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Title: Höherzüchtung des Menschen auf biologischer Grundlage. - Vortrag
Author: Franze, Paul C.
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription:

Fett gedruckter Text wurde mit dem Gleichheitszeichen = markiert,
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Tilde ~. Für einfache Anführungszeichen wurden › und ‹ verwendet.
Inkonsistente und altertümliche Schreibweisen wurden beibehalten,
lediglich einige offensichtliche Fehler wurden korrigiert (z.B. Moriz,
Ausdrnck, Satzzeichenfehler). Die 0 des angegebenen Preises auf der
Titelseite war auf dem Scan nicht lesbar, aufgrund der darauf folgenden
Buchvorstellungen kann aber von einem Preis von M. 0,80 ausgegangen
werden.



      Höherzüchtung des
      Menschen auf biologischer
      Grundlage.

      Vortrag, gehalten auf der 81. Versammlung
      Deutscher Naturforscher
      und Ärzte in Salzburg, 1909, bedeutend
      erweitert und umgearbeitet. □□□□

      Von
      Dr. med. PAUL C. FRANZE.
      Bad Nauheim.

      Leipzig.
      Hof-Verlagsbuchhandlung Edmund Demme.

      Preis: M. 1,80.



~Edmund Demme, Hof-Verlagsbuchhandlung, Leipzig.~


~»=Reformgedanken.=«~ Von Dr. Meyer. Heft I. 1. Die =Umwertung des
bisherigen Krankheitsbegriffes=. 2. Säurenaturen. 3. Wetterlage und
Gesundheit. 4. Wissenschaftliche Bedenken bezügl. der Geldreinigung an
den Kassen. (0,60 Mark.) Die kleine Broschüre enthält so viel
Wissenswertes und zum Teil Neues, daß die Lektüre jedermann empfohlen
werden kann.

~»=Reformgedanken.=«~ Von Dr. M. Meyer. Heft II. 1. =Besuch bei
einem Hundertdreijährigen.= 2. Wesen und Behandlung der
=Gallensteinkrankheit=. 3. Das Rätsel der =Genickstarre=. (Preis 0,80
Mark.) Interessant ist die Schilderung des Besuches bei einem
Hundertdreijährigen. Wir erfahren, wie der Mann gelebt, um dieses hohe
Alter erlangen zu können, ferner gibt der Verfasser ein klares Bild von
der Behandlung der Gallensteinkrankheit und löst endlich das Rätsel
über Entstehung, Ursachen und Behandlung der Genickstarre, einer
Krankheit, die in letzter Zeit so vielfach bei uns auftrat.

~»=Reformgedanken.=«~ Von Dr. M. Meyer. Heft III. Ist der Typhus eine
Infektionskrankheit? (0,60 Mark.) In dem Wandel der Anschauungen,
welcher sich auf pathologischem Gebiete in letzter Zeit zu vollziehen
beginnt, hat man sich dazu verstanden, manches Krankheitsbild von einem
völlig anderen Standpunkte aus anzusehen. Dieses gilt auch für den
Typhus, der bisher für eine Ansteckungskrankheit angesehen wurde.
Verfasser übt an dieser Anschauung Kritik und sucht Gegenbeweise
anzuführen, wobei er wiederum das Hauptgewicht auf die Anregung der
Darmtätigkeit legt, die Ursache in =Selbstvergiftung= und die Heilung
resp. Verhütung in Beseitigung der Schlacken oder Reinigung des Blutes
erblickt.

~»=Reformgedanken.=«~ Heft IV. 1. =Die Darmreinigung als Heilfaktor.=
2. Die Beziehungen zwischen Darmtätigkeit und lokaler Krankheit. 3. Ein
Beitrag zur Behandlung der =Lungenentzündung=. Von Dr. med. Max Meyer.
(Preis 0,80 Mark.) Die Erkenntnis, daß der krankhafte Zustand des
Körpers häufiger das Endergebnis fortgesetzter Schädlichkeiten ist,
beginnt in letzter Zeit immer mehr Anhänger zu gewinnen. Was man bisher
als Ursache ansah, die vermutete bakterielle Ansteckung, kann in vielen
Fällen nicht mehr als ausreichende Ursache gelten. Ärztliche Forscher,
wie: Dr. Bunge, Dr. Lahmann, Dr. Borchard, Dr. Hueppe, Dr. Haig, Dr.
Paczkowski, Dr. Walser etc. klären uns darüber auf, daß die meisten
Krankheiten in Darmgiftbildung, Kohlensäurebildung und Stauung im
menschlichen Körper ihre Ursache haben. Den Vorgang dieser
Selbstvergiftung, sowie deren Einfluß auf den gesamten Organismus sucht
uns die obengenannte Broschüre zu erklären, sie ist deshalb sehr
lesenswert.

~»=Reformgedanken.=«~ Von Dr. M. Meyer. Heft V. 1. Die Bedeutung der
=Abkühlung und der Feuchtigkeit= für die Entstehung von Krankheiten. 2.
Über das =Wesen der Erkältung=. (Preis 0,50 Mark.) Gemeiniglich wird
mit dem Ausdruck »ungesundes Wetter« das naßkalte Wetter bezeichnet,
das wohl eigentlich den Inbegriff klimatischer Schädlichkeiten
darstellt, während man Perioden von andersartigem oder direkt
entgegengesetztem Charakter für gesundheitlich günstig oder zum
mindesten nicht krankmachend hält. Ob und inwiefern das zutrifft,
darüber gibt uns der Verfasser Aufschluß. Ebenso klärt er uns in kurzer
interessanter Weise auf über das Wesen der Erkältung, worüber noch
recht unklare Begriffe herrschen. Da nun aber die genannten Faktoren:
Abkühlung, Feuchtigkeit und Erkältung für die Entstehung von
Krankheiten eine sehr große und wichtige Rolle spielen, so ist die
Lektüre der billigen Schrift zu empfehlen.

~»=Reformgedanken.=«~ Von Dr. M. Meyer. Heft VIII. =Wie entsteht der
Krebs und wie ist er zu behandeln?= (0,30 Mark.) Die schlimmste
Krankheit ist der _Krebs_, aber das Allerschlimmste ist, daß sich die
Gelehrten über Entstehung und Behandlung noch gar nicht einig sind,
deshalb ist es mit Freuden zu begrüßen, wenn -- wie in vorliegender
Broschüre -- von ärztlichen Denkern der Versuch gemacht wird, Klarheit
zu schaffen.



      Höherzüchtung des Menschen auf
      biologischer Grundlage.

      Vortrag,

      gehalten auf der 81. Versammlung Deutscher Naturforscher
      und Ärzte, 1909, bedeutend erweitert und
      umgearbeitet.

      Von
      Dr. med. Paul C. Franze
      Arzt in Bad Nauheim.

      1910
      EDMUND DEMME, Hofverlagsbuchhandlung
      Leipzig.



Nachdruck verboten.



Inhalts-Verzeichnis.


                                                           Seite

           Vorwort                                             5

        I. =Aufstieg=                                          6

       II. =Biologische Grundlegung=                          12

           1. Das Material der Artbildung, die spontanen
              Variationen, und ihre Erblichkeit               12

           2. Überschüssige Fruchtbarkeit                     14

           3. Natürliche Auslese und Kampf ums Dasein         14

           4. »Das Prinzip der natürlichen Prädestination«    15

           5. Keimauslese                                     17

           6. Geschlechtliche Zuchtwahl                       17

           7. Isolation                                       18

           8. Zusammenhang vorstehender Grundsätze mit der
              Fortentwicklung der Menschheit                  19

      III. =Anwendung der Grundsätze auf die Rassenzucht
           beim Menschen=                                     24

           1. Das Material                                    25

              a. =Die geistigen Eigenschaften=                25

              b. =Die körperlichen Eigenschaften=             34

              c. =Die Auserlesenen=                           44

              d. =Das Organ des Geistes=                      47

           2. Die Erblichkeit                                 62

           3. Genügende Fruchtbarkeit                         64

           4. Auslese und Reinzucht                           65

              a. =Mittel, durch welche die Auserlesenen
                 einander als solche erkennen können=         65

              b. =Die formale Seite der Auslese=              68

              c. =Die Reinzucht=                              71

           5. Blutmischung und Herkunft der Varianten         72

           6. Der Instinkt                                    75

      IV. =Das System des Geistes=                            75

[Illustration]



Vorwort.


Auf der 81. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Salzburg,
1909, hielt ich unter dem gleichen Titel, den diese Broschüre trägt,
einen Vortrag. Der Aufforderung meines Herrn Verlegers, die
Ausführungen der Allgemeinheit zugänglich zu machen, bin ich gern
nachgekommen. Freilich mußte dabei über den Umfang des ursprünglichen
Vortrags, für den nur etwa 20 Minuten zur Verfügung standen, bedeutend
hinausgegangen werden.

Einerseits erhielt demnach das dort Gesagte hier in der Broschüre eine
gründlichere Bearbeitung; anderseits kam in dieser vieles Neue hinzu,
das mit dem Inhalt des Themas eng zusammenhängt. So sind z. B. die
Abschnitte über die körperlichen Eigenschaften, das Organ des Geistes,
die Ehereform, das System des Geistes hier zum ersten Male
veröffentlicht worden.

Möge die Schrift der Verbreitung der Erkenntnis dienen, daß der Mensch
ein noch durchaus unvollständig durchorganisiertes Wesen ist, und daß
er daher seinen bewußten Willen zur Erlangung höherer Organisation im
Sinne des entwicklungstheoretischen Fortschrittes verwenden sollte!

  _Bad Nauheim_, 19. Januar 1910.

      =Dr. Paul C. Franze.=



I. Aufstieg.


Äonenhafte Zeitläufe blicken herab auf das Aufstreben lebendiger
Materie auf unserm Planeten nach edleren und höheren Formen des
Daseins: das ist die Entwicklungsgeschichte der Organismen. Und mitten
drin in diesem gewaltigen Ringen steht der Mensch, der Schöpfung Krone,
-- doch dies nur auf Zeit, und nimmermehr ihr Ende, vielmehr die bloße
Vorstufe eines Geschlechts von Halbgöttern auf Erden!

Oder vielleicht richtiger: der jetzige Mensch ist nur ein unfertiges
Produkt auf dem Weg zu wahrem Menschentum. Der »Mensch« als ein in
seiner Art vollendeter Organismus muß erst noch kommen. Der _wahre_
Mensch wird dann eben jener Halbgott sein.

Dann aber haben wir mit Unrecht unser Augenmerk bisher fast nur auf die
Vergangenheit der Entwicklung gerichtet statt auf die Zukunft des
Menschen.

Möchte doch daher das Licht eines neuen Tages über die Menschheit
aufgehen, ja, möchte sogar diese Stunde schon seine Morgenröte
sein! -- -- --

Dieser Wunsch hat aber nur dann Aussicht auf Erfüllung, wenn die
höchsten und heiligsten menschlichen Erkenntnismittel den Pfad
erleuchten, der gewandelt werden muß, und wenn reiner Wille die
Menschheit beseelt.

Dreifach nämlich ist der Hauptweg der Erkenntnis.

_Erstens: Eingebung aus den Tiefen des Unbewußten_, Intuition, die von
selber kommt und ihr Licht vorauswirft. Auch Verlaß auf diese
selbsttätige Spürkraft des Geistes bei der Deutung der Eindrücke: denn
Deuten immerhin, und beileibe nicht ideenlose Aufschichtung von
Tatsachen, wie die Moderne es oft wohl möchte.

Die Ideen und Eingebungen kommen dem genialen Denker unwillkürlich
zumeist bei der Beobachtung von Tatsachen, und anderseits geht er
absichtlich von diesen aus, um zu Ideen zu gelangen, um den Sinn des
Daseins zu erfassen und den rechten Weg zu finden.

_Zweitens: Naivität_, so weit als möglich, in der unmittelbaren
Auffassung der Tatsachen. Naivität ist nichts anders als vollkommene
Aufrichtigkeit. Bei der Wahrnehmung ist sie daher das Hinnehmen der
unverfälschten, durch kein eigenes Hinzudenken veränderten Erfahrung,
einerseits also das impressionistische Einwirkenlassen der
Sinneseindrücke aus der Außenwelt und anderseits die Erfassung der
reinen Seelenvorgänge, wie sie gerade im Menscheninnern von selbst
verlaufen: gleichwie ein Kind, klug, mit seelenvollen Augen den bunten
Wechsel der Natur aufnimmt, rein von eigenen Beimengungen des
Verstandes, also tut es auch derjenige, der von Irrtümern frei bleiben
will.

_Drittens: Logisches Schließen_ ebenfalls bei der Deutung der
Erscheinungen und zur Herstellung des vernünftigen Zusammenhangs
zwischen ihnen.

Intuition, Naivität und Logik, das ist das Heiligtum unter den
Erkenntnismitteln.

Und wir bedürfen des Besten auf dem jetzt zu betretenden Wege: denn
steil sind zwar immer der Vollendung Pfade; doch diese, die hier
begangen werden, sind _furchtbar_ in ihrer Steilheit und Höhe! -- -- --

Seit den kosmogonischen Theorien von _Kant_ und _Laplace_ und seit den
Lehren von _Lamarck_ und _Darwin_ betrachtet die Wissenschaft, ja, man
darf sagen die gebildete Menschheit, Entwicklung als ein
allgemeingültiges Gesetz, dem alles, was wir kennen, unterliegt: sowohl
die in ihrer Pracht am Himmel glänzenden Sterne, als auch die Gefäße
des Lebens einschließlich des Menschen.

Mögen jene Theorien auch noch so unzulänglich sein -- gleichviel: sie
haben unsere Erkenntnis unzweifelhaft erweitert.

Der Inhalt der Deszendenztheorie im engeren Sinne ist dieser: Von den
niedersten Lebewesen bis hinauf zum Menschen hat eine allmähliche
Entwicklung stattgefunden. Es werden die Bedingungen dieser
Entwicklungsrichtung aufgesucht und eben dadurch, daß sie gefunden
werden, wird der Weg zur organischen Vervollkommnung des Menschen
gewiesen. Zunächst geschieht das für die Vergangenheit, dann aber auch
für die Zukunft. Denn die Kenntnis der zurückgelegten Strecke gestattet
gewisse Schlüsse für die bevorstehende.

Demnach stellen wir fest, daß die Entwicklung eine bestimmte Richtung
hat; sie geht von einfachsten und unvollkommensten zu immer
zusammengesetzteren und vollendeteren Formen des Lebens. Innerhalb
dieser allgemeinsten Richtung treten aber beim Menschen noch besondere
Merkmale als auffallende hervor. Das sind einerseits die Steigerung des
Bewußtseins, des Geistes oder der Vernunft und die Ausbildung des
Charakters, des ästhetischen Gefühls und der künstlerischen
Gestaltungskraft, anderseits die Entfaltung der dem Menschen
eigentümlichen Körperschönheit.

Das aber ist innerhalb des Reiches der Lebewesen der _Lauf der Natur,
die Stromesrichtung des Weltgeschehens_: Aufstieg, Vervollkommnung,
Steigerung und Bejahung des Daseins, Tätigkeit, Umformung von Energien,
welch letzteres mit Lust betont ist, wenn es fließend und leicht von
statten geht, mit Unlust dagegen, wenn es gehemmt wird oder schwer
verläuft.

Rein naiv und impressionistisch können wir sogar das eben Gesagte als
das _Gesetz des Lebens_ aussprechen.

Erst ein Zurückgehen im Denken hinter die reine Erfahrung läßt Aussagen
machen über den Wert der Welt hinsichtlich ihres innersten Prinzips und
wirklichen Wesens. Der Naive fällt keine solchen Werturteile darüber:
er nimmt vielmehr im Erkenntnisakt die Wirklichkeit hin, wie sie
erscheint, und gelangt so zur Formulierung des Gesetzes des Lebens, in
dem allerdings noch kein utopistischer irdischer Optimismus
ausgesprochen ist, sondern lediglich die Lebensbejahung, die
Notwendigkeit tätiger und freudiger Mitarbeit an allen Problemen der
Vervollkommnung, mit andern Worten die fröhliche Kampfesstimmung des
mutigen Streiters. Denn Kampf ist das Erdenleben. Aber es kann und
soll sein ein freudiger, siegesgewisser Kampf, in dem es Friedenspausen
und Ruhmestage gibt, dann nämlich, wenn jeweils der Lorbeer um die
Schläfen des Siegers sich windet.[1] -- -- --

Wenden wir dann den Blick ab von der Außenwelt und nach innen, so
finden wir in unserm Seelenleben mächtige Auftriebe, Impulse nach der
Höhe, gleichsam als drängte uns etwas über unsere ererbte Organisation
hinaus: es ist ein Streben nach Vervollkommnung, das wir da in unserer
eigenen Tiefe erleben.

Diese Feststellung beruht auf der »_Psychologie der unmittelbaren
Erfahrung_«: der Mensch ist einfach so eingerichtet, daß er in seinen
besseren Individuen dem Willen zur Vollkommenheit nimmer zu entrinnen
vermag. Hier haben wir an einem Punkte das Seelenleben rein erfaßt:
unmittelbar und ohne alle Überlegung steigt in dem Tüchtigen die
Sehnsucht nach höherem Dasein empor bis an die Oberfläche des
Bewußtseins!

Das sind zwei völlig stichhaltige Gründe dafür, daß das
Vervollkommnungsstreben auch _betätigt_ werden muß, und beiden wohnt
eine innerlich ihnen anhaftende Beziehung auf die Allgemeinheit inne.
Ich wiederhole die Gründe und setze die genannte Beziehung hinzu: 1.
_Das Gesetz des Lebens_, das von der Beobachtung des Naturlaufs
unmittelbar abgeleitet wurde, besagt, daß die Hauptrichtung der
Entwicklung auf Steigerung der Organisation geht. Für den Menschen geht
daraus hervor, daß es in der Richtung der Entwicklung liegt, wenn er
seine vornehmsten Eigenschaften weiter entfaltet. Diese aber sind die
spezifisch menschlichen. Daß die Gesamtheit und nicht etwa nur ein
einzelner davon betroffen wird, versteht sich von selbst. 2. Die
Erscheinungen der inneren Wahrnehmung bei höher stehenden Menschen
bestätigen durchaus das, was von derjenigen der Außenwelt abgeleitet
wurde: der Mensch findet in sich einen zwingenden Wunsch nach
Vervollkommnung vor. Das bezieht sich zunächst auf sein Selbst, aber
zugleich auch auf die Gesamtheit und äußert sich in idealen
Bestrebungen der Wissenschaft, Philosophie, Kunst, Religion und
Nächstenliebe, in der Verteidigung des Vaterlands und Mehrung seiner
Macht, in dem Nachjagen nach Ruhm, Ehre und Reichtum. All dem liegt
mehr oder weniger bewußt in erster Linie das Verlangen zugrunde, sich
selber als Persönlichkeit höherer Ordnung, als Vollmenschen auszubilden
und zu betätigen: die Wege der Vollendung des Selbstes und der
Gesamtheit fallen in ihrem Verlaufe zusammen.

_Nach allem_: Es dürstet der Mensch nach Vervollkommnung, und er blickt
hinaus in das Getriebe des Weltgeschehens und liest von der Natur den
gleichen Willen ab.

Was aber bedeutet Vervollkommnung? _Ich definiere: Vervollkommnung ist
weitere Entfaltung der höchsten Eigenschaften._ Denn das gehört zum
Begriff der Vervollkommnung.

Jetzt aber entsteht _das Problem des Weges_: Wie kann am sichersten,
wirksamsten und schnellsten das Vervollkommnungsstreben des Menschen in
die Tat umgesetzt werden?

_Die Analysis der Vervollkommnung ergibt, daß sie in traditionelle und
erblich-organische zerfällt._

Wie die Überschrift aussagt, ist es die Aufgabe dieser Schrift, die
letztere zu behandeln. Nur ein flüchtiger Blick sei daher der
Vollständigkeit halber auf das Wesen der Tradition geworfen.

Durch sein hochentwickeltes Bewußtsein, sowie kraft seiner Fähigkeiten
der Sprache und der Schrift vermag der Mensch die Erfahrungen seines
ganzen Geschlechts aufzubewahren, zu sichten, zu ordnen, zu vermehren
und auf seine Nachkommen übergehen zu lassen. So bildet sich ein in
stetem Fluß und fortdauernder Änderung begriffener Niederschlag der
Erfahrung der gesamten Menschheit. Diesen Niederschlag nennen wir die
_Tradition oder Überlieferung der Menschheit_. Sie umfaßt Sitten und
Gebräuche, die naive Überlieferung des Volkes (folklore), Natur- und
Geisteswissenschaften.

Insbesondere sind es einzelne hervorragende Männer, die von Zeit zu
Zeit entstehen, welche die Tradition sprungweise auf eine höhere Stufe
heben und dadurch die Menschheit veredeln. Solche Männer heißen
_Genien_: sie sind die Lichtbringer und Führer der Menschheit.

Einigermaßen steigert ja auch die Wissenschaft als solche ohne die
direkte Arbeit der Genien die geistigen, sittlichen und körperlichen
Werte der Gesamtheit. Denn sie mehrt unsere Erkenntnis von der
Wirklichkeit; Gewinn aber an Wissen und an Einsicht in die wahren
Vorgänge der Natur gereichen natürlich den Menschen zum sittlichen und
körperlichen Wohle. Das darf man nicht zu gering veranschlagen. Die
Vorteile, die unserer Gesundheit aus der Wissenschaft erwachsen, liegen
allen klar vor Augen. Weniger Verständnis jedoch haben viele dafür, daß
auch die Sittlichkeit durch Wissen gewinnt; deshalb seien zwei
Beispiele dafür angeführt: die humane Gestaltung der Rechtspflege und
Irrenfürsorge ist sicherlich mehr ein Ergebnis wissenschaftlicher
Aufklärung als etwa der kirchlichen Religion.

Freilich scheint es mir, ein noch mehr in die Tiefe dringender Blick zu
sein, wenn man einsieht, daß die genannten Erscheinungen mit dem von
innen heraus wirkenden Vervollkommnungstrieb in Zusammenhang stehen.
Diese Kraft befindet sich natürlich in steter Wechselwirkung mit der
äußeren Erfahrung und offenbart sich an ihr.

Doch kann bei aller Gerechtigkeit gegen die allgemeine
wissenschaftliche Tätigkeit nicht eindringlich genug vor ihrer
Überschätzung gewarnt werden. Es ist unmöglich, hier eine exakte
Rechnung vorzulegen: aber viel ist es jedenfalls nicht, was alle die
Nicht-Genien zusammen der Menschheit an wirklichen und bleibenden
Werten gegeben haben. Sicherlich ruht jeder bedeutende Fortschritt auf
den Schultern der Genien! -- -- --

_Der Gegenstand dieser Abhandlung aber ist die Steigerung der erblichen
Organisation des Menschen, seine generative Höherentwicklung. Es soll
die Richtung der Entwicklung dadurch fortgesetzt werden, daß wir
Menschen mit Hilfe unseres Bewußtseins den Weg zu neuen und höheren
Formen der Kreatur einschlagen, als es deren eine bisher überhaupt auf
der Erde gegeben hat!_

Wie wir sahen, steht diesbezüglich das Gebot der inneren Stimme im
Einklang mit demjenigen, das die Naturbeobachtung ergibt.

Ich wende mich nunmehr zu unserm soeben nochmals klar definierten
Thema.



II. Biologische Grundlegung.


1. Das Material der Artbildung, die spontanen Variationen, und ihre
Erblichkeit.

Das Material der Bildung von Rassen, Varietäten und Arten sind sowohl
in der Natur, als auch bei der künstlichen Züchtung und beim Menschen
die spontanen Variationen. Die Voraussetzung dafür, daß aus ihnen
Dauerformen hervorgehen können, ist ihre Erblichkeit. Dies gilt für
spontane Variationen größeren und kleineren Betrags. Erstere nennt man
nach _de Vries_ Sprungvariationen und Mutationen. Inwiefern sie zur
Artbildung beitragen, bleibe dahingestellt. Letztere sind die spontanen
Variationen im engeren Sinne des Wortes. Auf ihnen beruht sicherlich
der größte Teil der Artbildung. Es verhält sich mit ihnen
folgendermaßen:

Jedes Lebewesen kommt mit gewissen Abweichungen seines Baues von
demjenigen seiner Artgenossen auf die Welt. Dies betrifft nicht nur den
ganzen Organismus, sondern sogar auch seine einzelnen Teile: keine zwei
Blätter an einem Baume sind einander ganz gleich, und so ist es bei
allen Organen.

Diese Grundtatsache bildet den Ausgangspunkt und die Voraussetzung des
_Darwinismus_. Darwin nennt eben jene individuellen Verschiedenheiten
an Pflanzen und Tieren »spontane Variationen«, d. h. von selbst
entstehende Abänderungen. Er untersucht nicht die Ursache ihrer
Entstehung, sondern fängt bei ihnen an. Sie sind erbliche
Eigenschaften, da es sich bei ihnen um Angeborenes und nicht um
Erworbenes handelt.

Es besteht nämlich in der Wissenschaft eine Kontroverse darüber, ob nur
angeborene oder auch erworbene Merkmale erblich seien. Sie ist bis
jetzt dahin entschieden worden, daß erstere es sicher, letztere im
allgemeinen es nicht sind. Jedoch bezieht sich das nur auf Erworbenes
im engeren Sinne des Wortes, z. B. auf Verstümmelungen, Resultate der
Übung und Vernachlässigung von Organen, z. B. der Muskeln usw.
Zweifellos prägen sich aber die Eindrücke des Lebens mehr oder weniger
auch den Keimzellen auf und sind dann erblich, wie alle Veränderungen
an den Keimzellen. Das ist eine Voraussetzung der Variabilität selbst,
die Darwin eben ununtersucht läßt. Darüber haben andere, insbesondere
_Semon_[2] gearbeitet. Darnach können die Reize aus der Außenwelt eine
dauernde Veränderung im Organismus hinterlassen, was Semon
»_Engraphie_« nennt. Die Veränderung selbst ist das »_Engramm_«. Die
Reizwirkungen strahlen nun im ganzen Organismus aus, und zwar nicht nur
im Nervensystem. Denn sie spielen gerade bei Pflanzen eine wichtige
Rolle. Forel sagt: »Auf diesem Wege kann eine, wenn auch kolossal
abgeschwächte Engraphie schließlich auch die Keimzellen treffen.« .....
»Und so läßt sich die Möglichkeit einer kolossal langsamen Vererbung
erworbener Eigenschaften, nach unzähligen [? Verf.] Wiederholungen
durch das mnemische Prinzip erklären, ohne daß die von _Weismann_
betonten Tatsachen ihre Richtigkeit einbüßen. Denn die Einflüsse der
_Kreuzungen_ (Konjunktionen) und der Zuchtwahl wirken natürlich
ungeheuer viel rascher und intensiver verändernd als individuell
vererbte mnemische Engraphien.«[3]

Die engraphische Wirkung braucht aber nicht immer die gleiche
»kolossale« Langsamkeit zu besitzen. Bei Pflanzen geht die Umwandlung
oft recht schnell von statten. Auch bei Tieren und Menschen wird es
sich verschieden verhalten, je nach der Art des Reizes und der
Wichtigkeit der Erfahrung: das Lebendige kann vielleicht in elektiver
Weise reagieren.


2. Überschüssige Fruchtbarkeit.

Ein großer Geburtenüberschuß ist natürlich der Entstehung
verschiedenartiger Variationen günstig.


3. Natürliche Auslese und Kampf ums Dasein.

Unter dem Kampf ums Dasein versteht man die Gesamtheit der Einwirkungen
der Außenwelt, sowohl diejenigen der anorganischen Natur, als auch die
aus der Konkurrenz mit andern Lebewesen entstehenden. Man kann ihn in
den aktiven und passiven Kampf ums Dasein einteilen. Unter ersterem
verstehe ich dann gewalttätige Einwirkungen aller Art, sofern sie
überhaupt Auslesewert (positiven oder negativen) besitzen, also vor
allem den echten Kampf als solchen mit andern Geschöpfen. Unter
letzterem fasse ich die Einflüsse der toten Umgebung und die des mehr
friedlichen Wettbewerbs um die Existenzmittel zusammen.

Darwin nimmt nun an, daß von den spontanen Variationen die einen im
Kampf ums Dasein nützlich, die andern hinderlich seien. Die Träger der
ersteren haben daher mehr Aussicht, in ihm zu siegen, als diejenigen
der letzteren. Jene werden daher im Gegensatz zu diesen bis zum
fortpflanzungsfähigen Alter erhalten bleiben und Nachkommen erzeugen,
somit ihre Eigenart weitergeben, während die andern aussterben. Das ist
die _natürliche Zuchtwahl_ im Kampf ums Dasein. Demnach sind die
Voraussetzungen für die natürliche Zuchtwahl: 1. Der Kampf ums Dasein,
2. Erblichkeit der Merkmale, 3. Variabilität, 4. große Fruchtbarkeit.

Auf die Kritik der Darwinschen Theorie will ich hier nicht näher
eingehen, sondern nur bemerken, daß der Kampf ums Dasein sich als
unzulänglich zur Herbeiführung von Auslese und Reinzucht erwiesen
hat.[4]

Mögen aber die Eindrücke, die das Individuum im Laufe seines Lebens
empfängt, auch in geringem Maße durch Engraphie die Keimzellen
beeinflussen und dadurch erblich werden, mögen andere besondere
Prinzipien eingeführt werden müssen, um die Auslese und Reinzucht in
der Natur zu deuten -- gleichviel: in jedem Fall ist es sicher, daß
durch dauernde Auslese besonderer angeborener Merkmale und die
Reinzucht der sie besitzenden Individuen neue Rassen und Varietäten
sich hervorbringen lassen. Das ist durch die Erfolge der künstlichen
Züchtung bei Tieren und Pflanzen bewiesen. Ferner sind diese
angeborenen Eigenschaften in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
sicher erblich. Daher bilden sie ein zuverlässiges Material für die
Reinzucht und Bildung von Dauerformen. Darin besteht also ein
bleibendes Verdienst _Darwins_ und seines Mitarbeiters _Wallace_,
gezeigt zu haben, daß die angeborenen spontanen Variationen das
hauptsächlichste, zuverlässigste und daher wertvollste Material für die
Bildung neuer Formen darstellen.

Jedenfalls gilt das für die Tierwelt, während es bei Pflanzen den
Anschein hat, als ob die sogenannte »unmittelbare Bewirkung« durch
Reaktion auf die Umgebung nach dem Prinzip der Engraphie eine
bedeutsame, vielleicht wichtigere Rolle spiele. Damit stimmt es denn
auch überein, daß die Zoologen heute meistens Darwinianer, die
Botaniker vielfach Neu-Lamarckianer, d. h. Anhänger der letztgenannten
Theorie, sind.


4. »Das Prinzip der natürlichen Prädestination.«

Die spontane Variation, die ein Individuum mit auf die Welt bringt,
bedingt in erster Linie seine Eigenart. Das aber ist gleichbedeutend
mit einer Art natürlicher Vorausbestimmung. Im wesentlichen ist es
schon bei der Geburt eines Geschöpfes ausgesprochen, ob es einen
Beitrag zur Veredelung oder Verschlechterung seines Geschlechts
bedeutet.

Das gilt auch für den Menschen: seine Abstammung von einem bestimmten
Elternpaare bedingt seine Tüchtigkeit oder Minderwertigkeit vor allen
nachträglichen Einflüssen, die später auf ihn durch Umgang und
Erziehung einwirken. Wir sehen das tatsächlich auf allen Gebieten,
vornehmlich auf denen der Erziehung, der Rechtspflege, des genialen
Schaffens, der Beibringung neuer Werte in Wissenschaft, Ethik, Kunst
usw., dann aber auch im Alltagsleben: auch hierin offenbaren sich nur
allzu deutlich die besonderen angeborenen Gaben und Mängel der
Einzelnen. Alle, die eine größere Anzahl Untergebener unter sich haben,
werden das bestätigen können, vor allem also Offiziere und Leiter
großer industrieller Betriebe. Selbstverständlich trifft das auch für
die körperlichen Eigenschaften im engeren Sinne ebenso zu, für
Gesundheit und Schönheit. Nichts ist bezüglich ihrer wertvoller für ein
Individuum als die Abstammung von einem kerngesunden Elternpaare. Denn,
wenn nicht sehr ungünstige Umstände später auf es einwirken -- z. B.
mutwillige Untergrabung der Gesundheit --, so wird es dann die größte
Aussicht auf eigene dauernde Gesundheit und Langlebigkeit haben und
selbst nachteiligen Einflüssen gegenüber sich widerstandsfähiger
erweisen als andere. Umgekehrt können auch die besten hygienischen
Maßnahmen schlechte Erbwerte der Gesundheit und Widerstandskraft nur
mangelhaft ausgleichen, gerade wie die Schönheitspflege keine Resultate
zu liefern vermag, die angeborener Schönheit gegenüber in die Wagschale
fallen.

Freilich läßt sich die natürliche Anlage des Menschen modifizieren. So
können ungünstige Umstände die Ausbildung guter Eigenschaften
hintanhalten. Anderseits vermögen eine sorgfältige Erziehung von Jugend
auf und eine geeignete Umgebung einen von Natur Minderwertigen oft so
zu bessern, daß er nicht direkt auf Abwege gerät. Aber _im
wesentlichen_ schlagen die angeborenen Eigenschaften durch. Ebensowenig
kann die beste Erziehung aus einem dummen und unbegabten Menschen einen
Entdecker, Erfinder oder Künstler, aus einem charakterlosen einen
Propheten und Besserer des Menschenlooses machen, als umgekehrt ein
hartes Geschick im allgemeinen den Genius zu unterdrücken oder am
Durchbrechen zu hindern vermag.

So hängt denn auch die Zukunft der Rasse von den Erbwerten der Eltern
ab, da sie mehr oder weniger auf die Kinder übergehen. Wir gelangen
also auch für den Menschen auf Grund des sicher zutreffenden Teiles des
Darwinismus und der Erfahrung innerhalb der Menschheit selbst zur
These, daß jedes Individuum schon bei seiner Geburt die Grundlagen
seines späteren Wertes in sich trägt. Ich nenne das »_Das Prinzip der
natürlichen Prädestination_«.

Es gilt, wie schon bemerkt, hinsichtlich der Haupteigenschaften des
Geistes und Körpers. Beeinflußbarkeit bleibt dennoch bestehen, tritt
aber an Bedeutung sehr in den Hintergrund.


5. Keimauslese.

Um gewissen Schwierigkeiten, in die der Darwinismus gerät, zu begegnen,
hat _Weismann_ die Theorie der Keimauslese aufgestellt, nach der schon
die Keime des Lebens im Organismus einen Kampf zu bestehen haben. Davon
ist jedenfalls so viel richtig, daß nur ein verschwindend kleiner Teil
aller entstehenden Keimzellen zur Hervorbringung neuen Lebens verwertet
wird und die andern wieder untergehen, und daß Ursachen für das
verschiedene Geschick derselben vorhanden sein müssen. Vielleicht sind
es auch hier die kräftigeren Keime, die erhalten bleiben. Im übrigen
besagt Weismanns Theorie anderes als dieses. Doch liegt das außerhalb
des Rahmens dieser Abhandlung.


6. Geschlechtliche Zuchtwahl.

Darwin führte das Prinzip der geschlechtlichen Zuchtwahl ein, um
gewisse Eigentümlichkeiten der männlichen Tiere zu deuten. So sollen
der Gesang und das schöne Gefieder vieler männlicher Vögel durch
Bevorzugung seitens der Weibchen entstanden sein. Dafür spricht der
Umstand, daß beides zur Zeit der Paarung die höchste Entfaltung
erreicht. Ferner sind die Waffen mancher männlichen Tiere wie der
Hirsche vorwiegend zum Kampf um die Weibchen da. Der besser Bewaffnete
siegt und wird dann zur Fortpflanzung zugelassen. Die Schwäche dieser
Theorie ist jedoch handgreiflich, sofern sie die _Entstehung_ der
genannten Eigenschaften erklären soll. Wenn diese aber einmal auf einer
gewissen Ausbildungsstufe vorhanden sind, dann mögen sie gewiß zur
Bevorzugung bei der Gattenwahl beitragen und dadurch erhalten und
weiter entwickelt werden.

Die Auslese findet also nach Darwin teils durch den Kampf ums Dasein,
teils durch die geschlechtliche Zuchtwahl statt.


7. Isolation.

Vielleicht hat geographische Absonderung von dem Standort der
Artgenossen, bezw. beim Menschen von dem gemeinsamen Wohnsitze, in der
Vergangenheit einen beträchtlichen Anteil an der Bildung von Rassen,
Varietäten und Arten genommen. Für den Menschen ist dies besonders
wahrscheinlich, wenn nicht sicher. _Moritz Wagner_ hat die Theorie der
Isolation vertreten. Er sagt u. a.: »Die Bildung einer wirklichen
Varietät, welche Herr Darwin bekanntlich als ›beginnende Art‹
betrachtet, wird der Natur immer nur da gelingen, _wo einzelne
Individuen_ die begrenzenden Schranken ihres Standorts überschreitend
sich von ihren Artgenossen auf Zeit räumlich absondern können.«[5]

»Arten, welche nicht wanderten, sich also nicht veränderten, starben
allmählich aus.«[6]

»Die tätigeren und intelligenteren Menschenpaare isolierten sich ....,
schwächliche und dumme Menschenexemplare gingen damals wohl meist
zugrunde.[7]

»Neue Menschenrassen werden [heute und in Zukunft. Verf.] nicht mehr
entstehen, nur Bastardrassen durch häufige Mischung der jetzt
bestehenden Hauptrassen. Völlige Isolierung einzelner Familien und
Stämme durch eine lange Reihe von Generationen ist bei den jetzigen
Verkehrsverhältnissen nicht mehr möglich. Damit fehlt aber die
Grundbedingung der Rassenbildung.«[8]

Die geographische Absonderung hätte demnach eine doppelte Bedeutung: 1.
Durch sie würde Reinzucht innerhalb einer Sippe durchgeführt werden. 2.
Die veränderten Lebensbedingungen würden die Organisation der
Individuen, die sich ihnen durch die Aufsuchung der neuen Wohnstätten
ausgesetzt haben, modifizieren: »Veränderte Lebensbedingungen,« sagt
Wagner, »geben den Anstoß zu einer Steigerung der individuellen
Variabilität. Isolierung von den Artgenossen beginnt dann den Anfang
einer Rasse.«[9]


8. Zusammenhang vorstehender Grundsätze mit der Fortentwicklung der
Menschheit.

Für den Aufbau meines Plans zur generativen Höherentwicklung des
Menschen ist nun alles, was in den besprochenen Thesen der
Deszendenztheorie zweifelhaft ist, belanglos. Ich bedarf vielmehr nur
der feststehenden von ihnen. Dadurch gewinnen meine Voraussetzungen
Gewißheit.

Die Grundsätze[10] der Bildung einer tüchtigen Rasse, Varietät oder Art
sind demnach:

1. Das Vorhandensein des notwendigen Materials in Gestalt brauchbarer
spontaner Variationen.

2. Die Erblichkeit dieser Variationen.

3. Genügende Fruchtbarkeit.

4. Auslese.

5. Reinzucht.

6. Blutmischung (hierauf wird später bei der Behandlung der
menschlichen Rassenbildung eingegangen werden).

Beim _Menschen_ sind nun, wie sofort ersichtlich, alle diese
Erfordernisse ohne weiteres gegeben mit Ausnahme der Auslese und der
Reinzucht. (Von der Blutmischung sehen wir vorläufig ab, da die Frage
später erledigt wird).

_Das Problem lautet also_: Welche Prinzipien führen Auslese und
Reinzucht herbei? Zunächst unterscheide ich bei dem Angehen dieses
Problems nicht zwischen Menschen und Tieren. Es gibt folgende mögliche
Prinzipien der Auslese und Reinzucht:

1. _Den Kampf ums Dasein._ Er züchtet rein mechanisch von dem
Zeitpunkte an, wo die Eigentümlichkeiten der Einzelindividuen eine so
hohe Ausbildung erlangt haben, daß sie tatsächlich von Vorteil oder
Nachteil im Leben sind. Wahrscheinlich ist dabei die negative Seite die
Hauptleistung des ganzen Kampfes ums Dasein, d. h. die Ausmerzung der
Unfähigen.

2. _Geographische Absonderung._ Dieses Prinzip wurde von Moritz Wagner
eingeführt, um zu deuten, wie die Auslese und Reinzucht zustandekommen
können, ohne allein auf den unzulänglichen Kampf ums Dasein angewiesen
zu sein.

3. _Keimauslese._

4. _Instinkt._ Es ist durchaus denkbar, daß die Individuen, die vermöge
ihrer erblichen Eigenschaften zur Bildung neuer Formen besonders
geeignet sind, den Instinkt besitzen, sich untereinander zu paaren und
Reinzucht durchzuführen. Letzten Endes kommt man keinesfalls um eine
derartige Annahme herum. So haben denn Naturforscher auch in der Tat
von einem »Rasseninstinkt« der Tiere gesprochen.

5. _Geschlechtliche Zuchtwahl_, die solchen Instinkt schon voraussetzt.

Das sind die Mittel, die für die Herbeiführung der Auslese und der
Reinzucht denkbar sind; zugleich machen sie das Strittige im
Darwinismus, bezw. in seiner Fortbildung seitens anderer aus.

Von jenen kommen zwei für die _menschliche_ Rassenzucht nicht in
Betracht, nämlich der Kampf ums Dasein und die Isolation.

_Der Kampf ums Dasein_ tritt als auslesender Faktor im Kulturzustand
immer mehr zurück. Unsere humanen Tendenzen gehen im Einklang mit dem
Sittengesetz dahin, ihn mehr und mehr auszuschalten. Es kann vom
sittlichen Standpunkt aus keine Rede davon sein, etwa absichtlich in
Zukunft die Härte des Kampfes ums Dasein aufrecht erhalten oder gar
wieder vermehren zu wollen. Vielmehr muß jeder humane und sittliche
Mensch sein Zurückgehen im Kulturzustand freudigst begrüßen. Dazu kommt
noch, daß es hier gerade hinsichtlich seiner zu einer _Umwertung der
Werte kommt_: _Unsere_ höchsten Werte sind neben Gesundheit und
Schönheit vor allem die wissenschaftlichen, sittlichen und ästhetischen
sowie ihre Beziehungen zum Leben. Wie schon erwähnt, sind es
insbesondere die Genien, die uns diese vermitteln. Nun sind diese
keineswegs immer -- oder auch nur häufig -- gerade diejenigen Menschen,
die in einem rücksichtslosen Kampf ums Dasein am besten bestehen
würden. Von Körperschwäche will ich ganz absehen. Schon ihre
Charaktereigenschaften hemmen sie in einem solchen Kampfe: gerade weil
sie nicht skrupellose, sondern gewissenhafte, die Kapital- und
Geldwirtschaft aus angeborenem Idealismus hassende und daher wenig von
ihr verstehende Menschen sind, sind sie für den brutalen Daseinskampf
schlechter ausgerüstet. Sie aber zu pflegen als das wertvollste alles
Menschenmaterials ist unsere Hauptaufgabe. Die Genien sind Menschen,
die in eine weit fortgeschrittenere, vollkommenere Umgebung passen, und
die daher der Stufe der Unvollkommenheit, in der sie jeweils leben,
nicht adaptiert sind. Nun ist es aber das Hauptgesetz des Kampfes ums
Dasein, daß diejenigen, die sich nicht der Umgebung anzupassen
vermögen, untergehen. Der Genius jedoch ist deswegen seiner Umgebung
nicht angemessen, weil er vollkommener als sie ist. Die _Schuld_ liegt
also an der Umgebung und nicht an ihm. Durch seine Vollkommenheit
nimmt er die Tradition der Zukunft vorweg, wodurch er gerade seine
Mitmenschen späteren höheren und edleren Formen des Daseins
entgegenführt. Er macht ferner die wissenschaftlichen Entdeckungen, die
in der Technik verwertet die äußeren Grundlagen der Kultur bilden. Er
gibt den Menschen die herrlichen Werke der Kunst, an denen sie sich
erfreuen.

Der Kampf ums Dasein kann demnach als züchtender Faktor von irgendwie
erheblichem Belang im Kulturzustand nicht in Betracht kommen, weil: 1.
er ohnehin abnimmt, 2. Sittengesetz und Humanität uns verpflichten,
dies zu unterstützen, 3. eine Umwertung der Werte stattfindet
dahingehend, daß im Kulturzustand der Völker der Kampf ums Dasein
geradezu negativen Auslesewert erhält.

Freilich ist auch das sinngemäß zu verstehen. Der passive Kampf ums
Dasein scheidet auch innerhalb des Kulturzustandes ununterbrochen
die _Minderwertigsten_ aus, insbesondere die Abkömmlinge von
Alkoholikern, Tuberkulösen, Syphilitischen. Tot-, Fehlgeburten und
Kindersterblichkeit räumen hier mit furchtbarer Strenge auf. Der Kampf
ums Dasein verhindert so das Festwerden von Degenerationsmerkmalen. Er
zeigt sich also auch hier in seiner Wirkung als einen ausmerzenden
Faktor.[11]

Übrigens kam Darwin selber zur Überzeugung des rückläufigen Wegs des
Kampfes ums Dasein bei den Kulturvölkern. Nach _Ploetz_ berichtet
Wallace über des alten Darwin Meinung: »In einer meiner letzten
Unterhaltungen mit Darwin sprach er sich wenig hoffnungsvoll über die
Zukunft der Menschheit aus, und zwar auf Grund der Beobachtung, daß in
unserer modernen Zivilisation eine natürliche Auslese nicht zustande
komme und die Tüchtigsten nicht überlebten. Die Sieger im Kampf um das
Geld sind keineswegs die Besten oder die Klügsten, und bekanntlich
erneuert sich unsere Bevölkerung in jeder Generation in stärkerem Maße
aus den unteren als aus den mittleren und oberen Klassen.«[12]

_Daß Isolation_ ausscheidet, hat schon Wagner selber betont: die
heutigen Verkehrs- und Industrieverhältnisse, die zunehmende
Internationalisierung aller menschlichen Interessen in Wissenschaft,
Ethik, Kunst und Handel machen den Gedanken an Absonderung einfach
absurd. Dazu kommen wieder besondere sittliche Gründe: 1. Die für die
Absonderung behufs Reinzucht zur Bildung einer neuen höheren Rasse in
Betracht kommenden Individuen müßten die edelsten und besten sein:
gerade sie sollen aber zur Hebung der Tradition unter der Masse
bleiben; denn diese braucht das Beispiel und die Lehre der
Vollkommeneren. Diejenigen Menschen, welche bloß die _Fähigkeit_ zum
intellektuell-sittlichen Aufstreben mit auf die Welt bringen, aber des
_Anreizes_ zur _Entfaltung_ dieser Eigenschaften bedürfen, brauchen die
Vollkommensten, die eben solche Anreize geben. 2. Die sich Isolierenden
und ihre Nachkommen würden selbst der Kulturwerte, die in der Tradition
der höheren Völker aufgespeichert sind, verlustig gehen, was allein
schon den Gedanken an solche Absonderung von der übrigen Menschheit zu
einem unsinnigen macht. 3. Die höchste irdische Idee überhaupt ist die
der künftigen Einheit und Verbrüderung der ganzen Menschheit. Das ist
der _Humanitätsgedanke_ oder _die Idee der Menschheit_ schlechthin. Ihr
durch Absonderung entgegenzuarbeiten, würde also der Ethik und der
Vernunft widersprechen. Vielmehr muß es uns auch von ihrem Standpunkt
aus mit aufrichtiger Freude erfüllen, daß wir in der Tat jetzt schon
die Menschheit in Handel, Verkehr, Wissenschaft, ja sogar auch schon in
der Politik auf einander sich nähernden Pfaden dahineilen sehen.

_Ich fasse das zusammen_: Räumliche Absonderung der tüchtigsten
Menschen behufs Reinzucht kann heute aus folgenden Gründen nicht mehr
in Frage kommen: 1. Handel, Verkehr und die Notwendigkeit der Teilnahme
an den Kulturgütern machen es unmöglich. 2. Sittengesetz und
insbesondere der Humanitätsgedanke verbieten es.

_Geschlechtliche Zuchtwahl und Instinkt_, nämlich der für den
geeigneten Gatten, worauf ich später zu sprechen komme, sind aber beim
Menschen völlig gesicherte Mittel zur Herbeiführung von Auslese und
Reinzucht. Ferner unterstehen auch die _Keime_ in gewissem Grade dem
Einfluß des bewußten Willens.

_Kurz_: Diejenigen Prinzipien der Deszendenztheorie, die anfechtbar
sind, scheiden hinsichtlich der menschlichen Rassenzucht entweder aus
oder verlieren hier ihre Ungewißheit und erlangen bezüglich des
menschlichen Problems Zuverlässigkeit.

Es werden also hierbei diejenigen Faktoren verwertet, die entweder
_überhaupt_ feststehen, oder es doch wenigstens _bezüglich des
Menschen_ tun.

_Demnach erhalten wir folgende =Tafel von=_ =Grundsätzen= _für die
menschliche Rassenzucht_:

1. Das gute Material in Gestalt tüchtiger spontaner Variationen.

2. Ihre Erblichkeit.

3. Genügende Fruchtbarkeit.

4. Geschlechtliche Auslese der geeigneten spontanen Variationen.

5. Ihre Reinzucht.

6. Blutmischung.

7. Instinkt.



III. Anwendung der Grundsätze auf die Rassenzucht beim Menschen.


Der folgende Teil der Schrift widmet sich nunmehr der Lösung des
Problems der _Vervollkommnung der erblichen Organisation des Menschen_.
Die Lösung liegt in der Befolgung der Grundsätze der Rassenzucht, die
soeben aufgestellt worden sind. Wir haben diese also jetzt in ihren
_besonderen_ Beziehungen auf den Menschen zu betrachten.

Zunächst sei die _Hauptthese_ ins Gedächtnis zurückgerufen; sie lautet:
_Der Mensch muß nach Vervollkommnung streben, was durch Entfaltung
seiner höchsten Eigenschaften verwirklicht wird. Diese sind
Erkenntnisfähigkeit, Charakter und höhere Gefühle, sowie die dem
Menschen eigentümliche Körperschönheit._

_Diese Eigenschaften stellen also das Zuchtziel dar._

Auch will ich gleich vorausschicken, daß ich _keine Voraussetzungen
hinsichtlich der Güte bestehender Rassen_ für den Zweck der Auffindung
der zu züchtenden Merkmale des Vollkommenheitsideals mache.
Nachträglich wird es bisweilen nötig sein, Hinweise auf Rassen und
Völker zu geben, von denen die ganze _Erfahrung_ in der Geschichte und
der Völkerpsychologie einfach die _Tatsache_ feststellt, daß sie
gewisse höchste menschliche Eigenschaften in vollkommenster Ausbildung
besitzen. Auf die Erleichterung jedoch, von diesen Tatsachen als
Voraussetzungen auszugehen, verzichte ich und suche die Kennzeichen
geistiger und körperlicher menschlicher Vollkommenheit auf _ohne_ die
_Voraussetzung_, daß es noch Höhenunterschiede innerhalb der
Kulturvölker gebe.


1. Das Material.

Das Material bilden diejenigen spontanen Variationen von Männern und
Frauen, welche die besten Merkmale des Geistes und des Körpers tragen.


a) Die geistigen Eigenschaften.

Hier wird zunächst eine terminologische Klarstellung dem Leser für das
leichtere Verständnis alles nachfolgenden erwünscht sein.

1. »Geist«, »geistig« bedeuten gegenüber »Körper«, »körperlich« den
Inbegriff _alles_ Geistigen, Seelischen, Psychischen überhaupt.

2. »Geist«, »geistig« gegenüber dem _Rest_ des Seelischen, Psychischen
bedeuten die _höhere_ geistige Sphäre, das Vernünftige, Logische.

3. Das Geistige überhaupt zerfällt in die Sphären der Erkenntnis, des
Willens und des Gefühls.

4. Innerhalb _jeder_ dieser drei Sphären gibt es eine höhere und eine
niedere Stufe. Die höhere Stufe auf allen drei Sphären heißt Vernunft
(oder Geist im Sinne von No. 2), also Vernunft in der Erkenntnis,
vernünftiger Wille und vernünftiges Gefühl. Damit ist das rein
Logische, Unbedingte gemeint. Die niedere Stufe auf _jeder_ Sphäre
umfaßt demgegenüber das Psychologische. Auf der Erkenntnissphäre
besteht das Psychologische aus Intellekt, Verstand, Überlegung,
Reflexion, Wahrnehmung, Vorstellung. Auf der Willenssphäre besteht es
aus allen Trieben, allem Streben, Wünschen, Sehnen und allem Wollen
überhaupt, sofern sie nicht auf das rein Logische, Allgemeingültige
gehen. Auf der Gefühlssphäre umfaßt die psychologische Stufe die
sinnlichen Gefühle der Lust und Unlust, sowie Lust an mangelhafter
Erkenntnis oder an der Lüge, am mangelhaft Guten oder am Bösen, am
mangelhaft Schönen oder am Häßlichen.

Im nachfolgenden werde ich nun »Geist« im Sinne von No. 1 gebrauchen
und »Vernunft«, »vernünftig« für den Sinn von No. 2. -- -- --

_Die geistigen Merkmale, die der Auslese und Reinzucht unterliegen
sollen, sind: 1. Eine hochentwickelte Fähigkeit der Erkenntnis und des
wahren Urteilens, des Denkens, des Verstandes oder der Intelligenz; 2.
Güte des Charakters, Stärke des Willens, Energie, Entschlossenheit; 3.
ästhetisches Gefühl und Benehmen, künstlerische Gestaltungskraft._

Darin ist das Ideal begriffen. Wir werden später sehen, daß das Ideal
natürlich nicht als unerläßliche Mindestforderung im praktischen Leben
aufrechterhalten werden kann.

Es gibt _besondere Merkmale_ der geistigen Vollkommenheit, die zu
kennen wichtig ist, weil es die Möglichkeit der rechten Gattenwahl
erleichtert. Ich führe sie daher an, jedoch ohne allen Anspruch auf
Vollständigkeit.

Solche »_Kennzeichen der Geistes- und Seelengröße_« sind:

1. =Idealismus.= Die Betätigung von Idealismus ist gleich dem Streben
nach Vollkommenheit. Denn, wer Idealen nachjagt, bekundet dadurch, daß
er -- annähernd -- erreichbare Vollkommenheit voraussetzt, nach der er
strebt. Er ist also in der allgemeinen Grundrichtung seiner Gesinnung
vollkommen. Er bedarf rechter Erkenntnis, um die Ideale zu erfassen,
der Intelligenz für die Kleinarbeit auf dem Wege, der Energie und
Charakterfestigkeit, um unentwegt recht zu wollen und das Gewollte
durchzusetzen. Endlich ist ihm auch Formgebungskraft unerläßlich, wenn
er _bleibende Werte_ für die Menschheit schaffen soll. Denn die Ideale
haften nur dann in den Seelen der Mitmenschen, wenn sie in eine
anschauliche Form gegossen worden sind.

2. =Altruismus.= Er ist ein Bestandteil des Idealismus und betrifft die
höchste Eigenschaft des Charakters, Güte. Denn unter Altruismus
versteht man Nächstenliebe. Sein psychologischer Untergrund ist das
unwillkürliche Mitgefühl mit fremder Freude und fremdem Weh. Er ist des
weiteren ein praktisch sehr wichtiges Kennzeichen der Seelengröße, weil
er leicht auffindbar ist: niemand kann lange seinen Altruismus oder
Egoismus verbergen.

Da im nachfolgenden viel von Selbstverleugnung die Rede sein wird, so
muß ich, um nicht mißverstanden zu werden, meinen diesbezüglichen
Standpunkt klarlegen. Das kann jetzt so gut geschehen als später. Im
Mittelpunkt aller Vervollkommnungslehre steht die Persönlichkeit, das
Individuum. Nichts, was den wirklichen Persönlichkeitswert steigert,
gehört zum Begriff des Egoismus. Dies Wort bezieht sich nur auf die
Befriedigung des Selbstes mit materiellen Gütern und in seinen niederen
Begehrungen. Aber auch die Gesamtheit soll vervollkommnet werden. Dies
geschieht, wenn sie aus einer möglichst großen Zahl vollkommener
Individuen besteht. Ferner ist Selbstverleugnung sowohl das wirksamste
Mittel zur Steigerung des wahren eigenen Persönlichkeitswerts -- »es
wächst der Mensch mit seinen Zielen!« --, als auch zur Hebung der
Gesamtheit. So fällt der Weg zu den wahren Werten des Individuums und
zu denen der Gesamtheit zusammen. Selbstverleugnung bedeutet also nicht
Aufgebung des _wahren_ Selbstes, sondern nur diejenige seiner Behaftung
mit niedrigem Wollen.[13]

3. =Ein melancholisch-ernster Grundzug des Wesens gepaart mit
Lebhaftigkeit.= Schon den Alten war der schwermütige Ausdruck der
Geistesgewaltigen bekannt. Denn _Cicero_ läßt _Aristoteles_ sagen:
»Omnes ingeniosos melancholicos esse.«[14] Das heißt auf deutsch: Alle
Genien sind Melancholiker. Weitere Belege für dieses merkwürdige
psychologische Phänomen führt _E. v. Hartmann_ an. _Platon_ und _Kant_
haben sich entsprechend geäußert. »Schelling,« schreibt von Hartmann,
»sagt (Werke I. 7. S. 399): ›Daher der Schleier der Schwermut, der über
die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörbare Melancholie
alles Lebens.‹ Ferner hat er (Werke I. 10. S. 266-268) eine sehr schöne
Stelle, welche ich ganz durchzulesen empfehle; hier kann ich nur einige
Bruchstücke anführen: ›Freilich ist es ein Schmerzensweg, den jenes
Wesen, ... das in der Natur lebt, auf seinem Hindurchgehen durch diese
zurücklegt, davon zeugt der Zug des Schmerzes, der auf dem Antlitz der
ganzen Natur, auf dem Angesicht der Tiere liegt ...‹« u. s. w.[15]

Weitere Stellen, welche die Tatsache der Melancholie der Genien
bestätigen, finden sich bei _Schopenhauer_. _Woher_ sie stammt, brauche
ich hier nicht zu erläutern, da es nur auf den Nachweis ihres
Vorhandenseins ankommt. Sie _muß_ als ein Kennzeichen der Geistesgröße
angeführt werden, weil es einfach Wahrheit ist, daß die Genien es
besitzen. Damit will ich natürlich nicht die Hervorbringung eines
Geschlechts von Melancholikern befürworten. Vielmehr ist jener
schwermütige Ernst der Geisteshelden sehr verschieden von der
krankhaften Melancholie, wie sie Gegenstand der Nervenheilkunde ist.
Es ist nichts anderes als die Erkenntnis der Wahrheit und das Gefühl
der Einsamkeit in einer ihnen unterlegenen Welt, was sich im Antlitz
jener widerspiegelt. Deswegen ist der Zug der Schwermut auch mit jenem
andern vergesellschaftet, der ihre Geistesfrische ausdrückt, demjenigen
der Lebhaftigkeit. Auf diesen letzteren hat _Schopenhauer_ aufmerksam
gemacht.[16]

4. =Objektivität.= Auch dies hat Schopenhauer mit den Worten
hervorgehoben: »So ist denn Genialität nichts anders als die
vollkommenste Objektivität.«[17]

Bei allem Erkennen ist nämlich stets Interesse mit im Spiel: schon die
bloße Bestätigung einer Wahrnehmung als einer richtigen enthält einen
kleinen Willensakt, der mit Lust betont ist. Es ist unbewußte Freude
dabei, und daher auch der unbewußte Wunsch, daß sich kein
nachträglicher Irrtum herausstellen möge. Weit mehr noch ist dies
jedoch bei Erkenntnissen höherer Art der Fall, die durch das
eigentliche Denken zutage gefördert werden. Außerdem hat der Mensch
ohnehin ein Interesse an der Tatsächlichkeit gewisser Dinge und an dem
Nichtvorhandensein anderer. Deswegen besteht denn auch bei ihm die
weitverbreitete Neigung, selber seine Urteile zu fälschen. Es ist daher
die höchste Stufe der Erkenntnisfähigkeit, unabhängig von den genannten
psychologischen Erscheinungen nach reiner Wahrheit zu streben und das
Erkannte im gleichen Sinne weiterzugeben. Das aber versteht man unter
Objektivität. Deswegen hat Schopenhauer recht, wenn er Objektivität des
Urteilens als Merkmal der Geistesgröße anführt.

5. =Selbstbeherrschung.= Auf höheren Stufen der menschlichen
Entwickelung wird der Mensch zum Herrn über seine Gemütsbewegungen, ist
nicht mehr ihr willenloser Spielball. Er ist stark im Schmerz, besonnen
in der Freude, ein Beherrscher des Zornes, der Liebe und des Hasses und
aller Leidenschaften.

6. =Begeisterungsfähigkeit.= Gleichwohl aber ist die Fähigkeit tiefer,
bis auf den Grund der Seele reichender Erregbarkeit ein
unveräußerliches Erbstück wahrer Geistesgröße. Es ist die Fähigkeit der
Begeisterung für die Ideale, für das Wahre, Gute und Schöne, sowie die
der Entrüstung über deren Gegenteile, über Lüge, Bosheit, ja sogar
schon über das bloß Niedrige und Philiströse, sowie über das
Unästhetische. Nicht zu verwechseln mit jener Begeisterung für die
wirklichen Werte sind gewisse hysterische Entladungen in der
Massenpsychologie des Volkes oder sentimentale Schwärmerei, beides
durchaus minderwertige Erscheinungen. Echte Begeisterung und Entrüstung
sind kraftvoll, gehen entschlossen alsbald in Taten über, stehen unter
der Herrschaft der Vernunft.

Die Entstehungsursache der Begeisterung und Entrüstung gerade bei
hochwertigen Individuen ist in dem Umstand zu suchen, daß das ganze
Nervensystem einem Resonanzboden gleicht, der _im ganzen_ bei jedem
neuen Bewußtseinszustand mitschwingt.

_James_ sagt: »Der ganze Organismus kann als ein Resonanzboden
aufgefaßt werden, den jede noch so geringe Änderung des Bewußtseins im
ganzen zum Mitschwingen veranlassen kann.«[18]

7. =Impulsivität.= Forel führt diese unter den psychischen
Erscheinungen der Minderwertigen an.[19] Der sachverständige
Irrenarzt hat auch zweifellos zunächst recht darin: impulsives, von
der Vernunft nicht beherrschtes Handeln ist sicherlich ein
Minderwertigkeitssymptom und oft die Ursache von Unglück. Anders
aber in Menschen, bei denen die Vernunft beim Impuls zugegen ist:
bei ihnen ist Impulsivität ein Merkmal von Seelengröße. Gerade die
Geistesgewaltigen fassen ihre Entschlüsse rasch, augenblicklich. Bei
ihnen ist der Blick so klar, der Instinkt so gut entwickelt, daß sie
kaum der Überlegung bedürfen, um das Rechte zu sehen und zu tun. So
sind _die Ideen_ unter den Ideen und _die Taten_ unter den Taten
Kinder des Impulses und der Eingebung: nimmermehr wird das
Welterschütternde aus dem grübelnden Verstande herausgequält! Aus
den Tiefen des Unbewußten zuckt ein Blitzstrahl durch das Bewußtsein
eines Genius: die Idee ist geboren, die Tat beschlossen, der Weg
beleuchtet!

8. =Besonnenheit= ist nicht minder ein Kennzeichen der Geistesgröße.
Gerade sie gestaltet die Impulsivität zu einer Segenspenderin, was
diese ohne jene nicht ist.

9. =Naive Genialität.= Naivität kommt ähnlich wie Impulsivität auf zwei
verschieden hohen Stufen vor: einmal auf der kindlichen: dann beruht
sie auf Mangel an Erfahrung und Überlegung; das andere Mal auf der der
Geistesgröße: dann ist sie ein Zeichen geläuterter Erkenntnisfähigkeit.
»Naivität,« sagt Eisler, »gehört zu jedem wahren Genie.«[20]

10. =Instinkt.= Zunächst die Definition: Eisler sagt: »Instinkt ist
eine Art des Triebes, eine Regsamkeit des psychophysischen Organismus,
die, ohne Bewußtsein (Wissen) des Endzieles eine zweckmäßige Handlung
(Bewegung) einleitet. Der Instinkt beruht auf einer Anlage des
Organismus, die als Produkt von Willens- und Triebbetätigungen früherer
Generationen und der Vererbung jener aufzufassen ist.«

»Die Instinkte gelten bald als unbewußte Intellekt- und
Willenshandlungen, bald als bloße Reflexbewegungen, sie werden bald
einer universalen Vernunft zugeschrieben, bald als Produkte
individueller Erfahrung und Gewohnheit, bald endlich als vererbte
mechanische Triebe und Dispositionen betrachtet. Im weiteren Sinne
heißt ›Instinkt‹ die ›Spürkraft‹ des Geistes.«[21]

_Ich unterscheide »freie« und »feste« Instinkte._ Erstere bestehen in
der unmittelbaren Eingebung und Leitung durch das Unbewußte, letztere
zerfallen wieder in primäre und sekundäre: primäre Instinkte sind
angeborene »zufällige« spontane Variationen, die im Laufe der
Geschlechter erhalten geblieben und fest geworden sind. Sekundäre
Instinkte entstehen durch Engraphie, wenn im Laufe vieler Generationen
gewohnheitsmäßige Reaktionen, welche die Lebensverhältnisse in stets
gleicher Weise auszuführen zwangen, organisch einverleibt worden sind.

In diesem Zusammenhang meine ich mit Instinkt beim Menschen als
Kennzeichen der Geistesgröße das unmittelbare Wissen um die Wahrheit,
das Rechte und Schöne.

11. =Religiosität.= Es ist eine Tatsache, daß die größten Männer fast
alle ein religiöses Bewußtsein irgendwelcher Art gehabt haben. Darum
muß Religiosität als ein Merkmal der Geistesgröße verzeichnet werden,
weil die Erfahrung sie als solches aufzeigt.

So wird denn auch der Mensch der Zukunft nicht weniger, sondern mehr
religiös sein als derjenige der Gegenwart.

12. _Schüchternheit._ Ebenso ist es eine Tatsache, daß dreistes,
sicheres Auftreten zwar oft den Handlungsreisenden, keineswegs aber
gewöhnlich den Geistesgewaltigen auszeichnet. Freilich wird diese
anfängliche Schüchternheit und Zurückhaltung, die er mit auf die Welt
bringt, späterhin dann überwunden und macht unbeugsamem
Selbstbewußtsein Platz. Denn die Größe seiner Ideen senkt ihm nach
ihrem Durchbruch alsbald Selbstvertrauen in seine Seele nebst der Kraft
des Willens zu ihrer Ausführung.

13. _Überschwenglichkeit._ Goethe sagte: »Allein das Überschwengliche
macht die Größe.«

14. _Geniale Schöpferkraft._ Das ist die höchste Fähigkeit des Menschen
überhaupt und rein auf den Mann beschränkt. Das ist die Sprache der
Erfahrung der gesamten Menschheit. Daß Frauen nur deswegen von der
Genialität ausgeschlossen seien, weil sie bisher nicht genügende
Gelegenheit zur Bildung und Entfaltung ihrer geistigen Gaben gehabt
hätten, ist leeres Gerede. Denn die Musik und Dichtkunst waren ihnen
von jeher zugänglich, und sie haben darin _nichts_ von Bedeutung
geleistet. Ferner hat man in den Vereinigten Staaten von Nordamerika
das gewaltige Experiment gemacht, den Frauen die gleichen
Voraussetzungen der Bildung und der geistigen Entfaltung zu verleihen
wie den Männern, ja, noch bessere, weil der Mann schon sehr früh vom
Geschäftsleben absorbiert wird. Das Resultat aber hinsichtlich
geistiger Leistungen des Weibes in Amerika ist ein _Nichts_, eine
glatte Null! Ja, noch weit weniger: es zeigt sich eine bedeutende
Schwankung _unter die Nullinie_: die echte Amerikanerin ist klügelnder
Verstandesmensch geworden und hat dabei ihre spezifisch weiblichen
Tugenden, die der Selbstlosigkeit und Aufopferung für Gatte und Kind,
des Mitgefühls, eingebüßt. Der Verstand aber ist ideenleer, kalt
berechnend, ohne jegliche Größe, auf den eigenen Vorteil bedacht. Man
vergleiche die Terminologie auf S. 26, um sich den Unterschied zwischen
Verstand und Vernunft, um welch letztere es sich also hier _nicht_
handelt, nochmals klar zu machen. Ferner empfehle ich die Lektüre von
_Herricks_ neuem Roman »Together«,[22] in dem der scharf beobachtende
Verfasser eine sinnfällige Schilderung der modernen Amerikanerin gibt.

Dieses Experiment, das die Amerikaner am Menschen selber angestellt
haben, kann mit Recht als die Krönung der experimentellen
Forschungsmethode bezeichnet werden. Bereits ist der Zeitpunkt
herangekommen, wo das Experiment so weit gediehen ist, daß der Forscher
dessen Resultate ablesen kann. Sie sind die eben erwähnten! -- -- --

_Ich definiere: Genie ist die Fähigkeit, große neue Ideen von
bleibendem Werte zu finden und ihnen Form zu geben._ Dies ist die
allgemeinste und zugleich die bestimmteste Definition des Begriffs
Genie. Sie bezieht sich auf alle Arten von Genien. Immer handelt es
sich bei echtem Genie um jenes Zusammentreffen: Erfassung des
wertvollen Neuen und seine Gestaltung.

Die gestaltende Kraft ist einerseits das besondere Merkmal des
Künstlers und anderseits etwas sehr Charakteristisches am Genie
überhaupt. Doch gehört bei ihm die bedeutende neue Idee dazu und muß
vorangehen. Demnach ist jeder Genius seinem Wesen nach auch Künstler:
die Gestaltungskraft _ist_ eben das Künstlerische an ihm. Doch ist
nicht jeder Künstler ein Genie: Gestaltungskraft macht den Künstler;
jedoch nur, wenn es Großes und Neues ist, das er formt, ist er ein
Genie. Wir müssen also hiernach Künstler im engeren und weiteren Sinne
unterscheiden: erstere werden ausgemacht von den Künstlern auf dem
Gebiete der eigentlichen Kunst, letztere von den Genien.

15. =Treue.=

16. =Aufrichtigkeit, Offenheit, Wahrheitsliebe.=

17. =Moralischer Mut.=

18. =Innere Freiheit.=


b) Die körperlichen Eigenschaften.

_Die körperlichen Merkmale, die der Auslese und Reinzucht unterworfen
werden sollen, sind Gesundheit und Schönheit._

Dabei bedeutet »gesund« nicht etwa »robust« und äußerlich von Kraft
strotzend. Vielmehr ist eine gewisse Feinheit des Baues ein Zeichen der
Vollkommenheit. Gesundheit ist also hier im reinen Sinne des Wortes zu
nehmen, als Freiheit von Krankheiten und erblichen Nachteilen,
insbesondere hinsichtlich des letzteren Punktes von Tuberkulose,
Syphilis und Gehirnanomalien. Gesundheit muß in körperlicher Hinsicht
die Grundlage der Rassenzucht bilden.

Hinsichtlich der Schönheit des Körpers können in weitgehendem Maße die
Skulpturen der Griechen Anerkennung finden. Doch muß darauf aufmerksam
gemacht werden, daß in den Gesichtern jener Statuen die Abwesenheit von
Charakterausdruck auffällt: die Griechen stellten die _reine_ Schönheit
als solche dar. Das erklärt jene Erscheinung. Demnach werden wir die
Gesichter ihrer Statuen nicht in allem als maßgebend ansehen können.
Die griechische Kunst ist ein _absoluter Idealismus_,[23] also
Idealismus des Schönen. Wir dagegen verlangen mit Recht im Gesicht des
Mannes auch den _Ausdruck_ des Charakters und der Geistesgröße, wie ihn
ein scharfes Profil, feste Züge, hohe Stirn zuwege bringen, und wie er
sich tatsächlich bei den großen Männern findet.[24]

Bei den Statuen von Frauen finden wir bei den Griechen, ebenso wie bei
denjenigen von Männern, das wohlbekannte »griechische Profil«: gerade
Nase, die sich unmittelbar in die gerade Stirnlinie fortsetzt. Zugleich
ist aber die _gerade_ Stirne nicht auch eine ganz _senkrechte_, sondern
neigt sich leicht zurück. In der Tat könnte das »griechische Profil«
nicht mit Schönheit in Einklang gebracht werden, wenn dies nicht so
wäre. Denn bei _senkrechter_ Stirne würde die Nase, wenn sie _nicht_
aus der Fortsetzung der Stirnlinie hervortreten soll, zu weit in das
Gesicht eingerückt werden müssen und daher dieses unschön erscheinen.
Betrachtet man aber moderne Frauen und Mädchen der weißen Rassen, so
findet man fast allgemein, daß sie eine ganz senkrecht emporsteigende
Stirne haben. Dabei tritt die Nase etwas hervor und verläuft, auch wenn
sie selbst gerade ist, nicht genau in der Fortsetzung der Stirnlinie
wie bei den Skulpturen der Griechen. Diese _senkrechte_ Stirne aber
verleiht dem weiblichen Gesicht etwas Hoheitsvolles und Edles: sie ist
nichts anders als der ästhetische Ausdruck des sittlich Reinen.
Biologisch wird sie zurückgeführt auf das Stehenbleiben des weiblichen
Kopfes auf kindlicher Entwicklungsstufe.[25]

Beim Weibe werden wir also abweichend von den Griechen, zwar nicht wie
beim Manne scharfe Gesichtszüge, wohl aber die senkrechte Stirn unter
Verzicht auf das rein griechische Profil verlangen. Denn die senkrechte
Stirnlinie deutet Charakter an, und zwar den mehr passiven Teil
desselben, die edle Gesinnung und Reinheit, während die scharfen
Gesichtszüge beim Manne mehr die aktive Seite des Charakters, die
Energie und Willenskraft ausdrücken.

Wie einerseits die Erfahrung uns gezeigt hat, daß die _größte geistige_
Höhe, das Genie, _nur_ beim Manne vorkommt, so lehrt sie nunmehr
anderseits, daß die maximale Entfaltung von Körperschönheit auf das
Weib beschränkt ist. Die Richtigkeit davon wird durch eine Reihe von
Tatsachen bestätigt. So achten Männer gegenseitig aneinander
Genialität, Frauen aneinander Schönheit als die höchste Gabe ihres
eigenen Geschlechts. Umgekehrt fühlt sich der Mann am meisten von
Frauenschönheit, das Weib hauptsächlich von hoher geistiger Begabung
des Mannes angezogen. Wenigstens gilt das Letztere für höhere
Kulturvölker, während auf primitiveren Stufen körperliche Stärke und
physischer Mut ihr am meisten imponieren. Übrigens entspricht auf
höherer Stufe die Kraft des Geistes derjenigen des Körpers auf
niederer.

Ferner kommt es allenthalben in Poesie, Kunst, Literatur und dem naiven
Bewußtsein des Volkes zum Ausdruck, daß die Menschen zu allen Zeiten
und an allen Orten das Weib als das Symbol der Schönheit schlechthin
betrachtet haben und es noch tun.

_Ploß_ sagt, über diesen Gegenstand: »In _einer_ Hinsicht ist nun aber
allerdings das Weib dem Manne überlegen, nämlich in der _Schönheit der
äußeren Körperform_. Nur wenige gibt es, die das bestreiten, z. B.
Schopenhauer, ... allein, auch dieser Vorzug des Geschlechts ist
ungemein ungleich auf die Weiber verteilt. Eine Annäherung an das Ideal
weiblicher Schönheit, das wir uns unter dem Einflusse einer geläuterten
Ästhetik gebildet haben, ist nur unter höchst günstigen Verhältnissen
möglich.«[26] Vom Genie beim Manne gilt das Entsprechende ja ebenso
sehr, oder noch mehr.

Unter Anführung von Arbeiten _Cordiers_ und _Ecksteins_ widerspricht
nun Ploß der Annahme des Vorhandenseins allgemeiner Schönheitsgesetze.
Anders _Delauney_, den er dann nennt. Dieser behauptet, »daß es
allerdings allgemeine Schönheitsregeln gibt, sowohl für die Menschen,
wie für die Tiere; sie begründen sich durch die von _Claude Bernard_
aufgestellten sogenannten organotropischen Gesetze, die in der
Entwicklung der Form eines jeden Organs gefunden werden; es gibt für
jedes Organ ein Maximum der Entwicklung, welches die ihm eigene
Schönheit darstellt; und in betreff der Schönheit des ganzen
Individuums müssen die verschiedenen Organe in einer bestimmten
Beziehung und in einem gewissen Verhältnisse zueinander stehen.«[27]

Die Schönheit des Weibes hängt außer von der Rasse auch etwas von ihrer
sozialen Stellung ab. Bei niederen Völkern und in den unteren Schichten
der zivilisierten Nationen findet man sie seltener, bezw. weniger
entwickelt: »In den ›besseren‹ Teilen,« sagt Ploß, »unter den gut
situierten Klassen der Bevölkerung erblicken wir fast überall auch
schönere edlere Gestaltung, nicht bloß bei Männern, sondern namentlich
bei Frauen.«[28] ... »und so setzt sich oft in den mit Glücksgütern
hinreichend ausgestatteten Familien als Erbstück ein schönes und edles
Aussehen von Generation zu Generation fort.«[29] Der Einfluß der
Erblichkeit dürfte hierbei zu gering veranschlagt sein. Doch haben
sicherlich die äußeren Bedingungen, unter denen Menschen leben, einen
etwas umgestaltenden Einfluß auf ihr Aussehen, wie es _Ranke_
hinsichtlich des Längenwachstums für die Nordamerikaner nachgewiesen
hat.[30]

Darwin führt die überlegene Frauenschönheit auf den Einfluß der
geschlechtlichen Zuchtwahl zurück. Da die Frauen während langer
Perioden ihrer Schönheit wegen gewählt worden seien, meint er, so sei
es nicht auffallend, daß das Weib ihre Schönheit auch in größerem Maße
auf ihre weiblichen Nachkommen vererbt habe als auf die männlichen. So
seien denn die Frauen schöner geworden als die Männer.[31]

Die Mängel dieser Begründung liegen auf der Hand. _Aus welchem Grunde_
zogen, um die Hauptsache zu erwähnen, die Männer von jeher die
schöneren Frauen vor? Wenn es wahr ist, was Eckstein sagt, nämlich daß
Schönheit einfach ein Ausdruck von Zweckmäßigkeit und Gesundheit ist,
dann beantwortet sich die Frage von selbst, wie folgt: Die Männer
kannten durch Instinkt und Erfahrung die Merkmale der Gesundheit und
der Zweckmäßigkeit für die Ausübung des natürlichen Berufs der Frau.
Diese wären also identisch mit Schönheit. Ihnen entsprechend trafen
jene nun die Gattenwahl im Hinblick auf die bevorstehende Mutterschaft.

Auch _Stratz_ setzt Gesundheit und Schönheit einander gleich.[32]

Jedoch ist diese ebenso oberflächliche als gangbare Behauptung leicht
widerlegbar. Denn dasjenige an der spezifisch weiblichen Schönheit, was
zugleich für die Leistungen der Frau als Mutter zweckmäßig ist,
beschränkt sich auf die gute Entwicklung der Brüste und des Beckens.
Nun werden freilich Männer durch diese Körperteile, insbesondere durch
den Busen, sexuell angezogen. Jedoch zeigen sich darin immerhin nur die
primitivsten Triebe der Liebe.

Die höchsten Äußerungen weiblicher Schönheit haben nicht den geringsten
Zusammenhang mit Zweckmäßigkeit. Als solche verstehe ich: die Schönheit
und den Liebreiz des Gesichts, das prachtvolle Haar, die Zartheit der
Glieder, die Kleinheit der Hände und Füße, die Rundung der Körperformen
durch die stärkere Entwicklung des Unterhautfettgewebes als beim Mann,
das eigentümlich feine Inkarnat, die Schönheit der Bewegungen und der
Stimme. Dennoch ist all das zweifellos auch unter dem Einfluß der
Zuchtwahl entwickelt worden.

Ebensowenig wie Zweckmäßigkeit ist Gesundheit die alleinige Grundlage
der Schönheit: Chinesen und Neger können hervorragend gesund sein.
Dennoch mangeln ihnen alle Merkmale fortgeschrittener Schönheit.
Demnach: Schönheit umfaßt Gesundheit dem _Begriffe_ nach -- nicht
immer im Einzelfall --, Gesundheit aber nicht umgekehrt Schönheit,
nicht nur nicht in der Erfahrung, sondern auch nicht dem Begriffe nach.

Es bleibt also nur die Annahme übrig, daß die Männer von vornherein im
Geiste das Ideal weiblicher Schönheit, wenn auch zum größten Teil
zunächst unbewußt, besaßen und ihm gemäß ihre Wahl, getrieben durch den
Instinkt, trafen. _Dann aber ist Schönheit etwas durchaus Objektives,
eine Idee an sich._ Zur Stützung dieses Resultats meiner Überlegung
führe ich einige Ansichten von Philosophen an[33]:

»Nach Chr. Krause ist Schönheit die ›reine, klare und lebensvolle
Gottähnlichkeit endlicher Naturen an ihrer Endlichkeit‹. ›Die Urquelle
aller Schönheit ist Gott selbst und seine Kraft, in der alle Dinge sich
regen.‹ (Urb. d. Menschheit, 3, S. 41). Nach Zeising ist die Schönheit
oder die Idee der Anschauung ›die als _erscheinend_ aufgefaßte
Vollkommenheit‹. (Ästhet. Forsch. S. 181.) J. H. Fichte erklärt:
›Alles Schöne beruht ... auf der _inneren Zusammenstimmung_
(›Harmonie‹) einer Mannigfaltigkeit von Teilen, durch welche
die Teile zu einem geschlossenen _Ganzen_ werden.‹ (Psychol. I,
S. 697). V. Cousin bemerkt: ›Le sentiment du beau est sa propre
satisfaction à lui-même‹ (Du Vrai, p. 141 ff.). Die Schönheit ist ein
Ausdruck der geistigen und sittlichen Vollkommenheit (vergl. d.
Arbeiten von Chaignet und L'Evêque).«

Das Wesen des Schönen liegt in der Harmonie, und zwar in einer Harmonie
zweifacher Art: 1. in der Harmonie des Wahrnehmbaren unter sich, also
Harmonie in Formen, Farben, Tönen und Bewegungen, und 2. in der
Harmonie zwischen Form und Inhalt, also der harmonischen Abstimmung des
Wahrnehmbaren auf seinen (geistigen) Inhalt. Die Schönheit des Menschen
ist also die harmonische Abstimmung der Körperteile (hinsichtlich
Formen und Farben) aufeinander und auf den Geist. Vollständige
Harmonie zwischen Geist und Körper ist Vollkommenheit -- doch nur unter
der Voraussetzung, daß der _Geist_ als solcher schon vollkommen ist.
Die Lust an solcher Harmonie ist Lust an der Vollkommenheit. Streben
nach Vollkommenheit bedeutet demnach Streben nach Harmonie zwischen
Geist und Körper als Inhalt und Form. Der höchste Inhalt des Menschen,
sein Geist, gegossen in die ihm angemessenste Form des Körpers: das ist
das vollkommene Menschheitsideal. Der sichtbare Teil davon ist die dem
Inhalt entsprechende Form, der Leib, der eben bei solcher Erfüllung
seiner Bestimmung ästhetische Lust erzeugt. _Das_ ist in wenigen Worten
die Wahrheit über die Schönheit des Menschen, und nicht jene flache
Auffassung, die sie als bloßes Nützlichkeitsprodukt aus dem Kampf ums
Dasein hinstellen möchte! -- -- --

Das Weib ist es nun, wie wir schon sahen, welche die maximale Schönheit
vertritt. Das schöne Weib erregt in geistig hochentwickelten Männern
uninteressiertes Wohlgefallen an ihrer Schönheit als solcher. Dies ist
insbesondere auch beim Künstler der Fall. -- -- --

Stratz gelangt zu einem Kanon der Schönheit durch Abzug alles ihr
Widersprechenden. Er sagt: »Um lebende weibliche Schönheit objektiv zu
beurteilen, muß man auf negativem Wege vorgehen: die Fehler
ausmerzen.«[34] Jedoch ist es klar, daß das zum mindesten den
unbewußten geistigen Besitz des Schönheitsideals seitens des
Urteilenden schon voraussetzt. Denn, wie hätte er sonst ein Kriterium
für das Fehlerhafte?

Doch hier interessiert uns nur die Tatsache, daß Stratz auf diesem Wege
zu einem Kanon objektiver Schönheitsmerkmale gelangt, die er am
Schlusse seines Werkes in einer Tabelle zusammenfaßt.[35] -- -- --

Die _Übereinstimmung der verschiedenen Völker_ in ihrer Beurteilung
idealer Frauenschönheit scheint vorwiegend die _Farbe_ zu betreffen.

Wir müssen zwei Arten von ästhetischen Wirkungen unterscheiden: solche
durch Harmonie und solche durch Kontrast. Schönheit durch Harmonie wird
am vollendetsten von der _Blondine_ dargestellt. In ihr erblickt auch
Stratz, wenn ich ihn recht verstehe, den Typus maximaler
Frauenschönheit; denn er sagt: »Da starke Pigmentanhäufung ein
gemeinschaftliches Merkmal niedrig stehender Rassen ist, so kann man im
allgemeinen blondes Haupthaar als einen Vorzug betrachten, und
namentlich bei der Frau, bei der durch den schwächeren Gegensatz von
Blond und Weiß die Harmonie der zarten Bildung erhöht wird.«[36] »Der
Reiz der hellen Farben, Weiß, Rosig, Hellblau und Blond, dem zarteren
Körper des Weibes eigen, wirkt an und für sich schon so mächtig, daß er
vielen gleichbedeutend mit Schönheit ist.«[37]

In der englischen Sprache ist »fair«, blond, für Frauen gleichbedeutend
mit schön.

Die Kontrastwirkung kommt zustande durch helle Haut und dunkle Haar-
und Augenfarbe: »Eine brünette Haut,« sagt Stratz, »ist mit den dunklen
Augen und Haaren zusammengestimmt und wirkt durch Abtönung ebenso
harmonisch wie die weiße Haut mit blondem Haar und hellen Augen. Bei
Zusammenstellung der weißen Haut mit schwarzem Haar werden aber durch
den Kontrast die Vorzüge beider Teile noch lebhafter sprechen.«[38]

Wie wir oben fanden, _ist_ Schönheit Harmonie schlechthin, unter der
_Voraussetzung_ eines an sich vollkommenen Inhalts, der die Abstimmung
des Äußern auf ihn zu einem »Wert« erhebt! Ohne diese Voraussetzung
macht Harmonie noch keine Schönheit aus. Der Kontrast ist also mit der
Harmonie nicht als etwas Ebenbürtiges meßbar, sondern nur eine Methode
der Erzielung von Wirkung auf das ästhetische Gefühl. Auch handelt es
sich nicht um schöne Haut, Augen, Haare als Einzeldinge, sondern um die
Schönheit des ganzen menschlichen Körpers. Es ist also unstatthaft zu
sagen, daß eine helle Haut nebst dunklen Haaren die Schönheit der
einzelnen Teile hervorhebe: denn nach diesem Grundsatz müßte eine
blonde Negerin ebenso schön sein (hinsichtlich Farbenwirkung) als eine
schwarzhaarige Europäerin mit weißer Haut: der Kontrast wäre in beiden
Fällen der gleiche und würde »die Vorzüge beider Teile« hervortreten
lassen, nämlich in diesem Beispiel der blonden Haare und der schwarzen
Haut der so vorgestellten Negerin.

Ferner müßte nach dem andern Beispiel von Stratz betreffend die
Harmonie bei der Brünetten eine Frau von vollkommenen Formen, aber mit
schwarzer Haut, schwarzen Haaren und Augen ebenfalls schön sein. Denn
Harmonie wäre auch hier vorhanden. Offenbar würden wir jene aber der
Blondine mit der _ihr_ eigentümlichen Harmonie nicht an die Seite
setzen. Warum nicht? Erstens, weil die hellen Farben der Blondine auf
den Inhalt des Menschen, seinen Geist, der als »Lichtgestalt«
vorgestellt wird, wenn man an einen wirklich edlen und hoheitsvollen
Charakter und Helden denkt, harmonisch abgestimmt sind. Zweitens, weil
die bei der Blondine in Frage kommenden Farben weiß, blau und golden an
sich schöner sind als die Farben braun und schwarz. Drittens, weil blau
und gelb annähernd sogenannte Komplementärfarben sind, die immer
Wohlgefallen erregen, weil sie zusammen passen (psychologisch: sich zu
weiß ergänzen). Viertens, weil die genannten drei Farben außerdem noch
harmonisch zueinander passen. Der blonde Typ ist also als solcher
derjenige größter menschlicher Vollkommenheit, den wir kennen,
vielleicht, den es überhaupt geben _kann_.

Einige Stellen aus _Havelock Ellis_ mögen nun das noch weiter
bekräftigen. Auch sie beziehen sich vorwiegend auf die Proklamierung
der Blondheit als des am meisten auffallenden objektiven
Schönheitskennzeichens. Ellis schreibt:[39]

»Renier hat das Frauenideal der provençalischen Troubadoure untersucht:
›Sie vermeiden jede Beschreibung der weiblichen Form; ihre
Beobachtungen beziehen sich zumeist auf die schlanke, gerade, frische
Erscheinung des Körpers, auf weiße und rosige Farbe. Auch die Augen
werden viel gepriesen; sie sind süß, liebevoll, hell, lächelnd und
heiter. Ihre Farbe wird nie erwähnt. Der Mund lacht, ist karminrot, und
wenn er bei süßem Lächeln die weißen Zähne zeigt, lockt er zur Wonne
des Kusses. Das Gesicht ist klar und frisch, die Haut weiß, das Haar
stets blond. Vom übrigen Körper ist selten die Rede.‹«

Ebenso sei nach _Rowbothams_ Schilderung des konventionellen Ideals der
Troubadoure die Dame stets von milchweißer Haut »weißer und frischer
als frischgefallener Schnee, von einer besonderen Reinheit des Weißen«.
»Ihr fast immer mit Blumen geschmücktes Haar ist stets flachsfarben,
seidenweich, vom Glanze feinsten Goldes schimmernd.«

In den ältesten spanischen (!) Romanzen ist nach Ellis das Haar »›von
reinem Golde‹ oder einfach blond ..., das Gesicht weiß und rosig, die
Hände weiß ....«

Er gibt ferner an, daß Alwin Schultz das Ideal der deutschen Dichter
des XII. und XIII. Jahrhunderts folgendermaßen schildert: »Sie muß
mittelgroß und schlank sein, ihr Haar blond wie Gold ...« Dunkles Haar
finde keine Bewunderung. Die Augen müßten hell, gewöhnlich blau, die
Haut solle weiß, bezw. zart rosig sein.

Adam de la Halle aus Artois schildert nach unserm Gewährsmann in einem
Gedicht aus dem XIII. Jahrhundert seine Geliebte als goldhaarig,
schwarzäugig. Das sind nur einige der in der genannten Quelle
angeführten Schilderungen, die auf die Hervorhebung der Blondheit und
ihrer Attribute als des Ideals der Frauenschönheit ausgehen.

Ferner betonen nach Ellis die _italienischen_ Dichter den Vorzug des
blonden Haares.

Johanna von Aragonien, die schönste Frau des 16. Jahrhunderts, hatte
nach der Beschreibung ihres Arztes Niphus, des Philosophen am
päpstlichen Hofe und Freundes Leos X., langes goldiges Haar und blaue
Augen, rosig-weißen Teint.

Gabriel de Minuts Geliebte hatte »trotz ihrer südlichen Heimat blondes
Haar und blaue Augen«. Die Beschreibung stammt aus dem Jahre 1587.

Die griechischen Künstler vergoldeten das Haar ihrer Statuen. Götter
und Menschen sind bei Homer oft blond: Venus ist es fast immer.

Ellis fährt dann fort: »Es ist interessant, daß die Musterung der
weiblichen Schönheitsideale in vielen verschiedenen Ländern zeigt, daß
sie alle Merkmale enthalten, welche dem ästhetischen Gefühle des
modernen Europäers entsprechen, und viele dieser Ideale enthalten kein
Merkmal, das mit unserm Geschmacke ganz unvereinbar wäre.«

»Daß die Schönheit ein Element der Objektivität enthält, ergibt sich
auch daraus, daß Männer niederer Rasse manchmal europäische Frauen
schöner finden als die ihres eigenen Stammes. Wahrscheinlich ist unter
den geistig und somit auch ästhetisch am meisten entwickelten
Individuen niederer Rasse diese Vorliebe für weiße Frauen zumeist zu
finden.«

_Nach allem: Menschliche Schönheit, gemessen am Weibe, weil diese sie
in maximalem Betrage besitzt, ist objektiv. Das allgemeinste Merkmal
dieser Objektivität der Schönheit ist die Blondheit mit ihren
Attributen der weißen Haut und blauen Augen._


c) Die Auserlesenen.

Nach diesem Überblick über die wertvollsten geistigen und körperlichen
Eigenschaften des Menschen bleibt es mir noch übrig, im Zusammenhang
kurz den Gesamthabitus des für die Auslese und Reinzucht tauglichen
Mannes und Weibes zu schildern. Das kann natürlich nur in großen
allgemeinen Umrissen geschehen und unter Leitung folgender
Gesichtspunkte, die im Vorhergehenden aufgefunden worden sind:

Die _höchsten geistigen_ Eigenschaften sind dem Manne zugeteilt worden.
Bei der Beurteilung der geistigen Merkmale werde ich daher vom Manne
ausgehen; denn ich kann sie nur bei ihm in vollkommenster Entfaltung
sehen.

Die _höchste körperliche_ Eigenschaft dagegen, Schönheit, ist dem Weibe
zugefallen. Hinsichtlich des Schönheitsideals werde ich also aus dem
entsprechenden Grunde wie oben mich am Weibe orientieren.

Wir werden also auch bei der _Auslese_ der Tüchtigsten natürlich vom
Manne die höchsten geistigen Eigenschaften und von der Frau die größte
Schönheit verlangen.

Allein, sowohl in geistiger, als auch in leiblicher Beziehung gibt es
je einen Faktor, der an praktischer Bedeutung alle andern überragt. Auf
diese beiden Faktoren werde ich daher bei _beiden_ Geschlechtern den
gleichen Wert legen und außerdem ihr Vorhandensein als eine der
Mindestforderungen aussprechen, die erfüllt sein müssen, um einen
Menschen noch als zur Auslese geeignet erscheinen zu lassen.

Dieser _geistige_ Faktor ist der _Charakter_ (Wille, Gesinnung): er
_ist der Kern des Menschen überhaupt, seine Seele_. Es unterliegt zwar
keinem Zweifel, daß er in vollendetster Ausprägung beim Manne vorkommt;
doch ist der Unterschied gegenüber dem Weibe bedeutend geringer als
derjenige hinsichtlich der übrigen Geistesgaben. Es gibt
erfahrungsgemäß auch Frauen von außerordentlicher Seelengröße.
Deswegen, und weil der Charakter den Kern _jedes_ Menschen bildet, ist
es besser, über jenen kleinen Unterschied hinwegzusehen und bei beiden
Geschlechtern die höchsten Anforderungen an den Charakter zu stellen.

Jener oben genannte _körperliche_ Faktor ist Gesundheit. Sie ist die
leibliche Grundlage aller menschlichen Vervollkommnung.

_Vorzüglichkeit des Charakters und Gesundheit sind also unerläßliche
Bedingungen der Zulassung zur Auslese und Reinzucht._

Im übrigen werden die Merkmale der Geistesgröße, die beim Manne
gefunden worden sind, auch als Maßstab für das Weib genommen; jedoch
wird bei ihr nicht das Höchste hierin verlangt. Ebenso werden die
Kennzeichen der Schönheit des Weibes für den Mann zugrunde gelegt, doch
auch wieder in untergeordneter Weise.

_Demnach_: Bei Mann und Weib stehen Charakter und Gesundheit im
Mittelpunkt; beim Mann kommt dann zunächst noch sonstige Geistesgröße,
beim Weib Schönheit in Betracht.

Die Übertragung der Merkmale des einen Geschlechts auf das andere gilt
nach allem Vorausgegangenen sinngemäß und nur bedingt und allgemein,
nicht im besondern.

_Das Idealbild des Mannes_ wäre etwa folgendes: Schlanke, ziemlich
hochgewachsene Gestalt, hohe Stirn, schmales Gesicht, scharfes Profil,
ernster Gesichtsausdruck. Haare blond; doch tritt das hier etwas in den
Hintergrund. Charakterstärke, Güte, Idealismus, Altruismus,
Wahrheitsliebe, moralischer Mut, Intelligenz, Genialität, ästhetisches
Gefühl, Gesundheit.

Zur Erläuterung muß ich hier nochmals auf den schon genannten Aufsatz
von O. Hauser verweisen: »Der physische Typus des Genies des
Altertums«. Hauser zeigt darin an der Hand der Beschreibung einer
großen Anzahl berühmter Männer aus dem Altertum, daß die hohe, schlanke
Gestalt, Blondheit und das scharfe Profil mit der großen, zumeist
gebogenen Nase das charakteristische Aussehen der Großen bilden.

_Das Idealbild des Weibes_ wäre etwa dieses: Schlanke, ziemlich hohe
Gestalt, schmales Gesicht, gerade und senkrechte Stirn, deutliches,
aber regelmäßiges Profil, Anmut, Blondheit oder Annäherung an sie. Güte
und Reinheit des Charakters, Wahrheitsliebe, Altruismus, Intelligenz,
moralischer Mut, ästhetisches Gefühl, Gesundheit.

Alle Vervollkommnung findet nicht plötzlich, sondern durch Entwicklung
statt. Demnach können wir zunächst nicht die _höchsten_ Eigenschaften
des Geistes und Körpers, also nicht Genie und größte Schönheit, als
unerläßliche Attribute derjenigen, die der Auslese und Reinzucht als
Material dienen sollen, verlangen, sondern müssen mit Bescheidenerem
zufrieden sein. Wie schon erwähnt, sollen daher ein vorzüglicher
Charakter und Gesundheit das Mindestmaß des Notwendigen sein. Doch muß
selbstverständlich körperliche Wohlgestalt, wenn auch nicht eigentliche
Schönheit, ebenfalls dabei sein, also eine schlanke, gut gebaute,
nicht zu kleine Statur, sowie ein Kopf und Gesicht, welche die im
Vorstehenden angegebenen Merkmale der Rasse noch deutlich erkennen
lassen.


d) Das Organ des Geistes.

Das Organ des Geistes ist das Gehirn. Von seiner Beschaffenheit hängen
daher offenbar auch die geistigen und Charaktereigenschaften ab, die
bei der Reinzucht der Vollkommensten ausgelesen und gesteigert werden
sollen. Wir müssen daher der Betrachtung des Gehirns noch einen
besonderen Abschnitt widmen.

Ploetz kommt zu dem Schlusse, daß weder die Zunahme der
durchschnittlichen Lebensdauer, noch die Vergleichung von Schädeln der
jetzigen und früheren Geschlechter die Frage entscheiden läßt, ob wir
uns seit dem Altertum vervollkommnet haben oder nicht. Die Zunahme der
Lebensdauer ist eine tatsächliche. Aber sie ist für die Beantwortung
der Frage nicht verwertbar, weil man nicht entscheiden kann, ob sie aus
gesteigerter konstitutioneller Kraft des Menschen oder aus
Erleichterung der äußeren Bedingungen des Daseins herzuleiten ist.

Nach den vergleichenden Messungen zu urteilen, scheint eine
Vergrößerung des Gehirns stattgefunden zu haben. Doch sind die
Statistiken aus verschiedenen Gründen, namentlich auch wegen des zu
geringen Zahlenmaterials, nicht endgültig beweisend. Ferner darf man
Zunahme des Hirngewichts nicht ohne weiteres mit Steigerung der Güte
gleichsetzen. Doch sprechen viele Tatsachen dafür, daß beides in
weitgehendem Maße zusammenfällt. So ist das Wachstum des Gehirns durch
die Tierreihe hindurch bis zum Menschen die auffälligste Erscheinung
der ganzen Entwicklungsgeschichte. Im höheren Alter nehmen beim
Menschen Volum und Gewicht des Gehirns ab und Hand in Hand damit auch
seine geistigen Kräfte. Sehr hervorragende Männer haben oft besonders
große Gehirne gehabt. Endlich hat man keinen Fall auffinden können, in
dem ein außergewöhnlich hochstehender Mensch ein besonders kleines
Gehirn besessen hätte.

Daß die geistige Höhe nicht _nur_ von der Masse des Gehirns, sondern
auch von seiner sonstigen Beschaffenheit abhängt, ist ja Tatsache.
Anzahl und Tiefe der Furchen spielen eine große Rolle, weil von ihnen
die Größe der _Oberfläche_ des Großhirns abhängt, und weil hier der
Sitz der höchsten geistigen Fähigkeiten ist.

Die vergleichenden Messungen machen nun, wie schon erwähnt, eine
Zunahme der Hirngröße, namentlich im Stirnteil, wahrscheinlich.[40]

Das weibliche Gehirn ist durchschnittlich etwas kleiner als das des
Mannes. _Browne_ fand, daß das männliche Gehirn 29,71 Gramm mehr wiegt
als das weibliche. Dabei hatte er den Anteil in Abzug gebracht, der auf
den Unterschied der Körpergröße zu setzen ist, wodurch bewiesen wird,
daß der Unterschied nicht nur ein relativer, sondern ein absoluter
ist.[41] Dieser Unterschied tritt nach _Rüdinger_ schon während des
Lebens im Mutterleibe auf. Er sagt: »Alle drei Hauptdurchmesser des
Gehirns sind bei neugeborenen Knaben größer als bei Mädchen« ...[42]
Auch die Windungen sind bei weiblichen Gehirnen während des Lebens im
Mutterleib bedeutend einfacher als bei männlichen; der ganze
Stirnlappen macht daher bei Mädchen den Eindruck der Glätte oder
Nacktheit. »Trotz vieler individueller Ausnahmen,« fährt Rüdinger fort,
»welchen man sorgfältigere Berücksichtigung zuteil werden lassen muß,
kann man die Tatsache, _daß ganz verschiedene typische Bildungsgesetze
für die Großhirnwindungen der beiden Geschlechter bestehen und schon im
fötalen Leben sich geltend machen, nicht bestreiten_.«[43]

Sehr bemerkenswert sind die Resultate, zu denen J. Ranke gelangt. Sie
beziehen sich auf die altbayerische Landbevölkerung. Nach ihnen ist
hier das Gehirnvolumen bei den Frauen im Verhältnis zu _ihrer_
Körpergröße relativ etwas größer als beim Manne bezüglich der seinigen.
Jedoch kommt es bei Männern häufiger vor, daß die Hirngröße den
Mittelwert überragt, als daß sie hinter diesem zurückbleibt. Anders bei
den Frauen: bei ihnen besteht eine Neigung zum Zurückbleiben hinter dem
Mittelwert. Ranke sagt: »Das psychische Organ der Männer zeigt also
vorwiegend eine das Mittelmaß übersteigende Entwicklung, und die Zahl
besonders mächtig entwickelter Gehirne ist relativ viel größer als bei
Frauen.«[44]

Ranke findet nun einen Zusammenhang zwischen diesen anatomischen
Unterschieden und den geistigen Leistungen der beiden Geschlechter:
beim weiblichen Gehirn sind sie »für das Durchschnittsweib etwas höher«
als diejenigen des männlichen Gehirns »für den Durchschnittsmann«.[45]

Browne untersuchte das _spezifische Gewicht_ der Marksubstanz des
Gehirns an verschiedenen Stellen und fand es überall bei beiden
Geschlechtern gleich, nämlich 1044. Das spezifische Gewicht der grauen
Hirnrinde aber, »in welcher man den Sitz des Bewußtseins zu suchen
hat«, betrug bei Männern 1036-1037 (letzteres in den Stirnwindungen),
bei Frauen überall nur 1034.[46]

Ploß schließt mit folgenden Sätzen: »Jedenfalls scheinen uns die bisher
aufgefundenen Differenzen wichtig und charakteristisch genug, um auch
den eifrigsten Verfechter der Frauenemanzipation aus dem Felde schlagen
zu können, besonders da, wie Rüdinger gezeigt hat, diese Unterschiede
angeborene und nicht erst im späteren Leben erworbene sind.«[47]

In Vorstehendem haben wir die anatomische Erklärung für die
Erfahrungstatsache, daß die höchsten Geistesgaben nur beim Manne
vorkommen. -- -- --

_Da es sich für uns um Weiterentwicklung des Menschen handelt, so
müssen wir unsere Aufmerksamkeit nunmehr der Frage zuwenden, wie
dieser Fortschritt im Geistesleben und am Gehirn statthaben könnte._

Es muß sich um Höherentwicklung der _Vernunft_ als des Inbegriffs des
höheren Geisteslebens in allen seinen drei Sphären handeln. (S. die
terminologische Auseinandersetzung auf S. 26). Anatomisch muß eine
weitere Entwicklung der Großhirnrinde dem zugrunde gelegt werden. In
ihr haben wir also die anatomischen Bedingungen für den Fortschritt der
Menschheit zu höheren und edleren Formen des Daseins zu suchen.

Von diesen Überlegungen ausgehend bin ich zu der Überzeugung gelangt,
daß einige Bemerkungen, die _Schleich_[48] über die mutmaßliche
Weiterentwicklung des Großhirns gemacht hat, manches Richtige
enthalten. Er geht von der Beobachtung aus, daß das Großhirn sowohl für
das unbewaffnete Auge, als auch unter dem Mikroskop den Eindruck der
Unfertigkeit und Neuheit hervorruft gegenüber den andern
stammesgeschichtlich viel älteren Teilen des Zentralnervensystems. Auch
seiner Beschaffenheit nach ist es viel weicher, breiartiger als
letztere. Nun sind die Tätigkeiten der älteren, festeren Abschnitte
automatische, unbewußte: sie gehen mit der Unfehlbarkeit und Sicherheit
von statten, die uns im allgemeinen alle automatischen Funktionen
zeigen. Ganz anders verhält es sich mit den Tätigkeiten des
Bewußtseins, die an die jüngsten, obersten Teile des Großhirns geknüpft
sind: namentlich in unserm Denken und Erkennen irren wir fortwährend.

Schleich nimmt nun in Anlehnung an den englischen Philosophen H.
_Spencer_ an, daß es jeweils nur die jüngsten, in der Entwicklungsreihe
also am weitesten vorgeschobenen Teile des Nervensystems sind, deren
Tätigkeiten mit _Bewußtsein_ verknüpft sind. Nach dieser Theorie waren
diejenigen Funktionen, die jetzt in uns und den höheren Tieren
unbewußt, selbsttätig, geworden sind, einst auch mit Bewußtsein
verbunden: auch sie mußten mühsam erlernt werden, ebenso wie wir jetzt
innerhalb der Sphäre der uns bewußten Lebensäußerungen lernend, übend,
prüfend und tastend vorgehen. Das Riechen, die Atmung, die
Herztätigkeit, die Verdauung usw. hätten also nach Spencers Ansicht
einst in der stammesgeschichtlichen Kindheit der Organismenreihe unter
der Leitung des Bewußtseins erlernt werden müssen.

Dieser Ansicht trete ich nun allerdings nur sehr bedingt bei: im
allgemeinen stimme ich vielmehr James zu, der annimmt, daß die
Reflexbewegungen »zufällige« angeborene Idiosynkrasien, die wegen ihrer
Nützlichkeit im Kampf ums Dasein erhalten blieben, sind. Sie fallen
unter die Rubrik meiner »primären« Instinkte. Außer diesen mögen in
geringerem Grade auch Übungsresultate im Laufe langer Zeiten
automatisch geworden sein. Sie bilden dann meine »sekundären«
Instinkte. Die Auslese der spontan entstandenen Reflexhandlungen halte
ich jedoch für das Wichtigere.

Schleich glaubt ferner, daß die Entwicklung des Großhirns in dem Sinne
fortschreiten wird, daß auch unsere höheren geistigen Tätigkeiten einst
unbewußt und automatisch sein werden, ebenso wie es jetzt die niederen
sind, die von den älteren Hirnteilen abhängen. Unser Denken und Handeln
würde dann mit der Raschheit und Sicherheit selbsttätiger Vorgänge
stattfinden.

Freilich darf der Schluß nicht gemacht werden, daß das Bewußtsein
_nichts_ anders ist, »als der in der Entwicklung am weitesten
vorgeschobene, in Differenzierung begriffene Teil des nervösen
Apparates überhaupt« ...[49] Wir werden vielmehr unten sehen, daß
Bewußtsein etwas Besonderes ist.

Abgesehen von diesen Punkten aber scheint mir Schleichs Ansicht richtig
zu sein und mit dem übereinzustimmen, was wir nach dem bisherigen Gang
der Entwicklung erwarten müßten. Das ist folgendes: 1. Die Entwicklung
wird vorwiegend nach der geistigen Seite fortschreiten. 2. Dies muß von
der Organisation der Hirnrinde abhängig sein, in der also eine
Verbesserung zu erwarten ist. 3. Der Fortschritt muß seinen Ausdruck
finden in der Gewinnung größerer Sicherheit und Leichtigkeit im Denken
und Handeln seitens der Menschen.

Bringen wir nun diese anatomischen Überlegungen mit der _Psychologie_
in Einklang, so ergibt sich etwa folgendes: Unser Bewußtsein besteht
aus einem ununterbrochenen Fluß von Vorstellungen, Gefühlen und
Strebungen, welch letztere beide den Vorstellungen angegliedert sind.
Da jede Hauptvorstellung stets durch Verschmelzungen und Assoziationen
von einem Kranz anderer Vorstellungen umgeben ist, der _ganze_ Komplex
jeweils das Bewußtsein ausmacht und dieser ganze Komplex ein
fortwährend sich verändernder ist, so gleicht unser Bewußtsein von der
Wiege bis zum Grabe einem ununterbrochenen Flusse, in dem das einmal
Vorübergeströmte niemals zurückkehrt. Denn nie ist der Komplex als
Ganzes wieder der gleiche, der er früher einmal war; der _ganze_
Komplex aber macht das Bewußtsein aus. Niemals treten einzelne
Vorstellungen, z. B. bei der Erinnerung, ins Bewußtsein; sie haben
immer ihren Kranz zugeordneter Vorstellungen um sich, und dieser
wechselt ununterbrochen.[50]

Vorstellungen bilden die _Unterlage der Erkenntnis_: _sie_ sind also
das _Material_ des Erkenntnisaktes. Die Außenwelt ist uns ebenso wie
die Erinnerung zunächst als Vorstellung gegeben. Vorstellungen sind
aber noch keine Erkenntnis. Erst durch ihre Verarbeitung entsteht
letztere. Ein _Interesse_ besitzen wir jedoch nur an der Erkenntnis
selbst, während die Vorstellungen als solche nichts anders bedeuten als
eine Belästigung unseres Bewußtseins.

Bei der Wahrnehmung von Gegenständen zeigt sich nun der Idealvorgang
der Gewinnung von Erkenntnis: denn in demselben Augenblick, in dem uns
unsere Sinnesorgane die Empfindungen oder Vorstellungen übergeben,
haben wir auch schon die _Erkenntnis_ des Gegenstands. Die
_Vorstellung_ der Außenwelt und das _Wahrnehmungsurteil_ fallen also
zusammen; die _Erkenntnis_ aber liegt in letzterem. Daher
definiert auch _Höfler_, dem ich mich anschließe: »Wahrnehmung =
Wahrnehmungsvorstellung + Wahrnehmungsurteil.«[51] Auf der niedersten
Stufe der Denktätigkeit ist also der _vollkommene_ Vorgang bereits
erreicht: niemandem bereitet die Beurteilung und Erkenntnis der
Gegenstände irgendwelche Schwierigkeit, sobald ihm einmal die
zugehörigen Empfindungen, bezw. Vorstellungen gegeben sind. Zum
Verständnis trage ich hier nach, daß ich auch diesbezüglich die
Terminologie Höflers annehme, der definiert: »Empfindungen sind
Wahrnehmungsvorstellungen von möglichst einfachem, physischem
Inhalte.«[52] Deswegen setze ich also auch statt Empfindungen
Vorstellungen.

Bei den _höheren_ Graden des Denkens ist aber der Idealvorgang des
Erkennens noch lange nicht erreicht. Hierbei _stören_ uns vielmehr
folgende zwei Umstände: 1. Nicht nur _der_ Vorstellungskomplex befindet
sich in unserm Bewußtsein, der für die zu gewinnende Erkenntnis
wertvoll ist, sondern außerdem sind uns noch eine größere oder
geringere Menge _anderer_ Vorstellungen bewußt, welche jenem assoziiert
sind, aber mit dem Erkenntnisakt nicht zusammenhängen, sondern ihn
erschweren. Bei Neurasthenikern kann das außerordentlich hohe Grade
erreichen und sie zum Denken nahezu unfähig machen. 2. Es liegt ein
_Widerstand_ zwischen Vorstellung und Erkenntnis, der erst überwunden
werden muß. Beim höheren und fortgeschritteneren Denken folgt die
Erkenntnis, das Urteil, nicht sofort, blitzartig, automatisch auf das
Denkmaterial, die Vorstellungen, wie es bei der Wahrnehmung der Fall
ist. Dort bedarf es vielmehr einer gewissen Anstrengung. Die _geniale
Intuition_, die ja ebenso automatisch und blitzartig erfolgt wie das
Wahrnehmungsurteil, ist nichts anders als dieselbe Vollkommenheit auf
der Stufe der höheren Denktätigkeit. Während aber bei der Wahrnehmung
Sicherheit und Verlaß besteht, ist dies bei der genialen Intuition
nicht der Fall: sie kommt bisweilen und ein andermal wieder nicht und
ist überhaupt nur bei einzelnen besonders hoch konstruierten Gehirnen
vorhanden. Im übrigen quält sich der Mensch mühsam von Erkenntnis zu
Erkenntnis durch.

Zu allem kommt noch die Qual, den der _Unlustanteil_ des im Bewußtsein
befindlichen Vorstellungskomplexes bedingt: im Anschluß an eine
richtige Erkenntnis steigt ein ganzer Komplex von durch Assoziation
damit zusammenhängenden Vorstellungen in unser Bewußtsein auf. Ein Teil
davon ist mit Lust -- ein anderer mit Unlust betont. Durch letzteren
entstehen teils nützliche Warnungen; aber teils bringt er auch
unnötigen Kummer und unberechtigte Sorge. Wiederum ist es der
Neurastheniker, bei dem das die höchsten Grade erreicht. Aber beim
Gesunden ist es mehr oder weniger auch vorhanden. Alle unsere
Lebenserinnerungen bestehen, wie _Wundt_ sagt, aus Dichtung und
Wahrheit: »Unsere Erinnerungsbilder wandeln sich unter dem Einfluß
unserer Gefühle und unseres Willens in Phantasiebilder um, über deren
Ähnlichkeit mit der erlebten Wirklichkeit wir meist uns selbst
täuschen.«[53] -- -- --

Wir müssen zwischen Bewußtsein schlechthin und dem Sich-Bewußtwerden
eines Vorgangs unterscheiden. Das letztere macht das dem Menschen
eigentümliche Bewußtsein aus, wie ich zum Verständnis vorweg betonen
will. Daher will ich zum Unterschied das _erstere_ mit dem
Kunstausdruck »_Bewußtsein an sich_« und das spezifisch menschliche
Bewußtsein mit demjenigen »_empirisches Bewußtsein_« belegen.

Empirisches Bewußtsein scheint nun nur dort vorzukommen, wo sich ein
_Widerstand_ geltend macht. Wir haben »Bewußtsein« von einem Baume, den
wir sehen, aber wir »werden uns seiner nicht bewußt«, solange nicht
etwas Besonderes an ihm unsere _Aufmerksamkeit_ erregt, weil der
Vorgang glatt und widerstandslos verläuft.[54] Beim Reden oder Lesen
des weiteren ist man sich seiner Tätigkeit nicht bewußt, bis ein
Widerstand eintritt oder sonst etwas die Aufmerksamkeit erregt.
Deswegen hat James wiederum recht, wenn er sagt: »Alles Bewußtsein
scheint von einer gewissen Langsamkeit des Prozesses in den
Gehirnzellen abzuhängen. Je rascher die Ströme sind, desto weniger
Gefühl scheinen sie zu erwecken.«[55]

Trotzdem aber entspricht es zweifellos dem tatsächlichen
psychologischen Erfahrungsbestand, auch bei solchen schnell und glatt
verlaufenden Vorgängen von »Bewußtsein« zu reden. Daraus folgt nun ein
_qualitativer_ Unterschied unserer Bewußtseinszustände: _Das_
Bewußtsein, das wir beim fließenden Vorgang besitzen, ist identisch mit
dem Bewußtsein an sich, das eben in unserer Hirnrinde zum Durchbruch
kommt. _Dasjenige_ Bewußtsein dagegen, das wir dann haben, wenn
Aufmerksamkeit oder sonstiger Widerstand im Spiele ist, ist empirisches
Bewußtsein. Trotz seiner qualitativen Verschiedenheit kann es natürlich
nur eine Modifikation des ersteren sein.

Demnach gibt es Erkenntnis mit und ohne empirisches Bewußtsein.
Ersteres nennen wir »_Aufmerksamkeit_«. Dasselbe wäre es zu sagen: Es
gibt Erkenntnis mit und ohne Aufmerksamkeit. Ersteres ist dann der
Fall, wenn ein Widerstand damit verbunden ist. Dies aber macht
empirisches Bewußtsein.

_Nach allem_: Es gibt ein Bewußtsein an sich. Wo es nicht gehemmt wird,
ist es auch im menschlichen Gehirn sich selber gleich (oder ähnlich).
Wo es aber auf seinem Weg durch das Gehirn auf einen Widerstand trifft,
da wird es eben dadurch verändert und bildet dann das empirische
Bewußtsein. Demnach ist Bewußtsein an sich vergleichbar einem glatt
dahinfließenden Strome. Im Bette dieses Stromes aber befinden sich
Unebenheiten, wie sie in einem wirklichen Flusse durch Felsen und
Steine dargestellt werden. Diese Rauhigkeiten bietet die
Unvollkommenheit der Gehirnkonstruktion dar: auch an ihnen entstehen
daher Wirbel im Strome des Bewußtseins an sich, wie sie im wirklichen
Wasser an entsprechenden Stellen vorkommen. Die Wirbel im
Bewußtseinsstrome heben sich von dem glatten Strome ab und werden als
Besonderheiten kenntlich. Der Inbegriff dieser Besonderheiten, also der
Rauhigkeiten an Stellen des Widerstands, ist das empirische Bewußtsein.
Wo aber der Bewußtseinsstrom ohne Hemmungen durch das menschliche
Gehirn hindurchfließt, da erleidet er natürlich keine wesentliche
Veränderung: in diesem Teil ist demnach unser empirisches oder
menschliches Bewußtsein nicht verschieden von dem Bewußtsein an sich,
sondern bildet nur einen Ausschnitt aus ihm. Wo aber Wirbel entstehen,
da _werden wir uns_ des Bewußtseins an sich _bewußt_. Hier also ist
unser empirisches Bewußtsein verschieden von dem Bewußtsein an sich:
denn in diesem als solchem sind Hemmungen unbekannt.

Das ergibt die unverfälschte Psychologie der unmittelbaren
Erfahrung! -- -- --

Bei der Wahrnehmung von Gegenständen treten die Lust- und Unlustgefühle
auch in das Bewußtsein ein.

Letztere entsprechen gefährlichen oder unangenehmen Stellen in der
Außenwelt, denen wir daher zu entgehen suchen. Es stehe z. B. ein schön
blühender Baum am Rande eines Abgrundes: was wird bei der Wahrnehmung
stattfinden? Der Baum wird uns mit einem Lustgefühl erfüllen, von dem
Abgrund aber werden wir uns fernzuhalten trachten. Hier begegnet uns
der Wille in seiner primitiven und ursprünglichen Form, nämlich als
Bewegung. In der Tat _ist Bewegung_ überhaupt das _Wesen_ des
Wollens. Denn bei Phantasievorstellungen (im Gegensatz zu
Wahrnehmungsvorstellungen) ist es analog: wir nehmen die lustbetonten
Vorstellungen dankbar an und wünschen, von den unlustbetonten
loszukommen. In beiden Fällen, dem der äußeren Wahrnehmung und dem des
Phantasiebildes, hat der _Wille_ die Merkmale der Bewegung an sich,
nämlich _Richtung_. Allein, innerhalb des Umkreises der
Phantasietätigkeit gelingt die _Tat_, d. h. die Ausführung der Bewegung
oder die Einschlagung der Richtung, nicht so leicht als bei der
wirklichen Bewegung im äußeren Raume, die, wie wir sahen, die
ursprüngliche Willensäußerung ist: mit unfehlbarer Sicherheit und ohne
merkbare Anstrengung vermögen wir, von dem Abgrund zurückzugehen,
sobald wir es »wollen«. Jedoch können wir nicht mit auch nur annähernd
ähnlicher Sicherheit eine unangenehme Vorstellung unterdrücken, »uns im
Geiste von ihr hinwegbewegen«.

Wenn wir aber die äußere Bewegung, den Willen auf primitiver Stufe,
vollständig beherrschen, so ist nicht einzusehen, warum das auf höheren
Stufen nicht auch der Fall sein _sollte_: die höhere Willenssphäre ist
eben nur noch zu unvollständig in unserm Zentralorgan ausgebildet. Wir
sollten demnach beim _Erkenntnisakte_ im Gebiet der Phantasie annehmen
und behalten können: 1. die der Erkenntnis unmittelbar zugrunde
liegenden Vorstellungen, und 2. die begleitenden Lustvorstellungen;
dagegen sollten wir die Unlustvorstellungen, nachdem sie uns einmal
bewußt geworden sind und zur Warnung gedient haben, verlassen können.
Der Zusammenhang mit dem Beispiele vom Baume bei der äußeren
Wahrnehmung ist ja klar: das unter 1 Angeführte entspricht den
Empfindungen des Baumes, das unter 2 Genannte denjenigen der schönen
Blüte und das zuletzt Gesagte dem Abgrund. -- -- --

Die _Aufmerksamkeit_ ist mit einem Mischgefühl aus Lust und Unlust
verbunden: insofern, als sie uns nützt, und als alle Steigerung der
Erfahrung von ihr abhängt, ist sie entschieden lustbetont; insofern
aber, als sie einen Widerstand im glatten Bewußtseinsstrome bedeutet,
ist sie unlustbetont, wie solche Stellen es immer sind. Dieses
Mischgefühl kann man bei einiger Übung in der Selbstbeobachtung
deutlich wahrnehmen. Wir können die Aufmerksamkeit der Stelle des
Bewußtseins gleichsetzen, an der die Vorstellungen mit der Heftigkeit
von Geschossen einschlagen und das Wasser (im Beispiele des Stromes)
aufspritzen machen.

_Ich fasse zusammen_: In jedem Erkenntnisakt gibt es folgende angenehme
Faktoren, die wir daher beizubehalten wünschen: 1. den glatten Fluß der
Erkenntnis, 2. die begleitenden Lustanteile, 3. die nützliche
Aufmerksamkeit, und folgende unangenehme, die wir daher aus dem
Bewußtsein lieber ausschalten möchten: 1. die Hemmungen der Erkenntnis,
das zeitliche Auseinanderfallen von Vorstellungskomplex und zugehörigem
Urteil, 2. die Unlustanteile, die Unfähigkeit, den Willen nach Belieben
von gewissen Vorstellungen loszureißen.

Daraus folgen nachstehende Forderungen für die Vervollkommnung unseres
Bewußtseins: Der nützliche und angenehme Anteil sollte ihm als sicherer
Besitz gegeben, der unnütze und unlustbetonte ausgeschaltet werden.

Beseitigung der Widerstände würde beiden Forderungen entsprechen; _nur
der_ Widerstand, den die _nützliche_ Aufmerksamkeit bildet, muß auf
allen Stufen der Entwicklung beibehalten werden, weil er für ihren
Fortschritt nötig ist. Denken wir uns das Ende der Entwicklung
erreicht, so würde natürlich auch dieser Teil der Aufmerksamkeit, als
der letzte Widerstand im Bewußtsein, wegfallen: das Bewußtsein eines
vollkommenen Wesens wäre identisch mit dem Bewußtsein an sich.

Die Erfüllung jener beiden Forderungen, bezw. die Ausschaltung der
Widerstände (mit Ausnahme der _nützlichen_ Aufmerksamkeit), würde uns
die Vorzüge des _automatischen_ Denkens ohne dessen Nachteil sichern!
Als Nachteil wäre zu denken die Festlegung der Erkenntnisfähigkeit auf
einer gewissen Entwicklungsstufe oder für eine bestimmte Umgebung. Das
darf aber nicht geschehen: denn, wie James sagt, ist es das Fehlen von
festen Reaktionen in Gestalt von Instinkten, das die Überlegenheit des
Menschen über das Tier, ebenso wie diejenige des Mannes über das Weib
ausmacht.[56] Doch sind natürlich gewisse instinktive Reaktionen
möglich, die _allgemeingültigen Werten_ entsprechen, z. B. denen der
Nächstenliebe und des »Mitleidens«, und die daher sehr wohl _fest_
werden dürfen und werden. _Wir können also definieren: Ein vollkommenes
Vernunftwesen würde teils durch die Feinheit seiner Hirnrinde, teils
durch Fixierung allgemeingültiger Willensantriebe und Gefühlsregungen
die Reaktionen auf die Werte des Wahren, Guten und Schönen als
Instinkte besitzen._ Ersteres würde wiederum den freien, letzteres den
festen Instinkten entsprechen.

Doch _diese_ Art annähernder Automatie, die ich dargestellt habe, wäre
nur in einem sehr bildungsfähigen und feinen Gehirn denkbar: denn nur
ein solches könnte so widerstandslos auf die Vorstellungen und
Willensantriebe reagieren, als es im Vorstehenden verlangt wurde: nur
durch ein so fein reagierendes Gehirn könnte das Bewußtsein an sich so
glatt hindurchfließen, wie es ein Strom durch ein weiches, felsenloses
Bett tut. -- -- --

In weitgehendem Maße zeigt es sich nun bei näherem Zusehen, daß die
Widerstände durch Furcht und Besorgnis hervorgerufen werden, die ein
Ausdruck der Selbstsucht sind: Selbstverleugnung ist daher eins der
wertvollsten Mittel zur Ausschaltung der Widerstände. Unlustgefühle und
die Beschäftigung mit den eigenen Vorstellungen zerstieben vor der
Hinwendung des Wollens auf das Absolute und Allgemeine wie Spreu vor
dem Winde. So entsteht auch eine Art Passivität des Bewußtseins, die
das Denken und Erkennen sehr erleichtert. Demnach besitzen wir in
rückhaltloser Selbstverleugnung eine mächtige Handhabe zur Ausschaltung
der das empirische Bewußtsein ausmachenden »Wirbel« im Strome des
Bewußtseins an sich. Muß aber die Selbstverleugnung, um wirksam zu
sein, _rückhaltlos_ sein, so darf sie dennoch nicht _grenzenlos_ sein:
die Persönlichkeit soll bewahrt und erhöht werden, das empirische
Bewußtsein als nützlicher Teil der Aufmerksamkeit erhalten bleiben;
denn der Mensch muß Erfahrung sammeln, wozu die Aufmerksamkeit dient.

Somit stehen die Resultate unserer psychologischen Überlegung der
Hauptsache nach im Einklang mit denjenigen, zu denen Schleich auf Grund
seiner anatomischen und entwicklungstheoretischen Betrachtung gelangt
war: nämlich, daß es auf Höherentwicklung der Hirnrinde und des von ihr
abhängigen Geisteslebens geht, und daß sie zur Automatie des Denkens,
Wollens und Fühlens führen wird -- wenigstens in hohem Grade. -- -- --

Die Menschen fühlen das empirische Bewußtsein als etwas Qualvolles. Die
Ursache für diese merkwürdige Tatsache erhellt aus Vorstehendem: es ist
ja der Inbegriff der Widerstände im Gehirn. _Daß_ es Tatsache ist, geht
daraus hervor, daß die Menschen aller Zeiten mit seltener Einmütigkeit
die verschiedensten Mittel zu seiner Unterdrückung angewendet haben:
der indische Jogi hypnotisiert sich selbst, der Buddhist übt sich in
den höchsten Graden der Willensverneinung, alle Völker benützen
berauschende Mittel irgendwelcher Art. -- -- --

Nach _Eimers_ »_Gesetz der männlichen Präponderanz_« treten bei Tieren
die neuen Merkmale zuerst bei älteren Männchen auf. Da _Genialität_ den
fortgeschrittensten Zustand des Menschen bedeutet und sie rein auf den
Mann beschränkt ist, so findet dieses Prinzip, wie man von vornherein
erwarten müßte, beim Menschen eine glänzende Bestätigung.[57]

Nach Vorstehendem muß jene in Zusammenhang gebracht werden mit der
Entfaltung des Gehirns in der Richtung nach Ermöglichung einer mehr
automatischen Seelentätigkeit.

Für den Fortschritt des Menschen zu höherer Organisationsstufe käme
dann sehr viel darauf an, daß die bedeutendsten Männer eine möglichst
große Anzahl von Kindern erzeugten.

Wie stimmt unsere gegenwärtige Ordnung der Dinge mit der Erfüllung
dieser Forderung überein? -- -- --

Ein Überblick über diese ganze psychologische Auseinandersetzung sei
noch zum Schlusse hinzugefügt:

I. _Unser Bewußtsein hat Mängel; es sind das folgende_:

1. Die Langsamkeit des Denkens.

2. Die Unfähigkeit, den Willen nach Belieben von Vorstellungen
loszureißen:

a) Von den Gedanken und Vorstellungen überhaupt, die einem zur Zeit
unerwünscht sind.

b) Von den eigentlichen Unlustgefühlen.

c) Von unnötigem Achten auf sich selbst.

d) Von Vorstellungen, denen überhaupt kein Äquivalent in der
Wirklichkeit entspricht (die z. B. _unbegründete_ Sorgen ausmachen).

II. _Diese Mängel sind gleichbedeutend mit Hemmungen oder Widerständen
im Bewußtseinsstrome._

III. _Diese Widerstände erzeugen das empirische (spezifisch
menschlich-tierische) Bewußtsein._

IV. _Aber Bewußtsein besitzen wir auch dann, wenn die Hemmungen fehlen.
Daher unterscheide ich dieses letztere als Bewußtsein an sich von jenem
empirischen Bewußtsein. Dieses ist ein Spezialfall des Bewußtseins an
sich, eine Modifikation von ihm._

V. _Den idealen Erkenntnisvorgang besitzen wir in der äußeren
Wahrnehmung: denn hierbei folgt die Erkenntnis (das Urteil) sofort auf
die Vorstellungen. Ebenso besitzen wir im Verein damit den idealen
Willensvorgang in der Bewegung im Raume: denn wir können ihn mit
unfehlbarer Sicherheit und scheinbar mühelos ausführen. Bei dieser Art
von Erkenntnis und Willenshandlung fehlen Widerstände._

VI. _Dieses Ideal sollte daher auch im höheren Denken erreicht werden._

VII. _Der Weg dazu besteht einmal in dem Fortschritt der Organisation
der Hirnrinde. Das andere Mal können wir uns durch Selbstverleugnung
einigermaßen dem Ziele nähern. Denn durch sie wird in hohem Grade der
Wille von den unerwünschten Vorstellungen (s. I, 2) losgerissen._

VIII. _Im übrigen ist Auslese das Mittel zur Erreichung des Zieles
seitens der Menschheit._

IX. _Genialität und Altruismus sind die Merkmale, die offenbar in
Zusammenhang stehen mit der Erreichung dessen, was unsere
psychologische Analyse als erwünscht aufgezeigt hat._

X. _Es läßt sich annähernde Automatie der Bewußtseinsvorgänge denken
ohne Aufgebung der Fähigkeit zur Bearbeitung neuer Erfahrungsdata und
neuer Probleme._

XI. _Niemals wird es sich handeln um Unbewußtsein überhaupt: denn
Bewußtsein ist an sich etwas Besonderes. Dagegen wird (wahrscheinlich)
das empirische Bewußtsein immer mehr eingeschränkt werden, in dem Maße
nämlich, als die Widerstände im Gehirn mit seiner steigenden
Organisation abnehmen._

XII. _Die Menschen fühlen das empirische Bewußtsein als etwas
Qualvolles und streben mit seltener Einmütigkeit nach seiner
Unterdrückung._

XIII. _Der höhere Mensch wird die Werte als Instinkte besitzen --
annähernd._

XIV. _Die Weiterentwicklung des Geisteslebens wird in der Richtung
stattfinden, daß Selbsttätigkeit auch in seinen fortgeschritteneren
Stufen Platz greift, wie es jetzt bei der Wahrnehmung der Fall ist. Die
Vorstellungen werden nicht mehr getrennt von und neben den
Erkenntnissen im Bewußtsein bemerkbar sein._


2. Die Erblichkeit.

Zunächst sei auf das früher (S. 13) über die Erblichkeit Gesagte
hingewiesen. Auch geistige Eigenschaften sind wie andere angeborene
Merkmale erblich, da ihre Eigenart beim Menschen von der Beschaffenheit
seines Gehirns abhängt, und diese mit auf die Welt gebracht wird. Das
stimmt auch mit der Erfahrung überein: nur das Genie scheint eine
Ausnahme zu machen. Doch sind uns die einzelnen Faktoren, die bei der
Beurteilung der Frage der Erblichkeit des Genies berücksichtigt werden
müssen, nicht genügend bekannt. Das Genie ist die höchste Spitze
menschlicher Entwicklung und ruht als solche auch auf der subtilsten
anatomischen Unterlage im Körper. Die geringste Inkongruenz in der den
Samen aufnehmenden Eizelle wird eine Ablenkung herbeiführen können.
Auch kommt es gar nicht auf die Vererbung derselben genialen Fähigkeit,
wie sie der Vater hat, an, sondern nur auf diejenige seiner geistigen
Höhe im allgemeinen. Ferner hat die Menschheit bisher nicht die
geringste Rücksicht auf eine in geistiger Hinsicht passende Gattenwahl
genommen. Die herrschenden Anschauungen haben auch die Hervorbringung
möglichst zahlreicher spontaner Variationen durch den genialen Vater,
wie es dem Manne ja die Natur ermöglicht hat, und wozu ihn sein
polygamer Instinkt mit Macht antreibt, verhindert. Endlich wissen wir
nicht, ob jene Redensart wahr ist, die behauptet, daß das Genie sich
immer Bahn breche: _vielleicht_ gehen viele Genien -- wenn auch nicht
die allergrößten -- unter, ohne Gelegenheit gefunden zu haben, sich als
solche zu offenbaren.

Wie Forel angibt, hat übrigens _Alphonse de Candolle_ »in seiner
›Histoire de la science et des savants‹ den unzweideutigen
Beweis geliefert, daß die Nachkommenschaft bedeutender und
tüchtiger Menschen eine unverhältnismäßig größere Zahl wiederum
hervorragender und tüchtiger Menschen aufweist als diejenige der
unbedeutenden, ...«[58] -- -- --

Die Erblichkeit der Merkmale ist natürlich eine unerläßliche Bedingung
für die Bildung von Dauerformen. Da Milieumerkmale nur in geringem
Grade erblich sind, so kommt es für die Verbesserung der Rasse weitaus
am meisten auf die angeborenen Eigenschaften an.


3. Genügende Fruchtbarkeit.

Je größer die Fruchtbarkeit ist, desto mehr verschiedene spontane
Variationen werden entstehen. Je mehr aber dies letztere der Fall ist,
desto größer wird wiederum die Aussicht für das Vorhandensein von
wertvollen unter ihnen sein. So hat denn auch wahrscheinlich für die
Bildung der Menschenrassen und verschiedenen Tierformen ein starker
Geburtenüberschuß in der Vergangenheit eine bedeutsame Rolle gespielt.

Bei dem hier zur Hervorbringung einer höheren Menschenform vorgelegten
Plane könnte jedoch die Forderung von überschüssiger Fruchtbarkeit
weitgehende Einschränkung erfahren, weil die planvoll, dauernd und
bewußt durchgeführte Gattenwahl allein schon die Entstehung
hochwertiger Varianten gewährleistet. Dennoch darf man in der
Herabsetzung der Geburtenziffer selbstredend nicht zu weit gehen: ein
nicht allzu kleiner Geburtenüberschuß bleibt immerhin wünschenswert.
Denn _das_ ist ja gerade ein Unglück für die Kulturvölker, daß die
höheren Klassen so wenig Kinder haben im Vergleich zu den unteren.
Außerdem findet ein fortwährendes Abströmen der besten Elemente,
namentlich vom Lande, nach den höheren sozialen Schichten statt, in
denen sie, bezw. ihre Nachkommen, bald die Gewohnheiten der neuen
Umgebung annehmen. Darin liegt denn in der Tat ein unleugbarer
degenerativer Einfluß: es ist eine Art Aufsaugung und Ausscheidung des
besten Materials. Auch hierin müßte die neue Lebensordnung also
gründlichen Wandel schaffen. Doch würde sie dann mit der Malthus'schen
Lehre, selbst bei Annahme der vollen Gültigkeit derselben, nicht in
Konflikt geraten: denn es sollen sich nur die tüchtigsten Individuen
stärker fortpflanzen und die minderwertigsten mehr oder weniger davon
abgehalten werden. Übrigens wird jene Lehre ja neuerdings auch stark
angefochten. Auch liegt keineswegs im Gesagten eine _übermäßige_
Inanspruchnahme der Frau.


4. Auslese und Reinzucht.


a) Mittel, durch welche die Auserlesenen einander als solche erkennen
können.

Soll der Plan, durch Auslese der Vollkommensten und Reinzucht zwischen
ihnen eine höhere Form des Menschen hervorzubringen, praktisch
ausführbar sein, so müssen die geeigneten Partner einander als solche
erkennen können. Ich deute daher einige Mittel an, die dazu dienlich
sein dürften, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Anlegung von Stammbäumen der geistigen Aristokratie seitens der
Gemeinden, in welche die Partner Einblick zu ihrer Vergewisserung über
ihre gegenseitigen erblichen Eigenschaften nehmen könnten. Natürlich
müßten diese Stammbäume zugleich auch über den körperlichen Zustand der
Vorfahren Aufschluß geben.

2. Beobachtungen der Leistungen und des Vorlebens des Partners. Daraus
sind gewisse Schlüsse auf seine geistigen Eigenschaften möglich.

3. Einprägung der Merkmale der Geistesgröße, wie sie in der
betreffenden Tafel niedergelegt sind.

4. Einprägung der körperlichen Eigenschaften, wie ich sie unter III, 1,
b und c angegeben habe.

5. Ausbildung der Fähigkeit, den Charakter zu beurteilen. Jeder Mensch
besitzt sie mehr oder weniger von Natur. Das Interesse an unserem Plane
würde selbsttätig diese Fähigkeit rasch bedeutend steigern;
Beschäftigung mit Anthropologie und Psychologie, auch mit der
Geschichte, würde das noch unterstützen.

6. Der »_Instinkt für den geeigneten Gatten_«. Dieser bildet weitaus
das wichtigste Mittel zur Erkennung des passenden Partners. Zunächst
muß ich auf das in der Tafel der Kennzeichen der Geistesgröße über den
Instinkt im allgemeinen Gesagte verweisen (S. 31). Diesem sei noch
folgendes Nähere hinzugefügt: Jeder einigermaßen gut organisierte
Mensch hat ein Bewußtsein von einem bestimmten Typus des andern
Geschlechts, der zu ihm am besten paßt, und zu dem er sich daher
geschlechtlich hingezogen fühlt. Selbstredend wird dieser Typus durch
eine Mehrheit von Individuen dargestellt. Trifft ein Mensch ein solches
an, so besteht die Gefahr, daß er sich in es »verliebt«. Diese Art von
Liebe ist identisch mit der in den Romanen geschilderten. Sie ist das,
was die Menschen im landläufigen Sinne des Wortes »Liebe« oder
»Verliebtheit« nennen, und was sie für etwas besonders »Heiliges« und
»Ideales« halten. Darin irren sie aber: jene Liebe beruht auf einer
Wahnidee, was beweisbar ist: sie erlaubt nämlich nur, das _eine_
Individuum als geeigneten Gatten anzuerkennen; es ist aber klar, daß
andere Vertreter desselben Typs ebenso geeignet wären. Es ist diese
romanhafte Liebe also eine zur Gattung der Paranoia gehörige Wahnidee
oder Psychose.

Dagegen ist Zuneigung zu dem ganzen betreffenden Typus als solchem
berechtigt. Ebenso ist eine mehr geistige Liebe berechtigt, die zwar
auf dem Unterschied von Mann und Weib beruht, auf der gegenseitigen
Ergänzung, nicht aber auf dem Geschlechtstrieb, oder doch nur in sehr
lockerem Zusammenhang mit ihm steht.

Je bessere Rasse nun ein Mensch besitzt, desto deutlicher ist sein
Instinkt für den geeigneten Gatten ausgebildet.[59]

_Nach allem_: Der Gatteninstinkt ist nicht identisch mit »Liebe«,
sondern leitet den Menschen in objektiver unbewußter Erkenntnis zu den
für ihn tauglichsten Partnern. Die Liebe dagegen maßregelt oft diesen
Instinkt und lenkt ihn ab: ein Mensch fängt an irgend einer, oft genug
nebensächlichen oder minderwertigen Eigenschaft eines Individuums vom
andern Geschlecht Feuer. Es erregt zum Beispiel irgend ein geistiger
oder körperlicher Zug an jemandem die fetischistische oder
masochistische Anlage des andern: rasende Liebe kann die Folge sein,
die doch dann ganz gewiß mit der Erkenntnis eines geeigneten Gatten
nichts gemein zu haben braucht. Solch ein Verliebter steht unter dem
Banne von Auto- oder Fremdsuggestion, welch letztere als eben von dem
Gegenstand der Liebe ausgehend zu betrachten ist. Daraus erklären sich
denn auch die merkwürdigen Verirrungen des Gatteninstinkts. Sie kommen
ja nicht selten auch bei Frauen vor, die doch sonst einen besonders
feinen und sicheren Gatteninstinkt besitzen; gerade sie sind aber auch
suggestibler, was die Verirrung leicht verständlich macht.

Normalerweise aber haben die Frauen einen prächtigen Instinkt für den
geeigneten Gatten: sie merken die hervorragendsten Männer sofort unter
der Masse heraus und sehnen sich innerlich nach der Vereinigung mit
ihnen.

Hochorganisierte Männer haben auch einen recht guten Gatteninstinkt,
sind aber dennoch weniger wählerisch als Frauen.

Dieser eigentümliche Unterschied in der Strenge der Gattenwahl zwischen
Männern und Frauen findet seine Erklärung in der _natürlichen_
Verschiedenheit in der Beschaffenheit beider und ihrer Aufgaben für die
Fortpflanzung. Männer könnten leicht eine große Anzahl von Kindern
erzeugen und haben nach dem Akte der Zeugung keinen Anteil mehr an der
Entstehung des Kindes. Mißgriffe in der Gattenwahl könnten sie daher,
was ihre physische Fähigkeit anlangt, leicht wieder ausgleichen. Frauen
dagegen gestattet die Natur hinsichtlich der Zahl nur eine
verhältnismäßig geringe Anteilnahme an der Hervorbringung der
Nachkommenschaft. Ihre Hauptaufgabe besteht jedoch in der Entwicklung
des keimenden Lebens. Sie haben daher ein großes Interesse daran,
möglichst tüchtige Väter für ihre Kinder auszulesen. -- -- --

Die Möglichkeit, daß die geeigneten Gatten einander erkennen können,
darf also nicht in Abrede gestellt werden. Der Mensch muß nur die, ihm
dazu verliehenen Mittel mit ernstem Willen anwenden. Freilich werden
Irrtümer vorkommen. Das ist aber auf allen empirischen Gebieten der
Fall und bedingt noch keine Undurchführbarkeit ihrer Aufgaben. Wenn in
einer gewissen Zahl von Fällen das Rechte getroffen wird, so gelingt
der Fortschritt, wie die allgemeine Erfahrung lehrt. Auch hinsichtlich
unseres Planes wird es daher nicht anders sein.


b) Die formale Seite der Auslese.

Die logischen Konsequenzen aus allem Vorstehenden würden nun die
Forderung ergeben, daß die wenigen hervorragendsten Männer mit
möglichst vielen verschiedenen Frauen möglichst viele Kinder zeugen
sollten. Die praktische Durchführung dieses Postulats brauchte nicht zu
der beide Geschlechter entwürdigenden Polygamie zu führen. Außerdem
würde diese gar nicht einmal in idealer Weise den rein theoretischen
Schlußfolgerungen aus unsern Überlegungen gerecht werden. Vielmehr
würde dies nur durch Promiskuität geschehen. Die Durchführung der
Promiskuität wäre nicht etwa ein Rückfall auf niedere Stufen der
Entwicklung; denn, wie neuere Forschungen zu ergeben scheinen, besteht
sie nirgends als der anerkannte Zustand der formalen Regelung der
Fortpflanzung und des Geschlechtsverkehrs beim primitiven Menschen.
Vielmehr schließt sich dieser an seine nächsten Verwandten in der
Tierreihe, die menschenähnlichen Affen, an und lebt wie sie in Ehe. Es
läßt sich daher viel eher vermuten, daß Promiskuität einem ganz weit
fortgeschrittenen Zustand der Menschheit entspricht. In der Tat läßt
sich leicht der Gedankengang durchführen, daß die Verwirklichung der
höchsten sittlichen Idee, die es überhaupt in der Philosophie gibt,
nämlich derjenigen der _Humanität_, d. h. der Einheit und Verbrüderung
aller Menschen (nach Erreichung einer äußerst hohen Organisationsstufe)
einzig und allein die Promiskuität noch zur Regelung der
geschlechtlichen Beziehungen zuläßt.

_Dennoch liegt es mir vollständig fern, derartige Forderungen jetzt
schon aufzustellen_: denn, mag dem Gesagten sein, wie es will, so viel
muß jeder Praktiker auf den ersten Blick sehen: heute ist die
Menschheit dafür nicht reif. Die _Einehe_ birgt in sich zahlreiche
Faktoren von äußerstem Wert für die geistige, sittliche und körperliche
Integrität und für den Fortschritt der Rasse, auf die im einzelnen
einzugehen, zu weit führen würde. Ich erinnere nur an das Vorhandensein
der Geschlechtskrankheiten, den Wert der geistigen Gemeinschaft
zwischen _einem_ Mann und _einer_ Frau, denjenigen der Erziehung durch
hochwertige Eltern für die Kinder, den notwendigen Schutz, den Ehe und
Familie sowohl dem Manne, als auch dem Weibe gewähren usw.

_Demnach muß die Einehe als Grundlage der Gesellschaft (jedenfalls
vorerst noch auf absehbare Zeit) aufrecht erhalten bleiben, und es kann
sich nur um die Einführung von Reformen handeln, welche sie in dieser
ihrer zentralen Bedeutung nicht gefährden._

Es liegt mir viel daran, in diesen beiden Punkten nicht mißverstanden
zu werden: 1. Als Logiker sehe ich die Konsequenzen meiner Resultate
völlig klar. 2. Als Praktiker aber behaupte ich dennoch auf das
bestimmteste, daß sie nicht in einseitiger Weise unser Handeln
beeinflussen dürfen, daß vielmehr die Einehe als Grundlage der
Gesellschaft bestehen bleiben muß. Der Grund für diese Entscheidung
liegt in der Tatsache, daß es eben hier wie immer, wo das Praktische in
Frage kommt, _nicht nur eine, sondern eine Reihe von Schlußketten
gibt_. Das Übersehen dieser Tatsache ist es, was so oft die
Reformatoren zu falschen und in ihrer Wirkung schädlichen
Schlußfolgerungen verleitet: an _einer_ Stelle kommt plötzlich eine
andere Schlußkette in Betracht, die der ersten Halt gebietet. Es
handelt sich dabei nicht etwa um Widersprüche, sondern um die
Mannigfaltigkeit des Gebietes der Tatsachen, des Werdens und Vergehens,
der Erfahrung, der Natur, des Lebens, die sich nicht in die Zwangsjacke
eines vereinzelten logischen Gedankengangs einschnüren läßt.

Aber gewisser Reformen sind unsere, auf das Geschlechtsleben und die
Fortpflanzung sich beziehenden Sitten und Anschauungen freilich
bedürftig. Ich beschränke mich bei ihrer Anführung streng auf den
Gesichtspunkt unseres _Zieles_, nämlich der Rassenveredelung. Da fällt
es zunächst auf, daß die zahlreichen hochwertigen Frauen, die nicht
heiraten können, dennoch zur Fortpflanzung zugelassen werden sollten,
damit die hier schlummernden biologischen Werte für die Menschheit
nicht verloren gehen. Ferner muß die Möglichkeit vorliegen, unpassende
und unfruchtbare Ehen ohne Nachteil für die Beteiligten lösen zu
können. Ebenso müssen hochwertige Menschenexemplare freie Bahn zu ihrer
Verehelichung haben, eventuell durch staatliche Unterstützung.

_Demnach fasse ich kurz die notwendigsten Reformen, die eingeführt
werden sollten, folgendermaßen zusammen_:

1. _Fürsorge für Mütter und Kinder, zumal außerhalb der Ehe._

2. _Anerkennung der Gleichberechtigung unehelicher Mütter und Kinder._

3. _Erleichterung der Bedingungen für Schließung und Trennung der Ehen,
sofern dadurch dem Wohl der Rasse gedient wird._

Da immer das Interesse der _Gesamtheit_ vorausgesetzt wird, um den
Vorschlägen Berechtigung zu verleihen, so muß hervorgehoben werden, daß
die staatliche Fürsorge auch von Rechts wegen nur dann in Frage kommen
könnte, wenn es sich um hochwertiges Menschenmaterial handelt. Um aber
dann Enttäuschungen zu vermeiden, müßte dieser Punkt _vor_ der Zeugung
entschieden werden. Dies könnte wohl nur etwa so geschehen, daß
Kommissionen bestehend aus Ärzten und Anthropologen eingesetzt würden,
an die ein Paar (verheiratet oder ledig), das ein Kind zu zeugen
wünscht, sich zuvor wenden könnte, um ein Gutachten zu erlangen. Dieses
wäre selbstredend für den Staat bindend, auch dann, wenn sich nach der
Geburt das Kind entgegen menschlicher Berechnung als minderwertig
herausstellen sollte. -- -- --

Es ist durchaus eine Verkennung des Menschen zu behaupten, die
Einführung solcher gemäßigter und ganz vernünftiger Reformen würde die
Sittlichkeit gefährden. Es liegt vielmehr die einzige Möglichkeit zur
Rettung der Menschheit aus ihrem Egoismus und ihrer materialistischen
Versumpfung, ihrem Nachjagen nach niederer Lust, was alles zum
Untergang der Menschheit führen muß, wenn ihm nicht gründlich Einhalt
geboten wird, in der Entfaltung einer großen neuen _Idee_. Nur unter
der Herrschaft von Ideen vermag sich die Menschheit zu behaupten und
fortzuschreiten. Unserer Zeit aber fehlen mächtig auf die Seelen der
Menschen einwirkende Gedanken! Hier ist jetzt eine solche Idee, welche
die Menschheit bezüglich ihrer höchsten Werte bis ins Mark hinein
berührt und Allgemeingültigkeit besitzt!

_So wird denn hier meines Wissens zum erstenmal die brennende Frage
der Ehereform unter dem Gesichtspunkt des Zieles behandelt,
desjenigen nämlich der Vervollkommnung der Menschheit, ihres
entwicklungstheoretischen Fortschritts._ -- -- --

Wir dürfen des weiteren die Augen nicht gegenüber der Tatsache
verschließen, daß die Richtung, in der sich das moderne Weib
entwickelt, mit der Erhaltung der Rassentüchtigkeit auf die Dauer nicht
vereinbar ist, geschweige denn mit deren Steigerung. Sie verliert immer
mehr die Liebe zu ihrem _natürlichen_ Beruf. Nur die Einstellung
unseres gesamten Lebens unter den Nimbus einer großen neuen Idee kann
sie wieder zur Besinnung auf ihre natürliche Bestimmung bringen: _sie
muß einsehen, daß sie bei Erfüllung ihres eigentlichen Berufs an der
Erreichung eines allgemeinen Endzieles der Menschheit mitwirkt_. Dann
wird sie die Freude an diesem ihrem Beruf zurückgewinnen. Dabei bleibt
ihr noch Zeit genug zu einer geistigen Entfaltung, die nicht über das
hinausstrebt, was das Weib in dieser Hinsicht noch ohne Schaden
vertragen kann, und die in diesen Grenzen durchaus berechtigt und ein
Symptom des menschlichen Fortschritts überhaupt ist.


c) Die Reinzucht.

Nicht nur Auslese, sondern auch _Reinzucht_ ist für die Entstehung der
neuen und höheren Menschenform nötig. Sie ist nicht mit Eng- oder
Inzucht zu verwechseln; darunter versteht man die Paarung zwischen
Blutsverwandten. Unter der Reinzucht der Vollkommensten verstehe ich
die Paarung zwischen den vollkommensten Männern und Frauen ohne
Kreuzung mit niederen Individuen. Dabei ist entfernte Verwandtschaft
freilich kein Hindernis. Nur darf sich die Gattenwahl nicht andauernd
auf denselben kleinen Kreis beschränken. Denn »fortgesetzte Inzucht«,
sagt Chamberlain, »innerhalb eines sehr kleinen Kreises, das, was man
›Engzucht‹ nennen könnte, führt mit der Zeit zur Entartung und
namentlich zur Sterilität. Zahllose Erfahrungen der Tierzucht beweisen
das.«[60]

Es muß sich bei den Vollkommensten ein »Rassegefühl« ausbilden, kraft
dessen sie die Paarung mit andern ablehnen. Völker und Individuen, ja
wahrscheinlich schon Tiere, relativ reiner Rasse haben in der Tat ein
solches Rassegefühl. Für uns sind heute die Engländer das beste
Beispiel dafür: wie mir ein gelehrter deutscher Weltreisender erzählte,
heiratet ein Engländer in den Kolonien nur äußerst selten eine
Nichtengländerin, und dann meistens eine stammesverwandte Deutsche oder
Skandinavierin.


5. Blutmischung und Herkunft der Varianten.

Die Frage der Blutmischung erledigt sich nach unsern bisherigen
Ausführungen fast von selbst: zu vermeiden ist die Kreuzung mit
minderwertigen Individuen und mit niedrigen Rassen. Innerhalb der
europäisch-nordamerikanischen Kulturvölker soll aber dann ein weiterer
Rassenunterschied nicht mehr maßgebend sein. Denn hier kommt es dann
nur noch auf die _individuelle_ Tüchtigkeit an: ließen sich doch die
Merkmale geistiger und körperlicher Vollkommenheit ohne die
Voraussetzung bevorzugter bestehender Rassen auffinden; wer sie auch
immer besitzt, soll demnach als ein für die Reinzucht der
Vollkommensten Auserlesener gelten.

Blutmischungen spielen bei der Entstehung einer vorzüglichen Rasse
offenbar eine bedeutsame Rolle. Ich folge Chamberlains Ausführungen
hierüber.[61] Darnach ist Vermischung mit nahe verwandten hohen Typen
günstig; sie muß aber zeitlich eng begrenzt und dann von strenger
Reinzucht gefolgt sein. »Mit zeitlicher Beschränkung,« schreibt
Chamberlain, »will ich sagen, daß die Zufuhr neuen Blutes möglichst
schnell vor sich gehen und dann aufhören muß; fortdauernde
Blutmischung richtet die stärkste Rasse zugrunde« (S. 284). Stehen die
sich vermischenden Formen einander fern, so muß vollends die
Vermischung eine seltene und von sorgfältigster Reinzucht gefolgte
sein. Dies sind die allgemeinen Grundsätze, wie sie _bisher_ zur
Bildung der hochwertigsten Rassen geführt haben. Ihre Anwendung auf
unser Problem ist natürlich nur unter gewissen sinngemäßen
Modifikationen möglich.

Wir dürfen nämlich, um Begriffsverwirrung nicht aufkommen zu lassen,
nie unsern _leitenden_ Gesichtspunkt aus den Augen verlieren. Es soll
eine neue und höhere Form des Menschen nach besonderen Grundsätzen
hervorgebracht werden: die Hauptrichtung der Entwicklung soll
weitergeführt werden. Diese Hauptrichtung besteht in der
Zunahme der geistigen Fähigkeiten; diese sollen also noch mehr
vervollkommnet werden. Außerdem kommt dazu die weitere Entfaltung der
menschlichen Körperschönheit als des sichtbaren Ausdrucks des
entwicklungstheoretischen Fortschritts. Daraus ergibt sich aber
naturgemäß ein freierer und unabhängigerer Standpunkt für die Herkunft
des Auslesematerials, der so formuliert werden kann: _Wer auch immer an
Geist, Charakter und Körperschönheit hervorragt, bildet die Vorstufe
der neuen und höheren Form und sei als Auserlesener betrachtet_.

Doch habe ich in dem Abschnitt »Die Auserlesenen« angegeben, daß
Hoheit des Charakters und körperliche Gesundheit bei guter
Durchschnittsintelligenz und Annäherung des Körpers an die Merkmale der
Vollkommenheit praktisch als genügend erachtet werden sollen. Darüber
bin ich dann im folgenden hinausgegangen, ebenso wie auch die letzte
Formel die Ansprüche strenger faßt. Ich bin mir des kleinen
Widerspruchs bewußt; doch löst er sich bei sinngemäßer Auffassung
dessen, was ich meine, auf. Wir müssen einmal das _Optimum, das Ideal_
klar zeichnen und das andere Mal das _zunächst Erreichbare_ festhalten:
das Optimum wäre es, wenn die hervorragendsten Individuen allein als
Auserlesene gelten würden. Da es aber zu wenige Individuen von solcher
Vollendung gibt und die Durchführung des Postulats auch eine zu große
Härte gegen die übrige gesinnungstüchtige Menschheit enthalten würde,
da schließlich aller biologische Fortschritt eben durch Entwicklung
geschieht, so sehe ich bei der praktischen Forderung von der
Durchsetzung des Optimums ab, mache also eine durch die Tatsachen sich
als nötig erweisende Konzession. Wenn die Menschheit einmal zielbewußt
den rechten Weg überhaupt einschlägt, dann wird es auf diesem
allmählich immer mehr der Vollkommenheit und der Erreichung des
Optimums entgegengehen.

Die Auserlesenen leben nun nicht räumlich auf bestimmten Teilen der
Erde zusammen, sondern können allenthalben in den höheren Kulturvölkern
gefunden werden. Demnach erhalten wir folgende _Formel für die Herkunft
der Varianten: Zerstreut durch die ganze Kulturmenschheit findet sich
eine Anzahl geistig und körperlich hervorragender Individuen: sie
bilden das Material für die Reinzucht der Vollkommensten._

Diese Forderungen wahren zugleich die Notwendigkeit der Blutmischung
und der Reinzucht. Denn nach ihnen werden sich innerhalb der höchsten
Kulturvölker Angehörige verschiedener biologischer Rassen
zusammenfinden. Das werden aber einander nahe verwandte hohe Formen im
Hinblick auf die Merkmale sein, die uns leiten. Diese Eigenschaften
kennzeichnen sie als eine Art Rasse für sich trotz ihrer geographischen
Zerstreutheit innerhalb aller Kulturvölker. So haben wir bei
Innehaltung meiner Grundsätze die Tatsache von Blutmischung in
biologischer Hinsicht und von Reinzucht bezüglich der Eigenschaften,
die das wahre Wesen echten und höheren Menschentums ausmachen. -- --

Nicht zu verwechseln sind Intelligenz, Begabung, Weisheit, Genialität
mit Gelehrtheit, nicht Tugend und Güte des Charakters mit bloßer
Enthaltsamkeit von Lastern oder gar nur von dem, was zur Zeit
gesellschaftlich verpönt ist. Die ersteren sind angeborene Erbwerte,
die anderen anerzogene Eigenschaften. Es liegt mir fern, die Sache des
Bonzen und des Moralphilisters zu verfechten!

Ebensowenig darf ästhetisches Gefühl mit dem modernen Ästhetentum oder
mit dem zusammengeworfen werden, was R. _Eucken_ Ȋsthetischen oder
künstlerischen Subjektivismus« nennt.[62] Wiederum ist jenes vorwiegend
ein Erbwert, dieser dagegen eine nachträglich angewöhnte Haltung, und
zwar ein Entartungssymptom. Das Ästhetentum soll nach Preisgabe des
Idealismus als einer Weltanschauung den unrettbaren Untergang im
krassen und öden, doch immerhin noch ehrlichen Materialismus decken.

Da nun die Werte, auf die es uns ankommt, erbliche sein müssen, so
kommen sie auch in allen Klassen der Bevölkerung vor, nicht etwa nur
bei den sozial höheren Schichten. Doch sind sie innerhalb derjenigen
Klassen, die Generationen hindurch einer höheren Bildung und
sorgfältigeren Charakterpflege teilhaftig gewesen sind, etwas häufiger
vorhanden als in andern. So führen also die Grundsätze der Reinzucht
der Vollkommensten nicht zur Beschränkung des Auslesematerials auf die
höheren Bevölkerungsklassen. Vielmehr finden sich die geeigneten
Varianten in allen Schichten. Deswegen sei hier nochmals der Nachdruck
auf den Wert des Individuums gelegt. Wer auch immer tüchtige Erbwerte
besitzt, der sei als ein Auserlesener, als die Vorstufe des Heros
betrachtet.


6. Der Instinkt.

In unserer Tafel der Grundsätze (S. 24) ist als letzter noch der
Instinkt genannt. Über ihn ist aber nichts Besonderes mehr zu sagen, da
er bereits an andern Stellen behandelt worden ist.



IV. Das System des Geistes.


Im Vorausgehenden habe ich eine reinliche Scheidung zwischen geistigen
und körperlichen Eigenschaften durchgeführt. Ein solcher _glatter
Dualismus_ zwischen Geist und Körper ist überall der Standpunkt der
reinen und unverfälschten _Erfahrung_: als Erfahrung ist er Tatsache:
darüber, daß unsere Erfahrung uns nirgends Monismus, sondern auf allen
Gebieten den klar ausgesprochenen Dualismus zwischen Geist und Materie
gibt, gibt es nichts zu unterhandeln, zu diskutieren. Denn _Tatsachen_
stehen fest.

Für die Psychologie bestätigt James, der mit ungeheurer Strenge
beflissen ist, die wirkliche und reine psychologische Erfahrung ohne
Beimengungen unseres Denkens zu schildern, diesen Dualismus. Er sagt:
»Die Stellung des Psychologen gegenüber dem Erkennen ... ist ein
durchgreifender Dualismus. Sie nimmt zwei Elemente an, den erkennenden
Geist und das erkannte Ding und behandelt sie als nicht aufeinander
zurückführbar.« ...[63]

Erst wenn man jetzt im Denken hinter die Erfahrung zurückgeht und
Metaphysik treibt, kommt man auf das Gebiet der Diskussion, nämlich
darüber, ob man das Urprinzip der Welt noch als eine Zweiheit von Geist
und Stoff oder als eine Einheit auffassen soll. Im letzteren Fall
stehen -- allgemein gesprochen -- zwei Lösungen zur Verfügung, der
materialistische und der idealistische Monismus. Wenn man einmal zur
Annahme eines idealistischen Prinzips gelangt ist und dann noch
behauptet, es sei unstatthaft, noch Genaueres über dessen Wesen
auszusagen, so beruht das auf erkenntnistheoretischer Vornehmtuerei:
vielmehr muß es dem gesunden Menschenverstand auf den ersten Blick klar
sein, daß ein idealistisches Prinzip der Welt gleichbedeutend ist mit
einem geistigen. Das läßt sich auch noch sonst sehr triftig begründen;
darüber aber kann ich mich hier nicht verbreiten.

Insbesondere erkenntnistheoretische Erwägungen führen nun zur Annahme
eines einheitlichen Weltgrundes, also des Monismus, und zwar des
idealistischen oder _Monismus des Geistes_. Denn der _materialistische
Monismus_ spielt zwar in den unklaren Köpfen der Masse noch eine große
Rolle, -- _existiert_ in der wissenschaftlichen Philosophie aber
_überhaupt nicht_ mehr! _Windelband_ z. B. bezeichnet den Versuch, »das
Bewußtsein als Nebenfunktion der Materie« aufzufassen, »als
Absurdität.«[64]

Es hängen aber alle geistigen Vorgänge im Menschen von der
Beschaffenheit des Organs des Geistes in ihm, seines Gehirns ab. _Das_
ist wiederum Erfahrung, also Tatsache; darum habe ich auch an allen
Stellen des Vorhergehenden diesen Standpunkt streng festgehalten: er
ist ja überhaupt die Voraussetzung für die Nützlichkeit von
Höherzüchtung des Menschen in geistiger und sittlicher Hinsicht. Nicht
aber _erzeugt_ das Organ des Geistes den Geist: dies ergeben
philosophische Überlegungen -- und auch Intuition. Diesen Standpunkt
habe ich besonders in dem Abschnitt: »Das Organ des Geistes« vertreten:
ja, ich habe ihn hier gewissermaßen von der Erfahrung ausgehend von
neuem begründet, auf neue Art die alte Wahrheit wieder frisch
aufgefunden.

_Niemand kann_ leugnen, daß in dieser Abhandlung zwei streng
wissenschaftliche Standpunkte in reinster Harmonie miteinander
dastehen: einmal der Standpunkt naturwissenschaftlicher Erfahrung, daß
alle geistige Betätigung im Menschen von seinem Gehirn abhängt; das
andere Mal der Standpunkt wissenschaftlicher Philosophie und des
gesunden Menschenverstandes, daß der Geist und das Bewußtsein an sich
sind und nicht im Gehirn _erzeugt_ werden können. -- -- --

Ist der Monismus des Geistes Wahrheit, dann muß auch der Mensch sich
restlos als Geist auffassen lassen, -- und das geht in der Tat
zwanglos. Doch ist der Gedankengang, der dazu führt, ein unabhängiger
und beruht nicht auf der Voraussetzung des Monismus des Geistes.
Vielmehr hilft er ihn begründen.

Ich erinnere zunächst an die terminologische Klarstellung (S. 26). Dort
sahen wir, daß alles Geistige überhaupt aus den drei Grundklassen
Denken (Erkennen etc.), Wollen und Fühlen besteht.

Zum Denken gehört das Gebiet der Wahrheit, zum Wollen das des Guten,
der Sittlichkeit, des Charakters und der Gesinnung, zum Gefühl das der
Schönheit. Denn das Schöne ist Gegenstand des ästhetischen Gefühls. Des
näheren ist es das Schöne in Formen, Farben, Tönen und Bewegungen, das
den Gegenstand der Ästhetik ausmacht. Alles das aber ist _sinnlich_
wahrnehmbar, nämlich durch unsere zwei höchsten Sinne: Gesicht und
Gehör. Das liegt schon in dem Wort Ästhetik.[65] Dann aber ist das
Schöne im Menschen nicht nur sein ästhetisches Gefühl, sondern auch
seine eigene sinnliche Wahrnehmbarkeit: diese aber wird dargestellt von
seinem Leib. Demnach ist der Leib des Menschen eine Offenbarung des
Prinzips der Schönheit, also des Geistes, und _der Mensch ist restlos
begriffen als eine Funktion der drei ewigen Ideen des Wahren, Guten und
Schönen_. Denn sein Geist (Erkenntnis, Wille, Gefühl) und sein Körper
(Schönheit als zum ästhetischen Gefühl gehörig) gehen rein in ihnen
auf.[66]

Um in der Terminologie keine Unklarheit aufkommen zu lassen, bemerke
ich, daß hierbei Geist in beiden Bedeutungen gemeint ist: als Gegensatz
zur Materie und als höheres geistiges Prinzip. Wenn aber die
Zurückführung alles Körperlichen auf Geist als auf das an sich seiende
Prinzip der Welt gemeint ist, dann ist die zweite Bedeutung die
ausschlaggebende: denn der Geist an sich ist der reine Geist im
unbedingten, absoluten Sinne, gleichbedeutend mit Vernunft und Logik.
Nach der terminologischen Auseinandersetzung muß es jedem klar sein,
daß Vernunft nicht Verstand ist: Vernunft umfaßt das ganze
Geistesleben, auch das Gefühl, nur ist hierbei aus ihm alles Niedere
und Unberechtigte ausgeschieden: Vernunft, Logik und Geist in seiner
höheren Bedeutung sind also der Inbegriff des vollkommenen und idealen
Geisteslebens in _allen_ drei Sphären, derjenigen der Erkenntnis, des
Willens und des Gefühls. Den Sphären entsprechend unterscheide ich denn
auch theoretische, praktische und ästhetische Vernunft. -- -- --

Ist nun der Mensch eine Funktion der Ideen der Vernunft oder des
Geistes (jetzt immer in der zweiten Bedeutung gebraucht), dann geziemt
es ihm auch, sein Wollen und Handeln mit Geist zu durchdringen, logisch
zu gestalten. Wir haben das _Ziel_ und den _Weg_ zu diesem zu
unterscheiden. Das Ziel ist Vollkommenheit. Diese also besteht in der
völligen Erhebung des Menschen auf die Höhe des Wahren, Guten und
Schönen, d. h. in der Verkörperung dieser Ideen in ihm.

Demnach kann ich nunmehr die letzte und genaueste Definition des
Zuchtzieles geben: _Das Zuchtziel ist die Einbettung des Geistes in den
Menschen._ Ist somit das Ziel alles Lebens auf der Erde die
Verwirklichung von Geist in der Kreatur, dann besteht das vorhin
Gesagte zu recht: auch der Weg dazu muß auf die Stufe des Geistes oder
der Vernunft projiziert werden. Dies geschieht, wenn _der_ Weg gewählt
wird, den ich angegeben habe. -- -- --

Die _Liebe_ als die schaffende und erhaltende, also dem Gesetz des
Lebens entsprechende Manifestation des Geistes, wird auch in einer
durchgeistigten und nach logischen Gründen handelnden Menschheit
selbstredend bestehen bleiben: sie wird herrlichere Früchte tragen denn
je zuvor. Aber auch sie wird auf die Stufe des Geistes projiziert sein.
Dann wird sie sich äußern in ihrer Reinheit, nämlich als
Selbstverleugnung: Selbstverleugnung der Gatten, überhaupt des Mannes
und des Weibes, voreinander -- das ist die Liebe zwischen Mann und Weib
auf die Stufe der Vernunft übertragen: das ist die Logik in der Liebe
der Geschlechter zueinander. Ein erbärmlicher Wicht, der sie in dieser
Reinheit für etwas Ärmeres hält als das, was die Menschen jetzt
gewöhnlich unter »Liebe« verstehen! -- -- --

So ist der Mensch und all sein Treiben, alles, was ihn angeht, als ein
Ausschnitt aus einem großen System des Geistes restlos begriffen, und
dies geschah in drei Aussagen:

1. Der Mensch ist selber ganz eine Funktion des Geistes.

2. Deshalb soll auch sein Wollen und Handeln durchgeistigt, vernünftig
sein.

3. Die Liebe äußert sich auf dieser Stufe als Selbstverleugnung.

Der Mensch soll nach allem einsehen, daß die Preisgabe seiner
kleinlichen sentimentalen Rücksichten und der Aufschwung auf die Höhe
reinen Geisteslebens ihn nicht ärmer, sondern weit reicher machen, das
Dasein erst zu wahrem Leben gestalten. Freilich bedarf es dazu einer
heroischen Auffassung des Lebens von Mann und Weib und entschlossener
Abwendung vom Philistertum, der Hinlenkung auch des Willens auf das
Allgemeine und Absolute, auf die wahren Werte der Persönlichkeit.

So möge denn die Blüte der Menschheit unter dem Banner des Geistes über
das Philistertum hinwegschreitend den Aufstieg zu größerer Vollendung
antreten!

[Illustration]


FUSSNOTEN:

[1] Den Leser, der sich für meine Weltanschauung interessiert, verweise
ich auf mein Buch: »Idealistische Sittenlehre und ihre Gründung auf
Naturwissenschaft«, Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig, 2 M.

[2] _Richard Semon_: Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des
organischen Geschehens. Leipzig, 1904, Verlag Wilh. Engelmann. Ich
benutze Forels Wiedergabe der Lehre in seiner: »Die sexuelle Frage.«
1907, S. 13–18.

[3] Forel, a. a. O., S. 16 und 17.

[4] Eine kurze Zusammenfassung der Kritik findet sich in meiner
Idealistischen Sittenlehre auf Seite 25 und 26.

[5] Moritz Wagner: Über die Darwin'sche Theorie in Bezug auf die
geographische Verbreitung der Organismen (Sitzungsberichte der K.
Bayer. Akademie der Wissenschaften, 1868, Bd. I, Seite 373).

[6] Seite 385.

[7] Wagner, a. a. O., Seite 386.

[8] Seite 394.

[9] Seite 375.

[10] Vergl.: _H. S. Chamberlain_: Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts,
1907, Seite 277–289 und _W. Schallmayer_: Vererbung und Auslese im
Lebenslauf der Völker. III. Bd. von »Natur und Staat«, 1903.

[11] _G. Vacher de Lapouge_: Über die natürl. Minderwertigkeit der
niederen Bevölkerungsklassen. Politisch-Anthropologische Revue, VIII.
Jahrgang, No. 9, Seite 462.

[12] _A. Ploetz_: Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der
Schwachen, 1895, Seite 128 und 129.

[13] Siehe darüber meine »Idealistische Sittenlehre« Seite 92ff.

[14] Tusc. disp. I. 33, zitiert nach _R. Eisler_: Wörterbuch der
Philosophischen Begriffe, 1904, I, Seite 372.

[15] _E. v. Hartmann_: Philosophie des Unbewußten, 1872, S. 631.

[16] _A. Schopenhauer_: Die Welt als Wille und Vorstellung, 1877, I.
Band, Seite 219.

[17] A. a. O., Seite 218.

[18] _James_: The Principles of Psychology, 1891. Im Original heißt es:
».... the entire organism may be called a sounding-board, which every
change of consciousness, however slight, may make reverberate.« H.
Band, Seite 450.

[19] Sexuelle Ethik, Seite 28.

[20] A. a. O., I, Seite 705.

[21] A. a. O., I, Seite 515.

[22] Bei Mac Millan & Co., New-York etc., 1908.

[23] M. Sauerlandt: Griechische Bildwerke, 1908.

[24] Vergl. _O. Hauser_: Der physische Typus des Genies des Altertums;
Politisch-Anthropolog. Revue, VIII. Jahrgang No. 9, und _H. S.
Chamberlain_, a. a. O., Seite 486 und 500-501.

[25] _H. Ploss_: Das Weib, 1896, Seite 13.

[26] A. a. O., Seite 52.

[27] A. a. O., Seite 52.

[28] A. a. O., Seite 54.

[29] A. a. O., Seite 55.

[30] _J. Ranke_: Der Mensch, 1889, II. Band.

[31] Ploss, a. a. O., Seite 57.

[32] _C. H. Stratz_: Die Schönheit des weiblichen Körpers, 1908 Seite
2.

[33] Aus Eisler, a. a. O., II, Seite 299.

[34] A. a. O., Seite XVII.

[35] A. a. O., Seite 360 ff.

[36] A. a. O., Seite 276.

[37] A. a. O., Seite 278.

[38] A. a. O., Seite 280.

[39] _Havelock Ellis_: Die Gattenwahl beim Menschen, deutsch, 1906,
Seite 181–190.

[40] _Ploetz_, a. a. O., Seite 117–127.

[41] _Ploss_, a. a. O., Seite 22.

[42] _Ploss_, a. a. O., Seite 23.

[43] _Ploss_, a. a. O., Seite 24.

[44] _Ploss_, a. a. O., Seite 25.

[45] _Ploss_, a. a. O., Seite 25.

[46] _Ploss_, a. a. O., Seite 25.

[47] A. a. O., Seite 25.

[48] C. L. _Schleich_: Schmerzlose Operationen, 1906, Seite 88–97.

[49] A. a. O., Seite 97.

[50] _James_, a. a. O.

[51] _A. Höfler_: Grundlehren der Psychologie, 1905, Seite 66.

[52] A. a. O., Seite 9.

[53] _W. Wundt_: Grundriß der Psychologie, 1907, Seite 323.

[54] _James_ sagt: »There is a general principle in Psychology that
consciousness deserts all processes where it can no longer be of use.«
(A. a. O., II, Seite 496).

[55] »All consciousness seems to depend on a certain slowness of the
process in the cortical cells. The rapider the currents are, the less
feeling they seem to awaken.« (A. a. O., II, Seite 104).

[56] A a. O., II, Seite 367–369.

[57] G. H. Th. _Eimer_: Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben
erworbener Eigenschaften; 1888, Seite 31, 43, 44, 65, 66. (Ich verwerte
hier nur die angeführte tatsächliche Beobachtung Eimers als solche).

[58] _Forel_: A. a. O., Seite 29 und 30.

[59] Vergl. meinen Aufsatz: Grundzüge der Rassenveredelung,
Politisch-Anthropolog. Revue, VIII. Jahrg., No. 9. (Dezember 1909).

[60] A. a. O., Seite 282.

[61] A. a. O., Seite 279–287.

[62] R. _Eucken_: Grundlinien einer neuen Lebensanschauung, 1907.

[63] A. a. O., I, Seite 218: »_The psychologists attitude towards
cognition .... It is a thoroughgoing dualism._ It supposes two
elements, mind knowing and thing known, and treats them as
irreducible.«

[64] W. _Windelband_: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1903,
Seite 527.

[65] Ästhetik kommt von dem Griechischen: αἰσθάνομαι:
ich nehme mit den Sinnen wahr, oder αἰσθητός: sinnlich
wahrnehmbar.

[66] Ich verweise hinsichtlich alles dessen nochmals auf meine
»Idealistische Sittenlehre und ihre Gründung auf Naturwissenschaft«,
Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung in Leipzig, 1909, Preis M. 2—.





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