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Title: Das Bücher-Dekameron - Eine Zehn-Nächte-Tour durch die europäische Gesellschaft und Literatur
Author: Edschmid, Kasimir
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Das Bücher-Dekameron - Eine Zehn-Nächte-Tour durch die europäische Gesellschaft und Literatur" ***


                          KASIMIR EDSCHMID:



                                 DAS
                               BÜCHER-
                              DEKAMERON


                                 Eine
                           Zehn-Nächte-Tour
           durch die europäische Gesellschaft und Literatur

                            Zweite Auflage

                   ERICH REISS VERLAG / BERLIN 1923

                Geschrieben im Juli und halben August
                    Neunzehnhundertzweiundzwanzig

                 Copyright by Erich Reiß Verlag 1922



                                INHALT


                           Erster Vormittag
                             DEUTSCHLAND
                               SEITE 9

                           Die erste Nacht
                               DEUTSCHE
                               SEITE 41

                           Die zweite Nacht
   FILM · THEATER · SCHAUSPIELER · REGISSEURE · ESSAYISTEN · LEBENDIGE
                               SEITE 69

                           Die dritte Nacht
              BIBLIOTHEK (ABER DAS LEBEN IST HERRLICHER)
                               SEITE 95

                           Die vierte Nacht
                                SATIRE
                              SEITE 121

                           Die fünfte Nacht
                        KUNST UND GESELLSCHAFT
                              SEITE 145

                          Die sechste Nacht
                        POLITISCHE DICHTUNG??
                              SEITE 185

                          Die siebente Nacht
                             NEUE SCHULEN
                              SEITE 227

                           Die achte Nacht
                              DIE ANDERN
                              SEITE 251

                           Die neunte Nacht
                             UND EUROPA??
                              SEITE 267

                           Die zehnte Nacht
                              MIJNHEER!
                              SEITE 297

                          Letzter Vormittag
                             GELASSENHEIT
                              SEITE 301



Erster Vormittag


Mijnheer, wir sind eingeschneit.

Von den Spießhörnern bis zur Todtnauer Hütte jagt der Schneesturm schon
den dritten Tag. Das Zastler Loch ist verhüllt und um Herzogenhorn ballt
sich die Schneeflut zu neuem Angriff. Zum Bärental häuft sich der Schnee
schon wie Meer. Als ich zuletzt Sie traf in ähnlicher Lage, war es am
Brenner, Sie kamen mit Wolken Schnee auf breiten Eschenbrettern herauf,
ich schnallte die Hickorys, um in die Schweiz zu fahren, und die schon
fast italienische Sonne glühte über Tirol das Gebirge zu Metall.

An diesem Tag zog D'Annunzio mit seinen Freischaren nach Fiume, heut
empfängt er den russischen Volksbeauftragten Tschitscherin. Was ich an
dem blitzkurzen Tag Ihnen damals sagte, steht in der »Doppelköpfigen
Nymphe«. Was macht es, solange meine Landsleute sich mit seinem Ja und
Nein nicht lernend auseinandersetzen? Habe ich recht behalten oder
nicht? Wie hat in der Zwischenzeit das Karussell der Zeit sich
umgedreht!

Finden Sie Boden in diesem Mosaik, das mit Pferden und Menschen und
Schreien um die eigne Achse sich ohne Pause dreht? Damals schoß man in
Haufen auf den Straßen um Weltanschauungen. Heute doziert in Offenburg,
während die Witwe geladen ist, der Staatsanwalt an Erzbergers
präpariertem Schädel den Bauern-Geschworenen mit dem Bleistift die
Einschußrichtungen seiner Mörder. In den Festungen sitzen nach dem
Proletarischen hin ausgeschwärmte Dichter. Feldherren des Kaisers nehmen
Paraden ab über die Truppen der Republik. Auf dem Rhein flitzen
belgische Kanonenboote, auf keinem der Dampfer zwischen Mainz und Bingen
sehen Sie die Farbe Schwarz-Rot-Gold. Die Bäder der deutschen
Ostsee-Küste sind zwischen den Strandkorbburgen millionenhaft mit den
Fahnen des Kaiserreichs beflaggt. Der erste deutsche Botschafter in
Amerika übergibt seine Beglaubigung im Namen von »The German Empire«,
und man antwortet ihm in Washington, er meine wohl seine Republik. In
Bayern ist in Sturmtrupps die Bauernschaft blockiert: vivat Rupertus
Rex. Der Reichspräsident, der München besucht, erhält feierlich am
Bahnhof unter Gepfiff eine rote Badehose gereicht.

Sie interessieren sich nicht für Politik?

Ich auch nicht.

Es ist unsere Zeit aber Mijnheer. Das ist der Boden, den wir treten, das
sind die Wolken, unter denen wir atmen. Wo schieben sich ähnlich
knisternd Begriffe und Revolten und erlauchte Traditionen durcheinander!

Zwei Stunden nördlich übers Gebirge, in Baden-Baden, endigte früher die
bevorzugte Schnellzugslinie von Paris. Hier fuhr als Dauphin Eduard der
Siebente in Hemdsärmeln vierspännig den Blumenkorso über die
Lichtenthaler Allee, führte Prinz Hamilton am blauen Band ein Schwein
als Wette durch den Kurgarten, sauste der britische Hoftroß mit
Bettlaken nachts in Droschken zum alten Schloß, Gespenster für harmlose
Passanten zu spielen. Die Fürstin Gagarin telegraphierte aus Syrakus an
ihr Palais Stourdza, um ihre Ankunft zu melden: »Préparez trois
cotelettes pour les chiens«, hier wurde den Gazellen des siamesischen
Sultans jeden Morgen in einem Springbrunnen ein Bad fin champagne
gerüstet, wurde dem jungen Portugiesenprätendenten eine Straße gebaut,
um zwei Gärten zu vereinen. Hier, wo Liane von Pouchi tanzend ihre
Triumphe feierte, beginnt einige Jahre nach Krieg und Revolte unbedrückt
vor Angst, daß niedere Klassen mit Schüssen und Raub darauf antworten,
unter jahrhundertalten Bäumen das Leben wieder feierlich und reich zu
spielen.

Die bengalischen Feuer schmeicheln dem sanften Anfang der dunklen Höhen,
und unter den Schatten der Bosketts gleiten die Lampions mit den
wohligen Seufzern der Menschen zusammen zum immer festlich bereiten
Nachthimmel. Die Blüte aller Bäume von Flieder bis Magnolien und von den
feierlichen Kastanien bis zu den wilden Rosen und Geisblatthecken wird
dieses Jahr zusammenfallen, und die von den Fontänen besprühten
siebenfarbenen Rhododendronbüsche werden vor der Spiegelfassade des
Hotel Stefanie mit unbekannter unterdrückter Leidenschaft blühen.

Ein Geschlecht von wenigen bevorzugten und finanzierten Deutschen, aber
Hollands und Amerikas Kleinbürgerschaft wird die wundervolle Burg des
großen Lebens in Besitz nehmen, indem es sich das Vorrecht der früheren
Jahrhunderte mit einem Geld, das mit Hundertzwanzig bis Zweitausend usw.
die Mark kauft, sichert. Guizots Rat: »Enrichissez-vous!« hat nach jeder
Revolte und jedem endlosen Krieg sein Publikum verstanden, eine neue
Schicht, die nach Leben und Wirkung mit allen Zähnen bleckt, ist aus der
Tiefe aufgehoben worden und hat von der Oberfläche die seitherigen
Gebieter ablaufen lassen. Aber Gambettas Beispiel, der die
Subskriptionsbälle für die neue Gesellschaft seines Landes schuf und
Salons aus der Erde zauberte, indem er flüsterte: »La république manque
de femmes«, Gambettas Beispiel hat keine Nachfolge gefunden. Die Elite
des deutschen Volkes und seine Gesellschaft grollt unversöhnlich, ja
vernichtend der Republik, deren Vorsteher nicht die Weltmännischkeit
besaßen, diese Masse an sich heranzuziehen. Ich habe an kaum einem
_sichtbaren_ bürgerlichen Ort einen Republikaner gefunden, ich kenne
keinen Republikaner außerhalb des Klüngels der Politiker und Schreiber.
Ja sogar der befreundete Leiter einer Sternwarte, der behauptet, mit
einem Überguß Schwefelsäure auf seiner äußersten Linse das politische
Bewußtsein seiner Opfer gespiegelt zu sehen, versicherte betrübt und
gelangweilt, seit Monaten sehe er in Flugzeugen und Autos und Äckern nur
die Farben der Vorkriegszeit.

Man mußte den manischen Alten, der vor Sucht nach einem Republikaner
verging, wegen Farbenblindheit einer Heilanstalt zuführen, die Sehnsucht
nach der Republik hatte ihm seinen Beruf und seine wissenschaftliche
Carriere gekostet. Kein Bankier kaum ansonst, kein Industrieller, der
auf die neue Flagge schwört und höchstens einige Juden, die verschämt
über die Thora mit ihr kokettieren. Selbst die Direktoren demokratischer
Industrieregenten wagen in Ruhrort und Recklinghausen und Duisburg
nicht, durch das gleiche Bekenntnis wie ihr Zar dem gesellschaftlichen
Terror zu widerstehen. Denn Gesellschaft heißt in Deutschland nicht wie
in anderen Ländern: durch die Jahrhunderte in einem Rassebewußtsein zu
gewissen Neigungen und Bewegungen filtriert sein, sondern heißt jene
Clique, die vor dem Krieg zufällig verdiente, adlig war und die Ämter
beherrschte. Die schwört heute auf die Reaktion. Die arbeitende Klasse
kämpft, schon in der Verteidigung wieder, um den Achtstundentag. Die
großen Auseinandersetzungen werden noch kommen.

Auf dieser Atempause der Geschichte, auf einem gläsernen Regenbogen
steht die Republik.

Eine Generation junger frecher und halb hilfloser Leute mit sehr roten
Handschuhen und hellen Koffern aus Leder hat zwischen Franc und Dollar
die Plätze der Eisenbahnen belegt. In Innsbruck sahen wir, von den
Ötztaler Alpen vor drei Wochen heruntersteigend, den Adel Tirols aus den
Schlössern zusammenströmen und ihre Komtessen tanzen in den Kostümen der
Mode von vor fünfzehn Jahren, da ihr Geld die neue nicht mehr kauft,
aber mit phantastischem Familienschmuck, den sie nicht veräußern, noch
exklusiver wie früher, und einen gewissen tötlichen Stolz in den
zwanzigjährigen Gesichtern. Das ist Deutschland.

Bald haben alle Fürsten und Feldherrn ihre Memoiren herausgegeben und
alle schieben die Schuld auf den andern genau wie, als die Franzosen den
vorletzten Krieg verloren, Ollivier, Benedetti, Leboeuf, Wimpfen sich
die Niederlage an die Köpfe warfen, bis man in dem Spitzbart Bazaine den
Prügeljungen entdeckte. Für unser Schrifttum ist der Haufen Papier ein
verwegenes Nichts, für die Erinnerungsliteratur keine Bereicherung des
Stolzes, der letzte große Memoirenschreiber der Deutschen aber, der
pfaueneitle jedoch illustre Fürst von Muskau hätte mit einer
Handbewegung diesen Hahnenkampf seiner Kaste abgelehnt: »Quelle blague.«
Ich traf im Sommer auf einem Bodenseedampfer einen früheren russischen
Attaché, der Schweine für die deutsche Regierung in Belgrad gekauft
hatte, der riet, zur Südsee auszuwandern mit einem Harem von Frauen und
schönen Tieren, und fünfzigjährig in das dann befriedete Europa
zurückzukehren wie Apoll, der bei Winterbeginn zu den Hyperboräern jagt,
um erst wieder, von Päanen gerufen, im Frühling zum silbernen Kephissos
und seiner geliebten Quelle Kastalia im Schwanenwagen zurückzukehren.

Den Russen langweilten die Zuckungen, mit denen die Erde Europas sich
langsam wieder in ein festes Bett zurückstemmt und er wußte, daß nicht
die Spur nachzuhelfen sei mit Kongressen, Parlamenten und Paraden des
Geschwätzes, und daß elementare Gewitter nicht durch Beschwörungen der
Regenmacher sondern nur durch elementare Ausströmungen langsam sich
sänfteten.

Ich bin, obwohl ich abenteuerlustig las, in Mozambique bei Beira hätten
Kaffern endlich die Seeschlange angeschwemmt gefunden, und obgleich Sir
William Loyd Davkins in »Manchester Guardian« hinzufügt, ihre Köpfe
seien groß wie die Leuchtfeuer von Makuti gewesen und die Kaffern hätten
zwölf Tage lang an der gelben Gallerte fressend gelegen . . . . . . ich
bin, obwohl alle Himmel der Fremde und alle noch nicht genossene
Seligkeit der Erde mit beispiellosen Kontinenten, Mondgebirgen und
barbarisch dunklen Meeren dahinter locken . . . . ich bin für Bleiben.

Die Luft unserer Jugend ist elektrisch wie die Cinnas und Hannibals und
des dritten Otto und jenes vierten Heinrich, der einer der schlausten
Anwälte der Deutschen war, aber sie ist auch noch schicksalgesättigter
in ihrer zuckenden Röte als die des großen Korsen. Die Ausschweifungen
der noblen Jugend, die Reisen ins Tropische unserer Leidenschaft sind
uns verdorben. Die Sommernachtsfahnen der Freude haben unter anderen
Sternen anderen Generationen geflaggt. Es gibt nur _eine_ Haltung des
Anstandes, in den Krisenfeuern, in denen Europa sich anschickt einen
neuen Stern zu gebären oder zu krepieren, mitten im Land und unter
seinen Leuten zu stehen, ihnen zu helfen zur Lösung oder zu neuem Kurs
sie zu überreden, oder wie auf einem Schiff mit ihnen zu ersaufen
. . . . und sei es auch nur, den hoffnungslosen Kampf mit der Politik zu
sehen, den diese Menschen, die Andersdenkende ruhig (wie zur Zeit, wo
Mord bei den Germanen noch reine Privatsache der betreffenden Familien
war) erschießen aber die Pferde innig lieben, die oft roh sind wie
Tataren aber gütig und sentimental wie die Engel, die manchmal wie jener
Thomas Münzer, der sich mit dem Schwert Gideonis unterzeichnete,
unflätig in den Gesten aber in den Herzen voll dunkel flackernder
Begeisterung sind . . . . . . sei es auch nur dem hoffnungslosen Kampf
dafür unbegabter aber herrlicher Menschen mit der Politik in einer
mitleidlosen Zeit beizuwohnen.

Diese Deutschen!

Man muß hinter Düsseldorf am Rhein gelegen sein, um die Größe dieses
Landes mit dem stillen Verströmen des Flusses zu spüren. Man muß
zwischen Bingen und Sankt Goar seine Romantik fliegen gesehen haben voll
jahrhundertblauer Gewalt. Wie haben die Spessartwälder gedröhnt von der
Musik ihrer donnernden Wölbung. Wie haben die bayrischen Seen unter der
Pranke des Herbstmonds mit aufschießenden Nebeln gebuhlt und die
Morgenberge mit wilder Idylle gespiegelt. Wie hat der sommerliche
Schwarzwald vor Behagen aus allen samtenen Fichtenhängen geraucht und
die Nacht noch sanfter an den glatten Muskeln des Vogesenbruders in den
Rheingau fallen sehen. Wie hat der Odenwald von Sagen an allen Quellen
aufgezittert und wie reif sind über der Mosel die Sonnensegnungen
gelegen.

Wie haben die Sturmfluten die Nordseehäfen überdeckt, während der Mond
bleirote Lähmung gespenstisch darüber flutete, daß die Molen verzaubert
von soviel Glanz reglos von den Raubwellen zerrissen wurden -- und mit
welchem Jubel haben wir als Jünglinge die tänzerische Grazie Bayreuths
und die Stierwucht von Bamberg und die Rothenburger Silhouette vor den
Abendhimmeln des Sommers empfunden. Die Parke unserer Kindheit waren
voll von Tritonen und Bächen und flötentragenden Göttern der Büsche und
Wälder und den stampfenden Pferden besinnungslosen Glücks auch im
dunklen Erschauern der Zukunft.

Wie hat Friesland uns später mit schwarzen Bauerngütern in fetter Erde
unter seinen Herden gebebt, wie haben die Ostseeleuchttürme den
Dreimastern und Hochseebooten herzbange Grüße durch die Jasminnacht
geworfen, wie haben die Züge gejauchzt, als die süddeutschen Erntefelder
sie mit beispielloser Goldfülle verschlangen. Wie hat der Wein des Elsaß
sich zur Melancholie der Eifel in unseren Knabenfahrten herrlich
gesellt, und mit welchen Farben haben die mecklenburgischen Teiche sich
noch an den grauen Himmel pommerscher Riesengüter gemalt, wenn die
Wildgänse darüber flogen.

Wie hat das ganze Land sich gereckt wie ein Weib, bis es die Schönheit
erreichte und bis aus jeder Falte ihrer Erde der Duft der Anmut und der
Vollendung in solcher Musik stieg, daß wir vor Liebe und Demut die
Sünden und Fehler der Bewohner fast vergaßen. Die Luft unserer Jugend
ist stürmisch wie die des Cinna und Hannibal, aber, unverrückbar, die
Seen und Wälder und Berge unserer Leidenschaft und unserer Heimat sind
von erhabenem Gleichmut der Schönheit.

Welche Zeiten!

Gleichsam auf einer zweiten unsichtbaren Ebene darüber aber steht wie
ein zitternder Kessel zwischen den Manometern und Fieberkursen der
Valuten »The German Empire«, so, als sei zwischen den Zustand seiner
Fluren und den eines möglichen Glückes die heutige Misere wie ein
verlegener Alpdruck hineingeschmettert und als seien die Geister, die um
diesen Zustand irrten, vor Verzweiflung fast schon bereit sich selbst zu
verhöhnen und auch der letzten Entschlußkraft beraubt. Ich fürchte, gäbe
es in der Politik einen Eros und Stufungen der Geschlechter wie bei den
Lebewesen, man würde »The German Empire«, das weder wagt mit dem Glanz
der Senatoren von Catos Strenge bis zu Clemenceaus Unerbittlichkeit eine
Republik zu sein, noch sich für ein wahrlich neues Kaiserreich zu
entscheiden, zu den Zwischenstufen zählen, denen zwar viel Nüancen aber
keine eindeutigen Himmelfahrten erlaubt sind.

Aber der Haß auf ihre Gegenwart hat nie vermocht, die Liebe zu ihr zu
unterdrücken, und die besten Augen des Landes sind unbeirrbar auf jede
ihrer Bewegungen gerichtet. Denn man liebt nur, wo man helfen will und
man ist voll Zärtlichkeit nur da, wo man zu verzweifeln begonnen hat.

Im Kreis darum aber laufen die Ringe unerbittlich weiter, die die Mörder
mit den Heiligen und die Tüchtigen mit den Träumenden durcheinander
werfen. Ein Tropf, der nicht sein Schicksal zu korrigieren sucht, wo
Kunst und Wahrheit nie so isoliert (aber kaum je von den Wenigen
geliebter) in der Welt standen. Wer vermag festen Grund zu sehen, wo
alle Maßstäbe aufhören, wo das Natürlichste: gut zu speisen und
innerhalb Deutschland zu reisen, schon ungewöhnlicher Luxus dünkt und
das Leben der mittleren Schichten (ohne daß sie es merken, weil sie ihr
früheres Glück in soviel Fatalität vergaßen) eine Versuchung ist mit
Gott zu hadern. Die apartesten Gegensätze durchdringen sich mit einer
gewissen Heiterkeit, und jede Handlung wird mit auffälligem Ernst von
einer Gegenhandlung begleitet, deren Gesicht die Grimasse des
Widerspruchs trägt.

Vermuten Sie, daß am Tag, als Max Hölz mit Kommunisten und Räubern das
Vogtland unterjochte, ein eigens gebautes Segelboot mit dreiundzwanzig
deutschen Künstlern aufbrechen sollte, die Welt zu umreisen zum größeren
Ruhm des Geistes? Ach Sie vermuten nicht, daß am gleichen Vormittag, als
diejenigen Deutschen, die gerne mit endlichem und praktischem Erfolg die
Welt befrieden möchten, zu einer großen Konferenz zusammentraten, in der
anderen Ecke dieses Landes die männlichen Mitglieder einer Junkerfamilie
zum Spaß mit Schrotgewehren auf alle vorbeifahrenden Automobilisten
schossen. Täglich beobachtet man, daß führende Generäle der Kriegszeiten
plötzlich ausgerechnet die Agenturen der Lebensversicherungen
übernehmen, daß Juden mit einem Male führende Sportleute werden, daß
korrekte Assessoren Autofabriken gründen, daß die Bohèmes der
Literaturkaffees plötzlich infolge der Beschäftigung mit
Wohnungsschiebung liebenswürdige Cavaliere werden mit einem Anflug
sicherer Beleibtheit, die den Frieden mit Gott, Welt und Satan immer
voraussetzt.

Sehen Sie die Wirtschaft gigantisch wachsen, die von der Kohle über die
Erze, die Hochöfen, die Walzwerke, die Maschinenfabriken, über den
Vertrieb der Erzeugnisse, über die Schiffahrtslinien eine ungeahnte neue
Konzentration herstellt und, fast schon mächtiger als der Staat, beinahe
alles erzwingen aber alles verhindern kann, während vor sechs Jahren man
glaubte, sie sei in der Hochkurve? Vermutlich wird sich das technische
Zeitalter noch zu einer mythischen Größe recken, Dampfer von ungeheuren
Maßstäben und tausendfacher Kraft werden durch Motore gelenkt werden,
daß sie wie die Delphine im kleinen Kreise tanzen, und die Luft wird
derart bezwungen scheinen, daß die Menschen, knapp an die Grenze der
großen Weltgeheimnisse wirklich kommend, erst im letzten Augenblick, und
nicht ohne Größe, gestürzt werden.

Aber heute gastieren im Schatten dieses Wachstums noch die vielen
Schauspieler der Verwirrung und ich vergesse nicht, wie es entrüstete
und amüsierte, als auf dem Concours hippique in Kissingen im Frühjahr
nur der Stallmeister der luxemburgischen Großherzogin im grauen
Seidenzylinder erschien und dann ein Kinobesitzer und nicht Graf Görtz
die Sache machte. Man glaubte, das Apokalyptische käme hernieder und die
germanische Midgardschlange lasse die Erde aus ihrer Umklammerung
fallen. Die Oberfläche der Zersetzung schwankte ein wenig und man sah
die gesamten Akteure der Zeit mit einem Male, wie sie über die Hürden
und Koppelricks herauf und herunterjagten, als welle sich die Erde unter
ihnen.

Europa ist heute ein großer Faschingsball mit schönen Debardeurs und
anderen maskierten Gestalten und dem fallen die Triumphe zu, der die
kühnsten Griffe und die besten Lenden aufweist. Man demaskiert erst in
einer späteren Zeit. Ich habe daran denken müssen heute Nacht, als ich
hörte, man habe den großen Ahnen aller Abenteurer des Geistes und Lebens
zurückgerufen, indem man das Grab des Marquis von Seintgalt in
Dux in Böhmen gefunden. Es war nur ein Zufall, der es beim
Legen von Wasserrohren wieder in die Welt spielte, auf dem
Grabstein stand mit einer gewissen schlichten Haltung: »Casanova
Siebzehnhundertneunundneunzig.« Im gleichen Jahre wurden der Baron
Balzac und der Jude Heinrich Heine geboren, die die gleichen
Umschichtungen des Lebens in Frankreich in ihren Büchern damals schon
schilderten und mit Kunst einen gewissen Schlußstrich setzten unter die
letzte große Kurve einer Zeit, die der kluge und genießende Casanova im
Leben noch einmal unerhört gespiegelt hat: den Glanz und die
spielerische Abenteuerlichkeit der Welt . . . ., eh sich die Wagschalen
des Daseins in die tragischen Entscheidungen von heute stellten.

Man hat nunmehr gelernt nüchtern zu werden, selbst in der erregtesten
Zeit, teilt Arbeit und Leben und berechnet selbst seine Zufälle. Wir
sind eingeschneit, Mijnheer. Ihr großes Gepäck ist nicht transportabel,
der Schneepflug braucht drei Stunden für hundert Meter Weg. Die Dame,
die Sie erwarten, kann nicht herauf, es sei denn, sie flöge. Von
Stübenwasen bis Gisiböden steht der Schneesturm und wirft Sie über den
Kamm, sobald Sie ihn betreten. Versuchten Sie ohne Gepäck ins Tal zu
kommen auf Skiern, ist Ihnen nur der Weg der Waldflächen offen, wo der
Schnee sich nicht so hoch gesetzt hat, aber schon an den ersten Matten
ersaufen Sie im Schnee trotz Ihrer Bretter wie eine Maus.

Wir sitzen fest. Am Tage ists manchmal möglich, vielleicht sich in die
Latschen zu schlagen oder Sprunghügel zu bauen, vielleicht geht die
Sonne auf und drückt die Schneeflut zusammen, man hat Möglichkeiten und
man rechnet mit ihnen. Völlig abmarschieren kann man aber erst, wenn der
Sturm gefallen ist, jedoch der Meteorologe versichert, er stehe zehn
Tage über dem Gebirg. Das war noch nie, und solche Kaskade von Weiß warf
der deutsche Himmel seit meiner Geburt noch nie über Baden. Man muß
resignieren und eine Beschäftigung suchen, die wir leicht von selbst
gehabt hätten, wäre es uns nicht eingefallen, die braun brennende Sonne
des Arlberg mit der schwarzen des Schwarzwalds noch zu vertauschen. In
St. Anton wäre der Sirocco uns zu Hilfe geeilt und hätte die Wolken nach
Norden geschmissen, die hier von allen Schwarzwaldbergen sich heben und
wie Rabenchöre um den Feldberg kreisen. Schon Lukian hat die Reiselust
verspottet, nun sind wir die Opfer. Es gibt nichts, was einem
unabhängigen Gentleman unerträglich werden könne? Beweisen wir es.

Als im Jahre Dreizehnhundertachtundvierzig sich unter Pampineas Führung
die sieben Frauen Boccacces mit den drei Liebhabern vor der Pest aus
Florenz flüchteten, lag es nahe, daß sie dem Gespenst nur die Anmut von
Vergnügungen entgegenhielten, die ihre Zeit ihnen bot. Es war ihre
einzige Waffe. Um sie blühte die Zeit, große Männer und erfüllte Epochen
umstanden ihre Welt und es gab nur die Möglichkeit, mit Grazie und
gepflegtester Sinnlichkeit dem barbarischen Tod gegenüber sich
verächtlich zu zeigen.

Wir haben hier kein Schloß, Mijnheer, mit Dienerinnen, wir haben keine
Frauen, was ich sah seit der Ankunft ist nicht erregend und unsere
Freundinnen, mit denen wir vertraut sind, sind von uns getrennt. Wir
verstehen die Einfalt jener Menschen des Dekameron nicht mehr, die bei
Dambrettspiel in den Gärten mit Anrufung Gottes pikante Geschichten
erzählten, daß vor der Anmut ihrer lorbeergeschmückten Königin selbst
das Schicksal zurückrauschte. Wir sind nicht Kinder einer erlesenen
Epoche, sondern Freibeuter eines Zusammenbruchs. Wir haben die Pest
nicht draußen und die runde und vollendete Welt im Herzen, sondern um
uns kracht die nüchterne Phantastik unseres Säkulums und wir haben
nichts in der Brust als die Kühnheit es doch zu lieben.

Boccacces Jahrhundert hatte die Pflicht zu genießen, was bleibt einem
Gentleman anderes heute, als die Freiheit, sich mit seiner Zeit in
Ordnung zu bringen. Man kann das auch bei Cocktails aus Milch, Ei, Gin,
Whisky und Worchestersauce, und wenn der Tag dem Leben reserviert
bleibt, haben die Nächte Raum für eine europäische Diskussion. Was kann
einen Holländer, dessen Land neutral blieb, dessen Literatur ihn nicht
interessiert, der die Musen liebt und Horaz in einer seltenen Ausgabe im
Koffer mitführt (wie Casanova selbst in die intimsten Situationen), was
kann einen holländischen Edelmann mehr reizen, als zu sehen, wie die
Zeit sich in den wichtigsten Literaturen spiegelt, denn in nichts
erkennt man, wie Flaubert in seiner Einsamkeit schon verspürte, den
Menschen und die Nation so sehr wie im Buch.

Auch den Boccacce hat seine Zeit, weil er ein Ausschweifender und
gleichzeitig ein frommer Mann war, mitten in die Kirche seiner
Vaterstadt beigesetzt, weil die Zeit in ihm ihre Vorzüge und
Eigenschaften am besten erkannte. Und doch hat seine Stimme die Wollust
wie kein anderer zierlich bis in das Herz der Frömmigkeit getragen, aber
es war die Sprache eines Dichters, und seine Sprache kam aus der des
Apulejus und des Lukian und sang sich weiter bis zu dem roten Hymnus des
d'Annunzio. Welche Vergangenheit einer Sprache! Ja, Mijnheer, man muß,
um ein europäisches Gespräch zu führen, zuerst den Sinn der Sprache
begreifen und ihren Weg betasten. Das ist wichtiger wie Whisky und
Frauen und der fatale Ernst unserer Einsamkeit.

Ich habe heute Nacht daran denken müssen, als ich am Fenster nichts
vernahm als die Dünung des Sturms, den Aufschlag des weichen Schnees und
das Zustreun des Geländes, und ich unter dem Bord der hölzernen Veranda
eine Schar Vögel entdeckte, die vor der Katastrophe der Natur zu den
Menschen flüchteten und nichts hatten sich verständlich zu machen, als
ihren aufgeregten, im Hals zitternden Herzschlag und die schreckliche
Angst ihrer Augen. Ich hörte, während ich Stare und Amseln auf die
Heizung hereinhob, die Wetterhähne dröhnen und die Blitzableiter wie die
Elstern schreien. Hinter ihnen aber stand auf den Untertönen des Winds
die Musik der Schwarzwaldwälder mit einem dunklen Brausen. Durch die
gleiche Musik haben Germanen hier manchen ihrer Kaiser auf kreuzgelegten
Speeren aus dem Ruhm des Südens, den sein Haupt gesucht, tot
zurückgetragen.

Ach es stand im Donnerton der Tannen in der Dünung mit verzweifelter
Melancholie die Irrnis unserer Geschichte, die das Unmögliche stets wie
knabenhaft begehrte und ohne Ziel dann ihren schönsten Kopf sich
einschlug. Erst als ich vom Balkon zurücktrat, gelang mirs ohne
Bitterkeit zu atmen, und als ich mit den Vögeln sprach, war ich lauter
als das Sturmwehen. Der Schneezyklon schoß von oben auf den Dachfirst,
warf sich zu Boden und hob sich in einem flimmernden selbst in der Nacht
sichtbaren Kreis über dem Steinsee. Da blieb er wie ein Krater, der sich
rasend drehte.

Es klang verführerisch jetzt hinter dem geschlossenen Fenster, wenn ich
die Vögel ansprach, gleichwie als sammelte die Sprache sich in seinen
Rhythmen und hebe aus den Jahrhunderten den Ton der Heimatlaute herauf
voll unerfüllter Leidenschaft und der heiteren Wehmut seiner unbewußten
Schönheit.

Geliebte Sprache:

Als die antiken Zeiten sich von unseren schieden, entführten sie als
Dialekt der Mythen und Götter das Griechisch und es blieb nur noch eine
moderne Sprache, das Latein. Nie gab es vorher und später ein
menschliches Ausdrucksmittel, das so präzis und zugleich flimmernd die
Begriffe aufstach und die Umwelt dazu glänzend umschrieb, das ebenso
vollendet das Vorgestellte in kristallene Nähe zwang und zugleich das
Phantastische in eine Bannmeile atemloser Erregung darum sammelte. Es
war die Sprache der Weltleute und der Kommis, der Dichter und der
Feldherrn. Herrlich band schon Tacitus ihre Kühnheit im Bilde, als er
beschrieb, Germanien sei von anderen Nationen getrennt durch Furcht und
Berge. Für die Deutschen war es zu scharf, wie diese Prosa blitzte,
zuhieb und trennte. Eine Zeitlang versuchten sie miteinander die
Verschmelzung, aber die Mönche jagten das Latein in ihre Klöster. Wie
zuckte es manchmal noch aus Klerikerhand brünstig ins Weltliche hinaus,
wie mischte es sich anfangs voll und farbig mit den steifen kirchlichen
Liedstollen, wie gab es noch der Mariensequenz von Muri die demütige
Schlankheit: »Ave vil liehtu maris stella.« Umsonst, es mußte nach
Westen fliehen und ließ seinen Schatten nur zurück, der als Theologie
vermummt und enthauptet durch das Mittelalter irrte.

Der deutsche Dialekt der Germanen kam jetzt in seinen raschen tropischen
Glanz. Allein gelassen nun ward er die Stimme der großen Epen und der
germanischen Troubadoure. Wie glühte der kurze Sommer seiner Pracht in
des Vogelweiders Strophen, wie verschlang sich Gedanke und Reim und
kehrte voll Musik zurück in die heiß und kindlich gefaltete Kadenz. Nie
hat, selbst in Rilkes Versgeäder, Deutsch wieder die Größe der Einfalt
und die Vollendung des Tons und die Linie der Grazie erreicht wie in der
flötenhaften Lage der Walther-Strophe:

   Daz er bî mir laege, --
   wessez iemen
   (nu enwelle got!), sô schamt ich mich.
   Wes er mit mir pflaege,
   niemer niemen
   bevinde daz, wan er und ich.

Wunderbar füllte die deutsche liedhafte Zartheit die gläserne Wölbung
des frühen Mittelalters mit Auben, Weckrufen, Taggesängen, Hörnern,
Kreuzzügen und heroisch-sanften Mythen, aus deren Bau die Sprache jubeln
konnte noch stolzer wie Horaz, daß wahrlich nie gehörte Sänge ihr
entströmten . . . ., bis mit der schönsten Zeit der Welt, der Epoche der
Dome und Kaiser und lichter Maienhaftigkeit Europas sie in den
tragischen Schlußvers fiel. Deutsch ward nun die Knochensprache
kleinbürgerlicher Meistersinger, die barbarische und oft wildsaftige der
Volksbücher oder die robuste Dämonie Grimmelshausens und die Pedanterie
der gelehrten Habenichtse.

Doch wie hatte das Latein, das über den Rhein gezogen und mit den
Galliern sich vereinigt hatte, im Französisch sich zu geschliffener
Klarheit mittlerweile vollendet! Wie hatte auch sein Mittelalter gehallt
von den unter Ölbäumen von den Sarazenen heraufreitenden Trouveres, wie
hatten die Regenbogen der großen deutschen Epen mit einem Fuße tief in
der Provence gestanden, die breit und groß am feierlichsten Meer
wiederum sich der Levante und den Dichtern afrikanischer Erde hingab.
Wie lärmte über Spanien und Frankreich graziös und gottselig der
vogelvolle Himmel der Frühzeit der Menschheit dann aber weiter bis hoch
in den vollen Zenith. Und wie erfüllte er sich neu immer durch die
lateinische Vergangenheit, die stets die zarte umschwebende Luft blieb,
bis zu schönster Vollendung aus den Allegorien der Götter noch tief in
der Renaissance der herrlichen Plejade und den späten Prunk des Rokoko.
Immer gings aufwärts aus dem Blutsaft der Antike bis in ihre kühnste
Moderne.

Aber wir:

Als der ältere Balzac seine»Lettres« wie Schlittschuhkurven der
französischen Prosa vorbog, sielte das Deutsch noch im Jargon der
Sauhatz; glaubte Herr Opitz aus Bunzlau am Bober durch Beschreibung des
Vesuvs deutsche Dichtung einem neuen Frühling entgegenzuführen. Als der
taube Gentleman Ronsard und die Sechs seiner Plejade den Horizont
Frankreichs mit dem Duft der farbigsten Lieder bewölkten, knabberte Hans
Sachs die Klebsilben aus dem Skelett seiner sechsunddreißig Bücher
deutscher Sprache. Während der flotte Offizier Descartes kristallinische
Treppen mit seinem Französisch in den Nebel der Philosophie hineinbaute,
sang Herr Simon Dach, Professor der Poesie in Königsberg: »Der Mensch
hat nichts so eigen / so wohl steht ihm nichts an / als daß er Treu
erzeigen / und Freundschaft halten kann«, und glaubte damit, während
Shakespeare schon lebte, eine Revolution der deutschen Dichtung
geschmissen zu haben. Rabelais, ein entlaufeper Benediktiner, der
wundervollste Vagabund neben Villon, und vierzigjährige Medizinstudent
führte das Französisch in das ungeheuerlichste Barock, während der
Bürger Ayrer seine üblen Fastnachtsscherze schrieb. Im Französischen
bildete sich Niveau. Bei den Deutschen war es nur, wenn Wundervolles
aufsprang, eine begabte Revolution. Denn auch Ekkhart war den Deutschen
nur das mystische Gewissen, Fischart blieb nur die skurrile Blähung voll
gewaltiger Einfälle und Luther war keine Sprache sondern nur ein
Temperament.

Die Kriege der anderen und die Reformationen, denen Deutschland den
Rücken hinzuhalten das Schicksal hatte, haben die Einheit der Empfindung
und die Sprache zerstört. Als man sie wieder hätte sammeln können,
gelang es nicht den schlanken Bau der Gotik und die Süße
mittelalterlicher Gefühlskraft wieder zu entzaubern. Es gab keine
Gemeinschaft, keinen so zentralen Hof, der sie glanzvoll gepflegt hätte.
Die Führer und Verantwortlichen haben von jeher den Geist und das Volk
im Stich gelassen. Man hetzte Hirsche und drillte Soldaten. Das war
genug.

Wie anders hat Frankreichs Volk die Muse gehegt! Als Marquisen mit
Vaugelas Grammatik unter dem Arm dozierend durch die Schloßparke
schritten, korksten deutsche Fürsten wie Stotterer den Dialekt oder
retteten sich ins Französisch. Wie hat die Literatur seit Margarethe von
Navarra, dieser erlesenen Frau, seit Karl dem Neunten, seit dem ersten
Franz, dem vierzehnten, fünfzehnten Louis um die Höfe sich gereckt, die
Sprache sich veredelt, wie war der Ausdruck des Menschen Maßstab fast
mehr wie die Geburt geworden, daß schon über die Übertreibungen die
Spötter des Molière in Lachkrämpfe verfielen. Ja die Macht war so groß,
daß selbst revolutionäre Dinge gelitten wurden, wenn ihr Anspruch ihrer
Würde und Vollendung entsprach, und die Gesellschaft vernahm mit der
Grazie der Gegeißelten die Anmut der Geißler.

Den blauen Salon des Hotel Rambouillet besuchten die Prinzen neben
Bossuet und Scudéry, und die Geistigkeit der Marquise, die empfing, war
stark genug aus ihren Jours und Empfängen eine literarische Bewegung zu
machen, die Richelieu zur Gründung der Akademie trieb. Und während über
Deutschland der Dreißigjährige Krieg flutete, war der politische Einfluß
der Literatur so ungemein, daß der größte Staatsmann Frankreichs im
Streit um Corneilles »Cid« mit allen Pressionen die gebildeten Kreise
mobil machte, Corneille zu zerreißen, weil ihm dessen Geschwärm für
Duelle und Spanien seine Taktik kontrekarrierte, die den Adel auf den
Bauch warf und Spanien an die Wand drückte. Am Arm von Herzoginnen aber
besuchte der große Dramatiker den sich über die Ehre tief verbeugenden
und den Besuch des höchsten Adels wahrlich gewohnten Bernini, Italiens
damals größten Künstler, unter der Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten
Nation, während in Wasserstiefeln deutsche Pastoren, submissest
verhungernd, als schlesische Dichterschule schüchtern verkleidet,
weltfremd einen dünnen, wenn auch nicht uncharmanten Barock auf deutsche
Flaschen ziehen wollten. Wie hat noch hundert Jahre später der große
Friedrich seine armseligen Dichter verachtet und mit welcher frivolen
Überlegenheit dem Schweizer Henri de Catt die Aperçus über einen
gewissen Hofmann erzählt, der mit demselben Hemd ein ganzes Wörterbuch
verfertigte und der, als man ihm drohte, am jüngsten Tage werde er
allein unter den lichten Gottseligen unrein bekleidet vor Gott
erscheinen, den saftigen Wunsch aussprach, daß er lieber, als das Hemd
zu wechseln, auf die Auferstehung verzichte.

Wie verachtet, wie schmählich verkuppelt ist in dieser Gesellschaft die
Sprache der Heimat geworden, wie erlösend und rührend aber ist sie
manchmal dennoch in die Hände von Einzelnen zurückgekehrt, die sie für
ihre Launen und für ihre Begeisterung züchteten und sie auf dem langen
Weg der Erniederung schön über die beflaggten Barrieren ritten! In
Frankreich steht ein gezüchteter Schlag.

Bei uns kommen manchmal die interessanteren Hengste und wiehern die
Erinnerung der großen Zeit und blitzen Hoffnung auf die Zukunft aus dem
schönen Schlag der Hufe.

Heil Lessing, der mit Strenge säuberte, Sturz, der sie schlank wie ein
Florett im Kreis auf seine Hände zurückband. Grabbe, der sie dunkel
durchwühlte, Kleist, der ihr die Stahlsehnen des jungen Genius durch den
Torso zog, Jean Paul, der erste, der ihr den Nebel und die göttliche
Atmosphäre der Worte wie einem gigantischen Stern zur Wielandschen
Grazie gab, Büchner, der sie zu heroischer Schlankheit des Mutes
begeisterte, Heine, ihr geliebtester Sänger der vogelleichten Kraft, die
Romantik, die sie träumerisch wieder mit dem Gesicht ins Übersinnliche
wandte, Nietzsche am Schluß mit dem jubilierenden Hurra der obersten
Verzweiflung. Geliebte Dichter! Sie waren gute Jokeys und vorzügliche
Trainer, aber sie ritten ohne Tribüne und ihre Ställe und Concours
hatten keinen Zulauf ihres Publikums, auch hatten sie keine Kenner,
obwohl ihre Klasse von internationaler Güte war. Sie waren Desperados
der Kunst gegen die Gesellschaft, die sich nie recht formierte, während
sonst in Europa diese Gesellschaft die Kunst wie eine sanfte und schöne
Krönung über sich trägt.

Selbst Pindar war nur in diesem Sinne ein Dichter für feinere Sportfeste
seiner dorischen homosexual gerichteten Geldaristokratie, Shakespeare
und Molière die Fabrikanten der von ihren Höfen bestellten
Theaterstücke, Calderon war seines spanischen Hofs Arrangeur für pompöse
Vergnügung, die Maler der Renaissance die Hauseinrichter ihres sie
bezahlenden geschmacklich kultivierten Publikums, Bernini der Baumeister
für luxuriöse Ausschweifungen des Barock und der Vogelweider im
Lyrischen der Pressechef seines staufischen Adels.

Die Menschen guter Zeiten gaben sich durch die Leute, deren sie sich zur
Herstellung angenehmer Verzierung ihrer Epoche bedienten, ein veredeltes
Gesicht. Das war alles. Manchmal achteten sie diese Leute nicht einmal,
erst Michelangelo machte sich mit seinem Anspruch zum Fürsten. Damit
blieb er, genau wie wenn man ihn als Sklaven gehalten, das gleiche
Ornament seiner Zeit. Daß man aber ohne Zusammenhang mit seiner Epoche,
rund um eine Zeit rasend, die keine Gesellschaft barg, Dramen
zusammenschrieb, Bilder zusammenmalte, Türme in die Wolken
hineinschickte, Bücher wohl über Probleme der Ideen aber nicht über die
Erziehung zur Nation zusammenstapelte, das ist in seiner
generationenlangen Dauer so rührend wie unglaublich, aber deutsch. Hat
uns nun, seit man in Autos und Flugzeugen und Bahnen fährt, telephoniert
und drahtlose Depeschen sendet, die Muse heftiger und vereinigender
geküßt? Man hat uns, Mijnheer, noch mehr wie die Schafe
auseinandergetrieben. Die Techniken haben uns ein jagendes Tempo in die
Adern gesetzt, aber sie haben uns weiter von den Wurzeln deutschen Seins
gescheucht wie der Dreißigjährige Krieg.

Was hinter den Romantikern herkam, hatte Plattes und Sauberes, hatte
Persönliches und Albernes aber es hatte kein Niveau. Die bärtigen Leute
um Paul Heyse hatten die Vehemenz des Dichterischen schon ganz
vergessen, als sie nazarenisch in ihren lombardischen Wein den Zucker
ihrer Gefühle füllten. Die Holz und Schlaf, die diese in schwacher
Nachahmung des großen Zola entthronten, hatten nur schlechte Manieren
aber keine Kraft. Es blieb wohl Einsicht, aber keine Stärke, sondern
Geschrei. Daß gegen diese dann wiederum die geölten und geschmackvollen
Jünglinge des Dichters George marschierten, der ihnen langsam an
Baudelaires und Mallarmés erhabenem Beispiel das Geheimnis der strengen
Form beigebracht hatte, bewies wohl Einsicht und Sinn für das
Dichterische, aber es stellte gegen den Schlamm der Epoche nur einen
Salon von Süßlingen. In der Tat, Georges Beispiel ist sinnbildhaft von
Bedeutung, es schuf in Wahrheit nur einen Zenakel und dieser war denkbar
nur in Frankreich, aus dem er kam.

Erst als die Schicksalsuhren tragischer ins Volk bellten, suchten einige
Dichter und fanden einige einer neuen Generation eine Sprache, die, wie
die keiner Epoche vorher, wenn auch nicht aus den Klarheiten so doch aus
den Krämpfen ihrer Dezennien sich der Zeit anschloß. Die
Unerbittlichkeit Wedekinds, der Zauber Schickeles, der breite Döblin,
die tapfere Kolb, der hell urteilende Kerr, Sternheim, Benn, Kaiser
versuchten ihre Generation zu einem mörderischen Glanz zu verdichten.
Das Material Balzacs war ihnen nicht gegeben zwar, sondern nur ein
zersplitterter Spiegel. Sie pappten ihn nicht, sondern sie schossen ihn
zusammen. Eine Weile deckte sich Kunst und Zeit. Wir sind in der
Gegenwart.

Wir sind in der Gegenwart, Mijnheer. Sie liegt vor uns wie Land und
Meer, und wo sie zusammentreffen ist Hafen und Schiff. Und wo sie sich
schneiden, hat Kunst und Nation sich berührt. Zehn Nächte bei Flips und
Cocktails und Gin und Kerzen sind eine knappe Zeit das Terrain zu
beschauen. Was interessiert einen holländischen Gentleman an der
Gegenwart? Er hat ein Haus in 's Gravenhage, eine Herde in Utrecht, eine
Bibliothek in Delft. Er reist durch die Welt, von Krieg verschont, von
Kriegssteuern ledig, den Passeport von der Königin visiert, unabhängig
und gebildet, gelangweilt von seinem Lande, und neugierig, was aus
Europa geworden ist. Dazu, weil er bereits aus den Gärten der Jugend in
die Üppigkeit gepflegter Gelehrsamkeit geführt ward, voll Eifer zu
sehen, wie in den Literaturen das europäische Gewürm sich vereinigt. Was
kann Sie besonders reizen, nehmen Sie das Glas und beschauen Sie die
Linie zwischen Meer und Land.

Die paar Pioniere, von nicht sehr großer Lunge, die die Vereinigung
betrieben, haben nicht natürlich Gesellschaft gebildet und Volk und
Kultur sich wie im Paradies unter Tränen gerührt ans Herz sinken lassen.
Sie haben das Wichtige, wohl unter großen Fehlern, dem Wachstumfähigen
genähert. Mehr nicht, aber es ist wohl viel. Will einer nun wissen was
kommt, was sonst an Schiff, Barke, Floß, an Haus und Matrose diese
Phantasie-Gegend bevölkert, ist die Untersuchung der Gegenwart immer von
Reiz, das Prophezeihen aber Kinderei. Der Ehrliche sagt immer nur, was
ist. Das Kommende folgert er zum Teil, ahnt er zum andern, zum größten
weiß er es nicht. O navis referent in mare te novi fluctus? Ich zweifle
nicht, aber ich begebe mich der Antwort. Wir sind zu verwirrt
ineinander, man reißt die Kunst nicht der Zeit aus dem Bauch und gibt
ihr eine gewünschte Direktion. Auf Zukünftiges die Antwort kann nur
Deutschland geben.

In diesem Augenblick, wo es sich anschickt, in die Arena der
Entscheidungen Europas zu treten, nimmt es uns alle mit in seine Fahrt.
Wie auch immer es sich anschickt, mit seinen dunklen Meeren, den blauen
Gewässern und den flammenden Ernten seine Fahrt zu nehmen, sind auch
unsere Schicksale mit dem seinen in sein Gesicht gebrannt. Wir können
uns nicht trennen. Ob es der rechte Weg ist oder der verfluchte, wir
müssen ihn gehen, vielleicht müssen wir ihn auch lieben. Wir können nur
hoffen, es möge der rechte Weg sein.

Zehn Nächte Mijnheer sind lange Zeit, man muß alles bereden. In
Boccacces »Dekameron« beginnt unter Pampineas Szepter das Spiel, sich
die Ergötzlichkeiten des Daseins zu erzählen, und reihum geht der
Königsstab von Frau zu Mann jeden Tag, ein König führt sie am Ende
lebend nach Florenz. Wir sind nur zwei, zu wenig für einen König. Und
mit zuviel Gestrüpp und Sturm um unser Gespräch, als daß das
Spielerische eines Fürsten hinein passe. Mijnheer, Sie sind Monarchist.
Ihren Ahnen hat Greco gemalt, ein anderer fuhr zu Cortez und zog in
Mexiko ein. Ihr Wappen zeigt mit einem verschnörkelten _M_, daß einer
mit Karl dem Fünften zum Kloster ging. Mit einem anderen kam Ihr
Geschlecht nach Holland, nahm javanisches Blut auf, hatte vielleicht
schon jüdisches in sich. Mijnheer, Sie sind konservativ und urban. Sie
sind nicht reaktionär und dumm. Ihre Tradition macht Sie gepflegt und
weit und nicht verkümmert und eng. Was seither je vor unseren Blick kam,
hatte die gleiche Geltung für Sie und für mich. Sie sind nicht weniger
Europäer als ich, ich aber bin nicht weniger stolz ein Deutscher als Sie
ein Mann der Niederlande. Aber vermögen wir die Gegenwart, deren
erlesene Dinge nicht deutlich von der Zeit distanziert sind, mit
gleichem Auge zu beurteilen in einer Epoche, die nicht nach Vorzügen und
Glanz, sondern nach Zwecken, nach Angst, nach Wünschen und Richtungen
urteilt? Haben wir den gleichen Blick, wenn wir, wie vor Kanonen, vor
die Gegenwart geprellt stehn?

Wie soll ich es Ihnen am deutlichsten sagen?

Hören Sie die Geschichte meines Geburtstags.

Am Tag, als im Grunewald die Mörder den Reichsminister Walther Rathenau
erschossen, fuhr ich aus dem Süden im Auto in meine Heimat. Als wir
gegen Mittag den Main überkreuzten, kamen wir, von nickenden
Birkenalleen flankiert, nach Wilhelmsbad, wo die Prinzen von Hanau ihr
Versailles in einen schönen Park gebaut hatten. Über einem Atlas mit
einer Löwenpranke vor dem Geschlecht, der eine sechzehnflächige
Sonnenuhr trug, sahen wir einen kleinen innen gehöhlten Berg, in dessen
Innerem zwei Pferde seinerzeit im Dunkeln nebst den Lakaien einen Hebel
im Kreise drehten. Oben jedoch, vor dem seidigen blauen Himmel flogen
auf dem derart gedrehten Karussell die Prinzen der Zeit durch die Luft
ihrer spielerischen Entzückung. Wir lachten und kamen in die Wetterau.

Aus den weichen Schatten, mit denen die Wolken über die Ähren wanderten,
am bläulichen Grün des Saftes in den meilengroßen Ebenen, im Wind der
Weiler, die aus Baumspalieren mittaglich träumten, aus der fetten Kraft
und sprudelnden Wucht des Bodens spürte ich die Heimat. Hier haben meine
Ahnen, die Lanzen im Arm, gewohnt. Durch diese Täler sind sie von ihren
Burgen gezogen. Meine Mutter hatte etwas von dem besinnlichen braunen
Glanz alter Wildheit im Auge. In Friedberg, das am Horizont blieb wie
ein Starnest, habe ich sechsjährig auf den Burgzinnen Dohlen gejagt und
unter den Sommerbüschen der Schwarzdorne und gelben Ginster habe ich die
Platten der Rittergräber mit dem Finger abgefahren. In Büdingen hängt in
der Schloßkapelle die Isenburger Kriegsfahne, gegen die sie gezogen. Am
Schloßportal erfuhr ich die Ermordung des Ministers, die Lakaien standen
am Schloßgraben und schwatzten, der Pförtner in einer sagenhaften
Uniform öffnete das Tor.

Ich bin den Mittag weiter durch meine Heimat gefahren, die Störche saßen
auf allen Giebeln, die Schwalben sangen sich über den Eichen, die wie
Pappeln gewachsen sind, in klarem Sang herauf und herunter, und an den
Enden des Horizonts zogen sich violette Schatten, die langsam den Himmel
wie große Zeichen der Festlichkeit heraufkamen.

Um uns rauschte das reifende Korn geheimnisvoll in den mittaglichen
Glanz, und die Felder mit farbigem Mohn bogen verführerisch in die
Stille der Hänge. Wie ein roter Regen flogen die Alleen mit den satten
Kirschen über uns, als wir nach Gelnhausen kamen und sofort die Pfalz
des besten Hohenstaufen suchten. Während seine Vorgänger und seine
Nachfolger den Dom bauten, setzte er in den Sumpf für eine Geliebte die
Pfalz von wunderbarer Wucht, den Pallas von einer Brust der leichtesten
Säulen gegliedert. Der Jasmin flutete mit dem Geruch des weißen
Hollunders durch die Ruinen und umdampfte das steinerne Gesicht des
Barbarossa.

Sein Kopf springt aus der Wand über dem Eingang hervor und läßt keinen,
der eintritt, ohne Blick. Der Bart ist gespalten und nach außen in die
Höhe gezogen, bis er die Höhe seiner Augen erreicht. Auf den Spitzen des
Bartes tanzen da zwei kleinere Köpfe, der des Hundes, der ihn in die
weiten Jagdfelder führte, der jenes Weibes Gela, die er liebte wie ein
Toller, die ihn zwanzigmal von italienischen Fahrten und deutschen
Revolten an ihre Wärme zurückriß. Aus der Tiefe dieser Schatten kam mir
manches ins Blut geschossen, als sich die Hollunderbüsche teilten.

Ich bin wie trunken, gesättigt vom Atem aller großen Zeiten durch meine
Heimat gefahren und die Bäume hatten etwas Erkennendes in ihrem
Dunklerwerden und die Vögel in ihrem Schweigen und die Felder in ihrem
helleren Rauschen und die Wolken selbst, die den satten Ton der
Dämmerung auf ihre lila Segel genommen, erstiegen die Höhe des Himmels
mit grüßendem Triumph. Ich sah die Rehe flüchten und den Mond über den
Barockschlössern aufgehen, deren Spiegel die Nacht silbern erhellten,
ich sah die Nymphen der Dächer fester in ihre Hörner blasen, wenn die
Nachtwinde aus den Feldern sie trafen und ich sah den Main mit seinen
Schiffen heraufkommen in der weißen Nacht mit einer Größe und
Verwandtheit, die ich aus den Jahrhunderten, die wir hier verbrachten,
sofort verstand.

Ich bin durch die Empfänglichkeit meines romantischen Blutes wie ein zu
dem Stern der großen Kaiser und adliger Erinnerungen Verführter durch
die Nacht meiner Heimat gefahren, in deren Landschaft deutsches
Schicksal und deutsche Welt sich durch Generationen entschied und
Ausdruck und Figur erhielt bis an ihre besten Maße. An diesem Tage wurde
Rathenau als der vierhundertste wehrlos, von hinten, erschossen. Ich bin
für die Republik.

Ich bin für die Republik, Mijnheer, wir sind angelangt bei politischen
Dingen und haben sie schon überwunden, indem wir es erkannten. Denn Sie
wie ich werden bemüht sein, ich von dem Ihren und Sie von meinem Herzen
aus die Gegenwart zu sehen. Und wir sind beide genug voll innerer
Distanz zu den Dingen, um nicht zu verstehen, das Saubere von dem
Gemeinen und das Echte vom Gefälschten zu unterscheiden. Sonst ist
nichts von Belang. Welches Volk aber von Barbaren, Mijnheer! Man kann
mit diesen Leuten nicht sein, die den Mord heiligen, um zu Monarchien zu
kommen, deren Absurdheit Sie wie ich in jener Form verachten, wie
vernarrte Jünglinge und verbissene Greise sie wollen. Das hat kein Band
mit den Erinnerungen meines Blutes.

In meinem Wappen stehen unter dem springenden Löwen die sechs Punkte des
Gleichgewichtes. Der Wahlspruch schrieb: »fidèle sans blâme«. In Ihrem
ist das Segel der Fregatte, mit dem ein Ahn die Mauren jagte, ein
späterer seinen König nach den Niederlanden führte und darunter steht:
»Illum oportet crescere me autem minui« wie bei dem furchtbaren Johannes
des Grünewald, der vergehen wollte wie ein Blatt, damit der Nazarener
aufschieße wie ein Baum. Ach, wenn die Könige Europas doch auch wie
junge Heilige wüchsen! Auch Ihr Monarchismus hat eine Idee und es wäre
Ihnen darum unmöglich, den Meuchelmörder zu rufen, wo ein Gedanke Sie
erfüllt. Napoleon Bonaparte hat als Letzter die Monarchie einer
europäischen Idee verfochten und ich gestehe, daß ich das Verführerische
dieses Glaubens spüre. Ich sehe aber in diesem Europa meiner Jugend
keinen Weg und keinen Führer dazu. Ich bin für die Republik.

Mijnheer, wir sind eingeschneit. Die Läufer, die zurückkehren, haben die
Figuren von Tieren. Wir sind mit ihnen in dieser angenehmen Höhle
eingesperrt. Sie wollen nunmehr mich in der Zwischenzeit veranlassen,
mit der gleichen animalischen Unvoreingenommenheit der Kunst nicht nur
die Knospen des Busens zu bewundern und den zitternden Elan der Schenkel
zu bestaunen, sondern der schönen Gejagten den Bauch zu beklopfen und
alle Sehenswürdigkeiten aber auch alle Fehler ihres Baues in unser
Entzücken und in unser Urteil aufzunehmen. Die Wertungen ihrer Schönheit
fällt allerdings erst die spätere Geschichte.

Aber die Göttlichkeit des Augenblicks, die versteckte Herrlichkeit einer
ihrer sekündlichen Bewegungen und den Schatten der Sonne auf ihrer
schlanken Hüfte bringt keine Ewigkeit zurück. Es lebe der Augenblick!

Ich habe daran denken müssen, als nicht nur die Wände des
Barbarossa-Pallas mit den schmalen Scharnieren der Säulen sondern auch
die Färbungen der Ecken und die Dunkelheiten der Verließe und die
schmerzlichen Lücken des Fehlenden mir den Ruhm ihrer Zeit erst völlig
entgegenbrachten. Fesseln wir den Augenblick! Durchbohren wir ihn, weil
er erst dann unsterblich ist. Alles andere geht, wie Deutschland geht.
Es lebe die Republik!

Wir gehen in die erste Nacht, Mijnheer, als ob wir in die Verbannung
gingen und Deutschland so fern hinter den Schneewehen sei, als habe das
Exil sich wahrlich zwischen uns und die Heimat gelegt. Der Sturm, der an
den Schwarzwaldbergen hängt, hat die Gegenwart wie die eines Sternes
entfernt, man sieht durch den Kerzenschein nur Kämpfe und Gesinnungen
wie bei Homers großer Schlacht. Man sieht nur die Dichte der Leistung
und den Adel des Wettspiels und erschrickt nicht, wenn man beim Reden
das Herzblut der Zeit auf den Lippen spürt und stirbt nicht daran wie
jene Geliebte und Liebende von Coucy, die wie am Blitz starb, als sie
das Kreuzzugherz ihres Freundes durch Irrtum verspeiste. Hinter dieser
Betrachtung formieren sich dann schon die Massen. Man kommt nirgens ohne
innere Haltung aus: »Après vous, messieurs,« schrien englische Cavaliere
französischen Rittern zu, als diese höflich den Briten den Vorrang der
ersten Salve bei einer Schlacht lassen wollten. Diese Devise ist nicht
flacher in einer Zeit, wo die Schwengel sich duellieren und die
Edelleute sich öffentlich verleumden. Man darf nicht erstaunt sein, beim
Untersuchen der Zeit statt einer Armee von Helden ein Lager von Schelmen
anzufinden, aber man braucht deshalb seine Unparteilichkeit und seine
Manieren nicht zu verlieren. Man kann unbefangen sein und kalt wie ein
Fisch im Urteil und doch seine private Sehnsucht vor alles Richtige
nachher wie einen Traber vorspannen.

O Deutschland!

In seinen Tälern beginnen die zaghaften Anfänge des Frühlings schon in
den ersten Sommer einzukreisen und aus den Gärten bricht schon der
Geruch der vielen Blumen. Unsere Träume haben keine Muse, teilzunehmen
an so sanften Entzückungen seines Wesens. Im Gewirr seiner Pfade einen
Weg suchen und die Beete zu unterscheiden ist eine Aufgabe, die
verflucht ist, auch wenn die Donner eines stürmischen Frühjahrs nicht
mit dunklen Gewittern über uns hingen. Unser dreißigstes Jahr ist nicht
heiter wie das der Jünglinge des Boccacce und unsere Jugend ist
stürmischer wie die des Cinna und Hannibal. Was ist noch zu tun?

Ich habe gehört, daß über mein Ordnen und Schichten und Höhe- und
Tiefe-Weisen einige schrien, es sei Diktatur, die versucht werde, aber
da es, wie ich näher hinsah, erbärmliche Schatten waren, die schrien,
habe ich nicht geantwortet und mein Ehrgeiz war nicht klein genug zum
Kampf mit den Gerippen. Die Erfolglosen, die das Nein gegen die Gesunden
stets im Munde führen, haben mich nie gereizt und Verneiner sind nichts
anderes als frühzeitige Tote.

Man hat in Deutschland wie das züchtigende Ja so auch das Ringen um die
klar erkannten Ziele und das Bewußtsein der handwerklichen Leistung ganz
verlernt. Man hat sich so zerspalten, daß man nichts mehr weiß von jener
weltumspannenden Kameraderie der Handwerke, von der gemeinsamen Wollust
europäischer Arbeit, von jener Staffelung in Gut und Schlecht und Volk
und Arbeit . . . . und wie in seinem Mittelalter man sich verehrte,
nicht weil man berühmt war, sondern weil man etwas konnte, wie man sich
gegenseitig unterwarf und lernte und schließlich allesamt bewußt dann
kreiste, der Vollendung nahe nachher, um die Achse eines sicheren
Weltgefühls. Es gibt heute keine Schüler mehr und keine Belehrer, nur
seltsame Meister ohne Boden und ohne Himmel.

Man muß ihnen zeigen, was ist, diesen armen unbelehrbaren Menschen. »Ich
werde Euch lehren den Arm, ein Bein, mit Grazie zu biegen,« sagte
Boucher zu seinen ungelenken begabten Schülern. Hokusai, der seit dem
fünften Jahre unendlich viel zeichnete, verwarf, was er vor dem
siebenzigsten Jahr geschaffen und glaubte, mit Dreiundsiebzig etwas von
der Farbe der Dinge zu begreifen. Ronsard empfiehlt in seiner Poetik den
Dichtern, zu Schlossern und Goldschmieden zu gehen, um zu lernen die
Sprache zu ziselieren. Ingres empfahl, wenn man für hunderttausend
Francs Handwerk habe, keine Sekunde zu zögern noch für einen Sou
dazuzukaufen. Und Flaubert, der es wissen mußte, wie keiner, schrieb
nachts an Madame X. von Croisset nach Paris, er habe auf hunderttausend
Arten einen Ausdruck gesucht, behauen, gegraben, gewendet, durchstöbert,
gebrüllt, bis er ihn unter Garantie endlich habe und nun, nachts um ein
Uhr stehe er mit fieberndem Kopf und brennender Kehle seiner Geliebten
zur Verfügung.

Sie wußten alle, daß Talent nichts sei als lächerliche Voraussetzung und
daß bei genauer Prüfung schließlich wohl jedermann ein Talent habe, und
daß ohne die grauenvollste Arbeit nach einem Ziel, das man sehe, im
Sinne aller Meister jedes Geschreib und Gemale nur ein dilettantischer
Schmus und ein zweckloser Unfug sei. Sie wußten, man müsse den Menschen
zeigen, wie sie arbeiten sollten, wo die Quellen lägen und wohin sie
ihre vom Übermaß der Bemühung geröteten Gesichter freudig wenden
sollten.

Ein Glockengeläute gibt zuerst, weil der Klöppel eine Seite lediglich
berührt, einen hellen dünnen Ton. Erst wenn er die andere Seite unter
geschickter Führung dazu noch erreicht, überbaut den ersten Anschlag die
dunkle Kraft des zweiten . . . . und so, voneinander nehmend und sich
überbietend, baut sich die Stufe der Melodie immer breiter dröhnend in
den Himmel.

Man darf nicht zögern, das Seil zu führen, wenn man Musik liebt. Man
will das nicht wissen? Man kann es nicht sehen? Um so besser. Ist
niemand da, der die Kontrolle führen will . . . . hier ist er. Vergessen
Sie die Kerzen nicht, Mijnheer. Der Sturm hat ein Rad über die Gletscher
geschlagen. Er vergißt uns nicht.



Die erste Nacht


Die Mäuse huschen unter den Heizungsrohren durch die Zimmer. Erschrecken
Sie nicht, wenn die Fallen klappen. Elf Uhr. Die elektrischen
Bogenlampen draußen auf den Fahnenmasten für die Verirrten dringen keine
zwanzig Meter in diese Nacht.

Das dumpfe Dröhnen sagt, daß der Neufundländer Bary vom Hebelhof diese
Nacht nicht im Schnee schlafen kann und morgen nicht seine Geliebte, die
Wolfshündin auf Herzogenhorn besuchen wird. Als wir vom Blösling das
erstemal in der Lawinenzeit unter den Wächten herkamen und uns die
schöne Frau mit dem Monocle und die beiden Badener von der Terrasse des
Blockhauses, das unten mitten in der Ebene stand und jede Minute
weggewischt ward von Schneewehen, mit Posaunen und Reiterdrommeln
begrüßten, wie lachten wir vor Wonne über die Musik, die man wie ein
Geschoß uns entgegenknallte . . . . . . aber wie entsetzten wir uns, als
über der Grafenmatte mitten im Schußfeld wir Bary zum erstenmal
erblickten, der unfehlbar einem schwarzen Bären glich, und wie umfuhren
wir ihn mit entsetzten Schwüngen.

Denn der Wechsel von Licht und Schnee war so gespenstisch, daß uns kein
Tier der Urzeit erstaunt hätte, wäre es aus diesem von Sonnenkanonaden
und Luftspiegelungen durchwehten Tag aus der Landschaft
herausgetreten, über die wir wie Götter herabkamen, achtzig Kilometer
Stundengeschwindigkeit, auf Hickorys, immer neue schier unabsehbare
Terrassen von Hängen hinunter. Nun sitzen wir auf den Fenstern und
starren bei Kerzenschein in die Nacht. Kommt uns ein Echo zurück aus dem
Brausen?

»Was nun ist deutsch?«, fragt Ihr Auge, Mijnheer, frug es schon oft an
meinem. Frug es, als man den jungen Springer vom Hügel gestern brachte,
der, als die Chirurgen die scharfen Knochenenden in den Oberschenkel
zurückspießten, Ziehharmonika spielte. Es war schneidig, doch ich sah
dasselbe bei Blériot. Sie frugen, ohne zu reden, das Gleiche, als hinter
Konstanz ein Rotbart ins Coupé schaute und ehe er Platz nahm, schrie:
»Sind Juden drin?« Das war nur untermenschlich. Sie sagten einmal, daß
in Ihrer Jugend in Grénoble, als französische Studenten den wahren Mut
der Deutschen bezweifelten, ein alemannischer Skulptore vor Ihren Augen
am Tisch des Cafés sich die Brust aufschnitt. Das war barbarisch aber
nett. Nicht deutsch. Nun fragen Sie ernstlich und wollen eine Antwort,
rund und klar und voll Verantwortung. Das ist nicht leicht. Das ist
unmöglich.

Was ist italienisch, was spanisch? D'Annunzio oder Michelangelo?
Cervantes oder Goya? Ein Teil jeder Nation würde jeden dieser
Reflektanten bestreiten. Die Deutschen haben aber sogar in der
Gesamtheit den Sinn für das wirklich nationale Grundgefühl verloren und
sich falsche Götter aufgebaut. Goethe ist eine völlig romanische
Mischung. Und Schiller hat das Pathos, nach dem sie sich vergeblich
sehnen, weil sie es nicht wie die Romanen im Blut besitzen. Die Weimarer
Tradition hat mit keiner deutschen Vergangenheit irgend etwas zu tun.
Diese Klassik ist der stehengebliebene Wunsch der deutschen Germanen
nach der südlichen Erlösung, der sie früher mit Schwerten und Kreuzzügen
dienten. Rodin, der bestimmt Germanisches in seinem Wurf besaß, hielt
die griechische Kunst nicht für mehr als gute Geometrie. Ein wahrhaft
innerlich deutscher klassischer Stil würde nie bei dem von Pelasgern
bewohnten Griechenland anfangen, die uns bei allem Neid auf ihre
Vollendetheit so wesensfremd sind wie Chinesen und uns nur durch die
Renaissance als Blutsbrüder vorgetäuscht wurden. Sondern er würde sich
in jener Herbe erfüllen, die von den Domportalen her, von Mäleskirchner
und Cranach, den Sängern des Nibelungenliedes, von Ekkhart, von
Fischart, von Grünewald ausgeht und aus einer barocken Fontäne in einen
stillgewordenen Himmel hinein sich formt.

Eher ist der Bamberger Platz bei all seinem Chaos deutsch, der immerhin
einen Riesenwurf darstellt von dem romanischen Geist des Doms an über
die Paläste der Renaissance und des Barock bis zur Schlußgestaltung des
monumentalen Raums, als daß Deutsch sich offenbare in jener
nichts-als-harmonischen Geste, auch wenn sie die größte Begabung, die je
den Deutschen ward, zelebriert.

Dazu braucht es anderes Klima und anders vor Wonne des reinen Seins
geschüttelte Himmel. Das Deutsche hat immer als Reiz, selbst in seiner
landschaftlichen Atmosphäre den unbestimmbaren Hintergrund getragen, und
war immer fern der farbigen Plastik, mit der die Südländer ihre Gebärden
schließen. Constant, der gescheiteste Franzose, der gleichzeitig
Deutschland, in dem er Jahre lang hörig hinter der Staël herreiste, heiß
liebte, hat Goethes zentrale Schwäche rasch durchschaut. Denn er spürte
unfehlbar, wo das schönste Genie der Deutschen abbog von seiner
Bestimmung, die Menschen in Liebe zueinanderzuführen, indem es keine
Stellung nahm zu ihren kriegerischen Konflikten, und statt in den
geistigen Kampf zu jagen, einbog in die Verherrlichung einer Klarheit,
die bei Deutschen nie Inhalt sondern nur Fassade sein konnte. Constant
hielt den »Faust« daher für eine Verhöhnung des Menschengeschlechtes und
stellte Voltaires »Candide« darüber, den er zwar gleich unmoralisch und
dürftig aber geistreicher und besser gemacht fand. Teutonische Ajaxe
werden dies Urteil unerhört finden, weil sie die Welt nur zwischen Elbe
und Rhein und mit viel Vorurteilen gemalt sehen. Es ist jedoch nur
gerecht. Denn andere Völker sehen mit Puppille, wie ihre Leidenschaft am
idealsten sich in der entsprechendsten Form löst.

Die Deutschen haben aber keinen Sinn mehr für ihre Eigenart, verehren
Götter, die keine sind und Heroen, die sich als Puppen aus falschen
Sentiments entschleiern. Deutsch ist daher fast nie, was die heutigen
Deutschen lieben, deren Andachtsheißhunger vor allem Anders-Seienden sie
in Ideale hineinreißt, die andere, nur nicht sie selbst besitzen. Sie
lieben entweder das Sentimentale, das klassisch aussieht, im Grunde aber
Lüge ist. Oder sie verehren das unvollkommen Dunkle, das nicht das groß
Barocke, sondern die eitle Ohnmacht von Narren ist, die ihre Schwäche
damit verbergen. Stellen sie aber einmal ein Denkmal von Qualität auf
ihre Landschaft, in der die verlogenen Feldmarschallbilder des Tuaillon
mit erbärmlicher Glätte neben dem Kölner Dom stehen, so stellen sie
Figuren Meuniers auf die Frankfurter Mainbrücke, die zwar Kunst sind,
aber den nationalen Ausdruck wallonischer Fischer und nicht deutscher
Seeleute ausdrücken.

Deutsch ist nicht das unvollkommen gestaltete Klare, sondern das im
Dunkel ringend Gebaute. Deutsch ist nicht der magyarische Melancholiker
Lenau aber etwas an Grabbe. Deutsch ist nicht Herr von Münchhausen, der
einfach einen Panzer umtat und blödsinnig mit kriegerischem Gebrüll das
Maul aufriß, wie er es für adlig hielt, aber sicher etwas von Richard
Dehmel. Deutsch ist nicht etwa jener mit Kothurn auftretende Gott der
Langeweile, der mit Paul Ernsts gesammelten Schriften am Arm erscheint,
aber sicher etwas von der Malerei des Max Beckmann. Deutsch ist nicht
das dumme hohle Zeug, das mit klassischem Jambus Herr von Wildenbruch in
anständigster Gesinnung verbrach, aber sicher etwas in den tollen
Phantasien des Architekten Poelzig, dem Deutschland keine Bauaufträge
gibt. Deutsch ist vor allem nicht Gerhart Hauptmann, aber sicher etwas
in Wedekind.

Was hat gerade diese sehr starke Begabung des Naturalismus, dieser
Schlesier Hauptmann Unrechtes getan, daß ihn die jüdischen Literaten aus
Respekt vor seiner arischen Rasse als Repräsentanten deutschen Wesens
der Welt mit begeistertem Finger zeigen? Er ist der blendendste Beweis
für den Irrtum, alles Halbe und Sentimentale, alles Greise und
Weibisch-menschliche sei Deutsch, wenn es nur von Mondschein und einer
gewissen hellen Hilflosigkeit übergossen sei . . ., während der
blitzende Genius Wedekind, der sich ohne weiteres in die Kette der
barocken Meister einordnet und der aus dunkelster Wirrung ein
metallisches Werk hingab, von allen Hunden und Untermenschen
Deutschlands noch heute zerfetzt wird. Was hat die badische Exzellenz,
der Wirkliche Geheime Rat Dr. Hans Thoma Unrechtes getan, daß er, der
den Schwarzwald wahrlich mit einer Fülle des Gefühls wie wenige malte,
aber ungeheuerliche Dinge an Heiligen und Madonnen nebenher, daß an ihm
bewiesen ward, Mondschein und Geige und jene penetrante Innigkeit der
falschen Sentimentalitäten sei alleinig deutsch. Ach die Deutschen
haben, als ihre Gesellschaft sich scheinbar in kleinbürgerlichen
Behausungen konsolidierte, sich Markenschilder und Klischees ihres
Wesens so anfertigen lassen, wie es ihren wirtschaftlichen Sehnsüchten
am geeignetsten schien und sie sind vom Heroischen mit kalkiger Angst
zum Sentimentalen gelaufen und haben der Antike, die sich ihnen in den
Klassikern offenbarte, einige Denkmale der Huldigung unter der Adresse
des deutschen Genius gesetzt.

Man schuf eine Waffenbrüderschaft für alles Dilettierende und
Epigonenhafte, das sich »naiv« gebärdete und erschlug die fabelhaften
Wölfe der Sprache, wo sie in die Wälder kamen. Man verdarb mit falschem
Zucker den Geschmack und hetzte die Mittelmäßigen auf das Ungewöhnliche.
Man begann alles Unzureichende, soweit es auf Klarheit oder Erlösung
sich färbte, als deutsch zu flaggen und alles Dramatische und Glühende
zu hassen. Man liebt den Jungnickel mit den Papierblumen in der Hand,
aber man will nicht den jungen elsässischen Dionysos Schickele. So war
man für Freytag und gegen Nietzsche. Man schwärmte für Paul Heyse aber
ließ den Günther krepieren. Man liebt die koiffierten Sänger des Rheins
von dem Scheffel bis zu den Lauff und Bloem und Herzog, aber man ist
gegen Heinse, gegen den Büchner, gegen den Eisenkonstrukteur Georg
Kaiser und man nimmt Romantik (wo es ins Übersinnliche schon geht), nur
durch die Verlegenheitsform der Musik.

Die Deutschen halten es mit der Dichtung wie die Weiber mit den Männern,
die, wie Jean Paul meint, stets mehr den Bürger als den Menschen achten.
Sie haben sich deutschem Wesen ganz entfremdet, haben sich von den
Stilen entfernt, die ihr vielspältiges unruhvolles Wesen am deutlichsten
geben, haben sich gegen die großen Formen erklärt, in denen germanischer
Wuchs heroengleich in den Horizont sich trotzte und haben aus
angestrichenen Fellgermanen mit Lippenrouge und Trikotbäuchen sich eine
germanische Vergangenheit im Stile Richard Wagners, und aus
unbestimmbaren qualvoll süßlichen Stimmungen klassischer Schlichte eine
Gegenwart gezimmert für den Begriff des Deutschen, der niemals, der eine
wie der andere, auch mit einer Ahnung nur am Leib der deutschen Dichtung
war.

Es ist leichter zu sagen, was nicht deutsch ist, als das, was es
ausmacht. Die Deutschen halten sich für schlicht und sind immer
Verzweifelte gewesen. Sie haben keine Kultur, aber einzelne
Herrlichkeiten. Ihre Haltung ist jener der Skandinaven unterlegen, ihre
Grazie jener der Österreicher, ihre Motorräder, Tennisschläger, Kleider
jenen der Engländer, ihr Weltdrang selbst dem der dickblütigen
holländischen Germanen, ihre Parfüms den Franzosen, ihre Tänzerinnen den
Russen, ihre Boxer den Niggern. Auf ihren Theatern pissen die Akteure,
wie Heine sagt, mit den Herzen, während die Briten mit den outrierten
Bewegungen der Shakespearezeit, die der Franzosen mit dem durch Ironie
durchsüßten Pathos des Racine spielen. Ihre Maler malen den Kosmos, aber
nicht nationale Farben und nicht ein gelungenes Weltbild ihrer Rasse.
Der Kunsthändler Flechtheim hatte nicht unrecht, als er, der völlig
französisch orientiert war, durch eine Ausstellung wildester moderner
Kunst der Deutschen gehend, ausrief: »Herrlichkeiten, meine Herren, zwar
keine Malerei und ich ahne es nicht, was es sein soll, aber ich glaube,
daß es vorzüglich ist!« . . . denn er zollte unbewußt neben dem Spott
dem dunklen Trieb der echten Deutschen, sich mit Figur und toll aus dem
Dunkel hochzuwühlen, den Tribut.

Da erscheint die Erinnerung jener Fanatiker wieder, die von den
Dombauern bis zu Jean Paul sich zu jenem Barock im Ausdruck
durchzuschlagen wußten, das auch die Strenge der Gotik und die Süße des
Mittelalters umschließt. Damit seien aber im selben Atem die Überläufer
gestäupt, die aus dem Unvermögen, sich auszudrücken, in jenes gescheite
problematische Dunkel des Geschwätzes sich hüllen, das ein deutsches
Publikum genau so begeistert und unverstehend aufnimmt, wie es erregt
die Hände faltet, wenn Herr Bonsels sich auf Seele und Idylle frisiert.
Im Grunde sind das die gleichen Täuschungen, nur daß die verquollene
Geste die raffiniertere und spekulativere ist, ihrer beider Verfasser
aber Charlatane, die von den jüdischen Literaten wenigstens die
Psychologie gelernt haben, die diese in die deutsche Dichtung
importierten: ihr Publikum genau zu kennen und zu bewerten.

Es gelang ihnen auf der ganzen Linie. Denn da es tragisches Schicksal
deutscher Dichtung ist, unvollendet und fast an der Spitze der
Vollendung abzubrechen und Torso zu bleiben, vollbrachten sie das
Fälscherstück, den Torso überhaupt als das typisch Deutsche
auszuschreien. Diese Komiker, die als Hamlete auftraten, vergaßen, daß
es dem Unbestechlichen immer noch leicht ist, unverständliches und
aufgeblasen gemurmeltes Zeug zu unterscheiden von einem metallen
geglühten Stück Kunst, das nur an der Kulturlosigkeit der Zeit
zerbricht.

Ja selbst, wie das gemeinhin leicht, aus dem Wesen der Frau die Statur
des Volkes farbenklar zu erkennen, ist uns versagt. Die germanische
Rasse ist bei den Britinnen viel klarer in der Zeichnung, anmutiger bei
den Wienern, von geistreichster Grazie bei den schönen Frauen der
Skandinaven Schwedens gezüchtet. Dennoch traf ich in der Heimat
unvergleichbar lichte Frauen, zusammengesetzt jedoch aus
Unbegreiflichem, mit vernichtenden Widersprüchen selbst in ihrer Anmut,
unbestimmbar in ihrer Rasse und ihrem Wesen schon eine Stunde nach ihrer
Entfernung.

Aber aus Erinnerung an sie formte sich plötzlich nachträglich die Idee:
das war die Deutsche. Doch es war ein Hauch nur, unerklärlich. Aus einer
Handlung der Gegangenen kam plötzlich ein Echo: das war sie. Schon
entflohen, schon nicht mehr gestaltbar. Fast ein Traum und doch eine
Gegenwart. Ein Abglanz vielleicht, der bleibt und den man nicht sieht.
Aber man weiß dennoch, auch wenn man es nicht bestimmt, wenn man es
nicht enträtselt: das gibt es. Das ist schon viel!

In Lyon traf ich in einer gebildeten Gesellschaft einen Kaufmann, der
dachte, preußisch und deutsch sei zweierlei. Er hatte Recht wider
Wissen. Preußisch ist leichter zu fangen als deutsch, es ist auch an
Tiefe nicht so dunkelschön. Immerhin, es besteht, wenn auch nur als
Erbteil von Potsdam. Mein Vermögen, meine geliebtesten Dinge gäbe ich,
wenn ich auf Monate in fernes Ausland müßte, eher dem preußischen
Granden, dem älteren General der aussterbenden Generation als einem der
in Gesinnung der Menschenliebe bramarbasierenden Internationalen, so nah
diese Ansicht mir steht. Ich bin für die Tradition und ich weiß, daß
diese Ehre früher über den Tod hinaus unverbrüchlich als Weltbild der
Samuraikaste der Preußen eingebrannt war, während ich nicht ahne, ob
hinter dem Gesicht der Bruderliebe dieses oder jenes mehr steckt, als
daß damit alles zu gewinnen und nichts zu verlieren ist. Das Ehrgefühl
des preußischen Offiziers hatte früher Weltgeltung wie eine gewisse
Treue der Germanen und darum ist Lessings »Minna von Barnhelm« das beste
deutschgeschriebene Lustspiel, weil wahrhaftiges auf beiden Beinen
aufgepflanztes Weltgefühl hier tragisch gegen alle Seiten der Windrose
rennt . . . so langweilig und trocken das Stück auch sein mag, und so
sehr die Franzosen sich unter ihm krümmen, denen seine Klarheit und
Gescheitheit überhaupt erst die Voraussetzung zu Dichtung scheint,
während sie hier das Ende und Ziel schon ist. Man darf sich nichts
vormachen. Wir sind, ohne Boden unter uns, um Jahrhunderte gehandikapt.

Es gab keinen Olymp bei den Deutschen, wo der Chor des Volkes und der
Götter sich mit den Musen band, um im Zug vereint immer wachsend in
einem unbeschreiblichen Hymnus die Kraft eines ganzen Zeitalters, die
Götter und Heroen an der Spitze, zu gestalten. Einmal nur spielten in
der Feinheit des Glücks die Dinge und die Menschen in organischer (nicht
goethescher) Harmonie aus dem Bodenschoß des Landes her kurz ineinander,
als in geheimnisvoll durchbluteter Fülle die Kraft seines Geistes so
ungeheuer glänzte, daß die gotischen Götter von den Kirchen
niederschritten, daß fromm und tapfer das gleiche Wort schien, daß in
Schöpfungsmut die Vögel diesen kurzen Sommer mit den steinernen Heiligen
um die Wette musizierten und die Engel Zeitgenossen der Erde geworden zu
sein schienen.

Damals war das Helle und das Dunkle geeint, und die barocke Kraft hatte
eine Flut von Licht in die Dunkelheit deutschen Wesens gesprengt, daß
das Jahrhundert schwebte, wie von seidiger Luft gebildet aber wie von
Stahl in der Rundung genietet. Die Wage war aufgestellt zwischen der
Kraft und der Seligkeit, und wie auch das Ringende tobte, gesellte sich
zu endgültiger Form ihm die Idylle. Die Strophen des Vogelweiders hatten
jenes unersetzliche Gleiten aus den mythischen Schatten in die
kristallene Lichte. Und wo sie geschliffen wie Glas in Bögen sprangen,
war hinter ihnen noch das Blau der Schatten sichtbar, aus denen heraus
sie sich rangen. Und über dem Rhein stand ihren hellsten Lichtern das
dumpfe Schwälen Wolframs gegenüber, den aus dem Leichten es in
wundervollem Abwägen schicksalshaft stets ins Dunkle zurückzwang.

Eine Kreatur blieb dann zurück, durch die Jahrhunderte der
Zersplitterung hindurchgerissen, deutsch genannt, nicht mehr bestimmbar
mit Kreis und Logik, mehr kühn wie gelassen, mehr zerbrechend als weise,
schon etwas lorbeergeschmückter Barbar aber nie ganz Christ, doch stets
voll Leidenschaft nach Erkenntnis in seinen besseren Exemplaren. Das gab
Temperatur, aber noch nicht Guß und Statur. Das ward wohl aufgebrochener
Acker, aber nicht Ernte. Es gab durch die Jahrhunderte hindurch keine
Kette von jungen Helden, aber Kreise, die ohne Zusammenhang, aber wie
die Jahrringe der Bäume umeinander gegürtet, die ewigen Quellen
umringten. Und in der Isoliertheit voneinander gab es mehr mörderisch
Verzweifelte als Jauchzende und es gab die kleine Menge derer, die
zwischen den Pfäffischen und Geschickten, zwischen den Satrapen und
Gauklern der Dichtung mit Genie das wirre Schicksal in Figur zu bringen
suchten, in dem unsere beste Hoffnung liegt.

Sich ins Groß Barocke hinein zu äußern ist sowohl Schicksal als auch der
gemäße Stil für das Deutsche. Die Chauvins, die ihm die aufgemalte
italienisierende Statuenpose zuerteilen wollen, möchten am liebsten, es
gebe nur Eichendorff, wobei sie beschränkt und heuchlerisch, wie alle
falschen Radikalen, den Stoff mit der Melodie verwechseln und das für
deutsch halten, was nur Anlaß zur Kunst ist. Denn Eichendorff ist eine
jener graziösesten Verzierungen in der Architektur der deutschen
Dichtung, deren oberste Ornamente (die über den dunklen Fittigen der
Kreuzschiffe sich erheben) manchmal vor liedhafter Reinheit beben, als
seien sie nicht mehr dem Bau zugehörig, sondern lägen wie die Falter
frei in der Luft.

Es blieben immer nämlich einige Reiter und Figuren an den Firsten der
Kathedrale deutscher Dichtung durch jede Epoche hindurch übrig und genau
erblickbar, in deren Bewegtheit und linder Anmut man alle Helden des
goldenen Zeitalters wieder erkannte, dessen schönster Ritter der von der
Vogelweide war. Über den Eschenbacher Vaganten, über Günther und Hölty
und Klopstock und Malermüller und Eichendorff geht es bis zu Heine.
Zwischen den wilden Streitrufen des Thomas Murner und der Weltflucht des
Silesius haben sie den Ton und das Vollendete weiter getragen und sich
begnügt, etwas zu sein, was zwischen Schriftstellern und Dichtern die
Deutschen allein als »Poeten« besitzen, und was nicht das Deutsche, aber
eine Spielart des Deutschen ist und im Ausgleich der beiden Wagen, die
die Melodie bestimmen, die höchste und hellste Stimme ist, die der
dunkelsten und schwersten Grundmelodie entspricht.

Sie haben etwas von Beschaulichkeit, manchmal von Weisheit an sich. Mit
unmöglichen Vorstellungen von den Dingen dieser Welt beladen, sind sie
jederzeit bereit beim Anblick des Meeres, des Frühlings und der Wiesen
die Zahlenstaffel ihres Jahrhunderts zu vergessen. Aber sie sind in
ihren sinnierenden und klaren Klängen niemals jenen Rotten verschrieben,
die als Elegiker ihrer mißlungenen Karriere Hunger und Abstinenz als die
Privilege der Dichter rühmen oder als Erfolglose neidig die
Nutzlosigkeit des Ruhmes verkünden oder als klassizistische Epigonen,
die zufällig in einer romantische Periode geboren wurden, Agitatoren
ihrer Impotenz werden, welche sie dann von kleinen Schreibern und
Eunuchen der Kritik als diskrete Erfüllung deutscher Mission in allen
Blättchen loben lassen.

Sie haben nur die eine Absicht: zu musizieren. Ohne das stürben sie.
Ihre schönste Stimme hat der Dauthendey. Er war so empfindsam, daß er in
Tränen ausbrach, wenn ihn etwas störte. Er starb mit Fünfzig wie ein
Kreuzfahrer auf Java (während in Deutschland alles verhungerte) bei
guter Nahrung inmitten phantastischer Natur, vor Heimweh. Vielleicht,
daß die Seele eines Schülers des Vogelweiders in ihn geflogen war, und
daß Herr Ulrich von Singenberg oder der Brennenberger Reinmar aus ihm
sang wie die verzauberten Vögel seiner Geschichten.

Nach soviel mißlungenen Skulpturen endlich ein Maler der Sprache,
endlich einer, der so tief aus dem Dämmrigen kam, daß er das Schaumhelle
spielmannshaft beherrschte. Er war so schön und so wichtig für seine
Zeit, daß die Deutschen ihn auf der Stelle vergaßen.

Seit »Ardinghello« aber hatte kein Deutscher diese helle Farbigkeit. Bei
den Romantikern verschwamm zwar eine gewisse Leuchtkraft in ewig schönen
Nebeln, Jean Paul hat Farbe gewiß zu riesigen Wolken jahrhundertgroß
aufgewühlt. Die hellen glatten Farben hat seit Heinse keiner mehr so
gehabt. Schon seine Valeurs bringen ihn nah ans Märchenhafte: Weiß,
Perlmutter, Silber, Gold, Elfenbein. Er kam aus dem Kreis des lyrischen
Dandy George, dessen Zucht sein Formgefühl anzog und wollte zu den
glühenden Südseefarben des Malers Gauguin. Dazwischen lag der deutsche
Naturalismus. Er hat von ihm seine Saloppheiten und das Banale einiger
unkünstlerischer Wendungen. Er stellte ihm aber eine Prosa entgegen, die
voll duftigem Atem, voll dichterischer Anmut und voll buntem Pathos war.

Endlich malträtierte Einer deutsche Erzählersprache nicht zu
Ackerdienst, sondern ritt sie in die hohe Schule. Nun fing auch die Luft
zwischen den Sätzen wieder einmal an zu leben, zu zittern und zu
glänzen. Die Taumorgen und die Rosen und der Frühling bekamen das
Geheimnis beispielloser Neuheit. Was war das Grau der Schilderer seiner
Zeit, was war die Prosa der Wildenbruch und Schlaf und Beyerlein gegen
diesen Glänzer!

Er kennt endlich wieder die Musik der Farben, er setzt sie mit den
leichtesten Kühnheiten und bekommt immer Grazie und Melodie. Seine
Farben, die ungebrochen von Weiß zu Gold gehen, wären ohne dieses
Musikalische die kühlen Schilder irgendeiner nachempfundenen Klassik.
Die schwälenden Farben von Purpur bis Mond-Orange haben schon die
Romantiker aller Länder ins Übersinnliche geführt. Bei Dauthendey jedoch
wandelt sich Weiß sofort zu Perlmutter, zu Lotos, zu Rose, zu Elfenbein,
zu tausend Spiegelungen, die so leicht zueinander gesetzt sind, daß aus
ihrer Helligkeit und ihrer Klarheit auch in der träumerischsten Luft
nichts anderes als das Märchen sich entwickeln kann, das den Vorzug hat,
ebenso deutlich wie unwirklich zu sein.

Das hat seit den »Serapionsbrüdern« auch keiner vermocht. Deren Dichter
hatte den Märchenton allerdings durch den romantisch besinnlichen Stoff
und die Form des Erzählens und eine gewisse gedämpfte Dämonie zu
beschwören vermocht. Der Dauthendey hat ihn schon von vornherein in der
Atmosphäre, in die er lediglich hineinfabuliert. Seine Sprache ist
nämlich derart ausdrucksvoll durch die mit allen träumerischen
Schattierungen, aber auch durch alle Sinnlichkeiten phantastisch
gefüllte Leuchtkraft, daß seine Figuren und Handlungen immer ohne
Bemühung ins musikalisch Unwirkliche schweben, wo die Gesetze des
Denkens aufhören, aber in einer liebenswürdigen Freiheit die
Begebenheiten sinnbildhafte klare Schönheit annehmen.

Das Geheimnis des Märchenhaften liegt in der Tat nicht im Stoff, sondern
im Ton. Der E. T. A. Hoffmann hatte ihn nach der dramatischen Wirkung
hin, der Dauthendey nach der lyrischen. Aber es kommt nur auf den Ton
an. Es kommt nicht auf die Naivität an und sicher nicht auf die Einfalt
nationalen Gemüts, wie Annexionisten dieses Literaturgebietes so gerne
träumen, und zwischen Vollmond und der Ausgabe von Grimm, zwischen Hans
Thoma und Rotkäppchen die Erde als deutsches Terrain buchen. Die besten
deutschen Märchen sind aus Asien gekommen, und ihr Ton ist wie der aller
großen Literatur international. Zwischen Negern und Eskimos gibt es nur
Unterschiede da in den Färbungen, nicht im Klang, wenn die Bäume einmal
anfangen zu reden und der Mensch durch Zaubereien mit den Elementen
kokettiert.

Von außenheran ist an das Märchenmotiv nicht zu kommen. Wer das denkbar
Einfache, das in Wirklichkeit das unausdenkbar Raffinierte ist,
versuchte, scheitert wie Oskar Wilde, der die Naturlaute mit
Spitzenhosen und manikürten Rosanägeln maskierte. Neben Dauthendeys
Neuheit ist selbst der Däne Jakobsen nur ein nervöser Empfindling, der
doch dem Märchenhaften sehr nahe kam und selbst gegen Andersen, der,
wirklich berufenen Tons, die alten Fabeln in seiner kindhaften Sprache
ohne Eitelkeit noch einmal erzählte, hat Dauthendey eine
unwahrscheinlich schöpferische Modernität.

Man war aber, als Dauthendey antrat, an das landläufige Klischee so sehr
gewöhnt, daß man groteskerweise den Ton hinter dem neuartigen Äußern
nicht erkannte. Welche Revolte, als »Der brennende Kalender« und »Die in
sich versunkenen Lieder im Laub« erschienen! Als der Mann, der die
Tradition der Märchenerzähler deutscher Erde weiter trug ins Neue,
auftrat, warf man ihm wie einem exotischen Teufel alle Bannflüche
entgegen, mit denen man den heiligen Herd schützt.

Dauthendey hatte aber alles gute Deutsche als Erbschaft in sich und
nicht zum Geringsten die Sehnsucht nach der Welt, die er durchwandert.
Er hat in seiner Heimatstadt Würzburg nicht nur die Helligkeit der Sonne
auf dem Main, sondern auch die Inbrunst der Linien des Holzbildhauers
Riemenschneider gesehen, er hat die tanzende Freudigkeit der Weingärten
und das Katholische einer flötenhaften Gotik erfahren, und er hat das
Spielmannhafte der Franken ebenso verschwenderisch wie ihre gut
fundierte Eleganz. So kommt das Mystische zu dem Sinnlichen und die
Heiterkeit des Lichtes zur Grazilität der Form, aber auch die Einfalt
des künstlerischen Blickes zu einer fast unbegrenzten Möglichkeit der
Farben. Und da er den Ton hat, der dies alles erst instrumentiert,
ergibt sich, nicht ganz erlesen oft und im einzelnen sicher nicht
vollendet, als Erscheinung aber erstaunlich, eine Prosa von nicht
genügend erkannter Bedeutsamkeit.

Auch vermochte er, was bloß die besten deutschen Epiker des Mittelalters
konnten, die ganze Welt zu sehen und in seinem Ton zu fangen, ihr nicht
nachzulaufen in allen ihren Wundern, sondern sie, fast offenen Mundes,
zu bestaunen, daß vor soviel Hingabe sie sich dem Stauner ergab.
Dauthendey hat mit heidnischster Freude, animalisch und dichterisch
zugleich, das Exotischste aus Asien und seinen Reisen gezogen, aber
seine Musik, die mit der Schönheit und der Eleganz eines ritterlichen
Spielmannes gelenkt wird, erzählt es nicht anders wie eine Aventure aus
Herrn Walthers Lusamgarten in Würzburg. Die deutschen Dichterreisenden
hingegen haben sich nur hingegeben, wenn sie die Welt durchfuhren, und
nichts dagegen eingetauscht: es war nicht der deutsche Ton, aber
wahrlich nicht die Stimme der fremden Völker; der Schwabe Hesse nicht
und nicht der Rheinländer Ewers, der Breslauer Ludwig nicht und nicht
der Holsteiner Bonsels, der Luxemburger Norbert Jacques nicht und nicht
der Frankfurter Schmitz und nicht der Schlesier Hauptmann. Der Franke
Dauthendey hat es gekonnt.

Dabei hat er nie Märchen geschrieben, indem er die bekannten Puppen
tanzen läßt. Er konnte auch dies und hat von Java her noch in den
»Heiligen Nächten« das Innigste dieser Art seit vielen Jahrzehnten den
Deutschen geschrieben. Er hat die kleinen malaiischen Kokotten und die
Chinesen und die Wunder des »Bivasee« und die sinnlichste Ausschweifung
der genußfrohen Phantasie geschrieben. Er ist einer der unbekümmertesten
Erotiker unserer Sprache, da seine Voraussetzungen so natürlich sind,
daß selbst die nacktesten Frivolitäten sein Liebreiz kostbar macht. Aber
er hat nie hinter fremden Stoffen herexerziert, sondern aus dem
heißesten Morgenland seinen zeitlosen Zauber gemacht, zum Lotos den
Tannenbaum, zum Stillen Ozean den Main gefügt und nichts besonderes
dabei empfunden, da es harmonisch war. Es gibt nur in diesem Sinn einen
Vergleichspunkt in der Gegenwart, das ist René Schickele, der, vom Elsaß
kommend, aus Rhein und Ganges den gleichen Ton zu machen versteht, weil
auch er als Nachkomme Gottfried von Straßburgs die Melodie hat und die
Farbe, die alles in sich einbezieht.

Welch ein Musikant, welch ein Farbenkenner, der Dauthendey! Welch
blitzende Haut auf all seinen Sachen und dabei in der Kontur (wie bei
Schickele) diese weiße, helle Reinheit. Er, der sich nach Schwanken
zwischen Malerei und Dichtung für die Literatur entschied und dessen
»Singsangbuch« noch die selbstgemachte Silhouette seines Kopfes
schmückt, der von Würzburg aus die Welt immer wieder durchmaß und kein
Schillern der Luft, den Geruch keiner indischen Frau und den Abenddampf
keines Tierzwingers zu schildern vergaß, der den Mond liebte und um die
Spiegelung aller Meere ebenso wußte wie um die Flamme jeder
Leidenschaft, dieser Dauthendey hat -- seltsamerweise -- nichts groß und
nichts vollendet gemacht. Auch ist Unterschiedliches im Verlauf selbst
seiner besten kleinen Geschichten, die deshalb klein sind, weil sie nur
Anlaß sind, zu fabulieren, nicht etwa, weil sie bescheiden an Umfang
sind.

Zwischen Naturalisten und artistisch gesalbten Versmachern brachte er
deutscher Prosa Licht und schwebende Farbe, Duft, Eleganz und Arom.
Endlich war ein Erzähler leicht und dichterisch, glatt und voll Welt.
Wie umschmeichelt er die Sätze, wie körperlich hautnah reibt er sich an
den Hauptworten, wie poliert er die Adjektive und wie prall und voll
Farbe setzt er das Verbum an! Zwischendurch erlahmt er zeitweise im
Geschmus. Mitten in verzauberten Worten und bei höchster Eleganz trägt
er den Vollbart seiner Epoche. Er ist trotzdem der schönste farbige
Deutsche seiner Zeit. Allerdings hat er von den Ahnen, die er fortsetzt,
wohl den Ton, aber, um gerecht abzugrenzen, nicht das Format. Gegen die
ungeheuerliche Schönheit des Mittelalters hat er nur den Sinn einer
lichten Erinnerung. Er ist vollendet, aber wie ein Schmetterling, nicht
wie ein Gott. Er hat wohl den Schmelz, aber nicht die Heftigkeit der
Couleurs. Er hat Bedeutendes, aber nicht den Zusammenhang mit der tiefen
Tragik. Er ist Aquarellist, aber nicht ein flammender Entfacher. Er ist
in seiner Mission vollendet, wenn auch nicht als groß geratene Figur
über der Dichtung seiner Zeit, sondern als sanfter Chimärenreiter der
Erinnerung, der, fast schon in Luft sich lösend, ins Spielerische seiner
Art vom Dach der Kathedrale unserer Dichtung hineinsprengt.

Hinter ihm her tummelt eine kleine Eskorte, die, wenn sie auch im
Einzelnen nicht großer Dichtung zugehört, die Liebe zum Schönen doch
voll besitzt und auch im kleinsten Werk bewußt ist, daß ihr Ehrenwort
Trouvere nichts anderes bedeutete, als den Könner der Phantasie und der
Musik des Gedichts. Ins Gigantische begabt war ein Jean Paul aus ihrem
Saft geworden. Der beste Bohème der Deutschen, Peter Hille, war aus der
Schar. Als die Fabrikhausse um ihn rauchte, die sozialen Fragen alle
deutschen Dichter fraßen (sie hatten keinen Zola), die Automobile
anfingen mit offenem Auspuffrohr durch die Landschaften zu jagen, sang
ein reiner Musikton aus ihm durch die Wälder. Er war ein Hüter des
Wortes, er lebte an Lagerfeuern und in Kabaretts und auf dem Boden
seines Landes. Aus seinen Briefen noch, die Pfennigaffären, kindische
Unwichtigkeiten stammeln, steigt, wie über die ganze Misere seiner
Person und seiner Zeit der Perlmuttglanz seiner Prosa. Sein Leben
zersprang ohne Ordnung und sein Werk kam nur auf einige Splitter, aber
wo er unterging, blieb das Durchleuchtende in dem Grau seiner Epoche,
als wüßte man nichts weiter, kaum den Namen, kaum seine Gedichte . . . .
nur daß einer der Chimärenreiter hier an deutsches Wesen streifte. Es
geht nicht verloren.

Sein südlicher Bruder in der vagierenden Weise, Zeitgenosse wie Hille
der Wallot, Bleibtreu, Hart, Henckell, Mackay, Wille, Oswald, Puttkamer,
der Kretzer, Hartleben, Hirschfeld, Halbe, Bierbaum, Gumppenberg, M. G.
Conrad (wo sind sie außer dem wüsten Panizza und dem tapferen Conradi?)
sein südlicher Genosse in der Masse der Übergangsbegabungen, von denen
keiner der deutschen Dichtung auch nur Anstoß oder sich selbst die
Berechtigung seines Daseins zu beweisen verstände, sein südlicher Bruder
ist Altenberg. Es ist fast, als breche hier die Spitze ab der
Entwicklung, denn, obwohl er den Ton hat, bohrt er ihn in alles moderne
Gekröse hinein, läßt wie zum Scherz durch Sanatorien und Pathologien ihn
zwitschern und postuliert seine seltsame Figur zur Sehenswürdigkeit der
Großstadt, daß bald der Ruf seines Gehabes, seiner Einfälle und seines
Treibens mit Dirnenverehrung und narrenhaften Vermummungen seines Leibes
fast mit Unrecht seine dichterische Note übertraf. Ja er versuchte wohl,
schlau wie die Naturkinder, den raffinierten Europäer dieses
Jahrhunderts durch seine Späße zu zwingen, sein Leben zu zahlen, jedoch,
indem er seinen Lebensstil in den Vordergrund bluffte, hielt er seiner
Dichtung eine verzweifelte Wacht. A corsaire corsaire et demi. Als
Spaßmacher entriß er dem modernen amusischen Menschen sein Geld,
dahinter schuf er neben Eduard Keyserling den einzigen Versuch eines
Impressionismus in Deutschland, der sich neben Bang und Jakobsen halten
könnte und führte eine neue, etwas alberne Drolerie in die deutsche
Dichtung. Aus Nervenschwäche und Spielmannston, aus Menschenliebe und
Verrücktheit, aus einer zeitlosen Heftigkeit seiner Gesichte und
bescheidenen Anmut des Stils machte er seine Komik, die in der inneren
Klarheit des Tons über Paul zu den tumben Sängern besserer Epochen
führt.

Auch er hielt die Hand in der Luft und in der Luft hing ihm entgegen das
geheimnisvolle Schlagwerk, das auch den Verschnittenen und Buckligen
erscheint, wenn sie erlesen sind. Die Deutschen sind ein Volk der
Zufälle, und selbst an den Unmöglichsten kann die Stunde herantreten, zu
der er auserlesen ist. Sie sind mit einer gewissen Haltung irgendwo
gestört und auf der anderen Seite voll Glanz. Sie haben, was Bonaparte
von Murat sagte, er sei ein Narr aber der beste General der Kavallerie,
oftmals scheinbar als eine der sichersten Tugenden ihrer unbestimmbaren
nationalen Eigenschaften.

Manchmal hat sich jene deutsche Melodie, da die Erwachsenen sie nicht
verstanden, zu den Knaben geflüchtet und dort mit einer Zartheit des
Empfindens den Einzug gefeiert, der, wie dem genußsüchtigen Smyndiridus
das gefaltete Rosenblatt, jede Berührung mit der Welt die Wollust
trübte. Da kommt dann in der Gebärde ästhetischer Zärtlinge, mit
primitiven aber samtenen Worten weltunwissende Unschuld des Gefühls wie
im Paradies heran. Selbst das Homosexuale hat bei Eckart Peterich einen
stillen Adel erreicht und ein idyllisches Entsetzen entsteht, wenn der
junge Dichter, dem ein sanftes Weib in der Schlafstube erscheint, zum
Lavoir flieht und mit Wasser sich begießt, statt von der Großäugigen
sich verführen zu lassen. Denn wie Kurzbold, des nahen Limburger Domes
Gründer, haßt er die Weiber wie das Äpfelessen, und aus dem Dunkel
seiner Hintergründe taucht die Welt der silbern bestickten Gobelins mit
Heiterkeit und Ruhe. Fragen der Kunst scheiden aus, wo nur die
Atmosphäre des geteilten Lichtes spricht. Man zerstört nicht den Charme,
wenn man nicht aufspießt und, indem man sich des Vergnügens nicht
beraubt, rührt man nicht an die Zerbrechlichkeit der Werte.

Etwas viel Künstlicheres ist von derselben Farbe unter dem Schweizerhut
des Robert Walser, der schon aus der unliterarischen Heiterkeit dieses
Knaben tief in die Literatur springt. Das ist ein Maler, wenn er anhebt,
und ein eitler Wissender wenn er aufhört, denn wenn er wie in ein
Stereoskop die Welt bunt hineingepappt hat, hat sie den Glanz des
Salomon Geßner verloren, dem sie nachgebildet ist, weil statt ihrer
eigenen Einfalt die gespreizte Jünglingshaftigkeit ihres Dichters darin
sitzt. Das Geckentum Walsers, der nur in ewiger Schlankheit die Welt
nicht gläubig erleben, sondern in seine Tirolerjodler hinein blasen
will, ist das gleiche wie das des Wilhelm Schäfer, nur daß der Schäfer
mit seiner breiten Brust und seinem enormen Können ein böser Raunzer
ist, der seine Verkanntheit mit naturburschenhafter Eitelkeit verbrämt.

Der Schäfer hat prachtvolle Sachen über Pestalozzi geschrieben, aber die
Dunkelheit seines Blutes genügt nicht, ihn anders als einen Epigonen des
Keller gefärbt zu sehen. Auch in den »Kammachern« Kellers sinniert
jedoch derselbe Vogelsang wie in den Jugendträumen Hermann Hesses. Und
selbst der ungeschlachte Schlesier Stehr, dieser rührende
Zu-Nichts-Kommer, hat manchmal den Wunsch, wie ein Füllen aus seiner
Elefantiasis auf die Weide zu springen. Es scheint manchmal, die
Deutschen vermöchten, wenn ein Kunstgriff ihnen die Änderung der Natur
erlaubte, sofort aus ihren Gegensätzen sich zu lösen und mit Vorzug in
der Lage zu sein, auch in der Form der Vögel zu existieren.

Aber auch die Prinzen haben sich an dem Rand der großen Symphonie
deutscher Dichtung eingestellt. Aus den Märchen schon hob sich die
leichte Grazie der mit seltsamer Jugendwürde verzauberten Edlen und
manchmal trägt einer den unsichtbaren Kranz noch durch unser
Jahrhundert. Sie sind bestimmt rasch zu sterben. In den Briefen des
Zeichners Thylmann, der Bäume und Felsen geliebt und gezeichnet hat,
hält einen Augenblick diese geheimnisvolle schlanke Würde. Er kam
ebenfalls aus dem Kreis des Dichters George, der die Barbarei beging, so
sehr es seiner salbentrunkenen Weltentrücktheit widersprach, durch
Vergewaltigung in Taggesängen und Minneliedern das Mittelalter
zurückzwingen zu wollen, das er selber nicht besaß. Seinem Schüler
Thylmann aber gelang es, auch den märchenhaften Farbton neben die
überlegene Würde des unbewußt erlesenen Menschen zu setzen und seiner
Prosa eine schicksalshafte Kindlichkeit zu geben, die der schlanken Maße
und der Reinheit der Haltung nicht vergaß.

Wurden die Prinzen früher verzaubert, genügte es ihnen, die Welt zu
durchstreifen als Bettler oder Hirtenjungen von uns unverständlicher
Grazie. Als sei des abgeschossenen Thylmann Seele in die Augen eines
anderen getreten, geht sein Geist, nur ein wenig verwildert, durch die
Sehnsucht Hans Siemsens. Denn auch dieses Vaganten Stimme hat die
gleiche Kurve, in der der Fall von Glück und Traurigkeit und das
Sichablösen der Stimmungen von der Landschaft hin und herschwingt und wo
jede Frage schon ohne Erwartung ihres Echos angestimmt wird. Denn es ist
bestimmt, daß diese Menschen unbegreiflicherweise dem Zustand ihres
Glückes am nächsten sind, wenn es ihnen am entferntesten schaukelt. Denn
es genügt ihnen, nichts zu haben, nichts zu erreichen, nichts zu
wünschen, sondern nur großäugig zu staunen und zu bewundern und
höchstens ihrer Besitzlosigkeit eine gewisse Gepflegtheit ihrer Körper
wie ein heimliches Erkennungszeichen hinzuzufügen. Wäre sein Ansehen und
sein Einfluß nicht zu deutlich, würde man den Meister in der Erziehung
zur Schönheit dieser Jünglinge, den Sammler des Maler-Zöllners Rousseau,
Wilhelm Uhde, leicht von ihnen weg zu den reinen Ästheten stellen. Es
wäre ein Irrtum. Die Breite seines Romans von »Fortunat« entspricht
allerdings nicht seiner Gewalt, und seine Ründe sicher nicht seinem
Aufbau, und es ist überhaupt bezweifelbar, ob der ein Künstler ist, der
ihn schrieb, und nicht ein Bewahrer ausgezeichneter Traditionen, die,
wenn auch überkultiviert und ein wenig blaß in der Farbe, dennoch die
leichte Lösung unserer Krämpfe eher begünstigen, als daß sie sie
bekämpften. Denn in der Ansicht mehr als im Ausdruck und in der Pflege
seiner Idee von der Melodie mehr als in ihrer Ausübung ist hier die
schlanke Grazie alter Farben gehütet, und wenn all diese Jünglinge auch
Zärtlinge sind und Wollüstige und ihre kleinen Begabungen mehr als Lohn
einer gewissen Verweibtheit als tiefer Abgründigkeitsqualen um die Kunst
tragen, so nimmt ihnen kein Vorwurf die Anerkennung ihrer Existenz, mit
der sie, wohl schmaler und feiner und unmännlicher als andere aber
lebend und existierend mit ihren Melodien hinter den Reitern des
Mittelalters her ziehen. Manche als Kavaliere wie Uhde in der Berline
mit sechs Pferden, manche mit Kindertrompeten und Drachen, die über
ihren Händen im Herbstwind steigen, manche auf gezüchteten Pferden oder
bukolischen Ziegen oder auf den Rücken ihrer Freunde, in einer fast
immer schon in dem Blau verschwimmenden Bewegung, mit dem die Luft sich
unter ihre Körper schiebt und sie entführt.

Auch auf den geschnäbelten Wikinger-Schiffen der Dichtung hat sich der
Ton gehalten, und als ob seine Galeere sich piratenhaft vom Domfirst
höbe, schwingt René Schickele seine fast kämpferisch helle Melodie. Er
ist der schönste und bewundernswerteste deutsche Dichter der Gegenwart.
Wie Schickele schreibt keiner das Deutsch, daß es Prosa bleibt von
aquamariner Dichte und doch Gesang. Sein Buch »Mädchen« sind die
schönsten und reinsten Erzählungen unserer Sprache seit Jahrzehnten. Er
hat die Fülle seiner elsässischen Heimat zu der fliegenden Kraft seiner
Sätze gezogen, und was die anderen alle an Kunst nicht erreichten,
sondern an Anmut nur wiesen, hat er mit einer schmetternden Kühnheit
auch an dichterischer Gewalt noch seiner Eleganz hinzugefügt. Hinter ihm
wendet mancher sein Gesicht um in die Zeit. Da beginnt schon Gegenwart
und manchmal grenzt das Träumen der Jünglinge schon an die Weite der
Welt und nimmt den Kopf in die Hand und denkt nach. »Karlos und Nikolas«
ist die Geschichte zweier Jungen von einem gewissen aus Argentinien
gekommenen nach ihm zurückgekehrten Rudolf Johannes Schmied, aber die
Deutschen sollten dies Buch kennen wie die Franzosen Daudets »Lettres de
mon moulin« oder den »Tartarin«. Hätten sie Sinn für die Bescheidenheit
und zugleich Sicherheit gegenüber der Welt, für Phantastisches, das mit
Belehrendem sich mischt, für die Eleganz ihrer Schwächen und die Größe
der Welt und die Anmut selbst in der Verzeichnung ihrer Typen, in
Schulen und Auswärtigen Ämtern würde dieses Buch aufgestapelt. Ach die
Deutschen flüchten lieber, weil sie den Glanz ihres tieferen Wesens auf
dem Grund der Dinge nicht mehr sehen, zu den Plakaten, reißen sich um
antisemitische Schmarren des Herrn Dinter, um erbärmliche
Schlachtgeschichten des Bloem, um Borussiaden, die nur das Fatale, nicht
das Edle der Preußen zeigen und wenden sich wie von läppischem Unrat von
ihrem eignen Herzen. Seltsames Volk, das sich mit den Klappern der
Wilden Götzen baut, wo es Götter hat.

Einmal mischte sich die alte zärtliche Melodie sogar mit Handlung und
Urteil. Über Schmieds Distanz zur Welt geht Robert Müller zum Angriff.
Er ist primitiv und raffiniert. Seine Frische hat eine sportlich
gepflegte Gedanklichkeit. Aber sein Naturburschentum ist nervös. Wo er
an die Grenze des landschaftlichen Dichters kommt, fängt der in großen
Zusammenhängen kombinierende Journalist an. Wo die Gefahren des
Reporters liegen, steht seine Tatkraft aufgepflanzt. Denkerisch bringt
er im »Barbar« manche Kühnheit, handelnd einen Pfauenschwanz von Zeit.

Dazwischen geht der Ton des Dauthendey wie auf Wiesen und läuft,
bestimmend zwar und wichtig, aber fast unsichtbar zwischen trainierten
Muskeln und geschultem Hirn in die europäische Arena, einer Troyka
gleich, deren Außenpferde ziehen und deren drittes nur schön ist und die
Richtung gibt, sonst nichts.

Ich bin nicht der Chargé d'affaires der Süßlinge. Ich erwarte kein Heil
der Zeit von den Troubadouren, und meine Zweifel an der Kraft der
Gefälligen sind wie meine Eigenliebe groß. Ich glaube nicht, daß die
Homosexualen uns in das Glück führen, wie die heilige Schar der
Thebaner, die nur aus sich Liebenden bestand, aber ich weiß, daß ihre
Manieren besser sind und ihre Instinkte manches Männliche behielten, was
die Robusten vergaßen. Absurd zu denken, daß ich den Knaben die Flöte
halte, um deutschen Himmel damit zu ersingen. Selbst Don Quichote mußte
sich gegen die Galeerensklaven sofort verteidigen, denen er selbst die
Freiheit gab und ich muß die Winkel richtig stellen zur Schau.

Indem ich den Irrtum nehmen wollte, Klassisches oder Naives sei typisch
deutsch, verlangte es mich die Verzierungen zu zeigen, die den wahren
stillen Ton der Deutschen tragen neben den Falschen, die die Masse hört.
Diese Sänger, die die Kette zum Vogelweider irgendwo selbst in der
einfältigsten Blässe immerhin binden, sind nicht das Bild des Deutschen,
sondern sie sind die leichten Schönheiten des Schaumes, die nur anzeigen
in ihrer Anmut, mit welchen gigantischen Donnern das Element darunter
liegt. Die schönen Chimärenreiter blasen die rosane Melodie auf den
Firsten, um die dunkle Schönheit der Kathedralen unter ihnen und ihr
gewaltiges Wachstum um so schöner zu beweisen. Ihre Töne kamen wie
Blasen manchmal ins Urbane, sogar bis ins Bewußte. Aber unter ihnen
liegt die unentbundene und ach vielleicht nie entbindbare wilde Kraft
der deutschen Bestimmung.

Ach was wissen Sie nun, Mijnheer? Sie haben geträumt, gerochen, aber
nichts gefaßt. Wie sieht ein Deutscher aus? Sie wissen es nicht. Ein
Dicker, ein Bemonocleter, ein Tapferer, ein Schmalhüftiger, ein
Zärtling, ein Hanswurst, einer mit Blumen am Hut, ein Amokläufer? Ich
weiß es nicht. Ich ahne es kaum. Wenn Sie mich gut verstanden haben,
werden Sie ihn dennoch erkennen in der Welt, des bin ich gewiß.

Manchmal, nicht selten, begab sich nämlich das Geheimnisvolle, daß mir
war in der Fremde, ich träfe Deutsches unter den Söhnen anderer
Nationen. Ich vertraute, ich liebte, ich wurde wieder geliebt, und ich
erklomm die Höhe manches Glückes. Aber ich fand dagegen unter den
Kindern meines Volkes, am Rhein, am Neckar und den Seen meiner
Segelzeiten alle Fehler gehaßter Völker, ich wurde gehaßt und bekämpft
und verleumdet. Ich starrte oft, wenn ich die Gaffel am Mast nach den
Launen der Böen studierte, in einen namenlos entfremdeten Himmel über
Bayern, aber ich fand in der Welt der Fremde oft deutschen Himmel voll
Reife und Glück, die ich in Deutschland nie sah. Deutsches zu finden
kann heißen vielleicht, in die Welt zu gehen und ist nicht abzumessen
und anzugliedern vorerst nach Bau und Hand. Deutsches zu gestalten wird
heißen, es aus der Welt und gereift zurückzutragen in die Heimat, aus
der wie ein zersprungener Stern sich das Volk der Germanen über die Erde
stürzte und Afrika, den Norden, Spanien, Asien und die Slawen mit seinem
Blute düngte. Europäische Luft dringt durch die Kerzen herein, die unter
dem Bewußtsein des Sturmes allein schon beben.

Sie sind fast abgebrannt. Wir haben lang geredet, selbst die Mäuse
schlafen und die Vögel haben sich beruhigt. Die Alpen waren gegen Abend
einen Augenblick lang aufgebrochen mit entflammter Idee, ihre Figuren
geteilt wie Heroen, dann sank die rote Dämmerung über die Bäume, die
unter den Lasten des Schnees schon tropischen Wäldern gleichen.
Phantastische Palmen haben sich den großen Fichten gesellt und die
Weiden tragen eine gläserne Gespenstigkeit, als kämen sie wie ein Traum
von Hawai, wo die Bäume nicht nur die Form der Orchideen, sondern auch
die Vielfalt und tolle Kraft der Träume tragen.

Ich liebe die Eifel, die Rhön, die Vogesen, den wilden Karwendel, die
Alpspitze, den Schwarzwald, ich liebe alle Gebirge der Heimat, die ich
durchwandert, befahren, überflogen seit meiner Kindheit. Aber oft stieß
ich an Berge der Fremde, an Meere, die daran mit Größe und funkelnd sich
schlossen, an Prärien der Freude, und ich dachte nicht der fremden Namen
und der anderen Sprache, sondern dachte: auch hier ist Deutschland.

Und ich empfing die gleiche hinreißende Liebe wie zu einer Eroberung der
Schönheit und ich verstand immer wieder den Wandertrieb der Germanen,
die so sehr schließlich ihre Heimat überall empfanden, daß sie glaubten:
wo auch immer es gut gehe, sei Deutschland gepflanzt. Es gibt keine
deutsche Sehnsucht, die nicht in die Welt hineinführte, aber keiner hat
verstanden, sie erfüllt aus der Welt zurückzutragen und damit an ihren
Menschen zu bauen. Darüber zu trauern, ist chagrin de luxe. Es ist
Bestimmung und Tragödie, das ändert kein Gefühl.

Wie sollte der Deutsche aussehen, den ein Wunsch im Innern unbewußt
gestaltet? Der Fürst Pückler Muskau hatte etwas von ihm, der zur Melodie
der alten Sänger die Bildung eines Seigneurs legen konnte und dem noch
die Haltung des Briten und die Gewandtheit des Romanen hinzufügte. Ich
vertrieb einmal, in den Gartenpavillon eines englischen Diplomaten
tretend, den Besitzer, allein ich sah noch, daß er im Kimono floh, um
sich anzuziehen. Neben dem Tisch seines Frühstücks aber lag eine Karte
der Welt mit allen Festungen, Flüssen und Schiffahrtslinien und den
Küsten und Städten aller Kontinente neben einem diplomatischen Bericht
und den Oden des Horaz.

Das war ein Mann, der das Leben, das Geschäft und die Muse mit
überlegener Würde anmutig zusammenhielt. In Schumanns Briefen steht er
unbewußt einmal im Umfang ähnlich, an Figur noch klarer gezeichnet, wo
dieser Musiker träumt von einem Mann, der zu Fuß Moskau, Rom, Marseille,
Hamburg und die Welt dazwischen durchwandert habe, gut sich kleide,
Thukydides lese, Algebra treibe und musiziere. Das ist die Zukunft, die
wir hoffen, aber zuviel schon der Hoffnung. Die Kerzen sind aus. Aber
der Sturm hat kein Ende.



Die zweite Nacht


Halten Sie die kleine Mannpistole gegen die Lampe auf den Fahnenmast,
visieren Sie genau, so entdecken Sie einen hellen Punkt. Er bewegt sich.
Es ist die Diva, die sich dem Schnee aussetzt.

Um acht Uhr öffneten sich die Türen zu dem Glasabschluß und in den
Speisesaal kamen die Filmer, die seither, geschminkt in der Arbeitspause
unter sich speisten. Man applaudierte ihren Einzug, zwischen den Damen
in übermäßiger Toilette kamen die berühmten Allgeier und Schneeberger
und Schneider-Sankt Anton und stampften mit den Füßen. Es schien,
zwischen den sportliebenden Leuten der Gesellschaft, den Weltdamen des
Films und den Schneeschuhheroen werde eine Stimmung sich entfachen von
der leisen Heiterkeit des Kamins, aber es wurde nur Katastrophe. Es gab
keinen gemeinsamen Ton, die Skiläufer waren zu laut, die Filmweiber ohne
Gefühl für die ihnen provinziell scheinenden Damen der Gesellschaft und
diese hatten von vornherein den Verdacht der Eingesessenen gegen das
fahrende Volk. Die Musik rettete mit einer silbernen Kaskade neben der
sie noch überzitternden Stimme einer italienischen Dame den Abend und
gab mit dem wechselnden Überglänzen des Flügels und des Alts ihm einen
gewissen Abschluß.

Sie hatten wohl alle die beste Absicht und suchten es sich zu bezeugen,
aber sie gelangten alle nicht über die Grenze ihres Blutes, dessen
vielfache Gehemmtheit Deutschland mehr zum Feldlager von Condottieri als
zu einer Nation macht. Wen haßt der Deutsche mehr wie den Deutschen und
wen kennt er weniger wie seinen Nachbarn? Wie nobel beweist sich
manchmal sein Herz zu den Feinden und welche Voreingenommenheit und
welche Ungeheuerlichkeit speit er dem Bruder ins Gesicht. Wenn Sie genau
zusehen, werden Sie bemerken, daß die Diva in den roten Radius der Lampe
geraten ist, und wenn Sie wollen, werden Sie spüren, mit welcher
Bewegung sie in die Skiablage eintritt, denn sie reckt ihre Brust und
den Nacken hoch und es ist als folgten geschmeidig die Hüften und die
langen Schenkel, genau so, als bemühe sie sich in der liebenden
Umklammerung einer Schlange aufzusteigen. Welche Rasse. Diese Filmbanden
sind ein glänzender Nachzug jener wandernden Trupps in grünen Wagen, die
Theater ins Land brachten, wenn auch das Tempo ihrer Automobile, der
Schmuck ihrer Weiber und die Schecks ihrer Arrangeure andere Ansprüche
dem Schicksal entgegenstellen als früher jene Lust geschundener
Komödianten zu stellen hatte: nicht tiefer geachtet zu werden wie die
Zigeuner, dafür aber Kunst machen, lieben und bieten zu dürfen. Die
prächtigen Intelligenzbärte und alle Schleimsuppen des Geistes haben
sich im Namen der Musen nicht zurückgehalten, »Stellung zu nehmen« und
den Film als unwürdig abzudonnern.

Die armen Schlauen haben ihr Geschütz falsch gerichtet und mit einem
Mörser einen Sperling erschossen und triefen vor Zufriedenheit wie alle
falschen Nimrods. Niemand hat die Behauptung so formuliert. Film ist
keine Kunst. Aber er macht Vergnügen. Daher beschäftige ich mich mit
ihm. Er ist die zweitgrößte Industrie des Landes und bewirtet die
schärfsten Intelligenzen der Akteure, Regisseure, Techniker, daher
interessiert er mich in seinen Möglichkeiten. Ich weiß, daß ein Husten
Bassermanns mehr ist als die Film-Zauber des Nils. Aber es verlangt mich
gelegentlich auf Seglern das Meer vor Nizza zu schauen, oder den
Pullmanzug durch die Prärien rattern zu sehen und angewidert von der
Arroganz und Erfindungslahmheit der zeitgenössischen Dichter eine
Handlung in fabelhaften Kurven vor mir hinsurren zu spüren.

Ich ziehe es vor, ein Drama in Verfolgung und Erschießen im Ballon und
die Maskierung von Verbrechern atemlos zu verfolgen als im Theater
erleben zu müssen, wie Gerhart Hauptmann sich die seelischen Konflikte
der Azteken Mexikos vorstellt -- und ich achte staunend lieber darauf,
wie von Häusern herabgeklettert wird und mit welchem Anstand man heute
doch noch irgendwo scheinbar lebt und Haltung behält, reitet und schießt
und das Ganze im Bildflimmern zusammensetzt, als daß ich
schlafmohnumwunden die Dreizehn Bücher der Deutschen Seele von Wilhelm
Schäfer lese. Wer Saphire in ein Zahnrad schmeißt, ist ein Idiot, wer
Kunst in den Film trichtert, den weise man aus der guten Gesellschaft.
Ich bin für den Film, wenn es mir Lust macht, und dagegen, wenn ich
Unbehagen habe. Ich tue ebenso tausend andere Dinge, die mit Kunst
nichts zu tun haben, ich reise, ich spiele Croquet, ich beschäftige mich
mit meinem Hund und niemand wird mit mir über Kunst dabei diskutieren,
sondern höflich bei seinem Thema bleiben. Es blieb den deutschen
Dichtern vorbehalten, die so weltunwissend wie abgründig in ihrem
Ausdruck sind, daß sie, die unter maßloser Überschätzung ihres Berufes
leben und Welt und Wolken und Schicksal nur unter dem Gesichtspunkt
ihrer Verse und Szenen erbärmlich zu sehen wissen, es blieb ihnen
vorbehalten, Bannstrahle »gegen Unbekannt« zu schleudern und da von
Kunst zu reden, wo es ums Geldverdienen geht.

Als Friedrich der Große, der sein Leben lang eifersüchtig auf Voltaires
besseres Hirn war, Rapporte las, die ihn veranlaßten loszuschlagen oder
zu verlieren, sagte er, beschwingt von dem schöpferischen Atem, der ihn
beim Handeln endlich gegen den geistigen Nebenbuhler bevorzugte, ein
wenig spöttisch vergleichend: »Was würde Voltaire tun?«, und schlug los.
Er meinte, die Dinge im Leben gehörten sauber auseinander und er wäre
gewiß der Ansicht gewesen, daß das Erlernen der Filmtechnik für deutsche
Autoren wegen ihres Tempos und ihrer belebenden Form und auch für das
Einkommen der Guten förderlicher sei, als daß man in dem Gebiet der
Kunst für Geld erschreckliche Dinge tue von Balzacs Anfangsromanen bis
zu Hauptmanns »Lohengrin« und dem Kriminalbuch der waffenfrohen Amazone
Huch. Um etwas anderes kann es sich beim Streit um den Film nicht
handeln, denn das wäre nicht nur dumm, es wäre schon gefährlich.

Näher läge jetzt in die Halle zu gehen, die Diva zu laden und mit ihr
über neue Seiden, Crêpe marocain, über ihren Fiat-Wagen und wie sie aus
dem Flugzeug springt, zu reden, widerspräche es nicht unserem Abkommen,
die Nächte nicht zu unterbrechen und hätte ich nicht einen Frisson gegen
Weiber mit Beruf. Näher liegt, vom Theater zu reden, aber auch das ist
keineswegs in der Abwechselung mondän. Wo anders geht der Mensch in
Frack oder Smoking oder selbst weichem Kragen, de rigueur oder wie es
ihm beliebt, ins Theater, erheitert sich und geht sodann zum Speisen.
Der Autor des Stücks illustriert die Gesellschaft, und wo er dramatisch
wird, hilft ihm die Ironie zu unbeschwertem Takt. Der beste Dichter
dieser Art seit Molière ist Shaw. In seinen Stücken ist keine Frage,
kein Leid und keine Sehnsucht, die einen Menschen unserer Tage angeht,
ungelöst und unbesprochen, trotzdem verläßt jedermann vergnügt das Haus.

Dieser Kelte hat es ihm ergötzlich serviert und den Weg, statt
unterirdisch zu brodeln, von der heiteren Oberfläche her zu allen Tiefen
gemacht und ist wieder zur Oberfläche zurückgekehrt, weltmännisch, groß,
überlegen und wahrhaft modern. Die Schauspieler wirken daher in der
Distinktion ihres Talentes lediglich wie geschmackvoll bewegte
Landsleute dieses Iren, die der Franzosen aber sind überhaupt schon
Gottes natürliche Schauspieler, die Zuschauer erblicken in ihnen nichts
als besonders kultivierte Exemplare ihrer Rasse und Gewohnheit.
Ähnliches hat, kann man überhaupt vergleichen, nur Wedekind bei den
Deutschen, nur daß er lediglich infolge Fehlens einer Gesellschaft die
Sünden seiner Zeitgenossen zu einer schief und lahm gelachten Zeitbande
zusammenwarf.

Alles andere ist bei uns problematisches Zeug, Edelschmus und
monologisierende Vorgänge, die, meist unverständlich, geredet werden,
während man sie viel gemütlicher läse. Ohne Eindrillen der Jugend auf
die Klassik, würde Goethes »Faust« im Theater genau so als verquollen
abgelehnt wie der Wechselbalg, in dem irgendein Jüngling sich auf seine
Weise unklar mit der Welt ausdisputiert. Faust ist keine Rolle, und
Gretchen, in dessen Lyrik Erhebliches an Dichtung steckt, wirkt auf der
Bühne als alberne Gans. Niemand geht letzten Endes erlöst, kein Mensch
erheitert aus dem Theater, die Bühne als moralische Anstalt ist ein
Schlagwort der Verlegenheit unter den Gebildeten, das ihre Hilflosigkeit
aber auch ihre Feigheit, gegen den dramatischen Theaterwust zu
protestieren, schwülstig drapiert. Nie hat das Theater jemanden
gebessert, niemand hat das gewünscht, das antike Theater ist kein
Vergleich, weil es aus den Kulten kam und religiös verankert lag.

In Deutschland hat Theater mit dem Volk nichts zu tun, es hat überhaupt
mit nichts etwas zu tun, sondern hängt wie ein Kunstwitz der Semiramis
in der Luft. Wie soll Theater, in dem ein Volk stets am deutlichsten
gespiegelt ward, zusammenhängen mit einer Nation, die Architekten aber
keine neuen Städte, Künstler aber keine Kunst, erstklassische
Revolutionäre aber nie eine anständige Reaktion besitzt . . . wo durch
die Trümmerhaufen wohl geniale Irrlichter fahren, aber die Malerei sich
nicht in die Wohnungen geschmiegt hat, die Plastik sich zu keinen
Kathedralen fand, die Dichtung keine Nabelschnur zur Seele der Masse
gewann. Das Witzkarnickel der Literaturgebildeten, Herr Sudermann,
wollte viel mehr, als diese Dummlinge glauben, denn er suchte
Gesellschaft zu geben, aber er gab Wasser und Leim. Er hatte tatsächlich
nur das Mißgeschick kein Künstler zu sein, denn sonst wäre er Wedekind
geworden. Jeder von ihnen suchte Gesellschaft zu schildern, der eine
die, welche er sich vormogelte, der andere die, welche sein auf
Disharmonien eingestelltes Jägerauge in das Vakuum bannte, wo diese
Gesellschaft sein sollte, aber, sapristi, nicht bestand.

Mit den Verzückungen der Hrotsvita begann etwas Leben im deutschen
Schauspiel, geistliche Herren setzten es fort, indem sie Weiber
darstellten, die Rabbi Jesus salben wollten und den Engel trafen am
Ostermorgen. Langweilige Sachen wurden daraus in den Osterspielen und
Passionen, wo tagelang hunderte Menschen paradierten von Benediktbeuren
bis Innsbruck, bis man schließlich mit Zoten die Angelegenheit würzte
und Christus den Stuhl wegzog, als er sich setzten wollte. Die Rosenblüt
und Sachs und die ihren brachten in die verdrießlichen Bibelszenen
wenigstens Charaktere und feuerten um sich gegen Ritter und Papst, vor
einigen Jahrhunderten spielten sie in Uri bereits nationalistisch den
Tell. Die Kleriker riefen die Jesuiten zu Hilfe und diese erfanden den
bewegten Rhythmus kolossaler Barockmassen und den sensationellen Klamauk
musikalischer Aufzüge.

Es war an der Zeit, daß englische Akteure mit Marlowe und Shakespeare
nach Deutschland kamen und dort den Stand der Schauspieler erstmalig
gründeten. Sie lehrten die Deutschen ihr Gesicht zu mimischen Grimassen
überhaupt erst zu verziehen, man lernte, was Tragödie war, und neben den
italienischen Lazzis, neben Jean Potage und dem Pickelhäring der
Holländer zog in der Komödie Hanswurst in Deutschland ein.

Nun kam Molière. Um Stil, koste es was es wolle, zu kriegen, krampfte
sich Gottsched, der klüger war als die ihn verlachen, an Boileau und
Aristoteles und schlug den Hanswurst übers Maul. Klopstock fürwahr
brachte mit seinen sechs Dramen kein Theater auf die Höhe einer
Gesellschaft, worauf Lessing wieder englisch auf Natur die Le Nôtre'sche
Pallisade säuberte. Dann ging die Führung von den Dichtern völlig zu den
Akteuren über, wo der Schauspieler Schröder die neue Nüchternheit mit
seinem Organ beschwingte, Iffland die Schauspielerei wieder vom Kothurn
ins Aufgeregte und Mimische zurückriß, Devrient das Zerblätterte ins
Feurige des Eindrucks wieder hineintrug. Grillparzer floh zwischendurch
ins Griechische und Uhland verfaßte »Herzog Ernst.« Da Sie ihn nicht auf
der Schule lasen, sind Sie einen Faden näher der Seligkeit wie ich. Wir
sind in der Gegenwart.

Was sahen Sie? Entwicklung des deutschen Dramas? Sie sehen einen
Raubzug. Man brach aus nach allen Seiten, plünderte Stoffe, holte Stile,
suchte ein nationales Schauspiel. Man ging in freiem Ringkampf, catch as
catch can, in die Arena der Völker, um ein Theater zu erwerben und
eroberte die interessantesten Dinge. Aber was die Deutschen nicht
besaßen, ließ sich nicht erwerben. Ihr Theater war immer das von anderen
und von anderen nicht das Beste. Und war wie eine photographische Platte
höchstens genial in der Kolportage von Fremdem, auf unserem Boden aber
nie ein Stamm und ein Wuchs.

Das große heutige dramatische Theater der Deutschen um Fürsten und
ältere germanische Herrschaften und unverständliche Riesenleidenschaften
ist, wo man Gesellschaftliches und Zeitgemäßes will, nunmehr nur
komisch. Das alltäglichste Wort »Wie geht es?« heißt russisch: »kak
pozivajes« und schwedisch: »hur står det till?« Was hält so irrsinnig
andersredende Menschheit zusammen außer der Geste überkommener Sitte und
Gesellschaft und ihre Mimik. Ihren Gesichtsausdruck mußten die Deutschen
aber von den Engländern lernen, ihre Sitte von den Franzosen, es gibt
heute weniger wie je ein Theater, das von der Oberfläche her die
deutsche Zeit und Gegenwart aussagt. Die schweren in dramatischer Form
gebotenen abstrakten und längst abgetakelten Mammute, mit denen die
Dichter immer noch am Zaum erscheinen mit der Bitte um gefälliges
Interesse, ersetzen nichts, sondern machen den Zwiespalt grotesk. Unruhs
Schick, ihnen eine messianische Predigt an die Gegenwart am Schwanz
prophetisch anzuhängen, ist die unkluge Geste eines sehr begabten
Kopfes.

Solches Theater mit Weltausmaß, ehernen Ewigkeitsfiguren, Muskeldramen,
Heroen mit Lotosblättern um die Gelenke, solches Theater: die Welt in
tausend Personen, aber den Gigantenapparat in genialer Hand wie geölt,
das hat der Shakespeare nur gekonnt. Aber er fügte auch die atemlose
Spannung hinzu, schuf Menschen, nicht verkrampfte zu Lebewesen zerboxte
Ideen und hatte Rollen von solcher Vielfalt, daß er sie gleich wie aus
einem Füllhorn durch seine Schöpferzunge meteorhaft über die Erde blies.
»Shakespeare enfant« sagte Hugo zu Rimbaud, es war ein Kompliment an
dessen lyrische Wildheit. Für unsere Dramatiker gesagt ist es ein Witz.
Aber auch für den britischen Hünen war seine Urwelt, die er schuf, nur
die Epoche seiner Fürsten, seiner Kriege und seines Adels. Weiter
nichts. Aus diesem Humus, nicht aus seinen Fingern gesogen kam ihr Mark
und Menschtum. Im Knochen unserer Titanen ist Tinte, Wasser und etwas
Idee.

Da wir so viele Solostimmen aber kein Orchester besitzen, ist jedoch
immer viel Lärm derer dagewesen, die den Stil erzwingen wollen. Da die
Scharfschützen nicht von der Mitte aus schießen können, zielen sie von
der Peripherie nach der Mitte. Nirgends wird daher der zeitgemäße
Ausdruck übertriebener gesucht wie in Deutschland, kein Land färbte den
Naturalismus so widerlich, spitzte die Stilzeiten so nadelscharf, walzte
den Impressionismus so plump und gellte jede Kunstrevolte so exotisch in
das friedliche Land. Wir sind bei Gott auch in Dingen der Kunst ein
freudiges Negerlager, während sonstwo man versucht ein Haus zu bauen und
Vater und Sohn statt ewigen Racheschwüren sich befriedigt nach dem Kampf
die Hand schütteln. Sie fahren sonstwo alle im selben Schiff und wissen
es, reden im gleichen Parkett, tauchen im selben Sumpf. Die Akteure
spielen wie ihresgleichen, die nicht diesen Beruf erwählt haben, wenn
sie im Métro, in Hasselbaken, in der City, am Lido, in Kopenhagen sich
bewegen. Sie haben daher Theater. Wir haben nur Regisseure. Sie haben
die bessere Schauspielerei. Wir haben die amüsanteren Kerle. Die
Ausländer spielen auf das Menschliche hin durch das Medium ihrer
nationalen Gebärde, die Deutschen aber spielen für den Mond. Das heißt,
daß unsere Ensembles nichts taugen, daß wir aber manchmal vortreffliche
Schauspieler haben.

Ich habe Schauspieler fast der ganzen Welt gesehen, ich fand Bassermann
besser als Coquelin, Kraus amüsanter als Anders de Waal, die Durieux
größer als die Bosse. Aber was sie boten, waren Leistungen, die man
bestaunte und waren nicht vorzügliche Selbstverständlichkeiten. Als die
Sarah Bernhardt mit französischen Kolonialleoparden über den Boulevard
fuhr, tat sie es, um in zehn Roben bei fünf Gerichtsverhandlungen
erscheinen zu können und die Quittung an den Abenden ihres Spielens vom
Publikum zu erfahren, nicht für ihre Reklame, sondern für ihren Mut und
ihre Phantasie, Nationaltugenden, die das Publikum bei ihr akklamierte.
Wenn sie aber, die vollendetste Tragödin, an der Rampe sterbend und grün
schon, während das Publikum vor Rührung weinte, ihrem Nachbar
zuflüsterte »Merde«, so bewunderte ihr Publikum in diesem Zwischenfall,
wenn es ihn später erfuhr, nicht die Unanständigkeit der reizenden
Gebärde, sondern die Ironie der Überlegenheit, die selbst das Sterben
meistert, und in der es eine der besten Eigenschaften des Volkes sieht.
Das ist Theater und das ist Gesellschaft. Man kennt und bestätigt sich
gegenseitig.

Es gab einen Deutschen, der auch diesen Zusammenhang herzustellen
vermochte, wenn auch auf seine Weise: Wedekind. Ich sah ihn, sehr jung
und wenig auf Kunst eingestellt, und war d'accord mit der Masse, die
sich krumm über ihn lachte. Ich lachte herzlich und begriff nach Jahren,
daß ich unbewußt das beste Deutsche damit verraten hatte. Aus seiner
dilettantischen Spielerei reckte sich mit der ganzen Größe dichterischer
Gewalt die Inbrunst des größten deutschen Dramatikers mit barocker, wenn
auch unglücklicher nationaler Gebärde. Ich begriff das, nachdem ich von
den Niggern bis zu den Japanern und den Provençalen Theater gesehen
habe. Es ist natürlich Schwindel, schauspielerische Kunst als heroisch
oder lyrisch, naturgemäß oder gotisch flankieren zu wollen, da es nur
darauf ankommt, ob ein Bursche Blut hat und sich aus einem Körper in den
andern zu schmeißen versteht. Ach Wedekind verstand keines, denn er war
hilflos wie ein Kind auf der Bühne, aber er suchte, mit der Klarheit
seiner Dichtung im Auge, die Figur dazustellen, die ihm, wenn auch
anklagend, das Zeitbild schien. Der besessene, barocke, ringende und zu
wundervoller Plastik sich bildende Mensch, mit Grübelei und Glanz um das
Haupt, wuchs über ihn hinaus, denn je mehr sein Schauspielertum
versagte, um so gewaltiger stieg die Kraft des Dichters aus ihm, ein
berückendes Sinnbild deutscher Art.

Er war genötigt, sich selbst auf die Bretter zu stellen, da die Akteure
seiner Zeit ihn nicht zu spielen vermochten, sie waren nach klassischen
Attitüden oder platten Gemeingültigkeiten hin abgedreht. Sein
Beispiel aber hat nicht umsonst gewirkt. Ich sah an jeder guten
schauspielerischen Leistung in Deutschland etwas von dem gleichen
Zauber, ob einer nun starr oder brillant, mit Feuerwort oder der
Quaderstirn das Schicksal zu höhnen versuchte. Zwischen »Hidalla« und
»Wozzek«, zwischen Grabbe und Wedekind liegt der deutsche Stil und nicht
zwischen Iphigenie und Ibsen. Das Publikum weiß nach soviel Verwirrnis
nicht, wo die Quellen der nationalen Schauspielkunst liegen und schreit
nach »Nora« und Wildenbruch, aber die Selbstbewußtheit und der Instinkt
verantwortlicher Spieler sollte sie ihren Traditionen wieder zuführen,
indem man Wedekind spielt und da ansetzt, wo der Blutsaft deutschen
Wesens einmal offen am Mund eines gut Schlürfenden und Erlesenen lag.
Das wenigstens darf im Bewußtsein eines Volkes, das Amok gegen sich
selbst läuft, und dessen Landstriche rauchen von den Autodafés seiner
besten Bürger, nicht verloren gehn.

Die Eifrigen haben jedoch nicht versäumt, durch glänzende Kunststücke zu
ersetzen, was die Natur entzog. Wo das Niveau versagte, hoben sich die
Begabungen immer am steilsten ab, und was hier nicht aus dem
Volksbewußtsein wuchs, zimmerten die Regisseure. Man spielte vor dem
Krieg daher in Berlin so gut Theater wie kaum in der Welt. Jedoch das
waren Dressuren, die vorzüglich funktionierten, und man sieht, daß, wo
nach dem Krieg wirtschaftliche Zwischenfälle und die Gagen des Films
diesen Zirkel zerreißen, kaum in der Welt wohl so schlecht gespielt wird
wie in Berlin. Die besten Konstruktionen halten nicht ohne Basis und die
genialsten Begabungen ersetzen keine Kultur. Natürlich ward es nicht
nationaler Ausdruck, wenn man die Oper, das mittelalterliche
Jesuitenstück, das antike Theater unter Scheinwerfer setzte und damit
immerhin glänzende Wirkungen schuf, aber dennoch war über seine Zeit
hinaus, für die er keine Verantwortung trug, Max Reinhardt wohl das
stärkste Theatergenie unter den Deutschen. Denn er besaß die Fülle der
Gedanken und die Glut eines Rhythmus und die Buntheit einer Phantasie
neben der gestalterischen Kraft des Aufbaues, daß bei ihm wie nirgendwo
in seiner Zeit die Anmut mit der Größe des Bildes sich paarte. Er hatte
noch, zum letztenmal wohl, jene saftige Lockerung der Bildgefüge, jene
fleischliche Gerecktheit und jenen wilden Duft der jungen Kraft, die
sich selbstgefällig wiegte vor Jugend.

Was nach ihm kam und den Deutschen vorzuspiegeln bestimmt war, sie
besäßen ein Theater, war schon wilde Steeplechaise, und die Regisseure
waren mit Peitsche, Revolver und Gefrierkammern hinter den Schauspielern
her, denen sie wie Papageiherden jedes Wort in den Mund legten und jede
Bewegung einstudierten, daß die Vorstellungen manchmal so begannen, als
führe ein Blitz in ein Panoptikum. Man jagte von den menschlichen
Kräften zu den geballten Typen und man wechselte das Blut gegen eine
ganz neue aber nicht sehr tragfähige geistige Energie der Routine. Mit
seinem Hirn hält von Herrn Hartung bis Herrn Jessner jeder große
Spielleiter der Nachkriegszeit sein Ensemble zusammen. Schießt man dem
Mann eine Kugel durch den Kopf, ist das Zusammenspiel entzwei, die
Schauspieler entwurzelte Wichte und das Geschwärm vom neuen Theaterstil
der Deutschen eine geplatzte Blase.

Die Regisseure sind zu tief in die abstrakten Stile hineinmarschiert und
haben vergessen, daß Übertreibungen immer dekorativ werden und haben
über die Vergipsung ihrer Stücke vergessen, daß nur der Marmor eine Haut
hat, die Milde atmet. Immerhin sind die Regiezeiten der Hartung,
Jessner, Martin, Berger, Weichert, Viertel ungewöhnliche Steigerungen
der Einzelkräfte, und wo sie verarmten an Atmosphäre und Grazilität und
Fülle der bunten Gesichte, setzten sie dafür einen derartigen Willen zu
Monumentalität und Straffung, daß ihr Fanatismus fast Reichtum
vortäuschte statt Armut, die er irgendwie war. Sie taten allerdings
nichts anderes, als daß sie dem stark ins Steile und Zusammengepreßte
ausgeschlagenen Pendel der Zeit folgten, dessen wilde Kraft noch
Wedekind und Strindberg über Europa richteten, und das ein bedeutsames
Winken zu großer Sammlung war. Die beiden Dramatiker haben die ihnen
folgende Generation ziemlich vorweggenommen, außer Sternheim und Kaiser
ist die dramatische Generation nach Hauptmann (abgesehen von
Hofmannsthal und Schmidtbonn) unwichtig. Hauptmann hat neben
Unzulänglichem, und trotz allem, ein paar wenige Stücke großen Wurfs und
starker Menschlichkeit geschrieben, von seiner Generation bleibt auf dem
Theater sonst nichts. Kaiser hat mit einem verhüllten melancholischen
Ton enorme quadrische Stücke geschaffen, deren Bau metallisch die Härte
und lieblose Konstruktion dieser Zeit herabblitzt. Sternheim hat seine
Epoche nicht mit der Wedekindschen Plastik, aber mit dem zugespitztesten
Aperçu auf die Bühne begleitet und manche bittere Entlarvung für die
Nachwelt vorgenommen. In beiden nähert sich Mitwelt und Dichtung soweit,
wie Angreifer und Angefallene sich nähern können, da ja zu friedlicherer
und menschennäherer Berührung kein Boden unter ihnen liegt.

Doch sind die Regisseure, die dieses moderne Theater führen und das
vergangener Epochen in dieselbe Schwingung bringen, keine Minute
Erfüller einer nationalen Kulturstufe, sondern sie sind höchstens
Könner. Das Volk gipfelt nicht in ihren Bühnen, sondern sie zwingen
etwas der Masse auf. Sie sind nicht für sondern immer noch gegen die
Gesellschaft. Und sie haben kein Theater sondern irgendeinen
verzauberten Ort, wo unter Scheinwerfern und Suggestionen geschrien,
gestrampelt, getötet wird, wo aber, nie im Leben, das Volk sich edel
spiegelt. Wenn sie den Ehrgeiz aber haben mit etwas wenigstens kongruent
zu sein, so ist dies das irrsinnige Tempo einer mörderischen Zeit. Sie
sind genau so Dompteure ihres Säkulum statt seine heiteren Erklärer,
ebenso wie die Dichter statt der liebenswürdigen Former die Prediger
ihrer Zeit geworden sind.

Denn ihnen fehlt die Festlichkeit und die Heiterkeit der Luft ihres
Lebens und die Anmut jener Fruchtbarkeit des Geistes, die eine Dichtung
wie einen Obstgarten am Bodensee überbauscht. Sie haben alle etwas zu
sagen und vergessen das Blut in ihre Figuren zu pumpen und wissen nicht,
daß sie doch nur Aufsätze und Ansichten gebildet haben mit den Körpern
der Menschen, und daß diesen Puppen ihre Gescheitheiten und
Lebensansichten purpurrot aber gedruckt zum Hals heraus hängen. Neun
Zehntel der Dichtung ist Essai und Dreiviertel der Dichter sind Juden.
Es scheint, das auserwählte Volk solle uns über die Zeit namenloser
Zersplitterung, wenn auch nicht in Jehovas feurigem Wagen, so doch in
einer klugen Gewandtheit und mit zusammengepappten Rossen über den
Abgrund tragen, bis die Dampfwolken besserer Landeplätze zum deutschen
Wesen weisen.

Wir sind von Natur aus wenig für Üppiges bedacht, die Natur gab uns
einen kurzen regenschweren Sommer, kühle Nächte und wohl raffinierte
Übergänge, aber ein scheußliches Klima ohne Goldton und ohne die ehern
gefärbte Kantate eines begeisterten Himmels. Deshalb sind wir auch nicht
das Volk der Pantomimen. Wer eine Segelregatta an südlichen Buchten sah,
einen Stierkampf bei den Pyrenäen, weiß, daß der Sinn für Festliches,
den die Skandinaven wiederum stahlblond und feurig besitzen, uns versagt
ist wie das Geld, das diesen Aufwand in der Wage hält. Nie hätte eine
Anlage wie Versailles, nie Madrid, nie Rom entstehen können ohne die
Voraussetzung von Völkern, die ihre Freudigkeit zum Leben dadurch
betonten, daß sie dem Leben hymnische und weite Gesten entgegenschlagen
konnten. Wir Deutsche sind seit dem Verlust des Mittelalters nicht mehr
genug Kinder, aber auch noch nicht so ins Ernste gestraffte Männer, daß
wir den Prunk von beiden Enden des Lebens her lieben könnten. Wir geben
dem Dasein eine kluge, aber nicht einmal schöne Wahrheit an den Kopf.
Aber wir leben uns nicht unbekümmert, wie aus dem strahlenden Meer
steigend, aus dem Leben selbst heraus. Wir sagen Dinge aus, aber wir
leben sie nicht. Unsere Dichtung ist darum Essai, aber was ist unser
Essai?

Er liegt da wie die Magd, die der Teufel im Dampfbad schälte und von der
nichts zurückblieb als die Haut, an der aber die Augen, die Haare und
die Nägel sich noch befanden. Es fehlt der Saft und das Fleisch. Wie im
Theater die landläufigen Gescheiten und die gealterten Kritiker nur zwei
Schablonen kennen, die Posse und die dunkle Tragödie, aber nicht das
feine Lustspiel und das gepflegte Schauspiel, so gibt es unter den
Schreibern über Zustände und Dinge nur Affen und Genies. Die deutschen
Schriftsteller haben eine wundervolle Begabung einfache Dinge zu
verwirren, indem sie dem klaren Kern eine Elefantiasis ins Geistige
anwachsen lassen, oder indem sie hochstehende Dinge in der albernsten
Form zum Vortrag bringen. Sie wissen nicht, daß es keineswegs auf die
Dinge ankommt, sondern auf den Schriftsteller, der sie schreibt, und daß
es dessen Pflicht ist, das dunkle Geheimnis des Seienden in eine
muskulöse und adlig gebogene Form der Eleganz vorzutreiben, den leichten
Angelegenheiten aber die angenehme Schwere der Bedeutsamkeit
hinzuzufügen, die ihnen die Grazie nicht nimmt. Was wäre der Griechenzug
durch Asien ohne Xenophon, wäre der wackre Mann Agricola ohne Tacitus,
was bedeuteten tausend Menschen und Vorgänge ohne den Schriftsteller,
der sie faßt und in bedeutsame und repräsentative Form bringt? Cäsar
schrieb nicht wie ein General, sondern wie ein Autor. Napoleon nicht wie
ein Kaiser, sondern wie ein Mann von Geist. Die deutschen Schriftsteller
schreiben ihre Essais wie Bajazzos oder sie verfassen sie wie
Alchimisten, denen daran gelegen ist, ihre Meinung nicht kristallen
herausspringen zu lassen, sondern sie möglichst zu verbergen. Sie
schreiben wie Geheimbündler, aber nicht wie Gentlemen.

Sie müßten natürlich allerdings die krummen Gänge und Qualen des
Geistes, sich zu seinen Klarheiten durchzuringen, an der gestrafften
Struktur der Sätze und der edlen Gebogenheit der Gedanken erkennen
lassen, aber vor allem auch bestrebt sein, das Schwierige mit jener
Anmut zu mildern, wie man das im Leben gemeinhin auch tut. Schon Fichte
schrieb im Nachwort seiner Schrift über die französische Revolution (wo
er noch nicht um den nationalistischen Schreibstuhl gewunden sich nach
der Freiheit hin zu drehen suchte, sondern wo er fast anarchisch
europäische Ideen fauchte), Fichte schrieb, man klage, er sei zu dunkel.
Er meinte, wolle nur das Publikum sich bemühen ihn aufmerksamer zu
lesen, verspreche er auch, faßlicher zu schreiben. Er wußte, daß durch
das gewohnte platte und ungepflegte Zeug der Tagesliteratur und Zeitung
das Publikum entwöhnt war, dem Gang der Feinheiten in der Sprache zu
folgen. Aber er wußte auch, daß es für ihn ebenfalls darauf ankam, mehr
zu dem Blutsaft des Ausdrucks vorzudringen, als im Nervendämmern hängen
zu bleiben. Er meinte, wenn er sagte »faßlicher«: durchsichtiger,
fleischiger, fester. Er meinte nicht, wie Dummköpfe ewig zetern:
grammatikalischer. Denn Sprache ist keine Starre und vor allem in ihren
Regeln eine nur zur leichteren Erlernbarkeit hergerichtete Dressurübung,
sie ist vielmehr eine tropische Frucht, die wächst, vor Lust bebend, in
alle Zonen des Traums und der Wirklichkeit, sie ist keine Logik, keine
Lehraufgabe, sondern ein Tier wie die Erde selbst, die atmet vor
Ewigkeit, sie ist ein Material weiblich und köstlich bereit für jede
höchste Erkühnung, wenn nur der Meister kommt, der sie glüht und treibt
und verführt nach seiner Kraft und seinem Genie und seinem Ehrgeiz. Man
müßte zehntausend Herzen nur haben, um aus ebensoviel Kraft die Sprache
klirren und sich bäumen zu lassen vor Duft und Bewegtheit. Sprache war
nie ein Vorwand, sondern ist man selbst.

Da man dem Essai, statt ihn zu durchbluten, noch Saft für alle möglichen
Sorten der Dichterei abzog, wankt er mit schlotternden Hüften in
Deutschland herum und sucht Unterkunft bei ländlicher Kost oder bei
pompösen Reitern. Ihn juckt es Pamphlete wie des Hutten und Luther zu
reiten und unter des Büchner Schenkelschwung als falber Hengst die
Sprünge der tapferen Jugend zu machen. Er war es gewohnt daß man ihn
drillte, wie eine Nadel scharf und voll Kreiskraft wie ein Adler zu
sein, die hochmütigen Gesten mit der Schärfe des Säbelhiebs in sich zu
tragen, die großen Landschaften al fresco hinzuhauen, als käme er aus
Tiepolos schöner Hand und die flammenden Sehnsüchte an einem Horizont
voll Dunkelheit festlich aufzuziehen. Ihn gelüstete immer nach gefitzten
Abenteuern der farbigen Ideen und langen ritterlichen Zügen durch das
unterirdische Dunkel, bis er aufwuchs wie ein Liebling der Schöpfung,
gehärtet zu edelstem Ausdruck, feurig und schmiegsam und voll Haß wie
Liebe ausgewogen in den Hüften.

Wie war noch Heinse die Leiber antiker Statuen mit ihm so glücklich
nachgezogen, daß diese Schilderungen, die schon Gesicht und erhöhtes
Traumbild waren, bebend vor Kraft im Morgen der Sprache standen. In
vornehmer Sachlichkeit behüteten ihn stets dann einige Braven. George
lehrte ihn den byzantinischen Stelzschritt, aber es mißlang ihn auf die
Würde der Brokate festzulegen und es wurde, anders wie im Gedicht,
dekorativer schlechter Jugendstil. Hofmannsthal und Rilke schickten ihm
das Flimmern und die Magie der wie unter Wasser gemalten und gehauchten
Sätze, sie bogen ihn samtartig bis an die Gefühle, aber sie faßten ihn
nicht, sondern ließen die Atmosphäre der Gedanken irisieren und
begnügten sich mit diesem bengalischen Spiel. Borchardt fügte dem noch
die Wirrheit einer Üppigkeit hinzu, die aus sich selbst wuchernd wie
eine Pergola sich zuzog und mit mächtigen Bögen sich verrenkte. Zur
Helligkeit, die mit der Weisheit benachbart ist und der Anmut, die der
Schlagkraft nicht ermangelt, führte ihn René Schickele, der manchmal
schon nah an den Gesang ihn brachte, während die tapfere Frau, Annette
Kolb, wie Heinrich Mann, aus dem Gallischen die Verstandesschärfe
nehmend, ihn fast antik in der ruhigen Haltung bauten. Wilhelm Michel
verstand der Schwere der Gedanken Musik zu geben, daß sie auf einer
makellosen Sprache mit schönen Linien flogen, Max Krell und Kesser
setzten ihn auf das behutsame Postament einer gläsernen Intelligenz.
Kerr, meisterlich, ritt ihn aber in alle Gangarten, schlug den Eindruck
zu plastischer Form und traf mit dem nächsten die bunte blumige Fülle
und zog die Landschaft an sich heran, was außer dem kleinen malerischen
Idylliker kaum einer konnte. Die Österreicher, die auf Geselligkeit des
Geistes immer bedacht waren, haben ihn spielender gehandhabt. Der
gescheiteste Mann Österreichs, Hermann Bahr, hat ihn liebenswürdig
gepflegt in der Disputation über die Dinge des Tages. Stefan Zweig hat
ihm eine außerordentliche, nicht flammend feurige, aber edel entflammte
Haltung gegeben, mit der er das Profil bedeutender Menschen festhielt.
Die deutschen Aktivisten haben ihm den Imperativ wieder geschenkt, Kurt
Hiller hat Schärfen des Hiebes in seinen Schwung gebracht, eh' er begann
nur noch in die Luft damit zu schlagen. Der größte deutsche politische
Schriftsteller, Maximilian Harden, hat ihm eine Bildung, eine Kraft,
einen Eifer, ein Gewicht und durch die Jahrzehnte der Verwilderung eine
wöchentliche Erhabenheit gegeben wie keiner vor ihm. Geplaudert hat ihn
Wiegler, sichere Gescheitheit der Zeit gab ihm Hübner, köstlich
gescheite Nüchternheit Dornseiff, Theodor Wolff führte in der
Journalistik ihm in Deutschland seltene Anmut zu, als Kritiker der
bildenden Künste haben ihm Meier-Gräfe männliche schöne Haltung,
Hausenstein die Differenziertheit, Däubler fast erzählerische Farbe
bewahrt. Was bleibt? Drei fast runde Nummern. Zu wenig. Es müßten
hundert sein. Sie haben aber alle irgendwie Taucherrüstungen, und wenn
Borchardt noch schwimmt, sind das seine schlinggewächsigen Sätze, die
wuchern, nicht er, und wenn Hiller einen Raubzug antritt, trägt er nicht
Beute ins Positive, sondern er hat mit Domestiken ein Gezänk. Selbst
Schickele biegt manchmal, verführt von der schönen Fahrt seiner Gedanken
ab von den Urteilen und bestimmt nicht, sondern schildert. Harden,
Deutschlands politischster Kopf, vermag nur das Urteil neben den Zustand
zu setzen und die Anmut dem Angriff beizugesellen und aus Puppille und
Ausscheiden und Vorschnellen der Begriffe und Gebären des einkreisenden
Wortes das Ziel wie eine Frucht zu treffen. Kerr reitet es herunter. Es
sind nur noch zwei.

Zu einem Mädchen, das er gehabt, sagte der blondperückte Übersetzer
Shakespeares: »Liebes Kind, vergiß nie diese weihevolle Stunde, wo A. W.
von Schlegel dich küßte!« Ich nehme an, daß der Geck sie auf den Mund
liebkoste. Die deutschen Essayisten haben dieselbe Gespreiztheit, aber
sie haben ihre Muse mit dem gleichen Hochmut nur auf den Hintern geküßt.
Sie haben nicht genug Geist, um klar sein zu können und sie verfügen
über zu wenig Kenntnis der Welt, um einfach die Zeit zu erblicken, sie
besitzen daher genügend Anmaßung, um das nicht einmal eingestehen zu
wollen. Ein Essai ist kein dürrer Gaul, aber er ist auch keine fette
Dirne. Er ist: man selbst.

Kam aber einer, der von dem liebenswürdigsten der Lessingperiode, von
dem Peter Helfferich Sturz die Grazie, von Merck die Ironie, von
Lichtenberg die tolle Bitterkeit hatte, kam ein Hahn, so schön wie Heine
und prunkte seinem Erbteil noch den Kampfruf von europäischer Höhe
hinzu, so schmähten ihn die seichten Enten der banalen Gewässer, aber
die großen Chemiker der Prosa höhnten: Journalist. Ist dies Land nicht
seltsam, wo die Berufe sich miteinander bombardieren, ein Musiker ein
Schuster, ein Dichter ein Reporter, ein Journalist ein Schwärmer gezankt
wird und wo Keiner Respekt hat vor der Vollendung, die jedes Handwerk zu
erreichen in der Lage ist?

Geliebter Heine! Welche Fülle saß hinter seiner Glätte und welche
Tapferkeit nistete in seinem Hohn. Welche Reife über seiner Eleganz und
welche Idee hinter der zart gefalteten wasserklaren Verästelung der
Begriffe! Ihm war der Tiefsinn nicht fern, und wenn er der schlechten
Dunkelheit der Deutschen spottete, war er ihnen näher, weil er sie
liebte, als wenn er mit Lot und Blei ihnen in ihren Wirrwarr gefolgt
wäre, den er verachtete. Er konnte auch dies. Aber er wußte, daß es
nicht darauf ankam, die Welt zu verschleiern, sondern ihr Geheimnis zu
zauberschöner Figur zu enthüllen.

Er hat die schönste deutsche Prosa geschrieben, hat die Landschaft
erlebt, seine Feinde gezüchtigt, seine Hasser übergangen, hat verachtet
und maßlos Deutschland geliebt und um die Freiheit geworben wie ein
Geliebter, und hat seine Sprache mit seinen Gefühlen durchschritten wie
ein Page so erlesen und wie ein Gentleman so groß. Er hat versucht
Sprache gesellschaftlich zu machen, und hat sie wahrlich aus den schönen
Wäldern und aus den unklaren Schwülsten in die Üppigkeit eines noblen
Barocks geleitet. Da aber schrieen genial erscheinende Strizzis, es habe
zur Journaille hin gemeutert. Er hatte aber nur die Flüssigkeit einer
Höhenlage erreicht, die ihn über alle in ihren Goldton stellte. Dann
starb er im Exil, furchtbar von den Göttern heimgesucht, die ihm zu
seinem Siechtum immerhin die Gabe nicht vorenthielten, es mit der
inneren Schönheit seiner Sprache wie ein Genius zu überstehen.

Nichts, Mijnheer, wird uns gegeben, was wir nicht zahlen müssen, und für
die Höhe jedes Glückes wird uns die Rechnung eines Tages gewiesen. Sie
wissen es wie ich und ahnen, daß gutes Leben und beneidetes Schicksal
nur in der Kunst besteht, mit der wir diese Narben maskieren. Tyche, die
Glücksgöttin, die der Okeanos auswarf, hatte zwei Steuerruder in der
gleichen zarten Hand, das des guten und das des üblen Ausgangs und
lenkte sie, wie es ihr gefiel, indem sie die Sterne ansah, aber die
wirklich Lebendigen haben immer ebenso wie die Spieler an sie als die
nur richtig und glückhaft Steuernde geglaubt, weil ihre Steuerung oft
ins Rechte führte. Schon Pindar jubelte ihr als dem unbedingt
Glückbringenden zu, und der Sklave Servius Tullius setzte ihr Tempel,
als er auf dem Throne saß. Man muß nur vertrauen.

Höben Sie jetzt ihre kleine Pistole Mijnheer, so schössen Sie ins
Nichts, denn was sollten Sie anderes treffen als das heulende Dunkel um
den Schnee. Und doch lockt es mich hinaus von den Kerzen, und von den
verschneiten Wäldern zog es mich die ganze Nacht schon in die
Dämmerbläue des Südens, obwohl ich nichts weiter wünsche, wie noch
Wochen auf dem Berg hier zu bleiben und die Kämpfe des Frühjahrs mit dem
Firnschnee zu sehen und zu empfinden, wie die schwarze Sonne des Mai die
Matten auflodert zu Wolken von Geruch und den Schneeharsch der
Nordseiten mit dem gierigen Maul der Panterin beleckt. Aber wie lockt
mich toll der Gedanke an Brioni, daß ich den Hafen von Marseille wieder
sehe und das Donnern der Jetée vor dem Blumengarten von Genf wieder
höre. Es reißt uns immer aus einem Zustand des besitzenden Glücks in die
Leere nach neuem und, seltsames Widerspiel der Kräfte, trägt uns die
Blutfahrt von der Eroberung zu dem Verlassenen zurück. Welches Glück,
welche Wanderschaft, mit der wir kreisen um unsere Achsen und, ach,
welches Vertrauen, daß Tyche das Steuer richtig warf.

Im Norden Schwedens erzählte mir der Dichter Didring, daß es ihn treibe
aus den wundervoll gewellten Wiesen, aus den Wäldern mit dunkelblauen
Schatten Skånes und Smålands, im Lauf der Jahre, in die Gletscher
aufzubrechen, die das Gebirge zwischen Lappland und Rußland formieren,
bei den Bahnarbeitern in Baracken zu leben wie ein Hund, die Sonne
aufgehen zu sehen wie einen geliebten Stern der Heimat und dann wieder,
das Herz von Entbehrungen voll wie ein Wolf aber in Glück gebadet, zu
den rauschenden Pappeln und den Silberwinden seines Südens
zurückzufahren. Welcher Widerspruch, Mijnheer, der Gefühle, und wo, wenn
dies unsere Wegfahrt ist, fängt Glück an, hört Glück auf? Denn, wenn es
da ist, fühlen wir es nicht, und wenn es war, wissen wir es wohl, aber
es ist schon Legende hinter den Wäldern und Jahren. Man legt sein Leben
daran, es, wie die bengalischen Jäger den Tiger, mit Raketen aufzujagen
und erkennen später vielleicht einmal, daß unbeachtet von uns, in der
stillsten Stunde, auf einfachstem Lande, das Glück uns die Bestimmung
und die lichteste Minute auf die Schultern warf. Was wollen Sie, was
bleibt?

Weiterleben.

In Elis stand Tyche schon groß neben dem kleinen Halbgott der Stadt als
die Schützerin, denn man glaubte so stark an ihren guten Wurf, daß sich
die Zuversicht schon zum Monument verdichtete. Aber man war nicht
gesonnen, anzunehmen, daß das Steuer nach der dunklen Seite falle, und
die recht Lebendigen haben den Gedanken, daß das Furchtbare komme, stets
mit der überlegenen Lache behandelt, mit der aus dem vollen Prunk des
Rokoko der Herzog von Lauzun von dem Miserabelen sprach: »Ich behandelte
es nach Kavaliersitte, es wurde zur Treppe hinuntergeworfen.«

Als wir vom Theater sprachen, dachte ich einen Augenblick, es sei
vielleicht an der Zeit und ein guter Stil, die alten Häuser der
Melpomene abzubrechen und mit Autos und Zelten durch die Hauptstädte der
Welt und ihre Landschaft zu rasen, und, wo die Entfernungen nichts mehr
gelten, die Kulte der Völker, von ihren wild gewordenen Maschinen aus,
durcheinanderzuwerfen und so einen großen Stil der internationalen
Vaganten wieder zu kreieren, aber auch die Völker wie mit Blitzen
untereinander und ohne die üblichen Sentimentalitäten zu befruchten. Der
Flieger Manucci stieg mit seinem Zweidecker über die Poebene und streute
aus viertausend Meter die Asche seiner Geliebten auf das Land, das er
liebte, und auch in seiner modernen Geste stak die sinnbildhafte Liebe
zur Befruchtung. Warum sollte eine neue Generation nicht, da die alten
Tempel überall versagen, vom Tempo ihrer Zeit aus, auch wenn es
verbrecherisch ist aber wie alles Böse und Dämonische nicht ohne
erhabene Schönheit, warum sollte eine neue Generation nicht ihren
Ausdruck und ihre Zufriedenheit mit ihren verzehnfachten PS erjagen?

Aber als ich die Diva gereckt wie eine Liane und mit der Spannung der
großen Katzen über den Körper durch den Schneesturm in das blendende
Hell der Halle treten sah, reizte mich als das Zeitlichere die Filmform
ihres Lebens. Denn diese Leute haben nicht nur Erfolge, sondern auch
Wirkung, sie geben nur ihre Körper hin, aber sie sind nicht verpflichtet
ihre Seelen hinauszuspeien. Sie haben den Beifall und das Publikum der
Millionen, sie erreichen die Schichten der Menschheit, die keine
Zeitung, keine Mobilmachungsordre, kein Gesetzbuchparagraph, selbst kein
Beauftragter Gottes mehr erreicht und sie haben den einzigartigen
Vorzug, daß sie nicht an die Sprache ihrer Heimat, sondern an die
gesamte Menschheit nur verpflichtet sind. Welche Breite, welcher Radius.

Aber auch welche Fülle, wenn sie aus den elektrischen Kanonaden der
Ateliers hinaustreten und ihnen, denen die Landschaft der Natur in ihrem
Gewerbe lieblich schaukelt wie keinem anderen der Berufe, heute von den
Sprunghügeln des Engadin herunterfegen können und morgen die
Motorjachten des Züricher Sees überfüllen, später den Bobsleigh in
Oberwiesental führen, Skijöring in Partenkirchen, Fuchsjagd über den
Schnee Oberhofs und Kitzbühls treiben, auf den Kamelen von Tunis
schwanken und ohne über einen Scheck von märchenhafter Größe zu
erbleichen, sich beim Valutastand von einigen Tausend auf den Dollar
nach den Prärien von Texas, den Quecksilberurwäldern Mexikos und den
Bergen des Dalai-Lama aufmachen. Dies Leben ist zeitgemäß wie nur eines,
denn es verneint alle Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Krisen, hat
die Richtung nach der natürlichen und prunkvollen Erhöhung des Daseins,
ohne dabei seinem Wurfspieße zu entgehen oder sein Dunkel nicht zu
kennen. Es ist allerdings keine Kunst.

Aber was ist Kunst? Gehen wir schlafen. Denn die Sehnsucht nach der
Festlichkeit anderer Völker, nach Walpurgis auf Hasselbacken, nach
Micarême in Paris, nach der Weihnacht der Magyaren schneit mit dem
Triebschnee gegen die Züge der Fenster. Kunst ist: mit Dreißig Jahren
sein Leben auszubalancieren, daß die Leistungen aber auch der Genuß in
die erste Reihe des Möglichen treten. Je suis l'ami des bons jours. Aber
ich liebe die Nächte auch. Schlafen Sie tief, aber nicht lang. Das
Wetter ist ein Weib und wirft uns vielleicht Sonne durch den Morgen
herein.



Die dritte Nacht


Das Wetter ist ein Weib, Mijnheer, die Sonne hat geschienen und in den
Kerzen liegt noch das beglückende Gefühl dieser Minute, als das Gestirn,
selber zitternd vor Wonne, die Riesenschleife über das Bärental begann.
»Apportez-moi une femme,« schrie Bonaparte nach Marengo, er hatte das
Wunder abgeschlossen und begab sich zu seinem Widerspiel in den
Realitäten.

Wären Sie die Frau, Mijnheer, mit der ich vor Jahren einen halben Monat
hier oben verbrachte, ich spräche lieber zu ihr wie zu Ihnen heute und
ich sagte ihr statt Ihnen, weil man Gedanken aus einem Zustand der
Beglückung nur an einen Gegenstand des Glückes zu adressieren vermag,
ich sagte ihr:

»Liebe, im Schloßgrün Favorits ließ ein früherer Markgraf einen Türken
aus dem Bett seiner Gemahlin ziehen, enthaupten und stellte das Monument
seines Kopfs auf den lieblichen Brunnen, aber er vermochte nicht zu
verhindern, daß das Auge des Mongolen das Schlafzimmer der tollen Dame
mit einer mörderischen Melancholie im Blick hielt. Selbst den Tod tragen
die Männer durch die Kunst den Frauen wie eine Bereicherung wieder zu.
Wie viel heftiger muß ihr Leben jede Sekunde bereit sein, an sie
verschwendet zu werden. Säßest du statt an dem Kamin, dessen Buchenfeuer
dem Spiel deiner braunen Muskeln Salut knattert, nach sieben Frühlingen
und sieben Sommern, die du mit mir verlebtest, an einer Bai, bei Sankt
Malo am Hafen, in einem Fischerhaus Swinemündes, einer Villa
Partenkirchens, ich umgäbe dich nach soviel Leben erst mit Kunst. Aber
ich würde vorher versucht haben, dir alles zuzuführen, was an
Entzückungen, Werten und Erfahrungen, an Reisen, Steinen, Wollüsten und
Leiden mir zugänglich und auf dich übertragbar ist, so daß du erst aus
dem vollsten Rahmen und glücklichsten Reifsein des Daseins heraus dich
zu seinen seltsamen Spiegelungen in der Kunst wendetest, die manchmal
noch gelungener aber, gestehen wir es, nie so sehr Himmelfahrt sind wie
es selbst. Erst wenn man viel gelebt und fast alles erfahren, manches
genossen und das meiste durchforscht hat, bekommt der Abglanz des
gedachten und gestalteten Daseins jene wundervolle Süße, die dem
Lebendigen sein Dasein bejaht und gereinigt zurückreigt.

Ohne das sind Bücher langweilig wie tote Ratten und das Leben nur hat
»chien dans le ventre«. Ein schöner Mann flößt, wie die Chronik sagt,
den Frauen Vergnügen ein, jedoch ein Buch von seinen Träumen allein
dürfte sie beträchtlich verkühlen. Ich weiß, daß ich die Leiber des
Rubens und Boucher und Ingres aber auch die der blühendsten Statuen erst
begriff, als ich reell wußte, wie süß die Vertiefungen an den Gelenken
der Lebenden, wie reich die Brüste, die mit der ganzen Wurzel den Busen
umfangen, wie herrlich die Kreise über den Hüften, wie rührend die
Übergänge des Brustkorbs und des weichen Unterleibes und wie heiß die
Linien der Schenkel und Waden aus dem Leben selber entgegenschlagen. Und
auch erst, als ich das dritte Jahrzehnt meines Daseins rastlos benutzte,
alles zu wissen und das Mögliche zu erfahren aber das Unausdenkbare
selbst noch zu erfassen, erst nach dem Gelebten gelang es mir in
breiterer Fülle das Gespinst der Kunst und des zu Gestaltenden bis in
die Tiefen zu durchprüfen, zu verwerfen oder zu begrüßen, je nachdem es
unter dem Anhieb vor Berufung brannte oder als Schwindel verknallte.

Kunst ist keine Sache neben dem Leben her, sondern springt aus dem
Dasein wie ein Tier aus der Mutter und wird begriffen nur durch das
Beispiel der großen Erzeugerin. Es ist verächtlich, der Kunst leben und
das gewaltig sie überrollende Leben nicht sehen zu wollen, aber jedes
weit und herrlich gelebte Dasein kehrt, zum mindesten in dem erreichten
Gleichmaß seines Wuchses, als Beispiel der Vollendung zur Kunst zurück.

Was man Frauen sagt, muß man vorsichtig sagen. Es wird zu leicht eins
vom andern getrennt. Als Herr Herwarth Walden, berühmt durch die
Proklamation wichtiger Maler der Moderne und scheinbar auch durch
Kompositionen eigner Hand, in Paris bald nach dem Krieg ein Konzert gab,
schrieb er in seiner Zeitschrift, es sei ein immenser Sukzeß gewesen,
selbst der chinesische Gesandte habe als dem ersten europäischen Konzert
seines Lebens dem seinen beigewohnt. Der Gesandte aber hatte lachend
später gesagt, er habe geäußert, zwar detestiere er Musik und sei
unbeschreiblich unverständig auf diesem Gebiete, aber in Anwesenheit so
schöner Frauen (die ihn mitgebracht), habe er zum erstenmal in seinem
Leben es vermocht, einer Musiksache beizuwohnen bis zum Ende. Ich will
sagen, um mich deutlich zu fassen, es verdrießt mich zu sehen, wie die
Frauen mit Buddhas Sprüchen und Konfutses Epigrammen und des Grafen
Hermann Keyserling (in Darmstadt für die ihn unterstützenden jüdischen
Finanzleute Deutschlands modisch aufgezäumten) Freibeuter-Wahrheiten
herumlaufen, Frauen, deren Lebensradius kaum den Kilometer ihrer
Heimatstädte durchmißt und die von Kindergebären und Motorrädern
ebensowenig wissen, wie sie davonlaufen, wenn sie einen Epileptiker
fallen sehen. Ich finde es komisch, eine Blaugestrumpftheit gegen das
Dasein zu züchten, statt die blassen Literaturhyänen erst durch das
erlebte Dasein auf diese Papiersachen loszulassen. Es verdrießt mich,
Sportmädels mit schönen Körpern mit dem Strindberg und Dostojewski unter
dem Arm durch die Landschaft rennen zu sehen, als sei es nicht der
offenbarlichste Greuel, zu so viel Frische so viel wohl künstlerischen
aber abscheulichen Ballast zu packen, und als gehöre zu der Anmut der
kühnen Jugend nicht die Feurigkeit und der freche Adel eines
apollonischeren Dichters.

Ach, es versteht niemand mehr heute die Kräfte und die Mittel
zueinanderzupassen, und die ausgewählten und füreinander bestimmten
Elemente des Lebens marschieren nicht zueinander. Die Frauen tragen
Kostüme, die ihrem Wuchs nicht entsprechen, essen Krebse im Frühjahr,
Gänse im Sommer, Aale im Winter, und tragen Farben, die barbarisch die
Natur rebellieren, statt dem Beige der Birke im Herbst und dem
gedämpften Lila des Rhododendron im Frühling oder dem gepflegtesten Grün
der atlantischen Zeder im Sommer sich anzuschließen. Sie treiben den
Sport, der ihrem Körper nicht paßt, entblößen die Partien, die sie
verschweigen sollen, und verhüllen die Décolletés, die am vorzüglichsten
sie ehren. Sie fahren in Wagen durch die Parks, in denen man an Fontänen
auf dem Rücken liegt, und pilgern zu sportlichen Festen in Wüsten von
Sand und Asphalt, die man mit den schnellsten Motoren gern flöhe. Sie
reisen zu Zeiten, wo die Hitze jede Landschaft unerträglich macht und
verkennen die schönen Falten der Jahreszeiten, wo im anschwellenden
April und im ausgeweiteten Oktober der Glanz des Jahr-Beginns und das
Kupfer seines Endens voll Schönheit unser Klima überfunkelt. Sie wissen
ihre Zeit nicht zu ihrem Leben zu passen, scharen sich zu ihrem
Widerpart, treffen ihre Glückskrisen an den abscheulichsten Stellen,
pflegen ihre Körper zu den falschen Jahreszeiten und wenn sie suchen ihr
Leben mit dem Adel einer Haltung zu vereinen, züchten sie einen
Geschmack von Blech oder eine Kultur von Benzin.

Ihre Hände sind wohl manikürt und auf den Nägeln gerötet aber sie haben
nicht die glücklichen Linien beachtet und wissen die Siegeszeichen und
die des Todes nicht von denen der tötlichen Anmut und der Bestimmung zur
rasenden Liebe zu unterscheiden. Sie haben Risse zwischen sich und ihrer
Umgebung, sind geblendet vor ihrem eigenen Blut und wenn sie ihren Stil
zu haben glauben, haben sie den Schwanz ihres Bullis in der Hand oder
das Hirn eines anderen in der Pfanne oder statt dem Geliebten den Kühler
des Autos am Herzen. Du lächelst. Ich rede wie ein Père noble der
französischen Bühne. Eine kluge Frau zu lieben, sei das unbestrittene
Vorrecht der Päderasten, sagte lachend ein Wüstling, aber er wußte
nicht, daß es Frauen gibt, die den Vorzug besitzen, ihren Verstand nicht
aus den Schriften von Waldemar Bonsels oder des Doktor Steiner aus
Stuttgart, sondern aus einem alles klug beherrschenden aber sich nicht
versagenden Leben genommen zu haben.

Säßest du mit mir an jener Bai, über der Bucht von Sankt Malo, an einem
Hafen, in einer Villa von Rottach und wir dächten: wie sind wir
gewandert, welchen Genüssen und welchen Schmerzen haben wir, einander
noch frisch wie Geliebte, am Busen gelegen, da baute dann ich eine Welt
wohl um dich von Büchern und du durchschrittest sie wie den Spiegelsaal
von Versailles, der jede Linie deines Wuchses schöner zurückgab. Du
fändest dich in jedem Abenteuer und in jeder Verdammnis. Aber keine
Wollust, die du genossen und keinen Traum, den du unterdrückst, den du
nicht auch darin fändest. Das wäre nicht erlesen Gekünsteltes, sondern
du fändest die Welt einfach wieder und würdest nun klarer zu ihr
geführt.

Mit einem deutschen Fürsten, belesen wie keiner der Schriftsteller
Deutschlands, die selbst ihrer sechzig Jahre Bildungslosigkeit und
Faulheit nicht ekelt, redete ich in seinem Weinberg von seinen Büchern
und er machte den Unterschied, der mich verblüffte, zwischen Büchern für
den Salon und den anderen. Er gab seiner Geliebten bestimmte Sachen nie
aus einem Gefühl der Grandezza, während im Leben er ihr keine Rundfahrt
der Leidenschaft versagte. Ich fand dasselbe darin, wie in dem, was ich
selber befolgte, nur schien mir, daß er seine seigneurale Reinlichkeit
verwechselte mit dem Bestreben, nur das der Geliebten entsprechende
stets zu nehmen und daß er aus der Gepflogenheit seiner Manieren heraus
das für Ablehnen hielt, was in Wahrheit nur Auslese war, die sein
Instinkt bestimmte.

Man schenkt nach seinem Geschmack, bildet nach seinem Gefühl, liest nach
Temperament. Einer Sechzehnjährigen gäbe ich dasselbe wie einer von
Vierzig, wenn ich den gleichen Flair für beide hätte, aber der von
Dreißig würde ich vielleicht das Gleiche wie der von Fünfzig versagen.
Mit Fünfundzwanzig entwarf ich den Plan einer Bibliothek, die man an
zehn Armeekorps und in dreißig Fabriken sandte. Du könntest sie alle
lesen, aber ich würde dir keines davon schenken. Ich würde mehr wollen
und weniger, aber vor allem stets nur deiner Ruhe wie deinen
Leidenschaften gerne das gleiche zitternde Erlebnis der Schönheit
zuzuführen wünschen. Alles andere ist hors de ligne. Was ich täte? Was
man im Gefühl hat, hat man nicht im Kopf wie die kleinen Lyriker, die
ihre Zehngroschenverse stets zur Rezitation bereit tragen. Was ich dir
brächte nach soviel Abschreibungen, Pathos und Abschweifung? Ich weiß es
nicht.

Wenn du weiße Haut hättest, wäre es anders, besäßest du Lotosaugen statt
die eines Vogels, wäre mein Einfall ein wieder erneuter. Ich brächte
dir, was für dich paßte aus diesem Erleben, aus jener Reise, aus dieser
Beglückung und aus irgendeinem Zorn. Und ich könnte dir höchstens heute
so, morgen anders spielerisch gleich den Wolken des Kamins eine Welt der
Literatur an die Wand malen, wenn du wünschest, daß ich dich mit
Träumerei unterhalte. Denn ich liebe die Welt vor allem um ihres
Wechsels und ihrer Lust am Spiele willen, und wenn du nicht die
Fähigkeit hättest, aus allen Lagern deiner Seele und allen Fallen und
Festlichkeiten deines Körpers in immer andere hineinzuspringen, hättest
du an mir schon lange nicht mehr den Jäger.

Geliebte Diana.

Ich ließe vor allem der Wildheit, mit der du die Hänge befährst, die
Eleganz des Geistes und das Seltene der Vergangenheit von ähnlich
vollendeter Anmut sich gesellen. Du lerntest zuerst, eh du die Grazie
der Franzosen erführest, das Deutsch des Mittelalters. Dem
Mittelhochdeutsch naht der Deutsche sich noch immer mit der barbarischen
Geste des Gunther, der, als er zum erstenmal zu Brünhild ins Bett sprang
und ihre Nüancen nicht beachtete, erlebte, daß sie ihn fesselte und an
einen Nagel der Wand hing. »Er wânde vinden friunde: dô vant er
vîntlichen haz.« Du lerntest so das verlorene Paradies von des
Reuenthalers derben Späßen bis zu Walthers Süße, von Hartmans Wundern im
»Iwein« bis zu Wolframs Herbe und des Alten Reinmars Seligkeit. Jede
Übersetzung ist eine lächerliche Dreistigkeit, denn man kann eine höhere
Sprache nicht mit einer niederen übertragen. Wir haben heute wohl
gelernt, Tempos wie die Teufel in die Sprache zu bringen, Raffiniertes
bis zur Verzweiflung auszudrücken und Begriffe bis ins Aschgraue zu
benennen und zu finden, aber den Wohllaut der Musik und die Einfachheit
der klar blitzenden Welt und die große Verzücktheit der Gefühle
erreichen wir nicht wieder. Wer aber glaubt, ohne Studium, den Fall der
Vokale, die Trennung der Diphthonge, die Rhythmik der Satzbogen
verstehen zu können, begeht die gleiche Dummheit wie jener, der ihrem
Wesen nah zu sein denkt, weil die Worte alle den unseren ähnlich sind,
aber fast alle verfeinerten und anderen Sinn bedeuten. Du wirst diese
Bemühung nicht auf dich nehmen, ohne daß der Zauber, dem du begegnest,
auf dich zurückwirkt.

Unser Hunger nach Dasein ist groß, das Leben zu kurz, unsere
Bewegungslinie zu eng, wir können nicht alles haben. Aber jedes
Genossene treibt uns nach mehr. Als im Jahre Zwölfhundert der Marschall
der Champagne Villehardouin als erster Grande und Lebemann anfing,
Geschichte zu schreiben und die Menschen mit der Gewalt eines Rubens in
sein Gemälde hineinwarf, als der Pfaffe Konrad, der ein schlechter
Künstler war, die »Kaiserchronik« schrieb, begann die Literatur der
Briefe und Memoiren, uns die Völker und Menschen mit jungfräulicher
Plastik heranzutragen. Statt dünner Schicksale, die mäßige Dichter
gestalten, redet plötzlich die Phantastik der Zeit. Von den
Aufzeichnungen des Kardinal Retz, der sich nur so ausdrücken konnte, daß
er an eine Dame schrieb, und der den Atem seiner Zeit zur höchsten Höhe
blies, über des großen Kanzelredners Bossuet Porträte verstorbener
Fürsten, über Montesquieus erwachenden Blick für die Breite gelebter
Zusammenhänge bis zu dem fabelhaften und glühenden Fresko, das der
Herzog von Saint Simon von der Zeit des vierzehnten Louis schrieb,
lernst du, deinen eigenen Erfahrungen die der großen Epochen und
Menschen hinzufügend, einen Schritt mehr zur Weisheit.

Nimm die Memoiren der großen Katharina von Rußland hinzu, die Briefe der
bis zu den weißen Haaren hin geliebten Ninon de Lenclos, die Novellen
der Bibel, die Briefe der wilden Caroline und Brantômes Leben der
galanten Frauen. Lies die Aufzeichnungen Casanovas und des Deutschen
Pückler-Muskau Bände. In den barocken Sätzen des Abts von Brantôme hast
du die Menschen der Renaissance, in Casanova den Ausgang des Rokoko, in
Caroline die Romantik. Keiner konnte schreiben so wollüstig und so
geistreich wie Casanova und niemand in Deutschland so mit Erhabenheit
und Temperament sich mit Ideen und Reisen der Welt gegenüberstellen wie
der Pückler. Bürgerlicher aber herumgeworfener hast du in des
Frankfurter Friedrich-Fröhlich Aufzeichnungen die Epoche des ersten, in
Flauberts Briefen mit der Sand die des dritten Napoleon. Jakob
Burkhardts Briefe an einen Architekten malen nüchtern das Jahrhundert am
Anfang, nicht weit aber amüsant für dich gesehen, von einem hölzernen
Liebhaber der Künste. Dagegen hat die furchtbare bürgerliche Epoche am
Ende des Jahrhunderts der gebildete und in guter Familie erwachsene
Schriftsteller Kurt Martens, wenn auch nicht seigneural, so doch mutig
und schlicht in seiner Lebensbeichte gegeben.

Mit Mozarts Briefen hast du Österreich und mit Benvenuto Cellinis Leben
den Radius des Glanzes, den ein Renaissance-Italien um sich häufte und
in den Briefen des Van Gogh und in Bernards Erinnerungen an Cézanne
siehst du das Martyrium unserer Kunst und Zeit nicht ohne die Ironie,
die dich das Menschliche hier so absurd und das Künstlerische so
verzweifelt schauen läßt. Im »Pitaval« sind die hervorragendsten
Prozesse geschildert und du erkennst die Menschen aller Jahrhunderte.
Ich werde Hardens »Köpfe« dir daneben legen. Du wirst das Buch der
entzückenden Staël über Deutschland lesen und mit Petrons »Gastmahl des
Trimalchio« vergleichen. Ich werde das Buch der Markgräfin von Bayreuth
hinzutun, die des großen Friedrich Schwester war und das Kamasutram, wo
nicht nur die Inder belehrt werden über die Zweihundertfünfzig Formen
des Liebesgenusses und über alle unzählbaren Formen der Entzückung
dazwischen, sondern wo der Liebende auch angehalten ist, nach allen
Spielen der Wollust auf das Dach des Hauses im Mondschein mit der
Geliebten sich zu setzen, den Glanz mit ihr anzuschauen und ihr die
Reihe der Sternbilder zu erläutern, den Polarstern besonders sowie den
Kranz der sieben Sterne des großen Bären.

Die Zeit hinter dir hat sich geöffnet wie ein Weib, du kommst von den
Geschichten nicht zu Büchern sondern zu Schicksal und aus der Fülle
nicht zu Vorstellungen sondern zu Menschen. Von den kühnsten unter ihnen
streift man zur Erde zurück. Man muß die alten Exploiteure fremder
Erdteile lesen, denen die Natur sich noch unberührt gab, die nicht
gafften sondern eroberten, nicht Afrika vom Schiff aus sahen und weiches
Garn aus ihren Gefühlen spannen, sondern die darin starben, nicht
solche, die empört, während sie innerlich schmatzen, Bordelle in Ceylon
beschreiben, von denen ein Portier ihnen erzählte, sondern solche, die
Elefanten noch mit dem Säbel gejagt haben und du wirst sehen, wie die
Natur mit derselben Frische riesig aufdampft, mit der du einige Stücke
aus ihr in deinem eigenen unverdorbenen Blute erlebt hast.

Lies, wie ein gewisser Barrow Esqu. im achtzehnten Jahrhundert in
Begleitung des englischen Gesandten China durchquerte, lies die
Geschichte der Reisenden Percy und Gallow, die die Tatarenländer
durchfuhren, lies die Eroberung Mexikos und die Geschichte Cooks, den
Insulaner erschlugen. Sieh, wie mit Dominikanermönchen Curjello nach
Afrika kam. Lies die Berichte der Lebemänner, die Europa durchfuhren und
von denen einer, dessen Name ich nicht mehr kenne, auf Schlittenwagen
sogar den Nordpol über Norwegens Poststationen erreichen wollte. Lies
bei Franklin, wie sie die Wale harpunierten und bei Livingstone, wie die
Zähne ihnen ausfielen vor Fieberluft und sie die Flamingos und das
Nashorn jagten. Wie sie mit ihren Karawanen durch die Wüsten sich
durchhungerten, um zu entdecken und sich zu begeistern und den
menschlichen Geist an die Spitze des Abenteuers zu hissen. Lies Gessi,
Gordon, Emin Pascha, den Halbgrönländer Rasmussen, lies Stanley, lies
die Jagden des Baker in Abessynien. Du riechst die Luft der anderen
Kontinente und erfährst die Beispiele menschlicher Tugend und Tapferkeit
und du wirst nicht gebildet, sondern du wirst klüger oder besser.

Nun ist für »Tausendundeine Nacht«, für den »Don Quichote« des Cervantes
und den Defoe mit seiner Europamüde, ist für »Robinson Crusoe« und
»Gullivers Reisen« dein Hirn offen, denn sie geben zur einfachen
Wildheit der Erde die Phantasie und das Spielerische, das alle Gefahren
überwindet. »Mesnevi« mit seinen schönen Sprüchen, den indischen Roman
von Dandin von den zehn Prinzen, die Märchen der Südsee, »Tuti Nameh«,
das persische Papageienbuch machen die Welt noch bunter und führen schon
an das Legendäre einer großen Klugheit. Der Maler Gauguin hat auf Tahiti
neue Farben gesucht und hat die Abenteuer seiner modernen Sehnsucht in
»Noa Noa« geistreich und ein wenig desolat wie ein echter Franzose
beschrieben. Hundertzwanzig Jahre früher hat Bernardin de St. Pierre in
»Paul et Virginie« schon einmal die Natur in prachtvoller Glut für
Europa entdeckt. Hamsun hat den Kaukasus erlebt und ihn in gestrichelter
Weise mit neuer Optik für Naturbeschreibung dargestellt. Laurids Bruun
hat mit dänischer Weichheit den grauen Glanz seines norwegischen
größeren Freundes nachgemalt.

Das ist nur schwacher Schimmer noch von den früheren Heroen, doch ist,
da du von heute bist, und ja auch ich dir nicht in der gekräuselten
Allonge-Weise entgegentrete, doch ist von den Heutigen zwar Sven Hedin
nur ein Schwätzer aber kein Nahbringer, jedoch das Buch der Fürstin
Lichnowski über Ägypten von modernem preziösem Charme, ist zwar das Buch
Ludwigs über Afrika eine Sirupfalle für den Kurfürstendamm, aber des
Suarès Italienbuch eine heroisch gemalte Landschaft; und keusch wie
Villehardouins Seele, wenn er im Kreuzzug das Morgenland betritt, ist
Lafcadio Hearns Sprache, wenn er das verschwindende asiatische Japan,
kurz vordem Europa es verschlingt, noch einmal wie eine Geliebte
streichelt.

Du mußt noch den Kipling lesen, der mit Tieren dir die Welt bevölkert
und mußt sehen, wie der Däne Fleuron dem heldenhaften Anfang des Briten
den melancholischen und schönen Abgesang gibt, wenn er davon redet, wie
die edlen Tiere sterben. Nur wenn bei Jürgensen der Kongo vor
Tiergebrüll donnert, der Schwede Madelung seine Jagden schildert, der
schönste aller raubtierhaften Dichter, Jensen, die Gletscherzeit
zurückruft, kannst du das Gefühl haben, aus deinem Säkulum rückwärts bis
zum Paradies marschiert zu sein. Was heißt Kunst, wenn du leben willst?
Es bedeutet nichts gegen die Fülle des Lebens, aber es wird schon helles
Licht auf allen Zinnen, wenn du durch soviel Dasein hindurch dich an die
Erkenntnis herangetastet hast, daß auch ein vollkommenes Leben einer
gewissen Vollkommenheit in der künstlerischen Gestaltung bedürfe. Wenn
du reicher bist, hast du mehr Anspruch. Hast du die Masse der Welt,
willst du sie in Schönheit. Hast du das Dasein begriffen, verlangt es
dich auch nach seiner schönsten Gestalt.

Aber vergiß nicht, es ist wichtiger, daß du lebst, als daß du träumst,
nötiger, daß du blühst, als daß du redest, und es ist alles umsonst, wie
auch immer du von der Welt schwärmst oder fluchst, wenn sie nicht wie
eine Pantermeute in dein Blut gestürzt ist.

Zuerst du, dann alles andere.

Fähigkeiten hat jedermann, mir imponiert das allein keineswegs. In
Zentralafrika laufen die Neger so rasch wie die Schnellzüge, die Eskimos
schlagen sich als Duell stundenlang ohne Schwierigkeit wechselseitig auf
den Kopf und die Theosophen sollen durch anhaltendes Training im
Sichzurückvertiefen bereits das Jahr Sechstausend vor Anfang unserer
Zeitrechnung erreicht haben. Es kommt bei Talenten nur darauf an, sie
seinen Fähigkeiten und Zielen nach zu entwickeln. Ich sehe es lieber,
daß ein frischer Menschenkerl in des Schwergewichtsmeisters Flint Buch
über das Boxen, in die »Gazette du bon ton«, in eine Zeitschrift des
Hokeyspiels, in Henry Hoeks vorzügliche Skibücher oder die »Vogue« sich
vertieft, als daß er mit der Herde seiner Genossinnen Tagores flache
Gedichte über Thee gießt, in Jakobus Böhmes Dunkelheit lustwandelt und,
Herrn Blümners Niggerrezitation im Kopf und Dadaistenabende im Hirn,
über Spenglers »Untergang des Abendlandes« sich in Urteilen verzückt.
Geistmayonnaise ist keine Speise für eine Diana und Mode ist ein zu
kleiner Witz für ihre Erhabenheit. Ein gebildeter Tiger ist eine
Dummheit, ein schöner Tiger wird aber, wenn er sich vollendet in seine
Form gefunden hat, auch immer etwas von jener höheren Klugheit haben,
die stets der letzten Vollkommenheit des Lebens zugeteilt ist.

Du wirst, wenn du dich nicht blenden läßt, spüren, daß die schon
jenseits des Lebendigen abgebrochenen Dramen des Bildhauers Barlach,
wenn du ohne innere Reife an sie gerätst, genau so wenig zu deinem
Temperament passen, wie die feierliche Plattheit, mit der Herr Lienhard
ein neues Weimar besingt. Und du wirst mit bestimmter Sicherheit spüren,
wie gleichgültig es dich läßt, wenn man des Schönlings Gleichen-Rußwurm
süßholzwässrigen Kulturgeschichten dir nahebringt, gleichwie wenn du ein
aus Schreien und Beleidigungen zusammengesetztes Gedicht von Johannes R.
Becher nicht begreifst. Du bist durch deine Gesundheit und Frische von
vornherein dafür absolviert, daß dir weder die Eunuchen noch die
Verrannten liegen.

Aber ich werde dich gerne bei der Lektüre von allem sehen, das, wie ein
Springbrunnen einen Silberball, also mit Kraft und mit Anmut, die Welt
schaukelt, denn das entspricht dir ebenso wie jene Nüchternheit, die die
robuste Kraft metallen aus dem Dunkel hebt. Du wirst alles von dem
zärtlichen und feurigen Melancholiker Alfred de Musset und alles von
seinem Nachfolger Hugo von Hofmansthal lesen, alles von Anatole France,
der die Leidenschaften seiner Welt in seinem Lächeln bannt und von
Eduard Keyserling, dessen Romane die zarte Vollendung der feudalen
deutschen Rasse in wohlgeädertes Weltbild heben. Du wirst etwas von
Schnitzler und etwas von Sternheim haben. Alles von Shaw, alles von
Byron. Fast nichts von den Russen. Vieles von Swift. Alles von Voltaire,
der eine Welt mit der Schärfe eines Geistes bekämpfte, der aber verstand
sich der Kadenzen der Nachtigall zu bedienen. Alles von Heine. Einiges
von Thackeray. Alles von Maeterlinck, der die Ahnungen in die Atmosphäre
brachte und alles von Georg Büchner, dessen Jünglingstorso die
Helligkeit eines schönen Athleten besitzt und alles von Shakespeare, dem
einzigen großen Dichter der Welt, der die Eisenscharniere seines Geistes
mit Heroenschönheit frei um die Welt herum zu spannen bestimmt war, als
seien es Arabesken, die er im Traum hinmalte.

Lyrik wirkt bei Frauen fast immer provokant. Bei Männern versöhnt
wenigstens, daß sie sich infolge des natürlichen Egoismus ihres
Geschlechts stets wieder danach in Geschäfte und Politik schmeißen. Die
Frau wird von Lyrik aber zu unerträglichen Gefühlsstauungen verführt.
Muß es Gereimtes sein, dann sei es Lyrik, die eine Distanz zu den
Gefühlen hat und sich nicht hingibt, sondern sich behauptet. Shelly,
Petrarka, Baudelaire, Keats, Lamartine, Stadler, Novalis, d'Annunzio.
Die heutige Zeit kann sich überhaupt der lyrischen Dichter nur mit
Erröten erinnern, denn sie ist weder so voll Schwung, daß sie diese
begriffe, noch so voll Sentimentalem im Untergrund, daß ihr die
Eichendorff und Ronsard und Verlaine und Mörike lägen. Ich gestehe, was
ich auch künstlerisch fühlen mag, daß ich eine Frau vorziehe, welche die
Härte der weltmännischen und zurückhaltenden Strophen ähnlich wie die
Schönheit einer Plastik mit halb kalter, halb hingerissener, aber
beherrschter Leidenschaft bewundert, statt eine Dame zu schätzen, die
zwischen den Erregungen der Börse und den Demonstrationen der Politik
heute, was man nicht kann, in Sentimenten schluchzt und in Rhythmen
wimmert. Die Epoche ist scharf wie Senf, aber die Moustarde wird durch
Tränen nicht leckerer.

Doch das Phantastische ist stets ein kleiner Park gewesen, in dem alles,
was einer Zeit fehlt oder womit sie zuviel beladen ist, in der Nähe der
Träume ausgeglichen in Beeten und Pergolen duftet. In Achim von Arnims
»Majoratsherren« ist das gespenstische Grau, das so schwer zu gestalten
ist, wundervoll in der Luft und nimmt den gesamten Meyrink voraus. In
Hoffmanns »Elixieren« tobt das Diabolische wirklich, das in vielen
seiner anderen Bücher ein plattes Nichts ist. Die »Nachtwachen des
Bonaventura« bringen die Romantik. Der Russe Remisow das Gespenst der
Slawen, das auch in Puschkins Gespenstergeschichten, bei Gogol und
Saltikow doch sich nie so lieblich befreit wie bei den Deutschen,
sondern an ihren Nerven angehängt bleibt und eine Krankheit eher
ausdrückt als das Jenseits und mehr verrückt ist als überirdisch. Das
Grausen mit aller Kälte hat Poe in die Wirklichkeit seiner Bücher
geschmettert, die auch nur zum Teil gelungen sind, dann aber die
vortrefflichsten ihrer Art scheinen. Der Franzose Barbey d'Aurevilly hat
in den »Teuflischen« dasselbe leis verkitscht, Villiers de l'Isle Adam
aber in »Edisons Weib der Zukunft« ihm eine zeitgemäße Mechanik
verliehen. Der Maler Kubin hat noch einmal liebenswürdig versucht, den
Schatten der romantischen Gespenster aufzurufen, aber sie sind aus den
dichterischen Prärien in die Kriminal- und Abenteurerbücher desertiert
und haben dort eine exaktere und zeitgemäßere, wenn auch uniformierte
Anstellung gefunden.

Mit den Wissenschaften beleben sie den Mond in Erinnerung ihrer guten
Vergangenheit in des Polen Zulawskis Roman »Auf silbernen Gefilden«. Der
deutsche Scheerbart hat in »Lesabendio« sie auf die Milchstraße
verfrachtet und der Franzose Renard hat sie mit Ironie und Grausen, aber
vielem Charme uns Menschen technisch mit unseren eigenen Waffen
überwinden lassen. Zur Utopie erzog sie der humane Brite Wells. Zur
Exaktheit Conan Doyle, der sie wie Automaten der Klugheit dressierte und
den Schlag der Verbrecher und Kriminalgeschichten gründete, der den
Abenteurerroman der May und Gerstäcker, Defoe, Kapitän Marryat und
Cooper (zu denen auch Walther Scotts »Pirat« gehört und manches andere
bis zu den Kreuzzugepen) völlig abgelöst hat für einige Zeit.

Es war ganz klar, daß diese Mechanik, einen spannenden Vorgang nicht mit
Hilfe der Phantasie wie früher, sondern mit allen blitzglatten
Hilfsmitteln unserer Technik und Überlegung abrollen zu lassen, das Kino
einfach aus der Luft herausziehen mußte, wenn es nicht entdeckt gewesen
wäre. Denn Film ist nur die glatte Übertragung der Techniken der Soyka,
Heller, Jack London, Eje, Elvestad ins Bildhafte. Film hat mit Theater
nur soviel zu tun, als Schauspieler dabei beschäftigt sind. Wer würde
aber aus der Tatsache eßfroher Akteure oder tribadischer Aktricen auf
die Zusammengehörigkeit von Theater mit der Kochkunst oder den
Gebräuchen von Lesbos schließen? Dagegen beweist der Umstand, daß die
schönen Gespenster klirrende Maschinen geworden sind, zwar nicht gerade
eine Erhöhung der Dichtung, aber keinesfalls, daß die Maschinen schlecht
sind. Die Kriminalbücher der Deutschen existieren zwar nicht, lediglich
der Österreicher Soyka gehört in die internationale Konkurrenz, allein
einiges bei den Skandinaven und Engländern ist in seiner Weise
vortrefflich. Das genügt.

In der Liebeslektüre kann man jeder Frau carte blanche für alle Gefühle
geben, denn es ist leicht die von fremden Leidenschaften Erschütterte zu
den eigenen Leidenschaften zurückzuführen. Von »Aucassin et Nicolettes«
rührender Geschichte bis zu den Büchern des Charles Louis Philippe ist
ein weiter Weg, und die gesellschaftlichen Formen, unter deren
furchtbarem Zwang die Liebenden sich zwischen Kloster und Bastille
suchen mußten, haben sich gewandelt. Heute stehen Spanier auf den
Straßen und suchen die Augen ihrer Auserwählten, flirten Engländer beim
Sport, Franzosen in den Promenoirs und Deutsche lieben sich in den
Gärten. Keine Frau ist unerreichbar. Keine Liebe ist so unselig und so
beglückend zwischen das Schicksal und die Sehnsucht gespannt wie früher,
als das Mittelalter die Herzen auseinanderriß und die Willkür
menschlicher Elemente und starrer Satzung die Natur bei Seite schoben.
Du kannst von Richardsons »Clarissa« über Rousseaus »Nouvelle Heloise«
bis zu Goethes »Werther« lesen, wie ein Dichter sich auf den Sockel des
anderen stellte und wie ein Herz tragisch ans andere durch Nationen und
Jahrzehnte rührte.

Ich glaube jedoch nicht mehr an die sichtbare Existenz dieser Gefühle in
unserer Zeit, wo die Knechte an der Börse spekulieren und die Damen das
politische Wahlrecht ausüben und man den Kokotten, die man zum Diner
einlud, am anderen Morgen eine bare Entschädigung für die Abnutzung der
Toiletten als Supplement zusendet.

Aber ich glaube mit ganzem Credo meines Herzens, daß die großen
Leidenschaften, deren Anmut nicht in ihrer Tragödie endete, immer der
Unterton geblieben sind aller schönen Beziehungen, und daß die jetzt
veränderten Formen der Welt die gleichbleibende Lage ihrer Melodie nicht
zu stören vermochten.

Wenn man wie du ein Gesicht sowohl zärtlich und schön wie Hermelin als
auch mit kühnem Bogen der Augen und Nase besitzt, vermag man bei einiger
Breite des Sinnes auch zu verstehen, daß Cayennepfeffer die milden
Gerichte auf seine Art wie ein Wildpret anregt. Du hast Gelegenheit, um
zu vergleichen. Wenn du die Briefe gelesen hast, welche die Nonne von
Alcoforado an einen Offizier eines anderen Landes schrieb und die von
Abälard und Heloise kennst und Balzacs übersinnlich zarte »Ursula
Mirouet«, und die bis ins Verbrecherische zärtlichen Beziehungen
Desgrieux und Manons in des Abbé Prevost »Lescaut« dazugenommen hast und
die Briefe der Mademoiselle de l'Espinasse und Flauberts »November« und
des De Costers maischöne »Hochzeitsreise« und die Frauen des Jean Paul,
die dahinbleichen an übermenschlicher Verbundenheit . . . dann kannst du
es wagen, nicht ohne Gewinn zu sehen, wie in Crébillons »Sopha« und in
Heinses »Ardinghello«, in Wielands »Biribinker« und in Heinrich Manns
»Göttinnen«, bei Rétif de la Bretonnes zweihundertdrei Bänden und den
»Liaisons dangereuses« des Laclos bis zu des Marquis de Sade
Abscheulichkeiten und den männerliebenden Strophen Oscar Wildes und des
großen Edelurnings Withman sich vom klaren Fluß des liebenden Feuers die
phantastischsten Bündel lösen. Aber du wirst erkennen, daß auch diese
Verzerrungen sich von der Liebe nicht trennen, sondern sich von ihr
ernähren und daß in ihren Formen, ob sie dir gefallen oder ob du sie
verachtest, immer der gleiche Blitzschlag der Größe zuckt wie in der dir
gemäßen.

Du wirst dadurch nicht hochmütig werden, sondern du wirst nur eher die
Menschen verstehen, wenn sie mit ihren Schicksalen an dir
vorüberschweifen und gleich den anderen Kreaturen steigen und fallen
nach diesem und jenem Gesetz. Du wirst duldsamer sein und also
weltwissender und es wird deiner Leidenschaft auch nur noch das
Verstehen jeder anderen hinzugeben. Man wird in Indien nicht Hetäre
durch Verführung, Mißgeschick oder Neigung, sondern durch Abstammung,
man kann also keusch im Herzen und eine Dirne durch Schicksal sein. Auch
die Heiligen werden nicht gezüchtigt, und mancher, der ein Mordbrenner
im Herzen schien, erreichte durch Übung den Glauben. Im Grunde ist alles
die Liebe. Aber in der Liebe wird man eben alles durch das Leben oder
man wird nichts.

Die Venetianer besaßen die besten Diplomaten Europas und ihre Berichte
waren erstaunliche Stücke an Schärfe des Auges und des Verstandes, ja
sie bildeten sie zu einer hohen Stufe der Kunst aus. Die Handlungen aber
des Staates nahmen die Dogen erst vor, nachdem sie alle eingeforderten
Berichte verglichen. Du hast nunmehr von dem dir als Frau am leichtesten
Zugänglichsten, von der Liebe her zu vergleichen gelernt. Was mir noch
übrig bleibt, ist so gut wie nichts. Nun kannst du schwimmen, in welches
Problem, welche Nation, welches Genre du willst. Du wirst Grabbe lesen
neben des James Morier »Abenteuer des Hadschi Baba«, das der erste Roman
über Persien aus dem achtzehnten Jahrhundert ist, wirst den prachtvollen
Rheinländer Schmidtbonn mit seiner herben und männlichen Duftigkeit
verstehen gegen des Belgiers Rodenbach »Totes Brügge«. Wirst staunend
des Bildhauers Rodin Werk über die Kathedralen seiner Heimat neben des
Thomas Manns schwächlich schönem, formvollendetem, aber innerlich,
dekadentem »Tod in Venedig« halten, wirst die »Studien« des pastelligen
Idyllikers Stifters neben dem riesenhaften Rabelais genießen, wirst
fühlen daß die »Küsse und feierlichen Elegien des Johannes Sekundus«
andere Worte sind wie die des zärtlichen und royalistisch verschwärmten
Francis Jammes in »Almaide«, der schönsten lyrischen Tenorstimme des
heutigen Frankreichs. Du wirst den Zola, der auch ein Gigant war,
trotzdem er etwas tierisch schaffte, neben der von Schwedens Bodendampf
mythisch umwehten Lagerlöf lesen. Wirst Wisthlers »Die artige Kunst sich
Feinde zu machen« zu Annette Kolbs zarter Kammermusik in »Zarastro«
legen und die Geschichte des alemannischen Webers, der sich in
kindlicher Einfalt der »Arme Mann von Toggenburg« nannte, zu des
gescheitesten Engländers Chesterton »Verteidigung des Schundromans« tun.
Du wirst Schlegels »Luzinde«, das voll schöner leidenschaftlicher
Süßigkeit ist, neben die Modebücher der Brüder Goncourt halten, wirst
das Buch der Frau von Winternitz von dem wilden Liebesleben der keuschen
Vierzehnjährigen neben dem »Schelmufsky« des siebzehnten Jahrhunderts
lesen und kannst die satanischen Ausschweifungen des Huysmans in »La
bas« hinnehmen mit derselben Überlegenheit, wie du an Kerrs
Reiseberichten und Dauthendeys Reinheit dich ergötzest. Du kannst den
Frauenspiegel der Renaissance von Castiglione und das Leben Dantes von
Boccaccio und Quevedos Spitzbubenroman von Segovia mit derselben
Gegenwärtigkeit lesen, wie du Storms Novellen, Eichendorfs »Taugenichts«
und Dickens Roman aus den Millionenstädten hinüberleiten kannst zu des
Verhaeren flamisch breiten Malereien, zu Schickeles »Glück« und zu dem
»Puppenbuch«, in dem der Lotte Pritzel und Erna Pinner barocke und
groteske Figuren einen höhnischen oder vielleicht auch mitleidigen
Cancan der Ausgelassenheit auf unsere Mühe, sie zu deuten, tanzen.

Du wirst dadurch so voll von gelesenem Erlebnis geworden sein, daß man
dir wie den Bankerotteuren Montecarlos eine Viatique geben muß, um aus
den verführerischen Launen der Literatur dich wieder ohne Kosten auf den
Kontinent des Daseins hinüberzuretten. Es wird wohl an der Zeit sein,
wenn du das alles gelesen und an deinem Wesen wie an einem Pegel und
Thermometer die Höhe und die Temperatur der Maße genommen hast, dich
wieder der Natur allein zuzuführen. Denn du hast dann für das
diesseitige Existieren genug gelesen und jede Zeile mehr wäre zuviel.

Mehr verträgt ein Irdischer nicht, es sei denn, er sei vom Schicksal
bestimmt, eine noch steilere Kontrolle auszuüben und die Ausmaße des
Lebens auch noch mit denen der künstlerischen Vollendung zu vergleichen
und den Gladiatoren der Kunst die Urteile auf die Nacken zu brennen.
Einer Frau kommt das nie zu, sei ohne Sorge.

Männern sollte von der Natur erst in den sechziger Jahren, wenn sie
statt mit Frauen sich mit Schnepfenköpfen zu beschäftigen beginnen, das
kritische Amt vorbehalten sein. Ich fürchte, es würden bei allem
Ehrgeiz, den das Greisentum mitführt, selbst die Besterhaltensten dies
Alter nicht erreichen wollen. Ist es einem aber bestimmt, durch Schmutz
und Crapule ein Stück verdammt geliebter Jugend und herzrot gelebten
Daseins dranzugeben, dies Handwerk mit Kunst zu vollführen, so sollen
die heulenden Hunde spüren, daß es auf den Schriftsteller ankommt und
nicht auf die Meute, über die er sich in gerechter Leidenschaft ausläßt
und es soll zum mindesten, wie Châteaubriand von St. Simon sagte,
teufelsmäßig für die Unsterblichkeit geschrieben werden.

Man gewinnt kein Ding, wenn man es nicht zugleich liebt und abstößt, und
keine Vollendung eines Lebens ward erzielt, die nicht vorher ausgewogen
war bei jedem großen Gefühl in den Wagschalen der Liebe und des Hasses.
Du kannst dich selbst nur erreichen, wenn du dich durch das Leben selbst
gewinnst, aber du darfst nicht scheuen, davor zu desertieren und wieder
zu ihm zurückzukehren. Denn nur die Treue, die sich an anderen Reizen
durch Untreue erprobt, hat den Zug der Beständigkeit in sich, der dein
Leben dann um die stete Achse rundet. Du wirst zwischen der Inbrunst der
Bücher und den Banalitäten des Lebens genau im selben Grade leiden, wie
du die Unterschiedenheiten zwischen deinen Idealen und der Nüchternheit
der gelesenen Schicksale gemein findest.

Das Verhaftetsein an eine einzige Anschauung ist auch im Lesen nicht
pikant, und wahrlich zurück zu sich zwingt immer nur die Größe, die
Betrug erträgt. Der Herzog von Lauzun, der gerne und nicht ohne Tiefe
lebte, schildert eine Dame: »Sie erwiderte mir meinen Besuch zu Pferd,
in Dragoneruniform und Lederhosen. Mehr brauchte es nicht, um mich für
immer von einer Frau abzuschrecken. Das hielt mich aber keineswegs ab,
sie dennoch zu besitzen.« Er liebte das Weibliche so abgründig, daß er
es auch in der provokantesten Form nicht abzulehnen in der Lage war und
die sicheren Genüsse nicht über der fatalen Aufmachung vergaß. Man hat
verdammte Last mit seinem Dasein zwischen Leben und Kunst und Sein und
Schein sich durchzuschlagen, und es bleibt auch dir als Frau nicht
erspart, die Kämpfe zwischen deinen Vorstellungen und deinem Blute
bitter auszutragen.

Das aber verleiht endlich erst die Reife und die Wollüste jener
Überlegenheit, die die Ahnungslosen nie kennen werden, die ohne
Geschmack jener Räusche sind, in denen wahrhaftiges Leben und wahrhaftig
gepflegter Geist zusammenschlagen, und ich glaube manchmal, wenn du als
Diana die Ränder der Wächte mit der Geschwindigkeit des Blitzzuges auf
Skiern herunterkommst, ich vermöchte auf deiner Haut auch die Glut
deines Geistes zu erblicken. Nur in Liebe vermögen beide sich zum
Augenblick des größten Daseins zu verschmelzen. Ich erinnere mich eines
französischen Theaters in Paris, wo ein Offizier desertierte und nach
einem Dutzend Kniffen und Entwischungen gefaßt wurde. Als sein General
ihm die Degradierung verkündete, erlaubte er sich einen Vorwand
anzubringen, und als er salutierend vortrat und erklärte: »c'était par
amour,« gelang es dem Kommandeur in keine andere Pose zu verfallen als
in eine bewundernde Handbewegung des Verzeihens und Verstehens, und
jenes Publikum des Boulevardtheaters hatte mit seinem frenetischen
Beifall auch nichts anderes im Sinne, als sowohl die Leidenschaft des
Offiziers als auch die begreifende Tugend des Generals mit nationalem
und, bei einem so militaristischen Volk wie den Franzosen, menschlichem
Beifall zu begrüßen. Mir fällt diese Begebenheit, die an sich
bedeutungslos ist, ein, weil an diesem Abend zum erstenmal die Linden
für mich Paris mit dem Duft überzogen, der mir früher nur der der Heimat
allein war, aber der mir von diesem Tage ab hundertmal in allen Zonen
entgegenkam, daß er mir die freundliche Welle des Himmels für alle
Liebenden seither zu sein schien.

Denn wärest du durch die Sonne des Morgens nicht im bronzenen Mondglanz
deines braunen Gesichtes mit Telemarks um die jungen Bäume des
Winterwaldes geschwungen, sondern säßest mit mir im Jasmin eines frühen
Sommers oder der Fruchtluft des Herbstes an Flüssen, an Weiden, an Seen,
ich würde dir, zwar ebensowenig vollkommen, aber in anderen Namen und
Nennungen dasselbe gesagt haben.

Denn nicht die Bücher und nicht die Jahreszeiten und nicht die
Liebkosungen machen die Form aus, in der das Glück und die Bereicherung
sich begibt, sondern der Sinn der Liebe ist immer der einzige Führer und
der alleinige Grund. Und wenn ich von deinem Lächeln, das, selbst
ermüdet, unter dem Kaminfeuer noch lockend zuckt, mit dem Vorbehalt des
Liebenden sage, es sei wohl ein süßes Lachen aber das Lachen eine Frau,
so teile ich dich nicht auf in das Beseligende und das Luder, sondern
ich weiß, wie wundervoll der Zauber der Verbundenheit aus diesen beiden
dich gestaltet hat.

Denn du bist ja letzten Endes evahaft aus Lehm und Wollust gemacht und
bist schon jederzeit zum Leben zurückgekehrt, leiblich und frisch, wenn
du nur, etwas schlapp, die langen Beine der Jägerin weit ausstreckst und
alles vergißt. Bist du für eine Limousine morgen lieber, oder für
Schmuck oder eine Reise nach Tunis, bleibst du die gleiche. Auch Geist
wiegt nicht mehr als Eisen und Fleisch, man muß es aufs deutlichste
sagen, wenn diese Frage gestellt wird. »Adieu Ihr Freunde, adieu Ihr
Bücher«, schrie Petrarka, der gut und in angefülltem Jahrhundert gelebt
hatte, beim Sterben und jammerte zuerst um das Dasein, das er verlassen
mußte und dann erst um den Ruhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .«

Solchergestalt Mijnheer hätte ich gesprochen, wenn Sie _eine Frau wären.
Doch Sie sind ein Mann, aber es gilt dennoch dies Alles auch für Sie!_

Mijnheer, man erzählt, daß griechische Helden eine Schar junger Nymphen
im Walde des Kythäron trafen, die sie durch liebliche Bewegungen und
alle Stellungen der Anmut zwangen, sie mit immer heißerem Atem zu
verfolgen, bis sie an einer Quelle plötzlich die Mädchen Waffen
ergreifen und mit feurigem Päan schlachtlustig auf sich losstürzen
sahen. Sie kämpften den Tag und die Nacht mit den schönen Amazonen, ohne
enttäuscht zu sein, denn, was sie zum Liebesspiel zu locken schien am
Morgen, blieb als streitbare Erregung in ihren Adern und tobte in der
Adligkeit der Kämpfe sich aus, in denen sie statt Geliebten nur Krieger
fanden. Ich hätte Ihnen, Mijnheer, nicht vermocht, heute so zu reden,
wenn ich das nicht gelebt hätte vor Jahren, was ich heute sagte. Und
wenn das Fresko von Büchern etwas verwirrt hängen bleibt, inmitten
dieser vorn und hinten abgebogenen Geschichte, so hat es wie der von
Löwen gesäugte attische junge Eros die Fähigkeit, sich nach den beiden
Seiten des Geschlechts zu adressieren.

Denn was daran die Frau über das Leben zu Liebe entflammte, entzündet
den Mann zum Ringkampf mit der Welt. Man denkt oft seinen Kopf zur Ruhe
zu legen und steht in Kürze vor dem Streitruf der Amazonen, aber es ist
dennoch fatal, einen holländischen Gentleman zu sehen, wo man mit aller
Kraft der Phantasie eine nördliche Diana zu sehen gezwungen ist.

Ein Mann ist eine triste Sache, wo die Luft noch nach dem Leben einer
Frau riecht. Auch Ihre Ironie vermag mich nicht zu desillusionieren.
Ernüchtern ist ein kalter Witz, den die Leidenschaft verzehnfacht an die
Wand spritzt. Ich schwärme nicht für Vergangenes, aber ich habe alles
gehabte Dasein im Blut. Mit dem faden Panzer des Lächelns und einer
Flasche Cointreau kommt man nicht über erbitterte Situationen hinweg,
sondern man lügt sich nur eine falsche Maske der Überlegenheit in den
Spiegel, statt sich seiner Leidenschaft hinzugeben.

Das Leben wäre verflucht einfach, wenn wir es nicht mit Stolz am
falschen und Demut am rechten Platz abscheulich komplizierten.

Ich werde eine Stunde auf den Damm hinausgehen und nach dem Mond
ausschauen, der irgendwo in dem Schnee stecken geblieben ist.



Die vierte Nacht


Ich will Ihnen von Norland erzählen, Mijnheer, und die Geschichte vom
Lachen des Ski. Zu witziges Zeug grimassiert heute schon durch den
Morgen. Bereits, als ich erwachte, glaubte ich das leise Panterrauschen
der Sonne zu hören, da entdeckte ich eine Fledermaus hinter dem Laden
und draußen stand der Sturm. Im Sportraum kam mir der Springer
Schneeberger entgegen und hinter ihm saßen auf den breiten Ofengalerien
die besten Läufer Deutschlands zwischen den Aktrizen vom Film. In jedem
Sporthotel der Welt siegt der Bedeutendste seiner Branche, und Thor und
Apoll und der junge Alexander treten trotz der Seltsamkeit ihrer
Schönheit zurück hinter Jockey Schmidt in Iffezheim, dem Boxer Dempsey,
dem Tennis-Wilding, dem Ski-Schneider aus St. Anton, der seine vierzig
Meter ebenso toll wie traumwandelnd sicher springt. Nun aber sah ich,
daß die robusten Burschen ihre Haare in Netzen trugen, mit welchen
Toilettefirmen ihre Reklamehelden gern in Zeitungsinseraten zeigen. Sie
sangen ein bayrisches Schnadahüpferl mit Einstieg zum Fenster über das
Heu, während man doch hier zum Stall nur durch einen Tunnel unterm
Schnee kommt, aber das brachte mich nicht zum Lachen. Nur wie ich,
nunmehr den Schneeberger, Springer erster Klasse, an dem von Eiszapfen
bis zum Boden vergitterten Fenster die zwei Kufen seiner Springskis mit
Skiwachs glätten sah, und sich sein schwarzes Gesicht über dem
Katzenkörper verweibt in der beschleiften Haube bewegte, fiel mir über
alles Pêle-Mêle hier Norland ein und das Lachen des Ski.

Es wird keine lange Geschichte, Mijnheer, und sie ist nicht kurzweiliger
wie viele, aber ich muß ausholen dazu, jedoch nicht weiter wie mein Arm
breit ist. Ich bin Liebhaber der Sports wie Sie, nicht nur um des Mutes,
der Gefahr und des Risikos willen, die ich mir dabei beweise, sondern
auch um der Pausen willen, in denen im Gegensatz zu »in Form sein« der
Fachausdruck »faul sein« heißt. Man kann von diesem Beruf aus nämlich,
ohne die Hetzjagd der Epoche mitzumachen, auch wenn man manchmal
verdammt gestrafft nach der Leistung packt, sich nachher ohne Besorgnis
die Welt auf den Bauch scheinen lassen, wie alle Inselmenschen es
jahrhundertelang taten und alle rassigen Tiere es lieben.

Aber, hören Sie, Mijnheer, ich bin nicht nur verliebt in die Sports,
sondern ich bin passioniert an dem Handwerklichen, das ihre Ausübung bis
zur Vollendung erst ermöglicht. Ich bin nicht nur mit einem rotbraunen
Segel an der Savoyer Küste gefahren, mit einem roten in Bjerred, einem
grauen in Brunshaupten, einer weißen Fregatte in Genf, moosgrün zwischen
Marstrand und Göteborg, purpurn in Südfrankreich und mit milchgelbem
Spinnacker vor Tutzing und Schloß Berg im Gewitter gelegen. Sondern ich
wußte auch, daß an dem savoyer Boot die Schwalbensegel kreuzweis den
Wind nehmen mußten, daß mein Ostseeflunderboot keinen Kiel hatte und
einen fatalen Fock, daß die Rennjolle des Starnberger Sees so
überfeinert war, daß sie dem Fingerdruck, ja der Idee schon parierte,
während das Boot der Marseiller rund wie ein Walfischrücken sein
vierecktes Segel nicht anders wie eine Harpune gehißt hatte, und daß auf
dem Kahn, mit dem wir durch die Schären nach Christiania zu kommen
suchten, das Schwert nicht marschierte und bei Sturm das Großsegel riß
. . . und ich war verliebt in die Fehler, weil ich sie kannte und daher
beherrschte.

Aber die Vollkommenheit der Yacht erst, Mijnheer, die Vollkommenheit der
Yacht erst, mit der wir zwischen Schachen und Mersburg an den blühenden
Obstbäumen den Bodensee entlang fuhren, war so erschreckend, daß mich
nur die Grimassen trösteten, mit denen die Schweizerinnen im Badeanzug
auf meiner Luvseite beim Vorüberrauschen die Bewohner der Villen
ärgerten und damit jede Sekunde der Blitzfahrt durch ihren Klamauk
gefährdeten . . . . Denn da ich Gefahr plötzlich sah, war ich gespannt
auf dem Posten und durch die Witze über die Unfehlbarkeit des Bootes
versöhnt und erheitert.

Mijnheer, nebenbei, die Geschichte der Menschen ist möglich ohne
Aeschylos und Dante, aber ausgeschlossen ohne Segelei. Die Entdeckung
der Beziehung zwischen Leinwand, Wind und Pinne ist die genialste
Kombination dieser Erde. Das gesegnete Hirn, das sie warf, besaß die
Kühnheit vorher unvorstellbarer Gedankenflüge. Daß man um Troja kämpfte,
ist eine Bagatelle, daß man es beschrieb, ein Witz. Daß man hinsegeln
konnte, war erst die Leistung. Auch sonst erfand sich ein Messer, ein
Mord, ein Dampfer von selber. Beim ersten Segel müßte die Zeitrechnung
unserer Rasse beginnen. Ich liebe inbrünstig das Segeln, ich beherrsche
es besser wie den Ski, aber ich wollte Ihnen von Norland erzählen, ich
schweife ab, aber es ist nicht ohne Sinn.

Ich habe in Norland die Vielheit des Schneehandwerkzeugs kennen gelernt,
das deshalb so vielfältig ist, weil man ohne es nicht leben kann in
dieser Zone. Von Finnland bis Lappland geht seit der Urzeit der Verkehr
nur auf den Brettern, gäbe es die nicht, stürbe man dort aus. Der Ski
ist ein nationales Instrument, und wer es nicht von Geburt besitzt,
kennt es nicht wie alles Nationale, was man hat aber nicht lernt. Darum
sind diese Hölzer fast von Geschwätzigkeit, weil sie die Gefahr und die
Kunst von Jahrhunderten erzählen, bis sie so wurden, wie sie sind.

Während die Deutschen ohne Tradition dieser Art nur ein paar Sorten
Hölzer besitzen, ist von den blonden Schweden bis zu den fetten Eskimos
die Form verästelt in hunderte von Arten. Ich sah von Upsala bis zu den
Lappen breite Schaufeln wie Lotos, dünne Renner, dreifach über unser Maß
gelängte, in der Mitte gekerbte, die aussahen wie Brillen, gewundene wie
Schlangen, vorn geplattete oder plötzlich wie Zungen gespitzte, ich sah
sie in abenteuerlichen Formen und sah sie in roher Nüchternheit.

Aber einmal, als ich von dem Zeltdorf der grünlichen Lappen mit einem
Rudel schwarz gekleideter mit grünen Blusen geschmückter Kinder zur
Feier der Heimkehr specktragender Weiber den Hügel herunterlief und
abschnallte, sah ich eine Figur auf den Ski geritzt. Sie stellte einen
Lappen dar in unanständiger Stellung, der sich im Sturz befand und die
Skispitze abbrach. Ich amüsierte mich über den Fetisch, aber ich hörte,
daß der Besitzer der beste Läufer der Gegend war, und daß seine Hölzer
in Holz und Kufung so vollkommen waren, wie seine Fähigkeit, sich ihrer
zu bedienen. Er hielt es aus irgendeinem Gefühl aber für nötig, seiner
Vollkommenheit seinen Hohn entgegenzusetzen. Man hatte durch die
Jahrhunderte sein einziges Werkzeug bis zur letzten Spitze des Möglichen
getrieben und kann nicht weiter. Da belächelt man sich. Man nannte das
Bild »das Lachen des Ski«.

An diesem Sonntag durchschaute ich guter Junge einen Haufen Weltbetrug:

Ich verstand, daß es nie Helden gegeben, und daß, wenn irgendwelche
Irdischen wirklich Kerle waren, die selbst den Himmel zu erschrecken im
Stande schienen, sie dennoch fraßen und stanken und es nicht verbargen,
sondern sich damit preisgaben, um nicht in Würde zu krepieren. Entweder
gab es Götter oder es gab Menschen, und alle Halbgötter waren Humbug der
Zeit, die sie zu ihrem Gebrauch fabrizierte. Wer Größe hatte, besaß
stets den Mut sich zu verspotten und erhellte durch das Gelächter seinen
Mut.

Selbst der Olymp mit den menschenähnlichen Göttern und das gute Walhall
suchte den Ausgleich und tobte vor Witzen. Kein großer Maler fiel mir
ein, der nicht Karikaturen von sich machte, und Eurypides hat ebenso den
Diminutiv von sich geliebt wie Scipio sich verlachte und Bonaparte
freudig fauchte, wenn einer den Spott gegen seine Kriegsführung trieb.
Die primitiven Völker entstellten sogar die Bildwerke ihrer Weiber durch
enorme Busen und Schenkel, um sich mit dieser Verzeichnung ins
Über-Üppige den Geschmack an der Wirklichkeit noch gepfefferter zu
machen, und selbst den Kultdramen der Griechen sandte man, um die
Heiligkeit des Pathos auszugleichen, gewisse Zoten hintennach. Stets
befreite sich die bedeutende Person ebenso wie die Vollendung einer
Epoche von der Bürde der Größe, indem sie dieselbe ironisierte und ins
Menschliche somit zurückzog.

Nur die fahlen Schatten spanischer Kaiser ersannen den Trick, sich nie
zeigend, in ihrer Würde zu verschwinden und einige Dichter mit vielem
Ehrgeiz und mangelnder Sicherheit zu ihrem Talent machten die Geste
ihnen nach, sich nicht preiszugeben und täuschten durch gesalbte Regie
und Prophetentum hinter den Mauern dem Volk eine Bedeutung vor, die sie
vor sich selbst nie zu glauben gewagt hätten. Denn sie hätten den Mut
sonst gehabt, sich preiszugeben statt sich zu verstecken.

Wer den Schneeberger wie eine Katze des Gebirgs von der Schanze in die
Luft sausen und nach vorne fallen und nach vierzig Metern mit einer
glühenden Kurve den Boden des Abhangs wieder fassen sah, fand die Geste
liebenswürdig, mit der er sich durch das Kopfnetz verkleinerte, und wer
den Lappen schwingen sah, hatte erst an dem »Lachen des Ski« den
Maßstab, sein Könnertum zu bestaunen. Man gewinnt nur, wenn man
riskiert. Und man ist nur schön, wenn man sich im Häßlichen beweist. »Er
verstehts,« sagen die Liliputaner von den Cagliostros, die sich mit
Würdenebeln vor der Pupille der andern verstecken, aber sie gröhlen dann
mit vor Vergnügen und halten sich den Magen, wenn die geölten Gauche
bald zusammenkrachen. Das Leben ist verdammt grausam und läßt den
Würdling, der ihm ausweicht und sich aufbläst, platzen wie ein
Meßschwein. Nichts bleibt verborgen, man kann beruhigt schlafen.

Das Lachen des Ski taucht auf, sowie eine Zeit ihren Zenith erreichte.
Sie hat dann stets für ihre Erhabenheit einen Gettatore mit dem bösen
Blick gefunden, der sie bis zur wollüstigen Komik beschielte. Das
Mittelalter war bereits seiner Sache so sicher, daß es sogar in seinen
Domen sich verspottete und in die stolze Brust dieser heiligen Monumente
Wasserspeier voll Sodomie, Klerikerstatuen im Zustand wilder
Cochonnerien und die Bilder seiner Baumeister in undezenten Posen
aufnahm, genau wie die ägyptischen Kulturen so mächtig saßen, daß sie
den Künstlern gestatteten, in den Friesen die Herrscher zu verhöhnen.

Die katholische Kirche, die das fundierteste Gebäude auf dieser Erdkugel
hat, ist so dehnbar und leutselig in ihrer Unangreifbarkeit, daß sie das
Lächeln des Spottes mit jener Vorliebe aufnahm, deren Liebenswürdigkeit
von vornherein garantierte, daß es die Attacken tötete, indem es sie
ohne Abwehr ertrug. Von den sadistischen schwarzen Messen bis zu
Origines, der sich der Sainte Vièrge zuliebe entmannte und dem
spanischen dritten Karl, der keine Geliebte nahm, um es seinem
Beichtvater nicht gestehen zu müssen, infolge seiner Vollblütigkeit
jedoch verrückt ward, ja bis zu den Faschingfesten, die dem Fasten
vorausgehen, und dem Papst, der ein Weib war, begleitet das Lächeln
ihren Bau hinauf bis an die Spitze.

Es begleitete auch, wie ein Zwerg die Fürstinnen, die Gesellschaft. Je
höher ihr Stil, um so klarer das Lächeln. Je verderbter und köstlicher
die gesellschaftlichen Formen, um so vollendeter das Lächeln. Es paßte
sich denen an, die es geleitete, und das Rokoko war schließlich und
nicht nur in Mozarts Musik und Molières Stücken ein ewiges zartes
Gelächter über sich selbst. Die Österreicher allein haben etwas von
dieser Grazie der Satire bewahrt, da sie sich niemals ganz für ernst
nahmen und genau wußten: daß sie bereits seit zweihundert Jahren tot
seien und daß man also nur noch als sympathische Leiche fast wider
Willen und erstaunt über seine eigene Atmung noch lebe.

Die Deutschen verstanden die Satire nie im Sinn des Spiegels, sondern
sie führten sie fast stets als Streitaxt gegen zeitliche Feinde und
machten sie zu Waffen der Politik. Michelangelo hat in einem Sonett
angedeutet, der Dichter dürfe nichts schaffen, was die Zeit vernichten
könne und hat gewußt, daß, wenn die angegriffene Unke geplatzt ist, der
Angreifer nur die komische Figur bleibt. Die Deutschen attackierten
Zustände, aber trafen die Menschen nicht mit. Im Mittelalter turnierten
sie gegen die Dämonen, als die Blüte dieser Epoche schon vorbei war,
später mit Rosenblüt und Hans Sachs gegen den Klerus. Huttens Satiren
sind Plaidoyers eines Staatsanwaltes, Fischarts Werk ein ungeheuerliches
persönliches Pamphlet. Der»Simplizissimus« Grimmelshausens ist nur
zufällig satirisch und im »Squenz« hat Gryphius einen Spott ausgegeben,
den er für seine Sachen in gleicher Weise verdient hätte. Das siebzehnte
Jahrhundert ist von Moscherosch bis Reuter pedantisch und ohne Grazie,
lediglich der »Schelmufsky«, der aber nur eine Mode belacht, hat einen
zeitlichen Schmiß. Wieland war ein glatter Bursche und hatte genau den
Flair, worauf es ankam und übte sich trefflich und elegant in der Manier
des »Don Quichote« und der »Pucelle«, aber vergaß, daß die Grundlagen
des deutschen Wesens in gar keiner Verbindung standen mit dem
Feenspiegel, den er ihnen vorhielt. Denn es gab keine Typen, die er
hätte zeichnen, keinen Charakter, den er hätte karikieren können und
keine nationalen Zusammenhänge, die sich wieder erkannt hätten. Er gab
wie jene Leute, die mit Visitenkarten seinerzeit herumliefen, auf denen
»Neffe Rossinis« und »Freund von Liszt« stand, lediglich eine Kopie der
fremden Satiren und bedachte nicht, daß Freund oder Neffe eines Genius
zu sein nicht bedeutet: Genie & Co.

Bei dem witzigen Liscow und dem hellen Lessing ward der Kampf eine
Zweckfrage des Schreibtums und blieb eng im Rahmen der Literatur.
Zachariäs »Renommist« ist ein Studentenwitz, weiter nichts. Es gelang
keinem, über die Opfer seiner Schüsse hinaus, an menschlichen
Zielscheiben die ewig menschlichen Gebrechen zu belächeln. Sie schossen
auf rohe Studenten, armselige Pastoren und auf die Gans des
Aberglaubens, ohne den Ehrgeiz zu haben, erst hinter dieser Jagd den
Horizont der irdischen Schwächen und Stärken liebevoll aufzuziehen. Sie
durchbohrten einen Panzer, aber das Herz war ihnen ein Schmarrn. Die
Armen brauchten alle Kraft, um nur die ersten Hiebe zu tun, denn um ein
Zentrum zu treffen, muß eines vorhanden sein. Zeiten ohne Humor sind
miserable Zeiten, nicht weil ihnen das Salz fehlt, denn es können
zahlreiche Witzbolde in ihnen herumrennen, sondern weil sie nicht so
üppig sind und so ausgewachsen, um sich mit einer gewissen Wollust in
der Ironie zu baden.

Es kommt nämlich auf den Rückschluß an, nicht auf die Betonung. Es kommt
nicht auf die Mäuse an, sondern auf den Speck in der Nähe. Es ist an
sich gleichgültig, ob es Satirisches gibt, aber wo Satirisches funkelt,
ist bombensicher eine vollendete Zeit in der Nähe. So ist der Weg. Jean
Paul, der mit seinen scharf gedachten »Grönländischen Prozessen« keinen
Erfolg fand, der aber ein Riesenwerk der Satire als Talent zu bauen in
der Lage gewesen wäre, beweist, daß nur Humor, daß nur das persönliche
Gelächter über die Welt anzustimmen den Deutschen möglich war. Er konnte
nicht die Zeit, ein wenig schief gelegt, formen, sondern er amüsierte
sich auf eigene Faust. Wilibald Alexis bluffte seine Landsleute, indem
er ihnen einen Roman als Übersetzung Scotts vorsetzte, das war aber
nicht Satire der Zeit, sondern ein Witz, den die Zeit ihm erlaubte.

Zweimal nur gelang es vor Heine, einen Zipfel der Epoche lustig und
erhaben zu stehlen aus der Rüstkammer der sortierten aber nie
gesammelten deutschen Begriffe, das war in »Minna von Barnhelm« und in
Büchners »Leonce und Lena«, wo Lessing das preußische, Büchner aber
einen Teil jenes romantischen reellen Weltgefühls der Deutschen (über
ihre siebenundachtzig Potentaten hinweg) menschlich festzuhalten
vermochte. Meissonier macht mit Unrecht den Deutschen den Vorwurf, der
Protestantismus habe sie statt zu Überlegenheiten zu nüchternen
Kostspendern wie Kaulbach und Piloty geführt. Der Protestantismus hat
ohne Zweifel den Wurzelkeim einer nationalen Kultur zerrissen, wenn er
überhaupt bestand, aber mehr Schuld ist ohne Zweifel, daß die Führer
ihre Deutschen klein gehalten und nur zum Genie der Gesetzparagraphen
erzogen haben. Ihre Freiheitsidee ist von der Schwungkraft eines
Karussells, sie saust nach außen, aber sie baut keinen Staat, ihre
politische Einsicht vermag nicht die Bedürfnisse augenblicklicher Not
oder Gewinne zu überspringen, und ihr nationales Bewußtsein ist immer,
soweit es öffentlich betont wurde, das von Generälen oder
nationalistischen Gauchos gewesen. Daß Deutschland viele Hauptstädte
hat, büßt es damit, daß es keine geistige Zentrale besitzt. Und daß
dadurch wohl Leben aber kein zentrales Bewußtsein in das Volk drang,
zeigt sich heute, wenn der republikanische Staat in seiner
Ausbalanziertheit bereits wackelt. Undenkbar, daß die Provence, daß
Smaland, daß York abfiele von ihren Mutterstaaten, weil ihnen da in der
Leitung etwas nicht passe oder sie eine andere eigene Form der
Gouvernements vorzögen. Daß Bayern wie ein Kind monatlich damit droht,
beweist nur deutlich, daß die Deutschen noch nicht Deutsche sondern eine
Zusammenstellung von Charakteren, und daß sie nicht national, sondern
Querköpfe sind.

Heine ist der einzige Künstler, der eben dies und dazu vom Ausland her,
wo er exiliert saß, fast zu einem Weltbild der deutschen Art
zusammenzuschließen vermochte, indem er es mit den Tönen der höchsten
Liebe verspottete. Er verstand es allein, wie Voltaire auch, im obersten
Sinne national zu sein, indem er angriff und spiegelte. Deutschland hat
nicht an ihm gelernt, sondern hat ihn verachtet, und weil Heine wagte,
es durch seinen liebenswürdigen Hohn zu erziehen, hat es ihm ein Denkmal
verweigert, das es ihm unweigerlich gesetzt hätte, wäre er in der Lage
gewesen, in der militärischen Laufbahn einige Städte zu zerstören. Die
Satire springt aber hier aus dem deutschen Spiegel und setzt sich mit
dem blanken Rückenteil der Epoche mitten in das Gesicht. Sie wird
unfreiwillig. Nicht das Vollendete erfreut sich seiner Karikatur,
sondern das Unharmonische macht sich erbärmlich, indem es die Windmühlen
angreift, die es von einem Feenberg necken. Die Deutschen verachten das
Spiegelbild, das, wenn es in seiner satirischen Schiefe recht hätte, nur
der Beweis der Höhe ihrer nationalen Kultur wäre und sie verachten sich
damit selbst.

Des Briten Pope »Lockenraub« und Boileaus »Lutrin« und des Italieners
Tassoni »Geraubter Eimer« und Cervantes Bücher sind aber nicht Angriffe
gegen betrunkene Studiker oder eifersüchtige Lords oder ehrgeizige
Kleriker oder fahrende Ritter, sondern sie sind vorzügliche Karikaturen
der Menschen in eine unbeschreiblich schöne Spiegelung der Zeit
hineingezeichnet, so etwa, als beuge sich jemand über Wasser und es
bliebe, durch eine Welle gestört, das Bild auch unter dem Zittern mit
solcher Klarheit, daß man die Anmut und Grazie auch durch die Verzerrung
zu empfinden verstände.

England und Frankreich entwickelten die literarische Karikatur so, daß
sie Bestandteile des nationalen Lebens wurden und der Schritt vom
Sublimen zum Belachbaren nicht ein Vorwurf, sondern ein Vorzug wurde.
Molière und Lafontaine und Boileau waren nicht die Karnickel, sondern
die Schoßkinder ihrer Zeit, die ein Entzücken darin fand, die Feinheit
zu studieren, mit der man die Fehler ihrer Rasse bespottete. Auf dem
französischen Theater erzog man den heroischen Ton so, daß er in seiner
höchsten Pathetik bereits wieder die Untermelodie des Mokanten
erreichte, kein Staatsmann, kein Künstler war zufrieden, wenn ihm nicht
sein Erfolg und seine Bedeutung dadurch bezeugt wurde, daß man ihn
anmutig verlachte. Fénélon hat den Franzosen seiner Zeit in seinem
»Télémaque« über die Scherze, die er sich mit ihnen erlaubte, hinaus
sogar ein Idealstaat gezeigt, Le Sage ließ sie durch seinen Teufel einen
Blick in alle Häuser tun, Montesquieu traf mit den reisenden Orientalen,
die über Frankreich zum Orient berichten, den entzückenden Blickwinkel,
der alles unter dem Vergleich mit anderen Weltsitten veränderte,

Voltaire ward der Riese, der ohne Gewalt nur mit dem gierigen Zug seiner
Grimasse den Klerus und die auf ihm hockende Masse des Staates
zerlächelte, bis Beaumarchais Gelächter eine Zeit völlig in ihrem
Stürzen begleitete, deren Rekonstruktion als bürgerliche Gesellschaft
Anatole France mit einer weisen und müden Ironie wieder zu Tod zu
lächeln beginnt, wo sie schon wieder ein Jahrhundert alt und schon
greisenhaft zu werden anfängt. Man wird Satirisches in Frankreich nie
mißverstehen und nach Möglichkeit nicht verfolgen, das Volk ist in der
Lage, jede Bemerkung auf ihre Ironie und ihr Vorbild hin sofort zu
verstehen, es ist tatsächlich so erzogen, daß es fast automatisch beim
Heroischen bereits das Belachbare sieht. Weil sie diese Fähigkeit, im
wahren Sinne dem Leben gegenüber Esprit zu beweisen, bei den Deutschen
vermissen, haben Constant dem Nüchternen und Stendhal dem Verquollenen
und nicht Charakterfesten an ihnen die Schuld für ihre fehlende
Kulturbasis gegeben. Wenn man der Sarah Bernhardt die dürr wie eine
Peitsche war, aber sehr fette Finger besaß, den Rat gab, sich zur
Bequemlichkeit lieber auf die Hände zu setzen, so ist das ebenso
bezaubernd wie unanständig, lobt und verspottet die Künstlerin
gleichermaßen und wird überall genau so verstanden, wie wenn ihr großer
Komödiendichter sagt: »J'aime mieux un vice commode / Qu'une fatiguante
vertu,« -- -- -- was nicht ein Paradox sondern ein witzig gebrachter und
verstandener Bestandteil des Volkscharakters ist.

In England folgte das Volk mit fast ehrfürchtiger Scheu den
literarischen Verzierungen, die, aus Gelächter gebogen, an den Bau der
Gesellschaft angefügt wurden. Pope ward zwar wegen einer Pasquille gegen
einen Lehrer aus der Schule geschmissen, vermochte aber ganz Europa mit
dem Ruhm seiner satirischen Schriften so zu erfüllen, daß er sich vom
Erlös einer Übersetzung allein ein Landgut kaufen konnte. Das England um
Siebzehnhundert zitterte vor Swift, und die Regierung mußte, weil er
dagegen war, achtzigtausend Pfund Sterling Kupfergeld aus Irland
zurückziehen, da, obwohl Newton die Güte bescheinigte, Swift erklärte,
es sei ungut und das Volk ihm glaubte. Auch Dickens und hundert Jahre
nach dem Verfasser des Gulliver hat Thackeray in »Punch« und in
»Vanity-fair« seine Gesellschaft in ganz großen Karikaturen gefangen,
die oft fast an die Predigt eines Sardonikers erinnern. Swift aber hat
am tollsten eine Tradition geschaffen, an deren Gültigkeit England
glaubt, und hat, wie Demokrit mit dem Maskenbündel, bald dieser bald
jener Seite seines Volkscharakters ein anderes Spiegelbild gezeigt,
unerschütterlich in seinem Angriff und seiner Zusammenfassung der Zeit.

Er konnte seinem Werk sogar den ausgezeichneten Einfall hinzufügen, daß
er sein Leben dem Geist seiner Bücher anglich, indem er als Epileptiker
geboren ward und als Idiot verstarb. Während die Franzosen durch
Frivolität weise zu werden suchten, indem sie lachen, haben die Briten
eine orthodoxe Miene im Gesicht und haben darum eine unbegrenzte
Hochschätzung vor ihren Karikaturisten, weil sie den Sinn der Moral in
ihnen sehen und sie daher lediglich für eine Sorte von Lachern halten,
die ein strengeres Zusammenraffen des nationalen Geistes in dieser
Maskerade verlangen. Beide aber wissen, daß ihr Zerrbild im Grunde ein
Lob ist und letzten Endes eine positive Sache wie jeder Witz.

Die Deutschen aber haben für die, welche ihre Heimat lieben, den Spruch
vom Vogel entdeckt, der sein Nest beschmutze und sich, was ihre Fehler
angeht, in einen abscheulichen »cant« verkrochen. Sie haben ihn oft den
Briten vorgeworfen, aber diese haben an Selbstkritik stets das Letzte
geleistet, wenn sie auch Heuchler in anderen Dingen sind. Aber die
Deutschen haben sich einen Traum von ihrer Erlesenheit und
Vorzüglichkeit angedichtet, dessen Anzweiflung schon Ausschluß aus der
Volksgemeinschaft bedeutet. Kritik aus Liebe zu Deutschland üben heißt
Fehme auf sich nehmen.

Das hat diejenigen, welche ihre Heimat und ihre Zeit neuerdings
satirisch spiegeln wollten, durch diese erbiesterte Form der Ablehnung
nicht zu Lächlern, sondern zu Pasquillanten gemacht. Sie haben oft Liebe
sagen wollen, aber es ist ihnen im Mund zu Haß geworden. Es ist der
gleiche Liebeshaß, der die Geschlechter unter Bissen zueinanderwirft,
der auch ihre Stellung zur Heimat ausmacht. Die Deutschen wollen nicht
erzogen werden, die Dichter aber meinen, man müsse sie erziehen oder
sterben. Die Deutschen wünschen, daß diese Schreier, die ihnen Fehler
zeigen, das Land lieber verlassen. Diese aber meinen, man müsse diese
nationalistischen Schreier erst erschlagen, um an Deutschlands Herz zu
kommen. Was die Franzosen lieben und die Engländer verehren und was
beide zu einem Block nationaler Größe zusammenschließt, erregt in
Deutschland den moralischen Bürgerkrieg. Das Volk vermag im Schild
dieser Kämpfer nicht sein Gesicht zu sehen, weil dieses Gesicht in
Wirklichkeit nicht besteht, die modernen Satiriker glauben aber, sie
müßten wie Savonarola hetzen, um das Volk auf seine Fehler zu stoßen.

Sie reden dabei aber eine Sprache, die das Volk nicht versteht, weil es
ja auch seine Fehler nicht sehen kann, da diese Fehler in seinem
Gewissen nicht bestehen. Die Deutschen haben eben keine Gesellschaft,
denn besäßen sie diese, hätten sie einen nationalen Ausdruck und seinen
Zwillingsbruder, die Satire. Es wird hier ein furchtbarer Kampf
gestritten, da jeder leider vom besten überzeugt ist und man sich in
dieser Überzeugung die Gurgeln abschneidet ohne Resultat.

Nach einer großen Demonstration gegen die Reaktion sah ich in einer
Straße der Altstadt ein neues Spiel, ein Junge hatte den anderen unter
sich, schlug ihm den Kopf auf den Boden und schrie: »Sag, es lebe die
Republik!« Man lehrt es so nicht, indem man dem, der rufen und glauben
soll, den Kopf zerhaut. Man müßte eine überzeugendere und überlegenere
Art finden, sich mit seiner Meinung durchzusetzen. Da es ohne Frage ist,
daß Satire nötig und daß sie fruchtbar ist, darf sie sich nicht, wie in
Deutschland gemeinhin üblich, vorher selbst kastrieren. Es wird da
leider aus Haß der Zuneigung nicht gespottet, sondern gehaßt. Es wird
nicht angegriffen, sondern es wird vernichtet. Der Delinquent, den man
überzeugen will, wird zuvor in den Bauch getreten, eh' er Argumente hört
und hat infolgedessen Recht, sich Belehrungen zu verbitten, die
Belästigungen sind.

Man rennt wie wild geworden gegen die Zeit los, aber man spießt auch
tatsächlich nur Institutionen auf. Man kommt, während man geistig
hinreißend sein will, in den Ruf, ungebildet und frech zu sein. Leider
wird auch gar nicht versucht, die Menschen durch ihre Zeit zu
bespiegeln, sondern sie werden wie Indianer-Gefangene skalpiert und
hingerichtet und zum Schluß verspeist. Das gebildete Publikum hat seinen
satirischen Schriftstellern gegenüber die Einstellung des Mannes, der
ausspuckt, oder es hat die Angst, die Andersen hatte vor Heine, von dem
er kindlicherweise annahm, er verschlinge ihn, obwohl es ein Weltmann
war, den er dann traf. Die deutschen Satiriker nutzen im Augenblick
nichts, sondern sie verderben nur, im besten Falle geben sie der Zukunft
ein Material über die Zeit.

Sie sind eben tragischerweise nicht die ungezogenen Kinder der Zeit und
der Nation, sondern sie sind fremde Bastarde. Die Nation erinnert sich
keiner Fehltritte, die Bastarde bestehen darauf, die Nation davon
überzeugen zu wollen, daß sie dennoch die Produkte dieses Fehltritts
seien, sowie daß Fehltritte unnötig seien, wenn die Nation sich
rechtmäßig mit einer anständigen kulturellen Haltung kopuliere.
Schmerzlich ist, daß wohl seinerzeit die Kreuzzugprediger von allen
begeisterten Völkern trotz ihrer anderen Sprachen verstanden wurden, daß
die Deutschen aber wie Kaffern und Chinesen einander nicht verstehen und
dadurch nur mißtrauischer werden.

Hätte Heinrich Mann die Zartheit Anatole Frances besessen, so hätte er
seine satirischen Bücher statt als Kanonade gegen seine Zeit mit der
Ewigkeitseinstellung des Dichters losgelassen. Er hat, wo er den Bürger
zerknittert, keine Distanz sondern Vergnügen an der Vernichtung. Es wäre
darauf angekommen, zu zeigen, daß die »Untertanen« und »Professor Unrat«
nicht getötet werden müssen, sondern daß dies der winzige Teil einer
menschlichen Schwäche sei, die amüsant besonders im wilhelminischen
Zeitalter blühte. So wäre zur Objektivität die Heiterkeit gekommen, die
Frances Spitzbart umwölkt, und dazu vor allem die Wirkung. Denn Manns
Romane haben die Deutschen nicht gebessert, sondern ihren Feinden nur
das Material zu ihrem schadenfrohen »Kreuziget« gegeben. Er hat nicht
die Einstellung des weisen Mannes gefunden, der das Kleine nicht
allzusehr beachtet und das Große auch nicht als Dupe hinnimmt, sondern
vielmehr die die Welt als das Vergängliche, das sie ist, mit graziöser
Skepsis zwischen den gespitzten Fingern aufhebt. Obwohl neben den
Novellen die satirischen Romane seine besten Arbeiten sind, erreichen
sie um dieser Einschränkung willen nur den dokumentarischen, nicht den
menschlichen Wert großer Kunstwerke.

Sternheim hat den Instinkt für Voltaire viel gerissener im Blut und weiß
eher, daß nicht die Zerfleischung, sondern die Sammlung der Untugenden
in einer komischen Linse not tut, er hat einige meisterliche Novellen
für Deutschland geschrieben, aber die Maßlosigkeit seiner Ausdrucksweise
zerstört das meiste seiner Wirkung. Er ist wohl der Ansicht, es sei
überhaupt nicht für die Gegenwart sondern für ein Publikum der Zukunft
zu schreiben, allein er weiß nicht, daß das Kolossale einer satirischen
Wirkung nicht durch die Unflätigkeit des Ausdrucks, sondern durch die
möglichst unbeteiligte Form geschieht, mit der man seine Nation in den
schrägen Winkel gleiten läßt, der das Bild ins Komische bricht.

Gottfried Benn, der ein ausgezeichneter Dichter ist, hat sich manchmal
in einer Abhandlung über die Zeit dem trockenen Ton der Sachlichkeit
genähert, allein sein »Modernes Ich« erfordert Voraussetzungen an
Gescheitheit, die ein auf Wirkung lüsterner Autor nicht stellen sollte.

Trefflicher verwendet die chronologische Exaktheit in der Zeichnung
Hermann Essig, dessen »Taifun« das beste satirische Romanbuch in
Deutschland seit langer Zeit ist. Allein seine Welt ist die einer
künstlerischen Clique und weder Herr Herwarth Walden noch sein Kreis,
die sich mit der Lanzierung einer abstrakten Malerei beschäftigen und
hier beschrieben sind, rücken so in die Lupe, daß sie einem deutschen
Nationalcharakter sich nähern, vielmehr eher jener siebenten Sippe der
ersten Familie der vierten Ordnung Raubtiere, nämlich den Katzen
(Felidae), deren Gehabe gleichfalls von Essig liebevoll und distanciert
betrachtet wird.

Noch skurriler verkümmert in literarischem Gehabe die satirische
Bemühung von Karl Kraus. Seine Stimme erlischt zwar nicht wie die der
meisten kritischen Schreiber, wenn ihr Verleger ihnen das Engagement
kündigt und die aufgeblasenen Armseligen einflußlos auf der Straße
liegen, denn erstens ist sie so bissig, daß sie nur unabhängig ertönen
kann und zweitens geht sie ohnehin nicht über die Wiener Vorstädte
hinaus. Er gibt seinem Organ daher gern die Färbung des Teufels, der
einhergeht wie ein brüllender Leu, aber es ist aus der Nähe nicht ein
Raubtier sondern ein Verbissener, und aus der Entfernung kein Bespiegler
sondern nur ein lokaler Craqueur. Die Satiriker, die nahe bei Epikur
stehen müßten, haben sich Mars zugewandt und tragen keine überlegenen
Falten im Gesicht, sondern scharf nach oben gewichste Schnurrbärte. Die
Dinge werden aber nicht mit Geschrei überwunden, sondern mit der Tat
oder mit Achselzucken.

Die literarischen Führer, die in der Regel weder Athleten noch an Wade
und Nerven kriegerische Erscheinungen sind, begehen eine Täuschung, wenn
sie sich wie Feldwebel verpuppen. Um ein Volk in den Fehlern zu
karikieren, bedarf es Liebe und Verständnis für die Schwächen und etwas
Gift. Aber man langweilt sich auf die Dauer bei den Trommelwirbeln, die
gegen den Bürger schallen, der überhaupt nicht mehr lebt. An seiner
statt hat ein vielfarbenes Zersetzungs- und Umbildungsvolk sich
geschaffen, und das liest Herrn Kraus deshalb nicht, weil es sich um
Literaturgeschrei gar nicht kümmert, und er sich wiederum nicht um ein
Volk zu kümmern vermag, das seine Art nicht nötig hat. Aber man wird zu
jeder Zeit den Swift lesen, weil er ein großartiges, auch giftiges, aber
auf den Händen hergetragenes rundes Kugelbild seiner Zeit geben konnte,
daß man zum Lachen und zum Weinen kam, wenn man es besah. Die guten
Satiriker sind natürlich keine Verneiner, sondern mokante Bejaher. Sie
stellen sich nur so, als ob alles nichts sei in ihrer Pupille, sie
stellen die Welt in Frage, damit man sie um so liebevoller bejahe.

Die deutschen und die deutschjüdischen Satiriker haben aber nur den
ersten Teil begriffen und sich in das Nein wie ein Hund in den Knochen
verbissen. Albert Ehrenstein hat diese Beschäftigung am weitesten
ausgedehnt und sich ein Leidvermögen an der Unvollkommenheit der Welt
antrainiert, daß er an jedem Portier das erlebt, was Musset und Byron
nur in besonderen Melancholien erreichten. Mit einer ewig wunden
Seelennot schreibt er sich aber in ein heroisches Maß der Verneinung
hinein und steilt seine Klage um die Erde zu fast grandioser
Monumentalität. Hier aber, wo er umkippen und endlich das Ja erleben
müßte, hütet er sein Leid wie eine Champignonzucht, und statt nun in
angenehmere Partien des Diesseits zu verziehen, wirft er den
Trauermarsch seines Hohen Liedes in das larmoyante Geschrei der
jüdischen Klageweiber, die gegen Bezahlung tagelang den Schmerz zu
artikulieren verstehen. Die Balance ist falsch, das Talent ist nicht als
Schleuder, sondern als Kugel verwandt, die Mauern stehen gar nicht mehr,
gegen die sie geschleudert ist. Was will die deutsche Satire der Zeit?
Zerstören! Aber es fehlt ihr der Partner, und der unnötige Lärm und die
Besessenheit machen nur die Unbeteiligten unlustig.

Eher vermöchten einige, weil sie von Hans Sachsens trockener Knitzigkeit
herkommen und bei Kortums »Jobsiade« sich beim Knittelvers aufgehalten
haben, eine Karikatur der geistigen Zeit zu machen. Natürlich gelingt es
auch nicht, weil dieses Zeitbild ja fehlt, aber es wäre immerhin zu
konstruieren oder amüsant anzudeuten. Der Versuch eines Unbekannten,
Herrn Freeman, ist beträchtlich, obwohl der Autor barbarisch sich nach
jedem Satz auf den Magen klopft. Er macht den Trick, einen Naivling,
einen unzivilisierten Bauer auf der Suche nach einem Weib, Deutschland
durchreisen zu lassen. Der agrarische Parzival, der weder eine Eisenbahn
noch ein Parlament ahnt, hat in der Reflexion eine ähnliche Einstellung
wie Montesquieus Orientalen, welche Frankreich bereisen, aber er hat
nicht ihre Vergleichspunkte und damit erlischt die höhere
Gesetzmäßigkeit der Satire.

Bei den Franzosen spiegelte eine Welt die andere, bei Freeman in seinem
»Michel« grinst nur ein Bauernlachen über ihm vorkommende
Unverständlichkeiten. Die Welt, die Freeman sieht, ist ihm und uns nicht
rund, die Landleute sind aber nicht einfach, sondern schlau. Sein
Lächeln ist nicht überlegen, sondern nur pfiffig. Auch Herr Uzarski, der
aus gleicher Richtung kommt, sendet einen Naivling aus, aber er ist
schon fiter und läßt ihn in Spanien reisen, wo immerhin ein Weltbild ihm
entgegentritt. Auch in seiner Hundegeschichte mischt er den derben Ton
der knorzigen Fastenredner hinein und bringt das deutsche Wesen manchmal
schon zu Fastnachts-Komik. Allein bei aller herzbrechenden Drastik ist
dies nur ein vereinzelter deutscher Zug, der dazu noch von den
Meistersingern kommt. Hans Sachs aber ist nicht deutsch, sondern nur ein
vergröberter Auswuchs und keineswegs Gesellschaft, es sei denn die der
Rüpel.

Dazu kommt Herr Scheerbart, ein Humorist, der neben allem anderen nicht
ohne das Phantastische auskommt. Eine Gesellschaft, die nicht besteht,
auch noch auf der Milchstraße karikieren zu wollen, ist vielleicht ein
Zeichen von Talent (er besitzt es), aber eine unmögliche Satire. Das
hätte Cervantes nicht gewagt. Albert H. Rausch sodann, der nicht den
Bürger, sondern den Spießer wie Hoffmann und Paul ärgerlich zeigen
wollte, im Zustand wie er sich über Urningtum entrüstet, ist ein
Zärtling, der, sonst ein gepflegter Dichter, hier seiner Provinzstadt
dauernd, statt sie stinken zu lassen, Parfüme über das Dach schüttet. Er
kann es ohne Ästhetisieren nicht lassen und zeigt sich immer wieder
selbst, elegant und heiter, zwischen den Bürgern seinem Publikum auf
seinen eigenen Händen serviert.

Exerziert man Deutschlands Satiriker alle nebeneinander nach Größe und
beschaut ihre Einstellungen, haben fast alle gegen Zustände gefochten
und nicht Menschen geschildert. Die stofflichen Anlässe der Herren sind
Späteren so gleichgültig, wie uns die preziösen Salons der Molièrezeit,
die Arrangementgründe der Shakespear'schen Lustspiele, der Kitzel zu
»Leonce und Lena«. Wer hat, Sternheim in manchem ausgenommen, mit
lachender Üppigkeit die Zeit durch die Sanduhr laufen lassen, daß man
sagen kann: hier ist Zeit zusammengelächelt und sonst nirgends? Die
Antwort ist: nirgends. Bei einem Schüler von Anatole France, einem
gewissen Übelhör, war alles da, wenn auch geschwächt. Allein er hatte,
wie Wieland, eine Satire auf die _französische_ Demokratie geschrieben.
Es hätte eine Übersetzung aus dem Französischen sein können. Es ist die
Visitenkarte eines begabten Neffen von Herrn France.

Ein Börsenauftrag, Mijnheer, mit Ausführungsbestätigung dauert von
London nach New-York vier Minuten und kann tatsächlich effektuiert
werden, da die Börse in New-York um zehn beginnt und die Londoner bis
vier Uhr handelt und in der Zeitrechnung zehn Uhr morgens etwa drei Uhr
zehn britischen Nachmittags entspricht. Die Zeit ist kurzlebig und
schwer zu fassen. Wie faßt man sie rasch?

In Frankreich begleiten, ob ein Präsident aus dem Wagen gestürzt ist
oder eine Apothekersfrau entdeckt ward, die nackt mit dem
Keuschheitsgürtel vom verreisten Gatten an die Wand geschmiedet ward, in
Paris begleiten auf den Boulevards mit Postkarten handelnde Sänger und
siebentausend in Café-Konzerts auftretende Bretzel-Chanteusen diesen
Vorfall mit einer Flut von Spott. Die politischen Ereignisse werden in
allen Revuen und Kabaretts glossiert. Die Erklärungen der Conferenciers
in den großen Schaupantomimen, in den Guignols, in den Kaschemmen, wo
Schattenbilder gezeigt werden, stellen den Kontakt zwischen
Tagesereignis und Illustrierung her. So wird das einzelne aufgesogen und
bereitet die ungemeine Empfänglichkeit für die daraus addierten Summen
des künstlerisch satirischen Werkes vor. In England verarbeiten es die
viel heftiger als bei uns gelesenen Wochenschriften und Witzblätter und
Variétés.

In Deutschland sind erst nach der Revolution einige Kabaretts
eingezogen, die das Tagesereignis glossieren, die Literatur dazu wurde
von Herrn Mehring, Tucholsky, Reimann und Ringelnatz geliefert. Sie
nähert sich stark dem politischen Thema und damit jener Schärfe, mit der
der deutsche Karikaturist sich bemüht, seine Sachen seinem Publikum ins
Gesicht zu speien, statt sie ihm gefällig zu servieren. Der Kabarettstil
der durchgängigen Nachkriegszeit beschäftigt sich sonst mehr, soweit er
diskutierbar ist, mit den »Faits divers« der Skandale der Hauptstadt.
Lediglich den Schauspieler Paul Grätz mit einer fiebrigen, aber
gehämmerten Diktion vermochte dieser Stil herauszubringen, von dem nicht
gesagt werden kann, ob er überhaupt Satire ist oder eingeseifte Politik.
Von der aber fliehen die Bäuche, die unten Sekt schlemmen, lebhaft
lieber zu Apachenszenen und »Zeig mir mal dein Muttermal.« Man ist dann
unter sich. Diese Sprache, nicht nur die der Kreuzzüge, ist, nicht ohne
Recht, international verständlich. Es ist eine Sache, es sind Leiber und
Frauen, um die es geht, und nicht Experiment um Geschwätz.

Das ist die Geschichte vom Lachen des Ski, Mijnheer. Ich habe an ihm
gelernt, daß es keine Helden gibt, daß aber nur erhaben ist, was sich
belachen läßt. Ich bin durch die Karikatur von der Dichtigkeit des
Menschen überzeugt worden, und nicht davon, daß nur, wo kein Spott
hinlange, Größe sei. Der antikisierende Maler Mengs war überzeugt, daß
er nach seinen beiden Vornamen die Eigenschaften des Correggio und des
Rafael von Urbino in sich vereinige. Er war ein Idiot, der, statt seinen
preziösen Bürzel ins Wasser zu stecken, ihn wie eine Trompete in die
Luft hob. Er machte sich lächerlich, indem er sich spreizte mit
überlieferter Würde, statt daß er sich durch Witze seine Unbefangenheit
von soviel anspruchsvoller Tradition erkauft hätte.

Die Menschen, Mijnheer, haben nie den Instinkt für die Wirkung ihrer
Figur und ihres Esprits. Dieser Berg da oben nördlich heißt
Schauinsland, ich finde ihn köstlich benamst, weil er voll Schneesturm
steht wie ein Vulkan. Dieser Aussichtspunkt westlich heißt Notschrey,
ich finde bei diesem Windspektakel das fast verzweifelt komisch. Dieses
Getränk hier, Rotwein und Sekt und Cognac und Himbeer heißt Horbener,
weil das der Landstrich Badens ist, wo am wenigsten wächst. Liegt nicht
viel Anmut in diesem Sichverspotten? Man hätte uns nicht nach den
heroischen Idealen erziehen sollen, sondern lehren müssen, aus dem
Frivolen die Menschen sehen, man sähe gemeinhin sicherer und klarer.

Eine Serie Leben müßte man hinter sich haben, als Kammerdiener des
Rubens, als Knabe des Alcibiades, als General des Dschingiskhan, als
Matrose des Kolumbus, als Geliebte Homers, um an ihren Schwächen und
ihrem Versagen fast kämpferisch sich den Glauben an ihre Größe zu
erwerben. Aus den Geschichtsbüchern klingt das hohe Pathos des Ruhms
allein für den, der Menschen kennt, leicht nur wie Gedudel aus einer
Papiertrompete. Das wirkliche Ja hat stets sein Lächeln mit sich wie
Wotan seine Raben. Einmal hat übrigens das Lachen des Ski sich
umgedreht.

Man hat nämlich, wenn man nicht zünftig die Langriemen beim Skiern
trägt, die man selber knotet, den Fuß in der Huitfeldbindung, das ist
eine Klammer vorn, die mit einem Riemenschluß an den Absatz verbunden
wird, oder man trägt Bilgery, wo dafür eine Rolle mit Stahlfedern tritt.
Die Preußen haben diese beiden im Kriege kombiniert, damit wohl der Fuß
vorn fest säße, die Stahlfeder aber erlaube, in Reih und Glied, nach
Kommando und auf dem Ski knieend zu schießen, laut Reglement. Hier ist
das Lachen nicht bei dem Menschen gewesen, sondern wahrlich bei dem Ski.

Hätte der es vermocht, er hätte seiner Heiterkeit Ausfluß gegeben, aber
er hätte nicht seine Vollendung damit bespiegelt, sondern sich über
seinen Schützen gefreut. Der nämlich war, wenn er nicht zwischen dem
Schießen und der Beobachtung des Skis selbst erschossen wurde, das
Symbol jener Gattung von Leuten, die unfreiwillig zum Lachen helfen,
fatalerweise für sie.

Uns hier hilft nicht einmal das Schießen. Es schneit. Ob wir belachbar
sind mit unseren Dialogen? Niemand ist seiner Wirkung sicher, Mijnheer,
auch im Schlaf nicht. Man kann auf jede Satire eine andere verfassen,
die noch mörderischer ist. Als Racine eine Sache von Port Royal aus
drehte, die sich über den König mokierte, traf ihn ein Blick Ludwig des
Vierzehnten, und er starb. Der König war ein Gettatore. Er hatte ihn tot
gelächelt.



Die fünfte Nacht


Ich will Ihnen davon erzählen, wie ich das Steuer meines Lebens in die
Hand bekam, Mijnheer, von einem Flugzeug, von Pernambuco und meiner
Kindheit.

In unserer Bibliothek hing jeder Erstgeborene der Familie die Bilder
dreier Männer auf, die sein Leben schirmen sollten. Ich hing mit
Siebzehn bereits unter meines Vaters Führer, unter Montaigne, Homer und
Bismarck die Bilder des Luftschiffers Blanchard, des Herrn von Lesseps,
der den Suezkanal durchstieß, des Meisters Blériot auf. Ich kam zur
Strafe am folgenden Tag zu Tante Evelyn aufs Land und begann sofort
hinter ihrem Rücken einen Gleitapparat zu bauen, um das hügelige Gelände
auszunutzen. Tante Evelyn bemühte sich aber, mir eine höhere Ansicht
beizubringen und nahm mich mit in die Stadt, wo vor einer glänzenden
Gesellschaft ein bärtiger Herr über Ceylon und China Einiges vorlas.

Es waren für deutsche Verhältnisse sehr elegant gemachte Schilderungen
dabei von Pullmans und Chinatowns, aber obwohl er, wenn es spannend
ward, jeweils unverständliche Nutzanwendungen fürs praktische Leben dazu
gab, zog ich das Portefeuille, denn ich dachte, es sei ein Clerk vom
Reisebureau, aber Tante verbot es mir. Ich war gewohnt, die Börse zu
ziehen, wenn bei uns Hinrek Maasen von Sumatra erzählte und am Schluß
seinem Affen den Schwanz hochzog, daß die Weiber quietschten, aber ich
ahnte nicht, daß meine Tante mich mit in die Weisheitsschule des Grafen
Hermann Keyserling geführt hatte. Ich sagte ihr, ich hätte Romane von
ihm gelesen, aber sie zog auf der Heimfahrt ihren Tibetpelz vor den
schönen Mund, fröstelte in der Mondnacht und meinte, das sei eine
Verwechselung, fast jeder Balte sei ein Keyserling, und der, den ich
meine, sei nur ein Dichter und heiße Eduard.

Ich begriff nicht, warum man nur ein Dichter sei, wenn man glänzende
Romane schriebe, aber hingegen gefeiert werde, wenn man unter dem Namen
Hermann den Baedeker in graziöse Philosophie übersetze und dadurch
unverständlich mache, und beschloß, mich mit den Schriften des Grafen
auseinanderzusetzen, nachdem ich meinen Gleitflugapparat mit Leinen aus
Tantes Vorrat bespannt und imprägniert hatte. Ich ersah daraus, daß der
Balte über Reisen gut schreibe, jedoch seine Landschaften mit
Philosophie, seine Gelahrtheit aber mit Wasserfarben verdünne. Ich fand,
daß er gegen den Krieg sei, aber heroische Kriegerischkeit lobe, daß er
mit dem Sozialismus kokettiere und ein aristokratisches
Standesbewußtsein lehre, daß er schrieb, Deutschlands Bevölkerung sei
erbärmlicher im Kriege gewesen wie die Frankreichs, und dennoch mit
allen abgesetzten Fürsten verhüllte Blicke wechsele, daß er die
Einfachheit des Lebens pries und sich allen Sprossen der
Wirtschaftskapitäne als kluger Mentor im Sinne ihrer Weltauffassung
empfahl.

»Findest du nicht, Tante Evelyn,« sagte ich, »daß der Graf nichts
anderes ist wie ein God-Dag-Mann in Kopenhagen, der nach allen Tischen
seine Verbeugung macht?« »Mein Junge,« sagte Tante Evelyn, und winkte
ihrem schwarzen Diener, »mein Junge, du bist noch nicht alt genug, um zu
wissen, daß man alles kennen muß, um alles zu vereinen.« Ich grübelte
lange darüber nach und beschäftigte mich darauf mit der konstruktiven
Basis einer Welt-Auffassung, wie der Graf sie besaß. Mich interessierte
die Mechanik, auf der so verschiedenes Zeug beruhen konnte, aber ich
fand keinen Punkt und kein System innerhalb dieser Gedankenmaschine. Da
kam mir eine phantastische Idee.

Diese Geschichte, Mijnheer, ist eine sehr abenteuerliche Sache, ich
kürze sie ab, so gut es geht, aber es geht darin herauf und herunter. Am
anderen Tag kam im Flugzeug aus Prag ein berühmter weißbärtiger
indischer Dichter in die Weisheitsschule, und hatte der Graf vorher
schon den größten Zulauf, so wanderte nun halb Deutschland hin. Ich
halte Tagore heute für einen gut europäisierten Denker, meine aber, in
Indien, mit dem er gar nichts zu tun hat und wo Literatur seit
Jahrtausenden gepflegt wird, dichten die Sackträger so. Kurz, zumal der
Graf aufforderte, nur die besten Deutschen sollten diese exotische Schau
vornehmen, begleitete ich Tante Evelyn lediglich, um den Äroplan des
Inders anzusehn.

Ich ging nach dem Hangar und sah nach der Marke: »It is a Farman of
course,« konstatierte ich zu dem Piloten. »In whose interest do you come
here?« Er antwortete in seinem tschechischen Slang: »C'est une affaire
de propagande pour la maison de Cook.« Er hielt mich für einen Piloten
und grinste mich verständnisinnig an. Am Abend nahm ich den Schwarzen,
den der Graf bei Tante Evelyn untergebracht hatte, mit hinter die
Scheune, hielt ihm eine Pistole unter die Nase und er gestand das
gleiche. Ich lachte die halbe Nacht. Am Morgen hatte ich den Punkt
gefunden, von dem aus die Konstruktion so vieler Ansichten gehalten
wurde: Es war einfach Cook.

Cook transportierte die »Blüte der Nation« zu jener Weisheit, die
wiederum Cook im Interesse seiner Reiserouten selbst kreiert hatte.
Zwischen Niederwald und Bayreuth kam ein neues Denkmal deutschen Geistes
zu stehen. Es war eine glänzende Spekulation. Kein Deutscher würde sich
die Besichtigung entgehen lassen. Gemacht! Das Ausland würde sich die
Sehenswürdigkeit eines Aristokraten, von dessen Rasse man annahm, sie
speisten belgische Kinderhände, und der in Philosophie machte, nie
verkneifen. Sensationeller als ein Schlachtfeld! Ich sah mich für meine
erste Bewegung nachträglich gerechtfertigt, ich hatte mit Recht die
Börse gezogen, und Hinrek Maasen mit seinem Affen und Sumatra hatte auch
recht gehabt.

Ich stürzte den Mittag über den Treibhäusern Tante Evelyns ab und hatte
das Unrecht, mitten in ihnen zu landen. Ich mußte nämlich lachen, als
Tante Evelyn im gleichen Moment den Garten betrat, denn ich dachte an
das Amulett an ihrem Hals. Ich hatte aus den Geständnissen des Niggers
entnehmen müssen, daß sein Zweck war, seine Locken zu opfern für die
Andenken, die täglich von dem denkerischen Vorkämpfer Deutschlands
gefordert wurden. Ich dachte daran, fiel, und meine Rolle war
ausgespielt.

»Ich wüßte keinen Balten,« sagte mein Vater, als ich ihm die Sache mit
allen Umschweifen erzählte und mit meinem Sturz endete, »ich wüßte
keinen Balten, der mich aus dem Gleichgewicht brächte« und lächelte ein
wenig. Dies Lächeln ging mit mir, als ich am nächsten Tag mit seiner
Erlaubnis zu Onkel Gilbert fuhr, der bei Citroën in Paris an einer
Verbesserung des Dieselmotors bastelte. Seine Motore sollten Schiffe
anspringen lassen mit Hochgeschwindigkeit, drehen lassen wie Kreisel,
unabhängig machen von Kohle. Es interessierte mich mit allen Fibern und
war mir mehr Glück als die Schule der Weisheit von Cook. Es
interessierte mich sehr, aber es mißlang.

Wir boten die Sache nunmehr auf mein Anraten auch Cook an, und siehe,
der Mißerfolg störte ihn keineswegs. »Kaufen wir,« sagte er »es ist
Sensation.« Er bot meinem Onkel dann die Schlußleitung des Baues der
elektrischen Schnellbahn an durch Mittelamerika. Wir bauten die Sache
fertig, ich beaufsichtigte sechstausend Chinesen, schoß nachts mit
Maschinengewehren nach Pumas, die wie russische Kavallerie anrückten,
ich fuhr mit Gilbert und dem Präsidenten Huerta im fahnengeschmückten
Lokomotivwagen die Eröffnungsfahrt durch Mexiko.

An der Empfangsstation stand Cook und drückte dem Onkel und mir Scheks
in die Hand. »Wie heißen Sie, Sennor?«, rief er hinter dem Onkel her.
»Ich habe Ihnen den besten Motor der Welt verkauft«, sagte Gilbert und
steckte die Hände in die Taschen. Cook lachte über das ganze Gesicht:
»Sind Sie Ihr Motor, Sennor? Name ist kein Geschäft.« Mijnheer, ich
wurde rot vor Wut und wußte nicht warum. Ich bin von Geschäft zu
Geschäft gefahren in der Folge, ich sah, daß alles käuflich war, daß
alles nur Geldwert hatte, Börsentaxe und Preis. Ich flog zwar mit Ernst
von Csala von Berlin bis Neapel, tauchte zweitausend Meter mit dem neuen
Motor auf den Meeresgrund, ich liebte mein Dasein zwischen
Eisenkonstrukteuren, Hochstaplern, Erfindern. Geschäft, Geschäft! Ich
bekam Geld und war nicht glücklich. Ich war ein smarter Junge, Mijnheer,
und auf meinen Vorteil aus wie ein Balte, allein mir fehlte etwas und
ich wußte nicht was.

Auf einem Segler hinter Martinique wurde ich krank, der Arzt
diagnostizierte gelbes Fieber. Auf der Höhe von Paramaribo hißten wir
die gelbe Flagge, kein Hafen gab das Anlegesignal. In Maranhao zog man
die Flagge ein, schmuggelte mich ans Land, ein deutscher Arzt
konstatierte die Pest, ich riß aus vor der Baracke, ein andrer heilte
mich, aber ich hatte auch da nicht das, was dieser bestimmte. Aber ich
hatte das Vergnügen, Herrn Kamnitzer zu empfangen, der von Pernambuco
heraufkam, in Firma Reiß Irmãos & Compagnia, ich hatte gute Beziehungen
von Mexiko zur Compagnia, ich hatte ihr manchen Gefallen getan und sie
umwarb mich, ich trat ein.

Ich trat in die erste Firma ein, die Brasilien besitzt. Trat ich in die
Loge des Theaters, sandte der Gouverneur Pernambucos seinen Adjutanten,
mich zu begrüßen, fuhr ich im Segelboot der Firma durch den Hafen,
salutierte ein Kriegsschiff. Doch das Kriegsschiff salutierte nicht mich
und nicht Marion, die Tochter von Reiß Irmãos & Compagnia, obwohl sie
schöne Zähne und entzückende Beine und die Hüften eines Jungen hatte,
sondern es salutierte das Geld der Firma. Das ärgerte mich, aber ich
verliebte mich in Marion, und nun stand mir ein Reichtum bevor, wie
keinem andern in Brazil, ich würde Land haben, größer als »The German
Empire«.

Ich konnte mich aber nicht gut mit Marion unterhalten, trotz ihrer
breiten Schultern, ihrem schmalen Becken und tiefgrauen Augen, denn sie
verstand nichts von Dingen, die uns angehen, und in ihrem Hirn war
nichts als Luft! Ich schenkte ihr also, um sie anzuregen, das einzige
Buch, das ich hatte, das Tante Evelyn mir in diesen Tagen sandte, sie
las es aber nicht, sondern schenkte es einem deutsch redenden Koch, das
kränkte mich, denn es war immerhin, wenn es auch vom Grafen Keyserling
war wie alles, was Tante Evelyn sandte, ein gescheites, und für Marion,
die nur auf Pferde dressiert war, ein gut geschriebenes Buch. Sie war
jedoch zu gut gewachsen, um ihr für Fehler ihrer Bildung zürnen zu
können, ich überging es. Aber ich ging in die Küche, als ich dort laut
deutsch singen hörte.

Da fand ich den schwarzen Diener meiner Tante, er hatte das Buch des
Grafen auf eine Pfanne über den Herd gelegt, die in der Luft schaukelte,
las laut und mit Tränen die Seiten, und wenn er eine beendet, riß er sie
gerührt aus der Bindung und drehte sie als Pappillote in seine Haare. Er
sah mich traurig an, als ich ihn frug, warum er hier sei, griff an den
Kopf und lüftete über einem nackt schillernden Schädel seine wollige
Perücke. Seine Natur hatte einen furchtbaren Streik geführt gegen die
übergroße Beanspruchung seines Schädels, trotzdem er zu einem besonderen
Zweck, zur Wiederherstellung der Weisheit in Deutschland, ihn zur
Verfügung gestellt hatte.

Ich gab ihm fünf Dollars und dachte, es sei nicht gut, mit »clever«
geschriebenen Büchern eine faule geistige Bewegung in Deutschland
starten zu wollen, denn das Papier und die Schädel gerieten nur tragisch
aneinander. Aber ich dachte auch, es sei nicht gut, mit seinem Geist ein
Geschäft zu machen, denn Geschäft sei alles, und darin zu ersticken sei
erbärmlicher und langweiliger als ein Steward oder Chasseur zu sein. Ich
dachte aber auch, es sei von Marion nicht schön, das Buch gar nicht zu
lesen, und daß der Nigger sie beschäme, der nur ein wenig an Europa und
nicht an seinem besten, sondern seinem anstößigen Teil geleckt habe.
Während ich das bedachte, in diesen Tagen, wurde der Gesang in der Küche
leiser und schwieg dann, der Schwarze mußte die Lektüre beendet und wohl
alle Seiten in die Perücke gerollt haben.

Mijnheer, wie raten Sie, daß diese Geschichte endet? . . . Wie ging dies
Stück Jugend zu Ende? Sehr rasch. Ich ging eines Morgens in diesen Tagen
in den Garten nach Wochen einer säuigen Hitze, in deren Feuchte nachts
die Schuhe vor den Türen schimmelten, ich ging in den Garten. . . da lag
das Himmelblau so geschliffen, so unendlich zwischen den Bäumen
ausgespannt, daß mir armem Burschen die Tränen in die Augen schossen.
Ich hatte vorher zum ersten Male ein Gedicht von Nietzsche gelesen und
ich hatte plötzlich die Sehnsucht eines besseren Lebens im Blut.

Ich riß die Nacht noch aus, ich fuhr instinktiv nach Europa zurück. Ich
hatte mein Herz und mein Temperament an die tackenden Rhythmen der
Motore gehängt und nichts erlebt als Geschäft. Ich hatte die
öffentlichen Wunder abgegrast und nichts erlebt als Geschäft. Ich hatte
mich meiner Zeit in die Arme geschmissen und sie hatte mir nichts
gegeben als Geschäft. Ich pfiff darauf.

Ich ahnte die Anerkennungen, die erst dahinter liegen mußten, ich spürte
den Glanz und den Ruhm einer höheren Bedeutung. Ich bekam Sehnsucht nach
Europa, wo gemalt und geschrieben wird, wo die Frauen die Bücher nicht
den Schwarzen schenken, wo die Vierzehnjährigen nicht die
Dreizehnjährigen heiraten, wo die Nigger nicht das Wahlrecht haben und
wo man die Mädchen nicht in Hängematten halb wie Göttinnen und halb wie
Schweine züchtet. Ich wollte eine höhere Anerkennung meiner Leistung als
Geld, ich wollte, daß man meinen Namen behält, ohne Absicht auf
Geschäft. Ich hatte die Entdeckung eines Ruhms der inneren Leistung
gemacht, ich fuhr nach der Alten Welt mit einer Glückseligkeit ohne
Maßen.

Ich desertierte wohl, damit Sie mich nicht falsch verstehen, von Reiß
Irmãos & Compagnia, um den Ruhm zu finden, aber ich machte deshalb keine
geschäftlichen Dummheiten, sondern blieb smart. Ich machte mich auf, nun
endlich die geheimen Wunder zu suchen, etwas über Blériot hinaus und
etwas glänzender wie die Karikatur des Balten. Ich trennte mich an jenem
Tag von Chamforts Armee der Dummen, die alles Geistige verlacht, aber
ich gesellte mich keineswegs zu den hochmütigen Fratzen, die auf den
Motor wie auf eine Ratte herabsehen. Ich war ein Meister der
Impertinenz, aber ich habe das Erröten dazugelernt.

Das beste Gesicht der Gegenwart ist der Ausdruck des Mannes, der etwas
nach unten Lauschendes besitzt, weil sein Ohr den Gang des Motors zu
kontrollieren gewohnt ist, dessen Stirn aber mit einem gewissen Respekt
vor der Größe der geistigen Welt über der scharfen Nase nach oben
getrieben emporstrebt.

Man sagt Ja zu der Gegenwart so, ohne sie zu überschätzen. Man nimmt
ihre Sensationen, Gottseidank und erheitert, und weiß sich eines ewigen
Besitzes dennoch nicht unteilhaftig.

Dies, glauben Sie, sei natürlich, und ein Narr, wer diese Verbindung
nicht fände? Es hieße, Mijnheer, die Diane de Gabies mit Aphrodite
Kallipygos in eine Figur bringen, das schmächtig Knabenhafte und die
wollüstige Fülle verbinden, es hieße Leben und Arbeit versöhnen, Kampf
und Muse in dasselbe Bett zur Zeugung legen und schließlich Kunst und
Dasein in eine seltsame Harmonie wiegen.

Das, Mijnheer, ist fast Übermenschliches schon, und wer es völlig zu
lösen verstände, wäre ein Alchimist oder der Genius. Wer dem Ziel aber
nur nahekommt, hat verfluchtes Glück oder eine gesegnete Masse Blut
gelassen.

In der Tat, Mijnheer, ich bin von Reiß Irmãos & Compagnia desertiert,
weil ich andere Liquidationen vom Schicksal erwartete als den platten
Erfolg oder das angenehme Leben. Wie aber fand ich das Ideal gehütet
jenseits der Scherze, denen ich in meiner ersten Jugend beiwohnte? Wie
fand ich später, als ich nachdenklich und kritisch wurde, Nation und
Leistung und Kultur zusammengewachsen mit jener geheimnisvollen
respektuösen geistigen Erregung, die jeden bedeutenden Ruhm in ihren
Tiefen lange über die Menschheit erzittern läßt?

Ach, Mijnheer, ich fand die Stellen nicht mehr, wo die Traditionen und
die Gegenwart sich zusammenfügten, und ich fand den Hebel noch weniger,
mit dessen Kraft die Gegenwart einen Einzelnen als ihren repäsentativen
Träger heben konnte. Ich fand nur Zauberkünstler und Akrobaten.

Aber ihre Trikots waren so durchsichtig und ihre Kunststücke so
erbärmlich, daß auch das Publikum ihnen bald nur Gelächter schenkte. Ich
fand die Aristokraten, die das geistige Leben lange trugen, schmollend
beiseite, weil es ihnen politisch scheinbar kontrekarrierte, ich fand
die Bürger das geistige Leben subventionieren und innerlich verachten
und die Arbeiter noch beschäftigt mit der Befreiung aus der Sklaverei
und weit entfernt, aus sich schon jetzt eine Unterlage von Gesellschaft
unter die Gegenwart zu schieben. Ich fand wohl die irgendwo schwebende
Ehrfurcht vor den Taten der Weisheit, aber ich fand nicht die Nation,
die ihr schönes Geäste über sich hochtreiben könnte.

Ich muß daran denken, daß ich Anatole France und Herrn von Ghérardine an
einem und demselben Tage einmal traf. Ich sah, wie der greise Romancier
die Grenzen seiner Wirkungsmöglichkeit und die Geringfügigkeit eines
wirklichen Einflusses mit seiner melancholischen Heiterkeit klagte. Und
ich hörte, wie mir Ghérardine, der mit den violetten Farben des Quartier
Latin geschmückte König der Bohème, ein Verse machender verkommener
Bürger, Bruder eines Admirals der französischen Flotte, dem man Absynths
bezahlte, mir abends vor einem Café des Boulmich gascognierend rühmte:
wie sein Beispiel und seine Angriffslust seine Bevölkerung beeinflußt
habe.

Beide waren im Unrecht, ebenso wie Rousseau, der meinte, die Künstler
verdürben das Volk, und der ihnen damit eine Tätigkeit zubilligte. Kein
Dichter hat einen wahrhaften Einfluß von sich auf die Welt gehabt und
keiner hat sie verändert. Sie vermögen dem Volk und der Zeit und den
Sitten nichts anzutun, denn sie sind nur deren Produkt. Rousseau war ein
Naturbesessener, weil seine Zeit auch ohne ihn begonnen hatte, aus den
Zwängen und Vergipsungen zu stürzen und die Freiheit wieder zu suchen.
Anatole France hat das Pech, nicht die Spitze einer erlesenen Epoche zu
sein. Aber er ist darum gerade der Repräsentant seiner Gesellschaft, die
er nicht beeinflussen kann, weil sie fertig ist, und die nicht auf ihn
hört, weil sie genau so skeptisch ist wie er. Und er irrt, wenn er
annimmt, daß sein Volk eine Anatole Francesche Ironie trage, vielmehr
besitzt sein Werk nichts anderes wie das müde und sich verspottende
Lächeln seines Volkes, in dessen Widerschein allerdings seine
bürgerliche und abgekämpfte Zeit wie in einem eleganten Todesurteil
schläft.

Auch Herr von Ghérardine ist nicht ohne Sinn, obwohl er ein platter Narr
war, denn er hatte die Einfalt eines Glaubens, der so widernatürlich
dumm war, daß ihn bloß die Idioten besitzen können. In Wahrheit hat nie
ein Künstler eingegriffen mit seinem Werk auf das Gefühl seiner Nation,
sondern er ist als Erfüller ihrer Höhe oder als revolutionärer Bekämpfer
stets nur Seismograph ihrer sichtbaren oder geheimen Veränderung
gewesen.

Sprach er die Sprache seiner Zeit, so war er Zeuge ihrer Erlesenheit,
rief er aber zum Kampf auf gegen die Nation, so handelte er auch als ihr
Beauftragter, denn sie hatte dann jeweils Lust, statt der verbrauchten
eine andere Form sich zu nehmen.

Für oder gegen die Gesellschaft sein heißt nur ihre momentane Kraft oder
ihren nahenden Zerfall spiegeln. Mehr hat kein Künstler vermocht, aber
mancher wohl gewünscht. Wer daraus schließt, daß erst die Dichter die
Revolten ausriefen und dann die Umstürze erst kämen, der verwechselt
ganz an der Oberfläche des Denkens die Ursachen mit den Wirkungen, indem
er nicht einmal bedenkt, daß Gedanken sich rascher formen als die
schweren politischen Tatsachen.

Darum sind die krampfhaften Messiasse mit den moralischen Wegweisern am
Hut und den Kommandos zur Läuterung auf der Zungenspitze bedingungslos
verdächtig, weil eine Epoche, wenn sie aus dem Verruchten heraus will,
sich des moralischen Zeichens ihrer Absicht bei den Dichtern mit einer
natürlichen Selbstverständlichkeit und einer organischen Innigkeit der
künstlerischen Maße bedient. Ethik als Dompteurnummer ist eine Erfindung
schwacher Dichter und verwirrter Perioden der Geschichte.

Die eindeutigen Perioden haben sich klarer zu entfalten gewußt:

Karl der Große benutzte Kunst, um eine christliche Politik zu üben, und
im »Rolandslied« war es immerhin schon so, daß er der beste und seine
Feinde die schlechtesten sind. Aus diesem Säuglingsniveau der Geschichte
trat im Mittelalter die Dichtung als Spiegel neben die Zeit, die
Gesellschaft der Höfe ist ihre Tugend und die Gefühle ihrer Form sind
die der Sitten ihrer Nation. Hermann von Thüringen gab Walther von der
Vogelweide Aufträge und Wünsche, und die ganze Veldecke-Epigonenschaft
dichtete ihre Literatur um seinen Hof so, als ob es seine Wünsche wären.

Um die Jahrtausendwende schrieb die Murasaki die vierundfünfzig Kapitel
des lasterhaften Erziehungsromans auf Befehl der Kaiserin am Biwasee,
indem sie das Mondspiel auf den Wellen ansah, und sie gab damit nichts
wie die Gewohnheiten ihrer klassisch-japanischen Epoche.

Als die Teppichwirker von Arras und Tournai die Höhepunkte der
Gobelinkunst erreichten, spiegelten sie nur die Kurve ihrer Zeit ebenso
wie die Sorgfalt des burgundischen Philipps, der die Bedeutung dieses
Kunstzweigs so begriff, daß er ihm ein steinernes Magazin bauen ließ und
sechs Offiziere hineinsetzte. Ja er hat die Teppichfolge, die Karl der
Siebente zum Andenken an seinen Sieg über die Engländer bei ihm
bestellte, nicht nur selbst in den Kartons kontrolliert, sondern auch
selbst die Ideen dazu angegeben. Aber die Tatsache, daß man überhaupt
einen Triumph in dieser Form gestaltete, beweist noch weiter, wie sehr
das eine und das andere sich ergänzten.

Heinrich der Achte von England hat Holbein nach England berufen und
seine Regierung mit dem Beginn der größten Portraitistentradition
Europas geschmückt.

In den Armen Franz des Ersten starb Lionardo, der zärtlichste und
besinnlichste Meister, der sechs Jahre brauchte, wie Herr von Chanteloup
erzählt, um die Haare eines Bildes zu malen, und der König hätte kein
edleres Symbol als diesen finden können für seine Epoche, die sich zu
veredeln begann.

Den Goya, der ein Messerheld, ein Bauer war, in Nonnenklöster einstieg
und nach Recht an den Strick gehörte, der sein Leben zeitweise mit der
Ausübung des Stierkämpfergewerbes fristete, überhäufte der spanische Hof
und seine Aristokratie mit Aufträgen, obwohl der glatte und
klassizistische Mengs dort herrschte, weil man in seiner Wildheit und
revolutionären Kühnheit der Farben, über die von ihm verübten
Totschlägereien hinweg, das Barocke und Eigentliche des spanischen
Gesellschaftscharakters und in ihm genauer wie in Mengs' Amouretten den
Bruder des Velasquez erkannte.

In der ägyptischen Kunst hat sich jahrtausendlang die stets
gleichbleibende sakrale Haltung der Führerclique erhalten, und die fast
ans Göttliche grenzende Stellung dieser Gesellschaft blieb, nur in
Nüancen verändert, der gleichstrebende Ausdruck ihrer Macht derart, daß,
so allgemeingültig wie damals, nach viereinhalbtausend Jahren auch heute
noch die sitzende Figur der Nofrit die schönste Frau ist, die je diese
Erde berührte.

Bei den Indern ist, wenn auch nicht in der hohen Allgemeingültigkeit wie
bei den Nilvölkern, die Trennung der Kasten so scharf durchgeführt und
steht derart im Mittelpunkt jeden gesellschaftlichen Bewußtseins, daß
alle Kunst irgendwie den belehrenden Zug bekommen mußte, der die
Tugenden und Fehler jeder Schicht abgrenzt nach oben und unten. Es
konnte so das Witzige geschehen, daß sowohl Karnisuta (in der Sprache,
die am üppigsten das Poetische in der Welt verwaltet), ein
wissenschaftliches Lehrbuch für das Diebhandwerk schrieb, und hingegen
die Fürstenerzieher in der Form vollendeter großer Dichter den jungen
Königen klar machten, daß sie die Pflicht, den Staat zu lenken,
unbedenklich über die sonst streng für andere von ihnen geforderte Moral
stellen dürften.

Und wenn August der Starke dem Grafen Flemming, der ihm seine Orangerie
zum Kauf anbot, schrieb, mit diesem Spielzeug gehe es wie mit
Porzellanen, man wolle alle, wenn man einmal Appetit bekommen, so
illustriert das die Sorgfalt, die er seiner Meißener Manufaktur
schenkte, die wiederum nichts anderes war als der graziöse Niederschlag
der Sitten seines Hofes und der Wünsche und Sehnsüchte seiner Umgebung.
Und ebenso weiß man, daß Friedrich der Große die Höhe der Porzellankunst
in seiner eigenen königlichen Manufaktur mit der Liebe bekleidet hat,
die ihrer Bedeutung entsprach, daß er den großen Dessertaufsatz für
Katharina von Rußland selbst redigierte und entwarf und daß dies nicht
nur eine Spielerei von ihm war, sondern daß er nur eine repräsentative
Geste machte für jene Parallelität zwischen Gesellschaft und Kunst, die
damals bestand.

Den europäischen Zenith hat dieser Ausgleich unter dem vierzehnten
Ludwig erreicht, wo mit einer genialen Methodik Colbert versuchte, auch
die Künste in sein Merkantilsystem einzufügen, das in der Figur des
absoluten Königs eine wunderbare kristallfeste Verdichtung sich erfand.
Colbert zentralisierte alles in den Ruhm seines Königs hinein. Er legte
unter dem Polygenie Lebrun, (der die Architektur, die Akademie, die
Malerei, das Kunstgewerbe unter sich hatte), auch noch als Konkurrenz zu
den Niederlanden eine Fabrik von Wirkteppichen an und suchte damit wie
in Bank-, Forst- und Kriegsgeschäften nicht das französische Genie,
sondern seinen König farbiger zu zeigen. Ludwigs Haushofmeister sagte
Bernini bei dessen Besuch in Paris, Frankreichs Kunstbudget sei so
enorm, daß es jeden originellen Plan auszuführen bereit sei, um ihn
keinem anderen Volk zu gönnen. Die absolute Hofform war entschlossen,
alles Individuelle aufzusaugen, und die Kunst spiegelte diese
Gesellschaft wieder in einer so konsequent gegliederten und auf eine
imposante Herrlichkeit bezogenen Form, daß sie das Gepräge der
Geschlossenheit mit dem der Anmut zeigte, welches die Epoche in einem
einzigartigen Maße hier besaß.

Die Gegenbewegung kam mit Rousseau, und die Kunst gab sich mit ihrer
wundervollen Dirnenhaftigkeit einer revolutionären Klasse, die
allerdings später auch wieder bürgerlich sich zu beruhigen bestimmt war,
bis ihr die neusten revolutionären Spreußen der Bolschewiken in das
Antlitz sprangen.

Delacroix in Frankreich und Hogarth in England sind die Beweise, wie die
bürgerlich revolutionären Epochen sich in der Kunst deuten ließen.
Holland wiederum, das bürgerlich früh begonnen hatte, vermochte dem
Zauber der höfisch gerichteten Gesellschaft so wenig zu entgehen, daß
nach einigen Ausschlägen und Angleichungen an die spaßigen Figuren der
neuen Schichten und deren Bedürfnis die Kunst am Ende ebenfalls wieder
höfisch wurde.

England jedoch hat seine umstürzende Revolution so früh gehabt, daß
seine Kunst sehr bald das bürgerliche Leben in aller Breite umfaßte.
Reynolds und Gainsborough sind die Schilderer einer sehr bewußten
bürgerlichen Schicht, deren Gesundheit und Pompmangel nicht ihre Kraft,
da zu sein und zu herrschen, desavouierte, und die Demokratie Englands
ist nicht etwa Zerfall der Einheit zwischen den Musen und den Menschen,
sondern erst recht ein ausgezeichnetes Vereinen. Die ganze große
Literatur der Briten von Goldsmith bis Shaw, von Smollet bis Scott, von
Dickens bis Fielding ist ein Bild der Gesellschaft, die sich bürgerlich
und nicht aristokratisch bewegte, und das machte sie bedeutend und gab
ihr die große europäische Resonanz.

Das verlieh ihr mit den Geißlern Hogarth und Swift und den Ironikern
Dickens und Sheridan und den Predigten Thackerays jene Kontrolle, die
auch die Gesellschaft an sich selbst dauernd übte, die sich nach oben
und nach unten abgrenzte und durch die strenge Moralinsucht dieser
Menschen ihrer Literatur das ethisch-weltmännische Cachet einer
bürgerlich-stolzen Kunst gab. Während der Franzosen vom Hof her oder von
der Aufklärung her im Grunde skeptisch-frivole Kunst wie alles
Französische letzten Endes nicht in der Nabelschau der Sitten hängen
blieb, sondern, künstlerischer gezüchtet, stets ebenso sinnlich wie
logisch sich durchdrang.

So prägten in sich gerundete Zeiten ihren Ausdruck und hatten von den
Königen bis zu den Zöllnern und den Abdeckern bis zu den Cromwells sich
in der Kunst ein Karussell geschaffen, das sich um sie drehte, und es
wäre die abscheulichste Gaucherie zu sagen: nicht die Figuren der
Rutschbahn drehten sich um die Epoche, sondern die Zeitläufte liefen
hinter ihren Kirmis-Schatten her. Man käme nicht nur zu falschen,
sondern zu idiotischen Schlüssen, etwa wie jener Engländer, der in
Grénoble einem rothaarigen Kellner begegnete und in sein Journal
schrieb, die Franzosen stotterten und besäßen ein rotes Fell; oder wie
Petron noch bissiger behauptet, man habe bei der Einnahme Numantias
durch Scipio Mütter mit angefressenen Kindern an der Brust gefunden, und
daraus schloß, es sei die Eigentümlichkeit mancher Völker, ihre Toten zu
verzehren. Er war ein Spaßmacher und wußte wohl, daß die Frauen nur
hungrig waren. Man darf ohne Zweifel auch den tragischsten Appetit mit
der Religion nicht verwechseln.

Die Bindung war so innig, daß Wechselbeziehungen zwischen Nation und
Künstlern entstanden, die auf eine durchschnittliche Ehe schließen
ließen. Der Künstler war in seine Gesellschaftsstruktur verwoben wie
irgend ein General und irgend ein Erzieher, und nahm, je klarer die Zeit
war, einen um so höheren Platz ein. Voltaire war der Freund des
großen Friedrich und Goya ehrte man mit einem Gehalt von
hundertsiebenzehntausend Realen für eine Arbeit und öffnete ihm alle
Salons. Voltaires eigener König aber, um ihn zu ärgern, trug die Kosten
eines Stückes, das er bei dem älteren Crébillon bestellte. Die Maintenon
ließ den zärtlichen Racine biblische Stücke schreiben, von denen
Friedrich wieder sagte, er habe lieber die »Athalie« geschrieben als
seine Kriege gewonnen (aber er dachte das nicht).

Das künstlerisch-politische Treiben war so verschmolzen, daß die
Korrespondenz von Grimm als Hauptabonnenten nicht nur Friedrich, sondern
auch die russischen, schwedischen und polnischen Höfe als begeisterte
Neugierige umfaßte. Petrarca konnte sich anmaßen, Schiedsrichter im
Seekrieg zwischen Genua und Venedig zu sein und selbst in kirchliche
Dinge sich einzumischen, indem er die Päpste beschwor, Avignon zugunsten
von »Roma urbs« aufzugeben und tat das gewiß nicht als Vorrecht seines
dichterischen Talentes, sondern weil sein Jahrhundert in einem so
vollkommenen Literaten einen vorzüglichen Bürger erblickte.

Die gesamte französische Literatur hatte Gelegenheit, sich an Preisen
und Ehrendotierungen zu letzen, und wenn die Beträge manchmal nicht
gewaltig waren, so war der Ruhm und das Aufsehen, das sie verschafften,
nicht gering. Viktor Maria Hugo, Sohn eines bonapartischen Grafen und
zum Offizier bestimmt, erhielt mit fünfzehn Jahren von der Akademie eine
ehrenvolle Erwähnung, mit siebzehn drei Preise der Blumenspiele von
Toulouse und mit zwanzig für seine Oden eine Jahrespension von tausend
Francs durch den achtzehnten Ludwig. Der vierzehnte Ludwig hatte den
göttlichen Bernini wie einen König an der Reichsgrenze abholen lassen,
ihn mit erdenklichem Pomp monatelang gefeiert und für sein Portrait ihm
seine königliche Freundschaft neben einer großen Summe und einer
erträglichen Pension verehrt.

Dagegen besagt die Legende, daß Cumae dem Homer die Rente verweigert
habe, weil sonst alle Blinden sie verlangen würden, nichts anderes, als
daß man einen Bürger nicht von einem anderen des Talentes willen zu
unterscheiden gewillt sei und nicht, daß man ihn nicht gerne auch mit
dichterischem Ruhm bekleidet an die Spitze des Staates stellen würde.
Dasselbe haben, aus der demokratischen Tugend ihres Staatswesens heraus,
die Venetianer ohne Zweifel gedacht, als sie Goldoni, der arm war, die
Pension nicht gewährten, weil sie annahmen, er würde, reich, nichts mehr
arbeiten.

Sie kannten das menschliche Herz wohl und haben in ebensolcher Klugheit
den Tizian, der nicht nur die fabelhafte Glanzfigur dieses Daseins,
sondern auch der prominenteste. Bürger ihrer Stadt war, unter der
Teilnahme des Volkes in ihrer schönsten Kirche beigesetzt. Die Briten
haben das Gleiche veranschaulicht, als sie Sir Joshua Reynolds, ihren
weltmännischsten Maler, unter dem Beifall der Nation in der Paulskirche
zu London begruben, und sie taten dies nicht, um die Kunst zu ehren,
sondern um dem Bürger ihren Beifall auszudrücken, der durch Kunst dem
Vaterlande Glanz und Ruhm hinzugefügt hatte.

Sie ehrten alle in diesem Diorama sich selbst und eher den Mann als den
Künstler. Darum wehrten sie den Dichtern auch nicht, die Staatsgeschäfte
zu führen, wenn ihr Geist sie dahin zog, und der Earl Lytton-Bulwer, der
mit zweiundzwanzig Jahren den Preis von Cambridge für ein Gedicht
erhielt, der mit Achtundzwanzig Mitglied das Unterhauses wurde, der das
glühend-weinerliche Buch von Pompejis Untergang schrieb, wurde
britischer Minister und beigesetzt in der Westminsterabtei. Die
Franzosen zogen ihre hervorragenden Dichter in die Nähe der Höfe weit
über ihren damaligen Stand hinauf, die demokratischen Briten überließen
ihnen, wenn sie nicht Zigeuner waren, im Tauglichkeitsfalle die Leitung
der Geschäfte ihrer Nation. Sie gehörten als Zeitgenossen in die
Volksgemeinschaft, lebten, starben mit den andern, wurden wie die
übrigen geehrt und fühlten sich selbstbewußt nicht weniger wie die
Offiziere und nicht weniger borniert wie ihre Bekrittler und sicher
ebenso hungrig nach Geld, das sie speiste, wie jedermann ihrer Zeit.

Ihr höherer Ruhm umglänzte sie über die Zeit hinaus, aber sie gedachten
nicht der Kunst als etwas Absonderlichem allein zu leben, sondern sie
trieben ihr Handwerk im Maß ihrer Talente. Die Veronese und Rubens
wiederholten sich bis zur Verkitschung nur deshalb sooft, weil sie die
Menge der Bestellungen ihrer Zeitgenossen sonst nicht bewältigt hätten
und sie bedurften dieser Aufträge, um den Aufwand ihres Lebens zu
bezahlen. Die Balzac, Thackeray, Scott schrieben nur deshalb wie die
Tollen, damit sie mit den Einkünften ihre wirtschaftlichen Bankerotte
balancieren konnten.

Schottlands bester Lyriker, Robert Burns, ließ seine Gedichte drucken,
da er durch Ausschweifungen pleite war und sich das Geld zur Reise nach
Jamaika zu verschaffen suchte. Fielding zeigt ein ähnliches Gesicht und
Gainsborough sprach nicht ohne Lächeln, er wünsche Geige zu spielen und
male lediglich, um sich den Lebensunterhalt für dieses Vergnügen zu
verschaffen. Noch Oscar Wilde floh manchmal aus der Gesellschaft und
verschwand, um rasch ein Kunstwerk mit aller Konzentration zu machen,
ebenso wie Tobias George Smollet, der sich hin und wieder aus den
Ausschweifungen des Landlebens und von seinen Gästen zurückzog, um
seiner Monatsschrift die Fortsetzung eines Romanes zu liefern, die ihm
die Fortsetzung seines Lebens ermöglichte.

Die kalten Briten haben in ihrer unverfrorenen Form die meiste Freiheit
gehabt anzuzeigen, daß ihnen gute Kunst ein gutes Leben wert sei und daß
ihre Gesellschaft die verdammte Natürlichkeit haben müsse, es ihnen zu
liefern. Sie empfanden sich so sehr und so glatt als Partien einer
Gesellschaft, wo jedes Verdienst sich in Geld umsetzte, daß ihnen der
üble Ästhetenton gar nicht in den Sinn kam, mit dem die schwächlichen
Künstler jeweils mit häßlichem Pathos von der Heiligkeit der Kunst
predigen gingen, wenn ihnen, falschen Heuchlern, die Zunge nach
Roastbeefs heraushing.

Jede Leistung hat in der menschlichen Struktur ihr Anrecht auf die
entsprechende Vergütung. Walther von der Vogelweide verlangte
unzweideutig sein Lehen als Lohn dafür, daß er sich für die Staufer die
Kehle ausschrie, und die Gesellschaft jeder besseren Epoche hat das
anerkannt.

Mißfälle beweisen ebensowenig wie das Faillit großer Kaufleute, die
nicht einmal den Ruhm aus dem Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen
Existenz retten konnten. Die Künstler haben zu jeder Zeit aus den Truhen
ihrer Zeitgesponse gesäckelt, was sie scheffeln konnten, und haben
versucht, sich das Leben so prächtig zu machen wie es ging. Und die
Bastonade gehört dem, der ihnen einen Vorwurf daraus machen möchte.

Denn daß jemand nur der Kunst leben wolle, wie manchmal heute unsinnig
geschwatzt wird, oder ähnliche Konfusionen auch nur zu denken, ist genau
so verwirrt als wünsche einer nur seinem Bein zu leben oder nur seinem
Phallos, wo er doch in seinem Körper einen Gesamt-Organismus mit guter
Speisung so zu versorgen hat, daß alle Glieder marschieren oder alle
verloren sind.

Diese artistischen Kleine-Leute-Einstellungen beweisen höchstens, daß
die Ausübenden sehr geringfügige Herrschaften sind, oder daß die Zeiten
und ihre Gesellschaft höllisch sein müssen. Denn daß jemand von ihnen in
die Kunst flüchtet, das heißt im Grunde nichts anderes, als wie sein
eigener Schatten von sich selbst davonlaufen. Die festen Leute haben im
Gegenteil jederzeit erreicht, daß Kunst keinen Heiligenschein aus
Papiermaché bekam, vor dem sich nur die Sonntagsjäger der Nation
verneigen würden, sondern daß Kunst ihren Zeitgenossen soviel wert war
an Gold wie die beste Ware, die sie sonst zu verfertigen in der Lage
waren, und daß es ihnen auch Glanz gab und jenen heimlichen Ruhm noch
hinzufügte, der keiner geistigen Heldentat zu nehmen ist. Sie verstanden
sich unter ihren Zeitgenossen als Männer der Erde auszuwirken und
dennoch dabei die geheimnisvolle Flagge der Kunst unsichtbar zu
entfalten.

Mijnheer, als Heinrich Heine in seinem Gedicht »Deutschland ein
Wintermärchen« allen Spott der Heimat antat, gelang es ihm nicht, die
Tränen einer unerbittlichen Liebe zu ihr zu bemeistern. Mijnheer,
derselbe Mond, der seine heimatliche Landschaft überfunkelte, ist eben
aus der gleichen Inbrunst auch draußen über Ihrem Kopf aufgegangen und
die Wolken haben sich so sanft um ihn entschleiert, als wollten sie
seine Seltenheit mit der Behutsamkeit ihrer Eile begrüßen und die Pause
feiern, die die neu formierten Sturmtruppen bald wieder mit Geknatter
zudecken werden. Indem er die Schneewüste sanftblau bis an die
Gesichtsgrenze färbt und alle Gegenstände in eine geheimnisvolle
Entferntheit hineinrückt, hat das Gestirn einen Zauber, als trage es in
seiner stillen Heiterkeit über die Unfruchtbarkeit der Jahreszeit das
Sinnbild einer ewigen lichten Bestimmung.

Mijnheer, ich glaube, es war auch derselbe Vollmond der Verheißung, dem
ich von Pernambuco als junger Bursche nach Europa nachgelaufen bin, und
die Kurve dieses Glanzes hat mich stets am innigsten an die Heimat
gebunden. Ich habe in Deutschland gesucht, jenes Gefühl Europas zu
finden, das mich am tiefsten anzog, aber der deutsche Mond hat sich mir
nur selten entzaubert und ich mußte in den langen Mondnächten fremder
Nationen mir erst die Bestätigung für meine Sehnsucht holen, die mir die
Heimat nicht mit gleicher Deutlichkeit zu geben vermochte, und die
Mondnächte der Fremde waren oft von jener glühenden Schönheit und
Klarheit, die die Leidenschaft begeistert, wenn sie auch nicht die
verschleierte Zartheit und die seltene Innigkeit der unvollkommenen
Deutschen besaßen . . . . . . . . . . . . . . .

Ganz unten spiegelten sich zuerst nur religiöse Agenten in der deutschen
Dichtung, dann gab sie den Vorgang einer Belehnung, nachdem die wilden
Dämonen des Heidentums aus ihr ausgetrieben waren, in »Ruodlieb« kam
Phantastisches der ritterlichen Zeit schon schüchtern auf und »Rother«
schildert Vasallentreue. In »Blanche und Blancheflor« aber liegt schon
wie der Sternhimmel in einem Teich die Gesellschaft des Hofs. Das blieb
in immer heftigerer Pracht über die guten Jahrhunderte des Mittelalters.
Österreich wehrte sich lange ein wenig gegen den neuen Stil, der die
Zeit irr ihren Gebräuchen und in ihrer Seele wiederzugeben bestimmt
schien, aber der Vogelweider brachte die höfische Schärfe zusammen mit
den Lilien, Rosmarin und Rosen des Volkslieds, das damit ausstarb, in
eine gelockerte Pracht. Um Hermann von Thüringens Hof scharte sich der
Olymp der Poesie, Walther, die Schüler des Veldecke und Wolfram, der wie
Walther nicht zu lesen und schreiben vermochte. Um einen anderen
ritterlichen Mäzen sammelt sich die Nachfolgeschaft Gottfrieds von
Straßburg. Ein Würzburger schreibt nach einer Epoche des Ausgleichs
zwischen den Idealen und den Liebhabereien der Zeit das letzte höfische
alemannische Epos.

Die Kunst geht in die Städte und magert ab über den ganzen Körper. Die
Bürgerschaft des Meistersangs hat keine Welt, sondern nur ein Gemäuer um
sich, sie läßt die Sprache nicht blühen, sondern benutzt sie als
Turngerät für ihre spießigen Launen. Es gibt nichts mehr, was gespiegelt
werden soll, und es gibt nichts mehr, was spiegelt. Statt in einen Park,
hat man die Kunst in eine Abdeckerei gefahren und statt als nackte
Göttin haben sie als ihr Sinnbild einen Paragraphen auf den Sockel
gesetzt.

Es gibt keine Demokratie in den deutschen Städten wie in England, es
hilft kein breites bürgerliches Selbstbewußtsein sich mit ihr wie Venus
mit dem Spiegel an die Spitze des Ansehens der Erdnationen. Sie ist
bestimmt, zwar große Zeiten zu erfüllen und mit ihrer Schönheit den
Glanz einer göttlichen Epoche darzustellen, aber man hat sie als Magd an
die bärtigen Krämer verkauft. Es gab kein Deutschland, das sie
repräsentiert hätte, sondern es gab Kriege und Balgereien, Reformationen
und Friedensschlüsse, die alle für andere Rechnung gingen als für das
Nationalgefühl eines gesunden Volkes. Maximilian versuchte noch einmal
ritterliches Denken in ihr zu entfachen, aber er schrie in einen leeren
Wald. Wo keine Ritter standen, konnten keine Schatten ritterlicher
Gefühle fallen. Das war vorbei.

Die Gelehrten bemächtigten sich ihrer und haben bis Lessing furchtbar
mit ihr gehaust. Man kann wie durch das heimliche Glas eines
Bienenstockes durch die Literaturen auf die Völker Frankreichs und
Englands und ihren Bau und ihre Geschichte und ihr Schicksal sehen.
Durch die dürren Treillagen der deutschen Poesie sieht man in eine
Morgue.

Man sah lediglich auf einige Koterien, die sich seit längerem mit der
Literatur zu beschäftigen gewöhnt hatten zu ihrer eigenen Belustigung
und ihrer eigenen Not, aus einem falschen Ehrgeiz oder einem
schmerzlichen Verhängnis heraus, denn im Herzen hätte mancher lieber die
Stelle eines Profossen oder eines Hanswursts, die sich besser dotierten,
ausgeübt. Man sieht auf eine Pantomime von Herren, die ihre Glieder und
Gedanken im Rhythmus der Sprache bewegen, aber man sieht kein Volk. Denn
weder in den Taten der Bejaher noch in den Gesten der Verneiner lag
etwas von dem Elend oder der Höhe des Volkstums, sondern, was sie
produzierten, waren der Mummenschanz von Carbonaris, und ihr Geheimbund
interessierte sie, aber nicht das Volk.

Waren sie für oder gegen die Gesellschaft, hatten sie das gleiche
Unglück, daß keine bestand und daß sie daher eher Kuriositäten als
Sinnbildern glichen. In dieser Verwirrung schienen sie seit langem
entschlossen zu sein, Revolutionäre zum mindesten zu bleiben, soweit sie
nicht die nächste Umgebung ihres Hauses zu besingen sich mühten, und vor
lauter Aufruhr kamen sie nie zu einer gesunden konservativen Art.

In dem Zirkus der Eitelkeiten, in dessen Logen die Nation gar nicht
einmal saß, liefen wie junge Engländer des Mittelalters die Männer des
Sturms und Drangs herum, die Schlegels als Prachtstücke der katholischen
Propaganda, die Gottschede frisiert à l'oiseau royal, und selbst die
Tiere schienen eine andere Zone des Klimas als ausgerechnet das deutsche
darzustellen. Um was es bei diesem Getöse ging, war keinesfalls die
deutsche Nation, es war die Beschäftigung einiger Schicksalbestimmter
mit einer wichtigen Angelegenheit, um die sich die Nächst-Beteiligten
aber gar nicht kümmerten.

Sie hatten keine Gelegenheit dazu, weil es kein nationales Deutschland
gab, sondern einige Dutzend Fürstentümer und daß deren Interesse ihre
Landesgrenze war und nicht die Welt. Das bürgerliche Volk las englische
Romane, die Aufgeklärten wandten sich der französischen Literatur zu,
die Masse fand die Verehrung der Klassiker als Rettung. Die Literatur
blieb großenteils Beschäftigung der Künstler und bekämpfte sich durch
sie, wie üblich in Deutschland, bis aufs Blut.

Deshalb waren die deutschen Dichter gezwungen, in kleinen Stellen und
auf armselige Weise ihr Leben zu verbringen, während die Engländer in
Lordkutschen Europa durchreisten und die Franzosen in Paris geschliffen
wurden für eine einzige Geste weltlicher Urbanität. Die Deutschen waren
so zersplittert, daß sie in ihren Poeten nicht die besten Formen ihres
Charakters und in ihren Werken nicht die erlesensten Tafeln ihres Ruhmes
zu erkennen vermochten. Es bestand keine Bindung, keine Ehe, ja nicht
einmal eine flüchtige »menage parisien« zwischen der Gesellschaft und
der Kunst, und die Rebellen wurden beseitigt und nicht geehrt und
gefürchtet, und die Starrköpfe wurden wie das »Junge Deutschland« gleich
einer Savoyardenbande über die Grenzen gekehrt.

Nur ein Volk, das hoffnungslos einer eigenen würdigen selbstbewußten
Sicherheit und Grazie entbehrt, kann mit dieser Grausamkeit gegen die
verfahren, die seine Lieblingskinder sein müßten. Wohl haben einige
Fürsten die Liebhaberei gehabt, sich nicht nur mit Jagd, sondern auch
mit den Musen zu umgeben, und nach dem großen Friedrich, der allerdings
europäisch eingestellt war, haben einige seiner Nachfolger sich auch für
die Bühne interessiert. Allein, es war nicht das Spiegelbild preußischer
Tugend und deutschen Wesens, was sie da suchten, sondern sie haschten
nach der Atmosphäre des Theaters und dem Betrieb seiner unterhaltsamen
Luft. Auch in Bayern ward Kunst ein Trumpf, doch hatte der beste
Wittelsbacher die falschen Karten in der Hand und den Wahnsinn im Hirn,
und ihm so wenig wie dem hessischen Brabanter, der zwischen zwei
Generationen sich setzte, gelang es, die Sünde der Jahrhunderte und das
Fehlen des Geistes und eines mächtigen nationalen Ausdrucks durch
Schwanengrotten und Jugendstilkolonien zu ersetzen.

Die Deutschen haben ihre Dichter nicht nur nicht geachtet und zur Höhe
ihrer besten Zeiten hingezogen, sie haben sie nicht nur nicht
kulminieren lassen wie die besten Kaufleute ihrer Zeit und haben ihnen
nicht nur nicht das Recht gegeben, sie als Volk zu vertreten, sondern
sie haben einen Makel auf diesen Beruf geworfen, haben ihn von dem Adel
her gefürchtet, vom Bürger her verachtet, haben ihm das Brot und die
Karriere und die Bewegungsfreiheit genommen und schließlich ihn
behandelt wie jenen Eumolpus, von dem Petron, der die Dichter lästerte,
erzählt, man habe ihn vom Schlemmermahl aus, als er rezitierte, mit
Steinen beworfen, daß er ans Meeresufer flüchten mußte.

Das Bild der letzten Epochen ist nicht das der Gemeinschaft, sondern das
eines Schachspiels. Die Epoche vor dem Krieg hat mit Regimentsmusiken
Treibjagden veranstaltet auf die Künste, die Verwaltungen haben sie
ausgestoßen, der Betreiber eines literarischen Handwerks vermochte die
Bestätigung des Reserveoffiziers nur mit Mühe und bei guten
Wirtschaftsverhältnissen zu erreichen, die Staatsanwälte witterten
Staatsfeindliches und das ins Verdienen gekommene Volk hielt die Musen
nicht für Spielerei mehr, sondern sogar bereits für einen Luxus, den es
sich kaufen könne.

Man hatte sie auch früher gekauft, aber man hatte auch alle
Vorbedingungen für die Musen selber geschaffen und gezeugt und bewies
sich durch ihre Förderung nur seinen eigenen geläuterten Geschmack und
vielleicht seine Größe damit.

Diese neuen Leute von gestern und heute aber waren Barbaren, die nichts
geschaffen und nichts gebaut hatten, sondern nur Geld verdient hatten
und glaubten, damit alles zu können. Gold wiegt wohl den Geist auf, aber
nur, wenn beide von der gleichen Substanz sind und für die Bilder
Paläste und für die Prediger die Dome und für die Dichter die
Weltgefühle der Gesellschaft da sind, die einander wert sind.

Dann ist alles käuflich und dann ist Kauf der einzige Maßstab, denn der
Ruhm hißt sich von selber an die Spitze der Zeit, und im irdischen
Dasein hat die Gesellschaft sich dann klar gezeigt, was sie
untereinander schätzt. Auch ich bin käuflich, sagte Maria Theresia, aber
es kostet ein Land.

Diese Crapule aber, die nach einer irr flimmernden und sich des
Zusammenhangs nicht mehr bewußten Kunst die Hände ausstreckte, griff
nicht nach oben und lobte sich mit dieser Bewegung, sondern sie faßte
nach unten und kaufte den Geist wie ein Badezimmer. Sie bewiesen damit,
daß sie die Kunst nicht ablehnten, was ehrlich, und nicht liebten, was
zuviel verlangt wäre, sondern daß sie sie nicht nötig hätten.

In dieser Haltung, ergrimmt, feindlich auf den seitherigen Zustand,
nicht auf das Volk, sondern auf die Verhältnisse, trat die Literatur in
die Republik.

Man kann, auch in der Literatur, nicht dauernd seinen neunten November
machen, und es wäre an der Zeit, sich nun endlich zu konsolidieren. In
der Republik wächst nun eine neue Gesellschaft, die Übergänge sind zwar
abscheulich, aber sie sind interessant wie die Zeiten des Balzac. Und
Sprache und Literatur sind bereit, nach soviel Revolten, einige
Jahrhunderte nach der britischen und ein Jahrhundert nach der
französischen Umwälzung, ein breiter Spiegel der Kämpfe zu werden, in
denen eine republikanische Volksschicht sich formt. Die Literatur hat
der Republik Zuneigung bewiesen und die Republik wäre in der Lage, sich
zu revanchieren. Konsolidiert sich Deutschland jetzt, ist es an zwölfter
Stunde.

Frankreich hat sich im letzten Jahrhundert fit und glatt gemacht, hat in
denselben oder in neuen Salons noch den alten Königen gehuldigt,
Mirabeau und George Sand zusammen gesehen, hat in den zwanziger Jahren
für Theater darin geschwärmt, unter dem Bürgerkönig für die Romanze,
unter dem zweiten Kaiserreich für die Chansonette, unter der Republik
für den Monolog. Gambetta erhielt durch die Herzogin von Beaumont rasch
die Formen eines alten Viveurs und in den Salons dieser Form fand sich
die Gesellschaft mit ihren neuen Führern und ihren neuen Ideen rasch
zusammen. Die Akademie und das Panthéon säumten von jeher als nationale
Monumente die Verdienste und den Weg der Kunst, und jedes Gouvernement
hat mit Eifer die Pflege des Geistes von dem vorherigen übernommen und
die Waffe, die es für die Nation hier führte, zu schätzen gewußt, wenn
auch die Simplen manchmal und nicht die Heroen den Kranz zuweilen
erhielten.

Die Siegesallee der deutschen Kunst ist aber nicht wie die der
Hohenzollern mit Denkmalen und Ehrenzeichen gepflastert und die Republik
hätte gut getan, ein deutsches Panthéon zu gründen, in dessen Raum sich
der Staat und die Künste unter der Decke einer neuen Gesellschaft und
einer breiten Demokratie gefunden hätten.

Mijnheer, die Deutschen waren immer klug, wenn sie sich priesen, und
nicht ohne Geist, wenn sie sinnierend ihren Nabel besahen, und große
Exploiteure, wenn sie ins Reich der Sterne sich begaben, aber sie haben
für ihre nächsten Aufgaben nie den Sinn eines Rayonchefs gehabt. Sie
haben diese Gelegenheit vorbeigehen lassen, haben sich in Parteien
zerfleischt, in Doktrinen wie in Wilderernetzen gefangen und haben die
Gesellschaft sich selbst überlassen und damit von dem Staat gestoßen und
haben die Kunst wieder den Literaten übergeben, die sich weiter damit
befehden wie seither. Die Republik hat in der Gestalt des Professor
Brunner sogar noch die heilige Inquisition auf die Musen losgelassen,
und die Jagd nach den Nuditäten und die Verfolgung der Freiheit und die
Haarspaltereien über Sinn und Wesen der Kunst vor den Schöffen der
Gerichte, die nichts davon verstehen, hat von neuem begonnen.

Die Dichter haben sich ihrerseits in keiner Weise _über_ der
Verantwortung der Situation bewegt. Sie haben sich selbst zerrissen,
ihre Aufgabe nicht erkannt und sind einem Ton und einer Injurie der
gegenseitigen Behandlung verfallen, der dem einzelnen den Kredit, der
Masse aber die Ehre nimmt. Man hat verlernt, im wichtigen Augenblick
eine Aufgabe zu sehen, sondern man sieht sich nur noch unter dem
Gesichtspunkt der politischen Parteien, und Kunst ist nicht mehr eine
Devise, sondern ein Austragsfeld von Krakehlen, die nie in ihren Bereich
gehörten.

Es heißt, daß früher die Marquise von Châlet so sehr von der Schönheit
und Würde der Poesie überzeugt war, daß sie sich nur von Dichtern und
Gelehrten küssen ließ. Man müßte heute in Deutschland Dichter, um sie
vor der seltsamen Zuneigung ihrer Zeitgenossen zu schützen, mit dem
Schilde: »Défense d'uriner« versehen, mit dem die Franzosen die
Standbilder ihrer Generäle und ihre Parlamente vor der Gunstbezeigung
der erbärmlichsten Meuten bewahren.

Es hat ihnen jederzeit an Führern gefehlt, die die Gegenwart gliederten
und die Furchen zwischen Kunst und Volk richtig zogen. Über Literatur
schrieb seit Lessing und außer Herder nur noch Heine und den Instinkt
besaß lediglich für sie noch Blei. Lessing schrieb kühl, vornehm,
deutlich und tödlich, Heine voll bunter Spielerei. Man hat auch damals
Kämpfe geführt, Schiller nannte die Schlegel Laffen, Tieck nannte
Schiller einen spanischen Seneca und haßte Kleist, weil der seiner Katze
eingemachte Ananas zu fressen gab, Goethe schrieb gegen die Schlegel,
die ihn durch ihr Zelebrieren »gemacht« hatten, einen undankbaren
protestantischen Aufsatz. Brentano suchte die Tieckschen Weiber mit
Sentiments zu girren, Racine hat Molière begaunert und Verlaine auf
Rimbaud geschossen, Börne hat Heine angegegriffen und Heine hat dem
Platen, dessen geschwollenem Hochmut alle Dichter auf der Parnaßreise im
Weg waren, unvergeßlich bittere Streiche versetzt. Aber man stritt und
verwüstete sich nicht, die Literatur bekam nicht täglich wie ein Weib
»fureurs hysteriques«, sondern sie erkannte mit einer gewissen Grandezza
die Könner an.

Es fehlte uns ein Brunetière, es fehlte ein Sainte-Beuve, die wohl
manche Dummheiten besaßen, aber Pupille und Augenmaß hatten und ihre
Literatur wie Chirurgen zerschnitten und nicht vergaßen, sie
zusammenzunähen und klarer nach Hause zu senden. Die Gelehrten, die sie
bei uns behandelten, haben ein seltsames Spiel mit ihr getrieben. Sie
hatten keine Maßstäbe, durch die sie die Ideen an den Literaturen und
die Jahrhunderte an ihren Künsten heraufbegleiten konnten in die
Gegenwart, aber sie verstanden auch ihre Zeit nicht und dazu fehlte
ihnen noch der dichterische Atem und der Sinn für Sprache. Sie saßen wie
die arm- und beinlosen Bettler unter Diderots Denkmal in der Rue de
Rennes und spielten auf einem Leierkasten dem Volk verständliche, aber
zwecklose Tiraden über die Werke und den Dichter, den in Figur zu sehen
dem Volk viel leichter fiel.

Es blieb den Deutschen sogar vorbehalten, von Herrn Bartels eine
Literaturgeschichte zu erhalten, die Kunst nach Juden und Gojims schied.
Der Standpunkt ist dumm, aber ist sauber. Der Verfasser zeigt seine
Visitenkarte und lügt nicht. Man muß bei den erbärmlichsten Troubadouren
heute schon die Tatsache des Charakters als eine der liebenswürdigsten
Überraschungen buchen. Auch ist der Tanz nicht unamüsant, den er mit
seinem Judensprung vornimmt, zumal schon Atta Troll den Kindern des
Alten Testamentes verbot, auf den Märkten öffentlich zu tanzen, da ihnen
der Sinn für die Plastik völlig fehle. Man hätte nicht gedacht, bei
aller Liebe zu den Judäern und aller Hochachtung vor der großen
vermittelnden Rolle, die sie in unserer Zeit spielen, daß fast die ganze
Dichtung eines Tags aus ihnen bestehen würde.

Aber nicht genug damit hat der übereifrige Kompilator und Barde sich
noch einige Germanen zu Mosaischen hinzugedichtet, wobei seinem Furor,
der Juden schon in jedem Schreiber sieht, das scherzhafte Unglück
zustieß, daß er das Pseudonym eines gewissen ironischen Philosophen
Friedländer »Mynona« für eine schwarze Jüdin ansah und unter Gebrüll
verstieß. Die Haltung dieses Beurteilers der Künste ist eindeutig und
wie die eines Stiers, der ein Herrenessen nach seinem Geschmack
durchwühlt und nichts anderes anrichtet wie ein seltsam tierisches boeuf
à la mode.

Zweideutiger ist der Gang, mit dem Herr Professor von der Leyen, Dozent
der Kölner Universität, sich der Gegenwart nähert, denn er galt einige
Zeit als Liebhaber und Kenner der neuen Literaturen und versteckt auch
jetzt noch die kriegerische und militärpolitische Absicht, mit der er
nach alten Schlagwörtern und den Gewohnheiten der ideenlosesten Pfaffen
sein Thema aufteilte, geschickt hinter einem männlichen und neugierigen
Gegacker, wodurch er das Publikum anlockt. Jedoch, wenn er genug
Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, mit den langen Beinen und dem
kleinen Kopf des Vogels Strauß und starkem Flügelschlagen auf sein Thema
zugeeilt ist, vertauscht er die Fronten, steckt, statt zu reden, den
Kopf in den Sand und den Rumpf in die Luft. Am Rumpf dieses Vogels
befinden sich die schönsten Federn, und es mag seine Absicht sein, die
Tiere zu täuschen und zu hoffen, daß sie diesen Teil statt dem mageren
Schopf für seinen Kopf halten.

Die Menschen sind jedoch bereits zu scharf gebildet, als daß sie auf die
liebenswürdigen Blaguen der Tierwelt sich verirrten und wissen auch bei
auffallenden Ähnlichkeiten zu unterscheiden, wo die Ansichten sitzen und
wo die Federn, wo die Schädel und wo die Steiße, und die guten Kritiker
haben nie verfehlt die Köpfe abzuschlagen, um zu beweisen, daß sie hohl
sind. Mijnheer, ich habe in dem Buche dieses Professors eine Fälschung
gefunden, die vor Jahren von einem gewissen kleinen Claqueur ausging,
indem er eine Stelle aus einem Buch und dem Zusammenhang nahm und sie
einem anderen, nämlich mir selbst, zwischen die Lippen legte. Es handelt
sich darum, daß, um in einer Erzählung des Buches »Frauen« ein rasches
und rühmliches Ende des Krieges zu erreichen, aus dem Umkreis eines
Spionagezentrums aller Nationen einige Menschen sich entfernen müssen,
um ohne Kontrolle ihre Nachrichten auszutauschen, und daß ein anderer,
um die Aufmerksamkeit der internationalen Bande, abzulenken und um ihren
Geisteszustand zu charakterisieren, in frivoler Weise über Frauen redet.
Ich finde diesen letzten Teil ohne Zusammenhang mit der Erzählung, ich
finde ihn ohne Hinweis auf das Buch, ohne Bemerkung, daß das die Worte
eines anderen und nicht die meinen sind, ich finde diese grauenhafte
Fälschung als meine Ansicht, meinen Ausspruch als Zeichen meiner
vaterländischen und moralischen Überzeugung abgedruckt in dem Buch des
Dozenten. Sie sagen das Rechte: Es hat keinen Sinn, sich mit der Meute
zu beschäftigen und für Unbegabung ist niemand verantwortlich zu machen
außer vor der Vorsehung.

Schon Heine hat Lessing vorgeworfen, daß er aus Lust an der Aufgabe, die
deutsche Literatur zu säubern, die armseligsten Rosinanten erschlagen
und den Namen manches Pasquillanten der Unsterblichkeit überliefert
habe. Es ist ein Fehler, die kleinen Feinde zu züchtigen, weil man nicht
sich, sondern sie allein ehrt. Es gibt auch andrerseits wieder
schwerlich Ergötzlicheres, als die Vernichtungen zu lesen, die
Bürschchen an einem vornehmen, die ihren wankenden Hosenboden mit jener
Kühnheit zu tragen suchen, die sie einem im Gesicht abgelauscht haben
und die das Schreiben, mit dem sie uns verpfeffern, bei einem von A bis
Z gelernt haben. Die Nützlichkeit der Nachahmer hat bereits Constable
erkannt, da, wie er meinte, sie zeigten, was man vermeiden wolle. Er
ahnte nicht, daß die Nachahmer in dieser von Wolfshaß zerfleischten Zeit
bereits zu den Gegnern übergingen, um scheinbar als Entschuldigung für
ihren Diebstahl sich die Überzeugung beizubringen, es sei gar keiner,
und was sie gegen einen unternähmen, sei eigene Erfindung.

Ein neues Settlement der Literatur hat sich hier aufgetan, und die
geraubten Formen des Ausdrucks werden als allerdings blecherne
Streitäxte geschwungen: »Ce ne sont pas les pots, ce n'est pas la
fayence. /// C'est ce qu'on met dedans qui fait la différence,« schrieb
ein Plauderer der »Gazette du bon ton«, nachdem er eine Stunde lang über
die Plissées der neusten Damenhosen gesprochen. Es hat keinen Sinn, sich
zu entsetzen und es bleibt unsere schönste Freiheit, über das
Miserabelste auch noch zu lachen. Aber ich muß, wenn selbst die
Professoren der Genauigkeit in das Lager der politischen Parteiungen
hinuntersteigen und nicht nach der Größe der Dichter, sondern nach der
Zweckmäßigkeit, sie politisch zu kompromittieren, urteilen, ich muß
Mijnheer, an Pernambuco denken.

Ich muß an die Revolten von Pernambuco denken und an den Streik der
Chauffeure, deren Fahrtverweigerung die Stadt in einer halben Stunde in
ein Feldlager verwandelte, und mir fällt ein die Geschichte des
Redakteurs Petronio, der einen unwahren Artikel gegen die Regierung
geschrieben hatte. Ich muß erzählen, mit welcher Grazie und welcher
Promptheit man für die Wahrheit eintritt unter den nicht so kultivierten
Nationen, und wie der Gouverneur den Redakteur zu sich in die Wohnung
bat und wie er ihn empfing, den Revolver in der Hand und ein Glas Wasser
auf dem Tisch.

Man sprach nicht viel, der Gouverneur hielt lediglich die Pistole nach
der anderen Seite und sagte, ob jener zugebe, daß die Tatsachen, die er
geschildert, unwahr seien, und der Angeklagte nickte. Mit einem Zeichen
übergab der Gouverneur ihm die Zeitung und ließ sie ihn verspeisen,
indem er ihm nicht verweigerte, sich des Wassers zu bedienen. Sie
schieden mit einem Handdruck, man war in kurzer Weise über eine
schmerzliche Angelegenheit hinweggekommen und hatte vor Wiederholungen
ein deutliches Schloß gelegt.

Ich bin zu wenig Illusionist, aber noch weniger genügend skeptisch, um
dieses Beispiel für Deutschland empfehlen zu wollen, und ich gestehe
auch, daß ich, wenn die »Chevaliers du lustre« mit ihren bezahlten
Händen von der Galerie ihren Beifall toben, denselben fatalen Klang im
Ohr habe, als wenn die Liliputaner giftig flüstern und die Marodeure
gegen die Dichter anbrüllen. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht
verloren, daß Deutschland dennoch einmal einem Beurteiler, der sein Volk
aus Liebe tadelte, der nicht in die Hörner der Vorurteile blies, der von
nichts bewegt als der Leidenschaft zur Gerechtigkeit lebte, der mit
einem Stil, unerbittlich wie Granit und schwungvoll wie eine Geige, sein
Zeitalter geschildert hat, daß irgendeinem Mann dieser Art die deutsche
Heimat einmal auf den Grabstein schreiben kann: »simplicis veritatis
amantissimus«.

Der Mann, der seit Heine am meisten von Literatur verstand, ist Franz
Blei, von dem man mehr Anekdotisches erzählte als von ihm las. Er hatte
unter anderem die Ehre einen der drei Preise zu verteilen, mit denen
Deutschland seine Dichter ehrt und die, außer dem Schillerpreis, von
privaten Stiftungen herrühren. Diese Summen sind bedeutungslos, aber
schlimmer ist: die Preise sind sinnlos, weil nicht, wie in anderen
Ländern und wie es sein müßte, die ganze Nation atemlos darauf den Blick
richtete, sondern daß die Nation sich den Teufel um die Preise kehrte,
kaum einer der Literaten wußte, wer sie bekam, und das Volk den Sieg
Breidensträters in einem Boxkampf, oder Froitzheims in einem Tennismatch
oder der Firma Wanderer oder des Hengstes Ordensjäger in Rüsselsheim
oder Iffezheim mit tausendfach größerem Interesse verfolgt.

Die Republik hat den Dichtern in der Verfassung gute Worte gegeben, aber
sie hat ihr Ansehen nicht erhöht, und wenn einige von ihnen, wie die
Herren Rauscher und Köster, in die Stellungen von Gesandten und
Ministern gelangt sind, so war das nicht, weil das Volk sich in ihnen
ehrte, sondern weil die Maschinerie der Partei sie an die Posten trieb.
Die Verteilung der Preise hätte lediglich unter diesen Umständen Sinn,
wenn man, wie die Tschechen, Bulgaren, Rumänen sogar tun, Millionen für
sie auswürfe und sich das Gold als solches rentiere.

Die Ehrung wird aber eine Farce, wenn nicht ein materieller Gewinn,
sondern nichts als die Afferei eines Kartenspiels unter Literaten
dahinter steckt und die Öffentlichkeit währenddem aus dem Fenster nach
einer anderen Sache schaut. Die Inthronisierung der Gekrönten ist
jeweils ohne weitere Aufmerksamkeit vor sich gegangen und es hieße sich
selbst langweilen, wolle man die falschen und die rechten Ernennungen
untersuchen. Ich glaube, daß Blei sich jeweils mit mehr Sinn für die
Kuriositäten als für die zeitwichtigen Erscheinungen entschieden hat.

Er ist ein geschmackvoller, aber der Stetigkeit seines Geschmackes nicht
sicherer Mann. Die Lessing und Heine wußten mit gewaltigem Instinkt, sei
der Gegenstand nüchtern, sei er barock, nicht nur die Werte zu
erwittern, sondern sie auch da anzuordnen, wo sie nötig waren und wo sie
unsere zerfahrene Situation verbessern konnten. Sie wußten um den Mangel
der Gesellschaft und um die Unfähigkeit der Dichter, nach einer
nationalen Haltung hin sich durchzuarbeiten und waren immer im
Vordergrund bestrebt, die Möglichkeiten der beiden einander zu nähern.

Sie waren sich des Sinns und der Mission des Deutschen bewußt, ahnten,
wo das Rechte stäke, irrten manchmal gewaltig, aber behielten den Sinn
des Ausgleichs zwischen Kultur und Nation unentwegt bei jedem Satz im
Hirn.

Blei hat das wie alles ebenfalls gewittert, aber er hat keine Folgerung
daraus gezogen, sondern hat lediglich spielerische Anmerkungen darum
gemacht. Ihm genügte, die Marginalien zu einem Thema zu ziehen, das die
gesamte rücksichtslose Wucht eines Mannes vorausgesetzt hätte, um es
klar zu machen. Blei ist ein großer Kenner der Literatur der letzten
Jahrhunderte gewesen und ein ausgezeichneter »Riecher« der
zeitgenössischen, aber kein Beurteiler. Er ist einer der größten
Talententdecker, einer der gebildetsten Literaten, die Deutschland sah,
eine Wünschelrute der Verleger, ein Cagliostro der Begabungen, ein
wahrer großer »homme de lettres«, verliebt in Literatur bis zum Exzeß,
und es gibt keinen lebenden Schriftsteller von Bedeutung, der ihm nicht
Dank schuldet und eine gewisse Verehrung entgegenbringt, und den er
nicht da oder dort schon einmal verraten hätte. Blei ist von fast
erotischer Empfindsamkeit für Literatur und hat jede Mode, innerlich
sicher ehrlich, vorausempfunden und propagiert und jede wieder
verlassen.

Er hat die Neigung und den Instinkt und die geniale Empfindung für die
Valeurs, nicht für die Werte. Er ist weit mehr, wie unwissende Jünglinge
meinen und seine Feinde mit Handbewegungen abtun wollen, eine
ungewöhnliche und hoch überlegene Potenz unseres Schrifttums, aber aus
Verliebtheit und nicht aus Verantwortung. Der »homme de lettres« ist wie
der »homme à femmes« letzten Endes nur auf die Details eingestellt, auf
die Linie, auf die Grazie, auf die Nüance, auf den Charme, aber nie auf
die Totalität einer Erscheinung. Blei zieht seine Assoziationen von
allen Seiten. Katholisches und Rokoko, Satanismus und linksradikal,
Sinnliches und Besinnliches machen ihn zum geschmeidigsten Verwerter
einer Elastizität, die alles betastet und alles vertieft, aber nichts
ergründet.

Er ist ein aristokratisches Stil-Chamäleon. Die Sünde der Epoche hat in
ihm einen Sylvester Schäffer gefunden: er schießt und dichtet, spielt
auf dem Pferd Violine, läuft Seil, spricht und drischt gleichzeitig
guten Stil aus dem Hals, aber alles ist kein Inhalt und kein Ziel und
kein Fleisch, sondern nur Gewandtheit und Akrobatik und zirzensischer
Geist. Man springt geschickt und mit Esprit. Über was man springt, ist
Nebensache. Er ist der sinnfälligste Beweis dafür, wie eine Begabung
seines Ausmaßes wirken müßte und wie sie aber verführt wird von einer
vielfarbigen Zeit, statt alles auf sein Ziel hinzulenken, allem wie ein
Jüngling mit dem Schmetterlingsnetz nachzurennen.

Delacroix hat gemeint, jene kritischen Leute, welche die Manie des
Urteilens hätten, verwirrten erstens das Publikum, das ihre Dunkelheiten
nicht begreife, und verwirrten zweitens für die Künstler die einfachsten
Ideen, weshalb diese sie auch verabscheuten. Er irrte, denn eine große
und mit den Hintergründen der Zeit malende Kritik kann einer Epoche auf
den Weg helfen durch die Säuberung und durch den Hinweis. Blei aber hat,
als man ihm das Talent gab und die Verantwortung, nicht nach beiden,
sondern nur nach der Begabung gegriffen, zwar immer das Rechte gefühlt
und oft auch gesagt, aber es mit einer Stimme getan und in einem
Zusammenhang geäußert, daß es nicht die Wucht bekam und nicht den Ernst
erhielt, der ihm Masse und Sinn gegeben hätte. Es ist geistreich
geblieben und Gespiel und damit ohne höhere Fruchtbarkeit. Was ihn
entschuldigt, ist die Zeit, was ihn aber nicht freispricht, ist, daß er
die Stilisten wie die Käfer sammelte, statt die Begabungen auf ihre
Ziele zu hetzen.

Ich bin kein Angestellter der Weisheit und nicht im Schalterdienst der
Prophezeiung, Mijnheer, und ich bin weit entfernt, Ehren zu fordern für
einen Beruf, der seine beste Ehrung in sich selber findet. Aber ich sehe
im Anspruch auf die Beachtung durch die Nation, die sich in diesen
Formen kundgibt, ein nicht geringes Mittel zur Stärkung jener Partei der
Freiheitsliebenden, die der Republik die Formung einer neuen deutschen
Gesellschaft wünschen.

Ich weiß, man kann frei leben und frei sterben und nach keiner Würde
gierig sein und doch im Angedenken der Nation und ihrer Besten ein
großer Mann und eine schöne Erinnerung sein. Ich kenne das Testament
Heines, der, obwohl ihm Gutzkow vorwarf, daß er nach den höchsten Ehren
des französischen Ruhmes lüstern sei, nachdem ihn seine Heimat
vertrieben, schrieb:

»Obwohl ich von der Natur und vom Glück mehr als andere Menschen
begünstigt ward, obgleich es mir zur Ausbeutung meiner Geistesgaben
weder an Verstand noch an Gelegenheit gebrach, obgleich ich, aufs engste
befreundet mit den Reichsten und Mächtigsten dieser Erde, nur
zuzugreifen brauchte, um Gold und Ämter zu erlangen, so sterbe ich
dennoch ohne Vermögen und Würden. Mein Herz hat es so wollt, denn ich
liebte immer die Wahrheit und verabscheute die Lüge.« Auch dies ist
Stolz und klingt mit aller Bitterkeit seiner ruhigen Größe hart ins Ohr
der Heimat, die ihn verbannte.

Aber man lebt nicht, um Gesten der Kühnheit zu machen, sondern um die
Möglichkeiten des Lebens und der Zeit in der besten Form zu erwischen,
und die Lebenden stehen jede Sekunde im Kampf. Aber Kämpfen heißt nicht
jene Dummheit der Menschen, von denen ein litauisches Sprichwort sagt:
»Je stärker du ihm auf die Schnauze gibst, um so mehr Angst mußt du
haben, daß er zurückgibt.« Sondern es bedeutet das Wesenswichtige zu
nähern, Weg zu machen und selbst das Ausrufen nicht scheuen. Alles
andere marschiert, wie Deutschland marschiert.

Es ist nur allmälig an der Zeit geworden, zu sehen, um was es geht.
Werden wir eine runde Literatur haben, müssen wir vorher zu einer
Gesellschaft kommen. Man muß die Gegensätze der Parteien in der Republik
versöhnen oder man muß sie austragen. Andere Möglichkeiten gibt es nicht
und nur auf ihrer Befolgung oder Verwerfung wächst eine Gesellschaft und
eine Kunst. Es muß eine Zeit kommen, wo man in die Weisheitsschule der
jeweiligen Grafen Keyserling seine Automobile schicken wird, weil man so
europäisch eingestellt ist, daß man sich selbst nicht mehr an
schöngewässerten Reflexionen über die Welt begeistern braucht und wo man
die »Indienfahrt« des Herrn Bonsels in den Regalen der Gartenlauben
unserer vergilbten Zeit finden und wie ein altes bürgerliches Kochbuch
belächeln wird. Die Literatur wird so sehr Ergebnis einer an den Quellen
des deutschen mittelalterlichen Wesens gelegenen Kraft sein und so sehr
erhabene Spiegelung ihrer Zeit werden, daß beide endlich mit Genugtuung
einander betrachten werden.

Sie wird nicht mehr sich verkriechen müssen und wird nicht verfolgt
werden, sondern sie wird mit dem Lächeln antworten, das die Hetäre
Tschandrasêna herrlich von sich schüttelte, als man ihr eine Augensalbe
anbot, die sie von den Nachstellungen eines Königs retten, aber in eine
Äffin verwandeln sollte. Sie zog es vor, in ihrer keuschen Nacktheit dem
Herrscher entgegenzugehen, der mächtig und schön war, und sich so mit
ihm an Stolz zu vergleichen. Das alles ist, wenn es wird, besser als
Prophezeihen. Die Farben des Fleisches sind stets beweiskräftiger als
Paragraphen. Man wird Kunst auf dem Rücken einer Gesellschaft vereint
wissen mit einer Heiterkeit und mit etwas von der legendären Größe, mit
der der Doge jedes Jahr zum Strand ging, das Adriatische Meer mit
Venedig zu vermählen.

Man wird nicht mehr über Pernambuco fahren müssen, um die Entdeckung der
sichtbaren und der geheimnisvollen Wunder der Welt getrennt zu machen,
sondern man wird sie beisammen haben. Man wird das Leben bei der Kunst
haben und manches andere ähnlich zusammen und es wird ein gewaltiger
Spaß sein, zu leben.

Reiß Irmãos & Compagnia (Brazil) wird dann ein Witz scheinen und Europa
ein runder Kelch um die Blüte von Deutschland, und der ganze Himmel wird
gefärbt sein von ihrer Anmut und überzittert von ihrer Bewegung. Einer
der weltmännischen Deutschen, Friedrich der Große, hatte bereits etwas
von jener erlesenen Mischung: »Hören Sie,« sagte er zu seinem Schweizer:
»Ich habe den traurigsten Eingriff über mich ergehen lassen, den die
Heilkunst kennt: zwei Klistiere. Das hat mich erleichtert, und mein
Geist fühlt sich freier. Kommen Sie her, ich habe ein Gedicht für meine
Schwester von Bayreuth gemacht, über die Freundschaft.« Er hatte
Natürlichkeit und Grazie und damit Überlegenheit über Leben und Tod, da
er Geist dazu besaß. Das Gesicht wird kommen, von dem ich sprach, das
auf den Takt des Motors horcht und dadurch gespannt in die Gegenwart
versunken ist, und über dem die Stirn sich voll ewiger Begeisterung hebt
und wird Deutschland regieren. Das träume ich manchmal, Mijnheer. Gehen
wir schlafen, wir Phantasten, der Mond ist aus.



Die sechste Nacht


Mijnheer, ich habe gestern vergessen, Ihnen von einer Ehrung zu
erzählen, welche die Stadt Lübz in Mecklenburg an der deutschen Dichtung
vornahm. Es fällt mir ein, weil ich in dem seenreichen Land einen
anmutigen Sommer verbrachte und im Schilf das Boot von Sidney Smith
entdeckte, der auf der Entenjagd lag, ein Nomade von borstigen
Rothaaren, Fischaugen, die stier und grün unter der langen Nase
herausquollen, die Haare »tête carrée« in die sommersprossige Stirn
gekämmt und über den Augenbrauen abgeschnitten. »Hallo, Sir,« sagte er,
»wir werden einen Cocktail machen,« schob den Priem in die andere
Mundseite und unterbrach die Jagd.

Dieser Smith war das amüsanteste Greenhorn, das ich traf. Eines Nachts
frug er: »Hallo Sir,« er zischte, auf dem Bauch liegend, um die Ruhe
nicht zu stören, »glauben Sie, daß Afrika einmal in zwei Teile geteilt
war durch ein Meer?« »Warum,« frug ich und betrachtete einen Punkt, der
wie ein Paar Stockenten gegen den Kahn zutrieb, »warum denken Sie das?«
Er zog den Kopf in den Nacken: »Ich dachte Sir.«

Nach einer Stunde ging der Mond auf und wir mußten unter eine abhängende
Weide rudern. Smith putzte an seiner Sechsschußflinte und sagte: »Hallo
Sir, glauben Sie, daß man mit Ochsenhäuten, wenn man sie wie Segel
aufspannt, Kanonenkugeln auffangen kann?« Ich sagte ihm: »Was Afrika
betrifft, Mr. Smith, so kann ich Ihnen noch sagen, daß lange Zeit eine
Straße durch den Kölner Dom ging. Warum soll nicht ein Wasserweg durch
Afrika gezogen sein! Was aber die Felle angeht, so müssen Sie einen
Kanonier oder einen Gerber fragen.« »Very well,« sagte er, steckte den
Kopf zwischen die Schultern und schwieg.

Nun kamen die Enten und er schoß sie mit Kugeln, trotzdem der Mondschein
beim Visieren täuscht, ohne Fehler. Während wir sie auffischten, starrte
er plötzlich in die Luft und sagte: »Hallo Sir, glauben Sie, daß, wenn
man mit den Zeigefingern das Hörnerzeichen macht, das den bösen Blick
zurückschmeißt?« Ich war am Rudern und sagte: »Mr. Smith, vergessen Sie
die Ente nicht aufzunehmen, an die ich Sie gerudert habe. Ich verstehe
nicht, warum Sie Fragen stellen, die keine Beziehung auf das haben, was
Sie tun.« Er sah beleidigt vor sich hin. Ich habe nie einen solchen
Wilden gesehn.

Er hatte nur im Blick, wo er Lachsnetze werfen, Wachtelschlingen legen,
Tiefseeangeln für den Hecht durch das Meer schleifen konnte und dachte
in der Zwischenzeit sich die Welt zu einem Trumpel zusammen. Bei Beginn
des Sommers war er mit einem Klippfischsegler von Norwegen gekommen und
in dem fetten Seeland mit seiner Büchse liegen geblieben wie der Sommer
selbst, der keine Anstalten machte, selbst im Oktober noch nicht, aus
den silbernen Grasstrichen aufzustehen.

Wie alle Schotten hatte er Leidenschaft für Cocktails aber auch die
seltsame Fähigkeit, seine Gefühle damit auszudrücken. Mit der Mischung
von dreiviertel Gin und ein Viertel Orangensaft bestach er den Beamten
der Seekontrolle, welche das Angeln zu verbieten hatte. Dieser Mann trug
einen breiten blonden Bart und horchte auf den Namen Feuerstake. Mit der
Zeit richtete er ihn zum Treiber für das Vogelzeug ab, und wenn Smith
ein paar Tage verschwand, saß er in Lübz neben dem Kirchturm bei
Feuerstake und mischte seine Drinks. »Wollen Sie Cocktails versuchen,
Sir?« sagte er, wenn er von dort zurückkam und mischte als Zeichen
seiner Zufriedenheit Zitrone mit amerikanischem Whisky. »Wissen Sie,
warum ich keinen schottischen dazu nehme?«, frug er und schnallte die
Büchse über die Schulter, und in der Tür stand Feuerstakes Gesicht
winkend. »Nein,« sage ich. »Weil Scotch für einen Jäger kein Whisky ist,
Sir.«

Die Enten lockten sich auf dem milchblauen See »rätsch . . . wack« und
feierten überall nach seltsamen Schwimmkünsten und Verfolgungen unter
unerhörtem Geschrei eine wüste Liebesnacht. Man konnte nicht schießen.
»Kommen Sie, Sir,« sagte Sidney und er mischte den seltsamsten Cocktail
seines Lebens, der uns sehr heiter machte und der in Smiths Sprache das
Erlebnis ausdrückte, das er über der Enten erotische Scherze empfand. Es
war ein guter Junge nach meinem Sinn und hatte auf seine Weise Humor.

Eines Tages gab es einen abscheulichen Drink. Er hatte bei Feuerstake
gesessen, und da der Mann kein Wort sprach, in den zehn Jahrgängen des
Lübzer Tagblatts geblättert und dabei ein Gedicht von Gerhart Hauptmann
gefunden, das begann: »Komm, wir wollen sterben gehn / in das Feld, wo
Rosse stampfen / und die Donnerbüchsen stehn / und sich tote Fäuste
krampfen.« / Smith verstand nicht viel Deutsch, aber das verstand er.
Unglückseligerweise hatte er in dem nächsten Band aber einen sechs Jahre
späteren ergriffen und fand unter dem Namen des gleichen Autors ein
Telegramm an den russischen Sowjetgesandten in Berlin betreffs eines
politischen Prozesses in Rußland: »Der Blutwahnsinn des Krieges und
seine Nachwehen sollten nun endlich überwunden sein. Ein sieghafter
Friede muß der Achtung vor dem geheiligten Leben des Menschen, muß dem
Gebot -- Du sollst nicht töten -- wieder die alte Geltung verschaffen.
Ich lasse diese Friedenstaube zu den gemarterten Opfern fliegen. Möge
sie mit einem Ölzweig, von dem kein Blut tropft, zurückkehren.«

Das verstand er nicht, es war von Schießen nicht mehr die Rede und er
hatte nichts anderes im Kopf. Ich las ihm die andere Strophe aus dem
ersten Gedicht vor, das er mit den ganzen Jahrgängen mitgebracht hatte.
»Diesen Leib, den halt' ich hin / Flintenkugeln und Granaten / eh' ich
nicht durchlöchert bin / kann der Feldzug nicht geraten.« Smith schickte
sich vergnügt an, einen guten Cocktail zu mischen, das begriff er
wieder.

Nach einiger Zeit aber wurde er nachdenklich, wie könne, damned, der
Mann nun solche Telegramme senden, wenn er geschrieben habe, daß, eh' er
ein Sieb sei, der Krieg nicht ende. Ich sagte ihm, Herr Hauptmann sei
ein alter Mann gewesen und habe wohl das eine wie das andere nur in
einem dichterischen also unirdischen Sinne gemeint undwahrscheinlich sei
eine gespenstische Ausgabe von seiner Körperlichkeit ebenso auf den
Schlachtfeldern, die er nicht besucht habe, durchlöchert worden, wie
wahrscheinlich eine andere als Vogel durch die Luft zu fliegen vermöge.
Etwas ähnliches meine wohl auch der sozialdemokratische Minister
Hänisch, wenn er über ihn in einer bürgerlichen Zeitung nach einigen
Fußtritten auf sozialistische Dichter schreibt: »So geht von Hauptmann
ein Licht aus, das leuchtend und wärmend durch die Zeiten strahlen wird.
Er ist der große repräsentative Dichter unserer deutschen Gegenwart, der
die ganze Zerrissenheit unserer Zeit in seinen wissenden und milden
Zügen widerspiegelt. Werden wir uns des Glückes bewußt, daß Gerhart
Hauptmann in unserer Mitte lebt, freuen wir uns, ihn unser eigen nennen
zu dürfen.« Solchergestalt, meinte ich, sehen sogar ein Proletarier dies
Hin und dies Her. »By Jove,« meinte Sidney Smith und schaute lange
verglast vor sich hin, das verstände er nicht.

Ich sagte ihm, Herr Hauptmann habe, wie viele Dichter, und fast alle
Leute, die Karriere gemacht hätten, wie die Herren Lloyd George und
Clemenceau von links angefangen und habe sich langsam nach rechts
entwickelt. Man müsse das alles nicht so ernst nehmen, denn die
Bourgeoisie brauche einen gewissen unaktuellen Radikalismus, bei dem
sich ohne Gefahr für Haut und Geldbeutel am Feuer der großen
Revolutionssuppe gruseln lasse. Und die Herrschaften, die im Zirkus in
Berlin jubelten, wenn in seinen »Webern« Kapitalistenhäuser demoliert
wurden, seien dieselben, die fanatisch die Erschießung zeitgenössischer
Revolutionäre forderten. Es handle sich darum, daß die Weber-Revolte
eine schon vierzigjährige sei, die man beruhigt lieben könne, aber eine
heutige eine verdammt ernste Sache sei, die man keineswegs lieben dürfe.
Und ebenso menschlich begreiflich sei es ja sicher auch, daß ein Dichter
seinen Nachruhm halte mit Arbeiten, von denen er sich völlig entfernt
habe. Es sei dasselbe, wie wenn ich Smith wegen seiner Schulaufgaben
lobe aber seine Schießsicherheit dabei übergehe. Wir gingen darauf nach
dem See und Smith kam auf die Sache nicht mehr zu reden.

Beim Anschlag sagte er: »Beg your pardon, Sir, glauben Sie, daß man
Kentauren noch jagen kann?« »Nein, Mr.,« sagte ich, »man kann es nicht.«
Er sah lange sinnend in den Himmel. Zwei Tage verschwand er zu
Feuerstake. Am dritten kam er zurück: »Wollen Sie Cocktail versuchen,
Sir?«

Seltsamerweise erschien plötzlich Feuerstake mit einem Paket, legte es
auf den Tisch und verschwand. Ich machte es auf, es war in rotem Einband
ein Buch Gedichte, die Feuerstake über seinen Heimatsort geschrieben
hatte. Der bescheidene Mann hatte kein Wort darüber verloren, obwohl er
tagelang mit Smith zusammengesessen und brachte mit einer steifen
Verschämtheit es plötzlich hinter ihm her. »All right,« sagte Smith und
legte es bei Seite. Feuerstake interessierte ihn als Ententreiber, alles
andere war ihm einerlei. Feuerstake hörte nie ein Wort über sein
Geschenk und, da er nichts sprach, frug er nicht.

Sidney Smith hatte in dieser Zeit viel zu tun, mit seinen Gedanken
fertig zu werden. Ob ich denke, meinte er, daß es ein Land gebe, wo man
die Schweine mit ihren eigenen Eingeweiden füttere. »Ja,« sagte ich,
»nichts ist verderblich genug, daß es das nicht geben sollte.« Die
Antwort gefiel ihm nicht, er zog den Kopf tief in die Achseln ein, stieß
ihn dann geradeaus und schoß. Der Sommer stand in diesen Wochen mit
einem fleckenlosen Goldton über Holstein und manchmal schien es fast, er
spiegele das Meer. Je klarer die Luft aber wurde, um so eigensinniger
verwandelte sich Sidney Smith. Er hatte sich bei Feuerstake alle
eingebundenen Jahrgänge des Lübzer Tageblattes geholt und ich sah ihn
oft, so sehr die flachsblonden Töchter des Hauses zum »Weißen Karpfen«
um ihn herumstrichen, in die Schwarten vertieft. »Wollen Sie Cocktails
versuchen, Sir?«, frug er regelmäßig, wenn ich ihn ertappte, aber ich
kannte seine Stimmungen nach dieser Lektüre und lehnte ab.

Die Enten fingen an zu mausern, die Männchen rückten den Weibchen aus,
buhlten um andere, es war ein Riesenspektakel auf dem Wasser und das
lenkte ihn ab. »Hallo, Sir,« unterbrach er die Nachtwache, »denken Sie,
daß man mit der Vergiftung der Meere alle Tiere darin töten und durch
ihr Faulen den Kontinent verpesten könnte?« »Nein,« sagte ich, »Mr.
Smith, denn etwas ähnliches ist durch den Landkrieg nicht einmal
erreicht worden,« und hielt ihn für gerettet, da erschien er am Morgen
mit einem Bericht, den der Züricher Vertreter des Lübzer Tageblatt
gedrahtet hatte über die Vorlesung eines Dramas, das Fritz von Unruh
gedichtet hatte, und wo deutsche Soldaten den gefangenen britischen
zugerufen haben sollten »Gott strafe England!«, und er verlangte von mir
zu wissen, weshalb man die Vorsehung anrief, statt sich bei den Stellen
zu beschweren, die für das Arrangement von Kriegen usw. verantwortlich
zeichneten, als er fast erbleichend aufstöhnte. Er hatte in einem
anderen Band einige Jahre später einen Abdruck aus dem gleichen Stück
gesehen, nur daß hier die deutschen den britischen Soldaten armgebreitet
mit den Worten »Freunde! . . . Brüder!« entgegenliefen. »Dear Sir,«
sagte er fassungslos, »ich war ebenfalls gefangen, aber man hat das eine
nicht gerufen und nicht das andere. Aber hat man das hier gleichzeitig
gerufen?« Er sah sich um, als halte er es schier für möglich, daß, seit
er sich mit deutscher Lektüre beschäftige, der Mond und die Sonne
gleichzeitig nebeneinander über den Himmel spazieren könnten.

»Nein, Mr. Sidney Smith,« beruhigte ich ihn, »erstens ist das
wahrscheinlich eine Verleumdung und dann darf man solches nicht so genau
nehmen wie das Schießen, wo man sehr scharf und grad sich halten muß,
und beim Wackeln die Sache vorbeigelingt. Im Leben ist das anders und
man sagt oft das eine und gleichzeitig das andere. Das Leben verändert
sich selbst täglich, und was heute schwarz ist, kann morgen weiß sein.
Manche haben die Farben gleichzeitig, was manche wiederum boshaft
preußisch nennen, aber das ist es gar nicht. Wir haben das bei einer
großen Anzahl Menschen erlebt, da ist z. B. Herr Meidner, der einer der
größten Helden gegen den Krieg war und gleichzeitig eine Zeichnung zur
Animierung der Kriegsanleihe an die Zeitungen schickte. Wer kennt der
Menschen Herz? Selbst der größte deutsche Dichter Goethe hat sich eines
Tages dem Vater eines jungen Schriftstellers v. Körner gegenüber
mokiert, daß der gegen den großen Bonaparte mit dem knitternden
Papierzeug seiner Verse anreite und hat, mit der französischen
Ehrenlegion geschmückt, als Lützower in Meißen ihn ausrückend um den
Waffensegen baten, die Hand auf ihre Hirschfänger gelegt und gesagt:
»Zieht mit Gott, und alles Gute sei Eurem frischen deutschen Mut
gegönnt!« Ich suchte Smith mit der letzten Möglichkeit, nämlich mit
einem klassischen Zitat zu beruhigen, aber er war so beneidenswert
ungebildet, daß er auf Klassisches genau so sauer wie auf die
Flachsblonden reagierte.

Jedoch er hatte als Jäger ein gutes Ohr, er behielt den Namen und kam
nach einer Stunde mit dem Gedicht eines gewissen Julius Bab, dessen Ende
lautete: »Zeug uns, Stern, und zieh uns hoch hinan! / Dieses Werk der
mörderischen Nöte / werde doch in deinem Dienst getan! / Weile, werde,
wachse in uns -- Goethe!« / Das machte den Burschen völlig konfus. Es
gelang mir nicht, ihm klar zu machen, wieso ein Stern uns erzeugen könne
und warum im Dienst eines verstorbenen Dichters, der sich über den Krieg
mokiert habe, man sich Jahre lang totschieße.

»Bei uns, Sir,« meinte Smith, »sagt man, indeed, daß man im Dienst der
Kanonenfabriken und zum Ruhm der Generale schieße. Verrückte Idee, für
einen toten Mann sich zu töten.« Rasch drehte ich, indem ich ihm
versicherte, daß ich den Herrn nicht kenne und daß das offensichtlich
die Privatmeinung eines durch Schrapnellschüsse am Kopf Schwerverletzten
sei, das Blatt um, da las er in Fettschrift folgendes Gedicht: »Wenn der
Kaiser einst kommen wird / schießen wir zum Krüppel den Wirth / knallen
die Gewehre tack tack tack / aufs schwarze und aufs rote Pack.« / Er
wurde sehr aufgeregt und überstürzte mich mit Bitten. »Nein, Mr. Smith
--,« sagte ich zu ihm, »Pack ist kein Wildbret, das Sie noch nicht
kennen, es sind Kameraden, die eine andere Ansicht haben.«

Wieder sank seine Lippe tief auf das Buch, ich blätterte weiter. Da rief
ein Sportverein auf zu einem Gartenfest und man hatte das Bundeslied
abgedruckt: »Der Turner in den Wäldern haust / und Eichen raufet seine
Faust / der nackte Arm mit Felsen spielt / der deutschen Lunge Kraft
empfiehlt: / schießt ab den Walther Rathenau / die gottverfluchte
Judensau.« / Ich hatte Angst, er könne auch das für Wildbret halten und
sagte ihm, diese Gedichte seien nicht wichtig, weil sie schon wieder aus
dem Frieden stammten.

Er schwieg eine Weile, sah mich stumm an, schüttelte den Kopf,
erbleichte plötzlich und sprach darüber nicht mehr. Am nächsten Tag
waren die Bücher verschwunden. Nun kamen schon Frühnebel, es wurde
Oktober, aber der Sommer stand nicht aus dem fetten seenreichen Grünland
auf, also blieb auch Sidney Smith.

Man hatte Nachtreiher entdeckt und er war in großer Aufregung. Man
belauerte einen Baum, auf dem sie saßen, mit einer abscheulichen
Gestankwolke eingehüllt und einen gewaltigen Lärm untereinander machend,
aber man wollte sie nicht vom Baum schießen, von dem sie dauernd Fische
in verdautem und unverdautem Zustand herunterschossen. Wir hatten
Nachtpelze um und lagen in der Sternkälte im Gras. Plötzlich flüsterte
Smith: »Weile, werde, wachse . . . Sir, ich habe mit Feuerstake
gesprochen, er ist, by Jove, mit einem Male gesprächig geworden seit
gestern, ein toller Cowboy dieser Feuerstake plötzlich, was ihm
geschehen ist wohl, meinetwegen . . . . wollte sagen, Sir, Feuerstake
erzählte mir, man habe Mr. Hauptmann von der Regierung geohrfeigt vor
dem Krieg und seine Stücke verboten und bei dem Krieg, weil er dafür
schrieb, ihm Orden gegeben, ihn herangepfiffen und ihn übers Fell
gestrichen und er habe geweint vor Freude. Er habe dann während dem
ganzen Krieg eine Propaganda gemacht für das Schießen und den Kaiser,
und nun sei er aber verheiratet mit der Republik und werde mit dem
Präsidenten alle vierzehn Tage photographiert. Ich verstehe das nicht.
Wir haben gelesen, wie Mr. Bernard Shaw in England im Krieg, beim
allmächtigen Gott, dem König und Mr. Lloyd George gesagt hat, es sei ein
Verbrechen und daß er es vorher und nachher gesagt hat. Es hat mir nicht
gefallen, Sir, weil ich für den Krieg bin und für das Schießen. Aber,
damned, es hat mir doch noch besser gefallen, wie das, was ich bei Ihnen
jetzt hier gelesen habe. Ich wollte Ihnen das sagen, Sir.«

Ich war eine Weile stumm, denn auf dem Baum tanzten die Schatten der
Vögel derart herum, daß es wie ein nächtlicher Spuk vor der
Himmelsilhouette stand, und jede Bewegung führte einen derartigen Regen
von Niederschlägen der Vögel mit sich, daß wir uns rückwärts bewegen
mußten. »Weile werde wachse . . . Sir, ich wollte das beim allmächtigen
Gott auch noch gesagt haben, Ihre Kriegsgedichte sind mehr gentlemanlike
als die im Frieden.« Ich versuchte ihn wieder auf Hauptmann zu bringen
und ihm klar zu machen, daß der Genius des Dichters leichter alle
Veränderungen aufnehmen und sich schneller wie festgemauerte Charaktere
von Jägern an die verschiedenen Institutionen des Staates wie des Lebens
gewöhnen könne.

Es käme auf den Zweck an, meinte ich und erzählte ihm die Geschichte des
Mönchs, der auf der katholischen Propaganda tausend Herbeigeströmten als
Reliquie eine Papageienfeder als die des heiligen Gabriel zeigen wollte,
aber, da man sie ihm gestohlen und zum Bluff schwarze Erde hineingelegt
hatte, diese sofort als die heiligen Kohlen ausschrie, an denen der St.
Lorenz geröstet worden sei. Allein er hörte scheinbar nicht auf mich,
legte an und schoß aus der Luft einen Reiher, riß ihm die Bismarckfedern
aus, ließ den Braten für seine Vogelkameraden liegen und sagte: »All
right. Ist für mich erledigt. Kommen Sie Cocktails versuchen, Sir?«

Zu seinem Geburtstag kam eine Kiste, er nagelte sie auf und man sah etwa
eine Batterie von vierzig Flaschenköpfen verschiedener Etikettierung.
»Splendid,« sagte Smith, und die Flachsblonden mischten Bacardi Cocktail
wie Engel, indem sie ein drittel Zitrone und zwei drittel Rum mit etwas
Grenadine und Zucker zusammentaten. Gegen Abend war, das gesamte Hotel
erledigt. »Let us go, Sir,« sagte Smith, als Feuerstake nicht erschien,
»der Mann gefällt mir nicht mehr,« wir legten die Büchsen über und sahen
auf dem Wasser in der Purpurröte der Dämmerung eine Reiherschlacht durch
das Schilf.

Sie kamen in zwei Gruppen angeflogen und standen im Morast einander
gegenüber und in der Mitte lag eine tote Mordsschleie. Die beiden
Parteien zogen sich zurück, formierten sich, krächzten mit aufgerissenen
Schnäbeln in höchster Aufregung »koau . . . kräü«, die blutigroten Augen
glühten, die Flügel schlugen auf und nieder und mit gesträubten
Nackenfedern schossen sie aufeinander zu. In dem Augenblick aber, wo man
dachte, daß sie sich mit den dolchspitzen Schnäbeln durchbohren würden,
gingen sie jammervoll aneinander vorbei und berührten sich kaum mit den
Flügeln. Eine gewisse Entfernung voneinander genügte aber, ihre Wut
wieder aufs äußerste zu steigern. Klappernd, mit wund geschrienen
Rachen, erbost schossen sie aufeinander und spielten sich eine Stunde
lang das Theater ihrer Leidenschaft vor. »Hallo!,« sagte Smith, der
etwas unruhig war, »wachse, werde, weile« und schoß ab.

»Warum,« sagte ich, »zitieren Sie immer das Kriegsgedicht des Mr.,
dessen Name mir entfallen ist.« »Beg your pardon,« meinte Sidney Smith,
»ist die einzige Möglichkeit meinen Priem aus dem Gaumen heraus zu
bekommen.«

Wir hatten große Last, die Nachtreiher zu erreichen und ihnen die Federn
zu nehmen, denn es war an der Stelle sehr sumpfig. Als wir an dem tags
zuvor geschossenen vorbeikamen, stob ein Schwarm seiner Brüder auf, die
sich die Kröpfe voll von seinem Fleisch gestopft hatten und nach dem
Baum hinüberflogen. Smith machte ein bedenkliches Gesicht, sagte aber
nichts, denn er war etwas betrunken.

»Versuchen Sie Cocktails, Sir,« sagte er zu Hause und machte einen
Martini mit Gin und französischem Vermouth, da wurde er sauer und »dry«.
Dann machte er ihn mit italienischem Vermouth, da wurde er süß, und die
Flachsblonden nippten solang daran, bis sie wie verrückt im Garten
herumtanzten. »Hallo, was sagen Sie dazu, Sir?« frug er mit einem halb
lachenden Blick auf sein Kunstwerk, aber ich äußerte nichts, weil ich
nicht bestimmt wußte, ob er mit dem »einmal süß und einmal sauer«
gewisse Dichter oder gewisse Reiher meinte, aber etwas Hinterhältiges
war in seinem Blick, das mich stutzen machte.

Im selben Augenblick bekam er aber Eulenaugen, stand ruckweise auf und
starrte auf ein Papier, das man vor ihn gelegt hatte, als er einen Priem
zahlte. Seine roten Haare sträubten sich aus der Stirn und standen
borstig nach oben, der Schweiß rann ihm über die Stirn und er fuchtelte
mit der rechten Hand in die Luft. Dann fiel er mit rot verquollenem
sommersprossigen Gesicht auf den Stuhl zurück und stierte auf das
Papier. Ich entsinne mich genau, daß ich nur langsam es ihm wegzuziehen
wagte, denn er saß darüber wie ein Hund über einem Schinken, plötzlich
riß ich daran und lachte, daß der Tisch schräg ging: Ich sah in das
Gesicht von Joachim Feuerstake. Das Rätsel seiner Redseligkeit war
gelöst mit seiner Unsterblichkeit.

Die Stadt Lübz hatte ihm zu Ehren, der ihre siebenundzwanzig Hähne,
ihren Kirchturm, ihren großen Misthaufen, ihren Bürgermeister und die
Kornfelder und ein unbestimmbares Denkmal in dem roten von uns nie
geöffneten Büchlein besungen, die Stadt Lübz hatte ihm zu Ehren ihren
Notgeldschein von fünfundzwanzig Pfennigen unter dem Motto: »Treu der
Heimat« mit seinem Bild geschmückt. Es schien, als werde
Smith tiefsinnig. Er blieb blaß und schweißig, machte wieder
Bacardi-Mischungen, behielt die runden Uhuaugen und steckte den Rotkopf
tief in die Schultern. Ich beruhigte ihn, indem ich auf seine Manier ihn
fragte: »Hallo Mr. Smith, denken Sie, daß es ein Land gibt, wo man in
der Luft fliegt, Landpartien auf den Boden herunter macht, wo die Könige
den Schädel unterm Arm tragen und die Fürsten auf dem Kopf gehn, wo die
Bauern sich Kokotten halten und die Arbeiter Fideikommisse gründen?«

»Yes Sir,« sagte er, »ich habe das oft gedacht.«

Ich verstand, daß ich ihn so nicht kriegen könnte, denn, da er das
Bestehende nicht achtete, außer der Jagd, hatte er sich die Welt wie ein
Kinderspielzeug schon unzählige Male herrlich unlogisch neu
zusammengesetzt. Ich bemerkte jetzt, daß er zitterte, er hatte einfach
Angst. Für ihn war Fischen und Dichten einerlei, er sah keinen
Unterschied und hatte einen hysterischen Anfall vor Furcht, wie alle
Wilden, er könne eines Tages für seine Jägerei ebenfalls auf einen
Schein gedruckt werden und wollte sofort zum Bürgermeister. Diese Ehrung
Feuerstakes, dieses Simpels von Ententreiber, überstieg seinen Horizont,
es war ihm wie ein Steckbrief oder eine Anzeige beim Schicksal. Er war
entsetzlich abergläubisch wie alle einfachen Menschen.

Der Aufenthalt auf den Mecklenburger Seen hatte ihn etwas heftig mit
Dingen zusammenstoßen lassen, deren Konträrheit sein grades Hirn nicht
faßte und er bekam Angst vor dem Lande, in dem man im Frieden schoß und
im Krieg nicht bei der Stange blieb, wo man vorgab, für Tote die
Lebendigen gern ermorden zu lassen und wo man die Angestellten auf
Papierscheine druckte, die man als Geld ausgab. Ich rüttelte ihn heftig
am Arm. »My boy,« schrie ich mitleidig, »hören Sie, gute Haut« und ich
erreichte, daß sein Blick mich wenigstens fixierte, wenn er auch mit
verstockter Besessenheit schwieg.

Ich suchte ihm an Hand des Lübzer Stadtwesens, an Hand des
Bürgermeisters, der Parteien und ihres Sängers die Situation eines
modernen Staates und der Gefühle seiner Bewohner klar zu machen und
versenkte mich in das Beispiel des Poeten, brachte seine Konflikte, ob
er die Misthaufen beschimpfen oder die Kirche loben, ob er dem
Bürgermeister opponieren oder alle Parteien belecken, ob er sollte sich
fassen links oder ob er sollte fallen rechts im Gedicht, ob er wählen
sollte zwischen dem Ehrenschein oder einer eventuellen Schändung seines
Grabes . . . . ich brachte dies sehr lebhaft vor, aber in
dem Augenblick, wo ich zur Unterstreichung meiner Rede den
Fünfundzwanzigpfennigschein auf den Tisch hieb, stiegen meinem Gegenüber
wieder die Haare, die Grenze seines mitteleuropäischen Fassungsvermögens
war erreicht.

Im gleichen Augenblick erscholl vom Garten her ein wilder Schrei, Sidney
Smith zog einen langen spitzen Ton durch seine Nase, sah mich schräg mit
dem Ausdruck abergläubischen Entsetzens an, stieß die Augen nach oben,
rollte sie über die Decke und stürzte in den Garten, wo, wie ich vom
Fenster sah, die Flachsblonden wie Katzen in den Bäumen jagten.

Er rannte wie besessen in die Landschaft hinaus und ich habe ihn nie
wieder gesehen.

Ich habe Sidney Smith nie wieder gesehen, Mijnheer, denn ich reiste am
nächsten Morgen an das Meer, über das der Herbst mit einer Donnerwolke
von gelben Nebeln und dem roten Mond darin herein brach und ich vergaß
die sanglante Posse. Ich vergaß jedoch nicht die Folgerungen, die Sidney
Smith mir zu ziehen durch seine schnöde Flucht nicht ermöglicht hatte,
und sie steigen nunmehr aus dem Suite-case meiner Erinnerungen, wo ihn
aufzumachen und auszupacken heute dieselbe Muße ist wie damals, sie zu
erleben und einzumotten. Diese Folgerungen, Mijnheer, sind sehr kurz und
ebenso banal wie grob: Die Menschen lieben stets die Feuerstakes, die
auch ihren Mist zu besingen bereit sind und hassen die Mirabeaus.

Es macht ihnen nichts, daß beide im Grunde dieselben Monarchisten sind
und beide, der eine imbezill und der andere glühend ihr Vaterland lieben
und seinen Ruhm wünschen. Die Tragik des menschlichen Herzens hat es
verwehrt, daß die Menschen auf die Ziel-Richtung der Gefühle zu schauen
vermögen, sondern hat ihnen auferlegt nur die Bequemlichkeit zu sehen,
die ihnen momentan damit gewährleistet oder gestört wird. Sie
verwechseln das Wohlbefinden ihres Zustandes mit dem Heil der Nation,
halten Geplärr für Vaterlandsliebe und erblicken im Schmeichler den
Helfer, im glühenden Tadler den Gegner.

Sie sind für die Gedankenlosigkeit und gegen die wahre Liebe. Und die
Sitten ihrer Mahlzeiten und Beerdigungen stellen sie in grausiger
Verblendung über die wahre Sittlichkeit der Nation. Ein Heinepark wäre
ihrem Empfinden eine öffentliche Dreistigkeit, ein Weg, nach dem
Schönling Roquette benannt, erfrischt den Mut. Eine Hochschule nach dem
Spötter Lichtenberg genannt, wäre in Eile eine delabrierte Sache,
während selbst in Skihütten der Name des Peter Hebel gefeiert wird, der
alemannisch und mit mikrozephaler Poesie biedermeierliche Ideale besang.

»Fremder,« sagte der Adjutant des Artaxerxes zu Themistokles, »die
Sitten der Menschen sind verschieden. Den einen gilt dies, den anderen
jenes für schön, allen aber: die heimischen Sitten in Ehren zu halten.«
Dreiundzwanzighundert Jahre später empfahl in der Sprache seines
Säkulums der Verfasser der Pasquille »Präservative wider Revolutionen«,
zum Schutz der geltenden Gewohnheiten auf in königlichen Gärten
rauchende und sich zusammenpferchende Leute, unter Anrufung des
Nazareners, mit der Feuerspritze loszuschießen. Jede Epoche hängt an
ihren Sitten und nur Friedrich der Große konnte, da er zur Macht noch
Überlegenheit des Geistes besaß, eine Opposition lachend ertragen und
mit einem gewissen Zynismus sagen, als er den verbannten Professor Wolff
nach Halle zurückrief: wenn jener lehre, seine Soldaten dürften
desertieren, so stehe ihm darüber hinaus die Belehrung zu, sie müßten
daraufhin hängen.

Waren die Dichter nun so idiotisch oder temperamentvoll oder human, sich
aus menschlichen Gründen oder im Interesse einer neuen Form, die sie
starteten, mit einer gewissen revolutionären Geste zu präsentieren, so
waren ihre Beurteiler ebenso einfältig, sie nach den Gesichtspunkten der
Parteien, in deren Dienst sie standen, einzuverleiben. Der Mensch wurde
mit der Sache verbandelt, die Dichtung mit der Politik als Wechselbalg
ausgetauscht, und erbärmliche Zwecke wurden dahinein getragen, wo ein
helles Haus der Kunst allein stehen müßte. Da die Dichter gewöhnlich
unkritische Feuerköpfe, ihre Kritiker aber gestrandete und unterdrückte
Poeten waren, ergab sich, daß im Durchschnitt verärgerte Alte oder
verkümmerte Junge die Dichtung beurteilten und mit der schönen
Gehässigkeit des Triumphes das Gesicht der Kunst mit den Plakaten
überklebten, die die Dichter in ihrem Privatleben anzuerkennen
beliebten. Man hat Büchner und Grabbe und Hölderlin lange unter den
Strich gesetzt und das »Junge Deutschland« in Anmerkungen besudelt, aber
die Feuerstakes waren jederzeit gewohnt auf Papierwagen in den Himmel
des Ruhmes der deutschen Literaturgeschichten zu fahren.

Ach, von welch grauenhaften Kleppern und welch seltsamen Fuhrknechten
werden die Papierwagen der zeitgenössischen Literaturgeschichten immer
noch gefahren. Hat aber einer wie Gundolf ein glänzendes Gespann, so
führt er es nicht in die Arena, sondern jagt es als Reklamekasten, wenn
auch mit glänzenden Bögen nach der Kongregation des Heiligen George, und
hat einer die beste Absicht zu popularisieren, so wird es ein
Bilderbuchwagen wie jener von Martens. Ach, aber ein Lastwagen mit
Maschinengewehren bespickt ist jenes Buch des Kölner Professor von der
Leyen, der von der Gemeingefährlichkeit der Kunst wohlanständig so
überzeugt ist, daß er zwar mit den Handschuhen des Weltmanns, aber dem
Blick des Feldwebels ihr entgegenfährt. Wahrlich, mit femininer
Plauscherei und heroischer Haltung ist es hinter den Gewehren des
Nationalismus nicht schwer, Heinrich Mann als Schädling und Wedekind als
Papiermesser zu höhnen und durch Kartenkniffe von entstellten Zitaten
die Dichter den Revolvern seiner nationalistischen Studenten zu
empfehlen. Wahrlich, in solchen Machwerken zittert nichts wie der Haß
gegen die Republik, aber nicht die geringste Liebe zur Kunst, und die
von ihm Gepriesenen werden nachdenken müssen, ob sie nicht damit
Kompromittierte sind.

Ich bin nicht gegen solche Bücher, Mijnheer, weil ich anderer Ansicht
wäre wie ihr Verfasser, sondern weil dieses Verfahren ein subalternes
und ein solcher Charakter ein ungehöriger ist. Ich wäre mit derselben
Leidenschaft gegen Entstellungen von sowjetischem Kurse, denn ich liebe
das Gewissen und verehre die Wahrheit und habe die große Schönheit der
Kunst zu tief in meinem Leben erfahren, als daß ich sie von irgendeiner
Seite schänden ließe. Ich habe die Freiheit des Gesichtspunkts und das
Genie, die weiten Linien für die Kunst zu ziehen und die gestaffelten
Urteile zu fällen, zu sehr verehren gelernt, als daß ich nicht
protestierte, wenn ein ästhetischer Süßling mit einem politischen
Morgenstern sich auf das Postament stellt und vorgibt die Gerechtigkeit
zu sein, und nichts anderes ist als ihr Mixer. »Grattez le savant vous
trouverez le chauvin.«

»Ich bewundere die Fülle dieser Blumen,« sagte auf einer Spazierfahrt
eine Dame zu ihrem Begleiter, aber der vermochte vor Wut kaum nach ihnen
hin zu schielen. »Die Veilchen, Gnädigste« meint er, »sind zu sehr
französische Liebhaberei, die Magnolien entsprechen der britischen
Kühle, die Rosen ziehe ich vor zu verachten, weil ihr Besitzer
republikanischer Anschauung ist.« Der Gute war überzeugt von Blumen zu
reden, aber er unterhielt sich nur mit seiner Dummheit, auch verschwieg
er nicht, daß er Erdäpfel und Eichen wegen ihrer erhöhten Symbolkraft
den zu geistreichen Blumen vorzog, wobei er, durch seine Politik
verblendet, übersah, daß die Eichen ein persischer Import sind und
selbst die Besitzer der kolossalsten Kartoffeln ihren ausländischen Duft
nicht zu leugnen berechtigt sind.

Selbst Casanova, der mit seinen Weibergeschichten alles
durcheinanderwarf, wußte die Politik wie eine Seuche von der geliebten
Kunst fernzuhalten und er, der Frauen betrog und Männern zu jeder Zeit
diplomatisch zu kommen wußte, überwarf sich ihrethalben mit den
Mächtigen, beleidigte Voltaire, indem er dessen »Pucelle« und »Henriade«
stolz den Ariost vorzog und kränkte den großen Friedrich, indem er sich
gegen La Mettrie stellte, und war glücklich, Ansehen und Stellung
verloren, aber die Kunst durch diese Ehrlichkeit geehrt zu haben.

Doch er war nur ein tapferer Mann und ein wohlilluminierter, aber kein
ordnender Verstand. Wie aber, wo Dichter im Tageskampf toben und
Kritiker verleumden, findet man, denken Sie, die höhere Einsicht, von wo
aus die Werte sich enthüllen und die Bedingtheiten fallen? Wie, glauben
Sie, erreicht man die Stelle, wo die Zeit sich löst und die Muse bleibt,
wo die Larven nicht mehr gelten und die Herzen gewogen werden, und wo
die Urteile wie die Blitze und nicht wie politische Raketen die
Landschaft der Dichtung erhellen?

Man sucht diese Plattform nicht.

Man nimmt sie ein.

Literaturgeschichte seiner Zeit zu schreiben, ist immer die Kunst
gewesen, die Politik und die Werte zu trennen, statt sie zu verknäueln
und sie später aber im Bild jenes Theaters auszugleichen, wo die Zeit
mit allen ihren Strömungen und Stilen und Moden auf die Kulissen mit
heftigen Farben gemalt ist und wo die Werte in der Gestalt der
Schauspieler erscheinen.

Es ist nun amüsant zu sehen, für welche Farben sich die einzelnen
Akteure entscheiden und welchen die anderen wiederum gleichen, und
welcher Effekt aus dem Widerspiel von Hintergrund und Schauspiel sich
ergibt. Es ist erlaubt, mit Wünschen und Verwünschungen sich an diesem
unterirdischen Spiel zu beteiligen, aber man wird sich dem Urteil nicht
entziehen können, daß hier, wo die Gegenüberstellungen so scharf sind,
nicht unsere Wünsche, sondern die Leistungen entscheiden und daß man
sich beugen muß vor der grausamen Tatsache, daß unter vielen Helden der
Feige vielleicht der Begabte und unter zahlreichen Gläubigen der
Verbrecher der Könner und der Rebell das Genie sein kann.

Denn in der Leidenschaft des fortgeschrittenen Spiels und der Helligkeit
der Beleuchtung werden sehr bald die Kulissen verschwinden und nur die
besten Spieler bleiben und es bleibt uns nur übrig, mit Sympathie unsere
Lieblinge ausscheiden und mit nackter Logik unsere Gegner siegen zu
sehen und wir dürfen höchstens aus den Kulissen uns die Fehler der
eigenen und die Triumphe der anderen erklären oder verzeihen.

Keinem Verständigen würde es einfallen, die Schauspieler aber mit den
Kulissen zu verwechseln und statt über das Stück über die Beleuchtung
sich zu ereifern. Von hundert deutschen Kritikern, denen die höhere
Geschicklichkeit fehlte, dies Theaterspiel in seiner richtigen Form
aufzustellen, haben neunundneunzig jeweils ihre Sympathie mit den
Leistungen verwechselt und haben ebenso viele, indem sie glaubten über
die Akteure zu schreiben, über die Wandbehänge geurteilt.
Literaturgeschichte seiner Zeit zu schreiben, Mijnheer, heißt nicht ein
»Chevalier de la bouche« zu sein und Meinungen zu haben, sondern: die
glänzendste Optik _neben_ dem Talent und die beste Fingerfertigkeit
_neben_ der Loyalität. Überzeugungen sind ein Unfug, wo es sich darum
handelt, zugleich der Niedermetzler und der Heiland zu sein.

Man kommt so zu ähnlich rund geschliffenen Tatsachen, wie sie nach
Jahrhunderten der Zeitstrom von selbst auswirft und hat dennoch das
Vergnügen, nach Lust und Überzeugung die Kulissen so bunt und die
Draperien so suggestiv für das Publikum aufzustellen, wie man will. Man
macht so mit den Kulissen die Politik und faßt die Leistungen sauber am
Kragen und beide, die sich gegenüberstehen wie ein Mann seinem Spiegel,
bleiben dennoch reinlich getrennt.

Denn es wäre wohl absurd, Shakespeares dichterische _Kraft_ auf die
Entfernung einiger Jahrhunderte aus Friedensschlüssen und aus Kriegen
erklären oder daraus, wie man ihn schon oder unter welcher Regie man ihn
spielte, oder daraus, ob man praßte oder hungerte, Könige liebte oder
enthauptete, bestimmen zu wollen. Aber man kann aus diesen Kulissen
zeigen, daß er das Resultat seiner Zeit war und daß die Friedensschlüsse
und die Könige ihn so geformt haben und daß sie gut oder schlecht waren.
Absurd aber wäre es, damit ihn klein oder groß machen zu wollen.

Man kann aber ebenso, schreibt man die Geschichte seiner eigenen
verworrenen Zeit, auf den Kulissen seine Sympathien und seine Wünsche
malen, kann den einen hell, den anderen dunkel beleuchten, je nachdem
einer sozial richtig oder für den Augenblick verbrecherisch schreibt.
Aber nach der Vorstellung werden nur die Werte beurteilt, da gibt es
keinen Eingriff, und wer hier nicht reinen Herzens ist, der ist
verworfen.

Literaturgeschichte seiner Zeit schreiben, heißt heftig Politik machen
-- nicht für die Freunde und nicht gegen die Feinde, sondern für die
Gesinnungen, die die rechten sind -- heißt mit dem einzigen Einfluß,
nämlich den geschickt gestellten Draperien sein Publikum erziehen
. . . aber so sehr diese Campagne donnert und so bengalisch die Kulissen
flammen, weiß man: es ist für die Kunst nicht wichtig, man teilt
schließlich dennoch die Zensuren nach der Größe und nicht nach der
Verliebtheit und man läßt nicht bekränzte Affen, sondern die großen
Wertraubtiere an die Rampe und präsentiert sie richtig.

Wer anderes tut, ist ein armseliger Liebhaber oder ein verbrecherischer
Marodeur.

Wie das im Einzelnen aber vereint und getrennt, beleuchtet und
abgedämpft, gemischt oder verdeckt und am Ende dennoch gerecht verteilt
wird, dieser Schwertertanz zwischen Sein und Schein, dieser
Pendelschwung zwischen Kunst und Politik, dieses Nüanzieren und doch
Ballen ist die höchste Kunst des kritischen Menschen.

Denn die rasche Entscheidung klingt immer tapfer und ist in der Regel
dumm und falsch. Ja und Nein sagen kann jeder Komiker, und die
Gladiatoren, die, mit Weltanschauungen eingeschient, mit Ansichten um
den Bauch gebunden und mit den Turnierzeichen ihres schließlichen
Urteils schon im voraus dekoriert, in die Arena kommen, ahnen nicht eine
Spur von den besseren Sitten und den höheren Regeln des Handwerks. Aus
dem Nein aber das Ja folgern oder aus dem Schein-Positiven das Nichts
herausziehen, Zeit im Zeitlosen schaubar machen und festes Land schon im
schwankenden Nebel der eigenen Epoche betreten, ist nicht nur des
Kolumbus sondern auch eines Cäsar wert.

Doch, retournons à nos moutons, das soll heißen: man kann verachten, wie
Herr Hauptmann Deutschland repräsentiert und dennoch eine Anzahl seiner
Stücke ausgezeichnet finden. Es ist erlaubt, den Festungsgefangenen
Toller für einen Gentleman zu halten und einen mittelmäßigen Dichter in
ihm zu finden. Es ist erlaubt, Herrn Paul Claudel, Gesandten der
französischen Republik und Vollstrecker des Versailler Friedensvertrages
zu hassen und ihn für einen europäischen Dichter zu halten. Auch darf
man Herrn Joachim v. d. Goltz den Respekt vor der Konsequenz seiner
vaterländischen Dichterei vor, während und nach dem Krieg nicht
verweigern, auch wenn man diese Schillerei ablehnt. Dagegen wird niemand
zweifeln, daß Deutschland in Herrn von Unruh ein bedeutendes Talent
besitzt, wenn auch bei der Begeisterung, mit der er die Revolution
begrüßte, es schwer verständlich ist, wieso er ein Stück wie »Louis
Ferdinand«, das in der Gesinnung unklar gebaut ist und zu
nationalistischen Demonstrationen reizen mußte, und also durch eine
politische Auslegung und nicht durch seine Qualität Erfolg hatte, trotz
dieser Demonstrationen und ohne Protest gegen sie wochenlang im
»Deutschen Theater« laufen ließ.

Man kann auch sagen, Barbusse sei einer der leidenschaftlichsten und
verehrungswürdigsten Menschen, aber ein mittelmäßiger Autor, d'Annunzio
aber ein bedeutender Dichter und eine unheilvolle Erscheinung. Man hat
auf diese Weise stets den Kerl am Genick, aber seine Bedeutung sicher
deponiert und kommt nicht in jene schelmenhafte Situation, wie jener von
der Leyen, der, während er eben noch mit ritterlicher Grandezza einen
demokratischen Stier absticht, plötzlich wie ein Gassenjunge neben einer
Kapelle herzulaufen und darum begeistert zu schreien beginnt, weil sie
militärisch ist, wenn tausendmal auch an der Spitze ein miserabler
Dirigent diesen Hohenfriedberger spielen läßt.

Heiliger Mars. Wer nur jenen unterbeamtenhaften Begriff des
Vaterländischen hat, daß lediglich Generäle und Kaiser ihm Ideale
darstellen, kommt leicht in die schändliche Lage, nicht nur, wie jener
Professor, im Namen der deutschen Wissenschaft alle schlechten
Wildenbruchs loben zu müssen, sondern groteskerweise dem A das B folgen
zu lassen und die übelsten Hetzer anderer Nationen wegen ihrer ähnlichen
Überzeugung, auch wenn sie gegen die Heimat und gegen das menschliche
Gefühl gerichtet sind, preisen zu müssen. Wahrlich, das ist nicht mehr
die Pose eines Unerschütterlichen, sondern es ist die Rolle George
Dandins, der sich in einen Kirmisirrgarten verlaufen hat. Er findet
keinen Eingang und keinen Ausgang mehr, und wenn die Besitzer eines
Abends die Belustigung schließen, wird man auch seinem verzweifelten
Gebrüll nur glauben, daß man es mit einem Tollwütigen oder einem
bemitleidenswerten Irren zu tun hat.

Es ist im Grunde genau so feig, statt das Sachliche zu sagen, das
Persönliche aufzublasen, wie es ja bekanntermaßen auch ein Durchgehen
nach vorne und eines nach hinten gibt. Wer nach rückwärts durchbrennt,
bekennt sich mit einem gewissen Mut zu seiner Feigheit, aber der nach
vorn mit klappernden Rippen Galoppierende hat die Lüge selbst noch
einmal belogen. Wer die Person angreift und damit dem Werk schaden will,
begeht dieselbe amüsante Infamie wie jener seltsame Heilige namens
Schütze in Weimar, von dem der Balte Sternberg erzählt, er habe Goethe
brennenden Herzens gern angegriffen, es aber aus dem privaten Grunde
unterlassen müssen, weil es ihm in seiner Eigenschaft als Herausgeber
des jährlichen Taschenkalenders »Für Lieb' und Freundschaft« geschadet
hätte, plötzlich mit Galle statt mit süßem Speichel zu erscheinen. Der
Bund der Tartarins und der Sykophanten ist stets von denselben
verächtlichen Göttern gesegnet worden. Aber auch das Panthéon der Komik
hat sie beide lächelnd aufgenommen.

Denn die Halle des Ruhms hat sich manchem später geöffnet, den seine
Zeitgenossen in die Katakomben sandten, und der Name des Galilei und des
Sokrates ist in die Ewigkeit eingegangen, obwohl die römischen und
griechischen von der Leyens sie für religiöse und homosexuelle
Verbrecher ausschrien. Hat es dem Helvetius etwas gemacht, daß auf
Parlamentsbeschluß seine Bücher öffentlich verbrannt wurden, dem
Wieland, daß die keuschen Jünglinge des Hainbunds ihre armen Seelen an
dem Feuer seiner graziösen Bücher wärmten, dem Luther, daß man ihn wie
einen Bolschewisten jagte? Es hat ihnen das Leben verbittert, aber ihr
Werk ging daraus hervor, wie aus einem Feuer der Läuterung. Beurteilt
man Zola danach, daß er postulierte, die Republik müsse naturalistisch
oder gar nicht sein, bedenkt einer bei Courbets Bildern, daß er wegen
Umsturz der Vendômesäule im Gefängnis saß und auch als Exilierter vom
Staat die Millionen der Wiederherstellung tragen mußte und daß seine
Kollegen vom »Salon« seine Bilder nicht mehr aufhingen, weil sein Name
nicht mehr eine künstlerische Sache sei, sondern eine der Politik. Die
heiligen Perücken! Sie haben genau so gegen Voltaire und gegen Hutten
und gegen Flaubert getobt und haben nichts hervorgebracht als Exzesse
der Langeweile.

Was hat es mit dem Ruhm Viktor Hugos zu tun, daß ein Kaiser ihn
verbannte, beeinträchtigt es die Staël, daß Bonaparte sie jagte? Und ist
es nicht hochherzig, aber an seinem Werk nichts ändernd, daß Dickens
sich gegen die Sklaverei und Zola für den Dreyfuß aussprach. Verändert
es die Bücher des Bulwer, daß er mit sozialistischer Gebärde kam und als
Toryminister für die Kolonien kulminierte, hat Goethes Existenz in der
Dichtung eine Verwandlung erhalten, daß zwischen seinem Leben und seinem
Werk ein bedenklicher Hohlraum klafft. Hat man Mozarts Musik
vorgeworfen, daß er ein unsozialer Mann war, die Briefe seiner Magd
öffnete und Abscheuliches über das Los der Dienenden sagte? Hat das
Gesicht der Manzoni, Hugo, Byron, Foscolo, Lamartine andere Züge dadurch
bekommen, daß sie Oden zu Bonapartes Tode anstimmten, und hat es jene,
die es vermieden, im Urteil der Nachwelt verändert? Chapeau bas! Jeder
Leistung kann höchstens nur das Bedauern angehängt werden, daß ihr
Vollbringer vielleicht ein Schurke war. Sie kann hingegen nicht
verändert, wohl aber geehrt werden durch den besten Ruhm der humanen
Gesinnung, und daß ihr Träger in seiner Haltung ein Edelmann und ein
Freund der Menschen war.

Als Constant starb, begleitete ganz Frankreich seinen Sarg, nicht weil
er nur ein großer Schriftsteller allein, sondern weil er auch der
schönste Anwalt der Freiheit war. In der Wahl zwischen zwei gleichen
Begabungen der Zeit, deren eine gegen, eine für das Humane ist,
entscheidet nur ein Gewaltakt, da man den Zufall ablehnt. Es gibt in
diesem Fall eine höhere Moral und sie ist nicht für die Feuerstakes
eingerichtet. Schon Kant hat ähnlich »Über die Mißhelligkeit zwischen
der Moral und der Politik in Absicht auf den ewigen Frieden«
geschrieben. Hat man die Wahl zwischen einem begabten Schurken und einem
dünnen Edling, zieht man das Los für den Schurken. Man muß gerecht sein.
Geht die Fragestellung jedoch aus der Kunst heraus in das, was für die
Zeitgeschichte nützlich oder verbrecherisch, human oder unsozial ist, so
verstößt man unbedenklich den Schurken, ohne sein Talent zu verkleinern
und stellt den begabten Brauchbaren an das sichtbarste Licht. Anders
kann man nicht. Fiat iustitia, pereat mundus. Und wenn man dabei in die
Krümpe geht.

Mijnheer, jener Sidney Smith, der Enten jagte und darum keine Zeit fand,
sich mit seiner Zeit zu beschäftigen, war ein ehrlicher Bursche, aber er
verlor den Verstand, als er mit der politischen Dichtung der Deutschen
durch einen grotesken Zufall zusammenstieß und nicht vermochte, über die
Dichter hinweg sich die Zeit zu erklären.

Aber die deutschen Jahrhunderte haben nie eine bessere Deutung gefunden,
als durch jenes Blut, mit dem deutsche Poeten die Bücher ihres Schmerzes
oder ihrer Zweifel an den Himmel geschrieben haben. Sie haben diesen
Platz für ihre Plakate gewählt, weil der Himmel selbst sich nicht
herabließ, auf Deutschland selbsteigen herunterzusteigen, und in seiner
fernen Vollkommenheit der unvollendeten Sehnsucht der Gequälten der
sichtbarste und seltsamste Ort schien. Nur das Mittelalter hatte seine
Bläue eine Weile auf der Erde erblickt, als die Poeten mit ihren Höfen
vereinigt durch die Gärten ritten.

Doch schon der Hans Sachs war für und gegen seinen Kaiser, wie es gerade
kam, und die Manuel und Rosenblüt waren bürgerliche Kondottieri, Luther
war ein sozialer Reaktionär und ein religiöser Rebell in einer Figur.
Die Brant und Fischart waren gegen alles, Murner war gegen, Hans Sachs
war für Luther und Hutten stritt wie ein Engel, aber nicht für
Deutschland, sondern gegen Rom. Klopstock suchte an Stelle der
griechischen Nymphen einen teutonischen Wotanskult zu setzen und
propagierte zur Ertüchtigung der Jugend den Eislauf, während die
Stolbergs, die in ihrer Jugend Tyrannen fraßen, das Glück der Nation im
Frieden mit der katholischen Kirche machen zu können meinten. Goethe und
Schiller wußten geschickt ihr Brausen zu dämpfen, während vom »Sturm und
Drang«, ohne ihren Frieden mit den herrschenden Sitten zu machen,
Büchner ins Ausland floh, Schubart zehn Jahre in die Festung sauste,
Klinger aber in der Fremde als General verstarb. Gegen was fochten sie
alle? Gegen nichts.

Für ein Deutschland waren sie aufgestanden, ihre Glieder zu
zerschmettern, das nicht bestand, dessen Traum aber ihre besten Köpfe
immer so sehr beschäftigte, daß selbst die praktischsten Männer zu
Schwärmern wurden. Sie schwärmten sich in eine Idee hinein, in deren
paradiesisches Hafentor das Land selbst hineingelaufen wäre wie das
glückhafte Schiff der Legende, wenn es Ruder und Maste und Steuerzeug
dazu gehabt hätte. Aber es war keine Gesellschaft da, die es hätte
leiten, keine Zentrale, die es hätte führen können, es war ein Staat von
siebenundzwanzig Ameisenhaufen, ein Gewirr sich befehdender Zwerge, ein
Mosaik wie das Italien des Quattrocento, nur daß es des Glanzes und der
Höhe des Geistes entbehrte, die aus dem zerrissenen Italien eine so
ungeheure Einheit machten, daß die vielen kleinen Kreise nur seine
Eigenart nüanzierten statt sie zu sprengen. Die Deutschen aber waren in
eine hilflose Diaspora hinausgetaumelt und hatten wohl Trennungen, aber
keine Gemeinsamkeiten und wohl ein Mosaik, aber kein Weltgefühl, das
sich darin spiegelte.

So furchtbar war das Wirrwarr der Leidenschaften und Empfindungen in
Deutschland ausgewachsen, daß selbst die klügsten Männer sich zu den
Utopien flüchteten und ein Mann wie Forster, der mit Cook die Welt
umsegelt hatte, bei Beginn der französischen Revolution das Rheinland
daran schmeißen wollte, da er wahrlich an einen großen Staat der
Freiheit deshalb glaubte, weil er überhaupt etwas glauben wollte, um
nicht zu sterben vor Übelkeit und sich lieber entschloß, das Unmögliche
als gar nichts zu glauben.

Die Freiheitsfeuer des Körner und seiner Schar waren wirklich umsonst
geschichtet, wenn ihre Folge war, daß der Bundestag von
Achzehnhundertfünfunddreißig das »Junge Deutschland« in Bann tat, das
schon damals für die Republik und in der Tat ebenso glühend mit der
Feder wie die Schwertsänger mit den Säbeln für die Freiheit kämpfte. In
ihnen verdammte man wohl seine besten Söhne und machte damit keineswegs
die Lyrik der Arndt und Schenkendorf und Rückert zu besserer Literatur.
Armes Deutschland, dessen politische Dichter schließlich nicht einmal
die großen Ankündiger der Umschwünge in seiner Gesellschaft waren,
sondern nur seine flackernden Ungewißheiten, seinen mangelnden Charakter
oder seine unbestimmbaren Sehnsüchte ausdrückten. Und die auf der Flucht
vor der Leere um sich das, wofür sie kämpften, mit einer gewissen
unklaren Dämonie statt in das Gesicht ihrer Nation in den Sternbogen
schrieben.

Denn wenn sie auch gegen Papst und Tyrannen und Dummheit stritten mit
dem Mut der Löwen, so war es doch nur das dumpfe Gefühl für ein unklar
empfundenes und ihnen stets verhüllt gebliebenes Standbild der Freiheit,
das sie, ohne Nation hinter sich, weder zu erblicken noch zu gestalten
vermochten.

Ja sie waren so verblendet, daß sie, wenn Deutschland wieder einmal am
tiefsten verloren war, statt die Freiheit in ihren eigenen Herzen zu
suchen, sie in ihren Kostümen exhibierten und nach dem Wiener Kongreß
genau wie nach dem Versailler Vertrag in Deutschtümeleien und
antisemitischen Paraden jenes Heil suchten, das ihnen nur durch eine
wahrhaft innerliche Kraft zu dem echten Deutschtum kommen könnte. Sie
kämpften immer gegen, aber nie für etwas.

Selbst die Romantik, die so glühend und herrlich begonnen, war
verurteilt, mit einer Posse zu enden. Das Puppenspiel der Freiheit, das
seine Dichter spielten und in dem die Bettina und Rahel die Männer und
den Geist der Epoche durcheinanderbrachten, war verloren, als zwischen
livrierten, Silberleuchter tragenden, Lakaien Herr Schlegel als Attaché
des Metternich erschien und jener Tieck, der gegen die Hofräte sich
weidlich getummelt hatte mit dem schmerzhaften Roß seiner Phantasien, im
Rock des Hofrats den Laden schloß und als Vorleser des vierten Friedrich
Wilhelm auf das Schloß hinauf eilte, eifrig sein Buch ergriff und seine
alten Scherze wiederholte, während der König, blödes Zeug zeichnend, den
alten Dichter nach jedem Satze unterbrach, um seinen Hofdamen seine
Witze zuzurufen.

Ja sie haben dieselbe Rolle gespielt wie die Adamiten des zweiten
Jahrhunderts, die unter den Verhöhnungen der Menge nicht abließen, zur
Prüfung der Enthaltsamkeit sich nackt in den Städten zu bewegen. Aber
die Dichter haben, wenn sie sich um der Freiheit willen entblößten, nur
den Spott ihrer Landsleute über diese Verhöhnung der bestehenden Sitten
entgegengenommen und weder ihre Tugend gefördert noch die Nation
gebessert, sondern nur den Stand bei der Menge verächtlich gemacht.

Mijnheer, dieser Sidney Smith, der durch die Entenjagd verhindert war,
an der Gegenwart teilzunehmen, war ein grader Mensch und in seiner
Einfachheit ein Charakter. Er erkannte die Leistungen nicht an, aber die
Gesinnung. Er hatte etwas vor uns voraus in dieser unbedingten
Fähigkeit, das eine nicht zu sehen und das andere zu empfinden und er
vermochte die Gerechtigkeit der Beurteilung außer Acht zu lassen, aber
die Geradheit und den Charakter nur zu loben. Er hatte Recht, daß er die
Gesinnungen bevorzugte und die Visitenkarte sehen wollte. In stürmischen
Zeiten ist es wichtiger, den Gegner zu wissen und zu achten, statt sich
mit undefinierbaren Breien an die Tafel setzen zu müssen, und es gibt
Zeiten, die mehr die menschliche Konfession als das Schmalz einer
falschen Schönheit verlangen.

Der Zauber der französischen Revolution hat, mehr als Bekenntnis wie als
politische Forderung, bis tief ins vorige Jahrhundert hinein gedonnert
und es gibt eine Kunst, die weniger den Anspruch erhebt, eine Nation
auszudrücken als ihr Gewissen zu sein.

Die ganze Generation Europas während des Krieges hat sich irgendwie für
oder gegen ihn entschieden und damit irgendwie einen übernationalen und
europäischen Standpunkt eingenommen, wie er kaum vorher erreicht worden
ist. Die Lyriker und die Maler sind mit an der Spitze marschiert, und
manche Gedichte der Russen hätten in Italien, manche der Franzosen aber
in Deutschland geschrieben sein können. Lamartines »La grandeur d'âme
est à l'ordre du jour«, schien für eine gewisse Zeit ganz Europa zu
erfüllen.

Zwar flauten die Stimmen der Helden bald ab, die überall den Tyrtäus
bliesen, und die Maschinenschlacht von vier Jahren bewies manchem, daß
es schöner zu leben, als zu krepieren sei. Aber je gewaltiger die
Kanonen Europa auseinanderrissen, um so heftiger wurde die Stimme, die
auf allen Fronten sich der Zeiten erinnerte, wo die Menschen mit
friedlichen Gewohnheiten und ohne mörderische Blicke sich begegneten,
und die Dichtung Europas erlebte einen Hymnus der Kameradschaftlichkeit.

Zwar nahm unter dem Schwinden des Kriegsdrucks die Spannung ab und
mancher, der geglaubt hatte, ein großer Dichter zu sein, fand, daß er
nur ein Mensch mit Gesinnung war, aber ohne Zweifel hat die Lyrik
Deutschlands in den Sängen Werfels einen der besten Hochschwünge
erreicht. Der Schatten des großen amerikanischen Urnings Withman stand
über der Epoche, die einen großen Weltakkord anstimmte. Die Lyrik unter
Däublers weit verwuchertem Versspalier, unter Becher, der die Strophen
in einer Verzweiflung ohne Maß zu futuristischen Quadern zerbrach, unter
den Brüdern Schnack, Schickele, Wolfenstein, Rubiner, Ehrenstein,
Stadler, dem sanften Trakl, der Lasker-Schüler, Georg Heym, Weiß, Zech
und Hasenclever spiegelt die Epoche, in der sich der Mensch wie ein
Gotiker gegen den Materialwahnsinn des Mordens auflehnt, am klarsten
wieder.

Es gibt in Deutschland kein Kunstwerk, das den Krieg verherrlicht hätte,
aber eine Masse, die sich gegen ihn stellten wie die trojanischen
Fechter. Der Krieg, den die Kunst kämpfte, war nicht jener der
Kruppschen und Creusotschen Kanonen, sondern war der Krieg der
menschlichen Gesinnungen gegen die Barbarei, denn auch die Griechen
waren seinerzeit nur ausgezogen, den Bruch der menschlichen Gesetze zu
ahnden. Bleibt auch bei jeder Gesinnungskunst immer ein kleiner Verdacht
der mangelnden Größe und entpuppte sich mancher humanitäre Bramarbas oft
als kleiner Don Quichote, wenn man an die Leistung klopfte und das
humanitäre Ideal ihm ein wenig von der damit gepanzerten Herzgrube
wegschob, so ist in der Lyrik ohne Zweifel seit der Romantik
Deutschlands beste Leistung im Krieg gesungen worden.

Auch die Maler hatten die Hinterlassenschaft der Hogarth und Gavarni
aufgenommen. Das ganze neunzehnte Jahrhundert war gefüllt mit der
Proklamierung menschlicher Thesen, die man mit dem dafür erfundenen
Mittel der Lithographie an die Wände und an die Zeitungen schlug. Die
Zeiten haben sich stets auch ihre Techniken geschaffen. Der Holzschnitt
gab dem Mittelalter die Treue und die Gläubigkeit und die Überzeugung
seiner religiösen Kämpfe. Kupfer und Stahlplatte führten in die
artistischen Gärten. Die Lithos schrien nach den Pallisaden, wo sie die
Erregung der Sekunde sofort zu spiegeln bereit waren. Die Daumiers und
Delacroix und Steinles und Lautrecs haben ihr Jahrhundert attackiert,
und selbst der unpolitische Gavarni hat in dem von Politik fast
platzenden Zeitalter Louis Philippes durch seine Verspottung der
politisierenden Spießer seine politische Mission getan.

Wie hat die Graphik schon den Bonaparte gefaßt und wie haben die
Jakobiner die anrückenden Fürsten belächelt und mit welcher
Schamlosigkeit, aber welchem Mut hat man die Erotik und die
phallischsten Zeichnungen aufgerufen, um Viktor Emanuel und die
spanische Isabella und Eugénie und Napoleon unmöglich zu machen!
Félicien Rops hat, um die Größe des Königstums zu beweisen, den
vierzehnten Ludwig mit einem Riesenphallos gezeichnet, den eine Krone
schmückte.

Von diesen politisierenden Absichten und ohne jede Frivolität zog sich
die Graphik in der Zeit des Krieges zum Teil sogar auf den Holzschnitt
zurück, suchte entweder Symbole der Menschen zu schaffen oder gab ein
leidenschaftlich zerrissenes Gesicht der Gesinnung zu erkennen. In den
Blättern von Frans Masereel, der täglich in der Genfer »Feuille« gegen
den Krieg protestierte, in den Zeitschilderungen von Beckmann und
Großmann, und in den fatal das Skelett der Zeit weisenden Anklagen des
George Groß ist eine künstlerische Höhe mit der Tiefe eines
gesinnungshaften Glaubens erreicht.

Man kann sehr skeptisch sein und seine Zeit dennoch sehr vollkommen in
diesen Dingen sehen. Dem einen ist es bestimmt zwischen achtzehn und
dreißig Jahren zweiundzwanzig Frauen zu besitzen, wie Stendhals Martial,
und dem anderen ist es auferlegt, seiner Kunst und seinem Gewissen die
fletschende Gebärde einer Zeit abzuringen, deren Formung so genau mit
seinem Glauben übereinstimmt, daß man diese Epoche nur als die
Vermischung von Fegefeuer und Seligkeit zu begreifen imstande ist.

Die edelsten Figuren in dieser humanitären Welle haben mit Romain
Rolland und Henri Barbusse die Franzosen gestellt. Auch Rolland ist kein
überragender Dichter, aber ein Mensch, dessen Horizont und Gewissen so
weit sind, daß sie seine Werke tief durchdringen. Er wie Barbusse sind
Epigonen des Tolstoi, nur daß Barbusse, der den einzigen großen
Kriegsroman in seinem »Feuer« geschrieben hat, der mit der imposanten
Haltung seiner Figur jene wundervolle Plejade eines Völkerbundes der
besten Geistigen der Welt gründen wollte, seine eigene »Clarté«
zerschlug, indem er unter die Satzungen der Sowjets sich bückte und in
die Politik das hineinführte, was höchstens innerlichstes Bekenntnis
sein durfte. Die Duhamels und Chennevières, den tapferen Paul Colin an
der Spitze, die Vildracs und Balzagettes sind von ihm, der zu dem
Schwert sich entschlossen hat, nachdem er es bekämpfte, zu der milderen
Gestalt Rollands hinübergegangen, der die Reinheit der Kunst durch
keinen Gewaltgriff besudeln möchte.

Die schönste Stimme aber unter diesen seltsamen Kämpfern gegen den Krieg
hat neben René Schickele die mutige Frau, Annette Kolb, der an
dichterischer Kraft nur noch die jüdische Dichterin Else Lasker-
Schüler, an stilistischer Schönheit aber niemand zu vergleichen ist. Ihr
Buch »Zarastro« ist eine Kammermusik sehr erlesener europäischer Gefühle
und tadelloser Bekenntnisse und damenhaft distanzierter Gepflegtheit der
Worte. René Schickele hat das Blut und die Klugheit des Hirnes zu einer
grandiosen Proklamation an die Überlegenheit der Vernunft und die
Heiligkeit des Geistes gewendet, und Leonhard Frank das brutale Gespenst
seiner Sätze zur Verteidigung der Menschlichkeit gegen die Dummheit
aufgerufen. Die schärfste Sprache hat Sternheim gegen diese Epoche der
ausschweifenden Irrsinnstaten gefunden, und weder in seiner Gespitztheit
noch in Heinrich Manns Würde noch in Franks Verzweiflung oder des
Schickele heller Wärme hat der deutschen Prosa der Genius gefehlt, der
dieser Überzeugtheit und dem untadeligen Anstand nicht noch den Kranz
einer gewissen Vollkommenheit hinzugefügt hätte.

Die Epoche im Umkreis des größten europäischen Krieges hat ein weites
Leichenfeld von Dichtern, die ihn in schlechter Weise besungen oder in
edler Form getadelt haben, und von dem möglichen und wahrscheinlichen
Adel der Gesinnungen ist nichts geblieben als ein taubes Korn. Aber in
dem Konzert von Mohrentrommeln, Dudelsäcken, Mitrailleusen, Schalmeien,
Motoren, Feuerbrünsten, Sackpfeifen und Sirenen, das als Echo hinter der
Epoche aufsteigt, hat sich in diesen Dichtern ein Orchester der
Erlesenheit gehalten, das zur Kunst den Anstand und zur Höhe der Sprache
die Kraft eines Gewissens zu legen verstand.

Es haben am Rand der Zeit aber weder die Harlekine noch die tragischen
Spaßmacher gefehlt und die Leuchtfeuer des großen Weltdébacles haben
sich manchmal sogar im phosphorischen Glanz der Maden gezeigt, die in
den Kadavern ihre Orgien hielten. Die Jünglinge, die sich in Zürich
zusammentaten und sich den Namen »Dadaisten« gaben, haben, um ja nicht
irgendwie das bürgerliche Zeitalter zu berühren, sowohl die
Sentimentalitäten wie die moralischen Begriffe der seitherigen Welten
abgelehnt und sich nur für den Tanzschritt einer absoluten Zerstörung
entschlossen. Selbst zum Krieg, an dessen Begriff sich heute die
Leidenschaften der Völker am heftigsten schlagen, haben sie keine
Stellung genommen und sich begnügt, in seiner Saat an Kokotten und
Schiebern ein ebenso zynisches wie originelles Festspiel zu entfalten.

Guter Aristophanes! Soviel Zynismus war noch in keinem literarischen
Stall. Und soviele Menschen, die eine neue Fauna, das Kriegsaas, als
Schilderungsboden entdeckten, hat noch keine Gesellschaft
hervorgebracht. Sie haben ihr Programm der Zerstörung, ihre
unverständlichen Gedichte, ihre graphischen Stottereien, ihre Abende, an
denen Klaviere und Schreibmaschinen und Niggertänze um die Wette
klapperten, wohl als Scherz gemeint am Anfang, aber der Bluff wandte
sich gegen sie und verurteilte sie, als die Lärmmächer eines
Zusammenbruchs der Welt eine Zeit lang ihren disharmonischen Cancan zu
tanzen, der schon apokalyptisch vor den Wetterwolken der kommenden
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Menschheit dunkel sich
reckte.

Diese Welt ist innerlich zerplatzt, Mijnheer. Bis zu dem vierzehnten
Ludwig lief jene feudale Kraft, die Volk, Kunst, Glauben, Politik
mitriß, dann bröckelte alles ab und stößt sich von Revolte zu Revolte.
Mijnheer, die Welt ist kein Football und geht nicht von Goal zu Goal,
sondern von der Bewegtheit zum Kristall. Sie ist geplatzt und will
wieder zueinander, und alle Sänger der Freiheit haben nur die eine Idee,
sie wieder zu einigen. Das kommunistische Experiment in Rußland ist in
denkwürdiger Größe verloren gegangen. Die britische Insel, die sich sehr
früh durch ihre Glaubensrevolte konsolidierte, fühlt sich von inneren
Gespenstern bedroht wie nie. Deutschland ist wie allezeit der Nabel der
Welt, ihm ist der Bauch völlig aufgeplatzt und man beginnt ihn langsam
wieder einzunähen.

Diese lallenden Jünglinge des »Dada«, die alles zu verachten und alles
zu zerstören bereit waren und mit einem grausamen Hohn forderten, man
solle die geistigen Menschen öffentlich auf dem Potsdamer Platz speisen
und die Kirchen als Bordelle einrichten, diese dadaistischen Jünglinge,
die noch kühner waren wie die Jakobiner, welche aus den Domen nur die
Ställe ihrer Kriegspferde machten, sind nur die ersten Frissons jener
Gespenster gewesen, die sich aus einem überpolitisierten Zeitalter als
die Hyänen einer unvorstellbaren Anarchie am Weltuntergang auf uns
stürzen werden.

Sie sind eine amüsante Posse in der Art des Malers Ensor, der mit einem
hemmungslosen und narzissisch lüsternen Grauen auch die ganze Gegenwart
vernichten möchte. Aber in ihrer Leistung hat, obwohl Herr Hülsenbeck
und Serner begabte Männer sind, die Muse so wenig gewohnt wie in jenen
sowjetischen Proklamationen, mit denen die Russen eine neue Kunst
kommandieren zu können glaubten und vergaßen, daß sich die Ideen wohl
glauben und die Herzen wohl erhöhen und die Gefühle wohl steigern, aber
niemals die einen wie die anderen sich irgendwas befehlen lassen.

Über ihnen aber sind mit großem Freskostil die Bilder gemalt, die der
Däne Pontoppidan vom untergehenden bürgerlichen Zeitalter gemalt hat,
mit denen Gorki eine neue Klasse ankündigt, die der Bornholmer Nexö mit
einer fabelhaften Gewalt vom Kommen der neuen Gesellschaft prophezeiht
und die der Amerikaner Sinclair in seinen Werken anzeigt, die alle zur
Eroberung der Macht durch eine neue Gesellschaft fest entschlossen sind.
Delacroix hat die Freiheit mit der Jakobinermütze noch gezeichnet als
schönes Weib mit einer Fahne. Pennel hat in seinen graphischen Blättern
den Panamakanal und ein denkwürdiges Monument des arbeitenden Fleißes
widergespiegelt. Bei Sinclair und bei Nexö findet sich mit
paradiesischer Sicherheit bereits der von der Sklaverei befreite Mensch
der niedersten Klasse, der sich mit den herrschenden und schwer
beschädigten Klassen zu vermischen oder sie zu vernichten bereit ist.
Wissen Sie, was das heißt, Mijnheer? Tod oder neue Gesellschaft.

Man soll nicht pathetisch werden, wenn die ernstesten Dinge kommen, die
großen Szenen der Wirklichkeit spielen sich von selbst. Man sieht sich
leidlich ebensogut nüchtern um. Um Siebzehnhundertsiebzig wurde von
James Watt der Begriff der Pferdestärke geprägt, die Maschine war
erfunden, expreß fast, wie es scheinen möchte, um die Zerstörung der
seitherigen Welt zu beschleunigen und zu präzisieren. Die Eisenbahnen
waren die teuflischste Erfindung der Demokratie, und die Burgen der
Feudalzeit hingen als schlechte Witze über ihren Geleisen. Man fährt im
Flugzeug nach Amerika und in einem Tag nach Moskau, photographiert auf
tausende Kilometer, telegraphiert ohne Draht über den Erdball, hat die
Pole entdeckt und kein Geheimnis mehr auf dieser Welt.

Zu der Staël sagte ihr Vater Necker, da sie so dekolletiert sich zeige
und nichts dem Blick verweigere, möge sie wenigstens ihr Gesicht
verhüllen. Europa hat sich ausgerast und könnte nun beginnen, sich
verhüllt auf sich selbst und seine Aufgaben zu besinnen. Die Dichter,
die sich gegen es gestellt haben, sind seine besten Berater gewesen und
haben seine Idee am wahrsten behütet. Es hat sogar nicht einmal einen
einzigen deutschen Poeten der Reaktion gegeben, der von Bedeutung
gezeugt hätte und man kann wohl schließen, daß die Reaktion darum eine
Gott ungefällige und schlechte ist.

Auch die Neuauflage der Gedichte zum Krieg von Lissauer, Körner auf
Zeitungspapier und einige zwischen Weltfriedenssprüche rasch bestellte
Kriegslieder von Gerhart Hauptmann würden die Reaktion nicht mit dem
Fleisch versehen, das ihr ebenso fehlt wie der Geist. Die Republik müßte
sehen, sich zu festigen zu einer neuen Gemeinschaft oder sie muß mit
ihrer Getreuen sterben. Europa muß eine Weile sein Haupt verhüllen und
sich beruhigen und auf sich besinnen. Daß seine Dichter sich gegen ihre
Mutter gestellt haben, war diesmal keine Politik und war keine deutsche
ziellose Verzweiflung, sondern war sowohl die Besorgnis des Geliebten
wie die Vorbereitung der Zukunft. Mehr kann man nicht tun.

Der Entenjäger Sidney Smith war vielleicht ein Narr, aber er ahnte, daß
in manchen Zeiten die Menschen wichtiger sind als ihre Bücher. Das ist
eine Barbarei für den Künstler und eine Roheit für den Kultivierten.
Aber auch im Mittelalter sind die Könner manchmal in die Kutte der
Prediger gesprungen, Apollo hat wie in des Euripides »Alkestis« auf
einer so menschlichen Flöte geblasen, daß zu den Rinderherden sich die
gefleckten Luchse und die feuerfarbene Schar der Löwen im Spiel
gesellte.

Man tut das Seine und schafft seine Leistung wie man kann und keiner
wird den Könner unwürdig ehren. Aber man lebt nicht für die Kunst,
sondern für die Zukunft und man steht am Vorabend einer abscheulichen
Mörderei oder einer neuen Gesellschaft. Man muß sich entsprechend
einrichten. Denn man lebt schließlich nicht auf einer begnadeten Zeit,
sondern in manchem Sinn in einer, wenn auch geliebten, Hölle.

Mijnheer, geschichtliche Tatsachen erklären heißt nicht Partei nehmen,
sondern sich für den gesunden Gang der Dinge aussprechen. Eine alte
Zeit, der nachzujammern so dumm wie unbescheiden wäre, hat sich
vollendet. Die letzte Großherzogin von Baden war blind und fuhr viele
Jahre hindurch durch ihre Hauptstadt im Glauben, daß jedermann sie
begrüße. Es wagte niemand ihr zu sagen, daß sich die Zeit verändert habe
und sie fuhr auf ihrem schon unwahrscheinlichen Wagen grüßend und
nickend durch die Jahre und die Straßen, ohne daß die Bevölkerung sich
um sie scherte und ohne daß sie es ahnte. Es hat eine gewisse Größe, wie
diese Zeiten sich unbewußt neigten. Zur selben Zeit sandten die
französischen Regierungen Deputierte nach Afrika, die Negerstämme zum
fleißigen Verkehr der Geschlechter und zahlreichem Kindersegen
aufzufordern, um ihre Cadres für kommende Kriege und Revolutionen
aufzufüllen mit schwarzen Soldaten. Das ist Europa, Mijnheer, und
zwischen beiden Bildern schwebt mit einer gewissen unbestimmbaren
Schönheit das dritte Bild seiner neuen Konsolidierung.

Nicht jedermann, Mijnheer, ist overdressed, der besser angezogen ist wie
man selbst, und nichts ist schlimmer wie ein Hochmut, hinter dem nichts
steckt. Jedes Volk hält sich für das auserlesene und keines hat die
Demut, an seine innere Kraft statt an seine sichtbaren und äußerlichen
Symbole zu glauben und jedes steht sich damit selber und der Menschheit
im Licht. Man liebt es nicht, die Gesinnungen zu ehren, auch wenn sie
befremdend sind, sondern man läßt die Feuerstakes gewähren und hält die
Sitten der Jahrzehnte über die Seele der Nation. Ach, wenn die Nationen
sich in Riesen verwandeln würden und wie Antäus ihren Völkern zeigen
könnten, daß nur seine wahre Kraft entfalten kann, der wahrhaftig auf
seiner eigenen Erde richtig steht und nicht auf Lügen schaukelt, auf
Einbildungsregenbogen dahergeht oder in Schlummerrollen der
Bequemlichkeit schläft.

Die Riesen würden sich ein Geschlecht züchten, dessen Untergrund wohl
etwas von der Naivität hätte, mit der jener Sidney Smith die Welt
anschaute hinsichtlich ihres Charakters und ihrer Gradheit, denn ohne
Menschlichkeit gerät vielleicht ein Kunstwerk, aber keine Nation. Wo
aber keine Gesellschaft ist, wird auch die Kunst und die Könnerschaft
verdorren und es werden vielleicht die Disteln aber nicht die Dichter
wachsen.

Die Riesen werden die fauligen Menschen ins Meer schmeißen, wie Kronos
mit einem Teil seines gestürzten Vaters Uranos tat, worauf aus dem
Blutschaum sich ihm als das schönste Symbol die Aphrodite gebar. Man muß
Europa auf sich selbst bringen, sonst rast es sich tot.

Europa hat nach dem Krieg statt einundvierzig nur noch siebzehn
Monarchen, es betrübt das vielleicht den Monarchisten, aber es bedeutet
im Grunde nichts. Europa ist etwas größer wie die Hälfte von Südamerika,
von dem die Europäer fast nichts wissen und ist lange nicht die Hälfte
so groß wie der Norden Amerikas, vor dem ihm graust. Europa ist in eine
völlige wirtschaftliche Unterordnung zur neuen Welt getreten und hat
sich in siebenunddreißig Staaten geteilt. Europa muß viel Hochmut haben,
um seine Situation nicht zu verkennen und sehr viel Bescheidenheit, um
klar zu erkennen, wo es steht und wohin es fährt.

Es fährt mit einem Schiff, in dem die Steuermänner und die Kapitäne und
die Matrosen dreißig Sprachen sprechen, wo alle bewaffnet sind und wo
neben den Gewittern die Hungersnot und das Elend und der Haß die einen
gegen die anderen voll mörderischer Gedanken gemacht haben. Viel anders
sah es auch nicht aus auf dem Schiff des Kolumbus, allein seine Leute
vermochten dennoch die Neue Welt zu entdecken. Sie führten unter anderem
den abgeschlagenen Kopf eines Heiligen als Reliquie bei sich.

Ich entsinne mich, Mijnheer, hierbei eines Marmors im »Luxembourg«, den
ein Künstler jenem Dichter widmete, der zur Tröstung einer schönen
Mitgefangenen im Kerker einunddreißigjährig eines der drei großen
Gedichte der französischen Sprache schrieb, eh' die Bergpartei der
Schreiber ihn guillotinierte. Er nannte es »die Muse André Chéniers«.
Eine junge Frau, mit unberührten Brüsten und der zärtlichsten Wollust
der Schenkel drückt mit der Innigkeit unbrechbarer Zuneigung den
abgeschlagenen Kopf des Dichters an ihre Brust und ihren Mund.

Ach, hätte das Schiff Europas das gleiche Wahrzeichen wie jener Kolumbus
bei sich und vermöchte der Geist so stark zu werden in ihm, daß es die
Liebe seiner verstoßenen Söhne so begriffe, daß es sie ebenso zärtlich
grüßte wie die Muse den Kopf des Chénier. Denn im Augenblick der
Berührung erhält der marmorne Kopf des Dichters neues Leben und seine
Muse trinkt sein Blut.

Mijnheer, das Parabolische ist nicht der Genre eines holländischen
Gentleman, ich verwirre mich in Bilder und Erinnerungen und ich habe
einen Augenblick geträumt mit der Kühnheit eines Kindes. Kehren wir aus
dichterischen Träumen in die Zahlen unseres mathematischen Zeitalters
zurück. In diesem Kursbuch stehen die Tageszeiten aller Kontinente und
ihre Tabellen zum Gebrauch der Börse. Noch, Mijnheer, kann man, fährt
man von New-York nach Europa, täglich seine Uhr um dreiviertel Stunden
vorrücken. Verstehen Sie mich, obwohl ich schon halb schlafe?

Möge nicht die Zeit kommen, wo man sie zurückstellt in seinem Herzen!



Die siebente Nacht


In der Tat, Mijnheer, Siebenzehnhundertsiebzig hat James Watt den
Begriff der Pferdestärken geprägt. Achtzehnhunderteins stellte der
Amerikaner Oliver Evans die erste richtige Hochdruckmaschine her.
Achtzehnhundertachtundzwanzig lief durch den wackeren Mann George
Stephenson auf der Stockton-Darlington-Bahn der erste Personenwagenzug.
Achtzehnhundertdreiundvierzig baut Morse die erste große
Telegraphenlinie von Washington nach Baltimore.

Dreizehn Jahre später zieht sich das erste submarine Kabel durch den
Hafen Portsmouths und dreiundvierzig darauf ist die Erde mit
siebenhunderteinunddreißig Kabeln verbunden. Neun Jahre nach der
Startung des deutschen Kaiserreichs läßt Siemens & Halske die erste
elektrische Bahn laufen und im Jahr darauf beginnen die amerikanischen
Hauptstädte sich telephonisch zu verbinden und die Welt damit in einen
Zaubergarten zu verändern.

Mittlerweile geschieht der Aufbruch der Menschheit aus der Innigkeit des
Mittelalters, wo die Seelenfähigkeit sich nach innen stellte, in die
leidenschaftliche Neugier des wissenschaftlichen Abenteuers.
Achtzehnhundertsechsunddreißig ließ Green den ersten Ballon mit
Leuchtgas steigen, fünfundsechzig Jahre später hat man Höhen von über
zehntausend Metern mit Sauerstoffmasken erreicht, hat Apparate, um
einige tausend Meter unter dem Meer arbeiten zu können.

Die englischen Alpenklubisten überschwemmen die Schweiz. Ein Dutzend
Männer hat als Lebensaufgabe die Ersteigung von Bergen,
auf die heute Zahnradbahnen führen. Mr. Wimpher gelang es
Achtzehnhundertfünfundsechzig unter tödlichem Verlust seiner halben
Expedition, das Matterhorn zu ersteigen. Vier Tage darauf folgten ihm
Italiener von ihrer Seite. Livingstone, Emin Pascha, Stanley, Baker,
Gessi, Hedin erforschen Afrika, Asien. Man entdeckt die Pole.
Achtzehnhundertsechzig stellt Lenoir den ersten schüchternen Motor her.
Fünfzig Jahre später laufen Autostraßen durch die Wüste, Motorboote
durch die exotischsten Seen. Im selben Jahr photographierte man noch
Latham, wenn er von Paris zehn Kilometer zur Jagd flog, als Fabel-Helden
in allen europäischen Gazetten. Blériot überspannte sodann mit seinem
Äroplan, Heros einer neuen Mythe, den Kanal. Zehn Jahre darauf fährt man
im Flugzeug mit zwei Unterbrechungen von Portugal nach Chile. Die Erde
ist organisiert, sie hat keine Wunder mehr, statt dem Geheimnisvollen
ist das Exakte in das Dasein getreten und statt der Frömmigkeit das
Tempo, statt dem Glauben die Wissenschaft.

O gute alte Zeit! Selbst in ihrer Tragödie stak doch noch Intimität!

In Tegnérs Frithjofssaga wird den Gefangenen noch der Blutaar geritzt,
ein Adler in den Rücken geschnitten und das Rückgrat von den Rippen
gelöst. Cicero wird in einer Sänfte von Männern nach Bajä getragen.
Sechzehnhundert gab man Mäuse zu speisen gegen Zahnschmerzen. Bonapartes
Adjutant ward von Wölfen gefressen. Béranger, Balzac und Pückler mußten
Stecknadeln in ihre Kerzen stecken, um jedem bei ihrem Gespräch damit
die Rededauer einzuteilen. Goethe sandte Wieland für den »Oberon« nicht
eine Depesche, sondern einen Lorbeerkranz und Gleim schickte einen Korb
Kiebitzeier . . . . . .

Mijnheer, zwar besaßen die Ägypter und die Hellenen auch bereits Bahnen
und Schienengeleise. Auch von Paris nach Lille telegraphierte man mit
Zeichensignalen über eine Stafette von zweihundertfünfundzwanzig
Kilometern in zwei Minuten, war aber bei Sturm, Nebel und Nacht noch
verloren.

Man hatte aber die Elemente noch nicht gefangen und noch nicht das wilde
Sausen über seinen eigenen Nacken gesetzt, mit dem sie ausbrachen und
uns zu den Schelmen und Sklaven unserer eignen Kühnheit machten. Wir
leben in einer wahrlich anderen Welt, und zwischen den stampfenden
Maschinen Citroëns wäre eine neue schwäbische Dichterschule genau so
scherzhaft wie ein vegetarianischer Wanderprediger auf der Sturmflutmole
von Swinemünde.

Es bleiben zwar die Seelen und die Qualitäten der Menschen dieselben,
aber in ihren Formen sind sie zwillingshaft jeweils an ihre Epoche
geschmiedet. Graf Leopardi, der aus Angst vor der Cholera starb und
vorher Italiens schwermutvollste Gedichte schrieb, im Flugzeug der
Futuristen sitzend, wäre schon das Bild eines Fieberwahnes, und Freya
hätte, als sie, vom Zeitbaum Ygdrasil aus, den Ödur suchend, goldene
Tränen vergoß, in keinem anderen Raum als dem der Mythen es vermocht.
Die Zeit rollt mit allen ihren Hebeln und Kräften ihre Repräsentanten an
die Rampe und es ist nicht die Schuld und nicht das Verdienst ihrer
Helden, wenn sie mit dem Weltdonner von Ragnarök in die Götterdämmerung
fahren oder im Zuckblitz der Scheinwerfer und zweihundert PS die
Ewigkeit suchen. Auch die Vehikel der Dichtung sind nur von dem
Sturmschritt der Erde mitgerissene Schatten, und die behäbige Karosse
Jean Pauls hat sich zu elektrisch zuckenden schlanken Rennwagen
ausgewachsen.

Man hat nur die eine Freiheit, damit zu fahren oder aber das Roß am
Schwanz aufzuzäumen und im Krebsschritt gegen diese Entwicklung zu
reiten. Sich dem entziehen, hat man die Freiheit nicht.

Das hat, für die Schwerhörigen gesagt, nichts mit der Größe der Leistung
und dem genialen Ritt einer Epoche oder ihrem Zusammenbruch zu tun,
sondern bestimmt nur ihre Musik, erklärt nicht ihr Herz, aber ihr
Gesicht, deutet nicht ihre Macht, aber ihre Muskulatur.

Mit Zola waren die Fabriken aufgeschossen, mit Eduard Keyserling war der
letzte Rest des adeligen Feudalismus gestorben, mit Manets und Renoirs
Fülle hatte der Raumbegriff der seitherigen Welt sich durchbrochen und
mit den chauvinistischen Italienern um Boccioni und Carrà war er in die
Luft gespritzt worden und kaputt. Zwischen den Giganten von Maschinen,
über den Leichen der Götter und den Donnern der Funksprüche, der
Autorennen, im Netz der Bahnen, durch das Sirenentuten der Dampfer, der
Flieger, im feurigen Zickzack der Geräusche und Kriege und dämonischer
Vehikel mußte ein Geschlecht groß werden, das seine Zeit zum mindesten
schilderte, das sie vielleicht verwarf oder ihr unterlag, das aber ihr
Tempo trug. In der Ballung, in der Dichte und in der Schnelligkeit der
seelischen Entwicklung lag der Ausdruck der Literatur um die Zeit, wo
die Maschinen zum ersten Male einen Krieg endgültig bestimmten. Das ist
ein Leitsatz, der nicht aufzuheben ist.

Der militärfrohe Lahmfuß und Baronet Walther Scott sagt in der
Einleitung zu seinem schönen Buch »Waverley«, seine Helden würden nicht
Eisen auf dem Haupt wie früher und auch nicht an den Absätzen wie zu
seiner bürgerlichen Zeit tragen und seine Weiber kämen wohl kaum in
Purpur und Talaren wie Lady Alice in alten Balladen und auch nicht
halbnackt wie die preziösen Bürgerinnen seines Jahrhunderts, sondern man
werde mit Staunen bemerken, daß es sich nicht um Sitten sondern um
Menschen handle. Scott war ein schlechter Geschäftsmann und ein genialer
Dummkopf, denn er gab als Sohn seiner Epoche natürlich genau so die
Sitten wie die Menschen.

Erst als die Kreuzundquerschnitte der elektrischen Gewitter, die
feindlich gegen unsere Jahrhundertwende aufzogen, mit Säbelblitzen die
Beschaulichkeit von den Nationen trennten und die Sitten von den
Menschen schieden, als die Tempi der Schicksale niederfielen wie die
Taktschläge der Motore und in dem unbeschreiblichen Pêle-mêle von
stürzenden Gesellschaftsschichten bald kein Untergrund, sondern auch im
Leben der Nationen nur noch Bewegungen zu sehen waren, erst dann geschah
es, daß neben den Gerippen der Äroplane und Tauchboote auch die Skelette
der Seele sichtbar wurden.

Ach, die Dichtung begann, nachdem sie wie der größte Vagabund unter
ihren Verbreitern, nachdem sie wie der famose Villon von Bett zu Bett
geworfen und heimatlos geworden war, nicht mehr mit den Kostümen der
Zeit durch die Gärten der Poesie zu gehen, trug nicht mehr das Kostüm
der byzantinischen Königinnen, nicht mehr die Spitzmütze bourbonischer
Frauen, nicht mehr den Turban der troubadourgeliebten Falconiere, nicht
mehr den Charme der Byronschen Geliebten, nicht mehr die Trauer der den
gefallenen Puschkin beklagenden Freundin, nein, sie zog wie ein
telegraphischer Aufruf durch die Dämmerung Europas.

Sie war besitzlos geworden in Europa, das nicht mehr auf der reichen
Empore von Ständen und Königen stand, sondern sich in Schrecken wälzte,
und sie zog sich von den Kostümen auf das Unverlierbare zurück, indem
sie den Menschen allein, aber mit allen Mitteln der Zeit sich formte.
Das Bild dieses Zeitgenossen bestimmten große klare Linien: Ballung,
Dichte und Tempo.

Nur die Schwachköpfe staunten und wußten keine Erklärung, als die
kulturloseste Zeit zu gleichen Symbolen kam wie die von Reichtum alles
Ausdrucks übersättigten, und daß Archipenkos Menschen dieselbe
Allgemeingültigkeit hatten wie die schöne Nofrit des Jahres
Zweitausendachthundert der vierten ägyptischen Dynastie vor unserer
Zeitrechnung. Die Zeiten, wo alles von der Anwesenheit der Götter bebte
und diejenigen, wo sie völlig ausgezogen scheinen, haben die gleiche
Unerbittlichkeit des Zustands ausgeübt.

Und während die einen aus der Überfülle des Reichtums sich die stärksten
Sinnbilder schufen, indem sie alles außer dem Einfachsten ausschieden,
haben die anderen durch die Kraft ihrer Verzweiflung sich aus dem Nichts
dieselben einfachen Sinnbilder geschaffen. Die tiefe Ruhe und der Schrei
begegnen sich, und die Seele, die aus der Üppigkeit sich zum Einfachen
hin unter unendlicher Mühe kristallisiert hatte, fand ihre Schwester,
die völlig nackt und ähnlich erlesen von der Seite der besten Armut kam.

Das ist eine Gleichung, deren Schönheit zu bezweifeln, deren Gültigkeit
aber nicht anzugreifen ist.

Mijnheer, Sie wissen, daß diese Entwicklung in Taten umgesetzt zu haben
das Werk einiger befähigter Künstler in Europa war und daß man die
Schulen, die sich darum schlossen, und alle Mißverständnisse, die die
Öffentlichkeit darum bildete, »Expressionismus« nennt. Es ist so albern
wie wahr, daß dieses Wort eine Unsumme von einzelnen Koterien wiederum
umschließt und daß wie in allen revolutionären Epochen die
ursprünglichen Armeen sich bald in Condottierihaufen teilten.

Manche davon haben den sanften Anblick des Fleisches ganz verlassen und
sind sektiererhaft auf Formeln und in die Gesellschaft abstrakter
Gespenster abgewandert, indem sie sich wie dogmatische Gelehrte je nach
der parabolischen Form, ob nämlich aus Punkten, Ellipsen, Quadraten oder
Dreiecken sich das Gefüge ihres Weltbildes zusammensetzte, nach Art der
Fakirorden: Kubisten, Pointellisten, Konstruktionisten nannten.

Diesen Jakobinern der Kunst erging es wie allen Sklavenaufständen, die
sich weiter vorwagten, als es ihnen das Gesetz ihrer Armut zuschrieb.
Sie kamen aus dem Bereich der Kunst in das qualvolle Gebiet der Ideen
und wurden dort, weil sie zwischen beidem schwankten, zermalmt und
zerhauen wie die Bauernhorden des Thomas Münzer. Sie waren wie alle
Jakobiner der Gefahr erlegen, daß sie zu weit von dem Erreichbaren
ausgerutscht waren und mit Ausnahme schöner Grenzfälle wie dem des
anmutigen Malers Klee und des bedeutenden Picasso in eine Fata Morgana
nach links hineingestürzt waren.

Diese Teiltruppen des Expressionismus hatten nicht begriffen, daß sie
der Glücksfall, mit gar keiner Gesellschaft hinter sich ihre Werke bauen
zu dürfen, verpflichtete, in Erinnerungen der besten Zeit der Nationen
glänzende Neuigkeiten aufzubauen, statt zu zerstören. Sie hätten sich
heftig an das Fleisch der Zeit drängen müssen, statt es zu Schemen zu
zersetzen. Denn die glatte und vereinfachte Schönheit der ägyptischen
Nofrit war der erlesenste Ausdruck einer untadligen Zeit, die aus ihrer
beispiellosen Fülle sich ein Sinnbild der Dürftigkeit wählen konnte, das
ihr jedoch nie ins Nichts entgleiten, sondern, von einem ungeheuren
Gesellschaftsgefühl maschenhaft gehalten, nur immer glänzender an
Reichtum steigen konnte.

Aber die Nacktheit unserer maschinellen Epoche, ohne Gesellschaft hinter
sich, war nicht das kühne Symbol der Üppigkeit, sondern das schimmernde
der Armut, und war jeden Moment in Gefahr, in die Tiefe zurückzustürzen,
aus der es stieg. Man kann heute daher nur arbeiten mit Verantwortung
und für die Zukunft, aber nicht für die Eitelkeit und nicht für Quatsch
und Theorie.

Es ist wahr, daß diese Flucht ins Gegenstandlose eines Teils, und zwar
des schwach begabten Teils der neuen Schulen, die Liebhaber der
Muskulatur kränkte und jene ermutigte, die gern das Feldgeschrei
anzuheben bereit waren, auch diese Richtung sei wie tausend andere
nichts gewesen.

Ich habe in der »Doppelköpfigen Nymphe« von Sternheim bis Heinrich Mann,
von Döblin bis Schickele, Benn bis Kaiser, Frank bis Wedekind, Däubler
bis Werfel die begabten und schöpferigen Dichter geschildert, die diese
Epoche in Deutschland gestempelt haben. Ihre Wirkungen sind
unverlierbar, hinter Wenzig, Karlweis, V. C. Habicht, Lichnowsky,
Kesser, Heinrich Eduard Jakob, Kamnitzer sind die Nachfolger Legion,
ihre Werte mag mein Nachfolger in hundert Jahren bei einer hoffentlich
für ihn sympathischeren Gelegenheit als einer umstürmten und
zugeschneiten Schneekuppe ziehen.

Vielleicht wird dieser Nachfolger zwischen einem angenehmen Frühling
sitzen und ein Boccaccisches Zeitalter schon wieder um sich haben, wo
die Dichter bukolisch auf den Pfeifen blasen und mit galanten Damen
nicht nur unter gewagten Gesprächen die klügsten Sachen sagen, sondern
auch mit der Heiterkeit einer gefestigten Zeit zwischendurch in klaren
Bächen baden, schön speisen und das Ungemach des Schicksals mit der
Harmonie ihres Säkulums und nicht ohne Genuß überwinden. Vielleicht
werden sie die Anmut ihrer Flüsse und ihrer Weiber dazu benutzen, Witze
über uns zu machen und wenig kühne Beiwörter unseren Namen hinzufügen,
aber vielleicht wird die Schönheit und der Friede ihres Frühlings sie zu
gerechtem Preisen über unsere Tapferkeit ermuntern. Es kann uns gleich
sein, Mijnheer, aber wer sein Leben genießt, wünscht auch den Nachfahren
die saftigsten Dinge. Mögen sie leben, es ist auf die Dauer noch nie ein
Urteil nicht gefallen, wie es gefällt werden müßte.

Vielleicht werden zur Herrschaft gekommene Sklaven uns auf ihre neue
Lebenstafel kreiden, wenn die anderen uns verwerfen. Aber die Sklaven
der Dummheit und der Böswilligkeit wird man heute wie morgen an den
Pilori binden müssen. Man hat nunmehr eine gewisse Größe unter der Hand
mit den neuen Schulen in Europa wachsen sehen, aber auch die Stimme der
Tadler (wie die der Lobenden) nur mit Mißtrauen vernommen. Denn die
einen suchten gewöhnlich mit den neuen Helden, die anderen gegen sie
ihre Karriere zu machen. Der Bau aber steht.

Man hört nun im fünften Jahr nach Wedekinds Tod und zehn Jahre, nachdem
man sich an die Tempis und das Ballen machte, nur noch die Kläffer.
Faute de mieux on couche avec sa femme: Ich muß mich nach den Feinden
des in die Manneshöhe gewachsenen Expressionismus umsehn.

Man darf sich dem Anblick dieser artigen menschlichen Komödie nicht
entziehen und man wird mit Vergnügen sehen, daß die Don Quichotes wieder
aufgestanden sind mit der Klugheit Sancho Pansas, die ewigen Windmühlen
zu erstechen. Man wird eine sachliche Diskussion erwarten, aber man wird
das Schlachtfeld privater Angelegenheiten und menschlicher Eitelkeit
erblicken. Daß der Expressionismus entstand, war eine elementare
Notwendigkeit. Die tapfern Barden aber, die nun sein »Ende« ausschreien,
kommen aus einer verdächtigen Gesellschaft und sind nichts als die
Nutznießer einer Nervenermüdung des Publikums. Wenn die Leute eine bunte
Sache eine Zeitlang sahen, sehnten sie sich immer nach einer neuen,
gleichgültig, ob dies ein Bild, ein Meer, eine Frau oder eine Heimat
war. Dies Stück Verräterei ist eine der bezauberndsten Kontrollen im Auf
und Ab der Zeit und ihrer Werte.

Der einfache Mensch denkt immer richtig. Er geht nach seinem Gefühl. Die
Sache langweilt ihn. Man kann es ihm nicht übel nehmen. »Ende des
Expressionismus«: er gähnt. Er ist bedeutend einfacher und anständiger
als die Grübler, die neoklassisch schwärmen. Meine Angorakatze, mein
russischer Riesenschnauzer wissen, um Gottes willen, ebenfalls Bescheid,
daß, nachdem die Feldlager geflackert haben, auch in der Literatur die
Nymphen zu schweben beginnen.

Die Zeitgenossen ertragen stets nur eine gewisse Durchdringung an
Aufklärung, an Sensation, an Broschüren, an Ausstellungen eines neuen
Stils. Selbst guter Mokka, der doch anderen Anspruch auf Qualität macht
als durchgängiges Publikum, erlaubt nur einer bestimmten Dosis Zucker
seine Vermischung. Nachdem man seit zehn Jahren von dem sehr klugen
Kritiker Wilhelm Hausenstein bis in die Provinzmuseen nichts getan als
aufgeklärt hat, ist es nicht erstaunlich, daß das Publikum genug davon
hat. Als Hausenstein einer Mappe des Malers Seewald, in der Leute übers
Seil liefen, das hymnische Vorwort schrieb und Däubler auf den Flügeln
des »Neuen Standpunkts« aufklärend Deutschland durchschnob und der
Kritiker der»Frankfurter Zeitung«, Bernhard Diebold, in Kornfelds
»Verführung« noch die Melodie des neuen Jahrhunderts bebend verspürte,
da war ein eckiger Seiltanz und ein Drama aus lyrischen Grammophonen
auch am Kurfürstendamm noch neue Mode. Als aber Lunaparke in diesem Stil
entstanden, Jungfrauen ihn zu tanzen feurig übernahmen, Filme ihn aufs
Plakat, Revolutionäre auf die Fahne schrieben, Jünglinge sich in Poemen
die Zähne daran brachen, Kaffeehäuser seine scheußlichen mißverstandenen
Ornamente an die Wände klebten, und selbst ein Eiskünstler in einem
Kristallpalast seine Kurven fuhr, hatte man genug; mit Recht.

Sehr amüsanterweise sah man als die ersten Deserteure die liebenswerten
Ajaxe abschwenken, die sich wohl bei Beginn so sehr in Atem geredet
hatten vor Begeisterung, daß es ihnen auf die Galle geschlagen war. Als
keine Mauer ohne Plakat, keine Entdeckung mehr zum Anpreisen zu machen
war, als selbst die literarischen Ahnen und die malerischen Vorläufer
und alle in Betracht und Zusammenhang zu bringenden exotischen Kulturen
abgegrast waren, gingen sie rasch von dem Enthusiasmus zur Skepsis über.

Herr Hausenstein vor allem, der ein vorzüglicher Kopf ist, flüchtete
vorwärts zu noch nicht erstandenen Nazarenern und rückwärts in die Arme
seines mit Impressionisten in allen Taschen bepackten kritischen
Kollegen Meier-Gräfe, ohne allerdings verhindern zu können, daß sein
fruchtsaftiger Stil immer abstrakter und dürrer wurde, je mehr er vom
Expressionismus abwich, und daß, als er dem Drachen die Lanze ins Maul
zu stechen begann, sein Stil und ihr Stiel zu einem fast
unerforschlichen dünnen und wahrlich expressionistischen Spinngewebe
geworden war. Führwahr, die Bauern haben recht, wenn sie meinen, man
vermöge die Natur selbst in den gröbsten Dingen nicht mit Heugabeln
auszutreiben, sie kehre vielmehr auch dann zurück. Aber in den
raffinierlichsten Dingen scheint sie sich sogar gegen diejenigen, welche
gegen sie arbeiten, mit einem unverkennbaren Hohn zu wenden.

Die anderen Anreißer aber konnten nicht genug Eile finden, ihm zu folgen
und den Ruhm des Ritters Georg mit dem der Winkelriede rasch zu
vertauschen. Sie hatten nicht, die Courage, auch während der
Ermüdungsbaisse bei der Sache zu bleiben, was ja jederzeit möglich ist,
auch wenn man die Träger der Sache verschieden beurteilt und wenn man
die Gefahren klar übersieht, sondern sie machten sich nach neuen
Entdeckungen aus und blamierten sich bis über die Ohren.

Sie ahnten allesamt nicht die tief gebundenen Zusammenhänge zwischen
Nation und Kunst und dachten nicht daran, daß die Zeit Heroen oder
Bastarde auswirft, je nachdem ihr zumute ist und je nachdem sie sich
erfüllt oder vernichtet. Sie dachten vielmehr, sie seien der Mittelpunkt
der Schöpfung und man gehe auf Kunstfang wie wenn man Trüffeln suche.
Ach, die Suche nach diesen zarten Gewächsen ist jeweils eine besondere
Begabung der gerüsselten Tiere gewesen und, wenn die Entdeckungsfahrten
mißlangen, so waren die Funde nicht echt oder die Sucher hatten sich in
die Kategorie der Riecher mit Fälsche eingereiht. Da der Teufel, wenn er
Heilige fangen will, Heilige an den Angelhaken tut, war es ihren
bestürzten Gesichtern gern zu verzeihen, daß, als sie Giganten zu fangen
wähnten, die die Zukunft mit klassischem Nazarenismus erfüllen sollten,
sie nur gerupfte Spatzen apportierten.

Sie trafen sich mit den Rutenträgern einer anderen menschlich würdigen
Genossenschaft. Die jungen und älteren Leute, die bei der vergangenen
zehnjährigen Revolte der Kunst keine Karriere gemacht hatten, die selbst
die von allem anderen abziehende Möglichkeit des Krieges nicht auf sich
zu lenken in der Lage waren, die von allen guten jüdischen Familien
verlassenen Leute glaubten fälschlich den Tag ihrer Inthronisierung nun
gekommen.

Die sogenannten »Stillen im Lande«, denen ihre Unfähigkeit so schonend
etikettiert war, rissen die Binden ab und begaben sich in die Schlacht.
Einäugige der Kunst, sogar Lepröse, aber auch talargeschmückte Mumien
nahten aus ihren Särgen. Die Armen machten den gleichen Fehler wie die
politischen Reaktionäre, die an ihre taprigen Methoden und nicht an ihre
Weltanschauung glauben. Kommt eine ruhige Epoche, kommt sie nicht mit
einem ausgestopften Eichendorff, aber auch sicher nicht mit Paul Ernst
in Brille, Trikot und Löwenfell, den Zweihänder in der zittrigen Hand.
Was nicht bewegt war, wird nicht ruhig werden. Die verblaßten Statuen
von vor dem Sturm werden trotz ihrer klassischen Nasen in die Büsche
geworfen, denn auch im Konservativen hat die Natur soviel feuriges
Schöpfertum, um einem klaren und alten Inhalt neue Formen aufzuziehen.

Diese Elegiker ihres Verkanntseins trafen auf eine noch viel peinlichere
Gesellschaft, als sie, auf Indianer angemalt, Herrn »Wachse, werde,
weile« balbulierend und vor seiner eigenen Langeweile schon asthmatisch
an der Spitze (o glücklicher Entenjäger Smith!) in einen harmlosen
Sonntag hineinliefen. Alle Unproduktiven, die zeitig zur Kritik
übergelaufen waren und, um die Mode nicht zu verfehlen, als Zwinglis und
Dietrichs der neuen Sache gestritten, entdeckten plötzlich den Neid auf
ihre erfolgreichen Kameraden und begannen in dem Augenblick zu lachen,
wo der Pendel der Zeit die zwölfte Stunde zu schlagen schien. Man kann,
wie ein gewisser Sinzheimer in München, miserable Romane geschrieben und
mit unfähigster Hand ein Theater zur Pleite dirigiert haben, aber man
wird in Deutschland erst dann die schöne Masse Ressentiments gesammelt
haben, um aus dem Neid auf die Erfolgreichen einen Kritiker von »Format«
vorstellen zu können.

Diese Armen fühlen sogar in ihrer Unangreifbarkeit gar nicht, daß sie
sehr arm sind und daß sie in ihrer Heldenmaskerade sich in eine
Hundehütte zurückzogen. Man kann die Menschen nicht ändern; es sei
verstattet, daß sie einem leid tun. Man wird mit fünfzig Jahren ein
Album der Zeitgenossen anlegen, die »verehrter Meister« einem schrieben
und, wenn man sie nicht genügend (oder zu sehr) beachtete, mit
Gummiknütteln bei schicklicher Gelegenheit einem in den Rücken fielen --
und nicht veröffentlichen. Es wird nichts mehr von ihnen da sein. Was
die Gerüchte und das Geraun und den Betriebskurs macht, sind immer die
Schmuser. In der Historie wird das weicher Leim.

Gestärkt wird eine solche Legion durch die beruflichen Totengräber,
deren schandbarer Beruf sie verpflichtet, stets graubärtig zu sein.
Durch sie kam die gesprenkelte Mischung in die neue Partei, die so groß
ward, daß sie für jede Ansicht Raum hatte. Es waren dies die Alten, die
»es schon immer gesagt hatten«, die ohne Prüfung, Befähigung und
Vermögen, weil sie ihnen nicht paßte, die ganze Richtung abgelehnt, zehn
Jahre lang gegen Noldes Negerköpfe gezetert hatten und nun recht
behielten, als die Panegyriker der neuen Bewegung plötzlich mit
Pharisäerblicken ihnen in die Arme sanken. Denn schließlich ist Kunst
heute für die Tausende, die nicht schaffend um sie schmarotzen, ein Witz
oder ein Geschäft, nicht mehr. Ein Schachspiel, mit dessen Figuren man
sich mit elegant angespannten Nerven beschäftigt, bis es gongt, um sich
zu Musik, Lunch oder Frauen zu begeben. Dann streicht man mit breitem
Arm die vollendeten Figuren vom Tisch herab.

Man hat mich stets für einen Experten des Stils als solchen gehalten,
aber ich habe, als die »erstklassischen Schreiber«, die nie den Blick
über den Horizont behalten, sich in Kornfeld und Franz Marc und Hartung
wälzten, mich gegen den Stil und für den persönlichen Ausdruck erklärt
und mir, als ich ganz an den Anfängen (und wahrlich unbefangen an Kunst
herankommend) die lächerliche und impotent machende Gefahr der
Typisierung aufdeckte, die Meute von links zu der von rechts zugezogen.

Als aber Herr Stahl vom »Tageblatt« vor einem Jahr las, daß ich dasselbe
wie vor Jahren äußerte, glaubte er, meine Desertion feststellen zu
müssen. Der bärtige Herr irrt. Ich hatte vor nichts zu desertieren, da
ich auf nichts derartig Kindisches festgelegt war, und ich wahrte nur
meinen Standpunkt energischer, indem ich ihn von dem der Kindsköpfe
schied. Man klärt eine Sache besser, indem man sie gutwillig trennt, als
indem man sie böswillig und fälschend und voll Unfehlbarkeit von außen
her verwirrt.

Dies ist ein Zipfel gelüftet hinter dem, was »Ende des Expressionismus«
schreit. Dies ist (nebenbei) deutsche Literaturgeschichte.

Doch man vergaß die kleinhirnigen Würger, die, seit die Deutschen sich
nach ihrer ersten Revolte zur Politik befähigt hielten, mit der
Kriegsflagge unterm Arm und in festgeknöpftem Gehrock in die Kunst
eindrangen. Die Politik ward selten mit solchem Eifer der Amateure und
gleicher Unbegabtheit ihrer Hyänen über die Grenzen ihres Territoriums
getragen. Man wird ihnen die Ehre antun, die diesen Geschöpfen gebührt,
und an ihnen vorübergehen. Die Ehre, mit der sie prunken, wird ihnen
sauer im Mund werden mit der Zeit und wird eines Tags wie ein fauler
Zahn ihnen herausfallen. Es ist nicht unsere Ehre und nicht die eines
Gentleman, die wir anerkennen und die schon Cicero in seinem Buch über
die Pflichten in dem Manne schildert: der innere Manieren hat, zwischen
weibisch und roh die rechte Haltung besitzt, schamhaft und kühn ist und
in dessen Geschlecht es Sitte ist, daß Vater und Sohn zwar nicht
miteinander baden, aber miteinander zu sterben wissen.

An dem taktischen Aufmarschplan der Parteien ist nicht viel mehr zu
schildern. Es ist eine amüsante und durchaus menschliche Brüderschaft,
die anrückt. Schon die Vorposten sind verdächtig laut, aber erst der
Anblick der Generäle macht die Angelegenheit hübsch suspekt. So sind
alle Kriege geführt worden: damit mag man sich trösten.

Im Grunde ist das ganze Spektakel ein Spiel auf der Vorderbühne, und es
wird gehörig gemogelt. Die ganze »Krise der Kunst« ist: _die Sache ist
langweilig geworden_. Auch der Weltkrieg, der doch Bezwingenderes an
Sensation zu bitten hatte, zog am Ende nicht mehr. Man kann es den
Leuten nicht verübeln. Es gibt, auf die Dauer, heute nach einem
unerhörten Krieg unterhaltsamere Sachen als die Kunst und Rebusse, was
ihre verzwickten Formen bedeuten. Es gibt Reisen und Autos wieder und
Dollarhaussen und mit dem Flugzeug über die sturmdonnernde Ostsee, man
hat im März Meran, im Herbst ist Iffezheim wieder im Start, und es ist
nicht weit vom Gardasee. Die Länder schnaufen vor Arbeitsamkeit, und
Speisen in vollendeter Fülle werden angefahren. Die Erde wird wieder
voll. Ach, wer mit Kunst heute auch nur eine Viertelstunde die
Aufmerksamkeit der Welt anzuhalten wagte! Ein Narr oder ein Verbrecher!

Hat dies ganze Getriebe überhaupt mit Kunst zu tun? Es ist ein Fressen
für Shaw und wäre ein Braten gewesen für Swift. Mit Kunst? Nicht die
Spur.

Als die Überraschungserbsen nicht mehr knallten, war das »Junge
Deutschland«, war die französische Romantik, war der Impressionismus
rasch »tot«. Man hatte das Frühstück verdaut und wandte sich dem Diner
zu. Die Zeitspatzen haben immer geurteilt, eine Sache sei nichts, weil
sie genug davon hatten. Und die provinziellen Schreiber, die einen Stil
zehn Jahre erbittert bekämpft hatten, waren alle einmal in der grotesken
Situation, ihn nicht mehr bekämpfen zu müssen, »da er sich überlebt
habe«. Sie gingen von der Wut zum Mitleid, ohne Übergang, wie alle
Heuchler.

Die Stimmungen lösen sich ab, wir sind ein wenig in der Baisse: Das ist
alles. Wer wagt, zu sagen, daß die Generationen vor uns besser waren als
wir? Die Zeit ist die einzige grausame Richterin, sie geht rundherum und
beklopft. Daß ein Stil, eine Gemeinsamkeit tot sei, das zu sagen, ist so
dumm wie falsch, weil es die einzelnen Kräfte mit einem Typ erschlagen
will. Daß ein ins Absurde getriebenes Ornament scheußlich, eine gewisse
Manier der Regie erschlaffend, eine stets wiederkehrende Verzerrung der
Statuen erbärmlich ist, beweist nicht, daß ein Romanwerk gewaltig, ein
Torso erschütternd, ein Gemälde voll schönem Liebreiz in späteren
Generationen empfunden wird.

Als die Damen der Bourgeoisie mit Sonnenschirmen auf Ingres' Bilder
rannten, taten sie das gleiche feige Unrecht wie da, als sie, von seiner
Süße gelangweilt, die Achseln zuckten und zu des Van Gogh Briefen sich
verzückten. Die Waffen der Zeit, des Schlagworts, der Mode (im Lob und
im Verwerfen) gehen wie Laub. Letzten Endes ist nichts von dem
Vielerörterten mehr da. Man kann das Album der Vielzuvielen, der
Schmöcke, der Feiglinge, der auf Hecht kachierten Schleie im
Literaturgewässer nach fünfzig Jahren nicht mehr veröffentlichen. Die
gute Sache ist immer lautlos. Und die umstrittene Fassade fällt von
selbst; sie war nie wichtig.

Hat es Bang, hat es dem unvergleichlichen Eduard Keyserling geschadet,
daß der Impressionismus ihrer Zeit mit Klöppel und Stickrahmen und mit
Schraffiertechnik im Gähnen versank? Hat nicht der spitzbäuchige Victor
Hugo hinter Goethe als größter Dichter seines Jahrhunderts geglänzt,
trotzdem ganz Frankreich über die romantizistischen Späße bald lachte
und selbst Musset nach ein paar Jahren schon als ironischer Lächler ins
andere Lager ging? Hat Manet, der wahrlich ein Programm formulierte, hat
Zola, der wie kaum ein anderer ein System nach Knopf und Ring führte,
darunter gelitten, daß eine Schule um sie war, die Bankerott machte vor
der Sensationslust der Masse wie jede gute Sache? Hat Matisse Schaden
gelitten, daß man seine Techniken verhöhnte? Flaubert sprach man die
Lebenskraft samt der realistischen Schule ab, Büchner und Grabbe warfen
sie, als sie genug Revolte hatten, ins Eisen.

Es gibt keinen leichtfertigeren Ausdruck als »überlebt«, keine gemeinere
Verwechslung als die von Geschmack und Werk. Auch die Zeitgenossen des
Velasquez fanden eines Tages diese Steife zum Kotzen, und von
Botticellis Schule tropfte es gähnende Bitternis. Der menschlichen Natur
entzieht sich gemeinhin der feurige Mittelpunkt einer Bewegung. Und da
die Menschen blind sind, glauben sie den äußeren Anzeichen, daß die
Haupttiere dieser Bewegung nach Art der Echinodermen wie die See-Igel
durch Kalkabsonderung sich nach außen versteinten.

Wie leben aber, selbst den Einäugigen zum Trotz, noch die
Hauptlebendigen jener anderen Schulen, die diese selben Schreier schon
vor der expressionistischen Bewegung dreimal ans Kreuz geschlagen,
siebenmal verlacht und zehnmal vergessen zu haben vorgaben!

Sie haben bei dem Namen Hofmannsthal heute schon vergessen, daß er
seinerzeit ein sehr öliges Programm von misanthroper Schnauzbärtigkeit
vorstellte und haben bei Liebermanns Namen heute nur Mühe, sich zu
besinnen, daß auch das einmal eine wüste Schule war.

Die Persönlichkeiten tauchen aus dem Bad der Bewegungen heraus mit der
Kraft der ewig steigenden Fontänen, aber die Bewegungen der Kunst sind
deshalb nicht ohne Sinn. Denn die Schulen sammeln und organisieren die
Kräfte und versuchen das Weltbild in der ganzen Breite zu spiegeln, sie
greifen an und erzeugen den Gegenangriff und damit auch eine Tat.

Seit die Romantik den letzten wehmütigen Gruß nach dem Mittelalter
sandte und hinter ihr statt der Saurier schon die Armeen der Maschinen
anfuhren, haben zwei Schulen sich um diesen Übergang gruppiert: Den
Ruhm, während die Elektrizitäten den Erdball einkreisten und umtobten,
mit einem wundervollen Glanz die alten Überlieferungen restlos aufgelöst
zu haben, hat Renoir und seine impressionistische Schule mit
unsterblicher Leuchtkraft sich erobert. Dagegen hat die Kongregation um
den heiligen Stefan George den Ehrgeiz offenbart, sich um die neu
heraufkommende Zeit nicht gekümmert zu haben.

Das Spiegelbild ihr zu schaffen, haben die Expressionisten dann als
dritte Schule erst vermocht. Die Zeitgenossen aber steigern nur nach
modern, moderner und dem Superlativ dieses Affenwortes, und während sie
den letzten Gipfel schon schmähen, haben sie die Zusammenhänge schon
vergessen und grüßen die ersten wieder als gute Bekannte. Sie begrüßen
immer wieder aus der durch George aus dem Frankreich Baudelaires,
Mallarmés und Hérédias eingeführten symbolistischen Schule Herrn
Hofmannsthals opalisierende Prosa, Herrn Stucken, der Mexikos Untergang
in Gobelinmustern bannte, Herrn Gundolf, der als Geschichtsschreiber des
Schreibtums unter Anrufung des heiligen Namens seines Meisters auf dem
eitlen Periodenbau seiner Sätze seiltanzt, den Baron Taube mit dem
wehmütigen Lächeln über den Untergang seiner aristokratischen
Rassegefühle und Stefan Zweig, der Erstaunliches an Haltung in seinen
Geschichten und Nachschilderungen gab.

Sie goutieren gerne heute noch ebenso aus der Gefolgschaft des
Zerstücklers Renoir und Monet und Manet den Liebermann, Corinth und
Slevogt, den Bang und Jakobsen und Keyserling und Pontoppidan. Ja, in
Deutschland, das keine Gesellschaft und daher keine »public characters«
besitzt, ist der Ruhm des aus der greulichen deutschen Naturalistenzunft
kommenden Hauptmann sogar größer als irgendeines anderen modernen
Meisters, ist bei dem Mangel offizieller Berühmtheiten Liebermann
bekannter als Kokoschka, ist Georg Kaiser minder einflußreich als
irgendein Verneuil mit seinen Possen, ist Kellermann berühmter als
Döblin, hat Hofmannsthal eine weitere Wirkung wie Schickele und ist
Sudermann viel zelebrer als Sternheim.

Es scheint infolgedessen vielleicht fast so, als hätten die Schulen sich
vermischt, aber das ist eine leidige Täuschung, man lebt nur
nebeneinander und nicht sukzessiv. Selbst für die Kritiker in hundert
Jahren wird es nicht ohne Mühe sein, anerkennen zu sollen, daß in
dreißig Jahren drei große Schulen hintereinander tobten. Sie werden die
personellen Preise wohl nach ihren Fähigkeiten zu urteilen und ihren
Liebhabereien austeilen, aber sie werden in der Betrachtung der Schulen
einiges nicht übersehen können.

Sie werden nicht vermeiden können, mit leichten Witzen zu konstatieren,
wie die Älteren sich von den Neuen befruchteten, wie die Überlebenden
der früheren Schulen an den Kelchen der neuen Jünger nicht
vorübergingen, und wie der Schwung manches »Bardala« nicht aus dem Mund
geflogen wäre, hätte der Barde nicht aufmerksam auf die »Internationale«
gelauscht. Sie werden dickbäuchige Schelme erwischen, die mit
Jakobinermützen ausgingen, ihr symbolistisches und etwas ranzig
gewordenes Erkennungswort »erlaucht« mit dem Worte »rasend«
umzutauschen. Sie werden über manchen Wicht sich die Kränke lachen, der
sogar die fehlenden Artikel zu stehlen ins expressionistische Lager
geschlichen war und nicht bemerkte, daß er keine Fahne, sondern nur eine
Unartigkeit des Dichters Sternheim klaute.

Sie werden junge Helden und ergraute Männer beobachten, wie sie
mit ihren schönen weichen Waden von Wassermann bis zu den
Bauernromanschreibern in das Stahlbad der neuen Techniken hineinwateten
und, neu beflügelt, mit strammen Muskeln das neue Tempo in ihre Bücher
hineinschießen ließen. Sie machten es mit demselben ehrgeizigen Trick
wie die Chinesen, die Europas Erfindungen in ihren Lehrbüchern für China
einige Jahrhunderte vordatieren, und erscheinen nach der Verjüngungskur
wie seit Ewigkeit überexpressionistisch gesettled: »Haben wir auch schon
gekonnt.« Diese Diebe!

Die Kritiker in hundert Jahren, die in ihrem Beruf nichts zu lachen
haben, werden jedoch nicht vergessen zu sagen, daß die Impressionisten
im wesentlichen teils schön wie Renoir, teils tollwütig wie van Gogh den
achtzehnhundertfünfzig Jahren vorher das Grab schaufelten und daß die
Georgianer, als die Autos mit Fabriken und elektrischen Hochspannungen
in ihren »symbolistischen Armen« erschienen, schmollend wie Kinder im
Herzen, aber mit allen schlechten Parfüms einer greulichen Würde
gesalbt, erklärten: diese Zeit sei ein Irrtum, zum mindesten sei sie
nicht wichtig, unter allen Umständen aber verwerflich.

Die Kritiker, die es vielleicht gerne tun, werden dann abschließend
bemerken, daß die expressionistische Schule weiß Gott zum ersten Male
wieder ihr verfluchtes Zeitalter mit Ja und Nein, aber verdammt
entschlossen, mit eiserner Konsequenz gespiegelt hat.

Es gibt drei Arten, seiner Heimat zu dienen. Erstens, indem man sie
lobt, um andere zu verkleinern. Das ist armselig und Gott nicht
wohlgefällig. Zweitens, indem man sie tadelt, um sie anzufeuern. Das ist
mühselig und undankbar, aber eine prächtige Aufgabe. Drittens, indem man
sie aus ihrem engen Gesichtskreis hinaushebt und, statt in ihrem
nationalen Hader ersaufen, an der Brust der Welt zusammen mit den
anderen Völkern trinken läßt. Das ist ein utopischer, aber der einzig
praktische Gesichtspunkt. Man wird ihn erst einsehen, wenn Europa sich
so die Rippen aufgerissen hat, daß erst der Sterbenden die Vision davon
klar wird.

Die Nationalisten Europas benehmen sich wie die Kritiker, die
Shakespeare vorwarfen, daß seine Römer mit Hüten gingen, seine Schiffe
in Böhmen strandeten und seine Helden zu trojanischer Zeit den
Aristoteles zitierten. Sie sahen auf die Lächerlichkeiten und bemerkten
nicht den Bau des Leibes und die Schönheit ihrer Glieder und übersahen,
daß sie, wie Jupiter das Kind der Semele in seinem Schenkel eingenäht
barg, den Genius für die Welt in sich trage. In wessen Muskelsträhne
aber glüht das noch verborgene Herz, um heimlich zu reifen, und mit der
Führerschaft eines Gottes den Völkern einen Weg zu weisen, der sie aus
ihren Trivialitäten in ein helleres Freiheitsleben führe?

Die Expressionisten haben immerhin dahinaus zu gedeutet und die Richtung
einer ganzen Generation angegeben, während die Georgianer in ihren
Höhlen mit anmutig gepuderten Fingern ihre Silben zählten. Sie haben
sich mit ihrem Jahrhundert und seiner Sehnsucht gereckt, da ihnen nun
einmal schon nicht beschieden war, ihre Nation in die Höhe zu führen.
Sie haben daher ihre Epoche mit allen Furiosos geballt und sich ihr
wieder entgegengestellt, indem sie die Sehnsucht nach der Größe und nach
Europa mit hineinnahmen. Bliebe nichts, wäre das allein ein nicht
entreißbarer Gewinn. Denn ohne Hingabe und ohne Ziel wird nichts. Zu
Möllenbeck an der Elbe nur steht eine Holzfigur, die anzeigt, daß eine
Frau ihrem gräflichen Gatten in seiner Abwesenheit neun Kinder geboren.

O deutsche Tartüfferie, an die Wunder zu glauben, die niemals kommen und
die den blauäugigen Treuen noch nie erschienen sind. O deutsche
Schwermut, die am falschen Orte jeweils traurig verneint und zu früh
verurteilt und die ablehnt, was ihren Sinn voll Helligkeit und ihr
Gesicht mit Größe gerne schmücken möchte. O deutsches Schicksal, das
glaubt, auch geknebelt und geschunden noch die anderen Völker besiegen
zu müssen, statt als Vorbild neuer Tugend ihnen hilfreich
entgegenzukommen, auch wenn die anderen vor Mißtrauen heulen. Europa
wird durch gegenseitige Zuneigung sein oder es wird nicht sein.

Der Rittmeister de Boussanelle erzählt in seinen »Observations
militaires« von seinem zahnlosen Gaul, dem im Siebenjährigen Krieg die
anderen Pferde das Fressen vorkauten. Die Pferde Europas haben alle zur
Hälfte die Gebisse verloren und sind eines ohne das andere kaputt. Sie
sind eines ohne das andere verloren, wenn sie sich nicht helfen, statt
sich die Schädel einzuschlagen, und sie sind taub wie alte Türken, wenn
sie aus dem Furor ihrer neuesten Schule nicht die Marseillaise einer
großen Sehnsucht hören, die ihnen den Weg weist.

Dieser Marsch ist kein blaßsüchtiges Friedensgewinsel und nicht auf der
schlechten Assiette der verschrobenen Träumer geblasen, sondern ist der
hellste Claironklang nach allgemeiner Übereinkunft, eine Kriegsmusik der
Notwendigkeit, ein Orchester der funkelnden Vernunft. Und als Dirigent
eine Freiheitsgöttin mit starker Anmut und herrlichem Verstand.

Was bleibt jenseits all dieses Geschreis?

Eine Generation. Und dann? Das Ende.

Sterben?

Das tun wir alle. Aber nicht im Sinn jener Heuchler, die jeden Tod
vorzeitig ausschreien, um sich wenigstens einmal, wenn auch als Maden,
günstig zu präsentieren, sondern im Zeichen jener Jünglinge Kleobis und
Biton, denen ihre Mutter von Here das größte Glück erbat, und welche die
Göttin darauf, weil sie demütig und kühn ihr menschliches Werk
vollbracht hatten, als größte Ehrung neben dem Genius mit der gelöschten
Fackel in die bessere Heimat rief.

In der Tat, Mijnheer, Siebenzehnhundertsiebenzig hat James Watt den
Begriff der Pferdestärken aufgestellt. Das folgende Jahrhundert hat mit
den Maschinen die Welt umgepflügt. Fünfundzwanzighundert Jahre vor dem
größten Krieg Europas hat die Geschichte dieser beiden Jünglinge Solon
dem lydischen Krösus erzählt. Aber die Menschen haben noch nicht
gelernt, zur Zeit und mit der richtigen Haltung zu sterben, geschweige
denn zu leben. Sie umtanzen Europa im Kriegskleid mit Skalps und
Kampfgeschrei wie die Indianer ihre am Marterpfahl aufgehängten Opfer
und lieben in ihr die Beute statt die Göttin.

Ach selbst die Aasgeier werden komisch, wenn sie verliebt sind und den
Foxtrott der Eitelkeit vor ihren Weibchen tanzen, die Ibisse machen
wilde Verbeugungen und die Pelikane kreischen lärmend und wackelnd auf
einem Bein im Kreis herum. Der beste Cavaliere servente der Menschheit
ist immer die Dummheit gewesen. Man kann sich vor dem Schlafengehen
damit trösten, daß sie, wenn sie nicht verbrecherisch wird, von
teuflischer Komik sein kann. Man kann sich damit trösten, wenn man genug
Humor hat.



Die achte Nacht


Die achte Nacht, Mijnheer. Der Mond hat sich hochgebracht, es wird eine
kurze Nacht sein. Das Zastler Loch leuchtet silbern mit seinen Lawinen.
Das Herzogenhorn biegt sich wie ein Skalpell in die metallne Nachtluft.
Der Mond hat den ganzen weiten Kessel nach der Grafenmatte voll Licht
gefacht. Es riecht nach Frühling, Mijnheer, das Leuchten schwimmt gleich
Wolken immer dichter über die Fichten des Zeicher-Bergs. Die Sturmböen
sind zerbrochen. Man wird die Sonne bald steigen sehen über den
Krähenscharen. Der Schnee kommt morgen zum Stehen. Das Tief fließt nach
Süden und überschwemmt den Po, überflutet Sizilien. Das Hoch kommt zu
uns von Norden voll Fahrt mit blau gebogenem Segel.

Die Wächte zittern schon violett gespenstisch unter dem Umsturz der
Atmosphäre. Das Filigran der plötzlich entschleierten Buchen, die
Palmwedel der Edeltannen, die zarten Kronen der Weiden deuten den
Telegraphenstangen nach, die mit weißen Feuerkränzen umspielt nach der
Ebene laufen. Schon wittern die Tiere, daß in der Luft etwas zerbrach,
die Pferde stampfen unruhig mit glänzendem Fell, haferprall und nervös
vor Kraft, die Kühe brüllen die ganze Nacht, obwohl die Ställe noch
unter den Riesenflügeln der Schneewehen schlafen. Der Schneepflug wird
durch den Wald in das Tal hinunterstampfen, die Schlitten werden folgen,
bis der Frühling sich ihnen entgegenbäumt.

Am achten Tag, Mijnheer, schuf Gott die Wiederholung, er repetierte
seine Lektion der Schöpfung, und die Erde lief zum zweiten Male durch
seine Hand. Da sie seine Idee trug, war gesorgt, daß sie in jeder Spule
neu blieb. Was tot hinfiel, blieb tot und diente dem Neuen. Was sich
halten konnte, blieb am Leben, es war für Langeweile kein Platz. Die
Tiere schufen sich neue Gewohnheiten in den wechselnden Klimen, starben
mit der Eiszeit, wuchsen heroisch in das tropische Zeitalter, bequemten
sich in die kleinliche Mittagszeit der Erde, und veränderten nicht ihre
Natur und die Tradition ihrer zoologischen Klasse.

Träumte ein Tiger, war es von Antilopen, träumte ein Schwein, war es von
Trebern. Ach, nur die Haustiere der deutschen Literatur haben es fertig
gebracht, einen erhabenen Traum zu träumen, denn sie träumen von
Gottfried Keller, obwohl der Betreffende schon lange im Schweizerischen
verstorben ist. Sie träumen nicht wie die interessanteren Rassen ihrer
Zeittiere von barocken Jagdrevieren und mörderisch schönen
mittelalterlichen Bissen, sie träumen nicht den Traum, den alle guten
deutschen Raubtiere immer träumten, die Haustiere der deutschen
Literatur schlingen den »Grünen Heinrich« immer wieder durch die Zähne
und halten es für verdienstvoll, daß sie einen besonders deutschen Traum
damit träumen.

Sie sind hochmütig wie alle ungefährdeten Geschöpfe, weil sie einen
besonders deutschen Traum zwischen den Zähnen haben, und halten sich für
überlegene Geschöpfe, weil an ihren großen Stall die Raubtiere nicht
herankönnen. Sie wissen nichts von der Welt, sie ahnen nichts von der
Geschichte, sie zittern nicht vorm Umbruch der Historie, sie sind von
ihrer Tiefe und Mission so heftig überzeugt, daß sie nicht merken, wie
sie den oftmals wiedergekäuten Klee fast schon wie Häcksel kauen. Sie
ehren lediglich von früh bis spät ihren Meister, sie haben ihn überall
bei sich, auf der Zunge, im Magen, im Bett und im Gemuh. Sie ehren ihn
so grenzenlos wie die Japaner ihre Toten.

Aber sie wissen nicht, daß sie einen Gestorbenen anbeten, einen
erledigten Traum träumen und einen verdorbenen Klee wiederkäuen. Ach, es
gibt keinen abscheulicheren Geruch als den von verdorbenen Blumen und
versauerten Idealen.

Ach, nun wurde gemuht und gebrüllt und getrampelt und mit dem
friedlichen und sanften Samstag-Abendglockengeläute eine Diktatur nicht
der Macht, wohl aber ein Terror der Gefühle erregt, der bald alle
Hausbesitzer mit ergriff, die sich nicht bedroht fühlten durch diesen
Aufstand der Haustiere, da er in temperiertem Sinn und mit bürgerlicher
Empörung entstand. Die Hausbesitzer fürchteten nicht diese Tyrtäen des
Gemuhes und zitterten mit vor Vergnügen, wenn die Tiere, die
Gefühlstiefen ihres Meisters wiederkäuend, grollend gegen alle neuen
Melodien knirschten. Es gibt ein Savoir vivre nämlich der Haustiere, das
bestimmte, der deutsche Roman habe breit und klein ausgemalt zu sein,
habe langsam und voll Gemüt sich zu entfalten, bedürfe der Schnelligkeit
nicht als einer Erfindung des Teufels und kreise am besten um die guten
Bürgerstuben und nahe dem Schicksal nur mit dem Grausen der Religion.

Ach, wie war man erbittert und wie schwoll das nächtliche Wiederkäuen
vor Erregung, als bald jene, bald diese von anderen Dingen träumten
draußen und der Schall davon hereinkam, wie konnte Heinrich Mann besser
sein als Ricarda Huch, wie konnte ein gewisser -- Schickele? -- wagen,
mit Berufung auf Gottfried von Straßburg zu zeigen, ein deutscher Roman
sei kühn und schlank. Ein Bursche, frech wie Dreck, gewisser Sternheim,
bemühte sich, die Ideale der Ställe durch seinen rassenfremden Kakao zu
ziehen. Die würtembergischen Haustiere bekamen Kolik fast an ihrem
Grünen Heinrich und die bayrischen, an ihren besonders robusten
Diphthongen kenntlich, obwohl sie schwarz-weiß gefleckt waren, bekamen
rote Adern in die großen Opalaugen, da sich eine festere Opposition für
ihren erhabenen Traum nicht schickte. Sie wußten nicht, daß die
gesellschaftlichen Revolutionäre, die sie in den Expressionisten
witterten, gar nicht ein feudaler Klub zu ihrer Abwürgung waren, sondern
daß diese neuen Tierrassen sich untereinander kaum kannten, sich nicht
schätzten oder haßten, und daß die Natur nur eine Notwendigkeit vollzog,
indem sie soviel verschiedenartige Kreaturen zwang, in einer Richtung
ihre Fährte und in einer besonderen gleichen Elastizität ihre
Schwungkraft zu nehmen.

Die Expressionisten träumten lediglich die Träume, die alle Tiger und
alle Stiere geträumt hatten, nämlich das Kühne und das zweckmäßig ihrer
Natur Entsprechendste zu erreichen. Sie träumten denselben Traum wie ihn
von Caesar bis Stendhal alle jene Menschen auch träumten, deren Typus
sich in der Entwicklung ihrer Freiheit so sehr den erlesenen Tierrassen
angenähert hat, daß jedes dieser Menschengesichter einem Tiergesicht
gleicht. Sie bewegten sich mit ihrem temperamentvollen Traum so heftig
in den der Haustiere hinein, daß über ihren Spektakel eine der badischen
Kühe sicher an ihrem Keller erstickt wäre, wenn er nicht ein Traum,
sondern ein reales Futter gewesen wäre.

Aber sie hielten in ihren Ställen, obwohl die ganze Tierwelt lachte,
daran fest, daß die schlanken und feurigen Vorstellungen des Teufels
Exzesse, aber die Orgien der Langeweile des Himmels schöne Segnungen
seien. Sie hielten wiederkäuend daran fest und es roch nicht gut nach
verblichenen Idealen, wenn sie das bedachten.

Am achten Tag der deutschen Literatur erschienen tatsächlich immer
wieder deutsche Dichter in den alten Kostümen mit dem Vermerk, sie gäben
auf ihr Leben nichts, auf ihren Anzug alles. Die prächtigsten Leute
standen da und hielten wie einen Konfirmationskranz ihren Traum fest in
der Hand. Vor so viel Hartnäckigkeit erbleichten selbst die Theosophen
und verwandten in Herrn Steffen dieses Zurückerinnern an eine
Vergangenheit für ihre Zwecke und schlangen in der gleichen Aufmachung
ihre Erinnerungen an siebenundachtzig vorhergelebte Leben durch den
Jahrhundertschlauch geschlossenen Auges, tränenden Mundes in die Brust.

Am Rhein lediglich, neben den Dampfern und kleinen Segelbooten zwischen
Emmerich und Koblenz, gab es einen frischen Schuß Rebensaft und
niederdeutsche Herbe dazu und wurde überzeugend bei dem wundervollen
Schmidtbonn, rührend manchmal bei Eulenbergs pokulierender Schwärmerei.
Hesse gab dazu den Anstand künstlerischer Gesinnung und brachte es über
die innige Klarheit von Kindererinnerungen schon an das Russische heran.
In Wilhelm Schäfer bog sich's vor männlicher Kraft und böser
Unzufriedenheit über den mangelnden Applaus der Zeit. Der
großbürgerliche Hans Sachs entstand in Thomas Mann, der in
bieneneifriger Putzarbeit alle Ideale einer schon verblaßten Zeit noch
einmal sammelte in einer Sprache von wahrhaft dekadenter Würde.

Paul Ernst und Wilhelm von Scholz schossen einige Spritzer Renaissance
hinein, und es war anmutig zu erblicken, wie scheinbar blutüberströmt
der Traum nun in Paul Ernsts Borghese-Kiefern hing, und als er ihn
herausgab, war's wieder nur gekauter Klee. Wilhelm von Scholz umgab
seinen Kopf mit Weihrauch, die mystischen Epochen schienen auf den
Bergen zu glühen, allein den Traum umwölkte nur ein Kohlenbecken, es war
so sehr Winter in den Ställen geworden, daß man sogar den Traum zu
heizen begann.

Im Augenblick, wo der Expressionistentod von allen Interessierten
ausgetubat ward, wollte man auf diese Hüter des klassischen Troges
zurückgreifen, aber das Malheur war auch dem Blinden deutlich und man
fing eine Razzia an nach neuen Träumern. Ach, es hatte niemand gekalbt
und man war in Verlegenheit, weil schon ein langweiliger Jüngling
vorausgeschickt und in die Toga gesprungen war und für die lammfromm
gewordenen Simplizissimusleute eine Literaturgeschichte »auf klassisch«
geschrieben hatte. Die Fallen waren aufgestellt, die Mäuse fehlten.

Zum Glück beendete Albrecht Schäffer seine Kriegsgedichte homerischer
Form und gab ein paar Bücher Prosa, man hatte den Papst. Die Parfüms
stimmten zur weichlichen Haltung. Das Buch »Montfort« erlaubte sogar die
romantische Abschweifung zu E. T. A. Hoffmann, die Linie von Keller über
Baudelaire und die Romantik zum überklassischen Keller ward in die
Stallwand eingeritzt.

Als der Jüngling zum Turnier erschien, hielt er Flacons in der Hand,
hatte keine dramatische Lanze, sondern den lyrischen Tonfall der
Kastraten, ein Mischling zwischen Dorian Grey und Pierrot erschien auf
einem Pferd, dessen Mähne gemalt, dessen Schweif eingesetzt war, dessen
Trab eine graue Demaskierung der Langeweile wurde und dessen Reiter, als
ihm der Küraß abfiel, mit seidenem Pyjama bekleidet nach seinem
Bademeister schrie. Ach, der Papst war verloren, die Schlacht vorbei,
der Überwinder nur ein fesches Gerippe. Es wurde stiller in den Ställen,
obwohl das Kauen nicht nachließ, man wartete auf bessere Zeiten, nur
Paul Ernst, der plötzlich blau und weiß gefleckt war, zerriß die Kette,
sprang brüllend hinaus und gab mit Getöse vor, ein Stier zu sein,
während es offensichtlich war, daß davon nicht die Rede sein konnte.

Es zeigte sich immer mehr, daß der Traum härter war als Eisen, stärker
als die Lächerlichkeit und mit jener Tarnkappe versehen, die nicht zu
dekouvrieren ist. Er scheint wie der ewige Jude ein ewiges Alter
erreichen zu wollen und nicht aussterben zu können wie der Gyrodactylus
elegans, der an den Kiefern der Karpfen schmarotzt, ein Junges im Bauch
hat, das bei der Geburt sofort ebenfalls gebiert usw. Gäbe es nicht eine
geheimnisvolle Gegenwirkung, müßte die Welt bald lediglich aus
Gyrodactylen und Kellerträumen bestehen. Sie würden sich in die Erde
teilen, wahrscheinlich mit Erfolg und ohne Endkampf. In San Antonio in
Texas ist ja bereits eine Ehe zwischen Katze und Klapperschlange
beobachtet worden.

Südlicher an der Donau war man homöopathischer in der Ernährung und
schob zwischen den Klee noch Psychologie, Rokoko und Geschnaas in den
Rachen. Es wurde ein graziöser und wahrlich österreichischer Traum. Es
ward ein Traum aus dem Wiener dritten Bezirk und aus dem Cottage, man
trabte mit ihm durch den Prater, man lehrte ihn lachen, sogar das Gemuh
ward ein zartes Gewieher, man stand nicht bös und wiederkäuend in den
Ställen, da hingen in den Spiegelsälen Erzherzoginnen, die Bilder der
Maria Theresia, des männertollen Prinzen Eugen, der langnasigen
Habsburger.

Da spiegelte sich plötzlich bei Schnitzler, Hofmannsthal, Beer-Hofmann
das Land, der Staat, die Gesellschaft, die gerade in ihrem besten Charme
zwischen den Maschinen erwachte, als es schon aus war. Wassermann hat
ihnen ein großes Fresko geschrieben, Stefan Zweig ihre Müdigkeit
melancholisch belächelt, Salten, Auernheimer, Zifferer haben ihre
eleganten Scherze aufgeschrieben, ja bis zur Operette hat mit Geist und
Anmut Herr Lipschitz sie getrieben, auch die Unterhaltungsbücher bekamen
manchmal dichterisches Arom. Selbst Soykas Kriminalromane deuteten mit
Wehmut die Präzision der neuen Zeit in ein wehmütiges Finale.

Hofmannsthal dunkelte den Weltschmerz Mussets in die tiefträumerische
Eleganz eines sterbenden Volkes. Schnitzler hat das Lachen auf dem
Operationstisch seziert, Altenberg den Clown dazu gespielt. Den Shimmy
pfeifend, Walzer taktierend ging der Traum in Wien zur Guillotine.
Selbst im Sterbelächeln war Blut in seinem Gesicht, war Anmut, die
verkörperte und repräsentierte in jeder Bewegung. Es war nicht das
Kostüm mehr, nicht die schlechte Laune Unzufriedener, nicht der kindisch
festgehaltene Kranz in der Hand. Es war das Ende eines Volkes, es war
die trüb und erlesen und köstlich gewordene Erinnerung einer Nation aus
den Jahrhundertfalten herauf. Hier stand Gesellschaft noch einmal mit
aller Würde auf und verging.

Wer Bienen züchtet, weiß, daß die Kreuzung von Königinnen italienischer
Abkunft mit Hummeln aus Zypern Bienen ohne Stachel ergibt. Schon in Wien
hatte der Traum die Schleife an dem spitzigen hebräischen Intellekt
vorbeigemacht, obwohl fast alle, die sein Gesicht füllten, Juden waren,
in Prag kam er in die seltsamste Mischerei. Bebend vor Intellekt,
schöpferisch wieder von slawischer Durchdringung, dunkel von deutscher
Schwere, so ward er bei den Tschechen balkanisch aufgezäumt. Das
Jüdische verlor seine Schärfe, das Slawische gab den Akzent, das
Deutsche nahm das Resultat auf seine breiten Schultern.

Das war nicht mehr Gemuh, das war nicht mehr das Gesicht eines Volkes,
das war der Gonfaloniere eines geistigen Kreuzwegs, ja fast der
nationale Ausdruck einer internationalen Horde von Gehirnlern und
Literaten, mit viel Anmut, mit bestechender Klugheit, teils am Jordan,
teils in Zürich, vielleicht auch in Saloniki zu Hause. Mit der einen
Hand bei Keller, mit der anderen bei Dostojewski. Von Meyrinck über Pick
und Brod zu Kafka gab es eine Verschärfung, der Stachel fehlte zwar,
aber die Verdichtung kam nach dem Expressionistischen hin. Der zärtlich
und unirdisch denkende Melchior Vischer trat, deutsch schreibend, als
Wortverdichter neben den blinden Oskar Baum. Bei Ernst Weiß, der zuerst
die Wiener Weise weicher geträumt hatte, erreichte ihr Roman eine
verzweifelt starke Aufbäumung, bei Werfel ihre Prosa schon legendären
Gesang. Ach, man war hier weit von den großen Ställen, die Haustiere
waren im Süden von anderer Facon, Freudsche Theorien, Analysen
vorgelebter Nerven, Mythisches vom Euphrat und Medizinisches spukten
durch den Traum. Er hatte sein Gesicht, auch seine Breite, auch manchmal
sein Tempo behalten, aber man kaute ihn nicht wieder, man durchsprengte
ihn mit Klugheit, mit asiatischer Grazie, mit ungewöhnlich neuen
Turnieren reizte man ihn zu Gangarten, die er nicht kannte.

Es war eine abscheuliche Bastarderei, aber sie hatte Rasse. Mit dieser
Kreuzung band der Traum sich endlich auch an Rußland. Schon der Alemanne
Hesse hatte dahin gedeutet, als die Kriegsschatten über seine
bewundernswerten Idyllen fielen. Sogar die Mondänen kamen unter das
Kreuz dieser Richtung. In Bruno Franks schwächlichen Erzählungen
schreien manchmal die Brüder Karamasoff, in Leonhard Franks gewaltigen
Büchern gegen die Kriege flammt Dostojewskische Inbrunst sich zu
zerstören. Der immer dichterische Kornfeld hat manchmal den Schatten
Tschechows im Auge. Der beste Schilderer erotischer Atmosphäre,
halbgeschlechtlicher Übergänge, des Genußdufts der Zeitoberschichten,
Wilhelm Speyer, stößt auf Tolstoi und muß, während er verzweifelt
raffinierte Wollust saugt, in die tiefste Tragödie hinein. Das Schicksal
hat in ihm den gekreuzigten Bankert zwischen Weltlichkeit und tiefer
Qual gemacht. Der Traum bekommt bei ihm einen süßen und makabren Reiz,
den Glanz der Untergänge, das Gesicht des byzantinischen Hermaphrodits
. . . . . .

Gesattelt, geritten, gezäumt war der Traum in die Welt hinaus gekommen.
Er bog sich in Wien in der tödlichen Schönheit eines nationalen
Untergangs wie venezianisches Glas oval und verwirrend zurück. Gab in
Prag eine Oase fast zwischen den Völkern, durchdrungen, geknetet,
durchsüßt und geschliffen von Händen, Hirnen, Wassern der an Asien schon
tief anschlagenden Nationen. Wohl in Deutsch, aber übernational schon
über Europa hinaus gebracht, von dem ungeheuren Grimassieren russischen
Geistes nach dem Großen Ozean gezogen, südlich durch die vermischten
Kulturen der frischen Balkanstämme vom Mittelländischen Meer gespeist,
so blieb er draußen in der Welt als deutsche Befruchtung.

Ach, die Haustiere der deutschen Dichtung murrten über diese fremden
Menagen, ihre nationalsten knirschten wie jener Platen, der aus Angst
vor der Pest bereits in den Hades floh, ehe sie ihn überhaupt hatte, so
gut es ging zwischen ihren Reibzähnen: »Laubhüttenpetrarke,
Synagogenstolz«, aber es war der alte Klee nur, der sie hörte, es roch
nach alten faulen Idealen, es störte niemand, daß ihre Glocken
schwangen, sie waren langsam in das Pianissimo des Wiederkäuens
gefallen.

Nur Paul Ernst versuchte wie ein Stier zu brüllen, weil einige mit dem
Traum ausgerissen waren, exotische Gegenden zu entdecken. Der männliche
Luxemburger Norbert Jacques, Willi Seidel hatten ihn mitgenommen, als
sie auszogen nach der alten germanischen Weise und in den Spuren der
Gerstäcker, Sealsfield, Heinse, Wieland. Herr Klabund hatte die
Expression dabei in die eine, die fahrende Schülerweise in die andre
Hand genommen, schrie ein pazifistisches Pamphlet und trabte einen
Militärmarsch. Er trabte mit den Füßen einen Militärmarsch aber
scheinbar ins feindliche Ausland, wie man in den Ställen behauptete, und
Paul Ernst, der plötzlich schwarz-weiß-rot gefärbt war, vergaß sein
Renaissancegemetzel, vergaß seinen blutigen Traum von Italien und
überschrie ihn mit dem Trutzlied rechtsbolschewistischer Reaktionäre.

Ach, er versuchte, den Kobold des Traumes wie ein Stier zu überbrüllen,
aber es war ja kein Stier, wie jedermann sich mühlos mit den Augen
überzeugen konnte, und der Kobold, den er verfolgte, neckte ihn, bis er
mit Tränen in der Brille an der Statue der Diana zusammenbrach. Schon
Darwin beweist bei manchen Krustentieren, daß vollkommene und
ausgebildete Lebewesen dieser klassischen Gattung dennoch niederer
organisiert sein können als ihre Larven. Die klassischen Krieger am
Fries des Dianabildes streckten sich vor Wonne in ihrem Muskelnetz über
diesen vollkommeneren bebrillten Epigonen. Ach, aber selbst dieser Fall
verhinderte nicht, daß die Haustiere der deutschen Literatur den
erhabenen Traum weiterträumen und den Grünen Heinrich ohne Ablaß durch
die Zähne ziehen, obwohl sein Verfasser schon lange im Schweizerischen
verstorben ist . . . . . . .

Es möchte scheinen, Mijnheer, ich spotte über Gebühr und beschädige am
achten Tage die Reserve, die ich mir auferlegte, sowie die Zuneigung,
mit der ausgezeichnete Menschen an diesen Träumen hängen. Wahrlich, ich
kenne ihren Wert und ihren Sinn und weiß manchen ihrer Dichter an einem
ausgezeichneten Platz der Verehrung, aber es bricht mir ins Herz ein,
wenn ich das Muhen der Haustiere höre, die die alten Melodien und die
hilflosen Tonleitern einer Vergangenheit blasen, welche uns nichts
helfen. Ich weiß mich doch wirklich glücklich, wenn ich irgendwo im Park
der Dichtung Ansätze an gute Tradition und deutsches wahres Wesen
entdecke, aber ich kann den Spott nicht zurückhalten, wenn ich die
Zeremonien beobachte, mit der gesalbte Prediger immer wieder ein
verdorbenes Gerippe in den Frühling tragen.

Ach, der deutsche Frühling hat nichts gemein mehr mit den Gefühlen jenes
erheblichen Meister-Dichters aus Seldwyla, und dessen Knochen sind nicht
seine Bausteine und seine Asche ist nicht sein Same. Ist es nicht
schelmenhaft, wenn die Haustiere den Stil eines großbürgerlichen Mannes
wiederkäuen, aber vorgeben, das Gesetzbuch der deutschen Erzählung damit
auszuposaunen, wenn sie die Nation meinen und eine alte Leiche unter
ihren Hufen herausstampfen? Einmal müßten, verdammt, auch die bequemsten
und faulsten Tiere in den Aufbruch kommen, der sie aus den dumpfen
Ställen in die Freiheit führte und aus der Blindheit in das Licht. Ja,
ich fürchte nicht, daß die Einäugigen gefährlich werden, aber ich habe
Angst vor den Nichtsehenden, weil sie nicht zu erlösen sind.

Ich entsinne mich zu gut, daß auch Balder, der Lichteste der Götter vom
blinden Höder mit einer Mistel getötet wurde, die ihm der unheilvolle
Loke reichte. Ich weiß zu gut, wie die Götter über ihren Liebling
klagten und daß seine schöne Geliebte daran starb. Und ich kann mir
nicht verschweigen, daß ich den Balder ohne Rückhalt liebe, aber den
Loke hasse, daß aber der Dämon des Bösen sich immer der Ahnungslosen
bedient hat, um ins Unheil hineinzuführen. Adler und Schwalben haben
seit jeher mit einer Armee von Blumen in jeden deutschen Frühling
hineingeführt, aber nicht das grämliche Muhen der Haustiere, die den
Frühling zu beherrschen glauben und meinen, die Welt vermöge infolge
ihres erhabenen Traums nicht aus ihren mahlenden Zähnen zu fallen.

Nein, ich spotte nicht aus Übermut oder aus zornigem Vergnügen, sondern
ich schüttle den Bann wie jeden Alpdruck heftig in die Sonne, daß die
Motten aus seinem alten Pelze fliegen. Denn ich liebe den alten Keller
mit aller Herzlichkeit seines eigenen Gemütes, aber ich kann nicht
sehen, wie seine Nachahmer ihre schlechten Schellen an seinem Wagen
tragen. Ja, ich weiß auch, daß der Spott nicht schadet und mit jeder
guten Sache sich zu messen in der Lage ist, und daß nur die
steifbeinigen Kühe und die ergrimmten Ochsen ihn nicht ertragen können
wie die helle Sonne, die sie wütend macht.

Ja, ich gestehe auch, Mijnheer, daß es Dinge gibt, die man liebt und die
man zu gleicher Zeit verwerfen muß Haben Sie nie geschwelgt und zur
gleichen Zeit verdammt? Ist es nie so gewesen, daß Sie das Herrliche
bewußt vorüberziehen ließen und mit den Mäusen sich ergötzten? Ach, man
ist nicht einerlei, man ist zweierlei gebaut. Ich bin verantwortlich für
die großen Linien und für die Urteile und ich schneide die Staffeln in
Stein oder ich schmeiße das Zeug hinaus. Was kann ich für meinen
privaten Geschmack jenseits dieser Dinge? Ich lehne die Bücher des
Thomas Mann ab aus guten und vielen Gründen, aber ich lese sie gern, ich
liebe sogar den »Tod in Venedig«. Ich amüsiere mich schief über den
Pierrot Schäffer, aber ich liege die Nacht schmökernd mit seinem
gespenstischen »Montfort«. Ich durchschaue den Schwindel, aber ich bin
verliebt in ihn.

Ist es Ihnen nie mit Frauen so gegangen, daß am stärksten Sie reizte,
was unbedingt das Unmöglichste war? Gott hat die Natur und die Dinge oft
im Spiel seltsam zueinandergestellt, er will, daß man die Süßigkeit und
die Klarheit, aber auch den Widersinn seiner Schöpfung erkenne. Seine
Methoden sind oft von erlesener Laune, ja sie sind verrückt. Ein
Coenurus zum Beispiel, der haselnußgroß im Hirn des Schafes wandert,
zwanzig Köpfe aus dieser Blase herein- und herauszieht, das Tier an
Drehkrankheit zu Grunde dreht, ein Coenurus zerfällt, von einem Hund
gefressen, in seinem Darm, nur die Köpfe bleiben übrig und erzeugen
soviel Bandwürmer, als sie Köpfe waren, und deren Eier, vom Schaf mit
dem Gras gefressen, durchwandern wieder bis zum Exzeß des Drehens des
Schafes Hirn. Ja, sie sind verrückt und absonderlich die Umwege der
Vorsehung und man kann nichts sagen über solchen Kreislauf, als er habe
einen Sinn, den uns nichts erleuchtet.

Unsterblicher Brummell, unter allen Dandyparasiten der Literatur (die
ihrer Lustigkeit halber nicht alle wie jenes bekannte Polystomum
integerrimum in die Harnblase des Frosches verbannt gehören) erinnere
ich mich gern eines der amüsantesten Typen der Literaturlebewelt, jener
Primadonna aller Ausstellungen und Premieren, des Königlichen
Regierungsrates von Wedderkopp, der nicht den Weg vom Hirn in den Darm,
sondern den umgekehrten einschlug. Fest entschlossen, sich über alles
bis an sein Lebensende zu mokieren, begann er kritisch immer von hinten
nach vorne zu gehen, schrieb über die Kostüme der Leute, deren
Gesinnungen er besprechen sollte, machte den Damen den Hof, die er zu
verreißen beabsichtigte, griff die Reisekoffer seiner Freunde an, deren
Stücke er zu loben hatte, schwärmte, da er im Krieg die Butterverteilung
der Stadt Brüssel in seiner männlichen Hand hatte, für kriegerische
Tüchtigkeit nach den Revolutionen und schrieb mit Vorliebe, da er
konservativer Natur war, für bolschewisierende Käseblätter.

Ja, Mijnheer, man kann etwas lieben und kann es gleichzeitig vernichten,
man kann in Deutschland seine Geliebte sehen, aber man kann die falschen
Kränze auf ihrer Stirn und die schlechten Seiden ihres Kleides
verspotten. Man muß nicht, wie jene halbgefranzte Goldschnittausgabe des
seligen Dandy und Freundes Eduard des Siebenten, Brummell, immer auf die
andere Seite fallen müssen, denn der Schein der Überlegenheit ist nur
die Waffe des Snobs und die Maske des unsicheren Gentleman.

Aber man muß entschlossen dabei sein, auch über alle Kreuzwege hinaus,
über sich selbst und das bißchen private Ergötzung, über unsere
Leidenschaft und Glut hinaus, das Ziel im Auge behalten, und wenn die
Perücken von heiligen Häuptern vielleicht sogar mit den Köpfen selbst
herunterfliegen.

Am achten Tage der Schöpfung wurde auch Gott unerbittlich und schuf die
Tragödie, um die Welt zu reinigen und zu bessern. Am achten Tage
unseres Zusammenseins hat der kühle deutsche Mond sich auf die
Schwarzwaldspitzen gesetzt, und es bleibt keine Falte, kein Hauch in
diesen Lichtkavalkaden verhüllt. Am achten Tage nahm der Tod der
Margarethe von Valois, Königin von Navarra, die, aller Sprachen kundig,
des ersten französischen Franz ungewöhnliche Schwester, das Dekameron
des Boccacce ins Französische transponieren wollte, am achten Tage der
Erzählungen, in denen die ganze Welt schwimmt, nahm der Tod ihr den
Stift.

Er nahm sie weg von der zweiundsiebenzigsten Erzählung, darin, launig
aber auch teuflisch, doch nicht mißzuverstehen, erzählt wird, wie beim
Einsargen eines Toten ein neuer Mensch gezeugt wird. Ja, das Leben
marschiert, es marschiert mit klingendem Spiel auf der ganzen Linie.
Ach, ich fürchte nur, den erhabenen Traum der Haustiere wird es nicht
unterbrechen, selbst wenn die Schellen ihnen unter den ehrwürdigen Nasen
wie die Tanzschritte des Lebens klingen.



Die neunte Nacht


Und Europa? Ihre genialste Laune war das Rokoko, wo sie die zänkischen
Musen, unter welche sie (wie Venus an die Amouretten) ihre Gouvernements
verteilt hatte, in einer festlichen Heiterkeit vereinte. Sie hatte hier
ein Lächeln begonnen, dessen Anmut die Abgründe ihres Wesens ahnen ließ,
aber nicht enthüllte. Und sie hatte eine Leidenschaftlichkeit in ihren
göttlichen Wuchs gerufen, deren Kraft sich hinter ihren graziösen
Spielen versteckte.

Es war ein reizender Spätsommer der Musen, als sie um ihre Göttin sich
zum letzten Male harmonisch vereinten, graziler fast noch als der herbe
Frühling ihres Beginnens.

Schon immer war ein großes Wandern ihrer Sendboten gewesen, und ihre
Auserwählten hatten ihre guten Gedanken, die sie mit den Kaprizen der
Frau ausgab, in die ganze Windrose geführt. Holbein sowie der van Dyck
haben ihre Farben nach der britischen Insel getragen. Irische Mönche
hatten seinerzeit den Urwald des mittleren Deutschland gesäubert und die
Karolinger unterwiesen, Buchstaben mit Vollendung zu malen. Grünewalds
Töne, Dürers Art hat erst Italien vollendet. Bambergs Plastiker zogen
nach Reims und studierten den Dom, ehe sie den ihren begannen. Der
schöne Lionardo gab den Franzosen eine andere Linie ihrer Architekturen.
Rembrandts Chiarobscuro hat man im Süden erfunden, jüdischer Geist aber
hat sich in seine Bilder hineingezogen. Arabisches wanderte durch
Granada nach Italien und über Frankreich in die Musik der besten
deutschen Dichtung. Was war Wieland ohne die Franzosen, Schlegel ohne
die Briten, Klopstocks »Messias« ohne Miltons »Verlorenes Paradies«? Das
italienische Porträt der Renaissance, ihre schönste musikalische
Erhebung in Palestrina kamen aus den Niederlanden. Die Deutschen gaben
den Tschechen von ihrer Dichtung, den Italern den Holzschnitt. Wie die
Bienen, aber auch wie die Wölfe waren die Sendboten geflogen. Selbst die
Eau de Cologne, das Modeparfüm des Rokoko, war von einem Italiener
erfunden.

Ja die Luft selbst hatte damals zwischen der Abendröte ihrer
Springbrunnen und Bosketts etwas vom Arom eines Duftes, der wie das
kölnische Wasser zugleich erheiterte und erregte. Hier stand Europa noch
einmal nach all den vergangenen Besuchen und Kämpfen und Balgereien der
Musen mitten in einem Konzert, das sie alle vereinte und das halb auf
der Flöte geblasen, halb von einem unterirdischen Donner gespielt ward.

Die Deutschen bauten der Göttin Europa damals ein leidenschaftliches und
ihr schönstes deutsches Denkmal. Sie bauten mit ergriffener Wucht und
raffinierter Andacht die fürstbischöfliche Residenz in Würzburg, und mit
dem Niederländer Auwers, dem Pariser de Cotte, dem Deutschen Neumann,
dem Schweizer Bossi, dem Münchener Zick, mit dem Tschechen Mika, dem
Tiroler Oegg, dem Venetianer Tiepolo waren alle Musen noch einmal
beteiligt. Sie beeilten sich später allerdings, in alle Verstecke wieder
zu fliehen und mit Pfeilen aufeinander zu schießen. Bonaparte, der
letzte Genius, suchte sie zu sammeln, indem er sie mit Kanonen
erschreckte, denn es gab für ihn kein anderes Mittel, Europa wieder zu
finden, als die mörderischsten Kriege.

Als er Goethe Belehrungen gab über seinen »Werther«, den er siebenmal
gelesen, und ihn bat, mit ihm nach Paris zu kommen und schöner wie
Voltaire einen »Cäsar« zu schreiben, dachte er nichts anderes, als den
besten Trabanten der Göttin gefunden zu haben und von ihrer und seiner
Hauptstadt aus dessen Stimme über die Welt schallen zu lassen. Der
größte Europäer hatte den begabtesten Sendling Europas entdeckt, aber
dieser folgte ihm nicht. Während des europäischen Maschinenkriegs aber
war die Göttin völlig außer Landes gegangen.

Sie war völlig außer Landes gegangen, und acht Jahre nach der Erfindung
des Kreuzgases, sechs nach dem Versailler Vertrag stehen die Musen noch
um Deutschland an den Mitrailleusen. Frankreich weist ihm die Tür,
England übersieht deutsche Kultur, Amerika ist sie kaum erwünscht. Von
dort kommt kein Ruf nach der Göttin. Nie hat der Schwaden des Hasses so
sehr ihre Gefolgschaft getroffen, daß die zänkischen Musen zu derartig
tollen Unterleutnants der Rancune wurden und das Gebiet des Geistes in
eine Serie von Gefängnissen aufteilten, durch die sie den Parlamentären
der Kulturen nicht einmal den Durchmarsch erlaubten.

Die weiße Flagge der Kunst, welche die Hunnen und alle Söldnerkrieger
der Jahrhunderte zu achten gelernt hatten, wurde von den toll gewordenen
Nationalisten mit allen anderen Fahnen der Humanität in den Staub
gerissen. Von unseren Büchern weiß man nichts, unsere Bühne mißachtet
man, unser Entgegenkommen höhnt man. Eine ausgestopfte Puppe mit den
Zügen der guten Viebig hat man im Reformkostüm an die Rampe des
Gelächters gestellt und ihr zu Füßen mit einem Jodler und Tiroler Hut
den kleinbürgerlichen Bonsels pathetisch gelegt und mit Übersetzungen
aus ihren Werken als ersten nach dem Krieg statt mit Sauerkraut und
Feldwebel uns in Paris vor aller Welt so zu einem geistigen Mummenschanz
mißbraucht. Es ist kläglich, sich nach zehn Jahren Pause durch solche
Gäste vertreten zu wissen.

Ach, es ist nicht gut, zwar als Besiegter eine große Göttin immer noch
zu lieben, aber es ist schimpflich ohne Zweifel, als Sieger sich nicht
vor ihr zu verneigen. Es ist das Unglück, daß mit den sinkenden Valuten
auch die geistigen Kredite schwinden. Europa wird, wenn sie einmal
wieder naht, ihre Gefolgschaft nach Art der Bewohner von Sklavenstaaten
in dritt- und zweitklassische Kreaturen eingeteilt finden. Aber
Deutschland, Mijnheer?

Niemals, zu keiner Zeit hat Europa eine bessere Gastfreundschaft als bei
den Rheingermanen gefunden. Während der Kriegsjahre haben sie alle
Freudenfeste der »feindlichen« Musen nach alten Bräuchen mitgefeiert.
Fünf Jahre nach der Münchener Räterepublik schwimmt das deutsche Theater
unter den Schwänken der gallischen Possenfabrikanten, Moliere und Shaw
reichen sich wie während des Kriegs vor den Bildern Calderons und
Shakespeares die Hand, und alles Zeug, was Deutschland schmähte, ist
pardonniert und geliebt, soweit es begabt ist.

Suarèz durfte schreiben, wir fräßen Hunde . . . Verziehen. Claudel uns
gierig in das Bett des Prokrustes spannen, von Kopenhagen bis Berlin den
Friedensvertrag längen und kontrollieren . . . Vergessen. Kipling durfte
von Australien bis Indien die englisch redende Welt gegen uns schlimmer
wie eine Fuchsjagd hetzen. Francis Jammes uns verleumden. Alle, die
einen Kranz des Führers trugen und besser wissen mußten, daß wir nicht
allesamt eine Horde von Hyänen und ausgehungerten Wölfen seien, durften
die verächtliche Emeute jener Niedertracht anführen, die uns zu den
Hottentotten Europas erniedrigen wollte . . . verziehen, vergessen. Die
ganze Welt an unsere Brust! Zur gleichen Zeit, wo das siegreiche
Frankreich den Direktor des Theaters »Vieux colombier« hängen, den vom
»Oeuvre« schinden würde, wenn in ihren literarischen Versuchsbühnen ein
deutsches Stück gespielt würde, wo die französische Zeitschriftenkritik
vor Chauvinismus dampft, wo England uns die Pässe verweigert, Rußland
kein Interesse als an dem Aufbau proletarisch eindeutiger Kultur hat.
Und wo unsere Freunde in diesen Ländern ohne Macht gegen die Geschwader
der Dummheit und in der Minderheit gegenüber den Steuermännern des
Hasses sind.

Der Dreißigjährige Krieg war eine Volksbelustigung der Kulturen gegen
diesen Wahnsinn. England, das den Kontinent zwei Jahrhunderte lang zur
Gesittung aufrief, schaut über den Ozean weg nur nach seinen Dominions.
Frankreich, das Europas Feldgeschrei führte, ist ein Land von
irrsinnigen Schelmen der Freiheit geworden. Wohl tauschen im nördlichen
Dreieck der Pariser France, der Londoner Shaw, der Moskauer Gorki shake
hands der Internationale.

Aber Europa?

Ein Hohngelächter von Kiew bis Athen, von Prag bis Warschau ist die
Antwort. Ein Kichern des Schreckens als Echo vom hochvalutagedrückten
Haag, vom halbbankerotten Paris, ein Rattenpfeifen vom ängstlichen
Zürich als Untermelodie. Die Sieger der Weltwirtschaft sind in das
gleiche Zittern wie die Gestürzten gekommen. Mitteleuropa, pleite wie
zur Zeit der Assignaten, ein Geier, gerupft, aber mit falschen Krausen
kachiert, sitzt zwischen den Bajonetten der hochkapitalistischen Gallier
und den Kanonen der östlichen Kommune. Denn nicht nur Poincaré, auch
Barbusse (seit er auf Moskau schwur) ist der Krieg. Nicht nur die
Kannibalen, auch die konsequenten Buddhisten bedeuten Tod. Es
unterscheidet beide nur (sehr) das Motiv, aber das ist, wo es um Krieg
geht, ohne Belang.

Denn Krieg heißt Vernichtung Europas, Friede aber bedeutet, daß die
Göttin vielleicht ihre Verstecke verläßt und zurückkehrt.

Sie wird auf dem Scherbenhaufen, und unter den bitteren Lawinen dieser
Epoche ihrer Regierung sich mit Wehmut der Zeit erinnern, wo die
zänkischen Musen um sie hemmungslos zwischen den Bosketts und
Springbrunnen spielten. Ach, es wird keine Flöte in das Konzert ihrer
Wiederkehr spielen, aber der geheime Donner von damals wird ein
abgebrannter Orkan sein, der ihr Land vereist hat.

Vielleicht aber wird sie nicht mehr zurückkehren wollen. Deutschland
wird aber nicht aufhören, nach ihr zu rufen. Seine besten Leute werden
nicht untergehen, ohne nach ihr verlangt zu haben. Bliebe es tausendmal
Utopie, es wäre ein schönerer Wahnsinn als der der Vernichter.

Ich weiß, wir haben am wenigsten Anlaß, schuldfrei uns zeigen zu wollen,
wir haben vor dem Krieg nichts gelernt, während des Mordens in
schlechtem Stil Europa geschmäht, und müssen, wo wir mit gereckten Armen
nach ihr verlangen, das Peinliche erleben, daß sie im Umkreis in gutem
Stil verlacht wird. Ich weiß, wir säßen in anderen Wagen, wären unsere
Rosse siegreich durch den Arc de triomphe geritten.

Der Staël antwortete einmal Byron, den eine verlassene Geliebte gerade
in einem Roman verzerrt hatte, auf ihre Frage, wie das Porträt ihm
gefallen, der neugierigen Staël antwortete der Lord ironisch: es wäre
besser ausgefallen, hätte er jener Lady Caroline Lamb länger zu sitzen
geruht. Ich weiß, es ist billiger, gefesselt, geknebelt Gerechtigkeit
anzurufen, als sich »audessus de la mêlée« mit schönen Ideen abgeben.
Ich zweifle aber nicht, daß, »wenn wir länger Modell gesessen« und die
Champs Elysées mit preußischen Pferden hinaufgeritten wären, die Stimme
nach Europa in Deutschland mit der größten Tapferkeit dennoch gerufen
hätte.

Sie wäre mit den besten Munden und im besten Stil angestimmt worden.
Ach, daß Gott zu unseren Feinden gerade die guten und zu unseren
Freunden gerade die schlechten Trommler Europas machen mußte. Was kann
man tun, wenn einem alles verläßt?

Nicht paktisieren, Mijnheer.

Es lebe Europa.

Die Franzosen, die mit dem Marschschritt Europas einst zu uns kamen,
sind eigentlich immer eine Mischung zwischen dem Soldaten Gottes und dem
»comédien ordinair edu bon dieu« gewesen. Ihr Herz stritt zwischen dem
Ideal der Sache und dem Ideal ihres Ruhms. Sie haben jeweils ihre edle
Exaltation mit den Bestimmungen ihres Rausches verwechselt und zuletzt
immer ihre eigenen Göttinnen erschossen, indem sie dabei das alte
Preislied für sie sangen.

Sie sind ein kriegerisches Volk, aber nur in der Einbildung, denn sie
haben nur Ruhm, aber keine Territorien je erobert. Sie sind hinter der
Marseillaise hergelaufen und haben schon preußischen Drill im Blut
gehabt, sie haben Europa befreien wollen und haben es geknechtet. Sie
haben die Fiktion ihres martialischen Glanzes erobert, während die
unkriegerischen Nationen der Römer und Briten, indem sie Baumwolle oder
Christentum sagten, die Welt unterwarfen. Sie haben selbst bei Stendhal
und Suarèz den Vorbehalt, daß Europa nur sei, wenn Frankreich sei, aber,
schon indem sie es sagen, ist es nicht mehr eine Bedingung, sondern es
ist schon Gleichung: Frankreich ist, _darum_ ist Europa.

Darum haben die Franzosen auch jene seltsame Fremdheit zu sich selbst,
die sie ihre Tugenden so preisen, sich an dem Wort »Franzose« so
berauschen läßt, während die Briten sich in ihren nationalen Gefühlen
sehr nah, fast mit der Kritik des besten Verwandten gegenüberstehen,
obgleich die Naturelle der beiden Völker umgekehrt sind wie ihre
Fähigkeiten, sie einzuschätzen.

Ein tapfrer Kämpfer Frankreichs für Europa sein, bedeutet darum mehr,
als in Deutschland brav zu sein, weil der Rheingermane nur seinem Gefühl
folgt, der Gallier aber gegen seine Empfindung erst europäisch wird. Der
Deutsche erfüllt seine Mission, der Franzose muß erst den Gallier in
sich erschlagen.

Wenn Deutschland sich Frankreich schrankenlos wieder öffnet, bleibt es
in seiner guten Tradition, und wenn es die »Feinde« mithereinläßt, ist
es lediglich nicht empfindlich. Wenn die Franzosen das mißachten und für
die Fehler von Politikern und Kasten jetzt Europa büßen lassen, ist das
ihre Sache und eine infantile Vendetta gegen völlig Unbeteiligte. Wir
ziehen es vor, die Geliebte weiter zu lieben, auch wenn ihre Hunde und
ihre Knechte wütend die Zähne zeigen. Denn wir verehren sie und nicht
die Unvernunft ihrer Umgebung.

Von Villehardouin bis Joinville und Crestien von Troyes haben wir das
romanische Mittelalter aufgenommen, und uns nie unerkenntlich gezeigt.
Ihre großen Dramen gaben auch unsere Richtung. Rousseau signalisierte
Europa. Montaigne zog die Kraft des Geistes schmerzlich um die Welt.
Voltaire und Stendhal flaggten Europa schon sehr hoch. Balzac formte
bereits Demokratie, Flaubert maß nach der Größe europäischen Gewissens.
Anatole France, der letzte Lateiner, ist auch uns das schmerzlich süße
Zeichen des Untergangs einer Gesellschaft, die mit Rousseau begann.

Wir haben Zola, diesen Mischling aus italienischem und hellenischem
Blut, unter unsere Bürger genommen wie die Romantiker, wie die Sand, wie
ihren unglücklichen Geliebten, Musset, den Prinzen der gallischen
Sprache. Wir haben in Lamartine wie in Hugos Versen geschwelgt, alle
Boulevardstücke genossen, Dumas Frauen zu unseren Hauptrollen gezählt,
seine zweihundert Bücher Romanfabrik gelesen und sogar für seine
Saucenrezepte uns interessiert.

Wir hatten den Blick stets halblinks von Berlin nach der Seine
gerichtet. Sind mit den Malern Feuerbach um Couture, Trübner um Courbet
geschwärmt, haben des Gauguin Tagebücher, des Van Gogh Aufzeichnungen,
drei Bücher von Kunsthändlern über Besuche bei Cézanne wie das Credo und
die heilige Schrift verschlungen, während Wedekind nicht gespielt ward.

Wir haben dem Verhaeren, dem Maeterlinck erst das Haus gemacht, haben
die satanische Flucht des Huysmans aus seinem Zeitalter erst
zu der monumentalen Bedeutung der Flucht eines grandiosen
Zivilisations-Deklassierten gemacht, wir haben auf Baudelaire, Mallarmé,
Verlaine, Rimbaud unsere Ästhetenschulen gebaut, haben Pierre Loti
leider für einen größeren Dichter wie Alfons Paquet gehalten, haben
hochstehende Aufsätze um Charles Louis Philippe, diesen zärtlichen
Kindskopf der Tragödie, geschrieben. Wir haben den armseligen Louys und
Pierre Mille und den unglückseligen Farrère mit seinem Opiumkitsch in
unsere besten Stuben geführt.

Wir haben nicht nur Honneurs gemacht, sondern uns mit dem Herzen
beschäftigt, und wenn die Fremden hereinkamen, waren sie schon intim.
Der ganze Kreis der heute am besten schreibenden Franzosen um die
Zeitschrift der »Nouvelle Revue française« war vor dem Krieg bekannter
in Deutschland fast als in Frankreich. Gides und Rivières Ruf gingen
weit übers literarische Versnobtsein hinaus. Suarèz schrieb das beste
Italienbuch für die Deutschen. Claudel widmete man Weihespiele in
Hellerau. Für Francis Jammes, der die royalistisch fromme Linie des
Joinville fortsetzt und die zärtlichen Töchter des alten Adels und die
Sanftmut der Tiere und die Kriegswappen treu nebeneinander malt,
entstand ein eigener Verlag und in Stadler der wackerste Deutsche als
Übersetzer.

Auch der Chauvinismus dieser Autoren, die während des Kriegs den hellen
Bullen ihrer Revue im Stall ließen, hat sie Deutschland nicht
entfremdet, man erweist ihnen die Gastlichkeit, die ihrem Können gehört.

Man hat ebenso auf jene Generation sich eingerichtet, die gegen den
Krieg Frankreichs protestiert und für Europa optiert haben, jenen
tapferen Kreis junger Leute, unter denen leider nicht Frankreichs beste,
aber seine mutigsten Begabungen sind. Sie hatten sich teils um Barbusse,
teils um Rolland geschart, die beide das Gewissen Europas während des
Mordens waren, wenn beide auch, zumal Barbusse, keine im letzten Sinne
guten Schriftsteller, aber überzeitlich große Charaktere sind.

Der Streit, den Barbusse und Rolland nunmehr ausgefochten haben, ist der
Kampf um die Gewissensfrage jedes einzelnen gewesen. Barbusse wollte aus
dem Débacle des Kriegs den Bund der besten intellektuellen Europäer
erstehen lassen, schuf in der Organisation der »Clarté« ihm mit einigen
humanitären Paragraphen den Rahmen, mit einem schon nicht mehr guten
gleichnamigen Roman die Kulisse und mit seinem Anschluß an die dritte
Internationale Moskaus das Grab. Er wollte die Herzen revolutionieren
und ging nachher Bajonette einkaufen, gläubig und voll menschlichen
Mutes zwar wie ein Thermopylenkämpfer der neuen Gesellschaft, aber
dennoch als Aufrufer an die Gewalt. Er postulierte mit dem russischen
Terror die Gewalt von links gegen die von rechts, die er wie ein
Herkules bekämpft hatte. Er führte seine Kunst durch die Gesinnung in
die Politik, während Rolland die jungen Leute zurückführte zu dem weisen
Glauben, den er durch den Krieg gehalten: das Reich des Geistes müsse
rein bleiben und Europa käme nur, wenn man glaubend für es arbeite, und
nicht, wenn man danach schieße.

Barbusse aber, dessen »Feuer« auch das einzige Frontkriegsbuch der
Deutschen geworden ist, tritt mit seiner Anschauung nunmehr, ohne es zu
ahnen, neben Goethe, den er in diesen Dingen bekämpft hat. Der, von
Bonaparte begeistert, einmal meinte, es schade nichts, wenn dieser dem
Prätendenten Enghien und dem läppischen Schreier Palm vor die Stirn
geschossen, denn dem Genius stehe dieses Weggehn über alle Schranken
frei. Sie bedachten beide nicht, daß man das aus dem Temperament heraus
vielleicht denken, aber nie formulieren darf, weil das Blut sich mit
mythischer Gewalt gegen die Idee richtet und den am sichersten ersäuft,
der es für sie vergießt.

Diesen Streit zwischen den Führern der europäischen Idee haben die
Deutschen wie ihren Kampf mitgemacht und die breiten Massen haben wie
den Barbusse auch den Rolland und den ihnen zugesellten siebzigjährigen
France wie ihre besten Dichter mit ungeheurem Ruhm gelesen. Der Einfluß
Frankreichs ist gewaltig geblieben. Man hat auch den Schülern der großen
Gallier das Ohr geliehen, Martinet, Jouve, Léon Werth gehört. Guilbeaux,
der während des Krieges »demain« in Genf herausgab, wurde in contumaciam
(während er Rußlands Erde schon mit Ruhe und Ansehen betrat) auf Grund
eines Materials als Schädling seiner Nation zum Tode verurteilt, das an
der Spitze einen Bericht von meiner Hand über den Mut enthielt, den er
während des Krieges für die Erhaltung Europas aufbrachte. Man hat René
Arcos mit seinen stillen weitherzigen Dingen übertragen, den
Bilderhändler Vildrac auf die Bühne gebracht, Colin, diesen
Wanderprediger Europas gehört, gelesen, man nimmt Notiz von Duhamels
Büchern, von Vaillant-Couturier, Jules Romain, von Chennevière. In
dieser Generation ist wohl keiner, der die Sprachkraft der Ästheten um
Gide besäße und unsicher ist, ob einer europäisches Ansehn wie seine
Meister erlangen wird, aber sie sind, da sie für das wahre Europa
stritten, die tapfersten Soldaten Frankreichs geworden.

Es scheint allerdings im Sinn dieser Übergangszeiten zu sein, daß in den
Siegerländern keine Führer unter den Jungen sind. Erst der Zusammenbruch
formt sie sich, weil er Höhenbedürfnis hat, während Triumph nur eine
dicke Lüge ist, die eines Tags nach ihrem größten Brüller platzt.
Ungleich dessen ist der Einfluß dieser Jugend ohne gleichen, Frankreich
atmet mit allen seinen Poren nach Deutschland hinein, und Deutschland
liebt diesen Geruch als den einer schönen Freundin. Es wird trotz allem
dabei an die Göttin erinnert. Bleibt seine Liebe auch unerwidert, so
wirbt es ja nicht um ein Weib, sondern um die Liebe selbst. Unglückliche
Liebe gibt es nur im Sprachschatz der Tölpel. Vor der Ewigkeit gibt es
das nicht.

Man kann nicht alles sagen, was ist, man muß sich begnügen mit dem, was
Deutschland sieht und nimmt von Europa. Mehr kann einen holländischen
Gentleman, der unabhängig ist, reist, den Horaz im Koffer mitführt, den
seine Heimat langweilt, der Europa kennt (halb wie ein Dandy ein Lager
von Strandkörben und halb wie ein Gartenliebhaber seine Blumen), mehr
kann einen holländischen Gentleman nicht reizen. Er kann nur so, statt
an ein Phantom zu glauben, die Wirklichkeit der Nähe eines befriedeten
Europas berechnen -- -- -- in gleicher Methode wie Galilei, der auch, um
die ungleiche Entfernung der Fixsterne von der Sonne zu messen, auf die
geniale Idee kam, die Sterne erst selbst in der Entfernung zu ihren
einzelnen Nachbarsternen zu vergleichen. Was macht Holland, Jonckheer?

Es macht nicht mehr als Tulpen und Valuta. Es gab den Thomas a Kempis
und Jan van Ruisbroek zu unserem mystischen Mittelalter. Es gab der
Freiheit das tolle Geusenlied: »Wilhelmus von Nassauwen ben ick van
duytschem bloet /// Den vaederlandt getrouwhe blijf ick tot in den doet«
. . . Der Name der Gerechtigkeit heißt Multatuli. Hinter ihm kennt man
kaum die Roland Holst. Aber man kennt van Eeden als Anwalt der
Menschheit, ich glaube auch von der katholischen Propaganda. Das ist
zusammen nicht sehr viel des Guten. Man hat dafür die Seuche der
sämtlichen Romane des Cooperus ebenfalls in das deutsche Walhall
gestellt. Das ist nicht Tulpe und nicht Geist, aber Valutadumping mit
verächtlicher Literatur. Auch den Unterbietern der Qualität, sehen Sie,
gibt man das Gastrecht.

Es könnte scheinen, dies sei zu weit gegangen mit einer Tugend. Ich bin
Ihrer Ansicht, aber Deutschland meint wohl, man habe eine Tugend oder
man habe sie nicht. Man hat übrigens durch den Krieg die stammverwandte
flamische Literatur nach Deutschland geführt. Der ausgezeichnete
Essaiist F. M. Hübner hat von der Mystik ihres Mittelalters sie bis zu
dem Eekhoud nach Deutschland transportiert und man hat, nicht nur aus
politischem Interesse, diese germanische breite und saftige Kunst, für
die de Coster das europäische Wahrzeichen ist, aufgenommen. Die über
Frankreich eingeführten Lemonnier und Verhaeren waren schon lange vorher
übertragen.

Deutschland hat außer den Russen überhaupt die besten Übersetzer der
Welt. Heinrich Mann hat Anatole France, Schickele den Balzac, Rilke die
Barret-Browning, George den Baudelaire und Dante, Dehmel den Verlaine,
Werfel die Tschechen, Flake den Suarèz, Blei den Claudel, Vollmöller den
d'Annunzio, Däubler den Vildrac, Annette Kolb den Chesterton, Stefan
Zweig den Verhaeren, Krell den Kipling übertragen. Deutschland hat das
Glück, daß seine besten Stilisten seine glücklichsten Pioniere sind,
während die guten Autoren des Auslands es kaum der Mühe wert finden,
Deutsch zu verstehen und schreien würden vor Heiterkeit, wenn man ihnen
vorschlüge, deutsche Zeitgenossen in ihre Sprache zu bringen.
Deutschland hat um seine besten Übersetzer herum noch eine vollkommene
Industrie von Fabriken, die ihm in durchschnittlich gutem Niveau das
Ausland vorführen. Die einmal an der Börse des deutschen Geisteslebens
eingeführten Autoren werden wie die Hühner in schwarze Minorkas, rote
Island, helle Faverolles sortiert und haben auch ihre geschäftlich
festnotierten Kurse.

Eine Anzahl Revüen verbinden Deutschland dazu noch mit verschiedenen
Ländern und die Übersichtstafeln seiner Zeitschriften berichten eifrig
über jede Bewegung in der ausländischen Kunst. Während allerdings
England und Italien die Länder der Zeitschriften sind von fast
unvorstellbarem Einfluß, während in Frankreich die Revuen für die
literarischen Kreise eine nicht genug zu schätzende Bedeutung haben,
sind ja die deutschen literären Zeitschriften ebenso schlecht wie
langweilig. Nach dem Eingehen von Schickeles bewunderungswürdigen
»Weißen Blättern« gibt es keine Revue mehr. Lediglich des Verlegers
Fischer »Neue Rundschau« hält eine gewisse Tradition, aber in der Tat
nur die ihres Alters. Unter des geschickten Oskar Bie Leitung war sie
wohl quallig aber nicht unamüsant, wenn auch mit Händen und Füßen
zwischen die Hauptautoren Wassermann und Hauptmann aufgehängt. Seitdem
sie ihren Standpunkt verlassen hat und»modernisiert und politisiert«
wurde, ist sie erbarmungslos öd geworden. Deutschland, das immer hundert
nach einem halben Jahr schon wieder krepierende Revolutionszeitschriften
hat, verliert damit seine einzige konservative Revue von Haltung.

Es fehlt den Deutschen, was im Augenblick wohl nur Stefan Großmann mit
seiner leichten Tageszeitschrift hat, jene blitzschnelle Beweglichkeit
des Geistes, die Schärfe neben dem Kristall und der Farbe. Eine
Zeitschrift müßte in jedem Artikel, von dem man die letzten drei Sätze
liest, so klar sein, daß man sofort weiß, ob es um die Monarchie oder
rumänische Läuse geht. Neun Zehntel unserer Zeitschriftenaufsätze sind
so dunkel, daß man, von Thomas Mann bis zu Alfred Wolfenstein nicht
ahnt, wohin die hochstehende Geschwätzigkeit nach vielen gelesenen
Seiten eigentlich marschiert.

Die Flamen und Niederländer sind, ich weiß, noch breiter. Und doch ging
von der holländischen Zeitschrift »Stijl« das erste Manifest für eine
europäische Kunst aus. Es war eine konstruktive Albernheit. Man kann von
der Bauart der Maschinen her nicht einen europäischen Konstruktions-Stil
lehren, denn Gesellschaft und Kunst wachsen ohne Verantwortung, voll
Phantasie und Laune, und lachen der Vaugelas und Grimms. Aber dieser
Theo von Doesburg hatte eine Idee, und wenn ihr nur die Unbegabten
gefolgt sind, beweist das nur tragisch, daß die Verantwortungsvollen die
Nichterwählten und die Leichtfertigen aber die Begnadeten sind.

Auch die Natur hat ihre Einfälle barocken Humors und es macht ihr
nichts, daß sie zerstört, wo man sie anfleht, zu bauen. Sie ist so
gesund, sich tragische Ausschweifungen leisten zu können, und es
beschwert sie wenig, daß das menschliche Gewissen unter dieser
Frivolität sich krümmt. Sie hat wohl ihr eigenes Gewissen und es ist
wohl einfacher und tiefer als das unsere.

Man muß sehr vollblütig sein, um nicht fürchten zu müssen, sie wolle
überhaupt die Zerstörung. Der Kriegsruf der Futuristen, die Losung der
Moskowitenzare Lenin und Trotzki an ihre roten Armeen haben seltsam in
die Maschinenschlacht hineingedonnert, an den vier Ecken Europas begann
die Zerstörung mit einer Wollust, die nicht ohne göttlichen Funken war.

Kennt man den Niedergang der Kunst in Italien, weiß man um die
Viehmärkte in den Höfen herzoglicher Paläste, erlebt einer dauernd die
Monotonie der Landschaft, blauen Himmel mit Sonne an weißer Mauer,
überblickt man die drohende Kraft der klassischen Traditionen . . . dann
begreift man die Inbrunst, die den Futuristenpapst Marinetti mit der
Petarde in der Hand herumlaufen ließ. Dieser sonst ganz begabte Autor
beschloß alles zu vertilgen, um wieder atmen zu können, seine Maler
Boccioni, Carrà, Russolo, Balla, Severini malten zum ersten Male in der
Weltgeschichte Dinge und Ereignisse durcheinander und dazu noch
gleichzeitig. Sie vermischten ihre Kunst mit einem blödsinnigen
Nationalismus, der sich gegen Österreich richtete. Ihre Kunst bestand
aus Dissonanzen, Patriotismus, Philosophie und einer Menge business und
Hysterien. Die Bevölkerung Italiens bewarf sie mit Äpfeln, aber sie
entzog sich nicht der Suggestion.

Im Krieg übertrugen die Dadaisten dieses Programm aufs Internationale,
schrieben die Herren Hülsenbeck, Tristan Tzara, Serner in allen Sprachen
durcheinander ihr Kabaret. Drumherum liefen die Schützengräben Europas.
Die Totentänze des Zeitalters waren nicht ohne apokalyptisches Grausen.
Und die Tänzer blieben nicht ohne Verdienst. Ihre Kasseneinnahmen
rechtfertigten wie jeder momentane Erfolge ihre Existenz. Man wird sich
gewöhnen müssen, ebenso wie die Agenten des Hasses die Commis voyageurs
des Internationalismus zu fürchten. In dieser Pause Europas zeigt die
Tugend wie das Laster die aktuelle Neigung, sich zu industrialisieren.

In dieser Pause Europas hat die offiziellste deutsche Instanz die
jungen, schon wieder mehr klassizierenden Nachfolger der Futuristen in
Berlin ausgestellt und ihnen europäischen Ruhm gemacht, worauf sie ein
Jahr später nicht mehr Einladungen folgten, weil die deutsche Valuta zu
gesunken war.

In dieser Pause Europas hat aber d'Annunzio, das feurigste Talent der
Italiener, in Deutschland an Liebe nicht eingebüßt. Ihm war es leicht,
da er Italien mit allen seinen Fehlern bejahte, seine Landsleute hinter
sich zu scharen, obwohl sie auch mit Hilfe von Diktionären seine
barocken Bücher nicht zur Hälfte verstehen. Er verstand es, die
Tradition zu lieben, auch wenn er seine Zeitgenossen verachtete, und
hatte, der Romantiker und Genüßling, die Generäle _und_ die Futuristen
_und_ die Proletarier hinter sich.

Vor seiner Zeit hatte Leopardis Schwermut ganz Deutschland mitweinen,
Manzoni, der große Schüler Walter Scotts, in seinen »Verlobten« die
massive Gläubigkeit eines Katholiken über Deutschland geschüttelt. Dann
hat man wohl auch Pascoli, dem schönen Lyriker und dem bedeutenden
Kritiker Croce, Aufmerksamkeit geschenkt, auch sich unter den jüngsten
Dichtern um die vielseitigste Erscheinung Papinis, der bald zum Papst
der Kirche, bald zu dem der Futuristen betete, bekümmert.

Einfluß aber hatte nur d'Annunzio, für Deutschland wie Italien, ja für
Italien so sehr, daß, als er während des Tripoliskrieges ein wüstes
Gedicht gegen Österreich verteilen ließ, niemand es verstand, aber
jedermann in Taumel geriet, weil jedermann seine eigene italienische
Stimme auch aus dem unerklärlichen Dunkel seiner aufreizenden Sprache
trommeln hörte.

Von Einfluß waren die Futuristen dann dadurch, daß sie Bewegung
brachten. Bewegung ist gut, wo Tradition ist. Wir haben auch die
Bewegung der italienischen Futuristen aufgenommen, obwohl wir ohne
Tradition sind, ohne Sinn für spekulative Kunst und obwohl es nicht gut
für uns war, sie aufzunehmen. Man kann wohl sagen, daß wir Hunnen des
Geschmacks vielleicht seien, die Hunnen Europas sind jedoch meistens die
anderen gewesen. »Ich verachte alle Boches,« sagte ein gebildeter
Engländer mir in Innsbruck, »hier heißen sie aber Franzosen.«

Die Deutschen sind von einer rührenden Großartigkeit der Welt gegenüber.
Wären sie es gegen sich selbst, sie wären das Herz Europas. Hätten wir
am neunten November des Revolutionsjahres statt lediglich Rissen
zwischen den Volksteilen nationale Bindungen großen Sinns gehabt, wäre
eine Nationalversammlung eingetreten, die, jedem im gerechten Ausgleich
gebend und nehmend, das Gesamtgefühl gestärkt hätte, dem Feind statt wie
ein Epileptiker wie eine große, aber unglückliche Nation
entgegengetreten wäre . . . . wir ernteten heute eher den Ruhm Europas
für die Größe unseres Unglücks, als daß wir den Foot-ball der anderen
Nationen darstellten. Aber es ist nicht das Schlimmste, wenn man seine
Bestimmung erfüllt, maltraitiert zu werden. Auf die Dauer gibt es keine
»Sieger«, denn sie würden ersticken an ihrem Triumph.

Auf die Dauer gibt es nur die Gesetze der Natur, die immer ausgleichen.
Wer Sieger allein sei, sagte der Gründer der Alhambra, Mohamed, als er
bei der Belagerung Sevillas dem König Ferdinand gegen seine maurischen
Freunde helfen mußte und siegte, . . . . . . . wer Sieger sei letzten
Endes, sagte er, indem er auf Gott deutete, traurig, aber voll Hoffnung:
»Wa la ghalib ila Ala.« Man hat mit einer hinreißenden Größe in
Deutschland vielleicht in diesem Sinne nie an Gott gedacht, aber an
Europa nicht gezweifelt und alles in die Scheunen gesammelt, was um die
Grenzpfähle wuchs.

Es gibt keinen Niggerstamm, dessen Götzen, und keinen Japaner, dessen
Perspektiven wir nicht untersucht hätten. Die Literatur der Ungarn, die
aus dem Journalismus kam, die zuerst die Deutschen, dann Sue und Scott
nachmachte, bis Petöfi sie ein wenig völkischer erlöste, haben wir zu
unserer besten Unterhaltungsliteratur befördert. Wir haben jene
stallburschenhafte Unbekümmertheit unter schiken Reithosen, jenes
Paprika auf der Zunge und Pomade im Haar, das die an der Seine
parfümierten Theaterstücke der Molnar und Konsorten ausmachte, neben der
»Minna von Barnhelm« gespielt, während Büchners »Leonce« nicht gespielt
ward. Wir haben das wenige, was nicht erbärmlich in ihrer Prosa ist, in
den graziösen Geschichten Ernö Széps, in dem Seelenspaltungsroman von
Babits, in der erotischen Bauerngroßmäulerei des Moricz aufgenommen.

Wir haben sodann den anderen Mongolenstamm, den Europa birgt, hell in
die Weltliteratur hineingeschoben, haben uns als erste durch das
Verdienst des Dozenten Schmidt in Helsingfors um die zeitgenössischen
Finnen gekümmert. Das fabelhafte Schöpfungsgedicht »Kalewala« war
bekannt. Goethe hatte sich schon um ihre Volkslieder der damaligen Mode
nach gerichtet. Nun folgt die ganze literarische Generation eines
Landes, dessen gebildete Schicht im wesentlichen jahrhundertlang
schwedisch sprach und schrieb. Juhani Aho, welcher das barbarische Land
mit Stromschnellen und indianischen Gebräuchen in großartiger Wildheit
malte, ist nun ein deutscher Autor. Aleksis Kivi hat die zerblasene,
barock sinnierende Rabelaisiade des finnischen Volkslebens zu dem
deutschen »Simplizissimus« hingeführt und in die Nachbarschaft von de
Costers »Uilenspiegel«. Bei Ilmari Kianto, in dessen Büchern sich
zwischen Gletschern und Raubtieren die Zeitwellen schon bis zum
Zerplatzen biegen, tritt das soziale Element der Mongolen in die
Literatur der Deutschen, das auf der ganzen Welt, nicht zum Vorteil der
Begabungen, die Dichtung zu beherrschen beginnt. Mit France, Gorki, Shaw
stirbt eine Generation von breiten Dichtern mit ihren Gesellschaften
aus. Europa ist noch nicht zurückgekehrt, um neue Führer für neue
Gesellschaft mit ihrem Finger zu benennen.

Wie groß war die Wirkung der klassischen Russen und Engländer auf
Deutschland. Gogol, Tschechow, Saltykow, Puschkin, Tolstoi, Dostojewski.
Sie sind deutsche Autoren geworden. Die Dekadenz der russischen
Literatur ins Westlerische, von Turgenjeff an, den fast gallischen
Kusmin, den schönen, aber vom Geist der Städte zerpflückten Dymow, den
rastlosen Panin, den verrückten Remisow hat es übertragen und geschätzt.

Die russische Kunst hat nun einen Messiasgang unter der Fahne »Kunst dem
neuen Volk« angetreten. Alexander Block mit seinen »Zwölf«, jenem wilden
Sturmgesang der Bolschewiken, hat in einem verzweifelten Beispiel
dennoch bewiesen, daß man auch als Politiker große Kunst schaffen könne.
Die Kunst Europas ist zwar in vielen Experimenten befangen. Die
Deutschen haben aber keinen Augenblick aufgehört, selbst den
Experimenten nachzuspüren. Es fehlen nur die Massen, die früher eine
Kunst wie die der Manzoni, Voltaire, Richardson verschlangen in jenem
Augenblick der Geschichte, wo Kunst und Publikum sich im gleichen Gefühl
trafen.

Wo sind auch die Signale, die England einst herüberfunkte? Hinter Percys
»Reliques« und Macphersons »Ossian« lief ganz Europa her. Die Werke der
Addison und Richardson wurden als Feuer benutzt, die Franzosen
auszuräuchern, als der Geschmack zwischen Westen und Norden schwankte.
Der »empfindsame« Sterne, Fielding, dieser entzückende Spötter,
Goldsmith, der mit Flötenspiel durch die Welt reiste und medizinierte,
bestimmten einst den deutschen Gefühlsausdruck. Die Romantik Bulwers
überschwemmte alle gefühlvollen Herzen, die Elliot malte ihre Sätze in
jedes Album, um Currer Bell vergoß man männiglich Tränen. Man freute
sich mit dem großen Redner Sheridan und seinen Witzeleien, man lag am
Herzen der Smollet und Thackeray und Defoe und Swift.

Wie hat man den Dichter feurigsten Genres, den schönen Lord Byron
geliebt und wie waren später der schöne Urning Wilde und Beardsley die
sichersten Ponten im Spiel der Geschmäcker. Aber erst Scott ward ein
Autor, um den Europa sich riß und mit Dickens wäre jeder Germane gern
gestorben. Deutschland lebte von England, weil es ein breites
bürgerliches Publikum besaß, aber keine bürgerlichen Romane.

Das Publikum ist heute in der Zersetzung, aber auch England hat keine
Autoren mehr außer dem Savanarola der Militaristen, dem Kipling und dem
Lächler und Sozialisten Shaw. Zwischen ihnen steht (außer dem famosen
Wells) lediglich noch der gescheiteste Mann Englands, Chesterton, halb
Prälat, halb Kunstreiter, den Blick nach Rom gerichtet. Chesterton, der
sogar Detektivgeschichten benutzt, um katholische Seelen zu fangen, der
den Curé-Kriminalisten erfand und als Spötter sich über seine eigne
Propaganda für Rom artig ergötzt. Die katholische Kirche ist -- weiß er
-- das elastischste Gebäude der Welt und gestattet als einzige
Organisation der Welt die Ironie.

Kipling ist Engländer und hat mit dem im Irrsinn verstorbenen Lord
Northcliff ein halb Dutzend Jahre den größten Preßkonzern der Welt gegen
uns in Batterien der Unflätigkeit aufgestellt. Armes Deutschland, daß
auch Kipling, ein Dichter und gewaltigerer Tierschilderer als unser
Hagenbeck und der Däne Fleuron, daß gerade ein Raubtier-Dichter wieder
das Wort von der Vorherrschaft der weißen englischen Rasse über die Welt
und die Schurkerei seines deutschen Konkurrenten erfand. Es waren
geschickte Jagdzüge, und das deutsche Fell blutete heftig darunter. Shaw
und Chesterton sind dagegen Iren. Auch in England hat der Sieg neben dem
Europäer Shaw nur einen überhitzten Nationalisten als Repräsentanten
hochgebracht. Sonst hat Europa auch dort Pause. Hinter den beiden Iren
ist nichts mehr da.

Nur von Amerika haben wir einen bedeutenden jungen englisch
Schreibenden, den Upton Sinclair geholt, dessen Bücher dichterischer wie
die des Barbusse sind. Er ist ein magister artium der Revolution, denn
er versucht politische Propaganda, aber es wird gegen seinen Willen
Kunst. Schon immer besaßen wir Amerika. Als vor hundert Jahren
Washington Irving seine Skizzen schrieb, die England und Amerika aus der
Schmollerei zur Freundschaft brachten, haben wir den Irving sofort
übernommen, an Cooper ist eine Riesenliteratur der Indianerbücher groß
geworden, an des Bostoner Emersons Klügeleien haben ebenso viele sich
gewärmt wie andere an der Engländer Ruskin und Carlyles beschränkten
Gedankengängen. Mit Bret Harte erstand Kalifornien so nah wie Bayern im
deutschen Gesichtskreis, Longfellows reizende Epopöen las man in
größeren Massen als die englischen tuberkel-süßen Prärafaeliten. Poes
Grausen hat seine furchtbare Nüchternheit neben unseres Hoffmanns
Romantik gesetzt. Mark Twains Witze las oft, wer Morgenstern oder
Lautensack unter den deutschen Humoristen gar nicht kannte.

Wir haben freigiebig dem Rumänen Monolescu unsere Perlen gelassen und
seine Diebsmemoiren dafür gedruckt, haben es willig hingenommen, daß
polnische Emigranten während des Kriegs, ehe sie zu antideutscher
Propaganda ins Reich Pilsudskis zurückkehrten und schwiegen, uns die
halbe ziemlich greuliche polnische Literatur servierten, darunter
allerdings den kessen Roman des slawischen Napoleon von Przerwa-Tetmajer
und den Mondroman von Zulawski. Wir haben spanische Schelmenromane,
haben des portugiesischen Zola, des Queiroz Bücher, haben die Poesien
der Asiaten und Afrikaner, der Kabylen und Lappen zu uns eingeführt in
einer Flut, die bald hemmungslos weiterströmt als man mitkann.

Das konservativste Herz Europas ist das der Schweizer. Selbst ihre
»Nichteingesessenen, Eingekauften« stammen noch aus dem fünfzehnten
Jahrhundert. Ihre drei möglichen Dichter sind auf das deutsche Pferd
gestiegen und damit in den großen Tattersal geritten. Das liberalste
Hirn Europas sind die Juden. Wir haben aus dem Jiddischen ihre Dichter
übersetzt, haben Scholem Alejchem, Perez, ben Gorion gebracht und die
Paies und Kaftans und Chuzpes und ihre tiefe Gläubigkeit, ihr unerhörtes
Nationalbewußtsein neben das unsere gestellt, haben durch des
bedeutenden Denkers Buber vermittelnde Hand die großen östlichen Rabbis
aufgenommen, die Chassidensekten und ihre Verkünder, haben den Rabbi
Nachmann, den Baalschem zu deutschen geliebten Denkern gemacht. Wir sind
das Meer geworden schließlich, wohin die Skandinaven ihre
Wikingerfahrten machten, statt Rom zu plündern oder Karthago zu erobern.

Wir sind das Meer geworden, wohin die unheilvoll produktiven Skandinaven
ihre Regatten machen. Es ist leicht sie zu gliedern, wo man sie ja
langsam alle bis zu den armseligsten Ratten kennt. Hinter den
norwegischen Segeln liegt Christiania und das Eismeer. Über den
Stockholmer Rufen weht schon die slawische Stimme. Um die dänischen Cats
weht wie Versailles der weiche Kopenhagener Wind. Bald fehlt kein
Renntier, das zu stottern anfängt, kein Eskimo, der ein paar Runen
zeichnet, kein delirierender Lappe in der Übersetzungskompagnie.

Voran die buntesten Segel mit den Schauspielern der Literatur, die
Dänen. Sie schreiben entweder wie Jakobsen, dessen Stimme stets auf den
Fußspitzen steht, oder wie Jensen, der ein Tigermaul hat. Sie haben mit
dem zarten Bang uns einen radierten Impressionismus geschenkt, der
entzückende Tierempfinder Fleuron, der süße Südseemaler Laurids Bruun,
der vornehme Gelehrtenkopf Gjellerups sind aus Jakobsens Schule. Dagegen
sind der sibirische Vagant Madelung mit seinen gemeißelten Sachen, der
tolle Jürgensen, der das Tiergebrüll der Kongonacht aufruft, von Jensens
wundervollem Blut. Hinter ihnen her sind zweiundachtzig kleinwüchsigere
Dänen in Deutschland ausgebootet. Darüber hat Pontoppidan dann mit der
Freskenkraft eines müden Rubens sein sterbendes Zeitalter gemalt, und
der große Dichter Nexö hat mit der Wildheit eines zwanzigjährigen Rodin
das proletarische Zeitalter schon frohlockend an die Küste von Bornholm
geschrieben.

Hinter dem gekreuzigten Quäler Strindberg haben alle lyrischen
Melancholiker Schwedens immer auf deutscher Erde fester wie auf Götland
und Dalarne gestanden. Die schollenduftende Lagerlöf, der
klassizistische Halström, der sanfte Geijerstam, der Epiker Heidenstam
sind deutsche Autoren geworden, ja der Kriminalschreiber Frank Heller
versorgt das deutsche reisende Publikum fast völlig, zwanzig andere
hinter ihnen her. Von den Norwegern hat man den Globetrotter Hamsun als
Erben des Großbauern Björnson mit dem Einfluß übernommen, den englische
Romanciers manchmal in letzter Zeit sandten. Der größte Bekenner der
modernen Weltliteratur, Hans Jäger, aus der Frühzeit des Malers Munch
und der norwegischen Naturalisten, hat nur in Deutschland seine
unbeschreiblich qualvollen erotischen Beichten ablegen können. Siebzehn
Holzfällerboote mit Renntiersegeln und ein Dampfmotor mit Ibsens
drohendem Zeigefinger am Stern hinterher. Er deutet mit belehrender
Eleganz nach Swinemünde: Es lebe Deutschland.

Alles wollten wir haben, alles haben wir eingeführt, allen haben wir
geholfen, an die europäische Rampe zu kommen. Jeden Sinn, jede Farbe,
jede Schwärmerei haben wir gesucht. Sind wir nicht ausgezogen, selbst
die Windrose noch dazu einzufangen? Wir haben die Windrose selber
geholt, Mijnheer, weil wir auch die Winde der ganzen Welt lieben.

Aber es genügt nicht zu raffen, zu holen, zu helfen, zu sammeln. Wir
waren so lüstern nach allen Möglichkeiten, daß wir übersahen, daß
niemand sich revanchierte. Als die Franzosen durch ihre
internationalsten Künstler eine Ausstellung in Paris vorschlugen,
machten selbst sie den Einwand, für jedes verkaufte deutsche Bild müsse
Deutschland ein französisches kaufen, während kein Bild der Deutschen in
Frankreich wandert, aber tausend französische bei uns verkauft werden.
Wir haben von der Welt nie das Verhältnis von eins zu eins gefordert,
wir haben nicht einmal die Quote eins zu hundert verlangt, wir haben,
wenn wir plombiertes Eisen kauften, nicht einmal daran gedacht, daß man
unsere Saphire dafür wenigstens nehmen könne.

Es hat uns genügt, wenn man unsere Lokomotiven, Schiffe, Chemikalien
lobte, wir waren Verschwender im Einkauf und nachlässig in der
Propaganda unseres Geistes nach auswärts. Wir haben die Welt kennen
gelernt, ohne sie zu verstehen, die Welt hat von uns nicht einen Centime
akzeptiert. Warum aber soll man jeden Mist nehmen, weil der dänische
Verlag Gyldendal in seinen deutschen Verlagsfilialen die Mark mit einem
halben Öre kauft? Man braucht, finde ich, nicht weniger weitherzig zu
sein, wenn man nur das Beste nimmt und sich im übrigen abschließt.

Was haben wir von verwaschenem Internationalismus unserer Gewohnheiten,
wenn der deutsche Nationalausdruck noch nicht geprägt ist? Was tut der
deutsche Commis in schlotternden englischen Hosen, wenn er sein
deutsches Herz noch gar nicht kennt. Hat man sich aber besonnen auf den
deutschen Charakter, dann ist das Deutsche so sicher, daß es auch die
Welt mit umfaßt. Dann aber werden auch die anderen gezwungen sein, uns
zu besitzen.

Man erlangt nur Europa, wenn man sein Volkstum auf die schönste Spitze
treibt, nicht indem man es wegwirft. Der Europäer ist der aus der
Klarheit und aus der Vollkommenheit seines Stammes-Blutes heraus
geformte und nur dadurch Überlegene. Er ist kein Gebräu aus
internationalen Theorien, deren Geruch so schlecht ist wie jener der
unreifen Schwertrufer des Vaterlandes. Man wird daher nicht
deklamatorisch eines Tages sagen wie der Gallier: Weil Frankreich ist,
ist Europa. Sondern: vielleicht wird Europa durch den Deutschen
zurückgeführt.

Der Deutsche hat wahrlich viele Fehler vor Gott, aber schöne Tugenden.
Er hat eine Treue zu seinen Ideen, die keiner sonst hat. Er hat die
Duldung, die übermenschlich manchmal ihn selber und sein Gesicht
verwirrt. Mit Swinburne im Flugzeug flog er nach London, lag mit
Dostojewski im Tornister gegen die Russen, haßte den Krieg und ließ sich
doch aus Anstand für eine tote Sache erschießen. Welche Qualitäten,
welche Weite, risse endlich einmal der richtige Wirbel statt den
falschen Engeln dies alles hoch! Er hat schon europäische Augen, nur
einen kleinstädisch gespannten Verstand. Wüchse ihm das rechte
Bewußtsein, er würde das schönste Volk der Erde.

Selbst heute, wo Europa stagniert, wo die ehrwürdigen Väter der Kunst
mit ihren Zeitrassen verschwinden, selbst in die atemlose Luft hinein
zwischen den alten und den neuen Schicksalen, hat Deutschland jedem über
seine Zäune hinübergewunken, aber niemand hat zurückgerufen. Ist der
Winker der Tor, der immer mit dem Degen die Luft durchbohrt, oder ist
der Nichtantwortende der Kluge?

Ach, neutral sein in großen Dingen ist nie unverdächtig, und selbst die
Westschweizer waren im Krieg ententistischer als die Entente. Die
Franzosen wollen den Frieden, sagte man, mais les Lausannois ne la
veulent pas. Europa ist kein Marmor und man kann ihn nicht im Kabinett
vergewaltigen wie jener Spanier in der Peterskirche geheim mit Jakob
della Portes Standbild tat. Sie ist eine Idee, die wird oder stirbt.
Ach, Europa wird kommen, wenn wir es suchen auf allen Seiten, oder wir
werden weiter winkend krepieren, aber im Sterben auch noch ihr Bild vorm
Auge: Je t'aime plus qu'hier et beaucoup moins que demain.

Was hindert die Kinder Europas, zueinander zu kommen? Ein wenig
Vorurteil. Was macht die Unterschiede der Menschen aus? Kaum fühlbar
andere Sitte. Im feinen England wird man nie baskische Provinz wie in
Berlin mit Fräcken spielen. Eine französische kleine Kokotte wird mit
einem armen Studenten das Brot teilen statt ihn anzuzeigen wie in
Holland. Ein englischer Sportsmann wird nie wie ein französischer oder
deutscher wegen des Rekords von ein paar Minuten Kameraden im Stich
lassen oder Damen im Bob anrennen. Eine französische Jury wird einen
politischen Verbrecher erbarmungslos fassen, eine Frau immer
freisprechen, eine russische wird im Angeklagten immer den Unglücklichen
sehen, der Mitleid, und nicht Zorn verdient. Und beiden wird der
dogmatische Gerechtigkeitssinn der Deutschen fehlen, die meinen: und
wenn die Sonne erblinde, der Paragraph müsse durch die Wand. Man wird
weiter in Amerika sich gegen Zwillinge versichern, in England Weekend
machen, in Brüssel Deserteure bildlich von der Mauer mit Militärmusik
schießen, in Spanien Blumensträuße in die Bordelle senden, in Polen
Kartoffeln bauen, in Schweden im Freien sterben, in Italien das Meer
fürchten und in Deutschland Europa lieben.

Das, Mijnheer, sind die inneren Unterschiede der Nationen. Man kann sie
auf den Rand einer Zeitung schreiben.

Kein Wind geht irgendwo anders, kein Baum steigt höher in den Himmel,
kein Stern hat anderes Licht. Es gibt in Europa kein Klima, das sich in
Amerika nicht wieder fände. Es gibt keine Geschichte, die nicht
gleichzeitig ein Abencerrage und ein Samurai den ihren je erzählt
hätten. Skandinavien liegt fünfzehn Breitegrade (so weit wie Berlin und
Tunis) gestreckt und hat das gleiche Klima, das warme Meere und
Windströmungen ausgleichen, während der Süden Europas mit kalten Nächten
sich temperiert. Man reist mit den gleichen Koffern, gleichen Tickets,
gleichen Gesetzen. Was trennt die Kinder Europas, sich zu finden?

Selbst die Götter haben sich zueinander gesellt. Den Janusgott, der
ihnen fehlte, fanden, mit dem doppelten großen Haupt, die Griechen in
Rom. Sie überwiesen dafür den Italern den Apoll und ihren Hermaphrodit.
Der mongolische Jumala und Odin, die gallische Venus und der englische
Jupiter werden zusammen der Göttin Europa huldigen können.

Sie würde, wenn sie käme, eine reife Laune haben, jung wie der beste
Sommer. Die gesungenste Sprache der Finnen wird mit der gezischten der
Slawen, mit dem Sachlich-Warmen der Germanen und dem grazilen Marmorton
der Franzosen im gleichen Takt nach ihr gehen. Die Musen hätten kein
Rokokospiel, aber repräsentablen Ernst. Die Monate würden heißen wie in
»Hiawatha«: Mond der schönen Nächte, Mond der Blätter, Mond der
Erdbeeren, Mond des Laubfalls, Mond der Schneeschuhe. Das wäre eine
angenehm kultivierte Rasse dann, die diese geliebte Lehmkugel bewohnte,
mit Erinnerung an die Gletscherzeit und die Zuchtstiere, verliebt in den
Boden und mit dem Gott in Ordnung und elektrische Öfen dazu.

Ach, Mijnheer, im Mondschein steigen sechs Pferde schweißend, den
Schneepflug hinter sich, die Schneise herauf, Haselzweige in Blust am
Zaumzeug. Es ist hell wie am Tag, sie steigen überwölkt von Dampf durch
den Hohlweg, morgen wird der Weg hinunter beendet in den Frühling. Die
Geographie der Jahreszeit ist vereinigt: Hummeln stürzten bereits heute
in Scharen auf die Weiden, die aus dem Schnee in die Tagsonne sich mit
Blüten strecken. Wie die Landkarte Europas sei?

Man kann sie mit ungeheuerlichen neuen Bildern täglich malen. Anders wie
das Forte piano der Teiler von Versailles, die statt wie Dioskuren wie
Gentlemen-Taylors geschnitten haben. Anders, voll nüchterner Romantik.
Ein verständliches Paradies. Nicht das pathetische Theater des
Kopernikus mit seiner »lucerna mundi«: der Weltleuchte, umgeben von
Tierbildern, Pflanzenwäldern, Menschenscharen, flammenden Polarlichtern,
farbigen Ozeanen und Meersäulen. Das ist für Fakire, nicht für Menschen.
Der Mensch Voltaires, glücklicher Candide, sprach die richtige und
menschlichste Losung für Europa: »Bebauen wir unseren Acker.« Alles ist
dann in Ordnung. Man kann ruhig leben, gut sterben. Himmel und Menschen
sind meistens einer Meinung. All right. Sie lächeln, Mijnheer? Es ist
die zweitletzte Nacht.



Die zehnte Nacht


Mijnheer . . . . . . . !!!



Letzter Vormittag


Mijnheer, wir sind frei.

Im Schlitten vor uns fahren die Filmleute. Hinter uns jagt mit
Schellenklirren eine Karawane zu Thal. Die Tiere schütteln sich vor
Wonne unter dem blauen Horizont, und der Wald ist, von Sonne getaut, in
der Nacht wieder zusammengefroren wie singendes Glas. Wo waren Sie heute
Nacht?

Ich war nicht bei Ihnen, aber Sie waren auch nicht in Ihrem Zimmer. Ich
sah es, denn Sie hatten kein Licht, und als ich rief, lachte es in einem
anderen Korridor. Wir glücklichen Toren! Wir haben ein doppeltes Dasein
geführt, wir haben mit Grübeln in den Nächten das Leben bestimmt und den
Tag uns gegenseitig verschwiegen. Wir haben die Nächte mit Reden erhellt
und unsere Tage im Dunkeln gelassen und zweierlei Dasein gelebt. Nun ist
das Leben plötzlich in unsere Gespräche eingedrungen wie ein Tier und
hat uns die zehnte Nacht entrissen. Fahre sie wohl.

Es geht wie im Traum, der Schlitten schwingt im weichen Tempo des
Hufschlages. Die Abhänge sind an den Felsen manchmal schon »aper« und
beugen sich voll Lawinen über den Schwarzwald hinab.

Sehen Sie zurück: auf Gisiböden, Notschrey, Blösling, Seebuck steigen
Säulen von Dampf. Schauen Sie ins Tal: da strudeln in den langen
Sonnenfächern rosa und blaue Nebelwolken. Welcher Zauber. Welche Weite.
Die Welt ist wieder offen.

Auf dem Bruchharsch des Zweiseeblick fahren die Skiheroen ins Tal. Sie
schwingen wie Kreisel in alpiner Technik über das Eis, flitzende
schwarze Punkte, dann stäuben sie in die Latschen. Die Sonne greift aus
der gläsernen Gegend eine vor Leidenschaft zitternde kühle Musik. Noch
ist die Erde nicht aufgeplatzt, dem Frühling entgegen. Aber die Ebene
kommt uns entgegen. Die Erde nimmt uns auf, als habe der Okeanos, der
sie umschließt, sich mit reißender Wonne über sie ergossen. Was bleibt
von der Kühle und Distanz, mit der wir sie aus unserer Verbannung heraus
geteilt und beurteilt?

Was bleibt an Überlegenheit, wenn die See und die Alpen uns anglühn?
Dahinter liegt Venedig und über dem See die Städte. Von Badenweiler bis
Zürich, von Freiburg bis Köln geht der Atem der Landschaft. Und hinter
der Heimat steht unentziffert, mit allen Wundern verschleiert,
rätselhaft wieder die Welt.

Was bleibt nun von dem, Mijnheer, was wir zu entzaubern versuchten?

Was ist Kunst?

Zuerst ein Mißverständnis von oft entzückender Albernheit bei den
Menschen. Welches Panorama von Witzen!:

Friedrich der Große schrieb dem Schweizer Myller, der ihm das
Nibelungenlied sandte: »Hochgelahrter, lieber Getreuer. In meiner
Büchersammlung werde ich dergleichen elendes Zeug nicht dulden. Sondern
herausschmeißen.« Voltaire krächzte über Shakespeare als ein
lächerliches Scheusal. Der Dichter Flaubert ward zum Naturalisten, der
Mensch zum Verfasser von Cochonnerien gestempelt. Heine hielt eine
Zeitlang Goethe fürs Haupt der romantischen Jünglinge. Zola hielt sich
für einen nackten Schilderer der Natur und war doch ein versteckter
Romantiker. Man warf ihn aus der Zeitung, weil er für Courbet eintrat,
und nannte eine häßliche Frau »femme impressioniste«.

Das Rokoko hielt die chinesische Kunst für eine Pläsanterie, benutzte
ihre Schnörkel hochmütig und sprach über sie als »Indianische Malerei«.
Balzac habe die Gesellschaft seiner Zeit am Schreibtisch ergrübelt und
nicht geschildert und sei ein kindischer Schwachkopf, schrieb ein
maßgeblicher Mann seiner Zeit. Und ein anderer fügte hinzu: wie die Mode
Hugos restlos verschollen sei, werde auch Zolas schwaches Geschwätz
dahingehn. Einer der besten Kunstwitterer Deutschlands, Paul Cassirer,
hielt, als ich ihm kurz nach der russischen Veröffentlichung Alexander
Blocks mir zufällig in die Hände geratende »Zwölf«, die
Jahrtausend-Marseillaise aller Kommunisten, für seine »Weißen Blätter«
sandte, das Gedicht für eine kleine Ballade. Die Piraten der
öffentlichen Meinung haben Achtzehnhundertachtzig gegen Manet wörtlich
buchstabengetreu denselben entflammten Unsinn geschrieben wie gegen die
Expressionisten. Was ist Kunst, Mijnheer, wenn Sie die Zeit fragen? Es
wertet nicht das Lächeln eines holländischen Gentleman, der eine gute
Zucht schwarzweißer Rinderherden hat.

Wenden Sie sich zu den Künstlern, wirds ein Bajazzospiel des
Temperaments. Jeder liebt das ähnliche und kreuzigt das andere. Ingres
hielt sich zu Holbein und Rafael. Beckmann schwört zu Mäleskirchner und
Bosch. Böcklin, Feuerbach, Schwind wüteten gegen Macart und Piloty.
Balzac amüsierte sich über Hugos Stücke und verehrte Stendhal. Corot
hielt Delacroix für einen Adler und sich für eine Lerche, während Ingres
von Delacroix als einem Epileptiker stöhnte. Heine hat Platen zwischen
einer Diarrhoe vernichtet und die Schwaben verlacht, aber Lessing mit
strenger Liebe bewundert. Fragen Sie einen Coiffeur, Mijnheer, was Kunst
sei, aber meiden Sie die Träger der ewigen Fackel! . . . . . . .

Nun traben die Pferde ums Bärental, geflockt von Lämmerschnee schwebt
die Ebene unten bis an den Rhein und der Wald über uns löst unter der
Sonne seinen weißen Ballast und wirft ihn dampfend und spielerisch durch
das Blau herunter.

Unser Schlitten ist rot lackiert, Mijnheer, und wie ein Minerva-Wagen
gebaut, er hat die gleiche Federung auf dem Schnee und den ventillosen
ruhigen Gang. Die Pferde knirschen schäumend an den Trensen und werfen
die Köpfe in die Luft, und nur die Glocken des Sattelzeugs durchtanzen
die Ruhe der landschaftlichen Majestät.

Nun traben die Pferde zwölfhundert Meter über dem Meer mit stolz
gebäumten Hälsen und wagerechten Köpfen schon fast hohe Schule von einer
Schleife der Straße in die andere nach dem Rhein.

Was bleibt von den Stilen, den Richtungen, den Gruppen der Jahrhunderte,
wenn selbst die Gäule eine Schule des Ausdrucks haben, ihre unterdrückte
Leidenschaft nach der Ebene in einem prachtvollen Stil zu bezeugen?

Alle Schulen scheinen vorne die Kampftruppe einer Epoche, dahinter aber
erscheinen sie nur als Widerstreit zwischen Können und Welt. Was liegt
dazwischen, Mijnheer?

Im einzelnen Fall gesehen ist die Antwort vielleicht schon zu einfach:

Die ägyptische Plastik war wohl der größte Versuch, das Persönliche in
das Mächtige münden zu lassen. Berninis Büste des vierzehnten Ludwig
erstrebte nicht den ähnlichen Mann, sondern allerdings darüber hinaus
das Königliche. Flaubert spießte nicht mit seiner Pinzette die tausend
Details, sondern sammelte das Kleine immer in bezug auf die Größe.
Voltaire machte nicht Witze, sondern suchte die Ernüchterung seiner
Epoche, Beaumarchais hatte zwar nicht nur Haß, sondern erstrebte nur
Wahrheit. Das ist deutlich und einfach. Wo aber liegt der eigentliche
und letzte Sinn?

Die Inhaber der Schulen haben allerdings nur wie die Wilden
gegeneinander getobt und dem Mißverständnis der Stile auch noch die
Irrtümer ihres Charakters hinzugefügt. Von ihnen ist keine Antwort zu
erwarten. Sie wird höchstens Komödie:

Schiller schwamm durch den Sturm und Drang, beknabberte die Romantik,
durchstelzte die Klassik. Goethe schrieb nicht nur den wüsten Götz, vor
dem noch der große Friedrich schauderte, sondern auch Iphigenie, aber
auch das italienische Tagebuch. Musset, der die Romantik an allen
Seineufern zärtlich bekannt gemacht hatte, schwor ihr mit furchtbaren
Witzen wieder ab. Das Rokoko erfand sich selbst zum Kontrast auf seine
Eleganz die lockeren Schäferszenen. Die ritterliche Hochkultur des
vierzehnten Jahrhunderts stürzte sich auf die Wilden-Männersachen und
schuf in den »ballets de sauvages« sich ein romantisch phallisches
Ventil. Der kleinbürgerliche Gefühlsbulle unserer herrlichen Zeitwende
sogar, der sentimentale Bonsels, begann mit abenteuerlich lasterhaften
Eroticis, während er nun über Jesu gerne ausführlich spricht. Joachim
Kändler, der den europäischen figürlichen Porzellanstil von Meißen aus
schuf, ein bewundernswerter Meister, arbeitete zuerst im Augsburger
Goldschmiedstil, fertigte das berühmte Schwanenservice in den vierziger
Jahren des achtzehnten Jahrhunderts bereits in Rokaille und zehn Jahre
später das große Geschenk seines Königs an den fünfzehnten Ludwig »im
jetzigen goût der kunstliebenden Welt«, nämlich in Rokoko. Ist das nicht
lustig?

Keine Pamphlete, keine der trojanischen Schlachten, welche die Vertreter
des einen gegen die des anderen Stils schlugen, täuschen über das
Komische jener Einstellung hinweg, die vermutet: daß der Stil das
Wichtige und der Künstler das Unwichtige, die Kunst aber ein Feldlager
sei.

Der Professor Bergeret bei Anatole France hatte eine geruhigere Ansicht,
als er nach dem Ehebruch seiner Frau aus dem Hause stürzte und plötzlich
an allen Ecken in Kreidegrafittos seine Karikatur als Cocu sah. In der
einen Auffassung der Zeichnungen wuchsen ihm die Hörner aus dem Kopf, in
der anderen aus dem Zylinder. »Zwei Schulen«, dachte Bergeret und ging
gelassen durch die Promenaden.

Als der Baron Marcellino de Sautuola die Höhle von Altamira vor
vierundvierzig Jahren mit ihren Eiszeit-Rötelbildern fand, lachte ganz
Europa, und Cartailhac, der das später männlich zurücknahm, erfand den
Spaß vom Ulk der spanischen Mönche. Bald aber war nicht zu bezweifeln,
daß hier eine Kunst vorlag, die vor fünfzigtausend Jahren an die Wände
gemalt ward. Der Wolf in Font de Gaume sowie der Bison von Altamira sind
gewaltigere weitere Kunst als alle persischen Miniaturen und Teppiche
und unvergleichbar großartiger als die ähnliche Malerei des Franz Marc.

Fünfzigtausend Jahre sind eine erhebliche Zeit, alles, was uns wert ist,
liegt im wesentlichen höchstens dreitausend Jahre in der Welt. Wollte
man in der zwanzigmal größeren Spanne bis zur Eiszeit nach Schulen
suchen, würde selbst der Gott der Historie platzen vor Lachen.

Wir haben ohne Zweifel die Schulen von siebenundvierzigtausend Jahren
vergessen, aber die von dreitausend Jahren eifrig auswendig gelernt.

Den ersten Napoleon hat seine Schildkröte hundert Jahre überlebt. Und
von Fieldings »Tom Jones« meinte ein Kritiker, es werde, da der Autor
habsburgisches Blut in seinem englischen Körper hatte, den
österreichischen Doppeladler überdauern, und es hat ihn überlebt. Was
bleibt, Mijnheer, an alledem, wenn aus der Nähe, von Pupille zu Pupille
gesehen, dem Sucher der Sinn der Stile nichts anderes scheint als der
Anlaß zu Albernheiten für die Zeit und spöttischen Kartenspielen der
Jahrhunderte?

Es bleibt, Mijnheer, im Wechsel der Gruppen und Erscheinungen derselbe
unbestimmbare Reiz wie bei den Saisonen der Natur: Herbst,
Fruchtbarkeit, Korn, Park und Flüsse . . . und der Widerstreit, den die
Schönheit des einen gegen das Leben des anderen führt und es vernichtet.

Es bleibt die Kraft der Natur, durch den Wechsel sich zu fabelhafter
Elastizität zu erziehen, die Knospen zu sprengen, wenn sie prall, und
die Früchte zu nehmen, wenn sie reif sind. Darüber hinaus hat alles nur
den Zweck des Kampfes zur Erreichung eines immer glühenden Umlaufs der
Säfte. Gegen die französische Akademie, die um Poussin und das antike
Ideal erstarrte, zog de Piles mit den Rubenisten und verlangte die
Vermenschlichung der Poussin-Garde. Aus der Vereinigung entsprang
Watteau, gegen den das Messer einer neuen Klassik sich schon schliff.
Maxime du Camp hat über einen Genius gesungen: »Je suis né voyageur, je
suis actif et maigre /// J'ai peur de m'arrêter, c'est l'instinct de ma
vie.« Es wird der Genius gewesen sein, der die Stürme der Richtungen
gegeneinander führt und keinen Sinn hat als den, die Fruchtbarkeit des
Lebens toll und süß und scharf zu halten.

Es gibt keine Stile mehr unter diesem Gesichtspunkt, sondern lediglich
den Kampf von Sein und Schein, von Wollüstigen und Beschnittenen, von
Verklärten und Abenteurern der Kunst. Das Barocke hat stets mit dem
Klassischen sich gejagt, aber niemals war der Bürgerschreck Wahrheit,
daß das eine größer, das andere kleiner sei. Die Natur hat keine
subalterne Kritik zu sich selbst, und was das Ruhige und das Lodernde
trennt, sind nur Unterschiede des Thermometers, nicht solche des
Glanzes.

Das Barocke ist nicht das Verhüllte und das Klassische dagegen das
Gesegnete, sondern beide sind vom gleichen letzten Adel der Helligkeit,
wenn sie erlesen gesucht sind. Wedekind und Bosch sind Signale der
Klarheit im Barocken. Shakespeare und Calderon sind Monumente des
Lichten im Barocken. Goethe und Racine, Rafael und Petrarka sind helle
Söhne der Klassik. Es gibt dagegen heute wie stets auch verworrene
Klassik und mißverstandenes Barock. Das Publikum legt keinen Wert auf
diesen einzig richtigen Unterschied, aber es würde bei einer Eselparade
auch nicht auf die Gangart, sondern auf den zweiköpfigen Esel schauen.

Es bleibt, Mijnheer, wenn Sie fragen, was Kunst sei und was standhielte,
gehalten gegen die aufbäumende Kraft des Daseins, es bleibt, über die
ewigen Bewegungen der Jahreszeiten von Blüte zur Frucht, von den
reifenden Äckern und den gewitterroten Herbsten, es bleibt über die
weiche Wehmut des Sommers und die zitternde Kraft dieses Kreislaufs
durch die Jahrhunderte hinaus . . . es bleibt letzten Endes außer dem
unfaßbaren, aber erregenden Zustand dieser Bewegung die stille
Heiterkeit einer menschlichen Erinnerung. Es bleibt, wenn alles
Überflüssige schließlich fiele, wenn das Verhüllende fehlte, wenn das
Zeitliche schwände, es bleibt in letzter Nacktheit jede Kunst als der
Götterfries ihrer Menschen, über jeder vor uns verrauschten Epoche mit
klarster Kraft an den Horizont der Ewigkeit als Erinnerung geschlagen.

Es werden durch diesen Fries die Götter der Sehnsucht und die Göttinnen
der Qualen dieser Menschen vor uns wandeln und die Nymphen ihres
Lächelns werden nicht fehlen und die Dämonen ihrer Leidenschaft werden
darin zittern. Ja, ihre Ernten und ihre Städte, ihre Sklaven und ihr
Reichtum wird darin enthalten sein wie in allen göttlichen Symbolen, die
leicht zu entziffern sind, wenn das Göttliche wirklich seinen Atem in
sie gehaucht hat.

Denn die seligen Götter waren nie ein anderes als die Erhöhung der
Menschen irgend einer Zeit auf einen gewissen Stand ihrer Sehnsucht, sie
waren nicht einmal unfehlbar, sie waren unsterblich, aber verwundbar,
alles wissend, aber zu betrügen, voll Ethos, aber auch voll Haß und
Neid. Sie waren aus beiden Stoffen der Erde gemacht wie die Menschen
auch, denen nur die Kunst schließlich blieb, in ihr die Götter wohl mit
größter Vollkommenheit, aber auch mit allen ihren eigenen Fehlern zu
bilden.

Es ist einfach, von der Kenntnis der Menschen einer Zeit aus auf die
Größe ihres Weltbilds zu schließen, es ist noch einfacher, sich aus den
Figuren der Götter die Gesellschaft jener Nationen zurückzuenträtseln,
die auf dem Rücken der Kunst diese Götter sich gebaut haben.

Denn Kunst ist immer der eifervollste Kämpfer mit der Unsterblichkeit
gewesen. Als die größten Künstler ihrer Zeit, Bernini und Corneille,
sich trafen, redeten sie sofort ohne Pathos, so als ob sie »how do you
do« sagten, davon, wie schmerzlich es sei, daß man so weit hinter seinen
Idealen zurückbleibe. Flauberts Tagebücher weisen Kämpfe, die
verzweifelter sind wie jene Cäsars, Alexanders, Napoleons, um die
Erreichung einer möglichen Welt. Und als Gelimer nach Karthagos Fall mit
den letzten Vandalen in einer numidischen Bergfeste am Krepieren war und
die Herrlichkeit eines phantastischen Reichs damit hinsank, erbat er von
seinem Gegner Pharas neben Brot und Schwamm eine Harfe, um selbst die
Größe seines Unglücks mit der Kunst zu messen. . . . . .

Wir haben, Mijnheer, sechzehnhundert Meter hoch den Schlitten heute
angespannt, haben die Landschaft des Schwarzwaldes in langen weichen
Hängen unter uns ins Land fließen sehen. Hinter den Spießhörnern malten
sich die Vogesen violett an die Dämmerung und hoben Straßburgs
Kathedrale aus der fetten elsässischen Erde. Über dem Titisee funkelte
die rote Lava der Schweizer Alpen. Von Kolmar bis Mainz lag die deutsche
Erde unter uns und sie atmete über den Rhein, wo ihre Geschicke stets
geplant, getragen und gemünzt wurden, immer nur das eine wundervolle
Gefühl: Gelassenheit.

Die Pferde traben nun schon sechshundert Meter tiefer, sie sind von
Hafer toll und gehen elektrisch in der Kandare, wir haben den gleichen
Blickpunkt, um auf die Kunst zu schauen: Ach, wie fliegen, vom Feldberg
der Seele aus gesehen, die Schleifen der Stile, die Banner der
Richtungen, die großen Proklamationen feierlicher Wahrheiten in den
Wirbel der Dampfsäule hinein, der sich von allen Berggipfeln der Sonne
zu hebt, und wie atmet die Brust der Kunst denselben Rhythmus wie die
ewige Landschaft: Gelassenheit.

Nur das Höchste wird spät einmal Sinnbild. Nur das Erlesenste ersteigt
einmal den Sockel. Nur das Auserwählte kommt über die Bewegtheit der
Jahreszeiten mit der fiebernden Brust an den göttlichen Mund, der es
durchatmet.

Die Bewegung von Kunst und Volk ist wie der Wettlauf von Wolken und
Flüssen, die in der farbigen Landschaft versuchen, mit gleicher Eile zu
wandern und mit gleicher Innigkeit sich zu spiegeln. Einen anderen
Himmel hat die Provence, einen anderen Sibirien wie Deutschland. Ebenso
wandern die Wolken gehauchter oder gedunkelt, ebenso strömen die Flüsse
silbrig oder voll Trübsinn.

Die deutschen Wolken haben einen dunklen Kern und geschliffene
stahlhelle Ränder und die deutschen Flüsse haben die wehmütigen Melodien
ihrer melancholischen Tiefe und den Glanz ihrer romantischen Fälle. Aber
die Wolken wandern noch nicht wie die Flüsse und die Ströme blicken in
andere Wolken und zwischen den oft italienisch geformten Wolken und den
germanischen Flüssen ist noch kein klarer reiner Kontur der Landschaft
gezogen.

Die Götterbilder der Kunst haben zwar an alle Horizonte die leicht
entzifferbaren Fresken der Jahrhunderte gespiegelt, aber über ihrem
Barock haben die Deutschen noch nicht die Sehnsucht nach der südlichen
Erlösung vergessen und werfen in ihren Träumen den Himmel Neapels und
Barcelonas an ihren kühlen germanischen und denken sich den dann gern
als den ihren. Sie haben in ihrer wundervollen Einfalt ihre Sehnsucht
mit ihrem Dasein verwechselt, sind bald in den Ruf gekommen, Barbaren,
bald Schwärmer zu sein, haben von jedem ein Teil und können sich immer
noch nicht entschließen, von Bamberg, von dem Vogelweider, von Wolfram,
von Cranach und Bosch und Grünewald, Luther, Fischart, Grimmelshausen,
Grabbe, Kleist, Wedekind den Glanz zu nehmen, mit dem sie andere mit den
Scheinwerfern ihrer Verehrung bombardieren. Götter werden nicht
nachträglich gemacht, sondern sie werden verliehen. Sie sind da, ob man
sie sieht oder nicht.

Einmal wird der dunkle Lauf des stürmischen Flusses mit den schweren
stahlglänzenden Wolken in gleicher Eintracht und im selben Schwung gehen
und sie werden sich in einer Landschaft von Ruhe, Schwere und jungem
Glanz spiegeln. Die deutsche Zukunfts-Landschaft ist ewig und voll
großer Geduld. Ihr Bild schiebt sich schon manchmal aus den fliegenden
Schatten und den durcheinanderwuchernden Hängen zu phantastischer Dichte
zusammen. Nicht bei Niggern und nicht bei Hellenen ist die Zukunft. Sie
liegt barock in der deutschen Vergangenheit, und wenn Kunst überhaupt
mit Zweck zusammengenannt werden darf, so ist ihr gegenwärtiger Sinn,
mit diesem Bewußtsein den Höhepunkt nationaler Blüte zu erreichen, denn
das heißt: daß die deutschen Himmel und die deutsche Erde
zusammenwachsen.

Barock ist die deutscheste Form. Und wie beim klassischen Bildwerk immer
sich der Ausdruck in einem fast flächigen Punkt sammelt, erreicht bei
gleicher Kraft der Schöpfung das barocke Bildnis noch die Stärke, von
seinem Umriß aus zu strahlen. Es sammelt nicht nur wie das Antike,
sondern es schillert und überträgt und wird europäisch. Das ist auch die
letzte Richtung unserer Wolken und unserer Flüsse.

Aber Deutschland.

Die Erbschaft von fast zwei Dutzend Fürsten hat nach der Revolution
nicht das souveräne Volk der Verfassung, sondern die Macht von zwei bis
drei wirtschaftlichen Konzernen übernommen, die fast stärker sind wie
der Staat. Als der Industriemagnat Stinnes nach den Eisenbahnen griff,
führte er die Hand an die Gurgel des alten Staatswesens. Wenn Rathenau
und Loucheur das Wiesbadener Abkommen berieten, hätten beide als Figuren
eines Lustspiels von einem sardonischen Molière sich abwechselnd erheben
können mit der Frage, ob im Gegenüber der Wiederaufbauminister oder der
Präsident der AEG, oder der Präsident von »Terres rouges« sprächen.
Früher bestimmte die Augenbraue eines Königs, später der Zug der
Gemüseweiber mit der Freiheitsgöttin nach Versailles die Geschichte.

Heute umfiebern die Börsen die Geschicke Europas, und Frankreich, das,
den Mund voll Gesängen der Freiheit, seinerzeit zur Einigung des
Kontinents aufgebrochen war, wird nunmehr regiert von dreihundert
Leuten, die vielleicht nicht lesen und schreiben können, aber im
Aufsichtsrat von Creusot, Standard Oil Compagnie, Arbed und Crédit
Lyonnais sitzen. Früher ging la doulce France kämpfend für den Glauben
nach Palästina zum Grab des Herrn, heute sitzen die Deutsch de la
Meurthe, Henri Rotschild, Michelin hinter ihren Ministern und lassen
Deutschland aussaugen.

Aus dem Haag wird gemeldet, in London einige sich eine Konferenz
französischer, belgischer, holländischer, englischer, amerikanischer
Petroleuminteressenten unter dem Vorsitz des früheren niederländischen
Ministers Colyn, um einen Welttrust gegen Rußland zu bilden. Vor wenigen
Jahrzehnten noch rafften ehrgeizige Männer eines einzigen Landes einige
Quellen zusammen, unterboten den Konkurrenten um zwanzig Cents, machten
ihn pleite und kauften ihn auf. Das war Wirtschaftskampf und erschien
ungeheuer. Heute ist die Welt in ihren Stoffen schon völlig ineinander
vertrustet. Die letzten Kriege fanden noch statt, weil das Kapital
Rohstoffquellen brauchte, die Amerikaner fochten mit Spanien wegen der
kubanischen Erze, England mit den Buren wegen der afrikanischen Gold-
und Diamantenfelder, Amerika kollidiert mit Mexiko wegen der
Petroleumquellen, der Kampf um die Ukraine ist der Streit um Kohle und
Erz, die Karambolage zwischen den Holländern und Amerikanern ist wegen
der javanischen Djambi-Petroleumfelder erwachsen. Jetzt aber wird die
Wirtschaft ein europäischer Riese und hat sich so verfilzt, daß
vielleicht die äußeren Kriege unmöglich werden.

Den kühnsten Sprung hat der Deutsche Stinnes getan, die größten Zechen
mit allen industriellen Zwischenlagen bis zur elektrischen Industrie in
seine Hand gebracht, hat mit dem amerikanischen Ölkonzern, mit der
chinesischen Elektrolieferung Liierung eingegangen. Er hat
Petroleumkonzessionen in Comodore Rivadavia in Argentinien, eine
elektrische Fabrik im jugoslawischen Agram, er besitzt italienische
Aktienpakete, hat teil an den Fiatwerken in Turin, kaufte rumänische
Schuhfabriken, um im Augenblick der Konjunktur das nicht mehr
bolschewistische Rußland beliefern zu können. Es gibt keine Grenze für
sein hydrahaft wucherndes Kapital. Erzgruben in Brasilien? Gemacht. Die
Alpine Montangruppe in Österreich? Gemacht. Eine Handelsgesellschaft in
Niederländisch Indien? Gemacht. Eine Waggonfabrik in Choribon?
Konzessionen in China? Der Stille Ozean der künftige Brennpunkt der
Wirtschaft? Gemacht.

Gemacht aus dem pleiten, zuckenden Deutschland heraus, dessen
Papierscheine flattern, dessen Adel erlischt, dessen Bürgertum zerrieben
wird. Selbst die Wirtschaft Europas scheint sich nach Stützpunkten
umzusehen, um mit ihr in andere Kontinente auszuwandern. Denn Stinnes
ist gegen den Morgan-Trust, der das Tausendfache an Kapital
kontrolliert, nur ein Zwerg. Amerika und Asien haben einen Schein von
zukünftigen Wirtschafts-Kränzen um das Haupt.

Gegen die Riesenkraft dieser Kapitäne der Wirtschaft hat sich
die arbeitende Masse in Armee erhoben, der internationale
Metallarbeiterverband hat acht Millionen Mitglieder, soviel als Kämpfer
an den Fronten des Maschinenkriegs. Ihre Bureaus kontrollieren die
Konzerne, ihre Betriebsräte gruppieren sich in derselben Form wie die
Konzerne, die sich nach Form der Seepolypen und Quallen vergrößern und
verändern, und halten ihnen die Gegenwagschale fest.

Zwischen diesen beiden Mächten schwankt das alte Europa. Seine
seitherige Kraft setzt sich um in die Energie, mit der die maschinelle
Epoche in ikarischem Flug die Gegenwart durchbraust, oder verschwindet
in der staatlichen Bureaukratie jener Beamten, die wahrscheinlich die
Sieger des Wirtschaftskampfes eines Tages als ihre Sklaven übernehmen
werden. Die Fahnen des Kampfes sind zwischen die Kapitäne der Wirtschaft
und ihre Arbeiter zerteilt. Wenn sich Europa nicht zerstört und die Welt
damit, werden die schaffenden Klassen sich mit den kommandierenden
vermischen, sie werden die seitherigen Führer ersetzen und eine neue
Form der Gesellschaft gründen. Einen anderen Weg gibt es nicht, wenn man
nicht vorzieht, klüger wie die Natur zu sein und sich eine Kugel vor den
Kopf zu schießen.

Auch die Revolutionen sind nichts weiter wie Ventile und
Geschmeidigkeitsmacher auf diesem Weg. Früher machte man sie wegen
irgendeiner alten Waschfrau, die irgendwelche Truppen irgendwo
erschossen, und trug die heilige Leiche über die Boulevards. Man kämpfte
noch um Verfassungen und brauchte Märtyrer. In Pernambuco sogar sah ich
Revolten, die wegen der Einführung der Straßenbahnbillette und der
Durchführung des Impfzwangs geführt werden. Heutigentages entledigt sich
die Luft durch sie der elektrischen Spannungen, die zwischen den
einzelnen Lagern liegen und macht die Zeit damit präzis und funkelnd wie
ein Walzwerk.

Die letzten beiden Jahrhunderte waren die der großen Romane von Fielding
bis Dostojewski, von Scott bis Manzoni, von Defoe bis Zola und de
Coster, von Dickens bis Flaubert. Vorher waren die großen Dramen von
Shakespeare bis Molière, von Calderon bis Racine. Vor ihnen glänzten die
schlanken Epen des Mittelalters, von der Karlsreis bis Crestien von
Troyes und vom Hildebrandslied bis zu Hartmann von Aue. Unser
Jahrhundert hat seine schöpferischsten Kräfte scheinbar in die Gestalt
von Ingenieuren geworfen, Konstruktionen ungeahnter Formate,
Wirtschaftssysteme zyklopischer Vermaschtheit erfunden und eine endlose
Brut von Kinos über die Welt geschleudert. Burn Jones irrt, der meint,
die Welt fiele am liebsten in den Zustand der Barbarei zurück und wolle
nichts mehr wissen von der Schönheit. Die Barbaren hatten in Wahrheit
stets homerischen Heißhunger nach dem Erlesenen, und erst die
Zivilisierten begannen mit dem Glauben, das Unaussprechliche sei
entbehrlich, soweit es vom Geist her komme, und man vermöge es durch
Wunderwerke aus Stahl zu ersetzen.

Möglich, daß die Kunsthandwerker des Mittelalters, die die Dome und
Altäre bauten, heute statt dessen die eisernen Schwebebrücken, die
sechzig Stockwerke hohen Häuser, die irrsinnigen Maschinenwerke
erfänden. Vielleicht, daß Lionardo, statt sechs Jahre an den Haaren
einer Frau zu vermalen, das schönste Luftschiff auf elektrischen Wellen
über den Ozean oder zum unserem Klima entsprechenden und daher am
wahrscheinlichsten von Menschen bewohnten Mars schickte. Zweifel? Es
gibt nur ein einziges Zauberwort der Zeit: Gemacht. Es gibt auch nur
einen einzigen vollkommenen Enträtseler der Epoche. Es war der Clown
eines wandernden Zirkus, der mit seiner Zwergenstimme durch die Manege
schrie: »Wunderbar? Wunderbar /// Ist ne Kuh aus Pferdehaar.«

Aber Deutschland ist noch nicht aus den Maschen der Welt gefallen.
Zwischen den zuckenden Gruppierungen der Wirtschaft, unter der Presse
des Versailler Vertrages, geschleudert wie Honig im Rhythmus der
fallenden und steigenden Mark, zerrissen von einer Demokratie, die das
Beste will aber einen Zirkus von Parteien darstellt, von Stinnes
herangepfiffen, von den Sozialisten ins Schlepptau genommen, läuft es
wie ein getreuer Stern den großen Zug um die Achse seines Schicksals.

Seine Fürsten sind verschwunden, sein Adel hat resigniert, seine
Bürgerschaft wird hinweggeweht. Louis Philippe war der letzte Fürst der
Bürger. Unter Ebert, dem ersten deutschen Präsidenten, einem
ausgezeichneten Taktiker der Republik, geht es den Weg eines
Jahrhunderts, das die Bourgeoisie und ihre Kunst auslöscht. Der Krieg
sollte die Macht dieses Standes, der sich achtundvierzig noch auf
Barrikaden stellte, befestigen. Herr von Zobeltitz sang damals: »Ein
Mayer fiel und ein Arnim starb / Unter den Kugeln der Feinde / Gab
zwischen Adel und Bürgertum / Es wirklich noch scheidende Grüfte / Jetzt
baut der einende Todesruhm / Brücken durch brandrote Lüfte.« Der Herr
dachte an Avalun und ahnte nicht den Pulsschlag Europas. Die
Seufzerbrücke des Krieges baute sich auf über das Leichenfeld des
bürgerlichen Deutschlands, machte den Plan glatt zwischen arbeitender
Masse und den Steuermännern der Wirtschaft, die, beide auf dem gleichen
Schiff, sich auseinanderzusetzen haben, ob sie den Erwerb teilen oder
sich in die Luft sprengen wollen.

Das ist nicht Politik, Mijnheer, das ist die Gegenwart, die ich erkläre,
das ist unsere Zeit, in der wir leben, das sind die Wolken, unter denen
wir wandern.

Das ist das Schicksal Europas, an seinem fiebrigsten und
interessantesten Opfer gemessen. Das ist Deutschland, das mit den
Preisen seiner Lebensmittel wie mit Mongolfieren aufsteigt, dessen
Valuta von Tag zu Tag die der anderen überfliegt, dessen Industrie
zittert vor der Stunde, wo die Mark sich stabilisiert und sie die
Weltkonkurrenz annehmen und nicht mehr mit Dumping unterbieten kann. Die
aber auch graust vor dem Tag, wo die Mark hingegen steigt, die
Konkurrenz unmöglich, Millionen Arbeiter auf der Straße liegen und die
inneren Kämpfe mit einer Grausamkeit drohen, gegen welche die
Eroberungskriege früherer Zeit nur schwache Feuerwerke sind.

Das ist Deutschland, das, aus sieben Wunden blutend, gefesselt, in
erbärmlicher Hitze, sich immer noch in der Arena als Gladiator gegen die
Wölfe des Elends wehrt, indem die anderen Länder Europas, die es
ausgeliefert haben, mit blinden Augen, aber schon erbleicht, dem
Schauspiel zusehen. Und während die Neue Welt sich nicht anschickt, aus
dem Sentiment des Rettens zu helfen, sondern fortfährt, zu allen Speisen
Käse zu essen, Oberammergau zu besuchen, seine Männer zu effeminieren
und auch den ältesten Weibern die Haare abzuschneiden.

Das ist Deutschland, wo im Krieg die Mädchen für die Verdichtung der
U-Boote ihre Locken opferten und wo ein Bankier, als ein anderer ihn
besuchte, dem Sekretär sagte: »Schreiben Sie auf >Haben<, daß er rote
Haare hatte, damit, wenn er kommt mit grauen, man weiß, daß es rote
waren, die er besaß.« Zwischen der edlen Nutzlosigkeit der ersten und
dem Zynismus der zweiten Geste atmen unsere Obstbäume.

Über den Obstbäumen geht der Himmel mit allen Erinnerungen unserer
Größe, mit allen Malen unseres Unglücks und mit den Verheißungen unserer
Unvollkommenheit. Zwischen den Flüssen und den Bergen Deutschlands
bereitet sich seine Wiederkehr. Über den Hügeln liegt die Zartheit
seiner besten Farben. In den Buchenwäldern hallt das Echo seiner Helden.
Zwischen den reifen Wellen des blaugeäderten Kornes wehen die
Vogelstimmen seiner Melodien. Die alten Brunnen unter den Linden in
alten Dörfern haben nicht aufgehört zu rauschen, und der Dampf seines
regengespeisten Bodens duftet die alte mythische Fruchtbarkeit.

O Deutschland.

Zwischen Aschaffenburg und Heiligendamm, zwischen Quedlinburg und
Passau, zwischen Rothenburg und Hamburg, Dresden und Speyer tanzen deine
Kinder wie die Bären der Savoyarden auf den heißen Eisen der Zeit.
Zwischen deinen schönsten und geliebtesten Flächen haben die Einen
begonnen, einen Riesenbau der Mechanik bis in die Wolken zu treiben, und
auf dem schwankenden Boden darunter tanzen die Anderen, aus allen
Gliedern blutend, den verzweifelten Tanz der Bettler, die durch Späße
das Publikum von ihren Gebrechen abzubringen und durch ihren Heroismus
zu rühren suchen. Sie schreien und sie lachen und sie weinen
durcheinander wie am Anfang der Schöpfung, aber sie leben.

Sie haben in ihrer Verwirrtheit kein Auge für deine stille Bereitschaft.
Sie ahnen nichts von deinen Rebengärten, deinen romantischen Ufern, den
jungen Wäldern, mit denen du den Flaum deiner Wunden zudeckst, sie
spüren nichts von dem Goldschlag der Reife, die dein Körper, den man
beraubt hat, in seiner Enge erreichte. Sie spüren nicht, mit welchen
Wonnen deine Meere unter dem Sommermond schlafen, deine Pappeln mit den
Chausseen im Abend wandern, mit welcher Süßigkeit deine Lerchen in den
Frühhimmel steigen. Sie haben den Blick nicht für den stillen Glanz
deiner Matten, über die die großen Kuhherden weiden, den Zauber selbst
deiner ärmsten Gerölle und die tiefdampfende Schöpferkraft deiner
aufgeworfenen Erde.

Sie ahnen nicht, daß von deiner Brust und der stählernen Lockerkeit
deiner weiblichen Gelenke die schöne Bewegung ausgeht, die sie eines
Tags trösten wird. Und sie spüren nicht, daß, ob sie mit ihren glatten
Schlachtordnungen siegen oder sterben, ob sie mit einer neuen
Gesellschaft in phantastischer Ordnung oder, mit ihren Maschinen
zurückgestürzt auf die Erde, zu dir zurückkehren, sie in dir die schöne
Geliebte, die Mutter und die Heimat finden werden, an deren Leib es
schön zu ruhen und herrlich zu leben ist. Sie haben deinen Leib nicht
beachtet und sie ahnen nicht, daß er mit einem gewissen Lächeln der
Überlegenheit über alle Wirrungen hinaus nur atmet: Gelassenheit.

Gelassenheit, Mijnheer, denn wer die Gegenwart liebt, hat auch die
Kühle, sie nicht zu überschätzen, und wer die Kühnheit des Vorstoßes
hat, besitzt auch die Ruhe einer wundervollen Reserve. Man stirbt nicht,
Mijnheer, solange man einen Fetzen Atem hat, und solange man genießt,
hat man Zutrauen in das Gelebte. Als Balzac in der kränkendsten,
entsetzlichsten Form durchfiel, dachte er am nächsten Morgen nur an die
Anlage eines Weinberges, einer Molkerei, eines Gartens seltener Gemüse.

Alles Unglück ist nur die Probe auf die letzte Lebendigkeit der Liebe,
gleichwie in der letzten Erzählung des Boccacce, die schildert, wie ein
Edler seine Frau verstößt, beleidigt, kränkt, um zu erproben, wie weit
ihre Zuneigung geht. Dies Buch des Boccacce ist nicht nur eines der
tiefsten in gefälliger Anmut und eines der galantesten auf tragischem
Boden, sondern es ist hinter der Mauer der Pest auch das tollste Loblied
auf das Dasein.

Sehen Sie zurück, Mijnheer: Die Säule auf dem Feldberg steht wie eine
Pyramide schillernd in allen Farben in der mittaglich blau wogenden
Luft.

Sehen Sie zur Seite: In der Breitenlage Europas ist Anatole France der
ritterlichste Gipfel einer verwirrten Übergangswelt, Blériot der
unerschütterlichste Bejaher einer anderen.

Zwischen beiden wird ein Weg sein, dem auch die Sonne gut, die Erde
gnädig, die Menschen fruchtbar sind.

Sehen Sie vorwärts: Da flimmern bereits die ersten Gärten, der Frühling
hat sie übermannt und tobt mit Gerüchen, es flammt uns entgegen das Gold
der Weidentroddeln, das Gelb der Goldregen und das Rosa der Mandeln. Wir
sind fast in der Ebene schon und damit wieder in der Welt.

Wir sind in der Welt, Mijnheer, die Alpen sind ausgelöscht, die Vogesen
verschwunden, die Grenzen sind gefallen. Der Wirrwar der Jahreszeit
erstickt jetzt mit seiner nahen Fülle. Hinter ihr kommt die Musik der
ganzen Welt mit Donner und Wagen und mischt sich in den wilden Duft zur
Melodie der Epoche, vor der der Frühling herstürmt wie Apollon
Mousagetes, der, in fast weiblichem Chiton heranbrausend, die Nymphen um
sich, die Götter anschwellend immer mehr hinter sich, in einen
olympischen Rausch hineintanzt. Ich höre die Musik von Kämpfen und ich
rieche den Duft der Opfer. Ich spüre meine Heimat. Es lebe Deutschland.

Man kann nur gegen seine Zeit sein oder mit ihr gehen. Im Schmollwinkel
zu sitzen ist nicht die Art eines Gentleman. Ich ziehe vor, mit ihr zu
marschieren und nicht zu versäumen, die Hand ans Ruder, den Blick auf
die Kontrolle zu richten.

Mein Großvater hatte einundzwanzig Kinder mit einer Frau, von denen
siebzehn über siebzig Jahre alt wurden. Er gab ihnen den
Freimaurerspruch mit: »Wenn dir der Große Baumeister einen Sohn gibt,
zittre vor der Verantwortung, die er dir auferlegt hat. Mach, daß er bis
zum zehnten Jahre dich fürchte, bis zum zwanzigsten dich liebe und bis
zu deinem Tode dich achte.« Ich werde vielleicht ohne Söhne sterben,
Mijnheer, aber ich werde Deutschland nicht aufhören zu lieben.

In meinem Wappen stehn unter dem springenden Löwen die sechs Punkte des
Gleichgewichts und der Gelassenheit. Ich habe auch die drei Bilder noch
nicht in das Haus meiner Väter in die Bibliothek gehängt. Ich habe mich
nicht so rasch entschlossen wie mein Vater, der das Kind einer
unbedenklicheren Zeit war, denn ich übersehe die Zerrissenheit meines
Jahrhunderts besser und ich weiß, daß jeder Schritt heute der falsche
sein kann, daß man kurz vor dem Tode vielleicht erst die Ahnung des
rechten hat und diese halbe Gewißheit womöglich in der letzten Sekunde
noch widerruft. Man weiß nur, wohin man marschieren muß, man weiß nicht,
wohin es geht. Und man weiß nicht, ob die Führer die Helden oder die
Verbrecher sind.

Sie werden in kein Kloster gehen wie Ihr Ahne, der den fünften Karl
begleitete. Das Segel Ihres Wappens, das die Mauren jagte, einen König
nach den Niederlanden begleitete, das die Mischung Ihres Blutes mit dem
der Javaner und Spaniolen überbauschte, wird Sie guten Sinnes, voll
Genuß und Verantwortung in die Welt hineinführen. Sie unterscheiden die
Notwendigkeiten der Zeit und die Wünsche Ihres Blutes, und Ihr
Monarchismus ist Ihnen das schöne Symbol einer Zeit, die um erlauchte
Traditionen kreiste und nicht der Götze unfruchtbarer Launen.

Was werden Sie tun? Ziemt es dem holländischen Gentleman, nachdem wir in
zehn Nächten die Welt verteilt, die Künste zensiert, die Leidenschaften
geprobt haben, der den Horaz im Koffer mitführt in die intimsten
Situationen, ziemt ihm die Heimkehr zum Haus in 's Gravenhage, nach der
Bibliothek in Delft, zu den Herden in Utrecht, so ist die Reise
gesegnet. Drumherum steht die Welt voll Genuß. Mai in Baden-Baden, Juni
in Verona, im Juli zieht die Wimbledonwoche um den Davis Pokal auf
Rasenplätzen in England. Die Rumänen stehn gegen die Tennisspieler der
Philippinen, die Italer gegen die Japse, Dänemark ficht gegen Indien,
und der Australier Patterson ist Favorit mit seinen schmetternden Drives
und seinem zertrümmernden Anschlag, wenn der König zwischen dem Prinzen
von Wales und dem Herzog von York, seinen Söhnen, das Signal zum Beginn
gibt. Sie können sodann im August am Pazifik »medicine ball« spielen und
im September in Hawai im Schlepptau eines Motorbootes das aufregende
»surf-board-riding« ausüben und Sie werden die schönsten Frauen der Welt
dazu um sich sehen.

Sie werden den Atlantik hören und den Pazifik schäumen sehen und spüren,
wie die Schiffe darauf schaukeln und Sie werden die Größe der Erde mit
einer grenzenlosen Verwunderung einziehn. Denken Sie an den Tag, wo es
Sie überfällt, daß Sie kaum zu atmen wagen: wie grenzenlos die Welt ist
. . ., denken Sie, daß ich Ihnen sagte, zuerst seien die Menschen und
dann erst die Götter, die sie sich erschufen.

Einmal komme eine neue Gesellschaft, aber vorher sei das Dasein, das sie
erst erkämpfen kann. Einmal komme eine europäische Weisheit, aber vorher
das Leben, und nichts sei männlicher als Gelassenheit. Sie sind ein
holländischer Gentleman, der die Erde liebt wie ich, mit dem ich zehn
Nächte durchwachte, und sind nicht der Teufel, mit dem Herr Grabbe über
diese Dinge zu reden gezwungen war, und Sie verstehen auch, wie ich Sie
begreife, wenn wir »Leben« sagen, weil das alles ist.

Ach, auch Achilleus wußte um den sichersten Besitz dieser Kugel. Als
Odysseus ihn in der Unterwelt besuchte, erkannte er ihn erst, nachdem er
Blut vom Opfertier getrunken, und als jener ihm Komplimente machte, wie
fabelhaft ihm auch der Tod tributär sei und wie erhaben auch im Hades er
herrsche, winkte der beste Grieche mit der Hand. Er hob den Kopf in die
Höhe, versuchte das Dunkel zu zerreißen und bewegte die Lippen: er möge
lieber als bei den Toten zu herrschen ein Tölpel sein, der knechtisch
hinter dem Pflug die Erde aufreißt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .

Mijnheer. Leben Sie wohl,

Die Schlitten halten an und müssen zurück.

Die Schneegrenze ist erreicht, der Winter zu Ende. Hier wechselt das
Klima. Drüben im Frühling stehen schon wartend unsere Wagen. Zweihundert
Meter tiefer dehnt sich die Ebene bereits in betäubender Fülle. Dort ist
schon Sommer in Deutschland.



                               REGISTER


   Addison 285
   Aeschylos 123
   Aho Juhani 284
   Allgeier 69
   Alexis, Willibald 128
   Altenberg 58, 257
   Andersen 54, 134
   D'Annunzio 9, 21, 42, 107, 205, 278, 282
   Apulejus 21
   Archipenko 231
   Arcos, René 277
   Ariost 201
   Aristophanes 217
   Aristoteles 74, 246
   Arndt 210
   Arnim, Achim v. 108
   Auernheimer 257
   Aurevilly, Barbey d' 108
   Auwers 268
   Ayrer 24

   Baalschem 288
   Bab, Julius 191
   Babits 284
   Bahr 85
   Baker 104, 227
   Balder 261
   Balla 281
   Balzac 18, 24, 29, 71, 110, 162, 170, 228, 274, 278, 302, 303, 318
   Balzagette 215
   Bang 28, 242, 244, 288
   Barbusse 205, 215, 271, 275, 276, 286
   Barlach 106
   Barret-Browning 278
   Barrow 103
   Bartels 173
   Bassermann 70, 77
   Baudelaire 28, 107, 244, 255, 274, 278
   Baum, Oskar 258
   Bazaine 12
   Beardsley 285
   Beaumarchais 131, 304
   Beaumont, Herzogin v. 170
   Becher, Joh. R. 106, 213
   Beckmann 44, 214, 303
   Beer-Hofmann 257
   Benedetti 12
   Benn 135, 233
   Béranger 228
   Berger, Ludwig 80
   Bernard 102
   Bernhardt, Sarah 77, 131
   Bernini 26, 27, 158, 161, 304
   Beyerlein 52
   Bierbaum 58
   Bie, Oskar 279
   Bismarck 141
   Björnson 289
   Blanchard 141
   Blei, Franz 172, 177, 178, 179, 180, 278
   Bleibtreu 57
   Blériot 42, 145, 152, 228, 319
   Block, Alexander 285, 303
   Bloem 46, 63
   Blümner 106
   Boccaccio 20, 21, 36, 113, 233, 264, 318
   Boccioni 229, 281
   Böcklin 303
   Boehme, Jacob 106
   Boileau 74, 130
   Bonsels 47, 55, 99, 181, 269, 305
   Borchardt 85, 86
   Börne 172
   Bosch 303, 307, 310
   Bosse 77
   Bossi 268
   Bossuet 25, 101
   Botticelli 242
   Boucher 36, 96
   Boussanelle, Rittmeister de 247
   Brant 209
   Brantôme 102
   Breitensträter 177
   Brentano 172, 211
   Brod 258
   Brummel 263
   Brunetière 172
   Brunner, Prof. 171
   Bruun, Laurids 104, 288
   Buber, Martin 287
   Büchner 27, 46, 84, 107, 128
   Bulwer, Earl Lytton 161, 207, 285
   Burkhardt, Jacob 102
   Burns, Robert 162
   Byron 107, 137, 207, 231, 272, 285

   Cagliostro 178
   Calderon 97, 270, 307, 314
   Camp du 307
   Carlyle 287
   Carrà 229, 281
   Cartailhac 305
   Casanova 18, 20, 102, 201
   Cäsar 83, 204, 254, 309
   Cassirer, Paul 303
   Castiglione 113
   Catt, Henri de 26
   Cellini, Benvenuto 102
   Cervantes 42, 104, 130, 138
   Cézanne 102, 274
   Chalet, Marquise v. 172
   Chamfort 152
   Chanteloup, v. 156
   Châteaubriand 114
   Chénier, André 222
   Chennevières 215, 277
   Chesterton 112, 286
   Cicero 228, 240
   Cinna 13, 15, 36
   Claudel, Paul 204, 270, 275, 278
   Clemenceau 16, 188
   Colbert 157
   Colin, Paul 215, 277
   Colyn 312
   Conan Doyle 109
   Constable 175
   Constant 43, 208
   Cook 103, 147, 148, Reisebüro
   Cook, James 210
   Cooper 109, 287
   Coquelin 77
   Corinth 244
   Corneille 26, 308
   Correggio 141
   Corot 303
   Cortez 30
   Coster de 111, 278, 284, 314
   Courbet 207, 274, 302
   Couture 274
   Cranach 310
   Creusot 213, 311
   Crebillon 111, 160
   Croce 282
   Cromwell 159
   Csala, Ernst von 140
   Curjello 103

   Dach, Simon 24
   Dante 113, 123, 278
   Däubler 86, 213, 233, 235, 278
   Daudet 62
   Daumier 214
   Dauthendey 51, 53, 54, 55, 56, 63, 113
   Davkins, Sir William Lloyd 13
   Defoe 104, 109, 314
   Dehmel 44, 278
   Delacroix 158, 179, 214, 218, 303
   Dempsey 121
   Descartes 24
   Devrient 74
   Diderot 173
   Didring 89
   Diebold 235
   Dickens 113, 132, 159, 207, 285, 314
   Dinter 63
   Döblin 29, 233, 244
   Doesburg, Theo v. 280
   Dornseiff 86
   Dostojewski 97, 258, 259, 284, 290, 314
   Dreyfuß 207
   Duhamel 215, 277
   Dumas 274
   Dürer 267
   Durieux 77
   Dyck, van 267
   Dymow 284

   Ebert 315
   Eckardt, Meister 24, 42
   Eduard VII. 10, 263
   Eeden, van 278
   Eekhoud 287
   Ehrenstein, Albert 134, 213
   Eichendorff 50, 51, 107, 113, 238
   Elliot 285
   Elvestad 109
   Emin Pascha 104, 227
   Emerson 287
   Enghien 276
   Ensor 218
   Epinasse, Mademoiselle de l' 111
   Ernst, Paul 44, 238, 255, 256, 259, 260
   Erzberger 9
   Essig, Hermann 136
   Eugenie, Kaiserin 214
   Eugen, Prinz 257
   Eulenberg 254
   Euripides 124, 220
   Evans, Oliver 227
   Ewers 55
   Eje 109

   Fenelon 130
   Feuerbach 274, 303
   Fichte 83
   Fielding 159, 162, 285, 306, 314
   Fischart 25, 42, 209, 310
   Fischer, S. 279
   Flake 278
   Flaubert 20, 37, 102, 111, 207, 242, 274, 302, 304, 308, 314
   Flechtheim 46
   Flemming, Graf 157
   Fleuron 105, 286, 288
   Flint 106
   Forster 210
   Foscolo 207
   Farrère 274
   France, Anatole 107, 131, 134, 135, 139, 153, 154, 271, 274, 276,
      278, 284, 305, 319
   Frank, Leonhard 216, 233, 259
   Frank, Bruno 258
   Franz I. 25, 156, 264
   Freeman 138
   Freud 258
   Freytag 45
   Friedländer (Mynona) 173
   Friedrich der Große 26, 71, 103, 157, 160, 168, 182, 199, 201, 302,
      304
   Friedrich Wilhelm IV. 211
   Fröhlich, Friedrich 102
   Froitzheim 177

   Gabis, Diane de 152
   Gagarin, Fürstin 10
   Gainsborough 158, 162
   Galilei 206, 277
   Gallow 103
   Gambetta 11, 176
   Gauguin 52, 104, 274
   Gavarni 213, 214
   Geijerstam 289
   George, Stefan 28, 52, 60, 85, 243, 244, 278
   Gerstäcker 109, 260
   Gessi 104, 227
   Geßner 59
   Ghéradine 153, 154
   Gide 275, 277
   Gilbert 148
   Gjellerup 288
   Gleichen-Rußwurm 106
   Gleim 228
   Goertz, Graf 18
   Goethe 42, 43, 73, 110, 172, 191, 206, 207, 209, 228, 242, 268, 276,
      284, 302, 304, 307
   Gogh, van 102, 242, 245, 274
   Gogol 108, 284
   Goldsmith 159, 282
   Goldoni 161
   Goltz, von der 205
   Goncourt 113
   Gordon 104
   Gorion ben 287
   Gorki 218, 271, 284
   Gottfried von Straßburg 56, 165, 253
   Gottsched 74, 167
   Goya 42, 156, 160
   Grabbe 27, 44, 78, 112, 199, 242, 310, 321
   Grätz, Paul 140
   Greco 30
   Green 227
   Grillparzer 74
   Grimm 53, 160, 280
   Grimmelshausen 23, 127, 310
   Groß, George 214
   Großmann, Rudolf 214
   Großmann, Stefan 280
   Grünewald 34, 42, 267, 310
   Gryphius 127
   Guilbeaux 276
   Guizot 11
   Gumppenberg 58
   Gundolf, F. 199, 244
   Gutzkow 180
   Günther 45
   Gyldendal (Verlag) 290

   Habicht, V. C. 233
   Hagenbeck 286
   Halbe 58
   Halström, P. 289
   Hamilton Prinz 10
   Hamsun 104, 289
   Hänisch 188
   Harden 86, 102
   Hart 57
   Harte, Bret 287
   Hartleben 58
   Hartmann v. Aue 101, 314
   Hartung 80, 239
   Hasenclever 216
   Hauptmann, Gerhart 44, 55, 70, 71, 80, 187, 188, 193, 204, 219, 244
      279
   Hausenstein 86, 235, 236
   Hearn, Lafcadio 105
   Hebel, Peter 198
   Hedin, Sven 105, 227
   Heidenstam 289
   Heine, H. 18, 27, 46, 57, 87, 107, 128, 129, 134, 164, 172, 175,
      177, 178, 180, 302, 303
   Heinrich IV. 13
   Heinrich VIII. 156
   Heinse 46, 52, 84, 111, 260
   Heller 109, 289
   Helvetius 206
   Henckell 57
   Herder 172
   Here 248
   Hérédia 244
   Herzog 46
   Hesse 55, 60, 255, 258
   Heym, Georg 213
   Heyse, Paul 28, 45
   Hiller, Kurt 86
   Hille, Peter 56
   Hirschfeld 58
   Hoek, Henri 106
   Hoffmann, E. T. A. 53, 108, 139, 255, 287
   Hofmannsthal 85, 107, 243, 244, 257
   Hogarth 158, 159, 213
   Holbein 156, 267, 303
   Hölderlin 199
   Holst, Roland 278
   Hölty 51
   Holz, Arno 28
   Hölz, Max 17
   Hokusai 36
   Horaz 20, 23, 66, 277, 320
   Hübner 86, 278
   Huch 72, 253
   Huerta 148
   Hugo, Viktor 76, 160, 207, 242, 274, 302, 303
   Hülsenbeck 218, 281
   Hutten, Ulrich v. 84, 127, 207, 209
   Huysmans 113, 274

   Jacobsen 54, 58, 244, 288
   Jacques, Norbert 55, 260
   Jäger, Hans 289
   Jakob, Heinrich Eduard 233
   Jammes, Francis 112, 270, 275
   Ibsen 78, 289
   Jensen, J. V. 105, 288
   Jessner 80
   Iffland 74
   Ingres 37, 96, 242, 303
   Joinville 273, 275
   Jones, Burn 314
   Jouve 276
   Irving 286, 287
   Isabella v. Spanien 214
   Jumala 292
   Jungnickel 45
   Jupiter 246, 292
   Jürgensen 105, 288

   Kafka 258
   Kaiser, Georg 29, 46, 80, 233, 244
   Kändler, Joachim 305
   Kamnitzer, Ernst 149
   Kant 208
   Karlweis 233
   Karnisuta 157
   Katharina v. Rußland 102, 157
   Kaulbach 128
   Keats 107
   Keller 60, 252, 254, 255, 258, 262
   Kellermann 244
   Kempis, Thomas a 278
   Kerr 29, 85, 86, 113
   Kesser, Hermann 85, 233
   Keyserling, Eduard 107, 145, 229, 242, 244
   -- Hermann 97, 145, 146, 150, 181
   Kianto, Ilmari 284
   Kipling 105, 270, 279, 286
   Kivi, Aleksis 284
   Klabund 260
   Klee 232, 259
   Kleist 27, 172, 310
   Klinger 209
   Klopstock 51, 74, 209, 267
   Kokoschka 244
   Kolb, Annette 29, 85, 112, 215, 278
   Konrad 58, 101
   Konradi 58
   Kornfeld 235, 239, 259
   Körner 191, 210, 219
   Kortum 137
   Köster 177
   Kraus, Werner 77
   -- Karl 136, 137
   Krell, Max 85, 279
   Kretzer 58
   Krupp 213
   Kubin 108
   Kusmin 284

   Laclos 111
   Lafontaine 130
   Lagerlöf 112, 289
   Lamartine 107, 207, 212, 274
   Lamb, Lady Caroline 272
   La Mettrie 201
   Lasker-Schüler 213, 215
   Latham 228
   Lauff 46
   Lautensack 287
   Lautrec 214
   Lauzun, Herzog v. 89, 114
   Leboeuf 12
   Lebrun 158
   Lemonnier 278
   Lenau 44
   Lenclos, Ninon de 102
   Lenin 280
   Lenoir 227
   Leopardi, Graf 229, 282
   Le Sage 130
   Lesseps, v. 145
   Lessing 26, 48, 74, 127, 128, 166, 172, 175, 178, 303
   Leyen, von der 174, 200, 205, 206
   Lichnowsky 105, 233
   Lichtenberg 87, 198
   Liebermann 243, 244
   Lienhard 106
   Lionardo da Vinci 156, 267, 315
   Lipschitz 257
   Liscow 127
   Lissauer 219
   Liszt 127
   Livingstone 104, 227
   Lloyd George 188, 193
   Loke 261
   London, Jack 109
   Longfellow 287
   Loti, Pierre 274
   Loucheur 311
   Louys 274
   Ludwig 55, 105
   Lukian 19, 21
   Luther 25, 84, 207, 209, 310

   Mackay 58
   Macpherson 285
   Madelung, Ange 105, 288
   Maintenon 160
   Makart 303
   Malermüller 51
   Mäleskirchner 42, 303
   Mallarmé 28, 244, 274
   Manet 229, 242, 244, 303
   Mann, Heinrich 85, 111, 134, 135, 200, 216, 233, 253, 278
   -- Thomas 112, 255, 262, 280
   Manuel 74, 209
   Manucci 90
   Manzoni 207
   Marc, Franz 239, 306
   Marlowe 74
   Maria Theresia 169, 257
   Marryat 109
   Martens, Kurt 102, 200
   Martin, Karlheinz 80
   Martinet 276
   Marinetti 281
   Masereel, Frans 214
   Maeterlinck 107, 274
   Matisse 242
   May 109
   Mehring 140
   Meidner 191
   Meier-Gräfe 86, 236
   Meissonier 128
   Menge 141, 156
   Merk 87
   Mesnevi 104
   Metternich 211
   Meunier 44
   Meurthe, de la 312
   Meyrink 108, 258
   Michel, Wilhelm 85
   Michelangelo 27, 42, 126
   Michelin 312
   Mika 268
   Mille, Pierre 274
   Milton 267
   Mirabeau 170, 198
   Mohammed 283
   Molière 27, 72, 74, 126, 130, 172, 270, 311, 314
   Molnar 283
   Monet 244
   Monolescu 287
   Montaigne 145, 273
   Montesquieu 101, 130, 138
   Morgan 313
   Morgenstern 200, 287
   Mörike 108
   Morier, James 112
   Moricz 284
   Morse 227
   Moscherosch 127
   Mozart 102, 126, 207
   Müller 63
   Multatuli 278
   Munch 289
   Münchhausen 44
   Münzer, Thomas 14, 232
   Murasaki 155
   Murat 59
   Murner 51, 209
   Muskau, Fürst Pückler v. 13, 66, 102, 228
   Musset, Alfred de 107, 137, 242, 257, 274, 304
   Myller 302

   Nachmann, Rabbi 288
   Napoleon I. 34, 59, 83, 95, 124, 191, 207, 214, 228, 268, 276, 287,
      306, 309
   -- III. 102
   Necker 219
   Neumann 268
   Newton 131
   Nexö 218, 288
   Nietzsche 27, 45, 151
   Nofrit 156, 231, 233
   Nolde 239
   Northcliff, Lord 286
   Novalis 107

   Odin 292
   Oeder 229
   Oegg 268
   Ollivier 12
   Opitz 24
   Origines 126
   Oswald 58

   Palm 276
   Panin 285
   Panizza 58
   Pontoppidan 218, 244, 288
   Papini 282
   Paquet, A. 274
   Pascoli 282
   Patterson 321
   Paul, Jean 27, 46, 47, 52, 57, 58, 111, 128, 139, 229
   Penell 218
   Percy 103, 285
   Perez 287
   Pestalozzi 60
   Peterich 59
   Petöfi 283
   Petrarka 107, 116, 160, 307
   Petron 103, 159, 169
   Picasso 232
   Pick 258
   Pierre, Bernhadin de St. 104
   Piles de 306
   Piloty 128, 303
   Pilsudski 287
   Pindar 27, 28
   Philippe, Charles Louis 110, 214, 274, 315
   Platen 172, 259, 303
   Poe 108, 287
   Poelzig 44
   Poincaré 271
   Pope 130, 131
   Porte, Jacob della 291
   Pouchi, Liane de 10
   Poussin 306
   Prevost, Abbé 111
   Prokrustes 270
   Przerwa-Tetmajer 287
   Puschkin 108, 231, 284
   Puttkammer 58

   Quevedo 113
   Queiroz 287

   Rabelais 24, 112
   Racine 46, 142, 160, 172, 307, 314
   Rafael v. Urbino 141, 303, 307
   Rasmussen 104
   Rathenau 31, 33, 192, 311
   Rausch, Albert H. 138
   Rauscher 177
   Reimann 140
   Reinhardt, Max 79
   Reinmar 52
   Rembrandt 267
   Remisow 108, 285
   Renard 109
   Renoir 229, 243, 244, 245
   Retz, Kardinal 101
   Rétif, de la Bretonne 111
   Reuenthaler 101
   Reuter 127
   Reynolds 158, 161
   Richardson 110, 285
   Richelieu 25
   Riemenschneider 54
   Rilke 23, 85, 278
   Rimbaud 76, 172, 274
   Ringelnatz 140
   Rivière 275
   Rodenbach 112
   Rodin 42, 112, 288
   Rolland 215, 275, 276
   Romain, Jules 277
   Ronsard 24, 36, 107
   Rops, Félicien 214
   Roquette 198
   Rosenblüt 74, 127, 209
   Rossini 127
   Rotschild, Henri 312
   Rousseau 61, 110, 154, 158, 273, 274
   Rubens 96, 101, 141, 162, 288
   Rubiner 213
   Rückert 210
   Ruisbroek 278
   Rupertus Rex 10
   Ruskin 287
   Russolo 281

   Sachs, Hans 24, 74, 127, 137, 138, 209, 255
   Sade, Marquise de 111
   Saint Simon 102, 114
   Sainte-Beuve 172
   Salten 257
   Saltikow 108, 284
   Sand, George 102, 170, 274
   Sautuola, Baron M. 305
   Savonarola 133, 286
   Schäfer, W. 60, 71, 255
   Schäffer, Albrecht 255, 262
   Scheffel 45
   Schelling, Caroline 102
   Schenkendorf 210
   Scheerbart 109, 138
   Schickele 29, 45, 56, 62, 85, 86, 113, 213, 215, 216, 233, 244, 253,
      278, 279
   Schiller 42, 172, 209, 304
   Schlaf 28, 52
   Schlegel, A. W. v. 86, 113, 167, 172, 211, 267
   Schmidt, Privatdozent 284
   Schmidt, Jockey 121
   Schmidtbonn 112, 254
   Schmied, Rudolf Joh. 62, 63
   Schmitz 55
   Schnack 213
   Schneeberger 69, 121, 125
   Schneider, Sankt Anton 69, 121
   Schnitzler 107, 257
   Scholem, Alejchem 287
   Scholz, Wilh. v. 255
   Schröder 74
   Schubart 209
   Schumann 66
   Schwind, M. v. 303
   Scott, Walter 109, 128, 159, 162, 230, 282, 283, 285, 314
   Scudéry 25
   Sealsfield 260
   Seewald 235
   Seidel, Willi 260
   Serner 218, 281
   Severini 281
   Shakespeare 24, 27, 46, 74, 76, 86, 107, 139, 203, 246, 270, 302,
      307, 314
   Shaw, Bernhard 72, 107, 159, 193, 241, 270, 271, 284, 286
   Shelley 107
   Sheridan 159, 285
   Siemens & Halske 227
   Siemsen, H. 60
   Sinclair 218, 286
   Singenberg, Ulrich v. 52
   Sinsheimer 238
   Slevogt 244
   Smollet 159, 162, 285
   Sokrates 206
   Soyka 109, 257
   Spengler 106
   Speyer, Wilhelm 259
   Stadler 107, 213, 275
   Staël 43, 103, 207, 219, 272
   Stahl 239
   Stanley 104, 227
   Steffen 254
   Stehr 60
   Steinle 214
   Steiner 99
   Stendhal 131, 215, 254, 273, 274, 303
   Stephenson, George 227
   Sternberg 206
   Sterne 285
   Sternheim 29, 80, 107, 135, 139, 216, 233, 244, 245, 253
   Stifter 112
   Stinnes, Hugo 311, 312, 313, 315
   Stolberg, Gebrüder 209
   Storm 113
   Stourdza, Fürst 10
   Strindberg 80, 97, 288
   Stucken 244
   Sturz 26, 87
   Suarèz 104, 270, 273, 275, 278
   Sudermann 73, 244
   Sue 283
   Swift 107, 131, 132, 137, 159, 241, 285
   Swinburne 290
   Sylvester Schäffer 179
   Szép, Ernö 284

   Tacitus 22, 83
   Tagore 106, 146
   Tassoni 130
   Taube, Baron 244
   Tegnér 228
   Thackeray 107, 132, 159, 162, 285
   Thoma, Hans 45
   Thukydides 66
   Tieck 172, 211
   Tiepolo 84, 268
   Tizian 161
   Toller 204
   Tolstoi 215, 259, 284
   Trakl 213
   Trotzki 280
   Troyes, Crestien v. 273, 314
   Trübner 274
   Tschechow 259, 284
   Tschitscherin 9
   Tuaillon 44
   Tucholsky 140
   Turgenjeff 284
   Twain, Mark 287
   Tyche 88, 89
   Thylmann 60, 61
   Tzara, Tristan 281

   Übelhör 139
   Uhde, W. 61, 62
   Uhland 75
   Unruh 75, 190, 205
   Uranos 221
   Utzarski 138

   Vaillant-Couturier 277
   Valois, Margarethe von 25, 264
   Vaugelas 25, 27, 280
   Velasquez 156, 246
   Veldecke 155, 165
   Verhaeren 113, 274, 278, 279
   Verneuil 244
   Veronese 162
   Verlaine 107, 172, 274, 278
   Viebig 269
   Viertel 80
   Viktor Emanuel 214
   Villehardouin 101, 105, 273
   Vildrac 215, 277, 278
   Villiers, de l'Isle 108
   Villon 24, 231
   Vischer, Melchior 258
   Vogelweide, Walther von der 23, 49, 51, 52, 64, 101, 155, 163, 165,
      310
   Vollmöller 278
   Voltaire 43, 71, 107, 129, 131, 135, 160, 201, 207, 268, 274, 285,
      293, 302, 304

   Waal, Anders de 77
   Wagner 46
   Walden, Herwarth 97, 136
   Wallot 57
   Walser 59, 60
   Wassermann 245, 257, 279
   Watt, James 218, 227, 248
   Watteau 307
   Wedekind 29, 44, 45, 72, 73, 77, 78, 80, 200, 233, 234, 274, 307,
      310
   Weichert 80
   Weiß, Ernst 213, 258
   Wells 109, 286
   Wenzig 233
   Werfel 213, 233, 258, 278
   Werth, Léon 276
   Wiegler 86
   Wieland 27, 111, 127, 139, 206, 228, 260, 267
   Wilde, O. 54, 111, 162, 285
   Wille 58
   Wildenbruch 44, 52, 78, 205
   Wilding 121
   Wimpfen 12
   Wimpher 297
   Winder, L. 258
   Winternitz, Frau v. 113
   Wirth 192
   Wisthler 112
   Withman 111, 213
   Wolfenstein 213, 280
   Wolff, Theodor 86
   -- Prof. 199
   Wedderkopp, v., kgl. Regierungsrat 263

   Xenophon 83

   Zachariä 127
   Zech 213
   Zick, J. 268
   Zifferer 257
   Zobeltitz, v. 315
   Zola 28, 57, 112, 207, 229, 242, 274, 287, 302, 314
   Zulawski 109, 287
   Zweig, Stefan 85, 244, 257, 279



Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 9]:
   ... das Karussel der Zeit sich umgedreht! ...
   ... das Karussell der Zeit sich umgedreht! ...

   [S. 10]:
   ... In Bayern ist in Sturmtrupps die Bauernschaft blokiert: ...
   ... In Bayern ist in Sturmtrupps die Bauernschaft blockiert: ...

   [S. 10]:
   ... ein Bad fin champagne gerüstet, wurde dem jungen
       Portugisenprätendenten ...
   ... ein Bad fin champagne gerüstet, wurde dem jungen
       Portugiesenprätendenten ...

   [S. 19]:
   ... wirft Sie über den Kamm, sobad Sie ihn betreten. Versuchten ...
   ... wirft Sie über den Kamm, sobald Sie ihn betreten. Versuchten ...

   [S. 66]:
   ... und den Küsten nnd Städten aller Kontinente neben einem ...
   ... und den Küsten und Städten aller Kontinente neben einem ...

   [S. 85]:
   ... sich selbst wuchernd wie eine Pergola zich zuzog und mit ...
   ... sich selbst wuchernd wie eine Pergola sich zuzog und mit ...

   [S. 85]:
   ... an sich heran, was außer den kleinen malerischen ...
   ... an sich heran, was außer dem kleinen malerischen ...

   [S. 102]:
   ... Keiner konnte schreiben so wollüstisg und so geistreich wie ...
   ... Keiner konnte schreiben so wollüstig und so geistreich wie ...

   [S. 105]:
   ... Ägypetn von modernem preziösem Charme, ist zwar das Buch ...
   ... Ägypten von modernem preziösem Charme, ist zwar das Buch ...

   [S. 108]:
   ... Villers de l'Isle Adam aber in »Edisons Weib ...
   ... Villiers de l'Isle Adam aber in »Edisons Weib ...

   [S. 109]:
   ... Roman »Auf silbernen Gefilden«. Der deutsche Scherbart ...
   ... Roman »Auf silbernen Gefilden«. Der deutsche Scheerbart ...

   [S. 109]:
   ... der Soyka, Heller, Jak London, Eje, Elvestad ins ...
   ... der Soyka, Heller, Jack London, Eje, Elvestad ins ...

   [S. 125]:
   ... nur schön, wenn man sich im Häßlichen beweißt. »Er
       verstehts,« ...
   ... nur schön, wenn man sich im Häßlichen beweist. »Er
       verstehts,« ...

   [S. 138]:
   ... noch von den Meistersinger kommt. Hans Sachs aber ist ...
   ... noch von den Meistersingern kommt. Hans Sachs aber ist ...

   [S. 139]:
   ... uud schwer zu fassen. Wie faßt man sie rasch? ...
   ... und schwer zu fassen. Wie faßt man sie rasch? ...

   [S. 152]:
   ... In der Tat, Mijheer, ich bin von Reiß Irmãos & Compagnia ...
   ... In der Tat, Mijnheer, ich bin von Reiß Irmãos & Compagnia ...

   [S. 157]:
   ... entsprach, daß er den großen Dessertausfatz für Katharina ...
   ... entsprach, daß er den großen Dessertaufsatz für Katharina ...

   [S. 170]:
   ... trat die Literatur in die Republikk. ...
   ... trat die Literatur in die Republik. ...

   [S. 170]:
   ... Frankreich hat sich im letzten Jahrhuudert fit und ...
   ... Frankreich hat sich im letzten Jahrhundert fit und ...

   [S. 208]:
   ... Täger in seiner Haltung ein Edelmann und ein Freund ...
   ... Träger in seiner Haltung ein Edelmann und ein Freund ...

   [S. 215]:
   ... daß sie seine Werke tief druchdringen. Er wie Barbusse ...
   ... daß sie seine Werke tief durchdringen. Er wie Barbusse ...

   [S. 218]:
   ... in ihrer Leistung hat, obwohl Herr Hülsenbek und Serner
       begabte ...
   ... in ihrer Leistung hat, obwohl Herr Hülsenbeck und Serner
       begabte ...

   [S. 219]:
   ... Die Eisenbahnen waren die teuflichste Erfindung ...
   ... Die Eisenbahnen waren die teuflischste Erfindung ...

   [S. 223]:
   ... Verstehen Sie mich, obwohl ich schon halb schafe? ...
   ... Verstehen Sie mich, obwohl ich schon halb schlafe? ...

   [S. 232]:
   ... ganz verlassen und sind sektirierhaft auf Formeln und in ...
   ... ganz verlassen und sind sektiererhaft auf Formeln und in ...

   [S. 244]:
   ... und Keyserling und Pantoppidan. Ja, in Deutschland, das ...
   ... und Keyserling und Pontoppidan. Ja, in Deutschland, das ...

   [S. 251]:
   ... Licht gefacht. Es riecht nach Frühling, Mjinheer, das
       Leuchten ...
   ... Licht gefacht. Es riecht nach Frühling, Mijnheer, das
       Leuchten ...

   [S. 270]:
   ... längen und kontrollieren . . . Vergesssen. Kipling durfte ...
   ... längen und kontrollieren . . . Vergessen. Kipling durfte ...

   [S. 287]:
   ... von Przerwa-Tetmajer und den Mondroman von Zulawsky. ...
   ... von Przerwa-Tetmajer und den Mondroman von Zulawski. ...

   [S. 315]:
   ... Es wirklich noch scheidendne Grüfte / Jetzt baut der einende ...
   ... Es wirklich noch scheidende Grüfte / Jetzt baut der einende ...





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