Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII | HTML | PDF ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Hymnen
Author: Brezina, Otokar
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Hymnen" ***


Ottokar Brezina


Hymnen

1913
Kurt Wolff Verlag · Leipzig


Dies Buch wurde gedruckt
im Oktober 1913 als zwölfter
Band der Bücherei »Der jüngste Tag« bei
Poeschel & Trepte in Leipzig


Berechtigte Übertragung von Otto Pick

Copyright 1913 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig



Die Glücklichen


   Gefährliches Schweigen fiel in unsere Einöden und in die Tiefen der
         Wälder,
   wo die höchsten Wipfel der Bäume von den Wundern des Lichtes
         flüsterten,
   ein langer Aufschrei erbebte -- und es neigte sich Durst zu der
         Quelle des Blutes.

   Zwischen uns und den Sternen ziehen die Wolken der Erde.
   Mit tausend feurigen Augen in unsere Nächte blicken spöttisch die
         Städte
   und in den klingenden Gärten, wohin die Sterne tropften wie Tau,
         entstieg den Düften Begier.
   Jahrhunderte künftiger und vergangener Schuld begegnen sich im
         Wahnsinn der Menge
   und die Hände, die, müde vom Recken zur Höhe und in Gebeten, sich
         senkten,
   schwärmen von glühenden Berührungen und nicht gehorcht uns unser
         reineres Träumen.
   Fahl wurden die lieben Gesichter in unserer Seele, die Worte
         erstickten in schmerzlichem Lachen,
   unsere ätzende Atmosphäre machte die Blüte der Farben und Dinge zu
         Schatten.
   Dampf raucht aus den Wassern, auf denen wir fahren, versteinert
         sind unsere Ruder in ihnen,
   die schmerzlich gekrampften Hände halten sie kaum, so reglos hängt
         ihre Schwere in den Wellen,
   und schwindelnd faßt uns die Suggestion der Tiefen.

   So sprach zu euerer Seele das Dunkel, doch stumm eurem Schmerze
   und eueren Blicken, die die Tiefe verloren, bleibet die Erde:
   weit irrt, vor euch Schwachen, ihr Traum in Jahrtausenden,
   duftend und bebend in den Strahlen des Höchsten.

   O Glückliche, die ihr aus diesen Augenblicken frei und rein euch
         erhobet,
   öffnend die Augen, die vom Sturmwind des Feindes geschloßnen.
   Den Starken ähnlich, als sie am Tage des Todes auszogen, Gebet auf
         den Lippen:
   Flügelschlag höherer Wesen gab ihren Schritten den Rhythmus,
   und ihr magisches Lächeln, der Sonne befahl es:
   Stehe still über unserem Tag und gehe nicht unter,
   bis die Ernte der Saat reift und wir auf der Walstatt anstimmen ein
         Danklied!
   Und die Sonne stand still über ihrem Tag und ging durch
         Jahrhunderte nicht unter,
   denn der Tag der Sieger, der Tausenden Licht gibt, leuchtet auf
         ewig.

   O Glückliche, die ihr aus diesen Augenblicken frei und rein euch
         erhobet
   und durch euer Gebet mit _einem_ Flügelschlag die duftenden Träume
         der Erde erreichtet:
   aus den unsichtbaren Gärten, bepflanzt mit tausenden Toten, die
         eueres Werkes dort harren,
   einatmet ihr tief die stärkenden Düfte.



Gebet für die Feinde


   Deine Macht schuf, daß unsere Röte in die Wangen unserer Feinde
         hinüberfloß,
   als unser Antlitz vor Bangen erblaßte,
   und das Licht in den Blicken der Feinde machtest du klar wie Sterne
         durch unsere Bewölktheit.
   Ihre freudigen Schreie entstiegen unserem Schweigen
   und den Hauch unserer Grabblumen aus ihren Knospen einatmeten sie
         als lieblichen Duft.
   Aber unser Gespenst schlich sich ein in ihr Träumen, knüpfte sich
         fest in ihrer Tanzlieder Kette,
   und unsere stillsten Einsamkeiten waren der Ort unserer Begegnung.

   Deines Geheimnisses schwerer Schatten seit ewig trennt ihre Seelen
         und uns.
   Das mystische Licht, das du den Blicken entzündet, es brach sich
         anders in ihrer Brust
   und der Sommer, in dem ihre Ernte reifte, als Feldbrand durchzog er
         unsere Fluren.
   Aus ihren Stimmen brausen uns Winde, die hundertjährigen Sturm uns
         brachten,
   das Leid vergessenen Weinens und auf den Ruinen verzweifeltes
         Schweigen.
   Ihr Lächeln ist voller Gefahr und Erinnerung an die unbekannten
         Siege der Toten
   und ihrer Stirne Düster ist der Schatten rätselhafter Tode vor
         Jahrhunderten.
   In ihren und unsern Gedanken kämpft der stumme Wirbel der Stimmen
         aus der Tiefe der Seelen,
   Echo der Gedanken der Väter, Vermächtnis der Trauer und Schuld
         erkalteter Blute:
   deines Geheimnisses schwerer Schatten liegt zwischen ihren Seelen
         und uns.

   Allgegenwärtiger! Du in Jahrhunderten unverwandeltes Lächeln!
   Umarmung, umfassend die Unendlichkeit! Singendes Pochen tausender
         Herzen!
   Flammen, entsprühend vor Lust verlöschenden Blicken!

   Du, dessen Liebe wie brennender Schwefel fällt in die Gärten der
         irdischen Liebe!
   Wir beten ein Gebet für die Feinde, die im Dämmern des Lebens uns
         nahen,
   für sie, die außer uns gehn, unbekannt in der Ferne der Erde, des
         Todes,
   und für jene, die an künftigen Morgen erwarten den Morgen unsres
         Geschlechts!

   Deines Geheimnisses schwerer Schatten liegt zwischen ihren Seelen
         und uns.
   Wege zu dir sind unsere Siege und unsichtbare Siege sind in unserer
         Überwindung.
   Dem Zischen der Schwerter mischt sich das Rauschen der Ähren
         geheimnisvollen Reifens. Echo der Hiebe erklingt in der
         Ferne.
   Im geschliffenen Stahl unserer Schwerter und der Schwerter der
         Feinde entzündest du _eine_ Sonne aller Morgen,
   und den Samen von blutenden Händen lässest du aufblühen als Lilien.
   Zahllose Flammen seit ewig verzehren das Dunkel. Auch die Sonne und
         der geheimnisvolle Durst aller Welten,
   doch immer erneut wälzt sich's her aus kosmischen Höhen. Und doch
         wird am Ende Licht sein.
   Und unsere schmerzlichen Schreie, einst werden sie tönen wie
         Bienen,
   nahend den Stöcken mit der Süße des Honigs, den sie errafften auf
         den Fluten der Zeiten.
   Wir kämpfen deinen geheimnisvollen Feldzug.
   Du bestimmtest die Führer der Truppen und machtest ihre Höhe die
         Jahrtausende überblicken,
   die Strahlen ihrer Blicke brachen nicht im Übergang von Mitte zu
         Mitte
   und das Flüstern ihrer Befehle ward zum Donner im Echo der Tiefen.
   Du gabst Kraft unserm Angriff, als die Landschaften des Lichtes von
         unseren Schritten erdröhnten,
   und Kraft den Armen der Feinde, als wir die Siege des Tages
   bei nächtlichen Fackeln entwarfen! --
   Unsere Tage erstehen in Nebeln und bange und bange und bange!
   Unser Ermatten sät Rosen auf die Felder der Feinde! Und es führt
         unser Weg zu den Grenzen der Zeit!
   O Ewiger!
   Im Azur künftiger Jahrhunderte raucht zu dir als ein Bittopfer der
         Schmerz aller Siege
   und das Falten aller Hände, die von Tränen benetzt sind, nach
         mystischer Verzeihung ruft es!
   Mache unsere Hiebe süß und die Zahl der Lebenden größer, nicht
         kleiner!
   Und daß in der Stille unseres Schmerzes in der Seele die mystischen
         Quellen des Lichtes uns rauschen,
   denn der Schmerz und das Licht sind der Vibration deines
         Geheimnisses einzige Formen!
   Mögen im Mittag unseres Kampfes uns klingen die ätherischen Küsse
         der im Tode versöhnten Seelen,
   und die von der ewigen Schuld entzündeten Wangen kühle der Tau
         eines neuen Schattens,
   in dem auch wir die Seelen unserer Feinde dereinst im Grimme der
         Liebe durchdringen,
   die wir leugneten weinend und im rosigen Regen der Küsse der Toten,
   denen du befahlst, zu welken auf den Lippen des Kämpfers!



Die Stadt


   Ich sah eine Stadt im Flor fremden Lichts. Und Sonne
   hing bleich und des Glanzes beraubt über ihr,
   nichts mehr als ein Stern inmitten von Sternen.

   Tausend Türme wuchsen zu den Wolken und eines vor langem zerstörten
   Turmes Schatten erhob sich. Zahllose Massen wälzten sich torwärts
         und hervor aus den Toren,
   Musik zu unbekannten Festen ertönte, es kamen Züge von Büßern,
   Soldaten kehrten vom Kampfplatz, Gefangene schritten in Ketten,
   und den Gräbern entstiegene Schatten irrten inmitten der Menge,
   und in die Stimme der Lebenden mischte sich ihre Stimme und
         herrschte:
   Sie vereinigten Hände von Fremden und ihr Lachen fiel in der
         Liebenden Küsse,
   wo sie durch Umarmungen schritten, sanken die geöffneten Arme,
   und aus ihren im Vorwurf der Schuld unheimlich klaffenden Augen
   brach eine geheimnisvolle Sonne und floß jenes Leuchten,
   das die Stadt und tausend Lebende in sein melancholisches Zittern
         tauchte.
   Und ich irrte allein durch die Menge, der Schlag meines Herzens
   erstarb im Pochen zahlloser toter und lebendiger Herzen
   und die magische Welle aller unserem Tage erloschenen Blicke
   bestrahlte die Seele mir. Und dort traf ich dich:
   deinem Odem entwehte der Duft meiner tiefsten Einsamkeiten,
   der Heimaterde, der ätherischen Blüten im dunkelnden Laubgang,
   erblüht in des Nachthimmels silbernem Regen,
   und deine Stimme bebte von Stimmen, die ich im irrenden Winde
         erlauscht
   bei meines einsamen Feuers Geprassel.



Ich bin wie ein Baum in Blüte . . .


   Ich bin wie ein Baum in Blüte, tönend von Bienen, Insekten: Lachen
         und Ruh;
   Blut: Aufgang der Sonne, Tag badet verjüngt im feurigen Schein;
   in den Korridoren des Lichts habe ich Düfte gebreitet für meiner
         Liebhaber Schuh'
   und in den Schoß der Frauen warf ich das Geheimnis der Nächte
         hinein.

   Doch eifersüchtig, wenn ich nachts, matt von der Lenze Umarmung, im
         Schlummer denk',
   will ich nicht, daß du meine ätherischen Schwestern begehrst, die
         dich locken zum Tanz:
   in Jahrtausenden häuft' ich Schätze, ein Königsgeschenk,
   und jenen, die nichts zu fordern verstehen, geb' ich es ganz.

   Für sie ist die Grausamkeit meiner Liebe,
   Ermattens Grabesnacht,
   meiner Blicke Tiefe, so seltsam
   wie Sternenbilder entfacht,
   Kelch meiner Sekunden, wo der Ewigkeit Licht
   wie Blut sich ergießt,
   und der Küsse Taumel
   böse und süß.

   Bin nicht wie die Schwestern: ewige Nacht
   breitet sich rot hinter meinen Träumen aus,
   mit der Hochzeitsfackel ob der Liebenden Haupt
   anzünd' ich das Haus:
   Mit feuriger Sichel schnitt ich die Blüten, gesät von mir,
   mit Flammen verjag' ich, den ich lockte, der Vögel Zug;
   doch die Seelen, harrend seit Jahrhunderten, kommen aus
         geheimnisvoller Nacht heran,
   in tötlicher Stille auf rauschender Bahn,
   ätherischer Falter funkelnder Flug,
   die Fackeln umkreisend, entzündet von mir
   um der Erde feurigen Bug.

   Sklavin des Ewigen, Fürstin des Wahns, ich kenne der Masse tieferen
         Klang,
   erster Sonne Pracht, Wolke des Tages, der sinkt;
   ein Tränenstrom netzt meine herrlichen Wangen, entfließend der
         Wimper, die in Wollust sank,
   in meinem Weinen spiegelt sich das Kreisen der Sterne, Musik der
         Nacht in ihm sich aufschwingt:
   denn Fluch der geheimen Schuld und die Zeit schluchzt in meinem
         Lachen bang
   und in meinem, vom Lachen des Lichtes tränenden Weinen
   Hoffnung der Wiederkehr klingt.



Motiv aus Beethoven


   Das war kein leiser Hauch aus ewigfernen Jahren,
   vor meiner Seele Fenstern stieg zu mir
   Klang deiner Töne: Komm, im wunderbaren
   Goldregen unserer Sterne baden wir.

   Duft in den Gärten schläft und Himmelsblau in Teichen,
   künftiges Morgenrot schloß sich in Blüten und
   die Lieder schlafen warm in Nestern; fern entweichen
   siehst du den Farbenschaum, grau sinkend auf den Grund.

   Dunstschleier wird sich wie ein Vorhang breiten,
   silbern mit Licht verwebt, wie aus Asbest,
   während in schwarzen Waldeseinsamkeiten
   das Leid sich matt zu Boden gleiten läßt.

   Das Dunkel der Gewölbe will die Sternenlüster überbauschen,
   kosmischer Samenstaub, und still wie ein Gewicht
   sinkt Dunkel auf den Raum, wo fern die Ruder rauschen
   entglittner Zeit. O sage, fühlst du nicht,

   wie sich der Atem engt, betäubt von Nacht und Düften?
   Und vieler Träume Flug sich in der Runde hebt
   und lachender Jasmin und Rosenhauch in Lüften
   in seiner Schwingen Wehn aus seiner Hülle bebt?

   Wie dir Erinnerung auflodert in der Seele,
   verhaltener Kräfte Quell dir an die Schläfen schlägt,
   der Küsse Heftigkeit verbrennt dir Mund und Kehle,
   und toten Glanzes sich dein Blut in Adern regt?

   Daß die Pupille dir ein innerer Brand entzündet,
   den Schatten, deiner Schritte Kette, nahm und brach,
   und daß meine Hypnose in der Seele Kammern bindet
   dein Leid an des Gedankens Lager, wo es nie erwacht.

   Und fühlst du, wie Sein Hauch dem Tau der Sternenwiesen
   milchstraßenwärts hinwehend sich vereint,
   und Sehnsucht nach dem Tod, wie wundersüßes Fließen,
   und sieghaft Lust und der Begierden schwarzer Wein,

   und zweier nackten Arme gieriges Beginnen,
   auf Alabasterbrüsten, weich zur Ruh,
   in dein erregt berauschtes Wesen rinnen,
   als schlössen sich die matten Sinne zu?

   Kristall der Lampe füllt' ich mit dem Öle meiner Töne,
   ich wölbte deine Gruft aus strahlendem Gestein.
   O komm und auf der Zauberblumen Kissen lehne
   in Falten matten Dufts dein müdes Haupt hinein.

   Hörst meine Glocken du? Komm: ehe dir im kühlen
   Erwachen sich das Leid aus deiner Seele schwingt,
   sollst auf den Lippen du mein süßes Grablied fühlen,
   und spüren wie sein Kuß dein Leben aus dir trinkt.

   Und bis dir lohen wird der ewigen Tage Schimmer
   (Regen von Feuerrosen), wird dir sein,
   als wärst bei offenem Fenster du im Zimmer
   und Morgenlieder still wehten zu dir herein.



Die Natur


   Es tönten melodisch die verborgenen Quellen und mein Tag sang sein
         Lied zu dieser Musik
   an den melancholischen Gestaden.
   Die Trauer einstigen Lebens, aus dem ich hervorging, entstieg allen
         Düften
   und dem Flüstern der Bäume und dem schweren Geläut der Insekten
         über den Wassern,
   und ganze Jahrhunderte lagen zwischen ihnen und meiner
         blumenpflückenden Hand,
   zwischen meinen Augen und der Welt voll Geheimnis,
   die mit tausend fragenden Blicken stumm meine Seele durchforschte.

   Gewölk verdunkelte die westliche Sonne. Und meine Seele befragte
         die Winde:
   Sind dieses nahende oder fliehende Wolken?
   Verstummten die Winde, zu gehorsamen Spiegeln glätteten sich die
         Wasser,
   und die Sterne, wie Brände in den kalten Wogen strahlender Meere
         verlöschend,
   erbrausten und rauschten über mir, unsichtbar:
   Es schwindet das Licht nur beim Nahen größeren Lichtes,
   eines noch größeren, größeren Lichtes.



Wo schon vernahm ich? . . .


   Du erschlossest die Fenster der Nacht, o Erschließender! Da weht'
         es herein voll Geheimnis
   und riß die Flügel meines stärksten Gedankens mir aus dem Bereich
         meiner Blicke.
   Im Taumel, als würde das ewige Kreisen der Erde in den Wolken der
         Welten
   in der Seele bewußt mir, kam Gefühl des anderen Daseins in mich.

   Von Erde zu Erde, von Sonne zu Sonne fiel Stille herab mit
         schwereren Schlägen
   und neue Stille als Echo entstieg meinen Tiefen, andere Stille als
         die Stille der Erde:
   Sie brauste vom Atemzug Tausender, von hundertjährigen Küssen, vom
         schwindligen Schweigen längst nicht mehr pochender Herzen,
   vom Flug aller toten und künftigen Flügel, von den ewigen
         Symphonien der Strahlen,
   vom melancholischen Läuten der Regen, die, fruchtbar, in
         hundertjähriges Reifen sich stürzen,
   vom Aufschrei in Träumen, die das Morgenlicht fürchten, und von der
         Düfte mystischem Flüstern.
   Sie bebte vom Sturme einstiger Meere in der künftigen Blitze
         Riesenorchester,
   die letzten Kadenzen verklungener Lieder verschmolz sie dem Anfang
         unbeendeter Lieder.
   Stumme Fragen von nimmermehr fragenden Lippen!
   In den Ekstasen des Todes voll Durst in die Ferne geheftete Blicke!
   Dumpfe Stille geheimer Suggestion von Leidenschaften, die
         schmerzlich reisen zu künftigem Aufblühn,
   die Völker führend durch die Mittnacht der Zeiten, in dem blutigen
         Abglanz der nördlichen Lichter:
   Worte gekuppelt aus dem Flackern der Lichter, die fahl in den
         irdischen Gedanken verlöschen,
   und innere Stimmen, die in den Tiefen der Seelen, ungehört, den
         Jubel der Seelen aller Welten und eines neuen Lenzes Lächeln
         erwidern!
   Rausch aller künftigen Träume, die mit flammenden Regenbogen
   als neue Sonnen am Himmel deines unsterblichen Hauches erblühen!
   Ewiger Wirbel der stummen Blitze, in dem deines heiligen Willens
         Gebote
   fliegen vom Geheimnis der unsichtbaren Welt hinüber ins Reich der
         ersterbenden Farben.

   O Ewiger! Jetzt, da machtlos, von Liebe geschwächt die Hände mir
         sanken,
   erschaut' ich mein Leben, von unbekanntem Lichte verwandelt:
   das blasse Flimmern der Farben, von meiner Fenster eisigen Blumen
         aufspritzend,
   zerschmolz, von deinem feurigen Hauche verwaschen und in der Pracht
         deiner Gärten tobt' ich mit Blicken.
   Und doch, o mein Vater! wo schon vernahm ich die Stimme deiner
         Stille, die mich so bekannt dünkt?
   Wo schon gewahrt' ich die Pracht deiner Länder, daß ich ihrer Düfte
         Geschmack wohl erkenne?
   Und den Glanz deines Blicks, der meine Seele in Schlummer versenkte
         und sie erweckte zu diesem Träumen?
   Auf meinen Lippen brennt die Süße deiner Trauben und die Küsse
         verbrüderter Seelen.
   Die Feier deiner Glocken fällt in meine Träume und läßt mich
         träumen von der Musik
   und die Morgenzeichen deiner Boten, mir im Traume begegnen sie der
         Ahnung des Todes.
   Dein süßes Erinnern blieb mir in der Seele, wie duftiges Dunkel
         nach löschendem Lichte,
   durchströmt meine Blutwärme, als hielte geliebt eine Hand, nächtens
         im Schlummer, gefaßt meine Hände
   und ließe im langen innigen Drucke mich träumen von Liebe.
   Deines mystischen Mondes Mitternacht reizt meinen Sang, im Traume
         sich durch Gefahren zu tummeln,
   und wie aus nächtlich leuchtenden Steinen atmet mir Schönheit aus
         deiner täglichen Lichter Geheimnis,
   und vor Liebe verstummt spricht meine Seele mit ihrer Stimme von
         einstmals.

   -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

   Die ewige Nacht entschlief in den reifenden Feldern. Von oben
         erglänzten vertraut mir die Sterne.
   Vom Morgen anhuben zu flüstern die Düfte, die Stimme der Stille
         tönte bekannt,
   von der Sonne träumten die Apfelbäume, von der reinen Begegnung der
         Seelen die Knospen der Rosen,
   meine Seele, glücklich und bang, von der Heimat.



Erde?


   Es breitet Welt um Welt sich aus,
   ein Stern am andern, bricht Mitternacht herein,
   und einer darunter umkreist eine weiße Sonne,
   und seinen Flug hüllt Musik geheimnisvoller Freude ein,
   und die Seelen jener, die am meisten litten,
   in ihn gehen sie ein.

   Hundert Brüder sagten: Wir kennen sein Geheimnis,
   in ihm stehn Tote vom Traum auf, Lebende schwinden im Traume dahin;
   die Liebenden sagten: Die Blicke erblinden vor übermächtigem Glanze
   und wie Duft fremder Blumen tötet die Zeit jeden darin;
   und sie, die durch die Jahrtausende sahen,
   fragen: Erde? mit heiterem Sinn.



Mit dem Tode reden die Schläfer . . .


   Siehe, die Stunde, in der die Schwerkranken noch schlimmer sich
         fühlen
   und die Liebe Allwissenheit erlangt.
   Über alle Meere und Festländer fliegen tausend Stimmen herüber,
   mit welchen, wie mit Psalmen eines einzigen Chores, die Brüder den
         Brüdern entgegnen.

   -- Der Westen verglühte, mit dem Tode reden die Schläfer und unsere
         Städte
   sind still schon. Die Erde: ein verlorener Strand im Meer der
         Unendlichkeit,
   darüber der kalte Azur, Baldachin einer offenen Basaltgrotte,
   die ausgebrannt ist. Es klagt in ihr nur die Stimme deiner Meere
   und ihre schäumenden Wellen schlagen her durch die tragische Stille
   und funkeln höhnisch durchs Dunkel im Glanze herrlichen Goldes,
   geschwemmt von den Inseln zahlloser entfernter Welten,
   unerreichbarer. Und wir deine Gefangenen hier!
   Im Sturm, der sich wälzt und unter gefallenen Sonnen hoch
         aufspritzt,
   das Rauschen des Schilfs über blutigen Nestern . . .
   Niemand totärmer als wir hat je sich der Zeiten Geheimnis genähert:
   denn auch der Schmerz reift in Jahrhunderten zur Vollkommenheit
   und sein Obst, voll mystischer Kerne, wird bitter durch vielerlei
         Sonnen.
   Nichts, was sie ihren Kindern verhieß, hat uns die Erde gegeben:
   zu sehr hat ein Unsichtbarer die Wage unserer Schicksale belastet
   und die Last unserer Tränen schuf nicht das Gleichgewicht.
   Inmitten des Reichtums des Lebens, zum Stillen der Dürste
   war das strahlende Weiß unserer Beute wie Wolkenphantome,
   die täuschend des Wassers Spiegeltiefen durchziehen.
   Und es verfingen die Netze, gesponnen zur Jagd im Unendlichen, am
         Grund sich
   im Aufgeschwemmten von tausenden Jahren.

   Unsere süßesten Tage glichen dem drückenden Traum der Glücklichen
         anderer Welten,
   aus dem sie blaß und mit Zittern erwachen
   und Jahre hindurch sich seiner erinnern . . .

   Jahrtausende lang harrten wir in deines Geheimnisses Dunkel,
   von der Anmut des ewigen Rhythmus in den Schlummer der Ungebornen
         gewiegt:
   Wie kam's, daß das Licht dieser Erde bis in die Tiefe der ewigen
         Nacht drang,
   die Augen uns öffnend für Tränen und Sonne?

   Ah, Jahrtausende noch zu schlafen! Mögen die Welten nur
   kreisen um feurige Abgründe und gereifte Körner aus den Ähren der
         Konstellationen fallen
   in deines Äthers schwarzen Grund, in deines Schoßes Gefälte,
   des durch die Unendlichkeit sich breitenden!

   Und heischt unser Leiden eine geheime Gerechtigkeit,
   was spricht sie nicht deutlich zu unseren Seelen? Wer wanderte vor
         uns einst
   und schnitt Zeichen in die Rinden der Bäume deines Urwalds hinein,
   die wir nicht verstehen? Und deckte Wolfsgruben mit blühenden
         Zweigen?
   Warum tönen der Propheten Worte wie Halluzinationen
   an unser Gehör? Und funkeln uns Bangen im Walddickicht nachts
   gleicherweis Sterne und Augen von Phosphor? Krank allzusehr fühlen
         wir Krankheit
   in der Gesichter extatischer Umwandlung, in der Heiligen
         strahlender Blässe
   und in von Helle überströmenden Worten. Und für unseren Tod ward
         die Wahrheit zur Krankheit.
   So gehen wir, traurig, und das Weib, uns Genossin, mit heimlichen
         Blicken
   spricht sie umsonst uns von der Unsterblichkeit. Umsonst in ihr
         Lächeln
   wie in einen Schleier himmlischer Lichter hüllt sie des Leibes
         jungfräuliche Weiße.
   Vergebens, die Gütige, verheißt sie Vergessen . . .
   Die tausendjährige Nacht hat unserm Blicken die brüderliche
         Reinheit geraubt
   und sich gewölbt zwischen dem Tage des Manns und des Weibes:
   nach jedem Kusse breitet sie ins Unendliche ihre täuschende Stille
   und ihre Sternstrahlen sind Blitze, durch welche
   die Erhabensten sterben. Es begegnen sich nie die Tage unserer
         Seelen.
   Die Sonne, die wir gleich hoch über uns sehen,
   ist an Zeit verschieden für sie und für uns.
   Aus Rosengärten klagt der Sklavinnen Weinen
   und im barbarischen Aufschrei der Kraft ist die Schwesterseele
         verstummt,
   leise singend. Unser Umarmen ward wie ein Zeichen ins Dunkel,
   rufend den Schmerz. Des Glücks für ewig verlorenes Eden
   verschlossen liegt es zwischen uns da. Nur der reinste, zum Äther
         aufsteigende Traum
   vermag von oben in seine strahlenden Gärten zu blicken,
   wo zweckloser Duft zu den sieben Himmeln emporraucht.
   Und unsere schweifende Freude sucht vergebens die Schwestern.
   Noch donnerte nicht in alle Zeiten der mystische Kuß der Versöhnung
   wie ein Erdbeben, darin die Erde zerbirst
   und neu sich in Apotheosen erhebt.

   Doch bis jetzt, rätselvoll wallt sie in verborgenem Feuer
   unter Orangenhainen. Die gigantischen Formen einstigen Lebens
   hat sie in steinerner Presse gepackt und sie wartet.

   Und des Körpers letztes Geheimnis ist der Schmerz, des Kosmos
         Gewicht, von der Seele erfühlt.
   Er wälzt sich durch alle Blutquellen, durch tausend tötliche Düfte.
   Er treibt alle Mühlen des Lebens und zart wie der Äther
   auch die Windmühlen des Traums auf den höchsten Gipfeln.

   Es zittern Schattenhände auf den Tasten, leicht wie schwarze
         Falter,
   jeder unserer Atemzüge füllt das geheimnisvolle Instrument mit
         Luft;
   Akkorde wirbeln im Wahnsinn, hundert Seelen klagen in den
         Resonnanzen,
   Tag und Nacht wie Seiten eines Blattes wechseln im Buche mystischer
         Komposition . . .
   Was bedeutet das Flüstern der Küsse in dieser tragischen Musik,
         welche donnert
   aus der Stille unzähliger Empfängnisse im Mutterleib in die Stille
         der feuchten Erde,
   ewig erneut und doch voll tausendjähriger Reminiszenzen?
   Im Stöhnen der Winde, Wälder, Gewässer steigt sie zum Himmel,
   der Erde Geschenk in der Welten Symphonie,
   Lärm der Kämpfe mit unsichtbaren Feinden,
   tausendfältig verklingender Schrei, der in entschwundenen Zeiten
   im Beben der Schuld sich erhob . . .
   Sieh, die Augen, jahrhundertelang vergebens ersehnend den
         Schlummer,
   kaum geschlossen öffnen sich wieder bei ihrem klagenden Echo,
   und den Tiefen unserer Tage und Nächte entlodern wie Phosphor
   die Noten der höchsten Töne!

   -- Alles ist voll Durst. Und es suchen uns ständig die trockenen
         Lippen im Dunkel
   und schlürfen gierig von unserem Blute. Und unserm Ermatten
   lächeln die Lenze mit um so feurigern Blüten. Bitter ist die Arbeit
         im Geheimnis der Erde
   wie die Arbeit von Sklaven im Bergwerk. Und das Licht unserer
         Flammen
   reizt im dröhnenden Hauche der Tiefen die im Dunkeln webenden
         Kräfte.
   Die Garben unserer Ernten wurden feucht in den Stürmen, wurden
         schwer und verwuchsen;
   wie heben wir sie auf, sie den Brüdern zu reichen, wenn unsere
         Hände
   zerfetzt von der Mühe hundertjährigen Ackerns erzittern?

   -- Sieh, die Seelen Tausender erschlossen sich endlich und hinter
         all ihrer Bläue
   liegt ein Abgrund. Wir wissen, Fluch fiel auf Alles. Die Vögel der
         Höhe
   und was kreucht auf der Erde beben vor den Stärkeren.
         Hundertjährigen Krieg
   führen die Völker der Insekten. Auch in der reinsten Welt der
         Pflanzen
   herrscht Kampf und Verwelken, drin die duftige mondhafte Zartheit
   erliegt dem Anprall barbarischer Stärke. In des Kampfes Getümmel
   brodelt das Leben voll Glut und auf seinem Dampfe
   schaukelt unsre Hoffnung: wir leben vom Schmerze unzähliger Wesen.
   Unser Blut, scheint es, entströmt einer geheimnisvollen Wunde des
         Alls
   und ist geflossen in unseren Körper und wirbelt darin mit
         krampfhaftem Pulse.
   Umsonst lassen wir unsere Lichter im Gewitter in die Nacht lohn:
         mit dem Kreuze der Blitze
   zerteilt sie die Wahrheit. Aufgelöste Massen unserer vom Leben
         verwirrten Brüder
   wälzen sich über alle Wege unseres Gedankens von einem Zeitalter
         ins andere.
   Und ähnlich den Wahnsinnigen, die auf ihre Phantome starren
   in der Lust des Vergessens,
   träumen von neuen Schreien der Wonne wir in Betten,
   die unter Sterbenden erkaltet sind.

   -- Und der Westen, der in fernen Jahrhunderten sich wölbte wie die
         Pforte der ewigen Stadt,
   aus der die Engel über des Todes schwarze Abgründe strahlende
         Fallbrücken herablassen
   und wo aus Tiefen weißen Lichtes das Hosianna der seligen Geister
         ertönt,
   das Firmament über dem Schmerze der Erde gewölbt aus der reglosen
         Ewigkeit des Glückes,
   hat durch Fluch sich verwandelt:
   ein Blutwirbel ist die versinkende Sonne,
   bis zum Zenith spritzt sie ihren erkaltenden Schaum nach den
         Sternen
   und es naht ihr in immer kleineren Kreisen unser erstarrtes Leben,
   um in ihrer Tiefe ins Dunkel zu tauchen.
   In die flammende Gehenna sahen unsere Augen und erblindeten vor
         Glut:
   Spiegel, gestürzt in die schwellende Esse, und zerflossen in
         gläserne Tränen.
   Gespenstiges Lachen kam aus dem Dunkel und unser Gehör wurde zu
         Stein:
   wie in einem verkalkten Schneckenhaus hören wir gleichartig brausen
   des Meeres tückische Wellen und der Engelsschwingen rhythmischen
         Schlag. --
   Stille . . . Wie über toten Körpern
   knieten über uns in Gebeten die Seelen,
   es steht in den Blicken:

   Die Zeit durchflog die Höhen, im Sturm des Ruhms und des Todes, mit
         dem mystischen Gespann der Sterne
   über die Kreuzwege der Unendlichkeit, der Triumphwagen des
         Höchsten,
   vom leuchtenden Sturmwind der Sieger geleitet.
   Wohin fliegt diese Fahrt, donnernd durch die Harmonien,
   in der sich die Schreie von Millionen seufzender Seelen verlieren,
   wie stiller fruchtbarer Regenfall in der Musik, die den Sieger
         begrüßet,
   und die Zyklone des Schreckens und Todes, das Weltall erschütternd,
   dem Wind gleichen, der der Festglocken Einladung
   mit _einem_ Hauch von tausend Türmen verbreitet?
   Wohin fliegt diese Fahrt? Wo hält sie einst inne?
   Die Räder wirbelten,
   wie Sonnen strahlten die geheimnisvollen Achsen in weißen Flammen,
   Wolken von Funken bedeckten die Inseln der Seelen und vom Korn des
         heiligen Feuers stammten die
   Schläfer.
   Es erstanden leuchtende Heere von Äonen zu Äonen wie ein Lied,
   das der Erste auffing aus dem göttlichen Worte
   und in die Scharen hineinsang
   und welches anschwillt von Lippe zu Lippe,
   bis es alle erfaßt hat,
   Millionen Seelen,
   in einem einzigen flammenden Rhythmus!



Die Propheten


   In die Städte, deren Türme und Paläste einmal ein Erdbeben
   zerrütteln wird, bis die seltsam gestalteten Wolken
   aufstöhnen vor Zorn, von den Blitzen der eigenen Tiefen verwundet,
   und das Feuer, das in tausend verborgenen Höhlen vom Ruhme geträumt
         hat,
   sich rührt, zu rächen den ewig Eingekerkerten,
   und mit all seinen Stimmen aufschreit deinen Namen,
   und die Sonne ihr Antlitz, wie's den Zeiten vertraut war,
         verändert:
   kommen sie, unbemerkt, deine Gesandten,
   die deines Königreichs Eroberer sind.

   Umringt von Musik und tanzenden Mädchen und Liedern
   lauschen sie deinem heiligen Odem,
   der den Sterblichen auslöscht die Lichter, doch die Brände der
         Welten
   zu Weißglut entfachet;
   in welchem die Blumen regungslos bleiben, wenn er dahinbraust in
         ihren Tiefen,
   aber der uralte Felsen zerschmettert wie Brocken duftenden Brotes,
   für die zarten Lippen des harrenden Lebens.
   Ihre Stimme, vom Sturmwind der Zeiten entbunden, weht ihnen nach,
   süß wie der Duft hinter Einem mit Rosen, bitter wie Fackelrauch;
   und die eigenen heimlichsten Gedanken, von Allwissenheit
         erschreckt,
   hören sie über sich mit den Sternen hoch singen,
   unter sich schweigen mit Feuer und Geheimnis in den Tiefen der
         Erde,
   der Lichter und Nächte wechselnder Chor!

   Sie reden von dir und von deinem Ruhme,
   vom Fluch, der auf der Seelen Bruderschaft liegt
   und die Sprache der Bauenden gespaltet hat; und es irrt ihre Liebe
   über den Ländern von Jahrhundert zu Jahrhundert
   wie der Sommer aus Siedlungen, wohin Sonne ewig steil fällt.
   Neues Obst gedeiht auf den Bäumen der Erde,
   Ableger aus ihren geheimnisvollen Gärten;
   doch ihre Hoffnungen, fähig so hoher Flüge und Lieder,
   baun ihre Nester ganz tief nah der Erde
   wie Nachtigallen!

   Und nahet die ihnen bestimmte Stunde, dann verdunkelt
   die Sonne ihnen die tote Welt; und wie aus des Liebenden Herzen die
         Wunde sich gießet,
   verwandelt das Licht sich ihnen in Blut; und vor ihrem Blicke
   breitet es Landschaften künftiger Zeiten,
   strahlend in neuen Konstellationen.
   Dein Hauch treibt Millionen vor ihnen her wie Wellen
   des ewigen Meers, das in breiten Buchten die Erde umspület
   und durch Jahrtausende ihr Festland verwandelt.
   Durch den Schnee, mit dem der Zeiten Geheimnis die von dir gesäete
         Wintersaat decket,
   barfuß, wie Vertriebene, gehn sie einher und ihrer Gedanken
         zahllose Schar
   blutet in tausenden Fußstapfen
   bei jeglichem Schritte!
   Stürmen werden sie über die brennenden Städte künftiger Zeiten,
   wie auf feurigem Teppich, gedeckt auf den Stufen
   deiner heiligen Hoheit! Und ihr jeder Gedanke,
   der sich in Mitleid wendet zurück,
   wird im Erkennen zu Steine erstarren! --

   Und immer neue hundertjährige Wolken erdonnern vor ihnen:
   Blitze, totfahl bestreichend das Antlitz der Schnitter!
   Schwerer Zusammenprall kühner Schiffe im Nebel!
   Heulen der Menge auf düsteren Bauten,
   von Blute starrend ihr schwarzes Gerüste,
   Hinrichtungsstätten!
   O Lieder der Leidenschaft, entsteigend den Flammen!
   Blicke künftig Leidender, Magie ihrer Berührung!
   Küsse, neue Ewigkeit Lichts und der Trauer erschließend!
   Wahnsinn _einer_ Seele, auf deren lodernden Wogen
   die Erde schaukelt! Leidende Zeiten, Jahrhunderte schwindend,
   unsterbliche,
   tragend die Schwere jedwedes Sternbilds,
   erkennend den eigenen Ruhm!

   Und wenn sie endlich in festlicher Stille
   die Spitzen der Flotten künftiger Geschicke,
   welche aussegelten, als entstand diese Welt,
   herannahen sehen von trübfernen Küsten,
   die Ruder verdeckt noch von der Höhlung der Fläche:

   Da schreit ihre Freude stark auf und von Gluten
   und Ungeduld voll! Und sie, die die Wollust noch nicht erkannten,
   erwachen zur Wollust aus dem was sie sehen,
   und Schmerz, einzig wert ihrer Kraft, verschließt ihre Seelen:
   der Schmerz der saumseligen Zeit.
   Zu langsam kreist ihnen die Erde, zu langsam kommen die Morgen,
   und allzu lang weilen die Mittage in den Schatten der Bäume,
   unter den Schnittern.
   Sie wünschen sich durch die Jahrtausende mit des Windes Schnelle zu
         fliegen,
   tausend Herzen zu haben, um mit ihrem Blut ihre Ekstasen zu stillen
   und mit einer Röte wie der Aufgang der Sonne
   und mit Polarlicht und dem Brande der Welten
   das Antlitz ihrer Liebe!
   Alle Seelen mit Wein aufzuheitern, der ihnen so festlichen
   Schmerz bot und Räusche
   und der aus einer verborgenen Quelle emporschießt,
   durchduftend das Weltall aus der glücklichen Erde,
   nur ihren Kindern noch für Jahrhunderte
   vergebens!



ARKADIA

EIN JAHRBUCH FÜR DICHTKUNST

HERAUSGEGEBEN VON MAX BROD

BUCHAUSSTATTUNG VON E. R. WEISS

Geheftet M 4.50 · Gebunden M 6.--

INHALT:

DRAMATISCHES: _Robert Walser_, Tobold / _Franz Werfel_, Das Opfer / _Franz
Blei_, Der Mäcen. EPISCHES: _Franz Kafka_, Das Urteil / _Otto Stoessl_, Aus
der Villa Obweger / _Moritz Heimann_, Ein Begräbnis im November / _Max
Mell_, Jugendgeschichte Zeno Balderonis von Jeruditz / _Oskar Baum_, Der
Antrag / _Willy Speier_, Christus in den Weizenfeldern / _Martin Beradt_,
Der Neurastheniker / _Max Brod_, Notwehr / _Alfred Wolfenstein_, Dika /
_Hans Janowitz_, Ein Ausbruch / _Hans Janowitz_, Szene der Erfüllung /
_Kurt Tucholsky_, Kindertheater / _Heinrich Eduard Jacob_, Fremder Schläfer
im Kupee / _Robert Walser_, Zwei Aufsätze: Rinaldini -- Lenau. LYRISCHES:
_Franz Blei_, Liebeslied des Sardinischen Seeräubers / _Robert Walser_,
Handharfe am Tage / _Max Brod_, Vier Gedichte / _Heinrich Lautensack_,
Beichte / _Otto Pick_, Gedichte / Franz Janowitz, Gedichte.

KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG

GEORG HEYM

_DER EWIGE TAG_

Zweite Auflage

Geheftet M 3.-- · Halbpergamentband M 4.--

_Herbert Eulenberg in der B. Z. am Mittag:_ Es ist der bedeutendste unter
den wenigen von unsern jungen Lyrikern, die überhaupt heute in Frage
kommen. -- Er hat die empfindlichsten Nerven und Sinne, die ein Dichter
haben muß.

_Frankfurter Zeitung:_ Welch ein Anschauen, welche Leidenschaft bildlicher
Gestaltung! Ewige Helligkeit, unbarmherziges Licht breitet er über jede
Erscheinung der Wirklichkeit u. der Träume, über Leben u. Sterben,
Schrecken und Beruhigung. Georg Heym war ein Dichter. Es gibt in der
deutschen Lyrik keinen, dem er irgendwie geglichen hätte.

_UMBRA VITAE_

_GEDICHTE AUS DEM NACHLASS_

Zweite Auflage

Geheftet M 3.-- · Halbpergamentband M 4.--

_Dr. Rudolf Fürst in der Vossischen Zeitung:_ Bei all dem ganz Besonderen,
dem schier Unerhörten, das er in den feinsten Gefühl- und
Vorstellungsnüancen ausdrücken will, zeigt der rasch Gereifte eine
ungewöhnliche Beherrschtheit der Ausdrucksmittel. Wir haben viel in Georg
Heym, dem Fünfundzwanzigjährigen, verloren. Artifex periit.

_DER DIEB_

_EIN NOVELLENBUCH_

Geheftet M 3.-- · Gebunden M 4.--

_Leipziger Tageblatt:_ . . . Novellen, in denen auf engstem Raume alle Qual
der Menschheit von der kindlichen Verzweiflung erster Enttäuschung bis zu
Hunger, Entartung, Wahnsinn, Krankheit und Tod mit einer unheimlichen
Klarheit und Kraft zu einer fürchterlichen Anklage zusammengepreßt
erscheint.

KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Hymnen" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home