dem wirklichen Mörder gegenüber, und hier zeigte sich
ein _Verhör_ nicht einmal nöthig. Es war weiter Nichts als die Abnahme
eines Geständnisses von Bux' Seite, der, durch den Aufruhr um sich her
vollkommen eingeschüchtert, bei der ersten Frage an ihn auf die Kniee
fiel, Alles bis zu den kleinsten Einzelheiten gestand und nur um Gnade
und Barmherzigkeit -- nur um sein Leben flehte.

Jeremias mußte auch noch her -- er stand schon vor der Thür -- und die
einzelnen Data bestätigen, was er mit klaren, einfachen Worten that.
Dabei fragte ihn der Director, woher er das viele Geld habe, worauf
Jeremias aber trocken erwiederte:

»Das geht Niemanden 'was an. -- Wenn _ich_ einmal vor Gericht stehe,
können Sie wieder danach fragen,« und damit schob er seine Hände in die
Taschen und ging hinaus.

Bux wurde in das Gefängniß abgeführt, das Köhler bis dahin inne gehabt,
und letzterer war frei. Nur als sich die Zeugen mit dem Freigesprochenen
wandten, um das Haus zu verlassen, sagte der Director:

»_Diese_ Sache ist jetzt beendet, Herr Graf, aber für Ihr Betragen, dem
Gesetz gegenüber, werde ich Sie noch besonders verantwortlich machen.«

»Ich stehe Ihnen in _jeder_ Hinsicht zu Diensten, Herr von Reitschen,«
sagte der junge Mann, warf dem Herrn einen letzten Blick zu und verließ
mit Köhler das Haus.

Und der Jubel, der jetzt da unten losbrach! Durch die Menge drängte sich
eine Frau, ein Kind auf dem Arm.

»Hans! Hans!« schrie sie -- »wo bist Du?«

»Hier! -- Trine -- Trine!« und die beiden Gatten lagen sich in den Armen
und die Frau schluchzte, als ob ihr das Herz brechen müsse vor Freude
und Seligkeit.

»Und der hat mich frei gemacht,« sagte da Hans, als sie sich nur ein
klein Wenig gesammelt, und zeigte auf Rottack.

»Und dafür bekomme ich _auch_ einen Kuß,« lachte dieser.

»Zehn -- zehn!« rief die Frau unter Thränen jubelnd, flog an Rottack's
Hals und küßte den jungen Mann herzhaft ab.

Der Baron von Reitschen stand oben am Fenster -- Rottack sah ihn, nahm
seinen Hut ab, grüßte hinauf und ging dann lachend die Straße hinunter.



11.

Abschiednehmen.


Das war ein Jubel in der Colonie, wie er seit langer Zeit nicht
stattgefunden, und heute Abend dazu von keiner Polizeistunde die Rede,
denn die Soldaten hüteten sich wohl, sich auf der Straße blicken zu
lassen. Das Volk hatte die Waffen in der Hand und trug Rottack fast auf
Händen, daß er ihnen endlich den Weg gezeigt, das lästig gewordene
und unerträgliche Joch abzuwerfen. Aber keine Unordnung fiel vor, auch
selber nicht die nächsten Tage. Jeder ging am andern Morgen seinen
gewohnten Geschäften nach. Es war ordentlich, als ob sie sich das Wort
gegeben hätten, dem Director zu beweisen, daß sie eben nicht durch
Militär in Banden brauchten gehalten zu werden, um doch zu wissen, was
Recht oder Unrecht sei.

Zwei Tage später traf Könnern mit Elisen ein, die er in der Familie
des Bäckermeisters Spenker, den er früher kennen gelernt hatte,
unterbrachte. Aber Elise sollte nicht mehr allein stehen auf der Welt.
Das Hinderniß, welches zwischen ihrer Liebe stand -- die Pflicht, für
den Vater zu sorgen, war von ihr genommen, und die nächste Zeit dazu
bestimmt, sie mit dem Geliebten zu verbinden. Selbst die Trauer durfte
die Zeit nicht hinausschieben, denn sie stand allein und freundlos in
der Welt und konnte ja nur als seine Gattin dem geliebten Manne folgen.

Etwas über eine Woche verging aber doch noch mit den Vorbereitungen,
während sich in der Colonie nicht das Geringste veränderte. Der Director
brütete Rache, und sein Grimm wuchs von Tag zu Tag, je deutlicher er
sah, wie vollkommen machtlos er jetzt den Colonisten, trotz seiner
Waffenmacht, entgegen stand. Die Colonisten selber aber kümmerten sich
gar nicht um ihn, gingen ihren Geschäften nach und ließen ihn ruhig mit
dem Baron über seinen finsteren Vergeltungsplänen grübeln und berathen.

Da wurde, an demselben Morgen, an welchem die Trauung der jungen Leute
festgesetzt worden, zuerst ein Dampfer vom Norden und dann ein anderer
vom Süden signalisirt, und Herr von Reitschen jubelte. _Jetzt_ wurde
ihm Hülfe, jetzt konnte er die erlittene Schmach fast auf frischer That
rächen, und augenblicklich setzte er sich in ein Boot und ruderte mit
vier Soldaten den Strom hinab.

Den Colonisten flößte er aber trotzdem keine Besorgniß ein, denn ein
anderer Geist war in sie gefahren. Außerdem hatte die Mehrzahl der
angesessenen Bürger eine Beschwerdeschrift nach Rio aufgesetzt, die
jetzt an die Regierung abgehen sollte. Sie durften doch erwarten, daß
sie gegen die Willkür eines einzelnen Mannes geschützt wurden, und sich
ihr _Recht_ nicht selber zu holen brauchten; erstaunten aber doch, als
ihr Herr Director schon gegen drei Uhr, und zwar allein, zurückkehrte,
rasch in das Directionsgebäude ging und sich dort einschloß. Was war da
vorgefallen?

In der That hörten sie bald darauf, daß er unterwegs einem andern Boote
des nördlichen Dampfer begegnet sei, der Depeschen für ihn überbrachte.
Diese hatte er sogleich erbrochen und war dann auf der Stelle umgekehrt.

Freilich sagte er Niemandem, welche unerwartete Nachricht er da unten
bekommen, aber wie ein Lauffeuer zuckte das Gerücht durch die ganze
Colonie: Sarno kehrt zurück und der »neue Director« ist abberufen.
Niemand wollte es trotzdem im Anfang glauben, denn die Nachricht
klang zu gut, als daß sie wahr sein konnte. Immer wieder aber kam neue
Bestätigung. Ein Colonist, der von unten mit seiner Jölle eintraf,
behauptete sogar: Sarno sei dicht hinter ihm in des Dampfers Boot.

Dem Baron war das Nämliche zu Ohren gekommen, und er lief bestürzt zu
Herrn von Reitschen hinüber. Der Director war aber für Niemanden zu
sprechen, und die Soldaten, die ihm ebenfalls keine Rede standen,
packten stumm und schweigend ihre Tornister. Dem Baron war genau so zu
Muthe, als ob er ebenfalls packen müsse.

Die Trauung war vorüber -- ein recht wehmüthiger Act, da sich für die
arme Braut so viele schmerzende Erinnerungen daran knüpften, und doch
auch wieder, wie dankbar war sie Gott, daß er ihr gerade in der Stunde
ihrer größten Noth den lieben Beschützer, und ihrem sterbenden Vater den
letzten Trost gegeben hatte!

Rohrlands, die Tochter des Meisters Spenker und Rottack waren
Trauungszeugen gewesen; Jeremias stolzirte ebenfalls mit einem riesigen
Blumenbouquet vorn im Knopfloche einher, und eigentlich hatte das
junge Paar schon am nächsten Morgen die Colonie auf einem Segelschiff
verlassen wollen. Da sich jetzt aber weit bequemere Gelegenheit mit
einem der Dampfer nach Santa Catharina oder Rio bot, sollte diese
benutzt werden, und Rottack, der sie begleiten wollte, hatte es
übernommen, die Passage unten für sie auszumachen.

Da begegnete ihnen, gerade als sie aus der Kirche kamen, ein Colonist
und erzählte ihnen mit freudestrahlendem Gesicht, daß Sarno eben
gelandet sei und Herr von Reitschen seinen unmittelbaren Abschied
erhalten hätte.

Es war in der That so. Als Könnern mit seiner jungen Frau zum Fluß hinab
eilte, um den Freund zu begrüßen, kam ihnen schon ein fröhlich wogender
Menschenschwarm entgegen, und wenige Minuten später lagen sich die
Freunde in den Armen.

»Sarno, mein lieber, guter Sarno, Sie zurück?«

»Ja, lieber Freund,« lächelte der Mann etwas verlegen. »Ich wollte
eigentlich nicht, denn ich hatte das Dirigiren recht von Herzen satt
bekommen, aber wie mir so von _allen_ Seiten zugeredet wurde, ich mir
zuletzt sagen mußte, daß ich mit gutem Willen doch hier vielleicht noch
Gutes wirken könne, und der Minister auch in der That nicht gleich eine
andere passende Persönlichkeit hatte, so -- entschloß ich mich zuletzt,
bis auf Widerruf wenigstens. Eigentlich ist aber hauptsächlich _der_
Herr da an meiner Sinnesänderung schuld.«

Er deutete dabei mit dem Arm nach rechts hinüber, und als Könnern der
Richtung mit dem Blick folgte, rief er erstaunt, fast erschreckt aus:
»Günther! _Sie_ wieder in der Colonie?«

»Großer Gott!« seufzte Elise und deckte das Antlitz mit den Händen.

Günther stand schweigend vor ihnen; er sah bleich und ernst und
angegriffen aus, und sein Blick ruhte mitleidig auf der jungen Frau.
Endlich trat er zu ihr, und ihr Haupt zwischen seine Hände nehmend,
küßte er sie leise auf die Stirn und sagte freundlich:

»Gott segne Sie, liebes Kind, und gebe Ihnen an Ihres braven Gatten
Seite den Frieden, den Sie so lange entbehren mußten.«

»Wo ist er?« rief Rottack, der noch zurückgeblieben war, hinter der
Gruppe -- »Günther -- Mensch, wo kommst _Du_ her?« und im nächsten
Augenblick lag er in seinen Armen -- aber rasch richtete er sich wieder
empor. Ein einziger Blick auf den Freund hatte ihm verrathen, daß nicht
Alles so mit ihm sei wie es solle -- »was ist geschehen, Günther?« rief
er, ihn auf Armes Länge von sich drückend -- »Du siehst blaß und elend
aus -- warst Du krank?«

»Ja,« sagte Günther leise -- »recht krank -- aber es geht wieder besser
und ich -- will mich hier in der Colonie noch ein Wenig erholen, ehe ich
die Heimreise antrete.«

Rottack sah ihn forschend an, aber Günther drückte ihm die Hand, die er
noch gefaßt hielt, und sagte lächelnd:

»Aber jetzt, glaub' ich, ist es Zeit, daß wir zu Tisch gehen; Jeremias
hat mir wenigstens schon gemeldet, daß Alles bereit bei Bohlos sei,
und selbst die vermehrten Gäste keinen wesentlichen Unterschied machen
würden. Darf ich die junge Frau zur Tafel führen, Könnern?«

»Mein lieber -- lieber Günther!«

»Schon gut, ich werde meinem Amte Ehre machen -- und nun vorwärts!«

Mit dem Vorwärts ging es aber nicht so rasch, denn der Ruf, daß
Sarno wieder zurück sei und wieder bei ihnen bleiben würde, hatte die
Colonisten in Masse aus den Häusern gejagt. Manche waren wohl früher
nicht mit Allem einverstanden gewesen, was er gethan, denn eine solche
Schaar _deutscher_ Colonisten gleichmäßig zufrieden zu stellen, wäre
überhaupt ein Kunststück. Das neue Directorium hatte ihnen aber erst
gezeigt, was sie eigentlich an Sarno verloren, der stets rechtlich und
gerecht an ihnen gehandelt, und die Freude ihn wieder zu haben, war
desto größer.

Man drängte um ihn her, Jeder wollte ihm die Hand schütteln und ihm
sagen, wie sehr es ihn freue, daß er wieder da sei, und mit allen den
Begrüßungen kam der Mann fast gar nicht zu Tisch. Endlich machte er sich
aber doch los, und jetzt gingen die Colonisten daran, auch äußerlich
ihre Freude auszudrücken.

Alle möglichen und unmöglichen Fahnen, besonders deutsche und
brasilianische, wurden vorgesucht, und wo keine da waren, rasch ein
Betttuch genommen und irgend ein rother, blauer oder grüner Streifen
aufgesetzt. In kaum einer Stunde wehte die ganze kleine Colonistenstadt
voller Flaggen, waren fast alle Fenster mit Blumen und Guirlanden
geschmückt, alle Menschen in ihrem Sonntagsstaat -- und Jeremias schien
der Nerv dieser ganzen Bewegung.

Nach und nach kam denn auch die Ursache dieser Wirkung zu Tage, welche
die Colonie fast ausschließlich Günther zu verdanken hatte. Von Santa
Catharina aus hatte dieser schon an den Minister des Innern seinen
Bericht über das Treiben der Frau Präsidentin gemacht, wie der Präsident
fortwährend leidend sei und die Frau einen Schwarm von Gesindel
anstelle, der nicht allein die Entrüstung jedes braven Mannes, Deutschen
wie Brasilianers, errege, sondern auch den Bestand der Colonien zu
gefährden drohe. Er hatte dabei nicht unterlassen, Sarno's Wirksamkeit
in Santa Clara und die Art und Weise zu schildern, mit der jetzt auf das
Willkürlichste über ihn verfügt werden sollte.

Das war vorausgegangen, und als er nun selber nach Rio kam und dem
Minister eine Menge neuerer Daten geben konnte, während dieser indessen
Zeit gehabt, seine eigenen Erkundigungen einzuziehen, war ein Beschluß
zum Bessern bald gefaßt. Es stellte sich jetzt heraus, daß die
Abberufung Sarno's in vollkommen ungerechtfertigter Weise geschehen sei.
Außerdem hatte der Minister noch viel mehr über die Wirksamkeit der
Frau Präsidentin erfahren, als Günther selber wußte. Der sehr leidende
Zustand des sonst tüchtigen Präsidenten machte da eine Verbesserung des
Geschehenen möglich. Der Präsident selber wurde pensionirt, Herr von
Reitschen aber, der Director von Santa Clara, einfach seines Dienstes
entlassen und die Maßregel noch durch eine Rüge, seines willkürlichen
Verfahrens wegen, verschärft. Eben so rief diese Ordre auch die Soldaten
wieder aus der Colonie, in der sie der Regierung nicht nöthig schienen,
und der Dampfer, der diese Nachricht und zugleich Sarno und Günther
wieder mit nach Santa Clara brachte, hatte Befehl, den Director von
Reitschen mit dem Militär nach Santa Catharina zu führen, von wo es
dem Ersteren frei stand, einen andern ihm passenden Weg zu nehmen. Der
andere Dampfer brachte die Post von Rio Grande, und ging von hier nach
Rio de Janeiro hinauf.

Herrn von Reitschen lag jetzt die höchst unangenehme Pflicht ob, dem
Manne, den er vorher verdrängt hatte, seine Papiere wieder zu übergeben
und überhaupt die ganze Macht in seine Hände zu legen. Er entzog sich
dem aber. Er hatte vollkommen genug gehabt an den Ovationen, die man
seinem Nachfolger unter seinen Augen brachte; er mußte sogar noch
die ganze Nacht die Ständchen, Jubelrufe und Hurrahs hören, die nie
versäumten in der Nähe des Directionsgebäudes mit frischer Kraft
auszubrechen. Das war ihm doch ein wenig zu stark. Ohne selbst von
seinem alten Freund, dem Baron, Abschied zu nehmen, der durch diese
Vernachlässigung der Form nur noch mehr niedergedrückt wurde -- übergab
er das ganze Directionswesen seinem Schreiber, der ihm nach erfolgter
Übergabe folgen konnte, und schiffte sich, etwa eine Stunde vor Tag,
auf dem schon zu dem Zweck heraufbeorderten Boote des Dampfers ein. Die
Soldaten mußten ihn ebenfalls begleiten, denn trotz der frühen Stunde
fürchtete er immer noch eine feindliche Demonstration von Seiten der
Colonisten. Man achtete aber gar nicht auf ihn; Herr von Reitschen
verschwand spurlos aus der Colonie, und als die Sonne aufging, war der
Platz geräumt.

Auf diesen Tag war auch die Abreise der von hier nach dem Norden
gehenden Passagiere festgesetzt, denn der Dampfer wollte den Nachmittag
die Mündung verlassen. Es waren Könnern mit seiner jungen Frau und
Graf Rottack, der sich entschlossen hatte nach Rio, ja, vielleicht mit
Könnerns nach Deutschland zurückzukehren.

Eigentlich hatten die Passagiere schon zu Mittag an Bord gehen wollen,
es war aber noch Etwas an der Maschine zu repariren und der Dampfer der
unterwegs schlechtes Wetter gehabt, gründlich zu reinigen. Die Abreise
verzögerte sich deshalb um einige Stunden.

Die kleine Gesellschaft saß noch in Bohlos' Hotel, während das Gepäck
schon unter Jeremias' Obhut an die Landung geschafft war.

Rottack stand in der Thür, hatte eben zugesehen wie Bux vorbeigeführt
wurde, um nach Santa Catharina transportirt zu werden, und sprach mit
dem Bruder von Köhler's Frau, der eben von der Chagra herunterkam und
nicht genug erzählen konnte, wie glücklich die jungen Leute seien, als
Günther an ihm vorbeikam, seinen Arm ergriff und ihn langsam mit sich
die Straße hinunter führte.

»Aber sage mir nur, was hast Du, Günther?« fragte der junge Mann, indem
er den Arm, den er in dem seinen hielt, herzlich drückte. »Eine traurige
Veränderung ist mit Dir vorgegangen, seit wir uns nicht gesehen; Du
siehst bleich und elend aus und -- das Schlimmste -- es hat sich ein
Ausdruck von recht tiefem Schmerz in Dein sonst so freundliches Antlitz
eingenistet. Weshalb bist Du nicht nach Deutschland -- nach Thüringen
zurück? Du warst so glücklich in dem Gedanken an die Heimath!«

Sie waren an Rohrland's Haus vorbeigegangen und betraten hier ein
Terrain, auf dem Büsche und junge Palmen lustig aufgewuchert waren; nur
die frei gehaltene Straße zog sich hindurch.

»Felix,« sagte Günther leise, ohne den Freund anzusehen, »erinnerst Du
Dich jenes Morgens, als ich Dich am Strand bei jener Chagra traf?«

»Als ob es gestern gewesen wäre.«

»Erinnerst Du Dich, als wir nachher zusammen in die Berge ritten, daß
ich Dir erzählte, wie ich im Nebel und zwischen den brandenden Wogen
an demselben Morgen zwei Schwäne gesehen, die so geisterhaft vor mir
hergestrichen und zuletzt weit -- weit hinaus in das düstere Meer
verschwunden seien, und wie mir dann so weh, so unsagbar weh geworden --
wie mir ein Gefühl das Herz gedrückt, dem ich nicht Namen geben konnte
-- so einsam -- so öde schien mir in dem Augenblick die Welt?«

»Ich erinnere mich,« sagte Felix leise.

»Felix,« fuhr Günther fort, indem er stehen blieb und dem Freund in's
Auge sah -- »in jener Nacht starb meine Anna -- an jenem Morgen lag sie
kalt und bleich auf ihrem Lager dort -- dort, wohin die Schwäne in den
Nebel zogen!« -- Und was der starke Mann bis dahin standhaft ertragen,
das brach jetzt aus in ungezügeltem Schmerz, als er das Haupt an die
Brust des Freundes lehnte.

Rottack hielt ihn schweigend umfaßt; er sprach kein Wort -- kein
Wort des Trostes, denn er wußte selber recht gut, daß gerade in den
fließenden Thränen der einzig mögliche Trost liegen konnte für solchen
Schmerz.

»Armer Freund!« flüsterte er endlich leise, und Günther richtete sich in
seinen Armen empor.

»So -- jetzt ist mir wohl,« sagte er, indem ein schwerer Seufzer
seine Brust hob -- »jetzt ist mir leicht, denn fortwährend von Fremden
umgeben, fortwährend gezwungen, den Schmerz in die eigene Brust
zurückzubannen, das thut doppelt weh!«

»Armer, armer Freund! -- Und wo erhieltest Du die Nachricht?«

»Vor wenigen Tagen in Rio -- der Dampfer, der mich in die Heimath führen
sollte, brachte den Brief von dort. Mein Entschluß war bald gefaßt --
jetzt _kann_ ich nicht zurück, und ich begleitete Sarno, um hier noch
manche Arbeit zu beenden, die ich -- gehofft hatte von Anderen beendet
zu sehen. -- Aber nun leb' wohl, Freund -- wie ich höre, willst Du
Könnern begleiten -- ich bin nicht im Stande, zu den glücklichen
Menschen zurückzukehren! Könnern und Elise dürfen auch nie erfahren, was
ich Dir eben vertraut -- es würde ihr Glück trüben. Bringe ihnen noch
meinen Gruß und -- leb' wohl!«

»Du willst fort?«

»Hier steht mein Pferd -- Gott mit Dir, mein lieber Freund, und mögest
auch Du die Ruhe finden, nach der Du Dich so oft gesehnt!«

Die beiden Männer hielten sich lange in schweigender Umarmung; dann riß
sich Günther los, bestieg sein Pferd, winkte noch einmal mit der Hand
zurück und war im nächsten Augenblick im Walde verschwunden.

Graf Rottack ging ernst und schweigend in die Stadt zurück. Es war ihm
recht weich um's Herz geworden nach dem Abschied von dem Freunde, und
allerlei alte, trübe Gedanken zuckten ihm durch's Hirn. -- Als er wieder
an Rohrland's Haus vorüberging, stand eine junge Dame an dem einen
Fenster, die sich scheu zurückzog, als sie ihn bemerkte. -- Es war
Helene. -- Fast unwillkürlich grüßte der junge Mann im Weitergehen und
blieb dann stehn.

»Ich bin eigentlich recht unfreundlich gewesen, daß ich nicht einmal von
ihr Abschied genommen habe,« murmelte er leise vor sich hin. -- Er sah
nach seiner Uhr -- es blieb ihm noch eine halbe Stunde Zeit. -- »Was
kümmert's denn mich, wenn sie -- ei, ich will aus Brasilien von
keinem Menschen im Bösen scheiden -- am Wenigsten von ihr!« und rasch
entschlossen schritt er in das Haus hinein.

Ein kleiner Bursche dort zeigte ihm die Thür des Zimmers, in dem
das »Fräulein« wohnte. Er klopfte an, und ein kaum hörbares Herein!
antwortete ihm -- Helene stand mitten im Zimmer, ihn zu erwarten. Sie
war ganz einfach gekleidet, nur mit einem schwarzen Band im Haar als
Schmuck und sah ungewöhnlich bleich aus.

»Comtesse,« sagte er, »ich bin im Begriff, dieses Land für immer zu
verlassen, und -- wollte das nicht thun, ohne Ihnen vorher Lebewohl zu
sagen.«

»Das ist recht freundlich von Ihnen,« hauchte Helene, und Rottack konnte
es nicht entgehen, daß sie sich befangen, ja ängstlich beklommen fühlte,
so viel Mühe sie sich gab das zu verbergen. Das aber machte ihn selber
verlegen, und wie er das fühlte, suchte er auch den kaum begonnenen
Abschied noch zu kürzen.

»Vielleicht habe ich dann in Deutschland einmal wieder das Glück, Ihnen
zu begegnen, Comtesse, denn ich glaube kaum, daß ich je nach Brasilien
zurückkehren werde.«

»Herr Graf,« sagte Helene leise, und sie mußte sich Mühe geben deutlich
zu sprechen, »da wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen, möchte ich
nicht, daß wir auf _diese_ Weise von einander scheiden. -- Ich habe
einen Verdacht, Sie _wissen_, daß mir der Titel Comtesse nicht gebührt.
-- Wenn dem nicht so wäre, nehmen Sie hier meine Erklärung ....«

»Mein gnädiges Fräulein,« sagte Rottack überrascht -- »ich -- wußte
nicht, daß er Ihnen unangenehm war, da Sie -- ihn so lange schon
geführt ....«

»Und glauben auch Sie, daß ich die Hand zu einer Täuschung geboten
hätte, wenn ich selber darum gewußt?« sagte Helene bitter. »Ich hatte
gehofft, _Sie_ wenigstens würden besser von mir denken; aber -- lassen
Sie es gut sein,« unterbrach sie sich selbst -- »ich habe so wenig
Freunde auf der Welt, daß ich dem letzten vielleicht, der hier von mir
geht, kein hartes Wort zum Abschied sagen möchte. Leben Sie wohl, Herr
Graf, und -- möge Ihnen die Erinnerung an Brasilien nicht nur lauter
traurige Bilder bieten!«

Sie reichte ihm dabei mit einem leichten, wehmüthigen Lächeln unbefangen
ihre Hand. Felix nahm dieselbe, aber er ließ sie nicht gleich wieder los
und sagte, viel herzlicher, als er bisher zu ihr gesprochen:

»Gnädiges Fräulein, es ist Etwas in Ihrem Leben vorgegangen, das seinen
Schatten über Ihre Seele wirft. Sie sind nicht glücklich, und der Blick,
den Sie mich eben in Ihre Vergangenheit thun ließen, verräth mir mehr
als Sie vielleicht glauben. -- Sehen Sie mir in's Auge -- halten Sie
mich Ihres Vertrauens werth, so nehmen Sie die Versicherung, daß ich es
wirklich treu und ehrlich mit Ihnen meine. Ich verlasse allerdings in
einer halben Stunde schon dieses Land, aber ich kann Ihnen vielleicht
selbst noch von Deutschland aus nützen. Sie entdecken mir auch kein
Geheimniß,« fuhr er fort, als Helene zitternd und schweigend vor ihm
stand -- »ich kannte Ihre Mutter in meinem elterlichen Hause -- ich
wußte ....«

»Es _ist_ nicht meine Mutter!« stöhnte Helene, und ihre Hand aus der
seinen ziehend, deckte sie ihr Antlitz damit.

Graf Rottack stand sprachlos vor Staunen vor ihr.

»Es _ist_ nicht Ihre Mutter?« wiederholte er endlich, und die Worte
rangen sich ihm nur mühsam aus der Brust.

»Nein,« hauchte Helene -- »aber lassen Sie mich jetzt. Ich habe Ihnen
schon mehr gesagt, als ich eigentlich sollte; aber es war -- es war mir
nur ein -- peinlicher Gedanke, Sie von hier scheiden zu sehen und zu
fühlen, daß Sie -- mich verachteten. Leben Sie wohl, Herr Graf, und wenn
Sie einen Funken von Mitleid für mich haben, so -- verlassen Sie mich
jetzt!«

»Nein, Helene, nicht so,« rief Felix, dem ein Sturm von Gedanken und
Gefühlen das Hirn durchzuckte -- »nicht so dürfen wir scheiden! Hier
liegt mehr versteckt, als Sie mir sagen wollen -- o, wenn Sie Vertrauen
zu mir hätten -- wenn Sie mein Herz sehen und dann wissen könnten, wie
gern ich Ihnen wirklich dienen möchte.«

»Herr Graf,« bat Helene scheu.

»Sie klagen, daß Sie keinen Freund in dem weiten Lande haben,« fuhr
Rottack leidenschaftlich fort -- »daß es Ihnen peinlich sei, _mich_
scheiden zu sehen mit einer falschen Meinung von Ihnen, und doch halten
Sie Ihr Vertrauen zurück -- geben mir nur Andeutungen, die mich noch
verwirrter machen müssen, und stoßen die Freundeshand selber zurück, die
sich Ihnen entgegenstreckt.«

»Herr Graf, ich weiß nicht,« wehrte Helene ab, denn ein eigenes
beklemmendes Gefühl überkam sie, unter dem sie kaum athmen konnte.

Felix mochte ahnen, was in dem Herzen des Mädchens vorging. Er sah ihr
treuherzig in's Auge, und dann ihr noch einmal die Hand reichend, sagte
er herzlich:

»Glauben Sie in diesem Augenblick, ich sei Ihr Bruder, Helene. Schütteln
Sie die Fesseln der Etiquette ab, die uns nur zu oft hindern, den Weg
einzuschlagen, den wir sonst für den rechten und guten halten. -- Machen
Sie mich zu Ihrem Freund, und beim ewigen Gott, Sie haben Niemanden auf
der weiten Welt, der es treuer und aufrichtiger mit Ihnen meint!«

Helene rang mit sich -- zu plötzlich, zu überraschend war ihr das Alles
gekommen, um ihre Gedanken ruhig sammeln, um _überlegen_ zu können.
Noch nie aber hatte sie so das Gefühl ihrer Einsamkeit übermannt, wie
in diesem Augenblick -- noch nie hatte ein Wesen auf der weiten Welt so
herzlich, so einfach zu ihr gesprochen, und als ihr scheuer Blick sich
zu dem jungen Manne hob und in dessen Auge Alles, Alles bestätigt fand,
was er ihr geboten, da faßte sie sich gewaltsam zu einem Entschluß, und
mit leiser, aber fester Stimme sagte sie:

»Ich glaube Ihnen, Graf Rottack -- ich _will_ Ihnen glauben -- ich würde
Ihnen auch in diesem Augenblick vertrauen -- wie einem Bruder« --
setzte sie kaum hörbar hinzu -- »aber für mich selber ist meine ganze
Vergangenheit in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt, und die allein
Licht darüber geben könnte -- bindet ein Schwur.«

»Ein Schwur?« sagte Rottack erstaunt -- »aber woher dann -- ich begreife
nicht, wie Sie da überhaupt ....«

Helene stand noch immer zögernd vor ihm -- aber wußte er nicht schon ihr
Geheimniß, und sah er sie nicht mit den großen, treuen Augen, die jeden
Spott, jeden Hohn verbannt hatten, so ehrlich an?

»Ich will Ihnen Alles sagen, was ich weiß, Graf Rottack,« rang es
sich ihr endlich aus der Brust -- »hier, dieser Brief kam durch eine
Verwechslung der Couverts in meine Hände« -- halb abgewandt reichte sie
ihm denselben.

»Darf ich ihn lesen?«

»Lesen Sie ihn,« flüsterte Helene und barg wieder ihr Antlitz in den
Händen.

Rottack hatte den Brief hastig geöffnet und mit den Blicken
verschlungen. »Und der Name Ihrer Mutter?« fragte er.

»Sie weigert sich, ihn zu nennen -- ein Schwur bindet ihre Lippen.«

»Ein Schwur?« rief Rottack, den Kopf verächtlich zurückwerfend; »den
Schwur kenne ich -- er heißt Selbstinteresse -- aber ich begreife noch
immer nicht -- Doch das ist hier nicht der Ort, zu erfragen,« unterbrach
er sich rasch, als er den Brief zusammenfaltete und wieder auf den Tisch
legte. »Und nun, mein liebes, liebes Fräulein,« setzte er hinzu, während
er auf's Neue ihre Hand ergriff und es wie ein lichter Sonnenstrahl
über sein Antlitz zuckte -- »nehmen Sie tausend, tausend Dank für das
Vertrauen, das Sie mir geschenkt -- wenn ich es Ihnen auch nur durch
Überraschung abgepreßt. -- Aber jetzt fort -- Du mein Himmel, mir
schwindelt der Kopf ordentlich von all' den Gedanken, die mir jetzt
das Hirn durchkreuzen -- und doch war ich nie so glücklich, nie so
lebensfroh, wie gerade in diesem Augenblick!«

»Sie wollen fort?« rief Helene erschreckt, denn sie konnte sich
Rottack's Betragen nicht erklären.

»Gewiß,« lachte dieser -- »unten warten sie ja mit dem Boot auf mich --
aber sie müssen noch länger warten, denn ich habe vorher einen wichtigen
Besuch zu machen -- und dann komme ich wieder her -- in einer halben
Stunde bin ich wieder hier« -- Und ohne Abschied sprang er in jubelndem
Übermuth aus dem Zimmer und die Straße hinab.



12.

Schluß.


Könnern war mit Elise, von Sarno begleitet, schon nach den Booten
gegangen, um dort den noch fehlenden Rottack zu erwarten, als dieser mit
flüchtigen Sätzen angesprungen kam.

»Wir fahren nicht ohne Sie ab!« lachte Könnern, der Eile des Freundes
eine andere Ursache gebend. »Der Capitän des Dampfers ist noch oben im
Hotel, um einige Vorräthe an Bord schaffen zu lassen!«

»Ich kann auch noch nicht fort!« rief Felix -- »Sie müssen noch einen
Augenblick auf mich warten, denn ich habe etwas Nothwendiges vergessen!«

»Vergessen -- was?«

»Meinen Abschiedsbesuch bei der Frau Gräfin!«

»Plagt Sie der Böse?« lachte Könnern. »Seit wann sind Sie denn so
förmlich geworden?«

»Ich bin gleich wieder da!« rief der junge Mann in wilder
Ausgelassenheit, und wie er gekommen, flog er die Straße zurück und
direct dem Hause der Gräfin zu.

Unten scheuerte die Dorothea Holzgeschirr.

»Ist die Frau Gräfin oben?«

»Ja, in ihrem Zimmer.«

»Melden Sie mich -- rasch, denn ich habe große Eile!«

»Ja, _ich_ kann jetzt nicht hinaufgehen.«

»Dann meld' ich mich selber!« -- und in wenigen Sätzen war er oben.
An ein paar falsche Thüren pochte er dort zuerst an, dann rief
eine bekannte Stimme: »Herein!« und Graf Rottack stand im nächsten
Augenblicke der Madame Baulen gegenüber, die erschreckt von ihrem Sopha
empor fuhr.

»Herr Graf!«

»Frau _Gräfin_,« sagte der junge Mann, sich mit Anstand verbeugend
-- »entschuldigen Sie einen Besuch, der nur in seiner Kürze seine
Berechtigung findet. Ich komme mit einer einfachen Frage, um deren
Beantwortung ich Sie ersuche.«

»Herr Graf, ich werde mich glücklich schätzen,« sagte die Frau verlegen,
denn sie wußte nicht, was sie aus dem Benehmen desselben machen sollte.

»Gut -- dann bitte, setzen Sie sich dahin,« sagte Felix eben so
förmlich, »und schreiben Sie mir einen Namen auf.«

»Welchen Namen, Herr Graf?«

»Den Namen von Helenens Mutter.«

»Herr Graf!« rief die Frau und fühlte, wie ihr die Kniee zitterten.

»Ich weiß,« fuhr Rottack fort, ohne ihre Bewegung zu beachten, »daß Sie
einen Schwur vorgeschützt haben, was einem armen, unerfahrenen Mädchen
gegenüber ging -- _wir_ stehen anders zusammen. Entweder schreiben Sie
mir die volle Adresse _jetzt_ in diesem Augenblick auf, oder ich
gehe direct hinüber zum Baron, wie zum Bäckermeister Spenker und --
unterhalte mich mit ihnen über vergangene Zeiten. Sie wissen, daß ich
nicht scherze. _Noch_ ruht Ihr Geheimniß in sicheren Händen und wird
da ruhen, falls Sie meinen Wunsch erfüllen -- wo nicht -- schreiben Sie
sich selber die Folgen zu. Außerdem muß ich Ihnen nur noch bemerken, daß
Ihnen eine Geheimhaltung auch nicht das Geringste nutzt. Eine einfache
Aufforderung in den Zeitungen drüben, mit Angabe der Verhältnisse,
_ohne_ einen Namen zu nennen, würde Helenen die Adresse sichern. Doch
das ist Nebensache. _Wir_ haben es hier mit dem speciell zu thun, was
_Sie_ betrifft, und Ihren eigenen Vortheil werden Sie da auch am Besten
kennen.«

»Aber, Herr Graf, ich bitte Sie um Gottes willen -- wenn ich mir selber
alle Hülfsmittel abschneide, wovon -- o, wovon soll _ich_ denn da leben?
Alles verläßt mich -- Alles verläßt mich -- auch der undankbare Mensch,
der Pulteleben, hat mich im Stich gelassen!«

Der junge Graf warf ihr einen verächtlichen Blick zu und sagte:

»Es war allerdings sehr rücksichtslos von Herrn von Pulteleben, da
ihm die _Frau_ abhanden gekommen, nicht doch wenigstens die vermuthete
Schwiegermutter zu behalten -- doch zur Sache. Wollen Sie meinen Wunsch
erfüllen oder nicht? ich _muß_ Antwort haben.«

»Lassen Sie mir Zeit zur Überlegung.«

»Nein -- hier ist Papier und Dinte -- in fünf Minuten bleibt Ihnen keine
Wahl mehr.«

»Und _Sie_ versprechen mir zu schweigen?«

»Sie haben mein Wort. Überdies verlasse ich in einer Viertelstunde die
Colonie.«

Die Frau seufzte tief auf, ging zu dem Tisch, schrieb ein paar Worte und
reichte den Zettel dem jungen Mann hinüber.

»Bitte,« sagte dieser abwehrend, »schließen Sie das Blatt in ein Couvert
-- das Geheimniß ist nicht für mich.«

Die Frau that auch dieses; sie war vollständig gebrochen, und zwar mehr
durch die Angst, ihren angemaßten Titel in der Colonie zu verlieren und
ihren künstlich aufgebauten Rang zusammenstürzen zu sehen -- und der
Baron _mußte_ schon einen Verdacht gefaßt haben -- als durch die Sorge
um die Zukunft, die sie noch nie gekümmert hatte. _Sie_ lebte nur in dem
Augenblicke, dem sie abrang was sie konnte; was kümmerte sie der nächste
Tag?

»Nun bitte ich Sie noch um Eins, Frau Gräfin,« sagte Felix, als er mit
einer dankenden Verbeugung das Papier in die Tasche schob und sie scharf
dabei ansah -- »wie war es _möglich_, daß Helene bis vor wenig Tagen
keine Ahnung davon haben konnte, _Sie_ seien nicht ihre wirkliche
Mutter? Ich begreife das nicht.«

»Helene,« sagte die Frau, »war als Kind zuerst zu einer Wärterin, dann
in Pension gegeben, und zwar unter einem andern Namen, denn ihre Geburt
mußte geheim gehalten werden. Erst als ich ihrer Mutter meinen Entschluß
erklärte, nach Brasilien auszuwandern ....«

»Vollkommen ohne Nebenabsichten?«

»Vollkommen,« sagte Madame Baulen mit Würde -- »da entschloß sie sich zu
dem Schritt -- den wir vorher reiflich überlegt hatten: sie mir nämlich
mitzugeben, und ich -- holte sie damals, _als_ ihre Mutter, aus der
Pension ab.«

»Und ihre wirkliche Mutter hat sie nie gesehen? Ist es möglich, daß sich
eine Mutter so ganz von ihrem Kinde lossagen kann?«

»Lieber Gott,« sagte Madame Baulen achselzuckend, »die Gesellschaft legt
uns Pflichten auf, und -- in diesem Fall -- sie konnte doch nicht ihren
_Ruf_, ihren Mann compromittiren; ihr ganzes häusliches Glück wäre ja
vernichtet worden.«

»Als ob daran noch Etwas zu vernichten gewesen wäre!« sagte Rottack
bitter -- »doch wie dem auch sei, Frau Gräfin, Sie haben _mir_ einen
Dienst geleistet, erlauben Sie, daß ich mich dafür revanchire -- wir
tauschen nämlich Papier um Papier. _Dieses_ ist Helenen's Geheimniß --
_das_ hier,« fuhr er fort, indem er eine Banknote von 500 Milreis vor
der Frau auf den Tisch legte -- »ist das _Ihrige_ -- wir sind quitt,
nicht wahr?«

»Aber Herr Graf!« rief Madame Baulen überrascht aus.

»Bitte, kein Wort! Leben Sie wohl!« und ehe Sie ihm nur eine Silbe
darauf erwiedern konnte, hatte er die Thür hinter sich in's Schloß
gedrückt und das Haus verlassen.

Aber er lief nicht mehr in tollem Muthwillen wie vorher, sondern ernst
und nachdenkend schritt er zu Rohrlands hinüber, betrat das Haus wieder
und stand gleich darauf in Helenens Zimmer.

Helene war indessen, von sich drängenden Gedanken bestürmt, in ihrem
Zimmer auf und ab gegangen. Hatte sie Recht gethan, sich dem Fremden
zu entdecken, und gerade _ihm_, der sie die letzte Zeit so kalt, fast
höhnisch behandelt? Hatte sie Recht gethan, nicht allein ihr, nein, auch
das Geheimniß ihrer eigenen Mutter Preis zu geben? Und was _konnte_ sie
thun? Stand sie nicht allein, rathlos, hülflos in der Welt? Sehnte sie
sich nicht nach _einem_ Herzen, dem sie vertrauend nahen -- zu dem sie
um Trost -- um Hülfe aufblicken konnte? Und was that _er_ jetzt? Wohin
hatte er sich gewandt? Würde sie ihn je wiedersehen, und spottete
er nicht vielleicht jetzt des Vertrauens, das er von ihrer Seele
losgerungen?

In der Thür stand Graf Rottack, ehe sie selber seinen Schritt gehört,
und das Couvert, dessen Inhalt sie noch nicht begriff, hielt er
ihr entgegen. Aber er selber sah verändert aus. Der kalte Stolz
und Muthwille, der sie stets zurückgeschreckt, war aus seinen Zügen
gewichen, und mit leiser Stimme sagte er:

»Hier, Helene, ist das Papier, welches den Namen Ihrer Mutter enthält --
fürchten Sie nicht, daß _ich_ Ihr Geheimniß belauscht hätte -- ich kenne
den Inhalt nicht.«

»Wie soll ich Ihnen danken?« flüsterte das Mädchen, beängstigt von dem
ganzen Wesen des Mannes, indem sie mit zitternder Hand das Blatt nahm.

»Sie können es vielleicht,« sagte Rottack ruhig -- »erinnern Sie sich
noch des Tages, Helene, als ich Ihnen mit -- jener Frau in der Stadt
begegnete? Es war das erste Mal, daß ich Ihre -- vermeintliche Mutter
sah.«

»Ja,« flüsterte Helene, und die Erinnerung an jene Stunde traf sie eisig
in's Herz -- »es konnte mir nicht entgehen. Sie starrten überrascht auf
-- jene Frau.«

»Bis dahin, Helene,« fuhr Rottack leise fort, während sich aber seine
Stimme mehr und mehr steigerte -- »hatte ich nur _Sie_ gesehen und hatte
Sie geliebt mit einer Leidenschaft, die Sie selber erschreckt haben
würde, wenn Sie sie hätten ahnen können.«

»Graf Rottack!«

»Lange schon hätte ich auch die leichten Schranken durchbrochen, die
mich von Ihnen trennten, wenn mich nicht eben jener süße Zauber in
Fesseln gehalten, der gerade in dem Geheimnisvollen dieser Liebe lag. Da
-- da sah ich Ihre Mutter -- Ihre Mutter, wie ich damals glauben mußte
-- deren ganze Vergangenheit vor mir lag und -- ich _konnte_
nicht anders glauben, als daß _Sie_ den Betrug theilten -- daß Sie
_Mitwisserin_, Mithandelnde der Täuschung wären.«

»Helene, was ich damals ausgestanden, nur Gott weiß es und der stille
Wald, und heiße, heiße Thränen habe ich da geweint. -- Rang und Stand
-- Sie trauen mir zu, daß mich das keinen Gedanken gekostet hätte; ich
stehe frei und unabhängig in der Welt, und lache der Vorurtheile jener
Gliederpuppen, die sich die Gesellschaft nennen -- aber der Betrug fraß
mir in's Herz hinein -- der Betrug wandelte mir das Blut zu Gift und --
machte mich unglücklich und elend. Alles kam dann dazu, um die Täuschung
zu vollenden, selbst das Netz, das -- jene Frau nach dem unglücklichen
Pulteleben auswarf, und das -- wie es meiner verblendeten Eifersucht
schien, Sie selber mit in Händen hielten! Helene,« -- rief er
leidenschaftlicher, indem er vor ihr auf ein Knie sank -- »ich habe
Ihnen schweres, schweres Unrecht gethan! Können Sie mir verzeihen?«

»Herr Graf,« rief Helene erschreckt, »stehen Sie auf!«

»Nicht eher, bis ich geendet habe,« beharrte aber Rottack -- »Helene,
ich _habe_ Sie geliebt, ich habe nie aufgehört Sie zu lieben, und wie
ich Ihnen kalt und spöttisch gegenüber stand, hätte mir das Herz dabei
zerspringen mögen in der Brust. Können Sie mir verzeihen? Können Sie
vergessen, welches Leid ich Ihnen zugefügt -- glüht auch in _Ihrem_
Herzen noch ein Funken der alten Liebe für _mich_? Läugnen Sie es nicht,
Helene -- jene süßen Töne, die Abends meiner armen Geige antworteten,
waren nicht bloßer Übermuth eines schönen, angebeteten Mädchens; jene
Töne kamen eben so aus dem Herzen, wie sie zum Herzen drangen. -- Oh,
können Sie nur einen Schatten jener Gefühle zurückrufen, so werden Sie
mein Weib, Helene!« rief er aus, indem er aufsprang und die Erschreckte
umschlang -- »fliehen Sie mit mir dieses Land, das Ihnen noch nie Freude
oder Frieden geboten. Unten liegt das Boot, in dem Könnern und seine
junge Frau uns erwarten -- in deren Begleitung machen Sie die Reise nach
Rio, und dort vereinigt uns des Priesters Hand.«

»Herr Graf!« rief Helene in Angst und freudigem Erschrecken.

»Sagen Sie nur, daß Sie mir verziehen haben -- daß Sie mir glauben, wenn
ich Ihnen betheure, ich bin von Herzen wirklich gut und brav -- daß
Sie hoffen, mich einst lieben, sich einst mit mir glücklich fühlen zu
können. Helene!«

Und Helene antwortete nicht, aber leise lehnte sie ihr müdes Haupt an
seine Brust, und aufjubelnd preßte sie Felix an sich und küßte wieder
und wieder das goldene Haar, das an seinen Wangen ruhte. In dem Moment
schien aber auch wieder der ganze alte Übermuth ihn zu erfassen. Er
weinte und lachte, aber unter seinen Thränen riß er sich von Helenen
los, zerrte einen großen Koffer vor, der in der Ecke des Zimmers stand,
und fing an hinein zu werfen, was ihm unter die Hände kam.

»Um Gottes willen!« rief Helene, jetzt ebenfalls in ihren Thränen
lachend aus -- »was machen Sie, was soll das werden?«

»Abreise -- Abreise, mein Schatz!« rief Felix, ohne sich in seiner
Beschäftigung stören zu lassen -- »wir sind ja in der größten Eile --
unten an der Landung warten sie schon mit Schmerzen auf uns.«

»Abreisen?« rief Helene erschreckt -- »aber doch nicht jetzt? -- nicht
heute?«

»In einer Viertelstunde.«

»Das ist ja unmöglich!«

»Unmöglich ist gar Nichts, Mädchen -- Du bist mein, _ich_ bin
der glücklichste Mensch unter der Sonne, und das Andere ist alles
Kleinigkeit und Nebensache.«

»Aber wie kann das sein -- Rohrlands ...«

»Brauchen gar nicht zu wissen, daß das nicht eine schon seit Monaten
zwischen uns abgemachte Sache gewesen. Ist die Familie drüben? Ja? Ich
bin gleich wieder da!«

Wie der Blitz fuhr er zur Thür hinaus und kam nicht zwei Minuten später
mit den erstaunten Eheleuten in's Zimmer, wo Helene noch immer rathlos,
keines Gedankens fähig, stand.

»Liebe Frau Rohrland -- lieber Herr Rohrland -- ich habe hier das
Vergnügen, Ihnen die künftige Gräfin Rottack vorzustellen. -- Liebe
Helene, thu' mir den einzigen Gefallen und ziehe ein freundliches
Gesicht, die Herrschaften glauben sonst, es wäre eine gezwungene
Heirath.«

»Aber liebe, beste Helene!« rief die junge Frau und flog dem Mädchen in
die Arme.

»Wissen Sie, das können Sie Alles nachher beim Packen abmachen,« sagte
Felix -- »das Boot wartet unten auf uns, aber die Ebbe nicht, und wir
dürfen Könnerns nicht allein fahren lassen. Nicht wahr, Sie helfen
Helenen packen und begleiten sie dann hinunter, liebe, liebe Frau
Rohrland?«

»Ja, von Herzen gern, aber ...«

»Gar kein Aber -- ich schicke Jeremias im Sturmschritt mit dem Karren
herauf, bis dahin sind Sie fertig. Nicht wahr, Sie kommen dann mit ihr
an die Landung?«

»Ja, von Herzen gern -- aber diese Hast ...«

»Erspart eine Masse von Weitläufigkeiten -- lieber Rohrland, auf ein
Wort,« und er faßte den ganz verblüfften Mann unter den Arm und führte
ihn vor die Thür hinaus.

»In wie weit ist meine Braut noch hier in Ihrer Schuld?«

»In _meiner_ Schuld? In gar Nichts. Im Gegentheil, ich habe noch Geld
von _ihr_ in Händen, für den Verkauf ihrer Sachen.«

»Desto besser; das zahlen Sie dann jener armen Frau des Mörders aus, den
wir eingebracht haben; die braucht es nothwendig.«

»Aber ich begreife gar nicht.«

»Ich erzähle Ihnen Alles an Bord.«

»Ja, ich gehe ja gar nicht mit.«

»Das schadet Nichts,« rief Felix, indem er Rohrland umarmte und dann bei
Seite schob -- »also in zehn Minuten ist Jeremias mit dem Karren oben!«
rief er nochmals zur Thür hinein, sprang dann hinaus, sah dort ein
angebundenes Pferd stehen, setzte sich auf und sprengte im Carriere an
die Landung hinunter.

»Nun sagen Sie nur um Gottes willen, wo Sie bleiben, Rottack?« rief ihm
Könnern entgegen -- »wir warten und warten hier.«

»Lieber Freund,« sagte Rottack -- »ach Jeremias, nehmt doch Euern Karren
und lauft was Ihr laufen könnt damit nach Rohrlands hinauf -- es geht
noch ein Passagier mit. -- Lieber Freund, ich habe in der kurzen
Zeit Etwas besorgt, wozu ein Anderer manchmal ein ganzes Lebensalter
gebraucht, und dann _noch_ nicht fertig wird. So recht, Jeremias, das
ist ein Prachtbursche, und nicht mit Gold zu bezahlen.«

»Nehmen Sie sich Zeit,« sagte der Capitän des Dampfers, der mit an der
Landung stand -- »wir haben noch eine volle Stunde übrig und Nichts
versäumt. Ich habe nur ein Wenig geeilt, weil ich schon weiß, daß Damen
doch nicht immer gleich fertig werden.«

»Will Rohrland mit nach Rio? Er hat doch vorher kein Wort davon gesagt
-- und wo ist Günther?« fragte Könnern, als sie eine Weile an der
Landung auf und ab gegangen waren.

»Fort -- in den Wald,« sagte Rottack ernst -- »ich habe Euch noch seine
besten Grüße und Segenswünsche zu bringen.«

»Braver Günther,« sagte Könnern -- »er hat Elisen die letzten Stunden
nicht durch die Erinnerung an das Vergangene verbittern wollen. Apropos,
Rottack, haben Sie Ihren Abschiedsbesuch bei der Frau Gräfin gemacht?«

»Allerdings.«

»Wahrhaftig?«

»Nun, gewiß -- und sogar das Bild ihrer Tochter mitgebracht.«

»Ihrer Tochter?«

»Rohrlands bringen es mit, und ich werde Ihre Frau bitten, daß sie es
mit in ihre Koje nimmt.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Lieber, guter Könnern,« bat aber Rottack, der bis jetzt ungeduldig in
die Stadt hinaufgesehen hatte -- »ich kann Ihnen, bei Gott! jetzt keine
nähere Erklärung geben, aber in zehn Minuten sollen Sie Alles wissen.
Jetzt muß ich nur noch einmal in die Stadt -- daß mir um Gottes willen
Rohrlands das Bild nicht vergessen« -- und von Könnern fort, der ihm
kopfschüttelnd nachsah, sprang er wieder auf das Pferd und jagte damit
den Weg zurück, den er gekommen.

Könnern zerbrach sich den Kopf, was der wunderliche Mensch nur heute
haben könne, denn _so_ hatte er ihn noch nie gesehen, und außerdem
drängte jetzt wirklich ihre Zeit; der Capitän sah auch schon in immer
kürzeren Zwischenpausen nach seiner Uhr -- endlich ließ sich ein kleiner
Trupp von Damen und Herren erkennen, die mit Jeremias an der Spitze
rasch zur Landung herunter kamen.

Könnern und Sarno schritten ihnen entgegen, etwas erstaunt, die junge
Comtesse mit in der Begleitung und an Felix' Arm zu sehen, und grüßten
die Damen.

»Nun, Sie haben sich noch entschlossen, mit nach Rio zu gehen, mein
guter Herr Rohrland?« fragte Sarno.

»Ich? Denke gar nicht daran, aber -- so viel ich weiß ...«

»Gräfin Rottack,« stellte Felix in diesem Augenblick seine wie Purpur
erglühende Braut vor -- »die Zeit genügte freilich nicht mehr, uns noch
trauen zu lassen, aber dazu bietet sich in Rio die Gelegenheit, und
bis dahin, meine beste Frau Könnern, empfehle ich mein liebes Bräutchen
Ihrem mütterlichen Schutz.«

»Jetzt seh' Einer den Duckmäuser an,« rief Könnern lachend aus, »und
nicht ein Wort hat er uns die ganze Zeit gesagt.«

»Ich kann ein Geheimniß wunderbar bewahren,« lachte der junge Graf,
indem er Helene der jungen Frau zuführte -- »aber nun in's Boot. Sie
haben lange genug auf uns gewartet -- hieher, Jeremias -- _das_ zum
Andenken.«

»Hurrjeh, das langt!« sagte der kleine Bursche mit vergnügtem Gesicht.

»Eine recht glückliche Reise!« riefen die am Ufer Stehenden dem Boote
nach, das in den Strom hinaushielt, und Sarno und Rohrlands winkten mit
Tüchern und Hüten.

»Ade! Ade!« tönte der Ruf zurück, und von den raschen Rudern getrieben,
schoß das Boot die glatte Bahn entlang, seinem Ziele entgegen.


_Ende._


Druck von _G. Pätz_ in Naumburg.



Fußnoten

[1] Eine Art Zuckerrohr.

[2] Ein Mißbrauch, der in fast allen deutschen Colonien gegenwärtig
    herrscht.

[3] Authentisch.



      *      *      *      *      *      *



Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Großgeschriebene
Umlaute sind im Original als Ae, Oe und Ue abgedruckt und wurden durch
Ä, Ö und Ü ersetzt. Offensichtliche Fehler wurden korrigiert, bei
Zweifeln der Originaltext beibehalten. Änderungen in der Schreibweise
sind in der nachstehenden Liste ausgewiesen, Änderungen in der
Zeichensetzung nicht.

  Textauszeichnungen wurden folgendermaßen ersetzt:
  Sperrung:      _gesperrter Text_
  Antiquaschrift:    #Antiquatext#


Änderungen

  Seitenangabe
  originaler Text
  geänderter Text

  Seite 23
  ein sehr großes Theebrett mit einer Anzahl Tassen
  ein sehr großes Theebret mit einer Anzahl Tassen

  Seite 37
  ein leichtes, fast spöttisches Lacheln um seine Lippen
  ein leichtes, fast spöttisches Lächeln um seine Lippen

  Seite 46
  als sie den Dienst meiner Mutter verließen
  als Sie den Dienst meiner Mutter verließen

  Seite 87
  Er hielt unwillürklich mitten im Binden
  Er hielt unwillkürlich mitten im Binden

  Seite 227
  hatte bei ihm den Zauber eingebüßt, der sie son verklärte
  hatte bei ihm den Zauber eingebüßt, der sie sonst verklärte

  Seite 247
  mehr als dreihundert Männer im Hemdsärmeln
  mehr als dreihundert Männer in Hemdsärmeln

  Seite 260
  denn ein solche Schaar deutscher Colonisten
  denn eine solche Schaar deutscher Colonisten





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