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Title: Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten - Sechszehn heitere Erzählungen
Author: Siebe, Josephine
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten - Sechszehn heitere Erzählungen" ***


  Oberheudorfer Buben-
  und Mädelgeschichten


  [Illustration: Dekoration]


  Sechzehn heitere Erzählungen
  von
  Josephine Siebe


  Mit vier farbigen Vollbildern und zahlreichen Textillustrationen
  von =Carl Schmauk=
  _Dritte Auflage_


  [Illustration: Wappen]


  _Stuttgart_
  Verlag von =Levy & Müller=



  Nachdruck verboten.
  Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten.

  Druck vom Chr. Verlagshaus in Stuttgart.



  Oberheudorfer
  Buben- und Mädelgeschichten



Inhalt.


                                                           Seite

  Oberheudorf, wo es liegt, und wie es darin aussieht          1

  Wie es Heine Peterle in der Stadt erging                     6

  Der Schulrat in Oberheudorf                                 22

  Zwei Feinde                                                 37

  Ehrenjungfern und Buben                                     49

  Die Roggenmuhme                                             65

  Das besinnliche Trinchen                                    75

  Sommergäste in Oberheudorf                                  92

  Das Vogelschießen in Niederheudorf                         107

  Muhme Lenelis und ihre Freunde                             125

  Die Prinzessin mit dem seltsamen Namen                     143

  Die klugen Gänse von Oberheudorf                           157

  Das Glück im Suppentopf                                    170

  Friederikes Abenteuer                                      188

  Das Ständchen                                              198

  Es brennt überall                                          215

[Illustration: Dekoration]

[Illustration: Dorfansicht]



Oberheudorf, wo es liegt, und wie es darin aussieht.


An einem Frühlingstage kamen drei junge Männer auf ihrer Wanderung
durch das deutsche Land nach Oberheudorf, das zwischen Gebirg und
Ebene liegt. Als sie in das Dorf einzogen, lief ihnen unversehens
ein Schweinchen in den Weg. Da rief der erste, der sich leicht über
jeden Quark ärgerte: »Pfui, ist das ein abscheuliches, schmutziges
Dorf! Hier laufen ja die Schweine auf der Straße herum! Und was für
häßliche, baufällige Häuser das Dorf hat!« Er sah dabei immer nur
des Schnipfelbauers alten Ziegenstall an, die andern Häuser würdigte
er keines Blickes. Schnurstracks eilte er von dannen, und in sein
Reisebuch schrieb er: »Oberheudorf ist klein, schmutzig und häßlich.«

Der zweite, der zu denen gehörte, die alles besser haben wollen, sah,
als er durch das Dorf ging, immer in die Luft und rief: »Wie niedrig
die Berge sind! Und wie weit der Wald entfernt ist! Auf einem der Berge
müßte eine Burg stehen. Der Bach müßte breiter sein und brausend bergab
stürzen. Ja, dann möchte mir das Dorf gefallen!«

Flugs lief auch er von dannen, und in sein Reisebuch schrieb er: »Es
lohnt sich nicht, Oberheudorf anzusehen, es hat keine schöne Lage.«

Der dritte der jungen Leute aber blieb mitten im Dorf stehen
und schaute sich um. Er sah die blühenden Fliederbüsche in des
Schnipfelbauers Garten und übersah darüber den baufälligen Ziegenstall.
Er sah die kleine weiße Kirche, deren spitzes Türmchen sich scharf von
dem lichten Frühlingshimmel abhob. Er sah die roten Ziegeldächer der
Bauernhäuser in der Sonne leuchten und sah, wie liebevoll der große
Apfelbaum seine blütenschweren Zweige über Muhme Lenelis' Häuschen
breitete. Wohl waren die Berge nicht allzu hoch, aber schöner, dichter
Tannen- und Laubwald bedeckte sie, auf dessen Boden weiche Moosteppiche
lagen und zarte, helle Blumen blühten. Wohl war das Bächlein schmal,
aber es plätscherte und brauste vergnügt durch das grüne Wiesental
und sah aus wie ein aus Silberfäden gesponnenes Gürtelband. Kein
Winkelchen im Dorf ließ der junge Mann unbesehen. Er trat auch ein in die
Häuser, und freundlich hießen ihn die Bauern willkommen. Er saß
dann in den niedrigen, holzgetäfelten Stuben, freute sich über die
alten, buntbemalten Truhen, über die großen Schränke mit den dunklen
Schnitzereien und die grünen Kachelöfen in den Ecken. Er ließ sich die
Milch und das Brot schmecken, das die Bäuerinnen ihm vorsetzten, und
freute sich, wie sauber die Höfe und Ställe aussahen, und wie viele,
viele Blumen in den winzigen Gärten blühten.

Er saß dann noch lange auf der grünen Bank vor Schuster Pechdrahts
Haus unter dem dicken Pfingstrosenbusch und ließ sich allerlei von dem
Schuster erzählen. Mit lachendem Behagen sah er den Kindern zu, die auf
der Dorfstraße spielten.

Da kam ein dicker, blonder Bub heran und sagte: »Ich bin Schulzens
Jakob.«

Und ein anderer, der lang und dünn war und struppige schwarze Haare
hatte, rief: »Ich bin Anton Friedlich, und das da ist der blaue
Friede!« Er zeigte dabei auf einen Buben, der blaue Hosen, eine blaue
Jacke, blaue Strümpfe und blaue Augen hatte.

»Ich bin Heine Peterle!« rief ein anderer und spielte sehr vergnügt mit
seinen Holzpantoffeln Fangball.

Ein kleines Mädchen trippelte an des Schusters Haus vorbei. Sie hatte
braune Zöpfe und braune Schelmenaugen und flüsterte: »Ich heiße Annchen
Amsee, und dort kommt Waldbauers Mariandel!«

Hinter ihr kam ein Mädelchen, rosig wie ein Borsdorfer Apfel, mit
Haaren, die so gelb waren wie das reifende Korn. Es kamen noch mehr
Buben und Mädel, die ihren Namen nannten, es kamen blonde und braune,
kleine und große, kecke und schüchterne.

Der junge Fremde nickte allen zu und sprach mit ihnen, und sie zeigten
ihm ein großes, rotes Haus, das inmitten grünender und blühender Bäume
lag, und sagten: »Das ist die Schule!« Als der Fremde aber mehr von der
Schule wissen wollte, liefen sie fort und lachten.

Als die Sonne sank und ihr Widerschein rot glühend auf den Dächern
der Häuser lag und die Wipfel der Bäume aussahen, als wären sie in
flüssiges Gold getaucht, nahm der Fremde Abschied von Oberheudorf.
Leise rauschte der Abendwind, die Vögel tauschten zwitschernd ihre
Abendgrüße, und die Ferne versank in blauer Dämmerung. Heiter ging der
Fremde von dannen, und in sein Reisebuch schrieb er: »Oberheudorf ist
ein anmutiges, freundliches Dörfchen in schöner Lage. Es ist dort gut
sein, ich werde es bald wieder aufsuchen!«

Das tat er auch. Er reiste im Sommer hin, als das Korn reif war und
schwerbeladene Erntewagen in das Dorf einfuhren. Dann kam er im Herbst
wieder, als alle Äpfel-, Birnen- und Pflaumenbäume voll Früchte hingen
und die Kinder von früh bis abend Obst aßen; ja manche nahmen sich
Pflaumen oder Äpfel mit ins Bett. Der Fremde kam auch im Winter wieder,
aber da wäre er beinahe an Oberheudorf vorbeigelaufen. Das lag so in
Schnee gebettet, daß gerade noch die roten Ziegeldächer herausguckten.
Das ganze Tal glich einem riesigen Backtrog voll Mehl, und die Häuser
lagen darin wie Rosinen im Teig; alles hatte weiße Mützen auf, der
Kirchturm, die Dächer, selbst die Fahnenstange vor dem Schulhaus. Und
überall standen Schneemänner. Jeder Bube, ja selbst jedes Mädel hatte
seinen Schneemann, einer war immer schöner als der andere.

So sah der Fremde Oberheudorf zu jeder Jahreszeit, und immer gefiel es
ihm, und jedesmal dachte er: »Wirklich, hier ist es doch gut sein!«

Vielleicht gefällt den Kindern, die dieses Buch lesen, Oberheudorf
auch so gut, und wenn sie einmal nicht hinreisen können, so denken
sie vielleicht manchmal an das freundliche Dörfchen, das irgendwo
im deutschen Vaterland liegt, und in dem sich Buben und Mädel so
herzensfroh ihres Lebens freuen.

[Illustration: Dekoration]

[Illustration: Dekoration]



Wie es Heine Peterle in der Stadt erging.


In Oberheudorf kennt wohl jeder den Heine Peterle, selbst die Pferde,
Kühe, Schafe und Hunde kennen ihn, auch die Gänse, Hühner und Enten auf
der Dorfstraße, sogar Leinwebers lahme Ziege. Kommt der Bube pfeifend
die Straße entlang, die Hände in den Hosentaschen, die kleine, dicke
Stupsnase keck in die Luft gereckt, mit seinen Holzpantoffeln klappernd
wie die Wassermühle im Tal, dann sagt gewiß der oder jener: »Aha, da
kommt Heine Peterle, der Städter!« Und Schuster Pechdraht, der ein
Spaßmacher ist, der zwinkert mit den Augen und ruft: »Heine Peterle,
du, morgen fahre ich zur Stadt, magst mit?«

Hei, da wird Heine Peterle rot wie die Glaskirschen im Pfarrgarten, und
patzig begehrt er auf: »Mag net!« und dann läuft er davon, so schnell
er nur kann, und seine Holzpantoffel klappern, daß man es im letzten
Haus des Dorfes noch hört.

Mit Heine Peterle und der Stadt ist das nämlich eine eigene Sache,
und fuchsteufelswild kann der Bube werden, wenn seine Kameraden ihn
spottend den »Städter« nennen.

Lange ist es noch nicht her, da gefiel es auf einmal dem Heine Peterle
nicht mehr zu Hause. Im Frühjahr war ein Vetter der Mutter aus der
Stadt zu Besuch dagewesen. Der hatte viel erzählt, wie schön es in der
Stadt sei, und beim Abschied hatte er Heine Peterle eingeladen, ihn
einmal zu besuchen. Seitdem dachte der Bube viel an die Stadt, manchmal
sogar in der Schule, und gerade mußte ihn dann der Lehrer nach etwas
fragen, was Heine Peterle natürlich nicht wußte, und dann tanzte der
Stock des Herrn Lehrers mitunter recht unsanft auf seinem Rücken herum.

Einmal war es ihm nun in der Schule wieder recht schlecht gegangen.
Darum sagte er beim Mittagessen, als ihm die Mutter gerade den fünften
Speckkloß auf den Teller legte: »Ich möcht' zur Stadt!«

»Heine Peterle!« schrie die Mutter und ließ vor Schreck den Kloß fallen.

»Heine Peterle!« jammerte die alte Muhme Rese, und ein großer Bissen
blieb ihr im Halse stecken, und Martin, der Knecht, mußte ihr erst
tüchtig auf den Rücken klopfen, ehe sie wieder sprechen konnte.

»Zur Stadt?« fragte der Vater und ließ die Gabel sinken.

»Ja,« rief Heine Peterle keck, »ich mein', mir gefällt's dort besser
als hier!«

»Heine Peterle!« schrien nun auch Knecht und Magd.

»Halt den Mund, dummer Bub!« sagte der Vater, da waren alle still.

Weil es aber dem Heine Peterle am andern Tage in der Schule wieder
schlecht ging, begann er bei Tisch von neuem: »Ich möcht' zur Stadt zum
Herrn Vetter!«

Diesmal sagte niemand etwas, nur der Vater brummte: »Meinetwegen geh in
die Stadt!«

Und nach drei Tagen durfte Heine Peterle wirklich in die Stadt fahren.
Friede Hopserling, der Müllerknecht, der Mehl zur Stadt bringen mußte,
meinte, er wolle den Buben gern mitnehmen, früh um drei Uhr solle die
Fahrt beginnen.

Und Heine Peterle stand zur rechten Zeit in seinem Sonntagsanzug vor
der Haustür. Es war zwar ein recht warmer Sommermorgen, aber er hatte
doch seine runde Pelzkappe aufgesetzt, die er besonders schön fand.
Seine Mutter hatte ihm noch einen dicken, hellgrünen Schal um den
Hals gebunden. Weil seine Stiefel gerade zerrissen waren, mußte er
in Holzpantoffeln gehen, aber Muhme Rese hatte gemeint, das schade
nichts, weil er so wunderschöne, hellrote Strümpfe trage. Die Mutter
brachte einen großen Sack Kartoffeln und ein Körbchen voll Eier für
den Herrn Vetter, ihrem Buben aber gab sie noch ein tüchtiges Stück
Kirschkuchen mit auf den Weg. Schuster Pechdraht kam aus seinem Hause,
und als er Heine Peterle so ausgerüstet stehen sah, fragte er: »Kannst
du auch einen Diener machen? Das ist in der Stadt die Hauptsache!«

»Freilich kann ich das,« rief Heine Peterle geringschätzig und
verneigte sich so schnell und so tief, daß er dabei Muhme Rese
den Kaffeetopf aus der Hand stieß und seine Pelzmütze bis auf die
Dorfstraße kugelte.

»Bewahre, was ist das für ein Junge!« schrie die Muhme, ihren zerbrochenen
Topf betrachtend, und Schuster Pechdraht sagte lachend: »Na, dir wird es
schon gut gehen in der Stadt! Auf Wiedersehen -- heute abend!«

Da wurde Heine Peterle krebsrot vor Zorn über diesen Spott, und
hochfahrend erwiderte er: »Gar nicht komme ich wieder! Ein Herr werde
ich in der Stadt!« Darauf nahm er Abschied von Vater, Mutter, Muhme,
Knecht und Magd, kletterte zu Friede Hopserling auf den Wagen, und
fort ging die Reise. Unterwegs erzählte er viel, was er alles in der
Stadt werden wolle, Prinz wenn möglich oder mindestens General. Die
Fahrt dauerte ziemlich lange. Heine Peterle wurde stiller und stiller,
zuletzt schlief er ein und schlief, bis Friede Hopserling ihm einen
derben Rippenstoß gab und rief: »Wir sind da!«

Weit riß der Bube seine Augen auf. Da war er ja wirklich in der Stadt!
Rechts und links schaute er sich um, da waren Häuser, lauter Häuser,
nichts wie Häuser. »Du, Friede Hopserling,« fragte er, »warum sind denn
hier so arg viel Häuser?«

»Na,« gab der zur Antwort, »eben weil's eine Stadt ist. In welcher
Straße wohnt denn der Herr Vetter?«

»In der -- in der -- der -- in, halt ein Mannsname ist's,« stotterte
Heine Peterle verlegen, »und eine 5 hat's Haus, soviel Finger ich
hab',« und dabei hielt er eine seiner kleinen, braunen Hände dem Friede
vor die Nase.

Der sann ein Weilchen nach, dann sagte er: »Hier ganz nahe gibt's eine
Albertstraße, könnt's die wohl sein?«

»Freilich, freilich,« rief Heine Peterle, »das ist ja ein Mannsname,
der Schmied heißt ja so!«

Bald hielt der Wagen vor einem großen, weißen Hause mit einem sehr
zierlichen Vorgarten, den ein reich verziertes eisernes Gitter von der
Straße trennte. »Fein wohnt der Herr Vetter, das muß man sagen,« meinte
Friede Hopserling bewundernd und warf den Kartoffelsack vom Wagen.
Heine Peterle nickte stolz, nahm seinen Eierkorb und sah sich nach dem
Kirschkuchen um.

»Halt, hinten auf den Hosen klebt dir ja der Kuchen,« rief Friede
lachend. »Du Dösbartel, hast dich im Schlaf auf deinen Kuchen gesetzt!«

Beschämt legte Heine Peterle den zerquetschten Kuchen in eine Wagenecke
und kletterte dann herab. »Laß dir's gut gehen, und wenn ich einmal
wiederkomme, besuche ich dich. Adjüs, hüh hott!« sagte Friede Hopserling
und fuhr die Straße hinab.

Da stand nun Heine Peterle vor dem hohen Gitter und versuchte mit bange
klopfendem Herzen die Türe zu öffnen, aber soviel er auch rüttelte,
schüttelte und klopfte, die Tür ging nicht auf. Ein Herr, der gerade
vorbeikam, lachte und rief: »Klingle doch, Junge!«

»Hm,« sagte Heine Peterle, »'s ist ja keine Schelle da!«

»Drück nur auf den weißen Knopf dort,« riet der Herr und ging weiter.

Und Heine Peterle folgte dem Rat und drückte auf den weißen Knopf,
drückte und drückte, aber es wollte nicht klingeln, er drückte fester,
aber er hörte nichts. Auf einmal aber kam ein Mann aus dem Hause
gelaufen, der einen feinen, mit goldenen Tressen besetzten Rock trug.
Als er Heine Peterle sah, schrie er zornig: »Infamer Bengel, warum
klingelst du denn so stark?«

»Ich hör's doch nicht,« sagte Heine Peterle und drückte ruhig weiter
auf den Knopf. Aus dem Hause kam ein zweiter Mann gelaufen. »Aufhören,
aufhören!« schrie er und fuchtelte wild mit einem Stock in der Luft
herum.

Verdutzt sah Heine Peterle ihn an. Er konnte nicht begreifen, daß er es
nicht klingeln hörte. »Was willst du denn hier?« herrschte der Mann mit
dem Tressenrock ihn an.

»Ich bin Heine Peterle aus Oberheudorf und möchte den Herrn Vetter
besuchen,« stammelte der Bube.

»Dummer Bengel, hier wohnt der Herr Graf von Dippelskirchen und nicht
dein Vetter. Mach, daß du weiter kommst!«

Die beiden Männer entfernten sich, und Heine Peterle stand ganz
verdattert da. Auf einmal aber besann er sich und rief: »Herr Graf,
Herr Graf, wo wohnt denn der Herr Vetter?«

Der eine der Männer kam einige Schritte zurück, sah den Buben an und
lachte ein wenig. »Ja, weißt du denn die Straße nicht?«

»Halt ein Mannsname ist's,« meinte Heine Peterle kleinlaut.

»Ein Mannsname? Nein, so ein dummer Junge! Was denn für ein Mannsname?
Kann's vielleicht Karlstraße sein?«

»Freilich, freilich, so heißt ja Schnipfelbauers Knecht!« rief Heine
Peterle.

»Na, dann geh mal rechts um die Ecke herum, dann links, dann die Straße
hinunter, dann wieder rechts, dann bist du da. Verstanden?«

»Freilich,« sagte Heine Peterle, nahm seufzend seinen Sack auf den
Rücken, den Eierkorb in die Hand und trollte davon. Erst ging er links
statt rechts, weil er ein Linkshänder war, dann ging er rechts, dann
wieder links. Klipp, klapp, klipp, klapp! trappten seine Holzpantoffel
auf dem Steinpflaster. Die Leute, die auf der Straße gingen, blieben
stehen und schauten lächelnd dem Buben nach, dem die hellen Schweißtropfen
über das runde, rote Gesicht liefen. Endlich meinte dieser, er sei nun
oft genug links und rechts gegangen, und als er ein Haus mit einer Fünf
fand, trat er ein. Im Hausflur kam ihm eine Frau entgegen, die fragte er:
»Wohnt hier der Herr Vetter? Ich bin Heine Peterle aus Oberheudorf.«

»Ich kenne deinen Vetter nicht,« entgegnete die Frau. »Geh mal eine
Treppe hinauf, dort wohnt der Wirt.«

»Ei,« dachte Heine Peterle, »ich wußte doch gar nicht, daß der Herr
Vetter ein Wirtshaus hat. Aber ein feines Wirtshaus ist das!« Keuchend
kletterte er die Treppe hinauf. Oben war wieder so ein weißer Knopf,
den der Bube mißtrauisch betrachtete; mit dem Ding ließ er sich nicht
mehr ein, und kräftig schlug er mit der Faust an die Türe.

Scheltend öffnete eine Magd. »Warum machst du denn solchen Lärm und
klingelst nicht?«

Heine Peterle wurde verlegen und stotterte sein Sprüchlein hervor.
Die Magd sah ihn etwas verwundert an; weil sie aber noch nicht lange
im Hause war, dachte sie, die Sache könnte wohl richtig sein, und
führte den Buben in ein großes, helles Zimmer und hieß ihn warten.
Der sah sich mit erstaunten Augen um. Hui, war es hier aber fein! So
etwas Schönes hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen. Bilder
hingen an den Wänden, und die Stühle waren mit heller Seide bezogen
und -- beinahe wäre Heine Peterle hingefallen vor Schreck, da stand ja
ein Bube, der gerade so aussah wie er selbst. Heine Peterle grinste
verlegen und kratzte sich hinter den Ohren. Der Bube tat dies auch. Da
merkte Heine Peterle erst, daß er in einen Spiegel sah. Es dauerte und
dauerte, der Herr Vetter kam nicht. Heine Peterle war müde. Verlockend
winkten die hellen Seidenstühle, und so leise er konnte mit seinen
Holzpantoffeln, schlich er näher und setzte sich. Potztausend, saß
sich das gut auf dem Polster! Gerade hatte er sich so recht bequem
hingesetzt, da öffnete sich die Türe, und eine Dame trat ein und
betrachtete Heine Peterle erstaunt von oben bis unten.

Der starrte die Dame, die ein langes, hellrotes Kleid trug, mit offenem
Munde an. Ja, war das vielleicht gar eine Prinzessin? So fein sah sie
aus.

»Was willst du denn von mir, mein Kind?« fragte diese freundlich.

Heine Peterle stand auf, hielt seinen Eierkorb mit beiden Händen an
seinen Leib gepreßt und stotterte: »Ich bin Heine Peterle aus« -- Da
fiel ihm mitten in seiner Rede Schuster Pechdrahts Ermahnung ein, in
der Stadt den Diener nicht zu vergessen, und flugs verneigte er sich,
verneigte sich so tief, daß er ausrutschte. Platsch lag er, so kurz er
war, auf dem Boden, der Eierkorb kam gerade unter sein Bäuchlein zu
liegen, und eine gelbe Tunke rann über den hellen Teppich. »Himmel,
was soll das?« schrie die Dame händeringend, und auf ihr Geschrei
eilten der Hausherr, die Tochter und die Magd herbei und schrien weh
und ach, als sie den Heine Peterle in seiner Eiertunke auf dem Boden
liegen sahen.

»Was ist denn das für ein Bengel?« rief der Hausherr.

»Der schöne Teppich!« klagten Frau und Magd, und das Töchterlein quiekte:
»Mama, Papa, seht doch her, er hat auf den Sessel einen großen Fleck
gemacht,« und zeigte auf das helle Seidenpolster, das Spuren von Heine
Peterles Kirschkuchen trug, auf dem er während der Fahrt gesessen hatte.

Dem Buben war es himmelangst. »Könnt' ich nur raus!« dachte er. »Das
ist ja gar nicht der Herr Vetter! Oh je, oh je, wie wird mir's gehen!«

Na, es ging noch glimpflich ab. Ein paar Maulschellen gab's, ein paar
Ermahnungen, sich nie wieder blicken zu lassen, und dann saß Heine
Peterle auf einmal draußen auf der Treppe neben seinem Kartoffelsack
und heulte vor Hunger, vor Schmerz und Müdigkeit.

[Illustration: Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten. Seite 16]

Einige Leute kamen herbei und fragten teilnahmsvoll nach seinem Kummer,
und Heine Peterle erzählte, und als er sagte, einen »Mannsnamen« sollte
die Straße haben, da lachten sie alle, und eine Dame meinte freundlich:
»Aber mein Kind, die Straße hier heißt Rosengartenstraße. Das ist doch
kein Männername. Kann es vielleicht Friedrichstraße sein? Die ist hier
in der Nähe.«

»Freilich, freilich,« schluchzte Heine Peterle, »so heißt ja der Schneider
bei uns.«

Freundlich zeigte ihm die Dame den Weg, und müde und hungrig schleppte
Heine Peterle seinen Sack weiter und war froh, als er endlich vor
dem Haus mit der Nummer 5 anlangte. War das Haus einmal groß! Schier
unheimlich erschien es dem Buben, und zaghaft trat er ein. Innen war
alles feierlich still. Heine Peterle kletterte eine Treppe empor und
betrat einen langen Gang, auf den viele Türen mündeten. »Arg viele
Stuben scheint der Herr Vetter zu haben,« dachte Heine Peterle und
klopfte kräftig an die erste Türe. »Herein!« klang es von drinnen, und
Heine Peterle trat ein. Ja, aber was war denn das?

»Uf!« schrie Heine Peterle vor Schreck. Das war ja eine Schule! Hilf
Himmel, er war in eine Schule geraten! Lauter kleine Mädchen saßen da
und starrten ihn an, und am Pult stand der Herr Lehrer und -- hielt
einen großen Stock in der Hand. »Nur raus, nur fort!« dachte Heine
Peterle, und wutsch war er draußen. Aber da, potz Apfelkern und
Pflaumenmus! ihm gegenüber öffnete sich auch eine Tür, und heraus kamen
viele, viele kleine Mädchen, rechts und links; hinter ihm, überall
taten sich Türen auf. Er sah viele Lehrer kommen und eine Unzahl
kleine und größere Mädchen, und eine namenlose Angst ergriff ihn.
Keuchend, den Kartoffelsack nach sich ziehend, wollte er die Treppe
hinunterlaufen, aber der schwere Sack kam ihm zwischen die Füße, und
holter die polter purzelten und kollerten Holzpantoffel, Pelzmütze,
Heine Peterle und die Kartoffeln die Treppe hinunter. Das rumpelte und
pumpelte nur so, und oben schrien, quietschten, lachten und kicherten
all die großen und kleinen Mädchen, wie junge Böcklein sprangen einige
von ihnen die Treppe herab dem Buben nach. Es war ein Höllenlärm, und
als Heine Peterle verwirrt aufsah, da sah er mehrere Lehrer neben sich
stehen, der mit dem Stock war auch dabei.

Heine Peterle besann sich nicht lange. Er ließ Holzpantoffel und
Kartoffeln im Stich, nahm nur seine Mütze und raste in wilder Hast
aus dem Hause hinaus, die Straße entlang. Hinter sich hörte er rufen,
aber er sah nicht rechts, nicht links, er lief und lief immer weiter
und weiter, stieß alle Menschen an, denen er begegnete, und es regnete
Verwünschungen auf ihn herab. Man suchte ihn zu fangen. Bald lief eine
Anzahl Menschen hinter ihm her, und einige Buben schrien: »Es brennt,
es brennt!« Aber je mehr sie schrien, desto mehr rannte Heine Peterle,
und zuletzt lief er einem Schutzmann in die Arme. Der hielt ihn fest,
und nun sollte Heine Peterle Rede und Antwort stehen.

»Was hat er getan?« »Was hat er getan?« »Warum rennt er so?« »Warum hat
er keine Schuhe an?« so riefen und fragten die Menschen um ihn herum,
aber Heine Peterle sagte immer nur: »Heim! Heim!« weiter nichts.

»Heine Peterle, was machst du denn da?« rief in dieser Not plötzlich
eine Stimme, und Friede Hopserling hielt mit seinem Wagen an, er hatte
von seinem erhöhten Sitz aus den Buben an seiner Pelzmütze erkannt.

»Ich will heim,« schrie Heine Peterle, »heim!« aber der Schutzmann
ließ ihn nicht so schnell los, erst sollte er sagen, was er getan, und
schluchzend erzählte er seine Erlebnisse. Da fingen alle an zu lachen,
Friede Hopserling schüttelte sich ordentlich vor Lachen, selbst der
Schutzmann lachte mit und hob den Buben selbst auf den Wagen.

Muckstill saß Heine Peterle, solange der Wagen noch durch die Stadt
fuhr. Erst als das freie Feld kam, wagte er sich umzusehen, und da
erblickte er in der Wagenecke auch seinen zerdrückten Kirschkuchen.
Heisa, der schmeckte ihm wie noch nie! Daß er breitgesessen war,
schadete gar nichts.

Der Wagen rollte auf der Landstraße dahin, Friede Hopserling war schweigsam
wie immer, und wieder schlief Heine Peterle ein, und wieder weckte ihn sein
Reisegefährte mit einem Rippenstoß: »Wir sind da!« und Heine Peterle riß
die Augen auf. Der Wagen fuhr die Dorfstraße entlang, da schrien einige
Buben: »Da kommt Heine Peterle, Heine Peterle ist wieder da!« Der Ruf
pflanzte sich fort, die Mutter und Muhme Rese kamen aus dem Hause gelaufen,
die Nachbarn kamen herbei, alle wollten sie wissen, warum Heine Peterle
schon zurück sei.

Der Vater stand in der Haustür und lachte, und Friede Hopserling erzählte
alles. »Dösbartel,« rief der Vater, »Christianstraße heißt's, wie der
Schäfer, und Nummer 10 ist es, dummer Junge, du hast doch zwei Hände!«

Da lachten ihn alle aus, aber Heine Peterle machte sich nichts daraus,
er war nur froh, daß er wieder daheim war. An diesem Abend aß er sieben
Brotschnitten, eine halbe Schlackwurst und einen Handkäse, und sicher
hätte er noch mehr gegessen, wenn er nicht beim siebenten Butterbrot
eingeschlafen wäre, so fest, daß er gar nicht merkte, wie ihn die Mutter
ins Bett trug.

[Illustration: Straßenszene]

[Illustration: Dekoration]



Der Schulrat in Oberheudorf.


Wie Buben und Mädel wohl manchmal denken, so dachten auch die Oberheudorfer
Kinder mitunter: »Wenn heute doch keine Schule wäre!« -- Sie dachten das
bei den verschiedensten Gelegenheiten, zum Beispiel wenn im Winter schöne
Eisbahn war oder im Frühling die ersten Veilchen blühten, wenn im Sommer
die Kirschen reiften oder in Niederheudorf Vogelschießen war. Hundert
Gründe gab es für den Wunsch, und die faulsten Buben und Mädel fanden wohl
noch den hundertundeinsten Grund.

Einige ganz besondere Faulpelze, wie Bäckermeisters Mariele, Anton
Friedlich und Schulzens Jakob, die wünschten sogar, es möchte gar keine
Schule geben. »Wenn doch der Kaiser mal die Schule verbieten möchte!«
seufzte Anton, wenn er seine Rechenaufgabe nicht gemacht hatte.

»Oder der Sturm das Dach abdeckte!« rief Mariele.

Letzthin hatte nämlich der Wind drei Ziegel vom Backofendach
heruntergeworfen, seitdem ärgerte sich die Kleine, daß bei der
Gelegenheit nicht das Schuldach ein bißchen kaput gegangen war.

Aber nichts dergleichen geschah. Breit und stattlich stand das Schulhaus
da, von roten Ziegeln erbaut und von einem hübschen Garten umgeben.
Schien die Sonne darauf, dann sah das Schulhaus so lustig aus, als
lachte es alle faulen Buben und Mädel aus. Der Herr Lehrer war auch
immer freudig bei seiner Arbeit, die nicht gerade leicht war, und für
schulfreie Tage außerhalb der Ferien war er nicht sehr eingenommen.

Im Juni war es. Die Sonne brannte so heiß, daß es einem schon leicht
zu warm werden konnte, und die Oberheudorfer Kinder meinten, es könnte
schon gut mal hitzefrei sein, -- zumal im Walde die Erdbeeren reif
waren. Aber an so etwas dachte der Herr Lehrer jetzt weniger als je,
denn in diesen Junitagen wurde der neue Herr Schulrat zur Inspektion
erwartet. Da gab es dreimal so viel Hausarbeit als sonst, und wehe dem,
der schlecht gelernt hatte. In dieser Zeit verstand der Herr Lehrer
keinen Spaß, denn er wollte Ehre einlegen mit seiner Klasse. Und doch
guckte die Sonne so vergnügt in die Schulstube hinein, und der Gedanke
an die Erdbeeren im Kuhberger Walde saß wie ein kleiner Kobold in den
Kinderköpfen.

»Ach, der Herr Schulrat!« seufzte Heine Peterle, als er eines Morgens
seinen Ranzen nahm, um in die Schule zu gehen.

»Wie heißt er denn?« fragte Muhme Rese.

»Müller,« brummte Heine Peterle und stapfte davon; er konnte es nämlich
nach seinen Erlebnissen in der Stadt nicht leiden, wenn man ihn nach
einem Namen fragte.

»Ach, der Herr Schulrat!« seufzte Anton Friedlich, und Bäckermeisters
Mariele heulte ein wenig, weil ihr alles mögliche tausendmal mehr
Freude machte als der Schulrat.

»Bim bam, bim bam,« dröhnte die Schulglocke, und flink liefen alle
Faulpelze in das rote Schulhaus, es half ja doch nichts.

In der gleichen Stunde betrat ein hübscher, junger Mann das Dorfwirtshaus
und verlangte ein Glas Milch und eine Schnitte Brot. Der Wirt brachte ihm
selbst das Verlangte, und der Fremde, der vor dem Hause Platz genommen
hatte, begann ein Gespräch. Ob das die Schule wäre, fragte er und deutete
auf das Schulgebäude, das rot und lustig hinter grünen Bäumen hervorsah.

Der Wirt, genannt Kaspar auf dem Berg, weil sein Gasthaus einen halben
Meter höher als das Nachbarhaus lag, war ein schlauer Mann, und darum kam
ihm bei dieser Frage gleich der Gedanke, der Fremde könnte vielleicht der
erwartete Schulrat sein.

Schmunzelnd fragte er daher nach dem Namen seines Gastes. »Müller,«
sagte der junge Herr freundlich.

»Ei, das dachte ich mir doch gleich,« rief der Wirt und machte eine
ungeheuer tiefe Verbeugung. »Willkommen, hochgeehrter Herr Schulrat!«

»Was?« fragte der Fremde verdutzt, »wer bin ich?«

»Der Herr Schulrat Müller, zu dienen,« sagte der Wirt und verbeugte
sich zum zweiten Male.

»Na nu?« rief der junge Mann erstaunt.

»Zu dienen, Herr Schulrat,« sagte der Wirt, sich zum dritten Male
verbeugend, und dann lief er flugs ins Haus. »Mine, Mine,« schrie er
seiner Magd zu, »flink, lauf in die Schule und sage dem Herrn Lehrer,
der Schulrat wäre da; spute dich, Mädel!«

Hui, wie lief da die Mine! Sie war erst seit drei Jahren aus der Schule
heraus und wußte noch ganz genau, was das heißt, wenn ein Schulrat
kommt. Die jüngeren Kinder schrieben gerade: »Der Hase läuft in das
Feld«, und die älteren rechneten, als Mine mit dem Rufe: »Der Herr
Schulrat ist da!« in das Klassenzimmer stürmte.

Potzhundert, gab das eine Aufregung!

Dem Herrn Lehrer fiel vor Schreck der Rohrstock aus der Hand, und drei
Mädel fingen an zu heulen, während dem dicken Friede, dem ewig Hungrigen,
das Frühstücksbrot, das er just in aller Heimlichkeit verzehren wollte,
in die unrechte Kehle kam. Er wurde krebsrot, hustete und würgte, einige
Kinder kicherten, die andern stöhnten, und der Herr Lehrer lief, gefolgt
von Mine, nach dem Wirtshaus, um dort den Schulrat zu begrüßen.

Der Fremde saß und trank behaglich seine Milch, als der Lehrer und
der Schulze, den der Wirt selbst geholt hatte, kamen und ihn mit so
schwungvollen Worten begrüßten, daß er zuerst ganz erstaunt dreinsah.
Aber plötzlich fing er an zu lachen, er lachte so laut und lustig,
daß der Wirt den Lehrer und der Lehrer den Schulzen ansah; so einen
lustigen Schulrat hatten sie noch nie gesehen, -- freilich auch noch
keinen so jungen. Dem Herrn Lehrer kam die Sache etwas sonderbar vor,
aber der Wirt hatte ja gesagt, der fremde Herr wäre der Schulrat, also
mußte es wohl richtig sein.

»Also, mein lieber Herr Lehrer, da wollen wir einmal in die Schule
gehen,« rief der lachende Schulrat und stand auf und ging mit dem
Lehrer und dem Schulzen auf das rote Schulhaus zu.

Das muß man sagen, mucksmäuschenstill saßen die Kinder, als der Schulrat
eintrat. Der ging auf das Katheder, sah die Buben und Mädel eine Weile
vergnügt an und sagte dann: »Liebe Kinder, ich bin überzeugt, daß ihr
fleißig seid und eure Pflicht tut!« Hier wurden einige sehr rot und
verlegen, aber der Herr Schulrat schien das gar nicht zu bemerken,
sondern fuhr fort: »Ich will euch darum nicht mit einer Prüfung quälen,
nein, ihr sollt heute einmal frei haben, weil gar so schönes Wetter ist.
Gefällt euch das?«

»Ja!« brüllten da alle und lachten, daß sich bei manchen der Mund von
einem Ohr bis zum andern zog. »Na, dann nehmt eure Bücher und lauft!
Ich habe im Walde gesehen, daß die Erdbeeren reif sind, also geht in
die Erdbeeren!«

Das ließen sich die Kinder nicht noch einmal sagen, holter, polter wurden
die Bücher gepackt, und dann rannten die Kinder alle hinaus wie Hasen,
wenn sie den Jäger erblicken.

»Leben Sie recht wohl, Herr Lehrer,« sagte der Schulrat, »ich komme bald
wieder. Ich denke, Ihnen wird ein ruhiger Tag auch mal gut sein,« und
wutsch war der Herr Schulrat draußen.

»Na,« meinte der Lehrer, »so ein Schulrat ist mir in meinem Leben noch
nicht vorgekommen!«

»Mir auch nicht,« sagte der Schulze.

»Mir auch nicht,« sagte einige Minuten später der Wirt, als der Schulrat
lachend von ihm Abschied nahm und fröhlich singend das Dorf verließ.

Die Buben und Mädel aber sagten gar nichts. Die rannten nur, was sie
konnten, um ihre Schulmappen nach Hause zu bringen und sich ein Körbchen
oder ein Töpfchen zu holen, und fünf Minuten später zogen die Oberheudorfer
Kinder in den Kuhberger Wald in die Erdbeeren. Kein Schulkind blieb daheim.
»Der Herr Schulrat hat's befohlen,« sagten sie, wenn Vater oder Mutter
meinten, sie sollten doch lieber bei der Heuernte helfen.

War das ein vergnügter Tag!

Als wären sämtliche Erdbeeren noch in aller Geschwindigkeit gereift, so
viele gab es. Es sah an manchen Stellen aus, als hätte Schnipfelbauers
Kathrine ihren feuerroten Sonntagsrock auf den Waldboden gelegt, so dicht
standen die Beeren beisammen. Aber freilich, es hätte doch noch zehnmal
mehr Erdbeeren geben können, die Oberheudorfer Kinder hätten sie doch
gepflückt und gegessen. In einen richtigen Oberheudorfer Kindermagen geht
nämlich unglaublich viel hinein, gar nicht zu sagen wie viel.

Wie alle schönen Tage, so ging auch dieser schulfreie Tag zu Ende.
Aber er endigte nicht, wie das manchmal vorkommt, mit Zank und Tränen,
Verdruß, Leibschmerzen und zerrissenen Kleidern, sondern er blieb schön,
bis die Kinder in ihre Federbetten krochen. Anton Friedlich träumte in
dieser Nacht, der Schulrat säße an seinem Bette und sagte, er, Anton,
brauche von jetzt ab nur in die Schule zu gehen, wenn er Lust dazu hätte.
Und Heine Peterle sagte, als er am andern Morgen die Augen aufschlug:
»Wenn doch heute wieder der Schulrat käme!«

Aber er kam nicht, und es war Schule wie alle Tage.

Und drei Tage später hatten die Kinder wieder einen sehr wichtigen
Grund, um sich »schulfrei« zu wünschen.

Es war ein ereignisvoller Tag für Oberheudorf. Eine neue Feuerspritze
wurde erwartet und sollte gleich probiert werden. Bisher hatten die
Oberheudorfer eine Spritze besessen, die allemal erst spritzte, wenn
das Feuer bereits vorbei war, und das war manchmal recht unangenehm.
Einmal hatte da zum Beispiel das Dach vom Schulzenhaus gebrannt; die
Spritze wurde angefahren, ehe sie aber in Ordnung war, hatte der Schulze
eigenhändig drei Eimer Wasser auf das Dach gegossen, und aus war das
Feuer. Und als dann alle so recht beim Begucken und Bereden waren, ging
auf einmal die Spritze los, und quatsch! war die ganze Schulzenfamilie
und einige Nachbarn dazu von unten bis oben naß. Man hatte darum in der
Stadt eine neue Spritze bestellt, und der Schulze hatte angeordnet,
daß die Spritze gerade kommen sollte, wenn Schule war. »Das neugierige
Kindervolk ist nur im Wege,« hatte er gemeint. Man muß sagen, nett war
das nicht vom Schulzen, und die Kinder jammerten auch gehörig über diese
Härte. Die Schule hatte noch nicht lange angefangen, als das Rollen eines
Wagens erklang. »Ob das die Spritze ist?« flüsterte der blaue Friede
seinem Nachbarn zu, und Annchen Amsee puffte Mariele: »Du, die Spritze!«

Aber es war nicht die Spritze, sondern ein Wägelchen, in dem ein älterer
Herr mit einer goldenen Brille auf der Nase saß. Das Wägelchen hielt vor
dem Schulhause, und Heine Peterle schrie: »Herr Lehrer, 's kommt wer!«

»Dummer Junge, wer denn?« rief der Lehrer ärgerlich.

»Ein dicker Herr, da ist er schon!« rief Heine Peterle und zeigte mit
einem rabenschwarzen Tintenfinger auf die Tür, die der Fremde gerade
öffnete.

Weil just der Herr Lehrer die Türe und nicht sie ansah, wollte Krämers
Trude, die so flink und keck wie ein Eichkätzchen war, den günstigen
Augenblick benutzen und dem dicken Friede einen Papierball an den Kopf
werfen, weil ihr der auf dem Schulwege die Schürze abgebunden hatte.
Doch der Ball verfehlte sein Ziel und flog dem fremden Herrn an die
Nase. »Oha,« sagte der verblüfft, »das ist ja ein netter Empfang!«

»Pschrr,« platzte Annchen Amsee heraus und »hahaha, hihihi, pschrr,«
kicherte und prustete das auf einmal an allen Ecken und Enden.

»Still!« rief der Lehrer ärgerlich; aber wenn die Oberheudorfer Buben
und Mädel einmal ins Lachen kamen, hörten sie so bald nicht wieder auf.
Sicher, sie hatten den besten Willen, still zu sein, aber sie konnten
es einfach nicht.

Der fremde Herr schüttelte erstaunt den Kopf, und der Lehrer nahm
seinen Rohrstock, schlug auf das Pult und sagte streng: »Gleich seid
ihr still!«

Da trat wirklich etwas Ruhe ein, und der Lehrer verneigte sich nun
höflich vor dem Fremden und fragte: »Was wünschen Sie, mein Herr?«

»Ich bin der Schulrat Müller,« gab der freundlich zur Antwort.

»Pschrrhu, hahaha, hihihi!« ging das Gelächter wieder los, und
Schnipfelbauers Fritz, der naseweiseste Bube im Dorf, rief: »Der war
doch erst da!« Dem Lehrer trat der Schweiß auf die Stirn, ihm erschien
der heutige Schulrat viel glaubwürdiger als der andere, und er sagte
ruhig und bestimmt: »Wer jetzt noch ein Wort spricht, der muß eine
Woche lang jeden Tag eine Stunde dableiben!«

Da wurden die Kinder alle still, denn sie wußten, wenn der Herr Lehrer
den Ton anschlug, hatte der Spaß ein Ende. Aber ein Spaß war es auch
nicht, daß der fremde Herr wirklich der Schulrat war; der lustige junge
Mann vor drei Tagen hatte des Wirtes Irrtum benutzt und aus Übermut die
Rolle des Schulrates gespielt.

Ein klein wenig lachte der echte Schulrat, als er die Geschichte erfuhr,
ans Freigeben aber dachte er nicht, sondern er schickte sich an, eine
strenge Prüfung abzuhalten. Mit ernster Miene, die Hände auf den Rücken
gelegt, spazierte er vor dem Katheder auf und ab und musterte scharf
die Buben und Mädel. Denen wurde angst und bange bei diesen forschenden
Blicken, das Lachen verging ihnen ganz und gar, und sie bekamen rote
Köpfe vor Verlegenheit.

»Sage mir mal,« fing der Herr Schulrat an und sah auf Schulzens Jakob,
»wer war Karl der Große?«

Nun kannte Jakob jedes Pferd, jede Kuh und jedes Schaf im Dorfe, aber
von den deutschen Kaisern hatte er keine Ahnung. Er sperrte denn auch
seinen Mund auf, daß man ganz gut ein Dreierbrot hätte hineinstecken
können; das war das Zeichen, daß Schulzens Jakob nachdachte. Auf einmal
aber verklärte sich sein Gesicht, und mit strahlenden Augen rief er:
»Windmüllers Ältester ist das!«

»Wer?« fragte der Herr Schulrat verdutzt, der natürlich nicht wissen
konnte, daß Windmüllers Ältester seiner ungewöhnlichen Länge wegen
»der große Karl« genannt wurde. Ärgerlich runzelte er daher die Stirn
und rief: »Höre mal, mein Sohn, du bist« -- -- -- schiiih ging das da
plötzlich draußen, und schwapp kam ein dicker Wasserstrahl durch das
offene Fenster und überflutete den Schulrat und die Kinder. Schulzens
Jakob bekam so viel Wasser in den Mund, daß er ihn vor Schreck schloß.

»Na, was soll denn das bedeuten?« schrie der Schulrat prustend. »Das ist
doch« -- -- schiiih -- kam ein zweiter Wasserstrahl in das Schulzimmer
und traf gerade auf die Mädel, die quiekend unter die Tische krochen.

»Die neue Spritze,« riefen der Lehrer und die Kinder ahnungsvoll, »sie
probieren« -- -- schiiih kam ein dritter Strahl und überschwemmte das
Schulzimmer so gründlich, daß sich der Herr Schulrat auf das Katheder
flüchten mußte, während die Kinder auf Tische und Bänke kletterten.
Der Herr Lehrer aber rannte hinaus, und flugs folgten ihm einige Buben.
Draußen auf dem freien Platz vor dem Schulhaus stand die neue Feuerspritze,
und mehrere Bauern arbeiteten aufgeregt an ihr herum. Aufgedreht war die
Spritze, aber zudrehen konnte sie niemand, und da sie außerdem mit einem
Rad in ein tiefes Loch geraten war, konnte sie nicht einmal zur Seite
gefahren werden. -- Schiiih, schiiih, schoß das Wasser ins Schulzimmer
hinein, und triefend, weinend und lachend, wie Fröschlein im Sumpfe
hopsend, flohen die Schulkinder.

»Jetzt hab' ich's,« rief der dicke Bäckermeister und drehte mit einem
Ruck die Spritze zu.

Und der Schulze, der vor Aufregung rot geworden war wie ein Ziegeldach,
sagte: »Ach, ach, Herr Lehrer, mir scheint, 's ist Wasser ins Schulzimmer
gekommen!«

»Na, mir scheint auch,« riefen der Schulrat und der Lehrer wie aus einem
Munde; sie trieften alle beide, als hätten sie in einer Badewanne gelegen.

»Huhuhu, ich bin naß,« heulte Mariele, und »Huhuhu, ich auch, ich auch,«
schrien einige andere Kinder.

»Geht doch nach Hause, Kinder,« rief der Herr Schulrat, »mit der Schule
ist es jetzt doch nichts!«

Das war ein Wort! Einige Kinder quiekten vor Freude, und Buben und Mädel
vergaßen auf einmal ihre nassen Kleider so vollständig, daß sie gar nicht
daran dachten, nach Hause zu gehen. Wie eine Mauer standen sie um die neue
Spritze herum, während der Schulrat und der Lehrer in das Haus gingen. Der
Schulze ärgerte sich zwar sehr über das neugierige Kindervolk, aber was
half es? Die Kinder waren da und blieben da, soviel er auch darüber
brummte.

Die Schulstube sah aus wie ein See, einzelne Hefte, die bei der hastigen
Flucht zu Boden gefallen waren, schwammen wie blaue Fische im Wasser.
Ein Glück war es, wie Anton Friedlich sagte, daß das Wasser auch in die
Nebenstube gelaufen war, es konnte auch darin am Nachmittag keine Stunde
abgehalten werden. Also hatten die Oberheudorfer Kinder wieder einen
schulfreien Tag, was sie ungemein vergnüglich fanden. Der Herr Schulrat
war liebenswürdig genug, über die Spritzengeschichte mehr zu lachen
als sich zu ärgern. Er blieb im Pfarrhause als Gast, und am nächsten
Tag hielt er die Schulprüfung ab, die ohne jeden Zwischenfall verlief.
Und um die Wahrheit zu sagen, die Kinder wußten mehr, als der Schulrat
erwartet hatte. Schulzens Jakob behauptete zwar kühnlich, es gebe sieben
Erdteile, und Bäckermeisters Mariele sagte, China sei eine Provinz von
Deutschland, auch verwechselte sie die Mark Brandenburg mit Afrika, und
Heine Peterle versicherte, 10 × 7 sei 90 und die Hälfte von 100 sei 200:
na, aber das schadete weiter nichts, -- so etwas kann schon vorkommen.

[Illustration: Schulszene]

[Illustration: Dekoration]



Zwei Feinde.


In Oberheudorf gab es drei Buben, die alle drei den Namen Friede trugen.
Sie waren ziemlich in einem Alter, und ihre Kameraden hatten ihnen, damit
sie beim Spielen nicht verwechselt wurden, Spitznamen gegeben: den einen
nannten sie den dicken Friede, den andern den blauen Friede und den
dritten Traumfriede.

Der dicke Friede trug seinen Namen eigentlich mit Unrecht, denn so dick
war er gar nicht. »Er kann's noch werden, weil er so viel ißt,« meinten
aber die Oberheudorfer Kinder, und damit hatten sie freilich recht.
Hungrig war der dicke Friede eigentlich immer, und er konnte zu jeder
Tageszeit und Nachtzeit essen. Schlug er früh seine Augen auf, so schrie
er schon: »Hab' ich mal 'nen Hunger!« und eine Viertelstunde nach dem
Mittagbrot, bei dem er so lange aß, als noch etwas in der Schüssel war,
pflegte er zu sagen: »Mir rumpelt's so im Magen, 's scheint, ich könnt'
'ne Schnitte essen!«

Es war ein Glück, daß er als eines wohlhabenden Bauern Sohn zur Welt
gekommen war. In ein Häusel, in dem Schmalhans Küchenmeister war, hätte
er schlecht gepaßt. Übrigens war der dicke Friede ein kreuzbraver Junge;
er lernte fleißig und vertrug sich mit allen seinen Kameraden, nur mit
seinem Namensvetter, dem blauen Friede, nicht.

Die Mutter vom blauen Friede hatte einmal ein graues Tuch blau färben
wollen, und da sie eine Färberstochter war, wollte sie auch das Färben
selbst besorgen. Die Botenmarie sollte ihr darum Farbe aus der Stadt
mitbringen. Die Frau schrieb also auf einen Zettel: Ein viertel Pfund
Farbe, und darunter: Zehn Pfund Zucker; sie wollte nämlich Kuchen backen.
Aber die Botenmarie verwechselte beides miteinander und brachte zehn Pfund
Farbe und ein viertel Pfund Zucker. Mit der Farbe hätte ganz Oberheudorf
blau gefärbt werden können. Die Bäuerin war auch sehr böse, aber was half
es, der Kaufmann in der Stadt nahm die Farbe nicht zurück, und seitdem
färbte Friedes Mutter alles, was ihr unter die Finger kam, schön
kornblumenblau. Der Mann, die Frau, die Kinder, ja auch die Knechte und
Mägde gingen immer in blauen Sachen. Die Farbe mußte doch verbraucht
werden! Friede wurde darum der blaue Friede genannt, und sein Vaterhaus
hieß der blaue Hof.

Der dritte Friede war ein armer Waisenjunge. Er war beim Kohlbauern,
der im ganzen Dorfe seiner Härte und seines Geizes wegen verrufen
war, in Pflege. Gut ging es ihm im Hause seines Pflegevaters wirklich
nicht; es gab viel Arbeit, Schelte und Schläge, aber wenig zu essen.
Niemand kümmerte sich sonst um den Buben, der still und verschlossen
seines Weges ging. Auch in der Schule blieb Friede immer einsam. Er
hätte wohl manchmal gern mit den andern Kindern gespielt, aber er
traute sich nicht heran, und wenn er wirklich einmal gerufen wurde,
dann wich er aus, denn er schämte sich, weil er immer in Lumpen ging.
Das Lernen wurde ihm leicht, und er lernte auch gern, aber er hatte
nie Zeit, ordentlich seine Arbeiten zu machen, und galt darum in der
Schule als faul. Oft war er in der Schule auch so müde von all der
schweren Arbeit, die er bei seinem Pflegevater verrichten mußte, daß
er schon etliche Male eingeschlafen war. Darum wurde er auch spottend
Traumfriede genannt. Der Name paßte gut für ihn, denn der Bube träumte
wirklich viel, aber nicht, wenn er im Bett lag und schlief, sondern am
hellen Tage mit offenen Augen. Lichte, heitere Träume, die wie Märchen
waren, kamen dann zu ihm und machten sein Leben froh, und leicht vergaß
er, wenn er so träumte, sein hartes Los.

Mit Traumfriede gaben sich die beiden andern Friede so wenig ab wie die
andern Kinder; sie sprachen nicht mit ihm und zankten nicht mit ihm,
sondern ließen ihn seines Weges gehen. Schlimm aber war es zwischen dem
dicken Friede und dem blauen Friede: die konnten einander nicht leiden.
Warum, wußte niemand, und sie selbst wußten es am allerwenigsten.
Doch sie waren wie Hund und Katze zusammen. Ging einer hier, so ging
der andere da; lachte der eine, so brummte der andere, und wenn einer
dem andern einen Schabernack spielen konnte, tat er es mehr als gern.
Vielleicht konnten sie sich darum nicht leiden, weil sie immer zusammen
genannt wurden. Zu ihrem größten Ärger saßen sie auch nebeneinander in
der Schule; denn weil der dicke Friede fleißig war, lernte auch der blaue
Friede eifrig, und so kam es, daß sie gleich gut standen.

Die andern Kinder neckten die beiden Friede: »Du, Dicker,« schrien sie,
wenn der gerade sein Frühstück aß, »da kommt der Blaue,« und dem armen
Dicken verging dann beinahe der Appetit.

Einmal war der dicke Friede auf einem Kirschbaum eingeschlafen, da holte
Anton Friedlich den blauen Friede und sagte, Heine Peterle sitze oben,
er möchte ihn herunterholen. Flugs kletterte der Blaue hinauf, und als
er oben den Dicken sah, wurde er fuchswild. Der Dicke, der durch diesen
unverhofften Besuch unsanft aus seinem Schlaf gerissen wurde, schrie:
»Gleich gehst runter, marsch!«

»Nä, das fällt mir net ein!« trotzte der Blaue. »Das ist doch net dein
Baum!«

»Aber ich war zuerst oben,« knurrte der Dicke.

»Nachher kannst ja auch zuerst runter,« gab sein Feind patzig zur Antwort.

So saßen sie eine Weile auf dem Baume und fauchten einander an wie zwei
Katzen, und keiner wollte zuerst herunterklettern. Und unter dem Baum
standen einige Buben und Mädel und riefen lachend: »Aber kommt doch nur!
Komm, Blauer! Komm, Dicker!«

Die beiden Friede aber säßen wohl heute noch auf dem Baume, wenn die
Schulglocke nicht geläutet hätte. Heidi, da fuhr ihnen der Schreck in
die Glieder, und sie wollten beide zugleich hinunter. Darüber aber
verloren sie das Gleichgewicht -- und plumpsten herab wie zwei reife
Kirschen.

Schaden tat ihnen der Fall nichts, und in die Schule kamen sie auch
noch zur rechten Zeit, aber so böse waren sie aufeinander, als hätte
einer dem andern etwas ganz Schlimmes zugefügt.

Ungefähr eine Viertelstunde von Oberheudorf entfernt lag ein großer
Teich und dicht daneben ein kleiner Bauernhof, auf dem ein altes Ehepaar
wohnte. Die beiden Alten hatten ihren großen Hof im Dorfe ihrem Sohne
übergeben und lebten nun still und friedlich in dem kleinen Hause. Im
Winter kamen die Oberheudorfer Kinder oft und liefen auf dem Teiche
Schlittschuh; die alte Bauersfrau hatte dann stets einen großen Topf voll
Kaffee auf dem Ofen stehen, und manch ein blaurot gefrorenes Bübchen oder
Mädelchen kam zu ihr und erhielt eine Tasse des warmen Trankes.

An einem mäßig kalten Wintertage liefen die Kinder wieder auf dem Eise
Schlittschuh; der dicke Friede und der blaue Friede waren auch dabei.

Schuster Pechdraht, der von Niederheudorf kam, rief den Kindern zu:
»Nehmt euch in acht, das Eis ist noch nicht ganz fest!«

»Ach, es hält schon!« schrien die Kinder und liefen kreuz und quer, als
hätte der Schuster seine Warnung an die alte, krumme Weide am Teichrand
gerichtet. Der blaue Friede besonders, der ein guter Schlittschuhläufer
war, schoß wie ein Pfeil über das Eis. Der dicke Friede konnte nicht so
gut laufen und ärgerte sich weidlich darüber. »Wollen sehen, wer zuerst
an der Weide ist,« schrie da Heine Peterle.

Der blaue Friede fuhr, so schnell er konnte, auf das Ziel los, und
keuchend folgte ihm der dicke Friede. »Er darf nicht zuerst kommen,«
dachte der und nahm alle Kraft zusammen. Da hatte der Blaue schon die
Weide erreicht, und ritsch -- griff auch der Dicke nach den kahlen
Zweigen.

In diesem Augenblicke ertönte ein dumpfes Krachen.

»Das Eis bricht!« schrien die Kinder entsetzt und stoben auseinander
wie eine Schar Tauben, auf die ein Habicht stößt.

Ein zweiter Krach ertönte. Schreiend purzelten die Kinder an das Ufer,
und im Nu war der Teich wie abgekehrt. Nur der dicke Friede und der blaue
Friede waren noch darauf, oder vielmehr sie saßen darin, denn das Eis war
gerade dicht an der alten Weide geborsten, und die beiden Buben saßen bis
an den Hals in dem eisigen Wasser.

Aber schreien konnten sie noch, und sie schrien gellend um Hilfe, während
die andern Kinder wehklagend in das nahe Bauernhaus rannten. Zum Glück
waren der alte Bauer und sein Knecht daheim, und sie kamen auch beide
eiligst herbei, um die verunglückten Buben zu retten. Es gelang auch, die
beiden, die bereits ganz blau gefroren waren, schnell aus dem Wasser zu
ziehen. Sie wurden in das Haus getragen. Dort hatte die Bäuerin, als sie
von dem Unglück gehört hatte, hurtig einen Topf Fliedertee auf das Feuer
gestellt und ein Bett gewärmt. Flink zog sie die Verunglückten aus, und
der Bauer und sie rieben die pudelnassen Buben mit einem dicken Tuche so
kräftig ab, daß den Taugenichtsen Hören und Sehen verging. Dann wurden die
beiden in das Bett gelegt, das breit und groß in der Stube stand und mit
feuerroten Sternblumen und himmelblauen Bändern bemalt war. Die Bäuerin
gab den beiden Fliedertee zu trinken und deckte ihnen ein ungeheuer dickes
Federbett über. »Gelle, das ist gut?« fragte sie.

Wie zwei Brote in einem Backofen, so lagen die beiden Feinde ganz friedlich
nebeneinander in dem warmen Federneste. Nur ihre runden, roten Gesichter,
die vor Hitze glühten und glänzten, waren zu sehen.

Rühren konnten sich die Buben nicht, dazu waren sie viel zu dick
eingepackt, und wenn einer wirklich eine leise Bewegung machte, dann
schrie gleich die alte Bäuerin: »Nä, nä, nich' die gute Wärme rauslassen!
Ich behalt' euch hier bis morgen, -- gelle, das gefällt euch?«

»Hm!« brummten alle beide, und der Blaue sah nach rechts und der Dicke
nach links.

»Na, ä bißchen plappern könnt ihr schon!« sagte die Bäuerin gutmütig.
»Gelle, 's ist doch gemütlich, so zusammen zu sein?«

»Hm!« knurrten die beiden wieder und starrten zur Zimmerdecke empor.

Die Alte schüttelte den Kopf. »Nä, sagt doch, könnt ihr nich' reden?«

»Ich kann schon,« knurrte der Dicke, »aber --«

»Ich auch,« ächzte der Blaue, »aber --« Und nun sah einer wieder nach
rechts, der andere nach links, und dann stöhnten sie herzbrechend.

»So'n dummes Gehabe!« brummte der Bauer in seiner Ofenecke und zündete
sich ein Pfeifchen an.

»Nu sagt doch, wo fehlt's bei euch denn?« ermunterte seine Frau die
Buben.

»Hm!« seufzten beide, und der Blaue schielte den Dicken an und der
Dicke den Blauen, und plötzlich platzten beide heraus: »Wir sind Feinde!«

»Was seid ihr?« fragte die Bäuerin verdutzt.

»Feinde!« sagten beide kleinlaut.

Die Alte sah beide mit ihren hellen Augen freundlich an. »Warum denn?«
fragte sie.

Wenn es möglich gewesen wäre, daß die Buben rot geworden wären, dann
würden sie alle beide errötet sein, aber das ging nicht, weil sie
ohnehin schon aussahen wie zwei Klatschrosen. »Ich weiß nicht,« sagte
der Blaue kläglich. »Ich auch nicht,« ächzte der Dicke.

»Nä, potz tausend, so ä paar dämliche Jungen hab' ich noch nie gesehen!«
rief der alte Bauer, der die Unterhaltung mit angehört hatte. »Sind Feinde
und wissen nicht, warum! Nä, so was!«

Die alte Bäuerin aber faltete die Hände still im Schoß und guckte mit
ihren klaren, guten Augen die Buben ernsthaft an. »Gelle, 's macht viel
Freude, 'nen Feind zu haben?« fragte sie.

»Nä!« riefen die Buben wie aus einem Munde, und einer schielte verlegen
den andern an.

Die Alte stand auf, holte zwei große Tassen Fliedertee herbei und sagte
freundlich: »Den Tee trinkt jetzt, und wenn ihr fertig seid, stoßt ihr an.
Eigentlich macht man das ja mit 'ner vollen Tasse, aber ihr schwappert mir
sonst noch das Bett voll. Und nachher hat's 'n Ende mit der Feindschaft,
gelle?«

»Ja,« sagten die Buben ganz demütig und tranken tapfer den Tee, obgleich
es ihnen schon war, als sollten sie geschmort werden. Sie stießen auch
wirklich miteinander an, und ob es nun der Fliedertee machte oder die
Hitze oder das freundliche Zureden der alten Bäuerin, dem Dicken und dem
Blauen kam die Sache auf einmal komisch vor. Sie prusteten alle beide
los vor Lachen und zwickten und schubsten sich, und bums! fiel das dicke
Federbett mitten in die Stube.

»Nä, die gute Wärme!« schrie die Bäuerin und packte das Bett schnell
wieder auf die Buben drauf und stopfte es rechts und links fest, damit die
Hitze nur ja im Bette blieb. »Dann seid ihr morgen gesund,« tröstete sie
die schwitzenden Buben.

Dann holte sie sich einen großen, roten Strickstrumpf, setzte sich an
das Bett und begann ihren Gästen eine Geschichte zu erzählen. Die alte
Standuhr tickte laut dazu, und manchmal schnarrte sie, als wollte sie auch
etwas sagen. Der Bauer saß in der Ofenecke und rauchte sein Pfeifchen, und
neben ihm lag schnurrend ein dicker, schwarzer Kater.

»Klappklapp, klappklapp,« machten die Stricknadeln, als müßten sie
mit erzählen helfen, und je schneller die Bäuerin sprach, je flinker
klapperten die Nadeln. Immer heißer wurde es im Zimmer, denn der braune
Kachelofen fauchte ordentlich vor Hitze. Den Buben wurde es auch immer
wärmer in ihrem Bett; sie schwitzten wie zwei Teekessel, aber dabei
wurde es ihnen immer friedlicher ums Herz. Sie vergaßen allen Streit
und allen Trotz. Der dicke Friede blinzelte seinen einstigen Feind an,
dann legte er seinen Kopf an dessen Schulter, und der tat ganz sacht
seinen Arm um des andern Hals.

Leiser und leiser wurde die Stimme der alten Bäuerin, die Stricknadeln
klapperten kaum hörbar, zuletzt verstummte die Erzählerin, und in den
dicken Federkissen schnarchten die beiden Friede um die Wette, und bald
schnarchte auch der Bauer in der Ofenecke mit.

Als die beiden Buben am nächsten Morgen aufwachten, da waren sie
putzmunter, und ihre Augen blitzten wie lauter dumme Streiche. Nicht
einmal einen Schnupfen hatten sie, und die allerbesten Freunde waren
sie. Sie sind es auch seitdem geblieben.

[Illustration: 2 Jungen im Bett]

[Illustration: Dekoration]



Ehrenjungfern und Buben.


Eine Stunde von Oberheudorf entfernt, an einem kleinen See, lieblich von
Wald und Wiesen umgrenzt, lag ein Schloß. Es gehörte dem Herrn Grafen
Dachhausen, der es immer im Sommer mit seiner Familie bewohnte. Wie
man anderswo vielleicht sagt: »Die Störche sind da!« so sagte man in
Oberheudorf: »Grafens sind da!« Das war das Zeichen, daß der Frühling kam.
»Grafens« besuchten in Oberheudorf die Kirche, und die Frau Gräfin kam
auch manchmal in die Schule. Das war aber nicht so anstrengend, als wenn
der Schulrat kam, sondern immer ein Festtag, denn die Frau Gräfin brachte
gewöhnlich eine unglaublich große Zuckertüte mit, die freilich, wie leider
alle Zuckertüten, im Umsehen leer war. Dann ließ die freundliche Dame sich
einige Lieder vorsingen und verließ, nachdem sie noch der Frau Lehrerin
einen Besuch abgestattet hatte, die Schule, und die Kinder riefen ihr
immer sehr bittend nach: »Auf Wiedersehen!«

Wieder einmal waren »Grafens« gekommen, und zugleich war mit Sonnenglanz
und Blütenpracht der Frühling eingezogen. Im Schloß herrschte große
Aufregung. Maler und Tapezierer arbeiteten darin herum; der Gärtner grub
und pflanzte mit seinen Gehilfen vom frühen Morgen bis zum späten Abend im
Park, und in der Küche saß stöhnend Mamsell Bertchen, die Wirtschafterin,
und sagte: »Nächstens sterbe ich ganz gewiß!« Sie wußte nämlich nicht, was
für eine Pastete sie backen sollte. Schließlich gab sie das Stöhnen auf,
blieb am Leben und buk drei Pasteten, »zur Auswahl«, wie sie sagte, eine
aß sie aber ganz allein auf.

Im Schloß wurde hoher Besuch erwartet: der Landesfürst selbst sollte
kommen. Ihm zur Ehre wurden alle Vorbereitungen getroffen, und der Graf
und die Gräfin dachten sich allerlei aus, womit sie den vornehmen Gast
erfreuen wollten. Unter anderem sollten ihm bei seiner Ankunft im Schloß
kleine Mädchen in Landestracht Blumen überreichen.

In der Gegend, in der Oberheudorf liegt, haben die Dorfleute früher eine
hübsche malerische Tracht getragen. Aber wie manchmal Kindern ihre schönen
Spielsachen langweilig werden, so waren den Oberheudorfern auch ihre
schönen Gewänder langweilig geworden, und nur die alten Frauen trugen sie
noch hin und wieder. In manchen Familien lagen aber noch solche schöne,
alte Sachen in den buntbemalten Truhen; an ihnen konnte man erkennen, wie
stattlich früher die Oberheudorfer einhergegangen waren. Nach dem Muster
dieser Gewänder wollte nun die Gräfin Dachhausen vier kleine Mädchen
gekleidet haben, die sollten Verse sagen und Blumen bringen.

Annchen Amsee, Tischlers Liese, Schulzens Röse, die nicht faul wie ihr
Bruder Jakob, sondern sehr eifrig in der Schule war, und des Waldbauers
Mariandel waren die vier Auserwählten. Sie sagten, wo sie gingen und
standen, ihre Verschen her, und als Waldbauers Mariandel einmal Kaffee
und Spiritus holen sollte, sagte sie zu dem Krämer. »Wir grüßen dich,
erlauchter Fürst!« Und der Krämer dachte nichts anderes, als das
Mariandel habe seinen Verstand verloren.

In Oberheudorf vertrugen sich die Buben und Mädel sonst immer recht gut
miteinander. Sie zankten sich mal und pufften sich auch hin und wieder,
aber dann spielten sie auch wieder miteinander und vollführten in der
allerschönsten Eintracht die allerdümmsten Streiche. Seit aber die Frau
Gräfin die vier Mädchen zum Empfang des Fürsten erwählt hatte, waren
die Buben wütend auf die Mädel, und die faulsten und unnützesten waren
am ärgerlichsten. »Nur Mädels,« sagte Schnipfelbauers Fritz entrüstet,
obgleich er doch sicher nicht ausgewählt worden wäre, selbst wenn die
Frau Gräfin auch Buben genommen hätte.

»Und unsere Röse ist ein Jahr jünger als ich,« rief Schulzens Jakob empört.

»Es ist frech von ihnen,« schrien Anton Friedlich und Heine Peterle.
Als ihnen aber Annchen Amsee am gleichen Tage eine Zuckerstange gab,
die noch von ihrem Geburtstag stammte, da nahmen sie die Stange und
aßen sie auf, aber böse waren sie darum doch. Aber aller Ärger half
ihnen nichts: die vier Mädel waren zum Empfang eingeladen und blieben
es, mochten die Buben brummen, soviel sie wollten.

Der Festtag kam heran. Erst hatten alle Oberheudorfer zugleich mit den
vier Mädeln nach dem Schlosse ziehen wollen, um den Empfang zu sehen.
Der Herzog jedoch liebte zu große Empfänge nicht, und darum hatte der
Graf die Dorfbewohner bitten lassen, sie sollten erst am Abend kommen;
es solle ein wundervolles Feuerwerk abgebrannt werden, und dazu könne
jeder kommen, der Lust habe. Der Herzog, der mit seinem eigenen Wagen
von seinem einige Stunden entfernten Jagdschloß Adlershorst kam, wurde
am Nachmittag erwartet. Um Mittag traten daher, gefolgt von dem halben
Dorf, die vier kleinen Ehrenjungfern ihren Weg nach dem Schlosse an.
Bis zum Ende des Dorfes wurde ihnen das Geleit gegeben, dann ließ man
sie mit vielen guten Wünschen und Ermahnungen ziehen, und die andern
kehrten alle heim, um später den gleichen Weg zu wandern.

Die vier Mädel aber zogen stolz in ihren hübschen Gewändern fürbaß. Sie
hatten bunte Röckchen, schwarze Mieder und schneeweiße, mit Spitzen
besetzte Hemden an. Die schwarzen Hauben, die sie trugen, waren sehr
reich mit schönen farbigen Bändern geschmückt. Weiße, feingefaltete
Schürzen, weiße Strümpfe mit roten Zwickeln und blitzblanke, schwarze
Schnallenschuhe gehörten noch zu dem Anzug. Es war eine Pracht, die vier
anzuschauen, und sie gingen auch so steif und vorsichtig einher, wie die
Puthähne Kaspars auf dem Berge, aber freilich so eingebildet und wütend
wie diese waren die vier Mädel nicht.

Ein Stückchen waren Annchen, Liese, Rose und Mariandel auf der Landstraße
dahingezogen, als plötzlich aus einem Graben am Wege vier Buben kletterten.

Die Mädel schrien laut auf vor Schreck, aber dann erkannten sie ihre
Schulgefährten Anton Friedlich, Schnipfelbauers Fritz, Heine Peterle
und Schulzens Jakob, die alle vier wie aus einem Munde riefen: »Aber
ihr seid fein, uh je!«

Die Mädchen glaubten nicht anders, als die Bewunderung sei echt. Sie
nickten vergnügt und zupften an ihren Bändern herum, und Annchen Amsee
fragte freundlich: »Wollt ihr uns begleiten?«

»Freilich, freilich!« rief Heine Peterle, und Schnipfelbauers Fritz
meinte verschmitzt: »Grad' dazu sind wir ja gekommen!«

Wie sie so miteinander gingen, sagte Waldbauers Mariandel auf einmal:
»Ihr schaut ja immer unsere Schuhe an, gelt, die können euch gefallen?«

»Na ob!« rief Schnipfelbauers Fritz. »Aber dumm seid ihr Mädel doch!«

»Pfui!« quiekten die vier Ehrenjüngferchen entrüstet, »du bist mal ein
Grober!«

»Na, wahr ist's doch!« behauptete Fritz lachend. »Bis ihr ins Schloß
kommt, sind eure Schuhe schmutzig. Zieht sie doch aus! Gelt, ihr seid
zu vornehm, um barfuß zu gehen?«

Die Buben lachten laut auf, und die Mädel sahen sich an und schämten sich,
sie fanden, Fritz habe recht. »Woll'n wir?« fragte Mariandel, und die
andern nickten: »Ja, wir wollen!« Hurtig begannen sich die vier Mädel
Schuhe und Strümpfe auszuziehen, und bald standen sie mit nackten Beinchen
auf der Landstraße. Die Buben lachten vergnügt dazu und nahmen dann jeder
ein Paar Schuhe, in denen fein säuberlich die Strümpfe steckten. »Wir
tragen sie euch ein bißchen,« sagten sie so gefällig, wie sie sonst nie
waren. So trabten sie miteinander auf der Landstraße dahin. Aber weit waren
sie noch nicht gegangen, als Schnipfelbauers Fritz plötzlich rief: »Dort
läuft ein Hase!«

»Wo denn, wo denn?« fragten alle.

»Dort, dort!« schrie Anton Friedlich, »ich sehe ihn!«

»Ich auch,« schrie Heine Peterle, »ich lauf' ihm nach!« und er begann
zu laufen.

»Ich auch,« »Ich auch,« »Ich auch,« schrien seine Kameraden und rannten
hinter ihm her.

Die vier Mädel hatten zwar keinen Hasen gesehen, aber sie warteten geduldig
auf die Rückkehr der Kameraden. Doch die Zeit verging, und kein Anton, kein
Jakob, kein Fritz und kein Heine Peterle ließen sich sehen, sie waren
spurlos verschwunden und mit ihnen Schuhe und Strümpfe.

Die Mädchen wurden ängstlich, sie mußten doch gehen, und sie begannen
laut zu rufen. Aber ihre Stimmen verhallten in der mittäglichen Stille,
und nichts regte und rappelte sich.

Annchen Amsee ahnte zuerst die Wahrheit, sie rief plötzlich klagend:
»Sie haben uns einen Streich gespielt, sie sind fortgelaufen mi--mit
unsern Schu--schuhen!« Die letzten Worte kamen nur stoßweise unter Tränen
hervor, und als die andern ihre Kameradin weinen sahen, da wurde es ihnen
klar, daß die Buben ihnen absichtlich Schuhe und Strümpfe weggetragen
hatten. Sie brachen in ein jammervolles Geschrei aus und sanken einander
in die Arme. Alle vier hielten sich umschlungen und weinten so, daß zwei
Spatzenmütter, die auf einem Kirschbaum in der Nähe brüteten, vor Schreck
und Mitgefühl aus dem Neste plumpsten. So dicht hatten die vier die Köpfe
zusammengesteckt, daß immer einer die Tränen der andern über das Gesicht
liefen. Wie ein Häuflein Unglück standen sie da mitten auf der Landstraße,
und vor Schreien und Wehklagen sahen und hörten sie nicht, was um sie
herum vorging.

Plötzlich packten sie starke Arme, und eine gutmütige Stimme sagte: »Aber
Kinder, ihr werdet ja noch überfahren! Warum schreit ihr denn so?«

Vier heiße, tränenüberströmte Gesichtchen hoben sich zu dem Sprecher
empor. Das war ein Mann, der einen braunen, mit goldenen Knöpfen besetzten
Rock trug, kurze Hosen und lange, helle Gamaschen dazu. Und mitten auf der
Landstraße hielt ein Wagen, in dem drei Herren saßen.

[Illustration: Oberheudorfer Buben- and Mädelgeschichten. Seite 56.]

Einer von ihnen, ein älterer Mann mit einem milden, freundlichen Gesicht,
rief: »Paul, bringe die Kinder doch einmal her, ich will fragen, was den
armen Dingern fehlte.«

Paul nahm das Häuflein Mädel und schob es sanft nach dem Wagen hin.

»Ja, Kinder, sagt mir nur, warum weint ihr denn gar so fürchterlich?«
fragte der freundliche Herr.

»Huhuuu -- unsere Schu--uhe!« schrien Annchen, Liese, Röse und Mariandel
wehklagend, aber mehr war nicht aus ihnen herauszubringen, soviel die
Herren auch fragten.

Endlich nahm der eine von ihnen Annchen Amsee einfach in den Wagen und
sagte gütig, aber ernst: »Jetzt, Kind, erzähle mir, was geschehen ist!«

Annchen Amsee erschrak, sie nahm sich jedoch zusammen und erzählte unter
Tränen, was die Buben ihnen für einen Streich gespielt hatten, und als sie
mit Erzählen fertig war, da brachen alle wieder von neuem in Wehklagen aus.

Die Herren lachten. »Ihr armen kleinen Dinger,« sagte der, welcher zuerst
gesprochen hatte, mitleidig. »Doch kommt, ich fahre auch nach dem Schloß,
ich werde euch mitnehmen. Und daß ihr barfuß kommt, das schadet nichts;
seid nur getrost, es wird schon alles gut werden!«

Ehe die vier recht wußten, was geschah, saßen sie alle in dem feinen
Wagen. Ein bißchen eng war es freilich, aber schön war es auch, und die
drei Herren trösteten die kleinen Ehrenjungfrauen so gütig, daß diese
zuletzt ganz vergnügt wurden. So kam es, daß sie schon wieder ordentlich
lachen konnten, als der Wagen in die breite Allee einfuhr, die zum
Schlosse führte. In der Allee standen zwei Diener, die, als sie den Wagen
erblickten, laut etwas riefen und rasch ins Schloß rannten. Auf der
breiten Terrasse vor dem Schloß standen der Graf und die Gräfin und noch
viele andere schöngekleidete Herren und Damen, und der Graf kam eilig die
Treppe herabgelaufen und verbeugte sich sehr tief vor dem freundlichen
älteren Herrn.

Kein anderer als der Herzog selbst war das.

Als die vier Mädelchen dies merkten, hätten sie beinahe vor Schreck und
Verlegenheit wieder angefangen zu heulen, der Diener Paul aber meinte,
Wasser sei doch schon genug geflossen, sie sollten doch lieber still
sein. Das taten sie denn auch, ja sie lachten sogar mit, als der Herzog
die Geschichte von den Schuhen erzählte und der Graf und seine Gäste
herzlich darüber lachten. Der Herzog war früher, als er erwartet worden
war, gekommen und meinte, es sei nur gut, daß er die kleinen Ehrenjungfern
gleich mitgebracht hätte. Sie mußten noch ihr Sprüchlein sagen, und da
sie es sehr gut konnten, wurden sie viel gelobt. In einem besonderen
Zimmer wurde ein Tisch für sie gedeckt, und Annchen, Liese, Röse und
Mariandel ließen sich all die guten Sachen, die ihnen vorgesetzt wurden,
trefflich schmecken. Der Kummer um ihre Schuhe und Strümpfe hatte sie
hungrig gemacht, auch schmeckten ihnen Braten, Kompott und Torte besser
als ein Oberheudorfer Käsebrot.

Die vier Buben hatten, zu ihrer Ehre sei es gesagt, gar nicht die Absicht
gehabt, den Mädeln Schuhe und Strümpfe ganz und gar wegzunehmen, sie
hatten die vier nur etwas ängstigen wollen. Sie waren daher in den Wald
gelaufen, und nach einer Viertelstunde ungefähr wollten sie die Sachen
zurücktragen. Als sie so im Walde saßen, erblickten sie auf einmal den
Waldhüter Leberecht Sperling, der von allen Buben Oberheudorfs gefürchtet
wurde.

Leberecht Sperling glaubte nämlich, jeder Bube sei unnütz. Schön war das
nicht von ihm, aber er glaubte es nun einmal. Traf er daher einen Buben
im Walde, so hatte der seiner Ansicht nach irgend eine Dummheit begangen,
und es war schon vorgekommen, daß er ohne irgend eine Vorrede diesen Buben
einfach durchgewichst hatte. Kein Bube aber liebt dergleichen besonders,
und es war nicht verwunderlich, daß die Buben Leberecht Sperling in der
Entfernung lieber sahen als in der Nähe. Anton, Fritz, Heine Peterle und
Jakob erschraken daher sehr, als sie den Waldhüter auf sich zukommen
sahen, und weil sie obendrein ein grundschlechtes Gewissen hatten, nahmen
sie Reißaus.

»Die haben etwas Dummes gemacht,« dachte Leberecht Sperling, und da er
recht lange Beine hatte, war die Sache nicht ungefährlich, und die vier
Missetäter hatten auch gehörige Angst und waren heilfroh, als sie zum
Walde raus waren und der Waldhüter von der Verfolgung abließ.

Niedergeschlagen dachten sie an die vier Mädel auf der Landstraße. Durch
den Wald trauten sie sich nicht wieder, und so blieb ihnen nichts weiter
übrig, als nach dem Dorf zurückzukehren und von dort aus auf die Landstraße
zu gelangen. Die Nähe des Dorfes aber war gefährlich; leicht konnten sie
mit den Schuhen gesehen werden. Und verbergen ließen sich die Schuhe zu
schlecht. Anton Friedlich versuchte sie in die Tasche zu stecken, als er
aber einen mit Not und Mühe hineingezwängt hatte, platzte die Tasche. »Die
dummen Mädel!« schrie er wütend, als ob diese seine Tasche zerrissen
hätten, und seine Gefährten stöhnten: »Hätten wir sie nur gehen lassen!«

Sie gelangten jedoch glücklich am Dorf vorbei und rasten dann die
Landstraße entlang, aber soviel sie auch riefen und spähten, von den
Mädeln war keine Spur mehr zu sehen. Sie rannten beinahe bis ans Schloß,
aber nirgends erblickten sie die bunten Röcke ihrer Schulgefährtinnen.
Recht kleinlaut kehrten sie um. »Die dummen Trinen sind heimgegangen,«
rief Anton Friedlich zornig.

»Und haben uns verklatscht!« stöhnte Fritz dumpf.

»Meine Mutter haut mich,« jammerte Heine Peterle kleinlaut.

»Mein Vater auch,« ächzte Jakob.

Auf der Landstraße konnten sie nicht bleiben, nach Hause trauten sie
sich nicht, so beschlossen sie, sich in einem Schuppen zu verstecken,
der Jakobs Vater gehörte. Dort wollten sie warten, bis die Dorfbewohner
nach dem Schloß gezogen waren, und dann ganz heimlich nach Hause gehen.
Es war zu trostlos! Das schöne Feuerwerk, auf das sie sich so gefreut
hatten, entging ihnen nun, und hungrig wurden sie mit der Zeit auch.
Sie seufzten jämmerlich und schlichen, als es dunkel geworden war, sehr
bedrückt heim. Im Dorf waren nur wenige Leute geblieben, meist nur die
Alten, die lieber an dem lauen Frühlingsabend ruhig in den kleinen
Gärten saßen, statt den weiten Weg bis zum Schlosse zu gehen. So gelang
es den vier Missetätern leicht, in die Häuser zu schlüpfen, nachdem
sie die Schuhe noch heimlich jeder Besitzerin vor die Türe gestellt
hatten.

Annchen, Liese, Röse und Mariandel hatten unterdessen einen vergnügten
Nachmittag gehabt, und die Dorfleute hatten sich alle über das prachtvolle
Feuerwerk gefreut und dazwischen auf die vier unnützen Buben geschimpft,
denn natürlich hatten alle die Geschichte von den Schuhen erfahren. Der
Schulze sagte, es sei eine Schande, daß der Landesherr barfuß begrüßt
worden wäre. Na, sein Jakob sollte sehen! Ähnliches sagten die andern
Väter und Mütter auch. Die vier Mädel aber waren so lustig auch ohne
Schuhe, daß sie himmelhoch für die Buben baten, aber der Schulze sagte,
Haue müßten sie kriegen, weil sie Oberheudorf blamiert hätten.

Daß die Buben Haue bekommen sollten, tat aber den Mädeln herzlich leid.
Besonders Röse wurde ganz traurig darüber, und sie war es auch, die den
Freundinnen vorschlug: »Wir wollen den Herrn Herzog bitten, daß er die
Haue verbietet!«

»Röse!« schrien die drei Jüngferchen fast entsetzt, denn der Plan ihrer
Kameradin erschien ihnen gar zu kühn.

Aber Röse blieb dabei. »Ich sag's, ihr müßt aber dann auch bitten!«
Das versprachen die drei zwar, aber recht bange war ihnen doch zumute,
als sie alle ins Schloß zogen und Röse herzhaft zu einem Diener sagte,
sie wollten dem Herrn Herzog eine gute Nacht wünschen.

Der Diener ließ die kleinen Ehrenjungfern wirklich in den Saal, und die
gingen schnurstracks auf den Herzog los und machten so tiefe Knickse,
daß Liese nur mit Annchens Hilfe wieder hoch kam, und Röse sagte tapfer:
»Nicht wahr, die Buben sollen keine Haue haben wegen der Schuhe!«

»Bitte, bitte, nicht!« schrien die andern; es war gerade, als wollte
der Herzog selbst die Buben strafen.

Der lachte herzlich und ließ sich von dem Zorn des Schulzen erzählen,
und dann mußte Röse ihren Vater herbeiholen. Und der Herzog bat wirklich
selbst den Schulzen, er möge diesmal -- aber das »Diesmal« betonte er
sehr -- die Buben ungestraft lassen; er habe die allerbeste Meinung von
Oberheudorf, trotzdem die vier Ehrenjungfern barfuß gewesen wären.

Wenn ein Herzog bittet, dann muß freilich die Bitte erfüllt werden, und
so kam es, daß die vier Buben am andern Tage zu ihrem großen Erstaunen
außer ein paar Ermahnungen keine Strafe weiter erhielten. Es war freilich
sehr beschämend für sie, daß sie diese Milde der Fürbitte der Mädel zu
verdanken hatten. Übrigens wurden die vier Ehrenjungfern und die vier
unnützen Buben bald darauf die allerbesten Freunde und machten in der
besten Eintracht fortan ihre dummen Streiche gemeinsam.

[Illustration: Mann und Mädchen]

[Illustration: Dekoration]



Die Roggenmuhme.


Schulzen-Jakobs Großmutter erzählte einmal im Juli die Geschichte von
der Roggenmuhme, die im Sommer im Felde sitzt und das Korn bewacht. Wehe
dem Kinde, das in das Feld geht, um Kornblumen, Mohn und Rittersporn zu
suchen und von der Roggenmuhme ertappt wird, wenn es Ähren zertritt!
Unweigerlich bekommt es eine schwere Krankheit. In den Mittagsstunden,
wenn die Sonne still und heiß auf die Fluren herabbrennt, ist die Zeit,
in der die Roggenmuhme am liebsten mit leisen Schritten durch die Felder
schreitet. Ihre Haare sind gelb wie das reifende Korn, und ihre Augen blau
wie die Kornblumen, ihre Lippen rot wie blühender Mohn. Sie ist schön, die
Roggenmuhme, aber furchtbar in ihrem Zorn und unerbittlich gegen den, der
nur eine Ähre zertritt.

Als die Großmutter fertig war, sagte Jakob: »Ich glaub's net!« Seine
kleinen Geschwister sahen ihn erschrocken an, aber Jakob stand auf, steckte
die Hände in die Hosentaschen und sagte noch einmal: »Ich glaub's net!«

»Ach, du bist ein dummer, naseweiser Bube,« rief die Großmutter ärgerlich.
»Dir könnt's nicht schaden, wenn dich die Roggenmuhme mal ordentlich
durchbeutelte, du gehst auch immer mitten ins Feld hinein!«

Jakob verließ trotzig die Stube, ging auf die Dorfstraße und sagte zum
drittenmal laut und patzig. »Ich glaub's doch net!«

»Was glaubst du nicht?« fragte der blaue Friede, der am Gartenzaun stand
und Jakobs Worte gehört hatte. Der erzählte ihm die Geschichte von der
Roggenmuhme, und wie er im besten Erzählen war, kam der dicke Friede
herbei, der wollte die Geschichte auch wissen. Jakob fing geduldig wieder
an, und nach einem Weilchen kam Heine Peterle; natürlich mußte Jakob noch
einmal beginnen. Und da auch noch Bäckermeisters Mariele, die blonde
Lisbeth, Anton Friedlich und mehrere andere dazu kamen, dauerte die
Geschichte von der Roggenmuhme volle drei Stunden. »Ich glaub's doch net!«
sagte Jakob, als er fertig war, und einige stimmten ihm bei, nicht alle,
namentlich die Mädel waren nicht abgeneigt, an die Roggenmuhme zu glauben.

Sie stritten alle sehr lebhaft miteinander und hätten sich beinahe ein
wenig geprügelt, wenn nicht Jakob auf einmal gerufen hätte: »Ich
studier's!«

»Was willst du studieren?« schrien die andern erstaunt.

»Ob's eine Roggenmuhme gibt. Morgen geh' ich hin und seh' nach!«

Mariele kreischte laut auf, als käme die Roggenmuhme schon um die Ecke
herum, Anton Friedlich aber und Heine Peterle riefen so laut »Bravo!«,
daß alle Gänse und Hühner auf der Dorfstraße erschraken und schnatternd
und gackernd davonliefen. Und weil gerade Abendbrotzeit war, rannten
auch alle Kinder nach Hause. Jakob war auf seinen Einfall sehr stolz
und sagte daheim auch zur Großmutter: »Ich studier's!«

»Was, studieren willst du? Aber Bube, du kannst ja net mal richtig
schreiben! Beinahe der allerfaulste bist in der Schule, und nun willst
du studieren?«

Jakob wurde sehr verlegen, von seinem Fleiß hörte er nicht gerne reden,
und ärgerlich brummte er: »Das mit der Roggenmuhme will ich studieren!«

Die Großmutter lachte so herzlich, daß ihr die Brille von der Nase
fiel, und sagte: »Studier lieber Lesen und Schreiben, das ist besser!«

Aber Jakob blieb bei seinem Vorsatz. Am andern Tage, der heiß und sonnig
war, marschierte er gleich nach dem Mittagessen zum Dorf hinaus. Einige
seiner Freunde gaben ihm das Geleit bis an die große Linde, die am Eingang
des Dorfes stand. Dann legten sie sich gemütlich in den Schatten, während
Jakob auf der sonnigen Landstraße weiter zog dorthin, wo die Felder seines
Vaters lagen.

Um die gleiche Mittagsstunde kam von der andern Seite her ein Bäuerlein.
Der führte an einem Strick ein rundes, fettes Schweinchen. Er hatte es auf
dem Markt in der Stadt gekauft und kehrte nun in sein Dorf zurück, das
eine gute halbe Stunde hinter Oberheudorf lag. Der Bauer war müde und das
Schweinchen auch, denn der Weg war sonnig und die Hitze groß. Seufzend
blieb der Bauer stehen. Freilich war Oberheudorf nicht mehr weit, und dort
gab es ein Wirtshaus, aber vorher hätte er gern noch ein Mittagschläfchen
gehalten. Auf einem schmalen Feldweg, zwischen Kornfeldern, die wie ein
goldenes Meer wogten, stand ein wilder Apfelbaum. An den band der Bauer
sein Schweinchen, er selbst legte sich an den Feldrand, und nach wenigen
Minuten schlief er tief und fest.

Das Schweinchen aber hatte keine große Lust zu einer Mittagsruhe.
Ungeduldig zerrte und zog es an dem Strick, der nur lose um den Baum
geschlungen war, und auf einmal ritsch! war das Schweinchen frei.
Vergnügt trabte es davon und kümmerte sich gar nicht um seinen schlafenden
Herrn. Das war sehr herzlos, aber Schweine sind nun einmal so.

Je näher Jakob den Feldern seines Vaters kam, desto bänglicher wurde
ihm ums Herz. Es war so heiß und still; kaum einen Luftzug spürte man,
leise nur rauschten die wogenden Felder. Jakob hatte versprochen, zum
Zeichen, daß er wirklich im Felde gewesen war, einen riesengroßen
Blumenstrauß zu pflücken. Nicht gerade sehr vergnügt machte er sich an
sein Werk, und sorgsam vermied er es, Ähren zu zertreten. Wie er im
besten Pflücken war, hörte er plötzlich etwas im Felde rascheln, und
erschrocken blieb er stehen und lauschte.

Ein Weilchen war alles still, er mochte sich wohl getäuscht haben.
Seufzend pflückte er weiter, doch da -- die Haare sträubten sich
ihm -- deutlich sah er, wie sich etwas im Felde bewegte. Stärker
rauschte das Korn, und der Bube blieb vor Angst und Entsetzen ganz
still stehen.

Da -- tauchte da nicht etwas Helles, Unheimliches auf?

Die Roggenmuhme, sie war es -- niemand anders!

Jakob wagte gar nicht ordentlich hinzusehen. Mit einem gellenden Schrei
ergriff er die Flucht und warf die Blumen weit von sich.

Aber hinter ihm her kam es gerannt, seltsame Töne ausstoßend.

Jakob schrie immer lauter vor Angst. Er wollte über den kleinen Graben,
der das Feld von der Landstraße trennte, springen, aber in seiner Aufregung
strauchelte er, stürzte und lag plötzlich platt wie ein Frosch in dem
Graben.

Plumps! sprang da etwas auf ihn drauf und krabbelte auf seinem Rücken
herum; einmal rutschte das unheimliche Wesen nach rechts, einmal nach
links.

Und Jakob brüllte in seiner Angst: »Die Roggenmuhme, die Roggenmuhme!
Laß mich los, laß mich los!«

Er machte es dabei wie der Vogel Strauß, er steckte seinen blonden
Struwelkopf tief in das Gras und zappelte mit Armen und Beinen und
schrie, als sollte er auf der Stelle mit Haut und Haaren verspeist
werden.

Je lauter Jakob brüllte, desto mehr quiekte die Roggenmuhme auf seinem
Rücken. Sie trampelte dabei immer hin und her und stieß ganz merkwürdige
Töne aus, die einem Dorfbuben eigentlich hätten bekannt sein müssen. Aber
Jakob gab sich keine Mühe, das Gequieke der Roggenmuhme zu »studieren«,
er schrie nur, und zwar so kräftig, daß das Bäuerlein am Feldrand davon
erwachte.

Erstaunt richtete sich der Schläfer auf. Wo war denn er, und wo war
sein Schweinchen?

Er hörte das Gebrüll und das Gequieke, und flugs war er auf den Beinen
und rannte dorthin, woher der Lärm kam. Da erblickte er sein Schweinchen,
das sich die Leine um die Beine gewickelt hatte, und das hilflos in einem
Graben hin und her rutschte und als verkannte Roggenmuhme den armen Jakob
in Angst und Schrecken versetzt hatte.

»Na, potz Blitz, was ist denn das for äne Schreierei?« sagte das Bäuerlein
und zog sein Schweinchen aus dem Graben. »Du, Bube, komm doch raus! So än
kleenes Schweinchen tut dir doch nischt!«

»Uah, uah, uah,« brüllte Jakob und strampelte und zappelte weiter. Da
packte ihn der Bauer kurz entschlossen am Hosenboden und zog ihn aus dem
Graben. »Nu sag mir nur, Bengel, warum schreist du denn so?« fragte er
kopfschüttelnd.

»Die -- die -- Ro--roggenmu--muhme!« schluchzte Jakob.

»Was?« sagte der Bauer, »den Rock--Muhme? Ja was soll denn das heißen?«

Es dauerte eine geraume Zeit, bis Jakob ihm schluchzend und stammelnd
die Sache erklären konnte. »Nä, ä sowas! So än blitzdummer Bube, hält
mein schönes Staatsschweinchen für die Roggenmuhme! Hahaha!« schrie das
Bäuerlein und mußte sich geschwind auf einen Meilenstein setzen, sonst
wäre er vor Lachen umgefallen.

Jakobs Freunden war unterdessen die Zeit unter dem Lindenbaume etwas lang
geworden. Es hatten sich noch einige andere Kinder eingefunden, und sie
beschlossen alle zusammen nachzusehen, ob Jakob mit »Studieren« fertig
sei. Lustig trabten sie auf der Landstraße hin, und Jakob sah sie schon
von weitem kommen. »Jetzt werd' ich aber ausgelacht,« dachte er beschämt,
und ohne sich lange zu besinnen, rutschte er in den Graben, kroch am Felde
entlang bis zu einem schmalen Weg, und dann rannte er heidi! auf und davon.

»Na, was ist denn das nu wieder?« sagte der Bauer verdutzt und sah dem
Ausreißer nach. Aber dann bemerkte er die herankommenden Kinder, und er
schmunzelte vergnügt, denn er verstand, warum Jakob die Flucht ergriffen
hatte. Er zog also mit seinem Schweinchen den Kindern entgegen, blieb vor
ihnen stehen und fragte listig: »Wo wollt ihr denn hin?«

»Schulzens Jakob wollen wir suchen, der >studiert< die Roggenmuhme,«
antworteten alle.

»Na, dann geht man wieder nach Hause! Jetzt vor än Weilchen hat die
Roggenmuhme einen Jungen mit fortgeschleppt, das wird er wohl gewesen
sein!«

Entsetzt starrten sich die Kinder an, dann brachen sie in ein wildes
Jammergeschrei aus und rannten spornstreichs in das Dorf zurück.

Dort kamen sie gerade an, als Jakob, der auf einem Umweg das Dorf erreicht
hatte, in das Schulzenhaus schlüpfen wollte. »Da ist er ja, da ist er ja!
Sie hat ihn losgelassen!« brüllten seine Kameraden und stürzten auf ihn
zu; der eine packte ihn am rechten Arm, der andere am linken, einer am
Jackenzipfel und einer sogar am Bein.

»Hat sie dich losgelassen?« -- »Wie sah sie denn aus?« -- »Hat sie dir
was getan?« so schwirrten die Fragen durcheinander.

Dem armen Jakob wurde himmelangst, und es war sein Glück, daß gerade
die Großmutter vor die Haustüre trat und ihn aus den Händen seiner
teilnehmenden Freunde befreite. »Was schreit ihr denn so? Was ist denn
los?« fragte sie ärgerlich.

»Die Roggenmuhme hat ihn gehabt, sie hat ihn mit fortgeschleppt,« riefen
alle zusammen.

»Ich will rein, Großmutter,« bat Jakob ängstlich, und die alte Frau
nahm ihn an der Hand und zog ihn ins Haus und klappte seinen Kameraden
die Tür vor der Nase zu. Drinnen erzählte der Bube kleinlaut sein
Abenteuer, und die Großmutter lachte, aber nur ein wenig, denn nach echter
Großmutterweise hatte sie gleich Mitleid mit dem Jungen und versuchte ihn
zu trösten. Zu diesem Zweck gab sie ihm ein dickes Honigbrot, das, wie man
zu sagen pflegt, Jakob wieder etwas auf die Beine brachte.

Unterdessen war das Bäuerlein nach Oberheudorf gekommen und erzählte
im Wirtshaus schmunzelnd Jakobs Abenteuer. So erfuhr das ganze Dorf
die Geschichte, und alle lachten darüber. Man lachte noch lange, und
Jakob wurde zu seinem Ärger noch recht oft zugerufen, wenn ihm ein
Schweinchen in den Weg lief: »Gib acht, da kommt die Roggenmuhme!«

[Illustration: Jakob und Schwein]

[Illustration: Dekoration]



Das besinnliche Trinchen.


Wenn mitten unter lustigen Geschichten eine ernsthafte steht, so ist
das so, als wenn sich zwischen lauter sonnige Frühlingstage ein grauer
Regentag schiebt. Den lieben langen Tag will es dann nicht hell werden,
und alle Freude scheint auf einmal verschwunden, bis sich, vielleicht
gegen Abend, der Himmel aufhellt und zarte Rosenwölkchen zeigen, daß
sicherlich am andern Tag die Sonne wieder herauskommen wird.

Unter all den fröhlichen Oberheudorfer Buben und Mädeln ging des
Wassermüllers Trinchen immer still und traurig einher. Immer saß es ein
wenig abseits, immer ging es allein von der Schule heim, und wenn die
andern spielten, dann sah das Trinchen von ferne zu. Die andern Kinder
nannten Trinchen darum »hochmütig«, denn Trinchens Vater war ein reicher
Mann, und sie meinten nicht anders, als das Trinchen sei eingebildet
darauf. Schuster Pechdraht aber meinte, Trinchen besänne sich immer zu
lange auf eine Antwort, bis dann die Zeit, eine zu geben, vorüber sei, und
er nannte die Kleine manchmal scherzend »das besinnliche Trinchen«. Der
Name blieb dem Kinde, und bald wurde die Kleine im ganzen Dorf so genannt.

Das besinnliche Trinchen aber war nun ganz und gar nicht hochmütig,
sondern im Gegenteil ein furchtbar schüchternes kleines Mädchen. Es
war so ängstlich und zaghaft, daß es kaum zu sprechen wagte, und wenn
jemand unversehens ein strenges Wort zu ihm sagte, war das Mädchen tief
unglücklich. Nur aus Schüchternheit hielt sich Trinchen von den Gespielen
fern. Ganz einfach hinzugehen und zu sagen: »Ich will mitspielen!« das
hätte die Kleine gar nicht fertiggebracht. Aus Schüchternheit wagte sie
auch in der Schule nicht ordentlich zu antworten, obgleich sie die meisten
Fragen hätte beantworten können und manchmal mehr wußte als die, die stolz
mit ihrer Klugheit prahlten. Hatte Trinchen aber einmal etwas unrichtig
gemacht und bekam darum Schelte, dann verlor sie alle Fassung und konnte
überhaupt nicht antworten. Sie wurde dann »trotzig und verstockt« genannt,
und der Lehrer, der eigentlich sehr gütig war, bestrafte wohl aus diesem
Grunde Trinchen besonders streng. Obendrein wurde sie auch noch von ihren
Mitschülern ausgelacht, wenn sie so stumm und bleich dastand und kein
Wörtchen sagen konnte.

Daheim im Elternhaus ging es dem besinnlichen Trinchen nicht besser. Des
Kindes Mutter war früh gestorben, und als Trinchen sechs Jahre alt war,
kam eine Stiefmutter ins Haus. Die alte Male, die schon bei Trinchens
Mutter Kindsmagd gewesen war und nach dem Tode der Frau in der Mühle die
Wirtschaft führte, sah scheel auf die neue Hausfrau. Sie erzählte in ihrem
Ärger dem Trinchen lauter schreckliche Geschichten von bösen Stiefmüttern,
die alle gar nicht wahr waren, und jagte dadurch der schüchternen Kleinen
eine heillose Angst ein. Die neue Mutter war eine gütige, fröhliche Frau,
die ihrem Stiefkinde ein Herz voll Liebe entgegenbrachte. Aber Trinchen in
ihrer Schüchternheit, zu der noch die Angst vor der Stiefmutter kam, blieb
dieser gegenüber so fremd und befangen, daß sie immer wie ein scheues
Mäuslein im Hause herumhuschte.

Am unglücklichsten über diese Schüchternheit war das besinnliche Trinchen
selbst. Niemand ahnte, wie tieftraurig die Kleine oft war, wie schrecklich
einsam sie sich oft fühlte, denn sie hatte ein zärtliches, liebebedürftiges
kleines Herz. In aller Stille hing sie zum Beispiel mit inniger Liebe an
ihrer Stiefmutter, aber es dieser zu zeigen wagte sie nicht. Auch den Herrn
Lehrer liebte Trinchen schwärmerisch, aber wenn die andern Kinder
zutraulich zu ihm liefen und ihm von ihren Freuden und Leiden erzählten, da
stand die Kleine abseits. Wie gern hätte Trinchen eine Freundin gehabt und
hätte einmal vergnügt mit den andern gelacht oder wäre mit zu Muhme
Lenelis gelaufen.

Manchmal, wenn sie einsam an einem verborgenen Plätzchen, etwa unter
einer Trauerweide am Mühlbach, saß, da nahm sie sich vor, so zu sein
wie die andern Kinder. Sie schwatzte lauter lustige Sachen vor sich
hin, und wenn sie am nächsten Tag in die Schule kam, da war sie so
still und scheu wie immer, da war sie wie eine jener Blumen, die ihren
Kelch geschwind schließen, wenn eine Menschenhand sie berührt.

In der Oberheudorfer Schule saßen die Kinder alle in einer Klasse, die
Kleinen unten und die Großen oben. Es gab aber außer dem eigentlichen
Schulzimmer noch ein zweites, in dem hatten die Mädchen bei der Frau
des Lehrers Handarbeitsstunde, oder diejenigen, die schreiben mußten,
während die andern lasen, saßen darin. In diesem zweiten Schulzimmer
stand ein großer Schrank, in dem Bücher, Landkarten, Kreide, Tinte und
dergleichen aufbewahrt wurden. In dem Schrank stand auch eine kleine
Sparbüchse. Wenn ein Kind Geburtstag hatte oder sonst ein besonders
freudiger Tag war, dann erbat es sich daheim von seinen Eltern einige
Pfennige, die in die Sparkasse getan wurden. In Niederheudorf war ein
Armenhaus, in dem auch einige Oberheudorfer Arme wohnten, denen wurden
zu Weihnachten dann von dem ersparten Geld kleine Geschenke gemacht.

An einem Herbsttag wanderte das besinnliche Trinchen noch zaghafter als
sonst zur Schule. Es hatte nämlich einen Plan, von dessen Ausführung
ihr schon seit Wochen bangte, und doch war sie glückselig bei dem
Gedanken, ihr Plan könnte ihr gelingen.

Vor einiger Zeit hatte sie von einer Tante, die in der Stadt wohnte,
einen hübschen Kasten mit allerlei kleinen, niedlichen Handarbeiten
bekommen, ein Geschenk, das ihr viel Freude bereitet hatte, wenn von
der Freude auch niemand etwas merkte. Unter den Arbeiten war auch ein
zierliches, kleines Federkästchen gewesen, und in einer Stunde, in der
das besinnliche Trinchen in aller Heimlichkeit lustig und unternehmend
gewesen war, hatte es sich vorgenommen, das Kästchen dem Herrn Lehrer
zu schenken. Acht Tage lang trug sie das ganz sauber gestickte Kästchen
in ihrem Ranzen in die Schule, und jedesmal brachte sie es wieder heim:
sie hatte es nicht gewagt, ihre Arbeit dem Herrn Lehrer zu geben.
Schließlich nahm sie sich vor, sie wolle es ihm heimlich auf das Pult
stellen, vielleicht würde er es gar nicht merken, daß die Gabe von ihr kam.

Der Schultag verlief wie alle Schultage. Einige Kinder hatten gut gelernt,
einige weniger gut. Trinchen, deren Gedanken viel bei ihrem Kästchen waren,
wußte einige ganz einfache Fragen nicht zu beantworten. Die andern Kinder
lachten, und der Lehrer schalt und sagte die Antwort, die Trinchen
wiederholen sollte. Die Kleine war durch Lachen und Schelte so
verschüchtert, daß sie trotz aller Mühe, die sie sich gab, kein Wort
herausbrachte.

»Du bist ein trotziges Kind,« sagte der Herr Lehrer ärgerlich. »Nachher,
wenn ich die neuen Bilder zeige, die ich gestern bekommen habe, gehst du
in die andere Stube und schreibst die Antwort zehnmal auf.«

Trinchen stiegen die Tränen in die Augen, und zu allem Unheil machte
sie in ihr neues Heft noch einen dicken Klecks. Tief unglücklich saß
sie zusammengekauert wie ein kranker kleiner Spatz da, und als gegen
Ende der Schule der Herr Lehrer die Bilder herausholte und alle Kinder
vergnügte Gesichter bekamen, schlich sie traurig in das Nebenzimmer.

Da saß sie denn und schrieb, und es sah aus, als hätten Krähen rechtsum,
linksum auf dem Heft getanzt, denn so schwere Tränen saßen ihr in den
Augen, daß sie kaum etwas sehen konnte.

Natürlich bekam sie auch wieder Schelte wegen der Schreiberei, und der
Herr Lehrer sagte, sie müsse am Sonnabend nachmittags in die Strafstunde
kommen. Das war eine schreckliche Schande! Trinchen meinte, sie müsse in
den Boden sinken vor Scham.

Das Schlußgebet war gesprochen, und schon wollten alle heimgehen, als
Schmieds Grete wichtig hervortrat und einen Groschen brachte, der für
die Sparbüchse bestimmt war. Ihre Mutter hatte Geburtstag, da hatte sie
ihr den Groschen gegeben. Das war ein Ereignis! Heine Peterle und der
blaue Friede stürzten gleich in das andere Zimmer, um die Büchse zu
holen, und kamen gleich darauf wieder mit dem Jammerruf: »Die Büchse
ist nicht da!«

»Ach Unsinn,« sagte der Herr Lehrer, »ich habe sie heute früh selbst
gesehen; es wird etwas davorstehen. Ruhe, Kinder, rennt nicht so, nur
drei dürfen nachsehen!«

Nach einigen Minuten kamen die drei Boten wieder und riefen klagend:
»Sie ist nicht da!«

»Ich will selbst nachsehen,« sagte der Herr Lehrer, »bleibt alle an euren
Plätzen!« Er ging, und nach wenigen Minuten kehrte er mit tiefernstem
Gesicht zurück. »Die Büchse ist nicht da. Wer von euch war heute im
Nebenzimmer?«

Einige meldeten sich, und Anton Friedlich sagte, er habe bestimmt die
Büchse gesehen.

»Hat der Schrank offen gestanden, als ihr nachgesehen habt?« fragte der
Lehrer Heine Peterle und den blauen Friede.

»Ja, weit offen,« riefen beide.

»Wer hat ihn offen gelassen?«

»Ich nicht!« -- »Ich nicht!« schrien die Kinder, nur das besinnliche
Trinchen saß stumm und teilnahmslos auf seinem Platze.

»Einmal hat's drin gerappelt!« rief Anton Friedlich, der sich doch
nicht ganz klar war, ob er nicht den Schrank offen gelassen hatte.

»Ich hab's auch gehört!« -- »Ich auch!« riefen einige andere. »Es ist
jemand drin gewesen!«

Der Herr Lehrer rief seine Frau, die allein noch von ihrer Wohnung aus
das Zimmer betreten konnte, und die Frau Lehrerin sagte, sie sei darin
gewesen; ob aber der Schrank offen gestanden habe, darauf konnte sie
sich nicht besinnen.

»Müllers Trinchen ist zuletzt in der Stube gewesen,« rief Schnipfelbauers
Fritz auf einmal, und aller Augen richteten sich auf Trinchen, die blutrot
wurde.

»Hast du gesehen, ob der Schrank offen war?« fragte der Lehrer die
zitternde Kleine.

Trinchen schwieg verwirrt und wagte nicht aufzusehen. Es wurde
mäuschenstill in der Klasse.

»Trinchen, komm einmal mit deinem Ranzen zu mir,« sagte der Lehrer
ernst, aber nicht unfreundlich.

Der Gedanke an das Kästchen durchzuckte Trinchen. »Wenn der Herr Lehrer
das findet und danach fragt!« dachte sie angstvoll, und unbeweglich
blieb sie auf ihrem Platze.

»Trinchen,« sagte der Herr Lehrer strenger, »du kommst sofort her!«

Trinchens Füße wurden bleischwer, sie war halb sinnlos vor Angst. Warum
rief der Lehrer sie nur, sie hatte doch nichts getan?

Die Nachbarinnen schoben die Kleine ärgerlich aus der Bank heraus.
»Geh doch, geh doch!« sagten sie böse, denn Trinchens Schweigen und
Verlegenheit bestärkten bei allen den schrecklichen Verdacht, und von
hinten hervor kam auf einmal eine Stimme: »Müllers Trine hat die Büchse
gestohlen!«

»Still!« donnerte der Herr Lehrer zornig, dem der Gedanke, eines seiner
Schulkinder könne wirklich so etwas getan haben, bitter weh tat.

Aber Trinchen hatte das Wort auch gehört. Sie wurde plötzlich leichenblaß.
Das dachte man von ihr? Für eine Diebin hielt man sie? Die Kleine taumelte,
wie im Kreise drehte sich alles vor ihr, und in ein lautes Schluchzen
ausbrechend, warf sie ihren Ranzen weg. Sie stürzte, ehe sie noch jemand
halten konnte, zur Türe hinaus. An der Türe rannte sie mit jemand zusammen,
der gerade die Klasse betreten wollte, obgleich er nicht in eine Schule
gehörte.

»Na, was ist denn das für eine Aufregung?« rief der Mann, der an der Türe
stand, und der kein anderer war als -- der Gendarm.

Er wollte Trinchen halten, aber die Kleine war schnell wie ein Blitz an
ihm vorbei. »Mit Verlaub, Herr Lehrer,« sagte der Gendarm und trat näher,
»das gehört wohl hierher?« und dabei stellte er -- die vermißte Sparbüchse
auf das Pult und sah sich wohlgefällig im Kreise um: »Das ist mal 'ne
Überraschung, was?«

Eine Überraschung war das freilich, und der Lehrer schüttelte erstaunt
den Kopf: »Wie kommen Sie zu der Büchse?«

»Hm, das ist man so,« sagte der Gendarm und erzählte umständlich, daß
er einen Landstreicher habe nach seinen Papieren fragen wollen, doch
der Mann sei ausgerissen und habe dabei die Büchse weggeworfen. Er
mußte durch das offene Fenster in das Schulzimmer gestiegen sein und
die Büchse geraubt haben.

So etwas war seit Menschengedenken nicht in Oberheudorf passiert, und
eine unbeschreibliche Aufregung befiel die Kinder. Sie vergaßen, daß
sie in der Schule waren, und schnatterten wild durcheinander wie die
Gänse auf dem Anger, bis der Lehrer Ruhe gebot und rief: »Doch jetzt
wird zuerst das arme Trinchen gesucht!«

Da rannten alle aus der Klasse und schrien: »Trinchen, Trinchen!« aber
so laut, daß, wenn es Trinchen gehört hätte, ihr wohl himmelangst
geworden wäre.

Der Lehrer selbst eilte in die Mühle, weil er meinte, Trinchen sei gewiß
dort. Aber das besinnliche Trinchen war nicht nach Hause gekommen,
und seine Eltern gerieten in heftige Aufregung, als sie die traurige
Geschichte erfuhren. Ihre Angst teilte sich bald dem ganzen Dorf mit,
denn wo man auch suchte, nirgends war Trinchen zu finden. Kein Haus,
keine Scheune im Dorf blieben undurchsucht, und der Müller durchstreifte
in seiner Herzensangst mit seinen Knechten den Wald. Aber soviel er auch
seines Kindes Namen rief, die Kleine blieb verschwunden.

Der schöne, helle Herbsttag wandelte sich allmählich zum Abend, und
über die Wiesen zogen weißgraue Nebelstreifen, und mit der immer
tiefer werdenden Dämmerung wurde die Angst um das verschwundene Kind
in Oberheudorf immer größer. Einige Leute hatten das Trinchen aus
der Schule laufen sehen, und alle sagten, sie sei nach dem Walde zu
gelaufen. Aber der Wald war groß, über Berg und Tal zog er sich hin,
und leicht konnte sich jemand darin verirren.

Friede, der Träumer, war am Morgen nicht in der Schule gewesen; er
hatte für seinen Pflegevater in ein entferntes Dorf gehen müssen, und
der Herr Lehrer hatte ihm auch Urlaub gegeben. Es war schon Dämmerung,
als der Bube heimkam und auf der Dorfstraße von einigen Schulkameraden
von Trinchens Verschwinden hörte. Da ging Friede nicht erst nach Hause,
sondern drehte um und lief spornstreichs zum Dorf hinaus. Was alle
nicht wußten, das wußte er, nämlich einen Ort, wo möglicherweise das
Trinchen sein konnte.

Traumfriede hatte das stille, scheue Trinchen immer gut leiden mögen,
mit ihr gesprochen hatte er freilich selten. Zwischen des reichen
Müllers Kind und ihm, dem armen Waisenjungen, war doch eine weite
Kluft, so meinte er und wußte nicht, daß das besinnliche Trinchen
dankbar für seine Freundlichkeit gewesen wäre. Heimlich hatte Friede
manchmal die Kleine beobachtet, und er kannte des scheuen Kindes
Lieblingsplätzchen. In einer Sandgrube dicht am Dorf war eine kleine,
verborgene Höhle. Friede hatte sie einmal entdeckt und zu seinem
Erstaunen das Trinchen darin gefunden. Er lief jetzt auch schnell hin,
und wie er die Höhle erreicht hatte, hörte er ein leises Rascheln. Er
trat an den Eingang und rief: »Trinchen, bist du da?«

Ein unterdrücktes Schluchzen ward hörbar, und Friede rief bittend:
»Komm, Trinchen, komm, ich tu dir doch nichts!«

Da kam die Kleine wirklich aus ihrem Versteck hervor, und in dem
dämmerigen Licht sah der Bube, wie sie zitterte. Er legte seinen Arm um
sie und sagte: »Komm nach Hause, Trinchen, du wirst gesucht!«

Aber die Kleine kauerte auf der Erde nieder und sagte leise, und ihr
Stimmchen klang unsäglich traurig: »Ich kann nicht nach Hause!«

»Aber Trinchen!« Friede kauerte neben dem Kind nieder und streichelte
es und erzählte alles, was er erfahren hatte, daß der Dieb gefunden sei
und alle Leute schreckliche Angst um sie hätten.

Trinchen gab keine Antwort, und eine Weile saßen die Kinder nebeneinander
auf dem Steingeröll, und Traumfriede dachte nach, was er wohl mit dem
kleinen Mädel sprechen könnte. Endlich fragte er: »Trinchen, warum bist
du denn nur fortgelaufen, du hattest ja nichts getan?«

Es war so dunkel geworden, daß Trinchen nur des Buben Gestalt, aber
nicht sein Gesicht mehr erkennen konnte. Friedes tröstende Stimme
kam aus dem Dunkel heraus zu ihr, und das hatte etwas so Trauliches,
daß Trinchen ein wenig ihre Schüchternheit verlor und zaghaft von
ihrem Plan zu erzählen begann. Friede sagte nichts dazu, er hielt nur
Trinchens kleine, kalte Hand fest in der seinen. Da wurde das Kind
mutiger und sprach weiter von der schrecklichen Angst, die es bei allen
Dingen habe, und daß niemand etwas von ihm wissen wolle.

»Von mir auch nicht,« sagte Friede auf einmal aus tiefstem Herzen
heraus, »mich mag keiner, weil ich bloß 'n armer Waisenjunge bin!«

Das besinnliche Trinchen schwieg, es mußte sich wirklich erst auf eine
Antwort besinnen, und dann gab es eine, über das es selbst erschrak:
»Ich mag dich leiden,« sagte die Kleine herzhaft.

»Ich dich auch,« gab Friede zur Antwort.

Weiter sagten sie nichts, aber von der Stunde an waren sie gute Freunde.
Jetzt sträubte sich Trinchen auch nicht länger und ging still mit Friede
nach Hause. Je näher sie freilich dem Dorfe kamen, desto größer wurde
wieder ihre Scheu, und sie brachte, als sie daheim voll Freuden von den
geängstigten Eltern begrüßt wurde, kaum ein Wort heraus. Friede mußte
für sie sprechen, und der tat das auch so herzhaft, wie er es für sich
selbst nie getan hätte. Trinchen sah auch so totenbleich aus und war so
erschöpft, daß sie die Mutter gleich ins Bett brachte und niemand sie mehr
mit Fragen quälte.

Am andern Tage war Trinchens Platz in der Schule leer, und in der Mühle
hatte man den Doktor aus der Stadt geholt.

Das besinnliche Trinchen war krank.

Still und teilnahmslos lag die Kleine in ihrem Bettchen, und der Arzt
schüttelte bedenklich den Kopf und sagte zu den Müllersleuten, Trinchen
sei ein überzartes, schwächliches Kind. Ob sie oft in letzter Zeit über
Schmerzen in der Brust geklagt habe. Nein, das hatte die Kleine nicht
getan; in ihrer übergroßen Schüchternheit hatte sie nicht einmal gewagt,
über Schmerzen zu klagen. Die Aufregung des gestrigen Tages und der lange
Aufenthalt in der kühlen, feuchten Höhle hatten den raschen Ausbruch einer
schweren Krankheit herbeigeführt. In der Nacht bekam Trinchen heftiges
Fieber; sie begann laut zu sprechen, und manchmal schrie sie angstvoll,
sie sei keine Diebin, dann wieder klagte sie traurig, daß sie niemand lieb
habe.

Es war jammervoll! Die Eltern weinten sich fast die Augen aus vor
Herzeleid, und die Müllerin saß am Bett des Kindes, und eine rechte
Mutter hätte nicht trauriger sein können um ihr Kind, als sie es war.

Und Trinchen starb. Nach langen, langen Wochen schlief sie sanft und
friedlich ein. Und in diesen Wochen war das scheue Kind so von Liebe
umgeben gewesen, daß seine Augen immer strahlender, sein Lächeln immer
glücklicher geworden war.

Der Lehrer hatte täglich an Trinchens Bett gesessen, die Schulkameradinnen
und -kameraden kamen, und die Mutter verließ die Kleine kaum eine Stunde.

Wie ein lieblicher, kleiner Engel lag dann das besinnliche Trinchen auf
seinem letzten Lager, und das ganze Dorf kam herbei, und man brachte die
letzten bunten Herbstblumen, und zuletzt war Trinchen fast ganz von Blumen
bedeckt. Ganz bescheiden, verborgen unter einem weißen Asternkranz lag
ein Strauß Waldblumen. Einige blaue Glockenblumen, rote Brombeerblätter,
Kleeblüten und Gräser hatte Traumfriede mühsam zusammengesucht und dem
Trinchen gebracht. Und als die Kleine begraben wurde, da saß er, der nicht
mit hatte auf den Friedhof gehen können, weil er keinen Sonntagsanzug
hatte, in der kleinen Höhle im Steinbruch, und er meinte, das Herz müsse
ihm brechen.

Eine aber hatte gesehen, wie Friede schüchtern Trinchen den
Waldblumenstrauß brachte. Das war Muhme Lenelis, und seitdem dachte die
alte Frau manchmal an den Waisenknaben. -- Doch das gehört in eine andere
Geschichte.

Das besinnliche Trinchen wurde nicht vergessen. Alle, die es gekannt
hatten, merkten nun erst, da die Kleine tot war, wie lieb sie ihnen
gewesen war.

In der Mühle lag zu Weihnachten ein dicker, kleiner Junge in der
buntbemalten Wiege und schrie vergnügt in die Welt hinein. Nach einem
Jahr lag ein Mädel darin, und so fort, lauter lustige, pausbäckige
Müllerkinder waren es, und die Eltern hatten Freude und Sorge mit
ihnen. Über der eigenen Kinderschar aber vergaß die Müllerin nie das
scheue, blasse Trinchen. Unvergessen lebte das Kind in ihrem Herzen.

Und auf dem Schreibtisch des Lehrers nimmt Trinchens Federkästchen noch
heute einen Ehrenplatz ein.

[Illustration: Trinchens Sarg]

[Illustration: Dekoration]



Sommergäste in Oberheudorf.


An einem sehr heißen Julitag befand sich ganz Oberheudorf in Aufregung;
an diesem Tage wurden nämlich die ersten Sommerfrischler erwartet, die
allerersten überhaupt, denn es waren noch nie welche dagewesen. Ein
Sommerfrischler war also den Dorfbewohnern ein ganz unbekanntes Ding.

»Was sie nur hier wollen?« fragte der dicke Friede, der im Kreise seiner
Kameraden am Dorfeingang unter der großen Linde saß. Dort wollten die
Kinder die fremden Gäste erwarten. Wann sie ankamen, wußte niemand genau.
Der Wirt Kaspar auf dem Berge hatte gesagt, es könne auch sein, daß sie
erst morgen kämen.

Annchen Amsee hielt ihre Schürze vor das Gesicht und kicherte:
»Sie -- sie -- wollen frische Luft haben!«

»So dumm!« brummte Schulzens Jakob. »Gibt's denn die in der Stadt nicht?«

Außer Heine Peterle war noch keines von den Kindern in der Stadt gewesen,
also schauten alle den Buben an und fragten: »Weißt du's nicht?«

»Häuser gibt's da,« knurrte Heine Peterle und wurde feuerrot. Er war
wütend, daß er nach der Stadt gefragt wurde. Wie konnte er wissen, ob
es dort Luft gab! Die Sommerfrischler ärgerten den armen Heine Peterle
ohnehin gewaltig. Zwei von ihnen kamen nämlich nirgends anders hin als in
sein Vaterhaus. Der Gastwirt hatte nicht Platz genug für fünf Gäste, und
da Heine Peterles Mutter seine Schwester war, hatte diese sich erboten,
zwei Fremde bei sich unterzubringen. Im Giebel des Hauses lagen zwei
unbewohnte Stuben, die waren sauber hergerichtet worden. Dort sollten die
Fremden wohnen. Drei Tage lang war gescheuert und geputzt worden, und
Heine Peterle hatte dabei so viele Ermahnungen bekommen, ungeheuer brav
zu sein, wenn die Fremden erst da wären, daß ihm vor seiner künftigen
Bravheit schon himmelangst wurde.

»Erzähl noch was von der Stadt!« mahnte auch noch Annchen Amsee.

Heine Peterle seufzte schwer, erstens wegen der Stadt und dann, weil
er zu Mittag schrecklich viel süßen Reis gegessen hatte und nun müde
und faul war. Er stand darum auf und sagte patzig: »Ich geh' heim. Die
Stadtleute kommen doch noch lange nicht, und überhaupt ist mir's zu
dumm, hier zu warten!« Damit trollte er ab, und seine Gefährten riefen
ihm neckend nach: »Geh nicht in die Stadt, Heine Peterle!«

Da ging der Bube freilich nicht hin, sondern nach Hause; er war so
müde, als wäre es Abend und nicht hellichter Mittag. Als er heimkam,
stand Muhme Rese an der Haustür und sagte: »Heine Peterle, kannst
kommen und mir Bohnen pflücken helfen!«

»Und hernach kannst du in den Hühnerstall gehen und die Eier holen,«
rief seine Mutter von der Küche her, »und hier trag erst mal den Eimer
in die Gaststube. Die Stadtleute werden wohl noch nicht kommen, es soll
aber alles fertig sein.«

Seufzend nahm Heine Peterle den Eimer und kletterte die kleine, schmale
Treppe hinauf. So viel Arbeit auf einmal war ihm aufgetragen worden!
Er stöhnte ordentlich vor Müdigkeit und Faulheit und setzte den Eimer
gleich an der Türe ab. Wie schön sauber und kühl es in den Stuben war!
Leise schlich Heine Peterle in das zweite Zimmer. Da standen hoch
aufgetürmt zwei mächtige Federbetten, und beim Anblick dieser dicken
Federnester fühlte der Bube erst recht, wie müde er war. Er vergaß
Muhme Rese, die Bohnen, den Hühnerstall und die Eier, und eins, zwei,
drei lag er in einem der Betten. Seine Schuhe brauchte er nicht erst
auszuziehen, denn er hatte keine an. »Ein kleines Weilchen kann ich
schon schlafen,« dachte er, »nachher mach' ich das Bett glatt, da merkt
es niemand!« Er kugelte sich vor lauter Behagen wie ein Igel zusammen.
Ja, das war fein!

Den Kindern unter der Linde wurde nach und nach die Sache etwas
langweilig, die Zeit verging, und kein Wagen ließ sich in der Ferne sehen.
Anton Friedlich, der immer alles mögliche wußte, nur das nicht, was er in
der Schule wissen sollte, rief auf einmal: »Wir wollen Negers spielen!«

»Hurra!« brüllten die andern begeistert, und Schulzens Jakob kugelte
gleich vor Vergnügen ein Stück im Grase hin und her.

»Negers« war nämlich seit einiger Zeit ein ungeheuer beliebtes Spiel bei
den Oberheudorfer Buben und Mädeln. In einem Geschichtenbuch, das dem
Herrn Lehrer gehörte, und das dieser den Kindern geborgt hatte, stand
eine Erzählung, worin Neger ein Dorf überfallen. Die Hauptsache bei dem
Spiel war, daß eine Anzahl Buben sich die Gesichter schwarz färbten und
mit furchtbarem Geschrei auf des Müllers alte Scheune zuliefen. Das war
das Dorf, in dem die andern Kinder wohnen mußten. Das Geschrei und die
schwarzen Gesichter aber waren bei dem Spiel die Hauptsache. Schulzens
Jakob besaß einen ganzen Topf voll Ruß, damit schmierten die Buben sich
immer an. Es dauerte auch heute nicht lange, da war das Spiel in vollem
Gange. Annchen Amsee stellte eine Prinzessin vor, die auf irgend eine
rätselhafte Weise unter die Neger geraten war. Gerade zog der blaue
Friede unter schauerlichem Gebrüll die arme Prinzessin mit sich fort, als
Schulzens Jakob, seine Negerrolle vergessend, schrie: »Die Stadtleute
kommen!« Der Räuber ließ die Prinzessin los, aus der Scheune stürzten die
belagerten Weißen heraus, und sehr einmütig rasten alle zusammen dem näher
kommenden Wagen entgegen.

In dem bequemen Landauer saßen zwei Damen und zwei Herren auf dem Bock.
Neben dem Kutscher saß noch ein junger Mann, der vergnügt um sich blickte.

Eine der Damen, die ein blasses Gesicht hatte, sah sich um und sagte
mit leiser, müder Stimme: »Wie still es hier ist! Ach ja, hier in der
Ruhe werde ich mich erholen!«

Der ältere Herr, der ihr gegenüber saß, nickte: »Ja wirklich, es ist so
friedlich hier, wie so ganz anders als unsere geräuschvollen Straßen!«

»Hurra, sie kommen, hurra, hurra!« brüllte es da plötzlich neben dem
Wagen, und schwarze und weiße Buben- und Mädelgesichter tauchten auf.

»Mein Himmel,« schrien die Damen entsetzt, »was ist denn das? Was sind
denn das für schreckliche schwarze Kinder?«

»Oh das Geschrei!« stöhnten alle und hielten sich die Ohren zu, nur der
junge Mann auf dem Bocke lachte lustig.

Die Oberheudorfer Buben und Mädel waren der Ansicht, daß zu einem
richtigen Empfang auch ein ordentliches Geschrei gehört, und so
begleiteten sie den Wagen unter lauten Freudenrufen in das Dorf hinein.
Die Fremden winkten, sie sollten still sein, die Kinder aber nahmen das
Winken für Beifall und schrien immer lauter.

In der Dorfstraße wurde alles Getier von dem Lärm angesteckt, und das
schnatterte, meckerte, grunzte und gackerte an allen Ecken und Enden.

Der Wirt Kaspar auf dem Berge stand vor der Türe und verneigte sich
schon, als er erst die Pferdenasen sah. Mine, die Magd, knickste so
tief, daß sie, als der Wagen vor dem Hause hielt, nicht wieder hoch
kam, sondern plötzlich auf der Schwelle saß.

Das kam Annchen Amsee so ungeheuer komisch vor, daß sie hell auflachte,
und da Lachen ansteckt, brachen alle Mädel und Buben in ein jubelndes
Gelächter aus.

»Sie lachen uns wohl gar aus?« sagte die eine der fremden Damen
entrüstet und schaute die unnützen Dorfkinder strafend an. Doch diese,
die ein gutes Gewissen hatten, lachten unverzagt weiter, und die
Fremden ärgerten sich, weil sie nicht wußten, wem das Lachen galt.

Heine Peterles Mutter kam herbei, um die beiden Damen, die bei ihr
wohnen sollten, in das Haus zu führen. Vor der Türe standen Muhme Rese,
die Magd und ein rundes, weißes Schweinchen, das Muhme Reses besonderer
Liebling war. Lieblinge aber, es mögen nun Kinder oder Ferkelchen sein,
sind meist etwas vorwitzig, und so meinte auch das Schweinchen, es
müsse die Fremden zuerst begrüßen. »Uiuiui,« quiekte es und rannte an
eine der Damen an. Diese schrie entsetzt auf: »Entsetzlich, hier ist
ein Schwein, ein Schwein!«

»Nu freilich,« brummte Muhme Rese unwillig, »was ist denn dabei zu
schreien?«

»Ich falle in Ohnmacht!« rief die andere Dame und flüchtete in das
Haus, und die Bäuerin folgte ihr erschrocken. Es erschien ihr höchst
sonderbar, daß ein Mensch sich vor einem Schwein fürchten konnte.

»Wie es hier riecht!« flüsterte die eine der Damen im Hause.

»Nach Kuhstall,« sagte die andere und rümpfte die Nase.

Mit mißmutigen Gesichtern kletterten die Fremden die Treppe empor, die zu
dem Obergeschoß führte. Blitzblank waren die beiden Gastzimmer gescheuert,
feiner, weißer Sand war auf den Boden gestreut, und der Duft von Rosen
und Nelken erfüllte die Luft. Wie sauber und nett das alles war, sahen
aber die fremden Damen gar nicht. Eine von ihnen stolperte nämlich gleich
beim Eintritt über den Eimer, den Heine Peterle an der Türe hatte stehen
lassen. »Au, mein Knie!« rief die Dame empört und sah sich zornig um.

»Der vertrackte Bube!« murmelte die Bäuerin und trug den Eimer dahin, wo er
hin gehörte.

»Pfui, was ist das für ein schmutziger Bengel im Bett!« rief da die eine
Dame entsetzt. Sie hatte Heine Peterle erblickt, der rot und heiß im Bett
lag und schlief, als sei es gerade Mitternacht.

»Heine Peterle!« schrie seine Mutter zornig.

»Nein, so ein Schlingel!« quiekte die Magd.

»Hinaus mit ihm!« riefen die Damen empört. »Das ist ja ein abscheulicher
Junge!«

Von diesem Geschrei erwachte der Heine Peterle, und er, der sonst immer
so verschlafen war, daß seine Mutter am Morgen ihn rütteln und schütteln
mußte, ehe er aufstand, war auf einmal putzmunter. Hops! war er aus dem
Bett und zur Stube hinaus, noch ehe ihn jemand fassen konnte. Er hörte
aber noch ganz deutlich, wie die Damen sagten: »Der Junge müßte tüchtige
Haue haben!«

Heine Peterle verkroch sich im Garten in einer kleinen
Jelängerjelieberlaube; er hielt es für ratsam, seiner Mutter vorläufig
nicht in den Weg zu kommen. Als er später zum Abendessen erschien, bekam
er aber doch noch seine Schelte und die Ermahnung, recht höflich und
freundlich zu den Fremden zu sein.

Das versprach er auch, und am nächsten Morgen mußte er so viel daran
denken, was er den beiden Damen wohl zur Freude tun könnte, daß er
darüber gar nicht hörte, was der Herr Lehrer ihn fragte. Das Ende vom
Liede war, daß er eine Strafarbeit erhielt und sehr kleinlaut und
niedergeschlagen nach Hause kam.

Die fremden Gäste waren am Morgen spazieren gegangen, und die Dorfleute
hatten ihnen kopfschüttelnd nachgesehen. Nein, so etwas! Wie die
Stadtleute aber wunderlich waren! Vor einer Kuh nahmen sie alle Reißaus,
und wenn eine Pfütze auf der Dorfstraße war, taten sie, als müßten sie
einen breiten Fluß überschreiten. Nur der eine der Herren lachte über
alles und sah sich mit hellen Augen um.

»Jetzt, wenn ich nur wüßt', wo ich ihn schon gesehen habe,« sagte der
Wirt Kaspar auf dem Berge.

»Ich weiß schon, wo,« erwiderte Mine.

»Na, da red' doch, Mädel! Kannst ja sonst schwatzen, als kriegtest du
fürs Dutzend Worte 'nen Dreier!« brummte der Wirt.

»Das ist, hihihi, das ist, hihihi, der Schulrat,« rief Mine.

»Potzwetter ja,« schrie Kaspar auf dem Berge, »der falsche Schulrat vom
vorigen Jahre ist's! Na, der Herr Lehrer wird aber Augen machen!«

Der Herr Lehrer lachte, als der Wirt zu ihm gelaufen kam; eben war nämlich
der fremde Herr dagewesen und hatte sich ob seines lustigen Streiches
von damals entschuldigt. Es war wirklich der verkannte Schulrat, dem die
Kinder einen schulfreien Tag zu verdanken hatten.

Am Nachmittag saß Heine Peterle in der Stube und schrieb unter vielen
schweren Seufzern seine Strafarbeit. In Haus und Hof war es ganz still,
der Vater war mit dem Knecht und der Magd zum Heueinholen, und die Mutter
begoß auf der Bleiche die Wäsche. Muhme Rese saß auf dem Bänkchen vor der
Türe und strickte, und die Fremden waren oben in ihren Zimmern.

Mitten in seiner Arbeit fiel es Heine Peterle ein, daß er unbedingt
einmal nach den jungen Kätzchen sehen mußte. Vier Stück mausgraue,
possierliche Dingerchen waren es, die in einer Ecke des Kuhstalles
lagen, und die erst acht Tage alt waren. Als der Bube die kleinen
Dinger betrachtete, fiel ihm ein, daß er doch gegen die Stadtdamen
höflich und freundlich sein sollte. »Ich werde ihnen die Kätzchen
bringen,« dachte er, »da werden sie sich aber arg freuen!« Gedacht,
getan. Er nahm die vier Kätzchen auf den Arm und kletterte die Treppe
hinauf. Miauend folgte ihm die Katzenmutter, und Sultan, der Hofhund,
schloß sich auch noch an.

Da Heine Peterle die Hände voll hatte und doch als höflicher Junge
anklopfen wollte, stieß er etliche Male mit dem Fuß an die Tür des
Gastzimmers. Das polterte gehörig, und drinnen wurde ein lauter Schrei
hörbar. Eine der Damen riß erschrocken die Türe auf. »Was gibt es? Was
ist geschehen?« schrie sie ängstlich.

»Da!« sagte Heine Peterle und setzte ohne weitere Erklärung die kleinen
Katzen auf den Fußboden. »Gelt, die sind fein?«

»Wauwau, wauwau!« bellte Sultan hinter dem Buben, und die Katzenmama
versetzte ihm für das Gebell fauchend eine Ohrfeige.

»Ratten, das sind Ratten!« quiekten die fremden Damen. »Pfui, du
abscheulicher Junge! Zu Hilfe, Ratten, Ratten!« Eine der Damen kletterte
auf den Tisch, die andere sprang auf das Bett. Angstvoll rafften sie
ihre Röcke zusammen und schrien, als wäre Heine Peterle mit den kleinen,
unschuldigen Katzen ein furchtbares Ungeheuer.

Muhme Rese, die unten den Lärm hörte, kam, so rasch es ihre alten Füße
erlaubten, die Treppe heraufgelaufen; sie dachte, es sei ein großes
Unglück geschehen.

»Das ist der schreckliche Junge wieder, der gestern im Bett gelegen
hat,« zeterte die eine der Damen, die andere hatte einen Sonnenschirm
ergriffen und drohte: »Marsch, hinaus mit deinen Ratten, böses Kind du!«

»Ratten? Nä, das sind junge Katzen!« sagte Muhme Rese, die erstaunt an
der Türe stehen blieb. »Und böse ist unser Heine Peterle auch nicht,
mal en bißchen faul und mal en bißchen vorlaut und frech, aber sonst
ist er en ganz guter Junge. Und Ratten sehen allemal anders aus. Das
hier sind Katzen, die tun niemand nichts. Schreien Sie man nicht so!«

Heine Peterle sah dankbar zu Muhme Rese auf, weil die ihn so gut
verteidigte, dann nahm er seine Kätzchen und entfernte sich eilig, die
Dame mit dem Sonnenschirm sah ihn gar zu drohend an.

Es war doch schrecklich mit den Stadtleuten, nie konnte man es ihnen
recht machen! »Dumm sind sie, die Stadtleute,« dachte Heine Peterle,
als er wieder vor seiner Strafarbeit saß. »Wie kann man nur Katzen für
Ratten halten!«

Platsch, saß da ein großer, dicker Klecks mitten im Buch. Er sah
beinahe wie ein kleiner schwarzer See aus. Stöhnend rieb der Bube mit
seinem Gummi so lange an dem Fleck herum, bis ein Loch an der Stelle
war, und dann schrieb Heine Peterle weiter und machte vierundzwanzig
Fehler. Seiner Meinung nach waren an allem Unglück nur die beiden
Stadtdamen schuld; er machte darum fortan, wo er sie erblickte, einen
großen Bogen um sie herum.

»Man muß freundlich zu den Fremden sein,« dachten wie Heine Peterle
alle andern Oberheudorfer, und wenn sich jemand von den Stadtleuten
blicken ließ, da grüßten sie, lachten und blieben stehen.

Und die Fremden sagten: »Nein, sind die Oberheudorfer aber neugierig!«
Sie hielten die Freundlichkeit nur für Neugierde.

»Man muß freundlich zu den Fremden sein,« dachte auch Hans Rumps, der
Nachtwächter. Er blies darum allemal vor den Fenstern der Stadtleute
die Stunden ab, und weil er es besonders gut machen wollte, sang er
noch sein Sprüchlein:

      »Hört, ihr Leute, laßt euch's sagen,
      Die Glocke, die hat elf geschlagen!«

Wenn Hans Rumps sein Horn blies, klang es nun aber, als ob einer in
einen hohlen Topf tutet, und wenn er sang, quietschte es, als drehe
sich die alte, verrostete Wetterfahne auf dem Kirchturm. Schön war es
wirklich nicht, und die Stadtleute ärgerten sich, wenn sie in der Nacht
immer wieder durch das Getute und den Gesang geweckt wurden.

»Nicht zum Aushalten ist es!« sagte die eine der Damen.

»Das soll nun Ruhe sein!« entrüsteten sich die Herren.

So kam es, daß schon nach drei Tagen die Sommerfrischler mit sehr
mißmutigen Gesichtern Oberheudorf verließen. Sie kamen auch nie wieder.
Überhaupt sind seitdem keine Sommergäste mehr nach Oberheudorf gekommen,
und Heine Peterle sagte, das sei gut; mit den Stadtleuten sei ohnehin
nicht viel los.

Nur der lustige Maler blieb. Er wurde bald der gute Freund von allen
Kindern und zeichnete alle in sein großes, dickes Zeichenbuch. Alle
kamen sie hinein, auch Muhme Lenelis und ihr Häuschen, die Schule und
der Schulzenhof, ja selbst der Herr Lehrer.

Heine Peterle sagte: »Ja, wenn die Stadtleute alle so wären wie der
Herr Maler, dann möchte es gut sein.«

Muhme Lenelis aber meinte: »Die Rechten sind halt nicht dagewesen, die
sind schon gut!«

Und das will Heine Peterle nicht glauben.

[Illustration: Maler und Kinder]

[Illustration: Dekoration]



Das Vogelschießen in Niederheudorf.


Alljährlich, so zwischen Roggenernte und Kartoffelausmachen, war
in Niederheudorf Vogelschießen. Niederheudorf lag eine Stunde von
Oberheudorf entfernt, weiter unten im Tal, und war ein sehr großes,
stattliches Dorf. Natürlich gingen die Oberheudorfer immer zum
Vogelschießen, obgleich sie sich jedesmal ärgerten, daß bei ihnen
nicht auch so ein schönes Fest war. Besonders die Kinder ärgerten sich
darüber; denn erstens hätten sie lieber zwei Feste gefeiert statt eins,
und zweitens taten sich die Niederheudorfer Kinder immer sehr groß
mit ihrem Vogelschießen. »So was habt ihr freilich nicht!« sagten sie
hochmütig. »Ihr seid ja auch bloß 'n kleines Dorf!«

»Ich tät mich schämen, wenn ich in so 'nem Dörfchen wohnte!« rief
einmal der vorlauteste Niederheudorfer Bube. Das bekam ihm aber
schlecht. Heine Peterle, der blaue Friede und Schnipfelbauers Fritz
brachten ihm recht handgreiflich die Meinung bei, daß Buben aus
kleinen Dörfern ebenso gut, wenn nicht besser, hauen können als die
großdörflichen Buben.

Trotz ihres Ärgers aber freuten sich die Oberheudorfer Kinder schon
lange vorher auf das Vogelschießen, und wenn der ersehnte Tag da war,
zogen sie mit Sang und Klang schon um zwölf Uhr von daheim weg, denn
um ein Uhr begann das Fest. Sie kamen also sehr pünktlich. Wenn es die
Väter und Mütter erlaubt hätten, dann wären sie schon früh am Morgen in
Niederheudorf eingetroffen.

Wieder einmal war der Festtag gekommen, und die Sonne schien, wie
sich das für einen solchen Tag schickt, warm und hell, und nicht das
kleinste Regenwölkchen war am Himmel zu sehen.

Sehr vergnügt, sehr erwartungsvoll, mit Vogelschießgroschen in der
Tasche, so trabte die Oberheudorfer Jugend im besten Sonntagsstaat
nach Niederheudorf. Nichts störte ihre Sonntagsfreude, nicht einmal
der Gedanke an ungemachte Schularbeiten, denn der Herr Lehrer hatte
zum Montag nichts aufgegeben. In der allerbesten Laune betraten die
Kinder den Festplatz. Der sah geradezu märchenhaft schön aus. In der
Mitte stand ein Zelt, in dem gab es Bier, Semmeln und Würstchen. Rechts
und links von dem Zelt waren zwei Fahnen aufgepflanzt. Die eine hatte
nur ein Loch, so groß wie ein Tonnendeckel, und die andere war recht
schmutzig, aber sonst waren sie sehr schön.

Für die Kinder gab es ein Karussell, ein Kasperletheater und eine
Bude, in der es Papierlaternen, Pfefferkuchen, Drachen, Bonbons und
dergleichen gute Dinge zu kaufen gab. Man konnte auch darum würfeln,
doch da kriegte man gewöhnlich nichts.

Heine Peterle und Schulzens Jakob prügelten sich fast, weil Jakob
meinte, das Karussell wäre am schönsten, und Heine Peterle mehr für das
Kasperletheater eingenommen war. Aber schön war beides.

Das Karussell hatte braune und weiße Pferde, die kleine Kutschen zogen,
und wenn es sich drehte, tanzten in der Mitte immer vier Puppen. Einer
fehlte der Kopf, eine hatte keine Arme, und einer war das Kleid halb
verbrannt und die Nase eingeschlagen, aber tanzen konnten sie doch.
Das Karussell kam jedes Jahr, und die Kinder wußten schon, daß das
eine Pferd eine schwache Feder hatte; setzte sich jemand darauf und
ging das Karussell los, dann berührte das Pferd mit der Nase immer den
Boden, und wer nicht fest saß, konnte leicht von diesem wilden Tier
herunterfallen.

Als die Kinder den Festplatz betraten, kam auch gerade der Waldhüter
Leberecht Sperling an, und der Karussellbesitzer drehte seine Musik
auf. Dideldideldi, dideldideldi! ging es, und die Kinder liefen eilig
hin, denn natürlich gefiel ihnen das Karussell besser als der immer
brummige Waldhüter.

Das erstemal fuhren nur ein paar Niederheudorfer Buben, die es gar
nicht erwarten konnten. Die andern Kinder standen und sahen zu; das
war auch ein Vergnügen. Erst beim drittenmal, just als die erwachsenen
Oberheudorfer auf dem Festplatz anlangten, kletterten Buben und Mädel
auf das Karussell. Auf das braune Pferd mit der kaputten Feder aber
ging kein Kind, denn keines wollte herunterfallen. Zweimal fahren
kostete fünf Pfennig, und die Oberheudorfer Kinder meinten, für das
teure Geld müßte man wenigstens bis zum Schluß sitzen bleiben können.
»Da ist Leberecht Sperling!« schrie Anton Friedlich plötzlich, der auf
einem Schimmel saß und sich wie ein Feldmarschall vorkam.

Drohend schauten die Buben und Mädel auf den Waldhüter, der wirklich
geradewegs auf das Karussell zukam. »Was will er denn? Hier ist kein
Wald!« schrie Heine Peterle patzig.

»Er will mitfahren!« kicherte Annchen Amsee, die stolz wie eine Prinzessin
in einer mit rotem Samt ausgeschlagenen Kutsche saß.

»Vielleicht setzt er sich auf den Braunen,« rief Schnipfelbauers Fritz,
und die Kinder quiekten förmlich vor Vergnügen über diesen Witz und
guckten alle lachend auf den sonst so gefürchteten Waldhüter; hier auf
dem Festplatz konnte er ihnen ja nichts tun.

Leberecht Sperling ärgerte sich über all die blanken, lachenden
Kinderaugen, wie er sich ja über vieles ärgerte, über das andere Leute
sich freuten. Als daher Schulzens Jakob schrie: »Geht's denn nicht bald
los?« da rief er wütend, als sei er der Besitzer: »Wart' es doch ab,
dummer Bengel!«

»Wollen Sie mitfahren, Herr Waldhüter?« fragte der Karussellmann höflich.

Alle braunen und blauen Buben- und Mädelaugen richteten sich empört auf
Leberecht Sperling. Ob er das wohl wagte? »Das Karussell ist doch für
uns!« knurrten etliche.

»So? Meint ihr, ihr ungezogenes Volk?« rief der Waldhüter zornig,
sprang auf und kletterte richtig auf das braune Pferd, weil das der
einzige freie Platz war.

Dideldideldi, dideldideldi! ging geschwind das Karussell los.

Nick! machte das braune Pferd, und Leberecht Sperling stieß mit der
Nase beinahe auf den Boden.

»Ihr Diener!« rief Friede Hopserling, der Müllerknecht, der stand und
zusah; er dachte, der Waldhüter habe ihn gegrüßt.

»Dummer Müllerbursche!« schrie der wütend und -- nick! machte das braune
Pferd.

»Na, wie geht's?« fragte der Schulze, der auch herbeigekommen war und
dachte, jetzt habe der Waldhüter ihn gegrüßt.

Dideldideldi, dideldideldi ging das Karussell schneller, und Friede
Hopserling, der wohl gemerkt hatte, warum Leberecht Sperling nickte,
verbeugte sich lachend und schrie: »Schön guten Tag, Herr Waldhüter!«

Nach und nach kamen immer mehr Zuschauer, und je schneller das Karussell
ging, desto öfter nickte Leberecht Sperling auf seinem braunen Pferd. Und
die Bauern und Bäuerinnen, die sich wunderten, daß der sonst so mürrische
Waldhüter heute so höflich war, nickten wieder, und Mine, die Wirtsmagd,
machte sogar einen tiefen Knicks.

Leberecht Sperling ärgerte sich immer mehr und schrie: »Aufhören,
auf--hören!«

Dideldideldi, dideldideldi, dideldideldi! ging das Karussell schneller
und schneller, und das braune Pferd hopste und nickte wie toll, und
auf einmal gab es einen heftigen Stoß, und der Waldhüter flog in einem
großen Bogen herunter, dem Schuster Pechdraht, der auch zusah, gerade
in die Arme.

»Uff!« machte der, denn er wäre beinahe hingefallen, dann aber preßte
er den Waldhüter fest an sich und rief schmunzelnd: »Schön guten Tag,
schön guten Tag! Warum denn heute so freundlich?«

Wütend riß sich Leberecht Sperling los, den allezeit lustigen Schuster
konnte er am wenigsten von allen Oberheudorfern leiden. Ohne sich
umzusehen, lief er davon und flüchtete in das Bier-, Würstchen- und
Semmelzelt, und die Kinder bekamen ihn an diesem Tage nicht mehr zu
sehen.

Sie vermißten ihn auch gar nicht in ihrem Vergnügen. Die Wogen der
Freude gingen hoch an diesem Tage, und die Oberheudorfer Kinder waren
so lustig, daß sie sich nicht einmal mit den Niederheudorfern über die
Vorzüge ihrer Dörfer stritten.

Nachdem sie alle Karussell gefahren waren, fanden sie, es wäre gut,
erst einmal die Schätze der Pfefferkuchenfrau zu betrachten. Sie liefen
alle zusammen an die Bude, und es fehlte nicht viel, so hätten sie die
Bude samt Pfefferkuchen und Verkäuferin umgerissen. Die Frau erhob ein
Zetergeschrei, nahm einen großen Rohrstock und wehrte sehr entschieden
allzu eifrige Käufer und Begucker ab.

Das war auch notwendig, denn die Oberheudorfer Kinder waren der Ansicht,
daß, wenn einer für fünf Pfennig Zuckerstangen oder gar für zehn Pfennig
gebrannte Mandeln kaufte, er auch vorher kosten dürfe. Aber davon wollte
die Pfefferkuchenfrau nichts wissen. »Kosten kost' 'nen Fünfer,« schrie
sie und klappste den dicken Friede auf die Hand, weil der eine besonders
gute Sorte Bonbons probieren wollte.

»Die ist aus der Stadt, da sind die Leute so frech!« sagte Heine Peterle
wütend, weil ihm die Frau auf seinen Einkauf für fünf Pfennig nichts
zugeben wollte.

Die Mädel waren besonders fürs Zugeben eingenommen, und Tischlers Liese
sagte, wenn sie mal Pfefferkuchenfrau wäre, sie würde gewiß immer zugeben.
Doch die Pfefferkuchenfrau auf dem Niederheudorfer Festplatz hatte
entschieden ein steinernes Herz: sie gab nichts zu, ließ nicht kosten und
nicht handeln, und es dauerte daher ziemlich lange, bis die Kinder ihre
Einkäufe gemacht hatten.

Im Kasperle-Theater hatte das in roten Hosen steckende Kasperle schon
etliche Male gerufen: »Seid ihr alle da?« ehe es die Antwort erhielt:
»Ja, wir sind da!«

Es war ein urkomisches Kasperle, das sich da, wenn der blau und gelb
gestreifte Vorhang aufgezogen wurde, mit dem Teufel, seiner Frau und
all den andern Personen des Puppentheaters herumzankte. Es begrüßte
die Kinder immer mit dem freundlichen Zuruf: »Na, ihr Dösköppe, wollt
ihr Haue?«

»Ja,« schrien die Kinder, denn es war nicht gefährlich, wenn Kasperle
in der Luft herumfuchtelte.

»Sind die Oberheudorfer Schlingel auch da?« fragte es dann.

»Ja, hier sind wir!« riefen alle Oberheudorfer Buben und Mädel, sie
fühlten sich durch Kasperles Nachfrage sehr geehrt.

»Potz blitz,« quiekte Kasperle, »da muß ich losgehn. Frau, komm raus,
die Oberheudorfer sind da!«

»Das ist dumm!« rief ein Niederheudorfer Bube empört. »=Wir= müssen genannt
werden, bei =uns= ist doch das Schießen!«

»Halt den Mund!« keifte Kasperle.

Aber die gekränkten Niederheudorfer hielten nicht den Mund, und die
Oberheudorfer schwiegen auch nicht still. Die Kinder standen sich eine
Weile kampfbereit gegenüber, als Kasperle plötzlich rief: »Gute Nacht,
ich geh' ins Bett!«

»Nein, bleib hier!« riefen die Kinder erschrocken und vergaßen ihren
Streit, und das Spiel begann.

Der eifrigste Zuhörer war der dicke Friede. Mäuschenstill stand er und
sperrte Augen, Mund und Ohren auf. Er vergaß vor lauter Eifer sogar
das Essen, trotzdem er einen großen braunen Pfefferkuchen in der Hand
hielt. Als der Vorhang zugezogen wurde, weil ein Akt des Stückes zu
Ende war, sagte der dicke Friede seufzend, wie aus einem tiefen Traume
erwachend: »Ich möchte auch ein Kasperle sein!«

Seine Gefährten sahen ihn verdutzt an, und Heine Peterle meinte
nachdenklich: »Na, ausgelacht zu werden, ist dumm!« Er dachte dabei an
seine Erlebnisse in der Stadt.

Annchen Amsee, die auf einer Bretterplanke saß, strich sich ihr Kleid
glatt und meinte: »Eine Gräfin möchte ich schon spielen!«

Der blaugelbe Vorhang teilte sich ein wenig, Kasperle steckte seine
große Nase heraus und jammerte: »Oh jerum, jerum dideldum, Kasperle hat
Hunger. Knurr schnurr! Hört ihr, wie mein Bäuchlein knurrt?«

Die Kinder lachten, doch der dicke Friede besann sich nicht einen
Augenblick, rasch warf er Kasperle seinen schönen Pfefferkuchen zu.

»Der schmeckte dir wohl nicht?« fragte Annchen Amsee verdutzt, und
Schulzens Jakob forschte: »Dir ist wohl schlimm?«

Daß der dicke Friede freiwillig etwas Eßbares verschenken konnte, das
erschien den Kindern zu verwunderlich. Doch da der Vorhang wieder
aufgezogen wurde, verstummte das Gespräch, und Kasperle, der erklärte
»bumssatt« zu sein, lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Während die Kinder vor dem Puppentheater standen, hatten die Erwachsenen
nach dem Vogel geschossen. Jeder Schuß wurde mit Beifallsrufen begleitet.
Dazu erklang die Musik des Karussells. Vor dem Bier-, Würstchen- und
Semmelzelt spielte ein Mann eine Ziehharmonika, und das jauchzende
Gelächter der Kinder schallte über den Festplatz. Es war also ziemlich
geräuschvoll, und die braven Niederheudorfer Rinder, Pferde, Schweine,
kurz alles Getier, wunderte sich recht über den Lärm. Die Kettenhunde
bellten, und in den Ställen brummten die Rinder, während die Hühner
aufgeregt gackerten und das Eierlegen vergaßen.

Der Lärm drang bis zu einer eingezäunten Wiese, auf der mehrere junge
Rinder weideten. Der Hütejunge, der aufpassen sollte, war heimlich auf
den Festplatz gelaufen. Ein junger Ochse fand, daß es ganz leicht sei,
die nur angelehnte Tür des Gatters aufzustoßen, und unverzagt machte er
sich ebenfalls auf den Weg nach dem Festplatz. Je näher er kam, desto
lauter wurde die Musik. Das ärgerte ihn, und in ziemlicher Wut kam er
zu den vergnügten Leuten.

Ein wütender Ochse ist aber mitunter recht gefährlich, und bei seinem
Nahen erhob die Pfefferkuchenfrau, an der er vorbeistürmte, ein lautes
Geschrei. Der Ochse jedoch fand die Schätze der Pfefferkuchenfrau nicht
verlockend und rannte weiter. Einige Mägde flüchteten schreiend vor
ihm in das Bier-, Würstchen- und Semmelzelt. »Ein Ochse kommt, ein
Ochse kommt!« Der Waldhüter steckte vor Schreck den Senflöffel in den
Mund und warf eine Wurst ins Bier, einige Frauen kletterten auf die
Tische, -- aber kein Ochse erschien.

Der würdigte das Zelt keines Blickes, sondern trabte im Sturmschritt
auf das Puppentheater zu. Dort deklamierte Kasperle gerade:

      »Mein werter Herr Teufel,
      Sie sind sehr frech ohne Zweifel,
      Ich reiß' Ihnen jetzt die Nase ab
      Und« -- -- --

Buh, buh, steckte der Ochse seinen Kopf in das Puppentheater hinein,
und mit einem gellenden Schrei purzelten Kasperle, Teufel und die
gefangene Prinzessin in die Tiefe.

Das Theater wackelte.

Der Ochse und die Kinder brüllten. Der Budenbesitzer flüchtete -- es
war eine heillose Verwirrung.

Der dicke Friede war unsanft aus seinem Entzücken gerissen worden, und
wütend über die unerwartete Störung sprang er auf, nahm eine Latte, die
nicht weit von ihm lag, rannte auf den Ochsen los und schlug diesen auf
die Nase. »Raus!« rief er, »hast hier nichts zu suchen! Raus, raus!«

Der Ochse sah ganz verdutzt auf den kleinen zornigen Bengel, der
krebsrot vor Wut war, machte noch einmal »buh« und trabte dann wirklich
davon. Ehe er ein Unheil anrichten konnte, wurde er eingefangen und in
seinen Stall zurückgeführt.

Der dicke Friede, der durch seinen Mut eine große Gefahr beseitigt
hatte, kehrte gelassen auf seinen Platz zurück und rief, als sei nichts
geschehen: »Weiter!«

Kasperle lag freilich noch ganz matt da, und es dauerte eine ganze Weile,
bis er sich erholt hatte und sich weiter mit dem Teufel zanken konnte,
dann aber konnte das Spiel ohne Unterbrechung zu Ende geführt werden.

Friede bekam dann von seinem Vater zur Belohnung für seinen Mut noch
einen Vogelschießgroschen, mit dem er zur Pfefferkuchenfrau eilte, denn
auf einmal fühlte er wieder ein Loch in seinem Magen, in das gerade ein
Pfefferkuchen hineinpaßte.

All die laute, jubelnde Festesfreude konnte die Sonne nicht am Zubettgehen
hindern. Rutsch! fiel sie hinter rosenroten Wölkchen herunter, und
die Dämmerung kam. Auf dem Festplatz erhob sich lautes Wehklagen. Alle
Oberheudorfer Kinder fanden, es sei noch ganz hell, obgleich die Mütter
ihre Buben und Mädel kaum noch voneinander unterscheiden konnten. So zog
Schulzen Jakobs Mutter Anton Friedlich an den Ohren, weil sie dachte, er
sei es gewesen, der allen mitgebrachten Kuchen aufgegessen hatte, und die
Waldbäuerin schalt Krämers Trude aus ob des zerrissenen Kleides, aber da
Trude ihr Kleid auch zerrissen hatte, schwieg sie still, während Anton
schrecklich brüllte.

Alles Wehklagen half aber nichts, die Kinder mußten heimziehen. Jedes
zündete seine Laterne an. Da gab es rote, blaue, grüne oder papageienbunte
Laternen, und die Niederheudorfer Kinder beneideten die Oberheudorfer
beinahe um den Heimweg.

»Ihr könntet auch mal was haben, damit wir von euch mit Laternen wegziehen
könnten,« riefen einige Niederheudorfer Buben.

Schnipfelbauers Fritz, der größte Naseweis im Umkreis von zehn Meilen,
rief schnell: »Ei, dann kommt doch in vierzehn Tagen, da gibt's ein großes
Kinderfest bei uns. Gelle, Anton?«

Und Anton Friedlich, der auch immer zu einem dummen Streich aufgelegt war,
sagte: »Freilich, freilich! Ja, wißt ihr denn das noch nicht? Kommt nur
alle!«

Bumbum, bumbum! schlug Schulzens Jakob auf seine Trommel, das war das
Zeichen zum Abmarsch, und singend zogen die Oberheudorfer von dannen.
»Wir kommen,« brüllten ihnen die Niederheudorfer Buben nach, und Fritz
und Anton riefen keck: »Auf Wiedersehen!«

Der Heimweg war so schön wie der Tag; kein mißgünstiger Platzregen
löschte die Laternen aus, und einige brannten sogar bis Oberheudorf.
Viel Licht, um ins Bett zu gehen, brauchte an diesem Abend keines von
den Kindern. Sie fielen fast in die Betten, so müde waren sie, und
schliefen so fest, daß man das ganze Dorf hätte wegtragen können, ohne
daß sie es gemerkt hätten.

Am nächsten Tage redeten sie nur von dem Fest. Jeder hatte noch etwas
zu erzählen, und am liebsten wären sie alle am Nachmittag wieder nach
Niederheudorf gezogen.

Am Nachmittag wollte des dicken Friede Mutter im Baumgarten Wäsche
abnehmen. »Lina,« rief sie der Magd zu, »hier fehlt doch eine von
meinen bunten Nachtjacken und ein Käsebeutel. Wo mag denn das nur
sein?«

»Kann sein, der Wind hat's über den Zaun geweht,« sagte die Magd und
begann zu suchen. Auf einmal kam sie zitternd angelaufen. »Frau,«
schrie sie, »Frau, unser Friede ist toll geworden!«

»Was schreist du denn so?« fragte der Bauer, der zum Fenster heraussah.

»Unser Friede ist toll geworden!« jammerte die Magd und lief zum Garten
hinaus, und Bauer und Bäuerin rannten hinter ihr her.

Sie kamen an einen Holzschuppen, da stand der dicke Friede auf einem
umgestülpten Wagen. Er hatte die bunte Nachtjacke seiner Mutter an und
den Käsesack auf dem Kopf. Er zappelte mit Armen und Beinen, einmal
hopste er wie ein Frosch, dann wieder wand er sich wie ein Regenwurm.
Dazu schnitt er die gräßlichsten Gesichter und quiekte wie eine Maus,
die in der Mausefalle sitzt.

»Du lieber Himmel!« schrie die Bäuerin händeringend. »Was soll denn das
sein?«

Friede sah entsetzt auf die unerwarteten Zuschauer und verschwand
plötzlich hinter dem Wagen. Sein Vater aber zog ihn rasch hervor und
fragte sehr nachdrücklich: »Gleich sagst mir, was das für Dummheiten
sind!«

»Er ist toll geworden,« jammerte die Magd, »meine Güte, der arme Bub!«

»Ich -- ich bin nicht toll, ich -- ich möcht' 'n Kasperle werden,« rief
Friede schluchzend.

»Ein Kasperle?« Der Bauer lachte laut auf. »Ich meine, du brauchst
keins zu werden, du bist schon eins!«

»Die gute Jacke ist ganz voll Wagenschmiere,« klagte die Bäuerin und
drehte ihren Buben um und um.

Lina, die nun sah, daß Friede nicht toll war, hatte alle Angst verloren,
riß dem zukünftigen Kasperle die seltsame Mütze vom Kopf und eiferte: »Der
Käsesack hat 'n Loch!«

Friede wurde die Sache unheimlich, er ließ sein Kasperlegewand in den
Händen der Mutter und nahm schleunigst Reißaus; er ließ sich erst wieder
sehen, als das Abendbrot auf dem Tische stand.

Am nächsten Tage kam zum Oberheudorfer Schulzen ein Bote vom
Niederheudorfer Schulzen, um zu fragen, ob das mit dem Fest in vierzehn
Tagen seine Richtigkeit habe. Die Niederheudorfer würden gern kommen
und freuten sich schon darauf, auch einmal in Oberheudorf ein Fest
mitzufeiern.

Der Schulze wurde fuchswild; er hielt die Sache für Spott und fuhr den
Boten scharf an. Der überbrachte die grobe Antwort des Schulzen den
Niederheudorfern, und sämtliche Dorfleute gerieten in helle Entrüstung.
Gleich wurde eine noch gröbere Antwort nach Oberheudorf gesandt. Es
hätte eine schlimme Geschichte daraus werden können, wenn der Pfarrer
nicht herausbekommen hätte, wer die Einladung ausgesprochen hatte.
Schnipfelbauers Fritz und Anton Friedlich wurden zum Schulzen beschieden,
und sehr kleinlaut verließen sie nachher das Amtszimmer. Es half ihnen
nichts, sie mußten eines Nachmittags nach Niederheudorf wandern und dort
um Verzeihung bitten.

Es war kein leichter Gang, und Schnipfelbauers Fritz sagte heulend:
»Ich geh nie wieder zum Vogelschießen!«

»Ich auch nicht,« murrte Anton Friedlich.

Weil sie aber in Niederheudorf besser empfangen wurden, als sie
gefürchtet hatten, meinten sie auf dem Heimweg, nächstes Jahr gingen
sie doch wieder. Sie sollen es auch getan haben.

[Illustration: Fritz und Anton]

[Illustration: Dekoration]



Muhme Lenelis und ihre Freunde.


Wieviele Freunde Muhme Lenelis hatte, das weiß ich nicht. Wenn aber
in Oberheudorf einem Buben unversehens die Hosen platzten oder einem
Mädchen alle Nadeln aus dem Strickzeug fielen, dann erinnerten beide
sich sicher an ihre Freundschaft mit Muhme Lenelis. Es ist nicht zu
sagen, wieviel Hosen die alte Frau schon in aller Freundlichkeit und
Heimlichkeit gestopft hatte, und wieviel Strickzeuge unter ihren Fingern
wieder in Ordnung gekommen waren.

Wie alt Muhme Lenelis war, wußte niemand genau. »Siebenmal so alt wie
du und noch was drüber,« sagte sie zu Schulzens Jakob, als dieser neun
Jahre zählte.

Am äußersten Ende des Dorfes, dort wo des Schulzen Haselnußberg etwas
steil in die Höhe stieg, lag Muhme Lenelis' Haus. Eigentlich war es nur
eine Hütte, an der das Größte und Schönste die breite Feueresse war.
»Eine rechte Feueresse gehört zur Gemütlichkeit,« pflegte Muhme Lenelis
zu sagen, wenn sie an ihrem Herd stand und durch das Essenloch, das
sich unten zu einem Rauchfang erweiterte, den blauen Himmel leuchten
sah.

Das Häuschen war niedrig und eng. Es hatte nur eine Stube und eine
schmale, dunkle Kammer, in der die alte Frau Holz, Milch, Brot, und
was sie sonst im Hause hatte, aufbewahrte. Ein winziger Stall, in dem
eine Ziege und etliche Hühner eng, aber gemütlich zusammenwohnten,
und ein kleiner Garten, in dem Bohnen, Kartoffeln, Rosen, Gurken,
Feuerlilien, Mohrrüben, Malven, Himbeeren und noch vielerlei kunterbunt
durcheinander wuchsen, gehörten noch zum Häuschen. Daraus kann jeder
sehen, daß Muhme Lenelis nicht reich war, nein, eigentlich war sie
arm; sie mußte sich recht mühsam ihr bißchen Zubrot durch Beeren- und
Kräutersuchen verdienen.

Manch einer hätte da gejammert und gestöhnt, doch daran dachte Muhme
Lenelis nicht; sie war immer vergnügt und guter Dinge. Plagte sie
einmal das Reißen, oder war ihr der Kaffee ausgegangen, und sie hatte
kein Geld, sich welchen zu kaufen, dann sagte sie: »Das Leben ist
wie eine Butterschnitte. Manchmal kommt eine Stelle, wo gerade keine
Butter hingekommen ist, da muß man eben ruhig weiter essen, bis wieder
Butter kommt.« Und dampfte dann wieder Kaffee in ihrer braunen Kanne,
dann sagte sie schmunzelnd: »Seht, jetzt bin ich wieder an einer guten
Stelle bei meinem Lebensbutterbrot.«

Obgleich nun Muhme Lenelis arm, alt und dazu recht häßlich war, liebten
sie doch alle Kinder. »Das kommt von ihrem guten Herzen,« sagte die
Schulzenfrau stets, wenn sie von der Muhme sprach.

Im Sommer, wenn es in Wald und Feld so viel zu bewundern und zu begucken
gab und der Tag voller Lust und Leben war, vergaßen die Oberheudorfer
Buben und Mädel freilich manchmal, Muhme Lenelis zu besuchen. Aber im
Winter, wenn die Sonne das Zubettgehen gar nicht erwarten konnte, da saßen
immer etliche Wildfänge in Muhme Lenelis' Stube und bettelten: »Muhme,
erzähl doch was!«

Ja, erzählen, das konnte Muhme Lenelis am allerbesten im ganzen Dorf.
Tausend noch mal, waren das Geschichten! Da spielten die allerschönsten
Prinzessinnen mit kleinen dummen Bauernbuben Federball und Blindekuh
oder fuhren in goldenen Kutschen einher, und Schlösser gab es in den
Geschichten, die waren so schön, daß des Grafen Dachhausen Schloß
dagegen nur ein ganz einfaches Haus war. Mit goldenen Kronen, silbernen
Gewändern und Edelsteinen warf Muhme Lenelis in ihren Geschichten
umher wie die Kinder im Herbst mit Kastanien, und die guten Feen
brachten gleich ganze Erntewagen voll Geschenke an. Leider spielten
diese Geschichten alle im Märchenlande, und das liegt bekanntlich
hinter dem Berge »Irgendwo« an der Straße »Nirgendshin« im Walde
»Ichweißnichtwie«. Muhme Lenelis aber hatte sicher ein Zaubertränklein,
denn solange sie erzählte, verwandelte sich ihre dürftige Stube in den
wunderlieblichsten Märchengarten, in dem die Oberheudorfer Kinder sehr
vergnügt umherspazierten.

Zwei Kinder im Dorfe nur kamen nicht zu Muhme Lenelis außer den Kleinen,
die noch nicht gehen und sprechen konnten, das war das besinnliche
Trinchen, zu dem ging Muhme Lenelis erst dann, als es krank lag, und der
Traumfriede. Ach, und der Bube wäre doch brennend gern zu der alten Frau
gelaufen, aber sein Herr und Pflegevater litt es nicht, weil er Muhme
Lenelis nicht leiden konnte. Böse Menschen haben mit den guten nicht gern
etwas zu schaffen, und der Kohlbauer schaute der alten Frau nicht gern in
ihre klugen, klaren Augen. Sonst kamen sie alle: Schulzens Jakob, Annchen
Amsee, Heine Peterle, und wie sie alle hießen.

Sie kamen und saßen in Muhme Lenelis' Stube, und wer besonders brav
gewesen war, der durfte ein Weilchen auf einem mit verschossenem roten
Samt bezogenen Sessel sitzen. Dieser Sessel war die größte Kostbarkeit,
die die alte Frau besaß. Sie hatte ihn einmal von einer Kammerfrau der
Gräfin erhalten, der sie Kräutertee als Heilmittel für eine schlimme
Grippe gebracht hatte. Die Kammerfrau wieder hatte den Stuhl von der
Frau Gräfin bekommen, weil der Samt Flecke hatte und außerdem zwei Beine
wackelten. Aus diesem Grunde mußte man auch immer ganz vorsichtig auf dem
Sessel sitzen, und die Oberheudorfer Kinder saßen, wenn sie diese hohe
Ehre erreichten, so steif und still auf dem ehemaligen gräflichen Sessel,
wie etwa ein Kaiser auf dem Throne sitzt.

Am schönsten war es so um Weihnachten herum bei Muhme Lenelis. Vier
Wochen vorher roch es dort schon weihnachtlich. Die Muhme lachte immer,
wenn die Kinder kamen, ihre Näschen in die Luft reckten und wie Hundchen
schnuppernd riefen: »Hier riecht's nach Weihnachten!« Flugs warf dann
die alte Frau noch einige Tannenzapfen in das Feuer. Das prasselte und
sprühte, und ein feiner, süßer Weihnachtsduft zog durch das Zimmer.

Am ersten Adventsonntag wurde in dem Häuschen ein Fest gefeiert, da gab es
Bratäpfel. Der große Apfelbaum, der neben dem Hause stand wie ein großer,
guter Wächter, sorgte dafür, daß die Muhme jeden Herbst etliche Körbe voll
Äpfel einernten konnte. Ein bißchen hart und säuerlich waren die Früchte
zwar, aber Muhme Lenelis meinte, der Baum sei eben ein Bratäpfelbaum,
dagegen sei nichts zu sagen. Alle Kinder stimmten ihr zu, und wer nur
einen einzigen Bratapfel bei Muhme Lenelis gegessen hatte, der erklärte
sicher, daß nirgends auf der weiten Welt bessere Bratäpfel zu finden seien.

Überhaupt war alles in und um Muhme Lenelis Haus von ganz besonderer
Art. Die schwarzweiße Ziege, die den für Ziegen etwas ungewöhnlichen
Namen Friederike führte, war nach der Muhme Aussage ein über alle Maßen
kluges Tier. Ein Zeichen ihrer Klugheit war schon, daß es ihr in der
Stube besser als im Stalle gefiel, namentlich im Winter, wenn es im
Stalle kalt war. Erzählte ihre Herrin eine Geschichte, so verhielt sich
Friederike meist still, aber nicht immer, und Muhme Lenelis sagte dann
stolz. »Sie hört zu! Wenn sie nur sprechen könnte, sie könnte sicher
die schönsten Geschichten erzählen!«

Die Kinder behandelten Friederike sehr respektvoll. Schulzens Jakob, der
immer gern alles studieren wollte, nahm es sich einmal vor, am heiligen
Abend um Mitternacht in Muhme Lenelis Stall zu gehen, vielleicht konnte
da Friederike sprechen, weil man doch sagt, daß die Tiere in dieser
heiligen Nacht wie die Menschen reden können. Anton Friedlich und Heine
Peterle wollten mit ihm gehen, aber dann hatten sie alle drei zu viel
Pfefferkuchen gegessen und Weihnachtspunsch getrunken und verschliefen
die Zeit. Sie sagten zwar »nächstes Jahr«, aber da war es ebenso, und
darum erfuhren die Kinder nie, ob Friederike wirklich schöne Geschichten
erzählen konnte.

Von besonderer Klugheit war auch Schnurpsel, der Kater. Auch von ihm sagte
Muhme Lenelis, er sei ein ganz besonderer Kater, so einer, wie sie in
Märchen vorkommen. Schnurpsel ging auch immer so stolz einher, als sei er
ein Prinz, und er konnte neben einer bis zum Rande gefüllten Milchschüssel
liegen, ohne in die Katzenuntugend des Naschens zu verfallen. Nein, so
etwas tat Schnurpsel nicht, dazu war er viel zu würdevoll.

Er stellte auch nicht Mimi, der Amsel, nach, die auch eine von Muhme
Lenelis Hausgenossen war. Die Muhme hatte das Tierchen einst mit
gebrochenem Flügel auf einer Wiese gefunden, es heimgetragen und gesund
gepflegt. Im Sommer saß Mimi in dem kleinen, blütenreichen Gärtchen und
pfiff die allerschönsten Lieder, im Winter aber blieb sie in der Stube
und spazierte nur bei hellem Sonnenschein ein wenig draußen herum. Mimi
vertrug sich so gut mit Schnurpsel, daß sie manchmal sogar auf seinem
Rücken saß, was sich der Kater mit behaglichem Schnurren gefallen ließ.

»Zank und Streit kommen bei uns nicht vor,« pflegte Muhme Lenelis
zu sagen, wenn sie mit Friederike, Schnurpsel und Mimi in ihrem
Stübchen saß. Auch die Kinder, die zu Besuch kamen, ließen Zank und
Streit draußen. Selbst der blaue und der dicke Friede vertrugen sich
miteinander, als sie noch Feinde waren, wenn sie bei der Muhme weilten,
und manchen Streit, der Geschwister oder Freunde entzweit hatte,
schlichtete die alte Frau mit klugen und gütigen Worten.

Wieder einmal stand der erste Advent und das Bratäpfelfest vor der
Türe. Etliche Tage vorher wisperten und flüsterten die Kinder schon
von dem Fest, zu dem Muhme Lenelis erstens eine neue Geschichte und
zweitens Pfefferkuchen versprochen hatte. Die Pfefferkuchen, die
die Muhme ihren Gästen vorsetzte, waren weder sehr groß noch sehr
mit Mandeln gespickt. Es waren recht einfache, billige Kuchen, und
doch schmeckten sie den Kindern stets über die Maßen gut; vielleicht
machte sie die große Liebe, mit der sie gegeben wurden, so besonders
schmackhaft.

An dem Sonnabend vor dem Feste rüstete sich Muhme Lenelis am Morgen zur
Fahrt in die Stadt, um dort die Pfefferkuchen zu kaufen. Sie holte sie
jedes Jahr bei einer als geizig verschrieenen Konditorsfrau, die das
größte Geschäft in der Stadt hatte. Der Gastwirt Kaspar auf dem Berge fuhr
auch nach der Stadt und hatte sich erboten, Muhme Lenelis mitzunehmen.
Zurück mußte sie freilich gehen, aber sie fürchtete sich nicht vor dem
langen Wege und lachte vergnügt, als einige Buben ihr versicherten, sie
würden ihr entgegenkommen und sie in ihrem Handschlitten heimfahren. Heine
Peterle warnte die Muhme noch sehr dringlich vor allerhand Gefahren in
der Stadt, und als sein Vater ihm vorschlug doch mitzufahren, lief er mit
puterrotem Gesicht wütend aus der Stube.

Muhme Lenelis kam wohlbehalten in der Stadt an und ging in den
Pfefferkuchenladen, in dem so viele Leute waren, daß die alte Frau ganz
verlegen wurde. Aber die Konditorsfrau, die sie von Ansehen kannte,
sprach freundlich zu ihr, und die Muhme brachte ihr Anliegen vor und
erzählte dabei treuherzig, wozu sie so viele kleine Pfefferkuchen
brauchte. Etliche junge Mädchen bedienten die Kunden und packten die
eingekauften Waren in große Pakete zusammen. Nachdem Muhme Lenelis eine
ganze Weile gewartet hatte und etliche Male nach ihren Wünschen gefragt
worden war, legte eines der Mädchen ihr ein recht umfangreiches Paket
in den Tragkorb. Die alte Frau nahm ihre mühsam gesparten Groschen aus
ihrem Beutel, händigte sie der Konditorsfrau ein und ging, noch einen
sehnsüchtigen Blick auf alle im Laden aufgestellten Herrlichkeiten
werfend, mit freundlichem Gruß von dannen. Unterwegs dachte sie an
all die Kasten voll feiner Schokoladenbonbons, an die Marzipanfrüchte
und bunten Kuchen. Wie gern hätte sie für ihre kleinen Freunde und
Freundinnen in Oberheudorf recht viel eingekauft!

Der lange Weg wurde ihr nicht lang, obgleich die Pfefferkuchen merkwürdig
schwer im Korbe lagen. Muhme Lenelis dachte an die Geschichte, die sie
morgen erzählen wollte, und sonst noch an allerlei liebe, freundliche
Dinge und stapfte dabei wohlgemut weiter. Zart und weich rieselten die
Flocken hernieder. Es war nicht kalt, aber doch blieb der Schnee liegen.
Es sah ganz weihnachtlich feierlich aus, und die Muhme geriet in eine so
fröhliche Weihnachtsstimmung, wie nur ein guter Mensch sie empfinden kann.

Ein lautes Geschrei unterbrach plötzlich ihr heiteres Sinnen. Auf einem
Hügel tauchten fünf Gestalten auf, die mit großem Hallo auf die einsame
Wanderin zukamen. Muhme Lenelis blieb stehen und lachte, denn sie kannte
die fünf gut, die dort ankamen; es waren Heine Peterle, der blaue Friede,
Schulzens Jakob, Schnipfelbauers Fritz und der lange Hans, der Wirtssohn.

»Wir wollen dich heimfahren, Muhme!« riefen alle fünf, und der kleine
Holzschlitten, den sie zogen, flog hin und her wie ein Uhrenpendel.

»Ich geh lieber,« meinte die Muhme, denn die Fahrt schien ihr etwas
bedenklich.

Die fünf schrien vor Entrüstung laut auf und baten so eindringlich, daß
die gute Muhme sich wirklich auf den Schlitten setzte. »Es liegt ja
Schnee,« dachte sie. »Wenn ich falle, fall' ich weich,« und -- bums! da
lag sie auch schon im Graben. Mit ihrem Korbe kollerte sie ein Stück
bergunter, und als sie pustend und ächzend wieder aufstand, da waren
die fünf Ritter schon weit entfernt; sie hatten in ihrem Eifer gar
nicht gemerkt, daß sie die Muhme verloren hatten.

»Na, solche Buben!« meinte diese lachend, lud ihren Korb auf und eilte,
so schnell sie konnte, auf einem Seitenwege ihrem Häuschen zu.

»Wir bringen Muhme Lenelis mit den Pfefferkuchen,« schrien die fünf,
als sie in das Dorf einfuhren.

Waldbauers Mariandel, die gerade hübsch artig und manierlich über
die Dorfstraße ging, riß die Augen weit auf, und Annchen Amsee, die
dazukam, quiekte: »Ach je, wo ist denn die Muhme?«

Schuster Pechdraht stand vor seiner Haustüre und rief auch: »Ja, wo ist
denn die Muhme?«

Verdutzt hielten die fünf im Laufen inne, drehten sich um, -- ja, wo
war denn die Muhme?

»Wir haben sie verloren,« murmelte Schnipfelbauers Fritz kleinlaut, und
alle fünf schauten sich verlegen an. Dann aber rasten sie wie der Sturmwind
zurück, um Muhme Lenelis zu suchen. Dabei erhoben sie ein so jämmerliches
Geschrei, daß das halbe Dorf zusammenlief. Aus allen Häusern kamen die
Leute herausgestürzt. »Was ist geschehen?« -- »Wo ist die Muhme?«

Alle Kinder liefen den Weg zurück, um die verloren gegangene Muhme zu
suchen, während die Erwachsenen nicht weiter beunruhigt in ihre Häuser
zurückkehrten.

Muhme Lenelis saß inzwischen schon in ihrem Stübchen und schickte sich
gerade an, Kaffee zu kochen, als sie das laute Geschrei der Kinder vernahm,
die, nachdem sie sie nicht auf dem Wege gefunden hatten, sie in ihrem
Hause suchten. Der Muhme saß der Schalk im Nacken. Flugs schloß sie die
Haustür zu und verhielt sich mäuschenstill, soviel die Kinder draußen auch
klopften und riefen. »Sie ist nicht da,« riefen sie endlich jammernd und
rannten in das Dorf zurück.

Unterwegs begegneten sie dem Gendarm. Das war ein freundlicher, gutmütiger
Mann, mit dem alle Buben und Mädel gute Freundschaft hielten. »Muhme
Lenelis ist verschwunden,« klagten sie ihm, und der Gendarm ließ sich
die Sache genau beschreiben, zog die Stirn in tiefe Falten und sagte:
»Ganz gewiß liegt die Muhme irgendwo halbtot oder mindestens mit einem
gebrochenen Bein oder zwei Löchern im Kopf am Wege.«

Was ein Gendarm sagt, ist von großer Wichtigkeit. Auch die Erwachsenen
bekamen Angst, und man begann die verloren gegangene Muhme zu suchen.
Leise kam schon die Dämmerung herbei, als sich alle wieder dem Dorfe
näherten. Nirgends hatten sie die Muhme finden können.

»Bei der Muhme Lenelis raucht es ja!« rief plötzlich Waldbauers Mariandel
mit klingender Stimme. Und richtig, aus der dicken Esse stieg der Rauch
empor, und plötzlich erhellten sich auch die niedrigen Fenster. Muhme
Lenelis war also daheim. Alle waren froh darüber, daß die Geschichte so
gut abgelaufen war, die fünf Fahrer aber wurden weidlich ausgelacht und
zogen recht beschämt von dannen.

Am nächsten Tage aber stellten sie sich vergnügt und pünktlich zum
Bratäpfelfeste ein. Muhme Lenelis Stube konnte die Schar der Gäste
kaum fassen. Weil die Muhme weder genug Stühle, Bänke, Wascheimer und
alte Kisten hatte, saßen etliche Buben und Mädel auf der Erde, als sei
nicht Oberheudorf, sondern die Türkei ihre Heimat. Die Muhme hatte
Strohbündel auf den Boden gelegt. Da saßen die Gäste warm und weich,
und es gab viel Kichern und Lachen, als die Muhme jedem einen heißen
Bratapfel zuwarf. Dann holte sie das Pfefferkuchenpaket hervor und
begann es aufzuschnüren.

»Es ist so groß!« schrie Schnipfelbauers Fritz.

»Ja,« sagte die Muhme erstaunt, die bis jetzt das Paket in ihrem Tragkorbe
hatte liegen lassen, »und so schwer ist es!«

Die Neugierde wurde lebendig in den kleinen Gästen, sie zitterten und
zappelten und konnten es gar nicht erwarten, bis die Hülle fiel.

Aber das war auch eine Überraschung!

Potz tausend, was war da alles in dem Paket! Muhme Lenelis setzte sich
vor lauter Verwunderung auf den roten Samtstuhl und rief ein über das
andere Mal: »Du meine Güte, die gute, gute Konditorsfrau!« Dabei packte
sie etliche Tüten feine Schokoladenbonbons aus, einen großen Kasten
Marzipanfrüchte, Zuckerkringel, Makronen und Pfefferkuchen.

Die Kinder jubelten, jauchzten und umdrängten die gute Muhme und warfen
sie beinahe mit all den süßen Herrlichkeiten und dem roten Polsterstuhl
über den Haufen. Und dann ging ein Schmausen los. Es war wie bei einem
Gastmahl in einem Feenschloß. Selbst Schnurpsel geruhte einen kleinen
Kuchen zu verzehren, und Mimi pickte an einem Zuckerkringel herum; nur
Friederike sah verächtlich auf all die Süßigkeiten.

Muhme Lenelis teilte alles ein. Wer daheim noch kleine Geschwister hatte,
durfte diesen noch etwas mitbringen. Laut erklang bei diesem fröhlichen
Feste das Lob der guten Konditorsfrau, die diese Überraschung bereitet
hatte, und die Muhme beschloß, in den nächsten Tagen noch einmal nach der
Stadt zu wandern, um ihren Dank abzustatten.

Sie tat das auch am nächsten Freitag. Da fuhr Friede Hopserling mal wieder
in die Stadt und erklärte sich bereit, die Muhme mitzunehmen. Friede
Hopserling war seit seiner Fahrt mit Heine Peterle noch nicht redseliger
geworden, und Muhme Lenelis hatte daher Zeit, sich eine wunderschöne
Dankrede einzustudieren. Die gute Frau konnte, wenn es darauf ankam, so
flink reden, daß so leicht niemand zu Worte kam. Die Dankesrede murmelte
sie einigemal leise vor sich hin. Sie gefiel ihr selbst ungemein, und sie
konnte sie auch wirklich ganz vortrefflich.

Als daher Friede Hopserling in der Stadt vor der Konditorei hielt, konnte
es Muhme Lenelis kaum noch erwarten, ihr Sprüchlein zu sagen. Mit einer
Geschwindigkeit, als sei sie noch ein blutjunges Dirnlein, kletterte sie
vom Wagen herab und lief flugs in den Laden hinein, in dem wieder viele
Käufer waren, gerade auf die Konditorsfrau zu, die breit und behäbig an
der Kasse saß. Ehe diese noch wußte, wie ihr geschah, hatte Muhme Lenelis
ihre Hand ergriffen, drückte sie herzhaft und sprudelte ihren Dank hervor.

Die Konditorsfrau starrte die Sprechende an, als erblicke sie ein Gespenst.
Mitunter schnappte sie nach Luft und wollte etwas sagen, aber Muhme
Lenelis ließ sich nicht unterbrechen, und ihre Rede war infolge der langen
Fahrt auch recht lang geworden; es dauerte daher eine geraume Zeit, ehe
sie fertig war.

Friede Hopserling, der versprochen hatte, auf seinen Fahrgast zu warten,
wurde ungeduldig und knallte mit der Peitsche und schrie so laut, daß
alle Leute auf der Straße sich entsetzt umsahen: »Abfahren!« Muhme
Lenelis erschrak und sprach noch schneller als vorher. Sie drückte der
Konditorsfrau immer wieder die Hand, dankte der engelsguten Frau, wie sie
sie nannte, und verließ dann eilfertig den Laden. Draußen kletterte sie
dann vergnügt auf den Wagen, und Friede Hopserling fuhr los, denn er
hatte das Mehl in eine andere Stadtgegend zu bringen.

Muhme Lenelis war von Herzen froh, daß sie ihren Dank angebracht hatte. Sie
ahnte nicht, daß die Konditorsfrau wütend war und vor Ärger fast verging.
Die Sache mit dem Paket war nämlich eine Verwechslung. Eine reiche Dame
hatte all die schönen Sachen eingekauft und war sehr beleidigt über die
kleinen, armseligen Pfefferkuchen gewesen, die man ihr dann zugeschickt
hatte. Die Konditorsfrau hatte Muhme Lenelis' Namen und Wohnort nicht
gekannt und hatte diese daher nicht zur Zurückgabe des Paketes auffordern
können. Was half aber aller Ärger? Die feinen Schokoladenbonbons und
Marzipanfrüchte waren aufgegessen. Wohl schalt die Konditorsfrau, als sie
endlich nach Muhme Lenelis' Abgang zu Worte kam, heftig, aber da saß die
alte Bauersfrau schon wieder neben Friede Hopserling und erzählte diesem
von der »engelsguten Konditorsfrau«. Diese tobte und ärgerte sich so, daß
sie am Nachmittag Leibschmerzen bekam und sich ins Bett legen mußte; es war
beinahe so, als hätte sie alle Schokoladenbonbons allein aufgegessen.

Ja, so geht das manchmal im Leben. Die Konditorsfrau, die ihren
Nebenmenschen nicht die Fettaugen auf der Wassersuppe gönnte, stand von
nun an bei den Oberheudorfer Buben und Mädeln im höchsten Ansehen.
Vielleicht erfahren die erst durch diese Geschichte, wie unfreiwillig die
süße Überraschung an Muhme Lenelis' Bratäpfelfest ihnen zuteil geworden
ist.

[Illustration: Szene an Konditorei]

[Illustration: Dekoration]



Die Prinzessin mit dem seltsamen Namen.


An dem vergnügten Bratäpfelfest, das so schön war, wie nur ein Kinderfest
sein kann, erzählte Muhme Lenelis ihren kleinen Gästen die Geschichte
von der Prinzessin mit dem seltsamen Namen. »Es war einmal,« so begann
sie, »eine Prinzessin, die einen recht häßlichen Namen hatte. Den hatte
sie von ihrer Tante erhalten, die zwar eine Fee war, aber beileibe keine
gute, sondern eine recht böse. Um die Eltern der armen Prinzessin zu
ärgern, hatte sie dem Kinde den häßlichen Namen gegeben und gleich dabei
die Verwünschung ausgesprochen, wenn die Prinzessin mit einem andern
Namen gerufen würde, so müßte sie sterben. Nur wenn ein Königssohn sie
heiraten wollte, dürfte er ihr am Hochzeitsmorgen einen andern Namen
geben; dieser Name müßte aber das erste Wort sein, das er an diesem Morgen
der Königstochter zuriefe. Die Eltern waren schrecklich traurig über den
häßlichen Namen.«

»Wie war er denn?« rief Annchen Amsee ungeduldig.

»Abwarten und Tee trinken,« sagte Muhme Lenelis und fuhr ruhig fort.
»Noch trauriger aber war die schöne Prinzessin selbst, als sie größer
wurde und merkte, wie häßlich ihr Name eigentlich war. Sie hieß
nämlich --«

»Friederike!« rief Heine Peterle kläglich.

»Na so was!« schrie die Muhme entrüstet. »Das ist doch kein häßlicher
Name, dummer Bub' du!«

»Nein,« sagte Heine Peterle und rückte ängstlich auf dem umgestülpten
Holzeimer, auf dem er saß, hin und her, »ich meine nur, Friederike
stößt mich immer von hinten.«

»Ach so,« sagte die Muhme, jagte Friederike weg und erzählte dann weiter.
»Also der Name, über den die Prinzessin so traurig war, lautete --«

»Mimi!« schrie Annchen Amsee aufgeregt.

»Nä, so'n dummes Volk!« rief die Muhme. »Mimi ist doch 'n schöner Name!«

»Das meine ich ja nicht,« schrie Annchen Amsee und sprang auf, »Mimi ist
eben in die Milch gefallen!«

[Illustration: Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten. Seite 144.]

Mimi war wirklich in die Milch gefallen. Sie wurde herausgeholt und an
den Ofen gesetzt. Da blieb sie niedergeschlagen sitzen, bis ihr nasses
Federkleid wieder trocken war.

»Die Prinzessin hieß also,« erzählte Muhme Lenelis weiter, »Schlampampe.«

»Pfui!« riefen Waldbauers Mariandel und Tischlers Liese wie aus einem
Munde, und die Buben lachten, und Schnipfelbauers Fritz rief keck: »Der
Name gefällt mir! So müßten alle Mädel heißen.«

»Das ist frech!« schrien die Mädel alle miteinander empört, und
Muhme Lenelis mußte erst ihre aufgeregten Zuhörer beruhigen, ehe sie
weitererzählen konnte. Schlampampes Geschwister hatten alle schöne Namen.
Oft, wenn Besuch kam und die kleinen Prinzen und Prinzessinnen guten Tag
sagen mußten, lachten die Gäste über Schlampampes Namen. Später, als sie
größer wurde und schön und lieblich wie ein Maientag aussah, da lachten
die jungen Prinzen, die in das Schloß ihres Vaters kamen, auch über den
Namen. -- Einmal hörte die arme Schlampampe, wie ein junger König aus
einem Nachbarland zu seinem Diener sagte: »Die Prinzessin gefällt mir gut,
ich mag aber keine Frau heiraten, die Schlampampe heißt.«

»Nä,« sagte da Heine Peterle und schüttelte ernsthaft den Kopf, »ich
möcht's auch nicht!«

»Halt den Schnabel, du Dreikäsehoch,« rief die Muhme und fuhr fort:
»Die arme Prinzessin weinte sich bald die Augen aus vor Herzeleid.
Viele, viele Wochen saß sie in ihrer Kammer und sprach kein Wort, und
den Eltern brach schier das Herz, als sie den Kummer ihres lieben
Kindes sahen. Die Geschwister wollten sie trösten und nannten sie
Herzensschlampampchen, süße Schlampampe oder Schlampampelein, aber
alles half nichts, die Prinzessin blieb traurig.

Eines Tages ging sie zu ihrem Vater und sagte: »Lieber Papa König,
bitte, bitte, laß mich allein in die Welt ziehen! Vielleicht finde ich
einen Königssohn, der mich heiratet trotz meines Namens.«

Gern ließ der König sein Kind freilich nicht ziehen, weil die Prinzessin
aber gar so innig bat, willigte er ein. Er übergab ihr ein winziges
Köfferchen, in dem waren die schönsten Kleider, die man sich denken kann,
alle spinnewebfein, aber so wundervoll, wie sie noch keine Prinzessin
je getragen hatte. Er gab seinem Kinde auch noch ein Beutelchen, in dem
das Geld nie alle wurde, und dann nahm Schlampampe unter heißen Tränen
Abschied von Eltern und Geschwistern. Sie zog ein graues Bettlerkleid an,
setzte sich auf ein schneeweißes Rößlein und zog in die weite Welt hinaus.

Als die Nacht kam, kehrte sie in einem Bauernhaus ein, wo sie freundlich
aufgenommen wurde. »Wie heißt du denn?« fragte die Bäuerin.

Schlampampe wurde rot wie ein Adonisröslein und sagte schüchtern ihren
Namen.

»Mein Himmel!« schrie die Frau entsetzt und schlug die Hände über dem
Kopf zusammen. »Was ist das für ein Name! Nein, so etwas! Mach' nur, daß
du fort kommst, für eine Schlampampe ist kein Platz in meinem Hause!«

Da ging die arme Prinzessin traurig weiter und beschloß, die Nacht im
Walde zu bleiben. Als sie sich auf das Moos niederlegte, begannen die
Vöglein süße Weisen zu singen, und die Bäume rauschten sanft und lind.
»Armes, schönes Königskind,« flüsterte eine stolze Tanne, »sei nicht
traurig über deinen Namen, das Herz ist die Hauptsache.«

»Ja, das ist wahr,« rief ein Mistkäfer, der am Boden kroch. »Ich bin
nur ein Mistkäfer, aber ich habe ein gutes Herz!«

»Prahlhans!« rief ein dicker Specht. »Aber es ist wahr, das Herz ist
die Hauptsache.«

Die Nachtigall setzte sich auf einen Busch neben die schlafende Prinzessin
und sang, bis der Morgen heraufdämmerte. Schlampampe schlief so süß wie
daheim in ihrem seidenen Himmelbette, und als sie am Morgen erwachte, war
sie heiterer als seit vielen Wochen, und froh setzte sie ihre Reise fort.

Am Abend kam sie wieder in ein Bauernhaus, und die Bäuerin hieß sie
herzlich willkommen. »Wie heißt du denn, du wunderholdes Mägdelein?«
rief die Frau.

Schlampampe senkte den Kopf und sagte traurig: »Ach, gute Frau, ich
habe einen schrecklichen Namen, den ich gar nicht nennen kann!«

»Ei, so nenne ich dich Namenlos,« rief die Bäuerin und führte die
Prinzessin in ein kleines, sauberes Zimmer.

Schlampampe gefiel es gut in dem Bauernhaus, und sie blieb etliche Tage.
Es tat ihr so wohl, daß niemand ihren Namen wußte und darüber lachte.
Eines Morgens aber, als sie aus ihrer Kammer trat, hörte sie die Bäuerin
rufen: »Ei du alte Schlampampe, wie unordentlich hast du wieder gefegt!«

Da erschrak die Prinzessin sehr. Wohl merkte sie bald, daß die Bäuerin
die Magd gemeint hatte, aber es litt sie nicht länger in dem Hause, und
sie zog weiter. Wohin sie auch kam auf ihrer Reise, überall wurde sie
»Namenlos« genannt, weil sie ihren Namen nicht nennen wollte.

Nach etlichen Wochen kam sie zu einem Könige, der ein großes, schönes
Schloß bewohnte, und der drei Söhne hatte. Die Prinzessin nahm aus ihrem
Koffer ein Kleid, das blau wie ein Strauß Vergißmeinnicht war und silberne
Borten hatte, zog es an und ritt in den Schloßhof hinein.

»Das ist eine Prinzessin,« riefen alle Diener und Mägde und purzelten
gleich vor lauter Eifer übereinander. Auch der König kam herbei, begrüßte
seinen schönen Gast und wollte ihren Namen wissen, aber Schlampampe
seufzte tief und sagte, sie könne ihren Namen nicht sagen.

»Also sind Sie Prinzessin Namenlos, mein schönes Kind?« sagte der König
und führte sie ins Schloß und stellte ihr dort seine drei Söhne vor.
Die drei Prinzen hatten nur einen Fehler, sie waren schrecklich dumm.
Der älteste sagte immer: »Aha!«, der zweite: »Oho!« und der dritte:
»Hmhm!« Das war ein bißchen langweilig. Sagte die Prinzessin: »Heute
ist aber schönes Frühlingswetter!« dann lachten die drei Prinzen und
riefen: »Aha!« -- »Oho!« -- »Hmhm!«

Lobte bei Tisch die Prinzessin die Pastete, so klopften sich die drei
Prinzen auf den Magen und riefen vergnügt: »Aha!« -- »Oho!« -- »Hmhm!«

»Das ist mir aber doch zu dumm,« dachte Schlampampe. »Lieber behalte ich
meinen Namen, als daß ich einen heirate, der immer nur aha, oho oder hmhm
sagt.« Sie nahm daher Abschied und dankte dem alten König herzlich für
seine Aufnahme. Die drei Prinzen wurden sehr traurig und riefen klagend:
»Aha!« -- »Oho!« -- aber der dritte konnte nicht mehr »Hmhm« sagen,
weil ihm ein großes Stück Pastete in die Kehle gekommen war. Er mußte
schrecklich husten, und als er aufhörte, war die Prinzessin schon längst
fortgeritten, da rief er noch hinterher: »Hmhm!«

Schlampampe ritt weiter durch fruchtbare Täler und stille Wälder und kam
endlich an einem schönen Sommerabend an ein großes, weißes Schloß, das
goldene Türme und ein goldenes Dach hatte. Es funkelte im Sonnenschein so,
daß Schlampampe fast geblendet wurde. Da zog die Prinzessin ein Kleid an,
das rosenrot war wie ein Strauß Centifolien und goldene Borten hatte, und
so geschmückt ritt sie in den Schloßhof ein.

»Das ist sicher eine Prinzessin!« schrie der Torwächter, und Diener und
Mägde liefen wieder eilfertig herbei und hoben Schlampampe vom Pferde
herunter.

Da der König gerade regierte, kam die Königin herbei und begrüßte die
Prinzessin und rief: »Ei, wie heißt du denn, schönes Kind?«

Schlampampe seufzte und sagte: »Ach, ich kann meinen Namen nicht sagen!«
und die Königin erwiderte freundlich: »Nun, so nenne ich dich Prinzessin
Namenlos.« Sie führte die Prinzessin in einen hohen Saal und stellte ihr
dort Söhne und Töchter vor. Es waren drei Prinzen und vier Prinzessinnen,
als sie sich aber alle an die Tafel setzten, sah Schlampampe, daß zwischen
den Prinzen ein Stuhl leer blieb.

Sie fragte die Prinzessin Hildegund, die an ihrer linken Seite saß:
»Hast du noch einen Bruder? Drüben ist noch ein Stuhl leer.«

Da fing das Prinzeßchen an bitterlich zu weinen und rief: »Ach, frage
nicht, schöne Namenlos, mein armer Bruder hat ein großes Unglück zu
tragen!«

Schlampampe schwieg, aber sie mußte immer an den Prinzen denken, von dem
niemand sprach, und dessen Stuhl leer stand. Die Prinzessin bekam ein
großes, schönes Zimmer mit einem Himmelbett aus rosenroter Seide darin.
Trotzdem sie sehr gut in dem prächtigen Bett lag, wachte sie doch am
nächsten Morgen sehr zeitig auf. Sie zog ihr Vergißmeinnichtkleid an und
ging durch das Schloß, in dem noch alle Bewohner schliefen, und gelangte
in einen schönen Garten, in dem die wunderbarsten Blumen blühten.

Die Sonne war gerade am Aufgehen, und eine Nachtigall sang noch in den
Büschen. Wie Schlampampe so durch den Garten schritt, vernahm sie auf
einmal einen köstlichen Gesang. Es war ein Mensch, der sang, und so schön
war die Stimme, daß die Prinzessin tief ergriffen wurde. Die hellen Tränen
rollten ihr aus den Augen, und unwillkürlich ging sie den Tönen nach. Sie
gelangte in eine Geißblattlaube, darin saß ein schöner Jüngling, der die
Laute spielte und sang. Als die holde Prinzessin, die aussah, als hätte
sie ein Stück Himmelsblau angezogen, plötzlich vor ihm stand, ließ er die
Laute sinken und sah Schlampampe unverwandt an.

Endlich rief er: »Wie schön bist du!« und Schlampampe erwiderte: »Du
bist noch schöner!«

Sie gaben einander die Hand und gingen miteinander durch den Garten.
»Wer bist du?« fragte der Jüngling, und Schlampampe seufzte tief und
erzählte ihm, daß sie eine Prinzessin sei und einen schrecklichen Namen
habe.

»Oh,« rief der Jüngling, »das ist auch mein Unglück. Ich bin der Sohn
des Königs, dem dieses Schloß gehört. Auch ich habe einen entsetzlichen
Namen und werde immer ausgelacht.«

Die beiden sahen sich an, und plötzlich riefen sie wie aus einem Munde:
»Wie heißt du?«

Aber keiner wollte den Namen zuerst nennen. Da sagte endlich der Prinz:
»Hörst du die Schloßuhr schlagen? Drei Schläge wollen wir zählen, beim
dritten nennen wir unsere Namen. Da zählten sie eins -- zwei --«

»Friederike,« schrie Heine Peterle erschrocken und purzelte samt seinem
Holzeimer um, denn Friederike hatte ihm unvermutet einen sehr derben
Stoß versetzt.

»Das ist frech!« riefen die Kinder empört, die so unsanft aus ihren
Märchenträumen gerissen waren. Auch Muhme Lenelis war ärgerlich, und
die sonst so kluge Friederike wurde angebunden, weil sie diesmal so gar
nicht wußte, wie sie sich in Gegenwart von Prinzen und Prinzessinnen zu
benehmen hatte.

»Die Uhr muß nochmal schlagen,« bat Annchen Amsee, und Muhme Lenelis nickte
und erzählte weiter. »Die beiden zählten also eins -- zwei -- drei -- und
riefen dann mit lauter Stimme: »Schlampampe!« -- »Schlampamperich!«

»Schlampamperich heißt du?« rief die Prinzessin erstaunt.

»Und du Schlampampe?« rief der Prinz nicht minder verwundert.

Plötzlich lachten sie beide hell auf und riefen einmal über das andere:
»Schlampampe! -- Schlampamperich!« Dann fielen sie sich in die Arme und
küßten sich und sagten, sie wollten sich heiraten. Sie liefen schnell
in das Schloß, und die Diener, die gerade aufgestanden waren, mußten
rasch den König, die Königin, die Prinzen und die Prinzessinnen wecken.
Die freuten sich ungeheuer, als sie die Sache erfuhren, und die Königin
sagte: »Gut, daß ich gestern einen Kuchen habe backen lassen, da können
wir jetzt gleich Verlobung feiern!«

So geschah es auch, und Hochzeit wurde auch bald gemacht. Dazu wurden
Schlampampes Eltern und Geschwister eingeladen; es sollte eine große
Hochzeit werden. Die alte Königin sagte zu Schlampampe, sie möge am
Hochzeitsmorgen ihren Bräutigam nur mit einem andern Namen rufen, den
dürfe er dann für immer behalten.

Das Gleiche sagte Schlampampes Mutter zu dem Prinzen, und Braut und
Bräutigam dachten sich wunderschöne Namen aus, mit denen sie einander
rufen wollten. Schlampampe wollte ihren Prinzen »Friedhold« nennen, und
dieser wollte seiner Braut den Namen »Morgenrot« geben, weil er sie
beim Morgenrot zuerst gesehen hatte.

Schlampampe stickte auf ein großes rotseidenes Schlummerkissen den
Namen Friedhold, und der Prinz machte ein schrecklich langes Gedicht,
in dem er seine holde Frau Morgenrot besang.

So kam denn der Hochzeitstag heran. Wie sich das für einen richtigen
Hochzeitstag schickt, schien die Sonne blitzblank, und alle Menschen im
Königsschloß und im ganzen Lande machten vergnügte Gesichter. Die kleinen
Mädchen hatten alle weiße Kleider an und die Buben neue Hosen. In jedem
Hause war Kuchen gebacken worden, und zu Mittag gab es Kalbsbraten und
hinterher noch eine süße Speise.

Es war wirklich wunderschön, und am allervergnügtesten waren der Prinz
und die Prinzessin. Letztere konnte es kaum erwarten, ihr weißes, ganz
und gar mit Edelsteinen besticktes Brautkleid anzuziehen. Das Kleid
hatte eine so lange Schleppe, daß, wenn man am Ende der Schleppe stand,
man kaum erkennen konnte, wer das Kleid eigentlich anhatte. Als die
Prinzessin in ihrem schönen Kleide die Treppe hinunterstieg, an deren
Fuße ihr Bräutigam stand und auf sie wartete, wollte sie in der Freude
ihres Herzens ein bißchen rasch laufen. Dabei verwickelte sie sich in
die lange Schleppe, verlor das Gleichgewicht und fiel die Treppe hinab.

Der Prinz sah es unten und erschrak sehr. »Schlampampe,« schrie er
entsetzt und fing seine Braut in seinen Armen auf.

»Schlampamperich,« schrie die Prinzessin verwirrt, »wie bin ich denn
die Treppe herunter gekommen?«

Plötzlich aber sahen sich beide an und schrien kläglich: »Oh weh, nun
haben wir unsere Namen genannt!«

»Das ist schrecklich!« jammerte Schlampampe, der Prinz aber lachte und
rief: »Wenn du auch Schlampampe heißt, lieb habe ich dich doch!«

»Und ich dich,« rief die Prinzessin, »und wenn du einen noch viel
schrecklicheren Namen hättest. Nein, weißt du, eigentlich ist
Schlampamperich ein ganz schöner Name, er klingt so besonders. Überhaupt
hat die Tanne gesagt, das Herz sei die Hauptsache. Ich glaube, du hast
ein sehr gutes Herz.«

»Und du auch,« sagte der Prinz, »also wollen wir zufrieden sein.«

Da lachten sie beide und gingen vergnügt in den Saal, wo die
Hochzeitsgäste versammelt waren. Sie blieben nun für immer Schlampampe
und Schlampamperich. Der Prinz verbrannte sein Gedicht und die Prinzessin
trennte die Stickerei auf dem rotseidenen Kissen wieder auf. Weil aber
Schlampampe und Schlampamperich so herzensgut waren und allen Menschen
nur Liebes erwiesen, lachte bald niemand mehr über die Namen. Ja in dem
Königreiche, in dem sie wohnten, wurde eine Straße Schlampamperichstraße
genannt, und einen Schlampampeplatz gab es auch bald.

[Illustration: Dekoration]

[Illustration: Dekoration]



Die klugen Gänse von Oberheudorf.


Sagt einer in Oberheudorf: »Ja, die Gänse, die sind schon klug!« dann
lachen die Buben, aber die Mädel ärgern sich, und Krämers Trude und
Bäckermeisters Mariele, die halten sich gleich die Schürze vor die Augen.
Na, man muß schon sagen, unrecht haben die beiden nicht, wenn sie sich
schämen. Sie haben einen Streich ausgeführt, der ihnen viel Spott seitens
der Buben eintrug und zeigte, daß auch gescheite Mädel einmal dumm sein
können. Die Geschichte ist nämlich so.

Einmal, es war in dem Jahre, in dem Heine Peterle seine Stadtfahrt machte
und Schulzens Jakob die schreckliche Geschichte mit der Roggenmuhme
erlebte, war der Oberheudorfer Gänsejunge auf und davon gegangen. Er
meinte, er sei plötzlich so klug geworden, daß er fortan Schafhirt sein
wolle; für einen fünfzehnjährigen Buben sei Gänsehüten keine Arbeit,
er wollte Schafe haben. Da die Oberheudorfer Bauern aber keine Schafe
hatten, zog der Gänsejunge von dannen, und die Gänse hatten auf einmal
keinen Hirten.

Da nun gerade Sommerferien waren, in denen Landkinder keine Badereisen
machen, sondern fleißig in Haus und Hof helfen müssen, sagten die Bauern:
»Die Mädel mögen halt die Gänse hüten!« Zwei Mädel zusammen mußten also
immer eine Woche lang die Gänse auf die Weide führen, und wenn die Woche
vorbei war, dann kamen zwei andere dran.

Den Mädeln gefiel das ganz gut, und die Buben waren wütend; sie meinten,
Gänsehüten sei leichter als Korn aufladen. Und schwer hatten es die
Hüterinnen auch wirklich nicht; sie konnten im Schatten eines Baumes
sitzen, schwätzen, mit Blumen spielen oder stricken. Die Gänse waren sehr
gut erzogen und watschelten nicht weg.

An Oberheudorf vorbei fließt ein Bächlein durch ein schmales Wiesental.
Das ist ein Gänsetummelplatz, wie er nicht schöner zu finden ist.

An einem sehr warmen Sommertag saßen Krämers Trude und Bäckermeisters
Mariele dort unter einer großen Traueresche und walteten ihres Amtes als
Gänsehüterinnen. Faul, nur manchmal leise schnatternd, lagen die Gänse
auf der Wiese, und die beiden Mädel machten es ihnen nach. Sie lagen am
Bachrand und guckten in die Luft. Sie hatten weder Lust zu spielen noch zu
stricken, denn es war sehr schwül, und den beiden fielen schon bald die
Augen zu.

»Mariele, schlaf doch nicht!« murmelte Trude und puffte die Freundin in
die Seite.

»Ich schlaf' ja nicht,« lallte Mariele, riß die Augen weit auf und schloß
sie gleich wieder.

»Faulpelz« brummte Trude und drehte sich auf die andere Seite. Sie
blinzelte nach den Gänsen hin, die ruhig im Grase lagen, dann nahm
sie ihre Schürze und deckte sie sich über das Gesicht, denn die Sonne
schien durch das Blättergewirr hindurch gerade auf ihre kleine, dicke
Nase. Und auf einmal schritt das Trudelchen unversehens durch einen
Garten voll lustiger Träume, und das Mariele an ihrer Seite spazierte
ebenso vergnügt im Traumland herum. Mariele träumte etwas so überaus
Lustiges, daß sie im Schlaf hell auflachte, von dem Lachen aber wurde
Krämers Trude munter, und erschrocken richtete sie sich auf. Sie sah
sich verschlafen um. Wo war sie denn eigentlich? Sie saß auf der Wiese
dicht am Bach, -- aber wo waren denn die Gänse?

Trude riß ihre Augen auf, soweit sie nur konnte, aber die Gänse
erblickte sie nicht.

»Mariele,« schrie sie ängstlich, »wach auf, die Gänse sind weg!«

Wenn das Mariele aber schlief, dann schlief es. Ein Murmeltierchen war
leichter munter zu bekommen als das kleine, dicke Mädel.

»Aufstehen sollst!« schrie Trude und puffte und schubste die Kameradin.
Diese knurrte nur behaglich und schlief weiter. Da nahm Krämers Trude
kurz entschlossen ihren braunen Henkelbecher aus dem Korb, schöpfte ihn
voll Wasser und goß ihn der Freundin über den Kopf.

Das half. Mariele fuhr auf, wie von einer Tarantel gestochen, und begann
fürchterlich zu schreien, daß es ihrer Kameradin himmelangst wurde.

Schließlich wußte diese kein anderes Mittel, als Mariele rasch den Mund
zuzuhalten und ihr zuzurufen: »Die Gänse sind weg!«

Da verstummte auch Mariele und sah sich verwirrt um. Wirklich, die Gänse
waren weg.

»Komm, komm,« drängte Krämers Trude, »wir müssen sie suchen. Paß auf, die
sind nur ein Stück im Bach weitergeschwommen!«

»Es wird so dunkel,« jammerte Mariele ängstlich, »es kommt gewiß ein
Gewitter.«

Auch Trude warf einen ängstlichen Blick auf den Himmel, der sich verdüstert
hatte. Sie ergriff die Hand der Freundin, und beide rannten den Bach
entlang und schrien von Zeit zu Zeit. »Wule, wule, wule!«

Aber keine Gänse gaben schnatternd Antwort, so dringend die beiden
Hirtinnen auch lockten.

Den beiden Mädeln wurde das Herz immer schwerer.

»Wo sie nur sein mögen?« rief Mariele klagend.

»Komm nur um die Ecke rum,« sagte Trude ermunternd, »da werden sie sein.«
Als sie aber um die Ecke herum kamen, waren die Gänse doch nicht zu sehen.

Der Bach floß in Windungen zwischen Wiesen, Wald und mäßig hohen Bergen
dahin. Das erste Dorf, das er auf seinem Wege erreichte, war Niederheudorf.
Bei jeder Biegung sagte Trude tröstend: »Wenn wir um die Ecke herum kommen,
werden wir sie finden.«

Aber immer wieder gab es eine Enttäuschung. Mariele weinte laut, Trude
heulte leise. Einmal blieb Mariele an einem Busch hängen und riß sich ein
riesengroßes Loch in ihren Rock, beinahe so groß war es wie der ganze
Rock. Trude rutschte bei dem hastigen Laufen auf einer morastigen Wiese
aus und bespritzte sich von oben bis unten mit Schlamm. »Die dummen
Gänse!« jammerte sie.

»Frech sind sie,« klagte Mariele.

Plötzlich stießen beide ein wahres Freudengeheul aus und stürzten mit
dem Rufe: »Da sind sie ja!« auf eine Herde Gänse los, die friedlich im
Grase lagen. Bei dem lauten Geschrei der Mädchen brachen die Gänse in
ein aufgeregtes Schnattern aus und drängten sich dicht aneinander.

»Wollt ihr wohl heimgehen, ihr dummen Gänse!« schalt Trude, und beide
Hirtinnen trieben eilig die Gänse heimwärts, die ihnen freilich recht
widerwillig folgten.

»Es sind doch so viele,« sagte Mariele nachdenklich.

»Ach wo,« rief Trude. »So dumm! Wo sollen denn die andern herkommen?
Spute dich nur, es wird so trübe!«

Der Himmel hatte sich immer mehr verdüstert, und Eile tat wirklich not.
Die Mädchen schalten laut auf die Gänse, diese schnatterten immer wilder,
und über dem Lärm hörte weder Trude noch Mariele, daß ihnen jemand
nachrief. Auf einmal aber fühlten sie sich gepackt. Hinter ihnen stand
eine große, alte Frau, die die Mädel mit ihren knochigen, braunen Händen
festhielt. »Wartet nur, ihr Gänsediebinnen,« schrie die Alte, und ihre
Augen funkelten vor Wut, »ihr abscheuliches Pack ihr, eingesperrt werdet
ihr!«

Die beiden schrien Zeter und Mord, aber die Alte ließ nicht los. Wie
Schraubstöcke umkrallten ihre Finger die Arme der Kinder, und so sehr
sich Trude und Mariele auch sträubten, sie zog sie mit fort.

»Wir ha--ha--haben nicht ge--ge--stohlen,« schluchzte Mariele.

»Huhuhu! Das sind unsere Gänse! Huhuhu!« heulte Trude.

»Was, eure Gänse? Na, da schlägt's dreizehn,« schrie die Alte. »So
ein freches Gesindel! Na, wartet nur, ich sperr' euch jetzt ein, und
Leberecht Sperling mag euch ins Dorf führen!«

Leberecht Sperling! Einen Augenblick waren die beiden sprachlos vor
Entsetzen.

Leberecht Sperling sollte sie ins Dorf führen, -- ja warum denn?

»Laß mich los, huhuhu!« kreischte Trude.

»Los!« quiekte Mariele.

»Fällt mir gar nicht ein, nä, so dumm bin ich nicht. Jetzt marsch, da
rein! Ich treib' meine Gänse heim und schick' Leberecht Sperling nach
euch!«

Ehe die beiden noch recht zur Besinnung gekommen waren, saßen sie in
einem kleinen, feuchten, dunklen Raum.

Es war ein kleines Häuschen, in dem sich Fischkästen befanden, in das
die Alte die Kinder eingesperrt hatte. Einige Minuten schrien diese,
so laut sie konnten, und stießen mit Händen und Füßen um sich. Krämers
Trude gebärdete sich am tollsten, aber plötzlich hörte Mariele einen
Plumps und sah im dämmrigen Licht ihre Freundin verschwinden.

»Wo bist du denn?« rief sie ängstlich. Trude gab nur eine undeutliche
Antwort, sie war in einen Fischkasten gefallen. Sie fühlte, wie es
um sie herum kribbelte und krabbelte, und entsetzt versuchte sie
herauszukommen. Da sah sie einen hellen Schein und lief in dem Wasser,
das ihr nur bis an die Brust ging, entlang bis an ein Loch. »Da komm'
ich raus,« dachte sie und bückte sich, kletterte über eine Planke und
saß auf einmal mitten im Bach. Ein Weilchen blieb sie ganz verwirrt
sitzen.

Die Gänse, die Alte, Leberecht Sperling, das dunkle Gefängnis, dem sie
so unvermutet entronnen war, das alles ging ihr wie ein Mühlrad im
Kopfe herum.

Marieles Jammergeheul in dem Fischhäuschen brachte Trude endlich zu
sich. »Wir müssen ausreißen, ehe Leberecht Sperling kommt,« dachte sie.
Sie sprang von ihrem feuchten Sitz auf und lief an das Häuschen, um die
Freundin zu befreien. Die Tür war verschlossen, also mußte auch Mariele
durch den Fischkasten kriechen. Unter Stöhnen und Ächzen entschloß
sich das kleine, dicke Mädel endlich dazu. »Ich kann nicht,« klagte
sie, als sie schon einen Fuß im Wasser hatte, »ich graule mich!«

»Leberecht Sperling kommt!« rief Trude von draußen. Das half. Mariele
sprang in das Wasser und kam auf dem gleichen Wege wie Trude pudelnaß
aus dem Gefängnis heraus.

»Uff,« ächzte sie, als sie im Bach saß, »das war graulich!«

»Komm nur,« drängte Trude, »sonst holt uns Leberecht Sperling.«

»Aber die Gänse!« klagte Mariele und lief hinter der Freundin her.

Krämers Trude blieb betroffen stehen und jammerte: »Ach, die Gänse!« Doch
da sah sie mit langen Schritten einen Mann sich dem Häuschen nähern.
»Leberecht Sperling,« stöhnte sie und raste im Galopp davon und Mariele
heulend hinter ihr her.

Es war aber gar nicht Leberecht Sperling, der da kam, um die Gefangenen
abzuholen, sondern ein Bauer. Verdutzt starrte er in das leere Häuschen,
dann ging er kopfschüttelnd um das Häuschen herum. Aber er sah nichts, und
endlich brummte er: »Die Karline hat wohl geträumt,« und damit trollte er
ab.

Die beiden Mädel liefen unterdessen über Stock und Stein und wagten es
gar nicht, sich umzusehen. Das dicke Mariele stöhnte etlichemal: »Ich
kann nicht mehr!« Dann rief Trude mahnend: »Leberecht Sperling!« und
weiter ging die wilde Jagd.

Keuchend, atemlos, triefend und mit zerrissenen Kleidern langten die beiden
Hüterinnen im Dorfe an. Sie rannten so, daß sie nicht rechts und nicht
links sahen. Auf einmal liefen sie jemand direkt in die Arme und fühlten
sich festgehalten.

»Na, wohin denn so eilig?« fragte eine knarrende Stimme. Entsetzt blickten
die beiden auf und sahen in das brummige Gesicht -- Leberecht Sperlings.
Das war zu viel des Schrecklichen! Mariele wurde totenblaß und schnappte
nach Luft, und Trude legte matt den Kopf auf die Seite.

Der Waldhüter erschrak. »Aber Kinder, Kinder, was ist euch denn geschehen?«
fragte er angstvoll. Doch er erhielt keine Antwort, und kurz entschlossen
nahm er die Mädel auf seine Arme und trug sie in das Dorf. Er langte gerade
an, als der erste schwache Donner hörbar wurde und von allen Seiten die
Leute vom Felde hereinkamen. Auf einem leeren Wagen saßen Schulzens Jakob,
Heine Peterle und noch etliche andere Buben. Als sie den Waldhüter mit den
Mädeln erblickten, schrien sie so laut, daß die Pferde beinahe scheu
wurden.

Wenn in Oberheudorf etwas geschah, dann wußte es geschwind das ganze Dorf,
und es dauerte nicht lange, da schaute aus jeder Haustür jemand neugierig
heraus. So war es auch heute. In wenigen Minuten hatte sich ein Kreis um
den Waldhüter gebildet. Er sollte erzählen und wußte doch nichts zu sagen.
Und die Mädel, die er sanft auf den Boden gesetzt hatte, schluchzten nur
erbärmlich.

»Zu dumm, daß Mädel immer gleich heulen,« brummte Anton Friedlich.

Die Krämerin war auch herbeigekommen und nahm ihre Trudel auf den Arm.
»Kind, sag doch, was fehlt dir?« fragte sie besorgt.

»Gagak, gagak, gagak!« erscholl es da plötzlich schnatternd, und vom
Dorftümpel her kam eine Schar Gänse angewatschelt.

»Die Gänse, die Gänse!« schrien die Mädel da plötzlich wie aus einem Munde.

»Gagak, gagak, gagak!« schnatterten die Gänse und zogen stolz wieder ab,
als hätten sie sich nur zeigen wollen.

»Die Gänse, ach, die Gänse!« jubelten Trude und Mariele, und eine ganze
Weile antworteten sie auf alle eindringlichen Fragen nur immer: »Die
Gänse!«

»Ihr seid selbst welche,« brummte endlich der Schulze, »wenn ihr nicht
bald sagt, was geschehen ist!«

Das half. Auf einmal konnten beide reden. Wie Kreisel gingen die Mäulchen.
Die Buben sperrten Mund und Augen auf: reden konnten sie doch auch, aber
so geschwind nicht. Ja, und was hatten die Mädel alles erlebt!

»Na, da hört aber doch alles auf!« rief der Schulze. »Ihr verflixten
Mädel hättet ja beinahe die Niederheudorfer Gänse hergetrieben!«

»Die -- Niederheudorfer Gänse?« schrien Trudel und Mariele verblüfft.

»Na freilich, unsere sind ja schon längst zurück! Die waren klüger als
ihr; sie sind einfach heimgelaufen. Sicher wart ihr in Niederheudorf,
denn das Fischerhäuschen ist nicht weit vom Dorf entfernt. Ihr seid immer
weiter gelaufen, statt einmal nach unserem Dorfe zu. Na so dumm!«

»Uh je,« schrien die Buben, »die Gänse sind klüger als die Mädel!« Krach!
donnerte es da so heftig los, daß Männer, Frauen, Gänse, Kinder, und was
sonst noch auf der Dorfstraße war und Beine zum Davonrennen hatte, ausriß.
Die Kinder gingen in die Stube und die Gänse in den Stall, und somit war
die Geschichte zu Ende.

Nur der Waldhüter stand einige Augenblicke allein auf der Dorfstraße,
aber die Krämerin rief ihn ins Haus herein.

Er kam und war so freundlich, wie Trude es nie von ihm gedacht hätte.
Sie sagte es nachher den andern Kindern, und seitdem heißt es im Dorf:
»Wenn Leberecht Sperling nicht so brummig wäre, dann wäre er ganz nett.«

Als die Niederheudorfer die Gänsegeschichte erfuhren, da lachten sie,
daß das Dorf wackelte. In der ganzen Gegend aber heißt es jetzt: »Die
Gänse von Oberheudorf sind klug, aber --«, doch was die Leute weiter
sagen, soll nicht aufgeschrieben werden, die Mädel könnten sich sonst
ärgern.

[Illustration: Gänse]

[Illustration: Dekoration]



Das Glück im Suppentopf.


»Bäh, bäh!« sagte die Ziege Friederike an einem Sonntagmorgen im
November, an dem der Himmel so blau war, als hätte ihn die Mutter
vom blauen Friede angestrichen. Friederike war nämlich schrecklich
verwundert, darum sagte sie eine Viertelstunde lang »bäh«. Ihre
Verwunderung galt vier Buben, die auf dem Berg an Muhme Lenelis' Haus
herumkletterten und einen Drachen fliegen ließen. Die gute Ziege hatte
auch vollständig recht, »bäh« zu sagen, denn im November läßt sonst
niemand Drachen fliegen. Um diese Zeit sind sie gewöhnlich schon
zerrissen, denn jeder Bube, der einen Drachen hat, rennt damit im
September auf die Felder.

Heine Peterle aber hatte nun mal im November Geburtstag, und dazu hatte
er sich einen Drachen gewünscht. Gerade als er ihn bekam, regnete es
Strippen, wie die Oberheudorfer sagen, und Heine Peterle hätte am liebsten
das Wasser vermehrt und geheult, wenn er sich nicht vor seinen Kameraden
geschämt hätte. Aber nun hatte der Regen aufgehört, und es war richtiges
Drachenwetter, hell und etwas windig. Mit Schulzens Jakob, dem blauen
Friede und Schnipfelbauers Fritz war Heine Peterle darum ausgezogen, um
endlich den Drachen fliegen zu lassen. Der war rosenrot und hatte einen
schier endlosen Schwanz; sämtliche Buben fanden ihn über die Maßen schön.

Eine halbe Stunde war noch Zeit, ehe die Kirche anfing, und alle vier
Buben waren bereits in ihren Sonntagsanzügen, sahen also blitzsauber
aus. Da Mütter nun einmal nicht Schmutzflecke an Sonntagsanzügen leiden
mögen, hatten auch alle vier Mütter die Buben sehr nachdrücklich
ermahnt, sauber zu bleiben. Leicht war das nicht, denn von dem starken
Regen war der Boden aufgeweicht, und die vier stöhnten denn auch
weidlich über die guten Anzüge.

Der Drachen flog wundervoll; wie ein großer, bunter Vogel schwebte er in
der blauen Luft, und die vier Buben sahen ihm stolz nach. Noch jemand
außer ihnen aber sah den Drachen steigen, das war Traumfriede. Er stand
etwas abseits an einen Baum gelehnt, und sehnsüchtig folgten seine Blicke
dem bunten Gesellen, der so keck zum Himmel emporflog. »Könnt' ich mit
fliegen,« dachte der Bube, »dann brauchte ich nicht mehr beim Kohlbauern
zu bleiben.«

Traumfriede brauchte seinen Sonntagsanzug nicht zu hüten, denn er hatte
keinen an, weil er überhaupt keinen besaß. Er sah zerlumpter denn je
aus, und scheu verkroch er sich darum auch vor den Blicken der andern
Buben, so gern er auch mit ihnen gespielt hätte.

Die jubelten und klatschten in die Hände vor Vergnügen, als der Drachen
immer höher stieg. »Er fliegt wie 'ne Krähe,« sagte der blaue Friede.

»Nä, wie 'n Adler,« rief Heine Peterle gekränkt, obgleich er in seinem
Leben noch nie einen Adler hatte fliegen sehen. »Wenn nur der Bindfaden
länger wär'!« brummte er dann, er hätte gar zu gern seinen Drachen noch
höher steigen lassen.

»Ich habe noch welchen,« sagte Schulzens Jakob und holte aus der Tiefe
seiner Tasche allerlei Gegenstände hervor, darunter auch ein Stück
Bindfaden.

Alle vier bemühten sich eifrig, damit die Drachenschnur zu verlängern.
Jeder behauptete, er könne den schönsten Knoten knüpfen, und so
ausgezeichnet machten sie ihre Sache, daß auf einmal -- heidi! -- der
Drachen auf und davon flog.

Ein gellendes Zetergeschrei erhob sich, und Friederike sagte erschrocken
»bäh, bäh«, und kehrte in den Stall zurück; die Drachengeschichte war ihr
langweilig geworden.

Verzweifelt sahen die Buben dem Drachen nach, der bald höher stieg, bald
sich wieder senkte; die Schnur zu fassen aber war keine Aussicht. Was tun?
Die Zeit verging, die Stunde zum Kirchgang rückte heran, noch eine Weile,
und die Buben mußten gehen und den entflohenen Drachen seinem Schicksal
überlassen.

Doch da, jetzt senkte sich der Drachen tiefer, ein Windstoß kam und trieb
ihn auf Muhme Lenelis' Häuschen zu.

Er wackelte hin und her, und die Buben stürmten schreiend den Berg
hinunter. Und gerade als sie unten ankamen, ging der Drachen wieder in die
Höhe.

Heine Peterle konnte nicht mehr an sich halten, er heulte laut los vor
Ärger und Herzeleid.

»Halt 'n Schnabel!« brummte Schulzens Jakob und puffte den Freund. Das
sollte nämlich ein Trost sein.

»Jetzt hängt er!« rief plötzlich Traumfriede, den das schreckliche
Ereignis aus seinem Versteck gelockt hatte. Er deutete auf Muhme
Lenelis' Esse. Und richtig, oben an der Esse hing der Drachen, wie ein
gefangener Vogel zappelte er hin und her.

»Wir müssen aufs Dach klettern,« sagten die vier, und dabei sah einer den
andern an, und jeder dachte: »So was darf man doch nicht in Sonntagshosen!«

Traumfriede hatte die Verlegenheit der Schulkameraden gemerkt, er
überwand seine Scheu und kam hilfsbereit näher: »Ich steige auf den
Apfelbaum,« sagte er, »und von da aufs Dach und hole den Drachen.«

Ehe noch einer der Buben antworten konnte, begann Traumfriede schon, den
Baum zu ersteigen, und in wenigen Minuten stand er auf Muhme Lenelis'
Dach. Scheu sahen die andern nach den Fenstern des Häuschens; sie wußten,
daß die Muhme es nicht leiden konnte, wenn ihr jemand aufs Dach stieg.
»Leicht kann man einbrechen,« meinte sie. Sie mochte wohl recht haben,
denn das Dach war morsch und schadhaft wie das ganze Häuschen.

Aber die Muhme merkte nichts. Sie stand, angetan mit ihrem steifen,
schwarzen Sonntagsrock, mitten in der Stube und schlug gerade ein blendend
weißes Taschentuch um das abgegriffene Gesangbuch. Auf dem Herd stand ein
großer Topf voll Wasser, in dem ein winziges Stückchen Fleisch schwamm.
Das sollte das Sonntagsessen der alten Frau werden, sie hatte es gerade
zugesetzt. Sie trat noch einmal an den Ofen, um noch ein Stückchen Torf
auf die glimmende Glut zu legen, als sie auf einmal erschrocken emporsah.
Oben an der Esse war es dunkel geworden, da hing ein seltsames Ding. »Du
meine Güte,« rief die Muhme erschrocken, »was ist denn das für 'n Vogel?«

Das Ding wackelte hin und her, und der Muhme wurde es ganz unheimlich
zumute. »Was is'n nur das? Nä, wie sonderbar!« murmelte sie und trat einen
Schritt zurück.

[Illustration: Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten. Seite 175.]

Da fiel ihr ihr Suppentopf ein. »Wenn da was rein fällt!« dachte sie
und trat wieder an den Herd, um einen Deckel auf den Topf zu stülpen.

In diesem Augenblick aber geschah etwas Furchtbares. Es rasselte und
polterte, schrie und purzelte, sauste durch den Schornstein herab, und
plötzlich saß ein kohlschwarzes, brüllendes Etwas auf Muhme Lenelis'
Suppentopf.

»Alle guten Geister!« schrie die Muhme und setzte sich vor Schreck platt
auf die Erde und starrte das schwarze Ding auf ihrem Herde an.

Vier runde, rote Bubengesichter wurden an einem der Fenster sichtbar, vier
Nasen drückten sich an den kleinen Scheiben fast platt, und angstvoll
starrten vier Augenpaare in die Stube. Und als die vier Lauscher Muhme
Lenelis auf der Erde sitzen sahen, bekamen sie einen heillosen Schrecken.

Aber schon richtete sich die alte Frau wieder auf. Sie hatte nämlich
gesehen, daß das schwarze Etwas auf ihrem Suppentopf zwei schöne, blaue
Augen hatte, in denen große Tränen standen, und da war es gleich mit
ihrer Angst vorbei. Sie packte den seltsamen Gast mit starkem Griff,
hob ihn vom Herd herunter und sagte kurz: »Du verbrennst dir noch die
Hosen!«

Aber die waren nicht verbrannt, sondern klatschnaß, und mit kläglicher
Miene schaute Traumfriede, denn er war der seltsame Gast, zur Muhme auf.
Die legte ihr Gesicht in strenge Falten, während ein heimliches Lachen in
ihren Augen lag, und sagte: »Warum biste denn durch'n Schornstein gekommen
und nicht durch die Türe?«

In diesem Augenblick bemerkte die Muhme die vier Bubengesichter am Fenster
und rief: »Ei, ihr freches Gesindel, was macht ihr denn da?«

Die vier wußten ganz genau, wie der Muhme strenge Worte gemeint waren.
Flugs kamen sie in die Stube, da sie sahen, daß Traumfriede unversehrt auf
seinen beiden Beinen stand. Die vier erzählten der Muhme gleich mit einem
so stürmischen Eifer die Drachengeschichte, daß diese von allem Geschwätz
kein Wort verstand und schließlich gebot: »Drei halten den Schnabel, und
einer soll reden.» Weil jeder der eine sein wollte, plapperten sie wieder
untereinander; zuletzt erfuhr aber die Muhme doch die Geschichte. Der
Drachen hing noch immer oben an der Esse. Traumfriede war bei dem Bemühen,
ihn loszulösen, in den Schornstein gefallen. »Wie 'n Essenkehrer sieht er
aus,« sagte Schnipfelbauers Fritz voll Bewunderung und sah den Buben, der
so ein seltsames Abenteuer erlebt hatte, ordentlich ehrfurchtsvoll an.

Durch diesen Essensturz war Traumfriede sehr in der Achtung seiner
Mitschüler gestiegen. Das war doch noch mal was! Von einem Baume konnte
jeder herunterfallen, aber in einen Schornstein und in einen Suppentopf
hineinzufallen, war etwas Besonderes.

Bimbam, bimbam! begannen draußen die Glocken zu tönen. Über ganz
Oberheudorf schallte die eherne Stimme und rief die Dorfleute in die
kleine weiße Kirche, die ein wenig höher als alle Häuser lag.

Muhme Lenelis und die Buben horchten auf. »Ihr müßt gehen!« sagte die
alte Frau. »Marsch, sputet euch, seid fein andächtig! Der Drachen mag
jetzt hängen bleiben, nachher bitte ich den Nachbar Töpfel, daß er ihn
herunterholt, der hat 'ne lange Leiter.«

Die Buben trollten sich, und auch Traumfriede wollte die Stube verlassen,
aber Muhme Lenelis ergriff ihn gerade noch am Jackenzipfel. »Bleib hier!«
gebot sie kurz. »So'n Schmierpeter kann nicht in die Kirche gehen. Komm,
ich putz dich erst ab.«

Traumfriede blieb mit gesenktem Kopfe stehen, und als die vier Buben das
Zimmer verlassen hatten, sagte Muhme Lenelis mild und mitleidig: »Armer
Kerl du, hast gewiß keine andern Sachen!«

Traumfriede nickte stumm. In dem blitzsauberen Stübchen der Muhme
empfand er erst so recht die schmutzige Armseligkeit seiner Kleidung.

Muhme Lenelis war allzeit mehr für das rasche Zugreifen als für das lange
Besinnen. Sie legte daher auch kurz entschlossen ihre Sonntagshaube
und ihr Kirchentuch sorgfältig ab, holte eine braune Decke herbei und
gebot Traumfriede, er solle seine Sachen ausziehen und sich in die Decke
wickeln. Während der Bube das tat, setzte sie eilig frisches Wasser auf
den Ofen, stellte eine Blechschüssel zurecht, in der Traumfriede sich
waschen sollte, und wirtschaftete so herum, während die Kirchenglocken
draußen allmählich verklangen. Jemand in einer Not beizustehen, war in
Muhme Lenelis' Augen auch ein Kirchgang, darum gab sie auch unbedenklich
ihren Vorsatz auf und wusch und flickte Traumfriedes Sachen.

Es war so gemütlich und traulich in dem Stübchen, die Sonne schien so hell
durch die blitzblank geputzten Scheiben, als sei es Sommertag. Schnurpsel
schnurrte, und Mimi dachte bei dem Sonnenschein an blühende Obstbäume und
Rosenhecken und stimmte ein fröhliches Lied an. Traumfriede verlor all
seine Schüchternheit und antwortete freimütig auf alle Fragen, die Muhme
Lenelis an ihn richtete. Viel Gutes bekam die Muhme da freilich nicht zu
hören, und manchmal wischte sie sich verstohlen die Tränen aus den Augen
und murmelte leise: »Armer Bube!«

Und ein armer Bube war Traumfriede wirklich. Er mußte hart und schwer
arbeiten, bekam bei seinem Pflegevater kein freundliches Wort zu hören
und nicht satt zu essen, aber desto mehr Prügel. Niemand kümmerte sich um
den Waisenjungen, und niemand hatte ihn mehr lieb, seit das besinnliche
Trinchen tot war. Die Müllerin hatte ihn zwar nach dem Tode ihres Kindes
aufgefordert, er solle sie besuchen, aber dazu war er zu schüchtern
gewesen.

Muhme Lenelis dachte, während der Knabe erzählte, an einen kleinen Strauß
aus blassen Glockenblumen, roten Brombeerblättern und Kleeblüten, der auf
Trinchens Totenbett gelegen hatte. Der Strauß hatte ihr gezeigt, was für
ein gutes, treues Herz der arme Waisenknabe besaß. Sie hielt plötzlich im
Flicken inne und dachte seufzend an ihre Armut. »'s geht nicht!« murmelte
sie, und dann wurde sie ganz still und nähte nur um so eifriger.

Als sie endlich fertig war, war auch die Suppe fertig gekocht, aber Muhme
Lenelis behauptete auf einmal, sie habe kein bißchen Hunger, und so mußte
Traumfriede alles aufessen. Ja ein Stück Apfelkuchen, das die Schulzenfrau
der Muhme zum Sonntag geschickt hatte, bekam der Bube auch noch. Der hatte
zum erstenmal in seinem Leben das Gefühl, ordentlich satt zu sein. Dann
ging er mit treuherzigem Danke weg, und Muhme Lenelis sah ihm traurig
nach. »Wenn ich nur ein bißchen mehr zu verzehren hätte,« dachte sie,
»gleich würde ich den Buben ins Haus nehmen.«

Am nächsten Tage war der schöne Sonnenschein zu Ende. Kalter, feuchter
Nebel rieselte leise herab, und Heine Peterle machte ein wütendes Gesicht,
weil er den Drachen, den Nachbar Töpfel wirklich vom Dach geholt hatte,
wieder nicht fliegen lassen konnte. Das trübe Wetter hielt an, und die
Kinder begannen von Weihnachten und von Muhme Lenelis' Bratäpfelfest zu
reden.

Muhme Lenelis saß gegen Abend in ihrem Stübchen dicht am Ofen, strickte
und dachte an allerlei, auch an Traumfriede. Ein leises Rascheln und
Knittern an ihrer Türe ließ sie aufsehen; es mochte wohl eins der
Dorfkinder sein, das sie besuchen wollte. »'s findet die Klinke nicht,«
dachte die Muhme, stand auf und öffnete die Türe.

Husch verschwand da jemand in der Dunkelheit, aber obgleich die Muhme
Lenelis siebenmal so alt als Schulzens Jakob und noch etwas drüber
war, konnte sie doch noch sehr schnell laufen. Eins, zwei, drei hatte
sie den Flüchtling gepackt und zog ihn in den Lichtstrom, der zur
Türe heraus in die Dunkelheit floß. »Na nu, was machst denn du hier
draußen?« fragte die Muhme und sah den Buben an, den sie festhielt. Es
war Traumfriede.

Verlegen sah er auf die Muhme und dann auf ein mächtiges Reisigbündel,
das die alte Frau jetzt erst bemerkte. »Hast du das gebracht?« fragte
sie freundlich.

Traumfriede nickte. »Der Herr Förster hat's erlaubt. Ich mußte nach
Niederheudorf gehen, da hab' ich's auf dem Weg gesammelt, weil -- weil's
doch so kalt ist.«

»Guter Kerl du!« sagte die Muhme gerührt und zog den Buben in ihre Stube
und streichelte ihm das blasse Gesicht. »Komm, setz dich her, da auf
dem roten Polsterstuhl darfst du sitzen, ich koch' dir rasch eine Tasse
Kaffee.«

Traumfriede schüttelte den Kopf und sagte ängstlich: »Ich muß fort, sonst
krieg' ich wieder Haue wie neulich.«

»Hast du am Sonntag Haue bekommen?« fragte die Muhme erschrocken.

Der Bube nickte, aber über sein blasses Gesicht flog dabei ein heller
Schein. »'s schadet nichts,« sagte er geduldig, »'s war doch schön hier.«

Muhme Lenelis sah ihn eine Weile starr an und murmelte: »'s muß gehen,
's muß gehen! -- Wo ist denn jetzt der Kohlbauer?« fragte sie plötzlich.

»In der Schenke,« stammelte der Bube und wurde puterrot, als er an den
Pflegevater dachte.

»So ist's recht!« sagte Muhme Lenelis, nahm sich ein Tuch um, steckte ein
winziges Laternchen an, das sie in die Hand nahm, dann löschte sie ihr
Lämpchen aus, ermahnte Friederike, Schnurpsel und Mimi, sie möchten artig
sein, und sagte zum Traumfriede: »Komm mal mit mir!«

Der Bube folgte ihr willig, und die beiden schritten stumm nebeneinander
durch die dunkle, stille Dorfstraße bis zum Pfarrhaus.

»Muhme Lenelis ist weich wie Käsekuchen, aber sie kann grob wie
Kieselsteine sein,« hatte die Schulzenfrau einmal gesagt, die große
Stücke auf die Muhme hielt und ihr manches zuliebe tat. Als Muhme Lenelis
nun an diesem Novemberabend vor den Pfarrer trat, da war sie weich wie
Käsekuchen. Sie sagte dem Pfarrer, sie sei zwar eine blutarme Frau, aber
der Traumfriede gefalle ihr so gut, daß sie den Buben gern zu sich nehmen
möchte, der Herr Pfarrer solle ihr dazu helfen.

Aber das konnte der Pfarrer nicht. Die Gemeinde hatte dem Kohlbauern den
Buben in Pflege gegeben und bezahlte das Kostgeld; er konnte weiter nichts
tun, als dem Schulzen die Sache ans Herz legen, und das wollte er sehr
gern tun.

»Das dauert zu lange,« sagte Muhme Lenelis entschlossen, »gleich auf
der Stelle muß ich den Buben haben. Ich geh' ins Wirtshaus, da sitzen
sie alle zusammen, und ich gebe nicht eher nach, als bis ich den Buben
zugesprochen krieg'!«

Damit ging sie hinaus. Auf der Straße traf sie die Schulzenfrau. Der
erzählte sie alles, und die Schulzenfrau sagte. »Ich will auch mitgehen!
Wir wollen noch die Schnipfelbäuerin holen, die kann noch besser reden
als ich!« Damit war die Muhme wohl einverstanden. Sie holten die
Schnipfelbäuerin, und so zogen alle nach dem Wirtshaus, wo der Kohlbauer
mit dem Schulzen und etlichen andern Bauern an einem Tische saß.

Traumfriede war das Herz zentnerschwer, als er in das Gastzimmer trat,
und hätte die Muhme ihn nicht gar so fest gehalten, dann wäre er sicher
ausgerissen. Muhme Lenelis hatte einen alten Groll auf den Kohlbauern,
der seines Geizes und seiner Roheit wegen in der ganzen Gegend berüchtigt
war; nur weil er so reich war, wagten die andern Bauern nicht recht ihm
entgegenzutreten, so feige das auch war. Wohl wußten sie es alle, daß es
Traumfriede schlecht bei dem Kohlbauern hatte, aber sie ließen die Sache
gehen und beschwerten ihr Herz nicht mit der Sorge um ein armes Waisenkind.

Weich wie Käsekuchen war Muhme Lenelis hier nicht, sondern noch gröber
als Kieselsteine. Kein Mensch hätte je der kleinen, freundlichen Muhme
zugetraut, daß sie so viel und so grob reden könne. Sie hielt dem
Kohlbauern seine Sünden so eindringlich vor, daß der reiche Bauer nicht
wußte, wo er vor Verlegenheit hinsehen sollte. Aufstehen und ausreißen
konnte er auch nicht, denn die Schulzenfrau und die Schnipfelbäuerin, zu
denen sich noch die Wirtsfrau gesellt hatte, versperrten den Weg, und
allemal wenn Muhme Lenelis eine neue Schandtat des Bauern aufzählte,
riefen die drei: »So ist's, das stimmt, gebt's ihm nur ordentlich!«

Die andern Bauern hörten Muhme Lenelis' Strafrede so lange mit heimlichem
Frohlocken an, bis die alte Frau sich zu ihnen wandte und ihnen sagte,
wie bitter unrecht es sei, sich so wenig um eines armen Waisenkindes
Ergehen zu kümmern.

»Das stimmt!« schrien die drei Frauen. Jede nahm sich im stillen vor,
gleich morgen etwas für Traumfriede herzugeben, denn alle drei hatten
ein schlechtes Gewissen, weil sie nie an den armen Knaben gedacht hatten.

»Sie kann ja den Bengel selbst behalten! Nicht mehr ins Haus darf er mir!«
schrie endlich der Kohlbauer und entwischte, indem er sich an den Frauen
vorbeidrängte.

Muhme Lenelis frohlockte, aber sie ging nicht eher, bis sie nicht den
andern Bauern die Sache noch einmal dringend ans Herz gelegt und diese
ihr mit Handschlag versprochen hatten, Traumfriede dürfe bei ihr bleiben.
Da zogen die Frauen endlich zufrieden von dannen. Die Schulzenfrau, die
Wirtin und die Schnipfelbäuerin aber trugen allerlei Eßwaren herbei. Die
eine schenkte noch ein Kopfkissen, die andere eine Decke und die dritte
versprach einen Anzug.

Muhme Lenelis nahm alles mit Dank an. Sie war sonst trotz aller Armut
stets sehr stolz gewesen und hatte nie gern etwas angenommen, höchstens
mal ein Stück Kuchen, jetzt aber dachte sie: »Es ist für den Buben. Dem
lieben Gott sei Dank, nun kann er sich satt essen!«

Das tat Traumfriede an diesem Abend auch redlich. Es war ein vergnügtes
Mahl, das die alte Frau und der arme Waisenknabe in dem freundlichen
Stübchen hielten. Friederike, Mimi und Schnurpsel nahmen auch daran teil
und schlossen gleich Freundschaft mit dem neuen Hausgenossen.

Als Traumfriede dann auf seinem Lager lag und zum erstenmal in seinem
Leben fühlte, daß er eine Heimat hatte, da strich ihm Muhme Lenelis
lind über das Gesicht und sagte: »'s war doch gut, daß du mir in meinen
Suppentopf gefallen bist, gelle mein Söhnchen?«

Oh, der Suppentopf und Heine Peterles rosenroter Drachen! Wie oft dachte
Traumfriede voll Dankbarkeit daran. Wenn einer plötzlich über Nacht ein
Prinz wird und immer mit einer Krone auf dem Kopf herumlaufen darf, der
kann nicht glücklicher sein als der arme Waisenknabe bei Muhme Lenelis.

In dem kleinen Häuschen wurde er ein lustiger, fröhlicher Bube, da verlor
er seine Schüchternheit und lernte es, den Menschen frei und zutraulich in
die Augen zu sehen. Es wurde so mit ihm, daß der Herr Lehrer in der Schule
oft sagte: »Die beste Arbeit hat wieder Friede gemacht,« und er meinte
damit Traumfriede.

Die Gemeinde zahlte Muhme Lenelis ein Kostgeld für den Buben, und weil
die Bauern sich schämten und der Herr Pfarrer ihnen zuredete, wurde das
Kostgeld reichlich. Auch die Schulzenfrau, die Schnipfelbäuerin und die
Wirtin vergaßen nicht, was sie versprochen hatten, und die Muhme sagte
manchmal: »Bube, Bube, seit du mir in den Suppentopf gefallen bist,
wird der nicht mehr leer!«

Schulzens Jakob, der das einmal hörte, fragte nachdenklich: »Ob unser
Pflaumenmustopf auch immer vollbleibt, wenn ich mal reinfalle?«

»Studier 's lieber nicht,« sagte Muhme Lenelis lachend, »es könnte dir
schlecht bekommen, weißt du, so wie mit der Roggenmuhme!«

Da ließ es Schulzens Jakob, und das war auch besser. Es findet nicht jeder
im Suppentopf das Glück wie Traumfriede.

[Illustration: Jakob]

[Illustration: Dekoration]



Friederikes Abenteuer.


Daß Muhme Lenelis' Ziege Friederike ein ausnehmend kluges Tier sei, fand
jeder Mensch in Oberheudorf. Hans Rumps sagte: »Sie ist gebildet!« Das war
eine große Schmeichelei, denn der Nachtwächter sagte das nur von Menschen,
Tieren und Dingen, die ihm besonders gefielen, er sagte das übrigens
ebensogut vom Herrn Lehrer wie von der neuen Feuerspritze.

Die Kinder begegneten Friederike mit großem Respekt. Wenn sie die weiße
Ziege auf der Dorfstraße trafen, sagten selbst die unnützesten Buben,
wie zum Beispiel Anton Friedlich, sehr höflich: »Guten Tag, Friederike!«
Friederike blieb nämlich nicht wie andere Ziegen daheim in ihrem Stall
oder auf der Weide, sie liebte es vielmehr, im Dorf herumzuspazieren. Bald
guckte sie in den Schulzenhof hinein, bald ging sie vor dem Wirtshaus
auf und ab, als sollte sie Gäste erwarten. Als einmal die Frau Gräfin
Dachhausen wieder im Frühling ihren ersten Besuch in Oberheudorf machte,
war es Friederike, die den vornehmen Gast zuerst mit ihrem »Meckmeck,
meckmeck« begrüßte.

Ja, Friederike war klug. Einmal saß Anton Friedlich allein in der
Wohnstube seines Elternhauses und sollte seine Schularbeiten machen. Mehr
als seine Rechenaufgabe aber gefielen ihm die großen Butterbirnen, die
seine Mutter am Morgen vom Baum genommen hatte, und die sie nach der Stadt
zum Verkauf schicken wollte. Er schielte eine Weile danach hin, seufzte,
guckte wieder auf das Buch, dann wieder auf die Birnen, und endlich stand
er auf und ging bis an den Korb heran. »Ach was,« dachte er leichtsinnig,
»eine kann ich schon nehmen, die Mutter wird es gar nicht merken.« Schon
streckte er die Hand aus, da hörte er plötzlich ein lautes »Meckmeck,
meckmeck« erklingen. Erschrocken ließ er die Birne wieder in den Korb
fallen und sah sich um: Friederike guckte zum offenen Fenster herein.
Ordentlich böse sah sie aus, dachte Anton. »Meckmeck, meckmeck,« rief sie
noch einmal drohend, dann spazierte sie weiter.

Anton Friedlich nahm keine Birne, ja er wagte nicht einmal mehr hinzusehen,
sondern steckte eifrig die Nase in sein Buch und rechnete vor lauter Angst
so gut, daß der Herr Lehrer ordentlich verwundert darüber war.

Wirklich, Friederike war ausnehmend klug. Als Bäckermeisters Mariele
einmal an einem heißen Maitag im Garten Unkraut jäten sollte, da dachte
der kleine Faulpelz: »Ach was, das Unkraut kommt noch früh genug heraus,
ich lege mich hintern Gartenzaun auf die Wiese und schlafe ein bißchen.«

Hopla! wollte sie über den Zaun klettern, um ihren Vorsatz auszuführen,
da stand aber plötzlich wie aus der Erde gewachsen Friederike vor ihr
und sagte vorwurfsvoll: »Meckmeck, meckmeck!«

Mariele wurde feuerrot und rief ärgerlich: »Dumme Friederike, geh doch
weg!«

Aber Friederike stellte sich breitbeinig an den Zaun und meckerte laut und
zornig. Da schlich sich Mariele beschämt an das Schotenbeet und begann
seufzend jedes Unkräutchen auszuziehen. Einigemal warf sie einen scheuen
Blick nach dem Zaun, da stand Friederike immer noch und sagte jedesmal
mahnend: »Meckmeck, meckmeck!« Und Mariele wagte es nicht, ihre Arbeit im
Stich zu lassen, sondern jätete so fleißig wie noch nie.

Eines schönen Tages spazierte die brave, gebildete Friederike wieder im
Dorf umher. Es war recht warm und sonnig, obgleich der September gerade
dabei war, sich wieder einmal für ein Jahr aus dem Staube zu machen. Am
Tag vorher war das Erntedankfest in Oberheudorf gewesen, bei dem es
recht lustig zugegangen war. Alle Leute waren noch müde von dem Festtag,
und so war es stiller als sonst im Dorf. Außer dem Gackern einiger
Hühner hörte man kaum einen Laut. Bedachtsam wandelte Friederike ihres
Weges. Das Hoftor des Wirtshauses stand weit offen, aber auf dem Hofe
war kein Mensch zu sehen. Kastor, der Hüter des Hauses, blinzelte nur
ein wenig, als Friederike den Hof betrat. Diese guckte in die Scheune,
in den Stall, sah sich eine Weile tiefsinnig den Düngerhaufen an und
wandelte dann um das Haus herum bis an die Tür, die in den Garten führte.
Dort standen zwei leere Bierfässer und daneben in einer großen, braunen
Schüssel abgestandenes Bier. Es waren Reste aus den Fässern, die für
Hans Rumps aufgehoben wurden. Der Nachtwächter aß nämlich für sein Leben
gern Biersuppe, und dazu, meinte er, sei das abgestandene Bier ganz gut,
frisches Bier sei zu teuer.

»Was ist denn das?« dachte Friederike und sog den Bierdunst ein. Es
ist nicht zu glauben, aber die tugendsame Friederike war so neugierig,
daß sie an dem Bier zu lecken begann. Sie leckte erst zaghaft, dann
immer mehr und mehr, denn sie hatte Durst, und das Bier schmeckte ihr
vortrefflich. Hätte die Ziege gewußt, was für ein gefährliches Ding
Bier ist, sie hätte sich wohl gehütet, davon zu trinken, aber Muhme
Lenelis hatte nie Bier im Hause, woher sollte es Friederike da wohl
kennen? Sie trank und trank, und auf einmal war die Schüssel leer. »Das
hat gut geschmeckt!« dachte Friederike und trat den Rückweg an.

Aber was war denn das? Kastor sah die gebildete Friederike ganz erstaunt
an: die hopste ja kreuz und quer, taumelte bald nach rechts, bald nach
links, einmal stieß sie an die Pumpe an, einmal an das Scheunentor, und
pardauz lag sie in einer großen Pfütze.

Es dauerte lange, bis Friederike wieder hoch kam. Endlich aber gelang es
ihr, sich aufzuraffen, und sie wankte und schwankte nun zum Hoftor hinaus.
Bald rechts, bald links an einen Baum oder einen Zaun anstoßend, geriet
die Ziege auf ihrer seltsamen Wanderung an des blauen Friedes elterlichen
Hof. Die Bäuerin hatte mal wieder gefärbt, und über den Zaun waren nasse
Stoffstücke gehängt. Bums! torkelte Friederike daran. Der Stoff war naß
und kühl, und der Ziege war es furchtbar heiß. Sie rieb sich also eine
Weile an dem nassen Zeug und taumelte dann mit einem großen blitzblauen
Fleck auf dem weißen Fell weiter.

Beim Schnipfelbauer lehnte an der Hausmauer ein schön rot und grün
gestrichenes Blumenbrett, und die unglückselige Friederike, die gerade
nach links schwankte, plumpste an das frisch gestrichene Brett. Nun
hatte sie grüne und rote Streifen auf der andern Seite, und was sonst
noch von ihrem weißen Fell übrig war, sah schmutzig aus.

Vor dem Schulzenhof stand Jakob mit Heine Peterle, Annchen Amsee und
Röse.

»Seht doch mal, was kommt denn da?« rief Annchen plötzlich.

»Das ist 'ne Ziege,« brummte Jakob.

»Ja, aber wie sie aussieht!« schrie Annchen verwundert.

»Die ist ja blau!« rief Heine Peterle.

»Nein, grün!« -- »Nein, rot!« schrien Annchen und Jakob, die gerade die
andere Seite erblickten.

Mit offenem Munde starrten die Kinder auf das seltsame Tier, das näher
gewackelt kam und schauerliche, heisere Töne ausstieß.

»Das ist mir graulich,« quiekte Röse plötzlich und rannte in das Haus,
um die Großmutter herbeizurufen.

Arm in Arm kamen gerade die einstigen Feinde, der blaue Friede und der
dicke Friede, die Dorfstraße entlang. Beide blieben verdutzt stehen,
als sie die Ziege erblickten. »Das ist ja eine Kasperleziege!« schrie
der dicke Friede erstaunt.

»Ich hol' Schuster Pechdraht, der wird wissen, was das ist,« sagte
Heine Peterle und lief in das Schusterhaus.

Es dauerte nicht lange, so verbreitete sich die Nachricht von dem
schrecklichen Tier im ganzen Dorf, und natürlich kamen zu allererst
sämtliche Kinder mit großem Geschrei an. Die Ziege lehnte mit verglasten
Augen an einem Zaun und meckerte kläglich, und die Kinder standen alle um
sie herum. Auf einmal rief Anton Friedlich: »Das ist doch Friederike! Ich
kenn' sie doch am Halsband!«

»Friederike?« schrien die Kinder wie aus einem Munde. »Wirklich, es ist
Friederike! Aber Friederike, was hast du denn gemacht?«

»Sie stirbt,« jammerten Röse und Annchen.

»Ihr wird schlecht,« murmelte der dicke Friede, und der blaue Friede
und Schnipfelbauers Fritz liefen, was sie konnten, um Muhme Lenelis
herbeizuholen.

Die alte Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und die hellen
Tränen rannen ihr über das gute Gesicht, als sie ihre Ziege in dem
Zustand erblickte. »Sie ist krank, sie stirbt!« schluchzte sie.

»Sie hat sich vergiftet,« sagte der Schulze mit bedenklicher Miene,
»sie sieht ja ganz blau aus.«

»Nein, grün und rot, wie mein Blumenbrett,« rief die Schnipfelbäuerin.
»So was kommt doch nicht vom Vergiften.«

»Aber krank ist sie,« sagten alle, nur Mine, die Wirtsmagd, sagte plötzlich
kichernd. »Ich glaube, sie ist betrunken. Ich habe gesehen, wie sie bei uns
Bier gesoffen hat; wie ich dann nachsah, war die Schüssel leer.«

Betrunken? Friederike sollte betrunken sein?

Sprachlos sahen sich alle an, nur Schuster Pechdraht lachte und meinte.
»Mine kann schon recht haben!«

Und sie hatte auch recht: die tugendhafte, kluge Friederike hatte sich
wirklich betrunken. Sie wurde in den Stall getragen, und Muhme Lenelis
legte ihr ein kaltes Tuch auf den Kopf. Und Friederike schlief ein und
schlief vierundzwanzig Stunden lang. Immer wieder kamen die Kinder fragen.
»Schläft sie noch?« und immer wieder antwortete dann Muhme Lenelis traurig
»Ja, sie schläft noch.«

Anton Friedlich meinte: »Ich glaube, Muhme Lenelis, sie tut nur so,
weil sie sich schämt!«

Es war wirklich eine schreckliche Geschichte. In Oberheudorf kannte
man glücklicherweise keine betrunkenen Menschen, von einer betrunkenen
Ziege aber hatte man noch nie etwas gehört. Jeder war entrüstet über
Friederikes Benehmen, und die Kinder hatten allen Respekt verloren.
Wenn sie Friederike mit ihren roten, blauen und grünen Flecken, die
gar nicht abgehen wollten, sahen, lachten sie sie aus. Darüber kränkte
sich Traumfriede sehr, und er sagte immer: »Friederike kann doch nichts
dafür! Sie hat doch nicht gewußt, daß Bier so schlimm ist!«

»Aber sie hat genascht,« sagte Anton Friedlich und dachte dabei an die
Butterbirnen.

Das war nun wahr, dafür mußte die arme Friederike jetzt ihre Strafe
leiden. Die Kinder aber lachten nicht lange mehr, denn Friederike
zeigte bald, daß sie wirklich gebildet war.

An einem Oktobertag nämlich lag der Knecht des Waldbauern auf dem
Grasberg am Hause und schlief, statt im Stall nach dem Rechten zu
sehen. Der Bauer war fortgegangen, und der Knecht dachte, wie auch oft
faule Kinder denken: »Es sieht's ja niemand!«

Oben am Berg suchte Friederike einsam nach Gräsern, als sie den schlafenden
Knecht erblickte. Sie kam näher, und plötzlich sprang sie ihm mit einem
kühnen Sprung so heftig auf den Leib, daß der Knecht erwachte. »Wart, du
abscheuliches Tier!« rief er empört und wollte die Ziege fangen, aber diese
rannte eilig davon. Da der Knecht nun einmal munter war, ging er brummend
auf den Hof. Da kam er aber gerade zur rechten Zeit, um ein braunes Tier im
Hühnerstall verschwinden zu sehen -- es war ein Marder. Heisa, da rannte
aber der Knecht, so schnell er konnte, dem gefährlichen Räuber nach und
trieb ihn aus dem Hühnerstall heraus. Am nächsten Tag wurde der Marder dann
in einer Falle gefangen.

»Potzwetter nochmal,« sagte der Knecht, »Friederike ist aber wirklich
gebildet. Denn warum ist sie mir auf den Leib gesprungen? Doch nur, weil
sie den Marder gesehen hatte.«

»Friederike ist wirklich sehr klug,« sagten auch alle Leute im Dorf.
»Das mit dem Bier war eben mal ein dummer Streich, aber sonst ist sie
doch anders als andere Ziegen!«

Seitdem hatten die Kinder wieder Respekt vor Friederike, die übrigens nie
mehr eine Dummheit gemacht hat.

[Illustration: Mann und Ziege]

[Illustration: Dekoration]



Das Ständchen.


Daß die Oberheudorfer Buben und Mädel den Herrn Lehrer manchmal weidlich
ärgerten und ihm das Leben recht schwer machten, wird jeder glauben, der
es hört. Jeder darf es aber auch getrost glauben, daß die Oberheudorfer
Kinder ihren Lehrer herzlich lieb hatten, wenn es auch manchmal nicht sehr
zu spüren war. Es kann wenigstens niemand denken, daß es Liebe ist, wenn
die Buben während der Stunde mit Papierballen schnipsen oder sich unter
dem Tische knuffen und puffen, oder wenn die Mädel schwatzen, als wären
sie Gänslein, die auf der Weide herumspazieren. Für Liebe läßt es sich
auch schwer halten, wenn die Kinder handgroße Kleckse in die Schreibhefte
machen und für die Lesestunde ihre Rechenbücher mitbringen oder aus
Versehen (so haben sie wenigstens gesagt) ihre Honigbrote verkehrt auf
den Stuhl des Herrn Lehrers legen, daß der Honig auf dem Stuhl kleben
bleibt und der Lehrer dann auch festklebt. Daß es gerade Liebe war, als
Schnipfelbauers Fritz einen Kasten voll Maikäfer mitbrachte, die er in
der Geographiestunde fliegen ließ, und Anton Friedlich eine Maus ins Pult
steckte, die dem Herrn Lehrer beinahe an die Nase sprang, wird niemand
denken. Und ähnliche Liebesbeweise gab es öfter in der Oberheudorfer
Schule, und doch liebten die Buben und Mädel ihren Lehrer wirklich
aufrichtig. Sagten die Niederheudorfer Kinder: »Unser Lehrer ist gut,«
dann schrien die Oberheudorfer sicher, so laut sie konnten: »Unser Lehrer
ist viel, viel besser!«

Der Herr Lehrer selbst war von dieser großen Liebe nicht sehr überzeugt,
und als man ihm eines Tages eine Stelle in der Stadt anbot, sagte er,
er wolle sich die Sache überlegen. Noch ehe er aber ja oder nein gesagt
hatte, erfuhren die Oberheudorfer davon, und die Kinder erschraken heftig.
Standen zwei in diesen Tagen zusammen, so sagten sie sicher zueinander:
»Glaubst du, daß er geht?«

Es war so gerade um die Frühlingswende. Der Schnee begann Abschied von der
Erde zu nehmen, und die Kinder, die im Winter sein Erscheinen mit Jubel
begrüßt hatten, klagten: »Wenn er doch erst weg wäre!«

Friede Hopserling, der Müllerknecht, der noch immer Heine Peterles
besonderer Freund war, stand auf dem Mühlenhof und strich den Mehlwagen
von oben bis unten mit himmelblauer Farbe an. Heine Peterle, Schulzens
Jakob und noch etliche andere Buben kamen gerade an der Mühle vorbei, und
als sie Friede Hopserling sahen, liefen sie rasch auf ihn zu und begrüßten
ihn sehr lebhaft und freudig.

»Hm,« sagte Friede Hopserling, der nicht gern viel sprach, aber gern
Gesellschaft um sich hatte.

»Weißt du schon, Friede, daß der Herr Lehrer weggeht?« begann Schulzens
Jakob die Unterhaltung.

»Nä!« sagte Friede und schwenkte eine Weile vor Erstaunen seinen Pinsel
in der Luft herum. Beinahe wäre er Anton Friedlich damit ins Gesicht
gefahren, der flüchtete aber gerade noch zur rechten Zeit.

»Du weißt das nicht?« rief Heine Peterle überrascht.

»Nä!« brummte Friede Hopserling und strich weiter.

»Er geht in die Stadt,« schrien die Buben auf einmal.

»Na so!« sagte Friede.

»Ja, in die Stadt,« klagte Heine Peterle. »Er soll doch lieber hierbleiben.
Meinste nicht auch, Friede?«

»Nä!« brummte der.

»Na nu,« schrien sämtliche Buben überrascht, »warum denn nicht?«

Friede Hopserling grinste höhnisch und fuchtelte mit seinem Pinsel in der
Luft herum. »Weil ihr nischt taugt, die Stadtkinder sind besser!«

»Pfui, Friede!« Ein Schrei der Empörung durchgellte die Luft. »Das ist
frech!« schrie Anton Friedlich und schnappte vor Wut nach Luft wie ein
Frosch, der Fliegen fangen will. Die andern echoten: »Ja, das ist frech!«

»Na so!« sagte der Knecht kaltblütig und strich weiter, auf seinem
Gesicht aber lag ein verschmitztes Lachen, daß die Buben merkten, er
habe sie nur zum besten gehabt.

»Pfui, Friede, das war schlecht!« sagte Heine Peterle, schon wieder
versöhnt. »Sag doch, womit können wir dem Herrn Lehrer eine Freude
machen? Weißt du, wenn er sich sehr freut, bleibt er vielleicht.«

»Aber 's darf nichts kosten,« rief Schnipfelbauers Fritz vorsichtig. Er
besaß nämlich nur fünf Pfennig, und dafür wollte er sich beim Krämer
einen Kreisel kaufen.

»Hm,« machte Friede Hopserling und versank in tiefes Nachdenken. Die
Buben standen still und andächtig um ihn herum, denn wenn Friede
nachdachte, durfte er nicht gestört werden, er konnte dann fuchswild
werden.

»Bringt doch ein Ständchen!« sagte er nach einer Weile und sah sich
stolz im Kreise um.

»'n Ständchen? Was ist denn das?« riefen alle Buben erstaunt.

»'n Ständchen,« sprach Friede Hopserling langsam und bedächtig, »das
ist, nu das ist eben -- hm -- das ist -- ein Ständchen!«

Verdutzt sahen die Buben einander an. Recht verständlich war ihnen
diese Erklärung nicht, und Schnipfelbauers Fritz rief naseweis wie
immer: »Aber sag doch nur, was ist ein Ständchen?«

Friede Hopserling sah den Buben strafend an und erhob drohend seinen
Pinsel. Da verkroch sich der Naseweis hinter Schulzens Jakob und hielt
seinen Mund; wenn Friede ein solches Gesicht machte, war nicht gut
Kirschen essen mit ihm.

»Hm, na so, ein Ständchen, hm, da wird Musik gemacht,« erklärte Friede
Hopserling weiter. »Bei den Soldaten, da hab'n wir ein Ständchen gebracht,
hm, ich hab' aber nur zugehört, unser Oberst wollte auch abgehen.«

»Ist er dann geblieben?« riefen drei Buben hoffnungsfreudig.

»Nä,« sagte Friede Hopserling etwas verwirrt, »hm, nu so, aber fein war's.«

Fein war's! Das Wort machte die Buben noch neugieriger, als sie ohnehin
waren. Sie bettelten so lange, bis Friede Hopserling sich stöhnend zu
einer näheren Erklärung entschloß. Ja, schließlich versprach er noch,
er wolle die Leitung des Ganzen übernehmen. Sehr musikalisch waren die
Oberheudorfer Buben gerade nicht, aber Anton Friedlich fragte doch, ob
man nicht ein besonderes Stück spielen müsse.

»Nä,« sagte Friede gelassen, der von Musik so viel verstand wie ein
Essenkehrer von der Feinplätterei. »'n Stück ist nicht nötig, nur recht
laut muß es sein, und 'ne Trommel und 'ne Trompete gehören dazu, dann
wird's fein.«

Schulzens Jakob besaß zwar eine Trommel, aber die hatte schon ein Loch,
und die Trompete vom blauen Friede hatte das Mundstück verloren. Woher
also die Instrumente nehmen?

Doch Friede Hopserling erwies sich als Retter. Sein Schwager in
Niederheudorf besaß eine Trommel, die wollte er borgen, und der
Oberheudorfer Küster hatte eine Trompete und ein Waldhorn.

»Das haben wir auch,« rief Heine Peterle.

»Na so,« sagte der Knecht, »zwei sind besser als eins! Kasper auf dem
Berge hat 'ne Geige, die wird auch geholt, na, und wer nischt hat, der
kann pfeifen oder singen.«

»Ich kann singen,« schrie der blaue Friede und stimmte mit krähender
Stimme an: »Heil dir im Siegerkranz!«

Aber Anton Friedlich sagte noch einmal: »Wenn wir ein Stück hätten,
wär's doch besser!«

»Nä,« schrie Friede Hopserling empört, und diesmal schwang er seinen
Pinsel so heftig, daß Anton einen großen blauen Fleck auf die linke
Backe bekam. »Wenn du's besser wissen willst, denn man los! Was ich
weiß, weiß ich; beim Ständchen kommt's nur auf den Lärm an, nu so!«

Da wagte auch Anton keinen Widerspruch mehr und fügte sich in Friede
Hopferlings Vorschlag »Sollen die Mädel mittun?« fragte Schulzens
Jakob, der an seine Schwester dachte.

»Nä,« beschied der Müllersknecht, »Mädel haben bei so was nichts zu
tun, die dürfen nur zuhören.«

»Das ist fein,« lobte Schnipfelbauers Fritz, »wir Buben machen's
alleine!« Und dabei blieb es.

Von diesem Tage an flüsterten und wisperten die Oberheudorfer Buben
zusammen, wo sie sich nur trafen. Begegneten sich zwei unversehens,
dann rief der eine »traratrara«, und der andere antwortete »bumbum«,
denn in Gedanken spielten sie schon die Instrumente, die Friede
Hopserling ihnen zuerteilt hatte.

Schuster Pechdraht, der das Bumbum und Traratrara einmal hörte, sagte:
»Da wird eine rechte Dummheit zusammengeschustert. Ich seh's den Buben
an den Nasenspitzen an, daß sie was vorhaben!«

Es mußte auch jeder merken, daß sie ein Geheimnis hatten. Am
allergeheimnisvollsten aber taten die Buben, wenn die Mädel in der Nähe
waren. Da wisperten und tuschelten sie, pfiffen, summten und lachten.
Sie zwinkerten sich zu und riefen laut und protzig: »Uh je, wird das
fein werden!«

Fragte ein Mädelchen, was fein werden würde, dann lachten die Buben
noch mehr und riefen alle zusammen: »St! St!« Das sollte Ständchen
heißen, was die Mädel freilich nicht wissen konnten. Natürlich wurden
diese ganz gewaltig neugierig, und sie gaben sich die größte Mühe, das
sorgsam gehütete Geheimnis herauszubekommen. Doch alles Forschen und
Fragen half nichts. Selbst Annchen Amsee, die sonst alles wußte und
überall ihre kleine Nase hineinsteckte, konnte nichts erfahren. Sie
wurde darüber so böse, daß sie ihren Freundinnen erklärte, sie würde
nie wieder mit einem Buben sprechen. Eine halbe Stunde später aber
schwatzte sie schon wieder mit Heine Peterle.

Es war an einem Märztage. Da sagte Muhme Lenelis: »Es riecht nach
Frühling!« Sie guckte zu ihrem Fenster heraus und ließ sich behaglich
den sanften warmen Wind um die Ohren wehen und dachte an Sommerwärme,
Sonnenschein und blühende Gartenbeete. Der Schnipfelbauer dachte an
seine neue Scheune, die er bauen lassen wollte; die Hausfrauen sprachen
von dem großen Frühjahrsreinemachen; die Mädel überlegten, ob sie
Schneeglöckchen suchen sollten, und die Buben -- ja, die waren an
diesem warmen Märztage auf einmal spurlos verschwunden. Als hätte der
Tauwind sie aufgeleckt, wie er es mit den letzten Schneefleckchen getan
hatte, so unsichtbar waren sie geworden. Die Dorfstraße, die sonst
von ihrem Geschrei widerhallte, war einsam und still, und Schuster
Pechdraht schüttelte verwundert den Kopf: »Wo mögen sie nur sein?«

Die Mädel saßen allesamt im Schulzimmer. Sie hatten Handarbeitsstunde bei
der Frau Lehrer, die es auf sich genommen hatte, ihnen das Nähen, Stricken
und Sticken beizubringen. Sonst tobten um diese Zeit die Buben draußen
gewaltig um das Schulhaus herum, und ihr lustiges Spiel entlockte den
armen Mädeln manch tiefen Seufzer. Bäckermeisters Mariele, die ohnehin
mit Nadel, Zwirn und Fingerhut auf Kriegsfuß stand, machte dann stets
ellenlange Stiche, ihr riß der Faden, oder sie schnitt unversehens ein
Loch in ihre Arbeit. Trotzdem heute nun kein Bube draußen lärmte, hatte
Mariele doch wieder Pech mit ihrer Arbeit gehabt, sie hatte das Hemd, das
sie nähte, unten zusammengenäht statt an der Seite, und die Frau Lehrer
hielt ihr gerade eine Strafrede, als ein seltsam dumpfes, verworrenes
Geräusch in das Schulzimmer hineindrang.

Alle horchten auf.

Die Mädel rückten ängstlich zusammen, und die Frau Lehrer machte ein
nachdenkliches Gesicht. »Klingt das nicht wie Feuerlärm?« fragte sie
plötzlich.

Ein wahres Zetergeschrei erhob sich. »Feuer, Feuer!« quietschten die Mädel,
und einige kletterten gleich auf die Tische, als käme das Feuer schon zur
Türe hereinspaziert und sagte guten Tag. Der Lärm hielt an, und die Frau
Lehrer dachte voll Angst an ihre beiden kleinen Kinder, die sie unter der
Obhut eines Dienstmädchens zurückgelassen hatte. »Wir wollen aufhören,«
rief sie rasch. Im Nu waren alle Arbeiten in die Beutel versenkt, und die
Mädel liefen schreiend auf die Straße: »Es brennt, es brennt!«

Die Erwachsenen hatten auch das Getöse gehört, und einer fragte den andern:
»Wo brennt es denn?«

Der Schulze ließ eilfertig das Spritzenhaus aufschließen und rief: »Sagt
nur, wo's raucht!«

Rauchen tat es aber eigentlich überall, es war gerade Zeit, den
Nachmittagskaffee zu kochen, und so stieg beinahe aus jedem Schornstein
lustig ein blaues Rauchwölkchen in die Luft.

»Wo brennt's denn nur?« schrie der Schulze aufgeregt. Da kam der
Nachtwächter, der Feuerlärm blasen mußte, an und sagte ruhig: »'s
brennt nirgends, und überhaupt hat Friede Hopserling mein Horn geholt,
ich kann nicht blasen!«

»Dummkopf!« schrie der Schulze. »Aber sagt doch, woher kommt der Lärm?«

Alle lauschten. Immer fürchterlicher wurde das Getöse, aber wo es herkam,
konnte niemand recht sagen, denn der Wind blies die Töne bald hierhin,
bald dorthin.

»Ich denk', das ist gar Krieg, uh je, und nun ist mein Horn weg!« schrie
der Nachtwächter Hans Rumps, der nicht gerade zu den klügsten Leuten
gehörte, ratlos.

»Unsinn,« rief der Schulze, »das sind Zigeuner!«

»Ja, sicher sind's Zigeuner,« meinten alle und blieben stehen, um die
Ankömmlinge zu erwarten. Aber niemand ließ sich blicken, die Hunde
heulten, und das Getöse hielt an.

»Ich weiß, wo's lärmt,« schrie Annchen Amsee plötzlich, die atemlos
angelaufen kam und ihre Schürze wie eine Siegesfahne schwenkte. »In
des Müllers Scheune ist's, man hört es von draußen.«

Die Scheune des Müllers lag am Eingang des Dorfes; sie war alt und
baufällig und sollte bald abgerissen werden. Dach und Gemäuer hatten so
viele Löcher wie ein Schweizerkäse, sie wurde darum auch nicht benutzt. Je
näher die Dorfbewohner der Scheune kamen, desto lauter wurde das Getöse.
Zuletzt meinten alle, einen so erschrecklichen Lärm hätten sie noch nie
gehört.

»Das sind gewiß Zigeuner,« schrie der Schulze wütend, Hans Rumps, der
Nachtwächter, aber seufzte: »Feinde sind's, nu gibt's Krieg!« Und weil
er nicht die geringste Sehnsucht nach diesen Feinden hatte, blieb er
vorsichtig etwas zurück, um ja so schnell wie möglich ausreißen zu können.

Der Schulze aber war nicht so zaghaft. Tapfer schritt er auf die Scheune
zu und riß so heftig die Türe auf, daß diese gleich aus den Angeln fiel
und beinahe auf den Schulzen gefallen wäre.

»Bumbum, traratrara, dudeldududldi, dudeldudeldei!« so tönte es den
Eintretenden entgegen, die ganz verdutzt stehen blieben.

Auf einer Tonne inmitten der Scheune stand Friede Hopserling und fuchtelte
mit einem Stock so wild in der Luft herum, als säße er mitten in einem
Schwarm Wespen, die ihn alle stechen wollten. Um Friede herum aber standen
die Oberheudorfer Buben und trompeteten, geigten, trommelten und sangen,
was sie nur konnten, und es war ein solches Getöse, als sollten die
Scheunenmauern umgeblasen werden wie einst die Mauern von Jericho.

»Alle Wetter, was ist das?« schrie der Schulze.

Doch niemand hörte ihn. Die andern Dorfbewohner kamen ihrem Schulzen
in die Scheune nach, und alle starrten verblüfft auf die eifrigen
Musikanten. Die drehten dem Eingange den Rücken zu und sahen die
unerwarteten Zuschauer nicht, nur Friede Hopserling erblickte plötzlich
den Schulzen und die andern Leute.

Als sähe er Gespenster, so starrte er sie eine Weile an, dann sprang er
plötzlich mit einem kühnen Satz von seiner Tonne herunter und -- bumbum,
gab es einen fürchterlichen Krach. Es tönte dumpf und schauerlich, und
sämtliche Buben brachen in ein wildes Angstgeheul aus und flüchteten sich
in die Ecken.

Die Dorfleute aber sahen voll Entsetzen zwei in blauen Hosen steckende
Beine in der Luft herumzappeln -- Friede Hopserling war in die große
Trommel gefallen.

Das Trommelfell war geplatzt, und der arme Friede steckte in der Trommel
wie eine Maus in der Falle. Zwei Bauern zogen ihn heraus, weil er aber so
heftig auf den Kopf gefallen war, dauerte es eine ganze Weile, ehe er auf
alle Fragen, die man an ihn richtete, antworten konnte. Er stöhnte nur
immer: »Das verflixte Ständchen!«

Niedergeschlagen kamen die Buben aus ihren Ecken heraus und umstanden
mit kläglichen Mienen ihren Kapellmeister. Streng fragte der Schulze
nach der Ursache der sonderbaren Musik, und der Lehrer, der auch
herbeigekommen war, schüttelte erst ernsthaft den Kopf. »Ihr seid doch
heillose Buben!« sagte er seufzend.

Da faßte sich Schnipfelbauers Fritz ein Herz und erzählte die ganze
Geschichte, und als er fertig war, rief Friede Hopserling: »Fein wär's
schon geworden, 's klang zu scheene!«

Der Lehrer fing auf einmal an zu lachen, er lachte so herzlich, wie
ihn seine Buben noch niemals hatten lachen sehen, und sie hielten es
für das vergnüglichste mitzulachen. Auch der Schulze lachte und alle
andern Leute; selbst der Gedanke an die zerstörte Trommel konnte die
Heiterkeit nicht trüben. Die Buben nahmen ihre Instrumente, einige
schleppten die Trommel, und so zogen alle in das Dorf zurück.

Hans Rumpf, der draußen gewartet hatte, schrie, als er die Geschichte
erfuhr, hurra! und sagte nachher: »Wenn es doch Feinde gewesen wären,
so hätte ich sie alle allein verjagt, ganz gewiß, das hätte ich getan!«
Es glaubte ihm aber leider niemand.

Der Herr Lehrer ging nach Hause und erzählte seiner Frau die Geschichte,
und die Frau Lehrer lachte und sagte: »Gut sind sie halt doch die Buben,
wenn's auch manchmal verkehrt herauskommt!«

»Ja, gut sind sie halt doch,« murmelte der Herr Lehrer und ging in sein
Arbeitszimmer. Da brannte schon die Lampe auf dem Schreibtisch, aber
draußen war es noch ziemlich hell. Sinnend sah der Herr Lehrer in die
Dämmerung hinaus; er konnte noch wie eine dunkle Wand den Wald sehen,
und darüber stand blaß und licht der Himmel. Frei und schön war der
Blick von dem Fenster aus, und der Herr Lehrer dachte plötzlich an die
hohen, grauen Häuser der Stadt. Wie gut gefiel es ihm doch eigentlich
in Oberheudorf, alles darin -- auch die Kinder! Plötzlich mußte der
Herr Lehrer lachen, so herzlich wie in der Scheune, und diesmal lachte
er über sich selbst. Er wußte es mit einem Male, die Kinder gefielen
ihm am allerbesten. »Sie sind halt gut, wenn's auch mal verkehrt
rauskommt,« sagte er wie seine Frau. Er stand auf und ging zu dieser,
und dann sprachen beide ernst und fröhlich zusammen und sagten zuletzt:
»So soll es sein!« --

Als der Herr Lehrer am andern Morgen die Schule betrat, staunten die
Kinder ihn alle an. Er machte ein so frohes Gesicht, als hätte er sich
flugs etwas mit dem blanken Sonnenschein eingerieben, der ganz Oberheudorf
überstrahlte. Der Herr Lehrer klappte auch nicht wie sonst sein Buch auf
und sagte: »Wir wollen beginnen!« sondern stellte sich vor die Kinder hin
und sah sie prüfend an. »Kinder,« fragte er, »seid ihr wirklich traurig,
wenn ich fortgehe?«

Da blieben alle stumm, und all die blonden und schwarzen Kinderköpfe
senkten sich traurig.

Das Gesicht des Lehrers wurde noch fröhlicher, und er fragte weiter:
»Kinder, soll ich lieber bei euch bleiben? Wollt ihr mich behalten?«

Im Nu hoben sich alle Köpfe empor, blaue und braune Augen blitzten, und
in hellem Jubel erklang es: »Ach ja!«

»Nun gut, dann will ich bleiben,« sagte der Herr Lehrer. »Aus eurem
Ständchen, Buben, ist zwar nichts geworden, es hat mir aber doch gezeigt,
daß ihr mich lieb habt, darum will ich bleiben. Seid ihr zufrieden?«

»Ja, ja,« jauchzten die Kinder, und am allerlautesten schrien die
Buben, sie kamen sich ungeheuer wichtig vor. Sie redeten dann vier
Wochen lang nur von dem Ständchen, und daß es wundervoll geworden
wäre, -- wenn es nur stattgefunden hätte.

Die Bauern zahlten die zerrissene Trommel, und der Herr Lehrer blieb
zur allgemeinen Freude in Oberheudorf. Er ist noch da und wird wohl
auch dableiben, und die Oberheudorfer Buben und Mädel lieben ihn sehr.
Dummheiten machen sie freilich trotzdem, ja, und -- faul sind sie
mitunter auch, und der Herr Lehrer muß trotz aller Liebe oft genug
schelten. Hinterher aber, wenn der Ärger vorbei ist, denkt er dann wohl
an das Ständchen und sagt lächelnd: »Gut sind sie halt doch, wenn's
auch mal verkehrt herauskommt!«

[Illustration: Junge wird aus Trommel befreit]

[Illustration: Dekoration]



Es brennt überall.


Es war am Tage vor Weihnachten. Ganz Oberheudorf roch von einem Ende bis
zum andern nach Weihnachtsstollen und Tannenbäumen, nach Pfefferkuchen und
frisch gescheuerten Stuben. Wenn die Kinder über die Dorfstraße gingen,
dann schnupperten sie wie Mäuschen, wenn sie Speck riechen, und der dicke
Friede sagte: »Es riecht zum hungrig werden!«

Und so festlich weiß war alles! Auf den Dächern und Bäumen, auf den
Gartenzäunen, der Kirchturmspitze, ja selbst auf dem Brunnenschwengel
lag Schnee. Und so viel Schneemänner standen auf der Dorfstraße wie
Schutzmänner in einer großen Stadt. Es war so weihnachtlich weiß
und geheimnisvoll, als wäre Oberheudorf des Herrn Weihnachtsmannes
hochberühmte Residenzstadt. »Es kann wohl nirgends in der Welt schöner
sein,« sagte Traumfriede, der zum erstenmal Weihnachten bei Muhme Lenelis
feierte. Die Kinder träumten nur von Zinnsoldaten, Puppen, Baukasten und
Märchenbüchern, von flimmernden Tannenbäumen und süßen Pfefferkuchen. So
viel Tand und Spielzeug wie die Stadtkinder bekamen die Oberheudorfer
Buben und Mädel zwar nicht zu sehen, geschweige denn beschert, sie waren
aber darum nicht minder glücklich.

Am 23. Dezember sollte wie alljährlich in der Schule eine große
Weihnachtsfeier stattfinden. Der Herr Lehrer wußte die Feier immer
so besonders schön einzurichten, daß der Ruhm der Oberheudorfer
Weihnachtsfeier sogar bis nach Niederheudorf gedrungen war und von
dort immer etliche Leute heraufkamen, um dem Fest beizuwohnen. Die
Oberheudorfer Buben und Mädel waren auch gehörig stolz auf ihre
Weihnachtsfeier, bei der die beiden großen Schulstuben so geschmückt
waren, daß kein Mensch sie mehr für Schulstuben halten konnte. Um vier Uhr
begann die Feier, aber schon um drei Uhr tummelten sich Buben und Mädchen
im höchsten Staat auf der Dorfstraße herum, denn das »Feinmachen« gehörte
zu der Feier, wie der Kuchen zum Festtagskaffee gehört.

Trotz dieser seligen Weihnachtsfreude saß Waldbauers Mariandel am
Nachmittag dieses Tages in der Wohnstube ihres elterlichen Hauses und
weinte herzbrechend. Sie war ganz allein, die Waldbäuerin war mit dem
Festkuchen beim Bäcker, und der Bauer arbeitete im Stall. Mariandel
saß auf einer Bank in der Fensterecke und schluchzte bald laut, bald
leise. Da klopfte es, und gleich darauf öffnete sich die Tür, und der
dicke Friede guckte herein.

»Na, kommst du?« rief er.

»Huhu, huhu!« heulte Mariandel nun wieder ganz laut.

»Warum weinst du denn?« fragte Friede verdutzt. »Bist du hungrig?«

Hinter Friede kam noch jemand ins Zimmer: es war Annchen Amsee. Die
braunen Schelmenaugen blitzten übermütig, der rote Mund lachte, die
Bäckchen waren so rot wie ein roter Gummiball, das ganze Annchen sah
aus wie ein kleiner lustiger, pausbäckiger Weihnachtsengel.

»Sie heult,« sagte der dicke Friede verwirrt und deutete auf das
weinende Mariandel.

»Aber warum denn?« schrie Annchen Amsee erschrocken.

»Huhu, huhuhu!« schluchzte Mariandel, es klang jammervoll.

Da klopfte es wieder an der Tür, und herein kamen Schulzens Jakob und
seine Schwester Röse. Sie riefen schon an der Türe: »Kommt doch nur
schnell, sonst wird es zu spät!«

»Sie heult,« riefen Annchen Amsee und der dicke Friede und deuteten auf
Mariandel, die immer lauter weinte.

»Was fehlt dir denn?« riefen die vier Kinder, und Annchen setzte sich
neben die Freundin auf die Bank und tröstete sie so freundlich, daß
Mariandel endlich sprechen konnte. »Ich -- ich ha--habe ein Loch im
Kleid!« jammerte sie.

»Wo denn?« fragten die andern Kinder mitleidig.

»Zeig doch her!« rief Annchen Amsee. »Vielleicht kann es Muhme Lenelis
stopfen.«

Mariandel schüttelte traurig den Kopf. »Das geht nicht mehr!« Sie stand
auf und zeigte den Freunden ihre Rückseite, und ein vierstimmiger
Schreckensschrei ertönte.

»Das ist ja 'n Loch wie 'n Teller!« schrie Annchen Amsee und schlug die
Hände zusammen.

»Wie haste denn das gemacht?« fragte der dicke Friede und setzte sich
vor lauter Erstaunen und Verwunderung auf einen Stuhl. Da erzählte denn
Mariandel, immer von Schluchzen unterbrochen, wie das Unglück geschehen
sei. Am Ofen hatte sie sich das Kleidchen verbrannt, als sie für den
Vater Kaffee wärmen wollte; beinahe wäre das ganze Mariandel dabei in
Flammen aufgegangen.

»Uh je,« rief Schulzens Jakob entsetzt, »sieh mal nach, vielleicht
brennst du noch!«

»Nein,« sagte Mariandel, »jetzt brenn' ich nicht mehr, aber ich -- ich
hab' doch -- kein -- Kleid -- zur Feier!« Sie brach von neuem in heftiges
Weinen aus, und die andern Kinder sahen sich ratlos an. Kein gutes
Kleid zur Feier zu haben, wo doch die Niederheudorfer dazukamen, das
war schrecklich. Der Waldbauer war kein wohlhabender Mann, und viel
Geld durfte nicht im Hause ausgegeben werden, Mariandel hatte daher
nur ein altes Schulröckchen und ein Sonntagskleidchen. Als die Kleine
daran dachte, wie betrübt die Mutter sein würde, wenn sie das verbrannte
Kleidchen sah, wurde ihr Weinen noch schmerzlicher.

»Ich weiß was!« rief Annchen Amsee freudig. »Du drehst deinen Rock um,
da kommt das Loch nach vorn, und du bindest dir eine Schürze über, dann
sieht es niemand.«

»Das ist fein!« sagte der dicke Friede und sah seine Freundin
bewundernd an.

Mariandel hob das verweinte Gesichtel empor. »Ich kann doch nicht mit
einer Schürze zur Feier gehen, so geht doch niemand!«

Das war wahr. Zur Weihnachtsfeier trugen die Mädel nie Schürzen. Was
war da zu machen?

Annchen Amsee stürzte plötzlich auf Schulzens Röse los und tuschelte
dieser geheimnisvoll etwas ins Ohr. Und Röse nickte und tuschelte
wieder, und nach einem Weilchen sagte Annchen: »Röse und ich binden
auch Schürzen um, dann sind wir drei, und wer uns auslacht, den müssen
die Jungen verhauen, daß ihm das Lachen vergeht.«

»Bravo!« schrien Friede und Jakob begeistert, und Mariandels Gesicht
hellte sich auf, doch nur einen Augenblick; gleich wurde sie wieder
betrübt und klagte: »Ja, aber das Loch bleibt doch!«

»Ach laß nur!« sagte Annchen Amsee. »Muhme Lenelis wird nachher schon
helfen. Spute dich nur! Wir helfen dir. Die Jungen laufen rasch und
holen uns Schürzen.«

Damit erklärten sich die Buben einverstanden, und während Mariandel ihr
Röckchen umdrehte, rasten die beiden davon, um die Schürzen zu holen.
Unterwegs trafen sie Heine Peterle, dem sie die Geschichte erzählten,
und Heine Peterle sagte gleich: »Ich haue mit, wenn einer lacht.«

Die Schürze verdeckte wirklich das tellergroße Loch, und Mariandel ging
ganz vergnügt zwischen Annchen und Röse in die Schule. Friede, Jakob
und Heine Peterle gingen feierlich hinter ihnen her, und jedesmal,
wenn sie jemand begegneten, riefen sie laut: »Fein sehen die Mädel aus
mit den Schürzen!«

In der Schule guckten alle Kinder, als die drei mit ihren weißen Schürzen
daherkamen. Die Frau Lehrer, die am Eingang stand, lobte: »Ei, wie sauber
ihr drei ausseht, das gefällt mir!«

Niemand lachte, so drohend sich auch die Buben umsahen, und diese waren
beinahe ein bißchen ärgerlich darüber. Aber es war doch besser so, denn
eine Weihnachtsfeier und eine Prügelei passen nun einmal nicht zusammen.
Die Kinder vergaßen auch rasch alle streitlustigen Gedanken, als sie
die festlich geschmückten Schulzimmer betraten. Da standen zwei große
Tannenbäume, an denen unzählige Kerzen brannten. Dazwischen war eine
Krippe aufgestellt, und ein rotes Lämpchen erhellte den Stall, in dem
das Jesuskind in der Krippe lag. Jubelhell erklangen die lieben, alten
Weihnachtslieder, und dann gab es auch eine Bescherung.

Jedes Kind erhielt ein kleines Buch oder ein Bild, dazu bekam jedes
noch ein großes, rotes Pfefferkuchenherz. Die Gräfin Dachhausen
schickte alljährlich Bücher, Bilder und Pfefferkuchenherzen für die
Kinder, und die schöne Krippe hatte sie auch einmal geschenkt.

Muhme Lenelis war auch in der Feier gewesen, und gleich nach dem Schluß
liefen Röse, Annchen und Mariandel zu ihr und zeigten ihr das verbrannte
Kleid. Tellergroße Löcher konnte Muhme Lenelis aber nicht stopfen, so gern
sie es auch getan hätte. Sie meinte, da müßte die Bechern, das war die
Dorfschneiderin, ein großes Stück Stoff einsetzen. Die Mädel sahen sich
betrübt an. Die Schneiderin war nicht sehr freundlich zu den Kindern.
Zerrissene Kleider mochte sie gar nicht leiden, und am Tag vor Weihnachten
hatte sie immer so viel zu tun, daß sie sicher erst recht nicht helfen
würde.

»Dann mußt du eben in den Feiertagen immer eine Schürze vorbinden, auch
in der Kirche. Röse und ich binden auch wieder eine um, und die Jungens
müssen aufpassen, daß niemand lacht.«

Mariandel seufzte schwer, aber es half doch nichts, sie dachte nur immer:
»Wenn ich's nur erst der Mutter gesagt hätte!«

Annchen Amsee hatte ein gutes, hilfsbereites Herzchen, und die Freundin
tat ihr leid. Sie stand mit Röse und den drei Buben noch eine Weile auf
der Dorfstraße, und alle fünf überlegten, wie sie helfen könnten.

»Aber jetzt weiß ich was!« sagte der dicke Friede stolz. »Meine Pate in
Niederheudorf ist auch Schneiderin, die macht sicher das Kleid, die sagt
immer ja, wenn ich was haben will.«

»Wir gehen nach Niederheudorf und tragen den Rock hin,« rief Heine Peterle.

»Ganz heimlich,« schrie Schulzens Jakob, und seine Schwester hielt ihm
erschrocken den Mund zu und flüsterte: »Schrei doch nicht so, sonst hört
es jemand!«

»Ja, ganz heimlich, auch Mariandel darf nichts merken,« sagten die andern.

»Ich hol' den Rock,« wisperte Annchen Amsee, »ich weiß, wo er hängt.«

»Dann gehen wir alle zusammen nach Niederheudorf. Uh je, wird das fein!«
jubelte Heine Peterle.

»Wird's nicht 'n bißchen graulich!« fragte Röse ängstlich.

»Alte Furchttrine,« rief ihr Bruder empört. »Wo drei Buben dabei sind,
gibt's nichts zu fürchten.«

Sie steckten alle fünf die Köpfe zusammen und tuschelten, wisperten und
lachten, dann sprangen sie nach Hause, und ihre Augen strahlten so, daß
die Mütter ganz erstaunt fragten: »Was, heute wollt ihr so zeitig ins
Bett gehen? Es sind doch morgen Ferien!«

Aber die fünf Kinder gingen wirklich schon um sieben Uhr in ihre Betten,
eine halbe Stunde später trafen sie sich freilich am Schulzenhof. Niemand
durfte von ihrem Weg wissen; die Heimlichkeit ist nun mal das Schönste
bei Weihnachtsüberraschungen. Und während Mariandel unter heißen Tränen
einschlief, wanderten ihre fünf Freunde schwatzend und vergnügt nach
Niederheudorf. Sehr kalt war es nicht, und da der Mond auf das weiße Land
schien, lag der wohlbekannte Weg klar und hell vor den Kindern. Sie hatten
einen kleinen Schlitten mitgenommen und fuhren einander immer abwechselnd
darin. Sie kamen auf ihrem Weg am Forsthaus Weidmannsheil vorbei, dort
leuchteten zwei helle Fenster in den Winterabend hinein.

»Ich seh' einen Christbaum,« flüsterte Annchen Amsee, als sie vorbeigingen,
und neugierig blieben alle stehen. In der Wohnstube stand die Försterin
und putzte den Baum an, der, wie es in der Gegend Sitte war, von der Decke
herabhing. Leise schwebte er hin und her, und all die glitzernden Sterne,
Kugeln und Ketten, die die Försterin darangehängt hatte, blitzten aus dem
grünen Gezweig heraus.

»Wie schön!« flüsterten die Kinder atemlos und stellten sich auf die
Fußspitzen, um besser sehen zu können. Auf einmal nahm die Försterin die
Lampe und verließ das Zimmer, und der schwebende Tannenbaum entschwand
den Blicken der Kinder. Vergnügt liefen die Buben und Mädel weiter und
plapperten so viel von Weihnachten, daß ihnen die Zeit wie im Fluge
verging und sie in Niederheudorf waren, sie wußten nicht wie.

Friedes Pate, ein altes, freundliches Frauchen, war sehr erstaunt über
den späten Besuch. »Aber Kinder, Kinder,« sagte sie, »wenn eure Eltern
wüßten, daß ihr so bei Nacht herumlauft!«

Die fünf sahen sich verlegen an. »Es ist doch Weihnachten,« sagten sie
kleinlaut, »da darf man doch Heimlichkeiten haben!«

»Na, es kommt darauf an, was für Heimlichkeiten es sind,« sagte die Pate.
Aber sie schalt nicht weiter, sondern holte einen großen Topf Kaffee, der
in der Röhre des grünen Kachelofens stand, schnitt für jedes Kind ein
tüchtiges Stück Festkuchen ab und bewirtete so die unerwarteten Gäste.

Das schmeckte! Die Kinder wurden immer vergnügter, sie lachten und
plapperten so viel, daß die Pate bei sich dachte: »Es ist gerade, als
wäre heute schon Weihnachten bei mir.« Sie hatte das Röckchen angesehen
und versprach, es bis morgen früh zu nähen; so gut sollte es werden,
daß niemand den Schaden mehr sehen sollte.

Es war schon gegen zehn Uhr, als die Kinder endlich aufbrachen. In
Niederheudorf schliefen schon alle Menschen, denn auf dem Lande geht
man zeitig zu Bett. Die alte Frau ermahnte die Kinder noch, so schnell
wie möglich nach Hause zu laufen. »Wartet nur, wenn euch Hans Rumps
erwischt!« drohte sie. Doch vor dem hatten die Buben und Mädel keine
Angst. Selbst Röse war nicht ein bißchen graulich mehr, und vergnügt
trollten die fünf von dannen.

Als sie aus Niederheudorf hinaus waren, sangen sie mit hellen Stimmen: »O
du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!« Wieder, wie
auf dem Hinweg, kamen sie am Forsthaus vorbei, das am Waldrande lag. Wie
eine dunkle, hohe Mauer lag der Wald hinter dem Hause, und vor dem Walde
dehnten sich weit die verschneiten Felder.

Plötzlich blieb Röse stehen und faßte Annchen Amsee an der Hand. »Da,
dort oben,« flüsterte sie angstvoll, »was ist denn das?«

Unwillkürlich waren alle Kinder stehen geblieben und sahen nach dem
Forsthaus, auf das Röse zeigte.

Die Fenster waren nicht mehr hell, alles war dunkel und still. Über dem
Hause aber stand gegen den hellen Nachthimmel eine schwere, schwarze
Wolke, und aus dieser Wolke stieg kerzengerade eine kleine Flamme zum
Himmel empor.

Die Kinder standen wie erstarrt. Und die Flamme wuchs und wurde
zusehends breiter.

»Es brennt!« rief Annchen Amsee zitternd. Keines der Kinder wagte sich
zu rühren, wie gebannt sahen sie auf die züngelnde Flamme über dem Haus.

Der dicke Friede, der nie leicht die Fassung verlor, war der erste, der
zu sich kam. »Wir müssen es sagen,« schrie er und rannte nach dem Hause
hin.

Da kam auch Leben in die andern Kinder. Schreiend stürzten sie auf das
Haus zu, und fünf Paar kleine Fäuste donnerten an die verschlossene
Tür, und gellend drang der Ruf: »Feuer, Feuer!« in die Nacht hinaus.

Der Förster erwachte zuerst von dem Ruf. Er sprang aus dem Bett und
öffnete die Türe seines Schlafzimmers. Ein scharfer Brandgeruch drang
ihm entgegen, und von draußen tönten immer gellender die Schreie der
Kinder: »Feuer, Feuer!«

In wenigen Minuten waren alle im Hause wach.

»Erst die Kinder retten!« rief der Förster, und seine Frau und er trugen
die blonden, rosigen Kinder, die gerade so schön von Weihnachten träumten,
samt den Betten ins Freie.

»Jemand muß ins Dorf laufen und Hilfe holen,« rief der Jägerbursche.

»Mädel, lauft ihr,« sagte Schulzens Jakob wichtig, »wir Buben helfen
hier.«

Und Annchen und Röse liefen auch wirklich. Sie rannten den einsamen Weg
entlang und dachten gar nicht daran sich zu fürchten. Nicht lange dauerte
es, da klang durch Oberheudorf ihr angstvoller Ruf: »Feuer, Feuer!« Hans
Rumps, der gerade in einem Holzstall ein kleines Schläfchen machte, wurde
zuerst munter. Er tutete in sein Horn und schrie dazwischen immer: »Wo
brennt es denn nur? Ich sehe ja nichts!«

Die Dorfbewohner wurden munter, und bald rasselten die Spritze und einige
Wagen dem Forsthause zu.

»Ja zum Donnerwetter, Mädel, wo kommst du denn her?« fragte der Schulze,
als er seine Röse erblickte, erstaunt.

»Ich erzähl's gleich,« erwiderte Röse und kletterte mit Annchen zu ihrem
Vater auf den Wagen, und unterwegs erzählten ihm die beiden Mädel alles.

Das Forsthaus brannte vollständig nieder. Die Förstersleute aber hatten
noch ihre Kinder und die meiste Habe in Sicherheit bringen können. Da
das Haus selbst baufällig war und dem reichen Grafen Dachhausen gehörte,
war es nicht so schlimm, daß es niedergebrannt war. Die Oberheudorfer
fuhren die Obdachlosen ins Dorf. Der Schulze riet, die Förstersfamilie
im Schulhaus einzuquartieren; da Ferien seien, könnten sie vorläufig mit
allen ihren Sachen in den Schulzimmern wohnen.

Da fanden sich denn rasch hilfsbereite Hände. Jeder faßte an und half,
und als der Morgen des Weihnachtstages heraufdämmerte, war aus den
Schulzimmern eine gemütliche Wohnung geworden, und die Förstersleute
sprachen ein stilles Dankgebet, daß alles so gut geendet hatte.

Froh und stolz zugleich waren die fünf Buben und Mädel. Jeder sagte es,
daß es gut gewesen sei, daß die fünf gerade am Forsthaus vorbeigekommen,
sonst wären vielleicht alle Bewohner des Hauses verbrannt.

»Und brav und verständig sind sie gewesen, die Kinder,« lobte der Schulze,
und das fanden auch die andern Leute.

Und Mariandels Röckchen wurde fertig; so fein sah es aus wie nie zuvor. Mit
lauter Samtstreifen hatte es die gute Pate besetzt, ordentlich eine Pracht
war es.

Es war ein frohes Weihnachtsfest. Jubelnd hell klangen am heiligen Abend
die seligen Kinderstimmen in die stille Winternacht hinaus, heller denn je
brannten die Weihnachtsbäume, und die Kinder waren zum Purzelbaumschlagen
vergnügt.

Traumfriede saß neben Muhme Lenelis am warmen Ofen und sah auf den leise
schwingenden Tannenbaum, an dem die Lichter langsam verglühten. Fest
schmiegte sich der Bube an die Muhme und sagte mit strahlenden Augen:
»Schöner als in Oberheudorf kann es doch nirgends sein!«

[Illustration: Szene am Tannenbaum]



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Das Format der Abbildungsunterschriften wurde vereinheitlicht.

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

Beibehalten wurde:

Einige Ausdrücke wurden in beiden Schreibweisen übernommen:

Dankrede (Seite 139) und Dankesrede (Seite 139)

drauf (Seiten 47 und 70) und darauf (15fach verschiedene Seiten)

Himmelbett (Seite 151) und Himmelbette (Seite 147)

Kasperletheater (Seite 109) und Kasperle-Theater (Seite 114)

Maientag (Seite 145) und Maitag (Seite 190)

Uf (Seite 17) und Uff (Seiten 112 und 165)

vor dem Schulhaus (Seiten 5 und 34) und vor dem Schulhause (Seite 30)

Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert:

  geändert wurde "eine 5 hat 's Haus, soviel"
              in "eine 5 hat's Haus, soviel"
             (Seite 10)

  geändert wurde "»Aber kommt doch nur! Komm, Blauer! Komm Dicker!«"
              in "»Aber kommt doch nur! Komm, Blauer! Komm, Dicker!«"
             (Seite 41)

  geändert wurde "kamen nur stoßweiße unter"
              in "kamen nur stoßweise unter"
             (Seite 56)

  geändert wurde "mit der kaputen Feder aber"
              in "mit der kaputten Feder aber"
             (Seite 110)

  geändert wurde "»Schlampampes Geschwister hatten alle"
              in "Schlampampes Geschwister hatten alle"
             (Seite 145)

  geändert wurde "in dem sich Fischkasten befanden, in"
              in "in dem sich Fischkästen befanden, in"
             (Seite 163)

  geändert wurde "zu tönen. Uber ganz Oberheudorf"
              in "zu tönen. Über ganz Oberheudorf"
             (Seite 177)

  geändert wurde "Friedrikes Abenteuer."
              in "Friederikes Abenteuer."
             (Seite 188)

  geändert wurde "wo es herkam, konnnte niemand recht"
              in "wo es herkam, konnte niemand recht"
             (Seite 208)

  geändert wurde "Getöse, als sollten die Scheunemauern umgeblasen"
              in "Getöse, als sollten die Scheunenmauern umgeblasen"
             (Seite 210)





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten - Sechszehn heitere Erzählungen" ***

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