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Title: Dalmatinische Reise
Author: Bahr, Hermann
Language: German
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  DALMATINISCHE
  REISE
  VON
  HERMANN
  BAHR

  [Illustration]

  S·FISCHER·VERLAG·BERLIN·1909



_DRITTE AUFLAGE_


  Umschlag und Einband von Professor Emil Orlik.

  Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
  Copyright 1909 by S. Fischer, Verlag, Berlin.

  Die Abbildungen verdankt der Verfasser der Güte des
  Ingenieurs Meitner in Salona, sowie der Kunstanstalt
  Stengel in Dresden, die geplanten eigenen Aufnahmen
  sind von der Ragusäischen Polizeibehörde verhindert
  worden.



DALMATINISCHE REISE



1.


Jetzt kommt es wieder! Immer um diese Zeit. Wenn der Februar sich in den
kahlen Ästen dehnt.

Oft um Weihnachten schon geschieht es mir, daß ich, auf dem Semmering
vom Doppelreiter zum Wolfsbergkogel rodelnd, plötzlich das Meer sehe,
das blaue Meer. Nur einen Moment lang. Der Wind schneit mich an,
die Nadeln zergehen, mich wässert in den Augen; und indem ich sie
schließen muß, begibt es sich, daß ich das blaue Meer sehe. Die
Lider, fest vor dem stechenden Schnee zugepreßt, lassen mich das
blaue Meer sehen. Nur einen Moment lang. Schon bin ich wieder wach und
erblicke den Eselstein, drüben vor mir, im wogenden Grau. Das blaue
Meer haben mir bloß meine Lider vorgeträumt. Nur einen Moment lang.
Aber diesen war es in mir da. Und mitten im neblichten Dampf und
stachligen Schnee weiß ich jetzt plötzlich wieder, daß irgendwo
das blaue Meer ist. Und während ich dann, von der Station den weich
verschneiten Berg hinauf, schnaufend meine Rodel schleppe, sagt alles
in mir: Blau, blau, blau! Das ist mir wie ein magisches Wort, das
alle Sehnsucht stillen kann. Und abends dann, im winterlichen Behagen
frottierter Füße in frischen Strümpfen, wenn im Kamin die großen
Scheite krachen und ihre roten Zungen zeigen, verfolgt es mich. Immer
mit denselben beiden Bildern: ich sehe mich in Mattuglie aus dem Zug
steigen und vor mir liegt in der Sonne das blaue Meer da, bis zur Insel
Cherso hin; oder ich bin über San Giacomo, auf der weißen Straße
nach Trebinje, und unten ist das blaue Meer und drüben das immergrüne
Lakroma und dann wieder das blaue Meer und überall das blaue Meer,
jauchzend in der Sonne. Immer diese zwei Bilder sind dann bei mir, zum
Greifen leibhaft vor mir da. Bis ein großes Scheit prasselnd einbricht
und mich aufschreckt: das Gesicht zerrinnt, zum Fenster sehen die
stillen alten Fichten herein, in ihren weißen Mänteln.

Und in der hellen Winterslust wird es wieder vergessen. Wochenlang. Aber
wenn dann im Februar plötzlich manchmal nachts ein warmer Wind über
den Acker fliegt, daß man aus dem Schlaf ans Fenster fährt, als hätte
drunten im Garten das Glück gerufen, das Glück selbst mit seiner
wilden Stimme, wie mit Peitschenknall, wenn das bange Stöhnen in den
nackten Ästen ist, wenn die Wolken, wie tolles Vieh, in Angst und
Entsetzen durcheinander rennen, dann kann ich nicht mehr, dann weiß ich
sonst gar nichts mehr, dann bin ich überall bis an den Rand von Gier
voll, Gier nach dem Meer, nach unserem blauen Meer in der Sonne.

Immer um diese Zeit. Wenn man am Zittern der kahlen Äste merkt, daß
schon das Blut in ihnen schlägt.

Und dann steht wieder jene Zeit in mir auf, jene dunkle Zeit vor fünf
Jahren. Da war ich am Tode, die Kraft entsank meinem Herzen. Der Arzt
schickte mich nach einer Anstalt am Bodensee. Ganz einsam saß ich
dort, in Erwartung. Schnee. Sturm. Nebel. Und kein Atem. Und die Furcht.
Damals habe ich das Wort Trübsinnig verstehen lernen. Und Schleimsuppe.
Und kein Mensch. Vita minima, innen und außen. Und kein Schlaf. Da saß
ich und sah dem Nebel zu. Mein Kopf sah zu, mein Kopf lebte noch; sonst
war ich abgestorben. Einmal las ich damals, Konrad Ferdinand Meyer
habe von seiner Mutter gesagt, sie sei »heiteren Geistes, traurigen
Herzens« gewesen. Dies traf mich so, daß es mir geblieben ist. Es war
wie von mir gesagt. Traurig hatte ich das Herz, den heiteren Geist
focht es nicht an. Ich las den ganzen Tag. Um abends kein Wort davon zu
wissen. Ich konnte zuletzt nicht mehr durch das Zimmer gehen. Da sagte
der Geist zu mir: Das blaue Meer! Und der Geist gebot mir zu fliehen.
Ich gehorchte. Ich fürchtete den Tod gar nicht mehr. Nur voll Angst war
ich, das blaue Meer nicht mehr zu sehen. Das blaue Meer noch einmal zu
sehen war alles, was ich wußte. Das hatte ich noch zu tun. Dann war's
gut. Dann meinetwegen --.

So floh ich. Ich erinnere mich noch an den merkwürdigen Abend im
Inselhotel in Konstanz. An diesem Tag war der Frühling angekommen. Der
See glänzte, weiß flog sein Schaum auf. Das Inselhotel ist ein altes
Kloster, Dominikaner haben hier gehaust. Ich war der einzige Gast. Da
saß ich, ließ mir Rheinwein bringen und rauchte große Zigarren. Ich
fand, daß alles, was es auf der Erde gibt, wunderschön ist; und als
hätte ich das noch gar nicht gewußt, sondern eben jetzt erst entdeckt.
Und ich dachte mir, daß kein Mensch sterben kann, so lange er noch mit
seinen Augen sieht, wie schön die Welt ist; er darf nur die Augen nicht
sinken lassen. Da hörte mein Herz auf, so traurig zu sein. Am anderen
Morgen mußte ich früh heraus. Noch war die Nacht übrig, als ich zum
Schiff ging. In Geheimnissen standen die Bäume des Stadtgartens,
die Umrisse der alten Häuser. Nun hatte ich im Hafen zu warten. Der
Horizont war wie ein großer schwarzer Ring. Gaslicht, elektrisches
daneben, grünes und rotes an schwanken Schiffen und an der Bahn, durch
weißen Nebel glühend. Die Uhr der Station und noch eine andere Uhr
am Ufer wie zwei große böse Monde. Und der stille Morgenstern. Und
plötzlich ein Blitz, erst violett, dann rot, die Sonne kommt, die Nebel
fallen, es lacht der Tag. Da fuhr ich über den hellen See.

Nach vierundzwanzig Stunden war ich in Mattuglie. Da lag das blaue Meer
vor mir, bis zur Insel Cherso hin. Zwei Wochen später bin ich nach
Athen gefahren. Auf der Akropolis saß ich, vor dem kleinen Tempel der
Nike, Schwärme von Veilchen schienen im Meer zu schwimmen. Da fragte
ich mein Herz. Froh war es.

Und immer, seitdem, wenn es im Norden und Nebel verzagen will, zupft es
mich und verlangt hinab, an das blaue Meer, zur Sonne. Immer um diese
Zeit, wenn aus nackten braunen Schollen das Erwachen dampft.

       *       *       *       *       *

Damals, vor fünf Jahren, ist mein ganzes Leben anders worden. Denn ich
weiß jetzt, daß der Mensch durch den Geist und vom Willen aus eine
viel größere Macht über Leiden hat, als wir glauben. Meine Wiederkehr
zum Leben ist damals durch das Gemüt geschehen. Ich habe mich
entschlossen, nicht zu sterben: anders kann ich es nicht sagen. Die
Ärzte nannten es ein Wunder. Ich habe seitdem ein fast unverschämtes
Vertrauen zur inneren Heilkraft. Es kommt in der Not nur darauf an,
sie zu finden. Sie scheint sich dann zu verkriechen; fast hat man
das Gefühl, als wäre sie faul; sie will nicht, sie hat Scheu, sich
herzugeben. Und ich finde sie nur am Meer. Vielleicht ist das ein
Aberglaube. Immer aber, wenn ich unfähig bin, meinen Willen zum Leben
zu wecken, treibt es mich seitdem ans Meer. Da springt er auf und ist
bereit.

Ein rechter Heliotrop bin ich. Zur Sonne muß ich mich wenden. So viel
Sonne scheint, so viel Kraft wird mir. Das zieht mich jedes Jahr nun
wieder ins Sonnenland, nach Dalmatien. Wie eine Wallfahrt ist es, um von
Angst und Trübsal in Licht und Wärme zu genesen.

Nun ist aber Dalmatien nicht bloß ein Sonnenland, Märchenland,
Zauberland, sondern nebenbei auch noch eine Provinz der
österreichisch-ungarischen Monarchie. Es kommen fast keine Fremden
hin, und die paar Fremden, die kommen, verstehen die Sprache nicht und
verkehren mit den Leuten nicht. In anderen Provinzen glaubt Österreich
zuweilen den Fremden ein bißchen Europa vorspielen zu müssen. Hier
hat es das nicht nötig. Hier kann es sich noch unverdorben zeigen. Hier
steht es nackt da, wie im Paradiese.

Und darum ist mir diese Fahrt, jedes Jahr, wenn ich dem Winter
entfliehe, immer auch eine Wallfahrt zum alten Österreich. Die Bora
bläst mir meine Kraft wieder auf und ich lerne wieder ein bißchen
Österreichisch. Es kann beides nicht schaden.



2.


Auf dem Südbahnhof. Eine Wirrnis sportlich vermummter Jugend, die auf
den Semmering fährt. Der Winter ist jetzt Mode worden. Oder wenigstens
das Winterkleid. Vergleicht man Wiener mit Berlinern oder gar
Engländern, die zum Rodeln gerüstet sind, so zeigt es sich, daß diese
nur nach dem Zweckmäßigen, nach dem Sachlichen trachten und ihren
Stolz darin haben, sachverständig auszusehen, während der Wiener
ein Kostüm will, das malerisch wirken soll; mit allem, was er treibt,
treibt er sein Spiel. Ist es gar noch ein jüdischer Wiener, so trägt
er die Skier wie Orden, bis zu Tränen gerührt, zu den Sportfähigen zu
gehören, als ob es eine der jüdischen Nation verliehene Auszeichnung
wäre, eine Annäherung an den Baron; dafür will er gern die rauhe Hand
des Winters leiden.

Im Kupee. Warum kauft sich der reisende Mensch acht Zeitungen? Er
könnte für denselben Preis bei Reclam Goethes Briefwechsel mit Zelter
haben. Warum liest er lieber achtmal dieselben Nachrichten? Es scheint
ihm ein Lesen erwünscht, das bloß mit den Augen geschieht, das Hirn
aber freiläßt, das also den Geist gleichsam bloß hinzuhalten, damit
er Ruhe gibt, und die Gedanken von ihm abzuhalten hat. Vielleicht
geschieht es aber auch nur deshalb, weil er die Zeitungen auf der Bahn
kriegt, und den Zelter nicht. An den Zeitungen verdient der Händler,
mit dem Zelter nicht. Warum findet sich niemand, der, um der
Volksbildung willen, von der man so viel spricht, in den Stationen
den Reclam und die gelben Kosmosbücheln auslegt? Weil es allen diesen
Leuten immer nur darum zu tun ist, von den Dingen und über die Dinge zu
sprechen, keinem aber, sie zu tun.

Da erscheint, hoch oben im Schnee, die Kirche von Maria-Schutz. In
solcher Schönheit steht sie leuchtend dort, daß mir ist, als hätte
ich sie so noch nie gesehen! Ich muß aber lachen, denn ich erinnere
mich, daß mir noch jedesmal immer wieder ist, als hätte ich sie so
noch nie gesehen. Seltsam: wir haben kein Gedächtnis für Eindrücke,
wir bewahren sie nicht wirklich auf. Wir täuschen uns, wenn wir uns zu
erinnern glauben. Wir erinnern uns nur, daß einmal ein Erlebnis da war.
Es selbst aber verläßt uns. Kommt es wieder, so können wir es kaum
erkennen. Immer ist es wieder wie zum erstenmal. Immer wieder, wenn im
Fidelio im zweiten Akt die Hörner rufen und ihr Licht den schwarzen
Kerker sprengt, wenn ich den Wilhelm Meister lese, wenn Kainz spricht,
wenn der Mildenburg schmerzensreiche Stimme tönt, wenn ich einen Klimt
sehe, wenn ich wieder vom Semmeringer blauen Haus in Fichten die Rax
erblicke, wenn ich wieder über San Giacomo auf der weißen Straße
mit den Agaven bin, ist mir immer wieder: Nein, ich hab's ja noch nie
gewußt, jetzt ist es zum erstenmal, jetzt weiß ich es erst und kann's
nie mehr vergessen! Und so glaubt man es jetzt erst zu haben und jetzt
bei sich zu halten, für alle Zeit, und glaubt, daß es nun nie mehr
vergehen kann, und doch vergeht es wieder und verlischt, und es ist nur
ein grauer Schatten, der davon in der Seele kauern bleibt.

Triest. Ein prachtvolles Automobil bringt den Gast in ein elendes Hotel.
Triest hat nämlich noch immer kein Hotel, das halbwegs den Gewohnheiten
eines Europäers entsprechen könnte. Wien ja schließlich auch nicht.
Die Wiener sind sehr bös, wenn man sagt, daß sie kein Hotel und kein
Fuhrwerk haben. Sie finden es unpatriotisch, das zu sagen. Ich finde es
unpatriotisch, keins zu haben. Ich fragte neulich einen: Also wo habt
ihr denn ein Hotel wie das Adlon in Berlin, wo denn? Er antwortete mir,
zornig: Aufgewachsen sind Sie im Adlon! Ich erwiderte: Nein, es handelt
sich aber auch nicht um mich, sondern um die Fremden, die sind es nun
einmal gewohnt, europäisch zu wohnen, und da sie das in Wien nicht
können, reisen sie wieder ab. Er sagte: Sollen die Fremden zuerst
kommen, dann wird man ja sehen. Ich sagte: Die Fremden wollen aber
zuerst sehen, dann werden sie kommen. -- Es ist immer derselbe Streit.
Der Fremde soll es sich erst durch Fleiß und Ausdauer verdienen, dann
wird man ihn belohnen. Wien ist darin der richtige Vorort von Istrien
und Dalmatien. -- Das sind so österreichische Sachen, die niemand
erklären kann. Warum gibt es europäische Hotels in Karlsbad, in
Franzensbad, in Marienbad, in Salzburg und überall in Tirol? Und warum
gibt es keine in Wien, in Triest, in Pola, in Fiume und in Dalmatien?
Man könnte doch einfach die Herren Pupp, Jung und Christomanos von
Staatswegen in die anderen Provinzen importieren.

Merkwürdig ist Triest. Die schönste Landschaft. Schöner als Neapel.
Aber gar keine Stadt. Man hat das Gefühl, hier überhaupt nirgends zu
sein. Es kommt einem vor, als bewege man sich im Wesenlosen. Hier
hat sich nämlich der Staat das Problem gestellt, einer Stadt ihren
Charakter vorzuenthalten. Natürlich geht das nicht, es ist doch eine
italienische Stadt. Aber sie darf nicht. Daher der Unwille, den man
überall an ihr spürt. Es ist eine Stadt, die eine unwillige Existenz
führt. Was sie ist, soll sie nicht sein, und gegen den Schein, zu dem
man sie zwingt, wehrt sie sich. Nun stößt sich aber der Staat damit
selbst vor den Kopf. Er braucht die Stadt. Er braucht sie stark und
groß. Doch Kraft und Größe lassen sich nicht verordnen. Der Staat
tut alles, um die Stadt zu verkrüppeln, und wundert sich dann, wenn sie
nicht wächst. Auf jede Forderung der Stadt antwortet er: Werdet zuerst
Patrioten, dann wird man etwas für euch tun! Während sich die Leute
natürlich denken; Tut erst etwas, wofür es sich lohnt Patrioten zu
sein! Es ist genau dieselbe Geschichte wie mit den Wiener Hotels und den
Fremden.

[Illustration: _Bei Zara._]

Der Staat fragt die Triestiner in einem fort: Warum seid ihr nicht
patriotisch? Und die Triestiner fragen in einem fort: Warum sollten wir
patriotisch sein? Es weiß nämlich bei uns niemand, was ein Patriot
ist. Ein Patriot ist, wer sich unter einer Regierung so wohl fühlt,
daß er sie durchaus mit keiner anderen vertauschen möchte, aus Angst,
dabei zu verlieren. Weshalb auch eigentlich tief in jedem Menschen der
Wunsch ruht, ein Patriot sein zu können. Dies nicht zu bemerken ist das
System der österreichischen Verwaltung. Es war schon immer so, auch
als wir noch Oberitalien hatten. Es hat sich nicht geändert. Der Staat
traut den Triestinern nicht, die Triestiner trauen dem Staat nicht.
Daraus hat sich mit der Zeit das schöne Verhältnis ergeben, daß
die beiden, der Staat und Triest, sozusagen nicht mehr miteinander
verkehren. Macht aus dieser Stadt, was sie sein könnte, eine starke und
reiche und große Stadt, stärker und reicher und größer als Venedig,
und die nächste Generation wird sagen: Wir wären ja Narren, zu
tauschen! Und warum soll sie nicht italienisch sein? Ihr könnt euch ja
gar nichts besseres wünschen als eine italienische Stadt, die sich in
Österreich wohl fühlt!

Nun sagt jeder Triestiner, wer es auch sei: Wir müssen die italienische
Universität kriegen! Und jeder vernünftige Mensch in Österreich sagt:
Die italienische Universität muß nach Triest! Alle sind einig. Darum
geschieht es nicht. Denn wenn in Österreich alle einig sind, glaubt
man, daß etwas dahinter stecken muß. Und wenn in Österreich jemand
etwas will, glaubt man, daß er eigentlich etwas anderes will; oder doch
aus anderen Gründen, als er sagt. Die Regierung kann sich nicht denken,
daß es in Österreich anständige Menschen gibt.

Die Italiener wollen eine italienische Universität, um ihre Söhne
auszubilden, und sie wollen sie in Triest, weil sie Triest nahe haben
und weil ihre Söhne in fremden Städten unglücklich sind. Nein, sagt
die Regierung: sie wollen sie, um Irredentisten zu züchten! Worauf
zu antworten wäre: Irredentisten züchtet ihr, ihr, weil jeder
österreichische Italiener ein Irredentist sein wird, so lange er sich
in Österreich fremd fühlt, und weil jeder sich in Österreich fremd
fühlen muß, so lange man ihm mißtraut! Die Heimat eines Menschen ist
dort, wo er sich bei sich zu Hause fühlt. Sorgt dafür! Und ferner:
Eine bessere Zucht von Irredentisten als in Wien gibt es gar nicht. In
Wien fühlt sich der italienische Student fremd, er versteht die Sprache
nicht, er ist von Feindschaft umgeben, niemand nimmt sich seiner an,
Heimweh quält ihn, so sitzt er den ganzen Tag mit den anderen im Café
beisammen, um nur doch seine Sprache zu hören, und wenn unter diesen
nun ein einziger ist, den die Not oder die Sehnsucht zum Irredentisten
macht, so sind es nach einem Monat alle; seelische Kontagion nennt man
das. Und endlich: Ihr treibt jeden Italiener aus Österreich hinaus, dem
ihr die Wahl stellt, ein Italiener oder ein Österreicher zu sein! Es
muß ihm möglich werden, als Italiener ein Österreicher zu sein.
Wie denn unser ganzes österreichisches Problem dies ist, daß es uns
möglich werden muß, Österreicher deutscher oder slawischer oder
italienischer Nation zu sein.



3.


Ich gehe zum Lloyd um mein Billet. Sie sind auf diesen Palast sehr
stolz. Er ist 1883 von Ferstl erbaut, in jenem sinnlosen und grundlosen
Ringstraßenstil, der wie eine tote Sprache klingt. Ich habe einen alten
ungarischen Pfarrer gekannt, der eine Vorliebe hatte, lateinisch zu
reden. Gullasch essen und lateinisch reden. Und genau so wirkt dieser
Bau. Und dann bin ich immer traurig, beim Lloyd. Weiß selbst nicht
warum. Seine Kapitäne sind so wunderbare Menschen. Sie fühlen sich als
Italiener, stammen aber fast alle von Kroaten ab, und jene Beweglichkeit
mischt sich seltsam mit dieser Wehmut. Ganz stille verhaltene Menschen
sind es, von einer geduldigen Höflichkeit, unter der eine stumme
Sehnsucht ruht. Ich habe sie sehr gern, aber sie machen mich so traurig.
Warum? Ohne gesprächig zu sein, lassen sie sich doch gern einmal zum
Erzählen verführen und haben dann die lustigsten Geschichten bereit.
Wie oft, bei ruhiger See, wenn wir nach dem Essen abends im Dunkel mit
glühenden Zigarren beisammen saßen, hab ich ihnen gehorcht! Und doch
macht's mich immer traurig. Unter ihren Worten, während der Mund
lacht, ist eine Traurigkeit. Und dann fährt einmal ein Schiff des
Norddeutschen Lloyd oder der Hapag vorbei. Da verstummen sie. Sitzen
still und schauen hin und rauchen. Höchstens, daß einer einmal sagt:
Glauben Sie, wir könnten das nicht auch, was die können? Und dann
kommt's langsam heraus: sie fühlen sich als die besten Seefahrer und
begreifen nicht, warum ihnen die vorkommen, die nordischen! Und da
stehen sie dann nachts auf der Brücke im Wind und denken daran. Wir
können so viel als die! Wir sind nicht schlechter! Warum läßt unser
Lloyd die anderen vor? Das liegt schwer auf ihnen.

Wir sitzen in der Direktion oben beisammen, geraten ins Reden, und ich
sage ihnen das. Euere Leute sind unfroh, weil sie das Gefühl haben, der
Lloyd könnte mehr sein. Warum ist er es nicht? Warum seid ihr so falsch
bescheiden? Warum seid ihr weniger, als ihr könnt? Man ist sehr artig
mit mir, aber nicht ohne jenen leisen Spott, den Fachmenschen für Laien
haben. Ein Fachmensch ist, wer den Apparat im einzelnen kennt. Einen
Laien nennt er jeden, der nicht nach dem Apparat, sondern nach der
Leistung fragt. Der Fachmensch ist zufrieden, wenn der Apparat in
Ordnung ist. Der Laie hätte stets Lust, auch einmal den Apparat zu
wechseln. Man weist mir nach, daß der Apparat in Ordnung ist. Aber ich
frage wieder: Warum seid ihr, nach der Meinung euerer eigenen Leute,
nicht alles, was ihr sein könntet? Man antwortet mir: Weil es sich
nicht rentiert! Und rechnet mir vor, daß wir uns mit den nordischen
Gesellschaften nicht messen können, denn diese haben den amerikanischen
Handel und das Geschäft mit den Auswanderern voraus. Und nun Zahlen,
ganze starre Reihen drohend aufgereckter Zahlen. Zahlen beweisen! Ja,
dem Kaufmann. Seid ihr Kaufleute? Ist die Schiffahrt eines Landes
ein Geschäft? Gehört sie nicht vielmehr zu den moralischen Dingen?
Rentieren sich Armee und Flotte? Rentieren sie sich kaufmännisch? Baut
man eine Bahn nur, wenn bewiesen ist, daß sie sich rentieren muß?
Versteht ihr nicht, daß die Schiffahrt eines Landes ein Ausdruck seiner
Macht und seines Willens ist? Die Schiffahrt kann Geld einbringen.
Aber auch moralische Dinge: Mut, Stolz, Lust kann sie bringen. Und Mut,
Stolz, Lust kreisen dann im Lande, bis zuletzt auch aus ihnen wieder
Geld wird. Freilich sagt der Lloyd mit Recht: Ich bin ein privates
Unternehmen, ich kann nicht mein Geld hergeben, damit es irgendwo
zuletzt zum Gelde eines anderen werde. Er hat recht, aber der Staat
hat unrecht, der nicht einsieht, daß die Schiffahrt ein Brunnen
öffentlicher Energie, des Selbstvertrauens und der Tatenlust sein kann.
Den Schiffen eines Landes sieht man an, ob es ein kleinmütiges oder ein
hochgesinntes Land ist.

Nun ist ja Derschatta Präsident des Lloyd geworden. Noch diesen Monat
soll er antreten. Wird er helfen? Ist er der Mann, das Verzagen der
Routine zu besiegen? Die Kapitäne des Lloyd sind die besten der Welt.
Aber in der Direktion des Lloyd steckt etwas viel Assessorismus. Es
kommt darauf an, den Lloyd nicht von der Kanzlei, sondern von den
Schiffen aus zu leiten. Ein großer Kaufmann mit einem unbändigen
österreichischen Hochmut gehörte her. Wie Bruck einer war (einer von
den paar wirklich Großen in Österreich, der denn dafür auch dann von
der Verleumdung erwürgt worden ist). Hat Derschatta dazu die Kraft? Er
war einst eine österreichische Hoffnung. Ich kannte ihn, zwanzig Jahre
ist es her, ich war damals Freiwilliger, abends ging ich aus der Kaserne
gern ins Spatenbräu, da saß er mit Steinwender. Derschatta, der
Steirer, Steinwender, der Kärntner, Sylvester in Salzburg, Beurle und
der junge Löcker in Linz, die hatten damals das Vertrauen der Jugend.
Von ihnen erwarteten wir die Kraft, das deutsche Bürgertum aufrecht und
selbstvoll zu machen. Vor zwanzig Jahren war das. Sie haben alle viel
erreicht, aber das deutsche Bürgertum nichts. Und merkwürdig ist nur,
wie jeder von ihnen auf einmal aus dem Politischen abschwenkt, um sich
eine Wirksamkeit im Sachlichen zu suchen, gleichsam eine Nische, um
dort seine Tatkraft unterzustellen. Es kommt plötzlich die Leidenschaft
über sie, etwas zu leisten, etwas zu tun. So treten sie aus dem
Politischen aus, denn da scheint ihnen dies unmöglich. Merkwürdiges
Land, wo die besten Politiker, um wirken zu können (wenn sie es nicht
vorziehen, Eigenbrödler oder Sonderlinge zu werden, wie Steinwender),
aus der Politik austreten müssen, vor Angst, sich zu vergeuden, vor
Sehnsucht nach einer Wirklichkeit für ihre Kraft, und wo nur die ganz
unfähigen Politiker sich behaupten können! Die Frage für den Lloyd
ist nun, ob Derschatta bei ihm bloß einfach in Pension gehen will oder
dort ein Gebiet für seine Kraft sucht. Er hat Kraft. Leider aber hat er
auch Verstand, und zwar solchen von der bösen Art, die, mit dem Elend
und der Schmach unserer Verwaltung bekannt, ungläubig, hoffnungslos und
furchtsam macht. Seine ganze Generation hat Österreich aufgegeben.
Sie verzichtet. Jeder will sich nur irgendwie noch zu einer Wirkung im
kleinen retten. Im kleinen fortzuwerkeln; sonst wissen sie sich keinen
Ausweg mehr. Der Lloyd aber hätte einen Phantasten nötig, der an
das Unmögliche glaubt. Denn was bei uns unmöglich scheint, ist das
Wirkliche. Und zu helfen ist uns überall nur durch Romantiker, die man
auf die Wirklichkeit losläßt; das Romantische wird ihnen durch
die Wirklichkeit dann schon ausgetrieben. Und wenn nun Derschatta,
vielleicht, statt der verzichtenden Gescheitheit, vielleicht, die
andere Gescheitheit wählt, eine nämlich, die sich, aus Einsicht ins
Notwendige, zwingt, das Vermessene zu wagen, könnte der Lloyd
wieder hoffen, vielleicht. Er müßte sich nur dann auch abgewöhnen,
verbindlich zu sein. Denn der Lloyd braucht eine rauhe Hand mit einem
starken Besen. Für feine Finger ist diese grobe Arbeit nichts.

Nachmittag mit einem der liebenswürdigen Herren vom Lloyd nach Opcina
hinauf. Wie wir auf der Piazza della Caserma in die Elektrische steigen,
fällt mir drin, unter armen Leuten sitzend, Marktweibern mit großen
Körben und Dienstmädchen in fransigen Tüchern, ein hochgewachsener
stämmiger Herr auf, der mich irgendwie von fern an den bulgarischen
Fürsten erinnert, mit einer Dame, die einmal sehr schön gewesen sein
muß. Ich höre, daß es der Statthalter ist, Prinz Hohenlohe, der
vor einigen Jahren einmal ein paar Wochen Minister war, aber, als ihm
zugemutet wurde, von seiner Meinung und vom Rechten abzustehen, lieber
wieder ging. Seitdem heißt er der rote Prinz; eine Meinung zu haben
gilt ja hier für anarchistisch. Seine Frau ist eine von den drei
Schönborn-Mädeln, in die wir, vor zwanzig Jahren, als Studenten von
weitem alle verliebt waren, in alle drei. Er, fünfundvierzig Jahre alt,
unverbraucht, tätig und tüchtig, sitzt hier im Winkel und wünscht
es sich nicht anders. Wenn in unsere Verwaltung einmal ein anständiger
Mensch gerät, hat er nur den Wunsch, beiseite zu bleiben; keiner
scheint der eigenen Anständigkeit zuzutrauen, daß sie die
landesübliche Gemeinheit überwinden könnte. Er ist hier beliebt, den
Leuten gefällt sein offenes, unverdrossenes Wesen. Auch die bösesten
Italiener mögen ihn. Nur ist es freilich töricht, zu glauben, daß
sie, weil sich einmal ein Statthalter verständig und natürlich
beträgt, nun gleich versöhnt sein müßten. In Wien meint man immer,
alles komme bloß vom bösen Willen der Untertanen her, den es nun
durch Beredsamkeit, wohl auch allerhand Gefälligkeit, zu beschwichtigen
gelte. Die Leute hier aber hätten den besten Willen, so bald es ihr
Interesse wäre. Unsere Regierungen wissen noch immer nicht, daß es das
Interesse ist, das die Menschen regiert. Wo's mir gut geht, oder wo ich
mir einbilde, daß es mir gut gehe, da ist mein Vaterland, hurra! Wo's
mir schlecht geht, an Leib oder Seele, wo mich hungert oder friert,
wo ich nicht froh werden kann, da will ich fort, abbasso! Unsere
Regierungen glauben es mit Orden zu machen, das ist zu idealistisch
gedacht.

[Illustration: _Cattaro_]

Oben, beim Obelisken, als wir den Wagen verlassen, tritt der Prinz auf
mich zu, um mich zu begrüßen. Er ist sehr nett mit mir. Nur haben
Aristokraten, wenn sie mit pöbelhaften Leuten nett sind, bei uns das,
daß sie darüber selbst zu sehr gerührt sind; es treten ihnen über
ihre Herablassung die Tränen in die Augen. Wer weiß übrigens, wie man
selbst an ihrer Stelle wäre! Wir sind ja schließlich in einem Staat,
wo heute noch der Fürst, der Graf ein höheres Wesen ist, nicht
gesetzlich, aber wirklich, der Macht nach. Jedes Gespräch eines Adligen
mit einem Bürger beruht eigentlich also auf einer Fiktion. Beide
fingieren, daß die Rechtsungleichheit ausgelöscht sei. Beide wissen
aber, daß sie das doch eben, um miteinander sprechen zu können, bloß
fingieren. Und das macht beide verlegen. Der Fürst denkt: Ich bin doch
sehr aufgeklärt, ich prügle diesen Bürger nicht, sondern spreche
sogar mit ihm, wie mit einem Menschen! Und der Bürger denkt: Er könnte
mich auch prügeln! Natürlich merkt man das dann der gegenseitigen
Nettigkeit an. Ich glaube nicht, daß ein Lord und ein englischer
Schneider, wenn sie miteinander sprechen, dies denken.

Wir stehen am Obelisken. Unter uns die Stadt, der Hafen mit Schiffen und
Barken, den rauchenden Schlöten und den roten, gelben, braunen Segeln,
das blaue Meer, die gelinde Bucht von Muggia, die grelle Küste bis
Pirano, rechts aber der glitzernde Golf bis zu den Lagunen, weiß
glänzt Grado, weiß der Turm von Aquileja her. Seestrandkiefern, Oliven
und Wein. Hinter uns der Schnee der Karnischen und Julischen Alpen;
der Mangard ragt, der Ternovaner Wald dunkelt, hell sind kleine Dörfer
eingestreut. Rings um uns aber der steinige graue Karst, die Wüste.
Dreihundertvierzig Meter sind wir hoch, das Meer atmet herauf, wie
von Blüten ferner Inseln riecht die Luft, Schneewind springt aus den
Bergen. Eine Alm am Meer. Ich sage: Hier könnten drei Sanatorien,
fünf Hotels, siebenhundert Villen und zehntausend Engländer sein!
Der Statthalter seufzt: Ja, was könnte hier nicht alles sein! Und Sie
müßten erst Istrien kennen! Istrien kennt ja niemand, das ist wie ein
Märchen! Ich sage: Also bauen Sie doch hier, Durchlaucht! Er
antwortet, mit leisem Spott: Es ist ja eigentlich nicht der Beruf der
Statthalterei, Hotels zu bauen.

Ich möchte nur wissen, was eigentlich der Beruf der Statthalterei
ist, wenn es nicht ihr Beruf ist: Hotels zu bauen, Straßen zu bauen,
Brücken zu bauen, Bahnen zu bauen, Schiffe zu bauen, alles zu bauen,
was notwendig ist und was die Leute selbst nicht bauen, weil es ihnen
an Einsicht, an Geld und an Zutrauen fehlt. Der Statthalter sagt:
Was könnte hier nicht alles sein! Wenn er nun nicht der Statthalter,
sondern ein Italiener wäre, so würde er sicher sagen: Was könnte hier
nicht alles sein, wenn wir einen anderen Staat hätten! Und er wäre
somit ein Irredentist.

Ich gehe dann, auf der Höhe, einen wunderschönen einsamen Weg durchs
Gestein, den entzückten Blick auf Miramar und über das schäumende
Meer hin, nach dem weinberühmten Prosecco und von dort nach Barcola
hinab. Auf dem Meer verlischt der Tag, alles ist plötzlich groß und
still geworden, ein ungeheurer Ernst steht auf der grauen Bahn der
verstummten Bucht. Manchmal rollt ein Stein aus den Dolinen los, durch
das ungeheure Schweigen.

Wie heißt der Weg, den wir gehen? Jetzt Stefanieweg, zur Erinnerung an
einen Besuch der Kronprinzessin, aber das Volk nennt ihn immer noch den
Napoleonweg. Napoleon? Ja, Napoleon war einmal in Triest, und dort oben,
wo wir früher gestanden haben, stand auch er einst und sagte, nach
Grignano hinzeigend: Hier gehört ein Weg her, ich will hier einen Weg,
hier will ich gehen, wenn ich wiederkomme! Und der Weg war. Napoleon ist
nicht wiedergekommen. Aber der Weg ist noch immer da. Nur ein bißchen
steinicht und verwahrlost ist er jetzt.

Ich erinnere mich, im Memorial einmal gelesen zu haben, wie Napoleon
von einem Begleiter gefragt wird, warum er ihm denn einst irgendeine
Kommission zugewiesen, von der der Begleiter nichts verstanden.
Nun, antwortet der Cäsar, ist sie dir nicht gelungen? Ja, sagt der
Begleiter, aber ich wundere mich noch heute. Siehst du, sagt Napoleon,
es kommt eben gar nicht darauf an, daß einer eine Sache gelernt hat,
sondern darauf, daß er überhaupt Verstand hat; dem Dummen nutzt es
nichts, sie gelernt zu haben, und der Gescheite hat es gar nicht erst
nötig. -- Napoleon wußte, daß man etwas noch lange nicht kann, wenn
man es kennt. Kenntnisse kann man sich jeden Moment verschaffen, Bücher
und Lehrer sind überall, aber das Können muß man haben. Wir verwenden
»gelernte« Leute, er zog gescheite Leute vor. Worin er dem Hofrat
Burckhard gleicht, der auch gern sagt, daß er sich ein Haus lieber
von einem begabten Schneider als von einem dummen Architekten bauen
und einen Katarrh lieber von einem klugen Briefträger als von einem
albernen Arzt behandeln läßt. Aber unser Land wird durch Fachleute
verheert. Ein Fachmann ist, wer etwas gelernt hat und es nicht versteht.

Nun schreiten wir am Meer, das Wasser gluckst, der Abend schwebt mit
schwarzen Schwingen. Ich denke still bei mir an unser Land, an unsere
Leute. Wenn man sie reden hört, ist immer der andere schuld. Jeder will
das Beste, aber an dem anderen fehlt's. Und jeder will zunächst den
anderen ändern, das scheint ihm das Wichtigste; er kümmert sich um
den anderen viel mehr als um sich selbst. Und wir haben auch eine
merkwürdige Art von Egoismus im Land. Sonst will ein Egoist, daß es
ihm so gut als möglich gehe. Hier nicht. Hier kommt es dem Menschen
weniger darauf an, daß es ihm gut gehe, als darauf, daß es dem anderen
schlecht gehe. Das nennt man den nationalen Kampf. Auch wollen sie
nichts wagen. Sie wollen »sicher« gehen. Lieber ein sicheres Elend als
ein ungewisses Glück. Und dann diese österreichische Todesangst vor
jeder Veränderung, oben und unten. Nur im Gewohnten bleiben! Warten
wir lieber noch ein bissel! Der psychische Apparat scheint schlecht
geschmiert und knarrt, wenn er sich bewegen soll. Wenn man in Wien, um
Licht und Luft zu kriegen, irgendein altes Haus fällen muß, weinen
alle. Und so warten wir immer lieber noch ein bissel. -- Man darf
schließlich auch gegen die Regierung nicht ungerecht sein. Ihr ärgster
Fehler ist, daß sie volkstümlich ist. Sie gleicht unserem Volke. Wir
hätten eine nötig, die fremdartig wäre. Wir müßten einmal einen
ungemütlichen Regenten haben.

Und dann irren durch dieses Land solche Querulanten wie ich, ruhelos,
die voll Zorn sind, an ein starkes Österreich glauben und es suchen
gehen, während der Abend mit seinen großen schwarzen Augen über das
glucksende Wasser schaut.



4.


Mein Schiff heißt Baron Gautsch, der Kapitän Zamara. Er sieht halb wie
ein Verführer, halb wie ein Verschwörer und ganz wie ein Gebieter aus.
Don Juan und Orsini und Tegetthoff, von jedem grad so viel, daß die
Mischung alle Frauen beben macht, was ja zu seinen Obliegenheiten
gehört. Der Rasse nach ein Spanier, die Eltern haben in Mailand gelebt,
er spricht Italienisch, Kroatisch, Deutsch, Französisch und Englisch;
alles zusammen gibt einen echten Österreicher, an dem man seine Freude
hat. Gewandt, gelenk, geschwind, munter, herrisch und gutmütig. Und man
fühlt, daß er gewiß bei sich noch ganz anders ist, als er sich gibt.
So gut zusammengemischte Menschen haben immer einen doppelten Boden.
-- Ich beneide ihn um seine Geduld. Die Wiener haben nämlich die
Gewohnheit, sich statt an den Kellner in allen Fällen an den Kapitän
zu wenden. Erstens, weil es wienerisch ist, Fragen immer an den zu
richten, den sie nichts angehen. Zweitens, weil der Wiener Ehrgeiz hat
und sich sozial gehoben fühlt, wenn der Kommandant mit ihm spricht.
Deshalb will der Wiener auch durchaus auf die Brücke. Es interessiert
ihn weiter gar nicht. Aber er will etwas, was nicht jeder haben kann.
Und womöglich etwas, was verboten ist. Man sollte verbieten, Steuern zu
zahlen. Dann wäre der Wiener begeistert dafür.

Ein bildhübsches lustiges Mädel schießt auf dem Schiff herum. Ein
junger Herr macht sich an sie. Sie ist zuerst ein bißchen verlegen.
Aber der junge Herr hat die Gewohnheit, nach jedem Satz, den er sagt,
zu krähen. Er sagt: Jetzt geht's gleich los und aufs hohe Meer hinaus!
Dann verschluckt er seine Augen, die Wangen breiten sich grinsend aus
und er kräht. Er sagt: Adieu, Triest, adieu! Und wieder ertrinken die
Augen, die Wangen wogen und er kräht. Er sagt: Sind Fräulein schon
einmal seekrank gewesen? Augen weg, Wangen auf und er kräht. Ich
frage mich: Warum kräht er? Er hat aber recht. Denn bevor er noch zum
viertenmal gekräht hat, ist ihm das Mädchen schon zugetan. Sie lacht
vergnügt. Ich frage mich: Warum lacht sie? Sein Krähen und ihr Lachen
müssen irgendwie geheimnisvoll zusammenhängen. Der Hahn in jungen
Männern scheint dem Seelenohr junger Mädchen wohl zu klingen.

Ein geistlicher Herr sonnt sich. Groß, alt, schwer, und mit so einem
knöchernen mühsamen faltigen Gesicht, das rundherum aus Schnupftabak
zu bestehen scheint. Seine Stimme hat was Streichelndes, und sie spritzt
einen gleichsam immer mit Weihwasser an. Er reist nach Lussin. Ein
bißchen Ruhe und ein bißchen Sonne brauch ich, sagt er, die harten
Bauernhände faltend. Ich kann mir lange nicht erklären, was mich so
zu dem Alten zieht; er heimelt mich an. Bis mir einfällt, daß er ein
bißchen dem Ozzelberger ähnlich sieht, dem Florianer, von dem wir
im Linzer Gymnasium Griechisch lernten. Gern aber sprach er, in den
Xenophon hinein, von der Sünde. Da hörten wir Buben mit Leidenschaft
zu, das Griechische war weit weniger interessant. Zwar erfuhr man nie,
was es eigentlich mit der Sünde war, aber er hatte eine solche Macht,
drohende Worte schwer und schwarz wie wütende Wolken aufzuballen, daß
einem davon höchst seltsam gruselte, den kalten Rücken hinab. Uns
wurde kitzelnd bang, wie beim Klettern. Ihm muß auch ganz warm geworden
sein, das sah man. Noch steht er mir in der Erinnerung da, die knollige,
braun tropfende Nase witternd aufgespreizt, mit dem großen derben
Finger drohend, das zerknitterte Gesicht in Angst und Zorn. Dann fiel
die dicke Haut seiner runzligen Lider zu, so daß er gleichsam mit den
Augen zu seufzen schien. Und nun krachten aus seinem bösen Mund mit
den hängenden Lippen, die, wenn er sich ereiferte, kleine weiße Blasen
hatten, Drohungen und Verwünschungen, gegen die Sünde, Wollust und
Unzucht. Wir duckten uns, zogen den Atem ein und hörten zu, wie bei
einem furchtbar schönen, unbegreiflichen Gewitter. Dann schwang er sein
blaues fleckiges Tuch und jetzt ging es wieder zu den Verben auf μι
zurück. Mein größter Eindruck war, als er uns einmal fluchend zurief:
Unzucht krümmt die Rücken, hat Aristophanes gesagt! Das kam mir
höchst merkwürdig vor, und seitdem sah ich mir auf der Gasse jeden an,
ob er einen krummen Rücken hätte. Meine Eltern waren mit einem alten
Hofrat gut, einem sehr freundlichen, schon etwas zittrigen und schiefen
alten Herrn. Er ging gern mit uns spazieren. Kehrten wir dann heim und
er empfahl sich an unserem Tor, wobei er vor Höflichkeit noch mehr
zusammensank, so sah ich ihm nach und sagte stets: Unzucht krümmt die
Rücken, Mama! Da wurde meine arme Mama manchmal sehr bös.

Seltsam ist es, so einem alten Herrn, wie diesem guten Pfarrer, klagen
zuzuhören. Hart ist sein Leben und hat nichts als Mühsal. Und wenn
man altert, hört auch die Hoffnung auf. Man weiß, es wird nicht mehr
anders. Man weiß, Leben ist Leiden. So sagt er. Und hat doch offenbar
nichts im Sinn, als nur sich dieses Leiden noch auf viele Jahre zu
verlängern. Nur ein bißchen Ruhe und ein bißchen Sonne brauch ich
halt, sagt er immer wieder. Wozu? Um die Mühsal wieder ein Stück
weiter zu tragen, nur immer noch weiter.

[Illustration: _Castelnuovo_]

Zwei Offiziere, von Prag nach Cattaro versetzt, ein deutschnationaler
Gemeinderat aus Innsbruck mit seiner Tochter, ein altes Ehepaar, das
nach Gravosa geht. Wir sind kein Dutzend auf dem großen Schiff. Die
Fremden, heißt's, fürchten den Krieg. Sie fürchten wohl mehr die
Wanzen der dalmatinischen Hotels.

Es ist kalt. Die Sonne taucht mit blassen Strahlen aus dem Dunst.
Der Wind flattert in kleinen kurzen knatternden Stößen. Wir sind
an Muggia, Capo d'Istria und Pirano vorbei, es erscheinen Parenzo und
Rovigno. Wenn man so vorüberkommt, ist's wie ein ausgestorbenes Land.
Die Städte sehen verlassen und verfallen aus, als hätte der Feind hier
gehaust und alles zertreten. Schön sind die spitzen Türme, die den
Heiligen der Stadt tragen, in Parenzo den heiligen Georg, in Rovigno die
heilige Euphemia. Alles hat venezianisches Wesen. Hinten ragt der Monte
Maggiore.

Und die großen gelben Segel der frechen Chioggioten! Überall
schwärmen sie. Es macht ihnen Spaß, hart vor dem großen Dampfer zu
kreuzen. Weiß klatscht das Wasser ins tanzende Boot. Lachend steht ein
wilder brauner Kerl darin und singt. Grau schießt ein Torpedo durch
die spritzende Flut, wie ein Aal. Hinter ihm fliegt in langen Tönen das
Lied des lachenden Chioggioten her.

Nun sind wir im Kanal von Fasana. Brioni wird sichtbar, Kupelwiesers
Reich. Da lacht mir das Herz.

Bis vor ein paar Jahren sagte man in Pola: Unser Fluch ist Brioni, da
liegt dieser Herd der Malaria vor uns und verpestet alles! Beamte waren
in Pola und Admiräle waren in Pola und Generäle waren in Pola, und
alle sagten: Dieses verfluchte Brioni, mit der Malaria! Sagten es und
taten nichts. Bis der Kupelwieser kam. Das ist nämlich noch unser
einziges Glück in Österreich, daß doch von Zeit zu Zeit immer wieder
ein Kupelwieser kommt. Schüler war auch so einer, der Direktor der
Südbahn, der daneben mit der linken Hand den Semmering und das Ampezzo
und Abbazia erschaffen hat. Und Christomanos ist auch einer, von ihm
sind die Berghotels in Tirol. Das sind Menschen mit sehenden Augen. Sie
sehen dem Boden an, was er will und kann. Sie sehen die Möglichkeiten.
Und dann reden sie nicht viel, sondern es geschieht.

Ein Kupelwieser, der Leopold, war ein bekannter Wiener Maler in der
Schubert-Zeit. Er hat die Mode der Nazarener mitgemacht und Kirchen
ausgemalt; der Hof hat ihm in den dreißiger Jahren Bilder zu Klopstocks
Messias aufgetragen. Das alles ist recht langweilig. Aber auf der
Schubert-Ausstellung der Stadt Wien, 1897, waren Porträts von ihm zu
sehen, da steht er auf einmal ganz anders da, mit treuen Augen und der
ehrlichsten Hand. Die sind nun offenbar in der Familie geblieben, die
treuen Augen und die ehrliche Hand. Der in Brioni hat sie auch. Er ist
einer, der die Augen offen hat und Hand anlegt. Sein ganzes Leben ist
Arbeit gewesen, als alter Mann hat er rasten wollen, das kann er aber
nicht. Brioni war ein Sumpf, er kam, jetzt ist es ein Eiland in Blüten
und Früchten. Anfangs hat's geheißen: Er ist ein Narr! Jetzt gedeiht
Wein und Gemüse dort, Fremde drängen sich, die Insel wird reich. Da
heißt's: Der versteht sein Geschäft! Nun sollte man meinen, daß,
wer einmal so bewiesen hat, was er kann, fortan doch das Vertrauen der
Menschen hätte. Nein. Er plant jetzt den Hafen von Medolino. Das ist im
Südosten Istriens eine breite Bucht, die hat er aufgekauft. Und wieder
heißt's: Er ist ein Narr! Er sagt: Pola kann nicht länger Kriegshafen
und Handelshafen zugleich sein, beide wollen wachsen, und so würgt
einer den anderen, also trennt sie doch, gleich um die Ecke habt ihr
einen anderen Hafen, eben den von Medolino, macht ihn zum Handelshafen,
den Kriegshafen laßt in Pola, dann können beide bis in den
Himmel wachsen! Und er sagt noch: Wir brauchen einen Hafen für den
dalmatinischen Verkehr, Triest ist zu weit, jetzt geht der nächste Weg
über Fiume, also durch Ungarn, es ist unsinnig, daß Österreich keinen
eigenen Weg nach seiner Provinz Dalmatien hat, drum nehmt Medolino! Mit
denselben Gründen fordern die Abbazianer aber den Hafen von Preluka,
knapp an der ungarischen Grenze. Statt nun zu sagen: Ihr habt beide
recht, und ebenso den Hafen von Medolino wie den von Preluka zu bauen,
weil der Mensch, wenn es Gott schon so gut mit ihm meint, sich dankbar
zeigen soll, spielt man nach altem Brauch im Ministerium jetzt den einen
gegen den anderen und redet sich bei diesem auf jenen aus, bis beide so
verhetzt sein werden, daß am Ende jeder zufrieden sein wird, wenn nur
der andere auch nichts hat. Dies ist das System der österreichischen
Verwaltung. Man regiert dadurch, daß jeder seinen Gewinn im Schaden des
Nachbarn sucht.

       *       *       *       *       *

Wir sind in Pola. Indem wir langsam, an Riffen, Türmen, Schanzen,
Stangen und den hohen Kriegsschiffen vorüber, einfahren, reißt der
Wind die Wolken auf, die Sonne bricht aus, durch die Bogen der Arena
blaut es. Mir ist es immer wieder ein Wunder, sie zu sehen. Der Römer
hat stehen können; neben ihm ist jedes andere Volk zapplig. Und was
er hinstellt, steht. Steht und läßt um sich die Zeiten laufen. Diese
Arena und, weiter drüben, der Tempel des Augustus und, draußen, der
Bogen, den Salvia Posthuma dem Tribunen Sergius, ihrem Gatten,
für seinen illyrischen Sieg errichtet hat, dies alles steht da wie
versteinerte Ewigkeit. Man kann sich gar nicht denken, daß es einmal
nicht war. Und diese ganze schmutzige gelbe Stadt scheint daneben nur
hingemalt, auf einer rissigen schwappenden Leinwand.

Nun wieder hinaus, am Kap Promontor vorüber auf den Scoglio Porer zu.
Ein Leuchtturm ist da; und rund herum gerade noch so viel Platz, daß
ein Mensch gemächlich schreiten kann. Da wohnt ein Wächter. Ob der
einmal von Richard Strauß gehört hat? Wen der wählen mag? Ob der
betet? Man hat mir erzählt, daß Julius Singer, der Vizepräsident
des Lloyd, diesen einsamen Türmern zu Weihnachten Bücher schenkt. Ich
fürchte nur, es werden nicht die richtigen sein. Ich möchte ihnen den
Homer, Walt Whitman und Tolstoi schenken. Um jeden anderen wäre mir
bang, auf solchem nackten Fels im Meer. Nur diese Dichter, die den
Menschen ganz ins All auflösen, in Licht und Luft, in Sturm und Flut,
könnten sich hier erwehren. Hier zu sitzen, mit sich allein, wie
Thoreau in seiner Hütte saß! Ein Jahr lang, ganz entmenscht. Oder
drei? Oder fünf? Wer weiß? Und still abzuwarten, was dann von einem
noch übrig sein wird. Was dann in einem übrig bliebe, das wäre fester
Grund. Darauf könnte man bauen. Doch solcher Mut setzt sich einem nur
zwitschernd auf die Schulter, gleich aber ist er wieder fortgeflogen.
Man ist mehr Bürger als Mensch.

Jetzt sind wir im argen Quarnero. Vor uns ist Cherso, kahl, steinig,
grau. Dahinter läßt sich der Velebit ahnen. Die Sonne schlägt sich
mit dem Regen. Jeden Augenblick verändert sich der Tag. Bald scheint's
in den Bergen zu wettern, da wird es hell, aber schon schwärzt sich
der Himmel wieder. Indem wir nun zwischen den Inseln passieren, zwischen
Unie und Canidole mit dem sandigen Sansego durch, bricht sich vor uns
das Licht am Horizont so, daß dort unten der Scoglio Asinello und
die kleinen Riffe neben ihm über dem Wasser in der Luft zu schweben
scheinen, wie von einer unsichtbaren Hand aus dem Wasser gehoben und in
der Luft gehalten. Das Wasser ist von einem Grau, das in der Ferne fast
lila wird; darauf liegt ein glitzerndes silbernes Band, darauf die Luft
und darauf erst, über dem grauen Grund und über dem weißen Band,
hängen in der aschigen Luft die kleinen Inseln, schwarzblaue Risse,
ungeheuren, plötzlich im Fliegen erstarrten, aufgespießten Fischen
gleich.

In Lussin regnet's. Und auf der Riva der schauerliche Lärm! Lärm ist
in jedem Hafen; in Patras und im Piräus schreit man noch mehr. Es
gibt aber einen kaiserlich-königlich österreichischen Lärm, einen
unnützen Lärm, einen verdrossenen, faulen, mechanischen Lärm, der so
zuwider ist, weil er nur das Maul aufmacht und kein Temperament hat. Es
ist derselbe Lärm wie in Ischl im Hotel Kreuz, wenn zu Mittag hundert
hungrige Wiener ächzende Kellner an den Frackschösseln packen. Wie
mir Lussin überhaupt immer den Eindruck macht: Ischl oder Aussee,
plötzlich an das Meer versetzt; und das stimmt nicht. Aber man
braucht dann freilich nur ein paar Schritte weg ins Land zu gehen, auf
windstillem Weg unter leuchtenden Zitronen gegen Lussingrande hin, oder
nach Cigale, und die lächerliche Vision von Wiener Café zerstiebt.
Pinien, Opuncien, Agaven, blauer Rosmarin, der dunkle Lorbeer, die roten
Eriken, Palmen, Orangen, Oleander, Ceratonien mit den rostigen Trauben
und die weidengrauen Ölbäume. Und überall das ewige Meer, mit den
scheckigen Segeln auf den blauen Wellen in der weißen Sonne.

Jetzt wird's lustig. Ein paar junge Herren von der Kriegsmarine sind
eingestiegen. Sie lachen, necken die Offiziere mit ihrer Angst vor der
Seekrankheit und erzählen Abenteuer. Es gibt ein Seelatein, wie's ein
Jägerlatein gibt. Diese jungen Burschen sind voll Lust und Kraft;
man merkt's ihnen an, daß sie sich gut geführt fühlen. Sie sprechen
Italienisch, ein bißchen Kroatisch und jenes Armeedeutsch, das ein
sublimiertes Wienerisch ist. Und sie sind immer so vergnügt! Sie
spüren, daß in ihren Schiffen Österreich ist. So wirkt ein einziger
wirklicher Mensch, wie Tegetthoff war, einer, der den Glauben an sich
hat, in seiner Welt noch bis ins zweite und dritte Glied nach.

Der eine von ihnen ist ein Knirps mit einem sehr großen, breiten,
glatt ausrasierten Gesicht, das, mit den heftig fragenden Augen, etwas
kindisch Verwundertes hat. Herrisch stapft er knieweit auf dem Schiff
herum, die Hände in den Taschen, mit schiefem Maul, und weiß alles.
Er kennt jedes Riff beim Namen und hat alle geschichtlichen Daten. Er
gehört zu den Menschen mit ausgemachten Wahrheiten. Wie er so vorn am
Bug steht, definitiv hingespreizt, und in den Regen schaut, gleichsam
abwägend, ob er es denn noch weiter regnen lassen soll, hat er sicher
das Gefühl, in eine Schlacht zu fahren. Trotzdem wirkt er nicht
komisch, der insolente Zwerg, weil man ihm ansieht, daß er in einer
wirklichen Gefahr gewiß ebenso wäre, nur wahrscheinlich ruhiger als
jetzt, wo ihn seine Phantasie plagt. Ich kann die kriegerische Brunst
solcher Knaben schon verstehen. Sie sind wie junge Mädchen, denen der
Mann fehlt. Man müßte nur für sie Gefahren suchen, die der Menschheit
nützen. So lange die Demokratie keine Verwendung für den Dampf der
bürgerlichen Jugend hat, für ihre Lust an Abenteuern, Drangsalen und
Verwegenheiten, für ihre Spannung nach Explosionen, wird sie den jungen
Leuten langweilig sein. Daher in Frankreich die Banden der jeunesse
royale. Es hilft nichts, zu sagen: Die Menschheit ist heute so weit,
daß sie keine Helden mehr braucht! Es gibt aber noch immer Menschen,
die das Bedürfnis haben, Helden zu sein. Wie es immer noch Menschen
gibt, die das Bedürfnis haben, Schwärmer zu sein. Was sollen sie mit
sich anfangen? Ihr habt kein Ventil für sie, so laufen sie euch weg,
unter die Soldaten und zu den Pfaffen. Aber die wirkliche Demokratie
wird Platz für jede Menschenart haben. Ich kann mir meinen kleinen
maritimen Siegfried da, mit den ovalen Beinen, nun einmal im
Bureaudienst nicht denken. -- Er vergilt mir übrigens meine Sympathie
keineswegs. Er ist artig, aber sichtlich auf der Hut mit mir. Lange
Haare sind ihm nicht geheuer, und er hat gehört, daß ich nach
Montenegro will; dies aber genügt jetzt hier, um ein Spion zu sein.

Inseln rechts und Inseln links. Hier Selve, Ulbo, Pago, dort Premuda,
Skarda, Melada. Jetzt springt das dalmatinische Festland vor, wir sind
im Kanal von Zara, den im Westen Sestrunj mit seinen Scoglien und die
langgestreckte Insel Ugljan deckt.

[Illustration: _Ragusa, Dogana_]

Zara. Da sieht man zuerst nur eine lange weiße Wand. Nach und nach wird
man gewahr, daß diese lange weiße Wand Häuser vorstellen soll. Es
sind Bauten sozusagen sächlichen Geschlechtes. Man kann sich nicht
denken, daß hier Männer oder Frauen und Menschen wohnen. Nein,
Solneß, Heimstätten für Menschen können das nicht sein. Sie haben
unseren ärarischen Stil. Wir haben ein Armeedeutsch und so haben wir
auch einen ärarischen Stil. Sein Reiz besteht darin, daß er mit Stein
den Anschein von Papier erweckt. Man glaubt zuerst: Das ist sicher nur
eine Zeichnung! Merkwürdigerweise kann man aber in diese Zeichnung auch
hineingehen und, wenn man es aushält, darin wohnen; schläft man ein,
so wacht man in der Früh auf und hat einen Kopf aus Papiermaché, ich
glaube sicher; es kann aber auch sein, daß diese Häuser in der
Nacht, wenn das letzte Schiff fort ist, abgeräumt und sorgfältig
zusammengeklappt und in ein Depot gelegt werden, wie Kulissen nach der
Vorstellung, wenn es aus ist und finster wird. Das ist die berühmte
Riva von Zara, der Stolz der österreichischen Verwaltung. Sie hat den
Zweck, die alte Stadt Zara zu verstecken. Hinter ihr ist die alte Stadt
Zara. Vor der alten Stadt ist eine österreichische Wand aufgestellt.
Hinter der österreichischen Wand fängt der Orient an, unsere Zeit
hört auf. So kann man sagen, daß diese Riva ihren Ruhm verdient, weil
sie das Symbol unserer Verwaltung in Dalmatien ist. Diese besteht darin,
das alte Land zu lassen, wie es ist, aber vorn eine österreichische
Wand zu ziehen, damit man es nicht sieht. Und das genügt den
Dalmatinern nun nicht, sondern sie verlangen, wirklich ein
österreichisches Land zu werden. Das ist der Streit der
österreichischen Verwaltung mit dem dalmatinischen Volk.

Ich habe ein sehr nettes Buch mit: Dalmatia, the land where East
meets West by Maude M. Holbach. Die brave alte Engländerin, die es
geschrieben hat, durchaus im frömmsten Glauben an unsere Behörden,
reißt die Augen auf, wie sie hinter die weiße Wand in die alte Stadt
Zara kommt, und ruft aus: This is no more Europe, no matter what the map
may tell you! Und dann, wie sie die Morlaken auf dem Markt erblickt, mit
den dunklen Gesichtern in weißen Tüchern, die rußigen Hände schwer
beringt, die Füße in Opanken: At the first glance they seemed to me
more like North American Indians than any European race! Ganz erschreckt
staunt sie und kann es kaum begreifen, so fremd ist dieses Land!

Wir aber eignen es uns nicht an, sondern stellen eine weiße Wand auf,
um es zu verdecken, und vor ihr spazieren die Beamten, und Militärmusik
spielt.

Es gibt ein Zaratiner Museum, das in der alten Kirche San Donato
untergebracht ist. Man hat in ihr eine Inschrift gefunden, die vermuten
läßt, sie sei einst ein Tempel der Livia Augusta gewesen. Der wurde
dann im 9. Jahrhundert umgebaut, um die Gebeine der heiligen Anastasia
aufzunehmen, die der Bischof Donatus aus Byzanz mitbrachte, ein
weltkluger Heiliger, der in den Händeln zwischen Karl dem Großen
und dem Kaiser Nikephorus beiden zu dienen verstand. Vorrömisches, in
Gräbern gefunden, illyrische Krüge, Leuchter und Münzen, Römisches,
Inschriften und Schmuck, longobardisches Ornament und allerhand
Mittelalter sind hier aufbewahrt und warten, bis einmal ein junger
Archäologe kommen wird. Ich fand einst, nach Athen fahrend,
Furtwängler auf dem Schiff. Er fragte mich: Warum gehen Euere jungen
Leute nach Griechenland, während in Dalmatien noch alles zu tun
bleibt? Ich antwortete: Man interessiert sich in Österreich mehr für
Griechenland als für Dalmatien. Er sagte: Ach so!

Wir hätten jetzt in Wien einen, den jungen Doktor Hans Tietze. Das
ist ein Schüler Wickhoffs und irgendeine Art von Genie. Er hat eine
Topographie des politischen Bezirks Krems verfaßt, das schönste Buch,
das in den letzten Jahren in Österreich erschienen ist; niemand kennt
es. Hier wird Topographie zum erstenmal als Kunst betrieben. Dem müßte
man sehr viel Geld geben und ihn auf drei Jahre nach Dalmatien schicken.
Wir wüßten dann erst, was wir in Dalmatien haben.

Der Dom von Zara war zuerst eine Basilika. Davon ist nur eine einzige
Säule noch übrig. Denn er wurde dann im 13. Jahrhundert völlig
umgebaut, romanisch. Und später kam ein Erzbischof, der Valaresso hieß
und ein Venezianer war. Darum gefiel ihm das Romanische nicht, er konnte
seine Heimat nicht vergessen, mit dem Campanile, so ließ er einen
solchen hier errichten. Ausgebaut wurde dieser erst in unserer Zeit,
nach Skizzen Jacksons; ein Zeichen schöner Dankbarkeit, die man für
sein gutes Buch über Dalmatien hat. (»Dalmatia, the Quarnero and
Istria.« Das andere gute Buch über Dalmatien ist auch von einem
Engländer: Adams »Ruins of Diocletian Palace at Spalato«. Dieses
ist schon 1774 erschienen; jetzt wäre doch allmählich für ein
österreichisches Zeit, also schickt schon den Tietze her!) Ein Zeichen
schöner Dankbarkeit, gewiß, doch auch dieser ganz entkräfteten Zeit.
Es wäre dem Valaresso nicht eingefallen, romanisch fortzubauen, sondern
er hatte seinen eigenen Geschmack. Vergangenes auszudenken kann sich
eine starke Gegenwart niemals bequemen, sondern sie setzt sich selbst
her, ihrem eigenen Sinn gemäß, nach ihrer eigenen Art. Laßt uns
Vergangenheiten in Museen ehren, leben aber wollen wir in unserem
Eigentum! Auf dem Markt steht eine Säule hier, offenbar von einem
römischen Tempel übrig. Ketten hängen daran, in der venezianischen
Zeit wurden nämlich da die Verbrecher ausgestellt, es war der Pranger.
Denn diese starke venezianische Zeit litt es nicht, daß irgend was
Vergangenes unbenutzt in der Gegenwart herumstand.

Die Fassade des Doms ist übrigens unvergleichlich. Wie aus Sonnenschein
gesponnen. Alles Gotische will immer über den Menschen hinaus,
da fühlt er sich schon schuldig. Hier aber genießt er sich noch
entzückt, und mit allen Werken loben seine Hände das Leben.

Sehr gern möchte ich von hier einmal landeinwärts, nach Zemunik, wo
jetzt unter den armen Bauern in der Steinwüste Trappisten nisten. Wenn
man nur ihren Namen hört, wird einem ganz unirdisch und weltstumm.
Es sind aber tüchtige Landwirte, sie haben den modernen Betrieb
eingeführt und nutzen die billige Menschenkraft aus. Und schließlich,
ob es nun durch eine Berliner G. m. b. H. oder durch Karthäuser
geschieht -- wenn es nur geschieht, da es ja durch unsere Verwaltung
doch nicht geschieht! Selbst von Mönchen kann man immerhin noch mehr
Kultur erwarten, als unsere Verwaltung hat, und sie sind moderner.

       *       *       *       *       *

Ich bleibe noch auf dem Deck, bis wir an Zaravecchia vorüber sind.
Unsäglich traurig liegt es da. Ein Grab alter Herrlichkeiten. Einst
hieß es Biograd, die weiße Stadt, und war unter kroatischen und
ungarischen Königen groß. Nur Not und Schutt ist davon übrig. Und
während ich im Dunkel stehe, muß ich denken: Wenn ich nun da geboren
wäre und säße mit alten Büchern und läse von der versunkenen
großen Zeit und hätte das Herz von den Taten meiner Ahnen voll und
sähe mich dann um, auf die Not und auf den Schutt rings? Es ist noch
ein Glück, daß die Leute hier nicht lesen und schreiben lernen. So
wissen sie von ihrer Vergangenheit nichts. Scham und Zorn hätten
ihnen sonst längst den Gehorsam ausgepeitscht. Wenn es aber einst doch
geschieht, daß einige lesen lernen? Wenn ihnen einst ihre Vergangenheit
erscheint? Wenn sie dann vergleichen, was sie waren und was sie sind,
und die Frage steht in ihnen auf: Und jetzt, und jetzt, und jetzt?

Und plötzlich fällt mir ein: Wo sind die Deutschen? Wir haben doch
Deutsche von der alten deutschen Art in Österreich. Wo bleiben sie?
Deutsche Art war es von je, bedrängten Völkern beizustehen und kein
Unrecht zu leiden, wo es sich auch zeige. In der ganzen Welt sind die
Deutschen immer Krieger der Gerechtigkeit gewesen. So verlangt es unser
Blut. Ich höre die deutsche Stimme der Väter in meinem Blut.

Aber die Nacht wird kalt, ich will lieber hinunter, zu den lustigen
Offizieren.



5.


Ich erwache vom Geräusch des Stoppens. Ich kann doch kaum eine Stunde
geschlafen haben, wir werden in Spalato sein. Aber durchs Fenster dringt
es hell, dies weckt mich völlig auf. Ich habe neun Stunden geschlafen,
wir sind in Gravosa. Noch klebt mir überall der Schlaf an. Solchen
traumlosen, tief erstarrten, alles entseelenden Schlaf, aus dem man
gleichsam erst wieder neu geboren werden muß, gibt mir nur das Meer.
Und ich erwache dann mit einem wunderlichen Gefühl, wie nach einer
moralischen Entfettungskur, als ob ich alle Vergangenheit ausgeschwitzt
hätte und nun so leicht wäre, daß ich gleich auffliegen könnte, und
über mich selbst hinweg.

Gravosa im Regen. So habe ich die Bucht noch nie gesehen. Es ist mir,
wie wenn man eine frohe Frau, die man nur von Festen kennt, plötzlich
in Trauer sieht. Denn wenn hier die Sonne scheint, ist es, als wäre
der Sonnenschein Eigentum der Bucht. Nichts Linderes, Leiseres, Lieberes
läßt sich denken als die heitere Zärtlichkeit, in der sie sich
lächelnd wiegt. Zypressen und Pappeln schwärzen das Ufer, Villen
blinzeln durch, stille Wege winken, der Wald steht auf dem Hügel,
alles ruht. Von einer ganz eigenen Heiterkeit ist's, einer Heiterkeit
im Winkel, die sich geborgen weiß, einer Heiterkeit, die zuweilen
plötzlich warnend den Finger zu heben scheint, weil sie weiß, daß
ganz nahe, gleich über dem grünen Hügel dort, das große Meer ist,
in dem lauernd der Sturm liegt. Und in anderen Jahren, wenn ich hier an
hellen Tagen in der stillen Sonne stand, war es mir immer ein Bild der
Heiterkeit, die jetzt unser Geist sucht. Einer Heiterkeit, die zwischen
Inseln geschützt liegt, rings ruht alles, sie dehnt sich im leisen
Wind, aber der Hauch einer Angst schwebt über ihrem Glück, weil
sie weiß, daß ganz nahe, hinter den grünen Inseln, der Tumult von
Stürmen ist; und man sieht es ihrem Lächeln an.

Langsam fahren wir aus dem Hafen. Links die waldige Stille der Halbinsel
Lapad, rechts die tiefe Bucht der breiten Ombla, unter kahlen Felsen.
Wir drehen, immer dicht an der Küste von Lapad, erst nördlich, bald
westlich von ihr, zwischen ihren dunklen Kiefern und den nackten,
jähen, gelben Riffen der Pettini durch. Plötzlich ist die alte Stadt
Ragusa vor uns da, mit ihren Felsen und ihren Wällen in das schäumende
Meer tretend; und man weiß nicht, was Fels, was Wall ist, was gewachsen
und was geschaffen, was von Ewigkeit und was das Werk der Zeiten ist; so
wunderbar haben sich hier das Land und der Mensch die Hände gereicht.
Das gibt dieser einzigen Stadt ihre Hoheit, die doch auf der ganzen Erde
keine mehr hat. Lakroma erscheint; hier sieht es nur wie ein stiller
Hain aus, man ahnt die Wunder seiner verwilderten Gärten nicht.
Jetzt aber tritt alles zurück, die Stadt scheint sich in den Berg
zu schieben, nur ein paar rote Dächer brennen noch aus seinem grauen
Stein. Über San Giacomo schreit die Straße weiß; sie teilt sich, hier
nach Trebinje steigend, dort ins Tal von Breno ziehend. Die Küste biegt
sich ein, Sturm springt das Schiff an, es stößt, bäumt sich, sinkt,
scheint bald zu schweben, bald zu stürzen und tanzt klatschend,
zwischen den steilen Mauern der Wellen, die, bald vor ihm lauernd, bald
aufbrechend, aus braunen Schlünden weiße Schäume schießen. Und mit
ungeheuren Sprüngen setzt das Wasser manchmal plötzlich über uns,
lacht noch schrill und ist schon zerstiebend wieder versunken.

Unseren armen Offizieren geht es übel. Bleich lehnen sie. Es ist
gar nicht schön von mir, daß ich ihnen zusehe. Sonst bin ich nicht
boshaft, aber es reizt mich, weil sie sich so schämen. Selbst auf
hoher See noch, während das Schiff ächzt, das Wasser rast, der Sturm
dröhnt, lassen sie den angelernten Begriff eines falschen Heldentums
wider die Natur nicht fahren und weigern sich einzugestehen, daß sie
doch auch Menschen sind. Da muß ich ihnen die Beschämung gönnen.
Achill hat sich sicher nicht geschämt, in den Armen des Patroklos zu
speien.

Zu ihrem Trost biegen wir schon zwischen der vorgeschobenen Punta
d'Ostro, mit den steilen gelben Wänden, und dem Fort Mamola durch;
oben glänzt ein einsamer Soldat auf Wache. Vor uns verengt es sich,
Castelnuovo taucht aus dem Regen. Die großen Wellen verschlagen sich,
sie können nicht mehr nach. Der stille weite See der glatten Bocche
nimmt uns auf.

[Illustration: _Ragusa, Rektorenpalast_]

Uralte Mauern. In die Wogen hinein stand das Castello di mare, im Lande
drin das Castello di terra. Dazwischen sind, in Gärten, jetzt die
Häuser der hellen Stadt. Und hinten oben noch vier Türme; das ist das
Fort spagnol. Jede Vergangenheit hat hier gehaust, jede hat ihr Zeichen
gelassen. Venezianer, Spanier, Türken, wieder Venezianer, Malteser,
bis dann wir gekommen sind. Und vor achtunddreißig Jahren fuhr ein
vergessener österreichischer Dichter hier vorbei, mein Alexander von
Warsberg, sah dies mit ahnungsvollen Augen an und schrieb, jener alten
Abenteuer eingedenk, in sein Buch: »Man kann diese Schicksale nicht
bedenken und das Schloß nicht sehen, ohne sich zu sagen, daß diesem
Erdenflecke noch manches Ähnliche bevorstehe.«

Wir fahren, an Savina vorbei, einem uralten Kloster, das jetzt eine Art
von serbischem Ober Sankt Veit ist, die Sommerresidenz des orthodoxen
Bischofs von Cattaro, durch die Enge von Kombur in die behaglich
ausgedehnte Bai von Tivat. Schon zeigt sich der Lovcen, der Berg von
Montenegro. Vor uns aber sieht eine große Straße her, die sich langsam
in die Berge windet, oben von zwei Forts bewacht, das ist der Weg in die
Krivosije, zu den wilden Hirten mit den Opanken, den kurzen Hosen und
dem braunen Tuch über dem rauhen Hemd, die, der Tracht und dem Sinn
nach, unsere Schotten sind. Und, an Perasto vorüber, wo man sich,
vor dem schlanken Campanile und gebräunten, in Verfall prunkenden
Palästen, wirklich im Canal grande glaubt, sind wir in den Golf von
Cattaro gelangt. Immer enger wird der See, immer häuslicher das Ufer,
mit Dörfern überall, an grünen Höhen, vor uns aber droht die steile
Wüste des montenegrinischen Gebirgs, mit dem verwegen in steilen Zacken
zum Schnee klimmenden Weg.

Während wir landen, drängen sich die Träger heulend auf dem Kai,
wie Räuber. Ich winke dem, der es am wildesten treibt. Er schreit
wutentbrannt, schlägt sich in einem fort mit der Faust an die Brust,
wie Alexander Strakosch, wenn er die Goneril verflucht, und springt
kreischend, indem er zuweilen plötzlich den Zeigefinger spreizt, mit
ihm auf das Schiff zielt und ihn dann in sein Herz stößt. Als er aber
mein Zeichen erblickt hat, ist er sofort ganz still, läßt mich mit
seinen guten braunen Augen nicht mehr los und nickt mir, während die
Brücke gelegt wird, immer wieder zu, nur unbesorgt zu sein und Geduld
zu haben. Und schon, bevor ich noch recht begreife, wie er durch das
Gewühl gekommen sein kann, ist er mit einem Katzensprung bei mir, hat
meine Sachen und indem vor seinen Fäusten alles auseinanderstiebt, bin
ich schon mit ihm durchs Tor in die Stadt getreten. Seit er spricht, hat
er gar nichts Wildes mehr, der Räuber ist ein frohes Kind. Ich sage,
daß ich nach Montenegro will, nach Cetinje. Da bleibt er stehen,
schlägt meinen Koffer an seine Brust und sagt, mit einem Freudenschrei:
Ich bin aus Cetinje! Lachend sagt er das und sein Gesicht glänzt.
Dreimal wiederholt er es: Ich bin aus Cetinje! Und dabei zeigt er immer
nach den Bergen hin, in seiner Hand meinen Koffer reckend, empor zu den
wilden Steinen. Jetzt sind wir die besten Freunde. Er erzählt mir von
seinem Bruder, der Kutscher bei der Post nach Cetinje ist; er wird mich
ihm empfehlen. Und dann stellt er sich mir vor und nennt sich: Milo
Milosevič aus Cetinje! Er könnte nicht feierlicher sagen: Josef Kainz!

Er führt mich in einen schmierigen Raum, wo ein österreichisches
Subjekt in Flöhen, mit irgendeiner Uniform, nach der es mir ein
Finanzer scheint, meinen Paß verlangt. Und der genügt ihm noch nicht,
sondern es versucht, mich auszufragen. Ich erinnere mich aber noch im
rechten Augenblick, daß unser Otto Lecher immer sagt: In Östreich
hilft nur schreien! Und ich schreie. Und siehe, der Otto Lecher hat
immer recht, es hilft auch hier, der Flohmensch wird höflich. Weil
doch in Österreich eine Amtsperson nie weiß, ob der Untertan nicht
vielleicht einen Hofrat zum Onkel hat, wodurch er ja dann eben aufhört,
ein Untertan zu sein. Danke, lieber Otto Lecher!

Und nun schultert Milo Milosevič meine Koffer wieder, wir eilen zur
Post. Aber die Post geht nicht, der Weg ist verschneit, sie kann nicht
über den Paß. Ich will es gar nicht glauben: Die Post geht nicht,
wirklich nicht? Nein, schon seit drei Tagen nicht! Ich sehe Milo
Milosevič an. Es ist zu hübsch, wie er den Erstaunten spielt.
Sprachlos, wie gelähmt, fassungslos steht er da, schnappt mit Lippen
und Augen und Händen und kanns nicht begreifen. Ich frage: Schon
gestern ist sie nicht gegangen? Er sagt: Nein, gestern nicht! Ich frage:
Und vorgestern auch nicht? Er sagt: Vorgestern auch nicht! Ich: Schon
die ganzen Tage nicht? Er: Schon die ganzen Tage nicht! Plötzlich
aber tritt er ganz dicht an mich heran, zeigt in die Berge, nickt
geheimnisvoll, und als hätte er die größte Entdeckung gemacht, die er
keinem Menschen auf der Welt als mir anvertrauen wollte, sagt er: Weil
nämlich der Paß verschneit ist! Ich muß lachen und frage nur noch:
Und du hast nicht gewußt, daß sie auch heute nicht geht? Er sieht mir
in die Augen und sagt: Man kann nie wissen, Exzellenz! Als ob er der
Bernard Shaw wäre, so rätselhaft schicksalsvoll sagt er das.

Wir haben gerade noch Zeit, das Schiff zu erreichen. Ich will nach
Ragusa zurück, um dort abzuwarten, bis man wieder über den Paß
können wird. In Cattaro mag ich nicht bleiben, als Zivilist muß
man hier zu bescheiden sein. (Ich könnte mich ja freilich von Milo
Milosevič in die besseren Kreise einführen lassen.) So gehen wir
wieder durch die Gäßchen, wo bald ein alter Balkon, bald in einem
verlassenen Hof eine wunderlich barocke Figur Erinnerungen bewahrt, an
dem Uhrturm mit seinem römischen Altar vorbei, durch das Tor, auf dem
der venezianische Löwe unter dem österreichischen Adler sitzt. Vor dem
Schiffe bleibe ich stehen, um meinen Freund feierlich anzusprechen:
Milo Milosevič, was bin ich schuldig? Er antwortet geschwind, gar
nicht feierlich: Drei Kronen! Er sagt es lässig. Wie man eine
selbstverständliche Wahrheit ausspricht. Wie man sagt: Zwei mal zwei
ist vier. Gleichgültig, verächtlich und fast ein bißchen ärgerlich,
von einer solchen Bagatelle zu reden. Aber seine Augen schielen und das
Gesicht wäre bereit, mit sich handeln zu lassen. Ich erwidere, hart:
Nein! Er schrickt zusammen und wiederholt, tief erstaunt fragend: Drei
Kronen, Herr Baron? Und noch einmal klingt sein Staunen klagend in
den stillen Regen: Herr Baron? Ich wiederhole: Nein! Er sieht mich mit
seinen braunen Augen schwermütig an, läßt den Koffer von der Schulter
fallen und setzt sich darauf. Da sitzt er jetzt vor mir, stumm in seinem
Schicksal. Er bleibt aber nicht stumm, sondern mit einer unbeschreiblich
rapiden Beredsamkeit erzählt er mir sein Leben; und wie heuer gar keine
Fremden kommen und Krieg droht und Not ist. Und immer wieder fragt er
mich, klagend: Herr Baron? Ich gehe zur Brücke. Er nimmt wieder meinen
Koffer und kommt mir gehorsam nach. Er tippt mich auf die Schulter und
schlägt mir vor, ihm bloß zwei Kronen zu zahlen, aber noch eine zu
schenken, weil er ja mein Freund ist, amico. Ich drehe mich um und sage
wieder: Nein! Er sticht mit dem Finger in sein Herz und sagt: Amico. Ich
sage: Nein, es geht wirklich nicht, drei Kronen, nein! Er wiederholt,
klagend: Herr Baron, drei Kronen? Ich wiederhole: Drei Kronen, nein, es
geht nicht, drei Kronen ist zu wenig! Er duckt sich und steht horchend,
die braunen Augen fallen zu. Ich sage noch einmal: Drei Kronen, nein!
Er steht, wie wenn ein Erdbeben gewesen wäre. Und ich sage noch, mit
meinem bösesten Gesicht und wie man ein letztes Angebot macht: Vier
Kronen, meinetwegen! Milo Milosevič spricht kein Wort. Ich überreiche
ihm fünf Kronen und sage, zornig: Und jetzt marsch, va via! Da fängt
er, in jeder Hand einen meiner Koffer, auf der Brücke zu tanzen an und
dreht sich rund herum und lacht. Ich bin schon auf dem Schiff, er tritt
zu mir und streichelt leise meinen Arm und lacht. Und lachend sagt
er nur immer: Herr Graf, Herr Graf! Plötzlich aber zeigt er, mit den
Händen ausstoßend, zu den wilden Bergen hinauf und sagt: Ich bin aus
Cetinje! Als ob er mir sagen wollte: Du hast recht getan, du hast mich
erkannt, ich bin einer, der es verdient! Und er zwingt mich, mir seinen
Namen aufzuschreiben, er buchstabiert mir ihn vor, und ich soll nie
vergessen, daß ich jetzt einen Freund in Cattaro habe! Ganz still geht
er dann ans Land zurück und steht dort noch und seine Augen bleiben
noch die ganze Zeit bei mir.

Ich bin oben, beim Kapitän, der Abfahrt zuzusehen. Einer unserer
Matrosen fällt mir auf, der noch auf dem Kai steht, bei einer armen
alten Frau und einem armen alten Mann. Er hält ihre Hände, lacht sie
an und küßt sie ab, bald den Mann und bald die Frau. Der Kapitän
sagt: »Der kann sich wieder nicht trennen! Das ist die einzige Freude,
die er hat, diese Stunde in Cattaro, zweimal die Woche. Da warten sein
Vater und seine Mutter auf ihn und er bringt ihnen seinen Lohn mit!«

Seinen letzten Schrei stößt das Schiff aus, der Matrose reißt sich
los, die Brücke fällt. Langsam wälzt es sich zurück und wendet sich
langsam, stoßend und stöhnend. Seltsam ist es, wie die Bestie von
Schiff anfangs immer nicht gehorchen will und sich zu wehren scheint.
Und oben steht der Kapitän, nur ein kleiner schwarzer Punkt; und der
kleine schwarze Punkt bändigt das ungeheure Tier. Oder eigentlich nicht
der kleine schwarze Punkt, nicht der Kapitän, sondern Menschen an der
Maschine, von denen wir gar nichts sehen und nur manchmal einer aus der
Tiefe steigt, um seinen Eltern den Lohn zu bringen und ihre alten Hände
zu küssen, zweimal die Woche.

Während wir kreisen, steht immer noch mein neuer Freund am Ufer, und
seine guten braunen Augen sind bei mir, und manchmal ruft er, auf sich
zeigend: Milo Milosevič! Und dann sticht er seinen Finger in das Herz
und ruft: Amico! Ich zweifle nicht. Um eine Krone kann man hier wirklich
einen Freund haben. Bei uns kostet es mehr. Und dann weiß man doch erst
nicht.

Wir sind, kreisend, fast bis zum anderen Ufer gelangt, dort blicken wir
zurück, und nun tut sich erst die ganze Macht der felsigen Öden
über der Stadt auf. Wie mich diese Straße lockt, die Straße nach den
schwarzen Bergen! Wie's mich zu diesen Menschen zieht, den Menschen in
den schwarzen Bergen! Ich kenne nur wenige. In Ragusa war ich einmal mit
einigen zusammen. Ich kann kaum sagen, was sie mir so lieb macht. Ich
muß immer an die Welt des Wilhelm Tell denken. Oder auch an die Tiroler
von 1809. Wenn Reinhardt einmal den Cymbelin machen wird, muß er her:
hier sind Guiderius und Arviragus auf allen Wegen. Wenn Belarius den
Jungen schildert:

  -- Sitz' ich auf meinem Schemel und erzähle
  Von Kampf und Sieg, gleich fliegt sein Feuergeist
  Mir in die Rede... da strömt
  Sein fürstlich Blut ihm in die Wang', er schwitzt,
  Spannt jeden jungen Nerv, spielt in Geberden
  Die Worte nach --,

das ist mir wirklich immer wie ein montenegrinisches Porträt, so sind
sie hier, so flammen sie von tapferen Worten auf! Und indessen haut
in Mariahilf bei der Birn, zur Zehnerjausen, der dicke Selcher auf den
Tisch und brüllt, schwitzend von kriegerischem Furor: Der verfluchte
Serb hat ja ka Kultur!

Vielleicht wird es notwendig sein, dieser Nation jetzt unsere Waffen zu
zeigen. Wir sind bereit. Es geht mir aber nicht ein, warum wir dazu den
Feind erst schmähen, verleumden und schlecht machen sollen. In allen
Reden des Perikles gegen die Lakedämonier ist kein häßliches Wort
über sie. Nicht sie zu höhnen, sondern sein eigenes Volk zu befestigen
war sein Sinn. Denn, hat er gesagt, ich fürchte weit mehr unsere
eigenen Fehler als die Pläne der Gegner. -- Übrigens macht es ja
der einzelne bei uns nicht anders. Keiner scheint fähig, ruhig
seinen Willen zu behaupten, sondern jeder scheint dazu vor sich selbst
gleichsam erst einer moralischen Entschuldigung zu bedürfen, der Gegner
muß immer ein schlechter Kerl sein und die Lust am Gegner, den doch
jeder braucht, um so sich selbst erst zu bejahen und erfüllen, ist hier
unbekannt.

[Illustration: _Ragusa, Rektorenpalast_]

Ich tröste mich mit Warsberg. Der hat auch die Schönheit dieser
Menschen gefühlt, die rauh und doch von der höchsten Anmut sind. Und
er hat sie mit seiner unvergleichlichen stillen Kraft dargestellt: »Es
ist, wenn man, wie ich, an einem Nachmittage den Zickzacksteig nach
Montenegro hinaufklimmt und also die Sonne im Rücken, aber auf den
Gesichtern der von oben herabsteigenden und glutvoll beschienenen
Gestalten hat, als sei irgendeines unserer europäischen Museen
lebendig geworden und alle die Statuen des Vatikans oder Louvre von dort
flüchtig hierher ausgewandert, und als hätten sie sich nur etwas
mehr bekleidet, vielleicht der Flucht wegen nur verkleidet oder wärmer
angetan, und die Männer mehr bebartet um des rauhen Klima willen und
der steinigen Pfade wegen. Nirgends kann man einen Begriff bekommen
wie hier von dem, was lebendige Schönheit des Altertums gewesen sein
müsse. Man lebt in Montenegro förmlich die Zeiten des Homeros und
Phidias wieder, wenigstens was die Menschen betrifft und wie sie unsere
Phantasie uns glauben läßt. Ich sah die Steine und Öde kaum und das
ganze großartige Traurige und Tote der dortigen Landschaft vor diesen
aus dem weißen Marmor zum warmen und bunten Leben erweckten antiken
Statuenbildern. Und weil es hoch ist und feine Lüfte dort wehen, ich
auch nur so kurz blieb, daß nichts der anderen Realität mich derb
anfassen konnte, glaubte ich mich unter Göttern wandelnd.«

Aber wer kennt dies Buch? Wer unter uns kennt Warsberg noch? Wir
schwärmen für Walter Pater, aber daß wir einen hatten, der seines
Geistes auf unsere Art war, weiß keiner. In Österreich wird der
Lebende nicht angehört, der Tote wird vergessen. Wir leben und sterben
inkognito. Und so steht jede Jugend wieder einsam da und muß, mit
ratloser Sehnsucht, die Welt noch einmal beginnen. Keiner kann keinem
helfen, keiner wirkt, seine Tat sinkt mit jedem ins Grab, und wir
bleiben verlassen.

Ich kann es kaum erwarten, in Gravosa zu sein. Denn nun weiß ich, es
kommt wieder diese Fahrt im weißen Regen der blühenden Mandeln, links
der graue Karst mit dem gelben Fort und rechts der schwarze Wald, Agaven
beugen sich, Gärten glühen, unten glänzt das schwellende Meer! Ich
weiß, das wird jetzt wieder sein! Ich weiß, ich werde das jetzt wieder
haben! Und meine Hände strecken sich aus, und mich fiebert vor Ungeduld
und lechzender Erwartung.

Ich muß rennen, ich muß reden, um mir nur die Zeit zu betäuben.
Der Innsbrucker Gemeinderat ist noch da, der fährt gleich wieder nach
Triest zurück, er will nur drei Tage seine Nerven einmal von der Stadt
auslüften. Ich hänge mich an ihn, mit Reden und Fragen, um mich nur
über die Zeit zu betrügen, bis ich wieder auf dem weißen Weg sein
werde, zwischen den fahlen Felsen und dem grün an sanften Höhen
hängenden Hain! Es ist ein redlicher, verständiger, städtischer
Mann, und ich höre gern zu, wie sich seine Heimat jetzt aus dem Kleinen
überall ins Weite regt. Jede Sorge, die draußen in der Welt die
Menschen bewegt, schlägt auch ins Wesen seiner geschäftigen Stadt
herein, wenn manche auch freilich, bis sie dort ankommt, zuweilen ein
recht wunderliches Aussehen hat, und es macht mir Spaß, anzuhören,
wie rasch Gedanken heute wandern; von Berlin nach Innsbruck ist es jetzt
geistig gar nicht mehr so weit. Ich kann nur an diesen Menschen die
Furcht um ihr Deutschtum nie verstehen. Der brave Mann hier, der sogar
über die Sozialdemokraten vernünftig spricht, macht auch auf
einmal ein erschrecktes Gesicht, indem er sagt: Ja, wenn nur aber die
Sozialdemokraten national verläßlich wären! Ich frage: Was soll denn
dem Deutschtum der deutschen Stadt Innsbruck geschehen? Er aber, mit
finsteren Augenbraunen: Es besteht doch die nationale Gefahr! Ich: Wo,
wie, wann? Da kommt's heraus, daß auch dieser ruhige Bürger gleich in
Angst gerät, wenn auf der Gasse italienisch gesprochen wird. Sind wir
wirklich so schwach? Ist wirklich das Deutschtum gleich bedroht, wenn
unsere Kinder eine fremde Sprache hören? Trauen wir unserer eigenen
Kraft so wenig zu? Und geht es denn immer bloß um die Sprache, geht
es nicht vielmehr um den deutschen Sinn und unsere alte deutsche
Stammesart? Ist es nicht wichtiger, diese südlichen und östlichen
Völker einzuhauchen? Lassen wir doch in der weiten Welt die deutsche
Seele für uns werben! In welcher Sprache sie dann wirkt, was kümmerts
uns, wenn nur deutsches Wesen obenan in der Menschheit steht!

Endlich sind wir in Gravosa, endlich bin ich im Wagen. Und ich weiß:
jetzt kommts, gleich werden wir jetzt auf der Höhe sein, links der
kahle Berg und rechts der dunkle Wald und unter den nackten Agaven die
gäschende Flut, gleich wird es wieder sein, gleich wird der Traum zur
Wirklichkeit, und Frühling wird sein, denn hier ist immer Frühling,
und ich werde mitten im Frühling sein, während aus glühenden Gärten
die weißen Mandeln winken! Wie langsam sind meiner Ungeduld die
gemächlichen Gäule! Ich kann es nicht mehr erwarten! Ewigkeit wird's
mir, bis wir, an der gelben Kaserne mit den exerzierenden Soldaten
vorbei, doch endlich, endlich, endlich auf der Höhe sind! Auf der
Höhe, zwischen dem grellen Berg und dem dunklen Wald, über dem
glitzernden Meer! Und ich kanns noch immer gar nicht glauben, daß ich
das jetzt wieder haben soll! Aber da ist es, alles ist noch da, Berg
und Wald und Meer und die schiefen Agaven über dem Abgrund und in den
Gärten die schimmernden Mandeln und der ganze Frühling! Ich aber sitze
ganz still und kann es nicht begreifen. Und ich sage mir die ganze Zeit:
Was hast du denn, sei nicht so dumm, du hast es doch gewußt, warum
denn heulen, du hast es doch gewußt! Aber nein, nein, ich habe nichts
gewußt! Alles ist noch, wie es damals war, und doch ist mir alles, als
wär's zum erstenmal!

Nun bin ich wieder auf dem Platz vor der Porta Pile, unter den Platanen
und Maulbeerbäumen. Über den Häusern links droht, ganz oben, aus dem
grauen, karg angegrünten Stein des Monte Sergio das breite, gelblich
weiße Fort Imperial. Vor mir die Stadtmauer, nordwärts ansteigend
zum Mincetaturm, während sie sich südwärts zur Seebastion Bokar auf
jähen Klippen senkt. Bald ist sie ganz regengrau, bald von weißlichen
Schimmern, hier rostig gefleckt, dort schwarz genäßt, mit gelben
Heiligen in verwetterten Nischen; und aus dem wuchernden Graben ragen
silbrige Pappeln, grüne Kiefern und dunkler Lorbeer auf. Von der
Terrasse zwischen der Scuola Nautica und dem kleinen Café all' arciduca
Federigo sieht man ins Meer hinab. Links die Mauer und die Bastion
Bokar, rechts auf steilem Riff das Fort Lorenzo und in der Bucht noch
ein ganz enger jäher Fels und daneben eine breite niedrige Bank; und
über alle diese grauen und gelben und braunen Zinken und Zacken und
Zulpen wirft sich das brandende, brausende, brodelnde Meer her.

Über die Brücke, durchs Tor in der Mauer. Man tritt in einen Zwinger,
der sich, unter steilen Wänden, im leichten Bogen zu einem zweiten
Tor senkt. Seltsam wirken die schwarzgelben Türen in dieser großen
heroischen Impression; und seltsam ist es, wenn das Meer brüllt und
plötzlich ein Trompeter ein Signal bläst. Nun aber, aus dem zweiten
Tor tretend, hemmt man vor Entzücken den Schritt und steht und schaut:
eine gerade, mäßig breite, trotzige Straße von stämmigen, wehrhaften
und entschlossenen Häusern; und jedes dieser bräunlich glänzenden,
gelb gescheckten, aus Steinwürfeln gefügten, streitbaren und
bewaffneten Häuser steht hoffärtig für sich allein, jedes etwa drei
Schritte vom nächsten weg, so daß überall enge Gassen entstehen, die
sich dann, links und rechts, über Stiegen, den Berg hinauf fortsetzen.
Das ist, von der Porta Pile zur Porta Ploce, Ragusas große Straße: der
Stradone. Kein Trottoir. Mit großen Platten gepflastert. Man hat das
Gefühl, durch einen langen schmalen Saal zu schreiten. Und irgendwie
muß man immer an den Markusplatz denken. Ein enger, bedrängter
Markusplatz scheints. Ein Gefahren abgerungener Markusplatz, der immer
noch die Waffen in der Hand hält. Tanzsaal und Fechtsaal zugleich. So
festlich als kriegerisch bereit. Das Leben jauchzt, aber an jeder Ecke
steht der Tod.

Die Häuser sind niedrig. Anderthalb Stöcke. Unten meist vier runde
Bogen mit Gewölben; darüber vier Fenster mit weiß oder grün
gestrichenen Jalousien; und die Fenster im nächsten Stock sind kaum ein
Drittel so groß. Alles sehr alt; aber ganz jung geblieben. Alles hell
und rein. Alles froh und stark. Mit verbundenen Augen in diese Straße
geführt, müßte man noch ihren Glanz fühlen. Und ein Fremder, hier
aus einem verschlagenen Ballon gefallen, fragte sicher: In welcher
Republik, bitte, bin ich hier?

Und unerklärlich bleibt mir, warum man sich denn hier immer in einer
großen Stadt glaubt! Die steilen Gäßchen, links und rechts, den Berg
hinauf und südwärts, sind in ihrer Enge, mit den bunten Fetzen, aus
irgendeinem italienischen Dorf. Aber auf dem Stradone fühlt man sich in
einer großen Stadt. Hier weht die Luft der weiten Welt herein. So
stark ist die Vergangenheit hier hängen geblieben, daß man immer
noch überall den Hauch der Geschichte spürt; und griechische und
byzantinische und venezianische Herrlichkeit spricht mit königlichen
Stimmen aus allen Steinen. Nach den Bergen und über das Meer hat diese
Stadt einst ihre Waren in die weite Welt geschickt, der fünfte Karl
war ihr so gnädig als Cromwell, der Pabst gab ihr seine Gunst wie der
Sultan. Dies alles ist verweht, aber die Stadt Ragusa steht.

Heute ist die Republik Ragusa eine von den dreizehn
Bezirkshauptmannschaften Dalmatiens, dem k. k. Statthalter in Zara
untertan, mit einem Kreisgericht, einem Bezirksgericht und einer
Finanzbezirksdirektion. Einst hatte die Stadt vierzigtausend Bewohner,
jetzt hat sie, mit den Vorstädten, kaum achttausend. Aber es sind die
alten Ragusäer, und ihre Geschichte lebt.

[Illustration: _Ragusa, Rektorenpalast_]

Und ich stehe noch immer, im zweiten Tor, und schaue nur, den Stradone
hin, und schaue. Dann aber sagt es plötzlich in mir: Siehst du, in der
Getreidegasse, wenn das zittrige Glockenspiel herüberklingt, und in den
bunten Goldmacherhäuseln des Hradschin und vor dem Tuchhaus in Krakau,
wo der Mickiewicz steht, und auf dem Platz in Trient, wo der Dante seine
Hand zum Norden hebt, und in Bozen auf dem Platz des Vogelweiders und
hier im Abglanz der Komnenen fühlst du dich zu Haus, dies alles ist
dein Heim, dies alles zusammen erst bist du, siehst du jetzt, was ein
Österreicher ist? Und ich stehe noch immer im zweiten Tor, über den
Stradone schauend, die kleinen, festen, breiten Burgen entlang, und
uralte Zeit ergreift mich im Sonnenschein, und ich bin froh.

       *       *       *       *       *

Warsberg ist auch einst hier gestanden. Da hat er sich einen
Geschichtsschreiber der glorreichen Stadt gewünscht. »Die Stadt,
schrieb er, erscheint wie der Siegelabdruck ihrer Geschichte. So ganz
die Vergangenheit verratend stellt sich vielleicht nur noch Venedig dar.
Wie dort, hatte sich auch hier nichts neues beigemischt, und man sieht
ein treues Bild dessen, was ehemals war. Eben deshalb, weil man immer
wahre und zeitgemäße Bilder zur Illustration des Erzählten zur Hand
hätte und dieses also beinahe ganz aus dem noch vorhandenen Leben
selbst schöpfen könnte, dünkt mir die Geschichte Ragusas zu schreiben
eine der bestechendsten und interessantesten Aufgaben. Ich meine eine
Geschichte, die Fleisch und Blut, das Leben selbst, eine körperliche
Darstellung, nicht eine langweilige, dunstige, bloße Aufzählung der
Fakten wäre. Solche Monographien, gut geschrieben, sind heute das
Eigentliche, was den Historikern noch erübrigt und daher aufliegt. Sie
haben vor den früher üblichen Weltgeschichten das voraus, daß sie
mehr individuelle Spannung und Teilnahme, einen festen Knochenbau und
auch eine leidenschaftlichere Seele, mehr bunte Färbung und auch mehr
Rücksicht für die Landschaft und den städtischen Hintergrund mit
sich bringen und bedingen. Der Welthistoriker ist mehr Philosoph; der,
welcher eine solche Einzelhistorie versucht, muß Maler und Künstler,
auch Dichter und Romantiker sein. Dabei hätte die Monographie der
Republik Ragusa noch das besondere Interesse, immer das Branden der
Weltgeschichte mithören zu lassen; denn das Schicksal Ragusas war, ganz
wie sein Stadtbild, nicht reich und großmächtig, aber wohlhabend und
ansehnlich, und wie das Meer um seine Flanken liegt, so spülen hier
alle großen Ereignisse unseres Mittelalters an.« Warsbergs Wunsch
ist jetzt erfüllt. Der Graf Vojnovič erzählt die Geschichte seiner
Vaterstadt.

       *       *       *       *       *

Im Gehen fällt mir dann noch ein: dies allein, sich in solchen Extremen
daheim zu fühlen, macht noch nicht den ganzen Österreicher aus,
sondern dazu gehört noch, daß er sich in seinem Land überall immer
mißhandelt und doch sonst nirgends wohl fühlt. Deshalb kann uns auch
»draußen« keiner je verstehen. Was weiß man denn von uns in Europa?
Jetzt reist einer herum, der unsere Landschaften draußen bekannt machen
will. Schön. Aber es sollte dann auch einmal einer reisen, der Europa
mit unserer Menschenart bekannt macht. Warum halten wir sie versteckt?
Warum verstellen wir uns? Warum sind wir alle so bös, wenn einer sie
verrät?

Abend wird's, der Korso beginnt. Die scharfen, beweglichen, gern ein
wenig spöttischen Mienen eilig äugelnder Italienerinnen, die weichen,
scheuen, gesenkten der zögernden slawischen Mädchen. Männer in weiten
bauschigen Hosen, mit dem Turban, Messer in den breiten blauen oder
tiefgrünen oder roten Binden. Blaue Mäntel, rote Mäntel. Bäuerinnen
mit Kopftüchern, Brusttüchern, Schürzen in allen Farben, möglichst
bunt, möglichst grell. Und dann wieder welche ganz weiß. Priester
unter breiten schwarzen Hüten. Ein bärtiger Pope. Junge Serben mit
sanften braunen Augen. Schlanker Albanesen ungeduldiger Schritt und das
Säbelklirren gravitätisch schlendernder Kadetten. Langsam, zu dritt,
Soldaten im gleichen Schritt, stumm und mit dumpf verwunderten Blicken.

Und dann sitzt man abends in diesem friedlichen Hotel Imperial an der
Table d'hôte. Narzissen duften durch den hellen Saal. Eine alte Dame
mit einem stillen, ganz weißen Gesicht hat Blüten mitgebracht, legt
sie neben sich und streichelt sie. Und ganz glücklich sagt sie: Alles
blüht schon! Ein Wiener gegenüber sagt: No ja, das schon, aber
die Butter müssens aus Schärding bringen lassen, aus Schärding in
Oberösterreich, ich bitt' Sie! Die alte Dame mit dem lieben feinen
Gesicht erschrickt und sieht die weißen Blüten ganz ängstlich an,
als wären sie schuld. Und rings am Tisch verstummen alle. Die Narzissen
duften, das Licht glänzt an den Gläsern. Bis plötzlich eine junge
Stimme schmetternd sagt: Wollen Sie wetten, daß in acht Tagen Krieg
ist? Alle horchen auf und sehen hin, die Nachbarin des schmetternden
Leutnants wird verlegen, er aber lacht und noch einmal schallt's über
den Tisch: In acht Tagen ist Krieg! An einem Tischchen in der Ecke sitzt
ein hagerer Herr im Frack, mit einem kahlen zerknitterten gelben Gesicht
und einer exotischen, sehr geschmückten Dame. Jetzt sehen sie her,
horchend; dann sehen sie sich an und lächeln. Der schmetternde Held
aber, der spürt, daß ihm jetzt alle zuhören, hebt sein Glas zur
errötenden Nachbarin und wieder hallt der stille Saal von Krieg.

Mich verdrießt das gelbe Gesicht des Fremden. Ich kann mir denken,
was er sich denkt. Ich stelle mir vor, was ich im Ausland über einen
Offizier dächte, der an der Table d'hôte den Krieg erklärt.

Ich weiß, daß in den letzten Jahren wahre Wunder in unserem Heer
geschehen sind. Auch wer kein Militarist ist, darf die großen Schöpfer
und Ordner unserer neuen Armee bewundern. Nirgends in Österreich ist
mehr Arbeit geleistet worden, nirgends mit reinerem Sinn. Aber ich kann
nicht aufstehen, um dem gelben Fremden in sein höhnisches Gesicht zu
sagen: Lachen Sie nicht, wir haben die besten Generäle! Denn ich wäre
stumm, wenn er mir antwortet: Sehr angenehm, aber warum erziehen sie
dann ihre kleinen Leutnants nicht besser? Es hat mir den ganzen Abend
verdorben.



6.


Der schönste Tag. Kalt und klar. Jetzt ist's wieder die gelbe Stadt am
blauen Meer.

In den Gassen gebummelt, in Kirchen und Palästen. Dazwischen ein paar
Besuche gemacht. So mit einem Bein in der Vergangenheit, mit dem anderen
in der Zukunft. Denn das ist das Merkwürdige hier: es gibt keine
Gegenwart! Überall steht groß: Es war einmal! Und in den Menschen
treibts stark: Es wird einst wieder sein! In Erinnerung und in Erwartung
leben sie hier. Von gestern auf morgen. Aber kein Heute haben sie. Eine
tote Stadt, mit einer ungeborenen Stadt im Schoß.

Im Kreuzgang der Franziskaner. Man sieht auf eine wunderbar heitere
Terrasse, über die der alte Campanile ragt. Die dünnen Säulchen, das
lieblichste Maßwerk! Eine Statue des heiligen Franziskus in der
Mitte des stillen Hofs, ein Bäumchen in der Ecke, mit Orangen schwer
behangen, und blühende Rosen, gelb und rot. Ein junger Frater, mit
lachenden Augen und blühenden Wangen, stark und derb, schlurft lässig
auf und ab, in der Sonne. Vögel schreien. Und der unwahrscheinlich blau
knallende Himmel.

Durch die Klausur, auf enger Stiege den Berg hinan, kommt man noch in
einen zweiten Hof. Ganz klein, ganz still. Ein alter Brunnen unter einem
Dach, Bäume, der Gang, die Mauern, eine Sonnenuhr, der Himmel. Und
alles wie versunken, wie verstorben. Kein Laut, kein Hauch. Hier sind
die Vögel still und der Wind verstummt. Nur die liebe Sonne scheint
unverschämt herein.

Auch die Dominikaner, vor der Porta Ploce, haben einen wunderschönen
Klosterhof. In ihrer Kirche wird ein Tizian und ein Vasari gezeigt,
und der Mönch, der mich führt, ist besonders stolz auf einen Nicolo
Ragusano. Mir geht's wie vor dem Tizian und dem Rafael im Dom (die wohl
übrigens beide bloße Kopien sind): ich erschrecke fast, wie mir mit
den Jahren alle Fähigkeit, mich in tote Bilder einzufühlen, entkommen
ist; nur mein Verstand schaut sie noch an.

Aber vor dem Palast der Rektoren und vor der Dogana könnte ich tagelang
stehen. Die haben das ewige Leben. Hier ist der unsterbliche Sinn eines
großen Geschlechts aufbewahrt.

Man vergleicht sie gern mit dem Dogenpalast. Ich finde sie ganz anders.
Sie sind gar nicht kokett, sie wollen nicht gefallen, sie schmeicheln
nicht, sondern in ihrer festen Schönheit stehen sie da, kriegerisch zur
Welt hin, um ihr einmal zu zeigen, was das Rechte ist; und die Lust, so
zu sein, wie sie sind, lacht aus ihren stolzen Augen. Und ich erkenne
hier wieder, daß die Menschheit in zwei Rassen geschieden ist: eine,
die sein muß, was sie ist, die sich gar nicht denken kann, anders zu
sein, die nichts braucht, weil sie alles an sich selbst hat, und so
lange sie sich hat, weder Wunsch noch Furcht kennt, die Rasse der
sicheren einsamen unschuldigen Heiden, die keine Gerechtigkeit kennen
in ihrem starken Gewissen, Luft und Raum um sich fordern, keine Nähe
vertragen; und eine der immer Fragenden, ewig an sich Zweifelnden,
niemals Gewissen, die sich schämen, so zu sein, wie sie sind, die sich
wünschen, anders zu sein, als sie sind, die sich fürchten, so zu sein,
wie sie sind, die jeden bewundern, der anders ist, die jeden beneiden,
der anders ist, die schmeicheln, die für sich um Verzeihung bitten,
die gefallen möchten, die Rasse der aus Scham Anmutigen, aus Angst
Mitleidigen, aus Neid Reuigen, der Suchenden und Irrenden, der an
sich selber kranken, schlecht träumenden, vor sich selber flüchtigen
Sünder. Und zwischen diesen beiden Rassen, zwischen den Menschen,
denen in ihrem eigenen Wesen wohl ist, und den Menschen, denen vor ihrem
eigenen Wesen bang ist, kann niemals Friede sein. Der Spaß aber ist
nun, daß jedes Zeichen, das die erste von sich gibt, immer von der
zweiten gleich ergriffen und als Maske vorgebunden wird.

Und ich frage mich in einem fort: Ist der Palast der Rektoren gelb, oder
ist er braun, oder ist er grau? Mit einem Glanz unsagbarer Farben hat
die Zeit den alten Stein überzogen. Abgelegene Spitzen, wie sie auf den
Inseln hier noch in Klöstern bewahrt werden, lang verborgenes Pergament
und in uralten Truhen erblaßte Meßgewänder haben manchmal dieses
Leuchten von verschossenem Gold. Fünf große Säulen, mit fünf
üppigen Kapitälen; und jedes ist anders, als hätte jedes allein den
ganzen Reichtum der Welt für sich ausgeschöpft! Denn Größe hat das,
daß sie sich verschwenden kann, ohne Furcht, sich zu verlieren. Uns
schwindelt in dieser Fülle wuchernder, schwelgender, strotzender
Details, aber man tritt zwei Schritte weg, und die reinste Heiterkeit
nimmt alles in sich auf. Denn alles dient hier, und ein einziger großer
Wille spielt damit.

Auf diesen steinernen Bänken saßen die Senatoren. Hier saß der
Rektor, der, immer für einen Monat nur erwählt, in dieser Zeit den
Palast nicht verlassen durfte, der Gefangene seiner Macht. Bis dann,
1806, die Franzosen vor der Stadt standen, da blies die Marseillaise das
alte Gesetz hinweg, es zerbrach; diesen großen Moment, in dem sich alle
Vergangenheit noch einmal versammelt, aber aus der Sehnsucht der Armen
schon die Zukunft aufspringt, hat Ivo Vojnovič in seiner Ragusäischen
Trilogie mit der höchsten Leidenschaft, sein Bruder Lujo im ersten
Bande seines Pad Dubrovnika mit einer nicht weniger künstlerischen
Gelehrsamkeit dargestellt. (Der Fall Ragusas. Von Dr. Lujo Knez
Vojnovic. Erster Band: 1797-1806. Zweiter Band: 1807-1815. Agram,
Verlag der Aktien-Typographie, 1908. Ein solches Werk über Toledo wäre
längst ins Deutsche übersetzt.)

Der Palast, 1388 aufgebaut, 1435 abgebrannt, kaum erneut 1462 wieder und
nochmals 1483 durch Feuer zerstört, hat diese Gestalt seit vierhundert
Jahren. Die Dogana ist jünger. Und alles an ihr ist jung. Überall hat
sie Jugend. Wäre das Problem gestellt: Drücke durch ein Gebäude das
Wort Jung aus, es ließe sich nicht besser lösen. Allen festen Trotz
und die lachende Verwegenheit und das arglose Glück der Jugend hat
sie. Sie ist doch aus Jugend entstanden! Damals als in Europa rings das
Erwachen der Menschheit geschah. Und man hat das Gefühl: so lange sie
hier steht, kann in dieser alten Stadt die Jugend nicht erlöschen, so
lange wird die Stadt immer wieder jung sein.

Die Dogana sieht, mit ihrer heiteren Loggia und den kleinen gotischen
Fenstern unter dem skurilen heiligen Blasius in seiner anmutig
umschlossenen Nische, ganz venezianisch aus. Die Jugend aber, von der
sie glänzt, war eine slawische. Die Dogana ist 1520 vollendet und
1521 erschien die Judita des Spalatiners Marko Marulič, des Vaters
der kroatischen Literatur. Der war, noch ganz lateinisch erzogen,
ein strenger Gelehrter, der sich aber gelegentlich schon in heiteren
Gedichten der heimischen Sprache gefiel. Und nun bekam auch hier die
Jugend überall Mut. Wie jetzt die jungen Tschechen sich auf Europa
stürzen, mit dieser ungeheuren Gier, ihrer Sprache die Gedanken und
Gefühle der westlichen Völker anzueignen, so war damals alle Jugend
hier von einer unbändigen Lust gequält, den ganzen Geist der neuen
Zeit für ihre Stammesart zu erobern. Ihre Muttersprache wurde von ihr
entdeckt. Da scholl es in dieser zierlichen Dogana von wagender Kraft!
Denn unten war die Münze und das Zollamt, oben aber eine Art Klub, in
dem sich die vornehme Welt mit den Schöngeistern traf. Hier saßen auch
die beiden Akademien, die der Concordi und die der Oziosi. Hier klangen
noch die Lieder der ragusäischen Troubadoure nach des Sisko Mencetic
und des Gjore Drzič. Hier bildete sich an Nachahmungen italienischer
Muster eine durchaus nationale Dichtung, lebensvoller als diese,
von einem oft verwegenen Realismus und einer höchst merkwürdigen
gesalzenen Heiterkeit, wovon des Ragusaner Goldschmieds Cubranovič
berühmte Jegjupka und die Schäferspiele des Marin Drzič zeugen.
Bis dann zuletzt der Große kommt, der die Frucht der langen Sehnsucht
pflückt, der Vollender, der Erfüller: Ivan Gundulič. Von ihm ist das
letzte Hirtenspiel, Dubravka, 1628, die Freiheit Ragusas feiernd. Und
dann war es aus.

[Illustration: _Ragusa, San Biagio_]

Auf dem Markt, ein paar Schritte vom Palast der Rektoren, ist sein
Denkmal. (Von dem Bildhauer Rendič; 1893 enthüllt.) Im langen Mantel
steht er da, die Hand mit dem Stift zum Dichten erhoben. Er wird wohl
nicht so feierlich gewesen sein. Auch steht er zu hoch, auf einem
umständlichen Postament mit langwierigen Reliefs. Ich hätte ihn lieber
mitten unter den Menschen, wie der Goldoni in Venedig mitten drin in
seinem Volke zu spazieren scheint.

(Die ragusäische Literatur hat der Grazer Professor Matthias Murko in
der Teubnerischen »Kultur der Gegenwart«, Teil eins, Abteilung
neun, vortrefflich dargestellt. Auch seiner »Geschichte der älteren
südslawischen Literaturen« verdanke ich viel. Sie ist in den
»Literaturen des Ostens«, Leipzig, Amelangs Verlag, erschienen, als
zweiter Teil des fünften Bandes, dessen ersten Teil die ebenfalls sehr
bemerkenswerte Geschichte der tschechischen Literatur von Jan Jakubec
und Arne Novák bildet.)

       *       *       *       *       *

Beim Landtagsabgeordneten Doktor Stefan Knezevič. Ein unendlich feiner
stiller Mensch mit wunderschönen zärtlichen Augen. Er kommt mir sehr
artig entgegen, doch erstaunt. Er scheint sich zu wundern, daß es
da droben in Wien einen Menschen geben könnte, der Interesse, ja gar
vielleicht ein wirkliches Gefühl für das vergessene Dalmatien hat. Es
wird ihm anfangs schwer, sich gleich in einen Wiener zu finden, der kein
Spion ist und nicht Verschwörungen entdecken will. Aber ich habe das
an mir, daß man mir vertrauen muß. Die Menschen fühlen es doch durch,
wenn einmal einer nichts als ein Mensch ist. Sie brauchen nur einige
Zeit, um sich vom ersten Schrecken zu erholen. Bald aber wird er
frei. Still fließt jetzt unser Gespräch dahin. Er hat eine leise
Traurigkeit, die selbst anmutigen und fröhlichen Worten einen dunklen
Ton gibt. Diese Menschen hier sitzen viel allein und sehnen sich ohne
Hoffnung. Ihre große Vergangenheit steht hinter ihnen, die trostlose
Gegenwart ängstigt sie. Wer sich der Väter würdig zeigen will, ist
gleich verdächtig. Die Not ihres Volkes ergreift sie, sie möchten
helfen, aber dies gilt für Hochverrat. Man traut ihnen nicht. Zuerst
sollen sie jetzt einmal beweisen, daß sie Patrioten sind. Sie wollen
es ja sein. Nur möchten sie doch auch leben dürfen. Dies aber will man
ihnen erst gewähren, bis sie bewiesen haben werden, daß sie Patrioten
sind. Inzwischen aber werden sie, weil man doch davon allein nicht
existieren kann, längst verhungert sein.

Knezevič hat in Wien studiert und ist dann, als Lujo Vojnovič
Minister in Montenegro war, dorthin berufen worden, um die Rechtspflege
einzurichten. Dies ist ihm von unserer Regierung verweigert worden. Er
hätte aufhören müssen, ein Österreicher zu sein. Und lieber hat
er verzichtet. Man kann sich denken, wie schwer der junge Mensch, noch
nicht dreißig Jahre alt, einer solchen Gelegenheit, einmal ins Große
zu wirken, entsagt haben mag. Und müßten wir uns nicht vielmehr
wünschen, in Montenegro einen zu haben, der als Student in Wien auf der
Wieden gewohnt hat, der unsere Art kennt, mit dem wir uns verständigen
können? Aber Goluchowski, unter dem auch dies geschah, hatte das
Prinzip, im Großen und im Kleinen, Österreich überall verhaßt
zu machen. Es war das einzige Prinzip, das er hatte. Und es war
erfolgreich, man siehts auf dem Balkan.

Merkwürdig ist es überhaupt von einer Verwaltung, wenn sie, wie hier,
um ihre Pflicht zu tun, immer erst Bedingungen stellt. Der Dalmatiner
sagt: Wir brauchen Straßen, wir brauchen Bahnen, wir brauchen Schulen!
Unsere Verwaltung antwortet ihm: Zeige zuerst, daß du ein Patriot bist!
Notwendigkeiten werden so zu Belohnungen verwendet, die man sich erst
jahrelang verdienen muß. Als ob ein Vater seinem Kinde sagte: Wenn du
heuer brav sein wirst, kriegst du aufs Jahr zu essen! Ganz abgesehen
davon, daß es mir nicht sehr gescheit scheint, einer Bevölkerung
fortwährend den Patriotismus als eine so ganz besondere Kraftleistung
hinzustellen; in anderen Ländern gilt er für selbstverständlich und
darum ist er es auch. Wir haben übrigens diese Politik schon einmal
erprobt: in der Lombardei.

Beim Apotheker Matej Sarič. Ein eifriger, beweglicher, tätiger Mann,
dem die Lust an der Arbeit aus den Augen blitzt. Klein, elegant, klug,
rasch und geschäftig. Überall sieht er in der Stadt Kraft versteckt,
die nur den Ruf erwartet, sich regen und strecken zu dürfen; und im
Handumdrehen baut er mir die Stadt um, hier noch ein Hotel, dort
eine Strandpromenade, und sieht schon überall die Menschen fröhlich
wimmeln! Schön ist der Plan, das Schlachthaus zu fällen und dort einen
Strandweg bis zur Schwimmschule zu führen, um die Wette mit dem in
Abbazia; und am Ende dann, in San Giacomo dort, mit dem Blick zum Meer
und auf das waldige Lakroma, ein großes Hotel. Denn es ist nicht wahr,
beteuert er mir, daß sie keine Fremden wollen, wie man ihnen in Wien
nachsagt; nur von einer künstlichen Fremdenindustrie mögen sie nichts,
die nach den Bedürfnissen der Eingeborenen nicht fragt und sie um allen
Gewinn betrügt, weil sie sie nicht versteht und ihnen nicht traut!
Und wieder die ewige Klage: man versteht uns nicht und will uns nicht
verstehen, weil man uns nicht traut und überall Verschwörungen
wittert, während wir uns wahrhaftig nichts anderes wünschen als ruhig
arbeiten und verdienen zu können! Und sehr amüsant ist es nun, wie
er mir den strebsamen Beamten schildert (er nennt ihn beim Namen), der
eines Tages aus Wien nach Dalmatien kommt, von vornherein entschlossen,
nach Wien zu berichten, was in Wien den größten Eindruck macht, also
Verschwörungen, und der nun dreimal die Woche mit der italienischen,
dreimal mit der serbischen Gefahr und am Sonntag mit der wachsenden
Demokratie droht, um nur, als Retter hochverdient und hochbelobt, ins
Ministerium berufen zu werden: Wir lachen ihn aus, aber in Wien scheint
man ihm zu glauben.

Dieser Sarič war vor ein paar Jahren noch ein leidenschaftlicher
Serbe. Heute gehört er zur serbokroatischen Koalition. Der Unterschied
zwischen Serben und Kroaten scheint erloschen. Vor vier Jahren ging
ich einst mit einem Freunde hier auf dem Stradone. Vor uns zwei große
hochgewachsene junge Leute. Ich sagte: Sehen Sie doch, wie wunderschöne
Menschen diese Serben sind! Da drehte der eine sich um, hielt mir die
geballte Faust ins Gesicht und schrie, voll Wut: Nix Serbe, wir sind
Kroaten, nix Serbe! Heute kann man überall in Dalmatien gefahrlos
sagen, daß Serben und Kroaten bloß zwei verschiedene Namen für
dieselbe Nation sind. Sie sprechen dieselbe Sprache, sie haben dieselbe
Rasse und auch die Religion trennt sie nicht, da es ja doch auch
katholische Serben gibt. Ein braver kroatischer Notar, neben dem ich
neulich im Speisewagen saß, war freilich ganz entsetzt, als ich dies
sagte. Aber auf meine Frage, was denn also der Unterschied zwischen
den Serben und den Kroaten wäre, erklärte er mir: Die Kroaten sind
schwarz-gelb, die Serben aber ungarisch gesinnt! Und konnte nicht
begreifen, daß mir das nicht auszureichen schien, um zwei Nationen zu
statuieren. Man wird wohl dabei bleiben dürfen, daß Serben und
Kroaten von einer und derselben Nation sind, bloß mit verschiedenen
Erlebnissen. Merkwürdig ist nur, daß sie selbst, miteinander und
ineinander lebend, dies so lange verkennen konnten. Und merkwürdig
auch, daß man, ihrer Verständigung nachgehend und die Vermittler
suchend, fast immer zuletzt auf einen Schüler Masaryks stößt. Fast
immer ist es einer, der als junger Mensch einmal nach Prag kam, bei
Masaryk im Kolleg saß und, von ihm aufgeweckt, heimgekehrt überall
die Botschaft der Versöhnung zu verkündigen begann. Schüler Masaryks
haben Serben und Kroaten vereint und richten das zerschlagene Land jetzt
zum Glauben an die Zukunft auf. So stark wirkt der einsame Slowak in
Prag, der eine Mischung von Tolstoi und Walt Whitman, diesen ein Ketzer,
jenen ein Asket und allen ein Schwärmer scheint, in die weite Welt
hinaus.

       *       *       *       *       *

Der Habitus dieser Kroaten ist: weiches dunkles Haar, meist ganz kurz
geschnitten, ein kleiner Schnurrbart, ein gelbes, matt glänzendes
Gesicht, eine schmale gerade Nase mit zuckenden Flügeln, die
mandelförmigen Augen schief unter gesenkten Lidern blinzelnd, ermüdet
und verschlafen, die Stimme weich und klagend.

Und innerlich: von einer unbestimmten Sehnsucht voll und tief im Herzen
beklommen, mit dem einzigen Wunsch, still gehorchen zu dürfen.

Ich muß schon sagen, mir wären diese »Hochverräter« noch viel
sympathischer, hätten sie nicht so stark den Trieb in sich, treue
Diener zu sein. Und so hat vielleicht unsere Verwaltung doch einen
propädeutischen Sinn: der unbekannte Geist, der über den Schicksalen
der Welt sitzt, hat sie vielleicht ins Land geschickt, um diesen
Menschen hier die knechtische Lust am Gehorsam auszutreiben. Und so sei
sie gepriesen!



7.


Nach Lakroma. Man fährt, vom alten Hafen weg, kaum eine halbe Stunde.
Ich habe wieder das Gefühl, im Anblick der Stadt, sie sei nicht von
Menschen erbaut, sondern aus der Erde gewachsen.

Dem Landenden wird ein weißes Kreuz sichtbar, und der Schiffer
erzählt, daß hier einst ein Kriegsschiff explodiert und nur ein
einziger Mann gerettet worden sei, der für ein schweres Verbrechen,
das er verübt, ganz unten in Ketten lag. Die Geschichte höre ich immer
wieder gern, weil sie so moralisch ist. Wie muß sich dieser brave Mann
sein ganzes Leben lang über sein Verbrechen gefreut und es gesegnet
haben!

Hier war schon 1023 ein Kloster. Und diese Benediktiner verstanden es
dann überall, die Händel der Großen für sich auszunützen. Da war
irgendein Zwist eines Königs Radoslav mit seinem Neffen Bodino, und der
Schluß ist, daß der landflüchtige König das Kloster zum Erben macht,
sein böser Neffe aber auch. Die geistliche Kunst besteht darin, sich
so zwischen die Starken und Schwachen zu stellen, daß sie diese zu
schützen, jenen zu drohen scheint, doch aber immer noch im rechten
Moment wenden kann. -- Auch Richard Löwenherz, aus einem Sturm an
diesen Strand gerettet, hat dafür dem lieben Gott viel bezahlen
müssen.

Wie mir diese Namen klingen! Richard Löwenherz, Kaiser Max, Kronprinz
Rudolf. Im wilden Garten sage ich sie mir immer wieder vor. Ich weiß
nicht, was ich eigentlich dabei fühle. Es sind nur Akkorde. Richard
Löwenherz, Kaiser Max, Kronprinz Rudolf. Bis zu einem deutlichen
Gefühl, das ich nennen könnte, wirds nicht klar. Nur wie wenn leise
der Wind über eine Harfe ging, streichen die drei Namen über mich hin.
Richard Löwenherz, Kaiser Max, Kronprinz Rudolf.

In Hietzing steht der Kaiser Max vor der Kirche. Immer wenn ich in die
Stadt muß, fahre ich in der Elektrischen an ihm vorbei. Das Denkmal,
von einem Johann Meixner, der mir sonst unbekannt ist, sagt nichts. Es
stellt irgendeinen sehr österreichischen, gar nicht tragischen Herrn
dar. Wenn man aber hier im Kloster durch seine Zimmer geht, sieht man
ihn; da ist er noch selbst, der Kaiser Max von Mexiko. Sie sind ganz
einfach, aber in jeder Ecke sitzt die Sehnsucht. Und draußen der Garten
und drüben das Meer, in ungeheurer Einsamkeit. Aus den ganz kleinen
Zellen sieht man überall ins Große. Und die Stimmen des Windes,
der zornig in den Eichen haust, der Welle, die stöhnend an den Fels
schlägt, rufen in die tiefe Stille herein.

[Illustration: _Lakroma_]

Ich habe neulich einmal die sieben Bände durchgesehen, die vom Kaiser
Max übrig sind. Reiseskizzen, Aphorismen, Gedichte. Besonders die
Gedichte sind arg. Überall aber spricht ein Mensch, der sich immer
wünscht, Großes und Schönes zu finden; und er glaubt, es müsse
draußen irgendwo sein. Die stolzen Namen seiner Ahnen regen ihn auf,
ihr Enkel zu sein will er sich verdienen, so sucht er ein würdiges
Schicksal. Und rührend ist es, wie er sich immer mit dem Edelsten
umgibt und durch Erinnerung an die Taten oder Werke bedeutender Menschen
sich selbst ihnen zu nähern glaubt. Er war zu groß, Großes aus der
Ferne zu bewundern; er hat daran teilnehmen wollen. Und dazu war er doch
wieder nicht groß genug, er hatte nur den Wunsch nach Größe. Er hatte
nur die Sehnsucht. Und so hat er, ein Schicksal suchend, zuletzt nur ein
Abenteuer gefunden. Das war seine Tragik.

Der Kaiser Max und unsere Kaiserin Elisabeth, diese zwei großen Statuen
der Sehnsucht stehen am Eingang unserer Generation. Wird an unserem
Ausgang eine der Erfüllung stehen?

       *       *       *       *       *

Da ist, unter Eichen und Kiefern, eine Mulde, in die vom Meer
unterirdisch Wasser dringt: das Mare Morto. Ich strecke mich hier hin,
es weht lau, der Stein glüht, unten gluckst es dumpf; und vor mir
nichts als das blaue Meer. Mir wird warm und wohl, es denkt sich hier so
gut.

Nein, das sind keine Verschwörer, dort in der alten Stadt; es sind
keine Verräter. Sie haben keinen Wunsch als gut österreichisch sein
zu können. Aber die Stadt dehnt sich, sie spürt ihre Kraft; und die
Bauern, ringsherum, schicken ihre Söhne nach Amerika, die lernen dort,
wie man heute das Land bestellt, und, heimgekehrt, erzählen sie davon.
Doch die Bildung fehlt und die Maschinen fehlen und Städter und Bauer
erkennen so, daß ihnen überall das Geld fehlt. Woher kriegen wir
Geld? Wir selbst sind zu schwach und Wien hilft uns nicht. Ja wenn
wir stärker wären! Wir sind zu wenige. Wir müssen uns mit anderen
vereinigen. So setzt sich auch hier die wirtschaftliche Not ins
nationale Gefühl um. Wenn die Menschen hungern, sagen sie: das
Vaterland muß größer sein! Die Stadt dehnt sich, der Bauer will
Maschinen, dies wird jetzt in das Wort gepreßt: Trialismus! Warum sind
wir von unseren Brüdern getrennt? Wir Kroaten in Dalmatien und die
Kroaten in Kroatien und Slawonien sind ein Volk, so wollen wir auch
ein Reich sein! Wirtschaftliches Bedürfnis wird so zur politischen
Leidenschaft. Ein habsburgisch gesinnter Staatsmann ließe sich das
nicht entgehen. Er gewänne für Österreich ein Volk und hätte die
ungarischen Rebellen geschlagen.

Nun sagen unsere Staatskünstler freilich: Solange die Menschen hier
hungern, gehorchen sie noch am ehesten, brächten wir aber Geld ins Land
und ließen Bürger und Bauern erstarken, oder würden gar Dalmatien
und Kroatien ein Reich, so fängt sogleich die politische Romantik
auszuschlagen an, ein kräftiges Bürgertum ist nicht zu regieren, davon
haben wir in Böhmen genug, und wenn es sich erst wirtschaftlich und
geistig zu fühlen beginnt, weiß niemand mehr, gegen wen sich die junge
Kraft am Ende noch kehrt, während mit diesen Bettlern hier ein paar
Gendarmen fertig werden, das ist sicherer, Not regiert man noch am
leichtesten, denn wie den Menschen nicht mehr hungert, wird er frech,
glauben Sie mir!

Diese Staatskünstler stecken nämlich noch ganz im alten Österreich,
das seinen Sinn in Deutschland suchte. Seit es aber hinausgeworfen
wurde, hat es nur die Wahl: entweder keinen Sinn mehr zu haben oder sich
jetzt einen neuen zu suchen. Der kann nur auf dem Balkan sein. Jener,
nach Norden und Westen gekehrt, hat es nicht nötig gehabt, sich um das
verlorene Volk dort unten zu kümmern. Dieser braucht es. Denn nur mit
starken Südslawen können wir auf dem Balkan stark sein. In ihrer Kraft
ist unsere Zukunft. Aber unsere Staatskünstler wissen noch immer nicht,
daß wir aus einem deutschen Östreich ein slawisches Westreich geworden
sind. Vor dreiundvierzig Jahren ist das geschehen. Es wäre Zeit, sich
daran zu gewöhnen...

Das Wasser gluckst im Schacht, die Kiefern biegt der Wind, der Stein
glüht. Ich bin unruhig, in einem inneren Halbdunkel, zwischen Denken
und Fühlen. So seltsam klingt es überall, die Seele der Insel scheint
aus dem Schlaf zu reden. Und ich erwarte, jetzt und jetzt eine weiße
Gestalt aus dem Lorbeer treten zu sehen. Wenn noch Götter wären? Die
Götter der Griechen! Götter, die sich zu geliebten Irdischen neigen!
Und immer das leise Singen, auf der ganzen Insel. Und drüben die roten
Rosen. Und draußen das blaue Meer.

Solche Stunden, wenn der Wind weht, das Meer glänzt, die Sonne
glüht, haben die sonderbare Macht, indem sie den Geist zu lichten
oder gleichsam zu schleifen scheinen, daß er hell und schneidend wird,
zugleich einen magischen Kreis um ihn zu ziehen, in dem alles traumhaft
wird. Niemals sind wir bereiter, mit dem Verstande alles zu wagen,
niemals kühner zu logischen Exzessen gestimmt, niemals so gewiß, jedes
Geheimnis auszurechnen, niemals aber auch ahnungsvoller und mehr in
Nacht vertieft. Während unser Verstand dann eine lachende Zuversicht
hat, alle Fragen aufzustören, alle Rätsel abzuwickeln, werden wir
über den Rand des Bewußtseins gedrängt und sind unsicher, was noch
Realität, was schon Halluzination ist. Wirklichkeit erkennen wir für
Wahn, und Wahn nimmt die Gewalt von Wirklichkeiten an. Niemals fühlen
wir uns im Geiste so fest, aber der Boden unter ihm wankt. Wir wissen,
daß wir im Recht sind, aber es könnte sein, daß es das Recht einer
anderen Dimension wäre. Wir fühlen uns ungeheuer wach, aber so
unwahrscheinlich wach, daß wir es bloß zu träumen fürchten. Und
seltsam ist es, wie von dieser geheimnisvollen Erektion des Geistes nun
auch unsere Sinnlichkeit mitgerissen wird. Das sinnlich Aufregende weiß
zerstiebenden Wassers, mit leisen Fingern kitzelnden Windes und des
verwirrenden Geruchs schwellender Blumen wirkt niemals stärker auf uns
als in solchen Stunden der höchsten inneren Klarheit, wenn sich der
Geist vom Körper zu lösen scheint und dieser nur noch einmal zum
Abschied die Hände nach ihm hebt. Dann hat jede Rose das Gesicht
einer Frau, Dryaden nicken nackt aus allen Bäumen und der Boden
dampft überall vom Schweiß der Faune. Indem wir, entrückt, schon
aufzufliegen glauben, hält uns noch einmal der süße Bann der Erde
zurück. In solchen Stunden ist es, als machten wir an uns noch einmal
die ganze Menschheit durch, vom Anbeginn des Urtiers, und ewig weiter,
bis in unbekannte Fernen, vom Faun, der wir gewesen sind, bis zum Gott,
der aus uns werden will. Und einen atemlosen Augenblick lang steht dann
in uns die Ewigkeit versammelt.

Dem Heimkehrenden aber, der, solcher banger Seligkeit entkommen, noch
einmal vom Kahn zu dem magischen Eiland zurückblickt, ist es wieder nur
ein stiller, waldiger, verwilderter Garten...

Im Kahn fällt mir plötzlich ein: Warum setzen wir hier nicht einen
unserer jungen Erzherzoge her? Den Erzherzog Eugen etwa, der sich in
Innsbruck bewährt hat. Er wäre fähig, die Schönheit der Insel
zu genießen, und hätte durch seine frische, leutselige, weltkluge
Sinnesart bald das Zutrauen der Menschen. Sie sind zu oft getäuscht
worden, um uns noch zu glauben. Sie lachen nur, wenn wieder ein Minister
zum hundertstenmal die »Hebung Dalmatiens« verkündigen läßt. Sie
wissen schon, daß es doch immer auf dem Papier bleibt. Aber käme nun,
statt der Botschaft, auf die keiner mehr hört, ein lebendiger Mensch
in ihre Stadt, um unter ihnen zu wohnen, ihre Sitten zu teilen und ihre
Sorgen zu suchen, dies wäre vielleicht ein Zeichen für sie, woran sich
alte Hoffnungen wieder aufrichten könnten. Und er hat es ja nicht
so nötig, sich oben beliebt zu machen. Er müßte nicht immer daran
denken, nur das nach Wien zu berichten, was man in Wien gerade zu hören
wünscht. Er könnte wagen, einmal die Wahrheit zu sagen, ohne gleich
verdächtig zu sein. Abends auf dem Stradone gehend, wie es seine Art
ist, sich gern im Volke zu bewegen, oder ins Land zu den Bauern fahrend,
schon um alte Waffen und ererbten Schmuck zu sehen, die Wünsche der
Bürger hörend, mit diesen schönen Frauen scherzend, Fischern im Boot
lauschend, die Geschichten aus der alten Zeit erzählen, fände
dieser junge, dem Leben offene, wahrhafte Mensch den echten Sinn des
verleumdeten Volkes bald heraus und hätte den Mut, Gerechtigkeit zu
heischen. (Behutsam natürlich, denn wir haben Hofräte im Ministerium,
denen auch ein Erzherzog noch lange kein genügender Patriot ist!)
Und die Familien der alten Ragusäer, die sich jetzt in Einsamkeit
verkriechen und verbittern, legten wieder ihren alten Prunk an, um bei
seinen Festen zu glänzen, und sein froher Sinn, den Künsten
zugetan, riefe die Jugend der Dichter und Maler herbei, die jetzt in
ohnmächtiger Sehnsucht vergeht. Und der Saal, oben in der Dogana,
wäre dann wieder von Freuden und Hoffnungen hell wie damals, in der
unvergessenen Zeit des ersten Erwachens.

Da stößt der Kahn hart ans Ufer und rüttelt mich auf. Ich muß
lachen, denn ich habe plötzlich in mir die Stimme Kolo Mosers gehört.
Der las uns auf dem Semmering so gern eine Predigt des Abraham a Santa
Clara vor, in der jeder Satz mit dem Ausruf schließt: O Narr! Und wie
aus einem Grammophon klingt es mir: O Narr! Und klingt mir noch in einem
fort nach, während ich durch die Stadt gehe, mit seiner vollen, tief
gurrenden Stimme von verhaltener Lustigkeit: O Narr! -- Kolo, was tust
du? Kolo, Professor, Ritter des Franz-Josef-Ordens, was willst du von
mir? Hebe dich hinweg und störe mich nicht in meinen patriotischen
Phantasien!

       *       *       *       *       *

Dreimal die Woche werden die Ragusa besuchenden, im Hotel Imperial
abgefütterten Fremden in eine stoßende stinkende Barkasse gestopft und
nach Cannosa geschleppt; noch drei Nächte lang träumt man dann nur von
Öl. Dort müssen sie aussteigen und werden über steile Stufen in der
Sonne zu der berühmten Platane getrieben; gehorsam geht jeder um
diese herum, die Schritte zählend, um festzustellen, daß es wirklich
fünfundzwanzig sind. Dann nimmt man jedem eine Krone ab und sie dürfen
in den Garten der alten Grafen Gozze. Hier sind Zedern und Lorbeer und
Palmen von seltener Art, und es wäre hier sehr schön. Schon aber wird
der schwitzende Fremde wieder in die stinkende Schale gesteckt. Rote
Rosen winken vom Fels, das blaue Meer glänzt, aber die ganze Welt
riecht hier nach Öl. Einer liest vor, daß die Erinnerungen der Gozze
zurück bis in das zehnte Jahrhundert gehen und wer alles aus dem
kleinen Schloß schon über das Meer geblickt hat, Tegetthoff und Kaiser
Max mit der Charlotte und unser alter Kaiser Franz, und daß die weiße
Straße, die man dort sieht, nach dem Herzog von Ragusa, dem Marschall
Marmont heißt, aber alle rümpfen die Nasen, denn alle diese
feierlichen Namen schwimmen in Öl. Und man hat nach einiger Zeit das
Gefühl, daß es überhaupt nur Öl gibt. Und dann unterhalten sich die
Frauen. Ihr Hauptvergnügen ist, jede will der anderen beweisen, daß
sie noch billiger eingekauft hat. Ein dickes, kommerzienrätliches,
altes Weib, schwer mit Putz behangen, beschreibt, wie man es anstellen
muß, um den armen Händlern auf dem Stradone die Preise zu drücken.
Sie zeigt einen Ring, den sie gekauft hat, und läßt raten, um
wie viel. Es ist nicht der Ring, der ihr Freude macht, sondern das
Hochgefühl, den armen Albanesen übervorteilt zu haben. Ehrfurchtsvoll
wird ihr zugehört.

[Illustration: _Spalato_]

So weit sich in Öl denken läßt, überlege ich, warum wohl diese
Menschen eigentlich reisen mögen. Auf den Schiffen stecken sie die
Köpfe zusammen und erzählen sich Anekdoten. Manchmal nennt einer den
Namen einer Insel, da sehen sie hin und sagen: A! Und schon stecken die
Köpfe wieder beisammen. In den Hotels interessiert sie die Kost,
und sie vergleichen, was man um dasselbe Geld in Wiesbaden, Ischl und
Sorrent zu essen kriegt. Zuweilen lassen sie sich von einem Führer
durch die Stadt treiben, der ihnen ungeduldig Daten zuwirft, die er
aus dem Baedeker hat. Und sie verlassen das Land, ohne jemals mit einem
seiner Bewohner ein Wort gesprochen zu haben. Der Hofrat Burckhard hat
einmal einer Dame von Rom erzählt, da rief sie, den Gatten stupfend:
»Ach ja, Rom! Erinnerst du dich? Da wo uns der liebe weiße Pudel
zugelaufen ist!«

Der reiche Reisende hat für ein Land wirklich bloß einen
wirtschaftlichen Wert. Der arme, der Student, der junge Künstler, der
Lehrer, hat auch einen geistigen. Denn der lernt das Volk kennen und
es ihn. Den hätte Dalmatien nötig. Der könnte dann, heimgekehrt, von
diesem wunderbaren Land erzählen, und von der tiefen Not, in der sein
edles Volk gefangen liegt. Und dies wäre der Tag der Freiheit. Denn
das heutige Dalmatien wird unmöglich sein, sobald man nur einmal davon
weiß.

Ein einziges Mal möchte ich, bloß eine Woche lang, zehn ruhige
rechtliche Männer, Kaufleute, Landesgerichtsräte, Hausbesitzer aus
Krems oder Steyr, durch Dalmatien geleiten!



8.


Wieder nach Cattaro. Doch der Paß ist noch immer verschneit. Keine Post
nach Cetinje. Selbst mein Milo Milosevič kann mir nicht helfen. Also
wieder auf das Schiff zurück. Das ist der rechte Tag, im Sonnenschein
nach Spalato zu fahren, nach der »Stadt in Illyrien«, wo Orsino Herzog
ist, die schöne Gräfin Olivia nach dem verstorbenen Bruder weint und
des Junkers Tobias schmatzendes Gelächter durch die Gassen schallt!
Wunderlich froh macht mich der Gedanke. Und die strahlende Sonne, der
strahlende Schnee, das strahlende Meer! Alles schwebt in linder Lust,
alles lächelt und wiegt sich. Ein leises Klingen ist in der lauen
Luft. Und die weißen Möven, über dem Schiff, im Sonnenschein! In mir
knistert's von Erwartungen. Und es spricht durch meinen Sinn:

  Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,
  Spielt weiter! gebt mir volles Maß!

Die Worte des Herzogs verfolgen mich. Gebt mir volles Maß! Wie das
Merkwort meines Lebens ist mir das immer. Was sich auch mit mir begibt,
mich verlangt nur immer wieder: Spielt weiter, gebt mir volles Maß!
So hielt der Knabe schon die gierigen Hände hinaus, dem Leben alles
abzunehmen, was es zu geben hat. Und immer dann gleich wieder weiter.
Und immer wieder: Spielt weiter! Und immer noch die Qual, daß es noch
immer nicht das volle Maß ist. Gebt mir volles Maß!

Wie so ein menschliches Hirn, einmal erregt, questert und quirlt und aus
einem Eimer in den anderen schöpft! Plötzlich ist ein altes Wort aus
dem Hyperion bei mir: »Meine Seele wallt mir über von mir selbst und
hält im alten Kreise nicht mehr.« Und ein anderes springt an, das ich
neulich erst las, es ist von Roosevelt: »Ich will euch die Lehre
vom vollen Leben verkündigen!« Und dazwischen läutet es immer noch
hinein:

  Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,
  Spielt weiter! gebt mir volles Maß!

Es ist vielleicht nie Tieferes von der Musik ausgesagt worden, als daß
sie der Liebe Nahrung ist. Denn da nun die Liebe der Welten Nahrung ist,
ohne die das große Kreisen, ausgehungert, schon verstummt wäre, ist
also Musik das wahre Wunderbrot, an dem sich die Schöpfung mästet. Und
wer uns die Lehre vom vollen Leben verkündigen will, kann es nur, indem
er die Musik in der Menschheit mehrt. Musik aber entsteht, wenn eine
Seele von sich selbst überwallt und aus dem alten Kreise bricht. Und
ist nichts als ein ewiges: Gebt mir volles Maß! Und indem sie die Liebe
nährt, wird sie von ihr aufgezehrt, Musik verhallt, aber ihr Brüder
und Schwestern, klagt nicht, sie hat sich nur verwandelt und was von ihr
übrig bleibt, ist Liebe. Musik läßt überall bei den Menschen Liebe
zurück... Wie die kleinen Wellen da den Mund aufreißen, aber aus ihm
springt immer wieder ein Mund, der immer wieder einen Mund auswirft, so
speit in mir ein tanzender Gedanke den anderen aus, der, gleich wieder
zerstiebend, schon wieder eine neue Zunge zeigt, und bald ist es nur
noch ein Kreiseln und Klingeln von flimmernden und gischenden Worten in
mir, die sich winden, und ich weiß nichts mehr und fühle nur mein Blut
tanzen. Und: spielt weiter, gebt mir volles Maß!

Es ist aber dafür gesorgt, daß der Mensch nicht in den Himmel wächst,
und so soll ich plötzlich verhaftet werden, weil ich versucht habe,
den Flug der weißen Möven zu photographieren. In Gravosa stürzt ein
Büttel aufs Schiff, der mich verlangt. Ich frage noch: »Vom Grafen
Orsino wohl, der Herzog in Illyrien ist? Aber Ihr irrt, ich bin Antonio
nicht!« Doch klärt man mich auf, daß es der kaiserlich-königliche
Kommissär der ragusanischen Polizei, dem telegraphiert worden ist,
den Spion mit den langen Haaren zu verhaften. Weil aber der Spion in
Zeitungen schreibt, geschieht es nicht, man nimmt mir nur den Kodak
ab, und ich erinnere mich, wie sich der Hofrat Burckhard einst als
Ochsentreiber hundertfünf Gulden verdient hat, indem er einem alten
Bauer half, sein störrisches Vieh nach Sankt Gilgen zu bringen, wofür
ihm der fünf Gulden gab, was der Hofrat dann in der Zeitung beschrieb,
wofür er von dieser noch hundert Gulden bekam. Das will ich auch,
ich will auch meinen Ochsen treiben. Und ich setze mich hin, mein
dalmatinisches Abenteuer zu beschreiben.

Lustig ist, wie die Passagiere mir ausweichen, seit ich fast verhaftet
worden bin. Man kann ja doch nie wissen! Aber die Leute vom Schiff,
Matrosen und Aufwärter, lieben mich seitdem. Ich werde noch einmal so
gut bedient. Ich muß doch trachten, nächstens einmal ganz verhaftet zu
werden. Spielt weiter, gebt mir volles Maß!

Nun aber will ich die Feder eintauchen und Adjektive fischen, für
meinen Ochsentrieb! Es dämmert schon, das Meer geht still. Durch die
matten Scheiben sieht in den weißen Dampf von Zigaretten der Abend
veilchenblau herein.

       *       *       *       *       *

In aller Früh reißt es mich aus dem Schlaf. Und auf und fort! Der
Sebastian spricht:

  Sehn wir die Altertümer dieser Stadt!
  Laßt uns unsere Augen weiden
  Mit den Denkmälern und berühmten Dingen,
  So diese Stadt besitzt.

Und kaum ist der Sebastian still, spricht mich Malvoglio, spricht mich
die zärtlich verbuhlte Gräfin an, und das alte Stück geht mir in
allen Gassen nach. Ich lache mich aus, um es abzuschütteln. Aber
überall ist die Luft hier von ihm voll.

Diese Stadt sitzt in einem Palast. Ein alter Mann hat seiner Einsamkeit
ein Haus gebaut, und in dieses Haus haben sich dann dreitausend Menschen
versteckt. Der Tote wehrt sich immer noch und will allein sein. Aber die
Lebenden fragen nicht und zwängen sich durch und überall ist Lärm.
In die starken alten Mauern haben sie kleine Fenster gebrochen, und
blühende Blumen hängen heraus, und lachende Lippen grüßen herab. Ein
ungeheures Beispiel starker Menschen ist's, die nichts achten als ihr
eigenes drängendes, schwellendes, brennendes Leben. Es gibt keine
Stadt, in der der Ruf des Lebens stärker ist. Von hohen Türmen, aus
tiefen Kellern, in engen Gassen, zwischen Säulen, durch Tore jauchzt
taumelnd das Leben. Hier sind kaum vierzigtausend Menschen, aber man
glaubt sich unter hunderttausenden. So laut dröhnt der Schritt des
Lebens hier.

Nur der Bezirkshauptmann hört es noch nicht.

Es leidet mich nicht, vor alten Kapitälen zu stehen und an den toten
Diokletian zu denken. Die drängende, stoßende, treibende Menge nimmt
mich auf und hüllt mich ein und reißt mich mit. Herrlich, sich so zu
verlieren, nichts mehr von sich zu wissen, nichts mehr zu spüren als
einen starken großen stillen Strom! Und während rings um mich, in
einer Sprache, die mir unbekannt ist, das Leben spricht, fällt mir ein
alter Spruch des weisen Schlesiers ins Gemüt:

  Je mehr du dich aus dir kannst austun und entgießen:
  Je mehr muß Gott in dich mit seiner Gottheit fließen.

Und mitten in dem scharfen brenzlichen Geruch dieser bäurischen
Städter mit ihren zottigen Kutten ist es mir eine selige Lust, mich
aus mir ganz auszutun und zu entgießen. Sie drängen mich, sie schieben
mich, ich weiß nichts mehr, ich will nichts mehr, durch unbekannte
Gassen geht's, hier lacht ein Gesicht, dort zürnt ein Auge, mich aber
trägt in festen Armen eine Macht dahin. Und nur manchmal sagt es leise
noch in mir: Jetzt müssen wir aber doch gleich beim Garten der Gräfin
Olivia sein!

Ärzte sollten Nervösen verordnen, das Gewühl von Massen aufzusuchen.
Nichts tut Ängstlichen oder Unruhigen besser, als wenn ihnen einmal die
Selbstbestimmung abgenommen wird und sie sich treiben lassen. Der Wille
ruht aus und wir sind ja wahrscheinlich alle im Willen krank. An der
Entfernung von der Gemeinschaft kranken wir. Dem Menschen ist nun einmal
zugewiesen, erst im anderen sich selbst zu finden. Worauf man sich denn
ebenso einen reaktionären als einen demokratischen Vers machen mag.
Hauptsächlich aber einen erotischen. Ich glaube, daß, was den Mann
zum Weibe treibt, zuletzt dieselbe Macht ist, die Massen beseelt. Das
liebende Paar, der Marsch von Knaben in gleichem Schritt und Tritt, die
Kirche, die Gemeinde, die Stadt, das Volk, der Staat, es sind alles
nur Erscheinungen, Verwandlungen desselben Triebs. Bei katholischen
Prozessionen, wo Eros in allen seinen Gestalten mitgeht, spürt man das
sehr stark. Alle Mysterien, von Eleusis bis Echternach, wurzeln darin.
Alle Propheten haben es gewußt. Und es ist sonderbar, daß es
in unserer Zeit nur einer gewußt zu haben scheint: Walt Whitman.
Vielleicht der einzige bisher, der die Demokratie wirklich erkannt hat:
als Erfüllung des Eros.

Und nun, auf dem Markt in das Café Troccoli tretend, bin ich plötzlich
entführt, wie durch Faustens Mantel. Draußen ist der Orient in allen
Farben, aber drinnen das Quartier latin, mit langen Haaren, fliegenden
Krawatten und dem Tumult atemloser Reden. Junge Maler sind's, die hier,
beim Diokletian, einen Boul' Mich' etablieren.

Ich sinne dem Diokletian nach. Ein dalmatinischer Bauer, der Kaiser
wurde, ein glücklicher Feldherr, ein großer Verwalter, ein Künstler
war, die Macht verachten lernte, Rom haßte, den Thron verließ und
wieder in die Heimat ging, um in großer Pracht ein Eremit zu sein.
Salomon und Cäsar und der große Fritz und der zweite bayrische
Ludwig in einer Person. Mit Zügen eines asiatischen Schwelgers, eines
Landsknechts, eines aufgeklärten Despoten, eines Artisten und eines
Weisen. Vom Feldwebel zum Kaiser. In Ägypten und an der Donau Sieger.
Zwanzig Jahre lang Herr der Welt. Mit den Höflingen grausam, ein Freund
der Armen. Ein Organisator. Der Erbauer der Thermen in Rom. Die Christen
verfolgend. Und dann nach zwanzig Jahren der Tat, des Ruhms, der Macht
wieder heim. (Wie Shakespeare dann wieder nach Stratford heimritt.) Und
sitzt dann noch neun Jahre hier und sieht über das Meer hin und hört
noch die heidnische Welt zerbrechen und die verhaßten Christen siegen.
Er stirbt, Salona fällt, das Volk flüchtet vor den Avaren in den
Palast, den er seiner Einsamkeit erbaut hat, und der schweigsame Palast
verwandelt sich in eine lärmende Stadt.

       *       *       *       *       *

Mittag wird's, die kroatischen Pariser gehen, ihre großen Hüte
schwenkend, wie die Gascogner Kadetten. Ihre Lustigkeit hat mich
angesteckt. Es freut mich auf einmal gar nicht mehr, an den alten
Diokletian zu denken. Und morgen ist Fastnacht! Wie dumm, in der lauten
Stadt allein zu sein und Steine anzusehen, in der Stadt des Junker
Tobias!

[Illustration: _Bei Spalato_]

Ich will essen gehen. Und dann Nachmittag nach Salona. Und es wäre
doch wirklich talentlos, wenn mir gar nichts begegnet in der Stadt der
munteren Jungfer Maria.

Essen ist nun in Spalato kein Vergnügen. Ein kahler Raum; es riecht wie
in einem Keller. Mißmutige Kellner in fleckigen Fräcken. Alles greift
sich naß an. Und die Gäste sind der Kellner wert. Leopoldstadt. Daß
da draußen, keine hundert Schritte weit, das blaue Meer sein soll, ist
unglaublich. Mitten unter ihnen aber sitzt -- ich reibe mir die Augen
-- nein, du bist wach, die Sonne scheint und draußen ist das blaue
Meer und hier, gleich am nächsten Tische neben mir, sitzt wirklich die
Gräfin Olivia, hochgeboren. Ich bin nicht talentlos.

Sie hat sehr schönes rotes Haar, ein feines weißes Gesicht mit einem
unartigen Näschen, erfahrene Lippen, ein englisches Kleid, das von
Zwieback sein wird, und einen sehr ungeduldigen erlauchten Ton mit den
Kellnern. Ich rate hin und her, was ich aus ihr machen soll. Am
ehesten vielleicht noch die Frau eines Offiziers, der in's Land hinein
abkommandiert ist. Indem sie sich von meinen Blicken auskultiert fühlt,
werden die weißen Wangen rot, der arge Mund zornig, das Näschen
bübisch und sie beugt sich auf den Teller herab vor, so daß ich jetzt
nur noch den roten Helm ihrer Haare sehen kann. Während ich sie dafür
durch Gleichgültigkeit strafe, steht auf einmal gegenüber ein dicker
alter Herr auf, tritt an meinen Tisch und fragt mich, ob es wahr ist,
daß ich der berühmte Hermann Bahr bin. Ich antworte, daß ich das
nicht weiß. Er sagt, gekränkt: Das müssen Sie doch wissen! Ich sage,
gereizt: Das kann ich nicht wissen! Er sagt: Jeder Mensch weiß, wer er
ist. Ich sage: Kein Mensch weiß, wer er ist. Er fragt: Also sind Sie
nicht der Hermann Bahr? Ich antworte: Ja ich bin ein Hermann Bahr! Er
sagt: No dann sind Sie's! Und er stellt sich vor und ladet mich ein, den
schwarzen Kaffee mit ihm zu nehmen, aber nebenan im anderen Saal, weil
es dort nicht so kalt ist, denn er hat die Gicht. Ich antworte nicht
gleich, weil er gar nicht so verlockend ist, da wendet sich der alte
Herr zur Gräfin Olivia, nebenan am Tisch, und sagt: Und vielleicht das
Fräulein auch oder die gnädige Frau? Nun liegt der rote Helm ganz auf
dem Teller. Ich sage: Gehn Sie nur voraus, ich komme dann vielleicht
nach. Olivia schweigt. Er sagt: Denken Sie nichts Schlechtes von mir,
Fräulein oder gnädige Frau, schauen Sie doch meinen weißen Bart an,
aber ich glaube halt, daß Sie sich langweilen! Eigentlich ist er sehr
nett und ich bin ein Rüpel. Aber der rote Helm im Teller schweigt. Der
Alte geht.

Ich bleibe noch ein paar Minuten, zahle gemächlich, stehe dann auf,
nehme meinen Hut und meinen Rock und frage: Werden Sie nun zu dem braven
alten Herrn gehn?

Unter dem roten Helm hervor antwortet es: Wenn Sie gehen!

Ich will das aber noch deutlicher haben und frage: Ohne mich nicht?

Es ist doch sehr hübsch von ihr, daß sie gleich antwortet: Nein.

Da sage ich: Aber wozu brauchen wir dann erst den braven alten Herrn?

Sie wiederholt, lachend: Nein. Den braven alten Herrn brauchen wir
wirklich nicht.

Ich schlage vor, lieber nach Salona zu fahren. Sie will nur noch
rasch telephonieren. Indem wir dann zum Wagen gehen, sagt sie: Ihre
Photographie hängt nämlich seit fünf Jahren in meinem Zimmer. Und es
kommt heraus, daß die Gräfin Olivia Schauspielerin geworden ist und
einmal in einem meiner Stücke mitgetan hat. Und in Salona will sie mich
in das Haus einer Freundin aus Sarajevo bringen, die meine Bücher
mag. Und für den Abend hat sie mir telephonisch geschwind einige Leute
bestellt, und es sind gerade die, an die ich Empfehlungen mit habe. Das
menschliche Leben ist höchst einfach. Man muß nur so talentvoll sein,
sich um die rechte Stunde im richtigen Gasthaus an den rechten Tisch zu
setzen.

Vormittag bei Diokletian, dann in den slawischen Wogen der Gassen, am
venezianischen Rathaus vorüber ins Quartier latin, jetzt im Wagen mit
einer heiteren Wienerin, die Ibsen spielt, ins Land hinein, das ganz
spanisch wirkt. Wirklich, wie um Burgos herum ist die Landschaft hier,
in ihrem großen, unmenschlichen, barbarischen Ernst, der die Bäume,
jedes Haus, jede Regung eines einzelnen Geschöpfs verschlingt. Esel
traben; in den Säcken, zwischen Körben oder auch hinter der Last sitzt
oder liegt lässig ein sorglos lallender Mensch; man sieht kaum, ist es
ein Mann oder ein Weib oder ein Kind, man sieht nur einen bunten Fleck,
ganz hinten auf dem Esel, und während der Esel trabt, steigt aus dem
bunten Fleck ein stammelnder, flackernder, wankender Gesang. Aber
schon hat auch den trabenden Esel mit dem bunten Fleck die furchtbar
unbewegliche Strenge dieser zeitlosen, grundlosen, leblosen Landschaft
verschluckt. Ich suche vergebens, das Gefühl zu nennen, das ich
hier habe: von einer gänzlichen Leere zugleich und doch auch einer
ungeheuren Größe. Als hätte Gott hier zunächst erst bloß den Raum
erschaffen, und der stünde nun wartend da, bis Gott ihn später einmal
füllen wird.

Da blitzt vor uns, am Ende des Blicks, hoch auf dem steilen Berg, ein
krachendes Weiß auf. Etwas ungeheuer Lebendiges hat dieses Weiß, in
der Grabesstille des erstarrten Raums. Wie das Leben selbst winkt
dieses blühende Weiß. Es ist Clissa, die Feste, die das Tal sperrt.
Kroatisch, venezianisch, ungarisch, türkisch, wieder venezianisch,
österreichisch, französisch und wieder österreichisch ist seine
Vergangenheit gewesen. Jetzt steht ein Korporal mit einem Zug unserer
Soldaten dort.

Plötzlich erscheint ein blauer See, die Bucht von Salona, wir kommen
über die alte türkische Brücke, Häuser blinken hell, die ganze
Landschaft ist verwandelt, die Gräfin Olivia schildert mir ihre Nora,
da halten wir schon bei ihren Freunden, eine junge Frau von einer
seltsamen schweren maurischen Schönheit kommt uns entgegen und ich
habe mich in dem ein wenig sezessionistelnden Zimmer, das ein Porträt
Tolstois und eine große Reproduktion des Klingerschen Beethoven
beherrscht, noch kaum behaglich gesetzt, als ich der gierig fragenden
Frau mit den heißen schwarzen Augen vor allem von der Elektra erzählen
muß, und überhaupt von Richard Strauß und wie das in Dresden alles
gewesen ist. Dann erst gehen wir in die tote Stadt Salona, die, schon
im 4. Jahrhundert v. Chr. griechischen Kolonisten gastlich, dann
römisch, von Goten und Hunnen bedroht, im Jahre 639 von den Avaren
zerstört worden ist. Wo wir aber hauptsächlich von d'Annunzio reden,
in den aufgedeckten Tempeln und Bädern mit seiner blinden ahnungsvollen
Anna wandelnd.

Bulič, der Schliemann von Salona, hat sich hier ein lustiges kleines
Haus gebaut, ein bißchen kitschig, in einem nicht sehr glaubwürdigen
altchristlichen Stil möbliert, mit allerhand Urnen, Steinen von
Sarkophagen, Kapitälen als Leuchtern, Inschriften und Fragmenten.
Hinter dem Häuschen beginnt das Manastirine (manastir oder namastir
heißt das Kloster, namastirište der Ort, wo einst ein Kloster gewesen
ist), der Bezirk der Ausgrabungen. Uns aber führt d'Annunzio, die
Gräber der Atriden tun sich auf, mit den Leichen in Gold, das Fieber
unvergessener Schrecken quillt, der Schatten Klytemnästras steigt und
so sind wir wieder bei Richard Strauß, während über dem blauen Dunst
des Abends das erblassende Weiß der alten Feste Clissa thront.

Und dann sitzen wir abends noch lange wieder unter dem Bilde des
alten Tolstoi. Diese kleine Frau mit den großen schwarzen Augen ist
merkwürdig. In Tanger sah ich solche Jüdinnen, die den unsrigen
nicht gleichen, sondern in ihrer schweren schwellenden Anmut eher etwas
Türkisches haben. Sie ist die Tochter eines Juweliers in Sarajevo, hat
aber durchaus die geistige Form einer westlichen Intellektuellen. Dem
Leib Suleikas scheint durch ein Wunder der Geist Mirbeaus eingegeben.
Ihr Mann, ein Ingenieur, der hier eine Zementfabrik einrichtet, setzt
sich ans Klavier und spielt aus dem Lohengrin. Sie tritt zu ihm und
singt mit ihrer kindlichen Stimme bosnische Lieder. Und dann kommt noch,
die lustige Verwirrung zu vollenden, aus der Stadt der Doktor Tartaglia,
der der Sohn eines italienischen Grafen und ein fanatischer Anwalt der
kroatischen Demokraten ist. So haben wir jetzt, in der geistigen Luft
von Beethoven, Tolstoi und Richard Strauß, hier beisammen: eine
Wiener Ibsenspielerin aus der Schule Jarnos, eine türkische Jüdin
mit nordwestlichen Empfindungen, einen Ingenieur und Wagnerianer, einen
gräflichen Demokraten von italienischem Namen und kroatischer Gesinnung
und einen Wiener Hausherrn aus Linz vom Deutschen Theater in Berlin;
hier am Adriatischen Meer, im Salona der Argonauten, das zum Kampf der
Griechen um Troja zweiundsiebzig Schiffe gestellt hat, unweit der von
Shakespeare belebten Stadt Spalato, die einst der Palast des Kaisers
Diokletian war, in Gesprächen über Olbrich, d'Annunzio, Klimt, die
Duse, Masaryk, den Trialismus und die Sezession. Dies ist Österreich.

Die Tartaglias sind einst auf einem Kastell da droben irgendwo gesessen.
Da waren sie Kroaten. Da haben sie mit den Türken gerauft. Ein
Türkenschädel wird in der Familie noch aufbewahrt. Dafür wurden sie
zu venezianischen Grafen gemacht. So waren sie plötzlich Italiener. Bis
dann dieser hier, der Ivo, nach Prag kam, da besann er sich eines Tages
und entdeckte wieder, daß sie Kroaten sind.

Das haben die Menschen in Österreich voraus, daß sich hier, wer nur
ein wenig über sich nachdenkt, als ein Ergebnis vieler Verwandlungen
erkennt. Anderswo hat es der Nachkomme leicht, das Erbe der Väter
anzutreten, denn es enthält einen einzigen Willen und überall
denselben Sinn. In uns aber rufen hundert Stimmen der Vergangenheit, der
Streit der Väter ist noch nicht ausgetragen, jeder muß ihn aufs neue
noch einmal entscheiden, jeder muß zwischen seinen Vätern wählen,
jeder macht an sich alle Vergangenheit noch einmal durch. Denn die
Vergangenheit unserer Menschen hat dies, daß keine jemals abgeschlossen
worden ist, nichts ist ausgefochten worden, der Vater weicht vor dem
Sohn zurück, aber im Enkel dringt er wieder vor, niemand ist sicher,
jeder fühlt sich entzweit, unseren Menschen ist zu viel angeboren.
Anderswo mag einer getrost den Vätern folgen, wir können es nicht,
denn unsere Väter, uneinig unter sich, rufen erst unser Urteil an. Je
ne puis vivre que selon mes morts, hat Barrès gesagt. Wir aber können
nicht nach unseren Toten leben, weil wir zerrissen würden, denn jeder
unserer Toten zerrt uns anders. Nous sommes la continuité de nos
parents, sagt Barrès, toute la suite des descendants ne fait qu'un
même être. Wir sind noch nicht soweit; wir haben es noch nicht dazu
gebracht, aus Vorfahren und Nachkommen ein einziges Wesen zu machen;
dies ist vielmehr eben erst unser Problem, das unsere Generation
überhaupt erst erkannt hat. Aus den bosnischen Tartaglias, die dort in
den Bergen gegen die Türken standen, und den italienischen Tartaglias,
die gräflich in venezianischen Sitten schwelgten, nun einen gemeinsamen
Tartaglia zu machen, der jene mit diesen so verschmilzt, daß beide sich
in ihm erfüllen, ist das Problem des heutigen Tartaglia. Und meines
ist, den frohen deutschen Sinn des jungen Webers, der vor zweihundert
Jahren vom Rhein nach Schlesien kam, in das ängstliche Gemüt
gehorsamer Staatsdiener und den eingeborenen Trotz des unbändigen
Oberösterreichers so zu gewöhnen, daß jeder meiner Väter
schließlich in mir Platz hat. Als wir uns vor zwanzig Jahren erhoben,
war in Österreich der Wahn, man könne ein vaterloses Leben führen.
Das nannte man Liberalismus bei uns. Wir aber erkannten, daß alles
Leben darin nur besteht, ein Ende mit einer Vergangenheit und so den
Anfang mit einer Zukunft zu machen. Doch Vergangenheit ist nie zu Ende,
bevor sie nicht ein neuer Mensch in sich aufgesaugt hat; so lange
muß ihr Gespenst unerlöst auf Gräbern irren. Und Zukunft hat erst
begonnen, wenn in einem neuen Menschen alle Väter versammelt sind.
Darauf hoffen wir, damit ringen wir, daran leiden wir, wir. Jetzt aber
ist wieder eine neue Jugend da.

[Illustration: _Bei Spalato_]

Diese Menschen, mit denen ich hier sitze, sind alle noch unter dreißig.
Und mir ist es ein wunderschönes Gefühl, wie schnell wir in Erfüllung
gegangen sind! Unser Leiden, unser Ringen, unser Hoffen, hier ist
es gestillt. Es hat sich in ruhige Kraft und einen heiteren Willen
verwandelt. Diese neue Jugend sucht nicht mehr, zweifelt nicht mehr,
bangt nicht mehr. Sie weiß, was sie will, und sie weiß, daß sie's
kann, sie wird es wagen. Sicher ist sie, ihrer selbst gewiß und von
entschlossener Freudigkeit. In ihr sind die Väter erlöst, Zukunft ist
da. Wir sind nur durch die Welt gerannt, unserer Sehnsucht nach. Diese
stehen fest, in Bereitschaft, frohen Taten entgegen. Österreich kann
beginnen.

Ich möchte noch dabei sein. Ich möchte noch Österreich erleben.
Spielt weiter, gebt mir volles Maß!



9.


Ich hätte so gern den Milan Begovič kennen gelernt, den die Dalmatiner
ihren d'Annunzio nennen. Aber er ist fort. Vor ein paar Tagen erst ist
er nach Hamburg abgereist, zum Baron Berger, bei dem er Regie lernen
will. Auch wieder ein Beispiel der slawischen Gier, deutschen Geist
und deutsche Kunst und unser ganzes Wesen einzusaugen, die mich an
den jungen Tschechen so freut. Mein Freund Kvapil, der Dramaturg des
böhmischen Landestheaters in Prag, kommt jeden Augenblick nach Berlin,
mit einer wahren Todesangst, nur ja nichts zu versäumen, was draußen
vorgeht; alles wollen sie wissen, alles haben, und sie glauben es ihrer
Nation schuldig, ihr alles zu bringen, was sich nur an neuen
Gedanken, Wünschen oder Versuchen irgendwo zeigt. Während in den
österreichischen Deutschen eine Neigung ist, hochmütig gegen das Neue
sich im Alten zu beruhigen, als ob sie nichts mehr nötig hätten. Hält
bei diesen der Dünkel, bei jenen die Gier an, so kann es geschehen,
daß in Österreich die neue deutsche Kultur nur noch bei Slawen
zu finden sein wird. Wer unsere Deutschen aber warnt, macht sich
verdächtig, in dem großen Kampf um den Nachtwächter lau zu sein.

Auf Gundulič folgten noch zwei Dichter, Gjon Palmotic und Ignjat
Gjorgjic. Dann war es still. Hundert Jahre lang. Gjorgjic starb 1737.
Und 1830 begann der Illyrismus, unter den Slowenen und Kroaten. Ljudevit
Gaj, der Steirer Stanko Vraz, Miklosichs Freund, und Ivan Mazuranic,
Peter Preradovič, der aus einem General eine Art von slawischem Wotan
wurde, und August Senoa sind die Hauptnamen dieser Romantik. 1900 aber
erschien in Agram ein Buch, das schlug einen Ton an, den man noch nicht
vernommen hatte; seitdem gibt es eine kroatische Moderne. Es war
einer Marchesa Zoë Boccadoro gewidmet und nannte sich nach ihr Knjiga
Boccadoro, das Buch Boccadoro. Sein Dichter hieß Milan Begovič, war
damals vierundzwanzig Jahre alt und dem Studium der romanischen und
slawischen Sprachen ergeben. Er hat dann die Locandiera, das goldene
Vließ und die Gespenster übersetzt, ein Drama Myrrha, ein Lustspiel
Venus victrix, ein historisches Schauspiel Marya Walewska und eine
seltsame Dichtung, die im russisch-japanischen Krieg spielt, Das Leben
für den Zaren, verfaßt. Die Pracht seiner kunstreichen Sprache wird
gerühmt. Seiner Myrrha hat er das Motto vorgesetzt: »Alles für
Liebe und Schönheit, Myrrha! Laß dich die Gesetze der Menschen
nicht kümmern: sie sind ungerecht, unnütz und selbstisch, sie sind
vergänglich. Schönheit und Liebe sind ewig; dies nur ist Verbrechen:
ihrem Rufe nicht folgen.« (Ich habe meine Kenntnisse von Murko und
unserem Otto Hauser; dieser hat auch seine Venus victrix übersetzt.)

       *       *       *       *       *

Nach Trau. Immer links das Meer, rechts die kahlen steilen Wände. Das
ist der Weg der sieben Kastelle. Warsberg hat recht: »Auch wer das
Schönste von Italien und Südfrankreich gesehen, wird hier noch Freude
erleben.« Nur der Einwohner erlebt keine.

Rings um Spalato besteht noch das Kolonat. Allgemeines gleiches
Wahlrecht und dazu das Kolonat. Ein Haus, ein Feld mit Wein und
Ölbäumen wird vom Eigentümer dem Kolonen übergeben, der es bestellt
und dem Herrn einen Teil des Ertrages abzuliefern hat. Ein Minimum
ist bestimmt. Kann er es nicht leisten, weil etwa der Hagel die Frucht
zerschlagen hat, so muß er Geld dafür geben, er hat für den Hagel
Strafe zu zahlen. Wenn auf den Feldern des Herrn Arbeit notwendig ist,
besorgt sie der Kolone; der Herr bestimmt den Lohn dafür. Sie rechnen,
daß ein Viertel, bisweilen ein Drittel ihrer Arbeit im Jahre dem Herrn
gehört; und von dem, was der Rest ihnen trägt, haben sie dann erst
noch jenen Teil an den Herrn abzuführen. Jede Gefahr trifft den
Kolonen; bricht Feuer aus, so haftet er für den Schaden. Das Werkzeug
stellt der Kolone. Das Vieh auch. Den Dünger auch (den aber, bevor
er ihn verwenden darf, der Herr prüft, ob er gut sei). Meliorationen
dürfen ohne Zustimmung des Herrn nicht geschehen; die Kosten trägt der
Kolone. Früher konnte der Herr den Vertrag nach Belieben lösen; jetzt
ist meistens eine Frist zur Aufkündigung gesetzt. Ein Tagelöhner hat
seinen Lohn sicher, der Kolone nichts. Alles Risiko trifft sonst den
Herrn, hier trifft es den Knecht. Es ist ein System, das dem Eigentümer
unter allen Umständen gegen alle Gefahren einen Ertrag sichert und alle
Sorgen des Eigentums auf den Arbeiter wälzt, der ohne Lohn dient, jeden
Schaden, keinen Nutzen hat, in schlechten Jahren sich verschulden muß,
um den Herrn zu bezahlen, jeden Tag davongejagt werden kann, aber das
Gefühl hat, ein freier Mann zu sein, da doch in Österreich die Robot
durch das kaiserliche Patent vom vierten März 1849 aufgehoben worden
ist.

Heinrich Friedjung erzählt: »In der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts vernachlässigte das ungarische Königtum seine
sozialen Pflichten, während der magyarische Adel sich in einer
ruhmvollen politischen Blütezeit zum klaren Verständnisse seiner
Aufgaben aufschwang. Baron Eötvös widmete der Schilderung der
überlebten Verhältnisse im ungarischen Komitatsleben den besten seiner
Romane: »Der Dorfnotär«, und niemand stand feuriger und beredter
als Kossuth für die Befreiung des Landvolks ein. So gelang es ihm, der
Abgott des Bauers zu werden und darauf sein Volk zum Kampfe gegen das
Haus Habsburg mit fortzureißen.« Wenn nun ein dalmatinischer Kossuth
aufstünde? Wozu haben wir eigentlich unsere schmerzlichen ungarischen
und italienischen Erfahrungen, wenn wir noch immer aus ihnen nichts
lernen?

Dann kommt aber der strebsame Mensch der Verwaltung, Austriacus
insapiens, und sagt: »Ich bitt' Sie, mit den Dalmatinern ist nichts
zu machen, sie sind indolent! Sehen Sie sich doch nur den Boden an!
Die schlechteste Wirtschaft, keine Maschinen und keine Spur eines neuen
Betriebs!« Wie soll der Kolone Maschinen kaufen, wenn er riskiert, daß
ihn sein Herr vertreibt, bevor noch ihr Preis getilgt ist? Woher nimmt
er das Geld, da doch unsere Verwaltung keine Sparkassen im Lande will?
Was kann er von neuen Betrieben wissen, da doch unsere Verwaltung keine
Schulen will? (Neunzig Prozent Analphabeten, hat der Doktor Tartaglia
gestern erzählt.) Denn der strebsame Mensch der Verwaltung mag
Sparkassen und Schulen nicht, Sparkassen bringen Geld ins Land, Schulen
Bildung und wenn es erst Geld und Bildung hat, haben wir die Revolution!
Was natürlich ein Unsinn ist, denn wer was zu verlieren hat, macht
keine Revolution. Und nichts ist dümmer als die Meinung unserer
Verwaltung, Notwendiges lasse sich durch Gewalt verhindern. Als wenn er
das jetzige Dalmatien gekannt hätte, hat Goethe einmal gesagt, er sei
vollkommen überzeugt, »daß irgendeine große Revolution nie
Schuld des Volkes ist, sondern der Regierung. Revolutionen sind ganz
unmöglich, sobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend
wach sind, so daß sie ihnen durch zeitgemäße Verbesserungen
entgegenkommen und sich nicht so lange sträuben, bis das Notwendige von
unten her erzwungen wird. Ist aber ein wirkliches Bedürfnis zu einer
großen Reform in einem Volke vorhanden, so ist Gott mit ihm und sie
gelingt.« Aber wer in der Statthalterei kennt Goethe?

(Über das Kolonat hat der Wiener Professor Hofrat Doktor von Schullern
zu Schrattenhofen im Auftrag des Ackerbauministeriums geschrieben.)

       *       *       *       *       *

Dies ist sicher der schönste Weg, den wir in Österreich haben. Die
wilde Macht der jähen Felsen, die sanfte Schönheit des breiten Kanals,
der nur östlich einen ganz schmalen Pfad ins Meer hinaus hat, die
ruhigen Züge der Weingärten und Ölwälder, die Stille der Dörfer,
die Klarheit der Luft, in der alles so groß, ganz nahe, ja wie verewigt
scheint, die Schwermut langer Mauern, alter Türme, verschlossener
Häuser aus grauem Stein, die Lust des schallenden weißen Blühens, die
seltsamen Erektionen der Agaven, die, schief von ziehender Sehnsucht,
ihre langen Stengel zum Himmel strecken, der silbrige Staub der Straße,
das Leuchten überall zwischen der gelben Wand des Bergs und der blauen
des Meers, dies hat zusammen solche Größe mit solcher Lieblichkeit
zugleich, daß man nur immer ins Unbegreifliche schaut und schaut und
schaut. Diese Straße könnte das ganze Land ernähren. Überall fordert
sie zu Villen, Schlössern am Meer und Capanen auf. Hier könnte, Sommer
und Winter, Europa sein. Hier sind ein paar arme Dörfer.

Manchmal aber bewaffnet sich der strebsame Mensch der Verwaltung
noch mit einem Ästheten, der findet, daß es auch schad wäre, den
malerischen Reiz des Verfalls zu zerstören. Denken Sie sich hier
Amerikanerinnen und Berliner, die ganze Stimmung wäre weg! Wie
malerisch aber ist das Elend! Es regt zu melancholischen Betrachtungen,
manchen sogar zu Gedichten an. Hüten wir uns, dieser einzigen Stimmung
ihre Patina zu nehmen! -- Wie man ja auch in Wien die Forderungen des
Verkehrs durch ästhetische Bedenken hemmt, plötzlich um irgendein
liebes altes Haus besorgt, das im Wege steht; und lieber soll die Stadt
ersticken! In der Not, wenn es gilt, Leben zu verhindern, werden sie
sogar Ästheten. Denn es wäre bequemer, aus Österreich ein Museum zu
machen.

Trau, der Insel Bua gegenüber, auf die man über eine Drehbrücke
kommt, ist noch ganz venezianisch, überall sitzt der Löwe noch. Der
berühmte Dom, im dreizehnten Jahrhundert, nachdem die Sarazenen den
alten zerstört hatten, begonnen, 1600 ausgebaut, hat ein wunderschönes
romanisches Portal. Man wird dann in eine Kapelle geführt, hier ist das
Grabmal des heiligen Johann Orsini, des ersten Bischofs von Trau.
Die Wappen der Bischöfe werden gezeigt, ein kostbarer Schrein,
Meßgewänder und Missalen. In Vergangenheiten geht man so herum, und
tritt man dann wieder auf den Markt in die Sonne hinaus, ist wieder
Vergangenheit überall, und mir ist ganz, wie wenn ich bei Reinhardt
oft in der aufgestellten Stadt Verona spazieren ging, während sie leise
gedreht wurde; nur die Beleuchtung ist hier besser, ich ziehe die Sonne
Homers doch der des Herrn Knina vor. Halb macht es mir Spaß, halb mich
ängstlich, Menschen so gleichsam auf einer Bühne wohnen zu sehen. Und
nun, da heute ja Fastnacht ist, geschieht es noch, daß auf der Riva
vermummte Männer mit Hörnern und langen roten Nasen, verlarvte Frauen
mit Mantillen in der Sonne springen. Und in Lumpen liegen alte Bettler
und wärmen sich. Gespenstisch ist alles, am blauen Meer in der lieben
Sonne.

Und da kommt mir plötzlich alles unsäglich albern vor, was wir in
den großen Städten tun. In den großen Städten werden die Gedanken
gemacht. Menschen sitzen und suchen, bis wieder ein neuer Gedanke
gefunden ist. Den legt jeder dann in ein Buch, da wird er aufbewahrt und
bleibt eingesperrt. Draußen aber, überall, strecken sich die Hände
vergeblich aus! Wie ein Dieb komme ich mir vor. Darf ich mir eine
Wahrheit behalten, für mich allein, statt ihre Kraft ohnmächtig
verlangenden Menschen zu geben? Dies alles, was ich weiß, was mich
stärkt, was mein Trost und meine Sicherheit ist, wovon ich lebe,
wodurch ich bin, anderen versagen? Selber reich sein und andere darben
lassen, im neidischen Hochmut des Wissenden? Und es reißt mich, in die
Loggia hier zu treten und zu rufen, bis aus allen schwarzen Gassen und
von der Insel her auf dem hellen Markt um mich alle versammelt wären,
und der horchenden Schar zu sagen, was ich weiß, von der Entstehung
der Welt und der Abstammung des Menschen und wie jedes Gestein und jedes
Gewächs und jedes Getier uns Bruder und Schwester ist, bis alles Leid
von den Lauschenden fällt und die Lust des Erkennens in einen einzigen
ungeheuren Schrei der Freiheit ausbricht. Aber man ist feig. Auch käme
doch sicher gleich ein Gendarm.

[Illustration: _Bauern in Sinj_]

Kultur, von der soviel die Rede ist, hätten wir dann erst, wenn, was
irgendeiner zu seinem Trost gefunden und erkannt hat, allen zugesprochen
würde. Wir aber vergraben unsere Gedanken, wie geizige Bauern die Taler
im Strumpf. So liegen sie dann unverzinst. Aber nicht bloß, daß
sie nichts tragen, sondern sie gehen ein, trocknen aus und fallen ab.
Vielleicht ist keine Zeit noch reicher an Gedanken gewesen als unsere;
weil aber keiner in der Erde der Menschheit Wurzeln schlägt, bleibt sie
bettelarm.

Der Prasser, der vor seiner Türe verhungern und erfrieren läßt,
scheint mir nicht verächtlicher als wer irgend etwas weiß, ohne die
Kraft und den Mut dieses Wissens den Schwachen und Ängstlichen zu
geben. Und bis zu körperlichen Schmerzen quält es mich oft, daß
wir mit unseren höchsten Erkenntnissen unnütz sind, weil von den
Wissenschaften und den Künsten kein Weg ins Volk ist. Wir sagen stolz:
die Zeit Darwins, Wagners, Ibsens! Aber war es denn ihre Zeit? Sie waren
in dieser Zeit. Es ist mir unerträglich, zu denken, daß die Menschen
in dieser alten venezianischen Stadt hier nie den Tristan gehört haben.
Der Grund gehört den Herren, das Geld gehört den Herren, und die
Wahrheit auch und die Schönheit auch. Auch zur Wahrheit und zur
Schönheit ist den Armen der Eintritt verboten. Wer nichts zu essen hat,
soll auch nichts zu denken, nichts zu fühlen haben. Und der Denker,
der Künstler, statt der Herr der Menschheit zu sein, ist ein Knecht der
reichen Leute. Und ist es zufrieden! Ich schäme mich manchmal so, daß
ich auf und davon möchte, hinaus ins weite Land und zu Menschen, den
wirklichen Menschen, und ein Wanderer im Volk werden, weil es doch
mehr ist, einem einzigen Menschen zu helfen, als einsam in verwegenen
Gedanken und erlauchten Stimmungen zu schwelgen, und weil doch nur der
das Leben erst genießt, der überall auf seinen Wegen Freude hinter
sich läßt.

Eine Stunde von Spalato liegt ein altes Schloß in Trümmern. Es gehört
einem reichen Grafen, der es zerfallen läßt. Selten sieht man ihn
in den Gassen der Stadt, meistens hütet er das Bett. Nur wenn eine
italienische Truppe kommt, taucht er auf, ladet alle Sängerinnen und
Tänzerinnen ein und unterhält sich mit ihnen so lange, bis ihn der
Schlag trifft. Dann legt er sich wieder ins Bett, bis wieder eine Truppe
kommt. Draußen aber zerfällt sein altes Schloß. Er hat keine Freude
daran. Doch gehört es ihm, er gibt es nicht her, so kann es auch keinem
anderen Freude machen. Das ist ein Gleichnis unserer Verwaltung in
diesem Lande. Sie hat keine Freude daran. Aber sie verhindert es,
anderen Freude zu machen.

       *       *       *       *       *

Nun ist die Fastnacht da. Masken drängen durch die Stadt, Augen
glühen, Späße taumeln. In dem Saal des Hotels Troccoli staut sich
die Menge. Eng sind die Tische zusammengerückt; wer keinen Stuhl
mehr gefunden hat, steht, die schwitzenden Kellner können kaum durch;
Militärmusik und Coriandoli. Anfangs gehts noch ganz sittsam zu,
die Mädchen verwahren ihre Blicke noch. Diese Kroatinnen sind am
hübschesten zwischen fünfzehn und zwanzig, wenn in ganz kindliche
Züge plötzlich das heiße Blut schießt; sie kokettieren schon
allerliebst, aber mit einer schuldlosen Heiterkeit, die dann bei den
Frauen bald einem entschlossenen Ernst der Leidenschaft weicht. Dieser
Liebesernst macht den ganz eigenen Reiz kroatischer Schönheiten aus; in
ihren Mienen steht, daß sie mit allem anderen spielen, aber die Liebe
das Herz ihres Lebens ist. (Ich habe das Gefühl, daß sie so sind,
wie Stendhal die Italienerinnen gesehen hat, die mir neben ihnen so
vorkommen wie ihm neben den Italienerinnen die Französinnen.)

Oben, ganz am Ende des Saals, ist ein langer Tisch, da sitzen die
Offiziere. Es ist aber, als säßen sie hinter einer unsichtbaren
Mauer. Niemals springt die Lust bis an ihren langen Tisch, selbst die
Coriandolis scheinen Respekt zu haben. Die Herren Offiziere sind ganz
unter sich. -- Auch auf der Gasse fällt das auf. Man sieht sie nie mit
Zivilisten. Sie klagen, es sei ganz unmöglich für den Offizier, in die
kroatische Gesellschaft zu kommen, und wenn einmal einer zufällig einer
kroatischen Dame vorgestellt worden sei, drehe sie bei der nächsten
Begegnung den Kopf weg, um nur seinen Gruß nicht erwidern zu müssen.
Sie ziehen es deshalb vor, sich abzusondern und abseits zu bleiben. Man
erinnert sich wieder unserer lombardischen Erlebnisse. Ich schlage vor,
ein Gesetz zu machen, wonach der Staat jedem Offizier, der eine Kroatin
zur Frau gewinnt, die Kaution stellt und jedes Kind erzieht, das ein
Offizier, ehelich oder nicht, mit einer Kroatin hat, und dann die
Deutschmeister oder das Linzer Regiment hinzuschicken. Da man doch immer
von innerer Kolonisation spricht.

Immer enger drängt sich das Gewühl in dem dampfenden Saal, die Freude
siedet, Mädchen raffen die Coriandolis von den Tischen zusammen, ballen
sie, kneten sie, springen auf die Stühle und schleudern die großen
Kugeln, weiße Zähne blitzen und die schwarzen Augen jauchzen, ein
Stampfen ist, in den Rauch der Zigaretten fließt der Dunst verwelkender
Blumen und erregter Frauen, Gelächter und Trompeten schallen,
plötzlich tauchen ungeheure Schädel auf, die Menge rast, die Schädel
wanken durch den Saal, es sind meine Maler von gestern, die mich so
pariserisch angeheimelt haben, mit gewaltigen künstlichen Köpfen,
Karrikaturen städtischer Berühmtheiten. Und nun ist alles nur noch ein
einziger Knäuel tosenden Entzückens.

(Diese jungen Maler geben auch eine sehr witzige Zeitschrift heraus,
Duje Balavac; sie heißen Emanuel Vidovič, Angelo Uvodič, Virgilius
Meneghetto, Anton Katundrič.)

Dann noch ins Café nebenan. Ich sehe durch das Fenster auf die
venezianische Loggia. Vom Platz schallt slawischer Gesang. Masken
dringen ein und necken die Frauen. Die ganze Stadt des Diokletian
hallt von Lust und Gier. Und in der Luft ist das Zittern einer wild
verlangenden ungebändigten Kraft.



10.


Zu Josip Smodlaka.

Mit Smodlaka ging's mir wie mit dem heiligen Biagio. Den trifft man
überall, wo man immer in Ragusa geht. Über jedem Tor steht er, aus
jeder Nische schaut er, jede Mauer trägt sein Bild. Immer scheint es
ein anderer Heiliger zu sein: bald ein zierliches Männchen, zwischen
korinthischen Säulchen, den Bart ganz lang und spitz, die Mütze ganz
lang und spitz, den Finger der warnenden und drohenden Hand ganz lang
und spitz, so blickt er von der Porta Pile aus dem gelben Stein in den
grauen Zwinger, dem lieben Nikolo bei uns zu Haus gleich; bald wieder
seltsam feierlich, kindlich stilisiert, ein Sarastro aus Lebzelt,
wunderbar hager und steif gehalten, in der rechten Hand das Modell der
Stadt, die linke mit einem schmalen Hirtenstab, so hält er im Hafen
die Wacht; bald wieder, wie über dem Fenster der alten Dogana, in der
anmutigsten venezianischen Nische, ein rechter Kinderschreck und böser
Gnom mit einem Umhängbart und fetten kleinen Fäusten, einem ganz
kurzen, plumpen, atemlosen Rumpf und den winzigsten zittrigsten
Beinchen. Und immer ist's doch derselbe: der Heilige der Stadt, dem auch
die schöne Barockkirche am Stradone gehört. Er hat die Stadt in seiner
Hut, jeder vertraut sich ihm an; und so geschieht's, daß jeder sich
nach der eigenen Not sein Bild von ihm macht. Wie von Smodlaka. Der
steht jetzt auch überall in Dalmatien. Wovon man immer mit den Leuten
zu reden beginnt, um ihre Sorgen, ihre Hoffnungen, ihre Wünsche zu
hören, zuletzt wird plötzlich sein Name laut. Sie klagen, sie sind
bettelarm, niemand will ihnen helfen. Sagt man ihnen, es sei doch in
Wien mancher gute Wille für ihre Not bereit, so verschleiern sich
die mandelförmigen samtenen Augen, argwöhnisch stockt das Gespräch,
dunkel wird es. Aber plötzlich lacht dann einer und sagt: »Wir werden
Wien nicht brauchen, nein, wir haben ja jetzt den Smodlaka!« Und
gleich ist es hell. So viel Sonne bringt ihnen der bloße Name. Oder man
spricht von alten Zeiten, unter den Venezianern, unter den Türken, als
der Dalmatiner noch mitten im Sturm der Geschichte stand; und die gelben
Wangen röten sich, die leisen dunklen weichen Stimmen springen auf,
bis einer traurig sagt: Es war einmal! Und aller Glanz ist plötzlich
erloschen, und aller Stolz wieder versunken, sie sitzen still, draußen
wirft die Bora den weißen Schaum über die Riffe. Sie hören es und
horchen. Und in das Zischen hinein, während der Sturm so mit
seinen zornigen Schwingen schlägt, daß das eherne Tor des Himmels
einzubrechen scheint, fragt einer dann: Und jetzt, und jetzt? Aber da
sagt ein anderer, während die scheiternden Wasser heulen: Und jetzt,
vergeßt nicht, haben wir doch den Smodlaka! Und es ist, als wäre
plötzlich ein großes schweres altes Schwert gezückt, durch seinen
bloßen Namen. Oder man fragt etwa, ungewiß, sich in allen diesen Zank
von Serben und Kroaten, Alten und Jungen, Bedächtigen und Beweglichen
zu finden, fragt nach Programmen, fragt nach der Herkunft und der
Richtung der Parteien, da steht mitten im Gespräch plötzlich ein
ungeduldiger junger Mensch mit dunklen Locken auf und schüttelt alles
ab und sagt: Das ist alles Unsinn, das zählt nicht, das sind Masken,
wir haben überhaupt erst seit vier oder fünf Jahren wieder ein
politisches Leben, denn unser politisches Leben in Dalmatien besteht
nämlich aus Smodlaka! Und so bekam ich's immer wieder zu hören,
überall, von Intellektuellen und Bauern und Arbeitern, auf dem Land
und in den Städten, von Nationalen und Demokraten und Sozialisten:
Smodlaka, Smodlaka! Jeder ruft ihn an, in ihm glauben sich alle zu
finden. Er hat jedes Vertrauen, ihm will jeder gehorchen. Er ist die
allgemeine Landesfreude. Er ist der neue San Biagio der dalmatinischen
Jugend.

Dieser neue Biagio ist Advokat in Spalato, Landtagsabgeordneter und
fast Reichsratsabgeordneter. Wer nämlich jetzt eigentlich der
Reichsratsabgeordnete von Spalato ist, weiß man seit der letzten Wahl
nicht. Die Regierung behauptet, es sei Monsignore Franz Bulič
gewählt worden. Monsignore Bulič ist ein unendlich feiner, unendlich
liebenswürdiger und unendlich gelehrter alter Herr, der sein Leben
damit verbringt, die versunkene Stadt Salona auszugraben. Er hat ein
bißchen etwas von einem alten Landpfarrer, ein bißchen etwas von dem
deutschen Philologen der »Fliegenden Blätter« und ein bißchen etwas
von einem Visionär. Wenn man so neben ihm sitzt, zwischen geborstenen
Kapitälen, zersprungenen Aphroditen und verwaschenen Inskriptionen, und
er einem nun die Stadt des Diokletian erklärt, sieht man, daß er sie
sieht, vor seinen Augen steht sie da, und er geht in ihr herum. Wenn er
aber in der heutigen Stadt Spalato herumgeht, hat er diese Sicherheit
nicht, und ich zweifle sehr, daß er sie sieht. Was auch vielleicht
ein bißchen zuviel verlangt ist von einem und demselben Mann: mit eben
denselben Augen zu sehen, was vor tausend Jahren war, und zugleich,
was heute ist; es gehörte dazu eine nicht gemeine Fähigkeit der
Akkommodation. Die letzte Wahl spielte sich nun so ab: Smodlaka war der
Kandidat, der Bezirkshauptmann aber erklärte, Bulič sei der Kandidat,
was Bulič, höchst erschreckt, eifrig bestritt. Die Wähler erklärten
nach der Wahl, sie hätten Smodlaka gewählt. Der Bezirkshauptmann aber
erklärte, sie hätten Bulič gewählt. In Wien hielt man sich an das,
was der Bezirkshauptmann erklärte. In Wien glaubt man heute noch,
Bulič sei der Abgeordnete von Spalato. Bulič selbst aber glaubt es
nicht, ihm ist es nicht geheuer, er übt sein Mandat nicht aus, er
weigert sich, er will nicht. Wohl auch weil ihm das versunkene Salona
lieber ist, da kennt er sich aus, und dort gab es auch damals noch
keinen Bezirkshauptmann. Die ganze Sache ist sehr österreichisch, man
muß einen österreichischen Kopf haben, um sie zu verstehen; auch
in Galizien gibt es das ja, und nun muß man wissen, daß, was Wahlen
betrifft, dalmatinisch noch der Komparativ von galizisch ist.

[Illustration: _Salona_]

Als ich nun nach Spalato kam, beschloß ich, Smodlaka aufzusuchen. Ich
wollte den Mann sehen, an den sein ganzes Volk glaubt. Solche Männer
haben wir heute nicht. Wir in Wien, wir in Berlin. Vielleicht gehört es
zur »Kultur«, solche Männer des Vertrauens nicht zu haben. Also ging
ich aus, sein Haus zu suchen. Wie man in polnischen Städten, wohin man
auch gehe, zunächst immer auf den »Ring« kommt, einen Platz, auf dem
die Bewohner der Stadt ihr Leben zubringen, so ist es hier der Gospodski
Trg, die Piazza dei Signori, zu der jeder Weg führt. Hier ist der
Orient, alle Farben sind hier, das Leuchten der ausgebotenen Orangen
verblaßt am Feuer dieser Trachten. Wunderschöne alte Leute mit ganz
stillen, ganz großen Gebärden. Sie lehnen den weißen Kopf an die
Mauer und ruhen aus. Sie ruhen immer aus. Manchmal schreit einer
plötzlich etwas, ein anderer springt auf, sie fahren sich an, jetzt
sind zehn, jetzt schon zwanzig beisammen, im Rudel so dicht beisammen,
daß es ein einziger ungeheurer Rumpf mit unzähligen Köpfen und Armen
scheint, sie schreien, sie stoßen, sie drängen und doch bleibt mitten
im Lärm die große Ruhe da. Aus dem Gedränge ragt ein starker Arm,
der einen Tschibuk hält, mitten im Gedränge. Und wie einen schweren
dichten Mantel haben sie noch immer ihre große Ruhe um. Und plötzlich
ist es aus. Und plötzlich ist alles wieder still. Und die weißen
Köpfe lehnen wieder an der Mauer, ausruhend. Ich gehe auf den mit dem
Tschibuk los, um ihn nach Smodlaka zu fragen. Ich frage italienisch.
Er versteht mich nicht. Ich zeige den Brief, den man mir für Smodlaka
gegeben hat. Und ich wiederhole: Smodlaka, Smodlaka! Ein bildhübscher
junger Mensch hört den Namen, tritt auf mich zu und spricht mich
kroatisch an. Ich antworte italienisch, er wieder kroatisch. Ich
verstehe, daß er italienisch versteht und es nur nicht sprechen will.
Pantomimisch bietet er sich an, mich zu führen. Wir gehen. Ein zweiter
Jüngling, auch dieser wunderhübsch und von einer merkwürdigen
Wildheit, schließt sich an. Und gleich noch ein dritter, sehr groß,
mit exzessiven Beinen. Und bald ist es ein ganzer Zug, ich mitten drin,
langsam durch die Gassen stapfend, und die schlanken, hitzigen Burschen
neben mir mit ihren federnden, drängenden Tritten. Der bloße Name
Smodlaka hat mir eine ganze Garde von Jugend gebracht. Und seltsam
kommt's mir vor, wie wir so schreiten, so gar nichts Slawisches an ihnen
zu finden. Wie junge, frohe, deutsche Turner sind sie.

Smodlakas Zimmer ist ganz einfach. Ein großer Schreibtisch, zwei
Sessel, sehr viel Bücher. Kroatische, russische italienische,
englische, französische, deutsche Bücher. Viel Staatswissenschaft,
Ökonomie, Statistik. Sehr viel Geographie, sehr viel Orient, sehr viel
Kolonien. So mags bei Dernburg aussehen. Oder mein lieber Johannes V.
Jensen könnte diese Bibliothek haben. Aber da kommt Smodlaka und ich
frage, verwirrt, ungläubig, fast erschreckt: Herr Doktor Smodlaka?
Er lacht und sagt ein paar freundliche Worte, schon sind wir mitten im
Gespräch; er gehört zu den Menschen, die man nach zwei Minuten
seit Jahren zu kennen glaubt. Und doch kann ichs noch immer gar nicht
glauben, daß dies wirklich, dieser Wikinger, dieser Ibsen-Mensch hier
vor mir, Smodlaka sein soll, der Heilige von Dalmatien! Und dann fällt
mir ein, daß daran aber bloß Heinrich Mann schuld ist. Nämlich sein
Pavic, in den »Göttinnen«, der morlakische Tribun, trifft das, was
sich ein Deutscher unwillkürlich unter einem südslawischen Demokraten
zu denken gewohnt ist, so sehr, daß man es nun dem Leben gar nicht
glauben mag, es könnte doch auch anders sein. Jetzt weiß ich das erst
und werde lachend gewahr, daß ich bei mir, ohne es selbst zu wissen,
Smodlaka ja die ganze Zeit als Pavic gesehen! Mit wehendem Bart,
mit flatternden Gebärden, mit schnaubender Stimme. So einen kleinen
kroatischen Gambetta halt. Und nun sitzt eine Art Roosevelt vor mir, ein
Luftmensch, ein Ingenieur, stark bäuerisch im Denken, einer, der keine
Worte macht, sondern Hand anlegt, kein Phantast, ein Rechner, einer, der
sich nicht an Phrasen, sondern an das Bedürfnis hält, einer, der auf
kein Programm, sondern auf die Not hört, ein Wegmacher, der vor dem
eigenen Hause beginnt, einer, der ausholzen und Luft haben und Licht
machen will. Und ich reibe mir die Augen und frage plötzlich: Ja, bin
ich denn in Schweden? Da sieht er auf und lacht. Es ist das kurze helle
Lachen eines tätigen Germanen. Und dann sagt er: »Der Vergleich wäre
gar nicht übel. Wir sind mehr Schweden, als man weiß. Wir sind Bauern.
Spalato ist eine von Bauern bewohnte Stadt. Und ganz Dalmatien ist
bäuerisch. Aber die Kraft dieser Bauern liegt gebunden. Und wenn Sie
mich schon um mein »Programm« fragen: diese gebundene Kraft wollen
wir entbinden, damit der Bauer werde, was er sein kann. Das ist unser
Hochverrat. Wir haben neunzig Prozent Analphabeten, und wenn wir Schulen
verlangen, nennt man es Hochverrat. Wenn wir Wanderlehrer zu den Bauern
schicken, weil diese gern lesen und schreiben lernen möchten, kommt der
Gendarm über uns, und es ist Hochverrat. Wenn wir Sparkassen gründen,
ist es Hochverrat. Wenn wir gegen die Kolonenwirtschaft sind, die jeden
modernen Betrieb unmöglich macht, ist es Hochverrat. Wenn unsere jungen
Dalmatiner nach Amerika gehen, dort arbeiten und ein höheres Leben
kennen lernen, das sie dann mit nach Hause bringen wollen, ist es
Hochverrat. Diesen Hochverrat werden wir so lange fortsetzen, bis wir
ihn durchgesetzt haben werden. Wir haben keinen besonderen Wunsch, dabei
Gewalt anzuwenden. Sollte man dies aber durchaus wünschen, so ist
es Bauernart, auch damit dienen zu können.« Und er wiederholt
nachdenklich: »Schweden wäre wirklich gar nicht schlecht. Noch lieber
aber Norwegen. Das ist es ungefähr, dahin will unsere Zukunft.
Nach einer solchen langsamen, bäuerlich behutsamen und bäuerisch
beharrlichen, bedächtig zuschreitenden Entwickelung, von unseren
Bedürfnissen aus, unseren Möglichkeiten gemäß, verlangen wir. Diese
Möglichkeiten möchten wir zu Wirklichkeiten machen. Auf unsere Art
wollen wir unser Land bestellen. Das hält man in Wien für gefährlich.
Uns aber verhungern zu lassen, wird vielleicht noch gefährlicher
sein. Jedenfalls zeigen wir dazu keine Lust. Und das findet man
unpatriotisch.«

Und er schildert mir dann das Land und das Volk von den alten Zeiten
her. Ich sage, welchen seltsam wehmütigen Zauber es für mich hat.
»Ästhetisch,« sage ich, »bin ich in den dumpfen Gehorsam und die
fast tierische Treue, die es im Blute hat, ganz verliebt. Politisch
freilich --?«

»Nun ja«, sagt er, in seiner stillen Art. »Aber vergessen Sie nicht,
daß wir die Regierung haben, das ist unser großes Glück, die wird uns
den Gehorsam schon noch austreiben.«

       *       *       *       *       *

Von Smodlaka zu Bulič. Es ist gar nicht weit. Ein paar Schritte und man
ist aus dem zwanzigsten Jahrhundert in das vierte getreten.

Ein großer alter Bauer, mit der langsamen Feierlichkeit eines
Landgeistlichen und den weltblinden Augen eines Visionärs. Baumeister
als Attinghausen hat diesen Blick eines Entrückten, der schon drüben
ist. Ein dalmatinischer Abbé Constantin mit einem Zug ins Heroische der
großen Träumer. Ein freundlicher alter Herr, den die Gicht plagt, aber
wenn er dann von seiner Stadt Salona beginnt, wird er fanatisch jung.
Und man spürt, daß es ein Besessener ist. Diokletian und Salona, das
ist seine Welt; der Rest macht ihn ängstlich und verwirrt.

Aber auf unsere Regierung ist er noch viel schlechter zu sprechen als
Smodlaka. Sie versteht nämlich auch vom Palast des Diokletian nichts.
Er erzählt mir, wie er, vor Jahren schon, als er eben zum Konservator
ernannt worden war, sich feierlich ins Amt begab, um dort den Palast
des Diokletian als Staatseigentum anzumelden, wodurch er ihn vor
barbarischen Eingriffen zu sichern glaubte. Statt nun aber dafür, wie
er fest erwartete, belobt zu werden, was denken Sie, was geschah? Er
steht auf und faßt mich an, er kann es noch heute nicht glauben. Was
denken Sie? Das errät niemand! Was denken Sie, was geschah? Ich hätte
einen Orden verdient, aber ich bekam eine Nase. Eine Nase! Und er reibt
sich seine, als ob es jene wäre. Statt mir zu danken, daß ich das
einzige Mittel fand, den Palast zu schützen! Aber im Finanzministerium
meinte man, daß es Geld kosten könnte. Und davon wollen sie nichts
wissen in Wien. Wenn ich nach Wien komme, heißt's immer: Sehr schön,
sehr gut, aber wir haben kein Geld! Und wieder springt der alte Herr
auf, nimmt mich an den Schultern und wiederholt, mit seiner schweren
zornigen Stimme, ratlos: Kein Geld, für den Palast des Diokletian kein
Geld! Und wenn ich nach Wien komme, wollen sie mich schon gar nicht mehr
anhören, der Sektionschef läßt sich verleugnen und entschuldigt
sich mit Geschäften, die wichtiger sind. Wichtiger als der Palast
des Diokletian! Und er tippt mit seinem knöchernen Finger auf meine
Schulter und sieht mich aus seinen versunkenen Augen an und wiederholt
das Unbegreifliche: Wichtiger als der Palast des Diokletian!

Ich muß lachen, weil ich mir denken kann, wie seltsam, ja fast
unheimlich denen in Wien der alte Schwärmer vorkommen mag. Und das
Gesicht des jungen Referenten im Ministerium, als damals ein so
gar nicht erwünschtes Staatseigentum »angemeldet« wurde! Und den
Schrecken, den sein juristisches Gemüt bekam! Die »Nase« war ja
sicherlich rechtmäßig fundiert. Denn es kommt in einem Rechtsstaat
nicht darauf an, Recht zu haben, sondern die rechte Form zu finden.
Einen aber, der das Rechte will, auf den rechten Weg zu bringen, ist
nicht Sache des Referenten. Auch muß es denen in Wien unbegreiflich
sein, wie man sich um etwas kümmern kann, das einen schließlich ja
gar nichts angeht. Dem braven Bulič aber, wie Gott ihn nun einmal
geschaffen hat, muß es wieder unbegreiflich sein, daß ihnen das
unbegreiflich ist. So geht es in der Welt, und einer hält dann den
anderen für schlecht und dumm.

Nun schildert er mir die Leiden seiner Ausgrabungen. Der Taglohn steigt,
der Betrag, den man ihm in Wien ausgesetzt hat, bleibt lächerlich
klein, so stockt das Werk. Und was gefunden wird, kann er nicht
unterbringen. Der enge Raum des Zimmers, das einstweilen als Museum
dient, ist längst überfüllt. Seitdem liegt alles in Kisten verpackt,
die in Kellern warten. Er kann nicht wissenschaftlich arbeiten, weil
er nichts mehr aufstellen, nichts mehr ordnen kann. Und die Miete der
Keller, in denen die Kisten liegen, verringert noch den Betrag, mit dem
er für sein Werk auskommen soll. Endlich ein wirkliches Museum zu
bauen ist unabweislich. Dann kann endlich erst alles ausgepackt und
aufgestellt werden, dann erst wird er arbeiten können, dann erst ist es
möglich, junge Gelehrte herzuziehen, die ihm helfen, dann wird man die
Wunder von Salona sehen, dann werden die Fremden kommen! Ein Architekt
hat ihm den Plan dieses Museums entworfen. Damit ist er dann wieder
einmal nach Wien gereist und hat die in Wien so bedrängt, daß sie
schließlich, um ihn nur wieder los zu werden, sich nicht anders zu
helfen wußten, als durch die Zusage, die Baukosten zu bewilligen, unter
der Bedingung jedoch, daß die Stadt Spalato dafür aus Eigenem den
Bauplatz beizustellen hätte. Sie dachten wohl, er könnte dies von der
Gemeinde niemals erreichen und sie stünden dann noch als die verkannten
Wohltäter da, ohne Kosten, und hätten Ruhe. Und wirklich wollte die
Gemeinde zuerst nicht. Bulič aber, der selbst im Rat der Stadt sitzt,
bedrohte sie so, daß endlich keiner mehr zu widersprechen wagte. Nur
versuchten sie noch, sich auszureden, indem sie behaupteten, es werde
ja doch nichts nützen, denn die Regierung werde nicht halten, was sie
versprochen, weil sie noch nie gehalten hat, was sie versprochen hat.
Aber da sprang Franz Bulič auf, und indem er drohend seine schwere Hand
gegen die Zweifler hob, sprach er: »Ich habe das Wort der Regierung und
so kann ich, Franz Bulič, den Ihr kennt als einen wahrhaft gesinnten
Mann, der nie gelogen hat, ich kann euch schwören, daß, wenn ihr den
Grund gebt, die Regierung das Geld geben wird, und wer ist unter euch,
der an meinem Eide zweifelt?«

Mitten im Zimmer steht er, erzählend, mit erhobener Hand, wie wirklich
vor der ganzen Gemeinde. Dann besinnen sich seine fernen Augen, kommen
langsam zurück, und indem er sich wieder zu mir setzt, sagt er: So
sprach ich ins Gewissen der versammelten Gemeinde, da gaben sie den
Grund, aber die Regierung gab das Geld nicht, jetzt lachen sie mich aus,
und ich muß mich schämen!

[Illustration: _Clissa_]

Natürlich ist man in Wien empört, daß die Regierung verdächtigt
wird, nicht zu halten, was sie versprochen hat. Das ist auch eine
Verleumdung, denn die Regierung sagt keineswegs, daß sie das Geld nicht
geben wird. Sie wird es schon geben, sie läßt sich nur Zeit. In
dieser Zeit aber (fünf Jahre mag es her sein) ist es geschehen,
daß inzwischen in der Stadt der Arbeitslohn um etwa vierzig Prozent
gestiegen ist. Wenn nun also, nachdem die Gemeinde den Grund gegeben
hat, die Regierung, wie sie versprochen hat, schließlich doch einmal
das Geld geben wird, das der Architekt damals gefordert hat, so wird man
nun erst wieder nicht bauen können, denn das Geld reicht jetzt nicht
mehr, und mehr als sie versprochen hat, wird die Regierung nicht geben,
und sie kann dann noch sagen, daß man eben wieder einmal sieht, wie
mit diesen Dalmatinern nichts zu machen ist, und das ausgegrabene Salona
bleibt weiter in Kisten verpackt, in Keller versenkt, und kein Forscher,
kein Fremder kriegt es zu sehen, und kein Forscher, kein Fremder kommt
mehr, und die in Wien haben Ruhe.

       *       *       *       *       *

Mitternacht. In der Kabine, heimwärts zu fahren. Langsam stößt das
mächtige Schiff aus dem Hafen, die Lichter der frohen Stadt erblassen.
Und in mir ist eine wunderbare Sicherheit: Diese Menschen hier sind
stark, sie werden stärker sein als alles!

Und dann fragt es noch in mir: Warum? Warum wollen wir dieses kräftige
Volk voll Zukunft nicht für uns haben? Es ist bereit, warum stoßen wir
es weg?

Ich hätte manchmal weinen mögen, über unsere Dummheit. Das schönste
Land mit den treuesten Menschen trägt sich uns an und wir wollen es
nicht. Warum, warum?

Aber dann denke ich, daß selbst die Dummheit vergebens gegen die
Götter kämpft. Die Götter sind stärker, die Macht der Entwicklung
siegt. In unserer ganzen Geschichte geht es ja doch immer so, daß wir
dumm sind und doch zuletzt etwas Gescheites daraus wird. Wir sind
dumm gewesen und haben Deutschland führen wollen. Da sind wir aus
Deutschland geworfen worden und nun bleibt uns doch nichts übrig als
auf den Balkan zu gehen. Wir sind wieder dumm, wir wehren uns, wir
wollen nicht. Aber wir müssen. Wenn es um das Leben geht, hört der
Mensch auf, dumm zu sein. Wir müssen auf den Balkan. Wir können aber
nicht auf den Balkan, wenn wir unserer Südslawen nicht sicher sind.
Bosnien und die Herzegowina zu nehmen kann nur den Sinn haben, daß
Österreich seine Zukunft auf dem Balkan sucht. Dazu braucht es das
Vertrauen der Slawen auf dem Balkan. Diese muß es sich zu Freunden
machen. Kann es sich diese zu Freunden machen, wenn es der Feind ihrer
Brüder, seiner eigenen Slawen, bleibt? Sollen uns die Slawen auf
dem Balkan vertrauen, so kann es nur geschehen, wenn unsere Slawen in
Dalmatien und Kroatien ihnen Lust dazu machen. So lange wir hier aber
wie in Feindesland hausen, wird dies die drüben nicht verlocken, sich
uns anzuschließen. Wir müssen auf den Balkan, aber wir können
es erst, wenn Bosnien und die Herzegowina, Dalmatien, Kroatien und
Slawonien beisammen und für Österreich bereit gemacht sind.

Die Geschichte wird sicher wieder gescheiter sein als wir, mir ist gar
nicht bange. Still atmet die Nacht zu den Luken herein und wiegt mich;
das Wasser schlägt ans Schiff. Mich schläfert, es kreiselt durch das
Hirn und ich denke noch, daß ja sicher, bis ich wieder, vielleicht im
Herbst, nach Dalmatien komme, diese Verwaltung schon weggejagt und hier
ein freies Volk sein wird, an Österreich gläubig, durch Österreich
stark, für Österreich bereit, da die Geschichte ja noch immer
gescheiter war als wir.



11.


Nach Agram. -- Architektonisch läßt sich nichts Österreichischeres
denken als die alte Stadt Agram, oben beim Palast des Banus und rings
um den Dom. Schönstes österreichisches Barock, in welchem sich
der südlichen Anmut gleichsam ein bedächtiger deutscher Ernst, ein
bürgerlich haushaltender Sinn auf die Schulter setzt. Häuser von einer
so lieben Einfalt, stille Balkone, Fenster mit verkrausten Kranzeln sind
da im Gewinkel und Gewirr verschlafener Gassen und verbogener Ecken,
daß man sich die Augen reibt und verwundert fragt: Ja, bin ich denn
in Salzburg oder der alten Stadt Steyr? Und unwillkürlich glaubt man,
gleich wird aus einem der engen Fenster ein Wiener Hofrat seinen alten
Kopf stecken, um das Land zu mustern! Tritt man dann, an dem Wohnhaus
des Barons Rauch vorbei, das wie aus einem Stück von Goldoni aussieht,
auf die Promenade hinaus, die nach dem Bischof Stroßmayer heißt, so
breitet sich das lieblichste Tal aus, mit anmutigen Villen auf sanften
Gehängen, und in der Ferne glänzt die Save weiß. In die untere Stadt
zurückgekehrt, steht man vor dem Jelacic, den Fernkorn auf den großen
Platz gestellt hat, hoch zu Roß und den Säbel froh gezückt, gegen
Ungarn hin. Da brechen Erinnerungen auf, und man kann die Wandlungen der
abwechselnden österreichischen Geschichte repetieren.

Ich ging dann ins Gericht, wo jetzt dieser Prozeß gegen die Serben
spielt. Ich meine nämlich, daß man Menschen aus ihren Reden niemals
erkennen kann, wenn man sie nicht leibhaftig vor sich gesehen hat. Die
Gesichter der Menschen muß man sehen, dann bekommen ihre Reden erst den
rechten Sinn. So saß ich denn und sah mir die Gesichter an, der Richter
oben und der Beschuldigten. Ich erlebte dabei wieder einmal, was ich
doch im Grunde für ein Theatermensch bin. Gleich waren meine Gedanken
bei Reinhardt, als hätte der ein Stück zu inszenieren, und ich säße
bei seiner Probe. Irgendein Stück von der Tolstoischen Art, wo denn
immer, wie das schon Tolstoischen Gedanken entspricht, das Licht den
Angeklagten günstiger ist als den Klägern. Aber ich würde da sicher
zu Reinhardt sagen: »Das ist nun wieder recht Ihre Art mit Ihrer
Vorliebe für die ganz starken Ausdrücke, durch die gleich im ersten
Augenblick dem Publikum alles handgreiflich gemacht und seine Sympathie
sogleich entschieden werden soll! Ich verstehe das schon, aber, lieber
Max Reinhardt, übertreibt denn das Leben so? Ich dächte, so drastisch
klar abgeteilt sind die Dinge doch im Leben nicht. Und mir wird angst,
ob wir da nicht auf einmal wieder in der alten Komödie sind, mit den
fuchsroten Bösewichtern und der schwanweißen Unschuld. Geben Sie nur
acht!« Es kann aber sein, daß Max Reinhardt mehr vom Leben weiß als
ich; die Dinge teilen sich da manchmal wirklich gar drastisch ab, und
der Unterschied von der alten Komödie ist vielleicht nicht so groß.

Ein kahler, heller Raum. Die Luft ist trüb. Wenig Publikum. Und diese
paar Leute drücken sich eng aneinander und halten sich ganz still. Sie
sind scheu und regen sich nicht. Denn das Publikum wird hier sehr streng
gehalten. Die Frau des Doktors Hinkovic, des Hauptverteidigers, hat
neulich mit ihrer Nachbarin gesprochen, gleich hat sie fort müssen.

Im Halbrund am Fenster sitzen die Richter mit großen vorhängenden
kupfrigen Gesichtern, dicken Schnauzbärten und vagen, wie verlorenen
Augen, aus denen nur Gehorsam blickt. Merkwürdig ist der stets gereizte
Präsident, der aussieht wie jemand, der schlecht schläft und böse
Träume hat. Er hört nicht gern zu, besonders den Anwälten nicht.
Lieber spricht er selbst. Er kann kaum seine nervösen Hände
beherrschen; immer auf dem Sprung sitzt er da. Nimmt einer der Anwälte
das Wort, so schüttelt's ihn, und er fährt los. Sie wollen immer
beweisen, daß diese oder jene Handlung nicht geschehen sei; ihn aber
scheint mehr die Gesinnung zu interessieren. Und er führt manche
Neuerungen in den Prozeß ein; wie er z. B. den Verteidigern verboten
hat, den Angeklagten, die doch noch gar nicht verurteilt sind, die Hand
zu reichen. Eine gute Figur macht der Staatsanwalt. Er zeichnet sich
dadurch aus, daß er Talent zu haben scheint. Noch jung, schlank,
kampfbereit, agil mit seinem Zwicker hantierend und von einer fast
katzenhaften Anmut der beweglichen Gebärden, weiß er seine Sache
unbedenklich zu führen. Besonders geschickt ist er im Angriff, wobei
ihm eine gewisse geistige Gelenkigkeit hilft, die jeden Augenblick die
Stellung wechselt und, wenn ein Argument versagt hat, es sogleich mit
dem Gegenteil versucht, immer wieder von einer anderen Seite her. Er hat
eine geschmeidige Intelligenz, die jeden Sprung wagt, in dem sicheren
Gefühl, zuletzt schon irgendwie wieder auf die Füße zu fallen. Und
wenn es einmal für ihn gefährlich wird, läßt er sein Temperament
schießen und will überrennen. Seine Begabung wird sichtlich vom
Präsidenten gewürdigt. Der Staatsanwalt heißt Accurti, und für die
angeklagten Serben soll es eine Art Trost sein, daß seine Frau von dem
letzten serbischen Wojwoden Suplikac stammt.

Die Angeklagten sind Lehrer, Popen, Händler und kleine Beamte vom Land,
fast durchaus ganz arme Leute. Sie sitzen ergeben da, halb ermüdet, und
halb schon ein bißchen gelangweilt; und manchmal reißt einer weit die
traurigen Augen auf, als müßte das alles, was er hier hört, doch nur
ein einziges großes Mißverständnis sein, und dann senkt er den Kopf
wieder und ergibt sich, es gelassen zu tragen, oder sein stiller Blick
geht langsam im Saal herum, Menschen suchend. Seit Monaten sind sie in
Haft, Monate haben sie noch vor sich. Und dann? Sie sind angeschuldigt,
den Tod durch den Strang verdient zu haben. So sitzen sie halt in dem
kahlen Raum mit dem trüben Licht und erwarten. Einer fällt unter ihnen
auf, Adam Pribicevic, der Hauptangeklagte, mit seinem weißen, geistig
zerquälten Gesicht und den großen, fernblickenden Augen. Es ist das
Gesicht eines logischen Schwärmers, den viele Fragen gepeinigt haben,
eines Suchenden, der sich mit der Welt nicht abfinden kann, eines
Unsteten im Geiste, der alles Leid austrinken will, um die Wahrheit
über das Leben zu erfahren; einen Hamlet-Zug hat es. Er und der
Staatsanwalt, da sieht man vielleicht nebeneinander die beiden Enden
der Menschheit. Stark scheint in ihm das Bedürfnis zu sein, ins Volk zu
gehen und zu helfen. Was er zu wissen glaubt und für recht hält, will
er nicht für sich behalten, sondern es soll unter die Menschen kommen,
um die Leiden zu lindern. Dieses Bedürfnis haben junge Russen oft; bei
uns ist es ziemlich unbekannt, weshalb es für ihn schwer sein wird,
sich hier verständlich zu machen. Man sieht ihm an, daß er mit
Zweifeln gerungen hat, und er macht den Eindruck, ein sehr zartes und
reizbares Gewissen zu haben. Deshalb sind auch seine Antworten zuweilen
von einer Art, die nicht üblich ist. In einer Verhandlung ist ihm
gedroht worden, in Ketten geschlossen zu werden. Er antwortete:
»Ich fürchte das nicht. Denn körperliche Qualen können mich nicht
schrecken. Sie sind mir eher erwünscht, weil sie die anderen, die
geistigen, betäuben und die Seele besänftigen.« Zu einer solchen
Menschenart, wie sie sich in diesen Worten ausspricht, wird man hier
vielleicht kein rechtes inneres Verhältnis finden, aber dies scheint er
nicht zu bemerken. Er gehört wohl zu den gläubigen Seelen, die sich,
wenn sie etwas für recht halten, ganz sicher fühlen, und er weiß noch
nicht, wie die Menschen einander oft mißverstehen.

Die Verteidigung führt der Doktor Hinkovic. Er wird hier jetzt ebenso
geschätzt als gehaßt. Mit einer gewissen großen Vereinfachung, die
dann freilich im einzelnen nie völlig stimmt, kann man sagen, daß
einst Kroatien zwischen Stroßmayer, dem großslawischen Schwärmer, und
dem alten Starcevic, für den es auf der Welt nur Gott und die Kroaten
gab, geteilt war. Wer nun in dieser Richtung des Starcevic weiter denkt,
hält sich jetzt an den Doktor Josip Frank, während die Gläubigen des
großen Bischofs zur serbokroatischen Koalition gekommen sind, der der
Doktor Hinkovic angehört. Er ist ein unermüdlicher Verstandesmensch,
der ganz genau weiß, was er will, und seine Zeit abwartet. Die Neigung,
eher ein Wort zu wenig als ein Wort zuviel zu sagen, hilft ihm sehr, und
es ist sein Sport, sich um keinen Preis provozieren zu lassen. Als seine
Frau neulich aus dem Saal verwiesen wurde, ist er ganz still gesessen,
man hat ihm nichts angesehen, und es war nichts zu machen. Seinem
Kollegen, dem Serben Doktor Dusan Popovic wird dies weniger leicht, er
hat ein prachtvolles Temperament, gleich schießt ihm das Blut in den
ehrlichen Kopf, und er ringt insgeheim die Hände, weil er, ganz wie die
Angeklagten selbst, gar nicht verstehen kann, warum man denn oft, statt
Aufklärungen hinzunehmen, die ganz plausibel sind, noch nach ferneren
und unwahrscheinlichen Motiven sucht.

[Illustration: _Spalato_]

Dann ist mir noch was Lustiges passiert, wie es schon mein Schicksal
scheint, in meinem Vaterland nirgends unangefochten zu bleiben. Die
Bank der Journalisten war besetzt, so luden mich die Verteidiger ein,
zu ihnen zu kommen. Dies war mir erwünscht, weil sie mir ja manches
erklären konnten. Auch habe ich einen Hang zu symbolischen Akten, da
war es mir recht, mich an die Seite des Mitleids zu setzen. Wohl eine
Stunde saß ich dort, sehend und hörend, bis dann plötzlich der
Staatsanwalt in einen Zwist mit dem Doktor Popovic neben mir geriet.
Da fragte der Präsident, wer denn eigentlich der neue Verteidiger da
wäre, nämlich ich. Und ich verstehe ja gewiß, daß Zuschauer und
Zuhörer aus dem Norden oder Westen hier jetzt nicht gerade sehr
erwünscht sind oder doch sich so plazieren sollen, daß sie nichts
davon verstehen. Übrigens weiß ich dem Präsidenten allen Dank, es
ist mir lieber, daß er mich fortgeschickt hat, als wenn er mich am Ende
dort behalten hätte.

Nachts fuhr ich heim. Die Strecke nach Steinbrück scheint die
Bestimmung zu haben, die Entfernung zwischen Agram und Wien zu
vergrößern. Der Zug war mit Auswanderern voll. Bauern vom kroatischen
Land, nach Amerika getrieben, ein paar hundert. Ächzend schob der Zug
sich in die schwarze Nacht hinein. An den Stationen, im Dunkel, ihre
Mütter, Weiber und Kinder, mit den Schürzen winkend, in die Hände
weinend. Der ächzende Zug aber unerbittlich fort in die schwarze Nacht.
In der Ferne verhallt das Wimmern. Und die Bauern schreien, gewaltsam:
Nach Amerika!



12.


Als Epilog noch einiges, was die Fahrt ergab.

Von Ragusa schrieb ich an das Berliner Tageblatt um Hilfe:

=Um Berliner wird gebeten.=

Nämlich in Dalmatien.

Ich war jetzt wieder unten. Und überall dieselbe Klage, noch immer: Wir
haben keine Fremden! Und überall derselbe Wunsch, wieder: Ja, wenn wir
Berliner hätten! Allen ist es ausgemacht: Nur Fremdenindustrie kann uns
retten. Oder wie sie's gern sagen: Nur als Adriatische Schweiz
können wir leben. Und dürfen wir es nicht ansprechen? Wird nicht die
Landschaft der Bocche, mit den weißen Bergen am blauen Golf, nordischen
Fjorden verglichen? Lockt Lakromas verwunschener Hain nicht weicher
als Korfu? Haben wir in Salona, kaum eine halbe Stunde von Diokletians
verwittertem Palast, nicht unser Pompeji? Nicht die ganze Küste von
Arbe bis nach Ragusa hinab Reste der venezianischen Herrlichkeit,
mit einer Kraft im Zierlichen, einer Unschuld im Prächtigen, einem
Frühling in der Anmut hier, die daheim, in der Sicherheit des eigenen
Landes, längst zum Buhlerischen, Üppigen, Prahlerischen entartet?
Und dazu das Gewimmel serbischer, albanischer, türkischer Trachten,
in durchsonnten Farben! Und auf dem angestammten Stolz ungebrochener
Leidenschaften liegt der bronzene Glanz der slawischen Wehmut! Uralte
Sitten, aus griechischer Zeit noch, walten im Land, der Orient greift
herein, aber schon wühlen westliche Gedanken, Hoffnungen aus dem Norden
das Volk auf; und dies alles wird von dem ahnungslosen österreichischen
Militär bewacht! Galizien und Castilien und der Peloponnes ist hier,
aber in die Jugend bläst ein Alarm von Amerikanismus, Jugend dehnt
sich, Jugend streckt die kühnen Arme, während von den Forts der
Radetzky-Marsch klingt! Wo gibt es das noch, extremen Osten und Westen,
Süd und Nord, Urzeit und Zukunft so beisammen? Hier könnt ihr ein
totes Land sehen! Und hier könnt ihr ein Land erwachen sehen! Es ist
ein ganz einziger Augenblick. Und hier könnt ihr den Orient
begreifen, in seiner stillen Heiligkeit, und den österreichischen
Bezirkshauptmann, in seiner lauten Albernheit! Aber sachte gleiten diese
neuen großen, schönen Dampfer des Lloyd durch die glitzernde See,
weiße Möwen ziehen mit. Möwen, aber keine Fremden. Warum kommen keine
Fremden? Warum kommen die Berliner nicht? In zwei Tagen kann man von
Berlin in Triest, in vierundzwanzig Stunden von Triest in Ragusa sein.
Warum kommen die Berliner nicht? So hat man mich überall gefragt.

Es gibt drei Gattungen von Berlinern, die im Winter reisen. Erstens die
reichen Berliner. Sie gehen nach Schierke oder nach Kitzbühel oder
auf den Semmering. Dann die sehr reichen Berliner. Sie gehen nach Sankt
Moritz. Endlich die ganz reichen Berliner. Die gehen an die Riviera oder
an den Nil. Den Dalmatinern wäre jede der drei Gattungen recht. Warum
kommt keine?

Ich habe den Dalmatinern auf ihre Fragen gesagt, daß wahrscheinlich
deswegen kein Berliner nach Dalmatien kommt, weil noch kein Berliner
nach Dalmatien gekommen ist. Ich meine damit nicht bloß, daß der
Berliner wenig Neigung hat, einen Ort aufzusuchen, wenn er nicht sicher
ist, dort schon einen anderen Berliner vorzufinden. Er geht dorthin,
wohin »man« geht. Er gehört nicht zu den Entdeckern im Reisen. Dies
überläßt er den Engländern, deren Stolz es ist, die ersten zu sein
und ein Land sozusagen zu deflorieren. Aber ich meine damit auch
noch, daß hier erst einmal ein paar Jahre lang Berliner gehaust haben
müßten, um Dalmatien für Fremde einzurichten. Denn wenn der Berliner
auch kein Entdecker im Reisen ist, so gleicht er doch dem Engländer
darin, daß er als Reisender produktiv ist, indem er seine Gewohnheiten,
Sitten und Ansprüche in das Land mitnimmt und hier unterbringt. Dies
aber ist es, was wir hier brauchen, um Dalmatien erst für Europäer
wohnlich zu machen; und die Kraft dazu fehlt den Ungarn und den Wienern
ganz, den einzigen Gästen, die Dalmatien bisher hat. Nachdem man der
österreichischen Regierung zwanzig Jahre lang vorgesagt hat, es
könne doch auf die Dauer nicht genügen, dieses Land immer noch bloß
militärisch besetzt zu halten, sondern sie müsse nun doch auch einmal
mit einer Art Verwaltung beginnen, es müsse für das Land irgend
etwas einem Regieren Ähnliches geschehen, und das Nächste sei,
Fremde herzubringen, fängt sie jetzt langsam mit Erstaunen an, dies
einzusehen, glaubt nun aber alles getan, wenn sie den Lloyd verhält,
diese beiden neuen schönen großen Dampfer auszurüsten, den »Baron
Gautsch« und den »Prinzen Hohenlohe« (im Ministerium gilt es nämlich
für die Hauptaufgabe unserer Schiffahrt, eine Art Walhalla der großen
österreichischen Politiker zu sein), und wundert sich baß, daß
diese behaglichen Schiffe mit ihren liebenswürdigen Kapitänen dreimal
wöchentlich leer sind. Achthundert hätten Platz, meistens sinds
keine Zwanzig: ein paar Offiziere, nach Cattaro versetzt, ein paar
Offiziersfrauen, die ihre Männer auf vierzehn Tage besuchen, und die
paar Ungarn und Wiener, die eine Woche im Hotel Imperial in Ragusa
verbringen wollen, um einen Schnupfen loszuwerden. Läßt sich ein
solcher einmal verlocken, auch nach einer anderen Stadt oder gar nach
einer der Inseln zu gehen, so kommt er eilends zurück, entsetzt,
zerstochen und halb verhungert. Er ändert aber nichts. Denn Ungarn
und Wiener sind als Reisende ganz unproduktiv. Der Engländer, der ein
produktiver Reisender ist, sagt: Nein, das ist kein Bett, das ist kein
Essen, das ist kein Waschtisch, sondern das Bett muß so sein, das Essen
so, der Waschtisch so, vorwärts! und außerdem will ich noch folgendes!
Der Engländer weiß genau, was er will, zeigt es und läßt nicht ab,
bis er es durchgesetzt hat. Der Ungar schimpft, reist ab und schließt
daraus, daß Dalmatien ungarisch werden müsse. Der Wiener verdirbt sich
den Magen, aber gern, weil ihm das wieder einmal beweist, daß es nur
eine Kaiserstadt gibt. Und so zeigt niemand diesen höchst willigen
Leuten hier, was der Fremde braucht. Sie sind bereit, man muß es ihnen
nur sagen, denn sie wissen es nicht, man muß sie nur erziehen. Weshalb
ich wiederhole: Um Berliner wird gebeten! Denn der Berliner nimmt seine
Sitten, seinen Geschmack, seine Gewohnheiten auf Reisen mit und weiß
sie überall mit Entschiedenheit zu installieren. Beliebt macht er sich
dadurch wenig, was ja wohl auch kaum sein eigentlicher Ehrgeiz ist. Aber
man weiß: wo Berliner einmal einige Zeit waren, da kann man getrost
hin. Es gibt unter den Deutschen keinen anderen Stamm, der so sehr die
Kraft hat, zu kolonisieren.

[Illustration: _Trau_]

Um Berliner wird gebeten. Noch aus einem dritten Grunde. Wo nämlich
ein Berliner hinkommt, entsteht eine G. m. b. H. Jedes Gespräch in
Dalmatien aber schließt damit, daß man überall eine Gesellschaft mit
beschränkter Haftpflicht nötig hätte. Mit Wienern geht das nun leider
nicht, weil der Wiener seinen ganz eigenen Begriff von Geschäften hat.
Ein Geschäft, meint er, ist, was nachweisbar acht Prozent trägt, aber
pupillarsicher. Der Berliner weiß, daß man bei einem Geschäft auch
verlieren kann. Der Wiener sagt: Dann kaufe ich mir lieber gleich ein
Los. Als Argument führt er dafür an: Wenn schon, denn schon! Und so
geschieht's, daß man in Istrien und Dalmatien, die ganze Küste hinab,
alle zwei Stunden an ein Geschäft kommt, das bereit steht, für das
aber kein Geld zum Betrieb zu finden ist. Bei den Leuten hier nicht,
denn sie sind bettelarm. Bei der Regierung nicht, die sie mit Flausen
betrügt; auch ist sie der Ansicht, Brücken oder Straßen nicht
nach der Notwendigkeit, sondern nach dem Servilismus der Ortschaft zu
vergeben: Wählt klerikal, dann kriegt ihr die Eisenbahn! Und ein alter
Grundsatz bei uns ist: daß man, um Zement machen zu dürfen, erst eine
patriotische Gesinnung nachweisen muß. Was nun die guten Kroaten
noch nicht begreifen wollen; sie sind erst hundert Jahre lang
österreichisch. Sehen sie sich nun aber sonst nach Geld um, so tritt
ihnen die Wiener Forderung der sicheren acht Prozent in den Weg. Und so
bleiben die Geschäfte stehen und warten. Mir ist es eine Qual, hier zu
reisen, mit den wartenden Millionen am Ufer. Da ist Opcina, oberhalb von
Triest, die seligste Höhe, die ich weiß, im Schutz der Berge, mit
dem Blick übers Meer, auf Miramar und Grignano, bis zu den Lagunen
des weißen Grado hin, Alpenmacht und Meerespracht in der düsteren
Einsamkeit des Karst; lind lächelt die Luft, die Welle tanzt, Segel
leuchten, Möwen blinken, die Erde hat kein helleres Glück, und da
steht ein elendes, lächerliches Wirtshaus zwischen drei verschlafenen
Villen. Und so geht's die ganze Küste hinab, aus einem Entzücken ins
andere, aus einem Elend ins andere. Dort ragt der Monte Maggiore, aber
die Bahn wird nicht gebaut. Noch immer ist Triest mit Abbazia durch kein
Automobil verbunden, sie bringen die fünfzigtausend Kronen nicht auf.
Dort ist Medolino, der schönste Hafen, den wir haben könnten. Gewiß,
sagt die Regierung, gewiß! Drüben ist Arbe, unser Venedig, hier winkt
das Eiland Sansego! Schade, sagt die Regierung, daß hier keine Fremden
sind! Man kann aber hier nicht wohnen, kriegt nichts zu essen und hat
kein Bad. Und dann gar, zwischen Trau und Spalato, der Märchenweg der
sieben Kastelle, unsere Corniche! Man kann aber nirgends wohnen, kriegt
nichts zu essen und kann nicht baden. Und die Halbinsel Lapad bei
Gravosa mit den uralten Zypressen! Und San Giacomo bei Ragusa mit den
schiefen Agaven! Unheimlich ist es, wenn man so zwei Tage lang immer an
Millionen vorbeifährt! Überall winken die reifen Millionen am Ufer und
warten und scheinen die Hände zu ringen, zwischen den schwarzen Pinien
und den silbernen Ölbäumen: Fremdling, heb' mich doch auf, nimm mich
doch mit! Aber der Wiener sagt: Das ist mir ein unsichere Geschichte,
mit solchen Millionen; wenn man Pech hat, tragen sie einem fünf, sechs
Jahre lang nichts!

Um Berliner wird gebeten! Ich habe mir auf dieser ganzen Fahrt, an den
flehenden Millionen vorbei, nur in einem fort gedacht, wie ich's denn
bloß machen könnte, daß einmal zehn Berliner mit mir nach Dalmatien
kämen. Freche, hämische, Skat spielende Berliner; Berliner, die mir
schnoddrig den schönsten Sonnenuntergang verwitzelten: Berliner, die
mir vor dem Rektorenpalast der Ragusaner jüdische Anekdoten erzählten;
Berliner, die auf Lakroma, während aus dunklem Busch der Faun hinter
der Nymphe her über den gelben Fels springt, Sehnsucht nach dem Ball
der bösen Buben hätten. Ich will alles ertragen. Denn ich weiß, daß
mich am zweiten Tag doch einer mit seiner zottigen Hand auf die Schulter
schlagen wird, um mir zu sagen: Machen wir! Und nichts braucht Dalmatien
als so einen mit einer großen dicken schwarzen Importe in der rauhen
Hand, der es »macht«. Um Berliner wird gebeten!

Sagt aber doch ja nicht, ihr Herren, daß dies ein guter Spaß sei,
sondern merkt lieber auf, ob denn keiner hört, wie weh mir dabei ist.

       *       *       *       *       *

Dann beschrieb ich in der Neuen Freien Presse mein =Dalmatinisches
Abenteuer=:

Platz hätten achthundert. Wir sind aber unser kaum zwanzig. Und als ich
letzte Woche hinunterfuhr, waren wir noch weniger. Überall hört man
jammern, die ganze Küste entlang, in allen Hotels, in allen Läden:
Leer, es wollen keine Fremden heuer kommen, leer! Und die Schuld wird
natürlich den Zeitungen gegeben; wieder einmal. Die Zeitungen haben
das angestellt! Die Zeitungen verscheuchen uns die Fremden, mit ihrem
Kriegslärm und ihrer Kriegsfurcht! Täglich hab' ich's überall hören
müssen: Schreiben Sie doch, bitte, bitte, schreiben Sie doch in die
Zeitung, daß es nicht wahr ist; daß wir hier in aller Stille leben,
wie sonst; daß weit und breit der schönste Friede herrscht; das
verdammte Kriegsgeschrei ruiniert uns noch alles! Die armen Leute taten
mir leid, so gern hätt' ich ihnen zu helfen versucht! Wenn ich nur
nicht inzwischen fast verhaftet worden wäre.

Das spielte sich in drei Akten ab. Es begann vorigen Mittwoch in
Cattaro. Wir kamen an, ich wollte nach Montenegro, da hieß es, die Post
gehe nicht, weil alles verschneit und der Paß unpassierbar für Wagen
sei. Ich glaubte das zunächst nicht, nach meiner Gewohnheit, zunächst
nichts zu glauben, und ließ meine Sachen ans Land bringen. Da trat
mir ein finsterer Mann entgegen, ein österreichischer Finanzer von
Aussehen, und auf italienisch, wie er mich mit meinem Facchino reden
hörte, forderte er mir meinen Paß ab. Zufällig hatte ich in meinem
alten Reisesack einen mit (er gilt natürlich längst nicht mehr, ich
habe ihn nicht erneuern lassen, weil ich ja meistens im Ausland reise,
und im Ausland braucht man keinen). Der Mann der Obrigkeit, der nicht
Deutsch konnte, sah sich den Paß lange an. Dann rief er einen Kollegen
herbei, der konnte auch nicht Deutsch. Und nun sahen alle zwei den Paß
an und konnten alle zwei noch immer nicht Deutsch. Endlich nahm der
erste wieder das Wort und fragte mich in seinem rauhen gutturalen
Italienisch, wohin ich denn wolle. Ich: Nach Cettinje. Er, schon sehr
argwöhnisch: Um was dort zu tun? Im reinsten Toskanisch, dessen ich
fähig bin, bekam er zur Antwort: Was ich will. Er glaubte nicht recht
verstanden zu haben und fragte wieder, als ob er schlecht gehört
hätte: Um was zu tun? Ich sagte wieder: Was ich will. Und noch einmal
wiederholte er seine Frage, ich meine Antwort: Um was zu tun? Was ich
will. Und plötzlich, mit einem freundlichen Wink, war ich entlassen.
Ist das nicht echt österreichisch, harmlosen Passagieren erst
durch unnützes Verhör die Reise zu verleiden, wenn sich dann aber
herausstellt, daß sie gar nicht harmlos sind, sondern frech, sogleich
Respekt vor ihnen zu haben?

[Illustration: _Trau_]

Nun war aber wirklich kein Gefährt nach Cettinje zu kriegen; es
regnete, der Sturm stieß mir ins Gesicht, so beschloß ich, in meinem
geliebten Ragusa besseres Wetter abzuwarten. Und erst heute fuhr ich
nun wieder nach Cattaro. Zweiter Akt in dieser Tragödie von der
dalmatinischen Hebung des Fremdenverkehrs. Ort: Hafen von Gravosa. In
Erwartung des Dampfers. Der Morgen glänzt, leise Wellen schweben durch
die Bucht, drüben grünen die Kiefern hell. Torpedos und Kriegsschiffe
liegen draußen, grau wie Forellen. Ich stehe, mein Gepäck und einen
von diesen stillen, geduldigen, gottergebenen Trägern neben mir. Und
nichts Verdächtiges war an mir, bis auf den Schädel, den mir der liebe
Gott verliehen hat. Da kam plötzlich langsam ein Feldwebel von der
Gendarmerie zu mir heran, mit einem großen, offenen, herzensguten
Gesicht, und grüßte mich recht freundlich und war sichtlich sehr
verlegen, wie jemand, der sich furchtbar geniert. Es half ihm aber
nichts, er mußte schließlich doch meinen Paß verlangen. Sehr froh war
er, daß ich einen hatte. In meiner Bosheit hätt' ich's ihm gegönnt,
keinen zu haben; es fiel mir aber zu spät ein; im ersten Moment regt
sich doch stets der ausgezeichnete Staatsbürger, wenn man in Linz
geboren ist; auch fuhr schon der Dampfer an. Mit hohen Ehren gab mir
nun der Gendarm den Paß zurück, den ich alle die Jahre her in Italien,
Frankreich und England niemals gebraucht. Und jetzt Akt drei! In Cattaro
hieß es nämlich wieder: Alles verschneit, kein Wagen kommt durch!
Und wieder vertröstete mich mein Freund Milo Milosevič, Packträger,
Bruder eines Postkutschers und Montenegriner: In ein paar Tagen,
vielleicht morgen schon! Aber ich hatte keine Lust, in dem
säbelklirrenden Ort mit den aufgezwirbelten Kadetten zu bleiben, und
zog es vor, nach Spalato zu fahren. Also ging ich aufs Schiff zurück,
da lauerte mir schon das Verhängnis auf. Es bestand zunächst aus einer
ganz merkwürdigen, schneehellen Luft, die von solcher Reinheit war,
daß alles darin wie frisch gebadet schien; und nun oben der Himmel,
unten das Wasser von einem venezianisch unwahrscheinlichen Blau,
dazwischen aber das kreischende Kreideweiß des neu gestreuten Schnees
in allen Bergen. So jung hatte mir schon lange keine Luft geglänzt;
als wär's ein neuer Anfang aller Dinge. Zweitens aber bestand
das Verhängnis aus einer Kette von Möven, diesen blitzschnellen,
flugfrohen Möven, die hier in der Adria und unten im Mittelmeer oft
tagelang den Schiffen folgen. Ein ganzer Zug war's, einige darin aber
ganz toll vor Übermut, sich zu regen, wie betrunken von Sonne; und
tauchten und stiegen und sprangen und bogen sich und warfen sich und
trieben's so arg wie junge Delphine oder lange, lichte Engländerinnen,
die Tennis spielen. Und eine, die war gar geheimnisvoll: sie schien's
gar nicht nötig zu haben, erst zu fliegen, sondern ganz still hielt sie
sich, und der Wind, auf seinem sanften Arm, trug sie. Da war's um
mich geschehen. Nichts reizt mich nämlich mehr, als den Vogelflug zu
photographieren. Nie gelingt's, drum will ich's immer. Einen Apparat
hatte ich mit. Ich soll ja nämlich für meinen Verleger ein Büchl
über dieses Land schreiben, um den Menschen in Berlin ein bissel Lust
zu Dalmatien zu machen; und da, meint er, wären ein paar Aufnahmen
gut. Also: ich stelle den Apparat auf die Möven ein, aber das Schiff
stößt. Da sind wir gerade vor Castelnuovo, hier wird nicht gelandet,
sondern Boote legen an. Der Dampfer steht, die Möven schweben,
eben will ich knipsen, da schreit mir ein Individuum, das wie ein
Briefträger aussieht, aus einem Boot herauf in rauhem Deutsch mit
rabiaten Gesten zu, nicht die Festung zu photographieren! Ich lache und
sage gelassen zurück: »Aber nein, ich will ja bloß die Möven, die
Festung ist doch sicher den Italienern längst bekannt, also wozu?«
Aber schon bewegen wir uns wieder, ich habe die kleine Möve verloren,
nun freut's mich auch nicht mehr. Und den blauen Golf entlang, still auf
dem Deck spazierend, genieß ich das Glück des silberweißen Tages und
denke nur insgeheim, daß es gar nicht so einfach ist, den Menschen Mut
zu Dalmatien zu machen! Und schon biegen wir wieder in die gelinde Bucht
von Gravosa, wir landen, siehe, da springt ein aufgeregter Herr aufs
Schiff, ein Telegramm in der Hand schwingend: der Polizeikommissär!
Mein Pech war nun, daß unser Kapitän mich kannte und dem Kommissär
meinen Namen nannte. Und leider war es ein wohlgebildeter und
wohlgesitteter, sehr artiger Kommissär (auch das gibt's!), der sich
höflich entschuldigte, mir zur Entschuldigung das Telegramm wies, das
jener gelb ausgeschlagene Lackl von Castelnuovo dem Spion mit dem Kodak
patriotisch nachgeschickt, nur »der Form wegen« meinen Paß zu sehen
bat und mir, wohl auch »nur der Form wegen«, den Apparat abnahm, aber
baldigst nachzusenden versprach -- aber sicher wird die Polizei schlecht
»entwickeln«! Schade. Wie schön wär's gewesen, in Ketten über
den Stradone zu marschieren! Die besten Gelegenheiten versäumt man.
Ernsthaft: wenn ich nun nicht zufällig »einer von der Zeitung« wär',
die jeder haßt, aber mit einer solchen Heidenangst davor? Wenn ich
ein unbekannter junger Maler wär'? Oder gar ein ehrsamer, lustiger
Schneidergesell? Den hätten sie drei Wochen eingesperrt und mit dem
Schub nach Haus geschickt.

Ich höre nun liebe Wiener sagen: Muß er denn auch grad jetzt nach
Dalmatien gehen, bei den aufgeregten Zeiten? Sie haben ganz recht: man
muß nicht. Aber darum handelt es sich ja grad: denn die Dalmatiner
möchten doch, daß man muß. Und seit Jahren werden doch in den
Ministerien so viele Köpfe gekratzt, dienstlich oder freiwillig, was
denn geschehen soll, damit man nach Dalmatien muß! Und wie kann ich den
Dalmatinern den Gefallen tun und »in die Zeitung schreiben«, daß hier
niemand was von Kriegsgefahr und Aufregung weiß und alles still und
friedlich ist, wenn man nicht einmal mehr dem banalen Mädchensport des
Kodaks frönen darf, in seinem eigenen Lande nicht? Ja, die Dalmatiner
gehen freilich ruhig ihren Arbeiten und Sorgen nach, sie wissen nichts
von Lärm und Furcht, sie sind still und friedlich wie sonst, sie schon;
das ist schon wahr. Aber die Polizei macht das Land unsicher. Und da
hab' ich's: Ich muß in diesem Satze nur Verwaltung noch für Polizei
einsetzen, und er drückt vollkommen das Gefühl aus, das mir in
Dalmatien nicht von der Seite geht. Die Verwaltung macht Dalmatien
unsicher, das ist es. Seit Jahren reise ich hier und muß mich immer
wieder fragen, was denn so bang und schwer hier auf allen Menschen und
allen Dingen liegt. Und eigentlich kommt's mir immer mehr und mehr so
vor: Wir haben dieses Land inne, wir halten es besetzt und bewacht, aber
wir eignen es uns noch immer nicht an, dafür tun wir nichts. Wir eignen
es uns nicht an, denn dazu gehörte Vertrauen bei beiden; und Vertrauen
hat keins. Das Verhältnis ist: dem Dalmatiner ist von vornherein alles
verdächtig, was von der Regierung kommt, und der Regierung ist von
vornherein alles verdächtig, was der Dalmatiner will; und trifft es
sich zuweilen einmal, daß beide dasselbe wollen, so kriegen beide
Angst, und beide denken, daß sie sich geirrt haben müssen! Die
Regierung sagt, sie will das Beste. Möglich. Die Dalmatiner sagen auch,
sie wollen das Beste. Höchst wahrscheinlich. Und dieses Beste, wovon
in einem fort geredet und worüber in einem fort geschrieben wird,
warum geschieht es nie? Weil die Regierung meint, es müsse von ihr aus
geschehen, nach ihrer Wohlmeinung und als eine Belohnung sozusagen, die
sich die Dalmatiner erst durch artige Sitten zu verdienen hätten. Und
weil die Dalmatiner verlangen, daß es durch sie selbst geschehe, durch
ihres eigenen Volkes Kraft und nach seinem Bedürfnis und als sein
Recht. Darum bleibt, was immer man in Wien für Dalmatien »erlassen«
mag, die Stimmung im Lande stets: Timeo Danaos et dona ferentes.
Man muß in alten Memoiren nachlesen, aus der Zeit, als wir noch in
Oberitalien saßen. Auch da sind wir immer Danaer geblieben. Und unsere
Verwaltung macht überall immer doch die alten Dummheiten wieder!

Sonst wenn ich nach Dalmatien kam, war ich auf den Zufall angewiesen,
mir in den Gassen die Stimmungen der Menschen zu erhorchen. Diesmal
haben es mir Empfehlungen erleichtert, die ich dem Grafen Ivo Vojnovič,
dem großen kroatischen Dichter, verdanke; sie schlossen mir manches
gastliche Haus auf. Nun sind mir diese scheuen, ernsten, schwermütigen
Menschen erst recht ins Herz gedrungen! So traurig sind sie, so
preisgegeben und ausgesetzt fühlen sie sich, mit ihrer tiefen Liebe zur
Heimat. Und immer dieselbe Klage: Niemand will uns anhören, man traut
uns nicht, wie in feindlichem Land hausen sie mit uns! Und überall hat
man mir dieselbe Geschichte wieder erzählt: wie vor ein paar Jahren
der Stadt Ragusa, weil einmal in ihren Straßen auf den durchfahrenden
Prinzen Danielo von Montenegro zu stark Hoch gerufen wurde, strafweise
ein Bataillon entzogen worden sei, »strafweise, als wären wir
unartige, schlimme Buben!« Noch klingt mir immer der dunkle,
schamverhüllte Ton zorniger Kränkung im Ohr, in dem mir's alle
erzählten: Wie schlimme Buben, die man in den Winkel stellt! Und darum
geht schließlich alles: sie wollen nicht von Wien »erzogen« werden,
sie fühlen sich reif, sich selbst zu erziehen, ihr eigenes Leben
wollen sie haben, ihrer eingeborenen, angestammten Art gemäß! Und dann
rücken sie an einen ganz nahe heran, und die mandelförmigen, samtenen
Augen glänzen ihnen, und, kindisch-treuherzig, beteuern sie, es sei
wirklich nicht wahr, daß sie Hochverräter sind, nur ihr schönes Land
möchten sie für sich haben.

[Illustration: _Agaven_]

Noch eine Geschichte haben mir alle gerne erzählt. Als der Kaiser Franz
einst nach Ragusa kam, gefiel ihm eine Straße sehr. Und er hörte: Die
haben die Franzosen gemacht! Und dann gefiel ihm eine Brücke. Und er
hörte: Die haben die Franzosen gemacht! Und noch manches gefiel ihm.
Und immer hörte er: Das haben die Franzosen gemacht! Bis er endlich
sagte: Schad', daß s' nicht länger da blieben sind, die Franzosen! So
sprach der staatsmännische Kaiser Franz.

Übrigens, wenn die Ragusaner Polizei noch weiter nett mit mir sein
wird, mir meinen Apparat unversehrt wiedergibt und den Film nicht
verdorben hat, will ich mich revanchieren und ihr raten, wie sie
sich noch patriotischer betätigen kann: Sie soll doch auch die
Ansichtskarten der Bocche konfiszieren!

Einstweilen aber sinne ich nach, wie ich's anstellen soll, um wieder
Lust zu kriegen, den Leuten Lust zu Dalmatien zu machen.

       *       *       *       *       *

Diese Schilderung meines Dalmatinischen Abenteuers war dem jungen
Herrn von Chlumecky gar nicht recht, und er ließ sich darüber in der
Österreichischen Rundschau vom 15. März also vernehmen:

»Hermann Bahrs Dalmatien.

Dem Lande Dalmatien ist großes Heil widerfahren: Hermann Bahr hat es
entdeckt. Jetzt wird das Aschenbrödel Österreichs bald eine reiche
Prinzessin werden, denn Hermann Bahr sinnt darüber nach, wie er
»wieder Lust bekommen könnte«, den Leuten Lust zu Dalmatien zu
machen. Wie er uns selbst sagt, soll er über seines Verlegers Wunsch
ein »Büchel« schreiben, um Stimmung für Dalmatien zu machen. Es
scheint nicht, daß es dem Verleger wirklich darum zu tun ist,
gerade dieses Ziel zu erreichen. Der Ruf eines Landes muß schon wohl
begründet sein, um Hermann Bahrs zersetzenden Kritiken standhalten zu
können. Schon in dem Präludium[*] zu seinem »Büchel« bleibt uns
die ätzende Lauge seines Spottes nicht erspart. Sie ergießt sich wie
gewöhnlich über die Verwaltung Österreichs. Diese hat freilich ein
schweres Vergehen begangen. Hat es gewagt, Herrn Bahr nach seinem Paß
zu fragen und ihm den Kodak abzunehmen, als er in einem Festungsrayon
lustig darauf losknipste. Die böse, vom Polizeigeist Metternichs
durchdrungene Verwaltung! Sie unterfängt sich am Vorabend eines Krieges
in einem von Spionen durchkreuzten und von Feinden umlauerten Lande
den Fremdenverkehr ein bißchen zu überwachen. Und nun gar die
Kodakaffäre! Freilich: In Malta oder Villefranche oder Spezia wie
in jedem Kriegshafen oder anderen Orte des Auslandes, in dem wichtige
Festungen sich befinden, wäre Hermann Bahr einfach arretiert worden.
Selbst dann, wenn es dort keinen Kriegslärm gegeben und vielleicht auch
dann, wenn er gar nicht photographiert hätte, sondern mit seinem Kodak
bloß spazieren gegangen wäre. Selbst der Kaiserin Eugenie ist einmal
ähnliches widerfahren. Im Auslande kennt man eben in solchen Dingen
keinen Spaß, und Hermann Bahr verdankt es nur unserer Gemütlichkeit,
wenn es ihm dabei so glimpflich ergangen ist.

Wer ihn hört, muß freilich glauben, daß in Dalmatien das türkische
Spitzelsystem herrsche. Ausnahmezustände und Ausnahmezeiten werden als
Regel dargestellt und so dem ahnungslosen Publikum für immer die Lust
benommen, nach Dalmatien zu reisen. Das kleine »Abenteuer mit dem
Kodak« scheint Herrn Bahrs objektiven Blick getrübt zu haben,
denn auch die Wiedergabe seiner sonstigen Beobachtungen läßt das
unbefangene Urteil missen. Studien, die bei einer hastigen Eilfahrt
längs der Küste des Landes betrieben wurden, scheinen den Beobachter
zu befähigen, ein Urteil zu fällen, welches klarer und treffsicherer
sein soll als jenes von Beamten und Offizieren, die jahre- und
jahrzehntelang im Lande leben, es von Nord nach Süd und bis tief
ins Innere durchstreiften, dabei tagtäglich mit der Bevölkerung in
innigsten Kontakt kamen, und die heute alle es noch wagen, anderer
Meinung zu sein als Hermann Bahr. Das eben ist der Vorzug des Genies.
Es erfaßt alles auf den ersten Blick und kann aus einigen hie und da
aufgelesenen Andeutungen ein ganzes System ausklügeln. Schade nur, daß
die Quellen, aus denen Herr Bahr geschöpft, vielleicht etwas trüb, die
Ansichten, die er zu hören bekommen, recht einseitige waren. Man
darf nicht vergessen, daß Ragusa seit Jahren der Brennpunkt der
großserbischen Bewegung ist, welche gerade die Intelligenz der Stadt
erfaßt hat. Es scheint, daß Hermann Bahr in Kreise gelangt ist, die
man nicht konsultieren darf, wenn man über Österreichs Wirken in
Dalmatien die Wahrheit wissen will. Dies gibt uns den Schlüssel für
seine ganz eigenartige Auffassung der Dinge. »Die Polizei macht
das Land unsicher.« Gewiß, unsicher für jene, welche »still und
friedlich« ihre -- hochverräterischen Pläne mit Cettinje und Belgrad
weiterspinnen wollen, unsicher für jene, welche großserbischen Ideen
nachjagen. Diese »scheuen und schwermütigen Menschen« Hermann
Bahrs, die seit Jahrhunderten ein mit faszinierender Liebenswürdigkeit
verbundenes diplomatisches Auftreten einander vererben, haben auch
andere als Herrn Bahr über ihre wahren Ziele und Absichten getäuscht.
Mit etwas mehr Gründlichkeit würde aber Hermann Bahr dessen gewahr
werden. Er würde die ihm so unschuldig erscheinende Demonstration
für den Fürsten Danilo in ihrer Bedeutung einschätzen lernen, würde
erfahren, daß hinter dem Glanz dieser »mandelförmigen, samtenen
Augen« sich Hoffnungen verbergen, deren Kühnheit sein Erstaunen und
vielleicht auch sein Befremden erregen dürften.

Und noch einen anderen Irrtum begeht Bahr, indem er meint, man brauche
nur der eigenen Kraft des Volkes freien Lauf zu lassen, um Dalmatiens
wirtschaftliche Lage zu bessern. Es ist wahr: Österreich hat an
Dalmatien jahrzehntelang schwer gesündigt, aber gerade dadurch, daß es
von der Initiative der Bevölkerung immer erwartet hat, was dieser
ohne Anregung von außen besonders schwerfallen wird: sachliche, ruhige
Arbeit. Die Kräfte des Dalmatiners sind durch seine politischen
und nationalen Kämpfe, welche ihn mehr fesseln als jedwede andere
Betätigung, so sehr gebunden, daß sie auf keinem anderen Gebiete mehr
zu voller Entfaltung gelangen können. Daher erwartet der Dalmatiner
jeden Impuls, und mehr als das, jede praktische Tätigkeit zur
wirtschaftlichen Hebung des Landes immer nur von der Regierung. Die
Intelligenz Dalmatiens treibt Politik und übt Kritik an der Regierung
und ihren Maßnahmen. Der Verwaltung wird die Aufgabe zugewiesen, dem
Volke Arbeitsgelegenheit zu schaffen, für die materiellen Bedürfnisse
des Landes zu sorgen. Und eben dadurch haben die Regierungen
Österreichs gefehlt, daß sie jahrzehntelang darauf warteten, daß
dieses durch den Dalmatiner selbst geschehe. Damals, als die Verwaltung
keine Anregung zu geben wußte, da wurde sie in Dalmatien als indolent
verschrien. Heute, wo die Regierung die wirtschaftliche Wiedergeburt des
Landes selbst herbeiführen will, wehren sich die Dalmatiner gegen
die fremde Einmischung. Herr Bahr möge uns den Weg weisen, wie wir
es anstellen sollen, um diesen einander widersprechenden Wünschen und
Beschwerden gerecht zu werden. Solange er uns kein anderes Rezept zu
geben weiß, halten es viele für das beste, Dalmatien wie eine Kolonie
zu verwalten, in die man erst alles von außen hineintragen muß. Alles:
Kapital, Menschen, Impulse und Ideen.«

  [*]: »Neue Freie Presse« vom 2. März 1908.

       *       *       *       *       *

Ich lasse mir nun ja viel gefallen, aber doch nicht, daß der junge Herr
von Chlumecky den Retter Dalmatiens spielt; ich weiß zu gut, womit
er seine Zeit in Ragusa zugebracht hat. Ich bat also den Regierungsrat
Glossy zum Telephon, den Herausgeber des Blatts, um anzufragen, ob
ich antworten könnte. Er war einverstanden und so schrieb ich ihm am
19. März:

»Sehr verehrter lieber Herr Regierungsrat! Im letzten Hefte Ihrer
Rundschau macht sich Herr Baron Chlumecky der Jüngere das Vergnügen,
meine Meinungen über Dalmatien mit Ironie zu behandeln. Ich könnte ihm
das vergelten. Ich könnte ja zum Beispiel erzählen, wie man über ihn
in Dalmatien denkt; man kennt ihn dort und weiß manches von ihm. Doch
handelt es sich hier weder um ihn noch um mich, nicht um Personen,
sondern um die Sache, um Dalmatien. Ich kenne Dalmatien und die
Dalmatiner seit Jahren, nicht bloß vom Eildampfer aus, ich liebe das
Land und die Leute, sie tun mir sehr leid, und ich habe nachgedacht, ob
es denn nicht möglich wäre, aus Dalmatien ein österreichisches Land
zu machen. Jetzt, kommt mir vor, ist es dies keineswegs, sondern es wird
von uns nur mit Waffengewalt besetzt gehalten. Und wir werden es
uns, kommt mir vor, so lange nicht innerlich aneignen, als wir zu den
Dalmatinern und sie zu uns kein Vertrauen haben. Nach meinen Erfahrungen
zeigt aber die österreichische Verwaltung den Dalmatinern kein
Vertrauen und sie verdient von ihnen keins. Mein Eindruck ist alle
die Jahre her dort immer derselbe gewesen: ein armes, stilles, treues,
aufrichtiges und gehorsames Volk, das sich in seiner Not gar nichts
Besseres wünschen möchte, als gut österreichisch sein zu können,
wird durch Unverstand, Willkür und Rechtlosigkeit gepeinigt, als
sollte ihm gewaltsam sein österreichisches Gefühl ausgetrieben und es
vorsätzlich zum Hochverrat gezwungen werden. Da man nun damit bisher
nichts erreicht hat als Verwirrung, Argwohn und Haß im ganzen
Land, wäre ich dafür, es jetzt einmal mit Vernunft, Wohlwollen und
Gesetzlichkeit zu versuchen. Probeweise könnten ja, zunächst etwa
bloß für ein Jahr, Vernunft, Wohlwollen und Gesetzlichkeit in
Dalmatien eingeführt werden, und man könnte dann eben abwarten, was
aus den Dalmatinern werde, wenn sie sich einmal wohl fühlen. Das ist
meine Meinung über Dalmatien. Sie kann natürlich falsch sein. Aber es
kann ja auch die Meinung des Herrn Chlumecky falsch sein. Das können
wir beide nicht wissen. Wollen wir in Dalmatien darüber abstimmen
lassen, wer von uns beiden recht habe? Ich bin's bereit. -- Übrigens
weiß ich sehr wohl, daß Dalmatien fremde Hilfe braucht, darin hat Herr
Baron Chlumecky sicher recht. Ich habe nur noch nicht bemerkt, daß es
sie je von Wien bekommen hätte. Weshalb ich schon voriges Jahr einmal
in der Neuen Freien Presse vorschlug, Dalmatien sollte doch, da ja wir
nichts dafür tun, einer Berliner G. m. b. H. übergeben werden, und
erst neulich noch im Berliner Tageblatt über Dalmatien unter dem
Titel schrieb: Um Berliner wird gebeten! Ich sagte da meinen Berliner
Freunden: Dalmatien braucht Geld, das größte Geschäft wäre dort zu
machen, Österreich unterläßt es, also macht ihr es doch! Da es am
Ende ja wirklich gleich sein kann, woher Geld in das verlassene Land
kommt. Wenn Herr Baron Chlumecky eins bringt, solls ebenso willkommen
sein. Er will ja »kolonisieren«. Nur zu! Alles, alles soll durch ihn
ins Land gebracht werden, »Kapital, Menschen, Impulse, Ideen!« Nur zu!
Aber wenn er schon »alles, alles« in Dalmatien importiert, wüßte
ich ihm noch etwas, was er auch mitbringen könnte: ein bißchen
Gerechtigkeit, oh, einen einzigen Tropfen nur, einen einzigen kleinen
Tropfen Gerechtigkeit für den ersten Anfang.«

[Illustration: _Spalato, Porta aurea_]

Aber ich mußte dem verehrten Regierungsrat noch ein zweites Mal
schreiben, nämlich folgendes: »In der Österreichischen Rundschau vom
15. März hat sich Herr von Chlumecky über mein in der Neuen
Freien Presse vom 2. März erschienenes Feuilleton, »Dalmatinisches
Abenteuer« ausgesprochen. Telephonisch wurde dann zwischen Ihnen und
mir vereinbart, daß ich in Ihrer Zeitschrift antworten könnte. Zehn
Tage, nachdem meine Antwort an Sie abgegangen war, wurde ich von Ihrer
Redaktion verständigt, das Manuskript sei auf eine unbegreifliche
Weise in Verlust geraten; dies mit der Bitte, eine Kopie des Manuskripts
einzusenden, mit dem Bedauern, daß es nun leider für die Nummer vom
1. April zu spät sei, und mit der Versicherung, den Brief im zweiten
Aprilheft abzudrucken. Dieses zweite Aprilheft ist am 9. ausgegeben
worden und enthält meinen Brief nicht. Ich überlasse es Ihrem
Urteil, sehr verehrter Freund, ob dies unseren journalistischen Sitten
entspricht.«

Er antwortete mir: »Ich habe mir am 2. April erlaubt, Ihnen
mitzuteilen, daß ich Ihre Erwiderung Herrn Baron Chlumecky mitgeteilt
habe und hoffentlich in der Lage sein werde, Ihnen recht bald Nachricht
zu geben. Von meinem Osterausfluge zurückgekehrt finde ich sowohl ein
Schreiben des Herrn Baron Chlumecky als auch Ihre werte Zuschrift vom
13. d. M. vor. Herr Baron Chlumecky schrieb mir, daß man gerne Ihre
Stimme in einem sachlich begründeten Artikel, worin die Bedenken
der dalmatinischen Verwaltung erörtert und Vorschläge zu deren
Verbesserung gemacht werden, hören würde. Mit Ihrer Erwiderung könnte
er sich nicht einverstanden erklären. Ich möchte Sie also bitten,
hiervon Kenntnis zu nehmen und dem Vorschlage des Herrn Baron Chlumecky
zu entsprechen. Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, daß wir Herausgeber
uns in die Arbeit geteilt haben und daß der politische Teil unserer
Zeitschrift in das Arbeitsgebiet des Herrn Baron Chlumecky fällt. Ich
würde mich ungemein freuen, endlich einmal einen Beitrag aus Ihrer
Feder für unsere Zeitschrift zu erwerben. Sie können sich auch denken,
daß mir bei der besonderen Sympathie für Ihre Person diese Episode
sehr unangenehm ist, und ich hoffe, daß Sie mit Rücksicht auf Ihre mir
sooft bewiesene freundschaftliche Gesinnung auch diesmal entgegenkommen
werden. Ich bin auch der Meinung, daß bei Vermeidung jeder Spitze der
Effekt weit kräftiger und nachhältiger sein wird.«

Worauf ich dem verehrten Regierungsrat noch ein drittes Mal schrieb,
nämlich so: »Es tut mir sehr weh, Sie in dieser Gesellschaft zu sehen.
Ihre Redlichkeit kennend, weiß ich ja, wie schwer es Ihnen geworden
sein muß, das Gebot des journalistischen Anstands zu verleugnen.«

       *       *       *       *       *

An Nikolaus Nardelli, den Statthalter von Dalmatien, schrieb ich am
9. März:

»Sehr geehrter Herr Statthalter! Um über Dalmatien, das ich seit
Jahren kenne, für einen Berliner Verleger ein kleines Buch zu
schreiben, bin ich nun wieder einige Zeit dort gewesen. Dabei wurde mir
in Spalato von Leuten, die durchaus mein Vertrauen haben, immer wieder
ein Vorgang erzählt, der sich vor ganz kurzer Zeit abgespielt haben
soll, der mir fast unglaublich vorkommt, der mir aber von allen mit
einer solchen Heftigkeit beteuert wird, daß ich ihn nicht werde
verschweigen können. Doch will ich nicht von ihm sprechen, ohne
zuvor Ihre Äußerung eingeholt zu haben, da Sie, sehr geehrter Herr
Statthalter, mir überall als ein gründlicher Kenner und der ehrlichste
Freund Dalmatiens bezeichnet werden und ich für Sie, für Sie
persönlich, keineswegs für Ihre Organe, die allergrößte Hochachtung
hege. Erzählt wird allgemein, daß vor einigen Monaten eine allgemeine
Entwaffnung angeordnet und dann in der Umgebung von Spalato bei den
Bauern nach Waffen gesucht worden sei. Nun besteht das einzige
Erbe dieser armen Leute in altertümlichen Gewehren, Pistolen oder
Handsäbeln, die von ihren Ahnen den Türken abgenommen worden und von
Geschlecht zu Geschlecht als kostbare Andenken an eine größere Zeit in
den Familien aufbewahrt geblieben sind. Es ist ganz unzweifelhaft,
daß solche längst unbrauchbar gewordene historische Geräte keine
»Waffen« im Sinne des Gesetzes sind. Und wären sie es, so müßte
doch jedenfalls der Ordnung gemäß verfahren und dem Eigentümer
mitgeteilt werden, was mit den »Waffen«, die man ihm konfisziert hat,
denn eigentlich geschieht, wohin sie gebracht worden und wo sie bleiben.
Erzählt wird aber, daß man dies unterlassen, den Bauern ihr Eigentum
einfach weggenommen und es verschleudert habe. Meine Vertrauensmänner
pflegen diesen Bericht mit der Bemerkung zu schließen, daß man
seitdem bei vielen Beamten und Offizieren merkwürdig reiche Sammlungen
kostbarer alter dalmatinischer Waffen finde. Meine Vertrauensmänner
stehen nicht an, dies als einen »amtlichen Raub« zu bezeichnen. Ich
wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Statthalter, außerordentlich verbunden,
wenn Sie die große Güte hätten, mich darüber mit einigen Worten
aufzuklären.«

Als ich dem Hofrat Burckhard von diesen merkwürdigen »Entwaffnungen«
berichtete, sagte er: »Sie dürfen nur nicht glauben, daß dies etwas
Neues oder etwas besonders Dalmatinisches sei, nein, es ist gute alte
österreichische Tradition.« Und er erzählte mir, wie er als Bub
daheim einst ein verrostetes altes Schießgewehr fand und sein Vater,
als er ihn damit spielen sah, in argen Zorn geriet, weil dieses
Schießgewehr nämlich früher eine wunderschöne Flinte gewesen war,
die 1849, bei der allgemeinen Entwaffnung, abgeliefert werden mußte;
und als dann später die konfiszierten Waffen ihren Eigentümern
zurückgegeben wurden, siehe! da hatte die kostbare Flinte sich in ein
wertloses Schießgewehr verwandelt. Es gab also schon damals solche
Sammler und die dalmatinische Verwaltung hält sich an ein altes
Gewohnheitsrecht.

Auf meinen Brief an den Statthalter in Zara kam zunächst an mich ein
Brief aus Spalato. Einer meiner Freunde dort hatte erfahren, was ich an
den Statthalter geschrieben, ferner daß darauf der Statthalter bei
der dortigen Bezirkshauptmannschaft angefragt, und endlich, was die
Bezirkshauptmannschaft dem Statthalter geantwortet und was nun also der
Statthalter mir antworten werde. Dies alles schrieb mir der Freund, und
es machte mir Spaß, die Antwort des Statthalters früher zu wissen
als er selbst. Ich dachte einen Moment daran ihm zu schreiben: »Sehr
geehrter Herr Statthalter! Auf meinen Brief vom 9. d. M. werden Sie mir
antworten, daß usw. Ich erlaube mir darauf im voraus zu erwidern, daß
usw.« Aber das hätte ihn am Ende geärgert.

Der Statthalter antwortete mir am 30. März aus Zara:

»Euer Hochwohlgeboren! Wiewohl mir die von Euer Hochwohlgeboren
erwähnten Gerüchte über das Verschwinden amtlich konfiszierter Waffen
wenig glaubwürdig vorkamen, habe ich hierüber Erhebungen einleiten
lassen, aus welchen ich entnehme, daß die letzte Entwaffnung im Bezirke
Spalato im Jahre 1898 erfolgte. Die damals konfiszierten Waffen
befinden sich ausnahmslos noch gegenwärtig in Verwahrung der
Bezirkshauptmannschaft. Die Euer Hochwohlgeboren erteilten Informationen
über ein Abhandenkommen einzelner derselben muß ich demnach als ganz
unrichtig bezeichnen. Mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtung Euer
Hochwohlgeboren ergebener Nardelli.«

Ich schrieb darauf an ihn noch diesen Brief: »Sehr geehrter Herr
Statthalter! Nehmen Sie, sehr verehrter Herr Statthalter, meinen
allerbesten Dank für Ihre so freundlichen Bemühungen und Ihr
liebenswürdiges Schreiben vom 30. März. Was die Sache selbst
betrifft, die ja auch mir »wenig glaubwürdig« verkommt, so sind
mir inzwischen hierzu noch folgende Daten angegeben worden: ›Zu
Weihnachten 1908 wurden bei der Entwaffnung des Dorfes Otok im
politischen Bezirke Sinj den Bauern mehrere sehr schöne, kostbare,
antike Nationalwaffen genommen, welche die Bauern bei dem jährlichen,
am 15. August stattfindenden historischen »Alka«-Pferderennen
als Schmuck tragen. So wurde dem Dorfvorsteher von Otok, Luka
Milanovič-Litre des ver. Luka, zwei mit Silber beschlagene sehr
alte Gewehre und ein gleichfalls mit Silber beschlagenes und mit sehr
kostbaren Steinen besetztes Handjar-Messer genommen. Diese Waffen waren
schon über 150 Jahre im Besitze der Familie Milanovič.‹ So steht
nun Behauptung gegen Behauptung. Nochmals bestens dankend, bin ich, sehr
geehrter Herr Statthalter, Ihr aufrichtig ergebener H. B.«

Darauf erhielt ich vom Statthalter keine Antwort mehr, wohl aber
erschien in der Spalatriner »Sloboda« vom 18. Juni folgender Aufsatz:


»=Hermann Bahr für Dalmatien.=

Als Hermann Bahr den verflossenen Winter in Dalmatien zubrachte,
fragte er uns, da er sich für die Landes- und Volksverhältnisse sehr
interessierte, unter anderem, weshalb unsere reichen und altertümlichen
Volkswaffen immer mehr verschwinden, so daß sie heute zu einer
Seltenheit im Lande geworden sind.

Um dem Herrn Bahr dieses »Verschwinden« zu erklären, zeigten wir
ihm, wie auch in diesem »Unternehmen« unsere Regierung die Hauptrolle
spielt und es ausschließlich ihr Verdienst ist, daß es mit diesen
historischen und kunstvollen Andenken unseres Volkes so weit gekommen
ist.

Wir erzählten ihm folgendes: Unsere Regierung führt schon seit
mehreren Dezennien ununterbrochen und systematisch die Entwaffnung
des Landes durch; bei diesen Entwaffnungen wird auf die historischen
Volkswaffen der größte Wert gelegt, und werden dieselben von den
betreffenden behördlichen Organen mit einer gewissen Habgier gepfändet
und abgenommen; hierbei werden mit den neuen Waffen alte Gewehre,
Pistolen und Säbel abgenommen, mit denen man kaum eine Maus töten
könnte, die für das Volk jedoch die einzige Erinnerung an die
Heldentaten ihrer Vorfahren sind. Diese Waffen werden dann aus Dalmatien
nach Wien transportiert, und hier entweder um teures Geld verkauft, oder
unter die höheren Beamten und deren Freunde verteilt. Der verstorbene
Dr. Trojanović sah gelegentlich einer Opernvorstellung in Wien in der
Hand des Tenors einen herrlichen alten Säbel, der aus der Gegend von
Kotor stammte; als er mit diesem Tenor zusammenkam, sagte ihm dieser, er
habe den Säbel im Ministerium des Inneren erworben. Schließlich wurde
vor einiger Zeit das Dorf Glavice bei Sinj entwaffnet und hierbei den
Leuten kostbare, in Gold und Silber gearbeitete, sowie mit Edelsteinen
verzierte Waffen, abgenommen.

Als Herr Bahr dies hörte, staunte er und skandalisierte sehr über
dieses Barbarenwesen und diese Plünderung -- wie er es selbst
bezeichnete. Er wollte gar nicht an die Möglichkeit unserer
Behauptungen glauben, und sagte, daß dies nicht nur ein dalmatinischer,
sondern ein europäischer Skandal wäre, und begriff nicht, wie das Land
und besonders die Abgeordneten dem ruhig zusehen können, denn es wäre
doch unglaublich, wenn man diesem Vorgehen nicht Einhalt tun könnte...

Als Bahr dann nach Wien kam, richtete er einen Brief direkt an den
Statthalter Nardelli, worin er ihm Einiges, was er in dieser Beziehung
gehört, mitteilte, und fragte ihn ob es wahr sei, daß gelegentlich der
Entwaffnung im Jahre 1907 in einem Dorfe des Bezirkes von Splitazach die
altertümlichen Volkswaffen den Bauern abgenommen wurden. (Bahr glaubte
nämlich, daß das Dorf Glavice im politischen Bezirke von Split gelegen
sei.) Die Statthalterei wußte zwar genau, daß sich dies auf den Ort
Glavice beziehe, machte sich jedoch den Irrtum Bahrs zu Nutzen, und
stellte fest, daß schon seit zehn Jahren im Bezirke von Split keine
Entwaffnung vorgenommen wurde, und daher auch die Behauptung Bahrs nicht
der Wahrheit entspreche.

Herr Bahr ruhte jedoch nicht, erfuhr, daß der Ort Glavice zum
politischen Bezirk von Sinj gehöre, daß derselbe im Jahre 1907
entwaffnet wurde, und daß bei dieser Gelegenheit nebst anderen auch
dem Luka Milauvire-Litre zwei kostbare Stücke alter Waffen abgenommen
wurden.

Als Bahr im Besitze dieser unwiderlegbaren Tatsachen war, drohte er
diesen ganzen systemisierten Skandal der Plünderung des Nationalgutes
in die europäische Presse zu bringen, falls dem nicht ehebaldigst
entgegengetreten würde.

Die Drohung des deutschen Herrn Bahr flößte doch den Herren in Zadar
und Wien Angst ein, obwohl sie die Drohungen unserer Abgeordneten
unbeachtet ließen, und die Folge war, daß die Statthalterei
einen Erlaß erließ, worin angeordnet wird, daß die dem Luka
Milanovič-Litre, gelegentlich der Entwaffnung abgenommenen Waffen
sogleich rückzuerstatten sind, und am 27. Mai l. J. sandte die
Statthalterei ein Zirkular an alle Bezirksvorstände, in welchem
bestimmt wurde, daß von nun an bei der Entwaffnung dalmatinischer
Ortschaften auf die alten Waffen genau zu achten ist, und solche weder
gepfändet noch abgenommen werden dürfen, sondern im freien Besitze
desjenigen zu verbleiben haben, bei dem sie gefunden wurden.

So wird durch das Verdienst eines Fremden unser Volk in der Lage sein,
die wenigen Überreste der historischen Waffen behalten zu können. Dies
ist zwar sonderbar und traurig, aber wahr.«

In diesem Aufsatz wundert mich nur, daß die Statthalterei als eine
»Drohung« empfunden haben soll, was doch nur eine höfliche Anfrage
war.

Am Ende wird man dieses ganze Buch auch als »Drohung« empfinden,
während es doch nur zornige Liebe ist, die hier spricht.

Ich will helfen, Österreichs schönstes Land vor seinen tückisch
schleichenden Verderbern zu retten und ihm die Freiheit zu bringen.


=Ende=


DRUCK DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI IN LEIPZIG



_Werke von Hermann Bahr_

(_S. Fischer, Verlag, Berlin_)


_Die gute Schule. Roman. 2. Auflage. Geh. 3 Mk., geb. 4 Mk._

_Neben der Liebe. Wiener Roman. 2. Auflage. Geh. 3 Mk., geb. 4 Mk._

_Dora. Wiener Geschichten. 2. Auflage. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Caph. Novellen. 2. Auflage. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Renaissance. Neue Reihe zur Kritik der Moderne. Geh. 3,50 Mk., geb.
4,50 Mk._

_Theater. Ein Wiener Roman. 3. Auflage. Geh. 3 Mk., geb. 4 Mk._

_Tschaperl. Ein Wiener Stück. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Josephine. Ein Spiel. Geh. 2,50 Mk., geb. 3,50 Mk._

_Der Star. Ein Wiener Stück. 2. Auflage. Geh. 2,50 Mk., geb. 3,50 Mk._

_Wiener Theater (1892-1898). Geh. 4 Mk., geb. 5 Mk._

_Die schöne Frau. Novellen. 2. Auflage. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Rezensionen (Wiener Theater 1901-1903). Geh. 5 Mk., geb. 6 Mk._

_Dialog vom Tragischen. Essays. Kart. 2,50 Mk._

_Der Meister. Komödie. 3. Auflage. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Sanna. Schauspiel. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Die Andere. Schauspiel. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Glossen (Zum Wiener Theater 1903-1906). Geh. 5 Mk., geb. 6,50 Mk._

_Ringelspiel. Komödie. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Die gelbe Nachtigall. Komödie. Geh. 2,50 Mk., geb. 3,50 Mk._

_Stimmen des Bluts. Novellen. 2. Auflage. Geh. 2 Mk., geb. 3 Mk._

_Die Rahl. Roman. 3. Auflage. Geh. 4 Mk., geb. 5 Mk._

_Drut. Roman. 4. Auflage. Geh. 5 Mk., geb. 6 Mk._


_Theater_

_Hermann Bahr hat sein oft gegebenes Versprechen gehalten, er hat den
ersten bodenechten Wiener Roman geschrieben._

  (_Wiener Tagblatt_)

_... So hat denn sein Roman, den er selbst einen Wiener Roman nennt,
bei aller Lokalfarbe doch etwas Allgemeingültiges, ist ein menschliches
Dokument, das seinen Wert behalten wird, auch wenn alle Modelle, von
denen er die Einzelzüge entlehnt, längst den Weg alles Fleisches
gegangen sein werden... Ein so mondänes Buch wie das Bahrsche darf
man selbst denen empfehlen, die sich mit Grund vor deutschen Romanen
fürchten. Eine spannende Plauderei für den Oberflächlichen, ist
es ein hochrespektables Kunstwerk für den Verständigen, in Plan
und Detailausführung gleich bemerkenswert, zugleich aber eine
Prosaleistung, vor der man den Hut abnehmen darf._

  (_Neues Pester Journal_)


_Glossen_

_So manche der in der Glossensammlung besprochenen Autoren werden im
Mausoleum der Literaturgeschichte vermodert, so mancher heute noch laut
ausgerufene Name wird, vergessen und verschollen, selbst den Gelehrten
nicht mehr geläufig sein -- in dem höchst anziehenden und lehrreichen
Buche des impressionistischen Dichterkritikers werden sie vor der
Nachwelt ihre Auferstehung feiern._

  (_Die Wage, Wien_)


_Stimmen des Bluts_

_Jede dieser lässig skizzierten Erzählungen hat irgendeinen Reiz, der
fasziniert. Ihre Vorwürfe sind bizarr. Die geheimnisvolle Anziehung und
Abstoßung zwischen den Geschöpfen wird von einem skeptischen Weltmann
mit eleganter Nachlässigkeit beplaudert. Es ist Pose in dieser Eleganz,
Nachlässigkeit vor dem Photographen, aber es ist künstlerisch und
niemals langweilig._

  (_Süddeutsche Monatshefte_)

_... Wer aber diese Geschichten liest, der wird eine Weile lang sonst
unhörbare, nie völlig erschürfte Quellen des Lebens rauschen hören
und eine Weile lang gedankenvoll Dingen nachgrübeln, die ganz abseits
vom Wege unseres nüchternen Rechenverstandes liegen und die nur ein
Dichter zuweilen bis an die Schwelle unseres Bewußtseins zu heben
versteht._

  (_Pester Lloyd_)


_Drut_

_... den österreichischen Roman zu schreiben, das Buch, in dem
nicht einzelne Typen, sondern der gesamte Komplex von verknöcherten
Traditionen, kampfbereiten Expansionsgelüsten, innerem Parteihader,
still arbeitenden politischen Gewalten, von Liberalismus und
Demagogentum, von ehrfürchtiger Kaisertreue und scheelem Zynismus, von
müde gewordenen Hoffnungen und machtdurstiger Geschäftigkeit, in dem
dieser Komplex von mehr fühlbaren als faßbaren Dingen lebendig
würde und dies in der spezifisch weichen, lebensfrohen Atmosphäre
Österreichs -- dieses Buch zu schreiben gelang erst heute Hermann Bahr
in seinem eben erschienenen Roman »Drut«... Es wird Leute geben, die
sich an diesem allzu frischen Zusammenhang des Bahrschen Romans mit
realen Ereignissen stoßen werden. Sie werden das Buch lesen müssen,
um zu sehen, wie ein Künstler den Einzelfall ins große Allgemeine,
Typische zu weiten weiß. Mit welch tiefer Seelenkunde, mit welch warmem
Verstehen und namentlich mit welch unglaublicher Lebensechtheit die
Menschen hier gestaltet sind. Und wie in ihr Tun alle Probleme und
alle Mächte des heutigen Österreich hineinspielen, wie greifbar
die österreichische Landschaft hineingrüßt -- und sie werden dann
bewundernd zu der Höhe der Kunst hinaufsehen, zu der sich Bahr durch so
vielerlei Wandlungen emporläuterte._

  (_Pester Lloyd_)

_... So bekommen wir auch in diesem Roman, der, künstlerisch
gemessen, eines seiner bedeutendsten und vollkommensten Werke, ein
österreichischer Roman im besten Sinne des Wortes, ein wundervoll
lebendiges Bild unserer Zeit ist, doch auch manchen prächtigen
Essay, manche treffende Abhandlung über soziale und ethische Fragen
zwischendurch zu lesen. -- Bahr will eben nicht bloß unterhalten,
sondern auch überzeugen. Er ist Bildner und Lehrer, Prophet und Dichter
zu gleicher Zeit. Sein Roman ist in diesem Sinne auch ein politisches
Buch. Und es ruft nicht bloß -- wie sonst meistens Romane -- Frauen
und Jünglinge, sondern auch und vielleicht vor allem Männer zu seinen
Lesern herbei. Männer, die dieses Österreich lieben wie Bahr selbst
und denen Österreichs Zukunft am Herzen liegt._

  (_Neue Freie Presse, Wien_)


_Die Rahl_

_Hermann Bahr hat einen neuen Roman geschrieben: »Die Rahl«. Aus dem
Theaterleben, dem Bahr schon so viel psychologische Beute verdankt.
Diesmal steht eine große Tragödin in der Mitte und neben ihr ein
kleiner Schuljunge, ein Gymnasiast. Die Rahl lebt im Leben nur ein
Scheindasein, ihr inneres und echtes Leben lebt sie auf dem Theater; der
arme kleine Junge neben ihr darf eine Nacht lang ihr Genosse sein, und
da der Gymnasiast in der Wirklichkeit steht, kann er es nicht begreifen,
daß die Künstlerin die große Stunde so rasch vergessen konnte. Am
Ende, da der Jüngling von den Bedienten der Rahl nicht mehr vorgelassen
wird, dringt er in seinem knabenhaften Mut bis zu dem Grafen, dem Gatten
der Tragödin, vor, um ihm alles zu »enthüllen«. Das ist eine von
delikatestem Witz eingegebene Szene. Dieser bebende kleine Junge,
der mit der Romantik seiner sechzehn Jahre vor einem vom Leben
durchgegerbten, aus Notwendigkeit milde gewordenen Gatten steht, nun
von dem vermeintlichen »Unterdrücker« die Geliebte fordert, und als
Antwort nur ein sehr gütiges, nachsichtiges Lächeln empfängt! Ich
wüßte nicht, welcher Deutsche außer Hermann Bahr eine ähnliche
Szene schreiben könnte. Diese aus seelischem Wissen entspringende
Lustspielstimmung gehört nur ihm. Wo ist denn ein anderer Deutscher,
dessen Humor aus psychologischem Untergrund kommt? Der Roman ist mit
einigen sehr scharfen Silhouetten aus der Mittelschulwelt geschmückt,
und besonders in Wien wird das angedeutete Porträt des »kleinen
Beer«, des jüdischen Revolutionärs im Obergymnasium, von Hunderten
Jünglingen als das eigene Bild angesehen werden._

  (_Wiener Arbeiterzeitung_)

[Illustration]



[ Hinweise zur Transkription


Das Verlagsemblem wurde vom Vorblatt zum Buchende verschoben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit
folgenden Ausnahmen:

  Seite 28:
  "ungrischen" geändert in "ungarischen"
  (Hafen von Preluka, knapp an der ungarischen Grenze)

  Seite 30:
  "zerstriebend" geändert in "zerstiebend"
  (lacht noch schrill und ist schon zerstiebend wieder versunken)

  Seite 101:
  "Verständnise" geändert in "Verständnisse"
  (zum klaren Verständnisse seiner Aufgaben aufschwang)

  Seite 123:
  "unsrerer" geändert in "unserer"
  (wenn wir unserer Südslawen nicht sicher sind)

  Seite 142:
  "Bote" vereinheitlicht zu "Boote"
  (hier wird nicht gelandet, sondern Boote legen an)

  Seite 142:
  "Bot" vereinheitlicht zu "Boot"
  (aus einem Boot herauf in rauhem Deutsch)

  Seite 158:
  "9. d." geändert in "9. d. M."
  (Auf meinen Brief vom 9. d. M. werden Sie mir antworten)

  Seite 165:
  "Kart" geändert in "Kart."
  (_Dialog vom Tragischen. Essays. Kart. 2,50 Mk._)]





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