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Title: Transatlantische Reiseskizzen und Christophorus Bärenhäuter. Zweites Bändchen.
Author: Sealsfield, Charles
Language: German
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  Transatlantische Reiseskizzen

  und

  Christophorus Bärenhäuter.


  Vom Verfasser des Legitimen und der Republikaner.


  Zweites Bändchen.

  Zürich,
  bei Orell, Füßli und Compagnie.

  1834.



Die Fahrt am Red-River.


Es war ein heiterer, heißer Junimorgen, als ich das Redriver[1]-Dampfschiff
betrat. Die Sonne brannte wie ein glühender Hochofen, kein Lüftchen
wehte, nur der Strom hauchte erfrischende Kühle aus seinen ungeheuern
Wassermassen. Ich blickte noch einmal zurück an das Ufer, wo meine
Quasi-Freunde standen, erwiederte ihre Grüße mit einem _Hang ye_[2], und
eilte dann in den Salon.

    [1]: =Redriver=, der rothe Fluß, der sich unter Natchez auf der
    westlichen Seite in den Missisippi ergießt. Weiter oben bildet er
    die Gränze zwischen den V. St. und Mexico.

    [2]: =_Hang ye!_= Häng euch! Hol' euch der Henker!

Noch immer gellten mir die Worte in den Ohren: Wohl denn, laß ihn als
Hagestolz vegetiren; ohnedem ist er ein wunderlicher Kauz. Beinahe hätte
mir mein Spleen gleich beim Eintritte in das Staatszimmer Händel mit einem
meiner Reisegefährten zugezogen, der in der Phrase: gemeine tückische
Seelen, die ich wiederholt ausstieß, eine ehrenrührige Anspielung auf
seine werthe Person zu hören wähnte. Im Grunde genommen, hatte die pfiffige
Bostonerinn so unrecht nicht. Ich war wirklich ein ganzer Narr, achttausend
Dollars seit vier Jahren Menschen hingegeben zu haben, die, um sie noch
andere vier Jahre zu behalten, mir den hämischsten Streich spielten. Ich
hätte aus der Haut fahren mögen. Mein ganzes Wesen zuckte. Ich hatte weder
Rast noch Ruhe.

_Qu'est ce qu'il y a donc, Monsieur Howard?_ sprach plötzlich ein etwas
bejahrter aber ziemlich respectabel aussehender Mann mich an: _Est-ce que
vous êtes indisposé? Allons voir du monde._

Ich schaute den sonderbaren Mann mit aufgerissenen Augen an, der so ganz
sans façon meine werthe Person in Anspruch zu nehmen beliebte, und war
schon willens ihm recht vornehm befremdet den Rücken zu kehren, als er
mich bei der Hand nahm, und ganz gemächlich zur Thüre des Damensaales zog.
_Allons voir, Monsieur Howard._

_Mais que voulez-vous donc?_ fragte ich ziemlich ärgerlich den
zudringlichen Menschen.

_Faire votre connaissance_, erwiederte er artig und lächelnd, indem er die
Thür aufthat, und mich so ins Innere des Salons blicken ließ.

_Monsieur Howard!_ redete er zwei Mädchen an, die so eben beschäftigt
waren, ein Schock Ananasen und Bananen an den Säulen des Staatszimmers
aufzuzuknüpfen, wie sie in Alt-England mit den Söhnen Erins und im Neuen
mit Zwiebeln zu thun pflegen. _Mes filles, voilà Monsieur Howard votre
voisin!_ Beide kamen auf mich zu, grüßten mich wie einen alten Bekannten,
und boten mir, als hätten wir seit Jahren aus einer Schüssel gegessen, von
ihren süßen Vorräthen an. Das ist doch sehr zuvorkommend in der That! Ich
könnte zehn Jahre bei meinen lieben Landsmänninnen herumreisen, ohne in die
Gefahr zu kommen, mir den Magen auf eine so schöne Weise zu verderben. Ich
mußte zugreifen, wir setzten uns, und die Mädchen fingen an zu plappern und
zu lachen, daß ich, so weh es mir im Herzen that, nicht unterlassen konnte
mit einzustimmen. Eine ganz angenehme Stunde war vergangen, und eine zweite
und dritte würde gefolgt sein, wenn meine angeborne Virginische steife
Etiquette mir diesen Genuß inmitten der fröhlichen Geschöpfe länger
gestattet hätte.

Wir nehmen zusammen unsern Thee hier, Papa, riefen die beiden Mädchen, als
ich mich vom Sessel erhob, und wahrlich ich habe Ursache diese Einladung
und meinen Glücksstern zu segnen; denn unsere Reisegesellschaft ist nichts
weniger als gewählt. Ein sonderbarer Schlag Menschen! Beinahe sollte man
glauben, man sei im alten Kentuck. Viehhändler und Metzger von Neworleans,
die sich nach den nordwestlichen Counties spediren, halb wilde Jäger und
Trappers[3], die von Begierde brennen, recht bald die Steppen jenseits
Nacogdoches[4] zu sehen, und da die Indianer zu zivilisiren, oder, besser
zu sagen, zu betrügen; Krämer, in und um Alexandria herum angesessen, diese
bilden die sogenannte respectable Masse unserer Gesellschaft, und eine
derbe Masse ist's, nach der Dicke ihrer Sohlen und behuften Absätze zu
schließen. -- Das dichte Laubwerk vor uns, ja das ist die Mündung des
Red-Rivers! Sie ist halb überwölbt von den ungeheuren Bäumen, die zu beiden
Seiten über den Fluß hin hängen. Welch ein Contrast mit dem Missisippi, der
hinströmt, breit, gewaltig und finster, das leibhafte Bild eines nordischen
Eroberers, der mit seinen stinkenden Horden hervorbricht aus seinen öden
Steppen, um eine halbe Welt zu verwüsten, während der Red-River -- den wir
hochtrabend den Nil von Louisiana mit gerade so viel Fug und Recht nennen,
als ein Schuhmacher irgendwo in Massachusets seinen Sohn Alexander Cäsar
Napoleon taufte -- durchs Gebüsch und die Ebene hinschleicht, wie die
verrätherisch lauernde giftige Kupferschlange, -- _Cocytus_ sollte er
heißen.

    [3]: =Trapper=, ein Biberfänger-Jäger in den Steppen zwischen den
    Felsenbergen und den Staaten Missouri und den Gebieten Missouri und
    Arkansas.

    [4]: =_Nacogdoches_=, der erste mexikanische Ort, auf den man
    stößt, wenn man Louisiana verläßt.

Da sind wir denn am Eingange des ersten Sumpfes, aus dem dieser
vermaledeite rothe Fluß herausströmt. Es ist ein unheimlicher Anblick
dieser Sumpf, der, durch den Zusammenfluß des Tensaw, des White und
Red-River gebildet, einen ungeheuren Spiegel des üppigsten Grüns dem Auge
darbietet, das beim ersten Anblick eine Terra-Firma erscheint, mit Bäumen,
von denen Wurzel und grasiger Schlamm in langen Festons herabhängen. Eine
ungeheure Wiese, möchte man schwören, bis man allmälig die dunkelgrünen
Sumpflilien sich bewegen, und zwischen diesen weißlich-braune häßliche
Rachen sich aufthun sieht, die Töne ausstoßen, vor denen der Neuling
schaudert. Es sind Hunderte von Alligatoren, die gleich Sechzigpfündern
durch die üppig giftige Pflanzenwelt auf ihre Beute hinschießen. Ihre
Brunftzeit hat begonnen, und das dumpfe schauerliche Gebrüll, das rings
um uns her ertönt, hat wirklich etwas Grauenerregendes. Man glaubt sich
im Hauptquartier des Todes, der seine Pfeile in den tausend verschiedenen
Fieberarten aussendet.

_Boys a head_, schallt die Stimme des Capitains.

Wir haben den Sumpf passirt und nähern uns dem Ufer, auf welchem ein
schwarzbraunes Paar an einen Holzstoß gelehnt uns erwartete. Wir nehmen
Feuerung ein. Mein Auge folgte bewußtlos der Rotte, die sich über die
Breter drängte, als ein wildes Lachen und die Worte _tallow face_ an
meine Ohren schlugen. So zeitlich schon, dachte ich, und so ganz in meiner
Nachbarschaft, und ich schritt über die Bretter ans Ufer hinan. Ja es war
wirklich so, und das Opfer stand in dem armen Kaisergardisten leibhaft
vor mir. Seine Haut ist bereits durchsichtig, aber es ist dieses eine
Durchsichtigkeit, die scheußlich anzusehen ist. Die Farbe weder blaß
noch gelb, eine Mischung von Talglicht- und Bronzefarbe, -- wir nennen
es _tallow face_, Unschlitt-Gesicht, -- um seine Augen glänzt bereits der
weiße Ring; die Linse rollt, als wäre sie von einem innerlichen Feinde
umher getrieben. Der Neid, so fürchterlich vom alten Naso gezeichnet, ist
Kinderspiel gegen diesen Anblick. Und doch scheint und ist er gleichgültig.
_Monsieur Devigne_, rief ich ihm zu, _comment s'en vat-il?_ Der Mann
starrte mich an, drückte mir die Hand und murmelte ein très-bien, während
die häßliche Negerinn mich am Rocke zupfte, und mir grinsend zuflüsterte:
_Ah Massa! tallow face soon ague cake_[5].

    [5]: =_Tallow face soon ague cake_=, so viel, als sein Gesicht
    hat bereits das Aussehen eines Talglichtes -- bald wird er den
    Fieberkuchen haben. Dieser letztere ist eine Anschwellung
    des Unterleibes wie ein Brodlaib und der unmittelbare Vorbote
    gänzlicher Auflösung.

Ich stieß das ekelhafte fühllose Wesen unwillig zurück, und wollte eben
mit dem armen Franzosen einige Worte sprechen, als die Stimme des Capitains
wieder erschallte: _All hands on board!_ Armer Teufel! dachte ich, als
ich über die Brücke hinschritt. Die Wüsten Egyptens, die Schlachtfelder
Marengos und Waterloos haben dich verschont, damit das Ague-Fieber sein
Opfer nicht verliere. Und statt des Bedauerns schallt ein wüstes rohes
Lachen vom Verdeck herüber. Beinahe scheint es, als ob sie Freude über
seine baldige Auflösung empfanden.

Welch eine Erscheinung ist doch der Mensch! Wäre dieser Elende auf diesen
unheimlichen oder einen ähnlichen Pestort von seinen Obern gesandt worden,
alles Gold der Erde würde kaum vermocht haben, ihn hier zu halten. Nun aber
kam er aus freier Wahl, wahrscheinlich vertrieben aus besserer Gesellschaft
durch seine Verbindung mit der Schwarzen, und so fällt er denn seiner
Leidenschaft, ein vielleicht nur zu wohl verdientes Opfer. Das Plätzchen,
worauf seine Hütte steht, ist nicht einmal sein Eigenthum, aber das
kümmert ihn nicht. Er hat einige Morgen Waldes gelichtet, Korn und Tabak
hingepflanzt, und diese, mit dem Verkauf des Holzes, fristen sein Leben,
und würden ihn wahrscheinlich wohlhabend gemacht haben, wenn diese häßliche
Schwarze nicht sein Abzugskanal gewesen wäre. Einige Schritte rückwärts
steht seine Hütte, und vor der Thüre wühlen ein paar nackte dunkelbraune
Ungeheuer im Schlamm herum. Sie sehen mehr Schweinen, denn menschlichen
Wesen ähnlich, aber sie sind gesund und munter, und sie sind es, die die
Natur zu Bebauern dieses Landes bestimmt hat. Ihre Aeltern vegetiren ein
paar Jahre, bis die _ague cake_ ihren Leiden ein Ende macht. Sie haben sich
mühsam eine Hütte gebaut, im Schweiße ihres Angesichtes ein Plätzchen urbar
gemacht, ihren Kindern kommt ihre Arbeit zu gut. Geboren in dem giftigen
Qualme, gewohnt an die pestilenzialischen Ausdünstungen, sind sie von
Mutterleib an gezeitigt und wachsen heran, so wie die Sumpfrose unter
giftigen Thieren und Pflanzen, um Kindern und Kindeskindern Leben und
Gedeihen zu geben. So entsprang die Bevölkerung Nieder-Louisianas, und
so wird sich der Same hier mehren. Der erste ist lange verwittert und
vermorscht; er kam von allen Weltgegenden, allen Ländern. Schuldner,
Revolutionäre, Verbrecher, Exilirte, und wieder Männer, die ein besseres
Schicksal verdienten, alle haben sie hier ihr Grab gefunden; aber gerade
in diesen werthlosen Geschöpfen, wie wir sie in unserm Stolze nennen, zeigt
die Natur ihre waltende Sorgfalt. Ja, was als der Krebsschaden der Welt
betrachtet wird, der Abschaum, die Hefe der civilisirten Gesellschaft,
das dient ihr, diese Wildnisse zu bevölkern, und uns -- aus dieser Saat
vielleicht eine neue Art Heloten zu bilden, und so einen Schaden mit einem
ärgern zu verkleistern.

Ei, die Natur meint es gut, aber unser frostiger, kalkulirender,
aristokratischer Geist -- aber _silentium,_ und kehren wir zu den
Demoiselles zurück, deren Namen ich, so wahr ich lebe, vergessen habe. Doch
da kommt mein freundlich zudringlicher Creole selbst, und führt mich den
holden Töchterchen zu. Eine derselben lies't den Guillaume Tell, und das
andere schäkert mit einem schwarzen Mädchen so familiär, daß es der Mistreß
Houston Vapeurs verursacht haben würde.

Sie sind, höre ich, auf ihrer Heimreise vom Ursulinerinnen-Kloster
in Neworleans, wo sie ihre Erziehung erhalten haben. Aber wo sie den
musternden Feldherrnblick herhaben, dürfte schwer zu errathen sein. Doch
nicht von den frommen Schwestern, hoffen wir? Die ältere examinirt mein
werthes Ich mit wahren Kenneraugen, gleichsam als wollte sie sich zuerst
überzeugen, ob der Versuch sich auch der Mühe lohne. Sie scheint um die
Neunzehn herum zu sein, und sich ein wenig zum _Embonpoint_ zu neigen. Es
ist wirklich amüsant, die comfortable Manier zu beobachten, mit der sie
zuerst sich selbst im gegenüber hängenden Spiegel und dann meine
Wenigkeit mißt; ihr Blick gleitet vom Kopf zu den Füßen, der nähern
Beaugenscheinigung wegen, und um sich zu überzeugen, ob man auch Stand
halten könne. Niemand wünscht bei uns in einem so wichtigen Geschäft
hinters Licht geführt zu werden. Doch ich werde boshaft, und ich sollte
wirklich meinem guten Gestirne danken, daß es mich unter so liebe Menschen
brachte, wirklich liebe Menschen, trotz des argen Kokettirens der Aeltern.
Es würde einen ganzen Katalog füllen, alle die Items aufzuzählen, mit
denen sie das Damenzimmer vollgepfropft haben. Ein Glück, daß sie alleinige
Besitzer, und folglich ausschließende Gewalt in diesem ihrem zeitweiligen
Territorium haben. Sonst müßte es Krieg geben. Sie führen eine halbe
Briggsladung von Citronen, Orangen, Ananas und Bananen mit sich, und der
Alte hat wenigstens drei Dutzend Kisten mit Chambertin, Lafitte und Medoc.
Er ist doch kein Weinhändler? Auf alle Fälle zeigt der Mann Geschmack; er
ist erhaben über die so gemeinen Stoffe Hollands, Gin und Whisky, bei deren
bloßem Anblicke einem schon übel wird. Todes- und Laster-Essenzen sollte
man diese grünen und braunen Compositionen nennen, zusammengekocht von
spitzbübischen Quacksalbern zur Schande und zum Verderben Bruder Jonathans.
Und doch ist dieser Bruder Jonathan von Natur nichts weniger als ein
Zecher, ja eher nüchtern und mäßig. Aber diese unglückseligen Söhne und
Töchter Erins! -- Es thut mir leid, aber ich kann es nicht verhehlen, sie
sind die Verführer. Und was das Schlimmste ist, sie wollen auch nicht den
guten Rath hören, den ihnen unsere Temperanz-Gesellschaften so salbungsvoll
spenden, um sie nüchtern und mäßig zu machen. Nein, sie wollen absolut
nicht, noch wollen sie die Zeitungen lesen, die zu gleichem Behufe für
zwei Dollars per annum etablirt sind; das heißt zwei Dollars, wenn voraus
bezahlt, und drei, wenn am Ende des Jahres -- oder gar nicht.

Aber es ist nicht artig so herumzuwandern, und die lieblichen Demoiselles
allein zu lassen. Wir haben denn beschlossen, unsern Thee _en famille_
zu nehmen. Monsieur Menou jedoch hält sich zu seinem Chambertin. Und ich
gedenke beide zu versuchen. Sie, ich meine die Demoiselles, sind wirklich
ganz nette Geschöpfe, so heiter, so lebendig; ihre Zungenfertigkeit ist
ganz einzig, und ihr naives Geplapper möchte einen Misanthropen zum Lachen
bringen. Aber es gibt Momente, wo man nun einmal trübegelaunt sein muß,
Momente, wo das Gemüth von einer Windstille niedergedrückt ist, einer
Windstille, so lähmend und entnervend wie die, welche im heißen August nach
einem westindischen Orkane eintritt. Das Bischen Vernunft, umhergetrieben
und gelähmt im vorhergegangenen Sturme, ist erschöpft, der Körper
selbst hat seine Kraft verloren, und die Ruhe, die eintritt, ist die
unleidentlichste Pause, ein ekelhafter Stillstand. Jedes Objekt berührt
dann unsere Sinne unangenehm, und unser Verstand erliegt hülflos wie das
Schiff, das, auf seine Beamsends von den riesig anschwellenden Wellen
geworfen, sich nur allmälig oder gar nicht zur Thätigkeit aufrichtet. Ich
war just in dieser Lage. Nie hatte mich oder vielmehr meine Eigenliebe
Schlag auf Schlag so getroffen -- erstens diese tolle Liebe, dann die
erlauschte Entdeckung der Falschheit meines besten Freundes. -- Wir hatten
uns seit unserer frühen Kindheit gekannt und geliebt. Unsere Herzen und
Börsen, und letzteres will viel bei uns sagen, waren sich wechselseitig
offen. Die Verschiedenheit unserer Charaktere bestand bloß in gewissen
leichten Schattirungen, in der Hauptsache stimmten wir wie zwei Uhren
überein, die in ihren Sekundenschlägen abweichen, aber im Ausschlage
zusammentreffen. Und nun --! Eine halbe Stunde mit dieser verführerischen
Eva -- und Freundschaft und alles ist dahin. -- Und, was das schönste
ist, wäre ich guter Narr mit meinen achttausend Dollars nicht ein _Deus
ex machina_ erschienen, so wäre Mistreß Richard noch zu dato Miß Bowstring
genannt. Ich konnte es nicht mehr aushalten; ich mußte hinaus ins
Freie. Die Nacht ist sternenhell; bloß der Fluß ist mit einem schmalen
Nebelstreifen überhangen. Die hohlen Schläge der Dampfmaschine scheinen
aus weiter Ferne herüberzuprallen; es ist das Gebrülle der Alligatoren;
zwischen diesen die Klagetöne der Whippoorwill. Kein einziges Licht am
Ufer, aber Milliarden von Feuerkäfern, die über die Cypressen und Papaws
ein magisches Helldunkel verbreiten. Zuweilen streifen wir so nahe am Ufer
hin, daß die Zweige der Bäume rasselnd an unserm Bote zusammenbrechen.
Morgen denn um diese Zeit werde ich in meinem Tusculum ruhen, für heute
wollen wir mit unserm winzigen Staatsbettchen vorlieb nehmen. So eben kommt
der Capitain mir anzuzeigen, daß endlich unsere lärmenden Reisecompagnons
zur Ruhe befördert sind. Die Uhr schlägt zwölf.

Ja diese Nacht! diese Träume! Es war mir, als ob alle Drangsalen meiner
frühen Jugend sich über mich hingelagert, und in einem Vampyre vereinigt
meine Geistes- und Körperkraft erdrückt, und ausgesogen hätten. Und so
schwer wurde die Last, daß ich ausrief im Schlafe, und beinahe die ganze
Gesellschaft in Schrecken versetzte. Ich hatte ihn wirklich abgeschüttelt
den Vampyr, und ich fühlte mich erleichtert. Ich bin herzlich froh, denn
sollte dieser liebenswürdige Spleen noch vierundzwanzig Stunden länger
gedauert haben -- wahrlich, ich hätte allen Umgang mit Menschen aufgeben
mögen. Wohl denn, ein frischer Windzug hat sich erhoben, und der wird die
an einander schlagenden Segel schon wieder füllen. Das _bon jour!_ des
Creolen lautet jedoch ziemlich trocken und prüfend. Es schien, als wollte
er in meiner Miene lesen, ob seine Höflichkeit nicht wieder mit einer
unartigen Steifheit vergolten werden dürfte. Wohl, ich will mir Mühe geben,
die üblen Eindrücke zu vertilgen. Es sind gute Menschen diese Creolen,
nicht allzu gescheidt, immer sind sie mir aber lieber als die pfiffigen
Yankees, trotz ihrer närrischen Tanzlust, die sie selbst nicht bei ihrer
ersten Ansiedelung verläugnen konnten. Es muß toll genug ausgesehen haben,
wie sie so in ihren Wolldecken umher trabten und französische Menuets
aufführten. -- Doch, es ist zwölf Uhr, der Auszugsdampf läßt sich hören,
das Schiff nimmt wieder Feuerung ein.

_Monsieur! voilà votre terre_, sagte der Creole auf das Ufer und die
Holzstöße deutend. Ich blickte durch das Fenster, und wirklich ich finde,
der Creole hat Recht. Wir hatten so lange mit den Demoiselles geplaudert,
daß Stunden und Meilen wie Augenblicke dahin flogen. Mein Aufseher
hatte seit meiner Abwesenheit ein Holzlager für Dampfschiffe errichtet.
Wenigstens eine Verbesserung! Und da ist er selbst, der leibliche
Mister Bleaks. Der Creole scheint gute Lust zu haben, mich nach Hause zu
begleiten. Ich kann es nicht hindern, hoffe jedoch, er wird nicht gar so
artig sein. Ich hoffe. Nichts abschreckender als eine derlei Visite, wenn
man Jahre lang von Haus und Hof entfernt gewesen; die Laren und Penaten
eines Hagestolz sind die sorglosesten aller Götter.

Mister Bleaks! sprach ich, indem ich an ihn herantrat, der in seinem rothen
Flanellhemde und Calicot-Inexpressibles und Strohhute sich eben nicht
sonderlich um seinen Oberherrn zu kümmern schien, wollt ihr so gut sein,
die Gig und Koffer ans Ufer bringen zu lassen?

Ah, Mister Howard! erwiederte der Mann, sind Sie es! hatte Sie nicht so
bald vermuthet.

Hoffe doch nicht unwillkommen zu sein? erwiederte ich ein wenig ärgerlich
über des Mannes echt pensylvanische Trockenheit.

Sie sind doch nicht allein gekommen? fuhr er in eben dem Tone fort. Sind
Sie? frug er mich mit einem Seitenblicke messend. Dachte, Sie würden uns
ein Dutzend Blackee's mitbringen; wir brauchen sie.

_Est-il permis, Monsieur?_ fragte nun der Creole, seine Hand in die meinige
legend und auf das Haus hinweisend.

Und das Dampfschiff? bemerkte ich in einem Tone, so gedehnt, das einen nur
mittelmäßig in der Physiognomik oder Psychologie Bewanderten belehrt haben
müßte, daß er wahrlich überflüssig sei.

Oh, das wird warten, erwiederte er lächelnd. Was wollte ich machen? ich
mußte die Reise nach meinem Hause mit dem wunderlichen Manne antreten,
so schwer es mir auch fiel. Und wahrlich, es fiel mir schwer! Es war ein
gräulicher Anblick, ein Gräuel der Verwüstung. Alles sah so hinfällig, so
verloren, so verdorben aus, daß mir der Ekel aufstieg. So hatte ichs nicht
erwartet. -- Von der Einzäunung um den Hausgarten standen bloß einzelne
Fragmente; im Garten selbst trieb das liebe Borstenvieh sein Wesen. Und das
Haus! Gott sei mir gnädig! Keine Scheibe ganz; alle Fensterrahmen mit alten
Hosen und Kitteln und zerrissenen Weiberröcken ausgestopft. Ich konnte
keine Orangen- und Citronenlauben erwarten, ich hatte sie nicht gepflanzt;
aber dieß! -- nein, es war wirklich zu arg.

Jedes Gemälde sollte seine Schattenseite haben, wenn es nicht ein _à la_
Fresco-Gemälde ist; aber hier war Alles Schatten -- Nacht. Keine
lebendige Seele zu sehen während unserer Tour vom Ufer durch die modernden
Riesenstämme, zwischen denen wir uns durchzuwinden hatten. Hier endlich
läßt sich etwas Lebendiges sehen. Es ist ein Trio schwarzer Ungethüme, die
mit Marius und Sylla sich im Kothe herumbalgen, ein halbes Hemde am Leibe,
und schmutzig wie es nur Menschenkinder sein können. Und die Affen, sie
starren mich mit ihren rollenden Augen an, und galloppiren dann lachend
hinters Haus. Ah! die alte Sibylle! Sie steht vor einem Kessel, der von
einer Stangenpyramide herabhängt: ein wahres Contrefait der Macbethischen
Hexen. Nun starrt sie auf uns, ohne sich jedoch zu bewegen. Ich muß ihr
schon selbst meine Aufwartung machen. Ah, nun erkennt sie mich, und kommt
mit ihrem ungeheuren Löffel auf mich zugeschritten. Es wundert mich, daß
sie ihren Truthahnkragen noch nicht umgedreht, der mich fünf und siebenzig
Thaler kostete. Nun rennt sie und schreit und weint vor Freuden. Ein
Wesen denn wenigstens, das Freude bei meiner Ankunft äußert. Und die
Aengstlichkeit, mit der sie auf den Kessel und die drei Pfannen hinsieht,
in denen Schinken und getrocknetes Schweinefleisch kochen; sie ist
augenscheinlich noch nicht mit sich eins, ob sie Kessel und Pfannen oder
mich im Stiche lassen soll. Doch der Creole scheint ihren Jammer aufs
höchste zu steigern. Sie erhebt ihre gellend durchdringende Stimme; niemand
läßt sich jedoch blicken.

_Et les chambres_, heult sie, _et la maison et tout, tout --_

Ich wußte nicht, was sie mit ihrer Jeremiade wollte. Sie deutete auf meinen
Begleiter, krächzend: _Mais mon Dieu! pourrais-je seulement un moment --
Tenez-la, Massa!_ bat sie, indem sie mir den Löffel hinhielt, und eine
Bewegung des Umrührens machte, und wieder auf das Haus deutete.

_Que voulez-vous donc!_ rief ich aufgebracht, und nun kam die Aufklärung:
die Zimmer waren nicht gereinigt, nicht gelüftet, kurz, in einem Zustande,
der nicht zuließ, daß ein Fremder sie betrete. Sie brauchte nichts als eine
kleine Viertelstunde, sie in Ordnung zu bringen, und während dieser Zeit
würde ich wohl so gut sein, der Ehre des Hauses wegen einstweilen das
Gemüse und die Fleischklumpen im Kessel umzuwenden, und die Pfannen dabei
nicht vergessen. Ich hieß sie zu allen Teufeln gehen und kehrte mich
dem Hause zu. Einen Trost hatte ich, den nämlich, daß meines Begleiters
Residenz wahrscheinlich nicht glänzender, wenn ja noch so gut war; diese
Creolen oberhalb Alexandria leben noch wie die halben Indianer. Auch
schien Monsieur Menou der horrible Zustand meines Hauswesens gar nicht
zu befremden. Als wir in den Salon kamen, fand ich, statt der Sophas und
Sessel, Haufen von grünem und mexikanischem Cotton-Samen; in einer Ecke
alte Wolldecken, in der andern einen Waschzuber. Die Zimmer waren noch
ärger hergenommen: in meinem Schlafkabinette hatte Bangor seine Residenz
aufgeschlagen, und die Musquittovorhänge waren wahrscheinlich in Mistreß
Bleaks Behausung gewandert. Ich eilte von dieser gräuelvollen Unordnung dem
Hofe zu, mein ganzes Wesen war aufgeregt.

_Mais tout cela est bien charmant!_ sprach der Creole. Ich schaute den Mann
an; er war ganz ernsthaft. Ich schüttelte den Kopf, denn fürwahr ich war
nicht in der Laune, Spott zu ertragen. Der creolische Plagegeist jedoch
ergriff wieder meinen Arm und zog mich den Hütten meiner Neger und weiter
den Cottonfeldern zu. Es waren die üppigsten Felder trotz der gränzenlosen
Nachlässigkeit; der unglaublich fette Boden hatte die Stauden beinahe
mannshoch hinaufgetrieben, und es war im Juni. Der Creole prüfte mit
Kenneraugen und schüttelte den Kopf.

Die Glocke ertönte vom Dampfschiffe her. Gott sei Dank, dachte ich.

_Monsieur!_ sprach er, _la plantation est bien charmante, mais ce Mistère
Bleak ne vaut rien, et vous -- vous êtes trop gentilhomme._

Ich verbiß das derbe Compliment, meine Zähne knirschten jedoch
unwillkürlich.

_Écoutez!_ fuhr er fort, _vous irez avec moi_.

_Moi!_ sprach ich. Ist der Mann toll, mir einen solchen Vorschlag zu thun,
kaum zehn Minuten nachdem ich mein Haus betreten!

_Oui oui Monsieur!_ sprach er, _vous irez avec moi. J'ai des choses bien
importantes à vous communiquer._

_Mais Monsieur!_ erwiederte ich ziemlich frostig, _je suis bien étonné
d'une proposition si étrangère --_

_Et faite par un étranger_, fügte der Creole lächelnd hinzu. _Mais
vraiment, Monsieur Howard! vous êtes venu sans prendre les précautions
nécessaires comme je vois -- -- et la fièvre. Ah Monsieur, quand on est
forcé de s'échapper de ses amis --_

Ich blickte den Mann staunend an; woher wußte er dies? Die Glocke ertönte
ein zweites Mal.

_Eh bien!_ fragte er, _plaît-il ou non?_

Ich stand verlegen, sinnend, ärgerlich. _J'accepte de votre offre_, sprach
ich endlich meiner selbst nicht bewußt, und eilte schnell mit ihm dem
Dampfschiffe zu. Mister Bleaks schüttelte verwundert den Kopf. Ich
bedeutete ihm, etwas mehr Acht auf die Pflanzung zu haben, und wollte
eben die auf das Dampfschiff führenden Breter betreten, als meine fünf und
zwanzig Neger heulend hinter dem Hause hervorgerannt kamen.

Massa! um Gotteswillen, Massa, bleibt bei uns! riefen die Männer. Massa,
guter, lieber Massa, nicht gehen! Mister Bleaks! heulten die Weiber.

Ich winkte dem Kapitain, eine Weile zu halten.

Was fehlt euch? fragte ich ein wenig betroffen.

Einer meiner Sklaven trat vor und entblößte seine Schultern, zwei andere
folgten seinem Beispiele.

Ich warf einen durchbohrenden Blick auf Mister Bleaks, der grinsend
lächelte. Es war für meine Ehre und mein Gewissen ein wahrhaft rettender
Moment, der meine armen Neger herbeigeführt hatte. In der Tollheit meines
Wesens wäre ich dem Creolen gefolgt, ohne mich auch nur im mindesten um das
Loos von fünfundzwanzig Menschen zu erkundigen, die ich unter so schlechten
Händen gelassen. Ich entschuldigte mich kurz beim Creolen, versprach einen
baldigen Besuch, um nähere Aufklärung über seine räthselhaften Worte zu
erhalten, und verbeugte mich. Der Mann erwiederte kein Wort, rannte über
die Breter, wisperte dem Capitain etwas in die Ohren, und verschwand in den
Staatssalon.

Ich hatte weder Zeit noch Lust mich länger mit ihm zu befassen, und war
schweigend, umgeben von meiner schwarzen Bevölkerung, dem Hause zugegangen.
Das Dampfschiff ging so eben ab, als mich etwas am Arme anfaßte, -- es war
der Creole. Nun bei Gott, das ist zu toll. Es fehlte nur noch, daß er seine
beiden Demoiselles auch mitbrachte. Der Mann jedoch sprach ganz trocken:
_Vous aurez besoin de moi avec ce coquin-là. Nous nous arrangerons
aujourd'hui, demain viendra mon fils et après-demain vous irez avec moi._
-- Ich schwieg und ließ den Mann reden, denn wirklich seine Zudringlichkeit
schien an Narrheit zu gränzen.

Meine armen Neger und Negerinnen weinten und lachten vor Freude; die Kinder
schmiegten sich an ihre Eltern; Alle aber hingen mit erwartendem Blicke
an mir. Ich befahl ihnen, in ihre Hütten zu gehen, von woher ich sie rufen
lassen würde.

_Damn these blakies!_[6] sprach Mister Bleak, als sie den Rücken gewandt
hatten: sie haben schon lange nicht wieder die Peitsche gekostet.

    [6]: G--tt verdamme diese Schwärzlinge, Schwarzköpfe.

Ich gab dem Manne keine Antwort, bedeutete der alten Sibylle, Beppo und
Miza zu rufen, und winkte ihm, sich zu entfernen.

Das soll wohl gar ein Verhör sein? höhnte Mister Bleaks; da wollen wir auch
dabei sein.

Keine eurer Unverschämtheiten, Mister Bleaks! sprach ich; erwartet meine
Verfügungen und entfernt euch.

Und keine Ihrer Vornehmheiten, erwiederte der Mister. Wir sind in einem
freien Lande, und Sie haben keinen Neger vor sich.

Der Mann trieb mirs ein wenig zu bunt. Mister Bleak, sprach ich mit
so vieler Fassung, als ich vermochte, ihr seid hiemit entlassen. Eure
Anstellung geht bis 1. Juli; wir haben noch zwanzig Tage, sie sollen euch
bezahlt werden.

Ich setze keinen Fuß von der Schwelle, bis ich meinen Gehalt und Auslagen
und Vorschüsse empfangen, erwiederte der Mann trocken.

Bringt mir eure Rechnungen, erwiederte ich; das Blut fing an in meinen
Adern zu kochen.

Der Mann hatte durchs Fenster seinem Weibe zugerufen, die zur Thüre
hereinkam; nachdem sie einige Worte mit einander gewechselt hatten,
entfernte sie sich wieder.

Ich hatte unterdessen meinen Koffer geöffnet und einige Rechnungen, Briefe,
Quittungen durchgesehen.

Das Weib kam mit den Rechnungsbüchern herein, und stellte sich mit
gespreizten Armen hin. Ihr Mann ging ganz gemächlich in die nächste Stube,
brachte zwei Sessel, und die beiden Eheleute setzten sich.

Wahrlich, unsere liebe Freiheit hat doch auch verwünscht viel Unbequemes!

Den 20. December 25 Ballen Cotton, 4 Fässer Tabak in Blättern an Mr. M--n
abgeliefert, begann er; den 24. Jänner dito 25 Ballen und 1 Faß Tabak in
Blättern.

Richtig! erwiederte ich.

Das war unsere ganze Ernte, fuhr der Mann fort.

Ein ziemlicher Abstand vom vorletzten Jahre, bemerkte ich, 95 Ballen und
50.

Wenns dem Gentleman nicht recht ist, so hätte er nicht in der halben Welt
herumvagiren sollen, fuhr Mister Bleaks heraus.

Und uns da in diesem Fieberpfuhle verschmachten lassen, ohne Geld und
alles, bemerkte Mistreß Bleaks.

Weiter! sprach ich zu ihrem Manne.

Das ist Alles; davon habe ich von Mr. M--n empfangen als Besoldung
sechshundert Dollars, kommen mir noch dreihundert Dollars zu.

Gut! erwiederte ich.

Ferner, fuhr der Mann fort, für Wälschkornmehl und Schinken und gesalzenes
Schweinefleisch und Wolldecken und Cottonzeuge ausgelegt vierhundert
Dollars, macht siebenhundert; ferner viertausend Zaunpfosten zu
Fenceriegeln: Summa siebenhundert vierzig Dollars.

Ich rannte um Schreibzeug und Feder nach der Stube, wo die Trümmer meines
Sekretairs standen, schrieb einen Gutschein an meinen Banquier, und kehrte
zurück. Diesen Menschen wollte ich um keinen Preis länger im Hause haben.

Erlauben Sie, -- sprach der Creole, der dem Vorgange als stummer Zeuge
zugesehen hatte, indem er nach dem Papiere griff.

Vergebung, mein Herr! erwiederte ich beinahe aufgebracht über des Mannes
Zudringlichkeit; in =diesen= Angelegenheiten wünsche ich mein eigener Herr
und Rathgeber zu sein.

Halten Sie ein, und erlauben Sie mir einige Fragen an Mister Bleaks, fuhr
der Mann fort, ohne sich durch meine Abweisung irre machen zu lassen. Will
Herr Bleaks seine Rechnung nochmals lesen?

Wüßte nicht warum! Kümmert euch um's Eurige! war die Antwort.

Dann will ichs für Herrn Bleaks thun, sprach der Creole.

Den 20. December fünf und zwanzig Ballen Cotton und vier Fässer
Tabaksblätter an Mr. M--n abgeliefert. Ists nicht so?

Mister Bleaks gab keine Antwort.

Den 23. December zwanzig Ballen Cotton und ein Faß Tabak an Mr. G--s
abgeliefert. Ists nicht so?

Die beiden Eheleute fingen an ihre Farbe zu verlieren.

Den 24. Januar fünf und zwanzig Ballen Cotton und ein Faß Tabak
abgeliefert, fuhr der Creole fort, und den 10. Februar wieder zwei und
zwanzig Ballen Cotton und zwei Fässer Tabak an Mr. G--g abgeliefert. Ists
nicht so?

Verdammte Lüge! platzte der Aufseher heraus.

Die wir sehr bald zu beweisen gedenken, fuhr der Creole fort. Herr Howard,
Sie haben an diesen Mann eine Anforderung von netto zweitausend fünfhundert
zehn Dollars, um die er sie schändlich betrogen; fünfhundert Dollars werde
ich später nachweisen.

Das Ehepaar schnaubte vor Wuth; ich war wie aus den Wolken gefallen.

Wir müssen eilig mit diesen Menschen sein, wisperte mir der Creole zu,
sonst sind sie verschwunden, ehe man es sich versieht. Senden Sie sogleich
zum Friedensrichter M. wegen des Verhaftsbefehls, und geben Sie dem Sherif
und beiden Constables einen Wink. Unten kann er nicht hinaus; er wird es
aber oben versuchen.

Ich traf sogleich die Anstalten, und sandte Bangor, meinen gewandtesten
Burschen, ab. Der Junge hüpfte vor Freude.

Und an das Haus G--gs, bemerkte der Creole, muß sogleich geschrieben
werden.

In einer Stunde war Alles geschehen. Der Montezouma kam so eben den Fluß
herab. Wir riefen den Capitain ans Land, gaben ihm einige Winke wegen des
Vorgefallenen, empfahlen ihm unsere Briefe, und waren so eben im Begriffe,
ihn zu seinem Boote zu begleiten, als eine Gestalt sich durch die
Baumstämme hin schob und wand, und längs dem Holzstoße sich dem
Dampfschiffe zu schlich. Es war Mister Bleaks, so eben im Begriffe, eine
Excursion nach Neworleans zu machen. Wir fanden den ehrlichen Mann
unter den Schiffsleuten und bereits zum halben Neger mittelst Kohlenruß
geschwärzt. Natürlich unterblieb die Reise und vier handfeste Gesellen
beförderten ihn wieder in seine Wohnung. Für ein zweites Reißaus hatten wir
gesorgt, und am folgenden Morgen wanderte der Mister in festeres Gewahrsam.

Aber lieber Monsieur Menou, fragte ich den Mann, als wir bei Tische saßen
und er so eben die zweite Bouteille von seinem Chambertin öffnete, denn
auch diesen hatte der gute Mann nicht vergessen, -- wie kommt es doch, daß
Sie so viele unverdiente Theilnahme mir beweisen?

Ei, ei! Ihr gebornen Bürger-Aristokraten sollte ich sagen, versetzte der
Mann halb lächelnd, halb ernst: Ihr könnt dieses freilich nicht begreifen
in eurem echt republikanischen, starren, stolzen Egoismus, der nur auf sich
selbst denkt und vornehm auf uns Creolen und die übrige Welt herabschaut,
als Wesen einer untergeordneten Race; wir vergessen uns selbst nicht,
gedenken jedoch auch unserer Nachbarn. Ihre Affairen, sowohl des Herzens
als der zeitlichen Güter, sind mir ganz genau bekannt, und wie Sie sehen
weiß ich guten Gebrauch davon zu machen.

Ich drückte dem Manne herzlich und schweigend die Hand.

Wir lieben euch nordische Herren nicht sonderlich, aber Sie machen eine
Ausnahme; Sie haben etwas von der französischen Etourderie im Geblüte, und
vieles von unserer Generosität.

Ich lächelte über den vorgehaltenen Sittenspiegel.

Sie haben sich von ihren Freunden lange zum Besten halten lassen, und man
amüsirt sich über den Korb, den Sie für bloßes Beschauen empfangen.

Ich sprang von der Tafel auf. Bei allen T.....n!

Ja, ja, mein Herr! lassen Sie das gut sein; Emilie Warren ist ein
treffliches Mädchen, aber doch eine Yankeein, für Sie zu gescheid.

Danke fürs Compliment.

Morgen kommt mein Sohn; ihre Pflanzung bedarf nur einer festen Richtung und
eines kleinen Kapitals von acht- oder zehntausend Dollars, dann kann sie
sich in ein paar Jahren mit jeder am Missisippi messen. Mein Sohn wird ihr
diese Richtung geben, und Sie bleiben einige Monate bei mir.

Aber Mister Menou!

Keine Aber, Herr Howard! Sie haben die nöthigen Summen; sie schaffen noch
zwanzig Hände herbei -- für gute wollen wir sorgen. Morgen das Weitere.

Am Morgen kam der junge Menou, ein schlichter, gewandter Jüngling von etwa
zwanzig Jahren. Der Tag verging in Besichtigung der Pflanzung. Der junge
Mensch hatte mein volles Zutrauen in wenig Stunden gewonnen. Ich empfahl
ihm die Meinigen, und am Abende schifften wir uns nach seines Vaters
Pflanzung im Ploughboy[7] ein.

    [7]: Ploughboy, der Name eines Dampfbootes.



Nicht sehr interessant, aber recht natürlich.


Der gute Creole hatte christlich an mir gehandelt. Als wir vor dem Hause
des Friedenrichters anhielten, und ich ihm -- er war bereits im Schlafrocke
-- die näheren Ursachen meines Ansuchens um Verhaftung Mister Bleaks
eines weitern auseinander setzte, kam mir der gute Mann mit dem naiven
Geständnisse entgegen: Wußte Alles, lieber Mister Howard, sonnenklar; sah
jeden Ballen, um den er Sie bestahl, oder bestehlen wollte.

Aber um's Himmelswillen, Mann! fuhr ich heraus, warum ließen Sie dieses so
angehen?

Weil es mich nichts anging, Lieber, versetzte er mir trocken.

Hätten Sie wenigstens meinen Anwald benachrichtigt.

Ging mich nichts an, war wieder die Antwort; doch plötzlich seine
Augen starr auf mich richtend, fing er ziemlich derb an, mir eine Art
Strafpredigt zu halten, auf die ich nichts weniger als gefaßt war. Ei,
ei! begann er, die Schlafhaube aufs linke Ohr setzend, da kommt ihr jungen
Herren mit eurem Dutzend Blakies aus dem Norden, werft dem County ein
paartausend Dollars zu, glaubt dafür gemächlich den Absentee-Gentleman
spielen zu können, und uns recht sehr zu beehren, wenn ihr uns die
Mühe überlasset, euch die Dollars und Banknoten zusammenzuscharren und
nachzuschicken, daß ihr sie oben oder gar außer Landes verzehren möget.
Mir thut's beinahe leid, Mister Howard, daß Sie nicht sechs Monate später
kamen.

Und so dem Wichte Zeit ließ, sich mit der Beute davon zu machen?

Er hat wenigstens gearbeitet, und hat Weib und Kind, und ist dem County und
dem Lande nützlich geworden.

Ei der Teufel! fuhr ich dazwischen. Nun wirklich, für einen Friedensrichter
haben Sie einen sonderbaren Codex.

Der weder von Boni, noch von Livingston, aber echt patriotisch ist,
versetzte der Mann ernst, auf die Stirne deutend.

Ich sah ihn mit aufgerissenen Augen an; aber er mich auch. So unrecht hat
er im Grunde nicht. Worin bestünde auch der Unterschied zwischen einem
Louisianer oder Virginier, und einem irischen oder englischen Aristokraten?
Bei uns ist jedoch noch nicht viel Gefahr vorhanden. Echt vornehme
Reiseunternehmungen gedeihen nun einmal nicht; mich wenigstens hätte mein
Versuch bei einem Haare dreitausend Dollars gekostet. So, wie die Sachen
standen, waren sie jedoch gerettet: die Gelder noch in den Händen der Mst.
G--s, die wahrscheinlich in diesem Punkte wie Squire Turnips dachten. Ich
übergab dem Manne die nöthigen Vollmachten und Papiere, wünschte ihm eine
gute Nacht, und wir schüttelten einander herzlich die Hände. Der Morgen
graute bereits herauf, als wir das Dampfschiff zum zweitenmale verließen,
um eine Carosse zu besteigen, die zwar schrecklich aus der Mode war, uns
aber rasch fortbrachte. Eben hatte ich mich wieder dem lieblichen Morpheus
in die Arme geworfen, als eine sanfte Stimme nicht zehn Schritte von uns
rief: _Les voilà!_ Ich blickte auf, rieb mir die Augen, -- es war Louise,
die jüngere Tochter des Creolen, die nun vor der Veranda stand und uns
willkommen hieß. Welche von unsern lieben nordischen Evatöchtern würde
wohl dahin zu bringen gewesen sein, des Papa willen um sechs Uhr ihr
jungfräuliches Lager zu verlassen, und für uns schwarzen Kaffee bereit
zu halten, damit die bösen Ausdünstungen nicht unsern Appetit verderben?
Monsieur Menou schien jedoch in der hingebenden Aufopferung seines
Töchterleins gar nichts Außerordentliches zu finden, und zögerte nicht,
Erkundigung einzuziehen, ob die Leute bereits ihr Frühstück im Leibe und
den Pflug und das Grabscheit in der Hand hätten. Auch über diesen Punkt
wußte Louise Auskunft. Zugleich erwies es sich, daß sie in den vier und
zwanzig Stunden ihres Daheimseins sich ziemlich tief in die Verhältnisse
ihrer schwarzen Liege-Subjekte einstudirt habe. Tom hatte sich nämlich
einen Splitter in den Fuß gerannt, Pompey hatte Augenweh, er schielte stark
nach Sarah, und Curgy hatte eine neue Eroberung am Cato eines Nachbarn
gemacht, -- Alles Dinge, die zwar für Menou und Louisen sehr interessant
sein mochten, mich aber sanft zum Gähnen brachten. So sah ich mich denn
unterdessen im Speisesaale um, dessen Ameublement mir einen Vorgeschmack
der hier existirenden Civilisirung geben sollte. Die Matten waren das
Neueste, und sehr elegant; aber das _sideboard_ war schrecklich aus der
Mode. Tische, Sesseln und Sopha französisch, statt amerikanisch. An den
Wänden hingen ein paar Kupferstiche; nicht die Schlacht von New-Orleans,
oder die glänzenden Siege Perry's und Bainbridge's über die Britten auf den
Champlain- und Erie-Seen; nein, ein paar Curiositäten aus _Louis-Quinze_
und _Seize_ Zeiten. Ueberhaupt hatte das Ganze einen ziemlich starken,
oder vielmehr matten Beigeschmack vom _ci-devant_ Franzosenthum, nicht dem
republikanischen, oder kaiserlichen, oder restaurirt-jesuitischen, nein,
dem verlorenen, verdorbenen alt-royalistischen.

Ja, die wahre comfortable Art zu leben und zu sein findet man nur beim
echten Amerikaner oder Engländer, vorausgesetzt, er habe Batzen; der
Ueberrest ist noch im Barbarenthum versunken: Prunk und Flitter im
Schauzimmer, und Schmutz und Fäulniß im Schlafgemach und auf dem Leibe.
Es ist eine arge Sache um unsern Stolz und Uebermuth und unser ewiges
Kritisiren; aber wir können es nun einmal nicht lassen. Wir schauen so
gerade zu und tief; der gute Pabst ist uns bloß ein alter Mann, und ein
König ein anderer, wenn er nicht jung ist, und Menschen und Bücher sind
vor uns aufgeschlagen, wie unser offenes Land, und wenn wir ja ein bischen
spöttisch unsere armen transatlantischen Brüder in Adam durchhecheln, so
wissen wir wohl, daß uns von ihnen auch nichts geschenkt wird. Wenn wir
so einander in die Haare geriethen, wie würden sich die alten
schleimig-schwammigten Legitimaten und ihre Laquaien freuen! -- Doch genug;
die stündige Relation ist vorüber, und wir erheben uns, um einen Blick auf
das Aeußere zu werfen. Nun, das Haus laßt einmal sehen! Es lehnt sich an
einen zuckerhutähnlichen Maulwurfshügel, den einzigen, den es für Meilen in
der Runde herum geben soll. Gegen Süden, Osten und Westen ist es mit einem
dichten Rahmen von Akazien- und Cottonbäumen eingefaßt; nur die Nordseite
liegt offen für das Flüstern des Boreas, der bei uns ein wunderlieblicher
Gast ist. Ein helles Bächlein (für Louisiana wenigstens) strömt seine
Gewässer von der sanften Anhöhe in einen kleinen See, der, würde ein Yankee
sagen, 180 Fuß lang, 80 breit, einen Fall von 45 Fuß hat, und so eine
herrliche Gelegenheit zu Maschinenwesen darbietet, wenigstens zu einer
Gerberei, ein sicheres Antidote gegen die Cholera. Wir hoffen, der Czar
wird uns mit seinem Cadeau verschonen; wir sind ja seine besten Freunde,
sagte die letzte Präsidentenbotschaft. Ich habe nichts gegen die
Freundschaft des Czars, das ist ein feiner, artiger Mann; aber mit seinen
stinkenden, loyalen Bojaren, da mag er uns in Ruhe lassen.

Doch, zu Monsieur Menou's Haus zurückzukommen. Es sind eigentlich drei
Bauwerke, die, zu verschiedenen Zeiten von Großvater, Vater und Sohn
gebaut, nun in eines vereint sind. Die Ursache dieser Vereinigung gereicht
dem Herzen des Creolen zur Ehre: -- Meine Kinder sollen sich stets
erinnern, wie schwer es ihren Großeltern geworden, welche Mühseligkeiten
sie zu erdulden hatten, um ihren Nachkommen bequemere Tage zu verschaffen.
-- »Ja, das sollen sie,« erwiederte eine Stimme hinter uns, gerade als
wir vor dem Seechen standen. -- _Madame Menou, j'ai l'honneuer de vous
présenter notre voisin, Monsieur Howard._ -- »_Qui restera chez nous
pendant long-tems_,« frohlockten die beiden Mädchen. -- Ich verbeugte mich
pflichtschuldigst vor der Dame, und konnte kaum eine Antwort geben, als
die beiden Geschöpfe mich, jede bei einer Hand ergriffen, und mich _nolens
volens_ ins Haus und durch ein halbes Dutzend Zickzack-Gänge und Gängchen
zogen, um mir mein Zimmer zu zeigen, wobei ich nicht wenig Gefahr lief,
mir Stirne und Knochen an den mannigfaltigen Ecken und Windungen zu
zerschellen. Glücklich langten wir jedoch in einem achteckigen Gemache an,
das sie mir als das wohnlichste bestimmt hatten, indem es unmittelbar über
dem Wasser und so stets kühle sei. Und wieder zogen sie mich heraus, und
hinunter ging es zu Pa und Ma. Die Ma war eine comfortable, behaglich
aussehende, gute Dame, mit einem etwas flachen Gesichte, in dem jedoch ein
Ausdruck von Gutmüthigkeit und _laisser aller_ vorherrschend war, bei dem
man sich recht wohl, so gleichsam zu Hause fühlte. Sie nahm mich so
ganz als alten Bekannten auf, als wäre ich ihr seit Jahren erkohrener
Schwiegersohn gewesen: keine Complimente, kein geschraubter Anstand;
selbst ihre Gesichtszüge nahmen sich nicht einmal die Mühe, das bei
Fremdenempfange gewöhnliche Feiertagskleid anzuziehen. -- Doch siehe da!
was hat dies zu bedeuten? Eine Dame mit zwei Gentlemen -- augenscheinlich
sind es Ausländer. Die Olivenfarbe des Einen verräth ihn als einen
spanischen Abkömmling, der Andere ist jedoch schwerer zu definiren.
Sie kommen von der Veranda herab und schließen sich an uns an, wie
Hausgenossen. Sie wurden mir aufgeführt als Signor Silveira und Signor
Pablo; die Dame ist die Gattin des Erstern. Eine edle Gestalt, Augen
schwarz, Nase römisch, stolz und fein geformt, ein prachtvoller Mund mit
herrlichen Reihen von Elfenbeinzähnen, ein Teint, brunett und zart, -- das
ganze Wesen hat für eine Ausländerin wirklich etwas Anziehendes. Ich habe
bisher immer unsere nordischen Mädchen für die schönsten gehalten,
selbst die Brittinnen nicht ausgenommen -- diese könnte unsern ersten
Prachtausgaben die Palme streitig machen. Doch _softly_ -- lieber Howard,
Don Silveira, scheint es, behält seine Frau gerne für sich, und auch Louise
ist ein wenig verstimmt über meine etwas zu republikanischen Blicke. Keine
Gefahr! eheliche Galanterien sind mir verhaßt. Freiheit und Eigenthum! ist
unser Wahlspruch, und Eheleute sind gegenseitiges Eigenthum. Ich halte mich
zur Bouteille, die mir vom Dejeunertische herüberblinkt, an dem wir uns,
dem Himmel sei Dank, niederlassen, denn es wird mir ganz curios zu Muthe
-- _squeamish_, wie wir in Virginien zu sagen pflegen. Unsere Gäste jedoch
sind ganz ernst und solenn, essen wenig, und die _steaks_ waren doch so
vortrefflich, und die jungen _quails_ unvergleichlich, und der Chambertin
so wahrhaft napoleonisch. Wohl, was den letztern betrifft, so habe ich gar
nichts dagegen einzuwenden; bleibt ja uns desto mehr übrig.

Wer sind diese Messieurs mit der Dame? fragte ich meinen Wirth, als sie von
der Tafel sich erhoben und den Saal verlassen hatten.

Mexikaner, antwortete Menou; aber wer sie sind, könnte ich Ihnen unmöglich
sagen.

Wie, Sie kennen sie nicht? fragte ich.

Ich kenne sie wohl, sonst wären sie nicht in meinem Hause; aber meine
Familie, flüsterte er mir zu, kennt sie nicht.

Arme Teufel! dachte ich; auch Freiheitsopfer, die ihre sieben letzten Dinge
am Altar der Göttin dargebracht, und zur Belohnung von Haus und Heimath
vertrieben worden sind. In dem Mexiko sieht es noch wüste aus; Guerrero,
Bustamente, Santa Anna obenan, und unten eine Race, der man nichts Besseres
wünschen könnte, als einen echt moskowitischen genialen Treiber, so einen
Peter, der sie so lange knutet, bis sie Raison lernen; meint Monsieur Menou
nicht? aber ich. Ei die Freiheit! ja, sie ist ein göttlicher Funke, der
leicht sprüht, aber nur dann fängt, wenn das erkannte Menschenrecht und
der feste Wille, es aufrecht zu halten, in Millionen wie Stahl und Stein
zusammenschlägt. Wo der Funke einzeln aufsprüht, da fängt er nicht im
morschen Zunder des verjährten Despotismus; es müssen Millionen Funken
sein, und dann brennen die morschen Trümmer lustig weg, und auf ihnen
läßt sich allenfalls der Altar der Göttin bauen. Es wird lange währen, bis
dieser miserable Sklavenhaufe sich aus dem Schlamm ganz erhebt; aber zum
Theile hat er es schon gethan, und aus dem Chaos bildet der göttliche Funke
ja seine Wunder!

Julie und Louise hatten sich mittlerweile in das anstoßende Zimmer begeben,
um die dritte oder vierte Revue über die tausend und eine Wichtigkeiten zu
halten, die sie von der Hauptstadt mitgebracht. Wer die Mama so sah, wie
sie mit wahrer Herzensfreude den Vorsitz bei der Musterung führte, welche
die Brüßler Spitzen, _Gros de Naples_, _Indiennes_, _Gauze_ und tausend
andere Dinge zu passiren hatten, konnte das Bild echt creolischer Comforts
malen. Kein Schmollen über die endlosen _Items_; Alles war charmant, Alles
hatte seine Bestimmung, und ich wunderte mich nur, an welchem Theile dieser
drei Leiber die hunderte von Ellen figuriren sollten, die auf Tischen,
Sesseln, Sopha's und Schränken ausgebreitet waren, und eine ganze
Grafschaft von New-Jersey's Schönen in Prachtausgaben hätten umwandeln
können. Die ganze Familie ist wahrlich ein Muster von fröhlich-harmlos
glücklichen Wesen; eine gewisse ungekünstelte Natur, ein fröhlicher
Muthwillen, der stets seine Gränzen kennt und nie dem Anstande zu nahe
tritt. Jeder und Jede verrichten ihre Aufgaben in einem lachenden, fröhlich
schäkernden Tone, der aber bei alle dem so wohl wie unser stattlich
steifes Wesen zu gedeihen scheint; wenigstens ist die Ordnung im Hauswesen
bewundernswerth, und das Dejeuner war deliciös. Selbst Mistreß Houston, die
wegen ihrer Diners und Dejeuners berühmte Mistreß Houston hätte hier noch
in die Schule gehen können, -- und ich bin Kenner in diesem Punkte. Ich
habe mich einmal sterblich, ich glaube, es war meine neunzehnte
ernstliche Liebschaft, in ein Massachusets-Prachtexemplar verliebt, deren
Lockenköpfchen, so wahr ich lebe, bereits drei Novellen entsprungen,
so sentimental und phantastisch albern, sie hätten einer Deutschen
Ehre gemacht. Ich war ganz rasend in sie versessen, bis es ihrer Ma
unglückseliger Weise beifiel, mich zu einem _dîner en famille_ zu bitten;
da ruinirten die ledernen Hammel-Cotelets für zwei Tage meine Zähne, und
für immer meine neunzehnte Liebe. Doch, versparen wir unsere weiteren
Lobeserhebungen, bis wir mehr Salz mit den Leutchen gegessen haben. Unser
Sprichwort ist: _Love me a little, but love me the longer._ Wir wollen die
lieblichen Geschöpfe der Obhut der Ma überlassen, und mit Herrn Menou seine
Pflanzung besehen. Sie ist so übel nicht; _au contraire_, die Lage
gegen den Fluß hin, die Bewässerung durch Gräben, die Cotton- und
Wälschkornfelder, prachtvoll. Der Mann hat über dreihundert Acker in Kultur
und eine jährliche Ernte von zweihundert fünfzig Ballen, -- ein hübsches
Einkommen! Nur drei Kinder, die Pflanzung hat viertausend Acker --
die Partie wäre nicht so übel. Was würde aber die Welt dazu sagen? Der
aristokratische Howard mit einer vielleicht _half-breed_[8]-Creolin! Er hat
jedoch sechzig Neger und Negerinnen, und eine ganze Herde von Nachwachs,
und die Mädchen sind so übel nicht -- Milch und Blut -- besonders Louise.
-- Wollen sehen.

    [8]: =_Half breed_=, Schwarzhäute, oder =_half blood_=,
    Halbblütige, wird die durch Vermischung mit den Indianern
    entstandene Caste genannt.

Apropos! fragte der Creole, als wir so durch die Feldergassen hinstrichen;
Sie haben dreitausend Dollars bei G--gs?

Ich nickte.

Und achttausend bei Misthere Richards?

Woher wissen Sie dies, lieber Monsieur Menou?

(_Per parenthesin!_ -- Wir lieben es, den Franzosen und Ausländern, unsern
Cousin John Bull ausgenommen, den Titel Monsieur zu geben. Es ist so ein
Mittelding zwischen Herrn und Sklaven, während der Mister oder Master --
der Meister -- den freien selbstständigen Mann bezeichnet, und deshalb für
uns vorbehalten wird.)

Monsieur Menou lächelte auf meine Frage. Woher weiß ich, sprach er, daß
Misthere Howard fünfzehnhundert Meilen gereiset ist, um die schöne Emilie
Warren zu sehen, die von seiner Ankunft wußte, und doch sich an Misthere
Doughby vergab?

Und dabei ein Gesicht schnitt, wie eine wahre Iphigenie in Aulis, brummte
ich.

Der Mann nickte. So etwas weiß man, sobald man den _haut-ton_ der
Hauptstadt in seinen Ohren sausen gehört.

Siehe da! Monsieur Menou, der schlichte Monsieur Menou also auch ein
_haut-ton_-Mann, sprach ich beinahe ein bischen spöttisch, auf des Mannes
ungebleichte Pantalons und Jacke und Strohhut schielend.

Meine Frau ist eine geborne M--y, mein Großvater war Parlamentspräsident zu
Toulouse, war seine Antwort.

Ich verbeugte mich. Die indianische oder schwarze Race hat also zur
Verjüngung des Samens nicht, wie ich argwohnte, beigetragen.

Und wirklich hat denn, fuhr ich fort, der arme Howard zum Theegespräche
herhalten müssen?

Ja, sprach der Mann, und wenn ich der Mister Howard wäre, so wollte ich
meinen lieben Freunden einen recht herrlichen Spaß spielen.

Lassen Sie doch hören.

Der Mann schüttelte den Kopf. Leuten Rath geben, die sich klüger dünken,
und auch vornehmer, das thut Menou nicht.

Ich sah den Mann betroffen an. Er hat recht! Ein Sterling-Charakter, wie
er, kann für eine Weile den Hohn Unsereines mit ertragen; aber die Geduld
eines Job hatte auch ihr Ende.

Wir gingen eine Weile neben einander her. Wollen Sie meinen Vorschlag
hören? fing er endlich wieder an.

Sehr gerne.

Und versprechen, daß mir die Ausführung überlassen bleibt?

Ich bedachte mich, und sagte dann zu.

So überlassen Sie mir von den eilftausend Dollars, die Sie so werthlos
liegen gelassen, siebentausend zu freiem Schalten und Walten.

Und Richards? fiel ich ein.

Ist besser daran, wie Sie. Sein Sie großmüthig, wo es hilft und erkannt
wird; aber Güte wegzuwerfen und sich selbst zu schaden, ist thöricht. Hier
haben Sie das Recepisse für die Summe; ich werde Ihnen über die Verwendung
Rechnung tragen.

Und mit diesen Worten überreichte er mir wirklich das schon fertig
geschriebene Recepisse. -- Der Mann hat ein kleines Plänchen mit mir, und
griff mir ein wenig zu energisch in mein Sein und Handeln. Der Gedanke an
Richards fing an mir schwer am Herzen zu liegen. Mein indolentes Wesen mit
den albernen Begriffen von Generosität etc., die ich aus Wagenladungen von
Romanen zusammengeschöpft, empörte sich gegen die Idee, dem Freunde gerade
jetzt so mitzuspielen. Doch mein Wort war gegeben, und ich sagte zu. --
Julie und Louise schienen mich kaum zu bemerken, als wir ins Haus traten.
Die Eine hatte mit der Küche und dem Hauswesen alle Hände voll zu thun, die
Andere schnitt und riß in den Ginghams und Indiennes herum, daß man es auf
fünfzig Schritte krachen hörte; beim Souper jedoch ging das tolle Wesen
los, das Schäkern nahm kein Ende. Es schien, als ob die Mädchen, nachdem
sie die Tageslast abgeschüttelt, erst vor dem Schlafengehn zum eigentlichen
Leben erwachten.

Die drei Fremdlinge mit ihrer Grandezza genirten sie nicht im mindesten.
Gegen acht Uhr wurde die Ungeduld über das lange Sitzen zu rege. Sie
wisperten und wisperten, und ehe wir es uns versahen, hatten sie die Tafel
verlassen, und waren in den Salon geschlüpft.

Die Töne eines harmonischen Pianoforte wurden gehört.

Wir müssen eilen, sprach der Creole, sonst setzt es verdrießliche
Gesichter. Und so gingen wir denn in den Salon.

Nun, dieser Salon ist wirklich elegant. Am prachtvollen Instrumente sitzt
die fremde Dame, die einen Cotillon spielt, und Julie hat bereits mit dem
Papa sich arrangirt; mir fällt Louise zu, und Don Silveira hat die Ehre des
Hauses.

Und so ging es denn bis zwölf. Der Ball war just im besten Gange, als Menou
lächelnd vor mich hintrat.

_Voilà notre manière créole; mais c'en est assez._ Das ist unsre
Lebenswürze, fuhr er fort; Alles hat seine Zeit: Plappern, Scherzen,
Tändeln, Arbeiten, Beten und Tanzen. Der wahrhaft Vernünftige weiß Alles so
zu vereinigen, daß das Erste dem Letzten nicht Eintrag thut. Bloß auf diese
Weise kann unser einsam häusliches Leben erträglich und glücklich werden;
wir haben nie Langeweile. -- Gute Nacht!



Sehr unerwartet.


So verliefen acht volle Wochen wie eben so viele Stunden. Ich war ganz
heimisch in dem Kreise dieser lieben Menschen geworden, und so häuslich und
ökonomisch; beinahe wußte ich nicht mehr, wie unsere Dollars und Banknoten
aussahen. Alles ging hier wie spielend zu; dabei war eine Aufrichtigkeit,
eine Herzlichkeit und Sympathie zwischen den siebzig bis achtzig Gliedern
dieses kleinen Patriarchats zu bemerken, daß man leicht der Welt mit allen
ihren Leiden und Freuden vergessen konnte. Und ich vergaß ihrer wirklich;
ganze Stöße Zeitungen lagen ungelesen, und ich wurde jeden Tag mehr
Hinterwäldler. Des Morgens schlüpfte ich in meine weißleinenen Pantalons
und Jacke, warf einen Strohhut auf den Kopf, und folgte Monsieur Menou in
seine Felder und Cottonpresse. Der Nachmittag verging im Durchsehen von
Rechnungen oder Colonel Stones und Major Noahs[9] Seiten- und Querhieben,
und den Abend schloß Tag für Tag ein Impromptu, Tanz, oder ein rasches,
munteres Geplapper.

    [9]: =Colonel Stone= und =Major Noah=, die Eigenthümer der
    bekannten Zeitungen: der Morgen-Courier und die commercielle
    Zeitung.

Eines Abends, wir setzten uns so eben zum Souper, machte uns Monsieur
Menou den Vorschlag zu einer nächtlichen Hirschjagd. Ich war dessen ganz
zufrieden, und er erließ sofort die nöthigen Weisungen. Die zwei Mexikaner
baten gleichfalls, uns begleiten zu dürfen, als die Dame mit halbem
Entsetzen dazwischenfuhr. Don Lop--! rief sie, hielt jedoch inne; das
Wort schien ihr auf der Zunge zu ersterben. Ich bitte dich, fuhr sie in
spanischer Sprache fort, nur diesmal nicht. Es war etwas so Weiches, Zartes
in ihrem edlen, scheuen Wesen, das uns Alle für einen Augenblick hinriß.
Ihr Mann bat sie, sich zu beruhigen, und versprach zu bleiben; es schien
ihn jedoch Mühe zu kosten. Ich versicherte sie, es sei keine Gefahr. --
»Keine Gefahr?« wiederholte sie in ihrer sonoren kastilianischen Sprache,
»keine Gefahr? -- Doch, Sie haben nirgends von Ihrem Vorhaben etwas
verlauten lassen?« wandte sie sich an Menou. »Gewiß nicht,« erwiederte
dieser. -- Nun erst fiel es mir auf, daß die zwei Eheleute sich während
ihres ganzen langen Hierseins auch nicht ein einziges Mal im Freien
ergangen hatten. Mein Auge fiel wieder auf den jungen Mann; er
hatte ausgezeichnet schöne Züge, eine bleiche, aber nicht ungesunde
Gesichtsfarbe, und eine hohe Stirne. Die Augen waren besonders schön; es
blitzte ein Feuer in diesen Augen, das wahrlich nicht bestimmt zu sein
schien, hier am Red-River zu verglühen. Sein ganzes Wesen drückte, so viel
er sich auch Mühe gab, es zu verbergen, etwas militairisch Gebietendes aus.
Es war eben dieses gebietende Wesen, das mich bewogen hatte, den jungen
Mann, der etwa dreißig sein mochte, ein wenig kalt zu behandeln. Wir
erlauben nicht leicht, oder vielmehr nie, Fremden, sich in unserm Lande
_airs_ zu geben; die Ergebung jedoch in den leise ausgesprochenen Willen
seines herrlichen Weibes hatte den übeln Eindruck einigermaßen verwischt.
Ich achte den Mann, der sein Weib liebt.

»Und ist wirklich keine Gefahr?« fragte mich das Engelsköpfchen, die Donna
nämlich. Ich versicherte sie, daß keine sei. Sie flüsterte ihm einige Worte
zu, und er, ihre Hand küssend, bat nochmals, uns begleiten zu dürfen.
Die zwei sonderbaren Leutchen hatten sich auch bei Tische beinahe
ausschließlich nur mit einander beschäftigt, und es schien ihm
gewissermaßen eine Anwandlung von Eifersucht aufzusteigen, wenn die Donna
sich mit Julien oder Louisen länger unterhielt. Ihr Gefährte war eine
unbedeutende Person, die mit einer Art abgöttischer Verehrung an dem Paare
zu hängen schien. Sie hatten sechs Diener bei sich.

Wir erhoben uns etwas früher von der Tafel, warfen uns in unsere
Wolldecken-Röcke, nahmen unsere Gewehre, und bestiegen die für uns bereit
gehaltenen Pferde. Sechs Neger mit Pechpfannen und eine Koppel Hunde waren
vorausgegangen. Die Glocke schlug zehn, als wir aufbrachen. Es war eine
finstere, schwüle Nacht; der Donner rollte her von Süden, und verkündete
den herannahenden Sturm, unsere tägliche Abendmusik in dieser Weltgegend;
die Atmosphäre war in den ersten zehn Minuten unseres Rittes beinahe zum
Ersticken gewesen; dann erhob sich jedoch ein säuselnder Luftzug in den
Baumwipfeln; der Donner brüllte stärker vom mexikanischen Busen herauf,
die ganze Atmosphäre schien sich wälzend zum gewaltigen Elementenkampfe
zu rüsten. Dann und wann schoß ein zackigter Blitz aus dem schwarzen
Firmamente heraus durch die Bäume hin, und der ganze Wald loderte
für einige Sekunden in einer Zauberflamme auf. Wieder kam ein langer
leuchtender Strahl, und näher und näher rollte der Donner, aber ein Donner,
gegen welchen der des Nordens ein bloßer Paukenschlag ist. Selbst unsere
Hunde fingen an zu winseln, und preßten sich so nahe an die Pferde, als
sie nur konnten. Wir hatten ein dichtes Lorbeergebüsche betreten, und der
Leithund war stehen geblieben und spitzte die Ohren. Sofort stiegen wir von
den Pferden und traten an die Hunde heran; zwischen uns die Neger mit ihren
Pechpfannen, und vor uns in der Entfernung von etwa zwanzig Schritten vier
leuchtende winzige Feuerballen, -- es waren die Hirsche, die mit rollenden
Augen das ungewohnte Schauspiel anstarrten. Wir legten an; der Creole und
ich nahmen den ersten, die zwei Mexikaner den zweiten. Wir schossen auf ein
gegebenes Losungswort, hörten ein rasselndes Niederschmettern, ein lautes
Krachen, und gleich darauf ein _Sacré!_ und _Damn ye!_ und _Diablo!_ und
_San Jago!_ Die sechs Pechpfannen waren zu und auf unsern Füßen; der Creole
war zur Seite gesprungen, die Neger lagen vor Schreck auf dem Boden, und
die beiden Dons neben ihnen.

_Santa Vierge!_ rief Don Pablo; _Maledito Gojo, Senor Don Lopez_. Und sich
aufraffend, stürzte er sich auf den jungen Mann: _Maledito Gojo! Nuestro
libertador Santa Anna!_ -- »_Callate!_« rief ihm die heilige Anna zu.

Monsieur Menou hatte sich vorsichtig mit seinen Negern beim ersten Anschein
von Gefahr zu Boden geworfen; der junge Mexikaner hingegen, weniger
erfahren in diesem zuweilen gefährlichen Nacht-Zeitvertreibe, war stehen
geblieben, und von dem aufgeschreckten Hirschen über den Haufen gerannt
worden. Ich zog den heulenden Senor Pablo von seinem Gefährten, und
untersuchte mit Menou, ob er Schaden gelitten. Sein Ueberrock war
zerrissen, und aus beiden Schenkeln begann Blut zu fließen; sie waren durch
die Geweihe des Hirsches aufgeschlitzt. Glücklicher Weise war die Wunde
nicht tief; sonst dürfte ihn sein Fehlschuß theuer zu stehen gekommen sein.
Wir hoben ihn auf den Rücken des Pferdes, und traten wieder den Heimweg an.

Es war Mitternacht, als wir mit dem todten Hirschen und dem verwundeten
Don vor dem Gitter des Parkes anlangten. Eine weiße Gestalt im Fenster des
Mexikaners verkündete, daß seine Gattin seiner noch warte. War es Vorgefühl
oder gewöhnliche Weiberangst, sie kam die Stiegen herabgeflogen, und mit
dem Ausrufe: _Perdito!_ fiel sie beinahe ohnmächtig vor der Hausthüre
nieder.

Um Gotteswillen! rief eine zweite weibliche Stimme, ein Unglück! Ist's
Howard? -- Es war Louise, die athemlos im Schrecken und im Nachtröckchen
aus ihrem Zimmer stürzte.

Mein Gott, es ist nur der Mexikaner! Gott sei Dank! lispelte sie.

Dank, liebe Louise, für Ihre Unbarmherzigkeit; sie macht mich glücklich!
Mit diesen Worten schloß ich das Mädchen in meine Arme, und drückte einen
Kuß auf ihre Lippen.

Bösewicht! rief sie, ins Haus zurückeilend.

Ich folgte nun dem Zuge in die Zimmer des Mexikaners. Die bleiche
Marmorgestalt seines Weibes hing über dem Verwundeten regungs-, bewußtlos.
Es kostete Menou Mühe, sie von ihm zu bringen; doch der wohlthätige Creole
war schnell. Wo er seine Chirurgie gelernt hat, weiß ich nicht; aber die
Sicherheit, mit der er die Wunden ausschnitt, ausbrannte und auswusch,
flößte wirklich Vertrauen ein. Sie waren nicht gefährlich, hätten es aber
leicht bei der Hitze der Temperatur, der Thermometer schwankte zwischen
85 und 87, und dem Umstande, daß sie von Hirschgeweihen herrührten, werden
können. Nach einer halben Stunde trat er vor die bewußtlose Donna Isabelle,
und verkündete ihr im zuversichtlichsten Tone, daß ihr Mann in wenigen
Tagen wieder hergestellt sein würde. Ich hatte während der Operation
eines der Lichter gehalten und konnte nicht umhin, die schöne Gestalt
anzuschauen. Als ihr nun Menou die tröstende Nachricht verkündete, richtete
sie ihre Augen mit einem so wahrhaft katholischen Blicke zum Himmel, daß
ich wahrlich den Heiligen beneidete, dem sie dankte. Als ich das Licht auf
den Tisch stellte, fiel mein Auge auf ein herrliches Miniaturgemälde, das
sie selbst vorstellte; daneben lagen Briefe an Don Senor Lopez S--
A--, Mariscal di Campo; zwei oder drei hatten die Aufschrift:
Lieutenant-General. Das war denn der berühmte Heerführer Mexiko's, der
zweite Würdige unter dem Generalgesindel dieser sein wollenden Republik.
Ich ging gedankenvoll meinem Schlafzimmer zu; allmälig drängte sich Louise
aus dem Hintergrunde meiner Phantasie hervor; das liebliche Mädchen hatte
denn gewacht, unruhig gewacht; auch sie hatte nicht schlafen können; auf
das erste dunkle Gerücht von einem Unglücke hatte ihre beflügelte Furcht
den Namen erpreßt, den sie im Herzen trug. Ich hatte während meines ganzen
Hierseins gar nicht an Liebe gedacht; Alles war so geschäftig in diesem
Hause, so rührig, so beweglich; man hatte gar nicht Zeit, auf sentimentale
Gedanken zu kommen, -- nun kamen sie aber doch. Es thut einem acht und
zwanzigjährigen Hagestolz, der so viele Körbe bekommen hat, daß er
damit einen mäßigen Handel treiben könnte, so wohl, sich im Herzen eines
siebzehnjährigen Kindes gebettet zu wissen.

Sie konnte mich beim Frühstücke gar nicht ansehen; aber ich sah sie desto
mehr an. Wo waren doch meine Augen? Julie war allerdings zu corpulent für
meinen _goût_; doch Louise -- sie ist ohne Widerrede ein ganz herrliches
Mädchen; schlank, mit einer lieblichen Taille, nicht zu üppig, nicht zu
bretern, Milch und Blut im Gesichtchen, aus dem Schalkheit, Wohlwollen und
Häuslichkeit blicken, ganz vorzüglich schöne Hände, und ein Gestelle --
kurz, ich wurde nachdenkend. Muß doch sehen, wie es zu Hause aussieht,
dachte ich.

Wollen Sie mir gefälligst Ihren Wagen bis an den Fluß geben? fragte ich den
Creolen.

Von Herzen gern. Eine bloße Spazierfahrt, wenn ich fragen darf?

Nein, ein wenig weiter. Ich will sehen, was die Meinigen thun.

Uns verlassen? schrie Louise, und etwas langsamer Julie und die Mama.

Wenn Sie erlauben, so will ich in kurzer Zeit wieder so frei sein, Sie zu
besuchen; aber für heute muß ich gehen.

Die Rosen waren von den Wangen Louisens gewichen, sie wandte sich, und ich
glaube, eine Thräne perlte ihr in den Augen.

Wir saßen eine Viertelstunde, ohne daß ein Wort über unsere Lippen gekommen
wäre. Der Creole sprach endlich: Sie schienen doch recht vergnügt bei uns;
hat sich etwas zugetragen?

Etwas für mich sehr Wichtiges; ich muß wirklich sogleich fort, war meine
Antwort.

Louise war aus dem Saale geeilt; ich folgte ihr, und fand sie ihrem Zimmer
zuschwankend.

Louise! rief ich. Sie weinte.

Ich verlasse Sie heute.

So habe ich gehört.

Um mein Haus zu bestellen.

Mein Bruder thut ja dieses ohnehin, lispelte sie; warum uns verlassen?

Weil ich so bald als möglich ein ganz liebliches Zimmerchen brauche für
mich und meine Louise. Wollen Sie mir in dieses als mein geliebtes Weib
folgen?

Sprechen Sie den Papa, lispelte sie, mit einem Freudenstrahle im lieblichen
Gesichte, und dann ihren zitternd verschämten Blick auf den Boden heftend.

Nehmen Sie sie, lieber Howard, sprach der Papa, der uns auf dem Fuße
gefolgt war. Sie werden ein treffliches Weib haben.

Louise sank mir in die Arme, und die nächste Stunde war ich auf dem Wege
nach Hause.

So war ich denn nun verpfändet, und mein Hagestolzthum näherte sich
dem Ende. Die Wahl war vernünftig, das fühlte ich; Louise ist eines der
trefflichsten Mädchen: züchtig, klug, thätig, reizend und munter; unter
ihren Händen gedeiht, wächst Alles; die Negerinnen behandelt sie wie
Schwestern, die Männer wie Brüder. Alle diese Gründe jedoch waren mir erst
nun klar geworden; noch gestern dachte ich des Mädchens so wenig wie des
Großsultans; der Gedanke, sie zur Frau zu nehmen, war wie ein Lichtfunke
durch mein Gehirn gefahren. Wird mich dieser Lichtfunke nie reuen? Ihre
ersten Tage werden wahrlich keine Honigmonde in meiner Wildniß sein. -- Es
war Nachmittags vier Uhr, als ich anlangte. Beinahe wäre es mir wieder wie
das letztemal gegangen; ich kannte meine Pflanzung nicht, wirklich nicht.
Die ungeheuern vom Sturm entwurzelten Stämme, die, acht bis zehn Fuß im
Durchmesser dick, vor meiner Wohnung chaotisch gelegen, waren verschwunden;
mein Garten neuerdings, nur vergrößert, mit einer eleganten Umzäunung
versehen; um die Vorderseite des Hauses hatte sich eine Veranda erhoben, an
der zwei fremde Schwarze arbeiteten.

Ich stieg aus; der junge Menou kam mir zufrieden lächelnd entgegen.
Ich schüttelte ihm die wackere Hand, und wies mit Verwunderung auf die
Reformen. »Das sind Kleinigkeiten; aber ihre Cottonpresse kostet uns
Arbeit; sie war ganz hin.«

Aus dieser tönte der Chorus von vierzig Stimmen im melancholischen
_Talla-i-hoe_ herüber.

Und wie haben sie diese Wunder alle ausführen können? fragte ich erstaunt.

Nun, Sie haben uns ja fünfzehn Leute gesandt, Vater lieh mir noch zehn der
Unsrigen, und so konnten wir schon etwas Tüchtiges leisten.

Ich ging mit dankbewegtem Herzen durch die Geländer der Umzäunung der
Veranda zu. Sie war im elegantesten Geschmacke errichtet; die Jalousien
liefen acht Fuß hoch auf der Ost-, Süd- und Westseite des Hauses herum;
die Nordseite war, wie gewöhnlich, frei geblieben. Der Saal war mit
glänzend-blaßgelben Matten belegt; in der Einrichtung, meinte jedoch
der junge Mann, hatte Papa nicht vorgreifen wollen; nur was zwei Zimmer
betrifft, machten wir eine Ausnahme. Ich näherte mich voll Erwartens meinem
Schlafzimmer. Prachtvoll! Ein allerliebstes Bette, und zwar ein doppeltes,
als wenn sie die Katastrophe vorausgesehen hätten, mit allem Nöthigen
versehen; ein fünfzehnjähriges schwarzes Mädchen arbeitete noch an den
Moschetto-Vorhängen. Das ganze Haus war wie durch einen Zauberschlag
umgewandelt. -- »Und wer hat den Plan zur Einrichtung dieses Zimmers
gegeben?«

Das Mädchen ist Louisens Kammerzöfchen, lachte Menou; sie wird wohl vom
Geiste ihrer Gebieterin inspirirt sein.

Die alte Sibylle kam mittlerweile an der Spitze meiner Unterthanen, die
frisch, munter und jubelnd einhertanzten. Es waren zehn Bursche und fünf
Mädchen darunter, die ich noch nicht kannte. Der junge Menou führte sie
mir nun als die Meinigen vor; sein Vater hatte sie für mich, der ich das
Sklavenhandeln verabscheue, durch einen bewährten Freund einkaufen und
hieher überschiffen lassen. Sie waren noch sammt und sonders, so wie die
Mädchen, ledig.

Ich blickte Menou bedenklich an. Die Creolen erlauben ihren Negern gewisse
Freiheiten, die unserm strengen sittlichen Gefühle schnurstracks entgegen
sind. Jedes meiner Paare war verheirathet, und selbst in meiner tollen
Wanderschaft hatte ich streng auf Zucht und Sitte gesehen. Der junge
Mann beschwichtigte meine Zweifel; die Mädchen waren unterdessen in der
ehemaligen Wohnung Mister Bleaks untergebracht, und die Bursche in zwei
Häuserchen, die er bereits erbaut; acht andere waren im Baue begriffen. --
So waren denn alle meine Wünsche erreicht, und ich stand im wohnlichsten
Hause am Red-River. Ich segnete den Blitzesfunken.

Ah! sprach der junge Mann, es sind mehrere Briefe an Sie eingelaufen, die
ich ganz im Drange der Geschäfte vergessen habe, Ihnen zu senden.

Ich erbrach sie. Es waren Briefe von Richards, der mich dringend bat, ihm
sogleich das Vergnügen meines Besuches zu gewähren. In einem andern war er
noch dringlicher, und schien ganz verwundert, daß ich so häuslich geworden;
in einem dritten war mir angekündigt, daß die schöne Emilie als Mistreß
Doughby zurückgekehrt, und als _Postscriptum_ beigefügt, daß sie eine der
Zierden Bostons, eine Cousine mit sich gebracht.

Kein Wort jedoch wegen der aufgekündigten achttausend Dollars; das ist doch
wirklich sonderbar. Richards ist doch nicht so indifferent für zeitliche
Güter, da seinen Groll zu verschmerzen, wo es seinen Beutel angreift. »Hier
ist ein Punkt,« sprach ich zu dem jungen Manne, dem ich nicht gerne eine
Blöße geben wollte, »der meine augenblickliche Rückkehr in Ihres Vaters
Haus erheischt.«

Wirklich! rief der junge Creole verwundert aus.

Ja, augenblicklich; ich höre so eben ein Dampfschiff herauf kommen; ich
will sogleich fort. -- Er blickte mich verlegen an, Sibylle schüttelte den
Kopf; aber es lag nun schon einmal in meiner ungeduldigen Natur: schnell
oder gar nicht. Ich winkte mit dem Tuche; es war der nämliche Red-River,
der mich vor acht Wochen nach Hause gebracht.

Mister Howard! rief der Capitain fröhlich, freut mich, Sie wieder auf
meinem Verdecke zu sehen. Ihre Pflanzung sieht doch ganz prächtig seit acht
Wochen aus; Sie sind ein wahrer Wundermann.

So halb und halb, versetzte ich bescheidentlich.

Es liegt in unserer amerikanischen Natur etwas gewisses rein Praktisches,
das uns von allen Nationen der Welt auszeichnet, ein gewisser gerader,
gesunder Menschenverstand, der durch allen Flitter hin auf das Reelle
sieht, ein ehrenvoller, unabhängiger Geist, der nur dem Achtung zollt,
der sie verdient. Der reichste Müßiggänger, der Hunderttausende in seinem
Portefeuille mit sich führt, wird hier vergebens den Tribut erwarten, den
ihm die Hälfte seines Reichthums in andern Ländern zu Wege bringt. Kalt
und stolz geht die Mehrzahl an ihm vorüber, um dem minder Bemittelten, der
seinem Kopfe und seinen Händen sein Emporkommen verdankt, achtungsvoll ihre
ächt republikanische Huldigung zu zollen. Es ist dieser freie männliche
Sinn, der in den letzten zehn Jahren die so gewaltige Staatsumwälzung zu
Stande gebracht, das Joch unserer erbärmlichen Aristokratie abgeschüttelt,
und unserer Freiheit eine gründliche Existenz gesichert hat. -- Ich, der
reisende, als reich geltende Pflanzer war kaum bisher beachtet gewesen;
mein Aufseher galt mehr in den Augen meiner Mitbürger, als ich selbst. Die
Metamorphose auf meinem Besitzthume hatte eine plötzliche Ideenrevolution
hervorgebracht, und man drängte sich um mich herum und horchte jedem meiner
Worte, als wäre ich einer unserer großen Reformatoren oder noch größeren
Demagogen gewesen. Es that mir ein bischen wohl, das muß ich gestehen.

Auch diesmal langte ich Morgens bei der lieben Familie an; aber der Wagen
war vergessen, und ich, der ich die Strecke in raschem Trabe zurückgelegt,
dachte mir meines künftigen Schwiegerpapa's Residenz gute zehn Minuten
vom Landungsplatze. Es dauerte eine gute Stunde, ehe ich vor dem Hause
schweißtriefend zur Verwunderung Aller anlangte. »Und so schnell und so
zeitlich zurück? Doch kein Unglück gehabt?«

Nein, erwiederte ich trocken; ich habe etwas vergessen.

Und was mag dieß sein?

Meine Louise! Ja gewiß, fuhr ich gerührt fort, ich fand bei meiner Ankunft
meine wüste Einöde in ein so liebliches Paradies verwandelt, daß ich nicht
umhin konnte, sogleich zurückzueilen, um mein liebes Mädchen zu bewegen,
es mit mir zu theilen. Morgen, so Gott will, gehen wir nach New-Orleans, um
bei dem alten Pater Antoine und unserm werthen Rector vorzusprechen.

Aber es ist noch gar nichts gerüstet, keine Ausstattung fertig, nichts in
der Welt, fingen hier die Ma und Pa an; lieber Howard, sein Sie doch nicht
närrisch.

Unsere Yankeeinnen, lachte ich, wenn sie sechs Hemden und ein und ein
halbes Kleid haben, hüpfen ins Brautbette, ohne sich zu bedenken.

Wohl, laßt ihm seinen Willen, sprach Menou; wir wollen schon sorgen, daß er
nicht zu kurz kommt.

Apropos, fragte ich, wie ist es doch mit den achttausend Dollars?

Ich habe Sie bloß auf die Probe stellen wollen, ob Sie auch Festigkeit
haben, Ihr eigenes Glück zu wollen. Hätten Sie mir dieses verweigert,
wahrlich, Louise sollte nicht die Ihrige geworden sein, und wenn Sie alle
Pflanzungen am Missisippi gehabt hätten. Ich habe unterdessen das Geld
vorgestreckt.

Der Mann wird mit jeder Minute achtbarer. Dieser Abend verging mir, einer
der seligsten, die ich noch verlebte.

Am Morgen fuhren wir dem Dampfschiffe zu. Die Mama war zurückgeblieben;
Julie, wie es sich von selbst versteht, war zur Brautjungfrau auserkohren.
Gerne hätte ich als meinen Assistenten den jungen Menou gebeten; doch der
war auf meiner Pflanzung vonnöthen. Wir begrüßten ihn im Vorbeifahren und
fuhren dann weiter. Zum ersten Male blickte ich ohne bitteres Gefühl auf
das prachtvolle Schauspiel, das die reichen Ufer des gewaltigen Missisippi
darbieten; diese herrlichen Wohnsitze der Pracht, so üppig, so friedlich
aus den deliciösen Hainen von Feigen-, Orangen- und Citronenbäumen
hervorragend, den majestätischen Strom, der, mit Hunderten von Fahrzeugen
bedeckt, den entferntesten Zonen unsere Produkte zuführt; die rastlose
Thätigkeit von Tausenden, die so friedlich, so verträglich unter der
göttlichen Freiheit Banner Glück und Segen sucht und findet. Ja, es ist
ein erhebender Anblick, diese Palläste Hunderte von Meilen sich an einander
reihen zu sehen, wenn man an die Zeit zurückdenkt, wo das ganze Thal ein
endloser Sumpf gewesen. Und diese Zeit habe ich in meinen jungen Tagen
gesehen.

Es war ein heiterer Morgen, der uns zwanzig Stunden nach unserer Abfahrt in
die Hauptstadt unseres Staates brachte. Wir waren bei der Schwester Menou's
abgestiegen. Ich eilte so eben zu dem wahrhaft ehrwürdigen Pater Antoine
und dem nicht minder ehrwürdigen Rector, als ich an der Ecke der Kathedrale
mich am Arme ergriffen fühlte.

So eben recht, Richards, sprach ich; willst du mich im
Merchants-Coffeehouse erwarten? Ich bin in einer kleinen Viertelstunde
dort.

Aber warum diese Eile?

Frage nicht und warte.

Wir schieden. Vater Antoine lächelte und der gute Rector auch, als ich sie
zu Madame beschied. Ich eilte, um Richards abzuholen.

Weißt du, daß Clara schrecklich mit dir zanken wird; du magst dich nur
zusammennehmen. Arthurine Macpherson ist ein ganz herrliches Geschöpf, und
sie hält viel auf Clara.

Ja, weißt du, daß ich im Ernst gesonnen bin, mein Hagestolzthum aufzugeben?

Wohl, wir wollen sehen; wenn du dich gut aufführst, so -- wollen wir dich
ein zweites Mal --

Prellen, dachte ich. -- Wir waren an der Thürschwelle angekommen. Mein
alter Freund sah ein wenig betroffen darein, als er Louisen erblickte, und
Vater Antoine und der Reverend ihre Glückwünsche begannen. Ich lächelte ein
wenig boshaft, und in wenig Minuten war ich der glückliche Gatte Louisens.



Christophorus Bärenhäuter

im Amerikanerlande.


Die folgende Geschichte ist aus dem Archive von Toffelsville gezogen,
welches Archiv von den wißbegierigen Reisenden bis auf den heutigen Tag in
besagtem Toffelsville _No. I_, der Residenz von Barthel Bärenhäuter, dem
ehelichen Descendenten von Christoph Bärenhäuter, eingesehen werden kann
und mag. Wir referiren zu den zwei letzten Seiten der Familienbibel, unter
welcher das besagte Archiv verstanden ist, und welche Familienbibel, 1618
zu Nürnberg gedruckt (demselben Jahre, in welchem der famöse dreißigjährige
Krieg ausgebrochen), schon durch ihr respectables Ansehen und ihre Schwere
(sie ist mit messingnen Klappen, man könnte sagen, in Erz eingebunden)
jeden leichten Zweifel niederzuschlagen vollkommen geeignet ist.

Die Quellen unserer Geschichte sind daher über jeden Verdacht erhoben, und
ihre Authenticität wird noch mehr durch den Umstand erhöht, daß ein Extrakt
von dem mehrerwähnten Archive seinen Weg, durch welche Mittel, ist
uns unbekannt, in das Magazin eines westlichen Predigers[10], nun
bedauerlichermaßen verblichen, gefunden hat. Wir sagen bedauerlichermaßen,
weil der besagte achtbare Prediger in diesem seinem verblichenen Magazin
und andern Schriften, unter denen wir nur die westliche Geographie nennen,
ein Licht über die Entstehung und den Fortgang der Niederlassungen
jenseits der Alleghanygebirge verbreitet hat, das mehr Belehrung über diese
interessanten Staaten gewährt und gründlichere Forschungen enthält, als die
fünfhundert Reisebeschreibungen sämmtlicher Europäer zusammen genommen,
die unserm Lande und dessen Bewohnern die Ehre erwiesen, dieselben zu
schildern, nicht wie sie sind, sondern wie sie beide gerne haben möchten,
um ihren respectiven Allerhöchsten Patronen und deren loyalen Unterthanen
weniger Herzklopfen zu verursachen.

    [10]: Flint, der zehn Jahre Prediger im Missisippithale gewesen.



Erstes Capitel.

Wie Christophorus Bärenhäuter und Jemima O Dougherty zwei rothe Kolben
gezogen.


Ja, theurer Leser, solltest du ihrer einst überdrüssig werden, dieser
unruhigen, revolutionairen, reformirenden, protokollirenden Welt, dann
gehe hin und lasse dich nieder in dem gesegneten Toffelsville, diesem
lieblichsten aller Dörfchen -- Stadt sollte ich sagen[11], mit seinen
fünfzehn Häusern, zerstreut über einen Flächenraum von etwa zwei Meilen,
und seinen blauäugigen Blondinen, die alle, du siehst es im ersten
Augenblick, einem und demselben Großpapa angehören. Es ist ein bischen weit
hin, lasse dich jedoch dieß nicht anfechten, wo es sich um die Ruhe deiner
Tage handelt. Wir mögen so gerne freundliche, ruheliebende Gesichter um uns
her sehen; und um dir zu beweisen, wie sehr wir dein Wohl am Herzen tragen,
so wollen wir dir eine Beschreibung dieses lieblichen Toffelsville mit
auf den Weg geben, und zum Ueberflusse die Geschichte ihres Gründers
Christophorus Bärenhäuter obendrein.

    [11]: =Stadt sollte ich sagen=, eine Anspielung auf die
    amerikanische Gewohnheit, selbst das kleinste Oertchen Stadt zu
    nennen.

       *       *       *       *       *

Es ist nicht hundert Meilen vom Zusammenflusse des Alleghany und des
Monongehala eine paradiesische Flußniederung, oder, wie wir es in der
Landessprache nennen, ein Bottom, auf allen Seiten vom Flusse und den
Flußbergen eingeschlossen. So malerisch springen diese in den _belle
rivière_, wie die _Messieurs les Français_ den Ohio bekanntermaßen tauften,
als ob sich die Natur in einem ihrer wunderlichen Einfälle recht so
vorgenommen hätte, hier dem Müden ein trauliches, Menschenhändeln
unerreichbares Versteck aufzubauen. Die Rücken und Anhöhen der sanft
sich wölbenden Berge sind bekleidet mit einem üppig frischen Wuchse
hundertjähriger Sycamores[12], Buchen, Wallnußbäume und Akazien, alle
verwoben durch die wilde Rebe, die so einen deliciös duftenden meilenlangen
Baldachin bildet. Im Vordergrunde wälzen die beiden erwähnten Flüsse, in
den Ohio vereinigt, ihre ruhigen Gewässer gleich Zwillingsschwestern dahin,
mit hie und da einem Boote, das sanft auf seiner Oberfläche fortgleitet,
oder einem Dampfschiffe, das pfeilschnell hinfliegt, und alle die wilden
Bewohner der Buchten, Gänse und Enten, in Schwärmen aus ihren, von einer
Thränenweide oder einem Sycamore überschatteten Verstecken aufjagt. Bloß
ein einziger Pfad führt zur Oberwelt, auf dem man in sanften Windungen zum
Hochlande gelangt, wo Engländer und Irländer, und Deutsche und Schotten,
und alle Sorten und Abarten sich diese sechszig Jahre zusammengenistet,
geheirathet und wieder geheirathet, und so in eine republikanische Brut
sich verschmolzen haben, so ruhig, so friedliebend, als wenn sie das _sine
qua non_ eines loyalen Berliners: Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht, statt
ihrer zehn Gebote adoptirt hätten.

    [12]: =Sycamores=, Plantanen.

Wenn wir den Ausdruck gebrauchen, »in eine republikanische Brut
verschmolzen,« so wollen wir dadurch nicht bedeuten, daß aller
Stammunterschied bereits gänzlich aufgehört, und die ganze Sippschaft
gleichsam wie durch den Schmelztiegel in ein Totum gebracht sei; nein,
einen solchen prinziplosen oder, deutsch zu reden, allen Grundsätzen
schnurstracks zuwiderlaufenden Wankelmuth lassen wir uns nimmermehr zu
Schulden kommen, und du magst noch immer, lieber Wanderer, wie oben gesagt,
den Schattirungen dieses multifariösen Ursprunges beim ersten Anblicke auf
die Spur kommen. Das deutsche Kindeskind hält noch immer fest zu seinem
Sauerkraut, zieht noch immer sein Blockhaus[13], rauh und schlicht wie
er selbst, dem elegantern _framehouse_[14] vor; die Lieblingsfarbe seines
breitschößigen Rockes ist noch immer hellblau; Strümpfe desgleichen,
mit hochrothen Zwickeln; auf seinen runden Schuhen prangen unverrückt an
Wochentagen seine messingenen, am Sonntage die Silberschnallen, mit dem
dato _A. D._ 1700 verziert, und seine Söhne wandeln, wie früher ihre Väter,
in bocksledernen gelben oder gelb gewesenen Inexpressibles einher, am Knie
mit ledernen Riemen zugebunden.

    [13]: =Blockhaus=, ein aus gezimmerten Baumstämmen aufgeführtes
    Haus.

    [14]: =_framehouse_=, buchstäblich ein Gerüsthaus; das Gerüste
    ist nämlich von Holz und die Wände sind mit Kalk und Steinen
    ausgefüllt.

Die Tyrannin Mode, oder, wie wir sie nennen, Fashion, hat hier nur wenig
Gelegenheit gefunden, ihr Reich zu erweitern, und ein simpler Stroh- oder
Seidenhut, mit einer noch simplern, selbstfabrizirten -- Robe läßt sich so
ein Ding unmöglich nennen -- sind alle die Netze, in denen die klugen Väter
es den Fräuleins gestatten, ihre ländlichen Beaus einzugarnen.

Trotz des verstockten Widerstandes dieser starrköpfigen Deutschmänner
einer-, und des schnellen Fortschreitens ihrer anglo- und
hiberno-amerikanischen Mitbürger andererseits, leben doch die verschiedenen
Parteien in vollkommenem Einverständnisse; ja, diese Verschiedenheiten
tragen vielleicht nicht wenig bei, ihrem ganzen Leben und Weben einen
gewissen Reibereiz, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu geben, der
nirgends schärfer und angenehmer hervortritt, als bei ihren Lustbarkeiten,
gemeinhin _frolics_ genannt, zu denen sie sich nichts weniger als ungerne
herbeilassen, um eine halbe, und zuweilen auch eine ganze Nacht hindurch
sich ganz artig herumzutummeln, und dann einen halben Monat eben so artig
darüber Glossen zu machen, just wie wir es im _haut-ton_ auch thun.

Viel ließe sich über diese _frolics_, zu deutsch Lustbarkeiten, sagen;
für jetzt können wir jedoch in kein näheres Detail dieser wichtigen
Angelegenheiten eingehen. Eine derselben jedoch dürfen wir nicht mit
Stillschweigen übergehen, zumalen dieselbe so innig mit unserer Relation
verbunden und gewissermaßen ein Hauptbestandtheil derselben, ja noch mehr,
der Grund und die Veranlassung zu dem von uns zu referirenden Begebniß
ist. Wir sagen, zu referirenden Begebniß; denn unsere Autorität ist keine
geringere Personnage, als einer der werthen Abkömmlinge unseres Helden,
und unser Bericht daher ganz so authentisch, wie es Tausende unserer
offiziellen Berichte nur immer sein können.

Die _frolic_, die wir näher zu beschreiben gedenken, ist eine _vulgo
Cornhusking-frolic_[15] genannt.

    [15]: =_Cornhusking-frolic_=, Wälschkornaushülsensfröhlichkeit,
    wird auf dem Lande durchgängig gefeiert. Die Nachbarn vereinigen
    sich und hülsen gemeinschaftlich aus; häufig beschließt ein Tanz
    die Arbeit.

Aber was ist eine Korn-, oder, deutlicher zu reden, eine
Wälschkornhülsensfrolik? Nichts über eine klare, richtige Definition; sie
ist die Seele der Logik, und diese der Philosophie, wie weltbekannt. Nun
denn, eine _Cornhusking-frolic_ ist eine Versammlung von jungen Bürgern
dieser unserer vereinten Staaten, und, nicht zu vergessen, Bürgerinnen, die
zusammenkommen, um das Korn auszuhülsen. -- Du magst sie, lieber Leser, an
schönen, heitern Herbstabenden sehen, wie sie von allen vier Weltgegenden
her einem Punkte zuströmen, über Zäune, und die sind wahrlich bei uns kein
Kinderspiel, wegsetzen, durch Busch und Hecken dringen, und schließlich aus
der Wildniß hervorbrechen, mit Backen roth wie der Vollmond, der so eben
seine Dunstatmosphäre verläßt, um dann einander die Hände zu schütteln, daß
die Gelenke krachen, und sich ganz ruhig unter und vor dem Dachvorsprunge
nieder zu lassen, im Vordergrunde einen Berg von Wälschkornkolben und
im Hintergrunde den alten Bambo, der die Festivität mittelst seiner
musikalischen Bestrebungen zu krönen bestimmt ist, bis jetzt sich aber noch
auf der Ofenbank einem etwas lauten Schlafe überläßt.

Und nun, lieber Leser, beliebe alle diese verschiedenen Umstände deinem
Gedächtnisse, und noch besser, deiner Phantasie einzuprägen, und du wirst
ein _point de vue_ haben, von welchem dir unsere Relation nicht nur klar
und verständlich, sondern selbst unbezweifelt und unwiderlegbar erscheinen
wird.

»Es ist,« so beginnt meine authentische Quelle, »wohl an die vierzig
Jahre, daß ein Kornhülsen in dieser Niederlassung, und zwar bei Jockel
Blocksberger, abgehalten wurde. Der jungen Leute gab es damals noch
nicht so vollauf, wie in diesen unsern fabrizirenden Tagen, und um ein
respectables Kornhülsen zu feiern, hatten die Jungens und Mädchen einen
Weg von fünf und mehr Meilen zu laufen.« Bei dieser Gelegenheit, versichert
unser Dokument und Informant (denn wir haben beides, mündliche und
schriftliche Ueberlieferungen), liefen sie wirklich diesen langen Weg, und
viele noch weiter.

»Unter denen, die in Folge geschehener Vorladung sich an diesem Abende
einfanden, waren ihrer vorzüglich zwei, die mit nicht geringer Ungeduld
erwartet und mit großer Freundlichkeit begrüßt wurden. Das erste dieser
ungeduldig erwarteten Individuen war eine frische irische Miß, mit dem
sonoren Namen Jemima O Dougherty, ein rundes, liebes Ding, so lebendig
und so schelmisch, als je eines seit Menschengedenken in den Hinterwäldern
kokettirte, mit einem schalkhaften Gesichtchen, lieblich von Rosen
angehaucht, einem Schwanennacken und Busen, der schreckliche Herzklopfen
und selbst Wehen verursachte, graublauen Augen, die ihre Pfeile weit
richtiger abschossen, als der berüchtigte Tecumseh[16] seine Kugeln, nicht
zu erwähnen einer kleinen Habichtsnase, ein bischen aufgestutzt, die eine
große Portion irischer Lebensklugheit, und eine noch größere irischer
Keckheit und Starrsinnes vermuthen ließ, wie diejenigen, so das Glück
hatten, mit ihr in nähere Berührung zu kommen, ziemlich vernehmlich
zu wispern pflegten. Ihren eigenen leiblichen Vater, den alten Davy
O Dougherty, kupfernasigen Andenkens, sah man oft und bedenklich den Kopf
schütteln. Armer Tropf! Wohl hatte er vollwichtige Ursache dazu, er, der
alle die Tage und Stunden seit seiner gesegneten Einsegnung mit seiner
Ehehälfte, einer Flaherty, Pantoffelheld gewesen, wie es ein Katholik in
der grünen Insel nur immer sein konnte; der gute Mann hatte jedoch dieses
Pantoffelregiment mit wahrhaft christlicher Geduld ertragen. Armer Narr! er
tröstete sich immer, sein Beugen unter den Pantoffel seiner Ehehälfte
würde ihm zu einigem Verdienste in Anbetracht der Unmöglichkeit angerechnet
werden, in dem er sich erwiesenermaßen befand, den Pantoffel Sr.
Heiligkeit, dieses Desideratum jedes frommen Katholiken, zu küssen. Wie
dem auch sei, der Geschichten und Geschichtchen auf seine Unkosten gab es
viele; da wir es aber unter unserer Würde halten, Geschichten von
einem alten armen irischen Teufel zu erzählen, so wollen wir sie mit
Stillschweigen um so mehr übergehen, als Gegenstand derselben den Weg alles
Fleisches gegangen. Ja, armer Narr, er ist im Schooße Abrahams oder sonst
irgendwo, diese vielen Jahre. Eines seiner Sprichwörter können wir jedoch
nicht umhin zum Frommen aller Ehemänner zu erwähnen, die in einem ähnlichen
Prognosticon sich befinden. Oft hörte man ihn klagen, daß sein Weib
halsstarriger geworden, sobald sie den Fuß auf den Boden der Vereinigten
Staaten gesetzt, und daß dieses Land der Freiheit ein wahrer Himmel für
Weiber, ein Fegefeuer für Liebhaber, und die Hölle selbst für Ehemänner und
Pferde sei.

    [16]: =Tecumseh=, der berühmte Häuptling der Shawneese-Indianer.

Doch kehren wir wieder zu unserer Miß Jemima O Dougherty zurück.
Besagtermaßen war sie ein wohlgemachtes, niedliches Ding, zum Verlieben
just recht; nicht ganz so geduldig wie Job, aber eben so arm; doch
trotz des Defektes zeitlicher Güter wußte Jemima O Dougherty es immer
so einzurichten, daß sie zu großem Vortheile, ja zu solchem Vortheile
erschien, als selten verfehlte Eindruck zu machen, und, was mehr sagen
will, alle die Nuancen ihres Habillement waren richtig und immer, trotz
gerümpfter Nasen und scheelsüchtiger Blicke, bisher nachgeahmt worden.
Sie war ohne Widerrede die _fashionable belle_, und, zu ihrem Ruhme sei es
gesagt, sie hielt sich auf ihrem kritischen Posten mit mehr Umsicht, als
mancher Premier oder Souverain sich auf dem seinigen.

Bei gegenwärtiger Gelegenheit, sagt unsere Quelle, war sie angethan mit
einem bezaubernden Negligee von geflammtem Callico, ein grünseidenes
Tüchlein um den besagten Schwanenhals und Busen geschlungen, so züchtig und
zugleich so liebreizend, als nicht fehlen hätte können, kritischeren Beaus
gefährlich zu werden, als die waren, welchen die Ehre ihrer Gesellschaft
für besagten Abend zu Theil werden sollte.

Dieß denn war die erste Hauptperson. Die andere war ein Mister
Christophorus Bärenhäuter, oder, wie er gewöhnlich genannt wurde, der
reiche Toffel, ein Junge, sechs Fuß, sechs Zoll hoch, dem Anscheine nach
etwas lose in seinen Gliedmaßen und ungeschlacht, aber zäh, ledern und
nervig, trotz Einem; langsam in jedem seiner Schritte, mit einem Vacuum
in seinem Gesichte, und einem Maule, das einer holländischen Yacht auf ein
Haar glich. Nebst diesen körperlichen Vorzügen -- und sie waren nicht zu
verachten, da er der Mann war, in offenem ehrlichen Kampfe irgend einen
durchzubläuen, er mochte nun englisch, irisch, schottisch oder deutsch
sein, -- besaß Toffel Bärenhäuter einen lieblich anzuschauenden Hof von
dreihundert Ackern, die obenerwähnte Ohio-Thalweite, mit einer steinernen
Scheuer, grünen Jalousien und einem roth angestrichenen Schindeldache. Zwar
war sein Wohnhaus nur aus gehauenen Baumstämmen ausgeführt, vierzig
Fuß lang, bei vier und zwanzig breit: aber die Umgebungen waren um so
gewichtiger, nämlich fünf Schweineställe, zwei Wälschkornbehälter, ein
steinernes Wasserhaus -- wir halten es für unerläßlich, in unserm Inventar
genau zu sein -- und vier Hühnersteigen. Das war jedoch nicht Alles;
sein verstorbener Vater hinterließ ihm nebst den erwähnten Immobilien
verschiedene Mobilien, und unter diesen zwei gewaltige Truhen, blau bemalt,
mit einem weißen, roth eingefaßten, blumenverzierten Quadrate auf dem
Deckel, enthaltend die Inschrift _A. D._ 1684. Beide Erbstücke waren
herübergebracht vom Schwarzwalde, und mit so vielen Stücken Leinwand
angefüllt, daß leicht die ganze Niederlassung mit hanfener Wäsche hätte
versehen werden können, nicht zu gedenken einer Varietät von Röcken, die
sich gleichfalls in diesem Reservoir befanden. Was wir jedoch vorzüglich
berichten müssen, sind zwei wollgestrickte Strümpfe, an der Ferse
abgeschnitten, mit ledernen Riemen an beiden Enden zugebunden, und doppelt
so viele spanische Dollars enthaltend, als er Acker sein nannte.

Diese collateralen Umstände zusammengenommen, so war Christophorus
Bärenhäuter, man wird eingestehen, keine so ganz unwichtige Personnage, so
wenig, daß er von den sorgsamen Müttern, nicht allein der Niederlassung,
sondern des ganzen Townships[17], für die beste Partie angesehen wurde.
Langsam und unbeholfen, als er war, eine deutsche Erbsünde allem Vermuthen
nach, so fühlte er seine Wichtigkeit, und wenn er auf seinem Grauschimmel
bei einer _Farm_[18] vorbeitrabte, es war ein Thier volle achtzehn Faust
hoch, ein deutsches Lied sich pfeifend, der _Yankee-Doodle_ war damals noch
nicht in Aufnahme, dann schlug manches Blondinenherz lauter, und ihre Augen
schwammen beim Anblicke Toffels und seines gewaltigen Streithengstes, und
der unausbleiblichen Ideenassociation von seinen Aeckern und Rindern und
den zwei gewichtigen Strümpfen.

    [17]: =_Township_=, Stadtbezirk.

    [18]: =_Farm_=, Hof, Freigut.

Dieß waren denn gewissermaßen die zwei Hauptpersonen des oft erwähnten
Kornhülsens, zu dessen weiterer Beschreibung wir unverzüglich zu schreiten
gedenken.

Es fügte sich nämlich, daß Jemima an die Seite Toffels zu sitzen kam.
Wie dieß sich zutrug, darüber ist unsere Urkunde nicht im Reinen; so viel
scheint uns jedoch gewiß, daß er an diesem Zu- oder Unfalle nicht Schuld
war. Er war nämlich, wie wir bereits bemerkt, ein ziemlich großschlächtiger
Geselle, und da die Bänke, auf welchen die respectable Partie sich
niedergelassen, nichts weniger als bequem waren, so nahm er seinen Posten
auf einem Hickorystumpen. Jemima nun ließ sich dicht an seiner Seite
nieder, zweifelsohne aus dem modesten Grunde, durch seine Hoheit vor den
heillosen Jungen verborgen zu werden. Ein ordentliches Mädchen wird und
soll diese kitzlichen Gesellen ferne halten, und Jemmy war ein solches
ordentliches Kind, und sie hielt diese Zierbengel denn ferne, ei, und das
mit all ihrer Macht. Toffel nun saß gleich einem ruhigen friedfertigen
Bürger dieser unserer Vereinten Staaten, Wälschkornkolben aushülsend,
seines gewaltigen Rosses und anderer Rosse, seiner Rinder und Strümpfe, und
tausend anderer Dinge gedenkend, ausgenommen seiner niedlichen Nachbarin.
Dieß will jedoch nicht sagen, als ob diese Nachbarin auf ihn gedacht hätte;
nein, bestimmt hatte Jemmy O Dougherty keine derlei sündhaften Reizungen.
Ein christliches Gemüth, wie das ihrige, wird aber immer Mittel und Wege
finden, ihre Absichten ehrbar durchzusetzen, und einem jungen Manne, wie
Mister Christophorus Bärenhäuter, ihren Antheil durch eine jener tausend
Aufmerksamkeiten zu beweisen, die zartfühlende Seelen mit einem solchen
Takte und immer zur gehörigen Zeit anzubringen wissen, und die deshalb
selten, oder nie ihre Wirkung verfehlen. Unsere Irin nun war ein derlei
zartgestimmtes Wesen, und sie häufte daher eine gewaltige Menge von Kolben
mit reger, freundlicher Hand vor ihrem Nachbar auf, so daß er, groß und
ungeschickt als er war, nur seine langen Hände auszustrecken brauchte, um
sie gemächlich auszuhülsen. Nun, war das nicht von der lieben Nachbarin
artig? und sollte Toffel dafür nicht billig seine Erkenntlichkeit an den
Tag gelegt haben? Es ist ja sonnenklar; Toffel hingegen hatte weder Augen
noch Ohren für die freundliche Hand, und fuhr fort auszuhülsen, und da
er ein flinker Bursche in aller Arbeit war, so verminderte sich der
Wälschkornhügel zusehends, und er war wieder bemüßigt, sich zu biegen und
zu strecken, was denn für einen sechs Fuß sechs Zoll langen Deutschen keine
ganz erbauliche Affaire ist. Wieder fühlte Jemmy für den armen Nachbar, und
obgleich ihre helfende Hand für die Mühe, die sie so großmüthig auf sich
genommen, mit keinem Drucke belohnt, ja, sie keines Blickes gewürdigt
worden war, so thürmte sie doch einen zweiten Hügel mit einer so reizenden
Beweglichkeit auf, versichert meine Autorität, als jedermann entzückt
haben müßte, der -- Augen hatte. Toffel jedoch hatte keine Augen, und saß
unbekümmert und unbewußt auch bei diesem zweiten Sukkurse, und wieder fuhr
er fleißig mit dem Aushülsen fort, und wieder verschwand der Haufen, und
wieder hatte er sich zu biegen; aber jetzt ließ man ihn lange sich biegen,
ehe man sich seiner Mühseligkeit und Trübsal erbarmte. Und doch, gute
Seele! konnte sie in die Länge nicht ihrem edlen Herzen widerstehen, und
zum drittenmale kauerte sie sich herab, und sammelte ein paar Dutzend
Kolben in so bezaubernder Art in ihre Schürze, und dann wieder auf einen
Haufen vor ihn hin, daß kaum zu widerstehen war; aber doch mit all ihrer
Grazie, verlaßt euch darauf, würde sie wieder dem Blicke des dickköpfigen
Deutschen entgangen sein, wenn nicht ihr Auge, gerade wie sie sich so
zierlich hin und her wand, dem Toffel begegnet wäre, und das ihrerseits,
sagten einige böse Zungen, so ausdrucksvoll und sprechend, daß er die
seinigen zum erstenmale weit aufthat, ein sicheres Zeichen, daß er sie
endlich gesehen hatte.

Ich glaube nun meine Leser warnen zu müssen, daß sie nicht eine Reihe von
Komplimenten und, was noch schlimmer ist, verstohlene Blicke und furchtsam
verschämte Augensprache erwarten; nein, Toffel fuhr fort, sein Korn
auszuhülsen, dann und wann einen Schluck Whisky, und darauf einen
andern kühlenden Quellwassers zu sich zu nehmen. Nun, war das nicht ein
langweiliger Geselle? Kein einziges Wort zu seiner lieblich wohlthuenden
Nachbarin zu sprechen! War es ein Wunder, daß sie müde wurde, der Trägheit
eines so unempfindlichen Klotzes weitern Vorschub zu leisten? Gewiß nicht.
So denn, als der dritte Haufe ausgehülset war, bekümmerte sich Jemmy um
Toffel Bärenhäuter nicht weiter, sondern bloß um ihr eigenes Geschäft,
sammelte ein Dutzend Kolben in ihre Schürze, und ließ Toffel Toffel sein.

Edle Jemmy! wie wenig kanntest du deine Herzensgüte? Du hattest nie einen
Roman gelesen, also deine Seele hatte sich nie in den Gemüthern Anderer
abgespiegelt, und so warst du gänzlich unbekannt mit dem zarten Gewebe
geblieben, das Nächstenliebe in dein Inneres gewoben hatte. Du konntest den
langen Toffel zwar für einige Minuten mit ansehen, wie er sich abmühte
und bog und bließ, aber länger konntest du es nicht aushalten. Erweichend
schobst du ihm ein paar Ohren von deiner Schürze in die Hand, und fuhrst
fort, ihn so einige Zeit zu unterstützen. Dieß konnte jedoch nicht ewig
währen; wer sollte es nicht müde werden, für einen so Undankbaren eine
doppelte Last auf die Schultern zu nehmen, und besonders ein Mädchen wie
unsere Irin, die, wie alle ihre Schwestern, keine der geduldigsten war? So
wurde denn diese Espece von Unterschleifen auch seltener und seltener, und
Jemmy begnügte sich, mit einem nachlässigen Winke Toffel auf ihre Schürze
hinzuweisen. Sonderbar, sagt unser Dokument, Toffel, der bisher statt
zweier ausgehülset hatte -- die Jungens trieben es auch gar zu arg mit den
armen Kindern -- Toffel fing plötzlich an inne zu halten, ja, das Dokument
deutet nicht undeutlich darauf hin, daß seine zulangende Hand ziemlich
lange Zeit gebraucht, um den gar nicht langen Weg von benannter Schürze
zurückzulegen. Wie dem auch sei, Toffel fing an, sich ziemlich wohl
zu befinden, und häufiger denn zuvor einen Schluck zu nehmen, als das
neidische Geschick ihn auch dieses Trostes zu berauben drohte.

Es waren nämlich zwischen den übrigen Gliedern der Gesellschaft schon seit
längerer Zeit Blicke gewechselt und Worte geflüstert worden, die gar
nicht zur Sache gehörten, und eine ungebührliche Einmischung in die Rechte
unserer zwei Individuen nicht undeutlich verriethen, eine Einmischung, die
einem so zartlieblichen Wesen, wie unserer Jemima, so bewußt ihrer reinen
Absichten, gar nicht angenehm sein konnte.

Arme Jemmy, wie bedauern wir dich! Nicht genug, deine edlen Hülfsleistungen
den halben Abend hindurch an einen unempfindlichen Staarblinden weggeworfen
zu haben, hast du auch noch den Undank, für deine Bemühungen scheelsüchtig
angesehen zu werden. Doch Geduld, das Schicksal selbst wird bald zeigen,
auf welcher Seite Recht und Gerechtigkeit ist.

Das Kornaushülsen hatte schon geraume Zeit gedauert, und ein paar Stunden
waren wie Minuten verflogen, als das Schicksal es haben wollte, daß die
beiden Nachbarn zugleich einen rothen Kolben zogen. Nun sei es kund und zu
wissen gethan, daß es der hochlöbliche Gebrauch in diesen unsern Vereinten
Staaten ist, daß zwei rothe Kolben, gezogen und ausgehülset von zwei
Individuen, qualificirt wie Jemima O' Dougherty und Christophorus
Bärenhäuter waren, daß ein solcher Zug dem Stärkern das Recht ertheilt,
dem Schwächern nichts mehr noch weniger, als einen Kuß zu geben, oder, nach
Umständen, auch zu nehmen. Christophorus Bärenhäuter hatte daher einen
so guten Rechtstitel zu seinem Privilegium, als es nur irgend einen geben
kann; aber bei einem Haare hätte er ihn verloren, so wie manche Rechtstitel
verloren werden. In der That hatte er bereits seinen rothen Kolben
ausgehülset fallen lassen, als Jemmy, wackeres Mädchen! Augen für ihn
hatte. Zwei rothe Kolben! rief sie in naiver Bewußtlosigkeit und gerade
noch zu rechter Zeit. Zwei rothe Kolben! ertönte es aus fünfzig Kehlen,
und die ganze Gesellschaft sprang auf die Beine, als ob der _thunder_ und
_blixen_ unter sie gefahren wäre; selbst unser Toffel nicht ausgenommen,
obgleich er der Letzte war. Allmälig begann er die Ursache des Aufruhrs zu
begreifen, und sich in die Stellung zu postiren, die ihm die bestgeeignete
zur Versicherung und Erlangung seines ihm anheim gefallenen Rechtstitels
schien. Dieß war jedoch keine leichte Sache. Ob die Schönen ein
schlimmes Vorgefühl von den Wirkungen hatten, die ein solches sündhaftes
Aneinanderpressen der Lippen hervorzubringen pflegt, Partikeln des
menschlichen Leibes, die zu ganz anderen Endzwecken bestimmt sind, als
denen des sündlichen Küssens, oder ob der Neid sein Spiel trieb: gewiß ist
es, die weibliche Schar formirte ein Quarré, das einem ganzen Bataillon
städtischer Zierbengel Trotz geboten haben würde. Toffel jedoch, der
rüstigste Junge des Townships, war nicht der Mann, der sich durch eitle
Demonstrationen zurückhalten ließ; kühn, obgleich langsam, rückte er
auf die Verschworenen los, faßte gemächlich eine und die andere seiner
Gegnerinnen, warf sie auf einen Hülsenhaufen zur Rechten, disponirte mit
einem halben Dutzend anderer auf einem zweiten zur Linken, und bahnte
sich so den Weg zu Jemmy O' Dougherty, die er, trotz alles Sträubens
und Zwickens, erfaßte. Wacker, das müssen wir zu ihren Ehren gestehen,
vertheidigte sie sich; jedoch die stärkste Festung muß endlich übergehen,
und so übergab sich auch unsere Irin, und wurde ruhiger und ruhiger, so
ruhig, daß sie Toffel ungehindert seine zollbreiten Lippen auf die ihrigen
drucken ließ, obgleich, da derselbe nun vom ganzen weiblichen Korps
angefallen wurde, sie leicht einem so sündhaften Contakte hätte ausweichen
können. Einige der neidischen Schönen wollten bei dieser Gelegenheit sogar
bemerkt haben, daß Toffel bereits auf dem Rückzuge begriffen gewesen, als
sie ihm noch einmal ihre rosigen Lippen darbot; unser Dokument erwähnt
jedoch nichts von einer derlei Anerbietung, und wir halten uns daher
berechtigt, solche Zumuthung als ehrenrührig, ja verleumderisch zu
erklären.

Wir müssen nur recht sehr bedauern, daß unser Dokument der weitern
Bewegungen unserer respectablen Gesellschaft auch mit keiner Sylbe
gedenkt, und uns so eine beneidenswerthe Gelegenheit raubt, unsere schönen
Leserinnen mit einigen neuen _pas_ oder einer Gallopade bekannt zu machen.
Unsere Autorität bemerkt bloß, daß Toffels Seelenruhe bedeutend erschüttert
worden war, und daß er nach dem Frolic, worunter auch der Tanz zu
verstehen, nicht schlafen konnte, und daß er zum erstenmale in seinem
Leben einen Traum hatte, er, der zuvor nie mit Träumen weder schlafend noch
wachend geplagt gewesen.

Wenn wir sagen, daß Toffels Gemüthsruhe bedeutend erschüttert worden, so
wollen wir dadurch keineswegs bedeuten, daß er umherging und den Namen
Jemima O' Dougherty in jeden Hickorybaum einschnitt, oder die Schäferflöte
blies, oder sonst irgend einen Unsinn trieb, wie die Helden Theokrits,
Virgils und Geßners allzuoft thaten; nein, Toffel ließ sich nichts derlei
in den Sinn kommen, und zwar aus neun und neunzig Ursachen. Was das
Einschneiden seines Namens betrifft, so konnte er bloß deutsch schreiben,
und das kümmerlich genug; Jemima hätte daher ihren werthen Namen und
Lobschrift nicht lesen können. Und wegen des Flötenblasens, so war in der
ganzen Niederlassung kein solches Ding, Flöte benannt; der ganze Vorrath
von musikalischen Instrumenten bestand in einer Geige mit zwei Saiten, die
dritte war bei der erwähnten Kornhülsenfrolic bei Jockel Blocksberger
drauf gegangen; und eine Geige, das werden meine Leser sammt und sonders
eingestehen, ist keineswegs poetisch, im Gegentheil; -- und so fuhr denn
Toffel, in Ermangelung all dieses sentimentalen Stoffes, fort, seine Aecker
zu pflügen und seinen Weizen zu säen.

Und Jemmy? Je nun, sie war ein gescheides Mädchen, was unsere Leser bei
dieser Zeit gar nicht mehr in Abrede stellen werden, und sie wußte, daß der
Weizen nicht in einem Tage reife, und daß Geduld und Arbeit und Zeit das
Maulbeerblatt umwandle ins Seidenkleid; und sah sie Toffel bei seinem
Pfluge, so lachte sie ihm laut ins Gesicht, und spielte mit den Mähnen
seines Grauschimmels, und warf dann und wann einen Seitenblick herüber auf
den Deutschen. Und während Toffel seinen Weizen und Roggen in seine Aecker
säete, säete sie den ihrigen in sein Herz, und beide gediehen und wurzelten
und wuchsen, trotz Unkrautes auf der einen Seite, und Vorwürfe und
Vorstellungen seiner Basen auf der andern; er sollte ja seiner Familie
keine solche Schande anthun, und eine Irische heimbringen, die in der
weiten lieben Welt nichts hätte, als eine glatte Haut und eine noch
glättere Zunge. Hat je einer so etwas in seinem Leben gehört? Wahrlich, wir
sind herzensfroh, daß -- -- Doch ferne sei es von uns, aus der Schule zu
schwatzen.

Die respectiven Saaten wuchsen denn und gediehen, wie wir bereits erwähnt
haben, und als sie so eine Weile, trotz alles Unkrautes und Widerspruches
fortgewachsen waren, so sattelte einst Toffel an einem schönen
Decemberabende seinen Grauhengst, und trabte aufwärts den Windungen nach,
die damals und noch heut zu Tage von Toffelsville durch die Ohioberge nach
dem Oberlande führen.

Lieblich waren die stattlichen Höfe anzuschauen, die Toffel auf seinem
Ritte passirte. Manches frische und, was mehr sagen will, vermögliche
Mädchen trieb ihr Wesen in diesen rauh aussehenden, aber wohnlichen
Mitteldingern zwischen Häusern und Hütten; von manchem schönen Munde tönten
ihm die Worte entgegen: Toffel! wohin des Weges so spät? Willst du nicht
herein? Doch Toffel hatte weder Augen noch Ohren und ritt weiter; und die
Höfe wurden allmälig ärmlicher, bis er endlich auf eine Strecke Landes kam,
die mit Kastanieneichen überwachsen war, wo ihn seine Geduld zu verlassen
drohte. Er konnte nämlich diese Baumgattung, die er als einen Auswuchs des
unfruchtbarsten Bodens, und zwar mit Fug und Recht, betrachtete, nie ohne
Widerwillen ansehen. Und doch, Toffel, trabst du immer weiter! Bist du denn
so ganz unempfindlich für weltliche Güter, so zwar, daß du dich von den
bewußten Schelmenaugen bezaubern lässest, dieser lieblichen Hexe, die der
T--l selbst nicht zähmen könnte, die Vater und Mutter mit vieler Grazie zu
plagen und mit noch mehr zu peinigen weiß, die, wie eine Katze, schmeicheln
und zugleich kratzen, weinen und lachen, Alles in derselben Minute, ja in
demselben Athem kann. Bedenke doch, lieber Toffel! halte ein auf deiner
Pilgerfahrt! Feuer und Wasser, Whisky und Sauerkraut, Wälschkornkuchen
und saure Milch, wie sollen diese sich vertragen? Wir halten es für unsere
Pflicht, für unsern Toffel zu denken, da er selbst nie ein großer Denker
war, und ihm gütig zu zeigen, was er zu thun hatte, just so wie manche
Zeitungs-Redactoren in ihrer preßfreiherrlichen Qualität für unerläßlich
halten, Ministern klar und bündig darzuthun, was sie thun und nicht thun
sollen, ein halbes Jahr, nachdem die Sache gethan ist. -- Doch wo ist
unser Toffel? Nun, da finden wir ihn wieder auf dem dürren Hügel von
Kastanieneichen, und zwar vor einem, wie sollen wir es nennen -- Bauwerke,
das aus den Indianerkriegen herzustammen scheint. Toffel schüttelt sein
Haupt bedenklich; es ist des alten Davy O' Dougherty Haus, und ein armselig
gestaltetes Haus ist es, man mag es aufs Wort glauben. Regen und Wind haben
freiern Zugang in dasselbe, als die Bewohner selbst; dieß ist jedoch nicht
die schlimmste Seite in Toffels Augen; ist ja sein Haus selbst nur aus
Stämmen aufgezimmert. Aber dann seine Scheune? Sie sieht aus wie ein
Schloß, verglichen mit denen seiner Nachbarn; und Davy O' Dougherty hat
nicht einmal eine. Seine Umzäunungen! es ist eine Sünde und Schande sie
anzusehen. Ja, sein Hof ist ein armseliges Gemälde irischer Betriebsamkeit:
kein Gaul, kein Pflug; sein ganzes Agrikultursystem beschränkt sich auf ein
paar handbreite Streifen von Kartoffeln und Wälschkorn.

Toffel warf einen langen, bedenklichen Blick auf Davy's unbewegliche
Güter, und schüttelte seinen Kopf stärker und stärker, und pausirte.
Unglücklicherweise war seine Hand bereits auf der hölzernen Klinke; die
Thüre ging auf, und, was konnte er Besseres thun? -- er mußte hinein.
So eben saß der alte Davy O' Dougherty mit seiner Ehehälfte, einer
rothäugigen, schielenden Matrone, und beinahe einem Dutzend rothköpfiger
kleiner Ungeheuer -- Jemmy nicht mit einbegriffen versteht sich -- über
seinem Thee und Kartoffeln und Wälschkornkuchen; Toffel drückte seinen Hut
ein bischen stärker über die Stirne, nahm einen Stuhl, und postirte
sich vor das Kamin. Ausgenommen eine leichte Röthe, die Jemmy's Gesicht
überflog, und ein pfiffiges Blinzeln von Seite der Mama, trug sich in der
ersten Viertelstunde nichts besonderes zu, und unser Held dürfte ziemlich
lange vor dem Steinkohlenfeuer gesessen haben, wenn er nicht ein deutscher
Mann gewesen wäre; da er jedoch ein ächter deutscher Mann war, und somit
seine Geruchsnerven nicht wenig durch den Steinkohlendunst und die aus dem
Theekessel und von den Kartoffeln und Gurken sich entwickelnden Dämpfe ins
Gedränge kamen, so erhob er sich zweifelsohne, um eine weniger von Dünsten
geschwängerte Atmosphäre zu suchen. In diesem Unternehmen jedoch war
er unangenehmer Weise durch einen seiner Füße prokrastinirt, der so
unglücklich war, sich in den ziemlich vom Zahne der Zeit benagten Teppichen
zu verfangen, und der, so zurückgehalten, dem andern nicht nach wollte, was
denn zur unausbleiblichen Folge hatte, daß Toffel der Länge nach auf
den Boden hintaumelte, und nahe daran war, das Tischtuch und den ganzen
Reichthum des alten Davy in Fayence mit sich zu nehmen. Jemmy brach in ein
lautes Gelächter aus, sprang auf und schlüpfte in die Küche.

Toffel richtete sich mühsam auf, blickte auf die verwünschten Oeffnungen
in den Teppichen, kratzte sich im Kopfe, sah dann den alten Davy, und
seine Ehehälfte, und schließlich die Thür an, durch welche er in sein
gegenwärtiges Dilemma gekommen, ohne die zweite, nämlich die Küchenthür,
durch welche Jemmy verschwunden und durch die er in ein vielleicht noch
verwickelteres einzugehen so eben im Begriffe war, auch nur eines Blickes
zu würdigen. Er pausirte lange; nochmals sah er auf die Hausthür, und
vielleicht hätte sein guter Genius obgesiegt; aber in diesem entscheidenden
Momente öffnete sich die verwünschte Küchenthür, und Jemmy's Schwanenhals
streckte sich dazwischen, und dieß entschied. Toffels rechter Fuß
bewegte sich unwillkürlich, dann sein linker, und schließlich schob
sich Christophorus, ganz wie er leibte und lebte, durch die Thür vor's
Küchenfeuer, dem gewöhnlichen _rendez-vous_ für alle derlei wohlbewußten
Affairen. Jemmy stöberte unterdessen zwischen und unter den Töpfen,
Kesseln, Zubern, Aepfeln und Pfefferfestons herum, wahrscheinlich, weil
sie nichts Besseres zu thun hatte. Da jedoch die Küchengeräthe von
Mistreß O' Dougherty in einem nur zu genauen Verhältnisse zu ihres Mannes
Agrikulturutensilien standen, so konnte ein derlei Herumstöbern nicht ewig
dauern, und da sie es endlich überdrüssig war, mit den drei Töpfen und
Kesseln sich zu unterhalten, so setzte sie sich gleichermaßen vor das
Kaminfeuer an die Seite Toffels hin.

Nun wollte ich wetten, einige meiner schönen Leserinnen werden arger Weise
vermuthen, daß ein solches Beisammensitzen verschiedene Bewegungen und
Rührungen zur Folge gehabt habe, als da sind: Händedruck und Erröthen und
Seufzen und Herumschlagen des Armes um den Nacken, und derlei Albernheiten.
Wir protestiren jedoch feierlichst gegen alle solche süße Regungen,
für welche beide, die anregenden und die angeregten, die Ruthe tüchtig
empfangen sollten. Nein, Toffel war ein ganz anderer Mann, wie wir bald
ersehen werden.

Eine Viertelstunde mochte bereits verflossen sein, und noch war kein
unziemlicher Gedanke ihm durchs Gehirn oder über die Zunge gekommen.
Die einzige Freiheit, die er sich erlaubte, bestand darin, daß er seinen
mannigfaltigen Hut auf das rechte, und dann auf das linke Knie, und zur
Abwechslung wieder auf das linke und dann auf das rechte hing. Zuletzt
jedoch faßte er Muth, und, seiner Nachbarin starr in's Gesicht schauend,
fragte er sie englisch (Toffel hatte bereits englisch gelernt, wie unsere
Leser sehen werden): »_Weder she wouldnd hab him for a hosband?_« (~whether
she would'nt have him for a husband?~)[19] Die Antwort auf diese wichtige
Frage, obwohl keine dritte Mittlersperson zugegen war, hat unser Dokument
buchstäblich aufbewahrt. »_Are you crazy,_« erwiederte sie; »_what should I
do with a Dutchman?_«[20] Harte Worte! wirklich harte Worte, besonders
wenn ausgesprochen von einem spitzen irischen Mäulchen. Armer Toffel! du
kanntest die Arglist der kleinen Hexe nur allzuwenig, die feilschend erst
ihre Waare, nach der doch alle ihre fünf Sinne gelüsteten, herabzusetzen
gedachte, um sie dann desto wohlfeileren Kaufes zu erlangen. Was sollte
ich mit einem Deutschmanne thun? Denkt nur eine solche Frage, und von einem
solchen Dinge, als Jemima O' Dougherty, zu einem Manne wie Toffel, sechs
Fuß sechs Zoll hoch, mit dreihundert Ackern und zwei vollen blaugewirkten
Strümpfen! Gerade als ob du irgend ein _Dandy_[21] von Broadway, oder ein
_Paddy_[22] gewesen wärest, herübertransportirt in der _Steerage_[23] in
diese unsere Vereinten Staaten, zum Leidwesen unserer tausend und einen
Temperanz-Gesellschaft. Ehekandidaten sammt und sonders! Gedenkt dieser
Worte, und sollte euch je bei einem ähnlichen Vorfalle eine gleiche oder
ähnliche Antwort zu Theil werden, dann pausirt; pausirt aber nicht vor
dem Küchenfeuer, sondern in euerm Ansinnen, und reitet des Weges, den ihr
gekommen seid.

    [19]: Ob sie ihn nicht zum Ehemann haben wollte.

    [20]: Seid ihr närrisch? Was sollte ich mit einem Deutschländer
    thun? -- _Dutchman_, obgleich es einen Holländer in der englischen
    Sprache bedeutet, wird gemeinhin auf jeden Deutschen angewandt.

    [21]: =_Dandy_=, ein Stutzer.

    [22]: =Paddy=, Diminutiv von Patrik; die Irländer werden spottweise
    Paddy's, von ihrem Schutzpatrone, genannt.

    [23]: =_Steerage_=, Passagier, Verdeckpassagier.

Toffel Bärenhäuter war ganz und gar kein stolzer Junge, aber die fragende
Antwort hatte ihn aus dem Concepte gebracht, und, seiner Würde bewußt,
richtete er sich klafterlang in die Höhe, schob seinen Hut über die Ohren,
ein wenig mehr über's rechte, und noch einmal in der Küche umherschauend,
schickte er sich an, selber, und somit allen seinen Heirathsplanen,
Lebewohl zu sagen, als die schlaue Dirne zwischen ihn und die Thüre
trippelte, und, seine Hand erfassend, fragte: _And if I take you, will you
promise to be a good child?_[24]

Eine andere verfängliche Frage, über die ein solcher Ignoramus, wie Toffel,
wohl in Verlegenheit gerathen konnte; und er gerieth wirklich in diese.

_Bray_, erwiederte er in demselben klassischen Englisch, _bray, wadd do you
minn by dat?_ (~Pray, what do you mean by that?~)[25]

_You are a fool_, versetzte Jemmy lachend, _well! I will take you and make
a man out of a Dutchman._[26]

_Well, well!_ beschloß der ehrliche Toffel, _den dat is seddled_ (~then
that is settled~)[27]. Und mit diesen Worten ergriff er seines Mädchens
Hand, schüttelte sie, und schritt zur Küchenthüre hinaus ins Freie auf
seinen Grauhengst zu, ohne auch nur eine Minute länger beim verführerischen
Kaminfeuer zu verweilen. Nun? war unser Toffel bei alledem nicht ein
ehrenfester Junge?

    [24]: Und wenn ich euch nehme, versprecht ihr, ein gutes Kind
    werden zu wollen?

    [25]: Bitte euch, wie versteht ihr dieß?

    [26]: Ihr seid ein Narr; wohl will ich euch nehmen, und einen Mann
    aus einem Deutschen machen.

    [27]: Wohl, wohl! so wäre denn dieß in Richtigkeit.

Den folgenden Tag hatte sein Grauschimmel eine trübe Zeit. Er mußte zum
ehrwürdigen Caspar Ledermaul, dem Lutherischen Prediger, dereinst gewesenem
Mitgliede der löblichen Schneiderzunft zu Trippelswalde im Baireuthischen,
der seit seiner Niederlassung die Nadel mit der Kanzel zu vertauschen sich
berufen gefühlt, und der nun vielerwähnte Braut und Bräutigam zu vereinen
berufen werden sollte.

Zuvor jedoch hatte er noch die Protestation von Jemmy zu hören, die von
Sr. Wohlehren Caspar Ledermaul, so wie von keinem der Lutherischen Prediger
etwas hören wollte. Toffel jedoch bedeutete ihr trocken, daß sein Vater von
einem Lutherischen Minister eingesegnet worden wäre, daß sein Großvater das
gleiche Schicksal gehabt habe, und daß er es auch haben wolle, und daß er
von dem Segen eines Friedensrichters gerade so viel hielte, als ob er gar
nicht ausgesprochen wäre, und daß er sich gar nicht verheirathet gedenken
könnte, wenn es nicht von und durch Caspar Ledermaul geschähe. Und Jemmy,
obwohl verstockt in allem Uebrigen, gab in diesem Punkte nach; Herr Caspar
Ledermaul vereinigte ihre Hände, und die ganze Niederlassung kam, den
Brautkuchen zu essen, und alle Welt lebte hoch auf.

       *       *       *       *       *

Hier nun endigt sich der erste Theil unserer Relation, wobei wir
schließlich den Unterschied zu bemerken nicht umhin können, der zwischen
unserer wahren, documentirten und einer gewöhnlichen Geschichte obwaltet,
maßen eine gewöhnliche Geschichte, Roman oder Novelle genannt, nun enden
würde; denn da Christophorus Bärenhäuter am Ziel seiner Wünsche, das heißt
mit Jemima O' Dougherty zu Freud und Leid vereinigt ist, wozu sollte eine
weitere Ausdehnung dieser ohnehin gedehnten Geschichte wohl dienen? So
würde ein gewöhnlicher Geschichtschreiber wohl schließen und schließen
müssen; nicht so aber wir, die wir Dokumente vor uns haben, die gerade
da wichtig zu werden anfangen, wo jenen der Faden ausgeht. Ihr
derohalb günstigen Leser, die ihr Geduld gehabt, mit uns durch diese
Quasi-Präliminaria zu gehen, beliebet günstig weiter zu schreiten, in der
Hoffnung, daß eure Mühe nicht unvergolten belassen sein wird, wie die Folge
darthun mag.



Zweites Capitel.

Wie Christophorus Bärenhäuter zur Meeting gegangen und geritten, und wie
Jemima O' Dougherty vom großen Roß geworfen worden.


Christophorus Bärenhäuter hatte sein ein und zwanzigstes Jahr noch nicht
völlig zurückgelegt, als sein Honigmond mit der achtzehnjährigen Jemima
begann, und zur Ehre Toffels sei es gesagt, er übernahm sich nicht bei der
Feier desselben. In Saus und Braus zu leben, war ohnehin seine Art nicht,
wie wohl bekannt; er hatte daher auch keine Anwandlung, Mistreß Bärenhäuter
in die gute Gesellschaft zu Saratoga einzuführen, und bei dieser
Gelegenheit die zwei blauen Strümpfe zu leeren. Nein, Toffel hatte fleißig
auf seinem Hofe vor der Hochzeit gehaust, und er fuhr fort, dasselbe auch
nach derselben zu thun; seine Aecker gingen ihm über Alles, und diese
gehörig zu traktiren, verstand er so gründlich wie irgend einer; ja
gründlicher, -- Dank sei es der heilsamen Erziehung und den heilsameren
Lehren und Ermahnungen und handgreiflichen Argumenten, die ihm alle Tage
seines Lebens, und noch am Sterbebette von Zebediah Bärenhäuter waren
beigebracht worden. Am ersten März sprach dieser mit zitternder Stimme:
»Vergiß nicht, Toffel, auf deinen Zucker, und bohre nicht zu tief in die
Ahornbäume; am ersten Mai soll dein Wälschkorn im Grunde, am ersten Juli
dein Heu aufgeschobert, am ersten August muß dein Waizen und Roggen in der
Scheune, dein Buchwaizen eingesäet sein. Nächstes Jahr, stotterte der arme
Sterbende, gedenk an mich und heiße mich etwas, wenn die hessische Fliege
nicht in's Getreide kommt. Du kennst das Recept; und gegen den Wurm im
Herbst: _Camphor_ und _gran_ -- -- Hier verließ ihn seine Stimme; nochmals
raffte er sich auf, und stieß ein abgebrochenes _spirit_ -- _aether_ --
heraus, dann schnappte er nach Athem; es erfolgte jedoch eine Pause, und
zwar eine lange Pause -- der werthe Zebediah Bärenhäuter hatte ausgeathmet.
Toffel wischte sich eine Thräne vom Auge, und fing an, statt alles
überflüssigen Trauerns, wozu er ohnehin keine Zeit gehabt hätte, die Lehren
seines Vaters auf seine eigene Faust hin zu praktiziren, und da er sie oft
genug gehört und angewandt gesehen, so gelang ihm dieses auch über alle
Maßen, und er war, obgleich noch jung, ein tüchtiger Landwirth geworden,
der nicht selten von alten Nachbarn um Rath gefragt wurde.

Was nun Mistreß Bärenhäuter betrifft, so war sie im Grunde kein unebnes
Mädchen gewesen; sie konnte daher auch kein gerade schlechtes Weib sein;
im Gegentheile. Immer hatte sie jedoch ein Item, und ein böses Item war
dieses, eine Espece von irischer Teufelei, die sie nie ruhen ließ, bis
der arme Toffel ihren Willen gethan, und, was schlimmer war, wenn der arme
Toffel ihn gethan hatte, dann war es wieder nicht recht, daß er ihn gethan;
mit einem Worte, daß er keinen eigenen Willen hatte. Es half nichts, wenn
er sie anstarrte und zu brummen anfing, falls ihr irisches Züngelchen zu
geläufig wurde; sie kehrte sich nicht im geringsten nach ihm, noch an seine
weit- und breitschweifigen deutschen Epithete: Verflucht! Schwere Noth!
Kreuzsapperment! Teufelsweib! -- sie hatte in der That die H--n an. Nach
seiner eigenen Weise lebte jedoch unser Paar so ziemlich glücklich; sie
trank ihren Thee, er seinen Whisky und saure Milch; sie machte Butter und
Käse, er Zäune, schor die Schafe, pflügte und säete, und zog Kälber und
Füllen auf, und nach Verlauf von zwölf Monaten band er einen dritten
blaugestrickten Strumpf, mit Silberdollars angefüllt, an beiden Enden zu.
Ein junger Bärenhäuter hatte seine Aufwartung gleichfalls gemacht, ein
glorreiches Specimen der teuto-hibernischen Brut; mit einem Worte, Toffel
hatte, Alles zusammengenommen, immer Ursache, sich zu seinem rothen Kolben
zu gratuliren. Er liebte sein Weib wahrhaftiglich, und nach seinen Rossen
behauptete sie unbezweifelt den ersten Rang in seinem Herzen, seine Dollars
erst den zweiten, oder, von seinen Rossen an gerechnet, den dritten.

So waren, wie gesagt, zwölf Monden verstrichen. Es trug sich nun nach
Verlauf dieser Zeit zu, daß ein Missionair in die Niederlassung kam, in
der löblichen Absicht, den guten Leuten einen nähern und gewissern Weg zur
Himmelspforte zu zeigen, als der sein sollte, welchen sie bisher unter der
Leitung des ehrwürdigen Caspar Ledermaul gewandelt waren, vorausgesetzt,
sie würden ihre Ohren und, was nicht minder wichtig, ihre Hände nicht
halsstarrig seinen eindringlichen Ermahnungen verschließen. Um seinem
preiswürdigen Vorhaben den gehörigen Impuls zu geben, so hatte er
eine Meeting[28] angekündigt, nachdem er sich zuvor bei der in solchen
Angelegenheiten stimmführenden Partei, den Damen, Raths erholt hatte.

    [28]: =_Meeting_=, Versammlung, wird jede Zusammenkunft genannt,
    sie mag nun politischer oder religiöser Natur sein.

Mistreß Bärenhäuter war natürlich zuerst um ihre Beistimmung und ihr
Patronat ersucht worden, da sie ohne Widerrede als die Stimmführerin des
Geschlechtes angesehen werden konnte. Als Erwiederung des schmeichelhaften
Komplimentes hatte Madame beschlossen, daß der jüngere Bärenhäuter
vom ehrwürdigen Kandidaten für die Predigerstelle, Gott weiß welcher
Denomination, getauft, und daß der ältere seinen Stammhalter auf seinen
Armen in die Versammlung transportiren sollte.

So weit wäre nun Alles recht gewesen, und wir haben keine Einwendungen
gegen diese Arrangements zu machen, und auch Toffel hatte im Grunde
keine; immerhin war jedoch seine Zustimmung nicht von der Art, wie sie der
schlichte Deutsche sonst von sich gab. Es war, als ob ihm etwas ahnete,
ein gewisses ängstliches Vorgefühl schien in ihm aufzudämmern, als er ihren
Ausspruch hörte; er ging offenbar mißmuthig dem Stalle zu, um die Pferde,
ihrem Befehle gemäß, zu satteln. Wem galt dieses Vorgefühl? Galt es der
Mistreß Bärenhäuter oder seinem gewaltigen Grauschimmel? Eine wichtige
Frage; zu wichtig für uns, und deshalb bloß billig, daß wir sie der
Gründlichkeit seiner landsmännischen Philosophen überlassen, und zu ihm,
unserm Toffel zurückkehren. Mistreß Bärenhäuter nun hatte so viele Vorliebe
für den Grauschimmel gezeigt, eine so sonderbare Vorliebe, daß sie absolut
kein anderes Pferd besteigen wollte. Freilich waren sie bloße Katzen,
verglichen mit dem allgewaltigen Roß, kaum vierzehn Faust hoch; doch waren
sie immerhin groß genug für sie, da sie ja selbst keine Riesin war.
Die beiden Eheleute waren noch nie im Verlaufe ihres Ehejahres zusammen
ausgeritten, und obwohl er jederzeit brummte, wenn sie darauf bestand,
den Grauschimmel zu ihrem Besuche beim alten Davy zu haben, so hatte ihr
bestimmt ausgesprochenes Wesen ihn nie zu einer Weigerung ermuthigt; dieser
Tag jedoch war für ihn von großer Wichtigkeit; die ganze Nachbarschaft kam
gewiß zusammen, und das im glänzenden Aufzuge. Toffel war allmälig auch
ehrgeizig geworden, und aspirirte zu öffentlichen Aemtern. Man hatte ihm
bereits das Wegmeisterthum anvertraut; er dachte nun an etwas Höheres, und
sollte er nun auf einer seiner Mähren dahergetrabt kommen, er, der stets
seinen Kopf so hoch getragen, wenn er auf seinem Hengste saß? Was wird
die Welt von ihm denken? Ohnehin war es bereits umhergeflüstert, daß er
ziemlich dem alten Davy in die Fußstapfen getreten sei, käme er nun -- --
nein, der Gedanke war unerträglich; er sah bereits das Hohnlächeln seiner
Bekannten und Bekanntinnen, Freunde konnte er sie seit seiner Heirath kaum
mehr nennen; er hörte ihr Wispern und Flüstern. Sein Weib kam gerade aus
der Hausthür mit dem Jungen, als er die Pferde aus dem Stalle führte;
er wagte es kaum, einen verstohlenen Blick auf sie zu werfen, und dieser
verstohlene Blick belehrte ihn, so wenig er Physiognom war, daß nichts,
gar nichts für ihn zu hoffen stand. Auf ihrer Stirne saß ganz und gar der
unbeugsame irische Trotz, die unausstehliche Keckheit, die seinen Kredit
bei seinen Nachbarn für immer zerstören, und ihm das fürchterliche Epithet
des größten aller Pantoffelhelden auf ewige Zeiten zu eigen geben sollte.
Mit Furcht und Zittern führte er die beiden Gäule dem Hause zu; seine
schlimmsten Erwartungen sollten leider nur zu bald gerechtfertigt werden,
als Mistreß Bärenhäuter ihm seinen Toffel hinhielt, dann auf den Klotz
eines Hickorystammes sprang, mit der einen Hand den Zügel des Grauschimmels
erfaßte, und mittelst der andern sich in den Sattel schwang. Da saß sie
nun auf dem ungeheuern Thiere, das leibhafte Ebenbild eines schadenfrohen
Pavians, der sich so eben anschickt, die Langmuth des geduldigen Dromedars
auf eine harte Probe zu stellen. Toffel sah mit offenem Munde und starren
Augen zu. Der Rücken dieses Thieres war sein Stolz, sein Thron, sein Alles
gewesen, und daneben stand die Mähre, kaum vierzehn Fuß hoch. Er mochte
eben so wohl zu Fuße gehen, als sie besteigen; seine langen Beine mußten
unfehlbar daneben herschleifen. Toffel war ein geduldiger, herzensguter
Junge, der gewaltig viel ertragen konnte; aber bei dieser Gelegenheit wurde
ihm der Spaß doch zu rund, und seine praktische Philosophie wollte nicht
mehr auslangen. Seine Augenbraunen zogen sich zusammen, und es hatte
wirklich das Aussehen, als ob der feste Entschluß in ihm aufkeimte, nicht
nachzugeben.

_My hard!_ sprach er nach einem langen Kampfe, während sie das Roß
wandte, ohne seinen Jammer auch nur eines Blickes zu würdigen. _My hard!_
wiederholte er, _I bray you, däke dat little orse, and let me rite my big
one_ (~My heart! I pray you take that little horse and let me ride my big
one~)[29].

_Toffel!_ erwiederte seine Ehehälfte im Tone äußersten Erstaunens über
seine Verwegenheit, während eine Feuergluth die Wangen roth und das Näschen
grün färbte: _Toffel, surely you aint such a fool, as to think of that just
now!_[30]

_Yes_, erwiederte ihr nur zu geduldiger Ehemann, _I am dat fool just now. I
am a big body, and if I rite dat Irish heifer, I walk and rite all at once_
(~I am fool just now, I am a big man and if I ride that Irisch heifer I may
as well walk as ride~)[31].

    [29]: Mein Schatz, ich bitte dich, den kleinen Gaul zu nehmen, und
    mich meinen großen reiten zu lassen.

    [30]: Toffel, sicherlich bist du nicht ein solcher Narr, auf dieß
    gerade jetzt zu denken!

    [31]: Ich bin dieser Narr, ich bin groß, und wenn ich diese irische
    Katze reite, so reite und gehe ich zugleich.

Seine Worte, sein Blick machten die Dame stutzen; es war Empörung
gegen ihre oberherrliche Gewalt darin zu lesen, ihre ganze künftige
Pantoffelgewalt hing von ihrem gegenwärtigen Entschlusse ab. So mochte sie
sich einbilden, und in dieser Einbildung löste sich ihre Zunge; ihre Stimme
stieg einen Ton höher, und sie überschüttete unsern armen Toffel mit einem
solchen Schwalle irischer Lobreden, daß der arme Ehemann, seinen Hengst
aufgebend, sich über Hals und Bein in die Stube retirirte. Nie in seinem
Leben hatte der arme Junge sich so gedemüthigt gefühlt, als wie er sie, mit
dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung in ihren Zügen, dem Rosse einen Hieb
geben sah, der die Reiterin in zwei Sätzen aus dem Hof und durch das Gatter
brachte. Toffel starrte ihr einen Augenblick mit offenem Munde nach, und
bestieg dann seufzend sein Kalb, seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen.

Und hier können wir nicht umhin, ein Wort zum Besten all der unter dem
weiblichen Regimen stehenden Ehemänner um so mehr einzuschalten, als selbes
gar nicht übel gemeint ist. Nein, wir sind weit entfernt, uns in eine
häusliche, oder, was noch schlimmer ist, in eine öffentliche Angelegenheit
einzumischen, maßen wir fest überzeugt sind, daß eine derlei Vermittlung es
keiner Partei recht thun könnte. Hätte aber Toffel seine Mähre ganz
ruhig in den Stall zurückgeführt, und Mistreß Bärenhäuter mit allgemeinem
deutschen Phlegma bedeutet, sie könne allein zur Versammlung reiten, er
aber und der junge Toffel würden zu Hause bleiben: wir wetten zehn gegen
eines, die liebenswürdige Dame würde den Ehrenpunkt aufgegeben, und noch
immer Mistreß -- -- Doch nein, es geht nimmermehr, wenn die Frau den Herrn
spielt und den lieben Gemahl zur Zielscheibe des nachbarlichen Witzes zu
machen sich nicht entblödet. Merkt euch das, meine schönen Leserinnen,
besonders ihr, deren Näschen mit dem unserer Heldin in einer und derselben
Constellation stehen.

Toffel hatte seine Mähre bestiegen, und folgte schweren Herzens, den jungen
Toffel auf dem Arme. Und wahrlich, vom Reiten war gar keine Rede; seine
Beine, wollte er sie nicht in rechte Winkel schließen und so beim ersten
Seitensprunge seines Pferdes den Boden küssen, mußten sich gefallen lassen,
auf der Erde mit fortzuwandeln; und der Weg war noch dazu so heillos
schlüpfrig, da es die Nacht zuvor geregnet hatte. Fürwahr, seine Position
war nicht beneidenswerth. Langmüthig wie er war, hatte ihn die letzte
Discussion nichts weniger als in eine kirchengehende Laune versetzt, und er
murmelte noch immer verschiedene Phrasen, als da sind: Kreuzschwere Noth!
Sapperment! Verflucht! und würde wahrscheinlich noch länger in seinem
Monolog fortgefahren sein, wenn er nicht in dieser trostreichen
Unterhaltung durch einen lauten Hülferuf unterbrochen worden wäre, der von
oben herab kam. Toffel sah sich um, schaute aufwärts, doch nichts war zu
sehen noch zu hören, und doch war es die durchdringend gellende Stimme
seines Weibes gewesen, das war gewiß. Wer konnte es sonst sein? Sie war
hundert Schritte voraus galloppirt, und die Windungen des durch die Berge
kreisenden Weges hatten sie seinen Blicken verborgen. Der Grauschimmel hat
sie sicher abgeworfen, dachte der ehrliche Junge, und kaum war der Gedanke
in ihm aufgestiegen, so kam auch das tolle Roß in gewaltigen Sätzen den
Berg herabgalloppirt. Dem Armen wurde angst und bange; mit beiden Füßen
warf er sich von der Mähre, sprang dem wilden Rosse entgegen, und dieses,
seinen Meister erkennend, blieb geduldig stehen, bis er es des Sattels
entledigt und sich mit seinem Sprößlinge auf dessen Rücken verpflanzt
hatte.

Und nun trabte er aus Leibeskräften den Berg hinan zum Beistand seiner
Ehehälfte, um die, nach solchem Treiben, ein Anderer keinen Schuß Pulver
mehr gegeben hätte; Toffel war jedoch eine gute deutsche Haut, und so
vergaß er denn alle so eben gethanen Eingriffe in seine angeborenen
Souverainetätsrechte, über Hals und Kopf dem verhängnißvollen Orte
zueilend, wo seine Ehehälfte ihre Lagerstätte aufgeschlagen haben
mußte. Nochmals hörte er ihr gellendes Geschrei; aber es war nicht ihre
gewöhnliche Stimme, es war mehr ein Angstgeschrei. Zum drittenmale ertönte
dieser Angstschrei, und nun brach ihm der Angstschweiß auf der Stirne
hervor, und er ritt auf Tod und Leben im schnellsten Galloppe die Anhöhe
des ersten Bergrückens hinan, von woher die Stimme seines Weibes ertönt
haben mußte; aber keine Spur von Mistreß Bärenhäuter. Er schaute links, er
schaute rechts -- noch immer nichts; er schaute auf die Erde, that dieses
ein zweites Mal, und erblickte mit bangem Entsetzen neben der in Lehm
abgedruckten Form seines Weibes Fußtritte. Er stieg beklommen vom Pferde.
Es waren Menschen da gewesen, das war klar und augenscheinlich; aber was
aus seinem Weibe geworden, das war schwer zu sagen; die Spuren verloren
sich im Walde. Nochmals sah er auf diese Spuren, und entdeckte mit
Schrecken den breiten Mocassintritt der Indianer; die Mocassins[32] waren
deutlich im Lehm zu ersehen. Ein Blick gegen den Wald zu zeigte ihm etwas
Grauschwarzes; es war eine Adlerfeder. Kein Zweifel blieb mehr übrig; seine
unglückliche Jemmy war von den Indianern aufgehoben und entführt.

    [32]: =Mocassins=, die sandalenartige Fußbekleidung der Indianer.

Toffel, sagt unser Dokument, liebte sein Weib aufrichtig, trotz ihres
keifenden, schlimmen Temperamentes; doch alle diese Liebe vermochte nicht,
ihn in Ohnmacht zu bringen, oder auch nur eine Thräne zu vergießen; nein,
da er, obwohl ein Abkömmling des deutschen Zebediah Bärenhäuter, doch auch
zugleich ein Amerikaner war, und glücklicherweise noch den Kirchgang in
seinem Sinne hatte, so trabte er auf Leben und Tod auf die Versammlung zu,
sprang so schnell als er nur konnte von seinem Hengste, trat unter seine im
Meeting versammelten Nachbarn, und eröffnete ihnen ohne weiteres, wie die
Indianer sein Weib auf dem Wege nach der Versammlung aufgehoben und mit
sich fortgeführt hätten, und wie er sie wiederhaben müßte, koste es was es
wolle, und wie sie mit ihm den Rothhäuten nachsetzen, und sie ihnen abjagen
müßten, wenn sie getreue Nachbarn und freie Männer sein wollten; und da sie
dieses auch in dem vollen Sinne des Wortes waren, so sah sich unser Toffel
in wenigen Stunden an der Spitze von fünfzig Jungens, die ihre Stutzer in
der einen Hand, in der andern die Zügel ihrer Gäule, den Raub der neuen
Helena männiglich zu rächen sammt und sonders schwuren.

Während wir es nun unserm Toffel und seiner jagdlustigen Schar überlassen,
den weibersüchtigen Rothhäuten nachzuspüren -- eine Unterhaltung,
im Vorbeigehen sei es gesagt, die in der damaligen Zeit gar nicht
ungewöhnlich, obgleich nichts weniger als spaßhaft war -- wollen wir
den ritterlichern und respectablern Weg einschlagen, und zu unserer Dame
vorwärts eilen, um bei ihren allfällsigen Nöthen zur Hand zu sein.

Jemmy nun, die starrköpfige Jemmy, war ein hundert Schritte vorausgetrabt,
wie wir bereits erwähnt haben. Ein vernünftiges Weib nun würde dies
nimmermehr gethan, sondern sich lieber an die Seite ihres Ehemannes
gehalten haben, besonders eines so guten Ehemannes, wie Toffel unbezweifelt
war, und in so kritischen Zeiten, wo die Wilden noch durch den ganzen
heutigen Staat Ohio und bis zur Gränze Pensylvaniens an das Fort Pitt[33]
heranschwärmten, maßen die Vereinigten Staaten zu eben der Zeit in einem
blutigen Kriege mit ihnen verwickelt waren. Nein, Mistreß Bärenhäuter
sollte bei Leibe nicht auf das Plateau allein galloppirt sein, und
triumphirend auf ihren armen Toffel hinabgeschaut haben, sich hämisch in
ihrem Herzen des Sieges erfreuend, den sie so eben über ihn errungen, dann
würde sie nicht das Rauschen in den Blättern gehört, nicht die schwartigen,
häßlichen Kupfergesichter gesehen haben, die sie und ihren Grauschimmel so
sehr erschreckten, daß letzterer sich bäumte und sie _nolens volens_ aus
dem Steigbügel hob und warf. Zwar schrie sie wacker darauf los, aber es war
zu spät; die Indianer hatten wahrscheinlich schon zu viel gesehen, um sich
durch ihr Schreien die Lust benehmen zu lassen, sie als eine schöne Beute
mit sich zu nehmen. Einer derselben hob sie vom Boden auf, während der
andere ganz höflich sein Skalpirmesser in eine so gefährliche Nachbarschaft
mit ihrem Schwanennacken brachte, das eine Zartfühlendere unfehlbar in
Ohnmacht versetzt haben müßte, ihr so Stillschweigen andeutend. Ein dritter
dieser Herren hatte einen Gaul vorgeführt, auf dessen Rücken sich ein
vierter ohne Mühe schwang, und auf welchen auch sie ohne weitere Umstände
von einem fünften gehoben wurde, der, ihre Hände fassend, sie mit dem
Vorreiter verband. Zwar gab sie diesem einen sanften Rippenstoß, der ihn
bei einem Haare aus dem Sattel gehoben hätte; aber ein vielsagender
Wink mit dem Tomahawk machte sie ruhiger, als sie je gewesen. Mistreß
Bärenhäuter war keine jener empfindsamen Seelen, die schrie, und jammerte,
und winselte, und in Verzweiflung und Ohnmachten fiel; nein, sie war
von stärkerem Stoffe gewebt. Als sie sah, daß kein Toffel kam, und jeder
Widerstand nur vergeblich sein würde, ergab sie sich in ihr Schicksal,
und als ihr Vorreiter das Zeichen zum Aufbruche gab, schlang sie ganz
gemüthlich, um ein echt deutsches Wort zu gebrauchen, ihre Arme fester um
seinen Rücken -- sonst wäre sie ja herabgefallen.

    [33]: =Fort Pitt=, der frühere Name von Pittsburg.

Die ersten Stunden ihres Rittes war sie ziemlich beklommen, allmälig
erlangte sie jedoch ihre frühere Zuversicht und selbst jene Unbeugsamkeit
wieder, die sie in ihrem neunzehnjährigen Leben so sehr ausgezeichnet
hatte. Zwar konnte sie sich nicht enthalten auszurufen: das große Roß! das
große Roß! und dann schienen sich ihre Züge schmerzhaft zu gestalten;
dieß war jedoch nur vorübergehend; immer faltete sich auf solche
Gewissensregungen ihre Stirn düsterer, ihr Näschen krümmte sich, oder
warf sich nach Umständen auch auf; ihre Fäuste ballten sich, und bald
erschracken die Indianer vor ihr eben so sehr, wie vor ihnen ihr Eheherr
Toffel. Sie glaubten nichts weniger, als daß sie vom Bösen besessen sei,
und hatten wirklich eine Scheu vor ihr, die diesen Wilden recht sonderbar
ließ. Besonders hatte sie ihrem Vorreiter eine Ehrfurcht eingeflößt,
die seine Gefährten oft befürchten ließ, er sei verhext. Die Wahrheit zu
gestehen, sie war ein hübsches Weibchen, und obwohl ihre Toilette durch die
Tour vom obern Ohio zu den Quellen des Miami in einige Unordnung gerathen
war, was sehr begreiflich ist, da die Straße von Pittsburg nach Columbus
noch nicht fahrbar, und die Gesellschaft daher nicht mit der Post reisen
konnte, es sich deshalb gefallen lassen mußte, incognito, nämlich durch
Sümpfe, Wälder, Disteln und Dornen zu passiren, die alle einen Theil der
Calico- und Seidengarderobe Jemmy's in Anspruch nahmen. Ungeachtet dieses
kleinen Derangements konnte Mistreß Bärenhäuter nach ihrem Eintreffen in
dem Miami-Hauptquartier noch immer mit Recht ihren Anspruch als Führerin
des _bon-ton_ unter den Schönen der Rothhäute geltend machen. Und wirklich,
so trefflich hatte sie ihre Entführer zu menagiren gewußt, daß Tomahawk,
ihr Oberhaupt, weit entfernt, skalpirende Gedanken zu hegen, sie
geradezu unter den Schutz seiner Mutter als Ehrendame stellte. Diese
Ehrendamenschaft nun dürfte allerdings nicht zu verachten gewesen sein,
wenn der Sohn Ihrer Hoheit der Prinzessin Mutter, der sie als Palastdame
beigegeben war, etwas zu beherrschen gehabt hätte, das der Mühe werth
gewesen wäre, sage ein dreißig oder vierzig Millionen loyaler
Unterthanen, oder wenigstens eine oder zwei; aber so war der Herrscher der
Shawneese[34], der ältere Bruder Tomahawks, bloß eine kleine Espece von
Souverain, und der Einfluß der _Madame la mère_ erstreckte sich daher nur
über einige hundert Geviertmeilen. Immerhin würde auch dieß nicht so
uneben gewesen sein, denn es ist hinlänglich erwiesen, daß ein paarhundert
Quadratmeilen, und selbst viel weniger noch, vollkommen ausreichen, einen
Legitimen in vollkommenem Glanze zu erhalten, vorausgesetzt, daß die
Leute so aufgeklärt und civilisirt seien, ihre Aecker für die Hoheit zu
bearbeiten, und in loyaler Ergebung am Hungertuche zu nagen. Aber hier
steckte nun der Haken: die Subjekte des indischen Herrschers waren
uncivilisirte Wilde, die in ihrer Dummheit weder einen Begriff von dem
göttlichen Rechte ihres Herrschers, noch ihrer Unterthanenpflichten hatten,
das heißt: für ihn nicht arbeiten wollten, sagend, er könnte dieses selbst
thun, maßen er Hände, wie sie selbst, vom großen Geiste dazu empfangen
hätte, und daß er selbe rühren könnte, wenn er wollte, und es bleiben
lassen -- mit andern Worten: verhungern könnte, wenn er nicht wollte. Und,
fügten diese unaufgeklärten Menschen hinzu, wenn er verhungerte, so könnten
sie leicht einen andern Legitimaten vom Osten herüber haben, wo es ihrer
erklecklich gäbe, so daß alle rothen Stämme leicht damit versorgt werden
könnten.

    [34]: =Shawneese=, Indianer, hatten ihren Sitz am großen Miami;
    gegenwärtig sind bloß noch einige Familien daselbst, der Rest hat
    sich über den Missisippi zurückgezogen.

Bei einem solchen Raisonniren unraisonnabler Menschen sehen unsere geehrten
Leser wohl ein, daß Mistreß Bärenhäuter, trotz ihrer ehrenvollen Anstellung
bei _Madame la mère_ nicht viel zum voraus hatte. Immerhin war es jedoch
tröstlich für sie, daß die Prinzessin Mutter und ihr Herr Sohn sehr
herablassend, ja huldreich gegen sie gestimmt, und, was mehr sagen will, so
populär bei ihren Subjekten waren. Zwar gab es eine Aussicht, und das
eine glänzende dazu: Tomahawk nämlich, ihr Entführer, war noch jung
und unverehelicht, und für einen indianischen Häuptling gar nicht übel
anzuschauen; aber dann war ja sie verheirathet, und selbst wenn sie es
nicht gewesen wäre, wie konnte sie sich es einfallen lassen, sich so hoch
zu versteigen? Zwar hatte sie ein Beispiel an einem noch Höhergeborenen,
der sich zu einer schlichten Republikanerin herabgelassen, und noch dazu
den Korb erhalten hatte; aber das war in Baltimore, und hier war sie mitten
unter den Wilden. Jammern und Wehklagen aber, das sah sie wohl ein, würden
das Uebel nur ärger gemacht, und wahrscheinlich irgend einen zartfühlenden
Wilden bewogen haben, ihr mitleidig das Messer in die Brust zu stoßen, und
dieß wollte sie doch auch nicht. Trotz und Unbeugsamkeit ließen sich noch
weniger in Anwendung bringen; die Wilden waren keine Toffel. Zudem lag
in ihrer Situation etwas so Besonderes, ihre irischen Nerven so lebhaft
Kitzelndes, das nicht fehlen konnte, ihre Lebensgeister aufzuregen und
anzuspornen, und so ihre Gedanken von ihrer unangenehmen Lage ab-, und
auf Verbesserung derselben zuzulenken; nicht, als ob sie sich tiefen
Meditationen überlassen und zur Philosophin geworden wäre, die, von
Prinzipien ausgehend, _a priori_ sich über ihr Mißgeschick getröstet hätte;
nein, es war natürlicher Trieb der Selbsterhaltung, der sie zwang, sich in
ihre Lage zu finden, und bald fand sie sich ganz gut darein. Sie hatte
ein treffliches Mittel, das beste in einem ähnlichen Falle, nämlich
Beschäftigung. Glücklicherweise war sie an diese gewohnt, da ihr Toffel
wenig Zeit gelassen hatte, Romane zu lesen, oder die _quarterlies_ zu
studiren, und sie wartete nur auf Gelegenheit, ihre Regsamkeit an den Tag
zu legen. Diese blieb natürlich nicht lange aus, und bald hatte ihr offenes
Köpfchen es heraus, sich nicht nur mit Grazie die lange Weile vom Halse
zu schaffen, sondern sich auch den Unterthanen des indianischen Herrschers
wichtig zu machen. Besagte Unterthanen waren nämlich, gleich so manchen
andern Unterthanen, jämmerlich unwissend, so unwissend, daß unsere Mistreß
Bärenhäuter etwas choquirt darüber war. Aber es kam nun darauf an,
aus dieser Unwissenheit Vortheil zu ziehen, und sie säumte nicht die
Gelegenheit zu ergreifen. Mit einer Miene, in der ein Zug von Spott und
Keckheit, so wie natürlicher Ueberlegenheit nicht zu verkennen war, ergriff
sie den nächsten Morgen nach ihrer Ankunft den mit Wildpret gefüllten
Kessel, und bereitete ungeheißen und ohne alle andern Beistand das Mahl
selbst. Die Indianer kreuzten ihre Schenkel um den Kessel. »_Whoo!_ rief
der Häuptling, was haben wir da?« Sein Lebelang hatte er kein so köstliches
_déjeûner à la fourchette_, würden wir sagen, gegessen, wären Gabeln
vorhanden gewesen. Die Mutter deutete schweigend auf die Ehrendame, die zur
Belohnung eine Rippe erhielt; Jemmy sah so stolz darein, als ob sie auf
dem großen Rosse gesessen wäre. Nicht lange, so brachen die Wilden zu einem
neuen Kriegszug auf; in vierzehn Tagen waren sie wieder zurück, mit aller
möglichen Beute beladen: Weiberröcken und Röckchen, Spencers, Hüten und
Hauben, Schnürbrüsten und Leibchen. Dem Bruder des Häuptlings, unserm
Tomahawk, war eine ganze Familiengarderobe als sein Antheil anheimgefallen;
den Morgen nach seiner Rückkehr erschien er in einer Robe von _linsey
woolsey_ rother Farbe, mit grünseidenem Hute, und darüber ein Häubchen
einer Wöchnerin; der Häuptling selbst, etwas kleinerer Gestalt, in einem
Röckchen _à l'enfant_, mit pappelgrünem Spencer und einem Capuchon
aus _Louis-Quinze_ Zeiten. Jemmy hatte kaum ihre Augen auf ihre
metamorphosirten Gebieter geworfen, als sie den Squaws winkte, ihr in den
Wald zu folgen. Sie war noch nicht weit gegangen, als sie einen Ueberfluß
wilder Hanfstauden fand, mit denen sie ihre Gefährtinnen belud und nach
Hause zurückkehrte. Die Weiber mußten nun Hanf brechen; dann wurden sie
im Spinnen unterrichtet, und in wenigen Wochen waren die Weiberröcke in
Jagdröcke verwandelt, verziert mit Calico- und Seidenbändern. Ein paar
Wochen später brachen die Männer neuerdings zu einem Zuge auf, auf welchem
der ältere Bruder getödtet, und Tomahawk verwundet wurde. Jemmy legte,
gleich andern loyalen Unterthanen, Trauer an, verband die Wunden des
Uebergebliebenen, und als der junge Häuptling hergestellt war, präsentirte
sie ihm einen neuen Anzug, den sie während seines Krankenlagers für
ihn verfertigt hatte. Sie that dieses mit so vieler Grazie, meinte der
Indianer, daß er von selbiger Stunde ihr Verehrer und getreuer Paladin
ward. Als er sich den nächsten Morgen angekleidet, versichert unser
Dokument, fühlte er sich so angenehm überrascht, daß er zum erstenmale jene
ihm zur Gewohnheit gewordene Ehrfurcht auf die Seite setzte, die ihn bisher
abgehalten hatte, sich Mistreß Bärenhäuter etwas deutlicher zu erklären. Er
machte ihr seine Aufwartung. Die ganze Residenz war in Aufruhr; die rothen
Damen waren in Verzweiflung. Ein solcher Staat, das ahnten sie wohl, war
nicht ihrerwegen producirt; es galt der stolzen Amerikanerin, die natürlich
solchem Glanze nicht widerstehen konnte. Und wirklich, weder London, noch
Paris, noch Newyork konnten sich je rühmen, eine solche Verschwendung
von Herrlichkeiten in einer Person geschaut zu haben, als Tomahawk seiner
Getreuen an diesem Tage vor Augen zu legen geruhte. Aber er war auch volle
drei Stunden gesessen, seine Schenkel kreuzweis in einander geflochten,
seinen Taschenspiegel in der linken Hand, und mit freudeblitzenden Augen
seine unwiderstehlichen Reize betrachtend. Drei breite Silberspangen
umzirkelten kunstvoll seine Nase, von der noch obendrein ein spanischer
Dollar herabhing; zwei andere hingen in jedem Ohrläppchen, mit einem
sechsten war pfiffiglich die Unterlippe verziert; sein Haar strotzte
von zahllosen gefärbten Stachelschweinfedern, und vom Scheitelbüschel
flatterten drei Buffaloeschwänze; ein Halsband von nicht weniger als
fünfzig Alligatorszähnen umwand seinen Nacken, eine Trophäe, die er von
den Chikasaws erbeutet, und darüber war ein kleinerer von ungemein großen
Glasperlen mit Chinabeeren sichtbar. Die unteren Theile seines Körpers
waren eben so wenig vergessen: seine Schenkel waren bis zu den Knöcheln mit
runden Stücken von Erz und Blech und Schellen ausstaffirt, die bei jedem
Schritte eine gewaltige Musik machten. Seine übrige Toilette bestand in
einem englischen dreieckigten Hute, einer amerikanischen Soldatenjacke,
roth aufgeschlagen, und dem oberwähnten Calico-Jagdhemde. Als er, im
Gefühle seiner Vollkommenheiten, sich der Residenz seiner Mutter näherte,
hob er seine Füße hoch und tanzte zweimal im Kreise herum, um seine Ohren
an der selbstgeschaffenen Musik zu laben; nochmals übersah er, vor der Thür
angelangt, im Taschenspiegel seine Person von Kopf zu den Füßen, und dann
trat er ein.

Wir sind leider ganz im Dunkeln über den Erfolg so vieler
Kraftanstrengungen; nur so viel ist notorisch geworden, daß der hohe
Bewerber die Residenz seiner Mama weit weniger zufrieden mit sich selbst
verließ, als er dieses bei seinem Eintritte gewesen. Unsere Autorität fügt
bei dieser Gelegenheit hinzu, daß Jemmy seit jener Stunde eine eben so
vollkommene Herrschaft über den indianischen Regenten genoß, als sie je in
Bezug auf Toffel in Ausübung brachte; auch soll sie diese Oberherrlichkeit
gar nicht lange schlummern gelassen haben, wozu sie wahrscheinlich
ihre Ursachen gehabt haben mochte, maßen sie manchen ziemlich starken
Versuchungen zu widerstehen hatte. Aber, fügt unser Dokument hinzu, sie
widerstand heroisch; wie konnte sie auch anders? sie, deren Sinn nach
einer so ganz verschiedenen Richtung zielte. Ja, ihr Blick war wirklich
unverrückt zur aufgehenden Sonne gerichtet, in die Weltgegend, wo ihr
lieber Toffel hauste; sie hatte ihre Gefangenschaft mit heldenmüthiger,
wahrhaft irischer Standhaftigkeit volle fünf Jahre ertragen; nunmehr
jedoch begann sie jeden Tag mehr und mehr das Bittere ihrer Lage zu fühlen.
Während der ersten zwölf Monden war sie so ziemlich durch die Neuheit
ihrer Situation rege erhalten worden, Vieles hatte auch der Stimulus
der Selbsterhaltung beigetragen; in den folgenden Jahren fühlte sie
sich vielleicht ein bischen durch die Aufmerksamkeiten des Indianers
geschmeichelt; aber mit einem Wilden zu kokettiren, war doch nur ein
armseliger Zeitvertreib, und konnte unmöglich für die Länge dauern. So
erwachte denn ihre Sehnsucht nach der Heimath mit jedem Tage stärker und
stärker. Auf eine Flucht im ersten Jahre zu denken, wäre Wahnsinn gewesen;
man hatte sie mit Argusaugen während des Sommers bewacht, denn ihre
Geschicklichkeit in Allem machte sie den Wilden unentbehrlich; und im
Winter zu entfliehen: wo sollte sie Lebensmittel, wo ein Lager finden?
Ihre Hieherreise hatte zwanzig Tage gedauert: sie mußte in einer ungeheuern
Entfernung von Hause sein, und im Falle auch nur das mindeste von ihrem
Vorhaben offenbar geworden wäre, wahrlich, ihr Loos wäre schrecklich
ausgefallen.

Endlich im fünften Sommer nach ihrer Entführung bot sich die erwünschte
Gelegenheit dar. Die Männer waren zur Herbstjagd aufgebrochen, ihre Weiber
begleiteten sie; bloß die Alten und Schwächlichen waren zurückgeblieben.
Fünf Jahre scheinbarer Zufriedenheit hatten das Mißtrauen der Wilden
eingeschüchtert, und ihre Wachsamkeit gemindert. Die Bevölkerung, hatte sie
gehört, war während dieser Zeit stark näher gerückt; sie hoffte, wenn auch
nicht die erste, doch gewiß die zweite Woche auf Landsleute zu stoßen. Sie
entschloß sich zur Flucht, und führte ihren Entschluß auch unverzüglich
aus. Ein Bündel mit Lebensmitteln war Alles, was sie mitnahm; sie hatte
lange vierhundert Meilen vom großen Miami zu dem obern Ohio, aber ihre
Seele war dem Riesenunternehmen gewachsen. Sie liebte ihren Toffel; sie
liebte ihn nun mehr, als jemals, den geduldigen, ausdauernden, und doch so
vernünftigen Jungen. Sie hatte unglaubliche Mühseligkeiten auszustehen; war
nahe daran, in den Sümpfen bei Franklin zu ersticken, in großer Gefahr, im
Sciota zu ertrinken, und mehrere Tage in der Wildniß zwischen Columbus
und New-Lancaster[35] verirrt, und nahe daran, von Panthern und Bären
aufgefressen zu werden; aber sie überwand glücklich Sümpfe, Flüsse und
Wildniß. Die ersten fünf Tage lebte sie von ihrem mitgenommenen Vorrath von
gedörrtem Wildpret, dann ließ sie sich Papaws, Kastanien und wilde Trauben
schmecken, und kehrte endlich, nach unseligen Leiden, am zehnten Tage
zum erstenmale in einem Blockhause ein. Doch auch da verließ sie ihr
unbezwingbarer irischer Geist nicht, und sie trat vor die Hinterwäldler
mit eben der freien Stirne, als ob sie an der Spitze der Shawneese gekommen
wäre, verlangte Lebensmittel in eben dem festen und zuversichtlichen Tone,
als ob Haus und Hof ihr eigen gewesen wären. Und die Hinterwäldler, diese
derbe Race? Je nun, so wenig sie gewohnt sein mochten, sich auf diese Weise
begrüßt zu sehen, die Art war neu: sie starrten, wie leicht zu erachten;
doch gaben sie, was sie hatten, und, was das Merkwürdigste an der ganzen
Geschichte ist, sie gaben, ohne zu fragen. Wer nun weiß, daß dieser unser
souveraine Staat Ohio durch den Stamm der Yankees bevölkert ist, wird dieß
kaum glauben können, und wir selbst würden Mühe haben, hätten wir nicht
schwarz auf weiß vor unsern Augen.

    [35]: =Columbus, New-Lancaster=, ersteres die Hauptstadt von Ohio,
    letzteres eine Countystadt.

Nach einer langen, müden Fahrt von vollen vier Wochen kam unsere liebe
Jemmy endlich in die Nähe des Ohio, und die lieblichen Bergesrücken, die
ihre glückliche Heimath bargen, traten allmälig aus dem blauen Dunkel
hervor. Sie verdoppelte ihre Schritte, sie langte auf den ersten Hügeln
an. Zum erstenmale in ihrem Leben schlug ihr Herz lauter; sie konnte nicht
vorwärts; sie setzte sich, über die Vergangenheit nachzudenken; das große
Roß kam ihr in den Sinn. »Das unglückliche große Roß,« murmelte sie, die
Faust ballend, und auf sprang sie, und fort lief sie, als wollte sie es dem
Unheilbringer entgelten lassen. Nun war sie auf dem Vorsprunge angelangt,
wo sie vor fünf Jahren abgesattelt und zur Gefangenen gemacht worden war.
»Das verwünschte große Roß!« wisperte sie nochmals, und dann rannte sie die
Schlangenwindungen hinab. Da lag er nun vor ihr, der prachtvolle Ohiostrom,
sich in zwei ungeheuern Streifen fortbewegend: die Gewässer des Alleghany,
klar und krystallen, gleich dem Bergquelle, und die des Monongehala,
trüb und schlammig, gleich einem mürrischen Ehemanne, dem ein zartes und
munteres Weib angefesselt ist. Nun stand sie an der letzten sanften Anhöhe,
von wo aus sie die ganze Herrlichkeit übersehen konnte, die sie als Herrin
erkannte; da lag die prächtige Thalweite, der üppigste aller Bottoms,
auf zwei Seiten von dem Vorgebirge eingeschlossen; da stand die steinerne
Scheune: das Dach und die Jalousien waren frisch angestrichen. Ihre Augen
funkelten vor Freude; Toffel war noch immer der gute, getreue, treuherzige
Hauswirth. Dorthin erstreckte sich der alte Obstgarten, beinahe unter der
Last von Aepfeln und Birnen zusammenbrechend; auf der andern Seite lag
der neuangelegte; auch dieser bog sich unter den Früchten, und doch war es
nicht länger als sechs Jahre, daß ihn Toffel gepflanzt hatte. Sie selbst
hatte mitgeholfen im Frühjahre nach ihrer Verehelichung, -- Himmel, welch
eine lange Zeit! Sie schaute, sie traute kaum mehr ihren Augen, sie schaute
wieder, -- Gott! es war keine Täuschung, es war Toffel, ihr lieber Toffel,
der just aus dem Hause kam; hinter ihm her ein kleiner flachshaariger
Schelm, der sich fest an seinen Rockschoß anhielt. Ja, in seinen ledernen
Inexpressibles, blauen Strümpfen mit rothen Zwickeln, und Schuhen und
Schnallen von so erklecklicher Größe, daß sie sie von ihrem Observatorium
aus wahrnehmen konnte; -- sie vermochte es nicht länger auszuhalten, ihr
Herz war zu voll; aber zugleich erwachte auch ihr ganzes Selbstgefühl, das
Bewußtsein der schlummernden Autorität kehrte zurück. Nein, ein weibisch
furchtsames, zagendes Wesen durfte sie ihren Mann nicht merken lassen; er
würde sie als ausgeartet betrachtet haben. Festen Schrittes trat sie von
der Anhöhe herab, ging den Weg hinab, schritt durch die eingezäunte Gasse,
die Wiese, eilte durch den Gemüsegarten, und stand mit einemmale vor --
Toffel.

»Alle guten Geister loben Gott den Herrn!« rief dieser, in der Angst seines
Herzens die legale Formel gebrauchend, mittelst welcher ehrsame Deutsche
von undenklichen Zeiten her die zahllosen Gespenster, Hexen, Nixen und
Elfen, und alle die Wesen bannen, mit denen sie, oder vielmehr ihre
Gehirne, von Alters her geplagt sind.

Und wirklich können wir es dem guten Toffel nicht ganz so übel deuten, wenn
ihm der Blocksberg einfiel. Fünf Jahre Abwesenheit und Aufenthalt unter
den wilden Freibeutern hatten mit der heillosen Reise eben nicht sehr
beigetragen, ihre Gestalt in die Schönheitslinie abzurunden, oder ihrem
Anzuge einen besondern Reiz zu verleihen. Selbst er, der allerunmodischste
unter seinen Nachbarn, konnte es kaum begreifen, wie dieß seine Jemmy, die
Führerin des guten Geschmacks in Allem, sein könne. Das Plötzliche ihres
Erscheinens nun gab ihrer etwas fleischlosen Form einen so über- oder
unterirdischen Ausdruck, daß wir uns gar nicht wundern, wenn Toffels
vier Gehirnkammern plötzlich in Aufruhr geriethen, und ihm der Blocksberg
einfiel, von dem ihm sein seliger Vater so oft erzählt hatte. Jemima,
schien es, fühlte sich nicht absonderlich bei diesem Stutzen, Staunen,
Ausrufungen und Schrecken geschmeichelt, und bemerkte in einem Tone so
sanft, wie es ihr nur immer möglich war: Wohl, Toffel, bist du verrückt?
Kennst du mich nicht mehr? mich, deine Jemmy?

Toffel öffnete seine Augen so weit er konnte, und allmälig, als er die
krumme Nase, das funkelnde Auge, das unverhohlen keck, wie immer, blitzte,
und nur ganz wenig ins Grüne zu schillern schien, als er, sagt unser
Dokument, diese Merkmale so deutlich wieder sah, dann, und erst dann fing
er zu glauben an. Schließlich machte er auch die Erfahrung, daß sie noch
immer aus Fleisch und Beinen bestand, und nun wurde seine Freude wirklich
groß, denn auch er hatte sie von Herzen geliebt. Er umhalste sie, drückte
einen Buß auf ihre Wangen, umhalste sie wieder, und vergoß selbst zwei
Freudenthränen, eine in jedem Auge. Jemmy nun war nicht weniger gerührt;
sie liebte wie wir bereits erwähnt, ihren Mann, trotz ihres irischen
Temperamentes; ihr gesunder Menschenverstand ließ sie auch begreifen, daß
Toffel allerdings einige Ursache hatte, mit ihr nicht ganz so zufrieden zu
sein, da sein häusliches Glück durch ihren Trotz so sehr erschüttert
worden war. Sie war daher selbst ein wenig überrascht, als er sie nun so
plötzlich, so unerwartet gleichsam mit Liebkosungen überschüttete. Eine
Zeitlang ertrug sie diese auch mit wahrer christlicher Geduld, so wenig sie
sonst an derlei unfruktuösen Zärtlichkeitsverschwendungen Gefallen fand, da
sie denn doch mehr das Reelle liebte.

Mein Gott! rief er aus, mein Schatz! -- er hatte sein Englisch, wie es
schien, beinahe rein vergessen -- und wieder schlang er seine langen Arme
um sie herum.

Jemmy nun war wirklich herzensfroh, ihren Toffel in so excellenter Laune zu
sehen. Doch zuviel ist ungesund, sagt das Sprichwort, und unserer Jemmy
war es, allem Anscheine nach, ziemlich zuviel; ihr schien Toffel in seinen
Liebkosungen unerschöpflich zu sein, so daß sie bereits die Geduld zu
verlieren, und sich nach Toffel dem jüngern zu sehnen begann, auch zu
wissen verlangte, wie es mit dem Hauswesen stünde; und indem sie sich
sothanermaßen äußerte, wand sie sich von ihm los, und schritt auf die
Hausthüre zu. Toffel fing sie bei einem ihrer Rockschöße, und vertrat ihr
den Weg.

Mein Schatz, sprach er, warte noch ein wenig, bis ich dir gesagt habe -- --

Gesagt habe? fiel sie ungeduldig ein, was giebt's da zu sagen? Ich will
meinen Buben sehen und wie du gewirthschaftet hast; ich hoffe, Alles ist in
Ordnung, wo nicht, so -- --

Ihr Auge fiel prüfend auf den armen Toffel, dem nichts weniger als wohl zu
sein schien.

Mein Herz! fuhr er fort, meine Frau! Habe nur ein klein wenig Geduld.

Ich will keine Geduld haben, versetzte sie. Warum willst du nicht ins Haus?
Und mit diesen Worten schritt sie näher der Thüre zu. Toffel, in äußerster
Verwirrung, vertrat ihr nochmals den Weg, ihre beiden Hände erfassend.

Nun, bei Jasus[36] und allen Gewalten! schrie sie erstaunt über ein so
sonderbares Benehmen. Beinahe sollte ich glauben, es sei nicht Alles
richtig, und du sähest mich nicht gerne.

    [36]: =_By Jasus!_= Bei Jesus! eine irische Betheurung.

Dich nicht gerne sehen, mein Herz, mein Schatz? Ja, ja, du sollst wieder
meine Frau sein, versetzte der gute Junge.

Wieder deine Frau sein? Wieder deine Frau sein? wiederholte sie, und
ihre Augen blitzten und ihr Näschen krümmte sich. Wieder seine Frau sein!
murmelte sie, und riß sich mit Gewalt von ihm los, rannte die Stiegen
hinan, stürzte auf die Thüre los, hob die Klinke, öffnete, und erblickte
-- erblickte, sich auf einem Armsessel wiegend, Dorothea Heumacher, die
hübscheste Blondine der ganzen Niederlassung, weiland ihre Rivalin, und nun
die glückliche Usurpatorin ihrer ehelichen Gerechtsame.

Der eingefleischteste Legitimat, den je die Gnade Gottes, oder, was
dasselbe ist, die Bajonette seiner Herren Gebrüder, in sein verlorenes
Dominium wieder einsetzten, kann unmöglich mit größerer Verachtung
und Abscheu auf die plebejischen Eindringlinge herabblicken, die sein
göttliches Recht usurpirt haben, als unsere _de jure_ Mistreß Bärenhäuter
auf die _de facto_ that, und, das Maß der Unbilden zu füllen, so war
diese Usurpatorin eine Deutsche! -- Es würde eine psychologischere Feder
erfordern, als die, so unser Dokument geschrieben, die Symptome der
verschiedenen Leidenschaften auch nur oberflächlich anzudeuten, die auf dem
Gesichte unserer Heldin so stark hervorbrachen. Hohn, Wuth, Rache waren die
geringsten; ihre Augen sprühten so fürchterlich, daß es, eine Yankeephrase
zu gebrauchen, in der Stube zu rauchen anfing; ihre Fäuste ballten sich,
ihre Zähne knirschten, und, gleich der Katze, die ihr Territorium von dem
Erzfeinde ihres Geschlechtes besetzt und eingenommen sieht, schickte sie
sich an, auf diesen Feind loszustürzen; was bei dem Umstande, daß sie seit
einem Monate ihre Nägel nicht beschnitten, leicht sehr bedenkliche Folgen
für die holden Gesichtszüge der besagten Dorothea Heumacher hätte haben
können.

Toffel gewahrte mit gerechtem Entsetzen die schrecklichen Symptome, und
warf sich in ganzer Länge und Breite zwischen die beiden kriegführenden
Mächte. Der Schrecken hatte ihm plötzlich wieder sein Englisch gegeben:
_Bray!_ rief er, _dont fighd wid each oder!_ (~Pray dont fight with each
other!~)[37]

    [37]: Um's Himmelswillen, balgt euch nicht!

Und wirklich, die Vermittlung war nicht überflüssig, und immer blieb es
noch unentschieden, ob sie auch angenommen werden würde. Aber gerade als
Jemmy auf ihre Gegnerin heranrückte, oder vielmehr stürzte, öffnete sich
die Thür, und herein zappelte der junge Toffel mit einer ganzen Schar
junger Bärenhäuter. Fünf Jahre waren verflossen, seit sie ihren Buben in
ihren Armen gehabt: Hader, Streit und Feindin vergessend, sprang sie auf
ihr Kind los, um es in ihre Arme zu fassen. Der Bube erschrak, schrie laut
auf, riß sich mit Gewalt von ihr los, und rannte zu seiner Stiefmutter.
Die arme Jemmy stand, als ob ein Zuber kalten Wassers über sie ausgegossen
worden wäre; Wuth und Rache waren vergessen, namenloser Schmerz erfaßte
sie; ihre Kraft verließ, sie; sie taumelte der Thüre zu, faßte zitternd
die Klinke, und war im Begriffe zu sinken. Das arme Weib litt nun wirklich
schrecklich; sie war ein Fremdling ihrem eigenen Kinde geworden, ein
Fremdling in ihrem Hause, in der ganzen weiten Welt. Es dauerte eine
geraume Zeit, ehe sie sich erholte; endlich jedoch erholte sie sich.
Seelen, wie die ihrige, sind nicht leicht gebeugt. »Wie geht es dem Vater?«
fragte sie kurz.

Todt, erwiederte Toffel.

Und der Mutter?

Todt, war dieselbe Antwort.

Und den Schwestern und Brüdern?

Sind zerstreut in der weiten Welt.

So sind sie denn alle hin! murmelte sie mit kaum hörbarer Stimme.

Ich habe, sprach Toffel leiser, ein ganzes langes Jahr auf dich gewartet,
und dich in allen Zeitungen, deutschen und englischen, auskündigen lassen,
und als du nicht kamst, setzte er noch leiser hinzu, so nahm ich Dora.

So behalte sie, erwiederte Jemmy mit fester Stimme und einem
unbeschreiblichen Blick der tiefsten Verachtung; dann lief sie nochmals auf
ihren Buben los, faßte ihn, trotz alles Sträubens, und küßte ihn heftig.
Und nun, sprach sie zu ihrer Rivalin gewendet, wenn du es je wagst, diesem
meinem Buben etwas zu Leide zu thun, oder deinen deutschen Rachen auf
seinen Mund zu legen, so -- --

Mit diesen Worten, die wir ihrer Zierlichkeit wegen zum Theil mit
Stillschweigen zu übergehen für gut finden, öffnete sie die Thüre.

Halt! halt! um Gotteswillen, halt! rief Toffel mit einer Stimme, die
genugsam bewies, daß er beinahe so viel gelitten habe, wie seine
weiland Frau. Er hatte sie immer, trotz ihres bissig starren,
zänkisch-herrschsüchtigen Wesens geliebt, herzlich geliebt, ja vielleicht
aus eben dieser Ursache geliebt, da sie zur Würze seines Lebens, zum ewigen
Stachel seiner phlegmatischen Deutschheit so trefflich geeignet war. Oft
hatte er an Jemmy zurückgedacht; denn die Willigkeit der gutmüthigen,
phlegmatischen Dora hatte sein träges Vegetiren nur noch träger gemacht; er
war nun einmal ein Deutscher, die bekanntermaßen nie glücklicher sind, als
wenn sie wie die Schafe geschoren und wie die Hunde getreten werden. Oft
würde er einen blaugewirkten Strumpf, und selbst zwei gegeben haben, wenn
er sich dadurch hätte einen sanften Rippenstoß von Jemmy erwerben können.
Wirklich hatte er auch keine Mühe gespart; war der Spur der Indianer
mehrere hundert Meilen nachgejagt, hatte sie auch bereits mit seinen
Nachbarn erjagt, aber es zeigte sich ungeschickter Weise, daß es nicht
Indianer, sondern Yankee-Uebersiedler waren. Auch auf Zeitungsankündigungen
hatte er so manchen Dollar verwendet; unglücklicherweise zirkulirten diese
jedoch im Osten, während Jemmy im Westen als Ehrendame figurirte, und
noch unglücklicher hielt Herr Caspar Ledermaul nach einem Jahre solchen
Cirkulirens und Wartens eine gewichtige Rede über den schönen Text: _Melius
est nubere quam uri_, einen Text, den er gar zierlich und erbaulich ins
Deutsche verdeutschte. Toffel hatte bereits lange über dieses nämliche
Thema nachgedacht, als ihm so auf einmal die Augen geöffnet wurden; und so
ergab er sich denn in sein Geschick, und nahm ein Weib, und zwar ein gutes
Weib, ein liebes Weib; aber die Hauptsache für unsern Deutschen, die Würze,
die Kniffe, die Tritte, das Scheeren fehlte.

So war nun die Lage unsers Toffels beschaffen, des Mannes zweier Weiber,
zwischen denen er nun gewaltig zu schwanken schien. Zu der einen zog ihn
Achtung, Gewohnheit, Neigung, zur andern ein gewisser Kitzel, oder vielmehr
das Bedürfniß, gekitzelt zu werden. Zuletzt rief er aus: Halt! ich bitte
dich; wir wollen zum Squire gehen, und was der und Pfarrer Ledermaul sagen,
das wollen wir thun, und wie es immer ausfalle, ich will dir sechshundert
Silberdollars und mein schönstes großes Roß geben. Laß uns hören, was das
Gesetz Gottes und des Menschen sagt.

Auch darin bewies sich Toffel als ein ehrlicher, guter Deutscher, der
nie selbst dachte und handelte, sondern diese Mühe der göttlichen und
menschlichen Obrigkeit, wie er meinte, auf die Schultern zu laden für's
Beste erachtete.

Jemmy nun zuckte, das Gesetz, oder vielmehr das, was aus der Auslegung
des Gesetzes folgt, ein Prozeß, war Musik für ihre Ohren, so wie es die
lieblichste Musik für Irinnen ist. Sie hielt inne; vielleicht möchte sie
sich auch wirklich haben erweichen lassen, aber in diesem entscheidenden
Augenblicke kam ihre Rivalin, die sich in die Nebenstube retirirt hatte,
wieder in Vorschein, ihr jüngstes Kind im Arme und zwei gewichtige Strümpfe
in der Hand haltend.

Nimm sie, sprach das gute Weib, wir haben noch sechs übrig, wir haben
Ueberfluß. Nimm sie, und Jeremias Hawthorn ist noch ledig; sei glücklich,
gute Jemmy.

Die sanfte, beinahe demüthig bittende Dora war wirklich rührend
anzuschauen, als sie, Thränen im Auge, die halbwilde Irin anflehte, ihre
sechshundert Silberdollars anzunehmen. Jedes andere Herz mußte erweichen,
ausgenommen das, an welches die Bitte gerichtet war; die Erscheinung
der Glücklichen schien sie in frische Wuth zu versetzen. Einen Blick der
tiefsten Verachtung ihr zuwerfend, trat sie an Toffel heran, schüttelte ihm
die Hand, bot ihm ein Lebewohl, und verließ die Stube.

Renn', lauf', lieber Toffel, was du kannst! bat, beschwor ihn Dora. Lauf',
um's Himmelswillen! sie möchte sich sonst ein Leid anthun.

Toffel war seiner selbst unbewußt da gestanden; es war, als ob das
Ganze ihm ein Traum gewesen; die Stimme seines Weibes rief ihn in die
Wirklichkeit zurück. »Denk nur, Toffel!« bat sie nochmals, ihre Hände
faltend. Und Toffel lief aus Leibeskräften der Armen nach; sie war jedoch
schon weit vorausgeeilt. Seine langen Schritte verdoppelnd, hatte er sie
beinahe eingeholt, als sie sich umwandte, und ihm befahl, umzukehren. Einem
kräftig ausgesprochenen Befehle kann ein deutsches Blut nie widerstehen,
und so kehrte denn Toffel um, und ging zu seinem Weibe. Einige Minuten
starrte er ihr noch nach, bis sie in den Windungen des Berges verschwunden
war, und dann schüttelte er seinen Kopf und dachte -- was? können wir
unmöglich sagen.

Jemmy lief nun wie ein gescheutes Reh den Berg hinan; wieder war sie
auf dem fatalen Vorsprunge angekommen, wo ihr irdisches Glück einen so
schrecklichen Stoß, sie konnte es sich nicht verhehlen, durch ihre eigene
Schuld erlitten. Noch einmal überblickte sie ihre vorige friedlich-ruhige
Heimath; da lag sie mit Allem, was ihr werth und theuer war: das
substantielle Wohnhaus mit seinen beiden Toffeln; dort weideten ihre Kühe
und Kälber, und ein halbes Dutzend der größten Rosse, die sie je gesehen;
da stand die Ciderpresse; -- und Allem, Allem sollte sie nun entsagen:
ihrer Butter und ihrem Käse, ihrer Wohnung und ihrem Throne. Der Gedanke
schnitt in's Innerste ihres Herzens; sie weinte bitterlich. Allein stand
sie da, verlassen auf der weiten Gotteswelt; Vater und Mutter todt, Brüder
und Schwestern in der weiten Welt; ihre Bekannten und Freundinnen würden
lachen und spotten der Jemima, der indianischen Squaw. Ihr ungebeugter Sinn
empörte sich bei diesem Gedanken; allmälig wurde ihr Gemüth ruhiger, ihre
Miene zuversichtlicher. Ein Entschluß schien in ihr aufzukeimen, der
mit jeder Sekunde an Stärke zunahm. Als wollte sie der Möglichkeit einer
Gesinnungsänderung entwischen, sprang sie vom Boden, rannte dem Walde zu,
und drang tiefer und tiefer ein.



Drittes Capitel,

welches da zeigt, wie die zwei rothen Kolben doch eine Vorbedeutung
gewesen.


Es war im Jahre 1796, im Anfang des indianischen Sommers, als Jemmy zum
zweitenmale ihren langen Weg antrat. Der Himmel begünstigte diesmal ihr
Unternehmen. Sie kehrte auf demselben Wege zurück, den sie, freilich unter
lieblichern Auspicien, gekommen war. Sie hatte sich nun an das Wandern in
den Wäldern so ziemlich gewöhnt; mit demselben ungebeugten Muthe trat
sie wieder in die Wohnungen der zerstreuten Ansiedler im damaligen
nordwestlichen Territorium[38], und forderte mit derselben
Unerschrockenheit Trank und Speise und Nachtherberge. Keiner wagte sie zu
fragen, keiner sie auszuholen; der schmerzhafte Blick der Entsagung und
des Muthes schreckte alle zurück, und wenn es ja einer wagte, sie forschend
anzublicken, so erstarb ihm das Wort auf der Zunge. Fest und entschlossen
barg sie ihren Schmerz im eigenen Busen, zu stolz, um überflüssiges Mitleid
zu erbetteln, zu klug um zum Theegespräche werden zu wollen. Als die
Wohnungen aufhörten, nahm sie wieder zu wilden Trauben, Papaws und
Kastanien ihre Zuflucht, und wanderte so die vierhundert Meilen zu den
Quellen des großen Miami zurück, wo sie sich acht Wochen nach ihrer Flucht
eben so kühn und unverzagt präsentirte, als ob sie von einem Morgenbesuche
zurückgekehrt wäre.

    [38]: Dem heutigen Staate Ohio.

Nie war der Jubel im Hauptquartier der Shawneese größer gewesen, als wie
Jemmy in die Hütte der Mutter Tomahawks eintrat. Die ganze Bevölkerung der
Wigwams war rege; Tomahawk war außer sich vor Freude. Er war ihr Bewunderer
und Verehrer volle fünf Jahre gewesen, und hatte sich, was bei einem Wilden
nicht wenig bedeuten will, die ganze Zeit hindurch auch nicht die mindeste
Freiheit erlaubt. Sie hatte nicht geringen Einfluß auf das Völkchen sich
erworben; sie war die Lehrerin der Weiber, die Schneiderin, Köchin der
Männer, das Factotum Aller gewesen; daß die Letztern, wenigstens zum Theil,
menschlichen Wesen in ihrem Aeußern und nicht Orang-Outangs ähnlich sahen,
war ganz ihr eigenes Werk. Tomahawk tanzte und sprang vor Freuden: »Weiße
Männer nicht gut! Rothe Männer gut!« rief er jubelnd, und in seinen Jubel
stimmten Mutter, Squaws und Männer sammt und sonders mit ein. Es war mit
einem Worte ein Freudenfest für den armen Häuptling, das noch glänzender
ausgefallen wäre, hätten er und die Seinigen mehr Feuerwasser gehabt.

Fest und bestimmt jedoch, als der Entschluß Jemima's war, ließ es ihre
Klugheit nicht zu, dem verliebten Wilden sein Spiel allzu leicht zu
machen; nein, sie erholte sich lange Zeit Rathes, ehe sie ihm auch nur die
entfernteste Hoffnung machte. Zwanzig Tage war sie bereits mit Tomahawks
Mutter eingeschlossen, während welcher Zeit der arme Häuptling sie nur
zweimal zu sehen bekam. Endlich am ein und zwanzigsten Morgen wurde er in
die Gegenwart der Souverainin seines Herzens berufen. Er kam, wo möglich
noch bunter herausstaffirt, als bei seiner ersten Bewerbung; stammelnd trug
er ihr seine Wünsche vor. Jemima hörte ihn ernst, wie ein Oberrichter, an;
nachdem er seine Rede geendigt hatte, wies sie schweigend auf den Tisch
hin, auf welchem ein vollständiger Anzug von amerikanischer Kleidung lag.
Tomahawk kehrte jauchzend in seine Hütte zurück, und erschien nach einer
halben Stunde, ein ganz anderer Mensch, vor seiner Gebieterin. Er sah
wirklich nicht uneben aus; ein wohlgestalteter Junge von kräftig schlankem
Wuchse -- Toffel war nichts dagegen; -- zudem Häuptling von mehrern
hundert Familien, hatte er seit seiner Bekanntschaft so viele Proben von
Anhänglichkeit, Ehrfurcht und Lenksamkeit gegeben, die ihn zu einem gar
nicht verwerflichen Ehemanne in den Augen Jemmy's qualificiren mochten.
Sie reichte ihm nun gnädigst ihre Hand; es galt eine fernere Probe. Bereits
standen auf Geheiß seiner Mutter zwei Pferde vor der Hütte; sie befahl
Tomahawk, selbe zu satteln. Er gehorchte schnell und schweigend. Sie
bestieg das eine, und winkte ihm bedeutsam, ein gleiches zu thun und ihr
zu folgen. Der Wilde staunte, starrte, folgte jedoch unwillkürlich seiner
geliebten Herrin, die das Wigwam verließ, und in der Richtung nach Süden
forttrabte; einige Male erkühnte er sich zu fragen, aber sie winkte, zeigte
bedeutsam hinab in die Ferne, und er schwieg und folgte. Der Friede war
während ihrer Gefangenschaft wieder hergestellt, und ihre Reise hatte
für sie wenigstens Ein Gutes zur Folge gehabt. Sie hatte vernommen, daß
beiläufig vierzig Meilen in südlicher Richtung von den Quellen des Miami
eine amerikanische Niederlassung entstanden; nach dieser ging nun ihre
Reise. Als sie in derselben angelangt war, fragte sie sogleich nach dem
Friedensrichter. Das Staunen des werthen Squire war nicht gering, als er
plötzlich ein junges, hübsches Weib -- Jemmy hatte sich in den zwanzig
Tagen ihrer Zurückgezogenheit wieder abgerundet -- und einen kräftig
blühenden Wilden, wie ein Gentleman gekleidet, in seine Stube treten sah.
Jemmy jedoch ließ ihm nicht lange Zeit zur Verwunderung, sondern wandte
sich ohne weitere Umschweife zu ihrem Begleiter und sprach: Tomahawk! du
hast während der fünf Jahre meiner Bekanntschaft mit dir so viel gesunden
Menschenverstand an den Tag gelegt, daß ich alle Hoffnung habe, aus dir
einen Mann zu bilden, und so habe ich mich denn entschlossen, aus dir einen
Mann zu machen.

Tomahawk wußte nicht, ob er wache oder träume, und so ging es dem Squire;
aber das ausdrückliche Verlangen, sie, Jemima O' Dougherty, ehelich mit
Tomahawk, dem Häuptling der Shawneese, zu verbinden, und zwei blanke
Silberdollars beseitigten alle Zweifel, und der Friedensrichter sprach
die Eheformel über sie aus, und vereinte ihre Hände. Der Segen war bereits
gesprochen, und noch immer begriff der arme Wilde nicht, was das Ganze zu
bedeuten habe; als aber Jemmy seine Hand faßte, und ihm eröffnete, sie
sei nun sein Weib und er ihr Mann, da war ihm, als wäre er so eben aus
den Wolken gefallen. Er tanzte im Zimmer herum, er sprang, er jubelte, er
lachte, er weinte, Alles vor Freude. Der Friedensrichter selbst war nicht
weniger überrascht, und zwar so sehr, daß er ein treffliches Abendessen
den Beiden zum Besten gab, sie bei ihm zu übernachten nöthigte, und Jemmy
selbst die zwei Thaler zurückgab, wie seine Bücher noch heutiges Tages
ausweisen. Und gewiß mußte es für den guten Mann und die Ansiedler nicht
von geringer Bedeutung sein, den unbändigen Tomahawk, der im letzten Kriege
so viel Unheil durch seine Excursionen angerichtet hatte, unter einer,
allem Anscheine nach, so entschlossenen, muthigen Direction zu wissen.

Tomahawk und sein Weib kehrten den folgenden Tag in ihre Heimath zurück,
und vom Tage der Rückkehr begannen auch seine Honigmonde. Mistreß Tomahawk
nämlich war kaum in ihre neue Wohnung installirt, als sie auch ausfand,
daß die erbärmliche Hütte viel zu klein und enge und unsauber für sie beide
sei. Und wirklich, sie war eher einer Bärenhöhle, als einer menschlichen
Wohnung zu vergleichen. Tomahawk und seine Leute hatten nun Bäume zu
fällen, wozu sie sich nur gegen ein gewisses Honorar von Whiskyflaschen,
die Jemmy für die zwei Dollars mitzunehmen für gut befunden hatte,
herbeiließen. Mehrere von ihren Landsleuten waren von der Niederlassung
heraufgekommen, und halfen das Gebäude aufzimmern. Tomahawk sprang
freilich, als er vierzehn Tage hindurch die Axt handhaben mußte, jedoch
nicht mehr vor Freuden; er schnitt Gesichter; aber all sein Springen und
Gesichterschneiden half zu nichts: er mußte daran und darauf. In vier
Wochen schlief er im bequemen Wohnhause, so bequem, so wohnlich, wie
Toffels. Tomahawk hatte nun ganze vier Wochen Ruhe, aber das Frühjahr
meldete sich an, und das Kornfeld war offenbar zu klein, ja es hatte nicht
einmal eine Umzäunung, und Schweine und Pferde fraßen den größten Theil der
Saat, ehe sie noch in den Samen schießen konnte. Mistreß Tomahawk bedurfte
eines größern, und ihre wilde Ehehälfte hatte daher ein paartausend Bäume
zu ringeln und umzuhauen, und einige Dutzend Aecker zu umzäunen. Ihr
Freund, der Friedensrichter, hatte bei dieser Zeit wahrgenommen, daß sie
eine wackere junge Frau und treffliche Haushälterin, unternehmend, thätig
war, die es wohl verdiente, auf allen Wegen ermuthigt zu werden. Er war
Amerikaner im ganzen Sinne des Wortes, der half, wo es etwas half; er
sandte ihr sofort einige Hundert Aepfel- und Pfirsichbäume, die sie
pflanzte und pflanzen ließ. Wiederum hatte Tomahawk einige Wochen Ruhe;
aber es war böse Wirthschaft, und zwar seit undenklichen Zeiten, mit den
Fuchs-, Hirsch-, Biber- und Bärenfellen getrieben worden. Tomahawk war ein
berühmter Schütze und Jäger, aber er verhandelte den Preis wochenlangen
Jagens nicht selten für einige Gallons Whisky. Gleich den übrigen seiner
rothen Brüder, hatte er die schwache Seite, einen Schluck, oder vielmehr
deren viele zu thun, wenn es Gelegenheit dazu gab. So groß war jedoch die
Furcht vor seiner Ehehälfte, daß er die Branntweinflaschen pfiffiglich in
hohle Bäume versteckte. Mistreß Tomahawk fand jedoch den Sünder bald aus,
und um künftig allen Versuchungen vorzubeugen, befahl sie ausdrücklich, daß
alle Felle heimgebracht, und ihrer Disposition überlassen werden sollten.
Nun nahm sie den Fellhandel auf sich. In kurzer Zeit wackelten mehrere
Kühe durch das ellenhohe Gras an den Miamiufern, und Tomahawk kostete zum
erstenmale in seinem Leben Kaffee und Wälschkornkuchen. Aber es kam noch
schlimmer. Ein junger Tomahawk erblickte das Licht der Welt, und die
alten Squaws zögerten nicht, ausgerüstet mit Bärenfett und Kuhmist, ihre
Aufwartung zu machen, willens, den neuen Stammhalter feierlich in ihre
religiöse und politische Gemeinschaft einzuweihen. Allein Jemmy sah so
bitterböse darein, und ergriff, als dieses nicht helfen wollte, ihren
Scepter, den Besen, so wacker, daß Alt und Jung heulend zum Hause
hinausstürzte, gleich als ob sie vom wilden Jäger verfolgt würden. Als sie
von ihrem Kindbette sich erholt hatte, befahl sie wieder Tomahawk, zwei
Rosse zu satteln. Natürlich gehorchte er ohne zu mucksen, und nahm ohne
Widerrede seinen Sohn auf den Arm. Auch dieses Mal ging ihre Reise auf die
erwähnte Niederlassung, aber nicht dem Hause des Friedensrichters, sondern
des Predigers zu. Tomahawk ließ sich Alles ruhig gefallen; als er aber den
Prediger seinen Sohn mit Wasser begießen sah, verging ihm alle Geduld.
Er sprang nicht bloß, er tobte, er wüthete, er nannte Mistreß Tomahawk --
stellen Sie sich nur vor, schöne Leserinnen, der Ungezogene! -- eine
Hexe, eine Teufelin, eine Medizin[39]. Jemmy, ohne ein Wort zu verlieren,
runzelte ihre Stirne, warf ihr Näschen auf, und der junge Tomahawk ward
getauft, wie andere Christenkinder.

    [39]: =Medizin= werden von den Indianern Aerzte, Hexenmeister,
    Zauberer, überhaupt alle diejenigen genannt, die sie wegen ihrer
    Kenntnisse in Verbindung mit über- oder unterirdischen Wesen
    wähnen.

Als einige Jahre später die Shawneese-Indianer mit der Regierung der
Staaten in Unterhandlungen wegen Abtretung ihrer Ländereien traten, war
die Farm Tomahawks zu mehrern hundert Ackern blühender Fruchtgärten und
herrlicher Wiesen und Felder angewachsen. Mistreß Tomahawk wies natürlich
jede Zumuthung, ihr Land abzutreten, mit Standhaftigkeit zurück, und
vertheidigte ihre und ihres Mannes Rechte, wobei ihr der Friedensrichter
hülfreiche Hand bot, so wacker, daß die Commissaire noch froh waren,
mit einigen tausend Ackern davon zu kommen. Schwerer hielt es, dieselbe
Ausnahme mehrern Indianerfamilien auszuwirken; doch auch dies gelang ihr,
und einige zwanzig dankbare Familien segnen noch heute ihr Andenken. Und
ihr Wohlstand und ihre Zufriedenheit nahmen mit jedem Jahre zu; sie sandte
ihre Kinder in die Schule der Missionaire an den Maumeefällen, wo sie
zu Christen und Bürgern gebildet wurden, und sie lebt nun, das
sichtbare verehrte und werkthätige Oberhaupt ihrer rothen Mitbürger und
Mitbürgerinnen.

Der Reisende, den sein Weg über die Haide zwischen Columbus und Dayton
nordwärts führt, wird unter und zunächst den Quellen des Miami ein
gewaltiges, aus gehauenen Baumstämmen aufgezimmertes Wohnhaus mit Scheunen
und Ställen finden, umringt von üppigen Waizen- und Wälschkornfeldern, und
auf den Wiesen an die sechzig der schönsten Melkkühe, mit Kälbern, Pferden
und Füllen, nicht zu gedenken der Fruchtgärten, die unter der Last von
Aepfeln, Birnen und Pfirsichen zu brechen drohen. Um das Haus herum tummeln
sich ein halbes Dutzend Jungens und Mädchen von hellrother Gesichtsfarbe,
und herausgeputzt, als wären sie so eben aus Stubbs Laden zu Philadelphia
gekommen. Am Sonntage lesen sie ihre Bibel, oder satteln sich ihre Pferde,
und begleiten Mistreß Tomahawk zur Kirche; dem Häuptlinge, der ziemlich
behaglich und comfortabel aussieht, lesen und erklären sie die Zeitungen,
und der alte Tomahawk rühmt sich, daß seine Buben bessere Mediciner
geworden sind, als die der Weißen. Und er ist noch stark in Zweifel, ob
seine zwei ältesten Söhne Advokaten oder Doktoren werden sollen. Zweimal
jedes Jahr macht Mistreß Tomahawk eine Tour nach Cincinnati auf ihrem
sechsspännigen Wagen, der, mit Butter, Ahorn-Zucker, Käse, Mehl und
Früchten beladen, einen Zug darbietet, den kein Gouverneur aufweisen kann.
Sie hat stets zwei ihrer Söhne als Vorreiter bei sich. Und sie ist eben so
sehr das Schrecken der Marktinspectoren allda geworden, als sie das Orakel
und der Liebling aller Marktweiber -- und Männer ist.



Nachwort an den geneigten Leser

von den Verlegern.


Es ist wohl selten der Fall, daß Buchhändler es unternehmen, zu ihren
Verlagswerken Nachworte oder Nachreden zu schreiben; die Gelegenheit dazu
aber bietet dasjenige Buch des Verfassers der Reiseskizzen dar, welches wir
voriges Jahr als eine höchst merkwürdige Erscheinung unter dem Titel:

  =Der Legitime und die Republikaner=.

  Eine Geschichte aus dem letzten amerikanisch-englischen Kriege.

  mit dem Motto:

    Ich zittere für mein Volk, wenn ich der Ungerechtigkeit gedenke,
    deren es sich gegen die Ureinwohner schuldig gemacht hat.

                                                  =Jefferson=.

  3 Bde. in 8., thlr. 4, oder fl. 6 rheinisch.

in die deutsche Literatur einführten. Wir machten damals aufmerksam, daß
in diesem Werk nicht ein gewöhnlicher Roman, sondern ein Kunstwerk höherer
Gattung, voll Originalität und Leben, von ganz eigenthümlichem Gehalt und
Schlag zu finden sei. Solche Versicherungen aus dem Munde der Verleger
finden nicht immer gläubige Leser; man ist es zu sehr gewöhnt, diese als
übliche, zum Geschäft und Vertrieb gehörige Redensarten zu betrachten;
in den meisten Fällen bleiben auch derlei Empfehlungen ohne Wirkung, bis
endlich irgend eine akkreditirte literarische Anstalt es der Mühe werth
findet, ein solches Werk mit ihrer Kritik zu beehren. Das ist nun, in
Bezug auf den Legitimen, bereits in mehrern Blättern, und namentlich in den
allgemein geachteten »Blättern für literarische Unterhaltung«, Leipzig,
bei Brockhaus, vom 7. März, Nr. 66, geschehen, und der geneigte Leser der
Reiseskizzen, der, angezogen von der höchst originellen Schreibart unsers
unbekannten Verfassers, auch sein früheres Geistesprodukt gerne kennen
lernen möchte, wird ohne Zweifel unsere Empfehlung durch diese Recension
gerechtfertigt finden. Sie lautet wörtlich wie folgt:

»Mag es nun wahr sein, oder die Herren Verleger es bloß affektiren, daß
dieser Roman aus einer amerikanischen Feder englisch geflossen und von
einer deutschen Hand aus der Handschrift übersetzt worden sei; so viel ist
gewiß, er muß von Jemand geschrieben sein, der Nordamerika, der die beiden
darin noch kämpfenden Nationen, der die amerikanische Denkweise beider
Parteien bis in ihre Nuancen, der die Sprache und die Idiotismen derselben,
der den sittlichen und politischen Gehalt der neuen Welt recht gründlich
kennt.

Nach europäischen Begriffen könnten über die Richtigkeit des Titels
Bedenklichkeiten entstehen; wir wollen daher bemerken, daß der Legitime
ein Häuptling, König oder Miko der Mascogee- oder Oconee-Indianer, der
Republikaner aber der größte Kopf seines Volkes, der General Jackson
ist, obgleich dieser, gleichsam auf den Köpfen von 100 andern kleinern
Republikanern getragen, erst ganz zuletzt erscheint. Sollte der Verf.
den im Titel liegenden scharfen Gegensatz nicht aus diesen beiden
Hauptcharakteren herzunehmen gemeint gewesen sein, so müßten wir ihn aus
dem Inhalt des ganzen Werkes herleiten, und dann scheint uns der Titel noch
weniger passend gewählt, da in Amerika der Republikanismus legitim ist.[40]

    [40]: Uns scheint im Gegentheile, die Absicht des Verfassers sei
    es, die letzten Kämpfe der Ureinwohner, die durch den
    Legitimen, das heißt den Miko, repräsentirt werden, mit den
    Amerikaner-Republikanern, die collectiv dargestellt werden, dem
    Leser vor Augen zu bringen.

                                                  =Die Verleger=.

Die Absicht des Verf. reiht sich an den Titel, wie wir ihn erklären, sehr
schön an. Er will nämlich durch einen historischen Roman die Nation auf
die Ungerechtigkeit aufmerksam machen, mit welcher sie die Ureinwohner des
Landes aus den Wohnsitzen ihrer Väter treibe, obgleich die Thorheit
der Indianer, sich einzubilden, daß der große Schöpfer wenigen tausend
Stammgenossen ein Land, so groß und oft größer als Deutschland, zum
Jagdrevier angewiesen habe, auf welchem Millionen fleißiger Landbauer
wohnen können, unläugbar diese Ungerechtigkeit herbeigeführt habe.

Zu diesem Zwecke läßt er einen Indianerhäuptling Louisianas, welcher lange
mit den Weißen gekämpft, der selbst ihre Sprache und Schrift erlernt hat,
um ihre Feinheit und Ueberlegenheit daraus zu entnehmen, des ungleichen
Kampfes müde und von einem Theil der Seinigen verrathen und verkauft,
seine Heimath verlassen und sich an der Gränze von Texas, ohne daß er
die Uebersiedlung nach Mexiko gewahr wird, mit einem Haufen Getreuer neue
Wohnsitze wählen. Mit sich nimmt er ein kleines weißes Mädchen, dem seine
treffliche, heldenmütige Tochter Mutter wird. Er selbst hat das Kind aus
den Händen seiner Krieger gerettet, die es zu tödten im Begriff standen,
nachdem sie so eben die Mutter scalpirt. Trefflich zeichnet der Verf. die
Sitten dieses und ihm gegenüber eines mexikanischen Stammes und seines
Häuptlings, und man erkennt in dem letztern den Verwandten jenes Volks
wieder, welches die Spanier bei der Eroberung von Mexiko so schändlich
mißhandelten.

Vergeblich würden wir versuchen, einen kurzen Begriff von den Reizen der
Schilderungen zu geben, zu welchen indianisches Leben und amerikanische
reiche Natur Gelegenheit bieten, vergebens die zarten Nuancen der edelsten
weißen und rothen Menschen und ihrer bald rohen, bald wilden Charaktere und
Sitten zusammenstellen, um eine Anschauung von dem Inhalte dieses Werkes zu
geben, das eine geistreiche Belehrung über die so eben angedeuteten Punkte
enthält. Wir wollen nur die beiden größten Abtheilungen desselben einander
gegenüberstellen, um den reichen Inhalt zu charakterisiren und dasselbe
Interesse dafür zu erregen, mit welchem wir dasselbe gelesen haben.

Die ersten anderthalb Theile nämlich sind fast ausschließlich den Indianern
gewidmet, während die Weißen nur einzeln, und gleichsam um den Zusammenhang
mit ihnen zu erhalten, darin auftreten; die letzten anderthalb Theile
dagegen zeichnen das nordamerikanische Leben, die wunderbare Republik,
und hier spielen die Indianer wieder dieselbe Rolle, wie die Weißen in der
ersten Hälfte des Werkes.

Wir verkennen nicht, daß uns der Verf. manche Erklärung schuldig bleibt,
manche Unwahrscheinlichkeit auftischt und manchen Fehler gegen die Kunst
der classischen Schriftstellerei begeht; allein wir können ihm das Lob
nicht versagen, daß im Wesentlichen sein Plan meisterhaft angelegt und
ausgeführt sei[41]. Die Breite der Erzählung und der Schilderung sind wir
von den historischen Romanschreibern der Scott'schen Schule gewohnt und
müssen sie uns nun schon gefallen lassen. Es ist diesen Herren so bequem,
ihre Einbildungskraft in Naturscenen oder häuslichen Einrichtungen sich
ergehen, wir möchten sagen, sich erholen zu lassen von den Anstrengungen
der Darstellung überraschender Begebenheiten. Zur Sittenzeichnung sind
diese Spaziergänge sehr gelegen, und wo sie dem Zwecke redlich dienen, kann
man ihre Weitläufigkeit schon ertragen. Auch versteht bei uns schon jede
Dame, das Entbehrliche beim Lesen wegzulassen oder Seiten mit einem Blicke
zu übersehen.

    [41]: Wir bemerken, daß für viele deutsche Leser manches
    unwahrscheinlich ist, was für den amerikanischen der höchste Genuß
    ist. Wir sind nur zu wenig mit dem Leben der Amerikaner bekannt,
    wie dieses tagtäglich offenbarer wird.

                                                  =Die Verleger=.

Hätte Cooper's gebildetere Feder diesen Plan ausgeführt, so dürfte die
Ausführung mancherlei gewonnen haben. Im Ganzen aber müssen wir, Cooper's
Talent in Ehren, dieser Conception vor der Cooper'schen den Vorzug geben,
weil sie geistreicher und großartiger ist. Der Verfasser dürfte wohl ein
Mann sein, welcher als Staatsmann einen bedeutenden Platz in der Republik
schon einnimmt, oder gewiß noch einnehmen wird. Wer die Interessen seiner
Nation so genau studirt hat, wie er, ist berufen, Theil an ihrer Leitung zu
nehmen[42]. Höchst anziehend haben wir treffende Bemerkungen über den Geist
des Soldatenlebens und über die Landesvertheidigung der Republik gefunden.
Vielleicht bezeichnet nichts so scharf die Ursachen, weshalb Amerika
der Entwickelung loyaler Freiheit des Bürgerthums mit festem Schritte
entgegengeht. Wir sehen überall einen gewissen Optimismus, nirgends aber
einen Aristokratismus an die Spitze treten. Der Bürger wird selbst unter
den Waffen seine Rechte als solche nie verlieren, und nur Die können seine
wahren Führer sein, die unter allen Verhältnissen das Bürgerthum zu ehren
wissen. Jackson, der Diktator zur Zeit des englischen Einfalls, wird nach
seinen großen Siegen über das englische Heer vor Gericht gestellt und um
2000 Dollars gestraft, weil er die Freiheit der Bürger im Augenblicke der
Noth nicht geachtet hatte. Er zahlt die Strafe willig aus eigenen Mitteln,
obgleich Tennessee und Kentucky sie zu übernehmen sich erbieten, und die
ganze Nation feiert nun in dem Helden zugleich den guten Bürger.

    [42]: Hierüber können wir keine Aufschlüsse geben. Das Werk ist
    uns von geachteter Hand zugekommen, und der Verfasser mag, so wie
    Walter Scott und andere Autoren, die anonym geschrieben,
    seine Ursache haben, auf den Schriftstellerruhm einstweilen zu
    verzichten. Diese Anonymität ist bekanntlich in Amerika und England
    eine hergebrachte Sache. Walter Scott, Washington, Irving und
    viele andere haben dasselbe gethan, ganz das Gegentheil von unsern
    Autoren, die, lächerlich genug, als Uebersetzer ihre Namen auf ein
    Werk setzen, dem der Autor den seinigen noch nicht beizudrucken für
    gut befunden.

                                                  =Die Verleger=.

Der Uebersetzer hat das Verdienst, alle Idiotismen der
englisch-amerikanischen Sprache getreulich nachgebildet zu haben, und
nur wenige dieser Nachbildungen werden für den, der englischen Sprache
unkundigen Leser ungenießbar sein.

Auf jeden Fall ist dieser Roman bei weitem lehrreicher, als irgend ein
Scott'scher oder Cooper'scher und verdient von den Deutschen besonders
beachtet zu werden, die schon mit einem Fuße aus ihrer heimathlichen Hütte
getreten sind, um die große Auswanderung zu beginnen. Begreifen wird ein
solcher daraus, mit welchem Volke er zu thun bekomme, und daß er deutsche
und europäische Engherzigkeit aus seiner Seele treiben müsse, um drüben
nicht wie ein elenderer Philister betrachtet und verachtet zu werden, als
er hier vielleicht schon war. Er wird sich überzeugen, daß er mit solcher
Ausstattung dort nicht weiter kommt, als er hier war -- zur Tagelöhnerei
und Plackerei. Leider bringen die Deutschen am häufigsten noch die geistige
Aermlichkeit ihrer Begriffe von Bürgerthum und Staat mit nach Amerika, und
dafür werden sie auch in diesem Werke gelegentlich gezüchtiget.«[43]

    [43]: Diese Stelle zeuget vom trefflichen Urtheil des Recensenten.
    Unstreitig giebt es deutsche Auswanderer, die, weder dem
    Vaterlande, das sie verlassen, noch dem Lande, wo sie
    hinkommen, große Ehre machen, und die allerdings durch frühere
    Vernachlässigung, üblen Haushalt und schlechte Gewohnheiten oft
    kaum über der Race der Rothhäute oder ihrer afrikanischen Brüder
    stehen, und in ihrer moralischen Versunkenheit das elendste Dasein
    nur kümmerlich fristen.

                                                  =Die Verleger=.

Wer möchte nach diesem Urtheil nicht versucht werden, das treffliche Buch
zur Hand zu nehmen? Mehr als ein Leser wird es billigen, daß wir unter dem
Spreuer der deutschen Romanenliteratur einige ächte Goldkörner als solche
anempfehlen.

  =Zürich=, im Mai 1832.

          =Orell, Füßli und Compagnie=.



Druckfehler.

Band II.


  Seite. Zeile.

    59      8 [von unten,] statt: Don Senor Manuel,
                           lies: =Senor Don Lopez=.

    59      6 [v. u.,] st. _Allate_, l. =_Callate_= (schweigt.)

    77      6   st. Wir reficiren, l. =Wir referiren=.

   160      8 v. u., st. zwei blinde Silberdollars,
                     l. =zwei blanke Silberdollars=.



[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription
wird gesperrt gesetzte Schrift "=gesperrt=" wiedergegeben, und Textanteile
in Antiqua-Schrift sind "_hervorgehoben_".

Im Rahmen der Transkription

- wurde der Halbtitel entfernt;

- wurde das Druckfehlerverzeichnis, das im Original am Ende von Band I
eingelegt ist, auf die Bände I und II aufgeteilt, und alle Berichtigungen
entsprechend eingearbeitet (Seiten- und Spaltenangaben beziehen sich auf
den Originaltext einschließlich der Fußnoten).

Hinweis: "Red-River" (auch: "Redriver") bezeichnet sowohl den Fluß als auch
das gleichnamige Dampfschiff.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Capitain"/"Kapitain",
"O Dougherty"/"O' Dougherty",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 5:
  "," eingefügt
  (Papa, riefen die beiden Mädchen)

  Seite 17:
  "gue" geändert in "gute"
  (Es sind gute Menschen diese Creolen)

  Seite 17:
  "," eingefügt
  (Und da ist er selbst, der leibliche Mister Bleaks)

  Seite 19:
  "Sybille" geändert in "Sibylle"
  (Ah! die alte Sibylle!)

  Seite 29:
  "." eingefügt
  (Die beiden Eheleute fingen an ihre Farbe zu verlieren.)

  Seite 48:
  "," eingefügt
  (Monsieur Menou also auch ein _haut-ton_-Mann, sprach ich)

  Seite 62:
  "Himmmel" geändert in "Himmel"
  (zum Himmel, daß ich wahrlich den Heiligen beneidete)

  Seite 133:
  "quarterlics" geändert in "quarterlies"
  (oder die _quarterlies_ zu studiren)

  Seite 175:
  "zn" geändert in "zu"
  (wie ein elenderer Philister betrachtet und verachtet zu werden)]

       *       *       *       *       *





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