Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII | HTML | PDF ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Du deutsches Kind - Eine Gabe für unsere Jugend
Author: Various
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Du deutsches Kind - Eine Gabe für unsere Jugend" ***


                 Du deutsches Kind!


            Eine Gabe für unsere Jugend.

          Dargereicht von J. B. Laßleben.

              Bilder von Albert Reich.


[Illustration: Dekoration]


         Hochwald-Verlag München-Kallmünz



    Ein jeder nehme wohl in acht,
    was Lust und Ehr' ihm hat gebracht:
      Der Wirt seinen Krug,
      der Krämer sein Tuch,
      der Bauer seinen Pflug,
      das Kind sein Buch.

                                   Robert Reinick.


  Druck von Michael Laßleben (Oberpfalz-Verlag)
               Kallmünz/Bayern 1922



[Illustration: Sämann]


Zum Tagewerk.


        Gehe hin in Gottes Namen,
    greif dein Werk mit Freuden an!
    Frühe säe deinen Samen!
    Was getan ist, ist getan.
        Sieh nicht aus nach dem Entfernten;
    was dir nah' liegt, mußt du tun.
    Säen mußt du, willst du ernten;
    nur die fleiß'ge Hand wird ruhn.
        Müßigstehen ist gefährlich,
    heilsam unverdroßner Fleiß;
    und es steht dir abends ehrlich
    an der Stirn des Tages Schweiß.
        Weißt du auch nicht, was geraten
    oder was mißlingen mag,
    folgt doch allen guten Taten
    Gottes Segen für dich nach.
        Geh denn hin in Gottes Namen,
    greif dein Werk mit Freuden an!
    Frühe säe deinen Samen!
    Was getan ist, ist getan.

                                   Philipp Spitta.



Der Vater und die drei Söhne.


        An Jahren alt, an Gütern reich,
    teilt' einst ein Vater sein Vermögen
    und den mit Müh erworb'nen Segen
    selbst unter die drei Söhne gleich.
    »Ein Diamant ist's,« sprach der Alte,
    »den ich für den von euch behalte,
    der mittels einer edlen Tat
    darauf den größten Anspruch hat.«

        Um diesen Anspruch zu erlangen,
    sieht man die Söhne sich zerstreu'n.
    Drei Monden waren kaum vergangen,
    so stellten sie sich wieder ein.

        Drauf sprach der älteste der Brüder:
    »Hört! es vertraut' ein fremder Mann
    sein Gut ohn' einen Schein mir an;
    ich gab es ihm getreulich wieder.
    Sagt, war die Tat nicht lobenswert?« --
    »Du tat'st, mein Sohn, was sich gehört,«
    ließ sich der Vater hier vernehmen;
    »wer anders tut, der muß sich schämen;
    denn ehrlich sein ist unsre Pflicht.
    Die Tat ist gut, doch edel nicht.«

        Der zweite sprach: »Auf meiner Reise
    fiel einmal unachtsamerweise
    ein Kind in einen tiefen See.

    Ich stürzt' ihm nach, zog's in die Höh
    und rettete dem Kind das Leben.
    Ein ganzes Dorf kann Zeugnis geben.« --
    »Du tatest,« sprach der Greis, »mein Kind,
    was wir als Menschen schuldig sind.«

[Illustration: Rettung]

    Der jüngste sprach: »Bei seinen Schafen
    war einst mein Feind fest eingeschlafen
    an eines tiefen Abgrunds Rand;
    sein Leben stand in meiner Hand.
    Ich weckt' ihn und zog ihn zurücke.«--
    »O,« rief der Greis mit holdem Blicke,
    »Dein ist der Ring! Welch edler Mut,
    wenn man dem Feinde Gutes tut.«

                                   M. G. Lichtwer



[Illustration: Gasthausschild]


Das Tischgebet.


    An der Tafel im Gasthaus zum goldnen Stern
    waren beisammen viel reiche Herrn.
    Vor ihnen standen aus Küch' und Keller
    gar lieblich lockend die Flaschen und Teller.
    Schon saßen sie da in plaudernden Gruppen,
    die Kellner reichten die dampfenden Suppen
    und mehr noch begann Gemüs' und Braten
    mit süßem Wohlgeruch zu laden.

    Da kam zur Türe still herein
    ein Fremder mit seinem Töchterlein
    und setzte sich unten am langen Tisch,
    um auch zu kosten von Wein und Fisch.
    Oben klirrten die Löffel und Messer,
    klangen die Gläser und scherzten die Esser.

    Da tönt auf einmal gar hell und fein
    eine Stimme in den Lärm hinein,
    wie wenn von fern ein Glöcklein klingt,
    wie wenn im Wald ein Vogel singt.
    Und wie auch der Strom der Rede rauscht,
    still wird es rings und jeder lauscht:
    der Krieger, der von den Schlachten erzählt,
    der Kaufmann, der über die Zölle geschmält,
    die Reisenden, die von Abenteuern
    gesprochen und von Ungeheuern,
    die Stutzer, die von Pferd und Wagen
    und Hunden und Moden so vieles sagen.

    Und wie sie schauen nach dem Orte,
    von woher dringen die lieblichen Worte:
    mit gefalteten Händen das Mädchen steht
    und spricht sein gewohntes Tischgebet.
    Und wie beseelt von höherem Geist
    falten auch sie die Hände zumeist
    und horchen alle mit rechtem Fleiße
    auf des betenden Kindes Weise.
    Drauf setzt es sich nieder mit stiller Freude
    und achtet nicht auf all die Leute.
    Die aber, ergriffen im tiefsten Innern,
    mußten sich oft noch daran erinnern.
    Und mancher hat wieder gebetet fortan,
    was er schon lange nicht mehr getan.

                                   Friedrich Güll.



Dem Vaterland.


    Das ist ein hohes, helles Wort,
      Dem Vaterland!
    das hallt durch unsre Herzen fort
    wie Waldesrauschen, Glockenklang,
    Drommetenschmettern, Lerchensang;
    das fällt, ein Blitz, in unsre Brust,
    zu heil'ger Flamme wird die Lust!
      Dem Vaterland!

      Dem Vaterland!
    Das Wort gibt Flügel dir, o Herz.
    Flieg auf, flieg auf, schau niederwärts
    die Wälder, Ströme, Tal' und Höhn;
    o deutsches Land, wie bist du schön!
    Und überall klingt Liederschall
    und überall _ein_ Widerhall:
      Dem Vaterland!

      Dem Vaterland!
    Das seinen Töchtern hat beschert
    der keuschen Liebe stillen Herd,
    das seinen Söhnen gab als Hort
    die freie Tat, das treue Wort,
    das feiner Ehren blanken Schild
    zu wahren allzeit sei gewillt,--
      dem Vaterland!

[Illustration: Landschaft]

      Dem Vaterland!
    O hohes Wort, o helles Wort,
    du tön' für alle Zeiten fort
    wie Waldesrauschen, Glockenklang,
    Drommetenschmettern, Lerchensang!
    zu heil'ger Flamme weih' die Lust,
    so lange schlägt die deutsche Brust
      dem Vaterland!
     Heil dir, Heil dir, du deutsches Land!

                                   Rob. Reinick.



Deutscher Rat.


    Vor allem eins, mein Kind: Sei treu und wahr,
    laß nie die Lüge deinen Mund entweih'n!
    Von alters her im deutschen Volke war
    der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein.

    Du bist ein deutsches Kind, so denke dran;
    noch bist du jung, noch ist es nicht so schwer.
    Aus einem Knaben aber wird ein Mann;
    das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr.

    Sprich ja und nein und dreh' und deutle nicht!
    Was du berichtest, sage kurz und schlicht;
    was du gelobest, sei dir höchste Pflicht!
    Dein Wort sei heilig, drum verschwend' es nicht!

    Leicht schleicht die Lüge sich ans Herz heran;
    zuerst ein Zwerg, ein Riese hintennach;
    doch dein Gewissen zeigt den Feind dir an,
    und eine Stimme ruft in dir: »Sei wach!«

    Dann wach' und kämpf', es ist ein Feind bereit:
    Die Lüg' in dir, sie drohet dir Gefahr.
    Kind! Deutsche kämpften tapfer allezeit.
    Du, deutsches Kind, sei _tapfer, treu und wahr_!

                                   Robert Reinick.

[Illustration: Dekoration]



Geschichte vom Nußknacker.


[Illustration: Nussknacker]

Zwei Knaben hatten im Walde Haselnüsse gepflückt, saßen unter den
Stauden und wollten Nüsse essen; aber keiner hatte sein Messerlein bei
sich, und mit den Zähnen konnten sie sie nicht aufbeißen. Da jammerten
sie sehr und sagten: »Ach, käme doch nur jemand, der uns unsre Nüsse
aufknacken wollte!« Kaum gesagt, so kam ein kleines Männlein durch den
Wald einher gezogen. Aber wie sah das Männlein aus? Es hatte einen
großen, großen Kopf, an dem ein langer, steifer Zopf bis an die Ferse
herabhing, eine goldene Mütze, ein rotes Kleid und gelbes Höslein. Indem
es nun so einhertrippelte, brummte es das Liedlein:

          »Heiß, heiß,
          beiß, beiß
          Hans heiß' ich,
          Nüsse beiß' ich;
    geh' gern in den grünen Wald,
    wenn die Nuß vom Strauche fallt;
    mach's dem lust'gen Eichhorn nach,
    knack' und nag' den ganzen Tag!«

Die Knaben mußten sich schier zu Tode lachen über den kleinen, drolligen
Burschen, den sie für ein Waldzwerglein hielten. Sie riefen ihm zu:
»Wenn du Nüsse beißen willst, so komm her und knack' uns diese auf,
damit wir sie essen können!« -- Da brummte das Männlein in seinen langen
weißen Bart:

    »Hansl heiß' ich,
    Nüsse beiß' ich;
    hab' ich aber mich beflissen,
    euch ein Dutzend aufgebissen,
    gebt mir zum Lohn
    ein paar davon!«

»Ja, ja!« schrien die Buben, »du kannst mitessen, knacke nur fleißig
auf.« -- Das Männlein stellte sich zu ihnen hin -- denn am Sitzen
hinderte es sein steifer Zopf -- und sprach:

    »Hebet auf den langen Zopf,
    schiebt die Nuß in meinen Kropf,
    drücket nieder und so fort,
    schnell ist jede Nuß durchbohrt.«

[Illustration: Nussbeißer]

Also taten sie, und hörten das Lachen nicht auf, wenn sie den Kleinen
immer beim Zopfe nehmen mußten und nach jedem tüchtigen Knack die Nuß
aus dem Munde sprang. Bald waren alle Nüsse aufgebissen, und das
Männlein brummte:

    »Heiß, heiß,
    beiß, beiß,
    will meinen Lohn
    nun auch davon!«

Der eine der Knaben wollte nun dem Männlein den versprochenen Lohn
spenden; der andere aber, ein böser Bube, hinderte ihn daran, indem er
sprach: »Warum willst du dem Bürschlein von unsern Nüssen geben? Wir
wollen sie allein essen. Geh nur fort jetzt, Nußbeißer, und suche dir
deine Nüsse selbst!«

Da ward das Nußbeißerlein gewaltig erzürnt und brummte:

    »Gibst du mir keine Nuß,
    so machst du mir Verdruß;
    ich nehme dich beim Schopf
    und beiß' dir ab den Kopf!«

Da lachte der böse Bube und sagte: »Du mir den Kopf abbeißen? Mache
lieber, daß du fortkommst, sonst laß' ich dich mein Haselstaudengertlein
fühlen!« Zugleich drohte er mit seinem Stöcklein; der Nußknacker wurde
ganz rot vor Zorn, hob sich mit einem Händchen den Zopf auf, schnappte
wie ein Fisch im Wasser und -- knack -- der Kopf war weg.

Das ist die Geschichte von dem ersten Nußknacker. Habt wohl acht,
Kinder, daß euch die Köpfe oder wenigstens die Fingerlein nicht
abgebissen werden; denn wie ihr Ahnherr, so machen auch die Enkel und
Urenkel des Nußknackergeschlechts mit bösen Kindern nicht lange
Federlesens!                       F. v. Pocci.



Der alte Landmann an seinen Sohn.

    Üb' immer Treu und Redlichkeit
    bis an dein kühles Grab
    und weiche keinen Finger breit
    von Gottes Wegen ab!
    Dann wirst du wie auf grünen Au'n
    durchs Erdenleben gehn;
    dann kannst du sonder Furcht und Grau'n
    dem Tod ins Auge sehn.

[Illustration: Landmann beim Mähen]

    Dann wird die Sichel und der Pflug
    in deiner Hand so leicht;
    dann singest du beim Wasserkrug,
    als wär' dir Wein gereicht.
    Dem Bösewicht wird alles schwer,
    er tue, was er tu'.
    Der Teufel treibt ihn hin und her
    und läßt ihm keine Ruh'.
    Der schöne Frühling lacht ihm nicht;
    ihm lacht kein Ährenfeld;
    er ist auf Lug und Trug erpicht
    und wünscht sich nichts als Geld.
    Der Wind im Hain, das Laub am Baum
    saust ihm Entsetzen zu.
    Er findet nach des Lebens Traum
    im Grabe keine Ruh'.
    Sohn, übe Treu' und Redlichkeit
    bis an dein kühles Grab
    und weiche keinen Finger breit
    von Gottes Wegen ab!
    Dann suchen Enkel deine Gruft
    und weinen Tränen drauf,
    und Sonnenblumen, voll von Duft,
    Blühn aus den Tränen auf.
                                   Hölty.

[Illustration: Dekoration - Sonnenblumen]



[Illustration: Die unholdigen Schwestern]


Der getreue Eckart.


    Vom Wundermann hat man euch immer erzählt;
    nur hat die Bestätigung jedem gefehlt,
    die habt ihr nun köstlich in Händen.«

    Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug
    ein jedes den Eltern bescheiden genug
    und harren der Schläg' und der Schelten.
    Doch siehe, man kostet: »Ein herrliches Bier!«
    Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier
    und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.

    Das Wunder, es dauert zum morgenden Tag;
    doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
    »Wie ist's mit den Krügen ergangen?«
    Die Mäuslein, sie lächeln, im stillen ergötzt;
    Sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt
    und gleich sind vertrocknet die Krüge.

    Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht
    ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht,
    so horchet und folget ihm pünktlich!
    Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut,
    verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut;
    dann füllt sich das Bier in den Krügen.
                                   Goethe.

[Illustration: Dekoration]



[Illustration: Pflug]


Die beiden Pflugscharen.


Von gleicher Art des Eisens wurden in einer Werkstätte zwei Pflugscharen
verfertigt. Eine davon kam in die Hand eines Landmannes, die andere ward
in einen Winkel gestellt. Erst nach mehreren Monaten erinnerte man sich
derselben, zog sie aus ihrer Ruhe hervor, und siehe! sie war ganz mit
Rost bedeckt. Wie erstaunte sie, als sie ihre Gefährtin wiedersah und
sich selbst mit ihr verglich! Denn diese fand sie hell und glatt, ja,
glänzender als sie anfangs gewesen war. »Ist das möglich?« rief die
verrostete aus; »einst waren wir einander gleich; was hat dich so
herrlich gemacht, während ich in der glücklichsten Ruhe so verunstaltet
worden bin?« -- »Eben diese Ruhe«, erwiderte jene, »war dir verderblich.
Mich hat Übung und Arbeit erhalten, und diesen verdanke ich die
Schönheit, in der ich dich jetzt übertreffe.«

                                   G. Meißner.



Die beiden Äxte.


Ein Zimmermann ließ seine Axt in einen tiefen Strom fallen und bat den
Flußgott inbrünstig, er möchte ihm, da er arm sei, wieder dazu
verhelfen. Der Flußgott war so gnädig, stieg auf und brachte eine --
goldene Axt zum Vorschein.

[Illustration: Flussgott]

»Das ist die meinige nicht!« sprach der Zimmermann ganz gelassen. --
Der Geist tauchte von neuem unter und langte eine silberne hervor.

»Auch diese gehört mir nicht!« sprach der Arme und zum dritten Male
langte der Flußgott eine Axt von Eisen mit einem hölzernen Stiele
heraus. --

»Das ist die rechte! das ist sie!« rief der Arbeitsmann fröhlich.

»Gut! Ich sehe, du bist eben so wahrhaft und ehrlich, als arm«, sprach
der mitleidige Geist. »Zur Belohnung nimm alle drei mit.«

Die Geschichte ward bald in der ganzen Gegend ruchbar. Ein Schalk, der
sie erfahren, nahm sich vor zu versuchen, ob auch gegen ihn der Flußgott
so mildtätig sein würde. Er ließ seine Axt mit Willen in den Strom
fallen, flehte zum Flußgott und hatte das Vergnügen, ihn aufsteigen zu
sehen. Er klagte ihm seinen Verlust, und der Geist brachte, wie ehemals,
eine goldene hervor.

»Ist sie das, mein Sohn?«

»Ja, ja, das ist sie!« antwortete der Lügner und griff schon darnach.
»Halt, Nichtswürdiger!« erschallte nun die Stimme des erzürnten Geistes.
»Glaubst du denjenigen zu hintergehen, der bis ins Innere deines Herzens
blicken kann? Zur Strafe deines Lugs und Betrugs verliere auch
dasjenige, was bisher dein war!« Und ohne Axt mußte er nach Hause
wandern.                           G. Meißner.



Sparbüchslein.


    Teuer ist die War'
    und das Geld ist rar:
      Spar'!

    Lang ist auch das Jahr,
    groß der Tage Schar:
      Spar'!

    Eh' dein Geld ist gar,
    jetzt und immerdar:
      Spar'!

    Spar' für die Gefahr,
    für die grauen Haar:
      Spar'!

    Sag' nicht: Wenn und zwar! --
    Bis zu deiner Bahr:
      Spar'!

                                   Friedrich Güll.

[Illustration: Sparbüchse]



Wie Kaiser Karl Schulvisitation hielt.


    Als Kaiser Karl zur Schule kam und wollte visitieren,
    da prüft' er scharf das kleine Volk, ihr Schreiben, Buchstabieren,
    ihr Vaterunser, Einmaleins, und was man lernte mehr;
    zum Schlusse rief die Majestät die Schüler um sich her.

    Gleichwie der Hirte schied er da die Böcke von den Schafen,
    zu seiner Rechten hieß er stehn die Fleißigen, die Braven.
    Da stand im groben Linnenkleid manch schlichtes Bürgerkind,
    manch Söhnlein eines armen Knechts von Kaisers Hofgesind'.

    Dann rief er mit gestrengem Blick die Faulen her, die Böcke,
    und wies sie mit erhobner Hand zur Linken in die Ecke;
    da stand im pelzverbrämten Rock manch feiner Herrensohn,
    manch ungezognes Mutterkind, manch junger Reichsbaron.

    Da sprach nach rechts der Kaiser mild: »Habt Dank ihr frommen Knaben,
    ihr sollt' an mir den gnäd'gen Herrn, den güt'gen Vater haben;
    und ob ihr armer Leute Kind und Knechtesöhne seid,
    in meinem Reiche gilt der Mann und nicht des Mannes Kleid.«

    Dann blitzt' sein Blick zur Linken hin, wie Donner klang sein Tadel:
    »Ihr Taugenichtse, bessert euch, ihr schändet euren Adel;
    ihr seidnen Püppchen, trotzet nicht auf euer Milchgesicht,
    ich frage nach des Manns Verdienst, nach seinem Namen nicht!«

    Da sah man manches Kindesaug' in frohem Glanze leuchten
    und manches stumm zu Boden sehn und manches still sich feuchten;
    und als man aus der Schule kam, da wurde viel erzählt,
    wen heute Kaiser Karl gelobt, und wen er ausgeschmält.

    Und wie's der große Kaiser hielt, so soll man's allzeit halten
    im Schulhaus mit dem kleinen Volk, im Staate mit den Alten:
    Den Platz nach Kunst und nicht nach Gunst, den Stand nach dem Verstand,
    so steht es in der Schule wohl und gut im Vaterland.

                                   Karl Gerock.



Hurtig an die Arbeit.


    Mein Kind, du bist schon lang
    der Mutter aus der Wiegen;
    nun hilf dir selbst; wie du
    dich bettest, wirst du liegen.
    Die Flügel wuchsen dir,
    gebrauche sie zum Fliegen!
    Der kommt nicht auf den Berg,
    der nicht hinaufgestiegen.
    Greif an die Schwierigkeit,
    so wirst du sie besiegen!

                                   Friedrich Rückert.



Meister, Geselle und Lehrling.


    Wer soll Meister sein? Wer was ersann.
    Wer soll Geselle sein? Wer was kann.
    Wer soll Lehrling sein? Jedermann.

                                   Joh. Wolfg. v. Goethe.

[Illustration: Dekoration - Rose]



Der Künstler und sein Sohn.


Der Meister saß in seiner Werkstätte und meißelte an einem Herkules. Da
trat eines Tages sein Söhnlein zu ihm und fragte: »Vater, was machst du
da?« Der Vater antwortete: »Ich bildne einen Herkules.« Und er erzählte
ihm darauf, wie ein gar großer und gewaltiger Mann der gewesen, und wie
er Löwen und Schlangen und Riesen erlegt, und noch viele andere
wundersame Heldenstücke getan. Da sagte der Knabe: »Vater, ich will auch
einen Herkules machen.« -- »Tue das, mein Kind!« versetzte der Meister
lächelnd. Und er gab demselben einen Klumpen Ton, aus dem jener den
Herkules machen könnte. Nach einiger Zeit fragte der Vater: »Wie ist's
mit dem Herkules?« Der Knabe antwortete: »Es fügt sich nicht recht; ich
will lieber einen Reiter machen.« Der Vater nickte und sprach: »So mach'
denn einen Reiter!« Nach einer Weile stiller Arbeit rief der Knabe:
»Vater, es geht mit dem Reiter auch nicht; ich will nur gleich einen
Hanswurst machen.« Und er knetete nun aus dem Ton zuerst einen großen
Wanst; dann fügte er Hände und Füße daran und setzte zuletzt einen
spitzen Hut drauf, unter dem ein Kopf stak mit einer großen Nase. So war
denn der Hanswurst fertig. Das Söhnlein klatschte voll Freuden sich in
die Hände; der Vater aber schüttelte den Kopf und dachte sich, -- was
sich jeder leicht denken kann.     Ludwig Aurbacher.



[Illustration: Zweig mit Pfirsichen]


Die Pfirsiche.


Ein Landmann brachte aus der Stadt fünf Pfirsiche mit, die schönsten,
die man sehen konnte. Seine Kinder aber sahen diese Frucht zum
erstenmale. Deshalb wunderten und freuten sie sich sehr über die schönen
Äpfel mit den rötlichen Backen und dem zarten Flaum. Darauf verteilte
sie der Vater unter seine vier Knaben, und einen erhielt die Mutter.

Am Abend, als die Kinder in das Schlafkämmerlein gingen, fragte der
Vater: »Nun, wie haben euch die schönen Äpfel geschmeckt?« »Herrlich,
lieber Vater!« sagte der Älteste. »Es ist eine schöne Frucht, so
säuerlich und so sanft von Geschmack. Ich habe mir den Stein sorgsam
bewahrt und will mir daraus einen Baum erziehen.« »Brav!« sagte der
Vater; »das heißt haushälterisch auch für die Zukunft gesorgt, wie es
dem Landmanne geziemt!«

»Ich habe den meinigen sogleich aufgegessen,« rief der Jüngste, »und den
Stein fortgeworfen, und die Mutter hat mir die Hälfte von dem ihrigen
gegeben. O! das schmeckte so süß und zerschmilzt einem im Munde.« »Nun,«
sagte der Vater, »du hast zwar nicht sehr klug, aber doch natürlich und
nach kindlicher Weise gehandelt. Für die Klugheit ist auch noch Raum
genug im Leben.«

Da begann der zweite Sohn: »Ich habe den Stein, den der kleine Bruder
fortwarf, aufgehoben und zerklopft. Es war ein Kern darin, der schmeckte
so süß wie eine Nuß. Aber meinen Pfirsich habe ich verkauft und so viel
Geld dafür erhalten, daß ich, wenn ich nach der Stadt komme, wohl zwölf
dafür kaufen kann.« Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: »Klug ist
das wohl, aber kindlich und natürlich war es nicht.«

»Und du Edmund?« fragte der Vater. Unbefangen und offen antwortete
Edmund: »Ich habe meinen Pfirsich dem Sohne unseres Nachbars, dem
kranken Georg, der das Fieber hat, gebracht, er wollte ihn nicht nehmen.
Da habe ich ihn auf sein Bett gelegt und bin hinweggegangen.«

»Nun!« sagte der Vater, »wer hat denn wohl den besten Gebrauch von
seinem Pfirsich gemacht?« Da riefen sie alle drei: »Das hat Bruder
Edmund getan!« Edmund aber schwieg still. Und die Mutter umarmte ihn mit
einer Träne im Auge.               A. Krummacher.



[Illustration: Garben]


Die treuen Brüder.


Zur Zeit der Ernte kamen zwei rüstige Jünglinge aus dem Gebirg herab in
das ebene Land, wo es an Arbeitern fehlte und sagten zu einem Bauern:
»Wir beide wollen euch die ganze Erntezeit hindurch helfen, euer
Getreide hereinzubringen, wenn ihr uns die Kost und zehn Taler Lohn
gebt!«

»Zehn Taler ist zu viel,« sagte der Bauer; »ich meine, zehn Gulden[1]
wären mehr als genug.« »Nein,« sagten die Jünglinge, »es müssen gerade
zehn Taler sein, mit weniger ist uns nicht geholfen. Wollt ihr uns nicht
so viel geben, so bieten wir unsere Dienste einem andern an.«

»Wozu habt ihr denn so viel Geld notwendig?« fragte der Bauer. »Seht,«
sagten sie, »wir haben zu Hause einen jüngeren Bruder, der bereits
vierzehn Jahre alt ist. Ein geschickter Wagner will ihn in die Lehre
nehmen, verlangt aber durchaus zehn Taler Lehrgeld. So viel Geld aber
weiß unser alter Vater nicht aufzubringen. Da haben wir zwei ältere
Brüder uns denn verabredet, dieses Geld zu verdienen.«

»Nun wohl,« sagte der Bauer, »wegen eurer brüderlichen Liebe will ich
euch zehn Taler geben, wenn ihr so fleißig arbeitet, daß ich damit
zufrieden sein kann.«

Die beiden Brüder arbeiteten an den heißen Erntetagen unermüdet im
Schweiße ihres Angesichtes; sie waren morgens am frühesten auf und
legten sich abends am spätesten zur Ruhe.

Als die Ernte glücklich eingebracht war, bezahlte der Bauer ihnen die
zehn Taler und sprach: »Ihr habt euern Lohn redlich verdient und da gebe
ich jedem von euch noch einen Taler darüber.«

    Wenn Geschwister einig leben,
    treulich sich zu helfen streben --
    kann es etwas Schönr'es geben?

                                   Chr. v. Schmid.

[Illustration: Dekoration - Ähren]



[Illustration: Der Bauer und sein Sohn]



Der Bauer und sein Sohn.


    Ein guter dummer Bauernknabe,
    den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm
    und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe
    recht dreist zu lügen wiederkam,
    ging kurz nach der vollbrachten Reise
    mit seinem Vater über Land.
    Fritz, der im Geh'n recht Zeit zum Lügen fand,
    log auf die unverschämt'ste Weise.
    Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt.
    »Ja, Vater,« rief der unverschämte Knabe,
    »ihr mögt mir glauben oder nicht,
    so sag' ich euch und jedem ins Gesicht,
    daß ich einst einen Hund im Haag[2] gesehen habe,
    hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt,
    der -- ja, ich bin nicht ehrenwert,
    wenn er nicht größer war als euer größtes Pferd.«

[Illustration: Hund]

    »Das,« spricht der Vater, nimmt mich wunder,
    wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge seh'n.
    Wir zum Exempel geh'n jetzunder
    und werden keine Stunde geh'n,
    so wirst du eine Brücke seh'n,
    (wir müssen selbst darüber geh'n),
    die hat dir manchen schon betrogen;
    (denn überhaupt soll's dort nicht gar zu richtig sein).
    Auf dieser Brücke liegt ein Stein,
    an den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen,
    und fällt und bricht sogleich das Bein.«

    Der Bub' erschrak, sobald er dies vernommen.
    »Ach,« sprach er, »lauft doch nicht so sehr!
    Doch, wieder auf den Hund zu kommen,
    wie groß sagt' ich, daß er gewesen wär'?
    Wie euer größtes Pferd? Dazu will viel gehören.
    Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein halbes Jahr;
    allein, das wollt' ich wohl beschwören,
    daß er so groß als mancher Ochse war.«

    Sie gingen noch ein gutes Stücke;
    doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt' es anders sein?
    Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
    Er sah nunmehr die richterliche Brücke --
    und fühlte schon den Beinbruch halb.
    »Ja, Vater,« fing er an, »der Hund, von dem ich rede,
    war groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte,
    so war er doch viel größer als ein Kalb.«

    Die Brücke kommt. Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen!
    Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind.
    »Ach, Vater,« spricht er, »seid kein Kind
    und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen;
    denn kurz und gut, eh' wir darüber gehen,
    der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind.«

                                   Christian Fürchtegott Gellert

[Illustration: Dekoration - Brücke]



Das Kind.


    Die Mutter lag im Totenschrein,
    zum letzten Mal geschmückt;
    da spielt das kleine Kind herein,
    das staunend sie erblickt.

    Die Blumenkron' im blonden Haar
    gefällt ihm gar zu sehr,
    die Busenblumen, bunt und klar,
    zum Strauß gereiht, noch mehr.

    Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
    »du, liebe Mutter, gib
    mir eine Blum aus deinem Strauß,
    ich hab' dich auch so lieb!«

    Und als die Mutter es nicht tut,
    da denkt das Kind für sich:
    »Sie schläft, doch wenn sie ausgeruht,
    so tut sie's sicherlich.«

    Schleicht fort, so leis' es immer kann,
    und schließt die Türe sacht
    und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
    ob Mutter noch nicht wacht.

                                   Hebbel.

[Illustration: Dekoration - Blumen]



Das Kind am Brunnen.


    Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
    Doch die liegt ruhig im Schlafe.
    Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht,
    am Hügel weiden die Schafe.
    Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
    es wagt sich weiter und weiter!
    Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
    da stehen Blumen und Kräuter.
    Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief!
    Sie schläft, als läge sie drinnen.
    Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,
    die Blumen lockens von hinnen.
    Nun steht es am Brunnen, nun steht es am Ziel,
    nun pflückt es die Blumen sich munter;
    doch bald ermüdet das reizende Spiel,
    da schaut's in die Tiefe hinunter.
    Und unten erblickt es ein holdes Gesicht
    mit Augen, so hell und so süße.
    Es ist sein eignes, das weiß es noch nicht,
    viel stumme freundliche Grüße!
    Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind
    winkt aus der Tiefe ihm wieder.
    Herauf! Herauf! so meint's das Kind;
    der Schatten: Hernieder! Hernieder!
    Schon beugt es sich über den Brunnenrand.
    Frau Amme, du schläfst noch immer!

[Illustration: Kind am Brunnen]

    Da fallen die Blumen ihm aus der Hand
    und trüben den lockenden Schimmer.
    Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,
    verschluckt von der hüpfenden Welle;
    das Kind durchschauert's fremd und kalt,
    und schnell enteilt es der Stelle.

                                   Friedrich Hebbel.



[Illustration: Blumenkorb]


Des Mägdleins Schmuck.


    Es wächst ein Blümlein _Bescheidenheit_,
    der Mägdlein Kränzel und Ehrenkleid.
    Wer solches Blümlein sich frisch erhält,
    dem blühet golden die ganze Welt.

    Auch wird ein zweites, das _Demut_ heißt,
    als Schmuck der Mägdelein hoch gepreist.
    Die Englein, singend an Gottes Thron,
    es trag'n als Demant in goldner Kron'.

    Ein drittes Blümlein, wo diese zwei
    nur stehen, immer ist dicht dabei:
    heißt _Unschuld_, sieht gar freundlich aus,
    das schönste Blümchen im Frühlingsstrauß.

    So pflege, Mägdlein, die Blümlein drei
    mit frommer Sorge und stiller Treu'!
    Denn wer sie wahret, wird nimmer alt,
    er trägt die himmlische Wohlgestalt.

                                   Ernst Moritz Arndt.



Der Jähzorn.


Ein junger Schäfer hütete im Gebirge seine Schafe. Eines Tages saß er
auf einem Felsenstücke in dem Schatten einer Tanne. Er schlief ein und
wankte und nickte im Schlafe beständig mit dem vorwärts hängenden Kopfe.
Der Schafbock, der nicht weit von ihm graste, meinte, der Schäfer
fordere ihn zum Zweikampfe heraus und wolle mit ihm stoßen. Der Bock
nahm daher eine drohende Stellung, ging, um einen rechten Anlauf zu
nehmen, einige Schritte zurück, rannte dann auf den Schäfer zu und
versetzte ihm mit seinen Hörnern einen gewaltigen Stoß. Der Schäfer, der
sich aus seinem süßen Schlummer so unsanft geweckt sah, geriet in
wütenden Zorn. Er sprang auf, packte den Bock mit beiden Fäusten und
schleuderte ihn weit von sich. Der verscheuchte Bock rannte fort und
stürzte in den nahen Abgrund. Die Schafe, wohl ihrer hundert, sprangen
dem Bocke nach und wurden an den Felsen elend zerschmettert. Der Schäfer
aber raufte sich vor Jammer die Haare aus und bereute zu spät seinen
Jähzorn.                           Chr. v. Schmid.

[Illustration: Dekoration - Widderkopf]



Eifer führt zum Ziel.


Der Hase verspottete einst die Schildkröte ihrer Langsamkeit wegen. »Die
Natur«, erwiderte diese, »hat mir freilich keinen schnellen Schritt
verliehen; dennoch getraue ich mir wohl mit dir um die Wette zu laufen.«

Mit Hohn und Scherz ward von dem Hasen dieser Vorschlag angenommen. Man
bestimmte ein Ziel. Beide machten sich zu gleicher Zeit auf den Weg. Und
unermüdet kroch auf schnurgeradem Pfade die Schildkröte fort. Ganz
anders machte es der Hase. Um zu zeigen, wie sehr er seinen Mitbewerber
verachte, hüpfte er bald rechts bald links und kam demungeachtet viel
früher bis auf die Mitte des Weges. Ermüdet von den vielen
Seitensprüngen legte er allda sich nieder um ein wenig zu schlummern.
»Ich kann ja doch«, dachte er bei sich selbst, »die Schildkröte mit drei
oder vier Sprüngen wieder einholen!« So schlief er ruhig, bis er von
einem lauten Gelächter der Zuschauer erwachte. Jetzt wollte er sich
hurtig aufraffen und ans Ziel eilen, als er -- o Schande! -- die
Schildkröte bereits an demselben erblickte.

                                   A. G. Meißner.

[Illustration: Dekoration - Hase]



Einer für alle.


Beim Sturm auf Lüttich (1914) hatte eine deutsche Batterie nach schweren
Verlusten eine gute Stellung gewonnen. Immer hitziger wurde der Kampf.
Die schwere Artillerie der Festung schleuderte dem Angreifer
zentnerschwere Granaten entgegen. Da plötzlich -- es war auf dem
Höhepunkt des heißen Artilleriekampfes -- fällt eines dieser
Riesengeschosse mit dumpfem Schlag mitten in die deutsche Batterie. Der
Sand spritzt nach allen Seiten, das Geschoß liegt offen in der Höhlung.
Jeden Augenblick kann es losgehen und alles Lebende ringsum töten. Da
schießt dem Unteroffizier Heinemann der Gedanke durch das Gehirn: Lieber
einer als alle! Er springt hin, rafft das schwere Geschoß auf und
schleppt es an den Leib gepreßt eilends aus der Batterie hinaus. Wäre es
in diesen Sekunden geplatzt, er wäre in tausend Stücke zerrissen worden.
Aber die Tat glückte. Eine Strecke außerhalb der Stellung legte er die
gefährliche Last zur Erde und eilte zurück. Doch kaum ist er eine
Strecke gesprungen, da war die Zeit der Granate gekommen. Sie zersprang
mit furchtbarem Brüllen und spritzte ihren totbringenden Eisenhagel nach
allen Seiten. Wie durch ein Wunder aber blieb der Tapfere heil. Nur ein
Splitter traf ihn in die Ferse, und als sieben Stunden später die
Festung fiel, konnte er noch siegreich mit einziehen.

                                   »Hamburger Fremdenblatt«.

[Illustration: Unteroffizier Heinemann]



[Illustration: Dekoration - Weinrebe]


Der Schatzgräber.


    Ein Winzer, der am Tode lag,
    Rief seine Kinder an und sprach:
    »In unserm Weinberg liegt ein Schatz,
    Grabt nur darnach!« -- »An welchem Platz?«
    Schrie alles laut den Vater an. --
    »Grabt nur!« O weh, da starb der Mann.

    Kaum war der Alte beigeschafft,
    So grub man nach aus Leibeskraft.
    Mit Hacke, Karst und Spaten ward
    Der Weinberg um und um gescharrt.
    Da war kein Kloß, der ruhig blieb;
    Man warf die Erde gar durchs Sieb
    Und zog die Harken kreuz und quer
    Nach jedem Steinchen hin und her.
    Allein da ward kein Schatz verspürt
    Und jeder hielt sich angeführt.

    Doch kaum erschien das nächste Jahr,
    So nahm man mit Erstaunen wahr,
    Daß jede Rebe dreifach trug.
    Da wurden erst die Söhne klug
    Und gruben nun jahrein, jahraus
    Des Schatzes immer mehr heraus.

                                   Gottfr. Aug. Bürger.



[Illustration: Dekoration - Grabkreuz]


Hoffnung.


    Es reden und träumen die Menschen viel
    von bessern künftigen Tagen,
    nach einem glücklichen, goldenen Ziel
    sieht man sie rennen und jagen.
    Die Welt wird alt und wird wieder jung,
    doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
    Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
    sie umflattert den fröhlichen Knaben,
    den Jüngling locket ihr Zauberschein,
    sie wird mit dem Greis nicht begraben;
    denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
    noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf.
    Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,
    erzeugt im Gehirne des Toren;
    im Herzen kündet es laut sich an:
    Zu was Besserm sind wir geboren.
    Und was die innere Stimme spricht,
    das täuscht die hoffende Seele nicht.

                                   Friedrich von Schiller.



Der beste Empfehlungsbrief.


Auf das Ausschreiben eines Kaufmanns, durch welches ein Laufbursche
gesucht wurde, meldeten sich fünfzig Knaben. Der Kaufmann wählte sehr
rasch einen unter denselben und verabschiedete die andern. »Ich möchte
wohl wissen,« sagte ein Freund, »warum du gerade diesen Knaben, der doch
keinen einzigen Empfehlungsbrief hatte, bevorzugtest?« »Du irrst,«
lautete die Antwort, »dieser Knabe hatte viele Empfehlungen. Er putzte
seine Füße ab, ehe er ins Zimmer trat, und machte die Türe zu; er ist
daher sorgfältig. Er gab ohne Besinnen seinen Stuhl jenem alten, lahmen
Manne, was seine Herzensgüte und Aufmerksamkeit zeigt. Er nahm seine
Mütze ab, ehe er hereinkam, und antwortete auf meine Fragen schnell und
sicher; er ist also höflich und hat gute Sitten. Er hob das Buch auf,
welches ich absichtlich auf den Boden gelegt hatte, während alle übrigen
dasselbe zur Seite stießen oder darüber stolperten. Er wartete ruhig und
drängte sich nicht heran -- ein gutes Zeugnis für sein anständiges
Benehmen. Ich bemerkte ferner, daß sein Rock gut ausgebürstet und seine
Hände und sein Gesicht rein waren. Nennst du dies alles keinen
Empfehlungsbrief? Ich gebe mehr darauf, was ich von einem Menschen weiß,
nachdem ich ihn zehn Minuten lang gesehen, als auf das, was in schön
klingenden Empfehlungsbriefen geschrieben steht.«

                                   Magdeburger Zeitung.



[Illustration: Dekoration - Blume]


Reinlichkeit.


    Rein gehalten dein Gewand, rein gehalten Mund und Hand!
    Rein das Kleid von Erdenputz, rein die Hand von Erdenschmutz!
    Sohn, die äußre Reinlichkeit ist der innern Unterpfand.

                                   Friedrich Rückert.

[Illustration: Hermann Billing]



Hermann Billings Berufung.


Es war um das Jahr 940 nach Christi Geburt, da hütete nicht weit von
Hermannsburg in der Lüneburger Heide ein dreizehn- bis vierzehnjähriger
Knabe die Rinderherde seines Vaters auf der Legde[3], als plötzlich ein
prächtiger Zug von gewappneten Rittern dahergezogen kam. Der Knabe sieht
mit Lust die blinkenden Helme und Harnische, die glänzenden Speere und
die hohen Reitersleute an und denkt wohl in seinem Herzen: das sieht
noch nach was aus! Aber plötzlich biegen die Reiter von der sich
krümmenden Straße ab und kommen querfeldein auf die Legde zugeritten, wo
er hütet. Das ist ihm zu arg; denn das Feld ist keine Straße, und das
Feld gehört seinem Vater. Er besinnt sich kurz, geht den Rittern
entgegen, stellt sich ihnen in den Weg und ruft ihnen mit dreister
Stimme zu: »Kehrt um; die Straße ist euer, das Feld ist mein.«

[Illustration: König Otto]

Ein hoher Mann, auf dessen Stirn ein majestätischer Ernst thront, reitet
an der Spitze des Zuges und sieht ganz verwundert den Knaben an, der es
wagt, sich ihm in den Weg zu stellen. Er hält sein Roß an und hat seine
Freude an dem mutigen Jungen, der so kühn und furchtlos seinen Blick
erwidert und nicht vom Platze weicht.

»Wer bist du, Knabe?« »Ich bin Hermann Billings ältester Sohn und heiße
auch Hermann, und dies ist meines Vaters Feld; Ihr dürft nicht darüber
reiten.«

»Ich will's aber,« erwiderte der Ritter mit drohendem Ernst; »weiche,
oder ich stoße dich nieder.« Dabei erhob er den Speer. Der Knabe aber
bleibt furchtlos stehen, sieht mit blitzendem Auge zu dem Ritter hinauf
und spricht: »Recht muß Recht bleiben, und Ihr dürft nicht über das Feld
reiten, Ihr reitet denn über mich weg.«

»Was weißt du von Recht, Knabe?« -- »Mein Vater ist der Billing[4],«
antwortete der Knabe; »vor einem Billing darf niemand das Recht
verletzen.«

Da ruft der Ritter noch drohender: »Ist das denn Recht, Knabe, deinem
Könige den Gehorsam zu versagen? Ich bin Otto, dein König.«

»Ihr wäret Otto, unser König, von dem mein Vater uns so viel erzählt?
Nein, Ihr seid es nicht! König Otto schützt das Recht, und Ihr brecht
das Recht: Das tut Otto nicht, sagt mein Vater.«

»Führe mich zu deinem Vater, braver Knabe,« antwortete der König, und
eine ungewöhnliche Milde und Freundlichkeit erglänzte auf seinem ernsten
Angesichte.

»Dort ist meines Vaters Hof, Ihr könnt ihn sehen,« sagte Hermann; »aber
die Rinder hier hat mir mein Vater anvertraut; ich darf sie nicht
verlassen, kann Euch also auch nicht führen. Seid Ihr aber Otto der
König, so lenket ab vom Felde auf die Straße; denn der König schützt das
Recht.«

Und der König Otto der Große gehorchte der Stimme des Knaben und lenkte
sein Roß zurück auf die Straße.

Bald wird Hermann vom Felde geholt. Der König ist bei seinem Vater
eingekehrt und hat zu ihm gesagt: »Billing, gib mir deinen ältesten Sohn
mit; ich will ihn bei Hofe erziehen lassen; er wird ein treuer Mann
werden, und ich brauche treue Männer.« Und welcher gute Sachse konnte
einem Könige wie Otto etwas abschlagen?

So sollte denn der mutige Knabe mit seinem Könige ziehen, und als Otto
ihn fragte: »Hermann, willst du mit mir ziehen?« Da antwortete der Knabe
freudig: »Ich will mit dir ziehen; du bist der König, denn du schützest
das Recht.«

Otto übergab den jungen Billing guten Lehrmeistern, in deren Pflege und
Leitung er zu einem tugendlichen und tüchtigen Manne erwuchs. Der König
hielt ihn für einen seiner nächsten Freunde und vertraute dermaßen der
Klugheit, Tapferkeit und Treue seines Pfleglings, daß er, als er seine
Römerfahrt antrat, ihm das eigene angestammte Herzogtum Sachsen zur
Verwaltung übergab. Dieser Hermann Billing ist der Ahnherr eines
blühenden Geschlechtes geworden, welches bis zum Jahre 1106 dem
Sachsenlande seine Herzoge gab.

                                   Ferdinand Bäßler.

[Illustration: Dekoration - Schild und Schwert]



Wohltun macht Freunde.

Ein Venetianer, der häufig das Fichtelgebirg besuchte, um da nach edlen
Metallen besonders nach Goldkörnern zu graben, kehrte oft bei einem
Landmanne in Wülfertsreuth ein, der ihn gastfreundlich aufnahm und ihm
bot, was er vermochte. Einstmals kam er wieder, jedoch um für immer
Abschied zu nehmen. »Ich kehre jetzt in meine Heimat zurück, um die
Früchte meiner langjährigen Mühen friedlich zu genießen,« sagte er, »und
werde wohl nie mehr deine gastliche Schwelle überschreiten. Wenn du
jedoch einst irgend ein Anliegen auf dem Herzen hast, so komme zu mir in
das ferne Venedig und ich will dir von deinem Kummer helfen. Ich glaube,
ich werde dich noch bei mir sehen.« Er schied.

Und siehe, nach langen Jahren zogen schwere Wolken über das kleine Haus,
so daß der arme Mann keinen Retter mehr wußte aus Not und Sorgen als
seinen alten Freund in Welschland. Da machte er sich auf, pilgerte gen
Süden und erreichte glücklich die große Meerstadt. Nun ward ihm aber
bange, als er die weiten Straßen beschaute. Wie wollte er seinen Freund
ausfindig machen, dessen fremden Namen er längst vergessen?

[Illustration: Venedig]

Als er jedoch in halber Verzweiflung die köstlichen Paläste ringsum
anstarrte, da rief es plötzlich aus einem derselben: »Hans, Hans!« und
ein vornehmer Mann stürzte heraus, um den Staunenden zu umarmen. War das
der Venetianer in den schlechten, schwarzen Kleidern, den er einst
beherbergt? Der war es. Der reiche Mann hatte den Fichtelberger an der
Tracht wiedererkannt und führte diesen hinauf in die Säle voll Pracht
und Reichtum und vergalt ihm nun alles tausendfach, was er dem Fremdling
einst in seiner Heimat Gutes getan. Reich beschenkt kam Hans zurück und
führte von da an ein sorgenfreies Leben.

                                   Schöppner, Sagenbuch



Das Loch im Ärmel.


Ich hatte einen Spielgesellen und Jugendfreund, Namens Albrecht,
erzählte einst Herr Marbel seinem Neffen. Wir beide waren überall
und nirgends, wie nun Knaben sind, wild und unbändig. Unsere Kleider
waren nie neu, sondern schnell besudelt und zerrissen. Da gab es
Schläge zu Hause, aber es blieb beim alten. Eines Tages saßen wir in
einem öffentlichen Garten auf einer Bank und erzählten einander,
was wir werden wollten. Ich wollte Generalleutnant, Albrecht
Generalsuperintendent werden.

»Aus euch beiden gibt's in Ewigkeit nichts!« sagte ein steinalter Mann
in feinen Kleidern und weißgepuderter Perücke, der hinter unserer Bank
stand und die kindlichen Entwürfe angehört hatte.

Wir erschraken. Albrecht fragte: »Warum nicht?«

Der Alte sagte: »Ihr seid guter Leute Kinder, ich sehe es eueren Röcken
an, aber ihr seid zu Bettlern geboren; würdet ihr sonst diese Löcher in
eueren Ärmeln dulden?« Dabei faßte er jeden von uns an dem Ellenbogen
und bohrte mit den Fingern im durchgerissenen Ärmel hinauf. -- Ich
schämte mich, Albrecht auch. »Wenn's euch,« sagte der alte Herr, »zu
Hause niemand zunäht, warum lernt ihr es nicht selbst? Im Anfang hättet
ihr den Rock mit zwei Nadelstichen geheilt, jetzt ist's zu spät, und
ihr kommt wie Bettelbuben. Wollt ihr Generalleutnant werden, so fangt an
beim Kleinsten. Erst das Loch im Ärmel geheilt, ihr Bettelbuben, dann
denkt an etwas anderes!«

Wir beide schämten uns von Herzensgrund, gingen schweigend davon und
hatten das Herz nicht, etwas Böses über den bösen Alten zu sagen. Ich
aber drehte den Ellenbogen des Rockärmels so herum, daß das Loch
einwärts kam, damit es niemand erblicken möchte. Ich lernte von meiner
Mutter das Nähen spielend; denn ich sagte nicht, warum ich's lernen
wollte. Wenn sich jetzt an meinen Kleidern eine Naht öffnete, ein
Fleckchen sich durchschabte, ward's sogleich gebessert. Das machte mich
aufmerksam; ich mochte an zerrissenen Kleidern nun nicht mehr
Unreinlichkeit leiden. Ich ging sauberer, ward sorgfältiger, freute mich
und dachte, der alte Herr in der schneeweißen Perrücke hätte so unrecht
nicht. Mit zwei Nadelstichen zu rechter Zeit rettet man einen Rock, mit
einer Hand voll Kalk ein Haus; aus roten Pfennigen werden Taler, aus
kleinen Samenkörnern Bäume, wer weiß wie groß.

Albrecht nahm die Sache nicht so streng. Es ward sein Schaden. Wir waren
beide einem Handelsmanne empfohlen; er verlangte einen Lehrburschen, der
im Schreiben und Rechnen geübt war. Der Herr prüfte uns, dann gab er
mir den Vorzug. Meine alten Kleider waren hell und sauber; Albrecht im
Sonntagsrocke ließ Nachlässigkeiten sehen. Das sagte mir der Herr
Prinzipal nachher. »Ich sehe Ihm an,« sagte er, »Er hält das Seine zu
Rat; aus dem anderen gibt's keinen Kaufmann.« Da dachte ich wieder an
den alten Herrn und an das Loch im Ärmel.

Ich merkte wohl, ich hatte in anderen Dingen, in meinen Kenntnissen, in
meinem Betragen, in meinen Neigungen noch manches Loch im Ärmel. Zwei
Nadelstiche zur rechten Zeit bessern alles ohne Mühe, ohne Kunst. Man
lasse nur das Loch nicht größer werden, sonst braucht man für das Kleid
den Schneider, für die Gesundheit den Arzt. -- Es gibt nichts
Unbedeutendes noch Gleichgültiges, weder im Guten noch im Bösen. Wer das
glaubt, kennt sich und das Leben nicht. Mein Prinzipal hatte auch ein
abscheuliches Loch im Ärmel, nämlich er war rechthaberisch, zänkisch,
launenhaft; das brachte mir oft Verdruß. Ich widersprach, da gab es
Zank. Holla, dachte ich, es könnte ein Loch im Ärmel geben und ich ein
Zänker und gallsüchtig und unverträglich wie der Herr Prinzipal werden.
Von Stunde an ließ ich den Mann recht haben; ich begnügte mich, recht zu
tun, und bewahrte meinerseits den Frieden.

Als ich ausgelernt hatte, trat ich in eine andere Stellung. Da ich
gewöhnt war, mit wenigen Bedürfnissen des Lebens froh zu sein (denn wer
viel hat, ist nie ganz froh), so sparte ich manches, und da ich auch
gewöhnt war, mir kein Loch im Ärmel zu verzeihen, aber schonend über
dasjenige an fremden Ärmeln wegzusehen, war alle Welt mit mir zufrieden,
wie ich mit aller Welt. -- So hatte ich beständig Freunde, beständig
Beistand, Zutrauen, Geschäfte. Gott gab Segen. Der Segen liegt im
Rechttun und Rechtdenken, wie im Nußkerne der fruchttragende hohe Baum.

So wuchs mein Vermögen. Wozu denn? fragte ich; du brauchst ja nicht den
zwanzigsten Teil davon. -- Prunk damit treiben vor den Leuten? -- Das
ist Torheit. Soll ich in meinen alten Tagen noch ein Loch im Ärmel
aufweisen? -- Hilf anderen, wie dir Gott durch andere geholfen hat.
Dabei bleibt's. Das höchste Gut, das der Reichtum gewährt, ist zuletzt
Unabhängigkeit von den Launen der Leute und ein großer Wirkungskreis. --
Jetzt, Konrad, gehe auf die hohe Schule, lerne etwas Rechtes; denke an
den Mann mit der schneeweißen Perücke; hüte dich vor dem ersten kleinen
Loche im Ärmel; mach es nicht wie mein Kamerad Albrecht! Er ward zuletzt
Soldat und ließ sich in Amerika totschießen.

                                   Heinrich Zschokke.



Der gekreuzte Dukaten.


»Wenn ich nur hunderttausend Gulden hätte!« Das hast du vielleicht auch
schon oft gedacht oder gesagt. Wenn du aus einem Talerlande bist, ist es
dir nicht darauf angekommen und hast hunderttausend Taler daraus
gemacht, obgleich das ein Erkleckliches mehr ist. Ich nehme dir den
Hunderttausendwunsch nicht übel, es ist keine schlimme Sache ums
Reichsein, aber das Glück macht es doch nicht aus. Davon kann ich eine
besondere Geschichte erzählen.

Ein junger Mann hatte seine Hunderttausend geerbt, und er begnügte sich
auch damit. Er wollte bloß sein Geld verzehren, arbeiten aber wollte er
nicht; das, meinte er, sei nur etwas für unbemittelte Leute. So hatte
also der Herr Adolf gar kein Geschäft als Essen, Trinken, Schlafen,
Spazierengehen oder Reiten, und was ihm sonst noch einfiel. Ja, das Aus-
und Anziehen war ihm viel zu viel, und er hielt sich einen Kammerdiener.
Wenn er des Morgens erwachte, wußte er eigentlich gar nicht, warum er
aufstehen sollte; es wartete kein Geschäft und darum keine rechte Freude
auf ihn. Darum blieb er auch fein liegen, bis ihm auch das zu
beschwerlich wurde. Fast ging es ihm wie jenem Engländer, der aus purer
Langeweile, um sich nicht mehr aus- und anziehen zu müssen, sich das
Leben nahm.

Herr Adolf machte dann jeden Vormittag seinen Spaziergang, damit er den
Nachmittag für sich frei und nichts mehr zu tun habe. Meist lag er auf
dem Kanapee, gähnte und rauchte. Dabei hatte er mitunter noch seine
besonderen Gedanken. Jeder Mensch, dachte er, hat so seine Summe von
Kraft mit auf die Welt bekommen, die für seine siebenzig Jährlein oder
auch mehr ausreichen muß. Wenn ich also einen schweren Stuhl von einem
Ort an den andern hebe, ist damit ein Stück von meiner Lebenskraft
aufgewendet und verbraucht -- darum laß ich's hübsch bleiben. Auf solche
Gedanken kann ein Nichtstuer kommen.

Der Herr Adolf ward aber dick und oft kränklich und mußte seinen Leib
pflegen. Das war auch ein Geschäft.

Das Jahr durch ging dem Herrn Adolf manch schönes Stück Geld durch die
Hand, und dabei hatte er die besondere Liebhaberei, daß er bei jeder
Goldmünze, die er ausgab, ein kleines, zierliches Kreuz unter die Nase
des geprägten Herrschers machte. Er dachte wenig dabei, denn er hatte ja
Gold genug; ihn kümmerte überhaupt nichts, wie es anderen Menschen ging,
obgleich er manchmal aus angeborener Gutmütigkeit einem Armen etwas
schenkte.

Ich will nur einmal sehen, dachte er, ob nach langer Umherwanderung in
der Welt mir einmal wieder so ein Goldstück unter die Hände kommen
wird. Da nun Herr Adolf gar nichts war, so nahm er sich ernstlich vor,
etwas zu werden und er ward -- ein Passagier. Das ist noch immer ein
Titel, wenn man sonst weiter nichts ist. Er reiste nämlich von einer
Stadt in die andere, von einem Land ins andere und ließ sich's überall
wohl sein, und wo er etwas zu bezahlen hatte, da gab er die mit seinem
Ordenskreuze gezierten Goldstücke hin. Noch nie aber war es ihm
vorgekommen, daß er eins wiedergesehen hätte. Endlich ward er des
Herumreisens auf dem festen Lande müde, er verließ die Alte Welt und
schiffte sich nach Amerika ein.

Nun war der Herr Adolf noch etwas mehr als ein Passagier, er war sogar
ein Auswanderer. Diesmal aber ging's gar schlecht auf der See. Fünf Tage
und fünf Nächte wütete ein gewaltiger Sturm. Alles, was auf dem Schiffe
war, mußte Hand ans Werk legen, aber vergebens -- das Schiff ging unter,
und nur der Beherztheit des Schiffshauptmanns gelang es, die Mannschaft
und die Reisenden in einer Schaluppe zu retten. Nach zwei Tagen
fürchterlichen Umherirrens und schrecklicher Hungersnot, in welcher
viele starben, wurden die Verschlagenen von einem Kauffahrteischiffe
aufgenommen und in den Hafen zu Boston gebracht.

[Illustration: Schaluppe]

Arm, hilflos und verlassen irrte hier Adolf umher, und er wünschte sich
oft, daß er mit den anderen von den Wellen begraben wäre. Da sah er
einen Mann eilig des Weges gehen; mit niedergeschlagenem Blicke bat er
ihn um eine Gabe. Der Mann griff in die Tasche, reichte ihm ein Stück
Geld und war schnell verschwunden. Als Adolf wieder seinen Blick
emporhob und das Geld betrachtete, wollte er seinen Augen kaum trauen,
es war ein Dukaten, der das Ordenszeichen von seiner eigenen Hand
unverkennbar trug.

Sei es nun, daß der Mann sich vergriffen hatte, oder daß er wirklich
eine so namhafte Gabe schenken wollte, Adolf dachte nicht lange darüber
nach, und er weinte helle Tränen auf das einzige Goldstück, das ihm von
seinem ganzen Reichtum als Bettlergabe wieder zugekommen war. Mit Wehmut
dachte er daran, daß er es wieder weggeben und vielleicht nie mehr sehen
solle. Da begegnete ihm eine große Menge von Arbeitern, die an einer
Straße arbeiteten; schnell war er entschlossen und ließ sich unter ihre
Zahl einschreiben. Ein sonderbarer Gedanke tröstete ihn bei dieser
ungewohnten Lebensweise. Ich brauchte eigentlich nicht zu arbeiten,
sagte er sich in der ersten Zeit und fühlte dann an seine Brust, wo er
den Dukaten verborgen hatte, ich habe ja Geld und könnte eine ganze
Woche und länger davon leben oder etwas anderes damit anfangen; aber ich
arbeite, weil mir's Vergnügen macht. Dann aber machte er einen Spaß
daraus und sagte oft: »Ich arbeite bloß zu meinem Vergnügen. Ich
arbeite, damit ich was zu essen habe, und das Essen macht mir dann
Vergnügen, also arbeite ich zu meinem Vergnügen.« Nach und nach aber
erkannte er, daß nichts Entwürdigendes, ja die Ehre und der Lebenszweck
allein darin liege, für den Genuß seines Daseins und für das, was man
von der Welt hat, auch etwas für sie zu tun. Früher hatte er gedacht,
durch das Wegrücken eines Stuhles, ja durch jede Tätigkeit seine
Lebenskraft zu schwächen; jetzt erkannte er, daß, je mehr man seine
Kräfte braucht, sie um so mehr wachsen und zunehmen, daß die Lebenskraft
durch Tätigkeit immer neu erzeugt wird.

So war Adolf, für den die Straßen früher nur dagewesen waren, um als
vergnügungssüchtiger Reisender darauf herumzurutschen, ein Bahnmacher
und Straßenarbeiter für andere. Mit der Zeit aber gelangte er auch zur
Stelle eines Aufsehers bei dem Straßenbau und erfreute sich in dem
Gedanken, daß von seinem Dasein auf der Welt noch andere Spuren
hinterblieben als die bloßen Kreuze auf dem Gelde, das ihm durch die
Hand gegangen war. Lange Zeit hatte er den Dukaten als Andenken
aufbewahrt, bis er endlich eingesehen, daß auch dieser nicht ruhen darf
in dem großen Weltverkehre, und er schenkte ihn einer Witwe, deren Mann
beim Straßenbau verunglückt war.

                                   Berthold Auerbach.

[Illustration: Dekoration]



Der Solnhofer Knabe.


An der Altmühl, ungefähr eine Viertelstunde unterhalb Solnhofen, ist
eine Glashütte im Gang. Das Holz zu den Öfen kann leicht über die jähen
Bergwände herabgelassen werden und der reine, zuckerweiße Sand findet
sich da und dort in Nestern unter dem Rasen.

Ehe man anfing, diesen Sand in Glas zu verwandeln, bestreuten oder
fegten schon die Hausfrauen in der Umgegend ihre Stubenböden, Tische,
Bänke, hölzernen Geschirre usw. damit und kauften ihn von Weibern, die
ihn bei Solnhofen gruben und in kleinen Säckchen zum Verkauf in die
umliegenden Orte trugen.

In der ältesten Zeit befaßte sich eine Zeitlang nur ein einziges Weib
mit diesem beschwerlichen Handel, bei welchem sie oft über fünfzig Pfund
auf dem Rücken aus- und nur ein paar Heller in der Tasche dafür
heimtrug. Es war eine Witwe in mittlerem Alter. Sie hatte einen
zwölfjährigen Knaben, der im Sommer die Ziegen des Ortes hütete und im
Winter mit seiner Mutter in den unterirdischen Felsklüften Sandnester
aufsuchte und ausbeutete, wenn man vor Schnee und Eis in den Boden
kommen konnte.

[Illustration: Gottesdienst]

Einmal in einem besonders harten Winter wollte es den guten Leuten gar
nicht gelingen. Lange war der Boden bald so fest gefroren und bald so
hoch mit Schnee bedeckt, daß sie gar nicht zu ihrer unterirdischen
Nahrungsquelle gelangen konnten. Der kleine Vorrat an Sand, den sie sich
im Herbst gegraben hatten, ging zu Ende und mit ihm das Brot, das sie
sich für die erlösten Pfennige aus den benachbarten Orten mitzunehmen
pflegten. An den Sommerseiten der Berge, wo die Februarsonne die
dünneren Schneeschichten weggeleckt hatte, fingen sie nun an zu
schürfen, aber überall und immer ohne Erfolg. Ihre Werkzeuge zerbrachen
und sie hatten noch kein weißes Sandkorn gefunden. Dazu ging das Futter
für die Ziegen auf die Neige und in der Hütte waren nun vier Geschöpfe,
denen der Hunger aus den Augen sah. Das einzige, was sie noch unter sich
teilen konnten, war eine Kufe mit eingestampften Rüben und weißem Kohl;
aber auch diese stritten schon mit der Verwesung, weil sie nur wenig
gesalzen waren. Die Geißen erhielten ihren Anteil roh, wie er aus der
Kufe kam; die Portionen für sich und ihren Knaben kochte die Witwe und
salzte sie oft mit ihren bitteren Kummertränen; denn es war damals unter
ihrem Dache wie in der Hütte der Witwe von Zarpath, als sie dem
Propheten antwortete: »So wahr der Herr, dein Gott, lebt, ich habe
nichts Gebackenes, nur eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im
Kruge. Und siehe, ich habe Holz aufgelesen und gehe hinein und will es
mir und meinem Sohne zurichten, daß wir essen und sterben.«

Der Knabe liebte seine Mutter und bewies seine Liebe meistens dadurch,
daß er nie über seinen Hunger klagte, sondern geduldig von einer
Mahlzeit auf die andere wartete und überhaupt alles vermied und verbarg,
was ihr das Herz noch schwerer machen konnte. Aber fast die ganze andere
Hälfte seines Herzens war den Ziegen zugewandt und es wollte ihm
brechen, wenn er sah, wie sie, von Hunger getrieben, an der Kufe
hinaufsprangen und vergebens Hals und Zunge streckten, um die Neige
darin zu erreichen. Hätten sie von seinen schönen Worten und
Vertröstungen auf den nahen Frühling satt werden können, dann hätten sie
mehr als genug gehabt; aber so wurden sie immer magerer. Der Knabe
entschloß sich endlich, für sie zu tun, was er noch nicht einmal für
seine Mutter getan hatte.

In Solnhofen war ein Benediktinerkloster. An die Pforte derselben pochte
der Knabe mit dem schweren eisernen Klöpfel, der daran hing, und
antwortete dem Bruder Pförtner, der nach seinem Begehren fragte, er
müsse mit dem Abt selbst reden. Er wurde vor diesen ehrwürdigen Diener
Gottes geführt, küßte ihm die Hand und bat, er möchte ihm doch nur
erlauben, das Heu aufzulesen, das die Klosterkühe unter den Barren und
unter die Streu würfen; denn seine zwei Ziegen waren am Verhungern. Den
Abt überraschte anfangs die Bitte, deren Gewährung gar leicht mißbraucht
oder wenigstens zu einer großen Versuchung werden konnte; aber bald
überzeugte er sich, mit was für einer aufrichtigen und redlichen Seele
er es zu tun habe. Er fragte unter andern Dingen nach dem wenigen, was
nach den damaligen Anforderungen der Kirche ein Christ wissen sollte.
Der Knabe sagte seinen Glauben, sein Vaterunser nebst einigen anderen
kürzeren Gebeten gut her und beantwortete munter etliche Fragen aus den
Evangelien. Nun sprach der Abt: »Mein Söhnlein, du darfst alle Tage,
wenn unsere Kühe zur Tränke getrieben werden, kommen und holen, was sie
unter dem Barren liegen lassen, und wenn der Bruder Küchenmeister etwas
übrig hat, so wird er es dir auch mitgeben für dich und deine Mutter.«
Dann segnete er den Knaben und entließ ihn froh getröstet.

In der Hütte der Witfrau hatte nun die Not ein Ende. Bald kam auch der
warme und freundliche Frühling, die Witwe entdeckte wieder eine
ergiebige Sandgrube und ihr Benedikt trieb als gedungenes Ziegenhirtlein
die Ziegen des Dorfes auf die hohen, luftigen Berge. In die Kost ging er
bei den einzelnen Besitzern der Ziegen der Reihe nach. Sein Osterlamm aß
er im Kloster, seinen Pfingstkuchen buk ihm die Wirtin, seinen
Kirchweihschmaus hielt er in der neuen Mühle und seinen Namenstag
feierte er wieder mit den Benediktinern.

An Unterhaltung fehlte es ihm auch auf den einsamen Höhen nicht. Da lag
der damals noch unbenützte Kalkschiefer so am Tage, daß es ihm leicht
war, Platten davon herauszuheben und aus ihnen mit einem ganz kleinen
Hammer, den ihm noch sein verstorbener Vater gemacht hatte, regelmäßige
Vierecke zu fertigen.

[Illustration: Benedikt mit Schieferplatten]

Was man so unrichtiger- und sündhafterweise Zufall nennt, führte den
Knaben zu einer wichtigen Erfindung. Benedikt legte einmal eine
Schieferplatte, wie er sie aus dem Boden gebrochen hatte, auf seinen
Schoß, zeichnete mit einer Kohle von seinem Hirtenfeuer ein Viereck
darauf und sprach dann bei sich: »Wenn ich fünfzig solche viereckige
Tafeln hätte, könnte ich meine ganze Hausflur damit belegen, wo jetzt
die Hühner scharren, wenn es draußen regnet. Während er dies dachte,
klopfte er mit seinem Hämmerlein auf dem einen schnurgeraden
Kohlenstrich sanft auf und ab; denn er freute sich über den hellen Klang
der Platte. Auf einmal wurden die hellen Töne dumpf und immer dumpfer
wie bei einer zersprungenen Glocke und zuletzt sprang die Tafel gerade
in der Richtung des Kohlenstrichs entzwei. »Ist es da so gegangen,«
dachte Benedikt, »so kann es bei den übrigen drei Seiten ebenso gehen.«
Er hämmerte auch auf dem zweiten Kohlenstrich eine Weile vorwärts und
rückwärts. Sein Schluß war richtig. Nachdem er noch einige Minuten so
fortgemacht hatte, lag eine vollkommen viereckige Platte auf seinen
Knieen. Eine zweite gelang nicht minder. Früher schon hatte er manchmal
zwei Schiefertrümmer aneinander gerieben, um sie zu polieren, und
gefunden, daß er damit am schnellsten zustande kam, wenn er von dem
Sande, womit seine Mutter handelte, dazwischen tat und Wasser dazu nahm.
Diese frühere Erfindung wandte er nun auf seine Pflastersteine an und
gewann so einige sehr schöne Platten. Indes trieb er dies alles als eine
bloße Spielerei und sagte davon niemand etwas, selbst seiner Mutter
nicht. Seine schönsten Tafeln verbarg er da und dort unter einem Busch,
wie etwa ein Hirtenknabe an der Donau schöne Kiesel, die er in ihrem
Bette findet, in einem hohlen Weidenstamme aufhebt.

Eines Abends aber, als er eingetrieben hatte und seiner Mutter gegenüber
an der Suppenschüssel saß, erzählte sie ihm, daß sie mit Sand in
Eichstätt gewesen und dort dem Bischof so nahe gekommen sei, daß sie
jedes seiner Worte verstanden habe.

»Was sagte er denn?« fragte Benedikt.

»Er stand«, antwortete die Witwe, »mitten unter den Domherren in der
neuen Kirche, die er hat bauen lassen, und beratschlagte mit ihnen, mit
was für Steinen der Fußboden belegt werden dürfte. Der eine riet dies
und der andere das, bis der hochwürdige Herr der Unterredung damit ein
Ende machte, daß er sagte: »Nun, morgen um die elfte Stunde haben wir
die fremden Steinmetzen hieher bestellt und wollen die Proben schauen,
die sie von allerlei Sand- und Marmelsteinen bei sich haben. Aber wir
fürchten, ein solches Pflaster möchte für unsern bischöflichen Beutel zu
teuer kommen. Wir werden uns wohl die Backsteine gefallen lassen müssen,
die am wohlfeilsten sind.«

»So, so!« versetzte Benedikt, warf seinen Löffel von Horn in die
Tischlade, wünschte seiner Mutter eine gute Nacht und ging unter das
Dach hinauf in seine Schlafstätte.

Das Sandweib hatte übrigens den Fürstbischof ganz recht verstanden.
Schon bald nach der zehnten Stunde des Morgens versammelten sich in der
neuen Kirche zu Eichstätt, in der von der Hand des Maurermeisters nichts
mehr fehlte als das Pflaster, etliche Steinmetzen, die der Bischof aus
Tirol, dem Fichtelgebirge und dem Rheingau auf seine Kosten berufen
hatte. Die Steinproben trugen ihnen ihre Gesellen in kleinen, hölzernen
Kästchen nach und stellten sie nebeneinander auf eine lange Tafel.
Darauf fanden sich nach und nach mehrere Grafen und Herren aus der
Nachbarschaft ein, die schon reichlich zu dem Kirchenbau beigesteuert
hatten und nun auch noch bei dem Pflaster ein übriges tun sollten.
Endlich erschien auch der Fürstbischof mit allen seinen Domherren und
seinen weltlichen Beamten hinter sich. Als alle beisammen waren, schien
es fast, als sollte eine Kirchenversammlung gehalten werden, so viele
waren ihrer.

Der Bischof nahm nun die schöngeschliffenen Proben aus den Kästlein,
eine nach der andern und es war keine darunter, die ihm und seinem
Gefolge nicht gefallen hätte. Auch waren zum Teil die kleinen
Marmelsteine in den Schubladen so nebeneinander gelegt, weiße und
schwarze, gelbe und graue, bunte und einfarbige, daß man schon im
kleinen sehen konnte, wie herrlich schön ein Steinpflaster davon im
großen ausfallen würde. Aber als die fremden Steinmetzen nacheinander
sagten, was der Quadratfuß davon schon an Ort und Stelle koste, und als
der Baumeister an den Fingern berechnete, wieviel Quadratfuß er brauche,
und als der Rentmeister die Totalsumme in Goldgulden aussprach, fuhr der
Bischof mit der Hand hinter das Ohr und sein Schatzmeister schüttelte
mit dem Kopf und die Grafen und Herren machten große Augen und sahen
einander schweigend an.

In diesem Augenblick entstand unter dem Hauptportal der Kirche ein
Geräusch. Zwei Trabanten des Fürstbischofs wollten einen barfüßigen
Bauernknaben nicht hereinlassen und hielten ihre Hellebarden vor; aber
der Knabe duckte sich, schlüpfte darunter hinweg wie eine Henne unter
der Gartentüre und drängte sich dann ohne Umstände mitten durch die
Versammlung, bis er vor dem Bischof stand, dem er den Saum seines
Kleides küßte. Seine Mütze, an der nicht viel zu verkrüppeln war, nahm
er zwischen die Kniee, drei viereckige und zolldicke Schieferplatten,
eine blaßgelbe, eine blaugraue und eine marmorierte, nahm er aus der
Schürze, womit sie umwickelt waren, und legte sie auf die Tafel. Sie
waren noch naß; denn er hatte sie erst in den Dombrunnen getaucht; desto
mehr aber glänzten die geschliffenen Seiten und zeigten, wie schön die
Steine erst dann werden würden, wenn eine kunstgeübte Hand darüber
käme.

Seine Ware zu empfehlen, meinte der Knabe, sei nicht nötig, sondern er
schaute nur einem von den Umstehenden nach dem andern ins Gesicht und
wischte sich mit der Schürze den Schweiß von der Stirn. Als aber der
Bischof anfing, ihn zu fragen, antwortete er munter und sprach: »Ich
gehöre dem Sandweib von Solnhofen und die Steine habe ich auf dem Berge
hinter dem Kloster gemacht. Wenn ihr noch mehr braucht, so dürft ihr mir
nur euere Steinhauer mitgeben, so will ich ihnen zeigen, wie sie es
anfangen müssen.«

Der Knabe war Benedikt, unser Ziegenhirtlein. Er hatte nach der
Abendsuppe, bei der ihm seine Mutter von der neuen Kirche in Eichstätt
erzählte, nicht mehr geschlafen. Ein Gedanke, der ihm unter dem Essen
gekommen war, trieb ihn durch die Hintertür hinaus auf den Berg, wo
seine Steine lagen, und von da mit ihnen in der hellen Mondnacht gen
Eichstätt, wohin er den Weg genau kannte von dem Sandhandel her. Seine
Mutter erschrak freilich, als sie ihn in der Frühe wecken wollte und das
Nest leer fand. Sie konnte nicht einmal gehen, ihn zu suchen oder ihm
nachzufragen; denn die Ziegen waren schon alle aus den Ställen gelassen
und standen meckernd auf der Gasse oder naschten von den Blumenstöcken
vor den Fenstern des Pfarrhauses. Übel oder wohl mußte sie tun, als wäre
ihr Benedikt krank. Sie nahm Geißel und Stecken und trieb das Vieh
selbst auf den Berg, wo sie den langen, langen Tag unter vergeblichem
Warten in Sorge zubrachte. -- Aber als sie abends hinter der gehörnten
Schar das Dorf hinunterging, kamen einige Maultiere herauf, ihr
entgegen. Auf dem vordersten saß ihr Benedikt hinter einem Knechte des
Fürstbischofs, und zwar so munter, daß die Witfrau sogleich sah, es
müsse ihm den Tag über nicht schlecht ergangen sein.

So war es auch. Der Bischof hatte sich sogleich für die Pflastersteine
des Sandbuben entschieden und die fremden Steinmetzen wieder in ihre
Heimat entlassen, den Knaben aber mit in sein Haus genommen, gespeist
und ihm versichert, daß er für ihn und seine Mutter sorgen wolle. Dann
hatte er ihn mit dem Baumeister, der das Steinlager untersuchen sollte,
nach Solnhofen zurückgehen lassen.

Der Bischof hielt Wort. Nachdem Benedikt bei einem Meister Steinmetz in
Eichstätt in der Lehre gewesen war, ließ er sich in Solnhofen nieder und
hatte fortwährend so viele Bestellungen an Pflaster- und Quadersteinen,
daß es ihm und seiner Mutter nie mehr an dem täglichen Brot fehlte.

                                   Karl Stöber.

[Illustration: Dekoration]



Hans Lustig.


Hans Lustig war armer Leute Kind, sein Vater war Schuhflicker, seine
Mutter Wäscherin. Er war ein kleiner breitschulteriger Junge, etwa zwölf
Jahre alt. Jeder, der ihn ansah, hatte seine Freude an dem munteren
Knaben; denn wie aus seinen dürftigen Kleidern ein kräftiger, gesunder
Körper, ein Paar braune, feste Arme hervorguckten, so schaute aus seinen
Gesichtszügen ein frischer lustiger Sinn hervor, so daß er seinen Namen
nicht umsonst führte. Hans hatte von frühauf zu tun: für den Vater die
Schuhe und Stiefel auszutragen, der Mutter die Wäsche zu hüten und
allerlei Einkäufe für die kleine Wirtschaft zu besorgen. Die ganze
Straße kannte den lustigen Buben, und weil er jeden so freundlich
anlachte, suchten die Leute auch ihm allerlei Freude zu machen. Der
Bäcker schenkte ihm oft einige Fastenbrezeln, die Kunden seines Vaters
allerlei Kleidungsstücke oder irgend ein Spielzeug, und selbst manche
blanke Kupfermünze brachte er seiner Mutter nach Hause, die sie in einer
tönernen Sparbüchse verwahrte. Auch bei allen Kindern in der
Nachbarschaft wurde der Hans bald beliebt. Als er älter wurde, war er
bei allen Spielen der erste und wußte immer was Neues anzugeben. Alle
Spiele gingen gut, wenn Hans dabei war. Da gab's niemals Zank und
Streit; zankten sich wirklich zwei Kinder einmal, fuhr mein Hans
dazwischen, machte jedem ein närrisches Gesicht, und alles mußte lachen.

Allmählich kam die Zeit heran, wo Hans ein Handwerk lernen sollte, und
da er nach des Vaters Meinung zum Schuster nicht besonders geeignet war,
so sollte er das Handwerk des Herrn Paten erlernen, der ein braver
Schornsteinfegermeister und bei allen Leuten in der Nachbarschaft sehr
angesehen war. Hans gefiel das Ding auch gar nicht übel. Mutig und
gewandt schlüpfte er oben an den höchsten Häusern zu den Schornsteinen
heraus; er wußte nichts von Schwindel, machte allerlei possierliche
Faxen mit seinem Besen und sein russiges Gesicht lachte hinein in den
blauen Himmel und hinab über die Stadt; dabei sang er wie ein Vogel auf
dem Wipfel des Baumes.

[Illustration: Hans - Schornsteinfeger]

Die Erwachsenen hatten Hans Lustig lieb und die Kinder auch, trotzdem er
Schornsteinfeger war. Wollte man die Kinder mit dem Feuerrüpel zu
fürchten machen, lachten sie; sie wußten ja, daß der Feuerrüpel niemand
anders war als der Hans Lustig, der keinem etwas zuleide tat, im
Gegenteil allzeit freundlich und gut war, und manche Kinder hatten sogar
den Mut, ihm eine Patschhand in seine berußte Rechte zu geben.

[Illustration: Haus]

So wuchs unser Hans immer mehr heran und ward ein tüchtiger
Schornsteinfeger voll Herzhaftigkeit und Behendigkeit. Er konnte
klettern wie eine Katze. Das zeigte er bei dem großen Brande, als das
alte Rathaus mitten in der Nacht plötzlich in hellen Flammen stand! Der
alte Türmer hatte versäumt, das Feuerzeichen zu geben, und so stand das
altertümliche Gebäude mit seinen wichtigen Akten und Urkunden bereits in
Flammen, als man erst das Unglück gewahr wurde. Der alte Türmer war aber
unschuldig; denn in derselben Nacht war er gestorben. Hans war einer der
ersten auf der Brandstätte, und die Gefahr nicht achtend, stürzte er in
das Gebäude und rettete einen Schrank, der die wichtigsten städtischen
Urkunden enthielt.

Am Tage darauf ließ ihn der Rat der Stadt vor sich kommen, und der
älteste Ratsherr belobte ihn, dankte ihm im Namen der Stadt und fragte,
welche Belohnung er wünsche. Hans antwortete ohne langes Besinnen, man
möge seinem Vater die erledigte Stelle als Türmer übertragen. Dieses
wurde ihm auch sogleich gewährt. Man konnte nicht sagen, wer
glückseliger war, Hans, der seinem Vater eine sorgenfreie Stelle
verschafft hatte, oder der Vater selber, der durch den Mut und die
Bravheit seines Sohnes so über alle Sorgen und recht eigentlich in die
Höhe gehoben wurde.

Der alte Schuhflicker besserte nun hoch oben auf dem Turme das Schuhwerk
für die Menschen aus, die da unten umherliefen. Hans, der immer eine
besondere Lust und ein Geschick für die Musik gehabt hatte, begann
jetzt, den Zinken blasen zu lernen. In kurzer Zeit brachte er es darin
zu großer Fertigkeit.

Im selben Jahre, als er Soldat werden mußte, starben seine Eltern. Sie
segneten ihn, denn er hatte ihnen viel Freude und Glück gebracht.

Beim Regimente wurde Hans Musiker und zeichnete sich hierbei so aus, daß
er nach wenigen Jahren die erste Stelle in der Regimentsmusik erhielt.
Wenn er in seiner betreßten Uniform unter den Musikern steht und den
Takt schlägt, so sieht man ihm nichts mehr davon an, daß er vor Jahren
voll Ruß und ein lustiger Schornsteinfeger war. Sein Titel heißt: Herr
Kapellmeister; aber von alten Verwandten und Bekannten hat er's gern,
wenn sie ihn Hans Lustig heißen, und er macht diesen Namen noch immer
zur vollen Wahrheit.

                                   Robert Reinick.

[Illustration: Horn]



Inhalt.


  Reimspruch. Robert Reinick                            4

  Zum Tagewerk. Philipp Spitta                          5

  Der Vater und die drei Söhne. M. G. Lichtwer          6

  Das Tischgebet. Friedrich Güll                        8

  Dem Vaterland. Robert Reinick                        10

  Deutscher Rat. Robert Reinick                        12

  Geschichte vom Nußknacker. F.v. Pocci                13

  Der alte Landmann an seinen Sohn. L. H. Chr. Hölty   16

  Der getreue Eckart. J. W. v. Goethe                  20

  Die beiden Pflugscharen. G. Meißner                  21

  Die beiden Äxte. G. Meißner                          22

  Sparbüchslein. Friedrich Güll                        24

  Wie Kaiser Karl Schulvisitation hielt. K. Gerock     25

  Hurtig an die Arbeit. Friedrich Rückert              27

  Meister, Geselle und Lehrling. J. W. v. Goethe       27

  Der Künstler und sein Sohn. Ludwig Auerbacher        28

  Die Pfirsiche. A. Krummacher                         29

  Die treuen Brüder. Chr. v. Schmid                    31

  Der Bauer und sein Sohn. Chr. F. Gellert             33

  Das Kind. Fr. Hebbel                                 36

  Das Kind am Brunnen. Friedrich Hebbel                37

  Des Mägdleins Schmuck. Ernst Moritz Arndt            39

  Der jähzornige Schäfer. Chr. v. Schmid               40

  Eifer führt zum Ziel. G. Meißner                     41

  Einer für alle. Hambgr. Fremdenblatt                 42

  Der Schatzgräber. G. F. Bürger                       44

  Hoffnung. Frdr. v. Schiller                          45

  Der beste Empfehlungsbrief. Magdeburger Zeitung      46

  Reinlichkeit. Friedrich Rückert                      47

  Hermann Billings Berufung. Ferdinand Bäßler          48

  Wohltun macht Freude. Schöppner, Sagenbuch           52

  Das Loch im Ärmel. Heinrich Zschokke                 54

  Der gekreuzte Dukaten. Berthold Auerbach             58

  Der Solnhofer Knabe. Karl Stöber                     64

  Hans Lustig. R. Reinick                              75



FUSSNOTEN:

[Fußnote 1: 1 Gulden = 1,71 Mk.; 1 Taler = 3.00 Mk.]

[Fußnote 2: Haag = Residenzstadt in Holland.]

[Fußnote 3: Legde (Lehde) = Weideland.]

[Fußnote 4: _Bill_ ist im Sächsischen ein von der Volksgemeinde
bestätigtes Gesetz. Der Mann, der darauf achten mußte, daß
dieses Gesetz gehalten wurde, hieß _Billing_ (Billung), soviel
als heutzutage Schultheiß, Bürgermeister.]



Anmerkungen des Umkodierers:

Gesperrt markiert durch: _

Zeile 1438: eingefügt (typo) "werden".





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Du deutsches Kind - Eine Gabe für unsere Jugend" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home