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Title: Die Musen - Eine Ode
Author: Claudel, Paul
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Musen - Eine Ode" ***


                              DIE MUSEN
                               EINE ODE
                                 VON
                             PAUL CLAUDEL


                        DEUTSCH VON FRANZ BLEI

                               LEIPZIG
                          KURT WOLFF VERLAG
                                 1917

         Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R. Sommer 1917
               als dreiundvierzigster Band der Bücherei
                          »Der jüngste Tag«

              COPYRIGHT 1917 KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG



                              DIE MUSEN


                                           »Sarkophag gefunden auf der
                                        Straße nach Ostia.« Im Louvre.

   Die Neun Musen, und in ihrer Mitte Terpsichore!
   Ich erkenne dich, Mänade! Ich erkenne dich, Sibylle! Mit deiner
   Hand erwart' ich keinen Becher mehr noch deinen Busen selbst
   Zuckend in deinen Nägeln, Cumeische im Wirbelsturm der goldigen
      Blätter!
   Denn diese dicke Flöte, ganz durchbohrt für deine Finger wie mit
   offnen Lippen, bezeugt genug,
   Daß du schon nicht mehr nötig hast, dem Hauche sie zu binden, der dich
      erfüllt
   Und der dich, Jungfrau, aufrichtet!
   Keine Verrenkungen: nichts stört die schönen Falten deines Gewandes
   vom Hals bis zu den Füßen, die es nicht mehr sehen läßt!
   Aber ich weiß genug, was dieser Kopf sagen will, der sich zur
   Seite wendet, und diese trunkene verschlossne Miene, und dies
   Gesicht, das horcht, ganz blitzend vom Jubel des Chors!
   Ein Arm allein ist's nur, was du nicht halten konntest!
   Er hebt sich, krümmt sich,
   Voll Ungeduld vor Drang, den ersten Takt zu schlagen!
   Geheimnisvoller Laut! Werdenden Wortes Beseelung! Klang, dem aller
      Geist mitschwingt!
   Terpsichore, Finderin des Tanzes! wo wäre der Chor ohne den
   Tanz? welch andre zwänge
   Die acht wilden Schwestern zusammen, den aufsprudelnden Hymnus
   zu keltern, und erfände die unentwirrbare Figur?
   Zu wem, wenn du dich nicht vorerst aufgerichtet inmitten seines
   Geistes, bebende Jungfrau,
   Und den du nicht um seinen derben und niederen Verstand gebracht, der
   ganz vom Flügel deines Zornes flammt im Salz des knatternden Feuers,
   Zu wem wären sie willens einzutreten, die keuschen Schwestern?
   Die Neun Musen! Keine ist zu viel für mich!
   Ich sehe auf dem Marmor alle neun. Zu deiner Rechten Polyhymnia!
   und zur Linken des Altars, auf den du deinen Arm stütztest,
   Die hohen gleichen Jungfraun, die Reihe der beredten Schwestern.
   Ich will sagen, bei welchem Schritt ich sie halten sah und wie sich
   eine in die andre rankte,
   Anders als so, daß jede Hand
   An Fingern pflücken will, die sich ihr hinhalten.

   Und vorerst hab' ich dich erkannt, Thalia!
   Auf derselben Seite hab' ich Klio erkannt, Mnemosyne erkannt, dich,
      Thalia, erkannt!

   Ich habe euch erkannt, o vollständiger Rat der neun heimlichen, inneren
      Nymphen!
   Ihr aller Rede Mutterschaft! Ihr tiefer Brunnenschacht der Sprache
   und Knäuel der lebenden Frauen!
   Ihr schöpferische Gegenwart! Nichts würde werden, wäret ihr nicht euer
      neun!
   Und plötzlich, siehe, da der neue Dichter erfüllt von sinnvoller
      Entladung,
   Der schwarze Trubel des ganzen Lebens am Nabel festgebunden
   in der Erschütterung des Grundes, öffnet sich der Zugang,
   Zersprengt das Gehege, der Hauch aus ihm
   Durchbricht die hemmenden Kiefer,
   Den bebenden Neunchor mit einem Schrei!
   Nun kann er länger nicht schweigen! Die Frage, die von selbst
   emporgeschossen, wie Hanf
   Den Tagelöhnerinnen, er hat sie für immer vertraut
   Dem wissenden Chor des unauslöschbaren Echos!
   Nie schlafen alle zugleich! Doch bevor sich die große Polyhymnia
      aufrichtet,
   Oder es ist wohl Urania, die mit den beiden Händen den Zirkel öffnet,
      Venus ähnlich,
   Wenn sie Amor lehrt, ihm den Bogen spannend,
   Oder die Lacherin Thalia mit der großen Zehe ihres Fußes leise
   den Takt schlägt; oder im Schweigen des Schweigens
   Mnemosyne seufzt. --

   Die Älteste, die, die nicht spricht! sie ist von ewig gleichem Alter!
   Mnemosyne, die nicht spricht.
   Sie lauscht, sie sinnt,
   Sie fühlt, (sie der innere Sinn des Geistes)
   Rein, einfach, unantastbar! sie entsinnt sich.
   Sie ist der Schwerpunkt des Geistes. Sie ist die Beziehung, ausgedrückt
   durch ein sehr schönes Zeichen. Ihre Haltung ist unaussprechbar,
   Auf dem Puls des Seins selber steht sie da.
   Sie ist die innere Stunde, der quellende Schatz und die aufgespeicherte
      Quelle;
   Die Bindung hin zu dem, was Zeit nicht von Zeit in Sprache auszudrücken
      vermag.
   Sie wird nicht sprechen; ihr Tun ist, nicht zu sprechen. Sie ist
      Mitgeschehen.
   Sie besitzt, sie erinnert sich, und alle ihre Schwestern hängen
      aufmerksam am
   Schlagen ihrer Wimpern.
   Für dich, Mnemosyne, diese ersten Verse, und das Aufflackern der
      plötzlichen Ode!

   So heftig aus der Mitte der Nacht schlägt mein Gedicht überall
   ein wie der Schlag des dreigezinkten Blitzes!
   Und nichts läßt ahnen, wo er auf einmal Sonne aufqualmen machen wird,
   Auf einer Eiche, einem Schiffsmast, einem niedern Herd, daß er
   den Kessel schmilzt wie ein Gestirn!
   O meine ungeduldige Seele du! Wir werden keine Werft errichten,
   werden keine Trireme hinausstoßen, hinausrollen
   Bis in ein großes Mittelmeer weiter Verse,
   Voll Inseln, von Handelsleuten befahren, umkränzt von den Häfen aller
      Völker!
   Schwierigere Arbeit haben wir zu besingen
   Als deine Rückkehr, Dulder Ulysses!
   Jeder Weg verloren! ohne Rast gehetzt und gehalten
   Von den Göttern, die heiß auf der Fährte, siehst du von ihnen
   doch nichts als zuweilen nur
   In der Nacht einen goldnen Strahl auf dem Segel, und im Glanze
   des Morgens für einen Augenblick
   Ein leuchtendes Antlitz mit blauen Augen, ein Haupt gekrönt von Eppich,
   Bis zu dem Tage, da du allein bliebst!
   Welch einen Kampf ertrugen Mutter und Kind dort unten in Ithaka,
   Während du dein Kleid ausbessertest, während du die Schatten fragtest,
   Bis dich die lange phäakische Barke zurückbrachte, von tiefem Schlaf
      umfangen!
   Und dich auch, wenns auch bitter ist,
   Ich muß auch deines Gedichtes Küsten verlassen, Äneas, das
   zwischen den beiden Welten die Dehnung seiner priesterlichen Fluten
      birgt!
   Wie stille wards inmitten der Jahrhunderte, während hinter dir
   Heimat und Dido wie ein Märchen brannten!
   Du erliegst der zweigetragenden Hand! Du fällst, Palinurus, und
   deine Hand hält nicht mehr das Steuer.
   Und vorerst sah man nichts als ihre unendliche Spiegelfläche, doch
   plötzlich im Wachsen des endlosen Kielwassers
   Werden sie lebendig, und die ganze Welt malt sich auf dem magischen
      Stoffe.
   Denn sieh, im ganz hellen Mondlicht
   Hört der Tiber das Schiff kommen, beladen mit dem Glücke Roms.
   Doch nun, verlassend die Höhe des wellenden Meeres,
   O florentinischer Reimer! folgen wir dir nicht weiter, Schritt nach
   Schritt in deiner Erforschung,
   Hinab, hinauf bis zum Himmel, hinab bis in die Hölle,
   Wie einer, der erst den einen Fuß auf dem logischen Boden sichert
   und dann den andern nachsetzt in entschlossenem Gehen.
   Und wie man im Herbst in Lachen kleiner Vögel schreitet,
   So wirbeln die Schatten und Bilder auf unter deinem weckenden Fuß!
   Nichts von alldem! jeder Weg, dem wir folgen müssen, verdrießt
   uns! jede Leiter, die zu erklimmen!
   O meine Seele! das Gedicht besteht nicht aus diesen Buchstaben,
   die ich setze wie Nägel, sondern aus dem Weiß dazwischen, das
      unbeschrieben bleibt.
   O meine Seele, keinen Plan gilts zu besingen! o meine wilde Seele!
   es gilt, uns frei zu halten und bereit,
   Wie die unermeßlichen zerbrechlichen Schwalbenzüge, wenn ohne
   Laut der Aufruf des Herbstes tönt!
   O meine ungeduldige Seele, gleich dem Adler ohne Kunst! was
   tun wir, um keinen Vers zuzustutzen! Dem Adler gleich, der
   selbst nicht seinen Horst zu bauen weiß?
   Daß mein Vers nichts vom Sklaven habe! sondern so sei wie der
   Meeradler, der auf einen großen Fisch niederpfeilt,
   Daß man nichts sieht als den leuchtenden Wirbel der Flügel und
   das Aufschäumen der Woge!
   Doch ihr verlaßt mich nimmermehr, o mäßigende Musen!

   Und du unter allen, spendende, unermüdliche Thalia!
   Du, du bleibst nicht daheim! Sondern wie der Jäger im blauen Klee
   Dem Hunde im Rasen folgt, ohne ihn zu sehen, so weist ein
   leichtes Zittern im Grase der Welt
   Dem stets bereiten Auge die Spur, die du ziehst;
   Du Schlenderin im Busch, wie herrlich bildete man dich mit diesem Stab
      zur Hand!
   Und mit der anderen, bereit, daraus das unauslöschliche Lachen
   zu schöpfen, hältst du, wie man ein fremdes Tier betrachtet,
   Die große Maske, die Fratze des Lebens, den furchtbaren und verzerrten
      Balg!
   Nun hast du es entrissen, nun hältst du es umfaßt, das große
   Geheimnis der Komödie, die Falle der Anpassung, die Formel der
      Umwandlung!
   Doch Klio wartet, den Griffel in den drei Fingern, steht in der
   Ecke der glänzenden Truhe,
   Klio, jener gleich, die Buch führt, der Aktuar der Seele.
   Man sagt, daß dieser Schäfer der erste Maler war,
   Der auf der Felsenwand den Schatten seines Bockes ersehend
   Mit einem Brand aus seinem Feuer die Linien des gehörnten Fleckes
      zeichnete.
   Was ist die Feder sonst, dem Zeiger auf der Sonnenuhr gleich,
   Als die scharfe Begrenzung unseres menschlichen Schattens, der
   über das weiße Papier gleitet?
   Schreibe, Klio! gib jedem Ding sein Urzeichen. Kein Gedanke,
   Daß unsres Wesens Undurchsichtigkeit sich nicht das Mittel wahrt, die
      Linien zu ziehn,
   Scharfäugige Führerin du, Hinschreiberin unseres Schattens du!

   Ich habe die nährenden Nymphen genannt; die, die nicht sprechen,
   die, die sich nicht sehen lassen; ich habe die atemgebenden Musen
   genannt, nun will ich die Musen sagen, die selber Atem empfangen.
   Denn der Dichter gleicht einem Instrument, auf dem man bläst
   Zwischen seinem Hirn und seinen Nasenflügeln, daß er empfange,
   wie der scharfe Reiz des Dufts bewußt wird,
   Und er erschließt nicht anders seine Seele als wie der kleine Vogel,
   Wenn er, bereit zu singen, seinen ganzen Leib mit Luft füllt bis
   in das Mark all seiner Knochen!
   Nun also will ich sagen die großen Musen der Einsicht und des Werkes.

   Die eine mit ihrer Schwiele in den Falten der Hand!
   Sieh hier die eine mit ihrer Schere, und diese andre, die ihre Farben
   zerreibt, und diese wieder, wie sie an ihren Tasten mit allen Gliedern
      hängt!
   -- Doch diese sind die Arbeiterinnen des inneren Tones, das Widerhallen
   der Persönlichkeit, das Weissagende,
   Der Urquell des tiefen A, die Kraft des dunklen Goldes,
   Das das Gehirn mit allen seinen Wurzeln bis auf den Grund des
   Innern schöpfen geht wie Fett und bis ans äußerste Ende der Glieder
      erwecken!
   Das duldet nicht, daß wir schlafen! Seufzer, voller als der Wunsch,
   mit dem die Bevorzugte unser Herz im Schlaf erfüllt!
   Du Kostbares, sollen wir dich also entgleiten lassen? Welche Muse
   nenne ich genug gewandt, es zu ergreifen, es zu umschlingen?
   Sieh hier jene, welche die Leier mit ihren Händen hält, welche die
      Leier
   in ihren Händen mit den schönen Fingern hält,
   Gleich einem Webestuhle, das vollkommene Instrument gebundener
      Bemessenheit,
   Euterpe mit dem breiten Gürtel, die heilige Flaminierin des Geistes,
   welche die große klangstumme Leier hebt,
   Das, was die Rede ausströmt, das klar tönende, das singt und eint.
   Die eine Hand auf der Leier, ähnlich dem Faden auf dem Weberrahmen,
   und mit der andern Hand
   Führt sie das Plektrum wie ein Weberschiffchen.
   Kein Anschlag, der nicht die ganze Melodie herträgt! Quill auf,
   du Klang von Gold, du tönende Siegbeute! Spring empor, ansteckendes
   Wort! Daß die neue Sprache, wie ein See voll Quellen
   Alle ihre Schleusen überflute! Ich höre den einzigen Ton anwachsen
   mit sieghafter Beredsamkeit!
   Sie verharrt, die Leier in deinen Händen,
   Verharrt wie der Bereich, auf dem sich der ganze Gesang eingräbt.
   Du bist nicht mehr die, die singt, du bist der Gesang selber im
   Augenblick, wo er sich aufschwingt,
   Das Tun der Seele, auf ihres eigenen Wortes Ton gestimmt!
   Die Erfindung der Wunderfrage, die klare Zwiesprach mit dem
      nieerschöpften Schweigen.
   Verlasse nimmer meine Hände, siebensaitige Leier du, einem Werkzeug
   verstehenden Bezugs und Erkennens gleich!
   Daß ich zwischen deinen straffgespannten Saiten alles sehe! Die
   Erde mit ihren Feuern, den Himmel mit seinen Sternen.
   Aber es genügt uns nicht die Leier, und das tönende Gitter ihrer
   sieben gespannten Saiten genügt uns nicht!
   Die Abgründe, die der erhabene Blick
   Vergißt, von einem Punkt zum andern kühn springend,
   Dein Sprung, Terpsichore, genügte nicht, sie zu überwinden, noch
   dein dialektisches Instrument, sie zu zehren.
   Den Winkel brauchts, den Zirkel, den du mit Macht öffnest, Urania,
   den Zirkel mit den beiden gradlinigen Armen,
   Die nur an dem Punkt eins sind, wo sie sich öffnen.
   Kein Gedanke, und wär er auch wie plötzlich ein gelber oder rosenroter
   Planet über dem geistigen Horizont,
   Kein System Gedanken, und wäre es wie die Plejaden,
   Die den kreisenden Himmel erklimmen,
   -- Sie alle kann der Zirkel in allen ihren Weiten greifen, und jedes
   Maßverhältnis wie eine ausgespannte Hand berechnen.
   Du brichst das Schweigen nimmer! Du mengst nicht in nichts den
   Lärm des Menschenwortes. O Dichter du sängest,
   Deinen Sang nicht gut, wenn du nicht sängst im Zeitmaß.
   Denn deine Stimme ist dem Chore not, wenn die Reihe an dich
   gekommen ist, deinen Part zu singen.
   O Grammatiker in meinen Versen! Such nicht den Weg, suche den
      Mittelpunkt!
   Taktmaß, versteh den Raum, der zwischen diesen einsamen Feuern liegt!
   O daß ich nicht mehr wüßte, was ich sage! daß ich eine Note
   wäre, die am Werke hilft! daß ich zu nichts würde in meiner
   Bewegung! (nichts als der kleine Druck der Hand, die Lenkung zu
      behalten!)
   Daß ich meine Last trüge wie einen schweren Stern durch die wimmelnde
      Hymne!

   Und an das andere Ende der langen Truhe, weit und für einen
   Menschenleib geräumig,
   Hat man Melpomene hingestellt, gleich einem Soldatenführer und
   einem Kunstbau von Städteburgen.
   Denn die tragische Maske auf ihren Kopf zurückgeschoben wie einen Helm,
   Mit dem Arm auf dem Knie, den Fuß auf einen behauenen Stein,
   betrachtet sie ihre Schwestern;
   Klio steht an einem der Enden und Melpomene hält am andern.
   Wenn die Parzen
   Die Tat, das Zeichen beschlossen haben, das sich einschreiben wird
   ins Zifferblatt der Zeit wie die Stunde, da sie ihre Ziffer vollzieht,
   Werben sie in allen Ecken der Welt die Bäuche an,
   Die ihnen die Schauspieler schenken werden, die sie brauchen,
   Und die zur bestimmten Zeit geboren werden.
   Nicht nur in der Ähnlichkeit ihrer Väter allein, sondern in einem
      geheimen Knoten
   Mit ihren unbekannten Statisten, mit denen, die sie kennen, und
   denen, die sie nicht kennen werden, die des Prologes und die des
      letzten Aktes.
   So ist ein Gedicht nicht wie ein Sack Worte, es ist nicht nur
   Alles, was es zeichnet, sondern es ist selber ein Zeichen, ein
      erdichtetes Geschehn,
   Das die Zeit schafft, die es zu seinem Entschluß bedarf,
   Und so den Menschentaten gleicht, nachahmend diese in ihren
      wohlverstandenen
   Triebfedern und ihren Schwerpunkten.
   Und nun, Chorführer, nun gilts, deine Schauspieler zu werben,
   daß jeder seine Rolle spielt, auftritt und abgeht, wann er soll.
   Cäsar geht aufs Prätorium, der Hahn kräht auf seiner Tonne,
   du hörst sie, du verstehst sie beide vollkommen,
   Zu gleicher Zeit den Beifallsruf des Klassischen und das Latein des
      Hahnes;
   Beide sind dir not, und beiden wirst du ihre Rollen zu geben wissen,
   du wirst den ganzen Chor zu verwenden wissen.
   Der Chor um den Altar
   Vollzieht seine Bewegung; er hält stille,
   Er wartet und der lorbeerbekränzte Ansager erscheint, und Klytämnestra,
   das Beil in der Hand, die Füße im Blute ihres Gatten,
   die Sohle auf dem Munde des Mannes,
   Und Oedipus mit den herausgerissenen Augen, der Rätsellöser!
   Richtet sich im Tor von Theben auf.
   Doch der strahlende Pindar läßt seiner jauchzenden Truppe als Pause
   Nur ein Übermaß Licht und dieses Schweigen, es zu trinken!
   O der große Tag der Spiele!
   Nichts kann sich davon loßreißen, aber Alles kommt daran, jedes nach
      der Reihe.
   Die Ode, rein wie ein nackter schöner Leib, der vor lauter Sonne und Öl
      glänzt,
   Geht alle Götter mit der Hand suchen, um sie in ihren Chor zu mengen,
   Um mit vollem Lachen den Triumph zu ernten, um in einem Flügeldonner
   den Sieg zu ernten
   Derer, die mindest durch ihrer Füße Kraft der Last des trägen Leibes
      entflohen.

   Und nun, Polyhymnia, o du, die du dich in der Mitte deiner Schwestern
   hältst, eingehüllt in deinen langen Schleier wie eine Sängerin,
   Auf den Altar den Arm gestützt, gestützt auf den Pult,
   Nun ist Wartens genug, nun kannst du dich wagen an den
   neuen Gesang! Nun kann ich deine Stimme vernehmen, o meine Einzige!
   Süß ist die Nachtigall der Nacht! Wenn ihre reine und mächtige Geige
      anhebt,
   Fühlt sich der Körper auf einmal rein gemacht von seiner Taubheit,
   alle unsere Nerven spannen sich auf dem Tonboden unseres
   fühligen Leibes zu einer vollkommenen Skala,
   Wie unter den geläufigen Fingern der stimmenden Hand.
   Doch wenn er seine Stimme hören läßt, er selber,
   Wenn der Mensch zu gleicher Zeit Bogen ist und Instrument
   Und wenn das vernünftige Tier im Zittern seines Schreies abertönt,
   O Lied und Sang des rechten starken Alt, o Seufzer des herzynischen
   Waldes, o Trompeten auf der Adria!
   Vor diesem Gold, das sich in jede Faser des Menschen eingießt,
   verblaßt der Klang des ersten Goldes in euch!
   Das Gold, oder die innere Mitkenntnis, die Alles durch sich selbst
      besitzt,
   Entflohen ins Herz des Elementes, eifersüchtig im Rhein bewacht
   von der Nixe und dem Niblung!
   Was sonst ist Gesang, als Erzählung, die jeder
   Von seinem Eingeschlossnen macht, die Zeder und der Springquell?
   Doch dein Gesang, o Muse des Dichters du,
   Ist nicht das Summen des Vögelchens, der Quell, der plaudert,
   der Paradiesvogel in den Levkojen!
   Sondern wie der heilige Gott alles ersonnen, so ist deine Freude
   im Besitz seines Namens,
   Und wie Er im Schweigen sagte: »ES WERDE«, so wiederholst
   du, von Liebe voll, wie Er es getan hat,
   Wie ein kleines Kind, das buchstabiert: »ES SEI!«
   O Gottesmagd, voll der Gnaden!
   Du gibst Allem die Bestätigung des Wirklichseins, du betrachtest
   Alles in deinem Herzen, von Allem suchst du, WIE ES SAGEN!
   Als Er das Weltall schuf, als Er das Spiel mit Schönheit hin
   teilte, als Er die gewaltige Zeremonie aufklinkte,
   Da freute sich etwas von uns mit ihm, der Alles sieht, in seinem Werke,
   Seine Wachsamkeit in seinem Tage, seine Tat in seinem Sabbat!
   So, wenn du redest, o Dichter, und in köstlicher Aufzählung
   Von jedem Ding den Namen aussprichst,
   Wie ein Vater es geheimnisvoll in seinem Urwesen nennst, da du ja einst
   An seiner Schöpfung teilnahmst, also hilfst du mit an seinem Bestehen!
   Jedes Wort eine Wiederholung.
   So ist der Sang, den du singst im Schweigen, und so ist die selige
      Harmonie,
   Mit der du in dir selbst Ähneln und Trennen nährst. Und so,

   O Dichter, werde ich nicht mehr sagen, daß du von der Natur
   je Unterricht erhältst, nein, du bists, der ihr deine Ordnung gibst,
   du, der du alle Dinge bedenkst!
   Um ihre Antwort zu sehen, ists dein Spiel, eins nach dem andern beim
      Namen zu nennen.
   O Virgil unter den Reben! die breite und fruchtbare Erde
   War nicht für dich von der andern Seite des Zaunes wie eine Kuh,
   Eine wohlwollende Kuh, die den Menschen lehrt, sie auszunützen
   und die Milch aus ihrem Euter zu ziehn.
   Doch als erste Rede, o Lateiner,
   Wirst du Gesetze geben. Du erzählst alles. Er erklärt dir alles,
   Cybele, er bringt deine Fruchtbarkeit in Formeln,
   Er ist für die Natur gestellt, um zu sagen, was sie denkt, besser
   als ein Kind! Der Frühling des Wortes ist da, die Wärme des Sommers!
   Sieh, der Goldbaum schwitzt Wein! Sieh, in allen Bezirken deiner Seele
   Schmilzt der Genius, wie das Wasser des Winters!
   Und ich, ich bin fruchtbar im Acker, die Jahreszeiten bearbeiten
   unerbittlich meine starke schwielige Erde.
   Grundständig, derb,
   Bin ich zu den Ernten berufen, bin ich dem Feldbau unterworfen.
   Meine Wege reichen von einem Horizont zum andern; ich habe
   meine Bäche; ich habe in mir ein Netz von Wasserbecken.
   Wenn der alte Nord über meiner Schulter erschiene,
   Eine Nacht voll, weiß ich ihm dasselbe Wort zu sagen, seine
   Gegenwart ist mir endlich vertraut.
   Ich habe das Geheimnis gefunden; ich weiß zu reden; wenn ich
   will, könnte ich euch sagen,
   Was jedes Ding SAGEN WILL.
   Ich bin ins Schweigen eingeweiht; es gibt eine unerschöpfliche
   Zeremonie des Lebens, es gibt eine Welt an sich zu reißen, es
   gibt ein unersättliches Gedicht zu erfüllen durch die Erzeugung
   des Korns und Weizens und aller Früchte.
   -- Ich lasse diese Arbeit der Erde; ich schweife wieder in den
   offnen und leeren Raum.
   O weise Musen! weise, weise Schwestern! und du selbst, trunkene
      Terpsichore!
   Wie habt ihr gedacht, diese Tolle zu fangen, sie bei einer und
   der andern Hand zu halten,
   Sie mit dem Hymnus zu knebeln wie einen Vogel, der nur im Käfig singt?
   O Musen, die ihr geduldig gemeißelt steht auf dem harten Grabmal,
   der lebende, bebende, was kümmert mich der unterbrochene
   Takt eures Chors? ich nehme wieder euch meine Tolle, mein Vögelchen!
   Da ist sie, die nicht trunken ist von reinem Wasser und schmeichelnder
      Luft!
   Eine Trunkenheit wie die von rotem Wein und einem Haufen
   Rosen; von Trauben unterm nackten Fuß, der glitscht, von großen
   Blumen, die ganz von Honig kleben
   Die Mänade, von der Trommel toll gemacht! beim durchdringenden
   Schrei der Querpfeife die im donnernden Gott ganz trunkene Bacchantin!
   Ganz brennend! ganz sterbend! ganz verschmachtend! du streckst
   mir die Hand hin, du öffnest die Lippen,
   Du öffnest die Lippen, du blickst mich an mit einem Auge, das
   mit Wünschen beladen. Freund!
   Zuviel, zuviel des Wartens! nimm mich! was tun wir hier?
   Wie viel Zeit wirst du noch dich beschäftigen, so regelvoll gründlich
   unter meinen Schwestern,
   Wie ein Meister unter seiner Arbeiterinnenschar? Meine weisen tätigen
      Schwestern!
   Und ich bin heiß und toll, ungeduldig und nackt!
   Was tust du noch hier! Küß mich und komm!
   Brich, zerreiß all Bande! nimm mich deine Göttin mit dir!
   Fühlst du nicht meine Hand auf deiner Hand? (Und wirklich fühlte
   ich ihre Hand auf meiner Hand.)
   »Verstehst du denn nicht meine sehnende Qual, und daß mein
   Begehren von dir selber ist? diese Frucht, zwischen uns beiden zu
   verzehren, dieses große Feuer aus unsern beiden Seelen zu machen!
   das heißt zu lange dauern!
   Zu lange! Nimm mich, denn ich kann nicht mehr! Das heißt zu
   lange warten, zu lange!«
   Und wirklich schaute ich und sah mich ganz allein auf einmal,
   Losgerissen, ausgestoßen, verlassen,
   Ohne Pflicht, ohne Aufgabe, draußen mitten in der Welt,
   Ohne Recht, ohne Zweck, ohne Kraft, ohne Einlaß.
   »Fühlst du nicht meine Hand auf deiner Hand?« (Und wirklich
   fühlte ich, fühlte ihre Hand auf meiner Hand!)

   O meine Freundin auf dem Schiff! (Denn das Jahr, das dieses war,
   Als ich begann das Laub sich auflösen zu sehen und den Weltbrand
      ergreifen,
   Um den Jahreszeiten zu entgehn, schien mir der frische Abend
   ein Morgenrot, der Herbst der Frühling eines beständigeren Lichtes,
   Und ich folgte ihm wie ein Heer, das sich zurückzieht und alles
   hinter sich verbrennt. Immer
   Weiter vor, bis zum Herren des leuchtenden Meeres!)
   O meine Freundin! Denn die Welt war nicht mehr da,
   Um uns unsern Platz im Zusammenspiel ihrer vielfältigen Bewegung zu
      bestimmen,
   Sondern losgelöst von der Erde waren wir allein, eins mit dem andern,
   Bewohner dieses schwarzen kreisenden Krümchens, untergetaucht,
   Verloren im reinen Raum, da, wo der Boden selber Licht ist.
   Und jeden Abend, vor uns, auf dem Platze, wo wir das Ufer
   gelassen hatten, gegen Westen,
   Gingen wir denselben Brand suchen,
   Genährt von der ganzen vollgestopften Gegenwart, das Troja der
   wirklichen Welt in Flammen!
   Und ich, wie die Lunte, die eine Mine unter der Erde entzündet,
   dieses geheime Feuer, das mich zernagt,
   Wird es nicht aufhören, im Wind zu lodern? wer wird die große
   Flamme der Menschheit aufnehmen?
   Du selbst, Freundin, deine langen blonden Haare im Winde des Meeres.
   Du konntest sie nicht festhalten auf dem Kopfe; sie gleiten zusammen!
   die schweren Ringe
   Rollen auf deine Schultern, und das Große und Lockende, Giocondahafte,
   Erhebt sich ganz im Lichte des Mondes!
   Und die Sterne, sind sie nicht leuchtenden Stecknadelköpfen gleich?
   Und das ganze Weltgebäude, verbreitet es nicht ebenso zerbrechlichen
      Glanz
   Wie königliches Frauenhaar, das des Kammes harrt, sich unter ihm zu
      rollen?
   O meine Freundin! O Muse im Winde des Meeres! O Gedanke langhaarig am
      Bug!
   O Beschwerde! O Zurückverlangen!
   Erato! Du blickst mich an, und ich lese einen Entschluß in deinen
      Augen!
   Ich lese eine Antwort, ich lese eine Frage in deinen Augen! Eine
   Antwort und eine Frage in deinen Augen!
   Den Jubelschrei, der in dir allerorten aufbricht wie Gold, wie Feuer in
      den Futtervorräten!
   Eine Antwort in deinen Augen! Eine Antwort und eine Frage in deinen
      Augen.

_Kurt Wolff Verlag · Leipzig_

Von _Paul Claudel_ erschien ferner:

_Mittagswende_. Ein Drama in drei Akten.

Deutsch von Franz Blei.

Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50, Luxusausgabe: 50 numerierte Exemplare auf van
Gelder abgezogen und in Halbpergament geb. M. 12.--

_Der Tausch_. Ein Drama in drei Akten.

Zweite Auflage.

Deutsch von Franz Blei.

Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50, Luxusausgabe: 50 numerierte Exemplare auf van
Gelder abgezogen und in Halbpergament geb. M. 18.--

(Luxusausgabe vergriffen!)





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