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Title: Jenseits der Schriftkultur — Band 4
Author: Nadin, Mihai, 1938-
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Jenseits der Schriftkultur — Band 4" ***


Jenseits der Schriftkultur
(C)1999  by Mihai Nadin



Das Zeitalter des Augenblicks

Aus dem Englischen von Norbert Greiner



Inhalt

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE
EINLEITUNG: SCHRIFTKULTUR IN EINER SICH WANDELNDEN WELT
Alternativen



Jenseits der Schriftkultur


BUCH I.

KAPITEL 1: DIE KLUFT ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN

Kontrastfiguren
Taste wählen--drücken
Das Leben ist schneller geworden
Aufgeladene Schriftkultur
Der Mensch entwirft, der Mensch verwirft.
Jenseits der Schriftkultur
Ein bewegliches Ziel
Der weise Fuchs
"Und zwischen uns der Abgrund"
Wiedersehen mit Malthus
In den Fesseln der Schriftkultur

KAPITEL 2: DIE USA--SINNBILD FÜR DIE KULTUR DER SCHRIFTLOSIGKEIT

Dem Handel zuliebe
"Das Beste von dem, was nützlich ist und schön"
Das Rückspiegelsyndrom


BUCH II.

KAPITEL 1: VON DEN ZEICHEN ZUR SPRACHE

Wiedersehen mit semeion
Erste Zeichenspuren
Skala und Schwelle
Zeichen und Werkzeuge

KAPITEL 2: VON DER MÜNDLICHKEIT ZUR SCHRIFTLICHKEIT

Individuelles und kollektives Gedächtnis
Kulturelles Gedächtnis
Existenzrahmen
Entfremdung von der Unmittelbarkeit

KAPITEL 3: MÜNDLICHKEIT UND SCHRIFT IN UNSERER ZEIT: WAS VERSTEHEN
WIR, WENN WIR SPRACHE VERSTEHEN?

Bestätigung als Feedback
Mündlichkeit und die Anfänge der Schrift
Annahmen
Wie wichtig ist Literalität?
Was ist Verstehen?
Worte über Bilder

KAPITEL 4: DIE FUNKTIONSWEISE DER SPRACHE

Ausdruck, Kommunikation, Bedeutung
Die Gedankenmaschine
Schrift und der Ausdruck von Gedanken
Zukunft und Vergangenheit
Wissen und Verstehen
Eindeutig, zweideutig, mehrdeutig
Die Visualisierung von Gedanken
Buchstabenkulturen und Aphasie

KAPITEL 5: SPRACHE UND LOGIK

Logiken hinter der Logik
Die Pluralität intellektueller Strukturen
Die Logik von Handlungen
Sampling
Memetischer Optimismus


BUCH III.

KAPITEL 1: SCHRIFTKULTUR, SPRACHE UND MARKT

Vorbemerkungen
Products "R" Us
Die Sprache des Marktes
Die Sprache der Produkte
Handel und Schriftkultur
Wessen Markt?  Wessen Freiheit?
Neue Märkte, Neue Sprachen
Alphabetismus und das Transiente
Markt, Werbung, Schriftlichkeit

KAPITEL 2: SPRACHE UND ARBEITSWELT

Innerhalb und außerhalb der Welt
Wir sind, was wir tun
Maschine und Schriftkultur
Der Wegwerfmensch
Die Skala der Arbeit und die Skala der Sprache
Angeborene Heuristik
Alternativen
Vermittlung der Vermittlung

KAPITEL 3: SCHRIFTKULTUR, BILDUNG UND AUSBILDUNG

Das Höchste und das Beste
Das Ideal und das Leben
Relevanz
Tempel des Wissens
Kohärenz und Verbindung
Viele Fragen
Eine Kompromißformel
Kindheit
Welche Alternativen?


BUCH IV.

KAPITEL 1: SPRACHE UND BILD

Wie viele Worte in einem Blick?
Das mechanische und das elektronische Auge
Wer hat Angst vor der Lokomotive?
Hier und dort gleichzeitig
Visualisierung

KAPITEL 2: DER PROFESSIONELLE SIEGER

Sport und Selbstkonstituierung
Sprache und körperliche Leistung
Der ‘illiterate’ Athlet
Ideeller und profaner Gewinn

KAPITEL 3: WISSENSCHAFT UND PHILOSOPHIE - MEHR FRAGEN ALS ANTWORTEN

Rationalität, Vernunft und die Skala der Dinge
Die verlorene Balance
Gedanken über das Denken
Quo vadis, Wissenschaft?
Raum und Zeit: befreite Geiseln
Kohärenz und Diversität
Computationale Wissenschaft
Wie wir uns selbst wegerklären
Die Effizienz der Wissenschaft
Die Erforschung des Virtuellen
Die Sprache der Weisheit
In wissenschaftlichem Gewand
Wer braucht Philosophie und wozu?

KAPITEL 4: EIN GESPÜR FÜR DESIGN

Die Zukunft zeichnen
Die Emanzipation
Konvergenz und Divergenz
Der neue Designer
Virtuelles Design

KAPITEL 5: POLITIK: SO VIEL ANFANG WAR NOCH NIE

Die Permissivität der kommerziellen Demokratie
Wie ist es dazu gekommen?
Politische Sprachen
Kann Schriftlichkeit zum Scheitern der Politik führen?
Die Krabben haben pfeifen gelernt
Von Stammeshäuptlingen, Königen und Präsidenten
Rhetorik und Politik
Die Justiz beurteilen
Das programmierte Parlament
Eine Schlacht, die wir gewinnen müssen

KAPITEL 6: GEHORSAM IST ALLES

Der erste Krieg jenseits der Schriftkultur
Krieg als praktische Erfahrung
Das Militär als Institution
Vom schriftgebundenen zum schriftlosen Krieg
Der Nintendo-Krieg
Blicke, die töten können


BUCH V.

KAPITEL 1: DIE INTERAKTIVE ZUKUNFT: DER EINZELNE, DIE GEMEINSCHAFT
UND DIE GESELLSCHAFT IM ZEIT-ALTER DES INTERNETS

Das Überwinden der Schriftkultur
Das Sein in der Sprache
Die Mauer hinter der Mauer
Die Botschaft ist das Medium
Von der Demokratie zur Medio-kratie
Selbstorganisation
Die Lösung ist das Problem.  Oder ist das Problem die Lösung?
Der Umgang mit den Wahlmöglichkeiten
Der richtige Umgang mit den Wahlmöglichkeiten
Abwägungen
Aus Schnittstellen lernen

KAPITEL 2: EINE VORSTELLUNG VON DER ZUKUNFT

Kognitive Energie
Falsche Vermutungen
Netzwerke kognitiver Energie
Unebenheiten und Schlaglöcher
Die Universität des Zweifels
Interaktives Lernen
Die Begleichung der Rechnung
Ein Weckruf
Konsum und Interaktion
Unerwartete Gelegenheiten

NACHWORT: UMBRUCH VERLANGT UMDENKEN

LITERATURHINWEISE

PERSONENREGISTER

ÜBER DEN AUTOR



Vorwort zur deutschen Ausgabe

Unsere Welt ist in Unordnung geraten.  Die Arbeitslosigkeit ist eine
große Belastung für alle.  Sozialleistungen werden weiter drastisch
gekürzt.  Das Universitätssystem befindet sich im Umbruch.  Politik,
Wirtschaft und Arbeitswelt durchlaufen Veränderungen, die sich nicht
nach dem gewohnten ordentlichen Muster des sogenannten Fortschritts
richten.  Gleichwohl verfolgen Politiker aller Couleur politische
Programme, die mit den eigentlichen Problemen und Herausforderungen
in Deutschland (und in Europa) nicht das Geringste zu tun haben.  Das
vorliegende Buch möchte sich diesen Herausforderungen widmen, aus
einer Perspektive, die die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung betont.

Wenn man eine Hypothese vorstellt, benötigt man ein geeignetes
Prüffeld.  In meinen Augen ist Deutschland am besten dafür geeignet.
In keinem anderen Land der Welt läßt sich die Dramatik des Umbruchs
so unmittelbar verfolgen wie hier.  In Deutschland treffen die Kräfte
und Werte, die zu den großen historischen Errungenschaften und den
katastrophalen historischen Fehlleistungen dieses Landes geführt
haben, mit den neuen Kräften und Werten, die das Gesicht der Welt
verändern, gewissermaßen in Reinform zusammen.

An Ordnung, Disziplin und Fortschritt gewöhnt, beklagen die Bürger
heute eine allgegenwärtige lähmende Bürokratie, die von Regierung und
Verwaltung ausgeht.  Früher galt das, verbunden mit dem Namen
Bismarcks, als gute deutsche Tugend, eine der vielen
Qualitätsmaschinen „Made in Germany“.  Im Verlauf der Zeit aber wurde
der Bürger abhängig von ihr und konnte sich nicht vorstellen, jemals
ohne sie auszukommen.  Die Mehrheit schreckt vor Alternativen zurück
und möchte nicht einmal über sie nachdenken.  Geprägt von Technik und
Qualitätsarbeit ist die Vorstellung, daß das Industriezeitalter
seinem Ende entgegengeht, den meisten eine Schreckensvision.  Sie
würden eher ihre Schrebergärten hergeben als die digitale Autobahn zu
akzeptieren, die doch die Staus auf ihren richtigen Autobahnen zu den
Hauptverkehrszeiten abbauen könnte--ich betone das „könnte“.  Noch
immer lebt es sich gut durch den Export eines technischen und
wissenschaftlichen Know-how, dessen Glanzzeit allerdings vorüber ist.

Als ein hochzivilisiertes Land ist Deutschland fest entschlossen, den
barbarischen Teil seiner Vergangenheit hinter sich zu lassen.  Der
Klarheit halber sei gesagt, was ich unter barbarisch verstehe:
Hitler-Deutschland verdient keinen anderen Namen, ebensowenig wie
alle anderen Äußerungen von Aggression, Antisemitismus und Rassismus,
die noch immer nicht der Vergangenheit angehören.  Aber bis heute hat
man nicht verstanden, daß eben jene pragmatische Struktur, die die
industrielle Kraft Deutschlands begründete, auch die destruktiven
Kräfte begünstigte.  (Man denke nur an die Technologieexporte, die
die wahnsinnigen Führer ölreicher Länder erst jüngst in die Hände
bekommen haben.) Das wiedervereinigte Deutschland ist bereit, in
einer Welt mit globalen Aufgaben und globalen Problemen Verantwortung
zu übernehmen.  Es setzt sich unter anderem für den Schutz des
tropischen Regenwaldes ein und zahlt für Werte--den Schutz der
Umwelt--statt für Produkte.  Aber die politischen Führer Deutschlands
und mit ihnen große Teile der Bevölkerung haben noch nicht begriffen,
daß der Osten des Landes nicht unbedingt ein Duplikat des Westens
werden muß, damit beide Teile zusammenpassen.  Differenz, d. h.
Andersartigkeit, ist eine Qualität, die sich in Deutschland keiner
großen Wertschätzung erfreut.  Verlorene Chancen sind der Preis, den
Deutschland für diese preußische Tugend der Gleichmacherei bezahlen
muß.

Die englische Originalfassung dieses Buches wurde 1997 auf der
Leipziger Buchmesse vorgestellt und in der Folge von der Kritik
wohlwollend aufgenommen.  Dank der großzügigen Unterstützung durch
die Mittelsten-Scheid Stiftung Wuppertal und die Alfred und Cläre
Pott Stiftung Essen, für die ich an dieser Stelle noch einmal Dank
sage, konnte dann Anfang 1998 die Realisierung des von Beginn an
bestehenden Plans einer deutschsprachigen Ausgabe konkret ins Auge
gefaßt werden.  Und nachdem Prof. Dr. Norbert Greiner, bei dem ich
mich hier ebenfalls herzlich bedanken möchte, für die Übersetzung
gewonnen war, konnte zügig an die Erarbeitung einer gegenüber der
englischen Ausgabe deutlich komprimierten und stärker auf den
deutschsprachigen Diskussionskontext zugeschnittenen deutschen
Ausgabe gegangen werden.  Einige Kapitel der Originalausgabe sind in
der deutschsprachigen Edition entfallen, andere wurden stark
überarbeitet.  Entfallen sind vor allem solche Kapitel, die sich in
ihren inhaltlichen Bezügen einem deutschen Leser nicht unmittelbar
erschließen würden.  Ein Nachwort, das sich ausschließlich an die
deutschen Leser wendet, wurde ergänzt.

Die deutsche Fassung ist also eigentlich ein anderes Buch.  Wer das
Thema erweitern und vertiefen möchte, ist selbstverständich
eingeladen, auf die englische Version zurückzugreifen, in die 15
Jahre intensiver Forschung, Beobachtung und Erfahrung mit der neuen
Technologie und der amerikanischen Kultur eingegangen sind.  Ein
Vorzug der kompakten deutschen Version liegt darin, daß die jüngsten
Entwicklungen--die so schnell vergessen sein werden wie alle anderen
Tagesthemen--„Fortsetzungen“ meiner Argumente darstellen und sie
gewissermaßen kommentieren.  Sie haben wenig miteinander zu tun und
sind dennoch in den folgenden Kapiteln antizipiert: Guildos Auftritt
beim Grand Prix d’Eurovision (liebt er uns eigentlich immer noch, und
warum ist das so wichtig?), die enttäuschende Leistung der deutschen
Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft (standen sich im
Endspiel Brasilien und Frankreich oder Nike und Adidas gegenüber?),
die Asienkrise, das Ergebnis der Bundestagswahlen, der Euro, neue
Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie, die jüngsten
Arbeitslosenzahlen, die Ökosteuer und vieles mehr.  Wer sich der Mühe
einer gründlichen Lektüre des vorliegenden Buches unterzieht, wird
sich auf diese Entwicklungen einen eigenen Reim machen können, sehr
viel besser als die Mediengurus, die uns das Denken abnehmen wollen.
Zumindest wird er über die wortreichen Artikel halbgebildeter
Akademiker und opportunistischer Journalisten schmunzeln, die allzeit
bereit sind, anderen zu erklären, was sie selbst nicht verstehen.

Wie in der englischen Version möchte ich auch meine deutschen Leser
einladen, mit mir in Kontakt zu treten und mir ihre kritischen
Kommentare oder Fragen per e-mail zukommen zu lassen: nadin@acm.org.
Im Einklang mit dem Ziel des Buches, für die Kommunikation jenseits
der Schriftkultur das schriftkulturelle Eins-zu-Viele-Verhältnis
(Autor:Leser) zu überwinden, wird für dieses Buch im World Wide Web
ein Forum eingerichtet.  Die Zukunft gehört der Interaktion zwischen
Vielen.

Wuppertal, im November 1998

Mihai Nadin



Buch IV.



Kapitel 1:


Sprache und Bild

Photo, Film und Fernsehen haben die Welt mehr verändert als
Gutenbergs Druckmaschine.  Besonders Film und Fernsehen bekommen die
Schuld für den Niedergang der Schrift- und Lesekultur zugeschrieben,
in jüngerer Zeit kommen Computerspiele und das Internet als Schuldige
dazu.  Weltweit hat man in Untersuchungen herauszufinden versucht,
wie diese Medien unsere Lesegewohnheiten, Schreibfähigkeit,
Sprachverwendung und Sprachverstehen beeinflußt haben.  Die
Aktionsformen und die Verbreitung von Informationen über
elektronische Medien und das World Wide Web sind ebenfalls unter
vergleichenden Gesichtspunkten untersucht worden.  Daraus konnten
Schlußfolgerungen gezogen werden über den Einfluß verschiedener
Schrifttypen auf Art und Umfang der PrintProdukte und auf die
Veränderungen der Schreibweisen (in Romanen, wissenschaftlichen
Texten, in der Geschäftskorrespondenz, in Handbüchern, in Lyrik und
Dramatik, sogar in der persönlichen Korrespondenz).

In einigen Ländern verfügt jeder Haushalt über ein Fernsehgerät, in
manchen über mehr als eines. 1995 wurden mehr Computer als
Fernsehgeräte verkauft.  In vielen Ländern haben die meisten Kinder
ausgiebige Fernseh- und Filmerfahrungen, bevor sie lesen können; in
einigen Ländern können sie sogar Computerspiele bedienen, bevor sie
ein Buch in die Hand bekommen.  Während der Grundschulzeit verbringen
sie dann mehr Zeit vor dem Fernsehapparat als mit Büchern.  Die
Erwachsenen, die heute zur vierten oder fünften Fernsehgeneration
gehören, sind in noch größerem Maße Bildern ausgesetzt.  Einiges
davon geschieht in freier Entscheidung--Fernsehsendungen, Kinofilme,
Videokassetten und CD-ROMs. Andere Bilder werden ihnen an ihrem
Arbeitsplatz, beim Arzt, bei der Ausübung ihres Hobbys und durch die
Werbung aufgenötigt.  Das Interesse an Fernsehen und Videotechnik
wuchs, als Aufnahme- und Abspieltechnik auch dem Laien leicht
zugänglich wurden.  Heute kann für jeden familiären, schulischen oder
beruflichen Anlaß ein umfangreiches Videoarchiv angelegt werden.  Das
Kabelfernsehen ermöglicht ohne weiteren größeren Aufwand die
Produktion eigener Fernsehprogramme.  Durch die verfügbaren
Netzwerksysteme (Kabel, Satellit, Radiowellen) können Bilder von den
entlegensten Orten an alle Haushalte, Schulen und Bibliotheken
übermittelt werden, was die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und
das Verhältnis beider zu Sprache, Bildung und Schriftkultur
beeinflußt.  Ohne allzu großen Aufwand kann jeder seine eigene CD-ROM
herstellen; der Zugang zum Internet ist nicht teurer als ein
Zeitschriftenabonnement, aber sehr viel interessanter, weil man nicht
nur passiver Rezipient ist.

Es geht nicht mehr um den Einfluß, den Bild, Verarbeitungstechnologie
und Computer auf Lesegewohnheiten oder den die neuen Medien auf die
Schreibfähigkeit ausüben.  Die skizzierte Entwicklung verzeichnet
einen fundamentalen Umbruch--die Abkehr von einem einzigen, alles
beherrschenden Zeichensystem, der Sprache, und von der Schriftkultur
als der verdinglichten Form von Sprache.  An ihre Stelle treten
verschiedene Zeichensysteme, unter denen die visuellen eine führende
Rolle einnehmen.  Wenn wir diesen Umbruch nur als einen verstärkten
Einfluß der Technologie verstehen, dann verkennen wir die wahre Natur
dieses Umbruchs und der Folgen, die er nach sich zieht; und wir
können uns nicht angemessen darauf einstellen.  Wir müssen vor allem
den Grad der Notwendigkeit dieser Technologie erkennen.  Die die
Pragmatik der Industriegesellschaft kennzeichnende Obsession mit
Symptomen ist nicht beschränkt auf Reparaturwerkstätten und
Arztpraxen.

Die neuen durch die veränderte Skala des Menschen eröffneten
praktischen Erfahrungen, die die Alternativen zur Sprache notwendig
gemacht haben, bestätigen uns, daß wir uns nicht einfach nur
intensiver mit Fernsehen oder Computerbildschirmen, mit Werbung,
Photographie oder Laserdisketten, CD-ROM, digitalem Fernsehen, dem
Internet oder dem World Wide Web beschäftigen sollten; worum es
wirklich geht, ist die Frage, wie wir lernen können, mit der neuen
Komplexität umzugehen, wie wir sie in den Griff bekommen, um unsere
Bedürfnisse und auf Globalität gerichteten Erwartungen effizienter zu
erfüllen.

Wer den Niedergang der Schriftkultur auf das Fernsehen oder auf das
Eindringen von elektronischen und digitalen Geräten in unser Leben
zurückführt, macht es sich entschieden zu leicht.  Es ist natürlich
einfacher, die Stunden zu zählen, die ein Kind durchschnittlich vor
dem Fernsehgerät verbringt--in den USA sind es bis zum Schulabschluß
16000 Stunden im Vergleich zu den 13000 Stunden, die für das Lesen
aufgebracht werden--, als nach den Gründen dafür zu fragen.  Wir
wissen alle, daß ein Kind in Amerika heute, bevor es je Alkohol oder
Zigaretten kaufen darf, über eine Million Werbesendungen dazu gesehen
hat.  Dennoch kommt kaum jemand auf den Gedanken, die neuen Arbeits-
und Kommunikationsstrukturen wahrzunehmen, egal wie oberflächlich
einige davon auch immer sein mögen.  Es ist noch relativ leicht
einzusehen, daß bestimmte Arbeits- und Lebensgewohnheiten verloren
gegangen sind.  Die Gründe hierfür erschließen sich uns erst, wenn
wir uns den notwendigen Entwicklungen gegenüber offen zeigen und sie
aus einer gänzlich neuen Perspektive betrachten.

Einige der heute geläufigen visuellen Zeichensysteme haben sich aus
der Schriftkultur heraus entwickelt: Werbung, Theater und
Fernsehspiel.  An sie stellen wir die für das Maschinenzeitalter
charakteristischen Erwartungen.  Andere visuelle Zeichensysteme
überschreiten die der Schriftkultur gesetzten Grenzen: konkrete
Poesie, Happening, Animation, Performancespiele bis hin zum
interaktiven Videospiel, interaktive Multimedien, virtuelle
Realitäten und die globalen Netzwerke.  In diesen Aktivitäten liegt
eine eigene, ganz neue Dynamik, an Stelle der traditionellen
Homogenität werden das Anderssein, Unterschiede und Auswahl betont.
Viele dieser Erfahrungen ergeben sich aus der praktischen
Notwendigkeit, den menschlichen Erfahrungshorizont zu erweitern und
mit der Dynamik der globalen Wirtschaft Schritt zu halten.


Wie viele Worte in einem Blick?

In einer Zeitschrift der Druckindustrie (Printer’s Ink) hat Fred R.
Barnard 1921 eine Formulierung verwendet, die seitdem immer wieder
aufgegriffen wurde: "Ein einziger Blick ist 1000 Worte wert!"  Er
formulierte sie später um und behauptete, es sei ein altes
chinesisches Sprichwort: "Ein Bild ist 1000 Worte wert."  Er wollte
damit auf die Wirkungskraft von Bildern aufmerksam machen, auf die im
übrigen Gestalter und Handwerker aller Art in jahrtausendealter
Praxis schon immer gesetzt hatten.

Bilder sind konkreter als Wörter.  In ihrer Konkretheit vermögen sie
natürlich nicht, andere Bilder zu beschreiben.  Dennoch assoziieren
wir mit den abstrakten Begriffen, die der Mensch im Verlauf seiner
praktischen und theoretischen Tätigkeit entwickelt hat, immer wieder
Bilder.  Sie sind auch in ihrer Verwendbarkeit eingeschränkter und
viel stärker durch ihren Entstehungszusammenhang bestimmt.  Das Wort
rot ist im Vergleich zur Farbe, die es bezeichnet, willkürlich.  Auch
hat die Bezeichnung selbst nur einen Annäherungswert.  In einem
bestimmten experimentellen Zusammenhang kann man viele
Farbnuancierungen unterscheiden, für die es keine eigenen
Bezeichnungen gibt.  Die Farbe in einem gegebenen Bild hingegen ist
eine meßbare physikalische Größe, die man in der Photographie, im
Druck oder der Pigmentsynthese entsprechend leicht verarbeiten kann.
Im gleichen experimentellen Zusammenhang kann diese Farbe mit vielen
Gegenständen und Abläufen assoziiert werden: mit Blumen, Blut, einem
Stop-Schild, einem Sonnenuntergang oder einer Fahne.  Sie kann
Vergleiche oder Assoziationen bewirken oder selbst zur
konventionalisierten Bedeutung werden.  Wird ein visuelles Zeichen in
Sprache übersetzt, wird es mit derartigen für die Sprache typischen
Konventionen beladen--Rot als Farbe der Revolution, das Rot der
Kardinäle, der Rotgardisten usw.--und damit aus dem Bereich der
physikalischen Bestimmtheit (Wellenlänge oder Oszillationsfrequenz)
in den Bereich kultureller Konventionen verlagert.  Diese
Konventionen gehören zum Symbolinventar einer bestimmten Gemeinschaft.

Rein bildliche Zeichen wie im Chinesischen und im Japanischen
beziehen sich auf die Sprachstruktur und tragen kulturelle Bedeutung.
Unabhängig davon, zu welchen Abstraktheits- und Kompliziertheitsgrad
sie sich entwickelt haben, behalten sie doch einen Bezug zu dem, was
sie bezeichnen.  Sie weiten die Erfahrung des Schreibens--besonders
in kalligraphischen Übungen--auf die darin ausgedrückte Erfahrung aus.
Wir können die in der Sprache verkörperte Logik durchaus auf Bilder
übertragen, und das nicht nur bei den chinesischen Ideogrammen.  Doch
verändern wir damit automatisch den Status des Bildes; es wird eine
Illustration.

Die in der Schriftkultur verkörperte Sprache ist ein analytisches
Instrument, das die analytische Tätigkeit des Menschen fördert.
Bilder haben vornehmlich synthetische Eigenschaften und eignen sich
besonders für Komposita.  Synthetisierende Tätigkeiten, besonders der
Entwurf von Gegenständen, Mitteilungen oder Handlungsabläufen,
greifen auf Bilder zurück, besonders auf aussagekräftige Diagramme
und Zeichnungen.  Schrift beschreibt, Bilder bilden heraus.  Sprache
setzt für das Verstehen einen Kontext voraus, in dem
Distributionsklassen definiert werden.  Bilder deuten einen solchen
Kontext an.  Ein Bild kennt aufgrund seines individuellen Charakters
keine Entsprechung für eine Distributionsklasse.

Beim Betrachten eines Bildes, zu welchem praktischen oder
theoretischen Zweck auch immer, beziehen wir uns stets auf die
Methode des Bildes, nicht auf seine Bestandteile.  Die Methode eines
Bildes ist seine Erfahrung, nicht eine auf ein bestimmtes Repertoire
angewandte Grammatik oder die Umsetzung bestimmter grammatikalischer
Regeln.  Die Kraft der Sprache liegt in ihrer abstrakten Natur.
Bilder beziehen ihre Wirkungskraft gerade aus ihrer Konkretheit.  Die
Abstraktheit der Sprache ergibt sich daraus, daß eine
Sprachgemeinschaft ein bestimmtes Vokabular und eine Grammatik
gemeinsam hat; die Abstraktheit von Bildern bedeutet, daß Menschen
eine gemeinsame visuelle Erfahrung teilen oder daß die Bilder einen
Kontext für neue Erfahrungen schaffen.

Solange die visuelle Erfahrung wie bei den nomadischen Stämmen auf
die eigene, begrenzte Welt beschränkt blieb, konnten visuelle Zeichen
nicht als Medium für eine Erfahrung dienen, die über diese sich
verändernde Welt hinaus wies.  Die Sprache entwickelte sich ja gerade
aus dem Bedürfnis heraus, diese Grenzen von Raum und Zeit zu
überwinden und Optionen zu schaffen.  Das abstrakte phonetische
Zeichen bot sich als Alternative, es konnte leichter von einer Welt
in die andere überführt werden, wie es die Phönizier ja auch
praktizierten.  Jedes Alphabet ist ein kondensiertes visuelles
Zeugnis von Erfahrungen, die sich inzwischen von der Sprache und
deren konkreter praktischer Motivierung losgelöst haben.

Schrift visualisiert Sprache; die Lektüre gibt der geschriebenen
Sprache ihre mündliche Dimension zurück, wenn auch in gezähmter Form.
Die Buchstaben der verschiedenen Alphabete sind nicht einfache,
neutrale Zeichen für eine abstrakte phonetische Sprache, sondern
vielmehr die Zusammenfassung visueller Erfahrungen und die Kodierung
von Regeln des Wiedererkennens; sie haben einen Bezug zu
anthropologischer Erfahrung und zu kognitiven Abstrahierungsprozessen.
Der Mystizismus von Zahlen und deren meta-physische Bedeutung, der
Mystizismus von Buchstaben oder Buchstaben- und Zahlenverknüpfungen,
von Formen, Symmetrien und Ähnlichem gehören dazu.  Mit der
Alphabetisierung und der Einführung von Zahlensystemen nahm die
abstrakte Natur der visuellen Darstellung die phonetische Eigenschaft
der Sprache an.  Für den durchschnittlich gebildeten (oder
ungebildeten) Menschen ging die Konkretheit der bildlichen
Darstellung zusammen mit den darin gefaßten Elementen (welche
Erfahrung steht hinter einem Buchstaben, einer Zahl, einer bestimmten
Schreibweise?) ein für allemal verloren.  Eben diese Durchbrechung
von Spracherfahrungen gehört zum allgemeineren Prozeß der
Akkulturierung.  Schriftforscher haben verschiedene Ebenen
nachgewiesen, auf denen ein jedes Buchstabenbild Ausdrucksebenen
formt, die in sich bedeutsam sind.  Dennoch ist deren alphabetisches
Wissen für das Schreiben etwa so relevant wie eine gute Beschreibung
der verschiedensten Radtypen für die Herstellung und Benutzung von
Automobilen.

Heute verwenden wir Bilder nach Maßgabe der Möglichkeiten, die die
Zwänge unserer Lebenspraxis und entsprechender Technologien
bereitstellen.  In den vorausgegangenen Kapiteln haben wir einige
dieser Bedingungen ausgeführt.  Es waren im einzelnen:
1. die globale Skala unseres Daseins und unserer Tätigkeit;
2. die Vielfalt, die durch die aus der Globalität hervorgehenden
praktischen Erfahrungen ermöglicht wird;
3. die Dynamik immer schneller werdender und zunehmend vermittelter
Formen der Interaktion;
4. die Notwendigkeit, menschliche Interaktion zu optimieren, um
höhere Effizienzebenen zu erreichen;
5. die Notwendigkeit, die latenten Stereotypien der Sprache zu
überwinden;
6. die nicht-lineare, nicht-sequentielle, offene Natur menschlicher
Erfahrungen, die die neue Skala in den Vordergrund gerückt hat.
Die Aufzählung läßt sich fortsetzen.  Je besser wir den Einsatz von
Bildern beherrschen, desto mehr Argumente können wir zu ihren Gunsten
vorbringen.  Wir sollten diese Argumente jedoch nicht als unkritische
Verherrlichung von Bildern mißverstehen.  Vieles läßt sich nicht
allein durch Bilder ausdrücken: theoretische Arbeit etwa oder
metasprachliche Reflexion.  Bilder sind faktisch, situationsgebunden,
instabil.  Sie vermitteln auch ein falsches Demokratieverständnis.
Vor allem aber veranschaulichen sie die Verlagerung von einem
positivistischen Tatsachenverständnis, wie es den schriftkulturellen
Determinismus bestimmt, zu einer relativistischen Auffassung von
einer chaotischen Funktionsweise, wie sie sich im Markt oder in den
neuen Formen menschlicher Interaktion niederschlägt.  Wir müssen ein
besseres Verständnis vom Leistungspotential von Bildern außerhalb
ihrer traditionellen Wirkungsbereiche in Kunst, Architektur und
Design entwickeln, um wirklich ermessen zu können, in welchem Maße
sie am Denken und den bislang eher nicht-bildlichen Formen
menschlicher Praxis teilhaben werden.

Die Bildlogik unterscheidet sich von der Logik, die der menschlichen
Selbstkonstituierung durch Sprache zu eigen ist.  Insofern ist sie
besonders in solchen Tätigkeitsbereichen wirkmächtig, die unsere
Gefühle und Instinkte einbinden.  Bildlichkeit ist proteischer Natur.
Bilder bilden nicht nur ab; sie formen, gestalten, bilden
Gegenstände.  Daher können Assoziationsabläufe besser durch Bilder
als durch Sprache unterstützt werden.  Durch Bilder wird der Mensch
besser akkulturiert; d. h. in eine Kultur eingebunden und mit einer
Identität versehen, die er auf der abstrakten Ebene der
Kultureinbindung durch Sprache nicht erfahren kann.  Die Welt der
Avataren, d. h. die dynamische graphische Darstellung eines Menschen
in der virtuellen Welt der Netzwerke, ist eine konkrete Welt.  Die
hierin einbezogenen Individuen schaffen sich im besten Sinne des
Wortes neu als visuelle Einheiten, die mit anderen einen Dialog
aufnehmen.

Innerhalb einer bestimmten Kultur sind die Bilder aufeinander bezogen.
Innerhalb der Vielfalt der Kulturen können Bilder Erfahrungen
übersetzen.  Vor dem Hintergrund unserer allgemeinen Globalität ist
der Bildgebrauch zugleich distinktiv und integrativ.  Die
Distinktionsleistung äußert sich darin, daß sie die
Identifikationsmerkmale der jeweils kulturgebundenen Individuen trägt,
die sich in den neuen lebenspraktischen Zusammenhängen konstituieren.
Die Integrationsleistung wird am besten durch die Metapher des
global village veranschaulicht, jener kleinen großen Welt aus
Telekommunikation und den Interaktionen im Internet und im World Wide
Web.

Wir sollten die bislang erörterten Eigenschaften von Bildern nunmehr
in Beziehung zu jenen veränderten Perspektiven setzen, die die
Bildtechnologien eröffnet haben.  Nur so werden wir verstehen,
inwiefern Bilder Sprachen hervorbringen können, die unsere
traditionelle Schriftkultur überflüssig machen oder, besser noch, die
sie ergänzende partielle Alphabetismen erfordern.


Das mechanische und das elektronische Auge

Der Photoapparat und die dazugehörige Technologie der
Photoentwicklung und -verarbeitung sind Produkte der Schriftkultur,
antizipieren aber einen Zustand jenseits derselben.  Die Metapher des
Auges für die Optik der Linse und die Mechanik des Apparats mußte für
den neuen Blick auf die Wirklichkeit auf Kategorien der Schriftkultur
zurückgreifen, insbesondere auf deren implizite Raumauffassung und
Raumdarstellung.  Die genaue Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen
der Photographie, die mit den ersten Photos einsetzte und bis in
unsere heutige Zeit anhält, ist eine einzige Übung im analytischen
Denken und Handeln.

Manche haben die Photographie als ein Beschreiben mit Licht
verstanden, andere als mechanisches Zeichnen.  Die kreativen
Möglichkeiten schienen eher begrenzt, die dokumentarischen standen
außer Frage: Sie bot eine Art Kurzschrift für Beschreibungen, die in
schriftlicher Form schwierig, aber prinzipiell möglich waren.  Je
mehr die Möglichkeiten und Verwendungsbereiche der Kamera erweitert
wurden, desto interessanter wurde die Photographie als Beleg und
Dokument in Journalismus und Wissenschaft, im persönlichen und
familiären Leben.  Allmählich traten Bilder an die Stelle von Wörtern,
und schließlich mußten Schrift und Schriftkultur eine ganze Reihe
von Erfahrungsbereichen, die mit Raum, Bewegung und ohne Kamera nicht
erkennbaren Aspekten zu tun hatten, der Bildlichkeit als
Darstellungsmedium überlassen.

Das Unsichtbare wurde plötzlich mit Hilfe der Kamera viel
überzeugender, anschaulicher und authentischer vorgeführt, als Worte
darüber hätten berichten können.  Das in vielen Geschichten erwähnte,
aber im wahren Wortsinn unsichtbare Abwassersystem von Paris mag hier
als Beispiel dienen.  Vor der Photographie konnte nur die Zeichnung
das Sichtbare ohne Umsetzung in Worte oder komplizierte Diagramme
wiedergeben.  Aber jede Zeichnung war schon immer interpretierte
Darstellung, nicht nur dadurch, daß sie auswählte, sondern eine
Perspektive wählen mußte und das Dargestellte emotional anreicherte.
Es brauchte lange, bis auch die Kamera eine derartige
interpretierende Eigenschaft aufzuweisen hatte, und auch dann war es
wegen der zwischengeschalteten Verarbeitungstechnologie nicht leicht
zu sagen, was dem abgebildeten Gegenstand hinzugefügt worden und aus
welchen Gründen dies geschehen war.

Heutzutage haben alle Photoapparate das notwendige Bedienungswissen
eingebaut.  Die Metapher des Auges, die sich ohnehin mit dem
Aufkommen der elektronischen Photographie verändert hat, hat sich
ebenso erübrigt wie jedwede Beachtung von Blende, Belichtungszeit und
Entfernung.  Die Lebenspraxis, die zur Photographie hinführte, hat
mit der heutigen Praxis der vollautomatischen Kamera nur noch wenig
gemein.  Das alltägliche Photographieren setzt keinerlei spezielle
Kenntnisse mehr voraus, sondern begleitet Reisen, gesellige
Veranstaltungen oder auch sehr persönliche Situationen gewissermaßen
als Alltagsreflex.  So ersetzen Photographien heute schriftliche
Berichte, und Photoalben ersetzen Tagebücher, zumal ein Photoapparat,
so merkwürdig das klingen mag, leichter zu benutzen und vermutlich
genauer ist als die Sprache.  In gewisser Hinsicht ist er eine
komprimierte Sprache, die uns auf das kommende Zeitalter einer
visuellen Syntax vorbereitet.  Wenn die wissenschaftliche
Photographie nicht zur Verfügung stünde, müßten wir für das, was uns
die Bilder aus dem Weltraum, vom Elektronenmikroskop, aus dem
Erdinneren oder aus den Tiefen des Meeres mitteilen, ungeheure, kaum
verfügbare sprachliche Mittel aufwenden.  Zur Zeit Leonardo da Vincis
gab es nur die eine Alternative, die der Zeichnung--neben einer
ausgreifenden Phantasie.

Die Photokamera hat--expliziter noch als die Sprache--eine eingebaute
Raumvorstellung.  Sie ist in der Geometrie der Linse angelegt und
drückt sich in den charakteristischen Merkmalen der Photographie aus:
zweidimensionale Reduktion unserer dreidimensionalen Erfahrungswelt,
die im wesentlichen durch die physikalischen Eigenschaften der Linse,
aber daneben durch Licht, Filmqualität, Entwicklungsart, Photopapier
und verwendete Technik beeinflußt wird.  Mit der Differenzierung
unserer räumlichen Vorstellungen haben wir auch die Objektive
verbessern (Weitwinkel, Zoom) und Funktionen entwickeln können, die
unseren visuellen Erfahrungen entsprechen.  Mit der Möglichkeit, die
Zeit zu kontrollieren, konnten schließlich auch dynamische Vorgänge
aufgezeichnet werden.

Eine neue Phase im Verhältnis zwischen Schriftkultur und Photographie
wurde durch die Polaroid-Kamera eingeleitet, die die ursprünglichen
zwei Stadien des Photographierens zusammenfaßte, das Ergebnis sofort
ausdruckte und--zumindest anfänglich--auf Reproduzierbarkeit
verzichtete.  Die traditionelle Kameratechnik wies ein Verhältnis
zwischen Mensch und Instrument auf, das auch das Verhältnis zur
Maschine kennzeichnete: Was kann ich damit machen?  Mit der
Polaroid-Kamera veränderte sich die Frage: Was kann sie für mich
leisten?  Die Akzentverlagerung drückt ein verändertes Verhältnis zum
Medium aus und befreit die Photographie zugleich aus einigen von der
Schriftkultur auferlegten Beschränkungen.  Die Frage "Was kann ich
tun?" zielt auf photographisches Wissen, auf die vom Photographen
getroffene Auswahl, also auf Identitätserfahrung in einem neuen
lebensweltlichen Erfahrungszusammenhang.  "Was kann sie leisten?"
bezieht sich auf die im Gerät eingebauten Fähigkeiten.  Die Werbung
für diese Art von Kamera ist vielsagend: "Sie bekommen Ihr Photo,
solange die Erinnerung frisch ist."  Im Gegensatz zur schriftlichen
Aufzeichnung ist das Sofortbild nur auf kurze Dauer angelegt, als ein
Schnellersatz für die Schrift.

Eine noch wichtigere Veränderung bringt die elektronische und
besonders die digitale Kamera.  In der Digitaltechnik wirkt sich die
geringste Veränderung des Input nachhaltig auf das Ergebnis aus, und
die Qualität ist deutlich besser.  Der Unterschied ist sehr wichtig:
Er kennzeichnet völlig neue Bildbedingungen und verändert unser
Verhältnis zum Visuellen nachhaltig.  Die Sprache fand in der Schrift
das angemessene Medium, die Drucktechnik machte das geschriebene Wort
zum Gegenstand der Schriftkultur.  Bilder konnten nicht mit derselben
Leichtigkeit angefertigt und auch nicht mit den Mitteln übertragen
werden, die für die Übertragung der Stimme zur Verfügung standen.
Als wir elektromagnetische Wellen--mit einer Geschwindigkeit mehrfach
so hoch wie die Klanggeschwindigkeit--zur Telefon- oder
Radioübertragung nutzten, haben wir damit die Funktion der Sprache
gefestigt, sie aber gleichzeitig von einigen Beschränkungen der
Schriftlichkeit befreit.  Die digitale Photographie leistet ein
Gleiches für Bilder.

Die Herstellung eines schriftlichen Berichts über einen Vorgang
irgendwo in der Welt erfordert sehr viel mehr Zeit als die
Anfertigung eines Bildes von eben diesem Vorgang.  Ein
Photojournalist kann die Bilder, die er mit seiner digitalen Kamera
aufgenommen hat, per Netzwerk auf die druckfertige Seite senden.  Das
Verstehen eines Bildes, dessen Drucklegung übrigens schon lange vor
der Erfindung des Computers eine digitale Komponente benötigte (das
Raster), erfordert einen weitaus geringeren sozialen Aufwand als die
Schriftlichkeit.  Die Komplexität verlagert sich von der Aufnahme des
Bildes zu dessen Übermittlung und Empfang.  In den entsprechenden
neuen Photogeschäften kann jeder farbenprächtige Drucke oder die
glänzenden CDROMs bekommen, von denen jedes einzelne Bild auf den
Fernsehmonitor geholt oder auf unseren Computern weiterverarbeitet
werden kann.

Zwischen der Verwendung des Bildes als Zeugenbeleg und seiner
Verwendung als Prätext für neue praktische Anwendungen--ein Medium
von visueller Relativität und von fragwürdiger Moral--ist alles nur
Denkbare möglich.  Bilder können in sich schnell entwickelnden
Situationen--Transaktionen, Informationsaustausch, Konflikten--besser
als Worte vermitteln.  Sie sind frei von den Extralasten, die die
Wörter üblicherweise mit sich tragen, und sind jederzeit und überall
auf der Welt in allen Einzelheiten verständlich.  Die elektronische
Verarbeitung digitaler Photographien ermöglicht--soweit
erforderlich--in vielen unvorhersehbaren Zusammenhängen Vergleiche
oder Manipulationen.  Die Metapher der Einäugigkeit, die das Wesen
des Photographischen beschreibt, kennzeichnet eine flache,
zweidimensionale Welt.  Das ist die Sichtweise von Zyklopen, die
alles flach sehen.  Diese Metapher ist leider, wenn auch nicht ganz
zufällig, für die Computergraphik übernommen worden.  Die Bilder auf
einem Computerbildschirm werden mit den Konventionen des monokularen
Sehens zusammengehalten.  Die digitale Photographie hingegen kann mit
dynamischen Eigenschaften ausgestattet und in Netzwerke eingebracht
werden.  Das wirklich Revolutionäre an der digitalen Photographie ist
jedoch die 3D-Kamera, ein technisches Ungeheuer mit zwei (und wenn es
sein muß, auch mehr) Augen.  Sie eröffnet Erfahrungen in einem
pragmatischen Rahmen, der nicht länger auf Sequenzen oder auf
reduktionistische Darstellungsstrategien beschränkt ist.


Wer hat Angst vor der Lokomotive?

Als man die ersten bewegten Bilder einer Öffentlichkeit vorstellte,
brachen die Zuschauer in Geschrei aus und liefen fort, als eine
Lokomotive im Film direkt auf sie zufuhr.  Die Bewegung erhöhte die
realistische Wirkung der Bilder und vermischte im Film die Grenze
zwischen Wirklichkeit und neuen kinematographischen Ausdrucksformen.
In den frühen Stummfilmen konnte der an die Schriftkultur gebundene
Realismus des Bildes--das als Illustration des Drehbuchs verstanden
wurde--den fehlenden Gesprächston ersetzen.  Schriftkulturelle
Erfahrung und die Möglichkeit, Bewegung in den Film hineinzuschreiben,
gehörten eng zusammen.  Weil die Sprache den allgemeinen
Verstehenshintergrund bot, konnten kurze, detailfreudige Szenen auch
ohne Worte verstanden werden.  Die filmische Konvention beruht auf
der gemeinsamen Erfahrung der Teilhabe an einer ausgedehnten weißen
Seite, auf die laufende Bilder projiziert werden.  Humor stand nicht
zuletzt deshalb im Mittelpunkt, weil die mechanische Reproduktion von
Bewegungsabläufen aufgrund der erst rudimentären Filmtechnik und des
fehlenden Tons ein komisches Element beinhaltete.  Später kam Musik
hinzu, dann der Dialog.  Die Synchronisation von Bild und Ton und
farbige Bilder wurden sehnsüchtig erwartet.

Die im wesentlichen visuelle Natur der filmischen Erfahrung erhellt
erneut die Rolle der Sprache als Synchronisationsmittel, während die
Mechanik von Kamera und Projektor die optischen Illusionen
hervorbrachte.  Zugleich zeigte der Film, daß auch andere Ausdrucks-
und Kommunikationsmittel diese Rolle übernehmen konnten.  Sprache ist
an Körperbewegung gebunden und hat nicht selten Anteil an den
rhythmischen Mustern dieser Bewegung.  Im vorsprachlichen Stadium des
Menschen haben andere rhythmische Mittel diese
Synchronisationsleistung getragen, und obwohl es keinerlei Beziehung
zwischen der kinematographischen Erfahrung und den
Migrationsbewegungen primitiver Stammeskulturen gibt, sollten wir
doch diese Grundstruktur der Synchronizität zur Kenntnis nehmen.  Die
Mittel, mit denen die Synchronizität bewerkstelligt wurde,
kennzeichnen die verschiedenen Stadien der menschlichen Evolution:
von den wenigen und einfachen Mitteln früher autarker Lebensformen
über die komplexen, von der Schriftlichkeit beherrschten Mittel, die
die Verschriftlichung von Bewegung erlaubten, bis hin zur
Kinematographie, die eine neue Synchronisationsstrategie einführte.
In mancherlei Hinsicht zeichnet die Entwicklungsgeschichte des Films
die Entwicklung des Konflikts zwischen der Schriftkultur und den auf
Bildern beruhenden Synchronisationsstrategien nach.

Die Zwischenstadien sind allseits bekannt: Musikbegleitung durch
einen Pianisten, aufgezeichnete Musik, in den Film integrierter Ton,
Stereophonie.  Auch die Funktionen sind offensichtlich: Untermalung
der gefilmten Bewegungsrhythmen, Dramatisierung des Geschehens,
Erhöhung der realistischen Wirkung durch Dialog und wirklichen Ton
und schließlich die Erweiterung der Ausdrucksmittel zur
Hervorbringung neuer Wirklichkeiten.  Einige kinematographische
Konventionen sind Kulturleistungen, die wir vielleicht mit den
Konventionen der ideographischen Schrift vergleichen können.  Sie
gehören gleichwohl in einen pragmatischen Zusammenhang, der die
Merkmale der Schriftkultur trägt, ergeben sich jedoch aus Tätigkeiten,
die auf höhere Produktivitäts- und Effizienzebenen zusteuern.  Jeder
Film ist die Grundform zahlloser Kopien, die Millionen von Zuschauern
vorgeführt werden, die wiederum für den Nachvollzug des Inhalts keine
schriftkulturelle Bildung benötigen.  Die filmische Erfahrung bezeugt
die vielfältigen Komponenten menschlicher Interaktion und eröffnet
Ausblicke auf Erfahrungen, die nicht mehr auf das Wort gebracht
werden können; sie deutet damit die Möglichkeit an, die Grenzen der
Schriftkultur zu überschreiten und sogar die ersten Schichten des
Sichtbaren hinter sich zu lassen--d. h. genauer: das Imaginäre in den
Prozeß der menschlichen Selbstkonstituierung einzubeziehen.

Einige dieser Veränderungen haben sich vollzogen, als der
Film--nachdem er die Phase des verfilmten Theaters durchlaufen
hatte--nach seinen ihm eigenen Ausdrucksmitteln zu suchen begann.
Das führte zunächst zu einer Komprimierung der Sprache--die Zahl der
Wörter wurde verringert, um eine eigene, filmische Ausdrucksweise zu
finden, Literatur wurde zusammengefaßt.  Besonders in der
Nachahmungsphase wurden die Grenzen des Mediums deutlich.  Drehbücher,
die nach literarischen Werken verfaßt waren, deren Komplexität die
des Films übertraf, konnten nicht umgesetzt werden.  Auch mußte die
Konzentrationsfähigkeit der ungeübten Zuschauer in Rechnung gestellt
werden.  Als dann später ganze Romane in den Zeitrahmen von 90 bis
120 Minuten gepreßt wurden, war eine neue Phase erreicht, in der die
Mittel der Schrift durch nichtoder paralinguistische Mittel ersetzt
wurden.

Die Generationen, die mit den Anfängen des Films aufgewachsen sind,
lernten dessen Konventionen, obwohl sie in schriftkulturelle
Zusammenhänge eingebunden blieben.  Der Film als Medium sui generis
mit ganz eigenen Merkmalen wurde erst in der jüngeren Vergangenheit
so erfahren, und zwar im allgemeinen Zusammenhang einer Lebenspraxis,
die sich allmählich von den Einschränkungen schriftkultureller
Bildung befreite.  Das Medium des Films integriert das Audiovisuelle
und die Bewegung.  Mit den Mitteln des Films können die komplizierten
Erfahrungen aufgezeichnet und anschließend einer schnellen, langsamen,
vollständigen oder partiellen Analyse unterzogen werden.  Die
Filmerfahrung ist eine Erfahrung des Zusammenhangs von Raum und Zeit.
Aber im Gegensatz zu der in der Sprache zum Ausdruck gebrachten
Raum- und Zeiterfahrung, die von einer schriftkulturell gebildeten
Gemeinschaft allgemein geteilt wird, können Raum und Zeit im Film
unterschiedlich ausfallen oder individuell geprägt sein.  Innerhalb
der filmischen Konventionen können wir uns über die physikalischen
Grenzen unserer Lebenswelt und unserer sozialen und kulturellen
Bindungen erheben und einen neuen Handlungsrahmen setzen.  Die große
Faszination, die die sich abzeichnenden Technologien zur Schaffung
des Unmöglichen im virtuellen Raum (die durch digitale Synthese
entstehen) auf die Filmstudios Hollywoods ausüben, ist hierfür ein
gutes, wenn auch fragwürdiges Beispiel.  Aber auch hier stoßen wir an
die Grenzen, die der dem Film zugrundeliegenden Struktur gesetzt sind.
Der Film, der auf dem Höhepunkt der Schriftkultur entwickelt wurde,
markiert genau die Grenze, die zwischen den praktischen Erfahrungen
verläuft, welche der durch die Schriftkultur optimal repräsentierten
Skala des Menschen entsprechen, und der neuen Skala, für die sowohl
Film als auch Schriftkultur nur noch begrenzt angemessen sind.  Es
ist sogar fraglich, ob sich der Film als Alternative zu den neuen
Medien behaupten kann; denn auch die Grenzen seiner
Leistungsfähigkeit zeichnen sich bereits ab.

Die Filmtechnik hat also unsere Spracherfahrung beeinflußt und
zugleich die Grenzen dieser Erfahrung aufgezeigt.  Ein Film ist weder
ein illustrierter Text noch die Transkription eines Schauspiels.  Er
überträgt vielmehr eine Welt aus Sätzen und Bedeutungen, die einem
Text zugewiesen sind, in eine komplexere Welt aus
aufeinanderfolgenden Bildern, die eine neue kohärente Einheit bilden.
In diesem Prozeß fungiert die Sprache einmal als Sprache
(Figurenrede), ein andermal als Prätext für den visuellen
kinematographischen Text.

Bevor es den Film gab, haben wir uns in der natürlichen Welt unseres
konkreten, physikalischen Daseins, auf der Bühne des Theaters oder in
der Welt unserer Phantasien und Träume bewegt.  Die sychronisierende
Funktion der Sprache hat diese Bewegung (Arbeit, Zusammenleben)
sozial relevant gemacht.  Unsere in der Sprache vollzogene Bewegung
(mach das, geh dort hin) ist eine Abstraktion.  Die im Film
aufgezeichnete Bewegung ist indessen eine Re-Konkretisierung dieser
Abstraktion.  Das erklärt, warum Filme so wichtig als Bedienungs- und
Handlungsanleitung, für Unterricht und Indoktrination geworden sind.
Das erklärt auch, warum ein Film selten oder nie an ein Individuum
gerichtet ist, sondern an ein Publikum, dessen Größe seine Produktion
erst wirtschaftlich macht.  Die Filmindustrie in Hollywood beruht auf
einer Effizienzformel, die die Globalität des Publikums, den global
verbreiteten Analphabetismus und die vorhandenen
Distributionsmechanismen einkalkuliert.  Für einen Film mit einem
Investitionsaufwand von über 100 Millionen Dollar benötigt man die
Zuschauer von fünf Kontinenten, ohne daß damit schwarze Zahlen
garantiert sind.  Es ist noch nicht absehbar, ob Dreamworks, das aus
der Affäre zwischen Hollywood und der Computerindustrie
hervorgegangen ist, irgendwann seine eigenen Distributionskanäle im
globalen digitalen Netzwerk einrichten wird.

Es drängt sich die Frage auf, ob die Sprache des Films die
Schriftkultur überflüssig gemacht oder ob der um sich greifende
Analphabetismus erst das Bedürfnis nach Filmen hervorgerufen hat.
Natürlich gibt es dafür keine einfache Erklärung, und es spielen eine
ganze Reihe von Faktoren zusammen.  Das Schlüsselelement ist die
zugrundeliegende Struktur.  Bücher verkörpern die Eigenschaften der
Sprache und setzen Erfahrungen in Gang, die im Rahmen dieser
Eigenschaften liegen.  Wenn sich der Mensch neuen lebenspraktischen
Bedürfnissen und Herausforderungen ausgesetzt sieht, die sich aus
einer neuen Skala des Daseins ergeben, dann sinnt er nach
Alternativen, die der Dynamik des Umbruchs besser gerecht werden als
Bücher und die damit verbundenen Erfahrungen.

Bücher, in denen selbst hochgebildete Menschen bisweilen den Faden
verlieren oder für deren Lektüre wir heute nicht mehr die Zeit oder
die Geduld aufbringen, werden für uns im Film interpretiert oder
zusammengefaßt.  Dadurch--und nur dadurch--hat mehr als eine
Generation einen allgemeinen Zugang zu etablierten Meisterwerken der
Prosa und des Theaters, zu wissenschaftlichen, historischen oder
geographischen Berichten gefunden.  Das hatte und hat seinen
Preis--zwischen Buch und Film gibt es keine direkte Entsprechung;
aber darum geht es hier nicht.  Es geht darum, daß sich die
Kinematographie in einem Rahmen herausgebildet hat, in dem
Schriftkultur und schriftkulturelle Bildung diejenigen Erfahrungen,
die außerhalb ihrer Strukturen liegen, nicht mehr zu tragen vermögen.

Die Ausdrucksmittel des Films konnten bestimmte Aspekte des sozialen
Lebens besser vermitteln, als es die sprachlichen Mittel vermochten.
Auch sind die filmischen Ausdrucksmittel für die Dynamik des Umbruchs
und die Globalität unseres Lebens besser geeignet.  Sie haben uns auf
die elektronischen Medien vorbereitet und verkünden das Zeitalter der
Obsession mit Berühmtheit (Stars).


Hier und dort gleichzeitig

Wenn das Filmische die Grenzlinie zwischen der Schriftkultur und
einer Phase jenseits von ihr markiert, dann verkörpert das Fernsehen
den Konflikt zwischen einer auf Schriftkultur basierenden
Zivilisation und der Zivilisation der ‘Illiteralität’.  Das Fernsehen
hat das Gewicht eindeutig zu Gunsten des Visuellen verlagert.  Es
wurde in genau jenem Zusammenhang erfunden, in dem sich die Skala des
menschlichen Lebens änderte.  Mit ihm vollzog sich der Übergang von
einer Welt der Mechanik und der Chemie, die noch die Produktion und
Wiedergabe von Filmen bestimmte, zu einer Welt der Elektronik und der
digitalen Technologie.

Das Fernsehen ergab sich aus den Veränderungen der Natur und Struktur
unserer theoretischen und praktischen Erfahrungen; es entwickelte
sich aus dem Bedürfnis heraus, dynamische Bilder aufzuzeichnen und zu
übermitteln.  Elektrizität hatte bereits als Medium für die
Aufzeichnung und Übermittlung des Tons in Elektronengeschwindigkeit
durch die Telefonnetzwerke gedient.  Und da Bilder und Geschehnisse
durch das Licht beeinflußt sind, in dem wir sie sehen, ergibt sich
der Wunsch, das Licht aufzuzeichnen und zu übertragen.  Eben das wird
vom Fernsehen geleistet.  In seinen ungelenken und noch in vielem der
Mechanik verpflichteten Anfängen war das Fernsehen ein
Nachrichtenmedium, das eine direkte Verbindung zwischen der
Informationsquelle und dem Publikum herstellte.  Es war weitgehend
illustrativ.  Heute ist es konstitutiv, d. h. es übermittelt nicht
nur Nachrichten, es macht Nachrichten.  Es konstituiert ein allgemein
verbreitetes Massenmedium, in dem sich Unterhaltung und Ritual
(politisches, religiöses, militärisches) ausbreiten.

Die Schriftkultur ermöglicht die Erfahrungen menschlicher
Selbstkonstituierung in einer von der klassischen Physik und Chemie
beherrschten und erklärten Welt.  Sie basiert auf derselben
Grundstruktur und gibt die spezifischen Merkmale dieser Erfahrung
wider.  Elektrizität und Elektronik ermöglichen extrem schnelle
Abläufe, eine menschliche Tätigkeit auf höchster Effizienzebene, hohe
Vielfalt, sehr unterschiedliche Vermittlungselemente und
Feedback-Phänomene.  Die Filmkamera trägt noch alle Zeichen der
Schriftkultur.  Sie kann durchaus mit der Druckmaschine verglichen
werden, wenn der Vergleich auch nur teilweise zutrifft, denn sie
schreibt Bewegungen auf den Film und läßt sie uns kollektiv auf der
weißen Seite, der Leinwand, lesen.  Zwischen der Aufzeichnung der
Bewegung und der Betrachtung liegt genügend Zeit, um die Aufzeichnung
zu verarbeiten und zu vervielfältigen.

Das Fernsehen ist seiner Struktur nach völlig anders.  Es fängt
Bewegung und all das andere, was wir für Wirklichkeit halten, ein und
macht es dem Betrachter direkt zugänglich.  Elektronische Übertragung
ist viel elaborierter und vielschichtiger als die Filmtechnik und
daher viel effizienter.  Der Film überträgt aus der ausgewählten Welt
der Bewegung an ein begrenztes Publikum im Kino.  Das Fernsehen
überträgt mit vielen Kameras in die ganze Welt, und alle Menschen
können die Fernsehbilder gleichzeitig empfangen.  Fernsehen ist
allgemein verbreitet und simultan, unterschiedliche Ereignisse an
verschiedenen Orten können gleichzeitig auf den Fernsehschirm
gebracht werden.  Im Vergleich dazu ist der Film zentralistisch, auf
eine Örtlichkeit beschränkt, an der er sich abspielt.  Er ist
sequentieller Natur insofern, als er einer Erzählstruktur folgt und
eine abgeschlossene Erzähleinheit ausmacht.  In seiner endgültigen
Form kann er nicht mehr verändert und durch neue Elemente ergänzt
werden.

Film und Fernsehen repräsentieren mithin trotz einiger
Gemeinsamkeiten zwei völlig unterschiedliche und unvereinbare
Tätigkeits- und Erfahrungsbereiche.  Und da das Fernsehen
mittlerweile Eingang in Schul- und Ausbildung, in mancherlei Formen
kollektiver Kommunikation, in Sport, Kunst und sonstige Bereiche wie
Weltraumforschung oder Kriegsführung gefunden hat, können wir wohl
sagen, daß es erhebliche Auswirkungen auf die heutigen sozialen
Interaktionsformen besitzt, ohne selbst ein interaktives Medium zu
sein.  Die Fernsehübertragung eines wichtigen Ereignisses erreicht
nahezu die gesamte Weltbevölkerung.  In seinen Anfängen förderte das
Fernsehen solche Eindrükke von Dezentralisierung, die die
vorausgegangenen Technologien nicht vermitteln konnten.  Videokamera
und Videorecorder, besonders die digitalen Ausführungen, machen uns
nunmehr zu Besitzern nicht nur der Empfangsgeräte für die neue Bild-
und Tonsprache, sondern auch der Sender, der Quellen, machen uns alle
zu Inhabern kleiner Hollywood-Filmstudios, veranlassen uns die
Sprache des Fernsehens zu leben, sie an die Stelle der Schriftkultur
zu setzen.  Das interaktive Fernsehen wird diesen Prozeß noch weiter
unterstützen.

Schon heute schicken viele Menschen anstelle von Briefen Videobänder
an Verwandte, Behörden oder an Fernsehsender, die an einem Feedback
oder an neuem Stoff interessiert sind.  Der massive Truppenaufmarsch
im Golfkrieg hat verdeutlicht, welch große Rolle die
Videokommunikation bei der Verlagerung von schriftkultureller zu
schriftloser Kommunikation spielt.  Telefon-, Fernsehund Videotechnik
beherrschten die Kommunikationsmuster aller Beteiligten.  Spätere
Truppenbewegungen (in Somalia, Bosnien-Herzegowina) haben dieses
Muster der schriftlosen, ‘illiteralen’ Kommunikation bekräftigt.

Unter den vielen Netzwerken, die heute unsere Existenzgrundlagen
ständig verändern, spielt das Kabelfernsehen eine besondere Rolle.
Für viele ist das Kabelfernsehen lediglich eine Ersatzbibliothek,
eine weitere Möglichkeit, klassische Programme, Pornographie und
Aberglauben in unseren Privatbereich hineinzutragen.  Die
erschöpfende Nutzung unserer elektronischen Prachtstraße als eine
vielspurige Autobahn, die von uns in beiden Richtungen benutzt werden
kann, als Empfänger all dessen, was wir empfangen wollen, und als
Sender von visuellen Nachrichten an jeden, der sie empfangen möchte,
liegt noch vor uns.  Aber mit der computergestützten visuellen
Kommunikation unter Einbeziehung des digitalen Fernsehens verfügen
wir über die komplette Infrastruktur für eine visuell bestimmte
Gesellschaft.  Im Zeitalter des Internet gehören die verkabelten oder
drahtlosen Netzwerke zum künstlichen Nervensystem fortschrittlicher
Gesellschaften.  Ob mit Hilfe von Modems oder anderen
hochentwickelten Methoden digitaler Informationsverarbeitung, das
Kabelsystem hat schon heute das Wesen vieler unserer Erfahrungen
verändert, vor allem im Bereich der Unterhaltung, des Unterrichts und
der Arbeitswelt.

Das hat auch negative Auswirkungen, und wir müssen uns mit den Folgen
auseinandersetzen, die mit der Zeit weit über das hinausgehen können,
was wir heute wissen.  Kindern, die vor dem Fernsehgerät aufwachsen,
fehlt die Erfahrung der eigenen Bewegung.  Unter dem Begriff der
"kindlichen Zombie-Natur" hat Jaron Lanier auf ein verbreitetes
Phänomen hingewiesen: ein leerer, nichtssagender Blick; die mangelnde
Fähigkeit, über das Fernsehbild hinaus anderes zu sehen und zu
begreifen; die Forderung nach sofortiger Befriedigung der Wünsche;
mangelnde Wertschätzung für erfolgreiche und befriedigende Arbeit.
Viele Videospiele erziehen unseren Kindern die Verhaltensmuster von
Versuchsratten an, die lernen, Probleme durch mechanische Routine zu
lösen.  Die Maßstäbe fernsehgerecht aufbereiteter Wettkämpfe sind nur
ein magerer Ersatz für Leistung und Verantwortung.  Und wenn sie zu
wählen haben, dann zwischen Markennamen, ganz gleich, ob damit
politische Programme oder Konsumgüter bezeichnet werden.  Als Masse
angesprochen verleiben sie sich mit den für alles und jedes
erstellten Meinungsumfragen die Mehrheitsmeinungen ein.  Daß diese
Technologie visuelle Alternativen zur Schriftlichkeit der
Schriftkultur anbietet, steht außer Frage.  Die Crux liegt darin, in
welchem Maße diese Alternativen die ehemaligen Formen der
Determiniertheit und die früheren Zwänge perpetuieren oder ob sie
einem neuen Entwicklungsstadium des Menschen Ausdruck verleihen.  Der
Grad der Notwendigkeit und damit die Effizienz einer jeglichen neuen
visuellen Ausdrucks-, Kommunikations- und Interaktionsform ist
dadurch bestimmt, wie sich die Menschen durch ihr praktisches Handeln
unter Einbezug des Visuellen in der Welt konstituieren.  Der höchste
gültige Maßstab ist der der Verwirklichung unserer individuellen
Möglichkeiten.  Ein Staatspräsident oder ein Fernsehstar, telegen
oder nicht, hat wenig oder gar keinen Einfluß auf unsere individuelle
Verwirklichung in der vernetzten Welt.

Obwohl das Fernsehen viel mit Sprache zu tun hat, benötigen wir für
den Konsum einer Fernsehshow keine schriftkulturelle Bildung.  Daher
begünstigt anhaltender Fernsehkonsum stereotypes Sprechen und Denken,
das sich vor dem Hintergrund allgemein verbreiteter Ausdrucksformen,
Gesten und Werte vollzieht.  Es wäre indes zu einfach, hierbei nur
das Negative herauszustellen: die Förderung von Passivität und
geistiger Lethargie etwa, die Manipulierbarkeit (in wirtschaftlicher,
politischer und religiöser Hinsicht) oder die Loslösung von
erfüllenden persönlichen Beziehungen (zu anderen, zur Kunst oder zur
Literatur).  Diese und zahlreiche weitere Faktoren, die uns
Medienkritiker und Soziologen immer wieder vorhalten, sollten in der
Tat nicht unterschätzt werden.  Aber es wäre anmaßend, das Fernsehen
uneinsichtig und geradezu kurzsichtig nur aus dem Blickwinkel
verlorengehender Schriftkultur zu betrachten.  Wir sollten auch und
vor allem die Strukturveränderungen begreifen, die zu Fernsehen und
Video geführt haben, und diejenigen Veränderungen genauer untersuchen,
die diese ihrerseits bewirkt haben.  Anders können wir die neuen
Möglichkeiten, die uns diese neuen Erfahrungen eröffnen, nicht
nutzbringend anwenden.  Außer dem Fernsehen gibt es noch so viel mehr,
trotz der uns versprochenen 500 Kanäle und des fast unbegrenzten
Angebots an Videokassetten.

Auch die Sprache ist nicht unbedingt ein demokratisches Medium, und
die Schriftkultur mit den ihr eigenen elitären Merkmalen noch weniger.
Wenngleich sie die demokratischen Prinzipien verkündigte und
festigte, hat gerade sie diese doch immer wieder verraten.  Bilder
verlangen uns zwar weniger ab, sind dafür aber allgemeiner und
leichter zugänglich.  Wörter und Texte können die Bedeutung einer
Aussage verdunkeln, Bildern können unmittelbar zu dem in Beziehung
gesetzt werden, was sie bezeichnen.  Im Visuellen sind mehr Sperren
eingebaut als im Wort, obwohl die verleitende Kraft eines Bildes
vermutlich mehr mißbraucht werden kann als die des Wortes.  All das
wird uns helfen, die Verlagerung sozialer und politischer Funktionen
von der Schriftkultur (Bücher und Zeitungen, politische Manifeste,
Zeremonien und Rituale, die auf Text und Lesen basieren) auf visuelle
Medien, besonders das Fernsehen und dessen Folgen besser zu verstehen.
Wir sollten dabei auch bedenken, daß nicht das Fernsehen daran
schuld ist, wenn viele in unserer heutigen Zeit jenseits der
Schriftkultur von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen, und daß es
nicht das visuelle Element ist, das Schauspieler, Rechtsanwälte,
Erdnußfarmer oder erfolgreiche Manager aus der Ölindustrie in die
höchsten politischen (und am wenigsten nützlichen) Regierungsämter
bringt.

Das HDTV (hochauflösbares Fernsehen) zeigt uns einige der typischen
Merkmale dieser Entwicklung--vor allem, wie die Integrationsfunktion
ausgeübt wird.  Integration durch Schriftkultur erforderte
gemeinsames Wissen, vor allem gemeinsame Schreib- und Lesekenntnisse.
Integration über die Vermittlung der modernen bildherstellenden
Technologien, besonders über Fernsehen und computergestützte visuelle
Kommunikation, bedeutet Zugang zu und Verfügbarkeit von Informationen.
Das Fernsehen läßt Länder mit unterschiedlichster Identität,
Geschichte und Kultur nach außen hin so gleich aussehen, daß man sich
nach den Gründen für die Uniformität fragen muß.  Alle Erklärungen im
Detail--Marktprozesse, vor allem weltweit greifende Werbung, das
uniforme elektronische Auge--vermögen letztendlich nicht zu
überzeugen.  Die Ähnlichkeit ist vielmehr bestimmt durch den
Mechanismus, den wir zur Erreichung höherer Effizienz einsetzen:
durch zunehmende Arbeitsteilung, erhöhte Vermittlung und den Bedarf
an alternativen Integrationsmechanismen--all das spiegelt sich in den
Fernsehbildern wider.  Diese Ähnlichkeit bildet das Substrat der
Fernsehbilder und das Substrat des Modetrends, der neuen Rituale und
neuen Werte, so kurzlebig sie auch sein mögen.

Schriftkultur und Fernsehen schließen einander nicht aus.  Aber
diejenigen, die die Qualität der schriftkulturellen Bildung durch
Fernsehen erhöhen zu können glaubten, mußten einsehen, daß diese
Mittel nicht zum erwünschten Ziel geführt haben.  Sprache
stabilisiert, macht gleichförmig, entpersonalisiert.  Fernsehen hält
Schritt mit allen Veränderungen, ist offen für Vielfalt und erlaubt
persönliche Interaktion zwischen jenen, die durch Kameras und
Empfänger miteinander verbunden sind.  Schrift und Schriftkultur sind
hochentwickelt, kompliziert, anspruchsvoll und träge.  Fernsehen ist
spontan und augenblicksbezogen.  Daneben leistet es wissenschaftliche
Dienste, für die sich die Sprache nicht eignet.  Wir können mit der
Sprache keine Dinge erfassen, die wir uns nicht vorstellen können.
Wir können in der Sprache keine Abläufe erfassen, die wir auf einem
Fernsehschirm modellhaft darstellen und mit denen wir zukünftiges
Handeln entwerfen können.  Natürlich verwische ich mit solchen
Überlegungen die Grenzen zwischen dem konventionellen Fernsehen und
dem digitalen Bild.  Entscheidend ist aber, daß das Fernsehen mit
allen seinen Möglichkeiten und Anwendungen den nächsten Schritt zu
einer Sprache der Bilder vollzieht, die die Möglichkeiten der
Computertechnologie und der Vernetzung bewußt miteinbezieht.

Das digitale Fernsehen ist in vielen Bereichen einsetzbar.
Designtätigkeit jedweder Art (Kleidung, Gestaltung von Möbeln,
Produktdesign) kann sich aus der Zusammenarbeit zahlreicher
Beteiligter an vielen unterschiedlichen Orten entwickeln und
unmittelbar in die Produktion einmünden.  Modifizierungen und Tests
können ständig vorgenommen, Produktionsentscheidungen spontan
getroffen werden.  Kommunikation auf derart hohen Effizienzebenen
wird zum entscheidenden Bestandteil der kreativen und produktiven
Leistung.  Die Sprache ist die Sprache des Produkts, eine sich
fortschreibende visuelle Wirklichkeit.  Die daraus resultierenden
Design- und Produktionszyklen werden kürzer, viel kürzer, als daß sie
in einer auf Schriftlichkeit beruhende Kommunikationsform eingebettet
bleiben könnten.

Dieser Effizienzgrad ist nur durch digitale Technik zu erreichen.
Jedes einzelne digitale Bild kann gespeichert, verändert und in neue
Kontexte eingebracht werden.  Es eröffnet ungeahnte
Handlungsspielräume, veranlaßt kreatives Programmieren und
Interaktivität.  Wer sich diese Möglichkeiten zur kreativen Planung
offenhält, erschließt sich eine neue Welt.  Es ist durchaus denkbar,
daß sich aus diesen Tätigkeiten völlig neue, ertragreichere Formen
der Kommunikation einstellen.  In etwa zehn Jahren werden alle
Fernsehgeräte auf digitalen Empfang umgerüstet sein, sofern es dann
überhaupt noch einzelne Fernsehempfänger geben wird.  Entscheidend
aber sind die unzähligen kreativen Möglichkeiten, die sich aus dieser
neuen Wirklichkeit des digitalen Fernsehens ergeben.


Visualisierung

Um mitzuteilen, daß wir etwas verstanden haben, greifen wir auf
verschiedene Alltagsidiome zurück.  Im Englischen sagt man "I see.",
im Deutschen "Ich habe begriffen."  In beiden Fällen wird die
abstrakte Sprache gewissermaßen rekonkretisiert, auf ein Greifbares
oder Visuelles zurückgeführt.  Wir setzen das Verstandene also
offenbar wieder in Dinge und Bilder um, an denen wir das Abstrakte
festmachen.  Ich würde sogar sagen, daß wir alles Abstrakte in der
Konkretheit unserer Sinneseindrücke neu schaffen.  In Sprache und
Schriftkultur herrscht Rationalität vor, gebildet zu sein ist für
viele gleichbedeutend damit, rational zu sein.  In Wirklichkeit ist
jedoch die Rationalität, die wir mit Sprache verbinden, ein kleiner
Teil der potentiellen Rationalität des Menschen.  Die Messung
(lateinisch ratio), die wir in unsere Objektivierung
hineinprojizieren, könnte durchaus auch auf unser Wahrnehmungssystem
bezogen sein.  Es spricht manches dafür, daß einige negative
Auswirkungen unserer schriftkulturellen Rationalität hätten vermieden
werden können, wenn wir auch unsere anderen
Persönlichkeitsdimensionen in unser Tun eingebracht hätten.

Wir haben in verschiedenen Zusammenhängen festgestellt, daß die
Verlagerung von Schriftkultur und Schriftlichkeit zu einer stärker
auf Visualisierung gründenden Zivilisationsform durch neue Geräte,
verstärkte Vermittlung und Integrationsmechanismen hervorgerufen
wurde, welche sich ihrerseits aus den neuen Lebenspraktiken einer
veränderten Skala des menschlichen Tuns entwikkelt haben.  Die
Erweiterung unseres Erkenntnis- und Handlungshorizonts hat komplexere
Arbeitszusammenhänge hervorgebracht, für die unsere Schriftkultur nur
noch bedingt geeignet war und neue, strukturell angemessenere
Sprachen entwickelt werden mußten.  Die Integration dieser Vielfalt
ist durch schriftkulturelle Mittel nur noch teilweise zu leisten,
nicht zuletzt auch deshalb, weil viele Wissenschaftler aller
Disziplinen die besessene Suche nach endgültigen Erklärungen
aufgegeben und durch Vorstellungen von unbegrenzten Abläufen ersetzt
haben.

Bilder eignen sich neben anderen Zeichensystemen strukturell besser
für einen pragmatischen Rahmen, der durch die unaufhörliche
Vermehrung von Wahloptionen, durch hohe Effizienz und Distribution
gekennzeichnet ist.  Um aber Bilder für solche Zwecke einsetzen zu
können, benötigt man einen konzeptuellen Kontext, der diese extensive
Bildverwendung zuläßt.  Keiner von denen, die an der Erfindung des
Computers beteiligt waren, konnte vorhersehen, daß seine Leistung
über die Mechanisierung der Zahlenverarbeitung hinausgehen würde.
Die visionäre Dimension des digitalen Computers ist nicht in seiner
Technologie angelegt, sondern im Konzept einer Universalsprache,
einer characteristica universalis, oder, wie Leibniz es nannte, einer
lingua Adamica.

Das vorliegende Buch will weder die Geschichte des Computers
schreiben noch die der Sprachen, die vom Computer verarbeitet werden.
Aber unser Thema der Visualisierung--vor allem unter dem
Gesichtspunkt einer Verlagerung von Schriftlichkeit auf
Bildlichkeit--erfordert eine kurze Erörterung der Frage, wie
Visualisierung und die Benutzung des Computers durch den Menschen
zusammenhängen.  Das binäre Zahlensystem (das Leibniz in einer auf
den 15. März 1679 datierten Handschrift Arithmetica Binarica nannte)
war ursprünglich nicht als endgültiges Alphabet aus nur zwei
Buchstaben konzipiert, sondern als Grundlage für eine die
Begrenztheit der natürlichen Sprachen überschreitende
Universalsprache.  Bei allen Bemühungen Leibniz’, diese
Universalsprache für Gesetzestexte, wissenschaftliche Erkenntnisse,
Musik u. a. nutzbar zu machen, ist doch die eigentliche Leistung
jahrhundertelang unbeachtet geblieben, ähnlich wie der Versuch,
abstrakte Phänomene mit Hilfe der zwei Symbole seines Alphabets zu
visualisieren.  Dabei verdienen zwei Briefe an Nicolas de Remond (ca.
1714) besondere Beachtung, in denen er komplizierte Begriffe aus der
chinesischen Philosophie in sein binäres Zeichensystem überträgt.
Diese Briefe führen uns unmittelbar in den Bereich des Visuellen und
belegen vermutlich erstmalig den Versuch, aus dem Ideographischen ins
Sequentielle und schließlich ins Digitale zu übersetzen.  Es mußten
300 Jahre vergehen, bis Computerfreaks bei ihren Versuchen, das
Digitalprinzip für Musiknotation zu verwenden, entdeckten, daß Bilder
in einem binären System geschrieben werden können.

Zwei Schlüsse lassen sich daraus ziehen: 1. Nicht die verfügbare
Technologie hat unseren Blick für die Bedeutung von Bildern geschärft
und den Weg zu ihrer digitalen Verarbeitung geöffnet, sondern die
geistige Fähigkeit, die durch die eigene Effizienzerwartung motiviert
war. 2. Visualisierung beschränkt sich nicht auf die Illustration von
Wörtern, Begriffen oder Eingebungen.  Sie stellt vielmehr den Versuch
dar, geeignete Instrumente, Bilder, zur Darstellung und Verwendung
von Informationen zu entwickeln.  Ein Text auf dem Computerbildschirm
ist ein solches Bild, die Visualisierung von Sprache, die nicht aus
einer menschlichen Hand mit einem Schreibwerkzeug stammt.  Ein
Computer spricht keine Sprache.  Er übersetzt jedwedes Alphabet in
sein eigenes Alphabet, verarbeitet es und übersetzt es zurück in
unser Alphabet, und zwar in Form gespeicherter oder automatisch
erzeugter Bilder.

Auch beim Schreiben visualisieren wir, indem wir Sprache auf dem
Papier sichtbar werden lassen.  Beim Zeichnen setzen wir unsere Pläne
für neue Gegenstände ins Bild.  Solange wir den Computer lediglich
anstelle anderer Schreibwerkzeuge verwenden, verändern wir damit
nicht die Bedingungen der Sprache.  Wenn wir aber darüber hinaus
Sprachregeln einprogrammieren (Rechtschreibung, Morphologie u. ä.),
Vokabular und Grammatik speichern und menschliche Sprachverwendung
nachahmen lassen, dann ist das geschriebene Ergebnis nur noch
teilweise auf die Schriftbildung des Verfassers zurückzuführen.  Die
Visualisierung des Textes führt zur automatischen Erstellung anderer
Texte und zu Beziehungen zwischen Sprache und nicht-sprachlichen
Zeichensystemen.  Wir verfügen heute über Mittel zur elektronischen
Verknüpfung von Bild und Text, für Querverweise zwischen Bild und
Text und für die schnelle Umsetzung von Texten in Diagramme.  Es gibt
inzwischen elektronische Zeitschriften, deren Begutachtungs- und
Herausgebertätigkeiten ausschließlich im Netzwerk ablaufen.  Sie
können Bilder, Animationen und Geräusche integrieren und
OnlineReaktionen auf Hypothesen und Daten hervorrufen.  Diese
Publikationen erreichen ihr Publikum natürlich sehr viel schneller.
Damit hat sich das Internet zu einem neuen Publikationsmedium
entwickelt, in dem der Computer die Rolle der Druckmaschine
übernimmt--einer Druckmaschine mit völlig neuen Eigenschaften.  Damit
haben all diejenigen, die sich in der neuen Welt des Internet
entfalten, Zugang zu Informationsressourcen gefunden, die vordem nur
den Eigentümern der Druck- und Medienindustrie oder anderen
gesellschaftlich privilegierten Personen offenstand.

Die visuelle Komponente des Computers, die Computergraphik, beruht
auf der gleichen Sprache aus Nullen und Einsen, auf der sämtliche
anderen Computerabläufe beruhen.  Diese gemeinsame alphabetische und
grammatische Grundlage erlaubt es, Sprache (Übersetzungen von Bildern
oder Zahlen-Bild-Beziehungen wie Diagramme, Skizzen u. ä.) und
abstrakte Beziehungen zu betrachten.  Die Entwicklung von Mitteln,
mit deren Hilfe wir die Grenzen von Sprache und Schriftlichkeit
überwinden können, hat die wissenschaftliche Arbeit vergangener Jahre
beherrscht.  Die neuen Mittel der Informationsverarbeitung versetzen
uns nunmehr in die Lage, an die Stelle der üblichen
phänomenologischen Beobachtung die Entwicklung und Verwendung
verschiedener Spezialsprachen zu setzen, mittels derer wir neue, auf
sehr komplexe und dynamische Phänomene bezogene Theorien entwerfen
können.

Wir wollen die Verlagerung auf visuelle Darstellungsmodi und die
damit verbundene Verlagerung von quantitativen Evaluationen zu
qualitativen Evaluationen einschließlich der diese darstellenden
Bildlichkeit an einigen Abläufen verdeutlichen.  In der medizinischen
Forschung, bei der Synthese neuer Substanzen und bei der
Weltraumforschung haben sich Wörter nicht nur als irreführend,
sondern auch in mancherlei Hinsicht als ineffektiv erwiesen.  So
haben neue Visualisierungstechniken auf der Grundlage der
Molekularresonanz innovative Bereiche der Medizin weitgehend von der
Sprache losgelöst: Patienten beschreiben ihren Zustand, Ärzte
vergleichen diese Beschreibungen mit Krankheitstypologien, die auf
den neuesten und fortlaufend ergänzten Daten beruhen; im Netzwerk
kann der jeweils qualifizierteste Arzt konsultiert werden;
experimentelle Daten werden mit den theoretischen Modellen
zusammengeführt, die Ergebnisse visualisiert und auf digitalen
breitbändigen Hochgeschwindigkeitskanälen ausgetauscht.

Mit solchen Visualisierungstechniken haben wir mittlerweile auch
besseren Zugang zu den Daten der Vergangenheit bekommen und natürlich
zu den Informationen, die wir für unsere zukunftsgerichteten Projekte
benötigen.  Mit der Computertomographie konnte z. B. der innere
Aufbau ägyptischer Mumien dreidimensional dargestellt werden, ohne
daß sie auseinandergenommen und beschädigt werden mußten.  Dabei
wurde ein Simulationssystem verwendet, wie es in der nicht-intrusiven
Chirurgie üblich ist.  Bei Design und Herstellung neuer Materialien,
der Weltraumforschung und in der Nanotechnologie ist die analytische
Perspektive schriftlichkeitsbezogener Methoden längst durch visuelle
Synthetisierungsmethoden ersetzt worden.  Molekülstrukturen können
abgebildet und Interaktionsprozesse von Molekülen simuliert werden,
um die Einwirkung von Medikamenten auf die behandelten Zellen, die
Dynamik der Vermischung sowie chemische und biochemische Reaktionen
verfolgen zu können.  Es ist ferner möglich, in virtuellen Räumen
jene Kräfte zu simulieren, die beim sogenannten Docking
(Zusammenfügen) von Molekülen eine Rolle spielen.  Keine sprachliche
Beschreibung, keine Flugsimulation kann die Abbildung von Daten aus
der Radioastronomie oder wesentliche Bereiche der Genetik und
modernen Physik ersetzen.  Nicht zuletzt ergibt der Bereich der
künstlichen Intelligenz ein geeignetes Beispiel ab.  Obwohl man sich
in diesem Zusammenhang darum bemüht, tätige menschliche Intelligenz
in ihren authentischen Abläufen nachzubilden, zeichnet sich doch
gerade dieser Bereich paradoxerweise dadurch aus, daß er hergebrachte
Werte und Begriffe, die zur Schriftkultur gehören, bewahrt.

Wer mit Bildern in dem Maße aufwächst, in dem vorausgegangene
Generationen der Schriftkultur verpflichtet waren, entwickelt zu
Bildern ein anderes Verhältnis.  Die verfügbare Technologie zur
Visualisierung fördert neue Wege der Interaktion.  Diese Technologie
verändert dabei nicht nur Wissenschaft und Technik.  Sie beeinflußt
unseren täglichen Umgang miteinander, mit Menschen und völlig anderen,
weit entfernten Kulturkreisen und unseren Umgang mit Geräten und
Maschinen.  Sie stellt ein alternatives Medium für unser Denken und
unsere Kreativität bereit, wie sie es in der Geschichte von Technik,
Handwerk und Design schon immer getan hat.  Sie hilft uns dabei,
unsere Umwelt besser zu verstehen, insbesondere die vielfältigen
Veränderungen, die wir durch unsere Lebenspraxis in ihr hervorrufen.
Mit Hilfe von Visualisierungen erfahren wir räumliche Dimensionen,
die jenseits unserer unmittelbaren Wahrnehmung liegen, und das
Verhalten von Gegenständen in diesen Räumen.  Visualisierungen
erweitern den Bereich der künstlerischen, aber auch
wissenschaftlichen Kreativität.

Die Printmedien, die ohnehin Schriftlichkeit und Sehvermögen
zusammenführen, betonen heute die visuelle Komponente mehr denn je.
Wir sind zur Kommunikation nicht mehr ausschließlich den
sequentiellen schriftlichen Sprachformen ausgesetzt, aus teils guten,
teils zweifelhaften Gründen.  Eine visuelle Sprache begegnet uns in
Form von Comic Strips, Werbung, Wetterkarten, Wirtschaftsberichten
und zahlreichen anderen bildlichen Darstellungen.  Einiges davon wird
nach wie vor zu Papier gebracht, anderes in neuen dynamischen
Darstellungsformen dargeboten, deren Möglichkeiten wir angedeutet
haben, und die das, was vor wenigen Jahrzehnten noch utopischer Traum
weniger Visionäre war, zur Alltagsroutine gemacht haben.

Auch dort, wo bildliche Darstellungen bislang kaum von Bedeutung
waren, spielen die Möglichkeiten der Bildverwertung eine zunehmend
größere Rolle--im politischen Bereich, im juristischen Diskurs, in
der Verwaltung.  Bildbeweise gewinnen in Gerichtsverfahren an
Bedeutung, Geschworene können nicht nur die Ergebnisse forensischer
Untersuchungen, sondern das Verbrechen selbst per Bild nachvollziehen.
Damit sind menschliche Schicksale nicht mehr nur von individuellem
Erinnerungs- und Vorstellungsvermögen oder von rhetorischen
Fähigkeiten der Rechtsanwälte abhängig.  Steuerausgaben werden
veranschaulicht, politische Argumente im Bild vorgestellt.  Wenn ein
Politiker im Netzwerk eine bestimmte Leistung für sich beansprucht,
kann sein Anspruch mit realen Bildern gestützt oder in Frage gestellt
werden.  Politische Versprechen können noch während einer
Wahlkampfrede modellhaft durchgespielt und dargestellt, die
Entscheidung über eine militärische Aktion durch ein sofortiges
Referendum überprüft werden, während gleichzeitig diese Aktion
gegebenenfalls mit Alternativen auf Monitoren simuliert wird.  Der
Citoyen (Bürger) wird zum Netoyen (englisch netizen): der Bürger als
vernetztes Subjekt.  Alle diese Möglichkeiten grundsätzlich zu
verherrlichen, wäre indes töricht.  Der Mißbrauch von Bildern ist
genauso groß wie der mögliche Segen, der von einer vernünftigen
Verwendung ausgehen kann.

Dennoch verzeichnet die Ausbildung visuell gebildeter Menschen nicht
die gewünschten Fortschritte.  Noch immer erfinden wir das Rad neu,
wenn wir unsere Bildungsformen ausschließlich auf Schriftlichkeit und
Schriftkultur gründen und dabei eine umfassende visuelle Ausbildung
vernachlässigen.  Visuelle Alternativen, die lediglich der
Illustration des traditionellen Materials dienen, bekräftigen das
traditionelle System und genügen nicht den heutigen
Effizienzerwartungen.  Außerdem sind sie oft unwesentlich, schlecht
und teuer.  Statt Kommunikation zu fördern, lenken und manipulieren
sie sie.  Wir benötigen eine visuelle Bildung, genauer: eine Vielzahl
solcher visueller Alphabetismen, die allesamt weniger begrenzend,
weniger dauerhaft und weniger kompartimentiert sind, um unsere
Selbstkonstituierungund Persönlichkeitsentfaltung in Bildern zu
verbessern.  Die ethischen Aspekte solcher Erfahrungen bedürfen noch
der Lösung, besonders angesichts der Tatsache, daß die Beschränkungen
des Visuellen anderer Art sind als diejenigen, die im Buchstaben
unserer Gesetze und moralischen (oder religiösen) Überzeugungen
angelegt sind.

Ich hoffe gezeigt zu haben, daß es nicht darum geht, eine Form von
Bildung und Alphabetismus durch eine andere zu ersetzen.  Die Dynamik
des derzeit zu beobachtenden Prozesses erfordert vielmehr den
Übergang von einer einzigen, alles beherrschenden Form
schriftkultureller Bildung zu einer Vielfalt höchst anpassungsfähiger
Zeichensysteme.  Diese Anpassungsfähigkeit drückt sich in den
erforderlichen neuen Kompetenzen aus.  Auch sollten wir uns um ein
Verständnis der integrativen Prozesse bemühen, damit sich die
individuellen Fähigkeiten und Leistungen in einem durch extreme
Arbeitsteilung und Spezialisierung gekennzeichneten Rahmen der
menschlichen Identitätsfindung optimal entfalten können.  Wenn Sehen
gleichbedeutend mit Glauben ist, dann ist das Glauben all dessen, was
wir heutzutage zu sehen bekommen, eine Angelegenheit, auf die wir
letztendlich nur schlecht vorbereitet sind.



Kapitel 2:


Der professionelle Sieger

Die Bezüge zwischen Sport und Schriftkultur sind alles andere als
offensichtlich.  Das Zuschauen bei einer Sportveranstaltung setzt
keine sonderliche Bildung voraus, und um in einer sportlichen
Disziplin oder einer Mannschaft ein Star zu werden, bedarf es keiner
besonderen Lese- und Schreibfähigkeiten.  Die mit Sport verbundenen
Tätigkeiten und Abläufe gehören zu unserem alltäglichen körperlichen
Repertoire und bildeten einstmals die Grundlage für die primitiven
Überlebenstechniken.  Auch die auf körperliche Leistungsfähigkeit
bezogenen magisch-mythischen Rituale können ohne Rekurs auf mündliche
oder schriftliche Sprachlichkeit erklärt werden.  Außergewöhnliche
physische Fähigkeiten wurden und werden noch heute in einigen
Kulturen als Ausdruck von Kräften gedeutet, die sich unserer direkten
Kontrolle und unserem Verständnis entziehen.  Götterverehrung nahm
oft die Form außergewöhnlicher körperlicher Leistung an; in
archaischen Kulturen wurden Athleten als Dankesopfer dargebracht,
weil das Beste den Göttern zum Wohlgefallen diente.

Frühe Formen dessen, was später Sport genannt wurde, fielen zeitlich
mit der Entwicklung jener Zeichensysteme (Gesten, Laute, Formen)
zusammen, die schließlich zur Schrift führten.  Es war eine
synkretistische Entwicklungsphase, in der das Physische den Intellekt
beherrschte.  Das Laufen bei der Jagd und das Laufen als Spiel sind
zwei gänzlich verschiedene Erfahrungsformen, die unterschiedlichen
pragmatischen Kontexten angehören, sie verfolgen unterschiedliche
Zwecke und zeitigen unterschiedliche Ergebnisse.  Zwischen diesen
Erfahrungsformen liegen etwa 20000 Jahre.  Der in einem Wettkampf
ausgedrückte Grad der Abstraktion und Verallgemeinerung setzte
Selbsterfahrungen voraus, in denen sich das Verhältnis vom Physischen
zum Geistigen radikal veränderte.  Die Bezeichnung Sport entwickelte
sich vermutlich in dem lebenspraktischen Rahmen, in dem sich die
Trennung von säkularen und nicht-säkularen Formen der Lebenspraxis
vollzog.  Die Pflege und Ausbildung der biologischen Anlagen und
magisch-mythische Praktiken beruhten beide auf der Einsicht in die
besondere Bedeutung des Körpers und in die Notwendigkeit, diese
Einsicht allgemein zu verbreiten.  Die beherrschende Antriebskraft
war auch hier die Effizienz, nicht als solche bewußt gemacht, nicht
begrifflich gefaßt, aber anerkannt im Körperkult und in dem Bemühen,
diesen zum Teil der allgemeinen Kultur zu machen.  Wettkampf
(griechisch athlos) und Preis (griechisch athlon, woraus sich der
Begriff Athlet ergab) sind Verallgemeinerungen jener
lebenspraktischen Situationen, die Überleben und Wohlergehen
befördert hatten.

Sport ist eine komplexe Erfahrung mit rationalen und irrationalen
Komponenten, die im Verhältnis von Sport und Schriftkultur beide eine
Rolle spielen.  Wir wollen uns die Entwicklung anschauen, die den
Sport in seiner heutigen Form hat entstehen lassen: einerseits ein
Freizeit- und Entspannungsphänomen, andererseits eine hochkompetitive
Form der Arbeit, die wie jedes andere Produkt menschlicher Arbeit auf
dem Markt gehandelt wird.

Die Verbindung zwischen dem Ergebnis körperlicher Arbeit und
körperlicher Leistungsfähigkeit stellte sich im Zusammenhang einer
sehr begrenzten, aber stark strukturierten Tätigkeit ein.  Sie wurde
schnell zum Maßstab des Überlebenserfolgs, und so drückt sich die
Rationalität einer Lebensgemeinschaft, für die das Überleben der
Tüchtigsten zur alltäglichen Erfahrung gehört, im Prinzip des
Wettkampfs und der Konkurrenz aus.  Athleten fanden sich zum
Wettkampf ein, um den Göttern wohlgefällig zu sein, um Fruchtbarkeit,
Regen oder ein längeres Leben zu erflehen oder Dämonen zu vertreiben.
Viele Petroglyphen und frühe Schriftdokumente heben die Rolle des
Stärkeren, Schnelleren und Geschickteren heraus.  Alle Kulturen haben
Hinweise darauf überliefert, daß das Körperliche und dessen
besonderer symbolischer Status eine wichtige Rolle gespielt haben.

Die Einsicht, daß einige biologische Merkmale des Menschen seine
Überlebenschancen erhöhten, führte auch zum Verständnis der
Rationalität des Körpers.  Die Einbindung dieser Rationalität in eine
Kultur des Körperbewußtseins führte zu praktischen Erfahrungen der
Selbstentfaltung, die schließlich im Profisport ihren vorläufigen
Endpunkt fand.  Ein irrationales Element liegt darin, daß alle Männer
und Frauen zwar struktural gleich, manche aber dennoch physisch
vorteilhafter ausgestattet sind.  Wie bei allen anderen Formen der
Identitätsfindung wurde auch hier das Unerklärbare einem
Erklärungsbereich zugewiesen, der jeglicher Rationalität entbehrt.
Deshalb werden Bitten um Regen und Gesundheit oder das Vertreiben
böser Geister mit sportlicher Tätigkeit verknüpft.  Der Kult des
Körpers, besonders bestimmter Körperteile, ergab sich aus Erfahrungen
des Menschen, die zum Bewußtsein seiner selbst führten.  Als Körper
und Körperteile Selbstzweck wurden, stand die Rationalität
körperlicher Leistungsfähigkeit zu Überlebenszwecken zu anderen,
jenseits individuellen oder kollektiven Wohlergehens liegenden
Gründen im Widerspruch.  Ritual und Mythos, Religion und Politik
nahmen sich dieser irrationalen Komponenten an.  In
frühgeschichtlichen Kulturen, in denen die Kenntnis körperlicher
Phänomene noch nicht sonderlich ausgeprägt war, wurde von der
physischen Leistungskraft der wettstreitenden Athleten auf das
zukünftige Wohlergehen der ganzen Gesellschaft geschlossen.

Müssen wir in einem Zusammenhang, in dem das Überleben der
Tüchtigsten an körperliche Leistungsstärke gebunden war, von der
Vorstellung ausgehen, daß ein Kämpfer ähnlich einem allein lebenden
Tier, das sich den anderen nur zu Paarungszwecken anschließt, allein
auf sich gestellt aus der Menge herausragt und sich nur dem Kampf
stellt, um zu töten oder getötet zu werden?  Wohl nicht.  Der Mensch
hat sich stets in kooperativen Formen entfaltet, wie primitiv sie
ursprünglich auch waren.  Bis zu einer bestimmten Skala ging der
Kampf immer nur ums Überleben, er setzte sich um in Nahrungssuche und
Fortpflanzung.  Erst als die Landbewirtschaftung mehr Nahrung als
unmittelbar benötigt produzierte, verlagerte sich der Kampf vom
Überlebenskampf zur Selbstbestätigung im Wettkampf.  Wettkampf und
Leistungserwartung fielen mit den Anfängen der Schrift zusammen und
wurden dann zunehmend als Teil des kommunalen Lebens begriffen.  Jede
weitere Veränderung des menschlichen Daseins führte zu entsprechend
veränderten Erwartungen an die körperliche Leistungskraft, die den
jeweiligen Effizienzerwartungen entsprachen.


Sport und Selbstkonstituierung

Gymnastik als Körperkultur steht auch im Zusammenhang mit der
Entwicklung der Kunst.  Sie ist nicht nur zufällige Abfolge von
Bewegungsübungen, sondern hat physische und metaphysische Dimensionen;
letztere haben zu tun mit der Suche nach idealen Proportionen, die
in philosophischen Zusammenhängen gesucht und ausformuliert wurden.

Entsprechend der Grundthese dieses Buches, daß sich die
Menschheitsentwicklung als fortschreitende Selbstkonstituierung in
praktischen Lebenszusammenhängen vollzieht, ist auch Sport keine
reflexive, sondern eine konstitutive Erfahrung.  In der Ausübung
sportlicher Tätigkeiten entfalten die Menschen ihre körperlichen
Eigenschaften und deren Koordinierung.  Diese Entfaltung gehört zur
Identitätsfindung und damit auch zur Eingliederung in eine
interaktive Gruppe Gleichgesinnter.  Die Forschung führt die Anfänge
des Sports im wesentlichen auf Überlebenstechniken zurück und stellt
ihn damit in den Zusammenhang der Darwinschen Evolutionstheorie.  Aus
der Perspektive eines Joggers erweist sich der Dauerlauf aber eher
als eine sehr persönliche, individuelle Erfahrung.  Grundsätzlich ist
aber auch das Laufen eine gemeinschaftliche Angelegenheit von
Menschen, die der körperlichen Ertüchtigung einen bestimmten Wert und
soziale, kulturelle, wirtschaftliche und medizinische Bedeutung
beimessen.  Wir schaffen uns nicht nur durch Dichtung,
Landbewirtschaftung oder die Herstellung von Maschinen, sondern auch
durch sportliche Tätigkeit.  Der Sport besitzt wie die anderen
praktischen Erfahrungen natürliche, kulturelle und soziale
Dimensionen, die beim Erlebnis eines Sportereignisses
zusammmentreffen.  Das Zusammenspiel der verschiedenen Dimensionen
kann Gegenstand eines Berichts werden: die Erklärung der Leistung
durch Training, Veranlagung, durch soziale Bedingungen (Stolz,
Ehrgeiz, Patriotismus).  Vielen erscheint die Bedeutung eines
Sportereignisses daher auch nicht in der diesem Ereignis jeweils
eigenen Dynamik und dem speziellen Ablauf des einzelnen Wettkampfs,
sondern als vorbestimmt, wie in den magisch-mythischen Körperkulten
ja auch diese Bedeutung den gesamten Vorgang bestimmte.  Dem Verlauf
eines Fußall- oder Hockeyspiels wird man diese Bedeutung nicht mehr
direkt ablesen können.  Sie sind zu spezialisiert und stellen nichts
dar als sich selbst.  Aber ein Spiel kann doch auch andere Funktionen
zugewiesen bekommen und statt eines nach bestimmten Regeln
ablaufenden Wettkampfes zu einem Nervenkrieg, zur Darstellung von
Gewalt, Nationalstolz oder zu reinem Exhibitionismus degenerieren.

Trotz identischer körperlicher Anlagen der Menschen hat der Sport in
unterschiedlichen Kulturen doch unterschiedliche Formen und
Bedeutungen angenommen.  Ich habe dabei nicht die Freudsche oder
marxistische Theorie des Sports im Auge oder Huizingas Homo ludens.
Ich erkläre die Unterschiede viel mehr aus den unterschiedlichen
Kontexten, in denen sie sich wie jede andere Form menschlicher
Erfahrung entwickelt haben, also aus einer pragmatischen Perspektive.
Wenn ein Japaner in einem Kemari genannten Spiel gegen einen Ball
tritt, dann hat das mit Fußball wenig zu tun.  Wenn ein
buddhistischer Bogenschütze den Bogen spannt, dann ist dieser Ablauf,
in dem das Verlangen nach Einheit mit der Welt zum Ausdruck kommt,
ein anderer als beim Bogenschießen afrikanischer Stämme oder beim
Bogenwettkampf der antiken Olympischen Spiele.  Viele Beispiele
könnten dies ergänzen.  Vielleicht sollten wir uns die
Bewegungsabläufe jüngerer, nicht aus dem Symbolismus vergangener
Zeiten hervorgegangener Sportarten wie Baseball, Wassergymnastik oder
Eistanz anschauen, um zu sehen, welche Aspekte menschlicher Tätigkeit
jeweils in sie eingegangen sind und welche Erfahrungsformen sie für
die Beteiligten ergeben.  Überraschend ist vor allem die Vielfalt.
Die menschliche Phantasie ersinnt immer wieder neue Wettkämpfe, in
denen Sportler ihre körperliche Leistungsfähigkeit messen können.
Ebenfalls wenig überraschend ist die Tatsache, daß sie alle dabei
bestimmte Regeln befolgen, Spielregeln oder auch solche der äußeren
Erscheinung (Kleiderregeln u. ä.).  Neben solchen standardisierten
Erfahrungsmustern findet sich auch eine von diesem Standard
abweichende Praxis in Form von individuellen Regeln,
ad-hocKonventionen und privaten Wettkämpfen.  Die soziale und die
private Ebene des Sports hängen lose zusammen.  Als Profisportler muß
man die Regeln der standardisierten Erfahrung in bestimmten
Organisationsformen oder in anerkannten Wettkämpfen befolgen.  Im
übrigen befindet sich derjenige, der einem Beruf im sportlichen
Bereich nachgeht, in einer ganz ähnlichen Situation.  Hier ist die
Schriftkultur das Medium, das die Regeln faßt.


Sprache und körperliche Leistung

Uns interessiert nicht die Ähnlichkeit zwischen, sondern der
Zusammenhang von Sport und Sprache.  Ein offensichtlicher
Zusammenhang besteht darin, daß wir die Sprache zur Beschreibung von
Sportereignissen und deren Bedeutung verwenden.  Das heißt nicht, daß
es ohne Sprache keinen Sport gäbe.  Sport wurde zum Teil des
gesellschaftlichen Lebens, als sich Schriftsprachen herausbildeten.
Genügend visuelle Darstellungen (Petroglyphen und später
Hieroglyphen) deuten darauf hin, daß nicht nur die körperliche
Tätigkeit und die dazugehörige Übung als solche (z. B. die Jagd nach
wilden Tieren) beachtet, sondern die körperlich Tüchtigen auf
besondere Weise herausgehoben und behandelt wurden--im Grabmal des
ägyptischen Pharao Beni Hasan ist der Ringkampf in allen seinen
Varianten abgebildet.

Die Bewegungsmuster des Ballspiels im Kemari und die Muster der
Sprachverwendung im selben Kulturkreis hängen nicht unmittelbar
zusammen.  Aber das Spiel ist durch ein Konfigurationsprinzip
gekennzeichnet: Zweck des Spiels ist es, den Ball so lange wie
möglich in der Luft zu halten.  Fußball, auch das amerikanische
football, ist sequentieller Natur: Ziel des Spiels ist es, mehr Tore
als der Gegner zu erzielen.  Im Kemari ist das Spielfeld durch vier
verschiedene Bäume markiert: Weide, Kirsche, Pinie und Ahorn.  Beim
Fußball sind die Spielfeldgrenzen künstlich gezogen, außerhalb derer
die Spielregeln sinnlos wären.  Auch die Sprachen beider Kulturkreise
sind durch unterschiedliche Strukturen gekennzeichnet, die
unterschiedlichen Erfahrungszusammenhängen entsprechen.

Die ihnen jeweils innewohnende Logik beeinflußt offenbar die Logik
der Sportart.  Kemari ist nicht nur nicht-prädikativ und konfigurativ,
sondern vom Prinzip des amé beherrscht, das den Zusammenhang der
Dinge betont.  Fußball und football sind analytische Planungsspiele,
Texte, deren Endpunkt das erzielte Tor oder der touchdown ist.  Die
Mentalität, also der Ausdruck, den eine praktische Erfahrung in
bestimmten musterhaften Erwartungen findet, spielt im Sport also
ebenfalls keine geringe Rolle.

Sport ist ein Ausdrucksmittel.  In der Ausübung einer sportlichen
Tätigkeit drücken sich nicht nur körperliche, sondern auch geistige
Fähigkeiten aus: Selbstkontrolle, Koordination, Planung.
Ursprünglich haben sich körperliche Leistung und einfache
Sprachformen ergänzt.  Später gehen sie eigene Wege, ohne sich
allerdings jemals ganz zu trennen (wie die Olympischen Spiele der
Antike zeigen).  Als die Sprache an ihre relativen Grenzen kam,
konnten die Ausdrucksformen des Sports einige Funktionen übernehmen:
Nicht die allergrößte Sprachfertigkeit könnte je die Dramatik eines
Wettkampfes, die Tragödie einer Niederlage oder das Hochgefühl eines
Sieges wiedergeben.  Interessanter noch ist das, was die Sprache dem
Sport abgewann.  Sie griff einige der typischen Merkmale des Sports
auf, verallgemeinerte sie und übertrug sie in veränderter Form auf
Gebiete, die mit Sport nicht mehr das Geringste zu tun haben: Sport
statt Krieg, Sport als Ordnungsprinzip oder als Zirkus für die Massen.
Zuallererst aber gewannen die Menschen dem Sport den
Wettbewerbsgedanken ab als nationale Eigenschaft, aber auch als
Merkmal der Bildung, der Kunst und des Marktes.

Der in der Sprache rationalisierte Wettbewerbsgedanke führte zu
Vergleich und zu Leistungsmessung, womit die Grundlagen für eine
Sportbürokratie und die institutionalisierten Aspekte des Sports
gelegt waren.  Die Griechen hofierten die jeweiligen Sieger.
Zeitmeßgeräte kamen erst später zum Einsatz, vor allem, als in einem
allgemeinen Rahmen von Besitz, Recht und Erbrecht die Dokumentation
von Fakten an Bedeutung gewann.  Das Spiel bedarf keiner Sprache, die
Schrift aber ermöglichte es, allgemein verbindliche Regeln zu
formulieren, die dann die Natur des jeweiligen Spiels auf Dauer
festlegten.  Insofern ist die sich in organisierten Wettkämpfen
niederschlagende Institutionalisierung des Sports ein Produkt der
Schriftkultur und weist deren pragmatische Erwartungen auf.

In jeder Sportart verbirgt sich die Sehnsucht nach Natur und Freiheit,
eine Reminiszenz der überkommenen Überlebensstrategien des Jagens
und des Fischens.  Ihrer Natur nach verrät die jeweilige Disziplin
aber zugleich die Veränderungen, die im Verhältnis des Menschen zur
natürlichen und sozialen Umwelt und zur von ihm geschaffenen
künstlichen Welt eingetreten sind.  Das Schießen auf Zielscheiben
oder mit Laserstrahlen in Nintendo-Spielen steht eben am anderen Ende
der menschlichen Entwicklung.  Jene Umstände, die zwangsläufig zur
Schriftkultur geführt hatten, änderten auch den Status der
sportlichen Tätigkeit.  Der Wettkampf wurde zu einem Produkt mit
besonderem Status; der Siegerpreis versinnbildlicht den zeitlichen
Prozeß, durch den der Wettkampf evaluiert wird.

Allen Guttman hat folgende Kennzeichen des heutigen Sports
herausgestellt: Säkularität, Chancengleichheit, hochspezialisierte
Rollenverteilung, Rationalisierung, Bürokratisierung, Quantifizierung
und Streben nach neuen Rekorden.  Er hat die Merkmale jedoch nicht
mit den allgemeinen Strukturen des Sports korreliert und im
Zusammenhang mit der allgemeinen menschlichen Lebenspraxis bewertet.
Unter diesem Gesichtspunkt nämlich würde sich Effizienz als viel
wichtiger als etwa die sogenannte Chancengleichheit, Quantifizierung
oder Bürokratie erweisen.  Der Effizienzgedanke wird evident, wenn
wir die komplizierten, bisweilen obskuren Regeln sportlicher
Veranstaltungen in ritualistischen Kulturen mit Ansätzen vergleichen,
diese Regeln zu vereinfachen und die Abläufe so transparent wie
möglich zu gestalten.  Als einige afrikanische Stämme den
europäischen Fußball übernahmen, stellten sie ihn in den Kontext
ihrer rituellen Handlungen.  Sämtliche kulturellen Voraussetzungen
dieses Spiels wurden aufgegeben und durch andere, aus einem anderen
Praxiszusammenhang stammende Voraussetzungen ersetzt.  Der Inyanga
(Medizinmann) war für das Ergebnis verantwortlich; Spieler und
Anhänger mußten die Nacht vor dem Spiel gemeinsam am Lagerfeuer
verbringen; Ziegen wurden als Opfergaben dargebracht.  Die Zeremonie
wurde zum entscheidenden Strukturmerkmal, nicht das Spiel; Sieg oder
Niederlage waren sekundär.  Erst als jene Stämme näher mit
schriftkulturellen Zivilisationen in Beziehung traten, gewann der
utilitaristische Aspekt die Oberhand.  Die Fußballspieler aus Afrika,
die heute in den ersten Ligen der europäischen Länder Millionäre
werden, erkennen nur die Rituale des Siegers (und die entsprechende
Prämie) an.  Und wenn wir daraufhin den europäischen Fußball mit dem
amerikanischen football vergleichen, wird ebenfalls evident, wie sich
aus veränderten Strukturen der Lebenspraxis neue sportliche Muster
herausbilden.

In unserem Zusammenhang ist die Tatsache wichtig, daß die
Schriftkultur neben anderen Formen der Lebenspraxis auch den Sport im
Rahmen der für die Industriegesellschaft typischen Dynamik nachhaltig
geprägt hat.  Als Wiege des Industriezeitalters ist England zugleich
der Ausgangspunkt für viele Sportarten und andere Formen der
körperlichen Ertüchtigung gewesen.  Aber mit den Veränderungen der
Lebenspraxis sind manche der für die Industrielle Revolution
wichtigen Entwicklungen überholt.  Dazu gehört z. B. die Isolation
der Nationalstaaten.  Schrift und Schriftkultur fördern nationale
Eigenheit.  Seinem Wesen nach sollte der Sport über den nationalen
Grenzen stehen.  Aber die Erfahrung lehrt uns (und die Olympischen
Spiele 1936 in Berlin sind nur der Extremfall), daß
Sportveranstaltungen im Zeichen der Schriftkultur wie viele andere
Lebensformen nationalistisch durchdrungen wurden.  So degeneriert der
sportliche Wettkampf oft genug zur feindlichen Auseinandersetzung und
zum Konflikt.  Im alten Griechenland, in China oder Japan wurde keine
Leistung gemessen, anstelle des Vergleichs stand die körperliche
Harmonie und Ästhetik im Vordergrund.  In England wurde der Sport
institutionalisiert und die sportliche Leistung in Rekordlisten
festgehalten.  In England wurde die Geschichte des sportlichen
Wettkampfs als Rechtfertigung dafür geschrieben, daß er der
gebildeten Oberklasse vorbehalten blieb, ausschließlich für Amateure,
denen der Sieg als Lohn genügte.

Einige Spiele wurden im Rahmen der Schriftkultur erst erfunden und
mit Funktionen versehen, die auch die Schriftkultur kennzeichnen.
Sie veränderten sich in dem Maße, in dem sich die Schriftkultur und
ihre Rolle veränderten, und brachten eine neue Kultur zum Ausdruck,
in der immer mehr Sprachen mit immer begrenzteren Funktionsbereichen
vorherrschten.  Im Informationszeitalter, in dem viele Aufgaben, die
ursprünglich der Sprache zufielen, von anderen Ausdrucksmitteln
übernommen worden sind, ist Sport für viele eine Frage der Datenfülle
geworden.  Wer sich an der Schönheit des Tennisspiels erfreut,
interessiert sich erst in zweiter Linie für die Geschwindigkeit des
ersten Aufschlags.  Aber nach einer gewissen Zeit wird auch er
begreifen, daß die neuen illiteraten Bedingungen das Spiel und die
Schönheit seiner Abläufe bis zur Unkenntlichkeit verändert haben.
Wer siegen will, benötigt einen schnellen und harten Aufschlag, der
aus dem Spiel kaum mehr als einen extremen kurzen (wenn überhaupt)
Austausch von harten Schlägen werden läßt.  Ähnliches gilt für
Baseball, American football, Basketball und Hockey: Sie alle sind
begleitet von unzähligen Statistiken, die für den Kenner oft
wichtiger sind als das Spiel selbst.  Die Veränderungen, denen Natur
und Zweck des Sports unterworfen sind, stehen im Einklang mit dem
Prozeß, der eine einzige, allseits beherrschende Sprache durch eine
Vielzahl von begrenzten Sondersprachen ersetzt und damit zugleich die
Notwendigkeit von Schriftkultur und schriftkultureller Bildung
eingeschränkt hat.


Der ‘illiterate’ Athlet

In der Geschichte des Sports ist das Ideal vom harmonisch
ausgebildeten Menschen durch den Hochleistungsgedanken ersetzt worden.
Die Dynamik, die diese Entwicklung förderte, ist im Grundsatz
identisch mit jener Dynamik, die alle anderen Formen menschlicher
Entfaltung verändert hat.  Strukturell handelt es sich dabei um die
Verlagerung von der direkten Auseinandersetzung mit der natürlichen
Umwelt zu stärker vermittelten Beziehungen zwischen Mensch und Natur.
Die Jagd nach einem Tier, das schließlich gefangen und verzehrt wird,
hat unmittelbar mit dem Überleben zu tun.  Neben dem körperlichen
Aspekt spielen weitere Elemente in der Beziehung Jäger--Beute eine
Rolle: die Verbergung des Körpergeruchs; das Anlocken der Beute; das
Beschränken auf einen unbedingt notwendigen Kraftaufwand.  Später
treten Ritual, Magie und Aberglauben hinzu, ohne dabei das Ergebnis
unbedingt zu befördern.

Das Laufen als Training der körperlichen Leistungsfähigkeit ist auch
eine unmittelbare Erfahrung, aber hinsichtlich des Ergebnisses
weniger unmittelbar als die Jagd.  Das Training verrät zusätzliche
Kenntnisse: Wie beeinflußt die Beschaffenheit von Muskeln und
Kreislauf, wie beeinflussen Widerstands- und Willenskraft unser Leben,
unsere Arbeit und unsere Gesundheit?  Es verrät ferner eine
verbliebene Sehnsucht nach der Erfahrung der Körperlichkeit und nach
einem unmittelbaren Raum- und Zeitgefühl, das in der künstlichen
Umwelt unserer Wohnungen und Arbeitsplätze verlorengegangen ist.  Das
Laufen aus reiner Freude unterscheidet sich wesentlich vom
zweckgerichteten Laufen--auf der Jagd, nach Freund oder Feind, nach
Beute oder Rekorden.  Das Laufen um des Überlebens willen ist keine
spezialisierte Tätigkeit; das Laufen bei Kriegsspielen erfordert
einige Spezialkenntnisse; die Weltmeisterschaft im Sport erfordert
die Kenntnisse einer ganzen Reihe von Spezialisten, die am Erfolg des
einzelnen Sportlers beteiligt sind.  Im ersten Fall (Jagd) liegt ein
unmittelbarer Anlaß vor; im zweiten Fall ist er weniger unmittelbar
und im dritten (Beute) auf vielfältige Weise vermittelt: die Idee vom
Laufen als Wettkampf, die von allen Beteiligten akzeptierte
Streckendistanz, die daran geknüpften Werte und Bedeutungen,
Trainingsmethoden und Ernährungsweisen, Sportkleidung.  Vor die
Spezialisierung ist ein Selektionsprozeß geschaltet.  Nicht jeder
bringt die für eine sportliche Höchstleistung notwendigen
körperlichen und geistigen Voraussetzungen mit.  Im Hintergrund
vollzieht sich die Evaluation des marktfähigen Produkts: des Athleten.
Während dieses Prozesses wird der Mensch verschiedenen Formen der
Entfremdung ausgesetzt, hervorgerufen durch den spürbaren Schmerz
oder unmerklich vollzogen--ungelesene Bücher schmerzen nicht.  Wir
nehmen in der Regel die Höhepunkte im Leben eines Sportlers zur
Kenntnis und vergessen dabei den schmerzensreichen Weg, der dem
Erfolg vorausging: harte Arbeit, schwierige Entscheidungen,
zahlreiche Entsagungen und die körperlichen und geistigen Qualen, die
der Sportler sich im Training und im Wettkampf auferlegen muß.

Wie gebildet muß er sein?  Im Grunde genommen stellt sich die gleiche
Frage beim Arbeiter, Bauern, bei einem Ingenieur, einer Tänzerin oder
einem Wissenschaftler.  Sport und Bildung hingen in einem bestimmten
Kontext einmal eng zusammen.  Der gesamte Schul- und Collegesport
(wie er sich im 19. Jahrhundert in England entwickelt hat) verkörpert
dieses Ideal: mens sana in corpore sano.  Einige Sportarten und der
Hochleistungsgedanke haben sich aus einer schriftkulturellen
Mentalität entwickelt und sind Projektionen von Sprache und
Schriftkultur in die körperlichen Übungen.  Tennis ist das vielleicht
bekannteste Beispiel hierfür.  Mit der Relativierung der
Schriftkultur emanzipierten sich indes auch die Sportarten und
entwickelten ihre eigene Sprache.  Der Sieg als einzig anerkanntes
Ziel stellt die Effizienz in den Vordergrund, die gemessen und
aufgezeichnet wurde.

Bildung und Effizienz in Sportarten, die körperliche Kraft und
Schnelligkeit voraussetzen, sind nicht unbedingt deckungsgleich.  Man
vergleiche etwa American football, Basketball oder Baseball mit
Langstreckenlauf, Schwimmen oder dem exotischen Bogenschießen.  Das
klingt nach Klischee und Vorurteil.  Aber es geht uns weder um das
Klischee des ungebildeten Muskelprotzes noch um das des Adligen, der
sein Latein ebenso gut beherrscht wie sein Pferd.  Es geht um das
sportliche Umfeld im allgemeinen.  Für das verbreitete Bild des zwar
körperlich außergewöhnlich, geistig aber weniger leistungsstarken
Athleten gibt es zwar genügend Gegenbeispiele, sie stellen aber wohl
dennoch eher die Ausnahme dar.  Das liegt nicht daran, daß
körperliche und geistige Leistungsfähigkeit einander ausschließen,
sondern daß die hohen Effizienzerwartungen es nahezu unmöglich machen,
in beiden Bereichen mit gleicher Intensität zu arbeiten und
entsprechende Leistungen zu erzielen.  Jede Form von Spezialisierung,
auch und gerade im Sport, erfordert eine Konzentration von Energie
und Talent auf die eine Sache.  Jede Entscheidung hat ihren Preis.

Sportliche Höchstleistung setzt zwar nicht unbedingt hohe Bildung
voraus, wohl aber eine Kenntnis der Sprache des Sports.  Hochleistung
und hohe Effizienz gründen auf einem bestimmten Typus
hochspezialisierter Kenntnisse und einer speziellen Sprache: genaue
Kenntnis des menschlichen Körpers, Ernährungswissenschaft, Physik,
Chemie, Biologie und Psychologie spielen zusammen.  Und eine jede
einzelne Sportart hat sozusagen ihre eigene Wissenschaft entwickelt,
die das Wissen aus vielen anderen Wissensbereichen zusammenträgt und
zu neuem Spezialwissen fügt.  Mit der zunehmenden Spezialisierung hat
der Sport seinen Charakter als gemeinschaftliche Tätigkeit verloren.
Man braucht nur das Basketballspiel von Jugendlichen auf unseren
Straßen und Plätzen zu beobachten und deren Freude am Spiel und an
der Bewegung mit dem professionellen Basketball zu vergleichen.
Letzteres besteht aus einem Team von jeweils nur auf bestimmten
Positionen hochspezialisierten Experten, deren Leistung in hohem Grad
vorhersagbar, begrenzt programmierbar und nur in sehr begrenztem Maße
wirklich originell ist.  Die nötigen Koordinierungsmaßnahmen werden
durch die natürliche Sprache erleichtert; aber die Effizienzerwartung
geht über die in der Sprache konstituierte und durch die Sprache
kommunizierte Erfahrung weit hinaus.  Jeder Aspekt des Spiels ist in
Diagrammen und Statistiken notiert; jeder Gegner minutiös auf
Videoband analysiert; ständig werden neue Strategien entwickelt und
taktische Spielzüge eingeübt.  Am Ende eines Spiels wird diese
spezielle Sprache zum eigentlichen Zweck: In den letzten 30 Sekunden
ist jede Bewegung und jedes Abspiel kalkuliert, jedes Foul (und die
dadurch gewonnene oder verstrichene Zeit) eingeplant.

Eine nicht geringe Rolle im Hintergrund spielt dabei die Technologie,
die dem Zuschauer oft gar nicht zu Bewußtsein kommt.  Sie hat mit
Schriftkultur meist gar nichts mehr zu tun.  Aber die Aufzeichnung
und Auswertung von Bewegungsmustern, die zur Höchstleistung führen,
und die ständige Optimierung dieser Muster und Erprobung oder
Simulation neuer Abläufe, meist individuell auf einen bestimmten
Sportler und seine persönlichen Daten zugeschnitten, gehören heute
zum Alltag des Leistungssports.  Oft genug werden dabei Grenzen
überschritten, Regeln sehr großzügig interpretiert und die Siege
durch Mittel erstrebt, die mit den hehren Idealen von Fairneß und
Chancengleichheit nur noch wenig zu tun haben.

Schon immer hat der Sport die gesetzten Grenzen getestet.  Einmal
gebrochene Regeln konnten ihrerseits zur neuen Regel werden.  Von
außen herangetragene Elemente (mystische, vom Aberglauben geleitete,
medizinische, technische und psychologische) sollten die Leistung
erhöhen.  Das Problem des Doping ist unter diesem allgemeinen
Effizienzgedanken vor dem Hintergrund der allgemein abnehmenden
schriftkulturellen Bildung zu sehen.  Die Sprachen der Stimulanzien,
Strategien und Technologien gehören zusammen, auch wenn einige mehr,
andere weniger unmoralisch und gefährlich sind.  Und da die Drogen
immer raffinierter und entsprechend schwieriger nachweisbar werden,
läßt sich gar nicht mehr genau sagen, welches Ergebnis auf rein
sportliche Leistung und welches auf Biochemie zurückzuführen ist.

Nicht nur die ehemaligen totalitären Staaten des Ostblocks haben die
Gruselgeschichten des Medikamentenmißbrauchs geschrieben.  Auch die
kommerzielle Demokratie mit ihren materiellen Verlockungen veranlaßt
viele Sportler, die Leistungsfähigkeit des Körpers bis zur
Selbstzerstörung voranzutreiben.  Zu den gebrochenen Rekorden bei den
Olympischen Spielen in Atlanta gehört auch die Zahl der
Dopingkontrollen (fast 20% aller aktiven Teilnehmer).

Von allen Sportarten ist der American Football wohl die erste
postmoderne Sportart, die sich im Verlauf der Zeit konsequent an die
neuen Erfordernisse angepaßt hat.  Wenngleich die Sprache dieser
Sportart vermutlich nur einem Eingeweihten verständlich ist, sei das
Phänomen hier kurz resümiert.  Wie keine andere hat sie hochgradige
Spezialisierung, Vermittlung, eine völlig neue Dynamik und eine ganz
eigene Sprache entwickelt.  Neben den 22 Positionen und den
besonderen Formationen für bestimmte Spielphasen und Spielzüge wird
jede der zahlreichen Funktionen innerhalb und außerhalb der
Mannschaft von speziellen Arbeitsteams unterstützt: Besitzer, Manager,
Trainer, Trainerassistenten und Betreuer, Spielerbeobachter und
Spielervermittler, Ärzte und Berater.  Die Regeln und das
Grundrepertoire an Abläufen sind nicht sehr umfangreich.  Sie folgen
wie in vielen anderen Spielformen schriftkulturellen Prinzipien: in
ihrer totalitären und zentralistischen Anlage, in der Befolgung eines
bestimmten Regelwerks und damit in ihrer Sequentialität.  Verbale und
numerische Signale, Farbkodes u. ä. gehören zum Zeichencharakter des
Spiels, das dem nicht Eingeweihten als reine, nach privaten Kodes
ablaufende Komödie erscheinen muß, was durch die merkwürdige
Ausrüstung der Spieler gewiß noch erhöht wird.  Die Entwicklung von
einer Collegesportart traditionell englischer Prägung zu dieser
zeitgenössischen amerikanischen Variante läßt sich nachvollziehen.
Im Vordergrund standen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr das
Spiel und die Erfahrung des gemeinsamen Spielens, sondern der
unbedingte Wunsch nach Sieg. Der erhöhte Effizienzbedarf erforderte
effizientere Spielmaschinen, die sich auf eine begrenzte Auswahl von
Spielfunktionen beschränkten, diese perfektionierten und nur für
diese Aufgaben eingesetzt wurden.  Das Spiel gewann einen
Konfigurationscharakter, spielt sich auf mehreren Ebenen ab, verteilt
die Aufgaben nach einem strengen Schema und kann auf ein
kompliziertes Kommunikationsnetzwerk zurückgreifen, das das
Zusammenspiel der Funktionen sichert.  Die offene Gewalt ist im
Gegensatz zur inszenierten Clownerie des Wrestling authentisch und
spiegelt für viele das Konkurrenzgefühl und die Feindseligkeit der
heutigen Gesellschaft wider.  Alle Schreckgespenster des modernen
Sports sind hier vereinigt: Gewalt, Verletzung, Anabolika, Drogen,
illegales Geld--und Statistiken.  Der Geist dieser Sportart überträgt
sich zunehmend auf andere Sportarten und andere Lebensbereiche in
Politik und Geschäftswelt.  Beim Baseball sind Statistiken sogar noch
wichtiger.  Sie begleiten nahezu jede einzelne Bewegung des Spiels
und verleihen ihr eine Bedeutung, die dem Zuschauer ansonsten
entgehen würde.

Der Zusammenhang zwischen dieser neuen Dynamik des Sports und der
allgemeinen neuen Dynamik des menschlichen Daseins ist offensichtlich.
Größere Schnelligkeit, kürzere Zweikämpfe und kürzere Aktionsphasen
machen Sportereignisse in unserer heutigen Gesellschaft besser
vermarktbar.  Je genauer die einzelne Ausführung, desto weniger
ausdrucksstark wird sie.  Niemand war beim Eiskunstlaufen mehr an den
Pflichtfiguren interessiert, also wurden sie abgeschafft.  Aber die
Kür wird von einem Millionenpublikum bewundert und gerät immer mehr
zu einer Showveranstaltung.  Je ausdauernder die Leistung, desto
geringer die Attraktivität.  Eine rasante kurze Abfahrt ist allemal
aufregender als ein Langstreckenereignis.  All dies ist ganz
entschieden ein Kennzeichen unseres neuen Lebens jenseits der
Schriftkultur.  Niemand will mehr lernen, wie er die gleichen
Leistungen erbringen könnte; Wissen und Lernen sind irrelevant
geworden.  Was zählt, ist die Leistung und das Spektakel, und das
bringt die Preise ein, von denen die Sieger der antiken Olympiade,
die auf ihre Weise auch verwöhnt wurden, nicht einmal träumen konnten.
"Winner take all"--der Sieger bekommt alles: Das ist das
vorherrschende Gesetz, demzufolge nicht mehr die Freude am Wettkampf,
sondern der Sieg einziger Zweck ist.

Die Folge dieser Effizienzerwartung ist nicht nur ein relativ
ungebildeter Sportler, sondern auch eine diskriminierende Vorauswahl.
In den USA werden die Volkssportarten Football und Basketball von
schwarzen Athleten beherrscht.  Wenn man im Sport dieselben
Gleichheitsprinzipien wie in anderen Lebensbereichen anwenden würde,
verlöre er an Attraktivität.  Das führt ironischerweise dazu, daß in
den USA die schwarzen Afroamerikaner die Rolle des Entertainer für
die weiße Bevölkerung spielen.  Abgesehen von den enormen
Verdienstmöglichkeiten im Profisport führt die Leistungsbesessenheit
dazu, daß ein bestimmter, wichtiger Teil der Bevölkerung den
Unterhalter für die restliche Bevölkerung spielt.  Schwarze
beherrschen auch die besten BasketballLigen der restlichen Welt.  In
der ehemaligen Sowjetunion rekrutierten sich die Teilnehmer an den
Olympischen Winterspielen weitgehend aus der sibirischen Bevölkerung,
für die das Skilaufen eine alltägliche Lebensform ist.  In ganz
Europa holen die führenden Fußballvereine (und sogar
Nationalmannschaften) ihre Spieler aus Spanien, Italien, Afrika und
Südamerika.  Denn Effizienz ist leichter mit denen zu erreichen, die
die besseren körperlichen Voraussetzungen für ein bestimmtes Spiel
mitbringen, als mit denen, die man auf traditionelle Art über den
Breitensport an eine bestimmte Sportart heranführt.

Die Zuschauer von Sportveranstaltungen sind durch die vermittelnde
Tätigkeit des Fernsehens in ihren Erwartungshaltungen weitgehend
homogenisiert.  Der Sprache des Sports bedingungslos ausgesetzt,
erleben sie das Ereignis und dessen Interpretationen gleichzeitig.
Selbst die Mechanismen der Bedeutungszuweisung sind rationalisiert,
Schriftkultur spielt bei ihrer Vermittlung keine sonderliche Rolle,
eigenes Nachdenken erübrigt sich.

Diese Veränderungen im Sport--oder in anderen ähnlich veränderten
Lebensbereichen--einfach nur zu beklagen, würde nicht sehr weit
führen.  Gewiß sind die großen Athleten des heutigen Sports
schriftkulturell ungebildet (um nicht zu sagen Analphabeten).
Dennoch bemühen sich angesehene Colleges in den USA um sportbegabte
Studierende ausschließlich um deren sportlicher Leistungsfähigkeit
willen.  Diese heben zwar nicht das akademische Niveau der
Bildungseinrichtung, wohl aber deren Marktwert.  Bildung ist für
sportliche Höchstleistungen nicht nur unnötig, sondern vielleicht
sogar hinderlich.  Hochleistungssportler leben aus dem Koffer--in
Flugzeug, Hotel oder Trainingslager--, finden kaum Zeit für ihre
Bildung oder auch nur ein eigenes Privatleben.  Ihre begrenzte
Sprache reicht oft nicht einmal aus, ihre Frustration zu artikulieren,
wenn das erstrebte Leistungsziel einmal nicht erreicht wurde.  Sie
lesen nicht, sie schreiben nicht, selbst die Schecks werden von
anderen gezeichnet.

Sport ist Arbeit mit hohem Marktwert ohne schriftkulturellen Status.
Die Effizienz einer Sportart wird an ihrer Attraktivität gemessen,
und das heißt an der Fähigkeit, Botschaften von allgemeinem Interesse
zu vermitteln.  Weit entfernt davon, integrativ zu wirken oder das
Ideal eines vollkommenen Menschen zu verwirklichen, ist
Leistungssport heutzutage so spezialisiert wie jede andere
herausgehobene Tätigkeit.  Er stellt einen eigenen Kompetenz- und
Leistungsbereich mit einer eigenen partiellen Literalität dar.  Da er
bestimmte körperliche Eigenschaften und geistige Funktionen erfordert,
ist er zu einer Gußform, zu einer zweiten Natur der Sportler
geworden, mit allen daran geknüpften Folgen.  Weltweit werden heute
in den verbreiteten, durch hohe Effizienzerwartungen gekennzeichneten
Sportarten die späteren Athleten praktisch von Geburt an herangezogen.
Kinder werden nach ihrer genetischen Veranlagung und spezifischen
Befähigung ausgewählt, nach individuell zugeschnittenen Trainings-
und Ernährungsplänen ausgebildet und mit psychologischer und anderer
Hilfe so lange begleitet, bis sie sich als fertige Sportler dem
Wettkampf stellen.


Ideeller und profaner Gewinn

Die in den Sport getätigten Investitionen müssen sich auszahlen.
Niemand erwartet, daß der erfolgreiche Sportler über diesen Profit
Rechenschaft ablegt.  Denn niemand fragt auch nach dem Preis der
körperlichen oder psychischen Schäden, mit dem er erkauft wurde.
Diese gehören zur zynischen Erfolgsformel dazu, die offenbar jeder
begeistert akzeptiert.  Die enorm hohen Summen, die die auf dem Markt
gehandelten Spieler vertraglich zugesichert bekommen, spiegeln fast
bis auf den letzten Pfennig die Höhe die Zahl derer wider, die ihnen
zuschauen oder die Produkte kaufen, die deren Namen tragen.  In
einigen Ländern ist die Sportwette, ob legal oder illegal, der
Hauptwirtschaftszweig.

Dabei ist die Wette, obwohl sie ihre eigene partielle Literalität
entwickelt hat und ohne die Vermittlung von Schreiben und Lesen
auskommt, keineswegs eine neue Erfindung.  Das Spielen mit dem Glück
hat die Menschheit schon immer fasziniert.  Seitdem indes die
Vernetzung der Welt jedem jederzeit den Zugang zu jedem gewünschten
Sportereignis ermöglicht hat, ist die Wette wichtiger geworden als
das Ereignis selbst.  Unsere Sehnsüchte und Träume werden von denen
getragen, durch die wir uns repräsentiert sehen und auf deren Siege
wir nicht nur hoffen, sondern auch setzen.  Der Sport hat eine
ideelle Seite, den erfolgreichen Spieler, und eine profane, den
finanziellen Einsatz.  Die Hoffnung auf ein gutes Ergebnis leitet
sich aus den Erwartungen der Schriftkultur her.  Hier liegt der naive
Glaube zugrunde, daß sich geistige Bildung und körperliche
Extremleistung zu einer harmonischen Persönlichkeit zusammenfügen
lassen.  Warum dies nicht möglich ist, brauche ich nicht zu
wiederholen.  Wichtig ist indes, daß die ideelle und die profane
Seite nicht getrennt voneinander zu sehen sind.  Das verleiht dem
Wettkampf eine zusätzliche, undurchschaubare Dimension, die aus
sportfremden, durch diese indirekte Wette repräsentierten Faktoren
besteht.

Den größten indirekten Wetteinsatz stellen die Kosten für Vermarktung
und Werbung dar.  Die hierfür aufgebrachten Dollarbeträge in
Milliardenhöhe gehören vermutlich zu den spektakulärsten olympischen
Rekorden.  Mit der Verlagerung von der Produktions- zur
Dienstleistungsgesellschaft ist aus dem Sport eine
Unterhaltungsindustrie geworden.  Die neuen Medien tragen die
internationalen Großereignisse weltweit in jeden Haushalt.  Früher
haben wir uns mit den Bildern vom Sieger begnügt.  Heute besitzen wir,
so wir es wollen, eine Videoaufzeichnung des gesamten Spiels und
können uns jede Spielphase noch einmal ansehen; mit noch mehr
Breitband können wir uns das Ereignis live auf den Monitor holen,
natürlich gegen Bezahlung (wie im Pay-TV).

Sport ist eine Ware geworden, die wir gegen hohe Bezahlung
konsumieren, je nachdem, wohin uns das jeweilige Angebot eines
Reisebüros bringt: nach Atlanta, Barcelona oder Sydney.  Wir können
uns sogar die besten Trainer der Welt für eine Trainingseinheit oder
eine ganze Fitneßwoche leisten.  Tatsachen spielen, wie überall, kaum
noch eine Rolle; was zählt, ist das Image.  Im Mittelpunkt des
Schulsports stehen nicht mehr Autorität und Selbstdisziplin, sondern
die freie Wahl zwischen zahlreichen Sportarten und eine allgemein
verbreitete Lässigkeit und Genußsucht, die bisweilen die ganze Welt
als ein einziges großes Sportereignis erscheinen läßt.  Der Sport
wird von vielen Anliegen und Interessensgruppen vereinnahmt.  Auf der
Bühne der sportlichen Großereignisse konkurrieren die größten Firmen
der Welt mit feministischen und Menschenrechtsorganisationen, mit
AIDS-Hilfe- und Behindertengruppen um die Aufmerksamkeit und das Geld
der Zuschauer.  Sponsoring ist sehr wählerisch und steht oft genug im
krassen Gegensatz zu den Werbeslogans, die es verbreitet.  Diese
Formen des indirekten Wetteinsatzes haben den riesigen Markt der
Unterhaltungsindustrie im Auge, innerhalb dessen die
Interessensgebiete abgesteckt werden.

Der Wetteinsatz erfolgt über Produktwerbung auf Kleidung und Banden,
allgemeine Werbemaßnahmen und durch Öffentlichkeitsarbeit.  Bei der
Olympiade in Atlanta wurden eine halbe Million Markennamen vermarktet.
Allein ihre Auflistung und Verwaltung erforderte einen ungeheuren
Aufwand, der mit "Wahrung des Olympischen Gedankens und der Rechte
der offiziellen Sponsoren" begründet wurde.  Jeder Quadratzentimeter
am Körper eines Sportlers wird vermarktet.  Je besser der Manager
(nicht unbedingt die sportliche Leistung), desto höher der
Werbevertrag.  Detailaufnahmen von höchster Schärfe bringen den
Herstellernamen einer Armbanduhr aufs Bild, ein Firmenlogo auf den
Socken, Hemden und Stirnbändern den Getränkelieferanten oder den
Schnee- und Eisproduzenten der Olympischen Winterspiele.  Der
Wettkampf in der Arena und der Wettkampf um die sportlichen
Werbeträger nähren sich gegenseitig.

In der Tat ist die Welt ein Dorf, und zwar eines, das dem Ergebnis
geringere Bedeutung beimißt als den neuesten Werbespots.  Die
Botschaft ist dabei verlorengegangen.  Der Sportschuh ist die
Botschaft oder irgend etwas anderes, was den kurzen Triumphzug in der
Welt des Konsums antritt.  Ist dieser Triumph erreicht, halten
wahnwitzige Handelsaktivitäten mit dem Original und dessen
zahlreichen Derivaten und Kopien die Welt zwischen New York und
Sambia, Paris und den Stämmen des tropischen Regenwaldes, Frankfurt
und der hungerleidenden Bevölkerung Asiens und Afrikas in Atem.  Die
Verführungskraft des Sportmarketing wird allenfalls noch erreicht von
den ebenso ‘illiteraten’ Stars der Unterhaltungsindustrie, die
bisweilen auch für den Hunger in der Welt singen, was allerdings ihr
Werbepotential noch erhöht.

Mit all diesen Erscheinungsformen hat der Sport seinen Bezug zu Natur
und Natürlichkeit verloren.  Es sieht ganz so aus, als falle der
Sport in sich selbst zusammen, als erlebe er eine Art Implosion, die
Raum freigibt für die vielen Geräte, an denen wir daheim unsere
verweichlichten Körper ertüchtigen.  Radfahren, Rudern, Laufen und
Bergsteigen üben wir in der künstlichen Zurückgezogenheit unseres
Eigenheims und haben dabei den Blick auf die wenigen gerichtet, die
das alles noch wirklich tun, freilich aus Gründen, die immer weniger
mit sportlicher Leistungsfreude zu tun haben.  Bald schon werden wir
uns in den Swimming Pools und auf den Abfahrten der virtuellen
Realität tummeln, und damit wäre dann eine neue Phase in der
Geschichte der Olympischen Spiele eingeläutet.


Kapitel 3:


Wissenschaft und Philosophie--mehr Fragen als Antworten

In einigen führenden Wissenschaftsbereichen werden
Forschungsergebnisse ausgetauscht, sobald sie vorliegen.  Der
geradezu behäbige Prozeß der Drucklegung und des vorausgehenden
Begutachtungssystems wollen nicht so recht in dieses Bild passen.
Auf den Web-Seiten einiger Forschungseinrichtungen tritt an die
Stelle des Begutachtungsverfahrens, das von geriatrischen Hierarchien
beherrscht wird, der direkte Austausch zwischen den wirklichen
Leistungsträgern in der Forschung: Bahnbrechende Hypothesen werden
diskutiert, kritisiert, weiterentwikkelt.  Die Kommunikationsmedien
sind Instrument und zugleich Vermittler vieler Forschungsprojekte.
Bilder, Daten und Simulationen als Teil der Arbeit sind allgemein
zugänglich und in Formaten verfügbar, die sofort weiterverarbeitet
oder in technologische Testverfahren überführt werden können.

Der neue Rahmen wissenschaftlicher Arbeit wirft natürlich eine Reihe
von Fragen und Problemen auf, von denen nicht zuletzt die des
geistigen Eigentums und der wissenschaftlichen Seriosität dringend
einer Lösung bedürfen.  Dennoch hat sich das allgemeine Umfeld von
Forschung und Wissensvermittlung nachhaltig geändert, und die meisten
Wissenschaftler wissen, daß die traditionellen, aus der Schriftkultur
erwachsenen Modelle keine ausreichende Antwort darauf darstellen.  So
schön die durch die Technologie des Industriezeitalters verkörperte
Forschung ist, trägt sie doch wenig oder gar nichts zum
wissenschaftlichen Fortschritt in der Nanotechnologie, der
Bioinformatik, der Flüssigkeitsdynamik oder anderen Grenzbereichen
moderner Forschung bei.  Genexpression und Proteinsynthese
sind--gemessen an Arbeitsaufwand und Ergebnissen--Jahrhunderte weiter
als alles, was in der Vergangenheit je erforscht wurde.  Wenn man die
ständig neu entstehenden Wissenschaftsdisziplinen hinzuzählt, dann
kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Menschheit sich
jenseits der Schriftkultur neu erfindet.

Der folgende Überblick vermittelt einen Eindruck vom Umbruch in den
Wissenschaften, vom Gegensatz zwischen den fast schon plumpen
wissenschaftlichen Bemühungen einer durch Maschinenverarbeitung
gekennzeichneten Ära und der wissenschaftlichen Ebene der atomaren
und subatomaren Reorganisation.

Identische Komponenten können in unterschiedlicher Anordnung einmal
als Graphit oder Diamanten, ein anderes Mal als Sand oder Silikon für
Chips Gestalt annehmen.  Die Liste dieser Möglichkeiten verweist auf
eine Wirklichkeit, die unvorstellbare Folgen für uns haben wird, die
aber fast täglich durch eine nicht endende Serie neuer Entdeckung
bestätigt wird.  Leben auf dem Mars, molekulare Selbstorganisation,
Proteinfaltung, Abbildung mit atomarer Auflösung, Nanowerkstoffe mit
unvorhersehbaren Eigenschaften, Fortschritte in der Neurologie--diese
Auflistung sieht aus wie eine Sammlung reißerischer Schriftentitel,
spiegelt aber eine Wissenschaftswirklichkeit wider, die beständig
durch neue und noch kreativere Untersuchungen weiterentwickelt wird.
Deshalb hat es gar keinen Sinn, das gesamte Spektrum neuer
Forschungsansätze aufzulisten.  Wir wollen statt dessen die
Gesamtentwicklung unter einem dynamischen Gesichtspunkt verfolgen.
Vor allem möchte ich dabei den Eindruck vermeiden, die Wissenschaft
als die eigentliche Antriebskraft des Umbruchs hinzustellen, als
könnten die ihr zugrundeliegenden Motivationen und Mittel Richtung
und Zweck der Menschheit definieren.


Rationalität, Vernunft und die Skala der Dinge

Die aufgewiesene Dynamik des Umbruchs in Wissenschaft und Philosophie
steht im Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Struktur jener
Lebenspraxis, die die Abkehr von der Schriftkultur herbeigeführt hat.
Beide weisen eine Rationalität auf, die die praktischen Erfahrungen
zu überzeugenden Schlußfolgerungen (gelegentlich auch logische
Schlüsse genannt) und zu Aussagen über zukünftige Ereignisse (in
Natur und Gesellschaft), bis hin zu deren Beeinflussung und Kontrolle
führt.  Rationalität hängt insofern mit Effizienz zusammen, als sie
bei der Auswahl der Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke mitwirkt
oder bei der Abwägung der Voraussetzungen, die zu bestimmten
Handlungsweisen führt.  Rationalität ist zielorientiert.  Vernunft
dagegen ist wertorientiert; sie begleitet den Menschen bei der
Entfaltung seiner Identität unter dem Gesichtspunkt der
Angemessenheit.  Rationalität und Vernunft bedingen sich gegenseitig.
An den Achsen richtig und falsch, gut und schlecht wird menschliches
Handeln und Empfinden in der unter dem Schutz der Schriftkultur
entworfenen Matrix von Leben und Arbeit dargestellt.

Der Prozeß, in dem Rationalität und Vernunft zu Merkmalen der
menschlichen Selbstkonstituierung werden, ist lang und mühsam.
Menschen, die sich in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen
bestimmen, gehen ein Netz von Abhängigkeiten und Verbindungen ein.
In einer begrenzten Skala des Daseins finden Vernunft und
Rationalität zusammen.  Sie entwickelten sich jedoch bald schon
unabhängig voneinander, bereits in den frühen Siedlungs- und
Bewirtschaftungsformen wurde man sich der Unterschiede in den Zielen
und Mitteln beider Prinzipien bewußt, bis dann in der Kulturphase, in
der Werkzeuge und andere Gegenstände hergestellt wurden, Vernunft und
Rationalität getrennte Wege einschlugen.  Mit dem Aufkommen der
Wissenschaften schließlich gerieten beide nicht selten in Konflikt
miteinander: Manches kann richtig, muß aber nicht gleichzeitig gut
sein.  Es gibt eine Rationalität (zielorientiert auf Vermehrung von
Besitz und Vermeidung von Verlust gerichtet), die sich den Anschein
der Vernunft gibt--Handlungen zur Unterstützung jener Kräfte, die
Natur und Materie unter Kontrolle bringen.  Parallel zur Wissenschaft
manifestierten sich Magie und Aberglaube--Alchemie, Astrologie,
Zahlenmystik--mit dem Ziel, den sich nach den Maßstäben des Guten
entfaltenden Menschen mit der ihn behausenden Welt zu versöhnen.

In einigen Kulturkreisen förderte die Rationalität einen Hang, die
Natur zu bearbeiten, zu verändern und letztendlich zu
beherrschen--also: die Natur einem gewünschten Ordnungsprinzip zu
unterwerfen.  Die Vernunft hingegen suchte nach praktischen
Möglichkeiten, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu
harmonisieren.

Die Schrift diente beiden.  In ihr wurde Sprache zu einer Gußform für
neue Erfahrungen, einem Hort für Wissen und einem wirksamen
Instrument zur Evaluation und Selbstevaluation.  Fast alle auf die
Schrift hinführenden menschlichen Leistungen ergaben sich aus den
schriftlichen Formen der Identitätskonstituierung.  Die
wissenschaftliche Revolution und die Neubestimmung der
Geisteswissenschaften (besonders der Philosophie) im 16. und 17.
Jahrhundert sind fest in der Lebenspraxis verwurzelt, die notwendig
zur Schrift hinführte.  Diese Entwicklung wird üblicherweise mit drei
Errungenschaften verknüpft:
1. der Entstehung eines neuen Weltbildes, das sich wissenschaftlich
in der heliozentrischen Astronomie und philosophisch als radikal
verändertes, diesseitsorientiertes Menschenbild äußerte;
2. der mathematischen Beschreibung von Bewegung;
3. einer neuen Begrifflichkeit für die Mechanik.


Die in diesen Leistungen zutage tretende naturwissenschaftliche und
humanistische Erneuerung gab den eigentlichen Anschub für die
industrielle Revolution.  Der Wandel von der Agrarwirtschaft als
Ausdruck einer relativ begrenzten Bevölkerungs- und Arbeitsskala zu
industrieller Produktion erhöhte die Effizienz in einer Größenordnung,
die die in jener Zeit erreichte kritische Masse der
Menschheitsentwicklung widerspiegelt.


Die verlorene Balance

In der Industriegesellschaft lief die Naturwissenschaft der
Philosophie den Rang ab.  Aus einer ursprünglich sehr elitären, von
den Hütern der Schriftkultur (der Religion) kontrollierten Tätigkeit
wurde ein fest in der Gesellschaft verwurzeltes Denk- und
Arbeitsprinzip.  Die Philosophie nahm eine gegenteilige Entwicklung;
sie opferte ihren Status als allgemeine Instanz des Fragens und der
wissenschaftlichen Neugier und wurde zum Privileg einiger weniger,
die sich die geistige Anschauung der Welt leisten konnten.  Die
Rationalität der Naturwissenschaften fand eine allgemeine Umsetzung
in Technik und Technologie und erreichte mit
Nahrungsmittelverarbeitung und Massenproduktion von Nahrung, mit den
modernen Transportmitteln (Auto und Flugzeug), dem allgemeinen
Wohnungsbau und der Verwendung von Strom als effizienter
Energiequelle ihren Höhepunkt.

Einstein hat eine gewagte Hypothese aufgestellt: "Die Tragödie des
modernen Menschen liegt darin, daß er Existenzbedingungen geschaffen
hat, für die er selbst nach seiner phylogenetischen Entwicklung gar
nicht geeignet ist."  Die verlorene Balance zwischen Rationalität und
Vernunft zeigt sich am deutlichsten in all den Folgen der
Industriellen Revolution, die zum zügellosen Kapitalismus des 19. und
20. Jahrhunderts geführt haben.  Erschöpfender Abbau von
Rohmaterialien, Luft- und Wasserverschmutzung, Erosion von
fruchtbarem Acker- und Weideland und geistige und körperliche
Belastung des Menschen gehören zu den unmittelbaren Auswirkungen
dieses Ungleichgewichts.

Diese Folgen allein würden indes nicht ausreichen, um die
Vorherrschaft der Schriftkultur in der Wissenschaft in Frage zu
stellen.  Die eigentliche Infragestellung erfolgt durch die neue
Skala der Menschheit, für die sich das Modell der industriellen
Revolution und der Schriftkultur als unzureichend erwiesen hat.  Die
Effizienzerwartungen in ganz neuen Größenordnungen erfordern eine
ganz neue Dynamik, neue Vermittlungsformen und -instanzen und damit
verbundene Prinzipien der Nicht-Linearität, der Vagheit und
Nicht-Determiniertheit.  Die Naturwissenschaft und deren Formen der
philosophischen Selbstreflexion haben schon heute Wissensbereiche
erschlossen, die jenseits der von der Schriftkultur gezogenen Grenze
liegen.  Die frühen Erfolge in der Mikrophysik führten zur
Entwicklung relativ rudimentärer Waffensysteme: als Antwort auf die
erste substantielle technologische Herausforderung
nicht-schriftkultureller Art.  Mittlerweile ist deutlich geworden,
daß wir eine neue Physik, eine neue Chemie und viele andere, erst
jenseits der Schriftkultur konstituierte Wissenschaftsdisziplinen mit
systemischem Fokus benötigen.  Die erwähnten Wissenschaftsbereiche
deuten bereits an, wie und in welche Richtung sich die
Naturwissenschaften entwickeln werden; zugleich lassen sie eine neue
Epistemologie erkennen, die neue Erklärungsmodelle der Welt
hervorbringt und auf ihre Angemessenheit und Kohärenz überprüft.  Für
die wissenschaftliche Praxis spielen dabei kognitive Ressourcen, die
nicht mehr durch das empirische Prinzip der Beobachtung eingeschränkt
sind, eine besondere Rolle.  Epistemologisch zweifelsfrei ist dabei
die Tatsache, daß nahezu alle neuen Wissenschaftsformen ein Interesse
am Lebendigen zeigen.  Bei diesen neuen Wissenschaften, die allesamt
auch philosophische Implikationen aufweisen, handelt es sich um
computationale Biophysik, Biochemie, Molekularbiologie, Genetik,
Medizin und um die Erforschung der Mikro- und Nanowelt.

Die Schriftkultur mit ihren strukturalen Merkmalen ist für diese
neuen Erfahrungen weder die geeignete Form noch der geeignete
Wissensspeicher oder auch nur ein effizientes Evaluationsinstrument.
Als eine unter vielen anderen Alphabetismen behält sie ihren Bereich,
für den sie angemessen ist und in dem sie die an sie gerichteten
Effizienzerwartungen erfüllt.  Der in der Ausdifferenzierung in viele
Alphabetismen zum Ausdruck kommende Umbruch vollzieht sich als
Konflikt zwischen Mitteln von nur begrenzter Effizienz und neuen
Mitteln, die den Problemen enorm gestiegener Bevölkerungszahlen und
dem neuen Anspruch auf Wohlstand und sogar Überfluß eher gerecht
werden.  Aus fast allen neuen Wissenschaftsdisziplinen entwickeln
sich neue Technologien.  Einige davon kennen wir bereits: Wir wissen,
daß Taschenrechner, hitze- und kältebeständige Gewebe und neue
Werkstoffe zu erschwinglichen Preisen die Nebenprodukte großer
wissenschaftlicher Projekte (Raumforschung, Genforschung, Biophysik)
sind.  An andere beginnen wir uns zu gewöhnen: intelligente Stoffe,
die ihre Struktur selbständig verändern können, und
selbstorganisierende Stoffe.


Gedanken über das Denken

Nach weit verbreiteter Auffassung ist--wie weiter oben schon
ausgeführt--das Denken an die Sprache gebunden, also ist die Sprache
das Medium des Denkens.  Andere (und hier beruft man sich immer
wieder auf Einstein) behaupten demgegenüber, ihr Denken würde sich in
Bildern, Geräuschen oder einer Mischung aus verschiedenen
Sinneseindrücken vollziehen.  Bis heute ist ungeklärt, ob dies eine
metaphorische Umschreibung oder eine Tatsache ist.  Das gleiche gilt
aber auch für die Sprache.  Daß wir unsere Gedanken sprachlich
ausdrükken, und zwar durchaus mit Mühen und meist ungenügend, muß
nicht heißen, daß wir nur in der Sprache denken.  Die Tatsache, daß
die Sprache ein Medium der Erklärung und Interpretation ist,
Schlußfolgerungen, Ableitungen und gelegentlich hypothetisches Denken
(sogenannte Abduktionen) ermöglicht, ist kein Beleg dafür, daß sie
das einzige Medium dafür ist.  Naturwissenschaftler denken in der
Sprache mathematischer oder logischer Formeln oder in neueren
Programmiersprachen, ohne sie deshalb zur alltäglichen Verständigung
oder für Gedichte oder Liebesbriefe zu verwenden.

Die Schriftkultur gründet den Primat der allgemeinen Bildung auf die
Überzeugung, daß das Denken sprachlicher Natur sei.  Dementsprechend
ist eine gute Sprachbeherrschung, wie sie in den Regeln der
Schriftkultur kodifiziert ist, Voraussetzung für erfolgreiches Denken.
Abgesehen davon, daß dies ein Zirkelschluß ist, der die
Voraussetzung zum Ergebnis macht, hätten Wissenschaft und Philosophie
dieser kühnen Annahme so manches entgegenzusetzen.  Sie ist niemals
bewiesen worden, und angesichts der Verbindungen zwischen allen
Zeichen, die am Denkprozeß beteiligt sind, ist sie wohl auch nicht zu
beweisen.  Bilder lassen Wörter assoziieren, aber andere
Sinneseindrücke tun dies auch.  Worte wiederum rufen Bilder, Musik
und ähnliches hervor.  Die integrative Natur des Denkens ist
vermutlich durch freiwillige Entscheidungsmechanismen oder durch
genetische Mechanismen bestimmt, die so strukturiert sind, daß sie
ein bestimmtes Zeichensystem (Sprache, die Formelsprache der
Mathematik, Diagramme) als vorherrschend anerkennen, ohne dabei
Denkweisen auszuschließen, die nicht auf diesen Voraussetzungen
beruhen.

Das Verständnis von Denken als sprachlichem Denken hat zu bestimmten
Formen der Lebenspraxis geführt, die nur unter dieser Voraussetzung
entstehen konnten.  Wir können Denken aber auch anders definieren,
was wiederum zu anderen notwendigen und nützlichen Denkweisen führen
kann oder bereits geführt hat.  In diesem Zusammenhang stellt sich
besonders eine Frage: Müssen wir denkende Maschinen--d. h.  Programme,
die vollkommen autonom solche Operationen durchführen, die wir
üblicherweise mit menschlichem Denken verbinden--deshalb von der
Diskussion ausnehmen, weil sie keine schriftkulturelle Bildung
besitzen?  Viele wissenschaftliche Versuche wären unter solchen
Voraussetzungen gar nicht erst auf den Weg gebracht worden, dazu
gehören vor allem die vielen neuen Entwicklungen von intelligenten,
selbstregenerierenden Werkstoffen.  Diese wissenschaftlichen
Disziplinen, die auf ungewohnten Denk- und Arbeitsweisen beruhen,
welche relativ unabhängig von Sprache, Bildung und Schriftkultur
funktionieren, haben zu anderen, komplementären Definitionen von
Denken und Rationalität geführt.  Indem man Denken mit anderen
menschlichen Regungen--mit Emotionen, Humor, Ästhetik oder der
Fähigkeit, Gedanken durch verschiedene Medien, Sinne oder Sprachen zu
projizieren--zusammen sieht, wird man vermutlich zu noch kühneren
wissenschaftlichen Ansätzen und Fragestellungen gelangen.

Bevor wir uns diesen anderen Definitionen des Denkens und des
Verhältnisses von Rationalität und Vernunft zuwenden, wollen wir
einige Merkmale des zeitgenössischen Denkens, besonders in
Wissenschaft und Philosophie betrachten.  Im Vergleich zu vergangenen
Lebensumständen ist der Anteil der Sprache im Arbeits- und
gesellschaftlichen Leben zurückgegangen.  Wenn sich unser Denken nur
in der Sprache vollziehen würde, hieße das, daß auch der Anteil des
Denkens abgenommen hat.  Nur wenige würden dieser These zustimmen.
Der Rest an Sprache, der in unserem Zusammenleben und im beruflichen
Miteinander geblieben ist, bringt lediglich die Segmentierung unseres
Lebens und unserer Interaktionsformen zum Ausdruck.  Dieser Rest an
Sprache, dessen Beherrschung eine weitere Bildung oder
schriftkulturelle Fertigkeit voraussetzt, besteht aus
gesellschaftlichen Allgemeinplätzen und eignet sich in keiner Weise
als Medium für das Denken.  Parallel zu der abnehmenden Bedeutung der
natürlichen Sprache gewannen die Sprachen der Wissenschaft und
Technologie in dem Maße an Vielfalt und Bedeutung, in dem die
Erwartungen an wissenschaftliche und technologische Effizienz stiegen.
Im begrenzten Umfeld der natürlichen Sprachverwendung wurden die
Ausdrücke, die die Menschen für das alltägliche Funktionieren
benötigen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse nach Vielfalt und
Veränderung in unseren gegenseitigen Beziehungen hervorgebracht.  Es
sind weitgehend Sprachkonserven mit begrenzter Funktion, die aus
vorangegangenen Situationen ungeachtet der sie hervorbringenden
Umstände übernommen wurden.  Es ist sehr wahrscheinlich, daß ein
schriftunkundiger, ja analphabetischer Nachbar niemals auffallen
würde; denn alles, worin er uns gegenübertritt, kommt ohne Bildung
und weitgehend ohne Schrift aus: Autofahren, Wäschewaschen, Kochen,
Bankgeschäfte, Telefonieren, Fernsehen, Einbindung in das Internet.
Mit ein wenig Übung kann man all diesen Tätigkeiten nachgehen, ohne
durch ein Bildungshandicap oder gar durch Analphabetismus aufzufallen.
Die neuen Geräte, die neuen Stoffe, die neuen Nahrungsmittel und
Arzneien, die eher im Grenzgebiet der Wissenschaft als in unserem
Lebens- und Arbeitsmittelpunkt angesiedelt sind, werden die
Möglichkeiten von und den Bedarf an Zivilisationsformen, die von mehr
als einer Ausdrucks- und Kommunikationsform gelenkt sind, noch
erhöhen.

In einer Welt, in der hochspezialisierte Tätigkeiten vorherrschen,
führen auch Ungebildete oder Analphabeten im Sinne der Schriftkultur
ein unbemerktes und reibungsloses Dasein, ohne ihr eigenes Leben oder
die Effizienz des Systems zu beeinträchtigen.  Auch hat sich ihre
Rolle verändert.  Denn auch eine analphabetische Rationalität ist
zielorientiert, sie drückt sich lediglich mit anderen Mitteln aus.
Auch sie formuliert Aussagen über das zukünftige Verhalten von
Systemen, die von hochspezialisierten, extrem funktionsorientierten
Sprachen betrieben werden und deren Betrieb nicht von der Bildung
ihres Betreibers abhängt.  Wissenschaftliche Bildung ist entweder in
Fähigkeiten zu lokalisieren, die man durch Ausbildung und Einübung
erwerben kann, oder aber in die Systeme eingebaut, die von Menschen
betrieben werden, die weniger über deren Funktionsweisen wissen als
die Maschinen selbst.

Falscher Sprachgebrauch, nachlässige Formulierungen und fehlerhafte
Grammatik, Alltagsfloskeln und die Unfähigkeit oder der Unwille, ein
Gespräch zu führen, sagen noch immer etwas über das Denken aus, wenn
auch vielleicht etwas anderes, Unerwartetes: z. B., daß Denkformen,
die auf nichtsprachlichen Zeichensystemen beruhen, effektiver und
hinsichtlich der vor uns liegenden Probleme zeitgemäßer sind;
vielleicht auch, daß sich das, was sich in einem Zeichensystem als
angemessen und effektiv erweist, nicht mit dem gleichen Ergebnis in
einen anderen lebenspraktischen Zusammenhang übertragen läßt.  Die
Naturwissenschaften jedenfalls versuchen sich weitgehend von den
Ungenauigkeiten, Mehrdeutigkeiten und stereotypisierenden Floskeln
der Sprache zu befreien; im großen und ganzen trifft dies auch für
die moderne Philosophie zu, obwohl ihr keine vergleichbaren
Alternativen zur Verfügung stehen.  Die Aufgabe der
Naturwissenschaften und in eingeschränkterem Maße auch der
Philosophie liegt heute darin, Sprache(n) zu finden, die Phänomene
wie Kontinuität, Vagheit und Unbestimmtheitsrelationen behandeln
können.

Die hochspezialisierten Lebensformen basieren nicht mehr vornehmlich
auf individuellem Wissen, sondern auf Individuen, die sich als
Informationsschnittpunkte, bzw.  Knoten, verstehen.  Wenn die
Notwendigkeit zu individuellem, selbständigem Denken abnimmt, dann
entspricht dies der extremen Segmentierung unserer Arbeitswelt und
dem Umstand, daß die aus dieser segmentierten Arbeit hervorgegangenen
Teilbeiträge technologisch erfolgreich zusammengeführt werden könnten.
Für unser Privatleben und alles, was wir für unseren
Lebensunterhalt tun (Ernährung, Erholung, Unterhaltung), gilt das
Gleiche.  Unser Denken beschränkt sich auf das Auswählen: aus
vorgefertigten Menüs, aus Konfektionsware, aus Fertigbauteilen, aus
Waschprogrammen.  Aber die Gegenstände unseres täglichen Gebrauchs
verkörpern die Intelligenz eines anderen.  Das verdinglichte Denken,
das in die Genmanipulation, in Materialien und Maschinen eingegangen
ist, schränkt das originale, tatsächliche Denken des einzelnen ein.
Der heutige Mensch bindet sich in das Informationsnetzwerk ein und
verbringt den weitaus größten Teil seines Lebens damit, Informationen
zu verarbeiten: Anweisungen für Tätigkeiten, die das gewünschte
Ergebnis zeitigen.  Man könnte sagen, die Menschen verlassen sich auf
lebendige Maschinen, die sich dem Benutzer anpassen, sich
eigenständig auf veränderte Bedingungen umstellen und sich selbst
reparieren.  Rationalität ist zunehmend in diese Technologie
integriert und damit aus dem Prozeß der individuellen
Selbstkonstituierung wegrationalisiert.  Die Folgen können immens
sein, aber sie werden gefährlicher, je weniger wir über sie
nachdenken oder uns ihrer bewußt sind.

Vergangenheit und Gegenwart haben auf dieser Ebene der Technologie
keine gegenseitige Anbindung mehr.  Der einzelne braucht nicht mehr
zu denken, muß sich in dieses Programm, das eine Rationalität mit
allerhöchster Effizienz und Vernunft verkörpert, einfügen.  Niemand
braucht mehr zu wissen, wie die Dinge unseres alltäglichen Lebens
hergestellt werden und wodurch ihre Qualität garantiert ist.  Nicht
der Prozeß der Herstellung ist wichtig, sondern allein das Ergebnis.
Effizienz ist vorrangig gegenüber individuellem Know-how.  Das Denken
ist dem Denken entfremdet in dem Sinne, daß jegliches Denken, also
jegliche Rationalität, außerhalb der Selbstkonstituierung des
einzelnen liegt.  Es scheint, als führen dieses veräußerte Denken und
diese veräußerte Rationalität ein Eigenleben.  Memetische Mechanismen
belegen diesen Prozeß.

In diesem unserem Stadium jenseits der Schriftkultur ziehen wir nicht
nur aus der erhöhten Effizienz unseren Nutzen, wir erleben auch, wie
das neue pragmatische Instrumentarium eigene, sich selbst erneuernde
Antriebskräfte entwickelt.  Es scheint bisweilen so, als würden nicht
die Menschen um erhöhte Kreativität und Produktivität ringen, sondern
als würden sich Wohlstand und Überfluß als gegebene Größen in unserem
Leben um die Erfüllung der Effizienzerwartungen in unserer global
angelegten Skala kümmern.  Mit der technologischen Entwicklung und
wissenschaftlichen Erneuerung Schritt zu halten, wird zum Selbstzweck,
der irgendwie von menschlicher Vernunft abgekoppelt wurde.  Die
verwirrende Rationalität unbegrenzter Wahlmöglichkeit geht einher mit
der Erkenntnis, daß Wertoptionen vollends verschwunden sind und kein
Raum mehr bleibt für vernunftgelenktes Nachdenken.  In der Folge
werden die sozialen und politischen Aspekte des Daseins
kurzgeschlossen, besonders diejenigen, die den Status von
Wissenschaft und Philosophie betreffen.  Wissenschaftliche Forschung
wird oft daraufhin befragt, ob ihre Ziele überhaupt sinnvoll sind.
Noch vor 15 Jahren war die Hälfte der Amerikaner der Meinung, daß
Wissenschaft und Technik die vielfältigen Probleme der Gesellschaft
nicht nur nicht lösen können, sondern dafür verantwortlich sind.  Die
Balance ist verloren gegangen, aber die Denkhaltungen derer, die den
Zielen und Werten der Schriftkultur verpflichtet bleiben, haben sich
deshalb nicht geändert.  Sie widersetzen sich den Natur- und
Geisteswissenschaften, statt sie als notwendige, wenn auch in sich
widersprüchliche Einheiten aufzufassen.  Und in Europa, wo man den
Entwicklungen in den neuen Wissenschaften eher hinterherläuft, zeigt
man sich noch zurückhaltender.  Skepsis ist gesund und notwendig,
aber sie hat auch ihren Preis.


Quo vadis, Wissenschaft?

Entdeckung und Erklärung sind die beiden Ebenen, auf denen das
Verhältnis von Sprache und Wissenschaft relevant wird.  Wir sollten
vorausschicken, daß Schriftkultur und Schriftlichkeit niemals als
Mittel wissenschaftlicher Forschung und auch Sprache nicht als
Werkzeug für Entdeckungen angesehen wurden.  Man behauptete lediglich,
daß die Sprache den ersten Zugang zur Wissenschaft und damit das
Fortführen wissenschaftlicher Arbeit im wesentlichen ermöglicht.
Diese Behauptung traf in der Vergangenheit auch zu, solange sich
wissenschaftliches Arbeiten im homogenen kognitiven Umfeld
allgemeingültiger Raum- und Zeitdarstellungen abspielte.  Mit der
Veränderung dieses Umfelds stand dessen Ratio neuen Entdeckungen und
den Erklärungen bereits gefundener Entdeckungen im Wege.  Neben
vielen anderen Codes greift die Wissenschaft heute vornehmlich auf
symbolisches Denken zurück, wie es in Mathematik, Logik, Genetik,
Informatik usw. verbreitet ist.  Wissenschaft als zentralistisch
organisierte Institution macht heute neuen wissenschaftlichen
Arbeitsweisen Platz, die oft völlig unabhängig voneinander existieren
und so der Skala des jeweiligen Interessensphänomens gerechter werden.
Diese Unabhängigkeit und das Gespür für die veränderte Skala ergibt
sich aus den unterschiedlichen Forschungsgegenständen der
Spezialdisziplinen, aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven und
Fragestellungen sowie aus unterschiedlichen Zeichensystemen, die als
effizientes Forschungsinstrument oder aber als Medium für effiziente
Erklärungsmodelle bereitstehen.

Platon hatte bekanntlich ausreichende mathematische Kenntnisse als
die Voraussetzung für die Zulassung zur Akademie erklärt.  Heute
würden die Hüter der Wissenschaften Logik, bzw. die Beherrschung von
künstlichen Sprachen wie etwa Programmiersprachen, fordern, wobei
diese ja selbst wiederum ständig optimiert, differenziert und durch
Erwartung einer erhöhten computationalen Effizienz verändert werden.
Zur Zeit des "Redners" Sokrates galt die Sprache als Grundlage und
Konstituens von Städten, Gesetzen und Künsten.  Zur Zeit des
römischen Dichters Lukrez wurde Physik in Versen abgefaßt (7000
Hexameter legten die epikureische Atomtheorie dar).  Galilei
bevorzugte den Dialog in seiner italienischen Umgangssprache, damit
seine Zeitgenossen die Entdeckungen der Physik und Astronomie
verstehen konnten.  Bei Newton wurde die Sprache durch Formeln und
Gleichungen ersetzt, die seitdem das Vokabular der Physik ausmachten.
Ähnliche Entwicklungen können wir in den Wissenschaftsgeschichten
Chinas, Indiens oder des Nahen Osten verfolgen.  Wenn also heute neue
visuelle oder multimediale Sprachen entwickelt werden, dann
entspricht dies unserer veränderten, auf eben diesen Phänomenen
beruhenden Lebenspraxis.  Sie führen zu noch mehr Arbeitsteilung,
Vermittlung und neuen Interaktionsformen; sie führen hin zu einer
Lebenspraxis, die eher intensional als extensional ist.


Raum und Zeit: befreite Geiseln

Die enzyklopädische Tradition erhob den wissenschaftlich tätigen
Menschen (l’homme scientifique) zum Mittelpunkt und definierte ihn
durch Sprache.  In dieser Tradition vollzog sich eine ganze Serie von
fortschreitenden Veränderungen der wissenschaftlichen Praxis.  Wir
können sie an der Sprache ablesen, in der sie ausgedrückt wurden.
Das synkretistische Stadium des Menschen war durch Beobachtung und
kurze Zyklen von Aktion und Reaktion gekennzeichnet.  Die frühen
Formen wissenschaftlichen Denkens waren noch nicht von der
praktischen Entfaltung des Menschen in der Welt abgekoppelt.  Bilder
und später Benennungen von Pflanzen, Tieren, Bergen und Flüssen
gehören in diese Zeit.  Erst als sich das Beobachten zu einem
dauerhaften Selbstzweck verselbständigte, wurde aus der
wissenschaftlichen Tätigkeit eine eigenständige Praxis.

Die Wissenschaft entstand zusammen mit dem magischen Denken und
setzte ihre weitere Entwicklung auch in dieser Symbiose fort, bis sie
sich schließlich gemeinsam mit der Religion dem Magischen entzog und
widersetzte.  Beobachten und Furcht vor dem Beobachteten waren lange
eins.  Die Bezeichnungen der Sterne geben Aufschluß über die
Veränderungen in der Sprache, in der die Astronomie sich ausdrückte.
Nur wenig wußte man offenbar in jener Zeit über die Mechanik des
Kosmos.  Mythische Bezeichnungen wurden durch die Tierkreiszeichen
magischen Ursprungs ersetzt (jeweils mit Bezug zu den praktischen
Tätigkeiten des Menschen im Jahreszeitenwechsel), später auch durch
die christlichen Taufnamen und heute durch die detaillierten
numerischen Auflistungen von Positionen, Bewegung und Beziehungen.

In die Beobachtung der Himmelskörper, aus der sich ein Gefühl für
Dauer und Zeit (wie lange braucht ein bestimmter Planet für die
Veränderung seiner Position?) einstellte, brachte der Mensch seine
spezifischen biologischen und kognitiven Merkmale ein: Sehen,
Assoziieren, Vergleichen.  Beobachtungen und Benennungen bezogen sich
auf Positionen und auf Lichtintensität.  Mit der sich allmählich
einstellenden Zeitvorstellung verloren die Himmelskörper ihre Bindung
an die Götter.  Auch zu Zeiten eingeschränkter wissenschaftlicher
Aktivität (Europa zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert) wurden
Planeten beobachtet, Himmelskarten mit verschiedenen Konstellationen
gezeichnet und die Grundlagen für spätere Fortschritte in der
Astronomie gelegt.  Physikalische Eigenschaften wie Licht, Farbe und
Klarheit führten zu präziseren Bezeichnungen; die Identifikation von
Sternen wurde in manchen Lebenszusammenhängen (vor allem der
Seefahrt) von entscheidender Bedeutung für erfolgreiches Handeln.

Magie und Wissenschaften ermöglichten indes unterschiedliche
Erklärungen für Erfolg.  Zu jener Zeit wurden die Sterne anhand von
Merkmalen identifiziert, die jedem, der sie benötigte, offenkundig
waren.  Die magische Dimension ergab sich aus den Assoziationen
zwischen den Eigenschaften bestimmter Personen und dem Verhalten
bestimmter Planeten, d. h. aus dem abgeleiteten Einfluß, den die
Himmelskörper auf für den Menschen entscheidende Ereignisse ausübten.
In diesem gesamten Zusammenhang wirkte die Sprache als Werkzeug für
Integration und Beobachtung und als Mittel für die damals gültige
logische Praxis, z. B. für Deduktion.  Die Sprache formte die
Erfahrung und Auffassung von Zeit, speicherte das erworbene Wissen
und wurde auf diese Weise zu einem entscheidenden Medium für die
Selbstentfaltung des Menschen in der Zeit.  Die Rolle der Sprache
wurde durch die Schriftkultur gefestigt, die die in der Sprache
gefundenen Erkenntnisse verallgemeinerte, wodurch wiederum effektive
Mittel zur Strukturierung neuer Erwartungen geschaffen waren.  Erst
als zeitabhängige praktische Erfordernisse wie die Relativität, denen
mit schriftkulturellen Mitteln nicht mehr begegnet werden konnte,
einen kritischen Punkt erreichten, wurde die Zeiterfahrung aus den
Fesseln der Verbalsprache befreit.

Ein enormer kognitiver Schritt war nötig, um von der Unmittelbarkeit
der persönlichen Umgebung zur abstrakten Raumvorstellung zu gelangen.
Die Geometrie--wörtlich: Landvermessung--verbindet die sich konkret
stellenden Aufgaben (Landvermessung, Hausbau, Ausbau, Beobachtung der
Himmelskörper) mit der Verallgemeinerung von Entfernung.  Die
Vermessung des Landes führt nicht nur zu dessen Beschreibung, sondern
auch zu dessen Neuschaffung in der abstrakten Kategorie des Raumes.
Die Sprache spielte bei all dem eine entscheidende Rolle.  Zunächst
blieben die geometrischen Konventionen eng auf die praktischen
Implikationen bezogen.  Sobald allgemeinere Raumerfahrungen jenseits
der unmittelbaren Raumbeziehungen durch Seefahrt, Siedlungsformen,
Strategien der Landesverteidigung usw. möglich wurden, veränderte
sich die Sprache der Geometrie.  Bedingt durch weitere Entwicklungen
der Lebenspraxis und durch eigene, inhärente Antriebe bildeten sich
schließlich zahlreiche geometrische Sprachen heraus.

Die Sprachen, die die Grundlagen der Geometrie, der algebraischen
Geometrie, der Topologie und der Differentialgeometrie bilden, sind
so verschieden wie die Erfahrungen, aus denen sie abgeleitet wurden.
Oft reicht die schriftkulturelle Sprache aus, um geometrische
Probleme zu formulieren, sie versagt aber bei der Lösung dieser
Probleme.  Der intuitive visuelle Charakter der Geometrie ist
offensichtlich besser als die Schrift geeignet, Phänomene der
Symmetrie, vieldimensionale Räume und Konvexität zu erfassen.  Starre
und elastische Räume verhalten sich anders als Räume, die durch
Sprache beschrieben werden.  Die Bezüge der geometrischen Notationen
sind in aller Regel sehr abstrakt.  Dadurch, daß Raum und Zeit von
der Sprache losgelöst wurden, haben sich Rationalität, in der die
wissenschaftliche Praxis begründet ist, und Vernunft, in der die
Philosophie ihren Ursprung hat, nachhaltig verändert.


Kohärenz und Diversität

Wissenschaft führt die Ergebnisse diversifizierter Erfahrungen
zusammen und verleiht dem menschlichen Bedürfnis nach einem
zusammenhängenden Blick auf das Ganze gebührenden Ausdruck.  Wir
haben allerdings zeigen können, daß sich globale Zusammenhänge, wie
sie in der Sprache formuliert sind, und spezialisiertes Wissen nicht
unbedingt vereinbaren lassen.  Dementsprechend haben die
Wissenschaftler den Versuch, den allgemeinen (sprachlichen) Rahmen
mit dem spezialisierten (wissenschaftlichen) Blickwinkel in Einklang
zu bringen, aufgegeben.  Die Einsicht, daß die Wissenschaftssprache
nicht nur ein Beschreibungsinstrument ist, sondern ein formender
Faktor der wissenschaftlichen Arbeit, hat sich nur mühsam durchsetzen
können, zumal die Sprache ihre Darstellungsmechanismen für unser
Raum- und Zeitempfinden bereithielt.  Es war offenbar weniger
schwierig zu erkennen, wie die Art des Messens von bestimmten
Phänomenen (besonders in der Physik) das beobachtete System
veränderte, als zu verstehen, wie eine sprachlich formulierte
Hypothese den Rahmen für eine subjektive Wissenschaft abgab.  Die
Subjektivität sprachlicher Beschreibung entspricht einer spezifischen
Erfahrung, nämlich derjenigen, in der wir Dinge durch Sprache
identifizieren.

Bestimmte Entwicklungen in den Wissenschaften sind nicht für alle
Wissenschaftszweige identisch.  So entwickelten sich Astronomie und
Geometrie unterschiedlich und auch jeweils anders als andere
wissenschaftliche Disziplinen.  Der Konflikt zwischen den Zielen und
den Mitteln der Wissenschaft führte dazu, daß sich die Wissenschaft
allmählich von der Sprache befreite.  Damit aber wurden neue Sprachen
notwendig.  Das Aufbrechen der Sprachbarrieren und die damit
einhergehende Emanzipation von der Schriftkultur stellt schon in sich
eine praktische Erfahrung eigener Art dar.  Zwei Aspekte der Sprache
werden dabei neu überdacht: der epistemologische und der
kommunikative.  Unter dem epistemologischen Status überprüfen wir,
inwiefern die Sprache als Medium der Wissenschaft und bei der
Herausformung der Perspektive wissenschaftlicher Fragestellungen
fungiert.  Der kommunikative Status bezieht sich auf ihre Leistung
bei der Verbreitung gemeinsamen Wissens.  Die Ebenen der
Fragestellung, Ergebnisformulierung, Interpretation, des
Experimentierens und Evaluierens sowie der Mitteilung und Verbreitung
sind dabei verschieden.  Sie werden sich noch weiter auseinander
entwickeln.  Die der neuen Wissenschaft eigene Rationalität läßt sich
nicht mehr darauf beschränken, der techné einen logos beizugeben.
Das Erbe Francis Bacons, des weitsichtigen Theoretikers der
experimentellen Wissenschaften, und Descartes, dessen
Verstehensgesetze die schriftkulturelle Phase des wissenschaftlichen
Denkens beherrschten, hat sich daher in dem Augenblick erschöpft, in
dem wir die beherrschende Rolle einer einzigen Sprache zugunsten
einer Pluralität vieler (Sonder-) Sprachen aufgegeben haben und von
der Schriftkultur in ein Stadium jenseits der Schriftkultur
eingetreten sind.


Computationale Wissenschaft

Die Sprache ist mehrdeutig, ungenau und in bezug zu den beobachteten
und erklärten Phänomenen nicht neutral.  Aus diesem Grund mußte die
Informationswissenschaft Sondersprachen konstruieren, die die
Ambiguität der natürlichen Sprachen vermeiden und die hohe Effizienz
automatischer Verarbeitung ermöglichen.  Viele formale Sprachen sind
die neuen wissenschaftlichen Laboratorien, die uns auf das neue
Zeitalter der computerwissenschaftlichen Disziplinen vorbereiten.
Parallel hierzu entwickelten sich neue Formen des wissenschaftlichen
Experiments, die der Komplexität und Dynamik der neuen
wissenschaftlichen Gegenstände und Fragestellungen gerecht werden.
Wir fassen diese neuen Formen unter dem Namen der Simulation
(manchmal auch Modellierung); sie beschäftigen sich nicht mehr mit
dem Verhalten bestimmter, von uns untersuchter Aspekte der Welt,
sondern mit deren Beschreibungen.

Wenn wir die Explosion eines weit entfernten Planeten untersuchen
wollen, brauchen wir Daten über einen Zeitraum, der weit über das
Alter der Menschheit hinausreicht.  Statt zu warten (sozusagen bis in
alle Ewigkeit), werden astrophysikalische Phänomene modelliert und
mit Hilfe komplizierter mathematischer Beschreibungsmodelle im
Computer visualisiert.  Auch die Radioastronomie beschäftigt sich
längst nicht mehr mit dem Sichtbaren und ist schon gar nicht mit der
Geschichte der Planetennamen belastet.  Ihr Gegenstand sind
Planetensysteme, kosmische Physik, Dynamik und die Entstehung des
Universums.  Die Geometrie vieldimensionaler (mehr als drei) Räume
hat ebensowenig mit dem Sichtbaren zu tun--mit Landvermessung oder
Hausbau; sie entwickelt theoretische Konstrukte mit einer Praxis des
Denkens, Erklärens und sogar Handelns, die ohne die Verallgemeinerung
von Raumdimensionen nicht denkbar ist.  Für all diese
wissenschaftlichen Tätigkeiten werden wissenschaftliche Sprachen
benötigt, die mit unserer natürlichen Sprache wenig zu tun haben und
auch nicht in sie übersetzbar sind.

Zahlreiche andere Beispiele verdeutlichen die Grenze zwischen der
heutigen Wissenschaft und der natürlichen Sprache.  In solchen
Forschungszusammenhängen entsteht auch eine nicht auf Sprache
basierende Rationalität.  Mit dem Eintritt der Wissenschaften in das
Computerzeitalter werden aus Notwendigkeiten Möglichkeiten.  Es gibt
Forschungsbereiche, in denen die Kürze eines bestimmten Ablaufs die
direkte Beobachtung oder eine angemessene sprachliche Beschreibung
unmöglich machen.  Solche extrem kurzen Vorgänge mit schnellem
Energieaustausch und hohen Frequenzmustern können nur mit einem
Beobachtungsapparat angegangen werden, dessen Trägheit niedriger ist
als die der untersuchten Phänomene, und mit einem konzeptuellen
Rahmen, den die Sprache, die durch ein hohes Trägheitsmoment
gekennzeichnet ist, nicht bieten kann.

Die Struktur der Sprache spiegelt denjenigen Erfahrungsbereich wider,
der sie hat entstehen lassen; das Gleiche gilt für die Schriftkultur.
Deshalb müssen ihre Strukturen mit den Strukturen der neuen
Lebenspraxis, d. h. der neuen wissenschaftlichen Gegenstände und
Fragestellungen sowie der neuen Möglichkeiten des wissenschaftlichen
Arbeitens in Konflikt geraten.  Wir haben die konfligierenden
Strukturelemente in den vorausgegangenen Kapiteln eingehend
diskutiert.  In Frage steht in allen Fällen die Effizienz der
wissenschaftlichen Tätigkeit, die sich zunehmend auch solchen Fragen
wie Rekuperationsmechanismen in Natur und Gesellschaft oder
Strategien der Ko-Evolution mit der Natur (anstelle von
Dominanzstrategien) widmet und dabei mit Hilfe der erhöhten
Vermittlungskapazitäten und starker integrativer Mechanismen der
Computer holistische Modelle entwickelt.  Eine Idealisierung dieser
neuen Möglichkeiten wäre genauso kontraproduktiv wie eine
Dämonisierung der in unsere Schriftkultur eingebetteten Lebenspraxis.
Dennoch kommen wir nicht umhin, uns damit auseinanderzusetzen, was
nicht mehr den Erfordernissen unserer Entfaltung innerhalb der neuen
Skala der Menschheit entspricht, und uns ein Bild von alternativen
Erfahrungsformen zu machen, in denen sich eine neue Rationalität
herausbildet.

In dem sich rapide ausweitenden Zusammenhang, in dem sich unsere
parallel verlaufenden wissenschaftlichen Forschungen und die durch
schnelle und zuverlässige Netzwerke getragenen verteilten Aufgaben
abspielen, haben sich Wissenschaft und Forschung vom Modell
industrieller Verfahrensweisen ein für allemal befreit.  Die
Forschung, an die ich denke, wird nicht mehr in wenigen
zentralistisch organisierten Institutionen abgewickelt, die mit
großem finanziellen und instrumentellen Aufwand arbeiten; diese
werden vielmehr zunehmend ersetzt durch zahllose Experimente, die an
den verschiedensten Forschungseinrichtungen überall auf der Welt
durchgeführt werden.  Unter dem Begriff der Tele-Präsenz fassen wir
heute eine Forschungswirklichkeit, innerhalb derer Wissenschaftler,
die Tausende von Meilen voneinander entfernt arbeiten, mit den
unterschiedlichsten Geräten, Meß- und Testinstrumenten Experimente
gemeinsam durchführen.  Die Rolle von Laboratorien als Ort
wissenschaftlicher Selbstkonstituierung des Menschen wird übernommen
von Kollaboratorien, einer Verbindung aus tatsächlichen
Forschungsgeräten, die in den neuen Organisationsformen gleichwohl
effizienter eingesetzt werden können, und virtuellen
Forschungsplätzen, bei denen sich mehr Kreativität entfalten kann.
Für Forschungen im Nano-Bereich ist Interaktion im wörtlichen Sinne
der zeitgleichen Zusammenarbeit und Koordination grundlegend.  Inter-
bzw.  Multidisziplinarität ist hier kein Zukunftsziel mehr, sondern
praktische Voraussetzung für die Art der Integration, die die
heutigen wissenschaftlichen Projekte erfordern.


Wie wir uns selbst wegerklären

Die systematischen Bereiche der menschlichen Tätigkeit verändern sich
mit rasanter Geschwindigkeit.  Die Wissenschaft, die sich mit immer
kürzeren und intensiveren Phänomenen auseinandersetzt, weist
expressive Mittel auf, innerhalb derer die Sprache entweder eine
sekundäre Rolle spielt oder durch andere, nicht-sprachliche
Ausdrucksmittel ersetzt worden ist.  Verfahren, die die Kohärenz der
heute erforschten Phänomene in den Griff bekommen, müssen dieser
neuen Wirklichkeit angepaßt werden.  Die in der Sprache angelegte
Kohärenz vermittelt Erfahrungen aus der Vergangenheit, kann aber kaum
solche Erfahrungen angemessen erklären, die durch die neuen
Kohärenzformen gekennzeichnet sind.  In jüngerer Zeit hat sich vor
allem eine Frage aufgedrängt: Gibt es irgendein Verbindungselement
zwischen der Sprache, den möglichen vorhandenen Botschaften, die in
unserem Universum von anderen Zivilisationsformen auf anderen
Planeten ausgetauscht werden, den Informationen, die wir auf unserer
genetischen Ebene austauschen oder jenen biochemischen Spuren, die
wir aus dem Verhalten von Ameisenkolonien oder Bienenvölkern kennen?
Jede Antwort auf diese Frage wäre aus heutiger Sicht voreilig.  David
Hirsch behauptet, wie schon gesagt, daß 97% aller menschlichen
Tätigkeit begriffsfrei vonstatten gehen.  Die Kontrollmechanismen,
denen diese Tätigkeiten unterliegen, kennzeichnen nicht nur den
Menschen, sondern auch biologische Einheiten auf niederer Ebene (z.
B. die Insekten).  Unsere Forschung nach kosmischen
Zivilisationsformen außerhalb unseres Planeten, Genetik, Biochemie,
von Memetik gar nicht zu reden, wird durch diesen Hinweis nicht
unbedingt gefördert.  Unsere Erklärungsversuche von abstrakten
mathematischen Konzepten oder dem Verhalten komplexer Systeme (wie
etwa dem menschlichen Nervensystem), von denen einige Lernfähigkeiten
oder Tendenzen der Selbstorganisation aufweisen, stellen uns vor
ungemein hohe Ansprüche: Sind wir mit unseren Bemühungen, das
menschliche Wesen nachzubilden, im Begriff, uns selbst wegzuerklären?
Die Replikation von Gedanken, die auf dem von der Evolutionstheorie
bereitgestellten genetischen Modell basieren, bringt wiederum neue
Perspektiven mit sich.  Doch selbst wenn es uns gelänge, Methoden für
die erfolgreiche Replikation zu entwickeln, hätten wir damit noch
nicht zwangsläufig die Charakteristika der Selbstidentifikation des
Menschen in den Griff bekommen.

Und es drängt sich eine weitere Frage auf: Wissenschaft ergibt sich
aus der grundlegenden Erkenntnis, daß das Gesetz der Schwerkraft
überall gilt, daß Elektrizität nicht von den geographischen
Koordinaten des Ortes abhängt, an dem Menschen leben, und daß das
wissenschaftliche Rechnen am Computer eine universelle Rechenart ist.
Dennoch ist die Wissenschaft nicht wertneutral; ein Modell hat
Vorrang vor einem anderen; eine Form der Rationalität setzt sich
gegenüber anderen durch.  Die Wahrheit einer wissenschaftlichen
Theorie und ihre empirische Angemessenheit sind nur lose miteinander
verbunden.  Für Wissenschaftler sind Fragen der Wissenschaft oder der
vorherrschenden Modelle eine Frage der Rationalität, während sie für
andere, die sie in ihren praktischen Lebenszusammenhang einbinden
müssen, zu einer Frage der Angemessenheit werden.  Das ist mehr als
eine kulturelle oder eine memetische Angelegenheit.  Wir sehen uns
vielmehr der Tatsache ausgesetzt, daß die natürlichen Voraussetzungen
des Menschen ungeachtet der Vernunft oft genug wegerklärt werden.


Die Effizienz der Wissenschaft

Die Sprache hat sich in den vergangenen Jahren vermutlich mehr
verändert als im Verlauf ihrer gesamten Geschichte.  Dennoch sind
diese Veränderungen nicht mit der Tiefe und Weite der
wissenschaftlichen und technischen Veränderungen zu vergleichen.
Bereits das Wort Computerwissenschaft bringt die daran geknüpften
fundamentalen Veränderungen nicht genügend klar zum Ausdruck.  Auch
die Bezeichnungen für viele andere Erkenntnis- und Tätigkeitsbereiche
sind ungenügend: künstliches Leben, künstliche Intelligenz, Genetik,
Memetik usw.  Gleichwohl haben wir angemessene neue Notationssysteme
entwickelt, neue Denkweisen (die qualitative und quantitative Aspekte
miteinander verbinden) und neue (interaktive) Ausdrucksformen.  Aus
diesen neuen Wissenschaften wird sich mit ziemlicher Sicherheit eine
neue Form des menschlichen Daseins ergeben, eine neue conditio humana.
In ihr werden sich die veränderten Voraussetzungen des
wissenschaftlichen Arbeitens niederschlagen.

Vor mehr als 350 Jahren ist die logische Analyse durch das Prinzip
des Experimentierens ergänzt worden.  Heute übernimmt die Simulation
eine ähnliche Aufgabe wie ehedem das Experimentieren.  Sie ist das
Experiment in einem Stadium jenseits der Schriftkultur, sie wird die
dominierende wissenschaftliche Ausdrucksform für die systematische
Suche nach der Vielzahl von Elementen, die an den neuen
wissenschaftlichen Theorien und deren Anwendungen beteiligt sind.
Eine ganze Anzahl von Simulatoren verfügt über Wissen und Zweifel.
Es kann in einem allgemeineren Zusammenhang gesehen werden.
Simulation trägt jeglicher Variabilität Rechnung, erforscht
Relationen und testet funktionale Abhängigkeiten, und dies auf der
Grundlage einer enormen Datenmenge, die für die Leistungsfähigkeit
neuer Systeme entscheidend ist, bzw. mit Hilfe einer enormen Menge
von Menschen, die in sie eingebunden sind.  Nachdem die Wissenschaft
sich mühsam, aber zwangsläufig, von der Philosophie losgelöst und
ihre eigenen Methoden entwickelt hat, entdeckt sie aufs Neue die
Notwendigkeit jener Dimension, die das menschliche Denken und die
menschliche Vernunft eingenommen hatte.  Eben dies ist der Gegenstand
der künstlichen Intelligenzforschung, und eben dies soll von der
künstlichen Intelligenz letztendlich hervorgebracht werden:
Simulationen unserer Denk- und Vernunftfähigkeit.  In diesem
Zusammenhang beschäftigen sich Wissenschaftler auch mit der
Metaphysik von den Ursprüngen unseres Universums und der Sprache des
Geistes (lingua mentis), von der man annimmt, daß sie sich von der
Sprache unterscheidet, die wir in unserer Lebensgemeinschaft, in
unserem kulturellen und nationalen Dasein gebrauchen.

Wenn wir über die Entstehung des Universums oder über den
menschlichen Geist nachdenken, heißt das, daß wir uns, mit der
jeweils angemessenen Sprache, in einem pragmatischen Zusammenhang
setzen, der sich von der Interaktion innerhalb einer Gemeinschaft,
von kulturellen Werten oder nationalen Merkmalen unterscheidet.  Der
Fokus verschiebt sich von Quantität zu Qualität.  Damit verbindet
sich der Versuch, eine Wissenschaft zu errichten, die sich mit
artifizieller Wirklichkeit beschäftigt und diese schafft.  Als
wissenschaftliches Artefakt ist diese Wirklichkeit mit allen
Merkmalen des Lebens versehen, mit Veränderung und Evolution durch
zeitliche Abläufe hindurch, Auswahl der Tüchtigsten, und zwar der
Besten, die für diese Welt besonders tauglich sind, Wissenserwerb,
gesunder Menschenverstand und schließlich auch Sprache.  Diese
artifizielle Realität orientiert sich am Modell des Lebens als
Organisationsmerkmal und generiert lebensähnliches Verhalten:
iterative Optimierung, Lernen, Wachstum, Anpassungsfähigkeit,
Reproduktionsfähigkeit und sogar Selbstidentifikation.  Die
Wissenschaft verfolgt Standardisierungsstrategien.  Artifizielles
Leben ist hingegen bestrebt, Bedingungen für Vielfalt zu schaffen,
die die Anpassungsfähigkeit stärken sollen.  Die Zuweisung von
Ressourcen innerhalb eines Systems und Strategien der KoEvolution
werden als Quellen für vermehrte Leistung gewertet.  Die Forschung
geht aber von einer Voraussetzung aus, die eher in den Bereich der
Vernunft, nicht der Rationalität gehört: Menschen und das zur Lösung
anstehende Problem sind beständigem Wandel unterworfen.


Die Erforschung des Virtuellen

Virtuelle Realitäten widmen sich nahezu allem, was auch die Künste
beschäftigt: Illusion von Raum, Zeit, Bewegung und Darstellung
menschlicher Gefühle.  Wer mit einem solchen System in eine
interaktive Beziehung tritt, wird in das Innere von Bildern,
Geräuschen und Bewegungen hineingezogen.  Sie alle sind simuliert,
Animation ist hier die neue Wissenschaftssprache, die im bewegten
Bild angelegt ist.  In gewisser Hinsicht wird die virtuelle Realität
zu einem Allzwecksimulator einer variablen Wirklichkeit, sie wird
ermöglicht durch Vermittlungselemente wie Computergraphik, Animation,
digitaler Ton, Positionierungseinheiten und eine ganze Zahl anderer
Elemente.  Innerhalb dieser virtuellen Realität stellen sie virtuelle
Gegenstände, Werkzeuge und Handlungsweisen zur Verfügung, die uns
Möglichkeiten unserer Selbstentfaltung und Selbstkonstituierung in
einer Welt des Meta-Wissens eröffnen.

Eine neue Qualitätsdimension spielt in der virtuellen Realität
insofern eine Rolle, als Wissenschaftler um ein kohärentes Bild der
ersten Minuten bei der Entstehung des Universums bemüht sind.  Physik,
Genetik, Biophysik, Biochemie, Geologie und alles andere, was in
diesen in vielfältiger Weise vermittelten Forschungen eingebunden ist,
vollzieht hier den letzten Schritt von der Wissenschaft zur
Naturgeschichte und zur philosophischen Ontologie.  Die Erklärung
dafür, daß Physiker ein nicht weiter teilbares Proton zur Erklärung
der Materie brauchten, ist nicht eine Frage von Zahlen, Präzision und
Gleichungen, sondern des gesunden Menschenverstands: Wenn Protonen
zerfallen könnten, würden Berge, Ozeane, Sterne und Planeten
zusammenbrechen und--zurück zu Neutronen und Elektronen
verwandelt--würde sich der ursprüngliche Big Bang in gegenteiliger
Richtung wiederholen.  Mit den neuen experimentellen Methoden, mit
Teilchenbeschleunigung in der Computersimulation, mit den neuen
radioastronomischen Beobachtungsmöglichkeiten öffnet die virtuelle
Realität neue Formen der Lebenspraxis und ermöglicht vollkommen neue
physikalische Theorien.  Ist dies alles in der Sprache zu leisten und
durch Sprache zu evaluieren?

Daß der Effizienzfaktor in dieser Entwicklung eine entscheidende
Rolle spielt, ist offensichtlich.  Im Fall der Wissenschaft hat die
allgemeine Effizienzvorstellung verschiedene Komponenten.  Eine Form
der Effizienz liegt darin, die Wissenschaft produktiv zu machen.  Im
Vergleich etwa zur Effizienz von Hebel, Rolle und Flaschenzug ist die
Effizienz des Elektromotors in einer anderen Größenskala angesiedelt.
Für unsere heute neu entwickelten Instrumente gilt das Gleiche,
allerdings auf sehr viel dramatischere Weise.  Die Wissenschaft ist
das aufwendigste und teuerste Unternehmen, das der menschliche Geist
hervorgebracht hat.  Ihre derzeitige Entwicklung wird offenbar durch
eine Eigendynamik angetrieben: Wissen um des Wissens willen.
Wissenschaft brachte aber auch Technologie und Technik hervor, die
jegliche menschliche Tätigkeit und Leistung entscheidend beeinflussen.

Die zweite Effizienzkomponente, die zu unserer neuen Lebenspraxis
geführt hat, liegt in der Notwendigkeit begründet, diese neuen
Instrumente, die neuen Energieformen und die neuen Formen
menschlicher Interaktion zu beherrschen und zu kontrollieren.  Die
Beherrschung eines mechanischen Werkzeugs ist etwas anderes als die
Beherrschung einer Programmiersprache, mit der eine hochkomplizierte
Technologie und enorme Energiemengen kontrolliert werden.  Aber
obwohl diese neuen Formen der multimedialen Vermittlung in unserem
Leben zugenommen haben, wissen wir noch nicht so recht, wie wir damit
umgehen sollen, und noch weniger, wie wir sie in unsere Bildungs- und
Ausbildungsformen und in die immer kürzeren Zyklen der
wissenschaftlichen und technologischen Erneuerung integrieren können.

Die dritte und letzte Effizienzkomponente ist im Bereich der
Erfindung, Entdeckung und Erklärung angesiedelt.  Nicht zuletzt unter
dem Druck der gesellschaftlichen Erwartungen (Staat, Geschäftswelt
und verschiedene Interessengruppen investieren in die Wissenschaft,
um damit bestimmte Ziele zu verfolgen) steht die Wissenschaft unter
hohem Erwartungs- und Leistungsdruck.

Aus der Sicht des Marktes sind diese Erwartungen dann erfüllt, wenn
sich die Investitionen auszahlen.  Enorme Summen gehen daher nicht
nur in zukunftsträchtige wissenschaftliche Projekte, sondern als
Risikokapital in Unternehmensneugründungen, die die
wissenschaftlichen Ergebnisse technologisch umsetzen.  Innerhalb
dieser ökonomischen Dynamik ist jegliche Form der Abkapselung oder
gar der Geheimnistuerei abwegig.  Sofern man versucht,
wissenschaftliche Entwicklungen geheimzuhalten, stößt man bald an die
Grenzen der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit: Interaktivität und
die Zusammenführung unterschiedlichster, weltweit verbreiteter
wissenschaftlicher Aktivitäten, Vernetzung dieser Arbeit,
Arbeitsteilung und vor allem geteilte Ressourcen determinieren
heutzutage den Fortschritt in den Wissenschaften.  Insofern ist es
kaum noch verständlich, wie in den USA und in Europa die Bürokratie
der Wissenschaftsverwaltung diese neuen Formen der Wissenschaft und
damit den wissenschaftlichen Fortschritt behindert.  Sie stehen noch
immer unter dem schriftkulturellen Einfluß von Nationalstolz,
Sicherheit und ähnlichem und hüten einen Wissenschaftsbetrieb, der
längst passé ist.

Auch der Konflikt zwischen Wissenschaft und Ethik gewinnt eine neue
Dimension.  Nicht alle wissenschaftlichen Ergebnisse, die richtig
sind, sind auch gut für die Menschheit.  Höhere Effizienz kann sich
für den Menschen und für die Erhaltung des Lebensstandards als
kontraproduktiv erweisen.  In vielen Bereichen--zu viele, um sie
anzuführen--ist der Mensch bereits vollständig durch Maschinen
ersetzt.  Enorme körperliche oder geistige Anstrengung, Gefahren, die
von Chemikalien, von Strahlung oder anderen widrigen Elementen
ausgehen, können auf diese Weise vermieden werden.  Die Entfernung
von Menschen aus Arbeitsprozessen, in denen er sich schließlich
entfaltet und zu seiner Identität gefunden hatte, macht diese
Arbeitsprozesse gewiß auch fragwürdig.  Heute reden wir nicht mehr
nur über die genetische Manipulation der Bevölkerung, über die
geistige Manipulation des Menschen, über die Entwicklung
intelligenter Maschinen, die selbst ihre Hersteller beherrschen.  Wir
haben diese Möglichkeiten alle verwirklicht oder stehen zumindest
kurz vor ihrer Verwirklichung.  Wissenschaft und Technologie, und
noch weniger die Philosophie können diesen in der Entwicklung
zwangsläufig angelegten Konflikt einfach ignorieren.  Auch sollten
wir uns der Gefahr bewußt werden, daß wir allzu leichtfertig und aus
begrenztem Blickwinkel heraus zu scheinbar unproblematischen
wissenschaftlichen Lösungen greifen oder daß wir uns von dem Wahn
leiten lassen, grundsätzlich alles zu realisieren, was machbar ist.
Immerhin: Wir könnten bereits unseren Planeten zerstören, tun dies
aber nicht, oder doch zumindest nicht so radikal, wie wir es tun
könnten.  Vor allem muß sich die Wissenschaft selbst einer
permanenten Selbstkritik und Selbstbefragung unterziehen.  Es ist
daher wohl kein Zufall, daß die Naturwissenschaften nunmehr, jenseits
der Schriftkultur, die Philosophie wiederentdecken oder zumindest
ihrerseits eine Komponente philosophischer Selbstreflexion entwickeln.
Quo vadis, Philosophie?


Die Sprache der Weisheit

Das Nachdenken über den Menschen und seine Beziehungen zur Welt (zur
Natur, Kultur und Gesellschaft) stellt eine bestimmte Form der
philosophischen Erfahrung dar.  Sie beinhaltet, sich seiner selbst
und anderer bewußt zu werden; Ähnlichkeiten und Unterschiede zu
erkennen; Veränderungen in unseren Lebensabläufen und
Lebensbedingungen zu erklären und das so gewonnene Verstehen in die
Formulierung neuer Fragestellungen umzusetzen.  Die praktischen
Implikationen philosophischer Systeme sind vielfältig.  Sie
beeinflussen die wissenschaftliche, moralische, politische,
kulturelle oder sonstwie geartete Form menschlicher Selbstentfaltung
in der Welt.  Philosophische Systeme vermehren nicht unbedingt Wissen,
sondern Weisheit.  Insofern ist das klassische Modell der
Philosophie als Dachwissenschaft aller Wissenschaften, oder zumindest
als alma mater aller Wissenschaften, noch immer gültig.  Im Zentrum
philosophischer Systeme stehen menschliche Werte, nicht Fähigkeiten
oder Fertigkeiten, mit denen man bestimmte, durch eine Rationalität
vorgegebene Ziele erreichen kann.  Dennoch ist der Status der
Philosophie durch innere und äußere Faktoren zunehmend in Frage
gestellt.  Wenn die Philosophie an Bedeutung verloren hat, dann wohl
nicht zuletzt auch deshalb, weil die Philosophen einerseits mit dem
Anspruch der Allwissenheit auftraten, sich andererseits aber mit den
zentralen Aspekten der menschlichen Vernunft nur wenig beschäftigt
haben.

Die Philosophie besaß schon immer einen gewissen exklusiven Status.
Heute ist aus ihr eine Diskursform geworden, die sich entweder in
furchtbar gestelzter und umständlicher Sprache oder in einer Vielzahl
von spezialisierten Sprachen an einen relativ kleinen Kreis von
Eingeweihten wendet, in aller Regel ihrerseits Philosophen.  Die
veränderte Rolle der Philosophie drückt sich auch im gegenwärtigen
Sprachgebrauch aus.  Jeder spricht heute von "seiner Philosophie" und
meint damit alles Mögliche--Investitionsstrategien oder Strategien im
Fußball, Drogengebrauch oder Gesundheitsdiäten, Politik, Religion und
vieles andere.

Mißverstandene, aus der Schriftkultur übernommene kulturelle
Bedürfnisse und politische Bequemlichkeit führen dazu, daß die
tradierte Form der Philosophie als Fach an den Universitäten gelehrt
wird ohne Rücksicht darauf, was in diesem Fach gelehrt wird, wer es
lehrt oder welche Mittel er dafür verwendet.  In den kommunistischen
Ländern ist Philosophie ein Pflichtfach gewesen, unter dessen
Bezeichnung die herrschende Ideologie vermittelt und gefestigt wurde.
In den liberalen Ländern hat die Philosophie ihren Glanz verloren;
hier ist die philosophische Abstraktion ein eben solches
Schreckgespenst wie der Mangel an Geld.  Insofern ist allenthalben
eine philosophische Unbildung zu verzeichnen.  Sie ist jedoch nicht
das Ergebnis von abnehmenden Lese- und Schreibfähigkeiten, sondern
einer veränderten Lebenspraxis.

Weder die Spezialisierung der Sprache der Philosophie noch die
Einbindung logisch-mathematischer Formalismen und Operationen haben
der Philosophie oder dem Philosophen das ursprüngliche Prestige
zurückgeben können.  Zur Lösung der ihr eigenen, vor allem auf
menschlicher Erfahrung und das Gewissen bezogenen Fragen hat sie kaum
etwas beigetragen.  Vielmehr hat sich die Philosophie als
Dachwissenschaft verflüchtigt in eine ganze Zahl von
Einzelphilosophien: analytische, europäische, feministische,
afro-amerikanische, grüne Philosophie usw.  Jede dieser
Teilsdisziplinen hat eine eigene Sprache entwickelt und verfolgt
Fragestellungen, die in der Philosophie oder der Politik der
Schriftkultur verwurzelt sind.

Die Bedeutung (oder Bedeutungslosigkeit) der Philosophie ist nach wie
vor festzumachen an der Praxis des Fragens und Antwortens, einer
Praxis, aus der heraus sich die Philosophie ursprünglich entwickelt
hat.  Als eine Praxis, die dem menschlichen Wesen im Universum
menschlicher Erfahrung einen Platz zuweist, ist die Philosophie
ebenso relevant wie die praktischen Ergebnisse, die sich aus dieser
Positionierung des Menschen ergeben.  Viele wissenschaftliche
Theorien, wie z. B. die Relativitätstheorie in der Physik oder die
Gentheorie in der Biologie, sind in philosophischer Hinsicht genauso
relevant wie in wissenschaftlicher Hinsicht.  Andererseits weisen
auch zahlreiche philosophische Theorien eine erhebliche
wissenschaftliche Bedeutung auf: zahlreiche Komponenten im System der
Leibnizschen Philosophie, in Descartes’ Rationalismus oder in Peirces
Pragmatizismus.  Sie alle entwickelten sich in einem bestimmten
pragmatischen Erfahrungsrahmen, in dem sich Vernunft zur Geltung
brachte und spezifische Formen der Rationalität in Frage stellte.

Die Philosophie, wie wir sie aus den überlieferten philosophischen
Texten kennen, ist ein Ergebnis jener Erfahrungen, die die Schrift
möglich (wenn auch nicht universell akzeptiert) und später
Schriftkultur notwendig machten.  Ihre fundamentalen Oppositionen
entsprechen dabei im großen und ganzen den im Rahmen der Sprache
gefundenen praktischen Erfahrungen: Subjekt/Objekt,
rational/irrational, Materie/Geist, Form/Inhalt,
analytisch/synthetisch, konkret/abstrakt, Wesen/Phänomen.  Auch der
traditionelle gnoseologische Ansatz der Philosophie und die auf der
aristotelischen Logik basierende formale Logik weisen eben diese
Sprachstruktur auf.  Die grundlegende linguistische Unterscheidung
zwischen Subjekt und Prädikat kennzeichnet zumindest für die
westlichen Kulturkreise diesen Ansatz.  Die zur Industriellen
Revolution hinführenden Effizienzerwartungen blieben nicht ohne
Einfluß auf die Lage der Philosophie.  An diesem ihrem Wendepunkt
erkannten die Philosophen die praktischen Aspekte ihrer Disziplin.
Marx war davon überzeugt, daß der Mensch mit ihr die Welt verändern
würde.  In der Tat hat sich die Welt verändert, aber auf eine ganz
andere Weise, als er und seine Anhänger dies prophezeit hatten.  Der
feste Griff der verdinglichten Sprache hatte aus dem Arbeiterparadies
eine geistige Folterkammer gemacht.

Mit den Veränderungen der grundlegenden Strukturen veränderte sich
auch die Philosophie und befreite sich von den Sprachkategorien, die
ihren spekulativen Diskurs geformt hatten.  Ungeachtet dieser
Veränderungen hielten Bildungsinstitutionen, Berufsverbände und auch
Fachkonferenzen an den alten, aus den schriftkulturellen Erwartungen
abgeleiteten Zielen und Funktionen fest.  Das führte zu heftigen
Abgrenzungsversuchen (zu deren Hauptvertretern Feyerabend und Lakatos
gehören), die einer philosophischen Praxis das Wort redeten, die sich
der relativen Natur ihrer Aussagen bewußt ist.

Die in den Eingangskapiteln dargelegten neuen Formen der Logik und
wissenschaftliches Rechnen in algorithmischer und
nicht-algorithmischer Form befreite die Philosophie von den in der
traditionellen Sprache der Philosophie eingebetteten Dualismen.
Zufriedenstellendere Antworten auf ontologische, gnoseologische,
epistemologische und sogar historische Fragen müssen diese neuen,
kognitiv relevanten Wissensperspektiven erkennen lassen.  Mit ihrer
Mathematisierung gewinnt die Philosophie neuen Zugang zur
Wissenschaft und damit eine erhöhte Effizienz.  Sie ist logik- und
rechnerorientiert, hat genetische Schemata für die Erklärung von
Variation und Auswahl übernommen und sich um heute geläufige
memetische Methoden bereichert.  Nun ist es in der Philosophie zwar
keineswegs ungewöhnlich, daß man auf das Aufwärmen alter Theorien und
Sehweisen verzichtet und sich statt dessen um das Verständnis neuer
pragmatischer Bedürfnisse bemüht.  Die Verwissenschaftlichung der
Philosophie konnte sich indes erst durchsetzen, nachdem die Sprache
als einziges gedankliches Medium und die damit verbundene
Vorherrschaft der Schriftkultur überwunden waren.


In wissenschaftlichem Gewand

Viele von uns erinnern sich vielleicht noch an die Probleme, die
Alice in Lewis Carrolls Through the Looking Glass mit der Sprache hat,
vor allem mit den vielfältigen Bedeutungen, die einzelne Wörter
annehmen können.  Wenn wir vor diesem Hintergrund die großen
philosophischen Werke von Platon über Leibniz, Kant und Hegel bis zu
Peirce und anderen Revue passieren lassen, sehen wir Alices Kummer in
einem anderen Licht.  Abgesehen von Wittgenstein hat wohl kaum jemand
Anstoß an der menschlichen Fähigkeit genommen, einzelnen Wörtern
soviel unterschiedliche Bedeutung zukommen zu lassen.

Wenn wir uns heute fragen, was die Welt nachhaltig verändern, was sie
"bewegen" könnte, würden wir die Antwort auf diese Frage vermutlich
in einem neuen Zeichensystem sehen.  Das von Peirce entwickelte
kognitive Modell des diagrammatischen Denkens ist hierfür ein gutes
Beispiel.  Weitere Bereiche, in denen solche Zeichensysteme
entwickelt wurden, sind Kybernetik, Biogenetik, computergestütztes
Rechnen, die Erforschung der künstlichen Intelligenz und des
künstlichen Lebens sowie politische, soziale, ästhetische und
religiöse Begriffe.  Sie alle haben neue Formen der menschlichen
Selbstkonstituierung erleichtert, die nun gemeinsam zum
widersprüchlichen Bild der heutigen Welt beitragen.  Alle diese
Sprachen veranschaulichen den für unsere heutige Zeit grundlegenden
Prozeß der zunehmenden und fortschreitenden Vermittlung, der
Auffächerung in zahllose Spezialsprachen und der Veränderung im
Status und im Wertesystem des Schriftkulturideals.  Sie verleihen der
Philosophie ihr wissenschaftliches Gewand.  Klarheit (die nur schwer
in der natürlichen Sprache zu erreichen ist), Evidenz und Sicherheit
scheinen in der Wissenschaftssprache selbstverständlich.  Hinzu
kommen Objektivität und die seit jeher verführerische Wahrheit, mit
der sich die Philosophie immer schwer getan hat, zumindest als
annäherbare Größe.

Für die permanente Entfaltung des philosophischen Diskurses gibt es
einen inneren Grund: Die Menschen, die Philosophie betreiben,
verändern sich in dem Maße, wie sich die Welt verändert, in der sie
leben.  Menschliches Denken ist Teil dieser Welt; die Fähigkeit und
der Drang, über neue Fragen nachzudenken, neue Antworten zu suchen
sowie der Zweifel an unserer Fähigkeit, jemals die richtige Antwort
zu finden, ist ein wesentlicher Teil dessen, was den Menschen
auszeichnet.  Wir sollten uns vor Augen führen, daß die erhöhte
Vermittlung auch für die Philosophie Folgen mit sich bringt.
Vermittlung bedeutet einerseits ein hohes Maß an Integration dessen,
was die menschliche Praxis hervorbringt, und andererseits ein nicht
weniger hohes Maß an Unabhängigkeit, das das Subjekt gegenüber dem
Gegenstand der Arbeit oder des Nachdenkens gewinnt.  Es leuchtet wohl
ein, daß die Wissenschaft immer mehr Wissen über einen immer
begrenzteren Bereich von Gegenständen erlangt; dieser Umstand steht
aber im Widerspruch zu der Vorstellung von Philosophie, die sich in
der Sprache herausgebildet hat und die im Ideal der Schriftkultur
verkörpert ist.  Gemäß dieser metaphorisch definierten Vertiefung des
Wissens gewinnen die Philosophen untereinander an Unabhängigkeit,
werden aber aufgrund der notwendigen Verknüpfung dieses Wissens
stärker als je zuvor in einen Forschungsverbund eingebunden.  Was
diese paradoxe Situation im einzelnen bedeutet, ist nicht leicht
darzulegen.  Allgemein zeichnen sich zwei qualitativ gegensätzliche
Richtungen ab:
1. die Konzentration auf einen präzise bezeichneten Bereich des
Wissens oder Handelns, um diesen genau verstehen und kontrollieren zu
können;
2. ein abnehmendes Interesse am Ganzen, das sich nicht zuletzt aus
der Annahme ergibt, daß die Teile letztendlich durch die
gesellschaftlichen Integrationsmechanismen des Marktes nolens volens
wieder vereint werden.
Wir haben heute eine ganze Reihe von philosophischen
Einzeldisziplinen, Rechtsphilosophie, Ethik, Wissenschaftsphilosophie,
Sport, Erholung, Feminismus, Ökologie, Afrozentrismus--aber keine
allumfassende Existenzphilosophie mehr.

Die wissenschaftliche Einkleidung der Philosophie trägt zu deren
Bemühen bei, eine neue Legitimität zu gewinnen.  Sie arbeitet mit
Begriffen und Methoden, die an Rationalität orientiert sind, und
entfaltet sich in Naturwissenschaft und Technologie.  Durkheim hat
das Phänomen der Arbeitsteilung mit Hilfe von Darwins Modell der
natürlichen Auslese erklärt.  Heute versuchen die Philosophen, die
sich als Memetiker verstehen, Darwins Prinzipien an Rechnern zu
simulieren, um daran das Überleben und die Fortentwicklung von Ideen
zu beobachten.  Spencer war davon überzeugt, daß die Zunahme an
produktiver Arbeitskraft das Glück des Menschen vermehren würde.
Heute versuchen Philosophen, die Relation zwischen Befriedigung in
der Arbeit und Persönlichkeit im Diagramm zu erfassen.  Wieder andere
verhelfen Comtes Positivismus zu neuem Leben, entwickeln utopische
Systeme aus vergangenen Zeiten weiter oder ersinnen eine
Berechnungsmethode für intellektuelles Wohlergehen.  Einem
Philosophen, der die traditionellen Grenzen der Philosophiegeschichte
hinter sich lassen möchte, kann im Prinzip alles zum Gegenstand des
philosophischen Hinterfragens werden.

Wann immer neue Bewegungen, von denen einige mehr, andere weniger
gerechtfertigt waren und die allesamt die Verlagerung von einer auf
Autorität gründenden Schriftkultur hin zur grenzenlosen Wahlfreiheit
in einem schriftkulturlosen Zusammenhang widerspiegeln, wirksame
Instrumente zur Unterstützung ihrer Programme benötigten, griffen sie
zurück auf die Philosophie oder wurden von der Philosophie ergriffen.
So treffen heute im Namen der Philosophie Säkularismus und
Pluralismus mit vielen anderen Bewegungen zusammen, mit der
Schwulenbewegung, dem Feminismus, Multikulturalismus,
Alternsforschung, neuen Holismen, Populärphilosophie, sexueller
Emanzipation, Virtualität und vielem mehr.  Diese Situation läßt den
Drang der philosophischen Bemühungen nach neuer Effizienz erkennen,
zugleich aber auch Anstrengungen, die Beziehungen zur Schriftkultur
beizubehalten.  Die enorme Bandbreite der Gegenstände, die heute für
die Philosophie attraktiv zu sein scheinen, obwohl sie sich ganz
offensichtlich nicht zum philosophischen Gegenstand eignen, läßt
berechtigte Zweifel aufkommen.  Sofern die Sprache der Philosophie
nicht ohnehin unverständlich ist, scheint sie sich heute damit zu
begnügen, Dinge zu diskutieren, statt Gründe zu hinterfragen oder gar
neue Gedanken oder Erklärungsmodelle zu entwickeln.  Billige
Verallgemeinerungen helfen niemandem weiter, und man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, daß die Befreiung der Philosophie von der
Schriftkultur viel weniger produktiv ist als der vergleichbare
Befreiungsprozeß der Naturwissenschaften von der Sprache.

Wenn wir uns im World Wide Web die Bereiche näher anschauen, die der
Philosophie gewidmet sind, wird dieser Eindruck nachdrücklich
bestätigt.  Insgesamt scheint es so, als habe die Philosophie dieses
neue Medium als Alternative zum traditionellen philosophischen
Diskurs noch nicht akzeptiert.  Nicht zuletzt deshalb setzt sich wohl
die Meinung durch, daß die Naturwissenschaftler selbst die besten
philosophischen Überlegungen zu ihren eigenen Beiträgen zu bieten
haben.


Wer braucht Philosophie und wozu?

Brauchen wir heute noch Philosophie?  Ist sie ohne die sprachliche
Vermittlung zwischen den Philosophen und ihrem Publikum überhaupt
noch möglich?  Können wir ohne sie leben?  Kann sie im Zeitalter
hochgradiger Spezialisierung noch als vermittelnde Instanz zwischen
den Menschen wirken?  Kann sie je noch als Selbstbewußtsein der
Menschheit fungieren, wie es sich in Hegels Philosophie ausdrückt?
Und worin könnte ihre Aufgabe liegen, wenn sie tatsächlich in den
Naturwissenschaften aufginge, Teil des naturwissenschaftlichen
Fachdiskurses würde?

Ich tendiere dazu, der Philosophie ebenso wie der Schriftkultur trotz
der veränderten Situation und Bedeutung der Sprache auch weiterhin
Möglichkeiten und Relevanz einzuräumen.  Ihre Funktionen müssen im
pragmatischen Zusammenhang noch definiert werden--als
Vermittlungsinstanz, als Selbstbewußtsein der Menschheit, als
deutender Diskurs über die Menschheit und die Natur.  Wir müssen
nicht noch einmal im einzelnen wiederholen, daß die Philosophie in
den verschiedenen Skalen der Menschheit unterschiedliche Interessen
verfolgt hat, die sich aus den jeweiligen Effizienzerwartungen
ergeben hatten.  Noch nie hat uns die Philosophie Brot auf den Tisch
gestellt oder Werkzeuge an die Hand gegeben.  Ihre Fertigkeit bestand
darin, Fragen zu formulieren, vor allem die entscheidenden
Fragen--"Was ist was?" und "Warum?"; mit diesen Fragen hat sie nach
den Ursprüngen der Dinge geforscht.  Indem sie nach den Gründen von
Phänomenen und Handlungen forschte, mit anderen Worten: Indem sie
versuchte, die Welt und die scheinbare Ordnung der Welt zu verstehen,
war sie gleichzeitig Philosophie und Deuter der Wissenschaften.
Daraus entwickelten sich die weiteren entscheidenden Fragen, "Wie
können wir Wissen erlangen?" und "Wie können wir erklären?"  Diese
Fragen wurden dann jedoch nicht mehr von den eigentlichen Philosophen,
sondern zwingender von denen weiterverfolgt, die nach
wissenschaftlicher Rationalität suchten.

Keine noch so detaillierte Philosophiegeschichte kann uns eine
ausreichende Definition von Philosophie geben.  Der Gegenstand der
Philosophie verändert sich, wie sich die Menschen im Verlauf ihrer
praktischen Selbstkonstituierung verändern.  Alle Natur- und
Geisteswissenschaften (Ethik, Ästhetik, Politik, Soziologie und
Rechtswissenschaft) haben sich aus der Philosophie heraus entwickelt.
Selbst unsere Beschäftigung mit der Sprache ist letztendlich
philosophischer Natur.  Philosophie ist wohl die einzige wirkliche
Form der Abstraktion.  Sie ist nicht am Individuum interessiert, am
Phänomen, am Unmittelbaren, nicht einmal am Gedanken, sondern immer
nur an der Abstraktion derselben.  Selbst wenn andere Disziplinen wie
Mathematik, Logik, Linguistik oder Physik sich um die abstrakten
Vorstellungen im Umfeld ihrer Disziplinen bemühen, um ihnen dann im
Zusammenhang ihrer praktischen Erfahrungen Leben zu verleihen, sucht
die Philosophie doch immer wieder die nächsthöhere Abstraktionsebene,
die Abstraktion der Abstraktionen.  Die Naturwissenschaft verwendet
Abstraktionen als Instrument, um an das Konkrete heranzukommen; die
Philosophie geht den entgegengesetzten Weg. Sie sucht immer den
nächsten Schritt, den Schritt in das Unendliche.  Jedes Ergebnis ist
vorläufig.  Philosophisches Experimentieren besteht nicht darin,
systematisch nach Ursachen zu suchen, sondern darin, das Suchen,
Fragen und Nachfragen niemals abbrechen zu lassen.  Es gibt keine
richtigen oder falschen philosophischen Theorien.  Philosophie ist
ihrem Wesen nach kumulativ und selbstverzehrend.

Die Menschen werden niemals aufhören zu staunen und sich zu fragen,
was ist was?, schon gar nicht, solange ihre Tätigkeit den Bereich der
Dinge, des Seienden ständig erweitert.  Sie werden sich immer wieder
fragen, was sie wissen können, mit welcher Gewißheit sie das, was sie
wissen, für wahr oder wenigstens für relevant halten dürfen.  Der
Mensch ist gekennzeichnet durch seine Fähigkeit zu denken, Dinge
herzustellen und Werkzeuge zu beherrschen, Werte zu entwickeln und
sich mit anderen Menschen als Lebensgemeinschaft mit gemeinsamen
Anliegen und Ressourcen zu konstituieren, und dies im freien Spiel
seiner Kräfte, Möglichkeiten und Charakteristika (die in solchen
Begriffen wie homo œconomicus, zoon semioticon, zoon politikon, homo
ludens gefaßt sind).  All diese Bezeichnungen mögen wesentliche
Aspekte der Menschheit benennen.  Das einzig wirklich herausragende
Merkmal des Menschen liegt indes darin, daß er denken und alles
hinterfragen kann.  So wie die genetische Anlage des Menschen durch
die Sprache gekennzeichnet ist, so ist sie durch Denken und Fragen
gekennzeichnet, die sich vermutlich zuallererst in Sprachmechanismen
äußerten.  Wenn ein Kind seine erste Frage stellt, ist seine gesamte
genetische Anlage involviert.

Wir sind, wer und was wir sind, durch unsere fragende Interaktion mit
anderen Menschen.  Geist und Verstand existieren nur durch diese
Interaktion.  Das bedeutet, daß das Philosophieren Teil der
menschlichen Selbstkonstituierung und Identitätsfindung ist.  Der
einzige Gegenstand der Philosophie ist der Mensch mit seiner
Entfaltung in der Lebenspraxis.  Zusammen mit anderen fortlebenden
Formen der Bildung und der Schriftkultur wird auch die Philosophie
als eine von vielen anderen fortwirken.  Aber jenseits der
Schriftkultur wird die Philosophie wie in allen vorangegangenen
Stadien der Menschheit die Arbeits- und Lebensumstände widerspiegeln,
die für den neuen pragmatischen Rahmen charakteristisch sind.  Sie
wird sich auch dem Test der Marktbedürfnisse unterziehen müssen.  Die
Wissenschaft kann die hohen Investitionen mit neuen
Erklärungsmodellen rechtfertigen.  Auch kann sie neue technologische
Entwicklungen anstoßen.  Die Philosophie muß ihre Rechtfertigung
indes auf andere Weise suchen.  Die Notwendigkeit ihres Tuns ist nur
schwer faßbar.  Da sie nicht wie die schriftkulturelle Bildung,
Religion oder Kunst von der Vergangenheit lebt, muß sie sich neu
besinnen auf die Vernunft als den Bereich menschlicher Tätigkeit.
Wenn sich die Philosophie mit alternativen Formen der Lebenspraxis
auseinandersetzt, kann sie auf sehr praktische Weise den Menschen
helfen, sich einerseits von der Fortschrittsbesessenheit--sofern wir
Fortschritt verstehen als eine Folge sich ständig übertreffender
Rekorde in Produktion, Distribution und Erwartung--und andererseits
von der Furcht vor all den Konsequenzen des Fortschritts zu befreien.
Auch könnte sie die Aufmerksamkeit des Menschen darauf richten,
Alternativen zu all dem zu entwickeln, was die Unversehrtheit der
Gattung und seine Qualitätsansprüche beeinträchtigt, das Verhältnis
des Menschen zur Umwelt mit eingeschlossen.  Wenn Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft im allumgreifenden ungebildeten Wahn des
Augenblicks kollabieren, dann ist die Philosophie uns eine Antwort
auf die Frage schuldig, ob es noch eine Zukunft gibt.  Aber diese
Zukunft gewinnt Gestalt durch Menschen, die an der offenen Welt der
vernetzten Interaktionen teilhaben.  Banalitäten werden als Antworten
auf diese entscheidende Frage mithin nicht genügen.



Kapitel 4:


Ein Gespür für Design

Im Englischen heißt to design wörtlich "mit Zeichen (sign) umgehen".
Design, Gestalten und Entwerfen, heißt also einerseits, mit Hilfe von
Zeichen Gedanken, Gefühle und kommunikative Absichten auszudrücken,
und andererseits, seine eigene Persönlichkeit in Gegenstände
einzubringen, die für die praktischen Erfahrungen des Menschen eine
Rolle spielen.  Die unmittelbare praktische Erfahrung kannte keine
Gestaltung, kein Design.  Die Verwendung von Zeichen ermöglicht es
uns, die Gegenwart auf die Zukunft hin zu transzendieren.  In der
Natur bedeutet Zukunft Befruchtung.  In der Kultur bedeutet Zukunft
Bezeichnung, etwas in Zeichen bringen, d. h. etwas durch Zeichen
ausdrücken, etwas entwerfen.  Im weitesten Sinn ist das Gestalten und
Entwerfen die Selbstbestimmung des Menschen, als jemand, der
Veränderung bewirkt.  Diese verändernden Eingriffe betreffen die
Umwelt und unsere Wahrnehmung von Dingen (Werkzeuge eingeschlossen),
von Häusern, Kleidung, Bräuchen, religiösen Zeremonien,
Veranstaltungen, Nachrichten, Interpretationszusammenhängen,
Interaktionen und in jüngster Zeit auch von ganz neuen Stoffen und
virtuellen Realitäten.  Shakespeare hätte am Eifer, mit dem unsere
Zeit Design betreibt, seine Freude gehabt.  Er beschreibt Design
folgendermaßen: "...Und wie die schwangre Phantasie Gebilde / Von
unbekannten Dingen ausgebiert” (Ein Sommernachtstraum).  Obwohl
Gestalten und Entwerfen sprachliche Elemente aufweisen, sind sie
dennoch im Grundsatz nichtsprachlich.  Die wesentlichen Ausdrucks-
und Kommunikationsmittel sind visueller Art.  Diese können
unterstützt werden durch andere Mittel, wie Ton, Textur, Geschmack
und Geruch und deren Kombination (Synästhesie), Rhythmus, Farbe und
Bewegung.

Die Natur bietet sich dem Menschen, der seine Identität durch
praktische Erfahrungen schafft, als etwas Gegebenes dar.  In
Abgrenzung dazu erscheint die Natur des Menschen in der Retrospektive
als etwas Gestaltetes.  In einigen Fällen bedeutet Gestalten
Selektieren.  Man nimmt etwas aus seiner gewohnten Umgebung
heraus--einen Stock, einen Stein, eine Pflanze--und gibt ihm eine
neue, un-natürliche Funktion, indem man es in etwas anderes einfügt,
sei es zur Markierung von Land, zur Arbeitserleichterung, zum Stützen
eines Körperteils, zum Fallenstellen, für Angriff und Verteidigung
oder zum Färben von Kleidung oder Haut.  Manchmal folgt dem Akt der
Selektion eine Form der Rahmensetzung, so wie der Rahmen bei einem
Tanzritual um den Totempfahl, bei einem Tieropfer, bei
Trauerzeremonien oder Sieges- und Fruchtbarkeitsfeiern.  Selektion
und Rahmensetzung hängen mit Effizienzerwartungen zusammen.  Sie
symbolisieren die Hoffnung auf Hilfe von magischen Kräften und
drücken die Bereitschaft aus, für ein Individuum, für die Familie
oder für die Gemeinschaft einzutreten.  Dies ist bereits bei den
ersten Versuchen einer pragmatischen Rahmensetzung sichtbar.  Eines
der wiederkehrenden Muster beim Gestalten und Entwerfen ist, die
formalen Merkmale, die in der Natur als schön empfunden werden,
nachzuahmen und diese dann in eine optimale Form in der Zukunft zu
integrieren.  Auf diese Weise fließt die ästhetische Dimension des
menschlichen Alltags in die Tätigkeit des Entwerfens und Gestaltens
ein.

Notationssysteme (z. B. quipu, zeichnerische Abbildungen auf Stein
oder auf dem Boden, oder Hieroglyphen), die sich später zu einer
Schrift entwickelten, können als Design bezeichnet werden, nicht
zuletzt wegen ihrer ästhetischen Kohärenz.  Erst wenn sprachlich
definierte Regeln und Erwartungen an die Stelle des Zeichensystems
treten, löst sich Schrift vom Design und wird Teil der
Spracherfahrung.  So erklärt sich, daß Veränderungen in der Sprache,
die einen Rahmen für die Erfahrung von Zeit und Raum bildet, nicht
unbedingt auch Veränderungen im Bereich des Designs mit sich bringen.
Als sich die Schriftkultur herausbildete, war die ihr zugrunde
liegende Struktur in dem Gebrauch der Sprache eingebunden.  Dies gilt
nicht in gleichem Maß für die Praxis des Designs.  An diesem Punkt
etabliert sich Design als eigenständige praktische Disziplin mit
eigener Dynamik und eigenen Zielen.  Es ist kein Zufall, daß das
technische Design als eine praktische Notwendigkeit im Zuge des Baus
von Pyramiden, Zikkurats und Tempeln entstand und seinen Höhepunkt
während der Industriellen Revolution im Entwurf und Gestalten von
Maschinen fand.  Die Prämisse des Industriezeitalters ist: Alles ist
eine mechanische Maschine: Das Haus, die Kutsche, Öfen, die im
Unterricht verwendeten Geräte, Schulen, Universitäten, Ateliers,
sogar die Natur.

In der Industriegesellschaft war Designtätigkeit eine relativ
begrenzte und homogene praktische Tätigkeit.  Jenseits der
Schriftkultur jedoch gewann sie eine umfassende Bedeutung, die sich
auf viele spezialisierte Anwendungsbereiche auswirkte: Werkzeugdesign,
Modedesign, Textildesign, Produktdesign, Graphikdesign, die vielen
Teilgebiete des technischen Designs (einschließlich des
computergestützten Designs), interaktive Medien und virtuelle
Realitäten, Gentechnik, neue Werkstoffe, event design (in
verschiedenen Bereichen, z. B. Politik), Netzwerkdesign und
Bildungsdesign.  Einfache und komplexe Technologien, die visuelle
Sprache hervorbringen, schaffen komplexe Zusammenhänge, für die der
intuitive Gebrauch visueller Ausdrucksmöglichkeiten nicht mehr
effektiv genug ist.  Folglich änderte sich die Bandbreite
designorientierter praktischer Erfahrungen.  Design erlaubt heute
umfassendere, integrative Projekte auf höheren Synästhesieebenen und
gleichzeitig Formen variablen Designs, eines Designs, das mit dem
Menschen wächst, der sich in der Interaktionen mit einer durch Design
gestalteten Welt konstituiert.

In seiner digitalen Arbeitswelt hat das Design mehr als jede andere
praktische Erfahrung die Schriftkultur ersetzt.  Die Ergebnisse des
Designs unterscheiden sich dem Wesen nach von denen, zu denen die
Schriftkultur führt.


Die Zukunft zeichnen

Zeichnen beginnt mit dem Sehen und führt zu einer Art von Wahrnehmung,
einem Verständnis von Welt, das sich von dem durch Sprache
gefilterten Weltverständnis unterscheidet.  Aus kognitiver Sicht
impliziert Zeichnen, daß derjenige, der seine Identität durch den Akt
des Zeichnens setzt, das Innere und Äußere des Gezeichneten kennt.
Zeichnen setzt voraus, daß Dinge von innen heraus wachsen und sich zu
einem aktiven Ganzen formen.  Sichtbare und unsichtbare Teile wirken
in einer Zeichnung zusammen, Oberfläche und Umfang wirken ineinander,
Lücken und Ausfüllungen ergänzen sich im dynamischen visuellen
Ausdruck.  Jede Linie einer Zeichnung ergibt erst in ihrer Beziehung
zu einer anderen Linie Sinn.  Im Gegensatz zu Wörtern und Sätzen
ergibt sich das Verstehen der einzelnen Elemente erst im Bild selbst.
Visuelle Darstellung erreicht im Gegensatz zum sprachlichen Ausdruck
ihre Kohärenz erst als konfigurales Ganzes.  Man kann das Wort Tisch
schreiben, ohne das bezeichnete Objekt zu kennen.  Um einen alten
Tisch zu zeichnen oder einen neuen Tisch zu entwerfen, muß ich einen
Tisch und seine Funktion indes gut kennen.  Etwas zu entwerfen oder
zu gestalten bedeutet, sich in einer Sprache auszudrücken, die das
Machen beinhaltet.  Desweiteren impliziert es das Wissen darum, daß
mit dem vorgestellten Objekt bestimmte praktische Erwartungen
verbunden sind.  Folglich bedeutet das Design eines Tisches, daß ich
seine Funktionen praktisch erfahre, bevor ich ihn konkret entwerfe.
Entwerfen ist also eine virtuelle praktische Erfahrung im Grenzgebiet
zwischen dem, was ist, und dem, was die neuen Erfahrungen der
Selbstkonstituierung verlangen.

Im Akt des Designs projiziert der Mensch seine biologischen und
kulturellen Merkmale in das hinein, was er entwirft.  Das entspricht
der Tatsache, daß Design aus praktischen Erfahrungen hervorgegangen
ist und das Mögliche um das Wünschenswerte erweitert.  Der Begriff
Funktionalität bringt das zum Ausdruck, wenn auch nur teilweise.  Mit
der Entstehung bestimmter in der Schriftkultur verankerter
Bedingungen--Ziel- und Absichtserklärungen, Beschreibung vorhandener
Mittel, Bewertungsverfahren--trafen Bild und schriftliche Entwürfe
zusammen.  Die Schriftkultur bewirkte Veränderungen im Bereich des
Designs.  Diese äußerten sich in allgemeinen Erwartungen von
Dauerhaftigkeit, Allgemeingültigkeit, Dualismus, Zentralismus und
Hierarchie.  Internationaler Stil--ein Ausdruck, der weit über eine
bloße Stilbezeichnung hinausgeht--spiegelt die durch die
Schriftkultur gestellten Erwartungen an das Design wider.

Ist Zeichnen natürlich?  Diese Frage ergibt nur mit der dazugehörigen
Frage einen Sinn: Ist Schriftkultur unnatürlich oder künstlich?
Alles bisher über das Zeichnen Gesagte impliziert, daß es keinesfalls
natürlich ist, obwohl es dem Abgebildeten näher ist als die Abbildung
durch Worte.  Außer im metaphorischen Sinn, kann man keine
Abstraktion einer Zeichnung zeichnen, wenngleich wir von abstrakter
Malerei sprechen.  Durch das Zeichnen definiert sich der Mensch als
jemand, der in der Lage ist zu sehen, zu verstehen (zum Beispiel die
unsichtbaren Teile eines Gegenstands, den Einfluß von Licht, wie
Farbe oder Material etwas runder oder heller erscheinen lassen), den
praktischen Kontext eines Gegenstands als entscheidend für die
Bedeutung, sowohl des Gegenstandes--real oder imaginär--, als auch
der Zeichnung anzusehen.  Unterschiedliche Kontexte ermöglichen
unterschiedliche Arten des Zeichnens.  Kontextlos ähnelt das Zeichnen
dem Babbeln eines Kindes, ist es ein fragmentarischer,
unvollständiger Ausdruck.  Vitruvius zeichnete ganz anders als viele
spätere Architekten.  Kritiker, die ihn mit Le Corbusier und seinen
architektonischen Werken, mit den Architekten des
Post-Strukturalismus und mit den Dekonstruktivisten und den
dekonstruktivistischen Designern verglichen, kritisierten deren
Zeichnungen als häßlich, schlecht oder unangemessen.  Hier ist
Zeichnen kein Wurmfortsatz der Kunst mehr.  Es klagt seine eigene
Rechtfertigung ein.

Wenn wir die praktischen Zusammenhänge und die großen Veränderungen
im Bereich des Designs, das ursprünglich von Sprache geprägt
wurde--Vitruvius schrieb ein monumentales Werk über die
Architektur--außer acht lassen, ist diese Aussage richtig.  Aber wir
haben es hier mit einem Entwicklungsprozeß zu tun: von einem Design,
das von der in Vitruvius’ Werk ausgedrückten Lebenspraxis geprägt ist,
über ein Design, das der Schriftkultur unterworfen war, bis hin zu
einem Design, das um seine Emanzipation als eine neue Sprache ringt;
mit einer kritischen Komponente und einem konstruktiven Impuls, der
die Welt verändern möchte.

Design hat viele formale Erfordernisse aus solchen praktischen
Erfahrungen übernommen, die der Schriftkultur unterworfen waren.
Aber es gibt auch einen grundlegenden Konflikt zwischen Design und
Sprache, und mehr noch zwischen Design und Schriftkultur.  Dieser
Konflikt wurde innerhalb des Designbereichs nie gelöst.  Die
Schriftkultur hat der Bildung ihre formativen Strukturen aufgedrängt,
daraus resultierte eine geisteswissenschaftliche Kunsterziehung.  Es
versteht sich von selbst, daß Designer, professionelle und angehende,
die Annahme, daß ihr Handwerk auf das Podest der ewigen Werte der
Schriftkultur gehoben werden müsse, stets abgelehnt haben.  Statt
dazu angehalten zu werden, in konkreten Zusammenhängen die
Notwendigkeit schriftkultureller Werte aufzuspüren, werden das Design
und die Designausbildung dem traditionellen Mischmasch aus Geschichte,
Sprache, Philosophie, einer Prise Naturwissenschaft und vielen
sonstigen Wahlmöglichkeiten beigepackt.  Eine eigene Theorie, allein
das Suchen nach einer solchen, wird als frivol verworfen.  Und all
das, was man nur als Intuition bezeichnen kann, wird systematisch
wegerklärt, anstatt gefördert zu werden.

Vom Standpunkt der Bildung aus betrachtet, kann man die künstliche
Beibehaltung eines auf der Schriftkultur basierenden
Ausbildungsprogrammes für Design rechtfertigen, aber der allgemeinere
Rahmen unserer praktischen Erfahrungen hat die Veränderungen, die das
Design seit seiner Entstehung als Berufsfeld bewirkt hat, längst
anerkannt.  Der Konflikt zwischen Ausbildung und Anstellung hat dazu
geführt, daß man das Design von Einengungen zu befreien versuchte,
die sich nachhaltig auf sein Wesen auswirkten: Wie können wir uns von
den mechanischen Komponenten des Designs (paste-up, rendering,
Modellierung) lösen?  Diese Ansätze kamen von außen und waren von der
allgemeinen Dynamik angeregt, die die Veränderung von der Pragmatik
der Schriftkultur zur Pragmatik jenseits der Schriftkultur bewirkte.
Diese Veränderung hatte auch neue Design-Werkzeuge zur Folge, die dem
Designer neue Ausdrucksmöglichkeiten öffneten: Animation,
Interaktivität und Simulation.  Der Designer sah sich ermutigt,
innerhalb seines Gebietes neue Wege zu suchen, die verschiedenen
Möglichkeiten seiner Tätigkeit auszuloten und seine Erkenntnisse in
neuen Gestaltungsformen auszudrücken.  Der PC und verschiedene
Techniken zur schnellen Erstellung von Prototypen brachten Design und
Ausführung näher zusammen.  Auch wurden neue Vermittlungsebenen in
den Designablauf eingebaut.


Die Emanzipation

Die Mehrzahl der heute benutzten Gegenstände entstand entweder im
Zuge der Designrevolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder als
Folge der Bemühungen, alltägliche Gebrauchsgegenstände im Hinblick
auf ihren Gebrauch in einem neuen praktischen Umfeld neu zu entwerfen.
Vom Telefon zum Fernsehgerät, vom Auto zum Flugzeug und
Hubschrauber, vom Bleistift zum Füllfederhalter und
Einwegkugelschreiber, von der Schreibmaschine zum
Textverarbeitungssystem, von der Registrierkasse zum Scanner, vom
Herd zur Mikrowelle--die Liste kann unendlich fortgesetzt
werden--wurde eine neue Welt entworfen und produziert.  Und die
nächste Welt steht schon vor der Tür, eine Welt mit Robotern,
sprachgesteuerten Maschinen und vernetzten Expertensystemen, die
entweder wir benutzen werden oder die auf die ein oder andere Weise
uns benutzen.  Kohle-, öl- oder gasbetriebene Dampf- und
Kraftmaschinen werden durch kompakte, elektrische oder
elektromagnetische Hochleistungsmotoren ersetzt, die integrierter
Bestandteil der jeweiligen Maschinen sind und die von komplexen
elektronischen Kontrollsystemen überwacht werden.

Es gibt kaum etwas aus dem Zeitalter der Schriftkultur, was nicht
durch leistungsfähigere Alternativen ersetzt und vollkommen anders
strukturiert sein wird.  Wie steht es um die Technologie der
Schriftkultur?  Man kann hier den alten Werbeslogan wiederholen: "Die
Schreibmaschine ist für den Füller, was die Nähmaschine (erinnern Sie
sich noch an die pedalgetriebene Nähmaschine?) für die Nadel ist.”
Remington produzierte in den siebziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts die wunderschöne Schreibmaschine Scholes and Glidden.
Man konnte kaum sagen, ob dieses mit bunten, handgearbeiteten Blumen
schmuckvoll verzierte Stück in ein Büro oder in ein viktorianisches
Arbeitszimmer gehörte.  Jetzt ist sie ein Museumsstück.  Vergleichen
wir sie mit einem heutigen Textverarbeitungssystem: Die äußere Schale
mag den zwei- bis dreijährigen Erneuerungszyklus von Hardware
überdauern.  Die Leistungsfähigkeit des Chips wird sich nach dem
Mooreschen Gesetz alle 18 Monate verdoppeln.  Die Software, Herz und
Kopf der Maschine, wird ständig verbessert.  Sie bietet heutzutage
ein Rechtschreibprogramm, enthält Wörterbücher, korrigiert die Syntax
und schlägt stilistische Veränderungen vor.  Bald wird sie Diktate
aufnehmen.  Dann wird sie wahrscheinlich überholt sein; erstens, weil
der Computer in ein Netzwerk integriert und nach Gebrauch aufgerufen
wird, und zweitens, weil die schriftliche Nachricht für den neuen
Kontext nicht mehr angemessen ist.  Diejenigen, die diese etwas
simple Vorhersage bezweifeln, mögen sich einige andere Fragen stellen:
Wo ist das dekorative Tintenfaß, wo sind die wunderschönen Muster
von Fabergé und Tiffany?  Wo sind die Füllfederhalter, die Gestetner
Maschinen?  Wo das Kohlepapier?  Wurden sie ersetzt durch tragbare
Diktiergeräte oder Taschencomputer, durch kleine Miniaturgeräte, in
die ein schnurloses Telefon integriert ist?  Wurden sie ersetzt durch
den Computer, Internet-Browser und das digitale Fernsehen?  Von
Edward Bulwer-Lytton ist der Satz überliefert: "Die Feder ist
mächtiger als das Schwert.” Sie wurden zu Museumsstücken.  Der
Einwegkugelschreiber wurde symptomatisch für eine Gesellschaft, die
nicht nur den Kugelschreiber wegwirft, sondern auch die Schrift.

Die Emanzipation des Designs tritt zunächst auf der strukturellen
Ebene auf.  Man kann einen Brief, ein Manuskript oder einen
Geschäftsplan mit einem Bleistift schreiben, aber es ist etwas ganz
anderes, dazu eine Schreibmaschine, ein Textverarbeitungsprogramm
oder das Internet zu benutzen.  Die kognitiven Vorgänge dieser
Tätigkeit--die im Kopf ablaufenden Prozesse--führen zu einem jeweils
anderen Ergebnis.  Es gibt kein passives Medium.  In jedem Medium
sind Erwartungshaltungen und Interaktionsmuster gespeichert.  Je
interaktiver ein Vorgang ist, desto stärker verändert sich der Akt
des Schreibens an sich.  Es gibt Nachrichten, die an eine große
Gruppe von Adressaten gerichtet sind.  Zum Beispiel der Mullah, der
vom Turm eines Minaretts das Abendgebet spricht; ein Priester, der
seine Gemeinde anspricht, ein Staatspräsident in einer
Fernsehansprache oder ein Spammer, der Werbemüll im Internet
versendet, der Nachrichten an Millionen von e-mail Adressen schickt.
Jede dieser kommunikativen Handlungen geschieht innerhalb eines
kontextuellen Rahmens, der die Parameter für ein Vorverständnis setzt.
Dem Großteil der Menschen sagt das Wort Spammer gar nichts.  Selbst
heute haben 50% der Weltbevölkerung niemals ein Telefon benutzt.  Und
auch bei 50 Millionen Menschen im Internet bleibt das Netizenship
eher eine Vision.  Design als semiotische, integrative, praktische
Erfahrung ist eine Frage von Kommunikation und Kontext.

Erst Design schuf die Möglichkeit, eine Nachricht so zu verändern,
daß sie nicht eine anonyme Gruppe anspricht (die Gläubigen, die sich
versammelt haben, oder die Mitglieder einer Gesellschaft, die an den
ihr Leben beeinflussenden politischen Entscheidungen interessiert
sind), sondern jedes einzelne Individuum, und dies in einer Form, die
das Interesse am jeweiligen Zustand des Individuums und den Respekt
für seinen Beitrag innerhalb eines Systems mit geteilten Aufgaben
widerspiegelt.  Die Semiotik von Gruppen- oder Massenkommunikation
ist grundverschieden von der Semiotik des Pointcasting.  In
technologischer Hinsicht besitzen wir bereits die nötigen
Voraussetzungen für diese individualisierte Kommunikation.  Sie
findet aber nicht statt aufgrund der impliziten, auf der
Schriftkultur basierenden Erwartungen hinsichtlich der Funktionsweise
von Kirche, Staat, Bildung, Handel und anderen Institutionen.  Die
Praxis des Designs fordert uns auf, die zentrale Position eines
Verfassers zu überdenken.  Im Modell der Schriftkultur erfolgt die
Kommunikation in einem Verhältnis eins : viele.  Dieses Modell geht
von einer Hierarchie innerhalb einer Sequenz von Interaktionen aus
(ein Wort wird geäußert, der Zuhörer versteht, reagiert, usw.).  In
der industriellen Praxis hat dieses Modell funktioniert.  Durch das
Medium des Fernsehens perfektioniert, erlangte es Globalität.  Aber
Skala ist nicht eine Frage von Zahlen.  Wichtiger sind Interaktivität,
Intensität, effiziente Befriedigung individueller Bedürfnisse und
Erwartungen.  Effizienz bedeutet nicht mehr, wie viele Personen sich
am Ende des Kommunikationskanals befinden, sondern wie viele Kanäle
nötig sind, um wirklich jeden effektiv zu erreichen.  Ein neues
Design kann die Kommunikationsstruktur verändern und
partizipatorische Elemente einbringen.  Anhänger der Schriftkultur
verbinden mit dieser Alternative die Form eines computergeschriebenen
Briefs, der mit einer Adressenliste in einer Datenbank verknüpft wird.
Für diejenigen, die umzudenken und ihre Ziele neu zu formulieren
bereit sind, heißt Effektivität jedoch mehr, nämlich die Überwindung
der Schriftstruktur.

Die erste Herausforderung liegt darin, die Sprache der Individuen zu
kennen, auf ihre spezifischen Merkmale (kognitiv, emotional,
physisch) zu reagieren und sie persönlich anzusprechen.  Das führt zu
individualisierten Nachrichten, die gleichzeitig viele Menschen
erreichen, die an ähnlichen Themen interessiert sind (Umwelt, Bildung,
Familie).  Darüber hinaus wird es möglich, daß mehrere Menschen
gleichzeitig an dem selben Text schreiben, oder der Text einer Person
von einer zweiten durch ein Bild ergänzt oder mit Animationen,
gesprochenen Worten oder Musik gekoppelt wird.  Bei diesen Formen des
Designs werden Hierarchien abgeschafft, was gleichzeitig zu neuer
Interaktivität ermuntert.  Ein Design, das solche Muster menschlicher
Erfahrung anstrebt, muß sich von den Begrenzungen der Sequentialität
befreien.  Ein solches Design kann sich nicht mehr dem dualistischen
Denken von Gut und Böse usw. unterwerfen, wie sie oft in Bezug auf
die Form auftritt (Typographie, Layout, Kohärenz).  Statt dessen
orientiert es sich an Urteilskoordinaten, die von "weniger
angemessen" bis zu "besonders angemessen" reichen.  Nicht mehr in
Stein, Holz oder Metall gemeißelt und gegossen, sondern in einen
weichen Mantel gehüllt (als Software oder als variable,
selbstregulierende Regelmenge), kann das Design sich verbessern, sich
verändern und seine optimale Form erreichen durch die vielen Beiträge
derjenigen, die ihre Identität in der Interaktion mit dem Design
finden.  Der Benutzer kann nach Belieben das Design vollenden, indem
er innerhalb bestimmter gesetzter Grenzen, Form, Farbe, Material,
Oberflächenbeschaffenheit und sogar die Funktion des Gegenstandes
modifiziert.

Die Kenntnis der Sprache der adressierten Individuen ist noch
tiefgreifender.  Die Sprache des Individuums zu kennen, bedeutet, die
darin verkörperte Erfahrung zu kennen.  Folglich operiert das neue
Design nicht mehr nur auf der semantischen oder syntaktischen Ebene,
sondern ist pragmatisch orientiert.  Jedes Individuum zu erreichen,
bedeutet, einen Kontext für eine praktische Erfahrung erst zu
schaffen: das Lernen, die Teilhabe an politischen Entscheidungen, das
Kunstschaffen, und vieles mehr.  Aber man sollte realistisch bleiben,
auch wenn wir hier gerne Optimismus verbreiten würden.  Die üblichste
praktische Erfahrung besteht darin, an der Verteilung des in diesem
neuen Effizienzrahmen gewonnenen Wohlstands teilzuhaben.  So
entmutigend dies klingen mag, letztlich ist der Konsum, als extrem
individualisierte Tätigkeit, die vielversprechendste Möglichkeit des
effektiven Pointcasting.  Die Fragen, die von Visionären, Innovatoren
und Risikokapitalisten, die alle auf das Internet setzen, heute
gestellt werden, legen diese Schlußfolgerung nicht immer nahe.


Konvergenz und Divergenz

Telekommunikation, Medien und wissenschaftliche Computation
verschmelzen.  Diese Verschmelzung wird durch eine Reihe von Faktoren
hervorgerufen, die alle nach einer Effizienz streben, die einer
Arbeits- und Lebenspraxis auf globaler Ebene entspricht.  Innerhalb
dieser dynamischen Prozesse wirkt das Design als eine Kraft, die aus
der Schriftkultur eine Kultur von vielen nebeneinander bestehenden,
manchmal widersprüchlichen Sprachen macht.  Früher war ein Hemd
lediglich ein Kleidungsstück; das T-Shirt wurde zu einem eigenen
Kommunikationsmedium, zu einem Ikon.  Die kommerzielle Seite ist
hierbei ganz offensichtlich.  Zum Beispiel hat jede renommierte
Universität einen Vertrag mit einem Hersteller, der mit ihrem Namen
auf wandelnden Litfaßsäulen, auf Rücken und Bäuchen wirbt.  Das
T-Shirt ersetzt effektiv wortreiche Pressemitteilungen und wird zum
Medium für Live-Nachrichten.  Bevor die Operation Desert Storm
überhaupt in Gang kam, konnte man auf T-Shirts bereits
Sympathiebekundungen oder Anti-Kriegs-Parolen lesen.  Als der
Basketballspieler Magic Johnson bekannt gab, daß er HIV-positiv sei,
gab es in Los Angeles bereits weniger als 48 Stunden später T-Shirts
mit dem Aufdruck: "We still love you”.

Die blitzschnelle Kommentierung von Ereignissen geht einher mit den
sich heutzutage schnell verändernden Haltungen und Erwartungen.  Die
Institutionen leiden an Trägheit, sie können mit den Veränderungen
der Zeit nicht Schritt halten.  Die Nachrichten, die außerhalb der
Medieninstitutionen entstehen und wahrgenommen werden, lesen sich wie
ein Manifest der Unmittelbarkeit, aber zugleich wie ein Zeugnis der
Kurzlebigkeit.  Design ist Ausdruck dieser unmittelbaren Aktualität
und dieser Kurzlebigkeit, aber nicht nur auf T-Shirts oder im
Internet.  Haus, Kleidung, Autos, Walkman, sie alle sind in diesen
Rhythmus eingebunden.  Ist Design nun der Grund für diese Situation;
oder ist es etwas anderes, das sich durch Design ausdrückt und zu
dessen Komplizen sich Design macht.  Die kurzlebigen Modetrends, die
ständige Erneuerung von Designentwürfen, die halbminütige Komödie
oder Tragödie im Werbespot--die dem Rhythmus des Daseins viel näher
ist, als endlose Fernsehserien--die neue VLSI-Platine, die Sucht nach
alkoholfreiem Designerbier oder fettfreiem Schweinefleisch--all dies
zeigt, daß die Geschwindigkeit der Erneuerungen vom schier
unersättlichen Appetit unserer kommerziellen Demokratie genährt wird.
Die Geschwindigkeit, mit der neue Bilder auf unseren Computern und
Fernsehgeräten erscheinen, ermöglicht durch die spezifischen Merkmale
von Technologie und menschlicher Natur, ist wahrscheinlich die
extremste Ausprägung dieses Lebensrhythmus’.  All dies enthusiastisch
oder besorgt zu verzeichnen, ohne die Gründe hierfür zu verstehen,
würde der Absicht dieses Buches zuwiderlaufen.  Der praktische
Kontext für hohe Effizienz ist ja zugleich der Kontext für eine
allgemein verbreitete Demokratie, die von Produktion zu Konsum
vorangeschritten ist.  Die Antriebskraft hinter diesem Prozeß ist die
Möglichkeit, ja die Notwendigkeit der Emanzipation von allen
erdenklichen bisherigen Zwängen.  Die Praxis des Designs zeigt, daß
die Emanzipation von Zwängen nicht zu einem anarchistischen Paradies
führt.  Das Recht zur Teilhabe an menschlichen Erfahrungen aller Art
führt oft genug zu gleichförmigem und einheitlichem Geschmack und zu
einer allgemein verbreiteten Mittelmäßigkeit.

Im Gegensatz zu den schriftkulturellen Werten will ein davon
befreites Design dem Benutzer nichts aufdrängen, sondern ihn in den
Entscheidungsprozeß einbinden.  So wird Design zum Maßstab für
öffentliche Intelligenz, öffentlichen Geschmack und öffentliches
Interesse.  Design weist auf eine neue Art von Werten hin.  Dieser
Indikator mag nicht immer ein angenehmes Bild von uns und unseren
Prioritäten zeichnen.  Die aufrichtige Interpretation eines solchen
Indikators kann uns jedoch zu verstehen helfen, warum der
Walkman--der ganz offenbar ein allseits willkommenes Ideal der
Abkapselung verkörpert--so beliebt ist, warum einige
Modeerscheinungen Erfolg haben und andere nicht, warum bestimmte
Autotypen Zustimmung finden, warum Filme zu wichtigen Themen
Mißerfolge werden und warum trotz immer steigender Erwartungen keine
Qualitätssteigerung zu erwarten ist.  Jeder Gestaltungsversuch
erreicht eine neue Schwelle.  Der in die Kleidung eingebaute Computer
(wearable computer) ist nur ein weiteres Glied in der Entwicklung,
die Evolution und Revolution miteinander verknüpft.

Effizienz im Design zeigt ein ums andere Mal, daß menschliches
Handeln (Do-it-yourself dominiert auf allen Ebenen des Designs) teuer
und daß Dienstleistungen in Industrienationen gewinnbringender als
Produktion sind.  Wir sollten die Bedeutung dieser Tatsache nicht zu
leicht nehmen.  Denn Design schlägt eine Brücke in die Zukunft, und
eine Brücke in eine Welt mit erschöpften Rohstoffen, einer zerstörten
Umwelt und existentieller Mittelmäßigkeit gibt keinerlei Anlaß zu
Optimismus.  Rolle und Einbindung des Menschen zu reduzieren,
besonders dann, wenn menschliche Arbeit anstrengend und gefährlich
ist, scheint sehr verlockend, würde aber in die falsche Richtung
gehen.  Es müßten dafür neue Energien entdeckt werden, die sich
nachdrücklich von denen des Individuums, das sich über seine Rolle
als Benutzer konstituiert, unterscheiden.  Angesichts des Konflikts
zwischen Erwartungshaltungen und Ressourcen kann sich der Designer
oft nicht von der Leitidee der Schriftkultur, nämlich die Natur zu
beherrschen, befreien.  Glücklicherweise werden durch ein Design, das
sich an einer Ko-Evolution mit der Natur orientiert, neue Impulse
gesetzt.  Das gilt auch für das Design von Materialien, die
Charakteristika der menschlichen Intelligenz tragen.

Der inhärente Gegensatz zwischen den vorhandenen Möglichkeiten und
den Zielen erklärt die Dynamik des Designs.  Hocheffiziente
Kommunikationsmethoden führen zu einer Übersättigung an Informationen.
Neue Methoden beim Design führen zu einem scheinbaren Überfluß an
Gegenständen und anderen Designerobjekten.  Diese Entwicklung ist
nicht zuletzt dadurch angetrieben, daß individuelle Erwartungen auf
einer Produktionsebene, die höher und zugleich billiger ist als die
schriftkulturelle Massenproduktion, erfüllt werden können.  Das
Problem einer gleichzeitigen Wahrung von Qualität und
Unverfälschtheit verlangt mehr als nur hohe Maßstäbe.
Marktspezifische Faktoren wie etwa Profiterwartungen beeinflussen die
Entscheidungen im Bereich des Designs dahingehend, daß Produkte
entweder übermäßiges oder aber nur unzureichendes Design erfahren.
Veränderte Erwartungen in der Lebenspraxis beeinflussen das Design
stärker als den Bereich der Produktion.  Ob die Flexibilität der
Designtätigkeit ausreicht, mit diesen Veränderungen Schritt zu halten,
hängt nicht nur vom Design ab, sondern auch von der wirtschaftlichen
Gleichung, die aufgehen muß.  Design erreicht große Teile der
Weltbevölkerung.  Diese Tatsache gibt ihm, als Ganzes gesehen, eine
neue soziale Dimension.  Angesichts seiner Möglichkeit, sich auf
individuelle Erwartungen einzustellen, ohne dabei auf Schriftkultur
zurückgreifen zu müssen, liegt darin eine ungeheure Verantwortung.
Ob sich Designer dessen bewußt und in der Lage sind, dieser
Verantwortung gerecht zu werden, ist eine andere Frage.


Der neue Designer

Design vermittelt zwischen den Bedürfnissen der Lebenspraxis und den
Möglichkeiten von Natur und Gesellschaft.  Es verkörpert Erwartungen
und geplante Veränderungen und die Notwendigkeit, sich im
Grenzbereich zwischen dem Gegebenen, dem Gewünschten oder dem
Erwarteten zu bewegen.  Die Sprache des Designs beinhaltet
Antizipationen und die Erwartung von Dauerhaftigkeit.  Ästhetische
Strukturierung, die in unserer Kultur verwurzelt ist und durch
Technologie unterstützt wird, beeinflußt die Effizienz von
Designobjekten.  Die expliziten Erwartungen werden gegen die
impliziten Antizipationen abgewogen.  Diese ästhetische Dimension
übersetzt aus den vielen Sprachen der Lebenspraxis in die Sprache des
Designs und überträgt sie auf die vielfältigen Möglichkeiten,
Produkte, Veranstaltungen, Materialien oder Interaktionen zu
gestalten.

Man sollte den Prozeß des Designs aus möglichst vielen verschiedenen
Perspektiven betrachten: von der ersten Skizze zu den vielen
Varianten des Konzepts; eines ersetzt das andere; vielerlei
Entscheidungen werden getroffen.  Design ähnelt einem natürlichen
Auswahlprozeß: eine Lösung hebt eine andere auf, in einem
fortlaufenden Prozeß, bis schließlich ein relativ passendes Ergebnis
vorliegt.  Dies ist das memetische Prinzip, das erfolgreich in auf
genetischen Algorithmen basierender Design-Software übersetzt wurde.
Frei von jeglichen Regeln, wie sie die Schriftkultur fordert, und
befreit von dualistischem Denken (der klaren Unterscheidung zwischen
gut und böse, richtig und falsch) bewegt sich der Designer in einem
Kontinuum von Antworten auf Fragen, die sich ihm während des
Designprozesses stellen.  Die Tatsache, daß verschiedene Lösungen
miteinander konkurrieren, verleiht dem Design eine dramatische Note.
Die prinzipielle Offenheit verweist auf prinzipielle Veränderung.  Es
besteht ein offenkundiger Unterschied zwischen dem Design in einem
Kontext, der von einer Identität zwischen Körper und Maschine ausgeht,
und dem Design im Bereich des digitalen menschlichen Klonens.
Design im Bereich der Neurobionik und des Cyberbody konnte nur aus
dem pragmatischen Kontext jenseits der Schriftkultur entstehen.

Und dennoch, wenn man die Wahl hätte zwischen einer Greek
TempleSchreibmaschine aus dem Jahr 1890 und einem handelsüblichen
Textverarbeitungssystem, inkompetent entworfen und in eine billige
Plastikumhüllung gesteckt, wäre die Entscheidung nicht leicht.  Das
erstere ist ein Gegenstand von ausgemachter Schönheit, das ein Ideal
zum Vorschein bringt, dem wir nicht mehr folgen können.  Seine
Einzigartigkeit machte ihn unerschwinglich für viele, die ihn
benötigt hätten.  Hinter oder in einem Textverarbeitungssystem stehen
wie hinter jedem digitalen Verarbeitungssystem standardisierte
Komponenten.  Die ganze Maschine ist ein Ensemble aus Modulen.  Ein
Programm ist die Urform für alle existierenden
Textverarbeitungsprogramme.  Der Rest ist schmückendes Beiwerk.  Hier
liegt der Kern des Problems: maximale Effizienz zu erreichen auf der
Erkenntnis, daß Rohstoffe und Energie allein bedeutungslos sind, wenn
nicht das schöpferische, auf die Selbstkonstituierung ausgerichtete
Bewußtsein (Mind) etwas aus ihnen macht.

Design erscheint bisweilen als der Sündenbock für Verschwendung und
für Geringschätzung gegenüber der Umwelt oder für mangelnde
Anteilnahme am Schicksal derer, deren Arbeitsplätze durch Maschinen
ersetzt werden.  Daß die Menschen geradezu süchtig nach den
Designerobjekten werden--nach Fernsehen, elektronischen Geräten,
Designermode, Designerdrogen--wird dabei oft vergessen.  Oder aber
das Design wird idealisiert, weil es die Effizienz der Lebenspraxis
steigert oder weil es unserer Sucht nach Mehr zu einem niedrigeren
Preis ein Qualitätsbewußtsein entgegensetzt.  Aber nicht die Handlung,
sondern die handelnden Menschen verleihen der Kritik oder der
Idealisierung Bedeutung.  Damit sind wir bei der Person des Designers
und seinem Selbstverständnis jenseits der Schriftkultur.

Designer beherrschen bestimmte Bereiche der visuellen Welt.  Einige
visualisieren Sprache: Schriftdesigner, Graphiker, Buchdrucker;
andere entwerfen im dreidimensionalen Raum als Produktdesigner,
Architekten oder Ingenieure.  Für wieder andere ist Design etwas
Dynamisches--Mode wird erst durch ihre Träger lebendig; Gärten
durchlaufen jahreszeitliche Veränderungen, Jahr um Jahr; mit
Spielzeug wird gespielt, und Animation ist Design mit einer eigenen
Seele (anima).  Die große Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten ist
nur wenigen Prinzipien unterworfen.  Es gelten Unverfälschtheit,
Folgerichtigkeit und Harmonie, Zweckdienlichkeit und natürlich
ästhetische Qualität.  Aber wenn man Design in seiner Gesamtheit
untersuchen wollte, würde man zuallererst feststellen, daß es kein
Alphabet, keine Richtlinie für richtiges Design und keine allgemein
gültigen Bewertungskriterien gibt.  Schriftkultur funktioniert von
oben nach unten (Lexik, Grammatik und Phonetik liegen fest und sind
zu befolgen).  Design wählt die umgekehrte Richtung, aus dem
konkreten Zusammenhang heraus hin zu neuen Antworten, so daß der
Erfahrungsschatz ständig erweitert wird und unerschöpflich scheint.

Die Menschen wollen, daß ihre Umwelt (Kleidung, Schuhe, Möbel,
Schmuck, Parfüme, Inneneinrichtung, Spiele, Landschaft) so gestaltet
wird, daß sie im Einklang mit ihrem eigenen Design steht.  Wie im
Prozeß des Designs gibt es auch hier Modelle: Prominente, entworfen
für den öffentlichen Konsum.  Darüber hinaus versucht man, sein Leben
als Design, als eine Folge von gestalteten Ereignissen, zu leben:
Geburt, Taufe, Erstkommunion, Examina (an verschiedenen Punkten einer
durchgestalteten Ausbildung), Verlobung, Hochzeit, Geburtstage,
Beförderungen, Pensionierung, Beerdigungen und Kriege.  Als
gestaltete Erfahrung mit einer Vielzahl von Vermittlungen kann das
Leben sehr effizient, muß aber (was die Qualität betrifft) nicht
gleichzeitig ertragreich sein.  Das gilt für jegliche
Designtätigkeit--Produkte, Materialien, Veranstaltungen.  Sie
schaffen neuen Komfort, aber sie nehmen dem Menschen auch einige der
Herausforderungen, anhand derer er seine Persönlichkeit entfaltet.

Die Beziehung zwischen Herausforderungen--Bedürfnisse zu befriedigen
und immer höheren Erwartungen zu entsprechen--und der Entfaltung der
Persönlichkeit ist kompliziert.  Jede Tätigkeit weist neue Aspekte
eines Individuums auf.  Die Persönlichkeit vereint alle diese Aspekte
und bringt sie gemeinsam mit biologischen und kulturellen Merkmalen
in die nicht endenden Begegnungen mit neuen Situationen und Menschen
ein.  Jenseits der Schriftkultur wird der Schwerpunkt vom
Außergewöhnlichen auf das Durchschnittliche verlagert, so daß
Erwartungen entstehen, die sich jeder leisten kann.  Das befördert
den ständigen Wunsch nach Neuem, fördert aber nicht gerade das
Außergewöhnliche.  Meistens tritt der Designer im gestalteten Produkt,
Material oder Ereignis gar nicht in Erscheinung (nicht einmal sein
Name).  Es interessiert niemanden, wer den Walkman, den Computer, die
Bodenstation oder neue Materialien entworfen hat, welcher Designer
die Designerjeans, Designerkleider, Designerbrillen,
Designerturnschuhe, die Pauschalreisen oder die Olympischen Spiele
entworfen hat.  Es interessiert niemanden, wer die Internetseite
gestaltet hat, ob sie nun Schauplatz zahlreicher Interaktionen oder
nur Selbstdarstellung ist.  Namen werden verkauft und aufgedruckt,
allein wegen ihres Wiedererkennungswertes.  Es interessiert niemanden,
ob die Person hinter dem Namen wirklich existiert, solange sich der
Name gut vermarkten läßt auf einem Markt, auf dem die gleiche Tasche,
die gleiche Uhr, der gleiche Turnschuh oder die gleiche Brille unter
verschiedenen Markennamen verkauft werden.

Man muß dies im Zusammenhang der allgemeinen Beziehungslosigkeit
sehen.  Nur wenige Menschen wollen wirklich wissen, wer ihre Nachbarn
oder Mitarbeiter sind, und noch weniger, wer all die anderen
Namenlosen sind, die an dem gewünschten Überfluß oder an der
ökologischen Selbstzerstörung teilhaben.  Die Schriftlosigkeit
bereitet diesen durch die Schriftkultur bestimmten verschwommenen
menschlichen Beziehungen ein Ende.  Alle Mittel, durch die wir die
neuen praktischen Erfahrungen vollziehen werden, binden uns in die
Transparenz der Schriftlosigkeit ein.  Daraus ergibt sich eine
vollständigere Integration des einzelnen in die gemeinsamen
Informationsdatenbanken, die das Profil unserer kommerziellen
Demokratie zeichnen.  Mit jedem Schritt heraus aus dem privaten
Bereich--um unseren Arzt oder Anwalt aufzusuchen, um ein Paar Schuhe
zu kaufen, ein Haus zu bauen, eine Reise anzutreten, im Internet nach
Informationen zu suchen--werden wir transparenter, wird unser Leben
zunehmend Teil des öffentlichen Lebens.  Aber Transparenz im
Wettbewerbsleben (Wirtschaft, Politik oder Wissen) bringt die
Menschen nicht unbedingt näher zusammen.  Wann immer wir neue
Möglichkeiten feiern, sollten wir nicht vergessen, was mit ihnen
verloren geht.


Virtuelles Design

Design ist das Arbeiten mit und Bearbeiten von Zeichen.  Es vollzieht
sich in einem experimentellen Kontext, der sich vom Gegenstand, von
Unmittelbarkeit und Ko-Präsenz entfernt hat.  Manche glauben, Design
habe sich vom Realen entfernt, dabei sind Zeichen so real wie nur
irgend etwas.  Wenn der Designer seinen Bereich bis in die äußersten
Grenzen auslotet, dann bewegt er sich in einer unglaublich reichen
Phantasiewelt.  Man kann eine Unterwasserstadt entwerfen, ein
kugelförmiges Haus, das man von Ort zu Ort rollen kann, alle
möglichen Apparate, Textilien so dünn wie Gedanken oder so dick wie
Baumrinde oder Gummireifen.  Man kann einen Computer entwerfen, den
man in die Kleidung integriert, neue intelligente Materialien, sogar
neue Menschen.  Hat sich die Vorstellungskraft einmal neuen
menschlichen Unternehmungen geöffnet--dem Leben auf dem Meeresboden,
dem Tragen ungewöhnlicher Textilfasern, der Kommunikation mittels der
Kleidung, die man trägt, Begegnungen mit neuen gentechnisch
entwickelten Menschen--dann ist der virtuelle Raum als Spielwiese
offen.  Ob der virtuelle Raum nun durch Zeichnungen, Diagramme, Bild-
und Geräuschkollagen, künstliche Träume, Happenings oder digitale
Verkörperung der virtuellen Realität erschlossen wird, in jedem Fall
ist er nicht mehr gebunden an die Zwänge der Schriftkultur und
beinhaltet neue, vor allem synästhetische Sprache.  Wenn also Design
ein Zeichen ist, das auf die praktische menschliche Erfahrung
gerichtet ist, dann geht die Gestaltung des virtuellen Raums einen
Schritt weiter, in die Welt des Meta-Zeichens.  Diese Überlegungen
richten sich auf eine Welt, in der sich der Mensch von den
charakteristischen Strukturen der Schriftkultur befreit hat.

In der virtuellen Welt ist die Sequentialität der Schriftsprache
durch den besonderen Konfigurationskontext aufgehoben.  Gegenseitige
Beziehungen zwischen Objekten sind nicht mehr linear, da ihre
Beschreibung nicht mehr auf dem reduktionistischen Ansatz beruht.  Es
handelt sich hier um ein Universum, das bewußt vage bleibt und auf
eine Logik der Vagheit zurückgreift.  Im virtuellen Raum beziehen
sich Selbstkonstituierung und persönliche Identifikation nicht mehr
auf kulturelle Bezugspunkte, die schriftkultureller Art sind, sondern
auf eine sich verändernde Selbstreferenz.  Die Begriffe sind wir
selber.  Versuche, herauszufinden, wie sich ein Mensch ohne Sprache
entwickelt, könnten durchgespielt werden als Erfahrung eines Menschen,
dessen Verstand eine Art tabula rasa im Virtuellen ist.  Daß dieses
Experiment sich aus der Praxis des Designs ergibt und nicht aus einem
biologischen Zufall (ein Kind, das unter Tieren aufwächst und keine
Sprache und Zivilisationsformen entwickelt), ist hier in sofern
relevant, als daß das Fehlen von Sprache nur mit Blick auf Folgen für
die Lebenspraxis untersucht werden kann.

Im Grunde genommen ist die gesamte Praxis des Designs virtueller
Natur.  Von den vielen entworfenen Bildern des Designers werden nur
wenige Wirklichkeit.  Was dem einen oder anderen Bild zur Umsetzung
verhilft, ergibt sich aus konzeptuellen Abhängigkeiten innerhalb
bestimmter pragmatischer Gegebenheiten.  Das Betrachten fliegender
Vögel führt nicht gleich zum Design eines Flugzeugs und das
Betrachten von Fischen nicht gleich zum Entwurf eines U-Boots.  Gewiß
sind viele Formen des Designs aus dem Wissen entstanden, daß wir in
der Begegnung mit der Natur erwerben.  Aber sehr viel mehr ergeben
sich aus dem Menschen selbst.  Kein Vorbild in der Natur könnte zum
Computer hinführen oder gar zur Entwicklung von Molekülen,
Materialien und Maschinen, die sich selber reparieren, oder zu
virtuellen Welten, in denen man komplizierte Fähigkeiten erwirbt und
erprobt.  Das Design jenseits der Schriftkultur greift hauptsächlich
auf die kognitiven Ressourcen des Menschen zurück.  Nahezu jede
Erfahrung und Tätigkeit in diesem neuen pragmatischen Umfeld ist auf
den Computer bezogen und durch ihn verbreitet.

Das Design als Hauptfaktor des Wandels, der von der Produktions- zur
Dienstleistungsgesellschaft führte, hat eine Differenzierung der
Ausdrucksund Kommunikationsmittel bewirkt und unsere Einstellung
gegenüber der Rolle der Repräsentation und gegenüber Werten
beeinflußt.  Schnelle und vielfältige Datenverarbeitung unterstützt
die Entwicklung elektronischer Datenspeicherung und elektronischer
Recherche, die die Printmedien ergänzen und schrittweise ersetzen.
Wenn im gesellschaftlichen Leben Repräsentation durch individuelle
Tätigkeit und durch die Militanz von Interessengruppen ersetzt wird,
dann diffundiert Politik in das Privatleben oder wird von
Interessengruppen vereinnahmt, die sich der Lösung kurzfristiger,
sich stetig verändernder Probleme widmen.  Das in der Schriftkultur
verankerte Autoritätsdenken geht in eine schillernde Autorität der
individuellen Entscheidung über.

Eine Welt des Designs, in dem alles dem Design
unterliegt--Gegenstände, Umwelt, Materialien, Nachrichten und Bilder
(einschließlich der Bilder, die wir von uns selbst machen)--, ist
eine Welt mit vielen Möglichkeiten, aber wenig Sinn für Werte.  In
dieser Welt hat man die Freiheit, zu wählen und Dinge ad infinitum
neu zu gestalten.  Alles, was unter diesen pragmatischen Bedingungen
entsteht, verkörpert Erwartungen, die wir mit einer Lebensform
jenseits der Schriftkultur verbinden.  Nicht mehr der Gegenstand
dominiert.  Der beeindruckende mechanische Maschinenpark der
Industriegesellschaft ist heute schon Museum.  Im Gegensatz dazu sind
die neuen Gegenstände idiotensicher (wohlwollender heißt das
"benutzerfreundlich") und darin vielleicht Ausdruck einer allgemeinen
Permissivität, die keinen disziplinierten und beherrschten Umgang mit
Produkten mehr kennt.

Das Design wirkt sich auch auf unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit
und Fakten aus, indem es das Imaginäre, das Virtuelle und das
Meta-Zeichen in den Vordergrund treten läßt.  Fakten werden durch
ihre Darstellungen und durch Darstellung der Darstellungen ersetzt,
und zwar in unendlicher Kette solange, bis das eigentliche Objekt in
Vergessenheit geraten ist.  Die positivistische Haltung gegenüber der
Welt und der Erfahrung wird durch einen Rahmen relativistischer
Interaktionen ersetzt, die von Bildern und Geräuschen (auch von Lärm)
beherrscht werden.  Bildtechnologien öffnen jedem den Zugang zum
Zeichnen, so wie die Schrift jedem zugänglich war, der in ihr erzogen
wurde.  Der Photoapparat, der mit Hilfe von Licht auf Film malt, die
elektronische Kamera, die Fernsehkamera, der Scanner und der
Digitizer sind alles Zeichenmittel und Mittel für die Herstellung und
Verarbeitung von Bildern in jeder nur denkbaren Hinsicht.  Eine
Tonkomponente kann problemlos hinzugefügt werden und die
Ausdruckskraft der Bilder erhöhen.  Und Interaktivität als Teil der
Designpraxis garantiert die neue Dimension der permanenten
Veränderbarkeit.  Natürlich verwendet auch die Schriftkultur das
Design, um ihr eigenes Programm zu festigen.  Weniger offensichtlich
ist, daß sich dabei die schriftkulturelle Praxis selbst verändert.
Die Schriftkultur ist bekanntlich jene Zivilisationsform, die mit der
Entwicklung der Schrift auch das eine BUCH schrieb, welches in der
Folge wechselnder pragmatischer Kontexte vielfältigen
Interpretationen unterzogen wurde.  Aber eine Schriftkultur, die sich
den Mitteln einer Zivilisation jenseits der Schriftkultur überläßt,
insbesondere denen des Designs, führt zu einer Vielzahl, einer
unendlichen Zahl von Büchern, die sich an individuelle Leser oder
kleine Gruppen von Lesern richten, deren Interpretation
möglicherweise darin besteht, daß man sie ungelesen ins Buchregal
stellt.  Von dieser Situation mögen wir heute noch weit entfernt sein,
aber die Dynamik der derzeitigen Veränderungen weist in eben diese
Richtung.

Im Internet nähern wir uns einer qualitativ anderen Form menschlicher
Interaktion.  Design ist auf mannigfaltige Weise darin eingebunden:
DFÜProtokolle, Hypertext, Layout von Text und Bild, multimediale
Strukturen.  Aber kein einzelner Designer, keine Firma (nicht einmal
die Institution der nationalen Verteidigung, die die Vernetzung
nachhaltig unterstützt) kann für sich beanspruchen, dieses neue
Medium entworfen und gestaltet zu haben.  Viele haben, oft unbewußt,
dazu beigetragen mit ihren Entwürfen, die sich ohne das bewußte
Wollen ihrer Autoren in das Große und Ganze einfügten, dessen
Aussehen und Funktionieren (oder Scheitern) niemand vorhersagen
konnte.  Alle diese Bilder veränderten sich jährlich, stündlich und
werden sich auch in absehbarer und vermutlich unabsehbarer Zukunft
verändern.

Nehmen wir beispielsweise DFÜ- (Datenfernübertragungs-) Protokolle.
Sie sind das Gegenprinzip zur Schriftkultur.  Ein richtig
geschriebenes Wort wird zerlegt, in einzelne Pakete aufgeteilt, die
einen einzigen Buchstaben (oder nur einen Teil davon) transportieren.
Diese Pakete erhalten Informationen über den Zielort, aber nicht
über den einzuschlagenden Weg. Wenn diese Pakete ihren jeweils
eigenen Weg genommen haben, werden sie am Zielort wieder
zusammengesetzt.  Um jedoch wieder ein vollständiges Wort zu ergeben,
müssen sie je nach Beschaffenheit weiter verarbeitet werden.  Das hat
gar nichts mehr mit dem Zentralismus und der Sequentialität der
Schriftkultur zu tun, und im übrigen wird jede Art von
Information--Bilder, Töne oder Bewegungen--auf die gleiche Weise
behandelt.  Viele andere Merkmale einer von Schriftkultur
beherrschten Pragmatik erübrigen sich in dieser Welt dynamischer
Verknüpfung auf ähnliche Weise: die formalen Sprachregeln,
Determinismus, dualistische Logik.  Verteilte Ressourcen führen zu
verteilten Aktivitäten.  Ein unvorstellbarer Parallelismus sichert
die Vitalität einer exponentiell steigenden Zahl und Art von
Transaktionen.  Das Design wird wie alle anderen Formen der Praxis
global.

Natürlich stehen wir erst am Anfang.  Verkehrs-, Kommunikations- und
Energieversorgungsnetzwerke wurden entwickelt, lange bevor es
Computer und digitale Datenverarbeitung gab.  Doch in einer Welt, in
der die Bedeutung der kognitiven Ressourcen des Menschen alle anderen
Ressourcen in den Schatten stellt und in der wir den globalen
Effizienzerwartungen der Menschheit entsprechen müssen, ist die
Vernetzung von Gehirnen nicht mehr nur ein evolutionärer Aspekt des
Designs, sondern ein revolutionärer Schritt.  Alle oben genannten
Netzwerke können zu einem einzigen, allumfassenden Netzwerk der
Menschheit zusammengefaßt werden.  Ihr Potential, das über die
Funktion als Transportmittel für Nachrichten, Elektrizität, Gas oder
Personen hinausgeht, wird nicht einmal im Ansatz ausgeschöpft.  Die
integrative Kraft des Designs wird dem Begriff der Konvergenz, die
sich heute auf die Integration von Telekommunikation, Medien und
Computern bezieht, eine Dimension verleihen, die diese Komponenten
weit übersteigt.  Der Netizen--der Bürger (Citizen) der digital
vernetzten Welt--ist das Ergebnis unserer Selbstkonstituierung in
einer Praxis, die auf einem qualitativ neuen Verständnis von Design
beruht.



Kapitel 5:


Politik: So viel Anfang war noch nie

Hölderlins Zeile "So viel Anfang war noch nie" trifft den heutigen
Zeitgeist.  Sie gilt für viele Anfänge: für neue Paradigmen in der
Wissenschaft, technologische Entwicklungen, Kunst und Literatur.
Vermutlich aber ist sie am besten auf die Anfänge im politischen
Leben anzuwenden.  Die politische Landkarte der Welt verändert sich
schneller denn je.  Es ist gefährlich, Ereignisse zu verallgemeinern,
die noch nicht abgeschlossen sind.  Aber wir können sie auch nicht
ignorieren, vor allem wenn sie den Umbruch von der Schriftkultur zu
einer Phase jenseits davon dokumentieren.

Diejenigen, die sich mit der Entwicklung und dem Verhalten der
menschlichen Gattung befassen, glauben, daß die kooperative Bemühung
die Entwicklung der Sprache, wenn nicht ihre Entstehung, erklärt.
Gemeinsame Anstrengung ist auch die Wurzel der Selbstkonstituierung
des Menschen als gesellschaftliches Wesen.  Die gesellschaftliche
Dimension, die mit dem Bewußtsein verwandtschaftlicher Zugehörigkeit
beginnt und der eine Verantwortung gegenüber Nichtverwandtem folgt,
ist neben der Herstellung von Werkzeugen die Antriebskraft der
intellektuellen Entwicklung der Menschen.  Oder einfacher: die
Begriffe gesellschaftliches Wesen (zoon politikon) und sprechendes
Wesen (zoon phonanta) sind eng miteinander verknüpft.  Aber diese
Verknüpfung deckt das Wesen der gesellschaftlichen und politischen
Erfahrungen der Menschen nicht vollständig ab.

Verschiedene Tierarten entwickeln ebenfalls Interaktionsmuster, die
man als gesellschaftlich bezeichnen könnte, ohne dabei jedoch das
hohe kognitive Niveau des homo habilis zu erreichen.  Auch sie
tauschen Informationen aus, hauptsächlich über Gesten, Geräusche und
biochemische Signale.  Nahrung aufspüren, Gefahr signalisieren und
rudimentäre Formen kooperativer Bemühungen sind im Tierleben
dokumentiert.  Das macht sie weder zu gesellschaftlichen Wesen, noch
bezeichnen wir die angewandten Mittel als Sprache.  Politik--in ihrer
frühen Form wie auch in den heutigen Manifestationen--ist eine
bestimmte Menge zwischenmenschlicher Beziehungen, die sich aus dem
bewußten Bedürfnis ergaben, die Praxis der menschlichen
Selbstkonstituierung zu optimieren.  Die Politik ist nicht
gleichzusetzen mit der Rudelbildung von Wölfen, dem Herdentrieb von
Rotwild, oder mit den komplexen Beziehungen in einem Bienenstock.
Überdies läßt sich Politik nicht allein auf Überlebensstrategien
reduzieren, denn die sind auch für einige Primaten und wahrscheinlich
auch für andere Tiere charakteristisch.

Die Struktur, die der Praxis zugrundeliegt, durch die Menschen zu
ihrer Identität finden, drückt sich in menschlichen Handlungen aus, z.
B. dem Herstellen von Werkzeugen, dem Teilen von Nah- oder
Fernzielen und dem Eingehen gegenseitiger Verpflichtungen materieller
oder geistiger Art.  Veränderungen in den Bedingungen der
Lebenspraxis bewirken Veränderungen zwischenmenschlicher Beziehungen.
Daß die Skala der menschlichen Welten und somit die Skala der
menschlichen Lebenspraxis sich verändert, entspricht der Dynamik, in
der sich die Spezies konstituiert.  Die Anfänge der Landwirtschaft
und die Bildung der vielen Sprachfamilien liegen in einer Zeit, in
der eine kritische Masse erreicht wurde.  An dieser Schwelle war die
synkretistische Interaktion der Menschen bereits in gut abgegrenzten
Mustern der Lebenspraxis verwurzelt.  Der pragmatische
Handlungsrahmen formte das beginnende gesellschaftliche und
politische Leben und wurde wiederum von ihm stimuliert.  Die Politik
ergab sich aus der erhöhten Komplexität der menschlichen
Interaktionen.  Die praktischen gesellschaftlichen und politischen
Erfahrungen beziehen sich auf Arbeit, Glauben, natürliche und
kulturelle Unterschiede, auch auf geographische Faktoren, insofern
sich einige Formen der menschlichen Erfahrung aus den Bedingungen der
Umwelt ergaben.  Daher ist, historisch gesehen, die Politik eng an
das wirtschaftliche Leben, an Religion, Rassenzugehörigkeit oder
ethnische Identität, geographische Faktoren, Kunst oder Wissenschaft
gebunden.

Die der menschlichen Praxis zugrundeliegende Struktur, die das
Bedürfnis nach Schriftlichkeit und Schriftkultur bestimmte,
determinierte auch das Bedürfnis nach den angemessenen Ausdrucks-,
Kommunikations- und Bedeutungsmitteln.  Dies zeigt sich in der
Politik noch deutlicher, da sie in einen auf Schriftlichkeit
basierenden Rahmen eingebettet ist.  Folglich sollten sich, sobald
sich bestimmte pragmatische Umstände verändern, auch Wesen, Mittel
und Ziele der Politik verändern.


Die Permissivität der kommerziellen Demokratie

Der Zustand der Politik in einem pragmatischen Rahmen von
Nichtsequentialität, nichtlinearen funktionalen Abhängigkeiten,
Nichtdeterminismus, dezentralisierten, nichthierarchischen
Interaktionsformen und beschleunigter Dynamik, extremem
Wettbewerbsdruck--d. h. in einem Rahmen jenseits der
Schriftkultur--entzieht sich gegenwärtig jeglicher Bestimmung.  In
Fluß beschreibt die derzeitige politische Praxis angemessen.  Wir
erleben einen Konflikt zwischen einer Politik, die in einem immer
noch auf Schriftlichkeit basierenden pragmatischen Rahmen verankert
ist, und einer Politik, die von Kräften geformt wird, die über den
Praxisrahmen der Schriftkultur hinausdrängen.  Dieser Konflikt wirkt
sich auf den gegenwärtigen Zustand der Politik und das politische
Handeln aus.  Er wirkt sich auf alles aus, was mit dem
Generationenvertrag und seiner Umsetzung zusammenhängt: auf
Bildungswesen, Demokratisierung, auf die Praxis der Justiz-,
Verteidigungsund Sozialpolitik sowie die internationalen Beziehungen.

Die die gegenwärtigen politischen Erfahrungen betreffenden
Veränderungen sind von einer starken Dynamik erfaßt, die den Umbruch
von einer auf Industrie gründenden Volkswirtschaft zu einer globalen
informationsverarbeitenden Dienstleistungsgesellschaft betreibt.
Damit einher geht der Übergang von der durch Mangel gekennzeichneten
Wirtschaft (in der gehortet und gespart wird) zu großen, integrierten,
kommerziellen Wirtschaftsstrukturen mit freiem Zugang zu (oder gar
mit Anspruch auf) Konsum und Wohlstand.  Diese Wirtschaftsform nimmt
Einfluß auf das Individuum, das nicht mehr Selbstbeherrschung oder
Verzicht, sondern die Permissivität der kommerziellen Demokratie übt.
Folglich reagiert man auf politische und gesellschaftliche Problemen
mit epikureischer Lebensweise, die in gar nicht allzu ferner
Vergangenheit den Reichen und Mächtigen vorbehalten war: Rückzug aus
dem öffentlichen Leben, Hingabe an die Lust des Konsums, der
Unterhaltung, des Reisens und des Sports.  Die Politik selbst wird,
wie Aldous Huxley es in seiner Beschreibung der Schönen neuen Welt
vorhersagte, zur Unterhaltung oder zu einem weiteren
Wettbewerbsfaktor, nicht so weit entfernt vom Geist und Buchstaben
der Börse, des Auktionshauses oder des Spielkasinos.

Die politische und gesellschaftliche Teilhabe an der permissiven
Demokratie ist in vielen Formen des Aktivismus kanalisiert, die alle
eine Akzentverlagerung von einer autoritätsverhafteten Politik hin zu
größerer Wahlfreiheit ausdrücken.  Die neuen, die Interaktivität
betonenden elektronischen Medien kennzeichnen die Abkehr von einem
positivistischen Prüfen von Tatsachen (das aus der Wissenschaft
abgeleitet wurde und sich auf das gesellschaftliche und politische
Leben erstreckte), zu eher relativistischen Erwartungen von einer
erfolgreichen Darstellung in öffentlichen Meinungsumfragen, in
politischen Festakten und in dem Bild, das wir uns von uns selbst und
anderen machen.  Die Macht der Medien ist längst schon größer als die
der Politik.

Damit ist der Prozeß noch nicht erschöpfend beschrieben.  Aber wir
erkennen doch, wie bestimmte Formen des Aktivismus--von
(feministischen, ethnischen und sexuellen) Emanzipationsbewegungen
bis zu neuen Interessengruppen, die sich über Herkunft, Lebensstil
oder ein bestimmtes Engagement definieren--Politik in ihrer älteren
und neueren Form zur Beförderung ihrer eigenen Programme betreiben.
Offenheit, Toleranz, das Recht auf Experimente, Individualismus,
Relativismus sowie bestimmte Interessengruppierungen sind alle ihrem
Wesen nach insofern illiterat, als sie die strukuralen Merkmale der
Schriftkultur ablehnen und erst in einem Umfeld jenseits der
Schriftkultur möglich wurden.  Einige dieser Bewegungen sind immer
noch vage konturiert, sind jedoch Teil der politischen Tagesordnung.
Die Schriftkultur bezieht sich bei ihrer Suche nach Argumenten für
ihr eigenes Überleben häufig auf Gründe, die aus Erfahrungen
hervorgingen, die sie verneinen.

Der Einfluß neuer praktischer Erfahrungen der Selbstkonstituierung
über digitale Netzwerke hat diese Erfahrungen schon zu Alternativen
gemacht, ungeachtet dessen, wie begrenzt die Einbindung eines
Individuums in sie ist.  Aus der Interaktion im einzig uns bekannten
unzensierten Medium gewinnt eine andere politische Erfahrung an
Gestalt.  Hier zählen nicht anonyme Wähler, die zu Mehrheiten ohne
sonderliche Wirkung zusammengeschlossen werden, sondern Individuen,
die bereit sind, sich an konkreten Entscheidungen zu beteiligen und
in den von ihnen gebildeten virtuellen Wahlgemeinschaften an der
politischen Maschinerie teilhaben, die den nächsten bedeutungslosen
Präsidenten hervorbringt.  Das führt zu einer anderen politischen
Dynamik, die sich auf das Individuum konzentriert, zu effizienteren
Formen praktischer politischer Tätigkeit.  Es gibt in dieser Hinsicht
keine Wunder zu vermelden.  Aber zweifellos darf das Internet den
Fehlschlag des Versuchs von 1991, die politische Uhr in Rußland
zurückzudrehen, und einen Einfluß auf Ereignisse in China, Osteuropa
und Südamerika für sich verbuchen.


Wie ist es dazu gekommen?

Rückblickend können menschliche Beziehungen durch die ablesbaren
Wiederholungsmuster beschrieben werden.  Unterschiede in den
Erfahrungen der Selbstkonstituierung treten unter dem Druck höherer
Effizienzerwartungen auf.  Beziehungen mit einer politischen
Komponente, also mit gemeinsamen Anstrengungen und mit gemeinsamem
Ertrag und gemeinsamer Verantwortung, sind seit der synkretistischen
Phase der menschlichen Tätigkeit belegt.  In dem durch
Unmittelbarkeit gekennzeichneten synkretistischen pragmatischen
Handlungsrahmen gibt es keine politische Dimension.  Die politische
Identität beginnt--wie jede andere Form der menschlichen
Selbstkonstituierung--mit dem Bezug auf die Natur: Die Stärksten, die
Schnellsten, die Reaktionsstärksten werden als Führer anerkannt.  Die
Mächtigsten sind erfolgreich für sich selbst.  Dieser Erfolg
überträgt sich auf das Überleben: mehr Nahrung, mehr Nachkommen,
Unverwüstlichkeit, die Fähigkeit, Gefahren zu entkommen.  Sobald man
das Natürliche vermenschlichte, wurden die Qualitäten, die einige
Individuen vor anderen auszeichneten, im Bereich der Natur und der
menschlichen Natur anerkannt.  Als Stammeshäuptlinge, geistige Führer
oder Priester übernahmen sie politische Funktionen und bestätigten
die Gründe, die ihnen ihre Autorität verliehen hatten.  Mit der Zeit
verloren natürliche Qualitäten ihre bestimmende Rolle.  Die
spezifischen menschlichen Merkmale, vor allem intellektuelle
Qualitäten, kommunikative Fähigkeiten, Management- und
Planungsfertigkeiten wurden immer wichtiger.  Moderne
Politiklehrbücher gehen auf die natürlichen Fertigkeiten gar nicht
mehr ein, sondern konzentrieren sich auf die Regierungskunst oder
-wissenschaft, auf politische Gerissenheit und List.

Die Veränderungen von den partizipatorischen Formen des politischen
Lebens, in dem Solidarität wichtiger ist als Unterschiede zwischen
den Menschen, zu den für unsere heutige Zeit charakteristischen
Formen der persönlichen und politischen Abgrenzung voneinander, haben
stattgefunden, weil die menschliche Praxis sie notwendig machte.

Die Politik war und ist nicht das passive Ergebnis dieser
Veränderungen: Einige hat sie gefördert, andere bekämpft.  Der
Überlebenstrieb hinter den partizipatorischen Formen wurde ständig
neu definiert und führte zu einer anderen Art der Bestätigung: nicht
nur besser sein als die anderen Gattungen, sondern besser als unsere
Vorgänger, besser als andere.  Der Wettbewerb verlagerte sich vom
natürlichen Umfeld--Mensch gegen Natur--in den menschlichen Bereich.
Sobald der Vergleich mit anderen oder die Beurteilung durch andere
etabliert waren, entstand eine Hierarchie.  Die schriftlich
festgehaltene Hierarchie wurde mit dem Entstehen von
Notationssystemen und mehr noch mit dem Beginn der Schrift eine
wichtige Erfahrungskomponente, eines ihrer strukturierenden Elemente.
Die am Hier und Jetzt orientierte Unmittelbarkeit wurde ersetzt
durch einen sich über Generationen hinweg erstreckenden und zwischen
verschiedenen Gesellschaften abspielenden Handlungsraum.

Denn solange das menschliche Handeln relativ homogen war, bestand
keine Notwendigkeit zum politischen Delegieren oder zur
Verdinglichung politischer Ziele in Regeln und Organisationen.  Mit
der Diversifikation von Aufgaben wurde Integration erforderlich, zu
der Riten, Mythen, Religion, Verteilen von Pflichten und
Führungsstrukturen beitrugen.  Die Menschen brachten nicht nur mehr
von ihrer Vergangenheit in heute praktische Erfahrungen ein, sondern
sie begannen auch, ihre Bemühungen aufzuzeichnen und deren
Angemessenheit zu bewerten, und damit auch die Angemessenheit ihrer
eigenen Politik.  Die auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
gerichtete Aufmerksamkeit gestattete es ihnen, sich der Unterschiede
zwischen pragmatischen und politischen Erfahrungen und allen anderen
Erfahrungen (Magie, Mythos, Religion) bewußt zu werden.  Unter den
Voraussetzungen einer zentralisierten, synkretistischen Autorität war
dies ein schwieriges Unterfangen.  Das Natürliche, Magische,
Religiöse, Logische, Wirtschaftliche und Politische gingen ineinander
über.  Praktische Erwartungen erwiesen sich als das eigentlich
kritische Moment.  Das Anflehen unbekannter Mächte um Regen,
Jagderfolg oder Fruchtbarkeit unterschied sich von den Erwartungen,
die hinsichtlich der Einheit von Arbeit und Leben artikuliert wurden.
Zunächst waren diese Erwartungen unterschiedlich und ungenau.  Sie
wurden zunehmend präziser, es entstand ein Verantwortungsgefühl, das
auf greifbaren Ergebnissen und Vergleichen beruhte.

Während die Selbstkonstituierung die Projektion individueller
Merkmale (biologischer, kultureller Art) auf eine gegebene praktische
Erfahrung darstellt, ist die politische Praxis zu einem großen Teil
eine Projektion von Erwartungen.  In jedem entscheidenden Zeitpunkt
der praktischen Erfahrung wird die vorherige Erwartung weitergegeben,
wenn neue Erwartungen aufkommen.  Entsprechend wird erwartet, daß
eine politische Führergestalt tatsächlich oder kraft ihrer Autorität
natürliche Qualitäten, kognitive und kommunikative Fähigkeiten
(Rhetorik) sowie andere Vorzüge aufweist.  Wenn diese Erwartungen in
spezifische Funktionen (Stammeshäuptling, Richter, Heerführer,
gewählter Gesetzgeber oder herausgehobenes Mitglied der Exekutive)
und in politische Institutionen übergehen, ist die Projektion nicht
mehr die eines Individuums, sondern die Projektion der den
ausgesprochenen Zielen, Mitteln und Werten verpflichteten
Gesellschaft.  Ob tatsächlich jeder Stammesführer der Schnellste,
jeder Richter der Objektivste, jeder Heerführer der Tapferste oder
jeder Gesetzgeber der Klügste war, wurde nach ihrer politischen
Anerkennung fast irrelevant.  Dieser Aspekt wird im Kontext der
Schriftkultur bedeutsam.  Er wird entscheidend im Übergang vom
pragmatischen Rahmen der Schriftkultur zu einem pragmatischen Rahmen,
in dem die Merkmale der Schriftkultur nur hinderlich sind.

Politische Institutionen, die in den Voraussetzungen der
Schriftkultur fest verankert sind, debattieren immer noch darüber, ob
Telekommunikation akzeptabel und Telehandel sicher sei oder ob
Telebanking im nationalen Interesse liege.  Während diese Debatten
andauern und antiquierte Steuergesetze gelten, greifen die neuen
praktischen Erfahrungen in der globalen Wirtschaft.  Sich ausweitende
Netzwerke verändern das Wesen der menschlichen Transaktionen z. B.
dahingehend, daß immer weniger Menschen wählen, weil sie wissen, daß
die Funktion dieser Wahlen--nämlich eine (Aus-) Wahl zu
treffen--politisch bedeutungslos ist.  Die Politik muß den Individuen
nähergebracht werden, und diese Notwendigkeit kann nur in Strukturen
verwirklicht werden, die dem Individuum mehr Macht statt einer
sinnleeren Repräsentation geben.

Politische Tätigkeit schuf Normen, Institutionen, Werte und
gesellschaftliches Bewußtsein.  Niemand kann behaupten, daß Politik
eine harmonisierende Tätigkeit ist; das Zusammenleben mit anderen,
das Eingehen von Verträgen und das begrenzte Verfolgen individueller
Ziele bedeutet, im ständigen Kompromiß zu leben.  Politische
Erfahrungen schaffen in unterschiedlichem Ausmaß Fähigkeiten,
Kompromissen Leben und Legitimität zu verleihen.  Die Sprache ist das
Blut, das durch die Adern des zoon politikon fließt.  Wenn sie von
der Schrift gezähmt ist, steckt diese Sprache ein sehr genaues Gebiet
des politischen Lebens ab.  Der Herzschlag des gebildeten zoon
politikon entspricht einem Lebens- und Arbeitsrhythmus, der von der
Schriftkultur gesteuert wird.  Der beschleunigte Rhythmus, der in
einer neuen Erfahrungsskala notwendig wurde, erfordert die Befreiung
der politischen Sprache von der Schriftkultur und die Partizipation
vieler Spezialsprachen an der politischen Erfahrung.

Es wird kaum überraschen, daß von Politikern durch die Generationen
hindurch hohe Sprachfertigkeiten erwartet wurden, auch dann, wenn
sich der Status der Sprache veränderte.  Ungeachtet der einer
bestimmten Sprache eigenen Möglichkeiten und der spezifischen Form
der politischen Praxis ist der effektive Gebrauch wirkmächtiger
Ausdrucks- und Kommunikationsmittel unabdingbar.  Sogar
schriftunkundige Könige oder Kaiser galten im Vergleich zu denen, die
schriftkundig waren, als die besseren Autoren.  Sie diktierten
gewöhnlich einem Schreiber, der den Eindruck weitergab, daß die
Herrscher übersetzten, was ihnen höhere Mächte eingaben.  Bestimmte
Bücher wurden politischen Führern zugeschrieben; Siege in Kriegen
wurden ihnen genauso zugeschrieben wie den militärischen Führern.
Gesetzbücher trugen ihren Namen, und sogar Wunder wurden ihnen
zugeschrieben, wenn sich die Politik mit Magie und Religion verband
(wobei sie oft das eine gegen das andere ausspielte).  All dies und
vieles mehr sind Projektionen von Erwartungen.

Die spezifischen Erwartungen der Schriftkultur bestätigen die mit
ihren Merkmalen assoziierten Werte.  Politik, Ideale der Aufklärung
und die Industrielle Revolution können nicht getrennt voneinander
gesehen werden.  Erwartungen der Beständigkeit, Universalität,
Vernunft, Demokratie und Stabilität waren alle Bestandteil der
politischen Erfahrung.  Die Schriftkultur förderte neue Formen des
politischen Aktivismus und ließ neue Institutionen entstehen.  Das
Bewußtsein von Grenzen zwischen Kulturen und Sprachen nahm zu.  Der
Zentralismus setzte sich durch, und Hierarchien--zurückhaltend oder
heimtückisch--wurden mit Hilfe des mächtigen Instruments der Sprache
etabliert.  In diesem Kontext umriß die politische Erfahrung ihren
eigenen Bereich und ihre eigenen Effektivitätskriterien, die sich von
denen in den alten Stadtstaaten oder des Feudalismus unterschieden.
Der Berufspolitiker trat an die Stelle ererbter Macht.  Die Politik
öffnete sich der Bevölkerung und bestätigte Toleranz, Achtung vor der
Person und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz.  Politische
Funktionen wurden designiert und politische Institutionen gebildet.
Regeln für deren gutes Funktionieren wurden schriftlich fixiert.  Das
Bündnis zwischen Politik und Schriftkultur sollte sich schließlich in
eine inzestuöse Liebe verwandeln; doch bevor das geschah, mußten sich
politische Erfahrungen in den damaligen Revolutionen zunächst
endgültig emanzipieren.

Diese Errungenschaften gebührend zu würdigen, war nicht leicht.  Sie
wurden auch getrübt durch die aus früheren politischen Zusammenhängen
übernommenen Vorurteile (bezüglich Geschlecht, Rasse, Religion und
Eigentum).  Wir müssen aber anerkennen, daß die politische Praxis
eine entscheidende Rolle dabei spielte, die Effizienz eines
pragmatischen Rahmens zu erhöhen, der die Schriftkultur endgültig
etablierte.  Damals wurden die Bildung und der Zugang zu ihr in ihrer
politischen Bedeutung erkannt und in Einklang mit den
Effizienzerwartungen verfolgt, die zur Industriellen Revolution
führten.  Der Prozeß war alles andere als universell.  Die westliche
Welt übernahm hier die Vorreiterrolle.  Ihre politischen
Institutionen förderten Investitionen aller Art, und Erziehung und
Bildung waren solche Investitionen.

Politische Institutionen spiegeln die Lebenspraxis des Bürgers wider
und zugleich ihre Lebens- und Arbeitserfahrungen.  Während der
Begriff Analphabetentum wohl zum ersten Mal 1876 in einem englischen
Text auftauchte, betraf dieses Phänomen 1880 nur ein Prozent der
deutschen Bevölkerung.  Mit "Heil dem König, heil dem Staat / Wo man
gute Schulen hat!" ließ man König und Staat hochleben.  Damals erfand
Thomas Alva Edison die Glühbirne (1879) Alexander Graham Bell das
Telefon (1876 patentiert), Nikolaus Otto den
Viertaktverbrennungsmotor (1876) und Nikola Tesla den
Wechselstromgenerator (1884).  Aber Leo Tolstoi wußte, als er Krieg
und Frieden schrieb, daß nur ein Prozent aller Russen lesen konnte.
In vielen anderen Teilen der Welt sah es nicht viel besser aus.  Es
war eine Zeit, in der die Alphabetisierung buchstäblich ein
Instrument der politischen Diskriminierung war.  Auf die Ungebildeten,
die Analphabeten, blickte man verächtlich herab, ebenso wie auf
Frauen (einigen wurde Lesen, Bildung und Studium untersagt) und
Nationen, die als unwissend und moralisch minderwertig galten
(Rußland gehörte dazu).

Die zunehmende Bedeutung der Wissenschaft und der Gebrauch effektiver
technischer Mittel, die sich in der Beherrschung der Natur zeigten,
beeinflußten das politische Wesen der Staaten und die Beziehungen
zwischen den Nationen.  Rationalität war die Grundlage der Legalität;
der Staat bekam Priorität vor den Individuen--ein unmittelbarer
Ausdruck seiner schriftkulturellen Anlagen.  Regeln galten für alle
gleich (es wurde in ein effektives "Alle sind gleich" übersetzt, was
sich allerdings von den leeren Formeln populistischer Bewegungen
unterschied).  Die Rationalität leitete sich aus der Schriftkultur ab.
Effektiv zu sein hieß, die zu beherrschen, die weniger effektiv
waren (Bürger, Gemeinschaften, Nationen).

Die politische Institution ist eine Maschine; eine von vielen im
pragmatischen Rahmen der Industriellen Revolution.  Sie machte immer
nur eine Sache zu einer Zeit, und ein Teil der Maschine mußte nicht
unbedingt wissen, was der andere gerade tat.  Zwischen Input und
Output wurde Energie verbraucht, und was herauskam--politische
Entscheidungen, Sozialpolitik, Vorschriften--war die Massenproduktion
von etwas, worüber die Gesellschaft verhandeln konnte: Schmieren
vermindert Reibung.  Parteien wurden gebildet, politische Programme
formuliert und der Zugang zur Macht für viele geöffnet.  Zwei
Voraussetzungen galten: Die Menschen sollten in der Lage sein, ihre
Meinung über Themen des öffentlichen Interesses zu formulieren, und
sie sollten in der Lage sein, den politischen Prozeß zu überwachen,
womit sie die Verantwortung für ihre politischen Rechte übernahmen.
Diese zwei Voraussetzungen führten zu einem Verständnis von
Demokratie und Freiheit, das schließlich die Grundlage der liberalen
Demokratie wurde.  Sie bestätigten auch die schriftkulturellen
Erwartungen, daß Demokratie und Freiheit--wie die Schriftkultur
selbst--universell und ewig sind.

Diese Politik schlug sich mit ihren eigenen Waffen.  Diktaturen
(linke und rechte), Nationalismus, Rassismus, Kolonialismus,
katastrophale Kriege und die gleichmachende Mittelmäßigkeit der
Bürokratie haben die großen Hoffnungen vom Höhepunkt des
schriftkulturell inspirierten politischen Handelns auf den Tiefpunkt
der heutigen zynischen Indifferenz gebracht.  Statt der Partizipation
der Menschen am politischen Prozeß und statt Mitverantwortung sehen
wir den korrupten Sozialstaat mit der allgegenwärtigen hedonistischen
Hingabe an Spaß und Unterhaltung.  Die Komplexität der politischen
Erfahrung verhindert sogar die symbolische Partizipation der Menschen
an der Regierung.  Freiwillige Arbeit und Wahlen, ein Recht, für das
die Menschen mit einer Leidenschaft gekämpft haben, die nur noch
durch ihre jetzige Gleichgültigkeit übertroffen wird, haben ihre
Bedeutung verloren.  Es fehlt das Feedback, das die Motivation zur
politischen Mitverantwortung stärken könnte.  Und offenbar hat die
Forderung von Gleichheit und Freiheit einen so kleinen gemeinsamen
Nenner gefunden, daß die Politik nur noch Mittelmäßigkeit verwalten,
nicht aber Exzellenz fördern kann.  Von allen Funktionen der
nationalen Einheit als Verkörperung der politischen
Selbstkonstituierung ist scheinbar nur noch die Funktion der
Umverteilung erhalten geblieben.

Individuelle Freiheit, für die im Zeichen der Schriftkultur hart
gekämpft wurde, zeigt sich bestenfalls konformistisch und
opportunistisch.  Es ist fraglich, ob der verlorene Gemeinsinn ein
fairer Preis für das Recht auf Individualität ist.  Millionen von
Menschen, die sich vom politischen Diskurs des Hasses haben verführen
lassen (im Faschismus, Kommunismus und Nationalismus und durch
Rassismus und Fanatismus), haben ihre hart erkämpften Rechte
verschwendet, als sie anderen Eigentum, Meinungs-, Glaubens- und
sonstige Freiheiten, Würde und schließlich das Leben nahmen.  Nach
Auschwitz sollte die Politik nicht noch einmal eine Instanz der
Schikane und geistiger und moralischer Verzerrung werden.  Doch sie
wurde es.  Und wir alle wissen, mit welchem Opportunismus wir die
heutigen Tragödien (Hunger, Unterdrückung, Krankheit,
Umweltkatastrophen) durch das politische Entertainment vereinnahmen
lassen.

Im Zusammenhang der Skala, die die Schriftkultur kennzeichnete,
entwikkelte sich der Gedanke des Nationalstaats.  Auch heute
versuchen selbst die Nationen, die die politische Integration
betreiben, sich als autarke Einheiten zu festigen.  Vielleicht werden
nationale Grenzen weniger scharf bewacht, aber sie werden als durch
die Schriftkultur definierte Grenzen aufrecht erhalten.  Wenn
Autarkie unerreichbar ist, liegt die Antwort in Expansion.
Ideologische, rassenspezifische, wirtschaftliche und andere Argumente
werden vorgebracht, um die Politik im Krieg mit anderen Mitteln
fortzusetzen.  Die zwei Weltkriege haben die auf Schriftkultur
basierende Politik auf den Höhepunkt getrieben.  Der Kalte Krieg (die
erste globale Schlacht) hat diese Politik zu ihrer letzten Krise,
jedoch noch nicht ihrem Ende gebracht.


Politische Sprachen

Die praktische politische Erfahrung artikuliert sich im Instrument
der Sprache.  Vollzieht man vergangene politische Erfahrungen nach,
rekonstruiert man auch ihre Sprache(n).  Diese Aufgabe ist fast
unlösbar, weil die Politik mit jedem Aspekt des menschlichen Lebens
verbunden ist: mit Arbeit, Eigentum, Familie, Geschlecht, Religion,
Erziehung und Ausbildung, Ethik und Kunst.  Die Vielfalt der
politischen Erfahrungen entspricht der Vielfalt der pragmatischen
Umstände, in denen Menschen ihre Identität finden.

Der Vielzahl der praktischen Erfahrungen entspricht die Vielzahl der
politischen Sprachen.  Es gibt wohl so viele politische Sprachen, wie
es Formen der Selbstkonstituierung in einer Gesellschaft gibt.  Aber
vor dem Hintergrund dieser Vielfalt steht die Erwartung, daß Wort und
Tat übereinstimmen oder daß sie zumindest nicht zu weit auseinander
liegen.

Die Vielfalt der politischen Sprachen erweiterte sich erneut, als die
Sprachen des politischen Bewußtseins hinzukamen.  Wo Werte das
Endziel der Politik waren, wurde der Wert der politischen Erfahrung
selbst ein Thema.  Viele politische Projekte wurden auf dieser
selbstreflexiven Ebene verfolgt: Neue Formen der menschlichen
Zusammenarbeit und der politischen Organisation, Überlegungen zu
Erziehung und Bildung, Vorurteile, Emanzipation und Justiz.  Dies
erklärt auch, warum sich in der Reihenfolge der praktischen
politischen Erfahrungen die Erwartungen nicht gegenseitig aufhoben.
Sie akkumulierten vielmehr als Ausdruck eines Ideals, wobei sie sich
immer vom jeweils letzten erreichten Ziel fortbewegten.  Ohne ein
Verständnis für diesen Zusammenhang kann man die innere Dynamik
politischer Veränderungen nicht erklären.

Politik jenseits der Schriftkultur kommt nicht aus heiterem Himmel.
Sie beinhaltet Erwartungen, die unter verschiedenen pragmatischen
Umständen entstanden sind, und sie muß sich Herausforderungen
stellen--die wichtigste Herausforderung ist die in der neuen Skala
der menschlichen Erfahrung erwartete Effizienz--für die die
traditionellen Mittel und Strukturen nicht angemessen sind.
Politische Diskontinuität zu akzeptieren oder gar zu verstehen, war
schon immer schwer.  Revolutionen werden erst gefeiert, wenn sie
stattgefunden haben und wenn die neuen Verhältnisse Stabilität
suggerieren.


Kann Schriftlichkeit zum Scheitern der Politik führen?

Viel ist darüber geschrieben worden, daß die Sprache der Politik und
die politische Realität auseinander klaffen.  Das Mißtrauen der
Menschen gegenüber der Politik hat einen Höhepunkt erreicht.  Rolle
und Bedeutung der politischen Führer und Institutionen haben sich
offenbar verändert.  Die Fähigsten sind nicht unbedingt an der
Politik beteiligt.  Ihre Selbstkonstituierung vollzieht sich in
praktischen Erfahrungen, die lohnender und anspruchsvoller sind als
politische Tätigkeit.  Politische Institutionen repräsentieren nicht
mehr die politischen Vertragspartner, sondern betreiben ihr eigenes
Überleben.  Die Justiz führt ein eigenes Leben, sie kümmert sich--wie
die Öffentlichkeit glaubt--im Namen der Bürgerrechte mehr um die
Kriminellen als um die Gerechtigkeit.  Steuern stützen extravagante
Regierungen und die gesellschaftliche Umverteilung von Reichtum;
darin spiegelt sich aber eher ein Schuldkomplex bezüglich vergangener
Ungerechtigkeiten als wahre gesellschaftliche Solidarität wider.
Statt menschliche Beziehungen zu fördern und die Zukunft in Angriff
zu nehmen, flicken sie immer noch die Vergangenheit.  Jeder beklagt
sich.  Aber immer weniger sind bereit, etwas zu tun, weil
individuelle Teilhabe und Engagement in der gegebenen politischen
Struktur zu nichts führen.

Die meisten Menschen schauen auf eine frühere politische Erfahrung
zurück und interpretieren die Vergangenheit im Lichte der Bücher, die
sie gelesen haben.  Sie sehen nicht, daß der Komplexität der heutigen
menschlichen Erfahrung nicht mit den Lösungen von gestern beizukommen
ist.  Auch die Verfassung der Vereinigten Staaten und die Erklärung
der Menschenrechte spiegeln das Denken und den Stil der Schriftkultur
wider.  Ähnliche Dokumente gibt es in Lateinamerika, Europa, Indien
und Japan.  Sie sind so nutzlos, wie Geschichte nur sein kann, wenn
neue Umstände der menschlichen Selbstkonstituierung sich von den
Erfahrungen unterscheiden, die sich in diesen Dokumenten ausdrücken.
Revisionismus hilft nicht weiter.  Der neue weite Kontext braucht
keine hehren Prinzipien, sondern dynamische politische Strukturen und
Verfahren.  Wenn die Welt sich als eine allseits verknüpfte neu
erfindet, hat sie sich von engen Vorschriften und traditionellen
Bedeutungen befreit.

Obwohl die Zahl der neu entstehenden Länder immer größer wird (und es
ist offen, wieviel hinzukommen), wissen wir von keinem politischen
Dokument, das der Unabhängigkeitserklärung, der Erklärung der
Menschen- und Bürgerrechte oder dem Kommunistischen Manifest
vergleichbar ist.  Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, daß die
Schriftkultur heute eine unangemessene Grundlage für Politik ist.
Unsere Kultur ist keine Kultur der Ideen mehr, seien sie religiös
oder weltlich.  Sie wird von Prozessen, Methoden und Erfindungen
gekennzeichnet, die in vielen Zeichensystemen ausgedrückt werden, die
eine andere Dynamik als die der Sprache der Schriftkultur besitzen.
Die Ideen der Schriftkultur wenden sich an Intellekt, Seele und Gemüt.

Sehr wohl dürfen wir in dieser Zeit des Umbruchs aber Maßnahmen
erwarten, die die ungehinderte Interaktion auf dem Markt und in
anderen Bereichen menschlicher Selbstkonstituierung (Religion,
Bildung, Familie) garantieren.  Stetige Globalisierung heißt, daß
Stabilität nationaler Wirtschaftssysteme und nationaler Bildungs-,
Sport- oder Kunstsysteme genauso bedeutungslos ist wie nationale
Grenzen und die theatralischen Inszenierungen der Diplomatie und der
internationalen Beziehungen.

Die Dynamik des Umbruchs zeigt sich auch in dem Bestreben vieler
Länder, in die globale Wirtschaft integriert zu werden und sich
dennoch einen Hauch nationaler Identität zu bewahren oder zu schaffen.
Staatliche Souveränität in Form von nationaler Autonomie des
Handels, im Finanzwesen oder der Industrie ist eine Illusion.
Selbstbestimmung, die immer zu Lasten irgendeiner anderen ethnischen
Gruppe geht, erinnert an primitive Stammestriebe.  Die Grundstruktur
der Schriftkultur spiegelt sich in nationalen Bewegungen und in ihren
dualistischen Wertesystemen wider.  Die einfache Logik von Gut und
Böse, die in einem Vagheitskontext schwerer zu definieren, aber
dennoch richtungsweisend ist, bestimmt Koalitionsbildungen, unsere
Richtlinien im Umgang mit Migrationsbewegungen und die Verteidigung
unserer nationalen Interessen, obwohl ein jeder Integration und
freien Markt fordert.

Gleichwohl ist auch die Sprache der heutigen Politik vom heutigen
pragmatischen Rahmen geformt.  Die Freiheit, die zu propagieren sie
vorgibt, ist die der kommerziellen Demokratie: gleiches Recht auf
Konsum ist die politische Errungenschaft der jüngeren Geschichte.
Die Tatsache, daß die Staaten der Europäischen Union ihre
Marktsouveränität aufgegeben haben, bestätigt unsere These.  Daß sie
immer noch eigene diplomatische Vertretungen und eine eigene
Verteidigungs- und Einwanderungspolitik betreiben, bezeugt nur den
Konflikt zwischen der Politik der Schriftkultur und einer Politik
jenseits davon.

Menschenrechte, die aus natürlichen Zyklen abgeleitet wurden, sind
etwas anderes als politische Rechte und Verantwortlichkeiten, die
sich aus einem maschinellen Fortschrittsmodell herleiten lassen.
Aber beide Quellen unterscheiden sich vom politischen Status der
Menschen, die im neuen pragmatischen Rahmen globaler Netzwerke und
extremer Aufgabenverteilung eingebunden sind.  Man könnte sagen, daß
die großen politischen Dokumente der Vergangenheit als Reaktion auf
einen unhaltbaren Zustand, nicht aber in Antizipation neuer
Möglichkeiten und Erwartungen verfaßt wurden.  Diese Dokumente
versuchen, in einer Welt relativ autonomer Einheiten--der
Nationalstaaten--die widerstreitenden Kräfte, die eher um Ressourcen
und Produktivkräfte als um Märkte kämpften, zu vereinigen, zu
homogenisieren und zu integrieren.  Die darin ausgedrückten Werte
sind die Werte der Schriftkultur, für die die aus der Schriftkultur
erwachsenen Ideologien eintraten.

Aber vielleicht dokumentieren diese Texte auch noch etwas anderes, z.
B. moralische Maßstäbe, die wir im Laufe der vergangenen 200 Jahre
offenbar verloren haben; oder kulturelle Maßstäbe für die
Gesellschaft und für ihre Politiker, Maßstäbe, die heute kaum noch
gelten.  Wenn dem so wäre, dann ist der Preis für höhere politische
Effizienz der Verlust jeglicher Maßstäbe und der gegenwärtig zu
verzeichnende beklagenswerte intellektuelle Zustand der Politik.  Die
fehlende Wechselbeziehung zwischen der politischen Praxis und ihrer
Sprache rührt vom pragmatischen Kontext her, der sich im Zustand der
Sprache spiegelt.  Während das wirkliche Leben von vielen Sprachen
gestaltet wird, dominiert in der Politik immer noch das Ideal der
einen Schriftkultur, der einen daraus hervorgegangenen Sprache.  Ihre
Regeln werden auf Interaktionen und Evaluationen angewendet, die
nicht auf die Selbstkonstituierung durch Sprache reduziert werden
können.

Politisches Handeln folgt im großen und ganzen Mustern, die für die
Schriftkultur charakteristisch sind, obwohl es sich selbst
nichtsprachlicher Zeichensysteme bedient: Bilder, Filme oder Videos,
neue Netzwerktechniken mit schnellem Informationsaustausch.  Die
früheren Erwartungen, daß Politiker die Maßstäbe der Schriftkultur
erfüllen, werden auf neue politische und praktische Erfahrungen
übertragen.  Dabei liegen die praktischen Erfahrungen fast aller
Menschen heute in Gebieten, in denen die Vergangenheit kaum noch eine
Rolle spielt.  Die von der Industriegesellschaft entwickelten
politischen Prinzipien gestalten noch heute unsere Institutionen und
Gesetze, die weitgehend mit ihrem eigenen Erhalt beschäftigt sind.

Weil sich die Bürger heute nicht um ihre eigene Freiheit sorgen
müssen, nehmen sie sie als selbstverständlich hin und entziehen sich
ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung.  Sie erwarten von ihren
Politikern, daß diese an ihrer Stelle gebildet sind.  So kommt es
dazu, daß wir einerseits ein politisches Leben erwarten, das sich an
Homogenität und einer deterministischen Sicht der sozialen Welt
orientiert; andererseits aber zur Bewältigung der Probleme
politisches Spezialistentum und Mittel und Methoden fordern, die für
heterogene und nicht-deterministische politische Prozesse
charakteristisch sind.  Diesem Konflikt begegnen wir mit einer
Denkhaltung, die das Problem deshalb nicht lösen wird, weil sie das
Problem ist.

Die Koordination des politischen Handelns durch schriftkulturelle
Sprache und Methoden und die Dynamik einer neuen politischen Praxis
jenseits der Schriftkultur passen einfach nicht zusammen.  Also
scheint es, als würden Institutionen, Normen und Regelungen ein
Eigenleben annehmen und ihre eigenen Werte und Erwartungen
perpetuieren.  Die ihnen eigene Dynamik ist von der Dynamik des
politischen Lebens und vom neuen pragmatischen Kontext abgekoppelt.
Die unglaubliche Menge geschriebener Sprache (Reden, Artikel,
Formulare, Verträge, Regelungen, Gesetze, Abhandlungen) kontrastiert
zu den rapiden Veränderungen, die fast jeden politischen Text
überflüssig machen, bevor er in den Printmedien oder in den
flüchtigen Bits und Bytes der elektronischen Datenverarbeitung
erscheint.

Die Wirtschaft hat sich einer tiefgreifenden Umstrukturierung
unterzogen oder steht davor.  Personalabbau in großem Umfang,
flachere Hierarchien und reibungslose Qualitätskontrolle haben die
wirtschaftliche Leistung beeinflußt.  Aber sehr wenig davon hat die
sakrosankten staatlichen Institutionen berührt.  In den USA belaufen
sich die Ausgaben von 40 Ministerien, 135 Bundesbehörden, die über
ein Zivilpersonal von 2,1 Millionen und ein Militärpersonal von 1,9
Millionen Menschen verfügen, auf 1,5 Billionen Dollar pro Jahr.
Allein die Kosten für das Umsetzen von Regeln und Anordnungen
betragen über 250 Milliarden Dollar jährlich.  Um die Steuergesetze
erfüllen zu können, müssen Unternehmen und Einzelpersonen fast
denselben Geldbetrag aufwenden.  Wenn die Wirtschaft so ineffizient
wie die Politik wäre, stünden wir vor einer Krise globalen Ausmaßes,
deren Konsequenzen niemand absehen kann.  In den europäischen Staaten,
besonders in Deutschland und Frankreich, sind die entsprechenden
Ausgaben--relativ--noch höher.

In den Augen mancher Bürger müßte heute daher eine
Unabhängigkeitserklärung mit der folgenden Zeile beginnen: "Uns
platzt der Kragen--wir nehmen es nicht länger hin."  Aber auch das
würde nicht heißen, daß sie wählen gehen.  Wenn fünfmal mehr Menschen
die vulgäre amerikanische Fernsehserie Married with Children
anschauen als sich an den amerikanischen Wahlen beteiligen, wird klar,
wie sehr Moral und intellektuelle Qualität von Politikern und
Bürgern einander entsprechen.  So zynisch diese Bemerkung klingt, sie
stellt nur fest, daß das politische Handeln jenseits der
Schriftkultur und die politischen Urteilskriterien nicht mehr den
politischen Erfahrungen der Schriftkultur folgen.

Ein Staat, der allein auf einer durch Schriftkultur und Sprache
genährten Politik beruht, ist auch in der Sprache ge- und befangen.
Die in der Sprache ausgedrückten Erfahrungen sind ihrem Wesen nach
nicht zwangsläufig demokratisch.  Das gilt z. B. für unsere
Bezeichnungen von Geschlecht, Rasse, gesellschaftlichem Status, Raum,
Zeit, Religion, Kunst und Sport.  Wenn sie erst einmal in die Sprache
eingegangen sind, leben sie einfach fort und beeinflussen jedes
politische Handeln.  Die Sprache ist nicht neutral, und noch weniger
ist es die schriftkulturelle Praxis.  Minderheitengruppen haben
völlig zu Recht darauf hingewiesen.  Zwar verhindert Schriftkultur
nicht jeglichen Wandel; sie läßt Wandel im schriftkulturellen Bereich
zu, solange sie auf den praktischen schriftkulturellen Erfahrungen
beruhen.  Aber wenn die Schriftkultur selbst in Frage gestellt wird,
wie es heute zunehmend geschieht, widersetzt sie sich diesem Wandel.

Wenn die Formulierung Verfall der moralischen Werte bedeutet, daß die
Politik die Erwartungen der Wähler nicht erfüllt, dann wären die
schlimmsten Befürchtungen gerechtfertigt; denn Politiker sind nicht
besser und nicht schlechter als ihre Wähler.  Aber heute führt nicht
mehr die individuelle Leistung zu Erfolg oder Mißlingen.
Integrationsformen schaffen neue Formen von Kooperation und
Wettbewerb.  Solche Prozesse werden von effizienteren Mitteln, d. h.
von Aufgabenteilung, Parallelität und gegenseitiger Überprüfung, von
Kooperation über Netzwerke, automatischen Planungs- und
Managementverfahren usw. betrieben.  Sie stehen im Einklang mit den
neuen Motivationen.  Wenn die romantische Vorstellung, daß die Besten
unsere Führer werden, wirklich zuträfe, hätten wir allen Grund, uns
über unsere Dummheit zu wundern.  Aber tatsächlich ist es irrelevant,
wer die politische Führung hat.  Der neue Effizienzgrad und das neue
erworbene Recht auf Wohlstand verweisen auf eine politische Praxis,
die von pragmatischen Kräften gesteuert ist.  Solche Kräfte sind vor
Ort am Werke und ergeben nur in einem Kontext direkter Effizienz Sinn.
Wir sollten sie nicht nur als selbstverständlich ansehen, sondern
auch zu verstehen versuchen, wie sie arbeiten und wie man sie lenken
kann.


Die Krabben haben pfeifen gelernt

Einige der heutigen politischen Systeme werden als Demokratien
angesehen, andere behaupten, es zu sein.  Einige gelten als
Diktaturen irgendeiner Art, und niemand würde dies als Qualifikation
akzeptieren.  Aber gleich, welche Bezeichnung man wählt, in all
diesen Systemen herrscht die Schriftkultur.  Manche halten
Schriftkultur und Bildung als für die Demokratie lebenswichtig; aber:
die größte Diktatur (der Ostblock) konnte einen hohen allgemeinen
Bildungsstand vorweisen.  Sie scheiterte, weil die zugrundeliegenden
Strukturmerkmale mit anderen Erfordernissen, vor allem pragmatischer
Art, kollidierten.

Ein Weltreich, das vierte in der geschichtlichen Abfolge nach dem
Osmanischen Reich, Österreich-Ungarn und dem Britischen Empire,
zerbrach.  Was das Scheitern des Sowjetreichs so wichtig macht, ist
die ihm zugrundeliegende Struktur.  Die früheren Mitglieder des RGW,
die osteuropäischen Staaten, die einst mit der Sowjetunion den
Ostblock bildeten, geben eine gute Fallstudie für die an der Dynamik
jenseits der Schriftkultur beteiligten Kräfte ab.  Während ich dieses
Buch schrieb, kam mir ein Ereignis zugute, das wohl kaum je
wiederholt wird: Eine feste Struktur menschlichen Handelns, die im
Grunde einem leicht veränderten Paradigma der Industriellen
Revolution folgte, sich selbst als Arbeiterparadies pries und unter
der Illusion eines messianischen Kollektivismus lebte, beharrte auf
Schriftkultur als seiner kulturellen Grundlage.

Selbst die schärfsten Kritiker des Systems mußten einräumen, daß das
allgemeine Bildungsprogramm zu den historischen Leistungen des
Kommunismus zu zählen ist.  Weite Teile der Bevölkerung, die vor der
Machtergreifung der Kommunisten nicht lesen und schreiben konnte,
wurden alphabetisiert.  So mangelhaft das Schulsystem vielleicht war,
es bot kostenlose und obligatorische Bildung, die wesentlich besser
war als das kostenlose Gesundheitssystem.  Die Ausbildungsoffensive
sollte neue Generationen auf produktive Aufgaben vorbereiten und jede
einzelne Person einem Indoktrinationsprogramm unterziehen, das über
das mächtige Medium der Schriftkultur ablief.  Noch Nikita
Chruschtschow erklärte: "Wer glaubt, daß wir die Lehren von Marx,
Engels und Lenin aufgeben, täuscht sich gewaltig.  Wer darauf wartet,
muß warten, bis die Krabben pfeifen können."  Als in Rußland die
Lenin-Statuen umgestürzt wurden und Marx’ Name gleichbedeutend mit
dem Scheitern des Kommunismus wurde, müssen die Menschen seltsame
Geräusche von Krustentieren vernommen haben.

Das abrupte und unerwartete Scheitern des kommunistischen Systems ist
der unerwartete Beweis für die Hauptthese dieses Buchs.  Der
Zusammenbruch des Sowjetsystems kann als das Scheitern einer Struktur
gesehen werden, die Schriftkultur als ihr wichtigstes Bildungs- und
Handlungsprinzip einsetzte und sich darauf verließ, um ihre
ideologischen Ziele innerhalb und außerhalb des Blocks zu verbreiten.
Nicht die Schriftkultur an sich scheiterte, aber die Strukturen,
welche ihr zu eigen sind: begrenzte Effizienz, sequentielle
praktische Erfahrungen der menschlichen Selbstkonstituierung in einer
hierarchisierten und zentralistischen Wirtschaft; deterministische
(somit implizit dualistische) Arbeitsverhältnisse, ein auf dem
industriellen Modell der Arbeitsteilung beruhendes Effizienzniveau,
eine der zentralen Planung unterworfene Vermittlung;
Undurchschaubarkeit, die sich in besessener Geheimhaltung äußerte,
und schließlich die fehlende Öffnung für die neue Skala der
Menschheit--kurz, ein pragmatischer Rahmen, dessen Merkmale sich in
der Schriftkultur zeigen.  Tatsächlich unternahm das kommunistische
System einiges, um Integration und Globalität zu bekämpfen.  Es hielt
an bestimmten nationalen und politischen Grenzen fest in der falschen
Annahme, daß Isolation einen gesteuerten und geordneten Waren- und
Gedankenaustausch zulassen würde; es hielt an der Verbreitung einer
Ideologie der Diktatur des Proletariats fest und übte Koexistenz mit
dem Rest der Welt in der Annahme, daß diese Schritt für Schritt zu
kommunistischen Werten konvertieren würde.

Alle schriftkulturellen Tätigkeiten--und das war fast alles--wurden
subventioniert.  In keinem anderen Teil der Welt unter keinem anderem
Regime wurden so viele Menschen so radikal der Schriftkultur
unterworfen.  Daß das System scheiterte, sollte niemanden dazu
veranlassen, die Leistungen der Menschen zu ignorieren, die unter
einem Banner, das ihnen nichts bedeutete, zwangsvereint waren: Große
künstlerische Leistungen, Dichtung und Musik, umfangreiche Pflege der
Volkskunst, spektakuläre Leistungen in Mathematik, Physik und Chemie
brachen unter Terror und Zensur hervor.  Als Künstler, Autor oder
Wissenschaftler zu überleben hieß, Kreativität zu erzwingen, wo es
fast keinen Raum mehr für sie gab.  In keinem anderen Regime dieser
Erde lasen die Menschen mehr, hörten sie mehr Musik, besuchten sie
Museen mit größerer Leidenschaft und sorgten sie füreinander im
Familien- und Freundeskreis.  Und sie taten es keineswegs nur deshalb,
weil sie sonst nichts zu tun hatten.

Es versteht sich von selbst, daß vor allem der Mißbrauch der Sprache
(im politischen Diskurs und im gesellschaftlichen Leben) zu der fast
einmütigen stillschweigenden Ablehnung des Systems führte, und mehr
noch in der stillschweigenden, feigen Komplizenschaft mit ihm.  Als
die schriftkulturelle Maschinerie des Ausspionierens der Bevölkerung
zerbrach, sahen sich die Menschen im unbarmherzigen Spiegel ihres
opportunistischen Selbstbetrugs.  Zu den historischen Dokumenten
gehören nicht nur Solschenizyns Romane, Jewtuschenkos Lyrik und
Schostakowitschs Musik, sondern auch das Schreckliche, was Freunde
über Freunde, Verwandte über Verwandte kolportiert haben.  Die
Deutschen waren, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht besser als
ihre faschistischen Führer; die Menschen im Sowjetblock waren, von
einigen Ausnahmen abgesehen, nicht besser als die Führer, die sie so
lange Zeit gewähren ließen.

Aber kein Ostblockexperte und keine Regierung hatten die Dynamik des
Umbruchs bemerkt.  Das System war wirtschaftlich bankrott, aber
militärisch immer noch lebensfähig (wenn auch überschätzt).  Die
Struktur, in der die Menschen ihr Potential verwirklichen
wollten--eines der Ideale des Kommunismus--bot wenig Anreize.  Die
Dynamik des Systems war dadurch stark beeinträchtigt, daß ein
überkommener pragmatischer Rahmen und ein Wertesystem künstlich
aufrechterhalten wurden, die für Wandel nicht geeignet waren,
insbesondere für den Wandel zur postindustriellen Gesellschaft, wie
er sich in der westlichen Welt vollzog.

Die Hauptereignisse, die zum Zusammenbruch führten, liefen auf den
Fernsehbildschirmen vor den Augen der Nationen ab, im Bann der
Dynamik von Liveübertragungen, für die die Schriftkultur und der
vorherige schriftkulturelle Gebrauch des Mediums nie gut ausgerüstet
waren.  Die Jagd auf Ceausescu in Rumänien, der Fall der Berliner
Mauer, die Ereignisse in Prag, Sofia und Tirana knüpften an den Geist
des Fernsehdramas aus den polnischen Werften an.  Während des
versuchten Putsches in der Sowjetunion nahm die Entwicklung
kurzfristig eine andere Wendung, verleugnete den schriftlichen Medien
quasi jegliche Rolle außer der des späten Chronisten.  Der erste
Unterricht in Sachen Demokratie vollzog sich über Videokassetten.
Verschiedene Netzwerke, von WTN (WorldWide Television News) bis zu
CNN, aber hauptsächlich die alte Technik des Faxgeräts besorgten den
Rest.  So primitiv die digitalen Netzwerke auch waren und in jenem
Teil der Welt noch immer sind, sie spielten eine wichtige Rolle.
Keine politischen Manifeste oder raffinierten ideologischen Dokumente
wurden verbreitet, sondern Bilder, Diagramme und Liveberichte.  In
der Zwischenzeit übernahm das Entertainment fast die gesamte
verfügbare Bandkapazität.  Der gesamte westliche Konsum der letzten
15 Jahre (Mode, Fast-food-Ketten, Softdrinks und Konsumelektronik)
durchdrang das Leben derer, deren Revolte unter dem Banner des Rechts
auf Konsum stattgefunden hatte.  Hier wie im Rest der Welt trennten
sich das Geistige und das Politische für immer.  Das Geistige bezieht
Alimente; das Politische wird der Treuhandverwalter.

Das System scheiterte am mangelnden Verständnis für die Faktoren, die
zu neuen produktiven Erfahrungen führen: eine optimale Interaktion
der Menschen, progressive Mediation und spezialisiertere Formen der
Selbstkonstituierung, Einrichtung von Netzwerken und deren
Koordination, individuelle Freiheit und frei gewählte Zwänge.
Ähnlich erging es den Kirchen im Ostblock.  Weil sie das Regime
ablehnten, gingen die Menschen in die Kirche, die ihrerseits eine
Hochburg schriftkultureller Praxis ist (unabhängig vom Buch oder von
den Büchern, die ihr programmatisch zugrunde liegen).  Sobald es der
Religion möglich war, ihre schriftkulturellen Merkmale durch die
Ausübung von Zwängen zu behaupten, ging die Zahl der Kirchgänger wie
überall auf der Welt zurück.

Viele Fragen sind noch offen.  Wie muß man z. B. im Kontext der
globalen Wirtschaft das Entstehen neuer Nationalstaaten und mächtiger
nationalistischer Bewegungen beurteilen, wenn der postnationale Staat
und die transnationale Welt schon Wirklichkeit geworden sind?  Die
Frage ist ihrem Wesen nach politisch.  Ihr Fokus liegt auf der
Identität.  Die Identität spiegelt alle Beziehungen wider, über die
die Menschen sich als Teil einer größeren Einheit
konstituieren--Stamm, Stadt, Region, Nation: Als Träger gemeinsamer
biologischer und kultureller Merkmale, gemeinsamer Werte, einer
gemeinsamen Religion, eines gemeinsamen Raum-, Zeit- und
Zukunftsgefühls.


Von Stammeshäuptlingen, Königen und Präsidenten

Veränderungen im Zustand praktischer menschlicher Erfahrungen bringen
Veränderungen in der Selbstidentifikation des Individuums und von
Gruppen mit sich.  Neue politische Erfahrungen, die immer noch
Erwartungen unterworfen sind, die von der Vergangenheit übernommen
wurden, setzen eigentlich nicht die Vergangenheit fort.  Entsprechend
verändert sich das Wesen politischer Erfahrungen.  Vorstellungen über
Führung, Organisation, Planung und Legalität werden neu definiert.
Aus den Stammeshäuptlingen wurden die Könige des Mittelalters und
schließlich die neuzeitlichen Präsidenten.  Es gibt jedoch keinen
Grund zur Annahme, daß bei verteilten Aufgaben und paralleler
Handlungsstruktur Zentralismus und Hierarchie die entscheidenden
politischen Prinzipien bleiben müssen.  Exekutive, Legislative und
Judikative setzen die Ideale der liberalen politischen Demokratie um,
wie sie für den pragmatischen Rahmen der Industriegesellschaft
wesentlich werden.  Doch sobald sich neue Umstände abzeichnen,
wandeln sich mit der Grundstruktur auch die Machtstrukturen.

In einem Rahmen nicht-hierarchischer Strukturen besteht z. B. kein
wirklicher Bedarf mehr am Präsidentenamt.  Theoretische Argumente
müssen durch Fakten bekräftigt werden.  Die neuen Lebensumstände
haben schon in vielen Ländern das Amt des Präsidenten auf reine
Repräsentationsfunktionen beschränkt.  Andere Staaten schränken die
Macht des Präsidenten durch Gesetze so sehr ein, daß sie diesen Namen
nicht mehr verdient.  Wirtschaftszyklen machen sogar die visionärsten
Staatsoberhäupter (so es sie denn gibt) zu bloßen Zuschauern von
Ereignissen, die sie nicht beeinflussen können.

Wer würde das Land repräsentieren, wenn die Funktion des
Staatsoberhauptes abgeschafft wäre?  Wie kann ein Land ein
geschlossenes, in sich konsistentes politisches System
aufrechterhalten?  Wer würde die Gesetze erlassen, wer umsetzen?
Solche Fragen ergeben sich ausnahmslos aus den Erwartungen der
Schriftkultur.  Dagegen fördert die radikale Dezentralisierung, die
sich jenseits der Schriftkultur durchsetzt, andere politische
Strukturen.  Der politisch interessierte Bürger ist ein Trugbild.
Die Wirklichkeit kennt Bürger, die ihre eigenen Ziele verfolgen,
welche allerdings politische Elemente beinhalten.  Die Schriftkultur
führte zu repräsentativen Formen der Politik, die schließlich die
Bürger vom Prozeß der politischen Entscheidungsbildung ausschloß.
Die wirklichen politischen Ideale sind nunmehr eine Sache effizienter
menschlicher Interaktion.  Für den Informationsaustausch über
Netzwerke, in denen Menschen gleicher Interessen kooperieren, ist die
Leistung eines Präsidenten völlig irrelevant.  Die für diese Vorgänge
relevanten Übereinkünfte, die sich auf gegenseitige Bedürfnisse und
zukünftige Entwicklungen richten, werden außerhalb der politischen
Institutionen getroffen, die nur noch wenig damit zu tun haben.

Die meisten politischen Aufgaben von Präsidenten,
Nationalversammlungen oder anderen politischen Institutionen ergeben
sich noch immer aus Formen, die für eine vergangene politische Praxis
charakteristisch sind.  Sie beruhen auf Bündnissen und
Verpflichtungen, die im Widerspruch zum pragmatischen Rahmen der
heutigen Welt stehen.  Die Tatsache, daß Staatsoberhäupter auch
Oberbefehlshaber der Armeen sind, stammt aus einer Zeit, in der der
stärkste Mann der Führer wurde.  Aber heute sind auch Frauen legitime
Kandidatinnen für ein Präsidentenamt.  Trotzdem haben
geschlechtsspezifische Vorurteile verhindert, daß Frauen die
militärische Kompetenz erlangen, die man von einem Oberbefehlshaber
erwartet.  Ein weiteres Beispiel: Warum muß ein Präsident beim
Begräbnis eines verstorbenen Staatsoberhauptes zugegen sein?  Die
Bande des Bluts verbanden einst Könige und Adel stärker miteinander
als politische Argumente; aber kein Verkehrsmittel konnte sie zu den
Verstorbenen bringen, bevor deren Verfall einsetzte.  Ein letztes
Lebewohl, das man heute anläßlich des Begräbnisses eines japanischen
Kaisers, eines muslimischen Führers oder eines atheistischen
Präsidenten wünscht, gehört zum politischen Theater, nicht zum
politischen Wesen.  Die teure und trügerische Inszenierung von
Staatsbegräbnissen, Gelöbnissen, Einweihungen, Paraden und
Staatsbesuchen ist oft nichts anderes als eine Übung in
Scheinheiligkeit.  Die Schauspiele gefallen nur, weil sie zynisch das
Bedürfnis des Volkes nach Spielen stillen.  Pragmatisch relevante
Verpflichtungen sind nicht mehr das Vorrecht von Staatsbürokratien,
sie wurden in andere Zusammenhänge eingebunden.  Wenn aber ein
Staatswesen historisch nicht sehr viel mehr ist als ein Ausdruck
archaischer Stammesinstinkte, dann hat sich die schriftkulturelle
Institution des Staates erübrigt.

Politische Heldenverehrung, Nationalismus im wirtschaftlichen Bereich
und ethnische Eitelkeit beeinträchtigen die Politik auf vielen Ebenen.
Der Nationalismus als eine Form kollektiven Stolzes und
psychologischer Ersatzbefriedigung für unterdrückte Triebe feiert
Goldmedaillen bei Olympischen Spielen, die Zahl der Nobelpreisträger
und die Errungenschaften in den Künsten und der Wissenschaft mit
einer Leidenschaft, die einen besseren Anlaß verdient hätte.  Stolz
und Vorurteilsgrenzen werden beibehalten, auch wo Staatsgrenzen de
facto nicht mehr existieren.  Wissenschaftliche Hochleistungen sind
nie in der völligen Isolation von der gelehrten Welt entstanden.  Das
Internet unterstützt--heute vielleicht noch nicht im gewünschten
Ausmaß--die Integration kreativer Anstrengungen und Ideen über
Grenzen hinweg. Die Kunst wird in ihm außerhalb des etablierten
Kunstgeschäfts gefördert.


Rhetorik und Politik

Politische Programme werden wie Hamburger, Autos, Alkohol,
Sportereignisse, Kunstwerke und Finanzdienstleistungen vermarktet.
Erfolg in der Politik wird eher nach Marktkriterien bewertet als nach
ihren immer flüchtigeren politischen Auswirkungen.  "Menschen wählen
nach ihrem Portmonnaie."  Aber wählen sie denn?  Eine Wahlnacht nach
der anderen zeigt, daß sie es nicht tun.  Früher waren Analphabeten
gewöhnlich von der Wahl ausgeschlossen, ebenso Frauen, Schwarze in
Amerika und Südafrika und Ausländer in vielen europäischen Staaten.

In einer idealen Welt würde sich der Höchstqualifizierte um ein
politisches Amt bewerben, würden alle wählen und würde das Ergebnis
alle glücklich machen.  Wie würde eine solche ideale Welt
funktionieren?  Worte würden Tatsachen entsprechen.  Die Belohnung
für politische Tätigkeit wäre die politische Erfahrung selbst, die
Genugtuung, anderen und somit sich selbst als Mitglied einer größeren
sozialen Familie zu nützen.  Das ist eine utopische Welt aus
perfekten Bürgern, deren Vernunft, die sich in der Sprache der
Schriftkultur ausdrückt, Hüter der Politik ist.  Wir sehen hier, wie
die Autorität des denkenden menschlichen Wesens etabliert und fast
automatisch mit Freiheit gleichgesetzt wird.  In vielen pragmatischen
Kontexten mußte sich Individualität der rationalen Notwendigkeit
anpassen, jedoch nie so ausgeprägt wie in dem Kontext, der sich die
Schriftkultur zu einer seiner Triebkräfte wählte.

Aus der Perspektive der Schriftkultur gesehen erwartet man, daß die
Erfahrungen der Selbstkonstituierung als gebildeter Schriftkundiger
die Menschen dazu führt, ihre Natur dem Prinzip der Schriftkultur zu
unterwerfen und darin Erfüllung zu finden.  Der Glaube, daß die
Bildung jemanden veranlaßt, ein Wort zu halten oder andere Menschen
zu respektieren, politische Erwartungen zu verstehen und seine
eigenen Gedanken zu formulieren, ist wohl eine Illusion.  Wenn
darüber hinaus Politik dazu führen würde, daß jeder die Werte der
Schriftkultur akzeptiert und sie als seine zweite Natur verinnerlicht,
müßten sich Konflikte lösen, alle Menschen am Wohlstand teilhaben
und sich zudem angemessen demokratisch und verantwortlich verhalten.
Der Gebildete müßte die Verpflichtung fühlen, anderen diese Bildung
einzuimpfen, wodurch sich die Muster der menschlichen Erfahrungen so
veränderten, daß sie die schriftkulturelle Vernunft schlechthin
verkörpern würden.  Isaiah Berlin hat neben anderen betont, daß der
Glaube an eine allumfassende Antwort auf alle sozialen Fragen nicht
zu halten ist.  Eher ist der Konflikt ein hervorstechendes Merkmal
der menschlichen Lage.  Dieser Konflikt entwickelt sich zwischen dem
Hang zu Vielfalt und Mannigfaltigkeit und der fast irrationalen
Erwartung, daß es eine einzige richtige Antwort auf unsere Probleme
gibt, die verfolgt zu werden sich lohnt und die erreicht werden kann,
wenn das zoon politikon den Primat der Vernunft über die Leidenschaft
anerkennt und statt eines chaotischen Individualismus freiwillig die
Anpassung an weithin geteilte Werte übt.

Unter den pragmatischen Umständen jenseits der Schriftkultur ist die
Erwartung, daß eine Wahl einstimmig oder mehrheitlich ausgeht, völlig
unwesentlich.  Wahlergebnisse sind ein ebenso guter Indikator für den
Zustand einer Gesellschaft wie Seismographen es für die Gefahr eines
Erdbebens sind.  Am Wahltag sind die Ergebnisse bekannt, nachdem die
ersten repräsentativen Stichproben genommen wurden.  Eigentlich sind
die Ergebnisse schon vor der Wahl bekannt.  Die verfügbaren
technischen Mittel würden es ermöglichen, daß die, die wählen
wollen--und die wissen, warum sie wählen--dies ohne größere Umstände
am Telefon tun könnten.  Auch die allgemein verbreitete Verkabelung
mit einem für das Wahlergebnis ausgerüsteten Zentralrechner könnte
diesen Zweck erfüllen.  Aber das würde nur einen Teil der Frage
beantworten.  Der zweite Teil bezieht sich darauf, was sie wählen
sollen.  Die politische Praxis bietet keine aufregenden
Wahlmöglichkeiten mehr.  Das auf Schriftkultur beruhende politische
Handeln ist undurchsichtig, fast unergründlich.  Also sieht sich der
Bürger nicht zum Engagement veranlaßt und nicht die Notwendigkeit,
sein Engagement durch den Urnengang auszudrücken.  Als ich den Text
dieses Buches für die Veröffentlichung revidierte, gab es noch einen
dritten Aspekt: die Annahme nämlich, daß Wählen eine Partizipation an
der demokratischen Macht ist.  Aber niemand, der sich der Dynamik der
heutigen Lebensumstände bewußt ist, wird den Begriff der Mehrheit mit
Demokratie gleichsetzen.

Unter den heutigen Arbeitsumständen kann kein Präsident, egal wie
mächtig er ist oder zu sein glaubt, und keine zentrale Regierung auf
die Ereignisse Einfluß nehmen, die für den Bürger wirklich wesentlich
sind.  Jenseits der Schriftkultur werden Alternativen zu Zentralismus,
Hierarchie, Sequentialität und Determinismus in der Politik erwartet.
Vor allem benötigen wir Alternativen zu dualistischen Strukturen,
ob im Zweiparteiensystem, der Gewaltenteilung zwischen Legislative
und Exekutive oder dem Gegensatz zwischen Gesetzestreue und
Illegalität.  Dies führt zu einer weit gestreuten Verteilung
politischer Ausgaben in Verbindung mit einer Politik, die Vorteile
aus den neuen strukturalen Bedingungen der Arbeits- und Lebenswelt
zieht.  Selbstbestimmung wird zu den zentralen politischen Werten
zählen.  Schnellere Lebensrhythmen, Globalität und die neuen
Skalen--in Politik und in der Lebenswelt allgemein--sprechen gegen
die schriftkulturelle Erwartung, daß Politik ein stabilisierender
Faktor der menschlichen Praxis sei.  Wenn die Politik ihrer Aufgabe
gerecht werden will, sollte sie die Umstände für bessere
Verhandlungen und Interaktionen zwischen den Menschen schaffen.  Nur
so kann man den Bürgern, die ihren Sinn für politische Verantwortung
und sogar ihren Glauben an Recht und Ordnung verloren haben, neue
politische Zuversicht geben.

In dieser global vernetzten Welt, in der die Skala von größter
Wichtigkeit ist, muß die Politik zwischen den vielen Ebenen
vermitteln, auf denen Menschen an dieser Globalität teilhaben.  In
diesem Zusammenhang ist die Regelung von Gütern und Rechten ein
wichtiger politischer Bereich.  Hier muß die Politik meinungs- und
wertebildend wirken.  Zum Beispiel liegt die wirkliche Macht der
Informationsverarbeitung in der Interaktion derer, die Zugriff darauf
haben.  Man sollte nicht gezwungen sein, Regeln, die aus dem feudalen
Besitz von Sprache oder aus dem industriellen Besitz von Maschinen
stammen, auf den freien Zugang zu Informationen oder zu Netzwerken
anzuwenden, die die gemeinschaftliche kreative Arbeit erleichtern.
Die politische Herausforderung liegt darin, das transparenteste
Umfeld zu liefern, ohne die Einheit der Interaktion zu
beeinträchtigen.  Angesichts des vielfältigen Selbstregelungsbedarfs
in diesem neuen Bereich muß sich auch die Legislative neu orientieren
und von ihren alten Denkstrukturen befreien.

Die Ereignisse werden nur dann einen positiven Verlauf nehmen, wenn
sie die politische Erfahrung individueller Machtzuweisung erlaubt.
Natürlich bergen eine größere Auswahl und breitere Möglichkeiten
spezifische Risiken in sich.  Hacking ist keineswegs neu.  Der
deutsche Kriegskode wurde geknackt, und viele Länder sind sehr darauf
bedacht, Hackern von Rang Ehre zu erweisen: Wissenschaftlern, die das
Geheimnis genetischer Kodes knacken, oder Spionen, die hinter
Geheimnisse des Feindes kommen.  Aus einer schriftkulturellen
politischen Perspektive kann man Hacking--eine sehr eigene Form
individueller Selbstkonstituierung--als kriminell bezeichnen.  Im
neuen pragmatischen Rahmen jenseits der Schriftkultur ist Hacking in
einem Bereich angesiedelt, dessen Eckpunkte aus Kreativität, Protest,
Erfindungsgeist, Nichtkonformität und krimineller Energie bestehen.
Die geeignete Antwort auf Hacker wäre kein Strafenkatalog
mittelalterlicher oder industrieller Prägung, sondern Transparenz,
die auf lange Sicht mögliche kriminelle Motive unterminiert.  Eine
Gesellschaft, die Kreativität sanktioniert, auch wenn diese auf
falsche Gebiete gelenkt ist, bestraft sich letztlich selbst.  Wer an
seinem Terminal für ein Unternehmen arbeitet, das in der ganzen Welt
produziert und soziale und wirtschaftliche Programme fördert, die
Bürgern vieler Kulturen, unterschiedlichen Glaubens,
unterschiedlicher Rassen, politischer Überzeugungen, sexueller
Neigungen, unterschiedlicher Geschichte und unterschiedlicher
Erwartungen zugute kommen, nimmt an der Weltpolitik mehr und
entscheidender teil, als all die Behörden und Bürokraten, die für
Aufgaben bezahlt werden, die sie nicht effektiv erfüllen können.
Wiederum ist es der pragmatische Rahmen, der uns zu Bürgern unseres
kleinen Dorfes oder unserer kleinen Stadt macht, der uns alle, auch
die Internetbürger, in die globale Welt integriert.


Die Justiz beurteilen

Diese kleine Abschweifung in der Diskussion über die Politik kann
damit gerechtfertigt werden, daß Gerechtigkeit eine Frage sowohl von
Politik als auch von Recht ist.  Die Anwendung der Gesetze ist die
Ausübung von Politik in kleinem Stil.  Politisches Handeln, das an
eine neue Auffassung von Recht und Justiz gebunden war, welche sich
an der industriellen Arbeitswelt orientierte, setzte nicht nur fest,
daß alle (oder fast alle) vor dem Gesetz gleich sind, sondern auch,
daß die Justiz ihren eigenen unabhängigen Weg geht.  Auch das
Rechtssystem unterlag dem historischen Wandel.  Früher lag das Recht
in der Verfügungsgewalt der Herrschenden.  Noch heute ist ein
Gouverneur oder Präsident in einigen Fällen die höchste
Appellationsinstanz.  Wie die Politik beruht das Recht auf der
Rhetorik, auf der Sprache als Vermittlungsmechanismus.

Was in unserem Zusammenhang interessiert, ist der Wandel der im
Rahmen der Schriftkultur ausgearbeiteten Gesetzeskodizes und der
Rechtspraxis der Schriftkultur.  Die Institution der Justiz und die
Rechtsberufe verkörpern Gerechtigkeitserwartungen im Rahmen einer
bestimmten Lebenspraxis.  Neue Länder wurden entdeckt, neues Eigentum
wurde geschaffen, und Maschinen und Menschen ermöglichten eine höhere
Produktivität.  Die Menschen kämpften um Rechte, der Zugang zur
Bildung wurde geöffnet, und die Welt wurde ein Ort neuer
Transaktionen, für die das Bodenrecht, das in Anlehnung an das
Naturrecht entstand, nicht mehr ausreichte.  In diesem Zusammenhang
erhob sich die Frage nach dem Wesen der menschlichen Rechte und
Verpflichtungen.  Im selben Zusammenhang begann aber auch die Sprache
der Rechtspraxis sich auf das heutige Juristenchinesisch hin zu
entwickeln, das kein normaler Mensch versteht, weil keiner es
verstehen soll.  Das lag in der Natur der Sprache, war aber auch
beabsichtigt.  Um mit der Ambiguität der Sprache fertig zu werden,
suchten die Juristen möglichst präzise Begriffe und unzweideutige
Formulierungen.

Die problematische Lage der Justiz zeigt sich daran, daß sie im
Bereich der politischen Praxis entwickelt wurde, nun jedoch politisch
unabhängig sein muß.  Die Göttin mit den verbundenen Augen, die die
Waage der Gerechtigkeit hält, soll objektiv und gerecht sein.  Die
Trennung von Judikative und Exekutive ist wohl die höchste
Errungenschaft des politischen Systems der Schriftkultur.  Aber es
ist zugleich das Gebiet, in dem sich mit Blick auf die veränderte
Lebenspraxis jenseits der Schriftkultur ein Wandel von entscheidender
Bedeutung vollzieht.  Vor allem gilt es, auch für diejenigen ein
gerechtes System zu schaffen, die sich weniger in dem durch die
Subjektivität der Machthaber abgesteckten Bereich und mehr im Bereich
der Informationsverarbeitung zu Hause fühlen.  Justitia mit den
verbundenen Augen benutzt schon jetzt Röntgenstrahlen, um Klagen und
Gegenklagen abzuwägen.  Modellierungen, Simulationen, Aussagen von
Genexperten und vieles mehr gehören bereits zum juristischen Alltag.
Der Kontext dieser Veränderungen wirft ein Licht auf ihre politische
Bedeutung.  Wenn die Praxis von Politik und Justiz total getrennt
wäre, würde die Effizienz beider darunter leiden.

Die Politik förderte veränderte Einstellungen zu Demokratie,
Bürgerrechten, politischer Macht und sozialer Sicherung.  Sie
entmystifizierte die Herkunft, Funktion und Rolle des Eigentums und
förderte eine relativere Sicht dieser Dinge sowie die Etablierung
allgemeingültiger Werte.  Daher sollte die Justiz, die die Rechte der
einzelnen schützen soll, sich in Fragen der Gerechtigkeit nicht mit
dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufriedengeben.  Wenn man dieses
Ideal an der juristischen Praxis mißt, ist dies fast schon ein
masochistisches Unterfangen.  Die stetig und rasch zunehmenden
Interaktionen über Marktmechanismen wurden von Konfliktmomenten und
Verhandlungserwartungen begleitet.  Ohne jeden Zweifel wird die
wichtigste Vermittlungsfunktion heutzutage von Juristen ausgeübt.

Aufgrund der ihr eigenen Dynamik erfaßt die juristische Praxis jede
Art der allgemeinen Lebenspraxis, von multinationalen Geschäften bis
hin zu individuellen Beziehungen.  In jüngster Zeit sucht sie ihren
Platz in der Welt der neuen Medien, in der das Copyright und der
Konflikt zwischen privatem Recht und öffentlichem Zugang der Lösung
bedürfen.  Man kann also nicht sagen, daß das Recht im Gegensatz zur
Politik nicht proaktiv ist.  Das Problem dabei ist, daß es in den
Kontext der Schriftkultur eingebunden bleibt, und zwar so, daß die
Form wichtiger als der Inhalt wird und am Wesentlichen vorbei zielt.
Früher war Latein die Rechtssprache und erinnert daran, wo die
Rechtspraxis der westlichen Welt ihren Ursprung hat.  Heute können
nur wenige Rechtsanwälte Latein.  Aber ihre eigene Sprache
beherrschen sie vorzüglich.

Juristenchinesisch wird mit dem Versuch gerechtfertigt, in einer
gegebenen Situation Doppeldeutigkeiten vermeiden zu müssen.  Daran
wäre nichts falsch.  Es ist jedoch falsch, wenn die Rechtssprache und
die in der Rechtssprache kodifizierten Verfahren nicht der
pragmatischen Erwartung der Gerechtigkeit entsprechen.  Recht und
Gerechtigkeit sind nicht dasselbe, und jeder könnte hierfür ein
Beispiel anführen.  Tatsächlich dient das Recht der Schriftkultur
nicht der Gerechtigkeit.  Sein Zweck liegt oft genug daran, einen
Klienten freizusprechen.  Ist ein Anwalt des Rechts seinen Klienten
oder der Gerechtigkeit gegenüber verpflichtet?  Die Wirklichkeit
dürfte von der Erwartung der Bürger ziemlich weit entfernt sein.
Daher verliert die Justiz ihre Glaubwürdigkeit, weil sie durch ihre
Praxis den Geist des Gesellschaftsvertrags aushöhlt.

Kritik an Richtern und Anwälten ist so alt wie der Berufsstand.  Hier
möchte ich mich nicht einreihen.  Wichtig ist zu zeigen, daß selbst,
wenn Gerechtigkeit herrschen würde, die Gesetze und Methoden der
Justiz nicht für ewig gelten können.  Einige Taten, die die
Gesellschaft früher akzeptierte--Kindesmißhandlung, sexuelle
Belästigung, Rassendiskriminierung--, gelten heute als illegal und
als ungerecht.  Andere Verbrechen (Pfeifen am Sonntag, Küssen des
Gatten in der Öffentlichkeit, Sonntagsarbeit, um einige Beispiele aus
den USA zu geben) werden nicht mehr als Rechtsbruch angesehen.
Entscheidend ist die Einsicht, daß sich mit den Veränderungen der
Lebenspraxis die Bezugsrahmen verändern--für Moral und für Legalität.

Haben Juristen diese neue Situation geschaffen?  Oder sind sie das
Ergebnis der neuen menschlichen Beziehungen, die sich aus neuen
pragmatischen Umständen ergeben haben?  Wer beurteilt, ob das
Justizsystem den neuen Erwartungen entspricht?  Keine dieser Fragen
ist leicht zu beantworten.  Wenn Justiz die menschlichen Erwartungen
gestalten soll, muß sie deren Wesen begreifen und widerspiegeln und
muß im Hinblick auf die Rechte, die die Menschen in neue praktische
Erfahrungen ihrer Selbstdefinition einbringen, ihre eigene
Perspektive definieren.  Es ist schön und gut, wenn das Rechtssystem
Mittel verwendet wie DNABeweisstücke, Videoaufnahmen und Internet,
die sich alle jenseits der Schriftkultur etabliert haben, aber wenn
sie dann alle den schriftkulturellen Winkelzügen unterworfen werden,
ist die ganze Anstrengung umsonst gewesen.


Das programmierte Parlament

Praktische Politik bedeutet nicht Wahlen, sondern die alltägliche
Routinearbeit zur Lösung von Aufgaben, die für die durch die Politik
vertretenen Menschen von Belang sind.  Wenn wir die Parteibindung
einmal außer acht lassen, dann ist das Ziel die Erhaltung oder
Verbesserung des Gemeinwohls.  Die Gesetzgebung durch das Parlament
setzt eine Tradition fort, die vor der Schriftkultur liegt.  Dennoch
wurde eine effektive Gesetzgebung erst innerhalb des pragmatischen
Rahmens möglich, der Schriftkultur hervorbrachte.  Sobald die
Schriftkultur ihr Potential erreicht hatte, wurden neue Mittel für
die politische Praxis der Gesetzgebung notwendig.  Hinter allem steht
die Erwartung, daß der Gesetzgebungsprozeß den praktischen
Bedürfnissen Rechnung tragen sollte, die in einem Kontext raschen
Wandels auftreten.  Hier wie in anderen Bereichen kollidieren die
Kräfte, die am Werk sind.

Obwohl schriftkulturelle Perspektiven und Methoden der Gesetzgebung
nicht mehr ausreichend sind für Themen aus einem pragmatischen Rahmen,
der das schriftkulturelle Paradigma in Frage stellt, scheinen die
Politiker nicht willens zu sein, die Notwendigkeit des Wandels
einzusehen.  Sie finden es nützlicher--und leichter zu
rechtfertigen--, schriftkulturelle Bildung gesetzlich zu verstärken,
statt das gesamte Bildungssystem auf den neuen Bedarf hin neu zu
bedenken.  Sie alle akzeptieren zwar Expertenwissen,
Informationsnetzwerke, bedienen sich dieser Mittel auch, um ihre
Programme zu verbreiten, arbeiten aber unter Beschränkungen, die sich
aus der schriftkulturellen Praxis der Politik ergeben.  Daß in einem
Zeitalter grenzenloser Kommunikation Fraktionssprecher
hochkomplizierte politische Programme praktisch vor leeren Stühlen
präsentieren, ist schwer vorzustellen.  Es fällt ebenfalls schwer zu
glauben, daß man dabei an einer Sprache festhält, die in Erfahrungen
längst vergangener Zeiten wurzelt und die sich mehrfach als
ineffektiv erwiesen hat.  Viele parlamentarische Verfahren laufen
darüber hinaus nach einem Protokoll ab, das viel mit dem Vergangenen
und nichts mit der Gegenwart zu tun hat.  Wie im Falle der Justiz
sind Symbole offenbar wichtiger als Inhalte.

Dennoch gibt es unter dem Druck der Effizienzerwartungen auch
Veränderungen.  Abgesehen von den durchaus nicht immer relevanten
Inhalten erschöpfen sich die Gesetzgebungsverfahren nicht mehr in
überzeugender Formulierung und formaler Logik.  Sie spiegeln
zunehmend die globalen Erwartungen wider und greifen gern auf
Vermittlungstechnologien und Aufgabenverteilungsstrategien oder
Interaktivität zurück.  Elektronische Modellierung und
Simulationsmethoden werden ausprobiert.  Die neuen Methoden der
Informationsbeschaffung sparen den Parlamentariern viel Zeit.
Berater und Angestellte wenden leistungsstarke Wissensfilter an, um
nur die themenrelevanten Informationen in den politischen Prozeß
einfließen zu lassen.  Politiker wissen, daß Wissen--zur richtigen
Zeit und im richtigen Zusammenhang--Macht ist.  Die Mitglieder
computerisierter Parlamente wissen auch, daß jeder die Daten zur
Verfügung hat, aber nur wenige diese effektiv verarbeiten oder
effektiv damit umgehen können.  Tatsächlich entwickeln die Parteien
Bearbeitungsprogramme, die den Politikern in öffentlichen
Diskussionen oder in Parlamentsdebatten überzeugendere Argumente an
die Hand geben.  Die durch die neue Technologie erzeugte Transparenz
stellt den öffentlichen Zugang zur Diskussion sicher.  Politischer
Wettbewerb ist eine Frage des intelligenten Gebrauchs solcher Daten.
Macht ergibt sich aus der Fähigkeit zur Informationsverarbeitung,
nicht aus der Menge der gespeicherten Informationen.

Diese verkürzte Darstellung klingt wie ein Vorgriff auf die Zukunft.
Das ist es aber nicht.  Zwar steht der Prozeß noch am Anfang, aber er
ist unvermeidbar.  Er wird früher oder später solche Komponenten wie
Amtszeit--die lange Amtsdauer eines Volksvertreters spiegelt
schriftkulturelle Ideale wider--öffentliche Evaluationsverfahren,
Kandidatur und Wahlmodus beeinflussen.  Er wird auch ein Überdenken
der Beziehung zwischen Politikern und Wahlkreisen erfordern.  Auch
Motive und Methoden der Gesetzgebung und ihre Legitimität könnten
sinnvoll überdacht werden.  Erhöhte Vermittlung beeinflußt den
Zusammenhang zwischen Fakten und politischen Taten.  Wenn die neuen
Kommunikationsmittel keine persönliche Interaktion zwischen
Politikern und Wählern gestatten, wird die Öffentlichkeit weiterhin
von der Politik entfremdet bleiben.  Politik in den Massenmedien
gehört bereits der Vergangenheit an--nicht weil das Fernsehen vom
Internet überholt worden ist, sondern wegen der Notwendigkeit, die
individuelle Motivierung zum politischen Handeln zu fördern.
Politische Effizienz beruht auf menschlicher Interaktion.  Nicht das
Medium zählt, sondern das, was durch das Medium erreicht wird.

Einen Gesetzesrahmen zu schaffen, der dieser neuen Natur der
menschlichen Beziehungen und dem neuen pragmatischen Kontext Rechnung
trägt, heißt, das Wesen der Prozesse zu verstehen, die den Umbruch
herbeigeführt haben.  Die Konsolidierung der Bürokratie hilft diesem
Verständnis genauso wenig wie die Beibehaltung der Monarchie und des
Oberhauses in Großbritannien.  Einen Sinn für diesen Prozeß kann man
nur dann entwickeln, wenn der politische Prozeß selbst auf die
vorherrschende Pragmatik abgestimmt wird.


Eine Schlacht, die wir gewinnen müssen

Als Kunst der Koalitionsbildung (und -auflösung) ist die Politik
heute eine Epitomisierung allgemeiner menschlicher Praxis.
Berufspolitiker entwickeln Strategien für die Koalitionsbildung und
finden die effektivsten Interaktionsmuster für ein bestimmtes
politisches Ziel heraus.  Sie entwickeln eine eigene Sprache und
eigene Kriterien der Effizienzbewertung für ihre hochspezialisierte
Praxis.

Die Effizienzbesessenheit in der Politik und anderswo kommt nicht von
Kräften, die außerhalb von uns liegen.  Und die Übertragung von
Verantwortlichkeiten führt nicht zu enttäuschten Politikern,
Philosophen oder Pädagogen.  Die kürzeren politischen Zyklen, die wir
heute antreffen, entsprechen der Dynamik einer Praxis, die sich auf
das Unmittelbare im Rahmen eines globalen Daseins konzentriert.
Offenbar vollzieht sich ein Übergang vom begrenzten kommunalen Leben,
das nach Kontinuität und Beständigkeit strebt, zu einer globalen
Gemeinschaft interagierender Individuen, deren Identität selbst
variabel ist und die bereit sind, sich auf Diskontinuität und Wandel
einzulassen.  In diesem Universum können die Handlungen nicht mehr
über große integrative Mechanismen wie Sprache oder Behörden
koordiniert werden.  Eine Alternative hierzu wären begrenzte
Operationen, die ihrem Wesen nach Koalitionen entsprechen würden, die
man durch Meinungsumfragen oder elektronische Stimmabgabe vorab
testet und die man den raschen Veränderungen anpassen könnte.  Auch
das geschieht inzwischen.

Monarchien symbolisieren die Ewigkeit der Herrschaft; Verträge unter
Monarchen sollten die Monarchen überleben.  Der Zugang zu einer 15
Minuten währenden politischen Macht, der in einigen Teilen der Welt
alles andere als eine Metapher darstellt, ist so wichtig wie jede
andere Form der Berühmtheit, da politische Prozesse und
Machtverhältnisse immer weniger miteinander zu tun haben und von der
Fixierung auf Universalität und Zeitlosigkeit befreit sind.  Eine 15
Minuten bestehende Koalition ist so entscheidend wie der Zugang zur
Macht und so nützlich wie die von den daran beteiligten Menschen
akzeptierten neuen Prinzipien.  Statt eines Top-down-Modells finden
wir in der Politik zunehmend eine Kombination von Top-down- und
Bottom-up-Modellen.  Unter diesen Umständen bleibt die
Koalitionsbildung eine der wenigen verbliebenen wichtigen politischen
Aufgaben.  Die Zentren der politischen Macht--Wirtschaft, Recht,
Interessengruppen--stellen Pole dar, um die solche Koalitionen
gebildet oder aufgelöst werden.  Die neue Mitte in Deutschland ist
nur ein Name für eine Koalitionsbildung.  An und für sich kann man
schwer die Linke in der Mitte plazieren.

Man muß sich fragen, ob solche Koalitionen nicht in der universalen
Sprache der Schriftkultur entstehen können.  Die Schriftkultur wird
ja mit dem Argument verteidigt, daß sie einen gemeinsamen Nenner
darstellt.  Was man dabei vergißt, ist der Umstand, daß Koalitionen
nicht unabhängig von ihrem Ausdrucksmedium sind.  Auf Schriftkultur
beruhende Koalitionen verfolgen Ziele und Handlungen, die mit dem sie
erfordernden pragmatischen Rahmen im Einklang stehen.  Bedürfnisse,
die mit diesem pragmatischen Kontext nicht übereinstimmen, erfordern
andere Mittel der Koalitionsbildung.  Wenn die Führer der
wirtschaftlich stärksten Industrieländer sich auf feste Wechselkurse
einigen oder wenn Freund und Feind eine politische Koalition gegen
eine Invasion eingehen, die einen Präzedenzfall schaffen und
Konsequenzen für die globale Wirtschaft haben könnte, dann kann es
den Anschein haben, als seien schriftkulturelle Mittel verwendet
worden.  Tatsächlich aber sind diese Mittel weitgehend wort- und
schriftlos.  Sie ergeben sich aus Datenverarbeitung und
Verhaltenssimulation auf Finanzmärkten, aus Szenarien der virtuellen
Wirklichkeit, die zu Handlungen führen, die kein Drehbuch vorher
beschreiben könnte.  Während die Politiker vielleicht noch nach einem
Drehbuch handeln, wählen die Machtzentren die effizientesten Mittel,
um neue Koalitionen zu evaluieren.  Folglich besteht kaum ein
Zusammenhang zwischen der Autorität politischer Institutionen, die
auf schriftkulturellen Voraussetzungen beruhen, und der Dynamik von
Koalitionen, die den pragmatischen Rahmen jenseits der Schriftkultur
widerspiegeln.

Das Gefühl vom Anfang geht weit über die neuen Staaten, die neuen
politischen Mittel oder die Kunst der Koalitionsbildung hinaus.  Es
ist ein Neuanfang für das neue zoon politikon, für ein
gesellschaftliches Wesen, das die meisten seiner gesellschaftlichen
Wurzeln verloren hat und dessen menschliche Natur wohl eher mit
politischen Trieben als mit kulturellen Leistungen zu definieren ist.
Kultur spielt eigentlich keine Rolle mehr.  Kultur kann man
schließlich nicht mit sich herumtragen.  Aber man kann auch sein
Dasein nicht ohne politische Mittel aushandeln, die dem neuen
gesellschaftlichen Zustand entsprechen, welcher sich strukturell von
allem Vorausgegangenen unterscheidet.  Das auf sich zentrierte
Individuum kann nicht umhin, mit anderen in Beziehung zu treten und
sich in bezug auf sie zu definieren: "We Am a Virtual Community"
("Wir bin eine virtuelle Gemeinschaft") ist nicht nur ein
anspielungsreicher Titel (von Earl Babble) eines Artikels über
Interaktionen im Internet, sondern eine genaue Beschreibung der
heutigen politischen Welt.  Die spezifischen Beziehungsformen, gerade
auch die Wir-binFraktion, sind vielen Faktoren unterworfen, nicht
zuletzt der biologischen und kognitiven Neudefinition des Menschen.
Wenn alles, buchstäblich alles, möglich und akzeptabel ist, muß das
zoon politikon neue Wege für seine Entscheidungen und Ziele finden,
ohne dabei Gefahr zu laufen, seine Identität zu verlieren.  Das ist
wohl die entscheidende politische Schlacht, die die Menschen noch
gewinnen müssen.



Kapitel 6:


Gehorsam ist alles

Elektronische Hochpräzisionsaugen auf erdumkreisenden Satelliten
nahmen das Abfeuern der Rakete und die Startparameter auf.  Daten
wurden zur Verarbeitung an ein Computerzentrum weitergeleitet, die
verarbeiteten Informationen, Spezifizierungswinkel, Abfeuerungszeit
und Flugbahn wurden an AntiRaketenflugkörper weitergegeben, die auf
das Abfangen von Feindattacken programmiert waren.  Das System--eine
riesige verteilte gut verbundene Konfiguration--vereinigt Sachwissen
aus elektronischen Sichtvorrichtungen, in einer Software kodiertes
Wissen, mit deren Hilfe man Raketenumlaufbahnen (auf der Grundlage
von Startzeit, Position, Winkel, Geschwindigkeit, Gewicht und
meteorologischen Gegebenheiten) berechnen kann, schnelle
Übertragungsnetze und automatische Positionierung sowie
Auslösevorrichtungen.

Dieses integrierte System hat schriftgebundene Formen der praktischen
Kriegsführung ersetzt.  Statt der Handbücher, die früher viele für
das Militärpersonal wichtige Parameter und Einsätze beschrieben haben,
enthalten jetzt Computerprogramme diese Informationen.  Die
Programme erübrigen lange Ausbildungszeiten, teure Militärmanöver und
die ständige Überprüfung von Handbüchern auf ihre Aktualität.
Verteiltes Wissen und Vernetzung haben den Befehl von oben ersetzt.
Das beschriebene System enthält eine Vielzahl von
Vermittlungskomponenten, die höchst effiziente Kriege ermöglichen.

Weitere Episoden aus dem Golfkrieg liefern Beispiele, die der
relativen Vernichtung der berüchtigten (und ineffektiven)
SCUD-Raketen ähneln, so z. B. die insgesamt 100 Stunden dauernde
sogenannte Bodenschlacht.  Diese Schlacht veranschaulichte die
tödliche Kraft von Artillerie und Panzern, die Effizienz der
Modellierung und der Simulation sowie Planungs- und Testmethoden, die
unabhängig von schriftlich fixierter Militärstrategie und -taktik
operieren.  Die Armee des Feindes war nach Prinzipien organisiert,
die aus dem pragmatischen Rahmen der Schriftlichkeit hergeleitet
waren: zentralisierte Kommandostrukturen, eine strenge Hierarchie,
moderne Militärausrüstung, die Teil eines hauptsächlich sequentiellen
und deterministischen Kriegsplans war und auf einer Logik
langfristiger Auseinandersetzungen aufbaute.


Der erste Krieg jenseits der Schriftkultur

Dieses Kapitel wurde--die einleitenden Zeilen ausgenommen--konzipiert,
als niemand den Konflikt im Arabischen Golf unter Beteiligung
amerikanischer Truppen voraussah.  Im Verlauf dieses Krieges wurden
alle theoretischen Argumente zur Institution des Militärs jenseits
der Schriftkultur einem leibhaftigen Test unterzogen, vermutlich weit
über unser aller Erwartungen und Wünsche hinaus.  Der in den Medien
dargestellte Golfkrieg erinnerte an ein Computerspiel oder eine
Fernsehshow.  Beim Zuschauen gewann ich den Eindruck, als ob jemand
einen Teil meines Textes genommen und über die Nachrichtenkanäle
übertragen hätte.  Die Geschichte gab gute Schlagzeilen ab; aber aus
dem Kontext gerissen, bzw. auf den Kontext einer auf einen
Fernsehbildschirm reduzierten Wirklichkeit beschränkt, blieb ihre
Gesamtbedeutung unklar.  In mancherlei Hinsicht wurde der bewaffnete
Konflikt letztlich trivialisiert, eine weitere Vorabendserie, ein
Zuschauersport.  Andere Berichterstattungen informierten über die
Frustrationen in der Truppe hinsichtlich der knappen Zahl an
Telefonleitungen.  Auch hieß es, daß der traditionelle Brief durch
die Videokassette ersetzt wurde.  Wir erfuhren ebenfalls von einer
fast schon magischen Vorrichtung namens CNX, die allen, die auf
diesem riesigen Wüstenkriegsschauplatz dienten, zur Orientierung
verhalf.  Man berichtete desweiteren über die vorgefertigten
Lebensmittel mit ihren exotischen Namen und über den Zeitvertreib der
Truppen.

Schließlich geriet der Kontext mehr in den Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit.  Dies sollte der erste Krieg einer Zivilisation
jenseits der Schriftkultur werden: eine äußerst effiziente (das Wort
erhält hier eine ungewollt zynische Konnotation) Aktivität, die nicht
sequentielle, größtenteils parallel verlaufende praktische
Erfahrungen beinhaltet.  Hierfür war präzise Synchronisation (jedes
Versagen kostete Opfer vor dem euphemistisch umschriebenen
"verbündeten Feuer"), verteilte Entscheidungsfindung, intensive
Vermittlung, höchste Spezialisierung und Aufgabenverteilung notwendig.
Diese Merkmale verkörperten eine Ideologie von relativem Wert, die
vom politischen Diskurs und moralischen Prinzipien losgelöst war.
Niemand erwartete von diesem Krieg, daß er Pfeil und Bogen oder gar
das Rad neu erfinden würde.  Möglicherweise hatten einige Offiziere
von einem Buch mit dem Titel Die Kunst des Kriegs (verfaßt von Sun
Tzu 325 v.  Chr. oder früher) schon einmal gehört oder von anderen
einschlägigen Büchern, die die Bibliotheken der Militärakademien und
der renommierten Forschungseinrichtungen füllen.  Aber dieser Krieg
wurde nicht für das Buch, im Namen des einen Buches (Koran oder
Bibel) geführt, und auch nicht auf eine Art und Weise, wie sie in
Büchern beschrieben ist.  In gewisser Weise war der Golfkrieg
wahrhaftig die "Mutter aller Schlachten", indem er die Regeln des
Krieges neu formulierte--oder sich von ihnen verabschiedete.

Alle Merkmale der Zivilisation jenseits der Schriftkultur finden sich
in den praktischen Erfahrungen des heutigen Militärs.
Hochvermittelte Praxis mit Hilfe von digitalen Speichern und Abrufen
von Informationen; die Ablösung früherer wirtschaftlicher Knappheit
in Kriegszeiten durch einen Überfluß an Verteidigungs- und
Zerstörungseinrichtungen; Ersatz der kriegsrelevanten Fakten (deren
Ermittlung das Eindringen in feindliches Terrain erforderte) durch
Bilder und Bildverarbeitungstechnologien; eine Verschiebung von einer
hierarchischen Struktur strenger Autoritäts- und Befehlslinien zu
einem relativ offenen Kontext, der die Entscheidung den einzelnen
Soldaten weitgehend überläßt; an Stelle von Entbehrung und Isolation
von allen nicht-militärischen Bereichen (Bedingungen, die früher als
Teil einer Militärkarriere akzeptiert waren), Freizeit und
Vergnügungen, die sich aus der allgemeinen Permissivität der
Gesellschaft ergaben.  Daß einige dieser Erwartungen unerfüllt
blieben, wurde kritisiert, aber nicht wirklich verstanden.  Die
Gastgeber der amerikanischen Armee leben nach anderen Maßstäben.  Das
muslimische Gesetz verbietet Alkohol und bestimmte Formen der
Unterhaltung ebenso wie das Beerdigen von Ungläubigen in einem Land,
das sich als heilig versteht.

Der Golfkrieg war an seinen verschiedenen Fronten kein Krieg
unvereinbarer Religionen, Moralvorstellungen oder Kulturen.  Es
handelte sich um einen Konflikt zwischen einer künstlich erhaltenen
Schriftkultur, in der reiche Ölvorräte als Puffer gegen
Effizienzmaßnahmen in allen Bereichen des Lebens dienten, und einer
anderen Zivilisation, die durch Schriftlosigkeit sowie durch eine
nach Energie dürstende, globale Wirtschaft mit hoher Effizienzdynamik
gekennzeichnet ist.  Die Schlußoffensive mag Kriegsgeschichtler und
Militärstrategen an das Überraschungsmanöver des Epaminondas (371 v.
Chr.) in der Schlacht von Leuctra erinnert haben: statt eines
Frontalangriffs ein Angriff auf eine Flanke.  General Schwartzkopf
ist kein Epaminondas.  Seine Mission war erfolgreich, weil die
Aufgaben in einer internationalen Armee--eher ein Fluch als ein
Segen--verteilt waren, was zu vielen Flanken führte.  Helmuth von
Moltke änderte im deutsch-französischen Krieg (1870/71) die
Befehlsstruktur zu den untergebenen Offizieren, indem er sie unter
sehr weitgefaßten Richtlinien agieren ließ.  Die Generäle und
Kommandeure der zahlreichen am Golfkrieg beteiligten Armeen nutzten
die Vorteile der Netzwerke und führten einen Angriff mit höchst
effizienten und kostspieligen Vernichtungstechnologien nach einem
Plan, der von den heutigen Computern wiederholt simuliert wurde.

Da ich aber schon eingeräumt habe, daß ich einen Großteil dieses
Kapitels drei Jahre vor dem Golfkrieg geschrieben habe, könnte man
einwenden, daß ich den Krieg durch die Brille meiner Hypothese
betrachtet und nur das gesehen habe, was ich sehen wollte, um mein
Modell bestätigt zu sehen.  Ich glaube aber, daß ich die
Argumentation in der ursprünglichen Fassung beibehalten sollte, so
daß die Ergebnisse die angebotenen Antworten kommentieren mögen.


Krieg als praktische Erfahrung

"Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln",
schrieb Carl von Clausewitz (Über den Krieg, 1818).  Es ist schwierig,
dem zu widersprechen, aber man könnte diese Feststellung historisch
relativieren und folgendermaßen paraphrasieren: Krieg ist die
Fortsetzung des Überlebenskampfes einer Gesellschaft, die die
verfügbaren Ressourcen zu kontrollieren und zu verteilen beansprucht.
Entsprechend orientiert sich der Kampf an den Strukturen anderer
praktischer Erfahrungen.  Die Jagd--eine frühe Kampferfahrung ohne
menschlichen Gegner--erforderte Waffen, die schließlich auch zum
Krieg taugten.  Es waren die Werkzeuge, die die primitiven Menschen
nutzten, um Nahrung zum eigenen Überleben und für das Überleben der
Gemeinschaft zu beschaffen.  Zukünftige Aspekte dieser Aktivitäten
und die damit assoziierten moralischen Werte lassen uns manchmal
vergessen, daß die synkretistische Natur der Menschen, d. h. die
Projektion natürlicher Anlagen in die praktische Erfahrung, im
Synkretismus der benutzten Werkzeuge zum Ausdruck kommt.  Dieser
Synkretismus ergab sich aus der Arbeitsteilung, deren frühes Ergebnis
der Berufssoldat ist.

In dem Maße, in dem sich die militärischen Werkzeuge von den
Arbeitswerkzeugen zu unterscheiden begannen, trat eine konzeptuelle
Komponente (Taktik und Strategie) hinzu.  Sie bestand aus einer
bestimmten Abfolge, einer eigenen Logik und einer Methode, auf
Feindesmanöver zu reagieren.  Von Clausewitz betonte ausdrücklich,
daß der Krieg eine Fortsetzung der Politik ist; frühere Äußerungen zu
diesem Thema behandelten den Krieg als Teil der Lebenspraxis.  Zwei
byzantinische Herrscher, Maurice (539-602) und Leo der Weise
(836-911) versuchten militärische Strategien und Taktiken pragmatisch
zu begründen.  Ihnen zufolge bestimmt der pragmatische Rahmen die
Natur des Konflikts, die Kriegsbedingungen und die Waffen.
Tatsächlich stand jede uns bekannte Veränderung in der militärischen
Ausrüstung im Einklang mit den Veränderungen der Praxiserfahrungen
einer Gesellschaft.  Die Erfindung des Steigbügels durch die Chinesen
(600) verbesserte deren Reitkünste.  Dies ermöglichte eine
Kriegsführung, in der das Rückgrat der Schlachtformation nicht mehr
aus Fußsoldaten, sondern aus berittenen Soldaten bestand.
Mechanische Apparate (z. B. das im Jahr 1100 erwähnte Trebuchet) zum
Schleudern großer Steine oder anderer Wurfgeschosse verlagerten die
Kriegsanstrengungen von umfangreichen Verteidigungsmaßnahmen (die vor
dem 14. Jahrhundert erbauten Festungen, Stadtmauern und Burgen) hin
zu Offensivstrategien.  Das gleiche galt für die Kanonen, die die
Türken bei der Eroberung Konstantinopels (1453) einsetzten.  Aber
nicht die militärische Praxis als solche interessiert uns, sondern
ihre Bedeutung für die Sprache und die Schriftkultur.

In einer begrenzten Skala menschlicher Aktivitäten mit vielen
autarken, kleinen Gruppen bestand kaum ein Bedarf an organisierter
Kriegsführung oder an speziell ausgebildeten Soldaten.  Rudimentäre
militärische Praxis mit ihren beiden Komponenten von Angriff und
Verteidigung wurde erst in einer erweiterten Skala relevant.  Diese
Entwicklung vollzog sich parallel zur Entstehung der Sprache,
besonders der Schrift.  Das erwähnte Buch von Sun Tzu und weitere
frühe Zeugnisse von Kriegen (in Mythologie, religiösen Werken, Epen
und philosophischen Texten) sind hier zu nennen.  Diese militärische
Praxis vereinte Überlebenstechniken und -werkzeuge, wie zum Beispiel
Jagen und die Abgrenzung und Bewachung des Gebiets, das die Nahrung
lieferte.

Das Bewußtsein von den verfügbaren Ressourcen entsprach dem
Bewußtsein der Skala.  Die Skala, die aus einem Mitglied einer
Lebensgemeinschaft auch einen Krieger machte, ergab sich aus den
frühen Siedlungsformen, dem erhöhten Bedarf an Nahrungsmitteln, aus
größerer Produktivität und Besitzanhäufung--woraus sich wiederum die
Notwendigkeit herleitete, die Sprachverwendung über die Unmittelkeit
der Mündlichkeit hinaus zu entwickeln.  Die Effizienz von Arbeit und
Kampf war in etwa auf der gleichen Ebene angesiedelt.  In gewisser
Weise dauerten Kriege ewig; der Frieden war nur eine Erholungspause
zwischen den militärischen Auseinandersetzungen.  Gefangenschaft
(meist gleichbedeutend mit Sklaverei) unterstrich die Bedeutung
menschlicher Arbeitskraft und Tüchtigkeit für die Sicherung einer
Gemeinschaft, die Vermehrung des Reichtums der Mächtigen und den
Lebensunterhalt aller anderen.  Auch die soziale Struktur des
Militärs war an Effizienz und Vermittlung gebunden.  Zwar wurde die
Kampfeffizienz in Größenordnungen von gezielter Zerstörung oder
Bewahrung (des Lebens und lebenswichtiger Einrichtungen) gemessen,
sie umfaßte jedoch auch Verteidigungsmaßnahmen, deren Ziel es war,
Zerstörungen durch den Feind gering zu halten oder zu verhindern.

Während einzelne Konflikte keine weitere über die Mündlichkeit
hinausgehende Sprache erforderten, wurde bei Konflikten zwischen
größeren Gruppen der Bedarf nach einem Koordinierungsinstrument
deutlich.  Neue Wörter und Konstruktionen bezeugen derartige
Konflikte und die mit ihnen assoziierten magisch-mythischen
Manifestationen.  Die Sprache projizierte diese Erfahrung auf den
Hintergrund verschiedener anderer Praxiserfahrungen.  Schon immer
besaßen Armeen jeglicher Art, unter jeder Regierungsform, wegen ihrer
besonderen Funktion einen Sonderstatus in der Gesellschaft.
Natürlich hat die Schrift keine Armeen geschaffen, aber sie bot doch
(selbst in den rudimentärsten Notationsformen) die Voraussetzung
dafür.  Die Schrift beeinflußte die Kriegsführung: als Auflistung von
Mitteln und Menschen, als Bericht über Kriegshandlungen und deren
Folgen, als Planungsinstrument.  Alle Bestandteile dieser Institution
objektivieren den Zweck des Krieges in einer bestimmten Zeit.  Sie
objektivieren zudem die Beziehungen innerhalb einer Gesellschaft, und,
während Friedenszeiten, zwischen einer Gesellschaft und ihren
Soldaten.  Die Objektivierung vollzieht sich durch die Sprache.  Die
Sequenzialität der Schrift und die Notwendigkeit, konfliktbezogene
militärische Abläufe auszudrücken, gehören zusammen.  Das Zitat von
Clausewitz ist nur die sprachliche Fortschreibung der vielen Aspekte
des Krieges.

"Konnte Gideon hebräisch lesen?  Konnte Deborah es?", mögen jetzt
manche mit Blick auf die Heerführer des Alten Testaments fragen.
Andere könnten Beispiele aus den griechischen Epen und den Chroniken
des Nahen Osten anführen.  Die römische Mythologie und die Zeugnisse
des Islam geben keinen Aufschluß darüber, ob all ihre Krieger lesen
und schreiben konnten.  Aber sie geben uns Aufschlüsse über die
Umstände, die zur Einrichtung einer Armee als eine eigenständige
Institution in Fortsetzung der synchretistischen Praxiserfahrung
führten, und darüber, wie sich diese Institution allmählich ihren
eigenen Daseinsbereich und ihre eigene Daseinsberechtigung schuf.

Die Veränderungen in der Kriegsführung entsprechen den
unterschiedlichen Ebenen der Schriftkultur: von dem persönlichen
Kampf zwischen zwei Kriegern, der kaum Sprache verlangte und mit dem
Sieg des Stärkeren endete, hin zu den kriegerischen
Auseinandersetzungen zwischen vielen Menschen, bei denen hoch
entwickelte Technologien--die ebenfalls wenig Sprache
erforderte--eine entscheidende Rolle spielte.  In jenen Formen der
kriegerischen Auseinandersetzung, in denen sich zwei Armeen direkt
gegenüberstanden, trug die Sprache die entscheidenden
Koordinationsleistungen.  Zur Bestimmung der Kriegsziele, zur
Formulierung und Verbreitung der Pläne, auch zur Veränderung der
Pläne an veränderte Bedingungen war die Sprache mindestens ebenso
wichtig wie die Zahl der Pferde, die Qualität der Waffen und der
Munition.  Wie beim Jäger lag die Fähigkeit des Soldaten im Angriff
und in der Verteidigung und darin, bei sich verändernden
Machtverhältnissen die Mittel an die Ziele anzupassen.  Die ersten
und vermutlich die meisten Kriege wurden geführt, bevor es eine
allgemein verbreitete Schriftkultur gab.  Die bedeutendsten uns
bekannten Krieger alter Zeiten--die ägyptischen Pharaonen Thutmosis
III. in der Schlacht um Meggido (1479 v.  Chr.), Ramses II. in der
Schlacht bei Kadesch gegen die Hethiter, Nebukadnezar und Darius, die
Spartaner unter Leonidas (480 v.  Chr.), Alexander der Große (bei der
Eroberung Babylons 330 v.  Chr.), Julius Cäsar (49-46 v.  Chr.) und
Octavian (31 v.  Chr.) und die zahllosen chinesischen Krieger aus
dieser und späterer Zeit--benötigten für ihre Kriege keine
Schriftlichkeit und Schriftkultur.  Ihre Strategien ergaben sich aus
den gleichen Erwartungen und pragmatischen Notwendigkeiten, die
schließlich zur Herausbildung der Schrift führten.

Kriege wurden geführt auf gut ausgewähltem Terrain, von Soldaten, die
Befehle ausführten, die einem begrenzten Befehlsrepertoire entnommen
wurden.  In der Terminologie der generativen Grammatik: Es gab eine
eingeschränkte Sprache des Krieges mit nicht allzuvielen
Möglichkeiten zur Generierung von Kriegssätzen.  Als sich mit den
verbesserten Arbeits- und Produktionsmethoden die Mittel der
Kriegsführung mehrten, konnten die Befehlshabenden mehr Kriegstexte,
mehr Drehbücher schreiben.  Mit zunehmender Kriegseffizienz stieg
auch die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs der militärischen
Anstrengungen aufgrund mangelnder Integration und Koordination.  Die
militärische Struktur spiegelte die Merkmale einer menschlichen
Praxis wider, die zur Schriftsprache und später zur Schriftkultur
führte: eine relativ geringe Dynamik; zentralisierte, hierarchische
Organisationsformen; ein geringes Anpassungsniveau; eine strikt
sequentielle Handlungsweise und eine deterministische Mentalität.
Durch die Jahrhunderte hindurch entwickelte sich mit dem Fortschritt
von Wissenschaft und Technologie die Waffentechnik und
Militärstrategie weiter.

Der Rahmen, der das Ideal der Schriftkultur schuf, berührte nicht nur
die technische Kriegsführung, sondern auch die Strategie, nach der
Kriege ausgespielt wurden.  Ungeschützte vorrückende Linien waren
Teil einer Konfrontationsdynamik, die die im alltäglichen Leben
vorherrschende Linearität widerspiegelte.  Eine Reihe nach der
anderen feuerte ihre Salven ab und ging dann zum entscheidenden
Bajonettangriff über.  Die Struktur der Schrift (Sequenzen,
Hierarchie, Akkumulation, Abschluß) und die Struktur dieses
besonderen Militäreinsatzes ähneln einander.  Schriftkundigkeit
gehörte erst sehr spät zum Qualitätsprofil eines Soldaten.  Nachdem
sie aber erst einmal Bestandteil der militärischen
Selbstkonstituierung war, veränderte sie die Kriegsführung und
erhöhte die militärische Effizienz.  Nun handelte es sich nicht mehr
um Gefechte zwischen verfehdeten Feudalherren, sondern um große
Konflikte zwischen Nationen.  Diese Konflikte wurden zwar seltener,
gewannen aber an Intensität.  Ihre Dauer entsprach den relativ langen
Produktions-, Verteilungsund Verbrauchszyklen, die die
schriftkulturelle Praxis kennzeichnen.

Der Krieg wurde bestimmten Regeln unterworfen.  Er wurde zivilisiert,
zumindest in einigen Aspekten.  Die katholische Kirche als Hüter der
Schriftkultur im Mittelalter, in dem viele kleinere Kriege zwischen
verfehdeten Feudalherren ausgetragen wurden, übernahm dabei die
Führung.  Zum Schutz von Nahrung und Leben in den barbarischen
Gesellschaften Europas nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches
versuchte die einzig wirksame Machthierarchie, die Soldaten mit den
schriftkulturellen Gesetzen der Kirche zu bändigen.  Die weltlichen
Herrscher akzeptierten diese Vorschriften, nicht ohne eigene
pragmatische Überlegungen im Hinterkopf.  Man brauchte ein
Jahrtausend um zu begreifen, daß ein Krieg niemals endgültige
Ergebnisse zeitigt.  Aber man lernte auch, daß Kriegserfahrung neues
Wissen schuf (etwa über die verwendeten Mittel, über klimatische
Strukturen und geographische Territorien, über Merkmale des Feindes)
und Kreativität freilegte--was man die Kunst des Krieges nennt.  Im
Angesicht von Tod und Zerstörung sind Kriege jedoch auch die
erbarmungslosesten Schulen unseres Lebens.


Das Militär als Institution

Theodor Heuss nannte die allgemeine Wehrpflicht das Kind der
Demokratie.  Die allgemeine Wehrpflicht wurde in der französischen
Revolution eingeführt--Levée en masse von 1793. Der Bürgersoldat
ersetzte Söldner und Berufssoldaten.  Der Ruf "Aux armes, mes
citoyens", der zu einer Strophe der französischen Nationalhymne wurde,
glorifizierte die Hoffnungen jenes Augenblicks.  Preußen folgte dem
Beispiel aus wirtschaftlichen Gründen: billige Menschenkraft für den
Krieg. Auf dem langen Weg, eine gesellschaftliche Institution zu
werden, erhielt das Militär die Unterstützung des Staates, den es
verteidigte, oder der privaten Institutionen (Kirche, Landbesitzer,
Kaufleute), die seine Dienste benötigten.

Im Gegenzug richtete die Institution ihre Strukturen an den
praktischen Erfahrungen der Menschen aus und erhöhte ihre Effizienz.
An jedem entscheidenden Entwicklungspunkt des Menschen mußte das
Militär eine Effizienz beweisen, die es als entscheidenden Faktor bei
der Verteidigung der Ressourcen rechtfertigte.  Wenn die Effizienz
nicht mehr genügte und das Militär die sozio-ökonomischen Fundamente
zu sehr belastete, wurde es gestürzt, wie wir es an Militärdiktaturen
immer wieder beobachten können.

Wie andere stark strukturierte Handlungsbereiche des Menschen
identifizierte sich das Militär durch repetitive Handlungsformen.
Jede einzelne Handlung konnte verstanden werden als eine gegebene
Menge von weiteren Aufgaben oder Befehlen, die wiederum mit
bestimmten Motivationen und Rechtfertigungen verbunden waren und die
insgesamt die dem Militär spezifische Arbeitspraxis darstellten.
Einige dieser Strukturen bezogen sich auf das Leben innerhalb dieser
Organisation, etwa die Möglichkeit der Beförderung oder die
Beeinflussung zukünftiger Handlungen.  Sie waren intern in dem Sinne,
daß sie von den impliziten Regeln abhingen, die diese Institution
sich gegeben hatte.  Andere waren externer Art und drückten das
Verhältnis zwischen Militär und Gesellschaft aus: Symbolstatus,
Machtbeteiligung, Akzeptanzerwartungen.

Entwicklungen im militärischen Bereich führten zu Veränderungen in
der Sprache, die die für die militärische Praxis charakteristischen
Interaktionen definierte und modifizierte.  Die Sprache paßte sich
zunehmend dem militärischen Ziel--dem Sieg--an und löste sich von der
alltäglichen Sprache, die Träger jenes Diskurses war, in dem sich die
Kriegsgründe herauskristallisierten.  Dementsprechend fanden auch die
Beziehungen zur Außenwelt--zu den zukünftigen Militärangehörigen, zu
den sozialen, politischen und kulturellen Institutionen und zur
Kirche--in einer Sprache statt, die sich von der alltäglichen Sprache
immer weiter entfernte.

Mit den Veränderungen in der Struktur der Lebenspraxis und mit den
Veränderungen, die aus einer wachsenden Skala resultierten, ergaben
sich auch Veränderungen im Militärbereich.  Wenn sich die Individuen
überwiegend als schriftkulturell gebildete Individuen konstituierten,
mußte auch das Militär die Erwartungen und Merkmale der Schriftkultur
übernehmen.  Vermutlich ergaben sich daraus die ersten
Militärakademien.  Von Moltkes Überlegungen über veränderte
Verhältnisse zwischen Offizieren und Untergebenen nahmen viele
Fortschritte in der Kriegstechnologie vorweg: den Einsatz
dampfgetriebener Kriegsschiffe (durch die Japaner im Krieg gegen
Rußland 1905); die Einführung von Radio, Telefon und automotivem
Transport (im Ersten Weltkrieg); und das (von Erich Lindendorf
entwickelte) Konzept des totalen Krieges.  Alle Entwicklungen ergaben
sich in einem pragmatischen Rahmen, in dem Schriftkultur nötig war
und in dem sich die Merkmale der Schriftkultur in allen Formen der
Lebenspraxis widerspiegeln.  Der totale Krieg ist seiner Struktur
nach der Vorstellung von einer universalen Bildung und Schriftkultur
ähnlich: in der Forderung, das eine einzige Schriftkultur und Bildung
alle anderen zu ersetzen habe.  Und die stillschweigende Erwartung
der Dauerhaftigkeit der Institution, die sich in den Regeln und
Bestimmungen, den Hierarchien und zentralistischen Strukturen
niederschlägt, ähnelt denen von Staat, Industrie, Religion,
Bildungswesen, Wissenschaft, Kunst und Literatur.  Das gleiche gilt
für Zentralismus, Hierarchie und Disziplin.  Das erklärt im übrigen,
warum fast alle Armeen dieser Welt ähnliche, auf Schriftkultur
basierende Strukturen angenommen haben.  Im Gegensatz dazu sind zum
Beispiel Guerillakriege insofern ‘analphabetisch’, als sie nicht auf
den Konventionen der Schriftkultur beruhen.  Sie entfalten sich
dezentralisiert und gründen auf der Dynamik sich selbst
organisierender kleiner Zentren.  Deshalb werden sie von allen
Militärstrategen als so gefährlich angesehen.

Die militärischen Handlungsmuster und die sich wiederholenden
Sprachmuster, die wir mit diesen militärischen Handlungen assoziieren,
drücken die Haltungen und Werte dieses pragmatischen Rahmens aus.
Auf dem Höhepunkt der schriftkulturellen Entwicklung verfolgte zum
Beispiel England eine stark strukturierte, fast schon ritualisierte
Art der Kriegsführung.  Zu den Hauptklagen während der amerikanischen
Revolution gehörte, daß die Bewohner der Kolonien nicht nach den
Regeln kämpften, die das schriftkulturell gebildete Westeuropa die
vergangenen Jahrhunderte hindurch aufgestellt hatte.  Mit dem Umbruch,
der zu einem Stadium jenseits der Schriftkultur hinführte,
erschöpften sich diese Haltungen und Werte und mit ihnen die Sprache
und die Muster militärischer Handlungen, es sei denn, sie wurden auf
andere Bereiche, insbesondere auf Politik und Sport, übertragen.

Nachdem sich das Militär als gesellschaftliche Institution etabliert
hatte, wurde es zu einem Selbstzweck und bestimmte die Regeln des
sozialen und politischen Lebens, statt sie von dort zu übernehmen.
Nach den beiden Weltkriegen übernahm das Militär in vielen Ländern
unter verschiedenen politischen und ideologischen Vorwänden die Macht.
Militärdiktaturen oder vom Militär gestützte Diktaturen, die die
gleichen Merkmale wie zentralistische Monarchien oder auch
Demokratien unter einer Präsidialverfassung aufwiesen, schossen
überall dort aus dem Boden, wo sich andere Regierungsformen als
ineffektiv erwiesen hatten.  In vielen Teilen der Erde, die sich noch
immer an wirtschaftlichen und politischen Modellen der Vergangenheit
orientieren, also zum Beispiel in Südamerika, dem Nahen Osten und
Afrika, geschieht dies noch heute.


Vom schriftgebundenen zum schriftlosen Krieg

Der letzte unter dem Zeichen der Schriftkultur geführte Krieg war
vermutlich der Zweite Weltkrieg. Die Tatsache, daß der letzte
Weltkrieg mit dem Abwurf der Atombombe beendet wurde, ist ein
weiterer Beleg dafür, daß eine Skalenveränderung in einem
Lebensbereich zwangsläufig ihre Auswirkungen auf alle anderen
Lebensbereiche hat.  Die Millionen von Kriegsopfern (von denen die
meisten nach den Maßstäben der Schriftkultur erzogen worden waren)
läßt uns zögern, in diesem Zusammenhang von Bildung und Schriftkultur
zu sprechen; das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die
systematische Grausamkeit und die Vernichtungskraft des Krieges aus
Merkmalen der Schriftkultur resultierten, die die Effizienz der
Kriegsmaschinerie und die Ausformulierung der Kriegsziele ermöglicht.
In der Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist das Kapitel über die
Sprache vermutlich genauso aufschlußreich wie ein Kapitel über die
neuen Waffen, die in diesem Krieg entwickelt wurden: die Vorläufer
der modernen Raketensysteme und die Atombombe.  Alle Kriegsteilnehmer
wußten, daß der Feind ohne die integrierende Kraft der
schriftkulturellen Leistung nicht siegen konnte.  Viele Bücher sind
darüber geschrieben worden, wie die Sprache der politischen und
ideologischen Diskurse die Feindseligkeit eskalieren lassen.  Viele
der in diesem Krieg artikulierten Vorurteile wurden in Sprachwerken
von höchstem sprachlichen Niveau formuliert und von perfekten,
logischen Argumenten getragen.  Andere Verfasser hoben indes auch die
Schwächen der Schriftkultur hervor.  Roland Barthes zum Beispiel
untersuchte ihre faschistische Natur.  Andere führten die
Unangemessenheit dieses Mediums auf dessen mangelnde Klarheit zurück;
es sei so opak, daß es Gedanken verberge, statt sie aufzudecken, daß
sie falschen Werten einen Sinn verleihe, statt sie als das
hinzustellen, was sie de facto waren.

Und tatsächlich wurde die Sprache der Politik die Sprache des Krieges.
Über Radio, Zeitungen und Massenkundgebungen erreichte sie ganze
Nationen.  Die Industrie, auf der die Kriegsmaschinerie ruhte,
verkörperte in allem die Merkmale der schriftkulturellen Lebenspraxis.
Das industrielle Modell intensiver Produktion läßt sich an diesem
Fall gut ablesen.  Millionen Menschen mußten an zahlreichen Fronten
bewegt, ernährt und logistisch geführt werden.  Eine Wirtschaft in
der Krise, die alles andere als Überfluß bot, gehörte zu den
Antriebskräften dieses Krieges.  Deutschland und seine Alliierten
hatten auf einen Blitzkrieg gesetzt und alle begrenzten Ressourcen
auf die Vorbereitung und Durchführung dieses Krieges aufgewendet.
Europa war gerade dabei, sich von der Wirtschaftskrise in der Folge
des Ersten Weltkrieges zu erholen.  Mit dem Sieg versprach man den
Menschen den wohlverdienten Lohn.  Die Schriftkultur wurde in allen
Bereichen, in denen sie etwas bewirken konnte, mobilisiert: in
Bildung, Propaganda, religiöser und nationaler Indoktrination, in den
rassistischen Rechtfertigungsdiskursen und in der Formulierung der
Kriegsziele.  Sie richtete sich an die Soldaten an der Front und an
ihre Familien in der Heimat.  Sie unterstützte Selbstdisziplin und
Entsagung, förderte Zentralismus und Hierarchie und lange, intensive
Arbeitszeiten bei relativ stabilen, wenn auch nicht unbedingt fairen
Arbeitsbeziehungen.

Sehr fortgeschrittene Formen der Arbeitsteilung und eine verbesserte
Koordination aller beteiligten Gruppen, also alle Merkmale
industrieller Produktionsweise, kennzeichneten auch die militärische
Praxis.  Der Krieg führte zu Konfrontationen zwischen riesigen Armeen,
die auf allen Seiten praktisch die gesamte Zivilbevölkerung mit
einbezogen.  Es gab Aushungerungsstrategien (Blockaden,
Getreidevernichtung, die Unterbrechung lebensnotwendiger Tätigkeiten),
und es gab die totale Vernichtung.  Millionen von Menschen wurden
ausgelöscht.  In der Struktur der Armee spiegelte sich die
zugrundeliegende Struktur des pragmatischen Rahmens.  In ihrer
Funktionsweise spiegelte sich das Industriesystem, das darauf
zugeschnitten war, riesige Mengen an Rohstoffen zu verarbeiten, um
uniforme Produkte in Massenproduktion herzustellen.

Das, was die Schriftsprache der Schriftkultur zum entscheidenden
Faktor für die Arbeit und die Marktabläufe werden ließ, machte sie
auch in den für die militärischen Ziele angemessenen Formen für die
Kriegsführung unentbehrlich.  Deshalb wurden auch alle nur denkbaren
Anstrengungen unternommen, diese Sprache als Leistungsträger der
eigenen Bemühungen und als Sprache des Feindes zu verstehen.  Keine
Anstrengung wurde unterlassen, um so schnell wie möglich an die
sprachlich codierten Informationen über Taktik und Strategie
heranzukommen und um dieses sprachliche Wissen umgehend in
Gegenstrategien und Überraschungsangriffe umzusetzen.  Sprache wurde
zu einem entscheidenden Operationsbereich.  Man entschlüsselte die
Codes des Feindes und sparte nicht an Geld, Intelligenz oder
Menschenleben, wenn es darum ging, die gegnerischen Pläne zu
entschlüsseln.  Die klügsten Köpfe wurden herangezogen, um
Täuschungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen: die Sprache des
Feindes war der direkte Zugang zu dessen Gedanken.

Natürlich ist die Sprache des Krieges etwas anderes als die Sprache
unseres Alltags; aber sie hat doch ihren Ursprung in der
Alltagssprache und wird in ihr ausgedrückt.  Strukturell sind beide
Sprachen gleich.  Mit dem Zugang zur Sprache des Feindes habe ich
einen Zugang zu seinen Plänen.  Viele sind davon überzeugt, daß der
entscheidende Schlag im Zweiten Weltkrieg die Entschlüsselung des
Codes der deutschen Enigma-Maschinen war; somit wäre bei allen
Anstrengungen von Millionen Menschen die Sprache zum entscheidenden
Faktor des Krieges geworden.  Polnischen Geheimschriftanalytikern und
dem Britischen Geheimdienst mit Alan Turing (der Vater des modernen
computergestützten Rechnens) gelang es, Nachrichten zu entziffern, zu
rekonstruieren, zu übersetzen und sie neu verschlüsselt in alliierten
Codes (das sogenannte ULTRA-Material) als entscheidende taktische
Waffen zu verwenden.

Gegen Ende des Krieges hatte sich die Welt bereits nachhaltig
verändert.  Im Rahmen des Krieges und im direkten Zusammenhang mit
den Veränderungen in den Formen der menschlichen Selbstkonstituierung
hatte ein Strukturwandel eingesetzt, der eine veränderte Lebens- und
Arbeitsdynamik mit sich brachte.  Verschiedene Lebensaspekte, die den
Krieg letztendlich verursacht hatten, wurden durch die neuen
lebenspraktischen Umstände in Frage gestellt und durch neue
Bedürfnisse ersetzt: dazu gehörte insbesondere die Einsicht,
nationale Interessen zu überwinden und Grenzen zu überschreiten,
besonders die im Krieg zum Ausdruck gebrachten Grenzen von Haß und
Zerstörung; die Einsicht in die Notwendigkeit, Ressourcen zu teilen
und auszutauschen.  Sehr weit vorausschauende Beobachter erkannten
auch, daß trotz der Opfer, die der Krieg gefordert hatte, das
Bevölkerungswachstum rasant ansteigen und eine neue Skala der
Lebenspraxis erfordern würde, die sich in einem fest strukturierten,
unflexiblen System mit nur wenigen Freiheiten kaum würde entfalten
können.

Der Golfkrieg und die nicht enden wollenden weltweiten
Terroranschläge können rückblickend als Produkt eines Krieges
verstanden werden, der der Schriftkultur ein Ende bereitet hat.  Der
Blitzkrieg und der Abwurf der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki
boten nur einen Vorgeschmack auf den schnellen, effizienten
schriftlosen Krieg, zu dessen jüngsten Entwicklungen ausgeklügelte
genetische Texte und eine Nanotechnologie gehören, die dem Laien als
ein blühendes Produkt aus Science-fiction-Romanen erscheint.


Der Nintendo-Krieg

Überall auf der Welt verfügt das Militär über die modernste
Technologie.  Selbst Länder, die sich aufgrund ihrer
Bevölkerungsdichte, der relativ niedrigen Löhne und der bestehenden
allgemeinen Wehrpflicht eine unzeitgemäß große Armee leisten können,
bemühen sich unverhohlen um das Beste und Neueste, was Wissenschaft
und Technologie an Waffen zu bieten haben.  Der Rüstungsmarkt ist
vermutlich der allumfassendste aller Märkte.  Am beunruhigendsten ist
dabei sicherlich, daß sich der menschliche Geist zum Handlanger von
Tod und Zerstörung macht.  In manchen Ländern reichen die
Nahrungssmittelvorräte gerade für ein oder zwei Erntezyklen, während
das Militär mit Vorräten für einen jahrelangen Einsatz ausgestattet
ist.

Heute verfügt das Militär über die ausgeklügeltsten Technologien, die
je entwikkelt wurden.  Gleichzeitig beklagt die Öffentlichkeit den
geringen Bildungsstand der Truppen.  Das gilt wohl weniger für die
Befehlsebene als für die eingezogenen jungen Soldaten.  Armeen
unterweisen die Rekrutierten im Umgang mit Waffen, von denen die
meisten für Schriftunkundige entwickelt wurden, und im Lesen und
Schreiben.  Letzteres festigt wohldosiert Ideologie, Religion,
Geschichte, Geographie, Psychologie und Sexualverhalten.  Die
Situation ist paradox: Die heutigen militärischen
Anforderungsprofile--moderne Technologie, Aufgabenverteilung,
Netzwerke und verteilte Verantwortung--stehen im Konflikt mit den
traditionellen militärischen Tugenden--klare Befehlsstruktur,
Hierarchie, Autorität und Disziplin.  Die technologischen Mittel, die
die Schriftkultur überflüssig machen, sind offenbar willkommen, aber
ihre Auswirkungen auf die Beschaffenheit des Menschen erscheinen
besorgniserregend.

Ein schriftgebildeter Soldat kann natürlich besser indoktriniert und
den Regeln und Zwängen unterworfen werden.  Aber das Gesicht des
Krieges hat sich verändert: für die schnellen Abläufe ist das
Lesen--von Anweisungen, Befehlen, Botschaften--unzureichend, ja sogar
gefährlich.  Um Ziele anzuvisieren, die sich mit enormer
Geschwindigkeit nähern, benötigt man die Mittlerdienste des digitalen
Auges.  Konflikte sind heute so segmentiert wie die Welt insgesamt,
erkennbare Grenzen zwischen Gut und Böse bestehen nicht mehr.
Angesichts der komplexen Dynamik heutiger Konflikte ist eine
zentralistisch organisierte militärische Praxis mit Autoritäts- und
Hierarchiestrukturen kontraproduktiv.

Der Vietnamkrieg ist hierfür ein dienliches Beispiel.  Befehle wurden
von oben an die Truppen weitergegeben, über Truppenführer, die für
die Kriegsführung in Vietnam nicht ausgebildet waren.  Sogar der
Präsident der Vereinigten Staaten schaltete sich ein, allzu oft mit
Entscheidungen, die den Kriegsverlauf negativ beeinflußten.  Die USA
vergaßen die Lehren ihrer eigenen Geschichte, indem sie die in der
Schriftkultur entwickelte europäische Kriegsführung für den
illiteraten Dschungelkrieg übernahmen.  Später veröffentlichte
Memoiren (etwas die von Robert MacNamara) decken auf, wie das in
Regierung und Militär verkörperte schriftkulturelle Paradigma der
Öffentlichkeit wichtige Informationen vorenthielt, die rückblickend
den Verlust so vieler Menschenleben sinnlos machen.

Der Luxus einer großen Armee und die Kosten für lange militärische
Ausbildungszeiten gehören einer überholten Lebenspraxis an.  Ein
Soldat auf Lebenszeit ist ein Anachronismus.  Die Kriegswirklichkeit
verändert sich mit der Geschwindigkeit, in der neue Waffensysteme
entwickelt werden.  Die neue Skala des Menschen verlangt nach
globaler Effizienz, die wir nicht erreichen, wenn wir produktive
Kräfte von produktiven Erfahrungen fernhalten.  Vor dem war das
Militär eine von der Gesellschaft abgetrennte Institution.  Unser
neues Entwicklungsstadium hat das Militär wieder in das Netz von
gemeinsamen Aufgaben und Funktionen innerhalb einer hocheffizienten
Lebenspraxis eingebunden.  Zwischen dem mittelalterlichen Krieger in
voller Rüstung und dem heutigen Soldaten in Alltagskleidung--der oft
eine wissenschaftliche oder technische Ausbildung hinter sich
hat--liegen nicht nur mehr als 500 Jahre, sondern vor allem neue
Formen der Selbstkonstituierung und Identitätsfindung.  Zwischen dem
Schwefeldampf, der vor zweitausend Jahren in der Schlacht von Delium
eingesetzt wurde, und der Bedrohung durch chemische und biologische
Waffen im Golfkrieg besteht ein oberflächlicher Zusammenhang.  Das
Wissen, das in die Herstellung neuer chemischer und biologischer
Verfahren für eine hocheffiziente Landwirtschaft und für
Lebensmittelbearbeitung eingeht, dient auch bei der Herstellung
chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen.  Die Gentechnik
und äußerst komplexe digitale Mittel und Methoden definieren die
Grenzen unserer Möglichkeiten neu.

Das ist weder eine Befürwortung effizienter Armeen, die wir bei
Naturkatastrophen dringend benötigen, noch eine Apologie von
Vernichtungskriegen, was und wer auch immer sie rechtfertigen mag.
Wenn es dennoch so klingt, dann liegt das daran, daß die schriftliche
Beschreibung des strukturellen Hintergrunds, vor dem sich die
militärische Praxis abspielt, den Stempel schriftkultureller Praxis
trägt.  Das Militär hat mittlerweile erkannt, daß es unsinnig wäre,
schriftkulturelle Bildung als Koordinierungsmittel für militärische
Aufgaben wiederzubeleben.  Denn sie ist kaum geeignet, im
Zusammenhang der hochentwickelten Rüstungstechnologie optimale
Leistungen zu erzielen.  Auch eignet sie sich kaum dazu, Kriege zu
verhindern.  Der in der Schriftkultur gebildete Mensch erwies sich
als ebensolche Kriegsbestie wie der zwangsweise eingezogene Soldat
oder der Söldner, wenn er diese nicht sogar an Bestialität übertraf.
Die fast 2 Millionen Kinder, alle Analphabeten, die als Söldner in
Asien oder Afrika dienen, sind Teil der gleichen Realität, die ich
hier beschreibe.

Die heutige Rüstungsforschung versucht, den Menschen aus der direkten
kriegerischen Konfrontation heraus zu halten.  Nichts beeinflußt die
öffentliche Meinung bei militärischen Einsätzen mehr als Leichensäcke.
Sie verderben den Spaß am Spiel mit teuren Raketen, der auch der
Grund dafür war, daß man den Golfkrieg "Nintendo-Krieg" genannt hat.
Raketen erfreuen sich bei den Netoyens trotz ihrer Zurückhaltung
gegenüber militärischen Einsätzen größerer Beliebtheit.
Hocheffiziente, digital programmierte Systeme haben einen anderen
Bezug zu Raum und Zeit als die Menschen.  Das verleiht den digitalen
Kriegsmaschinen und genetischen Waffen einen besonderen Vorteil
bezüglich der notwendigen Koordination.  Die Zeit ist auf eine Weise
segmentiert, die sich der menschlichen Wahrnehmung und Kontrolle
entzieht; der Raum erweitert sich zu Dimensionen jenseits der
menschlichen Vorstellung und Kontrolle.  Wesentliche Teile der
Kriegsmaschinerie operieren im All mit äußerst zeitempfindlichen
Geräten.  Die Strategic Defense Initiative (S.D.I., Star wars
genannt) ist das bekannteste, obwohl inzwischen schon wieder
vergessene, Beispiel.  Relativ triviale Systeme, wie sie zur
Orientierung der Truppen in der Wüste dienten, sind dabei schon
Routine.  Die Ausdruckskraft, die wir aufwenden müssen, um
Motivationen zu steigern und der Irrationalität einen Anschein von
Rationalität zu verleihen, steht im krassen Gegensatz zu der
Geschwindigkeit und Präzision, die zur Umsetzung der taktischen und
strategischen Pläne entscheidend sind.  Die Koordination solcher
Informationssystem-Maschinen kann nicht auf eine Sprache
zurückgreifen, die für diese dynamischen Abläufe weder präzise noch
schnell genug ist.  Bei der Überschallgeschwindigkeit von Flugzeugen,
Raketen und Satelliten würde ein Soldat, wenn er ein Ziel ortet, für
das Auslösen einer Waffe keine Zeit mehr haben--vom Warten auf einen
Feuerbefehl ganz zu schweigen.

Selbst die Wartung dieser komplexen Kriegsmaschinerie kann mit
Mitteln der Schrift nicht mehr geleistet werden.  Das elektronische
Buch gehört daher im militärischen Bereich zum Alltag.  Dieses Buch
speichert die Beschreibung eines Gerätes digital.  Wenn wir den
Inhalt eines solchen für Flugzeuge oder Waffensysteme an Flugzeugen
und Schiffen funktionswichtigen Buches in einem konventionellen
gedruckten Handbuch unterbringen wollten, würde das bloße Gewicht der
Bedienungsanleitung das Flugzeug startunfähig machen.  Jede
Veränderung im System würde den Neudruck Tausender von Seiten
erfordern.  Als elektronische Version ist das Buch eine Sammlung von
computerbearbeiteten Daten, die auf Wunsch visualisiert werden und so
programmiert sind, daß man jedes Problem und die dazugehörige Lösung
schnell und einfach ab-sehen kann--also gewissermaßen idiotensicher.
Dieses Buch hat keine Seiten im üblichen Sinn; es erstellt jede Seite
je nach konkretem Wartungs- oder Reparaturbedarf.  Das elektronische
Buch wendet sich an eine andere Leserschaft.  Sie besteht aus
visuellen Lesern, die wissen, wie man bildliche Anweisungen ausführt.
Dabei werden sie vom System überwacht und verlassen sich auf dessen
Feedback.  Das Paradigma sich selbst bedienender und reparierender
Maschinen (eine von John von Neumann entwickelte Idee) ist längst
Wirklichkeit geworden.

Das elektronische Buch--das weit über den militärischen
Anwendungsbereich hinausgeht--ist eines von vielen Beispielen dafür,
wie veraltet unsere gute alte Schriftkultur ist.  Über
(drahtgebundene oder drahtlose) Netze aufgebaute elektronische Bücher
unterstützen eine Vielfalt kooperativer Unternehmungen.  Die
militärische Praxis macht sich solche Aktivitäten zunutze.
Entscheidend für derartige Kooperation ist der Zugang zu Ressourcen
und zu einer unbegrenzten Zahl möglicher Interaktionen.  Die in den
elektronischen Büchern verwendeten Digitalformate dienen als Medium
für die Übermittlung und das Verstehen von gemeinsamen Zielen.

Die vermutlich einzige militärspezifische Komponente, die aus der
früheren militärischen Praxis übernommen wurde, ist die Unterordnung
des Individuums unter das militärische Ziel.  Aber auch diese
Unterordnung folgt nicht mehr dem zentralistischen und hierarchischen
Modell der Schriftkultur.  Von jedem einzelnen Soldaten wird heute
eine stärkere Eigeninitiative verlangt.  Dieses Ansinnen drückt sich
vornehmlich in den verschiedenen Ausdrucks- und Kommunikationsmitteln
aus.

Die heutige Technologie macht es möglich, mit großer Geschwindigkeit
auf niedriger Höhe zu fliegen, aber die dem Menschen gesetzten
biologischen Grenzen lassen dies für den Piloten zu einer großen
Gefahr werden.  Ab einer gewissen Geschwindigkeit kann der Mensch
seine Bewegungen nicht mehr koordinieren, was das Fliegen auf
niedriger Höhe zu einer selbstmörderischen Angelegenheit macht.  Aber
auch Selbstmord ist keine Antwort auf Radargeräte des Feindes, denn
es gibt keine Worte, die den Piloten auf einen von Hitzedetektoren
geleiteten Flugkörper aufmerksam machen könnten.  Folglich verändern
die vielen Sprachen, die die Maschinen lenken, und Sichtvorrichtungen
mit Detektionsfähigkeiten die menschliche Beteiligung bei
kriegerischen Einsätzen.  Für diese Sprachen spielt die
Schriftsprache eine völlig untergeordnete Rolle.

Ich führe diese Beispiele--die im Vergleich zum Nintendo-Krieg, den
wir vor einigen Jahren auf unseren Fernsehgeräten verfolgen konnten,
rudimentär sind--als jemand an, der an das Leben, den Frieden und an
die Verständigung zwischen den Menschen glaubt; aber auch als jemand,
der beobachtet, wie sich in einem der sprachabhängigsten Bereiche
menschlicher Interaktion und Tätigkeit Sprache, Schrift und
schriftkulturelle Bildung zunehmend erübrigen.  Wie alles, was sich
von Schrift und Schriftkultur löste, wurde auch die militärische
Praxis entmenschlicht.  Für den militärischen Bereich ist diese
Konsequenz sehr begrüßenswert.  Wir lassen Maschinen gegen Maschinen
kämpfen und sich gegenseitig töten.  Wir machen aus dem Krieg einen
Krieg der Gene und der Genmanipulation, der neuronalen Netze und der
maschinellen Intelligenz, des intelligenten Datenbank-Managements und
vernetzter, verteilter Aufgaben.  Wie bereits in den Fabriken und den
Büros wird der Mensch in der militärischen Praxis von Programmen
ersetzt, die durch ein Wissen betrieben werden, das nicht durch
Schrift und Schriftkultur vermittelt wird.  Die neuen Sprachen der
Rüstungstechnologie verändern die Struktur militärischer Tätigkeit
und die Rolle, die die Sprache dabei spielt.  Daß Computerspiele mit
Flug- und Kampfsimulationen im Grunde nichts anderes sind als die
Präzisions- und Zerstörungssysteme des Golfkriegs, brauchen wir hier
nicht noch einmal zu wiederholen.  Aber daß diejenigen, die solche
Spiele spielen, sich Fähigkeiten aneignen, die wir von Jet-Piloten
und den Betreibern dieser äußerst produktiven Technologie erwarten,
verdient Beachtung und sollte uns nachdenklich stimmen.

Können Waffen sprechen, schreiben und lesen?  Verstehen sie die
Sprache des Offiziers, der entscheidet, wann sie abgefeuert werden
sollen?  Kann ein intelligentes Waffensystem kompetent darüber
entscheiden, ob ein Ziel tatsächlich vernichtet werden soll, obwohl
die gegebenen Umstände eine Zerstörung aus moralischen Gründen
verbieten würden?  Können genetische Methoden der Feindvernichtung
ethischen Kriterien standhalten?  Ich stelle diese Fragen--die alle
nur mit einem Nein beantwortet werden können--mit Bedacht.  In ihrer
schriftkulturellen Ausprägung beruht die militärische Praxis auf
Befehl und Gehorsam, wofür wir die Sprache benötigen.  Das stellt uns
vor einen unlösbaren Widerspruch.  Die nicht-militärische Praxis wird
zunehmend von vielen Spezialsprachen vermittelt und in einem
umfassenden Netz verteilter Aufgaben synchronisiert.  Wenn die
militärische Praxis weiterhin auf der Schriftlichkeit beruhen würde,
hieße das, unterschiedliche Strukturen der Lebenspraxis zu pflegen
und Ziele mit ungleicher Effizienz zu verfolgen.  Noch immer spiegeln
sich schriftkulturelle Prinzipien in den hierarchischen und
zentralistischen Strukturen des Militärs wider (in den Vereinigten
Staaten ist wie in vielen anderen Ländern der Präsident der
Oberbefehlshaber der Armee).  Andererseits erfordert die
Effizienzerwartung nicht-hierarchische Strukturen mit eigener
Kompetenz, die die Koordination und Kooperation innerhalb eines
großen Netzes mit verschiedenen Aufgaben garantiert.  Die partielle
Schriftlichkeit des Militärs formuliert heute die neuen militärischen
Ziele und Aufgaben, wie zum Beispiel die Umsiedlung von Flüchtlingen
oder die Unterstützung von Opfern einer Naturkatastrophe.  Die
kleineren, guerillaartigen Kriege, mit denen der internationale
Terrorismus seine Ziele durchsetzen will, haben zu kleinen Armeen mit
hervorragend ausgebildeten Spezialisten geführt, die die
Zivilbevölkerung schützen.  Terroristische Anschläge sind ein
globales Phänomen, aber im Gegensatz zu den kleinen Kriegen des
Mittelalters respektiert der ‘analphabete’ Terrorist oder das
bewaffnete Kind, das zum Kampf gezwungen ist, keine Regeln und
erkennt keine übergeordnete Autorität an.


Blicke, die töten können

Kleiner, besser einsetzbar, so effizient wie möglich--das sind die
Merkmale der neuen Waffen, die auf der Wunschliste fast jeder Armee
der Welt stehen.  Die Verteidigungsexperten haben die Forschungs- und
Entwicklungsziele spezifischer formuliert.  Im folgenden sind einige
davon, die allesamt bald veraltet sein werden, aufgeführt:
* Weltweit und unter allen Wetterbedingungen einsetzbare Kräfte für
begrenzte Kriegsführung, die keinen Hauptstützpunkt benötigen;
einschließlich einer Einheit, die 30 Tage lang logistisch unabhängig
ist;
* Das Aufspüren von strategisch beweglichen Zielen;
* Globale Befehlskontrolle, Kommunikation und Aufklärungsausrüstung
(C3I), für die Überwachung ausgewählter Territorien und
Informationsübermittlung in Echt-Zeit an Befehlsstellen;
* Waffensysteme, die der Feind nicht anvisieren kann und die die
feindlichen Abwehrmaßnahmen durch Einsatz von digitalen Signaturen
und elektronischen Systemen überwinden;
* Überlegene Luftverteidigungssysteme;
* Waffen, die ihre Ziele selbständig erfassen, klassifizieren,
verfolgen und zerstören;
* Reduzierung der Operations- und Nachschubressourcen um 50%, ohne
die Einsatzfähigkeit zu beeinträchtigen.
Alles, was man dazu sagen kann, ist, daß in dieser militärischer
Effizienz alle Merkmale der Zivilisation jenseits der Schriftkultur
zum Ausdruck kommen: Globalität, Vernetzung, offene Ziele und
Motivationen, verminderte menschliche Beteiligung und viele partielle
Sondersprachen.  Der fragwürdige Aspekt dabei ist die Dauerhaftigkeit
der Institution des Militärs, die vermutlich das widerstandsfähigste
Vermächtnis der Schriftkultur ist.  Die Technologie jenseits der
Schriftkultur verlangt, daß wir die Abstraktionen (die Sprache, den
genetischen Code) beherrschen, die sie vorantreiben, ebenso wie die
mit dieser Sprache verbundenen partiellen Spezialbildungen, die der
militärischen wie jeder anderen Praxis zugehört.  Die partielle
Spezialbildung der militärischen Praxis bestimmt ihren
Handlungsspielraum und die Interpretation ihrer Handlungen.  Daher
ist es zum Beispiel auch wichtig, daß Abrüstungsverträge nicht ohne
diese militärische Spezialsprache, d. h. ohne Militärexperten, die
wir mit diesen Verträgen aus ihren Aufgaben entlassen wollen,
formuliert werden.  Ein jeder dieser Verträge führt dazu, daß ein
Teil dieser Rüstungssprache und der damit verbundenen Technologien
ausrangiert wird oder doch zumindest an Bedeutung verliert; wie ein
jeder Vertrag natürlich auch neue Wege für erhöhte militärische
Effizienz eröffnet.

In der neuen militärischen Praxis geraten Technologien und die damit
verbundenen militärischen Spezialsprachen in eine Konfrontation.
Wenn wir also heute darüber nachdenken, welche Befehle ein Offizier
erteilt, ob eine Waffe diese Befehle versteht usw., dann bedeutet das,
daß wir das Militär aus einem Blickwinkel betrachten, der aus jener
Zivilisationsphase stammt, von der das Militär sich zunehmend absetzt.
Künstliche Augen (Radar, Sichtsysteme), Geruchsdetektoren,
berührungsempfindliche Vorrichtungen, Geschwindigkeitssensoren und
viele andere digitale Instrumente entziehen den Menschen der direkten
kriegerischen Konfrontation und eliminieren den Tod als mathematische
Größe in der Formel des Krieges.  Wer Photos aus vorangegangenen
Kriegen neben die Trickbilder von Computerspielen hält, vergleicht
eine Daseinsform, die durch direkte Konfrontation und durch die
Erfahrung begrenzter Lebensbedingungen gekennzeichnet ist, mit einer
Daseinsform, die aus vermittelten Wirklichkeitserfahrungen besteht.
Der von Leuchtspurgeschossen aufgehellte Himmel, die unheimlichen, an
Videospiele erinnernden Vorgänger, die durch entfernt plazierte
Kameras beobachteten Ziele scheinen einem ganz anderen Bereich als
dem der Zerstörung und des Blutvergießens anzugehören, wo es noch
moralische Bedenken gegeben hat.  Die Erwartung ist pragmatisch, der
Maßstab ist die Effizienz.

Die Gründe für das Überleben der Institution des Militärs in ihrer
schriftkulturellen Struktur und der Mangel an Verständnis dafür, was
Schriftlichkeit und Schriftkultur im pragmatischen Rahmen der
heutigen Globalität überflüssig machten, sind nicht identisch.
Ersteres erklärt sich aus der immensen Trägheit eines riesigen
Apparates; letzteres daraus, daß wir uns als Produkte einer auf
Schriftkultur gründenden Erziehung und Bildung nicht so ohne weiteres
von uns selbst distanzieren können.  Einen derart fundamentalen
Umbruch zu verstehen und zu akzeptieren, ist nicht leicht.
Universitäten, Bastionen der Schriftkultur, die die ‘illiterate’
Rüstungstechnologie entwickeln, befinden sich in dem Dilemma,
entweder ihre Identität zu verleugnen oder Agenzien einer
Zivilisation jenseits der Schriftkultur zu werden.  Sie halten
unverbrüchlich am Ideal der Schriftkultur und damit auch an dem der
Verteidigung und Abschrekkung fest, die ja ihrerseits den
schriftkulturellen Wert der Nationalgrenze widerspiegelt; denn wir
haben noch nicht gelernt, mit einer Dynamik des Umbruchs umzugehen,
die sich nicht aus militärischen, sondern aus sozioökonomischen
Bedürfnissen ergibt.  Die politische Landkarte hat sich in den
vergangenen Jahren drastisch verändert.  Die Gründe hierfür sind in
jenen Faktoren zu sehen, die den pragmatischen Kontext unserer
Lebenspraxis im Rahmen der heute erreichten Skala verändert haben.
Globalität ist kein Traum, kein politisches Ziel, kein utopisches
Projekt mehr.  Globalität ist eine aus dieser neuen Skala erwachsende
Notwendigkeit.



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Personenregister


Aristoteles Buch II, Kapitel 5
Barnard, F. R. Buch IV, Kapitel 1
Barthes, R. Buch II, Kapitel 4; Buch IV, Kapitel 6
Barzun, J. Buch III, Kapitel 3
Baudrillard, J. EINLEITUNG
Bayer, H. Buch III, Kapitel 1
Beethoven, L. van Buch V, Kapitel 1
Bell, A. G. Buch I, Kapitel 2; Buch IV, Kapitel 5; NACHWORT
Benn, G. Buch I, Kapitel 2
Berlin, I. Buch IV, Kapitel 5
Bloom, A. Buch I, Kapitel 1
Brown, J. C. Buch I, Kapitel 2
Burgess, A. Buch II, Kapitel 4
Carpenter, E. Buch I, Kapitel 1
Childe, G. V. Buch II, Kapitel 4
Chomsky, N. Buch II, Kapitel 3; Buch III, Kapitel 2; Buch V, Kapitel
1
Chruschtschow, N. Buch IV, Kapitel 5
Clausewitz, Carl von Buch IV, Kapitel 6
Conway, J. H. Buch V, Kapitel 2
Cooper, P. Buch I, Kapitel 2
Darius Buch IV, Kapitel 6
Dawkins, R. Buch II, Kapitel 5
Descartes, R. Buch IV, Kapitel 3
Dewey, J. Buch I, Kapitel 2
Dijkstra, E. Buch III, Kapitel 2
Durkheim, E. Buch IV, Kapitel 3
Edison, T. A. Buch I, Kapitel 2; Buch IV, Kapitel 5
Einstein, A. Buch IV, Kapitel 3; Buch V, Kapitel 2
Emerson, R. W. Buch I, Kapitel 2
Engels, F. Buch IV, Kapitel 5
Enzensberger, H. M. EINLEITUNG; Buch I, Kapitel 1
Epaminondas von Theben Buch IV, Kapitel 6
Fabergé, P. C. Buch IV, Kapitel 4
Faulkner, W. Buch I, Kapitel 2
Feyerabend, P. K. Buch IV, Kapitel 3
Galileo Galilei Buch IV, Kapitel 3
George III. (König v.  England) Buch I, Kapitel 2
George, H. Buch III, Kapitel 2
Gestetner, S. Buch IV, Kapitel 4
Grotius, H. Buch I, Kapitel 1
Gutenberg, J. Buch II, Kapitel 4
Guttman, A. Buch IV, Kapitel 2
Hasan, B. Buch IV, Kapitel 2
Hauben, M. Buch V, Kapitel 1
Hausdorf, F. Buch III, Kapitel 1
Hawthorne, N. Buch I, Kapitel 2
Hegel, G. W. F. Buch IV, Kapitel 3
Heidegger, M. Buch II, Kapitel 4
Hemingway, E. Buch I, Kapitel 2
Heuss, T. Buch IV, Kapitel 6
Hildegard von Bingen Buch II, Kapitel 4
Homer Buch V, Kapitel 2
Huxley, A. Buch IV, Kapitel 5
Illich, I. EINLEITUNG
Irving, W. Buch I, Kapitel 2
James, H. Buch I, Kapitel 2
Jefferson, T. Buch I, Kapitel 2
Jewtuschenkos, J. A. Buch IV, Kapitel 5
Kant, I. Buch IV, Kapitel 3
Kerkhove, D. de Buch II, Kapitel 4
Kluge, J. NACHWORT
Korzybski, A. Buch II, Kapitel 3
Krause, K. NACHWORT
Lakatos, I. Buch IV, Kapitel 3
Lakoff, G. EINLEITUNG
Lanier, J. Buch IV, Kapitel 1
Le Corbusier Buch IV, Kapitel 4
Leibniz, G. W. EINLEITUNG; Buch II, Kapitel 5; Buch IV, Kapitel 1;
Buch IV, Kapitel 3
Lenin, V. I. Buch IV, Kapitel 5
Leo der Weise Buch IV, Kapitel 6
Leonardo da Vinci Buch IV, Kapitel 1
Leonidas Buch IV, Kapitel 6
Lindendorf, E. Buch IV, Kapitel 6
Llul, R. Buch II, Kapitel 4
Locke, J. Buch II, Kapitel 5
Longfellow, H. W. Buch I, Kapitel 2
Lotman, J. M. EINLEITUNG
Lukrez Buch IV, Kapitel 3
Malthus, T. R. Buch I, Kapitel 1; Buch III, Kapitel 2
Marx, K. Buch IV, Kapitel 3; Buch IV, Kapitel 5
Maturana, H. R. EINLEITUNG; Buch V, Kapitel 1
Maurice (byzant.  Herrscher) Buch IV, Kapitel 6
McLuhan, M. EINLEITUNG; Buch II, Kapitel 4
Moltke, H. von Buch IV, Kapitel 6
Neumann, J. von Buch IV, Kapitel 6
Newton, I. Buch IV, Kapitel 3
Octavian Buch IV, Kapitel 6
Orwell, G. Buch V, Kapitel 2
Otto, N. O. Buch IV, Kapitel 5
Peirce, C. S. EINLEITUNG; Buch I, Kapitel 2; Buch II, Kapitel 5;
Buch IV, Kapitel 3
Platon Buch II, Kapitel 2; Buch II, Kapitel 4; Buch IV, Kapitel 3
Postman, N. Buch I, Kapitel 2
Proust, M. Buch V, Kapitel 2
Pythagoras Buch III, Kapitel 3
Ramses II Buch IV, Kapitel 6
Reich, R. B. Buch III, Kapitel 1
Remington, F. Buch IV, Kapitel 4
Remond, N. de Buch IV, Kapitel 1
Rogers, W. Buch I, Kapitel 1
Royce, J. Buch I, Kapitel 2
Sanders, B. EINLEITUNG; Buch II, Kapitel 5
Schwartzkopf, N. Buch IV, Kapitel 6
Searle, J. Buch I, Kapitel 1
Shakespeare, W. Buch IV, Kapitel 4; Buch V, Kapitel 2
Smith, J. Buch I, Kapitel 2
Snow, C. P. EINLEITUNG
Sokrates Buch I, Kapitel 2; Buch II, Kapitel 4; Buch IV, Kapitel 3
Spencer, H. Buch IV, Kapitel 3
Steiner, G. EINLEITUNG; Buch I, Kapitel 1; Buch V, Kapitel 2
Sterne, L. Buch IV, Kapitel 3
Tesla, N. Buch IV, Kapitel 5
Tiffany, L. C. Buch IV, Kapitel 4
Toqueville, A. de Buch I, Kapitel 2
Toulouse-Lautrec, H. Buch III, Kapitel 1
Turing, A. M. Buch IV, Kapitel 6
Twain, M. Buch I, Kapitel 1
Tzu, S. Buch IV, Kapitel 6
Van Gogh, V. Buch V, Kapitel 2
Vitruvius Buch IV, Kapitel 4; Buch V, Kapitel 2
Wiener, N. Buch I, Kapitel 1
Winograd, T. EINLEITUNG
Wittgenstein, L. Buch II, Kapitel 3; Buch II, Kapitel 5; Buch IV,
Kapitel 3
Zadeh, L. EINLEITUNG



Über den Autor

MIHAI NADIN, geboren 1938 in Brasov (Kronstadt), doppelt
promoviert--in Ästhetik und Computerwissenschaften--und zweifach
habilitiert--für Ästhetik in Bukarest, für Philosophie, Logik und
Wissenschaftstheorie an der Universität München mit einer Arbeit über
die Grundlagen der Semiotik--, lehrte seit 1977 u. a. in Braunschweig,
München, Essen, Providence (RI), Rochester (NY), Columbus (OH) und
New York.  Seit 1994 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Computational
Design an der Universität-Gesamthochschule Wuppertal.  Seine 18
Buchveröffentlichungen und mehr als 140 Aufsätze, CD-ROM- und
Internet-Publikationen weisen ihn als einen der weltweit führenden
Autoren aus, die die gegenwärtige wissenschaftlich-technologische
Revolution und die damit eröffneten Möglichkeiten von Kommunikation
und Wissensproduktion sowohl theoretisch reflektieren als auch in der
Praxis vorantreiben.



End of Jenseits der Schriftkultur
(C)1999 by Mihai Nadin





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Jenseits der Schriftkultur — Band 4" ***

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