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Title: Römische Geschichte — Band 8
Author: Mommsen, Theodor
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 8" ***


Theodor Mommsen
Roemische Geschichte
Achtes Buch
Laender und Leute von Caesar bis Diocletian
Der Wunsch, dass die 'Roemische Geschichte' fortgesetzt werden moege, ist
mir oefter geaeussert worden, und er trifft mit meinem eigenen zusammen, so
schwer es auch ist, nach dreissig Jahren den Faden da wieder aufzunehmen, wo ich
ihn fallen lassen musste. Wenn er nicht unmittelbar anknuepft, so ist daran
wenig gelegen; ein Fragment wuerde der vierte Band ohne den fuenften ebenso
sein, wie es der fuenfte jetzt ist ohne den vierten. Ueberdies meine ich, dass
die beiden zwischen diesem und den frueheren fehlenden Buecher fuer das
gebildete Publikum, dessen Verstaendnis des roemischen Altertums zu foerdern
diese Geschichte bestimmt ist, eher durch andere Werke vertreten werden koennen
als das vorliegende. Der Kampf der Republikaner gegen die durch Caesar
errichtete Monarchie und deren definitive Feststellung, welche in dem Sechsten
Buch erzaehlt werden sollen, sind so gut aus dem Altertum ueberliefert, dass
jede Darstellung wesentlich auf eine Nacherzaehlung hinauslaeuft. Das
monarchische Regiment in seiner Eigenart und die Fluktuationen der Monarchie
sowie die durch die Persoenlichkeit der einzelnen Herrscher bedingten
allgemeinen Regierungsverhaeltnisse, denen das Siebente Buch bestimmt ist, sind
wenigstens oftmals zum Gegenstand der Darstellung gemacht worden. Was hier
gegeben wird, die Geschichte der einzelnen Landesteile von Caesar bis auf
Diocletian, liegt, wenn ich nicht irre, dem Publikum, an das dieses Werk sich
wendet, in zugaenglicher Zusammenfassung nirgends vor, und dass dies nicht der
Fall ist, scheint mir die Ursache zu sein, weshalb dasselbe die roemische
Kaiserzeit haeufig unrichtig und unbillig beurteilt. Freilich kann diese meines
Erachtens fuer das richtige Verstaendnis der Geschichte der roemischen
Kaiserzeit vorbedingende Trennung dieser Spezialgeschichten von der allgemeinen
des Reiches fuer manche Abschnitte, insbesondere fuer die Epoche von Gallienus
bis auf Diocletian, wieder nicht vollstaendig durchgefuehrt werden und hat hier
die noch ausstehende allgemeine Darstellung ergaenzend einzutreten.
Wenn ueberhaupt ein Geschichtswerk in den meisten Faellen nur mit und durch
die Landkarte anschaulich wird, so gilt dies von dieser Darstellung des Reiches
der drei Erdteile nach seinen Provinzen in besonderem Grade, waehrend hierfuer
genuegende Karten nur in den Haenden weniger Leser sein koennen. Dieselben
werden also mit mir meinem Freunde Kiepert es danken, dass er, in der Weise und
in der Begrenzung, wie der Inhalt dieses Bandes es an die Hand gab, demselben
zunaechst ein allgemeines Uebersichtsblatt, das ausserdem mehrfach fuer die
Spezialkarten ergaenzend eintritt, und weiter Spezialkarten der einzelnen
Reichsteile hinzugefuegt hat ...
Berlin, im Februar 1885
Einige Versehen, auf die ich aufmerksam gemacht worden bin und die in den
Platten sich beseitigen liessen, sind bei dem dritten Abzuge verbessert worden,
der vierte ist ein unveraenderter Abdruck des vorigen.
Februar 1886; September 1894
Achtes Buch
Laender und Leute von Caesar bis Diocletian
Gehe durch die Welt und sprich mit jedem.
Firdusi
Einleitung
Die Geschichte der roemischen Kaiserzeit stellt aehnliche Probleme wie
diejenige der frueheren Republik.
Was aus der literarischen Ueberlieferung unmittelbar entnommen werden kann,
ist nicht bloss ohne Farbe und Gestalt, sondern in der Tat meistens ohne Inhalt.
Das Verzeichnis der roemischen Monarchen ist ungefaehr ebenso glaubwuerdig wie
das der Konsuln der Republik und ungefaehr ebenso instruktiv. Die den ganzen
Staat erschuetternden grossen Krisen sind in ihren Umrissen erkennbar; viel
besser aber als ueber die Samnitenkriege sind wir auch nicht unterrichtet ueber
die germanischen unter den Kaisern Augustus und Marcus. Der republikanische
Anekdotenschatz ist sehr viel ehrbarer als der gleiche der Kaiserzeit; aber die
Erzaehlungen von Fabricius und die vom Kaiser Gaius sind ziemlich gleich flach
und gleich verlogen. Die innerliche Entwicklung des Gemeinwesens liegt
vielleicht fuer die fruehere Republik in der Ueberlieferung vollstaendiger vor
als fuer die Kaiserzeit; dort bewahrt sie eine, wenn auch getruebte und
verfaelschte Schilderung der schliesslich wenigstens auf dem Markte Roms
endigenden Wandlungen der staatlichen Ordnung; hier vollzieht sich diese im
kaiserlichen Kabinett und gelangt in der Regel nur mit ihren Gleichgueltigkeiten
in die Oeffentlichkeit. Dazu kommt die ungeheure Ausdehnung des Kreises und die
Verschiebung der lebendigen Entwicklung vom Zentrum in die Peripherie. Die
Geschichte der Stadt Rom hat sich zu der des Landes Italien, diese zu der der
Welt des Mittelmeers erweitert, und worauf es am meisten ankommt, davon erfahren
wir am wenigsten. Der roemische Staat dieser Epoche gleicht einem gewaltigen
Baum, um dessen im Absterben begriffenen Hauptstamm maechtige Nebentriebe rings
emporstreben. Der roemische Senat und die roemischen Herrscher entstammen bald
jedem anderen Reichsland ebensosehr wie Italien; die Quiriten dieser Epoche,
welche die nominellen Erben der weltbezwingenden Legionaere geworden sind, haben
zu den grossen Erinnerungen der Vorzeit ungefaehr dasselbe Verhaeltnis wie
unsere Johanniter zu Rhodos und Malta und betrachten ihre Erbschaft als ein
nutzbares Recht, als stiftungsmaessige Versorgung arbeitsscheuer Armer. Wer an
die sogenannten Quellen dieser Epoche, auch die besseren, geht, bemeistert
schwer den Unwillen ueber das Sagen dessen, was verschwiegen zu werden
verdiente, und das Verschweigen dessen, was notwendig war zu sagen. Denn gross
Gedachtes und weithin Wirkendes ist auch in dieser Epoche geschaffen worden; die
Fuehrung des Weltregiments ist selten so lange in geordneter Folge verblieben,
und die festen Verwaltungsnormen, wie sie Caesar und Augustus ihren Nachfolgern
vorzeichneten, haben sich im ganzen mit merkwuerdiger Festigkeit behauptet,
trotz allem Wechsel der Dynastien und der Dynasten, welcher in der nur darauf
blickenden und bald zu Kaiserbiographien zusammenschwindenden Ueberlieferung
mehr als billig im Vordergrunde steht. Die scharfen Abschnitte, welche in der
landlaeufigen, durch jene Oberflaechlichkeit der Grundlage geirrten Auffassung
die Regierungswechsel machen, gehoeren weit mehr dem Hoftreiben an als der
Reichsgeschichte. Das eben ist das Grossartige dieser Jahrhunderte, dass das
einmal angelegte Werk, die Durchfuehrung der lateinisch-griechischen
Zivilisierung in der Form der Ausbildung der staedtischen Gemeindeverfassung,
die allmaehliche Einziehung der barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in
diesen Kreis, eine Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger
Taetigkeit und ruhiger Selbstentwicklung erforderte, diese lange Frist und
diesen Frieden zu Lande und zur See gefunden hat. Das Greisenalter vermag nicht
neue Gedanken und schoepferische Taetigkeit zu entwickeln, und das hat auch das
roemische Kaiserregiment nicht getan; aber es hat in seinem Kreise, den die,
welche ihm angehoerten, nicht mit Unrecht als die Welt empfanden, den Frieden
und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen laenger und vollstaendiger
gehegt, als es irgendeiner anderen Vormacht je gelungen ist. In den
Ackerstaedten Afrikas, in den Winzerheimstaetten an der Mosel, in den bluehenden
Ortschaften der lykischen Gebirge und des syrischen Wuestenrandes ist die Arbeit
der Kaiserzeit zu suchen und auch zu finden. Noch heute gibt es manche
Landschaft des Orients wie des Okzidents, fuer welche die Kaiserzeit den an sich
sehr bescheidenen, aber doch vorher wie nachher nie erreichten Hoehepunkt des
guten Regiments bezeichnet; und wenn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz
aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet damals oder
heute mit groesserem Verstande und mit groesserer Humanitaet regiert worden ist,
ob Gesittung und Voelkerglueck im allgemeinen seitdem vorwaerts- oder
zurueckgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Spruch zu Gunsten der
Gegenwart ausfallen wuerde. Aber wenn wir finden, dass dieses also war, so
fragen wir die Buecher, die uns geblieben sind, meistens umsonst, wie dieses
also geworden ist. Sie geben darauf sowenig eine Antwort, wie die Ueberlieferung
der frueheren Republik die gewaltige Erscheinung des Rom erklaert, welches in
Alexanders Spuren die Welt unterwarf und zivilisierte.
Ausfuellen laesst sich die eine Luecke sowenig wie die andere. Aber es
schien des Versuches wert, einmal abzusehen sowohl von den Regentenschilderungen
mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu oft gefaelschten Farben wie auch
von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender
Fragmente, und dafuer zu sammeln und zu ordnen, was fuer die Darstellung des
roemischen Provinzialregiments die Ueberlieferung und die Denkmaeler bieten, der
Muehe wert, durch diese oder durch jene zufaellig erhaltene Nachrichten, in dem
Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer
Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den fuer jeder. derselben, durch
die Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen, durch die
Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist, nicht zu
einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Aber die
Epoche Diocletians habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue
Regiment, welches damals geschaffen wurde, hoechstens im zusammenfassenden
Ausblick den Schlussstein dieser Erzaehlung bilden kann; seine volle Wuerdigung
verlangt eine besondere Erzaehlung und einen anderen Weltrahmen, ein bei
schaerferem Verstaendnis des Einzelnen in dem grossen Sinn und mit dem weiten
Blick Gibbons durchgefuehrtes selbstaendiges Geschichtswerk. Italien und seine
Inseln sind ausgeschlossen worden, da diese Darstellung von der des allgemeinen
Reichsregiments nicht getrennt werden kann. Die sogenannte aeussere Geschichte
der Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung;
was wir Reichskriege nennen wuerden, sind gegen das Ausland unter der Kaiserzeit
nicht gefuehrt worden, wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung
der Grenzen hervorgerufenen Kaempfe einige Male Verhaeltnisse annahmen, dass sie
als Kriege zwischen zwei gleichartigen Maechten erscheinen, und der
Zusammensturz der roemischen Herrschaft in der Mitte des dritten Jahrhunderts,
welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende werden zu sollen schien,
aus der an mehreren Stellen gleichzeitig ungluecklich gefuehrten
Grenzverteidigung sich entwickelte. Die grosse Vorschiebung und Regulierung der
Nordgrenze, wie sie unter Augustus teilweise ausgefuehrt ward, teilweise
misslang, leitet die Erzaehlung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem
jeden der drei hauptsaechlichsten Schauplaetze der Grenzverteidigung, des
Rheins, der Donau, des Euphrat, zusammengefasst worden. Im uebrigen ist die
Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes Detail,
Stimmungsschilderungen und Charakterkoepfe hat sie nicht zu bieten; es ist dem
Kuenstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt, das Antlitz des Arminius
zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung moechte
es gelesen sein.
1. Kapitel
Die Nordgrenze Italiens
Die roemische Republik hat ihr Gebiet hauptsaechlich auf den Seewegen gegen
Westen, Sueden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher
Italien und die von ihm abhaengigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit
dem grossen Kontinent Europas zusammenhaengen, war dies wenig geschehen. Das
Hinterland Makedoniens gehorchte den Roemern nicht und nicht einmal der
noerdliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland der gallischen Suedkueste war
durch Caesar zum Reiche gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen
einnahm, durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des traegen und
unsicheren Regiments der Aristokratie musste vor allem an dieser Stelle sich
geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Caesar die
Ausdehnung des roemischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und am rechten Ufer
des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen; aber der Sache nach war
die letztere Grenzerweiterung bei weitem naeher gelegt und notwendiger als die
Unterwerfung der ueberseeischen Kelten, und man versteht es, dass Augustus diese
unterliess und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei grosse Abschnitte: die
Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet
der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze Italiens
selbst, im oberen Donaugebiet, in Raetien und Noricum; endlich die am rechten
Rheinufer, in Germanien. Meistens selbstaendig gefuehrt, haengen die
militaerisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen,
und wie sie saemtlich aus der freien Initiative der roemischen Regierung
hervorgegangen sind, koennen sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem teilweisen
Misslingen nur in ihrer Gesamtheit militaerisch und politisch verstanden werden.
Sie werden darum auch mehr im oertlichen als wie zeitlichen Zusammenhang
dargelegt werden; das Gebaeude, von dem sie doch nur Teile sind, wird besser in
seiner inneren Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet.
Das Vorspiel zu dieser grossen Gesamtaktion machen die Einrichtungen,
welche Caesar der Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand gewonnen
hatte, an den oberen Kuesten des Adriatischen Meeres und im angrenzenden
Binnenland vornahm. In den hundertundfuenfzig Jahren, die seit der Gruendung
Aquileias verflossen waren, hatte wohl der roemische Kaufmann von dort aus sich
des Verkehrs mehr und mehr bemaechtigt, aber der Staat unmittelbar nur geringe
Fortschritte gemacht. An den Haupthaefen der dalmatinischen Kueste, ebenso auf
der von Aquileia in das Savetal fuehrenden Strasse bei Nauportus (Ober-Laibach)
hatten sich ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien,
Istrien und die Krain galten als roemisches Gebiet und wenigstens das
Kuestenland war in der Tat botmaessig; aber die rechtliche Staedtegruendung
stand noch ebenso aus wie die Baendigung des unwirtlichen Binnenlandes. Hier
aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen Caesar und
Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso entschieden fuer den letzteren
Partei ergriffen wie die dort ansaessigen Roemer fuer Caesar; auch nach der
Niederlage des Pompeius bei Pharsalos und nach der Verdraengung der
Pompeianischen Flotte aus den illyrischen Gewaessern setzten die Eingeborenen
den Widerstand energisch und erfolgreich fort. Der tapfere und faehige Publius
Vatinius, der frueher in diese Kaempfe mit grossem Erfolg eingegriffen hatte,
wurde mit einem starken Heere nach Illyricum gesandt, wie es scheint in dem
Jahre vor Caesars Tode und nur als Vorhut des Hauptheeres, mit welchem der
Diktator selbst nachfolgend die eben damals maechtig emporstrebenden Daker
niederzuwerfen und die Verhaeltnisse im ganzen Donaugebiet zu ordnen
beabsichtigte. Diesen Plan schnitten die Dolche der Moerder ab; man musste sich
gluecklich schaetzen, dass die Daker nicht ihrerseits in Makedonien eindrangen,
und Vatinius selbst focht gegen die Dalmater ungluecklich und mit starken
Verlusten. Als dann die Republikaner im Osten ruesteten, ging das illyrische
Heer in das des Brutus ueber und die Dalmatiner blieben laengere Zeit
unangefochten. Nach der Niederwerfung der Republikaner liess Antonius, dem bei
der Teilung des Reiches Makedonien zugefallen war, im Jahre 715 (39) die
unbotmaessigen Dardaner im Nordwesten und die Parthiner an der Kueste (oestlich
von Durazzo) zu Paaren treiben, wobei der beruehmte Redner Gaius Asinius Pollio
die Ehren des Triumphes gewann. In Illyricum, welches unter Caesar stand, konnte
nichts geschehen, solange dieser seine ganze Macht auf den sizilischen Krieg
gegen Sextus Pompeius wenden musste; aber nach dessen gluecklicher Beendigung
warf Caesar selbst sich mit aller Kraft auf diese Aufgabe. Die kleinen
Voelkerschaften von Doclea (Cernagora) bis zu den Japuden (bei Fiume) wurden in
dem ersten Feldzug (719 35) zur Botmaessigkeit zurueckgebracht oder jetzt zuerst
gebaendigt. Es war kein grosser Krieg mit namhaften Feldschlachten, aber die
Gebirgskaempfe gegen die tapferen und verzweifelnden Staemme und das Brechen der
festen, zum Teil mit roemischen Maschinen ausgeruesteten Burgen waren keine
leichte Aufgabe; in keinem seiner Kriege hat Caesar in gleichem Grade eigene
Energie und persoenliche Tapferkeit entwickelt. Nach der muehsamen Unterwerfung
des Japudengebiets marschierte er noch in demselben Jahre im Tal der Kulpa
aufwaerts zu deren Muendung in die Save; die dort gelegene feste Ortschaft
Siscia (Sziszek), der Hauptwaffenplatz der Pannonier, gegen den bisher die
Roemer noch nie mit Erfolg vorgegangen waren, ward jetzt besetzt und zum
Stuetzpunkt bestimmt fuer den Krieg gegen die Daker, den Caesar demnaechst
aufzunehmen gedachte. In den beiden folgenden Jahren (720, 721 34, 33) wurden
die Dalmater, die seit einer Reihe von Jahren gegen die Roemer in Waffen
standen, nach dem Fall ihrer Feste Promona (Promina bei Dernis, oberhalb
Sebenico) zur Unterwerfung gezwungen. Wichtiger aber als diese Kriegserfolge war
das Friedenswerk, das zugleich sich vollzog und zu dessen Sicherung sie dienen
sollten. Ohne Zweifel in diesen Jahren erhielten die Hafenplaetze an der
istrischen und dalmatinischen Kueste, soweit sie in dem Machtbereich Caesars
lagen, Tergeste (Triest), Pola, Iader (Zara), Salome (bei Spalato), Narona (an
der Narentamuendung), nicht minder jenseits der Alpen, auf der Strasse von
Aquileia ueber die Julische Alpe zur Save, Emona (Laibach), durch den zweiten
Julier zum Teil staedtische Mauern, saemtlich staedtisches Recht. Die Plaetze
selbst bestanden wohl alle schon laengst als roemische Flecken; aber es war
immer von wesentlicher Bedeutung, dass sie jetzt unter die italischen Gemeinden
gleichberechtigt eingereiht wurden.
Der Dakerkrieg sollte folgen; aber der Buergerkrieg ging zum zweitenmal ihm
vor. Statt nach Illyricum rief er den Herrscher in den Osten; und der grosse
Entscheidungskampf zwischen Caesar und Antonius warf seine Wellen bis in das
ferne Donaugebiet. Das durch den Koenig Burebista geeinigte und gereinigte Volk
der Daker, jetzt unter dem Koenig Cotiso, sah sich von beiden Gegnern umworben -
Caesar wurde sogar beschuldigt, des Koenigs Tochter zur Ehe begehrt und ihm
dagegen die Hand seiner fuenfjaehrigen Tochter Julia angetragen zu haben. Dass
der Daker im Hinblick auf die von dem Vater geplante, von dem Sohn durch die
Befestigung Siscias eingeleitete Invasion sich auf Antonius' Seite schlug, ist
begreiflich; und haette er ausgefuehrt, was man in Rom besorgte, waere er,
waehrend Caesar im Osten focht, vom Norden her in das wehrlose Italien
eingedrungen, oder haette Antonius nach dem Vorschlag der Daker die Entscheidung
statt in Epirus vielmehr in Makedonien gesucht und dort die dakischen Scharen an
sich gezogen, so waeren die Wuerfel des Kriegsgluecks vielleicht anders
gefallen. Aber weder das eine noch das andere geschah; zudem brach eben damals
der durch Burebistas kraeftige Hand geschaffene Dakerstaat wieder auseinander;
die inneren Unruhen, vielleicht auch von Norden her die Angriffe der
germanischen Bastarner und der spaeterhin Dakien nach allen Richtungen
umklammernden sarmatischen Staemme, verhinderten die Daker, in den auch ueber
ihre Zukunft entscheidenden roemischen Buergerkrieg einzugreifen.
Unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem gefallen war, wandte sich
Caesar zu der Regulierung der Verhaeltnisse an der unteren Donau. Indes da teils
die Daker selbst nicht mehr so wie frueher zu fuerchten waren, teils Caesar
jetzt nicht mehr bloss ueber Illyricum, sondern ueber die ganze griechisch-
makedonische Halbinsel gebot, wurde zunaechst diese die Basis der roemischen
Operationen. Vergegenwaertigen wir uns die Voelker und die
Herrschaftsverhaeltnisse; die Augustus dort vorfand.
Makedonien war seit Jahrhunderten roemische Provinz. Als solche reichte es
nicht hinaus noerdlich ueber Stobi und oestlich ueber das Rhodopegebirge; aber
der Machtbereich Roms erstreckte sich weit ueber die eigentliche Landesgrenze,
obwohl in schwankendem Umfang und ohne feste Form. Ungefaehr scheinen die Roemer
damals bis zum Haemus (Balkan) die Vormacht gehabt zu haben, waehrend das Gebiet
jenseits des Balkan bis zur Donau wohl einmal von roemischen Truppen betreten,
aber keineswegs von Rom abhaengig war ^1. Jenseits des Rhodopegebirges waren die
Makedonien benachbarten thrakischen Dynasten, namentlich die der Odrysen, denen
der groesste Teil der Suedkueste und ein Teil der Kueste des Schwarzen Meeres
botmaessig war, durch die Expedition des Lucullus unter roemische
Schutzherrschaft gekommen, waehrend die Bewohner der mehr binnenlaendischen
Gebiete, namentlich die Besser an der oberen Mariza Untertanen wohl hiessen,
aber nicht waren und ihre Einfaelle in das befriedete Gebiet sowie die
Vergeltungszuege in das ihrige stetig fortgingen. So hatte um das Jahr 694 (60)
der leibliche Vater des Augustus, Gaius Octavius, und im Jahre 711 (43) waehrend
der Vorbereitungen zu dem Kriege gegen die Triumvirn Marcus Brutus gegen sie
gestritten. Eine andere thrakische Voelkerschaft, die Dentheleten (in der Gegend
von Sofia), hatten noch in Ciceros Zeit bei einem Einfall in Makedonien Miene
gemacht, dessen Hauptstadt Thessalonike zu belagern. Mit den Dardanern, den
westlichen Nachbarn der Thraker, einem Zweig der illyrischen Voelkerfamilie,
welche das suedliche Serbien und den Distrikt Prisrend bewohnten, hatte der
Amtsvorgaenger des Lucullus, Curio, mit Erfolg und ein Dezennium spaeter Ciceros
Kollege im Konsulat, Gaius Antonius, im Jahre 692 (62) ungluecklich gefochten.
Unterhalb des dardanischen Gebiets, unmittelbar an der Donau, sassen wieder
thrakische Staemme, die einstmals maechtigen, jetzt herabgekommenen Triballer im
Tal des Oescus (in der Gegend von Plewna), weiterhin an beiden Ufern der Donau
bis zur Muendung Daker, oder wie sie am rechten Donauufer mit dem alten, auch
den asiatischen Stammgenossen gebliebenen Volksnamen gewoehnlich genannt wurden,
Myser oder Moeser, wahrscheinlich zu Burebistas Zeit ein Teil seines Reiches,
jetzt wieder in verschiedene Fuerstentuemer zersplittert. Die maechtigste
Voelkerschaft aber zwischen Balkan und Donau waren damals die Bastarner. Wir
sind diesem tapferen und zahlreichen Stamm, dem oestlichsten Zweig der grossen
germanischen Sippe, schon mehrfach begegnet. Eigentlich ansaessig hinter den
transdanuvianischen Dakern jenseits der Gebirge, die Siebenbuergen von der
Moldau scheiden, an den Donaumuendungen und in dem weiten Gebiet von da zum
Dnjestr, befanden sie sich selber ausserhalb des roemischen Bereichs; aber
vorzugsweise aus ihnen hatte sowohl Koenig Philipp von Makedonien wie Koenig
Mithradates von Pontus seine Heere gebildet und in dieser Weise hatten die
Roemer schon frueher oft mit ihnen gestritten. Jetzt hatten sie in grossen
Massen die Donau ueberschritten und sich noerdlich vom Haemus festgesetzt;
insofern der dakische Krieg, wie ihn Caesar der Vater und dann der Sohn geplant
hatten, ohne Zweifel der Gewinnung des rechten Ufers der unteren Donau galt, war
er nicht minder gegen sie gerichtet wie gegen die rechtsufrigen dakischen
Moeser. Die griechischen Kuestenstaedte in dem Barbarenland Odessos (bei Varna),
Tomis, Istropolis, schwer bedraengt durch dies Voelkergewoge, waren hier wie
ueberall die geborenen Klienten der Roemer.
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^1 Dies sagt ausdruecklich Dio (51, 23) zum Jahre 725 (29): teos men o?n
ta?t epoioyn (d. h. solange die Bastarner nur die Triballer - bei Oescus in
Niedermoesien - und die Dardaner in Obermoesien angriffen), oyden sphisi pragma
pros to?s R/o/maioys /e/n. Epei de ton te Aimon yperebesan kai t/e/n THrak/e/n
t/e/n Denthel/e/t/o/n enspondon aytois o?san katedramon k. t. l. Die
Bundesgenossen in Moesien, von denen Dio 38, 10 spricht, sind die
Kuestenstaedte.
-----------------------------------------------------
Zur Zeit der Diktatur Caesars, als Burebista auf der Hoehe seiner Macht
stand, hatten die Daker an der Kueste bis hinab nach Apollonia jenen
fuerchterlichen Verheerungszug ausgefuehrt, dessen Spuren noch nach anderthalb
Jahrhunderten nicht verwischt waren. Es mag wohl zunaechst dieser Einfall
gewesen sein, welcher Caesar den Vater bestimmte, den Dakerkrieg zu unternehmen;
und nachdem der Sohn jetzt auch ueber Makedonien gebot, musste er allerdings
sich verpflichtet fuehlen, eben hier sofort und energisch einzugreifen. Die
Niederlage, die Ciceros Kollege Antonius bei Istropolis durch die Bastarner
erlitten hatte, darf als ein Beweis dafuer genommen werden, dass diese Griechen
wieder einmal der Hilfe der Roemer bedurften.
In der Tat wurde bald nach der Schlacht bei Actium (725 29) Marcus Licinius
Crassus, der Enkel des bei Karrhae gefallenen, von Caesar als Statthalter nach
Makedonien gesandt und beauftragt, den zweimal verhinderten Feldzug nun
auszufuehren. Die Bastarner, welche eben damals in Thrakien eingefallen waren,
fuegten sich ohne Widerstand, als Crassus sie auffordern liess, das roemische
Gebiet zu verlassen; aber ihr Rueckzug genuegte dem Roemer nicht. Er
ueberschritt seinerseits den Haemus ^2, schlug am Einfluss des Cibrus
(Tzibritza) in die Donau die Feinde, deren Koenig Deldo auf der Wahlstatt blieb,
und nahm, was aus der Schlacht in eine nahe Festung entkommen war, mit Hilfe
eines zu den Roemern haltenden Dakerfuersten gefangen. Ohne weiteren Widerstand
zu leisten, unterwarf sich dem Ueberwinder der Bastarner das gesamte moesische
Gebiet. Diese kamen im naechsten Jahr wieder, um die erlittene Niederlage
wettzumachen; aber sie unterlagen abermals und mit ihnen, was von den moesischen
Staemmen wieder zu den Waffen gegriffen hatte. Damit waren diese Feinde von dem
rechten Donauufer ein fuer allemal ausgewiesen und dieses vollstaendig der
roemischen Herrschaft unterworfen. Zugleich wurden die noch nicht botmaessigen
Thraker gebaendigt, den Bessern das nationale Heiligtum des Dionysos genommen
und die Verwaltung desselben den Fuersten der Odrysen uebertragen, welche
ueberhaupt seitdem unter dem Schutz der roemischen Obergewalt die
Oberherrlichkeit ueber die thrakischen Voelkerschaften suedlich vom Haemus
fuehrten oder doch fuehren sollten. Unter seinen Schutz wurden ferner die
griechischen Kuestenstaedte am Schwarzen Meere gestellt und auch das uebrige
eroberte Gebiet verschiedenen Lehnsfuersten zugeteilt, auf die somit zunaechst
der Schutz der Reichsgrenze ueberging ^3; eigene Legionen hatte Rom fuer diese
fernen Landschaften nicht uebrig. Makedonien wurde dadurch zur Binnenprovinz,
die der militaerischen Verwaltung nicht ferner bedurfte. Das Ziel, das bei jenen
dakischen Kriegsplaenen ins Auge gefasst worden war, war erreicht.
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^2 Wenn Dio sagt (51, 23): t/e/n Segetik/e/n kakoymen/e/n prosepoi/e/sato
kai es t/e/n Mysida enebale, so kann jene Stadt wohl nur Serdica sein, das
heutige Sofia, am oberen Oescus, der Schluessel fuer das moesische Land.
^3 Nach dem Feldzug des Crassus ist das eroberte Land wahrscheinlich in der
Weise organisiert worden, dass die Kueste zum Thrakischen Reich kam, wie dies G.
Zippel (Die roemische Herrschaft in Illyricum bis auf Augustus. Leipzig 1877, S.
243) dargetan hat, der westliche Teil aber, aehnlich wie Thrakien den
einheimischen Fuersten zu Lehen gegeben ward, an deren eines Stelle der noch
unter Tiberius fungierende praefectus civitatium Moesiae et Triballiae (CIL V,
1838) getreten sein muss. Die uebliche Annahme, dass Moesien anfaenglich mit
Illyricum verbunden gewesen sei, ruht nur darauf, dass dasselbe bei der
Aufzaehlung der im Jahre 727 (27) zwischen Kaiser und Senat geteilten Provinzen
bei Dio 53, 12 nicht genannt werde und also in "Dalmatien" enthalten sei. Aber
auf die Lehnsstaaten und die prokuratorischen Provinzen erstreckt sich diese
Aufzaehlung ueberhaupt nicht und insofern ist bei jener Annahme alles in
Ordnung. Dagegen sprechen gegen die gewoehnliche Auffassung schwerwiegende
Argumente. Waere Moesien urspruenglich ein Teil der Provinz Illyricum gewesen,
so haette es diesen Namen behalten; denn bei Teilung der Provinz pflegt der Name
zu bleiben und nur ein Determinativ hinzuzutreten. Die Benennung Illyricum aber,
die Dio ohne Zweifel a. a. O. wiedergibt, hat sich in dieser Verbindung immer
beschraenkt auf das obere (Dalmatien) und das untere (Pannonien). Ferner bleibt,
wenn Moesien ein Teil von Illyricum war, fuer jenen Praefekten von Moesien und
Triballien, resp. seinen koeniglichen Vorgaenger kein Raum. Endlich ist es wenig
wahrscheinlich, dass im Jahre 727 (27) einem einzigen senatorischen Statthalter
ein Kommando von dieser Ausdehnung und Wichtigkeit anvertraut worden ist.
Dagegen erklaert sich alles einfach, wenn nach dem Kriege des Crassus in Moesien
kleine Klientelstaaten entstanden; diese standen als solche von Haus aus unter
dem Kaiser, und da bei deren sukzessiver Einziehung und Umwandlung in eine
Statthalterschaft der Senat nicht mitwirkte, konnte sie leicht in den Annalen
ausfallen. Vollzogen hat sie sich in oder vor dem Jahre 743 (11), da der damals
den Krieg gegen die Thraker fuehrende Statthalter L. Calpurnius Piso, dem Dio
54, 34 irrig die Provinz Pamphylien beilegt, als Provinz nur Pannonien oder
Moesien gehabt haben kann und da in Pannonien damals Tiberius als Legat
fungierte, fuer ihn nur Moesien uebrig bleibt. Im Jahre 6 n. Chr. erscheint
sicher ein kaiserlicher Statthalter von Moesien.
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Allerdings war dieses Ziel nur ein vorlaeufiges. Aber bevor Augustus die
definitive Regulierung der Nordgrenze in die Hand nahm, wandte er sich zu der
Reorganisation der schon zum Reiche gehoerigen Landschaften; ueber ein Dezennium
verging mit der Ordnung der Dinge in Spanien, Gallien, Asien, Syrien. Wie er
dann, als dort das Noetige geschehen war, das umfassende Werk angriff, soll nun
erzaehlt werden.
Italien, das ueber drei Weltteile gebot, war, wie gesagt, noch keineswegs
unbedingt Herr im eigenen Hause. Die Alpen, die es gegen Norden beschirmen,
waren in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Meer zum andern angefuellt mit
kleinen, wenig zivilisierten Voelkerschaften illyrischer, raetischer, keltischer
Nationalitaet, deren Gebiete zum Teil hart angrenzten an die der grossen Staedte
der Transpadana - so das der Trumpiliner (Val Trompia) an die Stadt Brixia, das
der Camunner (Val Camonica, oberhalb des Lago d'Iseo) an die Stadt Bergomum, das
der Salasser (Val d'Aosta) an Eporedia (Ivrea), und die keineswegs friedliche
Nachbarschaft pflogen. Oft genug ueberwunden und als besiegt auf dem Kapitol
proklamiert, pluenderten diese Staemme, allen Lorbeeren der vornehmen
Triumphatoren zum Trotz, fortwaehrend die Bauern und die Kaufleute Oberitaliens.
Ernstlich zu steuern war dem Unwesen nicht, solange die Regierung sich nicht
entschloss, die Alpenhoehen zu ueberschreiten und auch den noerdlichen Abhang in
ihre Gewalt zu bringen; denn ohne Zweifel stroemten bestaendig zahlreiche dieser
Raubgesellen ueber die Berge herueber, um das reiche Nachbarland zu
brandschatzen. Auch nach Gallien hin war noch in gleicher Weise zu tun; die
Voelkerschaften im oberen Rhonethal (Wallis und Waadt) waren zwar von Caesar
unterworfen worden, aber sind auch unter denen genannt, die den Feldherren
seines Sohnes zu schaffen machten. Andererseits klagten die friedlichen
gallischen Grenzdistrikte ueber die stetigen Einfaelle der Raeter. Eine
Geschichtserzaehlung leiden und fordern die zahlreichen Expeditionen nicht,
welche Augustus dieser Missstaende halber veranstaltet hat; in den
Triumphalfasten sind sie nicht verzeichnet und gehoeren auch nicht hinein, aber
sie gaben Italien zum ersten Mal Befriedung des Nordens. Erwaehnt moegen werden
die Niederwerfung der oben erwaehnten Camunner im Jahre 738 (16) durch den
Statthalter von Illyricum und die gewisser ligurischer Voelkerschaften in der
Gegend von Nizza im Jahre 740 (14), weil sie zeigen, wie noch um die Mitte der
augustischen Zeit diese unbotmaessigen Staemme unmittelbar auf Italien
drueckten. Wenn der Kaiser spaeterhin in dem Gesamtbericht ueber seine
Reichsverwaltung erklaerte, dass gegen keine dieser kleinen Voelkerschaften von
ihm zu Unrecht Gewalt gebraucht worden sei, so wird dies dahin zu verstehen
sein, dass ihnen Gebietsabtretungen und Sitzwechsel angesonnen wurden und sie
sich dagegen zur Wehr setzten; nur der unter Koenig Cottius von Segusio (Susa)
vereinigte kleine Gauverband fuegte sich ohne Kampf in die neue Ordnung.
Der Schauplatz dieser Kaempfe waren die suedlichen Abhaenge und die Taeler
der Alpen. Es folgte die Festsetzung auf dem Nordabhang der Gebirge und in dem
noerdlichen Vorlande im Jahre 739 (15). Die beiden dem kaiserlichen Hause
zugezaehlten Stiefsoehne Augusts, Tiberius, der spaetere Kaiser, und sein Bruder
Drusus, wurden damit in die ihnen bestimmte Feldherrnlaufbahn eingefuehrt - es
waren sehr sichere und sehr dankbare Lorbeeren, die ihnen in Aussicht gestellt
wurden. Von Italien aus das Tal der Etsch hinauf drang Drusus in die raetischen
Berge ein und erfocht hier einen ersten Sieg; fuer das weitere Vordringen
reichte ihm der Bruder, damals Statthalter Galliens, vom helvetischen Gebiet aus
die Hand; auf dem Bodensee selbst schlugen die roemischen Trieren die Boote der
Vindeliker; an dem Kaisertag, dem 1. August 739 (15), wurde in der Umgegend der
Donauquellen die letzte Schlacht geschlagen, durch die Raetien und das
Vindelikerland, das heisst Tirol, die Ostschweiz und Bayern, fortan Bestandteile
des Roemischen Reiches wurden. Kaiser Augustus selbst war nach Gallien gegangen,
um den Krieg und die Einrichtung der neuen Provinz zu ueberwachen. Da wo die
Alpen am Golf von Genua endigen, auf der Hoehe oberhalb Monaco, wurde einige
Jahre darauf von dem dankbaren Italien dem Kaiser Augustus ein weit in das
Tyrrhenische Meer hinausschauendes, noch heute nicht ganz verschwundenes Denkmal
dafuer errichtet, dass unter seinem Regiment die Alpenvoelker alle vom oberen
zum unteren Meer - ihrer sechsundvierzig zaehlt die Inschrift auf - in die
Gewalt des roemischen Volkes gebracht worden waren. Es war nicht mehr als die
einfache Wahrheit, und dieser Krieg das, was der Krieg sein soll, der Schirmer
und der Buerge des Friedens.
Schwieriger wohl als die eigentliche Kriegsarbeit war die Organisation des
neuen Gebietes; insbesondere auch deshalb, weil die inneren politischen
Verhaeltnisse hier zum Teil recht stoerend eingriffen. Da nach der Lage der
Dinge das militaerische Schwergewicht nicht in Italien liegen durfte, so musste
die Regierung darauf bedacht sein, die grossen Militaerkommandos aus der
unmittelbaren Naehe Italiens moeglichst zu entfernen; ja es hat wohl bei der
Besetzung Raetiens selbst das Bestreben mitgewirkt, das Kommando, welches
wahrscheinlich bis dahin in Oberitalien selbst nicht hatte entbehrt werden
koennen, definitiv von dort wegzulegen, wie es dann auch zur Ausfuehrung kam.
Was man zunaechst erwarten sollte, dass fuer die in dem neugewonnenen Gebiet
unentbehrlichen militaerischen Aufstellungen ein grosser Mittelpunkt am
Nordabhang der Alpen geschaffen worden waere, davon geschah das gerade
Gegenteil. Es wurde zwischen Italien einer- und den grossen Rhein- und
Donaukommandos andererseits ein Guertel kleinerer Statthalterschaften gezogen,
die nicht bloss alle vom Kaiser, sondern auch durchaus mit dem Senat nicht
angehoerigen Maennern besetzt wurden. Italien und die suedgallische Provinz
wurden geschieden durch die drei kleinen Militaerdistrikte der Seealpen
(Departement der Seealpen und Provinz Cuneo), der Kottischen mit der Hauptstadt
Segusio (Susa) und wahrscheinlich der Graischen (Ostsavoyen), unter denen der
zweite, von dem schon genannten Gaufuersten Cottius und seinen Nachkommen eine
Zeitlang in den Formen der Klientel verwaltete ^4 am meisten bedeutete, die aber
alle eine gewisse Militaergewalt besassen und deren naechste Bestimmung war, in
dem betreffenden Gebiet und vor allem auf den wichtigen, dasselbe
durchschneidenden Reichsstrassen die oeffentliche Sicherheit zu erhalten. Das
obere Rhonetal dagegen, also das Wallis, und das neu eroberte Raetien wurden
einem nicht im Rang, aber wohl an Macht hoeher stehenden Befehlhaber untergeben;
ein relativ ansehnliches Korps war hier nun einmal unumgaenglich erforderlich.
Indes wurde, um dasselbe moeglichst verringern zu koennen, Raetien durch
Entfernung seiner Bewohner im grossen Massstab entvoelkert. Den Ring schloss die
aehnlich organisierte Provinz Noricum, den groessten Teil des heutigen deutschen
Osterreich umfassend. Diese weite und fruchtbare Landschaft hatte sich ohne
wesentlichen Widerstand der roemischen Herrschaft unterworfen, wahrscheinlich in
der Form, dass hier zunaechst ein abhaengiges Fuerstenrum entstand, bald aber
der Koenig dem kaiserlichen Prokurator wich, von dem er ohnehin sich nicht
wesentlich unterschied. Von den Rhein- und Donaulegionen erhielten allerdings
einige ihre Standlager in der unmittelbaren Naehe, einerseits der raetischen
Grenze bei Vindonissa, andererseits der norischen bei Poetovio, offenbar, um auf
die Nachbarprovinz zu druecken; aber Armeen ersten Ranges mit Legionen unter
senatorischen Generalen gab es in jenem Zwischenbereich so wenig wie
senatorische Statthalter. Das Misstrauen gegen das neben dem Kaiser den Staat
regierende Kollegium findet in dieser Einrichtung einen sehr drastischen
Ausdruck.
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^4 Der offizielle Titel des Cottius war nicht Koenig, wie der seines Vaters
Donnus, sondern "Gauverbandsvorstand" (praefectus civitatium), wie er auf dem
noch stehenden, im Jahre 745/46 (9/8) von ihm zu Ehren des Augustus errichteten
Bogen von Susa genannt wird. Aber die Stellung war ohne Zweifel lebenslaenglich
und, unter Vorbehalt der Bestaetigung des Lehnsherrn, auch erblich, also
insofern der Verband allerdings ein Fuerstentum, wie er auch gewoehnlich heisst.
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Naechst der Befriedung Italiens war der Hauptzweck dieser Organisation die
Sicherung seiner Kommunikationen mit dem Norden, die fuer den Handelsverkehr von
nicht minder einschneidender Bedeutung war wie in militaerischer Beziehung. Mit
besonderer Energie griff Augustus diese Aufgabe an und es ist wohl verdient,
dass in den Namen Aosta und Augsburg, vielleicht auch in dem der Julischen Alpen
der seinige noch heute fortlebt. Die alte Kuestenstrasse, die Augustus von der
ligurischen Kueste durch Gallien und Spanien bis an den Atlantischen Ozean teils
erneuerte, teils herstellte, hat nur Handelszwecken dienen koennen. Auch die
Strasse ueber die Kottische Alpe, schon durch Pompeius eroeffnet, ist unter
Augustus durch den schon erwaehnten Fuersten von Susa ausgebaut und nach ihm
benannt worden; ebenfalls eine Handelsstrasse, verknuepft sie Italien ueber
Turin und Susa mit der Handelshauptstadt Suedgalliens Arelate. Aber die
eigentliche Militaerlinie, die unmittelbare Verbindung zwischen Italien und den
Rheinlagern fuehrt durch das Tal der Dora Baltea aus Italien teils nach der
Hauptstadt Galliens, Lyon, teils nach dem Rhein. Hatte die Republik sich darauf
beschraenkt, den Eingang jenes Tals durch die Anlegung von Eporedia (Ivrea) in
ihre Gewalt zu bringen, so nahm Augustus dasselbe ganz in Besitz in der Weise,
dass er dessen Bewohner, die immer noch unruhigen und schon waehrend des
dalmatinischen Krieges von ihm bekaempften Salasser, nicht bloss unterwarf,
sondern geradezu austilgte - ihrer 36000, darunter 8000 streitbare Maenner,
wurden auf dem Markt von Eporedia unter dem Hammer in die Sklaverei verkauft und
den Kaeufern auferlegt, binnen zwanzig Jahre keinem derselben die Freiheit zu
gewaehren. Das Feldlager selbst, von dem aus sein Feldherr Varro Murena im Jahre
729 (25) sie schliesslich aufs Haupt geschlagen hatte, wurde die Festung,
welche, besetzt mit 3000 der Kaisergarde entnommenen Ansiedlern, die
Verbindungen sichern sollte, die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta,
deren damals errichtete Mauern und Tore noch heute stehen. Sie beherrschte
spaeter zwei Alpenstrassen, sowohl die ueber die Grafische Alpe oder den Kleinen
St. Bernhard an der oberen Isere und der Rhone nach Lyon fuehrende wie die,
welche ueber die Poeninische Alpe, den Grossen St. Bernhard, zum Rhonetal und
zum Genfer See und von da in die Taeler der Aare und des Rheins lief. Aber fuer
die erste dieser Strassen ist die Stadt angelegt worden, da sie urspruenglich
nur nach Osten und Westen fuehrende Tore gehabt hat, und es konnte dies auch
nicht anders sein, da die Festung ein Dezennium vor der Besetzung Raetiens
gebaut ward, auch in jenen Jahren die spaetere Organisation der Rheinlager noch
nicht bestand und die direkte Verbindung der Hauptstaedte Italiens und Galliens
durchaus in erster Reihe stand. In der Richtung auf die Donau zu ist der Anlage
von Emona an der oberen Save auf der alten Handelsstrasse von Aquileia ueber die
Julische Alpe in das pannonische Gebiet schon gedacht worden; diese Strasse war
zugleich die Hauptader der militaerischen Verbindung von Italien mit dem
Donaugebiet. Mit der Eroberung Raetiens endlich verband sich die Eroeffnung der
Strasse, welche von der letzten italischen Stadt Tridentum (Trient) das Etschtal
hinauf zu der im Lande der Vindeliker neu angelegten Augusta, dem heutigen
Augsburg, und weiter zur oberen Donau fuehrte. Als dann der Sohn des Feldherrn,
der dieses Gebiet zuerst aufgeschlossen hatte, zur Regierung gelangte, ist
dieser Strasse der Name der Claudischen beigelegt worden ^5. Sie stellte
zwischen Raetien und Italien die militaerisch unentbehrliche Verbindung her;
indes hat sie in Folge der relativ geringen Bedeutung der raetischen Armee und
wohl auch in Folge der schwierigeren Kommunikation niemals die Bedeutung gehabt
wie die Strasse von Aosta.
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^5 Wir kennen diese Strasse nur in der Gestalt, die der Sohn des Erbauers,
Kaiser Claudius, ihr gab; urspruenglich kann sie natuerlich nicht via Claudia
Augusta geheissen haben, sondern nur via Augusta, und schwerlich als ihr
Endpunkt in Italien Altinum, ungefaehr das heutige Venedig, betrachtet worden
sein, da unter Augustus noch alle Reichsstrassen nach Rom fuehrten. Dass die
Strasse auch durch das obere Etschtal lief, ist erwiesen durch den bei Meran
gefundenen Meilenstein (CIL V 8003); dass sie an die Donau fuehrte, ist bezeugt,
die Verbindung dieses Strassenbaus mit der Anlage von Augusta Vindelicum, wenn
dies auch zunaechst nur Marktflecken (forum) war, mehr als wahrscheinlich (CIL
III, p. 711); auf welchem Wege von Meran aus Augsburg und die Donau erreicht
wurden, wissen wir nicht. Spaeterhin ist die Strasse dahin korrigiert worden,
dass sie bei Bozen die Etsch verlaesst und das Eisacktal hinauf ueber den
Brenner nach Augsburg fuehrt.
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Die Alpenpaesse und der Nordabhang der Alpen waren somit in gesichertem
roemischen Besitz. Jenseits der Alpen erstreckte sich oestlich vom Rhein das
germanische Land, suedwaerts der Donau das der Pannonier und der Moeser. Auch
hier wurde kurz nach der Besetzung Raetiens, und ziemlich gleichzeitig nach
beiden Seiten hin, die Offensive ergriffen. Betrachten wir zunaechst die
Vorgaenge an der Donau.
Das Donaugebiet, allem Anschein nach bis zum Jahre 727 (27) mit Oberitalien
zusammen verwaltet, wurde damals bei der Reorganisation des Reiches ein
selbstaendiger Verwaltungsbezirk Illyricum unter eigenem Statthalter. Er bestand
aus Dalmatien mit seinem Hinterland bis zum Drin, waehrend die Kueste weiter
suedwaerts seit langem zur Statthalterschaft Makedonien gehoerte, und den
roemischen Besitzungen im Lande der Pannonier an der Save. Das Gebiet zwischen
dem Haemus und der Donau bis zum Schwarzen Meer, welches kurz zuvor Crassus in
Reichsabhaengigkeit gebracht hatte, sowie nicht minder Noricum und Raetien
standen im Klientelverhaeltnis zu Rom, gehoerten also zwar nicht zu diesem
Sprengel, aber hingen doch zunaechst von dem Statthalter Illyricums ab. Auch das
noch keineswegs beruhigte Thrakien suedlich vom Haemus fiel militaerisch in
denselben Bereich. Es ist eine bis in spaete Zeit bestehende Fortwirkung dieser
urspruenglichen Organisation gewesen, dass das ganze Donaugebiet von Raetien bis
Moesien als ein Zollbezirk unter dem Namen Illyricum im weiteren Sinne
zusammengefasst worden ist. Legionen standen nur in dem eigentlichen Illyricum,
in den uebrigen Distrikten wahrscheinlich gar keine Reichstruppen, hoechstens
kleinere Detachements; das Oberkommando fuehrte der aus dem Senat hervorgehende
Prokonsul der neuen Provinz, waehrend die Soldaten und die Offiziere
selbstverstaendlich kaiserlich waren. Es zeugt von dem ernsten Charakter der
nach der Eroberung Raetiens beginnenden Offensive, dass zunaechst der
Nebenherrscher Agrippa das Kommando im Donaugebiet uebernahm, dem der Prokonsul
von Illyricum von Rechts wegen sich unterzuordnen hatte, und dann, als Agrippas
ploetzlicher Tod im Fruehjahr 742 (12) diese Kombination scheitern machte, im
Jahre darauf Illyricum in kaiserliche Verwaltung ueberging, also die
kaiserlichen Feldherren hier das Oberkommando erhielten. Bald bildeten sich hier
drei militaerische Mittelpunkte, welche dann auch die administrative Dreiteilung
des Donaugebiets herbeifuehrten. Die kleinen Fuerstentuemer in dem von Crassus
eroberten Gebiet machten der Provinz Moesien Platz, deren Statthalter fortan in
dem heutigen Serbien und Bulgarien die Grenzwacht hielt gegen Daker und
Bastarner. In der bisherigen Provinz Illyricum wurde ein Teil der Legionen an
der Kerka und der Cettina postiert, um die immer noch schwierigen Dalmater im
Zaum zu halten. Die Hauptmacht stand in Pannonien an der damaligen Reichsgrenze,
der Save. Chronologisch genau laesst sich diese Dislokation der Legionen und
Organisation der Provinzen nicht fixieren; wahrscheinlich haben die gleichzeitig
gefuehrten ernsthaften Kriege gegen die Pannonier und die Thraker, von denen wir
gleich zu berichten haben werden, zunaechst dazu gefuehrt, die Statthalterschaft
von Moesien einzurichten, und haben erst einige Zeit nachher die dalmatischen
Legionen und die an der Save eigene Oberbefehlshaber erhalten.
Wie die Expeditionen gegen die Pannonier und die Germanen gleichsam eine
Wiederholung des raetischen Feldzugs in erweitertem Massstab sind, so waren auch
die Fuehrer, welche mit dem Titel kaiserlicher Legaten an die Spitze gestellt
wurden, dieselben; wieder die beiden Prinzen des kaiserlichen Hauses, Tiberius,
der an Agrippas Stelle das Kommando in Illyricum uebernahm, und Drusus, der an
den Rhein ging, beide jetzt nicht mehr unerprobte Juenglinge, sondern Maenner in
der Bluete ihrer Jahre und schwerer Arbeit wohl gewachsen.
An naechsten Anlaessen fuer die Kriegfuehrung fehlte es in der Donaugegend
nicht. Raubgesindel aus Pannonien und selbst aus dem friedlichen Noricum
pluenderte im Jahre 738 (16) bis nach Istrien hinein. Zwei Jahre darauf
ergriffen die illyrischen Provinzialen gegen ihre Herren die Waffen und obwohl
sie dann, als Agrippa im Herbst des Jahres 741 (13) das Kommando uebernahm, ohne
Widerstand zu leisten zum Gehorsam zurueckkehrten, sollen doch unmittelbar nach
seinem Tode die Unruhen aufs neue begonnen haben. Wir vermoegen nicht zu sagen,
wieweit diese roemischen Erzaehlungen der Wahrheit entsprechen; der eigentliche
Grund und Zweck dieses Krieges war gewiss die durch die allgemeine politische
Lage geforderte Vorschiebung der roemischen Grenze. Ueber die drei Kampagnen des
Tiberius in Pannonien 742 bis 744 (12-10) sind wir sehr unvollkommen
unterrichtet. Als Ergebnis derselben wurde von der Regierung die Feststellung
der Donaugrenze fuer die Provinz Illyricum angegeben. Dass diese seitdem in
ihrem ganzen Laufe als die Grenze des roemischen Gebiets angesehen wurde, ist
ohne Zweifel richtig, aber eine eigentliche Unterwerfung oder gar eine Besetzung
dieses ganzen weiten Gebiets ist damals keineswegs erfolgt. Hauptsaechlichen
Widerstand gegen Tiberius leisteten die schon frueher fuer roemisch erklaerten
Voelkerschaften, insbesondere die Dalmater; unter den damals zuerst effektiv
unterworfenen ist die namhafteste die der pannonischen Breuker an der unteren
Save. Schwerlich haben die roemischen Heere waehrend dieser Feldzuege die Drau
auch nur ueberschritten, auf keinen Fall ihre Standlager an die Donau verlegt.
Das Gebiet zwischen Save und Drau wurde allerdings besetzt und das Hauptquartier
der illyrischen Nordarmee von Siscia an der Save nach Poetovio (Pettau) an der
mittleren Drau verlegt, waehrend in dem vor kurzem besetzten norischen Gebiet
die roemischen Besatzungen bis an die Donau bei Carnuntum reichten (Petronell
bei Wien), damals die letzte norische Stadt gegen Osten. Das weite und grosse
Gebiet zwischen der Drau und der Donau, das heutige westliche Ungarn, ist allem
Anschein nach damals nicht einmal militaerisch besetzt worden. Es entsprach dies
dem Gesamtplan der begonnenen Offensive; man suchte die Fuehlung mit dem
gallischen Heer, und fuer die neue Reichsgrenze im Nordosten war der natuerliche
Stuetzpunkt nicht Ofen, sondern Wien.
Gewissermassen eine Ergaenzung zu dieser pannonischen Expedition des
Tiberius bildet diejenige, welche gleichzeitig gegen die Thraker von Lucius Piso
unternommen ward, vielleicht dem ersten eigenen Statthalter, den Moesien gehabt
hat. Die beiden grossen benachbarten Nationen, die Illyriker und die Thraker,
von denen in einem spaeteren Abschnitt eingehender gehandelt werden wird,
standen damals gleichmaessig zur Unterwerfung. Die Voelkerschaften des inneren
Thrakiens erwiesen sich noch stoerriger als die Illyriker und den von Rom ihnen
gesetzten Koenigen wenig botmaessig; im Jahre 738 (16) musste ein roemisches
Heer dort einruecken und den Fuersten gegen die Besser zu Hilfe kommen. Wenn wir
genauere Berichte ueber die dort wie hier in den Jahren 741 bis 743 (13-11)
gefuehrten Kaempfe haetten, wuerde das gleichzeitige Handeln der Thraker und der
Illyriker vielleicht als gemeinschaftliches erscheinen. Gewiss ist es, dass die
Masse der Thrakerstaemme suedlich vom Haemus und vermutlich auch die in Moesien
sitzenden sich an diesem Nationalkrieg beteiligten, und dass die Gegenwehr der
Thraker nicht minder hartnaeckig war als die der Illyriker. Es war fuer sie
zugleich ein Religionskrieg; das den Bessern genommene und den roemisch
gesinnten Odrysenfuersten ueberwiesene Dionysosheiligtum ^6 war nicht vergessen;
ein Priester dieses Dionysos stand an der Spitze der Insurrektion und sie
richtete sich zunaechst eben gegen jene Odrysenfuersten. Der eine derselben
wurde gefangen und getoetet, der andere verjagt; die zum Teil nach roemischem
Muster bewaffneten und disziplinierten Insurgenten siegten indem ersten Treffen
ueber Piso und drangen vor bis nach Makedonien und in den Thrakischen Chersones;
man fuerchtete fuer Asien. Indes die roemische Zucht behielt doch schliesslich
das Uebergewicht auch ueber diese tapferen Gegner; in mehreren Feldzuegen wurde
Piso des Widerstandes Herr, und das entweder schon bei dieser Gelegenheit oder
bald nachher auf dem "thrakischen Ufer" eingerichtete Kommando von Moesien brach
den Zusammenhang der dakisch-thrakischen Voelkerschaften, indem es die Staemme
am linken Ufer der Donau und die verwandten suedlich vom Haemus voneinander
schied, und sicherte dauernd die roemische Herrschaft im Gebiet der unteren
Donau.
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^6 Die Oertlichkeit, "in welcher die Besser den Gott Dionysos verehren" und
die Crassus ihnen nahm und den Odrysen gab (Dio 51, 25), ist gewiss derselbe
Liberi patris lucus, in welchem Alexander opferte und der Vater des Augustus,
cum per secreta Thraciae exercitum duceret, das Orakel wegen seines Sohnes
befragte (Suet. Aug. 94) und das schon Herodot (2, 111; vgl. Eur. Hek. 1267) als
unter Obhut der Besser stehendes Orakelheiligtum erwaehnt. Gewiss ist es
nordwaerts der Rhodope zu suchen; wiedergefunden ist es noch nicht.
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Naeher noch als von den Pannoniern und den Thrakern ward es den Roemern von
den Germanen gelegt, dass der damalige Zustand der Dinge auf die Dauer nicht
bleiben koenne. Die Reichsgrenze war seit Caesar der Rhein, vom Bodensee bis zu
seiner Muendung. Eine Voelkerscheide war er nicht, da schon von alters her im
Nordosten Galliens die Kelten sich vielfach mit Deutschen gemischt hatten, die
Treuerer und die Nervier Germanen wenigstens gern gewesen waeren, am mittleren
Rhein Caesar selbst die Reste der Scharen des Ariovistus, Triboker (im Elsass),
Nemeter (um Speyer), Vangionen (um Worms) sesshaft gemacht hatte. Freilich
hielten diese linksrheinischen Deutschen fester zu der roemischen Herrschaft als
die keltischen Gaue und nicht sie haben den Landsleuten auf dem rechten Ufer die
Pforten Galliens geoeffnet. Aber diese, seit langem der Plunderzuege ueber den
Fluss gewohnt und der mehrfach halb geglueckten Versuche, dort sich
festzusetzen, keineswegs vergessen, kamen auch ungerufen. Die einzige
germanische Voelkerschaft jenseits des Rheines, die schon in Caesars Zeit sich
von ihren Landsleuten getrennt und unter roemischen Schutz gestellt hatte, die
Ubier, hatten vor dem Hass ihrer erbitterten Stammgenossen weichen und auf dem
roemischen Ufer Schutz und neue Wohnsitze suchen muessen (716 38); Agrippa,
obwohl persoenlich in Gallien anwesend, hatte unter dem Druck des damals
bevorstehenden sizilischen Krieges nicht vermocht, ihnen in anderer Weise zu
helfen, und den Rhein nur ueberschritten, um die Ueberfuehrung zu bewirken. Aus
dieser ihrer Siedlung ist spaeter unser Koeln erwachsen. Nicht bloss die auf dem
rechten Rheinufer Handel treibenden Roemer wurden vielfaeltig von den Germanen
geschaedigt, so dass sogar im Jahre 729 (25) deswegen ein Vorstoss ueber den
Rhein ausgefuehrt ward und Agrippa im Jahre 734 (20) vom Rhein heruebergekommene
germanische Schwaerme aus Gallien hinauszuschlagen hatte; es geriet im Jahre 738
(16) das jenseitige Ufer in eine allgemeinere, auf einen Einbruch in grossem
Massstab hinauslaufende Bewegung. Die Sugambrer an der Ruhr gingen voran, mit
ihnen ihre Nachbarn, noerdlich im Lippetal die Usiper, suedlich die Tencterer;
sie griffen die bei ihnen verweilenden roemischen Haendler auf und schlugen sie
ans Kreuz, ueberschritten dann den Rhein, pluenderten weit und breit die
gallischen Gaue, und als ihnen der Statthalter von Germanien den Legaten Marcus
Lollius mit der fuenften Legion entgegenschickte, fingen sie erst deren Reiterei
ab und schlugen dann die Legion selbst in schimpfliche Flucht, wobei ihnen sogar
deren Adler in die Haende fiel. Nach allem diesem kehrten sie unangefochten
zurueck in ihre Heimat. Dieser Misserfolg der roemischen Waffen, wenn auch an
sich nicht von Gewicht, war doch der germanischen Bewegung und selbst der
schwierigen Stimmung in Gallien gegenueber nichts weniger als unbedenklich;
Augustus selbst ging nach der angegriffenen Provinz, und es mag dieser Vorgang
wohl die naechste Veranlassung gewesen sein zur Aufnahme jener grossen
Offensive, die, mit dem Raetischen Krieg 739 (15) beginnend, weiter zu den
Feldzuegen des Tiberius in Illyricum und des Drusus in Germanien fuehrte.
Nero Claudius Drusus, geboren im Jahre 716 (38) von Livia im Hause ihres
neuen Gemahls, des spaeteren Augustus, und von diesem gleich einem Sohn - die
boesen Zungen sagten, als sein Sohn - geliebt und gehalten, ein Bild maennlicher
Schoenheit und von gewinnender Anmut im Verkehr, ein tapferer Soldat und ein
tuechtiger Feldherr, dazu ein erklaerter Lobredner der alten republikanischen
Ordnung und in jeder Hinsicht der populaerste Prinz des kaiserlichen Hauses,
uebernahm bei Augustus' Rueckkehr nach Italien (741 13) die Verwaltung von
Gallien und den Oberbefehl gegen die Germanen, deren Unterwerfung jetzt
ernstlich in das Auge gefasst ward. Wir vermoegen weder die Staerke der damals
am Rhein stehenden Armee noch die bei den Germanen obwaltenden Zustaende
genuegend zu erkennen; nur das tritt deutlich hervor, dass die letzteren nicht
imstande waren, dem geschlossenen Angriff in entsprechender Weise zu begegnen.
Das Neckargebiet, ehemals von den Helvetiern besessen, dann lange Zeit
streitiges Grenzland zwischen ihnen und den Germanen, lag veroedet und
beherrscht einerseits durch die juengst unterworfene Landschaft der Vindeliker,
andererseits durch die roemisch gesinnten Germanen um Strassburg, Speyer und
Worms. Weiter nordwaerts, in der oberen Maingegend, sassen die Markomannen,
vielleicht der maechtigste der suebischen Staemme, aber mit den Germanen des
Mittelrheins seit alters her verfeindet. Nordwaerts des Mains folgten zunaechst
im Taunus die Chatten, weiter rheinabwaerts die schon genannten Tencterer,
Sugambrer und Usiper; hinter ihnen die maechtigen Cherusker an der Weser,
ausserdem eine Anzahl Voelkerschaften zweiten Ranges. Wie diese
mittelrheinischen Staemme, voran die Sugambrer, jenen Angriff auf das roemische
Gallien ausgefuehrt hatten, so richtete sich auch der Vergeltungszug des Drusus
hauptsaechlich gegen sie, und sie auch verbanden sich gegen Drusus zur
gemeinschaftlichen Abwehr und zur Aufstellung eines aus dem Zuzug aller dieser
Gaue zu bildenden Volksheers. Aber die friesischen Staemme an der Nordseekueste
schlossen sich nicht an, sondern verharrten in der ihnen eigenen Isolierung.
Es waren die Germanen, die die Offensive ergriffen. Die Sugambrer und ihre
Verbuendeten griffen wieder alle Roemer auf, deren sie auf ihrem Ufer habhaft
werden konnten, und schlugen die Centurionen darunter, ihrer zwanzig an der
Zahl, ans Kreuz. Die verbuendeten Staemme beschlossen, abermals in Gallien
einzufallen, und teilten auch die Beute im voraus - die Sugambrer sollten die
Leute, die Cherusker die Pferde, die suebischen Staemme das Gold und Silber
erhalten. So versuchten sie im Anfang des Jahres 742 (12) wieder den Rhein zu
ueberschreiten und hofften auf die Unterstuetzung der linksrheinischen Germanen
und selbst auf eine Insurrektion der eben damals durch das ungewohnte
Schaetzungsgeschaeft erregten gallischen Gaue. Aber der junge Feldherr traf
seine Massregeln gut: er erstickte die Bewegung im roemischen Gebiet, noch ehe
sie recht in Gang kam, warf die Eindringenden bei dem Flussuebergang selbst
zurueck und ging dann seinerseits ueber den Strom, um das Gebiet der Usiper und
Sugambrer zu brandschatzen. Dies war eine vorlaeufige Abwehr; der eigentliche
Kriegsplan, in groesserem Stil angelegt, ging aus von der Gewinnung der
Nordseekueste und der Muendungen der Eins und der Elbe. Der zahlreiche und
tapfere Stamm der Bataver im Rheindelta ist, allem Anschein nach damals und
durch guetliche Vereinbarung, dem Roemischen Reiche einverleibt worden; mit
ihrer Hilfe wurde vom Rheine zur Zuidersee und aus dieser in die Nordsee eine
Wasserverbindung hergestellt, welche der Rheinflotte einen sichereren und
kuerzeren Weg zur Ems- und Elbemuendung eroeffnete. Die Friesen an der
Nordkueste folgten dem Beispiel der Bataver und fuegten sich gleichfalls der
Fremdherrschaft. Es war wohl mehr noch die masshaltende Politik als die
militaerische Uebergewalt, die hier den Roemern den Weg bahnte: diese
Voelkerschaften blieben fast ganz steuerfrei und wurden zum Kriegsdienst in
einer Weise herangezogen, die nicht schreckte, sondern lockte. Von da ging die
Expedition an der Nordseekueste hinauf; im offenen Meer wurde die Insel
Burchanis (vielleicht Borkum vor Ostfriesland) mit stuermender Hand genommen,
auf der Ems die Bootflotte der Bructerer von der roemischen Flotte besiegt; bis
an die Muendung der Weser zu den Chaukern ist Drusus gelangt. Freilich geriet
die Flotte heimkehrend auf die gefaehrlichen und unbekannten Watten, und wenn
die Friesen nicht der schiffbruechigen Armee sicheres Geleit gewaehrt haetten,
waere sie in sehr kritische Lage geraten. Nichtsdestoweniger war durch diesen
ersten Feldzug die Kueste von der Rhein- zur Wesermuendung roemisch geworden.
Nachdem also die Kueste umfasst war, begann im naechsten Jahr (743 11) die
Unterwerfung des Binnenlandes. Sie wurde wesentlich erleichtert durch den Zwist
unter den mittelrheinischen Germanen. Zu dem im Jahre vorher versuchten Angriff
auf Gallien hatten die Chatten den versprochenen Zuzug nicht gestellt; in
begreiflichem, aber noch vielmehr unpolitischem Zorn hatten die Sugambrer mit
gesamter Hand das Chattenland ueberfallen, und so wurde ihr eigenes Gebiet sowie
das ihrer naechsten Nachbarn am Rhein ohne Schwierigkeit von den Roemern
besetzt. Die Chatten unterwarfen sich dann den Feinden ihrer Feinde ohne
Gegenwehr; nichtsdestoweniger wurden sie angewiesen, das Rheinufer zu raeumen
und dafuer dasjenige Gebiet zu besetzen, das bis dahin die Sugambrer innegehabt
hatten. Nicht minder unterlagen weiter landeinwaerts die maechtigen Cherusker an
der mittleren Weser. Die an der unteren sitzenden Chauker wurden, wie ein Jahr
zuvor von der Seeseite, so jetzt zu Lande angegriffen und damit das gesamte
Gebiet zwischen Rhein und Weser wenigstens an den militaerisch entscheidenden
Stellen in Besitz genommen. Der Rueckweg waere allerdings, eben wie im vorigen
Jahre, fast verhaengnisvoll geworden; bei Arbalo (unbekannter Lage) sahen sich
die Roemer in einem Engpass von allen Seiten von den Germanen umzingelt und
ihrer Verbindungen verlustig; aber die feste Zucht der Legionaere und daneben
die uebermuetige Siegesgewissheit der Deutschen verwandelten die drohende
Niederlage in einen glaenzenden Sieg ^7. Im naechsten Jahr (744 10) standen die
Chatten auf, erbittert ueber den Verlust ihrer alten schoenen Heimstatt; aber
jetzt blieben sie ihrerseits allein und wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr und
nicht ohne empfindlichen Verlust von den Roemern ueberwaeltigt (745 9). Die
Markomannen am oberen Main, die nach der Einnahme des Chattengebiets zunaechst
dem Angriff ausgesetzt waren, wichen ihm aus und zogen sich rueckwaerts in das
Land der Boier, das heutige Boehmen, ohne von hier aus, wo sie dem unmittelbaren
Machtkreise Roms entrueckt waren, in die Kaempfe am Rhein einzugreifen. In dem
ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser war der Krieg zu Ende. Drusus konnte im
Jahre 745 (9) im Cheruskergau das rechte Weserufer betreten und von da vorgehen
bis an die Elbe, die er nicht ueberschritt, vermutlich angewiesen war, nicht zu
ueberschreiten. Manches harte Gefecht wurde geliefert, erfolgreicher Widerstand
nirgends geleistet. Aber auf dem Rueckweg, der, wie es scheint, die Saale hinauf
und von da zur Weser genommen ward, traf die Roemer ein schwerer Schlag, nicht
durch den Feind, aber durch einen unberechenbaren Ungluecksfall. Der Feldherr
stuerzte mit dem Pferd und brach den Schenkel; nach dreissigtaegigen Leiden
verschied er in dem fernen Lande zwischen Saale und Weser ^8, das nie vor ihm
eine roemische Armee betreten hatte, in den Armen des aus Rom herbeigeeilten
Bruders, im dreissigsten Jahre seines Alters, im Vollgefuehl seiner Kraft und
seiner Erfolge, von den Seinigen und dem ganzen Volke tief und lange betrauert,
vielleicht gluecklich zu preisen, weil die Goetter ihm gaben, jung aus dem Leben
zu scheiden und den Enttaeuschungen und Bitterkeiten zu entgehen, welche die
Hoechstgestellten am schmerzlichsten treffen, waehrend in der Erinnerung der
Welt noch heute seine glaenzende Heldengestalt fortlebt.
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^7 Dass die Schlacht bei Arbalo (Plin. nat. 11, 17, 55) in dieses Jahr
gehoert, zeigt Obsequens 72 und also geht auf sie die Erzaehlung bei Dio 54, 33.
^8 Dass der Sturz des Drusus in der Saalegegend erfolgte, wird aus Strabon
7,1, 3 p. 291 gefolgert werden duerfen, obwohl er nur sagt, dass er auf dem
Heerzuge zwischen Salas und Rhein umkam und die Identifikation des Salas mit der
Saale allein auf der Namensaehnlichkeit beruht. Von der Ungluecksstaette wurde
er dann bis in das Sommerlager transportiert (Sen. dial. ad Marciam 3: ipsis
illum hostibus aegrum cum veneratione et pace mutua prosequentibus nec optare
quod expediebat audentibus) und in diesem ist er gestorben (Suet. Claud. 1).
Dies lag tief im Barbarenland (Val. Max. 5, 5, 3) und nicht allzuweit von dem
Schlachtfelde des Varus (Tac. ann. 2, 7, wo die vetus ara Druso sita gewiss auf
den Sterbeplatz zu beziehen ist); man wird dasselbe im Wesergebiet suchen
duerfen. Die Leiche wurde dann in das Winterlager geschafft (Dio 55, 2) und dort
verbrannt; diese Staette galt nach roemischem Gebrauch auch als Grabstaette,
obwohl die Beisetzung der Asche in Rom stattfand, und darauf ist der honorarius
tumulus mit der jaehrlichen Leichenfeier zu beziehen (Suet. a. a. O.).
Wahrscheinlich hat man dessen Staette in Vetera zu suchen. Wenn ein spaeterer
Schriftsteller (Eutr. 7, 13) von dem monumentum des Drusus bei Mainz spricht, so
ist dies nicht wohl das Grabmal, sondern das anderweitig erwaehnte Tropaeum
(Flor. epit. 2, 30: Marcomanorum spoliis et insignibus quendam editum tumulum in
tropaei modum excoluit).
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In dem grossen Gang der Dinge aenderte, wie billig, der Tod des tuechtigen
Feldherrn nichts. Sein Bruder Tiberius kam frueh genug, nicht bloss um ihm die
Augen zuzudruecken, sondern auch um mit seiner sicheren Hand das Heer zurueck
und die Eroberung Germaniens weiter zu fuehren. Er kommandierte dort waehrend
der beiden folgenden Jahre (746, 747 8, 7); zu groesseren Kaempfen ist es
waehrend derselben nicht gekommen, aber weit und breit zwischen Rhein und Elbe
zeigten sich die roemischen Truppen, und als Tiberius die Forderung stellte,
dass saemtliche Gaue die roemische Herrschaft foermlich anzuerkennen haetten,
und zugleich erklaerte, die Anerkennung nur von saemtlichen Gauen zugleich
entgegennehmen zu koennen, fuegten sie sich ohne Ausnahme, zuletzt von allen die
Sugambrer, fuer die es freilich einen wirklichen Frieden nicht gab. Wie weit man
militaerisch gelangt war, beweist die wenig spaeter fallende Expedition des
Lucius Domitius Ahenobarbus. Dieser konnte als Statthalter von Illyricum,
wahrscheinlich von Vindelizien aus, einem unsteten Hermundurenschwarm im
Markomannenlande selbst Sitze anweisen und gelangte bei dieser Expedition bis an
und ueber die obere Elbe, ohne auf Widerstand zu treffen ^9. Die Markomannen in
Boehmen waren voellig isoliert, und das uebrige Germanien zwischen Rhein und
Elbe eine, wenn auch noch keineswegs befriedete, roemische Provinz.
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^9 Die Mitteilung Dios (55, IOa), zum Teil bestaetigt durch Tacitus (arm.
4, 44) kann nicht anders aufgefasst werden. Diesem Statthalter muss
ausnahmsweise auch Noricum und Raetien unterstellt gewesen sein oder der Lauf
der Operationen veranlasste ihn, die Grenze seiner Statthalterschaft zu
ueberschreiten. Dass er Boehmen selbst durchschritten habe, was in noch
groessere Schwierigkeiten verwickeln wuerde, fordert der Bericht nicht.
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Die militaerisch-politische Organisation Germaniens, wie sie damals
angelegt ward, vermoegen wir nur unvollkommen zu erkennen, da uns einmal ueber
die in frueherer Zeit zum Schutz der gallischen Ostgrenze getroffenen
Einrichtungen jede genaue Kunde fehlt, andererseits diejenigen der beiden
Brueder durch die spaetere Entwicklung der Dinge grossenteils zerstoert worden
sind. Eine Verlegung der roemischen Grenzhut vom Rhein weg hat keineswegs
stattgefunden; so weit wollte man vielleicht kommen, aber war man nicht.
Aehnlich wie in Illyricum damals die Donau, war die Elbe wohl die politische
Reichsgrenze, aber der Rhein die Linie der Grenzverteidigung, und von den
Rheinlagern liefen die rueckwaertigen Verbindungen nach den grossen Staedten
Galliens und nach dessen Haefen ^10. Das grosse Hauptquartier waehrend dieser
Feldzuege ist das spaetere sogenannte "alte Lager", Castra vetera (Birten bei
Xanten), die erste bedeutende Hoehe abwaerts Bonn am linken Rheinufer,
militaerisch etwa dem heutigen Wesel am rechten entsprechend. Dieser Platz,
besetzt vielleicht seit den Anfaengen der Roemerherrschaft am Rhein, ist von
Augustus eingerichtet worden als Zwingburg fuer Germanien; und wenn die Festung
zu allen Zeiten der Stuetzpunkt fuer die roemische Defensive am linken Rheinufer
gewesen ist, so war sie fuer die Invasion des rechten nicht weniger wohl
gewaehlt, gelegen gegenueber der Muendung der weit hinauf schiffbaren Lippe und
mit dem rechten Ufer durch eine feste Bruecke verbunden. Den Gegensatz zu diesem
"alten Lager" an der Muendung der Lippe, bildete wahrscheinlich das an der
Muendung des Main, Mogontiacum, das heutige Mainz, allem Anschein nach eine
Schoepfung des Drusus; wenigstens zeigen die schon erwaehnten, den Chatten
auferlegten Gebietsabtretungen, sowie die weiterhin zu erwaehnenden Anlagen im
Taunus, dass Drusus die militaerische Wichtigkeit der Mainlinie und also auch
die ihres Schluessels auf dem linken Rheinufer deutlich erkannt hat. Wenn das
Legionslager an der Aare, wie es scheint, eingerichtet worden ist, um die Raeter
und Vindeliker im Gehorsam zu erhalten, so faellt dessen Anlage vermutlich schon
in diese Zeit, aber es ist dann auch mit den gallisch-germanischen
Militaereinrichtungen nur aeusserlich verknuepft gewesen. Das Strassburger
Legionslager reicht schwerlich bis in so fruehe Zeit hinauf. Die Basis der
roemischen Heerstellung bildet die Linie von Mainz bis Wesel. Dass Drusus und
Tiberius, abgesehen von der damals nicht mehr kaiserlichen narbonensischen
Provinz, sowohl die Statthalterschaft von ganz Gallien wie auch das Kommando der
saemtlichen rheinischen Legionen gehabt haben, ist ausgemacht; von diesen
Prinzen abgesehen, mag damals wohl die Zivilverwaltung Galliens von dem Kommando
der Rheintruppen getrennt gewesen sein, aber schwerlich war das letztere damals
schon in zwei koordinierte Kommandos geteilt ^11.
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^10 Auf eine rueckwaertige Verbindung der Rheinlager mit dem Hafen von
Boulogne duerfte die viel bestrittene Notiz des Florus (epit. 2, 30) zu beziehen
sein: Bonnam (oder Bormam) et Gessoriacum pontibus iunxit classibusque firmavit,
womit zu vergleichen sind die von demselben Schriftsteller erwaehnten Kastelle
an der Maas. Bonn kann damals fueglich die Station der Rheinflotte gewesen sein;
Boulogne ist auch in spaeterer Zeit noch Flottenstation gewesen. Drusus konnte
wohl Veranlassung haben den kuerzesten und sichersten Landweg zwischen den
beiden Flottenlagern fuer Transporte brauchbar zu machen, wenn auch der
Schreiber wahrscheinlich, um das Auffallende bemueht, durch zugespitzte
Ausdrucksweise Vorstellungen erweckt, die so nicht richtig sein koennen.
^11 Ueber die administrative Teilung Galliens fehlt es, abgesehen von der
Abtrennung der Narbonensis, an allen Nachrichten, da sie nur auf kaiserlichen
Verfuegungen beruhte und darueber nichts in die Senatsprotokolle kam. Aber von
der Existenz eines gesonderten ober- und untergermanischen Kommandos geben die
erste Kunde die Feldzuege des Germanicus, und die Varusschlacht ist unter jener
Voraussetzung kaum zu verstehen; hier erscheinen wohl die hiberna inferiora, die
von Vetera (Vell. 2, 120), und den Gegensatz dazu, die superiora koennen nur die
von Mainz gemacht haben, aber auch diese stehen nicht unter einem Kollegen,
sondern unter dem Neffen, also einem Unterbefehlshaber des Varus. Wahrscheinlich
hat die Teilung erst in Folge der Niederlage in den letzten Jahren des Augustus
stattgefunden.
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Ueber den Bestand der damaligen Rheinarmee koennen wir nur etwa sagen, dass
die Armee des Drusus schwerlich staerker, vielleicht geringer war als die,
welche zwanzig Jahre spaeter in Germanien stand, von fuenf bis sechs Legionen,
etwa 50000 bis 60000 Mann.
Diesen militaerischen Einrichtungen am linken Rheinufer sind die am rechten
getroffenen korrelat. Zunaechst nahmen die Roemer dieses selbst in Besitz. Es
traf dies vor allem die Sugambrer, wobei allerdings die Vergeltung fuer den
erbeuteten Adler und die ans Kreuz geschlagenen Centurionen mitgewirkt hat. Die
zur Erklaerung der Unterwerfung abgesandten Boten, die Vornehmsten der Nation,
wurden gegen das Voelkerrecht als Kriegsgefangene behandelt und kamen in den
italischen Festungen elend um. Von der Masse des Volkes wurden 40000 Koepfe aus
ihrer Heimat entfernt und auf dem gallischen Ufer angesiedelt, wo sie spaeter
vielleicht unter dem Namen der Cugerner begegnen. Nur ein geringer und
ungefaehrlicher Ueberrest des maechtigen Stammes durfte in den alten Wohnsitzen
bleiben. Auch suebische Haufen sind nach Gallien uebergefuehrt, andere
Voelkerschaften weiter landeinwaerts gedraengt worden, wie die Marser und ohne
Zweifel auch die Chatten; am Mittelrhein wurde ueberall die eingeborene
Bevoelkerung des rechten Ufers verdraengt oder doch geschwaecht. Laengs dieses
Rheinufers wurden ferner befestigte Posten, fuenfzig an der Zahl, eingerichtet.
Vorwaerts Mogontiacum wurde das den Chatten abgenommene Gebiet, seitdem der Gau
der Mattfiaker bei dem heutigen Wiesbaden, in die roemischen Linien gezogen und
die Hoehe des Taunus stark befestigt ^12. Vor allem aber wurde von Vetera aus
die Lippelinie in Besitz genommen; von der doppelten, von Tagemarsch zu
Tagemarsch mit Kastellen besetzten Militaerstrasse an den beiden Ufern des
Flusses ist wenigstens die rechtsuferige sicher ebenso das Werk des Drusus wie
dies bezeugt ist von der Festung Aliso im Quellgebiet der Lippe, wahrscheinlich
dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn ^13.
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^12 Das von Drusus in monte Tauno angelegte praesidium (Tac. ann. 1, 56)
und das mit Aliso zusammengestellte (phro?rion en CHa`attois par' ayt/o/ t/o/
R/e/n/o/ (Dio 54, 33) sind wahrscheinlich identisch, und die besondere Stellung
des Mattiakergaus haengt augenscheinlich mit der Anlage von Mogontiacum
zusammen.
^13 Dass das "Kastell am Zusammenfluss des Lupias und des Helison" bei Dio
54, 33 identisch ist mit dem oefter genannten Aliso und dies an der oberen Lippe
gesucht werden muss, ist keinem Zweifel unterworfen, und dass das roemische
Winterlager an den Lippequellen (ad caput Lupiae, Vell. 2, 105), unseres Wissens
das einzige derartige auf germanischem Boden, eben dort zu suchen ist,
wenigstens sehr wahrscheinlich. Dass die beiden an der Lippe hin laufenden
Roemerstrassen und deren befestigte Marschlager wenigstens bis in die Gegend von
Lippstadt fuehrten, haben namentlich Hoelzermanns Untersuchungen dargetan. Die
obere Lippe hat nur einen namhaften Zufluss, die Alme, und da unweit der
Muendung dieser in die Lippe das Dorf Elsen liegt, so darf hier der
Namensaehnlichkeit einiges Gewicht beigelegt werden.
Der Ansetzung von Aliso an der Muendung der Glenne (und Liese) in die
Lippe, welche unter andern Schmidt vertritt, steht vornehmlich entgegen, dass
das Lager ad caput Lupiae dann von Aliso verschieden gewesen sein muss,
ueberhaupt dieser Punkt von der Weserlinie zu weit abliegt, waehrend von Elsen
aus der Weg geradezu durch die Doerenschlucht in das Werretal fuehrt. ueberhaupt
bemerkt Schmidt (Westfaelische Zeitschrift fuer Gesch. und Alterthumskunde 20,
1862, S. 259), kein Anhaenger der Identifikation von Aliso und Elsen, dass die
Hoehen von Wever (unweit Elsen) und ueberhaupt der linke Talrand der Alme der
Mittelpunkt eines Halbkreises sind, welchen die vorliegenden Gebirge bilden, und
diese hochgelegene, trockene, bis zu dem Gebirge eine genaue Uebersicht
gestattende Gegend, welche das ganze lippische Land deckt und selbst in der
Front durch die Alme gedeckt ist, sich gut eignet zum Ausgangspunkt eines Zuges
gegen die Weser.
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Dazu kam der schon erwaehnte Kanal von der Rheinmuendung zur Zuidersee und
ein von Lucius Domitius Ahenobarbus durch eine laengere Sumpfstrecke zwischen
der Eins und dem Unterrhein gezogener Damm, die sogenannten "langen Bruecken".
Ausserdem standen durch das ganze Gebiet zerstreut einzelne roemische Posten;
dergleichen werden spaeterhin erwaehnt bei den Friesen und den Chaukern, und in
diesem Sinne mag es richtig sein, dass die roemischen Besatzungen bis zur Weser
und bis zur Elbe reichten. Endlich lagerte das Heer wohl im Winter am Rhein, im
Sommer aber, auch wenn nicht eigentlich Expeditionen unternommen wurden,
durchgaengig im eroberten Lande, in der Regel bei Aliso.
Aber nicht bloss militaerisch richteten die Roemer in dem neugewonnenen
Gebiet sich ein. Die Germanen wurden angehalten, wie andere Provinzialen, von
dem roemischen Statthalter Recht zu nehmen und die Sommerexpeditionen des
Feldherrn entwickelten sich allmaehlich zu den ueblichen Gerichtsreisen des
Statthalters. Anklage und Verteidigung der Angeschuldigten fand in lateinischer
Zunge statt; die roemischen Sachwalter und Rechtsbeistaende begannen wie
diesseits so jenseits des Rheines ihre ueberall schwer empfundene, hier die
solcher Dinge ungewohnten Barbaren tief erbitternde Wirksamkeit. Es fehlte viel
zur voelligen Durchfuehrung der provinzialen Einrichtung; an foermliche Umlage
der Schatzung, an regulierte Aushebung fuer das roemische Heer ward noch nicht
gedacht. Aber wie der neue Gauverband eben jetzt in Gallien im Anschluss an die
daselbst eingefuehrte goettliche Verehrung des Monarchen eingerichtet ward, so
wurde eine aehnliche Einrichtung auch in dem neuen Germanien getroffen; als
Drusus fuer Gallien den Augustusaltar in Lyon weihte, wurden die zuletzt auf dem
linken Rheinufer angesiedelten Germanen, die Ubier, nicht in diese Vereinigung
aufgenommen, sondern in ihrem Hauptort, der der Lage nach fuer Germanien
ungefaehr war, was Lyon fuer die drei Gallien, ein gleichartiger Altar fuer die
germanischen Gaue errichtet, dessen Priestertum im Jahre 9 der junge
Cheruskerfuerst Segimundus, des Segestes Sohn, verwaltete.
Den vollen militaerischen Erfolg brach oder unterbrach doch die kaiserliche
Familienpolitik. Das Zerwuerfnis zwischen Tiberius und seinem Stiefvater fuehrte
dazu, dass jener im Anfang des Jahres 748 (6) das Kommando niederlegte. Das
dynastische Interesse gestattete es nicht, umfassende militaerische Operationen
anderen Generalen als Prinzen des kaiserlichen Hauses anzuvertrauen; und nach
Agrippas und Drusus' Tod und Tiberius' Ruecktritt gab es faehige Feldherrn in
demselben nicht. Allerdings werden in den zehn Jahren, wo Statthalter mit
gewoehnlicher Befugnis in Illyricum und in Germanien schalteten, die
militaerischen Operationen daselbst wohl nicht so vollstaendig unterbrochen
worden sein, wie es uns erscheint, da die hoefisch gefaerbte Ueberlieferung
ueber die mit und die ohne Prinzen gefuehrten Kampagnen nicht in gleicher Weise
berichtet; aber das Stocken ist unverkennbar, und dieses selbst war ein
Rueckschritt. Ahenobarbus, der infolge seiner Verschwaegerung mit dem
kaiserlichen Hause - seine Gattin war die Schwestertochter Augusts - freiere
Hand hatte als andere Beamte und der in seiner illyrischen Statthalterschaft die
Elbe ueberschritten hatte, ohne Widerstand zu finden, erntete spaeter als
Statthalter Germaniens dort keine Lorbeeren. Nicht bloss die Erbitterung, auch
der Mut der Germanen waren wieder im Steigen und im Jahre 2 erscheint das Land
wieder im Aufstand, die Cherusker und die Chauker unter den Waffen. Inzwischen
hatte am Kaiserhofe der Tod sich ins Mittel geschlagen und der Wegfall der
jungen Soehne des Augustus diesen und Tiberius ausgesoehnt. Kaum war diese
Versoehnung durch die Annahme an Kindesstatt besiegelt und proklamiert (4), so
nahm Tiberius das Werk da wieder auf, wo es unterbrochen worden war, und fuehrte
abermals in diesem und den beiden folgenden Sommern (5-6) die Heere ueber den
Rhein. Es war eine Wiederholung und Steigerung der frueheren Feldzuege. Die
Cherusker wurden im ersten Feldzug, die Chauker im zweiten zum Gehorsam
zurueckgebracht; die den Batavern benachbarten und an Tapferkeit nicht
nachstehenden Cannenefaten, die im Quellgebiet der Lippe und an der Ems
sitzenden Bructerer und andere Gaue mehr unterwarfen sich, ebenso die hier
zuerst erwaehnten maechtigen Langobarden, damals hausend zwischen der Weser und
Elbe. Der erste Feldzug fuehrte ueber die Weser hinein in das Innere; in dem
zweiten standen an der Elbe selbst die roemischen Legionen dem germanischen
Landsturm am anderen Ufer gegenueber. Vom Jahre 4 auf 5 nahm, es scheint zum
ersten Mal, das roemische Heer das Winterlager auf germanischem Boden bei Aliso.
Alles dies wurde erreicht ohne erhebliche Kaempfe; die umsichtige Kriegfuehrung
brach nicht die Gegenwehr, sondern machte sie unmoeglich. Diesem Feldherrn war
es nicht um unfruchtbare Lorbeeren zu tun, sondern um dauernden Erfolg. Nicht
minder wurde die Seefahrt wiederholt; wie die erste Kampagne des Drusus, so ist
die letzte des Tiberius ausgezeichnet durch die Beschiffung der Nordsee. Aber
die roemische Flotte gelangte diesmal weiter: die ganze Kueste der Nordsee bis
zum Vorgebirge der Kimbrer, das heisst zur juetischen Spitze, ward von ihr
erkundet und sie vereinigte sich dann, die Elbe hinauffahrend, mit dem an dieser
aufgestellten Landheer. Diese zu ueberschreiten, hatte der Kaiser ausdruecklich
untersagt; aber die Voelker jenseits der Elbe, die eben genannten Kimbrer im
heutigen Juetland, die Charuden suedlich von ihnen, die maechtigen Semnonen
zwischen Elbe und Oder traten wenigstens in Beziehung zu den neuen Nachbarn.
Man konnte meinen, am Ziel zu sein. Aber eines fehlte doch noch zur
Herstellung des eisernen Ringes, der Grossdeutschland umklammern sollte: es war
die Herstellung der Verbindung zwischen der mittleren Donau und der oberen Elbe,
die Besitznahme des alten Boierheims, das in seinem Bergkranz gleich einer
gewaltigen Festung zwischen Noricum und Germanien sich einschob. Der Koenig
Maroboduus, aus edlem Markomannengeschlecht, aber in jungen Jahren durch
laengeren Aufenthalt in Rom eingefuehrt in dessen straffere Heer- und
Staatsordnung, hatte nach der Heimkehr, vielleicht waehrend der ersten Feldzuege
des Drusus und der dadurch herbeigefuehrten Uebersiedlung der Markomannen vom
Main an die obere Elbe, sich nicht bloss zum Fuersten seines Volkes erhoben,
sondern auch diese seine Herrschaft nicht in der lockeren Weise des germanischen
Koenigtums, sondern, man moechte sagen, nach dem Muster der augustischen
gestaltet. Ausser seinem eigenen Volk gebot er ueber den maechtigen Stamm der
Lugier (im heutigen Schlesien) und seine Klientel muss sich ueber das ganze
Gebiet der Elbe erstreckt haben, da die Langobarden und die Semnonen als ihm
untertaenig bezeichnet werden. Bisher hatte er den Roemern wie den uebrigen
Germanen gegenueber voellige Neutralitaet beobachtet; er gewaehrte wohl den
fluechtigen Roemerfeinden in seinem Lande eine Freistatt, aber taetig mischte er
sich in den Kampf nicht, nicht einmal, als die Hermunduren von dem roemischen
Statthalter auf markomannischem Gebiet Wohnsitze angewiesen erhielten und als
das linke Elbufer den Roemern botmaessig ward. Er unterwarf sich ihnen nicht,
aber er nahm alle jene Vorgaenge hin, ohne darum die freundlichen Beziehungen zu
den Roemern zu unterbrechen. Durch diese gewiss nicht grossartige und schwerlich
auch nur kluge Politik hatte er erreicht, als der letzte angegriffen zu werden;
nach den vollkommen gelungenen germanischen Feldzuegen der Jahre 4 und 5 kam die
Reihe an ihn. Von zwei Seiten her, von Germanien und Noricum aus, rueckten die
roemischen Heere vor gegen den boehmischen Bergring; den Main hinauf, die
dichten Waelder vom Spessart zum Fichtelgebirge mit Axt und Feuer lichtend, ging
Gaius Sentius Saturninus, von Carnuntum aus, wo die illyrischen Legionen durch
den Winter 5 auf 6 gelagert hatten, Tiberius selbst gegen die Markomannen vor;
die beiden Heere, zusammen zwoelf Legionen, waren den Gegnern, deren Streitmacht
auf 70000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter geschaetzt wurde, schon der Zahl nach
fast um das Doppelte ueberlegen. Die umsichtige Strategik des Feldherrn schien
den Erfolg auch diesmal voellig sichergestellt zu haben, als ein ploetzlicher
Zwischenfall den weiteren Vormarsch der Roemer unterbrach.
Die dalmatinischen Voelkerschaften und die pannonischen wenigstens des
Savegebietes gehorchten seit kurzem den roemischen Statthaltern; aber sie
ertrugen das neue Regiment mit immer steigendem Groll, vor allem wegen der
ungewohnten und schonungslos gehandhabten Steuern. Als Tiberius spaeter einen
der Fuehrer nach den Gruenden des Abfalls fragte, antwortete ihm dieser, es sei
geschehen, weil die Roemer ihren Herden zu Huetern nicht Hunde noch Hirten,
sondern Woelfe setzten. Jetzt waren die Legionen aus Dalmatien an die Donau
gefuehrt und die wehrhaften Leute aufgeboten worden, um eben dahin zur
Verstaerkung der Armeen gesendet zu werden. Diese Mannschaften machten den
Anfang und ergriffen die Waffen nicht fuer, sondern gegen Rom; ihr Fuehrer war
ein Daesitiate (um Serajevo), Bato. Dem Beispiel folgten die Pannonier unter
Fuehrung zweier Breuker, eines anderen Bato und des Pinnes. Mit unerhoerter
Schnelligkeit und Eintraechtigkeit erhob sich ganz Illyricum; auf 200000 zu Fuss
und 9000 zu Pferde wurde die Zahl der insurgierten Mannschaften geschaetzt. Die
Aushebung fuer die Auxiliartruppen, welche namentlich bei den Pannoniern in
bedeutendem Masse stattfand, hatte die Kunde des roemischen Kriegswesens,
zugleich mit der roemischen Sprache und selbst der roemischen Bildung in
weiterem Umfang verbreitet; diese gedienten roemischen Soldaten bildeten jetzt
den Kern der Insurrektion ^14. Die in den insurgierten Gebieten in grosser Zahl
angesessenen oder verweilenden roemischen Buerger, die Kaufleute und vor allem
die Soldaten, wurden ueberall aufgegriffen und erschlagen. Wie die provinzialen
Voelkerschaften kamen auch die unabhaengigen in Bewegung. Die den Roemern ganz
ergebenen Fuersten der Thraker fuehrten allerdings ihre ansehnlichen und
tapferen Scharen den roemischen Feldherrn zu; aber vom anderen Ufer der Donau
brachen die Daker, mit ihnen die Sarmaten, in Moesien ein. Das ganze weite
Donaugebiet schien sich verschworen zu haben, um der Fremdherrschaft ein jaehes
Ende zu bereiten.
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^14 Das und nicht mehr sagt Velleius (2, 110): in omnibus Pannoniis non
disciplinae (= Kriegszucht) tantummodo, sed linguae quoque notitia Romanae,
plerisque etiam litterarum Usus et familiaris animorum erat exercitatio. Es sind
das dieselben Erscheinungen, wie sie bei den Cheruskerfuersten begegnen, nur in
gesteigertem Masse; und sie sind vollkommen begreiflich, wenn man sich der von
Augustus aufgestellten pannonischen und breukischen Alen und Kohorten erinnert.
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Die Insurgenten waren nicht gemeint, den Angriff abzuwarten, sondern sie
planten einen Ueberfall Makedoniens und sogar Italiens. Die Gefahr war ernst;
ueber die Julischen Alpen hinueber konnten die Aufstaendischen in wenigen Tagen
wiederum vor Aquileia und Tergeste stehen - sie hatten den Weg dahin noch nicht
verlernt - und in zehn Tagen vor Rom, wie der Kaiser selbst im Senat es
aussprach, allerdings um sich der Zustimmung desselben zu den umfassenden und
drueckenden militaerischen Veranstaltungen zu versichern. In schleunigster Eile
wurden neue Mannschaften auf die Beine gebracht und die zunaechst bedrohten
Staedte mit Besatzung versehen; ebenso, was irgendwo von Truppen entbehrlich
war, nach den bedrohten Punkten geschickt. Der erste zur Stelle war der
Statthalter von Moesien, Aulus Caecina Severus, und mit ihm der thrakische
Koenig Rhoemetalkes; bald folgten andere Truppen aus den ueberseeischen
Provinzen nach. Vor allen Dingen aber musste Tiberius, statt in Boehmen
einzudringen, zurueckkehren nach Illyricum. Haetten die Insurgenten abgewartet,
bis die Roemer mit Maroboduus im Kampfe lagen, oder dieser mit ihnen
gemeinschaftliche Sache gemacht, so konnte die Lage fuer die Roemer eine sehr
kritische werden. Aber jene schlugen zu frueh los, und dieser, getreu seinem
System der Neutralitaet, liess sich dazu herbei, eben jetzt auf der Basis des
Status quo mit den Roemern Frieden zu schliessen. So musste Tiberius zwar die
Rheinlegionen zuruecksenden, da Germanien unmoeglich von Truppen entbloesst
werden konnte, aber sein illyrisches Heer konnte er mit den aus Moesien, Italien
und Syrien anlangenden Truppen vereinigen und gegen die Insurgenten verwenden.
In der Tat war der Schrecken groesser als die Gefahr. Die Dalmater brachen zwar
zu wiederholten Malen in Makedonien ein und pluenderten die Kueste bis nach
Apollonia hinab; aber zu dem Einfall in Italien kam es nicht, und bald war der
Brand auf seinen urspruenglichen Herd beschraenkt.
Dennoch war die Kriegsarbeit nicht leicht: auch hier wie ueberall war die
abermalige Niederwerfung der Unterworfenen muehsamer als die Unterwerfung
selbst. Niemals ist in augustischer Zeit eine gleiche Truppenmasse unter
demselben Kommando vereinigt gewesen; schon im ersten Kriegsjahre bestand das
Heer des Tiberius aus zehn Legionen nebst den entsprechenden Hilfsmannschaften,
dazu zahlreichen freiwillig wieder eingetretenen Veteranen und anderen
Freiwilligen, zusammen etwa 120000 Mann; spaeterhin hatte er fuenfzehn Legionen
unter seinen Fahnen vereinigt ^15. Im ersten Feldzug (6) wurde mit sehr
abwechselndem Glueck gestritten; es gelang wohl, die grossen Ortschaften, wie
Siscia und Sirmium, gegen die Insurgenten zu schuetzen, aber der Dalmatiner Bato
focht ebenso hartnaeckig und zum Teil gluecklich gegen den Statthalter von
Pannonien, Marcus Valerius Messalla, des Redners Sohn, wie sein pannonischer
Namensgenosse gegen den von Moesien, Aulus Caecina. Vor allem der kleine Krieg
machte den roemischen Truppen viel zu schaffen. Auch das folgende Jahr (7), in
welchem neben Tiberius sein Neffe, der junge Germanicus, auf den
Kriegsschauplatz trat, brachte kein Ende der ewigen Kaempfe. Erst im dritten
Feldzug (8) gelang es, zunaechst die Pannonier zu unterwerfen, hauptsaechlich,
wie es scheint, dadurch, dass ihr Fuehrer Bato, von den Roemern gewonnen, seine
Truppen bewog, am Fluss Bathinus samt und sonders die Waffen zu strecken und den
Kollegen im Oberbefehl, Pinnes, den Roemern auslieferte, wofuer er von diesen
als Fuerst der Breuker anerkannt ward. Zwar traf den Verraeter bald die Strafe:
sein dalmatinischer Namensgenosse fing ihn und liess ihn hinrichten, und noch
einmal flackerte bei den Breukern der Aufstand auf; aber er ward rasch wieder
erstickt und der Dalmater beschraenkt auf die Verteidigung der eigenen Heimat.
Hier hatte Germanicus und andere Korpsfuehrer in diesem wie noch im folgenden
Jahr (9) in den einzelnen Gauen heftige Kaempfe zu bestehen; in dem letzteren
wurden die Pirusten (an der epirotischen Grenze) und der Gau, dem der Fuehrer
selbst angehoerte, die Daesitiaten bezwungen, ein tapfer verteidigtes Kastell
nach dem andern gebrochen. Noch einmal im Laufe des Sommers erschien Tiberius
selbst wieder im Felde und setzte die gesamten Streitkraefte gegen die Reste der
Insurrektion in Bewegung. Auch Bato, in dem festen Andetrium (Muck, oberhalb
Salome), seiner letzten Zufluchtstau, von dem roemischen Heere eingeschlossen,
gab die Sache verloren. Er verliess die Stadt, da er nicht vermochte, die
Verzweifelten zur Unterwerfung zu bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei
dem er ehrenvolle Behandlung fand; er ist, als politischer Gefangener
interniert, in Ravenna gestorben. Ohne den Fuehrer setzte die Mannschaft den
vergeblichen Kampf noch eine Zeitlang fort, bis die Roemer das Kastell mit
stuermender Hand einnahmen - wahrscheinlich diesen Tag, den 3. August,
verzeichnen die roemischen Kalender als den Jahrestag des von Tiberius in
Illyricum erfochtenen Sieges.
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^15 Nimmt man an, dass von den zwoelf Legionen, die gegen Maroboduus im
Marsch waren (Tac. ann. 2, 46), so viele, als wir bald nachher in Germanien
finden, also fuenf, auf dieses Heer kommen, so zaehlte das illyrische Heer des
Tiberius sieben, und die Zahl von zehn (Vell. 2, 113) kann fueglich bezogen
werden auf den Zuzug aus Moesien und Italien, die fuenfzehn auf den Zuzug aus
Aegypten oder Syrien und auf die weiteren Aushebungen in Italien, von wo die neu
ausgehobenen Legionen zwar nach Germanien, aber die dadurch abgeloesten zu
Tiberius' Heer kamen. Ungenau spricht Velleius (2, 112) gleich im Beginn des
Krieges von fuenf durch A. Caecina und Plautius Silvanus ex transmarinis
provinciis herangefuehrten Legionen; einmal konnten die ueberseeischen Truppen
nicht sofort zur Stelle sein, und zweitens sind die Legionen des Caecina
natuerlich die moesischen. Vgl. meinen Kommentar zum Monumentum Ancyranum (Res
gestae divi Augusti), 2. Aufl. 1883, S. 71.
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Auch die Daker jenseits der Donau traf die Vergeltung. Wahrscheinlich in
dieser Zeit, nachdem der illyrische Krieg sich zu Gunsten Roms entschieden
hatte, fuehrte Gnaeus Lentulus ein starkes roemisches Heer ueber die Donau,
gelangte bis an den Marisus (Marosch) und schlug sie nachdruecklich in ihrem
eigenen Lande, das damals zuerst eine roemische Armee betrat. Fuenfzigtausend
gefangene Daker wurden in Thrakien ansaessig gemacht.
Die Spaeteren haben den "Batonischen Krieg" der Jahre 6 bis 9 den
schwersten genannt, den Rom seit dem Hannibalischen gegen einen auswaertigen
Feind zu bestehen gehabt hat. Dem illyrischen Land hat er arge Wunden
geschlagen; in Italien war die Siegesfreude grenzenlos, als der junge Germanicus
die Botschaft des entscheidenden Erfolges nach der Hauptstadt ueberbrachte.
Lange hat der Jubel nicht gewaehrt; fast gleichzeitig mit der Kunde von diesem
Erfolg kam die Nachricht von einer Niederlage nach Rom, wie sie Augustes in
seiner fuenfzigjaehrigen Regierung nur einmal erlebt hat und die in ihren Folgen
noch viel bedeutsamer war als in sich selbst.
Die Zustaende in der Provinz Germanien sind frueher dargelegt worden. Der
Gegenschlag, der auf jede Fremdherrschaft mit der Unvermeidlichkeit eines
Naturereignisses folgt und der soeben in dem illyrischen Lande eingetreten war,
bereitete auch dort, in den mittelrheinischen Gauen, sich vor. Die Reste der
unmittelbar am Rhein sitzenden Staemme waren freilich voellig entmutigt, aber
die weiter zurueck wohnenden, vornehmlich die Cherusker, Chatten, Bructerer,
Marser, kaum minder geschaedigt und keineswegs ohnmaechtig. Wie immer in solchen
Lagen, bildete sich in jedem Gau eine Partei der fuegsamen Roemerfreunde und
eine nationale, die Wiedererhebung im Verborgenen vorbereitende. Die Seele von
dieser war ein junger, sechsundzwanzigjaehriger Mann aus dem Fuerstengeschlecht
der Cherusker, Arminius, des Sigimer Sohn; er und sein Bruder Flavus waren vom
Kaiser Augustes mit dem roemischen Buergerrecht und mit Ritterrang beschenkt
worden ^16 und beide hatten als Offiziere in den letzten roemischen Feldzuegen
unter Tiberius mit Auszeichnung gefochten; der Bruder diente noch im roemischen
Heer und hatte sich in Italien eine Heimstatt begruendet. Begreiflicherweise
galt auch Arminius den Roemern als ein Mann besonderen Vertrauens; die
Anschuldigungen, die sein besser unterrichteter Landsmann Segestes gegen ihn
vorbrachte, vermochten dies Zutrauen bei der wohlbekannten, zwischen beiden
bestehenden Verfeindung nicht zu erschuettern. Von den weiteren Vorbereitungen
haben wir keine Kunde; dass der Adel und vor allem die adlige Jugend auf der
Seite der Patrioten stand, versteht sich von selbst und findet darin deutlichen
Ausdruck, dass Segestes' eigene Tochter Thusnelda wider das Verbot ihres Vaters
sich dem Arminius vermaehlte, auch ihr Bruder Segimundus und Segestes' Bruder
Segimer sowie sein Neffe Sesithacus bei der Insurrektion eine hervorragende
Rolle spielten. Weiten Umfang hat sie nicht gehabt, bei weitem nicht den der
illyrischen Erhebung; kaum darf sie, streng genommen, eine germanische genannt
werden. Die Bataver, die Friesen, die Chauker an der Kueste waren nicht daran
beteiligt, ebensowenig was von suebischen Staemmen unter roemischer Herrschaft
stand, noch weniger Koenig Marobod; es erhoben sich in der Tat nur diejenigen
Germanen, die einige Jahre zuvor sich gegen Rom konfoederiert hatten und gegen
die Drusus' Offensive zunaechst gerichtet gewesen war. Der illyrische Aufstand
hat die Gaerung in Germanien ohne Zweifel gefoerdert, aber von verbindenden
Faeden zwischen den beiden gleichartigen und fast gleichzeitigen Insurrektionen
fehlt jede Spur; auch wuerden, haetten sie bestanden, die Germanen schwerlich
mit dem Losschlagen gewartet haben, bis der pannonische Aufstand ueberwaeltigt
war und in Dalmatien eben die letzten Burgen kapitulierten. Arminius war der
tapfere und verschlagene und vor allen Dingen glueckliche Fuehrer in dem
Verzweiflungskampf um die verlorene nationale Unabhaengigkeit; nicht weniger,
aber auch nicht mehr.
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^16 Das sagt Velleius (2, 118): adsiduus militiae nostrae prioris comes,
iure etiam civitatis Romanae eius equestres consequens gradus; was mit dem
ductor popularium des Tacitus (ann. 2, 10) zusammenfaellt. In dieser Zeit
muessen dergleichen Offiziere nicht selten vorgekommen sein; so fochten in dem
dritten Feldzug des Drusus inter primores Chumstinctus et Avectius tribuni ex
civitate Nerviorum (Liv. ep. 141) und unter Germanicus Chariovalda dux Batavorum
(Tac. ann. 2, 11).
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Es war mehr die Schuld der Roemer als das Verdienst der Insurgenten, wenn
deren Plan gelang. Insofern hat der illyrische Krieg hier allerdings
eingegriffen. Die tuechtigen Fuehrer und allem Anschein nach auch die erprobten
Truppen waren vom Rhein an die Donau gezogen worden. Vermindert war das
germanische Heer, wie es scheint, nicht, aber der groesste Teil desselben
bestand aus neuen, waehrend des Krieges gebildeten Legionen. Schlimmer noch war
es um die Fuehrerschaft bestellt. Der Statthalter Publius Quinctilius Varus ^17
war wohl der Gemahl einer Nichte des Kaisers und ein Mann von uebel erworbenem,
aber fuerstlichem Reichtum und von fuerstlicher Hoffart, aber von traegem
Koerper und stumpfem Geist und ohne jede militaerische Begabung und Erfahrung,
einer jener vielen hochgestellten Roemer, welche infolge des Festhaltens an der
alten Zusammenwerfung der Administrativ- und der Oberoffiziersstellungen die
Feldherrnschaerpe nach dem Muster Ciceros trugen. Er wusste die neuen Untertanen
weder zu schonen noch zu durchschauen; Bedrueckung und Erpressung wurden geuebt,
wie er es von seiner frueheren Statthalterschaft ueber das geduldige Syrien her
gewohnt war; das Hauptquartier wimmelte von Advokaten und Klienten, und in
dankbarer Demut nahmen insbesondere die Verschworenen bei ihm Urteil und Recht,
waehrend sich das Netz um den hoffaertigen Praetor dichter und dichter
zusammenzog.
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^17 Das Bildnis des Varus zeigt eine Kupfermuenze der afrikanischen Stadt
Achulla, geschlagen unter seinem Prokonsulat von Afrika im Jahre 747/48 (7/6)
(L. Mueller, Numismatique de l'ancienne Afrique. Kopenhagen 18674, Bd. 2, S. 44,
vgl. S. 52). Die Basis, welche einst die ihm von der Stadt Pergamon gesetzte
Bildsaeule trug, haben die Ausgrabungen daselbst wieder ans Licht gebracht; die
Unterschrift lautet: o d/e/mos [etim/e/sen] Poplion Koinktilion Sextoy yion
Oyar[on] pas/e/s aret/e/[s eneka].
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Die Lage der Armee war die damals normale. Es standen mindestens fuenf
Legionen in der Provinz, von denen zwei ihr Winterlager in Mogontiacum, drei in
Vetera oder auch in Aliso hatten. Das Sommerlager hatten die letzteren im Jahre
9 an der Weser genommen. Die natuerliche Verbindungsstrasse von der oberen Lippe
zur Weser fuehrt ueber den niederen Hoehenzug des Osning und des Lippischen
Waldes, welcher das Tal der Ems von dem der Weser scheidet, durch die
Doerenschlucht in das Tal der Werre, die bei Rehme unweit Minden in die Weser
faellt. Hier also ungefaehr lagerten damals die Legionen des Varus.
Selbstverstaendlich war dieses Sommerlager mit Aliso, dem Stuetzpunkt der
roemischen Stellungen am rechten Rheinufer, durch eine Etappenstrasse verbunden.
Die gute Jahreszeit ging zu Ende und man schickte sich zum Rueckmarsch an. Da
kam die Meldung, dass ein benachbarter Gau im Aufstand sei, und Varus entschloss
sich, statt auf jener Etappenstrasse das Heer zurueckzufuehren, einen Umweg zu
nehmen und unterwegs die Abgefallenen zum Gehorsam zurueckzubringen ^18. So
brach man auf; das Heer bestand nach zahlreichen Detachierungen aus drei
Legionen und neun Abteilungen der Truppen zweiter Klasse, zusammen etwa 20000
Mann ^19. Als nun die Armee sich von ihrer Kommunikationslinie hinreichend
entfernt hatte und tief genug in das unwegsame Land eingedrungen war, standen in
den benachbarten Gauen die Konfoederierten auf, machten die bei ihnen
stationierten kleinen Truppenabteilungen nieder und brachen von allen Seiten aus
den Schluchten und Waeldern gegen das marschierende Heer des Statthalters vor.
Arminius und die namhaftesten Fuehrer der Patrioten waren bis zum letzten
Augenblick im roemischen Hauptquartier geblieben, um Varus sicher zu machen;
noch am Abend vor dem Tage, an dem die Insurrektion losbrach, hatten sie im
Feldherrnzelt bei Varus gespeist und Segestes, indem er den bevorstehenden
Ausbruch des Aufstandes ankuendigte, den Feldherrn beschworen, ihn selbst sowie
die Angeschuldigten sofort verhaften zu lassen und die Rechtfertigung seiner
Anklage von den Tatsachen zu erwarten. Varus' Vertrauen war nicht zu
erschuettern. Von der Tafel weg ritt Arminius zu den Insurgenten und stand den
anderen Tag vor den Waellen des roemischen Lagers. Die militaerische Situation
war weder besser noch schlimmer als die der Armee des Drusus vor der Schlacht
bei Arbalo und als sie unter aehnlichen Verhaeltnissen oftmals fuer roemische
Armeen eingetreten ist; die Kommunikationen waren fuer den Augenblick verloren,
die mit schwerem Tross beschwerte Armee in dem pfadlosen Lande und in schlimmer,
regnerischer Herbstzeit durch mehrere Tagemaersche von Aliso getrennt, die
Angreifer der Zahl nach ohne Zweifel den Roemern weit ueberlegen. In solchen
Lagen entscheidet die Tuechtigkeit der Truppe; und wenn die Entscheidung hier
einmal zu Ungunsten der Roemer fiel, so wird die Unerfahrenheit der jungen
Soldaten und vor allen Dingen die Kopf- und Mutlosigkeit des Feldherrn dabei
wohl das meiste getan haben. Nach erfolgtem Angriff setzte das roemische Heer
seinen Marsch, jetzt ohne Zweifel in der Richtung auf Aliso, noch drei Tage
fort, unter stetig steigender Bedraengnis und steigender Demoralisation. Auch
die hoeheren Offiziere taten teilweise ihre Schuldigkeit nicht; einer von ihnen
ritt mit der gesamten Reiterei vom Schlachtfeld weg und liess das Fussvolk
allein den Kampf bestehen. Der erste, der voellig verzagte, war der Feldherr
selbst; verwundet im Kampfe, gab er sich den Tod, ehe die letzte Entscheidung
gefallen war, so frueh, dass die Seinigen noch den Versuch machten, die Leiche
zu verbrennen und der Verunehrung durch den Feind zu entziehen. Seinem Beispiel
folgte eine Anzahl der Oberoffiziere. Als dann alles verloren war, kapitulierte
der uebriggebliebene Fuehrer und gab auch das aus der Hand, was diesen letzten
noch blieb, den ehrlichen Soldatentod. So ging in einem der Taeler der das
Muensterland begrenzenden Hoehenzuege im Herbst des Jahres 9 n. Chr. das
germanische Heer Zugrunde ^20. Die Adler fielen alle drei in Feindeshand. Keine
Abteilung schlug sich durch, auch jene Reiter nicht, die ihre Kameraden im Stich
gelassen hatten; nur wenige Vereinzelte und Versprengte vermochten sich zu
retten. Die Gefangenen, vor allem die Offiziere und die Advokaten, wurden ans
Kreuz geschlagen oder lebendig begraben oder bluteten unter dem Opfermesser der
germanischen Priester. Die abgeschnittenen Koepfe wurden als Siegeszeichen an
die Baeume der heiligen Haine genagelt. Weit und breit stand das Land auf gegen
die Fremdherrschaft; man hoffte auf den Anschluss Marobods; die roemischen
Posten und Strassen fielen auf dem ganzen rechten Rheinufer ohne weiteres in die
Gewalt der Sieger. Nur in Aliso leistete der tapfere Kommandant Lucius
Caedicius, kein Offizier, aber ein altgedienter Soldat, entschlossenen
Widerstand und seine Schuetzen wussten den Germanen, die Fernwaffen nicht
besassen, das Lagern vor den Waellen so zu verleiden, dass sie die Belagerung in
eine Blockade umwandelten. Als die letzten Vorraete der Belagerten erschoepft
waren und immer noch kein Entsatz kam, brach Caedicius in einer finsteren Nacht
auf, und dieser Rest des Heeres erreichte in der Tat, wenn auch beschwert mit
zahlreichen Frauen und Kindern und durch die Angriffe der Germanen starke
Verluste erleidend, schliesslich das Lager von Vetera. Dorthin waren auch die
beiden in Mainz stehenden Legionen unter Lucius Nonius Asprenas auf die
Nachricht von der Katastrophe gegangen. Die entschlossene Verteidigung von Aliso
und Asprenas rasches Eingreifen verhinderten die Germanen, ihren Sieg auf dem
linken Rheinufer zu verfolgen, vielleicht die Gallier, sich gegen Rom zu
erheben.
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^18 Der Dionische Bericht, der einzige, der diese Katastrophe in einigem
Zusammenhang ueberliefert, erklaert den Verlauf derselben in genuegender Weise,
wenn man nur, was Dio allerdings nicht hervorhebt, das allgemeine Verhaeltnis
des Sommer- und des Winterlagers hinzunimmt und die von Ranke (Weltgeschichte.
Leipzig 1881-88. Bd. 3, 2, S. 275) mit Recht gestellte Frage, wie gegen eine
lokale Insurrektion das ganze Heer hat marschieren koennen, damit beantwortet.
Der Bericht des Florus beruht keineswegs auf urspruenglich anderen Quellen, wie
derselbe Gelehrte annimmt, sondern lediglich auf dem dramatischen
Zusammenruecken der Motive, wie es allen Historikern dieses Schlages eigen ist.
Die friedliche Rechtspflege des Varus und die Erstuermung des Lagers kennt die
bessere Ueberlieferung beide auch und in ihrem ursaechlichen Zusammenhang; die
laecherliche Schilderung, dass, waehrend Varus auf dem Gerichtsstuhl sitzt und
der Herold die Parteien vorladet, die Germanen zu allen Toren in das Lager
einbrechen, ist nicht Ueberlieferung, sondern aus dieser verfertigtes Tableau.
Dass dieses ausser mit der gesunden Vernunft auch mit Tacitus' Schilderung der
drei Marschlager in unloesbarem Widerspruch steht, leuchtet ein.
^19 Die normale Staerke der drei Alen und der sechs Kohorten ist insofern
nicht genau zu berechnen, als darunter einzelne Doppelabteilungen (miliariae)
gewesen sein koennen; aber viel ueber 20000 Mann kann das Heer nicht gezaehlt
haben. Andererseits liegt keine Ursache vor, eine wesentliche Differenz der
effektiven Staerke von der normalen anzunehmen. Die zahlreichen Detachierungen,
deren Erwaehnung geschieht (Dio 56, 19), finden ihren Ausdruck in der
verhaeltnismaessig geringen Zahl der Auxilien, die immer dafuer vorzugsweise
verwendet wurden.
^20 Da Germanicus, von der Ems kommend, das Gebiet zwischen Ems und Lippe,
das heisst das Muensterland, verheert, und nicht weit davon der Teutoburgiensis
saltus liegt, wo Varus' Heer zugrunde ging (Tat. ann. 1, 61), so liegt es am
naechsten, diese Bezeichnung, welche auf das flache Muensterland nicht passt,
von dem das Muensterland nordoestlich begrenzenden Hoehenzug, dem Osning zu
verstehen; aber auch an das etwas weiter noerdlich parallel mit dem Osning von
Minden zur Huntequelle streichende Wiehengebirge kann gedacht werden. Den Punkt
an der Weser, an dem das Sommerlager stand, kennen wir nicht; indes ist nach der
Lage von Aliso bei Paderborn und nach den zwischen diesem und der Weser
bestehenden Verbindungen wahrscheinlich dasselbe etwa bei Minden gewesen. Die
Richtung des Rueckmarsches kann jede andere, nur nicht die naechste nach Aliso
gewesen sein, und die Katastrophe erfolgte also nicht auf der militaerischen
Verbindungslinie zwischen Minden und Paderborn selbst, sondern in groesserer
oder geringerer Entfernung von dieser. Varus mag von Minden etwa in der Richtung
auf Osnabrueck marschiert sein, dann nach dem Angriff von dort aus nach
Paderborn zu gelangen versucht und auf diesem Marsch in einem jener beiden
Hoehenzuege sein Ende gefunden haben. Seit Jahrhunderten ist in der Gegend von
Venne an der Huntequelle eine auffallend grosse Anzahl von roemischen Gold-,
Silber- und Kupfermuenzen gefunden worden, wie sie in augustischer Zeit
umliefen, waehrend spaetere Muenzen daselbst so gut wie gar nicht vorkommen
(vgl. die Nachweisungen bei Paul Hoefen Der Feldzug des Germanicus im Jahre 16.
Gotha 1884, S. 82 f.). Einem Muenzschatz koennen diese Funde nicht angehoeren,
wegen des zerstreuten Vorkommens und der Verschiedenheit der Metalle; einer
Handelsstaette auch nicht, wegen der zeitlichen Geschlossenheit; sie sehen ganz
aus wie der Nachlass einer grossen aufgeriebenen Armee, und die vorliegenden
Berichte ueber die Varusschlacht lassen sich mit dieser Lokalitaet vereinigen.
Ueber das Jahr der Katastrophe haette nie gestritten werden sollen; die
Verschiebung in das Jahr 10 ist ein blosses Versehen. Die Jahreszeit wird
einigermassen dadurch bestimmt, dass zwischen der Anordnung der illyrischen
Siegesfeier und dem Eintreffen der Ungluecksbotschaft in Rom nur fuenf Tage
liegen und jene wahrscheinlich den Sieg vom 3. August zur Voraussetzung hat wenn
sie auch nicht unmittelbar auf diesen gefolgt ist. Danach wird die Niederlage
etwa im September oder Oktober stattgefunden haben, was auch dazu stimmt, dass
der letzte Marsch des Varus offenbar der Rueckmarsch aus dem Sommer- in das
Winterlager gewesen ist.
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Die Niederlage war insofern bald wieder ausgeglichen, als die Rheinarmee
sofort nicht bloss ergaenzt, sondern ansehnlich verstaerkt ward. Tiberius
uebernahm abermals das Kommando derselben und wenn aus dem auf die Varusschlacht
folgenden Jahr (10) die Kriegsgeschichte Gefechte nicht zu verzeichnen hatte, so
ist wahrscheinlich damals die Besetzung der Rheingrenze mit acht Legionen und
wohl gleichzeitig die Teilung dieses Kommandos in das der oberen Armee mit dem
Hauptquartier Mainz und das der unteren mit dem Hauptquartier Vetera, ueberhaupt
also diejenige Einrichtung daselbst getroffen worden, die dann durch
Jahrhunderte massgebend geblieben ist. Man musste erwarten, dass auf diese
Vermehrung der Rheinarmee die energische Wiederaufnahme der Operationen auf dem
rechten Rheinufer gefolgt waere. Der roemisch-germanische Kampf war nicht ein
Kampf zwischen zwei in politischem Gleichgewicht stehenden Maechten, in welchem
die Niederlage der einen einen unguenstigen Friedensschluss rechtfertigen kann;
es war der Kampf eines zivilisierten und organisierten Grossstaates gegen eine
tapfere, aber politisch und militaerisch barbarische Nation, in welchem das
schliessliche Ergebnis von vornherein feststeht und ein vereinzelter Misserfolg
in dem vorgezeichneten Plan so wenig etwas aendern darf, wie das Schiff darum
seine Fahrt aufgibt, weil ein Windstoss es aus der Bahn wirft. Aber es kam
anders. Wohl ging Tiberius im folgenden Jahr (11) ueber den Rhein; aber diese
Expedition glich den frueheren nicht. Er blieb den Sommer drueben und feierte
dort des Kaisers Geburtstag, aber die Armee hielt sich in der unmittelbaren
Naehe des Rheins und von Zuegen an die Weser und an die Elbe war keine Rede - es
sollte offenbar den Germanen nur gezeigt werden, dass die Roemer den Weg in ihr
Land noch zu finden wussten, vielleicht auch diejenigen Einrichtungen am rechten
Rheinufer getroffen werden, welche die veraenderte Politik erforderte.
Das grosse, beide Heere umfassende Kommando blieb und es blieb also auch im
kaiserlichen Hause. Germanicus hatte es schon im Jahre 11 neben Tiberius
gefuehrt; im folgenden (12), wo ihn die Verwaltung des Konsulats in Rom
festhielt, kommandierte Tiberius allein am Rhein; mit dem Anfang des Jahres 13
uebernahm Germanicus den alleinigen Oberbefehl. Man betrachtete sich als im
Kriegsstand gegen die Germanen; aber es waren tatenlose Jahre ^21. Ungern ertrug
der feurige und ehrgeizige Erbprinz den ihm auferlegten Zwang, und man begreift
es von dem Offizier, dass er die drei Adler in Feindeshand nicht vergass, von
dem leiblichen Sohn des Drusus, dass er dessen zerstoerten Bau wieder
aufzurichten wuenschte. Bald bot sich ihm dazu die Gelegenheit oder er nahm sie.
Am 19. August des Jahres 14 starb Kaiser Augustus. Der erste Thronwechsel in der
neuen Monarchie verlief nicht ohne Krise und Germanicus hatte Gelegenheit, durch
Taten seinem Vater zu beweisen, dass er gesonnen war, ihm die Treue zu wahren.
Darin aber fand er zugleich die Rechtfertigung, die lange gewuenschte Invasion
Germaniens auch ungeheissen wieder aufzunehmen; er erklaerte, die nicht
unbedenkliche, durch den Thronwechsel bei den Legionen hervorgerufene Gaerung
durch diesen frischen Kriegszug ersticken zu muessen. Ob dies ein Grund oder ein
Vorwand war, wissen wir nicht und wusste vielleicht er selber nicht. Dem
Kommandanten der Rheinarmee konnte das Ueberschreiten der Grenze ueberall nicht
gewehrt werden, und es hing immer bis zu einem gewissen Grade von ihm ab, wie
weit gegen die Germanen vorgegangen werden sollte. Vielleicht auch glaubte er,
im Sinne des neuen Herrschers zu handeln, der ja wenigstens ebensoviel Anspruch
wie sein Bruder auf den Namen des Besiegers von Germanien hatte und dessen
angekuendigtes Erscheinen im Rheinlager wohl so aufgefasst werden konnte, als
komme er, um die auf Augustus' Geheiss abgebrochene Eroberung Germaniens wieder
aufzunehmen. Wie dem auch sei, die Offensive jenseits des Rheins begann aufs
neue. Noch im Herbst des Jahres 14 fuehrte Germanicus selbst Detachements aller
Legionen bei Vetera ueber den Rhein und drang an der Lippe hinauf ziemlich tief
in das Binnenland vor, weit und breit das Land verheerend, die Eingeborenen
niedermachend, die Tempel - so den hochgeehrten der Tanfana - zerstoerend. Die
Betroffenen, es waren vornehmlich Bructerer, Tubanten und Usiper, suchten dem
Kronprinzen auf der Heimkehr das Schicksal des Varus zu bereiten; aber an der
energischen Haltung der Legionen prallte der Angriff ab. Da dieser Vorstoss
keinen Tadel fand, vielmehr dem Feldherrn dafuer Danksagungen und
Ehrenbezeugungen dekretiert wurden, ging er weiter. Im Fruehling des Jahres 15
versammelte er seine Hauptmacht zunaechst am Mittelrhein und ging selbst von
Mainz vor gegen die Chatten bis an die oberen Zufluesse der Weser, waehrend das
untere Heer weiter nordwaerts die Cherusker und die Marser angriff. Eine gewisse
Rechtfertigung fuer dies Vorgehen lag darin, dass die roemisch gesinnten
Cherusker, welche unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des Varus
sich den Patrioten hatten anschliessen muessen, jetzt wieder mit der viel
staerkeren Nationalpartei in offenem Kampfe lagen und die Intervention des
Germanicus anriefen. In der Tat gelang es, den von seinen Landsleuten hart
bedraengten Roemerfreund Segestes zu befreien und dabei dessen Tochter, die
Gattin des Arminius, in die Gewalt zu bekommen; auch des Segestes Bruder
Segimerus, einst neben Arminius der Fuehrer der Patrioten, unterwarf sich; die
inneren Zerwuerfnisse der Germanen ebneten einmal mehr der Fremdherrschaft die
Wege. Noch im selben Jahre unternahm Germanicus den Hauptzug nach dem Emsgebiet;
Caecina rueckte von Vetera aus an die obere Ems, er selbst ging mit der Flotte
von der Rheinmuendung aus eben dorthin; die Reiterei zog die Kueste entlang
durch das Gebiet der treuen Friesen. Wieder vereinigt, verwuesteten die Roemer
das Land der Bructerer und das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe und machten
von da aus einen Zug nach der Ungluecksstaette, wo sechs Jahre zuvor das Heer
des Varus geendigt hatte, um den gefallenen Kameraden das Grabmal zu errichten.
Bei dem weiteren Vormarsch wurde die roemische Reiterei von Arminius und den
erbitterten Patriotenscharen in einen Hinterhalt gelockt und waere aufgerieben
worden, wenn nicht die anrueckende Infanterie groesseres Unheil verhindert
haette. Schwerere Gefahren brachte die Heimkehr von der Ems, welche auf
denselben Wegen angetreten ward wie der Hinmarsch. Die Reiterei gelangte
unbeschaedigt in das Winterlager. Dafuer das Fussvolk der vier Legionen die
Flotte bei der schwierigen Fahrt - es war um die Zeit der Herbstnachtgleiche -
nicht genuegte, so schiffte Germanicus zwei derselben wieder aus und liess sie
am Strande zurueckgehen; aber mit dem Verhaeltnis von Ebbe und Flut in dieser
Jahreszeit ungenuegend bekannt, verloren sie ihr Gepaeck und gerieten in Gefahr,
massenweise zu ertrinken. Der Rueckmarsch der vier Legionen des Caecina von der
Ems zum Rhein glich genau dem des Varus, ja das schwere sumpfige Land bot wohl
noch groessere Schwierigkeiten als die Schluchten der Waldgebirge. Die ganze
Masse der Eingeborenen, an ihrer Spitze die beiden Cheruskerfuersten, Arminius
und dessen hochangesehener Oheim Inguiomerus, warf sich auf die abziehenden
Truppen in der sicheren Hoffnung, ihnen das gleiche Schicksal zu bereiten, und
fuellte ringsum die Suempfe und Waelder. Der alte Feldherr aber, in
vierzigjaehrigem Kriegsdienst erprobt, blieb kaltbluetig auch in der aeussersten
Gefahr und hielt seine verzagenden und hungernden Mannschaften fest in der Hand.
Dennoch haette auch er vielleicht das Unheil nicht abwenden koennen, wenn nicht
nach einem gluecklichen Angriff waehrend des Marsches, bei dem die Roemer einen
grossen Teil ihrer Reiterei und fast das ganze Gepaeck einbuessten, die
siegesgewissen und beutelustigen Deutschen gegen Arminius Rat dem anderen
Fuehrer gefolgt waeren und statt der weiteren Umstellung des Feindes geradezu
den Sturm auf das Lager versucht haetten. Caecina liess die Germanen bis an die
Waelle herankommen, brach aber dann aus allen Toren und Pforten mit solcher
Gewalt auf die Stuermenden ein, dass sie eine schwere Niederlage erlitten und
infolgedessen der weitere Rueckzug ohne wesentliche Hinderung stattfand. Am
Rhein hatte man die Armee schon verloren gegeben und war im Begriff gewesen, die
Bruecke bei Vetera abzuwerfen, um wenigstens das Eindringen der Germanen in
Gallien zu verhindern; nur die entschlossene Einrede einer Frau, der Gattin des
Germanicus, der Tochter Agrippas, hatte den verzagten und schimpflichen
Entschluss vereitelt.
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^21 Den fortdauernden Kriegsstand bezeugen Tacitus (ann. 1, 9) und Dio (56,
26); aber berichtet wird gar nichts aus den nominellen Feldzuegen der Sommer 12,
13 und 14, und die Expedition vom Herbst des Jahres 14 erscheint als die erste
von Germanicus unternommene. Allerdings ist Germanicus wahrscheinlich noch bei
Augustus' Lebzeiten als Imperator ausgerufen worden (Monumentum Ancyranum, S.
17); aber es steht nichts im Wege, dies auf den Feldzug des Jahres 11 zu
beziehen, in dem Germanicus mit prokonsularischer Gewalt neben Tiberius
kommandierte (Dio 56, 25). Im Jahre 12 war er in Rom zur Verwaltung des
Konsulats, welche er das ganze Jahr hindurch behielt und mit welcher es damals
noch ernsthaft genommen wurde; dies erklaert, weshalb Tiberius, wie dies jetzt
erwiesen ist (Hermann Schulz, Quaestiones Ovidianae. Greifswald 1883, S. 15 f.),
noch im Jahre 12 nach Germanien ging und sein Rheinkommando erst im Anfang des
Jahres 13 mit der pannonischen Siegesfeier niederlegte.
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Die Wiederaufnahme der Unterwerfung Germaniens begann also nicht gerade mit
Glueck. Das Gebiet zwischen Rhein und Weser war wohl wieder betreten und
durchschritten worden, aber entscheidende Erfolge hatten die Roemer nicht
aufzuzeigen, und der ungeheure Verlust an Material, namentlich an Pferden, wurde
schwer empfunden, so dass, wie in Scipios Zeiten, die Staedte Italiens und der
westlichen Provinzen bei dem Ersatz des Verlorenen mit patriotischen Beisteuern
sich beteiligten.
Germanicus aenderte fuer den naechsten Feldzug (16) seinen Kriegsplan: er
versuchte, die Unterwerfung Germaniens auf die Nordsee und die Flotte zu
stuetzen, teils weil die Voelkerschaften an der Kueste, die Bataver, Friesen,
Chauker mehr oder minder zu den Roemern hielten, teils um die zeitraubenden und
verlustvollen Maersche vom Rhein zur Weser und zur Elbe und wieder zurueck
abzukuerzen. Nachdem er dieses Fruehjahr wie das vorige zu raschen Vorstoessen
am Main und an der Lippe verwendet hatte, schiffte er im Anfang des Sommers auf
der inzwischen fertiggestellten gewaltigen Transportflotte von 1000 Segeln sein
gesamtes Heer an der Rheinmuendung ein und gelangte in der Tat ohne Verlust bis
an die der Ems, wo die Flotte blieb, und weiter, vermutlich die Ems hinauf bis
an die Haasemuendung und dann an dieser hinauf in das Werretal, durch dieses an
die Weser. Damit war die Durchfuehrung der bis 80000 Mann starken Armee durch
den Teutoburger Wald, welche namentlich fuer die Verpflegung mit grossen
Schwierigkeiten verbunden war, vermieden, in dem Flottenlager fuer die Zufuhr
ein sicherer Rueckhalt gegeben, und die Cherusker auf dem rechten Ufer der Weser
statt von vorn in der Flanke angegriffen. Auf diesem trat den Roemern das
Gesamtaufgebot der Germanen entgegen, wiederum gefuehrt von den beiden Haeuptern
der Patriotenpartei, Arminius und Inguiomerus; ueber welche Streitkraefte
dieselben geboten, beweist, dass sie im Cheruskerland zunaechst an der Weser
selbst, dann etwas weiter landeinwaerts ^22, zweimal kurz nacheinander gegen das
gesamte roemische Heer in offener Feldschlacht schlugen und in beiden den Sieg
hart bestritten. Allerdings fiel dieser den Roemern zu und von den germanischen
Patrioten blieb ein betraechtlicher Teil auf den Schlachtfeldern - Gefangene
wurden nicht gemacht und von beiden Seiten mit aeusserster Erbitterung
gefochten; das zweite Tropaeum des Germanicus sprach von der Niederwerfung aller
germanischen Voelker zwischen Rhein und Elbe; der Sohn stellte diese seine
Kampagne neben die glaenzenden des Vaters und berichtete nach Rom, dass er im
naechsten Feldzug die Unterwerfung Germaniens vollendet haben werde. Aber
Arminius entkam, obwohl verwundet, und blieb auch ferner an der Spitze der
Patrioten, und ein unvorhergesehenes Unheil verdarb den Waffenerfolg. Auf der
Heimkehr, die von dem groessten Teil der Legionen zu Schiff gemacht wurde,
geriet die Transportflotte in die Herbststuerme der Nordsee; die Schiffe wurden
nach allen Seiten ueber die Inseln der Nordsee und bis an die britische Kueste
hin geschleudert, ein grosser Teil ging zugrunde und die sich retteten, hatten
groesstenteils Pferde und Gepaeck ueber Bord werfen und froh sein muessen, das
nackte Leben zu bergen. Der Fahrtverlust kam, wie in den Zeiten der Punischen
Kriege, einer Niederlage gleich; Germanicus selbst, mit dem Admiralschiff
einzeln verschlagen an den oeden Strand der Chauker, war in Verzweiflung ueber
diesen Misserfolg drauf und dran, seinen Tod in demselben Ozean zu suchen,
dessen Beistand er im Beginn dieses Feldzuges so ernstlich und so vergeblich
angerufen hatte. Wohl erwies sich spaeterhin der Menschenverlust nicht ganz so
gross, wie es anfaenglich geschienen hatte, und einige erfolgreiche Schlaege,
die der Feldherr nach der Rueckkehr an den Rhein den naechstwohnenden Barbaren
versetzte, hoben den gesunkenen Mut der Truppen. Aber im ganzen genommen endigte
der Feldzug des Jahres 16, verglichen mit dem des vorigen, wohl mit
glaenzenderen Siegen, aber auch mit viel empfindlicherer Einbusse.
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^22 Die Annahme Schmidts (Westfaelische Zeitschrift 20, 1862, S. 301), dass
die erste Schlacht auf dem Idistavisischen Feld, etwa bei Bueckeburg, geschlagen
sei, die zweite, wegen der dabei erwaehnten Suempfe, vielleicht am Steinhuder
See, bei dem suedlich von diesem liegenden Dorf Bergkirchen, wird von der
Wahrheit sich nicht weit entfernen und kann wenigstens als Veranschaulichung
gelten. Auf ein gesichertes Ergebnis muss bei diesem wie bei den meisten
Taciteischen Schlachtberichten verzichtet werden.
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Germanicus Abberufung war zugleich die Aufhebung des Oberkommandos der
rheinischen Armee. Die blosse Teilung des Kommandos setzte der bisherigen
Kriegfuehrung ein Ziel; dass Germanicus nicht bloss abberufen ward, sondern
keinen Nachfolger erhielt, kam hinaus auf die Anordnung der Defensive am Rhein.
So ist denn auch der Feldzug des Jahres 16 der letzte gewesen, den die Roemer
gefuehrt haben, um Germanien zu unterwerfen und die Reichsgrenze vom Rhein an
die Elbe zu verlegen. Dass die Feldzuege des Germanicus dieses Ziel hatten,
lehrt ihr Verlauf selbst und das die Elbgrenze feiernde Tropaeum. Auch die
Wiederherstellung der rechtsrheinischen militaerischen Anlagen, der
Taunuskastelle sowohl wie der Festung Aliso und der diese mit Vetera
verbindenden Linie, gehoert nur zum Teil zu derjenigen Besetzung des rechten
Rheinufers, wie sie auch mit dem beschraenkten Operationsplan nach der
Varusschlacht sich vertrug, zum Teil griff sie weit ueber denselben hinaus. Aber
was der Feldherr wollte, wollte der Kaiser nicht oder nicht ganz. Es ist mehr
als wahrscheinlich, dass Tiberius die Unternehmungen des Germanicus am Rhein von
Haus aus mehr hat geschehen lassen, und gewiss, dass er durch dessen Abberufung
im Winter 16/17 denselben ein Ziel hat setzen wollen. Ohne Zweifel ist zugleich
ein guter Teil des Erreichten aufgegeben, namentlich aus Aliso die Besatzung
zurueckgezogen worden. Wie Germanicus von dem im Teutoburger Walde errichteten
Siegesdenkmal schon das Jahr darauf keinen Stein mehr fand, so sind auch die
Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins Wasser verschwunden, und keiner
seiner Nachfolger hat auf diesem Grunde weiter gebaut.
Wenn Augustus das eroberte Germanien nach der Varusschlacht verloren
gegeben hatte, wenn Tiberius jetzt, nachdem die Eroberung abermals in Angriff
genommen worden war, sie abzubrechen befahl, so ist die Frage wohl berechtigt,
welche Motive die beiden bedeutenden Regenten hierbei geleitet haben und was
diese wichtigen Vorgaenge fuer die allgemeine Reichspolitik bedeuten.
Die Varusschlacht ist ein Raetsel, nicht militaerisch, aber politisch,
nicht in ihrem Verlauf, aber in ihren Folgen. Augustus hatte nicht unrecht, wenn
er seine verlorenen Legionen nicht von dem Feind oder dem Schicksal, sondern von
dem Feldherrn zurueckforderte; es war ein Ungluecksfall, wie ungeschickte
Korpsfuehrer sie von Zeit zu Zeit fuer jeden Staat herbeifuehren; schwer
begreift man, dass die Aufreibung einer Armee von 20000 Mann ohne weitere
unmittelbare militaerische Konsequenzen der grossen Politik eines einsichtig
regierten Weltstaates eine entscheidende Wendung gegeben hat. Und doch haben die
beiden Herrscher jene Niederlage mit einer beispiellosen und fuer die Stellung
der Regierung, der Armee wie den Nachbarn gegenueber bedenklichen und
gefaehrlichen Geduld ertragen; doch haben sie den Friedensschluss mit Marobod,
der ohne Zweifel eigentlich nur eine Waffenruhe sein sollte, zu einem
definitiven werden lassen und nicht weiter versucht, das obere Elbtal in die
Hand zu bekommen. Es muss Tiberius nicht leicht angekommen sein, den grossen,
mit dem Bruder gemeinschaftlich begonnenen, dann nach dessen Tode von ihm fast
vollendeten Bau zusammenstuerzen zu sehen; der gewaltige Eifer, womit er, sowie
er in das Regiment wieder eingetreten war, den vor zehn Jahren begonnenen
germanischen Krieg aufgenommen hatte, laesst ermessen, was diese Entsagung ihn
gekostet haben muss. Wenn dennoch nicht bloss Augustus bei derselben beharrte,
sondern auch nach dessen Tode er selbst, so ist dafuer ein anderer Grund nicht
zu finden, als dass sie die durch zwanzig Jahre hindurch verfolgten Plaene zur
Veraenderung der Nordgrenze als unausfuehrbar erkannten und die Unterwerfung und
Behauptung des Gebietes zwischen dem Rhein und der Elbe ihnen die Kraefte des
Reiches zu uebersteigen schien.
Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an deren Quelle
und den oberen Rhein und dann rheinabwaerts lief, so wurde sie allerdings durch
die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der mittleren Donau sich naehernde
Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich verkuerzt und verbessert; wobei
wahrscheinlich ausser dem evidenten militaerischen Gewinn auch noch das
politische Moment in Betracht kam, dass die moeglichst weite Entfernung der
grossen Kommandos von Rom und Italien eine der leitenden Maximen der
Augusteischen Politik war und ein Elbheer in der weiteren Entwicklung Roms
schwerlich dieselbe Rolle gespielt haben wuerde, wie sie die Rheinheere nur zu
bald uebernahmen. Die Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen
Patriotenpartei und des Suebenkoenigs in Boehmen, waren keine leichten Aufgaben;
indes man hatte dem Gelingen derselben schon einmal ganz nahe gestanden und bei
richtiger Fuehrung konnten diese Erfolge nicht verfehlt werden. Aber eine andere
Frage war es, ob nach der Einrichtung der Elbgrenze die Truppen aus dem
zwischenliegenden Gebiet weggezogen werden konnten; diese Frage hatte der
dalmatisch-pannonische Krieg in sehr ernster Weise der roemischen Regierung
gestellt. Wenn schon das bevorstehende Einruecken der roemischen Donauarmee in
Boehmen einen mit Anstrengung aller militaerischen Hilfsmittel erst nach
vierjaehrigem Kampf niedergeworfenen Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen
hatte, so durfte weder zur Zeit noch auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet
sich selbst ueberlassen werden. Aehnlich stand es ohne Zweifel am Rhein. Das
roemische Publikum pflegte wohl sich zu ruehmen, dass der Staat ganz Gallien in
Unterwuerfigkeit halte durch die 1200 Mann starke Besatzung von Lyon; aber die
Regierung konnte nicht vergessen, dass die beiden grossen Armeen am Rhein nicht
bloss die Germanen abwehrten, sondern auch fuer die keineswegs durch Fuegsamkeit
sich auszeichnenden gallischen Gaue gar sehr in Betracht kamen. An der Weser
oder gar an der Elbe aufgestellt, haetten sie diesen Dienst nicht in gleichem
Masse geleistet; und sowohl den Rhein wie die Elbe besetzt zu halten, vermochte
man nicht. So mochte Augustus wohl zu dem Schluss kommen, dass mit dem
damaligen, allerdings seit kurzem erheblich verstaerkten, aber immer noch tief
unter dem Mass des wirklich Erforderlichen stehenden Heerbestand jene grosse
Grenzregulierung nicht auszufuehren sei; die Frage ward damit aus einer
militaerischen zu einer Frage der inneren Politik und insonderheit zu einer
Finanzfrage. Die Kosten der Armee noch weiter zu steigern, hat weder Augustus
noch Tiberius sich getraut. Man kann dies tadeln. Der laehmende Doppelschlag der
illyrischen und der germanischen Insurrektion mit ihren schweren Katastrophen,
das hohe Alter und die erlahmende Kraft des Herrschers, die zunehmende Abneigung
des Tiberius gegen frisches Handeln und grosse Initiative und vor allem gegen
jede Abweichung von der Politik des Augustus, haben dabei ohne Zweifel
bestimmend mit- und vielleicht zum Nachteil des Staates gewirkt. Man fuehlt es
in dem nicht zu billigenden, aber wohl erklaerlichen Auftreten des Germanicus,
wie das Militaer und die Jugend das Aufgeben der neuen Provinz Germanien
empfanden. Man erkennt in dem duerftigen Versuch, mit Hilfe der paar
linksrheinischen deutschen Gaue wenigstens dem Namen nach das verlorene
Germanien festzuhalten, in den zweideutigen und unsicheren Worten, mit denen
Augustus selbst in seinem Rechenschaftsbericht Germanien als roemisch in
Anspruch nimmt oder auch nicht, wie verlegen die Regierung in dieser Sache der
oeffentlichen Meinung gegenueber stand. Der Griff nach der Elbgrenze war ein
gewaltiger, vielleicht ueberkuehner gewesen; vielleicht von Augustus, dessen
Flug im allgemeinen so hoch nicht ging, erst nach jahrelangem Zaudern und wohl
nicht ohne den bestimmenden Einfluss des ihm vor allen nahestehenden juengeren
Stiefsohns unternommen. Aber einen allzu kuehnen Schritt zurueckzutun ist in der
Regel nicht eine Verbesserung des Fehlers, sondern ein zweiter. Die Monarchie
brauchte die unbefleckte kriegerische Ehre und den unbedingten kriegerischen
Erfolg in ganz anderer Weise als das ehemalige Buergermeisterregiment; das
Fehlen der seit der Varusschlacht niemals ausgefuellten Nummern 17, 18 und 19 in
der Reihe der Regimenter passte wenig zu dem militaerischen Prestige, und den
Frieden mit Marobod aufgrund des Status quo konnte die loyalste Rhetorik nicht
in einen Erfolg umreden. Anzunehmen, dass Germanicus einem eigentlichen Befehl
seiner Regierung zuwider jene weit aussehenden Unternehmungen begonnen hat,
verbietet seine ganze politische Stellung; aber den Vorwurf, dass er seine
doppelte Stellung als Hoechstkommandierender der ersten Armee des Reiches und
als kuenftiger Thronfolger dazu benutzt hat, um seine politisch-militaerischen
Plaene auf eigene Faust durchzufuehren, wird man ihm so wenig ersparen koennen
wie dem Kaiser den nicht minder schweren, zurueckgescheut zu sein vielleicht vor
dem Fassen, vielleicht auch nur vor dem klaren Aussprechen und dem scharfen
Durchfuehren der eigenen Entschluesse. Wenn Tiberius die Wiederaufnahme der
Offensive wenigstens geschehen liess, so muss er empfunden haben, wieviel fuer
eine kraeftigere Politik sprach; wie es ueberbedaechtige Leute wohl tun, mag er
wohl sozusagen dem Schicksal die Entscheidung ueberlassen haben, bis dann der
wiederholte und schwere Misserfolg des Kronprinzen die Politik der Verzagtheit
abermals rechtfertigte. Leicht war es fuer die Regierung nicht, einer Armee Halt
zu gebieten, die von den verlorenen drei Adlern zwei zurueckgebracht hatte; aber
es geschah. Was immer die sachlichen und die persoenlichen Motive gewesen sein
moegen, wir stehen hier an einem Wendepunkt der Voelkergeschicke. Auch die
Geschichte hat ihre Flut und ihre Ebbe; hier tritt nach der Hochflut des
roemischen Weltregiments die Ebbe ein. Nordwaerts von Italien hatte wenige Jahre
hindurch die roemische Herrschaft bis an die Elbe gereicht; seit der
Varusschlacht sind ihre Grenzen der Rhein und die Donau. Ein Maerchen, aber ein
altes, berichtet, dass dem ersten Eroberer Germaniens, dem Drusus, auf seinem
letzten Feldzug an der Elbe eine gewaltige Frauengestalt germanischer Art
erschienen sei und ihm in seiner Sprache das Wort zugerufen habe "Zurueck!" Es
ist nicht gesprochen worden, aber es hat sich erfuellt.
Indes die Niederlage der Augusteischen Politik, wie der Friede mit
Maroboduus und die Hinnahme der Teutoburger Katastrophe wohl bezeichnet werden
darf, war kaum ein Sieg der Germanen. Nach der Varusschlacht muss wohl durch die
Gemueter der Besten die Hoffnung gegangen sein, dass der Nation aus dem
herrlichen Sieg der Cherusker und ihrer Verbuendeten und aus dem Zurueckweichen
des Feindes im Westen wie im Sueden eine gewisse Einigung erwachsen werde. Den
sonst sich fremd gegenueberstehenden Sachsen und Sueben mag vielleicht eben in
diesen Krisen das Gefuehl der Einheit aufgegangen sein. Dass die Sachsen vom
Schlachtfelde weg den Kopf des Varus an den Suebenkoenig schickten, kann nichts
sein als der wilde Ausdruck des Gedankens, dass fuer alle Germanen die Stunde
gekommen sei, in gemeinschaftlichem Ansturm sich auf das Roemische Reich zu
stuerzen und des Landes Grenze und des Landes Freiheit so zu sichern, wie sie
allein gesichert werden koennen, durch Niederschlagen des Erbfeindes in seinem
eigenen Heim. Aber der gebildete Mann und staatskluge Koenig nahm die Gabe der
Insurgenten nur an, um den Kopf dem Kaiser Augustus zur Beisetzung zu senden; er
tat nichts fuer, aber auch nichts gegen die Roemer und beharrte
unerschuetterlich in seiner Neutralitaet. Unmittelbar nach dem Tode des Augustus
hatte man in Rom den Einbruch der Markomannen in Raetien gefuerchtet, aber, wie
es scheint, ohne Ursache, und als dann Germanicus die Offensive gegen die
Germanen vom Rhein aus wieder aufnahm, hatte der maechtige Markomannenkoenig
untaetig zugesehen. Diese Politik der Feinheit oder der Feigheit in der wild
bewegten, von patriotischen Erfolgen und Hoffnungen trunkenen germanischen Welt
grub sich ihr eigenes Grab. Die entfernteren, nur lose mit dem Reich
verknuepften Suebenstaemme, die Semnonen, Langobarden und Gothonen, sagten dem
Koenig ab und machten gemeinschaftliche Sache mit den saechsischen Patrioten; es
ist nicht unwahrscheinlich, dass die ansehnlichen Streitkraefte, ueber welche
Arminius und Inguiomerus in den Kaempfen gegen Germanicus offenbar geboten,
ihnen grossenteils von daher zugestroemt sind. Als bald darauf der roemische
Angriff ploetzlich abgebrochen ward, wendeten sich die Patrioten (17) zum
Angriff gegen Maroboduus, vielleicht zum Angriff auf das Koenigtum ueberhaupt,
wenigstens wie dieser es nach roemischem Muster verwaltete ^23. Aber auch unter
ihnen selbst waren Spaltungen eingetreten; die beiden nah verwandten
cheruskischen Fuersten, die in den letzten Kaempfen die Patrioten wenn nicht
siegreich, doch tapfer und ehrenvoll gefuehrt und bisher stets Schulter an
Schulter gefochten hatten, standen in diesem Krieg nicht mehr zusammen. Der
Oheim Inguiomerus ertrug es nicht noch laenger, neben dem Neffen der zweite zu
sein, und trat bei dem Ausbruch des Krieges auf Maroboduus' Seite. So kam es zur
Entscheidungsschlacht zwischen Germanen und Germanen, ja zwischen denselben
Staemmen; denn in beiden Armeen fochten sowohl Sueben wie Cherusker. Lange
schwankte der Kampf; beide Heere hatten von der roemischen Taktik gelernt, und
auf beiden Seiten war die Leidenschaft und die Erbitterung gleich. Einen
eigentlichen Sieg erfocht Arminius nicht, aber der Gegner ueberliess ihm das
Schlachtfeld, und da Maroboduus den kuerzeren gezogen zu haben schien,
verliessen ihn die bisher noch zu ihm gehalten hatten und fand er sich auf sein
eigenes Reich beschraenkt. Als er roemische Hilfe gegen die uebermaechtigen
Landsleute erbat, erinnerte ihn Tiberius an sein Verhalten nach der
Varusschlacht und erwiderte, dass jetzt die Roemer ebenfalls neutral bleiben
wuerden. Es ging nun schleunig mit ihm zu Ende. Schon im folgenden Jahr (18)
wurde er von einem Gothonenfuersten Catualda, den er frueher persoenlich
beleidigt hatte und der dann mit den uebrigen ausserboehmischen Sueben von ihm
abgefallen war, in seinem Koenigssitz selbst ueberfallen und rettete, von den
Seinigen verlassen, mit Not sich zu den Roemern, die ihm die erbetene Freistatt
gewaehrten - als roemischer Pensionaer ist er viele Jahre spaeter in Ravenna
gestorben.
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^23 Die Angabe des Tacitus (ann. 2, 45), dass dies eigentlich ein Krieg der
Republikaner gegen die Monarchisten gewesen sei, ist wohl nicht frei von
Uebertragung hellenisch-roemischer Anschauungen auf die sehr verschiedene
germanische Welt. Soweit der Krieg eine ethisch-politische Tendenz gehabt hat,
wird ihn nicht das nomen regis, wie Tacitus sagt, sondern das certum imperium
visque regia des Velleius (2, 108) hervorgerufen haben.
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Also waren Arminius' Gegner wie seine Nebenbuhler fluechtig geworden, und
die germanische Nation sah auf keinen andern als auf ihn. Aber diese Groesse war
seine Gefahr und sein Verderben. Seine eigenen Landsleute, vor allem sein
eigenes Geschlecht schuldigte ihn an, den Weg Marobods zu gehen und nicht bloss
der Erste, sondern auch der Herr und der Koenig der Germanen sein zu wollen - ob
mit Grund oder nicht und ob, wenn er dies wollte, er damit nicht vielleicht das
Rechte wollte, wer vermag es zu sagen? Es kam zum Buergerkrieg zwischen ihm und
diesen Vertretern der Volksfreiheit; zwei Jahre nach Maroboduus' Verbannung fiel
auch er, gleich Caesar, durch den Mordstahl ihm nahestehender, republikanisch
gesinnter Adliger. Seine Gattin Thusnelda und sein in der Gefangenschaft
geborener Sohn Thumelicus, den er nie mit Augen gesehen hat, zogen bei dem
Triumph des Germanicus (26. Mai 17) unter den anderen vornehmen Germanen
gefesselt mit auf das Kapitol; der alte Segestes ward fuer seine Treue gegen die
Roemer mit einem Ehrenplatz bedacht, von wo aus er dem Einzug seiner Tochter und
seines Enkels zuschauen durfte. Sie alle sind im Roemerreich gestorben; mit
Maroboduus fanden auch Gattin und Sohn seines Gegners im Exil von Ravenna sich
zusammen. Wenn Tiberius bei Abberufung des Germanicus bemerkte, dass es gegen
die Deutschen der Kriegfuehrung nicht beduerfe und dass sie das fuer Rom
Erforderliche schon weiter selber besorgen wuerden, so kannte er seine Gegner;
darin allerdings hat die Geschichte ihm recht gegeben. Aber dem hochsinnigen
Mann, der sechsundzwanzigjaehrig seine saechsische Heimat von der italischen
Fremdherrschaft erloest hatte, der dann in siebenjaehrigem Kampfe fuer die
wiedergewonnene Freiheit Feldherr wie Soldat gewesen war, der nicht bloss Leib
und Leben, sondern auch Weib und Kind fuer seine Nation eingesetzt hatte, um
dann siebenunddreissigjaehrig von Moerderhand zu fallen, diesem Mann gab sein
Volk, was es zu geben vermochte, ein ewiges Gedaechtnis im Heldenlied.
2. Kapitel
Spanien
Die Zufaelligkeiten der aeusseren Politik bewirkten es, dass die Roemer
frueher als in irgendeinem anderen Teil des ueberseeischen Kontinents sich auf
der Pyrenaeischen Halbinsel festsetzten und hier ein zwiefaches staendiges
Kommando einrichteten. Auch hatte die Republik hier nicht, wie in Gallien und in
Illyricum, sich darauf beschraenkt, die Kuesten des italischen Meeres zu
unterwerfen, vielmehr gleich von Anfang an, nach dem Vorgang der Barkiden, die
Eroberung der ganzen Halbinsel in das Auge gefasst. Mit den Lusitanern (in
Portugal und Estremadura) hatten die Roemer gestritten, seit sie sich Herren von
Spanien nannten; die "entferntere Provinz" war recht eigentlich gegen diese und
zugleich mit der naeheren eingerichtet worden; die Callaeker (Galicia) wurden
ein Jahrhundert vor der Actischen Schlacht den Roemern botmaessig; kurz vor
derselben hatte in seinem ersten Feldzug der spaetere Diktator Caesar die
roemischen Waffen bis nach Brigantium (Coruna) getragen und die Zugehoerigkeit
dieser Landschaft zu der entfernteren Provinz aufs neue befestigt. Es haben dann
in den Jahren zwischen Caesars Tod bis auf Augustus Einherrschaft die Waffen in
Nordspanien niemals geruht: nicht weniger als sechs Statthalter haben in dieser
kurzen Zeit dort den Triumph gewonnen, und vielleicht erfolgte die Unterwerfung
des suedlichen Abhangs der Pyrenaeen vorzugsweise in diese Epoche ^1. Die Kriege
mit den stammverwandten Aquitanern an der Nordseite des Gebirges, die in die
gleiche Epoche fallen und von denen der letzte im Jahre 727 (27) siegreich zu
Ende ging, werden damit in Zusammenhang stehen. Bei der Reorganisation der
Verwaltung im Jahre 727 (27) kam die Halbinsel an Augustus, weil dort
ausgedehnte militaerische Operationen in Aussicht genommen waren und sie einer
dauernden Besatzung bedurfte. Obgleich das suedliche Drittel der entfernteren
Provinz, seitdem benannt vom Baetisfluss (Guadalquivir), dem Regiment des Senats
bald zurueckgegeben wurde ^2, blieb doch der bei weitem groessere Teil der
Halbinsel stets in kaiserlicher Verwaltung, sowohl der groessere Teil der
entfernteren Provinz, Lusitanien und Callaekien ^3, wie die ganze grosse
naehere. Unmittelbar nach Einrichtung der neuen Oberleitung begab sich Augustus
persoenlich nach Spanien, um in zweijaehrigem Aufenthalt (728, 729 26, 25) die
neue Verwaltung zu ordnen und die Okkupation der noch nicht botmaessigen
Landesteile zu leiten. Er tat dies von Tarraco aus, und es wurde damals
ueberhaupt der Sitz der Regierung der naeheren Provinz von Neukarthago nach
Tarraco verlegt, von welcher Stadt diese Provinz auch seitdem gewoehnlich
genannt wird. Wenn es einerseits notwendig erschien, den Sitz der Verwaltung
nicht von der Kueste zu entfernen, so beherrschte andererseits die neue
Hauptstadt das Ebrogebiet und die Kommunikationen mit dem Nordwesten und den
Pyrenaeen. Gegen die Asturer (in den Provinzen Asturien und Leon) und vor allem
die Kantabrer (im Vaskenland und der Provinz Santander), welche sich hartnaeckig
in ihren Bergen behaupteten und die benachbarten Gaue ueberliefen, zog sich mit
Unterbrechungen, die die Roemer Siege nannten, der schwere und verlustvolle
Krieg acht Jahre hin, bis es endlich Agrippa gelang, durch Zerstoerung der
Bergstaedte und Verpflanzung der Bewohner in die Taeler den offenen Widerstand
zu brechen.
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^1 Es triumphierten ueber Spanien, abgesehen von dem wohl politischen
Triumph des Lepidus, im Jahre 718 (36) Cn. Domitius Calvinus (Konsul 714 40), im
Jahre 720 (34) C. Norbanus Flaccus (Konsul 716 38), zwischen 720 (34) und 725
(29) L. Marcius Philippus (Konsul 716 38) und Appius Claudius Pulcher (Konsul
716 38), im Jahre 726 (28) C. Calvisius Sabinus (Konsul 715 39), im Jahre 728
(26) Sex. Appuleius (Konsul 725 29). Die Schriftsteller erwaehnen nur den Sieg,
den Calvinus ueber die Cerretaner (bei Puycerda in den oestlichen Pyrenaeen)
erfocht (Dio 48, 42; vgl. Vell. 2, 78 und die Muenze des Sabinus mit Osca,
Eckhel, Bd. 5, S. 203).
^2 Da Augusta Emerita in Lusitanien erst im Jahre 729 (25) Kolonie ward
(Dio 53, 26) und diese bei dem Verzeichnis der Provinzen, in denen Augustus
Kolonien gegruendet hat (Monumentum Ancyranum, S. 119, vgl. S. 222), nicht
fueglich unberuecksichtigt geblieben sein kann, so wird die Trennung von
Lusitania und Hispania ulterior erst nach dem kantabrischen Kriege stattgefunden
haben.
^3 Callaekien ist nicht bloss von der Ulterior aus eingenommen worden,
sondern muss noch in der frueheren Zeit des Augustus zu Lusitanien gehoert
haben, ebenso Asturien anfaenglich zu dieser Provinz geschlagen worden sein.
Sonst ist die Erzaehlung bei Dio 54, 5 nicht zu verstehen; T. Carisius, der
Erbauer Emeritas, ist offenbar der Statthalter von Lusitanien, C. Furnius der
der Tarraconensis. Damit stimmt auch die parallele Darstellung bei Florus (epit.
2, 33), denn die Drigaecini der Handschriften sind sicher die Brigaikinoi, die
Ptolemaeos (2, 6, 29) unter den Asturern auffuehrt. Darum fasst auch Agrippa in
seinen Messungen Lusitania mit Asturia und Callaecia zusammen (Plin. nat. 4, 22,
118), und bezeichnet Strabon (3, 4, 20, p. 166) die Callaeker als frueher
Lusitaner genannt. Schwankungen in der Abgrenzung der spanischen Provinzen
erwaehnt Strabon (3, 4, 19, p. 166).
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Wenn, wie Kaiser Augustus sagt, seit seiner Zeit die Kueste des Ozeans von
Cadiz bis zur Elbmuendung den Roemern gehorchte, so war in diesem Winkel
derselben der Gehorsam recht unfreiwillig und von geringem Verlass. Zu einer
eigentlichen Befriedung scheint es im nordwestlichen Spanien noch lange nicht
gekommen zu sein. Noch in Neros Zeit ist von Kriegszuegen gegen die Asturer die
Rede. Deutlicher noch spricht die Besetzung des Landes, wie Augustus sie
angeordnet hat. Callaekien wurde von Lusitanien getrennt und mit der
tarraconensischen Provinz vereinigt, um den Oberbefehl in Nordspanien in einer
Hand zu konzentrieren. Diese Provinz ist nicht bloss damals die einzige gewesen,
welche, ohne an Feindesland zu grenzen, ein legionares Militaerkommando erhalten
hat, sondern es wurden von Augustus nicht weniger als drei Legionen ^4 dorthin
gelegt, zwei nach Asturien, eine nach Kantabrien, und trotz der militaerischen
Bedraengnis in Germanien und in Illyricum ward diese Besatzung nicht vermindert.
Das Hauptquartier ward zwischen der alten Metropole Asturiens, Lancia, und der
neuen, Asturica Augusta (Astorga), eingerichtet, in dem noch heute von ihm den
Namen fuehrenden Leon. Mit dieser starken Besetzung des Nordwestens haengen
wahrscheinlich die daselbst in der frueheren Kaiserzeit in bedeutendem Umfange
vorgenommenen Strassenanlagen zusammen, obwohl wir, da die Dislokation dieser
Truppen in der augustischen Zeit uns unbekannt ist, den Zusammenhang im
einzelnen nicht nachzuweisen vermoegen. So ist von Augustus und Tiberius fuer
die Hauptstadt Callaekiens Bracara (Braga) eine Verbindung mit Asturica, das
heisst mit dem grossen Hauptquartier, nicht minder mit den noerdlich,
nordoestlich und suedlich benachbarten Staedten hergestellt worden. Aehnliche
Anlagen machte Tiberius im Gebiet der Vasconen und in Kantabrien ^5. Allmaehlich
konnte die Besatzung verringert, unter Claudius eine Legion, unter Nero eine
zweite anderswo verwendet werden. Doch wurden diese nur als abkommandiert
angesehen, und noch zu Anfang der Regierung Vespasians hatte die spanische
Besatzung wieder ihre fruehere Staerke; eigentlich reduziert haben sie erst die
Flavier, Vespasian auf zwei, Domitian auf eine Legion. Von da an bis in die
diocletianische Zeit hat eine einzige Legion, die 7. gemina und eine gewisse
Zahl von Hilfskontingenten in Leon garnisoniert.
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^4 Es sind dies die 4. makedonische, die 6. victrix und die 10. gemina. Die
erste von diesen kam in Folge der durch Claudius' britannische Expedition
veranlassten Verschiebung der Truppenlager an den Rhein. Die beiden anderen,
obwohl inzwischen mehrfach anderswo verwendet, standen noch im Anfang der
Regierung Vespasians in ihrer alten Garnison und mit ihnen anstatt der 4. die
von Galba neu errichtete 1. adiutrix (Tac. hist. 1, 44). Alle drei wurden in
Veranlassung des Bataverkrieges an den Rhein geschickt, und es kam davon nur
eine zurueck. Denn noch im Jahre 88 lagen in Spanien mehrere Legionen (Plin.
paneg. 14; vgl. Hermes 3, 1868, S. 118), von welchen eine sicher die schon vor
dem Jahre 79 in Spanien garnisonierende 7. gemina (CIL II, 2477) ist; die zweite
muss eine von jenen dreien sein und ist wahrscheinlich die 1. adiutrix, da diese
bald nach dem Jahre 88 an den Donaukriegen Domitians sich beteiligt und unter
Traian in Obergermanien steht, was die Vermutung nahelegt, dass sie eine der
mehreren im Jahre 88 von Spanien nach Obergermanien gefuehrten Legionen gewesen
und bei dieser Veranlassung aus Spanien weggekommen ist. In Lusitanien haben
keine Legionen gestanden.
^5 Bei dem Ort Pisoraca (Herrera am Pisuerga, zwischen Palencia und
Santander), der allein auf Inschriften des Tiberius und des Nero, und zwar als
Ausgangspunkt einer Kaiserstrasse genannt wird (CIL II, 4883, 4884), duerfte das
Lager der kantabrischen Legion gewesen sein, wie bei Leon das asturische. Auch
Augustobriga (westlich von Saragossa) und Complutum (Alcala de Henares,
nordwaerts von Madrid) werden nicht ihrer staedtischen Bedeutung wegen, sondern
als Truppenlager Reichsstrassenzentren gewesen sein.
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Keine Provinz ist unter dem Prinzipat weniger von den aeusseren wie von den
inneren Kriegen beruehrt worden als dieses Land des fernen Westens. Wenn in
dieser Epoche die Truppenkommandos gleichsam die Stelle der rivalisierenden
Parteien uebernahmen, so hat das spanische Heer auch dabei durchaus eine
Nebenrolle gespielt; nur als Helfer seines Kollegen trat Galba in den
Buergerkrieg ein und der blosse Zufall trug ihn an die erste Stelle. Die
vergleichungsweise auch nach der Reduktion noch auffallend starke Besatzung des
Nordwestens der Halbinsel laesst darauf schliessen, dass diese Gegend noch im
zweiten und dritten Jahrhundert nicht vollstaendig botmaessig gewesen ist; indes
vermoegen wir ueber die Verwendung der spanischen Legion innerhalb der Provinz,
die sie besetzt hielt, nichts Bestimmtes anzugeben. Der Krieg gegen die
Kantabrer ist mit Hilfe von Kriegsschiffen gefuehrt worden; nachher haben die
Roemer keine Veranlassung gehabt, hier eine dauernde Flottenstation
einzurichten. Erst in der nachdiocletianischen Zeit finden wir die Pyrenaeische
Halbinsel, wie die italische und die griechisch-makedonische, ohne staendige
Besatzung.
Dass die Provinz Baetica, wenigstens seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts,
von der gegenueberliegenden Kueste aus durch die Mauren - die Piraten des Rif -
vielfach heimgesucht wurde, wird in der Darstellung der afrikanischen
Verhaeltnisse naeher auszufuehren sei. Vermutlich ist es daraus zu erklaeren,
dass, obwohl sonst in den Provinzen des Senats kaiserliche Truppen nicht zu
stehen pflegen, ausnahmsweise Italica (bei Sevilla) mit einer Abteilung der
Legion von Leon belegt war ^6. Hauptsaechlich aber lag es dem in der Provinz von
Tingis (Tanger) stationierten Kommando ob, das reiche suedliche Spanien vor
diesen Einfaellen zu schuetzen. Dennoch ist es vorgekommen, dass Staedte wie
Italica und Singili (unweit Antequera) von den Piraten belagert wurden.
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^6 Damit kann in Verbindung gebracht werden, dass dieselbe Legion auch,
wenngleich nur zeitweise und mit einem Detachement, in Numidien aktiv gewesen
ist.
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Wenn dem weltgeschichtlichen Werke der Kaiserzeit, der Romanisierung des
Okzidents, von der Republik irgendwo vorgearbeitet war, so war dies in Spanien
geschehen. Was das Schwert begonnen, fuehrte der friedliche Verkehr weiter: das
roemische Silbergeld hat in Spanien geherrscht, lange bevor es sonst ausserhalb
Italien gangbar ward, und die Bergwerke, der Wein- und Oelbau, die
Handelsbeziehungen bewirkten an der Kueste, namentlich im Suedwesten, ein
stetiges Einstroemen italischer Elemente. Neukarthago, die Schoepfung der
Barkiden und von seiner Entstehung an bis in die augustische Zeit die Hauptstadt
der Diesseitigen Provinz und der erste Handelsplatz Spaniens, umschloss schon im
siebenten Jahrhundert eine zahlreiche roemische Bevoelkerung; Carteia,
gegenueber dem heutigen Gibraltar, ein Menschenalter vor der Gracchenzeit
gegruendet, ist die erste ueberseeische Stadtgemeinde mit einer Bevoelkerung
roemischen Ursprungs; die altberuehmte Schwesterstadt Karthagos, Gades, das
heutige Cadiz, die erste fremdlaendische Stadt ausserhalb Italien, welche
roemisches Recht und roemische Sprache annahm. Hatte also an dem groessten Teil
der Kueste des Mittellaendischen Meeres die alteinheimische wie die phoenikische
Zivilisation bereits unter der Republik in die Art und Weise des herrschenden
Volkes eingelenkt, so wurde in der Kaiserzeit in keiner Provinz die
Romanisierung so energisch von oben herab gefoerdert wie in Spanien. Vor allem
die suedliche Haelfte der Baetica zwischen dem Baetis und dem Mittelmeer hat,
zum Teil schon unter der Republik oder durch Caesar, zum Teil in den Jahren 739
(15) und 740 (14) durch Augustur, eine stattliche Reihe von roemischen
Vollbuergergemeinden erhalten, die hier nicht etwa vorzugsweise die Kueste,
sondern vor allem das Binnenland fuellen, voran Hispalis (Sevilla) und Corduba
(Cordoba) mit Kolonialrecht, mit Munizipalrecht Italica (bei Sevilla) und Gades
(Cadiz). Auch im suedlichen Lusitanien begegnet eine Reihe gleichberechtigter
Staedte, namentlich Olisipo (Lissabon), Pax Iulia (Beja) und die von Augustur
waehrend seines Aufenthalts in Spanien gegruendete und zur Hauptstadt dieser
Provinz gemachte Veteranenkolonie Emerita (Merida). In der Tarraconensis finden
sich die Buergerstaedte ueberwiegend an der Kueste, Karthago nova, Ilici
(Elche), Valentia, Dertosa (Tortosa), Tarraco, Barcino (Barcelona); im
Binnenland tritt nur hervor die Kolonie im Ebrotal Caesaraugusta (Saragossa).
Vollbuergergemeinden zaehlte man in ganz Spanien unter Augustus fuenfzig; gegen
fuenfzig andere hatten bis dahin latinisches Recht empfangen und standen
hinsichtlich der inneren Ordnung den Buergergemeinden gleich. Bei den uebrigen
hat dann Kaiser Vespasianus bei Gelegenheit der von ihm im Jahre 74
veranstalteten allgemeinen Reichsschaetzung die latinische Gemeindeordnung
ebenfalls eingefuehrt. Die Verleihung des Buergerrechts ist weder damals noch
ueberhaupt in der besseren Kaiserzeit viel weiter ausgedehnt worden, als sie in
augustischer Zeit gediehen war ^7, wobei wahrscheinlich hauptsaechlich die
Ruecksicht auf das den Reichsbuergern gegenueber beschraenkte Aushebungsrecht
massgebend gewesen ist.
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^7 Dass "die Iberer Roemer genannt werden", wie Josephus (c. Ap. 2, 4) sich
ausdrueckt, kann nur auf die Erteilung des latinischen Rechts durch Vespasian
bezogen werden und ist eine inkorrekte Angabe des Fremden.
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Die einheimische Bevoelkerung Spaniens, welche also teils mit italischen
Ansiedlern vermischt, teils zu italischer Sitte und Sprache hingeleitet ward,
tritt in der Geschichte der Kaiserzeit nirgends deutlich erkennbar hervor.
Wahrscheinlich hat derjenige Stamm, dessen Reste und dessen Sprache sich bis auf
den heutigen Tag in den Bergen Vizcayas, Guipuzcoas und Navarras behaupten,
einstmals die ganze Halbinsel in aehnlicher Weise erfuellt wie die Berber das
nordafrikanische Land. Ihr Idiom, von den indogermanischen grundverschieden und
flexionslos wie das der Finnen und Mongolen, beweist ihre urspruengliche
Selbstaendigkeit, und ihre wichtigsten Denkmaeler, die Muenzen, umfassen in dem
ersten Jahrhundert der Herrschaft der Roemer in Spanien die Halbinsel mit
Ausnahme der Suedkueste von Cadiz bis Granada, wo damals die phoenikische
Sprache herrschte, und des Gebietes noerdlich von der Muendung des Tajo und
westlich von den Ebroquellen, welches damals wahrscheinlich grossenteils
faktisch unabhaengig und gewiss durchaus unzivilisiert war; in diesem iberischen
Gebiet unterscheidet sich wohl die suedspanische Schrift deutlich von der der
Nordprovinz, aber nicht minder deutlich sind beide Aeste eines Stammes. Die
phoenikische Einwanderung hat sich hier auf noch engere Grenzen beschraenkt als
in Afrika und die keltische Mischung die allgemeine Gleichfoermigkeit der
nationalen Entwicklung nicht in einer fuer uns erkennbaren Weise modifiziert.
Aber die Konflikte der Roemermit den Iberern gehoeren ueberwiegend der
republikanischen Epoche an und sind frueher dargestellt worden. Nach den bereits
erwaehnten letzten Waffengaengen unter der ersten Dynastie verschwinden die
Iberer voellig aus unseren Augen. Auch auf die Frage, wieweit sie in der
Kaiserzeit sich romanisiert haben, gibt die uns gebliebene Kunde keine
befriedigende Antwort. Dass sie im Verkehr mit den fremden Herren von jeher
veranlasst sein werden, sich der roemischen Sprache zu bedienen, bedarf des
Beweises nicht; aber auch aus dem oeffentlichen Gebrauch innerhalb der Gemeinden
schwindet unter dem Einfluss Roms die nationale Sprache und die nationale
Schrift. Schon im letzten Jahrhundert der Republik ist die anfaenglich in weitem
Umfange gestattete einheimische Praegung in der Hauptsache beseitigt worden; aus
der Kaiserzeit gibt es keine spanische Stadtmuenze mit anderer als lateinischer
Aufschrift ^8. Wie die roemische Tracht war die roemische Sprache auch bei
denjenigen Spaniern, die des italischen Buergerrechts entbehrten, in grossem
Umfang verbreitet, und die Regierung beguenstigte die faktische Romanisierung
des Landes ^9. Als Augustus starb, ueberwog roemische Sprache und Sitte in
Andalusien, Granada, Murcia, Valencia, Katalonien, Arragonien, und ein guter
Teil davon kommt auf Rechnung nicht der Kolonisierung, sondern der
Romanisierung. Durch die vorher erwaehnte Anordnung Vespasians ward die
einheimische Sprache von Rechts wegen auf den Privatverkehr beschraenkt. Dass
sie in diesem sich behauptet hat, beweist ihr heutiges Dasein; was jetzt auf die
Berge sich beschraenkt, welche weder die Goten noch die Araber je besetzt haben,
wird in der roemischen Zeit sicher ueber einen grossen Teil Spaniens, besonders
den Nordwesten, sich erstreckt haben. Dennoch ist die Romanisierung in Spanien
sicher sehr viel frueher und staerker eingetreten als in Afrika; Denkmaeler mit
einheimischer Schrift aus der Kaiserzeit sind in Afrika in ziemlicher Anzahl, in
Spanien kaum nachzuweisen, und die Berbersprache beherrscht heute noch halb
Nordafrika, die iberische nur die engen Taeler der Basken. Es konnte das nicht
anders kommen, teils weil in Spanien die roemische Zivilisation viel frueher und
viel kraeftiger auftrat als in Afrika, teils weil die Eingeborenen dort nicht
wie hier den Rueckhalt an den freien Staemmen hatten.
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^8 Das wohl juengste sicher datierbare Denkmal der einheimischen Sprache
ist eine Muenze von Osicerda, welche den waehrend des Gallischen Krieges von
Caesar geschlagenen Denaren mit dem Elefanten nachgepraegt ist, mit lateinischer
und iberischer Aufschrift (Zobel, Estudio historico de la moneda antigua
espa¤ola. Bd. 2, S. 11). Unter den ganz oder teilweise epichorischen Inschriften
Spaniens moegen sich manche juengere befinden; oeffentliche Setzung ist bei
keiner derselben auch nur wahrscheinlich.
^9 Es hat eine Zeit gegeben, wo die Peregrinengemeinden das Recht, die
lateinische zur Geschaeftssprache zu machen, vom Senat erbitten mussten; aber
fuer die Kaiserzeit gilt das nicht mehr. Vielmehr ist hier wahrscheinlich
haeufig das Umgekehrte eingetreten, zum Beispiel das Muenzrecht in der Weise
gestattet worden, dass die Aufschrift lateinisch sein musste. Ebenso sind
oeffentliche Gebaeude, die Nichtbuerger errichteten, lateinisch bezeichnet; so
lautet eine Inschrift von Ilipa in Andalusien (CIL II, 1087): Urchail Atitta
f(ilius) Chilasurgun portas fornac(es) aedificand(a) curavit de s(ua) p(ecunia).
Dass das Tragen der Toga auch Nichtroemern gestattet und ein Zeichen von loyaler
Gesinnung war, zeigt sowohl Strabons Aeusserung ueber die Tarraconensis togata
wie Agricolas Verhalten in Britannien (Tac. Agr. 21).
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Die einheimische Gemeindeverfassung der Iberer war von der gallischen nicht
in einer fuer uns erkennbaren Weise verschieden. Von Haus aus zerfiel Spanien,
wie das Keltenland dies- und jenseits der Alpen, in Gaubezirke; die Vaccaeer und
die Kantabrer unterschieden sich schwerlich wesentlich von den Cenomanen der
Transpadana und den Remern der Belgica. Dass auf den in der frueheren Epoche der
Roemerherrschaft geschlagenen spanischen Muenzen vorwiegend nicht die Staedte
genannt werden, sondern die Gaue, nicht Tarraco, sondern die Cessetaner, nicht
Saguntum, sondern die Arsenser, zeigt deutlicher noch als die Geschichte der
damaligen Kriege, dass auch in Spanien einst groessere Gauverbaende bestanden.
Aber die siegenden Roemer behandelten diese Verbaende nicht ueberall in gleicher
Weise. Die transalpinischen Gaue blieben auch unter roemischer Herrschaft
politische Gemeinwesen; wie die cisalpinischen sind die spanischen nur
geographische Begriffe. Wie der Distrikt der Cenomanen nichts ist als ein
Gesamtausdruck fuer die Territorien von Brixia, Bergomum und so weiter, so
bestehen die Asturer aus zweiundzwanzig politisch selbstaendigen Gemeinden, die
allem Anschein nach rechtlich sich nicht mehr angehen als die Staedte Brixia und
Bergomum ^10. Dieser Gemeinden zaehlte die tarraconensische Provinz in
augustischer Zeit 293, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 275. Es sind also
hier die alten Gauverbaende aufgeloest worden. Dabei ist schwerlich bestimmend
gewesen, dass die Geschlossenheit der Vettonen und der Kantabrer bedenklicher
fuer die Reichseinheit erschien als diejenige der Sequaner und der Treuerer;
hauptsaechlich beruht der Unterschied wohl in der Verschiedenheit der Zeit und
der Form der Eroberung. Die Landschaft am Guadalquivir ist anderthalb
Jahrhunderte frueher roemisch geworden als die Ufer der Loire und der Seine; die
Zeit, wo das Fundament der spanischen Ordnung gelegt wurde, liegt derjenigen
Epoche nicht so gar fern, wo die samnitische Konfoederation aufgeloest ward.
Hier waltet der Geist der alten Republik, in Gallien die freiere und mildere
Anschauung Caesars. Die kleineren und machtlosen Distrikte, welche nach
Aufloesung der Verbaende die Traeger der politischen Einheit wurden, die
Kleingaue oder Geschlechter, wandelten sich im Laufe der Zeit hier wie ueberall
in Staedte um. Die Anfaenge der staedtischen Entwicklung, auch ausserhalb der zu
italischem Recht gelangten Gemeinden, gehen weit in die republikanische,
vielleicht in die vorroemische Zeit zurueck; spaeter musste die allgemeine
Verleihung des latinischen Rechts durch Vespasian diese Umwandlung allgemein
oder so gut wie allgemein machen ^11. Wirklich gab es unter den 293 augustischen
Gemeinden der Provinz von Tarraco 114, unter den 275 des zweiten Jahrhunderts
nur 27 nicht staedtische Gemeinden.
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^10 Diese merkwuerdigen Ordnungen erhellen namentlich aus den spanischen
Ortsverzeichnissen bei Plinius, und sind von Detlefsen (Philologus 32, 1878, S.
606f.) gut dargelegt worden. Die Terminologie freilich ist schwankend. Da die
Bezeichnungen civitas, populus, gens der selbstaendigen Gemeinde eigen sind,
kommen sie von Rechts wegen diesen Teilen zu; also wird zum Beispiel gesprochen
von den X civitates der Autrigonen, den XXII populi der Asturer, der gens
Zoelarum (CIL II, 2633), welche eben eine dieser 22 Voelkerschaften ist. Das
merkwuerdige Dokument, das wir von diesen Zoelae besitzen (CIL II, 2633) lehrt,
dass diese gens wieder in gentilitates zerfiel, welche letzteren auch selbst
gentes hiessen, wie eben dieses selbst und andere Zeugnisse (Eph. epigr. II, p.
243) beweisen. Es findet sich auch civis in Beziehung auf einen der
kantabrischen populi (Eph. epigr. II p. 243). Aber auch fuer den groesseren Gau,
der ja einstmals die politische Einheit war, gibt es andere Bezeichnungen nicht
als diese eigentlich retrospektive und inkorrekte; namentlich gens wird dafuer
selbst im technischen Stil verwendet (z. B. CIL II, 4233: Intercat(iensis) ex
gente Vaccaeorum). Dass das Gemeinwesen in Spanien auf jenen kleinen Distrikten
ruht, nicht auf den Gauen, erhellt sowohl aus der Terminologie selbst wie auch
daraus, dass Plinius (3, 3, 18) jenen 293 Ortschaften die civitates contributae
aliis gegenueberstellt; ferner zeigt es der Beamte at census accipiendos
civitatium XXIII Vasconum et Vardulorum (CIL VI, 1463) verglichen mit dem censor
civitates Remorum foederatae (CIL XI, 1855 vgl. 2607).
^11 Da die latinische Gemeindeverfassung fuer eine nicht staedtisch
organisierte Gemeinde nicht passt, so muessen diejenigen spanischen, welche noch
nach Vespasian der staedtischen Organisation entbehrten, entweder von der
Verleihung des latinischen Rechts ausgeschlossen oder fuer sie besondere
Modifikationen eingetreten sein. Das letztere duerfte mehr Wahrscheinlichkeit
haben. Latinische Namensform zeigen nachvespasianische Inschriften auch der
gentes, wie CIL II, 2633 und Eph. epigr. II, 322; und wenn einzelne aus dieser
Zeit sich finden sollten mit nichtroemischen Namen, so wird immer noch zu fragen
sein, ob hier nicht bloss faktische Vernachlaessigung zugrunde liegt. Indizien
nichtroemischer Gemeindeordnung, in den sparsamen sicher vorvespasianischen
Inschriften verhaeltnismaessig haeufig (CIL II, 172, 1953, 2633, 5048), sind mir
in sicher nachvespasianischen nicht vorgekommen.
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Ueber die Stellung Spaniens in der Reichsverwaltung ist wenig zu sagen. Bei
der Aushebung haben die spanischen Provinzen eine hervorragende Rolle gespielt.
Die daselbst garnisonierenden Legionen sind wahrscheinlich seit dem Anfang des
Prinzipats vorzugsweise im Lande selbst ausgehoben worden; als spaeterhin
einerseits die Besatzung vermindert ward, andererseits die Aushebung mehr und
mehr auf den eigentlichen Garnisonsbezirk sich beschraenkte, hat die Baetica,
auch hierin das Los Italiens teilend, das zweifelhafte Glueck genossen,
gaenzlich vom Wehrdienst ausgeschlossen zu werden. Die auxiliare Aushebung,
welcher namentlich die in der staedtischen Entwicklung zurueckgebliebenen
Landschaften unterlagen, ist in Lusitanien, Callaekien, Asturien, nicht minder
im ganzen noerdlichen und inneren Spanien in grossem Massstab durchgefuehrt
worden; Augustus, dessen Vater sogar seine Leibwache aus Spaniern gebildet
hatte, hat abgesehen von der Belgica in keinem der ihm unterstellten Gebiete so
umfassend rekrutiert wie in Spanien.
Fuer die Finanzen des Staates ist dies reiche Land ohne Zweifel eine der
sichersten und ergiebigsten Quellen gewesen; Naeheres ist darueber nicht
ueberliefert.
Auf die Bedeutung des Verkehrs dieser Provinzen gestattet die Fuersorge der
Regierung fuer das spanische Strassenwesen einigermassen einen Schluss. Zwischen
den Pyrenaeen und Tarraco haben sich roemische Meilensteine schon aus der
letzten republikanischen Zeit gefunden, wie sie keine andere Provinz des
Okzidents aufweist. Dass Augustus und Tiberius den Strassenbau in Spanien
hauptsaechlich aus militaerischen Ruecksichten foerderten, ist schon bemerkt
worden; aber die bei Karthago nova von Augustur gebaute Strasse kann nur des
Verkehrs wegen angelegt sein, und hauptsaechlich dem Verkehr diente auch die von
ihm benannte und teilweise regulierte, teilweise neu angelegte durchgehende
Reichsstrasse ^12, welche, die italisch-gallische Kuestenstrasse fortfuehrend
und die Pyrenaeen bei dem Pass von Puycerda ueberschreitend, von da nach Tarraco
ging, dann ueber Valentia hinaus bis zur Muendung des Jucar ungefaehr der Kueste
folgte, von da aber quer durch das Binnenland das Tal des Baetis aufsuchte,
sodann von dem Augustusbogen an, der die Grenze der beiden Provinzen bezeichnete
und mit dem eine neue Milienzaehlung anhob, durch die Provinz Baetica bis an die
Muendung des Flusses lief und also Rom mit dem Ozean verband. Dies ist
allerdings die einzige Reichsstrasse in Spanien. Spaeter hat die Regierung fuer
die Strassen Spaniens nicht viel getan; die Kommunen, welchen dieselben bald
wesentlich ueberlassen wurden, scheinen, soviel wir sehen, abgesehen von dem
inneren Hochplateau, ueberall die Kommunikationen in dem Umfang hergestellt zu
haben, wie der Kulturstand der Provinz sie verlangte. Denn gebirgig wie Spanien
ist, und nicht ohne Steppen und Oedland, gehoert es doch zu den ertragreichsten
Laendern der Erde, sowohl durch die Fuelle der Bodenfrucht wie durch den
Reichtum an Wein und Oel und an Metallen. Hinzu trat frueh die Industrie,
vorzugsweise in Eisenwaren und in wollenen und leinenen Geweben. Bei den
Schaetzungen unter Augustus hatte keine roemische Buergergemeinde, Patavium
ausgenommen, eine solche Anzahl von reichen Leuten aufzuweisen wie das spanische
Gades mit seinen durch die ganze Welt verbreiteten Grosshaendlern; und dem
entsprach die raffinierte Ueppigkeit der Sitten, die dort heimischen
Kastagnettenschlaegerinnen und die den eleganten Roemern gleich dem
alexandrinischen gelaeufigen gaditanischen Lieder. Die Naehe Italiens und der
bequeme und billige Seeverkehr gaben fuer diese Epoche besonders der spanischen
Sued- und Ostkueste die Gelegenheit, ihre reichen Produkte auf den ersten Markt
der Welt zu bringen, und wahrscheinlich hat Rom mit keinem Lande der Welt einen
so umfassenden und stetigen Grosshandel betrieben wie mit Spanien.
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^12 Die Richtung der via Augusta gibt Strabon (3, 4, 9 p. 160) an; ihr
gehoeren alle Meilensteine an, die jenen Namen haben, sowohl die aus der Gegend
von Lerida (CIL II, 4920-4928) wie die zwischen Tarragona und Valencia
gefundenen (das. 4949-4954), wie endlich die zahlreichen ab Iano Augusto, qui
est ad Baetem oder ab arcu, unde incipit Baetica, ad oceanum.
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Dass die roemische Zivilisation Spanien frueher und staerker durchdrungen
hat als irgendeine andere Provinz, bestaetigt sich nach verschiedenen Seiten,
insbesondere in dem Religionswesen und in der Literatur.
Zwar in dem noch spaeter iberischen, von Einwanderung ziemlich
freigebliebenen Gebiet, in Lusitanien, Callaekien, Asturien, haben die
einheimischen Goetter mit ihren seltsamen, meist auf -icus und -ecus ausgehenden
Namen, der Endovellicus, der Eaecus, Vagodonnaegus und wie sie weiter heissen,
auch unter dem Prinzipat noch sich in den alten Staetten behauptet. Aber in der
ganzen Baetica ist nicht ein einziger Votivstein gefunden worden, der nicht
ebensogut auch in Italien haette gesetzt sein koennen; und von der eigentlichen
Tarraconensis gilt dasselbe, nur dass von dem keltischen Goetterwesen am oberen
Duero vereinzelte Spuren begegnen ^13. Eine gleich energische sakrale
Romanisierung weist keine andere Provinz auf.
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^13 In Clunia ist eine Dedikation an die Muetter gefunden (CIL II, 2776) -
die einzige spanische dieses bei den westlichen Kelten so weit verbreiteten und
so lange anhaltenden Kults -, in Uxama eine den Lugoves gesetzte (das. 2818),
welche Gottheit bei den Kelten von Aventicum wiederkehrt.
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Die lateinischen Poeten in Corduba nennt Cicero nur, um sie zu tadeln; und
das augustische Zeitalter der Literatur ist auch noch wesentlich das Werk der
Italiener, wenngleich einzelne Provinzialen daran mithalfen und unter anderen
der gelehrte Bibliothekar des Kaisers, der Philolog Hyginus, als Unfreier in
Spanien geboren war. Aber von da an uebernahmen die Spanier darin fast die Rolle
wenn nicht des Fuehrers, so doch des Schulmeisters. Die Cordubenser Marcus
Porcius Latro, der Lehrer und das Muster Ovids, und sein Landsmann und
Jugendfreund Annaeus Seneca, beide nur etwa ein Dezennium juenger als Horaz,
aber laengere Zeit in ihrer Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit taetig, bevor
sie ihre Lehrtaetigkeit nach Rom verlegten, sind recht eigentlich die Vertreter
der die republikanische Redefreiheit und Redefrechheit abloesenden
Schulrhetorik. Als der erstere einmal in einem wirklichen Prozess aufzutreten
nicht umhin konnte, blieb er mit seinem Vortrag stecken und kam erst wieder in
Fluss, als das Gericht dem beruehmten Mann zu Gefallen vom Tribunal weg in den
Schulsaal verlegt ward. Auch Senecas Sohn, der Minister Neros und der
Modephilosoph der Epoche, und sein Enkel, der Poet der Gesinnungsopposition
gegen den Prinzipat, Lucanus, haben eine literarisch ebenso zweifelhafte wie
geschichtlich unbestreitbare Bedeutung, die doch auch in gewissem Sinn Spanien
zugerechnet werden darf. Ebenfalls in der fruehen Kaiserzeit haben zwei andere
Provinzialen aus der Baetica, Mela unter Claudius, Columella unter Nero, jener
durch seine kurze Erdbeschreibung, dieser durch eine eingehende, zum Teil auch
poetische Darstellung des Ackerbaus einen Platz unter den anerkannten
stilisierenden Lehrschriftstellern gewonnen. Wenn in der domitianischen Zeit der
Poet Canius Rufus aus Gades, der Philosoph Decianus aus Emerita und der Redner
Valerius Licinianus aus Bilbilis (Calatayud, unweit Saragossa) als literarische
Groessen neben Vergil und Catull und neben den drei cordubensischen Sternen
gefeiert werden, so geschieht dies allerdings ebenfalls von einem Bilbilitaner,
Valerius Martialis ^14, welcher selbst an Feinheit und Mache, freilich aber auch
an Feilheit und Leere unter den Dichtern dieser Epoche keinem weicht, und man
wird mit Recht dabei die Landsmannschaft in Anrechnung bringen; doch zeigt schon
die blosse Moeglichkeit, einen solchen Dichterstrauss zu binden, die Bedeutung
des spanischen Elements in der damaligen Literatur. Aber die Perle der spanisch-
lateinischen Schriftstellerei ist Marcus Fabius Quintilianus (35 bis 95) aus
Calagurris am Ebro. Schon sein Vater hatte als Lehrer der Beredsamkeit im Rom
gewirkt; er selbst wurde durch Galba nach Rom gezogen und nahm, namentlich unter
Domitian, als Erzieher der kaiserlichen Neffen eine angesehene Stellung ein.
Sein Lehrbuch der Rhetorik und bis zu einem Grade der roemischen
Literaturgeschichte ist eine der vorzueglichsten Schriften, die wir aus dem
roemischen Altertum besitzen, von feinem Geschmack und sicherem Urteil getragen,
einfach in der Empfindung wie in der Darstellung, lehrhaft ohne Langweiligkeit,
anmutig ohne Bemuehung, in scharfem und bewusstem Gegensatz zu der
phrasenreichen und gedankenleeren Modeliteratur. Nicht am wenigsten ist es sein
Werk, dass die Richtung sich, wenn nicht besserte, so doch aenderte. Spaeterhin
tritt in der allgemeinen Nichtigkeit der Einfluss der Spanier nicht weiter
hervor. Was bei ihrer lateinischen Schriftstellerei geschichtlich besonders ins
Gewicht faellt, ist das vollstaendige Anschmiegen dieser Provinzialen an die
literarische Entwicklung des Mutterlandes. Cicero freilich spottet ueber das
Ungeschick und die Provinzialismen der spanischen Dichtungsbeflissenen; und noch
Latros Latein fand nicht den Beifall des roemisch geborenen, ebenso vornehmen
wie korrekten Messalla Corvinus. Aber nach der augustischen Zeit wird nichts
Aehnliches wieder vernommen. Die gallischen Rhetoren, die grossen afrikanischen
Kirchenschriftsteller sind auch als lateinische Schriftsteller einigermassen
Auslaender geblieben; die Seneca und Martialis wuerde an ihrem Wesen und
Schreiben niemand als solche erkennen; an inniger Liebe zu der eigenen Literatur
und an feinem Verstaendnis derselben hat nie ein Italiener es dem
calagurritanischen Sprachlehrer zuvorgetan.
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^14 Die Hinkejamben (1, 61) lauten:
Hoch schaetzt des feinen Dichters Lieder Verona;
Des Ivlaro freut sich Mantua.
Pataviums grosser Livius macht der Stadt Ruhm aus
Und Stella wie ihr Flaccus auch.
Apollodoren rauscht Beifall des Nils Woge;
Von Nasos Ruhm ist Sulmo voll.
Die beiden Seneca und den einzigen Lucanus
Ruehmt das beredte Corduba.
Das lustige Gades wird den Canius sein nennen,
Emerita meinen Decian.
Also wird unser Bilbilis auf dich stolz sein,
Licinian, und auch auf mich.
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3. Kapitel
Die gallischen Provinzen
Wie Spanien war auch das suedliche Gallien bereits in republikanischer Zeit
ein Teil des Roemischen Reiches geworden, jedoch weder so frueh noch so
vollstaendig wie jenes. Die beiden spanischen Provinzen sind in der
hannibalischen, die Provinz Narbo in der gracchischen Zeit eingerichtet worden;
und wenn dort Rom die ganze Halbinsel an sich nahm, so begnuegte es sich hier
nicht bloss bis in die letzte Zeit der Republik mit dem Besitz der Kueste,
sondern es nahm auch von dieser unmittelbar nur die kleinere und die entferntere
Haelfte. Nicht mit Unrecht bezeichnete die Republik diesen ihren Besitz als das
Stadtgebiet Narbo (Narbonne); der groessere Teil der Kueste, etwa von
Montpellier bis Nizza, gehoerte der Stadt Massalia. Diese Griechengemeinde war
mehr ein Staat als eine Stadt, und das von alters her bestehende gleiche
Buendnis mit Rom erhielt durch ihre Machtstellung eine reale Bedeutung, wie sie
bei keiner zweiten Bundesstadt je vorgekommen ist. Freilich waren
nichtsdestoweniger die Roemer fuer diese benachbarten Griechen, mehr noch als
fuer die entfernteren des Ostens, der Schild wie das Schwert. Die Massalioten
hatten wohl das untere Rhonegebiet bis nach Avignon hinauf in ihrem Besitz; aber
die ligurischen und die keltischen Gaue des Binnenlandes waren ihnen keineswegs
botmaessig, und das roemische Standlager bei Aquae Sextiae (Aix), einen
Tagemarsch nordwaerts von Massalia, ist recht eigentlich zum dauernden Schutz
der reichen griechischen Kaufstadt eingerichtet worden. Es war eine der
schwerwiegendsten Konsequenzen des roemischen Buergerkrieges, dass mit der
legitimen Republik zugleich ihre treueste Verbuendete, die Stadt Massalia,
politisch vernichtet, aus einem mitherrschenden Staat umgewandelt ward in eine
auch ferner reichsfreie und griechische, aber ihre Selbstaendigkeit und ihren
Hellenismus in den bescheidenen Verhaeltnissen einer provinzialen Mittelstadt
bewahrende Gemeinde. In politischer Hinsicht ist nach der Einnahme im
Buergerkrieg nicht weiter von Massalia die Rede; die Stadt ist fortan nur fuer
Gallien, was Neapolis fuer Italien, das Zentrum griechischer Bildung und
griechischer Lehre. Insofern als der groessere Teil der spaeteren Provinz Narbo
erst damals unter unmittelbare roemische Verwaltung trat, gehoert auch deren
Einrichtung gewissermassen erst dieser Epoche an.
Wie das uebrige Gallien in roemische Gewalt kam, ist auch bereits erzaehlt
worden. Vor Caesars Gallischem Krieg erstreckte die Roemerherrschaft sich
ungefaehr bis nach Toulouse, Vienne und Genf, nach demselben bis an den Rhein in
seinem ganzen Lauf und an die Kuesten des Atlantischen Meeres im Norden wie im
Westen. Allerdings war diese Unterwerfung wahrscheinlich nicht vollstaendig, im
Nordwesten vielleicht nicht viel weniger oberflaechlich gewesen als diejenige
Britanniens. Indes erfahren wir von Ergaenzungskriegen hauptsaechlich nur
hinsichtlich der Distrikte iberischer Nationalitaet. Den Iberern gehoerte nicht
bloss der suedliche, sondern auch der noerdliche Abhang der Pyrenaeen mit deren
Vorland, Bearn, die Gascogne, das westliche Languedoc ^1; und es ist schon
erwaehnt worden, dass, als das nordwestliche Spanien mit den Roemern die letzten
Kaempfe bestand, auch auf der noerdlichen Seite der Pyrenaeen und ohne Zweifel
in Zusammenhang damit, ernsthaft gestritten wurde, zuerst von Agrippa im Jahre
716 (38), dann von Marcus Valerius Messalla, dem bekannten Patron der roemischen
Poeten, welcher im Jahre 726 (28) oder 727 (27), also ungefaehr gleichzeitig mit
dem Kantabrischen Krieg, in dem altroemischen Gebiet unweit Narbonne die
Aquitaner in offener Feldschlacht ueberwand. In Betreff der Kelten wird nichts
weiter gemeldet, als dass kurz vor der Actischen Schlacht die Moriner in der
Picardie niedergeworfen wurden; und wenn auch waehrend des zwanzigjaehrigen,
fast ununterbrochenen Buergerkrieges unsere Berichterstatter die
verhaeltnismaessig unbedeutenden gallischen Angelegenheiten aus den Augen
verloren haben moegen, so beweist doch das Schweigen des hier vollstaendigen
Verzeichnisses der Triumphe, dass keine weiteren militaerischen Unternehmungen
von Bedeutung im Keltenland waehrend dieser Zeit stattgefunden haben. Auch
nachher, waehrend der langen Regierung des Augustus und bei allen, zum Teil
recht bedenklichen Krisen der germanischen Kriege, sind die gallischen
Landschaften botmaessig geblieben. Freilich hat die roemische Regierung sowohl
wie die germanische Patriotenpartei, wie wir gesehen haben, bestaendig in
Rechnung gezogen, dass ein entscheidender Erfolg der Deutschen und deren
Einruecken in Gallien eine Erhebung der Gallier gegen Rom im Gefolge haben
werde; sicher also kann die Fremdherrschaft damals noch keineswegs gestanden
haben. Zu einer wirklichen Insurrektion kam es im Jahre 21 unter Tiberius. Es
bildete sich unter dem keltischen Adel eine weit verzweigte Verschwoerung zum
Sturz des roemischen Regiments. Sie kam vorzeitig zum Ausbruch in den wenig
bedeutenden Gauen der Turoner und der Andecaven an der unteren Loire, und es
wurde sogleich nicht bloss die kleine Lyoner Besatzung, sondern auch ein Teil
der Rheinarmee gegen die Aufstaendischen in Marsch gesetzt. Dennoch schlossen
die angesehensten Distrikte sich an; die Treuerer unter Fuehrung des Iulius
Florus warfen sich haufenweise in die Ardennen; in der unmittelbaren
Nachbarschaft von Lyon erhoben sich unter Fuehrung des Iulius Sacrovir die
Haeduer und die Sequaner. Freilich wurden die geschlossenen Legionen ohne grosse
Muehe der Rebellen Herr; allein der Aufstand, an dem die Germanen sich in keiner
Weise beteiligten, zeigt doch den im Lande und namentlich bei dem Adel damals
noch herrschenden Hass gegen die fremden Gebieter, welcher durch den Steuerdruck
und die Finanznot, die als die Ursachen der Insurrektion bezeichnet werden,
gewiss verstaerkt, aber nicht erst erzeugt war. Eine groessere Leistung der
roemischen Staatskunst, als dass sie Galliens Herr zu werden vermocht hat, ist
es, dass sie verstanden hat, es zu bleiben, und dass Vercingetorix keinen
Nachfolger gefunden hat, obwohl es, wie man sieht, nicht ganz an Maennern
fehlte, die gern den gleichen Weg gewandelt waeren. Erreicht ward dies durch
kluge Verbindung des Schreckens und des Gewinnens, man kann hinzusetzen des
Teilens. Die Staerke und die Naehe der Rheinarmee ist ohne Frage das erste und
das wirksamste Mittel gewesen, um die Gallier in der Furcht des Herrn zu
erhalten. Wenn dieselbe durch das ganze Jahrhundert hindurch auf der gleichen
Hoehe geblieben ist, wie dies in dem folgenden Abschnitt dargelegt werden wird,
so ist dies wahrscheinlich ebenso sehr der eigenen Untertanen wegen geschehen,
als wegen der spaeterhin keineswegs besonders furchtbaren Nachbarn. Dass schon
die zeitweilige Entfernung dieser Truppen die Fortdauer der roemischen
Herrschaft in Frage stellte, nicht weil die Germanen dann den Rhein
ueberschreiten, sondern weil die Gallier den Roemern die Treue aufsagen konnten,
lehrt die Erhebung nach Neros Tod trotz ihrer Haltlosigkeit: nachdem die Truppen
nach Italien abgezogen waren, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, wurde in
Trier das selbstaendige Gallische Reich proklamiert und die uebriggebliebenen
roemischen Soldaten auf dieses in Eid und Pflicht genommen. Aber wenn auch diese
Fremdherrschaft, wie jede, auf der uebermaechtigen Gewalt, der Ueberlegenheit
der geschlossenen und geschulten Truppe ueber die Menge zunaechst und
hauptsaechlich beruhte, so beruhte sie doch darauf keineswegs ausschliesslich.
Die Kunst des Teilens ist auch hier erfolgreich angewandt worden. Gallien
gehoerte nicht den Kelten allein; nicht bloss die Iberer waren im Sueden stark
vertreten, sondern auch germanische Staemme am Rhein in betraechtlicher Zahl
angesiedelt und durch ihre hervorragende kriegerische Tuechtigkeit mehr noch als
durch ihre Zahl von Bedeutung. In geschickter Weise wusste die Regierung den
Gegensatz zwischen den Kelten und den linksrheinischen Germanen zu naehren und
auszunutzen. Aber maechtiger wirkte die Politik der Verschmelzung und der
Versoehnung. Welche Massregeln zu diesem Zwecke ergriffen wurden, wird weiterhin
auseinandergesetzt werden; indem die Gauverfassung geschont und selbst eine Art
nationaler Vertretung bewilligt, gegen das nationale Priestertum auch, aber
allmaehlich vorgegangen ward, dagegen die lateinische Sprache von Anfang an
obligatorisch und mit jener nationalen Vertretung die neue Kaiserreligion
verschmolzen wurde, ueberhaupt indem die Romanisierung nicht in schroffer Weise
angefasst, aber vorsichtig und geduldig gefoerdert ward, hoerte die roemische
Fremdherrschaft in dem Keltenland auf, dies zu sein, da die Kelten selber Roemer
wurden und sein wollten. Wie weit die Arbeit bereits nach Ablauf des ersten
Jahrhunderts der Roemerherrschaft in Gallien gediehen war, zeigen die eben
erwaehnten Vorgaenge nach Neros Tod, die in ihrem Gesamtverlauf teils der
Geschichte des roemischen Gemeinwesens, teils den Beziehungen desselben zu den
Germanen angehoeren, aber auch in diesem Zusammenhang wenigstens andeutungsweise
erwaehnt werden muessen. Der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie ging von
einem keltischen Adligen aus und begann mit einer keltischen Insurrektion; aber
es war dies keine Auflehnung gegen die Fremdherrschaft wie die des Vercingetorix
oder noch des Sacrovir, ihr Ziel nicht die Beseitigung, sondern die Umgestaltung
des roemischen Regiments; dass ihr Fuehrer seine Abstammung von einem Bastard
Caesars zu den Adelsbriefen seines Geschlechts zaehlte, drueckt den halb
nationalen, halb roemischen Charakter dieser Bewegung deutlich aus. Einige
Monate spaeter proklamierten allerdings, nachdem die abgefallenen roemischen
Truppen germanischer Herkunft und die freien Germanen fuer den Augenblick die
roemische Rheinarmee ueberwaeltigt hatten, einige keltische Staemme die
Unabhaengigkeit ihrer Nation, aber dieser Versuch scheiterte klaeglich, nicht
erst durch das Einschreiten der Regierung, sondern schon an dem Widerspruch der
grossen Majoritaet der Keltengaue selbst, die den Abfall von Rom nicht wollen
konnten und nicht wollten. Die roemischen Namen der fuehrenden Adligen, die
lateinische Aufschrift der Insurrektionsmuenzen, die durchgehende Travestie der
roemischen Ordnungen zeigen auf das deutlichste, dass die Befreiung der
keltischen Nation von dem Joch der Fremden im Jahre 70 n. Chr. deshalb nicht
mehr moeglich war, weil es eine solche Nation nicht mehr gab und die roemische
Herrschaft nach Umstaenden als ein Joch, aber nicht mehr als Fremdherrschaft
empfunden ward. Waere eine solche Gelegenheit zur Zeit der Schlacht bei Philippi
oder noch unter Tiberius den Kelten geboten worden, so waere der Aufstand wohl
auch nicht anders, aber in Stroemen Bluts verlaufen; jetzt verlief er im Sande.
Wenn einige Dezennien nach diesen schweren Krisen die Rheinarmee betraechtlich
reduziert ward, so hatten eben sie den Beweis geliefert, dass die Gallier in
ihrer grossen Mehrzahl nicht mehr daran dachten, sich von den Italienern zu
scheiden, und die vier Generationen, die seit der Eroberung sich gefolgt waren,
ihr Werk getan hatten. Was spaeter dort vorgeht, sind Krisen innerhalb der
roemischen Welt. Als diese auseinanderzubrechen drohte, sonderte sich fuer
einige Zeit wie der Osten so auch der Westen von dem Zentrum des Reiches ab;
aber der Sonderstaat des Postumus war das Werk der Not, nicht der Wahl, und auch
die Sonderung nur eine faktische; die Imperatoren, die ueber Gallien, Britannien
und Spanien geboten, haben gerade ebenso auf die Beherrschung des ganzen Reiches
Anspruch gemacht wie ihre italischen Gegenkaiser. Gewiss blieben genug Spuren
des alten keltischen Wesens und auch der alten keltischen Unbaendigkeit. Wie der
Bischof Hilarius von Poitiers, selbst ein Gallier, ueber das trotzige Wesen
seiner Landsleute klagt, so heissen die Gallier auch in den spaeteren
Kaiserbiographien stoerrig und unregierlich und geneigt zur Widersetzlichkeit,
so dass ihnen gegenueber Konsequenz und Strenge des Regiments besonders
erforderlich erscheint. Aber an eine Trennung vom Roemischen Reich oder gar an
eine Lossagung von der roemischen Nationalitaet, soweit es ueberhaupt eine
solche damals gab, ist in diesen spaeteren Jahrhunderten nirgends weniger
gedacht worden als in Gallien; vielmehr fuellt die Entwicklung der roemisch-
gallischen Kultur, zu welcher Caesar und Augustus den Grund gelegt haben, die
spaetere roemische Epoche ebenso aus wie das Mittelalter und die Neuzeit.
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^1 Das iberische Muenzgebiet reicht entschieden ueber die Pyrenaeen
hinueber, wenn auch die einzelnen Muenzaufschriften, welche unter anderm auf
Perpignan und Narbonne bezogen werden, nicht sicherer Deutung sind. Da alle
diese Praegungen unter roemischer Autorisation stattgefunden haben, so legt dies
die Frage nahe, ob nicht frueher, namentlich vor der Gruendung von Narbo (636
118), dieser Teil der spaeteren Narbonensis unter dem Statthalter des
Diesseitigen Spaniens gestanden hat. Aquitanische Muenzen mit iberischer
Aufschrift gibt es nicht, so wenig wie aus dem nordwestlichen Spanien,
wahrscheinlich, weil die roemische Oberherrschaft, unter deren Tutel diese
Praegung erwachsen ist, solange dieselbe dauerte, das heisst vielleicht bis zum
Numantinischen Krieg, jene Gebiete nicht umfasste.
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Die Regulierung Galliens ist das Werk des Augustus. Bei derjenigen der
Reichsverwaltung nach dem Schluss der Buergerkriege kam das gesamte Gallien, so
wie es Caesar uebertragen oder von ihm hinzugewonnen worden war, nur mit
Ausschluss des inzwischen mit Italien vereinigten Gebiets diesseits der Alpen,
unter kaiserliche Verwaltung. Unmittelbar nachher begab Augustus sich nach
Gallien und vollzog im Jahre 727 (27) in der Hauptstadt Lugudunum die Schatzung
der gallischen Provinz, wodurch die durch Caesar zum Reiche gekommenen
Landesteile zuerst einen geordneten Kataster erhielten und fuer sie die
Steuerzahlung reguliert ward. Er verweilte damals nicht lange, da die spanischen
Angelegenheiten seine Gegenwart erheischten. Aber die Durchfuehrung der neuen
Ordnung stiess auf grosse Schwierigkeiten und vielfach auf Widerstand; es sind
nicht bloss militaerische Angelegenheiten gewesen, welche Agrippas Aufenthalt in
Gallien im Jahre 735 (19) und den des Kaisers selbst waehrend der Jahre 738-741
(16-13) veranlassten; und die dem kaiserlichen Hause angehoerigen Statthalter
oder Kommandofuehrer am Rhein, Augustus' Stiefsohn Tiberius 738 (16), dessen
Bruder Drusus 742-745 (12-9), wieder Tiberius 745-747 (9-7), 757-759 (3-5 n.
Chr.), 763-765 (9-11 n. Chr.), dessen Sohn Germanicus 766-769 (12-15 n. Chr.),
hatten alle auch die Aufgabe, die Organisation Galliens weiterzufuehren. Das
Friedenswerk war sicher nicht minder schwierig und nicht minder wichtig als die
Waffengaenge am Rhein; man erkennt dies darin, dass der Kaiser die
Fundamentierung selbst in die Hand nahm und die Durchfuehrung den naechst- und
hoechstgestellten Maennern des Reiches anvertraute. Die von Caesar im Drange der
Buergerkriege getroffenen Festsetzungen haben erst in diesen Jahren diejenige
Gestalt bekommen, welche sie dann im wesentlichen behielten. Sie erstreckten
sich ueber die alte wie ueber die neue Provinz; indes gab Augustus das
altroemische Gebiet nebst dem von Massalia vom Mittelmeer bis an die Cevennen
schon im Jahre 732 (22) an die senatorische Regierung ab und behielt nur
Neugallien in eigener Verwaltung. Dieses immer noch sehr ausgedehnte Gebiet
wurde dann in drei Verwaltungsbezirke aufgeloest, deren jedem ein selbstaendiger
kaiserlicher Statthalter vorgesetzt wurde. Diese Einteilung knuepfte an an die
schon von dem Diktator Caesar vorgefundene und auf den nationalen Gegensaetzen
beruhende Dreiteilung des Keltenlandes in das von Iberern bewohnte Aquitanien,
das rein keltische Gallien und das keltisch-germanische Gebiet der Bellten; auch
ist wohl beabsichtigt worden, diese den Ausbau der roemischen Herrschaft
foerdernden Gegensaetze einigermassen in der administrativen Teilung zum
Ausdruck zu bringen. Indes ist dies nur annaehernd durchgefuehrt worden und
konnte auch praktisch nicht anders realisiert werden. Das rein keltische Gebiet
zwischen Garonne und Loire ward zu dem allzu kleinen iberischen Aquitanien
hinzugelegt, das gesamte linksrheinische Ufer vom Lemansee bis zur Mosel mit der
Belgica vereinigt, obwohl die meisten dieser Gaue keltisch waren; ueberhaupt
ueberwog der Keltenstamm in dem Grade, dass die vereinigten Provinzen die "drei
Gallien" heissen konnten. Von der Bildung der beiden sogenannten Germanien,
nominell dem Ersatz fuer die verlorene oder nicht zustande gekommene wirklich
germanische Provinz, der Sache nach der gallischen Militaergrenze, wird in dem
folgenden Abschnitt die Rede sein.
Die rechtlichen Verhaeltnisse wurden in durchaus verschiedener Weise fuer
die alte Provinz Gallien und fuer die drei neuen geordnet: jene wurde sofort und
vollstaendig latinisiert, in dieser zunaechst nur das bestehende nationale
Verhaeltnis reguliert. Dieser Gegensatz der Verwaltung, welcher weit tiefer
eingreift als die formale Verschiedenheit der senatorischen und der kaiserlichen
Administration, hat wohl die noch heute nachwirkende Verschiedenheit der Laender
der Langue d'oc und der Provence zu denen der Langue d'oui zunaechst und
hauptsaechlich herbeigefuehrt.
Soweit wie die Romanisierung Suedspaniens war die des gallischen Suedens in
republikanischer Zeit nicht vorgeschritten. Die zwischen den beiden Eroberungen
liegenden achtzig Jahre waren nicht rasch einzuholen; die Truppenlager in
Spanien waren bei weitem staerker und stetiger als die gallischen, die Staedte
latinischer Art dort zahlreicher als hier. Wohl war auch hier in der Zeit der
Gracchen und unter ihrem Einfluss Narbo gegruendet worden, die erste eigentliche
Buergerkolonie jenseits des Meeres; aber sie blieb vereinzelt und im
Handelsverkehr zwar Rivalin von Massalia, aber allem Anscheine nach an Bedeutung
ihr keineswegs gleich. Aber als Caesar anfing, die Geschicke Roms zu leiten,
wurde vor allem hier, in diesem Lande seiner Wahl und seines Sterns, das
Versaeumte nachgeholt. Die Kolonie Narbo wurde verstaerkt und war unter Tiberius
die volkreichste Stadt im gesamten Gallien. Dann wurden, hauptsaechlich auf dem
von Massalia abgetretenen Gebiet, vier neue Buergergemeinden angelegt, darunter
die bedeutendsten militaerisch Forum Iulii (Frejus), Hauptstation der neuen
Reichsflotte, fuer den Verkehr Arelate (Arles) an der Rhonemuendung, das bald,
als Lyon sich hob und der Verkehr sich wieder mehr nach der Rhone zog, Narbo
ueberfluegelnd, die rechte Erbin Massalias und das grosse Emporium des gallisch-
italischen Handels ward. Was er selbst noch und was sein Sohn in diesem Sinne
geschaffen hat, ist nicht bestimmt zu unterscheiden, und geschichtlich kommt
darauf auch wenig an; wenn irgendwo, war hier Augustus nichts als der
Testamentsvollstrecker Caesars. Ueberall weicht die keltische Gauverfassung der
italischen Gemeinde. Der Gau der Volker im Kuestengebiet, frueher den
Massalioten untertaenig, empfing durch Caesar latinische Gemeindeverfassung in
der Weise, dass die "Praetoren" der Volker dem ganzen, 24 Ortschaften
umfassenden Bezirk vorstanden ^2, bis dann bald darauf die alte Ordnung auch dem
Namen nach verschwand und an die Stelle des Gaus der Volker die latinische Stadt
Nemausus (Nimes) trat. Aehnlich erhielt der ansehnlichste aller Gaue dieser
Provinz, der der Allobrogen, welche das Land noerdlich der Isere und oestlich
der mittleren Rhone, von Valence und Lyon bis in die savoyischen Berge und an
den Lemansee in Besitz hatten, wahrscheinlich bereits durch Caesar eine gleiche
staedtische Organisation und italisches Recht, bis dann Kaiser Gaius der Stadt
Vienna das roemische Buergerrecht gewaehrte. Ebenso wurden in der gesamten
Provinz die groesseren Zentren durch Caesar oder in der ersten Kaiserzeit nach
latinischem Recht organisiert, so Ruscino (Roussillon), Avennio (Avignon), Aquae
Sextiae (Aix), Apta (Apt). Schon am Schluss der augustischen Zeit war die
Landschaft an beiden Ufern der unteren Rhone in Sprache und Sitte vollstaendig
romanisiert, die Gauverfassung wahrscheinlich in der gesamten Provinz bis auf
geringe Ueberreste beseitigt. Die Buerger der Gemeinden, denen das
Reichsbuergerrecht verliehen war, und nicht minder die Buerger derjenigen
latinischen Rechts, welche durch den Eintritt in das Reichsheer oder durch
Bekleidung von Aemtern in ihrer Heimatstadt fuer sich und ihre Nachkommen das
Reichsbuergerrecht erworben hatten, standen rechtlich den Italienern
vollstaendig gleich und gelangten gleich ihnen im Reichsdienst zu Aemtern und
Ehren.
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^2 Das zeigt die merkwuerdige Inschrift von Avignon (Herzog, Galliae
Narbonensis historia, descriptio, institutorum compositio. Leipzig 1864 n. 403):
T. Carisius T. f. pr(aetor) Volcar(um) dar, das aelteste Zeugnis fuer die
roemische Ordnung des Gemeinwesens in diesen Gegenden.
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Dagegen in den drei Gallien gab es Staedte roemischen und latinischen
Rechts nicht, oder vielmehr es gab dort nur eine solche ^3, die eben darum auch
zu keiner der drei Provinzen oder zu allen gehoerte, die Stadt Lugudunum (Lyon).
Am aeussersten Suedrand des kaiserlichen Gallien, unmittelbar an der Grenze der
staedtisch geordneten Provinz, am Zusammenfluss der Rhone und der Saone, an
einer militaerisch wie kommerziell gleich wohlgewaehlten Stelle war waehrend der
Buergerkriege, zunaechst infolge der Vertreibung einer Anzahl in Vienna
ansaessiger Italiener ^4, im Jahre 711 (43) diese Ansiedlung entstanden, nicht
hervorgegangen aus einem Keltengau ^5 und daher auch immer mit eng beschraenktem
Gebiet, sondern von Haus aus von Italienern gebildet und im Besitz des vollen
roemischen Buergerrechts, einzig in ihrer Art dastehend unter den Gemeinden der
drei Gallien, den Rechtsverhaeltnissen nach einigermassen wie Washington in dem
nordamerikanischen Bundesstaat. Diese einzige Stadt der drei Gallien wurde
zugleich die gallische Hauptstadt. Eine gemeinschaftliche Oberbehoerde hatten
die drei Provinzen nicht und von hohen Reichsbeamten hatte dort nur der
Statthalter der mittleren oder der lugudunensischen Provinz seinen Sitz; aber
wenn Kaiser oder Prinzen in Gallien verweilten, residierten sie regelmaessig in
Lyon. Lyon war neben Karthago die einzige Stadt der lateinischen Reichshaelfte,
welche nach dem Muster der hauptstaedtischen Garnison eine staendige Besatzung
erhielt ^6. Die einzige Muenzstaette fuer Reichsgeld, die wir im Westen fuer die
fruehere Kaiserzeit mit Sicherheit nachweisen koennen, ist die von Lyon. Hier
war die Zentralstelle des ganz Gallien umfassenden Grenzzolles, hier der
Knotenpunkt des gallischen Strassennetzes. Aber nicht bloss alle
Regierungsanstalten, welche Gallien gemeinschaftlich waren, hatten ihren
geborenen Sitz in Lyon, sondern diese Roemerstadt wurde auch, wie wir weiterhin
sehen werden, der Sitz des keltischen Landtags der drei Provinzen und aller
daran sich knuepfenden politischen und religioesen Institutionen, seiner Tempel
und seiner Jahresfeste. Also bluehte Lugudunum rasch empor, gefoerdert durch die
mit der Metropolenstellung verbundene reiche Dotation und die fuer den Handel
ungemein guenstige Lage. Ein Schriftsteller aus Tiberius' Zeit bezeichnet sie
als die zweite in Gallien nach Narbo; spaeterhin nimmt sie daselbst den Platz
neben oder vor ihrer Rhoneschwester Arelate. Bei der Feuersbrunst, die im Jahre
64 einen grossen Teil Roms in Asche legte, sandten die Lugudunenser den
Abgebrannten eine Beihilfe von 4 Millionen Sesterzen (870000 Mark), und als ihre
eigene Stadt im naechsten Jahr dasselbe Schicksal in noch haerterer Weise traf,
steuerte auch ihnen das ganze Reich seinen Beitrag und sandte der Kaiser die
gleiche Summe aus seiner Schatulle. Glaenzender als zuvor erstand die Stadt aus
ihren Ruinen, und sie ist fast durch zwei Jahrtausende unter allen Zeitlaeuften
eine Grossstadt geblieben bis auf den heutigen Tag. In der spaeteren Kaiserzeit
freilich tritt sie zurueck hinter Trier. Die Stadt der Treverer, Augusta genannt
wahrscheinlich von dem ersten Kaiser, gewann bald in der Belgica den ersten
Platz; wenn noch in Tiberius' Zeit Durocortorum der Remer (Reims) die
volkreichste Ortschaft der Provinz und der Sitz der Statthalter genannt wird, so
teilt bereits ein Schriftsteller aus der Zeit des Claudius den Primat daselbst
dem Hauptort der Treverer zu. Aber die Hauptstadt Galliens ^7, man darf
vielleicht sagen des Okzidents, ist Trier erst geworden durch die Umgestaltung
der Reichsverwaltung unter Diocletian. Seit Gallien, Britannien und Spanien
unter einer Oberverwaltung stehen, hat diese ihren Sitz in Trier, und seitdem
ist Trier auch, wenn die Kaiser in Gallien verweilen, deren regelmaessige
Residenz und, wie ein Grieche des 5. Jahrhunderts sagt, die groesste Stadt
jenseits der Alpen. Indes die Epoche, wo dieses Rom des Nordens seine Mauern und
seine Thermen empfing, die wohl genannt werden duerfen neben den Stadtmauern der
roemischen Koenige und den Baedern der kaiserlichen Reichshauptstadt, liegt
jenseits unserer Darstellung. Durch die ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit
ist Lyon das roemische Zentrum des Keltenlandes geblieben, und nicht bloss, weil
es an Volkszahl und Reichtum den ersten Platz einnahm, sondern weil es, wie
keine andere des gallischen Nordens und nur wenige des Suedens, eine von Italien
aus gegruendete und nicht nur dem Recht, sondern dem Ursprung und dem Wesen nach
roemische Stadt war.
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^3 Nur etwa Noviodunum (Nyon am Genfer See) kann in den drei Gallien der
Anlage nach mit Lugudunum zusammengestellt werden; aber da diese Gemeinde
spaeter als civitas Equestrium auftritt (Inscr. Helv. 115), so scheint sie unter
die Gaue eingereiht zu sein, was von Lugudunum nicht gilt.
^4 Die aus Vienna von den Allobrogen frueher Vertriebenen (oi ek Oyienn/e/s
t/e/s Narbon/e/sias ypo t/o/n Allobrig/o/n pote ekpesontes) bei Dio 46, 50
koennen nicht wohl andere gewesen sein als roemische Buerger, da die Gruendung
einer Buergerkolonie zu ihren Gunsten nur unter dieser Voraussetzung sich
begreift. Die "fruehere" Vertreibung stand wohl in Zusammenhang mit dem
Allobrogenaufstand unter Catugnatus im Jahre 693 (61). Die Erklaerung, warum die
Vertriebenen nicht zurueckgefuehrt, sondern anderweitig angesiedelt wurden,
fehlt, aber es lassen sich dafuer mancherlei Veranlassungen denken, und die
Tatsache selbst wird dadurch nicht in Zweifel gestellt. Die der Stadt
zufliessenden Renten (Tac. hist. 1, 65) moegen ihr wohl auf Kosten von Vienna
verliehen worden sein.
^5 Der Boden gehoerte frueher den Segusiavern (Plin. nat. 4, 18, 107;
Strab. p. 186, 192), einem der kleinen Klientelgaue der Haeduer (Caes. Gall. 7,
75); aber in der Gaueinteilung zaehlt sie nicht zu diesen, sondern steht fuer
sich als m/e/tropolis (Ptol. geogr. 2, 8, 11 u. 12).
^6 Dies sind die 1200 Soldaten, mit welchen, wie der Judenkoenig Agrippa
bei Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) sagt, die Roemer das gesamte Gallien in
Botmaessigkeit halten.
^7 Nichts ist so bezeichnend fuer die Stellung Triers in dieser Zeit als
die Verordnung des Kaisers Gratianus vom Jahre 376 (Cod. Theod. 13, 3, 11), dass
den Professoren der Rhetorik und der Grammatik beider Sprachen in saemtlichen
Hauptstaedten der damaligen siebzehn gallischen Provinzen zu ihrem staedtischen
Gehalt die gleiche Zulage aus der Staatskasse gegeben, fuer Trier aber diese
hoeher bemessen werden solle.
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Wie fuer die Organisation der Suedprovinz die italische Stadt die Grundlage
war, so fuer die noerdliche der Gau, und zwar ueberwiegend derjenige der
keltischen ehemaligen Staats-, jetzigen Gemeindeordnung. Die Bedeutung des
Gegensatzes von Stadt und Gau ist nicht zunaechst abhaengig von seinem Inhalt;
selbst wenn er ein bloss rechtlich formaler gewesen waere, haette er die
Nationalitaeten geschieden, auf der einen Seite das Gefuehl der Zugehoerigkeit
zu Rom, auf der andern Seite das der Fremdartigkeit geweckt und geschaerft. Hoch
darf fuer diese Zeit die praktische Verschiedenheit der beiden Ordnungen nicht
angeschlagen werden, da die Elemente der Gemeindeordnung, die Beamten, der Rat,
die Buergerversammlung, dort wie hier dieselben waren und etwa frueher
vorhandene, tiefer gehende Gegensaetze von der roemischen Oberherrschaft
schwerlich lange geduldet wurden. Daher hat auch der Uebergang von der
Gauordnung zu der staedtischen sich haeufig und ohne Anstoss, man kann
vielleicht sagen im Laufe der Entwicklung mit einer gewissen Notwendigkeit von
selber vollzogen. Infolgedessen treten die qualitativen Unterschiede der beiden
Rechtsformen in unserer Ueberlieferung wenig hervor. Dennoch war der Gegensatz
sicher nicht ein bloss nomineller, sondern es bestanden in den Befugnissen der
verschiedenen Gewalten, in Rechtspflege, Besteuerung, Aushebung,
Verschiedenheiten, die fuer die Administration, teils an sich, teils infolge der
Gewoehnung, von Bedeutung waren oder doch bedeutend schienen. Bestimmt erkennbar
ist der quantitative Gegensatz. Die Gaue, wenigstens wie sie bei den Kelten und
den Germanen auftreten, sind durchgaengig mehr Voelkerschaften als Ortschaften;
dieses sehr wesentliche Moment ist allen keltischen Gebieten eigentuemlich und
selbst durch die spaeter eintretende Romanisierung oft mehr verdeckt als
verwischt. Mediolanum und Brixia haben ihre weiten Grenzen und ihre dauernde
Potenz wesentlich dem zu danken, dass sie eigentlich nichts sind als die Gaue
der Insubrer und der Cenomanen. Dass das Territorium der Stadt Vienna die
Dauphine und Westsavoyen umfasst und die ebenso alten und fast ebenso
ansehnlichen Ortschaften Cularo (Grenoble) und Genava (Genf) bis in die spaete
Kaiserzeit dem Rechte nach Doerfer der Kolonie Vienna sind, erklaert sich
ebenfalls daraus, dass dieses der spaetere Name der Voelkerschaft der Allobrogen
ist. In den meisten keltischen Gauen ueberwiegt eine Ortschaft so durchaus, dass
es einerlei ist, ob man die Remer oder Durocortorum, die Bituriger oder
Burdigala nennt; aber es kommt auch das Gegenteil vor, wie zum Beispiel bei den
Vocontiern Vasio (Vaison) und Lucus, bei den Carnuten Autricum (Chartres) und
Cenabum (Orleans) sich die Waage halten; und ob die Vorrechte, die nach
italischer und griechischer Ordnung sich selbstverstaendlich der Flur gegenueber
an den Mauerring knuepfen, bei den Kelten rechtlich oder auch nur tatsaechlich
in aehnlicher Weise geordnet waren, ist mehr als fraglich. Das Gegenbild fuer
diesen Gau im griechisch-italischen Westen ist viel weniger die Stadt als die
Voelkerschaft; die Carnuten hat man mit den Boeotern zu gleichen, Autricum und
Cenabum mit Tanagra und Thespiae. Die Besonderheit der Stellung der Kelten unter
der roemischen Herrschaft gegenueber anderen Nationen, den Iberern zum Beispiel
und den Hellenen, beruht darauf, dass diese groesseren Verbaende dort als
Gemeinden fortbestanden, hier diejenigen Bestandteile, aus denen sie sich
zusammensetzten, die Gemeinden bildeten. Dabei moegen aeltere, der vorroemischen
Zeit angehoerige Verschiedenheiten der nationalen Entwicklung mitgewirkt haben;
es mag wohl leichter ausfuehrbar gewesen sein, den Boeotern den
gemeinschaftlichen Staedtetag zu nehmen, als die Helvetier in ihre vier
Distrikte aufzuloesen; politische Verbaende behaupten sich auch nach der
Unterwerfung unter eine Zentralgewalt da, wo ihre Aufloesung die Desorganisation
herbeifuehren wuerde. Dennoch ist, was in Gallien durch Augustus oder, wenn man
will durch Caesar geschah, nicht durch den Zwang der Verhaeltnisse
herbeigefuehrt worden, sondern hauptsaechlich durch den freien Entschluss der
Regierung, wie er auch allein zu der uebrigens gegen die Kelten geuebten
Schonung passt. Denn es gab in der Tat in der vorroemischen Zeit und noch zur
Zeit der Caesarischen Eroberung eine bei weitem groessere Anzahl von Gauen, als
wir sie spaeter finden; namentlich ist es bemerkenswert, dass die zahlreichen,
durch Klientel einem groesseren Gau angeschlossenen kleineren in der Kaiserzeit
nicht selbstaendig geworden, sondern verschwunden sind ^8. Wenn spaeterhin das
Keltenland geteilt erscheint in eine maessige Anzahl bedeutender, zum Teil sogar
sehr grosser Gaudistrikte, innerhalb deren abhaengige Gaue nirgends zum
Vorschein kommen, so ist diese Ordnung freilich durch das vorroemische
Klientelwesen angebahnt, aber erst durch die roemische Reorganisation
vollstaendig durchgefuehrt worden. Dieser Fortbestand und diese Steigerung der
Gauverfassung wird fuer die weitere politische Entwicklung Galliens vor allem
bestimmend gewesen sein. Wenn die tarraconensische Provinz in 293 selbstaendige
Gemeinden zerfiel, so zaehlten die drei Gallien zusammen, wie wir sehen werden,
deren nicht mehr als 64. Die Einheit und ihre Erinnerungen blieben ungebrochen;
die eifrige Verehrung, die die ganze Kaiserzeit hindurch dem Quellgott Nemausus
bei den Volkern gezollt wurde, zeigt, wie selbst hier, im Sueden des Landes und
in einem zur Stadt umgewandelten Gau die traditionelle Zusammengehoerigkeit noch
immer lebendig empfunden ward. In dieser Art innerlich fest zusammenhaltende
Gemeinden mit weiten Grenzen waren eine Macht. Wie Caesar die gallischen
Gemeinden vorfand, mit einer in voelliger politischer wie oekonomischer
Abhaengigkeit gehaltenen Volksmasse und einem uebermaechtigen Adel, so sind sie
im wesentlichen auch unter roemischer Herrschaft geblieben; genau wie in
vorroemischer Zeit die grossen Adligen mit ihrem nach Tausenden zaehlenden
Gesinde von Hoerigen und Schuldknechten ein jeder in seiner Heimat die Herren
spielten, so schildert uns Tacitus in Tiberius' Zeit die Zustaende bei den
Treverern. Das roemische Regiment gab der Gemeinde weitgehende Rechte, sogar
eine gewisse Militaergewalt, so dass sie unter Umstaenden Festungen einzurichten
und besetzt zu halten befugt war, wie dies bei den Helvetiern vorkommt, die
Beamten die Buergerwehr aufbieten konnten und in diesem Falle Offiziersrecht und
Offiziersrang hatten. Diese Befugnis war nicht dieselbe in den Haenden des
Vorstehers einer kleinen Stadt Andalusiens und desjenigen eines Bezirkes an der
Loire oder der Mosel vom Umfang einer kleinen Provinz. Die weitherzige Politik
Caesars des Vaters, auf den die Grundzuege dieses Systems notwendig
zurueckgefuehrt werden muessen, zeigt sich hier in ihrer ganzen grossartigen
Ausdehnung.
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^8 Bei Caesar erscheinen wohl, im grossen und ganzen genommen, dieselben
Gaue, wie sie dann in der augustischen Ordnung vertreten sind, aber zugleich
vielfache Spuren kleinerer Klientelverbaende (vgl. 3, 249); so werden als
"Klienten" der Haeduer genannt die Segusiaver, die Ambivareten, die Aulerker
Brannoviker und die Brannovier (Caes. Gall. 7, 75), als Klienten der Treuerer
die Condruser (Caes. Gall. 4; 6), als solche der Helvetier die Tulinger und
Latobrigen. Mit Ausnahme der Segusiaver fehlen diese alle auf dem Lyoner
Landtage. Dergleichen kleinere, nicht voellig in die Vororte aufgegangene Gaue
mag es in Gallien zur Zeit der Unterwerfung in grosser Zahl gegeben haben. Wenn
nach Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) den Roemern 305 gallische Gaue und 1200
Staedte gehorchten, so moegen dies die Ziffern sein, die fuer Caesars
Waffenerfolge herausgerechnet worden sind; wenn die kleinen iberischen Voelker
in Aquitanien und die Klientelgaue im Keltenland mitgezaehlt wurden, konnten
dergleichen Zahlen wohl herauskommen.
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Aber die Regierung beschraenkte sich nicht darauf, die Gauordnung den
Kelten zu lassen; sie liess oder gab ihnen vielmehr auch eine nationale
Verfassung, soweit eine solche mit der roemischen Oberherrschaft sich
vereinbaren liess. Wie der hellenischen Nation, so verlieh Augustus der
gallischen eine organisierte Gesamtvertretung, welche dort wie hier in der
Epoche der Freiheit und der Zerfahrenheit wohl erstrebt, aber nie erreicht
worden war. Unter dem Huegel, den die Hauptstadt Galliens kroente, da wo die
Saone ihr Wasser mit dem der Rhone mischt, weihte am 1. August des Jahres 742
(12) der kaiserliche Prinz Drusus als Vertreter der Regierung in Gallien der
Roma und dem Genius des Herrschers den Altar, an welchem fortan jedes Jahr an
diesem Tage diesen Goettern von der Gemeinschaft der Gallier die Festfeier
abgehalten werden sollte. Die Vertreter der saemtlichen Gaue waehlten aus ihrer
Mitte Jahr fuer Jahr den "Priester der drei Gallien", und dieser brachte am
Kaisertag das Kaiseropfer dar und leitete die dazu gehoerigen Festspiele. Diese
Landesvertretung hatte nicht bloss eine eigene Vermoegensverwaltung mit Beamten,
welche den vornehmen Kreisen des provinzialen Adels angehoerten, sondern auch
einen gewissen Anteil an den allgemeinen Landesangelegenheiten. Von
unmittelbarem Eingreifen derselben in die Politik findet sich allerdings keine
andere Spur, als dass bei der ernsten Krise des Jahres 70 der Landtag der "drei
Gallien" die Treverer von der Auflehnung gegen Rom abmahnte; aber er hatte und
gebrauchte das Recht der Beschwerdefuehrung ueber die in Gallien fungierenden
Reichs- und Hausbeamten und wirkte ferner mit wenn nicht bei der Auflegung, so
doch bei der Repartition der Steuern ^9, zumal da diese nicht nach den einzelnen
Provinzen, sondern fuer Gallien insgemein angelegt wurden. Aehnliche
Einrichtungen hat allerdings die Kaiserregierung in allen Provinzen ins Leben
gerufen, in einer jeden nicht bloss die sakrale Zentralisierung eingefuehrt,
sondern auch, was die Republik nicht getan hatte, einer jeden ein Organ
verliehen, um Bitten und Klagen vor die Regierung zu bringen. Dennoch hat
Gallien in dieser Hinsicht vor allen uebrigen Reichsteilen wenigstens ein
tatsaechliches Privilegium, wie sich denn diese Institution auch allein hier
voll entwickelt findet ^10. Einmal steht der vereinigte Landtag der drei
Provinzen den Legaten und Prokuratoren einer jeden notwendig unabhaengiger
gegenueber als zum Beispiel der Landtag von Thessalonike dem Statthalter von
Makedonien. Sodann aber kommt es bei Institutionen dieser Art weit weniger auf
das Mass der verliehenen Rechte an, als auf das Gewicht der darin vertretenen
Koerperschaften; und die Staerke der einzelnen gallischen Gemeinden uebertrug
sich ebenso auf den Landtag von Lyon wie die Schwaeche der einzelnen
hellenischen auf den von Argos. In der Entwicklung Galliens unter den Kaisern
hat der Landtag von Lyon allem Anschein nach diejenige allgemein gallische
Homogenitaet, welche daselbst mit der Latinisierung Hand in Hand geht,
wesentlich gefoerdert.
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^9 Darauf fuehrt ausser der Inschrift bei Boissieu, Lyon, S. 609, wo die
Worte tot[i]us cens[us Galliarum] mit dem Namen eines der Altarpriester in
Verbindung gebracht werden, die Ehreninschrift, welche die drei Gallien einem
kaiserlichen Beamten a censibus accipiendis setzen (Heuzen 6944); derselbe
scheint die Katasterrevision fuer das ganze Land geleitet zu haben, eben wie
frueher Drusus, waehrend die Schaetzung selbst durch Kommissarien fuer die
einzelnen Landschaften erfolgte. Auch ein sacerdos Romae et Augusti der
Tarraconensis wird belobt ob curam tabulari censualis fideliter administratam
(CIL II, 4248); es waren also mit der Steuerrepartierung wohl die Landtage aller
Provinzen befasst. Die kaiserliche Finanzverwaltung der drei Gallien war
wenigstens der Regel nach so geteilt, dass die beiden westlichen Provinzen
(Aquitanien und Lugudunensis) unter einem Prokurator standen, Belgica und die
beiden Germanien unter einem andern; doch hat es rechtlich feste Kompetenzen
dafuer wohl nicht gegeben. Auf eine regelmaessige Beteiligung bei der Aushebung
darf aus der von Hadrian, offenbar ausserordentlicher Weise, mit Vertretern
aller spanischen Distrikte gepflogenen Verhandlung (vita 12) nicht geschlossen
werden.
^10 Fuer die arca Galliarum, den Freigelassenen der drei Gallien (Heuzen
6393), den adlector arcae Galliarum, inquisitor Galliarum, iudex arcae Galliarum
gibt meines Wissens keine andere Provinz Analogien; und von diesen Einrichtungen
haetten, wenn sie allgemein gewesen waeren, die Inschriften sicher auch sonst
Spuren bewahrt. Diese Einrichtungen scheinen auf eine sich selbst verwaltende
und besteuernde Koerperschaft zu fuehren (der in seiner Bedeutung unklare
adlector kommt als Beamter in Kollegien vor CIL VI, 355; Orelli 2406);
wahrscheinlich bestritt diese Kasse die wohl nicht unbetraechtlichen Ausgaben
fuer die Tempelgebaeude und fuer das Jahrfest. Eine Staatskasse ist die arca
Galliarum nicht gewesen.
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Die Zusammensetzung des Landtags, welche uns ziemlich genau bekannt ist
^11, zeigt, in welcher Weise die Nationalitaetenfrage von der Regierung
behandelt ward. Von den sechzig, spaeter vierundsechzig auf dem Landtag
vertretenen Gauen kommen nur vier auf die iberischen Bewohner Aquitaniens,
obwohl dieses Gebiet zwischen der Garonne und den Pyrenaeen unter eine sehr viel
groessere Zahl durchgaengig kleiner Staemme geteilt war, sei es, dass die
uebrigen von der Vertretung ueberhaupt ausgeschlossen waren, sei es, dass jene
vier vertretenen Gaue die Vororte von Gauverbaenden sind ^12. Spaeterhin,
wahrscheinlich in traianischer Zeit, ist der iberische Bezirk von dem Lyoner
Landtag abgetrennt und ihm eine selbstaendige Vertretung gegeben worden ^13.
Dagegen sind die keltischen Gaue in derjenigen Organisation, die wir frueher
kennengelernt haben, im wesentlichen alle auf dem Landtag vertreten und ebenso
die halb oder ganz germanischen ^14, soweit sie zur Zeit der Stiftung des Altars
zum Reiche gehoerten; dass fuer die Hauptstadt Galliens in dieser Gauvertretung
kein Platz war, versteht sich von selbst. Ausserdem erscheinen die Ubier nicht
auf dem Landtag von Lyon, sondern opfern an ihrem eigenen Augustus-Altar - es
ist dies, wie wir sahen, ein stehengebliebener Ueberrest der beabsichtigten
Provinz Germanien.
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^11 Als Gesamtzahl der auf dem Lyoner Altar verzeichneten Gemeinden gibt
Strabo (4, 3, 2, p. 192) sechzig an, als die Zahl der aquitanischen in dem
keltischen Teil, noerdlich von der Garonne, vierzehn (4,1, 1, p. 177). Tacitus
(ann. 3, 44) nennt als Gesamtzahl der gallischen Gaue vierundsechzig, ebenso,
wenn auch in unrichtiger Verbindung, der Scholiast zur Aeneis (1, 286). Auf die
gleiche Gesamtzahl fuehrt das Verzeichnis bei Ptolemaeos aus dem zweiten
Jahrhundert, welches fuer Aquitanien siebzehn, fuer die Lugudunensis 25, fuer
Belgica 22 Gaue auffuehrt. Von seinen aquitanischen Gauen fallen dreizehn auf
das Gebiet zwischen Loire und Garonne, vier auf das zwischen Garonne und
Pyrenaeen. In dem spaeteren aus dem 5. Jahrhundert, das unter dem Namen der
Notitia Galliarum bekannt ist, fallen auf Aquitanien 26, auf die Lugudunensis
(ausschliesslich Lyons) 24, auf Belgica 27. Alle diese Zahlen sind vermutlich
eine jede fuer ihre Zeit richtig; zwischen der Errichtung des Altars im Jahre
742 (12) und der Zeit des Tacitus (denn auf diese ist seine Angabe wohl zu
beziehen) koennen ebenso vier Gaue hinzugetreten sein, wie sich die Verschiebung
der Zahlen vom 2, bis zum 5. Jahrhundert auf einzelne, zum guten Teil speziell
noch nachweisliche Aenderungen zurueckfuehren laesst.
Bei der Wichtigkeit dieser Ordnungen wird es nicht ueberfluessig sein, sie
wenigstens fuer die beiden westlichen Provinzen im speziellen darzulegen. In der
rein keltischen Mittelprovinz stimmen die drei Verzeichnisse bei Plinius (1.
Jahrhundert), Ptolemaeos (2. Jahrhundert) und der Notitia (5. Jahrhundert) in 21
Namen ueberein: Abrincates - Andecavi - Aulerci Cenomani - Aulerci Diablintes -
Aulerci Eburovici - Baiocasses (Bodiocasses Plin., Vadicasii Ptol.) - Carnutes -
Coriosolites (ohne Zweifel die Samnitae des Ptolemaeos) - Haedui - Lexovii -
Meldae - Namnetes - Osismii - Parisii - Redones - Senones - Tricassini - Turones
- Veliocasses (Rotomagenses) - Veneti - Unelli (Constantia); in drei weiteren:
Caletae - Segusiavi - Viducasses stimmen Plinius und Ptolemaeos, waehrend sie in
der Notitia fehlen, weil inzwischen die Caletae mit den Veliocasses oder den
Rotomagenses, die Viducasses mit den Baiocasses zusammengelegt und die Segusiavi
in Lyon aufgegangen waren. Dagegen erscheinen hier statt der drei verschwundenen
zwei neue durch Teilung entstandene: Aureliani (Orleans), abgezweigt aus den
Carnutes (Chartres), und Autessiodurum (Auxerre), abgezweigt aus den Senones
(Sens). Uebrig bleiben bei Plinius zwei Namen: Boi - Atesui; bei Ptolemaeos
einer: Arvii; in der Notitia einer: Saii.
Fuer das keltische Aquitanien stimmen die drei Listen in elf Namen
ueberein:
Arverni - Bituriges Cubi - Bituriges Vivisci (Burdigalenses) - Cadurci -
Gabales - Lemovici - Nitiobriges (Aginnenses) - Petrucorii - Pictones - Ruteni -
Sautones; die zweite und dritte in dem zwoelften der Vellauni, der bei Plinius
ausgefallen sein wird; Plinius allein hat (abgesehen von den problematischen
Aquitani) zwei Namen mehr: Ambilatri und Anagnutes, Ptolomaeos einen sonst
unbekannten: Datii; vielleicht ist mit zweien von diesen die Strabonische Zahl
der vierzehn voll zu machen. Die Notitia hat ausser jenen elf noch zwei auf
Spaltung beruhende, die Albigenses (Albi am Tarn) und die Ecolismenses
(Angouleme).
In aehnlicher Weise verhalten sich die Listen der oestlichen Gaue. Obwohl
untergeordnete Differenzen sich ergeben, die hier nicht eroertert werden
koennen, liegt das Wesen und die Bestaendigkeit der gallischen Gauteilung
deutlich vor.
^12 Die vier vertretenen Voelkerschaften sind die Tarbeller, Vasaten,
Auscier und Convener. Ausser diesen zaehlt Plinius im suedlichen Aquitanien
nicht weniger als 25 groesstenteils sonst unbekannte Voelkerschaften auf als
rechtlich jenen vier gleichstehend.
^13 Plinius und, vermutlich auch hier aelteren Quellen folgend, Ptolemaeos
wissen von dieser Teilung nichts; aber wir besitzen noch die ungefuegen Verse
des Gascogner Bauern (B. Borghesi, (Oeuvres completes. Paris 1862-79. Bd. 8, S.
544), der dies in Rom auswirkte, ohne Zweifel in Gemeinschaft mit einer Anzahl
seiner Landsleute, obwohl er es vorgezogen hat, dies nicht hinzuzusetzen:
Flamen, item dumvir, quaestor pagiq(ue) magister
Verus ad Augustum legato (so) munere functus
pro novem optinuit populis seiungere Gallos:
urbe redux Genio pagi hanc dedicat aram.
Flamen, auch Zweimann, Schatzmeister und Schulze des Dorfes
Ging den Kaiser ich an, Verus, nach erhaltenem Auftrag;
Wirkte dem Neungau aus von ihm zu scheiden die Galler
Und zurueck von Rom weih den Altar ich dem Dorfgeist.
Die aelteste Spur der administrativen Trennung des iberischen Aquitaniens
von dem gallischen ist die Nennung des "Bezirks von Lactora" (Lectoure) neben
Aquitanien in einer Inschrift aus traianischer Zeit (CIL V 875: procurator
provinciarum Luguduniensis et Aquitanicae, item Lactorae). Diese Inschrift
beweist allerdings an sich mehr die Verschiedenheit der beiden Gebiete als die
formelle Absonderung des einen von dem andern; aber es laesst sich anderweitig
zeigen, dass bald nach Traian die letztere durchgefuehrt war. Denn dass der
abgetrennte Bezirk urspruenglich in neun Gaue zerfiel, wie jene Verse es sagen,
bestaetigt der seitdem gebliebene Name Novempopulana; unter Pius aber zaehlt der
Bezirk bereits elf Gemeinden (denn der dilectator er Apquitanicae XI populos,
Boissieu, Lyon, S. 246, gehoert gewiss hierher), im fuenften Jahrhundert zwoelf;
denn so viele zaehlt die Notitia unter der Novempopulana auf. Diese Vermehrung
erklaert sich ebenso wie die in Anm. 11 eroerterte. Auf die Statthalterschaft
bezieht die Teilung sich nicht; vielmehr blieben das keltische und das iberische
Aquitanien beide unter demselben Legaten. Aber die Novempopulana erhielt unter
Traian ihren eigenen Landtag, waehrend die keltischen Distrikte Aquitaniens nach
wie vor den Landtag von Lyon beschickten.
^14 Es fehlen einige kleinere germanische Voelkerschaften, wie die
Baetasier und die Sunuker, vielleicht aus aehnlichen Gruenden wie die kleineren
iberischen; ferner die Cannenefaten und die Friesen, wahrscheinlich weil diese
erst spaeter reichsuntertaenig geworden sind. Die Bataver sind vertreten.
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Wurde die keltische Nation also in dem kaiserlichen Gallien in sich selbst
konsolidiert, so wurde sie auch dem roemischen Wesen gegenueber gewissermassen
garantiert durch das hinsichtlich der Erteilung des Reichsbuergerrechts fuer
dieses Gebiet eingehaltene Verfahren. Die Hauptstadt Galliens freilich war und
blieb eine roemische Buergerkolonie, und es gehoert dies wesentlich mit zu der
eigenartigen Stellung, die sie dem uebrigen Gallien gegenueber einnahm und
einnehmen sollte. Aber waehrend die Suedprovinz mit Kolonien bedeckt und
durchaus nach italischem Gemeinde recht geordnet ward, hat Augustus in den "drei
Gallien" nicht eine einzige Buergerkolonie eingerichtet, und wahrscheinlich ist
auch dasjenige Gemeinderecht, welches unter dem Namen des latinischen eine
Zwischenstufe zwischen Buergern und Nichtbuergern bildet und seinen
angeseheneren Inhabern von Rechts wegen das Buergerrecht fuer ihre Person und
ihre Nachkommen gewaehrt, laengere Zeit von Gallien ferngehalten worden. Die
persoenliche Verleihung des Buergerrechts, teils nach allgemeinen Bestimmungen
an den Soldaten bald bei dem Eintritt, bald bei dem Abschied, teils aus
besonderer Gunst an einzelne Personen, konnte allerdings auch dem Gallier zuteil
werden; so weit, wie die Republik gegangen war, dem Helvetier zum Beispiel den
Gewinn des roemischen Buergerrechts ein fuer allemal zu untersagen, ging
Augustus nicht und konnte es auch nicht, nachdem Caesar das Buergerrecht an
geborene Gallier vielfach auf diese Weise vergeben hatte. Aber er nahm
wenigstens den aus den "drei Gallien" stammenden Buergern - mit Ausnahme immer
der Lugudunenser - das Recht der Aemterbewerbung und schloss sie damit zugleich
aus dem Reichssenat aus. Ob diese Bestimmung zunaechst im Interesse Roms oder
zunaechst in dem der Gallier getroffen war, koennen wir nicht wissen; gewiss hat
Augustus beides gewollt, einmal dem Eindringen des fremdartigen Elements in das
Roemertum wehren und damit dasselbe reinigen und heben, andererseits den
Fortbestand der gallischen Eigenartigkeit in einer Weise verbuergen, die eben
durch verstaendiges Zurueckhalten die schliessliche Verschmelzung mit dem
roemischen Wesen sicherer foerderte, als die schroffe Aufzwingung
fremdlaendischer Institutionen getan haben wuerde.
Kaiser Claudius, selbst in Lyon geboren und, wie die Spoetter von ihm
sagten, ein richtiger Gallier, hat diese Schranken zum guten Teil beseitigt. Die
erste Stadt in Gallien, welche sicher italisches Recht empfangen hat, ist die
der Ubier, wo der Altar des roemischen Germaniens angelegt war; dort im
Feldlager ihres Vaters, des Germanicus, wurde die nachmalige Gemahlin des
Claudius Agrippina geboren, und sie hat im Jahre 50 ihrem Geburtsort das
wahrscheinlich latinische Kolonialrecht erwirkt, dem heutigen Koeln. Vielleicht
gleichzeitig, vielleicht schon frueher ist dasselbe fuer die Stadt der Treverer,
Augusta, geschehen, das heutige Trier. Auch noch einige andere gallische Gaue
sind in dieser Weise dem Roemertum naeher gerueckt worden, so der der Helvetier
durch Vespasian, ferner der der Sequaner (Besan‡on); grosse Ausdehnung aber
scheint das latinische Recht in diesen Gegenden nicht gefunden zu haben. Noch
weniger ist in der frueheren Kaiserzeit in dem kaiserlichen Gallien ganzen
Gemeinden das volle Buergerrecht beigelegt worden. Wohl aber hat Claudius mit
der Aufhebung der Rechtsbeschraenkung den Anfang gemacht, welche die zum
persoenlichen Reichsbuergerrecht gelangten Gallier von der Reichsbeamtenlaufbahn
ausschloss; es wurde zunaechst fuer die aeltesten Verbuendeten Roms, die
Haeduer, bald wohl allgemein diese Schranke beseitigt. Damit war wesentlich die
Gleichstellung erreicht. Denn nach den Verhaeltnissen dieser Epoche hatte das
Reichsbuergerrecht fuer die durch ihre Lebensstellung von der Aemterlaufbahn
ausgeschlossenen Kreise kaum einen besonderen praktischen Wert und war fuer
vermoegende Peregrinen guter Herkunft, die diese Laufbahn zu betreten wuenschten
und deshalb seiner bedurften, leicht zu erlangen; wohl aber war es eine
empfindliche Zuruecksetzung, wenn dem roemischen Buerger aus Gallien und seinen
Nachkommen von Rechts wegen die Aemterlaufbahn verschlossen blieb.
Wenn in der Organisation der Verwaltung das nationale Wesen der Kelten so
weit geschont ward, als dies mit der Reichseinheit sich irgend vertrug, so ist
dies hinsichtlich der Sprache nicht geschehen. Auch wenn es praktisch
ausfuehrbar gewesen waere, den Gemeinden die Fuehrung ihrer Verwaltung in einer
Sprache zu gestatten, deren die kontrollierenden Reichsbeamten nur ausnahmsweise
maechtig sein konnten, lag es unzweifelhaft nicht in den Absichten der
roemischen Regierung, diese Schranke zwischen den Herrschenden und Beherrschten
aufzurichten. Dementsprechend ist unter den in Gallien unter roemischer
Herrschaft geschlagenen Muenzen und von Gemeinde wegen gesetzten Denkmaelern
keine erweislich keltische Aufschrift gefunden worden. Der Gebrauch der
Landessprache wurde uebrigens nicht gehindert; wir finden sowohl in der
Suedprovinz wie in den noerdlichen Denkmaeler mit keltischer Aufschrift, dort
immer mit griechischem ^15, hier immer mit lateinischem Alphabet geschrieben
^16, und wahrscheinlich gehoeren wenigstens manche von jenen, sicher diese
saemtlich der Epoche der Roemerherrschaft an. Dass in Gallien ausserhalb der
Staedte italischen Rechts und der roemischen Lager inschriftliche Denkmaeler
ueberhaupt nur in geringer Zahl auftreten, wird wahrscheinlich hauptsaechlich
dadurch herbeigefuehrt sein, dass die als Dialekt behandelte Landessprache
ebenso fuer solche Verwendung ungeeignet erschien wie die ungelaeufige
Reichssprache und daher das Denksteinsetzen hier ueberhaupt nicht so wie in den
latinisierten Gegenden in Aufnahme kam; das Lateinische mag in dem groessten
Teil Galliens damals ungefaehr die Stellung gehabt haben wie nachher im
frueheren Mittelalter gegenueber der damaligen Volkssprache. Das energische
Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die Wiedergabe der
gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter Beibehaltung unlateinischer
Lautformen. Dass Schreibungen wie Lousonna und Boudicca mit dem unlateinischen
Diphthong ou selbst in die lateinische Literatur eingedrungen sind und fuer den
aspirierten Dental, das englische th, sogar in roemischer Schrift ein eigenes
Zeichen (D) verwendet wird, ferner Epaciatextorigus neben Epasnactus geschrieben
wird, Dirona neben Sirona, machen es fast zur Gewissheit, dass die keltische
Sprache, sei es im roemischen Gebiet, sei es ausserhalb desselben, in oder vor
dieser Epoche einer gewissen schriftmaessigen Regulierung unterlegen hatte und
schon damals so geschrieben werden konnte, wie sie noch heute geschrieben wird.
Auch an Zeugnissen fuer ihren fortdauernden Gebrauch in Gallien fehlt es nicht.
Als die Stadtnamen Augustodunum (Autun), Augustonemetum (Clermont), Augustobona
(Troyes) und manche aehnliche aufkamen, sprach man notwendig auch im mittleren
Gallien noch keltisch. Arrian unter Hadrian gibt in seiner Abhandlung ueber die
Kavallerie fuer einzelne den Kelten entlehnte Manoever den keltischen Ausdruck
an. Ein geborener Grieche, Eirenaeos, der gegen das Ende des 2. Jahrhunderts als
Geistlicher in Lyon fungierte, entschuldigt die Maengel seines Stils damit, dass
er im Lande der Kelten lebe und genoetigt sei, stets in barbarischer Sprache zu
reden. In einer juristischen Schrift aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts wird, im
Gegensatz zu der Rechtsregel, dass die letztwilligen Verfuegungen im allgemeinen
lateinisch oder griechisch abzufassen sind, fuer Fideikommisse auch jede andere
Sprache, zum Beispiel die punische und die gallische zugelassen. Dem Kaiser
Alexander wurde sein Ende von einer gallischen Wahrsagerin in gallischer Sprache
angekuendigt. Noch der Kirchenvater Hieronymus, der selber in Ancyra wie in
Trier gewesen ist, versichert, dass die kleinasiatischen Galater und die
Treverer seiner Zeit ungefaehr die gleiche Sprache redeten, und vergleicht das
verdorbene Gallisch der Asiaten mit dem verdorbenen Punisch der Afrikaner. Wenn
die keltische Sprache sich in der Bretagne, aehnlich wie in Wales, bis auf den
heutigen Tag behauptet hat, so hat die Landschaft zwar ihren heutigen Namen von
den im fuenften Jahrhundert dorthin vor den Sachsen fluechtenden Inselbriten
erhalten, aber die Sprache ist schwerlich erst mit diesen eingewandert, sondern
allem Anschein nach hier seit Jahrtausenden von einem Geschlecht dem andern
ueberliefert. In dem uebrigen Gallien hat natuerlich im Laufe der Kaiserzeit das
roemische Wesen schrittweise Boden gewonnen; ein Ende gemacht hat aber dem
keltischen Idiom hier wohl nicht so sehr die germanische Einwanderung als die
Christianisierung, welche in Gallien nicht, wie in Syrien und Aegypten, die von
der Regierung beiseite geschobene Landessprache aufnahm und zu ihrem Traeger
machte, sondern das Evangelium lateinisch verkuendigte.
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^15 So hat sich in Nemausus eine in keltischer Sprache geschriebene
Weihinschrift gefunden, gesetzt Matrebo Namaysikabo (CIL XI, p. 383), das
heisst, den oertlichen Muettern.
^16 Beispielsweise liest man auf einem in Neris-les-Bains (Allier)
gefundenen Altarstein (E. Desjardins, Geographie historique et administrative de
la Gaule Romaine. 4 Bde. Paris 1876-93. Bd. 2, S. 476): Bratronos Nantonicn
Epadatextorici Leucullo Suio rebelocitoi. Auf einem andern, den die Pariser
Schiffergilde unter Tiberius dem hoechsten besten Jupiter setzte (Mowat im
Bulletin epigraphique de la Gaule 1, S. 25f.), ist die Hauptinschrift
lateinisch, aber ueber den Reliefs der Seitenflaechen, die eine Prozession von
neun bewaffneten Priestern darzustellen scheinen, stehen erklaerende
Beischriften: Senani Useiloni . . . und Eurises, die nicht lateinisch sind.
Solches Gemenge begegnet auch sonst, zum Beispiel in einer Inschrift von Arrenes
(Creuse im Bulletin epigraphique de la Gaule 1, S. 38): Sacer Peroco ieuru
(wahrscheinlich = fecit) Duorico v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito).
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In dem Vorschreiten der Romanisierung, welche in Gallien, abgesehen von der
Suedprovinz, wesentlich der inneren Entwicklung ueberlassen blieb, zeigt sich
eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen dem oestlichen Gallien und dem
Westen und Norden, die wohl mit, aber nicht allein auf dem Gegensatz der
Germanen und der Gallier beruht. In den Vorgaengen bei und nach Neros Sturz
tritt diese Verschiedenheit selbst politisch bestimmend hervor. Die nahe
Beruehrung der oestlichen Gaue mit den Rheinlagern und die hier vorzugsweise
stattfindende Rekrutierung der Rheinlegionen hat dem roemischen Wesen hier
frueher und vollstaendiger Eingang verschafft als im Gebiet der Loire und der
Seine. Bei jenen Zerwuerfnissen gingen die rheinischen Gaue, die keltischen
Lingonen und Treverer sowohl wie die germanischen Ubier oder vielmehr die
Agrippinenser mit der Roemerstadt Lugudunum und hielten fest zu der legitimen
roemischen Regierung, waehrend die, wie bemerkt ward, wenigstens in gewissem
Sinn nationale Insurrektion von den Sequanern, Haeduern und Arvernern ausgeht.
In einer spaeteren Phase desselben Kampfes finden wir unter veraenderten
Parteiverhaeltnissen dieselbe Spaltung, jene oestlichen Gaue mit den Germanen im
Bunde, waehrend der Landtag von Reims den Anschluss an diese verweigert.
Wurde somit das gallische Land in Betreff der Sprache im wesentlichen
ebenso behandelt wie die uebrigen Provinzen, so begegnet wiederum die Schonung
seiner alten Institutionen bei den Bestimmungen ueber Mass und Gewicht.
Allerdings haben neben der allgemeinen Reichsordnung, welche in dieser Hinsicht
von Augustus erlassen ward, entsprechend dem toleranten oder vielmehr
indifferenten Verhalten der Regierung in dergleichen Dingen, die oertlichen
Bestimmungen vielerorts fortbestanden, aber nur in Gallien hat die oertliche
Ordnung spaeterhin die des Reiches verdraengt. Die Strassen sind im ganzen
Roemischen Reich gemessen und bezeichnet nach der Einheit der roemischen Meile
(1,48 Kilometer), und bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts trifft dies auch
fuer diese Provinzen zu. Aber von Severus an tritt in den "drei Gallien" und den
beiden Germanien an deren Stelle eine zwar der roemischen angefuegte, aber doch
verschiedene und gallisch benannte Meile, die Leuga (2,22 Kilometer), gleich
anderthalb roemischen Meilen. Unmoeglich kann Severus damit den Kelten eine
nationale Konzession haben machen wollen; es passt dies weder fuer die Epoche,
noch insbesondere fuer diesen Kaiser, der eben diesen Provinzen in
ausgesprochener Feindseligkeit gegenueberstand; ihn muessen
Zweckmaessigkeitsruecksichten bestimmt haben. Diese koennen nur darauf beruhen,
dass das nationale Wegemass, die Leuga oder auch die Doppelleuga, die
germanische Rasta, welche letztere der franzoesischen Lieue entspricht, in
diesen Provinzen nach der Einfuehrung des einheitlichen Wegemasses in
ausgedehnterem Umfang fortbestanden haben, als dies in den uebrigen
Reichslaendern der Fall war. Augustus wird die roemische Meile formell auf
Gallien erstreckt und die Postbuecher und die Reichsstrassen darauf gestellt,
aber der Sache nach dem Lande das alte Wegemass gelassen haben; und so mag es
gekommen sein, dass die spaetere Verwaltung es weniger unbequem fand, die
zwiefache Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen ^17, als noch laenger
sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemasses zu bedienen.
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^17 Die Postbuecher und Strassentafeln verfehlen nicht bei Lyon und
Toulouse anzumerken, dass hier die Leugen beginnen.
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Von weit groesserer Bedeutung ist das Verhalten der roemischen Regierung zu
der Landesreligion; ohne Zweifel hat das gallische Volkstum seinen festesten
Rueckhalt an dieser gefunden. Selbst in der Suedprovinz muss die Verehrung der
nichtroemischen Gottheiten lange, viel laenger als zum Beispiel in Andalusien
sich behauptet haben. Die grosse Handelsstadt Arelate freilich hat keine anderen
Weihungen aufzuweisen als an die auch in Italien verehrten Goetter; aber in
Frejus, Aix, Nimes und ueberhaupt der ganzen Kuestenlandschaft sind die alten
keltischen Gottheiten in der Kaiserepoche nicht viel weniger verehrt worden als
im inneren Gallien. Auch in dem iberischen Teil Aquitaniens begegnen zahlreiche
Spuren des einheimischen, von dem keltischen durchaus verschiedenen Kultus.
Indes tragen alle im Sueden Galliens zum Vorschein gekommenen Goetterbilder
einen minder von dem gewoehnlichen abweichenden Stempel als die Denkmaeler des
Nordens, und vor allem war es leichter, mit den nationalen Goettern auszukommen
als mit dem nationalen Priestertum, das uns nur im kaiserlichen Gallien und auf
den britannischen Inseln begegnet, den Druiden. Es wuerde vergebliche Muehe
sein, von dem inneren Wesen der aus Spekulation und Imagination wunderbar
zusammengestellten Druidenlehre eine Vorstellung geben zu wollen; nur die
Fremdartigkeit und die Fruchtbarkeit derselben sollen einige Beispiele
erlaeutern. Die Macht der Rede wurde symbolisch dargestellt in einem
kahlkoepfigen, runzligen, von der Sonne verbrannten Greis, der Keule und Bogen
fuehrt und von dessen durchbohrter Zunge zu den Ohren des ihm folgenden Menschen
feine goldene Ketten laufen - das heisst, es fliegen die Pfeile und schmettern
die Schlaege des redegewaltigen Alten und willig folgen ihm die Herzen der
Menge. Das ist der Ogmius der Kelten; den Griechen erschien er wie ein als
Herakles staffierter Charon. Ein in Paris gefundener Altar zeigt uns drei
Goetterbilder mit Beischrift, in der Mitte den Jovis, zu seiner Linken den
Vulcan, ihm zur Rechten den Esus, "den Entsetzlichen mit seinen grausen
Altaeren", wie ihn ein roemischer Dichter nennt, aber dennoch ein Gott des
Handelsverkehrs und des friedlichen Schaffens ^18; er ist zur Arbeit geschuerzt
wie Vulcan, und wie dieser Hammer und Zange fuehrt, so behaut er mit dem Beil
einen Weidenbaum. Eine oefter wiederkehrende Gottheit, wahrscheinlich Cernunnos
genannt, wird kauernd, mit untergeschlagenen Beinen, dargestellt; auf dem Kopf
traegt sie ein Hirschgeweih, an dem eine Halskette haengt, und haelt auf dem
Schoss den Geldsack; vor ihr stehen zuweilen Rinder und Hirsche - es scheint,
als solle damit der Erdboden als die Quelle des Reichtums ausgedrueckt werden.
Die ungeheure Verschiedenheit dieses aller Reinheit und Schoenheit baren, im
barocken und phantastischen Mengen sehr irdischer Dinge sich gefallenden
keltischen Olymp von den einfach menschlichen Formen der griechischen und den
einfach menschlichen Begriffen der roemischen Religion gibt eine Ahnung der
Schranke, die zwischen diesen Besiegten und ihren Siegern stand. Daran hingen
weiter sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: ein umfassender Geheimmittel-
und Zauberkram, bei dem die Priester zugleich die Aerzte spielten und wo neben
dem Besprechen und Besegnen auch Menschenopfer und Krankenheilung durch das
Fleisch der also Geschlachteten vorkam. Dass direkte Opposition gegen die
Fremdherrschaft in dem Druidentum dieser Zeit gewaltet hat, laesst sich
wenigstens nicht erweisen; aber auch, wenn dies nicht der Fall war, ist es wohl
begreiflich, dass die roemische Regierung, welche sonst alle oertlichen
Besonderheiten der Gottesverehrung mit gleichgueltiger Duldung gewaehren liess,
diesem Druidenwesen nicht bloss in seinen Ausschreitungen, sondern ueberhaupt
mit Apprehension gegenueberstand. Die Einrichtung des gallischen Jahrfestes in
der rein roemischen Landeshauptstadt und unter Ausschluss aller Anknuepfung an
den nationalen Kultus ist offenbar ein Gegenzug der Regierung gegen die alte
Landesreligion mit ihrem jaehrlichen Priesterkonzil in Chartres, dem Mittelpunkt
des gallischen Landes. Unmittelbar aber ging Augustus gegen das Druidentum nicht
weiter vor, als dass er jedem roemischen Buerger die Beteiligung an dem
gallischen Nationalkult untersagte. Tiberius in seiner energischeren Weise griff
durch und verbot dieses Priestertum mit seinem Anhang von Lehrern und
Heilkuenstlern ueberhaupt; aber es spricht nicht gerade fuer den praktischen
Erfolg dieser Verfuegung, dass dasselbe Verbot abermals unter Claudius erging -
von diesem wird erzaehlt, dass er einen vornehmen Gallier lediglich deshalb
koepfen liess, weil er ueberwiesen ward, fuer guten Erfolg bei Verhandlungen vor
dem Kaiser das landuebliche Zaubermittel in Anwendung gebracht zu haben. Dass
die Besetzung Britanniens, welches von alters her der Hauptsitz dieses
Priestertreibens gewesen war, zum guten Teil beschlossen ward, um damit dieses
an der Wurzel zu fassen, wird weiterhin ausgefuehrt werden. Trotz alledem hat
noch in dem Abfall, den die Gallier nach dem Sturz der claudischen Dynastie
versuchten, dies Priestertum eine bedeutende Rolle gespielt; der Brand des
Kapitols, so predigten die Druiden, verkuende den Umschwung der Dinge und den
Beginn der Herrschaft des Nordens ueber den Sueden. Indes wenn auch dies Orakel
spaeterhin in Erfuellung ging, durch diese Nation und zugunsten ihrer Priester
ist es nicht geschehen. Die Besonderheiten der gallischen Gottesverehrung haben
wohl auch spaeter noch ihre Wirkung geuebt; als im dritten Jahrhundert fuer
einige Zeit ein gallisch-roemisches Sonderreich ins Leben trat, spielt auf
dessen Muenzen die erste Rolle der Herkules, teils in seiner griechisch-
roemischen Gestalt, teils auch als gallischer Deusoniensis oder Magusanus. Von
den Druiden aber ist nur noch etwa insofern die Rede, als die klugen Frauen in
Gallien bis in die diocletianische Zeit unter dem Namen der Druidinnen gehen und
orakeln, und dass die alten adligen Haeuser noch lange nachher in ihrer
Ahnenreihe sich druidischer Altvordern beruehmen. Wohl rascher noch als die
Landessprache ging die Landesreligion zurueck und das eindringende Christentum
hat kaum noch an dieser ernstlichen Widerstand gefunden.
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^18 Die zweite Berner Glosse zu Lucan 1, 445, die den Teutates richtig zum
Mars macht und auch sonst glaubwuerdig scheint, sagt von ihm: Hesum Mercurium
credunt, si quidem a mercatoribus colitur.
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Das suedliche Gallien, mehr als irgendeine andere Provinz durch seine Lage
jedem feindlichen Angriff entzogen und gleich Italien und Andalusien ein Land
der Olive und der Feige, gedieh unter dem Kaiserregiment zu hohem Wohlstand und
reicher staedtischer Entwicklung. Das Amphitheater und das Sarkophagfeld von
Arles, der "Mutter ganz Galliens", das Theater von Orange, die in und bei Nimes
noch heute aufrecht stehenden Tempel und Bruecken sind davon bis in die
Gegenwart lebendige Zeugen. Auch in den noerdlichen Provinzen stieg der alte
Wohlstand des Landes weiter durch den dauernden Frieden, der, allerdings mit dem
dauernden Steuerdruck, durch die Fremdherrschaft in das Land kam. "In Gallien",
sagt ein Schriftsteller der vespasianischen Zeit, "sind die Quellen des
Reichtums heimisch und ihre Fuelle stroemt ueber die ganze Erde ^19." Vielleicht
nirgends sind gleich zahlreiche und gleich praechtige Landhaeuser zum Vorschein
gekommen, vor allen Dingen im Osten Galliens, am Rhein und seinen Zufluessen;
man erkennt deutlich den reichen gallischen Adel. Beruehmt ist das Testament des
vornehmen Lingonen, welcher anordnet, ihm das Grabdenkmal und die Bildsaeule aus
italischem Marmor oder bester Bronze zu errichten und unter anderem sein
saemtliches Geraet fuer Jagd und Vogelfang mit ihm zu verbrennen - es erinnert
dies an die anderweitig erwaehnten, meilenlangen eingefriedigten Jagdparks im
Keltenland und an die hervorragende Rolle, welche die keltischen Jagdhunde und
keltische Waidmannsart bei dem Xenophon der hadrianischen Zeit spielen, welcher
nicht verfehlt hinzuzufuegen, dass dem Xenophon, des Gryllos Sohn, das Jagdwesen
der Kelten nicht habe bekannt sein koennen. Nicht minder gehoert in diesen
Zusammenhang die merkwuerdige Tatsache, dass in dem roemischen Heerwesen der
Kaiserzeit die Kavallerie eigentlich keltisch ist, nicht bloss insofern diese
vorzugsweise aus Gallien sich rekrutiert, sondern auch, indem die Manoever und
selbst die technischen Ausdruecke zum guten Teil den Kelten entlehnt sind; man
erkennt hier, wie nach dem Hinschwinden der alten Buergerreiterei unter der
Republik die Kavallerie durch Caesar und Augustus mit gallischen Mannschaften
und in gallischer Weise reorganisiert worden ist. Die Grundlage dieses vornehmen
Wohlstandes war der Ackerbau, auf dessen Hebung auch Augustus selbst energisch
hinwirkte und der in ganz Gallien, etwa abgesehen von der Steppengegend an der
aquitanischen Kueste, reichen Ertrag gab. Eintraeglich war auch die Viehzucht,
besonders im Norden, namentlich die Zucht von Schweinen und Schafen, welche bald
fuer die Industrie und die Ausfuhr von Bedeutung wurden - die menapischen
Schinken (aus Flandern) und die atrebatischen und nervischen Tuchmaentel (bei
Arras und Tournay) gingen in spaeterer Zeit in das gesamte Reich. Von besonderem
Interesse ist die Entwicklung des Weinbaus. Weder das Klima noch die Regierung
waren demselben guenstig. Der "gallische Winter" blieb lange Zeit bei den
Suedlaendern sprichwoertlich; wie denn in der Tat das Roemische Reich nach
dieser Seite hin am weitesten gegen Norden sich ausdehnt. Aber engere Schranken
zog der gallischen Weinkultur die italische Handelskonkurrenz. Allerdings hat
der Gott Dionysos seine Welteroberung ueberhaupt langsam vollbracht und nur
Schritt vor Schritt ist der aus der Halmfrucht bereitete Trank dem Saft der Rebe
gewichen; aber es beruht auf dem Prohibitivsystem, dass in Gallien das Bier sich
wenigstens im Norden als das gewoehnliche geistige Getraenk die ganze Kaiserzeit
hindurch behauptete und noch Kaiser Julianus bei seinem Aufenthalt in Gallien
mit diesem falschen Bacchus in Konflikt kam ^20. So weit freilich, wie die
Republik, welche den Wein- und Oelbau an der gallischen Suedkueste polizeilich
untersagte, ging das Kaiserregiment nicht; aber die Italiener dieser Zeit waren
doch die rechten Soehne ihrer Vaeter. Die Bluete der beiden grossen
Rhoneemporien Arles und Lyon beruhte zu einem nicht geringen Teil auf dem
Vertrieb des italienischen Weins nach Gallien; daran mag man ermessen, welche
Bedeutung der Weinbau damals fuer Italien selbst gehabt haben muss. Wenn einer
der sorgfaeltigsten Verwalter, die das Kaiseramt gehabt hat, Domitianus, den
Befehl erliess, in saemtlichen Provinzen mindestens die Haelfte der Rebstoecke
zu vertilgen ^21, was freilich so nicht zur Ausfuehrung kam, so darf daraus
geschlossen werden, dass die Ausbreitung des Weinbaus allerdings von Regierungs
wegen ernstlich eingeschraenkt ward. Noch in augustischer Zeit war er in dem
noerdlichen Teil der narbonensischen Provinz unbekannt, und wenn er auch hier
bald in Aufnahme kam, scheint er doch durch Jahrhunderte auf die Narbonensis und
das suedliche Aquitanien beschraenkt geblieben zu sein; von gallischen Weinen
kennt die bessere Zeit nur den allobrogischen und den biturigischen, nach
unserer Redeweise den Burgunder und den Bordeaux ^22. Erst als die Zuegel des
Reiches den Haenden der Italiener entfielen, im Laufe des dritten Jahrhunderts,
aenderte sich dies, und Kaiser Probus (276-282) gab endlich den Provinzialen den
Weinbau frei. Wahrscheinlich erst infolgedessen hat die Rebe festen Fuss gefasst
an der Seine wie an der Mosel. "Ich habe", schreibt Kaiser Julianus, "einen
Winter" (es war der von 357 auf 358) "in dem lieben Lutetia verlebt, denn so
nennen die Gallier das Staedtchen der Pariser, eine kleine Insel im Flusse
gelegen und rings ummauert; das Wasser ist dort trefflich und rein zu schauen
und zu trinken. Die Einwohner haben einen ziemlich milden Winter, und es waechst
bei ihnen guter Wein; ja einige ziehen sogar auch Feigen, indem sie sie im
Winter mit Weizenstroh wie mit einem Rocke zudecken." Und nicht viel spaeter
schildert dann der Dichter von Bordeaux in der anmutigen Beschreibung der Mosel,
wie die Weinberge diesen Fluss an beiden Ufern einfassen, "gleich wie die
eigenen Reben mir kraenzen die gelbe Garonne".
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^19 Ios. bel. Iud. 2, 16, 4. Ebenda sagt Koenig Agrippa zu seinen Juden, ob
sie sich etwa einbildeten, reicher zu sein als die Gallier, tapferer als die
Germanen, klueger als die Hellenen. Damit stimmen alle anderen Zeugnisse
ueberein. Nero vernimmt den Aufstand nicht ungern occasione nata spoliandarum
iure belli opulentissimarum provinciarum (Suet. Nero 40; Plut. Galba 5); die dem
Insurgentenheer des Vindex abgenommene Beute ist unermesslich (Tac. hist. 1,
51). Tacitus (hist. 3, 46) nennt die Haeduer pecunia dites et voluptatibus
opulentos. Nicht mit Unrecht sagt der Feldherr Vespasians zu den abgefallenen
Galliern bei Tacitus (bist. 4, 74); regna bellaque per Gallias semper fuere,
donec in nostrum ius concederetis; nos quamquam totiens lacessiti iure victoriae
id solum vobis addidimus quo pacem tueremur, nam neque quies gentium sine armis
neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis haberi queunt. Die
Steuern drueckten wohl schwer, aber nicht so schwer wie der alte Fehde- und
Faustrechtzustand.
^20 Sein Epigramm 'Auf den Gerstenwein' ist erhalten (AP 9, 368):
Tis pothen eis, Dionyse? Ma gar ton al/e/thea Bakchon
s?s' epigign/o/sk/o/. ton Dios oida monon
keinos nektar od/o/de. s? de tragoy. /e/ ra se Keltoi
t/e/ peni/e/ botr?/o/n te?xan ap' astach?/o/n.
t/o/ se chr/e/ kaleein D/e/m/e/trion, oy Dionyson
pyrsgen/e/ mallon kai bromon, oy Bromion.
Du, Dionysos, von wo kommst du? Bei dem richtigen Bacchus!
Ich erkenne dich nicht; Zeus Sohn kenn' ich allein.
Jener duftet nach Nektar; du riechst nach dem Bocke. Die Kelten,
Denen die Rebe versagt, braueten dich aus dem Halm,
Scheuer-, nicht Feuersohn, Erdkind, nicht Kind dich des Himmels,
Nur fuer das Futtern gemacht, nicht fuer den lieblichen Trunk.
Auf einem in Paris gefundenen irdenen Ring (Mowat im Bulletin epigraphique
de la Gaule 2, S. 110; 3, S. 133), der hohl und zum Fuellen der Becher
eingerichtet ist, sagt der Trinkende zu dem Wirt: copo, conditu(m) [cnoditu ist
Schreibfehler] abes; est reple(n)da - Wirt, du hast mehr im Keller; die Flasche
ist leer, und zu der Kellnerin: ospita, reple, lagona(m) cervesa - Maedchen,
fuelle die Flasche mit Bier.
^21 Suet. Dom. 7. Wenn als Grund angegeben ward, dass die hohen Kornpreise
durch das Umwandeln des Ackerlandes in Weinberge veranlasst seien, so war das
natuerlich ein auf den Unverstand des Publikums berechneter Vorwand.
^22 Wenn noch V. Hehn (Kulturpflanzen und Haustiere. Berlin 1870, S. 76)
fuer den Weinbau der Arverner und der Sequaner ausserhalb der Narbonensis sich
auf Plinius (nat. 14, 1, 18) beruft, so folgt er beseitigten
Textinterpolationen. Es ist moeglich, dass das straffere kaiserliche Regiment in
den "drei Gallien" den Weinbau mehr zurueckhielt als das schlaffe senatorische
in der Narbonensis.
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Der innere Verkehr so wie der mit den Nachbarlaendern, besonders mit
Italien, muss ein sehr reger gewesen sein und das Strassennetz entwickelt und
gepflegt. Die grosse Reichsstrasse von Rom nach der Muendung des Baetis, deren
bei Spanien gedacht ward, war die Hauptader fuer den Landhandel der Suedprovinz;
die ganze Strecke, in republikanischer Zeit von den Alpen bis zur Rhone durch
die Massalioten, von da bis zu den Pyrenaeen durch die Roemer instand gehalten,
wurde von Augustus neu chaussiert. Im Norden fuehrten die Reichsstrassen
hauptsaechlich teils nach der gallischen Hauptstadt, teils nach den grossen
Rheinlagern; doch scheint auch ausserdem fuer die uebrige Kommunikation in
ausreichender Weise gesorgt gewesen zu sein.
Wenn die Suedprovinz in der aelteren Zeit auf dem geistigen Gebiet zu dem
hellenischen Kreise gehoerte, so hat der Rueckgang von Massalia und das
gewaltige Vordringen des Roemertums im suedlichen Gallien darin freilich eine
Aenderung herbeigefuehrt; dennoch aber ist dieser Teil Galliens immer, wie
Kampanien, ein Sitz hellenischen Wesens geblieben. Dass Nemausus, eine der
Teilerben von Massalia, auf seinen Muenzen aus augustischer Zeit alexandrinische
Jahreszahlen und das Wappen Aegyptens zeigt, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit
darauf bezogen worden, dass durch Augustus selbst in dieser, dem Griechentum
nicht fremd gegenueberstehenden Stadt Veteranen aus Alexandreia angesiedelt
worden sind. Es darf wohl auch mit dem Einfluss Massalias in Verbindung gebracht
werden, dass dieser Provinz, wenigstens der Abstammung nach, derjenige
Historiker angehoerte, welcher, es scheint im bewussten Gegensatz zu der
nationalroemischen Geschichtschreibung und gelegentlich mit scharfen Ausfaellen
gegen deren namhafteste Vertreter, Sallustius und Livius, die hellenische
vertrat, der Vocontier Pompeius Trogus, Verfasser einer von Alexander und den
Diadochenreichen ausgehenden Weltgeschichte, in welcher die roemischen Dinge nur
innerhalb dieses Rahmens oder anhangsweise dargestellt werden. Ohne Zweifel gab
er damit nur wieder, was eigentlich der literarischen Opposition des Hellenismus
angehoerte; immer bleibt es bemerkenswert, dass diese Tendenz ihren lateinischen
Vertreter, und einen geschickten und sprachgewandten Vertreter, hier in
augustischer Zeit fand. Aus spaeterer ist erwaehnenswert Favorinus, aus einem
angesehenen Buergerhaus von Arles, einer der Haupttraeger der Polymathie der
hadrianischen Zeit; Philosoph mit aristotelischer und skeptischer Tendenz,
daneben Philolog und Kunstredner, Schueler des Dion von Prusa, Freund des
Plutarchos und des Herodes Atticus, polemisch auf dem wissenschaftlichen Gebiet
angegriffen von Galenus, feuilletonistisch von Lucian, ueberhaupt in lebhaften
Beziehungen mit den namhaften Gelehrten des zweiten Jahrhunderts und nicht
minder mit Kaiser Hadrian. Seine mannigfaltigen Forschungen, unter anderm ueber
die Namen der Genossen des Odysseus, die die Scylla verschlang, und ueber den
des ersten Menschen, der zugleich ein Gelehrter war, lassen ihn als den rechten
Vertreter des damals beliebten gelehrten Kleinkrams erscheinen, und seine
Vortraege fuer ein gebildetes Publikum ueber Thersites und das Wechselfieber
sowie seine zum Teil uns aufgezeichneten Unterhaltungen ueber alles und noch
etwas mehr gewaehren kein erfreuliches, aber ein charakteristisches Bild des
damaligen Literatentreibens. Hier ist hervorzuheben, was er selbst unter die
Merkwuerdigkeiten seines Lebenslaufes rechnete, dass er geborener Gallier und
zugleich griechischer Schriftsteller war. Obwohl die Literaten des Okzidents
haeufig nebenbei auch griechisch speziminierten, so haben doch nur wenige sich
dieser als ihrer eigentlichen Schriftstellersprache bedient; hier wird dies mit
durch die Heimat des Gelehrten bedingt sein. Im uebrigen war Suedgallien an der
augustischen Literaturbluete insofern beteiligt, als einige der namhaftesten
Gerichtsredner der spaeteren augustischen Zeit, Votienus Montanus (+ 27 n. Chr.)
aus Narbo - der Ovid der Redner genannt - und Gnaeus Domitius Afer (Konsul 39 n.
Chr.) aus Nemausus, dieser Provinz angehoerten. ueberhaupt erstreckt die
roemische Literatur ihre Kreise natuerlich auch ueber diese Landschaft; die
Dichter der domitianischen Zeit sandten ihre Freiexemplare den Freunden in
Tolosa und Vienna. Plinius unter Traian ist erfreut, dass seine kleinen
Schriften auch in Lugudunum nicht bloss guenstige Leser, sondern auch
Buchhaendler finden, die sie vertreiben. Einen besonderen Einfluss aber, wie ihn
die Baetica in der frueheren, das noerdliche Gallien in der spaeteren Kaiserzeit
auf die geistige und literarische Entwicklung Roms ausgeuebt hat, vermoegen wir
fuer den Sueden nicht nachzuweisen. Wein und Fruechte gediehen in dem schoenen
Land; aber weder Soldaten noch Denker sind dem Reiche von dorther gekommen.
Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land des
Lehrens und des Lernens; vermutlich geht dies zurueck auf die eigentuemliche
Entwicklung und den maechtigen Einfluss des nationalen Priestertums. Das
Druidentum war keineswegs ein naiver Volksglaube, sondern eine hoch entwickelte
und anspruchsvolle Theologie, die nach guter Kirchensitte alle Gebiete des
menschlichen Denkens und Tuns, Physik und Metaphysik, Rechts- und Heilkunde
bestrebt war zu erleuchten oder doch zu beherrschen, die von ihren Schuelern
unermuedliches, man sagt zwanzigjaehriges Studium forderte und diese ihre
Schueler vor allem in den adligen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrueckung
der Druiden durch Tiberius und seine Nachfolger muss in erster Reihe diese
Priesterschulen betroffen und deren wenigstens oeffentliche Beseitigung
herbeigefuehrt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn der
nationalen Jugendbildung die roemisch-griechische ebenso gegenuebergestellt
ward, wie dem carnutischen Druidenkonzil der Roma-Tempel in Lyon. Wie frueh
dies, ohne Frage unter dem bestimmenden Einfluss der Regierung, in Gallien
eingetreten ist, zeigt die merkwuerdige Tatsache, dass bei dem frueher
erwaehnten Aufstand unter Tiberius die Insurgenten vor allen Dingen versuchten,
sich der Stadt Augustodunum (Autun) zu bemaechtigen, um die dort studierende
vornehme Jugend in ihre Gewalt zu bekommen und dadurch die grossen Familien zu
gewinnen oder zu schrecken. Zunaechst moegen wohl diese gallischen Lyzeen trotz
ihres keineswegs nationalen Bildungskursus dennoch ein Ferment des spezifisch
gallischen Volkstums gewesen sein; schwerlich zufaellig hat das damals
bedeutendste derselben nicht in dem roemischen Lyon seinen Sitz, sondern in der
Hauptstadt der Haeduer, des vornehmsten unter den gallischen Gauen. Aber die
roemisch-hellenische Bildung, wenn auch vielleicht der Nation aufgenoetigt und
zunaechst mit Opposition aufgenommen, drang, wie allmaehlich der Gegensatz sich
verschliff, in das keltische Wesen so sehr ein, dass mit der Zeit die Schueler
sich ihr eifriger zuwandten als die Lehrmeister. Die Gentlemanbildung, etwa in
der Art, wie sie heute in England besteht, ruhend auf dem Studium des
Lateinischen und in zweiter Reihe des Griechischen und in der Entwicklung der
Schulrede mit ihren Schnitzelpointen und Glanzphrasen lebhaft an neuere,
demselben Boden entstammende literarische Erscheinungen erinnernd, ward
allmaehlich im Okzident eine Art Privilegium der Galloromanen. Besser bezahlt
als in Italien wurden dort die Lehrer wohl von jeher, und vor allen Dingen auch
besser behandelt. Schon Quintilianus nennt mit Achtung unter den hervorragenden
Gerichtsrednern mehrere Gallier; und nicht ohne Absicht macht Tacitus in dem
feinen Dialog ueber die Redekunst den gallischen Advokaten Marcus Aper zum
Verteidiger der modernen Beredsamkeit gegen die Verehrer Ciceros und Caesars.
Den ersten Platz unter den gallischen Universitaeten nahm spaeterhin Burdigala
ein, wie denn ueberall Aquitanien hinsichtlich der Bildung dem mittleren und
noerdlichen Gallien weit voran war - in einem dort geschriebenen Dialog aus dem
Anfang des 5. Jahrhunderts wagt einer der Mitsprechenden, ein Geistlicher aus
Chalon-sur-Saone, kaum den Mund aufzutun vor dem gebildeten aquitanischen
Kreise. Hier wirkte der frueher erwaehnte, von Kaiser Valentinianus zum Lehrer
seines Sohnes Grabanus (geb. 359) berufene Professor Ausonius, der in seinen
vermischten Gedichten einer grossen Anzahl seiner Kollegen ein Denkmal gestiftet
hat; und als sein Zeitgenosse Symmachus, der beruehmteste Redner dieser Epoche,
fuer seinen Sohn einen Hofmeister suchte, liess er in Erinnerung an seinen
alten, an der Garonne heimischen Lehrer sich einen aus Gallien kommen. Daneben
ist Augustodunum immer einer der grossen Mittelpunkte der gallischen Studien
geblieben; wir haben noch die Reden, welche wegen der Wiederherstellung dieser
Lehranstalt bittend und dankend vor dem Kaiser Konstantin gehalten worden sind.
Die literarische Vertretung dieser eifrigen Schultaetigkeit ist
untergeordneter Art und geringen Wertes: Prunkreden, die namentlich durch die
spaetere Umwandlung von Trier in eine kaiserliche Residenz und das haeufige
Verweilen des Hofes im gallischen Land gefoerdert worden sind, und
Gelegenheitsgedichte mannigfaltiger Art. Wie die Redeleistung war das
Versemachen ein notwendiges Attribut des Lehramts und der oeffentliche Lehrer
der Literatur zugleich nicht gerade geborener, aber doch bestallter Dichter.
Wenigstens die Geringschaetzung der Poesie, welche der uebrigens gleichartigen
hellenischen Literatur der gleichen Epoche eigen ist, hat sich auf diese
Okzidentalen nicht uebertragen. In den Versen herrscht die Schulreminiszenz und
das Pedantenkunststueck vor ^23 und nur selten begegnen, wie in der Moselfahrt
des Ausonius, lebendige und empfundene Schilderungen. Die Reden, die wir
freilich nur nach einigen spaeten, am kaiserlichen Hoflager gehaltenen
Vortraegen zu beurteilen in der Lage sind, sind Musterstuecke in der Kunst, mit
vielen Worten wenig zu sagen und die unbedingte Loyalitaet in gleich unbedingter
Gedankenlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine vermoegende Mutter ihren
Sohn, nachdem er die Fuelle und den Schmuck der gallischen Rede sich angeeignet
hat, weiter nach Italien schickt, um auch die roemische Wuerde ^24 zu gewinnen,
so war diesen gallischen Rhetoren allerdings diese schwieriger abzulernen als
der Wortpomp. Fuer das fruehe Mittelalter sind diese Leistungen bestimmend
gewesen; durch sie ist in der ersten christlichen Zeit Gallien die eigentliche
Staette der frommen Verse und doch auch der letzte Zufluchtsort der
Schulliteratur geworden, waehrend die grosse geistige Bewegung innerhalb des
Christentums ihre Hauptvertreter nicht hier gefunden hat.
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^23 Eines der Professorengedichte des Ausonius ist vier griechischen
Grammatikern gewidmet: "Alle fleissig walteten sie des Lehramts; Schmal nur war
der Sold ja und duenn der Vortrag; Aber da sie lehrten zu meinen Zeiten, Will
ich sie nennen." Dies ist um so verdienstlicher, da er nichts Rechtes bei ihnen
gelernt hat: "Wohl, weil mich gehindert die allzu schwache Fassungskraft des
Geistes und mich von Hellas Bildung fernhielt leider damals des Knaben trauriger
Irrtum." Diese Gedanken sind oefter, aber selten in sapphischem Masse
vorgetragen worden.
^24 Romana gravitas: Hier. epist. 125 p. 929 Vall.
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In dem Kreise der bauenden und der bildenden Kuenste rief schon das Klima
manche Erscheinung hervor, welche der eigentliche Sueden nicht oder nur in den
Anfaengen kennt; so ist die in Italien nur bei Baedern gebraeuchliche
Luftheizung und der dort ebenfalls wenig verbreitete Gebrauch der Glasfenster in
der gallischen Baukunst in umfassender Weise zur Anwendung gekommen. Aber auch
von einer diesem Gebiet eigenen Kunstentwicklung darf vielleicht insofern
gesprochen werden, als die Bildnisse und in weiterer Entwicklung die Darstellung
der Szenen des taeglichen Lebens in dem keltischen Gebiet relativ haeufiger
auftreten als in Italien und die abgenutzten mythologischen Darstellungen durch
erfreulichere ersetzen. Wir koennen diese Richtung auf das Reale und das Genre
allerdings fast nur an den Grabmonumenten erkennen, aber sie hat wohl in der
Kunstuebung ueberhaupt vorgeherrscht. Der Bogen von Arausio (Orange) aus der
fruehen Kaiserzeit mit seinen gallischen Waffen und Feldzeichen, die bei Vetera
gefundene Bronzestatue des Berliner Museums, wie es scheint, den Ortsgott mit
Gerstenaehren im Haar darstellend, das wahrscheinlich zum Teil aus gallischen
Werkstaetten hervorgegangene Hildesheimer Silbergeraet beweisen eine gewisse
Freiheit in der Aufnahme und Umbildung der italischen Motive. Das Juliergrabmal
von St. Remy bei Avignon, ein Werk augustischer Zeit, ist ein merkwuerdiges
Zeugnis fuer die lebendige und geistreiche Rezeption der hellenischen Kunst im
suedlichen Gallien, sowohl in seinem kuehnen architektonischen Aufbau zweier
quadratischer Stockwerke, welche ein Saeulenkreis mit konischer Kuppel kroent,
wie auch in seinen Reliefs, welche, im Stil den pergamenischen naechst verwandt,
figurenreiche Kampf- und Jagdszenen, wie es scheint, dem Leben der Geehrten
entnommen, in malerisch bewegter Ausfuehrung darstellen. Merkwuerdigerweise
liegt der Hoehepunkt dieser Entwicklung neben der Suedprovinz in der Gegend der
Mosel und der Maas; diese Landschaft, nicht so voellig unter roemischem Einfluss
stehend wie Lyon und die rheinischen Lagerstaedte und wohlhabender und
zivilisierter als die Gegenden an der Loire und der Seine, scheint diese
Kunstuebung einigermassen aus sich selbst erzeugt zu haben. Das unter dem Namen
der Igeler Saeule bekannte Grabdenkmal eines vornehmen Trierers gibt ein
deutliches Bild der hier einheimischen turmartigen, mit spitzem Dach gekroenten,
auf allen Seiten mit Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen bedeckten
Denkmaeler. Haeufig sehen wir auf denselben den Gutsherrn, dem seine Kolonen
Schafe, Fische, Gefluegel, Eier darbringen. Ein Grabstein aus Arlon bei
Luxemburg zeigt ausser den Portraets der beiden Gatten auf der einen Seite einen
Karren und eine Frau mit einem Fruchtkorb, auf der andern ueber zwei auf dem
Boden hockenden Maennern einen Aepfelverkauf. Ein anderer Grabstein aus Neumagen
bei Trier hat die Form eines Schiffes: in diesem sitzen sechs Schiffer, die
Ruder fuehrend; die Ladung besteht aus grossen Faessern, neben denen der lustig
blickende Steuermann, man moechte meinen, sich des darin geborgenen Weines zu
freuen scheint. Wir duerfen sie wohl in Verbindung bringen mit dem heiteren
Bilde, das der Poet von Bordeaux uns vom Moseltal bewahrt hat mit den
praechtigen Schloessern, den lustigen Rebgelaenden und dem regen Fischer- und
Schiffertreiben, und den Beweis darin finden, dass in diesem schoenen Lande
bereits vor anderthalb Jahrtausenden friedliche Taetigkeit, heiterer Genuss und
warmes Leben pulsiert hat.
4. Kapitel
Das roemische Germanien und die freien Germanen
Die beiden roemischen Provinzen Ober- und Untergermanien sind das Ergebnis
derjenigen Niederlage der roemischen Waffen und der roemischen Staatskunst unter
der Regierung des Augustus, welche frueher geschildert worden ist. Die
urspruengliche Provinz Germanien, die das Land vom Rhein bis zur Elbe umfasste,
hat nur zwanzig Jahre, vom ersten Feldzug des Drusus (742 12 v. Chr.) bis zur
Varusschlacht und dem Falle Alisos (762 9 n. Chr.) bestanden; da sie aber
einerseits die Militaerlager auf dem linken Rheinufer, Vindonissa, Mogontiacum,
Vetera in sich schloss, andererseits auch nach jener Katastrophe mehr oder
minder betraechtliche Teile des rechten Ufers roemisch blieben, so wurden durch
jene Katastrophe die Statthalterschaft und das Kommando nicht eigentlich
aufgehoben, obwohl sie sozusagen in der Luft standen. Die innere Ordnung der
drei Gallien ist frueher dargelegt worden; sie umfassten das gesamte Gebiet bis
an den Rhein, ohne Unterschied der Abstammung -nur etwa die erst waehrend der
letzten Krisen nach Gallien uebergesiedelten Ubier gehoerten nicht zu den 64
Gauen, wohl aber die Helvetier, die Triboker und ueberhaupt die sonst von den
rheinischen Truppen besetzt gehaltenen Distrikte. Es war die Absicht gewesen,
die germanischen Gaue zwischen Rhein und Elbe zu einer aehnlichen Gemeinschaft
unter roemischer Hoheit zusammenzufassen, wie dies mit den gallischen geschehen
war, und denselben in dem Augustusaltar der Ubierstadt, dem Keim des heutigen
Koeln, einen aehnlichen exzentrischen Mittelpunkt zu verleihen, wie der
Augustusaltar von Lyon ihn fuer Gallien bildete; fuer die fernere Zukunft war
wohl auch die Verlegung der Hauptlager auf das rechte Rheinufer und die
Rueckgabe des linken, wenigstens im wesentlichen, an den Statthalter der Belgica
in Aussicht genommen. Allein diese Entwuerfe gingen mit den Legionen des Varus
zugrunde; der germanische Augustusaltar am Rhein ward oder blieb der Altar der
Ubier; die Legionen behielten dauernd ihre Standquartiere in dem Gebiet, welches
eigentlich zur Belgica gehoerte, aber, da eine Trennung der Militaer- und
Zivilverwaltung nach der roemischen Ordnung ausgeschlossen war, so lange, als
die Truppen hier standen, auch administrativ unter den Kommandanten der beiden
Heere gelegt war. Denn, wie schon frueher angegeben worden ist, Varus ist
wahrscheinlich der letzte Kommandant der vereinigten Rheinarmee gewesen ^1; bei
der Vermehrung der Armee auf acht Legionen, welche diese Katastrophe im Gefolge
gehabt hat, ist allem Anschein nach auch deren Teilung eingetreten. Es sind also
in diesem Abschnitt nicht eigentlich die Zustaende einer roemischen Landschaft
zu schildern, sondern die Geschicke einer roemischen Armee, und, was damit aufs
engste zusammenhaengt, die der Nachbarvoelker und der Gegner, soweit sie in die
Geschichte Roms verflochten sind.
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^1 Diese Teilung einer Provinz unter drei Statthalter ist in der roemischen
Verwaltung sonst ohne Beispiel; das Verhaeltnis von Afrika und Numidien bietet
wohl eine aeussere Analogie, ist aber politisch bedingt durch die Stellung des
senatorischen Statthalters zu dem kaiserlichen Militaerkommandanten, waehrend
die drei Statthalter der Belgica gleichmaessig kaiserlich sind und gar nicht
abzusehen ist, warum den beiden germanischen Sprengel innerhalb der Belgica
statt eigener angewiesen werden. Nur das Zuruecknehmen der Grenze unter
Beibehaltung des bisherigen Namens - aehnlich wie das transdanuvianische Dakien
spaeterhin als cisdanuvianisches dem Namen nach fortbestand - erklaert diese
Seltsamkeit.
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Die beiden Hauptquartiere der Rheinarmee waren von jeher Vetera bei Wesel
und Mogontiacum, das heutige Mainz, beide wohl aelter als die Teilung des
Kommandos und eine der Ursachen, dass dieselbe eintrat. Die beiden Armeen
zaehlten jede im ersten Jahrhundert n. Chr. vier Legionen, also ungefaehr 30000
Mann ^2; in oder zwischen jenen beiden Punkten lag die Hauptmasse der roemischen
Truppen, ausserdem eine Legion bei Noviomagus (Nimwegen), eine andere in
Argentoratum (Strassburg), eine dritte bei Vindonissa (Windisch, unweit
Zuerich), nicht weit von der raetischen Grenze. Zu dem unteren Heere gehoerte
die nicht unbetraechtliche Rheinflotte. Die Grenze zwischen der oberen und der
unteren Armee liegt zwischen Andernach und Remagen bei Brohl ^3, so dass Koblenz
und Bingen in das obere, Bonn und Koeln in das untere Militaergebiet fielen. Auf
dem linken Ufer gehoerten zu dem obergermanischen Verwaltungsbezirk die
Distrikte der Helvetier (Schweiz), der Sequaner (Besan‡on), der Lingonen
(Langres), der Rauriker (Basel), der Triboker (Elsass), der Nemeter (Speyer) und
der Vangionen (Worms); zu dem beschraenkteren untergermanischen der Distrikt der
Ubier oder vielmehr die Kolonie Agrippina (Koeln), der Tungrer (Tongern), der
Menapier (Brabant) und der Bataver, waehrend die weiter westlich gelegenen Gaue
mit Einschluss von Metz und Trier unter den verschiedenen Statthaltern der drei
Gallien standen. Wenn diese Scheidung nur administrative Bedeutung hat, so
faellt dagegen die wechselnde Ausdehnung der beiden Sprengel auf dem rechten
Ufer mit den wechselnden Beziehungen zu den Nachbarn und der dadurch bedingten
Vor- und Zurueckschiebung der Grenzen der roemischen Herrschaft zusammen. Diesen
Nachbarn gegenueber sind die unterrheinischen und die oberrheinischen
Verhaeltnisse in so verschiedener Weise geordnet worden und die Ereignisse in so
durchaus anderer Richtung verlaufen, dass hier die provinziale Trennung
geschichtlich von der eingreifendsten Bedeutung wurde. Betrachten wir zunaechst
die Entwicklung der Dinge am Unterrhein.
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^2 Die Staerke der Auxilien der oberen Armee laesst sich fuer die
domitianisch-traianische Epoche mit ziemlicher Sicherheit auf etwa 10000 Mann
bestimmen. Eine Urkunde vom Jahre 90 zaehlt vier Alen und vierzehn Kohorten
dieser Armee auf; zu diesen kommt wenigstens eine Kohorte (I Germanorum), die
nachweislich, sowohl im Jahre 82 wie im Jahre 116, daselbst garnisonierte; ob
zwei Alen, die im Jahre 82, und mindestens drei Kohorten, die im Jahre 116
daselbst sich befanden und die in der Liste vom Jahre 90 fehlen, im Jahr 90 dort
garnisonierten oder nicht, ist zweifelhaft, die meisten derselben aber sind wohl
vor 90 aus der Provinz weg oder erst nach 90 in dieselbe gekommen. Von jenen
neunzehn Auxilien ist eine sicher (coh. I Damascenorum), eine andere (ala I
Flavia gemina) vielleicht eine Doppelabteilung. Im Minimum also ergibt sich als
Normaletat der Auxilien dieses Heeres die oben bezeichnete Ziffer, und bedeutend
kann sie nicht ueberschritten sein. Wohl aber moegen die Auxilien von
Untergermanien, dessen Garnisonen weniger ausgedehnt waren, an Zahl geringer
gewesen sein.
^3 An der Grenzbruecke ueber den Abrinca-, jetzt Vinxtbach, der alten
Grenze der Erzdioezesen Koeln und Trier, standen zwei Altaere, der auf der Seite
von Remagen den Grenzen, dem Ortsgeist und dem Jupiter (Finibus et Genio loci et
Iovi optimo maximo) gewidmet von Soldaten der 30. niedergermanischen Legion, der
auf der Seite von Andernach dem Jupiter, dem Ortsgott und der Juno geweiht von
einem Soldaten der 8. obergermanischen (Brambach 649, 650).
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Es ist frueher dargestellt worden, wieweit die Roemer zu beiden Seiten des
Unterrheins die Germanen sich unterworfen hatten. Die germanischen Bataver sind
nicht durch Caesar, aber nicht lange nachher, vielleicht durch Drusus, auf
friedlichem Wege mit dem Reiche vereinigt worden. Sie sassen im Rheindelta, das
heisst auf dem linken Rheinufer und auf den durch die Rheinarmee gebildeten
Inseln aufwaerts bis wenigstens an den Alten Rhein, also etwa von Antwerpen bis
Utrecht und Leiden in Seeland und dem suedlichen Holland, auf urspruenglich
keltischem Gebiet - wenigstens sind die Ortsnamen ueberwiegend keltisch; ihren
Namen fuehrt noch die Betuwe, die Niederung zwischen Waal und Leck mit der
Hauptstadt Noviomagus, jetzt Nimwegen. Sie waren, insbesondere verglichen mit
den unruhigen und stoerrigen Kelten, gehorsame und nuetzliche Untertanen und
nahmen daher im roemischen Reichsverband und namentlich im Heerwesen eine
Sonderstellung ein. Sie blieben gaenzlich steuerfrei, wurden aber dagegen so
stark wie kein anderer Gau bei der Rekrutierung angezogen; der eine Gau stellte
zu dem Reichsheer 1000 Reiter und 9000 Fusssoldaten; ausserdem wurden die
kaiserlichen Leibwaechter vorzugsweise aus ihnen genommen. Das Kommando dieser
batavischen Abteilungen wurde ausschliesslich an geborene Bataver vergeben. Die
Bataver galten unbestritten nicht bloss als die besten Reiter und Schwimmer der
Armee, sondern auch als das Muster treuer Soldaten, wobei allerdings der gute
Sold der batavischen Leibwaechter sowohl wie der bevorzugte Offiziersdienst der
Adligen die Loyalitaet erheblich befestigte. Diese Germanen waren denn auch bei
der Varuskatastrophe weder vorbereitend noch nachfolgend beteiligt; und wenn
Augustus unter dem ersten Eindruck der Schreckensnachricht seine batavischen
Leibwaechter verabschiedete, so ueberzeugte er sich bald selbst von der
Grundlosigkeit seines Argwohns, und die Truppe wurde kurze Zeit darauf wieder
hergestellt.
Am anderen Ufer des Rheins wohnten den Batavern zunaechst, im heutigen
Kennemerland (Nordholland ueber Amsterdam), die ihnen eng verwandten, aber
weniger zahlreichen Cannenefaten; sie werden nicht bloss unter den durch
Tiberius unterworfenen Voelkerschaften genannt, sondern sind auch in der
Stellung von Mannschaften wie die Bataver behandelt worden.
Die weiterhin sich anschliessenden Friesen in dem noch heute nach ihnen
benannten Kuestenland bis zu der unteren Ems unterwarfen sich dem Drusus und
erhielten eine aehnliche Stellung wie die Bataver; es wurde ihnen, anstatt der
Steuer, nur die Ablieferung einer Anzahl von Rindshaeuten fuer die Beduerfnisse
des Heeres auferlegt; dagegen hatten auch sie verhaeltnismaessig zahlreiche
Mannschaften fuer den roemischen Dienst zu stellen. Sie waren seine so wie
spaeter des Germanicus treueste Bundesgenossen, ihm nuetzlich sowohl bei dem
Kanalbau wie besonders nach den ungluecklichen Nordseefahrten.
Auf sie folgen oestlich die Chauker, ein weitausgedehntes Schiffer- und
Fischervolk an der Nordseekueste zu beiden Seiten der Weser, vielleicht von der
Ems bis zur Elbe; sie wurden durch Drusus zugleich mit den Friesen, aber nicht
wie diese ohne Gegenwehr, den Roemern botmaessig.
Alle diese germanischen Kuestenvoelker fuegten sich entweder durch Vertrag
oder doch ohne schweren Kampf der neuen Herrschaft, und wie sie an dem
Cheruskeraufstand keinen Teil gehabt haben, blieben sie nach der Varusschlacht
gleichfalls in den frueheren Verhaeltnissen zum Roemischen Reich; selbst aus den
entfernter liegenden Gauen der Friesen und der Chauker sind die Besatzungen
damals nicht herausgezogen worden, und noch zu den Feldzuegen des Germanicus
haben die letzteren Zuzug gestellt. Bei der abermaligen Raeumung Germaniens im
Jahre 17 scheint allerdings das arme und ferne, schwer zu schuetzende
Chaukerland aufgegeben worden zu sein; wenigstens gibt es fuer die Fortdauer der
roemischen Herrschaft daselbst keine spaeteren Belege, und einige Dezennien
nachher finden wir sie unabhaengig. Aber alles Land westwaerts der unteren Ems
blieb bei dem Reiche, dessen Grenze also die heutigen Niederlande einschloss.
Die Verteidigung dieses Teils der Reichsgrenze gegen die nicht zum Reich
gehoerigen Germanen blieb in der Hauptsache den botmaessigen Seegauen selber
ueberlassen.
Weiter stromaufwaerts wurde anders verfahren; hier ward eine Grenzstrasse
abgesteckt und das Zwischenland entvoelkert. An die in groesserer oder
geringerer Entfernung vom Rhein gezogene Grenzstrasse, den Limes ^4, knuepfte
sich die Kontrolle des Grenzverkehrs, indem die Ueberschreitung dieser Strasse
zur Nachtzeit ueberhaupt, am Tage den Bewaffneten untersagt und den uebrigen in
der Regel nur unter besonderen Sicherheitsmassregeln und unter Erlegung der
vorgeschriebenen Grenzzoelle gestattet war. Eine solche Strasse hat gegenueber
dem unterrheinischen Hauptquartier im heutigen Muensterland Tiberius nach der
Varusschlacht gezogen, in einiger Entfernung vom Rhein, dazwischen ihr und dem
Fluss der seiner Lage nach nicht naeher bekannte "Caesische Wald" sich
erstreckte. Aehnliche Anstalten muessen gleichzeitig in den Taelern der Ruhr und
der Sieg bis zu dem der Wied hin, wo die unterrheinische Provinz endigte,
getroffen worden sein. Militaerisch besetzt und zur Verteidigung eingerichtet
brauchte diese Strasse nicht notwendig zu sein, obwohl natuerlich die
Grenzverteidigung und die Grenzbefestigung immer darauf hinausgingen, die
Grenzstrasse moeglichst sicher zu stellen. Ein hauptsaechliches Mittel fuer den
Grenzschutz war die Entvoelkerung des Landstrichs zwischen dem Fluss und der
Strasse. "Vom rechten Rheinufer", sagt ein kundiger Schriftsteller der
tiberischen Zeit, "haben teils die Roemer die Voelkerschaften auf das linke
uebergefuehrt, teils diese selbst sich in das Innere zurueckgezogen." Dies traf
im heutigen Muensterland die daselbst frueher ansaessigen germanischen Staemme
der Usiper, Tencterer, Tubanten. In den Zuegen des Germanicus erscheinen
dieselben vom Rhein abgedraengt, aber noch in der Gegend der Lippe, spaeter,
wahrscheinlich eben infolge jener Expeditionen, weiter suedwaerts, Mainz
gegenueber. Ihr altes Heim lag seitdem oede und bildete das ausgedehnte, fuer
die Herden der niedergermanischen Armee reservierte Triftland, auf welchem im
Jahre 58 erst die Friesen und dann die heimatlos irrenden Amsivarier sich
niederzulassen gedachten, ohne dazu die Erlaubnis der roemischen Behoerden
auswirken zu koennen. Weiter suedwaerts blieb von den Sugambrern, die ebenfalls
zum grossen Teil derselben Behandlung unterlagen, wenigstens ein Teil am rechten
Ufer ansaessig ^5, waehrend andere kleinere Voelkerschaften ganz verdraengt
wurden. Die spaerliche innerhalb des Limes geduldete Bevoelkerung war
selbstverstaendlich reichsuntertaenig, wie dies die bei den Sugambrern
stattfindende roemische Aushebung bestaetigt.
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^4 Limes (von limus quer) ist ein unseren Rechtsverhaeltnissen fremder und
daher auch in unserer Sprache nicht wiederzugebender technischer Ausdruck, davon
hergenommen, dass die roemische Ackerteilung, die alle Naturgrenzen
ausschliesst, die Quadrate, in welche der im Privateigentum stehende Boden
geteilt wird, durch Zwischenwege von einer bestimmten Breite trennt; diese
Zwischenwege sind die limites, und insofern bezeichnet das Wort immer zugleich
sowohl die von Menschenhand gezogene Grenze wie die von Menschenhand gebaute
Strasse. Diese Doppelbedeutung behaelt das Wort auch in der Anwendung auf den
Staat (unrichtig Rudorff); limes ist nicht jede Reichsgrenze, sondern nur die
von Menschenhand abgesteckte und zugleich zum Begehen und Postenstellen fuer die
Grenzverteidigung eingerichtete (vita Hadriani 12: locis in quibus barbari non
fluminibus, sed limitibus dividuntur), wie wir sie in Germanien und in Afrika
finden. Darum werden auch auf die Anlage dieses Limes die fuer den Strassenbau
dienenden Bezeichnungen angewandt aperire (Vell. 2, 121, was nicht, wie
Muellenhoff in der Zeitschrift fuer deutsches Altertum, N. F. 2, S. 32 will, so
zu verstehen ist wie unser oeffnen des Schlagbaums), munire, agere (Frontin.
straf. 1, 3, 10: limitibus per CXX m. p. actis). Darum ist der Limes nicht bloss
eine Laengenlinie, sondern auch von einer gewissen Breite (Tac. ann. 1, 50:
castra in limite locat). Daher verbindet sich die Anlage des limes oft mit
derjenigen des agger, das heisst des Strassendammes (Tac. ann. 2, 7: cuncta
novis limitibus aggeribusque permunita) und die Verschiebung desselben mit der
Verlegung der Grenzposten (Tac. Germ. 29: limite acto promotisque praesidiis).
Der Limes ist also die Reichsgrenzstrasse, bestimmt zur Regulierung des
Grenzverkehrs dadurch, dass ihre Ueberschreitung nur an gewissen, den Bruecken
der Flussgrenze entsprechenden Punkten gestattet, sonst untersagt wird.
Zunaechst ist dies ohne Zweifel herbeigefuehrt worden durch Abpatrouillierung
der Linie, und solange dies geschah blieb der Limes ein Grenzweg. Er blieb dies
auch, wenn er an beiden Seiten befestigt ward, wie dies in Britannien und an der
Donaumuendung geschah; auch der britannische Wall heisst limes. Es konnten aber
auch an den gestatteten Ueberschreitungspunkten Posten aufgestellt und die
Zwischenstrecken der Grenzwege in irgendeiner Weise unwegsam gemacht werden, In
diesem Sinne sagt der Biograph in der oben angefuehrten Steile von Hadrian, dass
an den limites er stipitibus magnis in modum muralis saepis funditus iactis
atque conexis barbaros separavit. Damit verwandelt sich die Grenzstrasse in eine
mit gewissen Durchgaengen versehene Grenzbarrikade, und das ist der Limes
Obergermaniens in der entwickelten, weiterhin darzulegenden Gestalt. Uebrigens
wird das Wort in diesem Werte in republikanischer Zeit nicht gebraucht und ist
ohne Zweifel dieser Begriff des limes erst entstanden mit der Einrichtung der
den Staat, wo Naturgrenzen fehlen, umschliessenden Postenkette, welcher
Reichsgrenzschutz der Republik fremd, aber das Fundament des Augusteischen
Militaer- und vor allem des Augusteischen Zollsystems ist.
^5 Die auf das linke Ufer uebergesiedelten Sugambrer werden unter diesem
Namen nachher nicht erwaehnt und sind wahrscheinlich die unterhalb Koeln am
Rhein wohnenden Cugerner. Aber dass die Sugambrer auf dem rechten Ufer, welche
Strabo erwaehnt, wenigstens noch zu Claudius' Zeit bestanden, zeigt die nach
diesem Kaiser benannte, also sicher unter ihm und zwar aus Sugambrern errichtete
Kohorte (CIL III p. 877); und sie, sowie die vier anderen, wahrscheinlich
augustischen Kohorten dieses Namens bestaetigen, was eigentlich auch Strabon
sagt, dass diese Sugambrer zum Roemischen Reich gehoerten. Sie sind wohl, wie
die Mattiaker, erst in den Stuermen der Voelkerwanderung verschwunden.
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In dieser Weise wurden nach dem Aufgeben der weiter greifenden Entwuerfe
die Verhaeltnisse am Unterrhein geordnet, immer also noch ein nicht
unbetraechtliches Gebiet am rechten Ufer von den Roemern gehalten. Aber es
knuepften sich daran mancherlei unbequeme Verwicklungen. Gegen das Ende der
Regierung des Tiberius (28) fielen die Friesen infolge der unertraeglichen
Bedrueckung bei der Erhebung der an sich geringen Abgabe vom Reiche ab,
erschlugen die bei der Erhebung beschaeftigten Leute und belagerten den hier
fungierenden roemischen Kommandanten mit dem Reste der im Gebiet verweilenden
roemischen Soldaten und Zivilpersonen in dem Kastell Flevum, da, wo vor der im
Mittelalter erfolgten Ausdehnung der Zuidersee die oestlichste Rheinmuendung
war, bei der heutigen Insel Vlieland neben dem Texel. Der Aufstand nahm solche
Verhaeltnisse an, dass beide Rheinheere gemeinschaftlich gegen die Friesen
marschierten; aber der Statthalter Lucius Apronius richtete dennoch nichts aus.
Die Belagerung des Kastells gaben die Friesen auf, als die roemische Flotte die
Legionen herantrug; aber ihnen selbst war in dem durchschnittenen Lande schwer
beizukommen; mehrere roemische Heerhaufen wurden vereinzelt aufgerieben und die
roemische Vorhut so gruendlich geschlagen, dass selbst die Leichen der
Gefallenen in der Gewalt des Feindes blieben. Zu einer entscheidenden Aktion kam
es nicht, aber auch nicht zu rechter Unterwerfung; groesseren Unternehmungen,
die dem kommandierenden Feldherrn eine Machtstellung gaben, war Tiberius, je
aelter er wurde, immer weniger geneigt. Damit steht in Zusammenhang, dass in den
naechsten Jahren die Nachbarn der Friesen, die Chauker, den Roemern sehr
unbequem wurden, im Jahre 41 der Statthalter Publius Gabinius Secundus gegen sie
eine Expedition unternehmen musste und sechs Jahre spaeter (47) sie sogar unter
Fuehrung des roemischen Ueberlaeufers Gannascus, eines geborenen Cannenefaten,
mit ihren leichten Piratenschiffen die gallische Kueste weithin brandschatzten.
Gnaeus Domitius Corbulo, von Claudius zum Statthalter Niedergermaniens ernannt,
legte mit der Rheinflotte diesen Vorgaengern der Sachsen und Normannen das
Handwerk und brachte dann die Friesen energisch zum Gehorsam zurueck, indem er
ihr Gemeinwesen neu ordnete und roemische Besatzung dorthin legte. Er hatte die
Absicht, weiter die Chauker zu zuechtigen; auf sein Anstiften wurde Gannascus
aus dem Wege geraeumt - gegen den Ueberlaeufer hielt er sich auch dazu
berechtigt -, und er war im Begriff, die Ems ueberschreitend in das Chaukerland
einzuruecken, als er nicht bloss Gegenbefehl von Rom erhielt, sondern die
roemische Regierung ueberhaupt ihre Stellung am Unterrhein vollstaendig
aenderte. Kaiser Claudius wies den Statthalter an, alle roemischen Besatzungen
vom rechten Ufer wegzunehmen. Es ist begreiflich, dass der kaiserliche General
die freien Feldherren des ehemaligen Rom mit bitteren Worten gluecklich pries;
es wurde allerdings damit die nach der Varusschlacht nur halb gezogene
Konsequenz der Niederlage vervollstaendigt. Wahrscheinlich ist diese durch keine
unmittelbare Noetigung veranlasste Einschraenkung der roemischen Okkupation
Germaniens hervorgerufen worden durch den eben damals gefassten Entschluss,
Britannien zu besetzen, und findet darin ihre Rechtfertigung, dass die Truppen
beidem zugleich nicht genuegten. Dass der Befehl ausgefuehrt ward und es auch
spaeter dabei blieb, beweist das Fehlen der roemischen Militaerinschriften am
ganzen rechten Unterrhein ^6. Nur einzelne Uebergangspunkte und Ausfallstore,
wie insbesondere Deutz gegenueber Koeln, machen Ausnahmen von dieser allgemeinen
Regel. Auch die Militaerstrasse haelt sich hier auf dem linken Ufer und streng
an den Rheinlauf, waehrend der hinter derselben herlaufende Verkehrsweg, die
Kruemmungen abschneidend, die gerade Verbindung verfolgt. Auf dem rechten
Rheinufer sind hier nirgends, weder durch aufgefundene Meilensteine noch
anderweitig, roemische Militaerstrassen bezeugt.
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^6 Das Kastell von Niederbiber, unweit der Muendung der Wied in den Rhein,
sowie das von Arzbach bei Montabaur im Lahngebiet gehoeren schon zu
Obergermanien. Die besondere Bedeutung jener Festung, des groessten Kastells in
Obergermanien, beruht darauf, dass sie die roemischen Linien auf dem rechten
Rheinufer militaerisch abschloss.
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Einen eigentlichen Verzicht auf den Besitz des rechten Ufers in dieser
Provinz schliesst die Zurueckziehung der Besatzungen nicht ein. Dasselbe galt
den Roemern seitdem etwa wie dem Festungskommandanten das unter seinen Kanonen
liegende Terrain. Die Cannenefaten und wenigstens ein Teil der Friesen ^7 sind
nach wie vor reichsuntertaenig gewesen. Dass auch spaeter noch im Muensterland
die Herden der Legionen weideten und den Germanen nicht gestattet wurde, sich
dort niederzulassen, ist schon bemerkt worden. Aber die Regierung hat seitdem
fuer den Schutz des Grenzgebietes auf dem rechten Ufer, das es in dieser Provinz
auch ferner gab, im Norden sich auf die Cannenefaten und die Friesen verlassen,
weiter stromaufwaerts im wesentlichen der Oedgrenze vertraut und auch die
roemische Ansiedelung hier, wenn nicht geradezu untersagt, doch nicht aufkommen
lassen. Der in Altenberg (Kreis Muelheim) am Dhuenfluss gefundene Altarstein
eines Privaten ist fast das einzige Zeugnis roemischer Einwohnerschaft in diesen
Gegenden. Es ist dies um so bemerkenswerter, als das Aufbluehen von Koeln, wenn
hier nicht besondere Hindernisse im Wege gestanden haetten, die roemische
Zivilisation von selber weithin auf das andere Ufer getragen haben wuerde. Oft
genug werden roemische Truppen diese ausgedehnten Gebiete betreten, vielleicht
selbst die gerade hier in augustischer Zeit zahlreich angelegten Strassen
einigermassen gangbar gehalten, auch wohl neue angelegt haben; spaerliche
Ansiedler, teils Ueberreste der alten germanischen Bevoelkerung, teils
Kolonisten aus dem Reich, werden hier gesessen haben, aehnlich wie wir sie bald
in der frueheren Kaiserzeit am rechten Ufer des Oberrheins finden werden; aber
den Wegen wie den Besitzungen fehlte der Stempel der Dauerhaftigkeit. Man wollte
hier nicht eine Arbeit von gleicher Ausdehnung und gleicher Schwierigkeit
unternehmen, wie wir sie weiterhin in der oberen Provinz kennenlernen werden,
nicht hier, wie es dort geschah, die Reichsgrenze militaerisch schuetzen und
befestigen. Darum hat den Unterrhein wohl die roemische Herrschaft, aber nicht,
wie den Oberrhein, auch die roemische Kultur ueberschritten.
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^7 Dies fordern die Aushebungen (Eph. epigr. V, p. 274), waehrend die
Friesen, wie sie im Jahre 58 (Tac. ann. 13, 54) auftreten, eher unabhaengig
erscheinen; auch der aeltere Plinius (nat. 25, 3, 22) unter Vespasian nennt sie
im Rueckblick auf die Zeit des Germanicus gens tum fida. Wahrscheinlich haengt
dies zusammen mit der Unterscheidung der Frisii und Frisiavones bei Plinius
(nat. 4, 15, 101) und der Frisii maiores und minores bei Tacitus (Germ. 34). Die
roemisch gebliebenen Friesen werden die westlichen sein, die freien die
oestlichen; wenn die Friesen ueberhaupt bis zur Ems reichen (Ptol. geogr. 3, 11,
7), so moegen die spaeter roemischen etwa westwaerts der Yssel gesessen haben.
Anderswo als an der noch heute ihren Namen tragenden Kueste darf man sie nicht
ansetzen; die Nennung bei Plinius (nat. 4, 17, 106) steht vereinzelt und ist
ohne Zweifel fehlerhaft.
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Ihrer doppelten Aufgabe, das benachbarte Gallien in Gehorsam und die
Germanen des rechten Rheinufers von Gallien abzuhalten, hatte die Armee am
Unterrhein auch nach dem Verzicht auf Besetzung des rechtsrheinischen Gebietes
ausreichend genuegt; und es waere die Ruhe nach aussen und innen voraussichtlich
nicht unterbrochen worden, wenn nicht der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie
und der dadurch hervorgerufene Buerger- oder vielmehr Korpskrieg in diese
Verhaeltnisse in verhaengnisvoller Weise eingegriffen haette. Die Insurrektion
des Keltenlandes unter Fuehrung des Vindex wurde zwar von den beiden
germanischen Armeen niedergeschlagen; aber Neros Sturz erfolgte dennoch, und als
sowohl das spanische Heer wie die Kaisergarde in Rom ihm einen Nachfolger
bestellten, taten auch die Rheinarmeen das gleiche, und im Anfang des Jahres 69
ueberschritt der groesste Teil dieser Truppen die Alpen, um auf den
Schlachtfeldern Italiens auszumachen, ob dessen Herrscher Marcus oder Aulus
heissen werde. Im Mai desselben Jahres folgte der neue Kaiser Vitellius, nachdem
die Waffen fuer ihn entschieden hatten, begleitet von dem Rest der guten
kriegsgewohnten Mannschaften. Durch eilig in Gallien ausgehobene Rekruten waren
allerdings die Luecken in den Rheinbesatzungen notduerftig ausgefuellt worden;
aber dass es nicht die alten Legionen waren, wusste das ganze Land, und bald
zeigte es sich auch, dass jene nicht zurueckkamen. Haette der neue Herrscher die
Armee, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, in seiner Gewalt gehabt, so haette
gleich nach der Niederwerfung Othos im April wenigstens ein Teil derselben an
den Rhein zurueckkehren muessen; aber mehr noch die Unbotmaessigkeit der
Soldaten als die bald eintretende neue Verwicklung mit dem im Osten zum Kaiser
ausgerufenen Vespasian hielt die germanischen Legionen in Italien zurueck.
Gallien war in der furchtbarsten Aufregung. Die Insurrektion des Vindex
war, wie frueher bemerkt ward, an sich nicht gegen die Herrschaft Roms, sondern
gegen den dermaligen Herrscher gerichtet; aber darum war sie nicht weniger eine
Kriegfuehrung gewesen zwischen den Rheinarmeen und dem Landsturm der grossen
Mehrzahl der keltischen Gaue, und diese nicht weniger gleich Besiegten
gepluendert und misshandelt worden. Die Stimmung, die zwischen den Provinzialen
und den Soldaten bestand, zeigt zum Beispiel die Behandlung, welche der Gau der
Helvetier bei dem Durchmarsch der nach Italien bestimmten Truppen erfuhr: weil
hier ein von den Vitellianern nach Pannonien abgesandter Kurier aufgegriffen
worden war, rueckten die Marschkolonnen von der einen Seite, von der anderen die
in Raetien in Garnison stehenden Roemer in den Gau ein, pluenderten weit und
breit die Ortschaften, namentlich das heutige Baden bei Zuerich, jagten die in
die Berge Fluechtenden aus ihrem Versteck auf und machten sie zu Tausenden
nieder oder verkauften die Gefangenen nach Kriegsrecht. Obwohl die Hauptstadt
Aventicum (Avenches bei Murten) sich ohne Gegenwehr unterwarf, forderten die
Agitatoren der Armee ihre Schleifung und alles, was der Feldherr gewaehrte, war
die Verweisung der Frage nicht etwa an den Kaiser, sondern an die Soldaten des
grossen Hauptquartiers; diese sassen ueber das Schicksal der Stadt zu Gericht
und nur der Umschlag ihrer Laune rettete den Ort vor der Zerstoerung.
Dergleichen Misshandlungen brachten die Provinzialen aufs aeusserste; noch bevor
Vitellius Gallien verliess, trat ein gewisser Mariccus aus dem von den Haeduern
abhaengigen Gau der Boier auf, ein Gott auf Erden, wie er sagte, und bestimmt,
die Freiheit der Kelten wieder herzustellen; und scharenweise stroemten die
Leute unter seine Fahnen. Indes kam auf die Erbitterung im Keltenland nicht
allzu viel an. Eben der Aufstand des Vindex hatte auf das deutlichste gezeigt,
wie voellig unfaehig die Gallier waren, sich der roemischen Umklammerung zu
entwinden. Aber die Stimmung der zu Gallien gerechneten germanischen Distrikte
in den heutigen Niederlanden, der Bataver, der Cannenefaten, der Friesen, deren
Sonderstellung schon hervorgehoben ward, hatte etwas mehr zu bedeuten; und es
traf sich, dass eben diese einerseits aufs aeusserste erbittert worden waren,
andererseits ihre Kontingente zufaellig sich in Gallien befanden. Die Masse der
batavischen Truppen, 8000 Mann, der 14. Legion beigegeben, hatte laengere Zeit
mit dieser bei dem oberen Rheinheere gestanden und war dann unter Claudius bei
der Besetzung Britanniens nach dieser Insel gekommen, wo dieses Korps kurz zuvor
die entscheidende Schlacht unter Paullinus durch seine unvergleichliche
Tapferkeit fuer die Roemer gewonnen hatte; von diesem Tag an nahm dasselbe unter
allen roemischen Heeresabteilungen unbestritten den ersten Platz ein. Eben
dieser Auszeichnung wegen von Nero abberufen, um mit ihm zum Kriege in den
Orient abzugehen, hatte die in Gallien ausbrechende Revolution ein Zerwuerfnis
zwischen der Legion und ihren Hilfsmannschaften herbeigefuehrt: jene, dem Nero
treu ergeben, eilte nach Italien, die Bataver dagegen weigerten sich zu folgen.
Vielleicht hing dies damit zusammen, dass zwei ihrer angesehensten Offiziere,
die Brueder Paulus und Civilis, ohne jeden Grund und ohne Ruecksicht auf
vieljaehrige treue Dienste und ehrenvolle Wunden, kurz vorher als des
Hochverrats verdaechtig in Untersuchung gezogen, der erstere hingerichtet, der
zweite gefangengesetzt worden war. Nach Neros Sturz, zu welchem der Abfall der
batavischen Kohorten wesentlich beigetragen hatte, gab Galba den Civilis frei
und sandte die Bataver in ihr altes Standquartier nach Britannien zurueck.
Waehrend sie auf dem Marsch dahin bei den Lingonen (Langres) lagerten, fielen
die Rheinlegionen von Galba ab und riefen den Vitellius zum Kaiser aus. Die
Bataver schlossen nach laengerem Schwanken schliesslich sich an; dieses
Schwanken vergab ihnen Vitellius nicht, doch wagte er nicht, den Fuehrer des
maechtigen Korps geradezu zur Verantwortung zu ziehen. So waren die Bataver mit
den Legionen von Untergermanien nach Italien marschiert und hatten mit gewohnter
Tapferkeit in der Schlacht von Betriacum fuer Vitellius gefochten, waehrend ihre
alten Legionskameraden ihnen in dem Heere Othos gegenueberstanden. Aber der
Uebermut dieser Germanen erbitterte ihre roemischen Siegesgenossen, wie sehr sie
ihre Tapferkeit im Kampf anerkannten; auch die kommandierenden Generale trauten
ihnen nicht und machten sogar einen Versuch, durch Detachierung sie zu teilen,
was freilich in diesem Krieg, in dem die Soldaten kommandierten und die Generale
gehorchten, nicht durchzufuehren war und fast dem General das Leben gekostet
haette. Nach dem Siege wurden sie beauftragt, ihre feindlichen Kameraden von der
14. Legion nach Britannien zu eskortieren; aber da es zwischen beiden in Turin
zum Handgemenge gekommen war, gingen diese allein dorthin und sie selbst nach
Germanien. Inzwischen war im Orient Vespasianus zum Kaiser ausgerufen worden,
und waehrend infolgedessen Vitellius sowohl den batavischen Kohorten
Marschbefehl nach Italien gab wie auch bei den Batavern neue umfassende
Aushebungen anordnete, knuepften Vespasians Beauftragte mit den batavischen
Offizieren an, um diesen Abmarsch zu verhindern und in Germanien selbst einen
Aufstand hervorzurufen, der die Truppen dort festhielte. Civilis ging darauf
ein. Er begab sich in seine Heimat und gewann leicht die Zustimmung der
Seinigen, sowie der benachbarten Cannenefaten und Friesen. Bei jenen brach der
Aufstand aus; die beiden Kohortenlager in der Naehe wurden ueberfallen und die
roemischen Posten aufgehoben; die roemischen Rekruten schlugen sich schlecht;
bald warf Civilis mit seiner Kohorte, die er hatte nachkommen lassen, um sie
angeblich gegen die Insurgenten zu gebrauchen, sich selbst offen in die
Bewegung, sagte mit den drei germanischen Gauen dem Vitellius auf und forderte
die uebrigen, eben damals von Mainz zum Abmarsch nach Italien aufbrechenden
Bataver und Cannenefaten auf, sich ihm anzuschliessen.
Das alles war mehr ein Soldatenaufstand als eine Insurrektion der Provinz
oder gar ein germanischer Krieg. Wenn damals die Rheinlegionen mit denen von der
Donau und weiter mit diesen und der Euphratarmee schlugen, so war es nur
folgerichtig, dass auch die Soldaten zweiter Klasse, und vor allem die
angesehenste Truppe derselben, die batavische, selbstaendig in diesen Korpskrieg
eintrat. Wer diese Bewegung bei den Kohorten der Bataver und den
linksrheinischen Germanen mit der Insurrektion der rechtsrheinischen unter
Augustus zusammenstellt, der darf nicht uebersehen, dass in jener die Alen und
Kohorten die Rolle des Landsturms der Cherusker uebernahmen; und wenn der
treulose Offizier des Varus seine Nation aus der Roemerherrschaft erloeste, so
handelte der batavische Fuehrer im Auftrag Vespasians, ja vielleicht auf geheime
Anweisung des im stillen Vespasian geneigten Statthalters seiner Provinz, und
richtete sich der Aufstand zunaechst lediglich gegen Vitellius. Freilich war die
Lage der Dinge von der Art, dass dieser Soldatenaufstand jeden Augenblick in
einen Germanenkrieg gefaehrlichster Art sich verwandeln konnte. Dieselben
roemischen Truppen, die den Rhein gegen die Germanen des rechten Ufers deckten,
standen infolge der Korpskriege den linksrheinischen Germanen feindlich
gegenueber; die Rollen waren solcher Art, dass es fast leichter schien, sie zu
wechseln als sie durchzufuehren. Civilis selbst mag es wohl auf den Erfolg haben
ankommen lassen, ob die Bewegung auf einen Kaiserwechsel oder auf die
Vertreibung der Roemer aus Gallien durch die Germanen hinauslaufen werde.
Das Kommando ueber die beiden Rheinarmeen fuehrte damals, nachdem der
Statthalter von Untergermanien Kaiser geworden war, sein bisheriger Kollege in
Obergermanien Hordeonius Flaccus, ein hochbejahrter podagrischer Mann, ohne
Energie und ohne Autoritaet, dazu entweder in der Tat im geheimen zu Vespasian
haltend oder doch bei den eifrig dem Kaiser ihrer Mache anhaengenden Legionen
solcher Treulosigkeit sehr verdaechtig. Es zeichnet ihn und seine Stellung, dass
er, um sich von dem Verdacht des Verrats zu reinigen, Befehl gab, die
einlaufenden Regierungsdepeschen uneroeffnet den Adlertraegern der Legionen
zuzustellen und diese sie zunaechst den Soldaten vorlasen, bevor sie dieselben
an ihre Adresse befoerderten. Von den vier Legionen des unteren Heeres, das
zunaechst mit den Aufstaendischen zu tun hatte, standen zwei, die 5. und die
15., unter dem Legaten Munius Lupercus im Hauptquartier zu Vetera, die 16. unter
Numisius Rufus in Novaesium (Neuss), die 1. unter Herennius Gallus in Bonna
(Bonn). Von dem oberen Heer, das damals nur drei Legionen zaehlte ^8, blieb die
eine, die 21., in ihrem Standquartier Vindonissa diesen Vorgaengen fern, wenn
sie nicht vielmehr ganz nach Italien gezogen worden war; die beiden anderen, die
4. makedonische und die 22., standen im Hauptquartier Mainz, wo auch Flaccus
sich befand und faktisch der tuechtige Legat des letzteren, Dillius Vocula, den
Oberbefehl fuehrte. Die Legionen hatten durchgaengig nur die Haelfte der vollen
Zahl, und die meisten Soldaten waren Halbinvalide oder Rekruten.
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^8 Die 4. obergermanische Legion war im Jahre 58 nach Kleinasien geschickt,
wegen des Armenisch-Parthischen Krieges (Tac. ann. 13, 35).
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Civilis, an der Spitze einer kleinen Zahl regulaerer Truppen, aber des
Gesamtaufgebots der Bataver, Cannenefaten und Friesen, ging aus der Heimat zum
Angriff vor. Zunaechst am Rhein stiess er auf Reste der aus den noerdlichen
Gauen vertriebenen roemischen Besatzungen und eine Abteilung der roemischen
Rheinflotte; als er angriff, lief nicht bloss die grossenteils aus Batavern
bestehende Schiffsmannschaft zu ihm ueber, sondern auch eine Kohorte der Tungrer
- es war der erste Abfall einer gallischen Abteilung; was von italischen
Mannschaften dabei war, wurde erschlagen oder gefangen. Dieser Erfolg brachte
endlich die rechtsrheinischen Germanen in Bewegung. Was sie seit langem
vergeblich gehofft hatten, die Erhebung der roemischen Untertanen auf dem
anderen Ufer, ging nun in Erfuellung und sowohl die Chauker und die Friesen an
der Kueste wie vor allem die Bructerer zu beiden Seiten der oberen Ems bis hinab
zur Lippe, und am Mittelrhein, Koeln gegenueber, die Tencterer, in minderem
Masse die suedlich an diese sich anschliessenden Voelkerschaften, Usiper,
Mattiaker, Chatten, warfen sich in den Kampf. Als auf Befehl des Flaccus die
beiden schwachen Legionen von Vetera gegen die Insurgenten ausrueckten, konnten
ihnen diese schon mit zahlreichem ueberrheinischem Zuzug entgegentreten; und die
Schlacht endigte wie das Gefecht am Rhein mit einer Niederlage der Roemer durch
den Abfall der batavischen Reiterei, welche zu der Garnison von Vetera gehoerte,
und durch die schlechte Haltung der Reiter der Ubier wie der Treverer. Die
insurgierten wie die zustroemenden Germanen schritten dazu, das Hauptquartier
des unteren Heeres zu umstellen und zu belagern. Waehrend dieser Belagerung
erreichte die Kunde der Vorgaenge am Unterrhein die uebrigen batavischen
Kohorten in der Naehe von Mainz; sie machten sofort kehrt gegen Norden. Statt
sie zusammenhauen zu lassen, liess der schwachmuetige Oberfeldherr sie ziehen,
und als der Legionskommandant in Bonn sich ihnen entgegenwarf, unterstuetzte
Flaccus diesen nicht, wie er es gekonnt und sogar anfaenglich zugesagt hatte. So
sprengten die tapferen Germanen die Bonner Legion auseinander und gelangten
gluecklich zu Civilis, fortan der geschlossene Kern seines Heeres, in welchem
jetzt die roemischen Kohortenfahnen neben den Tierstandarten aus den heiligen
Hainen der Germanen standen. Noch immer aber hielt der Bataver, wenigstens
angeblich, an Vespasian; er schwur die roemischen Truppen auf dessen Namen ein
und forderte die Besatzung von Vetera auf, sich mit ihm fuer diesen zu
erklaeren. Indes diese Mannschaften sahen darin, vermutlich mit Recht, nur einen
Versuch der Ueberlistung und wiesen diesen ebenso entschlossen ab wie die
anstuermenden Scharen der Feinde, die bald durch die ueberlegene roemische
Taktik sich gezwungen sahen, die Belagerung in eine Blockade zu verwandeln. Aber
da die roemische Heerleitung durch diese Vorgaenge ueberrascht worden war, waren
die Vorraete knapp und baldiger Entsatz dringend geboten. Um diesen zu bringen,
brachen Flaccus und Vocula mit ihrer gesamten Mannschaft von Mainz auf, zogen
unterwegs die beiden Legionen aus Bonna und Novaesium sowie die auf den
erhaltenen Befehl zahlreich sich einstellenden Hilfstruppen der gallischen Gaue
an sich und naeherten sich Vetera. Aber statt sofort die gesamte Macht von innen
und aussen auf die Belagerer zu werfen, mochte deren Ueberzahl noch so gewaltig
sein, schlug Vocula sein Lager bei Gelduba (Gellep am Rhein, unweit Krefeld),
einen starken Tagemarsch entfernt von Vetera, waehrend Flaccus weiter
zurueckstand. Die Nichtigkeit des sogenannten Feldherrn und die immer steigende
Demoralisation der Truppen, vor allem das oft bis zu Misshandlungen und
Mordanschlaegen sich steigernde Misstrauen gegen die Offiziere kann allein dies
Einhalten wenigstens erklaeren. Also zog sich das Unheil immer dichter von allen
Seiten zusammen. Ganz Germanien schien sich an dem Krieg beteiligen zu wollen;
waehrend die belagernde Armee bestaendig neuen Zuzug von dort erhielt, gingen
andere Schwaerme ueber den in diesem trocknen Sommer ungewoehnlich niedrigen
Rhein teils in den Ruecken der Roemer in die Gaue der Ubier und der Treverer,
das Moseltal zu brandschatzen, teils unterhalb Vetera in das Gebiet der Maas und
der Schelde; weitere Haufen erschienen vor Mainz und machten Miene, dies zu
belagern. Da kam die Nachricht von der Katastrophe in Italien. Auf die Kunde von
der zweiten Schlacht bei Betriacum im Herbst des Jahres 69 gaben die
germanischen Legionen die Sache des Vitellius verloren und schwuren, wenn auch
widerwillig, dem Vespasian; vielleicht in der Hoffnung, dass Civilis, der ja
auch den Namen Vespasians auf seine Fahnen geschrieben hatte, dann seinen
Frieden machen werde. Aber die germanischen Schwaerme, die inzwischen ueber ganz
Nordgallien sich ergossen hatten, waren nicht gekommen, um die Flavische
Dynastie einzusetzen; selbst wenn Civilis dies einmal gewollt hatte, jetzt
haette er es nicht mehr gekonnt. Er warf die Maske weg und sprach es offen aus,
was freilich laengst feststand, dass die Germanen Nordgalliens sich mit Hilfe
der freien Landsleute der roemischen Herrschaft zu entwinden gedachten.
Aber das Kriegsglueck schlug um. Civilis versuchte das Lager von Gelduba zu
ueberrumpeln; der Ueberfall begann gluecklich und der Abfall der Kohorten der
Nervier brachte Voculas kleine Schar in eine kritische Lage. Da fielen
ploetzlich zwei spanische Kohorten den Germanen in den Ruecken; die drohende
Niederlage verwandelte sich in einen glaenzenden Sieg; der Kern der angreifenden
Armee blieb auf dem Schlachtfeld. Vocula rueckte zwar nicht sofort gegen Vetera
vor, was er wohl gekonnt haette, aber drang einige Tage spaeter, nach einem
abermaligen heftigen Gefecht mit den Feinden, in die belagerte Stadt. Freilich
Lebensmittel brachte er nicht; und da der Fluss in der Gewalt des Feindes war,
mussten diese auf dem Landweg von Novaesium herbeigeschafft werden, wo Flaccus
lagerte. Der erste Transport kam durch; aber die inzwischen wieder gesammelten
Feinde griffen die zweite Proviantkolonne unterwegs an und noetigten sie, sich
nach Gelduba zu werfen. Zu ihrer Unterstuetzung ging Vocula mit seinen Truppen
und einem Teil der alten Besatzung von Vetera dorthin ab. In Gelduba angelangt,
weigerten sich die Mannschaften, nach Vetera zurueckzukehren und die Leiden der
abermals in Aussicht stehenden Belagerung weiter auf sich zu nehmen; statt
dessen marschierten sie nach Novaesium, und Vocula, welcher den Rest der alten
Garnison von Vetera einigermassen verproviantiert wusste, musste wohl oder uebel
folgen. In Novaesium war inzwischen die Meuterei zum Ausbruch gelangt. Die
Soldaten hatten in Erfahrung gebracht, dass ein von Vitellius fuer sie
bestimmtes Donativ an den Feldherrn gelangt sei und erzwangen dessen Verteilung
auf den Namen Vespasians. Kaum hatten sie es, so brach in den wuesten Gelagen,
welche die Spende im Gefolge hatte, der alte Soldatengroll wieder hervor; sie
pluenderten das Haus des Feldherrn, der die Rheinarmee an den General der
syrischen Legionen verraten hatte, erschlugen ihn und haetten auch dem Vocula
das gleiche Schicksal bereitet, wenn dieser nicht in Vermummung entkommen waere.
Darauf riefen sie abermals den Vitellius zum Kaiser aus, nicht wissend, dass
dieser schon tot war. Als diese Kunde ins Lager kam, kam der bessere Teil der
Soldaten, namentlich die beiden obergermanischen Legionen, einigermassen zur
Besinnung; sie vertauschten an ihren Standarten das Bildnis des Vitellius wieder
mit dem Vespasians und stellten sich unter Voculas Befehle; dieser fuehrte sie
nach Mainz, wo er den Rest des Winters 69/70 verblieb. Civilis besetzte Gelduba
und schnitt damit Vetera ab, das aufs neue eng blockiert ward; die Lager von
Novaesium und Bonna wurden noch gehalten.
Bisher hatte das gallische Land, abgesehen von den wenigen insurgierten
germanischen Gauen im Norden, fest an Rom gehalten. Allerdings ging die
Parteiung durch die einzelnen Gaue; unter den Tungrern zum Beispiel hatten die
Bataver starken Anhang, und die schlechte Haltung der gallischen
Hilfsmannschaften waehrend des ganzen Feldzugs wird wohl zum Teil durch
dergleichen roemerfeindliche Stimmungen hervorgerufen sein. Aber auch unter den
Insurgierten gab es eine ansehnliche roemisch gesinnte Partei; ein vornehmer
Bataver, Claudius Labeo, fuehrte gegen seine Landsleute in seiner Heimat und der
Nachbarschaft einen Parteigaengerkrieg nicht ohne Erfolg und Civilis'
Schwestersohn Iulius Briganticus fiel in einem dieser Gefechte an der Spitze
einer roemischen Reiterschar. Dem Befehl, Zuzug zu senden, hatten alle
gallischen Gaue ohne weiteres Folge geleistet; die Ubier, obwohl germanischer
Herkunft, waren auch in diesem Kriege lediglich ihres Roemerrums eingedenk und
sie, wie die Treverer, hatten den in ihr Gebiet einbrechenden Germanen tapferen
und erfolgreichen Widerstand geleistet. Es war das begreiflich. Die Dinge lagen
in Gallien noch so wie in den Zeiten Caesars und Ariovists; eine Befreiung der
gallischen Heimat von der roemischen Herrschaft durch diejenigen Schwaerme,
welche, um dem Civilis landsmannschaftlichen Beistand zu leisten, eben damals
das Mosel-, Maas- und Scheldetal ausraubten, war ebensosehr eine Auslieferung
des Landes an die germanischen Nachbarn; in diesem Krieg, der aus einer Fehde
zwischen zwei roemischen Truppenkorps zu einem roemisch-germanischen sich
entwickelt hatte, waren die Gallier eigentlich nichts als der Einsatz und die
Beute. Dass die Stimmung der Gallier, trotz aller wohlbegruendeten allgemeinen
und besonderen Beschwerden ueber das roemische Regiment, ueberwiegend
antigermanisch war und fuer jene aufflammende und ruecksichtslose nationale
Erhebung, wie sie vor Zeiten wohl durch das Volk gegangen war, in diesem
inzwischen halb romanisierten Gallien der Zuendstoff fehlte, hatten die
bisherigen Vorgaenge auf das deutlichste gezeigt. Aber unter den bestaendigen
Misserfolgen der roemischen Armee wuchs allmaehlich den roemerfeindlichen
Galliern der Mut, und ihr Abfall vollendete die Katastrophe. Zwei vornehme
Treverer, Iulius Classicus, der Befehlshaber der treverischen Reiterei, und
Iulius Tutor, der Kommandant der Uferbesatzungen am Mittelrhein, der Lingone
Iulius Sabinus, Nachkomme, wie er wenigstens sich beruehmte, eines Bastards
Caesars, und einige andere gleichgesinnte Maenner aus verschiedenen Gauen
glaubten in der fahrigen keltischen Weise zu erkennen, dass der Untergang Roms
in den Sternen geschrieben und durch den Brand des Kapitols (Dezember 69) der
Welt verkuendigt sei. So beschlossen sie, die Roemerherrschaft zu beseitigen und
ein Gallisches Reich zu errichten. Dazu gingen sie den Weg des Arminius. Vocula
liess sich wirklich durch gefaelschte Rapporte dieser roemischen Offiziere
bestimmen, mit den unter ihrem Kommando stehenden Kontingenten und einem Teil
der Mainzer Besatzung im Fruehjahr 70 nach dem Unterrhein aufzubrechen, um mit
diesen Truppen und den Legionen von Bonna und Novaesium das hart bedraengte
Vetera zu entsetzen. Auf dem Marsch von Novaesium nach Vetera verliessen
Classicus und die mit ihm einverstandenen Offiziere das roemische Heer und
proklamierten das neue Gallische Reich. Vocula fuehrte die Legionen zurueck nach
Novaesium; unmittelbar davor schlug Classicus sein Lager auf. Vetera konnte sich
nicht mehr lange halten; die Roemer mussten erwarten, nach dessen Fall die
gesamte Macht des Feindes sich gegenueber zu finden. Dies vor Augen, versagten
die roemischen Truppen und kapitulierten mit den abgefallenen Offizieren.
Vergeblich versuchte Vocula noch einmal die Bande der Zucht und der Ehre
anzuziehen; die Legionen Roms liessen es geschehen, dass ein roemischer
Ueberlaeufer von der ersten Legion auf Befehl des Classicus den tapferen
Feldherrn niederstiess und lieferten selbst die uebrigen Oberoffiziere gefesselt
an den Vertreter des Reiches Gallien aus, der dann die Soldaten auf dieses Reich
in Eid und Pflicht nahm. Denselben Schwur leistete in die Haende der
eidbruechigen Offiziere die Besatzung von Vetera, die, durch Hunger bezwungen,
sofort sich ergab, und ebenso die Besatzung von Mainz, wo nur wenige einzelne
der Schande sich durch Flucht oder Tod entzogen. Das ganze stolze Rheinheer, die
erste Armee des Reiches, hatte vor seinen eigenen Auxilien, Rom vor Gallien
kapituliert.
Es war ein Trauerspiel und zugleich eine Posse. Das Gallische Reich
verlief, wie es musste. Civilis und seine Germanen liessen es zunaechst sich
wohl gefallen, dass der Zwist im roemischen Lager ihnen die eine wie die andere
Haelfte der Feinde in die Haende lieferte, aber er dachte nicht daran, jenes
Reich anzuerkennen, und noch weniger seine rechtsrheinischen Genossen.
Ebenso wenig wollten die Gallier selbst davon etwas wissen, wobei
allerdings der schon bei dem Aufstand des Vindex hervorgetretene Riss zwischen
den oestlichen Distrikten und dem uebrigen Lande mit ins Gewicht fiel. Die
Treverer und die Lingonen, deren leitende Maenner jene Lagerverschwoerung
angezettelt hatten, standen zu ihren Fuehrern, aber sie blieben so gut wie
allein, nur die Vangionen und Triboker schlossen sich an. Die Sequaner, in deren
Gebiet die benachbarten Lingonen einrueckten, um sie zum Beitritt zu bestimmen,
schlugen dieselben kurzweg zum Lande hinaus. Die angesehenen Remer, der
fuehrende Gau in der Belgica, riefen den Landtag der drei Gallien ein, und
obwohl es an politischen Freiheitsrednern auf demselben nicht mangelte, so
beschloss derselbe lediglich, die Treverer von der Auflehnung abzumahnen.
Wie die Verfassung des neuen Reiches ausgefallen sein wuerde, wenn es
zustande gekommen waere, ist schwer zu sagen; wir erfahren nur, dass jener
Sabinus, der Urenkel der Kebse Caesars, sich auch Caesar nannte und in dieser
Eigenschaft sich von den Sequanern schlagen liess, Classicus dagegen, dem solche
Aszendenz nicht zu Gebote stand, die Abzeichen der roemischen Magistratur
anlegte, also wohl den republikanischen Prokonsul spielte. Dazu passt eine
Muenze, die von Classicus oder seinen Anhaengern geschlagen sein muss, welche
den Kopf der Gallia zeigt, wie die Muenzen der roemischen Republik den der Roma,
und daneben das Legionssymbol mit der recht verwegenen Umschrift der "Treue"
(fides).
Zunaechst am Rhein freilich hatten die Reichsmaenner in Gemeinschaft mit
den insurgierten Germanen freie Hand. Die Reste der beiden Legionen, die in
Vetera kapituliert hatten, wurden gegen die Kapitulation und gegen Civilis'
Willen niedergemacht, die beiden von Novaesium und Bonna nach Trier geschickt,
die saemtlichen roemischen Rheinlager, grosse und kleine, mit Ausnahme von
Mogontiacum niedergebrannt. In der schlimmsten Lage fanden sich die
Agrippinenser. Die Reichsmaenner hatten sich allerdings darauf beschraenkt, von
ihnen den Treueid zu fordern; aber ihnen vergassen es die Germanen nicht, dass
sie eigentlich die Ubier waren. Eine Botschaft der Tencterer vom rechten
Rheinufer - es war dies einer der Staemme, deren alte Heimat die Roemer
oedegelegt hatten und als Viehtrift benutzten, und die infolgedessen sich andere
Wohnsitze hatten suchen muessen - forderte die Schleifung dieses Hauptsitzes der
germanischen Apostaten und die Hinrichtung aller ihrer Buerger roemischer
Herkunft. Dies waere auch wohl beschlossen worden, wenn nicht sowohl Civilis,
der ihnen persoenlich verpflichtet war, wie auch die germanische Prophetin,
Veleda im Bructerergau, welche diesen Sieg vorhergesagt hatte und deren
Autoritaet das ganze Insurgentenheer anerkannte, ihr Fuerwort eingelegt haetten.
Lange Zeit blieb den Siegern nicht, ueber die Beute zu streiten. Die
Reichsmaenner versicherten allerdings, dass der Buergerkrieg in Italien
ausgebrochen, alle Provinzen vom Feinde ueberzogen und Vespasianus
wahrscheinlich tot sei; aber der schwere Arm Roms wurde bald genug empfunden.
Das neu befestigte Regiment konnte die besten Feldherren und zahlreiche Legionen
an den Rhein entsenden, und es bedurfte allerdings hier einer imposanten
Machtentwicklung. Annius Gallus uebernahm das Kommando in der oberen, Petillius
Cerialis in der unteren Provinz, der letztere, ein ungestuemer und oft
unvorsichtiger, aber tapferer und faehiger Offizier, die eigentliche Aktion.
Ausser der 21. Legion von Vindonissa kamen fuenf aus Italien, drei aus Spanien,
eine nebst der Flotte aus Britannien, dazu ein weiteres Korps von der raetischen
Besatzung. Dieses und die 21. Legion trafen zuerst ein. Die Reichsmaenner hatten
wohl davon geredet, die Alpenpaesse zu sperren; aber geschehen war nichts und
das ganze oberrheinische Land bis nach Mainz lag offen da. Die beiden Mainzer
Legionen hatten zwar dem gallischen Reich geschworen und leisteten anfaenglich
Widerstand; aber sowie sie erkannten, dass eine groessere roemische Armee ihnen
gegenueberstand, kehrten sie zum Gehorsam zurueck und ihrem Beispiel folgten
sofort die Vangionen und die Triboker. Sogar die Lingonen unterwarfen sich ohne
Schwertstreich, bloss gegen Zusage milder Behandlung, ihrer 70000 waffenfaehigen
Maenner ^9. Fast haetten die Treverer selbst das gleiche getan; doch wurden sie
daran durch den Adel verhindert. Die beiden von der niederrheinischen Armee
uebriggebliebenen Legionen, die hier standen, hatten auf die erste Kunde von dem
Annahen der Roemer die gallischen Insignien von ihren Feldzeichen gerissen und
rueckten ab zu den treugebliebenen Mediomatrikern (Metz), wo sie sich der Gnade
des neuen Feldherrn unterwarfen. Als Cerialis bei dem Heer eintraf, fand er
schon ein gutes Stueck der Arbeit getan. Die Insurgentenfuehrer freilich boten
das Aeusserste auf - damals sind auf ihr Geheiss die bei Novaesium
ausgelieferten Legionslegaten umgebracht worden -, aber militaerisch waren sie
ohnmaechtig und ihr letzter politischer Schachzug, dem roemischen Feldherrn
selber die Herrschaft des Gallischen Reiches anzutragen, des Anfangs wuerdig.
Nach kurzem Gefecht besetzte Cerialis die Hauptstadt der Treverer, nachdem die
Fuehrer und der ganze Rat zu den Germanen gefluechtet waren; das war das Ende
des Gallischen Reiches.
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^9 Frontin strat. 4, 3, 14. In ihrem Gebiet muessen die einrueckenden
Truppen eine Reservestellung und ein Depot angelegt haben; nach kuerzlich bei
Mirabeau-sur-Beze, 22 Kilometer nordoestlich von Dijon, gefundenen Ziegeln haben
Mannschaften von wenigstens fuenf der einrueckenden Legionen hier Bauten
ausgefuehrt (Heymes 19, 1884, S. 437).
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Ernster war der Kampf mit den Germanen. Civilis ueberfiel mit seiner
gesamten Streitmacht, den Batavern, dem Zuzug der Germanen und den
landfluechtigen Scharen der gallischen Insurgenten die viel schwaechere
roemische Armee in Trier selbst; schon war das roemische Lager in seiner Gewalt
und die Moselbruecke von ihm besetzt, als seine Leute, statt den gewonnenen Sieg
zu verfolgen, vorzeitig zu pluendern begannen und Cerialis, seine
Unvorsichtigkeit durch glaenzende Tapferkeit wiedergutmachend, den Kampf
wiederherstellte und schliesslich die Germanen aus dem Lager und der Stadt
hinausschlug. Es gelang nichts mehr von Bedeutung. Die Agrippinenser schlugen
sich sofort wieder zu den Roemern und brachten die bei ihnen weilenden Germanen
in den Haeusern um; eine ganze dort lagernde germanische Kohorte wurde
eingesperrt und in ihrem Quartier verbrannt. Was in der Belgica noch zu den
Germanen hielt, brachte die aus Britannien eintreffende Legion zum Gehorsam
zurueck; ein Sieg der Cannenefaten ueber die roemischen Schiffe, die die Legion
gelandet hatten, andere einzelne Erfolg der tapferen germanischen Haufen und vor
allem der zahlreicheren und besser gefuehrten germanischen Schiffe aenderten die
allgemeine Kriegslage nicht. Auf den Ruinen von Vetera bot Civilis dem Feind die
Stirn; aber dem inzwischen verdoppelten roemischen Heere musste er weichen, dann
endlich auch die eigene Heimat nach verzweifelter Gegenwehr dem Feind
ueberlassen. Wie immer stellte im Gefolge des Ungluecks die Zwietracht sich ein;
Civilis war seiner eigenen Leute nicht mehr sicher und suchte und fand Schutz
vor ihnen bei den Feinden. Im Spaetherbst des Jahres 70 war der ungleiche Kampf
entschieden; die Auxilien kapitulierten nun ihrerseits vor den Buergerlegionen
und die Priesterin Veleda kam als Gefangene nach Rom.
Blicken wir zurueck auf diesen Krieg, einen der seltsamsten und einen der
entsetzlichsten aller Zeiten, so ist kaum je einer Armee eine gleich schwere
Aufgabe gestellt worden wie den beiden roemischen Rheinheeren in den Jahren 69
und 70: im Laufe weniger Monate Soldaten Neros, dann des Senats, dann Galbas,
dann des Vitellius, dann Vespasians; die einzige Stuetze der Herrschaft Italiens
ueber die zwei maechtigen Nationen der Gallier und der Germanen, und die
Soldaten der Auxilien fast ganz, die der Legionen grossenteils aus eben diesen
Nationen genommen; ihrer besten Mannschaften beraubt, meist ohne Loehnung und
oft hungernd und ueber alle Massen elend gefuehrt, ist ihnen allerdings
innerlich wie aeusserlich Uebermenschliches zugemutet worden. Sie haben die
schwere Probe uebel bestanden. Es ist dieser Krieg weniger einer gewesen
zwischen zwei Armeekorps, wie die anderen Buergerkriege dieser entsetzlichen
Zeit, als ein Krieg der Soldaten und vor allem der Offiziere zweiter Klasse
gegen die der ersten, verbunden mit einer gefaehrlichen Insurrektion und
Invasion der Germanen und einer beilaeufigen und unbedeutenden Auflehnung
einiger keltischer Distrikte. In der roemischen Militaergeschichte sind Cannae
und Karrhae und der Teutoburger Wald Ruhmesblaetter, verglichen mit der
Doppelschmach von Novaesium; nur wenige einzelne Maenner, keine einzige Truppe
hat in der allgemeinen Verunehrung sich reinen Schild bewahrt. Die grauenhafte
Zerruettung des Staats- und vor allem des Heerwesens, welche bei dem Untergang
der Julisch-Claudischen Dynastie uns entgegentritt, erscheint deutlicher noch
als in der fuehrerlosen Schlacht von Betriacum in diesen Vorgaengen am Rhein,
derengleichen die Geschichte Roms nie vorher und nie nachher aufweist.
Bei dem Umfang und der Allgemeinheit dieser Frevel war ein entsprechendes
Strafgericht unmoeglich. Es verdient Anerkennung, dass der neue Herrscher, der
gluecklicherweise persoenlich all diesen Vorgaengen fern geblieben war, in echt
staatsmaennischer Weise das Vergangene vergangen sein liess und nur bemueht war,
der Wiederholung aehnlicher Auftritte vorzubeugen. Dass die hervorragenden
Schuldigen, sowohl aus den Reihen der Truppen wie aus den Insurgenten, fuer ihre
Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, versteht sich von selbst; man mag
das Strafgericht daran messen, dass, als fuenf Jahre spaeter einer der
gallischen Insurgentenfuehrer in einem Versteck aufgefunden wurde, in dem seine
Gattin ihn bis dahin verborgen gehalten hatte, Vespasian ihn wie sie dem Henker
uebergab. Aber man gestattete den abtruennigen Legionen, mit gegen die Deutschen
zu kaempfen und in den heissen Schlachten bei Trier und bei Vetera ihre Schuld
einigermassen zu suehnen. Allerdings wurden nichtsdestoweniger die vier Legionen
des unterrheinischen Heeres alle, und von den beiden beteiligten oberrheinischen
die eine kassiert - gern moechte man glauben, dass die 22. verschont ward in
ehrender Erinnerung an ihren tapferen Legaten. Auch von den batavischen Kohorten
ist wahrscheinlich eine betraechtliche Anzahl von dem gleichen Schicksal
betroffen worden, nicht minder, wie es scheint, das Reiterregiment der Treverer
und vielleicht noch manche andere besonders hervorgetretene Truppe. Noch viel
weniger als gegen die abtruennigen Soldaten konnte gegen die insurgierten
keltischen und germanischen Gaue mit der vollen Schaerfe des Gesetzes
eingeschritten werden; dass die roemischen Legionen die Schleifung der
treverischen Augustuskolonie forderten, diesmal nicht der Beute, sondern der
Rache wegen, ist wenigstens ebenso begreiflich wie die von den Germanen begehrte
Zerstoerung der Ubierstadt; aber wie Civilis diese, so schuetzte jene Vespasian.
Selbst den linksrheinischen Germanen wurde ihre bisherige Stellung im ganzen
gelassen. Wahrscheinlich aber trat - wir sind hier ohne sichere Ueberlieferung -
in der Aushebung und der Verwendung der Auxilien eine wesentliche Aenderung ein,
welche die in dem Auxilienwesen liegende Gefahr minderte. Den Batavern blieb die
Steuerfreiheit und ein immer noch bevorzugtes Dienstverhaeltnis; hatte doch ein
nicht ganz geringer Teil derselben die Sache der Roemer mit den Waffen
verfochten. Aber die batavischen Truppen wurden betraechtlich verringert, und
wenn ihnen bisher, wie es scheint von Rechts wegen, die Offiziere aus dem
eigenen Adel gesetzt worden waren, und auch gegenueber den sonstigen
germanischen und keltischen das gleiche wenigstens haeufig geschehen war, so
werden die Offiziere der Alen und Kohorten spaeterhin ueberwiegend aus dem
Stande genommen, dem Vespasian selber entstammte, aus dem guten staedtischen
Mittelstand Italiens und der italisch geordneten Provinzialstaedte. Offiziere
von der Stellung des Cheruskers Arminius, des Batavers Civilis, des Treverers
Classicus begegnen seitdem nicht wieder. Die bisherige Geschlossenheit der aus
dem gleichen Gau ausgehobenen Truppen findet sich spaeter ebensowenig, sondern
die Leute dienen ohne Unterschied ihrer Herkunft in den verschiedensten
Abteilungen; es ist das wahrscheinlich eine Lehre, welche die roemische
Militaerverwaltung sich aus diesem Kriege gezogen hat. Eine andere durch diesen
Krieg gewiesene Aenderung wird es sein, dass, wenn bis dahin die in Germanien
verwendeten Auxilien der Mehrzahl nach aus den germanischen und den benachbarten
Gauen genommen waren, seitdem eben, wie die dalmatischen und pannonischen
infolge des Batonischen Krieges, fortan auch die germanischen Auxiliartruppen
ueberwiegend ausserhalb ihrer Heimat Verwendung fanden. Vespasian war ein
einsichtiger und erfahrener Militaer; es ist wahrscheinlich zum guten Teil sein
Verdienst, wenn von Auflehnung der Auxilien gegen ihre Legionen kein spaeteres
Beispiel begegnet.
Dass die eben berichtete Insurrektion der linksrheinischen Germanen, obwohl
sie, infolge der zufaelligen Vollstaendigkeit der darueber erhaltenen Berichte,
allein uns einen deutlichen Einblick in die politischen und militaerischen
Verhaeltnisse am Unterrhein und Galliens ueberhaupt gewaehrt und darum auch eine
ausfuehrliche Erzaehlung verdiente, dennoch mehr durch aeussere und zufaellige
Ursachen als durch die innere Notwendigkeit der Dinge hervorgerufen wurden,
beweist die nun folgende, anscheinend vollstaendige Ruhe daselbst und der,
soviel wir sehen, ununterbrochene Status quo eben in dieser Gegend. Die
roemischen Germanen sind in dem Reiche nicht minder vollstaendig aufgegangen als
die roemischen Gallier; von Insurrektionsversuchen jener ist nie wieder die
Rede. Am Ausgang des dritten Jahrhunderts wird von den ueber den Unterrhein in
Gallien einbrechenden Franken auch das batavische Gebiet mit erfasst; doch haben
sich die Bataver in ihren alten, wenn auch geschmaelerten Sitzen und ebenso die
Friesen selbst waehrend der Wirren der Voelkerwanderung behauptet und, soviel
wir wissen, auch dem baufaelligen Reichsganzen die Treue bewahrt.
Wenden wir uns von den roemischen zu den freien Germanen oestlich vom
Rhein, so ist fuer diese mit ihrer Beteiligung an jener batavischen Insurrektion
das offensive Vorgehen nicht minder vorbei, wie mit den Expeditionen des
Germanicus die Versuche der Roemer zu Ende sind, eine Grenzveraenderung im
grossen Stil in diesen Gebieten herbeizufuehren.
Unter den freien Germanen sind die dem roemischen Gebiet naechstwohnenden
die Bructerer an beiden Ufern der mittleren Ems und in dem Quellgebiet der Ems
und der Lippe, weshalb sie auch vor allen uebrigen Germanen sich an der
batavischen Insurrektion beteiligten. Aus ihrem Gau war das Maedchen Veleda, die
ihre Landsleute in den Krieg gegen Rom entsandte und ihnen den Sieg verhiess,
deren Ausspruch ueber das Schicksal der Ubierstadt entschied, zu deren hohem
Turm die gefangenen Senatoren und das erbeutete Admiralschiff der Rheinflotte
gesendet wurden. Die Niederwerfung der Bataver traf auch sie, vielleicht noch
ein besonderer Gegenschlag der Roemer, da jene Jungfrau spaeterhin gefangen nach
Rom gefuehrt ward. Diese Katastrophe sowie Fehden mit den benachbarten Voelkern
brachen ihre Macht; unter Nerva ist ihnen ein Koenig, den sie nicht wollten, von
ihren Nachbarn unter passiver Assistenz des roemischen Legaten mit den Waffen
aufgezwungen worden.
Die Cherusker im oberen Wesergebiet, zu Augustus' und Tiberius' Zeit der
fuehrende Gau in Mitteldeutschland, werden seit Armins Tode selten genannt,
immer aber als in guten Beziehungen zu den Roemern stehend. Als der
Buergerkrieg, der bei ihnen auch nach Arminius' Fall weiter gewuetet haben muss,
ihr ganzes Fuerstengeschlecht hingerafft, erbaten sie sich den letzten des
Hauses, den in Italien lebenden Brudersohn Armins, Italicus, von der roemischen
Regierung zum Herrscher; freilich entzuendete die Heimkehr des tapferen, aber
mehr seinem Namen als seiner Herkunft entsprechenden Mannes die Fehde abermals
und, von den Seinen vertrieben, setzten ihn noch einmal die Langobarden auf den
wankenden Herrschersitz. Einer seiner Nachfolger, der Koenig Chariomerus,
ergriff in dem Chattenkrieg Domitians so ernstlich fuer die Roemer Partei, dass
er nach dessen Beendigung, von den Chatten vertrieben, zu den Roemern fluechtete
und deren Intervention, freilich vergebens, anrief. Durch diese ewigen inneren
und aeusseren Fehden ward das Cheruskervolk so geschwaecht, dass es seitdem aus
der aktiven Politik verschwindet. Der Name der Marser wird seit den Zuegen des
Germanicus ueberhaupt nicht mehr gefunden. Dass die weiter oestlich an der Elbe
wohnenden Voelkerschaften, wie alle entfernteren Germanen, an den Kaempfen der
Bataver und ihrer Genossen in den Jahren 69 und 70 sich so wenig beteiligt haben
wie diese an den germanischen Kriegen unter Augustus und Tiberius, darf bei der
Ausfuehrlichkeit des Berichtes als sicher bezeichnet werden. Wo sie spaeterhin
einmal begegnen, erscheinen sie nie in feindlicher Haltung gegen die Roemer.
Dass die Langobarden den roemischen Cheruskerkoenig wieder einsetzten, wurde
schon erwaehnt. Der Koenig der Semnonen, Masuus, und merkwuerdigerweise mit ihm
die Prophetin Ganna, welche bei diesem, wegen besonderer Glaeubigkeit beruehmten
Stamme in hohem Ansehen stand, besuchten den Kaiser Domitianus in Rom und wurden
an dessen Hofe freundlich aufgenommen. Es mag in den Gegenden von der Weser bis
zur Elbe in diesen Jahrhunderten manche Fehde getobt, manche Machtstellung sich
verschoben, mancher Gau den Namen gewechselt oder sich anderer Verbindung
eingefuegt haben; den Roemern gegenueber trat, nachdem der feste Verzicht
derselben auf Unterwerfung dieser Landschaft allgemein empfunden ward, ein
dauernder Grenzfriede ein. Auch Invasionen aus dem fernen Osten koennen
denselben in dieser Epoche nicht wesentlich gestoert haben; denn der Rueckschlag
davon auf die roemische Grenzwacht haette nicht ausbleiben koennen und von
ernsteren Krisen auf diesem Gebiet wuerde die Kunde nicht fehlen. Zu allem
diesem gibt das Siegel die Reduktion der niederrheinischen Armee auf die Haelfte
des frueheren Bestandes, welche, wir wissen nicht genau wann, aber in dieser
Epoche eingetreten ist. Das niederrheinische Heer, mit welchem Vespasian zu
kaempfen hatte, zaehlte vier Legionen, das der traianischen Zeit vermutlich die
gleiche Zahl, mindestens drei ^10; wahrscheinlich schon unter Hadrian, gewiss
unter Marcus, standen daselbst nicht mehr als zwei, die 1. minervische und die
30. Traians.
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^10 Unter dem Legaten Q. Acutius Nerva, welcher wahrscheinlich der Konsul
des Jahres 100 ist, also nach diesem Jahre Untergermanien verwaltete, standen
nach Inschriften von Brohl (Brambach 660, 662, 679, 680) in dieser Provinz vier
Legionen, die 1. Minervia, 6. victrix, 10. gemina, 22. primigenia. Da jede
dieser Inschriften nur zwei oder drei nennt, so kann die Besatzung damals nur
aus drei Legionen bestanden haben, wenn waehrend Acutius' Statthalterschaft die
1. Minervia fuer die anderswohin abgegebene 22. primigenia eintrat. Aber bei
weitem wahrscheinlicher ist es, da bei den Detachierungen in die Steinbrueche
bei Brohl nicht immer alle Legionen beteiligt waren, dass jene vier Legionen
gleichzeitig in Untergermanien garnisonierten. Diese vier Legionen sind
wahrscheinlich eben die, welche bei der Reorganisation der germanischen Heere
durch Vespasian nach Untergermanien kamen, nur dass die 1. Minervia von Domitian
an die Stelle der wahrscheinlich von ihm aufgeloesten 21. gesetzt ist.
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In anderer Weise entwickelten sich die germanischen Verhaeltnisse in der
oberen Provinz. Von den linksrheinischen Germanen, die dieser angehoerten, den
Tribokern, Nemetern, Vangionen, ist geschichtlich nichts hervorzuheben als dass
sie, seit langem unter den Kelten ansaessig, die Schicksale Galliens teilten.
Die hauptsaechliche Verteidigungslinie der Roemer ist auch hier der Rhein immer
geblieben. Alle Standlager der Legionen finden sich zu aller Zeit auf dem linken
Rheinufer; nicht einmal das von Argentoratum ist auf das rechte verlegt worden,
als das ganze Neckargebiet roemisch war. Aber wenn in der unteren Provinz die
roemische Herrschaft auf dem rechten Rheinufer im Laufe der Zeit beschraenkt
wird, so wird sie umgekehrt hier erweitert. Die von Augustus beabsichtigte
Verknuepfung der Rheinlager mit denen an der Donau durch Vorschiebung der
Reichsgrenze in oestlicher Richtung, welche, wenn sie zur Ausfuehrung gekommen
waere, mehr Ober- als Untergermanien erweitert haben wuerde, ist in diesem
Kommando wohl niemals voellig aufgegeben und spaeterhin, wenn auch in
bescheidenerem Massstabe, wieder aufgenommen worden. Die Ueberlieferung
gestattet uns nicht, die in diesem Sinne durch Jahrhunderte fortgefuehrten
Operationen, die dazu gehoerigen Strassen- und Wallbauten, die deshalb
gefuehrten Kriege in ihrem Zusammenhang darzulegen; und auch der noch vorhandene
grosse Militaerbau, dessen gleichfalls Jahrhunderte umfassende Entstehung einen
guten Teil jener Geschichte in sich schliessen muss, ist bisher nicht so, wie es
wohl geschehen koennte, von militaerisch geschaerften Augen in seiner Gesamtheit
untersucht worden - die Hoffnung, dass das geeinigte Deutschland sich auch zu
der Erforschung dieses seines aeltesten geschichtlichen Gesamtdenkmals
vereinigen werde, ist fehlgeschlagen. Was zur Zeit aus den Truemmern der
roemischen Annalen oder der roemischen Kastelle darueber ans Licht gekommen ist,
soll hier versucht werden zusammenzufassen.
Auf dem rechten Ufer legt sich, nicht weit von dem noerdlichen Ende der
Provinz, dem ebenen oder huegeligen niederrheinischen Land in westoestlicher
Richtung die Taunuskette vor, die gegenueber Bingen auf den Rhein stoesst.
Diesem Bergzug parallel, auf der anderen Seite abgeschlossen durch die
Auslaeufer des Odenwaldes, erstreckt sich die Ebene des unteren Maintales, der
rechte Zugang zum inneren Deutschland, beherrscht von der Schluesselstellung an
der Muendung des Mains in den Rhein, Mogontiacum oder Mainz, seit Drusus' Zeit
bis zum Ausgang Roms der Ausfallsburg der Roemer aus Gallien gegen Germanien ^11
wie heutzutage dem rechten Riegel Deutschlands gegen Frankreich. Hier behielten
die Roemer, auch nachdem sie auf die Herrschaft im ueberrheinischen Land im
allgemeinen verzichtet hatten, nicht bloss den Brueckenkopf am anderen Ufer, das
castellum Mogontiacense (Kastel), sondern jene Mainebene selbst in ihrem Besitz;
und in diesem Gebiet durfte auch die roemische Zivilisation sich festsetzen. Es
war dies urspruenglich chattisches Land und ein chattischer Stamm, die
Mattiaker, sind auch unter roemischer Herrschaft hier ansaessig geblieben; aber
nachdem die Chatten diesen Distrikt an Drusus hatten abtreten muessen, ist
derselbe ein Teil des Reiches geblieben. Die warmen Quellen in der naechsten
Naehe von Mainz (aquae Mattiacae, Wiesbaden) wurden erweislich in Vespasians
Zeit, und sicher schon lange vorher, von den Roemern benutzt; unter Claudius
wurde hier auf Silber gebaut; die Mattiaker haben schon frueh wie andere
Untertanendistrikte Truppen zur Armee gestellt. An der allgemeinen Auflehnung
der Germanen unter Civilis nahmen sie Anteil; aber nach der Besiegung stellten
die frueheren Verhaeltnisse sich wieder her. Seit dem Ende des zweiten
Jahrhunderts finden wir die Gemeinde der taunensischen Mattiaker unter roemisch
geordneten Behoerden ^12.
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^11 Nach Zangemeisters (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift 3,
1884, S. 307ff.) schoenen Entzifferungen steht es fest, dass eine
Militaerstrasse am linken Rheinufer von Mainz bis an die Grenze der
obergermanischen Provinz schon unter Claudius angelegt ward.
^12 Der volle Name c(ivitas) M(attiacorum) Ta(unensium) erscheint auf der
Inschrift von Kastel (Brambach 1330); als civitas Mattiacorum oder civitas
Taunensium kommt sie oefter vor, mit Duovirn Aedilen, Decurionen, Sacerdotalen
Sevirn; eigentuemlich und fuer die Grenzstadt bezeichnend sind die
wahrscheinlich als Munizipalmiliz zu fassenden hastiferi civitatis Mattiacorum
(Brambach 1336). Das aelteste datierte Dokument dieser Gemeinde ist vom Jahre
198 (Brambach 956).
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Die Chatten, obwohl also vom Rhein abgedraengt, erscheinen in der folgenden
Zeit als der maechtigste Stamm unter denen des germanischen Binnenlandes, die
mit den Roemern in Beziehung kamen; die Fuehrung, die unter Augustur und
Tiberius die Cherusker an der mittleren Weser gehabt hatten, ging in der
stetigen Fehde mit diesen, ihren stammverwandten suedlichen Nachbarn auf die
letzteren ueber. Alle Kriege zwischen Roemern und Germanen, von denen wir aus
der Zeit nach Arminius' Tod bis auf die beginnende Voelkerverschiebung am Ende
des 3. Jahrhunderts Kunde haben, sind gegen die Chatten gefuehrt worden; so im
Jahre 41 unter Claudius durch den spaeteren Kaiser Galba, im Jahre 50 unter
demselben Kaiser durch den als Dichter gefeierten Publius Pomponius Secundus.
Dies waren die ueblichen Grenzeinfaelle, und an dem grossen Batavischen Kriege
waren die Chatten zwar auch, aber nur nebenbei beteiligt. Aber in dem Feldzug,
den der Kaiser Domitianus im Jahre 83 unternahm, waren die Roemer die
Angreifenden, und dieser Krieg fuehrte zwar nicht zu glaenzenden Siegen, aber
wohl zu einer bedeutenden und folgenreichen Vorschiebung der roemischen Grenze
^13. Damals wird die Grenzlinie so, wie wir sie seitdem gezogen finden, geordnet
und in dieselbe, welche in ihrem noerdlichsten Stueck sich nicht weit vom Rhein
entfernte, hier ein grosser Teil des Taunus und das Maingebiet bis oberhalb
Friedberg hineingezogen worden sein. Die Usiper, die nach ihrer schon
berichteten Vertreibung aus dem Lippegebiet um die Zeit Vespasians in der Naehe
von Mainz auftreten und oestlich von den Mattiakern an der Kinzig oder im
Fuldischen neue Sitze gefunden haben moegen, sind damals zum Reiche gezogen
worden, und zugleich mit ihnen eine Anzahl kleinerer, von den Chatten
abgesprengter Voelkerschaften. Als dann im Jahre 88 unter dem Statthalter Lucius
Antonius Saturninus das obergermanische Heer gegen Domitian sich erhob, haette
fast der Krieg sich erneuert; die abgefallenen Truppen machten gemeinschaftliche
Sache mit den Chatten ^14 und nur die Unterbrechung der Kommunikationen, indem
das Eis auf dem Rhein aufging, machte den treu gebliebenen Regimentern moeglich,
mit den abgefallenen fertigzuwerden, bevor der gefaehrliche Zuzug eintraf. Es
wird berichtet, dass die roemische Herrschaft von Mainz landeinwaerts 80 Leugen
weit, also noch ueber Fulda hinaus, sich erstreckt hat ^15; und diese Nachricht
erscheint glaubwuerdig, wenn dabei in Betracht gezogen wird, dass die
militaerische Grenzlinie, die allerdings nicht weit ueber Friedberg
hinausgegangen zu sein scheint, sich wohl auch hier innerhalb der Gebietsgrenze
hielt.
^13 Die Berichte ueber diesen Krieg sind verloren gegangen; Zeit und Ort
lassen sich bestimmen. Da die Muenzen dem Domitian den Titel Germanicus seit dem
Anfang des Jahres 84 geben (Eckhel, Bd. 6, S. 378, 397), so faellt der Feldzug
in das Jahr 83. Dazu stimmt die in eben dieses Jahr fallende Aushebung der
Usiper und ihr verzweifelter Fluchtversuch (Tac. Agr. 28; vgl. Matt. 6, 60). Es
war ein Angriffskrieg (Suet. Dom. 6: expeditio sponte suscepta; Zon. 11, 19: le
plt/e/as tina t/o/n peran R/e/noy t/o/n espond/o/n}). Die Verlegung der
Postenlinie bezeugt Frontmus, der den Krieg mitgemacht hat (strat. 2, 11, 7):
cum in finibus Cubiorum (Name unbekannt und wohl verdorben) castella poneret und
(strat. 1, 3, 10): limitibus per CXX m. p. actis, was hier mit den
militaerischen Operationen in unmittelbare Verbindung gebracht wird, daher auch
von dem Chattenkrieg selbst nicht getrennt und nicht auf die laengst in
roemischer Gewalt stehenden agri decumates bezogen werden darf. Auch ist das
Mass von 177 Kilometern wohl denkbar fuer die Militaerlinie, die Domitian am
Taunus angelegt hat (nach v. Cohausens Ansetzungen - Der roemische Grenzwall in
Deutschland. Wiesbaden 1884, S. 8 - stellt sich der spaetere Limes vom Rhein um
den Taunus herum bis zum Main auf 237« Kilometer), aber viel zu klein, um auf
die Verbindungslinie von da bis Regensburg bezogen werden zu koennen.
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^14 Die Germanen (Suet. Dom. 6) koennen nur die Chatten und deren fruehere
Verbuendete sein, vielleicht zunaechst eben die Usiper und ihre
Schicksalsgenossen. Ausgebrochen ist der Aufstand in Mainz, das allein ein
Doppellager zweier Legionen war. Saturninus wurde von Raetien aus angegriffen
durch die Truppen des L. Appius Maximus Korbanus. Denn anders kann das Epigramm
Martials 9, 84 um so weniger gefasst werden, als sein Besiegen senatorischen
Standes wie er war, ein regulaeres Kommando in Raetien und Vindelicien nicht
verwalten und nur durch einen Kriegsfall in diese Landschaft gefuehrt werden
konnte, wie denn auch die sacrilegi furores deutlich auf den Aufstand weisen.
Die Ziegel desselben Appius, die in den Provinzen Obergermanien und Aquitanien
sich gefunden haben, berechtigen nicht, ihn zum Legaten der Lugdunensis zu
machen, wie Asbach (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift 3, 1884, S.
9) vorschlaegt, sondern muessen auf die Epoche nach der Ueberwindung des
Antonius bezogen werden (Heymes 19, 1884, S. 438). Wo die Schlacht geliefert
ward, bleibt zweifelhaft; am naechsten liegt die Gegend von Vindonissa, bis
wohin Saturninus dem Norbanus entgegen gegangen sein kann. Waere Norbanus erst
bei Mainz auf die Aufstaendischen gestossen, was an sich auch denkbar erscheint,
so hatten diese den Rheinuebergang in der Gewalt und konnte der Zuzug der
Germanen durch das Aufgehen des Rheines nicht verhindert werden.
^15 Die abgerissene Notiz findet sich hinter dem Veroneser
Provinzialverzeichnis (Notitia dignitatum, ed. Seeck, p. 253): nomina civitatum
trans Renum fluvium quae sunt: Usiphorum (schr. Usiporum) - Tuvanium (schr.
Tubantum) - Nictrensium - Novarii - Casuariorum: istae omnes civitates trans
Renum in formulam Belgicae primae redactae trans castellum .Montiacese: nam LXXX
leugas trans Renum Romani possederunt. Istae civitates sub Gallieno imperatore a
barbaris occupatae sunt. Dass die Usiper spaeter in dieser Gegend gewohnt haben,
bestaetigt Tacitus (hist. 4, 37; Germ. 32); dass sie im Jahre 83 zum Reich
gehoert haben, vielleicht aber erst kurz vorher unterworfen waren, geht aus der
Erzaehlung Agr. 28 hervor. Die Tubanten und Chasuarier stellt Ptolemaeos (geogr.
2, 11, 11) in die Naehe der Chatten; dass sie das Schicksal der Usiper teilten,
ist demnach wahrscheinlich. Eine sichere Identifikation der anderen beiden
verdorbenen Namen ist bisher nicht gefunden; vielleicht standen die Tencterer
hier oder einige der kleinen, nur bei Ptolemaeos (geogr. 2, 11, 6) mit diesen
genannten Staemme. Die Notiz nannte in ihrer urspruenglichen Form die Belgica
schlechthin, da die Provinz erst durch Diocletian geteilt worden ist, und diese
insofern mit Recht, als die beiden Germanien geographisch zu Belgica gehoerten.
Das angegebene Mass fuehrt, wenn man das Kinzigtal nach Nordosten verfolgt,
ueber Fulda hinaus nahezu bis Hersfeld. Auch Inschriftenfunde reichen hier
oestlich weit ueber den Rhein hinaus, bis in die Wetterau; Friedberg und
Butzbach waren stark belegte Militaerpositionen; in Altenstadt zwischen
Friedberg und Buedingen ist eine auf Grenzschutz deutende (collegium iuventutis)
Inschrift vom Jahre 242 (CIRh 1410) gefunden worden.
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Aber nicht bloss das untere Maintal vorwaerts Mainz ist in die
militaerische Grenzlinie hineingezogen worden; auch im suedwestlichen
Deutschland wurde die Grenze noch in groesserem Massstab vorgeschoben. Das
Neckargebiet, einst von den keltischen Helvetiern eingenommen, dann lange Zeit
streitiges Grenzland zwischen diesen und den vordringenden Germanen und darum
das helvetische Oedland genannt, spaeterhin vielleicht teilweise von den
Markomannen besetzt, bevor diese nach Boehmen zurueckwichen, kam bei der
Regulierung der germanischen Grenzen nach der Varusschlacht in die gleiche
Verfassung wie der groesste Teil des rechten unterrheinischen Ufers. Es wird
auch hier schon damals eine Grenzlinie bezeichnet worden sein, innerhalb deren
germanische Ansiedlungen nicht geduldet wurden. Wie auf nicht eingedeichter
Marsch liessen dann einzelne, meist gallische Einwanderer, die nicht viel zu
verlieren hatten, in diesen fruchtbaren, aber wenig geschuetzten Strichen, dem
damals sogenannten Dekumatenland sich nieder ^16. Dieser vermutlich von der
Regierung nur geduldeten privaten Okkupation folgte die foermliche Besetzung
wahrscheinlich unter Vespasian. Da schon um das Jahr 74 von Strassburg aus eine
Chaussee auf das rechte Rheinufer wenigstens bis nach Offenburg gefuehrt worden
ist ^17, so wird um diese Zeit in diesem Gebiet ein ernstlicherer Grenzschutz
eingerichtet worden sein, als ihn das blosse Verbot germanischer Siedelung
gewaehrte. Was der Vater begonnen hatte, fuehrten die Soehne durch. Vielleicht
ist sogar, sei es von Vespasian, sei es von Titus oder Domitian, durch die
Anlegung der "Flavischen Altaere" ^18 an der Neckarquelle bei dem heutigen
Rottweil, von welcher Ansiedlung wir freilich nichts als den Namen kennen, fuer
das rechtsrheinische neue Obergermanien ein aehnlicher Mittelpunkt geschaffen
worden, wie es frueher der ubische Altar fuer Grossgermanien hatte werden sollen
und bald nachher fuer das neu eroberte Dakien der Altar von Sarmizegetusa wurde.
Die erste Einrichtung der weiterhin zu schildernden Grenzwehr, durch welche das
Neckartal in die roemische Linie hineingezogen wurde, ist also das Werk der
Flavier, hauptsaechlich wohl Domitians ^19, welcher damit die Anlage am Taunus
weiterfuehrte. Die rechtsrheinische Militaerstrasse von Mogontiacum ueber
Heidelberg und Baden in der Richtung auf Offenburg, die notwendige Konsequenz
dieser Einziehung des Neckargebiets, ist, wie wir jetzt wissen ^20, im Jahre 100
von Traian angelegt und ein Teil der von demselben Kaiser hergestellten
direkteren Verbindung Galliens mit der Donaulinie. Die Soldaten sind bei diesen
Werken taetig gewesen, aber schwerlich die Waffen; germanische Voelkerschaften
wohnten im Neckargebiet nicht, und noch weniger kann der schmale Streifen am
linken Ufer der Donau, welcher dadurch mit in die Grenzlinie gezogen ward,
ernstliche Kaempfe gekostet haben. Das naechste namhafte germanische Volk
daselbst, die Hermunduren, waren den Roemern freundlich gesinnt wie kein anderes
und fuehrten in der Vindelikerstadt Augusta mit ihnen lebhaften Handelsverkehr;
dass bei ihnen diese Vorschiebung keinen Widerstand gefunden hat, davon werden
wir weiterhin die Spuren finden. Unter den folgenden Regierungen, des Hadrian,
des Pius, des Marcus, ist dann an diesen militaerischen Einrichtungen
weitergebaut worden.
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^16 Was die nur bei Tacitus (Germ. 29) vorkommende Benennung agri decumates
denn mit agri wird das letztere Wort doch zu verbinden sein) bedeutet, ist
ungewiss; moeglich ist es, dass das in der frueheren Kaiserzeit gewiss als
Eigentum des Staats oder vielmehr des Kaisers betrachtete Gebiet, wie der alte
ager occupatorius der Republik, von dem zuerst Besitz Ergreifenden gegen Abgabe
des Zehnten benutzt werden konnte; aber weder ist es sprachlich erwiesen, dass
decumas "zehntpflichtig" heissen kann, noch kennen wir derartige Einrichtungen
der Kaiserzeit. Uebrigens sollte man nicht uebersehen, dass die Schilderung des
Tacitus sich auf die Zeit vor der Einrichtung der Neckarlinie bezieht; auf die
spaetere passt sie so wenig wie die zwar nicht klare, aber doch sicher mit dem
frueheren Rechtsverhaeltnis zusammenhaengende Benennung.
^17 Dies hat Zangemeister (a. a.O., S. 246) erwiesen.
^18 Dass hier mehrere Altaere dediziert wurden, waehrend sonst bei diesen
Zentralheiligtuemern nur einer genannt wird, erklaert sich vielleicht durch das
Zuruecktreten des Romakults neben dem der Kaiser. Wenn gleich zu Anfang mehrere
Altaere errichtet wurden, was wahrscheinlich ist, so hat einer der Soehne sowohl
dem oder den verstorbenen flavischen Kaisern wie auch seinem eigenen Genius
Altaere setzen lassen.
^19 Dass die Verlegung stattfand, kurz bevor Tacitus im Jahre 98 die
'Germania' schrieb, sagt er, und dass Domitian der Urheber ist, folgt auch
daraus, dass er den Urheber nicht nennt.
^20 Auch dies hat Karl Zangemeister (a.a.O., S. 237f.) urkundlich
festgestellt.
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Den Grenzschutz zwischen Rhein und Donau, wie er zum grossen Teil in seinen
Fundamenten noch heute besteht, vermoegen wir nicht in seiner
Entstehungsgeschichte zu verfolgen, wohl aber zu erkennen nicht bloss, wie er
lief, sondern auch, wozu er diente. Die Anlage ist nach Art und Zweck eine
andere in Obergermanien und eine andere in Raetien. Der obergermanische
Grenzschutz, in der Gesamtlaenge von etwa 250 roemischen Milien (368 Kilometer)
^21, beginnt unmittelbar an der Nordgrenze der Provinz, umfasst, wie schon
gesagt ward, den Taunus und die Mainebene bis in die Gegend von Friedberg und
wendet sich von da suedwaerts dem Main zu, auf welchen er bei Grosskrotzenburg,
oberhalb Hanau, trifft. Dem Main von da bis Woerth folgend, schlaegt er hier die
Richtung nach dem Neckar ein, den er etwas unterhalb Wimpfen erreicht und nicht
wieder verlaesst. Spaeter ist der suedlichen Haelfte dieser Grenzlinie eine
zweite vorgelegt worden, die dem Main ueber Woerth hinaus bis nach Miltenberg
folgt und von da, zum groesseren Teil in schnurgerader Richtung, auf Lorch,
zwischen Stuttgart und Aalen, gefuehrt ist. Hier schliesst an den
obergermanischen der raetische Grenzschutz an von nur 120 Milien (174 Kilometer)
Laenge; er verlaesst die Donau bei Kelheim, oberhalb Regensburg, und laeuft von
da, zweimal die Altmuehl ueberschreitend, im Bogen nach Westen zu, ebenfalls bis
Lorch.
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^21 Dies Mass gilt fuer die Kastellinie von Rheinbrohl bis Lorch (v.
Cohausen, Der roemische Grenzwall, S. 7f.). Fuer den Erdwall kommt die
Mainstrecke von Miltenberg bis Grosskrotzenburg von etwa 30 roemischen Milien in
Abzug. Bei der aelteren Neckarlinie ist der Erdwall betraechtlich kuerzer, da
statt desjenigen von Miltenberg bis Lorch hier der viel kuerzere des Odenwaldes
von Woerth bis Wimpfen ein tritt.
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Der obergermanische Limes besteht aus einer Reihe von Kastellen, die
hoechstens einen halben Tagemarsch (15 Kilometer) voneinander entfernt sind. Wo
die Verbindungslinien zwischen den Kastellen nicht durch den Main oder den
Neckar, wie angegeben, gesperrt sind, ist eine kuenstliche Sperrung angebracht,
anfangs vielleicht bloss durch Verhaue ^22, spaeterhin durch einen fortlaufenden
Wall von maessiger Hoehe mit aussen vorgelegtem Graben und in kurzen
Entfernungen auf der inneren Seite eingebauten Wachttuermen. ^23 Die Kastelle
sind in den Wall nicht eingezogen, aber unmittelbar hinter ihm angelegt, nicht
leicht ueber einen halben Kilometer von ihm entfernt.
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^22 Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Angabe, dass Hadrian die
Reichsgrenzstrassen durch Verhaue gegen die Barbaren sperrte, mit und vielleicht
zunaechst auf die obergermanische sich bezieht, so ist der Wall, dessen Reste
vorhanden sind, sein Werk nicht; mag dieser Pallisaden getragen haben oder
nicht, kein Bericht wuerde diese erwaehnen und den Wallbau uebergehen. Dass
Hadrian die Grenzverteidigung im ganzen Reiche revidierte, sagt Dio 69, 9.
Die Benennung des Pfahls oder Pfahlgrabens kann nicht roemisch sein;
roemisch heissen die Pfaehle, welche, in den Lagerwall eingerammt, auf demselben
eine Pallisadenkette bilden, nicht pali, sondern valli oder sudes, ebenso der
Wall selbst nie anders als vallum. Wenn die, wie es scheint, auf der ganzen
Linie bei den Germanen dafuer von jeher uebliche Bezeichnung wirklich von den
Pallisaden entlehnt ist, so muss sie germanischen Ursprungs sein und kann nur
aus der Zeit herstammen, wo dieser Wall ihnen in seiner Integritaet und seiner
Bedeutung vor Augen stand. Ob die "Gegend" Palas, die Ammian (18, 2, 15)
erwaehnt, damit zusammenhaengt, ist zweifelhaft.
^23 In einem solchen, kuerzlich zwischen den Kastellen von Schlossau und
Hesselbach, 1700 Meter von dem ersteren, vier bis fuenf Kilometer von dem
letzteren, aufgedeckten hat sich eine Weihinschrift (Korrespondenzblatt der
Westdeutschen Zeitschrift, 1. Juli 1884) gefunden, welche die Truppe, die ihn
erbaut hat, ein Detachement der 1. Kohorte der Sequaner und Rauriker unter
Kommando eines Centurionen der 22. Legion, gesetzt hat als Danksagung ob burgum
explic(itum). Diese Tuerme also waren burgi.
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Der raetische Grenzschutz ist eine blosse, durch Aufschuettung von
Bruchsteinen bewirkte Sperrung; Graben und Wachttuerme fehlen und die hinter dem
Limes ohne regelrechte Folge und in ungleichen Abstaenden (keines naeher als 4
bis 5 Kilometer) angelegten Kastelle stehen mit der Sperrlinie in keiner
unmittelbaren Verbindung. Ueber die zeitliche Folge der Anlagen fehlen bestimmte
Zeugnisse; erwiesen ist, dass die obergermanische Neckarlinie unter Pius ^24,
die ihr vorgelegte von Miltenberg nach Lorch unter Marcus ^25 bestand.
Gemeinschaftlich ist beiden sonst so verschiedenen Anlagen die Grenzsperrung;
dass in dem einen Fall die Erdaufschuettung vorgezogen ist, durch welche der
Graben sich meistens von selber ergab, in dem andern die Steinschichtung, beruht
wahrscheinlich nur auf der Verschiedenartigkeit des Bodens und des Baumaterials.
Gemeinschaftlich ist ihnen ferner, dass weder die eine noch die andere angelegt
ist zur Gesamtverteidigung der Grenze. Nicht bloss ist das Hindernis, welches
die Erd- oder Steinschuettung dem Angreifer entgegenstellt, an sich
geringfuegig, sondern es begegnen auf der Linie ueberall ueberhoehende
Stellungen, hinterliegende Suempfe, Verzicht auf den Ausblick in das Vorland und
aehnliche deutliche Spuren davon, dass bei deren Trassierung an Kriegszwecke
ueberhaupt nicht gedacht ist. Die Kastelle sind natuerlich jedes fuer sich zur
Verteidigung eingerichtet, aber sie sind nicht durch chaussierte Querstrassen
verbunden; also stuetzte die einzelne Besatzung sich nicht auf die der
benachbarten Kastelle, sondern auf den Rueckhalt, zu welchem die Strasse
fuehrte, welche eine jede besetzt hielt. Es waren ferner diese Besatzungen nicht
eingefuegt in ein militaerisches System der Grenzverteidigung, mehr befestigte
Stellungen fuer den Notfall als strategisch gewaehlte fuer die Okkupation des
Gebiets, wie denn auch schon die Ausdehnung der Linie selbst, verglichen mit der
disponiblen Truppenzahl, die Moeglichkeit einer Gesamtverteidigung ausschliesst.
^26 Also haben diese ausgedehnten militaerischen Anlagen nicht den Zweck gehabt,
wie der Britannische Wall, dem Feinde den Einbruch zu wehren. Es sollten
vielmehr, wie an den Flussgrenzen die Bruecken, so an den Landgrenzen die
Strassen durch die Kastelle beherrscht werden, im uebrigen aber, wie an den
Wassergrenzen der Fluss, so an den Landgrenzen der Wall die nicht kontrollierte
Ueberschreitung der Grenzen hindern. Anderweitige Benutzung mochte sich damit
verbinden; die oft hervortretende Bevorzugung der geradlinigen Richtung deutet
auf Verwendung fuer Signale, und gelegentlich mag die Anlage auch geradezu fuer
Kriegszwecke benutzt worden sein. Aber der eigentliche und naechste Zweck der
Anlage war die Verhinderung der Grenzueberschreitung. Dass dabei nicht an der
raetischen, wohl aber an der obergermanischen Grenze Wachtposten und Forts
eingerichtet worden sind, erklaert sich aus dem verschiedenen Verhaeltnis zu den
Nachbarn, dort den Hermunduren, hier den Chatten. Die Roemer standen in
Obergermanien ihren Nachbarn nicht so gegenueber wie den britannischen
Hochlaendern, gegen die die Provinz sich stets im Belagerungsstand befand; aber
die Abwehr raeuberischer Einbrecher sowie die Erhebung der Grenzzoelle forderten
doch bereite und nahe militaerische Hilfe. Man konnte die obergermanische Armee
und dementsprechend die Besatzungen am Limes allmaehlich reduzieren, aber
entbehrlich ward das roemische Pilum im Neckarlande nie. Wohl aber war es
entbehrlich gegenueber den Hermunduren, welchen in traianischer Zeit allein von
allen Germanen das ueberschreiten der Reichsgrenze ohne besondere Kontrolle und
der freie Verkehr im roemischen Gebiet, namentlich in Augsburg, freistand, und
mit denen, soviel wir wissen, niemals Grenzkollisionen stattgefunden haben. Es
war also fuer diese Zeit zu einer aehnlichen Anlage an der raetischen Grenze
keine Veranlassung; die Kastelle nordwaerts der Donau, welche erweislich bereits
in traianischer Zeit bestandenem ^27, genuegten hier fuer den Schutz der Grenze
und die Kontrolle des Grenzverkehrs. Dem kommt die Wahrnehmung entgegen, dass
der raetische Limes, wie er uns vor Augen steht, allein mit der juengeren,
vielleicht erst unter Marcus angelegten obergermanischen Sperrlinie
korrespondiert. Damals fehlte dazu die Veranlassung nicht. Die Chattenkriege
ergriffen, wie wir sehen werden, in dieser Zeit auch Raetien; auch die
Verstaerkung der Besatzung der Provinz kann fueglich mit der Einrichtung dieses
Limes in Verbindung stehen, welcher, wie wenig er fuer militaerische Zwecke
eingerichtet ist, doch wohl ebenfalls einer wenn auch milderen Grenzsperre wegen
angelegt wurde ^28.
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^24 Das aelteste datierte Zeugnis fuer diese sind zwei Inschriften der
Besatzung von Boeckingen, gegenueber Heilbronn am linken Ufer des Neckar, vom
Jahre 148 (Brambach CIRh, 1583, 1590).
^25 Das aelteste datierte Zeugnis fuer die Existenz dieser Linie ist die
Inschrift von vicus Aurelii (Oehringen) vom Jahre 169 (Brambach CIRh, 1558),
zwar nur privat, aber gewiss nicht gesetzt vor der Anlage dieses zu der Linie
Miltenberg-Lorch gehoerenden Kastells; wenig juenger die von dem ebenfalls dazu
gehoerigen Jagsthausen vom Jahre 179 (CIRh, 1618). Danach duerfte vicus Aurelii
seinen Namen von Marcus fuehren, nicht von Caracalla, wenn auch von diesem
bezeugt ist, dass er manche Kastelle in diesen Gegenden anlegte und nach sich
benannte (Dio 77, 13).
^26 Ueber die Dislokation der obergermanischen Truppen fehlt es zwar an
genuegender Kunde, doch nicht ganz an Anhaltspunkten. Von den beiden
Hauptquartieren in Obergermanien ist das von Strassburg nach der Einrichtung der
Neckarlinie erweislich nur schwach belegt und wahrscheinlich mehr
administratives als militaerisches Zentrum gewesen (Korrespondenzblatt der
Westdeutschen Zeitschrift, 3,1884, S. 132). Dagegen hat die Besatzung von Mainz
immer einen betraechtlichen Teil der Gesamtstaerke in Anspruch genommen, um so
mehr, als dieselbe wahrscheinlich der einzige groessere, geschlossene
Truppenkoerper in ganz Obergermanien war. Die uebrigen Truppen verteilen sich
teils auf den Limes, dessen Kastelle nach v. Cohausens (Der roemische Grenzwall,
S. 335) Schaetzung durchschnittlich acht Kilometer voneinander entfernt, also
insgesamt gegen 50 waren, teils auf die inneren Kastelle, insbesondere an der
Odenwaldlinie von Gundelsheim bis Woerth; dass die letzteren wenigstens zum Teil
auch nach Anlegung des aeusseren Limes besetzt blieben, ist mindestens
wahrscheinlich. Bei der ungleichen Groesse der noch messbaren Kastelle ist es
schwer zu sagen, welche Truppenzahl erforderlich war, um sie verteidigungsfaehig
zu machen. Cohausen (S. 340) rechnet auf ein mittelgrosses Kastell
einschliesslich der Reserve 720 Mann. Da die gewoehnliche Kohorte der Legion wie
der Auxilien 500 Mann zaehlt und die Kastenbauten notwendig auf diese Zahl haben
Ruecksicht nehmen muessen, wird die Besatzung des Kastells fuer den Fall der
Belagerung durchschnittlich mindestens auf diese Zahl angesetzt werden muessen.
Unmoeglich hat nach der Reduktion die obergermanische Armee die Kastelle auch
nur des Limes gleichzeitig in dieser Staerke besetzen koennen. Noch weit weniger
konnte sie, selbst vor der Reduktion, mit ihren 30000 Mann die zwischen den
Kastellen befindlichen Linien auch nur besetzt halten; wenn aber dies nicht
moeglich war, so hatte die gleichzeitige Besetzung auch der saemtlichen Kastelle
in der Tat keinen Zweck. Allem Anschein nach ist wohl jedes Kastell in der Weise
angelegt worden, dass es, gehoerig besetzt, gehalten werden konnte, aber der
Regel nach - und an dieser Grenze war der Friedensstand Regel - war das einzelne
Kastell nicht nach Kriegsfuss, sondern nur insoweit mit Truppen belegt, dass die
Posten in den Wachttuermen ausgesetzt und die Strassen sowie die Schleichwege
unter Aufsicht gehalten werden konnten. Die staendigen Besatzungen der Kastelle
sind vermutlich sehr viel schwaecher gewesen, als gewoehnlich angenommen wird.
Wir besitzen aus dem Altertum ein einziges Verzeichnis einer derartigen
Besatzung; es ist vom Jahre 155 und betrifft das Kastell von Kutlowitza,
noerdlich von Sofia (Eph. epigr. IV, p. 524), wofuer die Armee von Untermoesien,
und zwar die 11. Legion, die Besatzung stellte. Diese Truppe zaehlte damals
ausser dem kommandierenden Centurionen nur 76 Mann.
Die raetische Armee war, wenigstens vor Marcus, noch viel weniger imstande,
ausgedehnte Linien zu besetzen: sie zaehlte damals hoechstens 10000 Mann und
hatte ausser dem raetischen Limes noch die Donaulinie von Regensburg bis Passau
zu belegen.
^27 Dies beweist die bei Weissenburg gefundene Urkunde Traians vom Jahre
107.
^28 Die bisherigen Untersuchungen ueber den raetischen Limes haben die
Bestimmung dieser Anlage noch wenig aufgeklaert; ausgemacht ist nur, dass sie
weniger als die analoge obergermanische auf militaerische Besetzung eingerichtet
war. Eine derartige schwaechere Grenzsperrung kann fueglich schon vor dem
Markomannenkrieg den Hermunduren gegenueber beliebt worden sein; auch schliesst,
was Tacitus ueber deren Verkehr in Augusta Vindelicum berichtet, die damalige
Existenz eines raetischen Limes keineswegs aus. Nur muesste man dann erwarten,
dass er nicht in Lorch endigte, sondern sich an die Neckarlinie anschloss;
einigermassen tut er dies auch, insofern bei Lorch an die Stelle des Limes die
Rems tritt, welche bei Cannstatt in den Neckar einmuendet.
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Militaerisch wie politisch ist die verlegte Grenze oder vielmehr der
verstaerkte Grenzschutz eingreifend und nuetzlich gewesen. Wenn frueher die
roemische Postenkette in Obergermanien und Raetien wahrscheinlich rheinaufwaerts
ueber Strassburg nach Basel und an Vindonissa vorbei an den Bodensee, dann von
da zu der oberen Donau gegangen war, so wurden jetzt das obergermanische
Hauptquartier in Mainz und das raetische in Regensburg und ueberhaupt die beiden
Hauptarmeen des Reiches einander betraechtlich genaehert. Das Legionslager von
Vindonissa (Windfisch bei Zuerich) wurde dadurch ueberfluessig. Das
oberrheinische Heer konnte, wie das benachbarte, nach einiger Zeit auf die
Haelfte seines frueheren Bestandes herabgesetzt werden. Die anfaengliche Zahl
von vier Legionen, welche waehrend des batavischen Krieges nur zufaellig auf
drei vermindert war, bestand allerdings wahrscheinlich noch unter Traian ^29;
unter Marcus aber war die Provinz nur mit zwei Legionen besetzt, der achten und
der zweiundzwanzigsten, von denen die erste in Strassburg stand, die zweite in
dem Hauptquartier Mainz, waehrend die meisten Truppen, in kleinere Posten
aufgeloest, an dem Grenzwall lagerten. Innerhalb der neuen Linie bluehte das
staedtische Leben auf fast wie links vom Rheinland: Sumelocenna (Rottenburg am
Neckar), Aquae (civitas Aurelia Aquensis, Baden), Lopodunum (Ladenburg) hatten,
wenn man von Koeln und Trier absieht, in roemisch-staedtischer Entwicklung den
Vergleich mit keiner Stadt der Belgica zu scheuen. Das Emporkommen dieser
Ansiedlungen ist hauptsaechlich das Werk Traians, welcher sein Regiment mit
dieser Friedenstat eroeffnete ^30; "den auf beiden Ufern roemischen Rhein" fleht
ein roemischer Dichter an, den noch nicht gesehenen Herrscher ihnen bald
zuzusenden. Die grosse und fruchtbare Landschaft, die auf diese Weise unter den
Schutz der Legionen gestellt ward, war dieses Schutzes beduerftig, aber auch
wert gewesen. Wohl bezeichnet die Varusschlacht die beginnende Ebbe der
roemischen Macht, aber nur insofern, als das Vorschreiten damit ein Ende hat und
die Roemer seitdem sich im allgemeinen begnuegten, das damals Festgehaltene
staerker und dauernder zu schirmen.
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^29 Von den sieben Legionen, die bei Neros Tode in den beiden Germanien
standen, loeste Vespasian fuenf auf; es blieben die 21. und die 22., wozu dann
die zur Niederwerfung des Aufstandes eingerueckten sieben oder acht Legionen,
die 1. adiutrix, 2. adiutrix, 6. victrix, 8., 10. gemina, 11., 13. (?) und 14.
hinzutraten. Von diesen ist nach Beendigung des Krieges die 1. adiutrix
wahrscheinlich nach Spanien, die 2. adiutrix wahrscheinlich nach Britannien, die
13. gemina (wenn diese ueberhaupt nach Germanien kam) nach Pannonien gesandt
worden; die anderen sieben blieben, und zwar in der unteren Provinz die 6., 10.,
21. und 22., in der oberen die 8., 11, und 14. Zu den letzteren trat
wahrscheinlich im Jahre 88 die aus Spanien abermals nach Obergermanien gesandte
1. adiutrix hinzu. Dass unter Traian die 1. adiutrix und die 11. in
Obergermanien standen beweist die Inschrift von Baden-Baden, Brambach 1666. Die
8. und die 14. sind erwiesenermassen beide mit Cerialis nach Germanien gekommen
und haben beide laengere Zeit daselbst garnisoniert.
^30 Traianus ward von Nerva im Jahre 96 oder 97 als Legat nach Germanien
gesandt, wahrscheinlich dem oberen, da dem unteren damals Vestricius Spurinna
vorgestanden zu haben scheint. Hier im Oktober des Jahres 97 zum Mitregenten
ernannt, erhielt er die Nachricht von Nervas Tode und seiner Ernennung zum
Augustus im Februar 98 in Koeln. Den Winter und den folgenden Sommer mag er dort
geblieben sein; im Winter 98/99 war er an der Donau. Die Worte des Eutropius (8,
2): urbes trans Rhenum in Germania reparavit (woraus die oft gemissbrauchte
Notiz bei Orosius, hist. 7, 12, 2, abgeschrieben ist), welche nur auf die obere
Provinz bezogen werden koennen, aber natuerlich nicht dem Legaten, sondern dem
Caesar oder dem Augustur gelten, erhalten eine Bestaetigung durch die civitas
Ulpia s(altus?) N(icerini?) Lopodunum der Inschriften. Die "Wiederherstellung"
duerfte im Gegensatz stehen nicht zu den Einrichtungen Domitians, sondern zu den
ungeordneten Anfaengen staedtischer Anlagen im Decumatenland vor der Verlegung
der Militaergrenze. Auf kriegerische Vorgaenge unter Traian fuehrt keine Spur;
dass er ein castellum in Alamannorum solo, nach dem Zusammenhang am Main unweit
Mainz, anlegte und nach seinem Namen nannte (Amm. 17, 1, 11), beweist dafuer
ebenso wenig, wie dass ein spaeter Dichter (Sidon. carm. 7, 115), Altes und
Neues vermengend, Agrippina unter ihm den Schrecken der Sugambrer, das heisst in
seinem Sinn der Franken nennt.
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Bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zeigt die roemische Macht am Rhein
keine Spuren des Schwankens. Waehrend des Markomannenkrieges unter Marcus blieb
in der unteren Provinz alles ruhig. Wenn ein Legat der Belgica damals den
Landsturm gegen die Chauker aufbieten musste, so ist dies vermutlich ein
Piratenzug gewesen, wie sie die Nordkueste oftmals, in dieser Zeit ebenso wie
frueher und spaeter, heimgesucht haben. An die Donauquellen und selbst bis in
das Rheingebiet reichte der Wellenschlag der grossen Voelkerbewegung; aber die
Fundamente erschuetterte er hier nicht. Die Chatten, das einzige bedeutende
germanische Volk an der obergermanisch-raetischen Grenzwacht, brachen in beiden
Richtungen vor und sind wahrscheinlich damals selbst unter den in Italien
einfallenden Germanen gewesen, wie dies weiterhin bei der Darstellung dieses
Krieges gezeigt werden soll. Auf jeden Fall kann die von Marcus damals verfuegte
Verstaerkung der raetischen Armee und ihre Umwandlung in ein Kommando erster
Klasse mit Legion und Legaten nur erfolgt sein, um den Angriffen der Chatten zu
steuern, und beweist, dass man sie auch fuer die Zukunft nicht leicht nahm. Die
schon erwaehnte Verstaerkung der Grenzverteidigung wird damit ebenfalls in
Verbindung stehen. Fuer das naechste Menschenalter muessen diese Massregeln
ausgereicht haben.
Unter Antoninus, dem Sohn des Severus, brach (213) abermals in Raetien ein
neuer und schwererer Krieg aus. Auch dieser ist gegen die Chatten gefuehrt
worden; aber neben ihnen wird ein zweites Volk genannt, das hier zum erstenmal
begegnet, das der Alamannen. Woher sie kamen, wissen wir nicht. Einem wenig
spaeter schreibenden Roemer zufolge war es zusammengelaufenes Mischvolk; auf
einen Gemeindebund scheint auch die Benennung hinzuweisen sowie, dass spaeter
noch die verschiedenen, unter diesem Namen zusammengefassten Staemme mehr als
bei den sonstigen grossen germanischen Voelkern in ihrer Besonderheit
hervortreten, und die Juthungen, die Lentienser und andere Alamannenvoelker
nicht selten selbstaendig handeln. Aber dass es nicht die Germanen dieser Gegend
sind, welche unter dem neuen Namen verbuendet und durch den Bund verstaerkt hier
auftreten, zeigt sowohl die Nennung der Alamannen neben den Chatten wie die
Meldung von der ungewohnten Geschicklichkeit der Alamannen im Reitergefecht.
Vielmehr sind es der Hauptsache nach sicher aus dem Osten nachrueckende Scharen
gewesen, die dem fast erloschenen Widerstand der Germanen am Rhein neue Kraft
verliehen haben; es ist nicht unwahrscheinlich, dass die in frueherer Zeit an
der mittleren Elbe hausenden maechtigen Semnonen, deren seit dem Ende des 2.
Jahrhunderts nicht wieder gedacht wird, zu den Alamannen ein starkes Kontingent
gestellt haben. Das stetig sich steigernde Missregiment im Roemischen Reich hat
natuerlich auch, wenngleich nur in zweiter Reihe, zu der Machtverschiebung
seinen Teil beigetragen. Der Kaiser zog persoenlich gegen die neuen Feinde ins
Feld; im August des Jahres 213 ueberschritt er die roemische Grenze und ein Sieg
ueber sie am Main wurde erfochten oder wenigstens gefeiert; es wurden noch
Kastelle angelegt; die Voelkerschaften von der Elbe und der Nordsee beschickten
den roemischen Herrscher und verwunderten sich, wenn er sie in ihrer eigenen
Tracht empfing, in silberbeschlagener Jacke und Haar und Bart nach deutscher Art
gefaerbt und geordnet. Aber von da an hoeren die Kriege am Rhein nicht auf, und
die Angreifer sind die Germanen; die sonst so fuegsamen Nachbarn waren wie
ausgetauscht. Zwanzig Jahre spaeter wurden an der Donau wie am Rhein die
Einfaelle der Barbaren so stetig und so ernsthaft, dass Kaiser Alexander
deswegen den weniger unmittelbar gefaehrlichen Persischen Krieg abbrechen und
sich persoenlich in das Lager von Mainz begeben masste, nicht so sehr, um das
Gebiet zu verteidigen, als um von den Deutschen den Frieden durch hohe
Geldsummen zu erkaufen. Die Erbitterung der Soldaten darueber fuehrte zu seiner
Ermordung (235) und damit zu dem Untergang der Severischen Dynastie, der
letzten, die es bis auf die Regeneration des Staats ueberhaupt gegeben hat. Sein
Nachfolger Maximinus, ein roher, aber tapferer, vom gemeinen Soldaten
aufgedienter Thraker, machte das feige Verhalten seines Vorgaengers wieder gut
durch einen nachdruecklichen Feldzug tief in Germanien hinein. Noch wagten die
Barbaren nicht, einem starken und wohlgefuehrten Roemerheere die Spitze zu
bieten; sie wichen in ihre Waelder und Suempfe, und auch dahin ihnen folgend,
focht im Handgemenge der tapfere Kaiser allen voran. Von diesen Kaempfen, die
ohne Zweifel von Mainz aus zunaechst gegen die Alamannen sich richteten, durfte
er mit Recht sich Germanicus nennen; und auch fuer die Zukunft hat die
Expedition vom Jahre 236, auf lange hinaus der letzte grosse Sieg, den die
Roemer am Rhein gewannen, wohl einiges gefruchtet. Obwohl die stetigen und
blutigen Thronwechsel und die schweren Katastrophen im Osten und an der Donau
die Roemer nicht zu Atem kommen liessen, ist doch durch die naechsten zwanzig
Jahre am Rhein wenn nicht eigentlich die Ruhe erhalten worden, doch eine
groessere Katastrophe nicht eingetreten. Es scheint sogar damals eine der
obergermanischen Legionen nach Afrika geschickt worden zu sein, ohne dass dafuer
Ersatz kam, also Obergermanien als wohl gesichert gegolten zu haben. Aber als im
Jahre 253 wieder einmal die verschiedenen Feldherren Roms um die Kaiserwuerde
untereinander schlugen und die Rheinlegionen nach Italien marschierten, um ihren
Kaiser Valerianus gegen den Aemilianus der Donauarmee durchzufechten, scheint
dies das Signal gewesen zu sein ^31 fuer das Vorbrechen der Germanen namentlich
auch gegen den Unterrhein ^32. Diese Germanen sind die hier zuerst auftretenden
Franken, allerdings vielleicht nur dem Namen nach neue Gegner; denn obwohl die
schon im spaeteren Altertum begegnende Identifikation derselben mit frueher am
Unterrhein genannten Voelkerschaften, teils den neben den Bructerern sitzenden
Chamavern, teils den frueher genannten, den Roemern untertaenigen Sugambrern,
unsicher und mindestens unzulaenglich ist, so hat es hier groessere
Wahrscheinlichkeit als bei den Alamannen, dass die bisher von Rom abhaengigen
Germanen am rechten Rheinufer und die frueher vom Rhein abgedraengten
germanischen Staemme damals unter dem Gesamtnamen der "Freien" gemeinschaftlich
die Offensive gegen die Roemer ergriffen haben. Solange Gallienus selbst am
Rhein blieb, hielt er, trotz der geringen, ihm zur Verfuegung stehenden
Streitkraefte, die Gegner einigermassen im Zaum, verhinderte sie am
Ueberschreiten des Flusses oder schlug die Eingedrungenen wieder hinaus, raeumte
auch wohl einem der germanischen Fuehrer einen Teil des begehrten Ufergebietes
ein unter der Bedingung, die roemische Herrschaft anzuerkennen und seinen Besitz
gegen seine Landsleute zu verteidigen, was freilich schon fast auf eine
Kapitulation hinauskam. Aber als der Kaiser, abgerufen durch die noch
gefaehrlichere Lage der Dinge an der Donau, sich dorthin begab und in Gallien
als Repraesentanten seinen noch im Knabenalter stehenden aelteren Sohn
zurueckliess, liess einer der Offiziere, denen er die Verteidigung der Grenze
und die Hut seines Sohnes anvertraut hatte, Marcus Cassianius Latinius Postumus
^33, sich von seinen Leuten zum Kaiser ausrufen und belagerte in Koeln den
Hueter des Kaisersohnes Silvanus. Es gelang ihm, die Stadt einzunehmen und
seinen frueheren Kollegen sowie den kaiserlichen Knaben in seine Gewalt zu
bekommen, worauf er beide hinrichten liess. Aber waehrend dieser Wirren brachen
die Franken ueber den Rhein und ueberschwemmten nicht bloss ganz Gallien,
sondern drangen auch in Spanien ein, ja pluenderten selbst die afrikanische
Kueste. Bald nachher, nachdem Valerians Gefangennahme durch die Perser das Mass
des Unheils voll gemacht hatte, ging in der oberrheinischen Provinz alles
roemische Land auf dem linken Rheinufer verloren, ohne Zweifel an die Alamannen,
deren Einbruch in Italien in den letzten Jahren des Gallienus diesen Verlust
notwendig voraussetzt. Dieser ist der letzte Kaiser, dessen Name auf
rechtsrheinischen Denkmaelern gefunden wird. Seine Muenzen feiern ihn wegen
fuenf grosser Siege ueber die Germanen, und nicht minder sind die seines
Nachfolgers in der gallischen Herrschaft, des Postumus, voll des Preises der
deutschen Siege des Retters von Gallien. Gallienus hatte in seinen frueheren
Jahren nicht ohne Energie den Kampf am Rhein aufgenommen, und Postumus war sogar
ein vorzueglicher Offizier und waere gern auch ein guter Regent gewesen. Aber
bei der Meisterlosigkeit, welche damals in dem roemischen Staat oder vielmehr in
der roemischen Armee waltete, nuetzte Talent und Tuechtigkeit des Einzelnen
weder ihm noch dem Gemeinwesen. Eine Reihe bluehender roemischer Staedte wurde
damals von den einfallenden Barbaren oedegelegt, und das rechte Rheinufer ging
den Roemern auf immer verloren.
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^31 Nicht bloss der ursaechliche Zusammenhang, sondern selbst die zeitliche
Folge dieser wichtigen Vorgaenge liegen im unklaren. Der relativ beste Bericht
bei Zosimus (hist. 1, 29) bezeichnet den germanischen Krieg als die Ursache,
weshalb Valerianus gleich bei seiner Thronbesteigung 253 seinen Sohn zum
Mitherrscher gleichen Rechts gemacht habe; und den Titel Germanicus maximus
fuehrt Valerian schon im Jahre 256 (CIL VIII, 2380; ebenso 259 CIL XI, 826),
vielleicht sogar, wenn der Muenze Cohen n. 54 zu trauen ist, den Titel
Germanicus maximus ter.
^32 Dass die Germanen, gegen die Gallienus zu streiten hatte, wenigstens
hauptsaechlich am Unterrhein zu suchen sind, zeigt die Residenz seines Sohnes in
Agrippina, wo er doch nur als nomineller Repraesentant des Vaters
zurueckgeblieben sein kann. Auch der Biograph (c. 8) nennt die Franken.
^33 Von dem Grade der Geschichtsfaelschung, welche in einem Teil der
Kaiserbiographien herrscht, macht man sich schwer eine Vorstellung; es wird
nicht unnuetz sein, hier an dem Bericht ueber Postumus dies beispielsweise zu
zeigen. Er heisst hier (freilich in einer Einlage) Iulius Postumus (tyr. 6), auf
den Muenzen und Inschriften al. Cassianius Latinius Postumus, im epitomierten
Victor 32 Cassius Labienus Postemus.
Er regiert sieben Jahre (Gall. 4; tyr. 3 und 5); Muenzen nennen seine tr.
p. X, und zehn Jahre gibt ihm Eutropius (9, 10).
Sein Gegner heisst Lollianus, nach den Muenzen Ulpius Cornelias Laelianus,
Laelianus bei Eutropius (9, 9; nach der einen Handschriftenklasse, waehrend die
andere der Interpolation der Biographen folgt) und bei Victor (c. 33), Aelianus
in der Victorianischen Epitome.
Postumus und Victorinus herrschen nach dem Biographen gemeinschaftlich;
aber es gibt keine beiden gemeinschaftliche Muenzen, und somit bestaetigen diese
den Bericht bei Victor und Eutropius, dass Victorinus der Nachfolger des
Postumus gewesen ist.
Es ist eine Besonderheit dieser Kategorie von Faelschungen, dass sie in den
eingelegten Urkunden gipfeln. Das Koelner Epitaphium der beiden Victorinus (tyr.
7): hic duo Victorini tyranni(!) siti sunt kritisiert sich selbst. Das
angebliche Patent Valerians (tyr. 3), womit dieser den Galliern die Ernennung
des Postumus mitteilt, ruehmt nicht bloss prophetisch des Postumus
Herrschergaben, sondern nennt auch verschiedene unmoegliche Aemter: einen
Transrhenani limitis dux et Galliae praeses hat es zu keiner Zeit gegeben und
kann Postumus arch/e/n en Keltois strati/o/t/o/n empepisteymenos ;Zos. hist. 1,
38) nur praeses einer der beiden Germanien oder, wenn sein Kommando ein
ausserordentliches war, dux per Germanias gewesen sein. Ebenso unmoeglich ist in
derselben Quasi-Urkunde der tribunatus Vocontiorum des Sohnes, eine offenbare
Nachbildung der Tribunate, wie sie in der Notitia dignitatum aus der Zeit des
Honorius auftreten.
Gegen Postumus und Victorinus, unter denen die Gallier und die Franken
fechten, zieht Gallienus mit Aureolus, spaeter seinem Gegner, und dem spaeteren
Kaiser Claudius; er selbst wird durch einen Pfeilschuss verwundet, siegt aber,
ohne dass durch den Sieg sich etwas aendert. Von diesem Kriege wissen die
anderen Berichte nichts. Postumus faellt in dem von dem sogenannten Lollianus
angezettelten Militaeraufstand, waehrend nach dem Bericht bei Victor und
Eutropius Postumus dieser Mainzer Insurrektion Herr wird, aber dann die Soldaten
ihn erschlagen, weil er ihnen Mainz nicht zur Pluenderung ueberliefern will.
Ueber die Erhebung des Postumus steht neben der im wesentlichen mit der
gewoehnlichen uebereinstimmenden Erzaehlung, dass Postumus den seiner Hut
anvertrauten Sohn des Gallienus treulos beseitigt habe, eine andere, offenbar
als Rettung erfundene, wonach das Volk in Gallien dies tat und dann dem Postumus
die Krone antrug. Die enkomiastische Tendenz fuer den, der Gallien das Schicksal
der Donaulaender und Asiens erspart und es vor den Germanen gerettet habe, tritt
hier und ueberall (am offenbarsten tyr. 5) zutage; womit denn zusammenhaengt,
dass dieser Bericht den Verlust des rechten Rheinufers und die Zuege der Franken
nach Gallien, Spanien und Afrika nicht kennt. Bezeichnend ist noch, dass der
angebliche Stammvater des konstantinischen Hauses auch hier mit einer
ehrenvollen Nebenrolle bedacht wird. Diese nicht zerruettete, sondern
durchgefaelschte Erzaehlung wird voellig beseitigt werden muessen; die Berichte
einerseits bei Zosimus, andererseits der aus einer gemeinschaftlichen Quelle
schoepfenden Lateiner Victor und Eutropius, kurz und zerruettet wie sie sind,
koennen allein in Betracht kommen.
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Die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Gallien hing zunaechst ab von
dem Zusammenhalten des Reichs ueberhaupt; solange die italischen Kaiser ihre
Truppen in der Narbonensis aufstellten, um den gallischen Rivalen zu beseitigen
und dieser wieder Miene machte, die Alpen zu ueberschreiten, war eine wirksame
Operation gegen die Germanen von selber ausgeschlossen. Erst nachdem um das Jahr
272 ^34 der damalige Herrscher Galliens, Tetricus, seiner undankbaren Rolle
muede, selbst dazu getan hatte, dass seine Truppen sich dem vom roemischen Senat
anerkannten Kaiser Aurelianus unterwarfen, konnte wieder daran gedacht werden,
den Germanen zu wehren. Den Zuegen der Alamannen, die fast ein Jahrzehnt
hindurch das obere Italien bis nach Ravenna hinab heimgesucht hatten, setzte
derselbe tuechtige Herrscher, der Gallien wieder zum Reich gebracht hatte, fuer
lange Zeit ein Ziel und schlug an der oberen Donau nachdruecklich einen ihrer
Staemme, die Juthungen. Haette sein Regiment Dauer gehabt, so wuerde er wohl
auch in Gallien den Grenzschutz erneuert haben; nach seinem baldigen und jaehen
Ende (275) ueberschritten die Germanen abermals den Rhein und verheerten weit
und breit das Land. Sein Nachfolger Probus (seit 276), auch ein tuechtiger
Soldat, warf sie nicht bloss wieder hinaus - siebzig Staedte soll er ihnen
abgenommen haben -, sondern ging auch wieder angreifend vor, ueberschritt den
Rhein und trieb die Deutschen ueber den Neckar zurueck; aber die Linien der
frueheren Zeit erneuerte er nicht ^35, sondern begnuegte sich, an den
wichtigeren Rheinpositionen Brueckenkoepfe auf dem anderen Ufer einzurichten und
zu besetzen - das heisst, er kam etwa auf die Einrichtungen zurueck, wie sie
hier vor Vespasian bestanden hatten. Gleichzeitig wurden durch seine Feldherren
in der noerdlichen Provinz die Franken niedergeschlagen. Grosse Massen der
ueberwundenen Germanen wurden als gezwungene Ansiedler nach Gallien und vor
allem nach Britannien gesandt. In dieser Weise wurde die Rheingrenze wieder
gewonnen und auf das spaetere Kaiserreich uebertragen. Freilich war wie die
Herrschaft am rechten Rheinufer so auch der Friede am linken unwiderbringlich
dahin. Drohend standen die Alamannen gegenueber Basel und Strassburg, die
Franken gegenueber Koeln. Daneben melden sich andere Staemme. Dass auch die
Burgundionen, einst jenseits der Elbe sesshaft, westwaerts vorrueckend bis an
den oberen Main, Gallien bedrohen, davon ist zuerst unter Kaiser Probus die
Rede; wenige Jahre spaeter beginnen die Sachsen in Gemeinschaft mit den Franken
ihre Angriffe zur See auf die gallische Nordkueste wie auf das roemische
Britannien. Aber unter den groesstenteils tuechtigen und faehigen Kaisern des
Diocletianisch-Konstantinischen Hauses und noch unter den naechsten Nachfolgern
hielt der Roemer die drohende Voelkerflut in gemessenen Schranken.
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^34 Postumus Herrschaft dauerte zehn Jahre. Dass im Jahre 259 der aeltere
Sohn des Gallienus bereits tot war, lehrt die Inschrift von Modena CIL XI, 826;
also faellt Postumus Abfall sicher in oder vor dieses Jahr. Da die Gefangennahme
des Tetricus nicht wohl spaeter als 272, unmittelbar nach der zweiten Expedition
gegen Zenobia, angesetzt werden kann und die drei gallischen Herrscher Postumus
zehn, Victorinus zwei (Eutr. 9, 9), Tetricus zwei (Aur. Vict. Caes. 35) Jahre
regiert haben, so bringt dies Postumus Abfall etwa auf 259; doch sind
dergleichen Zahlen haeufig etwas verschoben. Wenn die Dauer der Germanenzuege in
Spanien unter Gallienus auf zwoelf Jahre bestimmt wird (Oros. hist. 7, 41, 2),
so scheint dies nach der Hieronymischen Chronik oberflaechlich berechnet zu
sein. Die ueblichen genauen Zahlen sind unbeglaubigt und taeuschend.
^35 Nach dem Biographen (c. 14, 15) hat Probus die Germanen des rechten
Rheinufers in Abhaengigkeit gebracht, so dass sie den Roemern tributpflichtig
sind und die Grenze fuer sie verteidigen (omnes iam barbari vobis arant, vobis
iam serviunt et contra interiores gentes militant); das Recht der Waffenfuehrung
wird ihnen vorlaeufig gelassen, aber daran gedacht, bei weiteren Erfolgen die
Grenze vorzuschieben und eine Provinz Germanien einzurichten. Auch als freie
Phantasien eines Roemers des vierten Jahrhunderts - mehr ist es nicht - haben
diese Aeusserungen ein gewisses Interesse.
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Die Germanen in ihrer nationalen Entwicklung darzustellen, ist nicht die
Aufgabe des Geschichtschreibers der Roemer; fuer ihn erscheinen sie nur hemmend
oder auch zerstoerend. Eine Durchdringung der beiden Nationalitaeten und eine
daraus hervorgehende Mischkultur, wie das romanisierte Keltenland, hat das
roemische Germanien nicht aufzuweisen oder sie faellt fuer unsere Auffassung mit
der roemisch-gallischen um so mehr zusammen, als die laengere Zeit in roemischem
Besitz gebliebenen germanischen Gebiete auf dem linken Rheinufer durchaus mit
keltischen Elementen durchsetzt waren und auch die auf dem rechten, ihrer
urspruenglichen Bevoelkerung groesstenteils beraubt, die Mehrzahl der neuen
Ansiedler aus Gallien erhielten. Dem germanischen Element fehlten die kommunalen
Zentren, wie sie das Keltentum zahlreich besass. Teils deswegen, teils infolge
aeusserer Umstaende konnte, wie schon hervorgehoben worden ist, in dem
germanischen Osten das roemische Element sich eher und voller entwickeln als in
den keltischen Gegenden. Von wesentlichstem Einfluss darauf sind die Heerlager
der Rheinarmee geworden, die alle auf das roemische Germanien fallen. Die
groesseren derselben erhielten teils durch die Handelsleute, die dem Heere sich
anschlossen, teils und vor allem durch die Veteranen, die in ihren gewohnten
Quartieren auch nach der Entlassung verblieben, einen staedtischen Anhang, eine
von den eigentlichen Militaerquartieren gesonderte Budenstadt (canabae);
ueberall und namentlich in Germanien sind aus diesen bei den Legionslagern und
besonders den Hauptquartieren mit der Zeit eigentliche Staedte erwachsen. An der
Spitze steht die roemische Ubierstadt, urspruenglich das zweitgroesste Lager der
niederrheinischen Armee, dann seit dem Jahre 50 roemische Kolonie und von
bedeutendster Wirksamkeit fuer die Hebung der roemischen Zivilisation im
Rheinland. Hier wich die Lagerstadt der roemischen Pflanzstadt; spaeterhin
erhielten, ohne Verlegung der Truppen, Stadtrecht die zu den beiden grossen
unterrheinischen Lagern gehoerenden Ansiedlungen Ulpia Noviomagus im Bataverland
und Ulpia Traiana bei Vetera durch Traianus, im dritten Jahrhundert die
Militaerhauptstadt Obergermaniens Mogontiacum. Freilich haben diese Zivilstaedte
neben den davon unabhaengigen militaerischen Verwaltungszentren immer eine
untergeordnete Stellung behalten.
Blicken wir ueber die Grenze hinueber, wo diese Erzaehlung abschliesst, so
begegnet uns allerdings anstatt der Romanisierung der Germanen gewissermassen
eine Germanisierung der Romanen. Die letzte Phase des roemischen Staats ist
bezeichnet durch dessen Barbarisierung und speziell dessen Germanisierung; und
die Anfaenge reichen weiter zurueck. Sie beginnt mit der Bauernschaft in dem
Kolonat, geht weiter zu der Truppe, wie Kaiser Severus sie gestaltete, erfasst
dann die Offiziere und Beamte und endigt mit den roemisch-germanischen
Mischstaaten der Westgoten in Spanien und Gallien, der Vandalen in Afrika, vor
allem dem Italien Theoderichs. Fuer das Verstaendnis dieser letzten Phase bedarf
es allerdings der Einsicht in die staatliche Entwicklung der einen wie der
anderen Nation. Freilich steht in dieser Beziehung die germanische Forschung
sehr im Nachteil. Die staatlichen Einrichtungen, in welche diese Germanen
dienend oder mitherrschend eintraten, sind wohlbekannt, weit besser als die
pragmatische Geschichte der gleichen Epoche; aber ueber den germanischen
Anfaengen liegt ein Dunkel, mit dem verglichen die Anfaenge von Rom und von
Hellas lichte Klarheit sind. Waehrend die nationale Gottesverehrung der antiken
Welt relativ erkennbar ist, ist die Kunde des deutschen Heidentums, vom fernen
Norden abgesehen, vor der historischen Zeit untergegangen. Die Anfaenge der
staatlichen Entwicklung der Germanen schildert uns teils die schillernde und in
der Gedankenschablone des sinkenden Altertums befangene, die eigentlich
entscheidenden Momente nur zu oft auslassende Darstellung des Tacitus, teils
muessen wir sie den auf ehemals roemischem Boden entstandenen, ueberall mit
roemischen Elementen durchsetzten Zwitterstaaten entnehmen. Wie die germanischen
Worte hier ueberall fehlen und wir fast ausschliesslich auf lateinische,
notwendig inadaequate Bezeichnungen angewiesen sind, so versagen auch
durchgaengig die scharfen Grundanschauungen, derer unsere Kunde des klassischen
Altertums nicht entbehrt. Es gehoert zur Signatur unserer Nation, dass es ihr
versagt geblieben ist, sich aus sich selbst zu entwickeln; und dazu gehoert es
mit, dass deutsche Wissenschaft vielleicht weniger vergeblich bemueht gewesen
ist, die Anfaenge und die Eigenart anderer Nationen zu erkennen als die der
eigenen.
5. Kapitel
Britannien
Siebenundneunzig Jahre waren vergangen, seitdem roemische Truppen das
grosse Inselland im nordwestlichen Ozean betreten und unterworfen und wiederum
verlassen hatten, bevor die roemische Regierung sich entschloss, die Fahrt zu
wiederholen und Britannien bleibend zu besetzen. Allerdings war Caesars
britannische Expedition nicht bloss, wie seine Zuege gegen die Germanen, ein
defensiver Vorstoss gewesen. So weit sein Arm reichte, hatte er die einzelnen
Voelkerschaften reichsuntertaenig gemacht und ihre Jahresabgabe an das Reich
hier wie in Gallien geordnet. Auch die fuehrende Voelkerschaft, welche durch
ihre bevorzugte Stellung fest an Rom geknuepft und somit der Stuetzpunkt der
roemischen Herrschaft werden sollte, war gefunden: die Trinovanten (Essex)
sollten auf der keltischen Insel dieselbe, mehr vorteilhafte als ehrenvolle
Rolle uebernehmen wie auf dem gallischen Kontinent die Haeduer und die Reiner.
Die blutige Fehde zwischen dem Fuersten Cassivellaunus und dem Fuerstenhaus von
Camalodunum (Colchester) hatte unmittelbar die roemische Invasion
herbeigefuehrt; dieses wieder einzusetzen, war Caesar gelandet, und der Zweck
ward fuer den Augenblick erreicht. Ohne Zweifel hat Caesar sich nie darueber
getaeuscht, dass jene Tribute ebenso wie diese Schutzherrschaft zunaechst nur
Worte waren; aber diese Worte waren ein Programm, das die bleibende Besetzung
der Insel durch roemische Truppen herbeifuehren masste und herbeifuehren sollte.
Caesar selbst kam nicht dazu, die Verhaeltnisse der unterworfenen Insel
bleibend zu ordnen; und fuer seine Nachfolger war Britannien eine Verlegenheit.
Die reichsuntertaenig gewordenen Briten entrichteten den schuldigen Tribut
gewiss nicht lange, vielleicht ueberhaupt niemals; das Protektorat ueber die
Dynastie von Camalodunum wird noch weniger respektiert worden sein und hatte
lediglich zur Folge, dass Fuersten und Prinzen dieses Hauses wieder und wieder
in Rom erschienen und die Intervention der roemischen Regierung gegen Nachbarn
und Rivalen anriefen - so kam Koenig Dubnovellaunus, wahrscheinlich der
Nachfolger des von Caesar bestaetigten Trinovantenfuersten, als Fluechtling nach
Rom zu Kaiser Augustas, so spaeter einer der Prinzen desselben Hauses zu Kaiser
Gaius ^1.
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^1 Allem Anschein nach sind die politischen Relationen zwischen Rom und
Britannien in der Zeit vor der Eroberung wesentlich auf das von Caesar
wiederhergestellte und garantierte (Gall. 5, 22) Fuerstentum der Trinovanten zu
beziehen. Dass Koenig Dubnovellaunus, der nebst einem anderen ganz unbekannten
Britannerfuersten bei Augustas Schutz suchte, hauptsaechlich in Essex herrschte,
zeigen seine Muenzen (mein Monumentum Ancyranum. 2. Aufl. 1883, S. 138f.). Die
britannischen Fuersten, die den Augustus beschickten und seine Oberherrschaft
anerkannten (denn so scheint Strab. 4, 5, 3, p. 200 gefasst werden zu muessen;
vgl. Tac. ann. 2, 24), haben wir auch zunaechst dort zu suchen. Cunobelinus,
nach den Muenzen der Sohn des Koenigs Tasciovanus, von dem die Geschichte
schweigt, gestorben, wie es scheint, bejahrt, zwischen 40 und 43, im Regiment
also wahrscheinlich dem spaeteren des Augustus und denen des Tiberius und Gaius
parallel gehend, residierte in Camalodunum (Dio 60, 21); um ihn und um seine
Soehne dreht sich die Vorgeschichte der Invasion. Wohin Bericus, der zum
Claudias kam (Dio 60, 19), gehoert, wissen wir nicht, und es moegen auch andere
brittische Dynasten dem Beispiel derer von Colchester gefolgt sein; aber an der
Spitze stehen diese.
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In der Tat war die Expedition nach Britannien ein notwendiger Teil der
Caesarischen Erbschaft; es hatte auch schon waehrend der Zweiherrschaft Caesar
der Sohn zu einer solchen einen Anlauf genommen und nur davon abgesehen wegen
der dringenderen Notwendigkeit, in Illyricum Ruhe zu schaffen, oder auch wegen
des gespannten Verhaeltnisses zu Antonius, das zunaechst den Parthern sowohl wie
den Britannern zustatten kam. Die hoefischen Poeten aus Augustus' frueheren
Jahren haben die britannische Eroberung vielfach antizipierend gefeiert; das
Programm Caesars also nahm der Nachfolger an und auf. Als dann die Monarchie
feststand, erwartete ganz Rom, dass der Beendigung des Buergerkrieges die
britannische Expedition auf dem Fusse folgen werde; die Klagen der Poeten ueber
den schrecklichen Hader, ohne welchen laengst die Britanner im Siegeszug zum
Kapitol gefuehrt worden waeren, verwandelten sich in die stolze Hoffnung auf die
neu zum Reich hinzutretende Provinz Britannien. Die Expedition wurde auch zu
wiederholten Malen angekuendigt (727, 728 27, 26); dennoch stand Augustus, ohne
das Unternehmen foermlich fallenzulassen, bald von der Durchfuehrung ab, und
Tiberius hielt, seiner Maxime getreu, auch in dieser Frage an dem System des
Vaters fest ^2. Die nichtigen Gedanken des letzten Julischen Kaisers schweiften
wohl auch ueber den Ozean hinueber; aber ernste Dinge vermochte er nicht einmal
zu planen. Erst die Regierung des Claudius nahm den Plan des Diktators wieder
auf und fuehrte ihn durch.
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^2 Tac. Agr. 13: consilium id divus Augustas vocabat, Tiberius praeceptum.
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Welche Motive nach der einen wie nach der andern Seite hin bestimmend
waren, laesst sich teilweise wenigstens erkennen. Augustus selbst hat geltend
gemacht, dass die Besetzung der Insel militaerisch nicht noetig sei, da ihre
Bewohner nicht imstande seien, die Roemer auf dem Kontinent zu belaestigen, und
fuer die Finanzen nicht vorteilhaft; was aus Britannien zu ziehen sei, fliesse
in Form des Einfuhr- und Ausfuhrzolles der gallischen Haefen in die Kasse des
Reiches; als Besatzung werde wenigstens eine Legion und etwas Reiterei
erforderlich sein und nach Abzug der Kosten derselben von den Tributen der Insel
nicht viel uebrig bleiben ^3. Dies alles war unbestreitbar richtig, ja noch
keineswegs genug; die Erfahrung erwies spaeter, dass eine Legion bei weitem
nicht ausreichte, um die Insel zu halten. Hinzuzunehmen ist, was die Regierung
zu sagen allerdings keine Veranlassung hatte, dass bei der Schwaeche des
roemischen Heeres, wie sie durch die innere Politik Augusts einmal
herbeigefuehrt war, es sehr bedenklich erscheinen musste, einen erheblichen
Bruchteil desselben ein fuer allemal auf eine ferne Insel des Nordmeers zu
bannen. Man hatte vermutlich nur die Wahl, von Britannien abzusehen oder
deswegen das Heer zu vermehren; und bei Augustus hat die Ruecksicht auf die
innere Politik stets die auf die aeussere ueberwogen.
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^3 Die Auseinandersetzung bei Strabon (2, 5, 8, p. 115; 4, 5, 3, p. 200)
gibt offenbar die gouvernementale Version. Dass nach Einziehung der Insel der
freie Verkehr und damit der Ertrag der Zoelle sinken werde, muss wohl als
Eingestaendnis des Satzes genommen werden, dass die roemische Herrschaft und die
roemischen Tribute den Wohlstand der Untertanen herabdrueckten.
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Aber dennoch muss die Ueberzeugung von der Notwendigkeit der Unterwerfung
Britanniens bei den roemischen Staatsmaennern vorgewogen haben. Caesars
Verhalten wuerde unbegreiflich sein, wenn man sie nicht bei ihm voraussetzt.
Augustus hat das von Caesar gesteckte Ziel trotz seiner Unbequemlichkeit zuerst
foermlich anerkannt und niemals foermlich verleugnet. Gerade die weitsichtigsten
und folgerichtigsten Regierungen, die des Claudius, des Nero, des Domitian,
haben zu der Eroberung Britanniens den Grund gelegt oder sie erweitert; und sie
ist, nachdem sie erfolgt war, nie betrachtet worden wie etwa die Traianische von
Dakien und Mesopotamien. Wenn die sonst so gut wie unverbruechlich festgehaltene
Regierungsmaxime, dass das Roemische Reich seine Grenzen nur zu erfuellen, nicht
aber auszudehnen habe, allein in betreff Britanniens dauernd beiseite gesetzt
worden ist, so liegt die Ursache darin, dass die Kelten so, wie Roms Interesse
es erheischte, auf dem Kontinent allein nicht unterworfen werden konnten. Diese
Nation war allem Anschein nach durch den schmalen Meeresarm, der England und
Frankreich trennt, mehr verbunden als geschieden; dieselben Voelkernamen
begegnen hueben und drueben; die Grenzen der einzelnen Staaten griffen oefter
ueber den Kanal hinueber; der Hauptsitz des hier mehr wie irgendwo sonst das
ganze Volkstum durchdringenden Priestertums waren von jeher die Inseln der
Nordsee. Den roemischen Legionen das Festland Galliens zu entreissen, vermochten
diese Insulaner freilich nicht; aber wenn der Eroberer Galliens selbst, und
weiter die roemische Regierung in Gallien andere Zwecke verfolgte als in Syrien
und Aegypten, wenn die Kelten der italischen Nation angegliedert werden sollten,
so war diese Aufgabe wohl unausfuehrbar, solange das unterworfene und das freie
Keltengebiet ueber das Meer hin sich beruehrten und der Roemerfeind wie der
roemische Deserteur in Britannien eine Freistatt fand ^4. Zunaechst genuegte
dafuer schon die Unterwerfung der Suedkueste, obwohl die Wirkung natuerlich sich
steigerte, je weiter das freie Keltengebiet zurueckgeschoben ward. Claudius'
besondere Ruecksicht auf seine gallische Heimat und seine Kenntnis gallischer
Verhaeltnisse mag auch hierbei mit im Spiel gewesen sein ^5. Den Anlass zum
Kriege gab, dass eben dasjenige Fuerstentum, welches von Rom in einer gewissen
Abhaengigkeit stand, unter der Fuehrung seines Koenigs Cunobelinus - es ist dies
Shakespeares Cymbeline - seine Herrschaft weit ausbreitete ^6 und sich von der
roemischen Schutzherrschaft emanzipierte. Einer der Soehne desselben, Adminius,
der gegen den Vater sich aufgelehnt hatte, kam schutzbegehrend zum Kaiser Gaius,
und darueber, dass dessen Nachfolger sich weigerte, dem britischen Herrscher
diese seine Untertanen auszuliefern, entspann sich der Krieg zunaechst gegen den
Vater und die Brueder dieses Adminius. Der eigentliche Grund desselben freilich
war der unerlaessliche Abschluss der Unterwerfung einer bisher nur halb
besiegten, eng zusammenhaltenden Nation.
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^4 Als Ursache des Krieges gibt Sueton (Claud. 17) an: Britanniam tunc
tumultuantem ob non redditos transfugas; was O. Hirschfeld mit Recht in
Verbindung bringt mit Gai. 44: Adminio Cunobellini Britannorum regis filio, qui
pulsus a patre cum exigua mani transfugerat, in deditionem recepto. Mit dem
tumultuari werden wohl wenigstens beabsichtigte Pluenderfahrten nach der
gallischen Kueste gemeint sein. Um den Bericus (Dio 60, 19) ist der Krieg gewiss
nicht gefuehrt worden.
^5 Ebenso war Mona nachher receptaculum perfugarum (Tac. ann. 14, 29).
^6 Tac. ann. 12, 37: pluribus gentibus imperitantem.
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Dass die Besetzung Britanniens nicht erfolgen koenne ohne gleichzeitige
Vermehrung des stehenden Heeres, war auch die Ansicht derjenigen Staatsmaenner,
die sie veranlassten; es wurden drei der Rhein-, eine der Donaulegionen dazu
bestimmt ^7, gleichzeitig aber zwei neu errichtete Legionen den germanischen
Heeren zugeteilt. Zum Fuehrer dieser Expedition und zugleich zum ersten
Statthalter der Provinz wurde ein tuechtiger Soldat, Aulus Plautius, ausersehen;
sie ging im Jahre 43 nach der Insel ab. Die Soldaten zeigten sich schwierig,
wohl mehr wegen der Verbannung auf die ferne Insel als aus Furcht vor dem
Feinde. Einer der leitenden Maenner, vielleicht die Seele des Unternehmens, der
kaiserliche Kabinettssekretaer Narcissus, wollte ihnen Mut einsprechen - sie
liessen den Sklaven vor hoehnendem Zuruf nicht zu Worte kommen, aber taten, wie
er wollte, und schifften sich ein.
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^7 Die drei Legionen vom Rhein sind die 2. Augusta, die 14. und die 20.;
aus Pannonien kam die 9. spanische. Dieselben vier Legionen standen dort noch zu
Anfang der Regierung Vespasians; dieser rief die 14. ab zum Kriege gegen
Civilis, und diese kam nicht zurueck, dafuer aber wahrscheinlich die 2.
adiutrix. Diese ist vermutlich unter Domitian nach Pannonien verlegt, unter
Hadrian die 9. aufgeloest und durch die 6. victrix ersetzt worden. Die beiden
anderen Legionen, 2. Augusta und 20., haben vom Anfang bis zum Ende der
Roemerherrschaft in England gestanden.
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Besondere Schwierigkeit hatte die Besetzung der Insel nicht. Die
Eingeborenen standen politisch wie militaerisch auf derselben niedrigen
Entwicklungsstufe, welche Caesar auf der Insel vorgefunden hatte. Koenige oder
Koeniginnen regierten in den einzelnen Gauen, die kein aeusseres Band
zusammenschloss und die in ewiger Fehde miteinander lagen. Die Mannschaften
waren wohl von ausdauernder Koerperkraft und von todesverachtender Tapferkeit
und namentlich tuechtige Reiter. Aber der homerische Streitwagen, der hier noch
eine Wirklichkeit war und auf dem die Fuersten des Landes selber die Zuegel
fuehrten, hielt den geschlossenen roemischen Reiterschwadronen ebensowenig
stand, wie der Infanterist ohne Panzer und Helm, nur durch den kleinen Schild
verteidigt, mit seinem kurzen Wurfspiess und seinem breiten Schwert im Nahkampf
dem kurzen roemischen Messer gewachsen war oder gar dem schweren Pilum des
Legionaers und dem Schleuderblei und dem Pfeil der leichten roemischen Truppen.
Der Heermasse von etwa 40000 wohlgeschulten Soldaten hatten die Eingeborenen
ueberall keine entsprechende Abwehr entgegenzustellen. Die Ausschiffung traf
nicht einmal auf Widerstand; die Briten hatten Kunde von der schwierigen
Stimmung der Truppen und die Landung nicht mehr erwartet. Koenig Cunobelinus war
kurz vorher gestorben; die Gegenwehr fuehrten seine beiden Soehne, Caratacus und
Togodumnus. Der Marsch des Invasionsheeres ward sofort auf Camalodunum gerichtet
^8 und in raschem Siegeslauf gelangte es bis an die Themse; hier wurde Halt
gemacht, vielleicht hauptsaechlich, um dem Kaiser die Gelegenheit zu geben, den
leichten Lorbeer persoenlich zu pfluecken. Sobald er eintraf, ward der Fluss
ueberschritten, das britische Aufgebot geschlagen, wobei Togodumnus den Tod
fand, Camalodunum selber genommen. Wohl setzte der Bruder Caratacus den
Widerstand hartnaeckig fort und gewann sich, siegend oder geschlagen, einen
stolzen Namen bei Freund und Feind; aber das Vorschreiten der Roemer war dennoch
unaufhaltsam. Ein Fuerst nach dem andern ward geschlagen und abgesetzt - elf
britische Koenige nennt der Ehrenbogen des Claudius als von ihm besiegt; und was
den roemischen Waffen nicht erlag, das ergab sich den roemischen Spenden.
Zahlreiche vornehme Maenner nahmen die Besitzungen an, die auf Kosten ihrer
Landsleute der Kaiser ihnen verlieh; auch manche Koenige fuegten sich in die
bescheidene Lehnsstellung, wie denn der der Regner (Chichester), Cogidumnus, und
der der Icener (Norfolk), Prasutagus, eine Reihe von Jahren als Lehnsfuersten
die Herrschaft gefuehrt haben. Aber in den meisten Distrikten der bis dahin
durchgaengig monarchisch regierten Insel fuehrten die Eroberer ihre
Gemeindeverfassung ein und gaben, was noch zu verwalten blieb, den oertlichen
Vornehmen in die Hand; was denn freilich schlimme Parteiungen und innere
Zerwuerfnisse im Gefolge hatte. Noch unter dem ersten Statthalter scheint das
gesamte Flachland bis etwa zum Humber hinauf in roemische Gewalt gekommen zu
sein; die Icener zum Beispiel haben bereits ihm sich ergeben. Aber nicht bloss
mit dem Schwert bahnten die Roemer sich den Weg. Unmittelbar nach der Einnahme
wurden nach Camalodunum Veteranen gefuehrt und die erste Stadt roemischer
Ordnung und roemischen Buergerrechts, die "Claudische Siegeskolonie", in
Britannien gegruendet, bestimmt zur Landeshauptstadt. Unmittelbar nachher begann
auch die Ausbeutung der britannischen Bergwerke, namentlich der ergiebigen
Bleigruben; es gibt britannische Bleibarren aus dem sechsten Jahre nach der
Invasion. Offenbar hat in gleicher Schleunigkeit der Strom roemischer Kaufleute
und Industrieller sich ueber das neu geschlossene Gebiet ergossen; wenn
Camalodunum roemische Kolonisten empfing, so bildeten anderswo im Sueden der
Insel, namentlich an den warmen Quellen der Sulis (Bath), in Verulamium (St.
Albans, nordwestlich von London) und vor allem in dem natuerlichen Emporium des
Grossverkehrs, in Londinium an der Themsemuendung, bloss infolge des freien
Verkehrs und der Einwanderung sich roemische Ortschaften, die bald auch formell
staedtische Organisation erhielten. Die vordringende Fremdherrschaft machte
nicht bloss in den neuen Abgaben und Aushebungen, sondern vielleicht mehr noch
in Handel und Gewerbe ueberall sich geltend. Als Plautius nach vierjaehriger
Verwaltung abberufen ward, zog er, der letzte Private, der zu solcher Ehre
gelangt ist, triumphierend in Rom ein, und Ehren und Orden stroemten herab auf
die Offiziere und Soldaten der siegreichen Legionen; dem Kaiser wurden in Rom
und danach in anderen Staedten Triumphbogen errichtet wegen des "ohne
irgendwelche Verluste" errungenen Sieges; der kurz vor der Invasion geborene
Kronprinz erhielt anstatt des grossvaeterlichen den Namen Britannicus. Man wird
hierin die unmilitaerische, der Siege mit Verlust entwoehnte Zeit und die der
politischen Altersschwaeche angemessene Ueberschwenglichkeit erkennen duerfen;
aber wenn die Invasion Britanniens vom militaerischen Standpunkt aus nicht viel
bedeuten will, so muss doch den leitenden Maennern das Zeugnis gegeben werden,
dass sie das Werk in energischer und folgerichtiger Weise angriffen und die
peinliche und gefahrvolle Zeit des Uebergangs von der Unabhaengigkeit zur
Fremdherrschaft in Britannien eine ungewoehnlich kurze war.
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^8 Die nur auf bedenkliche Emendationen gestuetzte Identifikation der
Boduner und Catuellaner bei Dio 60, 20 mit Voelkerschaften aehnlichen Namens bei
Ptolemaeos kann nicht richtig sein; diese ersten Kaempfe muessen zwischen der
Kueste und der Themse stattgefunden haben.
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Nach dem ersten raschen Erfolg freilich entwickelten auch hier sich die
Schwierigkeiten und selbst die Gefahren, welche die Besetzung der Insel nicht
bloss den Eroberten brachte, sondern auch den Eroberern.
Des Flachlandes war man Herr, aber nicht der Berge noch des Meeres. Vor
allem der Westen machte den Roemern zu schaffen. Zwar im aeussersten Suedwest,
im heutigen Cornwall, hielt sich das alte Volkstum wohl mehr, weil die Eroberer
sich um diese entlegene Ecke wenig kuemmerten, als weil es geradezu sich gegen
sie auflehnte. Aber die Siluren im Sueden des heutigen Wales und ihre
noerdlichen Nachbarn, die Ordoviker, trotzten beharrlich den roemischen Waffen;
die den letzteren anliegende Insel Mona (Anglesey) war der rechte Herd der
nationalen und religioesen Gegenwehr. Nicht die Bodenverhaeltnisse allein
hemmten das Vordringen der Roemer; was Britannien fuer Gallien gewesen, das war
jetzt fuer Britannien, und insbesondere fuer diese Westkueste, die grosse Insel
Ivernia; die Freiheit drueben liess die Fremdherrschaft hueben nicht feste
Wurzel fassen. Deutlich erkennt man an der Anlegung der Legionslager, dass die
Invasion hier zum Stehen kam. Unter Plautius' Nachfolger wurde das Lager fuer
die vierzehnte Legion am Einfluss des Tern in den Severn bei Viroconium
(Wroxeter, unweit Shrewsbury ^9) angelegt, vermutlich um dieselbe Zeit suedlich
davon das von Isca (Caerleon = castra legionis) fuer die zweite, noerdlich das
von Deva (Chester = castra) fuer die zwanzigste; diese drei Lager schlossen das
walisische Gebiet ab gegen Sueden, Norden und Westen und schuetzten also das
befriedete Land gegen das frei gebliebene Gebirge. Dorthin warf sich, nachdem
seine Heimat roemisch geworden war, der letzte Fuerst von Camalodunum,
Caratacus. Er wurde von dem Nachfolger des Plautius, Publius Ostorius Scapula,
im Ordovikergebiet geschlagen und bald darauf von den geschreckten Briganten, zu
denen er gefluechtet war, den Roemern ausgeliefert (51) und mit all den Seinen
nach Italien gefuehrt. Verwundert fragte er, als er die stolze Stadt sah, wie es
die Herren solcher Palaeste nach den armen Huetten seiner Heimat verlangen
koenne. Aber damit war der Westen keineswegs bezwungen; die Siluren vor allem
verharrten in hartnaeckiger Gegenwehr, und dass der roemische Feldherr
ankuendigte, sie bis auf den letzten Mann ausrotten zu wollen, trug auch nicht
dazu bei, sie fuegsamer zu machen. Der unternehmende Statthalter Gaius Suetonius
Paullinus versuchte einige Jahre spaeter (61), den Hauptsitz des Widerstandes,
die Insel Mona, in roemische Gewalt zu bringen, und trotz der wuetenden
Gegenwehr, welche ihn hier empfing und in der die Priester und die Weiber
vorangingen, fielen die heiligen Baeume, unter denen mancher roemische Gefangene
geblutet hatte, unter den Aexten der Legionaere. Aber aus der Besetzung dieses
letzten Asyls der keltischen Priesterschaft entwickelte sich eine gefaehrliche
Krise in dem unterworfenen Gebiete selbst, und die Eroberung Monas zu vollenden,
war dem Statthalter nicht beschieden.
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^9 Tac. ann. 12, 31: (P. Ostorius) cuncta castris ad . . . ntonam
(ueberliefert ist castris antonam) et Sabrinam fluvios cohibere parat. So ist
hier herzustellen, nur dass der sonst nicht ueberlieferte Name des Flusses Tern
nicht ergaenzt werden kann. Die einzigen in England gefundenen Inschriften von
Soldaten der 14. Legion, die unter Nero England verliess, sind in Wroxeter, dem
sogenannten "englischen Pompeii" zum Vorschein gekommen. Da dort sich auch die
Grabschrift eines Soldaten der 20. gefunden hat, war das von Tacitus bezeichnete
Lager vielleicht anfaenglich beiden Legionen gemeinsam und ist die 20. erst
spaeter nach Deva gekommen. Dass das Lager bei Isca gleich nach der Invasion
angelegt ward, geht aus Tac. ann. 12, 32 u. 38 hervor.
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Auch in Britannien hatte die Fremdherrschaft die Probe der nationalen
Insurrektion zu bestehen. Was Mithradates in Kleinasien, Vercingetorix bei den
Kelten des Kontinents, Civilis bei den unterworfenen Germanen unternahmen, das
versuchte bei den Inselkelten eine Frau, die Gattin eines jener von Rom
bestaetigten Vasallenfuersten, die Koenigin der Icener, Boudicca. Ihr
verstorbener Gatte hatte, um seiner Frau und seiner Toechter Zukunft zu sichern,
seine Herrschaft dem Kaiser Nero vermacht, sein Vermoegen zwischen ihm und den
Seinigen geteilt. Der Kaiser nahm die Erbschaft an, aber was ihm nicht zufallen
sollte, dazu; die fuerstlichen Vettern wurden in Ketten gelegt, die Witwe
geschlagen, die Toechter in schaendlicherer Weise misshandelt. Dazu kam andere
Unbill des spaeteren Neronischen Regiments. Die in Camalodunum angesiedelten
Veteranen jagten die frueheren Besitzer von Haus und Hof, wie es ihnen beliebte,
ohne dass die Behoerden dagegen einschritten. Die vom Kaiser Claudius
verliehenen Geschenke wurden als widerrufliche Gaben eingezogen. Roemische
Minister, die zugleich Geldgeschaefte machten, trieben auf diesem Wege die
britannischen Gemeinden eine nach der anderen zum Bankrott. Der Moment war
guenstig. Der mehr tapfere als vorsichtige Statthalter Paullinus befand sich,
wie gesagt wurde, mit dem Kern der roemischen Armee auf der entlegenen Insel
Mona, und dieser Angriff auf den heiligsten Sitz der nationalen Religion
erbitterte ebenso die Gemueter, wie er dem Aufstande den Weg ebnete. Der alte
gewaltige Keltenglaube, der den Roemern so viel zu schaffen gemacht, loderte
noch einmal, zum letzten Mal, in maechtiger Flamme empor. Die geschwaechten und
weitgetrennten Legionslager im Westen und im Norden gewaehrten dem ganzen
Suedosten der Insel mit seinen aufbluehenden roemischen Staedten keinen Schutz.
Vor allem die Hauptstadt Camalodunum war voellig wehrlos, eine Besatzung nicht
vorhanden, die Mauern nicht vollendet, wohl aber der Tempel ihres kaiserlichen
Stifters, des neuen Gottes Claudius. Der Westen der Insel, wahrscheinlich
niedergehalten durch die dort stehenden Legionen, scheint sich bei der
Schilderhebung nicht beteiligt zu haben und ebensowenig der nicht botmaessige
Norden; aber, wie das bei keltischen Aufstaenden oefter vorgekommen ist, es
erhob sich im Jahre 61 auf die vereinbarte Losung das ganze uebrige unterworfene
Gebiet auf einen Schlag gegen die Fremden, voran die aus ihrer Hauptstadt
vertriebenen Trinovanten. Der zweite Befehlshaber, der zur Zeit den Statthalter
vertrat, der Prokurator Decianus Catus, hatte im letzten Augenblick, was er von
Soldaten hatte, dieser zum Schutz gesandt: es waren 200 Mann. Sie wehrten sich
mit den Veteranen und den sonstigen waffenfaehigen Roemern zwei Tage im Tempel;
dann wurden sie ueberwaeltigt und was in der Stadt roemisch war, umgebracht bis
auf den letzten. Das gleiche Schicksal erfuhr das Hauptemporium des roemischen
Handels, Londinium, und eine dritte aufbluehende roemische Stadt, Verulamium
(St. Albans, nordwestlich von London), nicht minder die auf der Insel
zerstreuten Auslaender - es war eine nationale Vesper, gleich jener
Mithradatischen und die Zahl der Opfer - angeblich 70000 - nicht geringer. Der
Prokurator gab die Sache Roms verloren und fluechtete nach dem Kontinent. Auch
die roemische Armee ward in die Katastrophe verwickelt. Eine Anzahl zerstreuter
Detachements und Besatzungen erlag den Angriffen der Insurgenten. Quintus
Petillius Cerialis, der im Lager von Lindum den Befehl fuehrte, marschierte auf
Camalodunum mit der neunten Legion; zur Rettung kam er zu spaet und verlor, von
ungeheurer Uebermacht angegriffen, in der Feldschlacht sein gesamtes Fussvolk;
das Lager erstuermten die Briganten. Es fehlte nicht viel, dass den obersten
Feldherrn das gleiche Schicksal erreichte. Eilig zurueckkehrend von der Insel
Mona, rief er die bei Isca stehende zweite Legion heran; aber sie gehorchte dem
Befehle nicht und mit nur etwa 10000 Mann musste Paullinus den ungleichen Kampf
gegen das zahllose und siegreiche Insurgentenheer aufnehmen. Wenn je der Soldat
die Fehler der Fuehrung gutgemacht hat, so war es an dem Tage, wo dieser kleine
Haufen, hauptsaechlich die seitdem gefeierte vierzehnte Legion, wohl zu seiner
eigenen Ueberraschung den vollen Sieg erfocht und die roemische Herrschaft in
Britannien abermals festigte; viel fehlte nicht, dass Paullinus Name neben dem
des Varus genannt worden waere. Aber der Erfolg entscheidet, und hier blieb er
den Roemern ^10. Der schuldige Kommandant der ausgebliebenen Legion kam dem
Kriegsgericht zuvor und stuerzte sich in sein Schwert. Die Koenigin Boudicca
trank den Giftbecher. Der uebrigens tapfere Feldherr wurde zwar nicht in
Untersuchung gezogen, wie anfangs die Absicht der Regierung zu sein schien, aber
bald unter einem schicklichen Vorwand abgerufen.
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^10 Eine schlechtere Relation als die des Tacitus ueber diesen Krieg (14,
31-39) ist selbst bei diesem unmilitaerischsten aller Schriftsteller kaum
aufzufinden. Wo die Truppen standen und wo die Schlachten geliefert wurden,
hoeren wir nicht dafuer aber von Zeichen und Wundern genug und leere Worte nur
zu viel. Die wichtigen Tatsachen, die im Leben des Agricola (31) erwaehnt
werden, fehlen im Hauptbericht insonderheit die Erstuermung des Lagers. Dass
Paullinus, von Mona kommend, nicht bedacht ist, die Roemer im Suedosten zu
retten, sondern seine Truppen Zu vereinigen, begreift sich, aber nicht, warum
er, wenn er Londinium aufopfern wollte, deswegen dahin marschiert. Ist er
wirklich dorthin gekommen, so kann er nur mit einer persoenlichen Bedeckung,
ohne das Korps, das er auf Mona bei sich gehabt, dort erschienen sein; was
freilich auch keinen Sinn hat. Das Gros der roemischen Truppen, sowohl der von
Mona zurueckgefuehrten wie der sonst noch vorhandenen, kann nach Rufreibung der
9. Legion nur auf der Linie Deva - Viroconium - Isca gestanden haben; Paullinus
schlug die Schlacht mit den beiden in den beiden ersten dieser Lager stehenden
Legionen der 14. und der (unvollstaendigen) 20. Dass Paullinus schlug, weil er
schlagen masste, sagt Dio (62, 1-12), und wenngleich dessen Erzaehlung sonst
auch nicht gebraucht werden kann, um die des Tacitus zu bessern, so scheint dies
durch die Sachlage selbst gefordert.
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Die Unterwerfung der westlichen Teile der Insel wurde von Paullinus
Nachfolgern nicht sogleich fortgesetzt. Erst der tuechtige Feldherr Sextus
Iulius Frontinus unter Vespasian zwang die Siluren zur Anerkennung der
roemischen Herrschaft; sein Nachfolger Gnaeus Iulius Agricola fuehrte nach
harten Kaempfen mit den Ordovikern das aus, was Paullinus nicht erreicht hatte,
und besetzte im Jahre 78 die Insel Mona. Nachher ist von aktivem Widerstand in
diesen Gegenden nicht die Rede; das Lager von Viroconium konnte, wahrscheinlich
um diese Zeit, aufgehoben, die dadurch frei gewordene Legion im noerdlichen
Britannien verwendet werden. Aber die anderen beiden Legionslager von Isca und
von Deva sind noch bis in die diocletianische Zeit an Ort und Stelle geblieben
und erst in dem spaeteren Besatzungsstand verschwunden. Wenn dabei auch
politische Ruecksichten mitgewirkt haben moegen, so ist doch der Widerstand des
Westens wahrscheinlich, vielleicht gestuetzt auf Verbindungen mit Ivernia, auch
spaeter noch fortgefuehrt worden. Dafuer spricht ferner das voellige Fehlen
roemischer Spuren in dem inneren Wales und das daselbst bis auf den heutigen Tag
sich behauptende keltische Volkstum.
Im Norden bildete den Mittelpunkt der roemischen Stellung, oestlich von
Viroconium das Lager der neunten spanischen Legion in Lindum (Lincoln).
Zunaechst mit diesem beruehrte sich in Nordengland das maechtigste Fuerstentum
der Insel, das der Briganten (Yorkshire); es hatte sich nicht eigentlich
unterworfen, aber die Koenigin Cartimandus suchte doch mit den Eroberern Frieden
zu halten und erwies sich ihnen gefuegig. Die Partei der Roemerfeinde hatte hier
im Jahre 50 loszuschlagen versucht, aber der Versuch war rasch unterdrueckt
worden. Caratacus, im Westen geschlagen, hatte gehofft, seinen Widerstand im
Norden fortfuehren zu koennen, aber die Koenigin lieferte ihn, wie schon gesagt
ward, den Roemern aus. Diese inneren Zwistigkeiten und haeuslichen Haendel
muessen dann in dem Aufstand gegen Paullinus, bei dem wir die Briganten in einer
fuehrenden Stellung fanden und der eben die Legion des Nordens mit seiner ganzen
Schwere traf, mit im Spiel gewesen sein. Indes war die roemische Partei der
Briganten einflussreich genug, um nach Niederwerfung des Aufstandes die
Wiederherstellung des Regiments der Cartimandus zu erlangen. Aber einige Jahre
nachher bewirkte die Patriotenpartei daselbst, getragen durch die Losung des
Abfalles von Rom, welche waehrend des Buergerkrieges nach Neros Katastrophe den
ganzen Westen erfuellte, eine neue Schilderhebung der Briganten gegen die
Fremdherrschaft, an deren Spitze Cartimandus' frueherer, von ihr beseitigter und
beleidigter Gemahl, der kriegserfahrene Venutius stand; erst nach laengeren
Kaempfen bezwang Petillius Cerialis das maechtige Volk, derselbe, der unter
Paullinus nicht gluecklich gegen eben diese Briten gefochten hatte, jetzt einer
der namhaftesten Feldherren Vespasians und der erste von ihm ernannte
Statthalter der Insel. Der allmaehlich nachlassende Widerstand des Westens
machte es moeglich, die eine der drei bisher dort stationierten Legionen mit der
in Lindum stehenden zu vereinigen und das Lager selbst von Lindum nach dem
Hauptort der Briganten, Eburacum (York), vorzuschieben. Indes so lange der
Westen ernstliche Gegenwehr leistete, geschah im Norden nichts weiter fuer die
Ausdehnung der roemischen Grenze; am Kaledonischen Walde, sagt ein
Schriftsteller vespasianischer Zeit stocken seit dreissig Jahren die roemischen
Waffen. Erst Agricola griff, nachdem er im Westen fertig war, die Unterwerfung
auch des Nordens energisch an. Er schuf vor allem sich eine Flotte, ohne welche
die Verpflegung der Truppen in diesen, wenige Hilfsmittel darbietenden Gebirgen
unmoeglich gewesen sein wuerde. Gestuetzt auf diese gelangte er unter Titus (80)
bis an die Tava-Bucht (Firth of Tay) in die Gegend von Perth und Dundee und
wandte die drei folgenden Feldzuege daran, die weiten Landstriche zwischen
dieser Bucht und der bisherigen roemischen Grenze an beiden Meeren genau zu
erkunden, den oertlichen Widerstand ueberall zu brechen und an den geeigneten
Stellen Verschanzungen anzulegen, wobei namentlich die natuerliche
Verteidigungslinie, welche durch die beiden tief einschneidenden Buchten Clota
(Firth of Clyde) bei Glasgow und Bodotria (Firth of Forth) bei Edinburgh
gebildet wird, zum Rueckhalt ausersehen ward. Dieser Vorstoss rief das gesamte
Hochland unter die Waffen; aber die gewaltige Schlacht, welche die vereinigten
kaledonischen Staemme den Legionen zwischen den beiden Buchten Forth und Tay an
den Graupischen Bergen lieferten, endigte mit dem Siege Agricolas. Nach seiner
Ansicht musste die Unterwerfung der Insel, einmal begonnen, auch vollendet, ja
auch auf Ivernia ausgedehnt werden; und es liess sich dafuer mit Ruecksicht auf
das roemische Britannien geltend machen, was mit Ruecksicht auf Gallien die
Besetzung der Insel herbeigefuehrt hatte; hinzu kam, dass bei energischer
Durchfuehrung der Besetzung des gesamten Inselkomplexes der Aufwand an Menschen
und Geld fuer die Zukunft wahrscheinlich sich verringert haben wuerde.
Die roemische Regierung folgte diesen Ratschlaegen nicht. Wieweit bei der
Rueckberufung des siegreichen Feldherrn im Jahre 85, der uebrigens laenger, als
sonst der Fall zu sein pflegte, im Amte geblieben war, persoenliche und
gehaessige Motive mitgewirkt haben, muss dahingestellt bleiben; das
Zusammentreffen der letzten Siege des Generals in Schottland und der ersten
Niederlagen des Kaisers im Donauland war allerdings in hohem Grade peinlich.
Aber fuer das Einstellen der Operationen in Britannien ^11 und fuer die, wie es
scheint, damals erfolgte Abberufung einer der vier Legionen, mit denen Agricola
seine Feldzuege ausgefuehrt hatte, nach Pannonien, gibt die damalige
militaerische Lage des Staats, die Ausdehnung der roemischen Herrschaft auf dem
rechten Rheinufer in Obergermanien und der Ausbruch der gefaehrlichen Kriege in
Pannonien, eine voellig hinreichende Erklaerung. Das freilich ist damit nicht
erklaert, warum hiermit dem Vordringen gegen Norden ueberhaupt ein Ziel gesetzt
und Nordschottland sowohl wie Irland sich selber ueberlassen wurden. Dass
seitdem die Regierung, nicht wegen Zufaelligkeiten der augenblicklichen Lage,
sondern ein fuer allemal von der Vorschiebung der Reichsgrenze absah und daran
bei allem Wechsel der Persoenlichkeiten festhielt, lehrt die gesamte spaetere
Geschichte der Insel und lehren insbesondere die gleich zu erwaehnenden
muehsamen und kostspieligen Wallbauten. Ob sie im rechten Interesse des Staates
auf die Vollendung der Eroberung verzichtet hat, ist eine andere Frage. Dass die
Reichsfinanzen bei dieser Erweiterung der Grenzen nur einbuessen wuerden, wurde
auch jetzt ebenso geltend gemacht ^12, wie frueher gegen die Besetzung der Insel
selbst, konnte aber freilich nicht entscheiden. Militaerisch durchfuehrbar war
die Besetzung so, wie Agricola sie gedacht hatte, ohne Zweifel ohne wesentliche
Schwierigkeit. Aber ins Gewicht mochte die Erwaegung fallen, dass die
Romanisierung der noch freien Gebiete grosse Schwierigkeit bereitet haben wuerde
wegen der Stammesverschiedenheit. Die Kelten im eigentlichen England gehoerten
durchaus zu denen des Festlands; Volksname, Glaube, Sprache waren beiden
gemeinsam. Wenn die keltische Nationalitaet des Kontinents einen Rueckhalt an
der Insel gefunden hatte, so griff umgekehrt die Romanisierung Galliens
notwendig auch nach England hinueber, und diesem vornehmlich verdankte es Rom,
dass in so ueberraschender Schnelligkeit Britannien sich gleichfalls
romanisierte. Aber die Bewohner Irlands und Schottlands gehoerten einem anderen
Stamme an und redeten eine andere Sprache; ihr Gadhelisch verstand der Brite
wahrscheinlich so wenig wie der Germane die Sprache der Skandinaven. Als
Barbaren wildester Art werden die Kaledonier - mit den Ivernern haben die Roemer
sich kaum beruehrt - durchaus geschildert. Andererseits waltete der
Eichenpriester (Derwydd, Druida) seines Amtes an der Rhone wie in Anglesey, aber
nicht auf der Insel des Westens noch in den Bergen des Nordens. Wenn die Roemer
den Krieg hauptsaechlich gefuehrt hatten, um das Druidengebiet ganz in ihre
Gewalt zu bringen, so war dieses Ziel einigermassen erreicht. Ohne Frage haetten
in anderer Zeit alle diese Erwaegungen die Roemer nicht vermocht, auf die so
nahe gerueckte Seegrenze im Norden zu verzichten und wenigstens Kaledonien waere
besetzt worden. Aber weitere Landschaften mit roemischem Wesen zu durchdringen,
vermochte das damalige Rom nicht mehr; die zeugende Kraft und der vorschreitende
Volksgeist waren aus ihm entwichen. Wenigstens diejenige Eroberung, die nicht
durch Verordnungen und Maersche erzwungen werden kann, waere, wenn man sie
versucht haette, schwerlich gelungen.
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^11 Tac. hist. I, 2 fasst das Resultat zusammen in die Worte perdomita
Britannia et statim missa.
^12 Der kaiserliche Finanzbeamte unter Pius, Appian (prooem. 5), bemerkt,
dass die Roemer den besten Teil (to kratiston) der britischen Insel besetzt
haetten oiden t/e/s all/e/s deomenoi. oy' gar e?phoros aytois estin oyd' /e/n
echoysin. Das ist die Antwort der Gouvernementalen an Agricola und seine
Meinungsgenossen.
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Es kam also darauf an, die Nordgrenze fuer die Verteidigung in geeigneter
Weise einzurichten; und darum dreht sich fortan hier die militaerische Arbeit.
Der militaerische Mittelpunkt blieb Eburacum. Das weite, von Agricola besetzte
Gebiet wurde festgehalten und mit Kastellen belegt, die als vorgeschobene Posten
fuer das zurueckliegende Hauptquartier dienten; wahrscheinlich ist der groesste
Teil der nicht legionaeren Truppen zu diesem Zweck verwendet worden. Spaeter
folgte die Anlage zusammenhaengender Befestigungslinien. Die erste der Art
ruehrt von Hadrian her und ist auch insofern merkwuerdig, als sie in gewissem
Sinn bis auf den heutigen Tag noch besteht und vollstaendiger bekannt ist als
irgendeine andere der grossen militaerischen Bauten der Roemer. Es ist genau
genommen eine von Meer zu Meer in der Laenge von etwa 16 deutschen Meilen
westlich an den Solway Firth, oestlich an die Muendung der Tyne fuehrende, nach
beiden Seiten hin festungsmaessig geschuetzte Heerstrasse. Die Verteidigung
bildet noerdlich eine gewaltige urspruenglich mindestens 16 Fuss hohe und 8 Fuss
dicke, an beiden Aussenseiten aus Quadersteinen erbaute, dazwischen mit
Bruchsteinen und Moertel ausgefuellte Mauer, vor welcher ein nicht minder
imponierender, 9 Fuss tiefer, oben bis 34 Fuss und mehr breiter Graben sich
hinzieht. Gegen Sueden ist die Strasse geschuetzt durch zwei parallele, noch
jetzt 6 bis 7 Fuss hohe Erddaemme, zwischen denen ein 7 Fuss tiefer Graben mit
einem nach Sueden aufgehoehten Rande sich hinzieht, so dass die Anlage von Damm
zu Damm eine Gesamtbreite von 24 Fuss hat. Zwischen der Steinmauer und den
Erddaemmen, auf der Strasse selbst, liegen die Lagerplaetze und Wachthaeuser,
naemlich in der Entfernung einer kleinen Meile voneinander die Kohortenlager,
angelegt als selbstaendig wehrfaehige Kastelle mit Toroeffnungen nach allen vier
Seiten; zwischen je zweien derselben eine kleinere Anlage aehnlicher Art mit
Ausfallstoren nach Norden und Sueden; zwischen je zweien von diesen vier
kleinere Wachthaeuser in Rufweite voneinander. Diese Anlage von grossartiger
Soliditaet, welche als Besatzung 10000 bis 12000 Mann erfordert haben muss,
bildete seitdem das Fundament der militaerischen Operationen im noerdlichen
England. Eigentlicher Grenzwall war sie nicht; vielmehr haben nicht bloss die
schon seit Agricolas Zeit weit darueber hinaus vorgeschobenen Posten daneben
fortbestanden, sondern es ist spaeterhin, zuerst unter Pius, dann in
umfassenderer Weise unter Severus gleichsam als Vorposten fuer den Hadrianswall
^13 die schon von Agricola mit einer Postenreihe besetzte, um die Haelfte
kuerzere Linie vom Firth of Clyde zum Firth of Forth in aehnlicher, aber
schwaecherer Weise befestigt worden. Der Anlage nach war diese Linie von der
Hadrianischen nur insofern verschieden, als sie sich auf einen ansehnlichen
Erdwall, mit Graben davor und Strasse dahinter, beschraenkte, nach Sueden also
nicht zur Verteidigung eingerichtet war; im uebrigen schloss auch sie eine
Anzahl kleinerer Lager in sich. An dieser Linie endigten die roemischen
Reichsstrassen ^14, und obwohl auch jenseits dieser noch roemische Posten
standen - der noerdlichste Punkt, auf dem der Grabstein eines roemischen
Soldaten sich gefunden hat, ist Ardoch zwischen Stirling und Perth -, kann die
Grenze der Zuege Agricolas, der Firth of Tay, auch spaeter noch als die Grenze
des Roemischen Reiches angesehen werden.
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^13 Die Meinung, dass der noerdliche Wall an die Stelle des suedlichen
getreten sei, ist ebenso verbreitet wie unhaltbar; die Kohortenlager am
Hadrianswall, wie sie uns die Inschriften des 2. Jahrhunderts zeigen, bestanden
im wesentlichen unveraendert noch am Ende des 3. (denn dieser Epoche gehoert der
betreffende Abschnitt der Notitia an). Beide Anlagen haben nebeneinander
bestanden, seit die juengere hinzugetreten war; auch zeigt die Masse der
Denkmaeler am Severuswall mit Evidenz, dass er bis zum Ende der roemischen
Herrschaft in Britannien besetzt geblieben ist.
Der Bau des Severus kann nur auf die noerdliche Anlage bezogen werden.
Einmal war die Anlage des Hadrian von der Art, dass eine etwaige
Wiederherstellung unmoeglich, wie dies von der Severischen gesagt wird, als
Neubau aufgefasst werden konnte; aber die Anlage des Pius war ein blosser
Erddamm (murus cespiticius, vita c. 5) und unterliegt hier die gleiche Annahme
minderem Bedenken. Zweitens passt die Laenge des Severuswalles von 32 Milien
(Aur. Vict. epit. 20; die unmoegliche Zahl 132 ist ein Schreibfehler unserer
Handschriften des Eutropius 8, 19 - wo Paulus das Richtige bewahrt hat -, der
dann von Hier. chron. a. Abr. 2221, Oros. hist. 7, 17, 7 und Cassiod. chron. zum
Jahre 207 uebernommen worden ist) nicht auf den Hadrianswall von 80 Milien; aber
die Anlage des Pius, die nach den inschriftlichen Erhebungen etwa 40 Milien lang
war, kann wohl gemeint sein, da die Endpunkte der Severischen Anlage an den
beiden Meeren recht wohl andere und naeher gelegene gewesen sein koennen. Wenn
endlich nach Dio 76,12 von der Mauer, welche die Insel in zwei Teile teilt,
noerdlich die Kaledonien suedlich die Maeaten wohnen, so sind zwar die Wohnsitze
der letzteren sonst nicht bekannt (vgl. Dio 75, 5), koennen aber unmoeglich auch
nach der Schilderung, die Dio von ihrer Gegend macht, suedlich vom Hadrianswall
angesetzt und die der Kaledonier bis an diesen erstreckt werden. Also ist hier
die Linie Glasgow-Edinburgh gemeint.
^14 A limite id est a vallo heisst es im Itinerarium, p. 464.
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Weniger als von diesen imponierenden Verteidigungsanlagen wissen wir von
der Anwendung, die sie gefunden haben und ueberhaupt den spaeteren Ereignissen
auf diesem fernen Kriegsschauplatz. Unter Hadrian ist eine schwere Katastrophe
hier eingetreten, allem Anschein nach ein Ueberfall des Lagers von Eburacum und
die Vernichtung der dort stehenden Legion ^15, derselben neunten, die im
Boudiccakrieg so ungluecklich gefochten hatte. Wahrscheinlich ist diese nicht
durch feindlichen Einfall herbeigefuehrt, sondern durch den Abfall der
noerdlichen als reichsuntertaenig geltenden Voelkerschaften, insbesondere der
Briganten. Damit wird in Verbindung zu bringen sein, dass der Hadrianswall
ebenso gegen Sueden wie gegen Norden Front macht; offenbar war er auch dazu
bestimmt, das nur oberflaechlich unterworfene Nordengland niederzuhalten. Auch
unter Hadrians Nachfolger Pius haben hier Kaempfe stattgefunden, an denen die
Briganten wieder beteiligt waren; doch laesst sich Genaueres nicht erkennen ^16.
Der erste ernstliche Angriff auf diese Reichsgrenze und die erste nachweisliche
Ueberschreitung der Mauer - ohne Zweifel derjenigen des Pius - erfolgte unter
Marcus und weiter unter Commodus; wie denn auch Commodus der erste Kaiser ist,
der den Siegesbeinamen des Britannikers angenommen hat, nachdem der tuechtige
General Ulpius Marcellus die Barbaren zu Paaren getrieben hatte. Aber das Sinken
der roemischen Macht tritt seitdem hier ebenso hervor wie an der Donau und am
Euphrat. In den unruhigen Anfangsjahren des Severus hatten die Kaledonier ihre
Zusage, sich nicht mit den roemischen Untertanen einzulassen, gebrochen, und,
auf sie gestuetzt, ihre suedlichen Nachbarn, die Maeaten, den roemischen
Statthalter Lupus genoetigt, gefangene Roemer mit grossen Summen zu loesen.
Dafuer traf sie Severus' schwerer Arm nicht lange vor seinem Tode; er drang in
ihr eigenes Gebiet ein und zwang sie zur Abtretung betraechtlicher Strecken ^17,
aus welchen freilich, nachdem der alte Kaiser im Jahre 211 im Lager von Eburacum
gestorben war, seine Soehne die Besatzungen sofort freiwillig zurueckzogen, um
der laestigen Verteidigung ueberhoben zu sein.
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^15 Der Hauptbeweis dafuer liegt in dem unzweifelhaft bald nach dem Jahre
108 (CIL VII, 241) eintretenden Verschwinden dieser Legion und ihrer Ersetzung
durch die 6. victrix. Die beiden Notizen, welche auf dies Ereignis hindeuten
(Fronto p. 217 Naher: Hadriano imperium obtinente quantum militum a Britannis
caesum? Vita 5: Britanni teneri sub Romana dicione non poterant) sowie die
Anspielung bei Iuvenal (14, 196: castella Brigantum) fuehren auf einen Aufstand,
nicht auf einen Einfall.
^16 Wenn Pius nach Pausanias (8, 43, 4) apetemeto t/o/n en Britannia
Brigant/o/n t/e/n poll/e/n oti epesbainein kai o?toi s?n oplois /e/rxan eis
t/e/n Genoynian moiran (unbekannt, vielleicht, wie O. Hirschfeld vorschlaegt,
die Brigantenstadt Vinovia) ypkooys R/o/mai/o/n, so folgt daraus nicht, dass es
auch Briganten in Kaledonien gab, sondern dass die Briganten in Nordengland
damals das befriedete Brittenland heimsuchten und darum ein Teil ihres Gebiets
konfisziert ward.
^17 Dass er die Absicht gehabt hat, den ganzen Norden in roemische Gewalt
zu bringen (Dio 76, 13), vertraegt sich weder recht mit der Abtretung (a. a. O.)
noch mit dem Mauerbau und ist wohl ebenso fabelhaft wie der roemische Verlust
von 50000 Mann, ohne dass es auch nur zum Kampfe kam.
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Aus dem dritten Jahrhundert wird von den Schicksalen der Insel kaum etwas
gemeldet. Da keiner der Kaiser, bis auf Diocletian und seine Kollegen, den
Siegernamen von der Insel gefuehrt hat, moegen ernstere Kaempfe hier nicht
stattgefunden haben, und wenn auch in dem Landstrich zwischen den Waellen des
Pius und des Hadrianus das roemische Wesen wohl nie festen Fuss gefasst hat,
scheint doch wenigstens der Hadrianswall was er sollte, auch damals geleistet
und hinter ihm die fremdlaendische Zivilisation gesichert sich entwickelt zu
haben. In der Zeit Diocletians finden wir den Bezirk zwischen beiden Waellen
geraeumt, aber den Hadrianswall nach wie vor besetzt und das uebrige roemische
Heer zwischen ihm und dem Hauptquartier Eburacum kantonierend zur Abwehr der
seitdem oft erwaehnten Raubzuege der Kaledonier, oder wie sie jetzt gewoehnlich
heissen, der Taetowierten (picti) und der von Ivernia her einstroemenden Skoten.
Eine staendige Flotte haben die Roemer in Britannien gehabt; aber wie das
Seewesen immer die schwache Seite der roemischen Wehrordnung geblieben ist, war
auch die britische Flotte nur unter Agricola voruebergehend von Bedeutung.
Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Regierung darauf gerechnet hatte,
nach erfolgter Besetzung der Insel den groessten Teil der dorthin gesandten
Truppen zuruecknehmen zu koennen, so erfuellte diese Hoffnung sich nicht: nur
eine der entsendeten vier Legionen ist, wie wir sahen, unter Domitian abberufen
worden; die drei anderen muessen unentbehrlich gewesen sein, denn es ist nie der
Versuch gemacht worden, sie zu verlegen. Dazu kamen die Auxilien, die zu dem
wenig einladenden Dienst auf der abgelegenen Nordseeinsel dem Anschein nach im
Verhaeltnis staerker als die Buergertruppen herangezogen wurden. In der Schlacht
am Graupischen Berge im Jahre 84 fochten ausser den vier Legionen 8000 zu Fuss
und 3000 zu Pferde von den Hilfssoldaten. Fuer die Zeit von Traian und Hadrian,
wo von diesen in Britannien sechs Alen und 21 Kohorten, zusammen etwa 15000 Mann
standen, wird man das gesamte britannische Heer auf etwa 30000 Mann anzuschlagen
haben. Britannien war von Haus aus ein Kommandobezirk ersten Ranges, den beiden
rheinischen und dem syrischen vielleicht im Rang, aber nicht an Bedeutung
nachstehend, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts wahrscheinlich die
angesehenste aller Statthalterschaften. Es lag nur an der weiten Entfernung,
dass die britannischen Legionen in der Korpsparteiung der frueheren Kaiserzeit
in zweiter Reihe erscheinen; bei dem Korpskrieg nach dem Erloeschen des
Antoninischen Hauses fochten sie in der ersten. Darum aber war es auch eine der
Konsequenzen des Sieges des Severus, dass die Statthalterschaft geteilt ward.
Seitdem standen die beiden Legionen von Isca und Deva unter dem Legaten der
oberen, die eine von Eburacum und die Truppen an den Waellen, also die
Hauptmasse der Auxilien, unter dem der unteren Provinz ^18. Wahrscheinlich ist
die Verlegung der ganzen Besatzung nach dem Norden, die, wie oben bemerkt ward,
nach bloss militaerischen Ruecksichten wohl zweckmaessig gewesen sein wuerde,
mit deswegen unterblieben, weil sie einem Statthalter drei Legionen in die Hand
gegeben haette.
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^18 Die Teilung ergibt sich aus Dio 55, 23.
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Dass finanziell die Provinz mehr kostete, als sie eintrug, kann hiernach
nicht verwundern. Fuer die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien
erheblich in Betracht; das Kompensationsverhaeltnis von Besteuerung und
Aushebung wird auch fuer die Insel in Anwendung gekommen sein und die britischen
Truppen galten neben den illyrischen fuer die besten der Armee. Gleich
anfaenglich sind dort sieben Kohorten aus den Eingeborenen aufgestellt und diese
weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden; nachdem dieser das System
aufgebracht hatte, die Truppen moeglichst aus ihren Garnisonsbezirken zu
rekrutieren, scheint Britannien dies fuer seine starke Besatzung wenigstens zum
grossen Teil geleistet zu haben. Es war ein ernster und tapferer Sinn in den
Leuten; sie trugen die Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und
Brutalitaet der Beamten.
Fuer die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur
Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt ward, von
derjenigen der Kelten des Kontinents sich nur darin wesentlich entfernte, dass
die einzelnen Voelkerschaften der Insel, es scheint saemtlich, unter Fuersten
standen. Aber diese Ordnung scheint nicht beibehalten und der Gau (civitas) in
Britannien, wie in Spanien, ein geographischer Begriff geworden zu sein;
wenigstens ist es kaum anders zu erklaeren, dass die britannischen
Voelkerschaften genau genommen verschwinden, sowie sie unter roemische
Herrschaft geraten, und von den einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut
wie gar nicht die Rede ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fuerstentuemer,
wie sie unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen
worden; es ward dies dadurch erleichtert, dass auf der Insel sich nicht, wie auf
dem Kontinent, eine ohne monarchische Spitze geordnete Gauverfassung vorfand.
Damit haengt auch wohl zusammen, dass, waehrend die gallischen Gaue eine
gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine politische und religioese
Gesamtvertretung besessen haben, von Britannien nichts aehnliches gemeldet wird.
Gefehlt hat der Provinz ein Concilium und ein gemeinsamer Kaiserkultus nicht;
aber waere der Altar des Claudius in Camalodunum ^19 auch nur annaehernd
gewesen, was der des Augustus in Lugudunum, so wuerde davon wohl etwas
verlauten. Die freie und grosse politische Gestaltung, welche dem gallischen
Lande von Caesar gewaehrt und von seinem Sohne bestaetigt worden war, passt in
den Rahmen der spaeteren Kaiserpolitik nicht mehr.
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^19 Auf ihn geht wohl das Epigramm des Seneca (vol. 4, p. 69 Baehrens):
oceanus que tuas ultra se respicit aras. Auch der Tempel, der nach der
Spottschrift desselben Seneca (8, 3) dem Claudius bei Lebzeiten in Britannien
errichtet ward, und der damit sicher identische Tempel des Gottes Claudius in
Camalodunum (Tac. ann. 14, 31) ist wohl nicht als staedtisches Heiligtum zu
fassen, sondern nach Analogie der Augustusheiligtuemer von Lugudunum und
Tarraco. Die delecti sacerdotes, welche specie religionis omnes fortunas
effundebant, sind die bekannten Provinzialpriester und Spielgeber.
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Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gruendung der Kolonie
Camalodunum war schon die Rede, wie es auch bereits hervorgehoben wurde, dass
die italische Stadtverfassung frueh in einer Reihe britannischer Ortschaften
eingefuehrt worden ist. Auch hierin ist Britannien mehr nach dem Muster Spaniens
als nach dem des keltischen Kontinents behandelt worden.
Die inneren Zustaende Britanniens muessen, trotz der allgemeinen Gebrechen
des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen Gebieten, nicht
unguenstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd und Weide und waren hier
die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und Raub jederzeit bei der Hand, so
entwickelte sich der Sueden in dem ungestoerten Friedensstand vor allem durch
Ackerbau, daneben durch Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu maessiger Wohlfahrt:
die gallischen Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichtum der
fruchtbaren Insel, und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus
Britannien empfangen.
Das Strassennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und fuer das
namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel getan hat, hat
natuerlich zunaechst militaerischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor den
Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine leitende
Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales gab es
Reichsstrassen allein in der naechsten Naehe der roemischen Lager, von Isca nach
Nidum (Neath) und von Deva zur Ueberfahrt nach Mona.
Zu der Romanisierung verhielt sich das roemische Britannien aehnlich wie
das noerdliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars
Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Goettin Sulis, nach
welcher die heutige Stadt Bath hiess, sind auch in lateinischer Sprache noch
vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein exotisches Gewaechs ist die aus
Italien eindringende Sprache und Sitte auf der Insel noch mehr gewesen als auf
dem Kontinent; noch gegen das Ende des ersten Jahrhunderts lehnten die
angesehenen Familien dort sowohl die lateinische Sprache ab wie die roemische
Tracht. Die grossen staedtischen Zentren, die eigentlichen Herde der neuen
Kultur, sind in Britannien schwaecher entwickelt; wir wissen nicht bestimmt,
welche englische Stadt fuer das Concilium der Provinz und die gemeinschaftliche
Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager der
Statthalter der Provinz residiert hat; wenn, wie es scheint, die Zivilhauptstadt
Britanniens Camalodunum gewesen ist, die Militaerhauptstadt Eburacum ^20, so
kann dieses sich so wenig mit Mainz messen wie jenes mit Lyon. Die
Truemmerstaetten auch der namhaften Ortschaften, der Claudischen Veteranenstadt
Camalodunum und der volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die
vielhundertjaehrigen Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine
nur in geringfuegiger Zahl, namhafte Staedte roemischen Rechts wie die Kolonie
Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen einzigen
ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse wir fuer solche
Fragen grossenteils angewiesen sind, hat in Britannien nie recht
durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger zugaenglichen Strichen
sind roemische Denkmaeler ueberhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Daneben aber
stehen deutliche Zeugen des von Tacitus hervorgehobenen regen Handels und
Verkehrs, so die zahllosen Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons
hervorgegangen sind, und das Londoner Strassennetz. Wenn Agricola bemueht war,
den munizipalen Wetteifer in der Ausschmueckung der eigenen Stadt durch Bauten
und Denkmaeler, wie er von Italien sich auf Afrika und Spanien uebertragen
hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen, und die vornehmen Insulaner zu
bestimmen, in ihrer Heimat die Maerkte zu schmuecken und Tempel und Palaeste zu
errichten, wie dies anderswo ueblich war, so ist ihm das fuer die Gemeindebauten
nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der Privatwirtschaft ist es anders; die
stattlichen, roemisch angelegten und geschmueckten Landhaeuser, von denen jetzt
nur noch die Mosaikfussboeden uebrig geblieben sind, finden sich im suedlichen
Britannien bis in die Gegend von York hinauf ^21 ebenso haeufig wie im
Rheinland. Die hoehere schulmaessige Jugendbildung drang von Gallien aus
allmaehlich in Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird
angefuehrt, dass der roemische Hofmeister in die vornehmen Haeuser der Insel
anfange, seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird Britannien als ein von
den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet bezeichnet, und "schon spricht
Thule davon, sich einen Professor zu mieten". Diese Schulmeister waren zunaechst
Lateiner, aber es kamen auch Griechen; Plutarchos erzaehlt von einer
Unterhaltung, die er in Delphi pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden
griechischen Sprachlehrer aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von
Wales, und bis vor kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist,
so ist sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem roemischen Idiom
gewichen; und wie es in Grenzlaendern zu geschehen pflegt, in der spaeteren
Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische Mann. Nicht
Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien - das letzte, was wir von
der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten der Bevoelkerung bei Kaiser
Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und dessen Antwort, dass sie sich selber
helfen moechten, wie sie koennten.
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^20 Das hier stationierte Kommando war wenigstens in spaeterer Zeit ohne
Frage das wichtigste unter den britannischen; und es wird auch dort (denn an
Eburacum ist hier ohne Zweifel gedacht) ein Palatium erwaehnt (vita Severi 22).
Das praeto rium, unterhalb Eburacum wohl an der Kueste gelegen (Irin. Anton.
Aug., p. 466), mag der Sommersitz des Statthalters gewesen sein.
^21 Noerdlich von Aldborough und Easingwold (beide etwas noerdlich von
York) haben sich keine gefunden (J. C. Bruce, Description of the Roman wall. 3.
Aufl. 1867, S. 61).
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6. Kapitel
Die Donaulaender und die Kriege an der Donau
Wie die Rheingrenze Caesars, so ist die Donaugrenze das Werk des Augustus.
Als er an das Ruder kam, waren die Roemer auf der italischen Halbinsel kaum
Herren der Alpen, auf der griechischen kaum des Haemus (Balkan) und der
Kuestenstreifen am Adriatischen und am Schwarzen Meer; nirgends reichte ihr
Gebiet an den maechtigen Strom, der das suedliche Europa vom noerdlichen
scheidet; sowohl das noerdliche Italien wie auch die illyrischen und pontischen
Handelsstaedte und mehr noch die zivilisierten Landschaften Makedoniens und
Thrakiens waren den Raubzuegen der rohen und unruhigen Nachbarstaemme stetig
ausgesetzt. Als Augustus starb, waren an die Stelle der einen, kaum zu
selbstaendiger Verwaltung gelangten Provinz Illyricum fuenf grosse roemische
Verwaltungsbezirke getreten, Raetien, Noricum, Unterillyrien oder Pannonien,
Oberillyrien oder Dalmatien und Moesien, und die Donau in ihrem ganzen Lauf,
wenn nicht ueberall die militaerische, doch die politische Reichsgrenze
geworden. Die verhaeltnismaessig leichte Unterwerfung dieser weiten Gebiete
sowie die schwere Insurrektion der Jahre 6 bis 9 und das dadurch veranlasste
Aufgeben der frueher beabsichtigten Verlegung der Grenzlinie von der oberen
Donau nach Boehmen und an die Elbe sind frueher dargestellt worden. Es bleibt
uebrig, die Entwicklung dieser Landschaften in der Zeit nach Augustus und die
Beziehungen der Roemer zu den jenseits der Donau wohnhaften Staemmen
darzustellen.
Die Schicksale Raetiens sind mit denen der Obergermanischen Provinz so eng
verflochten, dass dafuer auf die fruehere Darstellung verwiesen werden kann. Die
roemische Zivilisation hat hier, im ganzen genommen, sich wenig entwickelt. Das
Hochland der Alpen mit den Taelern des oberen Inn und des oberen Rhein umschloss
eine schwache und eigenartige Bevoelkerung, wahrscheinlich diejenige, die
einstmals die oestliche Haelfte der norditalischen Ebene besessen hatte,
vielleicht den Etruskern verwandt. Von dort zurueckgedraengt durch die Kelten
und vielleicht auch die Illyriker, behauptete sie sich in den noerdlichen
Gebirgen. Waehrend die nach Sueden sich oeffnenden Taeler, wie das der Etsch, zu
Italien gezogen wurden, boten jene den Suedlaendern wenig Platz und noch weniger
Reiz zur Ansiedelung und Staedtegruendung. Weiter noerdlich, auf der Hochebene
zwischen dem Bodensee und dem Inn, welche von den keltischen Staemmen der
Vindeliker eingenommen war, waere wohl fuer roemische Kultur Raum und Staette
gewesen; aber es scheint in diesem Gebiet, das nicht so wie das norische
unmittelbare Fortsetzung Italiens werden konnte und das, gleich dem angrenzenden
sogenannten Decumatenland, wohl zunaechst nur als Scheide gegen die Germanen
fuer die Roemer von Wert war, die Politik der frueheren Kaiserzeit die Kultur
vielmehr zurueckgehalten zu haben. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass
gleich nach der Eroberung man bedacht war, die Landschaft zu entvoelkern. Diesem
geht zur Seite, dass in der frueheren Kaiserzeit keine roemisch organisierte
Gemeinde hier entstanden ist. Zwar von der Anlage der grossen Strasse, die
gleich mit der Eroberung selbst von dem aelteren Drusus durch die Hochalpen an
die Donau gefuehrt ward, war die Gruendung der Augusta der Vindeliker, des
heutigen Augsburg, ein notwendiger Teil; aber es war und blieb dieser rasch
aufbluehende Ort ueber ein Jahrhundert ein Marktflecken, bis endlich Hadrian
auch in dieser Hinsicht die von Augustus vorgezeichnete Bahn verliess und die
Landschaft der Vindeliker in die Romanisierung des Nordens hineinzog. Die
Verleihung des roemischen Stadtrechts an den Vorort der Vindeliker durch Hadrian
wird damit zusammengestellt werden duerfen, dass ungefaehr um dieselbe Zeit die
Militaergrenze am Oberrhein vorgeschoben ward und roemische Staedte im
ehemaligen Decumatenland entstanden; indes ist in Raetien auch spaeter Augusta
der einzige groessere Mittelpunkt roemischer Zivilisation geblieben. Auch die
militaerischen Einrichtungen haben auf das Zurueckhalten derselben eingewirkt.
Die Provinz stand von Anfang an unter kaiserlicher Verwaltung und konnte nicht
ohne Besatzung gelassen werden; aber besondere Ruecksichten noetigten, wie dies
frueher gezeigt ward, die Regierung, nach Raetien lediglich Truppen zweiter
Klasse zu legen, und wenn diese auch der Zahl nach nicht unbetraechtlich waren,
so haben doch die kleineren Standlager der Alen und Kohorten nicht die
zivilisierende und staedtebildende Wirkung ausueben koennen wie die
Legionslager. Unter Marcus ist allerdings infolge des Markomannischen Krieges
das raetische Hauptquartier, die castra Regina, das heutige Regensburg, mit
einer Legion belegt worden; aber selbst dieser Ort scheint in roemischer Zeit
bloss Militaerniederlassung geblieben zu sein und kaum mit den Lagern zweiten
Ranges am Rhein, wie zum Beispiel Bonna, in der staedtischen Entwicklung auf
einer Linie gestanden zu haben.
Dass die Grenze Raetiens schon zu Traianus' Zeit von Regensburg westlich
eine Strecke ueber die Donau hinaus vorgeschoben war, ist frueher bemerkt und
daselbst auch ausgefuehrt worden, dass dieses Gebiet wahrscheinlich ohne
Anwendung von Waffengewalt, aehnlich wie das Decumatenland, zum Reiche gezogen
worden ist. Es wurde ebenfalls schon erwaehnt, dass die Befestigung dieses
Gebiets vielleicht mit den unter Marcus bis hierher sich erstreckenden
Einfaellen der Chatten zusammenhaengt, sowie dass diese und spaeter die
Alamannen im dritten Jahrhundert sowohl dies Vorland wie Raetien selbst
heimsuchten und schliesslich unter Gallienus den Roemern entrissen.
Die Nachbarprovinz Noricum ist wohl in der provinzialen Einrichtung
aehnlich wie Raetien behandelt worden, aber hat sich sonst anders entwickelt.
Nach keiner Richtung hin ist Italien fuer den Landverkehr so wie gegen Nordosten
aufgeschlossen; die Handelsbeziehungen Aquileias sowohl durch das Friaul nach
der oberen Donau und zu den Eisenwerken von Noreia wie ueber die Julische Alpe
zum Savetal haben hier der augustischen Grenzerweiterung vorgearbeitet wie
nirgends sonst im Donaugebiet. Nauportus (Oberlaibach), jenseits des Passes, war
ein roemischer Handelsflecken schon in republikanischer Zeit, Emona (Laibach)
eine spaeter foermlich Italien einverleibte, der Sache nach seit ihrer Gruendung
durch Augustus zu Italien gehoerige roemische Buergerkolonie. Daher genuegte,
wie frueher schon hervorgehoben ward, fuer die Umwandlung dieses "Koenigreichs"
in eine roemische Provinz wahrscheinlich die blosse Ankuendigung. Die
urspruenglich wohl illyrische, spaeter zum guten Teil keltische Bevoelkerung
zeigt keine Spur von demjenigen Festhalten an der nationalen Weise und Sprache,
welche wir bei den Kelten des Westens wahrnehmen. Roemische Sprache und
roemische Sitte muss hier frueh Eingang gefunden haben, und von Kaiser Claudius
wurde dann das gesamte Gebiet, selbst der noerdliche, durch die Tauernkette vom
Drautal getrennte Teil, nach italischer Gemeindeverfassung organisiert. Waehrend
in den Nachbarlaendern Raetien und Pannonien die Denkmaeler roemischer Sprache
entweder fehlen oder doch nur in den groesseren Zentren erscheinen, sind die
Taeler der Drau, der Mut und der Salzach und ihrer Nebenfluesse bis in das hohe
Gebirge hinauf erfuellt mit Zeugnissen der hier tief eingedrungenen
Romanisierung. Noricum ward ein Vorland und gewissermassen ein Teil Italiens;
bei der Aushebung fuer die Legion und fuer die Garde ist, so lange hier die
Italiker ueberhaupt bevorzugt wurden, diese Bevorzugung auf keine andere Provinz
so voellig erstreckt worden wie auf diese.
Hinsichtlich der militaerischen Belegung gilt von Noricum dasselbe wie von
Raetien. Aus den schon entwickelten Gruenden gab es auch in Noricum waehrend der
ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit nur Alen- und Kohortenlager; Carnuntum
(Petronell bei Wien), das in der augustischen Zeit zu Noricum gehoerte, ist, als
die illyrischen Legionen dorthin gelegt wurden, eben darum zu Pannonien gezogen
worden. Die kleineren norischen Standlager an der Donau und selbst das von
Marcus, der auch in diese Provinz eine Legion legte, fuer diese eingerichtete
Lager von Lauriacum (bei Enns) sind fuer die staedtische Entwicklung von keiner
Bedeutung gewesen; die grossen Ortschaften Noricums, wie Celeia (Cilli) im
Sanntal, Aguontum (Lienz), Teurnia (unweit Spittal), Virunum (Zollfeld bei
Klagenfurt), im Norden Iuvavum (Salzburg) sind rein aus buergerlichen Elementen
hervorgegangen.
Illyricum, das heisst das roemische Gebiet zwischen Italien und Makedonien,
wurde in republikanischer Zeit zum kleineren Teil mit der griechisch-
makedonischen Statthalterschaft vereinigt, zum groesseren als Nebenland von
Italien und, nach der Einrichtung der Statthalterschaft des Cisalpinischen
Galliens, als ein Teil von dieser verwaltet. Das Gebiet deckt sich bis zu einem
gewissen Grade mit dem weitverbreiteten Stamm, von dem es die Roemer benannt
haben: es ist derjenige, dessen duerftiger Rest an dem suedlichen Ende seines
ehemals weitgedehnten Besitzes unter dem Namen der Skipetaren, welchen sie sich
selbst beilegen, oder, wie ihre Nachbarn sie heissen, der Arnauten oder
Albanesen noch heute seine alte Nationalitaet und seine eigene Sprache bewahrt
hat. Es ist derselbe ein Glied der indogermanischen Familie und innerhalb
derselben wohl am naechsten dem griechischen Kreise verwandt, wie dies auch den
oertlichen Verhaeltnissen angemessen ist; aber er steht neben diesem wenigstens
ebenso selbstaendig wie der lateinische und der keltische. In ihrer
urspruenglichen Ausdehnung erfuellte diese Nation die Kueste des Adriatischen
Meeres von der Muendung des Po durch Istrien, Dalmatien und Epirus bis gegen
Akarnanien und Aetolien, ferner im Binnenlande das obere Makedonien sowie das
heutige Serbien und Bosnien und das ungarische Gebiet auf dem rechten Ufer der
Donau; sie grenzt also oestlich an die thrakischen Voelkerschaften, westlich an
die keltischen, von welchen letzteren Tacitus sie ausdruecklich unterscheidet.
Es ist ein kraeftiger Schlag suedlaendischer Art, mit schwarzem Haar und dunklen
Augen, sehr verschieden von den Kelten und mehr noch von den Germanen,
nuechterne, maessige, unerschrockene, stolze Leute, vortreffliche Soldaten, aber
buergerlicher Entwicklung wenig zugaenglich, mehr Hirten als Ackerbauer. Zu
einer groesseren politischen Entwicklung ist er nicht gelangt. An der italischen
Kueste traten ihnen wahrscheinlich zunaechst die Kelten entgegen; die
wahrscheinlich illyrischen Voelkerschaften daselbst, insbesondere die Veneter,
wurden durch die Rivalitaet mit den Kelten frueh zu fuegsamen Untertanen der
Roemer. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt engte die Gruendung von Aquileia
und die Unterwerfung der Halbinsel Istrien weiter ihre Grenzen ein. An der
Ostkueste des Adriatischen Meeres waren die wichtigeren Inseln und die
Suedhaefen des Kontinents seit langem von den kuehnen hellenischen Schiffern
okkupiert. Als dann in Skodra (Scutari), gewissermassen in alter Zeit wie
heutzutage dem Zentralpunkt des illyrischen Landes, die Herrscher anfingen, sich
zu eigener Macht zu entwickeln und besonders auf dem Meere die Griechen zu
befehden, schlug Rom schon vor dem Hannibalischen Kriege sie mit gewaltiger Hand
nieder und nahm die ganze Kueste unter seine Schutzherrschaft, welche bald,
nachdem der Herr von Skodra mit dem Koenig Perseus von Makedonien den Krieg und
die Niederlage geteilt hatte, die voellige Aufloesung dieses Fuerstentums
herbeifuehrte. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt und in der ersten Haelfte
des siebenten wurde in langjaehrigen Kaempfen auch die Kueste zwischen Istrien
und Skodra von den Roemern besetzt. Im Binnenland wurden die Illyrier in
republikanischer Zeit von den Roemern wenig beruehrt; dafuer aber muessen, von
Westen her vordringend, die Kelten einen guten Teil urspruenglich illyrischen
Gebiets in ihre Gewalt gebracht haben, so das spaeterhin ueberwiegend keltische
Noricum. Kelten sind auch die Latobiker im heutigen Krain; und in dem gesamten
Gebiet zwischen Save und Drau, ebenso im Raabtal sassen die beiden grossen
Staemme im Gemenge, als Caesar Augustus die suedlichen Distrikte Pannoniens der
roemischen Herrschaft unterwarf. Wahrscheinlich hat diese starke Mischung mit
keltischen Elementen neben der ebenen Bodenbeschaffenheit zu dem fruehen
Untergang der illyrischen Nation in den pannonischen Landschaften ihren Teil
beigetragen. In die suedliche Haelfte der von Illyriern bewohnten Landschaften
dagegen sind von den Kelten nur die Skordisker vorgedrungen, deren Festsetzung
an der unteren Save bis zur Morawa und deren Streifereien bis in die Naehe von
Thessalonike frueher erwaehnt worden sind. Die Griechen aber haben hier ihnen
gewissermassen den Platz geraeumt; das Sinken der makedonischen Macht und die
Veroedung von Epirus und Aetolien muessen die Ausbreitung der illyrischen
Nachbarn gefoerdert haben. Bosnien, Serbien, vor allem Albanien sind in der
Kaiserzeit illyrisch gewesen, und Albanien ist es noch heute.
Es ist frueher erzaehlt worden, dass Illyricum schon nach der Absicht des
Diktators Caesar als eigene Statthalterschaft konstituiert werden sollte und
diese Absicht bei der Teilung der Provinzen zwischen Augustus und dem Senat zur
Ausfuehrung kam; dass diese anfangs dem Senat ueberwiesene Statthalterschaft
wegen der daselbst notwendigen Kriegfuehrung auf den Kaiser ueberging; dass
Augustus diese Statthalterschaft teilte und die bis dahin im ganzen nur
nominelle Herrschaft ueber das Binnenland sowohl in Dalmatien wie im Savegebiet
effektiv machte; dass er endlich die gewaltige nationale Insurrektion, die bei
den dalmatischen wie bei den pannonischen Illyriern im Jahre 6 n. Chr. ausbrach,
nach schwerem vierjaehrigem Kampf ueberwaeltigte. Es bleibt uebrig, die ferneren
Schicksale zunaechst der suedlichen Provinz zu berichten.
Nach den bei der Insurrektion gemachten Erfahrungen schien es erforderlich,
nicht bloss die in Illyricum ausgehobenen Mannschaften statt wie bisher in ihrer
Heimat, vielmehr auswaerts zu verwenden, sondern auch die Dalmater wie die
Pannonier durch ein Kommando ersten Ranges in Botmaessigkeit zu halten. Dasselbe
hat seinen Zweck rasch erfuellt. Der Widerstand, den die Illyriker unter
Augustus der ungewohnten Fremdherrschaft entgegensetzten, hat sich ausgetobt mit
dem einen gewaltigen Sturm; spaeterhin verzeichnen unsere Berichte keine
aehnliche auch nur partielle Bewegung. Fuer das suedliche oder, nach dem
roemischen Ausdruck, das obere Illyricum, die Provinz Dalmatien, wie sie seit
der Zeit der Flavier gewoehnlich heisst, begann mit dem Kaiserregiment eine neue
Epoche. Die griechischen Kaufleute hatten wohl auf der ihnen naechst liegenden
Kueste die beiden grossen Emporien Apollonia (bei Valona) und Dyrrachium
(Durazzo) gegruendet; eben darum war dieser Teil schon unter der Republik der
griechischen Verwaltung ueberwiesen worden. Aber weiter nordwaerts hatten die
Hellenen nur auf den vorliegenden Inseln Issa (Lissa), Pharos (Lesina), Schwarz-
Kerkyra (Curzola) sich angesiedelt und von da aus den Verkehr mit den
Eingeborenen, namentlich an der Kueste von Narona und in den Salonae
vorliegenden Ortschaften, unterhalten. Unter der roemischen Republik hatten die
italischen Haendler, welche hier die Erbschaft der griechischen antraten, in den
Haupthaefen Epitaurum (Ragusa vecchia), Narona, Salonae, Iader (Zara) sich in
solcher Zahl niedergelassen, dass sie in dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius
eine nicht unwesentliche Rolle spielen konnten. Aber Verstaerkung durch dort
angesiedelte Veteranen und, was die Hauptsache war, staedtisches Recht empfingen
diese Ortschaften erst durch Augustus, und zugleich kam teils die energische
Unterdrueckung der auf den Inseln noch bestehenden Piratenschlupfwinkel, teils
die Unterwerfung des Binnenlandes und die Vorschiebung der roemischen Grenze
gegen die Donau insbesondere diesen auf der Ostkueste des Adriatischen Meeres
angesiedelten Italikern zugute. Vor allem die Hauptstadt des Landes, der Sitz
des Statthalters und der gesamten Verwaltung, Salonae, bluehte rasch auf und
ueberfluegelte weit die aelteren griechischen Ansiedlungen Apollonia und
Dyrrachium, obwohl in die letztere Stadt, ebenfalls unter Augustus, italische
Kolonisten, freilich nicht Veteranen, sondern expropriierte Italiker, gesendet
und die Stadt als roemische Buergergemeinde eingerichtet wurde. Vermutlich hat
bei dem Aufbluehen Dalmatiens und dem Verkuemmern der illyrisch-makedonischen
Kueste der Gegensatz des kaiserlichen und des Senatsregimentes eine wesentliche
Rolle gespielt, die bessere Verwaltung sowohl wie die Bevorzugung bei dem
eigentlichen Machthaber. Damit wird weiter zusammenhaengen, dass die illyrische
Nationalitaet sich in dem Bereich der makedonischen Statthalterschaft besser
behauptet hat als in dem der dalmatischen: in jenem lebt sie heute noch fort und
es muss in der Kaiserzeit, abgesehen von dem griechischen Apollonia und der
italischen Kolonie Dyrrachium, neben den beiden Reichssprachen im Binnenland,
die des Volkes, die illyrische, geblieben sein. In Dalmatien dagegen wurden die
Kueste und die Inseln, soweit sie irgend sich eigneten - die unwirtliche Strecke
nordwaerts von Iader blieb in der Entwicklung notwendig zurueck -, nach
italischer Ordnung kommunalisiert, und bald sprach die ganze Kueste lateinisch,
etwa wie heutzutage venezianisch. Dem Vordringen der Zivilisation in das
Binnenland traten oertliche Schwierigkeiten entgegen. Dalmatiens bedeutende
Stroeme bilden mehr Wasserfaelle als Wasserstrassen; und auch die Herstellung
der Landstrassen stoesst bei der Beschaffenheit seines Bergnetzes auf
ungewoehnliche Schwierigkeiten. Die roemische Regierung hat ernstliche
Anstrengungen gemacht, das Land aufzuschliessen. Unter dem Schutz des
Legionslagers von Burnum entwickelte im Kerkatal, in dem der Cettina unter dem
des Lagers von Delminium, welche Lager auch hier die Traeger der Zivilisierung
und der Latinisierung gewesen sein werden, sich die Bodenbestellung nach
italischer Art, auch die Pflanzung der Rebe und der Olive und ueberhaupt
italische Ordnung und Gesittung. Dagegen jenseits der Wasserscheide, zwischen
dem Adriatischen Meer und der Donau, sind die auch fuer den Ackerbau wenig
guenstigen Taeler von der Kulpa bis zum Drin in roemischer Zeit in aehnlichen
primitiven Verhaeltnissen verblieben, wie sie das heutige Bosnien aufweist.
Kaiser Tiberius allerdings hat durch die Soldaten der dalmatinischen Lager von
Salonae bis in die Taeler Bosniens verschiedene Chausseen gefuehrt; aber die
spaeteren Regierungen liessen, wie es scheint, die schwierige Aufgabe fallen. An
der Kueste und in den der Kueste naehergelegenen Strichen bedurfte Dalmatien
bald keiner weiteren militaerischen Hut; die Legionen des Kerka- und des
Cettinatales konnte schon Vespasian von dort wegziehen und anderweitig
verwenden. Unter dem allgemeinen Verfall des Reiches im dritten Jahrhundert hat
Dalmatien verhaeltnismaessig wenig gelitten, ja Salonae wohl erst damals seine
hoechste Bluete erreicht. Freilich ist dies zum Teil dadurch veranlasst, dass
der Regenerator des roemischen Staates, Kaiser Diocletianus, ein geborener
Dalmatiner war und sein auf die Dekapitalisierung Roms gerichtetes Streben der
Hauptstadt seines Heimatlandes vorzugsweise zugute kommen liess: er baute neben
derselben den gewaltigen Palast, von dem die heutige Hauptstadt der Provinz den
Namen Spalato traegt, innerhalb dessen sie zum groessten Teil Platz gefunden hat
und dessen Tempel ihr heute als Dom und als Baptisterium ^1 dienen. Aber zur
Grossstadt hat nicht erst Diocletian Salonae gemacht, sondern, weil sie es war,
sie fuer seine Privatresidenz gewaehlt; Handel und Schiffahrt und Gewerbe
muessen damals in diesen Gewaessern vorzugsweise in Aquileia und in Salonae sich
konzentriert haben und die Stadt eine der volkreichsten und wohlhabendsten des
Okzidents gewesen sein. Die reichen Eisengruben Bosniens waren, wenigstens in
der spaeteren Kaiserzeit, in starkem Betrieb; ebenso lieferten die Waelder der
Provinz massenhaftes und vorzuegliches Bauholz; auch von der bluehenden
Textilindustrie des Landes bewahrt die priesterliche Dalmatica noch heute eine
Erinnerung. Ueberhaupt ist die Zivilisierung und die Romanisierung Dalmatiens
eine der eigensten und eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kaiserzeit. Die
Grenze Dalmatiens und Makedoniens ist zugleich die politische und die
sprachliche Scheide des Okzidents und des Orients. Bei Skodra beruehren sich,
wie die Herrschaftsgebiete Caesars und Marc Antons, so auch nach der
Reichsteilung des vierten Jahrhunderts die von Rom und Byzanz. Hier grenzt die
lateinische Provinz Dalmatien mit der griechischen Provinz Makedonien; und
kraeftig emporstrebend und ueberlegen, mit gewaltig treibender Propaganda, steht
hier die juengere neben der aelteren Schwester.
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^1 Das Baptisterium ist vielleicht das Grabmal des Kaisers.
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Wenn die suedliche illyrische Provinz und ihr Friedensregiment bald in
geschichtlicher Beziehung nicht ferner hervortritt, so bildet das noerdliche
Illyricum oder, wie es gewoehnlich heisst, Pannonien in der Kaiserzeit eines der
grossen militaerischen und somit auch politischen Zentren. In dem Donauheer
haben die pannonischen Lager die fuehrende Stellung wie im Westen die
rheinischen, und die dalmatischen und die moesischen schliessen ihnen in
aehnlicher Weise sich an und ordnen ihnen sich unter wie den rheinischen die
Legionen Spaniens und Britanniens. Die roemische Zivilisation steht und bleibt
hier unter dem Einfluss der Lager, die in Pannonien nicht, wie in Dalmatien, nur
einige Generationen hindurch, sondern dauernd verblieben. Nach der
Ueberwaeltigung des Batonischen Aufstandes belief die regelmaessige Besatzung
der Provinz sich zuerst auf drei, spaeter, wie es scheint, nur auf zwei
Legionen, und durch deren Standlager und ihre Vorschiebung ist die weitere
Entwicklung bedingt. Wenn Augustus nach dem ersten Kriege gegen die Dalmater
Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save zum Hauptwaffenplatz ausersehen
hatte, so waren, nachdem Tiberius Pannonien mindestens bis an die Drau
unterworfen hatte, die Lager an diese vorgeschoben worden, und wenigstens eines
der pannonischen Hauptquartiere befand sich seitdem in Poetovio (Pettau) an der
norischen Grenze. Die Ursache, weshalb die pannonische Armee ganz oder zum Teil
im Drautal verblieb, kann nur die gleiche gewesen sein, welche zu der Anlage der
dalmatinischen Legionslager gefuehrt hat: man brauchte hier die Truppen, um die
Untertanen sowohl in dem nahen Noricum wie vor allem im Draugebiet selbst in
Gehorsam zu halten. Auf der Donau hielt die roemische Flotte Wacht, die schon im
Jahre 50 erwaehnt wird und vermutlich mit der Einrichtung der Provinz entstanden
war. Legionslager gab es am Flusse selbst unter der Julisch-Claudischen Dynastie
vielleicht noch nicht ^2, wobei in Betracht kommt, dass der zunaechst der
Provinz vorliegende Suebenstaat von Rom damals vollstaendig abhaengig war und
fuer die Grenzdeckung einigermassen genuegte. Wie die dalmatinischen, hat dann,
wie es scheint, Vespasian auch die Lager an der Drau aufgehoben und sie an die
Donau selbst verlegt; seitdem ist das grosse Hauptquartier der pannonischen
Armee das frueher norische Carnuntum (Petronell oestlich von Wien) und daneben
Vindobona (Wien).
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^2 Dass im Jahre 50 noch keine Legionen an der Donau selbst standen, folgt
aus Tac. ann. 12, 29; sonst waere es nicht noetig gewesen, zur Aufnahme der
uebertretenden Sueben eine Legion dorthin zu schicken. Auch die Anlage des
claudischen Savaria passt besser, wenn die Stadt damals norisch war, als wenn
sie schon zu Pannonien gehoerte; und da die Zuteilung dieser Stadt zu Pannonien
mit der gleichen Abtrennung von Carnuntum und mit der Verlegung der Legion dahin
sicher der Zeit nach zusammengehoert, so duerfte dies alles erst in
nachclaudischer Zeit stattgefunden haben. Auch die geringe Zahl der in den
Donaulagern gefundenen Inschriften von Italikern (Eph. epigr. 5, p. 225) deutet
auf spaetere Entstehung. Allerdings haben sich in Carnuntum einige Grabschriften
von Soldaten der 15. Legion gefunden, die nach der aeusseren Form und nach dem
Fehlen des Cognomen aelter zu sein scheinen (O. Hirschfeld in Aerchaeologisch-
epigraphische Mittheilungen 5, 1881, S. 217). Derartige Zeitbestimmungen
koennen, wo es sich um ein Dezennium handelt, volle Sicherheit nicht in Anspruch
nehmen; indes muss eingeraeumt werden, dass auch jene Argumente keinen vollen
Beweis machen und die Translokation frueher, etwa unter Nero, begonnen haben
kann. Fuer die Anlegung oder Erweiterung dieses Lagers durch Vespasian spricht
die einen derartigen Bau bezeugende Inschrift von Carnuntum aus dem Jahre 73
(Hirschfeld a. a. O.).
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Die buergerliche Entwicklung, wie wir sie in Noricum und an der Kueste
Dalmatiens fanden, zeigt in Pannonien in gleicher Weise sich nur in einigen, an
der norischen Grenze gelegenen und zum Teil urspruenglich zu Noricum gehoerigen
Distrikten; Emona und das obere Savetal stehen mit Noricum gleich, und wenn
Savaria (Steinamanger) zugleich mit den norischen Staedten italische
Stadtverfassung empfangen hat, so wird, solange Carnuntum eine norische Stadt
war, wohl auch jener Ort zu Noricum gehoert haben. Erst seitdem die Truppen an
der Donau standen, ging die Regierung daran, das Hinterland staedtisch zu
organisieren. In dem westlichen, urspruenglich norischen Gebiet erhielt
Scarbantia (Oedenburg am Neusiedler See) unter den Flaviern Stadtrecht, waehrend
Vindobona und Carnuntum von selbst zu Lagerstaedten wurden. Zwischen Save und
Drau empfingen Siscia und Sirmium unter den Flaviern, an der Drau Poetovio
(Pettau) unter Traianus Stadtrecht, Mursa (Eszeg) unter Hadrian Kolonialrecht,
um hier nur der Hauptorte zu gedenken. Dass die ueberwiegend illyrische, aber
zum guten Teil auch keltische Bevoelkerung der Romanisierung keinen energischen
Widerstand entgegensetzte, ist schon ausgesprochen worden; die alte Sprache und
die alte Sitte schwanden, wo die Roemer hinkamen, und hielten sich nur in den
entfernteren Bezirken. Die weiten, aber wenig zur Ansiedelung einladenden
Striche oestlich vom Raabfluss und noerdlich der Drau bis zur Donau sind wohl
schon seit Augustus zum Reiche gerechnet worden, aber vielleicht in nicht viel
anderer Weise als Germanien vor der Varusschlacht; hier hat die staedtische
Entwicklung weder damals noch spaeter rechten Boden gefunden, und auch
militaerisch ist dieses Gebiet lange Zeit wenig oder gar nicht belegt worden.
Dies hat sich erst infolge der Einverleibung Dakiens unter Traian einigermassen
geaendert; die dadurch herbeigefuehrte Vorschiebung der pannonischen Lager gegen
die Ostgrenze der Provinz und die weitere innere Entwicklung Pannoniens wird
besser im Zusammenhang mit den Traianischen Kriegen geschildert.
Das letzte Stueck des rechten Donauufers, das Bergland zu beiden Seiten des
Margus (Morawa) und das zwischen dem Haemus und der Donau lang sich
hinstreckende Flachland, war bewohnt von thrakischen Voelkerschaften; und es
erscheint zunaechst erforderlich, auf diesen grossen Stamm als solchen einen
Blick zu werfen. Er geht dem illyrischen in gewissem Sinne parallel. Wie die
Illyrier einst die Landschaften vom Adriatischen Meer bis zur mittleren Donau
erfuellten, so sassen ehemals die Thraker oestlich von ihnen, vom Aegaeischen
Meer bis zur Donaumuendung und nicht minder einerseits auf dem linken Donauufer
namentlich in dem heutigen Siebenbuergen, andererseits jenseits des Bosporus
wenigstens in Bithynien und bis nach Phrygien; nicht mit Unrecht nennt Herodot
die Thraker das groesste der ihm bekannten Voelker nach den Indern. Wie der
illyrische ist auch der thrakische Stamm zu keiner vollen Entwicklung gelangt
und erscheint mehr gedraengt und verdraengt als in eigener, geschichtliche
Erinnerung hinterlassender Entwicklung. Aber waehrend Sprache und Sitte der
Illyrier sich in einer wenngleich im Laufe der Jahrhunderte verschlissenen Form
bis auf den heutigen Tag erhalten haben und wir mit einigem Recht das Bild der
Palikaren aus der neueren Geschichte in die der roemischen Kaiserzeit
uebertragen, so gilt das gleiche von den thrakischen Staemmen nicht. Vielfach
und sicher ist es bezeugt, dass die Voelkerschaften des Gebiets, welchem infolge
der roemischen Provinzialteilung schliesslich der Name Thrakien geblieben ist,
sowie die moesischen zwischen dem Balkan und der Donau, und nicht minder die
Geten oder Daker am anderen Donauufer alle eine und dieselbe Sprache redeten. Es
hatte diese Sprache in dem roemischen Kaiserreich eine aehnliche Stellung wie
die der Kelten und der Syrer. Der Historiker und Geograph der augustischen Zeit,
Strabo, erwaehnt die Gleichheit der Sprache der genannten Voelker; in
botanischen Schriften der Kaiserzeit werden von einer Anzahl Pflanzen die
dakischen Benennungen angegeben ^3. Als seinem Zeitgenossen, dem Poeten Ovidius
Gelegenheit gegeben wurde, ueber seinen allzu flotten Lebenswandel fern in der
Dobrudscha nachzudenken, benutzte er seine Musse, um getisch zu lernen, und
wurde fast ein Getenpoet:
Und ich schrieb, o weh! ein Gedicht in getischer Sprache,
Gratulierst du mir nicht, dass ich den Geten gefiel?
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^3 Thrakischer, getischer, dakischer Orts- und Personennamen kennen wir
ganze Reihen; sprachlich bemerkenswert ist eine mit -centhus zusammengesetzte
Gruppe von Personennamen: Bithicenthus, Zipacenthus, Disacenthus, Tracicenthus,
Linicenthus (BCH 6, 1882, S. 179), von denen die ersten beiden in ihrer anderen
Haelfte (Bithus, Zipa) auch isoliert haeufig begegnen. Eine aehnliche Gruppe
bilden die Composita mit -poris, wie Mucaporis (Thraker BCH, a. a. O., Daker
zahlreich), Cetriporis, Rhaskyporis, Bithoporis, Dirdiporis.
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Aber wenn die irischen Barden, die syrischen Missionare, die Bergtaeler
Albaniens anderen Idiomen der Kaiserzeit eine gewisse Fortdauer gewahrt haben,
so ist das thrakische unter dem Voelkergewoge des Donaugebiets und dem
uebermaechtigen Einfluss Konstantinopels verschollen, und wir vermoegen nicht
einmal die Stelle zu bestimmen, welche ihm in dem Voelkerstammbaum zukommt. Die
Schilderungen von Sitten und Gebraeuchen einzelner dazugehoeriger
Voelkerschaften, ueber welche mancherlei Notizen sich erhalten haben, ergeben
keine fuer den ganzen Stamm gueltigen individuellen Zuege und heben meistens nur
Einzelheiten hervor, wie sie bei allen Voelkern auf niederer Kulturstufe sich
zeigen. Aber ein Soldatenvolk sind sie gewesen und geblieben, als Reiter nicht
minder brauchbar wie fuer die leichte Infanterie, von den Zeiten des
Peloponnesischen Krieges und Alexanders bis hinab in die der roemischen
Caesaren, mochten sie gegen diese sich stemmen oder spaeter fuer sie fechten.
Auch die wilde, aber grossartige Weise der Goetterverehrung darf vielleicht als
ein diesem Stamm eigentuemlicher Grundzug aufgefasst werden, der gewaltige
Ausbruch der Fruehlings- und der Jugendlust, die naechtlichen Bergfeste
fackelschwingender Maedchen, die rauschende, sinnverwirrende Musik, der
stroemende Wein und das stroemende Blut, der in Aufregung aller sinnlichen
Leidenschaften zugleich rasende Taumel der Feste. Dionysos, der herrliche und
der schreckliche, ist ein thrakischer Gott, und was der Art in dem hellenischen
und dem roemischen Kult besonders hervortritt, knuepft an thrakische oder
phrygische Sitte an.
Waehrend die illyrischen Voelkerschaften in Dalmatien und Pannonien nach
der Niederwerfung der grossen Insurrektion in den letzten Jahren des Augustus
die Entscheidung der Waffen nicht wieder gegen die Roemer angerufen haben, gilt
von den thrakischen Staemmen nicht das gleiche; der oft bewiesene
Unabhaengigkeitssinn und die wilde Tapferkeit dieser Nation verleugnete auch in
ihrem Untergang sich nicht. In dem Thrakien suedlich vom Haemus blieb das alte
Fuerstenrum unter roemischer Oberhoheit. Das einheimische Herrscherhaus der
Odrysen, mit der Residenz Bizye (Wiza) zwischen Adrianopel und der Kueste des
Schwarzen Meeres, tritt schon in der frueheren Zeit unter den thrakischen
Fuerstengeschlechtern am meisten hervor; nach der Triumviralzeit ist von anderen
thrakischen Koenigen als denen dieses Hauses nicht ferner die Rede, so dass die
uebrigen Fuersten durch Augustus zu Vasallen gemacht oder beseitigt zu sein
scheinen und mit dem thrakischen Koenigtum fortan nur Glieder dieses Geschlechts
belehnt worden sind. Es geschah dies wahrscheinlich deshalb, weil waehrend des
ersten Jahrhunderts, wie weiterhin zu zeigen sein wird, an der unteren Donau
keine roemischen Legionen standen; den Grenzschutz an der Donaumuendung
erwartete Augustus von dem thrakischen Vasallen. Rhoemetalkes, welcher in der
zweiten Haelfte der Regierung des Augustus als roemischer Lehnskoenig das
gesamte Thrakien beherrschte ^4, und seine Kinder und Enkel spielten denn auch
in diesem Lande ungefaehr dieselbe Rolle wie Herodes und seine Nachkommen in
Palaestina: unbedingte Ergebenheit gegen den Oberherrn, entschiedene Hinneigung
zu roemischem Wesen, Verfeindung mit den eigenen, die nationale Unabhaengigkeit
festhaltenden Landsleuten bezeichnen die Stellung des thrakischen
Herrscherhauses. Die grosse, frueher erzaehlte thrakische Insurrektion der Jahre
741-743 (13-11) richtete sich zunaechst gegen diesen Rhoemetalkes und seinen
Bruder und Mitherrscher Kotys, der dabei umkam, und wie er damals den Roemern
die Wiedereinsetzung in seine Herrschaft verdankte, so trug er ihnen einige
Jahre spaeter seinen Dank ab, indem er bei dem Aufstand der Dalmater und der
Pannonier, dem seine dakischen Stammesgenossen sich anschlossen, treu zu den
Roemern hielt und an der Niederwerfung desselben wesentlichen Anteil hatte. Sein
Sohn Kotys war mehr Roemer oder vielmehr Grieche als Thraker; er fuehrte seinen
Stammbaum zurueck auf Eumolpos und Erichthonios und gewann die Hand einer
Verwandten des kaiserlichen Hauses, der Urenkelin des Triumvirn Antonius; nicht
bloss die griechischen und die lateinischen Poeten seiner Zeit sangen ihn an,
sondern er selbst war ebenfalls und nicht getischer Dichter ^5. Der letzte der
thrakischen Koenige, des frueh gestorbenen Kotys Sohn Rhoemetalkes, war in Rom
aufgewachsen und gleich dem Herodeer Agrippa des Kaisers Gaius Jugendgespiele.
Die thrakische Nation aber teilte keineswegs die roemischen Neigungen des
regierenden Hauses, und die Regierung ueberzeugte sich allmaehlich in Thrakien
wie in Palaestina, dass der schwankende, nur durch bestaendiges Eingreifen der
Schutzmacht aufrecht erhaltene Vasallenthron weder fuer sie noch fuer das Land
von Nutzen und die Einfuehrung der unmittelbaren Verwaltung in jeder Hinsicht
vorzuziehen sei. Kaiser Tiberius benutzte die in dem thrakischen Koenigshause
entstandenen Zerwuerfnisse, um in der Form der Vormundschaftsfuehrung ueber die
unmuendigen Prinzen im Jahre 19 einen roemischen Statthalter, Titus Trebellenus
Rufus, nach Thrakien zu schicken. Doch vollzog sich diese Okkupation nicht ohne
freilich erfolglosen, aber ernstlichen Widerstand des Volkes, das namentlich in
den Bergtaelern sich um die von Rom gesetzten Herrscher wenig kuemmerte, und
dessen Mannschaften, von ihren Stammhaeuptern gefuehrt, sich kaum als
koenigliche, noch weniger als roemische Soldaten fuehlten. Die Sendung des
Trebellenus rief im Jahre 21 einen Aufstand hervor, an dem nicht bloss die
angesehensten thrakischen Voelkerschaften sich beteiligten, sondern der
groessere Verhaeltnisse anzunehmen drohte; Boten der Insurgenten gingen ueber
den Haemus, um in Moesien und vielleicht noch weiter hin den Nationalkrieg zu
entfachen. Indes die moesischen Legionen erschienen rechtzeitig, um
Philippopolis, das die Aufstaendischen belagerten, zu entsetzen und die Bewegung
zu unterdruecken. Aber als einige Jahre spaeter (25) die roemische Regierung in
Thrakien Aushebungen anordnete, weigerten sich die Mannschaften, ausserhalb des
eigenen Landes zu dienen. Da keine Ruecksicht darauf genommen wurde, stand das
ganze Gebirge auf und es folgte ein Verzweiflungskampf, in welchem die
Insurgenten, endlich durch Durst und Hunger bezwungen, zum grossen Teil teils in
die Schwerter der Feinde, teils in die eigenen sich stuerzten und lieber dem
Leben entsagten als der altgewohnten Freiheit. Das unmittelbare Regiment dauerte
in der Form der Vormundschaftsfuehrung in Thrakien bis zum Tode des Tiberius;
und wenn Kaiser Gaius bei dem Antritt der Regierung dem thrakischen Jugendfreund
ebenso wie dem juedischen die Herrschaft zurueckgab, so machte wenige Jahre
darauf, im Jahre 46, die Regierung des Claudius ihr definitiv ein Ende. Auch
diese schliessliche Einziehung des Koenigreichs und Umwandlung in einen
roemischen Bezirk traf noch auf eine gleich hoffnungslose und gleich
hartnaeckige Gegenwehr. Aber mit der Einfuehrung der unmittelbaren Verwaltung
ist der Widerstand gebrochen. Eine Legion hat der Statthalter, anfangs von
Ritter-, seit Traian von Senatorenrang, niemals gehabt; die in das Land gelegte
Besatzung, wenn sie auch nicht staerker war als 2000 Mann nebst einem kleinen
bei Perinthos stationierten Geschwader, genuegte in Verbindung mit den sonst von
der Regierung getroffenen Vorsichtsmassregeln, um die Thraker niederzuhalten.
Mit der Anlegung der Militaerstrassen wurde gleich nach der Einziehung begonnen;
wir finden, dass die bei dem Zustand des Landes erforderlichen Stationsgebaeude
fuer die Unterkunft der Reisenden bereits im Jahre 61 von der Regierung
eingerichtet und dem Verkehr uebergeben wurden. Thrakien ist seitdem eine
gehorsame und wichtige Reichsprovinz; kaum hat irgendeine andere fuer alle Teile
der Kriegsmacht, insbesondere auch fuer die Reiterei und die Flotte, so
zahlreiche Mannschaften gestellt wie dieses alte Heimatland der Fechter und der
Lohnsoldaten.
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^4 Das sagt Tac. ann. 2, 64 ausdruecklich. Freie Thraker, vom roemischen
Standpunkt aus betrachtet, gab es damals nicht; wohl aber behauptete das
thrakische Gebirge, namentlich die Rhodope der Besser, auch im Friedensstand den
von Rom eingesetzten Fuersten gegenueber eine kaum als Untertaenigkeit zu
bezeichnende Stellung; sie erkannten wohl den Koenig an, gehorchten ihm aber,
wie Tacitus (a. a. O. und 4, 46 u. 51) sagt, nur, wenn es ihnen passte.
^5 Wir haben noch ein Kotys gewidmetes griechisches Epigramm des Antipater
von Thessalonike (Anthol. Planud. 4, 75), desselben Dichters, der auch den
Thrakersieger Piso feierte, und eine an Kotys gerichtete lateinische Epistel in
Versen des Ovidius (Pont. 2, 9).
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Die ernsten Kaempfe, welche die Roemer auf dem sogenannten thrakischen
Ufer, in der Landschaft zwischen dem Balkan und der Donau mit derselben Nation
zu bestehen hatten und welche zu der Einrichtung des moesischen Kommandos
fuehrten, bilden einen wesentlichen Bestandteil der Regulierung der Nordgrenze
in augustischer Zeit und sind in ihrem Zusammenhang bereits geschildert worden.
Von aehnlichem Widerstand, wie die Thraker ihn den Roemern entgegensetzten, wird
aus Moesien nichts berichtet; die Stimmung daselbst mag nicht anders gewesen
sein, aber in dem ebenen Lande und unter dem Druck der bei Viminacium lagernden
Legionen trat der Widerstand nicht offen hervor.
Die Zivilisation kam den thrakischen Voelkerschaften, wie den illyrischen,
von zwei Seiten: von der Kueste her und von der makedonischen Grenze die der
Hellenen, von der dalmatischen und pannonischen die lateinische. Ueber jene wird
zweckmaessiger zu handeln sein, wo wir versuchen, die Stellung der europaeischen
Griechen unter der Kaiserherrschaft zu bezeichnen; hier genuegt es im
allgemeinen hervorzuheben, dass dieselbe auch hier nicht bloss das Griechentum,
wo sie es fand, geschuetzt hat und die gesamte Kueste, auch die dem Statthalter
von Moesien untergebene, stets griechisch geblieben ist, sondern dass die
Provinz Thrakien, deren Zivilisation ernstlich erst von Traian begonnen und
durchaus ein Werk der Kaiserzeit ist, nicht in die roemische Bahn gelenkt,
sondern hellenisiert ward. Selbst die noerdlichen Abhaenge des Haemus, obwohl
administrativ zu Moesien gehoerig, sind in diese Hellenisierung hineingezogen,
Nikopolis an der Jantra und Markianopolis unweit Varna, beides Gruendungen
Traians, nach griechischem Schema organisiert worden.
Von der lateinischen Zivilisation Moesiens gilt das gleiche wie von der des
angrenzenden dalmatischen und pannonischen Binnenlandes; nur tritt dieselbe, wie
natuerlich, um so viel spaeter, schwaecher und unreiner auf, je weiter sie von
ihrem Ausgangspunkt sich entfernt. Ueberwiegend ist sie hier den Legionslagern
gefolgt und mit diesen nach Osten hin vorgedrungen, ausgehend von den
wahrscheinlich aeltesten Moesiens bei Singidunum (Belgrad) und Viminacium
(Kostolatz) ^6. Freilich hat sie, der Beschaffenheit ihrer bewaffneten Apostel
entsprechend, auch in Obermoesien sich auf sehr niedriger Stufe gehalten und den
primitiven Zustaenden noch Spielraum genug gelassen. Viminacium hat durch
Hadrian italisches Stadtrecht erhalten. Niedermoesien zwischen dem Balkan und
der Donau ist in der frueheren Kaiserzeit wohl durchaus in der Verfassung
geblieben, welche die Roemer vorfanden; erst als die Legionslager an der unteren
Donau bei Novae, Durostorum und Troesmis gegruendet wurden, was, wie weiter
unten dargelegt werden wird, wohl erst im Anfang des 2. Jahrhunderts geschah,
ist auch dieser Teil des rechten Donauufers eine Staette derjenigen italischen
Zivilisation geworden, welche mit der Lagerordnung sich vertrug. Seitdem sind
hier auch buergerliche Ansiedlungen entstanden, namentlich an der Donau selbst
zwischen den grossen Standlagern die nach italischem Muster eingerichteten
Staedte Ratiaria unweit Widin und Oescus am Einfluss der Iskra in die Donau, und
allmaehlich naeherte sich die Landschaft dem Niveau der damals noch bestehenden,
freilich in sich verfallenden roemischen Kultur. Fuer den Wegebau in
Untermoesien sind seit Hadrian, von dem die aeltesten bisher daselbst gefundenen
Meilensteine herruehren, die Regenten vielfach taetig gewesen.
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^6 Es ist eine der empfindlichsten Luecken der roemischen Kaisergeschichte,
dass die Standlager der beiden Legionen, welche unter den Julisch-Claudischen
Kaisern die Besatzung von Moesien bildeten, der 4. Scythica und der 5.
Macedonica (wenigstens standen diese dort im Jahre 33: CIL III, 1698) sich bis
jetzt nicht mit Sicherheit nachweisen lassen. Wahrscheinlich waren es Viminacium
und Singidunum in dem spaeteren Obermoesien. Unter den Legionslagern
Niedermoesiens, von denen namentlich das von Troesmis zahlreiche Monumente
aufzuweisen hat, scheint keines aelter zu sein als Hadrian; die Ueberreste der
obermoesischen sind bis jetzt so sparsam, dass sie wenigstens nicht hindern,
deren Entstehung ein Jahrhundert weiter zurueck zu legen. Wenn der Koenig von
Thrakien im Jahre 18 gegen Bastarner und Skythen ruestet (Tac. ann. 2, 65), so
haette dies auch als Vorwand nicht geltend gemacht werden koennen, wenn
niedermoesische Legionslager schon damals bestanden haetten. Eben diese
Erzaehlung zeigt, dass die Kriegsmacht dieses Lehnsfuersten nicht unbedeutend
war, und die Beseitigung eines unfuegsamen Koenigs von Thrakien Vorsicht
erheischte.
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Wenden wir uns von der Uebersicht der roemischen Herrschaft, wie sie seit
Augustus in den Laendern am rechten Ufer der Donau sich gestaltet hatte, zu den
Verhaeltnissen und den Anwohnern des linken, so ist, was ueber die westliche
Landschaft zu bemerken waere, im wesentlichen schon bei der Schilderung
Obergermaniens zur Sprache gekommen und namentlich hervorgehoben worden, dass
die zunaechst an Raetien angrenzenden Germanen, die Hermunduren, unter den
saemtlichen Nachbarn der Roemer die friedfertigsten gewesen und, soviel uns
bekannt, niemals mit denselben in Konflikt geraten sind.
Dass das Volk der Markomannen oder, wie die Roemer sie in frueherer Zeit
gewoehnlich nennen, der Sueben, nachdem es in augustischer Zeit in dem alten
Boierland, dem heutigen Boehmen, neue Sitze gefunden und durch den Koenig
Maroboduus eine festere staatliche Organisation sich gegeben hatte, waehrend der
roemisch-germanischen Kriege zwar Zuschauer blieb, aber doch durch die
Dazwischenkunft der rheinischen Germanen vor der drohenden roemischen Invasion
bewahrt ward, ist bereits erzaehlt worden; nicht minder, dass der Rueckschlag
des abermaligen Abbruchs der roemischen Offensive am Rhein diesen allzu
neutralen Staat ueber den Haufen warf. Die Vormachtstellung, welche die
Markomannen unter Maroboduus ueber die entfernteren Voelker im Elbegebiet
gewonnen hatten, ging damit verloren, und der Koenig selbst ist als vertriebener
Mann auf roemischer Erde gestorben. Die Markomannen und ihre stammverwandten
oestlichen Nachbarn, die Quaden in Maehren, gerieten insofern in roemische
Klientel, als hier, ungefaehr wie in Armenien, die um die Herrschaft streitenden
Praetendenten sich teilweise auf die Roemer stuetzten und diese das
Belehnungsrecht in Anspruch nahmen und je nach Umstaenden auch ausuebten. Der
Gotonenfuerst Catualda, der zunaechst den Maroboduus gestuerzt hatte, konnte als
dessen Nachfolger sich nicht lange behaupten, zumal da der Koenig der
benachbarten Hermunduren, Vibilius, gegen ihn eintrat; auch er musste auf
roemisches Gebiet uebertreten und, gleich Maroboduus, die kaiserliche Gnade
anrufen. Tiberius bewirkte dann, dass ein vornehmer Quade, Vannius, an seine
Stelle kam; dem zahlreichen Gefolge der beiden verbannten Koenige, das auf dem
rechten Donauufer nicht bleiben durfte, verschaffte Tiberius Sitze auf dem
linken im Marchtal ^7 und dem Vannius die Anerkennung von Seiten der mit Rom
befreundeten Hermunduren. Nach dreissigjaehriger Herrschaft wurde dieser im
Jahre 50 gestuerzt durch seine beiden Schwestersoehne Vangio und Sido, die sich
gegen ihn auflehnten und die Nachbarvoelker, die Hermunduren im Fraenkischen,
die Lugier in Schlesien, fuer sich gewannen. Die roemische Regierung, die
Vannius um Unterstuetzung anging, blieb der Politik des Tiberius getreu: sie
gewaehrte dem gestuerzten Koenig das Asylrecht, intervenierte aber nicht, da
zumal die Nachfolger, die das Gebiet unter sich teilten, bereitwillig die
roemische Oberherrschaft anerkannten. Der neue Suebenfuerst Sido und sein
Mitherrscher Italicus, vielleicht der Nachfolger Vangios, fochten in der
Schlacht, die zwischen Vitellius und Vespasian entschied, mit der roemischen
Donauarmee auf der Seite der Flavianer. In den grossen Krisen der roemischen
Herrschaft an der Donau unter Domitian und Marcus werden wir ihren Nachfolgern
wieder begegnen. Zum Roemischen Reich haben die Donausueben nicht gehoert; die
wahrscheinlich von denselben geschlagenen Muenzen zeigen wohl lateinische
Aufschriften, aber nicht roemischen Fuss, geschweige denn das Bildnis des
Kaisers; eigentliche Abgaben und Aushebungen fuer Rom haben hier nicht
stattgefunden. Aber in dem Machtbereich Roms ist, namentlich im ersten
Jahrhundert, der Suebenstaat in Boehmen und Maehren einbegriffen gewesen und,
wie schon bemerkt ward, ist dies auch auf die Aufstellung der roemischen
Grenzwacht nicht ohne Einfluss geblieben.
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^7 Dass das regnum Vannianum (Plin. nat. 4, 12, 81), der Suebenstaat (Tac.
ann. 12, 29; hist. 3, 5 u. 21) nicht bloss, wie es nach Tacitus ann. 2, 63
scheinen koennte, auf die Wohnsitze der mit Maroboduus und Catualda
uebergetretenen Leute, sondern auf das ganze Gebiet der Markomannen und Quaden
bezogen werden muss, zeigt deutlich der zweite Bericht ann. 12, 29 u. 30, da
hier als Gegner des Vannius neben seinen eigenen insurgierten Untertanen die
westlich und noerdlich an Boehmen angrenzenden Voelker, die Hermunduren und
Lugier, erscheinen. Als Grenze gegen Osten bezeichnet Plinius (a. a. O.) die
Gegend von Carnuntum (Germanorum ibi confinium), genauer den Fluss Marus oder
Duria, der die Sueben und das regnum Vannianum von ihren oestlichen Nachbarn
scheidet, mag man nun das dirimens eos mit Muellenhoff (SB Berlin 1883, S. 871)
auf die Jazygen oder, was naeher liegt, auf die Bastarner beziehen. Sachlich
grenzten wohl beide, die Jazygen suedlich, die Bastarner noerdlich, mit den
Quaden des Marchtals. Demnach ist der Marus die March und die Scheide machen die
zwischen dem March- und dem Waagtal sich erstreckenden kleinen Karpaten. Wenn
also jene Gefolgschaften inter flumen Marum et Cusum angesiedelt werden, so ist
der sonst nicht genannte Cusus, falls die Angabe genau ist, nicht die Waag oder
gar, wie Muellenhoff meinte, die, unterhalb Gran in die Donau fallende Eipel,
sondern ein Zufluss der Donau westlich der March, etwa der Gusen bei Linz. Auch
fordert die Erzaehlung bei Tacitus (ann. 12, 29 u. 30), dass das Gebiet des
Vannius westlich noch ueber die March hinausgereicht hat. Die Subskription unter
dem ersten Buch der Betrachtungen des Kaisers Marcus en Koyadois pros t/o/
Granoia beweist wohl, dass damals der Quadenstaat sich bis zum Granfluss
erstreckte; aber dieser Staat deckt sich nicht mit dem regnum Vannianum.
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In der Ebene zwischen Donau und Theiss, ostwaerts von dem roemischen
Pannonien, hat zwischen dieses und die thrakischen Daker sich ein Splitter
geschoben des wahrscheinlich zum medisch-persischen Stamm gehoerigen Volkes der
Sarmaten, das, nomadisch lebend als Hirten- und Reitervolk, die weite
osteuropaeische Ebene zum grossen Teil fuellte; es sind dies die Jazygen, die
"ausgewanderten" (metanastai) genannt zum Unterschied von dem am Schwarzen Meer
zurueckgebliebenen Hauptstamm. Die Benennung zeigt, dass sie erst
verhaeltnismaessig spaet in diese Gegenden vorgedrungen sind; vielleicht gehoert
ihre Einwanderung mit zu den Stoessen, unter denen um die Zeit der Actischen
Schlacht das Dakerreich des Burebista zusammenbrach. Uns begegnen sie hier
zuerst unter Kaiser Claudius; dem Suebenkoenig Vannius stellten die Jazygen fuer
seine Kriege die Reiterei. Die roemische Regierung war auf der Hut vor den
flinken und raeuberischen Reiterscharen, stand aber uebrigens zu ihnen nicht in
feindlichen Beziehungen. Als die Donaulegionen im Jahre 70 nach Italien
marschierten, um Vespasian auf den Thron zu setzen, lehnten sie den von den
Jazygen angebotenen Reiterzuzug ab und fuehrten nur in schicklicher Form eine
Anzahl der Vornehmsten mit sich, damit diese inzwischen fuer die Ruhe an der
entbloessten Grenze buergten.
Ernstlicher und dauernder Wacht bedurfte es weiter abwaerts an der unteren
Donau. Jenseits des maechtigen Stromes, der jetzt des Reiches Grenze war, sassen
hier in den Ebenen der Walachei und dem heutigen Siebenbuergen die Daker, in dem
oestlichen Flachland, in der Moldau, Bessarabien und weiter hin zunaechst die
germanischen Bastarner, alsdann sarmatische Staemme, wie die Roxolaner, ein
Reitervolk gleich den Jazygen, anfaenglich zwischen Dnjepr und Don, dann am
Meerufer entlang vorrueckend. In den ersten Jahren des Tiberius verstaerkte der
Lehnsfuerst von Thrakien seine Truppen, um die Bastarner und Skythen abzuwehren;
in Tiberius' spaeteren Jahren wurde unter anderen Beweisen seines mehr und mehr
alles gehen lassenden Regiments geltend gemacht, dass er die Einfaelle der Daker
und der Sarmaten ungestraft hinnehme. Wie es in den letzten Jahren Neros
diesseits und jenseits der Donaumuendung zuging, zeigt ungefaehr der zufaellig
erhaltene Bericht des damaligen Statthalters von Moesien, Tiberius Plautius
Silvanus Aelianus. Dieser "fuehrte ueber 100000 jenseits der Donau wohnhafte
Maenner mit ihren Weibern und Kindern und ihren Fuersten oder Koenigen ueber den
Fluss, so dass sie der Steuerentrichtung unterlagen. Eine Bewegung der Sarmaten
unterdrueckte er, bevor sie zum Ausbruch kam, obwohl er einen grossen Teil
seiner Truppen zur Kriegfuehrung in Armenien (an Corbulo) abgegeben hatte. Eine
Anzahl bis dahin unbekannter oder mit den Roemern in Fehde stehender Koenige
fuehrte er ueber auf das roemische Ufer und noetigte sie, vor den roemischen
Feldzeichen den Fussfall zu tun. Den Koenigen der Bastarner und der Roxolaner
sandte er die gefangenen oder den Feinden wieder abgenommenen Soehne, denen der
Daker die gefangenen Brueder zurueck ^8 und nahm von mehreren derselben Geiseln.
Dadurch wurde der Friedensstand der Provinz sowohl befestigt wie weiter
erstreckt. Auch den Koenig der Skythen bestimmte er, abzustehen von der
Belagerung der Stadt Chersonesos (Sevastopol) jenseits des Borysthenes. Es war
der erste, der durch grosse Getreidesendungen aus dieser Provinz das Brot in Rom
wohlfeiler machte". Man erkennt hier deutlich sowohl den unter der Julisch-
Claudischen Dynastie am linken Donauufer gaerenden Voelkerstrudel, wie auch den
starken Arm der Reichsgewalt, der selbst ueber den Strom hinueber die
Griechenstaedte am Dnjepr und in der Krim noch zu schuetzen suchte und
einigermassen auch zu schuetzen vermochte, wie dies bei der Darstellung der
griechischen Verhaeltnisse weiter dargelegt werden wird.
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^8 Regibus Bastarnarum et Roxolanorum filios, Dacorum fratrum captos aut
hostibus ereptos remisit (Orelli 750) ist verschrieben; es muss Fratres heissen
oder allenfalls fratrum filios. Ebenso ist nachher per quaezu lesen fuer per
quem und rege statt regem.
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Indes die Streitkraefte, ueber welche Rom hier verfuegte, waren mehr als
unzulaenglich. Die geringfuegige Besatzung Kleinasiens und die ebenfalls geringe
Flotte auf dem Schwarzen Meer kamen hoechstens fuer die griechischen Anwohner
der noerdlichen und der westlichen Kueste desselben in Betracht. Dem Statthalter
von Moesien, der mit seinen beiden Legionen das Donauufer von Belgrad bis zur
Muendung zu schirmen hatte, war eine sehr schwierige Aufgabe gestellt; und die
Beihilfe der wenig botmaessigen Thraker war unter Umstaenden eine Gefahr mehr.
Insbesondere nach der Muendung der Donau zu mangelte ein genuegendes Bollwerk
gegen die hier mit steigender Wucht andraengenden Barbaren. Der zweimalige Abzug
der Donaulegionen nach Italien in den Wirren nach Neros Tod rief mehr noch an
der Donaumuendung als am Unterrhein Einfaelle der Nachbarvoelker hervor, zuerst
der Roxolaner, dann der Daker, dann der Sarmaten, das heisst wohl der Jazygen.
Es waren schwere Kaempfe; in einem dieser Gefechte, wie es scheint gegen die
Jazygen, blieb der tapfere Statthalter von Moesien, Gaius Fonteius Agrippa.
Dennoch schritt Vespasian nicht zu einer Vermehrung der Donauarmee ^9; die
Notwendigkeit, die asiatischen Garnisonen zu verstaerken, muss noch dringender
erschienen sein und die damals besonders gebotene Sparsamkeit verbot jede
Erhoehung der Gesamtarmee. Er begnuegte sich, wie es die Befriedung des
Binnenlandes erlaubte und die an der Grenze bestehenden Verhaeltnisse sowie die
durch die Einziehung Thrakiens herbeigefuehrte Aufloesung der thrakischen
Truppen gebieterisch verlangten, die grossen Lager der Donauarmee an die
Reichsgrenze vorzuschieben. So kamen die pannonischen von der Drau weg dem
Suebenreich gegenueber nach Carnuntum und Vindobona und die dalmatischen von der
Kerka und der Cettina an die moesischen Donauufer ^10, so dass der Statthalter
von Moesien seitdem ueber die doppelte Zahl von Legionen verfuegte.
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^9 In Pannonien standen um das Jahr 70 zwei Legionen, die 13. gemina und
die 15. Apollinaris, fuer welche letztere waehrend ihrer Beteiligung am
Armenischen Krieg einige Zeit die 7. gemina eintrat (CIL III, p. 482). Von den
beiden spaeter hinzugetretenen Legionen, 1. adiutrix und 2. adiutrix, lag die
erste noch im Anfang der Regierung Traians in Obergermanien und kann erst unter
diesem nach Pannonien gekommen sein; die zweite unter Vespasian in Britannien
stationierte ist wahrscheinlich erst unter Domitian nach Pannonien gekommen.
Auch das moesische Heer zaehlte nach der Vereinigung mit dem dalmatischen unter
Vespasian wahrscheinlich nur vier Legionen, also soviel wie bisher beide Heere
zusammen, die spaeteren obermoesischen 4. Flavia und 7. Claudia und die
spaeteren untermoesischen 1. Italica und 5. Macedonica. Die durch die Hin- und
Hermaersche des Vierkaiserjahres verschobenen Stellungen (Marquardt, Roemische
Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 435), welche zeitweilig drei Legionen nach Moesien
brachten, duerfen nicht taeuschen. Die spaetere dritte untermoesische Legion,
die 11., stand noch unter Traian in Obergermanien.
^10 Ios. bel. Iud. 7, 4, 3: pleiosi kai meizosi phylakais ton topon
dielaben, /o/s einai tois barbaroist/e/n diabasin tele/o/s ad?naton. Damit
scheint die Verlegung der beiden dalmatischen Legionen nach Mphsien gemeint.
Wohin sie gelegt wurden, wissen wir nicht. Nach der sonstigen roemischen Weise
ist es wahrscheinlicher, dass sie in dem Umkreis des bisherigen Hauptquartiers
Viminacium stationiert worden sind als in der entfernten Gegend der
Donaumuendungen. Die Entstehung der dortigen Lager ist wohl erst erfolgt bei der
Teilung des moesischen Kommandos und bei Einrichtung der selbstaendigen Provinz
Untermoesien unter Domitian.
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Eine Verschiebung der Machtverhaeltnisse zu Ungunsten Roms trat unter
Domitian ein ^11, oder es wurden vielmehr damals die Konsequenzen der
ungenuegenden Grenzverteidigung gezogen. Nach dem wenigen, was wir darueber
wissen, knuepfte die Wandlung der Dinge, ganz wie die gleiche in Caesars Zeit,
an einen einzelnen dakischen Mann an; was Koenig Burebista geplant hatte, schien
Koenig Decebalus ausfuehren zu sollen. Wie sehr in seiner Persoenlichkeit die
eigentliche Triebfeder lag, beweist die Erzaehlung, dass der Dakerkoenig Duras,
um den rechten Mann an die rechte Stelle zu bringen, zu Gunsten des Decebalus
von seinem Amt zuruecktrat. Dass Decebalus, um zu schlagen, vor allem
organisierte, beweisen die Berichte ueber seine Einfuehrung der roemischen
Disziplin bei der dakischen Armee und die Anwerbung tuechtiger Leute unter den
Roemern selbst, und selbst die nach dem Siege von ihm den Roemern gestellte
Bedingung, ihm zur Unterweisung der Seinigen in den Handwerken des Friedens wie
des Krieges die noetigen Arbeiter zu liefern. In welchem grossen Stil er sein
Werk ergriff, beweisen die Verbindungen, die er nach Westen und Osten
anknuepfte, mit den Sueben und den Jazygen und sogar mit den Parthern. Die
Angreifenden waren die Daker. Der Statthalter der Provinz Moesien, der ihnen
zuerst entgegentrat, Oppius Sabinus, liess sein Leben auf dem Schlachtfelde.
Eine Reihe kleinerer Lager wurde erobert, die grossen bedroht, der Besitz der
Provinz selbst stand in Frage. Domitianus selbst begab sich zu der Armee und
sein Stellvertreter - er selbst war kein Feldherr und blieb zurueck -, der
Gardekommandant Cornelias Fuscus, fuehrte das Heer ueber die Donau; aber er
buesste das unbedachte Vorgehen mit einer schweren Niederlage, und auch er, der
zweite Hoechstkommandierende, blieb vor dem Feind. Sein Nachfolger Iulianus, ein
tuechtiger Offizier, schlug die Daker in ihrem eigenen Gebiet in einer grossen
Schlacht bei Tapae und war auf dem Wege, dauernde Erfolge zu erreichen. Aber
waehrend der Kampf gegen die Daker schwebte, hatte Domitianus die Sueben und die
Jazygen mit Krieg ueberzogen, weil sie es unterlassen hatten, ihm Zuzug gegen
jene zu senden; die Boten, die dies zu entschuldigen kamen, liess er hinrichten
^12. Auch hier verfolgte das Missgeschick die roemischen Waffen. Die Markomannen
erfochten einen Sieg ueber den Kaiser selbst; eine ganze Legion ward von den
Jazygen umzingelt und niedergehauen. Durch diese Niederlage erschuettert,
schloss Domitian trotz der von Iulianus ueber die Daker gewonnenen Vorteile mit
diesen voreilig einen Frieden, der ihn zwar nicht hinderte, dem Vertreter des
Decebalus in Rom, Diegis, gleich als waere dieser Lehnstraeger der Roemer, die
Krone zu verleihen und als Sieger auf das Kapitol zu ziehen, der aber in
Wirklichkeit einer Kapitulation gleich kam. Wozu Decebalus bei dem Einruecken
des roemischen Heeres in Dakien sich hoehnisch erboten hatte, jeden Mann, fuer
den ihm eine jaehrliche Zahlung von 2 Assen zugesichert werde, ungeschaedigt
nach Hause zu entlassen, das wurde beinahe wahr; in dem Frieden wurden mit einer
jaehrlich zu entrichtenden Abstandssumme die Einfaelle in Moesien abgekauft.
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^11 Die Chronologie des dakischen Krieges liegt sehr im Ungewissen. Dass er
bereits vor dem Chattenkrieg (83) begonnen hat, lehrt die karthagische Inschrift
CIL VIII, 1082 eines dreimal von Domitian, im dakischen, im germanischen und
wieder im dakischen Kriege dekorierten Soldaten. Eusebius setzt den Ausbruch des
Krieges oder vielmehr den ersten grossen Kampf in das Jahr Abrahams 2101 oder
2102 = n. Chr. 85 (genauer 1. Oktober 84-30. September 85) oder 86, den Triumph
in das Jahr 2106 = 90; auf voellige Zuverlaessigkeit haben diese Zahlen freilich
keinen Anspruch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird der Triumph in das Jahr 89
gesetzt (W. Henzen, Acta fratrum Arvalium. Berlin 1874, S. 116).
^12 Das Fragment Dio 67, 7, 1 Dind. steht in der Folge der Ursinischen
Exzerpte vor 67, 5, 1 bis 3 und gehoert auch nach der Folge der Ereignisse vor
die Verhandlung mit den Lugiern. Vgl. Hermes 3, 1868, S. 115.
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Hier musste Wandel geschafft werden. Auf Domitian, der wohl ein guter
Reichsverwalter, aber stumpf fuer die Forderungen der militaerischen Ehre war,
folgte nach dem kurzen Regiment Nervas Kaiser Traianus, der, zuerst und vor
allem Soldat, nicht bloss jenen Vertrag zerriss, sondern auch die Massregeln
danach traf, dass aehnliche Dinge sich nicht wiederholten. Der Krieg gegen die
Sueben und Sarmaten, der bei Domitians Tod (96) noch dauerte, ward, wie es
scheint, unter Nerva im Jahre 97 gluecklich beendigt. Der neue Kaiser ging, noch
bevor er in die Hauptstadt des Reiches seinen Einzug hielt, vom Rhein an die
Donau, wo er im Winter 98/99 verweilte, aber nicht, um sofort die Daker
anzugreifen, sondern um den Krieg vorzubereiten; in diese Zeit gehoert die an
die Strassenbauten in Obergermanien anschliessende Anlage der am rechten
Donauufer, in der Gegend von Orsowa, im Jahre 100 vollendeten Strasse. Zum
Kriege gegen die Daker, in dem er wie in allen seinen Feldzuegen selbst
kommandierte, ging er erst im Fruehjahr 101 ab. Er ueberschritt die Donau
unterhalb Viminacium und rueckte gegen die nicht weit davon entfernte Hauptstadt
des Koenigs Sarmizegetusa vor. Decebalus mit seinen Verbuendeten - die Barer und
andere nordwaerts wohnende Staemme beteiligten sich an diesem Kampf - leistete
entschlossenen Widerstand, und nur mit heftigen und blutigen Gefechten bahnten
die Roemer sich den Weg; die Zahl der Verwundeten war so gross, dass der Kaiser
seine eigene Garderobe den Aerzten zur Verfuegung stellte. Aber der Sieg
schwankte nicht. Eine feste Burg nach der anderen fiel; die Schwester des
Koenigs, die Gefangenen aus dem vorigen Krieg, die den Heeren Domitians
abgenommenen Feldzeichen fielen den Roemern in die Haende; durch Traianus selbst
und durch den tapferen Lusius Quietus in die Mitte genommen, blieb dem Koenig
nichts uebrig als vollstaendige Ergebung (102). Auch verlangte Traianus nichts
geringeres als den Verzicht auf die souveraene Gewalt und den Eintritt des
Dakischen Reiches in die roemische Klientel. Die Ueberlaeufer, die Waffen, die
Kriegsmaschinen, die einst fuer diese von Rom gestellten Arbeiter massten
abgeliefert werden und der Koenig persoenlich vor dem Sieger den Fussfall tun;
er begab sich des Rechts auf Krieg und Frieden und versprach die Heerfolge; die
Festungen wurden entweder geschleift oder den Roemern ausgeliefert und in
diesen, vor allem in der Hauptstadt, blieb roemische Besatzung. Die maechtige
steinerne Bruecke, die Traian bei Drobetae (gegenueber Turnu Severinului) ueber
die Donau schlagen liess, stellte die Verbindung auch in der schlimmen
Jahreszeit sicher und gab den dakischen Besatzungen an den nahen Legionen
Obermoesiens einen Rueckhalt. Aber die dakische Nation und vor allem der Koenig
selbst wussten sich in die Abhaengigkeit nicht so zu fuegen, wie es die Koenige
von Kappadokien und Mauretanien verstanden hatten, oder hatten vielmehr das Joch
nur auf sich genommen in der Hoffnung, bei erster Gelegenheit sich desselben
wieder zu entledigen. Die Anzeichen dafuer traten bald hervor. Ein Teil der
auszuliefernden Waffen wurde zurueckgehalten, die Kastelle nicht, wie es
bedungen war, uebergeben, roemischen Ueberlaeufern auch ferner noch eine
Freistatt gewaehrt, den mit den Dakern verfeindeten Jazygen Gebietsstuecke
entrissen oder vielleicht auch nur deren Grenzverletzungen nicht hingenommen,
mit den entfernteren, noch freien Nationen ein lebhafter und bedenklicher
Verkehr unterhalten. Traianus musste sich ueberzeugen, dass er halbe Arbeit
gemacht, und kurz entschlossen, wie er war, erklaerte er, ohne auf weitere
Verhandlungen sich einzulassen, drei Jahre nach dem Friedensschluss (105) dem
Koenig abermals den Krieg. Gern haette dieser ihn abgewandt; aber die Forderung,
sich gefangen zu geben, sprach allzu deutlich. Es blieb nichts als der Kampf der
Verzweiflung, und dazu waren nicht alle bereit; ein grosser Teil der Daker
unterwarf sich ohne Gegenwehr. Der Aufruf an die Nachbarvoelker, in die Abwehr
fuer die auch ihrer Freiheit und ihrem Volkstum drohende Gefahr mit einzutreten,
verhallte ohne Wirkung; Decebalus und die ihm treugebliebenen Daker standen in
diesem Krieg allein. Die Versuche, den kaiserlichen Feldherrn durch Ueberlaeufer
aus dem Wege zu schaffen, oder mit der Losgebung eines gefangengenommenen hohen
Offiziers ertraegliche Bedingungen zu erkaufen, scheiterten ebenfalls. Der
Kaiser zog abermals als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein und Decebalus,
der bis zum letzten Augenblick mit dem Verhaengnis gerungen hatte, gab, als
alles verloren war, sich selber den Tod (107). Diesmal machte Traianus ein Ende;
der Krieg galt nicht mehr der Freiheit des Volkes, sondern seiner Existenz. Aus
dem besten Teile des Landes wurde die eingeborene Bevoelkerung ausgetrieben und
diese Striche mit einer, fuer die Bergwerke aus den Gebirgen Dalmatiens, sonst
ueberwiegend, wie es scheint, aus Kleinasien herangezogenen nationslosen
Bevoelkerung wiederbesetzt. In manchen Gegenden freilich blieb dennoch die alte
Bevoelkerung und behauptete sich sogar die Landessprache ^13; diese Daker sowohl
wie die ausserhalb der Grenzen hausenden Splitter haben auch nachher noch, zum
Beispiel unter Commodus und Maximinus, den Roemern zu schaffen gemacht; aber sie
standen vereinzelt und verkamen. Die Gefahr, mit der der kraeftige Thrakerstamm
mehrmals die roemische Herrschaft bedroht hatte, durfte nicht wiederkehren, und
dies Ziel hat Traianus erreicht. Das traianische Rom war nicht mehr das der
hannibalischen Zeit; aber es war immer noch gefaehrlich, die Roemer besiegt zu
haben.
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^13 Arr. takt. 44 erwaehnt unter den Aenderungen, die Hadrian bei der
Kavallerie einfuehrte, dass er den einzelnen Abteilungen ihre nationalen
Schlachtrufe gestattet habe, Keltiko?s men tois Keltois ippe?sin, Getiko?s de
tois Getais, Raitikoys de osoi ek Rait/o/n.
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Die stattliche Saeule, welche sechs Jahre darauf dem Kaiser von dem
Reichssenat auf dem neuen Traiansmarkt der Hauptstadt errichtet ward und die ihn
heute noch schmueckt, ist ein Zeugnis der verwuesteten Geschichtsueberlieferung
der roemischen Kaiserzeit, wie wir kein zweites besitzen. In ihrer ganzen Hoehe
von genau 100 roemischen Fuss ist sie bedeckt mit einzelnen Darstellungen - man
zaehlt deren 124; ein gemeisseltes Bilderbuch der dakischen Kriege, zu welchem
uns fast ueberall der Text fehlt. Wir sehen die Wachttuerme der Roemer mit ihrem
spitzen Dach, ihrem pallisadierten Hof, ihrem oberen Umgang, ihren
Feuersignalen. Die Stadt am Ufer des Donaustroms, dessen Flussgott den
roemischen Kriegern zuschaut, wie sie unter ihren Feldzeichen auf der
Schiffbruecke entlangziehen. Den Kaiser selbst im Kriegsrat, dann vor den
Waellen des Lagers am Altar opfernd. Es wird erzaehlt, dass die den Dakern
verbuendeten Burer den Traian vom Kriege abmahnten in einem lateinischen, auf
einen gewaltigen Pilz geschriebenen Spruch: man meint, diesen Pilz zu erkennen,
auf ein Saumtier geladen, von dem gestuerzt ein Barbar mit der Keule, auf dem
Boden liegend, dem heranschreitenden Kaiser mit dem Finger den Pilz weist. Wir
sehen das Lager schlagen, die Baeume faellen, Wasser holen, die Bruecke legen.
Die ersten gefangenen Daker, leicht kenntlich an ihren langaermligen Kitteln und
ihren weiten Hosen, werden, die Haende auf den Ruecken gebunden und an ihrem
langen Haarbusch von den Soldaten gefasst, vor den Kaiser gefuehrt. Wir sehen
die Gefechte, die Speer- und Steinschleuderer, die Sicheltraeger, die
Bogenschuetzen zu Fuss, die auch den Bogen fuehrenden schweren Panzerreiter, die
Drachenfahne der Daker, die feindlichen Offiziere, geschmueckt mit dem Zeichen
ihres Ranges, der runden Muetze, den Fichtenwald, in den die Daker ihre
Verwundeten tragen, die abgehauenen Koepfe der Barbaren, vor dem Kaiser
niedergelegt. Wir sehen das dakische Pfahldorf mitten im See, in dessen runde
Huetten mit spitzem Dach die Brandfackeln fliegen. Frauen und Kinder flehen den
Kaiser um Gnade an. Die Verwundeten werden gepflegt und verbunden, Ehrenzeichen
an Offiziere und Soldaten ausgeteilt. Dann geht es weiter im Kampf: die
feindlichen Verschanzungen, teils von Holz, teils Steinmauern, werden
angegriffen, das Belagerungsgeschuetz faehrt auf, die Leitern werden
herangetragen, unter dem Schilderdach greift die Sturmkolonne an. Endlich liegt
der Koenig mit seinem Gefolge zu den Fuessen Traians; die Drachenfahnen sind in
Roemerhand; die Truppen begruessen jubelnd den Imperator; vor den aufgetuermten
Waffen der Feinde steht die Victoria und beschreibt die Tafel des Sieges.. Es
folgen die Bilder des zweiten Krieges, im ganzen der ersten Reihe gleichartig;
bemerkenswert ist eine grosse Darstellung, welche, nachdem die Koenigsburg in
Flammen aufgegangen ist, die Fuersten der Daker zu zeigen scheint, sitzend um
einen Kessel und einer nach dem andern den Giftbecher leerend; eine andere, wo
des tapferen Dakerkoenigs Haupt auf einer Schuessel dem Kaiser gebracht wird;
endlich das Schlussbild, die lange Reihe der Besiegten mit Frauen, Kindern und
Herden aus der Heimat abziehend. Die Geschichte dieses Krieges hat der Kaiser
selbst geschrieben, wie Friedrich der Grosse die des Siebenjaehrigen, und nach
ihm viele andere; uns ist alles dies verloren, und wie niemand es wagen wuerde,
nach Menzels Bildern die Geschichte des Siebenjaehrigen Krieges zu erfinden, so
bleibt auch uns nur mit dem Einblick in halb verstaendliche Einzelheiten die
schmerzliche Empfindung einer bewegten und grossen, auf ewig verblassten und
selbst fuer die Erinnerung vergangenen geschichtlichen Katastrophe.
Die Grenzverteidigung im Donaugebiet wurde infolge der Verwandlung Dakiens
in eine roemische Provinz nicht in dem Grade verschoben, wie man wohl erwarten
sollte; eine eigentliche Veraenderung der Verteidigungslinie trat nicht ein,
sondern es wurde die neue Provinz im ganzen als eine exzentrische Position
behandelt, die nur nach Sueden hin, an der Donau selbst, unmittelbar mit dem
roemischen Gebiet zusammenhing, nach den anderen drei Seiten in das barbarische
Land hineinragte. Die zwischen Pannonien und Dakien sich erstreckende
Theissebene blieb auch ferner den Jazygen; es haben sich wohl Reste alter Waelle
gefunden, die von der Donau ueber die Theiss weg bis an das dakische Gebirge
fuehren und das Jazygengebiet noerdlich begrenzen, aber ueber die Zeit und die
Urheber dieser Verschanzungen ist nichts Sicheres ermittelt. Auch Bessarabien
wird von einer doppelten Sperrlinie durchschnitten, welche, vom Prut zum Dnjestr
laufend, bei Tyra endigt, und nach den darueber bis jetzt vorliegenden,
ungenuegenden Berichten von den Roemern herzuruehren scheint ^14. Ist dies der
Fall, so sind die Moldau und die suedliche Haelfte von Bessarabien sowie die
gesamte Walachei dem Roemischen Reich einverleibt gewesen. Aber mag dies auch
nominell geschehen sein, effektiv hat die Roemerherrschaft sich schwerlich auf
diese Laender erstreckt; wenigstens fehlt es an sicheren Beweisen roemischer
Ansiedlung bis jetzt sowohl in der oestlichen Walachei wie in der Moldau und in
Bessarabien voellig. Auf alle Faelle blieb hier viel mehr noch als in Germanien
der Rhein die Donau die Grenze der roemischen Zivilisation und der eigentliche
Stuetzpunkt der Grenzverteidigung. Die Positionen an dieser wurden erheblich
verstaerkt. Es war ein Gluecksfall fuer Rom, dass, waehrend die Voelkerbrandung
an der Donau stieg, sie am Rhein sank und die dort entbehrlich gewordenen
Truppen anderweitig verfuegbar wurden. Wenn noch unter Vespasian wahrscheinlich
nicht mehr als sechs Legionen an der Donau standen, so ist deren Zahl durch
Domitianus und Traianus spaeter auf zehn gesteigert, womit zusammenhaengt, dass
die bisherigen beiden Oberkommandanturen von Moesien und Pannonien, die erstere
unter Domitian, die zweite unter Traian, geteilt wurden und, indem weiter die
dakische hinzutrat, die Gesamtzahl der Kommandanturen an der unteren Donau sich
auf fuenf stellte. Anfaenglich scheint man freilich die Ecke, welche dieser
Strom unterhalb Durostorum (Silistria) macht, die heutige Dobrudscha,
abgeschnitten und von dem heutigen Ort Rassowa an, wo der Fluss bis auf sieben
deutsche Meilen sich dem Meere naehert, um dann fast im rechten Winkel nach
Norden abzubiegen, die Flusslinie durch eine befestigte Strasse nach Art der
britannischen ersetzt zu haben, welche bei Tomis die Kueste erreichte ^15. Indes
diese Ecke ist wenigstens seit Hadrian in die roemische Grenzbefestigung
eingezogen worden; denn von da an finden wir Untermoesien, das vor Traian
wahrscheinlich gar keine groesseren staendigen Besatzungen gehabt hatte, belegt
mit den drei Legionslagern von Novae (bei Svischtova), Durostorum (Silistria)
und Troesmis (Iglitza bei Galatz), von welchen das letzte eben jener Donauecke
vorliegt. Gegen die Jazygen wurde die Stellung dadurch verstaerkt, dass zu den
obermoesischen Lagern bei Singidunuum und Viminacium das unterpannonische an der
Muendung der Theiss in die Donau bei Acumincum hinzutrat. Dakien selbst ist
damals nur schwach besetzt worden. Die Hauptstadt, jetzt traianische Kolonie
Sarmizegetusa, lag nicht weit von den Hauptuebergaengen ueber die Donau in
Obermoesien; hier und an dem mittleren Marisus sowie jenseits desselben, in dem
Bezirk der Goldgruben, haben die Roemer vorzugsweise sich ansaessig gemacht;
auch die eine seit Traian in Dakien garnisonierende Legion hat ihr Hauptquartier
wenigstens bald nachher in dieser Gegend bei Apulum (Karlsburg) erhalten. Weiter
noerdlich sind Potaissa (Thorda) und Napoca (Klausenburg) wohl auch sofort von
den Roemern in Besitz genommen worden, aber erst allmaehlich schoben die grossen
pannonisch-dakischen Militaerzentren sich weiter gegen Norden vor. Die Verlegung
der unterpannonischen Legion von Acumincum nach Aquincum, dem heutigen Ofen, und
die Okkupierung dieser militaerisch beherrschenden Position faellt nicht spaeter
als Hadrian und wahrscheinlich unter ihn; wohl gleichzeitig ist die eine der
oberpannonischen Legionen nach Brigetio (gegenueber Komorn) gekommen. Unter
Commodus wurde an der Nordgrenze Dakiens in der Breite von einer deutschen Meile
jede Ansiedelung untersagt, was mit den spaeter zu erwaehnenden Grenzordnungen
nach dem Markomannenkrieg zusammenhaengen wird. Damals moegen auch die
befestigten Linien entstanden sein, welche diese Grenze, aehnlich wie die
obergermanische, sperrten. Unter Severus kam eine der bisher niedermoesischen
Legionen an die dakische Nordgrenze nach Potaissa (Thorda). Aber auch nach
diesen Verlegungen bleibt Dakien eine von Bergen und Schanzen gedeckte,
vorgeschobene Stellung am linken Ufer, bei der es wohl zweifelhaft sein mochte,
ob sie die allgemeine Defensivstellung der Roemer mehr foerderte oder mehr
beschwerte. Hadrianus hat in der Tat daran gedacht, dies Gebiet aufzugeben, also
dessen Einverleibung als einen Fehler betrachtet; nachdem sie einmal geschehen
war, ueberwog allerdings die Ruecksicht, wenn nicht auf die eintraeglichen
Goldgruben des Landes, so doch auf die rasch sich entwickelnde roemische
Zivilisation im Marisusgebiet. Aber wenigstens den Oberbau der steinernen
Donaubruecke liess er entfernen, da ihm die Besorgnis vor der Benutzung
derselben durch die Feinde schwerer wog als die Ruecksicht auf die dakische
Besatzung. Die spaetere Zeit hat von dieser Aengstlichkeit sich freigemacht;
aber die exzentrische Stellung Dakiens zu der uebrigen Grenzverteidigung ist
geblieben.
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^14 Die Waelle, welche 3 Meter hoch, 2 Meter dick, mit breitem Aussengraben
und vielen Resten von Kastellen in zwei fast parallelen Linien, teils in der
Laenge vor. 150 Kilometern vom linken Ufer des Pruth ueber Tabak und Tatarbunar
zum Dnjestr-Liman zwischen Akerman und dem Schwarzen Meer, teils in der Laenge
von 100 Kilometern von Leowa am Pruth zum Dnjestr unterhalb Bendery ziehen
(Petermanns Geographische Mittheilungen 1857, S. 129), moegen wohl auch roemisch
sein; aber es fehlt bis jetzt an jeder genaueren Feststellung.
^15 Nach v. Vinckes Aufnahme (Monatsberichte ueber die Verhandlungen der
Gesellschaft fuer Erdkunde in Berlin 1, 1839/40, S. 179 f.; vgl. in v. Moltkes
Briefen ueber Zustaende in der Tuerkei den vom 2. November 1837) sowie nach den
mir mitgeteilten Aufzeichnungen und Plaenen des Herrn Dr. C. Schuchhardt sind
hier drei Sperrungen angelegt. Die suedlichste, wahrscheinlich aelteste, ist ein
einfacher Erdwall mit (auffallender Weise) gegen Sueden vorliegendem Graben; ob
roemischen Ursprungs, kann zweifelhaft sein. Die beiden anderen Linien sind ein
jetzt noch vielfach bis 3 Meter hoher Erd- und ein niederigerer einst mit
Steinen gefuetterter Wall, die oft dicht nebeneinander her, anderswo wieder
stundenweit voneinander entfernt laufen. Man moechte sie fuer die beiden
Verteidigungslinien einer befestigten Strasse halten, wenn auch in der
oestlichen Haelfte der Erdwall, in der suedlicheren der Steinwall der
noerdlichere ist und sie in der Mitte sich kreuzen. An einer Stelle bildet der
(hier suedlichere) Erdwall die Hinterseite eines hinter dem Steinwall angelegten
Kastells. Der Erdwall ist auf der Nordseite von einem tiefen, auf der Suedseite
von einem flachen Graben gedeckt; jeden Graben schliesst ein Aufwurf ab. Dem
Steinwall liegt auch noerdlich ein Graben vor. Hinter dem Erdwall, und meist an
ihn angelehnt, finden sich je 750 Meter voneinander entfernt Kastelle; andere in
unregelmaessigen Entfernungen desgleichen hinter dem Steinwall. Alle Linien
halten sich hinter den Karasu-Seen als der natuerlichen Verteidigungsstuetze;
von da, wo diese aufhoert, bis zum Meer sind sie mit geringer Ruecksicht auf die
Terrainverhaeltnisse gefuehrt. Die Stadt Tomis liegt ausserhalb des Walls und
noerdlich davon; es sind aber ihre Festungsmauern durch einen besonderen Wall
mit der Sperrbefestigung in Verbindung gesetzt.
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Die sechzig Jahre nach den Dakerkriegen Traians sind fuer die Donaulaender
eine Zeit des Friedens und der friedlichen Entwicklung gewesen. Ganz zur Ruhe
kam es freilich, namentlich an den Donaumuendungen, nie, und auch das
bedenkliche Hilfsmittel von den angrenzenden, unruhigen Nachbarn, aehnlich wie
es mit Decebalus geschehen war, durch Aussetzung jaehrlicher Gratiale die
Grenzsicherheit zu erkaufen, ist ferner angewandt worden ^16; dennoch zeigen die
Reste des Altertums eben in dieser Zeit ueberall das Aufbluehen staedtischen
Lebens, und nicht wenige Gemeinden namentlich Pannoniens nennen als ihren
Stifter Hadrian oder Pius. Aber auf diese Stille folgte ein Sturm, wie das
Kaisertum noch keinen bestanden hatte, und der, obwohl eigentlich auch nur ein
Grenzkrieg, durch seine Ausdehnung ueber eine Reihe von Provinzen und durch
seine dreizehnjaehrige Dauer das Reich selbst erschuetterte.
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^16 Vita Hadriani 6: cum rege Roxolanorum qui de imminutis stipendiis
querebatur cognito negotio pacem composuit.
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Den nach den Markomannen benannten Krieg hat nicht eine einzelne
Persoenlichkeit vom Schlage des Hannibal und des Decebalus angefacht.
Ebensowenig haben Uebergriffe roemischerseits diesen Krieg heraufbeschworen;
Kaiser Pius verletzte keinen Nachbarn, weder den maechtigen, noch den geringen,
und hielt den Frieden fast mehr als billig hoch. Das Reich des Maroboduus und
des Vannius hatte sich seitdem, vielleicht infolge der Teilung unter Vangio und
Sido, in das Koenigtum der Markomannen im heutigen Boehmen und das der Quaden in
Maehren und Oberungarn geschieden. Konflikte mit den Roemern scheinen hier nicht
stattgefunden zu haben; das Lehnsverhaeltnis der Quadenfuersten wurde sogar
unter Pius' Regierung durch die erbetene Bestaetigung in foermlicher Weise
anerkannt. Voelkerverschiebungen, die jenseits des roemischen Horizonts liegen,
sind die naechste Ursache des grossen Krieges gewesen. Bald nach Pius' Tode
(161) erschienen Haufen von Germanen, namentlich Langobarden von der Elbe her,
aber auch Markomannen und andere Mannschaften in Pannonien, es scheint, um neue
Wohnsitze am rechten Ufer zu gewinnen. Gedraengt von den roemischen Truppen, die
ihnen entgegengeschickt wurden, entsandten sie den Markomannenfuersten
Ballomarius und mit ihm je einen Vertreter der zehn beteiligten Staemme, um ihre
Bitte um Landanweisung zu erneuern. Aber der Statthalter liess es bei dem
Bescheid und zwang sie, ueber die Donau zurueckzugehen. Dies ist der Anfang des
grossen Donaukrieges ^17. Auch der Statthalter von Obergermanien, Gaius Aufidius
Victorinus, der Schwiegersohn des literarisch bekannten Fronto, hatte bereits um
das Jahr 162 einen Ansturm der Chatten abzuschlagen, welcher ebenfalls durch
nachdraengende Voelkerschaften von der Elbe her veranlasst sein mag. Waere
gleich energisch eingeschritten worden, so haette groesserem Unheil vorgebeugt
werden koennen. Aber eben damals hatte der Armenische Krieg begonnen, in den
bald die Parther eintraten; wenn auch die Truppen nicht gerade von der bedrohten
Grenze weg nach dem Osten geschickt wurden, wofuer wenigstens keine Beweise
vorliegen ^18, so fehlte es doch an Mannschaft, um den zweiten Krieg sofort
energisch aufzunehmen. Dies Temporisieren hat sich schwer geraecht. Eben als in
Rom ueber die Koenige des Ostens triumphiert ward, brachen an der Donau die
Chatten, die Markomannen, die Quaden, die Jazygen wie mit einem Schlag ein in
das roemische Gebiet. Raetien, Noricum, beide Pannonien, Dakien waren im selben
Augenblick ueberschwemmt; im dakischen Grubendistrikt koennen noch wir die
Spuren dieses Einbruchs verfolgen. Welche Verheerungen sie in diesen
Landschaften, die seit langem keinen Feind gesehen hatten, damals anrichteten,
zeigt die Tatsache, dass mehrere Jahre spaeter die Quaden erst 13000, dann noch
50000, die Jazygen gar 100000 roemische Gefangene zurueckgaben. Es blieb nicht
einmal bei der Schaedigung der Provinzen. Es geschah, was seit drei
Jahrhunderten nicht geschehen war und anfing als unmoeglich zu gelten: die
Barbaren durchbrachen den Alpenwall und fielen in Italien selbst ein; von
Raetien aus zerstoerten sie Opitergium (Oderzo), die Scharen von der Julischen
Alpe berannten Aquileia ^19. Niederlagen einzelner roemischer Armeekorps muessen
mehrfach stattgefunden haben; wir erfahren nur, dass einer der
Gardekommandanten, Victorinus, vor dem Feind blieb und die Reihen der roemischen
Heere sich in arger Weise lichteten.
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^17 Vita Marci 14: gentibus quae pulsae a superioribus barbaris fugerant
nisi reciperentur bellum ireferentibus. Dio bei Petrus Patricius fr. 6:
Laggibard/o/n kai Obi/o/n (sonst unbekannt) exakischili/o/n Istr/o/n
perai/o/thent/o/n t/o/n peri Bindika (vielleicht schon damals praef. praetorio,
in welchem Fall die Garde wegen dieses Vorganges ausmarschiert waere) ippe/o/n
exelasant/o/n kai t/o/n amphi Kandidon pez/o/n epiphthasant/o/n eis pantel/e/
phyg/e/n oi barbaroi etraponto. eph'ois o?t/o/ prachth/e/sin en deei katastantes
ek pr/o/t/e/s epicheir/e/se/o/s oi barbaroi presbeis para Ailion Basson t/e/n
Paionian dieponta stelloysi Ballomarion te ton basilea Markoman/o/n kai eteroys
deka, kat' ethnos epilexamenoi ena. kai orkois t/e/n eir/e/n/e/n oi presbeis
pist/o/samenoi oikade ch/o/ro?sin. Dass dieser Vorfall vor den Ausbruch des
Krieges faellt, zeigt seine Stellung; fr. 7 des Patricius ist Exzerpt aus Dio
71, 11, 2.
^18 Das moesische Heer gab Soldaten zum Armenischen Krieg ab (O.
Hirschfeld, Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen 6, S. 41); aber hier war
die Grenze nicht gefaehrdet.
^19 Die Beteiligung der rechtsrheinischen Germanen bezeugt Dio 71, 3, und
nur dadurch erklaeren sich die Massregeln, die Marcus fuer Raetia und Noricum
traf. Auch die Lage von Oderzo spricht dafuer, dass diese Angreifer ueber den
Brenner kamen.
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Der schwere Angriff traf den Staat zur ungluecklichsten Stunde. Zwar der
orientalische Krieg war beendigt; aber in seinem Gefolge hatte eine Seuche sich
in Italien und dem ganzen Westen verbreitet, die dauernder als der Krieg und in
entsetzlicherem Masse die Menschen hinraffte. Wenn die Truppen, wie es notwendig
war, zusammengezogen wurden, so fielen der Pest die Opfer nur um so zahlreicher.
Wie zu der Pestilenz immer die teure Zeit gehoert, so erschien auch hier mit ihr
Misswachs und Hungersnot und schwere Finanzkalamitaet - die Steuern gingen nicht
ein, und im Laufe des Krieges sah sich der Kaiser veranlasst, die Kleinodien
seines Palastes in oeffentlicher Auktion zu veraeussern. Es fehlte an einem
geeigneten Leiter. Eine so ausgedehnte und so verwickelte militaerisch-
politische Aufgabe konnte, wie die Dinge in Rom lagen, kein beauftragter
Feldherr, sondern allein der Herrscher selbst auf sich nehmen. Marcus hatte, in
richtiger und bescheidener Erkenntnis dessen, was ihm abging, bei der
Thronbesteigung sich seinen juengeren Adoptivbruder Lucius Verus
gleichberechtigt zur Seite gestellt, in der wohlwollenden Voraussetzung, dass
der flotte junge Mann, wie er ein tuechtiger Fechter und Jaeger war, so auch zum
faehigen Feldherrn sich entwickeln werde. Aber den scharfen Blick des
Menschenkenners besass der ehrliche Kaiser nicht; die Wahl war so ungluecklich
wie moeglich ausgefallen; der eben beendigte Parthische Krieg hatte den
nominellen Feldherrn als eine wueste Persoenlichkeit und einen unfaehigen
Offizier gezeigt. Verus' Mitregentschaft war nichts als eine Kalamitaet mehr,
die freilich durch seinen, nicht lange nach dem Ausbruch des Markomannischen
Krieges erfolgten Tod (169) in Wegfall kam. Marcus, seinen Neigungen nach mehr
reflektiv als dem praktischen Leben zugewandt und ganz und gar kein Soldat,
ueberhaupt keine hervorragende Persoenlichkeit, uebernahm die ausschliessliche
und persoenliche Leitung der erforderlichen Operationen. Er mag dabei im
einzelnen Fehler genug gemacht haben, und vielleicht geht die lange Dauer der
Kaempfe darauf mit zurueck; aber die Einheit des Oberbefehls, die klare Einsicht
in den Zweck der Kriegfuehrung, die Folgerichtigkeit des staatsmaennischen
Handelns, vor allem die Rechtschaffenheit und Festigkeit des seines schweren
Amtes mit selbstvergessener Treue waltenden Mannes haben schliesslich den
gefaehrlichen Ansturm gebrochen. Es ist dies ein um so hoeheres Verdienst, als
der Erfolg mehr dem Charakter als dem Talent verdankt wird.
Worauf man sich gefasst machte, zeigt die Tatsache, dass die Regierung,
trotz des Mangels an Menschen und an Geld, in dem ersten Jahre dieses Krieges
mit ihren Soldaten und auf ihre Kosten die Mauern der Hauptstadt Dalmatiens,
Salonae, und der Hauptstadt Thrakiens, Philippopolis, herstellen liess; sicher
sind dies nicht vereinzelte Anordnungen gewesen. Man musste sich darauf
vorbereiten, die Nordlaender ueberall die grossen Staedte des Reiches berennen
zu sehen; die Schrecken der Gotenzuege pochten schon an die Pforten und wurden
vielleicht fuer diesmal nur dadurch abgewandt, dass die Regierung sie kommen
sah. Die unmittelbare Oberleitung der militaerischen Operationen und die durch
die Sachlage geforderte Regulierung der Beziehungen zu den Grenzvoelkern und
Reformierung der bestehenden Ordnungen an Ort und Stelle durfte weder fehlen
noch dem charakterlosen Bruder oder Einzelfuehrern ueberlassen werden. In der
Tat aenderte sich die Lage der Dinge, sowie die beiden Kaiser in Aquileia
eintrafen, um von dort mit dem Heer nach dem Kriegsschauplatz abzugehen. Die
Germanen und Sarmaten, wenig in sich geeinigt und ohne gemeinschaftliche
Leitung, fuehlten sich solchem Gegenschlag nicht gewachsen. Die eingedrungenen
Haufen zogen ueberall sich zurueck; die Quaden sandten den kaiserlichen
Statthaltern ihre Unterwerfung ein, und vielfach buessten die Fuehrer der gegen
die Roemer gerichteten Bewegung diesen Rueckschlag mit dem Leben. Lucius meinte,
dass der Krieg Opfer genug gefordert habe und riet zur Rueckkehr nach Rom. Aber
die Markomannen verharrten in trotzigem Widerstand, und die Kalamitaet, die
ueber Rom gekommen war, die Hunderttausende der weggeschleppten Gefangenen, die
von den Barbaren errungenen Erfolge forderten gebieterisch eine kraeftigere
Politik und die offensive Fortsetzung des Krieges. Marcus' Schwiegersohn
Tiberius Claudius Pompeianus uebernahm ausserordentlicherweise das Kommando in
Raetien und Noricum; sein tuechtiger Unterbefehlshaber, der spaetere Kaiser
Publius Helvius Pertinax, saeuberte ohne Schwierigkeit mit der aus Pannonien
herbeigerufenen ersten Hilfslegion das roemische Gebiet. Trotz der Finanznot
wurden namentlich aus illyrischen Mannschaften, bei deren Aushebung freilich
mancher bisherige Strassenraeuber zum Landesverteidiger gemacht ward, zwei neue
Legionen gebildet und, wie schon frueher angegeben ward, die bisher
geringfuegige Grenzwacht dieser beiden Provinzen durch die neuen Legionslager
von Regensburg und Enns verstaerkt. In die oberpannonischen Lager begaben sich
die Kaiser selbst. Vor allen Dingen kam es darauf an, den Herd des Kriegsfeuers
einzuschraenken. Die von Norden kommenden Barbaren, die ihre Hilfe anboten,
wurden nicht zurueckgewiesen und fochten in roemischem Sold, soweit sie nicht,
was auch vorkam, ihr Wort brachen und mit dem Feind gemeinschaftliche Sache
machten. Den Quaden, welche um Frieden und um die Bestaetigung des neuen Koenigs
Furtius baten, wurde diese bereitwillig zugestanden und nichts gefordert als
Rueckgabe der Ueberlaeufer und der Gefangenen. Es gelang einigermassen, den
Krieg auf die beiden Hauptgegner, die Markomannen und die von alters her ihnen
verbuendeten Jazygen, zu beschraenken. Gegen diese beiden Voelker wurde in den
folgenden Jahren in schweren Kaempfen und nicht ohne Niederlage gestritten. Wir
wissen davon nur Einzelheiten, die sich nicht in festen Zusammenhang bringen
lassen. Marcus Claudius Fronto, dem die ausserordentlicherweise vereinigten
Kommandos von Obermoesien und Dakien anvertraut waren, fiel um das Jahr 171 im
Kampfe gegen Germanen und Jazygen. Ebenso fiel vor dem Feind der Gardekommandant
Marcus Macrinius Vindex. Sie und andere hochgestellte Offiziere erhielten in
diesen Jahren Ehrendenkmaeler in Rom an der Saeule Traians, weil sie in
Verteidigung des Vaterlandes den Tod gefunden hatten. Die barbarischen Staemme,
die sich fuer Rom erklaert hatten, fielen zum Teil wieder ab, so die Cotiner und
vor allem die Quaden, welche den fluechtigen Markomannen eine Freistatt
gewaehrten und ihren Vasallenkoenig Furtius vertrieben, worauf Kaiser Marcus auf
den Kopf seines Nachfolgers Ariogaesus einen Preis von 1000 Goldstuecken setzte.
Erst im sechsten Kriegsjahr (172) scheint die voellige Ueberwindung der
Markomannen erreicht worden zu sein und danach Marcus den wohlverdienten
Siegestitel Germanicus angenommen zu haben. Es folgte dann die Niederwerfung der
Quaden, endlich im Jahre 175 die der Jazygen, infolge deren der Kaiser den
weiteren Beinamen des Sarmatensiegers empfing. Die Bedingungen, welche den
ueberwundenen Voelkerschaften gestellt wurden, zeigen, dass Marcus nicht zu
strafen beabsichtigte, sondern zu unterwerfen. Den Markomannen und den Jazygen,
wahrscheinlich auch den Quaden, wurde auferlegt, einen Grenzstreifen am Flusse
in der Breite von zwei, nach spaeterer Milderung von einer deutschen Meile zu
raeumen. In die festen Plaetze am rechten Donauufer wurden roemische Besatzungen
gelegt, die allein bei den Markomannen und Quaden zusammen sich auf nicht
weniger als 20000 Mann beliefen. Alle Unterworfenen hatten Zuzug zum roemischen
Heer zu stellen, die Jazygen zum Beispiel 8000 Reiter. Waere der Kaiser nicht
durch die Insurrektion Syriens abgerufen worden, so haette er die letzteren ganz
aus ihrer Heimat getrieben, wie Traianus die Daker. Dass Marcus die abgefallenen
Transdanuvianer nach diesem Muster zu behandeln gedachte, bestaetigt der weitere
Verlauf. Kaum war jenes Hindernis beseitigt, so ging der Kaiser wieder an die
Donau und begann, eben wie Traianus, im Jahre 178 den zweiten, abschliessenden
Krieg. Die Motivierung dieser Kriegserklaerung ist nicht bekannt; der Zweck wird
ohne Zweifel richtig dahin angegeben, dass er zwei neue Provinzen, Marcomania
und Sarmatia, einzurichten gedachte. Den Jazygen, die sich den Absichten des
Kaisers fuegsam gezeigt haben werden, wurden die laestigen Auflagen
groesstenteils erlassen, ja ihnen fuer den Verkehr mit ihren oestlich von Dakien
hausenden Stammverwandten, den Roxolanern, der Durchgang durch Dakien unter
angemessener Aufsicht gewaehrt - wahrscheinlich auch nur, weil sie schon als
roemische Untertanen betrachtet wurden. Die Markomannen wurden durch Schwert und
Hunger fast aufgerieben. Die verzweifelnden Quaden wollten nach Norden
auswandern und bei den Semnonen sich Sitze suchen; aber auch dies wurde ihnen
nicht gestattet, da sie die Aecker zu bestellen hatten, um die roemischen
Besatzungen zu versorgen. Nach vierzehnjaehriger, fast ununterbrochener
Waffenarbeit stand der Kriegsfuerst wider Willen am Ziel und die Roemer zum
zweiten Mal vor der Gewinnung der oberen Elbe; jetzt fehlte in der Tat nur die
Ankuendigung, das Gewonnene festhalten zu wollen. Da starb er, noch nicht
sechzig Jahre alt, im Lager von Vindobona am 17. Maerz 180.
Man wird nicht bloss die Entschlossenheit und die Konsequenz des Herrschers
anerkennen, sondern auch einraeumen muessen, dass er tat, was die richtige
Politik gebot. Die Eroberung Dakiens durch Traian war ein zweifelhafter Gewinn,
obwohl eben in dem Markomannischen Krieg der Besitz Dakiens nicht bloss ein
gefaehrliches Element aus den Reihen der Gegner Roms entfernt, sondern
wahrscheinlich auch bewirkt hat, dass der Voelkerschwarm an der unteren Donau,
die Bastarner, die Roxolaner und andere mehr in den Markomannenkrieg nicht
eingegriffen haben. Aber nachdem der gewaltige Ansturm der Transdanuvianer
westlich von Dakien die Niederwerfung derselben zur Notwendigkeit gemacht hatte,
konnte diese nur in abschliessender Weise ausgefuehrt werden, indem Boehmen,
Maehren und die Theissebene in die roemische Verteidigungslinie eingezogen
wurden, wenn auch diesen Gebieten wohl nur, wie Dakien, eine Vorpostenstellung
zugedacht war und die strategische Grenzlinie sicher die Donau bleiben sollte.
Des Marcus Nachfolger, Kaiser Commodus, war im Lager anwesend, als der
Vater starb und trat, da er die Krone schon seit mehreren Jahren dem Namen nach
mit dem Vater teilte, mit dessen Tode sofort in den Besitz der unumschraenkten
Gewalt. Nur kurze Zeit liess der neunzehnjaehrige Nachfolger die
Vertrauensmaenner des Vaters, seinen Schwager Pompeianus und andere, die mit
Marcus die schwere Last des Krieges getragen hatten, im Sinne desselben
schalten. Commodus war in jeder Hinsicht das Gegenteil seines Vaters; kein
Gelehrter, sondern ein Fechtmeister, so feig und charakterschwach, wie dieser
entschlossen und konsequent, so traege und pflichtvergessen wie dieser taetig
und gewissenhaft. Er gab nicht bloss die Einverleibung des gewonnenen Gebiets
auf, sondern gewaehrte auch den Markomannen freiwillig Bedingungen, wie sie sie
nicht hatten hoffen duerfen. Die Regulierung des Grenzverkehrs unter roemischer
Kontrolle und die Verpflichtung, ihre den Roemern befreundeten Nachbarn nicht zu
schaedigen, verstanden sich von selbst; aber die Besatzungen wurden aus ihrem
Lande zurueckgezogen und nur das Gebot, den Grenzstreifen nicht zu besiedeln,
festgehalten. Die Leistung von Abgaben und die Stellung von Rekruten wurde wohl
ausbedungen, aber jene bald erlassen und diese sicher nie gestellt. Aehnlich
ward mit den Quaden abgeschlossen und wird mit den uebrigen Transdanuvianern
abgeschlossen worden sein. Damit waren die gemachten Eroberungen aufgegeben, und
die vieljaehrige Kriegsarbeit war umsonst; wenn man nicht mehr wollte, so war
eine aehnliche Ordnung der Dinge schon viel frueher zu erreichen. Dennoch hat
der Markomannische Krieg die Suprematie Roms in diesen Landschaften fuer die
Folgezeit sichergestellt, trotzdem Rom den Siegespreis aus der Hand gab. Nicht
von den Staemmen, welche dabei beteiligt waren, ist der Stoss gefuehrt worden,
dem die roemische Weltmacht erlag.
Eine andere bleibende Folge dieses Krieges haengt zusammen mit den durch
denselben veranlassten Oberfuehrungen der Transdanuvianer in das Roemische
Reich. An sich waren derartige Umsiedlungen zu aller Zeit vorgekommen; die unter
Augustus nach Gallien verpflanzten Sugambrer, die nach Thrakien gesandten Daker
waren nichts als neue, zu den frueher vorhandenen hinzutretende Untertanen oder
Untertanengemeinden, und etwas anderes sind wohl auch die 3000 Naristen nicht
gewesen, denen Marcus gestattete, ihre Sitze westlich von Boehmen mit solchen im
Reich zu vertauschen, waehrend den sonst unbekannten Astingern an der dakischen
Nordgrenze die gleiche Bitte abgeschlagen ward. Aber die nicht bloss im
Donauland, sondern in Italien selbst, bei Ravenna, von ihm angesiedelten
Germanen waren weder freie Untertanen noch eigentlich unfreie Leute; es sind
dies die Anfaenge der roemischen Leibeigenschaft, des Kolonats, dessen
Eingreifen in die Bodenwirtschaft des gesamten Staats in anderem Zusammenhang
darzulegen ist. Jene ravennatische Ansiedlung hat indes keinen Bestand gehabt;
die Leute lehnten sich auf und mussten wieder weggeschafft werden, so dass der
neue Kolonat zunaechst auf die Provinzen, namentlich die Donaulandschaften,
beschraenkt blieb.
Wiederum folgte auf den grossen Krieg an der mittleren Donau eine fast
sechzigjaehrige Friedenszeit, deren Segen durch das waehrend derselben stetig
steigende innere Missregiment nicht vollstaendig aufgehoben werden konnte. Wohl
zeigt manche vereinzelte Nachricht, dass die Grenze, namentlich die am meisten
exponierte dakische, nicht ohne Anfechtung blieb; aber vor allem das straffe
Militaerregiment des Severus tat hier seine Schuldigkeit, und wenigstens
Markomannen und Quaden erscheinen auch unter dessen naechsten Nachfolgern in
unbedingter Abhaengigkeit, so dass der Sohn des Severus einen Quadenfuersten vor
sich zitieren und ihm den Kopf vor die Fuesse legen konnte. Auch die in dieser
Epoche an der unteren Donau gelieferten Kaempfe sind von untergeordnetem Belang.
Aber wahrscheinlich hat in dieser Zeit eine umfassende Voelkerverschiebung von
Nordosten her gegen das Schwarze Meer stattgefunden und die roemische Grenzwacht
an der unteren Donau neuen und gefaehrlicheren Gegnern gegenuebergestellt. Bis
auf diese Zeit hatten den Roemern dort vorzugsweise sarmatische Voelkerschaften
gegenueber gestanden, unter denen sich die Roxolaner mit den Roemern am
naechsten beruehrten; von Germanen sassen damals hier nur die seit langem in
dieser Gegend heimischen Bastarner. Jetzt verschwinden die Roxolaner, vielleicht
unter den dem Anschein nach, ihnen stammverwandten Carpern, welche fortan an der
unteren Donau, etwa in den Taelern des Sereth und Pruth, die naechsten Nachbarn
der Roemer sind. Neben die Carper, ebenfalls als unmittelbare Nachbarn der
Roemer an der Donaumuendung, tritt das Volk der Goten. Dieser germanische Stamm
ist nach der einheimischen Erzaehlung, die uns erhalten ist, von Skandinavien
ueber die Ostsee nach der Weichselgegend und aus dieser zum Schwarzen Meer
gewandert; damit uebereinstimmend kennen die roemischen Geographen des 2.
Jahrhunderts sie an der Weichset und die roemische Geschichte seit dem ersten
Drittel des dritten an der nordwestlichen Kueste des Schwarzen Meeres. Von da an
erscheinen sie hier in stetigem Anschwellen; die Reste der Bastarner sind unter
Kaiser Probus, die Reste der Carper unter Kaiser Diocletian vor ihnen auf das
rechte Donauufer gewichen, waehrend ohne Zweifel ein grosser Teil dieser wie
jener sich unter die Goten mischten und ihnen sich anschlossen. ueberall darf
diese Katastrophe nur in dem Sinne als die des Gotenkrieges bezeichnet werden,
wie die unter Marcus eingetretene von den Markomannen heisst; die ganze Masse
der durch den Wanderstrom vom Nordosten zum Schwarzen Meer in Bewegung gesetzten
Voelkerschaften ist daran beteiligt, und um so mehr beteiligt, als diese
Angriffe ebenso zu Lande ueber die untere Donau, wie zu Wasser von der
Nordkueste des Schwarzen Meeres aus in einer unentwirrbaren Verschlingung der
Land- und der Seepiraterie erfolgten. Nicht unpassend nennt darum der gelehrte
Athener, der in ihm gefochten und ihn erzaehlt hat, diesen Krieg vielmehr den
Skythischen, indem er unter diesem, gleich dem pelasgischen die Verzweiflung der
Historiker machenden Namen alle germanischen und nichtgermanischen Reichsfeinde
zusammenfasst. Was ueber diese Zuege zu berichten ist, soll, soweit die der
Verwirrung dieser schrecklichen Zeiten nur zu sehr entsprechende Verwirrung der
Ueberlieferung es gestattet, hier zusammengefasst werden.
Das Jahr 238, auch ein Vierkaiserjahr des Buergerkriegs, wird bezeichnet
als dasjenige, in dem der Krieg gegen die hier zuerst genannten Goten begann
^20. Da die Muenzen von Tyra und Olbia mit Alexander (+ 235) aufhoeren, so sind
diese ausserhalb der Reichsgrenze gelegenen roemischen Besitzungen wohl schon
einige Jahre frueher eine Beute der neuen Feinde geworden. In jenem Jahr
ueberschritten sie zuerst die Donau, und die noerdlichste der moesischen
Kuestenstaedte, Istros, war das erste Opfer. Gordian, der aus den Wirren dieser
Zeit als Herrscher hervorging, wird als Besieger der Goten bezeichnet; gewisser
ist es, dass die roemische Regierung, wenn nicht schon frueher, so doch unter
ihm, sich dazu verstand, die gotischen Einfaelle abzukaufen ^21.
Begreiflicherweise forderten die Carper das gleiche, was der Kaiser den
schlechteren Goten bewilligt habe; als die Forderung nicht gewaehrt ward, fielen
sie im Jahre 245 in das roemische Gebiet ein. Kaiser Philippus - Gordianus war
damals schon tot - schlug sie zurueck, und eine energische Aktion mit der
vereinigten Kraft des grossen Reiches wuerde den Barbaren wohl hier Halt geboten
haben. Aber in diesen Jahren fand der Kaisermoerder so sicher den Thron wie
wiederum seinen Moerder und Nachfolger; eben in den gefaehrdeten
Donaulandschaften rief die Armee gegen Kaiser Philippus erst den Marinus
Pacatianus und nach dessen Beseitigung den Traianus Decius aus, welcher letztere
in der Tat in Italien seinen Gegner ueberwand und als Herrscher anerkannt ward.
Er war ein tuechtiger und tapferer Mann, nicht unwert der beiden Namen, die er
trug, und trat, sowie er konnte, entschlossen in die Kaempfe an der Donau ein;
aber was der inzwischen gefuehrte Buergerkrieg verdorben hatte, liess sich nicht
mehr einbringen. Waehrend die Roemer miteinander schlugen, hatten die Goten und
die Carper sich geeinigt und waren unter dem Gotenfuersten Cniva in das von
Truppen entbloesste Moesien eingefallen. Der Statthalter der Provinz,
Trebonianus Gallus, warf sich mit seiner Mannschaft nach Nikopolis am Haemus und
wurde hier von den Goten belagert; diese raubten zugleich Thrakien aus und
belagerten dessen Hauptstadt, das grosse und feste Philippopolis; ja sie
gelangten bis nach Makedonien und berannten Thessalonike, wo der Statthalter
Priscus eben diesen Moment geeignet fand, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen.
Als Decius anlangte, um zugleich den Nebenbuhler und den Landesfeind zu
bekaempfen, wurde wohl jener ohne Muehe beseitigt und gelang auch der Entsatz
von Nikopolis, wo 30000 Goten gefallen sein sollen. Aber die nach Thrakien
zurueckweichenden Goten siegten ihrerseits bei Beroe (Alt-Zagora), warfen die
Roemer nach Moesien zurueck und bezwangen sowohl Nikopolis daselbst wie in
Thrakien Anchialos und sogar Philippopolis, wo 100000 Menschen in ihre Gewalt
gekommen sein sollen. Darauf zogen sie nordwaerts, um die ungeheure Beute in
Sicherheit zu bringen. Decius entwarf den Plan, dem Feind bei dem Uebergang
ueber die Donau einen Schlag zu versetzen. Er stellte eine Abteilung unter
Gallus am Ufer auf und hoffte, diese auf die Goten werfen und ihnen den Rueckzug
abschneiden zu koennen. Aber bei dem moesischen Grenzort Abrittus entschied das
Kriegsglueck oder auch der Verrat des Gallus gegen ihn; Decius kam mit seinem
Sohn um, und Gallus, der als sein Nachfolger ausgerufen ward, begann sein
Regiment damit, den Goten die jaehrlichen Geldzahlungen abermals zuzusichern
(251) ^22. Diese voellige Niederlage der roemischen Waffen wie der roemischen
Politik, der Fall des Kaisers, des ersten, der im Kampf gegen die Barbaren das
Leben verlor, eine Kunde, welche selbst in dieser, in der Gewohnheit des Unheils
erschlaffenden Zeit tief die Gemueter erregte, die darauf folgende schimpfliche
Kapitulation, stellte in der Tat die Integritaet des Reiches in Frage. Ernste
Krisen an der mittleren Donau, wahrscheinlich der drohende Verlust Dakiens
muessen die naechste Folge gewesen sein. Noch einmal ward dieser abgewandt: der
Statthalter von Pannonien, Marcus Aemilius Aemilianus, ein guter Soldat, errang
einen bedeutenden Waffenerfolg und trieb die Feinde ueber die Grenze. Aber die
Nemesis waltete. Die Konsequenz dieses auf Gallus' Namen erfochtenen Sieges war,
dass die Armee dem Verraeter des Decius den Gehorsam aufkuendigte und ihren
Feldherrn zu seinem Nachfolger erkor. Abermals ging also der Buergerkrieg der
Grenzverteidigung vor, und waehrend Aemilianus in Italien zwar den Gallus
ueberwand, aber bald darauf dem Feldherrn desselben, Valerianus, unterlag (254),
ging Dakien, wie und an wen, wissen wir nicht ^23, dem Reiche verloren. Die
letzte von dieser Provinz geschlagene Muenze und die juengste dort gefundene
Inschrift sind vom Jahre 255, die letzte Muenze des benachbarten Viminacium in
Obermoesien vom folgenden Jahre; in den ersten Jahren Valerians und Galliens
also besetzten die Barbaren das roemische Gebiet am linken Ufer der Donau und
drangen sicher auch hinueber auf das rechte.
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^20 Die angebliche erste Erwaehnung der Goten in der Biographie Caracallas
c. 10 beruht auf Missverstaendnis. Wenn wirklich ein Senator sich den boshaften
Scherz gestattet hat, dem Moerder Getas den Namen Geticus beizulegen, weil er
auf seinem Zug von der Donau nach dem Orient einige Getenschwaerme (tumultuariis
proeliis) besiegt habe, so meinte er Daker, nicht die damals schwerlich dort
wohnenden und dem roemischen Publikum kaum bekannten Goten, deren Gleichung mit
den Geten auch gewiss erst spaeter erfunden ward.
Uebrigens fuehrt noch weiter zurueck die Angabe, dass Kaiser Maximinus
(235-238) der Sohn eines in das benachbarte Thrakien uebergesiedelten Goten
gewesen sei; doch wird auch darauf nicht viel zu geben sein.
^21 Petrus Patricius fr. 8. Die Verwaltung des hier genannten Legaten von
Untermoesien, Tullius Menophilus, ist durch Muenzen sicher auf die Zeit Gordians
und mit Wahrscheinlichkeit auf 238-240 bestimmt (B. Borghesi, Oeuvres completes.
Bd. 2, S. 227). Da der Anfang des Gotenkrieges und die Zerstoerung von Istros
durch Dexippos (vita Max. et Balb. 16) auf 238 festgestellt ist, so liegt es
nahe, die Uebernahme des Tributs damit in Zusammenhang zu bringen; auf jeden
Fall ist er damals erneuert worden. Die vergeblichen Belagerungen von
Markianopolis und Philippopolis durch die Goten (Dexippus fr. 18, 19) moegen auf
die Einnahme von Istros gefolgt sein. Iordanes (Get. 16, 92) setzt die erstere
unter Philippus, ist aber in chronologischen Fragen kein gueltiger Zeuge.
^22 Die Berichte ueber diese Vorgaenge bei Zosimus (bist. 1, 21-24),
Zonaras (12, 20), Ammian (31, 5, 16 u. 17) (welche Nachrichten bis zu der
Philippopolis betreffenden dadurch, dass diese bei Zosimus wiederkehrt, als
hierher gehoerig fixiert werden), obwohl alle fragmentarisch oder zerruettet,
duerften aus dem Bericht des Dexippus, wovon fr. 16 u. 19 erhalten sind,
geflossen sein und lassen sich einigermassen vereinigen. Dieselbe Quelle liegt
auch den Kaiserbiographien und Iordanes zu Grunde; beide aber haben sie in dem
Grade entstellt und verfaelscht, dass von ihren Angaben nur mit grosser Vorsicht
Gebrauch gemacht werden kann. Unabhaengig ist Aur. Vict. Caes. 29.
^23 Vielleicht bezieht sich darauf der Einbruch der Markomannen bei Zos.
hist. 1, 29.
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Bevor wir die Entwicklung der Dinge an der unteren Donau weiter verfolgen,
erscheint es notwendig, einen Blick zu werfen auf die Piraterie, wie sie in der
oestlichen Haelfte des Mittelmeeres damals im Gange war, und die daraus
hervorgegangenen Seezuege der Goten und ihrer Genossen.
Dass auf dem Schwarzen Meer die roemische Flotte zu keiner Zeit
entbehrlich, die Piraterie daselbst wahrscheinlich nie ausgerottet worden ist,
liegt im Wesen der Roemerherrschaft, wie sie an seinen Kuesten sich gestaltet
hatte. In festem Besitz waren sie nur etwa von der Donaumuendung abwaerts bis
Trapezunt. Roemisch waren freilich auch einerseits Tyra, an der Muendung des
Dnjestr, und Olbia, an der Bucht der Dnjeprmuendung, andererseits die
kaukasischen Hafenorte in der Gegend des heutigen Suchum-Kaleh, Dioskurias und
Pityus. Auch das dazwischenliegende Bosporanische Koenigreich auf der Krim stand
in roemischem Schutz und hatte roemische, dem Statthalter von Moesien
unterstehende Besatzung. Aber es waren an diesen groesstenteils wenig
einladenden Gestaden nur jene Hafenplaetze entweder als alte griechische
Ansiedlungen oder als roemische Festungen in festem Besitz, die Kueste selbst
oede oder in den Haenden der das Binnenland erfuellenden Eingeborenen, die unter
dem allgemeinen Namen der Skythen zusammengefasst, meistens sarmatischer
Abkunft, den Roemern niemals botmaessig wurden noch werden sollten; man war
zufrieden, wenn sie sich nicht geradezu an den Roemern oder deren
Schutzbefohlenen vergriffen. Danach ist es nicht zu verwundern, dass schon in
Tiberius' Zeit die Piraten der Ostkueste nicht bloss das Schwarze Meer unsicher
machten, sondern auch landeten und die Doerfer und die Staedte der Kueste
brandschatzten. Wenn unter Pius oder Marcus eine Schar der an dem nordwestlichen
Ufer hausenden Kostoboker die im Herzen von Phokis gelegene Binnenstadt Elateia
ueberfiel und unter deren Mauern mit den Buergern sich herumschlug, so zeigt
dieser gewiss nur zufaellig fuer uns einzeln dastehende Vorgang, dass dieselben
Erscheinungen, welche dem Sturz des Senatsregiments voraufgingen, jetzt sich
erneuerten und noch bei aeusserlich unerschuettert aufrecht stehender
Reichsgewalt nicht bloss einzelne Piratenschiffe, sondern Piratengeschwader im
Schwarzen und selbst im Mittelmeere kreuzten. Das nach dem Tode des Severus und
vor allem nach dem Ausgang der letzten Dynastie deutlich erkennbare Sinken des
Regiments offenbarte sich dann, wie billig, vor allem in dem weiteren Verfall
der Seepolizei. Die im einzelnen wenig zuverlaessigen Berichte melden bereits in
der Zeit vor Decius das Erscheinen einer grossen Piratenflotte im Aegaeischen
Meer; dann unter Decius die Pluenderung der pamphylischen Kueste und der
griechisch-asiatischen Inseln, unter Gallus Piratenstreifereien in Kleinasien
bis nach Pessinus und Ephesos ^24. Dies waren Raeuberzuege. Diese Gesellen
pluenderten die Kuesten weit und breit, und machten auch, wie man sieht, dreiste
Zuege in das Binnenland; aber von zerstoerten Staedten wird nichts gemeldet, und
die Piraten vermieden es, mit den roemischen Truppen zusammenzustossen;
vorzugsweise richtete sich der Angriff gegen solche Landschaften, in denen keine
Truppen standen.
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^24 Amm. Marc. 31, 5, 15: duobus navium milibus perrupto Bosporo et
litoribus Propontidis Scythicarum gentium catervae transgressae ediderunt quidem
acerbas terra marique strages: sed amissa suorum parte maxima reverterunt,
worauf die Katastrophe der Decier erzaehlt und in diese die weitere Notiz
eingeflochten wird: obsessae Pamphyliae civitates (dahin wird die Belagerung von
Side gehoeren, bei Dexippus selbst fr. 23), insulae populatae complures, ebenso
die Belagerung von Kyzikos. Wenn in diesem Rueckblick nicht alles verwirrt ist,
was bei Ammian doch nicht wohl angenommen werden kann, so faellt dies vor
diejenigen Seefahrten, die mit der Belagerung von Pityus beginnen und mehr ein
Teil der Voelkerwanderung sind als Piratenzuege. Die Zahl der Schiffe freilich
duerfte durch Gedaechtnisfehler von dem Zug des Jahres 269 hierher uebertragen
sein. In denselben Zusammenhang gehoert die Notiz bei Zosimus (hist. 1, 28)
ueber die Skythenzuege in Asien und Kappadokien bis Ephesos und Pessinus. Die
Nachricht ueber Ephesos in der Biographie Gallienus' c. 6 ist dieselbe, aber der
Zeit nach verschoben.
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Unter Valerianus nehmen diese Expeditionen einen anderen Charakter an. Die
Art der Zuege weicht von den frueheren so sehr ab, dass der an sich nicht
besonders wichtige Zug der Boraner gegen Pityus unter Valerianus von kundigen
Berichterstattern geradezu als der Anfang dieser Bewegung bezeichnet werden
konnte ^25 und dass die Piraten eine Zeitlang in Kleinasien mit dem Namen dieser
uns sonst nicht bekannten Voelkerschaft genannt wurden. Nicht mehr von den alten
einheimischen Anwohnern des Schwarzen Meeres gehen diese Zuege aus, sondern von
den nachdraengenden Schwaermen. Was bis dahin Seeraub gewesen war, faengt an,
ein Stueck derjenigen Voelkerverschiebung zu werden, welcher das Vordringen der
Goten an die untere Donau angehoert. Die beteiligten Voelker sind sehr
mannigfach und zum Teil wenig bekannt; bei den spaeteren Zuegen scheinen die
germanischen Heruler, damals Anwohner der Maeotis, eine fuehrende Rolle gespielt
zu haben. Beteiligt sind auch die Goten, indes soweit es sich um eigentliche
Seefahrten handelt und ueber diese leidlich genaue Berichte vorliegen, nicht in
hervorragender Weise; recht eigentlich diese Zuege heissen richtiger skythische
als gotische. Der maritime Mittelpunkt dieser Angriffe ist die Dnjestrmuendung,
der Hafen von Tyra ^26. Die griechischen Staedte des Bosporus, durch den
Bankrott der Reichsgewalt schutzlos den andraengenden Haufen preisgegeben und
der Belagerung durch dieselben gewaertig, liessen halb gezwungen, halb
freiwillig sich dazu herbei, die unbequemen neuen Nachbarn auf ihren Schiffen
und durch ihre Seeleute nach den naechstgelegenen roemischen Besitzungen an der
Nordkueste des Pontus ueberzufuehren, wofuer diesen selbst die noetigen Mittel
und das noetige Geschick mangelte. So kam jene Expedition gegen Pityus zustande.
Die Boraner wurden gelandet und sandten, auf den Erfolg vertrauend, die Schiffe
zurueck. Aber der entschlossene Befehlshaber von Pityus, Successianus, wies den
Angriff ab und die Angreifer, den Anmarsch der uebrigen roemischen Besatzungen
befuerchtend, zogen eilig ab, wozu sie muehsam die noetigen Fahrzeuge
beschafften. Aufgegeben aber war der Plan nicht; im naechsten Jahr kamen sie
wieder, und da der Kommandant inzwischen gewechselt war, ergab sich die Festung.
Die Boraner, welche diesmal die bosporanischen Schiffe festgehalten hatten und
aus gepressten Schiffsleuten und gefangenen Roemern deren Bemannung beschafften,
bemaechtigten sich weithin der Kueste und gelangten bis nach Trapezunt. In diese
gut befestigte und stark besetzte Stadt hatte alles sich gefluechtet und zu
einer wirklichen Belagerung waren die Barbaren nicht imstande. Aber die Fuehrung
der Roemer war schlecht und die Kriegszucht so verfallen, dass nicht einmal die
Mauer besetzt wurde; so erstiegen die Barbaren dieselbe bei Nachtzeit, ohne auch
nur Gegenwehr zu finden, und in der grossen und reichen Stadt fiel ungeheure
Beute, darunter auch eine Anzahl von Schiffen, in ihre Haende. Gluecklich
kehrten sie aus dem fernen Lande zurueck an die Maeotis.
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^25 Bei Zosimus selbst wird man voelliges Verstaendnis dafuer nicht
erwarten; aber sein Gewaehrsmann Dexippus, der Zeitgenosse und Beteiligte,
wusste wohl, warum er die bithynische Expedition die deytera ephodos nannte
(Zos. hist. 1, 35); und auch bei Zosimus noch erkennt man deutlich den von
Dexippus beabsichtigten Gegensatz der Expedition der Boraner gegen Pityus und
Trapezunt zu den hergebrachten Piratenfahrten. In der Biographie des Gallienus
wird die c. 11 unter dem Jahre 264 erzaehlte skythische Expedition nach
Kappadokien die trapezuntische sein sowie die damit verknuepfte bithynische die,
welche Zosimus die zweite nennt; verwirrt ist hier freilich alles.
^26 Dies sagt Zosimus (hist. 1, 42) und folgt auch aus dem Verhaeltnis der
Bosporaner zu dem ersten (1, 32) und dem des ersten zu dem zweiten Zug (1, 34).
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Ein zweiter, durch diesen Erfolg angeregter Zug anderer, aber benachbarter
skythischer Haufen im folgenden Winter richtete sich gegen Bithynien; es ist
bezeichnend fuer die zerruetteten Verhaeltnisse, dass der Anstifter dieses Zuges
ein Grieche aus Nikomedeia, Chrysogonos, war, und dass er fuer den gluecklichen
Erfolg von den Barbaren hochgeehrt ward. Diese Expedition wurde, da die noetige
Zahl von Schiffen nicht zu beschaffen war, teils zu Lande, teils zu Wasser
unternommen; erst in der Naehe von Byzanz gelang es den Piraten, sich einer
betraechtlichen Zahl von Fischerbooten zu bemaechtigen, und so gelangten sie an
die asiatische Kueste nach Kalchedon, dessen starke Besatzung auf diese Kunde
davonlief. Nicht bloss diese Stadt geriet in ihre Hand, sondern auch an der
Kueste Nikomedeia, Kios, Apameia, im Binnenland Nikaea und Prusa; Nikomedeia und
Nikaea brannten sie nieder und gelangten bis zum Rhyndakos. Von da aus fuhren
sie heim, beladen mit den Schaetzen des reichen Landes und seiner ansehnlichen
Staedte.
Schon der Zug gegen Bithymen war zum Teil auf dem Landweg unternommen
worden; um so mehr setzten die Angriffe, die gegen das europaeische Griechenland
gerichtet wurden, sich aus Land- und Seeraubfahrten zusammen. Wenn Moesien und
Thrakien auch nicht dauernd von den Goten besetzt wurden, so kamen und gingen
sie doch hier, gleich als waeren sie zu Hause, und streiften von da aus weit
nach Makedonien hinein. Selbst Achaia erwartete unter Valerianus von dieser
Seite her den Einbruch; die Thermopylen und der Isthmos wurden verrammelt und
die Athener gingen daran, ihre seit Sullas Belagerung in Truemmern liegenden
Mauern wiederherzustellen. Damals und auf diesem Wege kamen die Barbaren nicht.
Aber unter Gallienus erschien eine Flotte von 500 Segeln, diesmal vornehmlich
Heruler, vor dem Hafen von Byzanz, das indes seine Wehrhaftigkeit noch nicht
eingebuesst hatte; die Schiffe der Byzantier schlugen gluecklich die Raeuber ab.
Diese fuhren weiter, zeigten sich an der asiatischen Kueste vor dem frueher
nicht angegriffenen Kyzikos und gelangten von da ueber Lemnos und Imbros nach
dem eigentlichen Griechenland. Athen, Korinth, Argos, Sparta wurden gepluendert
und zerstoert. Es war immer etwas, dass, wie in den Zeiten der Perserkriege, die
Buerger des zerstoerten Athen, 2000 an der Zahl, den abziehenden Barbaren einen
Hinterhalt legten und unter Fuehrung ihres ebenso gelehrten wie tapferen
Vormanns Publius Herennius Dexippus aus dem altadligen Geschlecht der Keryken,
mit Unterstuetzung der roemischen Flotte, den Piraten einen namhaften Verlust
beibrachten. Auf der Heimkehr, die zum Teil auf dem Landweg erfolgte, griff
Kaiser Gallienus sie in Thrakien am Fluss Nestos an und toetete ihnen eine
betraechtliche Anzahl Leute ^27.
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^27 Dexippus' Bericht ueber diesen Zug geben im Auszug Synkellos (p. 717)
(wo anelontos fuer anelontes gelesen werden muss), Zosimus (hist. 1, 39) und der
Biograph des Gallienus (c. 13). Ein Bruchstueck seiner eigenen Erzaehlung ist
fr. 22. Bei dem Fortsetzer des Dio, von dem Zonaras abhaengt, ist der Vorgang
unter Claudius gesetzt, durch Irrtum oder durch Faelschung, die dem Gallienus
diesen Sieg nicht goennte. Die Biographie des Gallienus erzaehlt den Vorgang,
wie es scheint, zweimal, zuerst kurz c. 6 unter dem Jahre 262, dann besser unter
oder nach 265 (c. 13).
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Um das Mass des Unheils vollstaendig zu uebersehen, muss man hinzunehmen,
dass in diesem in Scherben gehenden Reiche und vor allem in den vom Feind
ueberschwemmten Provinzen ein Offizier nach dem andern nach der Krone griff, die
es kaum noch gab. Es lohnt der Muehe nicht, die Namen dieser ephemeren
Purpurtraeger zu verzeichnen; die Lage zeichnet, dass nach der Verwuestung
Bithyniens durch die Piraten Kaiser Valerian es unterliess, einen
ausserordentlichen Kommandanten dorthin zu schicken, weil ihm jeder General,
nicht ohne Grund, als Rivale galt. Dies hat mitgewirkt bei dem fast durchaus
passiven Verhalten der Regierung gegenueber dieser schweren Not. Doch ist
andererseits unzweifelhaft ein guter Teil dieser unverantwortlichen Passivitaet
auf die Persoenlichkeit der Herrscher zurueckzufuehren; Valerianus war schwach
und bejahrt, Gallienus fahrig und wuest, und der Lenkung des Staatsschiffs im
Sturme weder jener noch dieser gewachsen. Marcianus, dem Gallienus nach dem
Einfall in Achaia das Kommando in diesen Gegenden uebertragen hatte, operierte
nicht ohne Erfolg; aber zu einer wirklichen Wendung zum Besseren kam es nicht,
solange Gallienus den Thron einnahm.
Nach Gallienus' Ermordung (268), vielleicht auf die Kunde von dieser,
unternahmen die Barbaren, wieder unter Fuehrung der Heruler, aber diesmal mit
vereinigten Kraeften, einen Ansturm gegen die Reichsgrenzen, wie er also noch
nicht dagewesen war, mit einer maechtigen Flotte und wahrscheinlich gleichzeitig
zu Lande, von der Donau aus ^28. Die Flotte hatte in der Propontis viel von
Stuermen zu leiden; dann teilte sie sich und es gingen die Goten teils gegen
Thessalien und Griechenland vor, teils gegen Kreta und Rhodos; die Hauptmasse
begab sich nach Makedonien und drang von da in das Binnenland ein, ohne Zweifel
in Verbindung mit den in Thrakien eingerueckten Haufen. Aber den oft belagerten,
jetzt bis aufs aeusserste gebrachten Thessalonikern brachte Kaiser Claudius, der
persoenlich mit starker Macht heranrueckte, endlich Entsatz; er trieb die Goten
vor sich her das Tal des Axios (Vardar) hinauf und weiter ueber die Berge
hinueber nach Obermoesien; nach mancherlei Kaempfen mit wechselndem Kriegsglueck
erfocht er hier im Moravatal bei Naissus einen glaenzenden Sieg, in welchem
50000 Feinde gefallen sein sollen. Die Goten wichen in Aufloesung zurueck, in
der Richtung erst auf Makedonien, dann durch Thrakien zum Haemus, um die Donau
zwischen sich und den Feind zu bringen. Fast haette ihnen ein Zwist im
roemischen Lager, diesmal zwischen Infanterie und Reiterei, noch einmal Luft
gemacht; aber als es zum Schlagen kam, ertrugen die Reiter es doch nicht, ihre
Kameraden im Stich zu lassen und so siegte die vereinigte Armee abermals. Eine
schwere Seuche, welche in all den Jahren der Not, aber besonders damals in
diesen Gegenden und vor allem in den Heeren wuetete, tat zwar auch den Roemern
grossen Schaden - Kaiser Claudius selbst erlag ihr -, aber das grosse Heer der
Nordlaender wurde voellig aufgerieben und die zahlreichen Gefangenen in die
roemischen Heere eingereiht oder zu Leibeigenen gemacht. Auch die Hydra der
Militaerrevolutionen wurde einigermassen gebaendigt; Claudius und nach ihm
Aurelianus waren in anderer Weise Herren im Reich, als dies von Gallienus gesagt
werden kann. Die Erneuerung der Flotte, wozu unter Gallienus ein Anfang gemacht
worden war, wird nicht gefehlt haben. Das traianische Dakien war und blieb
verloren; Aurelianus zog die dort sich noch haltenden Posten heraus und gab den
vertriebenen oder zur Auswanderung geneigten Besitzern neue Wohnstaetten auf dem
moesischen Ufer. Aber Thrakien und Moesien, die eine Zeitlang mehr den Goten als
den Roemern gehoert hatten, kehrten unter roemische Herrschaft zurueck, und
wenigstens die Donaugrenze ward wieder befestigt.
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^28 In unserer Ueberlieferung erscheint dieser Zug als eine reine Seefahrt,
unternommen mit (wahrscheinlich) 2000 Schiffen (so die Biographie des Claudius;
die Zahlen 6000 und 900, zwischen denen die Ueberlieferung bei Zos. hist. 1, 42,
schwankt, sind wohl beide verdorben) und 320000 Menschen. Indes ist es wenig
glaublich dass Dexippus, auf den diese Angaben zurueckgehen muessen die letztere
Ziffer in dieser Weise hat setzen koennen. Andererseits ist bei der Richtung des
Zuges zunaechst gegen Tomis und Markianopolis es mehr als wahrscheinlich, dass
dabei das von Zos. hist. 1, 34 beschriebene Verfahren befolgt ward und ein Teil
zu Lande marschierte, und unter dieser Voraussetzung mochte auch ein Zeitgenosse
die Zahl der Angreifer wohl auf jene Ziffer schaetzen. Auch zeigt der Verlauf
des Feldzugs, namentlich der Ort der Entscheidungsschlacht, dass man es
keineswegs bloss mit einer Flotte zu tun hatte.
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Man wird diesen Goten- und Skythenzuegen zu Lande und zur See, welche die
zwanzig Jahre 250 bis 269 ausfuellen, nicht die Bedeutung beilegen duerfen, dass
die ausschwaermenden Haufen darauf bedacht gewesen waeren, die Landschaften, die
sie betraten, in bleibenden Besitz zu nehmen. Ein solcher Plan ist nicht einmal
fuer Moesien und Thrakien nachweisbar, geschweige denn fuer die entfernteren
Kuesten; schwerlich waren auch die Angreifer zahlreich genug, um eigentliche
Invasionen zu unternehmen. Wie das schlechte Regiment der letzten Herrscher und
vor allem die Unzuverlaessigkeit der Truppen viel mehr als die Uebermacht der
Barbaren die Ueberflutung des Gebietes durch Land- und Seeraeuber hervorriefen,
so zog die Wiederherstellung der inneren Ordnung und das energische Auftreten
der Regierung von selbst die Befreiung desselben nach sich. Noch konnte der
roemische Staat nicht gebrochen werden, wenn er nicht sich selber brach. Immer
aber war es ein grosses Werk, das Regiment so wieder zusammenzunehmen, wie
Claudius es getan hat. Wir wissen noch etwas weniger von ihm, als von den
meisten Regenten dieser Zeit, da die wahrscheinlich fiktive Zurueckfuehrung des
konstantinischen Stammbaumes auf ihn sein Bild nach der platten
Vollkommenheitsschablone uebermalt hat; aber diese Anknuepfung selbst, sowie die
zahllosen nach seinem Tode ihm zu Ehren geschlagenen Muenzen beweisen, dass er
der naechsten Generation als der Retter des Staates galt, und sie wird darin
nicht geirrt haben. Ein Vorspiel der spaeteren Voelkerwanderung sind diese
Skythenzuege allerdings; und die Staedtezerstoerung, welche sie vor den
gewoehnlichen Piratenfahrten auszeichnet, hat damals in einem Umfang
stattgefunden, dass der Wohlstand wie die Bildung Griechenlands und Kleinasiens
sich niemals davon erholt haben.
An der wiederhergestellten Donaugrenze befestigte Aurelianus den
erfochtenen Sieg, indem er die Defensive wiederum offensiv fuehrte und die Donau
an ihrer Muendung ueberschreitend, jenseits derselben sowohl die Carper schlug,
die seitdem zu den Roemern im Schutzverhaeltnis standen, wie auch die Goten
unter ihrem Koenig Canabaudes. Sein Nachfolger Probus nahm, wie schon angegeben
ward, die Ueberreste der von den Goten bedraengten Bastarner herueber auf das
roemische Ufer, ebenso im Jahre 295 Diocletian die Reste der Carper. Dies deutet
darauf hin, dass jenseits des Flusses das Reich der Goten sich konsolidierte;
aber weiter kamen sie auch nicht. Die Grenzbefestigungen wurden verstaerkt;
Gegen-Aquincum (contra Aquincum, Pest) ist im Jahre 294 angelegt worden. Die
Piratenfahrten verschwanden nicht voellig. Unter Tacitus zeigten sich Schwaerme
von der Maeotis in Kilikien. Die Franken, die Probus am Schwarzen Meer
angesiedelt hatte, verschafften sich Fahrzeuge und fuhren heim nach ihrer
Nordsee, nachdem sie unterwegs an der sizilischen und der afrikanischen Kueste
gepluendert hatten. Auch zu Lande ruhten die Waffen nicht, wie denn die
zahlreichen Sarmatensiege Diocletians alle, und ein Teil seiner germanischen,
auf die Donaugegenden fallen werden; aber erst unter Konstantin kam es wieder zu
einem ernsthaften Kriege mit den Goten, der gluecklich verlief. Das Uebergewicht
Roms stand seit Claudius' gotischem Siege wieder so fest wie vorher.
Die eben entwickelte Kriegsgeschichte blieb auf die innere Ordnung des
roemischen Staats- und Heerwesens nicht ohne allgemeine und bleibende
militaerisch-politische Rueckwirkung. Es ist bereits darauf hingewiesen worden,
dass die Rheinheere, in der fruehen Kaiserzeit die fuehrenden in der Armee,
ihren Primat schon unter Traian an die Donaulegionen abgaben. Wenn unter
Augustus sechs Legionen im Donau- und acht im Rheinland standen, so zaehlten
nach den dakischen Kriegen Domitians und Traians im 2. Jahrhundert die
Rheinlager nur vier, die Donaulager zehn, nach dem Markomannischen sogar zwoelf
Legionen. Nachdem seit Hadrian aus der Armee, abgesehen von den Offizieren, das
italische Element verschwunden war und im ganzen genommen jedes Regiment sich in
der Gegend, in welcher es lagerte, auch rekrutierte, waren die meisten Soldaten
der Donauarmee und nicht weniger die aus dem Gliede hervorgegangenen Centurionen
in Pannonien, Dakien, Moesien, Thrakien zu Hause. Auch die neuen, unter Marcus
gebildeten Legionen gingen aus Illyricum hervor, und die ausserordentlichen
Ergaenzungen, deren die Truppen damals bedurften, wurden wahrscheinlich
ebenfalls vorzugsweise aus den Gegenden genommen, in denen die Heere standen.
Also war der Primat der Donauarmeen, den der Dreikaiserkrieg der severischen
Zeit feststellte und steigerte, zugleich ein Primat der illyrischen Soldaten;
und es kam dies bei der Reform der Garde unter Severus zu sehr energischem
Ausdruck. In die hoeheren Kreise des Regiments griff dieser Primat nicht
eigentlich ein, solange die Offizierstellung noch mit der Reichsbeamtenstellung
zusammenfiel, obwohl die ritterliche Laufbahn dem gemeinen Soldaten durch das
Zwischenglied des Centurionats zu allen Zeiten zugaenglich war und also die
Illyriker auch in jene schon frueh eindrangen, wie denn bereits im Jahre 235 ein
geborener Thraker, Gaius Iulius Verus Maximinus, im Jahre 248 ein geborener
Pannonier, Traianus Decius, auf diesem Wege sogar zum Purpur gelangt sind. Aber
als dann Gallienus in allerdings nur zu gerechtfertigtem Misstrauen die
Rangklasse der Senatoren von dem Offizierdienst ausschloss, erstreckte sich
notwendigerweise, was bisher von den Soldaten galt, auch auf die Offiziere. Es
ist also nur in der Ordnung, dass die der Donauarmee angehoerigen, meistens aus
den illyrischen Gegenden herstammenden Soldaten seitdem auch im Regiment die
erste Rolle spielen und, soweit die Armee die Kaiser machte, diese ebenfalls der
Mehrzahl nach Illyriker sind. Also folgen auf Gallienus der Dardaner Claudius,
Aurelianus aus Moesien, Probus aus Pannonien, Diocletianus aus Dalmatien,
Maximianus aus Pannonien, Constantius aus Dardanien, Galerius aus Serdica; von
den letztgenannten hebt ein unter der konstantinischen Dynastie schreibender
Schriftsteller die Herkunft aus Illyricum hervor und fuegt hinzu, dass sie mit
wenig Bildung, aber guter Vorschulung durch Feldarbeit und Kriegsdienst
treffliche Herrscher gewesen seien. Was die Albanesen lange Zeit dem Tuerkischen
Reich gewesen sind, das haben ihre Vorfahren dem roemischen Kaiserstaat, als
dieser bei aehnlicher Zerruettung und aehnlicher Barbarei angelangt war, in
gleicher Weise geleistet. Nur darf die illyrische Regeneration des roemischen
Kaisertums nicht etwa als eine nationale Reorganisation aufgefasst werden; es
war lediglich die soldatische Stuetzung eines durch das Missregiment vornehm
geborener Herrscher voellig herabgekommenen Reiches. Die Demilitarisierung
Italiens war vollstaendig geworden, und Herrscherrecht ohne kriegerische Kraft
erkennt die Geschichte nicht an.
7. Kapitel
Das griechische Europa
Mit der allgemeinen geistigen Entwicklung der Hellenen hatte die politische
ihrer Republiken sich nicht im Gleichgewicht gehalten, oder vielmehr die
Ueberschwenglichkeit jener hatte, wie die allzu volle Bluete den Kelch sprengt,
keinem einzelnen Gemeinwesen verstattet, diejenige Ausdehnung und Stetigkeit zu
gewinnen, welche fuer die staatliche Ausgestaltung vorbedingend ist. Die
Kleinstaaterei der einzelnen Staedte oder Staedtebuende musste in sich
verkuemmern oder den Barbaren verfallen; nur der Panhellenismus verbuergte, wie
den Fortbestand der Nation, so ihre Weiterentwicklung gegenueber den
stammfremden Umwohnern. Er ward verwirklicht durch den Vertrag, den Koenig
Philipp von Makedonien, der Vater Alexanders, in Korinth mit den Staaten von
Hellas abschloss. Es war dies dem Namen nach ein Bundesvertrag, in der Tat die
Unterwerfung der Republiken unter die Monarchie, aber eine Unterwerfung, welche
nur dem Ausland gegenueber sich vollzog, indem die unumschraenkte
Feldherrnschaft gegen den Nationalfeind von fast allen Staedten des griechischen
Festlandes dem makedonischen Feldherrn uebertragen, sonst ihnen die Freiheit und
die Autonomie gelassen ward, und es war, wie die Verhaeltnisse lagen, dies die
einzig moegliche Realisierung des Panhellenismus und die im wesentlichen fuer
die Zukunft Griechenlands massgebende Form. Philipp und Alexander gegenueber hat
sie Bestand gehabt, wenn auch die hellenischen Idealisten wie immer das
realisierte Ideal als solches anzuerkennen sich straeubten. Als dann Alexanders
Reich zerfiel, war es wie mit dem Panhellenismus selbst, so auch mit der
Einigung der griechischen Staedte unter der monarchischen Vormacht vorbei und
rieben diese in Jahrhunderten ziellosen Ringens ihre letzte geistige und
materielle Macht auf, hin- und hergezogen zwischen der wechselnden Herrschaft
der uebermaechtigen Monarchien und vergeblichen Versuchen, unter dem Schutz des
Haders derselben den alten Partikularismus zu restaurieren.
Als dann die maechtige Republik des Westens in den bisher einigermassen
gleichgewogenen Kampf der Monarchien des Ostens eintrat und bald sich maechtiger
als jeder der dort miteinander ringenden griechischen Staaten erwies, erneuerte
sich mit der festen Vormachtstellung auch die panhellenische Politik. Hellenen
im vollen Sinn des Worts waren weder die Makedonier noch die Roemer; es ist nun
einmal der tragische Zug der griechischen Entwicklung, dass das attische
Seereich mehr eine Hoffnung als eine Wirklichkeit war und das Einigungswerk
nicht aus dem eigenen Schoss der Nation hat hervorgehen duerfen. Wenn in
nationaler Hinsicht die Makedonier den Griechen naeher standen als die Roemer,
so war das Gemeinwasen Roms den hellenischen politisch bei weitem mehr
wahlverwandt als das makedonische Erbkoenigtum. Was aber die Hauptsache ist, die
Anziehungskraft des griechischen Wesens ward von den roemischen Buergern
wahrscheinlich nachhaltiger und tiefer empfunden als von den Staatsmaennern
Makedoniens, eben weil jene ihm ferner standen als diese. Das Begehren, sich
wenigstens innerlich zu hellenisieren, der Sitte und der Bildung, der Kunst und
der Wissenschaft von Hellas teilhaftig zu werden, auf den Spuren des grossen
Makedoniers Schild und Schwert der Griechen des Ostens sein und diesen Osten
nicht italisch, sondern hellenistisch weiter zivilisieren zu duerfen, dieses
Verlangen durchdringt die spaeteren Jahrhunderte der roemischen Republik und die
bessere Kaiserzeit mit einer Macht und einer Idealitaet, welche fast nicht
minder tragisch ist als jenes nicht zum Ziel gelangende politische Muehen der
Hellenen. Denn auf beiden Seiten wird Unmoegliches erstrebt: dem hellenischen
Panhellenismus ist die Dauer versagt und dem roemischen Hellenismus der
Vollgehalt. Indes hat er darum nicht weniger die Politik der roemischen Republik
wie die der Kaiser wesentlich bestimmt. Wie sehr auch die Griechen, namentlich
im letzten Jahrhundert der Republik, den Roemern es bewiesen, dass ihre
Liebesmuehe eine verlorene war, es hat dies weder an der Muehe noch an der Liebe
etwas geaendert.
Die Griechen Europas waren von der roemischen Republik zu einer einzigen,
nach dem Hauptlande Makedonien benannten Statthalterschaft zusammengefasst
worden. Wenn diese mit dem Beginn der Kaiserzeit administrativ aufgeloest ward,
so wurde damals gleichzeitig dem gesamten griechischen Harnen eine religioese
Gemeinschaft verliehen, die sich anschloss an die alte, des Gottesfriedens wegen
eingefuehrte und dann zu politischen Zwecken missbrauchte Delphische
Amphiktyonie. Unter der roemischen Republik war dieselbe im wesentlichen auf die
urspruenglichen Grundlagen zurueckgefuehrt worden: Makedonien sowohl wie
Aetolien, die sich beide usurpatorisch eingedraengt hatten, wurden wieder
ausgeschieden und die Amphiktyonie umfasste abermals nicht alle, aber die
meisten Voelkerschaften Thessaliens und des eigentlichen Griechenlands. Augustus
veranlasste die Erstreckung des Bundes auf Epirus und Makedonien und machte ihn
dadurch im wesentlichen zum Vertreter des hellenischen Landes in dem weiteren,
dieser Epoche allein angemessenen Sinne. Eine bevorzugte Stellung nahmen in
diesem Verein neben dem altheiligen Delphi die beiden Staedte Athen und
Nikopolis ein, jene die Kapitale des alten, diese nach Augustus' Absicht die des
neuen kaiserlichen Hellenentums ^1. Diese neue Amphiktyonie hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit der Landesversammlung der drei Gallien; in aehnlicher Weise wie
fuer diese der Kaiseraltar bei Lyon war der Tempel des pythischen Apollon der
religioese Mittelpunkt der griechischen Provinzen. Indes waehrend jenem daneben
eine geradezu politische Wirksamkeit zugestanden hat, so besorgten die
Amphiktyonen dieser Epoche ausser der eigentlich religioesen Feier lediglich die
Verwaltung des delphischen Heiligtums und seiner immer noch betraechtlichen
Einkuenfte ^2. Wenn ihr Vorsteher sich in spaeterer Zeit die "Helladarchie"
zuschreibt, so ist diese Herrschaft ueber Griechenland lediglich ein idealer
Begriff. ^3 Immer aber bleibt die offizielle Konservierung der griechischen
Nationalitaet ein Kennzeichen der Haltung, welche das neue Kaisertum gegen
dieselbe einnimmt, und seines den republikanischen weit ueberbietenden
Philhellenismus.
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^1 Die Ordnung der Delphischen Amphiktyonie unter der roemischen Republik
erhellt namentlich aus der delphischen Inschrift CIL III, p. 987 (vgl. BCH
7,1883, S. 427f.). Den Verein bildeten damals siebzehn Voelkerschaften mit
zusammen 24 Stimmen, saemtlich dem eigentlichen Griechenland oder Thessalien
angehoerig; Aetolien, Epirus, Makedonien fehlen. Nach der Umgestaltung durch
Augustus (Paus. 10, 8) blieb diese Organisation im uebrigen bestehen, nur dass
durch Beschraenkung der unverhaeltnismaessig zahlreichen thessalischen die
Stimmen der bisher vertretenen Voelkerschaften auf achtzehn herabgemindert
wurden; dazu traten neu Nikopolis in Epirus mit sechs und Makedonien ebenfalls
mit sechs Stimmen. Ferner sollten die sechs Stimmen von Nikopolis ein fuer
allemal gefuehrt werden, ebenso wie dies blieb fuer die zwei von Delphi und die
eine von Athen, die uebrigen Stimmen dagegen von den Verbaenden, so dass zum
Beispiel die eine Stimme der peloponnesischen Dorier wechselte zwischen Argos,
Sikyon, Korinth und Megara. Eine Gesamtvertretung der europaeischen Hellenen
waren die Amphiktyonen insofern auch jetzt nicht, als die frueher
ausgeschlossenen Voelkerschaften im eigentlichen Griechenland, ein Teil der
Peloponnesier und die nicht zu Nikopolis gezogenen Aetoler, darin nicht
repraesentiert waren.
^2 Die stehenden Zusammenkuenfte in Delphi und an den Thermopylen waehrten
fort (Paus. 7, 24, 3; Vita Apoll. 4, 23) und natuerlich auch die Ausrichtung der
Pythischen Spiele nebst der Erteilung der Preise durch das Kollegium der
Amphiktyonen (vit. soph. 2, 27); dasselbe hat die Verwaltung der "Zinsen und
Einkuenfte" des Tempels (Inschrift von Delphi, Rheinisches Museum, N. F. 2,
1843, S. 111) und legt aus denselben, zum Beispiel in Delphi, eine Bibliothek an
(Lebas-Foucart II, S. 845) oder setzt daselbst Bildsaeulen.
^3 Die Mitglieder des Kollegiums der Ampsiktiones oder, wie sie in dieser
Epoche heissen, Ampsikt?ones, werden von den einzelnen Staedten in der frueher
bezeichneten Weise bald von Fall zu Fall (Iteration: CIG 1085), bald auf
Lebenszeit (Plut. an seni 20) bestellt; was wohl davon abhaengt, ob die Stimme
staendig war oder alternierend (Wilamowitz). Ihr Vorsteher heisst in frueherer
Zeit epimel/e/t/e/s to? koino? t/o/n Ampsiktyon/o/n (Inschriften von Delphi,
Rheinisches Museum, N. F. 2, 1843, S. 111; CIG 1713), spaeter Elladarch/e/s
t/o/n Ampsiktyon/o/n (CIG 1124).
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Hand in Hand mit der sakralen Einigung der europaeischen Griechen ging die
administrative Aufloesung der griechisch-makedonischen Statthalterschaft der
Republik. An der Teilung der Reichsverwaltung unter Kaiser und Senat hing sie
nicht, da dieses gesamte Gebiet und nicht minder die vorliegenden
Donaulandschaften bei der urspruenglichen Teilung dem Senat zugewiesen wurden;
ebensowenig haben militaerische Ruecksichten hier eingegriffen, da die ganze
Halbinsel bis hinauf zur thrakischen Grenze, als gedeckt teils durch diese
Landschaft, teils durch die Besatzungen an der Donau, immer dem befriedeten
Binnenlande zugerechnet worden ist. Wenn der Peloponnes und das attisch-
boeotische Festland damals seinen eigenen Prokonsul erhielt und von Makedonien
getrennt ward, was wohl schon Caesar beabsichtigt haben mag, so war dabei, neben
der allgemeinen Tendenz, die senatorischen Statthalterschaften nicht zu gross zu
nehmen, vermutlich die Ruecksicht massgebend, das rein hellenische Gebiet von
dem halb hellenischen zu scheiden. Die Grenze der Provinz Achaia war anfaenglich
der Oeta, und auch nachdem die Aetoler spaeter dazu gelegt worden ^4, ist sie
nicht hinausgegangen ueber den Acheloos und die Thermopylen.
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^4 Die urspruenglichen Grenzen der Provinz bezeichnet Strabon (17, 3, 25 p.
840) in der Aufzaehlung der senatorischen Provinzen: Achaia mechri THettalias
kai Ait/o/l/o/n kai Akarnan/o/n kai tin/o/n /E/peir/o/tik/o/n ethn/o/n osa t/e/
Makedonia pros/o/risto, wobei der uebrige Teil von Epirus der (von Strabon hier,
fuer seine Zeit irrig, den senatorischen zugezaehlten) Provinz Illyricum
zugeteilt zu werden scheint. Mechri einschliessend zu nehmen geht, von
sachlichen Erwaegungen abgesehen, schon deswegen nicht an, weil nach den
Schlussworten die vorher genannten Gebiete "Makedonien zugeteilt sind".
Spaeterhin finden wir die Aetoler zu Achaia gelegt (Ptol. geogr. 3, 14). Dass
Epirus eine Zeitlang auch dazu gehoert hat, ist moeglich, nicht so sehr wegen
der Angabe bei Dio 53, 12, die weder fuer Augustus' Zeit noch fuer diejenige
Dios verteidigt werden kann, sondern weil Tacitus zum Jahre 17 (ann. 2, 53)
Nikopolis zu Achaia rechnet. Aber wenigstens seit Traian bildet Epirus mit
Akarnanien eine eigene prokuratorische Provinz (Ptol. geogr. 3, 13; CIL III,
536; Marquardt, Roemische Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 331). Thessalien und alles
Land noerdlich vom Oeta ist stets bei Makedonien geblieben.
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Diese Ordnungen betrafen die Landschaft im ganzen. Wir wenden uns zu der
Stellung, welche den einzelnen Stadtgemeinden unter der roemischen Herrschaft
gegeben ward.
Die urspruengliche Absicht der Roemer, die Gesamtheit der griechischer.
Stadtgemeinden in aehnlicher Weise an das eigene Gemeinwesen anzuschliessen, wie
dies mit den italischen geschehen war, hatte infolge des Widerstandes, auf den
diese Einrichtungen trafen, insbesondere infolge der Auflehnung des Achaeischen
Bundes im Jahre 608 (146) und des Abfalls der meisten Griechenstaedte zu Koenig
Mithradates im Jahre 666 (88) wesentliche Einschraenkungen erfahren. Die
Staedtebuende, das Fundament aller Machtentwicklung in Hellas wie in Italien,
und von den Roemern anfaenglich akzeptiert, waren saemtlich, namentlich der
wichtigste der Peloponnesier oder, wie er sich nannte, der Achaeer, aufgeloest
und die einzelnen Staedte angehalten worden, ihr Gemeinwesen fuer sich zu
ordnen. Es wurden ferner fuer die einzelnen Gemeindeverfassungen von der
Vormacht gewisse allgemeine Normen aufgestellt und nach diesem Schema dieselben
in antidemokratischer Tendenz reorganisiert. Nur innerhalb dieser Schranken
blieb der einzelnen Gemeinde die Autonomie und die eigene Magistratur. Es
blieben ihr auch die eigenen Gerichte; aber daneben stand der Grieche von Rechts
wegen unter den Ruten und Beilen des Praetors, und wenigstens konnte wegen eines
jeden Vergehens, das als Auflehnung gegen die Vormacht sich betrachten liess,
von den roemischen Beamten auf Geldbusse oder Ausweisung oder auch Lebensstrafe
erkannt werden ^5. Die Gemeinden besteuern sich selbst; aber sie hatten
durchgaengig eine bestimmte, im ganzen, wie es scheint, nicht hoch gegriffene
Summe nach Rom zu entrichten. Besatzungen wurden nicht so, wie einst in
makedonischer Zeit, in die Staedte gelegt, da die in Makedonien stehenden
Truppen noetigenfalls in der Lage waren, auch in Griechenland einzuschreiten.
Aber schwerer als die Zerstoerung Thebens auf dem Andenken Alexanders, lastet
auf der roemischen Aristokratie die Schleifung Korinths. Die uebrigen
Massregeln, wie gehaessig und erbitternd sie auch teilweise waren, namentlich
als von der Fremdherrschaft oktroyiert, mochten im ganzen genommen unvermeidlich
sein und vielfach heilsam wirken; sie waren die unvermeidliche Palinodie der
urspruenglichen, zum Teil recht unpolitischen roemischen Politik des Verzeihens
und Verziehens gegenueber den Hellenen. Aber in der Behandlung Korinths hatte
sich der kaufmaennische Egoismus in unheimlicher Weise maechtiger erwiesen als
alles Philhellenentum.
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^5 Nichts gibt von der Lage der Griechen des letzten Jahrhunderts der
roemischen Republik ein deutlicheres Bild als das Schreiben eines dieser
Statthalter an die achaeische Gemeinde Dyme (CIG 1543). Weil diese Gemeinde sich
Gesetze gegeben hat, welche der im allgemeinen den Griechen geschenkten Freiheit
(/e/ apodedomen/e/ kata koinon tois 'Ell/e/sin eleytheria) und der von den
Roemern den Achaeern gegebenen Ordnung (/e/ apodeytheisa tois Achaiois ypo
R/o/mai/o/n politeia; wahrscheinlich unter Mitwirkung des Polybios Paus. 8, 30,
9) zuwiderliefen, worueber es allerdings auch zu Auflaeufen gekommen war, zeigt
der Statthalter der Gemeinde an, dass er die beiden Raedelsfuehrer habe
hinrichten, lassen und ein minder schuldiger Dritter nach Rom exiliert sei.
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Bei allem dem war der Grundgedanke der roemischen Politik, die griechischen
Staedte dem italischen Staedtebund anzugliedern, nie vergessen worden; gleich
wie Alexander niemals Griechenland hat beherrschen wollen wie Illyrien und
Aegypten, so haben auch seine roemischen Nachfolger das Untertanenverhaeltnis
nie vollstaendig auf Griechenland angewandt und schon in republikanischer Zeit
von dem strengen Recht des den Roemern aufgezwungenen Krieges wesentlich
nachgelassen. Insbesondere geschah dies gegenueber Athen. Keine griechische
Stadt hat vom Standpunkt der roemischen Politik aus so schwer gegen Rom gefehlt
wie diese; ihr Verhalten im Mithradatischen Kriege haette bei jedem anderen
Gemeinwesen unvermeidlich die Schleifung herbeigefuehrt. Aber vom
philhellenischen Standpunkt aus freilich war Athen das Meisterstueck der Weit,
und es knuepften sich an dasselbe fuer die vornehme Welt des Auslandes aehnliche
Neigungen und Erinnerungen wie fuer unsere gebildeten Kreise an Pforta und an
Bonn; dies ueberwog damals wie frueher. Athen hat nie unter den Beilen des
roemischen Statthalters gestanden und niemals nach Rom gesteuert, hat immer mit
Rom beschworenes Buendnis gehabt und nur ausserordentlicher und, wenigstens der
Form nach, freiwilliger Weise den Roemern Beihilfe gewaehrt. Die Kapitulation
nach der Sullanischen Belagerung fuehrte wohl eine Aenderung der
Gemeindeverfassung herbei, aber das Buendnis ward erneuert, ja sogar alle
auswaertigen Besitzungen zurueckgegeben; selbst die Insel Delos, welche, als
Athen zu Mithradates uebertrat, sich losgemacht und als selbstaendiges
Gemeinwesen konstituiert hatte und zur Strafe fuer ihre Treue gegen Rom von der
pontischen Flotte ausgeraubt und zerstoert worden war ^6.
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^6 Die delischen Ausgrabungen der letzten Jahre haben die Beweise
geliefert, dass die Insel, nachdem die Roemer sie einmal an Athen gegeben
hatten, bestaendig athenisch geblieben ist und sich zwar infolge des Abfalls der
Athener von Rom als Gemeinde der "Delier" konstituierte (Eph, epigr. V, p. 604),
aber schon sechs Jahre nach der Kapitulation Athens wieder athenisch war (Ep h.
epigr. V, n. 184; Homolle im BCH 8, 1884, S. 142).
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Mit aehnlicher Ruecksicht, und wohl auch zum guten Teil seines grossen
Namens wegen, ist Sparta behandelt worden. Auch einige andere Staedte der
spaeter zu nennenden befreiten Gemeinden hatten diese Stellung bereits unter der
Republik. Wohl kamen dergleichen Ausnahmen in jeder roemischen Provinz vor; aber
dem griechischen Gebiet ist dies von Haus aus eigen, dass eben die beiden
namhaftesten Staedte desselben ausserhalb des Untertanenverhaeltnisses standen
und dieses demnach nur die geringeren Gemeinwesen traf.
Auch fuer die untertaenigen Griechenstaedte traten schon unter der Republik
Milderungen ein. Die anfaenglich untersagten Staedtebuende lebten allmaehlich
wieder auf, insbesondere die kleineren und machtlosen, wie der boeotische, sehr
bald ^7; mit der Gewoehnung an die Fremdherrschaft schwanden die oppositionellen
Tendenzen, welche ihre Aufhebung herbeigefuehrt hatten, und ihre enge
Verknuepfung mit dem sorgfaeltig geschonten, althergebrachten Kultus wird ihnen
weiter zugute gekommen sein, wie denn schon bemerkt worden ist, dass die
roemische Republik die Amphiktyonie in ihren urspruenglichen nicht politischen
Funktionen wiederherstellte und schuetzte. Gegen das Ende der republikanischen
Zeit scheint die Regierung den Boeotern sogar gestattet zu haben, mit den
kleinen noerdlich angrenzenden Landschaften und der Insel Euboea eine
Gesamtverbindung einzugehen ^8.
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^7 Ob das koinon t/o/n Achai/o/n, das in der eigentlich republikanischen
Zeit natuerlicherweise nicht vorkommt, schon am Ende derselben oder erst nach
Einfuehrung der kaiserlichen Provinzialordnung rekonstruiert worden ist, ist
zweifelhaft. Inschriften wie die olympische des Proquaestors Q. Ancharius Q. f.
(Archaeologische Zeitung 36, 1878, S. 38, n. 114) sprechen mehr fuer die erstere
Annahme; doch kann sie nicht mit Gewissheit als voraugustisch bezeichnet werden.
Das aelteste sichere Zeugnis fuer die Existenz dieser Vereinigung ist die von
ihr dem Augustus in Olympia gesetzte Inschrift (Archaeologische Zeitung 35,
1877, S. 36, n. 33). Vielleicht sind dies Ordnungen des Diktators Caesar und im
Zusammenhang mit dem unter ihm begegnenden Statthalter "Griechenlands",
wahrscheinlich des Achaia der Kaiserzeit (Cic. ad fam. 6, 6, 10).
Uebrigens haben sicher auch unter der Republik, nach Ermessen des
jedesmaligen Statthalters, mehrere Gemeinden fuer einen bestimmten Gegenstand
durch Deputierte zusammentreten und Beschluesse fassen koennen; wie das koinon
der Sikelioten also dem Verres eine Statue dekretierte (Cic. Verr. 1, 2, 46,
114), wird aehnliches auch in Griechenland unter der Republik vorgekommen sein.
Aber die regelmaessigen provinzialen Landtage mit ihren festen Beamten und
Priestern sind eine Einrichtung der Kaiserzeit.
^8 Dies ist das koinon Boi/o/t/o/n Eyboe/o/n Lokr/o/n PH/o/ke/o/n
D/o/rie/o/n merkwuerdigen, wahrscheinlich kurz vor der Attischen Schlacht
gesetzten Inschrift CIA III, 568. Unmoeglich kann mit Dittenberger
(Archaeologische Zeitung 34, 1876, S. 220) auf diesen Bund die Meldung des
Pausanias (7, 16, 10) bezogen werden, dass die Roemer "nicht viele Jahre" nach
der Zerstoerung Korinths sich der Hellenen erbarmt und ihnen die
landschaftlichen Vereinigungen (synedria kata ethnos ekastois) wieder gestattet
haetten; dies geht auf die kleineren Einzelbuende.
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Den Schlussstein der republikanischen Epoche macht die Suehnung der
Schleifung Korinths durch den groessten aller Roemer und aller Philhellenen, den
Diktatar Caesar, und die Erneuerung des Sternes von Hellas in der Form einer
selbstaendigen Gemeinde roemischer Buerger, der neuen "julischen Ehre".
Diese Verhaeltnisse fand das eintretende Kaiserregiment in Griechenland
vor, und diese Wege ist es weiter gegangen. Die von dem unmittelbaren Eingreifen
der Provinzialregierung und von der Steuerzahlung an das Reich befreiten
Gemeinden, denen die Kolonien der roemischen Buerger in vieler Hinsicht
gleichstehen, begreifen weitaus den groessten und besten Teil der Provinz
Achaia: im Peloponnes Sparta, mit seinem zwar geschmaelerten, aber doch jetzt
wieder die noerdliche Haelfte Lakoniens umfassenden Gebiet ^9, immer noch das
Gegenbild Athens, sowohl in den versteinerten altfraenkischen Institutionen wie
in der wenigstens aeusserlich bewahrten Ordnung und Haltung; ferner die achtzehn
Gemeinden der freien Lakonen, die suedliche Haelfte der lakonischen Landschaft,
einst spartanische Untertanen, nach dem Kriege gegen Nabis von den Roemern als
selbstaendiger Staedtebund organisiert und von Augustus gleich Sparta mit der
Freiheit beliehen ^10; endlich in der Landschaft der Achaeer ausser Dyme, das
schon von Pompeius mit Piratenkolonisten belegt worden war und dann durch Caesar
neue roemische Ansiedler empfangen hatte ^11, vor allem Patrae, aus einem
herabgekommenen Flecken von Augustus, seiner fuer den Handel guenstigen Lage
wegen, teils durch Zusammenziehung der umliegenden kleinen Ortschaften, teils
durch Ansiedelung zahlreicher italischer Veteranen zu der volkreichsten und
bluehendsten Stadt der Halbinsel umgeschaffen und als roemische Buergerkolonie
konstituiert, unter die auch auf der gegenueberliegenden lokrischen Kueste
Naupaktos (italienisch Lepanto) gelegt ward. Auf dem Isthmos war Korinth, wie es
einst das Opfer der Gunst seiner Lage geworden war, so jetzt nach seiner
Wiederherstellung, aehnlich wie Karthago, rasch emporgekommen und die gewerb-
und volkreichste Stadt Griechenlands, ueberdies der regelmaessige Sitz der
Regierung. Wie die Korinther die ersten Griechen gewesen waren, welche die
Roemer als Landsleute anerkannt hatten durch Zulassung zu den Isthmischen
Spielen, so leitete dieselbe Stadt jetzt, obgleich roemische Buergergemeinde,
dieses hohe griechische Nationalfest. Auf dem Festlande gehoerten zu den
befreiten Distrikten nicht bloss Athen mit seinem ganz Attika und zahlreiche
Inseln des Aegaeischen Meeres umfassenden Gebiet, sondern auch Tanagra und
Thespiae, damals die beiden ansehnlichsten Staedte der boeotischen Landschaft,
ferner Plataeae ^12; in Phokis Delphi, Abae, Elateia, sowie die ansehnlichste
der lokrischen Staedte, Amphissa. Was die Republik begonnen hatte, das
vollendete Augustus in der eben dargelegten, wenigstens in den Hauptzuegen von
ihm festgestellten und auch spaeter im wesentlichen festgehaltenen Ordnung.
Wenngleich die dem Prokonsul unterworfenen Gemeinden der Provinz der Zahl nach
gewiss und vielleicht auch nach der Gesamtbevoelkerung ueberwogen, so sind in
echt philhellenischem Geiste die durch materielle Bedeutung oder durch grosse
Erinnerungen ausgezeichnetsten Staedte Griechenlands befreite ^13.
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^9 Dazu gehoerte nicht bloss das nahe Amyklae, sondern auch Kardmyle (durch
Schenkung Augusts, Paus. 3, 26, 7), Pherae (Paus. 4, 30, 2), Thuria (das. 4, 31,
1) und eine Zeitlang auch Korone (CIG 1258; vgl. Lebas-Foucart II, S. 305) am
Messenischen Busen, ferner die Insel Kythera (Dio 54, 7).
^10 In republikanischer Zeit erscheint dieser Distrikt als to koinon t/o/n
Lakedaimoni/o/n (Lebas-Foucart II, S. 110); Pausanias (3, 21, 6) irrt also, wenn
er ihn erst durch Augustus von Sparta loesen laesst. Aber Eleytherolakones
nennen sie sich erst seit Augustus, und die Erteilung der Freiheit wird also mit
Recht auf diesen zurueckgefuehrt.
^11 Es gibt Muenzen dieser Stadt mit der Aufschrift c(olonia) I(ulia)
D(ume)und dem Kopf Caesars, andere mit der Aufschrift c(olonia) I(ulia)
A(ugusta) Du m(e) und dem Kopf Augusts neben dem des Tiberius (F. Imhoof-Blumer,
Monnaies Grecques. Leipzig 1883, S. 165). Dass Augustus Dyme der Kolonie Patrae
zugeteilt hat, ist wohl ein Irrtum des Pausanias (7,17, 5); moeglich bleibt es
freilich, dass Augustus in seinen spaeteren Jahren diese Vereinigung verfuegt
hat.
^12 Dies zeigt, wenigstens fuer die Zeit des Pius, die afrikanische
Inschrift CIL VIII, 7059 (vgl. Plut. Arist. 21). Die Schriftstellernachrichten
ueber die befreiten Gemeinden geben ueberhaupt keine Gewaehr fuer die
Vollstaendigkeit der Liste. Wahrscheinlich gehoert zu denselben auch Elis, das
von der Katastrophe der Achaeer nicht betroffen ward und auch spaeter noch nach
Olympiaden, nicht nach der Aera der Provinz datierte; ueberdies ist es
unglaublich, dass die Stadt der olympischen Feier nicht bestes Recht gehabt hat.
^13 Scharf drueckt dies Aristeides aus in der Lobrede auf Rom (or. p. 224
Jebb): diateleite t/o/n men Ell/e/n/o/n /o/sper trophe/o/n epimelomenoi ... to?s
men aristoys kai palai /e/gemonas (Athen und Sparta) eleytheroys kai aytonomoys
apheikotes ayt/o/n, t/o/n d'all/o/n metri/o/s ... ex/e/go?menoi, to?s de
barbaroys pros t/e/n ekastois ayt/o/n o?san ph?sin paid?ontes.
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Weiter, als in dieser Richtung Augustus gegangen war, ging der letzte
Kaiser des Claudischen Hauses, einer vom Schlage der verdorbenen Poeten und
insofern allerdings ein geborener Philhellene. Zum Dank fuer die Anerkennung,
die seine kuenstlerischen Leistungen in dem Heimatlande der Musen gefunden
hatten, sprach Nero, wie einst Titus Flamininus und wieder in Korinth bei den
Isthmischen Spielen, die saemtlichen Griechen des roemischen Regiments ledig,
frei von Tributen und gleich den Italikern keinem Statthalter untertan. Sofort
entstanden in ganz Griechenland Bewegungen, welche Buergerkriege gewesen sein
wuerden, wenn diese Leute mehr haetten fertig bringen koennen als Schlaegereien;
und nach wenigen Monaten stellte Vespasian mit der trockenen Bemerkung, dass die
Griechen verlernt haetten, frei zu sein, die Provinzialverfassung wieder her
^14, so weit sie reichte.
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^14 Aber dankbar blieben die hellenischen Literaten ihrem Kollegen und
Patron. In dem Apolloniusroman schlaegt der grosse Weise aus Kappadokien
Vespasian die Ehre seiner Begleitung ab, weil er die Hellenen zu Sklaven gemacht
habe, wie sie eben im Begriff waren, wieder ionisch und dorisch zu reden, und
schreibt ihm verschiedene Billets von ergoetzlicher Grobheit. Ein Mann aus
Soloi, der den Hals brach und dann wieder auflebte und bei dieser Gelegenheit
alles sah, was Dante schaute, berichtete, dass er Neros Seele getroffen habe, in
welche die Arbeiter des Weltgerichts Flammennaegel getrieben hatten und
beschaeftigt waren sie in eine Natter umzugestalten; allein eine himmlische
Stimme habe Einspruch getan und geboten, den Mann wegen seines irdischen
Philhellenismus in eine minder abscheuliche Bestie zu verwandeln (Plut. de Sera
num. vind. a. E.).
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Die Rechtsstellung der befreiten Gemeinden blieb im wesentlichen dieselbe
wie unter der Republik. Soweit nicht roemische Buerger in Frage kamen, behielten
sie die volle Justizhoheit; nur scheinen die allgemeinen Bestimmungen ueber die
Appellationen an den Kaiser einer- und die Senatsbehoerden andererseits auch die
freien Staedte eingeschlossen zu haben ^15. Vor allem behielten sie die volle
Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Athen zum Beispiel hat in der Kaiserzeit
das Praegerecht geuebt, ohne je einen Kaiserkopf auf seine Muenzen zu setzen,
und auch auf spartanischen Muenzen der ersten Kaiserzeit fehlt derselbe haeufig.
In Athen blieb auch die alte Rechnung nach Drachmen und Obolen, nur dass
freilich die oertliche attische Drachme dieser Zeit nichts als lokale
Scheidemuenze war und dem Wert nach als Obol der attischen Reichsdrachme oder
des roemischen Denars kursierte. Selbst die formale Ausuebung des Rechts ueber
Krieg und Frieden war in einzelnen Vertraegen dergleichen Staaten gewahrt ^16.
Zahlreiche der italischen Gemeindeordnung voellig widerstreitende Institutionen
blieben bestehen, wie der jaehrliche Wechsel der Ratsmitglieder und die
Tagegelder dieser und der Geschworenen, welche, wenigstens in Rhodos, noch in
der Kaiserzeit gezahlt worden sind. Selbstverstaendlich uebte die roemische
Regierung nichtsdestoweniger auf die Konstituierung auch der befreiten Gemeinden
fortwaehrend einen massgebenden Einfluss. So ist zum Beispiel die athenische
Verfassung, sei es am Ausgang der Republik, sei es durch Caesar oder Augustus,
in der Weise modifiziert worden, dass nicht mehr jedem Buerger, sondern, wie
nach roemischer Ordnung, nur bestimmten Beamten das Recht zustand, einen Antrag
an die Buergerschaft zu bringen; und unter der grossen Zahl der bloss
figurierenden Beamten wurde einem einzigen, dem Strategen, die Geschaeftsleitung
in die Hand gelegt. Sicher sind auf diesem Wege noch mancherlei weitere Reformen
durchgefuehrt worden, deren Eintreten in dem abhaengigen wie unabhaengigen
Griechenland wir ueberall erkennen, ohne dass Zeit und Anlass der Reform sich
bestimmen laesst. So ist das Recht oder vielmehr das Unrecht der Asyle, welche
als Ueberreste einer rechtlosen Zeit jetzt fromme Schlupfwinkel fuer schlechte
Schuldner und Verbrecher geworden waren, gewiss auch in dieser Provinz wenn
nicht beseitigt, so doch eingeschraenkt worden. Das Institut der Proxenie,
urspruenglich eine unseren auslaendischen Konsulaten vergleichbare zweckmaessige
Einrichtung, aber durch die Verleihung voller buergerlicher Rechte und oft auch
noch des Privilegiums der Steuerfreiheit an den befreundeten Auslaender,
besonders bei der Ausdehnung, in der es gewaehrt ward, politisch bedenklich, ist
durch die roemische Regierung, wie es scheint erst im Anfang der Kaiserzeit,
beseitigt worden; wofuer dann nach italischer Weise das mit dem Steuerwesen sich
nicht beruehrende inhaltlose Stadtpatronat an die Stelle trat. Endlich hat die
roemische Regierung, als Inhaberin der obersten Souveraenitaet ueber diese
abhaengigen Republiken ebenso wie ueber die Klientelfuersten, immer es als ihr
Recht betrachtet und geuebt, die freie Verfassung im Fall des Missbrauchs
aufzuheben und die Stadt in eigene Verwaltung zu nehmen. Indes teils der
beschworene Vertrag, teils die Machtlosigkeit dieser nominell verbuendeten
Staaten hat diesen Vertraegen eine groessere Stabilitaet gegeben, als sie in dem
Verhaeltnis zu den Klientelfuersten wahrgenommen wird.
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^15 Wenigstens wird in der Verordnung Hadrians ueber die den athenischen
Grundbesitzern obliegenden Oellieferungen an die Gemeinde (CIA III, 18) die
Entscheidung zwar der Bule und der Ekklesia gegeben, aber Appellation an den
Kaiser oder den Prokonsul gestattet.
^16 Was Strabon (14, 3, 3, p. 665) von dem zu seiner Zeit autonomen
Lykischen Staedtebund berichtet, dass ihm das Kriegs- und Friedens- und das
Buendnisrecht fehle, ausser wenn die Roemer dasselbe gestatten oder es zu ihrem
Nutzen geschieht, wird ohne weiteres auch auf Athen bezogen werden duerfen.
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Wenn den befreiten Gemeinden Achaias ihre bisherige Rechtsstellung unter
dem Kaisertum blieb, so hat Augustus denen der Provinz, welchen die Freiheit
nicht gewaehrt war oder ward, eine neue und bessere Rechtsstellung verliehen.
Wie er in der reorganisierten Delphischen Amphiktyonie den Griechen Europas
einen gemeinsamen Mittelpunkt gegeben hatte, gestattete er auch den saemtlichen
Staedten der Provinz Achaia, soweit sie unter roemischer Verwaltung standen,
sich als Gesamtverband zu konstituieren und jaehrlich in Argos, der
bedeutendsten Stadt des unfreien Griechenlands, zur Landesversammlung
zusammenzutreten ^17. Damit wurde der nach dem achaeischen Kriege aufgeloeste
Achaeische Bund nicht bloss rekonstituiert, sondern ihm auch die frueher
erwaehnte, erweiterte boeotische Vereinigung eingefuegt. Wahrscheinlich ist eben
durch die Zusammenlegung dieser beiden Gebiete die Abgrenzung der Provinz Achaia
herbeigefuehrt worden. Der neue Verband der Achaeer, Boeoter, Lokrer, Phokier,
Dorer und Euboeer ^18 oder, wie er gewoehnlich gleich wie die Provinz bezeichnet
wird, der Verband der Achaeer hat vermutlich weder mehr noch weniger Rechte
gehabt, als die sonstigen Provinziallandtage des Kaiserreichs. Eine gewisse
Kontrolle der roemischen Beamten wird dabei beabsichtigt gewesen und werden
darum auch die dem Prokonsul nicht unterstellten Staedte, wie Athen und Sparta,
von demselben ausgeschlossen worden sein. Daneben wird diese Tagsatzung, wie
alle aehnlichen, hauptsaechlich in dem gemeinschaftlichen, das ganze Land
umfassenden Kultus den Mittelpunkt ihrer Taetigkeit gefunden haben. Aber wenn in
den uebrigen Provinzen dieser Landeskult ueberwiegend an Rom anknuepfte, so
wurde der Landtag von Achaia vielmehr ein Brennpunkt des Hellenismus und sollte
es vielleicht werden. Schon unter den julischen Kaisern betrachtete er sich als
den rechten Vertreter der griechischen Nation und legte seinem Vorstand den
Namen des Helladarchen bei, sich selbst sogar den der Panhellenen ^19. Die
Versammlung entfernte sich also von ihrer provinzialen Grundlage, und ihre
bescheidenen administrativen Befugnisse traten in den Hintergrund.
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^17 Allerdings sind die bis jetzt bekannten Vorsteher des koinon t/o/n
Achai/o/n, deren Heimat feststeht, aus Argos, Messene, Korone in Messenien
(Lebas-Foucart II, S. 305) und haben sich darunter bisher nicht bloss keine
Buerger der befreiten Gemeinden, wie Athen und Sparta, sondern auch keine der zu
der Konfoederation der Boeoter und Genossen gehoerigen (Anm. 8) gefunden.
Vielleicht beschraenkte sich dies koinon rechtlich auf das Gebiet, das die
Roemer die Republik Achaia nannten, das heisst das des Achaeischen Bundes bei
seinem Untergang, und sind die Boeoter und Genossen mit dem eigentlichen koinon
der Achaeer zu demjenigen weiteren Bunde vereinigt, dessen Vorhandensein und
Tagen in Argos die Inschriften von Akraephia (Anm. 18) dokumentieren. Uebrigens
bestand neben diesem koinon der Achaeer noch ein engeres der Landschaft Achaia
im eigentlichen Sinn, dessen Vertreter in Aegion zusammentraten (Paus. 7, 24,
4), eben wie das koinon t/o/n Arkad/o/n (Archaeologische Zeitung 37, 1879, S.
139, n. 274) und zahlreiche andere. Wenn nach Paus. 5, 12, 6 in Olympia dem
Traian oi pantes Ell/e/nes, dem Hadrian ai es to Achaikon telo?sai Bildsaeulen
gesetzt hatten und hier kein Missverstaendnis untergelaufen ist, so wird die
letztere Dedikation auf dem Landtag von Aegion stattgefunden haben.
^18 So (nur dass die Dorer fehlen; vgl. Anm. 8) heisst der Verein auf der
Inschrift von Akraephia (Keil, Sylloge Inscriptionum Boeoticarum, n. 31). Eben
diese Urkunde aber nebst der gleichzeitigen CIG 1625 liefert den Beweis, dass
der Verein unter Kaiser Gaius statt dieser wohl eigentlich offiziellen Benennung
sich auch einerseits als Verein der Achaeer bezeichnet, andererseits als to
koinon t/o/n Panell/e/n/o/n oder /e/ s?nodos t/o/n Ell/e/n/o/n, auch to t/o/n
Achai/o/n kai Panell/e/n/o/n synedrion. Diese Ruhmredigkeit tritt anderswo nicht
so grell hervor wie in jenem boeotischen Landstaedtchen; aber auch in Olympia,
wo der Verein seine Denkmaeler vorzugsweise aufstellte nennt er sich zwar
meistens to koinon t/o/n Achai/o/n, aber zeigt oft genug dieselbe Tendenz, zum
Beispiel wenn to koinon t/o/n Achai/o/n P. Ailio Aristona ... synpantes oi
Ell/e/nes anestesan (Archaeologische Zeitung 38, 1880, S. 86, n. 344). Ebenso
setzen in Sparta dem Caesar Marcus oi Ell/e/nes eine Bildsaeule apo to? koino?
t/o/n Achai/o/n (CIG 1318).
^19 Auch in Asia, Bithynien, Niedermoesien heisst der Vorsteher der der
betreffenden Provinz angehoerigen Griechenstaedte Elladarch/e/s, ohne dass damit
mehr aus gedrueckt wuerde als der Gegensatz gegen die Nichtgriechen. Aber wie
der Hellenenname in Griechenland verwendet wird, in einem gewissen Gegensatz zu
dem eigentlich korrekten der Achaeer, ist dies sicher von derselben Tendenz
eingegeben die in den Panhellenea von Argos am deutlichsten sich zeichnete. So
findet sich strat/e/gos to? koino? t/o/n Achai/o/n kai prostat/e/s dia bioy
t/o/n Ell/e/n/o/n (Archaeologische Zeitung 35, 1877, S. 192, n. 98) oder auf
einem anderen Dokument desselben prostat/e/s dia bioy t/o/n Ell/e/n/o/n to?
koino? t/o/n Achai/o/n Mannes prostat/e/s dia bioy to? koino? t/o/n Achai/o/n
(Lebas-Foucart, n. 305); ein (Archaeologische Zeitung 35, 1877, S. 195, n. 106),
strat/e/gos asynkrit/o/s arxas t/e/s Ellados (das. S. 40, n. 42), strat/e/gos
kai Elladarch/e/s (das. 34, 1876, S. 8, S. 226), alle ebenfalls auf Inschriften
des koinon t/o/n Achai/o/n. Dass in diesem, mag es auch vielleicht bloss auf den
Peloponnes bezogen werden (Anm. 17), die panhellenische Tendenz darum nicht
weniger sich geltend machte, ist begreiflich.
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Diese Panhellenen nannten sich missbraeuchlich also und wurden von der
Regierung nur toleriert. Aber Hadrian schuf wie ein neues Athen, so auch ein
neues Hellas. Unter ihm durften die Vertreter der saemtlichen autonomen oder
nicht autonomen Staedte der Provinz Achaia in Athen sich als das vereinigte
Griechenland, als die Panhellenen ^20 konstituieren. Die in besseren Zeiten oft
getraeumte und nie erreichte nationale Einigung war damit geschaffen, und was
die Jugend gewuenscht, das besass das Alter in kaiserlicher Fuelle. Freilich,
politische Befugnisse erhielt das neue Panhellenion nicht; aber was Kaisergunst
und Kaisergold gewaehren konnte, daran war kein Mangel. Es erhob sich in Athen
der Tempel des neuen Zeus Panhellenios, und glaenzende Volksfeste und Spiele
wurden mit dieser Stiftung verbunden, deren Ausrichtung dem Kollegium der
Panhellenen zustand, und zwar zunaechst dem Priester des Hadrian als des
stiftenden lebendigen Gottes. Einen der Akte, welche dieselben alljaehrlich
begingen, war das dem Zeus-Befreier dargebrachte Opfer in Plataeae zum
Gedaechtnis der hier im Kampf gegen die Perser gefallenen Hellenen am Jahrestag
der Schlacht, dem 4. Boedromion; dies zeichnet seine Tendenz ^21. Noch
deutlicher zeigt dieselbe sich darin, dass Griechenstaedten ausserhalb Hellas',
welche der nationalen Gemeinschaft wuerdig erschienen, von der Versammlung in
Athen ideale Buergerbriefe des Hellenismus ausgestellt wurden ^22.
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^20 Die hadrianischen Panhellenen nennen sich to koinon synedrion t/o/n
Ell/e/n/o/n t/o/n eis Plat/e/as syniont/o/n (Theben: Keil, Sylloge lnscriptionum
Boeoticarum, n. 31, vgl. Plut. Arist. 19 u. 21), koinon t/e/s Ellados (CIG
5852), to /o/n (ebenda). Ihr Vorsteher heisst o arch/o/n t/o/n Panell/e/n/o/n
(CIA III, 681, 682; CIG 3832, vgl. CIA III, 10: a[nt[arch/o/n to? ier/o/tatoy
a[g/o/nos to? P]an[el]l/e/nioy), der einzelne Deputierte Panell/e/n (z. B. CIA
III, 534; CIG 1124). Daneben treten auch in nachhadrianischer Zeit noch das
koinon t/o/n Achai/o/n und dessen strat/e/gos oder Elladarch/e/s auf, welche
wohl von jenen zu scheiden sein werden, obwohl letzterer seine Ehrendekrete
jetzt nicht bloss in Olympia aufstellt, sondern auch in Athen (CIA 18; zweites
Exemplar in Olympia, Archaeologische Zeitung 37, 1879, S. 52).
^21 Dass die Bemerkung Dions von Prusa (or. 38, p. 148 R.) ueber den Streit
der Athener und der Lakedaemonier yper t/e/s propompeias sich auf das Fest in
Plataeae bezieht, ergibt sich aus (Lucian) Er/o/tes 18: /o/s peri propompeias
ag/o/nio?menoi Plataiasin. Auch der Sophist Irenaeos schrieb (Suidas u. d. W.)
und Hermogenes (id. II p. 373 Walz) gibt als Redestoff Ay/e/naioi kai
Lakedaimonioi peri t/e/s propompeias kata ta M/e/dika (Mitteilung von
Wilamowitz).
^22 Es haben sich zwei derselben erhalten, fuer Kibyra in Phrygien (CIG
5882), ausgestellt vom koinon t/e/s Ellados durch ein dogma to? Panell/e/nioy
und fuer Magnesia am Maeandros (CIA III, 16). In beiden wird die gut hellenische
Abstammung der betreffenden Koerperschaften nebst den sonstigen Verdiensten um
die Hellenen hervorgehoben. Charakteristisch sind auch die Empfehlungsbriefe,
welche diese Panhellenen einem um ihr Gemeinwesen wohlverdienten Mann an seine
Heimatgemeinde Aezani in Phrygien, an den Kaiser Pius und an die Hellenen in
Asia insgemein mitgeben (CIG 3832, 3833, 3834).
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Wenn die Kaiserherrschaft in dem ganzen weiten Reich die Verwuestungen
eines zwanzigjaehrigen Buergerkrieges vorfand und vielerorts die Folgen
desselben niemals voellig verwunden wurden, so ist wohl kein Gebiet davon so
schwer betroffen worden wie die griechische Halbinsel. Das Schicksal hatte es so
gefuegt, dass die drei grossen Entscheidungsschlachten dieser Epoche, Pharsalos,
Philippi, Aktion auf ihrem Boden oder an ihrer Kueste geschlagen wurden; und die
militaerischen Operationen, welche bei beiden Parteien dieselben einleiteten,
hatten ihre Opfer von Menschenleben und Menschenglueck hier vor allem gefordert.
Noch dem Plutarch erzaehlte sein Aeltervater, wie die Offiziere des Antonius die
Buerger von Chaeroneia gezwungen haetten, da sie Sklaven und Lasttiere nicht
mehr besassen, ihr letztes Getreide auf den eigenen Schultern nach dem naechsten
Hafenort zu schleppen zur Verschiffung fuer das Heer; und wie dann, als eben der
zweite Transport abgehen sollte, die Nachricht von der Actischen Schlacht wie
eine erloesende Freudenbotschaft eingetroffen sei. Das erste, was nach diesem
Siege Caesar tat, war die Verteilung der in seine Gewalt geratenen feindlichen
Getreidevorraete unter die hungernde Bevoelkerung Griechenlands. Dieses
schwerste Mass des Leidens traf auf vorzugsweise schwache Widerstandskraft.
Schon mehr als ein Jahrhundert vor der Actischen Schlacht hatte Polybios
ausgesprochen, dass ueber ganz Griechenland in seiner Zeit Unfruchtbarkeit der
Ehen und Einschwinden der Bevoelkerung gekommen sei, ohne dass Seuchen oder
schwere Kriege das Land betroffen haetten. Nun hatten diese Geisseln in
furchtbarer Weise sich eingestellt; und Griechenland blieb veroedet fuer alle
Folgezeit. Im ganzen Roemerreich, meint Plutarch, sei infolge der verwuestenden
Kriege die Bevoelkerung zurueckgegangen, am meisten aber in Griechenland, das
jetzt nicht imstande sei, aus den besseren Kreisen der Buergerschaften die 3000
Hopliten zu stellen, mit denen einst die kleinste der griechischen Landschaften,
Megara, bei Plataeae gestritten hatte ^23. Caesar und Augustus haben versucht,
dieser auch fuer die Regierung erschreckenden Entvoelkerung durch Entsendung
italischer Kolonisten aufzuhelfen, und in der Tat sind die beiden bluehendsten
Staedte Griechenlands eben diese Kolonien; die spaeteren Regierungen haben
solche Entsendungen nicht wiederholt. Zu der anmutigen euboeischen Bauernidylle
des Dion von Prusa bildet den Hintergrund eine entvoelkerte Stadt, in der
zahlreiche Haeuser leer stehen, die Herden am Rathaus und am Stadtarchiv weiden,
zwei Drittel des Gebiets aus Mangel an Haenden unbestellt liegen; und wenn dies
der Erzaehler als Selbsterlebtes berichtet, so schildert er damit sicher
zutreffend die Zustaende zahlreicher kleiner griechischer Landstaedte in der
Zeit Traians. "Theben in Boeotien", sagt Strabon in der augustischen Zeit, "ist
jetzt kaum noch ein stattliches Dorf zu nennen, und mit Ausnahme von Tanagra und
Thespiae gilt dasselbe von saemtlichen boeotischen Staedten." Aber nicht bloss
der Zahl nach schwanden die Menschen zusammen, auch der Schlag verkam. Schoene
Frauen gibt es wohl noch, sagt einer der feinsten Beobachter um das Ende des
ersten Jahrhunderts, aber schoene Maenner sieht man nicht mehr; die olympischen
Sieger der neueren Zeit erscheinen, verglichen mit den aelteren, niedrig und
gemein, zum Teil freilich durch die Schuld der Kuenstler, aber hauptsaechlich,
weil sie eben sind, wie sie sind. Die koerperliche Ausbildung der Jugend ist in
diesem gelobten Lande der Epheben und Athleten in einer Ausdehnung gefoerdert
worden, als ob es der Zweck der Gemeindeverfassung sei, die Knaben zu Turnern
und die Maenner zu Boxern zu erziehen; aber wenn keine Provinz so viele
Ringkuenstler besass, so stellte auch keine so wenig Soldaten zur Reichsarmee.
Selbst aus dem athenischen Jugendunterricht, der in aelterer Zeit das
Speerwerfen, das Bogenschiessen, die Geschuetzbedienung, das Ausmarschieren und
das Lagerschlagen einschloss, verschwindet jetzt dieses Soldatenspiel der
Knaben. Die griechischen Staedte des Reiches werden ueberhaupt bei der Aushebung
so gut wie gar nicht beruecksichtigt, sei es, weil diese Rekruten physisch
untauglich erschienen, sei es, weil dieses Element im Heere bedenklich erschien;
es war ein kaiserlicher Launscherz, dass der karikierte Alexander, Severus
Antoninus, die roemische Armee fuer den Kampf gegen die Perser durch einige
Lochen Spartiaten verstaerkte ^24. Was fuer die innere Ordnung und Sicherheit
ueberhaupt geschah, muss von den einzelnen Gemeinden ausgegangen sein, da
roemische Truppen in der Provinz nicht standen; Athen zum Beispiel unterhielt
Besatzung auf der Insel Delos, und wahrscheinlich lag eine Milizabteilung auch
auf der Burg ^25. In den Krisen des dritten Jahrhunderts haben der Landsturm von
Elateia und derjenige von Athen die Kostoboker und die Goten tapfer
zurueckgeschlagen und in wuerdigerer Weise, als die Enkel der Kaempfer von
Thermopylae in Caracallas Perserkrieg, haben in dem gotischen die Enkel der
Marathonsieger ihren Namen zum letzten Mal in die Annalen der alten Geschichte
eingezeichnet. Aber wenn auch dergleichen Vorgaenge davon abhalten muessen, die
Griechen dieser Epoche schlechtweg zu dem verkommenen Gesindel zu werfen, so hat
das Sinken der Bevoelkerung an Zahl wie an Kraft auch in der besseren Kaiserzeit
stetig angehalten, bis dann seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts die diese
Landschaften ebenfalls schwer heimsuchenden Seuchen, die namentlich die
Ostkueste treffenden Einfaelle der Land- und Seepiraten, endlich das
Zusammenbrechen der Reichsgewalt in der gallienischen Zeit das chronische Leiden
zur akuten Katastrophe steigerten.
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^23 Ohne Zweifel will Plutarch mit diesen Worten (de defectu orac. 8) nicht
sagen, dass Griechenland ueberhaupt nicht 3000 Waffenfaehige zu stellen
vermoege, sondern dass, wenn Buergerheere nach alter Art gebildet wuerden, man
nicht imstande sein wuerde, 3000 "Hopliten" aufzustellen. In diesem Sinn mag die
Aeusserung wohl soweit richtig sein, als dies bei dergleichen allgemeinen Klagen
ueberhaupt erwartet werden kann. Die Zahl der Gemeinden der Provinz belaeuft
sich ungefaehr auf hundert.
^24 Davon erzaehlt Herodian (4, 8, 3; c. 9, 4) und wir haben die
Inschriften zweier dieser Spartiaten, des Nikokles strateymenos dis kata
Pers/o/n (CIG 1253) und des Dioskoras apelth/o/n eis t/e/n eytychestat/e/n
symmachian (= expeditio) t/e/n kata Pers/o/n (CIG 1495).
^25 Das phro?rion (CIA III, 826) kann nicht wohl anders verstanden werden.
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In ergreifender Weise tritt das Sinken von Hellas und treten die
Stimmungen, die dasselbe bei den Besten hervorrief, uns entgegen in der
Ansprache, die einer von diesen, der Bithyner Dion, um die Zeit Vespasians an
die Rhodier richtete. Diese galten, nicht mit Unrecht, als die trefflichsten
unter den Hellenen. In keiner Stadt war besser fuer die niedere Bevoelkerung
gesorgt und trug diese Fuersorge mehr den Stempel nicht des Almosens, sondern
des Arbeitgebens. Als nach dem grossen Buergerkriege Augustus im Orient alle
Privatschulden klaglos machte, wiesen allein die Rhodier die bedenkliche
Verguenstigung zurueck. War auch die grosse Epoche des rhodischen Handels
vorueber, so gab es dort immer noch zahlreiche bluehende Geschaefte und
vermoegende Haeuser ^26. Aber viele Missstaende waren auch hier eingerissen, und
deren Abstellung fordert der Philosoph, nicht so sehr, wie er sagt, um der
Rhodier willen, als um der Hellenen insgemein. "Einst ruhte die Ehre von Hellas
auf vielen und viele mehrten seinen Ruhm, ihr, die Athener, die Lakedaemonier,
Theben, eine Zeitlang Korinth, in ferner Zeit Argos. Nun aber ist es mit den
anderen nichts; denn einige sind gaenzlich heruntergekommen und zerstoert,
andere fuehren sich, wie ihr wisst, und sind entehrt und ihres alten Ruhmes
Zerstoerer. Ihr seid uebrig; ihr allein seid noch etwas und werdet nicht voellig
verachtet; denn wie es jene treiben, waeren laengst alle Hellehen tiefer
gesunken als die Phryger und die Thraker. Wie wenn ein grosses und reiches
Geschlecht auf zwei Augen steht und was dieser letzte des Hauses suendigt, alle
Vorfahren mit entehrt, so stehet ihr in Hellas. Glaubt nicht die ersten der
Hellehen zu sein; ihr seid die einzigen. Sieht man auf jene erbaermlichen
Schandbuben, so werden selbst die grossen Geschicke der Vergangenheit
unbegreiflich: die Steine und die Staedtetruemmer zeigen deutlicher den Stolz
und die Groesse von Hellas als diese nicht einmal mysischer Ahnen wuerdigen
Nachfahren; und besser als den von diesen bewohnten ist es den Staedten
ergangen, welche in Truemmern liegen, denn deren Andenken bleibt in Ehren und
ihr wohlerworbener Ruhm unbefleckt - besser die Leiche verbrennen, als sie
faulend liegen lassen."
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^26 "An Mitteln", sagt Diodor. 31, p. 566), "fehlt es euch nicht, und
Tausende und aber Tausende gibt es hier, denen es nuetzlich waere, minder reich
zu sein"; und weiterhin (p. 620): "ihr seid reich, wie sonst niemand in Hellas.
Mehr als ihr besassen eure Vorfahren auch nicht. Die Insel ist nicht schlechter
geworden; ihr zieht die Nutzung von Karien und einem Teil Lykiens; eine Anzahl
Staedte sind euch steuerpflichtig; stets empfaengt die Stadt reiche Gaben von
zahlreichen Buergern." Er fuehrt weiter aus, dass neue Ausgaben nicht
hinzugetreten, wohl aber die frueheren fuer Heer und Flaue fast weggefallen
seien; nur ein oder zwei kleine Schiffe haetten sie jaehrlich nach Korinth (zur
roemischen Flotte also) zu stellen.
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Man wird diesem hohen Sinn eines Gelehrten, welcher die kleine Gegenwart an
der grossen Vergangenheit mass und, wie dies nicht ausbleiben kann, jene mit
widerwilligen Augen, diese in der Verklaerung des Dagewesenseins anschaute,
nicht zu nahe treten mit dem Hinweis darauf, dass die alte gute hellenische
Sitte damals und noch lange nachher denn doch nicht bloss in Rhodos zu finden,
vielmehr in vieler Hinsicht noch allerorts Lebendig war. Die innerliche
Selbstaendigkeit, das wohlberechtigte Selbstgefuehl der immer noch an der Spitze
der Zivilisation stehenden Nation ist bei aller Schmiegsamkeit des Untertanen-
und aller Demut des Parasitenrums den Hellenen auch dieser Zeit nicht abhanden
gekommen. Die Roemer entlehnen die Goetter von den alten Hellenen und die
Verwaltungsform von den Alexandrinern; sie suchen sich der griechischen Sprache
zu bemaechtigen und die eigene in Mass und Stil zu hellenisieren. Die Hellenen
auch der Kaiserzeit tun nicht das gleiche; die nationalen Gottheiten Italiens,
wie Silvanus und die Laren, werden in Griechenland nicht verehrt und keiner
griechischen Stadtgemeinde ist es je in den Sinn gekommen, die von ihrem
Polybios als die beste gefeierte politische Ordnung bei sich einzufuehren.
Insofern die Kenntnis des Lateinischen fuer die hoehere wie die niedere
Aemterlaufbahn bedingend war, haben die Griechen, die diese betraten, sich
dieselbe angeeignet; denn wenn es auch praktisch nur dem Kaiser Claudius
einfiel, den Griechen, die kein Lateinisch verstanden, das roemische
Buergerrecht zu entziehen, so war allerdings die wirkliche Ausuebung der mit
diesem verknuepften Rechte und Pflichten nur dem moeglich, der der Reichssprache
maechtig war. Aber von dem oeffentlichen Leben abgesehen, ist nie in Griechen
land so lateinisch gelernt worden wie in Rom griechisch; Plutarchos, der
schriftstellerisch die beiden Reichshaelften gleichsam vermaehlte und dessen
Parallelbiographien roemischer und griechischer beruehmter Maenner, vor allem
durch diese Nebeneinanderstellung, sich empfahlen und wirkten, verstand nicht
sehr viel mehr lateinisch als Diderot russisch, und beherrschte wenigstens, wie
er selbst sagt, die Sprache nicht; die des Lateinischen wirklich maechtigen
griechischen Literaten waren entweder Beamte, wie Appianus und Cassius Dion,
oder Neutrale, wie Koenig Juba. In der Tat war Griechenland in sich selbst weit
weniger veraendert als in seiner aeusseren Stellung. Das Regiment von Athen war
recht schlecht, aber auch in der Zeit von Athens Groesse war es gar nicht
musterhaft gewesen. "Es ist", sagt Plutarchos, "derselbe Volksschlag, dieselben
Unruhen, der Ernst und der Scherz, die Anmut und die Bosheit wie bei den
Vorfahren." Auch diese Epoche weist in dem Leben des griechischen Volkes noch
einzelne Zuege auf, die seines zivilisatorischen Prinzipats wuerdig sind. Die
Fechterspiele, die von Italien aus sich ueberall hin, namentlich auch nach
Kleinasien und Syrien verbreiteten, haben am spaetesten von allen Landschaften
in Griechenland Eingang gefunden; laengere Zeit beschraenkten sie sich auf das
halb italische Korinth, und als die Athener, um hinter diesen nicht
zurueckzustehen, sie auch bei sich einfuehrten, ohne auf die Stimme eines ihrer
Besten zu hoeren, der sie fragte, ob sie nicht zuvor dem Gotte des Erbarmens
einen Altar setzen moechten, da wandten manche der Edelsten unwillig sich weg
von der sich selber entehrenden Vaterstadt. In keinem Lande der antiken Welt
sind die Sklaven mit solcher Humanitaet behandelt worden wie in Hellas; nicht
das Recht, aber die Sitte verbot dem Griechen, seine Sklaven an einen nicht
griechischen Herrn zu verkaufen und verbannte somit aus dieser Landschaft den
eigentlichen Sklavenhandel. Nur hier finden wir in der Kaiserzeit bei den
Buergerschmaeusen und den Oelspenden an die Buergerschaft auch die unfreien
Leute mit bedachte ^27. Nur hier konnte ein unfreier Mann, wie Epiktetos unter
Traian, in seiner mehr als bescheidenen aeusseren Existenz in dem epirotischen
Nikopolis mit angesehenen Maennern senatorischen Standes in der Weise verkehren
wie Sokrates mit Kritias und Alkibiades, so dass sie seiner muendlichen
Belehrung wie Schueler dem Meister lauschten und die Gespraeche aufzeichneten
und veroeffentlichten. Die Milderungen der Sklaverei durch das Kaiserrecht gehen
wesentlich zurueck auf den Einfluss der griechischen Anschauungen, zum Beispiel
bei Kaiser Marcus, der zu jenem nikopolitanischen Sklaven wie zu seinem Meister
und Muster emporsah. Unuebertrefflich schildert der Verfasser eines unter den
lukianischen erhaltenen Dialogs das Verhalten des feinen athenischen
Stadtbuergers in seinen engen Verhaeltnissen gegenueber dem vornehmen und
reichen, reisenden Publikum zweifelhafter Bildung oder auch unzweifelhafter
Rohen: wie man es dem reichen Auslaender abgewoehnt, im oeffentlichen Bade mit
einem Heer von Bedienten aufzuziehen, als ob er seines Lebens in Athen nicht
ohnehin sicher und nicht Frieden im Lande sei, wie man es ihm abgewoehnt, auf
der Strasse mit dem Purpurgewand sich zu zeigen, indem die Leute sich freundlich
erkundigen, ob es nicht das seiner Mama sei. Er zieht die Parallele zwischen
roemischer und athenischer Existenz: dort die beschwerlichen Gastereien und die
noch beschwerlicheren Bordelle, die unbequeme Bequemlichkeit der
Bedientenschwaerme und des haeuslichen Luxus, die Laestigkeiten der
Liederlichkeit, die Qualen des Ehrgeizes, all das Uebermass, die
Vielfaeltigkeit, die Unruhe des hauptstaedtischen Treibens; hier die Anmut der
Armut, die freie Rede im Freundeskreis, die Muse fuer geistigen Genuss, die
Moeglichkeit des Lebensfriedens und der Lebensfreude - "wie konntest du", fragt
ein Grieche in Rom den andern, "das Licht der Sonne, Hellas und sein Glueck und
seine Freiheit, um dieses Gedraenges willen verlassen?" In diesem Grundakkord
begegnen sich alle feiner und reiner organisierten Naturen dieser Epoche; eben
die besten Hellenen mochten nicht mit den Roemern tauschen. Kaum gibt es etwas
gleich Erfreuliches in der Literatur der Kaiserzeit wie Dions schon erwaehnte
euboeische Idylle: sie schildert die Existenz zweier Jaegerfamilien im einsamen
Walde, deren Vermoegen acht Ziegen sind, eine Kuh ohne Horn und ein schoenes
Kalb, vier Sicheln und drei Jagdspeere, welche weder von Geld noch von Steuern
etwas wissen, und die dann, vor die tobende Buergerversammlung der Stadt
gestellt, von dieser schliesslich unbehelligt entlassen werden zum Freuen und
zum Freien. Die reale Durchfuehrung dieser poetisch verklaerten Lebensauffassung
ist Plutarchos von Chaeroneia, einer der anmutigsten und belesensten und nicht
minder einer der wirksamsten Schriftsteller des Altertums. Einer vermoegenden
Familie jener kleinen boeotischen Landstadt entsprossen und erst daheim, dann in
Athen und in Alexandreia in die volle hellenische Bildung eingefuehrt, auch
durch seine Studien und vielfaeltige persoenliche Beziehungen sowie durch Reisen
in Italien mit roemischen Verhaeltnissen wohlvertraut, verschmaehte er es, nach
der ueblichen Weise der begabten Griechen in den Staatsdienst zu treten oder die
Professorenlaufbahn einzuschlagen; er blieb seiner Heimat treu, mit der
trefflichen Frau und den Kindern und mit den Freunden und Freundinnen des
haeuslichen Lebens im schoensten Sinne des Wortes geniessend, sich bescheidend
mit den Aemtern und Ehren, die sein Boeotien ihm zu bieten vermochte, und mit
dem maessigen angeerbten Vermoegen. In diesem Chaeroneer drueckt der Gegensatz
der Hellenen und der Hellenisierten sich aus; ein solches Griechentum war weder
in Smyrna moeglich noch in Antiocheia; es gehoerte zum Boden wie der Honig vom
Hymettos. Es gibt genug maechtigere Talente und tiefere Naturen, aber schwerlich
einen zweiten Schriftsteller, der mit so gluecklichem Mass sich in das
Notwendige mit Heiterkeit zu finden und so wie er den Stempel seines
Seelenfriedens und seines Lebensglueckes seinen Schriften aufzupraegen gewusst
hat.
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^27 Bei den Volksfesten, die in Tiberius' Zeit ein reicher Mann in
Akraephia in Boeotien ausrichtete, lud er die erwachsenen Sklaven, seine Gattin
die Sklavinnen mit den Freien zu Gaste (CIG 1625). In einer Stiftung zur
Verteilung von Oel in der Turnanstalt (gymnasion) von Gytheion in Lakonien wird
festgesetzt, dass an sechs Tagen im Jahr auch die Sklaven daran Anteil haben
sollen (Lebas-Foucart, n. 243 a). Aehnliche Spenden begegnen in Argos (CIG 1122,
1123).
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Die Selbstbeherrschung des Hellenismus kann auf dem Boden des oeffentlichen
Lebens sich nicht in der Reinheit und Schoenheit offenbaren wie in der stillen
Heimstatt, nach der die Geschichte und sie nach der Geschichte gluecklicherweise
nicht fragt. Wenden wir uns den oeffentlichen Verhaeltnissen zu, so ist mehr vom
Missregiment als vom Regiment zu berichten, sowohl der roemischen Regierung wie
der griechischen Autonomie. An gutem Willen fehlte es dort insofern nicht, als
der roemische Philhellenismus die Kaiserzeit noch viel entschiedener beherrscht
als die republikanische. Er aeussert sich ueberall im Grossen wie im Kleinen, in
der Fortfuehrung der Hellenisierung der oestlichen Provinzen und der Anerkennung
der doppelten offiziellen Reichssprache wie in den hoeflichen Formen, in welchen
die Regierung auch mit der kleinsten griechischen Gemeinde verkehrt und ihre
Beamten zu verkehren anhaelt ^28. Auch haben es die Kaiser an Gaben und Bauten
zu Gunsten dieser Provinz nicht fehlen lassen; und wenn auch das meiste der Art
nach Athen kam, so baute doch Hadrian eine grosse Wasserleitung zum Besten von
Korinth, Plus die Heilanstalt von Epidauros. Aber die ruecksichtsvolle
Behandlung der Griechen insgemein und die besondere Huld, welche dem
eigentlichen Hellas von der kaiserlichen Regierung zuteil wurde, weil es in
gewissem Sinn gleich wie Italien als Mutterland galt, sind weder dem Regiment
noch der Landschaft recht zum Vorteil ausgeschlagen. Der jaehrliche Wechsel der
Oberbeamten und die schlaffe Kontrolle der Zentralstelle liessen alle
senatorischen Provinzen, soweit das Statthalterregiment reichte, mehr den Druck
als den Segen einheitlicher Verwaltung empfinden, und diese doppelt bei ihrer
Kleinheit und ihrer Armut. Noch unter Augustus selbst machten diese Missstaende
sich in dem Grade geltend, dass es eine der ersten Regierungshandlungen seines
Nachfolgers war, sowohl Griechenland wie Makedonien in eigene Verwaltung zu
nehmen ^29, wie es hiess vorlaeufig, in der Tat auf die ganze Dauer seiner
Regierung. Es war sehr konstitutionell, aber vielleicht nicht ebenso weise, dass
Kaiser Claudius, als er zur Gewalt gelangte, die alte Ordnung wiederherstellte.
Seitdem hat es dann bei dieser sein Bewenden gehabt und ist Achaia nicht von
ernannten, sondern von erlosten Beamten verwaltet worden, bis diese
Verwaltungsform ueberhaupt abkam.
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^28 Auf eine der unzaehligen Beschwerden, mit welchen die kleinasiatischen
Staedte wegen ihrer Titel- und Rangstreitigkeiten die Regierung belaestigten,
antwortete Pius den Ephesiern (W. H. Waddington, Aristide, S. 51), erhoere gern,
dass die Pergamener ihnen die neue Titulatur gegeben haetten; die Smyrnaeer
haetten es wohl nur zufaellig unterlassen und wuerden sicher in Zukunft
gutwillig das Richtige tun, wenn auch sie, die Ephesier, ihnen ihre rechten
Titel beilegen wuerden. Einer kleinen lykischen Stadt, welche um Bestaetigung
eines von ihr gefassten Beschlusses bei dem Prokonsul einkommt, erwidert dieser
(O. Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884, Bd. 1, S. 71), treffliche
Anordnungen verlangten nur Lob, keine Bestaetigung; diese liege in der Sache.
Die Rhetorenschulen dieser Epoche liefern auch die Konzipienten fuer die
kaiserliche Kanzlei; aber dies tut es nicht allein. Es gehoert zum Wesen des
Prinzipals, das Untertanverhaeltnis nicht aeusserlich zu akzentuieren, und
namentlich nicht gegen Griechen.
^29 Eine formale Aenderung der Steuerordnung folgt an sich aus diesem
Wechsel nicht und ist auch bei Tacitus (ann. 1, 76) nicht angedeutet; wenn die
Einrichtung getroffen wird, weil die Provinzialen ueber Steuerdruck klagen
(onera deprecantes), so konnten bessere Statthalter durch zweckmaessige
Repartierung, eventuell durch Erwirkung von Remission, den Provinzen aufhelfen.
Dass die Befoerderung der Reichspost besonders in dieser Provinz als drueckende
Last empfunden ward, zeigt das Edikt des Claudius aus Tegea (Eph. epigr. V, p.
69).
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Aber bei weitem uebler noch stand es um die von dem Statthalterregiment
eximierten Gemeinden Griechenlands. Die Absicht, diese Gemeinwesen zu
beguenstigen, durch die Befreiung von Tribut und Aushebung wie nicht minder
durch die moeglichst geringe Beschraenkung der Rechte des souveraenen Staates,
hat, wenigstens in vielen Faellen, zu dem Gegenteil gefuehrt. Die innere
Unwahrheit der Institutionen raechte sich. Zwar bei den weniger bevorrechteten
oder besser verwalteten Gemeinden mag die kommunale Autonomie ihren Zweck
erfuellt haben; wenigstens vernehmen wir nicht, dass es mit Sparta, Korinth,
Patrae besonders uebel bestellt gewesen sei. Aber Athen war nicht geschaffen,
sich selbst zu verwalten, und bietet das abschreckende Bild eines von der
Obergewalt verhaetschelten und finanziell wie sittlich verkommenen Gemeinwesens.
Von Rechts wegen haette dasselbe in bluehendem Zustande sich befinden muessen.
Wenn es den Athenern misslang, die Nation unter ihrer Hegemonie zu vereinigen,
so ist diese Stadt doch die einzige Griechenlands wie Italiens gewesen, welche
die landschaftliche Einigung vollstaendig durchgefuehrt hat; ein eigenes Gebiet,
wie es die Attike ist, von etwa 40 Quadratmeilen, der doppelten Groesse der
Insel Ruegen, hat keine Stadt des Altertums sonst besessen. Aber auch ausserhalb
Attikas blieb ihnen, was sie besassen, sowohl nach dem Mithradatischen Kriege
durch Sullas Gnade wie nach der Pharsalischen Schlacht, in der sie auf Seiten
des Pompeius gestanden hatten, durch die Gnade Caesars - er fragte sie nur, wie
oft sie noch sich selber zugrunde richten und dann durch den Ruhm ihrer
Vorfahren retten lassen wollten. Der Stadt gehoerte immer noch nicht bloss das
ehemals haliartische Gebiet in Boeotien, sondern auch an ihrer eigenen Kueste
Salamis, der alte Ausgangspunkt ihrer Seeherrschaft, im Thrakischen Meer die
eintraeglichen Inseln Skyros, Lemnos und Imbros sowie im Aegaeischen Delos;
freilich war diese Insel seit dem Ende der Republik nicht mehr das zentrale
Emporium des Handels mit dem Osten, nachdem der Verkehr sich von da weg nach den
Haefen der italischen Westkueste gezogen hatte, und es war dies fuer die Athener
ein unersetzlicher Verlust. Von den weiteren Verleihungen, die sie Antonius
abzuschmeicheln gewusst hatten, nahm ihnen Augustas, gegen den sie Partei
ergriffen hatten, allerdings Aegina und Eretria auf Euboea, aber die kleineren
Inseln des Thrakischen Meeres, Ikos, Peparethos, Skiathos, ferner Keos vor der
Sunischen Landspitze durften sie behalten; und Hadrian gab ihnen weiter den
besten Teil der grossen Insel Kephallenia im Ionischen Meer. Erst durch den
Kaiser Severus, der ihnen nicht wohlwollte, wurde ihnen ein Teil dieser
auswaertigen Besitzungen entzogen. Hadrian gewaehrte ferner den Athenern die
Lieferung eines gewissen Quantums von Getreide auf Kosten des Reiches und
erkannte durch die Erstreckung dieses, bisher der Reichshauptstadt vorbehaltenen
Privilegiums Athen gleichsam an als eine der Reichsmetropolen. Nicht minder
wurde das segensreiche Institut der Alimentarstiftungen, dessen Italien sich
seit Traian erfreute, von Hadrian auf Athen ausgedehnt und das dazu
erforderliche Kapital sicher aus seiner Schatulle den Athenern geschenkt. Eine
Wasserleitung, die er ebenfalls seinem Athen widmete, wurde erst nach seinem
Tode von Pius vollendet. Dazu kam der Zusammenfluss der Reisenden und der
Studierenden und die in immer steigender Zahl von den roemischen Grossen und den
auswaertigen Fuersten der Stadt verliehenen Stiftungen. Dennoch war die Gemeinde
in stetiger Bedraengnis. Mit dem Buergerrecht wurde nicht bloss das ueberall
uebliche Geschaeft auf Nehmen und Geben, sondern foermlich und offenkundig
Schacher getrieben, so dass Augustas mit einem Verbot dagegen einschritt. Einmal
ueber das andere beschloss der Rat von Athen, diese oder jene seiner Inseln zu
verkaufen, und nicht immer fand sich ein opferwilliger Reicher gleich dem Iulius
Nikanor, der unter Augustas den bankrotten Athenern die Insel Salamis
zurueckkaufte und dafuer von dem Rat derselben den Ehrentitel des "neuen
Themistokles" sowie, da er auch Verse machte, nebenbei den des "neuen Homer" und
mit den edlen Ratsherren zusammen von dem Publikum den wohlverdienten Hohn
erntete. Die prachtvollen Bauten, mit denen Athen fortfuhr sich zu schmuecken,
erhielt es ohne Ausnahme von den Fremden, unter anderen von den reichen Koenigen
Antiochos von Kommagene und Herodes von Judaea, vor allen aber von dem Kaiser
Hadrian, der eine voellige "Neustadt" (novae Athenae) am Ilisos anlegte und
ausser zahllosen anderen Gebaeuden, darunter dem schon erwaehnten Panhellenion,
das Wunder der Welt, den von Peisistratos begonnenen Riesenbau des Olympieion
mit seinen 120, zum Teil noch stehenden Saeulen, den groessten von allen, die
heute aufrecht sind, sieben Jahrhunderte nach seinem Beginn in wuerdiger Weise
abschloss. Selbst hatte diese Stadt kein Geld, nicht bloss fuer ihre
Hafenmauern, die jetzt allerdings entbehrlich waren, sondern nicht einmal fuer
den Hafen. Zu Augusts Zeit war der Peiraeeus ein geringes Dorf von wenigen
Haeusern, nur besucht wegen der Meisterwerke der Malerei in den Tempelhallen.
Handel und Industrie gab es in Athen fast nicht mehr, oder fuer die
Buergerschaft insgemein wie fuer den einzelnen Buerger nur ein einziges
bluehendes Gewerbe, den Bettel. Auch blieb es nicht bei der Finanzbedraengnis.
Die Welt hatte wohl Frieden, aber nicht die Strassen und Plaetze von Athen. Noch
unter Augustas hat ein Aufstand in Athen solche Verhaeltnisse angenommen, dass
die roemische Regierung gegen die Freistadt einschreiten musste ^30; und wenn
auch dieser Vorgang vereinzelt steht, so gehoerten Auflaeufe auf der Gasse wegen
der Brotpreise und aus anderen geringfuegigen Anlaessen in Athen zur
Tagesordnung. Viel besser wird es in zahlreichen anderen Freistaedten nicht
ausgesehen haben, von denen weniger die Rede ist. Einer solchen Buergerschaft
die Kriminaljustiz unbeschraenkt in die Hand zu geben, war kaum zu verantworten;
und doch stand dieselbe den zu internationaler Foederation zugelassenen
Gemeinden, wie Athen und Rhodos, von Rechts wegen zu. Wenn der athenische
Areopag in augustischer Zeit sich weigerte, einen wegen Faelschung verurteilten
Griechen auf die Verwendung eines vornehmen Roemers hin von der Strafe zu
entbinden, so wird er in seinem Recht gewesen sein; aber dass die Kyzikener
unter Tiberius roemische Buerger einsperrten, unter Claudius gar die Rhodier
einen roemischen Buerger ans Kreuz schlugen, waren auch formale
Rechtsverletzungen, und ein aehnlicher Vorgang hat unter Augustus den Thessalern
ihre Autonomie gekostet. Uebermut und Uebergriff wird durch die Machtlosigkeit
nicht ausgeschlossen, nicht selten von den schwachen Schutzbefohlenen eben
daraufhin gewagt. Bei aller Achtung fuer grosse Erinnerungen und beschworene
Vertraege mussten doch jeder gewissenhaften Regierung diese Freistaaten nicht
viel minder als ein Bruch in die allgemeine Rechtsordnung erscheinen, wie das
noch viel altheiligere Asylrecht der Tempel.
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^30 Der athenische Aufstand unter Augustus ist sicher beglaubigt durch die
aus Africanus geflossene Notiz bei Eusebius zum Jahre Abrahams 2025 (daraus
Oros. hist. 6, 22, 2). Die Auflaeufe gegen den Strategen werden oft erwaehnt:
Plut. q. sympos. 8, 3 z. A.; (Lucian) Demonax 11, 64; vit. soph. 1, 23. 2, 1,
11.
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Schliesslich griff die Regierung durch und stellte die freien Staedte
hinsichtlich ihrer Wirtschaft unter die Oberaufsicht von Beamten kaiserlicher
Ernennung, die allerdings zunaechst als ausserordentliche Kommissarien "zur
Korrektur der bei den Freistaedten eingerissenen Uebelstaende" charakterisiert
werden und davon spaeterhin die Bezeichnung Korrektoren als titulare fuehren.
Die Anfaenge derselben lassen sich bis in die traianische Zeit verfolgen; als
stehende Beamte finden wir sie in Achaia im dritten Jahrhundert. Diese, neben
den Prokonsuln fungierenden, vom Kaiser bestellten Beamten finden in keinem Teil
des Roemischen Reichs so frueh sich ein und sind in keinem so frueh staendig
geworden sie in dem halb aus Freistaedten bestehenden Achaia.
Das an sich wohlberechtigte und durch die Haltung der roemischen Regierung
wie vielleicht noch mehr durch die des roemischen Publikums genaehrte
Selbstgefuehl der Hellenen, das Bewusstsein des geistigen Primats rief daselbst
einen Kultus der Vergangenheit ins Leben, der sich zusammensetzt aus dem treuen
Festhalten an den Erinnerungen groesserer und gluecklicherer Zeiten und dem
barocken Zurueckdrehen der gereiften Zivilisation auf ihre zum Teil sehr
primitiven Anfaenge. Zu den auslaendischen Kulten, wenn man absieht von dem
schon frueher durch die Handelsverbindungen eingebuergerten Dienst der
aegyptischen Gottheiten, namentlich der Isis, haben die Griechen im eigentlichen
Hellas sich durchgehend ablehnend verhalten; wenn dies von Korinth am wenigsten
gilt, so ist dies auch die am wenigsten griechische Stadt von Hellas. Die alte
Landesreligion schuetzt nicht der innige Glaube, von dem diese Zeit sich laengst
geloest hatte ^31; aber die heimische Weise und das Gedaechtnis der
Vergangenheit haften vorzugsweise an ihr und darum wird sie nicht bloss mit
Zaehigkeit festgehalten, sondern sie wird auch, zum guten Teil durch gelehrte
Repristination, im Laufe der Zeit immer starrer und altertuemlicher, immer mehr
ein Sonderbesitz der Studierten.
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^31 Dem Beamten, auch dem gebildeten, das heisst dem Freidenker, wird
angeraten, die Spenden, die er mache, an die religioesen Feste anzuknuepfen;
denn die Menge werde in ihrem Glauben bestaerkt, wenn sie sehe, dass auch die
Vornehmen der Stadt auf die Goetterverehrung etwas geben und sogar dafuer etwas
aufwenden (Plut. praec. ger. reip. 30).
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Aehnlich verhaelt es sich mit dem Kultus der Stammbaeume, in welchem die
Hellenen dieser Zeit ungemeines geleistet und die adelsstolzesten Roemer weit
hinter sich gelassen haben. In Athen spielt das Geschlecht der Eumolpiden eine
hervorragende Rolle bei der Reorganisierung des Eleusinischen Festes unter
Marcus. Dessen Sohn Commodus verlieh dem Haupt des Geschlechtes der Keryken das
roemische Buergerrecht, und aus demselben stammt der tapfere und gelehrte
Athener, der, .fast wie Thukydides, mit den Goten schlug und dann den Gotenkrieg
beschrieb. Des Marcus Zeitgenosse, der Professor und Konsular Herodes Atticus,
gehoerte ebendiesem Geschlechte an, und sein Hofpoet singt von ihm, dass dem
hochgeborenen Athener, dem Nachkommen des Hermes und der Kekropstochter Herse,
der rote Schuh des roemischen Patriziats wohl angestanden habe, waehrend einer
seiner Lobredner in Prosa ihn als Aeakiden feiert und zugleich als Abkoemmling
von Miltiades und Kimon. Aber auch Athen wurde hierin noch weit ueberboten von
Sparta; mehrfach begegnen Spartiaten, die sich der Herkunft von den Dioskuren,
dem Herakles, dem Poseidon und des seit vierzig und mehr Generationen in ihrem
Hause erblichen Priestertums dieser Altvordern beruehmen. Es ist
charakteristisch fuer dieses Adelsrum, dass es sich hauptsaechlich erst mit dem
Ende des zweiten Jahrhunderts einstellt; die Heraldiker, welche diese
Geschlechtstafeln entwarfen, werden fuer die Beweisstuecke weder in Athen noch
in Sparta die Goldwaage angewandt haben.
Dieselbe Tendenz zeigt sich in der Behandlung der Sprache oder vielmehr der
Dialekte. Waehrend in dieser Zeit in den sonstigen griechisch redenden Laendern
und auch in Hellas im gewoehnlichen Verkehr das sogenannte gemeine, im
wesentlichen aus der attischen Mundart heraus verschliffene Griechisch
vorherrscht, strebt die Schriftsprache dieser Epoche nicht bloss nach der
Beseitigung der eingerissenen Sprachfehler und Neuerungen, sondern vielfach
werden dialektische Besonderheiten, dem Sprachgebrauch entgegen, wieder
aufgenommen und hier, wo er am wenigsten berechtigt war, der alte
Partikularismus in scheinhafter Weise zurueckgefuehrt. Den Standbildern, welche
die Thespier den Musen im Hain des Helikon setzten, wurden auf gut boeotisch die
Namen Orania und Thalea beigeschrieben, waehrend die dazu gehoerigen Epigramme,
verfasst von einem Poeten roemischen Namens, sie auf gut ionisch Uranie und
Thaleie nannten, und die nicht gelehrten Boeoter, wenn sie sie kannten, sie
nannten, wie alle anderen Griechen, Urania und Thaleia. Von den Spartanern vor
allem ist darin Unglaubliches geleistet und nicht selten mehr fuer den Schatten
des Lykurgos als fuer die zur Zeit lebenden Aelier und Aurelier geschrieben
worden ^32. Daneben kommt der korrekte Gebrauch der Sprache in dieser Zeit auch
in Hellas allmaehlich ins Schwanken; Archaismen und Barbarismen gehen in den
Dokumenten der Kaiserzeit haeufig friedlich nebeneinander her. Athens sehr mit
Fremden gemischte Bevoelkerung hat in dieser Hinsicht sich zu keiner Zeit
besonders ausgezeichnet ^33, und obwohl die staedtischen Urkunden sich
verhaeltnismaessig rein halten, macht doch seit Augustus die allgemein
einreissende Sprachverderbnis auch hier sich fuehlbar. Die strengen Grammatiker
der Zeit haben ganze Buecher gefuellt mit den Sprachschnitzern, die der eben
erwaehnte, viel gefeierte Rhetor Herodes Atticus und die uebrigen beruehmten
Schulredner des zweiten Jahrhunderts sich zuschulden kommen liessen ^34, ganz
abgesehen von der verzwickten Kuenstelei und der manierierten Pointierung ihrer
Rede. Die eigentliche Verwilderung aber in Sprache und Schrift reisst in Athen
und ganz Griechenland, eben wie in Rom, ein mit Septimius Severus ^35.
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^32 Ein Musterstueck ist die Inschrift (Lebas-Foucart II, S. 142, n. 162)
des M(ark/o/r) Ayr(/e/lior) Ze?xippoy o kai Kleandror PHilomois/o/, eines
Zeitgenossen also des Pius und Marcus, welcher war iere?s Lethkippid/o/n kai
Tindaridan, der Dioskuren und ihrer Gattinnen, der Toechter des Leukippos, aber,
damit zu dem Alten das Neue nicht fehle, auch archiereos t/o/ Sebast/o/ kai
t/o/on thei/o/n progon/o/n /o/t/o/. Er war in seiner Jugend ferner gewesen
boyagor mikkichiddomen/o/n, woertlich Stierfuehrer der Kleinen, naemlich
Anfuehrer der dreijaehrigen Knaben - die lykurgischen Knabenherden gingen mit
dem siebenten Jahr an, aber seine Nachfahren hatten das Fehlende nachgeholt und
von den Einjaehrigen an alle eingeherdet und mit "Fuehrern" versehen. Dieser
selbe Mann siegte (neikaar = nik/e/sas) kass/e/ratorin, m/o/an kai l/o/an; was
das heisst, weiss vielleicht Lykurgos.
^33 "Das innere Attika", sagt ein Bewohner desselben bei Philostratos (vit.
soph. 2, 7), "ist eine gute Schule fuer den, der sprechen lernen will; die
Stadtbewohner dagegen von Athen, welche den aus Thrakien und dem Pontus und
andern barbarischen Landschaften herbeistroemenden jungen Leuten Wohnungen
vermieten, lassen mehr durch sie ihre Sprache sich verderben als dass sie ihnen
das gute Sprechen beibringen. Aber im Binnenland, dessen Bewohner nicht mit
Barbaren vermischt sind, ist die Aussprache und die Rede gut".
^34 Karl Keil (RE 1, z. Aufl., S. 2100) weist hin auf tinos fuer /e/s tinos
und ta ch/o/ria gegonan der Inschrift der Gattin des Herodes (CIL VI, 1342).
^35 Dittenberger in Hermes 1, 1866, S. 414. Dahin gehoert auch, was der
plumpe Vertreter des Apollonios seinen Helden an die alexandrinischen
Professoren schreiben laesst (ep. 34), dass er Argos, Sikyon, Megara, Phokis,
Lokris verlassen habe, um nicht, wenn er laenger in Hellas verweile, voellig zum
Barbaren zu werden.
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Die Schadhaftigkeit der hellenischen Existenz lag in der Beschraenktheit
ihres Kreises: es mangelte dem hohen Ehrgeiz an dem entsprechenden Ziel und
darum ueberwucherte die niedere und erniedrigende Ambition. Auch in Hellas
fehlte es nicht an einheimischen Familien von grossem Reichtum und bedeutendem
Einfluss ^36. Das Land war wohl im ganzen arm, aber es gab doch Haeuser von
ausgedehntem Grundbesitz und altbefestigtem Wohlstand. In Sparta zum Beispiel
hat das des Lachares von Augustus bis wenigstens in die hadrianische Zeit eine
Stellung eingenommen, welche tatsaechlich von dem Fuerstentum nicht allzuweit
abstand. Den Lachares hatte Antonius wegen Erpressung hinrichten lassen. Dafuer
war dessen Sohn Eurykles einer der entschiedensten Parteigaenger Augusts und
einer der tapfersten Kapitaene in der entscheidenden Seeschlacht, der fast den
besiegten Feldherrn persoenlich zum Gefangenen gemacht haette; er empfing von
dem Sieger unter anderen reichen Gaben als Privateigentum die Insel Kythere
(Cerigo). Spaeter spielte er eine hervorragende und bedenkliche Rolle, nicht
bloss in seinem Heimatland, ueber welches er eine dauernde Vorstandschaft
ausgeuebt haben muss, sondern auch an den Hoefen von Jerusalem und Caesarea,
wobei das dem Spartiaten von den Orientalen gezollte Ansehen nicht wenig
mitwirkte. Deswegen von dem Kaisergericht mehrfach zur Verantwortung gezogen,
wurde er schliesslich verurteilt und ins Exil gesandt; aber der Tod entzog ihn
rechtzeitig den Folgen des Urteilsspruches und sein Sohn Lakon trat in das
Vermoegen und wesentlich auch, wenngleich in vorsichtigerer Form, in die
Machtstellung des Vaters ein. Aehnlich stand in Athen das Geschlecht des oft
genannten Herodes; wir koennen dasselbe aufsteigend durch vier Generationen bis
in die Zeit Caesars zurueckverfolgen, und ueber des Herodes Grossvater ist,
aehnlich wie ueber den Spartaner Eurykles, wegen seiner uebergreifenden
Machtstellung in Athen die Konfiskation verhaengt worden. Die ungeheuren
Latifundien, welche der Enkel in seiner armen Heimat besass, die zu Grabzwecken
seiner Lustknaben verwendeten weiten Flaechen erregten den Unwillen selbst der
roemischen Statthalter. Derartige maechtige Familien gab es vermutlich in den
meisten Landschaften von Hellas, und wenn sie auf dem Landtag der Provinz in der
Regel entschieden, so waren sie auch in Rom nicht ohne Verbindungen und
Einfluss. Aber obwohl diejenigen rechtlichen Schranken, welche den Gallier und
den Alexandriner noch nach erlangtem Buergerrecht vom Reichssenat ausschlossen,
diesen vornehmen Griechen schwerlich entgegenstanden, vielmehr unter den Kaisern
diejenige politische und militaerische Laufbahn, welche dem Italiker sich
darbot, von Rechts wegen dem Hellenen gleichfalls offenstand, so sind dieselben
doch tatsaechlich erst in spaeter Zeit und in beschraenktem Umfang in den
Staatsdienst eingetreten, zum Teil wohl, weil die roemische Regierung der
frueheren Kaiserzeit die Griechen als Auslaender ungern zuliess, zum Teil, weil
diese selbst die mit dem Eintritt in diese Laufbahn verknuepfte Uebersiedlung
nach Rom scheuten und es vorzogen, statt einer mehr unter den vielen Senatoren
daheim die ersten zu sein. Erst des Lachares Urenkel Herklanos ist in
traianischer Zeit, und in der Familie des Herodes wahrscheinlich zuerst dessen
Vater um dieselbe Zeit in den roemischen Senat eingetreten ^37.
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^36 Tacitus (zum Jahre 62 ann. 15, 20) charakterisiert einen dieser reichen
und einflussreichen Provinzialen, den Claudius Timarchides aus Kreta, der in
seinem Kreis allmaechtig ist (ut solent praevalidi provincialium et opibus
nimiis ad iniurias minorum elati) und ueber den Landtag, also auch ueber das
obligate, aber fuer den abgehenden Prokonsul mit Ruecksicht auf die moeglichen
Rechenschaftsklagen sehr wuenschenswerte Danksagungsdekret desselben verfuegt
(in sua potestate situm, an proconsulibus, qui Cretam obtinuissent, grates
agerentur). Die Opposition beantragt die Untersagung dieser Dankdekrete, aber es
gelingt ihr nicht, den Antrag zur Abstimmung zu bringen. Von einer andern Seite
schildert Plutarch (praec. ger. reip. 19, 3) diese vornehmen Griechen.
^37 Herodes war ex ypat/o/n (vit. soph. 1, 25, 5, p. 536), etelei ek
pater/o/n es to?s disypatoys (das. 2 z. A., p. 545). Sonst ist von Konsulaten
seiner Ahnen nichts bekannt; aber sicher ist der Grossvater Hipparchos nicht
Senator gewesen. Moeglicherweise handelt es sich sogar nur um kognatische
Aszendenten. Das roemische Buergerrecht hat die Familie nicht unter den Juliern
(vgl. CIA III, 489), sondern erst unter den Claudiern empfangen.
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Die andere Laufbahn, welche erst in der Kaiserzeit sich auftat, der
persoenliche Dienst des Kaisers, gab wohl im guenstigen Fall Reichtum und
Einfluss und ist auch frueher und haeufiger von den Griechen betreten worden;
aber da die meisten und wichtigsten dieser Stellungen an den Offizierdienst
geknuepft waren, scheint auch fuer diese laengere Zeit ein faktischer Vorzug der
Italiker bestanden zu haben und war der gerade Weg auch hier den Griechen
einigermassen verlegt. In untergeordneten Stellungen sind Griechen am
kaiserlichen Hofe von jeher und in grosser Anzahl verwendet worden und auf
Umwegen oftmals zu Vertrauen und Einfluss gelangt; aber dergleichen
Persoenlichkeiten kamen mehr aus den hellenisierten Landschaften als aus Hellas
selbst und am wenigsten aus den besseren hellenischen Haeusern. Fuer die
legitime Ambition des jungen Mannes von Herkunft und Vermoegen gab es, wenn er
ein Grieche war, im roemischen Kaiserreich nur beschraenkten Spielraum.
Es blieb ihm die Heimat, und in dieser fuer das gemeine Wohl taetig zu
sein, war allerdings Pflicht und Ehre. Aber es waren sehr bescheidene Pflichten
und noch viel bescheidenere Ehren. "Eure Aufgabe", sagt Dion weiter seinen
Rhodiern, "ist eine andere, als die der Vorfahren war. Sie konnten ihre
Tuechtigkeit nach vielen Seiten hin entwickeln, nach dem Regiment streben, den
Unterdrueckten beistehen, Bundesgenossen gewinnen, Staedte gruenden, kriegen und
siegen; von allem dem vermoegt ihr nichts mehr zu tun. Es bleibt euch die
Fuehrung des Hauswesens, die Verwaltung der Stadt, die Verleihung von Ehren und
Auszeichnungen mit Wahl und Mass, der Sitz im Rat und im Gericht, der
Gottesdienst und die Feier der Feste; in allem diesem koennt ihr euch vor andern
Staedten auszeichnen. Auch das ist nichts Geringes, die anstaendige Haltung, die
Sorgfalt fuer Haar und Bart, der gesetzte Gang auf der Strasse, so dass bei euch
selbst die anders gewoehnten Fremden sich es abgewoehnen zu rennen, die
schickliche Tracht, sogar, wenn es auch laecherlich erscheinen mag, der schmale
und knappe Purpursaum, die Ruhe im Theater, das Masshalten im Klatschen: das
alles macht die Ehre eurer Stadt, und mehr als in euren Haefen und Mauern und
Docks zeigt sich hierin das gute alte hellenische Wesen und erkennt hierin auch
der Barbar, der den Namen der Stadt nicht weiss, dass er in Griechenland ist und
nicht in Syrien oder Kilikien." Das traf alles zu; aber wenn es jetzt nicht mehr
von dem Buerger verlangt ward, fuer die Vaterstadt zu sterben, so war doch die
Frage nicht ohne Berechtigung, ob es noch der Muehe wert sei, fuer diese
Vaterstadt zu leben. Es gibt von Plutarchos eine Auseinandersetzung ueber die
Stellung der griechischen Gemeindebeamten zu seiner Zeit, worin er mit der ihm
eigenen Billigkeit und Umsicht diese Verhaeltnisse eroertert. Die alte
Schwierigkeit, die gute Verwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten zu fuehren
mittels der Majoritaeten der unsicheren, launenhaften, oft mehr den eigenen
Vorteil als den des Gemeinwesens bedenkenden Buergerschaft oder auch der sehr
zahlreichen Ratsversammlung - die athenische zaehlte in der Kaiserzeit erst 600,
dann 500, spaeter 750 Stadtraete -, bestand wie frueher, so auch jetzt; es ist
die Pflicht des tuechtigen Beamten zu verhindern, dass das "Volk" nicht dem
einzelnen Buerger Unrecht tut, nicht das Privatvermoegen unerlaubterweise an
sich zieht, nicht das Gemeindegut unter sich verteilt - Aufgaben, die dadurch
nicht leichter werden, dass der Beamte kein Mittel dafuer hat als die
verstaendige Ermahnung und die Kunst des Demagogen, dass ihm ferner geraten
wird, in kleinen Dingen nicht allzu sproede zu sein und wenn bei einem Stadtfest
eine maessige Spende an die Buergerschaft in Antrag kommt, es nicht solcher
Kleinigkeit wegen mit den Leuten zu verderben. Im uebrigen aber hatten die
Verhaeltnisse sich voellig veraendert, und es muss der Beamte in die
gegenwaertigen sich schicken lernen. Vor allem hat er die Machtlosigkeit der
Hellenen sich selbst wie den Mitbuergern jeden Augenblick gegenwaertig zu
halten. Die Freiheit der Gemeinde reicht soweit die Herrscher sie gestatten, und
ein Mehr wuerde auch wohl vom Uebel sein. Wenn Perikles die Amtstracht anlegte,
so rief er sich zu, nicht zu vergessen, dass er ueber Freie und Griechen
herrsche; heute hat der Beamte sich zu sagen, dass er unter einem Herrscher
herrsche, ueber eine den Prokonsuln und den kaiserlichen Prokuratoren
untergebene Stadt, dass er nichts sein koenne und duerfe als das Organ der
Regierung, dass ein Federstrich des Statthalters genuege, um jedes seiner
Dekrete zu vernichten. Darum ist es die erste Pflicht eines guten Beamten, sich
mit den Roemern in gutes Einvernehmen zu setzen und womoeglich einflussreiche
Verbindungen in Rom anzuknuepfen, damit diese der Heimat zugute kommen. Freilich
warnt der rechtschaffene Mann eindringlich vor der Servilitaet; noetigenfalls
soll der Beamte mutig dem schlechten Statthalter entgegentreten, und als die
hoechste Leistung erscheint die entschlossene Vertretung der Gemeinde in solchen
Konflikten in Rom vor dem Kaiser. In bezeichnender Weise tadelt er scharf
diejenigen Griechen, die - ganz wie in den Zeiten des Achaeischen Bundes - bei
jedem oertlichen Hader die Intervention des roemischen Statthalters
herbeifuehren, und mahnt dringend, die Gemeindeangelegenheiten lieber innerhalb
der Gemeinde zu erledigen, als durch Appellation sich nicht so sehr der
Oberbehoerde, als den bei ihr taetigen Sachwaltern und Advokaten in die Haende
zu liefern. Alles dieses ist verstaendig und patriotisch, so verstaendig und so
patriotisch wie einstmals die Politik des Polybios, auf die auch ausdruecklich
hingewiesen wird. In dieser Epoche des voelligen Weltfriedens, wo es weder einen
Griechen- noch einen Barbarenkrieg irgendwo gibt, wo die staedtischen Kommandos,
die staedtischen Friedensschluesse und Buendnisse lediglich der Geschichte
angehoeren, war der Rat sehr am Platze, Marathon und Plataeae den Schulmeistern
zu ueberlassen und nicht die Koepfe der Ekklesia mit dergleichen grossen Worten
zu erhitzen, vielmehr in dem engen Kreise der noch gestatteten freien Bewegung
sich zu bescheiden. Aber die Welt gehoert nicht dem Verstande, sondern der
Leidenschaft. Der hellenische Buerger konnte auch jetzt noch gegen das Vaterland
seine Pflicht tun; aber fuer den rechten politischen, nach Grossem ringenden
Ehrgeiz, fuer die Perikleische und Alkibiadische Leidenschaft war in diesem
Hellas, vom Schreibtisch etwa abgesehen, nirgends ein Raum, und in der Luecke
wucherten die Giftkraeuter, die da, wo das hohe Streben erstickt ist, die
Menschenbrust versehren und das Menschenherz vergiften.
Darum ist Hellas auch das Mutterland der heruntergekommenen, inhaltlosen
Ambition, unter den vielen schweren Schaeden der sinkenden antiken Zivilisation
vielleicht des am meisten allgemeinen, und sicher eines der verderblichsten.
Dabei stehen in erster Reihe die Volksfeste mit ihrer Preiskonkurrenz. Die
olympischen Wettkaempfe stehen dem jugendlichen Volk der Hellenen wohl an; das
allgemeine Turnerfest der griechischen Staemme und Staedte und der nach dem
Spruch der "Hellasrichter" dem tuechtigsten Wettlaeufer aus den Zweigen des
Oelbaums geflochtene Kranz ist der unschuldige und einfache Ausdruck der
Zusammengehoerigkeit der jungen Nation. Aber die politische Entwicklung hatte
bald ueber diese Morgenroete hinausgefuehrt. Schon in den Tagen des Athenischen
Seebundes und gar erst der Alexandermonarchie war jenes Hellenenfest ein
Anachronismus, ein im Mannesalter fortgefuehrtes Kinderspiel; dass der Besitzer
jenes Oelkranzes wenigstens sich und seinen Mitbuergern als Inhaber des
nationalen Primats galt, kam ungefaehr darauf hinaus, wie wenn man in England
die Sieger der Studentenregatten mit Pitt und Beaconsfield in eine Linie stellen
wollte. Die Ausdehnung der hellenischen Nation durch Kolonisierung und
Hellenisierung fand in ihrer idealen Einheit und realen Zerfahrenheit in diesem
traumhaften Reich des Olivenkranzes ihren rechten Ausdruck; und die griechische
Realpolitik der Diadochenzeit hat sich denn auch um dasselbe, wie billig, wenig
bekuemmert. Aber als die Kaiserzeit in ihrer Weise den panhellenischen Gedanken
aufnahm und die Roemer in die Rechte und die Pflichten der Hellenen eintraten,
da blieb oder ward fuer das roemische Allhellas Olympia das rechte Symbol;
erscheint doch unter Augustus der erste roemische Olympionike, und zwar kein
geringerer als Augustus' Stiefsohn, der spaetere Kaiser Tiberius ^38. Das nicht
reinliche Ehebuendnis, welches das Allhellenentum mit dem Daemon des Spiels
einging, machte aus diesen Festen eine ebenso maechtige und dauernde wie im
allgemeinen und besonders fuer Hellas schaedliche Institution. Die gesamte
hellenische und hellenisierende Welt beteiligte sich daran, sie beschickend und
sie nachahmend; ueberall sprangen aehnliche, fuer die ganze griechische Welt
bestimmte Feste aus dem Boden und die eifrige Anteilnahme der breiten Massen,
das allgemeine Interesse fuer den einzelnen Wettkaempfer, der Stolz des Siegers
nicht bloss, sondern seines Anhangs und seiner Heimat liessen fast vergessen, um
welche Dinge eigentlich gestritten ward. Die roemische Regierung liess diesem
Wetturnen und den sonstigen Wettkaempfen nicht bloss freien Lauf, sondern
beteiligte das Reich an denselben; das Recht der feierlichen Einholung des
Siegers in seine Heimatstadt hing in der Kaiserzeit nicht von dem Belieben der
betreffenden Buergerschaft ab, sondern wurde den einzelnen Spielinstituten durch
kaiserliches Privilegium verliehen ^39 und in diesem Fall auch die dem Sieger
zustehende jaehrliche Pension (sit/e/sis) auf die Reichskasse uebernommen, die
bedeutenderen Spielinstitute also geradezu als Reichseinrichtungen behandelt.
Dieses Spielwesen erfasste wie das Reich selbst so alle Provinzen; immer aber
war das eigentliche Griechenland der ideale Mittelpunkt solcher Kaempfe und
Siege, hier ihre Heimat am Alpheios, hier der Sitz der aeltesten Nachbildungen,
der noch der grossen Zeit des hellenischen Namens angehoerigen und von ihren
klassischen Dichtern verherrlichten Pythien, Isthmien und Nemeen, nicht minder
einer Anzahl juengerer, aber reich ausgestatteter, aehnlicher Feste, der
Eurykleen, die der oben erwaehnte Herr von Sparta unter Augustus gegruendet, der
athenischen Panathenaeen, der von Hadrian mit kaiserlicher Munifizenz dotierten,
ebenfalls in Athen gefeierten Panhellenien. Man durfte sich verwundern, dass die
ganze Welt des weiten Reiches sich um diese Turnfeste zu drehen schien, aber
nicht darueber, dass an diesem seltsamen Zauberbecher vor allem die Hellenen
sich berauschten, und dass das politische Stilleben, das ihre besten Maenner
ihnen anempfahlen, durch die Kraenze und die Statuen und die Privilegien der
Festsieger in schaedlichster Weise verwirrt ward.
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^38 Der erste roemische Olympionike, von dem wir wissen, ist Ti. Claudius
Ti. f. Nero, ohne Zweifel der spaetere Kaiser, mit dem Viergespann
(Archaeologische Zeitung 38, 1880, S. 53); es faellt dieser Sieg wahrscheinlich
Ol. 195 (n. Chr. 1), nicht Ol. 199 (n. Chr. 17), wie die Liste des Africanus
angibt (Eus. thron. 1, p. 214 Schoene). In diesem Jahre siegte vielmehr sein
Sohn Germanicus, ebenfalls mit dem Viergespann (Archaeologische Zeitung 37,
1879, S. 36). Unter den eponymen Olympioniken, den Siegern im Stadium, findet
sich kein Roemer; diese Verletzung des griechischen Nationalgefuehls scheint
vermieden worden zu sein.
^39 Ein also privilegiertes Spielinstitut heisst ag/o/n ieros, certamen
sacrum (das heisst mit Pensionierung: Dio Sl, 1) oder ag/o/n eiselastikos,
certamen iselasticum (vgl. unter anderen Plin. ep. ad Trai. 118, 119; CIL X,
515). Auch die Xystarchie wird, wenigstens in gewissen Faellen, vom Kaiser
verliehen (Dittenberger in Heymes 12, 1877, S. 17f.). Nicht mit Unrecht nennen
diese Institute sich "Weltspiele" (ag/o/n oikoymenikos).
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Einen aehnlichen Weg gingen die staedtischen Institutionen, allerdings im
ganzen Reich, aber wiederum vorzugsweise in Hellas. Als es dort noch grosse
Ziele und einen Ehrgeiz gab, hatte in Hellas, eben wie in Rom, die Bewerbung um
die Gemeindeaemter und die Gemeindeehren den Mittelpunkt des politischen
Wetteifers gebildet und neben vielem Leeren, Laecherlichen, Boesartigen auch die
tuechtigsten und edelsten Leistungen hervorgerufen. Jetzt war der Kern
verschwunden, die Schale geblieben; in Panopeus im Phokischen standen zwar die
Haeuser ohne Dach und wohnten die Buerger in Huetten, aber es war noch eine
Stadt, ja ein Staat, und bei dem Aufzug der phokischen Gemeinden fehlten die
Panopeer nicht. Diese Staedte trieben mit ihren Aemtern und Priestertuemern, mit
den Belobigungsdekreten durch Heroldsruf und den Ehrensitzen bei den
oeffentlichen Versammlungen, mit dem Purpurgewand und dem Diadem, mit den
Statuen zu Fuss und zu Ross ein Eitelkeits- und Geldgeschaeft schlimmer als der
kleinste Duodezfuerst der neueren Zeit mit seinen Orden und Titeln. Es wird ja
auch in diesen Vorgaengen das wirkliche Verdienst und die ehrliche Dankbarkeit
nicht gefehlt haben; aber durchgaengig war es ein Handel auf Geben und Nehmen
oder, mit Plutarch zu reden, ein Geschaeft wie zwischen der Kurtisane und ihren
Kunden. Wie heutzutage die private Munifizenz im Positiv den Orden und im
Superlativ den Adel bewirkt, so verschaffte sie damals den priesterlichen Purpur
und die Bildsaeule auf dem Markt; und nicht ungestraft treibt der Staat mit
seinen Ehren Falschmuenzerei. In der Massenhaftigkeit derartiger Prozeduren und
der Roheit ihrer Formen stehen die heutigen Leistungen hinter denen der alten
Welt betraechtlich zurueck, wie natuerlich, da die durch den Staatsbegriff nicht
genuegend gebaendigte scheinhafte Autonomie der Gemeinde auf diesem Gebiet
ungehindert schaltete und die dekretierenden Behoerden durchgaengig die
Buergerschaften oder die Raete von Kleinstaedten waren. Die Folgen waren nach
beiden Seiten verderblich: die Gemeindeaemter wurden mehr nach der
Zahlungsfaehigkeit als nach der Tuechtigkeit der Bewerber vergeben; die
Schmaeuse und Spenden machten die Beschenkten nicht reicher und den Schenker
oftmals arm; an dem Zunehmen der Arbeitsscheu und dem Vermoegensverfall der
guten Familien traegt diese Unsitte ihren vollgemessenen Anteil. Auch die
Wirtschaft der Gemeinden selbst litt schwer unter dem Umsichgreifen der
Adulation. Zwar waren die Ehren, mit welchen die Gemeinde dem einzelnen
Wohltaeter dankte, grossenteils nach demselben verstaendigen Prinzip der
Billigkeit bemessen, welches heutzutage die aehnlichen dekorativen
Verguenstigungen beherrscht; und wo das nicht der Fall war, fand haeufig der
Wohltaeter sich bereit, zum Beispiel die ihm zu setzende Bildsaeule selber zu
bezahlen. Aber nicht dasselbe gilt von den Ehrenbezeugungen, welche die Gemeinde
vornehmen Auslaendern, vor allem den Statthaltern und den Kaisern wie den
Gliedern des kaiserlichen Hauses erwies. Die Richtung der Zeit auf
Wertschaetzung auch der inhaltlosen und obligaten Huldigung beherrschte den
kaiserlichen Hof und die roemischen Senatoren nicht so wie die Kreise des
kleinstaedtischen Ehrgeizes, aber doch auch in sehr fuehlbarer Weise; und
selbstverstaendlich wuchsen die Ehren und die Huldigungen einmal im Laufe der
Zeit durch die ihnen eigene Vernutzung, und ferner in demselben Mass, wie die
Geringhaltigkeit der regierenden oder an der Regierung beteiligten
Persoenlichkeiten. Begreiflicherweise war in dieser Hinsicht das Angebot immer
staerker als die Nachfrage und diejenigen, die solche Huldigungen richtig
wuerdigten, um davon verschont zu bleiben, genoetigt, sie abzuwehren, was im
einzelnen Fall oft genug ^40, aber konsequenterweise selten geschehen zu sein
scheint - fuer Tiberius darf die geringe Anzahl der ihm errichteten Bildsaeulen
vielleicht unter seinen Ruhmestiteln verzeichnet werden. Die Ausgaben fuer
Ehrendenkmaeler, die oft weit ueber die einfache Statue hinausgingen, und fuer
Ehrengesandtschaften ^41 sind ein Krebsschaden gewesen und immer mehr geworden
an dem Gemeindehaushalt aller Provinzen. Aber keine wohl hat im Verhaeltnis zu
ihrer geringen Leistungsfaehigkeit so grosse Summen unnuetz aufgewandt wie die
Provinz von Hellas, das Mutterland wie der Festsieger- so auch der Gemeindeehren
und in einem Prinzipat in dieser Zeit unuebertroffen, in dem der Bedientendemut
und untertaenigen Huldigung.
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^40 Kaiser Gaius zum Beispiel verbittet sich in seinem Schreiben an den
Landtag von Achaia die "grosse Zahl" der ihm zuerkannten Bildsaeulen und
begnuegt sich mit den vier von Olympia, Nemea, Delphi und dem Isthmos (Keil,
Sylloge Inscriptionum Boeoticarum, n. 31). Derselbe Landtag beschliesst, dem
Kaiser Hadrian in jeder seiner Staedte eine Bildsaeule zu setzen, von welchen
die Basis der in Abea in Messenien aufgestellten sich erhalten hat (CIG 1307).
Kaiserliche Autorisation ist fuer solche Setzungen von jeher gefordert worden.
^41 Bei der Revision der Stadtrechnungen von Byzantion fand Plinius, dass
jaehrlich 12000 Sesterzen (2500 Mark) fuer den dem Kaiser und 3000 Sesterzen
(650 Mark) fuer den dem Statthalter von Moesien durch eine besondere Deputation
zu ueberreichenden Neujahrsglueckwunsch angesetzt waren. Plinius weist die
Behoerden an, diese Glueckwuensche fortan nur schriftlich einzusenden, was
Traian billigt (ep. ad Trai. 43, 44).
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Dass die wirtschaftlichen Zustaende Griechenlands nicht guenstig waren,
braucht kaum noch besonders ausgefuehrt zu werden. Das Land, im ganzen genommen,
ist nur von maessiger Fruchtbarkeit, die Ackerfluren von beschraenkter
Ausdehnung, der Weinbau auf dem Kontinent nicht von hervorragender Bedeutung,
mehr die Kultur der Olive. Da die Brueche des beruehmten Marmors, des glaenzend
weissen attischen wie des gruenen karystischen, wie die meisten uebrigen zum
Domanialbesitz gehoerten, kam deren Ausbeutung durch die kaiserlichen Sklaven
der Bevoelkerung wenig zugute.
Die gewerbfleissigste der griechischen Landschaften war die der Achaeer, wo
die seit langem bestehende Fabrikation von Wollenstoffen sich behauptete und in
der wohlbevoelkerten Stadt Patrae zahlreiche Spinnereien den feinen elischen
Flachs zu Kleidern und Kopfnetzen verarbeiteten. Die Kunst und das Kunsthandwerk
blieben auch jetzt noch vorzugsweise den Griechen, und von den Massen besonders
pentelischen Marmors, welche die Kaiserzeit verbraucht hat, muss ein nicht
geringer Teil an Ort und Stelle verarbeitet worden sein. Ueberwiegend aber
uebten die Griechen beide im Ausland; von dem frueher so bedeutenden Export des
griechischen Kunstgewerbes ist in dieser Zeit wenig die Rede. Den regsten
Verkehr hatte die Stadt der beiden Meere, Korinth, die allen Hellenen
gemeinsame, stets von Fremden wimmelnde Metropole, wie ein Redner sie
bezeichnet. In den beiden roemischen Kolonien Korinth und Patrae, und ausserdem
in dem stets von schauenden und lernenden Auslaendern gefuellten Athen
konzentrierte sich das groessere Bankiergeschaeft der Provinz, welches in der
Kaiserzeit wie in der republikanischen zum grossen Teil in den Haenden dort
ansaessiger Italiker lag. Auch in Plaetzen zweiten Ranges, wie in Argos, Elis,
Mantineia im Peloponnes, bilden die ansaessigen roemischen Kaufleute eigene,
neben der Buergerschaft stehende Genossenschaften. Im allgemeinen lag in Achaia
Handel und Verkehr darnieder, namentlich seit Rhodos und Delos aufgehoert
hatten, Stapelplaetze fuer den Zwischenverkehr zwischen Asien und Europa zu sein
und dieser sich nach Italien gezogen hatte. Die Piraterie war gebaendigt und
auch die Landstrassen wohl leidlich sicher ^42; aber damit kehrte die alte
glueckliche Zeit noch nicht zurueck. Der Veroedung des Peiraeeus wurde schon
gedacht; es war ein Ereignis, wenn eines der grossen aegyptischen
Getreideschiffe sich einmal dorthin verirrte. Nauplia, der Hafen von Argos, nach
Patrae der bedeutendsten Kuestenstadt des Peloponnes, lag ebenso wuest ^43.
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^42 Dass die Landstrassen in Griechenland besonders unsicher gewesen seien,
erfahren wir nicht; der Aufstand in Achaia unter Pius (vita 5, 4) ist seiner Art
nach voellig dunkel. Wenn der Raeuberhauptmann ueberhaupt - nicht eben gerade
der griechische - in der geringen Literatur der Epoche eine hervorragende Rolle
spielt, so ist dies Vehikel den schlechten Romanschreibern aller Zeiten gemein.
Das euboeische Oedland des feineren Dion ist nicht ein Raeubernest, sondern es
sind die Truemmer einer grossen Gutswirtschaft, deren Inhaber seines Reichtums
wegen vom Kaiser verurteilt worden ist und die seitdem wuest liegt. Uebrigens
zeigt sich hier, was freilich wenigstens fuer Nicht-Gelehrte keines Beweises
bedarf, dass diese Geschichte gerade ebenso wahr ist wie die meisten, welche
damit anfangen, dass der Erzaehler sie selbst von dem Beteiligten habe; waere
die Konfiskation historisch, so wuerde der Besitz an den Fiskus gekommen sein,
nicht an die Stadt, welche der Erzaehler denn auch sich wohl huetet zu nennen.
^43 Des aegyptischen Kaufmanns aus Constantius Zeit naive Schilderung
Achaias mag hier noch Platz finden: "Das Land Achaia, Griechenland und Lakonien
hat viel Gelehrsamkeit, aber fuer die uebrigen Beduerfnisse ist es
unzulaenglich: denn es ist eine kleine und gebirgige Provinz und kann nicht viel
Getreide liefern, erzeugt aber etwas Oel und den attischen Honig, und kann mehr
wegen der Schulen und der Beredsamkeit gepriesen werden, nicht aber so in den
meisten uebrigen Beziehungen. Von Staedten hat es Korinth und Athen. Korinth hat
viel Handel und ein schoenes Gebaeude, das Amphitheater, Athen aber die alten
Bilder (historias antiquas) und ein erwaehnenswertes Werk, die Burg, wo viele
Bildsaeulen stehen und wunderbar die Kriegstaten der Vorfahren darstellen (ubi
multis statuis stantibus mirabile est videre dicendum antiquorum bellum).
Lakonien soll allein den Marmor von Krokeae aufzuweisen haben, den man den
lakedaemonischen nennt." Die Barbarei des Ausdrucks kommt nicht auf Rechnung des
Schreibers, sondern auf die des viel spaeteren Uebersetzers.
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Dem entspricht es, dass fuer die Strassen dieser Provinz in der Kaiserzeit
so gut wie nichts geschehen ist; roemische Meilensteine haben sich nur in der
naechsten Naehe von Patrae und von Athen gefunden und auch diese gehoeren den
Kaisern aus dem Ende des dritten und dem vierten Jahrhundert; offenbar haben die
frueheren Regierungen darauf verzichtet, hier Kommunikationen herzustellen. Nur
Hadrian unternahm es, wenigstens die so wichtige wie kurze Landverbindung
zwischen Korinth und Megara ueber den schlimmen skironischen Klippenpass durch
gewaltige, ins Meer geworfene Daemme zu einer fahrbaren Strasse zu machen.
Der seit langem verhandelte Plan, die korinthische Landenge zu
durchstechen, den der Diktator Caesar aufgefasst hatte, ist spaeterhin erst von
Kaiser Gaius, dann von Nero in Angriff genommen worden. Letzterer hat sogar bei
seinem Aufenthalt in Griechenland persoenlich zu dem Kanal den ersten Stich
getan und eine Reihe von Monaten hindurch 6000 juedische Kriegsgefangene an
demselben arbeiten lassen. Bei den in unseren Tagen wieder aufgenommenen
Durchsticharbeiten sind bedeutende Reste dieser Bauten zum Vorschein gekommen,
welche zeigen, dass die Arbeiten ziemlich weit vorgeschritten waren, als man sie
abbrach, wahrscheinlich nicht infolge der einige Zeit nachher im Westen
ausbrechenden Revolution, sondern weil man hier, eben wie bei dem aehnlichen
aegyptischen Kanal, infolge des irrigerweise vorausgesetzten verschiedenen
Hoehestandes der beiden Meere bei Vollendung des Kanals den Untergang der Insel
Aegina und weiteres Unheil befuerchtete. Freilich wuerde dieser Kanal, wenn er
vollendet worden waere, wohl den Verkehr zwischen Asien und Italien abgekuerzt
haben, aber Griechenland selbst nicht vorwiegend zugute gekommen sein.
Dass die Landschaften noerdlich von Hellas, Thessalien und Makedonien und,
wenigstens seit Traian, auch Epirus, in der Kaiserzeit administrativ von
Griechenland getrennt wurden, ist schon bemerkt worden. Von diesen hat die
kleine epirotische Provinz, die von einem kaiserlichen Statthalter zweiten
Ranges verwaltet wurde, sich niemals von der Verwuestung erholt, welche im
Verlauf des Dritten makedonischen Krieges ueber sie ergangen war. Das bergige
und arme Binnenland besass keine namhafte Stadt und eine duenn gesaete
Bevoelkerung. Die nicht minder veroedete Kueste war Augustus zu heben bemueht
durch eine doppelte Staedteanlage, durch die Vollendung der schon von Caesar
beschlossenen Kolonie roemischer Buerger in Buthrotum, Kerkyra gegenueber, die
indes zu keiner rechten Bluete gelangte, und durch die Gruendung der
griechischen Stadt Nikopolis an eben der Stelle, wo vor der Aktischen
Entscheidungsschlacht das Hauptquartier gestanden hatte, an dem suedlichsten
Punkte von Epirus, anderthalb Stunden noerdlich von Prevesa, nach Augustus'
Absicht zugleich ein dauerndes Denkmal des grossen Seesiegs und der Mittelpunkt
neu aufbluehenden hellenischen Lebens. Diese Gruendung ist in ihrer Art als
roemische neu.
An Ambrakias Statt und des amphilochischen Argos,
an Thyreions und an Anaktorions Statt,
auch an Leukas Statt und was von Staedten noch ringsum
rasend des Ares Speer weiter zu Boden gestreckt,
gruendet die Siegsstadt Caesar, die heilige, also dem Koenig
Phoebos Apollon mit ihr dankend den aktischen Sieg.
Diese Worte eines gleichzeitigen griechischen Dichters sprechen einfach
aus, was Augustus hier getan hat: das ganze umliegende Gebiet, das suedliche
Epirus, die gegenueberliegende Landschaft Akarnanien mit der Insel Leukas,
selbst einen Teil von Aetolien vereinigte er zu einem Stadtgebiet und siedelte
die in den dort vorhandenen, verkuemmernden Ortschaften noch uebrigen Bewohner
ueber nach der neuen Stadt Nikopolis, der gegenueber auf dem akarnanischen Ufer
der alte Tempel des aktischen Apollon in prachtvoller Weise erneuert und
erweitert ward. Eine roemische Stadt ist nie in dieser Weise gegruendet worden;
dies ist der Synoekismos der Alexandriden. Ganz in derselben Weise haben Koenig
Kassandros die makedonischen Staedte Thessalonike und Kassandreia, Demetrios der
Staedtebezwinger die thessalische Stadt Demetrias, Lysimachos die Stadt
Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersones aus einer Anzahl umliegender, ihrer
Selbstaendigkeit entkleideter Ortschaften zusammengelegt. Dem griechischen
Charakter der Gruendung entsprechend sollte Nikopolis nach der Absicht seines
Stifters eine griechische Grossstadt werden ^44. Sie erhielt Freiheit und
Autonomie wie Athen und Sparta und sollte, wie bereits angegeben ward, in der
das gesamte Hellas vertretenden Amphiktyonie den fuenften Teil der Stimmen
fuehren und zwar, wie Athen, ohne mit anderen Staedten zu wechseln. Das neue
aktische Apolloheiligtum war voellig nach dem Muster von Olympia eingerichtet,
mit einem Vierjahrfest, das selbst den Namen des olympischen neben dem eigenen
fuehrte, gleichen Rang und gleiche Privilegien, auch seine Aktfaden wie jenes
seine Olympiaden hatte ^45; die Stadt Nikopolis verhielt sich dazu wie die Stadt
Elis zu dem olympischen Tempel ^46. Sorgfaeltig ward bei der staedtischen
Einrichtung sowohl wie bei den religioesen Ordnungen alles eigentlich Italische
vermieden, so nahe es lag, die mit der Reichsbegruendung so innig verknuepfte
Siegesstadt in roemischer Weise zu gestalten. Wer die Augustischen Ordnungen in
Hellas im Zusammenhang erwaegt und namentlich diesen merkwuerdigen Schlussstein,
wird sich der Ueberzeugung nicht verschliessen koennen, dass Augustus eine
Reorganisation von Hellas unter dem Schutz des roemischen Prinzipats ausfuehrbar
geglaubt hat und hat ausfuehren wollen. Die Oertlichkeit wenigstens war dafuer
wohl gewaehlt, da es damals, vor der Gruendung von Patrae, an der ganzen
griechischen Westkueste keine groessere Stadt gab. Aber was Augustus im Anfang
seiner Alleinherrschaft hoffen mochte, hat er nicht erreicht, vielleicht selbst
schon spaeterhin aufgegeben, als er Patrae die Form der roemischen Kolonie gab.
Nikopolis blieb, wie die ausgedehnten Ruinen und die zahlreichen Muenzen
beweisen, verhaeltnismaessig bevoelkert und bluehend ^47, aber seine Buerger
scheinen weder im Handel und Gewerbe noch anderweitig hervorragend eingegriffen
zu haben. Das noerdliche Epirus, welches, aehnlich wie das angrenzende, zu
Makedonien gelegte Illyricum, zum groesseren Teil von albanesischen
Voelkerschaften bewohnt war und nicht unter Nikopolis gelegt ward, ist in der
Kaiserzeit in seinen einigermassen noch heute fortbestehenden primitiven
Verhaeltnissen verblieben. "Epirus und Illyricum", sagt Strabon, "ist zum
grossen Teil eine Einoede; wo sich Menschen finden, wohnen sie in Doerfern und
in Truemmern frueherer Staedte; auch das" - im Mithradatischen Kriege von den
Thrakern verwuestete - "Orakel von Dodona ist erloschen wie das uebrige alles."
^48
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^44 Wenn Tacitus (arm. 5, 10) Nikopolis eine colonia Romana nennt, so ist
das zwar missverstaendlich, aber nicht gerade unrichtig, irrig aber des Plinius
(nat. 4, 1, 5) colonia Augusti Actium cum .. . civitate libera Nicopolitana, da
Aktion Stadt so wenig gewesen ist wie Olympia.
^45 O ag/o/n Ol?mpios ta Aktia: Strab. 7, 7, 6, p. 325; Aktias: Ios. bel.
Iud. 1, 20, 4; Aktionik/e/s oefter. Wie die vier grossen griechischen
Landesfeste bekanntlich /e/ periodos heissen, der in allen vier gekroente
Sieger, periodonik/e/s, so wird CIG 4472 auch den Spielen von Nikopolis
beigefuegt t/e/s periodoy und jene Periodos als die alte (archaia) bezeichnet.
Wie die Wettspiele oefter isol?mpia heissen, so findet sich auch ag/o/n isaktios
(CIG 4472) oder certamen ad exemplar Actiacae religionis (Tac. ann. 15, 23).
^46 So nennt sich ein Nikopolit arch/o/n t/e/s ieras Aktiak/e/s boyl/e/s
(Delphi; Rheinisches Museum N. F. 2, 1843, S. 111), wie in Elis es heisst /e/
polis /E/lei/o/n kai /e/ Olympik/e/ boyl/e/ (Archaeologische Zeitung 34, 1876,
S. 57; aehnlich daselbst 35, 1877, S. 40 und 41 und sonst). uebrigens erhielten
die Spartaner, als die einzigen an dem Aktischen Siege mitbeteiligten Hellenen,
die Leitung (epimeleia) der Aktischen Spiele (Strab. 7, 7, 6, p. 325); ihr
Verhaeltnis zu der boyl/e/ Aktiak/e/ von Nikopolis kennen wir nicht.
^47 Die Schilderung seines Verfalls in der Zeit des Constantius (Paneg. 11,
9) beweist fuer die fruehere Kaiserzeit vielmehr das Gegenteil.
^48 Die Ausgrabungen in Dodona haben dies bestaetigt; alle Fundstuecke
gehoeren der vorroemischen Epoche an, mit Ausnahme einiger Muenzen. Allerdings
hat ein Restaurationsbau stattgefunden, dessen Zeit sich nicht bestimmen laesst;
vielleicht ist er ganz spaet. Wenn Hadrian, der Ze?s D/o/d/o/naios genannt wird
(CIG 1822), Dodona besucht hat (Duerr, Reisen Hadrians, S. 56), so tat er es als
Archaeologe. Eine Befragung des Orakels in der Kaiserzeit wird nur, und auch
nicht in glaubwuerdigster Weise, berichtet von Kaiser Julian (Theodoretus hist.
eccl. 3, 21).
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Thessalien, an sich eine rein hellenische Landschaft so gut wie Aetolien
und Akarnanien, war in der Kaiserzeit administrativ von der Provinz Achaia
getrennt und stand unter dem Statthalter von Makedonien. Was von
Nordgriechenland gilt, trifft auch auf Thessalien zu. Die Freiheit und
Autonomie, welche Caesar den Thessalern allgemein zugestanden oder vielmehr
nicht entzogen hatte, scheint ihnen wegen Missbrauchs von Augustus genommen
worden zu sein, so dass spaeterhin nur Pharsalos diese Rechtsstellung behalten
hat ^49; roemische Kolonisten sind in der Landschaft nicht angesiedelt worden.
Ihren besonderen Landtag in Larisa behielt sie, und auch die staedtische
Selbstverwaltung ist, wie den abhaengigen Griechen in Achaia, so den Thessalern
geblieben. Thessalien ist weitaus die fruchtbarste Landschaft der ganzen
Halbinsel und fuehrte noch im vierten Jahrhundert Getreide aus;
nichtsdestoweniger sagt Dion von Prusa, dass auch der Peneios durch wuestes Land
fliesse, und es ist in der Kaiserzeit in dieser Landschaft nur in sehr geringem
Umfang gemuenzt worden. Um die Herstellung von Landstrassen haben Hadrian und
Diocletian sich bemueht, aber auch, soviel wir sehen, von den roemischen Kaisern
sie allein.
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^49 Die Verfuegung Caesars bezeugen Appian (civ. 2, 88) und Plutarch (Caes.
48), und sie stimmt zu seinem eigenen Bericht (civ. 3, 80) recht gut; dagegen
nennt Plinius (nat. 4, 8, 29) nur Pharsalos als freie Stadt. Zu Augustus' Zeit
wurde ein vornehmer Thessaler Petraeos (wahrscheinlich der Caesarianer, civ. 3,
35) lebendig verbrannt (Plut. praec. ger. reip. 19), ohne Zweifel nicht durch
ein Privatverbrechen, sondern nach Beschluss des Landtags, und es wurden die
Thessaler vor das Kaisergericht gestellt (Suet. Tib. 8). Vermutlich gehoeren
beide Vorgaenge und ebenso der Verlust der Freiheit zusammen.
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Makedonien als roemischer Verwaltungsbezirk der Kaiserzeit ist, verglichen
mit dem Makedonien der Republik, wesentlich verkleinert. Allerdings reicht es
wie dieses von Meer zu Meer, indem die Kueste sowohl des Aegaeischen Meeres von
der zu Makedonien gehoerigen Landschaft Thessalien an bis zur Muendung des
Nestos (Mesta), wie auch die des Adriatischen vom Aoos ^50 bis zum Drilon (Drin)
diesem Distrikt zugerechnet wurden; das letztere Gebiet, nicht eigentlich
makedonisches, sondern illyrisches Land, aber schon in republikanischer Zeit dem
Statthalter Makedoniens zugewiesen, ist auch in der Kaiserzeit bei der Provinz
geblieben. Aber dass Griechenland suedlich vom Oeta davon getrennt ward, wurde
schon gesagt. Die Nordgrenze gegen Moesien und die Ostgrenze gegen Thrakien
blieben zwar insofern unveraendert, als die Provinz in der Kaiserzeit so weit
reichte, wie auch das eigentliche Makedonien der Republik gereicht hatte, das
heisst noerdlich etwa bis zum Tal des Erigon, oestlich bis zum Flusse Nestos;
aber wenn in republikanischer Zeit die Dardaner und die Thraker und saemtliche
dem makedonischen Gebiet benachbarte Voelkerschaften des Nordens und des
Nordostens in ihren friedlichen wie in ihren kriegerischen Beruehrungen mit
diesem Statthalter zu tun hatten und insofern gesagt werden konnte, dass die
makedonische Grenze so weit reiche wie die roemischen Lanzen, so gebot der
makedonische Statthalter der Kaiserzeit nur ueber den ihm angewiesenen, nirgends
mehr mit halb oder ganz unabhaengigen Nachbarn grenzenden Bezirk. Da der
Grenzschutz zunaechst auf das in roemische Botmaessigkeit gelangte Thrakerreich
und bald auf den Statthalter der neuen Provinz Moesien ueberging, so wurde der
von Makedonien seines Kommandos von vornherein enthoben. Es ist auch auf
makedonischem Boden in der Kaiserzeit kaum gefochten worden; nur die
barbarischen Dardaner am oberen Axios (Vardar) brandschatzten zuweilen noch die
friedliche Nachbarprovinz. Auch von oertlichen Auflehnungen wird aus dieser
Provinz nichts berichtet.
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^50 In der Zeit der Republik scheint Skodra zu Makedonien gehoert zu haben;
in der Kaiserzeit sind dies und Lissus dalmatische Staedte und macht die Grenze
an der Kueste die Muendung des Drin.
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Von den suedlicheren griechischen Landschaften entfernt sich diese
noerdlichste sowohl in dem nationalen Fundament wie in der Stufe der
Zivilisation. Wenn die eigentlichen Makedonier an dem Unterlauf des Haliakmon
(Vistritza) und des Axios (Vardar) bis zum Strymon ein urspruenglich
griechischer Stamm sind, dessen Verschiedenheit von den suedlicheren Hellenen
fuer die gegenwaertige Epoche keine Bedeutung mehr hat, und wenn die hellenische
Kolonisation beide Kuesten in ihren Kreis hineingezogen hat, im Westen mit
Apollonia und Dyrrhachion, im Osten namentlich mit den Ortschaften der Halbinsel
Chalkidike, so ist dagegen das Binnenland der Provinz von einem Gewimmel
ungriechischer Voelker erfuellt, das von den heutigen Zustaenden auf dem
gleichen Gebiet mehr in seinen Elementen als in seinem Ergebnis sich
unterschieden haben wird. Nachdem die bis in diese Gegend vorgedrungenen Kelten,
die Skordisker, von den Feldherren der roemischen Republik zurueckgedraengt
worden waren, teilten sich in das innere Makedonien insbesondere illyrische
Staemme im Westen und Norden, thrakische im Osten. Von beiden ist schon frueher
gesprochen worden; hier kommen sie nur insofern in Betracht, als die griechische
Ordnung, wenigstens die staedtische, bei diesen Staemmen wohl wie in der
frueheren ^51 so auch in der Kaiserzeit nur in beschraenktem Masse eingefuehrt
worden ist. Ueberall ist ein energischer Zug staedtischer Entwicklung nie durch
das makedonische Binnenland gegangen, die entlegeneren Landschaften sind
wenigstens der Sache nach kaum ueber die Dorfwirtschaft hinausgekommen.
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^51 Die staedtischen Gruendungen in diesen Gegenden ausserhalb des
eigentlichen Makedoniens tragen ganz den Charakter eigentlicher Kolonien: so die
von Philippi im Thrakerland und besonders die von Derriopos in Paeonien (Liv. 39
53), fuer welchen letzteren Ort auch die spezifisch makedonischen Politarchen
inschriftlich bezeugt sind. Inschrift vom Jahre 197 n. Chr.: t/o/n peri
Alexandron PHilippoy en Derriop/o/ politarch/o/n (Duchesne und Bayet, Mission au
mont Athos, S. 103).
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Die griechische Politie selbst ist in diesem Koenigsland nicht so wie in
dem eigentlichen Hellas aus sich selber erwachsen, sondern durch die Fuersten
eingefuehrt worden, die mehr Hellenen waren als ihre Untertanen. Welche Gestalt
sie gehabt hat, ist wenig bekannt; doch laesst die in Thessalonike, Edessa, Lete
gleichmaessig wiederkehrende, anderswo nicht begegnende Stadtvorstandschaft der
Politarchen auf eine merkliche und ja auch an sich wahrscheinliche
Verschiedenheit der makedonischen Stadtverfassung von der sonst in Hellas
ueblichen schliessen. Die griechischen Staedte, welche die Roemer vorfanden,
haben ihre Organisation und ihre Rechte behalten, die bedeutendste derselben,
Thessalonike, auch die Freiheit und die Autonomie. Es bestand ein Bund und ein
Landtag (koinon) der makedonischen Staedte, aehnlich wie in Achaia und
Thessalien. Erwaehnung verdient als ein Zeugnis fuer die nachwirkende Erinnerung
der alten grossen Zeit, dass noch in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach
Christus der Landtag von Makedonien und einzelne makedonische Staedte Muenzen
gepraegt haben, auf denen der Kopf und der Name des regierenden Kaisers durch
den Alexanders des Grossen ersetzt sind. Die ziemlich zahlreichen Kolonien
roemischer Buerger, welche Augustus in Makedonien eingerichtet hat, Byllis
unweit Apollonia, Dyrrachium am Adriatischen Meer, an der anderen Kueste Dium,
Pella, Cassandrea, in dem eigentlich thrakischen Gebiet Philippi, sind saemtlich
aeltere griechische Staedte, welche nur eine Anzahl Neubuerger und eine andere
Rechtsstellung erhielten, und zunaechst ins Leben gerufen durch das Beduerfnis,
die ausgedienten italischen Soldaten, fuer die in Italien selbst kein Platz mehr
war, in einer zivilisierten und nicht stark bevoelkerten Provinz unterzubringen.
Auch die Gewaehrung des italischen Rechts erfolgte gewiss nur, um den Veteranen
die Ansiedelung im Ausland zu vergolden. Dass ein Hineinziehen Makedoniens in
die italische Kulturentwicklung niemals beabsichtigt ward, dafuer zeugt, von
allem andern abgesehen, dass Thessalonike griechisch und die Hauptstadt des
Landes blieb. Daneben gedieh Philippi, eigentlich eine der nahen Goldbergwerke
wegen angelegte Grubenstadt, von den Kaisern beguenstigt als Staette der die
Monarchie definitiv begruendenden Schlacht und wegen der zahlreichen an
derselben beteiligten und nachher dort angesiedelten Veteranen. Roemische, nicht
koloniale Gemeindeverfassung hat bereits in der ersten Kaiserzeit Stobi
erhalten, die schon erwaehnte noerdlichste Grenzstadt Makedoniens gegen Moesien
am Einfluss des Erigon in den Axios, kommerziell wie militaerisch eine wichtige
Position und vermutlich schon in makedonischer Zeit zu griechischer Politie
gelangt.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist fuer Makedonien auch unter den Kaisern von
Staats wegen wenig geschehen; wenigstens tritt eine besondere Fuersorge
derselben fuer diese nicht unter ihrer eigenen Verwaltung stehende Provinz
nirgends hervor. Um die schon unter der Republik angelegte Militaerstrasse quer
durch das Land von Dyrrachium nach Thessalonike, eine der wichtigsten
Verkehrsadern des ganzen Reiches, haben sich, so viel wir wissen, erst die
Kaiser des dritten Jahrhunderts, zuerst Severus Antoninus, wieder bemueht; die
ihr anliegenden Staedte Lychnidos am Ochrida-See und Herakleia Lynkestis
(Bitolia) haben nie viel bedeutet. Dennoch war Makedonien wirtschaftlich besser
bestellt als Griechenland. Es uebertrifft dasselbe weitaus an Fruchtbarkeit; wie
noch heute die Provinz von Thessalonike relativ gut bebaut und wohlbevoelkert
ist, so wird auch in der Reichsbeschreibung aus Constantius' Zeit, allerdings
als Konstantinopel schon bestand, Makedonien zu den besonders wohlhabenden
Bezirken gerechnet. Wenn fuer Achaia und Thessalien unsere die roemische
Aushebung betreffenden Dokumente schlechthin versagen, so ist dagegen Makedonien
dabei, namentlich auch fuer die Kaisergarde, in bedeutendem Umfang, staerker als
die meisten griechischen Landschaften, in Anspruch genommen worden, wobei
freilich die Gewoehnung der Makedonier an den regelmaessigen Kriegsdienst und
ihre vorzuegliche Qualifikation fuer denselben, wohl auch die relativ geringe
Entwicklung des staedtischen Wesens in dieser Provinz in Anschlag zu bringen
sind. Thessalonike, die Metropole der Provinz und deren volkreichste und
gewerbreichste Stadt dieser Zeit, gleichfalls in der Literatur mehrfach
vertreten, hat auch in der politischen Geschichte durch den tapferen Widerstand,
den seine Buergerin den schrecklichen Zeiten der Goteneinfaelle den Barbaren
entgegensetzten, sich einen Ehrenplatz gesichert.
Wenn Makedonien ein halb griechisches, so war Thrakien ein nicht
griechisches Land. Von dem grossen, aber fuer uns verschollenen thrakischen
Stamm ist frueher gesprochen worden. In seinen Bereich ist der Hellenismus
lediglich von aussen gelangt; und es wird nicht ueberfluessig sein, zunaechst
rueckblickend darzulegen, wie oft der Hellenismus an die Pforten der
suedlichsten Landschaft, welche dieser Stamm inne hatte und die wir noch nach
ihm nennen, bis dahin gepocht und wie wenig er bis dahin im Binnenland erreicht
hatte, um deutlich zu machen, was Rom hier nachzuholen blieb und was es
nachgeholt hat. Zuerst Philippos, der Vater Alexanders, unterwarf Thrakien und
gruendete nicht bloss Kalybe in der Naehe von Byzantion, sondern im Herzen des
Landes die Stadt, die seitdem seinen Namen traegt. Alexander, auch hier der
Vorlaeufer der roemischen Politik, gelangte an und ueber die Donau und machte
diesen Strom zur Nordgrenze seines Reiches; die Thraker in seinem Heere haben
bei der Unterwerfung Asiens nicht die letzte Rolle gespielt. Nach seinem Tode
schien der Hellespont einer der grossen Mittelpunkte der neuen Staatenbildung,
das weite Gebiet von dort bis an die Donau ^52 die noerdliche Haelfte eines
griechischen Reiches werden zu sollen, der Residenz des ehemaligen Statthalters
von Thrakien, Lysimachos, der auf dem Thrakischen Chersones neugegruendeten
Stadt Lysimacheia eine aehnliche Zukunft zu winken wie den Residenzen der
Marschaelle von Syrien und Aegypten. Indes es kam dazu nicht; die
Selbstaendigkeit dieses Reiches ueberdauerte den Fall seines ersten Herrschers
(473 281) nicht. In dem Jahrhundert, welches von da bis auf die Begruendung der
Vormachtstellung Roms im Orient verging, versuchten bald die Seleukiden, bald
die Ptolemaeer, bald die Attaliden die europaeischen Besitzungen des Lysimachos
in ihre Gewalt zu bringen, aber saemtlich ohne dauernden Erfolg. Das Reich von
Tylis im Haemus, welches die Kelten nicht lange nach dem Tode Alexanders,
ungefaehr gleichzeitig mit ihrer bleibenden Niederlassung in Kleinasien, im
moesisch-thrakischen Gebiet gegruendet hatten, vernichtete die Saat griechischer
Zivilisation in seinem Bereich und erlag selber waehrend des Hannibalischen
Krieges den Angriffen der Thraker, die diese Eingedrungenen bis auf den letzten
Mann ausrotteten. Seitdem gab es in Thrakien eine fuehrende Macht ueberhaupt
nicht; die zwischen den griechischen Kuestenstaedten und den Fuersten der
einzelnen Staemme bestehenden Verhaeltnisse, die ungefaehr denen vor Alexander
entsprechen mochten, erlaeutert die Schilderung, die Polybios von der
bedeutendsten dieser Staedte gibt: wo die Byzantier gesaet haben, da ernten die
thrakischen Barbaren, und es hilft gegen diese weder das Schwert noch das Geld;
schlagen die Buerger einen der Fuersten, so fallen dafuer drei andere in ihr
Gebiet, und kaufen sie einen ab, so verlangen fuenf mehr den gleichen Jahrzins.
Dem Bestreben der spaeteren makedonischen Herrscher, in Thrakien wieder festen
Fuss zu fassen und namentlich die griechischen Staedte der Suedkueste in ihre
Gewalt zu bringen, traten die Roemer entgegen, teils um Makedoniens
Machtentwicklung ueberhaupt niederzuhalten, teils um nicht die wichtige, nach
dem Orient fuehrende "Koenigsstrasse", diejenige, auf der Xerxes nach
Griechenland, die Scipionen gegen Antiochos marschierten, in ihrer ganzen
Ausdehnung in makedonische Hand kommen zu lassen. Schon nach der Schlacht bei
Kynoskephalae wurde die Grenzlinie ungefaehr so gezogen, wie sie seitdem
geblieben ist. oefter versuchten die beiden letzten makedonischen Herrscher,
sich dennoch in Thrakien sei es geradezu festzusetzen, sei es dessen einzelne
Fuersten durch Vertraege an sich zu knuepfen; der letzte Philippos hat sogar
Philippopolis abermals gewonnen und Besatzung hineingelegt, die die Odrysen
freilich bald wieder vertrieben. Zu dauernder Festsetzung gelangte weder er noch
sein Sohn, und die nach der Aufloesung Makedoniens den Thrakern von Rom
eingeraeumte Selbstaendigkeit zerstoerte, was dort etwa von hellenischen
Anfaengen noch uebrig sein mochte. Thrakien selbst wurde zum Teil schon in
republikanischer, entschiedener in der Kaiserzeit roemisches Lehnsfuerstentum,
dann im Jahre 46 n. Chr. roemische Provinz; aber die Hellenisierung des Landes
war nicht hinausgekommen ueber den Saum griechischer Pflanzstaedte, welcher in
fruehester Zeit sich auch um diese Kueste gelegt hatte, und im Lauf der Zeit
eher gesunken als gestiegen. So maechtig und bleibend die makedonische
Kolonisation den Osten ergriffen, so schwach und vergaenglich hat sie Thrakien
beruehrt; Philipp und Alexander selbst scheinen die Ansiedelungen in diesem
Lande widerwillig vorgenommen und geringgeschaetzt zu haben ^53. Bis weit in die
Kaiserzeit hinein ist das Land den Eingeborenen, sind die an der Kueste
uebriggebliebenen, fast alle heruntergekommenen Griechenstaedte ohne
griechisches Hinterland geblieben.
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^52 Dass auch fuer Lysimachos die Donau Reichsgrenze war, geht hervor aus
Paus. 1,9,6.
^53 Kalybe bei Byzantion entstand nach Strabon (7, 6, 2, p. 320) PHilippoy
to? Am?ntoy to?s pon/e/ratotoys enta?tha idr?santos. Philippopolis soll sogar
nach dem Bericht Theopomps (fr. 122 Mueller) als Pon/e/ropolis gegruendet sein
und die entsprechenden Kolonisten empfangen haben. Wie wenig Vertrauen diese
Angaben auch verdienen, so druecken sie doch in ihrem Zusammentreffen den
Botany-Bay-Charakter dieser Gruendungen aus.
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Dieser von der makedonischen Grenze an bis zum Taurischen Chersonesos sich
erstreckende Kranz hellenischer Staedte ist sehr ungleich geflochten. Im Sueden
ist er dicht geschlossen von Abdera an bis nach Byzantion an den Dardanellen;
doch hat keine dieser Staedte in spaeterer Zeit eine hervorragende Bedeutung
gehabt, mit Ausnahme von Byzantion, das durch die Fruchtbarkeit seines Gebietes,
die eintraegliche Thunfischerei, die ungemein guenstige Handelslage, den
Gewerbefleiss und die durch die exponierte Lage nur gesteigerte und gestaehlte
Tuechtigkeit seiner Buerger auch den schwersten Zeiten der hellenischen Anarchie
zu trotzen gewusst hatte. Bei weitem duerftiger hatte die Ansiedlung sich an der
Westkueste des Schwarzen Meeres entwickelt; an der spaeter zur roemischen
Provinz Thrakien gehoerigen war nur Mesembria von einiger Bedeutung, an der
spaeter moesischen Odessos (Varna) und Tomis (Kuestendsche). Jenseits der
Donaumuendung und der roemischen Reichsgrenze an dem Nordgestade des Pontus
lagen mitten im Barbarenland Tyra ^54 und Olbia; weiterhin machten die alten und
grossen griechischen Kaufstaedte auf der heutigen Krim, Herakleia oder
Chersonesos und Pantikapaeon, einen stattlichen Schlussstein. Alle diese
Ansiedlungen genossen des roemischen Schutzes, seit die Roemer ueberhaupt die
Vormacht auf dem griechisch-asiatischen Kontinent geworden waren, und der starke
Arm, der das eigentliche hellenische Land oft schwer traf, verhinderte hier
wenigstens Katastrophen wie die Zerstoerung von Lysimacheia. Die Beschuetzung
dieser Griechen gehoerte in republikanischer Zeit zu den Obliegenheiten teils
des Statthalters von Makedonien, teils des von Bithymen, seit auch dies roemisch
war; Byzantion ist spaeter bei Bithynien geblieben ^55. Im uebrigen ging in der
Kaiserzeit nach Einrichtung der Statthalterschaft von Moesien und spaeter
derjenigen von Thrakien die Schutzleistung auf diese ueber.
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^54 Doch reicht die noerdliche bessarabische Linie, die vielleicht roemisch
ist, bis nach Tyra.
^55 Dass Byzantion noch in traianischer Zeit unter dem Statthalter von
Bithynien stand, folgt aus Plin. ep. ad Trai. 43. Aus den Gratulationen der
Byzantier an die Legaten von Moesien kann die ihrer Lage nach kaum moegliche
Zugehoerigkeit zu dieser Statthalterschaft nicht geschlossen werden; die
Beziehungen zu dem Statthalter von Moesien erklaeren sich aus den
Handelsverbindungen der Stadt mit den moesischen Hafenplaetzen. Dass Byzanz auch
im Jahre 53 unter dem Senat stand, also nicht zu Thrakien gehoerte, geht aus
Tacitus ann. 12, 62 hervor. Zugehoerigkeit zu Makedonien unter der Republik
bezeugt Cicero (Pis. 35, 86; prov. 4, 6) nicht, da die Stadt damals frei war.
Diese Freiheit scheint, wie bei Rhodos, oft gegeben und oft genommen zu sein.
Cicero, a. a. O., spricht sie ihr zu; im Jahre 53 ist sie tributpflichtig;
Plinius (nat. 4, 11, 46) fuehrt sie als freie Stadt auf; Vespasian entzieht ihr
die Freiheit (Suet. Vesp. 8).
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Schutz und Gunst gewaehrte diesen Griechen Rom von jeher; aber um die
Ausdehnung des Hellenismus hat weder die Republik noch die fruehere Kaiserzeit
sich bemueht ^56. Nachdem Thrakien roemisch geworden war, ist es in Landkreise
eingeteilt worden ^57; und bis fast an das Ende des ersten Jahrhunderts ist dort
keine Stadtanlage zu verzeichnen, mit Ausnahme zweier Pflanzstaedte des Claudius
und des Vespasianus, Apri im Binnenland, nicht weit von Perinthos, und Deultus
an der noerdlichsten Kueste ^58. Domitian hat damit begonnen, griechische
Stadtverfassung im Binnenland einzufuehren, zuerst fuer die Landeshauptstadt
Philippopolis. Unter Traianus erhielten eine Reihe anderer thrakischer
Ortschaften das gleiche Stadtrecht: Topeiros unweit Abdera, Nikopolis am Nestos,
Plotinopolis am Hebros, Pautalia bei Koestendil, Serdica jetzt Sofia, Augusta
Traiana bei Alt-Zagora, ein zweites Nikopolis am noerdlichen Abhang des Haemus
^59 ausserdem an der Kueste Traianopolis an der Hebrosmuendung; ferner unter
Hadrian Adrianopolis, das heutige Adrianopel. Alle diese Staedte waren nicht
Kolonien von Auslaendern, sondern nach dem von Augustus in dem epirotischen
Nikopolis aufgestellten Muster zusammengefasste, griechisch organisierte
Poliden; es war eine Zivilisierung und Hellenisierung der Provinz von oben
herab. Ein thrakischer Landtag bestand seitdem in Philippopolis ebenso wie in
den eigentlich griechischen Landschaften. Dieser letzte Trieb des Hellenismus
ist nicht der schwaechste. Das Land ist reich und anmutig - eine Muenze der
Stadt Pautalia preist den vierfachen Segen der Aehren, der Trauben, des Silbers
und des Goldes; und Philippopolis sowie das schoene Tal der Tundja sind die
Heimat der Rosenzucht und des Rosenoels - und die Kraft des thrakischen Schlages
war nicht gebrochen. Es entwickelte sich hier eine dichte und wohlhabende
Bevoelkerung; der starken Aushebung in Thrakien wurde schon gedacht und in der
Taetigkeit der staedtischen Muenzstaetten stehen fuer diese Epoche wenige
Gebiete Thrakien gleich. Als Philippopolis im Jahre 251 den Goten erlag, soll es
hunderttausend Einwohner gezaehlt haben. Auch die energische Parteinahme der
Byzantier fuer den Kaiser des griechischen Ostens, Pescennius Niger, und der
mehrjaehrige Widerstand, den die Stadt noch nach dessen Untergang dem Sieger
entgegenstellte, zeigen die Mittel und den Mut dieser thrakischen Staedter. Wenn
die Byzantier auch hier unterlagen und sogar eine Zeitlang ihr Stadtrecht
einbuessten, so sollte bald die durch den Aufschwung des thrakischen Landes sich
vorbereitende Zeit eintreten, wo Byzantion das neue hellenische Rom und die
Hauptresidenz des umgewandelten Reiches ward.
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^56 Dies verbuergt das Fehlen von Muenzen der thrakischen Binnenstaedte,
welche nach Metall und Stil in die aeltere Zeit gesetzt werden koennten. Dass
eine Anzahl thrakischer, besonders odrysischer Fuersten zum Teil schon in recht
frueher Zeit gepraegt haben, beweist nur, dass sie ueber Kuestenplaetze mit
griechischer oder halbgriechischer Bevoelkerung geboten. Ebenso wird auch zu
urteilen sein ueber die ganz vereinzelt stehenden Tetradrachmen der "Thraker"
(A. v. Sallet in Zeitschrift fuer Numismatik 3, 1876, S. 241).
Auch die im thrakischen Binnenland gefundenen Inschriften sind durchgaengig
aus roemischer Zeit. Das in Bessapara, jetzt Tatar Bazardjik, westlich von
Philippopolis, von Dumont (Inscriptions de la Thrace, S. 7) gefundene Dekret
einer nicht genannten Stadt wird freilich in gute makedonische Zeit gesetzt,
aber nur nach dem Charakter der Schrift, welcher vielleicht truegt.
^57 Die fuenfzig Strategien Thrakiens (Plin. nat. 4,11, 40; Ptol. geogr. 3,
11, 6) sind nicht Militaerbezirke, sondern, wie dies namentlich bei Ptolemaeos
deutlich hervortritt, Landkreise, die sich mit den Staemmen decken
(strat/e/gi/e/ Maidik/e/, Bessik/e/ u.s.w.) und Gegensatz zu den Staedten
bilden. Die Bezeichnung strat/e/gos hat, ebenso wie praetor, ihren urspruenglich
militaerischen Wert spaeter eingebuesst. Hier liegt wohl zunaechst die Analogie
von Aegypten zu Grunde, das ebenso in Stadtgebiete unter staedtischen
Magistraten und in Landkreise unter Strategen zerfiel. Ein strat/e/gos peri
Perinthon aus roemischer Zeit: Eph. epigr. II, p. 252.
^58 In Deultus, der colonia Flavia Pacis Deultensium, wurden Veteranen der
8. Legion versorgt (CIL VI, 3828). Flaviopolis auf dem Chersones, das alte
Coela, ist gewiss nicht Kolonie gewesen (Plin, nat. 4, 11, 47), sondern gehoert
zu der eigenartigen Ansiedelung des Kaisergesindes auf diesem Domanialbesitz
(Eph. epigr. V, p. 82).
^59 Diese Stadt Nikopolis /e/ peri Aim/o/n des Ptolemaeos (geogr. 3, 11,
7), Nikopolis pros Istron der Muenzen, das heutige Nikup an der Jantra, gehoert
geographisch zu Untermoesien und, wie die Statthalternamen der Muenzen zeigen,
seit Severus auch administrativ; aber nicht bloss fuehrt Ptolemaeos es bei
Thrakien auf, sondern die Fundorte der hadrianischen Terminalsteine (CIL III,
736, vgl. p. 992) scheinen es ebenfalls zu Thrakien zu stellen. Da diese
griechische Binnenstadt weder zu den lateinischen Stadtgemeinden Untermoesiens
noch zu dem koinon des moesischen Pontus passte, ist sie bei der ersten Ordnung
der Verhaeltnisse dem koinon der Thraker zugewiesen worden. Spaeter muss sie
freilich einem oder dem andern jener moesischen Verbaende angeschlossen worden
sein.
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In der benachbarten Provinz Untermoesien hat sich, freilich in geringerem
Masse, eine aehnliche Entwicklung vollzogen. Die griechischen Kuestenstaedte,
deren Metropole wenigstens in roemischer Zeit Tomis war, wurden, wahrscheinlich
bei Konstituierung der roemischen Provinz Moesien, zusammengefasst als
"Fuenfstaedtebund des linken Ufers des Schwarzen Meeres" oder, wie er auch sich
nennt, "der Griechen", das heisst der Griechen dieser Provinz. Spaeter ist als
sechste Stadt die unweit der Kueste an der thrakischen Grenze von Traian
angelegte und gleich den thrakischen griechisch geordnete Stadt Markianopolis
diesem Bund angeschlossen worden ^60. Dass die Lagerstaedte am Donauufer und
ueberhaupt die im Binnenland von Rom ins Leben gerufenen Ortschaften nach
italischem Muster eingerichtet wurden, ist frueher bemerkt worden; Untermoesien
ist die einzige durch die Sprachgrenze durchschnittene roemische Provinz, indem
der tomitanische Staedtebund dem griechischen, die Donaustaedte wie Durostorum
und Oescus dem lateinischen Sprachgebiet angehoeren. Im uebrigen gilt von diesem
moesischen Staedtebund wesentlich das gleiche, was ueber Thrakien bemerkt ward.
Wir haben eine Schilderung von Tomis aus den letzten Jahren des Augustus,
freilich von einem dahin zur Strafe Verbannten, aber sicher im wesentlichen
getreu. Die Bevoelkerung besteht zum groesseren Teil aus Geten und Sarmaten; sie
tragen, wie die Daker auf der Traianssaeule, Pelze und Hosen, langes flatterndes
Haar und den Bart ungeschoren, erscheinen auf der Strasse zu Pferde und mit dem
Bogen bewaffnet, den Koecher auf der Schulter, das Messer im Guertel. Die
wenigen Griechen, die unter ihnen sich finden, haben die barbarische Sitte
angenommen mit Einschluss der Hosen und wissen ebensogut oder besser getisch als
griechisch sich auszudruecken; der ist verloren, der sich nicht auf getisch
verstaendlich machen kann, und kein Mensch versteht ein Wort lateinisch. Vor den
Toren hausen raeuberische Scharen der verschiedensten Voelker und ihre Pfeile
fliegen nicht selten ueber die schuetzende Stadtmauer; wer seinen Acker zu
bestellen wagt, der tut es mit Lebensgefahr, und pfluegt bewaffnet - war doch um
die Zeit von Caesars Diktatur bei dem Zuge des Burebista die Stadt den Barbaren
in die Haende gefallen und wenige Jahre, bevor jener Verbannte nach Tomis kam,
waehrend der dalmatisch-pannonischen Insurrektion ueber diese Gegend abermals
die Kriegsfurie hingebraust. Zu diesen Erzaehlungen passen die Muenzen und die
Inschriften derselben Stadt insofern wohl, als die Metropole des linkspontischen
Staedtebundes in der vorroemischen Zeit kein Silber geschlagen hat, was manche
andere dieser Staedte taten, und dass ueberhaupt Muenzen wie Inschriften aus der
Zeit vor Traian nur vereinzelt begegnen. Aber im 2. und 3. Jahrhundert ist sie
umgewandelt und kann ziemlich mit demselben Recht eine Gruendung Traians heissen
wie das ebenfalls rasch zu bedeutender Entwicklung gelangte Markianopolis. Die
frueher erwaehnte Sperrung in der Dobrudscha diente zugleich als Schutzmauer
fuer die Stadt Tomis. Hinter dieser bluten daselbst Handel und Schiffahrt auf.
Es gab in der Stadt eine Genossenschaft alexandrinischer Kaufleute mit ihrer
eigenen Serapiskapelle ^61; in munizipaler Freigebigkeit und munizipaler
Ambition steht die Stadt hinter keiner griechischen Mittelstadt zurueck;
zweisprachig ist sie auch jetzt noch, aber in der Weise, dass neben der auf den
Muenzen immer festgehaltenen griechischen Sprache hier an der Grenze der beiden
Reichssprachengebiete auch die lateinische vielfach selbst auf oeffentlichen
Denkmaelern angewendet wird.
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^60 Das koinon t/e/s Pentapole/o/s findet sich auf einer Inschrift von
Odessos (CIG 2056 c) die fueglich der frueheren Kaiserzeit angehoeren kann, die
pontische Hexapolis auf zwei Inschriften von Tomis wahrscheinlich des 2.
Jahrhunderts n. Chr. (Marquardt, Roemische Staatsverwaltung, Bd. 1, z. Aufl., S.
305; Hirschfeld in Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen 6, 1882, S. 22).
Die Hexapolis muss auf jeden Fall und danach wahrscheinlich auch die Pentapolis,
mit den roemischen Provinzialgrenzen in Einklang gebracht werden, das heisst die
griechischen Staedte Untermoesiens in sich schliessen. Diese finden sich auch,
wenn man den sichersten Fuehrern, den Muenzen der Kaiserzeit, folgt.
Muenzstaetten (von Nikopolis abgesehen, Anm. 59) gibt es in Untermoesien sechs:
Istros, Tomis, Kallatis, Dionysopolis, Odessos und Markianopolis, und da die
letzte Stadt von Traian gegruendet ward, so erklaert sich damit zugleich die
Pentapolis. Tyra und Olbia haben schwerlich dazu gehoert; wenigstens zeigen die
zahlreichen und redseligen Denkmaeler der letzteren Stadt nirgends eine
Anknuepfung an diesen Staedtebund. Koinon t/o/n Ell/e/n/o/n heisst derselbe auf
einer Inschrift von Tomis, welche ich hier wiederhole, da sie nur in der
athenischen Pandora vom 1. Juni 1868 gedruckt ist: Agath/e/ t?ch/e/. Kata ta
doxanta t/e/ krat/e/st/e/ boyl/e/ kai t/o/ lamprotat/o/ d/e/m/o/ t/e/s
lamprotat/e/s metropole/o/s kai a toi epon?moy Pontoy Tome/o/s ton Pontarch/e/n
Preiskion Annianon arxanta toi koino? t/o/n Ell/e/n/o/n kai t/e/s metropole/o/s
t/e/n a' arch/e/n agn/o/s, kai archierasamenon, t/e/n diopl/o/n kyneg/e/si/o/n
endox/o/s philoteimian m/e/ dialiponta, alla kai boyleyt/e/n kai t/o/n
pr/o/teyont/o/n PHlabias Neas pole/o/s, kai t/e/n archiereian s?mbion ayto?
Ioylian Apolaist/e/n pas/e/s teim/e/s charein.
^61 Das zeigt die merkwuerdige Inschrift bei Allard, La Bulgarie Orientale.
Paris 1863, S. 263: THe/o/ megal/o/ Sarap{idi kai} tois synnaiois theois kai
t/o/ aytokratori T. Aili/o/ Adrian/o/ Ant/o/nein/o/ Sebast/o/ Eysebei kai M.
Ayr/e/li/o/ Oy/e/r/o/ Kaisari Karpi/o/n Anoybi/o/nos t/o/ oik/o/ Alexandre/o/n
ton b/o/mon ek t/o/n idi/o/n aneth/e/ken etoys kg' m/e/nos PHarmoythi a' epi
iere/o/n Kornoytoy to? kai Sarapi/o/nos Pol?mnoy to? kai Longeinoy. Die
Schiffergilde von Tomis begegnet mehrfach in den Inschriften der Stadt.
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Jenseits der Reichsgrenze, zwischen der Donaumuendung und der Krim, hatte
der griechische Kaufmann die Kueste wenig besiedelt; es gab hier nur zwei
namhafte griechische Staedte, beide von Miletos aus in ferner Zeit gegruendet,
Tyra an der Muendung des gleichnamigen Flusses, des heutigen Dnjestr, und Olbia
an dem Busen, in welchen der Borysthenes (Dnjepr) und der Hypanis (Bug) fallen.
Die verlorene Stellung dieser Hellenen unter den sie umdraengenden Barbaren in
der Diadochenzeit sowohl wie waehrend der Vorherrschaft der roemischen Republik
ist frueher geschildert worden. Die Kaiser brachten Hilfe. Im Jahre 56, also in
dem musterhaften Anfang der Neronischen Regierung, ist Tyra zur Provinz Moesien
gezogen worden. Von dem entfernteren Olbia besitzen wir eine Schilderung aus
traianischer Zeit ^62: die Stadt blutete noch aus ihren alten Wunden; die
elenden Mauern umschlossen gleich elende Haeuser und das damals bewohnte
Quartier fuellte einen kleinen Teil des alten ansehnlichen Stadtringes, von dem
einzelne uebriggebliebene Tuerme weit hinaus auf dem wuesten Felde standen; in
den Tempeln gab es kein Goetterbild, das nicht die Spuren der Barbarenfaeuste
trug; die Bewohner hatten ihr Hellenentum nicht vergessen, aber sie trugen und
schlugen sich nach Art der Skythen, mit denen sie taeglich im Gefecht lagen.
Ebenso oft wie mit griechischen nennen sie sich mit skythischen Namen, das
heisst mit denen der den Iraniern verwandten sarmatischen Staemme ^63; ja im
Koenigshause selbst ward Sauromates ein gewoehnlicher Name. Ihr Fortbestehen
selbst hatten diese Staedte wohl weniger der eigenen Kraft zu danken als dem
guten Willen oder vielmehr dem eigenen Interesse der Eingeborenen. Die an dieser
Kueste sitzenden Voelkerschaften waren weder imstande, den auswaertigen Handel
aus eigenen Emporien zu fuehren, noch mochten sie ihn entbehren; in den
hellenischen Kuestenstaedten kauften sie Salz, Kleidungstuecke, Wein, und die
zivilisierteren Fuersten schuetzten einigermassen die Fremden gegen die Angriffe
der eigentlichen Wilden. Die frueheren Regenten Roms muessen Bedenken getragen
haben, den schwierigen Schutz dieser entlegenen Niederlassung zu uebernehmen;
dennoch sandte Pius, als die Skythen sie wieder einmal belagerten, ihnen
roemische Hilfstruppen und zwang die Barbaren, Frieden zu bieten und Geiseln zu
stellen. Durch Severus, von dem an Olbia Muenzen mit dem Bildnis der roemischen
Herrscher schlug, muss die Stadt dem Reiche geradezu einverleibt worden sein.
Selbstverstaendlich erstreckte sich diese Annektierung nur auf die Stadtgebiete
selbst und ist nie daran gedacht worden, die barbarischen Umwohner Tyras und
Olbias unter das roemische Szepter zu bringen. Es ist schon bemerkt worden, dass
diese Staedte die ersten waren, welche, vermutlich unter Alexander ( + 235), dem
beginnenden Gotensturm erlagen.
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^62 Das stets bekriegte und oft zerstoerte Olbia erlitt nach der Angabe
Dios (Borysth. p. 75 R.) etwa 150 Jahre vor seiner Zeit das heisst etwa vor dem
Jahre 100 n. Chr., also wahrscheinlich bei dem Zug des Burebista, die letzte und
schwerste Eroberung (t/e/n teleytaian kai megist/e/n al/o/sin). Eilon de, faehrt
Dion fort, kai ta?t/e/n Getai kai tas allas tas en tois aristerois to? Pontoy
poleis mechri Apoll/o/nias (Sozopolis oder Sizebolu, die letzte namhafte
Griechenstadt an der pontischen Westkueste) othen d/e/ kai sphodra tapeina ta
pragmata katest/e/ t/o/n ta?t/e/ Ell/e/n/o/n, t/o/n men oyketi syoikistheis/o/n
pole/o/n, t/o/n de pha?l/o/s kai t/o/n pleist/o/n barbar/o/n eis aytas
syrryent/o/n. Der junge vornehme Stadtbuerger ausgepraegter ionischer
Physiognomie, dem Dion dann begegnet, welcher zahlreiche Sarmaten erschlagen
oder gefangen hat, und zwar den Phokylides nicht kennt, aber den Homer auswendig
weiss, traegt Mantel und Hosen nach Skythenart und das Messer im Gurt. Die
Stadtbuerger alle tragen langes Haar und langen Bart und nur einer beides
geschoren, was ihm als Zeichen serviler Haltung gegen die Roemer verdacht wird.
Also ein Jahrhundert spaeter sah es dort ganz so aus, wie Ovidius Tomis
schildert.
^63 Ganz gewoehnlich heisst der Vater skythisch, der Sohn griechisch, oder
auch umgekehrt; zum Beispiel verzeichnet eine unter oder nach Traian gesetzte
Inschrift von Olbia (CIG 2074) sechs Strategen: M. Ulpius Pyrrhus Sohn des
Arseuaches, Demetrios Sohn des Xessagaros, Zoilos Sohn des Arsakes, Badakes Sohn
des Radanpson, Epikrates Sohn des Koxuros, Ariston Sohn des Vargadakes.
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Wenn auf dem Kontinent im Norden des Pontus die Griechen sich nur spaerlich
angesiedelt hatten, so war die grosse, aus dieser Kueste vorspringende
Halbinsel, der Taurische Chersonesos, die heutige Krim, seit langem zum grossen
Teil in ihren Haenden. Getrennt durch die Gebirge, welche die Taurier
innehatten, waren die beiden Mittelpunkte der griechischen Niederlassung auf ihr
am westlichen Ende die dorische freie Stadt Herakleia oder Chersonesos
(Sevastopol), am oestlichen das Fuerstenrum von Pantikapaeon oder Bosporus
(Kertsch). Koenig Mithradates hatte auf der Hoehe seiner Macht beide vereinigt
und hier sich ein zweites Nordreich gegruendet, das dann nach dem Zusammenbruch
seiner Herrschaft als einziger Ueberrest derselben seinem Sohn und Moerder
Pharnakes verblieb. Als dieser waehrend des Krieges zwischen Caesar und Pompeius
versuchte, die vaeterliche Herrschaft in Kleinasien wieder zu gewinnen, hatte
Caesar ihn besiegt und ihn auch des Bosporanischen Reiches verlustig erklaert.
In diesem hatte inzwischen der von Pharnakes daselbst zurueckgelassene
Statthalter Asandros dem Koenig den Gehorsam aufgekuendigt, in der Hoffnung,
durch diesen Caesar erwiesenen Dienst selbst das Koenigtum zu erlangen. Als
Pharnakes nach der Niederlage in sein Bosporanisches Reich zurueckkam,
bemaechtigte er zwar zunaechst sich wieder seiner Hauptstadt, unterlag aber
schliesslich und fiel tapfer fechtend in der letzten Schlacht, als Soldat
wenigstens seinem Vater nicht ungleich. Um die Nachfolge stritten Asandros, der
tatsaechlich Herr des Landes war, und Mithradates von Pergamon, ein tuechtiger
Offizier Caesars, den dieser mit dem bosporanischen Fuerstenrum belehnt hatte;
beide suchten zugleich Anlehnung an die bisher im Bosporus herrschende Dynastie
und den grossen Mithradates, indem Asandros sich mit der Tochter des Pharnakes,
Dynamis, vermaehlte, Mithradates, einem pergamenischen Buergerhaus entsprossen,
ein Bastardsohn des grossen Mithradates Eupator zu sein behauptete, sei es nun,
dass dieses Gerede die Auswahl bestimmte, sei es, dass es zur Rechtfertigung der
Auswahl in Umlauf gesetzt ward. Da Caesar selbst zunaechst durch wichtigere
Aufgaben in Anspruch genommen war, so entschieden zwischen dem legitimen und dem
illegitimen Caesarianer die Waffen, und zwar wieder zu Gunsten des letzteren;
Mithradates fiel im Gefecht und Asandros blieb Herr im Bosporus. Er vermied es
anfaenglich, ohne Zweifel, weil ihm die Bestaetigung des Lehnsherrn fehlte, sich
den Koenigsnamen beizulegen, und begnuegte sich mit dem auch von den aelteren
Fuersten von Pantikapaeon gefuehrten Archontentitel; aber bald, wahrscheinlich
noch von Caesar selbst, erwirkte er die Bestaetigung seiner Herrschaft und den
koeniglichen Titel ^64. Bei seinem Tode (737/38 17/16) hinterliess er sein Reich
der Gemahlin Dynamis. So stark war immer noch die Macht der Erbfolge und des
Mithradatischen Namens, dass sowohl ein gewisser Scribonianus, der zunaechst
Asandros' Stelle einzunehmen versuchte, wie nach ihm der Koenig Polemon von
Pontus, dem Augustus das Bosporanische Reich zusprach, mit der Uebernahme der
Herrschaft ein Ehebuendnis mit der Dynamis verbanden; ueberdies behauptete
jener, selber ein Enkel des Mithradates zu sein, waehrend Koenig Polemon bald
nach dem Tode der Dynamis eine Enkelin des Antonius und somit eine Verwandte des
Kaiserhauses heiratete. Nach seinem fruehen Tode - er fiel im Kampfe gegen die
Aspurgianer an der asiatischen Kueste - folgten seine unmuendigen Kinder ihm
nicht und auch seinem gleichnamigen Enkel, den Kaiser Gaius trotz seines
Knabenalters im Jahre 38 in die beiden Fuerstenroemer seines Vaters wieder
einsetzte, blieb das bosporanische nicht lange. An seiner Stelle berief Kaiser
Claudius einen wirklichen oder angeblichen Nachkommen des Mithradates Eupator,
und diesem Hause ist, wie es scheint, das Fuerstenrum von da an verblieben ^65.
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^64 Da Asandros sein Archontat wahrscheinlich schon von seinem Abfall von
Pharnakes, also vom Sommer des Jahres 707 (47) gezaehlt hat und bereits im
vierten Jahre seiner Regierung den Koenigstitel annimmt, so kann dieses Jahr
fueglich auf Herbst 709/710 (45/44) gesetzt werden, die Bestaetigung also von
Caesar erfolgt sein. Antonius kann sie nicht wohl erteilt haben, da er erst Ende
712 (42) nach Asien kam; noch weniger ist an Augustus zu denken, den Pseudo-
Lukianos (macrob. 15) nennt, Vater und Sohn verwechselnd.
^65 Mithradates den Claudius im Jahre 41 zum Koenig des Bosporus machte,
fuehrte sein Geschlecht auf Eupator zurueck (Dio 60, 8; Tac. ann. 12, 18) und
ihm folgte sein Bruder Kotys (Tac. a. a. O.). Ihr Vater heisst Aspurgos (CIG II,
p. 95), braucht aber darum kein Aspurgianer (Strab. 11, 2, 19, p. 415) gewesen
zu sein. Von einem spaeteren Dynastiewechsel wird nicht berichtet; Koenig
Eupator in Pius Zeit (Lukian. Alex. 57; vita Pii 9) weist auf das gleiche Haus.
Wahrscheinlich haben uebrigens diese spaeteren bosporanischen Koenige so wie die
uns nicht einmal dem Namen nach bekannten naechsten Nachfolger Polemons auch zu
den Polemoniden in verwandtschaftlichen Beziehungen gestanden, wie denn der
erste Polemon selbst eine Enkelin des Eupator zur Frau gehabt hatte. Die
thrakischen Koenigsnamen, wie Kotys und Rhaskuporis, die in dem bosporanischen
Koenigshaus gewoehnlich sind, knuepfen wohl an den Schwiegersohn des Polemon,
den thrakischen Koenig Kotys, an. Die Benennung Sauromates, welche seit dem Ende
des 1. Jahrhunderts haeufig auftritt, ist ohne Zweifel durch Verschwaegerung mit
sarmatischen Fuerstenhaeusern aufgekommen, beweist aber natuerlich nicht, dass
ihre Traeger selber Sarmaten waren. Wenn Zosimos (hist. 1, 31) den nach
Erloeschendes alten Koenigsgeschlechts zur Regierung gelangten geringen und
unwuerdigen Fuersten die Schuld daran zuschreibt, dass die Goten unter Valerian
auf bosporanischen Schiffen ihre Piratenzuege ausfuehren konnten, so mag das
seine Richtigkeit haben und zunaechst Phareanses gemeint sein, von dem es
Muenzen aus den Jahren 254 und 255 gibt. Aber auch diese sind mit dem Bildnis
des roemischen Kaisers bezeichnet, und spaeter finden sich wieder die alten
Geschlechtsnamen (alle bosporanischen Koenige sind Tiberii Iulii) und die alten
Beinamen wie Sauromates und Rhaskuporis. Im ganzen genommen sind die alten
Traditionen wie die roemische Schutzherrschaft auch damals hier noch
festgehalten worden.
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Waehrend im roemischen Staat sonst das Klientelfuerstentum nach dem Ausgang
der ersten Dynastie schwindet und seit Traianus das Prinzip des unmittelbaren
Regiments im ganzen Umfang des Roemischen Reiches durchgefuehrt ist, bestand das
bosporanische Koenigtum unter roemischer Oberherrschaft bis in das vierte
Jahrhundert hinein. Erst nachdem der Schwerpunkt des Reiches nach Konstantinopel
verlegt war, ging dieser Staat in das Hauptreich auf ^66, um dann bald von
diesem aufgegeben und, wenigstens zum groesseren Teil, die Beute der Hunnen zu
werden ^67. Indes ist der Bosporus der Sache nach mehr eine Stadt als ein
Koenigreich gewesen und geblieben und hat mehr Aehnlichkeit mit den
Stadtbezirken von Tyra und Olbia als mit den Koenigreichen Kappadokien und
Numidien. Auch hier haben die Roemer nur die hellenische Stadt Pantikapaeon
geschuetzt und Grenzerweiterung und Unterwerfung des Binnenlandes so wenig
erstrebt wie in Tyra und Olbia. Zu dem Gebiet des Fuersten von Pantikapaeon
gehoerten zwar die griechischen Ansiedlungen von Theudosia auf der Halbinsel
selbst und Phanagoria (Taman) auf der gegenueberliegenden asiatischen Kueste,
aber Chersonesos nicht ^68 oder nur etwa wie Athen zum Sprengel des Statthalters
von Achaia. Die Stadt hatte von den Roemern die Autonomie erhalten und sah in
dem Fuersten den naechsten Beschuetzer, nicht den Landesherrn; sie hat auch in
der Kaiserzeit als freie Stadt niemals weder mit Koenigs- noch mit
Kaiserstempeln gepraegt. Auf dem Kontinent stand nicht einmal die Stadt, welche
die Griechen Tanais nennen, ein lebhaftes Emporium an der Muendung des Don, aber
schwerlich eine griechische Gruendung, dauernd unter der Botmaessigkeit der
roemischen Lehnsfuersten ^69. Von den mehr oder minder barbarischen Staemmen auf
der Halbinsel selbst und an der europaeischen und asiatischen Kueste suedlich
vom Tanais befanden sich wohl nur die naechsten in festem
Abhaengigkeitsverhaeltnis ^70.
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^66 Die letzte bosporanische Muenze ist vom Jahre 631 der
Archaemenidenaera, 335 n. Chr.; sicher haengt dies zusammen mit der eben in
dieses Jahr fallenden Einsetzung des Neffen Konstantins L, Hanniballianus, zum
"Koenig", obwohl dies Koenigtum hauptsaechlich das oestliche Kleinasien umfasste
und zur Residenz Caesa rea in Kappadokien hatte. Nachdem in der blutigen
Katastrophe nach Konstantins Tode dieser Koenig und sein Koenigtum zugrunde
gegangen war, steht der Bosporus unmittelbar unter Konstantinopel.
^67 Noch im Jahre 366 war der Bosporus in roemischem Besitz (Amm. 26, 10,
6); bald nachher muessen die Griechen am Nordufer des Schwarzen Meeres sich
selbst ueberlassen worden sein, bis dann Justinian die Halbinsel wieder besetzte
(Prok. Goth. 4, 5). In der Zwischenzeit ging Pantikapaeon in den Hunnenstuermen
zugrunde.
^68 Die Muenzen der Stadt Chersonesos aus der Kaiserzeit haben die
Aufschrift CHerson/e/soy eleytheras, einmal sogar basileyo?s/e/s, und weder
Koenigs- noch Kaisernamen oder Kopf (A. v. Sauet in Zeitschrift fuer Numismatik
1, 1874, S. 27; 4, 1877, S. 273). Die Unabhaengigkeit der Stadt dokumentiert
sich auch darin, dass sie nicht minder als die Koenige des Bosporus in Gold
muenzt. Da die Aera der Stadt richtig auf das Jahr 36 v. Chr. bestimmt scheint
(CIG 8621), in welchem ihr, vermutlich von Antonius, die Freiheit verliehen
ward, so ist die vom Jahre 109 datierte Goldmuenze der "regierenden Stadt" im
Jahre 75 n. Chr. geschlagen.
^69 Nach Strabons Darstellung (11, 2, 11, p. 495) stehen die Herren von
Tanais selbstaendig neben denen von Pantikapaeon und haengen die Staemme
suedlich vom Don bald von diesen, bald von jenen ab; wenn er hinzufuegt, dass
manche der pantikapaeischen Fuersten bis zum Tanais geboten, und namentlich die
letzten, Pharnakes, Asandros, Polemon, so scheint dies mehr Ausnahme als Regel.
In der Anm. 70 angefuehrten Inschrift stehen die Tanaiten unter den
untertaenigen Staemmen und eine Reihe von tanaitischen Inschriften bestaetigen
dies fuer die Zeit von Marcus bis Gordian; aber die Ell/e/nes kai Tanaeitai
neben den archantes Tanaeit/o/n und den oefter genannten Ell/e/narchai
bestaetigen, dass die Stadt auch damals eine nicht griechische blieb.
^70 In der einzigen lebendigen Erzaehlung aus der bosporanischen
Geschichte, die wir besitzen, der des Tacitus (arm. 12, 15-21) von den beiden
rivalisierenden Bruedern Mithradates und Kotys, stehen die benachbarten Staemme,
die Dandariden Shaker, Aorser unter eigenen, von dem roemischen Fuersten von
Pantikapaeon nicht rechtlich abhaengigen Herren.
In der Titulatur pflegen die aelteren pantikapaeischen Fuersten sich
Archonten des Bosporus, das heisst von Pantikapaeon, und von Theudosia und
Koenige der Sinder und saemtlicher Maiter und anderer nicht griechischer
Voelkerschaften zu nennen. Ebenso nennt die meines Wissens unter den
Koenigsinschriften der roemischen Epoche aelteste den Aspurgos, Sohn des
Asandrochos (Stephani, Comptes rendus de la commission pour 1866, S. 128)
basile?onta pantos Bosporoy. THeodosi/e/s kai Sind/o/n kai Mait/o/n kai
Toret/o/n PS/e/s/o/n te kai Tanaeit/o/n. TH/e/ostasanta Sk?thas kai Tayro?s. Auf
den Umfang des Gebietes wird aus der vereinfachten Titulatur kein Schluss
gezogen werden duerfen.
In den Inschriften der spaeteren Zeit findet sich einmal unter Traian die
wohl adulatorische Titulatur basile?s basile/o/n megas to? pantos Bosporoy(CIG
2123). Die Muenzen kennen ueberhaupt von Asandros an keinen Titel als basile?s,
waehrend doch Pharnakes sich basile?s basile/o/n megas nennt. Ohne Zweifel ist
dies Einwirkung der roemischen Suzeraenitaet, mit der sich ein ueber andere
Fuersten gesetzter Lehnsfuerst nicht recht vertrug.
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Das Gebiet von Pantikapaeon war zu ausgedehnt und besonders fuer den
kaufmaennischen Verkehr zu wichtig, um, wie Olbia und Tyra, der Verwaltung
wechselnder Gemeindebeamten und eines weit entfernten Statthalters ueberlassen
zu werden; deshalb wurde es erblichen Fuersten anvertraut, was weiter sich
dadurch empfahl, dass es nicht geraten scheinen mochte, die mit dieser
Landschaft verknuepften Verhaeltnisse zu den Umwohnern unmittelbar auf das Reich
zu uebertragen. Als Griechenfuersten haben die des bosporanischen Hauses, trotz
ihres achaemenidischen Stammbaumes und ihrer achaemenidischen Jahreszaehlung,
sich durchaus empfunden und ihren Ursprung, nach gut hellenischer Art, auf
Herakles und die Eumolpiden zurueckgefuehrt. Die Abhaengigkeit dieser Griechen
von Rom, der koeniglichen in Pantikapaeon wie der republikanischen in
Chersonesos, war durch die Natur der Dinge gegeben, und nie haben sie daran
gedacht, gegen den schuetzenden Arm des Reiches sich aufzulehnen; wenn einmal
unter Kaiser Claudius die roemischen Truppen gegen einen unbotmaessigen Fuersten
des Bosporus marschieren mussten ^71, so hat dagegen diese Landschaft selbst in
der entsetzlichen Verwirrung in der Mitte des 3. Jahrhunderts, welche
vorzugsweise sie traf, von dem Reich, auch von dem zerfallenden, niemals
gelassen ^72. Die wohlhabenden Kaufstaedte, inmitten eines barbarischen
Voelkergewoges militaerischen Schutzes dauernd beduerftig, hielten an Rom wie
die Vorposten an dem Hauptheer. Die Besatzung ist wohl hauptsaechlich in dem
Lande selbst aufgestellt worden, und sie zu schaffen und zu fuehren, war ohne
Zweifel die Hauptaufgabe des Koenigs des Bosporus. Die Muenzen, welche wegen der
Investitur eines solchen geschlagen wurden, zeigen wohl den kurulischen Sessel
und die sonstigen bei solcher Belehnung ueblichen Ehrengeschenke, aber daneben
auch Schild, Helm, Degen, Streitaxt und das Schlachtross; es war kein
Friedensamt, das dieser Fuerst ueberkam. Auch blieb der erste derselben, den
Augustus bestellte, im Kampf mit den Barbaren, und von seinen Nachfolgern stritt
zum Beispiel Koenig Sauromates, des Rhoemetalkes Sohn, in den ersten Jahren des
Severus mit den Sirakern und den Skythen - vielleicht nicht ganz ohne Grund hat
er seine Muenzen mit den Taten des Herakles bezeichnet. Auch zur See hatte er
taetig zu sein, vor allem das auf dem Schwarzen Meer nie aufhoerende
Piratenwesen niederzuhalten: jenem Sauromates wird gleichfalls nachgeruehmt,
dass er die Taurier zur Ordnung gebracht und die Piraterie gebaendigt habe.
Indes lagen auf der Halbinsel auch roemische Truppen, vielleicht eine Abteilung
der pontischen Flotte, sicher ein Detachement der moesischen Armee; bei geringer
Zahl zeigte doch ihre Anwesenheit den Barbaren, dass der gefuerchtete Legionaer
auch hinter diesen Griechen stand. Noch in anderer Weise schuetzte sie das
Reich; wenigstens in spaeterer Zeit sind den Fuersten des Bosporus regelmaessig
Geldsummen aus der Reichskasse gezahlt worden, deren sie auch insofern
bedurften, als das Abkaufen der feindlichen Einfaelle durch stehende Jahrgelder
hier, in dem nicht unmittelbaren Reichslande, wahrscheinlich noch frueher
stehend geworden ist als anderswo ^73.
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^71 Es war dies der im Jahre 41 von Claudius eingesetzte Koenig
Mithradates, welcher einige Jahre spaeter abgesetzt und durch seinen Bruder
Kotys ersetzt ward; er lebte nachher in Rom und kam in den Wirren des
Vierkaiserjahres um (Plut. Galba 13 u. 15). Indes wird weder aus den Andeutungen
bei Tacitus (ann. 12, 15; vgl. Plin. nat. 6, 5, 17) noch aus dem (durch
Verwechslung der beiden Mithradates von Bosporus und von Iberien verwirrten)
Bericht bei Petrus Patricius (fr. 3) der Sachverhalt deutlich. Die
chersonesitischen Maerchen bei dem spaeten Constantinus Porphyrogenitus (de adm.
imp. c. 53) kommen natuerlich nicht in Betracht. Der boese bosporanische Koenig
Sauromates Kriskonoroy (nicht R/e/skoporoy) yios der mit den Sarmaten gegen
Kaiser Diocletianus und Constantius sowie gegen das reichstreue Cherson Krieg
fuehrt, ist offenbar hervorgegangen aus einer Verwirrung des bosporanischen
Koenigs- und des Volksnamens und geradeso historisch wie die Variation auf die
Geschichte von David und Goliath, die Erlegung des gewaltigen Koenigs der
Bosporaner Sauromates durch den kleinen Chersonesiten Pharnakos. Die
Koenigsnamen allein, zum Beispiel ausser den genannten der nach dem Erloeschen
des Geschlechts der Sauromaten eintretende Asandros, genuegen. Die staedtischen
Privilegien und die Oertlichkeiten der Stadt, zu deren Erklaerung diese
Mirabilien erfunden sind, verdienen allerdings Beachtung.
^72 Es gibt keine bosporanischen Gold- oder Pseudogoldmuenzen ohne den
roemischen Kaiserkopf, und es ist dies immer der des vom roemischen Senat
anerkannten Herrschers. Dass in den Jahren 263 und 265, wo im Reiche sonst nach
Valerians Gefangennehmung Gallienus offiziell als Alleinherrscher galt, hier
zwei Koepfe auf den Muenzen erscheinen, ist vielleicht nur Unkunde; doch mag der
Bosporus damals unter den vielen Praetendenten eine andere Wahl getroffen haben.
Die Namen werden in dieser Zeit nicht beigesetzt und die Bildnisse sind nicht
sicher zu unterscheiden.
^73 Dies wird man dem Skythen Toxaris in dem unter den lukianischen
stehenden Dialog (c. 44) glauben duerfen; im uebrigen erzaehlt er nicht bloss
m?thois omoia, sondern eben einen Mythos, dessen Koenige Leukanor und Eubiotos
die Muenzen begreiflicherweise nicht kennen.
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Dass die Zentralisierung des Regiments auch diesem Fuersten gegenueber zur
Anwendung kam und er nicht viel anders zu dem roemischen Caesar stand wie der
Buergermeister von Athen, tritt vielfach hervor; Erwaehnung verdient, dass
Koenig Asandros und die Koenigin Dynamis Goldmuenzen mit ihrem Namen und ihrem
Bildnis schlugen, dagegen dem Koenig Polemon und seinen naechsten Nachfolgern
wohl die Goldpraegung blieb, da dieses Gebiet sowie die anwohnenden Barbaren
seit langem ausschliesslich an Goldcourant gewoehnt waren, aber sie veranlasst
wurden, ihre Goldstuecke mit dem Namen und dem Bilde des regierenden Kaisers zu
versehen. Ebenfalls seit Polemon ist der Fuerst dieses Landes zugleich der
Oberpriester auf Lebenszeit des Kaisers und des kaiserlichen Hauses. Im uebrigen
behielten die Verwaltung und das Hofwesen die unter Mithradates eingefuehrten
Formen nach dem Muster des persischen Grosskoenigtums, obwohl der
Geheimschreiber (archigrammate?s) und der Oberkammerdiener
(archikoit/o/neit/e/s) des Hofes von Pantikapaeon zu den vornehmen Hofbeamten
der Grosskoenige sich verhielten wie der Roemerfeind Mithradates Eupator zu
seinem Nachkommen Tiberius Iulius Eupator, der wegen seines Anrechts an die
bosporanische Krone in Rom vor Kaiser Pius Recht nahm.
Wertvoll blieb dieses nordische Griechenland fuer das Reich wegen der
Handelsbeziehungen. Wenn auch dieselben in dieser Epoche wohl weniger bedeuteten
als in aelterer Zeit ^74, so ist doch der Kaufmannsverkehr sehr rege geblieben.
In der augustischen Zeit brachten die Staemme der Steppe Sklaven ^75 und Felle,
die Kaufleute der Zivilisation Bekleidungsstuecke, Wein und andere Luxusartikel
nach Tanais; in noch hoeherem Masse war Phanagoria die Niederlage fuer den
Export der Einheimischen, Pantikapaeon fuer den Import der Griechen. Jene Wirren
im Bosporus in der claudischen Zeit waren fuer die Kaufleute von Byzanz ein
schwerer Schlag. Dass die Goten ihre Piratenfahrten im dritten Jahrhundert damit
begannen, die bosporanischen Reeder zu unfreiwilliger Hilfeleistung zu pressen,
wurde schon erwaehnt. Wohl infolge dieses, den barbarischen Nachbarn selbst
unentbehrlichen Verkehrs haben die Buerger von Chersonesos noch nach dem
Wegziehen der roemischen Besatzungen sich behauptet und konnten spaeterhin, als
in justinianischer Zeit die Macht des Reiches sich auch nach dieser Richtung hin
noch einmal geltend machte, als Griechen in das griechische Reich zuruecktreten.
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^74 In Betreff der Getreideausfuhr verdient die Notiz in dem Bericht des
Plautius Beachtung.
^75 Auch aus dem Erbieten, einer von den roemischen Truppen bedraengten
Ortschaft der Siraker (am Asowschen Meer) 10000 Sklaven zu liefern (Tac. ann.
12, 17), wird auf einen lebhaften Sklavenimport aus diesen Gegenden geschlossen
werden duerfen.
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8. Kapitel
Kleinasien
Die grosse Halbinsel, welche die drei Meere, das Schwarze, das Aegaeische
und Mittellaendische, an drei Seiten bespuelen, und die gegen Osten mit dem
eigentlichen asiatischen Kontinent zusammenhaengt, wird, insoweit sie zum
Grenzgebiet des Reiches gehoert, in dem naechsten, das Euphratgebiet und die
roemisch-parthischen Beziehungen behandelnden Abschnitt betrachtet werden. Hier
sollen die Friedensverhaeltnisse namentlich der westlichen Landschaften unter
dem Kaiserregiment dargelegt werden.
Die urspruengliche oder doch vorgriechische Bevoelkerung dieser weiten
Strecke hat sich vielerorts in bedeutendem Umfang bis in die Kaiserzeit hinein
behauptet. Dem frueher eroerterten thrakischen Stamme hat sicher der groesste
Teil von Bithynien gehoert; Phrygien, Lydien, Kilikien, Kappadokien zeigen sehr
mannigfaltige und schwer zu loesende Ueberreste aelterer Sprachepochen, die
vielfach in die roemische Zeit hinabreichen; fremdartige Goetter-, Menschen- und
Ortsnamen begegnen ueberall. Aber so weit unser Blick reicht, dem freilich das
tiefere Eindringen hier selten gewaehrt ist, erscheinen diese Elemente nur
weichend und schwindend, wesentlich als Negation der Zivilisation oder, was hier
damit uns wenigstens zusammenzufallen duenkt, der Hellenisierung. Es wird am
geeigneten Platz auf einzelne Gruppen dieser Kategorie zurueckzukommen sein;
fuer die geschichtliche Entwicklung Kleinasiens in der Kaiserzeit gibt es
daselbst nur zwei aktive Nationalitaeten, die beiden zuletzt eingewanderten, in
den Anfaengen der geschichtlichen Zeit die Hellenen und waehrend der Wirren der
Diadochenzeit die Kelten.
Die Geschichte der kleinasiatischen Hellenen, soweit sie ein Teil der
roemischen ist, ist frueher dargelegt worden. In der fernen Zeit, wo die Kuesten
des Mittelmeers zuerst befahren und besiedelt wurden und die Welt anfing unter
die vorgeschrittenen Nationen auf Kosten der zurueckgebliebenen aufgeteilt zu
werden, hatte die Hochflut der hellenischen Auswanderung sich zwar ueber alle
Ufer des Mittellaendischen Meeres, aber doch nirgend hin, selbst nicht nach
Italien und Sizilien in so breitem Strom ergossen wie ueber das Inselreiche
Aegaeische Meer und die nahe, hafenreiche, liebliche Kueste Vorderasiens. Die
vorderasiatischen Griechen hatten dann selbst vor allen uebrigen sich taetig an
der weiteren Welteroberung beteiligt, von Miletos aus die Kuesten des Schwarzen
Meeres, von Phokaea und Knidos aus die der Westsee besiedeln helfen. In Asien
ergriff die hellenische Zivilisation wohl die Bewohner des Binnenlandes, die
Myser, Lydier, Karer, Lykier, und selbst die persische Grossmacht blieb von ihr
nicht unberuehrt. Aber die Hellenen selber besassen nichts als den Kuestensaum,
hoechstens mit Einschluss des unteren Laufs der groesseren Fluesse, und die
Inseln. Kontinentale Eroberung und eigene Landmacht vermochten sie hier
gegenueber den maechtigen einheimischen Fuersten nicht zu gewinnen; auch lud das
hochgelegene und grossenteils wenig kulturfaehige Binnenland Kleinasiens nicht
so wie die Kuesten zur Ansiedelung ein, und die Verbindungen dieser mit dem
Innern sind schwierig. Wesentlich in Folge dessen brachten es die asiatischen
Hellenen noch weniger als die europaeischen zur inneren Einigung und zur eigenen
Grossmacht und lernten frueh die Fuegsamkeit gegenueber den Herren des
Kontinents. Der national hellenische Gedanke kam ihnen erst von Athen; sie
wurden dessen Bundesgenossen nur nach dem Siege und blieben es nicht in der
Stunde der Gefahr. Was Athen diesen Schutzbefohlenen der Nation hatte leisten
wollen und nicht hatte leisten koennen, das vollbrachte Alexander; Hellas musste
er besiegen, Kleinasien sah in dem Eroberer nur den Befreier. Alexanders Sieg
sicherte in der Tat nicht bloss das asiatische Hellenentum, sondern oeffnete ihm
eine weite, fast ungemessene Zukunft; die Besiedelung des Kontinents, welche im
Gegensatz der bloss litoralen dieses zweite Stadium der hellenischen
Welteroberung bezeichnet, ergriff auch Kleinasien in bedeutendem Umfang. Doch
von den Knotenpunkten der neuen Staatenbildung kam keiner nach den alten
Griechenstaedten der Kueste ^1. Die neue Zeit forderte wie ueberhaupt neue
Gestaltung, so vor allem auch neue Staedte, zugleich griechische
Koenigsresidenzen und Mittelpunkte bisher ungriechischer und dem Griechentum
zuzufuehrender Bevoelkerungen. Die grosse staatliche Entwicklung bewegt sich um
die Staedte koeniglicher Gruendung und koeniglichen Namens, Thessalonike,
Antiocheia, Alexandreia. Mit ihren Herren hatten die Roemer zu ringen; den
Besitz Kleinasiens gewannen sie fast durchaus, wie man von Verwandten oder
Freunden ein Landgut erwirbt, durch Vermaechtnis im Testament; und wie schwer
auf den also gewonnenen Landschaften zeitweise das roemische Regiment gelastet
hat, der Stachel der Fremdherrschaft trat hier nicht hinzu. Eine nationale
Opposition hat wohl der Achaemenide Mithradates den Roemern in Kleinasien
entgegengestellt und das roemische Missregiment die Hellenen in seine Arme
getrieben; aber diese selbst haben nie etwas Aehnliches unternommen. Darum ist
von diesem grossen, reichen, wichtigen Besitz in politischer Hinsicht wenig zu
berichten; um so weniger, als in betreff der nationalen Beziehungen der Hellenen
ueberhaupt zu den Roemern das in dem vorhergehenden Abschnitt Bemerkte
wesentlich auch fuer die kleinasiatischen Geltung hat.
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^1 Haette der Staat des Lysimachos Bestand gehabt, so waere es wohl anders
gekommen. Seine Gruendungen Alexandreia in der Troas und Lysimacheia, Ephesos-
Arsinoe, verstaerkt durch die Uebersiedelung der Bewohner von Kolophon und
Lebedos, liegen in der bezeichneten Richtung.
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Die roemische Verwaltung Kleinasiens wurde nie in systematischer Weise
geordnet, sondern die einzelnen Gebiete so, wie sie zum Reich kamen, ohne
wesentliche Veraenderung der Grenzen als roemische Verwaltungsbezirke
eingerichtet. Die Staaten, welche Koenig Attalos III. von Pergamon den Roemern
vermacht hatte, bilden die Provinz Asia; die ebenfalls durch Erbgang ihnen
zugefallenen des Koenigs Nikomedes die Provinz Bithynien; das dem Mithradates
Eupator abgenommene Gebiet die mit Bithynien vereinigte Provinz Pontus. Kreta
wurde bei Gelegenheit des grossen Piratenkrieges von den Roemern besetzt;
Kyrene, das gleich hier mit erwaehnt werden mag, nach dem letzten Willen seines
Herrschers von ihnen uebernommen. Derselbe Rechtstitel gab der Republik die
Insel Kypros; hinzu kam hier die notwendige Unterdrueckung der Piraterie. Diese
hatte auch zu der Bildung der Statthalterschaft Kilikien den Grund gelegt;
vollstaendig kam das Land an Rom durch Pompeius mit Syrien zugleich, und beide
sind waehrend des ersten Jahrhunderts gemeinschaftlich verwaltet worden. All
dieser Laenderbesitz war bereits von der Republik erworben. In der Kaiserzeit
traten eine Anzahl Gebiete hinzu, welche frueher nur mittelbar zum Reich gehoert
hatten: im Jahre 729 (25) das Koenigreich Galatien, mit welchem ein Teil
Phrygiens, Lykaonien, Pisidien, Pamphylien vereinigt worden war; im Jahre 747
(7) die Herrschaft des Koenigs Deiotarus, Kastors Sohn, welche Gangra in
Paphlagonien und wahrscheinlich auch Amaseia und andere benachbarte Orte
umfasste; im Jahre 17 n. Chr. das Koenigreich Kappadokien; im Jahre 43 das
Gebiet der Konfoederation der lykischen Staedte; im Jahre 63 das nordoestliche
Kleinasien vom Tal des Iris bis zur armenischen Grenze; Klein-Armenien und
einige kleinere Fuerstentuemer in Kilikien wahrscheinlich durch Vespasian. Damit
war die unmittelbare Reichsverwaltung in ganz Kleinasien durchgefuehrt.
Lehnsfuerstentuemer blieben nur der taurische Bosporus, von. dem schon die Rede
war, und Gross-Armenien, von dem der naechste Abschnitt handeln wird.
Als bei dem Eintreten des Kaiserregiments die administrative Scheidung
zwischen ihm und dem des Reichsrats getroffen ward, kam das gesamte
kleinasiatische Gebiet, so weit es damals unmittelbar unter dem Reiche stand, an
den letzteren; die Insel Kypros, die anfangs unter kaiserliche Verwaltung
gelangt war, ging ebenfalls wenige Jahre spaeter an den Senat ueber. So
entstanden hier die vier senatorischen Statthalterschaften Asia, Bithynia und
Pontus, Kypros, Kreta und Kyrene. Unter kaiserlicher Verwaltung stand anfangs
nur Kilikien als Teil der syrischen Provinz. Aber die spaeter in unmittelbare
Reichsverwaltung gelangten Gebiete wurden hier wie im ganzen Reich unter
kaiserliche Statthalter gelegt; so ward noch unter Augustus aus den
binnenlaendischen Landschaften des Galatischen Reiches die Provinz Galatien
gebildet und die Kuestenlandschaft Pamphylien einem anderen Statthalter
ueberwiesen, welchem letzteren unter Claudius weiter Lykien unterstellt ward.
Ferner ward Kappadokien kaiserliche Statthalterschaft unter Tiberius. Auch blieb
natuerlich Kilikien, als es eigene Statthalter erhielt, unter kaiserlicher
Verwaltung. Abgesehen davon, dass Hadrian die wichtige Provinz Bithynien und
Pontus gegen die unbedeutende lykisch-pamphylische eintauschte, blieb diese
Ordnung in Kraft, bis gegen das Ende des 3. Jahrhunderts die senatorische
Mitverwaltung ueberhaupt bis auf geringe Ueberreste beseitigt ward. Die Grenze
ward in der ersten Kaiserzeit durchaus durch die Lehnsfuerstentuemer gebildet;
nach deren Einziehung beruehrte die Reichsgrenze, von Kyrene abgesehen, unter
allen diesen Verwaltungsbezirken nur der kappadokische, insofern diesem damals
auch die nordoestliche Grenzlandschaft bis hinauf nach Trapezunt zugeteilt war
^2; und auch diese Statthalterschaft grenzte nicht mit dem eigentlichen Ausland,
sondern im Norden mit den abhaengigen Voelkerschaften am Phasis, weiterhin mit
dem von Rechts wegen und einigermassen auch tatsaechlich zum Reiche gehoerigen
Lehnskoenigtum Armenien.
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^2 Nirgends haben die Grenzen der Lehnstaaten und selbst der Provinzen mehr
gewechselt als im nordoestlichen Kleinasien. Die unmittelbare Reichsverwaltung
trat hier fuer die Landschaften des Koenigs Polemon, wozu Zela, Neocaesarea,
Trapezus gehoerten, im Jahre 63 ein, fuer Klein-Armenien, wir wissen nicht genau
wann, wahrscheinlich im Anfang der Regierung Vespasians. Der letzte Lehnskoenig
von Klein-Armenien, dessen gedacht wird, ist der Herodeer Aristobulos (Tac. ann.
13, 7; 14, 26; Ios. ant. Iud. 20, 8, 4), der es noch im Jahre 60 besass; im
Jahre 75 war die Landschaft roemisch (CIL III, 306), und wahrscheinlich hat die
eine der seit Vespasian in Kappadokien garnisonierenden Legionen von Anfang an
in dem klein-armenischen Satala gestanden. Vespasian hat die genannten
Landschaften so wie Galatien und Kappadokien zu einer grossen Statthalterschaft
vereinigt. Am Ende der Domitianischen Regierung finden wir Galatien und
Kappadokien getrennt und die nordoestlichen Provinzen zu Galatien gelegt. Unter
Traian ist zuerst wiederum der ganze Bezirk in einer Hand, spaeterhin (Eph.
epigr. V, n. 1345) in der Weise geteilt, dass die nordoestliche Kueste zu
Kappadokien gehoert. Dabei ist es wenigstens insoweit geblieben, dass Trapezunt,
und also auch Klein-Armenien, fortan bestaendig unter diesem Statthalter
gestanden hat. Also hatte, von einer kurzen Unterbrechung unter Domitian
abgesehen, der Legat von Galatien nichts mit der Grenzverteidigung zu tun und
ist diese, wie es auch in der Sache liegt, stets mit dem Kommando Kappadokiens
und seiner Legionen vereinigt gewesen.
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Um von den Zustaenden und der Entwicklung Kleinasiens in den drei ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine Vorstellung zu gewinnen, soweit dies bei
einem aus unserer unmittelbaren geschichtlichen Ueberlieferung gaenzlich
ausfallenden Lande moeglich ist, wird bei dem konservativen Charakter des
roemischen Provinzialregiments an die aelteren Gebietsteilungen und die
Vorgeschichte der einzelnen Landschaften anzuknuepfen sein.
Die Provinz Asia ist das alte Reich der Attaliden, Vorderasien bis
noerdlich zur bithynischen, suedlich zur lykischen Grenze; die anfangs davon
abgetrennten oestlichen Striche, das grosse Phrygien, waren schon in
republikanischer Zeit wieder dazu geschlagen worden, und die Provinz reichte
seitdem bis an die Landschaft der Galater und die pisidischen Gebirge. Auch
Rhodus und die uebrigen kleineren Inseln des Aegaeischen Meeres gehoerten zu
diesem Sprengel. Die urspruengliche hellenische Ansiedlung hatte ausser den
Inseln und der eigentlichen Kueste auch die unteren Taeler der groesseren
Fluesse besetzt; Magnesia am Sipylos im Hermostal, das andere Magnesia und
Tralleis im Tal des Maeandros waren schon vor Alexander als griechische Staedte
gegruendet oder doch griechische Staedte geworden; die Karer, Lyder, Myser
wurden frueh wenigstens zu Halbhellenen. Die eintretende Griechenherrschaft fand
in den Kuestenlandschaften nicht viel zu tun; Smyrna, das vor Jahrhunderten von
den Barbaren des Binnenlandes zerstoert worden war, erhob sich damals aus seinen
Truemmern, um rasch wieder einer der ersten Sterne des glaenzenden
kleinasiatischen Staedteringes zu werden; und wenn der Wiederaufbau von Ilion an
dem Grabhuegel Hektors mehr ein Werk der Pietaet als der Politik war, so war die
Anlage von Alexandreia an der Kueste der Troas von bleibender Bedeutung.
Pergamon im Tal des Ka‹kos bluehte auf als Residenz der Attaliden.
In dem grossen Werk der Hellenisierung des Binnenlandes dieser Provinz
wetteiferten, Alexanders Intentionen entsprechend, alle hellenischen
Regierungen, Lysimachos, die Seleukiden, die Attaliden. Die einzelnen
Gruendungen sind aus unserer Ueberlieferung noch mehr verschwunden als die
Kriegslaeufte der gleichen Epoche; wir sind hauptsaechlich angewiesen auf die
Namen und die Beinamen der Staedte; aber auch diese genuegen, um die allgemeinen
Umrisse dieser Jahrhunderte hindurch sich fortsetzenden und dennoch homogenen
und zielbewussten Taetigkeit zu erkennen. Eine Reihe binnenlaendischer
Ortschaften, Stratonikeia in Karien, Peltae, Blaundos, Dokimeion, Kadoi in
Phrygien, die Mysomakedonier im Bezirk von Ephesos, Thyateira, Hyrkania, Nakrasa
im Hermosgebiet, die Askylaken im Bezirk von Adramytion werden in Urkunden oder
sonstigen glaubwuerdigen Zeugnissen als Makedonierstaedte bezeichnet; und diese
Erwaehnungen sind so zufaelliger Art und die Ortschaften teilweise so
unbedeutend, dass die gleiche Bezeichnung sicher auf eine grosse Anzahl anderer
Niederlassungen in dieser Gegend sich erstreckt hat und wir schliessen duerfen
auf eine ausgedehnte, wahrscheinlich mit dem Schutz Vorderasiens gegen die
Galater und Pisidier zusammenhaengende Ansiedlung griechischer Soldaten in den
bezeichneten Gegenden. Wenn ferner die Muenzen der ansehnlichen phrygischen
Stadt Synnada mit ihrem Stadtnamen den der Ioner und der Dorer sowie den des
gemeinen Zeus (Ze?s pand/e/mos) verbinden, so muss einer der Alexandriden die
Griechen insgemein aufgefordert haben, hier sich niederzulassen; und auch dies
beschraenkte sich gewiss nicht auf diese einzelne Stadt. Die zahlreichen Staedte
hauptsaechlich des Binnenlandes, deren Namen auf die Koenigshaeuser der
Seleukiden oder der Attaliden zurueckgehen oder die sonst griechisch benannt
sind, sollen hier nicht aufgefuehrt werden; es befinden sich namentlich unter
den sicher von den Seleukiden gegruendeten oder reorganisierten Staedten mehrere
der in spaeterer Zeit bluehendsten und gesittetsten des Binnenlandes, zum
Beispiel im suedlichen Phrygien Laodikeia und vor allem Apameia, das alte
Kelaenae an der grossen Heerstrasse von der Westkueste Kleinasiens zum mittleren
Euphrat, schon in persischer Zeit das Entrepot fuer diesen Verkehr und unter
Augustus nach Ephesos die bedeutendste Stadt der Provinz Asia. Wenn auch nicht
jede Beilegung eines griechischen Namens mit Ansiedlung griechischer Kolonisten
verbunden gewesen sein wird, so werden wir doch einen betraechtlichen Teil
dieser Ortschaften den griechischen Pflanzstaedten beizaehlen duerfen. Aber auch
die staedtischen Ansiedlungen nichtgriechischen Ursprungs, die die Alexandriden
vorfanden, lenkten von selber in die Bahnen der Hellenisierung ein, wie denn die
Residenz des persischen Statthalters, Sardes, noch von Alexander selbst als
griechisches Gemeinwesen geordnet ward.
Diese staedtische Entwicklung war vollzogen, als die Roemer die Herrschaft
ueber Vorderasien antraten; sie selber haben sie nicht in intensiver Weise
gefoerdert. Dass eine grosse Anzahl der Stadtgemeinden in der oestlichen Haelfte
der Provinz ihre Jahre von dem der Stadt 670 (84) zaehlen, kommt daher, dass
damals nach Beendigung des Mithradatischen Krieges diese Bezirke durch Sulla
unter unmittelbar roemische Verwaltung kamen; Stadtrecht haben diese Ortschaften
nicht erst damals erhalten. Augustus hat die Stadt Parium am Hellespont und die
schon erwaehnte Alexandreia in Troas mit Veteranen seiner Armee besetzt und
beiden die Rechte der roemischen Buergergemeinden beigelegt; letztere ist
seitdem in dem griechischen Asien eine italische Insel gewesen wie Korinth in
Griechenland und Berylos in Syrien. Aber dies war nichts als Soldatenversorgung;
von eigentlicher Staedtegruendung in der roemischen Provinz Asien unter den
Kaisern ist wenig die Rede. Unter den nicht zahlreichen nach Kaisern benannten
Staedten daselbst ist vielleicht nur von Sebaste und Tiberiopolis, beide in
Phrygien, und von Hadrianoi an der bithynischen Grenze kein aelterer Stadtname
nachzuweisen. Hier, in der Berglandschaft zwischen dem Ida und dem Olymp, hauste
Kleon in der Triumviralzeit, ein gewisser Tilliboros unter Hadrian, beide halb
Raeuberhauptleute, halb Volksfuersten, von denen jener selbst in der Politik
eine Rolle gespielt hat; in dieser Freistatt der Verbrecher war die Gruendung
einer geordneten Stadtgemeinde durch Hadrian allerdings eine Wohltat. Sonst
blieb in dieser Provinz, mit ihren fuenfhundert Stadtgemeinden der
staedtereichsten des ganzen Staates, in dieser Hinsicht wohl nicht mehr viel zu
stiften uebrig, hoechstens etwa zu teilen, das heisst die faktisch zu einer
Stadtgemeinde sich entwickelnden Flecken aus dem frueheren Gemeindeverbande zu
loesen und selbstaendig zu machen, wie wir einen Fall der Art in Phrygien unter
Konstantin I. nachweisen koennen. Aber von der eigentlichen Hellenisierung waren
die abgelegenen Gebiete noch weit entfernt, als das roemische Regiment begann;
insbesondere in Phrygien behauptete sich die vielleicht der armenischen
gleichartige Landessprache. Wenn aus dem Fehlen griechischer Muenzen und
griechischer Inschriften nicht mit Sicherheit auf das Fehlen der Hellenisierung
geschlossen werden darf ^3, so weist doch die Tatsache, dass die phrygischen
Muenzen fast durchaus der roemischen Kaiserzeit, die phrygischen Inschriften der
grossen Mehrzahl nach der spaeteren Kaiserzeit angehoeren, darauf hin, dass in
die entlegenen und der Zivilisation schwer zugaenglichen Gegenden der Provinz
Asia die hellenische Gesittung soweit ueberhaupt, ueberwiegend erst unter den
Kaisern den Weg fand. Zu unmittelbarem Eingreifen der Reichsverwaltung bot
dieser im Stillen sich vollziehende Prozess wenig Gelegenheit und Spuren solchen
Eingreifens vermoegen wir nicht nachzuweisen. Freilich war Asia eine
senatorische Provinz, und dass dem Senatsregiment jede Initiative abging, mag
auch hier in Betracht kommen.
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^3 Die staedtische Muenzpraegung und die Inschriftsetzung stehen unter so
vielfachen Bedingungen, dass das Fehlen oder auch die Fuelle der einen wie der
andern nicht ohne weiteres zu Rueckschluessen auf die Abwesenheit oder die
Intensitaet einer bestimmten Zivilisationsphase berechtigen. Fuer Kleinasien
insbesondere ist zu beachten, dass es das gelobte Land der munizipalen Eitelkeit
ist und unsere Denkmaeler, auch die Muenzen, zum weitaus groessten Teil dadurch
hervorgerufen sind, dass die Regierung der roemischen Kaiser dieser freien Lauf
liess.
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Syrien und mehr noch Aegypten gehen auf in ihren Metropolen; die Provinz
Asien und Kleinasien ueberhaupt hat keine einzelne Stadt aufzuweisen gleich
Antiocheia und Alexandreia, sondern sein Gedeihen ruht auf den zahlreichen
Mittelstaedten. Die Einteilung der Staedte in drei Klassen, welche sich
unterscheiden im Stimmrecht auf dem Landtag, in der Repartition der von der
ganzen Provinz aufzubringenden Leistungen, selbst in der Zahl der anzustellenden
Stadtaerzte und staedtischen Lehrer ^4, ist vorzugsweise diesen Landschaften
eigen. Auch die staedtischen Rivalitaeten, die in Kleinasien so energisch und
zum Teil so kindisch, gelegentlich auch so gehaessig hervortreten, wie zum
Beispiel der Krieg zwischen Severus und Niger in Bithynien eigentlich ein Krieg
der beiden rivalisierenden Kapitalen Nikomedeia und Nikaea war, gehoeren zum
Wesen zwar der hellenischen Politien ueberhaupt, insbesondere aber der
kleinasiatischen. Des Wetteifers um die Kaisertempel werden wir weiterhin
gedenken; in aehnlicher Weise war die Rangfolge der staedtischen Deputationen
bei den gemeinschaftlichen Festen in Kleinasien eine Lebensfrage - Magnesia am
Maeander nennt sich auf den Muenzen die "siebente Stadt von Asia" - und vor
allem der erste Platz war ein so begehrter, dass die Regierung schliesslich sich
dazu verstand, mehrere erste Staedte zuzulassen. Aehnlich ging es mit der
Metropolenbezeichnung. Die eigentliche Metropole der Provinz war Pergamon, die
Residenz der Attaliden und der Sitz des Landtags. Aber Ephesos, die faktische
Hauptstadt der Provinz, wo der Statthalter verpflichtet war, sein Amt
anzutreten, und das auch dieses "Landungsrechts" auf seinen Muenzen sich
beruehmt, Smyrna, mit dem ephesischen Nachbar in steter Rivalitaet und dem
legitimen Erstenrecht der Ephesier zum Trotz auf den Muenzen sich nennend "die
erste an Groesse und Schoenheit", das uralte Sardeis, Kyzikos und andere mehr
strebten nach dem gleichen Ehrenrechte. Mit diesen ihren Quengeleien, wegen
deren regelmaessig der Senat und der Kaiser angegangen wurden, den "griechischen
Dummheiten", wie man in Rom zu sagen pflegte, waren die Kleinasiaten der
stehende Verdruss und das stehende Gespoett der vornehmen Roemer ^5.
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^4 "Die Verordnung", sagt der Jurist Modestinus, der sie referiert (dig.
27, 1, 6, 3), "interessiert alle Provinzen, obwohl sie an die Asiaten gerichtet
ist." Auch passt sie in der Tat nur da, wo es Staedteklassen gibt, und der
Jurist fuegt eine Anweisung hinzu, wie sie auf anders geordnete Provinzen
anzuwenden sei. Was der Biograph des Pius (c. 11) ueber die von Pius den
Rhetoren gewaehrten Auszeichnungen und Gehalte berichtet, hat mit dieser
Verfuegung nichts zu schaffen.
^5 Vortrefflich setzt Dion von Prusa in seinen Ansprachen an die Buerger
von Nikomedeia und von Tarsos auseinander, dass kein gebildeter Mann fuer sich
solche leere Bezeichnungen haben moechte und die Titelsucht fuer die Staedte
geradezu unbegreiflich sei; wie es das Zeichen der richtigen Kleinstaedterei
sei, sich solche Rangbescheinigungen ausstellen zu lassen; wie der schlechte
Statthalter durch diesen Staedtehader sich immer decke, da Nikaea und Nikomedeia
nie unter sich zusammenhielten. "Die Roemer gehen mit euch um wie mit Kindern,
denen man geringes Spielzeug schenkt; Misshandlungen nehmt ihr hin, um Namen zu
bekommen; sie nennen eure Stadt die erste, um sie als die letzte zu behandeln.
Den Roemern seid ihr damit zum Gelaechter geworden und sie nennen das
'griechische Dummheiten' (Ell/e/nika amart/e/mata)."
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Nicht auf der gleichen Hoehe wie das Attalidenreich befand sich Bithynien.
Die aeltere griechische Kolonisierung hatte sich hier lediglich auf die Kueste
beschraenkt. In der hellenistischen Epoche hatten anfangs die makedonischen
Herrscher, spaeter die voellig deren Wege wandelnde einheimische Dynastie neben
der im Ganzen wohl auf Umnennung hinauslaufenden Einrichtung der Kuestenorte
einigermassen auch das Binnenland erschlossen, namentlich durch die beiden
gluecklich gediehenen Anlagen von Nikaea (Isnik) und Prusa am Olymp (Brussa);
von der ersteren wird hervorgehoben, dass die ersten Ansiedler von guter
makedonischer und hellenischer Herkunft gewesen seien. Aber in der Intensitaet
der Hellenisierung stand das Reich des Nikomedes weit zurueck hinter dem des
Buergerfuersten von Pergamon; insonderheit das oestliche Binnenland kann vor
Augustus nur wenig besiedelt gewesen sein. Dies ward in der Kaiserzeit anders.
In augustischer Zeit baute ein gluecklicher Raeuberhauptmann, der sich zur
Ordnung bekehrte, an der galatischen Grenze die gaenzlich herabgekommene
Ortschaft Gordiu Kome unter dem Namen Iuliopolis wieder auf; in derselben Gegend
sind die Staedte Bithynion-Claudiopolis und Krateia-Flaviopolis wahrscheinlich
im Laufe des ersten Jahrhunderts zu griechischem Stadtrecht gelangt. Ueberhaupt
hat in Bithynien der Hellenismus unter der Kaiserzeit einen maechtigen
Aufschwung genommen, und der derbe thrakische Schlag der Eingeborenen gab ihm
eine gute Grundlage. Dass unter den in grosser Anzahl bekannten Schriftsteinen
dieser Provinz nicht mehr als vier der vorroemischen Zeit angehoeren, wird nicht
allein daraus erklaert werden koennen, dass die staedtische Ambition erst unter
den Kaisern grossgezogen worden ist. In der Literatur der Kaiserzeit gehoeren
eine Anzahl der besten und von der wuchernden Rhetorik am wenigsten erfassten
Schriftsteller, wie der Philosoph Dion von Prusa, die Historiker Memnon von
Herakleia, Arrhianos aus Nikomedeia, Cassius Dion von Nikaea, nach Bithynien.
Die oestliche Haelfte der Suedkueste des Schwarzen Meeres, die roemische
Provinz Pontus, hat zur Grundlage denjenigen Teil des Reiches Mithradats, den
Pompeius sofort nach dem Siege in unmittelbaren Besitz nahm. Die zahlreichen
kleinen Fuerstentuemer, welche im paphlagonischen Binnenland und oestlich davon
bis zur armenischen Grenze Pompeius gleichzeitig vergab, wurden nach kuerzerem
oder laengerem Bestand bei ihrer Einziehung teils derselben Provinz zugelegt,
teils zu Galatien oder Kappadokien geschlagen. Das ehemalige Reich des
Mithradates war sowohl von dem aelteren wie von dem juengeren Hellenismus bei
weitem weniger als die westlichen Landschaften beruehrt worden. Als die Roemer
dieses Gebiet mittelbar oder unmittelbar in Besitz nahmen, gab es griechisch
geordnete Staedte dort strenggenommen nicht; Amaseia, die alte Residenz der
pontischen Achaemeniden und immer ihre Grabstadt, war dies nicht; die beiden
alten griechischen Kuestenstaedte Amisos und das einst ueber das Schwarze Meer
gebietende Sinope waren koenigliche Residenzen geworden, und auch den wenigen
von Mithradates angelegten Ortschaften, zum Beispiel Eupatoria, wird schwerlich
griechische Politie gegeben worden sein. Hier aber war, wie schon frueher
ausgefuehrt ward, die roemische Eroberung zugleich die Hellenisierung; Pompeius
organisierte die Provinz in der Weise, dass er die elf Hauptortschaften
derselben zu Staedten machte und unter sie das Gebiet verteilte. Allerdings
aehnelten diese kuenstlich geschaffenen Staedte mit ihren ungeheuren Bezirken -
der von Sinope hatte an der Kueste eine Ausdehnung von sechzehn deutschen Meilen
und grenzte am Halys mit dem amisenischen - mehr den keltischen Gauen als den
eigentlich hellenischen und italischen Stadtgemeinden. Aber es wurden doch
damals Sinope und Amisos in ihre alte Stellung wieder eingesetzt und andere
Staedte im Binnenland, wie Pompeiopolis, Nikopolis, Megalopolis, das spaetere
Sebasteia, ins Leben gerufen. Sinope erhielt durch den Diktator Caesar das Recht
der roemischen Kolonie und ohne Zweifel auch italische Ansiedler. Wichtiger fuer
die roemische Verwaltung ward Trapezus, eine alte Kolonie von Sinope; die Stadt,
die im Jahre 63 zur Provinz Kappadokien geschlagen ward, war wie der Standort
der roemischen Pontusflotte so auch gewissermassen die Operationsbasis fuer das
Truppenkorps dieser Provinz, das einzige in ganz Kleinasien.
Das binnenlaendische Kappadokien war seit der Einrichtung der Provinzen
Pontus und Syrien in roemischer Gewalt; ueber die Einziehung desselben im Anfang
der Regierung des Tiberius, welche zunaechst veranlasst ward durch den Versuch
Armeniens, sich der roemischen Lehnsherrschaft zu entwinden, wird in dem
folgenden Abschnitt zu berichten sein. Der Hof und was unmittelbar damit
zusammenhing, hatte sich hellenisiert, etwa so, wie die deutschen Hoefe des 18.
Jahrhunderts sich dem franzoesischen Wesen zuwandten. Die Hauptstadt Caesarea,
das alte Mazaka, gleich dem phrygischen Apameia eine Zwischenstelle des grossen
Verkehrs zwischen den Haefen der Westkueste und den Euphratlaendern und in
roemischer Zeit wie noch heute eine der bluehendsten Handelsstaedte Kleinasiens,
war auf Pompeius' Veranlassung nach dem Mithradatischen Kriege nicht bloss
wieder aufgebaut, sondern wahrscheinlich damals auch mit Stadtrecht nach
griechischer Art ausgestattet worden. Kappadokien selbst war im Anfang der
Kaiserzeit schwerlich mehr griechisch als Brandenburg und Pommern unter
Friedrich dem Grossen franzoesisch. Als das Land roemisch ward, zerfiel es nach
den Angaben des gleichzeitigen Strabon nicht in Stadtbezirke, sondern in zehn
Aemter, von denen nur zwei Staedte hatten, die schon genannte Hauptstadt und
Tyana; und diese Ordnung ist hier im Grossen und Ganzen so wenig veraendert
worden wie in Aegypten, wenn auch einzelne Ortschaften spaeterhin griechisches
Stadtrecht empfingen, zum Beispiel Kaiser Marcus aus dem kappadokischen Dorf, in
dem seine Gemahlin gestorben war, die Stadt Faustinopolis machte. Griechisch
freilich sprachen die Kappadokier jetzt; aber die Studierenden aus Kappadokien
hatten auswaerts viel zu leiden wegen ihres groben Akzents und ihrer Fehler in
Aussprache und Betonung, und wenn sie attisch reden lernten, fanden die
Landsleute ihre Sprache affektiert ^6. Erst in der christlichen Zeit gaben die
Studiengenossen des Kaisers Julian, Gregorios von Nazianzos und Basilios von
Caesarea, dem kappadokischen Namen einen besseren Klang.
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^6 Pausanias aus Caesarea rueckt bei Philostratos (vit. soph. 2, 13) dem
Herodes Attikos seine Fehler vor: pacheia t/e/ gl/o/tt/e/ ka'i /o/s Kappadokais
x?n/e/thes, xygkro?/o/n men ta s?mph/o/na i/o/n stoichei/o/n, systell/o/n de ta
m/e/kynomena kai m/e/k?n/o/n ta brachea. Vita Apoll. 1, 7: /e/ gl/o/tta
Attik/o/s eichen, oyd' ap/e/chth/e/ t/e/n ph/o/n/e/n ypo to? ethnoys.
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Die lykischen Staedte in ihrem abgeschlossenen Berglande oeffneten ihre
Kueste der griechischen Ansiedlung nicht, aber schlossen sich darum doch nicht
gegen den hellenischen Einfluss ab. Lykien ist die einzige kleinasiatische
Landschaft, in welcher die fruehe Zivilisierung die Landessprache nicht
beseitigt hat, und welche, fast wie die Roemer, in griechisches Wesen einging,
ohne sich aeusserlich zu hellenisieren. Es bezeichnet ihre Stellung, dass die
lykische Konfoederation als solche dem attischen Seebund sich angeschlossen und
an die athenische Vormacht ihren Tribut entrichtet hat. Die Lykier haben nicht
bloss ihre Kunst nach hellenischen Mustern geuebt, sondern wohl auch ihre
politische Ordnung frueh in gleicher Weise geregelt. Die Umwandlung des einst
Rhodos untertaenigen, aber nach dem Dritten Makedonischen Krieg unabhaengig
gewordenen Staedtebundes in eine roemische Provinz, welche wegen des endlosen
Haders unter den Verbuendeten von Kaiser Claudius verfuegt ward, wird das
Vordringen des Hellenismus gefoerdert haben; im Verlauf der Kaiserzeit sind dann
die Lykier vollstaendig zu Griechen geworden.
Die pamphylischen Kuestenstaedte, wie Aspendos und Perge, griechische
Gruendungen der aeltesten Zeit, spaeter sich selbst ueberlassen und unter
guenstigen Verhaeltnissen gedeihlich entwickelt, hatten das aelteste Hellenentum
in einer Weise sei es konserviert, sei es aus sich heraus eigenartig gestaltet,
dass die Pamphylier nicht viel weniger als die benachbarten Lykier in Sprache
und Schrift als selbstaendige Nation gelten konnten. Als dann Asien den Hellenen
gewonnen ward, fanden sie allmaehlich den Rueckweg wie in die gemeine
griechische Zivilisation so auch in die allgemeine politische Ordnung. Die
Herren in dieser Gegend wie an der benachbarten kilikischen Kueste waren in
hellenistischer Zeit teils die Aegypter, deren Koenigshaus verschiedenen
Ortschaften in Pamphylien und Kilikien den Namen gegeben hat, teils die
Seleukiden, nach denen die bedeutendste Stadt Westkilikiens Seleukeia am
Kalykadnos heisst, teils die Pergamener, von deren Herrschaft Attaleia (Adalia)
in Pamphylien zeugt. Dagegen hatten die Voelkerschaften in den Gebirgen
Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens bis auf den Beginn der Kaiserzeit ihre
Unabhaengigkeit der Sache nach behauptet. Hier ruhten die Fehden nie. Nicht
bloss zu Lande hatten die zivilisierten Regierungen stets mit den Pisidiern und
ihren Genossen zu schaffen, sondern es betrieben dieselben namentlich von dem
westlichen Kilikien aus, wo die Gebirge unmittelbar an das Meer treten, noch
eifriger als den Landraub das Gewerbe der Piraterie. Als bei dem Verfall der
aegyptischen Seemacht die Suedkueste Kleinasiens voellig zur Freistatt der
Seeraeuber ward, traten die Roemer ein und richteten die Provinz Kilikien,
welche die pamphylische Kueste mit umfasste oder doch umfassen sollte, der
Unterdrueckung des Seeraubs wegen ein. Aber was sie taten, zeigte mehr, was
haette geschehen sollen, als dass wirklich etwas erreicht ward; die Intervention
erfolgte zu spaet und zu unstetig. Wenn auch einmal ein Schlag gegen die
Korsaren gefuehrt ward und roemische Truppen selbst in die isaurischen Gebirge
eindrangen und tief im Binnenland die Piratenburgen brachen, zu rechter
dauernder Festsetzung in diesen von ihr widerwillig annektierten Distrikten kam
die roemische Republik nicht. Hier blieb dem Kaisertum noch alles zu tun uebrig.
Antonius, wie er den Orient uebernahm, beauftragte einen tuechtigen galatischen
Offizier, den Amyntas, mit der Unterwerfung der widerspenstigen pisidischen
Landschaft ^7, und als dieser sich bewaehrte ^8, machte er denselben zum Koenig
von Galatien, der militaerisch bestgeordneten und schlagfertigsten Landschaft
Kleinasiens, und erstreckte zugleich sein Regiment von da bis zur Suedkueste,
also auf Lykaonien, Pisidien, Isaurien, Pamphylien und Westkilikien, waehrend
die zivilisierte Osthaelfte Kilikiens bei Syrien blieb. Auch als Augustus nach
der Aktischen Schlacht die Herrschaft im Orient antrat, liess er den keltischen
Fuersten in seiner Stellung. Derselbe machte auch wesentliche Fortschritte
sowohl in der Unterdrueckung der schlimmen, in den Schlupfwinkeln des westlichen
Kilikiens hausenden Korsaren wie auch in der Ausrottung der Landraeuber, toetete
einen der schlimmsten dieser Raubherren, den Herrn von Derbe und Laranda im
suedlichen Lykaonien, Antipatros, baute in Isauria sich seine Residenz und
schlug die Pisidier nicht bloss hinaus aus dem angrenzenden phrygischen Gebiet,
sondern fiel in ihr eigenes Land ein und nahm im Herzen desselben Kremna. Aber
nach einigen Jahren (729 25) verlor er das Leben auf einem Zug gegen einen der
westkilikischen Staemme, die Homonadenser; nachdem er die meisten Ortschaften
genommen hatte und ihr Fuerst gefallen war, kam er um durch einen von dessen
Gattin gegen ihn gerichteten Anschlag. Nach dieser Katastrophe uebernahm
Augustus selbst das schwere Geschaeft der Pazifikation des inneren Kleinasiens.
Wenn er dabei, wie schon bemerkt ward, das kleine pamphylische Kuestenland einem
eigenen Statthalter zuwies und es von Galatien trennte, so ist dies offenbar
deswegen geschehen, weil das zwischen der Kueste und der galatisch-lykaonischen
Steppe liegende Gebirgsland so wenig botmaessig war, dass die Verwaltung des
Kuestengebiets nicht fueglich von Galatien aus gefuehrt werden konnte. Roemische
Truppen wurden nach Galatien nicht gelegt; doch wird das Aufgebot der
kriegerischen Galater mehr zu bedeuten gehabt haben als bei den meisten
Provinzialen. Auch hatten, da das westliche Kilikien damals unter Kappadokien
gelegt ward, die Truppen dieses Lehnsfuersten sich an der Arbeit zu beteiligen.
Die Zuechtigung zunaechst der Homonadenser fuehrte die syrische Armee aus; der
Statthalter Publius Sulpicius Quirinius rueckte einige Jahre spaeter in ihr
Gebiet, schnitt ihnen die Zufuhr ab und zwang sie, sich in Masse zu unterwerfen,
worauf sie in die umliegenden Ortschaften verteilt und ihr ehemaliges Gebiet
wuest gelegt wurde. Aehnliche Zuechtigungen erfuhren in den Jahren 36 und 52 die
Kliten, ein anderer, in dem westlichen Kilikien naeher an der Kueste sitzender
Stamm; da sie dem von Rom ihnen gesetzten Lehnsfuersten den Gehorsam
verweigerten und das Land wie die See brandschatzten, und da die sogenannten
Landesherren mit ihnen nicht fertig werden konnten, kamen beide Male die
Reichstruppen aus Syrien herbei, um sie zu unterwerfen. Diese Nachrichten haben
sich zufaellig erhalten; sicher sind zahlreiche aehnliche Vorgaenge verschollen.
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^7 Amyntas wurde noch im Jahre 715, bevor Antonius nach Asien zurueckging
ueber die Pisidier gesetzt (App. civ. 5, 75), ohne Zweifel weil diese wieder
einmal einen ihrer Raubzuege unternommen hatten. Daraus, dass er dort zuerst
herrschte, erklaert es sich auch, dass er sich in Isaura seine Residenz baute
(Strab. 12, 6, 3, p. 569). Galatien kam zunaechst an die Erben des Deiotarus
(Dio 48, 33). Erst im Jahre 718 erhielt Amyntas Galatien, Lykaonien und
Pamphylien (Dio 49, 32).
^8 Dass dies die Ursache war, weshalb diese Gegenden nicht unter roemische
Statthalter gelegt wurden, sagt Strabon (14, 5, 5 p. 671), der nach Zeit und Ort
diesen Verhaeltnissen nahestand, ausdruecklich: edokei pros apan to toio?to
(fuer die Unterdrueckung der Raeuber und der Piraten) basileyesthai mallon to?s
topoys /e/ thpo tois R/o/maiois /e/gemosin einai tois epi tas kriseis
pempomenois, oi m/e/t' aei pareinai emellon (wegen der Bereisung der conventus)
m/e/te meth' oplon (die allerdings dem spaeteren Legaten von Galatien fehlten).
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Aber auch im Wege der Besiedelung griff Augustus die Pazifikation dieser
Landschaft an. Die hellenistischen Regierungen hatten dieselbe sozusagen
isoliert, nicht bloss an der Kueste ueberall Fuss behalten oder gefasst, sondern
auch im Nordwesten eine Reihe von Staedten gegruendet, an der phrygischen Grenze
Apollonia angeblich von Alexander selbst angelegt, Seleukeia Siderus und
Antiocheia, beide aus der Seleukidenzeit, ferner in Lykaonien Laodikeia
Katakekaumene und die wohl auch in der gleichen Zeit entstandene Hauptstadt
dieser Landschaft Ikonion. Aber in dem eigentlichen Bergland findet sich keine
Spur hellenistischer Niederlassung; und noch weniger hat der roemische Senat
sich an diese schwierige Aufgabe gemacht. Augustus tat es; hier, und nur hier im
ganzen griechischen Osten, begegnet eine Reihe von Kolonien roemischer
Veteranen, offenbar bestimmt, dieses Gebiet der friedlichen Ansiedlung zu
erobern. Von den eben genannten aelteren Ansiedlungen wurde Antiocheia mit
Veteranen belegt und roemisch reorganisiert, neu angelegt in Lykaonien Parlais
und Lystra, in Pisidien selbst das schon genannte Kremna so wie weiter suedlich
Olbasa und Komama. Die spaeteren Regierungen setzten die begonnene Arbeit nicht
mit gleicher Energie fort; doch wurde unter Claudius das eiserne Seleukeia
Pisidiens zum claudischen gemacht, ferner im westkilikischen Binnenland
Claudiopolis und nicht weit davon, vielleicht gleichzeitig, Germanicopolis ins
Leben gerufen, auch Ikonion, in Augustus' Zeit ein kleiner Ort, zu bedeutender
Entwicklung gebracht. Die neu gegruendeten Staedte blieben freilich unbedeutend,
schraenkten aber doch den Spielraum der freien Gebirgsbewohner in namhafter
Weise ein, und der Landfriede muss endlich auch hier seinen Einzug gehalten
haben. Sowohl die Ebene und die Bergterrassen Pamphyliens wie die Bergstaedte
Pisidiens selbst, zum Beispiel Selge und Sagalassos, waren waehrend der
Kaiserzeit gut bevoelkert und das Gebiet sorgfaeltig angebaut; die Reste
maechtiger Wasserleitungen und auffallend grosser Theater, saemtlich Anlagen aus
der roemischen Kaiserzeit, zeigen zwar nur handwerksmaessige Technik, aber
Spuren eines reich entwickelten friedlichen Gedeihens. Ganz freilich ward die
Regierung des Raubwesens in diesen Landschaften niemals Herr, und wenn in der
frueheren Kaiserzeit die Heimsuchungen sich in maessigen Grenzen hielten, traten
die Banden hier in den Wirren des dritten Jahrhunderts abermals als
kriegfuehrende Macht auf. Sie gehen jetzt unter dem Namen der Isaurer und haben
ihren hauptsaechlichen Sitz in den Gebirgen Kilikiens, von wo aus sie Land und
Meer brandschatzen. Erwaehnt werden sie zuerst unter Severus Alexander. Dass sie
unter Gallienus ihren Raeuberhauptmann zum Kaiser ausgerufen haben, wird eine
Fabel sein; aber allerdings wurde unter Kaiser Probus ein solcher namens Lydios,
der lange Zeit Lykien und Pamphylien gepluendert hatte, in der roemischen
Kolonie Kremna, die er besetzt hatte, nach langer hartnaeckiger Belagerung durch
eine roemische Armee bezwungen. In spaeterer Zeit finden wir um ihr Gebiet einen
Militaerkordon gezogen und einen eigenen kommandierenden General fuer die
Isaurer bestellt. Ihre wilde Tapferkeit hat sogar denen von ihnen, welche bei
dem byzantinischen Hof Dienste nehmen mochten, eine Zeitlang eine Stellung
daselbst verschafft, wie die Makedonier sie am Hofe der Ptolemaeer besessen
hatten; ja einer aus ihrer Mitte, Zenon, ist als Kaiser von Byzanz gestorben ^9.
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^9 In der grossen unbenannten Ruinenstaette von Saradschik im oberen
Limyrostal im oestlichen Lykien (vgl. C. Ritter, Erdkunde. Bd. 19, Berlin 1859,
S. 1172) steht ein bedeutender tempelfoermiger Grabbau, sicher nicht aelter als
das 3. Jahrhundert n. Chr., an welchem in Relief zerstueckelte Menschenteile,
Koepfe, Arme, Beine als Embleme angebracht sind; man moechte meinen, als Wappen
eines zivilisierten Raeuberhauptmanns (Mitteilung von Benndorf).
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Die Landschaft Galatien endlich, in ferner Zeit die Hauptstaette der
orientalischen Herrschaft ueber Vorderasien und in den beruehmten Felsskulpturen
des heutigen Boghazkoei, einst der Koenigstadt Pteria, die Erinnerungen einer
fast verschollenen Herrlichkeit bewahrend, war im Lauf der Jahrhunderte in
Sprache und Sitte eine keltische Insel inmitten der Fluten der Ostvoelker
geworden und ist dies in der inneren Organisation auch in der Kaiserzeit
geblieben. Die drei keltischen Voelkerschaften, welche bei der grossen Wanderung
der Nation um die Zeit des Krieges zwischen Pyrrhos und den Roemern in das
innere Kleinasien gelangt waren und hier, wie im Mittelalter die Franken im
Orient, zu einem festgegliederten Soldatenstaat sich zusammengeschlossen und
nach laengerem Schweifen dies- und jenseits des Halys ihre definitiven Sitze
genommen hatten, hatten laengst die Zeiten hinter sich, wo sie von dort aus
Kleinasien brandschatzten und mit den Koenigen von Asia und Pergamon im Kampfe
lagen, falls sie nicht als Soeldner ihnen dienten; auch sie waren an der
Uebermacht der Roemer zerschellt und ihnen in Asien nicht minder botmaessig
geworden wie ihre Landsleute im Potal und an der Rhone und Seine. Aber trotz
ihres mehrhundertjaehrigen Verweilens in Kleinasien trennte immer noch eine
tiefe Kluft diese Okzidentalen von den Asiaten. Es war nicht bloss, dass sie
ihre Landessprache und ihre Volksart festhielten, dass immer noch die drei Gaue
jeder von seinen vier Erbfuersten regiert wurden und die von allen
gemeinschaftlich beschickte Bundesversammlung in dem heiligen Eichenhain als
hoechste Behoerde dem galatischen Lande vorstand, auch nicht, dass die
ungebaendigte Roheit wie die kriegerische Tuechtigkeit sie von den Nachbarn zum
Nachteil wie zum Vorteil unterschied; dergleichen Gegensaetze zwischen Kultur
und Barbarei gab es in Kleinasien auch sonst, und die oberflaechliche und
aeusserliche Hellenisierung, wie die Nachbarschaft, die Handelsbeziehungen, der
von den Einwanderern uebernommene phrygische Kultus, das Soeldnertum sie im
Gefolge hatten, wird in Galatien nicht viel spaeter eingetreten sein als zum
Beispiel in dem benachbarten Kappadokien. Der Gegensatz ist anderer Art: die
keltische und die hellenische Invasion haben in Kleinasien konkurriert, und zu
dem nationalen Gegensatz ist der Stachel der rivalisierenden Eroberung
hinzugetreten. Scharf trat dies zutage in der Mithradatischen Krise: dem
Mordbefehl des Mithradates gegen die Italiker ging zur Seite die Niedermetzelung
des gesamten galatischen Adels und dementsprechend haben in den Kriegen gegen
den orientalischen Befreier der Hellenen die Roemer keinen treueren
Bundesgenossen gehabt als die Galater Kleinasiens. Darum war der Erfolg der
Roemer auch der ihrige und gab der Sieg ihnen in den Angelegenheiten Kleinasiens
eine Zeitlang eine fuehrende Stellung. Das alte Vierfuerstentum wurde, es
scheint durch Pompeius, abgeschafft. Einer der neuen Gaufuersten, der in den
Mithradatischen Kriegen sich am meisten bewaehrt hatte, Deiotarus, brachte
ausser seinem eigenen Gebiete Klein-Armenien und andere Stuecke des ehemaligen
Mithradatischen Reiches an sich und ward auch den uebrigen galatischen Fuersten
ein unbequemer Nachbar und der maechtigste unter den kleinasiatischen Dynasten.
Nach dem Siege Caesars, dem er feindlich gegenuebergestanden hatte und den er
auch durch die gegen Pharnakes geleistete Hilfe nicht fuer sich zu gewinnen
vermochte, wurden ihm die mit oder ohne Einwilligung der roemischen Regierung
gewonnenen Besitzungen groesstenteils wieder entzogen; der Caesarianer
Mithradates von Pergamon, welcher von muetterlicher Seite dem galatischen
Koenigshaus entsprossen war, erhielt das meiste von dem, was Deiotarus verlor
und wurde ihm sogar in Galatien selbst an die Seite gestellt. Aber nachdem
dieser kurz darauf im Taurischen Chersones sein Ende gefunden hatte und auch
Caesar selbst nicht lange nachher ermordet worden war, setzte Deiotarus sich
ungeheissen wieder in den Besitz des Verlorenen, und da er der jedesmal im
Orient vorherrschenden roemischen Partei sich ebenso zu fuegen verstand, wie sie
rechtzeitig zu wechseln, starb er hochbejahrt im Jahre 714 (40) als Herr von
ganz Galatien. Seine Nachkommen wurden mit einer kleinen Herrschaft in
Paphlagonien abgefunden; sein Reich, noch erweitert gegen Sueden hin durch
Lykaonien und alles Land bis zur pamphylischen Kueste, kam, wie schon gesagt
ward, im Jahre 718 (36) durch Antonius an Amyntas, welcher schon in Deiotarus'
letzten Jahren als dessen Sekretaer und Feldherr das Regiment gefuehrt zu haben
scheint und als solcher vor der Schlacht von Philippi den Uebergang von den
republikanischen Feldherrn zu den Triumvirn bewirkt hatte. Seine weiteren
Schicksale sind schon erzaehlt. An Klugheit und Tapferkeit seinem Vorgaenger
ebenbuertig, diente er erst dem Antonius, dann dem Augustus als hauptsaechliches
Werkzeug fuer die Pazifikation des noch nicht untertaenigen kleinasiatischen
Gebiets, bis er hier im Jahre 729 (25) seinen Tod fand. Mit ihm endigte das
galatische Koenigtum und verwandelte sich dasselbe in die roemische Provinz
Galatien.
Gallograeker heissen die Bewohner desselben bei den Roemern schon in der
letzten Zeit der Republik; sie sind, fuegt Livius hinzu, ein Mischvolk, wie sie
heissen, und aus der Art geschlagen. Auch musste ein guter Teil derselben von
den aelteren phrygischen Bewohnern dieser Landschaften abstammen. Mehr noch
faellt ins Gewicht, dass die eifrige Goetterverehrung in Galatien und das
dortige Priestertum mit den sakralen Institutionen der europaeischen Kelten
nichts gemein hat; nicht bloss die Grosse Mutter, deren heiliges Symbol die
Roemer der hannibalischen Zeit von den Tolistobogern erbaten und empfingen, ist
phrygischer Art, sondern auch deren Priester gehoerten zum Teil wenigstens dem
galatischen Adel an. Dennoch war noch in der roemischen Provinz in Galatien die
innere Ordnung ueberwiegend die keltische. Dass noch unter Pius in Galatien die
dem hellenischen Recht fremde strenge vaeterliche Gewalt bestand, ist ein Beweis
dafuer aus dem Kreise des Privatrechts. Auch in den oeffentlichen Verhaeltnissen
gab es in dieser Landschaft immer noch nur die drei alten Gemeinden der
Tektosagen, der Tolistoboger, der Trokmer, die wohl ihren Namen die der drei
Hauptoerter Ankyra, Pessinus und Tauion beisetzen, aber wesentlich doch nichts
sind als die wohlbekannten gallischen Gaue, die des Hauptorts ja auch nicht
entbehren. Wenn bei den Kelten Asiens die Auffassung der Gemeinde als Stadt
frueher als bei den europaeischen das Uebergewicht gewinnt ^10 und der Name
Ankyra rascher den der Tektosagen verdraengt als in Europa der Name Burdigala
den der Bituriger, dort Ankyra sogar als Vorort der gesamten Landschaft sich die
"Mutterstadt" (m/e/tropolis) nennt, so zeigt dies allerdings, wie das ja auch
nicht anders sein konnte, die Einwirkung der griechischen Nachbarschaft und den
beginnenden Assimilationsprozess, dessen einzelne Phasen zu verfolgen die uns
gebliebene oberflaechliche Kunde nicht gestattet. Die keltischen Namen halten
sich bis in die Zeit des Tiberius, nachher erscheinen sie nur vereinzelt in den
vornehmen Haeusern. Dass die Roemer seit Einrichtung der Provinz wie in Gallien
nur die lateinische, so in Galatien neben dieser nur die griechische Sprache im
Geschaeftsverkehr zuliessen, versteht sich von selbst. Wie es frueher damit
gehalten ward, wissen wir nicht, da vorroemische Schriftmaeler in dieser
Landschaft ueberhaupt nicht begegnen. Als Umgangssprache hat die keltische sich
auch in Asien mit Zaehigkeit behauptet ^11; doch gewann allmaehlich das
Griechische die Oberhand. Im vierten Jahrhundert war Ankyra eines der
Hauptzentren der griechischen Bildung; "die kleinen Staedte in dem griechischen
Galatien", sagt der bei Vortraegen fuer das gebildete Publikum grau gewordene
Literat Themistios, "koennen sich ja freilich mit Antiocheia nicht messen; aber
die Leute eignen die Bildung sich eifriger an als die richtigen Hellenen, und wo
sich der Philosophenmantel zeigt, haengen sie an ihm wie das Eisen am Magnet."
Dennoch mag bis in eben diese Zeit, namentlich jenseits des Halys bei den
offenbar viel spaeter hellenisierten Trokmern ^12, sich in den niederen Kreisen
die Volkssprache gehalten haben. Es ist schon erwaehnt worden, dass nach dem
Zeugnis des vielgewanderten Kirchenvaters Hieronymus noch am Ende des 4.
Jahrhunderts der asiatische Galater die gleiche, wenn auch verdorbene Sprache
redete, welche damals in Trier gesprochen ward. Dass als Soldaten die Galater,
wenn sie auch mit den Okzidentalen keinen Vergleich aushielten, doch weit
brauchbarer waren als die griechischen Asiaten, dafuer zeugt sowohl die Legion,
welche Koenig Deiotarus aus seinen Untertanen nach roemischem Muster aufgestellt
hatte und die Augustus mit dem Reiche uebernahm und in die roemische Armee unter
dem bisherigen Namen einreihte, wie auch dass bei der orientalischen
Rekrutierung der Kaiserzeit die Galater ebenso vorzugsweise herangezogen wurden
wie im Okzident die Bataver ^13.
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^10 Das beruehmte Verzeichnis der der Gemeinde Ankyra gemachten Leistungen
aus Tiberius' Zeit (CIG 4039) bezeichnet die galatischen Gemeinden gewoehnlich
mit ethnos, zuweilen mit polis. Spaeter verschwindet jene Benennung; aber in der
vollen Titulatur, zum Beispiel der Inschrift CIG 4011 aus dem zweiten
Jahrhundert, fuehrt Ankyra immer noch den Volksnamen: /e/ m/e/tropolis t/e/s
Galatias Sebast/e/ Tekt/o/sag/o/n Agkyra.
^11 Nach Pausanias (10, 36, 1) heisst bei den Galatai yper PHrygias
ph/o/n/e/ t/e/ epich/o/ri/o/ spisin die Scharlachbeere ?s; und Lukian (Alex. 51)
berichtet von den Verlegenheiten des wahrsagenden Paphlagoniers, wenn ihm
Syristi /e/ Keltisti Fragen vorgelegt wurden und nicht gleich dieser Sprache
kundige Leute zur Hand waren.
^12 Wenn in dem Anm. 10 erwaehnten Verzeichnis aus Tiberius' Zeit die
Spenden nur selten drei Voelkern, meist zwei Voelkern oder zwei Staedten gegeben
werden, so sind, wie G. Perrot (Exploration archeologique de la Galane et de la
Bithynie. Paris 1862, S. 83) richtig bemerkt, die letzteren Ankyra und Pessinus
und steht bei den Spenden hinter ihnen Tauion der Trokmer zurueck. Vielleicht
gab es damals bei diesen noch keine Ortschaft, die als Stadt gelten konnte.
^13 Auch Cicero (Att. 6, S, 3) schreibt von seiner Armee in Kilikien:
exercitum infirmum habebam, auxilia sane bona, sed ea Galatarum, Pisidarum,
Lyciorum: haec enim sunt nostra robora.
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Den aussereuropaeischen Hellenen gehoeren ferner noch die beiden grossen
Eilande des oestlichen Mittelmeers Kreta und Kypros an sowie die zahlreichen des
Inselmeers zwischen Griechenland und Kleinasien; auch die kyrenaeische
Pentapolis an der gegenueberliegenden afrikanischen Kueste ist durch die
umliegende Wueste von dem Binnenlande so geschieden, dass sie jenen griechischen
Inseln einigermassen gleichgestellt werden kann. Indes der allgemeinen
geschichtlichen Auffassung fuegen diese Elemente der ungeheuren, unter dem
Szepter der Kaiser vereinigten Laendermasse wesentlich neue Zuege nicht hinzu.
Die kleineren Inseln, frueher und vollstaendiger hellenisiert als der Kontinent,
gehoeren ihrem Wesen nach mehr zum europaeischen Griechenland als zum
kleinasiatischen Kolonialgebiet; wie denn des hellenischen Musterstaats Rhodos
bei jenem schon mehrfach gedacht worden ist. In dieser Epoche werden die Inseln
hauptsaechlich genannt, insofern es in der Kaiserzeit ueblich ward, Maenner aus
den besseren Staenden zur Strafe nach denselben zu verbannen. Man waehlte, wo
der Fall besonders schwer war, die Klippen wie Gyaros und Donussa; aber auch
Andros, Kythnos, Amorgos, einst bluehende Zentren griechischer Kultur, waren
jetzt Strafplaetze, waehrend in Lesbos und Samos nicht selten vornehme Roemer
und selbst Glieder des kaiserlichen Hauses freiwillig laengeren Aufenthalt
nahmen. Kreta und Kypros, deren alter Hellenismus unter der persischen
Herrschaft oder auch in voelliger Isolierung die Fuehlung mit der Heimat
verloren hatte, ordneten sich, Kypros als Dependenz Aegyptens, die kretischen
Staedte autonom, in der hellenistischen und spaeter in der roemischen Epoche
nach den allgemeinen Formen der griechischen Politie. In den kyrenaeischen
Staedten ueberwog das System der Lagiden; wir finden in ihnen nicht bloss, wie
in den eigentlich griechischen, die hellenischen Buerger und Metoeken, sondern
es stehen neben beiden, wie in Alexandreia die Aegypter, die "Bauern", das
heisst die eingeborenen Afrikaner, und unter den Metoeken bilden, wie ebenfalls
in Alexandreia, die Juden eine zahlreiche und privilegierte Klasse.
Den Griechen insgemein hat auch das roemische Kaiserregiment niemals eine
Vertretung gewaehrt. Die augustische Amphiktyonie beschraenkte sich, wie wir
sahen, auf die Hellenen in Achaia, Epirus und Makedonien. Wenn die hadrianischen
Panhellenen in Athen sich als die Vertretung der saemtlichen Hellenen gerierten,
so haben sie doch in die uebrigen griechischen Provinzen nur insofern
uebergegriffen, als sie einzelnen Staedten in Asia sozusagen das Ehren-
Hellenentum dekretierten; und dass sie dies taten, zeigt erst recht, dass die
auswaertigen Griechengemeinden in jene Panhellenen keineswegs einbegriffen sind.
Wenn in Kleinasien von Vertretung oder Vertretern der Hellenen die Rede ist, so
ist damit in den vollstaendig hellenisch geordneten Provinzen Asia und Bithynia
der Landtag und der Landtagsvorsteher dieser Provinzen gemeint, insofern diese
aus den Deputierten der zu einer jeden derselben gehoerigen Staedte hervorgehen
und diese saemtlich griechische Politien sind ^14; oder es werden in der
nichtgriechischen Provinz Galatien die neben dem galatischen Landtag stehenden
Vertreter der in Galatien verweilenden Griechen als Griechenvorsteher bezeichnet
^15.
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^14 Beschluesse der epi t/e/s Asias Ell/e/nes CIA 3487, 3957; ein Lykier
geehrt ypo to? koino? t/o/n epi t/e/s Asias Ell/e/n/o/n kai ypo t/o/n en
Pamphylia pole/o/n O. Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884. Bd. 1,
S. 122; Schreiben an die Hellenen in Asia CIG 3832, 3833; /o/ andres Ell/e/nes,
in der Anrede an den Landtag von Pergamon (Aristeid. or. p. 517). Ein arxas to?
koino? t/o/n en Bithynia Ell/e/n/o/n Perrot, Exploration, S. 32; Schreiben des
Kaisers Alexander an dasselbe (dig. 49, 1, 25). Dio 51, 20: tois xenois,
Ell/e/nas sphas epikalesas, eayt/o/ tina, tois men Asianois en Pergam/o/, tois
de Bithynois en Nikomedeia temenisai epetrepse.
^15 Ausser den Galatarchen (Marquardt, Staatsverwaltung. Bd. 1, S. 515)
begegnen uns in Galatien noch unter Hadrian Helladarchen (BCH 7, 1883, S. 18),
welche hier nur gefasst werden koennen wie die Hellenarchen in Tanais.
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Der staedtischen Konfoederation hatte die roemische Regierung in Kleinasien
keine Veranlassung, besondere Hindernisse entgegenzustellen. In roemischer wie
in vorroemischer Zeit haben neun Staedte der Troas gemeinschaftlich religioese
Verrichtungen vollzogen und gemeinschaftliche Feste gefeiert ^16. Die Landtage
der verschiedenen kleinasiatischen Provinzen, welche hier wie in dem gesamten
Reich als feste Einrichtung von Augustus ins Leben gerufen sein werden, sind von
denen der uebrigen Provinzen an sich nicht verschieden. Doch hat diese
Institution sich hier in eigenartiger Weise entwickelt oder vielmehr
denaturiert. Mit dem naechsten Zweck dieser Jahresversammlungen der staedtischen
Deputierten einer jeden Provinz ^17, die Wuensche derselben dem Statthalter oder
der Regierung zur Kenntnis zu bringen und ueberhaupt als Organ dieser Provinz zu
dienen, verband sich hier zuerst die jaehrliche Festfeier fuer den regierenden
Kaiser und das Kaisertum ueberhaupt: Augustus gestattete im Jahre 725 (29) den
Landtagen von Asia und Bithynien an ihren Versammlungsorten Pergamon und
Nikomedeia, ihm Tempel zu errichten und goettliche Ehre zu erweisen. Diese neue
Einrichtung dehnte sich bald auf das ganze Reich aus, und die Verschmelzung der
sakralen Institution mit der administrativen wurde ein leitender Gedanke der
provinzialen Organisation der Kaiserzeit. Aber in Priester- und Festpomp und
staedtischen Rivalitaeten hat diese Einrichtung doch nirgends sich so entwickelt
wie in der Provinz Asia und analog in den uebrigen kleinasiatischen Provinzen
und nirgends also neben und ueber die munizipale sich eine provinziale Ambition
mehr noch der Staedte als der Individuen gestellt, wie sie in Kleinasien das
gesamte oeffentliche Leben beherrscht. Der von Jahr zu Jahr in der Provinz
bestellte Hohepriester (archiere?s) des neuen Tempels ist nicht bloss der
vornehmste Wuerdentraeger der Provinz, sondern es wird auch in der ganzen
Provinz das Jahr nach ihm bezeichnet ^18. Das Fest- und Spielwesen nach dem
Muster der olympischen Feier, welches bei den Hellenen allen, wie wir sahen,
mehr und mehr um sich griff, knuepfte in Kleinasien ueberwiegend an die Feste
und Spiele des provinzialen Kaiserkultus an. Die Leitung derselben fiel dem
Landtagspraesidenten, in Asia dem Asiarchen, in Bithynien dem Bithyniarchen und
so weiter zu, und nicht minder trug er hauptsaechlich die Kosten des Jahrfestes,
obwohl ein Teil derselben, wie die uebrigen dieses so glaenzenden wie loyalen
Gottesdienstes, durch freiwillige Gaben und Stiftungen gedeckt oder auch auf die
einzelnen Staedte repartiert wurden. Daher waren diese Praesidenturen nur
reichen Leuten zugaenglich; die Wohlhabenheit der Stadt Tralleis wird dadurch
bezeichnet, dass an Asiarchen - der Titel blieb auch nach Ablauf des Amtsjahrs -
es nie daselbst fehle, die Geltung des Apostels Paulus in Ephesos durch seine
Verbindung mit verschiedenen dortigen Asiarchen. Trotz der Kosten war dies eine
viel umworbene Ehrenstellung, nicht wegen der daran geknuepften Privilegien, zum
Beispiel der Befreiung von der Vormundschaft, sondern wegen ihres aeusseren
Glanzes; der festliche Einzug in die Stadt, im Purpurgewand und den Kranz auf
dem Haupt, unter Vortritt der das Rauchfass schwingenden Prozessionsknaben, war
im Horizont der Kleinasiaten, was bei den Hellenen der Oelzweig von Olympia.
Mehrfach ruehmt sich dieser oder jener vornehme Asiate, nicht bloss selber
Asiarch gewesen zu sein, sondern auch von Asiarchen abzustammen. Wenn sich
dieser Kultus anfaenglich auf die Provinzialhauptstaedte beschraenkte, so
sprengte die munizipale Ambition, die namentlich in der Provinz Asia
unglaubliche Verhaeltnisse annahm, sehr bald diese Schranken. Hier wurde schon
im Jahre 23 dem damals regierenden Kaiser Tiberius sowie seiner Mutter und dem
Senat ein zweiter Tempel von der Provinz dekretiert und nach langem Hader der
Staedte durch Beschluss des Senats in Smyrna errichtet. Die anderen groesseren
Staedte folgten bei spaeteren Gelegenheiten nach ^19. Hatte bis dahin die
Provinz wie nur einen Tempel, so auch nur einen Vorsteher und einen Oberpriester
gehabt, so mussten jetzt nicht bloss so viele Oberpriester bestellt werden, als
es Provinzialtempel gab, sondern es wurden auch, da die Leitung des Tempelfestes
und die Ausrichtung der Spiele nicht dem Oberpriester, sondern dem
Landesvorsteher zustand und es den rivalisierenden Grossstaedten hauptsaechlich
um die Feste und Spiele zu tun war, saemtlichen Oberpriestern zugleich der Titel
und das Recht der Vorsteherschaft gegeben, so dass wenigstens in Asia die
Asiarchie und das Oberpriestertum der Provinzialtempel zusammenfielen ^20. Damit
traten der Landtag und die buergerlichen Geschaefte, von welchen die Institution
ihren Ausgang genommen hatte, in den Hintergrund; der Asiarch war bald nichts
mehr als der Ausrichter eines an die goettliche Verehrung der gewesenen und des
gegenwaertigen Kaisers angeknuepften Volksfestes, weshalb dann auch die Gemahlin
desselben, die Asiarchin, sich an der Feier beteiligen durfte und eifrig
beteiligte.
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^16 Das synedrion t/o/n ennea d/e/m/o/n (H. Schliemann, Troja. Leipzig
1883, S. 256) nennt sich anderswo Ilieis kai poleis ai koinono?sai t/e/s thysias
kai toi ag/o/nos kai t/e/s paneg?re/o/s (daselbst, S. 254). Ein anderes Dokument
desselben Bundes aus der Zeit des Antigonos bei J. G. Droysen, Geschichte des
Hellenismus. 2. Aufl. Gotha 1877. Bd. 2, S. 382ff. Ebenso werden andere koina zu
fassen sein, die auf einen engeren Kreis als die Provinz sich beziehen, wie das
alte der dreizehn ionischen Staedte, das der Lesbier (Marquardt,
Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 516), das der Phrygier auf den Muenzen von Apameia.
Ihre magistratischen Praesidenten haben auch diese gehabt, wie denn kuerzlich
sich ein Lesbiarch gefunden hat (Marquardt, a. a.O.) und ebenso die moesischen
Hellenen unter einem Pontarchen standen. Doch ist es nicht unwahrscheinlich,
dass, wo der Archontat genannt wird, der Bund mehr ist als eine blosse
Festgenossenschaft; die Lesbier sowohl wie die moesischen Fuenfstaedte moegen
einen besonderen Landtag gehabt haben, dem diese Beamten vorstanden. Dagegen ist
das koinon to? Yrgaleoy pedioy (W. M. Ramsay, Cities and bishoprics of Phrygia.
Oxford 1895, S. 10), das neben mehreren d/e/moi steht, eine des Stadtrechts
entbehrende Quasi-Gemeinde.
^17 Am deutlichsten tritt die Zusammensetzung der kleinasiatischen Landtage
hervor in Strabons (14, 3, 3 p. 664) Bericht ueber die Lykiarchie und bei
Aristeides' (or. 26 p. 344) Erzaehlung seiner Wahl zu einem der asiatischen
Provinzialpriestertuemer.
^18 Beispiele fuer Asia: CIG 3487; fuer Lykien: Benndorf, Reisen, Bd. 1, S.
71. Die lykische Bundesversammlung aber bezeichnet die Jahre nicht nach dem
Archiereus, sondern nach dem Lykiarchen.
^19 Tac. ann. 4, 15 u. 55. Die Stadt, welche einen von dem Landtag der
Provinz (dem koinon t/e/s Asias usw.) gewidmeten Tempel besitzt, fahrt deswegen
das Ehrenpraedikat der den (Kaiser-) Tempel huetenden" (ne/o/koros); und wenn
eine deren mehrere aufzuweisen hat, wird die Zahl beigesetzt. Man kann an diesem
Institut deutlich erkennen, wie der Kaiserkultus seine volle Ausbildung in
Kleinasien erhalten hat. Der Sache nach ist das Neokorat allgemein, auf jede
Gottheit und jede Stadt anwendbar; titular, als Ehrenbeiname der Stadt, begegnet
es mit verschwindenden Ausnahmen allein in dem kleinasiatischen Kaiserkultus -
nur einige griechische Staedte der Nachbarprovinzen, wie Tripolis in Syrien,
Thessalonike in Makedonien haben darin mitgemacht.
^20 So wenig die urspruengliche Verschiedenheit der Landtagspraesidentur
und des provinzialen Oberpriestertums fuer den Kaiserkultus in Zweifel gezogen
werden kann, so tritt doch nicht bloss bei jener der in Hellas, von wo die
Organisation der koina ueberhaupt ausgeht, noch deutlich erkennbare
magistratische Charakter des Vorstehers in Kleinasien voellig zurueck, sondern
es scheint hier in der Tat da, wo das koinon mehrere sakrale Mittelpunkte hat,
der Asiarch/e/s und der archiere?s t/e/s Asias sich verschmolzen zu haben. Die
das buergerliche Amt scharf akzentuierende Titulatur strat/e/gos fuehrt der
Praesident des koinon in Kleinasien nie, auch arxas to? koino? (Anm. 14) oder
to? ethnoys (CIG 4380 k4 p. 1168) ist selten; die Komposita Asiarch/e/s,
Lykiarch/e/s, analog dem Elladarch/e/s von Achaia, sind schon zu Strabons Zeit
die gebraeuchliche Bezeichnung. Dass in den kleineren Provinzen, wie Galatien
und Lykien der Archon und der Archiereus der Provinz getrennt geblieben sind,
ist gewiss. Aber in Asien ist das Vorhandensein von Asiarchen fuer Ephesos und
Smyrna inschriftlich festgestellt (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 514),
waehrend es doch nach dem Wesen der Institution nur einen Asiarchen fuer die
ganze Provinz geben konnte. Auch ist hier die Agonothesie des Archiereus
beglaubigt (Galenus zum Hippokrates, usu. part. 18, 2 p. 567 Kuehn: par' /e/min
en Pergam/o/ t/o/n archiere/o/n tas kaloymenas monomachias epitelo?nt/o/n),
waehrend eben sie das Wesen des Asiarchats ist. Allem Anschein nach haben die
Rivalitaeten der Staedte hier dahin gefuehrt, dass, nachdem es mehrere von der
Provinz gewidmete Kaisertempel in verschiedenen Staedten gab, die Agonothesie
dem effektiven Landtagspraesidenten genommen und dafuer dem Oberpriester jedes
Tempels der titulare Asiarchat und die Agonothesie uebertragen ward. Dann
erklaert sich auf den Muenzen der dreizehn ionischen Staedte (Mionnet, Bd. 3,
61, 1) der Asiarch/e/s kai archiere?s ig' pole/o/n und kann auf ephesischen
Inschriften derselbe Ti. Iulius Reginus bald Asiarch/e/s b' na/o/n t/o/n en
Ephes/o/ (Wood, Inscriptions from the great theatre, n. 18), bald archiere?s b'
na/o/n t/o/n en Ephes/o/ (daselbst, n. 8, 14, aehnlich 9) genannt werden. Nur
auf diese Weise sind auch die Institutionen des vierten Jahrhunderts zu
begreifen. Hier erscheint in jeder Provinz ein Oberpriester, in Asia mit dem
Titel des Asiarchen, in Syrien mit dem des Syriarchen und so weiter. Wenn die
Verschmelzung des Archon und des Archiereus in der Provinz Asia schon frueher
begonnen hatte, so lag nichts naeher, als sie jetzt bei der Verkleinerung der
Provinzen aeberall in dieser Weise zu kombinieren.
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Auch eine praktische und in Kleinasien durch das hohe Ansehen dieser
Institution gesteigerte Bedeutung mag das provinziale Oberpriestertum fuer den
Kaiserkultus gehabt haben durch die damit verknuepfte religioese Oberaufsicht.
Nachdem der Landtag den Kaiserkultus einmal beschlossen und die Regierung
eingewilligt hatte, folgten selbstverstaendlich die staedtischen Vertretungen
nach; in Asia hatten bereits unter Augustus wenigstens alle Vororte der
Gerichtssprengel ihr Caesareum und ihr Kaiserfest ^21. Recht und Pflicht des
Oberpriesters war es, in seinem Sprengel die Ausfuehrung dieser provinzialen und
munizipalen Dekrete und die Uebung des Kultus zu ueberwachen; was dies zu
bedeuten hatte, erlaeutert die Tatsache, dass der freien Stadt Kyzikos in Asia
unter Tiberius die Autonomie unter anderem auch darum aberkannt ward, weil sie
den dekretierten Bau des Tempels des Gottes Augustus hatte liegenlassen -
vielleicht eben, weil sie als freie Stadt nicht unter dem Landtag stand.
Wahrscheinlich hat sogar diese Oberaufsicht, obwohl sie zunaechst dem
Kaiserkultus galt, sich auf die Religionsangelegenheiten ueberhaupt erstreckt
^22. Als dann der alte und der neue Glaube im Reiche um die Herrschaft zu ringen
begannen, ist deren Gegensatz wohl zunaechst durch das provinziale
Oberpriestertum zum Konflikt geworden. Diese aus den vornehmen Provinzialen von
dem Landtag der Provinz bestellten Priester waren durch ihre Traditionen wie
durch ihre Amtspflichten weit mehr als die Reichsbeamten berufen und geneigt,
auf Vernachlaessigung des anerkannten Gottesdienstes zu achten und, wo Abmahnung
nicht half, da sie selber eine Strafgewalt nicht hatten, die nach buergerlichem
Recht strafbare Handlung bei den Orts- oder den Reichsbehoerden zur Anzeige zu
bringen und den weltlichen Arm zu Hilfe zu rufen, vor allem den Christen
gegenueber die Forderungen des Kaiserkultus geltend zu machen. In der spaeteren
Zeit schreiben die altglaeubigen Regenten diesen Oberpriestern sogar
ausdruecklich vor, selbst und durch die ihnen unterstellten staedtischen
Priester die Kontraventionen gegen die bestehende Glaubensordnung zu ahnden und
weisen denselben genau die Rolle zu, welche unter den Kaisern des neuen Glaubens
der Metropolit und seine staedtischen Bischoefe einnehmen ^23. Wahrscheinlich
hat hier nicht die heidnische Ordnung die christlichen Institutionen kopiert,
sondern umgekehrt die siegende christliche Kirche ihr hierarchisches Ruestzeug
dem feindlichen Arsenal entnommen. Alles dies galt, wie bemerkt, fuer das ganze
Reich; aber die sehr praktischen Konsequenzen der provinzialen Regulierung des
Kaiserkultus, die religioese Aufsichtfuehrung und die Verfolgung der
Andersglaeubigen, sind vorzugsweise in Kleinasien gezogen worden.
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^21 CIG 3902b.
^22 Dion von Prusa (or. 35 p. 66 R.) nennt die Asiarchen und die analogen
Archonten (ihre Agonothesie bezeichnet er deutlich, und auf sie fuehren auch die
verdorbenen Worte to?s epon?moys t/o/n d?o /e/peir/o/n t/e/s esperas ol/e/s,
wofuer wohl zu schreiben ist t/e/s eteras ol/e/s) to?s apant/o/n archontas t/o/n
iere/o/n. Es fehlt bekanntlich bei der Bezeichnung der Provinzialpriester fast
stehend die ausdrueckliche Beziehung auf den Kaiserkult; wenn sie in ihren
Sprengeln die Rolle spielen sollten wie der Pontifex maximus in Rom, so hatte
das seinen guten Grund.
^23 Maximinus stellte zu diesem Zweck dem Oberpriester der einzelnen
Provinz militaerische Hilfe zur Verfuegung (Eus. hist. eccl. 8, 14, 9); und der
beruehmte Brief Julians (epist. 49; vgl. epist. 63) an den damaligen Galatarchen
gibt ein deutliches Bild der Obliegenheiten desselben. Er soll das ganze
Religionswesen der Provinz beaufsichtigen; dem Statthalter gegenueber seine
Selbstaendigkeit wahren, nicht bei ihm antichambrieren, ihm nicht gestatten mit
militaerischer Eskorte im Tempel aufzutreten, ihn nicht vor, sondern in dem
Tempel empfangen, innerhalb dessen er der Herr und der Statthalter Privatmann
ist; von den Unterstuetzungen, die die Regierung fuer die Provinz ausgeworfen
hat (30000 Scheffel Getreide und 60000 Sextarien Wein) den fuenften Teil an die
in die Klientel der heidnischen Priester tretenden Armen spenden, das Uebrige
sonst zu mildtaetigen Zwecken verwenden; in jeder Stadt der Provinz womoeglich
mit Beihilfe der Privaten Verpflegungshaeuser (xenodocheia) nicht bloss fuer
Heiden, sondern fuer jedermann ins Leben rufen und den Christen nicht ferner das
Monopol der guten Werke gestatten; die saemtlichen Priester der Provinz durch
Beispiel und Ermahnung ueberhaupt zum gottesfuerchtigen Wandel und zur
Vermeidung des Besuchs der Theater und der Schenken anhalten und insbesondere
zum fleissigen Besuch der Tempel mit ihrer Familie und ihrem Gesinde oder, wenn
sie nicht zu bessern sind, sie absetzen. Es ist ein Hirtenbrief in bester Form,
nur mit veraenderter Adresse und mit Zitaten aus Homer statt aus der Bibel. So
deutlich diese Anordnungen den Stempel des bereits zusammenbrechenden Heidentums
an sich tragen und so gewiss sie in dieser Ausdehnung der frueheren Epoche fremd
sind, so erscheint doch das Fundament, die allgemeine Oberaufsicht des
Oberpriesters der Provinz ueber das Kultwesen, keineswegs als eine neue
Einrichtung.
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Neben dem Kaiserkultus fand auch die eigentliche Gottesverehrung in
Kleinasien in bevorzugter Weise ihre Statt und namentlich alle ihre Auswuechse
eine Freistatt. Das Unwesen der Asyle und der Wunderkuren hatte ganz besonders
hier seinen Sitz. Unter Tiberius wurde die Beschraenkung der ersteren vom
roemischen Senat angeordnet; der Heilgott Asklepios tat nirgends mehr und
groessere Wunder als in seiner vielgeliebten Stadt Pergamon, die ihn geradezu
als Zeus Asklepios verehrte und ihre Bluete in der Kaiserzeit zum guten Teil ihm
verdankte. Die wirksamsten Wundertaeter der Kaiserzeit, der spaeter kanonisierte
Kappadokier Apollonios von Tyana, sowie der paphlagonische Drachenmann
Alexandros von Abonuteichos sind Kleinasiaten. Wenn das allgemeine Verbot der
Assoziationen, wie wir sehen werden, in Kleinasien mit besonderer Strenge
durchgefuehrt ward, so wird die Ursache wohl hauptsaechlich in den religioesen
Verhaeltnissen zu suchen sein, die den Missbrauch solcher Vereinigungen dort
besonders nahelegten.
Die oeffentliche Sicherheit ruhte im wesentlichen auf dem Lande selbst. In
der frueheren Kaiserzeit stand, abgesehen von dem das oestliche Kilikien
einschliessenden syrischen Kommando, in ganz Kleinasien nur ein Detachement von
5000 Mann Auxiliartruppen, die in der Provinz Galatien garnisonierten ^24, nebst
einer Flotte von 40 Schiffen; es war dies Kommando bestimmt, teils die unruhigen
Pisidier niederzuhalten, teils die nordoestliche Reichsgrenze zu decken und die
Kueste des Schwarzen Meeres bis zur Krim unter Aufsicht zu halten. Vespasian
brachte diese Truppe auf den Stand eines Armeekorps von zwei Legionen und legte
deren Staebe in die Provinz Kappadokien an den oberen Euphrat. Ausser diesen
fuer die Grenzhut bestimmten Mannschaften gab es damals namhafte Garnisonen in
Vorderasien nicht; in der kaiserlichen Provinz Lykien und Pamphylien zum
Beispiel stand eine einzige Kohorte von 500 Mann, in den senatorischen Provinzen
hoechstens einzelne aus der kaiserlichen Garde oder aus den benachbarten
Kaiserprovinzen zu speziellen Zwecken abkommandierte Soldaten ^25. Wenn dies
einerseits fuer den inneren Frieden dieser Provinzen auf das nachdruecklichste
zeugt und den ungeheuren Abstand der kleinasiatischen Buergerschaften von den
ewig unruhigen Hauptstaedten Syriens und Aegyptens deutlich vor Augen fuehrt, so
erklaert es andererseits die schon in anderer Verbindung hervorgehobene
Stabilitaet des Raeuberwesens in dem durchaus gebirgigen und im Innern zum Teil
oeden Lande, namentlich an der mysisch-bithynischen Grenze und in den
Bergtaelern Pisidiens und Isauriens. Eigentliche Buergerwehren gab es in
Kleinasien nicht. Trotz des Florierens der Turnanstalten fuer Knaben, Juenglinge
und Maenner blieben die Hellenen dieser Zeit in Asia so unkriegerisch wie in
Europa ^26. Man beschraenkte sich darauf, fuer die Aufrechterhaltung der
oeffentlichen Sicherheit staedtische Eirenarchen, Friedensmeister, zu kreieren
und ihnen eine Anzahl zum Teil berittener staedtischer Gendarmen zur Verfuegung
zu stellen, gedungene Mannschaften von geringem Ansehen, welche aber doch
brauchbar gewesen sein muessen, da Kaiser Marcus es nicht verschmaehte, bei dem
bitteren Mangel an gedienten Leuten waehrend des Markomannenkrieges diese
kleinasiatischen Stadtsoldaten in die Reichstruppen einzureihen ^27.
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^24 Diese Truppe kann nach der Stellung bei Josephus (bel. Iud. 2,16, 4)
zwischen den nicht mit Garnison belegten Provinzen Asia und Kappadokien nur auf
Galatien bezogen werden. Natuerlich gab sie auch die Detachements, welche in den
abhaengigen Gebieten am Kaukasus standen, damals -unter Nero- wie es scheint,
auch die auf dem Bosporus selbst stehenden, wobei freilich auch das moesische
Korps beteiligt war.
^25 Praetorianer stationaribus Ephesi: Eph. epigr. IV, n. 70. Ein Soldat in
statione Nicomedensi: Plin. ep. ad Trai. 74. Ein Legionarcenturio in Byzantium:
daselbst 77, 78.
^26 In dem kleinasiatischen Munizipalwesen kommt alles vor, nur nicht das
Waffenwesen. Der smyrnaeische strat/e/gos epi t/o/n opl/o/n ist natuerlich eine
Reminiszenz so gut wie der Kultus des Herakles oploph?lax (CIG 3162).
^27 Der Eirenarch von Smyrna sendet, um den Polykarpos zu verhaften, diese
Gendarmen aus: ex/e/lth/o/n diogmitai kai ippeis meta t/o/n syn/e/th/o/n aytois
opl/o/n, /o/s epi l/e/st/e/n trechontes (Acta mart., S. 39). Dass sie nicht die
eigentliche soldatische Ruestung hatten, wird auch sonst bemerkt (Amm. 27, 9, 6:
adbibitis semiermibus quibusdam - gegen die Isaurer - quos diogmitas appellaut).
Von ihrer Verwendung im Markomannenkrieg berichtet der Biograph des Marcus c.
26: armavit et diogmitas und die Inschrift von Aezani in Phrygien CIG 3031 a 8 =
Lebas-Waddington 992: parasch/o/n t/o/ kyr/o/ Kaisari s?mmachon di/o/gmeit/e/n
par' eayto?.
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Die Justizpflege sowohl der staedtischen Behoerden wie der Statthalter
liess auch in dieser Epoche vieles zu wuenschen uebrig; doch bezeichnet das
Eintreten der Kaiserherrschaft darin eine Wendung zum Besseren. Das Eingreifen
der Reichsgewalt hatte unter der Republik sich auf die strafrechtliche Kontrolle
der Reichsbeamten beschraenkt und diese besonders in spaeterer Zeit schwaechlich
und parteiisch geuebt oder vielmehr nicht geuebt. Jetzt wurden nicht bloss in
Rom die Zuegel schaerfer angezogen, indem die strenge Beaufsichtigung der
eigenen Beamten von dem einheitlichen Militaerregiment unzertrennlich war und
auch der Reichssenat zu schaerferer Ueberwachung der Amtspflege seiner Mandatare
veranlasst wurde, sondern es wurde jetzt moeglich, die Missgriffe der
Provinzialgerichte im Wege der neu eingefuehrten Appellation zu beseitigen oder
auch, wo unparteiisches Gericht in der Provinz nicht erwartet werden konnte, den
Prozess nach Rom vor das Kaisergericht zu ziehen ^28. Beides kam auch den
senatorischen Provinzen zugute und ist allem Anschein nach ueberwiegend als
Wohltat empfunden worden.
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^28 In Knidos (BCH 7, 1883, S. 62) hatten im Jahre 741/42 (13/12) einige,
wie es scheint, angesehene Buerger das Haus eines ihnen persoenlich Verfeindeten
drei Naechte hindurch gestuermt; bei der Abwehr hatte einer der Sklaven des
belagerten Hauses durch ein aus dem Fenster geworfenes Gefaess den einen der
Angreifer getoetet. Die Besitzer des belagerten Hauses wurden darauf des
Totschlags angeklagt, perhorreszierten aber, da sie die oeffentliche Meinung
gegen sich hatten, das staedtische Gericht und verlangten die Entscheidung durch
den Spruch des Kaisers Augustus. Dieser liess die Sache durch einen Kommissar
untersuchen und sprach die Angeklagten frei, wovon er die Behoerde in Knidos in
Kenntnis setzte mit der Bemerkung, dass sie die Angelegenheit nicht unparteiisch
behandelt haetten, und sie anwies, sich nach seinem Spruche zu verhalten. Das
ist allerdings, da Knidos eine freie Stadt war, ein Eingreifen in deren
souveraene Rechte, wie auch in Athen Appellation an den Kaiser und sogar an den
Prokonsul in hadrianischer Zeit statthaft war. Aber wer die Justizverhaeltnisse
einer Griechenstadt dieser Epoche und dieser Stellung erwaegt, wird nicht
zweifeln, dass durch derartiges Eingreifen wohl mancher ungerechte Spruch
veranlasst, aber viel haeufiger ein solcher verhindert ward.
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Wie bei den Hellenen Europas, so ist in Kleinasien die roemische Provinz
wesentlich ein Komplex staedtischer Gemeinden. Wie in Hellas werden auch hier
die ueberkommenen Formen der demokratischen Politie im allgemeinen festgehalten,
die Beamten zum Beispiel auch ferner von den Buergerschaften gewaehlt, ueberall
aber der bestimmende Einfluss in die Haende der Begueterten gelegt und dem
Belieben der Menge so wie dem ernstlichen politischen Ehrgeiz kein Spielraum
gestattet. Unter den Beschraenkungen der munizipalen Autonomie ist den
kleinasiatischen Staedten eigentuemlich, dass den schon erwaehnten Eirenarchen,
den staedtischen Polizeimeister, spaeterhin der Statthalter aus einer von dem
Rat der Stadt aufgestellten Liste von zehn Personen ernannte. Die
Regierungskuratel der staedtischen Finanzverwaltung, die kaiserliche Bestellung
eines nicht der Stadt selbst angehoerigen Vermoegenspflegers (curator rei
publicae, logist/e/s), dessen Konsens die staedtischen Behoerden bei wichtigeren
Vermoegenshandlungen einzuholen haben, ist niemals allgemein, sondern nach
Beduerfnis fuer diese oder jene Stadt angeordnet worden, in Kleinasien aber
entsprechend der Bedeutung seiner staedtischen Entwicklung besonders frueh, das
heisst seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, und besonders umfassend eingetreten.
Wenigstens im 3. Jahrhundert mussten auch hier wie anderswo sonstige wichtige
Beschluesse der Gemeindeverwaltung dem Statthalter zur Bestaetigung unterbreitet
werden. Uniformierung der Gemeindeverfassung hat die roemische Regierung
nirgends und am wenigsten in den hellenischen Landschaften durchgefuehrt; auch
in Kleinasien herrschte darin grosse Mannigfaltigkeit und vermutlich vielfach
das Belieben der einzelnen Buergerschaften, obwohl fuer die derselben Provinz
angehoerigen Gemeinden das eine jede Provinz organisierende Gesetz allgemeine
Normen vorschrieb. Was der Art von Institutionen als in Kleinasien verbreitet
und vorherrschend diesem Landesteil eigentuemlich angesehen werden kann, traegt
keinen politischen Charakter, sondern ist nur etwa fuer die sozialen
Verhaeltnisse bezeichnend, wie die ueber ganz Kleinasien verbreiteten Verbaende
teils der aelteren, teils der juengeren Buerger, die Gerusia und die Neoi,
Ressourcen fuer die beiden Altersklassen mit entsprechenden Turnplaetzen und
Festen ^29. Autonome Gemeinden gab es in Kleinasien von Haus aus bei weitem
weniger als in dem eigentlichen Hellas, und namentlich die bedeutendsten
kleinasiatischen Staedte haben diese zweifelhafte Auszeichnung niemals gehabt
oder doch frueh verloren, wie Kyzikos unter Tiberius, Samos durch Vespasian.
Kleinasien war eben altes Untertanengebiet und unter den persischen wie unter
den hellenischen Herrschern an monarchische Ordnung gewoehnt; weniger als in
Hellas fuehrte hier unnuetzes Erinnern und unklares Hoffen hinaus ueber den
beschraenkten munizipalen Horizont der Gegenwart, und nicht vieles der Art
stoerte den friedlichen Genuss des unter den bestehenden Verhaeltnissen
moeglichen Lebensglueckes.
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^29 Die in kleinasiatischen Inschriften oft erwaehnte Gerusia hat mit der
von Lysimachos in Ephesos getroffenen gleichnamigen politischen Einrichtung
(Strab. 14, 1, 21 p. 640; Wood, Ephesus. Inscriptions from the temple of Diana,
n. 19) nichts weiter gemein; den Charakter derselben in roemischer Zeit
bezeichnet teils Vitruvius (2, 8, 10): Croesi (damum) Sardiani civibus ad
requiescendum aetatis otio seniorum collegio gerusiam dedicaverunt, teils die in
der lykischen Stadt Sidyma kuerzlich gefundene Inschrift (Benndorf, Reisen, Bd.
1, S. 71), wonach Rat und Volk beschliessen, wie das Gesetz es fordert, eine
Gerusia einzurichten und in diese 50 Buleuten und 50 andere Buerger
einzuwaehlen, welche dann einen Gymnasiarchen der neuen Gerusia bestellen.
Dieser auch sonst begegnende Gymnasiarch sowie der Hymnode der Gerusia
(Menadier, Qua condicione Ephesii usi sint, p. 51) sind unter den uns bekannten
Aemtern dieser Koerperschaft die einzigen fuer ihre Beschaffenheit
charakteristischen. Analog, aber weniger angesehen, sind die Kollegien der neoi
die auch ihre eigenen Gymnasiarchen haben. Zu den beiden Aufsehern der
Turnplaetze fuer die erwachsenen Buerger machen den Gegensatz die Gymnasiarchen
der Epheben (Menadier, p. 91). Gemeinschaftliche Mahlzeiten und Feste (auf die
der Hymnode sich bezieht) fehlten natuerlich namentlich bei der Gerusia nicht.
Sie ist keine Armenversorgung, aber auch kein der munizipalen Aristokratie
reserviertes Kollegium charakteristisch fuer die Weise des buergerlichen
Verkehrs der Griechen, bei welchen der Turnplatz etwa ist, was in unseren
kleinen Staedten die Buergercasinos.
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Solchen Lebensglueckes gab es in Kleinasien unter dem roemischen
Kaiserregiment die Fuelle. "Keine Provinz von allen", sagt ein in Smyrna unter
den Antoninen lebender Schriftsteller, "hat so viele Staedte aufzuweisen wie die
unsrige und keine solche wie unsere groessten. Ihr kommen zugute die reizende
Gegend, die Gunst des Klimas, die mannigfaltigen Produkte, die Lage im
Mittelpunkt des Reiches, ein Kranz ringsum befriedeter Voelker, die gute
Ordnung, die Seltenheit der Verbrechen, die milde Behandlung der Sklaven, die
Ruecksicht und das Wohlwollen der Herrscher." Asia hiess, wie schon gesagt ward,
die Provinz der fuenfhundert Staedte, und wenn das wasserlose, zum Teil nur zur
Weide geeignete Binnenland Phrygiens, Lykaoniens, Galatiens, Kappadokiens auch
in jener Zeit nur duenn bevoelkert war, stand die uebrige Kueste hinter Asia
nicht weit zurueck. Die dauernde Bluete der kulturfaehigen Landschaften
Kleinasiens erstreckt sich nicht bloss auf die Staedte glaenzenden Namens, wie
Ephesos, Smyrna, Laodikeia, Apameia; wo immer ein von der Verwuestung der
anderthalb Jahrtausende, die uns von jener Zeit trennen, vergessener Winkel des
Landes sich der Forschung erschliesst, da ist das erste und das maechtigste
Gefuehl das Entsetzen, fast moechte man sagen die Scham ueber den Kontrast der
elenden und jammervollen Gegenwart mit dem Glueck und dem Glanz der vergangenen
Roemerzeit. Auf einer abgelegenen Bergspitze unweit der lykischen Kueste, da, wo
nach der griechischen Fabel die Chimaera hauste, lag das alte Kragos,
wahrscheinlich nur aus Balken und Lehmziegeln gebaut und darum spurlos
verschwunden bis auf die zyklopische Festungsmauer am Fuss des Huegels. Unter
der Kuppe breitet ein anmutiges fruchtbares Tal sich aus, mit frischer Alpenluft
und suedlicher Vegetation, umgeben von Wald- und wildreichen Bergen. Als unter
Kaiser Claudius Lykien Provinz ward, verlegte die roemische Regierung die
Bergstadt, das "gruene Kragos" des Horaz, in diese Ebene; auf dem Marktplatz der
neuen Stadt Sidyma stehen noch die Reste des viersaeuligen, dem Kaiser damals
gewidmeten Tempels und einer stattlichen Saeulenhalle, welche ein von dort
gebuertiger, als Arzt zu Vermoegen gelangter Buerger in seiner Vaterstadt baute.
Statuen der Kaiser und verdienter Mitbuerger schmueckten den Markt; es gab in
der Stadt einen Tempel ihrer Schutzgoetter, der Artetuis und des Apollon,
Baeder, Turnanstalten (gymnasia) fuer die aeltere wie fuer die juengere
Buergerschaft; von den Toren zogen sich an der Hauptstrasse, die steil am
Gebirge hinab nach dem Hafen Kalabatia fuehrte, zu beiden Seiten Reihen hin von
steinernen Grabmonumenten, stattlicher und kostbarer als die Pompeiis und
grossenteils noch aufrecht, waehrend die vermutlich wie die der Altstadt aus
vergaenglichem Material gebauten Haeuser verschwunden sind. Auf den Stand und
die Art der einstmaligen Bewohner gestattet einen Schluss ein kuerzlich dort
aufgefundener, wahrscheinlich unter Commodus gefasster Gemeindebeschluss ueber
die Konstituierung der Ressource fuer die aelteren Buerger; dieselbe wurde
zusammengesetzt aus hundert zur Haelfte dem Stadtrat, zur Haelfte der uebrigen
Buergerschaft entnommenen Mitgliedern, darunter nicht mehr als drei
Freigelassene und ein Bastardkind, alle uebrigen in rechter Ehe erzeugt und zum
Teil nachweislich alten und wohlhabenden Buergerhaeusern angehoerig. Einzelne
dieser Familien sind zum roemischen Buergerrecht gelangt, eine sogar in den
Reichssenat. Aber auch im Ausland blieb dieses senatorische Haus sowohl wie
verschiedene aus Sidyma gebuertige auswaerts und selbst am kaiserlichen Hof
beschaeftigte Aerzte der Heimat eingedenk, und mehrere derselben haben ihr Leben
daselbst beschlossen; einer dieser angesehenen Stadtbuerger hat in einem nicht
gerade vortrefflichen, aber sehr gelehrten und sehr patriotischen Elaborat die
Legenden der Stadt und die sie betreffenden Weissagungen zusammengefasst und
diese Memorabilien oeffentlich aufstellen lassen. Dies Kragos-Sidyma stimmte auf
dem Landtag der kleinen lykischen Provinz nicht unter den Staedten erster
Klasse, war ohne Theater, ohne Ehrentitel und ohne jene allgemeinen Feste, die
in der damaligen Welt die Grossstadt bezeichnen, auch nach der Auffassung der
Alten eine kleine Provinzialstadt und durchaus eine Schoepfung der roemischen
Kaiserzeit. Aber im ganzen Vilajet Aidin ist heute kein Binnenort, der fuer
zivilisierte Existenz auch nur entfernt diesem Bergstaedtchen, wie es war, an
die Seite gestellt werden koennte. Was in diesem abgeschiedenen Fleck noch heute
leben dig vor Augen steht, das ist in einer ungezaehlten Menge anderer Staedte
unter der verwuestenden Menschenhand bis auf geringe Reste oder auch spurlos
verschwunden. Einen gewissen Ueberblick dieser Fuelle gewaehrt die den Staedten
in Kupfer freigegebene Muenzpraegung der Kaiserzeit: keine Provinz kann in der
Zahl der Muenzstaetten und der Mannigfaltigkeit der Darstellungen sich auch nur
von weitem mit Asia messen.
Freilich fehlt diesem Aufgehen aller Interessen in der heimatlichen
Kleinstadt die Kehrseite so wenig in Kleinasien wie bei den europaeischen
Griechen. Was ueber deren Gemeindeverwaltung gesagt ist, gilt in der Hauptsache
auch hier. Der staedtischen Finanzwirtschaft, die sich ohne rechte Kontrolle
weiss, fehlt Stetigkeit und Sparsamkeit und oft selbst die Ehrlichkeit; bei den
Bauten werden bald die Kraefte der Stadt ueberschritten, bald auch das Noetigste
unterlassen; die kleineren Buerger gewoehnen sich an die Spenden der Stadtkasse
oder der vermoegenden Leute, an das freie Oel in den Baedern, an
Buergerschmaeuse und Volksbelustigungen aus fremder Tasche, die guten Haeuser an
die Klientel der Menge mit ihren demuetigen Huldigungen, ihren Bettelintrigen,
ihren Spaltungen; Rivalitaeten bestehen wie zwischen Stadt und Stadt, so in
jeder Stadt zwischen den einzelnen Kreisen und den einzelnen Haeusern; die
Bildung von Armenvereinen und von freiwilligen Feuerwehren, wie sie im Okzident
ueberall bestanden, wagt die Regierung in Kleinasien nicht einzufuehren, weil
das Faktionswesen hier sich jeder Assoziation sofort bemaechtigt. Der stille See
wird leicht zum Sumpf, und das Fehlen des grossen Wellenschlags der allgemeinen
Interessen ist auch in Kleinasien deutlich zu spueren.
Kleinasien, insbesondere Vorderasien, war eines der reichsten Gebiete des
grossen Roemerstaats. Wohl hatte das Missregiment der Republik, die dadurch
hervorgerufenen Katastrophen der mithradatischen Zeit, dann das Piratenunwesen,
endlich die vieljaehrigen Buergerkriege, welche finanziell wenige Provinzen so
schwer betroffen hatten wie diese, die Vermoegensverhaeltnisse der Gemeinden und
der Einzelnen daselbst so vollstaendig zerruettet, dass Augustus zu dem
aeussersten Mittel der Niederschlagung aller Schuldforderungen griff; auch
machten mit Ausnahme der Rhodier alle Asiaten von diesem gefaehrlichen
Heilmittel Gebrauch. Aber das wiedereintretende Friedensregiment glich vieles
aus. Nicht ueberall - die Inseln des Aegaeischen Meers zum Beispiel haben sich
nie seitdem wieder erholt -, aber in den meisten Orten waren, schon als Augustus
starb, die Wunden wie die Heilmittel vergessen, und in diesem Zustand blieb das
Land drei Jahrhunderte bis auf die Epoche der Gotenkriege. Die Summen, zu
welchen die Staedte Kleinasiens angesetzt waren und die sie selbst, allerdings
unter Kontrolle des Statthalters, zu repartieren und aufzubringen hatten,
bildeten eine der bedeutendsten Einnahmequellen der Reichskasse. Wie die
Steuerlast sich zu der Leistungsfaehigkeit der Besteuerten verhielt, vermoegen
wir nicht zu konstatieren; eigentliche dauernde Ueberbuerdung aber vertraegt
sich nicht mit den Zustaenden, in denen wir das Land bis gegen die Mitte des 3.
Jahrhunderts finden. Mehr vielleicht noch die Schlaffheit des Regiments als
absichtliche Schonung mag die fiskalische Beschraenkung des Verkehrs und die
nicht bloss fuer den Besteuerten unbequeme Anziehung der Steuerschraube in
Schranken gehalten haben. Bei grossen Kalamitaeten, namentlich bei den Erdbeben,
welche unter Tiberius zwoelf bluehende Staedte Asias, vor allem Sardes, unter
Pius eine Anzahl karischer und lykischer und die Inseln Kos und Rhodos
entsetzlich heimsuchten, trat die Privat- und vor allem die Reichshilfe mit
grossartiger Freigebigkeit ein und spendete den Kleinasiaten den vollen Segen
des Grossstaats, die Samtverbuergung aller fuer alle. Der Wegebau, den die
Roemer bei der ersten Einrichtung der Provinz Asia durch Manius Aquillius in
Angriff genommen hatten, ist in der Kaiserzeit in Kleinasien nur da ernstlich
gefoerdert worden, wo groessere Besatzungen standen, namentlich in Kappadokien
und dem benachbarten Galatien, seit Vespasian am mittleren Euphrat Legionslager
eingerichtet hatte ^30. In den uebrigen Provinzen ist dafuer nicht viel
geschehen, zum Teil ohne Zweifel in Folge der Schlaffheit des senatorischen
Regiments; wo immer hier Wege von Staatswegen gebaut wurden, geschah es auf
kaiserliche Anordnung ^31.
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^30 Die Meilensteine beginnen hier mit Vespasian (CIL III, 306) und sind
seitdem zahlreich namentlich von Domitian bis auf Hadrian.
^31 Am deutlichsten zeigen dies die in der Senatsprovinz Bithynien unter
Nero und Vespasian durch den kaiserlichen Prokurator ausgefuehrten Wegebauten
(CIL III, 346; Eph. epigr. V, n. 96). Aber auch bei den Wegebauten in den
senatorischen Provinzen Asia und Kypros wird der Senat nie genannt, und es wird
dafuer dasselbe angenommen werden duerfen. Im dritten Jahrhundert ist hier wie
ueberall der Bau auch der Reichsstrassen auf die Kommunen uebergegangen (Smyrna:
CIL III, 471; Thyateira: BCH 1, 1877, S. 101; Paphos: CIL III, 218).
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Diese Bluete Kleinasiens ist nicht das Werk einer Regierung von
ueberlegener Einsicht und energischer Tatkraft. Die politischen Einrichtungen,
die gewerblichen und kommerziellen Anregungen, die literarische und
kuenstlerische Initiative gehoeren in Kleinasien durchaus den alten Freistaedten
oder den Attaliden. Was die roemische Regierung dem Lande gegeben hat, war
wesentlich der dauernde Friedensstand und die Duldung des Wohlstandes im Innern,
die Abwesenheit derjenigen Regierungsweisheit, die jedes gesunde Paar Arme und
jedes ersparte Geldstueck betrachtet als ihren unmittelbaren Zwecken von Rechts
wegen verfallen - negative Tugenden keineswegs hervorragender Persoenlichkeiten,
aber oftmals dem gemeinen Gedeihen erspriesslicher als die Grosstaten der
selbstgesetzten Vormuender der Menschheit.
Der Wohlstand Kleinasiens beruhte in schoenem Gleichgewicht ebenso auf der
Bodenkultur wie auf der Industrie und dem Handel. Die Gunst der Natur ist
insbesondere den Kuestenlandschaften in reichstem Masse zuteil geworden, und
vielfach zeigt es sich, mit wie emsigem Fleiss auch unter schwierigeren
Verhaeltnis sen, zum Beispiel in dem felsigen Tal des Eurymedon in Pamphylien
von den Buergern von Selge, jedes irgend brauchbare Bodenstueck ausgenutzt ward.
Die Erzeugnisse der kleinasiatischen Industrie sind zu zahlreich und zu
mannigfaltig, um bei den einzelnen zu verweilen ^32; erwaehnt mag werden, dass
die ungeheuren Triften des Binnenlandes mit ihren Schaf- und Ziegenherden
Kleinasien zum Hauptland der Wollindustrie und der Weberei ueberhaupt gemacht
haben - es genuegt zu erinnern an die milesische und die galatische, das ist die
Angorawolle, die attalischen Goldstickereien, die nach nervischer, das heisst
flandrischer Art in den Fabriken des phrygischen Laodikeia gefertigten Tuche.
Dass in Ephesos fast ein Aufstand ausgebrochen waere, weil die Goldschmiede von
dem neuen Christenglauben Beschaedigung ihres Absatzes von Heiligenbildern
befuerchteten, ist bekannt. In Philadelpheia, einer bedeutenden Stadt Lydiens,
kennen wir von den sieben Quartieren die Namen zweier: es sind die der
Wollenweber und der Schuster. Wahrscheinlich tritt hier zu Tage, was bei den
uebrigen Staedten unter aelteren und vornehmeren Namen sich versteckt, dass die
bedeutenderen Staedte Asias durchgaengig nicht bloss eine Menge Handwerker,
sondern auch eine zahlreiche Fabrikbevoelkerung in sich schlossen. Der Geld- und
Handelsverkehr ruhte in Kleinasien hauptsaechlich auf der eigenen Produktion.
Der grosse auslaendische Import und Export Syriens und Aegyptens war hier in der
Hauptsache ausgeschlossen, wenn auch aus den oestlichen Laendern mancherlei
Artikel, zum Beispiel durch die galatischen Haendler eine betraechtliche Zahl
von Sklaven nach Kleinasien eingefuehrt wurden ^33. Aber wenn die roemischen
Kaufleute hier, wie es scheint, in jeder grossen und kleinen Stadt, selbst in
Orten wie Ilion und Assos in Mysien, Prymnessos und Traianopolis in Phrygien, in
solcher Zahl zu finden waren, dass ihre Vereine neben der Stadtbuergerschaft bei
oeffentlichen Akten sich zu beteiligen pflegen; wenn in Hierapolis im
phrygischen Binnenland ein Fabrikant (ergast/e/s) auf sein Grab schreiben liess,
dass er zweiundsiebzigmal in seinem Leben um Kap Malea nach Italien gefahren
sei, und ein roemischer Dichter den Kaufmann der Hauptstadt schildert, welcher
nach dem Hafen eilt, um den Geschaeftsfreund aus dem nicht weit von Hierapolis
entfernten Kibyra nicht in die Haende von Konkurrenten fallen zu lassen, so
oeffnet sich damit ein Einblick in ein reges gewerbliches und kaufmaennisches
Treiben nicht bloss in den Hoefen. Von dem stetigen Verkehr mit Italien zeugt
auch die Sprache; unter den in Kleinasien gangbar gewordenen lateinischen
Woertern ruehren nicht wenige aus solchem Verkehr her, wie denn in Ephesos sogar
die Gilde der Wollenweber sich lateinisch benennt ^34. Lehrer aller Art und
Aerzte kamen nach Italien und den uebrigen Laendern lateinischer Zunge
vorzugsweise von hier und gewannen nicht bloss oftmals bedeutendes Vermoegen,
sondern brachten dies auch in ihre Heimat zurueck; unter denen, welchen die
Staedte Kleinasiens Bauwerke oder Stiftungen verdanken, nehmen die reich
gewordenen Aerzte ^35 und Literaten einen hervorragenden Platz ein. Endlich die
Auswanderung der grossen Familien nach Italien hat Kleinasien weniger und
spaeter betroffen als den Okzident; aus Vienna und Narbo siedelte man leichter
nach der Hauptstadt des Reiches ueber als aus den griechischen Staedten, und
auch die Regierung war in frueherer Zeit nicht eben geneigt, die vornehmen
Munizipalen Kleinasiens an den Hof zu ziehen und sie in die roemische
Aristokratie einzufuehren.
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^32 Die Christen des Kuestenstaedtchens Korykos im Rauhen Kilikien
pflegten, gegen den allgemeinen Gebrauch, ihren Grabschriften regelmaessig den
Stand beizusetzen. Auf den dort von Langlois und neuerdings von Duchesne (BCH
7,1883, S. 230f.) aufgenommenen Grabschriften finden sich ein Schreiber
(notarios), ein Weinhaendler (oinemporos) zwei PHlhaendler (eleop/o/l/e/s) ein
Gemuesehaendler (lachanop/o/l/e/s), ein Fruchthaendler (op/o/rop/o/l/e/s), zwei
Kraemer (kap/e/los), fuenf Goldschmiede (ayrarios dreimal, chrysochoos zweimal),
wovon einer auch Presbyter ist, vier Kupferschmiede (chalkotypos einmal,
chalke?s dreimal), zwei Instrumentenmacher (armenoraphos), fuenf Toepfer
(kerame?s), von denen einer als Arbeitgeber (ergodot/e/s) bezeichnet wird, ein
anderer zugleich Presbyter ist ein Kleiderhaendler (imatiop/o/l/e/s) zwei
Leinwandhaendler (linop/o/l/e/s)drei Weber (othoniakos), ein Wollarbeiter
(ereoyrgos), zwei Schuster (kaligarios, kaltarios), ein Kuerschner (inioraphos,
wohl fuer /e/nioraphos, pellio), ein Schiffer (na?kl/e/ros), eine Hebamme
(iatrin/e/); ferner ein Gesamtgrab der hochansehnlichen Geldwechsler (s?sstema
t/o/n eygenestat/o/n trapezit/o/n). So sah es daselbst im 5. und 6. Jahrhundert
aus.
^33 Dieser fuer das 4. Jahrhundert bezeugte Verkehr (Amm. 22, 7 8;
Claudianus in Eutr. 1, 59) ist ohne Zweifel aelter. Anderer Art ist es, dass,
wie Philostratos (Vita Apoll. 8, 7, 12) angibt, die nicht griechischen Bewohner
von Phrygien ihre Kinder an die Sklavenhaendler verkauften.
^34 Synergasia t/o/n lanari/o/n (Wood, Ephesus. City, n. 4). Auch auf den
Inschriften von Korykos (Anm. 32) sind lateinische Handwerkerbenennungen
haeufig. Die Stufe heisst grados den phrygischen Inschriften CIG 3900, 39021.
^35 Einer von diesen ist Xenophon, des Herakleitos Sohn, von Kos, bekannt
aus Tacitus (ann. 12, 61. 67) und Plinius (nat. 29,1, 7) und einer Reihe von
Denkmaelern seiner Heimat (BCH 5, 1881, S. 468). Als Leibarzt (archiatros,
welcher Titel hier zuerst begegnet) des Kaisers Claudius gewann er solchen
Einfluss, dass er mit seiner aerztlichen Taetigkeit die einflussreiche Stellung
des kaiserlichen Kabinettssekretaer fuer die griechische Korrespondenz verband
(epi t/o/n Ell/e/nikan apokrimat/o/n vgl. Suidas unter Dion?sios Alexandreys)
und nicht bloss fuer seinen Bruder und Oheim das roemische Buergerrecht und
Offiziersteilen von Ritterrang und fuer sich ausser dem Ritterpferd und dem
Offiziersrang noch die Dekoration des Goldkranzes und des Speers bei dem
britannischen Triumph erwirkte, sondern auch fuer seine Heimat die
Steuerfreiheit. Sein Grabmal steht auf der Insel, und seine dankbaren Landsleute
setzten ihm und den Seinigen Statuen und schlugen zu seinem Gedaechtnis Muenzen
mit seinem Bildnis. Er ist es, der den todkranken Claudius durch weitere
Vergiftung umgebracht haben soll und demgemaess, als ihm wie seinem Nachfolger
gleich wert, auf seinen Denkmaelern nicht bloss wie ueblich "Kaiserfreund"
(philosebastos) heisst, sondern speziell Freund des Claudius (philokla?dios) und
des Nero (philoner/o/n, dies nach sicherer Restitution). Sein Bruder, dem er in
dieser Stellung folgte, bezog ein Gehalt von 500000 Sesterzen (100000 Mark),
versicherte aber dem Kaiser, dass er nur ihm zuliebe die Stellung angenommen
haette, da seine Stadtpraxis ihm 100000 Sesterzen mehr eingetragen habe. Trotz
der enormen Summen, die die Brueder ausser fuer Kos namentlich fuer Neapel
aufgewendet hatten, hinterliessen sie ein Vermoegen von 30 Mill. Sesterzen (6«
Mill. Mark).
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Wenn wir absehen von der wunderbaren Fruehbluete, in welcher das ionische
Epos und die aeolische Lyrik, die Anfaenge der Geschichtschreibung und der
Philosophie, der Plastik und der Malerei an diesen Gestaden keimten, so war in
der Wissenschaft wie in der Kunstuebung die grosse Zeit Kleinasiens die der
Attaliden, welche die Erinnerung jener noch groesseren Epoche treulich pflegte.
Wenn Smyrna seinem Buerger Homeros goettliche Verehrung erwies, auch Muenzen auf
ihn schlug und nach ihm nannte, so drueckt sich darin die Empfindung aus, die
ganz Ionien und ganz Kleinasien beherrschte, dass die goettliche Kunst
ueberhaupt in Hellas und im Besonderen in Ionien auf die Erde niedergestiegen
sei. Wie frueh und in welchem Umfang fuer den Elementarunterricht in diesen
Gegenden oeffentlich gesorgt worden ist, veranschaulicht ein denselben
betreffender Beschluss der Stadt Teos ^36 in Lydien. Danach soll, nachdem die
Kapitalschenkung eines reichen Buergers die Stadt dazu instand gesetzt hat, in
Zukunft neben dem Turninspektor (gymnasiarch/e/s) weiter das Ehrenamt eines
Schulinspektors (paidonomos) eingerichtet werden. Ferner sollen mit Besoldung
angestellt werden drei Schreiblehrer mit Gehalten, je nach den drei Klassen, von
600, 550 und 500 Drachmen, damit im Schreiben saemtliche freie Knaben und
Maedchen unterwiesen werden koennen; ebenfalls zwei Turnmeister mit je 500
Drachmen Gehalt, ein Musiklehrer mit Gehalt von 700 Drachmen, welcher die Knaben
der beiden letzten Schuljahre und die aus der Schule entlassenen Juenglinge im
Lautenschlagen und Zitherspielen unterweist, ein Fechtlehrer mit 300 und ein
Lehrer fuer Bogenschiessen und Speerwerfen mit 250 Drachmen Besoldung. Die
Schreib- und der Musiklehrer sollen jaehrlich im Rathaus ein oeffentliches
Examen der Schueler abhalten. Das ist das Kleinasien der Attalidenzeit; aber die
roemische Republik hat deren Arbeit nicht fortgesetzt. Sie liess ihre Siege
ueber die Galater nicht durch den Meissel verewigen, und die pergamenische
Bibliothek kam kurz vor der Aktfischen Schlacht nach Alexandreia; viele der
besten Keime sind in der Verwuestung der Mithradatischen und der Buergerkriege
zugrunde gegangen. Erst in der Kaiserzeit regenerierte sich mit dem Wohlstande
Kleinasiens wenigstens aeusserlich die Pflege der Kunst und vor allem der
Literatur. Einen eigentlichen Primat, wie ihn als Universitaetsstadt Athen
besass, im Kreise der wissenschaftlichen Forschung Alexandreia, fuer Schauspiel
und Ballett die leichtfertige Hauptstadt Syriens, kann keine der zahlreichen
Staedte Kleinasiens nach irgendeiner Richtung hin in Anspruch nehmen; aber die
allgemeine Bildung ist wahrscheinlich nirgends weiter verbreitet und
eingreifender gewesen. Den Lehrern und den Aerzten Befreiung von den mit Kosten
verbundenen staedtischen Aemtern und Auftraegen zu gewaehren, muss in Asia frueh
ueblich geworden sein; an diese Provinz ist der Erlass des Kaisers Pius
gerichtet, welcher, um der fuer die staedtischen Finanzen offenbar sehr
beschwerlichen Exemtion Schranken zu setzen, Maximalzahlen dafuer vorschreibt,
zum Beispiel den Staedten erster Klasse gestattet, bis zu zehn Aerzten, fuenf
Lehrmeistern der Rhetorik und fuenf der Grammatik diese Immunitaet zu gewaehren.
Dass in dem Literatentum der Kaiserzeit Kleinasien in erster Reihe steht, beruht
auf dem Rhetoren- oder, nach dem spaeterhin ueblichen Ausdruck, dem
Sophistenwesen der Epoche, das wir Neueren uns nicht leicht vergegenwaertigen.
An die Stelle der Schriftstellerei, die ziemlich aufgehoert hat, etwas zu
bedeuten, ist der oeffentliche Vortrag getreten, von der Art etwa unserer
heutigen Universitaets- und akademischen Reden, ewig sich neu erzeugend und nur
ausnahmsweise gelagert, einmal gehoert und beklatscht und dann auf immer
vergessen. Den Inhalt gibt haeufig die Gelegenheit, der Geburtstag des Kaisers,
die Ankunft des Statthalters, jedes oeffentliche oder private analoge Ereignis;
noch haeufiger wird ohne jede Veranlassung ins Blaue hinein ueber alles geredet,
was nicht praktisch und nicht lehrhaft ist. Politische Rede gibt es fuer diese
Zeit ueberhaupt nicht, nicht einmal im roemischen Senat. Die Gerichtsrede ist
den Griechen nicht mehr der Zielpunkt der Redekunst, sondern steht neben der
Rede um der Rede willen als vernachlaessigte und plebejische Schwester, zu der
sich ein Meister jener gelegentlich einmal herablaesst. Der Poesie, der
Philosophie, der Geschichte wird entnommen, was sich gemeinplaetzig behandeln
laesst, waehrend sie alle selbst ueberhaupt wenig und am wenigsten in Kleinasien
gepflegt und noch weniger geachtet neben der reinen Wortkunst und von ihr
durchseucht verkuemmern. Die grosse Vergangenheit der Nation betrachten diese
Redner sozusagen als ihr Sondergut; sie verehren und behandeln den Homer
einigermassen wie die Rabbiner die Buecher Moses, und auch in der Religion
befleissigen sie sich eifrigster Orthodoxie. Getragen werden diese Vortraege
durch alle erlaubten und unerlaubten Hilfsmittel des Theaters, die Kunst der
Gestikulation und der Modulation der Stimme, die Pracht des Rednerkostuems, die
Kunstgriffe des Virtuosentums, das Faktionswesen, die Konkurrenz, die Claque.
Dem grenzenlosen Selbstgefuehl dieser Wortkuenstler entspricht die lebhafte
Teilnahme des Publikums, welche derjenigen fuer die Rennpferde nur wenig
nachsteht, und der voellig nach Theaterart dieser Teilnahme gegebene Ausdruck;
und die Stetigkeit, womit dergleichen Exhibitionen in den groesseren Orten den
Gebildeten vorgefuehrt werden, fuegt sie, ebenfalls wie das Theater, ueberall in
die staedtischen Lebensgewohnheiten ein. Wenn vielleicht an den Eindruck,
welchen in unseren bewegtesten Grossstaedten die obligaten Reden ihrer gelehrten
Koerperschaften hervorrufen, sich dies untergegangene Phaenomen fuer unser
Verstaendnis einigermassen anknuepfen laesst, so fehlt doch in den heutigen
Verhaeltnissen ganz, was in der alten Welt weit die Hauptsache war: das
didaktische Moment und die Verknuepfung des zwecklosen oeffentlichen Vortrags
mit dem hoeheren Jugendunterricht. Wenn dieser heute, wie man sagt, den Knaben
der gebildeten Klasse zum Professor der Philologie erzieht, so erzog er ihn
damals zum Professor der Eloquenz, und zwar dieser Eloquenz. Denn die Schulung
lief mehr und mehr darauf hinaus, dem Knaben die Fertigkeit beizubringen,
ebensolche Vortraege, wie sie eben geschildert wurden, selber, womoeglich in
beiden Sprachen, zu halten, und wer mit Nutzen den Kursus absolviert hatte,
beklatschte in den analogen Leistungen die Erinnerung an die eigene Schulzeit.
Diese Produktion umspannt zwar den Orient wie den Okzident; aber Kleinasien
steht voran und gibt den Ton an. Als in der augustischen Zeit die Schulrhetorik
in dem lateinischen Jugendunterricht der Hauptstadt Fuss fasste, waren die
Haupttraeger neben Italienern und Spaniern zwei Kleinasiaten, Arellius Fuscus
und Cestius Pius. Ebendaselbst, wo die ernsthafte Gerichtsrede sich in der
besseren Kaiserzeit neben diesem Parasiten behauptete, weist ein geistvoller
Advokat der flavischen Zeit auf die ungeheure Kluft hin, welche den Niketes von
Smyrna und die andern in Ephesos und Mytilene beklatschten Redeschulmeister von
Aeschines und Demosthenes trennt. Bei weitem die meisten und namhaftesten der
gefeierten Rhetoren dieser Art sind von der Kueste Vorderasiens. Wie sehr fuer
die Finanzen der kleinasiatischen Staedte die Schulmeisterlieferung fuer das
ganze Reich ins Gewicht fiel, ist schon bemerkt worden. Im Laufe der Kaiserzeit
steigt die Zahl und die Geltung dieser Sophisten bestaendig, und mehr und mehr
gewinnen sie Boden auch im Okzident. Die Ursache davon liegt zum Teil wohl in
der veraenderten Haltung der Regierung, die im zweiten Jahrhundert, insbesondere
seit der nicht so sehr hellenisierenden als uebel kosmopolitisierenden
hadrianischen Epoche, sich weniger ablehnend gegen das griechische und das
orientalische Wesen verhielt als im ersten; hauptsaechlich aber in der immer
zunehmenden Verallgemeinerung der hoeheren Bildung und der rasch sich
vermehrenden Zahl der Anstalten fuer den hoeheren Jugendunterricht. Es gehoert
also die Sophistik allerdings besonders nach Kleinasien und besonders in das
Kleinasien des zweiten und dritten Jahrhunderts; nur darf in diesem
Literatenprimat keine spezielle Eigentuemlichkeit dieser Griechen und dieser
Epoche oder gar eine nationale Besonderheit gefunden werden. Die Sophistik sieht
sich ueberall gleich, in Smyrna und Athen wie in Rom und Karthago; die
Eloquenzmeister wurden verschickt wie die Lampenformen und das Fabrikat ueberall
in gleicher Weise, nach Verlangen griechisch oder lateinisch, hergestellt, die
Fabrikation dem Bedarf entsprechend gesteigert. Aber freilich lieferten
diejenigen griechischen Landschaften, die an Wohlstand und Bildung voranstanden,
diesen Exportartikel in bester Qualitaet und in groesster Quantitaet; von
Kleinasien gilt dies fuer die Zeiten Sullas und Ciceros nicht minder wie fuer
die Hadrians und der Antonine.
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^36 Die Urkunde steht bei Dittenberger, SIG n. 349. Attalos II. machte eine
aehnliche Stiftung in Delphi (BCH 5, 1881, S. 157).
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Indes ist auch hier nicht alles Schatten. Eben diese Landschaften besitzen
zwar nicht unter den professionellen Sophisten, aber doch unter den Literaten
anderer Richtung, die auch noch dort verhaeltnismaessig zahlreich sich finden,
die besten Vertreter des Hellenismus, welche diese Epoche ueberhaupt aufweist,
den Lehrer der Philosophie, Dion von Prusa, in Bithynien unter Vespasian und
Traian und den Mediziner Galenos aus Pergamon, kaiserlicher Leibarzt am Hofe des
Marcus und des Severus. Bei Galenos erfreut namentlich die feine Weise des Welt-
und des Hofmanns in Verbindung mit einer allgemeinen literarischen und
philosophischen Bildung, wie sie bei den Aerzten dieser Zeit ueberhaupt haeufig
hervortritt ^37. An Reinheit der Gesinnung und Klarheit ueber die Lage der Dinge
gibt der Bithyner Dion dem Gelehrten von Chaeroneia nichts nach, an
Gestaltungskraft, an Feinheit und Schlagfertigkeit der Rede, an ernstem Sinn bei
leichter Form, an praktischer Energie ist er ihm ueberlegen. Die besten seiner
Schriften, die Phantasien von dem idealen Hellenen vor der Erfindung der Stadt
und des Geldes, die Ansprache an die Rhodier, die einzigen uebriggebliebenen
Vertreter des echten Hellenismus, die Schilderung der Hellenen seiner Zeit in
der Verlassenheit von Olbia wie in der Ueppigkeit von Nikomedeia und von Tarsos,
die Mahnungen an den Einzelnen zu ernster Lebensfuehrung und an alle zu
eintraechtigem Zusammenhalten sind das beste Zeugnis dafuer, dass auch von dem
kleinasiatischen Hellenismus der Kaiserzeit das Wort des Dichters gilt:
untergehend sogar ist's immer dieselbige Sonne.
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^37 Ein Arzt aus Smyrna, Hermogenes, des Charidemos Sohn (CIG 3311),
schrieb nicht bloss 77 Baende medizinischen Inhalts, sondern daneben, wie sein
Grabstein berichtet, historische Schriften: ueber Smyrna, ueber Homers
Vaterland, ueber Homers Weisheit, ueber die Staedtegruendungen in Asia, in
Europa, auf den Inseln, Itinerarien von Asien und von Europa, ueber
Kriegslisten, chronologische Tabellen ueber die Geschichte Roms und Smyrnas. Ein
kaiserlicher Leibarzt Menekrates (CIG 6607), dessen Herkunft nicht angegeben
wird, begruendete, wie seine roemischen Verehrer ihm bescheinigen, die neue
logische und zugleich empirische Medizin (idias logik/e/s enargo?s iatrik/e/s
ktist/e/s) in seinen auf 156 Baende sich belaufenden Schriften.
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9. Kapitel
Die Euphratgrenze und die Parther
Der einzige Grossstaat, mit welchem das Roemische Reich grenzte, war das
Reich von Iran ^1, ruhend auf derjenigen Nationalitaet, die im Altertum wie
heutzutage am bekanntesten ist unter dem Namen der Perser, staatlich
zusammengefasst durch das altpersische Koenigsgeschlecht der Achaemeniden und
seinen ersten Grosskoenig Kyros, religioes geeinigt durch den Glauben des Ahura
Mazda und des Mithra. Keines der alten Kulturvoelker hat das Problem der
nationalen Einigung gleich frueh und gleich vollstaendig geloest. Suedlich
reichten die iranischen Staemme bis an den Indischen Ozean, noerdlich bis zum
Kaspischen Meer; nordoestlich war die innerasiatische Steppe der stete
Kampfplatz der sesshaften Perser und der nomadischen Staemme Turans. Oestlich
schieden maechtige Grenzgebirge sie von den Indern. Im westlichen Asien trafen
frueh drei grosse Nationen jede ihrerseits vordraengend auf einander: die von
Europa aus auf die kleinasiatische Kueste uebergreifenden Hellenen, die von
Arabien und Syrien aus in noerdlicher und nordoestlicher Richtung
vorschreitenden und das Euphrattal wesentlich ausfuellenden aramaeischen
Voelkerschaften, endlich die nicht bloss bis zum Tigris wohnenden, sondern
selbst nach Armenien und Kappadokien vorgedrungenen Staemme von Iran, waehrend
andersartige Urbewohner dieser weitgedehnten Landschaften unter diesen
Vormaechten erlagen und verschwanden. Ueber dieses weite Stammgebiet ging in der
Epoche der Achaemeniden, dem Hoehepunkt der Herrlichkeit Irans, die iranische
Herrschaft nach allen Seiten, insbesondere aber nach Westen weit hinaus.
Abgesehen von den Zeiten, wo Turan ueber Iran die Oberhand gewann und die
Seldschuken und Mongolen den Persern geboten, ist eigentliche Fremdherrschaft
ueber den Kern der iranischen Staemme nur zweimal gekommen, durch den grossen
Alexander und seine naechsten Nachfolger und durch die arabischen Kalifen, und
beide Male nur auf verhaeltnismaessig kurze Zeit; die oestlichen Landschaften,
in jenem Fall die Parther, in diesem die Bewohner des alten Baktrien warfen
nicht bloss bald das Joch des Auslaenders wieder ab, sondern verdraengten ihn
auch aus dem stammverwandten Westen.
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^1 Die Vorstellung, dass das Roemer- und das Partherreich zwei
nebeneinander stehende Grossstaaten sind und zwar die einzigen, die es gibt,
beherrscht den ganzen roemischen Orient, namentlich die Grenzprovinzen. Greifbar
tritt sie uns in der Johanneischen Apokalypse entgegen, in dem
Nebeneinanderstellen wie des Reiters auf dem weissen Ross mit dem Bogen und des
auf dem roten mit dem Schwert (6 2 3), so der Megistanen und der Chiliarchen (6,
15 vgl. 18, 23; 19, 18). Auch die Schlusskatastrophe ist gedacht als
Ueberwaeltigung der Roemer durch die den Kaiser Nero zurueckfuehrenden Parther
(c. 9,14;16,12) und Armageddon, was immer damit gemeint sein mag, als der
Sammelplatz der Orientalen zu dem Gesamtangriff auf den Okzident. Allerdings
deutet der im Roemischen Reich schreibende Verfasser diese wenig patriotischen
Hoffnungen mehr an, als er sie ausspricht.
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Das durch die Parther regenerierte Perserreich fanden die Roemer vor, als
sie in der letzten Zeit der Republik in Folge der Besetzung Syriens in
unmittelbare Beruehrung mit Iran traten. Wir haben dieses Staats schon mehrfach
frueherhin zu gedenken gehabt; hier ist der Ort, das Wenige zusammenzufassen,
was ueber die Eigentuemlichkeit des auch fuer die Geschicke des Nachbarstaats so
vielfach ausschlaggebenden Reiches sich erkennen laesst. Allerdings hat auf die
meisten Fragen, die der Geschichtsforscher hier zu stellen hat, die
Ueberlieferung keine Antwort. Die Okzidentalen geben ueber die inneren
Verhaeltnisse ihrer parthischen Nachbarn und Feinde nur gelegentliche, in der
Vereinzelung leicht irrefuehrende Notizen; und wenn die Orientalen es ueberhaupt
kaum verstanden haben, die geschichtliche Ueberlieferung zu fixieren und zu
bewahren, so gilt dies doppelt von der Arsakidenzeit, da diese den spaeteren
Iranern mit der vorhergehenden Fremdherrschaft der Seleukiden zusammen als
unberechtigte Usurpation zwischen der alt- und der neupersischen
Herrschaftsperiode, den Achaemeniden und den Sassaniden gegolten hat; dies halbe
Jahrtausend wird sozusagen aus der Geschichte Irans herauskorrigiert ^2 und ist
wie nicht vorhanden.
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^2 Dies gilt sogar einigermassen fuer die Chronologie. Die offizielle
Historiographie der Sassaniden reduziert den Zeitraum zwischen dem letzten
Dareios und dem ersten Sassaniden von 558 auf 266 Jahre (Tabari, Geschichte der
Perser und Araber. Hrsg. v. Th. Noeldeke. Leiden 1879, S. 1).
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Der Standpunkt, den die Hofhistoriographen der Sassanidendynastie damit
einnahmen, ist mehr der legitimistisch-dynastische des persischen Adels als
derjenige der iranischen Nationalitaet. Freilich bezeichnen die Schriftsteller
der ersten Kaiserzeit die Sprache der Parther, deren Heimat etwa dem heutigen
Chorasan entspricht, als mitten inne stehend zwischen der medischen und der
skythischen, das heisst als einen unreinen iranischen Dialekt; dem entsprechend
galten sie als Einwanderer aus dem Land der Skythen und in diesem Sinne wird ihr
Name auf fluechtige Leute gedeutet und der Gruender der Dynastie Arsakes zwar
von einigen fuer einen Baktrer, von andern dagegen fuer einen Skythen von der
Maeotis erklaert. Dass ihre Fuersten nicht in Seleukeia am Tigris ihre Residenz
nahmen, sondern in der unmittelbaren Naehe bei Ktesiphon ihr Winterlager
aufschlugen, wird darauf zurueckgefuehrt, dass sie die reiche Kaufstadt nicht
mit skythischen Truppen haetten belegen wollen. Vieles in der Weise und den
Ordnungen der Parther entfernt sich von der iranischen Sitte und erinnert an
nomadische Lebensgewohnheiten: zu Pferde handeln und essen sie, und nie geht der
freie Mann zu Fuss. Es laesst sich wohl nicht bezweifeln, dass die Parther,
deren Namen allein von allen Staemmen dieser Gegend die heiligen Buecher der
Perser nicht nennen, dem eigentlichen Iran fern stehen, in welchem die
Achaemeniden und die Magier zu Hause sind. Der Gegensatz dieses Iran gegen das
aus einem unzivilisierten und halb fremdartigen Distrikt herstammende
Herrschergeschlecht und dessen naechstes Gefolge, dieser Gegensatz, den die
roemischen Schriftsteller nicht ungern von den persischen Nachbarn uebernahmen,
hat allerdings die ganze Arsakidenherrschaft hindurch bestanden und gegaert, bis
er schliesslich ihren Sturz herbeifuehrte. Darum aber darf die Herrschaft der
Arsakiden noch nicht als Fremdherrschaft gefasst werden. Dem parthischen Stamm
und der parthischen Landschaft wurden keine Vorrechte eingeraeumt. Als Residenz
der Arsakiden wird zwar auch die parthische Stadt Hekatompylos genannt; aber
hauptsaechlich verweilten sie im Sommer in Ekbatana (Ramadan) oder auch in
Rhagae gleich den Achaemeniden, im Winter, wie bemerkt, in der Lagerstadt
Ktesiphon oder auch in Babylon an der aeussersten westlichen Grenze des Reiches.
Das Erbbegraebnis in der Partherstadt Nisaea blieb; aber spaeter diente dafuer
haeufiger Arbela in Assyrien. Die arme und ferne parthische Heimatlandschaft war
fuer die ueppige Hofhaltung und die wichtigen Beziehungen zu dem Westen,
besonders der spaeteren Arsakiden, in keiner Weise geeignet. Das Hauptland blieb
auch jetzt Medien, eben wie unter den Achaemeniden. Mochten immer die Arsakiden
skythischer Herkunft sein, mehr als auf das, was sie waren, kam darauf an, was
sie sein wollten; und sie selber betrachteten und gaben sich durchaus als die
Nachfolger des Kyros und des Dareios. Wie die sieben persischen Stammfuersten
den falschen Achaemeniden beseitigt und durch die Erhebung des Dareios die
legitime Herrschaft wiederhergestellt hatten, so mussten andere sieben die
makedonische Fremdherrschaft gestuerzt und den Koenig Arsakes auf den Thron
gesetzt haben. Mit dieser patriotischen Fiktion wird weiter zusammenhaengen,
dass dem ersten Arsakes statt der skythischen die baktrische Heimat beigelegt
ward. Die Tracht und die Etikette am Hof der Arsakiden war die des persischen;
nachdem Koenig Mithradates I. seine Herrschaft bis zum Indus und Tigris
ausgedehnt hatte, vertauschte die Dynastie den einfachen Koenigstitel mit dem
des Koenigs der Koenige, wie ihn die Achaemeniden gefuehrt hatten, und die
spitze skythische Kappe mit der hohen perlengeschmueckten Tiara; auf den Muenzen
fuehrt der Koenig den Bogen wie Dareios. Auch die mit den Arsakiden in das Land
gekommene, ohne Zweifel vielfach mit der alteinheimischen gemischte Aristokratie
nahm persische Sitte und Tracht, meistens auch persische Namen an; von dem
Partherheer, das mit Crassus stritt, heisst es, dass die Soldaten noch das
struppige Haar nach skythischer Weise trugen, der Feldherr aber nach medischer
Art mit in der Mitte gescheiteltem Haar und geschminktem Gesicht erschien.
Die staatliche Ordnung, wie sie durch den ersten Mithradates festgestellt
wurde, ist dementsprechend wesentlich diejenige der Achaemeniden. Das Geschlecht
des Begruenders der Dynastie ist mit allem Glanz und mit aller Weihe
angestammter und goettlich verordneter Herrschaft umkleidet: sein Name
uebertraegt sich von Rechts wegen auf jeden seiner Nachfolger, und es wird ihm
goettliche Ehre erwiesen; seine Nachfolger heissen darum auch Gottessoehne ^3
und ausserdem "Brueder des Sonnengottes und der Mondgoettin", wie noch heute der
Schah von Persien die Sonne im Titel fuehrt; das Blut eines Gliedes des
Koenigsgeschlechts auch nur durch Zufall zu vergiessen, ist ein Sakrilegium -
alles Ordnungen, die mit wenigen Abminderungen bei den roemischen Caesaren
wiederkehren und vielleicht zum Teil von diesen der aelteren Grossherrschaft
entlehnt sind.
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^3 Die Unterkoenige der Persis heissen in der Titulatur stehend "Zag
Alohin" (wenigstens sollen die aramaeischen Zeichen diesen vermutlich in der
Aussprache persisch ausgedrueckten Worten entsprechen), Gottes Sohn (Mordtmann,
Zeitschrift fuer Numismatik 4, 1877, S. 155 f.), und dem entspricht auf den
griechischen Muenzen der Grosskoenige die Titulatur theopat/o/r. Auch die
Bezeichnung "Gott" findet sich, wie bei den Seleukiden und den Sassaniden. Warum
den Arsakiden ein Doppeldiadem beigelegt wird (Herodian 6, 2, 1), ist nicht
aufgeklaert.
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Obwohl die koenigliche Wuerde also fest an das Geschlecht geknuepft ist,
besteht dennoch eine gewisse Koenigswahl. Da der neue Herrscher sowohl dem
Kollegium der "Verwandten des koeniglichen Hauses" wie dem Priesterrat
angehoeren muss, um den Thron besteigen zu koennen, so wird ein Akt
stattgefunden haben, wodurch vermutlich eben diese Kollegien selbst den neuen
Herrscher anerkannten ^4. Unter den "Verwandten" sind wohl nicht bloss die
Arsakiden selbst zu verstehen, sondern die "sieben Haeuser" der
Achaemenidenordnung, Fuerstengeschlechter, welchen nach dieser die
Ebenbuertigkeit und der freie Eintritt bei dem Grosskoenig zukommt und die auch
unter den Arsakiden aehnliche Privilegien gehabt haben werden ^5. Diese
Geschlechter waren zugleich Inhaber von erblichen Kronaemtern ^6; die Suren zum
Beispiel - der Name ist wie der Name Arsakes zugleich Personen- und
Amtbezeichnung -, das zweite Geschlecht nach dem Koenigshaus, setzten als
Kronmeister jedesmal dem neuen Arsakes die Tiara aufs Haupt. Aber wie die
Arsakiden selbst der parthischen Provinz angehoerten, so waren die Suren in
Sakastane (Sedjistan) zu Hause und vielleicht Saker, also Skythen; ebenso
stammten die Karen aus dem westlichen Medien, waehrend die hoechste Aristokratie
unter den Achaemeniden rein persisch war.
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^4 T/o/n Parthyai/o/n synedrion ph/e/sin (Poseid/o/nios) einai, sagt
Strabon (11, 9, 3 p. 515), ditton, to men syggen/o/n, to de soph/o/n kai
mag/o/n, ex /o/n amphoin to?s basileis kathistasthai (kathist/e/sin die
Handschrift). Iust. 42, 4,1: Mithridates rex Parthorum . . . propter
crudelitatem a senatu Parthico regno pellitur.
^5 In Aegypten, dessen Hofzeremoniell, wie wohl das der saemtlichen Staaten
der Diadochen auf das von Alexander angeordnete und insofern auf das des
Persischen Reiches zurueckgeht, scheint der gleiche Titel auch persoenlich
verliehen worden zu sein (Franz, CIG III S. 270). Dass bei den Arsakiden das
gleiche vorkam ist moeglich. Bei den griechisch redenden Untertanen des
Arsakidenstaats scheint die Benennung megistanes, in dem urspruenglichen
strengeren Gebrauch die Glieder der sieben Haeuser zu bezeichnen; es ist
beachtenswert, dass megistanes und satrapae zusammengestellt werden (Sen. epist.
21; Ios. ant. Iud. 11, 3, 2; 20, 2, 3). Dass bei Hoftrauer der Perserkoenig die
Megistanen nicht zur Tafel zieht (Suet. Gai. 5), legt die Vermutung nahe, dass
sie das Vorrecht hatten, mit ihm zu speisen. Auch der Titel t/o/n pr/o/t/o/n
phil/o/n findet sich bei den Arsakiden aehnlich wie am aegyptischen und am
pontischen Hofe (BCH 7, 1883, S. 349).
^6 Ein koeniglicher Mundschenk der zugleich Feldherr ist, wird genannt bei
Josephus (ant. Iud. 14, 13, 7 = bel. Iud. 1, 13, 1). Aehnliche Hofaemter kommen
in den Diadochenstaaten haeufig vor.
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Die Verwaltung liegt in den Haenden der Unterkoenige oder der Satrapen;
nach den roemischen Geographen der vespasianischen Zeit besteht der Staat der
Parther aus achtzehn "Koenigreichen". Einige dieser Satrapien sind
Sekundogenituren des Herrscherhauses; insbesondere scheinen die beiden
nordwestlichen Provinzen, das atropatenische Medien (Aserbeidschan) und, sofern
es in der Gewalt der Parther stand, Armenien, den dem zeitigen Herrscher
naechststehenden Prinzen zur Verwaltung uebertragen worden zu sein ^7. Im
uebrigen ragen unter den Satrapen hervor der Koenig der Landschaft Elymais oder
von Susa, dem eine besondere Macht- und Ausnahmestellung eingeraeumt war,
demnaechst derjenige der Persis, des Stammlandes der Achaemeniden. Die wenn
nicht ausschliessliche, so doch ueberwiegende und den Titel bedingende
Verwaltungsform war im Partherreich, anders als in dem der Caesaren, das
Lehnskoenigtum, so dass die Satrapen nach Erbrecht eintraten, aber der
grossherrlichen Bestaetigung unterlagen ^8. Allem Anschein nach hat sich dies
nach unten hin fortgesetzt, so dass kleinere Dynasten und Stammhaeupter zu dem
Unterkoenig in demselben Verhaeltnis standen, wie dieser zu dem Grosskoenig ^9.
Somit war das Grosskoenigtum der Parther aeusserst beschraenkt zu Gunsten der
hohen Aristokratie durch die ihm anhaftende Gliederung der erblichen
Landesverwaltung. Dazu passt recht wohl, dass die Masse der Bevoelkerung aus
halb oder ganz unfreien Leuten bestand ^10 und Freilassung nicht statthaft war.
In dem Heer, das gegen Antonius focht, sollen unter 50000 nur 400 Freie gewesen
sein. Der vornehmste unter den Vasallen des Orodes, welcher als Feldherr
desselben den Crassus schlug, zog ins Feld mit einem Harem von 200 Weibern und
einer von 1000 Lastkamelen getragenen Bagage; er selber stellte 10000 Reiter zum
Heer aus seinen Klienten und Sklaven. Ein stehendes Heer haben die Parther
niemals gehabt, sondern zu allen Zeiten blieb hier die Kriegfuehrung angewiesen
auf das Aufgebot der Lehnsfuersten und der ihnen untergeordneten Lehnstraeger
sowie der grossen Masse der Unfreien, ueber welche diese geboten.
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^7 Tac. ann. 15, 2 u. 31. Wenn nach der Vorrede des Agathangelos (p. 109
Langlois) zur Zeit der Arsakiden der aelteste und tuechtigste Prinz die
Landesherrschaft fuehrte, die drei ihm naechststehenden aber Koenige der
Armenier, der Inder und der Massageten waren, so liegt hier vielleicht dieselbe
Ordnung zu Grunde. Dass das parthisch-indische Reich, wenn es mit dem Hauptland
verbunden war, ebenfalls als Sekundogenitur galt, ist sehr wahrscheinlich.
^8 Diese meint wohl Justinus (41, 2, 2): proximus maiestati regum
praepositorum ordo est; ex hoc duces in bello, ex hoc in pace rectores habent.
Den einheimischen Namen bewahrt die Glosse bei Hesychios: bistax o basile?s para
Persais. Wenn bei Amm. 23, 6,14 die Vorsteher der persischen regiones vitaxae
(schr. vistaxae), id est magistri equitum et reges et satrapae heissen, so hat
er ungeschickt Persisches auf ganz Innerasien bezogen (vgl. Hermes 16, 1881, S.
613); uebrigens kann die Bezeichnung "Reiterfuehrer" fuer diese Unterkoenige
darauf gehen, dass sie, wie die roemischen Statthalter, die hoechste Zivil- und
die hoechste Militaergewalt in sich vereinigten und die Armee der Parther
ueberwiegend aus Reiterei bestand.
^9 Das lehrt die einem Gotarzes in der Inschrift von Kermanschahaen in
Kurdistan (CIG 4674) beigelegte Titulatur satrap/e/s t/o/n satrap/o/n. Dem
Arsakidenkoenig dieses Namens kann sie als solchem nicht beigelegt werden; wohl
aber mag, wie Olshausen (Monatsbericht der Berliner Akademie 1878, S. 179)
vermutet, damit diejenige Stellung bezeichnet werden, die ihm nach seinem
Verzicht auf das Grosskoenigtum (Tac. ann. 11, 9) zukam.
^10 Noch spaeter heisst eine Reitertruppe im parthischen Heer die "der
Freien" Ios. ant. Iud. 14, 13, 5 = bel. Iud. 1, 13, 3).
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Allerdings fehlte das staedtische Element in der politischen Ordnung des
Partherreichs nicht ganz. Zwar die aus der eigenen Entwicklung des Ostens
hervorgegangenen groesseren Ortschaften sind keine staedtischen Gemeinwesen, wie
denn selbst die parthische Residenz Ktesiphon im Gegensatz zu der benachbarten
griechischen Gruendung Seleukeia ein Flecken genannt wird; sie hatten keine
eigenen Vorsteher und keinen Gemeinderat, und die Verwaltung lag hier wie in den
Landbezirken ausschliesslich bei den koeniglichen Beamten. Aber von den
Gruendungen der griechischen Herrscher war ein freilich verhaeltnismaessig
geringer Teil unter parthische Herrschaft gekommen. In den ihrer Nationalitaet
nach aramaeischen Provinzen Mesopotamien und Babylonien hatte das griechische
Staedtewesen unter Alexander und seinen Nachfolgern festen Fuss gefasst.
Mesopotamien war mit griechischen Gemeinwesen bedeckt, und in Babylonien war die
Nachfolgerin des alten Babylon, die Vorlaeuferin Bagdads, eine Zeit lang die
Residenz der griechischen Koenige Asiens, Seleukeia am Tigris, durch ihre
guenstige Handelslage und ihre Fabriken emporgeblueht zu der ersten Kaufstadt
ausserhalb der roemischen Grenzen, angeblich von mehr als einer halben Million
Einwohner. Ihre freie hellenische Ordnung, auf der ohne Zweifel ihr Gedeihen vor
allem beruhte, wurde im eigenen Interesse auch von den parthischen Herrschern
nicht angetastet, und die Stadt bewahrte sich nicht bloss ihren Stadtrat von 300
erwaehlten Mitgliedern, sondern auch griechische Sprache und griechische Sitte
mitten im ungriechischen Osten. Freilich bildeten in diesen Staedten die
Hellenen nur das herrschende Element; neben ihnen lebten zahlreiche Syrer, und
als dritter Bestandteil gesellten sich dazu die nicht viel weniger zahlreichen
Juden, so dass die Bevoelkerung dieser Griechenstaedte des Partherreichs,
aehnlich wie die von Alexandreia, sich aus drei gesondert nebeneinander
stehenden Nationalitaeten zusammensetzte. Zwischen diesen kam es, eben wie in
Alexandreia, nicht selten zu Konflikten, wie zum Beispiel zur Zeit der Regierung
des Gaius unter den Augen der parthischen Regierung die drei Nationen
miteinander handgemein und schliesslich die Juden aus den groesseren Staedten
ausgetrieben wurden.
Insofern ist das Parthische Reich zu dem Roemischen das rechte Gegenstueck.
Wie in diesem das orientalische Unterkoenigtum ausnahmsweise vorkommt, so in
jenem die griechische Stadt; dem allgemeinen orientalisch-aristokratischen
Charakter des Partherregiments tun die griechischen Kaufstaedte an der
Westgrenze so wenig Eintrag wie die Lehnskoenigtuemer Kappadokien und Armenien
dem staedtisch gegliederten Roemerstaat. Waehrend in dem Staat der Caesaren das
roemisch-griechische staedtische Gemeinwesen weiter und weiter um sich greift
und allmaehlich zur allgemeinen Verwaltungsform wird, so reisst die
Staedtegruendung, das rechte Merkzeichen der hellenisch-roemischen Zivilisation,
welche die griechischen Kaufstaedte und die Militaerkolonien Roms ebenso
umspannt wie die grossartigen Ansiedlungen Alexanders und der Alexandriden, mit
dem Eintreten des Partherregiments im Osten ploetzlich ab, und auch die
bestehenden Griechenstaedte des Partherreichs verkuemmern im weiteren Lauf der
Entwicklung. Dort wie hier draengt die Regel mehr und mehr die Ausnahmen
zurueck.
Irans Religion, mit ihrer dem Monotheismus sich naehernden Verehrung des
"hoechsten der Goetter, der Himmel und Erde und die Menschen und fuer diese
alles Gute geschaffen hat", mit ihrer Bildlosigkeit und Geistigkeit, mit ihrer
strengen Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit, ihrer Hinwirkung auf praktische
Taetigkeit und energische Lebensfuehrung, hat die Gemueter ihrer Bekenner in
ganz anderer und tieferer Weise gepackt, als die Religionen des Okzidents es je
vermochten, und wenn vor der entwickelten Zivilisation weder Zeus noch Jupiter
standgehalten haben, ist der Glaube bei den Parsen ewig jung geblieben, bis er
einem anderen Evangelium, dem der Bekenner des Mohammed erlag oder doch vor ihm
nach Indien entwich. Wie sich der alte Mazda-Glaube, zu dem die Achaemeniden
sich bekannten und dessen Entstehung in die vorgeschichtliche Zeit faellt, zu
demjenigen verhielt, den als Lehre des weisen Zarathustra die wahrscheinlich
unter den spaeteren Achaemeniden entstandenen heiligen Buecher der Perser, das
Awesta, verkuenden, ist nicht unsere Aufgabe darzustellen; fuer die Epoche, wo
der Okzident mit dem Orient in Beruehrung steht, kommt nur die spaetere
Religionsform in Betracht, wie sie, entstanden vielleicht im Osten Irans, in
Baktrien, insbesondere vom Westen her, von Medien aus dem Okzident
gegenuebertrat und in ihn eindrang. Enger aber als selbst bei den Kelten sind in
Iran die nationale Religion und der nationale Staat miteinander verwachsen. Es
ist schon hervorgehoben worden, dass das legitime Koenigtum im Iran zugleich
eine religioese Institution, der oberste Herrscher des Landes als durch die
oberste Landesgottheit besonders zum Regiment berufen und selbst gewissermassen
goettlich gedacht wird. Auf den Muenzen nationalen Gepraeges erscheint
regelmaessig der grosse Feueraltar und ueber ihm schwebend der gefluegelte Gott
Ahura Mazda, neben ihm in kleinerer Gestalt und in betender Stellung der Koenig
und dem Koenig gegenueber das Reichsbanner. Dem entsprechend geht auch die
Uebermacht des Adels im Partherreich Hand in Hand mit der privilegierten
Stellung des Klerus. Die Priester dieser Religion, die Magier, erscheinen schon
in den Urkunden der Achaemeniden und in den Erzaehlungen Herodots und haben,
wahrscheinlich mit Recht, den Okzidentalen immer als national persische
Institution gegolten. Das Priestertum ist erblich und wenigstens in Medien,
vermutlich auch in anderen Landschaften, galt die Gesamtheit der Priester, etwa
wie die Leviten in dem spaeteren Israel, als ein besonderer Volksteil. Auch
unter der Herrschaft der Griechen haben die alte Religion des Staates und das
nationale Priestertum ihren Platz behauptet. Als der erste Seleukos die neue
Hauptstadt seines Reiches, das schon erwaehnte Seleukeia gruenden wollte, liess
er die Magier Tag und Stunde dafuer bestimmen, und erst nachdem diese Perser,
nicht gern, das verlangte Horoskop gestellt hatten, vollzogen ihrer Anweisung
gemaess der Koenig und sein Heer die feierliche Grundsteinlegung der neuen
Griechenstadt. Also auch ihm standen beratend die Priester des Ahura Mazda zur
Seite und sie, nicht die des hellenischen Olymp, wurden bei den oeffentlichen
Angelegenheiten insoweit befragt, als diese goettliche Dinge betrafen.
Selbstverstaendlich gilt dies um so mehr von den Arsakiden. Dass bei der
Koenigswahl neben dem Adelsrat der der Priester mitwirkte, wurde schon bemerkt.
Koenig Tiridates von Armenien, aus dem Haus der Arsakiden, kam nach Rom unter
Geleit eines Gefolges von Magiern, und nach deren Vorschrift reiste und speiste
er, auch in Gemeinschaft mit dem Kaiser Nero, der gern sich von den fremden
Weisen ihre Lehre verkuenden und die Geister beschwoeren liess. Daraus folgt
allerdings noch nicht, dass der Priesterstand als solcher auf die Fuehrung des
Staats wesentlich bestimmend eingewirkt hat; aber keineswegs ist der Mazda-
Glaube erst durch die Sassaniden wiederhergestellt worden; vielmehr ist bei
allem Wechsel der Dynastien und bei aller eigenen Entwicklung die Landesreligion
im Iran in ihren Grundzuegen die gleiche geblieben.
Die Landessprache im Partherreich ist die einheimische Irans. Keine Spur
fuehrt darauf, dass unter den Arsakiden jemals eine Fremdsprache in
oeffentlichem Gebrauch gewesen ist. Vielmehr ist es der iranische Landesdialekt
Babyloniens und die diesem eigentuemliche Schrift, wie beide vor und in der
Arsakidenzeit unter dem Einfluss von Sprache und Schrift der aramaeischen
Nachbarn sich entwickelten, welche mit der Benennung Pahlavi, das heisst
Parthava, belegt und damit bezeichnet werden als die des Reiches der Parther.
Auch das Griechische ist in demselben nicht Reichssprache geworden. Keiner der
Herrscher fuehrt auch nur als zweiten Namen einen griechischen; und haetten die
Arsakiden diese Sprache zu der ihrigen gemacht, so wuerden uns griechische
Inschriften in ihrem Reiche nicht fehlen. Allerdings zeigen ihre Muenzen bis auf
die Zeit des Claudius ausschliesslich ^11 und auch spaeter ueberwiegend
griechische Aufschrift, wie sie auch keine Spur der Landesreligion aufweisen und
im Fuss sich der oertlichen Praegung der roemischen Ostprovinzen anschliessen,
ebenso die Jahrteilung so wie die Jahrzaehlung so beibehalten haben, wie sie
unter den Seleukiden geregelt worden waren. Aber es wird dies vielmehr dahin
aufzufassen sein, dass die Grosskoenige selber ueberhaupt nicht praegten ^12 und
diese Muenzen, die ja wesentlich fuer den Verkehr mit den westlichen Nachbarn
dienten, von den griechischen Staedten des Reiches auf den Namen des Landesherrn
geschlagen worden sind. Die Bezeichnung des Koenigs auf diesen Muenzen als
"Griechenfreund" (philell/e/n), die schon frueh begegnet ^13 und seit
Mithradates I., das heisst seit der Ausdehnung des Staates bis an den Tigris,
stehend wird, hat einen Sinn nur, wenn auf diesen Muenzen die parthische
Griechenstadt redet. Vermutlich war der griechischen Sprache im Partherreich
neben der persischen eine aehnliche sekundaere Stellung im oeffentlichen
Gebrauch eingeraeumt, wie sie sie im Roemerstaat neben der lateinischen besass.
Das allmaehliche Schwinden des Griechentums unter der parthischen Herrschaft
laesst sich auf diesen staedtischen Muenzen deutlich verfolgen, sowohl in dem
Auftreten der einheimischen Sprache neben und statt der griechischen wie auch in
der mehr und mehr hervortretenden Sprachzerruettung ^14.
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^11 Die aelteste bekannte Muenze mit Pahlavischrift ist zu Claudius' Zeit
unter Volagasos I. geschlagen; sie ist zweisprachig und gibt dem Koenig
griechisch den vollen Titel, aber nur den Namen Arsakes, iranisch bloss den
einheimischen Individualnamen abgekuerzt (Vol.).
^12 Gewoehnlich beschraenkt man dies auf die Grosssilbermuenze und
betrachtet das Kleinsilber und das meiste Kupfer als koenigliche Praegung. Indes
damit wird dem Grosskoenig eine seltsame sekundaere Rolle in der Praegung
zugeteilt. Richtiger wird wohl jene Praegung aufgefasst als ueberwiegend fuer
das Ausland, diese als ueberwiegend fuer den inneren Verkehr bestimmt; die
zwischen beiden Gattungen bestehenden Verschiedenheiten erklaeren sich auf diese
Weise auch.
^13 Der erste Herrscher, der sie fuehrt, ist Phraapates um 188 v. Chr. (P.
Gardner, Parthian coinage, S. 27).
^14 So steht auf den Muenzen des Gotarzes (unter Claudius): G/o/terz/e/s
basile?s basile/o/n yos kekaloymenos Artabanoy. Auf den spaeteren ist die
griechische Aufschrift oft ganz unverstaendlich.
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Dem Umfang nach stand das Reich der Arsakiden weit zurueck nicht bloss
hinter dem Weltstaat der Achaemeniden, sondern auch hinter dem ihrer
unmittelbaren Vorgaenger, dem Seleukidenstaat. Von dessen urspruenglichem Gebiet
besassen sie nur die groessere oestliche Haelfte; nach der Schlacht, in welcher
Koenig Antiochos Sidetes, ein Zeitgenosse der Gracchen, gegen die Parther fiel,
haben die syrischen Koenige nicht wieder ernstlich versucht, ihre Herrschaft
jenseits des Euphrat geltend zu machen; aber das Land diesseits des Euphrat
blieb den Okzidentalen.
Von dem Persischen Meerbusen waren beide Kuesten, auch die arabische, im
Besitz der Parther, die Schiffahrt auf demselben also vollstaendig in ihrer
Gewalt; die uebrige arabische Halbinsel gehorchte weder den Parthern noch den
ueber Aegypten gebietenden Roemern.
Das Ringen der Nationen um den Besitz des Industals und der westlich und
oestlich angrenzenden Landschaften zu schildern, soweit die gaenzlich zerrissene
Ueberlieferung ueberhaupt eine Schilderung zulaesst, ist die Aufgabe unserer
Darstellung nicht; aber die Hauptzuege dieses Kampfes, welcher dem um das
Euphrattal gefuehrten stetig zur Seite geht, duerfen auch in diesem Zusammenhang
um so weniger fehlen, als unsere Ueberlieferung uns nicht gestattet, die
Verhaeltnisse Irans nach Osten in ihrem Eingreifen in die westlichen Beziehungen
im einzelnen zu verfolgen und es daher notwendig erscheint, wenigstens die
Grundlinien derselben uns zu vergegenwaertigen. Bald nach dem Tode des grossen
Alexander wurde durch das Abkommen seines Marschalls und Teilerben Seleukos mit
dem Gruender des Inderreiches, Tschandragupta oder griechisch Sandrakottos, die
Grenze zwischen Iran und Indien gezogen. Danach herrschte der letztere nicht
bloss ueber das Gangestal in seiner ganzen Ausdehnung und das gesamte noerdliche
Vorderindien, sondern im Gebiet des Indus wenigstens ueber einen Teil des
Hochtals des heutigen Kabul, ferner ueber Arachosien oder Afghanistan,
vermutlich auch ueber das wueste und wasserarme Gedrosien, das heutige
Belutschistan, sowie ueber das Delta und die Muendungen des Indus; die in Stein
gehauenen Urkunden, durch welche Tschandraguptas Enkel, der glaeubige
Buddhaverehrer Asoka, das allgemeine Sittengesetz seinen Untertanen
einschaerfte, sind wie in diesem ganzen weit ausgedehnten Gebiet, so namentlich
noch in der Gegend von Peschawar gefunden worden ^15. Der Hindukusch, der
Parapanisos der Alten, und dessen Fortsetzung nach Osten und Westen schieden
also mit ihrer gewaltigen, nur von wenigen Paessen durchsetzten Kette Iran und
Indien. Aber langen Bestand hat dies Abkommen nicht gehabt.
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^15 Waehrend das Reich des Dareios, seinen Inschriften zufolge, die Gadara
(die Gandara der Inder, Gandarai der Griechen, am Kabulfluss) und die Hindu (die
Indusanwohner) in sich schliesst, werden die ersteren in einer der Inschriften
des Asoka unter seinen Untertanen aufgefuehrt, und ein Exemplar seines grossen
Edikts hat sich in Kapurdi Giri oder vielmehr in Schahbaz Garhi (Yusufzai-
Distrikt) gefunden, nahezu sechs deutsche Meilen nordwestlich von der Muendung
des Kabulflusses in den Indus bei Atak. Der Sitz der Regierung dieser
nordwestlichen Provinzen von Asokas Reich war (nach der Inschrift CI Indicar. I
p. 91) Takkhasi-la, Taxila der Griechen, etwa neun deutsche Meilen OSO von Atak,
der Regierungssitz fuer die suedwestlichen Landschaften Udjdjeni (Ox/e/n/e/).
Der oestliche Teil des Kabultals gehoerte also auf jeden Fall zu Asokas Reich.
Dass der Khaiberpass die Grenze gebildet habe, ist nicht geradezu unmoeglich;
wahrscheinlich aber gehoerte das ganze Kabultal zu Indien und machte die Grenze
suedlich von Kabul die scharfe Linie der Sulaiman-Kette und weiter suedwestlich
der Bolanpass. Von dem spaeteren indoskythischen Koenig Huvischka (Ooerke der
Muenzen), der an der Yamuna in Mathura residiert zu haben scheint, hat sich eine
Inschrift bei Wardak, nicht weit noerdlich von Kabul, gefunden (nach
Mitteilungen Oldenbergs).
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In der frueheren Diadochenzeit brachten die griechischen Herrscher des
Reiches von Baktra, das von dem Seleukidenstaat geloest einen maechtigen
Aufschwung nahm, das Grenzgebirge ueberschreitend einen grossen Teil des
Industals in ihre Gewalt und setzten vielleicht noch weiter hinein in
Vorderindien sich fest, so dass das Schwergewicht dieses Reiches sich aus dem
westlichen Iran nach dem oestlichen Indien verschob und der Hellenismus dem
Indertum wich. Die Koenige dieses Reiches heissen indische und fuehren
spaeterhin ungriechische Namen; auf den Muenzen erscheint neben und statt der
griechischen die einheimisch indische Sprache und Schrift, aehnlich wie in der
parthisch-persischen Praegung neben dem Griechischen das Pahlavi emporkommt.
Es trat dann eine Nation mehr in den Kampf ein: die Skythen oder, wie sie
in Iran und in Indien heissen, die Saker brachen aus ihren Stammsitzen am
Jaxartes ueber das Gebirge nach Sueden vor. Die baktrische Landschaft kam
wenigstens grossenteils in ihre Gewalt, und etwa im letzten Jahrhundert der
roemischen Republik muessen sie sich in dem heutigen Afghanistan und
Belutschistan festgesetzt haben. Darum heisst in der fruehen Kaiserzeit die
Kueste zu beiden Seiten der Indusmuendung um Minnagara Skythien und fuehrt im
Binnenlande die westlich von Kandahar gelegene Landschaft der Dranger spaeter
den Namen "Sakerland", Sakastane, das heutige Sedjistan. Diese Einwanderung der
Skythen in die Landschaften des baktro-indischen Reiches hat dasselbe wohl
eingeschraenkt und geschaedigt, etwa wie die ersten Wanderungen der Germanen das
roemische, aber es nicht zerstoert; noch unter Vespasian hat ein wahrscheinlich
selbstaendiger baktrischer Staat bestanden ^16.
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^16 Der Anm. 18 genannte aegyptische Kaufmann gedenkt c. 47 "des
streitbaren Volks der Baktrianer, die ihren eigenen Koenig haben". Damals also
war Baktrien von dem unter parthischen Fuersten stehenden Indusreich getrennt.
Auch Strabon (11, 11, 1 p. 516) behandelt das baktrisch-indische Reich als der
Vergangenheit angehoerig.
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Unter den Juliern und den Claudiern scheinen dann an der Indusmuendung die
Parther die Vormacht gewesen zu sein. Ein zuverlaessiger Berichterstatter aus
augustischer Zeit fuehrt eben jenes Sakastane unter den parthischen Provinzen
auf und nennt den Koenig der Saker-Skythen einen Unterkoenig der Arsakiden; als
letzte parthische Provinz gegen Osten bezeichnet er Arachosien mit der
Hauptstadt Alexandropolis, wahrscheinlich Kandahar. Ja, bald darauf, in
vespasianischer Zeit, herrschen in Minnagara parthische Fuersten. Indes war dies
fuer das Reich am Indusstrom mehr ein Wechsel der Dynastie als eine eigentliche
Annexion an den Staat von Ktesiphon. Der Partherfuerst Gondopharos, den die
christliche Legende mit dem Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen
Thomas, verknuepft ^17, hat allerdings von Minnagara aus bis nach Peschawar und
Kabul hinauf geherrscht; aber diese Herrscher gebrauchen, wie ihre Vorherrscher
im indischen Reich, neben der griechischen die indische Sprache und nennen sich
Grosskoenige wie diejenigen von Ktesiphon; sie scheinen mit den Arsakiden darum
nicht weniger rivalisiert zu haben, weil sie demselben Fuerstengeschlecht
angehoerten ^18.
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^17 Wahrscheinlich ist er der Kaspar - in aelterer Tradition Gathaspar -,
der unter den heiligen drei Koenigen aus dem Morgenland auftritt (Gutschmid,
Rheinisches Museum N. F. 19, 1861, S. 162).
^18 Das bestimmteste Zeugnis der Partherherrschaft in diesen Gegenden
findet sich in der unter Vespasian von einem aegyptischen Kaufmann aufgesetzten
Kuestenbeschreibung des Roten Meeres c. 38: "Hinter der Indusmuendung im
Binnenland liegt die Hauptstadt von Skythien Minnagara; beherrscht aber wird
diese von den Parthern, die bestaendig einander verjagen (ypo Parth/o/n
synech/o/s all/e/loys endi/o/kont/o/n). Dasselbe wird in etwas verwirrter Weise
c. 41 wiederholt; es kann hier scheinen, als laege Minnagara in Indien selbst
oberhalb Barygaza, und schon Ptolemaeos ist dadurch irregefuehrt worden; aber
gewisshat der Schreiber, der ueber das Binnenland nur von Hoerensagen spricht,
nur sagen wollen, dass eine grosse Stadt Minnagara im Binnenland nicht fern von
Barygaza liege und von da viel Baumwolle nach Barygaza gefuehrt werde. Auch
koennen die nach demselben Gewaehrsmann in Minnagara zahlreich begegnenden
Spuren Alexanders nur am Indus, nicht in Gudjarat sich gefunden haben. Die Lage
Minnagaras am unteren Indus, unweit Haiderabad, und die Existenz einer
parthischen Herrschaft daselbst unter Vespasian erscheint hierdurch gesichert.
Damit werden verbunden werden duerfen die Muenzen des Koenigs Gondopharos
oder Hyndopherres, welcher in einer sehr alten christlichen Legende von dem
Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen Thomas, zum Christentum bekehrt
wird und in der Tat der ersten roemischen Kaiserzeit anzugehoeren scheint
(Sallet, Zeitschrift fuer Numismatik 6, 1879, S. 355; Gutschmid, Rheinisches
Museum N. F. 19, 1861, S. 162); seines Brudersohns Abdagases (Sauet, a. a. O.,
S. 365), welcher mit dem parthischen Fuersten dieses Namens bei Tacitus (ann. 6,
36) identisch sein kann, auf jeden Fall einen parthischen Namen traegt, endlich
des Koenigs Sanabaros, der kurz nach Hyndopherres regiert haben muss, vielleicht
sein Nachfolger gewesen ist. Dazu gehoeren noch eine Anzahl anderer mit
parthischen Namen, Arsakes, Pakoros, Vonones, bezeichneten Muenzen. Diese
Praegung stellt sich entschieden zu der der Arsakiden (Sallet, a. a. O., S.
277); die Silberstuecke des Gondopharos und des Sanabaros - von den uebrigen
gibt es fast nur Kupfer -entsprechen genau den Arsakidendrachmen. Allem Anschein
nach gehoeren diese den Partherfuersten von Minnagara; dass neben der
griechischen hier indische Aufschrift erscheint, wie bei den spaeten Arsakiden
Pahlavischrift, passt dazu. Aber es sind dies nicht Muenzen von Satrapen,
sondern, wie dies auch der Aegypter andeutet, mit den ktesiphontischen
rivalisierender Grosskoenige; Hyndopherres nennt sich in sehr verdorbenem
Griechisch basile?s basile/o/n megas aytokr und in gutem Indisch "Maharadja
Radjadi Radja". Wenn, wie dies nicht unwahrscheinlich ist, in dem Mambaros oder
Akabaros, den der Periplus c. 41. 52 als Herrscher der Kueste von Barygaza
nennt, der Sanabaros der Muenzen steckt, so gehoert dieser in die Zeit Neros
oder Vespasians und herrschte nicht bloss an der Indusmuendung, sondern auch
ueber Gudjarat. Wenn ferner eine unweit Peschawar gefundene Inschrift mit Recht
auf den Koenig Gondopharos bezogen wird, so muss dessen Herrschaft bis dort
hinauf, wahrscheinlich bis nach Kabul hin sich erstreckt haben.
Dass Corbulo im Jahre 60 die Gesandtschaft der von den Parthern
abgefallenen Hyrkaner, damit sie von jenen nicht aufgegriffen wuerden, an die
Kueste des Roten Meeres schickte, von wo sie, ohne parthisches Gebiet zu
betreten, die Heimat erreichen konnten (Tac. 15, 25), spricht dafuer, dass das
Industal damals dem Herrscher von Ktesiphon nicht botmaessig war.
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Auf diese parthische Dynastie folgt dann in dem indischen Reich nach kurzer
Zwischenzeit die in der indischen Ueberlieferung als die der Saker oder die des
Koenigs Kanerku oder Kanischka bezeichnete, welche mit dem Jahre 78 n. Chr.
beginnt und wenigstens bis in das dritte Jahrhundert bestanden hat ^19. Sie
gehoeren zu den Skythen, deren Einwanderung frueher erwaehnt ward, und auf ihren
Muenzen tritt an die Stelle der indischen die skythische Sprache ^20. So haben
im Indusgebiet nach den Indern und den Hellenen in den ersten drei Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung Parther und Skythen das Regiment gefuehrt. Aber auch unter
den auslaendischen Dynastien hat dort dennoch eine national-indische
Staatenbildung sich vollzogen und behauptet und der parthisch-persischen
Machtentwicklung im Osten eine nicht minder dauernde Schranke entgegengestellt
wie der Roemerstaat im Westen.
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^19 Dass das Grosskoenigtum der Arsakiden von Minnagara nicht viel ueber
die neronische Zeit hinaus bestanden hat, ist nach den Muenzen wahrscheinlich.
Was fuer Herrscher auf sie gefolgt sind, ist fraglich. Die baktrisch-indischen
Herrscher griechischen Namens gehoeren ueberwiegend, vielleicht saemtlich der
voraugustischen Epoche an; auch manche einheimischen Namens, zum Beispiel Maues
und Azes, fallen nach Sprache und Schrift (zum Beispiel der Form des m S2) vor
diese Zeit. Dagegen sind die Muenzen der Koenige Kozulokadphises und
Ooemokadphises und diejenigen der Sakerkoenige, des Kanerku und seiner
Nachfolger, welche alle namentlich durch den bis dahin in der indischen Praegung
nicht begegnenden Goldstater vom Gewicht des roemischen Aureus sich deutlich als
einheitliche Praegung charakterisieren, allem Anschein nach spaeter als
Gondopharos und Sanabaros. Sie zeigen, wie der Staat des Industals sich in immer
steigendem Mass im Gegensatz gegen die Hellenen wie gegen die Iranier national-
indisch gestaltet hat. Die Regierung dieser Kadphises wird also zwischen die
indo-parthischen Herrscher und die Dynastie der Saker fallen welche letztere mit
dem Jahre 78 n. Chr. beginnt (Oldenberg in Sallets Zeitschrift fuer Numismatik
8, 1881, S. 292). In dem Schatz von Peschawar gefundene Muenzen dieser
Sakerkoenige nennen merkwuerdigerweise griechische Goetter in verstuemmelter
Form /E/rakilo, Sarapo, neben dem nationalen Boydo. Die spaetesten ihrer Muenzen
zeigen den Einfluss der aeltesten Sassanidenpraegung und duerften der zweiten
Haelfte des dritten Jahrhunderts angehoeren (Sallet, Zeitschrift fuer Numismatik
6, 1879, S. 225).
^20 Die indo-griechischen und die indo-parthischen Herrscher, ebenso die
Kadphises bedienen sich auf ihren Muenzen in grossem Umfang neben der
griechischen der einheimischen indischen Sprache und Schrift; die Sakerkoenige
dagegen haben niemals indische Sprache und indisches Alphabet gebraucht, sondern
verwenden ausschliesslich die griechischen Buchstaben, und die nicht
griechischen Aufschriften ihrer Muenzen sind ohne Zweifel skythisch. So steht
auf Kanerkus Goldstuecken bald basile?s basile/o/n Kan/e/rkoy, bald rao nanorao
kan/e/rki korano wo die ersten beiden Woerter eine skythisierte Form des
indischen Rbdjbdi Rbdja sein werden, die beiden folgenden den Eigen- und den
Stammnamen (Guschana) des Koenigs enthalten (Oldenberg, a. a. O., S. 294). Also
waren diese Saker in anderem Sinne Fremdherrscher in Indien als die baktrischen
Hellenen und die Parther. Doch sind die unter ihnen in Indien gesetzten
Inschriften nicht skythisch, sondern indisch.
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Gegen Norden und Nordosten grenzte Iran mit Turan. Wie das westliche und
suedliche Ufer des Kaspischen Meeres und die oberen Taeler des Oxos und Jaxartes
der Zivilisation eine geeignete Staette bieten, so gehoert die Steppe um den
Aralsee und das dahinter sich ausbreitende weite Flachland von Rechts wegen den
schweifenden Leuten. Es sind unter diesen Nomaden wohl einzelne den Iraniern
verwandte Voelkerschaften gewesen; aber auch diese haben keinen Teil an der
iranischen Zivilisation, und es ist das bestimmende Moment fuer die
geschichtliche Stellung Irans, dass es die Vormauer der Kulturvoelker bildet
gegen diejenigen Horden, die als Skythen, Saken, Hunnen, Mongolen, Tuerken keine
andere weltgeschichtliche Bestimmung zu haben scheinen als die der
Kulturvernichtung. Baktra, das grosse Bollwerk Irans gegen Turan, hat in der
nachalexandrischen Epoche unter seinen griechischen Herrschern laengere Zeit
dieser Abwehr genuegt; aber es ist schon erwaehnt worden, dass es spaeterhin
zwar nicht unterging, aber das Vordringen der Skythen nach Sueden nicht laenger
zu hindern vermochte. Mit dem Rueckgang der baktrischen Macht ging die gleiche
Aufgabe ueber auf die Arsakiden. Wie weit dieselben ihr entsprochen haben, ist
schwierig zu sagen. In der ersten Kaiserzeit scheinen die Grosskoenige von
Ktesiphon, wie suedlich vom Hindukusch so auch in den noerdlichen Landschaften,
die Skythen zurueckgedraengt oder sich botmaessig gemacht zu haben; einen Teil
des baktrischen Gebiets haben sie ihnen wieder entrissen. Aber welche und ob
ueberhaupt dauernde Grenzen hier sich feststellten, ist zweifelhaft. Der Kriege
der Parther und der Skythen wird oft gedacht. Die letzteren, hier zunaechst die
Umwohner des Aralsees, die Vorfahren der heutigen Turkmenen, sind regelmaessig
die Angreifenden, indem sie teils zu Wasser ueber das Kaspische Meer in die
Taeler des Kyros und des Araxes einfallen, teils von ihrer Steppe aus die
reichen Fluren Hyrkaniens und die fruchtbare Oase der Margiana (Merw) ausrauben.
Die Grenzgebiete verstanden sich dazu, die willkuerliche Brandschatzung mit
Tributen abzukaufen, welche regelmaessig in festen Terminen eingefordert wurden,
wie heute die Beduinen Syriens von den Bauern daselbst die Kubba erheben. Das
parthische Regiment also vermochte wenigstens in der frueheren Kaiserzeit so
wenig wie das heutige tuerkische, hier dem friedlichen Untertan die Fruechte
seiner Arbeit zu sichern und einen dauernden Friedensstand an der Grenze
herzustellen. Auch fuer die Reichsgewalt selbst blieben diese Grenzwirren eine
offene Wunde; oftmals haben sie in die Sukzessionskriege der Arsakiden so wie in
ihre Streitigkeiten mit Rom eingegriffen.
Wie das Verhaeltnis der Parther zu den Roemern sich gestaltet und die
Grenzen der beiden Grossmaechte sich festgestellt hatten, ist seinerzeit
dargelegt worden. Waehrend die Armenier mit den Parthern rivalisiert hatten und
das Koenigtum am Araxes sich anschickte, in Vorderasien die Grosskoenigsrolle zu
spielen, hatten die Parther im allgemeinen freundliche Beziehungen zu den
Roemern unterhalten als den Feinden ihrer Feinde. Aber nach der Niederwerfung
des Mithradates und des Tigranes hatten die Roemer, namentlich durch die von
Pompeius getroffenen Organisationen, eine Stellung genommen, die mit ernstlichem
und dauerndem Frieden zwischen den beiden Staaten sich schwer vertrug. Im Sueden
stand Syrien jetzt unter unmittelbarer roemischer Herrschaft, und die roemischen
Legionen hielten Wacht an dem Saume der grossen Wueste, die das Kuestenland vom
Euphrattal scheidet. Im Norden waren Kappadokien und Armenien roemische
Lehnsfuerstentuemer. Die nordwaerts an Armenien grenzenden Voelkerschaften, die
Kolcher, Iberer, Albaner, waren damit notwendig dem parthischen Einfluss
entzogen und, wenigstens nach roemischer Auffassung, ebenfalls roemische
Lehnsstaaten. Das suedoestlich an Armenien angrenzende, durch den Araxes von ihm
getrennte Klein-Medien oder Atropatene (Aserbeidschan) hatte schon den
Seleukiden gegenueber unter seiner alteinheimischen Dynastie seine Nationalitaet
behauptet und sogar sich selbstaendig gemacht; unter den Arsakiden erscheint der
Koenig dieser Landschaft je nach Umstaenden als Lehnstraeger der Parther oder
als unabhaengig von diesen durch Anlehnung an die Roemer. Somit reichte der
bestimmende Einfluss Roms bis zum Kaukasus und zum westlichen Ufer des
Kaspischen Meeres. Es lag hierin ein Uebergreifen ueber die durch die nationalen
Verhaeltnisse angezeigten Grenzen. Das hellenische Volkstum hatte wohl an der
Suedkueste des Schwarzen Meeres und im Binnenland in Kappadokien und Kommagene
so weit Fuss gefasst, dass hier die roemische Vormacht an ihm einen Rueckhalt
fand; aber Armenien ist auch unter der langjaehrigen roemischen Herrschaft immer
ein ungriechisches Land geblieben, durch die Gemeinschaft der Sprache und des
Glaubens, die zahlreichen Zwischenheiraten der Vornehmen, die gleiche Kleidung
und gleiche Bewaffnung ^21 an den Partherstaat mit unzerreissbaren Banden
geknuepft. Die roemische Aushebung und die roemische Besteuerung sind nie auf
Armenien erstreckt worden; hoechstens bestritt das Land die Aufstellung und die
Unterhaltung der eigenen Truppen und die Verpflegung der daselbst liegenden
roemischen. Die armenischen Kaufleute vermittelten den Warentausch ueber den
Kaukasus mit Skythien, ueber das Kaspische Meer mit Ostasien und China, den
Tigris hinab mit Babylonien und Indien, nach Westen hin mit Kappadokien; nichts
haette naeher gelegen, als das politisch abhaengige Land in das roemische
Steuer- und Zollgebiet einzuschliessen; dennoch ist nie dazu geschritten worden.
Die Inkongruenz der nationalen und der politischen Zugehoerigkeit Armeniens
bildet ein wesentliches Moment in dem durch die ganze Kaiserzeit sich
hinziehenden Konflikt mit dem oestlichen Nachbarn. Man erkannte es wohl auf
roemischer Seite, dass die Annektierung jenseits des Euphrat ein Uebergriff in
das Stammgebiet der orientalischen Nationalitaet und fuer Rom kein eigentlicher
Machtzuwachs war. Der Grund aber oder wenn man will die Entschuldigung dafuer,
dass diese Uebergriffe dennoch sich fortsetzten, liegt darin, dass das
Nebeneinanderstehen gleichberechtigter Grossstaaten mit dem Wesen der
roemischen, man darf vielleicht sagen mit der Politik des Altertums ueberhaupt
unvereinbar ist. Das roemische Reich kennt als Grenze genaugenommen nur das Meer
oder das wehrlose Landgebiet. Dem schwaecheren, aber doch wehrhaften Staatswesen
der Parther goennten die Roemer die Machtstellung nicht und nahmen ihm, worauf
diese wieder nicht verzichten konnten; und darum ist das Verhaeltnis zwischen
Rom und Iran durch die ganze Kaiserzeit eine nur durch Waffenstillstaende
unterbrochene ewige Fehde um das linke Ufer des Euphrat.
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^21 Arrian, der als Statthalter von Kappadokien selbst ueber die Armenier
das Kommando gefuehrt hatte (Alan. 29), nennt in der Taktik Armenier und Parther
immer zusammen (4, 3; 44, 1 wegen der schweren Reiterei, der gepanzerten
kontophoroi und der leichten Reiterei, der akrobolistai oder ippotoxotai; 35, 7
wegen der Pluderhosen), und wo er von Hadrians Einfuehrung der barbarischen
Kavallerie in das roemische Heer spricht, fuehrt er die berittenen Schuetzen
zurueck auf das Muster "der Parther oder Armenier" (44, 1).
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In den von Lucullus und Pompeius mit den Parthern abgeschlossenen
Vertraegen war die Euphratgrenze anerkannt, also Mesopotamien ihnen zugestanden
worden. Aber dies hinderte die Roemer nicht, die Herrscher von Edessa in ihre
Klientel aufzunehmen und, wie es scheint durch Erstreckung der Grenzen Armeniens
gegen Sueden, einen grossen Teil des noerdlichen Mesopotamien wenigstens fuer
ihre mittelbare Herrschaft in Anspruch zu nehmen. Deswegen hatte nach einigem
Zaudern die parthische Regierung den Krieg gegen die Roemer in der Form
begonnen, dass sie ihn den Armeniern erklaerte. Die Antwort darauf war der
Feldzug des Crassus und nach der Niederlage bei Karrhae die Zurueckfuehrung
Armeniens unter parthische Gewalt; man kann hinzusetzen: die Wiederaufnahme der
Ansprueche auf die westliche Haelfte des Seleukidenstaats, deren Durchfuehrung
freilich damals misslang. Waehrend des ganzen zwanzigjaehrigen Buergerkriegs, in
dem die roemische Republik zugrunde ging und schliesslich der Prinzipat sich
feststellte, dauerte der Kriegsstand zwischen Roemern und Parthern, und nicht
selten griffen beide Kaempfe ineinander ein. Pompeius hatte vor der
Entscheidungsschlacht versucht, den Koenig Orodes als Verbuendeten zu gewinnen;
aber als dieser die Abtretung Syriens forderte, vermochte er es nicht ueber
sich, die durch ihn selbst roemisch gewordene Provinz auszuliefern. Nach der
Katastrophe hatte er dennoch sich dazu entschlossen; aber Zufaelligkeiten
lenkten seine Flucht statt nach Syrien vielmehr nach Aegypten, wo er dann sein
Ende fand. Die Parther schienen im Begriff, abermals in Syrien einzubrechen; und
die spaeteren Fuehrer der Republikaner verschmaehten den Beistand der
Landesfeinde nicht. Noch bei Caesars Lebzeiten hatte Caecilius Bassus, als er
die Fahne des Aufstands in Syrien erhob, sofort die Parther herbeigerufen. Sie
waren diesem Ruf auch gefolgt; des Orodes Sohn Pakoros hatte den Statthalter
Caesars geschlagen und die von ihm in Apameia belagerte Truppe des Bassus
befreit (709 45). Sowohl aus diesem Grunde, wie um fuer Karrhae Revanche zu
nehmen, hatte Caesar beschlossen, im naechsten Fruehling persoenlich nach Syrien
und ueber den Euphrat zu gehen; aber die Ausfuehrung dieses Planes verhinderte
sein Tod. Als dann Cassius in Syrien ruestete, knuepfte er auch mit dem
Partherkoenig an, und in der Entscheidungsschlacht bei Philippi (712 42) haben
parthische berittene Schuetzen mit fuer die Freiheit Roms gestritten. Da die
Republikaner unterlagen, verhielt der Grosskoenig zunaechst sich ruhig, und auch
Antonius hatte wohl die Absicht, des Diktators Plaene auszufuehren, aber
zunaechst mit der Ordnung des Orients genug zu tun. Der Zusammenstoss konnte
nicht ausbleiben; der Angreifende war diesmal der Partherkoenig. Als im Jahre
713 (41) Caesar der Sohn in Italien mit den Feldherren und der Gemahlin des
Antonius schlug und dieser in Aegypten bei der Koenigin Kleopatra untaetig
verweilte, entsprach Orodes dem Draengen eines bei ihm im Exil lebenden Roemers,
des Quintus Labienus, und sandte diesen, einen Sohn des erbitterten Gegners des
Diktators Titus Labienus und ehemaligen Offizier im Heere des Brutus, sowie (713
41) seinen Sohn Pakoros mit einer starken Armee ueber die Grenze. Der
Statthalter Syriens, Decidius Saxa, unterlag dem unvermuteten Angriff; die
roemischen Besatzungen, grossenteils gebildet aus alten Soldaten der
republikanischen Armee, stellten sich unter den Befehl ihres frueheren
Offiziers; Apameia und Antiocheia, ueberhaupt alle Staedte Syriens mit Ausnahme
der ohne Flotte nicht zu bezwingenden Inselstadt Tyros, unterwarfen sich; auf
der Flucht nach Kilikien gab sich Saxa, um nicht gefangen zu werden, selber den
Tod. Nach der Einnahme Syriens wandte sich Pakoros gegen Palaestina, Labienus
nach der Provinz Asia; auch hier unterwarfen sich weithin die Staedte oder
wurden mit Gewalt bezwungen, mit Ausnahme des karischen Stratonikeia. Antonius,
durch die italischen Verwicklungen in Anspruch genommen, sandte seinen
Statthaltern keinen Sukkurs, und fast zwei Jahre (Ende 713 bis Fruehjahr 715 41-
39) geboten in Syrien und einem grossen Teil Kleinasiens die parthischen
Feldherren und der republikanische Imperator Labienus -der Parthiker, wie er mit
schamloser Ironie sich nannte, nicht der Roemer, der die Parther, sondern der
Roemer, der mit den Parthern die Seinigen ueberwand. Erst nachdem der drohende
Bruch zwischen den beiden Machthabern abgewandt war, sandte Antonius ein neues
Heer unter Fuehrung des Publius Ventidius Bassus, dem er das Kommando in den
Provinzen Asia und Syrien uebergab. Der tuechtige Feldherr traf in Asia den
Labienus allein mit seinen roemischen Truppen und schlug ihn rasch aus der
Provinz hinaus. An der Scheide von Asia und Kilikien, in den Paessen des Taurus,
wollte eine Abteilung der Parther die fliehenden Verbuendeten aufnehmen; aber
auch sie wurden geschlagen, bevor sie sich mit Labienus vereinigen konnten, und
darauf dieser auf der Flucht in Kilikien aufgegriffen und getoetet. Mit gleichem
Glueck erstritt Ventidius die Paesse des Amanos an der Grenze von Kilikien und
Syrien; hier fiel Pharnapates, der beste der parthischen Generale (715 39).
Damit war Syrien vom Feinde befreit. Allerdings ueberschritt im Jahre darauf
Pakoros noch einmal den Euphrat, aber nur um in einem entscheidenden Treffen bei
Gindaros nordoestlich von Antiocheia (9. Juni 716 38) mit dem groessten Teil
seines Heeres den Untergang zu finden. Es war ein Sieg, der den Tag bei Karrhae
einigermassen aufwog und von dauernder Wirkung: auf lange hinaus haben die
Parther nicht wieder ihre Truppen am roemischen Ufer des Euphrat gezeigt.
Wenn es im Interesse Roms lag, die Eroberungen gegen Osten auszudehnen und
die Erbschaft des grossen Alexander hier in ihrem vollen Umfang anzutreten, so
lagen dafuer die Verhaeltnisse nie guenstiger als im Jahre 716 (38). Die
Beziehungen der Zweiherrscher zueinander hatten zur rechten Zeit dafuer sich neu
befestigt, und auch Caesar wuenschte damals wahrscheinlich aufrichtig eine
ernstliche und glueckliche Kriegfuehrung seines Herrschaftsgenossen und neuen
Schwagers. Die Katastrophe von Gindaros hatte bei den Parthern eine schwere
dynastische Krise hervorgerufen. Koenig Orodes legte, tief erschuettert durch
den Tod seines aeltesten und tuechtigsten Sohnes, das Regiment zu Gunsten seines
zweitgeborenen, Phraates, nieder. Dieser fuehrte, um sich den Thron besser zu
sichern, ein Regiment des Schreckens, dem seine zahlreichen Brueder und der alte
Vater selbst so wie eine Anzahl der hohen Adligen des Reiches zum Opfer fielen;
andere derselben traten aus und suchten Schutz bei den Roemern, unter ihnen der
maechtige und angesehene Monaeses. Nie hat Rom im Orient ein Heer von gleicher
Zahl und Tuechtigkeit gehabt wie in dieser Zeit: Antonius vermochte nicht
weniger als sechzehn Legionen, gegen 70000 Mann roemischer Infanterie, gegen
40000 der Hilfsvoelker, 10000 spanische und gallische, 6000 armenische Reiter
ueber den Euphrat zu fuehren; wenigstens die Haelfte derselben waren
altgediente, aus dem Westen herangefuehrte Truppen, alle bereit, ihrem geliebten
und verehrten Fuehrer, dem Sieger von Philippi, wo immer hin zu folgen und die
glaenzenden Siege, die nicht durch, aber fuer ihn ueber die Parther bereits
erfochten waren, unter seiner eigenen Fuehrung mit noch groesseren Erfolgen zu
kroenen.
In der Tat fasste Antonius die Aufrichtung eines asiatischen
Grosskoenigtums nach dem Muster Alexanders ins Auge. Wie Crassus vor seinem
Einruecken verkuendigt hatte, dass er die roemische Herrschaft bis nach Baktrien
und Indien ausdehnen werde, so nannte Antonius den ersten Sohn, den die
aegyptische Koenigin ihm gebar, mit dem Namen Alexanders. Er scheint geradezu
beabsichtigt zu haben, einerseits mit Ausschluss der vollstaendig hellenisierten
Provinzen Bithynien und Asia das gesamte Reichsgebiet im Osten, so weit es nicht
schon unter abhaengigen Kleinfuersten stand, in diese Form zu bringen,
andererseits alle einstmals von den Okzidentalen besetzten Landschaften des
Ostens in Form von Satrapien sich untertaenig zu machen. Von dem oestlichen
Kleinasien wurde der groesste Teil und der militaerische Primat dem
streitbarsten der dortigen Fuersten, dem Galater Amyntas, zugewiesen. Neben dem
galatischen standen die Fuersten von Paphlagonien, die von Galatien verdraengten
Nachkommen des Delotarus; Polemon, der neue Fuerst im Pontos und der Gemahl der
Enkelin des Antonius Pythodoris; ferner wie bisher die Koenige von Kappadokien
und Kommagene. Einen grossen Teil Kilikiens und Syriens sowie Kypros und Kyrene
vereinigte Antonius mit dem aegyptischen Staat, dem er also fast die Grenzen
wiedergab, wie sie unter den Ptolemaeern gewesen waren, und wie er die Buhle
Caesars, die Koenigin Kleopatra, zu der seinigen oder vielmehr zu seiner Gattin
gemacht hatte, so erhielt ihr Bastard von Caesar, Caesarion, schon frueher
anerkannt als Mitherrscher in Aegypten ^22, die Anwartschaft auf das alte
Ptolemaeerreich, die auf Syrien ihr Bastard von Antonius, Ptolemaeos
Philadelphos. Einem anderen Sohn, den sie dem Antonius geboren hatte, dem schon
erwaehnten Alexander, ward fuer jetzt Armenien zugeteilt als Abschlagzahlung auf
die ihm weiter zugedachte Herrschaft des Ostens. Mit diesem nach orientalischer
Art geordneten Grosskoenigtum ^23 dachte er den Prinzipat ueber den Okzident zu
vereinigen. Er selbst hat nicht den Koenigsnamen angenommen, vielmehr seinen
Landsleuten und den Soldaten gegenueber nur diejenigen Titel gefuehrt, die auch
Caesar zukamen. Aber auf Reichsmuenzen mit lateinischer Aufschrift heisst
Kleopatra Koenigin der Koenige, ihre Soehne von Antonius wenigstens Koenige; den
Kopf seines aeltesten Sohnes zeigen die Muenzen neben dem des Vaters, als
verstaende die Erblichkeit sich von selbst; die Ehe und die Erbfolge der echten
und der Bastardkinder wird von ihm behandelt, wie es bei den Grosskoenigen des
Ostens Gebrauch ist oder, wie er selbst sagte, mit der goettlichen Freiheit
seines Ahnherrn Herakles ^24; jenen Alexander und dessen Zwillingsschwester
Kleopatra nannte er den ersteren Helios, die letztere Selene nach dem Muster
eben dieser Grosskoenige, und wie einst der Perserkoenig dem fluechtigen
Themistokles eine Anzahl asiatischer Staedte, so schenkte er dem zu ihm
uebergetretenen Parther Monaeses drei Staedte Syriens. Auch in Alexander gingen
der Koenig der Makedonier und der Koenig der Koenige des Ostens einigermassen
nebeneinander her, und auch ihm war fuer das Lagerzelt von Gaugamela das
Brautbett in Susa der Lohn; aber seine roemische Kopie zeigt in ihrer
Genauigkeit ein starkes Element der Karikatur.
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^22 Als Mitherrscher Aegyptens ist der Bastard Caesars Ptolemaios o kai
Kaisar theos philopat/o/r philom/e/t/o/r, wie seine Koenigsbenennung lautet (CIG
4717), eingetreten in dem aegyptischen Jahr 29. Aug. 711/12, wie die
Jahresrechnung ausweist (Westher Bullettino dell' Instituto 1866, S. 199; Krall,
Wiener Studien 5, S. 313). Da er an den Platz des Gatten und Bruders seiner
Mutter Ptolemaeos des Juengeren tritt, so wird dessen Beseitigung durch
Kleopatra, deren naehere Umstaende nicht bekannt sind, eben damals erfolgt sein
und den Anlass gegeben haben, ihn als Koenig von Aegypten zu proklamieren. Auch
Dio (47, 31) setzt seine Ernennung in den Sommer des Jahres 712 vor die Schlacht
von Philippi. Dieselbe ist also nicht Antonius' Werk, sondern von den beiden
Herrschern gemeinschaftlich genehmigt zu einer Zeit, wo ihnen daran gelegen sein
musste, der Koenigin von Aegypten, die allerdings von Anfang an auf ihrer Seite
gestanden hatte, entgegenzukommen.
^23 Das meint Augustus, wenn er sagt, dass er die grossenteils unter
Koenige verteilten Provinzen des Orients wieder zum Reiche gebracht habe (Mop.
Ancyr. 5, 41: provincias omnis, quae trans Hadrianum mare vergunt ad orientem,
Cyrenasque, iam ex parte magna regibus eas possidentibus . . . reciperavi).
^24 Die Dezenz, die fuer Augustus ebenso charakteristisch ist wie fuer
seinen Kollegen das Gegenteil, verleugnet sich auch hier nicht. Nicht bloss
wurde in Betreff Caesarions die Vaterschaft, die der Diktator selbst so gut wie
anerkannt hatte, spaeterhin offiziell verleugnet; auch die Kinder des Antonius
von der Kleopatra, wo freilich nichts zu verleugnen war, sind wohl als Glieder
des kaiserlichen Hauses betrachtet, aber nie foermlich als Kinder des Antonius
anerkannt worden. Im Gegenteil heisst der Sohn der Tochter des Antonius von
Kleopatra, der spaetere Koenig von Mauretanien Ptolemaeos in der athenischen
Inschrift CIA III, 555 Enkel des Ptolemaeos; denn Ptolemaioy ekgonos kann in
diesem Zusammenhang nicht wohl anders gefasst werden. Man erfand in Rom diesen
muetterlichen Grossvater, um den wirklichen offiziell verschweigen zu koennen.
Wer es vorzieht, was O. Hirschfeld vorschlaegt, ekgonos als Urenkel zu nehmen
und auf den muetterlichen Urgrossvater zu beziehen, kommt zu demselben Resultat;
denn dann ist der Grossvater uebergangen, weil die Mutter im Rechtssinne
vaterlos war.
Ob die Fiktion, die mir wahrscheinlicher ist, so weit ging, einen
bestimmten Ptolemaeos zu bezeichnen, etwa dem im Jahre 712 gestorbenen letzten
Lagiden das Leben zu verlaengern, oder ob man sich begnuegte, im allgemeinen den
Vater zu fingieren, ist nicht zu entscheiden. Aber auch darin hielt man die
Fiktion fest, dass der Sohn der Tochter des Antonius den Namen des fiktiven
Grossvaters erhielt. Dass dabei der Herkunft von den Lagiden vor derjenigen von
Massinissa der Vorzug gegeben ward, mag wohl mehr durch die Ruecksicht auf das
kaiserliche Haus herbeigefuehrt sein, welches das Bastardkind als zugehoerig
behandelte, als durch die hellenischen Neigungen des Vaters.
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Ob Antonius gleich bei der Uebernahme des Regiments im Osten seine Stellung
in dieser Weise aufgefasst, ist nicht zu entscheiden; vermutlich ist die
Schaffung eines neuen orientalischen Grosskoenigtums in Verbindung mit dem
okzidentalischen Prinzipat allmaehlich in ihm gereift und der Gedanke erst
voellig zu Ende gedacht worden, nachdem er im Jahre 717 (37) bei seiner
Rueckkehr aus Italien nach Asien abermals das Verhaeltnis mit der letzten
Koenigin des Lagidenhauses angeknuepft hatte, um es nicht wieder zu zerreissen.
Aber sein Naturell war solchem Unterfangen nicht gewachsen. Eine jener
militaerischen Kapazitaeten, die dem Feind gegenueber und besonders in
schwieriger Lage besonnen und kuehn zu schlagen wissen, fehlte ihm der
staatsmaennische Wille, das sichere Erfassen und entschlossene Verfolgen des
politischen Ziels. Haette der Diktator Caesar ihm die Unterwerfung des Ostens
zur Aufgabe gestellt, so wuerde er sie wohl geloest haben; zum Herrscher taugte
der Marschall nicht. Nach der Vertreibung der Parther aus Syrien verstrichen
fast zwei Jahre (Sommer 716 bis Sommer 718 38-36), ohne dass irgendein Schritt
zum Ziele getan ward. Antonius selbst, auch darin untergeordnet, dass er seinen
Generalen bedeutende Erfolge ungern goennte, hatte den Besieger des Labienus und
des Pakoros, den tuechtigen Ventidius sofort nach diesem letzten Erfolg entfernt
und selbst den Oberbefehl uebernommen, um die armselige Ehre der Einnahme
Samosatas, der Hauptstadt des kleinen syrischen Dependenzstaats Kommagene, zu
verfolgen und zu verfehlen; aergerlich darueber verliess er den Osten, um in
Italien mit seinem Schwager ueber die kuenftige Ordnung zu verhandeln oder mit
seiner jungen Gattin Octavia sich des Lebens zu freuen. Seine Statthalter im
Osten waren nicht untaetig. Publius Canidius Crassus ging von Armenien aus gegen
den Kaukasus vor und unterwarf daselbst den Koenig der Iberer, Pharnabazos, und
den der Albaner, Zober. Gaius Sossius nahm in Syrien die letzte noch zu den
Parthern haltende Stadt Arados; er stellte ferner in Judaea die Herrschaft des
Herodes wieder her und liess den von den Parthern eingesetzten
Thronpraetendenten, den Hasmonaeer Antigonos, hinrichten. Die Konsequenzen des
Sieges auf roemischem Gebiet wurden also gezogen und bis zum Kaspischen Meer und
der syrischen Wueste die roemische Herrschaft zur Anerkennung gebracht. Aber die
Kriegfuehrung gegen die Parther zu beginnen, hatte sich Antonius selbst
vorbehalten, und er kam nicht.
Als er endlich im Jahre 718 (36) sich nicht Octavias, sondern Kleopatras
Armen entwand und die Heersaeulen in Marsch setzte, war bereits ein guter Teil
der geeigneten Jahreszeit verstrichen. Noch viel auffallender als die Saeumnis
ist die Richtung, welche Antonius waehlte. Frueher und spaeter haben alle
Angriffskriege der Roemer gegen die Parther den Weg auf Ktesiphon eingeschlagen,
die Hauptstadt des Reiches und zugleich an dessen Westgrenze gelegen, also fuer
die am Euphrat oder am Tigris hinabmarschierenden Heere das natuerliche und
naechste Operationsziel. Auch Antonius konnte, nachdem er durch das noerdliche
Mesopotamien ungefaehr auf dem Wege, den Alexander beschritten hatte, an den
Tigris gelangt war, am Fluss hinab auf Ktesiphon und Seleukeia vorruecken. Aber
statt dessen ging er vielmehr in noerdlicher Richtung zunaechst nach Armenien
und von da, wo er seine gesamten Streitkraefte vereinigte und namentlich durch
die armenische Reiterei sich verstaerkte, in die Hochebene von Media Atropatene
(Aserbeidschan). Der verbuendete Koenig von Armenien mag diesen Feldzugsplan
wohl empfohlen haben, da die armenischen Herrscher zu allen Zeiten nach dem
Besitz dieses Nachbarlandes strebten und Koenig Artavazdes von Armenien hoffen
mochte, den gleichnamigen Satrapen von Atropatene jetzt zu bewaeltigen und
dessen Gebiet zu dem seinigen zu fuegen. Aber Antonius selbst ist durch solche
Ruecksichten unmoeglich bestimmt worden. Eher mochte er meinen, von Atropatene
aus in das Herz des feindlichen Landes vordringen zu koennen und die alten
persischen Residenzen Ekbatana und Rhagae als Marschziel betrachten. Aber wenn
er dies plante, handelte er ohne Kenntnis des schwierigen Terrains und
unterschaetzte durchaus die Widerstandskraft des Gegners, wobei die kurze fuer
Operationen in diesem Gebirgsland verfuegbare Zeit und der spaete Beginn des
Feldzugs schwer in die Waagschale fielen. Da ein geschickter und erfahrener
Offizier, wie Antonius war, sich darueber schwerlich hat taeuschen koennen, so
haben wahrscheinlich besondere politische Erwaegungen hier eingewirkt. Phraates'
Herrschaft wankte, wie gesagt ward; Monaeses, von dessen Treue Antonius sich
versichert hielt und den er vielleicht an Phraates' Stelle zu setzen hoffte, war
dem Wunsche des Partherkoenigs gemaess in sein Vaterland zurueckgekehrt ^25;
Antonius scheint auf eine Schilderhebung desselben gegen Phraates gezaehlt und
in Erwartung dieses Buergerkrieges seine Armee in die inneren parthischen
Provinzen gefuehrt zu haben. Es waere wohl moeglich gewesen, in dem befreundeten
Armenien den Erfolg dieses Anschlags abzuwarten, und wenn danach weitere
Operationen erforderlich waren, im folgenden Jahre wenigstens ueber die volle
Sommerzeit zu verfuegen; aber dies Zuwarten missfiel dem hastigen Feldherrn. In
Atropatene traf er nicht bloss auf den hartnaeckigen Widerstand des maechtigen
und halb unabhaengigen Unterkoenigs, der in seiner Hauptstadt Praaspa oder
Phraarta (suedlich vom Urmia-See, vermutlich am oberen Lauf des Djaghatu)
entschlossen die Belagerung aushielt, sondern der feindliche Angriff brachte
auch den Parthern, wie es scheint, den inneren Frieden. Phraates fuehrte ein
stattliches Heer zum Entsatz der angegriffenen Stadt heran. Antonius hatte einen
grossen Belagerungspark mitgefuehrt, aber ungeduldig vorwaerts eilend diesen in
der Obhut von zwei Legionen unter dem Legaten Oppius Stauanus zurueckgelassen.
So kam er seinerseits mit der Belagerung nicht vorwaerts; Koenig Phraates aber
sandte unter eben jenem Monaeses seine Reitermassen in den Ruecken der Feinde
gegen das muehsam nachrueckende Korps des Stauanus. Die Parther hieben die
Deckungsmannschaft nieder, darunter den Feldherrn selbst, nahmen den Rest
gefangen und vernichteten den gesamten Park von 300 Wagen. Damit war der Feldzug
verloren. Der Armenier, an dem Erfolge des Feldzugs verzweifelnd, nahm seine
Leute zusammen und ging heim. Antonius gab nicht sofort die Belagerung auf und
schlug sogar das koenigliche Heer in offener Feldschlacht, aber die flinken
Reiter entrannen ohne wesentlichen Verlust und es war ein Sieg ohne Wirkung. Ein
Versuch, von dem Koenig wenigstens die Rueckgabe der alten und der neu
verlorenen Adler zu erlangen und also wenn nicht mit Vorteil, doch mit Ehren
Frieden zu schliessen, schlug fehl; so leichten Kaufs gab der Parther den
sicheren Erfolg nicht aus der Hand. Er versicherte nur den Abgesandten des
Antonius, dass, wenn die Roemer die Belagerung aufheben wuerden, er sie auf der
Heimkehr nicht belaestigen werde. Diese weder ehrenvolle noch zuverlaessige
feindliche Zusage wird Antonius schwerlich zum Aufbruch bestimmt haben. Es lag
nahe, in Feindesland Winterquartier zu nehmen, zumal da die parthischen Truppen
dauernden Kriegsdienst nicht kannten und voraussichtlich beim Einbrechen des
Winters die meisten Mannschaften heimgegangen sein wuerden. Aber es fehlte ein
fester Stuetzpunkt, und die Zufuhr in dem ausgesogenen Land war nicht gesichert,
vor allen Dingen Antonius selbst einer solchen zaehen Kriegfuehrung nicht
faehig. Also gab er die Maschinen preis, die die Belagerten sofort verbrannten
und trat den schweren Rueckweg an, entweder zu frueh oder zu spaet. Fuenfzehn
Tagemaersche (300 roemische Meilen) durch feindliches Land trennten das Heer von
dem Araxes, dem Grenzfluss Armeniens, wohin trotz der zweideutigen Haltung des
Herrschers allein der Rueckzug gerichtet werden konnte. Ein feindliches Heer von
40000 Berittenen gab trotz der gegebenen Zusage den Abziehenden das Geleit, und
mit dem Abmarsch der Armenier hatten die Roemer den besten Teil ihrer Reiterei
verloren. Die Lebensmittel und die Zugtiere waren knapp, die Jahreszeit weit
vorgerueckt. Aber Antonius fand in der gefaehrlichen Lage seine Kraft und seine
Kriegskunst wieder, einigermassen auch sein Kriegsglueck; er hatte gewaehlt, und
der Feldherr wie die Truppen loesten die Aufgabe in ruehmlicher Weise. Haetten
sie nicht einen ehemaligen Soldaten des Crassus bei sich gehabt, der, zum
Parther geworden, Weg und Steg auf das genaueste kannte und sie statt durch die
Ebene, auf der sie gekommen waren, auf Gebirgswegen zurueckfuehrte, die den
Reiterangriffen weniger ausgesetzt waren - wie es scheint ueber die Berge um
Tabriz -, so wuerde das Heer schwerlich an das Ziel gelangt sein; und haette
nicht Monaeses, in seiner Art dem Antonius die Dankesschuld abtragend, ihn
rechtzeitig von den falschen Zusicherungen und den hinterlistigen Anschlaegen
seiner Landsleute in Kenntnis gesetzt, so waeren die Roemer wohl in einen der
Hinterhalte gefallen, die ihnen mehrfach gelegt wurden. Antonius' Soldatennatur
trat in diesen schweren Tagen oftmals glaenzend hervor, in seiner geschickten
Benutzung jedes guenstigen Moments, in seiner Strenge gegen die Feigen, in
seiner Macht ueber die Soldatengemueter, in seiner treuen Fuersorge fuer die
Verwundeten und die Kranken. Dennoch war die Rettung fast ein Wunder; schon
hatte Antonius einen treuen Leibdiener angewiesen, im aeussersten Fall ihn nicht
lebend in die Haende der Feinde fallen zu lassen. Unter stetigen Angriffen des
tueckischen Feindes, in winterlich kalter Witterung, bald ohne genuegende
Nahrung und oft ohne Wasser erreichten sie in siebenundzwanzig Tagen die
schuetzende Grenze, wo der Feind von ihnen abliess. Der Verlust war ungeheuer;
man rechnete auf jene siebenundzwanzig Tage achtzehn groessere Treffen, und in
einem einzigen derselben zaehlten die Roemer 3000 Tote und 5000 Verwundete. Es
waren eben die Besten und Bravsten, die die stetigen Nachhuts- und
Flankengefechte hinrafften. Das ganze Gepaeck, ein Drittel des Trosses, ein
Viertel der Armee, 20000 Fusssoldaten und 4000 Reiter waren auf diesem medischen
Feldzug zugrunde gegangen, zum grossen Teil nicht durch das Schwert, sondern
durch Hunger und Seuchen. Auch am Araxes waren die Leiden der ungluecklichen
Truppen noch nicht zu Ende. Artavazdes nahm sie als Freund auf und hatte auch
keine andere Wahl; es waere wohl moeglich gewesen, hier zu ueberwintern. Aber
die Ungeduld des Antonius litt dies nicht; der Marsch ging weiter, und bei der
immer rauher werdenden Jahreszeit und dem Gesundheitszustand der Soldaten
kostete dieser letzte Abschnitt der Expedition vom Araxes bis nach Antiocheia,
obwohl kein Feind ihn behinderte, noch weitere 8000 Mann. Wohl ist dieser
Feldzug ein letztes Aufleuchten dessen, was in Antonius' Charakter brav und
tuechtig war, aber politisch seine Katastrophe, um so mehr, als gleichzeitig
Caesar durch die glueckliche Beendigung des sizilischen Krieges die Herrschaft
im Okzident und das Vertrauen Italiens fuer jetzt und alle Zukunft gewann.
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^25 Es ist an sich glaublich dass Antonius dem Phraates so lange wie
moeglich die bevorstehende Invasion verbarg und darum bei Ruecksendung des
Monaeses sich bereit erklaerte, auf Grund der Rueckgabe der verlorenen
Feldzeichen Frieden zu schliessen (Plut. Ant. 37; Dio 49, 24; Florus 2, 20 [4,
101). Aber er wusste vermutlich, dass dies Anerbieten nicht wuerde angenommen
werden, und ernst kann es ihm mit diesen Antraegen auf keinen Fall gewesen sein;
ohne Zweifel wollte er den Krieg und den Sturz des Phraates.
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Die Verantwortung fuer den Misserfolg, den zu verleugnen er vergeblich
versuchte, warf Antonius auf die abhaengigen Koenige von Kappadokien und
Armenien, auf den letzteren insofern mit Recht, als dessen vorzeitiger Abmarsch
von Praaspa die Gefahren und die Verluste des Rueckzugs wesentlich gesteigert
hatte. Aber fuer den Feldzugsplan trug nicht er die Verantwortung, sondern
Antonius ^26; und das Fehlschlagen der auf Monaeses gesetzten Hoffnungen, die
Katastrophe des Stauanus, das Scheitern der Belagerung von Praaspa sind nicht
durch den Armenier herbeigefuehrt worden. Die Unterwerfung des Ostens gab
Antonius nicht auf, sondern brach im naechsten Jahre (719 35) abermals aus
Aegypten auf. Die Verhaeltnisse lagen auch jetzt noch verhaeltnismaessig
guenstig. Mit dem medischen Koenig Artavazdes wurde ein Freundschaftsbuendnis
angeknuepft; derselbe war nicht bloss mit dem parthischen Oberherrn in Streit
geraten, sondern grollte auch vor allem dem armenischen Nachbarn und durfte bei
der wohlbekannten Erbitterung des Antonius gegen diesen darauf rechnen, an dem
Feind seines Feindes eine Stuetze zu finden. Alles kam an auf das feste
Einvernehmen der beiden Machthaber, des sieggekroenten Herrn des Westens und des
geschlagenen Herrschers im Osten; und auf die Kunde hin, dass Antonius die
Fortfuehrung des Krieges beabsichtige, begab sich seine rechtmaessige Gattin,
die Schwester Caesars, von Italien nach dem Osten, um ihm neue Mannschaften
zuzufuehren und das Verhaeltnis zu ihr und zu dem Bruder neu zu befestigen. Wenn
Octavia gross genug dachte, trotz des Verhaeltnisses mit der aegyptischen
Koenigin dem Gatten die Hand zur Versoehnung zu bieten, so muss auch Caesar, wie
dies weiter die eben jetzt erfolgende Eroeffnung des Krieges an der italischen
Nordostgrenze bestaetigt, damals noch bereit gewesen sein, das bestehende
Verhaeltnis aufrechtzuerhalten. Beide Geschwister ordneten ihre persoenlichen
Interessen denen des Gemeinwesens in hochherziger Weise unter. Aber wie laut das
Interesse wie die Ehre dafuer sprachen, die hingereichte Hand anzunehmen,
Antonius konnte es nicht ueber sich gewinnen, das Verhaeltnis zu der Aegypterin
zu loesen; er wies die Gattin zurueck, und dies war zugleich der Bruch mit deren
Bruder, und, wie man hinzusetzen kann, der Verzicht auf die Fortfuehrung des
Krieges gegen die Parther. Nun musste, ehe daran gedacht werden konnte, die
Herrschaftsfrage zwischen Antonius und Caesar erledigt werden. Antonius ging
denn auch sofort aus Syrien nach Aegypten zurueck und unternahm in den folgenden
Jahren nichts weiteres zur Ausfuehrung seiner orientalischen Eroberungsplaene;
nur strafte er die, denen er die Schuld des Misserfolgs beimass. Den Koenig von
Kappadokien, Ariarathes, liess er hinrichten ^27 und gab das Koenigreich einem
illegitimen Verwandten desselben, dem Archelaos. Das gleiche Schicksal war dem
Armenier zugedacht. Wenn Antonius, wie er sagte, zur Fortfuehrung des Krieges im
Jahre 720 (34) in Armenien erschien, so hatte dies nur den Zweck, die Person des
Koenigs, der sich geweigert hatte, nach Aegypten zu gehen, in die Gewalt zu
bekommen: Dieser Akt der Rache wurde auf nichtswuerdige Weise im Wege der
Ueberlistung ausgefuehrt und in nicht minder nichtswuerdiger Weise durch eine in
Alexandreia aufgefuehrte Karikatur des kapitolinischen Triumphs gefeiert. Damals
wurde der zum Herrn des Ostens bestimmte Sohn des Antonius, wie frueher
angegeben ward, als Koenig von Armenien eingesetzt und mit der Tochter des neuen
Bundesgenossen, des Koenigs von Medien, vermaehlt, waehrend der aelteste Sohn
des gefangenen und einige Zeit spaeter auf Geheiss der Kleopatra hingerichteten
Koenigs von Armenien, Artaxes, den die Armenier anstatt des Vaters zum Koenig
ausgerufen hatten, landfluechtig zu den Parthern ging. Armenia und Media
Atropatene waren hiermit in Antonius' Gewalt oder ihm verbuendet; die
Fortfuehrung des parthischen Krieges wurde wohl angekuendigt, blieb aber
verschoben bis nach der Ueberwindung des westlichen Rivalen. Phraates
seinerseits ging gegen Medien vor, anfangs ohne Erfolg, da die in Armenien
stehenden roemischen Truppen den Medern Beistand leisteten; aber als im Verlauf
der Ruestungen gegen Caesar Antonius seine Mannschaften von dort abrief,
gewannen die Parther die Oberhand, ueberwanden die Meder und setzten in Medien
so wie auch in Armenien den Koenig Artaxes ein, der, um die Hinrichtung des
Vaters zu vergelten, saemtliche im Lande zerstreute Roemer greifen und toeten
liess. Dass Phraates die grosse Fehde zwischen Antonius und Caesar, waehrend sie
vorbereitet und ausgefochten ward, nicht voller ausnutzte, wurde wahrscheinlich
wieder einmal durch die im eigenen Lande ausbrechenden Unruhen verhindert. Diese
endigten damit, dass er ausgetrieben ward und zu den Skythen des Ostens ging; an
seiner Stelle wurde Tiridates als Grosskoenig ausgerufen. Als die entscheidende
Seeschlacht an der Kueste von Epirus geschlagen ward und dann in Aegypten die
Katastrophe des Antonius sich vollzog, sass in Ktesiphon dieser neue Grosskoenig
auf dem schwankenden Thron und schickten an der entgegengesetzten Reichsgrenze
die Scharen Turans sich an, den frueheren Herrscher wieder an seine Stelle zu
setzen, was ihnen bald darauf auch gelang.
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^26 Was darueber Strabon (11, 13, 4 p. 524) offenbar nach der von Antonius'
Waffengefaehrten Dellius und vermutlich auf dessen Geheiss aufgesetzten
Darstellung dieses Krieges (vgl. das. 11, 13 3; Dio 49, 39) berichtet, ist ein
recht klaeglicher Rechtfertigungsversuch des geschlagenen Generals. Wenn
Antonius nicht den naechsten Weg nach Ktesiphon einschlug, so kann dafuer der
Koenig Artavasdes nicht als falscher Wegweiser in Anspruch genommen werden; es
war eine militaerische und wohl mehr noch eine politische Verrechnung des
obersten Feldherrn.
^27 Die Tatsache der Absetzung und der Hinrichtung und die Zeit bezeugen
Dio (49, 32) und Valerius Maximus (9, 15 ext. 2); die Ursache oder der Vorwand
wird mit dem Armenischen Krieg zusammenhaengen.
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Der kluge und klare Mann, dem die Liquidation der Unternehmungen des
Antonius und die Feststellung des Verhaeltnisses der beiden Reichsteile zufiel,
bedurfte ebensosehr der Maessigung wie der Energie. Es wuerde der schwerste
Fehler gewesen sein, in Antonius' Gedanken eingehend den Orient oder auch nur im
Orient weiter zu erobern. Augustus erkannte dies; seine militaerischen Ordnungen
zeigen deutlich, dass er zwar den Besitz der syrischen Kueste wie den der
aegyptischen als ein unentbehrliches Komplement fuer das Reich des Mittelmeers
betrachtete, aber auf binnenlaendischen Besitz daselbst keinen Wert legte. Indes
Armenien war nun einmal seit einem Menschenalter roemisch und konnte, nach Lage
der Verhaeltnisse, nur roemisch oder parthisch sein; die Landschaft war durch
ihre Lage militaerisch fuer jede der Grossmaechte ein Ausfallstor in das Gebiet
der anderen. Augustus dachte auch nicht daran, auf Armenien zu verzichten und es
den Parthern zu ueberlassen; und wie die Dinge lagen, durfte er schwerlich daran
denken. Wenn aber Armenien festgehalten ward, konnte man dabei nicht
stehenbleiben; die oertlichen Verhaeltnisse noetigten die Roemer, weiter das
Stromgebiet des Kyros, die Landschaften der Iberer an seinem oberen, der Albaner
an seinem unteren Lauf, das heisst, die als Reiter wie zu Fuss kampftuechtigen
Bewohner des heutigen Georgien und Schirwan, unter ihren massgebenden Einfluss
zu bringen, das parthische Machtgebiet nicht noerdlich vom Araxes ueber
Atropatene hinaus sich erstrecken zu lassen. Schon die Expedition des Pompeius
hatte gezeigt, dass die Festsetzung in Armenien die Roemer notwendig einerseits
bis an den Kaukasus, andrerseits bis an das Westufer des Kaspischen Meeres
fuehrte. Die Ansaetze waren ueberall da. Antonius' Legaten hatten mit den
Iberern und den Albanern gefochten. Polemon, von Augustus in seiner Stellung
bestaetigt, herrschte nicht bloss ueber die Kueste von Pharnakeia bis Trapezunt,
sondern auch ueber das Gebiet der Kolcher an der Phasismuendung. Zu dieser
allgemeinen Sachlage kamen die besonderen Verhaeltnisse des Augenblicks, welche
es dem neuen Alleinherrscher Roms in dringendster Weise nahelegten, das Schwert
den Orientalen gegenueber nicht bloss zu zeigen, sondern auch zu ziehen. Dass
Koenig Artaxes, wie einst Mithradates, saemtliche Roemer innerhalb seiner
Grenzen umzubringen befohlen hatte, konnte nicht unvergolten bleiben. Auch der
landfluechtige Koenig von Medien hatte Hilfe jetzt bei Augustus gesucht, wie er
sie sonst bei Antonius gesucht haben wuerde. Der Buerger- und Praetendentenkrieg
im Parthischen Reiche erleichterte nicht bloss den Angriff, sondern der
vertriebene Herrscher Tiridates suchte gleichfalls Schutz bei Augustus und
erklaerte sich bereit, als roemischer Vasall das Reich von Augustus zu Lehen zu
nehmen. Die Rueckgabe der bei den Niederlagen des Crassus und der Antonianer in
die Gewalt der Parther geratenen Roemer und der verlorenen Adler mochte an sich
dem Herrscher der Kriegfuehrung nicht wert erscheinen; fallen lassen konnte der
Wiederhersteller des roemischen Staates diese militaerische und politische
Ehrenfrage nicht. Mit diesen Tatsachen musste der roemische Staatsmann rechnen;
bei der Stellung, die Augustus im Orient nahm, war die Politik der Aktion
ueberhaupt und durch die vorhergegangenen Misserfolge doppelt geboten. Ohne
Zweifel war es wuenschenswert, die Ordnung der Dinge in Rom bald vorzunehmen;
aber eine zwingende Noetigung, dies sofort zu tun, bestand fuer den
unbestrittenen Alleinherrscher nicht. Er befand sich nach den entscheidenden
Schlaegen von Aktion und Alexandreia an Ort und Stelle und an der Spitze eines
starken und siegreichen Heeres; was einmal geschehen musste, geschah am besten
gleich. Ein Herrscher vom Schlage Caesars waere schwerlich nach Rom
zurueckgegangen, ohne in Armenien die Schutzherrschaft hergestellt, die
roemische Suprematie bis zum Kaukasus und zum Kaspischen Meere zur Anerkennung
gebracht und mit dem Parther abgerechnet zu haben. Ein Herrscher von Umsicht und
Tatkraft haette die Grenzverteidigung im Osten gleich jetzt geordnet, wie die
Verhaeltnisse es erforderten; es war von vornherein klar, dass die vier
syrischen Legionen von zusammen 40000 Mann nicht genuegten, um die Interessen
Roms zugleich am Euphrat, am Araxes und am Kyros zu wahren und dass die Milizen
der abhaengigen Koenigreiche den Mangel der Reichstruppen nur verdeckten, nicht
deckten. Armenien hielt durch politische und nationale Sympathie mehr zu den
Parthern als zu den Roemern; die Koenige von Kommagene, Kappadokien, Galatien,
Pontus neigten wohl umgekehrt mehr nach der roemischen Seite, aber sie waren
unzuverlaessig und schwach. Auch die masshaltende Politik bedurfte zu ihrer
Begruendung eines energischen Schwertschlags, zu ihrer Aufrechthaltung des nahen
Arms einer ueberlegenen roemischen Militaermacht.
Augustus hat weder geschlagen noch geschirmt; gewiss nicht, weil er ueber
die Sachlage sich taeuschte, sondern weil es in seiner Art lag, das als
notwendig Erkannte zoegernd und schwaechlich durchzufuehren und die Ruecksichten
der inneren Politik auf das Verhaeltnis zum Ausland mehr als billig einwirken zu
lassen. Das Unzulaengliche des Grenzschutzes durch die kleinasiatischen
Klientelstaaten hat er wohl eingesehen; es gehoert in diesen Zusammenhang, dass
er schon im Jahre 729 (25), nach dem Tode des Koenigs Amyntas, des Herrn im
ganzen innern Kleinasien, diesem keinen Nachfolger gab, sondern das Land einem
kaiserlichen Legaten unterstellte. Vermutlich sollten auch die benachbarten
bedeutenderen Klientelstaaten, namentlich Kappadokien, in gleicher Weise nach
dem Ableben der derzeitigen Inhaber in kaiserliche Statthalterschaften
verwandelt werden. Dies war ein Fortschritt, insofern die Milizen dieser
Landschaften damit der Reichsarmee inkorporiert und unter roemische Offiziere
gestellt wurden; einen ernstlichen Druck auf die unsicheren Grenzlandschaften
oder gar auf den benachbarten Grossstaat konnten diese Truppen nicht ausueben,
wenn sie auch jetzt zu denen des Reiches zaehlten. Aber alle diese Erwaegungen
wurden ueberwogen durch die Ruecksicht auf die Herabdrueckung der Ziffer des
stehenden Heeres und der Ausgabe fuer das Heerwesen auf das moeglichst niedrige
Mass.
Ebenso ungenuegend waren den augenblicklichen Verhaeltnissen gegenueber die
auf der Heimkehr von Alexandreia von Augustus getroffenen Massregeln. Er gab dem
vertriebenen Koenig der Meder die Herrschaft von Klein-Armenien und dem
parthischen Praetendenten Tiridates ein Asyl in Syrien, um durch jenen den in
offener Feindseligkeit gegen Rom verharrenden Koenig Artaxes in Schach zu
halten, durch diesen auf den Koenig Phraates zu druecken. Die mit diesem wegen
der Rueckgabe der parthischen Siegestrophaeen angeknuepften Verhandlungen zogen
sich ergebnislos hin, obwohl Phraates im Jahre 731 (23), um die Entlassung eines
zufaellig in die Gewalt der Roemer geratenen Sohnes zu erlangen, die Rueckgabe
zugesichert hatte.
Erst als Augustus im Jahre 734 (20) sich persoenlich nach Syrien begab und
Ernst zeigte, fuegten sich die Orientalen. In Armenien, wo eine maechtige Partei
sich gegen den Koenig Artaxes erhoben hatte, warfen sich die Insurgenten den
Roemern in die Arme und erbaten fuer des Artaxes juengeren, am kaiserlichen Hof
erzogenen und in Rom lebenden Bruder Tigranes die kaiserliche Belehnung. Als des
Kaisers Stiefsohn Tiberius Claudius Nero, damals ein 22jaehriger Juengling, mit
Heeresmacht in Armenien einrueckte, wurde Koenig Artaxes von seinen eigenen
Verwandten ermordet, und Tigranes empfing die koenigliche Tiara aus der Hand des
kaiserlichen Vertreters, wie sie fuenfzig Jahre frueher sein gleichnamiger
Grossvater von Pompeius empfangen hatte. Atropatene wurde wieder von Armenien
getrennt und kam unter die Herrschaft eines ebenfalls in Rom erzogenen
Herrschers, des Ariobarzanes, Sohnes des frueher erwaehnten Artavazdes; doch
scheint dieser das Land nicht als roemisches, sondern als parthisches Lehnsreich
erhalten zu haben. Ueber die Ordnung der Dinge in den Fuerstentuemern am
Kaukasus erfahren wir nichts; aber da sie spaeter unter die roemischen
Klientelstaaten gerechnet werden, so hat wahrscheinlich damals auch hier der
roemische Einfluss obgesiegt. Selbst Koenig Phraates, jetzt vor die Wahl
gestellt, sein Wort einzuloesen oder zu schlagen, entschloss sich schweren
Herzens zu der die nationalen Gefuehle der Seinen empfindlich verletzenden
Herausgabe der wenigen noch lebenden roemischen Kriegsgefangenen und der
gewonnenen Feldzeichen.
Unendlicher Jubel begruesste diesen, von dem Fuersten des Friedens
errungenen unblutigen Sieg. Auch bestand nach demselben mit dem Partherkoenig
laengere Zeit ein freundschaftliches Verhaeltnis, wie denn die unmittelbaren
Interessen der beiden Grossstaaten sich wenig stiessen. In Armenien dagegen
hatte die roemische Lehnsherrschaft, die nur auf sich selbst ruhte, der
nationalen Opposition gegenueber einen schweren Stand. Nach dem fruehen Tode des
Koenigs Tigranes schlugen dessen Kinder oder die unter ihrem Namen regierenden
Staatsleiter sich selber zu dieser. Gegen sie wurde von den Roemerfreunden ein
anderer Herrscher, Artavazdes, aufgestellt; aber er vermochte nicht gegen die
staerkere Gegenpartei durchzudringen. Diese armenischen Wirren stoerten auch das
Verhaeltnis zu den Parthern; es lag in der Sache, dass die antiroemisch
gesinnten Armenier sich auf diese zu stuetzen suchten, und auch die Arsakiden
konnten nicht vergessen, dass Armenien frueher eine parthische Sekundogenitur
gewesen war. Unblutige Siege sind oft schwaechliche und gefaehrliche. Es kam so
weit, dass die roemische Regierung im Jahre 748 (6) demselben Tiberius, der
vierzehn Jahre zuvor den Tigranes als Lehnskoenig von Armenien eingesetzt hatte,
den Auftrag erteilte, abermals mit Heeresmacht dort einzuruecken und die
Verhaeltnisse noetigenfalls mit Waffengewalt zu ordnen. Aber das Zerwuerfnis in
der kaiserlichen Familie, welches die Unterwerfung der Germanen unterbrochen
hatte, griff auch hier ein und hatte die gleiche ueble Wirkung. Tiberius lehnte
den Auftrag des Stiefvaters ab, und in Ermangelung eines geeigneten prinzlichen
Feldherrn sah die roemische Regierung einige Jahre hindurch wohl oder uebel dem
Schalten der antiroemischen Partei in Armenien unter Parthisches Schutz untaetig
zu. Endlich im Jahre 753 (1) wurde dem aelteren Adoptivsohn des Kaisers, dem
zwanzigjaehrigen Gaius Caesar, nicht bloss derselbe Auftrag erteilt, sondern es
sollte, wie der Vater hoffte, die Unterwerfung Armeniens der Anfang groesserer
Dinge sein, der Orientfeldzug des zwanzigjaehrigen Kronprinzen man moechte fast
sagen die Alexanderfahrt fortsetzen. Vom Kaiser beauftragte oder dem Hofe
nahestehende Literaten, der Geograph Isidoros, selber an der Euphratmuendung zu
Hause, und der Vertreter der griechischen Gelehrsamkeit unter den
Fuerstlichkeiten des Augustischen Kreises, Koenig Juba von Mauretanien,
widmeten, jener seine im Orient selbst eingezogenen Erkundigungen, dieser
literarische Kollektaneen ueber Arabien, dem jungen Prinzen, der vor Begierde zu
brennen schien, mit der Eroberung Arabiens, ueber welche Alexander weggestorben
war, einen vor laengerer Zeit dort eingetretenen Misserfolg des Augustfischen
Regiments glaenzend zu begleichen. Zunaechst fuer Armenien war diese Sendung
ebenso von Erfolg wie die des Tiberius. Der roemische Kronprinz und der
parthische Grosskoenig Phraatakes trafen persoenlich auf einer Insel des Euphrat
zusammen; die Parther gaben wieder einmal Armenien auf und die nahegerueckte
Gefahr eines parthischen Krieges ward abgewandt, das gestoerte Einvernehmen
wenigstens aeusserlich wiederhergestellt. Den Armeniern setzte Gaius den
Ariobarzanes, einen Prinzen aus dem medischen Fuerstenhause, zum Koenig, und die
Oberherrschaft Roms wurde abermals befestigt. Indes fuegten die antiroemisch
gesinnten Armenier sich nicht ohne Widerstand; es kam nicht bloss zum Einruecken
der Legionen, sondern auch zum Schlagen. Vor den Mauern des armenischen Kastells
Artageira empfing der junge Kronprinz von einem parthischen Offizier durch
tueckische List die Wunde (2 n. Chr.), an der er nach monatelangem Siechen
hinstarb. Die Verschlingung der Reichs- und der dynastischen Politik bestrafte
sich aufs neue. Der Tod eines jungen Mannes aenderte den Gang der grossen
Politik; die so zuversichtlich dem Publikum angekuendigte arabische Expedition
fiel weg, nachdem ihr Gelingen dem Sohn des Kaisers nicht mehr den Weg zur
Nachfolge ebnen konnte. Auch an weitere Unternehmungen am Euphrat wurde nicht
mehr gedacht; das Naechste, die Besetzung Armeniens und die Wiederherstellung
der Beziehungen zu den Parthern war erreicht, wie truebe Schatten auch durch den
Tod des Kronprinzen auf diesen Erfolg fielen.
Bestand hatte derselbe so wenig wie der der glaenzenderen Expedition des
Jahres 734 (20). Die von Rom eingesetzten Herrscher Armeniens wurden bald von
denen der Gegenpartei unter versteckter oder offener Beteiligung der Parther
bedraengt oder verdraengt. Als der in Rom erzogene parthische Prinz Vonones auf
den erledigten parthischen Thron berufen ward, hofften die Roemer an ihm eine
Stuetze zu finden; allein eben deswegen musste er bald ihn raeumen, und an seine
Stelle kam Koenig Artabanos von Medien, ein muetterlicherseits den Arsakiden
entsprossener, aber dem skythischen Volke der Daker angehoeriger und in
einheimischer Sitte aufgewachsener tatkraeftiger Mann (um 10 n. Chr.). Vonones
ward damals von den Armeniern als Herrscher aufgenommen und damit diese unter
roemischem Einfluss gehalten. Aber um so weniger konnte Artabanos seinen
verdraengten Nebenbuhler als Nachbarfuersten dulden; die roemische Regierung
haette, um den fuer seine Stellung in jeder Hinsicht ungeeigneten Mann zu
halten, Waffengewalt gegen die Parther wie gegen seine eigenen Untertanen
anwenden muessen. Tiberius, der inzwischen zur Regierung gekommen war, liess
nicht sofort einruecken, und fuer den Augenblick siegte in Armenien die
antiroemische Partei; aber es war nicht seine Absicht, auf das wichtige
Grenzland zu verzichten. Im Gegenteil wurde die wahrscheinlich laengst
beschlossene Einziehung des Koenigreichs Kappadokien im Jahre 17 zur Ausfuehrung
gebracht: der alte Archelaos, der dort seit dem Jahre 718 (36) den Thron
einnahm, ward nach Rom berufen und ihm hier angekuendigt, dass er aufgehoert
habe zu regieren. Ebenso kam das kleine, aber wegen der Euphratuebergaenge
wichtige Koenigreich Kommagene damals unter unmittelbare kaiserliche Verwaltung.
Damit war die unmittelbare Reichsgrenze bis an den mittleren Euphrat
vorgeschoben. Zugleich ging der Kronprinz Germanicus, der soeben am Rhein mit
grosser Auszeichnung kommandiert hatte, mit ausgedehnter Machtvollkommenheit
nach dem Osten, um die neue Provinz Kappadokien zu ordnen und das gesunkene
Ansehen der Reichsgewalt wiederherzustellen. Auch diese Sendung kam bald und
leicht zum Ziel. Germanicus, obwohl von dem Statthalter Syriens, Gnaeus Piso,
nicht mit derjenigen Truppenmacht unterstuetzt, die er fordern durfte und
gefordert hatte, ging nichtsdestoweniger nach Armenien und brachte durch das
blosse Gewicht seiner Persoenlichkeit und seiner Stellung das Land zum Gehorsam
zurueck. Den unfaehigen Vonones liess er fallen und setzte den Armeniern, den
Wuenschen der roemisch gesinnten Vornehmen entsprechend, zum Herrscher einen
Sohn jenes Polemon, den Antonius zum Koenig im Pontus gemacht hatte, den Zenon
oder, wie er als Koenig von Armenien heisst, Artaxias; dieser war einerseits dem
kaiserlichen Hause verbunden durch seine Mutter, die Koenigin Pythodoris, eine
Enkelin des Triumvirn Antonius, andererseits nach Landesart erzogen, ein
tuechtiger Waidmann und bei dem Gelag ein tapferer Zecher. Auch der Grosskoenig
Artabanos kam dem roemischen Prinzen in freundschaftlicher Weise entgegen und
bat nur um Entfernung seines Vorgaengers Vonones aus Syrien, um den zwischen
diesem und den unzufriedenen Parthern sich anspinnenden Zettelungen zu steuern.
Da Germanicus dieser Bitte entsprach und den unbequemen Fluechtling nach
Kilikien schickte, wo er bald darauf bei einem Fluchtversuch umkam, stellten
zwischen den beiden Grossstaaten die besten Beziehungen sich her. Artabanos
wuenschte sogar, mit Germanicus am Euphrat persoenlich zusammenzukommen, wie
dies auch Phraatakes und Gaius getan hatten; dies aber lehnte Germanicus ab,
wohl mit Ruecksicht auf Tiberius' leicht erregten Argwohn. Freilich fiel auf
diese orientalische Expedition derselbe truebe Schatten wie auf die
letztvorhergehende; auch von dieser kam der Kronprinz des Roemischen Reiches
nicht lebend heim.
Eine Zeitlang taten die getroffenen Einrichtungen ihren Dienst. So lange
Tiberius mit sicherer Hand die Herrschaft fuehrte und so lange Koenig Artaxias
von Armenien lebte, blieb im Orient Ruhe; aber in den letzten Jahren des alten
Kaisers, als derselbe von seiner einsamen Insel aus die Dinge gehen liess und
vor jedem Eingreifen zurueckscheute, und insbesondere nach dem Tode des Artaxias
(um 34) begann das alte Spiel abermals. Koenig Artabanos, gehoben durch sein
langes und glueckliches Regiment und durch vielfache, gegen die Grenzvoelker
Irans erstrittene Erfolge und ueberzeugt, dass der alte Kaiser keine Neigung
haben werde, einen schweren Krieg im Orient zu beginnen, bewog die Armenier,
seinen eigenen aeltesten Sohn, den Arsakes, zum Herrscher auszurufen, das heisst
die roemische Oberherrlichkeit mit der parthischen zu vertauschen. Ja er schien
es geradezu auf den Krieg mit Rom anzulegen; er forderte die Verlassenschaft
seines in Kilikien umgekommenen Vorgaengers und Rivalen Vonones von der
roemischen Regierung, und seine Schreiben an diese sprachen ebenso unverhuellt
aus, dass der Orient den Orientalen gehoere, wie sie die Greuel am kaiserlichen
Hofe, die man in Rom sich nur im vertrautesten Kreise zuzufluestern wagte, bei
ihrem rechten Namen nannten. Er soll sogar einen Versuch gemacht haben, sich in
Besitz von Kappadokien zu setzen. Aber indem alten Loewen hatte er sich
verrechnet. Tiberius war auch auf Capreae nicht bloss den Hofleuten furchtbar
und nicht der Mann, sich und in sich Rom ungestraft verhoehnen zu lassen. Er
sandte den Lucius Vitellius, den Vater des spaetem Kaisers, einen entschlossenen
Offizier und geschickten Diplomaten, nach dem Orient mit aehnlicher
Machtvollkommenheit, wie sie frueher Gaius Caesar und Germanicus gehabt hatten,
und mit dem Auftrag, noetigenfalls die syrischen Legionen ueber den Euphrat zu
fuehren. Zugleich wandte er das oft erprobte Mittel an, den Herrschern des
Ostens durch Insurrektionen und Praetendenten in ihrem eigenen Lande zu schaffen
zu machen. Dem Partherprinzen, den die armenischen Nationalen zum Herrscher
ausgerufen hatten, stellte er einen Fuersten aus dem Koenigshaus der Iberer
entgegen, den Mithradates, des Ibererkoenigs Pharasmanes Bruder, und wies diesen
sowie den Fuersten der Albaner an, den roemischen Praetendenten fuer Armenien
mit Heeresmacht zu unterstuetzen. Von den streitbaren und fuer jeden Werber
leicht zugaenglichen transkaukasischen Sarmaten wurden grosse Scharen mit
roemischem Golde fuer den Einfall in Armenien gedungen. Es gelang auch dem
roemischen Praetendenten, seinen Nebenbuhler durch bestochene Hofleute zu
vergiften und sich des Landes und der Hauptstadt Artaxata zu bemaechtigen.
Artabanos sandte an des Ermordeten Stelle einen anderen Sohn, Orodes, nach
Armenien und versuchte auch seinerseits transkaukasische Hilfstruppen zu
beschaffen; aber nur wenige kamen nach Armenien durch, und die parthischen
Reiterscharen waren der guten Infanterie der Kaukasusvoelker und den
gefuerchteten sarmatischen berittenen Schuetzen nicht gewachsen. Orodes wurde in
harter Feldschlacht ueberwunden und selbst im Zweikampf mit seinem Rivalen
schwer verwundet. Da brach Artabanos selber nach Armenien auf. Nun aber setzte
auch Vitellius die syrischen Legionen in Bewegung, um den Euphrat zu
ueberschreiten und in Mesopotamien einzufallen; und dies brachte die lange
gaerende Insurrektion im Partherreiche zum Ausbruch. Das energische und mit den
Erfolgen selbst immer schroffere Auftreten des skythischen Herrschers hatte
viele Personen und Interessen verletzt, insbesondere die mesopotamischen
Griechen und die maechtige Stadtgemeinde von Seleukeia, welcher er ihre nach
griechischer Art demokratische Gemeindeverfassung genommen hatte, ihm abwendig
gemacht. Das roemische Gold naehrte die sich vorbereitende Bewegung.
Unzufriedene Adlige hatten schon frueher sich mit der roemischen Regierung in
Verbindung gesetzt und einen echten Arsakiden von dieser erbeten. Tiberius hatte
des Phraates einzigen ueberlebenden, dem Vater gleichnamigen Sohn und, nachdem
der alte roemisch gewoehnte Mann den Anstrengungen noch in Syrien erlegen war,
an dessen Stelle einen ebenfalls in Rom lebenden Enkel des Phraates namens
Tiridates geschickt. Der parthische Fuerst Sinnakes, der Fuehrer dieser
Zettelungen, kuendigte jetzt dem Skythen den Gehorsam und pflanzte das Banner
der Arsakiden auf. Vitellius ueberschritt mit den Legionen den Euphrat und in
seinem Gefolge der neue Grosskoenig von roemischen Gnaden. Der parthische
Statthalter von Mesopotamien, Ornospades, der einst als Verbannter unter
Tiberius den pannonischen Krieg mitgemacht hatte, stellte sich und seine Truppen
sofort dem neuen Herrn zur Verfuegung des Sinnakes Vater Abdagaeses lieferte den
Reichsschatz aus; in kuerzester Zeit sah sich Artabanos von dem ganzen Lande
verlassen und gezwungen, in seine skythische Heimat zu fluechten, wo er als
unsteter Mann in den Waeldern herumirrte und mit seinem Bogen sich das Leben
fristete, waehrend dem Tiridates von den nach parthischer Staatsordnung zur
Kroenung des Herrschers berufenen Fuersten in Ktesiphon feierlich die Tiara aufs
Haupt gesetzt ward. Indes die Herrschaft des von dem Reichsfeind geschickten
neuen Grosskoenigs waehrte nicht lange. Das Regiment, welches weniger er
fuehrte, ein junger unerfahrener und untuechtiger Mann, als die ihn zum Koenig
gemacht hatten, vornehmlich Abdagaeses, rief bald Opposition hervor. Einige der
vornehmsten Satrapen waren schon bei der Kroenungsfeier ausgeblieben und zogen
den vertriebenen Herrscher wieder aus der Verbannung hervor; mit ihrem Beistand
und den von seinen skythischen Landsleuten gestellten Mannschaften kehrte
Artabanos zurueck, und schon im folgenden Jahre (36) war das ganze Reich mit
Ausnahme von Seleukeia wieder in seiner Gewalt, Tiridates ein fluechtiger Mann
und genoetigt, bei seinen roemischen Beschuetzern die Zuflucht zu heischen, die
ihm nicht versagt werden konnte. Vitellius fuehrte die Legionen abermals an den
Euphrat; aber da der Grosskoenig persoenlich erschien und sich zu allem
Verlangten bereit erklaerte, falls die roemische Regierung von Tiridates
abstehe, war der Friede bald geschlossen. Artabanos erkannte nicht bloss den
Mithradates als Koenig von Armenien an, sondern brachte auch dem Bildnis des
roemischen Kaisers die Huldigung dar, die von den Lehnsmannen gefordert zu
werden pflegte, und stellte seinen Sohn Dareios den Roemern als Geisel. Darueber
war der alte Kaiser gestorben; aber diesen so unblutigen wie vollstaendigen Sieg
seiner Politik ueber die Auflehnung des Orients hat er noch erlebt.
Was die Klugheit des Greises erreicht hatte, verdarb sofort der Unverstand
des Nachfolgers. Abgesehen davon, dass er verstaendige Einrichtungen des
Tiberius rueckgaengig machte, zum Beispiel das eingezogene Koenigreich Kommagene
wiederherstellte, goennte sein toerichter Neid dem toten Kaiser den erreichten
Erfolg nicht; den tuechtigen Statthalter von Syrien wie den neuen Koenig von
Armenien lud er zur Verantwortung nach Rom vor, setzte den letzteren ab und
schickte ihn, nachdem er ihn eine Zeitlang gefangen gehalten hatte, ins Exil.
Selbstverstaendlich griff die parthische Regierung zu und nahm das herrenlose
Armenien wiederum in Besitz ^28. Claudius hatte, als er im Jahre 41 zur
Regierung kam, die getane Arbeit von neuem zu beginnen. Er verfuhr nach dem
Beispiel des Tiberius. Mithradates, aus dem Exil zurueckgerufen, wurde wieder
eingesetzt und angewiesen, mit Hilfe seines Bruders sich Armeniens zu
bemaechtigen. Der damals zwischen den drei Soehnen des Koenigs Artabanos III.
gefuehrte Bruderkrieg im Partherreich ebnete den Roemern den Weg. Nach der
Ermordung des aeltesten Sohnes stritten Jahre lang Gotarzes und Vardanes um den
Thron; Seleukeia, das schon dem Vater den Gehorsam aufgekuendigt hatte, trotzte
sieben Jahre hindurch ihm und nachher den Soehnen; die Voelker Turans griffen
wie immer auch in diesen Hader der Fuersten Irans ein. Mithradates vermochte mit
Hilfe der Truppen seines Bruders und der Garnisonen der benachbarten roemischen
Provinzen die parthisch Gesinnten in Armenien zu ueberwaeltigen und sich wieder
zum Herrn daselbst zu machen ^29; das Land erhielt roemische Besatzung. Nachdem
Vardanes sich mit dem Bruder verglichen und endlich Seleukeia wieder eingenommen
hatte, machte er Miene, in Armenien einzuruecken; aber die drohende Haltung des
roemischen Legaten von Syrien hielt ihn ab und sehr bald brach der Bruder den
Vergleich und begann der Buergerkrieg aufs neue. Nicht einmal die Ermordung des
tapferen und im Kampf mit den Voelkern Turans siegreichen Vardanes setzte
demselben ein Ziel; die Gegenpartei wendete sich nun nach Rom und erbat sich von
der dortigen Regierung den dort lebenden Sohn des Vonones, den Prinzen
Meherdates, welcher dann auch vom Kaiser Claudius vor dem versammelten Senat den
Seinigen zur Verfuegung gestellt und nach Syrien entlassen ward mit der
Ermahnung, sein neues Reich gut und gerecht zu verwalten und der roemischen
Schutzfreundschaft eingedenk zu bleiben (Jahr 49). Er kam nicht in die Lage, von
diesen Ermahnungen Anwendung zu machen. Die roemischen Legionen, die ihm bis zum
Euphrat das Geleit gaben, uebergaben ihn dort denen, die ihn gerufen hatten, dem
Haupt des maechtigen Fuerstengeschlechts der Karen und den Koenigen Abgaros von
Edessa und Izates von Adiabene. Der unerfahrene und unkriegerische Juengling war
der Aufgabe so wenig gewachsen wie alle anderen von den Roemern aufgestellten
parthischen Herrscher; eine Anzahl seiner namhaftesten Anhaenger verliessen ihn,
so wie sie ihn kennenlernten und gingen zu Gotarzes; in der entscheidenden
Schlacht gab der Fall des tapferen Karen den Ausschlag. Meherdates wurde
gefangen und nicht einmal hingerichtet, sondern nur nach orientalischer Sitte
durch Verstuemmelung der Ohren regierungsunfaehig gemacht.
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^28 Der Bericht ueber die Besitzergreifung Armeniens fehlt, aber die
Tatsache geht aus Tac. ann. 11, 9 deutlich hervor. Wahrscheinlich gehoert
hierher, was Josephus (bel. Iud. 20 3, 3) von der Absicht des Nachfolgers des
Artabanos erzaehlt, gegen die Roemer Krieg zu fuehren wovon der Satrap von
Adiabene, Izates, ihn vergebens abmahnt. Josephus nennt diesen Nachfolger wohl
irrig Bardanes. Artabanos' III. unmittelbarer Nachfolger war nach Tac. ann. 11,
8 sein gleichnamiger Sohn, den nebst seinem Sohn dann Gotarzes aus dem Wege
raeumte; und dieser Artabanos IV. wird hier gemeint sein.
^29 Die Meldung des Petrus Patricius (fr. 3 Muell.), dass der Koenig
Mithradates von Iberien den Abfall von Rom geplant, aber, um den Schein der
Treue zu wahren, seinen Bruder Kotys an Claudius gesandt habe und dann, da
dieser dem Kaiser von jenen Umtrieben Anzeige gemacht, abgesetzt und durch den
Bruder ersetzt worden sei vertraegt sich nicht mit der gesicherten Tatsache,
dass in Iberien wenigstens vom Jahr 35 (Tac. ann. 6, 32) bis zum Jahr 60 (Tac.
ann. 14, 26) Pharasmanes, im Jahre 75 dessen Sohn Mithradates (CIL III, 6052)
geherrscht hat. Ohne Zweifel hat Petrus den Mithradates von Iberien und den
gleichnamigen Koenig des Bosporus zusammengeworfen und liegt hier die Erzaehlung
zu Grunde, welche Tacitus (ann. 12, 18) voraussetzt.
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Trotz dieser Niederlage der roemischen Politik im Partherreich blieb
Armenien den Roemern, solange der schwache Gotarzes ueber die Parther herrschte.
Aber sowie eine kraeftigere Hand die Zuegel der Herrschaft fasste und die
inneren Kaempfe ruhten, ward auch der Kampf um jenes Land wieder aufgenommen.
Koenig Vologasos, der nach dem Tode des Gotarzes und dem kurzen Regiment
Vonones' II, diesem seinem Vater im Jahre 51 sukzedierte ^30, bestieg den Thron
ausnahmsweise in vollem Einverstaendnis mit seinen beiden Bruedern Pakoros und
Tiridates. Er war ein faehiger und umsichtiger Regent - auch als Staedtegruender
finden wir ihn und mit Erfolg bemueht, den Handel von Palmyra nach seiner Stadt
Vologasias am unteren Euphrat zu lenken -, raschen und extremen Entschluessen
abgeneigt und bemueht, mit dem maechtigen Nachbarn womoeglich Frieden zu halten.
Aber die Rueckgewinnung Armeniens war der leitende politische Gedanke der
Dynastie und auch er bereit, jede Gelegenheit zu seiner Verwirklichung zu
benutzen. Diese Gelegenheit schien jetzt sich zu bieten. Der armenische Hof war
der Schauplatz einer der entsetzlichsten Familientragoedien geworden, die die
Geschichte verzeichnet. Der alte Koenig der Iberer, Pharasmanes, unternahm es,
seinen Bruder, den Koenig von Armenien Mithradates, vom Thron zu stossen und
seinen eigenen Sohn Rhadamistos an dessen Stelle zu setzen. Unter dem Vorwande
eines Zerwuerfnisses mit dem Vater erschien Rhadamistos bei seinem Oheim und
Schwiegervater und knuepfte mit angesehenen Armeniern Verhandlungen in jenem
Sinne an. Nachdem er sich eines Anhangs versichert hatte, ueberzog Pharasmanes
im Jahre 52 unter nichtigen Vorwaenden den Bruder mit Krieg und brachte auch das
Land in seine oder vielmehr seines Sohnes Gewalt. Mithradates stellte sich unter
den Schutz der roemischen Besatzung des Kastells Gorneae ^31. Diese anzugreifen
wagte Rhadamistos nicht; aber der Kommandant Caelius Pollio war als
nichtswuerdig und feil bekannt. Der unter ihm den Befehl fuehrende Centurio
begab sich zu Pharasmanes, um ihn zur Zurueckrufung seiner Truppen zu bestimmen,
was dieser wohl versprach, aber nicht hielt. Waehrend der Abwesenheit des
Zweitkommandierenden noetigte Pollio den Koenig, der wohl ahnte, was ihm
bevorstand, durch die Drohung, ihn im Stiche zu lassen, sich dem Rhadamistos in
die Haende zu liefern. Von diesem wurde er umgebracht, mit ihm seine Gattin, des
Rhadamistos' Schwester und die Kinder derselben, weil sie im Anblick der Leichen
ihrer Eltern in Jammergeschrei ausbrachen. Auf diese Weise gelangte Rhadamistos
zur Herrschaft von Armenien. Die roemische Regierung durfte weder solchen, von
ihren Offizieren mitverschuldeten Greueln zusehen noch dulden, dass einer ihrer
Lehnstraeger den andern mit Krieg ueberzog. Nichtsdestoweniger erkannte der
Statthalter von Kappadokien, Iulius Paelignus, den neuen Koenig von Armenien an.
Auch im Rat des Statthalters von Syrien, Ummidius Quadratus, ueberwog die
Meinung, dass es den Roemern gleichgueltig sein koenne, ob der Oheim oder der
Neffe ueber Armenien herrsche; der nach Armenien mit einer Legion gesendete
Legat erhielt nur den Auftrag, den Status quo bis auf weiteres aufrecht zu
halten. Da hielt der Partherkoenig, in der Voraussetzung, dass die roemische
Regierung sich nicht beeifern werde, fuer den Koenig Rhadamistos einzutreten,
den Moment fuer geeignet, seine alten Ansprueche auf Armenien wieder
aufzunehmen. Er belehnte mit Armenien seinen Bruder Tiridates, und die
einrueckenden parthischen Truppen bemaechtigten sich fast ohne Schwertstreich
der beiden Hauptstaedte Tigranokerta und Artaxata und des ganzen Landes. Als
Rhadamistos einen Versuch machte, den Preis seiner Bluttaten festzuhalten,
schlugen die Armenier selbst ihn zum Lande hinaus. Die roemische Besatzung
scheint nach der Uebergabe von Gorneae Armenien verlassen zu haben; die aus
Syrien in Marsch gesetzte Legion zog der Statthalter zurueck, um nicht mit den
Parthern in Konflikt zu geraten.
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^30 Wenn die Muenzen, die freilich meistens nur nach der
Bildnisaehnlichkeit sich scheiden lassen, richtig attributiert sind, so reichen
die des Gotarzes bis Sel. 362 Daesius = n. Chr. 51, Juni und beginnen die des
Volagasos (von Vonones II. kennen wir keine) mit Sel. 362 Gorpiaeus = n. Chr.
51, September (Gardner, Parthian coinage, S. 50, 51), was mit Tacitus (ann. 12,
14, 44) uebereinstimmt.
^31 Gorneae, bei den Armeniern Garhni, wie die Ruine (nahe, oestlich von
Eriwan) noch jetzt genannt wird. Kiepert.
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Als diese Kunde nach Rom kam (Ende 54), war Kaiser Claudius eben gestorben
und regierten fuer den jungen siebzehnjaehrigen Nachfolger tatsaechlich die
Minister Burrus und Seneca. Das Vorgehen des Vologasos konnte nur mit der
Kriegserklaerung beantwortet werden. In der Tat sandte die roemische Regierung
nach Kappadokien, das sonst Statthalterschaft zweiten Ranges und nicht mit
Legionen belegt war, ausnahmsweise den konsularischen Legaten Gnaeus Domitius
Corbulo. Er war als Schwager des Kaisers Gaius rasch vorwaerts gekommen, dann
unter Claudius im Jahre 47 Legat von Untergermanien gewesen und galt seitdem als
einer der damals nicht zahlreichen tuechtigen, die vielfach verfallene Disziplin
energisch handhabenden Heerfuehrer, selbst eine herkulische Gestalt, jeder
Strapaze gewachsen und nicht bloss dem Feind, sondern auch seinen eigenen
Soldaten gegenueber von ruecksichtslosem Mut. Es schien ein Zeichen des
Besserwerdens der Dinge, dass die Neronische Regierung das erste von ihr zu
besetzende wichtige Kommando an ihn vergab. Der unfaehige syrische Legat von
Syrien, Quadratus, wurde nicht abgerufen, aber angewiesen, zwei von seinen vier
Legionen dem Statthalter der Nachbarprovinz zur Verfuegung zu stellen. Die
Legionen alle wurden an den Euphrat herangezogen und die sofortige Schlagung der
Bruecken ueber den Fluss angeordnet. Die beiden westlich zunaechst an Armenien
grenzenden Landschaften Klein-Armenien und Sophene wurden zwei zuverlaessigen
syrischen Fuersten, dem Aristobulos aus einem Seitenzweig des herodischen Hauses
und dem Sohaemos aus der Herrscherfamilie von Hemesa zugeteilt und beide unter
Corbulos Befehle gestellt. Der Koenig des damals noch uebrigen Restes des
Judenstaats Agrippa und der Koenig von Kommagene Antiochos erhielten ebenfalls
Marschbefehl. Indes zunaechst kam es nicht zum Schlagen. Die Ursache lag zum
Teil in dem Zustand der syrischen Legionen; es war ein schlimmes Armutszeugnis
fuer die bisherige Verwaltung, dass Corbulo die ihm ueberwiesenen Truppen
geradezu als unbrauchbar bezeichnen musste. Die in den griechischen Provinzen
ausgehobenen und garnisonierenden Legionen waren immer geringer gewesen als die
okzidentalischen; jetzt hatte die entnervende Gewalt des Orients bei dem langen
Friedensstand und der schlaffen Heereszucht dieselben voellig demoralisiert. Die
Soldaten hielten mehr in den Staedten sich auf als in den Lagern; nicht wenige
derselben waren des Waffentragens entwoehnt und wussten nichts von Lagerschlagen
und Wachdienst; die Regimenter waren lange nicht ergaenzt und enthielten
zahlreiche alte unbrauchbare Leute; Corbulo hatte zunaechst eine grosse Anzahl
von Soldaten zu entlassen und in noch viel groesserer Zahl Rekruten auszuheben
und auszubilden. Der Wechsel der bequemen Winterquartiere am Orontes mit denen
in den rauben armenischen Bergen, die ploetzliche Einfuehrung unerbittlich
strenger Lagerzucht fuehrte vielfach Erkrankungen herbei und veranlasste
zahlreiche Desertionen. Trotz allem dem sah sich der Feldherr, als es Ernst
ward, genoetigt, um Zusendung einer der besseren Legionen des Okzidents zu
bitten. Unter diesen Umstaenden beeilte er sich nicht, seine Soldaten an den
Feind zu bringen; indes waren doch dabei ueberwiegend politische Ruecksichten
massgebend.
Waere es die Absicht der roemischen Regierung gewesen, den parthischen
Herrscher sofort aus Armenien zu vertreiben, und zwar nicht den Rhadamistos, mit
dessen Blutschuld die Roemer keine Veranlassung hatten, sich zu beflecken, aber
irgendeinen anderen Fuersten ihrer Wahl an dessen Stelle zu setzen, so haetten
dazu die Streitkraefte Corbulos wohl sofort ausgereicht, da Koenig Vologasos,
wieder einmal durch innere Unruhen abgezogen, seine Truppen aus Armenien
weggefuehrt hatte. Aber dies lag nicht im Plane der Roemer; man wollte dort
vielmehr das Regiment des Tiridates sich gefallen lassen und ihn nur zur
Anerkennung der roemischen Oberherrlichkeit bestimmen und noetigenfalls zwingen;
nur zu diesem Zweck sollten aeussersten Falls die Legionen marschieren. Es kam
dies der Sache nach der Abtretung Armeniens an die Parther sehr nahe. Was fuer
diese sprach und was sie verhinderte, ist frueher entwickelt worden. Wurde jetzt
Armenien als parthische Sekundogenitur geordnet, so war die Anerkennung des
roemischen Lehnsrechts wenig mehr als eine Formalitaet, genau genommen nichts
als eine Deckung der militaerischen und politischen Ehre. Also hat die Regierung
der frueheren neronischen Zeit, der notorisch an Einsicht und Energie wenige
gleich kamen, beabsichtigt, sich Armeniens in schicklicher Weise zu entledigen;
und es kann das nicht verwundern. Man schoepfte hier in der Tat in das Sieb. Der
Besitz Armeniens war wohl im Jahre 20 v. Chr. durch Tiberius, dann durch Gaius
im Jahre 2, durch Germanicus im Jahre 18, durch Vitellius im Jahre 36 im Lande
selbst wie bei den Parthern zur Geltung und Anerkennung gebracht worden. Aber
eben diese regelmaessig sich wiederholenden und regelmaessig von Erfolg
gekroenten und doch niemals zu dauernder Wirkung gelangenden ausserordentlichen
Expeditionen gaben den Parthern recht, wenn sie in den Verhandlungen unter Nero
behaupteten, dass die roemische Oberherrschaft ueber Armenien ein leerer Name,
das Land nun einmal parthisch sei und sein wolle. Zur Geltendmachung der
roemischen Obergewalt bedurfte es immer wenn nicht der Kriegfuehrung, doch der
Kriegdrohung, und die dadurch bedingte stetige Reibung machte den dauernden
Friedensstand zwischen den beiden benachbarten Grossmaechten unmoeglich. Die
Roemer hatten, wenn sie folgerichtig verfuhren, nur die Wahl, Armenien und das
linke Euphratufer ueberhaupt entweder durch Beseitigung der bloss mittelbaren
Herrschaft effektiv in ihre Gewalt zu bringen oder es soweit den Parthern zu
ueberlassen, als dies mit dem obersten Grundsatz des roemischen Regiments, keine
gleichberechtigte Grenzmacht anzuerkennen, sich vertrug. Augustus und die
bisherigen Regenten hatten die erstere Alternative entschieden abgelehnt, und
sie haetten also den zweiten Weg einschlagen sollen; aber auch diesen
abzulehnen, hatten sie wenigstens versucht und das parthische Koenigshaus von
der Herrschaft ueber Armenien ausschliessen wollen, ohne es zu koennen. Dies
muessen die leitenden Staatsmaenner der frueheren neronischen Zeit als einen
Fehler betrachtet haben, da sie Armenien den Arsakiden ueberliessen und sich auf
das denkbar geringste Mass von Rechten daran beschraenkten. Wenn die Gefahren
und die Nachteile, welche das Festhalten dieser nur aeusserlich dem Reich
anhaftenden Landschaft dem Staate brachte, gegen diejenigen abgewogen wurden,
welche die Partherherrschaft ueber Armenien fuer die Roemer nach sich zog, so
konnte, zumal bei der geringen Offensivkraft des Parthischen Reiches, die
Entscheidung wohl in dem letzteren Sinne gefunden werden: Unter allen Umstaenden
aber war diese Politik konsequent und suchte das auch von Augustus verfolgte
Ziel in klarerer und verstaendigerer Weise zu erreichen.
Von diesem Standpunkt aus versteht man, weshalb Corbulo und Quadratus,
statt den Euphrat zu ueberschreiten, mit Vologasos Verhandlungen anknuepften und
nicht minder, dass dieser, ohne Zweifel von den wirklichen Absichten der Roemer
unterrichtet, sich dazu verstand, in aehnlicher Weise wie sein Vorgaenger den
Roemern sich zu beugen und ihnen als Friedenspfand eine Anzahl dem koeniglichen
Hause nahestehender Geiseln zu ueberliefern. Die stillschweigend vereinbarte
Gegenleistung dafuer war die Duldung der Herrschaft des Tiridates ueber Armenien
und die Nichtaufstellung eines roemischen Praetendenten. So gingen einige Jahre
in faktischem Friedensstand hin. Aber da Vologasos und Tiridates sich nicht dazu
verstanden, um die Belehnung des letzteren mit Armenien bei der roemischen
Regierung einzukommen ^32, ergriff Corbulo im Jahre 58 gegen Tiridates die
Offensive. Eben die Politik des Zurueckweichens und Nachgehens bedurfte, wenn
sie bei Freund und Feind nicht als Schwaeche erscheinen sollte, der Folie, also
entweder der foermlichen und feierlichen Anerkennung der roemischen Obergewalt
oder besser noch des mit den Waffen gewonnenen Sieges.
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^32 Noch nach dem Angriff beschwerte Tiridates sich, cur datis nuper
obsidibus redintegrataque amicitia . . . vetere Armeniae possessione
depelleretur, und Corbulo stellte ihm, falls er sich bittweise an den Kaiser
wende, ein regnum stabile in Aussicht (Tac. ann. 12 37). Auch anderswo wird als
der eigentliche Kriegsgrund die Weigerung des Lehnseides bezeichnet (Tac. ann.
12, 34).
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Im Sommer des Jahres 58 fuehrte Corbulo eine leidlich schlagfaehige Armee
von mindestens 30000 Mann ueber den Euphrat. Die Reorganisation und die
Abhaertung der Truppen wurde durch die Kampagne selbst vollendet und das erste
Winterquartier auf armenischem Boden genommen. Im Fruehjahr 59 ^33 begann er den
Vormarsch in der Richtung auf Artaxata. Zugleich brachen in Armenien von Norden
her die Iberer ein, deren Koenig Pharasmanes, um seine eigenen Frevel zu
bedecken, seinen Sohn Rhadamistos hatte hinrichten lassen und nun weiter bemueht
war, durch gute Dienste seine Verschuldung in Vergessenheit zu bringen; nicht
minder ihre nordwestlichen Nachbarn, die tapferen Moscher, von Sueden Koenig
Antiochos von Kommagene. Koenig Vologasos war durch den Aufstand der Hyrkaner an
der entgegengesetzten Seite des Reiches festgehalten und konnte oder wollte in
den Kampf nicht unmittelbar eingreifen. Tiridates leistete mutigen Widerstand;
aber er vermochte nichts gegen die erdrueckende Uebermacht. Vergeblich versuchte
er sich auf die Verbindungslinien der Roemer zu werfen, die ihre Beduerfnisse
ueber das Schwarze Meer und den Hafen von Trapezus bezogen. Die Burgen Armeniens
fielen unter den Angriffen der stuermenden Roemer, und die Besatzungen wurden
bis auf den letzten Mann niedergemacht. In einer Feldschlacht unter den Mauern
von Artaxata geschlagen, gab Tiridates den ungleichen Kampf auf und ging zu den
Parthern. Artaxata ergab sich und hier, im Herzen von Armenien, ueberwinterte
das roemische Heer. Im Fruehjahr 60 brach Corbulo von dort auf, nachdem er die
Stadt niedergebrannt hatte, und marschierte quer durch das Land auf dessen
zweite Hauptstadt Tigranokerta oberhalb Nisibis im Tigrisgebiet. Der Schrecken
ueber die Zerstoerung Artaxatas ging ihm voraus; ernstlicher Widerstand wurde
nirgends geleistet; auch Tigranokerta oeffnete dem Sieger freiwillig die Tore,
der hier in wohlberechneter Weise die Gnade walten liess. Tiridates machte noch
einen Versuch, zurueckzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen, wurde aber ohne
besondere Anstrengung abgewiesen. Am Ausgang des Sommers 60 war ganz Armenien
unterworfen und stand zur Verfuegung der roemischen Regierung.
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^33 Der Bericht bei Tacitus (ann. 13, 34-41) umfasst ohne Zweifel die
Kampagnen der Jahre 58 und 59, da Tacitus unter dem Jahr 59 von dem armenischen
Feldzug schweigt, unter dem Jahr 60 aber (ann. 14, 23) unmittelbar an 13, 41
anknuepft und offenbar nur einen einzigen Feldzug schildert, ueberhaupt, wo er
in dieser Weise zusammenfasst, in der Regel antizipiert. Dass der Krieg nicht
erst 59 angefangen haben kann, bestaetigt weiter die Tatsache, dass Corbulo die
Sonnenfinsternis vom 30. April 59 auf armenischem Boden beobachtete (Plin. nat.
2, 70, 180); waere er erst 59 eingerueckt, so konnte er so frueh im Jahre kaum
die feindliche Grenze ueberschritten haben. Einen Jahreinschnitt zeigt die
Erzaehlung des Tacitus (ann. 13, 34-41) an sich nicht, wohl aber laesst sie bei
seiner Art zu berichten die Moeglichkeit zu dass das erste Jahr mit dem
Ueberschreiten des Euphrat und der Festsetzung in Armenien verging, also der c.
35 erwaehnte Winter der des Jahres 58/59 ist, zumal da bei der Beschaffenheit
des Heeres eine derartige Kriegseinleitung wohl am Platze und bei dem kurzen
armenischen Sommer es militaerisch zweckmaessig war, den Einmarsch und die
eigentliche Kriegfuehrung also zu trennen.
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Es ist begreiflich, dass man in Rom jetzt von Tiridates absah. Der Prinz
Tigranes, ein Urenkel von vaeterlicher Seite Herodes' des Grossen, von
muetterlicher des Koenigs Archelaos von Kappadokien, auch dem alten armenischen
Koenigshause von weiblicher Seite verwandt und ein Neffe eines der ephemeren
Herrscher Armeniens aus den letzten Jahren des Augustus, in Rom erzogen und
durchaus ein Werkzeug der roemischen Regierung, wurde jetzt (60) von Nero mit
dem Koenigreich Armenien belehnt und auf des Kaisers Befehl von Corbulo in die
Herrschaft eingesetzt. Im Lande blieb roemische Besatzung, 1000 Legionarier und
drei- bis viertausend Reiter und Infanterie der Auxilien. Ein Teil der
Grenzlandschaften ward von Armenien abgetrennt und verteilt unter die
benachbarten Koenige Polemon von Pontus und Trapezus, Aristobulos von Klein-
Armenien, Pharasmanes von Iberien und Antiochos von Kommagene. Dagegen rueckte
der neue Herr von Armenien, natuerlich mit Einwilligung der Roemer, in die
angrenzende parthische Provinz Adiabene ein, schlug den dortigen Statthalter
Monobazos und schien auch diese Landschaft vom parthischen Staat abreissen zu
wollen.
Diese Wendung der Dinge noetigte die parthische Regierung, aus ihrer
Passivitaet herauszutreten; es handelte sich nun nicht mehr um die
Wiedergewinnung Armeniens, sondern um die Integritaet des Parthischen Reiches.
Die lange drohende Kollision zwischen den beiden Grossstaaten schien
unvermeidlich. Vologasos bestaetigte in einer Versammlung der Grossen des
Reiches den Tiridates wiederholt als Koenig von Armenien und sandte mit ihm den
Feldherrn Monaeses gegen den roemischen Usurpator des Landes, der in
Tigranokerta, welches die roemischen Truppen besetzt hielten, von den Parthern
belagert ward. Vologasos selbst zog die parthische Hauptmacht in Mesopotamien
zusammen und bedrohte (Anfang 61) Syrien. Corbulo, der nach Quadratus' Tode zur
Zeit in Kappadokien wie in Syrien das Kommando fuehrte, aber von der Regierung
die Ernennung eines anderen Statthalters fuer Kappadokien und Armenien erbeten
hatte, sandte vorlaeufig zwei Legionen nach Armenien, um Tigranes Beistand zu
leisten, waehrend er selbst an den Euphrat rueckte, um den Partherkoenig zu
empfangen. Indes es kam wieder nicht zum Schlagen, sondern zum Vertrag.
Vologasos, wohl wissend, wie gefaehrlich das beginnende Spiel sei, erklaerte
sich jetzt bereit, auf die vor dem Ausbruch des armenischen Krieges von den
Roemern vergeblich angebotenen Bedingungen einzugehen und die Belehnung des
Bruders durch den roemischen Kaiser zu gestatten. Corbulo ging auf den Vorschlag
ein. Er liess den Tigranes fallen, zog die roemischen Truppen aus Armenien
zurueck und liess es geschehen, dass Tiridates daselbst sich festsetzte,
waehrend die parthischen Hilfstruppen ebenfalls abzogen; dagegen schickte
Vologasos eine Gesandtschaft an die roemische Regierung und erklaerte die
Bereitwilligkeit seines Bruders, das Land von Rom zu Lehen zu nehmen.
Diese Massnahmen Corbulos waren bedenklicher Art ^34 und fuehrten zu einer
ueblen Verwicklung. Der roemische Feldherr mag wohl mehr noch als die
Staatsmaenner in Rom von der Nutzlosigkeit des Festhaltens von Armenien
durchdrungen gewesen sein; aber nachdem die roemische Regierung den Tigranes als
Koenig von Armenien eingesetzt hatte, durfte er nicht von sich aus auf die
frueher gestellten Bedingungen zurueckgreifen, am wenigsten seine eigenen
Eroberungen preisgeben und die roemischen Truppen aus Armenien zurueckziehen. Er
war dazu um so weniger berechtigt, als er Kappadokien und Armenien nur
interimistisch verwaltete und selbst der Regierung erklaert hatte, dass er nicht
imstande sei, zugleich dort und in Syrien das Kommando zu fuehren; woraufhin der
Konsular Lucius Caesennius Paetus zum Statthalter von Kappadokien ernannt und
auch dorthin bereits unterwegs war. Der Verdacht ist kaum abzuweisen, dass
Corbulo diesem die Ehre der schliesslichen Unterwerfung Armeniens nicht goennte
und durch den faktischen Friedensschluss mit den Parthern vor seinem Eintreffen
ein Definitivum herzustellen wuenschte. Die roemische Regierung lehnte denn auch
die Antraege des Vologasos ab und bestand auf der Festhaltung Armeniens, das,
wie der neue, im Laufe des Sommers 61 in Kappadokien eingetroffene Statthalter
erklaerte, sogar in unmittelbare roemische Verwaltung genommen werden sollte. Ob
die roemische Regierung in der Tat sich entschlossen hatte, so weit zu gehen,
ist nicht auszumachen; aber es lag dies allerdings in der Konsequenz ihrer
Politik. Die Einsetzung eines von Rom abhaengigen Koenigs war nur die
Verlaengerung des bisherigen unhaltbaren Zustandes; wer die Abtretung Armeniens
an die Parther nicht wollte, musste die Umwandlung des Koenigreichs in eine
roemische Provinz ins Auge fassen. Der Krieg hatte also seinen Fortgang; es
wurde darum auch eine der moesischen Legionen dem kappadokischen Heer zugesandt.
Als Paetus eintraf, lagerten die beiden von Corbulo ihm zugewiesenen Legionen
diesseits des Euphrat in Kappadokien; Armenien war geraeumt und musste wieder
erobert werden. Paetus ging sofort an das Werk, ueberschritt bei Melitene
(Malatia) den Euphrat, rueckte in Armenien ein und bezwang die naechsten Burgen
an der Grenze. Indes die vorgerueckte Jahreszeit noetigte ihn bald, die
Operationen einzustellen und auf die beabsichtigte Wiederbesetzung Tigranokertas
fuer dies Jahr zu verzichten; doch nahm er, um im naechsten Fruehjahr den Marsch
sogleich wieder aufzunehmen, nach Corbulos Beispiel die Winterquartiere in
Feindesland bei Rhandeia, an einem Nebenfluss des Euphrat, dem Arsanias, unweit
des heutigen Charput, waehrend der Tross und die Weiber und Kinder unweit davon
in dem festen Kastell Arsamosata untergebracht wurden. Aber er hatte die
Schwierigkeit des Unternehmens unterschaetzt. Die eine und die beste seiner
Legionen, die moesische, war noch auf dem Marsch und ueberwinterte diesseits des
Euphrat im pontischen Gebiet; die beiden anderen waren nicht diejenigen, welche
Corbulo kriegen und siegen gelehrt hatte, sondern die frueheren syrischen des
Quadratus, unvollzaehlig und ohne durchgreifende Reorganisation kaum brauchbar.
Dabei stand er nicht wie Corbulo den Armeniern allein, sondern der Hauptmasse
der Parther gegenueber; Vologasos hatte, als es mit dem Kriege Ernst ward, den
Kern seiner Truppen aus Mesopotamien nach Armenien gefuehrt und den
strategischen Vorteil, dass er die inneren und kuerzeren Linien beherrschte,
verstaendig zur Geltung gebracht. Corbulo haette, zumal da er den Euphrat
ueberbrueckt und am anderen Ufer Brueckenkoepfe angelegt hatte, diesen Abmarsch
durch einen rechtzeitigen Einfall in Mesopotamien wenigstens erschweren oder
doch wettmachen koennen; aber er ruehrte sich nicht aus seinen Stellungen und
ueberliess es Paetus, sich der Gesamtmacht der Feinde zu erwehren, wie er
konnte. Dieser war weder selber Militaer noch bereit, militaerischen Rat
anzunehmen und zu befolgen, nicht einmal ein Mann von entschlossenem Charakter,
uebermuetig und ruhmredig im Anlauf, verzagt und kleinmuetig gegenueber dem
Misserfolg. Also kam, was kommen musste. Im Fruehling 62 griff nicht Paetus an,
sondern Vologasos; die vorgeschobenen Truppen, welche den Parthern den Weg
verlegen sollten, wurden von der Uebermacht erdrueckt; der Angriff verwandelte
sich rasch in eine Belagerung der roemischen weit auseinandergezogenen
Stellungen in dem Winterlager und dem Kastell. Die Legionen konnten weder
vorwaerts noch zurueck; die Soldaten desertierten massenweise; die einzige
Hoffnung ruhte auf Corbulos fern im noerdlichen Syrien, ohne Zweifel bei Zeugma,
untaetig lagernden Legionen. In die Schuld der Katastrophe teilten sich beide
Generale, Corbulo wegen des verspaeteten Aufbruchs zur Hilfe ^35, obwohl er
dann, als er den ganzen Umfang der Gefahr erkannte, den Marsch nach Moeglichkeit
beschleunigte, Paetus, weil er den kuehnen Entschluss, lieber unterzugehen als
zu kapitulieren, nicht zu fassen vermochte und damit die nahe Rettung
verscherzte; noch drei Tage laenger und die 5000 Mann, welche Corbulo
heranfuehrte, haetten die ersehnte Hilfe gebracht. Die Bedingungen der
Kapitulation waren freier Abzug fuer die Roemer und Raeumung Armeniens unter
Auslieferung aller von ihnen besetzten Kastelle und aller in ihren Haenden
befindlichen Vorraete, deren die Parther dringend benoetigt waren. Dagegen
erklaerte Vologasos sich bereit, trotz dieses militaerischen Erfolges Armenien
als roemisches Lehen fuer den Bruder von der kaiserlichen Regierung zu erbitten
und deswegen Gesandte an Nero zu senden ^36. Die Maessigung des Siegers kann
darauf beruhen, dass er von Corbulos Annaehern bessere Kunde hatte als die
eingeschlossene Armee; aber wahrscheinlicher lag dem vorsichtigen Mann gar
nichts daran, die Katastrophe des Crassus zu erneuern und wiederum roemische
Adler nach Ktesiphon zu bringen. Die Niederlage einer roemischen Armee, das
wusste er, war nicht die Ueberwaeltigung Roms und die reale Konzession, welche
in der Anerkennung des Tiridates lag, ward durch die Nachgiebigkeit in der Form
nicht allzu teuer erkauft.
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^34 Aus der Darstellung des Tacitus (ann. 15, 6) sieht die Parteilichkeit
und die Verlegenheit deutlich heraus. Die Auslieferung Armeniens an Tiridates
auszusprechen, wagt er nicht und laesst sie den Leser nur schliessen.
^35 Das sagt Tacitus selbst (arm. 15, 10): nec a Corbulone properatum, quo
gliscentibus periculis etiam subsidii laus augeretur, in naiver Unbefangenheit
ueber den schweren Tadel, den dieses Lob in sich traegt. Wie parteiisch der
ganze, auf Corbulos Depeschen beruhende Bericht gehalten ist, beweist unter
anderem, dass dem Paetus in einem Atem die ungenuegende Verproviantierung des
Lagers (15, 8) und die Uebergabe desselben trotz reichlicher Vorraete (15 16)
zum Vorwurf gemacht und die letztere Tatsache daraus geschlossen wird, dass die
abziehenden Roemer die nach der Kapitulation den Parthern auszuliefernden
Vorraete lieber zerstoerten. Wie die Erbitterung gegen Tiberius in der
Schoenfaerberei des Germanicus, so hat die gegen Nero in der des Corbulo ihren
Ausdruck gefunden.
^36 Corbulos Angabe, dass Paetus in Gegenwart seiner Soldaten und der
parthischen Abgesandten sich eidlich verpflichtet habe, bis zum Eintreffen der
Antwort Neros keine Truppen nach Armenien zu schicken, erklaert Tacitus (ann.
15, 16) fuer unglaubwuerdig; der Sachlage entspricht sie, und es ist auch nicht
dagegen gehandelt worden.
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Die roemische Regierung lehnte das Anerbieten des Partherkoenigs abermals
ab und befahl die Fortsetzung des Krieges. Sie konnte nicht wohl anders; war die
Anerkennung des Tiridates vor dem Wiederbeginn des Krieges bedenklich und nach
der parthischen Kriegserklaerung kaum annehmbar, so erschien sie jetzt, als
Konsequenz der Kapitulation von Rhandeia, geradezu als deren Ratifikation. Von
Rom aus wurde die Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Parther in energischer
Weise betrieben. Paetus wurde abberufen; Corbulo, in dem die durch die
schimpfliche Kapitulation erregte oeffentliche Meinung nur den Besieger
Armeniens sah und den auch die, welche die Sachlage genau kannten und scharf
beurteilten, nicht umhin konnten, als den faehigsten und fuer diesen Krieg
einzig geeigneten Feldherrn zu bezeichnen, uebernahm wieder die
Statthalterschaft von Kappadokien, aber zugleich das Kommando ueber saemtliche
fuer diesen Feldzug verwendbare Truppen, welche noch weiter durch eine siebente,
aus Pannonien herbeigerufene Legion verstaerkt wurden; demnach wurde alle
Statthalter und Fuersten des Orients angewiesen, in militaerischen
Angelegenheiten seinen Anordnungen Folge zu leisten, so dass seine Amtsgewalt
derjenigen, welche den Kronprinzen Gaius und Germanicus fuer ihre Sendungen in
den Orient beigelegt worden war, ziemlich gleichkam. Wenn diese Massregeln eine
ernste Reparation der roemischen Waffenehre herbeifuehren sollten, so verfehlten
sie ihren Zweck. Wie Corbulo die Sachlage ansah, zeigte schon das Abkommen, das
er nicht lange nach der Katastrophe von Rhandeia mit dem Partherkoenig traf:
dieser zog die parthischen Besatzungen aus Armenien zurueck, die Roemer raeumten
die auf mesopotamischem Gebiet zum Schutz der Bruecken angelegten Kastelle. Fuer
die roemische Offensive waren die parthischen Besatzungen in Armenien ebenso
gleichgueltig wie die Euphratbruecken wichtig; sollte dagegen Tiridates als
roemischer Lehnskoenig in Armenien anerkannt werden, so waren allerdings die
letzteren ueberfluessig und parthische Besatzungen in Armenien unmoeglich. Im
naechsten Fruehjahr 63 schritt Corbulo allerdings zu der ihm anbefohlenen
Offensive und fuehrte die vier besten seiner Legionen bei Melitene ueber den
Euphrat gegen die in der Gegend von Arsamosata stehende parthisch-armenische
Hauptmacht. Aber aus dem Schlagen ward nicht viel; nur einige Schloesser
armenischer, antiroemisch gesinnter Adliger wurden zerstoert. Dagegen fuehrte
auch diese Begegnung zum Vertragen. Corbulo nahm die frueher von seiner
Regierung zurueckgewiesenen parthischen Antraege an und zwar, wie der weitere
Verlauf der Dinge zeigte, in dem Sinne, dass Armenien ein fuer allemal eine
parthische Sekundogenitur ward und die roemische Regierung, wenigstens nach dem
Geiste des Abkommens, darauf einging, diese Krone in Zukunft nur an einen
Arsakiden zu verleihen. Hinzugefuegt wurde nur, dass Tiridates sich verpflichten
solle, in Rhandeia, eben da, wo die Kapitulation geschlossen worden war,
oeffentlich unter den Augen der beiden Armeen das koenigliche Diadem vom Haupte
zu nehmen und es vor dem Bildnis des Kaisers niederzulegen, gelobend, es nicht
wieder aufzusetzen, bevor er es aus seiner Hand und zwar in Rom selbst empfangen
haben werde. So geschah es (63). Durch diese Demuetigung wurde daran nichts
geaendert, dass der roemische Feldherr, statt den ihm aufgetragenen Krieg zu
fuehren, auf die von seiner Regierung verworfenen Bedingungen Frieden schloss
^37. Aber die frueher leitenden Staatsmaenner waren inzwischen gestorben oder
zurueckgetreten und das persoenliche Regiment des Kaisers dafuer installiert,
und auf das Publikum und vor allem auf den Kaiser persoenlich verfehlte der
feierliche Akt in Rhandeia und das in Aussicht gestellte Schaugepraenge der
Belehnung des parthischen Fuersten mit der Krone von Armenien in der
Reichshauptstadt seine Wirkung nicht. Der Friede wurde ratifiziert und erfuellt.
Im Jahre 66 erschien der parthische Fuerst versprochenermassen in Rom, geleitet
von 3000 parthischen Reitern, als Geiseln die Kinder der drei Brueder so wie die
des Monobazos von Adiabene heranfuehrend. Er begruesste kniefaellig seinen auf
dem Markte der Hauptstadt auf dem Kaiserstuhl sitzenden Lehnsherrn und hier
knuepfte dieser ihm vor allem Volke die koenigliche Binde um die Stirn.
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^37 Da nach Tacitus (ann. 15, 25; vgl. Dio 62, 22) Nero die Gesandten des
Vologasos wohlwollend entliess und die Moeglichkeit einer Verstaendigung, wenn
Tiridates persoenlich erscheine, durchblicken liess, so kann Corbulo in diesem
Fall nach seinen Instruktionen gehandelt haben; aber eher moechte dies zu den im
Interesse Corbulos hinzugesetzten Wendungen gehoeren. Dass bei dem Prozess, der
diesem einige Jahre nachher gemacht ward, diese Vorgaenge zur Sprache gekommen
sind, ist wahrscheinlich nach der Notiz, dass einer der Offiziere von der
armenischen Kampagne sein Anklaeger wurde. Die Identitaet des Kohortenpraefekten
Arrius Varus bei Tacitus (ann. 13, 9) und des Primipilen (hist. 3, 6) ist mit
Unrecht bestritten worden; vgl. zu CIL V, 867.
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Die von beiden Seiten zurueckhaltende, man moechte sagen friedliche
Fuehrung des letzten, nominell zehnjaehrigen Krieges und der entsprechende
Abschluss desselben durch den faktischen Uebergang Armeniens an die Parther
unter Schonung der Suszeptibilitaeten des maechtigeren Westreiches trug gute
Frucht. Armenien war unter der nationalen von den Roemern anerkannten Dynastie
mehr von ihnen abhaengig als frueher unter den dem Lande aufgedrungenen
Herrschern. Wenigstens in der zunaechst an den Euphrat grenzenden Landschaft
Sophene blieb roemische Besatzung ^38. Fuer die Wiederherstellung von Artaxata
wurde die Erlaubnis des Kaisers erbeten und gewaehrt, und der Bau von Kaiser
Nero mit Geld und Arbeitern gefoerdert. Zwischen den beiden maechtigen Staaten,
die der Euphrat voneinander schied, hat zu keiner Zeit ein gleich gutes
Verhaeltnis bestanden wie nach dem Abschluss des Vertrages von Rhandeia in den
letzten Jahren Neros und weiter unter den drei Herrschern des Flavischen Hauses.
Noch andere Umstaende trugen dazu bei. Die transkaukasischen Voelkermassen,
vielleicht gelockt durch ihre Beteiligung an den letzten Kriegen, waehrend
welcher sie als Soeldner teils der Iberer, teils der Parther den Weg nach
Armenien gefunden hatten, fingen damals an, vor allem die westlichen parthischen
Provinzen, aber zugleich die oestlichen des Roemischen Reiches zu bedrohen.
Wahrscheinlich um ihnen zu wehren, wurde unmittelbar nach dem Armenischen Kriege
im Jahre 63 die Einziehung des sogenannten Pontischen Koenigreichs verfuegt, das
heisst der Suedostecke der Kueste des Schwarzen Meeres mit der Stadt Trapezus
und dem Phasisgebiet. Die grosse orientalische Expedition, welche Kaiser Nero
eben anzutreten im Begriff war, als ihn die Katastrophe ereilte (68), und fuer
welche er bereits die Kerntruppen des Westens teils nach Aegypten, teils an die
Donau in Marsch gesetzt hatte, sollte freilich auch nach anderen Seiten hin die
Reichsgrenze vorschieben ^39; aber der eigentliche Zielpunkt waren die
Kaukasuspaesse oberhalb Tiflis und die am Nordabhang ansaessigen skythischen
Staemme, zunaechst die Alanen ^40. Eben diese berannten einerseits Armenien,
andererseits Medien. Jene Neronische Expedition richtete sich so wenig gegen die
Parther, dass sie vielmehr aufgefasst werden konnte als diesen zur Hilfe
unternommen; den wilden Horden des Nordens gegenueber war fuer die beiden
Kulturstaaten des Westens und des Ostens gemeinsame Abwehr allerdings angezeigt.
Vologasos lehnte freilich die freundschaftliche Aufforderung seines roemischen
Kollegen, ihn ebenso wie der Bruder in Rom zu besuchen, in gleicher
Freundschaftlichkeit ab, da ihn keineswegs geluestete, auch seinerseits als
Lehnstraeger des roemischen Herrschers auf dem roemischen Markt zu figurieren;
aber er erklaerte sich bereit, dem Kaiser sich vorzustellen, wenn dieser im
Orient eintreffen werde, und nicht die Roemer, aber wohl die Orientalen haben
Nero aufrichtig betrauert. Koenig Vologasos richtete an den Senat offiziell das
Ersuchen, Neros Gedaechtnis in Ehren zu halten, und als spaeterhin ein Pseudo-
Nero auftrat, fand er vor allem im Partherstaat Sympathien.
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^38 In Ziata (Charput) haben sich zwei Inschriften eines Kastells gefunden,
welches eine der von Corbulo ueber den Euphrat gefuehrten Legionen, die 3.
Gallica, dort auf Corbulos Geheiss im Jahre 64 anlegte (Eph. epigr. V, p. 25).
^39 Nero beabsichtigte inter reliqua bella auch einen aethiopischen (Plin.
nat. 6, 29, 182, vgl. 184). Darauf beziehen sich die Truppensendungen nach
Alexandreia (Tac. hist. 1, 31, 70).
^40 Als Zielpunkt der Expedition bezeichnen sowohl Tacitus (hist. 1, 6) wie
Sueton (Nero 19) die kaspischen Tore, d. h. den Kaukasuspass zwischen Tiflis und
Wladi-Kawkas bei Darial, welchen nach der Sage Alexander mit eisernen Pforten
schloss (Plin. nat. 6, 11, 30; Ios. bel. Iud. 7, 7, 4; Prok. Pers. 1, 10).
Sowohl nach dieser Lokalitaet wie nach der ganzen Anlage der Expedition kann
dieselbe unmoeglich gegen die Albaner am westlichen Ufer des Kaspischen Meeres
sich gerichtet haben; hier sowohl wie an einer anderen Stelle (arm. 2, 68: ad
Armenios, inde Albanos Heniochosque) koennen nur die Alanen gemeint sein, die
bei Josephus a. a. O. und sonst eben an dieser Stelle erscheinen und oefter mit
den kaukasischen Albanern verwechselt worden sind. Verwirrt ist freilich auch
der Bericht des Josephus. Wenn hier die Alanen mit Genehmigung des Koenigs der
Hyrkaner durch die kaspischen Tore in Medien und dann in Armenien einfallen, so
hat der Schreiber an das andere kaspische Tor oestlich von Rhagae gedacht; aber
dies wird sein Versehen sein, da der letztere im Herzen des Parthischen Reichs
gelegene Pass unmoeglich das Ziel der Neronischen Expedition gewesen sein kann
und die Alanen nicht am oestlichen Ufer des Kaspischen Meeres, sondern
nordwaerts vom Kaukasus sassen. Dieser Expedition wegen wurde die beste der
roemischen Legionen, die 14., aus Britannien abgerufen, die freilich nur bis
Pannonien kam (Tac. hist. 2, 11, vgl. 27. 66), und eine neue Legion, die 1.
italische, von Nero gebildet (Suet. Nero 19). Man sieht daraus, in welchem
Rahmen sie entworfen war.
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Indes war es dem Parther nicht so sehr um die Freundschaft Neros zu tun als
um die des roemischen Staates. Nicht bloss enthielt er sich waehrend der Krisen
des Vierkaiserjahres jedes Uebergriffes ^41, sondern er bot Vespasian, den
wahrscheinlichen Ausgang des schwebenden Entscheidungskampfes richtig
schaetzend, noch in Alexandreia 40000 berittene Schuetzen zum Kampfe gegen
Vitellius an, was natuerlich dankend abgelehnt ward. Vor allem aber fuegte er
sich ohne weiteres den Anordnungen, welche die neue Regierung fuer den Schutz
der Ostgrenze traf. Vespasian hatte selbst als Statthalter von Judaea die
Unzulaenglichkeit der dort staendig verwendeten Streitkraefte kennengelernt; und
als er diese Statthalterschaft mit der Kaisergewalt vertauschte, wurde nicht nur
Kommagene wieder nach dem Vorgang des Tiberius aus einem Koenigreich eine
Provinz, sondern es ward auch die Zahl der staendigen Legionen im roemischen
Asien von vier auf sieben erhoeht, auf welche Zahl sie voruebergehend fuer den
Parthischen und wieder fuer den Juedischen Krieg gebracht worden waren. Waehrend
ferner es bis dahin in Asien nur ein einziges groesseres Militaerkommando, das
des Statthalters von Syrien, gegeben hatte, wurden jetzt drei derartige
Oberbefehlshaberstellen daselbst eingerichtet. Syrien, zu dem Kommagene
hinzutrat, behielt wie bisher vier Legionen; die beiden bisher nur mit Truppen
zweiter Ordnung besetzten Provinzen Palaestina und Kappadokien wurden die erste
mit einer, die zweite mit zwei Legionen belegt ^42, Armenien blieb roemisches
Lehnsfuerstentum im Besitz der Arsakiden; aber unter Vespasian stand roemische
Besatzung jenseits der armenischen Grenze in dem iberischen Kastell Harmozika
bei Tiflis ^43, und danach muss in dieser Zeit auch Armenien militaerisch in
roemischer Gewalt gewesen sein. Alle diese Massregeln, so wenig sie auch nur
eine Kriegsdrohung enthielten, richteten die Spitze gegen den oestlichen
Nachbarn. Dennoch war Vologasos nach dem Fall Jerusalems der erste, der dem
roemischen Kronprinzen seinen Glueckwunsch zu der Befestigung der roemischen
Herrschaft in Syrien darbrachte, und die Einrichtung der Legionslager in
Kommagene, Kappadokien und Klein-Armenien nahm er ohne Widerrede hin. Ja er
regte sogar bei Vespasian jene transkaukasische Expedition wieder an und erbat
die Sendung einer roemischen Armee gegen die Alanen unter Fuehrung eines der
kaiserlichen Prinzen; obwohl Vespasian auf diesen weitaussehenden Plan nicht
einging, so kann doch jene roemische Truppe in der Gegend von Tiflis kaum zu
anderem Zweck hingeschickt worden sein als zur Sperrung des Kaukasuspasses und
vertrat insofern dort auch die Interessen der Parther. Trotz der Verstaerkung
der militaerischen Stellung Roms am Euphrat oder auch vielleicht infolge
derselben - denn dem Nachbarn Respekt einzufloessen, ist auch ein Mittel, den
Frieden zu erhalten - blieb der Friedensstand waehrend der gesamten Herrschaft
der Flavier wesentlich ungestoert. Wenn, wie das zumal bei dem steten Wechsel
der parthischen Dynasten nicht befremden kann, ab und zu Kollisionen eintraten
und selbst Kriegswolken sich zeigten, so verschwanden sie wieder ebenso rasch
^44. Das Auftreten eines falschen Nero in den letzten Jahren Vespasians - es ist
derjenige, der zu der Offenbarung Johannis den Anstoss gegeben hat - haette fast
zu einer solchen Kollision gefuehrt. Der Praetendent, in Wirklichkeit ein
gewisser Terentius Maximus aus Kleinasien, aber in Antlitz und Stimme und
Kuensten dem Saengerkaiser taeuschend aehnlich, fand nicht bloss Zulauf in dem
roemischen Gebiet am Euphrat, sondern auch Unterstuetzung bei den Parthern. Bei
diesen scheinen damals, wie so oft, mehrere Herrscher miteinander im Kampfe
gelegen und der eine von ihnen, Artabanos, weil Kaiser Titus sich gegen ihn
erklaerte, die Sache des roemischen Praetendenten aufgenommen zu haben. Indes es
hatte dies keine Folgen; vielmehr lieferte bald darauf die parthische Regierung
den Praetendenten an Kaiser Domitianus aus ^45. Der fuer beide Teile
vorteilhafte Handelsverkehr von Syrien nach dem unteren Euphrat, wo eben damals
Koenig Vologasos nicht weit von Ktesiphon das neue Emporium Vologasias oder
Vologasokerta ins Leben rief, wird das seinige dazu beigetragen haben, den
Friedensstand zu foerdern.
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^41 In welchem Zusammenhang er dem Vespasian den Kaisertitel verweigerte
(Dio 66, 11), erhellt nicht; moeglicherweise unmittelbar nach dessen
Schilderhebung, bevor er erkannt hatte, dass die Flavianer die staerkeren seien.
Seine Verwendung fuer die Fuersten von Kommagene (Ios. bel. Iud. 7, 7, 3) war
von Erfolg, also rein persoenlich, keineswegs ein Protest gegen die Umwandlung
des Koenigreichs in eine Provinz.
^42 Die vier syrischen Legionen sind die 3. Gallica, die 6. ferrata (beide
bisher in Syrien), die 4. Scythica (bisher in Moesien, aber bereits am
Parthischen wie am Juedischen Kriege beteiligt) und die 16. Flavia (neu). Die
eine Legion von Palaestina ist die 10. fretensis (bisher in Syrien). Die zwei
von Kappadokien sind die 12. fulminata (bisher in Syriern von Titus nach
Melitene gelegt. Ios. bel. Iud. 7, 1, 3) und die 15. Apollinaris (bisher in
Pannonien, aber gleich der 4. Scythica am Parthischen wie am Juedischen Kriege
beteiligt). Die Garnisonen wurden also so wenig wie moeglich gewechselt, nur
zwei der schon frueher nach Syrien gerufenen Legionen dort fest stationiert und
eine neu eingerichtete dorthin gelegt.
Nach dem juedischen Kriege unter Hadrian wurde die 6. ferrata von Syrien
nach Palaestina geschickt.
^43 In diese Zeit (vgl. CIL V, 6988) faellt auch wohl die kappadokische
Statthalterschaft des C. Rutilius Gallicus, von der es heisst (Star. silv. 1, 4,
78): hunc . . . timuit . . . Armenia et patiens Latii iam pontis Araxes,
vermutlich mit Beziehung auf einen von dieser roemischen Besatzung ausgefuehrten
Brueckenbau. Dass Gallicus unter Corbulo gedient hat, ist bei dem Stillschweigen
des Tacitus nicht wahrscheinlich.
^44 Dass, waehrend M. Ulpius Traianus, der Vater des Kaisers, Statthalter
von Syrien war, unter Vespasian im Jahre 75 Krieg am Euphrat auszubrechen
drohte, sagt Plinius in seiner Lobrede auf den Sohn c. 14, wahrscheinlich mit
starker Uebertreibung; die Ursache ist unbekannt.
^45 Es gibt datierte und mit den Individualnamen der Koenige versehene
Muenzen von (V)ologasos aus den Jahren 389 und 390 = 77-78; von Pakoros aus den
Jahren 389-394 = 77-82 (und wieder 404-407 = 92-95); von Artabanos aus dem Jahr
392 = 80/81. Die entsprechenden geschichtlichen Daten sind, bis auf die
Artabanos und Titus verknuepfende Notiz bei Zonaras (11, 18; vgl. Suet. Nero 57;
Tac. hist. 1, 2), verschollen, aber die Muenzen deuten auf eine Epoche rascher
Thronwechsel und, wie es scheint, simultaner Praegung streitender Praetendenten.
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Zu einem Konflikt kam es unter Traianus. In den frueheren Jahren seiner
Regierung hatte er in den oestlichen Verhaeltnissen nichts Wesentliches
geaendert, abgesehen von der Verwandlung der an der Grenze der syrischen Wueste
bis dahin bestehenden beiden Klientelstaaten, des nabataeischen von Petra und
des juedischen von Caesarea Paneas, in unmittelbar roemische Verwaltungsbezirke
(106). Die Beziehungen zu dem damaligen Herrscher des Partherreiches, dem Koenig
Pakoros, waren nicht die freundlichsten ^46, aber erst unter dessen Bruder und
Nachfolger Chosroes kam es zum Bruch, und zwar wiederum ueber Armenien. Die
Schuld davon trugen die Parther. Indem Traianus den erledigten armenischen
Koenigsthron dem Sohn des Pakaros, Axidares, verlieh, hielt er sich innerhalb
der Grenzen seines Rechts; aber Koenig Chosroes bezeichnete diese
Persoenlichkeit als unfaehig zu regieren und setzte eigenmaechtig einen anderen
Sohn des Pakoros, den Parthomasiris, an dessen Stelle zum Koenig ein ^47. Die
Antwort darauf war die roemische Kriegserklaerung. Gegen Ausgang des Jahres 114
^48 verliess Traianus die Hauptstadt, um sich an die Spitze der roemischen
Truppen des Ostens zu stellen, die allerdings wieder in dem tiefsten Verfall
sich befanden, aber von dem Kaiser schleunigst reorganisiert und ausserdem durch
bessere, aus Pannonien herbeigezogene Legionen verstaerkt wurden ^49. In Athen
trafen ihn Gesandte des Partherkoenigs; aber sie hatten nichts zu bieten als die
Anzeige, dass Parthomasiris bereit sei, Armenien als roemisches Lehen
entgegenzunehmen, und wurden abgewiesen. Der Krieg begann. In den ersten
Gefechten am Euphrat zogen die Roemer den kuerzeren ^50, aber als der alte
schlagfertige und sieggewohnte Kaiser im Fruehjahr des Jahres 115 selbst sich an
die Spitze der Truppen stellte, unterwarfen sich ihm die Orientalen fast ohne
Gegenwehr. Es kam hinzu, dass bei den Parthern wieder einmal der Buergerkrieg im
Gange und gegen Chosroes ein Praetendent Manisaros aufgetreten war. Von
Antiocheia aus marschierte der Kaiser an den Euphrat und weiter nordwaerts bis
zu dem noerdlichsten Legionslager Satala in Klein-Armenien, von wo aus er in
Armenien einrueckte und die Richtung auf Artaxata nahm. Unterwegs in Elegeia
erschien Parthomasiris und nahm das Diadem vom Haupte, in der Hoffnung, durch
diese Demuetigung, wie einst Tiridates, die Belehnung zu erwirken. Allein
Traianus war entschlossen, auch diesen Lehnsstaat zur Provinz zu machen und
ueberhaupt die oestliche Reichsgrenze zu verlegen. Dies erklaerte er dem
Partherfuersten vor dem versammelten Heer und wies ihn an, mit seinem Gefolge
sofort das Lager und das Reich zu raeumen; es kam darueber zu einem Auflauf, bei
welchem der Praetendent das Leben verlor. Armenien ergab sich in sein Schicksal
und wurde roemische Statthalterschaft. Auch die Fuersten der Kaukasusvoelker,
der Albaner, der Iberer, weiter gegen das Schwarze Meer der Apsiler, der
Kolcher, der Heniocher, der Lazen und anderer mehr, selbst die der
transkaukasischen Sarmaten wurden in dem Lehnsverhaeltnis bestaetigt oder jetzt
demselben unterworfen. Traianus rueckte darauf in das Gebiet der Parther ein und
besetzte Mesopotamien. Auch hier fuegte sich alles ohne Schwertstreich; Batnae,
Nisibis, Singara kamen in die Gewalt der Roemer; in Edessa nahm der Kaiser nicht
bloss die Unterwerfung des Landesherrn Abgaros entgegen, sondern auch die der
uebrigen Dynasten, und gleich Armenien wurde Mesopotamien roemische Provinz. Die
Winterquartiere nahm Traianus abermals in Antiocheia, wo ein gewaltiges Erdbeben
mehr Opfer forderte als der Feldzug des Sommers. Im naechsten Fruehjahr (116)
ging Traian, "der Parthersieger", wie der Senat ihn jetzt begruesste, von
Nisibis aus ueber den Tigris und besetzte, nicht ohne bei dem Uebergang und
nachher Widerstand zu finden, die Landschaft Adiabene; dies wurde die dritte
neue roemische Provinz, Assyria genannt. Weiter ging der Marsch den Tigris
abwaerts nach Babylonien; Seleukeia und Ktesiphon fielen in die Haende der
Roemer und mit ihnen der goldene Thronsitz des Koenigs und dessen Tochter;
Traianus gelangte bis nach der persischen Satrapie Mesene und der grossen
Kaufstadt an der Tigrismuendung Charax Spasinu. Auch dieses Gebiet scheint dem
Reich in der Weise einverleibt worden zu sein, dass die neue Provinz
Mesopotamien das gesamte von den beiden Fluessen umschlossene Gebiet umfasste.
Mit sehnsuechtigen Gedanken soll Traianus hier sich die Jugend Alexanders
gewuenscht haben, um von dem Ufersaum des Persischen Meeres aus seine Waffen in
das indische Wunderland zu tragen. Indes, er erfuhr bald, dass er sie fuer
naehere Gegner brauchte. Das grosse Partherreich hatte bisher dem Angriff kaum
ernstlich die Stirn geboten und oftmals vergeblich um Frieden gebeten. Jetzt
aber, auf dem Rueckweg in Babylon, trafen den Kaiser die Botschaften von dem
Abfall Babyloniens und Mesopotamiens; waehrend er an der Tigrismuendung
verweilte, hatte gegen ihn die gesamte Bevoelkerung dieser neuen Provinzen sich
erhoben ^51; die Buerger von Seleukeia am Tigris, von Nisibis, ja von Edessa
selbst machten die roemischen Besatzungen nieder oder verjagten sie und
schlossen ihre Tore. Der Kaiser sah sich genoetigt, seine Truppen zu teilen und
gegen die verschiedenen Herde des Aufstandes einzelne Korps zu schicken; eine
dieser Legionen unter Maximus wurde mit ihrem Feldherrn in Mesopotamien
umzingelt und niedergehauen. Doch ward der Kaiser der Insurgenten Herr,
namentlich durch den schon im Dakischen Kriege erprobten Feldherrn Lusius
Quietus, einen geborenen Maurenscheich. Seleukeia und Edessa wurden belagert und
niedergebrannt. Traianus ging so weit, Parthien zum roemischen Vasallenstaat zu
erklaeren und belehnte damit in Ktesiphon einen Parteigaenger Roms, den Parther
Parthamaspates, obwohl die roemischen Soldaten nicht mehr als den westlichen
Saum des grossen Reiches betreten hatten. Alsdann schlug er den Rueckweg nach
Syrien ein auf dem Wege, den er gekommen war, unterwegs aufgehalten durch einen
vergeblichen Angriff auf die Araber in Hatra, der Residenz des Koenigs der
tapferen Staemme der mesopotamischen Wueste, deren gewaltige Festungswerke und
prachtvolle Bauten noch heute in ihren Ruinen imponieren. Er beabsichtigte, den
Krieg im naechsten Jahre fortzusetzen, also die Unterwerfung der Parther zur
Wahrheit zu machen. Aber das Gefecht in der Wueste von Hatra, in welchem der
sechzigjaehrige Kaiser tapfer mit den arabischen Reitern sich herumgeschlagen
hatte, sollte sein letztes sein. Er erkrankte und starb auf der Heimreise (8.
August 117), ohne seinen Sieg vollenden und die Siegesfeier in Rom abhalten zu
koennen; es war in seinem Sinn, dass ihm noch nach dem Tode die Ehre des
Triumphes zuteil ward und er daher der einzige der vergoetterten roemischen
Kaiser ist, welcher auch als Gott noch den Siegestitel fuehrt.
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^46 Das beweist die abgerissene Notiz aus Arrian bei Suid. (u. d. W.
epikl/e/ma): o de Pakoros o Parthyai/o/n basile?s kai alla tina epikl/e/mata
p?phere Traian/o/ t/o/ basilei und die Aufmerksamkeit, welche in Plinius um das
Jahr 112 geschriebenem Bericht an den Kaiser (epist. ad Trai. 74) den
Beziehungen zwischen Pakoros und dem Dakerkoenig Decebalus gewidmet wird. Die
Regierungszeit dieses parthischen Koenigs laesst sich nicht genuegend fixieren.
Parthische Muenzen mit Koenigsnamen gibt es aus der ganzen Zeit Traians nicht;
die Silberpraegung scheint waehrend derselben geruht zu haben.
^47 Dass Axidares (oder Exedares) ein Sohn des Pakoros und vor
Parthomasiris Koenig von Armenien gewesen, aber durch Chosroes abgesetzt worden
war, zeigen die Truemmer des Dionischen Berichts 68, 17; und darauf fuehren auch
die beiden Arrianischen Fragmente (16 Mueller), das erste, wahrscheinlich aus
einer Ansprache eines Vertreters der Interessen des Axidares an Traian:
Axidar/e/n de oti archein chr/e/ Armenias, o? moi dokei einai se amphilogon,
worauf wohl die gegen Parthomasiris vorliegenden Beschwerden folgten, und die
Antwort, offenbar des Kaisers, dass es nicht des Axidares Sache sei, sondern
seine, ueber Parthomasiris zu richten, weil er wie es scheint Axidares - zuerst
den Vertrag gebrochen und dafuer gebuesst habe. Welche Verschuldung der Kaiser
dem Axidares zur Last legt, erhellt nicht; aber auch bei Dio sagt Chosroes, dass
er weder den Roemern noch den Parthern genuegt habe.
^48 Die Truemmer des Dionischen Berichts bei Xiphilinus und Zonaras zeigen
deutlich, dass der parthische Feldzug in zwei Kampagnen zerfaellt, die erste
(Dio 56, 17, 1 ; 18, 2; 23-25), welche durch das Konsulat des Pedo auf 115
fixiert wird (auch das Datum des Malalas p. 275 fuer das Erdbeben von Antiocheia
13. Dezember 164 der antiochenischen Aera = 115 n. Chr. stimmt ueberein), und
die zweite (Dio 26-32, 3), welche durch die zwischen April und August dieses
Jahres erfolgte (s. meine Notiz bei J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus.
Bd. 3, 2. Aufl., Gotha 1877, S. 361) Erteilung des Titels Parthicus (28, 2) auf
116 fixiert wird. Dass c. 23 die Titel Optimus (erteilt im Laufe des Jahres 114)
und Parthicus ausser der Zeitfolge erwaehnt werden, lehrt sowohl ihre
Zusammenstellung wie die spaetere Wiederkehr der zweiten Ehre. Von den
Fragmenten gehoeren die meisten in den ersten Feldzug, c. 22, 3 und wohl auch
22, 1, 2 in den zweiten.
Die imperatorischen Akklamationen stehen nicht im Wege. Traianus war
erweislich im Jahre 113 imp. VI (CIL VI, 960); im Jahre 114 imp. VII (CIL IX,
1558 und sonst); im Jahre 115 imp. IX (CIL IX, 5894 und sonst) und imp. XI
(Fabretti 398, 289 und sonst); im Jahre 116 imp. XII (CIL VIII, 621; X, 1634)
und XIII (CIL III D; XXVII). Dio bezeugt eine Akklamation aus dem Jahre 115 (68,
19) und eine aus dem Jahre 116 (68, 28); fuer beide ist reichlich Raum und kein
Grund vorhanden, gerade imp. VII auf die Unterwerfung Armeniens zu beziehen, wie
das versucht worden ist.
^49 Die drastische Schilderung der syrischen Armee Traians bei Fronto (p.
206 f. Naber) stimmt fast woertlich mit der der Armee des Corbulo bei Tac. ann.
13, 35. "Durch die lange Entwoehnung vom Kriegsdienst waren die roemischen
Truppen ueberhaupt arg heruntergekommen (ad ignaviam redactus); aber die
elendesten unter den Soldaten waren die syrischen, unbotmaessig, stoerrig, beim
Appell unpuenktlich, nicht auf dem Posten zu finden, von Mittag an betrunken;
selbst die Ruestung zu tragen ungewohnt und der Strapazen unfaehig und des einen
Waffenstueckes nach dem andern sich entledigend, halb nackt wie die Leichten und
Schuetzen. Ausserdem waren sie durch die erlittenen Schlappen so demoralisiert,
dass sie beim ersten Anblick der Parther den Ruecken wandten und die Hoerner
ihnen gleichsam galten als das Signal gebend zum Davonlaufen." In der
gegensaetzlichen Schilderung Traians heisst es unter anderm: "er ging nicht
durch die Zelte, ohne sich um den Soldaten genau zu bekuemmern, sondern zeigte
seine Verachtung gegen den syrischen Luxus und sah sich die rohe Wirtschaft der
Pannonier an (sed contemnere - so ist zu lesen - Syrorum munditias, introspicere
Pannoniorum inscitias); so beurteilte er nach der Haltung (cultus) des Mannes
seine Brauchbarkeit (ingenium)." Auch in dem orientalischen Heer des Severus
werden die "europaeischen" und die syrischen Soldaten unterschieden (Dio 75,
12).
^50 Das zeigen die mala proelia in der angefuehrten Stelle Frontos und Dios
Angabe (68, 19), dass Traianus Samosata ohne Kampf einnahm; also hatte die dort
stationierte 16. Legion es verloren.
^51 Es mag sein, dass gleichzeitig auch Armenien abgefallen ist. Aber wenn
Gutschmid (bei Dierauer in M. Buedingers Untersuchungen zur roemischen
Kaisergeschichte. Bd. 1. Leipzig 1868, S. 179) den Meherdotes und Sanatrukios,
welche Malalas als Koenige Persiens in dem Traianischen Kriege auffuehrt, zu
Koenigen des wieder abfallenden Armenien macht, so wird dies erreicht durch eine
Kette verwegener Korrekturen, die die Personen- und die Voelkernamen ebenso
verschieben wie den pragmatischen Zusammenhang umgestalten. Es finden sich
allerdings in dem verwirrten Legendenknaeuel des Malalas wohl einige historische
Tatsachen, zum Beispiel die Einsetzung des Parthamaspates (der hier Sohn des
Koenigs Chosroes von Armenien ist) zum Koenig von Parthien durch Traian; und so
moegen auch die Daten von Traians Abfahrt aus Rom im Oktober (114), seiner
Landung in Seleukeia im Dezember und seinem Einzug in Antiocheia am 7. Januar
(115) korrekt sein. Aber wie dieser Bericht vorliegt, kann der
Geschichtschreiber ihn nur ablehnen, nicht rektifizieren.
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Traianus hatte den Krieg mit den Parthern nicht gesucht, sondern er war ihm
aufgenoetigt worden; nicht er, sondern Chosroes hatte das Abkommen ueber
Armenien gebrochen, welches die letzten vierzig Jahre hindurch die Grundlage des
Friedensstandes im Euphratgebiet gewesen war. Wenn es begreiflich ist, dass die
Parther sich dabei nicht beruhigten, da die fortdauernde Lehnsherrschaft der
Roemer ueber Armenien den Stachel zur Auflehnung in sich trug, so muss man auch
andererseits anerkennen, dass auf dem bisherigen Wege nicht weitergegangen
werden konnte, als Corbulo gegangen war; der unbedingte Verzicht auf Armenien
und, was davon die notwendige Folge war, die Anerkennung des Partherstaats in
voller Gleichberechtigung liegen nun einmal ausser dem Horizont der roemischen
Politik, so gut wie die Aufhebung der Sklaverei und aehnliche zu jener Zeit
undenkbare Gedanken. Wenn aber mit dieser Alternative nicht zu dauerhaftem
Frieden gelangt werden konnte, so blieb in dem grossen Dilemma der roemischen
Orientpolitik nur die andere uebrig, die Erstreckung der unmittelbaren
roemischen Herrschaft auf das linke Ufer des Euphrat. Darum ward Armenien jetzt
roemische Provinz und nicht minder Mesopotamien. Es war das nur sachgemaess. Die
Verwandlung Armeniens aus einem roemischen Lehnsstaat mit roemischer Besatzung
in eine roemische Statthalterschaft aenderte nach aussen hin nicht viel; die
Parther konnten aus Armenien wirksam nur ausgewiesen werden, indem sie den
Besitz der benachbarten Landschaft verloren; und vor allem fand die roemische
Herrschaft wie die roemische Provinzialverfassung in dem halb griechischen
Mesopotamien einen weit guenstigeren Boden als in dem durchaus orientalischen
Armenien. Andere Erwaegungen kamen hinzu. Die roemische Zollgrenze in Syrien war
uebel beschaffen, und den internationalen Verkehr von den grossen
Handelsplaetzen Syriens nach dem Euphrat und dem Tigris ganz in die Gewalt zu
bekommen, fuer den roemischen Staat ein wesentlicher Gewinn, wie denn auch
Traianus sofort daran ging, die neuen Euphrat- und Tigriszoelle einzurichten
^52. Auch militaerisch war die Tigrisgrenze leichter zu verteidigen als die
bisherige an der syrischen Wueste und weiter am Euphrat hinlaufende Grenzlinie.
Die Umwandlung der Landschaft Adiabene jenseits des Tigris in eine roemische
Provinz, wodurch Armenien Binnenprovinz ward, und die Umgestaltung des
Parthischen Reiches selbst in einen roemischen Lehnsstaat sind Korollarien
desselben Gedankens. Es soll in keiner Weise geleugnet werden, dass bei der
Eroberungspolitik die Konsequenz ein bedenkliches Lob ist und dass Traianus nach
seiner Art bei diesen Unternehmungen dem Streben nach aeusserlichem Erfolg mehr
als billig nachgegeben und ueber das verstaendige Ziel hinausgegriffen hat; aber
es geschieht ihm Unrecht, wenn sein Auftreten im Osten auf blinde Eroberungslust
zurueckgefuehrt wird ^53. Er tat, was Caesar, wenn er gelebt haette, auch getan
haben wuerde. Seine Politik ist nur die andere Seite derjenigen der
Staatsmaenner Neros, und beide sind so entgegengesetzt wie gleich folgerichtig
und gleich berechtigt. Die Folgezeit hat mehr der erobernden Politik recht
gegeben als derjenigen der Nachgiebigkeit.
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^52 Fronto p. 209 Naber: cum praesens Traianus Euphratis et Tigridis
portoria equorum et camelorum trib[utaque ordinaret, Ma]cer (?) caesus est. Dies
geht auf den Moment, wo, waehrend Traian an der Tigrismuendung verweilte,
Babylonien und Mesopotamien abfielen.
^53 Ungefaehr mit gleichem Recht laesst Julian (Caes. p. 328) den Kaiser
sagen dass er gegen die Parther die Waffen nicht ergriffen habe, bevor sie das
Recht verletzt haetten, und wirft ihm Dio (68, 17) vor, den Krieg aus Ehrgeiz
gefuehrt zu haben.
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Fuer den Augenblick freilich kam es anders. Die orientalischen Eroberungen
Traians durchleuchten den trueben Abend des Roemerreiches wie die Blitzstrahlen
die dunkle Nacht, aber wie diese bringen sie keinen neuen Morgen. Der Nachfolger
fand sich vor die Wahl gestellt, das unfertige Werk der Unterwerfung der Parther
zu vollenden oder fallen zu lassen. Ohne bedeutende Steigerung der Armee wie des
Budgets konnte die Grenzerweiterung ueberall nicht durchgefuehrt werden; und die
damit unvermeidlich gegebene Verschiebung des Schwerpunktes nach Osten war eine
bedenkliche Staerkung des Reiches. Hadrian und Pius lenkten also voellig wieder
ein in die Bahnen der frueheren Kaiserzeit. Den roemischen Lehnskoenig von
Parthien, den Parthamaspates, liess Hadrian fallen und fand ihn in anderer Weise
ab. Er raeumte Assyrien und Mesopotamien und gab diese Provinzen freiwillig dem
frueheren Herrn zurueck. Nicht minder sandte er diesem die gefangene Tochter;
das bleibende Zeichen des gewonnenen Sieges, den goldenen Thron von Ktesiphon,
weigerte selbst der friedfertige Plus sich, den Parthern wieder auszuliefern.
Hadrianus sowohl wie Pius waren ernstlich bemueht, mit dem Nachbarn in Frieden
und Freundschaft zu leben, und zu keiner Zeit scheinen die Handelsbeziehungen
zwischen den roemischen Entrepots an der syrischen Ostgrenze und den
Kaufstaedten am Euphrat reger gewesen zu sein als in dieser Epoche.
Armenien hoerte ebenfalls auf roemische Provinz zu sein und trat in seine
fruehere Stellung zurueck als roemischer Lehnsstaat und parthische
Sekundogenitur ^54. Abhaengig blieben gleichfalls die Fuersten der Albaner und
Iberer am Kaukasus und die zahlreichen kleinen Dynasten in dem suedoestlichen
Winkel des Schwarzen Meeres ^55. Roemische Besatzungen standen nicht bloss an
der Kueste in Apsaros ^56 und am Phasis, sondern nachweislich unter Commodus in
Armenien selbst unweit Artaxata; militaerisch gehoerten alle diese Staaten zum
Sprengel des Kommandanten von Kappadokien ^57. Indes scheint diese ihrem Wesen
nach sehr unbestimmte Oberhoheit ueberhaupt, und namentlich von Hadrian ^58, in
einer Weise gehandhabt zu sein, dass sie mehr als ein Schutzrecht erschien denn
als eigentliche Untertaenigkeit, und wenigstens die maechtigeren unter diesen
Fuersten taten und liessen im wesentlichen, was ihnen gefiel. Das schon frueher
hervorgehobene gemeinsame Interesse der Abwehr der wilden transkaukasischen
Staemme trat in dieser Epoche noch bestimmter hervor und hat offenbar namentlich
zwischen Roemern und Parthern als ein Band gedient. Gegen das Ende der Regierung
Hadrians fielen die Alanen, im Einverstaendnis, wie es scheint, mit dem
damaligen Koenig von Iberien, Pharasmanes II., dem es zunaechst oblag, ihnen den
Kaukasuspass zu sperren, in die suedlichen Landschaften ein und pluenderten
nicht bloss das Gebiet der Albaner und der Armenier, sondern auch die parthische
Provinz Medien und die roemische Provinz Kappadokien; wenn es auch nicht zu
gemeinschaftlicher Kriegfuehrung kam, sondern das Gold des damals in Parthien
regierenden Herrschers Vologasos' III. und die Mobilmachung der kappadokischen
Armee von seiten der Roemer ^59 die Barbaren zur Umkehr bestimmten, so gingen
die Interessen doch zusammen und die Beschwerde, welche die Parther in Rom ueber
Pharasmanes von Iberien fuehrten, zeigt das Zusammenhalten der beiden
Grossmaechte ^60.
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^54 Unmoeglich kann Hadrian Armenien aus dem roemischen Lehnsverband
entlassen haben. Die Notiz des Biographen (c. 21): Armeniis regem habere
permisit, cum sub Traiano legatum habuissent fuehrt vielmehr auf das Gegenteil,
und wir finden am Ende der Hadrianischen Regierung im Heer des Statthalters von
Kappadokien das Kontingent der Armenier (Arr. Alan. 29). Pius hat nicht bloss
die Parther durch seine Vorstellungen bestimmt, von der beabsichtigten Invasion
Armeniens abzustehen (Vita 9), sondern auch Armenien in der Tat zu Lehen gegeben
(Muenzen aus den Jahren 140-144, Eckhel 7, S. 15). Auch dass Iberien sicher
unter Pius im Lehnsverband gestanden hat, weil sonst die Parther ueber deren
Koenig nicht haetten in Rom Beschwerde fuehren koennen (Dio 69, 15), setzt das
gleiche Lehnsverhaeltnis fuer Armenien voraus. Die Namen der armenischen Koenige
dieser Zeit sind nicht bekannt. Wenn die proximae gentes, mit deren Herrschaft
Hadrian den von Traian zum parthischen Koenig bestellten Partherfuersten
entschaedigte (vita c. 5), in der Tat die Armenier sind, was nicht
unwahrscheinlich ist, so liegt darin eine Bestaetigung sowohl der dauernden
Abhaengigkeit Armeniens von Rom wie der fortdauernden Herrschaft der Arsakiden
daselbst. Auch der A?r/e/lios Pakoros basileys megal/e/s Armenias der seinem in
Rom verstorbenen Bruder Aurelius Merithates dort ein Grabmal errichtete (CIG
6559), gehoert seinem Namen nach zu dem Haus der Arsakiden. Schwerlich aber ist
er der von Vologasos IV. ein- und von den Roemern abgesetzte Koenig von
Armenien; waere dieser gefangen nach Rom gekommen, so wuerden wir es wissen, und
es haette auch dieser kaum in einer roemischen Inschrift sich Koenig von Gross-
Armenien nennen duerfen.
^55 Als belehnt von Traianus oder Hadrianus fuehrt Arrian (peripl. m. Eux.
c. 15) auf die Heniocher und Machelonen (vgl. Dio 68,18; 71, 14); die Lazen
(vgl. Suidas u. d. W. Dometianos), denen auch Pius einen Koenig setzte (vita 9);
die Apsilen; die Absager; die Sanigen; diese alle innerhalb der bis Dioskurias =
Sebastopolis reichenden Reichsgrenze; jenseits derselben im Bereich des
bosporanischen Lehnstaats die Zicher oder Zincher (das. c. 27).
^56 Ausser Arrian (peripl. m. Eux. c. 7) bestaetigt dies der Offizier aus
hadrianischer Zeit praepositus numerorum tendentium in Ponto Absaro (CIL X,
1202).
^57 Vgl. Anm. 63. Auch das im Jahre 185 in Valarschapat (Etschmiazin)
unweit Artaxata garnisonierende Detachement wahrscheinlich von 1000 Mann (weil
unter einem Tribun) gehoerte zu einer der kappadokischen Legionen (CIL III,
6052).
^58 Hadrians Bemuehung um die Freundschaft der orientalischen Lehnsfuersten
wird oft hervorgehoben, nicht ohne Hindeutung darauf, dass er sich mehr als
billig von ihnen habe gefallen lassen (vita c. 13, 17, 21). Pharasmanes von
Iberien kam auf seine Einladung nicht nach Rom, folgte aber derjenigen des Pius
(vita Hadr. 13, 21; vita Pii 9; Dio 69, 15, 2, welches Exzerpt unter Pius
gehoert).
^59 Den merkwuerdigen Bericht des Statthalters von Kappadokien unter
Hadrian, Flavius Arrianus, ueber die Mobilmachung der kappadokischen Armee gegen
die "Skythen" besitzen wir noch unter dessen kleinen Schriften; er war selbst am
Kaukasus und besichtigte die dortigen Paesse (Lyd. mag. 3, 53).
^60 Das lehren die Truemmer des Dionischen Berichts bei Xiphilin, Zonaras
und in den Exzerpten; die richtige Lesung Alanoi statt Albanoi hat Zonaras
bewahrt; dass die Alanen auch das Albanergebiet pluenderten, ergibt die Fassung
der exc. urs. LXXII.
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Die Stoerungen des Status quo kamen wieder von parthischer Seite. Die
Oberherrlichkeit der Roemer ueber Armenien hat in der Geschichte eine aehnliche
Rolle gespielt wie die des deutschen Kaiserreiches ueber Italien; wesenlos wie
sie war, wurde sie doch stets als Uebergriff empfunden und trug die Kriegsgefahr
im Schosse. Schon unter Hadrian drohte der Konflikt; es gelang dem Kaiser, in
einer persoenlichen Zusammenkunft mit dem Partherfuersten den Friedensstand zu
wahren. Unter Pius schien abermals die parthische Invasion Armeniens
bevorzustehen; seine ernste Abmahnung war zunaechst von Erfolg. Aber selbst
dieser friedfertigste aller Kaiser, dem es mehr am Herzen lag, das Leben eines
Buergers zu sparen als tausend Feinde zu toeten, musste in der letzten Zeit
seiner Regierung sich auf den Angriff gefasst machen und die Heere des Orients
verstaerken. Kaum hatte er die Augen geschlossen (161), als sich das lange
drohende Gewitter entlud. Auf Befehl des Koenigs Vologasos IV. rueckte der
persische Feldherr Chosroes ^61 in Armenien ein und setzte den Arsakidenprinzen
Pakoros auf den Thron. Der Statthalter von Kappadokien, Severianus, tat, was
seine Pflicht war, und fuehrte seinerseits die roemischen Truppen ueber den
Euphrat. Bei Elegeia, eben da, wo ein Menschenalter zuvor der ebenfalls von den
Parthern auf den armenischen Thron gesetzte Koenig Parthomasiris sich vor Traian
vergeblich gedemuetigt hatte, stiessen die Heere aufeinander; das roemische
wurde nicht bloss geschlagen, sondern in dreitaegigem Kampfe vernichtet; der
unglueckliche Feldherr gab, wie einst Varus, sich selber den Tod. Die
siegreichen Orientalen begnuegten sich nicht mit der Einnahme Armeniens, sondern
ueberschritten den Euphrat und brachen in Syrien ein; auch das dort stehende
Heer wurde geschlagen und man fuerchtete fuer die Treue der Syrer. Die roemische
Regierung hatte keine Wahl. Da die Truppen des Orients auch bei dieser
Gelegenheit ihre geringe Schlagfaehigkeit bewiesen und ueberdies durch die
erlittene Niederlage geschwaecht und demoralisiert waren, wurden aus dem Westen,
selbst vom Rhein her weitere Legionen nach dem Osten gesandt und in Italien
selbst Aushebungen angeordnet. Der eine der beiden kurz vorher zur Regierung
gelangten Kaiser, Lucius Verus, ging selbst nach dem Orient (162), um den
Oberbefehl zu uebernehmen; und wenn er, weder kriegerisch noch auch nur
pflichttreu, sich der Aufgabe nicht gewachsen zeigte und von seinen Taten im
Orient kaum etwas anderes zu berichten ist, als dass er mit seiner Nichte
daselbst Hochzeit machte und wegen seines Theaterenthusiasmus selbst von den
Antiochenern ausgelacht ward, so fuehrten die Statthalter von Kappadokien und
von Syrien, dort zuerst Statius Priscus, dann Martius Verus, hier Avidius
Cassius ^62, die besten Generale dieser Epoche, die Sache Roms besser als der
Traeger der Krone. Noch einmal, bevor die Heere aneinander kamen, boten die
Roemer den Frieden; gern haette Marcus den schweren Krieg vermieden. Aber
Vologasos wies die billigen Vorschlaege schroff zurueck; und diesmal war der
friedfertige Nachbar auch der staerkere. Armenien wurde sofort wieder gewonnen;
schon im Jahre 163 nahm Priscus die Hauptstadt Artaxata ein und zerstoerte sie.
Nicht weit davon wurde die neue Landeshauptstadt, Kainepolis, armenisch Nor-
Khalakh oder Valarschapat (Etschmiazin), von den Roemern erbaut und mit starker
Besatzung belegt ^63. Im Jahre darauf wurde an Pakoros' Stelle Sohaemos, der
Abstammung nach auch ein Arsakide, aber roemischer Untertan und roemischer
Senator, zum Koenig von Gross-Armenien ernannt ^64. Rechtlich also aenderte in
Armenien sich nichts; doch wurden die Bande, die es an Rom knuepften, straffer
angezogen.
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^61 So heisst er bei Lukian hist. conscr. 21; wenn derselbe ihn Alex. 27
Othryades nennt, so schoepft er hier aus einem Historiker von dem Schlage derer,
welche er in jener Schrift verspottet und von denen ein anderer denselben Mann
als Oxyroes hellenisierte (hist. conscr. 18).
^62 Syrien verwaltete, als der Krieg ausbrach, L. Attidius Cornelianus (CIG
4661 vom Jahre 160; vita Marci 8; CIL III 129 vom Jahre 162), nach ihm Iulius
Verus (CIL III, 199, wahrscheinlich vom Jahre 163), alsdann Avidius Cassius,
vermutlich seit dem Jahre 164. Dass die uebrigen Provinzen des Ostens an
Cassius' Befehle gewiesen wurden (vit. soph. 1, 13; Dio 71, 3), aehnlich wie
dies bei Corbulo als Legaten von Kappadokien geschehen war, kann sich nur auf
die Zeit nach dem Abgang des Kaisers Verus beziehen; solange dieser den
nominellen Oberbefehl fuehrte, ist dafuer kein Raum.
^63 Ein wahrscheinlich Dionisches Fragment (bei Suidas unter Martios)
erzaehlt, dass Priscus in Armenien die Koin/e/ polis anlegte und mit roemischer
Besatzung versah, sein Nachfolger Martius Verus die dort entstandene nationale
Bewegung beschwichtigte und diese Stadt zur ersten Armeniens erklaerte. Dies ist
Valarschapat (Oyalasarpat oder Oyaleroktist/e/ bei Agathangelos), seitdem die
Hauptstadt Armeniens. Koin/e/ polis ist, wie mich Kiepert belehrt, schon von
Stilting erkannt als abersetzung des armenischen Ntr-Khalakh, welche zweite
Benennung Valarschapat bei den armenischen Autoren des fuenften Jahrhunderts
stets neben der gewoehnlichen fuehrt. Moses von Khorene laesst nach Bardesanes
die Stadt aus einer unter Koenig Tigran VI., der nach ihm 150-188 regiert,
hierhin gefuehrten Judenkolonie entstehen; ihre Ummauerung und Benennung fuehrt
er auf dessen Sohn Valarsch II. 188-208 zurueck. Dass die Stadt im Jahre 185
starke roemische Besatzung hatte, zeigt die Inschrift CIL III, 6052.
^64 Dass Sohaemos Achaemenide und Arsakide war (oder zu sein vorgab) und
Koenigssohn und Koenig so wie roemischer Senator und Konsul, bevor er Koenig von
Gross-Armenien ward, sagt sein Zeitgenosse Iamblichos (c. 10 des Auszugs bei
Photios). Wahrscheinlich gehoert er der Dynastenfamilie von Hemesa an (Ios. ant.
Iud. 20, 8, 4 und sonst). Wenn Iamblichos der Babylonier "unter ihm" schrieb, so
kann dies wohl nur so verstanden werden, dass er seinen Roman in Artaxata
verfasst hat. Dass Sohaemos vor Pakoros ueber Armenien geherrscht hat, wird
nirgend gesagt und ist nicht wahrscheinlich, da weder Frontos Worte (p. 127
Naber) quod Sohaemo potius quam Vologaeso regnum Armeniae dedisset aut quod
Pacorum regno privasset noch die des Fragments aus Dio (?) 71, 1: Martios
Oy/e/ros ton THoykydid/e/n ekpempei katagagein Sosimon es Arm/e/nian auf
Wiedereinsetzung fuehren, die Muenzen aber mit rex Armeniis datus (Eckhel 7, S.
91; vgl. vita Veri 7, 8) diese in der Tat ausschliessen. Den Vorgaenger des
Pakoros kennen wir nicht und wissen nicht einmal, ob der Thron, den er einnahm,
erledigt oder besetzt war.
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Ernster waren die Kaempfe in Syrien und Mesopotamien. Die Euphratlinie
wurde von den Parthern hartnaeckig verteidigt; nach einem lebhaften Gefecht am
rechten Ufer bei Sura wurde die Festung Nikephorion (Rakka) auf dem linken von
den Roemern erstuermt. Noch heftiger wurde um den Uebergang bei Zeugma
gestritten; aber auch hier blieb in der entscheidenden Schlacht bei Europos
(Djerabis, suedlich von Biredjik) den Roemern der Sieg. Sie rueckten nun
ihrerseits in Mesopotamien ein. Edessa wurde belagert, Dausara unweit davon
erstuermt; die Roemer erschienen vor Nisibis; der parthische Feldherr rettete
sich schwimmend ueber den Tigris. Die Roemer konnten von Mesopotamien aus den
Marsch nach Babylon antreten. Die Satrapen verliessen teilweise die Fahnen des
geschlagenen Grosskoenigs; Seleukeia, die grosse Kapitale der Hellenen am
Euphrat, oeffnete den Roemern freiwillig die Tore, wurde aber spaeter, weil die
Buergerschaft mit Recht oder mit Unrecht des Einverstaendnisses mit dem Feinde
beschuldigt ward, von den Roemern niedergebrannt. Auch die parthische Hauptstadt
Ktesiphon wurde genommen und zerstoert; mit gutem Grund konnte zu Anfang des
Jahres 165 der Senat die beiden Herrscher als die parthischen Grosssieger
begruessen. In dem Feldzug dieses Jahres drang Cassius sogar in Medien ein;
indes namentlich die in diesen Gegenden ausbrechende Pest dezimierte die Truppen
und noetigte zur Umkehr, beschleunigte vielleicht auch den Friedensschluss. Das
Ergebnis des Krieges war die Abtretung des westlichen Strichs von Mesopotamien:
die Fuersten von Edessa oder von Osrhoene traten in den roemischen Lehnsverband
und die Stadt Karrhae, seit langem gut griechisch gesinnt, wurde Freistadt unter
roemischem Schutz ^65. Dem Umfang nach war, zumal dem vollstaendigen
Kriegserfolg gegenueber, der Gebietszuwachs maessig, dennoch aber von Bedeutung,
insofern damit die Roemer Fuss fassten am linken Ufer des Euphrat. Im uebrigen
wurden die besetzten Gebiete den Parthern zurueckgegeben und der Status quo
wiederhergestellt. Im ganzen also gab man die zurueckhaltende, von Hadrian
aufgenommene Politik jetzt wieder auf und lenkte ein in die Bahn des Traianus.
Es ist dies um so bemerkenswerter, als der Regierung des Marcus gewiss nicht
Ehrgeiz und Vergroesserungsstreben zum Vorwurf gemacht werden kann; was sie tat,
tat sie notgedrungen und in bescheidenen Grenzen.
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^65 Dies zeigen die mesopotamischen Koenigs- und Stadtmuenzen. Berichte
ueber die Friedensbedingungen fehlen in unserer Ueberlieferung.
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Den gleichen Weg ging weiter und entschiedener Kaiser Severus. Das
Dreikaiserjahr 193 hatte zum Kriege zwischen den Legionen des Westens und denen
des Ostens gefuehrt, und mit Pescennius Niger waren diese unterlegen. Die
roemischen Lehnsfuersten des Ostens und nicht minder der Beherrscher der
Parther, Vologasos V., des Sanatrukios Sohn, hatten, wie begreiflich, den Niger
anerkannt und ihm sogar ihre Truppen zur Verfuegung gestellt; dieser hatte erst
dankend abgelehnt, dann, als seine Sache eine ueble Wendung nahm, ihre Hilfe
angerufen. Die uebrigen roemischen Lehnstraeger, vor allem der von Armenien,
hielten sich vorsichtig zurueck; nur der Fuerst von Edessa, Abgaros, sandte den
verlangten Zuzug. Die Parther versprachen Hilfe, und sie kam auch wenigstens aus
den naechsten Distrikten, von dem Fuersten Barsemias von Hatra in der
mesopotamischen Wueste und von jenseits des Tigris von dem Satrapen der
Adiabener. Auch nach Nigers Tod (194) blieben diese Fremden nicht bloss in dem
roemischen Mesopotamien, sondern forderten sogar das Herausziehen der daselbst
stehenden roemischen Besatzungen und die Rueckgabe dieses Gebiets ^66. Darauf
rueckte Severus in Mesopotamien ein und nahm die ganze ausgedehnte und wichtige
Landschaft in Besitz. Von Nisibis aus wurde eine Expedition gegen den
Araberfuersten von Hatra gefuehrt, der es indes nicht gelang, die feste Stadt zu
nehmen; auch jenseits des Tigris gegen den Satrapen von Adiabene richteten die
Generale des Severus nichts Bedeutendes aus ^67. Aber Mesopotamien, das heisst
das ganze Gebiet zwischen Euphrat und Tigris bis zum Chaboras, wurde roemische
Provinz und mit zwei dieser Gebietserweiterung wegen neu geschaffenen Legionen
belegt. Das Fuerstentum Edessa blieb als roemische Lehnsherrschaft bestehen, war
aber jetzt nicht mehr Grenzgebiet, sondern von unmittelbarem Reichsland
umschlossen. Hauptstadt der neuen Provinz und Sitz des Statthalters wurde die
ansehnliche und feste Stadt Nisibis, seitdem nach dem Namen des Kaisers genannt
und als roemische Kolonie geordnet. Nachdem also von dem Parthischen Reiche ein
wichtiger Gebietsteil abgerissen und gegen zwei von ihm abhaengige Satrapen
Waffengewalt gebraucht worden war, machte sich der Grosskoenig mit den Truppen
auf, um den Roemern entgegenzutreten. Severus bot die Hand zum Frieden und trat
fuer Mesopotamien einen Teil von Armenien ab. Indes war damit die
Waffenentscheidung nur vertagt. So wie Severus nach dem Westen aufgebrochen war,
wohin die Verwicklung mit seinem Mitherrscher in Gallien ihn abrief, brachen die
Parther den Frieden ^68 und rueckten in Mesopotamien ein; der Fuerst von
Osrhoene ward vertrieben, das Land besetzt und der Statthalter Laetus, einer der
vorzueglichsten Kriegsmaenner der Zeit, in Nisibis belagert. Er schwebte in
grosser Gefahr, als Severus, nachdem Albinus unterlegen war, im Jahre 198
abermals im Orient eintraf. Damit wendete sich das Kriegsglueck. Die Parther
wichen zurueck, und nun ergriff Severus die Offensive. Er rueckte in Babylonien
ein und gewann Seleukeia und Ktesiphon; der Partherkoenig rettete sich mit
wenigen Reitern durch die Flucht, der Kronschatz wurde die Beute der Sieger, die
parthische Hauptstadt den roemischen Soldaten zur Pluenderung preisgegeben und
ueber 100000 Gefangene auf den roemischen Sklavenmarkt gebracht. Besser freilich
als der Partherstaat selbst wehrten sich die Araber in Hatra; vergeblich
versuchte Severus in zwiefacher schwerer Belagerung, die Wuestenburg zu
bezwingen. Aber im wesentlichen war der Erfolg der beiden Feldzuege der Jahre
198 und 199 ein vollstaendiger. Durch die Einrichtung der Provinz Mesopotamien
und des grossen Kommandos daselbst verlor Armenien die Zwischenstellung, welche
es bisher gehabt hatte; es konnte in den bisherigen Verhaeltnissen verbleiben
und von der foermlichen Einverleibung abgesehen werden. Das Land behielt also
seine eigenen Truppen, und die Reichsregierung hat sogar fuer dieselben
spaeterhin einen Zuschuss aus der Reichskasse gezahlt ^69.
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^66 Der Anfang des ursinischen Exzerpts Dio 75, 1, 2 ist verwirrt. Oi
Orrs/e/noi, heisst es, kai oi Adiab/e/noi apostantes kai Nisibin poliorko?ntes
kai /e/tt/e/thentes ypo Seoy/e/roy epresbe?sano pros ayton meta ton to? Nigroy
thanaton. Osrhoene war damals roemisch, Adiabene parthisch; von wem fallen die
beiden Landschaften ab? und wessen Partei haben die Nisibener ergriffen? Dass
deren Gegner vor Absendung der Gesandtschaft von Severus geschlagen worden,
widerspricht dem Verlauf der Erzaehlung; denn weil ihre Gesandten dem Severus
ungenuegende Anerbietungen machen, ueberzieht sie dieser mit Krieg.
Wahrscheinlich ist die Unterstuetzung Nigers durch Untertanen der Parther und
deren Gemeinschaft mit Nigers roemischem Parteigaenger nun genau als Abfall von
Severus aufgefasst; dass die Leute nachher behaupten, sie haetten beabsichtigt,
vielmehr Severus zu unterstuetzen, wird deutlich als Ausflucht bezeichnet. Die
Nisibener moegen sich geweigert haben mitzutun und deshalb von den Anhaengern
Nigers angegriffen worden sein. So erklaert es sich, was auch aus dem
Xiphilinischen Auszug Dio 75, 2 erhellt, dass das linke Euphratufer fuer Severus
Feindesland war, nicht aber Nisibis; roemisch braucht die Stadt darum damals
nicht gewesen zu sein, vielmehr ist sie nach allen Spuren dies erst durch
Severus geworden.
^67 Da die Kriege gegen die Araber und die Adiabener in der Tat gegen die
Parther gerichtet waren, so war es in der Ordnung, dass dem Kaiser deswegen die
Titel Parthicus Arabicus und Parthicus Adiabenicus erteilt wurden; sie finden
sich auch, aber gewoehnlich bleibt Parthicus weg, offenbar weil, wie der
Biograph des Severus sagt (c. 9), excusavit Parthicum nomen, ne Parthos
lacesseret. Dazu stimmt die sicher in das Jahr 195 gehoerende Notiz bei Dio 75,
9, 6 ueber das friedliche Abkommen mit den Parthern und die Abtretung eines
Stueckes von Armenien an sie.
^68 Dass auch Armenien in ihre Gewalt geriet, deutet Herodian 5, 9, 2 an;
freilich ist seine Darstellung schief und fehlerhaft.
^69 Als bei dem Frieden im Jahre 218 das alte Verhaeltnis zwischen Rom und
Armenien erneuert wurde, machte der Koenig von Armenien sich Aussicht auf
Erneuerung der roemischen Jahresgelder (Dio 78, 27: to? Tiridatoy to arg?rion o
kat' etos para t/o/n R/o/mai/o/n eyrisketo elpisantos l/e/psesthai). Eigentliche
Tributzahlung der Roemer an die Armenier ist fuer die severische und die
vorseverische Zeit ausgeschlossen, stimmt auch keineswegs zu den Worten Dios;
der Zusammenhang wird der bezeichnete sein. Im 4. und 5. Jahrhundert wurde das
Kastell von Biriparach im Kaukasus, das den Darielpass sperrte, von den Persern,
die seit dem Frieden von 364 hier die Herren spielten, mit roemischem Zuschuss
unterhalten und dies ebenfalls als Tributzahlung aufgefasst (Lyd. mag. 3, 52,
53; Priscus fr. 31 Mueller).
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Die weitere Entwicklung dieser Nachbarverhaeltnisse ist bedingt durch die
Verschiebung der inneren Ordnung in den beiden Reichen. Wenn unter der Dynastie
Nervas und nicht minder unter Severus dem oft von Buergerkrieg und Thronfehde
zerrissenen Partherstaat die relativ stabile roemische Monarchie ueberlegen
gegenuebergestanden hatte, so brach diese Ordnung nach Severus' Tode zusammen,
und fast ein Jahrhundert lang folgten sich in dem Westreich meist elende und
durchaus ephemere Regenten, die dem Ausland gegenueber stetig schwankten
zwischen Uebermut und Schwaeche. Waehrend also die Schale des Westens sank,
stieg diejenige des Ostens. Wenige Jahre nach dem Tode des Severus (211) traf in
Iran eine Umwaelzung ein, welche nicht bloss, wie so viele fruehere Krisen, den
herrschenden Regenten stuerzte, nicht einmal bloss eine andere Dynastie an die
Stelle der verkommenen Arsakiden ans Regiment rief, sondern die nationalen und
religioesen Elemente zu gewaltigem Aufschwung entfesselnd an die Stelle der vom
Hellenismus durchdrungenen Bastardzivilisation des Partherstaats die
Staatsordnung, den Glauben, die Sitte und die Fuersten derjenigen Landschaft
setzte, welche das alte Perserreich geschaffen hatte und seit dessen Uebergang
an die parthische Dynastie wie die Graeber des Dareios und des Xerxes, so auch
die Keime der Wiedergeburt des Volkes in sich bewahrte. Es erfolgte die
Wiederherstellung des von Alexander niedergeworfenen Grosskoenigtums der Perser
durch das Eintreten der Dynastie der Sassaniden. Werfen wir auf diese neue
Gestaltung der Dinge einen Blick, bevor wir den Verlauf der roemisch-parthischen
Beziehungen im Orient weiter verfolgen.
Es ist schon ausgesprochen worden, dass die parthische Dynastie, obwohl in
der Tat sie Iran dem Hellenismus entrissen hatte, doch der Nation sozusagen als
illegitim galt. Artahschatr oder neupersisch Ardaschir, so berichtet die
offizielle Historiographie der Sassaniden, trat auf, um das Blut des von
Alexander ermordeten Dara zu raechen und um die Herrschaft an die legitime
Familie zurueckzubringen und sie so wieder herzustellen, wie sie zur Zeit seiner
Vorfahren, vor den Teilkoenigen gewesen war. In dieser Legende steckt ein gutes
Stueck Wirklichkeit. Die Dynastie, welche von dem Grossvater Ardaschirs, Sasan,
den Namen fuehrt, ist keine andere als die koenigliche der persischen
Landschaft; Ardaschirs Vater Papak oder Pabek ^70 und eine lange Reihe seiner
Ahnen hatten unter der Obergewalt der Arsakiden in diesem Stammlande der
iranischen Nation das Szepter gefuehrt ^71, in Istachr, unweit des alten
Persepolis, residiert und ihre Muenzen mit iranischer Sprache und iranischer
Schrift und mit den heiligen Emblemen des persischen Landesglaubens bezeichnet,
waehrend die Grosskoenige in dem halb griechischen Grenzland ihren Sitz hatten
und ihre Muenzen in griechischer Sprache und griechischer Weise praegen liessen.
Die Grundordnung des iranischen Staatensystems, das den Teilkoenigen
uebergeordnete Grosskoenigtum, ist unter den beiden Dynastien ebensowenig eine
verschiedene gewesen, wie die des Reiches Deutscher Nation unter den
saechsischen und den schwaebischen Kaisern. Nur darum wird in jener offiziellen
Version die Arsakidenzeit als die der Teilkoenige und Ardaschir als das erste
gemeinsame Haupt von ganz Iran nach dem letzten Dareios bezeichnet, weil im
alten Persischen Reich die persische Landschaft wie zu den uebrigen, so auch zu
den Parthern sich verhaelt wie im roemischen Staat Italien zu den Provinzen, und
der Perser dem Parther die Legitimation fuer das von Rechts wegen mit seiner
Landschaft verbundene Grosskoenigtum bestritt ^72.
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^70 Artaxares nennt seinen Vater Papakos in der Anm. 74 angefuehrten
Inschrift Koenig; wie damit auszugleichen ist, dass nicht bloss die einheimische
Legende (bei Agathias 2, 27) den Pabek zum Schuster macht, sondern auch der
Zeitgenosse Dion (wenn in der Tat Zon. 12, 15 diese Worte aus ihm entlehnt hat)
den Artaxares nennt ex aphan/o/n kai adox/o/n, wissen wir nicht. Natuerlich
nehmen die roemischen Schriftsteller fuer den schwachen legitimen Arsakiden
Partei gegen den gefaehrlichen Usurpator.
^71 Strabon (unter Tiberius) 15, 3, 24: n?n d'/e/d/e/ kath' ayto?s
synest/o/tes oi Persai basileas echoysin yp/e/kooys eterois basile?si, proteron
men Makedosi, n?n de Parthyaiois.
^72 Wenn Noeldeke sagt (Tabari, S. 449): "Dass die Hauptlaender der
Monarchie direkt der Krone unterworfen waren, bildete den Hauptunterschied des
Sassanidenreichs vom arsakidischen, welches in den verschiedensten Provinzen
wirkliche Koenige hatte", so wird die Macht des Grosskoenigtums ohne Zweifel
durchaus durch die Persoenlichkeit des Inhabers bedingt und unter den ersten
Sassaniden eine viel staerkere gewesen sein als unter den letzten verkommenen
Arsakiden. Aber ein prinzipieller Gegensatz ist nicht erfindlich. Von
Mithradates I. an, dem eigentlichen Gruender der Dynastie, nennt sich der
arsakidische Herrscher "Koenig der Koenige", eben wie spaeter der sassanidische,
waehrend Alexander der Grosse und die Seleukiden diesen Titel nie gefuehrt
haben. Auch unter ihnen herrschten einzelne Lehnskoenige, zum Beispiel in der
Persis (Anm. 71); aber die regelmaessige Form der Reichsverwaltung war das
Lehnskoenigtum damals nicht und die griechischen Herrscher nannten sich nicht
danach, so wenig wie die Caesaren wegen Kappadokien oder Numidien den
Grosskoenigtitel annahmen. Die Satrapen des Arsakidenstaats sind wesentlich die
Marzbanen der Sassaniden. Eher moegen die grossen Reichsaemter, welche in der
sassanidischen Staatsordnung den Oberverwaltungsstellen der Diocletianisch-
Konstantinischen Konstitution entsprechen und wahrscheinlich fuer diese das
Vorbild gewesen sind, dem Arsakidenstaat gemangelt haben; dann wuerden
allerdings beide sich aehnlich zueinander verhalten wie die Reichsordnung
Augusts zu der Konstantins. Aber wir wissen zu wenig von der Arsakidenordnung,
um dies mit Sicherheit zu behaupten.
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Wie dem Umfange nach das Sassanidenreich sich zu dem der Arsakiden
verhielt, ist eine Frage, auf die die Ueberlieferung keine genuegende Antwort
gibt. Die Provinzen des Westens sind, seit die neue Dynastie fest im Sattel
sass, saemtlich derselben untertaenig geblieben und die Ansprueche, die die
letztere gegen die Roemer erhob, gingen, wie wir sehen werden, weit hinaus ueber
die Praetensionen der Arsakiden. Aber wie weit die Herrschaft der Sassaniden
gegen den Osten gereicht hat und wann sie bis zum Oxos vorgedrungen ist, der
spaeter als die legitime Grenze zwischen Iran und Turan gilt, entzieht sich
unseren Blicken ^73.
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^73 Nach den in der arabischen Chronik des Tabari erhaltenen persischen
Aufzeichnungen aus der letzten Sassanidenzeit erobert Ardaschir, nachdem er
Ardawan eigenhaendig den Kopf abgehauen und den Titel Schahan-Schah, Koenig der
Koenige, angenommen hat, zuerst Hamadhan (Ekbatana) in Grossmedien, dann
Aserbeidschan (Atropatene), Armenien, Mosul (Adiabene); ferner Suristan oder
Sawad (Babylonien). Von da geht er nach Istachr in seine persische Heimat
zurueck und erobert dann, von neuem ausziehend, Sagistan, Gurgan (Hyrkanien),
Abraschahr (Nisapur im Partherland), Marw (Margiane), Balch (Baktra) und Charizm
(Chiwa) bis zu den aeussersten Grenzen von Chorasan. "Nachdem er viele Leute
getoetet und ihre Koepfe nach dem Feuertempel der Anahedh (in Istachr) geschickt
hatte, kehrte er von Marw nach Pars zurueck und liess sich in Gor (Feruzabad)
nieder." Wieviel hiervon Legende ist, wissen wir nicht (vgl. Noeldeke, Tabari,
S. 17, 116).
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Das Staatssystem Irans hat infolge des Eintritts der neuen Dynastie sich
nicht gerade prinzipiell umgestaltet. Die offizielle Titulatur des ersten
Sassanidenherrschers, wie sie unter dem Felsrelief von Nakschi-Rustam in drei
Sprachen gleichmaessig angegeben ist: "der Mazda-Diener Gott Artaxares, Koenig
der Koenige der Arianer, goettlicher Abstammung" ^74, ist im wesentlichen die
der Arsakiden, nur dass die iranische Nation, wie schon in der alteinheimischen
Koenigstitulatur, und der einheimische Gott jetzt ausdruecklich genannt werden.
Dass eine in der Persis heimische Dynastie an die Stelle einer urspruenglich
stammfremden und nur nationalisierten trat, war ein Werk und ein Sieg nationaler
Reaktion; aber den daraus sich ergebenden Konsequenzen setzte die Macht der
Verhaeltnisse vielfach unuebersteigliche Schranken. Persepolis oder, wie es
jetzt heisst, Istachr wird wieder dem Namen nach die Hauptstadt des Reiches, und
neben den gleichartigen des Dareios verkuenden dort auf derselben Felsenwand die
merkwuerdigen Bildwerke und noch merkwuerdigeren, eben erwaehnten Inschriften
den Ruhm Ardaschirs und Schapurs; aber die Verwaltung konnte von dieser
entlegenen Oertlichkeit aus nicht wohl gefuehrt werden, und ihr Mittelpunkt
blieb auch ferner Ktesiphon. Den rechtlichen Vorzug der Perser, wie er unter den
Achaemeniden bestanden hatte, nahm die neupersische Regierung nicht wieder auf;
wenn Dareios sich "einen Perser, Sohn eines Persers, einen Arier aus arischem
Stamm" nannte, so nannte Ardaschir sich, wie wir sahen, lediglich den Koenig der
Arianer. Ob in die grossen Geschlechter, abgesehen von dem koeniglichen,
persische Elemente neu eingefuehrt worden sind, wissen wir nicht; auf jeden Fall
sind mehrere von ihnen geblieben, wie die Suren und die Karen; nur unter den
Achaemeniden, nicht unter den Sassaniden sind dieselben ausschliesslich persisch
gewesen.
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^74 Griechisch (CIG 4675) lautet der Titel: Masdasnos; (Mazda-Diener, als
Eigenname behandelt) theos Artaxar/e/s basile?s basile/o/n Arian/o/n ek genoys
the/o/n; genau damit stimmt der Titel seines Sohnes Sapor 1. (das. 4676), nur
dass nach Arian/o/n eingeschoben ist kai Anarian/o/n, also die Erstreckung der
Herrschaft auf das Ausland hervorgehoben wird. In der Titulatur der Arsakiden,
soweit sie aus den griechischen und persischen Muenzaufschriften erhellt, kehren
theos, basile?s basile/o/n, theopat/o/r (=ek genoys the/o/n) wieder, dagegen
fehlt die Hervorhebung der Arianer und bezeichnenderweise der Mazda-Diener;
daneben erscheinen zahlreiche andere den syrischen Koenigen entlehnte Titel, wie
epiphan/e/s, nikat/o/r, , auch der roemische aytokrat/o/r.
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Auch in religioeser Beziehung trat ein eigentlicher Wechsel nicht ein; wohl
aber gewann der Glaube und gewannen die Priester unter den persischen
Grosskoenigen einen Einfluss und eine Macht, wie sie sie unter den parthischen
niemals besessen hatten. Es mag wohl sein, dass die zwiefache Propaganda fremder
Kulte gegen Iran, des Buddhatums vom Osten her und des juedisch-christlichen
Glaubens aus dem Westen, der alten Mazda-Religion eben durch die Fehde eine
Regeneration brachte. Der Stifter der neuen Dynastie, Ardaschir, war, wie
glaubhaft berichtet wird, ein eifriger Feueranbeter und nahm selbst die Weihen
des Priestertums; darum, heisst es weiter, wurde von da an der Stand der Magier
einflussreich und anmassend, waehrend er bis dahin keineswegs solche Ehre und
solche Freiheit gehabt, sondern bei den Machthabern nicht eben viel gegolten
hatte. "Seitdem ehren und verehren die Perser alle die Priester; die
oeffentlichen Angelegenheiten werden nach ihren Ratschlaegen und Orakeln
geordnet; jeder Vertrag und jeder Rechtsstreit unterliegt ihrer Aufsicht und
ihrem Urteil und nichts erscheint den Persern recht und gesetzlich, was nicht
von einem Priester bestaetigt worden ist." Dementsprechend begegnen wir einer
Ordnung der geistlichen Verwaltung, die an die Stellung des Papstes und der
Bischoefe neben dem Kaiser und den Fuersten erinnert. Jeder Kreis steht unter
einem Obermagier (Magupat, Magierherr, neupersisch Mobedh) und diese alle wieder
unter dem Obersten der Obermagier (Mobedhan-Mobedh), dem Abbild des "Koenigs der
Koenige", und er ist es jetzt, der den Koenig kroent. Die Folgen dieser
Priesterherrschaft blieben nicht aus: das starre Ritual, die beengenden
Vorschriften ueber Schuld und Suehne, die in wuestes Orakelwesen und Zauberkunst
sich aufloesende Wissenschaft haften zwar dem Parsentum von jeher an, sind aber
doch vermutlich erst in dieser Epoche zu voller Entwicklung gelangt.
Auch in dem Gebrauch der Landessprache und den Landesgebraeuchen zeigen
sich die Spuren der nationalen Reaktion. Die groesste Griechenstadt des
Partherreiches, die alte Seleukeia, blieb bestehen, aber sie heisst seitdem
nicht nach dem Namen des griechischen Marschalls, sondern nach dem ihres neuen
Herrn Beh, das heisst gut, Ardaschir. Die griechische Sprache, bisher, wenn auch
zerruettet und nicht mehr alleinherrschend, doch immer noch in Gebrauch,
verschwindet mit dem Eintritt der neuen Dynastie mit einem Schlag von den
Muenzen, und nur auf den Inschriften der ersten Sassaniden begegnet sie noch
eben und hinter der eigentlichen Landessprache. Die "Partherschrift", das
Pahlavi, behauptet sich, aber neben sie tritt eine zweite, wenig verschiedene
und zwar, wie die Muenzen beweisen, als eigentlich offizielle, wahrscheinlich
die bis dahin in der persischen Provinz gebrauchte, so dass die aeltesten
Denkmaeler der Sassaniden, aehnlich wie die der Achaemeniden, dreisprachig sind,
etwa wie im deutschen Mittelalter Lateinisch, Saechsisch und Fraenkisch
nebeneinander Anwendung gefunden haben. Nach Koenig Sapor I. (+ 272)
verschwindet die Zwiesprachigkeit und behauptet die zweite Schreibweise allein
den Platz, den Namen Pahlavi erbend. Das Jahr der Seleukiden und die dazu
gehoerigen Monatsnamen verschwinden mit dem Wechsel der Dynastie; dafuer treten
nach altem persischen Herkommen die Regentenjahre ein und die einheimischen
persischen Monatsnamen ^75. Selbst die altpersische Legende wird auf das neue
Persien uebertragen. Die noch vorhandene 'Geschichte von Ardaschir, Papaks
Sohn', welche diesen Sohn eines persischen Hirten an den medischen Hof geraten,
dort Knechtsdienste tun und dann den Befreier seines Volkes werden laesst, ist
nichts als das alte Maerchen vom Kyros auf die neuen Namen umgeschrieben. Ein
anderes Fabelbuch der indischen Parsen weiss zu berichten, wie Koenig Iskander
Rumi, das heisst "Alexander der Roemer", die heiligen Buecher Zarathustras habe
verbrennen lassen, dann aber sie hergestellt worden seien von dem frommen
Ardaviraf, als Koenig Ardaschir den Thron bestiegen habe. Hier steht der Roemer-
Hellene gegen den Perser; den arsakidischen Bastard hat die Sage, wie billig,
vergessen.
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^75 Frawardin, Ardhbehescht usw. (C. L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie.
Berlin 1831, Bd. 2, S. 515). Merkwuerdigerweise haben wesentlich dieselben
Monatsnamen sich in dem provinzialen Kalender der roemischen Provinz Kappadokien
behauptet (Ideler, Bd. 1, S. 443); sie muessen aus der Zeit herruehren, wo
dieselbe persische Satrapie war.
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Im uebrigen werden die Zustaende wesentlich die alten geblieben sein. In
militaerischer Beziehung namentlich sind die Heere auch der Sassaniden sicher
keine stehenden und geschulten Truppen gewesen, sondern das Aufgebot der
wehrfaehigen Mannschaften, in das mit der nationalen Bewegung wohl ein neuer
Geist gefahren sein mag, aber das nach wie vor im wesentlichen auf dem adligen
Rossdienst ruhte. Auch die Verwaltung blieb, wie sie war: der tuechtige
Herrscher schritt mit unerbittlicher Strenge ein gegen den Strassenraeuber wie
gegen den erpressenden Beamten und, verglichen wenigstens mit der spaeteren
arabischen und der tuerkischen Herrschaft, befanden sich die Untertanen des
Sassanidenreiches im Wohlstand und der Staatsschatz in Fuelle.
Bedeutsam aber ist die Verschiebung der Stellung des neuen Reiches
gegenueber dem roemischen. Die Arsakiden haben den Caesaren sich nie voellig
ebenbuertig gefuehlt. Wie oft auch beide Staaten in Krieg und Frieden als
gleichgewogene Maechte sich einander entgegentraten, wie entschieden die
Anschauung der doppelten Grossmacht auch den roemischen Orient beherrscht, es
bleibt der roemischen Macht ein aehnlicher Vorrang, wie ihn das Heilige
Roemische Reich Deutscher Nation lange Jahrhunderte sehr zu seinem Schaden
besessen hat. Unterwerfungsakte, wie sie gegenueber Tiberius und Nero die
parthischen Grosskoenige auf sich nahmen, ohne durch die aeusserste
Notwendigkeit dazu gezwungen zu sein, lassen sich umgekehrt nicht einmal denken.
Deutlicher noch spricht die Unterlassung der Goldpraegung. Es kann nicht Zufall
sein, dass nie unter dem Regiment der Arsakiden eine Goldmuenze geschlagen
worden ist und gleich der erste Sassanidenherrscher die Goldpraegung geuebt hat;
es ist dieselbe das greifbarste Zeichen der durch keine Vasallenpflichten
beschraenkten Souveraenitaet. Dem Anspruch des Caesarenreiches, allein die
Weltmuenze schlagen zu koennen, hatten die Arsakiden ohne Ausnahme sich
wenigstens insoweit gefuegt, dass sie selber ueberhaupt sich der Praegung
enthielten und diese in Silber und Kupfer den Staedten oder den Satrapen
ueberliessen; die Sassaniden schlugen wieder Goldstuecke, auch wie Koenig
Dareios. Das Grosskoenigtum des Ostens fordert endlich sein volles Recht; die
Welt gehoert nicht ferner den Roemern allein. Mit der Unterwuerfigkeit der
Orientalen und der Oberherrlichkeit der Okzidentalen ist es vorbei. Dem
entsprechend tritt an die Stelle der bis dahin immer wieder zum Frieden
zurueckwendenden Beziehungen zwischen Roemern und Parthern durch Generationen
die erbitterte Fehde.
Nachdem die neue Staatsordnung dargestellt worden ist, mit der das sinkende
Rom bald zu ringen haben sollte, nehmen wir den Faden der Erzaehlung wieder auf.
Severus' Sohn und Nachfolger Antoninus, kein Krieger und Staatsmann wie sein
Vater, aber von beidem eine wueste Karikatur, muss die Absicht gehabt haben,
soweit bei solchen Persoenlichkeiten ueberhaupt von Absicht geredet werden kann,
den Osten ganz in roemische Gewalt zu bringen. Es hielt nicht schwer, die
Fuersten von Osrhoene und von Armenien, nachdem sie an den kaiserlichen Hof
entboten worden waren, gefangen zu setzen und diese Lehen fuer eingezogen zu
erklaeren. Aber schon auf die Kunde hin brach in Armenien ein Aufstand aus. Der
Arsakidenprinz Tiridates wurde zum Koenig ausgerufen und rief den Schutz der
Parther an. Darauf stellte sich Antoninus an die Spitze einer grossen
Truppenmacht und erschien im Jahre 216 im Osten, um die Armenier und
noetigenfalls auch die Parther niederzuwerfen. Tiridates selbst gab sogleich
seine Sache verloren, obwohl die nach Armenien gesandte Abteilung dort nachher
noch auf heftige Gegenwehr stiess, und fluechtete zu den Parthern. Die Roemer
forderten die Auslieferung. Die Parther waren nicht geneigt, sich seinetwegen
auf einen Krieg einzulassen, um so weniger als eben damals die beiden Soehne des
Koenigs Vologasos V., Vologasos VI. und Artabanos, in erbitterter Thronfehde
lagen. Der erstere fuegte sich, als die roemische Forderung gebieterisch
wiederholt ward und lieferte den Tiridates aus. Darauf begehrte der Kaiser von
dem inzwischen zur Anerkennung gelangten Artabanos die Hand seiner Tochter zu
dem ausgesprochenen Zwecke, damit das Reich zu erheiraten und Orient und
Okzident unter eine Herrschaft zu bringen. Die Zurueckweisung dieses wuesten
Vorschlags ^76 war das Signal zum Krieg; die Roemer erklaerten ihn und
ueberschritten den Tigris. Die Parther waren unvorbereitet; ohne Widerstand zu
finden brannten die Roemer die Staedte und Doerfer in Adiabene nieder und
zerstoerten mit ruchloser Hand sogar die alten Koenigsgraeber bei Arbela ^77.
Aber fuer den naechsten Feldzug machte Artabanos die aeussersten Anstrengungen
und stellte im Fruehjahr 217 eine gewaltige Heeresmacht in das Feld. Antoninus,
der den Winter in Edessa zugebracht hatte, wurde, eben als er zu dieser zweiten
Kampagne aufbrach, von seinen Offizieren ermordet. Sein Nachfolger Macrinus,
unbefestigt im Regiment und wenig angesehen, dazu an der Spitze einer der Zucht
und Haltung entbehrenden und durch den Kaisermord erschuetterten Armee, haette
gern des mutwillig angezettelten und sehr ernsthafte Verhaeltnisse annehmenden
Krieges sich entledigt. Er schickte dem Partherkoenig die Gefangenen zurueck und
warf die Schuld fuer die begangenen Frevel auf den Vorgaenger. Aber Artabanos
war damit nicht zufrieden; er forderte Ersatz fuer alle begangene Verwuestung
und die Raeumung Mesopotamiens. So kam es bei Nisibis zur Schlacht, in der die
Roemer den kuerzeren zogen. Dennoch gewaehrten die Parther, zum Teil weil ihr
Aufgebot sich aufzuloesen Miene machte, vielleicht auch unter dem Einfluss des
roemischen Goldes, den Frieden (218) auf verhaeltnismaessig guenstige
Bedingungen: Rom zahlte eine ansehnliche Kriegsentschaedigung (50 Mill. Denare),
behielt aber Mesopotamien; Armenien blieb dem Tiridates, aber dieser nahm es von
den Roemern zum Lehen. Auch in Osrhoene wurde das alte Fuerstenhaus wieder
eingesetzt.
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^76 So erzaehlt der zuverlaessige Dio 78, 1; unbeglaubigt ist die Version
Herodians 4, 11, dass Artabanos die Tochter zusagte und bei der Verlobungsfeier
Antoninus auf die anwesenden Parther einhauen liess.
^77 Wenn an der Nennung der Kadusier in der Biographie c. 6 etwas Wahres
ist, so veranlassten die Roemer diesen wilden, der Regierung nicht botmaessigen
Stamm im Suedwesten des Kaspischen Meeres, gleichzeitig ueber die Parther
herzufallen.
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Es ist dies der letzte Friedensvertrag, den die Arsakidendynastie mit Rom
geschlossen hat. Fast unmittelbar nachher und vielleicht mit infolge dieses
Pakts, der allerdings, wie die Verhaeltnisse lagen, von den Orientalen als eine
Preisgebung der erfochtenen Siege durch die eigene Regierung angesehen werden
konnte, begann die Insurrektion, welche den Staat der Parther in einen Staat der
Perser umwandelte. Ihr Fuehrer, Koenig Ardaschir oder Artaxares (224-241),
stritt manches Jahr mit den Anhaengern der alten Dynastie, bevor er vollen
Erfolg hatte ^78; nach drei grossen Schlachten, in deren letzter Koenig
Artabanos fiel, war er im eigentlichen Partherreich Herr und konnte in die
mesopotamische Wueste einruecken, um die Araber von Hatra zu unterwerfen und von
da aus gegen das roemische Mesopotamien vorzugehen. Aber die tapferen und
unabhaengigen Araber wehrten sich, wie frueher gegen die roemische Invasion, so
jetzt gegen die Perser in ihren gewaltigen Mauern mit gutem Erfolg, und
Artaxares fand sich veranlasst, zunaechst gegen Medien und Armenien zu
operieren, wo die Arsakiden sich noch behaupteten und auch die Soehne des
Artabanos eine Zuflucht gefunden hatten. Erst um das Jahr 230 wandte er sich
gegen die Roemer und erklaerte ihnen nicht bloss den Krieg, sondern forderte
alle Provinzen zurueck, die einst zum Reich seiner Vorgaenger, des Dareios und
des Xerxes, gehoert hatten, das heisst die Abtretung von ganz Asien. Den
drohenden Worten Nachdruck zu geben, fuehrte er ein gewaltiges Heer ueber den
Euphrat; Mesopotamien wurde besetzt und Nisibis belagert; die feindlichen Reiter
zeigten sich in Kappadokien und in Syrien. Den roemischen Thron nahm damals
Severus Alexander ein, ein Herrscher, an dem nichts kriegerisch war als der Name
und fuer den in der Tat die Mutter Mamaea das Regiment fuehrte. Dringende, fast
demuetige Friedensvorschlaege der roemischen Regierung blieben ohne Wirkung; es
blieb nichts uebrig als der Gebrauch der Waffen. Die aus dem ganzen Reiche
zusammengezogenen roemischen Heeresmassen wurden geteilt: der linke Fluegel nahm
die Richtung auf Armenien und Medien, der rechte auf Mesene an der Euphrat- und
Tigrismuendung, vielleicht in der Berechnung, dort wie hier auf den Anhang der
Arsakiden sich stuetzen zu koennen; die Hauptarmee ging gegen Mesopotamien vor.
Die Truppen waren zahlreich genug, aber ohne Zucht und Haltung; ein
hochgestellter roemischer Offizier dieser Zeit bezeugt es selbst, dass sie
verwoehnt und unbotmaessig waren, sich weigerten zu kaempfen, ihre Offiziere
erschlugen und haufenweise desertierten. Die Hauptmacht kam gar nicht ueber den
Euphrat ^79, da die Mutter dem Kaiser vorstellte, dass es nicht seine Sache sei,
sich fuer seine Untertanen, sondern dieser, sich fuer ihn zu schlagen. Der
rechte Fluegel, im Flachland von der persischen Hauptmacht angegriffen und von
dem Kaiser im Stich gelassen, wurde aufgerieben. Als darauf der Kaiser dem nach
Medien vorgedrungenen Fluegel Befehl erteilte, sich zurueckzuziehen, litt auch
dieser stark bei dem winterlichen Rueckmarsch durch Armenien. Wenn es bei diesem
ueblen Rueckzug der grossen orientalischen Armee nach Antiocheia blieb und zu
keiner vollstaendigen Katastrophe kam, sogar Mesopotamien in roemischer Gewalt
blieb, so scheint das nicht das Verdienst der roemischen Truppen oder ihrer
Fuehrer zu sein, sondern darauf zu beruhen, dass das persische Aufgebot des
Kampfes muede ward und nach Hause ging ^80. Aber sie gingen nicht auf lange, um
so mehr, als bald darauf nach der Ermordung des letzten Sprossen der Severischen
Dynastie die einzelnen Heerfuehrer und die Regierung in Rom um die Besetzung des
roemischen Thrones zu schlagen begannen und somit darin einig waren, die
Geschaefte der auswaertigen Feinde zu besorgen. Unter Maximinus (235-238) geriet
das roemische Mesopotamien in Ardaschirs Gewalt und schickten die Perser
abermals sich an, den Euphrat zu ueberschreiten ^81. Nachdem die inneren Wirren
einigermassen sich beruhigt hatten und Gordian III., fast noch ein Knabe, unter
dem Schutz des Kommandanten von Rom und bald seines Schwiegervaters Furius
Timesitheus unbestritten im ganzen Reiche gebot, wurde in feierlicher Weise den
Persern der Krieg erklaert, und im Jahre 242 rueckte eine grosse roemische Armee
unter persoenlicher Fuehrung des Kaisers oder vielmehr seines Schwiegervaters in
Mesopotamien ein. Sie hatte vollstaendigen Erfolg; Karrhae wurde wieder
gewonnen, bei Resaina zwischen Karrhae und Nisibis das Heer des Perserkoenigs
Schapur oder Sapor (reg. 241-272), welcher kurz vorher seinem Vater Ardaschir
gefolgt war, auf das Haupt geschlagen, infolge dieses Sieges auch Nisibis
besetzt. Ganz Mesopotamien war zurueckerobert; es wurde beschlossen, zum Euphrat
zurueck und von da stromabwaerts gegen die feindliche Hauptstadt Ktesiphon zu
marschieren. Ungluecklicherweise starb Timesitheus und sein Nachfolger, Marcus
Iulius Philippus, ein geborener Araber aus der Trachonitis, benutzte die
Gelegenheit, den jungen Herrscher zu beseitigen. Als das Heer den schwierigen
Marsch durch das Tal des Chaboras nach dem Euphrat zurueckgelegt hatte, fanden,
angeblich infolge der von Philippus getroffenen Anordnungen, die Soldaten in
Kirkesion am Einfluss des Chaboras in den Euphrat die erwarteten Lebensmittel
und Vorraete nicht vor und legten dies dem Kaiser zur Last. Nichtsdestoweniger
wurde der Marsch in der Richtung auf Ktesiphon angetreten; aber schon auf der
ersten Station bei Zaitha (etwas unterhalb Mejadin) erschlugen eine Anzahl
aufstaendischer Gardisten den Kaiser (Fruehling oder Sommer 244) und riefen
ihren Kommandanten Philippus an seiner Stelle zum Augustus aus. Der neue
Herrscher tat, was der Soldat oder wenigstens der Gardist begehrte, und gab
nicht bloss die beabsichtigte Expedition gegen Ktesiphon auf, sondern fuehrte
auch die Truppen sogleich nach Italien zurueck. Die Erlaubnis dazu erkaufte er
sich von dem ueberwundenen Feind durch die Abtretung von Mesopotamien und
Armenien, also der Euphratgrenze. Indes erregte dieser Friedensschluss eine
solche Erbitterung, dass der Kaiser es nicht wagte, denselben zur Ausfuehrung zu
bringen und in den abgetretenen Provinzen die Besatzungen stehen liess ^82. Dass
die Perser sich dies wenigstens vorlaeufig gefallen liessen, gibt das Mass
dessen, was sie damals vermochten. Nicht die Orientalen, sondern die Goten, die
fuenfzehn Jahre hindurch wuetende Pest und die Zwietracht der miteinander um die
Krone hadernden Korpsfuehrer brachen die letzte Kraft des Reiches.
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^78 Die spaeterhin rezipierte Chronologie setzt den Beginn der
Sassanidendynastie auf das Seleukidenjahr 538 = 1. Oktober 226/27 n. Chr. oder
das vierte (volle) Jahr des seit Fruehling 222 regierenden Severus Alexander
(Agathias 4, 24). Nach anderen Daten zaehlte Koenig Ardaschir das Jahr Herbst
223/24 n. Chr. als sein erstes, nahm also wohl in diesem den Grosskoenigtitel an
(Noeldeke, Tabari, S. 410). Die letzte bis jetzt bekannte datierte Muenze des
aelteren Systems ist vom Jahre 539. Als Dion schrieb, zwischen 230 und 234, war
Artabanos tot und sein Anhang ueberwaeltigt, und wurde das Einruecken des
Artaxares in Mesopotamien und Syrien erwartet.
^79 Der Kaiser blieb wahrscheinlich in Palmyra; wenigstens gedenkt eine
palmyrenische Inschrift CIG 4483 der epid/e/mia theo? Alexandroy.
^80 Die unvergleichlich schlechten Berichte ueber diesen Krieg (der relativ
beste ist der aus gemeinschaftlicher Quelle bei Herodian, Zonaras und Synkellos
p. 674 vorliegende) entscheiden nicht einmal die Frage, wer in diesen Kaempfen
Sieger blieb. Waehrend Herodian von einer beispiellosen Niederlage der Roemer
spricht, feiern die lateinischen Quellen, die Biographie sowohl wie Victor,
Eutrop und Rufius Festus, den Alexander als den Besieger des Artaxerxes oder
Xerxes, und nach diesen letzteren ist auch der weitere Verlauf der Dinge
guenstig. Die Vermittlung gibt Herodian (6, 6, 5) an die Hand. Nach den
armenischen Berichten (Gutschmid, ZDMG 31, 1877, S. 47) haben die Arsakiden mit
Unterstuetzung der Kaukasusvoelker sich in Armenien noch bis zum Jahre 237 gegen
Ardaschir behauptet; diese Diversion mag richtig und auch den Roemern zugute
gekommen sein.
^81 Den besten Bericht geben, aus derselben Quelle schoepfend, Synkellos
(p. 683) und Zonaras (12, 18). Damit stimmen die Einzelangaben Ammians (23, 5;
7, 17) und so ziemlich der gefaelschte Brief Gordians an den Senat in der
Biographie c. 27, aus dem die Erzaehlung c. 26 unkundig hergestellt ist;
Antiocheia war in Gefahr, aber nicht in den Haenden der Perser.
^82 So stellt Zon. 12, 19 den Hergang dar; damit stimmt Zos. hist. 3, 32,
und auch der spaetere Verlauf der Dinge zeigt Armenien nicht geradezu im
persischen Besitz. Wenn nach Euagr. 5, 7 damals bloss Klein-Armenien roemisch
blieb, so mag das insofern nicht unrichtig sein, als die Abhaengigkeit des
Lehnskoenigs von Gross-Armenien nach dem Frieden wohl nur eine nominelle war.
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Es wird hier, wo der roemische Orient im Ringen mit dem persischen auf sich
selber angewiesen ist, am Platz sein, eines merkwuerdigen Staates zu gedenken,
der, durch und fuer den Wuestenhandel geschaffen, jetzt fuer kurze Zeit in der
politischen Geschichte eine fuehrende Rolle uebernimmt. Die Oase Palmyra, in der
einheimischen Sprache Thadmor, liegt auf halbem Wege zwischen Damaskos und dem
Euphrat. Von Bedeutung ist sie lediglich als Zwischenstation zwischen dem
Euphratgebiet und dem Mittelmeer und hat auch diese Bedeutung erst spaet
gewonnen und frueh wieder verloren, so dass Palmyras Bluetezeit ungefaehr mit
derjenigen Periode zusammenfaellt, die wir hier schildern. Ueber das Emporkommen
der Stadt fehlt es an jeder Ueberlieferung ^83. Erwaehnt wird sie zuerst bei
Gelegenheit des Aufenthaltes des Antonius in Syrien im Jahre 713 (41), wo dieser
einen vergeblichen Versuch machte, sich ihrer Reichtuemer zu bemaechtigen; auch
die dort gefundenen Denkmaeler - die aelteste datierte palmyrenische Inschrift
ist vom Jahre 745 (9) - reichen schwerlich viel weiter zurueck. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass ihr Aufbluehen mit der Festsetzung der Roemer im
syrischen Kuestenland zusammenhaengt. So lange die Nabataeer und die Staedte der
Osrhoene nicht unmittelbar roemisch waren, hatten die Roemer ein Interesse
daran, eine andere direkte Verbindung mit dem Euphrat herzustellen, und diese
fuehrte dann notwendig ueber Palmyra. Eine roemische Gruendung ist Palmyra
nicht; als Veranlassung fuer jenen Raubzug nahm Antonius die Neutralitaet der
zwischen den beiden Grossstaaten den Verkehr vermittelnden Kaufleute, und die
roemischen Reiter kehrten unverrichteter Sache um vor der Schuetzenkette, die
die Palmyrener dem Angriff entgegenstellten. Aber schon in der ersten Kaiserzeit
muss die Stadt zum Reiche gerechnet worden sein, da die fuer Syrien ergangenen
Steuerverordnungen des Germanicus und des Corbulo auch fuer Palmyra zur
Anwendung kamen; in einer Inschrift vom Jahre 80 begegnet eine claudische Phyle
daselbst; seit Hadrian nennt sich die Stadt Hadriana Palmyra, und im dritten
Jahrhundert bezeichnet sie sich sogar als Kolonie.
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^83 Der biblische Bericht (1. Koen. 9, 18) ueber die Erbauung der Stadt
Thamar in Idumaea durch Koenig Salomo ist nur durch ein freilich altes
Missverstaendnis auf Thadmor uebertragen worden; immer enthaelt die irrige
Beziehung desselben auf diese Stadt bei den spaeteren Juden (Chron. 2, 8, 4 und
die griechische Uebersetzung von 1. Koen. 9, 4) das aelteste Zeugnis fuer deren
Existenz (Hitzig, ZDMG 8, 1854, S. 222).
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Indes war die Reichsuntertaenigkeit der Palmyrener anderer Art als die
gewoehnliche und einigermassen dem Klientelverhaeltnis der abhaengigen
Koenigreiche aehnlich. Noch in Vespasians Zeit heisst Palmyra ein Zwischengebiet
zwischen den beiden Grossmaechten und wurde bei jedem Zusammenstoss der Roemer
und der Parther gefragt, welche Politik die Palmyrener einhalten wuerden. Den
Schluessel fuer die Sonderstellung muessen wir in den Grenzverhaeltnissen und
den fuer den Grenzschutz getroffenen Ordnungen suchen. Die syrischen Truppen,
soweit sie am Euphrat selbst standen, haben ihre Hauptstellung bei Zeugma,
Biredjik gegenueber an der grossen Euphratpassage, gehabt. Weiter stromabwaerts
schiebt sich zwischen das unmittelbar roemische und das parthische Gebiet das
von Palmyra, das bis zum Euphrat reicht und die naechste bedeutende
Uebergangsstelle bei Sura gegenueber der mesopotamischen Stadt Nikephorion
(spaeter Kallinikon, heute er-Rakka) einschliesst. Es ist mehr als
wahrscheinlich, dass die Hut dieser wichtigen Grenzfestung sowie die Sicherung
der Wuestenstrasse zwischen dem Euphrat und Palmyra, auch wohl eines Teils der
Strasse von Palmyra nach Damaskos, der Gemeinde Palmyra ueberlassen ward und
dass sie also berechtigt und verpflichtet war, die fuer diese nicht geringe
Aufgabe erforderlichen militaerischen Einrichtungen zu treffen ^84. Spaeterhin
sind wohl die Reichstruppen naeher an Palmyra herangezogen und ist eine der
syrischen Legionen nach Danava zwischen Palmyra und Damaskos, die arabische nach
Bostra gelegt worden; seit Severus Mesopotamien mit dem Reich vereinigt hatte,
waren sogar hier beide Ufer des Euphrat in roemischer Gewalt und endigte das
roemische Gebiet am Euphrat nicht mehr bei Sura, sondern bei Kirkesion an der
Muendung des Chaboras in den Euphrat oberhalb Mejadin. Auch wurde damals
Mesopotamien stark mit Reichstruppen belegt. Aber die mesopotamischen Legionen
standen an der grossen Strasse im Norden bei Resaina und Nisibis, und auch die
syrischen und die arabischen Truppen machten die Mitwirkung der palmyrenischen
nicht entbehrlich. Es mag sogar die Hut von Kirkesion und dieses Teils des
Euphratufers eben den Palmyrenern anvertraut worden sein. Erst nach dem
Untergang Palmyras und vielleicht in Ersatz desselben ist Kirkesion ^85 von
Diocletian zu der starken Festung gemacht worden, die seitdem hier der
Stuetzpunkt der Grenzverteidigung gewesen ist.
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^84 Ausdruecklich berichtet wird dies nirgends; aber alle Umstaende
sprechen dafuer. Dass die roemisch-parthische Grenze, bevor die Roemer auf dem
linken Euphratufer sich festsetzten, am rechten wenig unterhalb Sura war, sagt
am bestimmtesten Plinius (nat. 5, 26, 89: a Sura proxime est Philiscum - vgl.
Anm. 85 - oppidum Parthorum ad Euphratem; ab eo Seleuciam dierum decem
navigatio), und hier ist sie bis zur Einrichtung der Provinz Mesopotamien unter
Severus geblieben. Die Palmyrene des Ptolemaeos (5, 15, 24, 25) ist eine
Landschaft Koilesyriens, die einen guten Teil des Gebiets suedlich von Palmyra
zu umfassen scheint, sicher aber bis an den Euphrat reicht und Sura
einschliesst; andere staedtische Zentren ausser Palmyra scheinen nicht
aufgefuehrt zu werden und nichts im Wege zu stehen, diesen grossen Distrikt als
Stadtgebiet zu fassen. Namentlich solange Mesopotamien parthisch war, aber auch
nachher noch hat mit Ruecksicht auf die angrenzende Wueste ein dauernder
Grenzschutz hier nicht fehlen koennen; wie denn im 4. Jahrhundert nach Ausweis
der Notitia die Palmyrene stark besetzt war, die noerdliche von den Truppen des
Dux von Syrien, Palmyra selbst und die suedliche Haelfte von denen des Dux von
Phoenike. Dass in der frueheren Kaiserzeit hier keine roemischen Truppen
gestanden haben, ist durch das Schweigen der Schriftsteller und das Fehlen der
in Palmyra selbst zahlreichen Inschriften verbuergt. Wenn in der Peutingerschen
Tafel unter Sura vermerkt ist: "fines exercitus Syriatici et commercium
barbarorum", d. h. "hier endigen die roemischen Besatzungen, und hier ist der
Zwischenort fuer den Barbarenverkehr", so ist damit nur gesagt, was in spaeterer
Zeit Ammian (23, 3, 7: Callinicum mumimentum robustum et commercandi opimitate
gratissimum) und noch Kaiser Honorius (Cod. Iust. 4, 63, 4) wiederholen, dass
Kallinikon zu den wenigen, dem roemisch-barbarischen Grenzhandel freigegebenen
Entrepots gehoert; aber nicht einmal fuer die Entstehungszeit der Tafel folgt
daraus, dass damals Reichstruppen dort standen, da ja die Palmyrener im
allgemeinen auch zur syrischen Armee gehoerten und bei dem exercitus Syriaticus
an sie gedacht sein kann. Es muss die Stadt eine eigene Truppenmacht aufgestellt
haben, aehnlich wie die Fuersten von Numidien und von Pantikapaeon. Dadurch
allein wird auch sowohl das Abweisen der Truppen des Antonius wie das Verhalten
der Palmyrener in den Wirren des 3. Jahrhunderts verstaendlich, nicht minder das
Auftreten der numeri Palmyrenorum unter den militaerischen Neuerungen derselben
Epoche.
^85 Amm. 23, 5, 2: Cercusium .. . Diocletiaenus exiguum ante hoc et
suspectum muris turribusque circumdedit celsis, . . . ne vagarentur per Syriam
Persae ita ut paucis ante annis cum magnis provinciarum contigerat damnis. Vgl.
Prok. aed. 2, 6. Vielleicht ist dieser Ort nicht verschieden von dem PHalga oder
PHaliga des Isidorus von Charax (mans. Parth. 1; Stephanus v. Byzanz, Ethnika,
unter diesem Wort) und dem Plinianischen Philiscum (Anm. 84).
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Die Spuren dieser Sonderstellung Palmyras sind auch in den Institutionen
nachweisbar. Das Fehlen des Kaisernamens auf den palmyrenischen Muenzen ist wohl
nicht aus ihr zu erklaeren, sondern daraus, dass die Gemeinde fast nur kleine
Scheidemuenze ausgegeben hat. Deutlich aber spricht die Behandlung der Sprache.
Von der sonst bei den Roemern fast ausnahmslos befolgten Regel, in dem
unmittelbaren Gebiet nur den Gebrauch der beiden Reichssprachen zu gestatten,
ist Palmyra ausgenommen. Hier hat diejenige Sprache, welche im uebrigen Syrien
und nicht minder seit dem Exil in Judaea die gewoehnliche im privaten Verkehr,
aber auf diesen beschraenkt war, sich im oeffentlichen Gebrauch behauptet,
solange die Stadt ueberhaupt bestanden hat. Wesentliche Verschiedenheiten des
palmyrenischen Syrisch von dem der uebrigen oben genannten Gegenden lassen sich
nicht nachweisen; die nicht selten arabisch oder juedisch, auch persisch
geformten Eigennamen zeigen die starke Voelkermischung, und zahlreiche
griechisch-roemische Lehnwoerter die Einwirkung der Okzidentalen. Es wird
spaeterhin Regel, dem syrischen Text einen griechischen beizufuegen, welcher in
einem Beschluss des palmyrenischen Gemeinderats vom Jahre 137 dem palmyrenischen
nach-, spaeter gewoehnlich voransteht; aber bloss griechische Inschriften
eingeborener Palmyrener sind seltene Ausnahmen. Sogar in Weihinschriften, welche
Palmyrener ihren heimischen Gottheiten in Rom gesetzt haben ^86, und in
Grabschriften der in Afrika oder Britannien verstorbenen palmyrenischen Soldaten
ist die palmyrenische Fassung zugefuegt. Ebenso wurde in Palmyra zwar das
roemische Jahr wie im uebrigen Reiche der Datierung zugrunde gelegt, aber die
Monatsnamen sind nicht die im roemischen Syrien offiziell rezipierten
makedonischen, sondern diejenigen, welche in demselben wenigstens bei den Juden
im gemeinen Verkehr galten und ausserdem bei den unter assyrischer und spaeter
persischer Herrschaft lebenden aramaeischen Staemmen in Gebrauch waren ^87.
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^86 Von den sieben bis jetzt ausserhalb Palmyra gefundenen Dedikationen an
den palmyrenischen Malach Belos haben die drei in Rom zum Vorschein gekommenen
(CIL VI, 51, 710; CIG 6015) neben griechischem oder lateinischem auch
palmyrenischen Text, zwei afrikanische (CIL VIII, 2497, 8795 add.) und zwei
dakische (Archaeologisch-epigraphische Mitteilungen aus Oesterreich 6, 1882,
109, 111) bloss lateinischen. Die eine der letzteren ist von einem offenbar aus
Palmyra gebuertigen Duoviralen von Sarmizegetusa, P. Aelius Theimes, gesetzt
diis patriis Malagbel et Bebellahamon et Benefal et Manavat.
^87 Woher diese Monatsnamen ruehren, ist dunkel; sie treten zuerst in der
assyrischen Keilschrift auf, sind aber nicht assyrischen Ursprungs. Infolge der
assyrischen Herrschaft sind sie dann in dem Bereich der syrischen Sprache in
Gebrauch geblieben. Abweichungen finden sich; der zweite Monat, der Dios der
griechisch redenden Syrer, unser November, heisst bei den Juden Markeschwan, bei
den Palmyrenern Kanun (Waddington 25746). Uebrigens sind diese Monatsnamen,
soweit sie innerhalb des Roemischen Reiches zur Anwendung kommen, wie die
makedonischen dem Julianischen Kalender angepasst, so dass nur die
Monatsbenennung differiert, der Jahranfang (1. Oktober) des syrisch-roemischen
Jahres auf die griechischen wie auf die aramaeischen Benennungen gleichmaessig
Anwendung findet.
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Die munizipale Ordnung ist im wesentlichen nach dem Muster der griechischen
des Roemerreichs gestaltet; die Beziehungen fuer Beamte und Rat ^88 und selbst
diejenige der Kolonie werden in den palmyrenischen Texten meistenteils aus den
Reichssprachen beibehalten. Aber auch in der Verwaltung behielt der Distrikt
eine groessere Selbstaendigkeit, als sie sonst den Stadtgemeinden zukommt. Neben
den staedtischen Beamten finden wir wenigstens im dritten Jahrhundert die Stadt
Palmyra mit ihrem Gebiet unter einem besonderen "Hauptmann" senatorischen Ranges
und roemischer Bestellung, aber gewaehlt aus dem angesehensten Geschlecht des
Ortes; Septimios Hairanes, des Odaenathos Sohn, ist der Sache nach ein Fuerst
der Palmyrener ^89, der von dem Legaten von Syrien wohl nicht anders abhaengig
war als die Klientelfuersten von den benachbarten Reichstatthaltern ueberhaupt.
Wenige Jahre spaeter begegnen wir seinem Sohn ^90 Septimios Odaenathos in der
gleichen, ja im Rang noch gesteigerten erbfuerstlichen Stellung ^91.
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^88 Zum Beispiel Archon, Grammateus, Proedros, Syndikos, Dekaprotoi.
^89 Dies lehrt die Inschrift von Palmyra CIG 4491, 4492 = Waddington 2600 =
Vogue 22, diesem Hairanes im Jahre 251 gesetzt von einem Soldaten der in Arabien
stehenden Legion. Sein Titel ist griechisch o lamprotatos synkl/e/tikos exarchos
(= princeps) Palmyr/e/n/o/n, palmyrenisch "erlauchter Senator, Haupt von
Thadmor". Die Grabschrift (CIG 4507 = Waddington 2621 = Vogue 21) des Vaters des
Hairanes, Septimios Odaenathos, Sohnes des Hairanes, Enkels des Vaballathos,
Urenkels des Nassoros, gibt auch ihm schon senatorischen Rang.
^90 Allerdings wird der Vater dieses Odaenathos nirgends genannt; aber es
ist so gut wie sicher, dass er der Sohn des eben genannten Hairanes ist und den
Namen von seinem Grossvater fuehrt. Auch Zosimus (hist. 1, 39) nennt ihn einen
von den Vorfahren her von der Regierung ausgezeichneten Palmyrener (andra
Palmyr/e/non kai ek progon/o/n t/e/s para t/o/n basile/o/n axi/o/thenta
tim/e/s).
^91 In der Inschrift Waddington 2603 = Vogue 23, die die Zunft der Gold-
und Silberarbeiter von Palmyra im Jahre 257 dem Odaenathos setzt, heisst es o
lamprotatos ypatikos, also vir consularis, und griechisch despot/e/s, syrisch
mbran. Die erstere Bezeichnung ist kein Amtstitel, sondern eine Angabe der
Rangklasse; so steht vir consularis nicht selten hinter dem Namen ganz wie vir
clarissimus (CIL X., p. 1117 und sonst) und findet sich o lamprotatos ypatikos
neben und vor verschiedenartigen Amtstiteln, zum Beispiel dem des Prokonsuls von
Afrika (CIG 2979 wo lamprotatos fehlt), des kaiserlichen Legaten von Pontus und
Bithynien (CIG 3747 3748, 3771) und von Palaestina (CIG 4151), des Statthalters
von Lykien und Pamphylien (CIG 4272); erst in nachkonstantinischer Zeit wird es
mit dem Namen der Provinz verbunden als Amtstitel verwendet (z. B. CIG 2596,
4266 e). Hieraus ist also fuer die Rechtsstellung des Odaenathos nichts zu
entnehmen. Ebenso darf in der syrischen Bezeichnung des Herrn nicht gerade der
Herrscher gefunden werden; sie wird auch einem Prokurator gegeben (Waddington
2606 = Vogue 25).
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Nicht minder bildete Palmyra einen abgeschlossenen Zollbezirk, in welchem
die Zoelle nicht von Staats-, sondern von Gemeindewegen verpachtet wurden ^92.
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^92 Syrien bildete in der Kaiserzeit ein eigenes Reichszollgebiet und es
ward der Reichszoll nicht bloss an der Kueste, sondern auch an der
Euphratgrenze, insonderheit bei Zeugma erhoben. Daraus folgt mit Notwendigkeit,
dass auch weiter suedwaerts, wo der Euphrat nicht mehr in roemischer Gewalt war,
an der roemischen Ostgrenze aehnliche Zoelle eingerichtet waren. Nun hat ein
Beschluss des Rats von Palmyra vom Jahre 137 gelehrt, dass die Stadt und ihr
Gebiet einen eigenen Zollbezirk bildeten und von allen ein- oder ausgehenden
Waren zu Gunsten der Stadt der Zoll erhoben ward. Dass dies Gebiet ausserhalb
des Reichszolles stand, ist wahrscheinlich, einmal weil, wenn eine das
palmyrenische Gebiet einschliessende Reichszollinie bestanden haette, deren
Erwaehnung in jener ausfuehrlichen Verfuegung nicht wohl fehlen koennte:
zweitens weil eine von den Reichszollinien eingeschlossene Gemeinde des Reiches
schwerlich das Recht gehabt hat, an ihrer Gebietsgrenze in diesem Umfang Zoelle
zu erheben. Man wird also in der Zollerhebung der Gemeinde Palmyra dieselbe
Sonderstellung zu erkennen haben, welche ihr in militaerischer Hinsicht
beigelegt werden muss. Vielleicht ist ihr dagegen zu Gunsten der Reichskasse
eine Auflage gemacht worden, etwa die Ablieferung einer Quote des Zollertrages
oder auch ein erhoehter Tribut. Aehnliche Einrichtungen wie fuer Palmyra moegen
auch fuer Bostra und Petra bestanden haben; denn zollfrei sind die Waren sicher
auch hier nicht eingegangen und nach Plin. nat. 12, 14, 65 scheint von dem
arabischen, ueber Gaza ausgehenden Weihrauch Reichszoll nur in Gaza an der
Kueste erhoben zu sein. Die Traegheit der roemischen Verwaltung ist staerker als
die Fiskalitaet; sie mag die unbequemen Landgrenzzoelle oefter von sich auf die
Gemeinden abgewaelzt haben.
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Die Bedeutung Palmyras ruht auf dem Karawanenverkehr. Die Haeupter der
Karawanen (synodiarchai), welche von Palmyra nach den grossen Entrepots am
Euphrat gingen, nach Vologasias, der schon erwaehnten parthischen Gruendung
unweit der Staette des alten Babylon, und nach Forath oder Charax Spasinu,
Zwillingsstaedten an der Muendung nahe am Persischen Meerbusen, erscheinen in
den Inschriften als die angesehensten Stadtbuerger ^93 und bekleiden nicht bloss
die Aemter ihrer Heimat, sondern zum Teil Reichsaemter; auch die Grosshaendler
(archemporoi) und die Zunft der Gold- und Silberarbeiter zeugen von der
Bedeutung der Stadt fuer den Handel und die Fabrikation, nicht minder fuer ihren
Wohlstand die noch heute stehenden Tempel der Stadt und die langen Saeulenreihen
der staedtischen Hallen so wie die massenhaften reich verzierten Grabmaeler. Dem
Feldbau ist das Klima wenig guenstig - der Ort liegt nahe an der Nordgrenze der
Dattelpalme und fuehrt nicht von dieser seinen griechischen Namen; aber es
finden sich in der Umgegend die Reste grosser unterirdischer Wasserleitungen und
ungeheurer, kuenstlich aus Quadern angelegter Wasserreservoirs, mit deren Hilfe
der jetzt aller Vegetation bare Boden einst eine reiche Kultur kuenstlich
entwickelt haben muss. Dieser Reichtum und diese auch in der Roemerherrschaft
nicht ganz beseitigte nationale Eigenart und administrative Selbstaendigkeit
erklaeren einigermassen Palmyras Rolle um die Mitte des dritten Jahrhunderts in
der grossen Krise, zu deren Darlegung wir jetzt uns zurueckwenden.
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^93 Diese Karawanen (synodiai) erscheinen auf den palmyrenischen
Inschriften als feste Genossenschaften, die dieselben Fahrten ohne Zweifel in
bestimmten Intervallen unter ihrem Vormann (synodiarch/e/s, Waddington 2589,
2590, 2596) unternehmen; so setzen einem solchen eine Bildsaeule "die mit ihm
nach Vologesias hinab gegangenen Kaufleute" (oi s?n ayt/o/ katelthontes eis
Ologesiada enporoi, Waddington 2599 vom Jahre 247) oder "herauf von Forath (vgl.
Plin. nat. 6, 28, 145) und Vologasias" (oi synanabantes met' ayto? emporoi apo
PHorathoy ke Ologasiados, Waddington 2589 vom Jahre 142) oder "herauf von
Spasinu Charax" (oi s?n ayt/o/ anabantes apo Stasinoy CHarakos, Waddington 2596
vom Jahre 193; aehnlich 2590 vom Jahre 155). Alle diese Fuehrer sind vornehme,
mit Ahnenreihen ausgestattete Maenner; ihre Ehrendenkmaeler stehen in der
grossen Kolonnade neben denen der Koenigin Zenobia und ihrer Familie. Besonders
merkwuerdig ist einer derselben, Septimius Vorodes, von dem es eine Reihe von
Ehrenbasen aus den Jahren 2b2-267 gibt (Waddington 2606-2610); auch er war
Karawanenhaupt (anakomisanta t/e/s synodias ek t/o/n idi/o/n kai
marthyr/e/thenta ypo t/o/n archempor/o/n, Waddington 2606 a; also bestritt er
die Kosten der Rueckreise fuer die ganze Begleitung und wurde wegen dieser
Freigebigkeit von den Grosshaendlern oeffentlich belobt). Aber er bekleidete
auch nicht bloss die staedtischen Aemter des Strategen und Agoranomen, sondern
war sogar kaiserlicher Prokurator zweiter Klasse (ducenarius) und Argapetes
(Anm. 102).
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Nachdem Kaiser Decius im Jahre 251 gegen die Goten in Europa gefallen war,
ueberliess die Regierung des Reiches, wenn es ueberhaupt damals ein Reich und
eine Regierung noch gab, den Osten voellig seinem Schicksal. Waehrend die
Piraten vom Schwarzen Meer her weit und breit die Kuesten und selbst das
Binnenland verheerten, ging auch der Perserkoenig Sapor wieder angriffsweise
vor. Wenn sein Vater sich damit begnuegt hatte, sich den Herrn von Iran zu
nennen, so hat er zuerst wie nach ihm die folgenden Herrscher sich bezeichnet
als den Grosskoenig von Iran und Nicht-Iran und damit gleichsam das Programm
seiner Eroberungspolitik hingestellt. Im Jahre 252 oder 253 besetzte er
Armenien, oder es unterwarf sich ihm freiwillig, ohne Zweifel mitergriffen von
jenem Aufflammen des alten Perserglaubens und Perserwesens; der rechtmaessige
Koenig Tiridates suchte Zuflucht bei den Roemern, die uebrigen Glieder des
koeniglichen Hauses stellten sich unter die Fahnen des Persers ^94. Nachdem also
Armenien persisch geworden war, ueberschwemmten die Scharen der Orientalen
Mesopotamien, Syrien und Kappadokien; sie verwuesteten weit und breit das platte
Land, aber die Bewohner der groesseren Staedte wiesen den Angriff der auf
Belagerung wenig eingerichteten Feinde ab, voran die tapferen Edessener. Im
Okzident war inzwischen wenigstens eine anerkannte Regierung hergestellt worden.
Der Kaiser Publius Licinius Valerianus, ein rechtschaffener und wohlgesinnter
Herrscher, aber kein entschlossener und schwierigen Verhaeltnissen gewachsener
Charakter, erschien endlich im Osten und begab sich nach Antiocheia. Von da aus
ging er nach Kappadokien, das die persischen Streif scharen raeumten. Aber die
Pest dezimierte sein Heer, und er zoegerte lange, den entscheidenden Kampf in
Mesopotamien aufzunehmen. Endlich entschloss er sich, dem schwer bedraengten
Edessa Hilfe zu bringen, und ueberschritt mit seinen Scharen den Euphrat. Hier,
unweit Edessa, trat die Katastrophe ein, welche fuer den roemischen Orient
ungefaehr das zu bedeuten hat, was fuer den Okzident der Sieg der Goten an der
Donaumuendung und der Fall des Decius: die Gefangennahme des Kaisers Valerianus
durch die Perser (Ende 259 oder Anfang 260) ^95. Ueber die naeheren Umstaende
gehen die Berichte auseinander. Nach der einen Version wurde er, als er mit
einer schwachen Schar versuchte, nach Edessa zu gelangen, von den weit
ueberlegenen Persern umzingelt und gefangen. Nach einer andern gelangte er, wenn
auch geschlagen, in die belagerte Stadt, fuerchtete aber, da er keine
ausreichende Hilfe brachte und die Lebensmittel nur um so rascher zu Ende
gingen, den Ausbruch einer Militaerinsurrektion und lieferte sich darum
freiwillig dem Feind in die Haende. Nach einer dritten knuepfte er, aufs
aeusserste bedraengt, Verhandlungen wegen der Uebergabe Edessas mit Sapor an; da
der Perserkoenig es ablehnte, mit Gesandten zu verhandeln, erschien er
persoenlich im feindlichen Lager und ward wortbruechigerweise zum Gefangenen
gemacht.
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^94 Nach dem griechischen Bericht (Zon. 12, 21) fluechtet Koenig Tiridates
zu den Roemern, seine Soehne aber treten auf die Seite der Perser; nach dem
armenischen wird Koenig Chosroes von seinen Bruedern ermordet und des Chosroes
Sohn Tiridates zu den Roemern gefluechtet (Gutschmid ZDMG 31, 1877, S. 48).
Vielleicht ist der letztere vorzuziehen.
^95 Den einzigen festen chronologischen Anhalt geben die alexandrinischen
Muenzen, nach welchen Valerianus zwischen 29. August 259 und 28. August 260
gefangen ward. Dass er nach seiner Gefangennahme nicht mehr als Kaiser galt,
erklaert sich, da die Perser ihn zwangen, seinen ehemaligen Untertanen Befehle
in ihrem Interesse zu erteilen (Dio Forts. fr. 3).
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Welche immer von diesen Erzaehlungen der Wahrheit am naechsten kommen mag,
der Kaiser ist in feindlicher Gefangenschaft gestorben ^96, und die Folge dieser
Katastrophe war der Verlust des Orients an die Perser. Vor allem Antiocheia, die
groesste und reichste Stadt des Ostens, geriet zum ersten Mal, seit sie roemisch
war, in die Gewalt des Landesfeindes, und zum guten Teil durch die Schuld der
eigenen Buerger. Ein vornehmer Antiochener, Mareades, den wegen unterschlagener
oeffentlicher Gelder der Rat ausgestossen hatte, fuehrte die persische Armee
nach seiner Vaterstadt; mag es auch Fabel sein, dass die Buergerschaft im
Theater selbst von den anrueckenden Feinden ueberrascht ward, daran ist kein
Zweifel, dass sie nicht bloss keinen Widerstand leistete, sondern ein grosser
Teil der niederen Bevoelkerung, teils mit Ruecksicht auf Mareades, teils in der
Hoffnung auf Anarchie und Raub, das Eindringen der Perser gern sah. So wurde die
Stadt mit allen ihren Schaetzen die Beute des Feindes und entsetzlich in
derselben gehaust, freilich auch Mareades, wir wissen nicht warum, von Koenig
Sapor zum Feuertode verurteilt ^97. Das gleiche Schicksal erlitten ausser
zahllosen kleineren Ortschaften die Hauptstaedte von Kilikien und Kappadokien,
Tarsos und Caesarea, letztere angeblich eine Stadt von 400000 Einwohnern. Die
endlosen Zuege der Gefangenen, die wie das Vieh einmal am Tage zur Traenke
gefuehrt wurden, bedeckten die Wuestenstrassen des Ostens. Auf der Heimkehr
sollen die Perser, um eine Schlucht rascher zu ueberschreiten, sie mit den
Leibern der mitgefuehrten Gefangenen ausgefuellt haben. Glaublicher ist es, dass
der grosse "Kaiserdamm" (Bend-i-Kaiser) bei Sostra (Schuschter) in Susiana,
durch welchen noch heute das Wasser des Pasitigris den hoeher gelegenen Gegenden
zugefuehrt wird, von diesen Gefangenen gebaut ward; wie ja auch Kaiser Neros
Architekten die Hauptstadt von Armenien bauen geholfen und ueberhaupt auf diesem
Gebiet die Okzidentalen stets ihre Ueberlegenheit behauptet haben. Auf eine
Gegenwehr des Reiches stiessen die Perser nirgends; aber Edessa hielt sich noch
immer, und auch Caesarea hatte sich tapfer verteidigt und war nur durch Verrat
gefallen. Die oertliche Gegenwehr ging allmaehlich hinaus ueber die Abwehr
hinter den staedtischen Waellen, und die durch die weite Ausdehnung des
eroberten Gebiets herbeigefuehrte Aufloesung der persischen Haufen war dem
kuehnen Parteigaenger guenstig. Einem selbstbestellten roemischen Fuehrer,
Kallistos ^98, gelang ein gluecklicher Handstreich: mit den Schiffen, die er in
den kilikischen Haefen zusammengebracht hatte, fuhr er nach Pompeiopolis, das
die Perser eben belagerten, waehrend sie gleichzeitig Lykaonien brandschatzten,
erschlug mehrere Tausend Mann und bemaechtigte sich des koeniglichen Harems.
Dies bestimmte den Koenig, unter dem Vorwand einer nicht aufzuschiebenden
Festfeier, sofort nach Hause zu gehen, in solcher Eile, dass er, um nicht
aufgehalten zu werden, von den Edessenern freien Durchzug durch ihr Gebiet gegen
alles von ihm erbeutete roemische Goldgeld erkaufte. Den von Antiocheia
heimkehrenden Scharen brachte der Fuerst von Palmyra, Odaenathos, bevor sie den
Euphrat ueberschritten, empfindliche Verluste bei. Aber kaum war die dringendste
Persergefahr beseitigt, als unter den sich selbst ueberlassenen Heerfuehrern des
Ostens zwei der namhaftesten, der die Kasse und das Depot der Armee in Samosata
verwaltende Offizier Fulvius Macrianus ^99 und der oben genannte Kallistos, dem
Sohne und Mitregenten und jetzt alleinigen Herrscher Gallienus, fuer den
freilich der Osten und die Perser nicht da waren, den Gehorsam aufkuendigten
und, selbst die Annahme des Purpurs verweigernd, die beiden Soehne des ersteren
Fulvius Macrianus und Fulvius Quietus zu Kaisern ausriefen (261). Dies Auftreten
der beiden angesehenen Feldherrn bewirkte, dass in Aegypten und im ganzen Osten,
mit Ausnahme von Palmyra, dessen Fuerst fuer Gallienus eintrat, die beiden
jungen Kaiser zur Anerkennung gelangten. Der eine von ihnen, Macrianus, ging mit
seinem Vater nach dem Westen ab, um auch hier dies neue Regiment einzusetzen.
Aber bald wandte sich das Glueck: in Illyricum verlor Macrianus, nicht gegen
Gallienus, sondern gegen einen anderen Praetendenten, Schlacht und Leben. Gegen
den in Syrien zurueckgebliebenen Bruder wandte sich Odaenathos; bei Hemesa, wo
die Heere aufeinandertrafen, antworteten die Soldaten des Quietus auf die
Aufforderung, sich zu ergeben, dass sie alles eher ueber sich ergehen lassen
wuerden, als einem Barbaren sich in die Haende zu liefern. Nichtsdestoweniger
verriet der Feldherr des Quietus, Kallistos, seinen Herrn an den Palmyrener
^100, und also endete auch dessen kurzes Regiment.
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^96 Die besseren Berichte wissen nur davon, dass Valerianus in persischer
Gefangenschaft starb. Dass Sapor ihn beim Besteigen des Pferdes als Schemel
benutzte (Lact. mort. pers. 5; Oros. hist. 7, 22, 4; Aur. Vict. epit. 33) und
schliesslich ihn schinden liess (Lact. a.a.O.; Agathias 4, 23; Cedrenus p. 454),
ist eine christliche Erfindung, die Vergeltung fuer die von Valerian angeordnete
Christenverfolgung.
^97 Die Tradition, wonach Mareades (so Amm. 23, 5, 3; Mariades Malalas 12
p. 295; Mariadnes Forts. des Dio fr. 1) oder, wie er hier heisst, Cyriades sich
zum Augustus ausrufen liess (vit. trig. tyr. 1), ist schwach beglaubigt; sonst
koennte darin wohl die Veranlassung gefunden werden, weshalb Sapor ihn
hinrichten liess.
^98 Kallistos heisst er in der einen wohl auf Dexippus zurueckgehenden
Ueberlieferung bei Synkellos p. 716 und Zon. 12, 23, dagegen Ballista in den
Kaiserbiographien und bei Zon. 12, 24.
^99 Er war nach dem zuverlaessigsten Bericht procurator summarum (epi t/o/n
katholoy log/o/n basile/o/s: Dionysios bei Eus. 7, 10, 5), also Finanzminister
mit Ritterrang; der Fortsetzer des Dio (fr. 3 Muell.) drueckt dies in der
Sprache der spaeteren Zeit aus mit kom/e/s t/o/n th/e/sayr/o/n kai ephest/o/s
t/e/ agora to? sitoy.
^100 Wenigstens nach dem Bericht, der den Kaiserbiographien zu Grunde liegt
(vita Gallieni 3 und sonst). Nach Zon. 12, 24, dem einzigen Schriftsteller, der
ausserdem das Ende des Kallistos erwaehnt, liess Odaenathos denselben toeten.
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Damit tritt Palmyra im Orient an den ersten Platz. Gallienus, durch die
Barbaren des Westens und die ueberall dort ausbrechenden Militaerinsurrektionen
mehr als ausreichend beschaeftigt, gab dem Fuersten von Palmyra, der in der eben
erzaehlten Krise allein ihm die Treue bewahrt hatte, eine beispiellose, indes
unter den obwaltenden Umstaenden wohl erklaerliche Ausnahmestellung: er wurde
als Erbfuerst oder, wie er jetzt heisst, Koenig von Palmyra zugleich zwar nicht
Mitherrscher, aber selbstaendiger Statthalter des Kaisers fuer den Osten ^101.
Die oertliche Verwaltung von Palmyra fuehrte unter ihm ein anderer Palmyrener,
zugleich als kaiserlicher Prokurator und als sein Stellvertreter ^102. Somit lag
die gesamte Reichsgewalt, soweit sie ueberhaupt im Osten noch bestand, in der
Hand des "Barbaren", und so rasch wie glaenzend stellte dieser mit seinen
Palmyrenern, welche durch die Truemmer der roemischen Heerkoerper und das
Aufgebot des Landes verstaerkt wurden, die Herrschaft Roms wieder her. Asien und
Syrien waren schon vom Feinde geraeumt. Odaenathos ging ueber den Euphrat,
machte endlich den tapferen Edessenern Luft und nahm den Persern die eroberten
Staedte Nisibis und Karrhae wieder ab (264). Wahrscheinlich ist auch Armenien
damals wieder unter roemische Botmaessigkeit zurueckgebracht worden ^103. Sodann
ergriff er, zuerst wieder seit Gordianus, die Offensive gegen die Perser und
marschierte auf Ktesiphon. In zwei verschiedenen Feldzuegen wurde die Hauptstadt
des Persischen Reiches von ihm umstellt und die Umgegend verheert, mit den
Persern unter den Mauern derselben gluecklich gefochten ^104. Selbst die Goten,
deren Raubzuege bis in das Binnenland sich erstreckten, wichen zurueck, als er
nach Kappadokien aufbrach. Eine Machtentwicklung dieser Art war ein Segen fuer
das bedraengte Reich und zugleich eine ernste Gefahr. Odaenathos beobachtete
freilich gegen den roemischen Oberherrn alle schuldigen Formen und sandte die
gefangenen feindlichen Offiziere und die Beutestuecke nach Rom an den Kaiser,
der es nicht verschmaehte, daraufhin zu triumphieren; aber in der Tat war der
Orient unter Odaenathos nicht viel weniger selbstaendig als der Westen unter
Postumus, und es begreift sich, dass die roemisch gesinnten Offiziere dem
palmyrenischen Vizekaiser Opposition machten ^105 und einerseits die Rede ist
von Versuchen des Odaenathos, sich den Persern anzuschliessen, die nur an Sapors
Uebermut gescheitert sein sollen ^106, andererseits Odaenathos' Ermordung in
Hemesa im Jahre 266/67 auf Anstiften der roemischen Regierung zurueckgefuehrt
ward ^107. Indes der eigentliche Moerder war ein Brudersohn des Odaenathos und
Beweise fuer die Beteiligung der Regierung liegen nicht vor. Auf jeden Fall
aenderte das Verbrechen in der Lage der Dinge nichts. Die Gattin des
Verstorbenen, die Koenigin Bat Zabbai oder griechisch Zenobia, eine schoene und
kluge Frau von maennlicher Tatkraft ^108, nahm kraft des erblichen
Fuerstenrechts fuer ihren und Odaenathos' noch im Knabenalter stehenden Sohn
Vaballathos oder Athenodoros ^109 - der aeltere, Herodes, war mit dem Vater
umgekommen - die Stellung des Verstorbenen in Anspruch und drang in der Tat
damit sowohl in Rom wie im Orient durch; die Regierungsjahre des Sohnes werden
gezaehlt vom Tode des Vaters. Fuer den nicht regierungsfaehigen Sohn trat die
Mutter in Rat und Tat ein ^110, und sie beschraenkte sich auch nicht darauf, den
Besitzstand zu wahren, sondern ihr Mut oder ihr Uebermut strebten nach der
Herrschaft ueber das gesamte Reichsgebiet griechischer Zunge. In dem Kommando
ueber den Orient, welches dem Odaenathos uebertragen und von ihm auf seinen Sohn
vererbt war, mag wohl dem Rechte nach die Obergewalt ueber Kleinasien und
Aegypten mitbegriffen gewesen sein; aber tatsaechlich hatte Odaenathos nur
Syrien und Arabien und etwa noch Armenien, Kilikien, Kappadokien in der Gewalt
gehabt. Jetzt forderte ein einflussreicher Aegypter, Timagenes, die Koenigin
auf, Aegypten zu besetzen; dem entsprechend entsandte sie ihren Oberfeldherrn
Zabdas mit einem Heer, angeblich 70000 Mann, an den Nil. Das Land widersetzte
sich energisch; aber die Palmyrener schlugen das aegyptische Aufgebot und
bemaechtigten sich Aegyptens. Ein roemischer Admiral, Probus, versuchte sie
wieder zu vertreiben und ueberwand sie auch, so dass sie nach Syrien aufbrachen;
aber als er ihnen bei dem aegyptischen Babylon unweit Memphis den Weg zu
verlegen suchte, wurde er durch die bessere Ortskunde des palmyrenischen
Feldherrn Timagenes geschlagen und gab sich selber den Tod ^111. Als um die
Mitte des Jahres 270 nach Kaiser Claudius' Tode Aurelianus an seine Stelle trat,
geboten die Palmyrener ueber Alexandreia. Auch in Kleinasien machten sie
Anstalt, sich festzusetzen; ihre Besatzungen waren bis nach Ankyra in Galatien
vorgeschoben und selbst in Kalchedon, Byzanz gegenueber; hatten sie versucht,
die Herrschaft ihrer Koenigin zur Geltung zu bringen. Alles dies geschah, ohne
dass die Palmyrener der roemischen Regierung absagten, ja wahrscheinlich in der
Weise, dass das von der roemischen Regierung dem Fuersten von Palmyra
uebertragene Regiment des Ostens auf diese Weise verwirklicht ward und man die
roemischen Offiziere, die sich der Ausdehnung der palmyrenischen Herrschaft
widersetzten, der Auflehnung gegen die kaiserlichen Anordnungen zieh; die in
Alexandreia geschlagenen Muenzen nennen Aurelianus und Vaballathos nebeneinander
und geben nur dem ersteren den Augustustitel. Der Sache nach loeste freilich
hier der Osten sich vom Reiche ab, und in Ausfuehrung einer dem elenden
Gallienus durch die Not abgezwungenen Anordnung wurde dasselbe gehaelftet.
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^101 Dass Odaenathos so wie nach ihm sein Sohn Vaballathos (abgesehen
natuerlich von der Zeit nach dem Bruche mit Aurelianus) keineswegs Augusti waren
(wie die vita Gallieni 12 faelschlich angibt), zeigt sowohl das Fehlen des
Augustusnamens auf den Muenzen wie auch der nur fuer einen Untertan moegliche
Titel v(ir) c(onsularis) = y(patikos), den wie der Vater (Anm. 91) so auch der
Sohn noch fuehrt. Die Statthalterstellung wird auf den Muenzen des Sohnes mit
im(perator) d(ux) R(omanorum) = ayt(okrat/o/r) s(trat/e/gos) bezeichnet;
uebereinstimmend damit sagen Zonaras (12, 23 und abermals 12, 24) und Synkellos
(p. 716), dass Gallienus den Odaenathos wegen eines Sieges ueber die Perser und
den Ballista zum strat/e/gos t/e/s e/o/as oder pas/e/s anatol/e/s; bestellte;
der Biograph des Gallienus c. 10, dass er obtinuit totius Orientis imperium.
Damit werden alle asiatischen Provinzen und Aegypten gemeint sein das
hinzugefuegte imperator = aytokrat/o/r (vgl. vit. trig. tyr. 15, 6; post reditum
de Perside - Herodes des Odaenathos Sohn - cum patre imperator est appellatus)
soll ohne Zweifel die von der gewoehnlichen statthalterlichen verschiedene,
freiere Handhabung der Gewalt ausdruecken.
Dazu tritt weiter der jetzt foermlich angenommene Titel seines Koenigs von
Palmyra (trig. tyr.15, 2: adsumpto nomine regali), welchen auch der Sohn nicht
auf den aegyptischen, aber wohl auf den syrischen Muenzen fuehrt. Dass
Odaenathos in einer im August 271, also nach seinem Tode und waehrend des
Krieges der Seinigen mit Aurelian gesetzten Inschrift wahrscheinlich melekh
malke, "Koenig der Koenige" heisst (Vogue 28), gehoert zu den revolutionaeren
Demonstrationen dieses Zeitraumes und macht fuer die fruehere Zeit keinen
Beweis.
^102 Die zahlreichen Inschriften des Septimius Vorodes, gesetzt in den
Jahren 262 bis 267 (Waddington 2606-2610), also bei Lebzeiten Odaenaths,
bezeichnen ihn saemtlich als kaiserlichen Prokurator zweiter Klasse
(ducenarius), daneben aber teils mit dem Titel argapet/e/s, welches persische,
aber auch bei den Juden gangbare Wort "Burgherr", "Vizekoenig" bedeutet (Levy,
ZDMG 18, 1864, S. 90; Noeldeke, das. 24, 1869, S. 107), teils als dikaiodot/e/s
t/e/s m/e/tropol/o/nias, was ohne Zweifel, wenn nicht sprachlich, so doch
sachlich dasselbe Amt ist. Vermutlich ist darunter dasjenige zu verstehen,
weshalb Odaenaths Vater das "Haupt von Thadmor" heisst (Anm. 89): der fuer das
Kriegsrecht wie fuer die Rechtspflege kompetente Einzelvorsteher von Palmyra;
nur dass, seit der erweiterten Stellung Odaenaths, dieser Posten als Unteramt
von einem Manne ritterlichen Ranges bekleidet wird. Der Vermutung Sachaus (ZDMG
35, 1881, S. 738), dass dieser Vorodes der "Wurud" einer Kupfermuenze aus
hiesigen Kabinetts und beide mit dem zugleich mit dem Vater umgebrachten
aelteren Sohn des Odaenathos Herodes identisch seien, stehen ernstliche Bedenken
entgegen. Herodes und Orodes sind verschiedene Namen (in der palmyrenischen
Inschrift Waddington 2610 stehen beide nebeneinander); der Sohn eines Senators
kann nicht fueglich ein Ritteramt bekleiden; ein mit seinem Bildnis muenzender
Prokurator ist selbst fuer diese exzeptionellen Verhaeltnisse nicht denkbar.
Wahrscheinlich ist die Muenze ueberhaupt nicht palmyrenisch. "Sie ist", schreibt
mir v. Sallet, "wahrscheinlich aelter als Odaenathos und gehoert wohl einem
Arsakiden des 2. Jahrhunderts n. Chr.; sie zeigt einen Kopf mit einem dem
sassanidischen aehnlichen Kopfputz; die Rueckseite, S C im Lorbeerkranz, scheint
den Muenzen von Antiocheia nachgeahmt." Wenn spaeter, nach dem Bruch mit Rom im
Jahre 271, in einer Inschrift von Palmyra (Waddington 2611) zwei Feldherren der
Palmyrener unterschieden werden, o megas strat/e/lat/e/s, der auch geschichtlich
bekannte Zabdas, und o enthade strat/e/lat/e/s Zabbaeos, so ist der letztere
vermutlich eben der Argapetes.
^103 Dafuer spricht die Sachlage; Zeugnisse fehlen. In den
Kaiserbiographien dieser Epoche pflegen die Armenier unter den von Rom
unabhaengigen Grenzvoelkern aufgefuehrt zu werden (Val. Max. 6; vit. trig. tyr.
30, 7, 18; Aur. Vict. 11, 27, 28, 41); aber dies gehoert zu ihren voellig
unzuverlaessigen, dekorativen Bestandteilen.
^104 Dieser bescheidenere Bericht (Eutr. 9, 10; vita Gall. 10; vit. trig.
tyr. 15, 4; Zos. hist. 1, 39, der allein die zweimalige Expedition bezeugt) wird
dem, der die Einnahme der Stadt meldet (Synkellos p. 716), vorgehen muessen.
^105 Dies zeigen die Erzaehlungen ueber den Carinus (Dios Forts. p. 8) und
ueber den Rufinus (Anm. 107). Dass nach Odaenathos' Tode ein auf Gallienus'
Geheiss gegen die Perser agierender Feldherr, Heraclianus von Zenobia,
angegriffen und ueberwunden ward (vita Gall. 13, 5), ist an sich nicht
unmoeglich, da ja die Fuersten von Palmyra das Oberkommando im ganzen Osten von
Rechts wegen besassen und eine solche Aktion, auch wenn sie von Gallienus
veranlasst war, behandelt werden konnte als dagegen verstossend, und es wuerde
dies das gespannte Verhaeltnis deutlich bezeichnen; aber der Gewaehrsmann ist so
schlecht, dass darauf wenig zu geben ist.
^106 Das lehrt die charakteristische Erzaehlung des Petrus fr. 10, welches
vor fr. 11 zu stellen ist.
^107 Die Erzaehlung des Fortsetzers des Dio fr. 7, dass der alte Odaenathos
als des Hochverrats verdaechtig von einem (sonst nicht erwaehnten) Rufinus
getoetet und der juengere, als er diesen bei dem Kaiser Gallienus verklagt habe,
auf die Erklaerung des Rufinus, dass der Klaeger das gleiche Schicksal verdiene,
abgewiesen sei, kann so, wie sie liegt, nicht richtig sein. Aber Waddingtons
Vorschlag, dem Gallienus den Gallus zu substituieren und in dem Klaeger den
Gatten Zenobias zu erkennen, ist nicht statthaft, da der Vater dieses Odaenathos
Hairanes war, bei diesem fuer eine derartige Exekution gar kein Grund vorliegt
und das Exzerpt in seiner ganzen Beschaffenheit unzweifelhaft auf Gallienus
geht. Vielmehr wird der alte Odaenathos der Gemahl der Zenobia sein und der
Schriftsteller dem Vaballathos, auf dessen Namen geklagt ward, irrig den
Vaternamen beigelegt haben.
^108 Alle Einzelheiten, die in unseren Erzaehlungen ueber die Zenobia
umlaufen, stammen aus den Kaiserbiographien; und wiederholen wird sie nur, wer
diese Quelle nicht kennt.
^109 Den Namen Vaballathos geben, ausser den Muenzen und den Inschriften,
Pol. Silv. chron. p. 243 meiner Ausgabe und der Biograph des Aurelianus c. 38,
indem er die Angabe, dass Odaenathos zwei Soehne, Timolaus und Herennianus,
hinterlassen habe, als unrichtig bezeichnet. In der Tat scheinen diese beiden,
lediglich in den Kaiserbiographien auftretenden Personen nebst allem, was daran
haengt, von dem Skribenten erfunden, auf den die Durchfaelschung dieser
Biographien zurueckgeht. Auch Zosimus (hist. 1, 59) weiss nur von einem mit der
Mutter in Gefangenschaft geratenen Sohn.
^110 Ob Zenobia fuer sich die formelle Mitregierung in Anspruch genommen
hat, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. In Palmyra nennt sie sich selbst
noch nach dem Bruch mit Rom bloss basiliss/e/ (Waddington 2611, 2628). Im
uebrigen Reich mag sie den Titel Augusta, Sebast/e/ in Anspruch genommen haben;
denn wenn auch Muenzen der Zenobia aus der Zeit vor dem Bruch mit Rom fehlen, so
kann doch einerseits die alexandrinische Inschrift mit basiliss/e/s kai
basile/o/s prostaxant/o/n (Eph. epigr. IV, p. 25 n. 33) keinen Anspruch machen
auf offizielle Redaktion und gibt andrerseits die Inschrift von Byblos CIG 4503
b = Waddington zu 2611 in der Tat der Zenobia den Titel Sebast/e/ neben Claudius
oder Aurelian, waehrend sie denselben dem Vaballathos versagt. Dies ist auch
insofern begreiflich, als Augusta eine Ehren-, Augustus eine Amtsbezeichnung
ist, also dem Weibe wohl eingeraeumt werden konnte, was man dem Mann versagte.
^111 So erzaehlt Zosimus (hist. 1, 44) den Hergang, mit dem Zonaras (12,
27) und Synkellos (p. 721) im wesentlichen stimmen. Der Bericht im Leben des
Claudius c. 11 ist mehr verschoben als eigentlich widersprechend; die erste
Haelfte ist nur durch die Nennung des Saba angedeutet; die Erzaehlung beginnt
mit dem erfolgreichen Versuch des Timagenes, den Angriff des Probus (hier
Probatus) abzuwehren. Was ich darueber bei A. v. Sallet (Die Fuersten von
Palmyra, Berlin 1866, S. 44) aufgestellt habe, ist nicht haltbar.
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Der kraeftige und umsichtige Kaiser, dem jetzt die Herrschaft zugefallen
war, brach sofort mit der palmyrenischen Nebenregierung, was dann zur Folge
haben musste und hatte, dass Vaballathos von den Seinen selber zum Kaiser
ausgerufen ward. Aegypten wurde schon im Ausgang des Jahres 270 durch den
tapferen Feldherrn Probus, den spaeteren Nachfolger Aurelians, nach harten
Kaempfen wieder zum Reiche gebracht ^112. Freilich zahlte diesen Sieg die zweite
Stadt des Reiches Alexandreia fast mit ihrer Existenz, wie dies in einem
folgenden Abschnitt dargelegt werden soll. Schwieriger war die Bezwingung der
entlegenen syrischen Oase. Alle anderen orientalischen Kriege der Kaiserzeit
sind hauptsaechlich von dort heimischen Reichstruppen gefuehrt worden; hier, wo
der Okzident den abgefallenen Osten abermals zu unterwerfen hatte, schlugen
wieder einmal, wie in der Zeit der freien Republik, Okzidentalen gegen
Orientalen ^113, die Soldaten vom Rhein und der Donau mit denen der syrischen
Wueste. Gegen den Ausgang des Jahres 271, wie es scheint, begann die gewaltige
Expedition. Ohne auf Gegenwehr zu treffen, gelangte das roemische Heer bis an
die Grenze von Kappadokien; hier leistete die Stadt Tyana, die die kilikischen
Paesse sperrte, ernstlichen Widerstand. Nachdem sie gefallen war und Aurelian
durch milde Behandlung der Bewohner sich den Weg zu weiteren Erfolgen geebnet
hatte, ueberschritt er den Taurus und gelangte durch Kilikien nach Syrien. Wenn
Zenobia, wie nicht zu bezweifeln ist, auf taetige Unterstuetzung von seiten des
Perserkoenigs gerechnet hatte, so fand sie sich getaeuscht. Der hochbetagte
Koenig Schapur griff nicht in diesen Krieg ein und die Herrscherin des
roemischen Ostens blieb auf ihre eigenen Streitkraefte angewiesen, von denen
vielleicht auch noch ein Teil auf die Seite des legitimen Augustus trat. In
Antiocheia vertrat die palmyrenische Hauptmacht unter dem Feldherrn Zabdas dem
Kaiser den Weg; auch Zenobia selbst war anwesend. Ein glueckliches Gefecht gegen
die ueberlegene palmyrenische Reiterei am Orontes lieferte Aurelian die Stadt in
die Haende, welche nicht minder wie Tyana volle Verzeihung empfing -
gerechterweise erkannte er an, dass die Reichsuntertanen kaum eine Schuld traf,
wenn sie dem von der roemischen Regierung selbst zum Oberkommandanten bestellten
palmyrenischen Fuersten sich gefuegt hatten. Die Palmyrener zogen ab, nachdem
sie bei der Vorstadt von Antiocheia, Daphne, ein Rueckzugsgefecht geliefert
hatten, und schlugen die grosse Strasse ein, die von der Hauptstadt Syriens nach
Hemesa und von da durch die Wueste nach Palmyra fuehrt. Aurelianus forderte die
Koenigin auf, sich zu unterwerfen, hinweisend auf die namhaften in den Kaempfen
am Orontes erlittenen Verluste. Es seien das ja nur Roemer, antwortete die
Koenigin; noch gaben die Orientalen sich nicht ueberwunden. Bei Hemesa ^114
stellte sie sich zu der entscheidenden Schlacht. Sie war lang und blutig; die
roemische Reiterei unterlag und loeste fluechtend sich auf; aber die Legionen
entschieden und der Sieg blieb den Roemern. Schwieriger als der Kampf war der
Marsch. Die Entfernung von Hemesa nach Palmyra betraegt in gerader Richtung 18
deutsche Meilen, und wenn auch in jener Epoche der hochgesteigerten syrischen
Zivilisation die Gegend nicht in dem Grade wuest war wie heutzutage, so bleibt
der Zug Aurelians dennoch eine bedeutende Leistung, zumal da die leichten Reiter
des Feindes das roemische Heer auf allen Seiten umschwaermten. Indes Aurelian
gelangte zum Ziel und begann die Belagerung der festen und wohl
verproviantierten Stadt; schwieriger als diese selbst war die Herbeifuehrung der
Lebensmittel fuer das belagernde Heer. Endlich sank der Fuerstin der Mut, und
sie entwich aus der Stadt, um Hilfe bei den Persern zu suchen. Doch das Glueck
stand dem Kaiser weiter bei. Die nachsetzenden roemischen Reiter nahmen sie mit
ihrem Sohne gefangen, als sie eben am Euphrat angelangt das rettende Boot
besteigen wollte, und die durch ihre Flucht entmutigte Stadt kapitulierte (272).
Aurelianus gewaehrte auch hier wie in diesem ganzen Feldzug den unterworfenen
Buergerschaften volle Verzeihung. Aber ueber die Koenigin und ihre Beamten und
Offiziere erging ein strenges Strafgericht. Zenobia verschmaehte es nicht,
nachdem sie mit maennlicher Tatkraft jahrelang die Herrschaft gefuehrt hatte,
jetzt die Frauenprivilegien anzurufen und die Verantwortung auf ihre Berater zu
werfen, von denen nicht wenige, unter ihnen der gefeierte Gelehrte Cassius
Longinus, unter dem Henkerbeil endigten. Sie selbst durfte in dem Triumphzug des
Kaisers nicht fehlen, und sie ging nicht den Weg Kleopatras, sondern zog in
goldenen Ketten zur Schau der roemischen Menge vor dem Wagen des Siegers auf das
roemische Kapitol. Aber bevor Aurelianus seinen Sieg feiern konnte, hatte er ihn
zu wiederholen. Wenige Monate nach der Uebergabe erhoben sich die Palmyrener
abermals, erschlugen die kleine dort garnisonierende roemische Besatzung und
riefen einen gewissen Antiochos ^115 zum Herrscher aus, indem sie zugleich
versuchten, den Statthalter von Mesopotamien, Marcellinus, zur Auflehnung zu
bestimmen. Die Kunde erreichte den Kaiser, als er eben den Hellespont
ueberschritten hatte. Er kehrte sofort um und stand, frueher als es Freund oder
Feind geahnt hatte, abermals vor den Mauern der insurgierten Stadt. Die Empoerer
waren darauf nicht gefasst gewesen; es gab diesmal keine Gegenwehr, aber auch
keine Gnade. Palmyra wurde zerstoert, das Gemeinwesen aufgeloest, die Mauern
geschleift, die Prunkstuecke des herrlichen Sonnentempels in den Tempel
uebertragen, den in Erinnerung an diesen Sieg der Kaiser dem Sonnengott des
Ostens in Rom erbaute. Nur die verlassenen Hallen und Mauern blieben, wie sie
zum Teil noch heute stehen. Das geschah im Jahre 273 ^116. Die Bluete Palmyras
war eine kuenstliche, erzeugt durch die dem Handel gewiesenen Strassen und die
grossen dadurch bedingten oeffentlichen Bauten. Jetzt zog die Regierung von der
ungluecklichen Stadt ihre Hand ab. Der Handel suchte und fand andere Bahnen; da
Mesopotamien damals als roemische Provinz betrachtet ward und bald auch wieder
zum Reich kam, ebenfalls das Nabataeergebiet bis zu dem Hafen von Aelana in
roemischer Hand war, so konnte diese Zwischenstation entbehrt werden und mag der
Verkehr sich dafuer nach Bostra oder Beroea (Aleppo) gezogen haben. Dem kurzen
meteorartigen Aufleuchten Palmyras und seiner Fuersten folgte unmittelbar die
Oede und Stille, die seither bis auf den heutigen Tag ueber dem kuemmerlichen
Wuestendorf und seinen Kolonnadenruinen lagert.
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^112 Die Zeitbestimmung beruht darauf, dass die Usurpationsmuenzen des
Vaballathos schon in seinem fuenften aegyptischen Regierungsjahr, das heisst 29.
August 270/71 aufhoeren; dass sie sehr selten sind, spricht fuer den Anfang des
Jahres. Damit stimmt wesentlich ueberein, dass die Erstuermung des Prucheion
(das uebrigens kein Stadtteil war, sondern eine Lokalitaet dicht bei der Stadt
nach der Seite der grossen Oase: Hier. vita Hilar. 33, 34, vol. 2 p. 32 Vall.)
von Eusebius in der Chronik in das 1. Jahr des Claudius, von Ammian (22, 16, 15)
unter Aurelian gesetzt wird; der genaueste Bericht bei Eusebius (hist. eccl. 7,
32) ist nicht datiert. Die Rueckeroberung Aegyptens durch Probus steht nur in
der Biographie desselben (c. 9); sie kann so, wie sie erzaehlt wird, verlaufen
sein, aber moeglich ist es auch, dass in dieser durch und durch verfaelschten
Quelle die Timagenes-Geschichte mutatis mutandis auf den Kaiser uebertragen ist.
^113 Das hat wohl der von Zosimus (hist. 1, 52) ausgezogene Bericht ueber
die Schlacht von Hemesa hervorheben wollen, indem er unter den Truppen Aurelians
die Dalmatiner, Moeser, Pannonier, Noriker, Raeter, Mauretaner und die Garde
aufzaehlt. Wenn er diesen die Truppen von Tyana und einige Abteilungen aus
Mesopotamien, Syrien, Phoenike, Palaestina zugesellt, so geht dies ohne Zweifel
auf die kappadokischen Besatzungen, die nach der Einnahme von Tyana sich
angeschlossen hatten, und auf einige bei dem Einruecken Aurelians in Syrien zu
ihm uebergegangene roemisch gesinnte Abteilungen der Armeen des Ostens.
^114 Aus Versehen setzt Eutropius (9, 13) die entscheidende Schlacht haud
longe ab Antiochia; gesteigert ist dasselbe bei Rufius c. 24 (von dem Hier.
chron. a. Abr. 2289 abhaengt) und bei Synkellos p. 721 durch den Zusatz apud
Immas, en Immais, welcher 33 roemische Meilen von Antiocheia auf der Strasse
nach Chalkis zu liegende Ort von Hemesa weit abliegt. Die beiden Hauptberichte
bei Zosimus und dem Biographen Aurelians stimmen in allem wesentlichen ueberein.
^115 Diesen Namen haben Zos. hist. 1, 60 und Pol. Silv. chron. p. 243; der
Achilleus des Biographen Aurelians c. 31 scheint eine Verwechslung mit dem
Usurpator der diocletianischen Zeit. Dass gleichzeitig auch in Aegypten ein
Parteigaenger der Zenobia und zugleich Raeuberhauptmann namens Firmus sich gegen
die Regierung erhoben hat, ist wohl moeglich, beruht aber nur auf den
Kaiserbiographien, und die hinzugefuegten Details klingen sehr bedenklich.
^116 Die Chronologie dieser Ereignisse steht nicht voellig fest. Die
Seltenheit der syrischen Muenzen Vaballaths als Augustus beweisen, dass dem
Bruch mit Aurelian (Ende 270) die Ueberwaeltigung bald nachfolgte. Nach den
datierten Inschriften des Odaenathos und der Zenobia vom August 271 (Waddington
2611) stand damals die Herrschaft der Koenigin noch aufrecht. Da eine Expedition
dieser Art nach den klimatischen Verhaeltnissen nicht wohl anders als im
Fruehling stattfinden kann, so wird die erste Einnahme Palmyras im Fruehjahr 272
erfolgt sein. Die juengste (bloss palmyrenische) Inschrift, die wir von da
kennen (Vogue 116) ist vom August 272. In diese Zeit mag die Insurrektion
fallen, die zweite Einnahme und die Zerstoerung etwa in den Fruehling 273
(wonach 6, 154 A. zu berichtigen ist).
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Das ephemere Reich von Palmyra ist in seinem Entstehen wie in seinem Fall
eng mit den Beziehungen der Roemer zu dem nicht roemischen Osten verwachsen,
aber nicht minder ein Stueck der allgemeinen Reichsgeschichte. Denn wie das
Westreich des Postumus, so ist das Ostreich der Zenobia eine jener Massen, in
die damals das gewaltige Ganze sich schien aufloesen zu sollen. Wenn waehrend
seines Bestehens seine Leiter dem Ansturm der Perser ernstlich Schranken zu
setzen versuchten, ja ihre Machtentwicklung eben darauf beruhte, so hat es bei
seinem Zusammenbrechen nicht bloss bei denselben Persern Rettung gesucht,
sondern wahrscheinlich sind infolge des Abfalls der Zenobia Armenien und
Mesopotamien den Roemern verlorengegangen und hat auch nach der Unterwerfung
Palmyras der Euphrat wieder eine Zeitlang die Grenze gemacht. An ihm angelangt,
hoffte die Koenigin Aufnahme bei den Persern zu finden; und ueber ihn hinueber
die Legionen zu fuehren, unterliess Aurelianus, da Gallien nebst Britannien und
Spanien damals noch der Regierung die Anerkennung verweigerten. Er und sein
Nachfolger Probus kamen nicht dazu, diesen Kampf aufzunehmen. Aber als im Jahre
282 nach dem vorzeitigen Ende des letzteren die Truppen den naechsthoechsten
Befehlshaber Marcus Aurelius Carus zum Kaiser ausriefen, war es das erste Wort
des neuen Herrschers, dass die Perser dieser Wahl gedenken sollten, und er hat
es gehalten. Sogleich rueckte er mit dem Heere in Armenien ein und stellte dort
die fruehere Ordnung wieder her. An der Landesgrenze kamen ihm persische
Gesandte entgegen, die sich bereit erklaerten, alles Billige zu gewaehren ^117;
aber sie wurden kaum angehoert, und der Marsch ging unaufhaltsam weiter. Auch
Mesopotamien wurde abermals roemisch und die parthischen Residenzstaedte
Seleukeia und Ktesiphon einmal mehr von den Roemern besetzt, ohne dass diese auf
nachhaltigen Widerstand getroffen waeren, wozu der damals im Persischen Reiche
wuetende Bruderkrieg das seinige beitrug ^118. Der Kaiser war eben ueber den
Tigris gegangen und im Begriff, in das Herz des feindlichen Landes einzudringen,
als er auf gewaltsame Weise, vermutlich durch Moerderhand, den Tod und damit
auch der Feldzug sein Ende fand. Sein Nachfolger aber erlangte im Frieden die
Abtretung von Armenien und Mesopotamien ^119; obwohl Carus wenig ueber ein Jahr
den Purpur trug, wurde die Reichsgrenze des Severus durch ihn wiederhergestellt.
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^117 Es lehrt nichts fuer die Stellung der Armenier, dass in uebrigens
durchaus apokryphen Schilderungen (vita Valer. 6; vita Aurel. 27, 28) die
Armenier nach der Katastrophe Valerians zu den Persern halten und in der letzten
Krise der Palmyrener als Bundesgenossen der Zenobia neben den Persern
erscheinen; beides sind selbstverstaendliche Konsequenzen aus der allgemeinen
Lage der Dinge. Dass Aurelian Armenien so wenig wie Mesopotamien unterwarf,
dafuer spricht in diesem Falle teils das Schweigen der Quellen, teils die
Nachricht des Synesios (regn. 17), dass Kaiser Carinus (vielmehr Carus) in
Armenien hart an der Grenze des persischen Gebiets eine persische Gesandtschaft
kurzerhand abgefertigt und, durch deren Bericht erschreckt, der junge
Perserkoenig sich zu jeder Konzession bereit erklaert habe. Wie diese Erzaehlung
auf Probus bezogen werden kann, wie v. Gutschmid meint (ZDMG 31, 1877, S. 50),
sehe ich nicht ein; zu Carus' persischer Expedition dagegen passt sie recht gut.
^118 Die Wiedereroberung Mesopotamiens berichtet nur der Biograph c. 8;
aber bei dem Ausbruch des Perserkrieges unter Diocletian ist dasselbe roemisch.
Der inneren Unruhen im Perserreich wird ebendaselbst gedacht; auch wird in einem
im Jahre 289 gehaltenen Vortrag (Paneg. 3, 17) der Krieg erwaehnt, den gegen den
Koenig von Persien - es war dies Bahram II. - der eigene Bruder Ormies oder
vielmehr Hormizd fuehrt adscitis Sacis et Ruffis (?) et Gellis (vgl. Noeldeke,
Tabari, S. 479). Wir haben ueberhaupt ueber diesen wichtigen Feldzug nur einige
abgerissene Notizen.
^119 Das sagt deutlich Mamertinus (Paneg. 2, 7, vgl. 2, 10; 3, 6) in der im
Jahre 289 gehaltenen Rede: Syriam velut amplexu suo tegebat Eupbrates antequam
Diocletiano sponte (das heisst, ohne dass Diocletian zu den Waffen zu greifen
brauchte, wie dann weiter ausgefuehrt wird) se dederent regna Persarum; ferner
ein anderer Lobredner aus dem Jahre 296 (Paneg. 5, 3): Partho ultra Tagrim
reducto. Wendungen wie die bei Aur. Vict. Caes. 39, 33, dass Galerius relictis
finibus nach Mesopotamien marschiert sei, oder dass Narseh nach Ruf. Fest. 25 im
Frieden Mesopotamien abtrat, koennen dagegen nicht geltend gemacht werden;
ebensowenig, dass orientalische Quellen die roemische Besitznahme von Nisibis in
609 Sel. = 297/98 n. Chr. setzen (Noeldeke, Tabari, S. 50). Waere dies richtig,
so koennte der genaue Bericht ueber die Friedensverhandlungen von 297 bei Petrus
Patricius fr. 14 unmoeglich von der Abtretung Mesopotamiens schweigen und bloss
der Regulierung des Grenzverkehrs Erwaehnung tun.
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Einige Jahre darauf (293) bestieg ein neuer Herrscher, Narseh, des Koenigs
Schapur Sohn, den Thron von Ktesiphon, und erklaerte im Jahre 296 wegen des
Besitzes von Mesopotamien und Armenien den Roemern den Krieg ^120. Diocletianus,
der damals die oberste Leitung wie des Reiches ueberhaupt, so namentlich des
Orients hatte, beauftragte mit der Fuehrung desselben seinen Reichsgehilfen
Galerius Maximianus, einen rohen, aber tapferen Feldherrn. Der Anfang war
unguenstig. Die Perser fielen in Mesopotamien ein und gelangten bis nach
Karrhae; gegen sie fuehrte der Caesar die syrischen Legionen bei Nikephorion
ueber den Euphrat; zwischen diesen beiden Positionen stiessen die Armeen
aufeinander, und die weit schwaechere roemische unterlag. Es war ein harter
Schlag und der junge Feldherr musste schwere Vorwuerfe ueber sich ergehen
lassen; aber er verzagte nicht. Fuer den naechsten Feldzug wurden aus dem ganzen
Reich Verstaerkungen herangezogen und beide Regenten rueckten persoenlich in das
Feld; Diocletian nahm Stellung in Mesopotamien mit der Hauptmacht, waehrend
Galerius, verstaerkt durch die inzwischen herangezogenen illyrischen
Kerntruppen, mit einem Heer von 25000 Mann in Armenien dem Feind entgegentrat
und ihm eine entscheidende Niederlage beibrachte. Das Lager und der Schatz, ja
selbst der Harem des Grosskoenigs fielen den Kriegern in die Haende, und mit Not
entging Narseh selbst der Gefangenschaft. Um nur die Frauen und die Kinder
wieder zu erlangen, erklaerte der Koenig sich bereit, auf jede Bedingung Frieden
zu schliessen; sein Abgesandter Apharban beschwor den Roemer, des Persers zu
schonen: die beiden Reiche, das Roemische und das Persische, seien gleichsam die
beiden Augen der Welt und keines koenne des anderen entbehren. Es haette in der
Macht der Roemer gestanden, ihren orientalischen Provinzen eine mehr
hinzuzufuegen; der vorsichtige Herrscher begnuegte sich mit der Regulierung der
Besitzverhaeltnisse im Nordosten. Mesopotamien blieb selbstverstaendlich im
roemischen Besitz; der wichtige Handelsverkehr mit dem benachbarten Ausland
wurde unter strenge staatliche Kontrolle gestellt und wesentlich nach der festen
Stadt Nisibis gewiesen, dem Stuetzpunkt der roemischen Grenzwacht im oestlichen
Mesopotamien. Als Grenze der unmittelbaren roemischen Herrschaft wurde der
Tigris anerkannt, jedoch in der Ausdehnung, dass das ganze suedliche Armenien
bis zum See Thospitis (Vansee) und zum Euphrat, also das gesamte obere Tigristal
zum Roemischen Reich gehoeren solle. Eigentliche Provinz ward dies Vorland von
Mesopotamien nicht, sondern nach der bisherigen Weise als roemische Satrapie
Sophene verwaltet. Einige Dezennien spaeter ward hier die starke Festung Amida
(Diarbekr) angelegt, seitdem die Hauptburg der Roemer im Gebiet des oberen
Tigris. Zugleich ward die Grenze zwischen Armenien und Medien neu reguliert und
die Lehnsherrlichkeit Roms ueber jenes Land wie ueber Iberien abermals
bestaetigt. Bedeutende Gebietsabtretungen legte der Friede den Besiegten nicht
auf, aber er stellte eine den Roemern guenstige Grenze her, welche auf laengere
Zeit hinaus in diesen vielumstrittenen Gebieten die beiden Reiche schied ^121.
Die Politik Traians erhielt damit ihre vollstaendige Durchfuehrung; allerdings
verschob sich auch eben damals der Schwerpunkt der roemischen Herrschaft aus dem
Westen nach dem Osten.
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^120 Dass Narseh in das damals roemische Armenien einbrach, sagt Amm. 23,
5, 11; fuer Mesopotamien folgt dasselbe aus Eutr. 9, 24. Noch am 1. Maerz 296
bestand der Friede oder war doch die Kriegserklaerung im Okzident nicht bekannt
(Paneg. 5, 10).
^121 Die Differenzen in den ausnahmsweise guten Berichten namentlich des
Petrus Patricius fr. 14 und Ammians (25, 7, 9) sind wohl nur formaler Art. Dass
der Tigris die eigentliche Reichsgrenze sein sollte, wie Priscus sagt, schliesst
nicht aus, zumal bei der eigentuemlichen Beschaffenheit seines Oberlaufs, dass
dieselbe dort teilweise darueber hinausgriff; vielmehr scheinen die fuenf vorher
bei Petrus genannten Distrikte eben als transtigritanische und von der folgenden
allgemeinen Bestimmung auszunehmende aufgefuehrt zu werden. Die Distrikte,
welche Priscus hier und, ausdruecklich als transtigritanische, Ammian auffuehren
- es sind dies bei beiden Arzanene, Karduene und Zabdicene, bei Priscus Sophene
und Intilene ("vielmehr Ingiline, armenisch Angel, jetzt Egil": Kiepen), bei
Ammian Moxoene und Rehimene (?) - koennen unmoeglich alle vor dem Frieden, wo
doch Armenien schon Romano iuri obnoxia war (Amm. 23, 5, 11), von den Roemern
als persische betrachtet worden sein; ohne Zweifel bildeten die westlicheren
derselben schon damals einen Teil des roemischen Armeniens und stehen hier nur
insofern, als sie infolge des Friedens dem Reiche als Satrapie Sophene
einverleibt wurden. Dass es sich hier nicht um die Grenze der Abtretung, sondern
um die des unmittelbaren Reichsgebiets handelte, zeigt der Folgesatz, der die
Grenze zwischen Armenien und Medien feststellt.
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10. Kapitel
Syrien und das Nabataeerland
Sehr allmaehlich haben die Roemer sich dazu entschlossen, nach der
westlichen auch der oestlichen Haelfte der Kuesten des Mittelmeeres sich zu
bemaechtigen; nicht an dem Widerstand, auf den sie hier verhaeltnismaessig in
geringem Masse trafen, sondern an der wohlbegruendeten Scheu vor den
denationalisierenden Konsequenzen dieser Eroberungen hat es gelegen, dass sie so
lange wie moeglich sich nur bemuehten, in jenen Gegenden den entscheidenden
politischen Einfluss zu bewahren, und dass die eigentliche Einverleibung
wenigstens Syriens und Aegyptens erst stattfand, als der Staat schon fast eine
Monarchie war. Wohl wurde dadurch das Roemerreich geographisch geschlossen, das
Mittelmeer, Roms eigentliche Basis, seit es eine Grossmacht war, nach allen
Seiten hin ein roemischer Binnensee, Schiffahrt und Handel auf und an demselben
zum Segen aller Anwohner staatlich geeinigt. Aber der geographischen
Geschlossenheit zur Seite ging die nationale Zweiteilung. Durch Griechenland und
Makedonien waere der Roemerstaat nie binational geworden, so wenig wie die
Griechenstaedte Neapolis und Massalia Kampanien und die Provence hellenisiert
haben. Aber wenn in Europa und Afrika das griechische Gebiet gegenueber der
geschlossenen Masse des lateinischen verschwindet, so gehoert, was von dem
dritten Erdteil mit dem von Rechts wegen dazu gehoerigen Niltal in diesen
Kulturkreis hineingezogen ward, ausschliesslich den Griechen, und namentlich
Antiocheia und Alexandreia sind die rechten Traeger der in Alexander ihren
Hoehepunkt erreichenden hellenischen Entwicklung, Mittelpunkte hellenischen
Lebens und hellenischer Bildung und Grossstaedte wie Rom auch. Nachdem in dem
vorhergehenden Kapitel der die ganze Kaiserzeit ausfuellende Kampf des Ostens
und des Westens in und um Armenien und Mesopotamien dargestellt worden ist,
wenden wir uns dazu, die Verhaeltnisse der syrischen Landschaften zu schildern,
wie sie gleichzeitig sich gestalteten. Gemeint ist das Gebiet, das der Bergstock
Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens von Kleinasien, die oestliche Fortsetzung
desselben Gebirges und der Euphrat von Armenien und Mesopotamien, die arabische
Wueste von dem Parthischen Reiche und von Aegypten scheiden; nur schien es
angemessen, die eigenartigen Schicksale Judaeas in einem besonderen Abschnitt zu
behandeln. Der Verschiedenheit der politischen Entwicklung unter dem
Kaiserregiment entsprechend soll zunaechst von dem eigentlichen Syriens dem
noerdlichen Teil dieses Gebiets und von der unter dem Libanos sich hinziehenden
phoenikischen Kueste, weiter von dem Hinterlande Palaestinas, dem Gebiet der
Nabataeer gesprochen werden. Was ueber Palmyra zu sagen war, hat schon im
vorigen Kapitel seinen Platz gefunden.
Seit der Teilung der Provinzen zwischen dem Kaiser und dem Senat hat Syrien
unter kaiserlicher Verwaltung gestanden und ist im Orient, wie Gallien im
Westen, der Schwerpunkt der kaiserlichen zivilen und militaerischen Verwaltung
gewesen. Diese Statthalterschaft war von Anfang an von allen die angenehmste und
wurde dies im Lauf der Zeit nur noch in hoeherem Grade. Ihr Inhaber fuehrte,
gleich den Statthaltern der beiden Germanien, das Kommando ueber vier Legionen,
und waehrend den Kommandanten der Rheinarmee die Verwaltung der inneren
gallischen Landschaften abgenommen ward und schon in ihrem Nebeneinanderstehen
eine gewisse Beschraenkung lag, behielt der Statthalter von Syrien auch die
Zivilverwaltung der ganzen grossen Provinz ungeschmaelert und fuehrte lange Zeit
in ganz Asien allein ein Kommando ersten Ranges. Unter Vespasian erhielt er zwar
an den Statthaltern von Palaestina und von Kappadokien zwei ebenfalls Legionen
befehligende Kollegen; andererseits aber wuchsen durch die Einziehung des
Koenigreichs Kommagene und bald darauf auch der Fuerstentuemer im Libanos deren
Gebiete seiner Verwaltung zu. Erst im Laufe des zweiten Jahrhunderts trat eine
Schmaelerung seiner Befugnisse ein, indem Hadrian eine der vier Legionen dem
Statthalter von Syrien nahm und sie dem von Palaestina ueberwies. Den ersten
Platz in der roemischen Militaerhierarchie hat erst Severus dem syrischen
Statthalter entzogen. Nachdem dieser die Provinz, die wie einst ihren
Statthalter Vespasian, so damals den Niger zum Kaiser hatte machen wollen, unter
Widerstreben namentlich der Hauptstadt Antiocheia unterworfen hatte, verfuegte
er die Teilung derselben in eine noerdliche und eine suedliche Haelfte und gab
dem Statthalter jener, der sogenannten Syria Koile, zwei, dem Statthalter
dieser, der Provinz Syrophoenicia, eine Legion.
Auch insofern darf Syrien mit Gallien zusammengestellt werden, als dieser
kaiserliche Verwaltungsbezirk schaerfer als die meisten sich in befriedete
Landschaften und schutzbeduerftige Grenzdistrikte schied. Wenn die ausgedehnte
Kueste Syriens und die westlichen Landschaften ueberhaupt feindlichen Angriffen
nicht ausgesetzt waren und die Deckung an der Wuestengrenze gegen die
schweifenden Beduinen den arabischen und juedischen Fuersten und spaeterhin den
Truppen der Provinz Arabien, auch den Palmyrenern, mehr oblag als den syrischen
Legionen, so erforderte, namentlich bevor Mesopotamien roemisch ward, die
Euphratgrenze eine aehnliche Bewachung gegen die Parther wie der Rhein gegen die
Germanen. Aber wenn die syrischen Legionen an der Grenze zur Verwendung kamen,
so konnte man doch auch in dem westlichen Syrien ihrer nicht entraten ^1. Die
Rheintruppen waren allerdings auch der Gallier wegen da; dennoch durften die
Roemer mit berechtigtem Stolz sagen, dass fuer die grosse Hauptstadt Galliens
und die drei gallischen Provinzen eine unmittelbare Besatzung von 1200 Mann
ausreiche. Aber fuer die syrische Bevoelkerung und insbesondere fuer die
Hauptstadt des roemischen Asiens genuegte es nicht, die Legionen am Euphrat
aufzustellen. Nicht bloss am Saum der Wueste, sondern auch in den Schlupfwinkeln
der Gebirge hausten in der Nachbarschaft der reichen Aecker und der grossen
Staedte, nicht in dem Grade wie heutzutage, aber doch auch damals stetig,
verwegene Raeuberbanden und pluenderten, oft als Kaufleute oder Soldaten
verkleidet, die Landhaeuser und die Doerfer. Aber auch die Staedte selbst, vor
allem Antiocheia, verlangten, wie Alexandreia, eigene Besatzung. Ohne Zweifel
ist dies der Grund gewesen, weshalb eine Teilung in Zivil- und Militaerbezirke,
wie sie fuer Gallien schon Augustus verfuegte, in Syrien niemals auch nur
versucht worden ist und weshalb die grossen, auf sich selbst stehenden
Lageransiedlungen, aus denen zum Beispiel Mainz am Rhein, Leon in Spanien,
Chester in England hervorgegangen sind, im roemischen Orient gaenzlich fehlen.
Ohne Zweifel aber ist dies auch der Grund, weshalb die syrische Armee in Zucht
und Geist so sehr zurueckstand gegen die der Westprovinzen; weshalb die stramme
Disziplin, wie sie in den militaerischen Standlagern des Okzidents gehandhabt
ward, in den staedtischen Kantonnements des Ostens nie Fuss fassen konnte. Wo
der stehenden Truppe neben ihrer naechsten Bestimmung noch die Aufgabe der
Polizei zufaellt, wirkt dies an sich demoralisierend, und nur zu oft wird, wo
sie unruhige staedtische Massen in Zucht halten soll, vielmehr ihre eigene
Disziplin dadurch untergraben. Die frueher geschilderten syrischen Kriege
liefern dazu den unerfreulichen Kommentar; keiner derselben fand eine
kriegsfaehige Armee vor und regelmaessig bedurfte es erst herangezogener
okzidentalischer Truppen, um dem Kampfe die Wendung zu geben.
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^1 Die Standquartiere der syrischen Legionen genau zu bestimmen, vermoegen
wir nicht; doch ist, was hier gesagt ist, wesentlich gesichert. Unter Nero stand
die 10. Legion in Raphaneae suedwestlich von Hamath (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3) und
ebendaselbst oder doch ungefaehr in dieser Gegend unter Tiberius die 6. (Tac.
ann. 2, 79); wahrscheinlich in oder bei Antiocheia die 12. unter Nero (Ios. bel.
Iud. 2, 18, 9). Wenigstens eine Legion stand am Euphrat; fuer die Zeit vor der
Einziehung Kommagenes bezeugt dies Ios. bel. Iud. 7, 1, 3, und spaeterhin hatte
eine der syrischen Legionen ihr Hauptquartier in Samosata (Ptol. geogr. 5; 15,
11; Inschrift aus Severus' Zeit CIL VI, 1409; Itin. Anton. Aug. p. 186).
Wahrscheinlich hatten die Staebe der meisten syrischen Legionen ihren Sitz in
den westlichen Distrikten und geht die immer wiederkehrende Beschwerde, dass das
Lagern in den Staedten die syrische Armee zerruette, hauptsaechlich auf diese
Einrichtung. Ob in der besseren Zeit an dem Wuestensaum eigentliche
Legionshauptquartiere bestanden haben, ist zweifelhaft; bei den Grenzposten
daselbst haben auch Detachements der Legionen Verwendung gefunden, und
namentlich ist der besonders unruhige Distrikt zwischen Damaskos und Bostra
stark mit Legionaeren belegt worden, die einerseits das Kommando von Syrien
stellte, andererseits das arabische seit Einrichtung desselben durch Traian.
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Syrien im engeren Sinne und seine Nebenlaender, das ebene Kilikien und
Phoenike haben unter den roemischen Kaisern eine Geschichte im eigentlichen
Sinne nicht gehabt. Die Bewohner dieser Landschaften gehoeren dem gleichen
Stamme an wie die Bewohner Judaeas und Arabiens, und die Stammvaeter der Syrer
und der Phoeniker haben in ferner Zeit an einem Orte gesessen mit denen der
Juden und der Araber und eine Sprache geredet. Aber wenn die letzteren an ihrer
Eigenart und an ihrer Sprache festgehalten haben, so haben die Syrer und die
Phoeniker sich hellenisiert, schon bevor sie unter roemische Herrschaft
gelangten. Es vollzog sich diese Hellenisierung durchgaengig in der Bildung von
hellenischen Politien. Den Grund dazu hatte freilich die einheimische
Entwicklung gelegt, namentlich an der phoenikischen Kueste die alten und grossen
Kaufstaedte. Aber vor allem hat die Staatenbildung Alexanders und der
Alexandriden, eben wie die der roemischen Republik, zu ihrem Fundament nicht den
Stamm, sondern die Stadtgemeinde; nicht das altmakedonische Erbfuerstentum,
sondern die griechische Politie hat Alexander in den Osten getragen, und nicht
aus Staemmen, sondern aus Staedten gedachte er und gedachten die Roemer ihr
Reich zusammenzusetzen. Der Begriff der autonomen Buergerschaft ist ein
dehnbarer und die Autonomie Athens und Thebens eine andere als die der
makedonischen und der syrischen Stadt, eben wie im roemischen Kreis die
Autonomie des freien Capua einen anderen Inhalt hatte als die der latinischen
Pflanzstaedte der Republik oder gar der Stadtgemeinden des Kaiserreichs; aber
der Grundgedanke ist ueberall das sich selbst verwaltende, in seinem Mauerring
souveraene Buergertum. Nach dem Sturz des Perserreichs ist Syrien nebst dem
benachbarten Mesopotamien als die militaerische Verbindungsbruecke zwischen dem
Westen und dem Osten wie kein anderes Land mit makedonischen Ansiedlungen
bedeckt worden; die dort in weitester Ausdehnung uebernommenen, sonst im ganzen
Alexanderreich nirgends also sich wiederfindenden makedonischen Ortsnamen
beweisen es, dass hier der Kern der hellenischen Eroberer des Ostens angesiedelt
wurde und dass Syrien fuer diesen Staat das Neu-Makedonien werden sollte; wie
denn auch, solange das Reich Alexanders eine Zentralregierung behielt, diese
dort ihren Sitz gehabt hat. Den syrischen Reichsstaedten hatten dann die Wirren
der letzten Seleukidenzeit zu groesserer Selbstaendigkeit verholfen. Diese
Einrichtungen fanden die Roemer vor. Unmittelbar vom Reich verwaltete, nicht
staedtische Distrikte gab es schon nach der von Pompeius vorgenommenen
Organisation in Syrien wahrscheinlich gar nicht, und wenn die abhaengigen
Fuerstentuemer in der ersten Epoche der roemischen Herrschaft einen grossen Teil
des suedlichen Binnenlandes der Provinz umfassten, so waren diese meist
gebirgigen und schwach bewohnten Distrikte doch von untergeordneter Bedeutung.
Im ganzen genommen blieb den Roemern in Syrien fuer die Hebung der staedtischen
Entwicklung nicht viel zu tun uebrig, weniger als in Kleinasien. Eigentliche
Staedtegruendung ist daher aus der Kaiserzeit fuer Syrien kaum zu berichten. Die
wenigen Kolonien, welche hier angelegt worden sind, wie unter Augustus Berytus
und wahrscheinlich auch Heliopolis, haben keinen anderen Zweck gehabt als die
nach Makedonien gefuehrten, naemlich die Unterbringung der Veteranen.
Wie sich die Griechen und die aeltere Bevoelkerung in Syrien zueinander
stellten, laesst sich schon an den oertlichen Benennungen deutlich verfolgen.
Landschaften und Staedte tragen hier der Mehrzahl nach griechische Namen,
grossenteils, wie bemerkt, der makedonischen Heimat entlehnte wie Pieria,
Anthemus, Arethusa, Beroea, Chalkis, Edessa, Europos, Kyrrhos, Larisa, Pella,
andere benannt nach Alexander oder den Gliedern des seleukidischen Hauses, wie
Alexandreia, Antiocheia, Seleukis und Seleukeia, Apameia, Laodikeia, Epiphaneia.
Die alten einheimischen Namen behaupten sich wohl daneben, wie Beroea, zuvor
aramaeisch Chaleb, auch Chalybon, Edessa oder Hierapolis, zuvor Mabog, auch
Bambyke, Epiphaneia, zuvor Hamat, auch Amathe genannt wird. Aber meistens traten
die aelteren Benennungen vor den fremden zurueck und nur wenige Landschaften und
groessere Orte wie Kommagene, Samosata, Hemesa, Damaskos entbehren
neugeschoepfter griechischer Namen. Das oestliche Kilikien hat wenig
makedonische Gruendungen aufzuweisen; aber die Hauptstadt Tarsos hat sich frueh
und vollstaendig hellenisiert und ist lange vor der roemischen Zeit eines der
Zentren der hellenischen Bildung geworden. Etwas anderes ist es in Phoenike: die
altberuehmten Kaufstaedte Arados, Byblos, Berytos, Sidon, Tyros haben die
einheimischen Namen nicht eigentlich abgelegt; aber wie auch hier das
Griechische die Oberhand gewann, zeigt die hellenisierende Umbildung eben dieser
Namen, und noch deutlicher, dass Neu-Arados uns nur unter dem griechischen Namen
Antarados bekannt ist, ebenso die von den Tyriern, den Sidoniern und den
Aradiern gemeinschaftlich an dieser Kueste gegruendete neue Stadt nur unter dem
Namen Tripolis, und beide ihre heutigen Benennungen Tartus und Tarabulus aus den
griechischen entwickelt haben. Schon in der Seleukidenzeit tragen die Muenzen im
eigentlichen Syrien ausschliesslich, die der phoenikischen Staedte weit
ueberwiegend griechische Aufschrift; und von Anfang der Kaiserzeit an steht die
Alleinherrschaft des Griechischen hier fest ^2.
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^2 Von Byblos gibt es eine Muenze aus Augustus' Zeit mit griechischer und
phoenikischer Aufschrift (Imhoof-Blumer, Monnaies grecques, Leipzig 1883, S.
443).
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Nur die nicht bloss durch weite Wuestenstrecken geschiedene, sondern auch
eine gewisse politische Selbstaendigkeit bewahrende Oase Palmyra macht, wie wir
sahen, hierin eine Ausnahme. Aber in dem Verkehr blieben die einheimischen
Idiome. In den Bergen des Libanos und des Antilibanos, wo auch in Hemesa (Roms),
Chalkis, Abila (beide zwischen Berytus und Damaskos) kleine Fuerstenhaeuser
einheimischen Ursprungs bis gegen das Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr.
schalteten, hat die einheimische Sprache in der Kaiserzeit wahrscheinlich die
Alleinherrschaft gehabt, wie denn in den schwer zugaenglichen Gebirgen der
Drusen die Sprache Arams erst in neuerer Zeit dem Arabischen gewichen ist. Aber
vor zwei Jahrtausenden war dieselbe in der Tat in ganz Syrien die Sprache des
Volkes ^3. Dass bei den doppelnamigen Staedten im gewoehnlichen Leben die
syrische Benennung ebenso ueberwog wie in der Literatur die griechische, zeigt
sich darin, dass heute Beroea-Chalybon Haleb (Aleppo), Epiphaneia-Amathe Hama,
Hierapolis-Bambyke-Mabog Membidj, Tyros mit seinem phoenikischen Namen Sur
genannt wird; dass die uns aus den Urkunden und den Schriftstellern nur als
Heliopolis bekannte syrische Stadt ihren uralten einheimischen Namen Baalbek
noch heute fuehrt, ueberhaupt allgemein die heutigen Ortsnamen nicht aus den
griechischen, sondern aus den aramaeischen hervorgegangen sind.
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^3 Johannes Chrysostomos aus Antiocheia (t 407) weist mehrfach (De sanctis
martyros. Opera. Paris 1718 ff. Vol. 2, p. 651; homil. 19, a. a. O., p. 188) hin
auf die eterophonia, die barbaros phon/e/ des laos im Gegensatz zu der Sprache
der Gebildeten.
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Ebenso zeigt der Kultus das Fortleben des syrischen Volkstums. Die Syrer
von Beroea bringen ihre Weihgeschenke mit griechischer Aufschrift dem Zeus
Malbachos, die von Apameia dem Zeus Belos, die von Berytus als roemische Buerger
dem Jupiter Balmarcodes, alles Gottheiten, an denen weder Zeus noch Jupiter
wirklichen Teil hatten. Jener Zeus Belos ist kein anderer als der in Palmyra in
syrischer Sprache verehrte Malach Belos. Wie lebendig die heimische
Goetterverehrung in Syrien gewesen und geblieben ist, dafuer legt das
deutlichste Zeugnis ab, dass die Dame von Hemesa, die durch ihre Verschwaegerung
mit dem Severischen Hause fuer ihren Tochtersohn im Anfang des 3. Jahrhunderts
die Kaiserwuerde erlangte, nicht damit zufrieden, dass der Knabe Oberpontifex
des roemischen Volkes hiess, ihn auch anhielt, sich den Oberpriester des
heimischen Sonnengottes Elagabalus vor allen Roemern zu titulieren. Die Roemer
mochten die Syrer besiegen; aber die roemischen Goetter haben in ihrer eigenen
Heimat vor den syrischen das Feld geraeumt.
Nicht minder sind die zahlreichen auf uns gekommenen syrischen Eigennamen
ueberwiegend ungriechisch und Doppelnamen nicht selten; der Messias heisst auch
Christos, der Apostel Thomas auch Didymos, die von Petrus wiedererweckte Frau
aus Joppe das "Reh", Tabitha oder Dorkas. Aber fuer die Literatur und vermutlich
auch fuer den Geschaeftsverkehr und den Verkehr der Gebildeten war das syrische
Idiom so wenig vorhanden wie im Westen das keltische; in diesen Kreisen
herrschte ausschliesslich das Griechische, abgesehen von dem auch im Osten fuer
das Militaer geforderten Latein. Ein Literat aus der zweiten Haelfte des zweiten
Jahrhunderts, den der frueher erwaehnte Koenig von Armenien Sohaemos an seinen
Hof zog, hat einen Roman, der in Babylon spielt, einiges ueber seine eigene
Lebensgeschichte eingelegt, das diese Verhaeltnisse erlaeutert. Er sei, sagt er,
ein Syrer, aber nicht von den eingewanderten Griechen, sondern von Vater- und
Mutterseite einheimischer Abkunft, Syrer nach Sprache und Sitte, auch
babylonischer Sprache und persischer Magie kundig. Aber eben dieser, das
hellenische Wesen in gewissem Sinne ablehnende Mann fuegt hinzu, dass er
hellenische Bildung sich angeeignet habe, und ist ein angesehener Jugendlehrer
in Syrien und ein namhafter Romanschriftsteller der spaeteren griechischen
Literatur geworden ^4.
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^4 Der Auszug des Photios aus dem Roman des Iamblichos c. 11, welcher den
Verfasser irrig zu einem Babylonier macht, wird durch das Scholion dazu
wesentlich berichtigt und ergaenzt. Der Geheimschreiber der Grosskoenigs, der
unter den traianischen Gefangenen nach Syrien kommt, dort des Iamblichos
Erzieher wird und ihn in der "barbarischen Weisheit" unterweist, ist natuerlich
eine Figur des in Babylon spielenden Romans, den Iamblichos von diesem seinem
Lehrmeister vernommen haben will; aber charakteristisch fuer die Zeit ist der
armenische Hofliterat und Prinzenerzieher (denn als "guten Rhetor" hat ihn doch
wohl Sohaemos nach Valarschapat berufen) selbst, der kraft seiner magischen
Kunst nicht bloss den Fliegenzauber und die Geisterbeschwoerung versteht,
sondern auch dem Verus den Sieg ueber Vologasos vorhersagt und zugleich
Geschichten, wie sie auch in 'Tausendundeiner Nacht' stehen koennten, den
Griechen griechisch erzaehlt.
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Wenn spaeterhin das syrische Idiom wieder zur Schriftsprache geworden ist
und eine eigene Literatur entwickelt hat, so ist dies nicht auf eine Ermannung
des Nationalgefuehls zurueckzufuehren, sondern auf das unmittelbare Beduerfnis
der christlichen Propaganda: jene syrische Literatur, ausgegangen von der
Uebersetzung der christlichen Bekenntnisschriften in das Syrische, blieb gebannt
in den Kreis der spezifischen Bildung des christlichen Klerus und nahm daher von
der allgemeinen hellenischen Bildung nur den kleinen Bruchteil auf, den die
Theologen jener Zeit ihren Zwecken zutraeglich oder doch damit vertraeglich
fanden ^5; ein hoeheres Ziel als die Uebertragung der griechischen
Klosterbibliothek auf die Maronitenkloester hat diese Schriftstellerei nicht
erreicht und wohl auch nicht erstrebt. Sie reicht auch schwerlich weiter zurueck
als in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung und hat ihren Mittelpunkt
nicht in Syrien, sondern in Mesopotamien, namentlich in Edessa ^6, wo
wahrscheinlich, anders als in dem aelteren roemischen Gebiet, sich die Anfaenge
einer vorchristlichen Literatur in der Landessprache entwickelt hatten.
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^5 Die syrische Literatur besteht fast ausschliesslich aus Uebersetzungen
griechischer Werke. Unter den Profanschriften stehen in erster Reihe
Aristotelische und Plutarchische Traktate, dann praktische Schriften
juristischen oder agronomischen Inhalts und populaere Unterhaltungsbuecher wie
der Alexanderroman, Aesops Fabeln, Menanders Sentenzen.
^6 Die syrische Uebersetzung des Neuen Testaments, der aelteste uns
bekannte syrische Sprachtext, ist wahrscheinlich in Edessa entstanden; die
strati/o/tai der Apostelgeschichte heissen hier "Roemer".
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Unter den mannigfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in seiner
zugleich zivilisierenden und degenerierenden Propaganda angenommen hat, ist die
syrohellenische wohl diejenige, in welcher die beiden Elemente am meisten im
Gleichgewicht standen, vielleicht aber zugleich diejenige, die die
Gesamtentwicklung des Reiches am entschiedensten beeinflusst hat. Die Syrer
empfingen wohl die griechische Staedteordnung und eigneten sich hellenische
Sprache und Sitte an; dennoch hoerten sie nie auf, sich als Orientalen zu
fuehlen oder vielmehr als Traeger einer doppelten Zivilisation. Nirgends
vielleicht ist dies schaerfer ausgesprochen als in dem kolossalen Grabtempel,
welchen im ersten Anfang der Kaiserzeit Koenig Antiochos von Kommagene sich auf
einem einsamen Berggipfel unweit des Euphrat errichtet hat. Er nennt in der
ausfuehrlichen Grabschrift sich einen Perser; im persischen Gewande, wie das
Herkommen seines Geschlechts es erheischt, soll der Priester des Heiligtums ihm
die Gedaechtnisopfer darbringen; aber wie die Perser nennt er auch die Hellenen
die gesegneten Wurzeln seines Geschlechts und fleht den Segen aller Goetter der
Persis wie der Maketis, das heisst des persischen wie des makedonischen Landes
auf seine Nachkommen herab. Denn er ist der Sohn eines einheimischen Koenigs vom
Geschlecht der Achaemeniden und einer griechischen Fuerstentochter aus dem Hause
des Seleukos, und dem entsprechend schmueckten das Grabmal in langer Doppelreihe
die Abbilder einerseits seiner vaeterlichen Ahnen bis auf den ersten Dareios,
andererseits seiner muetterlichen bis zu dem Marschall Alexanders. Die Goetter
aber, die er verehrt, sind zugleich persisch und griechisch, Zeus Oromasdes,
Apollon Mithras Helios Hermes, Artagnes Herakles Ares, und dieses letzteren Bild
zum Beispiel traegt die Keule des griechischen Heros und zugleich die persische
Tiara. Dieser persische Fuerst, der zugleich sich einen Freund der Hellenen und
als loyaler Untertan des Kaisers einen Freund der Roemer nennt, wie nicht minder
jener von Marcus und Lucius auf den Thron von Armenien berufene Achaemenide
Sohaemos, sind echte Vertreter der einheimischen, die persischen Erinnerungen
und die roemisch-hellenische Gegenwart gleichmaessig im Sinne tragenden
Aristokratie des kaiserlichen Syriens. Aus solchen Kreisen ist der persische
Mithraskult in den Okzident gelangt. Aber die Bevoelkerung, welche zugleich
unter diesem persischen oder sich persisch nennenden Grossadel und unter dem
Regiment der makedonischen und spaeter der italienischen Herren stand, war in
Syrien wie in Mesopotamien und in Babylonien aramaeisch; sie erinnert vielfach
an die heutigen Rumaenen gegenueber den vornehmen Sachsen und Magyaren. Sicher
waren sie das verderbteste und das verderbendste Element in dem roemisch-
hellenischen Voelkerkonglomerat. Von dem sogenannten Caracalla, der als Sohn
eines afrikanischen Vaters und einer syrischen Mutter in Lyon geboren war, wird
gesagt, dass er die Laster dreier Staemme in sich vereinigt habe, die gallische
Leichtfertigkeit, die afrikanische Wildheit und die syrische Spitzbueberei.
Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgends so
vollstaendig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns ueberwiegend in der
Gestalt entgegen, dass in der Mischung das Gute und Edle zugrunde geht. Indes
ist dies nicht ueberall der Fall; die spaetere Entwicklung der Religion wie der
Spekulation, das Christentum und der Neuplatonismus, sind aus der gleichen
Paarung hervorgegangen; wenn mit jenem der Osten in den Westen dringt, so ist
dieser die Umgestaltung der okzidentalischen Philosophie im Sinn und Geist des
Ostens, eine Schoepfung zunaechst des Aegypters Plotinos (204 bis 270) und
seines bedeutendsten Schuelers, des Tyriers Malchos oder Porphyrios (233 bis
nach 300), und dann vorzugsweise in den Staedten Syriens gepflegt. Beide
welthistorischen Bildungen zu eroertern, ist hier nicht der Platz; vergessen
aber duerfen sie auch bei der Wuerdigung der syrischen Verhaeltnisse nicht
werden.
Die syrische Art findet ihren eminenten Ausdruck in der Hauptstadt des
Landes und vor Konstantinopels Gruendung des roemischen Ostens ueberhaupt, der
Volkszahl nach in dieser Epoche nur hinter Rom und Alexandreia und etwa noch dem
babylonischen Seleukeia zurueckstehend, Antiocheia, bei welchem es erforderlich
scheint, einen Augenblick zu verweilen. Die Stadt, eine der juengsten Syriens
und heutzutage von geringer Bedeutung, ist nicht durch die natuerlichen
Verkehrsverhaeltnisse Grossstadt geworden, sondern eine Schoepfung monarchischer
Politik. Die makedonischen Eroberer haben sie ins Leben gerufen zunaechst aus
militaerischen Ruecksichten, als geeignete Zentralstelle fuer eine Herrschaft,
die zugleich Kleinasien, das Euphratgebiet und Aegypten umspannte und auch dem
Mittelmeer nahe sein wollte ^7. Das gleiche Ziel und die verschiedenen Wege der
Seleukiden und der Lagiden finden ihren treuen Ausdruck in der Gleichartigkeit
und dem Gegensatz von Antiocheia und Alexandreia; wie dieses fuer die Seemacht
und die maritime Politik der aegyptischen Herrscher, so ist Antiocheia der
Mittelpunkt fuer die kontinentale Orientmonarchie der Herrscher Asiens. Zu
verschiedenen Malen haben die spaeteren Seleukiden hier grosse Neugruendungen
vorgenommen, so dass die Stadt, als sie roemisch wurde, aus vier selbstaendigen
und ummauerten Bezirken bestand, die wieder alle eine gemeinsame Mauer
einschloss. Auch an Einwanderern aus der Ferne fehlte es nicht. Als das
eigentliche Griechenland unter die Herrschaft der Roemer geriet und Antiochos
der Grosse vergeblich versucht hatte, diese dort zu verdraengen, gewaehrte er
wenigstens den auswandernden Euboeern und Aetolern in seiner Residenz eine
Freistatt. Wie in der Hauptstadt Aegyptens ist auch in derjenigen Syriens den
Juden ein gewissermassen selbstaendiges Gemeinwesen und eine privilegierte
Stellung eingeraeumt worden, und ihre Stellung als Zentren der juedischen
Diaspora ist nicht das schwaechste Element in der Entwicklung beider Staedte
geworden. Einmal zur Residenz und zum Sitz der obersten Verwaltung eines grossen
Reiches gemacht, blieb Antiocheia auch in roemischer Zeit die Hauptstadt der
asiatischen Provinzen Roms. Hier residierten die Kaiser, wenn sie im Orient
verweilten, und regelmaessig der Statthalter von Syrien; hier wurde die
Reichsmuenze fuer den Osten geschlagen und hier vornehmlich, daneben in Damaskos
und in Edessa befanden sich die Reichswaffenfabriken. Freilich hatte die Stadt
fuer das Roemerreich ihre militaerische Bedeutung verloren und unter den
veraenderten Verhaeltnissen wurde die schlechte Verbindung mit dem Meer als ein
grosser Uebelstand empfunden, nicht so sehr wegen der Entfernung als weil der
Hafen, die zugleich mit Antiocheia angelegte Stadt Seleukeia, fuer den grossen
Verkehr wenig geeignet war. Ungeheure Summen haben die roemischen Kaiser von den
Flaviern an bis auf Constantius aufgewandt, um in die diese Oertlichkeit
umgebenden Felsenmassen die erforderlichen Docks mit den Zuzugs-Kanaelen zu
brechen und genuegende Molen herzustellen; aber die Kunst der Ingenieure,
welcher an der Muendung des Nil die hoechsten Wuerfe gluecklich gelangen, rang
in Syrien vergeblich mit den unueberwindlichen Schwierigkeiten des Terrains.
Selbstverstaendlich hat die groesste Stadt Syriens an der Fabrikation und dem
Handel dieser Provinz, wovon noch weiter die Rede sein wird, sich lebhaft
beteiligt; dennoch war sie mehr ein Sitz der Verzehrenden als der Erwerbenden.
Im ganzen Altertum gab es keine Stadt, in welcher das Geniessen des Lebens so
sehr die Hauptsache, und dessen Pflichten so beilaeufig waren wie in "Antiocheia
bei Daphne", wie die Stadt bezeichnend genannt wird, etwa wie wenn wir sagen
wuerden "Wien beim Prater". Denn Daphne ^8 ist der Lustgarten, eine deutsche
Meile von der Stadt, von zwei Meilen im Umkreis, beruehmt durch seine
Lorbeerbaeume, wonach er heisst, durch seine alten Zypressen, die noch die
christlichen Kaiser zu schonen befahlen, seine fliessenden und springenden
Wasser, seinen glaenzenden Apollotempel und die prachtvolle vielbesuchte
Festfeier des 10. August. Die ganze Umgegend der Stadt, die zwischen zwei
bewaldeten Bergzuegen in dem Tale des wasserreichen Orontes, drei deutsche
Meilen aufwaerts von der Muendung desselben liegt, ist noch heute trotz aller
Vernachlaessigung ein bluehender Garten und einer der anmutigsten Flecke der
Erde. Der Stadt selbst tat es an Pracht und Glanz der oeffentlichen Anlagen im
ganzen Reiche keine zuvor. Die Hauptstrasse, welche in der Ausdehnung von 36
Stadien, nahezu einer deutschen Meile, mit einer bedeckten Saeulenhalle zu
beiden Seiten und in der Mitte einem breiten Fahrweg, die Stadt in gerader
Richtung laengs des Flusses durchschnitt, ist in vielen antiken Staedten
nachgeahmt worden, aber hat ihresgleichen nicht einmal in dem kaiserlichen Rom.
Wie in jedem guten Hause in Antiocheia das Wasser lief ^9, so wandelte man in
jenen Hallen durch die ganze Stadt zu allen Jahrzeiten geschuetzt vor Regen wie
vor Sonnenglut, auch des Abends in erleuchteten Strassen, was sonst von keiner
Stadt des Altertums berichtet wird ^10.
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^7 Dies sagt Diodor (20, 47) von der Vorlaeuferin Antiocheias, der nur etwa
eine Meile weiter flussaufwaerts angelegten Stadt Antigoneia. Antiocheia ist
fuer das Syrien der alten Zeit ungefaehr gewesen, was fuer das heutige Aleppo
ist, der Knotenpunkt des inneren Verkehrs; nur dass bei jener Gruendung, wie
schon die gleichzeitige Anlage des Hafens von Seleukeia beweist, die
unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer beabsichtigt und daher die Anlage
weiter nach Westen gelegt ward.
^8 Der Raum zwischen Antiocheia und Daphne war mit Landhaeusern und Vignen
gefuellt (Lib. or. 2 p. 213 Reiske), und es gab hier auch eine Vorstadt
Herakleia oder auch Daphne (K. O. Mueller, Antiquitates Antiochiae, S. 44; vgl.
vita Veri 7); aber wenn Tac. ann. 2, 83 diese Vorstadt Epidaphne nennt, so ist
dies einer seiner seltsamsten Schnitzer. Plinius (nat. 5, 21, 79) sagt korrekt:
Antiochia Epidaphnes cognominata.
^9 "Womit wir vornehmlich alle schlagen", sagt der Antiochener Libanios in
der unter Constantius gehaltenen Lobrede auf seine Heimat (or. 1, 354 R.),
nachdem er die Quellen der Daphne und die von dort nach der Stadt gefuehrten
Leitungen geschildert hat, "das ist die Bewaesserung unserer Stadt; wenn sonst
auch jemand es mit uns aufnehmen mag, so geben sie alle nach, sowie die Rede
kommt auf das Wasser, seine Fuelle wie seine Trefflichkeit. In den oeffentlichen
Baedern hat jeder Strom das Mass eines Flusses, in den privaten manche das
gleiche, die uebrigen nicht viel weniger. Wer die Mittel hat, ein neues Bad
anzulegen, tut dies unbesorgt um hinreichenden Zufluss und braucht nicht zu
fuerchten, dass, wenn fertig, es ihm trocken liegen werde. Deshalb ist jeder
Stadtbezirk [es gab deren achtzehn] auf die besondere Eleganz seiner Badeanstalt
bedacht; es sind diese Bezirksbadeanstalten um so viel schoener als die
allgemeinen, als sie kleiner sind als diese, und die Bezirksgenossen wetteifern
immer die einen, die anderen zu uebertreffen. Man ermisst die Fuelle der
fliessenden Wasser an der Menge der (guten) Wohnhaeuser; denn soviel der
Wohnhaeuser, soviel sind auch der fliessenden Wasser, ja sogar in den einzelnen
Haeusern oft mehrere; und auch die Mehrzahl der Werkstaetten hat den gleichen
Vorzug. Darum schlagen wir uns auch nicht an den oeffentlichen Brunnen darum,
wer zuerst zum Schoepfen kommt, an welchem Uebelstand so viele ansehnliche
Staedte leiden, wo um die Brunnen ein heftiges Gedraenge ist und Laerm um die
zerbrochenen Kruege. Bei uns fliessen die oeffentlichen Brunnen zur Zierde, da
jeder innerhalb der Tueren sein Wasser hat. Und es ist dies Wasser so klar, dass
der Eimer leer scheint, und so anmutend, dass es zum Trinken einladet."
^10 "Das Sonnenlicht", sagt derselbe Redner p. 363, "loesen andere Lichter
ab, Leuchten, die das aegyptische Illuminationsfest hinter sich lassen; und bei
uns unterscheidet sich die Nacht vom Tage nur durch die Verschiedenheit der
Beleuchtung; die fleissigen Haende finden keinen Unterschied und schmieden
weiter und wer da will, singt und tanzt, so dass Hephaestos und Aphrodite hier
in die Nacht sich teilen." Bei dem Strassensport, den der Prinz Gallus sich
gestattete, waren die antiochenischen Laternen ihm sehr unbequem (Amm. 14, 1,
9).
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Aber in diesem ueppigen Treiben fanden die Musen sich nicht zurecht; der
Ernst der Wissenschaft und die nicht minder ernste Kunst haben in Syrien und
namentlich in Antiocheia niemals rechte Pflege gefunden. Wie vollkommen analog
Aegypten und Syrien sonst sich entwickelt hatten, so scharf war ihr Gegensatz in
literarischer Hinsicht: diesen Teil der Erbschaft des grossen Alexanders traten
die Lagiden allein an. Pflegten sie die hellenische Literatur und foerderten
wissenschaftliche Forschung in aristotelischem Sinn und Geist, so haben die
besseren Seleukiden wohl durch ihre politische Stellung den Griechen den Orient
erschlossen - Seleukos' I. Sendung des Megasthenes nach Indien an Koenig
Tschandragupta und die Erkundung des Kaspischen Meeres durch seinen
Zeitgenossen, den Admiral Patrokles, haben in dieser Hinsicht Epoche gemacht;
aber von unmittelbarem Eingreifen in die literarischen Interessen von seiten der
Seleukiden weiss die Geschichte der griechischen Literatur nichts weiter zu
melden, als dass Antiochos der sogenannte Grosse den Dichter Euphorion zu seinem
Bibliothekar gemacht hat. Vielleicht darf die Geschichte der lateinischen
Literatur fuer Berytus, die lateinische Insel im Meer des orientalischen
Hellenismus, den Ernst wissenschaftlicher Arbeit in Anspruch nehmen. Es ist
vielleicht kein Zufall, dass die Reaktion gegen die literarisch modernisierende
Tendenz der julisch-claudischen Epoche und die Zurueckfuehrung der Sprache und
der Schriften der republikanischen Zeit in die Schule wie in die Literatur
ausgegangen ist von einem dem Mittelstand angehoerigen Berytier, dem Marcus
Valerius Probus, welcher in den zurueckgebliebenen Schulen seiner entlegenen
Heimat noch an den alten Klassikern sich gebildet hatte und dann in energischer,
mehr kritisch schriftstellerischer als eigentlich lehrender Taetigkeit fuer den
Klassizismus der spaeteren Kaiserzeit den Grund legte. Dasselbe Berytos ist
spaeter der Sitz des Studiums der fuer die Beamtenlaufbahn erforderlichen
Rechtswissenschaft fuer den ganzen Osten geworden und die ganze Kaiserzeit
hindurch geblieben. In der hellenischen Literatur sind freilich die Poesie des
Epigramms und der Witz des Feuilletons in Syrien zu Hause; mehrere der
namhaftesten griechischen Kleindichter, wie Meleagros und Philodemos von Gadara
und Antipatros von Sidon, sind Syrer und in sinnlichem Reiz wie in raffinierter
Verskunst unuebertroffen; und der Vater der Feuilletonliteratur ist Menippos von
Gadara. Aber diese Leistungen liegen meistens vor und zum Teil betraechtlich vor
der Kaiserzeit. In der griechischen Literatur dieser Epoche ist keine Landschaft
so geringfuegig vertreten wie die syrische, und Zufall ist dies schwerlich,
wenngleich bei der universalen Stellung des Hellenismus in der Kaiserzeit auf
die Heimat der einzelnen Schriftsteller nicht allzu viel Gewicht gelegt werden
darf. Dagegen hatte die in dieser Epoche um sich greifende untergeordnete
Schriftstellerei, die gedanken- und formlosen Liebes-, Raeuber-, Piraten-,
Kuppler-, Wahrsager- und Traumgeschichten und die Fabelreisen wahrscheinlich
eben hier ihren Hauptsitz. Unter den Kollegen des schon genannten Iamblichos,
Verfassers der babylonischen Geschichte, werden die Landsleute desselben
zahlreich gewesen sein; die Beruehrung dieser griechischen Literatur mit der
gleichartigen orientalischen ist wohl ohne Zweifel durch die Syrer vermittelt
worden. Das Luegen brauchten die Griechen freilich nicht von den Orientalen zu
lernen; aber die nicht mehr plastische, sondern phantastische Fabulierung ihrer
spaeteren Zeit ist aus Scheherazades Fuellhorn, nicht aus dem Scherz der
Chariten erwachsen. Vielleicht nicht zufaellig macht die Satire dieser Zeit,
indem sie den Homer als den Vater der Luegenreisen betrachtet, denselben zu
einem Babylonier mit eigentlichem Namen Tigranes. Abgesehen von dieser
Unterhaltungslektuere, deren auch die sich einigermassen schaemten, die damit
schreibend oder lesend die Zeit verdarben, ist aus diesen Gegenden kaum ein
anderer hervorragender Name zu nennen als der Zeitgenosse jenes Iamblichos, der
Kommagener Lukianos. Auch er hat nichts geschrieben als in Nachahmung des
Menippos Essays und Feuilletons, recht nach syrischer Art, witzig und lustig in
der persoenlichen Persiflage, aber wo diese zu Ende ist, unfaehig, die ernste
Wahrheit lachend zu sagen oder gar die Plastik der Komik zu handhaben. Diesem
Volke galt nur der Tag. Keine griechische Landschaft hat so wenig Denksteine
aufzuweisen wie Syrien; das grosse Antiocheia, die dritte Stadt des Reiches,
hat, um von dem Lande der Hieroglyphen und der Obelisken nicht zu reden, weniger
Inschriften hinterlassen als manches kleine afrikanische oder arabische Dorf.
Mit Ausnahme des Rhetors Libanios aus der Zeit Julians, welcher auch mehr
bekannt ist als bedeutend, hat diese Stadt der Literatur keinen einzigen
Schriftstellernamen geliefert. Nicht mit Unrecht nannte der tyanitische Messias
des Heidentums oder sein fuer ihn redender Apostel die Antiochener ein
ungebildetes und halb barbarisches Volk und meinte, dass Apollon wohl tun werde,
sie auch wie ihre Daphne zu verwandeln; denn in Antiocheia verstaenden wohl die
Zypressen zu fluestern, aber nicht die Menschen zu reden. In dem kuenstlerischen
Kreis hat Antiocheia eine fuehrende Stellung nur gehabt in Betreff des Theaters
und der Spiele ueberhaupt. Die Vorstellungen, welche das antiochenische Publikum
fesselten, waren, nach der Sitte dieser Zeit, weniger eigentlich dramatische als
rauschende Musikauffuehrungen, Ballette, Tierhetzen und Fechterspiele. Das
Klatschen oder Zischen dieses Publikums entschied den Ruf des Taenzers im ganzen
Reich. Die Jockeys und die sonstigen Circus- und Theaterhelden kamen
vorzugsweise aus Syrien ^11. Die Ballettaenzer und die Musiker sowie die Gaukler
und Possenreisser, welche Lucius Verus von der - seinerseits in Antiocheia
abgemachten - orientalischen Kampagne nach Rom zurueckbrachte, haben in der
Geschichte des italischen Schauspielwesens Epoche gemacht. Mit welcher
Leidenschaft das Publikum in Antiocheia diesem Vergnuegen sich hingab, dafuer
ist charakteristisch, dass der Ueberlieferung nach die schwerste Katastrophe,
welche in dieser Periode ueber Antiocheia gekommen ist, die Einnahme durch die
Perser im Jahre 260, die Buerger der Stadt im Theater ueberraschte und von der
Hoehe des Berges, an welchen dasselbe angelehnt war, die Pfeile in die Reihen
der Zuschauer flogen. In Gaza, der suedlichsten Stadt Syriens, wo das Heidentum
an dem beruehmten Marnas-Tempel eine feste Burg besass, liefen am Ende des 4.
Jahrhunderts bei den Rennspielen die Pferde eines eifrigen Heiden und eines
eifrigen Christen, und als dabei "Christus den Marnas schlug", da, erzaehlt der
heilige Hieronymus, liessen zahlreiche Heiden sich taufen.
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^11 Die merkwuerdige Reichsbeschreibung aus der Zeit des Constantius (C.
Mueller, Geographi Graeci Minores. Bd. 2, S. 513 f.), die einzige derartige
Schrift, worin die gewerblichen Zustaende eine gewisse Beruecksichtigung finden,
sagt von Syrien in dieser Hinsicht: "Antiocheia hat alles, was man begehrt, in
Fuelle, vor allem aber seine Rennspiele. Rennspiele haben auch Laodikeia,
Berytos, Tyros, Kaesareia (in Palaestina). Nach auswaerts sendet Laodikeia
Jockeys, Tyros und Berytos Schauspieler, Caesareia Taenzer (pantomimi),
Heliopolis am Libanos Floetenblaeser (choraulae), Gaza Musiker (auditores, womit
akroamata inkorrekt wiedergegeben ist), Askalon Ringkaempfer (athletae),
Kastabala (eigentlich schon in Kilikien) Faustkaempfer."
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In Zuegellosigkeit der Sitte wetteiferten zwar die Grossstaedte des
Roemischen Reiches alle; aber der Preis gebuehrt hierin wahrscheinlich
Antiocheia. Der ehrbare Roemer, den der derbe Sittenmaler der traianischen Zeit
schildert, wie er seiner Heimat den Ruecken wendet, weil sie eine Griechenstadt
geworden, setzt hinzu, dass von dem Unrat die Achaeer der geringste Teil seien;
laengst habe der syrische Orontes sich in den Tiberfluss ergossen und seine
Sprache und seine Art, seine Musikanten, Harfenistinnen, Triangelschlaegerinnen
und die Scharen seiner Freudenmaedchen ueber Rom ergossen. Von der syrischen
Floetistin, der Ambubaia ^12, sprachen die Roemer Augusts wie wir von der
Pariser Kokotte. In den syrischen Staedten, sagt schon in der letzten Zeit der
roemischen Republik Poseidonios, ein bedeutender, selbst in dem syrischen
Apameia heimischer Schriftsteller, haben die Buerger der harten Arbeit sich
entwoehnt; man denkt dort nur an Schmausen und Zechen, und alle Reunionen und
Kraenzchen dienen diesem Zweck; an der koeniglichen Tafel wird jedem Gast ein
Kranz aufgesetzt und dieser dann mit babylonischen Parfuems besprengt;
Floetenspiel und Harfenschlagen schallt durch die Gassen; die Turnanstalten sind
in Warmbaeder verwandelt - mit letzterem ist die wahrscheinlich in Syrien zuerst
aufgekommene und spaeterhin allgemein gewordene Einrichtung der sogenannten
Thermen gemeint, die im wesentlichen eine Verbindung von Turn- und
Warmbadanstalten waren. Vierhundert Jahre spaeter ging es in Antiocheia nicht
anders zu. Nicht so sehr um des Kaisers Bart entspann sich der Zank zwischen
Julian und diesen Staedtern, sondern weil er in dieser Stadt der Kneipen, die,
wie er sich ausdrueckt, nichts im Sinne habe als Tanzen und Trinken, den Wirten
die Preise regulierte. Von dieser wuesten und sinnlichen Wirtschaft ist auch und
vor allem das religioese Wesen der syrischen Landschaft durchdrungen. Der Kultus
der syrischen Goetter war oft eine Sukkursale des syrischen Bordells ^13.
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^12 Von dem syrischen Wort abbuba Pfeife.
^13 Das Schriftchen Lukians von der zu Hierapolis vom ganzen Orient
verehrten syrischen Goettin gibt eine Probe der wilden und wolluestigen
Fabulierung, welche dem syrischen Kultus eigen ist. In dieser Erzaehlung - der
Quelle von Wielands 'Kombabus' - wird die Selbstverstuemmelung ironisiert, wie
sie den Frommen als ein Akt hoher Moralitaet und gottseligen Glaubens galt.
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Es wuerde ungerecht sein, die roemische Regierung fuer diese syrischen
Zustaende verantwortlich zu machen; sie sind dieselben unter dem
Diadochenregiment gewesen und auf die Roemer nur vererbt. Aber in der Geschichte
dieser Zeit ist das syrohellenische Element ein wesentlicher Faktor, und obwohl
sein indirekter Einfluss bei weitem mehr ins Gewicht faellt, hat dasselbe doch
auch mehrfach unmittelbar in der Politik sich bemerklich gemacht. Von
eigentlicher politischer Parteiung kann bei den Antiochenern dieser und jeder
Zeit noch weniger die Rede sein als bei den Buergerschaften der uebrigen
Grossstaedte des Reiches; aber im Mokieren und Raesonnieren haben sie es allem
Anschein nach allen uebrigen, selbst den auch hierin mit ihnen wetteifernden
Alexandrinern zuvorgetan. Revolution gemacht haben sie nie, aber jeden
Praetendenten, den die syrische Armee aufstellte, bereitwillig und ernstlich
unterstuetzt, den Vespasianus gegen Vitellius, den Cassius gegen Marcus, den
Niger gegen Severus, immer bereit, wo sie Rueckhalt zu haben meinten, der
bestehenden Regierung den Gehorsam aufzukuendigen. Das einzige Talent, das ihnen
unwidersprochen zukommt, die Meisterschaft des Spottens, uebten sie nicht bloss
gegen die Schauspieler ihrer Buehne, sondern nicht minder gegen die in der
Residenz des Orients verweilenden Herrscher, und der Spott war ganz der gleiche
gegen den Akteur wie gegen den Kaiser: er galt der persoenlichen Erscheinung und
den individuellen Eigentuemlichkeiten, gleich als ob ihr Landesherr auch nur da
sei, um sie mit seiner Rolle zu amuesieren. So bestand zwischen dem Publikum von
Antiocheia und den Herrschern, namentlich denjenigen, die laengere Zeit daselbst
verweilten, Hadrian, Verus, Marcus, Severus, Julian, sozusagen ein dauernder
Hohnkrieg, aus welchem ein Aktenstueck, die Replik des letztgenannten Kaisers
gegen die antiochenischen "Bartspoetter", noch heute erhalten ist. Wenn dieser
kaiserliche Literat den Spottreden mit Spottschriften begegnete, so haben zu
anderen Zeiten die Antiochener ihre schlimmen Reden und ihre uebrigen Suenden
schwerer zu buessen gehabt. So entzog ihnen Hadrian das Recht der
Silberpraegung, Marcus das Versammlungsrecht und schloss auf einige Zeit das
Theater. Severus nahm sogar der Stadt den Primat von Syrien und uebertrug diesen
auf das in stetem Nachbarkrieg mit der Hauptstadt stehende Laodikeia; und wenn
diese beiden Anordnungen bald wieder zurueckgenommen wurden, so ist die Teilung
der Provinz, welche bereits Hadrian angedroht hatte, unter Severus, wie gesagt
ward, zur Ausfuehrung gekommen, und nicht zum wenigsten deswegen, weil die
Regierung die unbotmaessige Grossstadt demuetigen wollte. Selbst den
schliesslichen Untergang hat diese Stadt sich herangespottet. Als im Jahre 540
der Perserkoenig Chosroes Nuschirwan vor den Mauern Antiocheias erschien, wurde
er von den Zinnen derselben nicht bloss mit Pfeilschuessen empfangen, sondern
mit den ueblichen unflaetigen Spottrufen; und dadurch gereizt, erstuermte der
Koenig nicht bloss die Stadt, sondern fuehrte auch ihre Einwohner hinweg in das
von ihm unweit Ktesiphon angelegte Neu-Antiocheia.
Die glaenzende Seite der syrischen Zustaende ist die oekonomische; in
Fabrikation und Handel nimmt Syrien neben Aegypten unter den Provinzen des
roemischen Kaiserreichs den ersten Platz ein und behauptet in gewisser Beziehung
auch vor Aegypten den Vorrang. Die Bodenkultur gedieh unter dem dauernden
Friedensstand und unter der einsichtigen, namentlich auf Hebung der Bewaesserung
gerichteten Verwaltung in einem Umfang, der die heutige Zivilisation beschaemt.
Freilich sind manche Teile Syriens noch heute von ueppigster Fuelle; das Tal des
unteren Orontes, den reichen Garten um Tripolis mit seinen Palmengruppen,
Orangenhainen, Granat- und Jasmingebueschen, die fruchtbare Kuestenebene nord-
und suedwaerts von Gaza haben weder die Beduinen noch die Paschas bis jetzt
vermocht zu veroeden. Aber ihr Werk ist dennoch nicht gering anzuschlagen.
Apameia im mittleren Tal des Orontes, jetzt eine Felsenwildnis ohne Fluren und
Baeume, wo die duerftigen Herden auf den spaerlichen Weideplaetzen von den
Raeubern des Gebirges dezimiert werden, ist weit und breit mit Ruinen besaet,
und es ist urkundlich bezeugt, dass unter dem Statthalter Syriens Quirinius,
demselben, den die Evangelien nennen, diese Stadt mit Einschluss des Gebiets
117000 freie Einwohner gezaehlt hat. Ohne Frage ist einst das ganze Tal des
wasserreichen Orontes - schon bei Hemesa ist er 30 bis 40 Meter breit und 1« bis
3 Meter tief - eine grosse Kulturstaette gewesen. Aber auch von den Strichen,
die jetzt voellige Wueste sind und wo dem heutigen Reisenden das Leben und
Gedeihen des Menschen unmoeglich scheint, war ein betraechtlicher Teil ehemals
das Arbeitsfeld ruehriger Arme. Oestlich von Hemesa, wo jetzt kein gruenes Blatt
und kein Tropfen Wasser ist, haben sich massenweise die schweren Basaltplatten
ehemaliger Oelpressen gefunden. Waehrend heute nur in den quelligen Taelern des
Libanos spaerliche Oliven wachsen, muessen einst die Oelwaelder weit ueber das
Orontestal hinausgegangen sein. Wer jetzt von Hemesa nach Palmyra reist, fuehrt
das Wasser auf dem Ruecken der Kamele mit sich, und diese ganze Wegstrecke ist
bedeckt mit den Resten einstmaliger Villen und Doerfer ^14. Den Marsch Aurelians
auf dieser Strecke vermoechte jetzt keine Armee zu unternehmen. Von dem, was
heutzutage Wueste heisst, ist ein guter Teil vielmehr Verwuestung der gesegneten
Arbeit besserer Zeiten. "Ganz Syrien", sagt eine Erdbeschreibung aus der Mitte
des 4. Jahrhunderts, "hat Ueberfluss an Getreide, Wein und Oel." Aber ein
eigentliches Exportland fuer die Bodenfruechte, wie Aegypten und Afrika, ist
Syrien auch im Altertum nicht gewesen, wenn auch die edlen Weine, zum Beispiel
der von Damaskos nach Persien, die von Laodikeia, Askalon, Gaza nach Aegypten
und von da aus bis nach Aethiopien und Indien versandt wurden, und auch die
Roemer den Wein von Byblos, von Tyros, von Gaza zu schaetzen wussten.
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^14 Der oesterreichische Ingenieur Joseph Tschernik (Ergaenzungsheft 44 zu
Petermanns geographischen Mittheilungen, 1875, S. 3, 9) fand Basaltplatten von
Oelpressen nicht bloss auf dem wuesten Plateau bei Kala'at el-Hossn zwischen
Hemesa und dem Meer, sondern auch in der Zahl von ueber zwanzig oestlich von
Hemesa bei el-Ferklus, wo der Basalt selbst nicht vorkommt, sowie ebendaselbst
zahlreiche gemauerte Terrassen und Ruinenhuegel; Terrassierungen auf der ganzen
Strecke von 16 Meilen zwischen Hemesa und Palmyra. K. E. Sachau (Reise in Syrien
und Mesopotamien. Leipzig 1883, S. 23, 55) fand Reste von Wasserleitungen an
verschiedenen Stellen der Strasse von Damaskos nach Palmyra. Die in den Fels
gehauenen Zisternen von Arados, deren schon Strabon (16, 2, 13 p. 753) gedenkt,
tun noch heute ihren Dienst (J. E. Renan, Mission de Phenicie. Paris 1874, S.
40).
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Weit mehr ins Gewicht fielen fuer die allgemeine Stellung der Provinz die
syrischen Fabriken. Eine Reihe von Industrien, die eben fuer den Export in
Betracht kommen, sind hier heimisch, insbesondere von Leinen, von Purpur, von
Seide, von Glas. Die Flachsweberei, von alters her in Babylonien zu Hause, ist
von da frueh nach Syrien verpflanzt worden; "ihr Leinen", sagt jene
Erdbeschreibung, "versenden Skytopolis (in Palaestina), Laodikeia, Byblos,
Tyros, Berytos in die ganze Welt", und in dem Tarifgesetz Diocletians werden dem
entsprechend als feine Leinenwaren die der drei erstgenannten Staedte neben
denen des benachbarten Tarsos und aegyptischen aufgefuehrt, und die syrischen
haben vor allen den Vorrang. Dass der Purpur von Tyros, so viele Konkurrenten
ihm auch entstanden, stets den ersten Platz behauptet hat, ist bekannt; und
neben der tyrischen gab es in Syrien zahlreiche ebenfalls beruehmte
Purpurfaerbereien an der Kueste ober- und unterhalb Tyros, in Sarepta, Dora,
Caesarea, selbst im Binnenland, in dem palaestinensischen Neapolis und in Lydda.
Die Rohseide kam in dieser Epoche aus China und vorzugsweise ueber das Kaspische
Meer, also nach Syrien; verarbeitet ward sie hauptsaechlich in den Fabriken von
Berytos und von Tyros, in welchem letzteren Orte besonders auch die viel
gebrauchte und hoch bezahlte Purpurseide hergestellt ward. Die Glasfabriken von
Sidon behaupteten in der Kaiserzeit ihren uralten Ruf, und zahlreiche
Glasgefaesse unserer Museen tragen den Stempel eines sidonischen Fabrikanten. Zu
dem Vertrieb dieser Waren, die ihrer Natur nach dem Weltmarkt angehoerten, kam
weiter die ganze Warenmasse, welche aus dem Orient auf den Euphratstrassen in
das Abendland gelangte. Freilich wendete der arabische und der indische Import
in dieser Zeit sich von dieser Strasse ab und nahm hauptsaechlich den Weg ueber
Aegypten; aber nicht bloss der mesopotamische Verkehr blieb notwendig den
Syrern, sondern es standen auch die Emporien der Euphratmuendung in
regelmaessigem Karawanenverkehr mit Palmyra und bedienten sich also der
syrischen Haefen. Wie bedeutend dieser Verkehr mit den oestlichen Nachbarn war,
zeigt nichts so deutlich wie die gleichartige Silberpraegung im roemischen
Orient und im parthischen Babylonien; in den Provinzen Syrien und Kappadokien
praegte die roemische Regierung Silber, abweichend von der Reichswaehrung, auf
die Sorten und auf den Fuss des Nachbarreiches. Die syrische Fabrikation selbst,
zum Beispiel von Leinen und Seide, ist eben durch den Import der gleichartigen
babylonischen Handelsartikel angeregt worden, und wie diese, so sind auch die
Leder- und die Pelzwaren, die Salben, die Spezereien, die Sklaven des Orients
waehrend der Kaiserzeit zu einem sehr betraechtlichen Teil ueber Syrien nach
Italien und ueberhaupt dem Westen gekommen. Das aber ist diesen Ursitzen des
Handelsverkehrs immer geblieben, dass die sidonischen Maenner und ihre
Landesgenossen, hierhin sehr verschieden von den Aegyptern, ihre Waren nicht
bloss den Auslaendern verkauften, sondern sie ihnen selber brachten, und wie die
Schiffskapitaene in Syrien einen hervorragenden und geachteten Stand bildeten
^15, so waren syrische Kaufleute und syrische Faktoreien in der Kaiserzeit
ungefaehr ebenso ueberall zu finden wie in den fernen Zeiten, von denen Homer
erzaehlt. Die Tyrier hatten derzeit Faktoreien in den beiden grossen
Importhaefen Italiens, Ostia und Puteoli, und wie diese selbst in ihren Urkunden
ihre Anstalten als die groessten und stattlichsten dieser Art bezeichnen, so
wird in der oefter angefuehrten Erdbeschreibung Tyros fuer Handel und Verkehr
der erste Platz des Orients genannt ^16; ebenso hebt Strabon bei Tyros und bei
Arados die ungewoehnlich hohen, aus vielen Stockwerken bestehenden Haeuser als
eine Besonderheit hervor. Aehnliche Faktoreien haben auch Berytos und Damaskos
und gewiss noch viele andere syrische und phoenikische Handelsstaedte in den
italienischen Haefen gehabt ^17. Dem entsprechend finden wir namentlich in der
spaeteren Kaiserzeit syrische, vornehmlich apamenische Kaufleute nicht bloss in
ganz Italien ansaessig, sondern ebenso in allen groesseren Emporien des
Okzidents, in Salonae in Dalmatien, Apulum in Dakien, Malaca in Spanien, vor
allem aber in Gallien und Germanien, zum Beispiel in Bordeaux, Lyon, Paris,
Orleans, Trier, so dass wie die Juden so auch diese syrischen Christen nach
ihren Gebraeuchen leben und in ihren Konventen sich ihres Griechischen bedienen
^18. Nur auf dieser Grundlage werden die frueher geschilderten Zustaende der
Antiochener und der syrischen Staedte ueberhaupt verstaendlich. Die vornehme
Welt daselbst besteht aus den reichen Fabrikanten und Kaufleuten, die Masse der
Bevoelkerung sind die Arbeiter und die Schiffer ^19, und wie spaeter der im
Orient erworbene Reichtum nach Genua und Venedig, so stroemte damals der
Handelsgewinn des Okzidents zurueck nach Tyros und Apameia. Bei dem ausgedehnten
Handelsgebiet, welches diesen Grosshaendlern offenstand, und bei den im ganzen
maessigen Grenz- und Binnenzoellen brachte schon der syrische, einen grossen
Teil der gewinnbringendsten und transportabelsten Artikel umfassende Export
ungeheure Kapitalien in ihre Haende; und ihr Geschaeft beschraenkte sich nicht
auf die heimatlichen Waren ^20. Welches Wohlleben einstmals hier geherrscht hat,
das lehren nicht die duerftigen Ueberbleibsel der untergegangenen grossen
Staedte, aber die mehr verlassene als verwuestete Landschaft am rechten Ufer des
Orontes von Apameia an bis zu der Wendung des Flusses gegen das Meer. In diesem
Strich von etwa 20 bis 25 deutschen Meilen Laenge stehen heute noch die Ruinen
von gegen hundert Ortschaften, ganze noch erkennbare Strassen, die Gebaeude, mit
Ausnahme der Daecher, ausgefuehrt in massivem Steinbau, die Wohnhaeuser von
Saeulenhallen umgeben, mit Galerien und Balkonen geschmueckt, Fenster und
Portale reich und oft geschmackvoll dekoriert mit Steinarabesken, dazu Garten-
und Badeanlagen, Wirtschaftsraeume im Erdgeschoss, Staelle, in den Felsen
gehauene Wein- und Oelpressen ^21, auch grosse, ebenfalls in den Felsen gehauene
Grabkammern mit Sarkophagen gefuellt und mit saeulengeschmueckten Eingaengen.
Spuren oeffentlichen Lebens begegnen nirgends; es sind die Landwohnungen der
Kaufleute und der Industriellen von Apameia und Antiocheia, deren gesicherter
Wohlstand und solider Lebensgenuss aus diesen Truemmern spricht. Es gehoeren
diese Ansiedlungen voellig gleichfoermigen Charakters durchaus der spaeten
Kaiserzeit an, die aeltesten dem Anfang des vierten Jahrhunderts, die spaetesten
der Mitte des sechsten, unmittelbar vor dem Ansturm des Islam, dem auch dieses
bluehende und gedeihliche Leben erlegen ist. Christliche Symbole und biblische
Sprueche begegnen ueberall und ebenso stattliche Kirchen und kirchliche Anlagen.
Indes hat diese Kulturentwicklung nicht erst unter Konstantin begonnen, sondern
in jenen Jahrhunderten nur sich gesteigert und konsolidiert. Sicher sind jenen
Steinbauten aehnliche, weniger dauerhafte Villen- und Gartenanlagen
vorausgegangen. Die Regeneration des Reichsregiments nach den wuesten Wirren des
dritten Jahrhunderts drueckt in dem Aufschwung sich aus, den die syrische
Kaufmannswelt damals nahm; aber bis zu einem gewissen Grade wird dies uns
gebliebene Abbild derselben auch auf die fruehere Kaiserzeit bezogen werden
duerfen.
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15 In Arados, einer zu Strabons Zeit (16, 2, 13 p. 753) sehr volkreichen
Stadt, erscheint unter Augustus ein proboylos t/o/n nayarch/e/sani/o/n (CIG 4736
h, besser bei Renan, Mission de Phinicie, S. 31).
16 Totius orbis descriptio c. 24: nulla forte civitas Orientis est eius
spissior in negotio. Die Urkunden der statio (CIG 5853; CIL X, 1601) geben von
diesen Faktoreien ein lebendiges Bild. Sie dienen zunaechst religioesen Zwecken,
das heisst fuer den Kult der tyrischen Goetter am fremden Ort; zu diesem Zwecke
wird in der groesseren Station von Ostia von den tyrischen Schiffern und
Kaufleuten eine Abgabe erhoben und aus deren Ertrag der kleineren ein
jaehrlicher Zuschuss von 1000 Sesterzen gewaehrt, der fuer die Miete des Lokals
verwendet wird; die uebrigen Kosten werden von den Tyriern in Puteoli, ohne
Zweifel durch freiwillige Beitraege, aufgebracht.
17 Fuer Berytos beweist dies die Puteolaner Inschrift CIL X,1634; fuer
Damaskos legt es die dem Jupiter optimus maximus Damascensus daselbst gesetzte
X, 1576 wenigstens nahe.
Uebrigens zeigt sich auch hier, mit wie gutem Grund Puteoli Klein-Delos
heisst. Auf Delos begegnen in der letzten Zeit seiner Bluete, das heisst etwa in
dem Jahrhundert vor dem Mithradatischen Krieg, die syrischen Faktoreien und die
syrischen Kulte in ganz gleicher Weise und in noch groesserer Fuelle: wir finden
dort die Gilde der Herakleisten von Tyros (to koinon t/o/n Tyri/o/n
/E/rakleist/o/n empor/o/n kai naykl/e/r/o/n CIG 2271), der Poseidoniasten von
Berytos (to koinon B/e/ryti/o/n Poseid/o/niast/o/n empor/o/n kai naykl/e/r/o/n
kai egdoche/o/n, BCH 7, 1883, S. 468), der Verehrer des Adad und der Atargatis
von Hierapolis (BCH 6, 1882, S. 495f.), abgesehen von den zahlreichen
Denksteinen syrischer Kaufleute. Vgl. Homolle, BCH 8, 1884, S. 110f.
18 Indem Salvianus (gegen 450) den gallischen Christen zu Gemuete fuehrt,
dass sie um nichts besser seien als die Heiden, weist er hin (gub. 4, 14, 69)
auf die nichtswuerdigen negotiatorum et Syricorum omnium turbae, quae maiorem
ferme civitatum universarum partem occupaverunt. Gregor von Tours erzaehlt, dass
Koenig Guntchram in Orleans von der gesamten Buergerschaft eingeholt wird und
gefeiert, wie in lateinischer Sprache so auch auf hebraeisch und auf syrisch (8,
1: hinc lingua Syrorum, hinc Latinorum, hinc ... Judaeorum in diversis laudibus
varie concrepabat) und dass nach Erledigung des Bischofsitzes von Paris ein
syrischer Kaufmann denselben sich zu verschaffen wusste und die dazu gehoerigen
Stellen an seine Landsleute vergab (10, 26: omnem scholam decessoris sui
abiciens Syros de genere suo ecclesiasticae domui ministros esse statuit).
Sidonius (um 450) schildert die verkehrte Welt von Ravenna (epist. 1, 8) mit den
Worten: fenerantur clerici, Syri psallunt ; negotiatores militant, monachi
negotiantur. Usque hodie, sagt Hieronymus (in Ezech. 27, vol. 5 p. 513 Vall.)
permanet in Syris ingenitus negotiationis ardor, qui per totum mundum lucri
cupiditate discurrunt et tantam mercandi habent vesaniam, ut occupato nunc orbe
Romano (geschrieben gegen Ende des 4. Jahrhunderts) inter gladios et miserorum
neces quaerant divitias et paupertatem periculis fugiant. Andere Belege gibt L.
Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms. Bd. 2, 5. Aufl. S.
67. Ohne Bedenken wird man die zahlreichen Inschriften des Okzidents hinzufuegen
duerfen, welche von Syrern herruehren, auch wenn diese sich nicht ausdruecklich
als Kaufleute bezeichnen. Belehrend ist dafuer das Coemeterium der kleinen
norditalischen Landstadt Concordia aus dem 5. Jahrhundert; die auf demselben
bestatteten Auslaender sind alle Syrer, meist Apamener (CIL III, p. 1060);
ebenso gehoeren alle in Trier gefundenen griechischen Inschriften Syrern (CIG
9891, 9892, 9893). Diese Inschriften sind nicht bloss in syrischer Weise
datiert, sondern zeigen auch Besonderheiten des dortigen dialektischen
Griechisch (Hermes 19, 1884, S. 423).
Dass diese syrisch-christliche, zu dem Gegensatz des orientalischen und
okzidentalischen Klerus in Beziehung stehende Diaspora mit der juedischen nicht
zusammengeworfen werden darf, zeigt der Bericht bei Gregorius deutlich; sie hat
offenbar viel hoeher gestanden und durchgaengig den besseren Staenden angehoert.
19 Das ist zum Teil noch heute so. Die Zahl der Seidenarbeiter in Hoems
wird auf 3000 angeschlagen (Tschernik a. a. O.)
^20 Eine der aeltesten, das heisst nach Severus und vor Diocletian
gesetzten Grabschriften dieser Art ist die lateinisch-griechische, unweit Lyon
gefundene (Wilmanns 2498 vgl. Lebas-Waddington 2329) eines THaimos o kai
Ioylianos Saadoy (lateinisch Thaemus Iulianus Sati fil.), gebuertig aus Atheila
(de vico Athelani) unweit Kanatha in Syrien (noch jetzt 'Atil unweit Kanawat im
Hauran) und Decurio in Kanatha, ansaessig in Lyon (patran leip/o/n /e/ke t/o/d'
epi ch/o/r/o/) und hier Grosshaendler fuer aquitanische Waren (es prasin ech/o/n
enporion agorasm/o/n meston ek Akoyitani/e/s /o/d' epi Loygoydynoi/o/ -
negotiatori Luguduni et prov. Aquitanica). Danach muessen diese syrischen
Kaufleute nicht allein mit syrischen Waren gehandelt, sondern mit ihrem Kapital
und ihrer Geschaeftskenntnis den Grosshandel ueberhaupt betrieben haben.
^21 Charakteristisch ist das lateinische Epigramm an einem Kelterhause CIL
III, 188 in dieser Heimat der "apamenischen Traube" (vita Elagabali c. 21).
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Die Verhaeltnisse der Juden in der roemischen Kaiserzeit sind so eigenartig
und man moechte sagen so wenig abhaengig von der Provinz, die in der frueheren
Kaiserzeit mit ihrem, in der spaeteren vielmehr mit dem wiedererweckten Namen
der Philistaeer oder Palaestinenser benannt ward, dass es, wie schon gesagt
ward, angemessen erschien, diese in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Das
Wenige, was ueber das Land Palaestina zu bemerken ist, insbesondere die nicht
unbedeutende Beteiligung der Kuesten- und zum Teil auch der binnenlaendischen
Staedte an der syrischen Industrie und dem syrischen Handel, ist in der darueber
gegebenen Auseinandersetzung miterwaehnt worden. Die juedische Diaspora hatte
schon vor der Zerstoerung des Tempels sich in einer Weise erweitert, dass
Jerusalem, auch als es noch stand, mehr ein Symbol als eine Heimat war,
ungefaehr wie die Stadt Rom fuer die sogenannten roemischen Buerger der
spaeteren Zeit. Die Juden von Antiocheia und Alexandreia und die zahlreichen
aehnlichen Gemeinschaften minderen Rechts und geringeren Ansehens haben sich
selbstverstaendlich an dem Handel und Verkehr ihrer Wohnsitze beteiligt. Ihr
Judentum kommt dabei nur etwa insofern in Betracht, als die Gefuehle
gegenseitigen Hasses und gegenseitiger Verachtung, wie sie seit Zerstoerung des
Tempels und den mehrfach sich wiederholenden national-religioesen Kriegen
zwischen Juden und Nichtjuden sich entwickelt oder vielmehr gesteigert hatten,
auch in diesen Kreisen ihre Wirkung geuebt haben werden. Da die im Ausland sich
aufhaltenden syrischen Kaufleute sich zunaechst fuer den Kultus ihrer
heimatlichen Gottheiten zusammenfanden, so kann der syrische Jude in Puteoli den
dortigen syrischen Kaufmannsgilden nicht wohl angehoert haben; und wenn der Kult
der syrischen Goetter im Ausland mehr und mehr Anklang fand, so zog, was den
uebrigen Syrern zugute kam, zwischen den mosaisch-glaeubigen Syrern und den
Italikern eine Schranke mehr. Schlossen sich diejenigen Juden, die eine Heimat
ausser Palaestina gefunden hatten, ausserhalb derselben nicht ihren Wohnsitz-,
sondern ihren Religionsgenossen an, wie das nicht hat anders sein koennen, so
verzichteten sie damit auf die Geltung und die Duldung, welche den Alexandrinern
und den Antiochenern und so weiter im Ausland entgegenkam, und wurden genommen,
wie sie sich gaben, als Juden. Die palaestinensischen Juden des Okzidents aber
waren zum groessten Teil nicht hervorgegangen aus der kaufmaennischen
Emigration, sondern kriegsgefangene Leute oder Nachkommen solcher und in jeder
Hinsicht heimatlos; die Pariastellung, welche die Kinder Abrahams vor allem in
der roemischen Hauptstadt einnahmen, der Betteljude, dessen Hausrat in dem
Heubuendel und dem Schacherkorb besteht und dem kein Verdienst zu gering und zu
gemein ist, knuepft an den Sklavenmarkt an. Unter diesen Umstaenden begreift es
sich, weshalb im Okzident die Juden waehrend der Kaiserzeit neben den Syrern
eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die religioese Gemeinschaft der
kaufmaennischen und der Proletariereinwanderung drueckte auf die Gesamtheit der
Juden noch neben der allgemeinen mit ihrer Stellung verbundenen Zuruecksetzung.
Mit Palaestina aber hat jene wie diese Diaspora wenig zu schaffen.
Es bleibt noch ein Grenzgebiet zu betrachten, von dem nicht haeufig die
Rede ist und das dennoch wohl Beruecksichtigung verdient: es ist die roemische
Provinz Arabia. Sie fuehrt ihren Namen mit Unrecht; der Kaiser, der sie
eingerichtet hat, Traianus, war ein Mann grosser Taten, aber noch groesserer
Worte. Die arabische Halbinsel, weiche das Euphratgebiet wie das Niltal
voneinander scheidet, regenarm, ohne Fluesse, allerseits mit felsiger und
hafenarmer Kueste, ist fuer den Ackerbau wie fuer den Handel wenig geeignet und
in alter Zeit zum weitaus groessten Teil den nicht sesshaften Wuestenbewohnern
zum unbestrittenen Erbteil verblieben. Insonderheit die Roemer, welche
ueberhaupt in Asien wie in Aegypten besser als irgendeine andere der wechselnden
Vormaechte es verstanden haben, ihren Besitz zu beschraenken, haben niemals auch
nur versucht, die arabische Halbinsel zu unterwerfen. Ihre wenigen
Unternehmungen gegen den suedoestlichen Teil derselben, den produktenreichsten
und wegen der Beziehung zu Indien auch fuer den Handel wichtigsten, werden bei
der Eroerterung der aegyptischen Verkehrsverhaeltnisse ihre Darstellung finden.
Das roemische Arabien umfasst schon als roemischer Klientelstaat und vor allem
als roemische Provinz nur einen maessigen Teil vom Norden der Halbinsel,
ausserdem aber das Land suedlich und oestlich von Palaestina zwischen diesem und
der grossen Wueste bis ueber Bostra hinaus. Mit diesem betrachten wir die zu
Syrien gehoerige Landschaft zwischen Bostra und Damaskos, die jetzt nach dem
Haurangebirge benannt zu werden pflegt, nach der alten Bezeichnung Trachonitis
und Batanaea.
Diese ausgedehnten Gebiete sind fuer die Zivilisation nur unter besonderen
Verhaeltnissen zu gewinnen. Das eigentliche Steppenland (Hamad) oestlich von der
Gegend, mit der wir uns hier beschaeftigen, bis zum Euphrat ist nie von den
Roemern in Besitz genommen worden und aller Kultur unfaehig; nur die
schweifenden Wuestenstaemme, wie heute zum Beispiel die Aneze, durchziehen
dasselbe, um ihre Rosse und ihre Kamele im Winter am Euphrat, im Sommer in den
Gebirgen suedlich von Bostra zu weiden und oft mehrmals im Jahre die Trift zu
wechseln. Schon auf einem hoeheren Grade der Kultur stehen westwaerts der Steppe
die sesshaften Hirtenstaemme, die namentlich Schafzucht in grosser Ausdehnung
betreiben. Aber auch fuer den Ackerbau ist in diesen Strecken vielfach Raum. Die
rote Erde des Hauran, zersetzte Lava, erzeugt im Urzustand viel wilden Roggen,
wilde Gerste und wilden Hafer und bestellt den schoensten Weizen. Einzelne
Tieftaeler mitten zwischen den Steinwuesten, wie das "Saatfeld", die Ruhbe, in
der Trachonitis, sind die fruchtbarsten Strecken in ganz Syrien; ohne dass
gepfluegt, geschweige denn geduengt wird, traegt der Weizen durchschnittlich
achtzig-, die Gerste hundertfaeltig und 26 Halme von einem Weizenkorn sind keine
Seltenheit. Dennoch bildet sich hier kein fester Wohnsitz, da in den
Sommermonaten die grosse Hitze und der Mangel an Wasser und Weide die Bewohner
zwingt, nach den Gebirgsweiden des Hauran zu wandern. Aber auch an Gelegenheit
zu fester Ansiedelung fehlt es nicht. Das von dem Baradafluss in vielfachen
Armen durchstroemte Gartenrevier um die Stadt Damaskos und die fruchtbaren, noch
heute volkreichen Bezirke, die dasselbe nach Osten, Norden und Sueden
einschliessen, waren in alter wie in neuer Zeit die Perle Syriens. Die Ebene um
Bostra, namentlich westlich davon die sogenannte Nukra, ist heute fuer Syrien
die Kornkammer, obgleich durch Regenmangel durchschnittlich jede vierte Ernte
verlorengeht und die aus der nahen Wueste oftmals einbrechenden Heuschrecken
eine unvertilgbare Landplage bleiben. Wo immer die Wasserlaeufe der Gebirge in
die Ebene gefuehrt werden, blueht unter ihnen das frische Leben auf. "Die
Fruchtbarkeit dieser Landschaft", sagt ein genauer Kenner, "ist unerschoepflich;
und noch heutigentags, wo die Nomaden dort weder Baum noch Strauch uebrig
gelassen haben, gleicht das Land, so weit das Auge reicht, einem Garten." Auch
auf den Lavaplateaus der gebirgigen Strecken haben die Lavastroeme nicht wenige
Stellen (Ka' im Auran genannt) fuer den Anbau freigelassen.
Diese Naturbeschaffenheit hat regelmaessig die Landschaft den Hirten und
den Raeubern ueberliefert. Die notwendige Unstetigkeit eines grossen Teils der
Bevoelkerung fuehrt zu ewigen Fehden namentlich um die Weideplaetze und zu
stetigen Ueberfaellen derjenigen Gegenden, die sich fuer feste Ansiedlung
eignen; mehr noch als anderswo bedarf es hier der Bildung solcher staatlicher
Gewalten, die imstande sind, in weiterem Umfange Ruhe und Frieden zu schaffen,
und fuer diese fehlt in der Bevoelkerung die rechte Unterlage. Es gibt in der
weiten Welt kaum eine Landschaft, wo gleich wie in dieser die Zivilisation nicht
aus sich selbst erwachsen, sondern allein durch uebermaechtige Eroberung von
aussen her ins Leben gerufen werden kann. Wenn Militaerstationen die
schweifenden Staemme der Wueste eindaemmen und diejenigen innerhalb der
Kulturgrenze zum friedlichen Hirtenleben zwingen, wenn in die kulturfaehigen
Gegenden Kolonisten gefuehrt und die Wasser der Berge von Menschenhand in die
Ebene geleitet werden, so, aber auch nur so, gedeiht hier froehliches und
reichliches Leben.
Die vorroemische Zeit hatte diesen Landschaften solchen Segen nicht
gebracht. Die Bewohner des gesamten Gebiets gehoeren bis gegen Damaskos hin zu
dem arabischen Zweig des grossen semitischen Stammes; die Personennamen
wenigstens sind durchgaengig arabisch. Es begegneten sich in demselben, wie in
dem noerdlichen Syrien, orientalische und okzidentalische Zivilisation; doch
hatten bis zu der Kaiserzeit beide nur geringe Fortschritte gemacht. Die Sprache
und die Schrift, deren die Nabataeer sich bedienen, sind die Syriens und der
Euphratlaender und koennen nur von dort her den Eingeborenen zugekommen sein.
Andererseits erstreckte die griechische Festsetzung in Syrien sich zum Teil
wenigstens auch auf diese Landschaften. Die grosse Handelsstadt Damaskos war mit
dem uebrigen Syrien griechisch geworden. Auch in das transjordanische Gebiet,
insbesondere in die noerdliche Dekapolis hatten die Seleukiden die griechische
Staedtegruendung getragen; weiter suedlich war hier wenigstens das alte Rabbath
Ammon durch die Lagiden die Stadt Philadelpheia geworden. Aber weiter abwaerts
und in den oestlichen, an die Wueste grenzenden Strichen hatten die
nabataeischen Koenige nicht viel mehr als dem Namen nach den syrischen oder den
aegyptischen Alexandriden gehorcht, und Muenzen oder Inschriften und Bauwerke,
welche dem vorroemischen Hellenismus beigelegt werden koennten, sind hier
nirgends zum Vorschein gekommen.
Als Syrien roemisch ward, war Pompeius bemueht, das hellenische
Staedtewesen, das er vorfand, zu festigen; wie denn die Staedte der Dekapolis
spaeterhin von dem Jahre 690/1 (64/63), in dem Palaestina zum Reich gekommen
war, ihre Jahre zaehlten ^22. Hauptsaechlich aber blieb in diesem Gebiet das
Regiment wie die Zivilisierung den beiden Vasallenstaaten, dem juedischen und
dem arabischen, ueberlassen.
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^22 Dass die Dekapolis und die Reorganisation des Pompeius wenigstens bis
nach Kanata (Kerak) nordwestlich von Bostra reichte, steht durch die Zeugnisse
der Schriftsteller und durch die nach der pompeianischen Aera datierten Muenzen
fest (Waddington zu 2412 d). Wahrscheinlich gehoeren derselben Stadt die Muenzen
mit dem Namen Gabeinia Kanatha und Daten derselben Aera (Reichard, Zeitschrift
fuer Numismatik 7,1880, S. 53); es wuerde danach dieser Ort zu den zahlreichen
von Gabinius restituierten gehoeren (Ios. ant. Iud. 14, 5, 3). Waddington
freilich (zu 2329) gibt diese Muenzen, so weit er sie kannte, dem zweiten Ort
dieses Namens, dem heutigen Kanawat, der eigentlichen Hauptstadt des Hauran,
nordwaerts von Bostra; aber es ist wenig wahrscheinlich, dass Pompeius' und
Gabinius' Organisation sich so weit ostwaerts erstreckt hat. Vermutlich ist
diese zweite Stadt juenger und benannt nach der ersten, der oestlichsten der
Dekapolis.
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Von dem Koenig der Juden, Herodes und seinem Hause, wird anderweitig noch
die Rede sein; hier haben wir seiner Taetigkeit zu gedenken fuer die Ausdehnung
der Zivilisation gegen Osten. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich ueber beide
Ufer des Jordan in seiner ganzen Ausdehnung, nordwaerts bis wenigstens nach
Chelbon, nordwestlich von Damaskos, suedlich bis an das Tote Meer, waehrend die
Landschaft weiter oestlich zwischen seinem Reich und der Wueste dem Araberkoenig
ueberwiesen war. Er und seine Nachkommen, die hier noch nach der Einziehung der
Herrschaft von Jerusalem bis auf Traian das Regiment fuehrten und spaeterhin in
Ceasarea Paneas im suedlichen Libanos residierten, waren energisch bemueht, die
Eingeborenen zu zaehmen. Die aeltesten Zeugnisse einer gewissen Kultur in diesen
Gegenden sind wohl die Hoehlenstaedte, von denen im Buch der Richter die Rede
ist, grosse unterirdische, durch Luftloecher bewohnbar gemachte Samtverstecke
mit Gassen und Brunnen, geeignet, Menschen und Herden zu bergen, schwer zu
finden und auch gefunden schwer zu bezwingen. Ihr blosses Dasein zeigt die
Vergewaltigung der friedlichen Bewohner durch die unsteten Soehne der Steppe.
"Diese Striche", sagt Josephus, wo er die Zustaende im Hauran unter Augustus
schildert, "wurden bewohnt von wilden Staemmen ohne Staedte und ohne feste
Aecker, welche mit ihren Herden unter der Erde in Hoehlen mit schmalem Eingang
und weiten verschlungenen Gassen hausten, aber mit Wasser und Vorraeten
reichlich versehen, schwer zu bezwingen waren." Einzelne dieser Hoehlenstaedte
fassen bis 400 Koepfe. Ein merkwuerdiges Edikt des ersten oder zweiten Agrippa,
wovon sich Bruchstuecke in Kanatha (Kanawat) gefunden haben, fordert die
Einwohner auf, von ihren "Tierzustaenden" zu lassen und das Hoehlenleben mit
zivilisierter Existenz zu vertauschen. Die nicht ansaessigen Araber lebten
hauptsaechlich vom Auspluendern teils der benachbarten Bauern, teils der
durchziehenden Karawanen; die Unsicherheit wurde dadurch gesteigert, dass der
kleine Fuerst Zenodoros von Abila nordwaerts Damaskos im Antilibanos, dem
Augustus die Aufsicht ueber den Trachon uebertragen hatte, es vorzog, mit den
Raeubern gemeinschaftliche Sache zu machen, und sich an ihrem Gewinn im stillen
beteiligte. Eben infolgedessen wies der Kaiser dies Gebiet dem Herodes zu, und
dessen ruecksichtsloser Energie gelang einigermassen die Baendigung dieser
Raeuberwirtschaft. Der Koenig scheint an der Ostgrenze eine Linie befestigter
und koeniglichen Kommandanten (eparchoi) unterstellter Militaerposten
eingerichtet zu haben. Er haette noch mehr erreicht, wenn das nabataeische
Gebiet den Raeubern nicht eine Freistatt geboten haette; es war dies eine der
Ursachen der Entzweiung zwischen ihm und seinem arabischen Kollegen ^23. Die
hellenisierende Tendenz tritt auf diesem Gebiete ebenso stark und minder
unerfreulich hervor wie in seinem Regiment in der Heimat. Wie alle Muenzen des
Herodes und der Herodeer griechisch sind, so traegt im transjordanischen Land
zwar das aelteste Denkmal mit Inschrift, das wir kennen, der Tempel des
Baalsamin bei Kanatha, eine aramaeische Dedikation; aber die dort aufgestellten
Ehrenbasen, darunter eine fuer Herodes den Grossen ^24, sind zweisprachig oder
bloss griechisch; unter seinen Nachfolgern herrscht das Griechische allein.
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^23 Die "fluechtigen Leute aus der Tetrarchie des Philippos", welche im
Heer des Tetrarchen von Galilaea Herodes Antipas dienen und in der Schlacht
gegen den Araber Aretas zum Feinde uebergehen (Ios. ant. Iud. 18, 5, 1), sind
ohne Zweifel auch aus der Trachonitis ausgetriebene Araber.
^24 Waddington 2366 = Vogue, Inscriptions du Haouran, n. 3. Zweisprachig
ist auch die aelteste Grabschrift dieser Gegend aus Suweda, Waddington 2320 =
Vogue n. 1, die einzige im Hauran, die das stumme Jota ausdrueckt. Die
Aufschriften sind auf beiden Denkmaelern so angebracht, dass nicht zu bestimmen
ist, welche Sprache voransteht.
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Neben dem juedischen stand der schon frueher erwaehnte "Koenig von Nabat",
wie er selber sich nennt. Die Residenz dieser Araberfuersten war die
"Felsenstadt", aramaeisch Sela, griechisch Petra, eine mittwegs zwischen dem
Toten Meere und der nordoestlichen Spitze des Arabischen Meerbusens gelegene
Felsenburg, von jeher ein Stapelplatz fuer den Verkehr Indiens und Arabiens mit
dem Mittelmeergebiet. Von der arabischen Halbinsel besassen diese Herrscher die
noerdliche Haelfte; ihre Gewalt erstreckte sich am Arabischen Meerbusen bis nach
Leuke Kome gegenueber der aegyptischen Stadt Berenike, im Binnenland wenigstens
bis in die Gegend des alten Thaema ^25. Noerdlich von der Halbinsel reichte ihr
Gebiet bis nach Damaskos, das unter ihrem Schutze stand ^26, und selbst ueber
Damaskos hinaus ^27 und umschloss wie mit einem Guertel das gesamte
palaestinensische Syrien. Nach der Besitznahme Judaeas stiessen die Roemer
feindlich mit ihnen zusammen, und Marcus Scaurus fuehrte eine Expedition gegen
Petra. Damals ist es nicht zu ihrer Unterwerfung gekommen; aber bald nachher
muss dieselbe erfolgt sein ^28. Unter Augustus ist ihr Koenig Obodas ebenso
reichsuntertaenig ^29 wie der Judenkoenig Herodes und leistet gleich diesem
Heerfolge bei der roemischen Expedition gegen das suedliche Arabien. Seit jener
Zeit muss der Schutz der Reichsgrenze im Sueden wie im Osten von Syrien bis
hinauf nach Damaskos zunaechst in der Hand dieses Araberkoenigs gelegen haben.
Mit dem juedischen Nachbarn lag er in bestaendiger Fehde. Augustus, erzuernt
darueber, dass der Araber statt bei dem Lehnsherrn gegen Herodes Recht zu
suchen, diesem mit den Waffen entgegengetreten war und dass des Obodas Sohn
Harethath oder griechisch Aretas nach dem Tode des Vaters, statt die Belehnung
abzuwarten, ohne weiteres die Herrschaft angetreten hatte, war im Begriff,
diesen abzusetzen und sein Gebiet mit dem juedischen zu vereinigen; aber das
Missregiment des Herodes in seinen spaeteren Jahren hielt ihn davon zurueck, und
so wurde (um 747 7) Aretas bestaetigt. Einige Dezennien spaeter begann derselbe
wieder auf eigene Hand Krieg gegen seinen Schwiegersohn, den Fuersten von
Galilaea, Herodes Antipas, wegen der Verstossung seiner Tochter zu Gunsten der
schoenen Herodias. Er behielt die Oberhand, aber der erzuernte Lehnsherr
Tiberius befahl dem Statthalter von Syrien die Exekution gegen ihn. Schon waren
die Truppen auf dem Marsche, als Tiberius starb (37); und sein Nachfolger Gaius,
der dem Antipas nicht wohl wollte, verzieh dem Araber. Des Aretas Nachfolger
Koenig Maliku oder Malchos focht unter Nero und Vespasian in dem Juedischen
Krieg als roemischer Vasall und vererbte die Herrschaft auf seinen Sohn Rabel,
den Zeitgenossen Traians, den letzten dieser Regenten. Namentlich nach der
Einziehung des Staates von Jerusalem und der Reduzierung der ansehnlichen
Herrschaft des Herodes auf das wenig schlagfertige Koenigreich von Caesarea
Paneas war unter den syrischen Klientelstaaten der arabische der ansehnlichste,
wie er denn auch zu dem Jerusalem belagernden Roemerheere unter den koeniglichen
das staerkste Kontingent stellte. Des Gebrauchs der griechischen Sprache hat
dieser Staat sich auch unter roemischer Oberhoheit enthalten; die unter der
Herrschaft seiner Koenige geschlagenen Muenzen tragen, von Damaskos abgesehen,
nur aramaeische Aufschrift. Aber es zeigen sich die Anfaenge geordneter
Zustaende und zivilisierten Regiments. Die Praegung selbst hat wahrscheinlich
erst begonnen, nachdem der Staat unter roemische Klientel gekommen war. Der
arabisch-indische Verkehr mit dem Mittelmeergebiet bewegt sich zum grossen Teil
auf der von Leuke Kome ueber Petra nach Gaza laufenden, von den Roemern
ueberwachten Karawanenstrasse ^30. Die Fuersten des Nabataeerreiches bedienen
sich, aehnlich wie die Gemeinde Palmyra, fuer die Beamten griechischer
Aemterbezeichnungen, wie zum Beispiel des Eparchen- und des Strategentitels.
Wenn unter Tiberius die durch die Roemer bewirkte gute Ordnung Syriens und die
durch die militaerische Besetzung herbeigefuehrte Sicherheit der Ernten ruehmend
hervorgehoben wird, so ist dies zunaechst zu beziehen auf die in den
Klientelstaaten von Jerusalem oder nachher von Caesarea Paneas und von Petra
getroffenen Einrichtungen.
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^25 Bei Medain Salih oder Hidjr, suedlich von Teima, dem alten Thaema, sind
kuerzlich von den Reisenden Doughty und Huber eine Reihe nabataeischer
Inschriften aufgefunden worden, die, grossenteils datiert, von der Zeit des
Augustus bis zum Tode Vespasians reichen. Lateinische Inschriften fehlen, und
die wenigen griechischen sind spaetester Zeit; allem Anschein nach ist bei der
Umwandlung des Nabataeischen Reiches in eine roemische Provinz, was von dem
inneren Arabien zu jenem gehoerte, von den Roemern aufgegeben worden.
^26 Die Stadt Damaskos unterwarf sich freiwillig unter den letzten
Seleukiden um die Zeit der Diktatur Sullas dem damaligen Koenig der Nabataeer,
vermutlich dem Aretas mit dem Scaurus schlug (Ios. ant. Iud. 13, 15). Auch die
Muenzen mit der Aufschrift basile?s Aretoy philell/e/nos; (Eckhel 3, 330;
Luynes, Revue numismatique N. S. 3, 1858, S. 311) sind vielleicht in Damaskos
geschlagen, als dies von den Nabataeern abhaengig war; die Jahreszahl auf einer
derselben ist zwar nicht mit Sicherheit bezogen, fuehrt aber vermutlich in die
letzte Zeit der roemischen Republik. Wahrscheinlich hat diese Abhaengigkeit der
Stadt von den nabataeischen Koenigen fortbestanden, solange es ueberhaupt solche
gab. Daraus, dass die Stadt Muenzen mit den Koepfen der roemischen Kaiser
gepraegt hat, folgt wohl die Abhaengigkeit von Rom und daneben die
Selbstverwaltung, aber nicht die Unabhaengigkeit von dem roemischen
Lehnsfuersten; die derartigen Schutzverhaeltnisse sind so mannigfaltig gestaltet
dass diese Ordnungen wohl sich miteinander vertragen konnten. Fuer die Fortdauer
des Nabataeerregiments spricht teils, dass der Ethnarch des Koenigs Aretas in
Damaskos den Apostel Paulus, wie dieser im 2. Brief an die Korinther (11, 32)
schreibt, verhaften lassen wollte, teils die seit kurzem festgestellte Tatsache
(Anm. 27), dass die Herrschaft der Nabataeer nordoestlich von Damaskos noch
unter Traian fortdauerte.
Indem man umgekehrt davon ausging, dass, wenn Aretas in Damaskos herrscht,
die Stadt nicht roemisch sein kann hat man auf verschiedenen Wegen versucht,
jenen Vorgang im Leben des Paulus chronologisch zu fixieren. Man hat an die
Verwicklung zwischen Aretas und der roemischen Regierung in den letzten Jahren
des Tiberius gedacht; aber wie diese verlief, ist es nicht wahrscheinlich, dass
sie in dem Besitzstand des Aretas eine dauernde Veraenderung herbeigefuehrt hat.
Melchior de Vogue (Melanges d'archeologie orientale. Paris 1869, S. 33) hat
darauf hingewiesen dass zwischen Tiberius und Nero - genauer zwischen den Jahren
33 und 62 (F. C. Saulcy, Numismatique de la Terre-Sainte. Paris 1874, S. 36) -
Kaisermuenzen von Damaskos fehlen und das Regiment der Nabataeer daselbst in
diese Zwischenzeit gesetzt, indem er annahm, dass Kaiser Gaius wie so vielen
anderen Lehnsfuersten, auch dem Araber seine Huld erwiesen und ihn mit Damaskos
belehnt habe. Aber derartige Unterbrechungen der Praegung treten haeufig auf und
fordern keine so tiefgreifende Erklaerung. Man wird wohl darauf verzichten
muessen, an dem Schalten des Nabataeerkoenigs in Damaskos fuer die
Lebensgeschichte des Paulus einen chronologischen Haltpunkt zu finden und
ueberhaupt Paulus Aufenthalt in dieser Stadt der Zeit nach zu definieren. Wenn
der auf jeden Fall stark verschobenen Darstellung des Vorgangs in der
Apostelgeschichte 9 insoweit zu trauen ist, ging Paulus nach Damaskos vor der
Bekehrung, um die Christenverfolgung, in welcher Stephanos umgekommen war, dort
fortzusetzen, und beschlossen dann, als er bekehrt in Damaskos vielmehr fuer die
Christen eintrat die dortigen Juden ihn umzubringen, wobei also vorausgesetzt
werden muss, dass der Beamte des Aretas, aehnlich wie Pilatus, der Ketzer-
Verfolgung der Juden Raum gab. Aus den zuverlaessigen Angaben des Galaterbriefes
folgt ferner, dass die Bekehrung bei Damaskos stattfand (denn dies zeigt das
ypestrepsa) und Paulus von da nach Arabien ging; ferner dass er drei Jahre nach
der Bekehrung zum ersten und siebzehn Jahre nach derselben zum zweiten Mal nach
Jerusalem kam, wonach die apokryphen Berichte der Apostelgeschichte ueber seine
Jerusalemreisen zu berichtigen sind (E. Zeller, Die Apostelgeschichte kritisch
untersucht. Stuttgart 1854, S. 216). Aber weder ist die Zeit des Todes des
Stephanos genau bestimmbar, noch viel weniger der Zeitraum zwischen diesem und
der Flucht des bekehrten Paulus aus Damaskos, noch die Zwischenzeit zwischen
seiner zweiten Reise nach Jerusalem und der Abfassung des Galaterbriefes, noch
das Jahr der Abfassung desselben selbst.
^27 Die kuerzlich bei Dmer, nordoestlich von Damaskos auf der Strasse nach
Palmyra, gefundene nabataeische Inschrift (Sachau, ZDMG 38, 1884 S. 535),
datiert aus dem Monat Ijjar des Jahres 405 nach roemischer (d. h.
seleukidischer) Zaehlung und dem 24. Jahr des Koenigs Rabel, des letzten
nabataeischen, also aus dem Mai 94 n. Chr., hat gezeigt, dass dieser Distrikt
bis auf die Einziehung dieses Reiches unter der Herrschaft der Nabataeer
geblieben ist. Uebrigens scheinen die Herrschaftsgebiete hier geographisch
durcheinander gewuerfelt gewesen zu sein; so stritten um das Gebiet von Gamala
am See Genezareth der Tetrarch von Galilaea und der Nabataeerkoenig (Ios. ant.
Iud. 18, 5, 1).
^28 Vielleicht durch Gabinius (App. Syr. 51).
^29 Strab. 16, 4, 21 p. 779. Die Muenzen dieser Koenige zeigen indes den
Kaiserkopf nicht. Aber dass im Nabataeischen Reiche nach roemischen Kaiserjahren
datiert werden konnte, beweist die nabataeische Inschrift von Hebraen (M. de
Vogue, l'Architecture civile et religieuse dans la Syrie centrale. 2 Bde. Paris
1865-77. Inscr. n. 1), datiert vom 7. Jahr des Claudius, also vom Jahre 47.
Hebran, wenig noerdlich von Bostra, scheint auch spaeter zu Arabien gerechnet
worden zu sein (Lebas-Waddington 2287), und nabataeische Inschriften
oeffentlichen Inhalts begegnen ausserhalb des Nabataeerstaats nicht; die wenigen
der Art aus der Trachonitis sind privater Natur.
^30 "Leuke Kome im Lande der Nabataeer", sagt Strabon unter Tiberius (16,
4, 23 p. 780), "ist ein grosser Handelsplatz, wohin und von wo die
Karawanenhaendler (kam/e/lemporoi) mit so zahlreichen Leuten und Kamelen sicher
und bequem von und nach Petra gehen, dass sie in nichts von Heerlagern sich
unterscheiden." Auch der unter Vespasian schreibende aegyptische Kaufmann
erwaehnt in seiner Kuestenbeschreibung des Roten Meeres c. 19 "den Hafen und die
Festung (phro?rion) Leuke Kome von wo der Weg nach Petra fuehrt zum Koenig der
Nabataeer Malichas. Er kann als Handelsplatz gelten fuer die auf nicht eben
grossen Schiffen dorthin aus Arabien verschifften Waren. Darum wird dorthin ein
Einnehmer geschickt (apostelletai) des Eingangszolls von einem Viertel des
Wertes und der Sicherheit wegen ein Centurio (ekatontarch/e/s) mit Mannschaft."
Da ein roemischer Reichsangehoeriger hier des Schickens von Beamten und Soldaten
erwaehnt, so koennen dies nur roemische sein; auch passt fuer das Heer des
Nabataeerkoenigs der Centurio nicht und ist die Steuerreform ganz die roemische.
Dass ein Klientelstaat in das Gebiet der Reichssteuer eingezogen wird, kommt
auch sonst, zum Beispiel in den Alpengegenden vor. Die Strasse von Petra nach
Gaza erwaehnt Plinius nat. 6, 28, 144.
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Unter Traianus trat an die Stelle dieser beiden Klientelstaaten die
unmittelbare roemische Herrschaft. Im Anfang seiner Regierung starb Koenig
Agrippa II., und es wurde sein Gebiet mit der Provinz Syrien vereinigt. Nicht
lange darauf, im Jahre 106, loeste der Statthalter Aulus Cornelius Palma das
bisherige Reich der Koenige von Nabat auf und machte aus dem groesseren Teil
desselben die roemische Provinz Arabia, waehrend Damaskos zu Syrien kam und was
der Nabataeerkoenig im Binnenland Arabiens besessen hatte, von den Roemern
aufgegeben ward. Die Einrichtung Arabiens wird als Unterwerfung bezeichnet, und
auch die Muenzen, welche die Besitzergreifung von Arabien feiern, sprechen
dafuer, dass die Nabataeer sich zur Wehr setzten, wie denn ueberhaupt die
Beschaffenheit ihres Gebiets sowie ihr bisheriges Verhalten eine relative
Selbstaendigkeit dieser Fuersten annehmen lassen. Aber nicht in dem Kriegserfolg
darf die geschichtliche Bedeutung dieser Vorgaenge gesucht werden; die beiden
ohne Zweifel zusammengehoerigen Einziehungen waren nicht mehr als vielleicht mit
militaerischer Gewalt durchgefuehrte Verwaltungsakte, und die Tendenz, diese
Gebiete der Zivilisation und speziell dem Hellenismus zu gewinnen, wird dadurch
nur gesteigert, dass die roemische Regierung die Arbeit selbst auf sich nimmt.
Der Hellenismus des Orients, wie ihn Alexander zusammengefasst hat, war eine
streitende Kirche, eine politisch, religioes, wirtschaftlich, literarisch
vordringende, durchaus erobernde Macht. Hier an dem Saum der Wueste, unter dem
Druck des antihellenischen Judentums und gehandhabt von dem geistlosen und
unsteten Seleukidenregiment, hatte er bisher wenig ausgerichtet. Aber jetzt das
Roemertum durchdringend, entwickelt er eine treibende Kraft, welche sich zu der
frueheren verhaelt wie die Macht der juedischen und der arabischen Lehnsfuersten
zu derjenigen des Roemischen Reiches. In diesem Lande, wo alles darauf ankam und
ankommt, durch Aufstellung einer ueberlegenen und staendigen Militaermacht den
Friedensstand zu schirmen, war die Einrichtung eines Legionslagers in Bostra
unter einem Kommandanten senatorischen Ranges ein epochemachendes Ereignis. Von
diesem Mittelpunkt aus wurden an den zweckmaessigen Stellen die erforderlichen
Posten eingerichtet und mit Besatzung versehen. Beispielsweise verdient
Erwaehnung das Kastell -von Namara (Nemara), einen starken Tagemarsch jenseits
der Grenzen des eigentlich bewohnbaren Berglandes, inmitten der Steinwueste,
aber gebietend ueber den einzigen, innerhalb derselben befindlichen Brunnen und
die daran sich anschliessenden bei der schon erwaehnten Oase von Ruhbe und
weiterhin am Djebel Ses; diese Besatzungen zusammen beherrschen das gesamte
Vorland des Hauran. Eine andere Reihe von Kastellen, dem syrischen Kommando und
zunaechst dem der bei Danava postierten Legion unterstellt und in
gleichmaessigen Distanzen von drei zu drei Stunden angelegt, sicherte die
Strasse von Damaskos nach Palmyra; das am besten bekannte davon, das zweite in
der Reihe, ist das von Dmer, ein laengeres Viereck von je 300 und 350 Schritt,
auf jeder Seite mit sechs Tuermen und einem fuenfzehn Schritte breiten Portal
versehen und umfasst von einer einstmals aussen mit schoenen Quadern bekleideten
Ringmauer von sechzehn Fuss Dicke.
Niemals war eine solche Aegide ueber dieses Land gebreitet worden. Es wurde
nicht eigentlich denationalisiert. Die arabischen Namen bleiben bis in die
spaeteste Zeit hinab, wenngleich nicht selten, eben wie in Syrien, dem
oertlichen ein roemisch-hellenischer beigefuegt wird: so nennt sich ein Scheich
"Adrianos oder Soaidos, Sohn des Malechos" ^31. Auch der einheimische Kultus
bleibt unangetastet: die Hauptgottheit der Nabataeer, der Dusaris, wird wohl mit
dem Dionysos geglichen, aber regelmaessig unter seinem oertlichen Namen auch
ferner verehrt, und bis in spaete Zeit feiern die Bostrener zu seinen Ehren die
Dusarien ^32. In gleicher Weise werden in der Provinz Arabia dem Aumu oder dem
Helios, dem Vasaeathu, dem Theandritos, dem Ethaos auch ferner Tempel geweiht
und Opfer dargebracht. Die Staemme und die Stammordnung bleiben nicht minder:
die Inschriften nennen Reihen von "Phylen" einheimischen Namens und oefter
Phylarchen oder Ethnarchen. Aber neben der hergebrachten Weise schreitet die
Zivilisierung und die Hellenisierung vorwaerts. Wenn aus vortraianischer Zeit im
Bereich des Nabataeerstaats kein griechisches Denkmal nachgewiesen werden kann,
so ist umgekehrt daselbst kein nachtraianisches in der Landessprache gefunden
worden ^33; allem Anschein nach hat die Reichsregierung den Schriftgebrauch des
Aramaeischen gleich bei der Einziehung unterdrueckt, obwohl dasselbe sicher die
eigentliche Landessprache blieb, wie dies ausser den Eigennamen auch der
"Dolmetsch der Steuereinnehmer" bezeugt.
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^31 Waddington 2196: Adriano? to? kai Soaidoy Malechoy ethnarchoy
strat/e/go? nomad/o/n to mn/e/mion.
^32 Epiphanius (haeres. 51 p. 483 Dind.) fuehrt aus, dass der 25. Dezember,
der Geburtstag Christi, schon in Rom in dem Saturnalienfest, in Alexandreia in
dem (auch im Dekret von Kanopos erwaehnten) Fest der Kikellia und in anderen
heidnischen Kulturen in analoger Art festlich begangen worden sei. "Dies
geschieht in Alexandreia in dem sogenannten Jungfrauenheiligtum (Korion) . ..
und wenn man die Leute fragt, was dies Mysterium bedeute, so antworten und sagen
sie, dass heute in dieser Stunde die Jungfrau den Ewigen (ton ai/o/na) geboren
habe. Dies geschieht in gleicher Weise in Petra, der Hauptstadt von Arabia, in
dem dortigen Tempel, und in arabischer Sprache besingen sie die Jungfrau, welche
sie auf arabisch Chaamu nennen, das heisst das Maedchen, und den aus ihr
Geborenen Dusares, das heisst den Eingeborenen des Herrn." Der Name Chaamu ist
vielleicht verwandt mit dem Aumu oder Aumos der griechischen Inschriften dieser
Gegend, der mit Ye?s anik/e/tos /E/lios geglichen wird (Waddington 2392-2395,
2441, 2455, 2456).
^33 Dabei ist abgesehen von der merkwuerdigen, in Harran unweit Zorava
gefundenen arabisch-griechischen Inschrift (man beachte die Folge) vom Jahre 568
n. Chr., gesetzt von dem Phylarchen Asaraelos, Sohn des Talemos (Waddington
2464). Dieser Christ ist ein Vorlaeufer Mohammeds.
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Ueber die Hebung des Ackerbaues fehlen uns redende Zeugen; aber wenn auf
der ganzen oestlichen und suedlichen Abdachung des Hauran von den Spitzen des
Gebirges bis zur Wueste hin die Steine, mit denen diese vulkanische Ebene einst
besaet war, zu Haufen geworfen oder in langen Zeilen geschichtet und so die
herrlichsten Aecker gewonnen sind, so darf man darin die Hand der einzigen
Regierung erkennen, die dieses Land so regiert hat, wie es regiert werden kann
und regiert werden sollte. In der Ledja, einem dreizehn Stunden langen und acht
bis neun breiten Lavaplateau, das jetzt fast menschenleer ist, wuchsen einst
Reben und Feigen zwischen den Lavastroemen; quer durch dasselbe fuehrt die
Bostra mit Damaskos verbindende Roemerstrasse; in der Ledja und um sie zaehlt
man die Ruinen von 12 groesseren und 39 kleineren Ortschaften. Erweislich ist
auf Geheiss desselben Statthalters, der die Provinz Arabia eingerichtet hat, der
maechtige Aquaedukt angelegt worden, welcher das Wasser vom Gebirge des Hauran
nach Kanatha (Kerak) in der Ebene fuehrte, und nicht weit davon ein aehnlicher
in Arrha (Raha), Bauten Traians, die neben dem Hafen von Ostia und dem Forum von
Rom genannt werden duerfen. Fuer das Aufbluehen des Handelsverkehrs spricht die
Wahl selbst der Hauptstadt der neuen Provinz. Bostra bestand unter der
nabataeischen Regierung und es hat sich dort eine Inschrift des Koenigs Malichu
gefunden; aber seine militaerische und kommerzielle Bedeutung beginnt mit dem
Eintritt des unmittelbaren roemischen Regiments. "Bostra", sagt Wetzstein, "hat
unter allen ostsyrischen Staedten die guenstigste Lage; selbst Damaskos, welches
seine Groesse der Menge seines Wassers und seiner durch den oestlichen Trachon
geschuetzten Lage verdankt, wird Bostra nur unter einer schwachen Regierung
ueberstrahlen, waehrend letzteres unter einem starken und weisen Regiment sich
in wenigen Jahrzehnten zu einer maerchenhaften Bluete emporschwingen muss. Es
ist der grosse Markt fuer die syrische Wueste, das arabische Hochgebirge und die
Peraea, und seine langen Reihen steinerner Buden legen noch jetzt in der
Veroedung Zeugnis ab von der Realitaet einer frueheren und der Moeglichkeit
einer kuenftigen Groesse." Die Reste der von dort ueber Salchat und Ezrak zum
Persischen Meerbusen fuehrenden roemischen Strasse beweisen, dass Bostra neben
Petra und Palmyra den Verkehr vom Osten zum Mittelmeer vermittelte. Diese Stadt
hat wahrscheinlich schon Traian hellenisch konstituiert; wenigstens heisst sie
seitdem "das neue traianische Bostra", und die griechischen Muenzen beginnen mit
Plus, waehrend spaeter infolge der Erteilung des Kolonialrechts durch Alexander
die Aufschrift lateinisch wird.
Auch Petra hat schon unter Hadrian griechische Stadtverfassung gehabt und
noch einzelne andere Ortschaften spaeterhin Stadtrecht empfangen; ueberwogen
aber hat in diesem Arabergebiet bis in die spaeteste Zeit der Stamm und das
Stammdorf.
Aus der Mischung nationaler und griechischer Elemente entwickelte sich in
diesen Landschaften in dem halben Jahrtausend zwischen Traian und Mohammed eine
eigenartige Zivilisation. Es ist uns davon ein volleres Abbild erhalten als von
anderen Gestaltungen der antiken Welt, indem die zum grossen Teil aus dem Felsen
herausgearbeiteten Anlagen von Petra und die bei dem Mangel des Holzes ganz aus
Stein aufgefuehrten Bauwerke im Hauran, verhaeltnismaessig wenig beschaedigt
durch die mit dem Islam hier wieder in ihr altes Unrecht eingesetzte
Beduinenherrschaft, zu einem betraechtlichen Teil noch heute vorhanden sind und
auf die Kunstfertigkeit und Lebensweise jener Jahrhunderte helles Licht werfen.
Der oben erwaehnte Tempel des Baalsamin von Kanatha, sicher unter Herodes
gebaut, zeigt in seinen urspruenglichen Teilen eine voellige Verschiedenheit von
der griechischen Architektur und in der architektonischen Anlage merkwuerdige
Analogien mit dem Tempelbau desselben Koenigs in Jerusalem, waehrend die bei
diesem vermiedenen bildlichen Darstellungen hier keineswegs fehlen. Aehnliches
ist auch bei den in Petra gefundenen Denkmaelern beobachtet worden. Spaeter ging
man weiter. Wenn unter den juedischen und den nabataeischen Herrschern die
Kultur nur langsam sich von den Einfluessen des Orients loeste, so scheint mit
der Verlegung der Legion nach Bostra hier eine neue Zeit begonnen zu haben. "Das
Bauen", sagt ein vortrefflicher franzoesischer Beobachter, Melchior de Vogue,
"erhielt damit einen Anstoss, der nicht wieder zum Stillstand kam. Ueberall
erhoben sich Haeuser, Palaeste, Baeder, Tempel, Theater, Aquaedukte,
Triumphbogen; Staedte stiegen aus dem Boden binnen weniger Jahre mit der
regelmaessigen Anlage, den symmetrisch gefuehrten Saeulenreihen, die die Staedte
ohne Vergangenheit bezeichnen und fuer diesen Teil Syriens waehrend der
Kaiserzeit gleichsam die unvermeidliche Uniform sind." Die oestliche und
suedliche Abdachung des Hauran weist ungefaehr dreihundert derartige veroedete
Staedte und Doerfer auf, waehrend dort jetzt nur fuenf neue Ortschaften
vorhanden sind; einzelne von jenen, zum Beispiel Busan, zaehlen bis 800 ein- bis
zweistoeckige Haeuser, durchaus aus Basalt gebaut, mit wohlgefuegten, ohne
Zement verbundenen Quadermauern, meist ornamentierten, oft auch mit Inschriften
versehenen Tueren, die flache Decke gebildet durch Steinbalken, welche von
Steinbogen getragen und oben durch eine Zementlage regenfrei gestellt werden.
Die Stadtmauer wird gewoehnlich nur durch die zusammengeschlossenen Rueckseiten
der Haeuser gebildet und ist durch zahlreiche Tuerme geschuetzt. Die duerftigen
Rekolonisierungsversuche der neuesten Zeiten finden die Haeuser bewohnbar vor;
es fehlt nur die fleissige Menschenhand oder vielmehr der starke Arm, der sie
beschuetzt. Vor den Toren liegen die oft unterirdischen oder mit kuenstlichem
Steindach versehenen Zisternen, von denen manche noch heute, wo diese
Staedtewueste zum Weideland geworden ist, von den Beduinen im Stande gehalten
werden, um daraus im Sommer ihre Herden zu traenken. Die Bauweise und die
Kunstuebung haben wohl einzelne Ueberreste der aelteren orientalischen Weise
bewahrt, zum Beispiel die haeufige Grabform des mit einer Pyramide gekroenten
Wuerfels, vielleicht auch die oft dem Grabmal beigefuegten, noch heute in ganz
Syrien haeufigen Taubentuerme, ist aber, im ganzen genommen, die gewoehnliche
griechische der Kaiserzeit. Nur hat das Fehlen des Holzes hier eine Entwicklung
des Steinbogens und der Kuppel hervorgerufen, die technisch wie kuenstlerisch
diesen Bauten einen originellen Charakter verleiht. Im Gegensatz zu der anderswo
ueblichen gewohnheitsmaessigen Wiederholung der ueberlieferten Formen herrscht
hier eine den Beduerfnissen und den Bedingungen selbstaendig genuegende, in der
Ornamentik masshaltende, durchaus gesunde und rationelle und auch der Eleganz
nicht entbehrende Architektur. Die Grabstaetten, welche in die oestlich und
westlich von Petra aufsteigenden Felswaende und in deren Seitentaeler
eingebrochen sind, mit ihren oft in mehreren Reihen uebereinandergestellten
dorischen oder korinthischen Saeulenfassaden und ihren an das aegyptische Theben
erinnernden Pyramiden und Propylaeen sind nicht kuenstlerisch erfreulich, aber
imponierend durch Masse und Reichtum. Nur ein reges Leben und ein hoher
Wohlstand hat also fuer seine Toten zu sorgen vermocht. Diesen architektonischen
Denkmaelern gegenueber befremdet es nicht, wenn die Inschriften eines Theaters
in dem "Dorf" (k/o/m/e/) Sakkaea, eines "theaterfoermigen Odeons" in Kanatha
Erwaehnung tun und ein Lokalpoet von Namara in der Batanaea sich selber feiert
als den "Meister der herrlichen Kunst stolzen ausonischen Lieds" ^34. Also ward
an dieser Ostgrenze des Reiches der hellenischen Zivilisation ein Grenzgebiet
gewonnen, das mit dem romanisierten Rheinland zusammengestellt werden darf; die
Bogen- und Kuppelbauten Ostsyriens halten wohl den Vergleich aus mit den
Schloessern und Grabmaelern der Edlen und der Kaufherren der Belgica.
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^34 Aysoni/o/n mo?s/e/s ypsinooy pr?tanis. G. Kaibel, Epigrammata Graeca.
Berlin 1878, 440.
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Aber es kam das Ende. Von den aus dem Sueden hierher einwandernden
Araberstaemmen schweigt die geschichtliche Ueberlieferung der Roemer, und was
die spaeten Aufzeichnungen der Araber ueber die der Ghassaniden und deren
Vorlaeufer berichten, ist wenigstens chronologisch kaum zu fixieren ^35. Aber
die Sabaeer, nach denen der Ort Borechath (Breka noerdlich von Kanawat) genannt
wird, scheinen in der Tat suedarabische Auswanderer zu sein; und diese sassen
hier bereits im 3. Jahrhundert. Sie und ihre Genossen moegen in Frieden gekommen
und unter roemischer Aegide sesshaft geworden sein, vielleicht sogar die
hochentwickelte und ueppige Kultur des suedwestlichen Arabien nach Syrien
getragen haben. Solange das Reich fest zusammenhielt und jeder dieser Staemme
unter seinem Scheich stand, gehorchten alle dem roemischen Oberherrn. Aber um
den unter einem Koenig geeinigten Arabern oder, wie sie jetzt heissen, Sarazenen
des Perserreiches besser zu begegnen, unterwarf Justinian waehrend des
Persischen Krieges im Jahre 531 saemtliche Phylarchen der den Roemern
untertaenigen Sarazenen dem Arethas, des Gabala Sohn, und verlieh diesem den
Koenigstitel, was bis dahin, wie hinzugesetzt wird, niemals geschehen war.
Dieser Koenig der saemtlichen in Syrien ansaessigen Araberstaemme war noch des
Reiches Lehnstraeger; aber indem er seine Landsleute abwehrte, bereitete er
zugleich ihnen die Staette. Ein Jahrhundert spaeter, im Jahre 637, unterlag
Arabien und Syrien dem Islam.
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^35 Nach den arabischen Berichten wanderten die Benu Salih aus der Gegend
von Mekka (um 190 n. Chr. nach den Ansetzungen von A. P. Caussin de Perceval,
Essai sur l'histoire des Arabes avant l'Islamisme. Bd. 1. Paris 1847, S. 212)
nach Syrien und siedelten sich hier an neben den Benu-Samaida, in denen
Waddington die phyl/e/ Somaith/e/n/o/n einer Inschrift von Suweda (n. 2308)
wiederfindet. Die Ghassaniden, die (nach Caussin um 205) von Batn-Marr ebenfalls
nach Syrien in dieselbe Gegend einwanderten, wurden von den Salihiten auf
Anweisung der Roemer gezwungen, Tribut zu zahlen und entrichteten diesen eine
Zeitlang, bis sie (nach demselben um das Jahr 292) die Salihiten ueberwanden und
ihr Fuehrer Thalaba, Sohn Amts, von den Roemern als Phylarch anerkannt ward.
Diese Erzaehlung mag richtige Elemente enthalten; aber massgebend bleibt immer
der im Text wiedergegebene Bericht Prokops (Pers. 1, 17). Die Phylarchen
einzelner Provinzen, von Arabia (d. h. Provinz Bostra: nov. 102 c. 1) und von
Palaestina (d. h. Provinz Petra: Prok. Pers. 1, 19) sind aelter, aber wohl nicht
um viel. Waere ein Oberscheich dieser Art in vorjustinianischer Zeit von den
Roemern anerkannt worden, so wuerden die roemischen Schriftsteller und die
Inschriften davon wohl die Spuren aufweisen; aber aus vorjustinianischer Zeit
fehlt es an solchen.
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11. Kapitel
Judaea und die Juden
Die Geschichte des juedischen Landes ist so wenig die Geschichte des
juedischen Volkes wie die Geschichte des Kirchenstaates die der Katholiken; es
ist ebenso erforderlich, beides zu sondern wie beides zusammen zu erwaegen.
Die Juden im Jordanland, mit welchen die Roemer zu schaffen hatten, waren
nicht dasjenige Volk, das unter seinen Richtern und Koenigen mit Moab und Edom
schlug und den Reden des Amos und Hosea lauschte. Die durch die Fremdherrschaft
ausgetriebene und durch den Wechsel der Fremdherrschaft wieder zurueckgefuehrte
kleine Gemeinde frommer Exulanten, welche ihre neue Einrichtung damit begann,
die Reste der in den alten Sitzen zurueckgebliebenen Stammgenossen schroff
zurueckzuweisen und zu der unversoehnlichen Fehde zwischen Juden und Samaritern
den Grund zu legen, das Ideal nationaler Exklusivitaet und priesterlicher
Geistesfesselung, hatte lange vor der roemischen Zeit unter dem Regiment der
Seleukiden die sogenannte mosaische Theokratie entwickelt, ein geistliches
Kollegium mit dem Erzpriester an der Spitze, welches bei der Fremdherrschaft,
sich beruhigend und auf staatliche Gestaltung verzichtend, die Besonderheit der
Seinigen wahrte und unter der Aegide der Schutzmacht dieselben beherrschte. Dies
den Staat ignorierende Festhalten der nationalen Eigenart in religioesen Formen
ist die Signatur des spaeteren Judentums. Wohl ist jeder Gottesbegriff in seiner
Bildung volkstuemlich; aber kein anderer Gott ist so von Haus aus der Gott nur
der Seinen gewesen wie Jahve, und keiner es so ohne Unterschied von Zeit und Ort
geblieben. Jene in das Heilige Land Zurueckwandernden, welche nach den Satzungen
Mosis zu leben meinten, und in der Tat lebten nach den Satzungen Ezras und
Nehemias, waren von den Grosskoenigen des Orients und spaeter von den Seleukiden
gerade ebenso abhaengig geblieben, wie sie es an den Wassern Babylons gewesen
waren. Ein politisches Element haftet dieser Organisation nicht mehr an als der
armenischen oder der griechischen Kirche unter ihren Patriarchen im tuerkischen
Reich; kein freier Luftzug staatlicher Entwicklung geht durch diese klerikale
Restauration; keine der schweren und ernsten Verpflichtungen des auf sich selbst
gestellten Gemeinwesens behinderte die Priester des Tempels von Jerusalem in der
Herstellung des Reiches Jahves auf Erden.
Der Gegenschlag blieb nicht aus. Jener Kirchenunstaat konnte nur dauern,
solange eine weltliche Grossmacht ihm als Schirmherr oder auch als Buettel
diente. Als das Reich der Seleukiden verfiel, ward durch die Auflehnung gegen
die Fremdherrschaft, die eben aus dem begeisterten Volksglauben ihre besten
Kraefte zog, wieder ein juedisches Gemeinwesen geschaffen. Der Erzpriester von
Salem wurde vom Tempel auf das Schlachtfeld gerufen. Das Geschlecht der
Hasmonaeer stellte nicht bloss das Reich Sauls und Davids ungefaehr in seinen
alten Grenzen wieder her, sondern diese kriegerischen Hohenpriester erneuerten
auch einigermassen das ehemalige, wahrhaft staatliche, den Priestern gebietende
Koenigtum. Aber dasselbe, von jener Priesterherrschaft zugleich das Erzeugnis
und der Gegensatz, war nicht nach dem Herzen der Frommen. Die Pharisaeer und die
Sadduzaeer schieden sich und begannen sich zu befehden. Weniger Glaubenssaetze
und rituelle Differenzen standen hier sich einander entgegen als einerseits das
Verharren bei einem lediglich die religioesen Ordnungen und Interessen
festhaltenden, im uebrigen fuer die Unabhaengigkeit und die Selbstbestimmung der
Gemeinde gleichgueltigen Priesterregiment, andererseits das Koenigtum,
hinstrebend zu staatlicher Entwicklung und bemueht, in dem politischen Ringen,
dessen Schauplatz damals das Syrische Reich war, dem juedischen Volke durch
Schlagen und Vertragen wieder seinen Platz zu verschaffen. Jene Richtung
beherrschte die Menge, diese ueberwog in der Intelligenz und in den vornehmen
Klassen; ihr bedeutendster Vertreter ist Koenig Iannaeos Alexandros, der
waehrend seiner ganzen Regierung nicht minder mit den syrischen Herrschern in
Fehde lag wie mit seinen Pharisaeern. Obwohl sie eigentlich nur der andere und
in der Tat der natuerlichere und maechtigere Ausdruck des nationalen Aufschwungs
ist, beruehrte sie sich doch in ihrem freieren Denken und Handeln mit dem
hellenischen Wesen und galt insbesondere den frommen Gegnern als fremdlaendisch
und unglaeubig.
Aber die Bewohner Palaestinas waren nur ein Teil, und nicht der
bedeutendste Teil der Juden; die babylonischen, syrischen, kleinasiatischen,
aegyptischen Judengemeinden waren den palaestinensischen auch nach der
Regeneration durch die Makkabaeer weit ueberlegen. Mehr als die letztere hat die
juedische Diaspora in der Kaiserzeit zu bedeuten gehabt; und sie ist eine
durchaus eigenartige Erscheinung.
Die Judenansiedlungen ausserhalb Palaestina sind nur in untergeordnetem
Grade aus demselben Triebe entwickelt wie die der Phoeniker und der Hellepen.
Von Haus aus ein ackerbauendes und fern von der Kueste wohnendes Volk, sind ihre
Ansiedlungen im Ausland eine unfreie und verhaeltnismaessig spaete Bildung, eine
Schoepfung Alexanders oder seiner Marschaelle ^1. An jenen immensen, durch
Generationen fortgesetzten griechischen Staedtegruendungen, wie sie in gleichem
Umfang nie vorher und nie nachher vorgekommen sind, haben die Juden einen
hervorragenden Anteil gehabt, so seltsam es auch war, eben sie bei der
Hellenisierung des Orients zur Beihilfe zu berufen. Vor allem gilt dies von
Aegypten. Die bedeutendste unter allen von Alexander geschaffenen Staedten,
Alexandreia am Nil, ist seit den Zeiten des ersten Ptolemaeers, der nach der
Einnahme Palaestinas eine Masse seiner Bewohner dorthin uebersiedelte, fast
ebenso sehr eine Stadt der Juden wie der Griechen, die dortige Judenschaft an
Zahl, Reichtum, Intelligenz, Organisation der jerusalemitischen mindestens
gleich zu achten. In der ersten Kaiserzeit rechnete man auf acht Millionen
Aegypter eine Million Juden, und ihr Einfluss reichte vermutlich ueber dieses
Zahlenverhaeltnis hinaus. Dass wetteifernd damit in der syrischen
Reichshauptstadt die Judenschaft in aehnlicher Weise organisiert und entwickelt
worden war, wurde schon bemerkt. Von der Ausdehnung und der Bedeutung der Juden
Kleinasiens zeugt unter anderem der Versuch, den unter Augustus die ionischen
Griechenstaedte, es scheint nach gemeinschaftlicher Verabredung, machten, ihre
juedischen Gemeindegenossen entweder zum Ruecktritt von ihrem Glauben oder zur
vollen Uebernahme der buergerlichen Lasten zu noetigen. Ohne Zweifel gab es
selbstaendig organisierte Judenschaften in saemtlichen neuhellenischen
Gruendungen ^2 und daneben in zahlreichen althellenischen Staedten, selbst im
eigentlichen Hellas, zum Beispiel in Korinth. Die Organisierung vollzog sich
durchaus in der Weise, dass den Juden ihre Nationalitaet mit den von ihnen
selbst daraus gezogenen weitreichenden Konsequenzen gewahrt, nur der Gebrauch
der griechischen Sprache von ihnen gefordert ward. So wurden bei dieser damals
von oben herab dem Orient aufgeschmeichelten oder aufgezwungenen Graezisierung
die Juden der Griechenstaedte griechisch redende Orientalen.
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^1 Ob die Rechtsstellung der Juden in Alexandreia mit Recht von Josephus
(c. Ap. 2, 4) auf Alexander zurueckgefuehrt wird, ist insofern zweifelhaft, als,
soweit wir wissen, nicht er, sondern der erste Ptolemaeer massenweise Juden dort
ansiedelte (Ios. ant. Iud. 12, 1; App. Syr. 50). Die merkwuerdige
Gleichartigkeit, mit der die Judenschaften in den verschiedenen Diadochenstaaten
sich gestaltet haben, muss, wenn sie nicht auf Alexanders Anordnungen beruht,
auf das Rivalisieren und Imitieren bei der Staedtegruendung zurueckgefuehrt
werden. Dass Palaestina bald aegyptisch, bald syrisch war, hat bei diesen
Ansiedlungen ohne Zweifel wesentlich mitgewirkt.
^2 Der Judengemeinde in Smyrna gedenkt eine kuerzlich daselbst gefundene
Inschrift (Reinach, Revue des Etudes Juives, 1883, S. 161): Roypheina Ioydaia
archisynag/o/gos kateske?asen to ensorion tois apeletherois kai thremmasin
m/e/denos alloy echoysian echontos thapsai tina. ei de tis tolm/e/sei, d/o/sei
t/o/ ier/o/tat/o/ tamei/o/ d/e/narioys aph, kai t/o/ ethnei t/o/n Ioydai/o/n
d/e/narioys a. Ta?t/e/s t/e/s epigraph/e/s to antigraphon apokeitai eis to
archeion. Einfache Kollegien werden in Strafandrohungen dieser Art nicht leicht
mit dem Staat oder der Gemeinde auf eine Linie gestellt.
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Dass bei den Judengemeinden der makedonischen Staedte die griechische
Sprache nicht bloss im natuerlichen Wege des Verkehrs zur Herrschaft gelangt,
sondern eine ihnen auferlegte Zwangsbestimmung ist, scheint aus der Sachlage
sich mit Notwendigkeit zu ergeben. In aehnlicher Weise hat spaeterhin Traian mit
kleinasiatischen Kolonisten Dakien romanisiert. Ohne diesen Zwang haette die
aeusserliche Gleichfoermigkeit der Staedtegruendung nicht durchgefuehrt, dies
Material fuer die Hellenisierung ueberhaupt nicht verwendet werden koennen. Dass
die heiligen Schriften der Juden schon unter den ersten Ptolemaeern in das
Griechische uebertragen wurden, mag wohl so wenig Veranstaltung der Regierung
gewesen sein wie die Bibeluebersetzung Luthers; aber im Sinne derselben lag
allerdings die sprachliche Hellenisierung der aegyptischen Juden, und sie
vollzog sich merkwuerdig rasch. Wenigstens im Anfang der Kaiserzeit,
wahrscheinlich lange vorher war die Kenntnis des Hebraeischen unter den
alexandrinischen Juden ziemlich so selten wie heutzutage in der christlichen
Welt die der Ursprachen der heiligen Originale; es wurde mit den
Uebersetzungsfehlern der sogenannten siebzig Alexandriner ungefaehr ebenso
argumentiert wie von unseren Frommen mit den Uebersetzungsfehlern Luthers. Die
nationale Sprache der Juden war in dieser Epoche ueberall aus dem lebendigen
Verkehr verschwunden und behauptete sich nur, etwa wie im katholischen
Religionsgebiet die lateinische, im kirchlichen Gebrauch. In Judaea selbst war
sie ersetzt worden durch die der hebraeischen freilich verwandte aramaeische
Volkssprache Syriens; die Judenschaften ausserhalb Judaeas, mit denen wir uns
beschaeftigen, hatten das semitische Idiom vollstaendig abgelegt, und erst lange
nach dieser Epoche ist jene Reaktion eingetreten, welche schulmaessig die
Kenntnis und den Gebrauch derselben allgemeiner bei den Juden zurueckgefuehrt
hat. Die literarischen Arbeiten, die sie waehrend dieser Epoche in grosser Zahl
geliefert haben, sind in der besseren Kaiserzeit alle griechisch. Wenn die
Sprache allein die Nationalitaet bedingte, so waere fuer diese Zeit von den
Juden wenig zu berichten.
Aber mit diesem anfaenglich vielleicht schwer empfundenen Sprachzwang
verbindet sich die Anerkennung der besonderen Nationalitaet mit allen ihren
Konsequenzen. Ueberall in den Staedten der Alexandermonarchie bildete sich die
Stadtbewohnerschaft aus den Makedoniern, das heisst den wirklich makedonischen
oder den ihnen gleichgeachteten Hellenen. Neben diesen stehen, ausser den
Fremden, die Eingeborenen, in Alexandreia die Aegypter, in Kyrene die Libyer und
ueberhaupt die Ansiedler aus dem Orient, welche zwar auch keine andere Heimat
haben als die neue Stadt, aber nicht als Hellenen anerkannt werden. Zu dieser
zweiten Kategorie gehoeren die Juden; aber ihnen, und nur ihnen, wird es
gestattet, sozusagen eine Gemeinde in der Gemeinde zu bilden und, waehrend die
uebrigen Nichtbuerger von den Behoerden der Buergerschaft regiert werden, bis zu
einem gewissen Grad sich selbst zu regieren ^3. "Die Juden", sagt Strabon,
"haben in Alexandreia ein eigenes Volkshaupt (ethnarch/e/s), welches dem Volke
(ethnos) vorsteht und die Prozesse entscheidet und ueber Vertraege und Ordnungen
verfuegt, als beherrsche es eine selbstaendige Gemeinde." Es geschah dies, weil
die Juden eine derartige spezifische Jurisdiktion als durch ihre Nationalitaet
oder, was auf dasselbe hinauskommt, ihre Religion gefordert bezeichneten. Weiter
nahmen die allgemeinen staatlichen Ordnungen auf die national-religioesen
Bedenken der Juden in ausgedehntem Umfang Ruecksicht und halfen nach
Moeglichkeit durch Exemptionen aus. Das Zusammenwohnen trat wenigstens haeufig
hinzu; in Alexandreia zum Beispiel waren von den fuenf Stadtquartieren zwei
vorwiegend von Juden bewohnt. Es scheint dies nicht das Ghettosystem gewesen zu
sein, sondern eher ein durch die anfaengliche Ansiedlung begruendetes und dann
von beiden Seiten festgehaltenes Herkommen, wodurch nachbarlichen Konflikten
einigermassen vorgebeugt ward.
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^3 Wenn die alexandrinischen Juden spaeter behaupteten, den
alexandrinischen Makedoniern rechtlich gleichgestellt zu sein (Ios. c. Ap. 2, 4;
bel. Iud. 2, 18, 7), so war dies eine Entstellung des wahren Sachverhaeltnisses.
Sie waren Schutzgenossen zunaechst der Phyle der Makedonier, wahrscheinlich der
vornehmsten von allen, und darum nach Dionysos benannt (Theophilus ad Autolycum
2, 7), und weil das Judenquartier ein Teil dieser Phyle war, macht Josephus in
seiner Weise sie selbst zu Makedoniern. Die Rechtsstellung der Bevoelkerung der
Griechenstaedte dieser Kategorie erhellt am deutlichsten aus der Nachricht
Strabons (bei Ios. ant. Iud. 14, 7, 2) ueber die vier Kategorien derjenigen von
Kyrene: Stadtbuerger, Landleute (ge/o/rgoi), Fremde und Juden. Sieht man von den
Metoeken ab, die ihre rechtliche Heimat auswaerts haben, so bleiben als
heimatberechtigte Kyrenaeer die vollberechtigten Buerger, also die Hellenen und
was man als solche gelten liess, und die zwei Kategorien der vom aktiven
Buergerrecht Ausgeschlossenen, die Juden, die eine eigene Gemeinde bilden, und
die Untertanen, die Libyer, welchen die Autonomie fehlt. Dies konnte leicht so
verschoben werden, dass die beiden privilegierten Kategorien auch als
gleichberechtigt erschienen.
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So kamen die Juden dazu, bei der makedonischen Hellenisierung des Orients
eine hervorragende Rolle zu spielen; ihre Gefuegigkeit und Brauchbarkeit
einerseits, ihre unnachgiebige Zaehigkeit andererseits muessen die sehr
realistischen Staatsmaenner, die diese Wege wiesen, bestimmt haben, sich zu
solchen Einrichtungen zu entschliessen. Nichtsdestoweniger bleibt die
ausserordentliche Ausdehnung und Bedeutung der juedischen Diaspora gegenueber
der engen und geringen Heimat wie einerseits eine Tatsache, so andererseits ein
Problem. Man wird dabei nicht uebersehen duerfen, dass die palaestinensischen
Juden fuer die des Auslandes nicht mehr als den Kern geliefert haben. Das
Judentum der aelteren Zeit ist nichts weniger als exklusiv, vielmehr von
missionarem Eifer nicht minder durchgedrungen wie spaeterhin das Christentum und
der Islam. Das Evangelium weiss von den Rabbis, welche Meer und Land
durchziehen, um einen Proselyten zu machen; die Zulassung der halben Proselyten,
denen die Beschneidung nicht zugemutet, aber dennoch eine religioese
Gemeinschaft gewaehrt wird, ist ein Zeugnis dieses Bekehrungseifers wie zu
gleicher Zeit eines seiner wirksamsten Mittel. Motive sehr verschiedener Art
kamen dieser Propaganda zustatten. Die buergerlichen Privilegien, welche die
Lagiden und die Seleukiden den Juden erteilten, muessen eine grosse Zahl
nichtjuedischer Orientalen und Halbhellenen veranlasst haben, sich in den
Neustaedten der privilegierten Kategorie der Nichtbuerger anzuschliessen. In
spaeterer Zeit kam der Verfall des traditionellen Landesglaubens der juedischen
Propaganda entgegen. Zahlreiche Personen besonders der gebildeten Staende, deren
glaeubige und sittliche Empfindung von dem, was die Griechen, und noch mehr von
dem, was die Aegypter Religion nannten, sich schaudernd oder spottend abwandte,
suchten Zuflucht in der einfacheren und reineren, der Vielgoetterei und dem
Bilderdienst absagenden juedischen Lehre, welche den aus dem Niederschlag der
philosophischen Entwicklung den gebildeten und halbgebildeten Kreisen
zugefuehrten religioesen Anschauungen weit entgegenkam. Es gibt ein
merkwuerdiges griechisches Moralgedicht, wahrscheinlich aus der spaeteren Epoche
der roemischen Republik, welches aus den mosaischen Buechern in der Weise
geschoepft ist, dass es die monotheistische Lehre und das allgemeine
Sittengesetz aufnimmt, aber alles dem Nichtjuden Anstoessige und alle
unmittelbare Opposition gegen die herrschende Religion vermeidet, offenbar
bestimmt, fuer dies denationalisierte Judentum weitere Kreise zu gewinnen.
Insbesondere die Frauen wandten sich mit Vorliebe dem juedischen Glauben zu. Als
die Behoerden von Damaskos im Jahre 66 die gefangenen Juden umzubringen
beschlossen, wurde verabredet, diesen Beschluss geheim zu halten, damit die den
Juden ergebene weibliche Bevoelkerung nicht die Ausfuehrung verhindere. Sogar im
Okzident, wo die gebildeten Kreise sonst dem juedischen Wesen abgeneigt waren,
machten vornehme Damen schon frueh eine Ausnahme; die aus edlem Geschlecht
entsprossene Gemahlin Neros, Poppaea Sabina, war, wie durch andere minder
ehrbare Dinge, so auch stadtkundig durch ihren frommen Judenglauben und ihr
eifriges Judenprotektorat. Foermliche Uebertritte zum Judentum kamen nicht
selten vor; das Koenigshaus von Adiabene zum Beispiel, Koenig Izates und seine
Mutter Helena sowie sein Bruder und Nachfolger wurden in der Zeit des Tiberius
und des Claudius in aller Form Juden. Sicher gilt von allen jenen Judenschaften,
was von der antiochenischen ausdruecklich bemerkt wird, dass sie zum grossen
Teil aus uebergetretenen bestanden.
Diese Verpflanzung des Judentums auf den hellenischen Boden unter Aneignung
einer fremden Sprache vollzog sich, wie sehr sie auch unter Festhaltung der
nationalen Individualitaet stattfand, nicht ohne in dem Judentum selbst eine
seinem Wesen zuwiderlaufende Tendenz zu entwickeln und bis zu einem gewissen
Grad dasselbe zu denationalisieren. Wie maechtig die inmitten der Griechen
lebenden Judenschaften von den Wellen des griechischen Geisteslebens erfasst
wurden, davon traegt die Literatur des letzten Jahrhunderts vor und des ersten
nach Christi Geburt die Spuren. Sie ist getraenkt von juedischen Elementen, und
es sind mit die hellsten Koepfe und die geistreichsten Denker, welche entweder
als Hellenen in das juedische oder als Juden in das hellenische Wesen den
Eingang suchen. Nikolaos von Damaskos, selber ein Heide und ein namhafter
Vertreter der aristotelischen Philosophie, fuehrte nicht bloss als Literat und
Diplomat des Koenigs Herodes bei Agrippa wie bei Augustus die Sache seines
juedischen Patrons und der Juden, sondern es zeigt auch seine historische
Schriftstellerei einen sehr ernstlichen und fuer jene Epoche bedeutenden
Versuch, den Orient in den Kreis der okzidentalischen Forschung hineinzuziehen,
waehrend die noch erhaltene Schilderung der Jugendjahre des ihm auch persoenlich
nahegetretenen Kaisers Augustus ein denkwuerdiges Zeugnis der Liebe und der
Verehrung ist, welche der roemische Herrscher in der griechischen Welt fand. Die
Abhandlung vom Erhabenen, geschrieben in der ersten Kaiserzeit von einem
unbekannten Verfasser, eine der feinsten uns aus dem Altertum erhaltenen
aesthetischen Arbeiten, ruehrt sicher wenn nicht von einem Juden, so doch von
einem Manne her, der Homeros und Moses gleichmaessig verehrte ^4. Eine andere,
ebenfalls anonyme Schrift ueber das Weltganze, gleichfalls ein in seiner Art
achtbarer Versuch, die Lehre des Aristoteles mit der der Stoa zu verschmelzen,
ist vielleicht auch von einem Juden geschrieben, sicher dem angesehensten und
hoechstgestellten Juden der neronischen Zeit, dem Generalstabschef des Corbulo
und des Titus, Tiberius Alexandros gewidmet. Am deutlichsten tritt uns die
Vermaehlung der beiden Geisteswelten entgegen in der juedisch-alexandrinischen
Philosophie, dem schaerfsten und greifbarsten Ausdruck einer das Wesen des
Judentums nicht bloss ergreifenden, sondern auch angreifenden religioesen
Bewegung. Die hellenische Geistesentwicklung lag im Kampf mit den nationalen
Religionen aller Art, indem sie deren Anschauungen entweder negierte oder auch
mit anderem Inhalt erfuellte, die bisherigen Goetter aus den Gemuetern der
Menschen austrieb und auf die leeren Plaetze entweder nichts setzte oder die
Gestirne und abstrakte Begriffe. Diese Angriffe trafen auch die Religion der
Juden. Es bildete sich ein Neujudentum hellenischer Bildung, das mit Jehova
nicht ganz so arg, aber doch nicht viel anders verfuhr als die gebildeten
Griechen und Roemer mit Zeus und Jupiter. Das Universalmittel der sogenannten
allegorischen Deutung, wodurch insbesondere die Philosophen der Stoa die
heidnischen Landesreligionen ueberall in hoeflicher Weise vor die Tuere gesetzt
hatten, passte fuer die Genesis ebenso gut und ebenso schlecht wie fuer die
Goetter der Ilias; wenn Moses mit Abraham eigentlich den Verstand, mit Sarah die
Tugend, mit Noah die Gerechtigkeit gemeint hatte, wenn die vier Stroeme des
Paradieses die vier Kardinaltugenden waren, so konnte der aufgeklaerteste
Hellene an die Thora glauben. Aber eine Macht war dies Pseudojudentum auch, und
der geistige Primat der Judenschaft Aegyptens tritt vor allem darin hervor, dass
diese Richtung vorzugsweise ihre Vertreter in Alexandreia gefunden hat.
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^4 Pseudo-Longinus peri ?psoys: "Weit besser als der Goetterkrieg ist bei
Homeros die Schilderung der Goetter in ihrer Vollkommenheit und echten Groesse
und Reinheit, wie die des Poseidon (Ilias 13,18 f.). Ebenso schreibt der
Gesetzgeber der Juden, kein geringer Mann (oych o tych/o/n an/e/r), nachdem er
die goettliche Gewalt in wuerdiger Weise erfasst und zum Ausdruck gebracht hat,
gleich zu Anfang der Gesetze (Gen. 1, 3): Es sprach der Gott - was? es werde
Licht! und es ward Licht; es werde die Erde! und die Erde ward."
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Trotz der innerlichen Scheidung, welche bei den palaestinensischen Juden
sich vollzogen und nur zu oft geradezu zum Buergerkrieg gesteigert hatte, trotz
der Versprengung eines grossen Teils der Judenschaft in das Ausland, trotz des
Eindringens fremder Massen in dieselbe und sogar des destruktiven
hellenistischen Elements in ihren innersten Kern blieb die Gesamtheit der Juden
in einer Weise vereinigt, fuer welche in der Gegenwart nur etwa der Vatikan und
die Kaaba eine gewisse Analogie bieten. Das heilige Salem blieb die Fahne, Zions
Tempel das Palladium der gesamten Judenschaft, mochten sie den Roemern oder den
Parthern gehorchen, aramaeisch oder griechisch reden, ja an den alten Jahve
glauben oder an den neuen, der keiner war. Dass der Schirmherr dem geistlichen
Oberhaupt der Juden eine gewisse weltliche Macht zugestanden hatte, bedeutete
fuer die Judenschaft ebensoviel, der geringe Umfang dieser Macht ebensowenig wie
seiner Zeit fuer die Katholiken der sogenannte Kirchenstaat. Jedes Mitglied
einer juedischen Gemeinde hatte jaehrlich nach Jerusalem ein Didrachmon als
Tempelschoss zu entrichten, welcher regelmaessiger einging als die
Staatssteuern; jedes war verpflichtet, wenigstens einmal in seinem Leben dem
Jehovah persoenlich an dein Orte zu opfern, der ihm allein in der Welt
wohlgefaellig war. Die theologische Wissenschaft blieb gemeinschaftlich; die
babylonischen und die alexandrinischen Rabbiner haben daran sich nicht minder
beteiligt wie die von Jerusalem. Das unvergleichlich zaehe Gefuehl der
nationalen Zusammengehoerigkeit, wie es in der rueckkehrenden Exulantengemeinde
sich festgesetzt und dann jene Sonderstellung der Juden in der Griechenwelt mit
durchgesetzt hatte, behauptete sich trotz Zerstreuung und Spaltung. Am
bemerkenswertesten ist das Fortleben des Judentums selbst in den davon in der
inneren Religion losgeloesten Kreisen. Der namhafteste, fuer uns der einzige
deutlich greifbare Vertreter dieser Richtung in der Literatur, Philon, einer der
vornehmsten und reichsten Juden aus der Zeit des Tiberius, steht in der Tat zu
seiner Landesreligion nicht viel anders als Cicero zu der roemischen; aber er
selbst glaubte, nicht sie aufzuloesen, sondern sie zu erfuellen. Auch ihm ist,
wie jedem anderen Juden, Moses die Quelle aller Wahrheit, seine geschriebene
Weisung bindendes Gesetz, seine Empfindung Ehrfurcht und Glaeubigkeit. Es ist
dies sublimierte Judentum dem sogenannten Goetterglauben der Stoa doch nicht
voellig identisch. Die Koerperlichkeit des Gottes verschwindet fuer Philon, aber
die Persoenlichkeit nicht, und es misslingt ihm vollstaendig, was das Wesen der
hellenischen Philosophie ist, die Goettlichkeit in die Menschenbrust zu
verlegen; es bleibt die Anschauung, dass der suendhafte Mensch abhaenge von
einem vollkommenen, ausser und ueber ihm stehenden Wesen. Ebenso fuegt das neue
Judentum sich dem nationalen Ritualgesetz weit unbedingter als das neue
Heidentum. Der Kampf des alten und des neuen Glaubens ist in dem juedischen
Kreise deswegen von anderer Art als in dem heidnischen, weil der Einsatz ein
groesserer war; das reformierte Heidentum streitet nur gegen den alten Glauben,
das reformierte Judentum wuerde in seiner letzten Konsequenz das Volkstum
aufheben, welches in dem Ueberfluten des Hellenismus mit der Verfluechtigung des
Landesglaubens notwendig verschwand, und scheut deshalb davor zurueck, diese
Konsequenz zu ziehen. Daher ist auf griechischem Boden und in griechischer
Sprache, wenn nicht das Wesen, doch die Form des alten Glaubens mit
beispielloser Hartnaeckigkeit festgehalten und verteidigt worden, verteidigt
auch von denen, die im Wesen vor dem Hellenismus kapitulieren. Philon selbst
hat, wie weiterhin erzaehlt werden soll, fuer die Sache der Juden gestritten und
gelitten. Darum aber hat auch die hellenistische Richtung im Judentum auf dieses
selbst nie uebermaechtig eingewirkt, niemals vermocht, dem nationalen Judentum
entgegenzutreten, kaum dessen Fanatismus zu mildern und die Verkehrtheiten und
Frevel desselben zu hemmen. In allen wesentlichen Dingen, insbesondere dem Druck
und der Verfolgung gegenueber, verschwinden die Differenzen des Judentums, und
wie unbedeutend der Rabbinerstaat war, die religioese Gemeinschaft, der er
vorstand, war eine ansehnliche, unter Umstaenden eine furchtbare Macht.
Diesen Verhaeltnissen fanden die Roemer sich gegenueber, als sie im Orient
die Herrschaft antraten. Die Eroberung zwingt dem Eroberer nicht minder die Hand
als dem Eroberten. Das Werk der Jahrhunderte, die makedonischen
Stadteinrichtungen konnten weder die Arsakiden noch die Caesaren ungeschehen
machen; weder Seleukeia am Euphrat noch Antiocheia und Alexandreia konnten von
den nachfolgenden Regierungen angetreten werden unter der Wohltat des Inventars.
Wahrscheinlich hat der dortigen juedischen Diaspora gegenueber der Begruender
des Kaiserregiments sich, wie in so vielen anderen Dingen, die Politik der
ersten Lagiden zur Richtschnur genommen und das Judentum des Orients in seiner
Sonderstellung eher gefoerdert als gehindert; und dies Verfahren ist dann fuer
seine Nachfolger durchgaengig massgebend gewesen. Es ist schon erzaehlt worden,
dass die vorderasiatischen Gemeinden unter Augustus den Versuch machten, ihre
juedischen Mitbuerger bei der Aushebung gleichmaessig heranzuziehen und ihnen
die Einhaltung des Sabbaths nicht ferner zu gestatten; Agrippa aber entschied
gegen sie und hielt den Status quo zu Gunsten der Juden aufrecht oder stellte
vielmehr die bisher wohl nur von einzelnen Statthaltern oder Gemeinden der
griechischen Provinzen nach Umstaenden zugelassene Befreiung der Juden vom
Kriegsdienst und das Sabbathprivilegium vielleicht jetzt erst rechtlich fest.
Augustus wies ferner die Statthalter von Asia an, die strengen Reichsgesetze
ueber Vereine und Versammlungen gegen die Juden nicht zur Anwendung zu bringen.
Aber die roemische Regierung hat es nicht verkannt, dass die den Juden im Orient
eingeraeumte exempte Stellung mit der unbedingten Verpflichtung der
Reichsangehoerigen zur Erfuellung der vom Staat geforderten Leistungen sich
nicht vereinigen liess, dass die garantierte Sonderstellung der Judenschaft den
Rassenhass und unter Umstaenden den Buergerkrieg in die einzelnen Staedte trug,
dass das fromme Regiment der Behoerden von Jerusalem ueber alle Juden des
Reiches eine bedenkliche Tragweite hatte und dass in allem diesem fuer den Staat
eine praktische Schaedigung und eine prinzipielle Gefahr lag. Der innerliche
Dualismus des Reiches drueckt in nichts sich schaerfer aus als in der
verschiedenen Behandlung der Juden in dem lateinischen und dem griechischen
Sprachgebiet. Im Okzident sind die autonomen Judenschaften niemals zugelassen
worden. Man tolerierte wohl daselbst die juedischen Religionsgebraeuche wie die
syrischen und die aegyptischen oder vielmehr etwas weniger als diese; der
Judenkolonie in der Vorstadt Roms jenseits des Tiber zeigte Augustus sich
guenstig und liess bei seinen Spenden den, der des Sabbaths wegen sich versaeumt
hatte, nachtraeglich zu. Aber er persoenlich vermied jede Beruehrung wie mit dem
aegyptischen so auch mit dem juedischen Kultus, und wie er selbst in Aegypten
dem heiligen Ochsen aus dem Wege gegangen war, so billigte er es durchaus, dass
sein Sohn Gaius, als er nach dem Orient ging, bei Jerusalem vorbeiging. Unter
Tiberius wurde sogar im Jahre 19 in Rom und ganz Italien der juedische Kultus
zugleich mit dem aegyptischen untersagt und diejenigen, die sich nicht dazu
verstanden, ihn oeffentlich zu verleugnen und die heiligen Geraete ins Feuer zu
werfen, aus Italien ausgewiesen, soweit sie nicht als tauglich fuer den
Kriegsdienst in Strafkompanien verwendet werden konnten, wo dann nicht wenige
ihrer religioesen Skrupel wegen dem Kriegsgericht verfielen. Wenn, wie wir
nachher sehen werden, eben dieser Kaiser im Orient jedem Konflikt mit dem Rabbi
fast aengstlich aus dem Wege ging, so zeigt sich hier deutlich, dass er, der
tuechtigste Herrscher, den das Reich gehabt hat, die Gefahren der juedischen
Immigration ebenso deutlich erkannte wie die Unbilligkeit und die
Unmoeglichkeit, da, wo das Judentum bestand, es zu beseitigen ^5. Unter den
spaeteren Regenten aendert, wie wir im weiteren Verlauf finden werden, in der
Hauptsache die ablehnende Haltung gegen die Juden des Okzidents sich nicht,
obwohl sie im uebrigen mehr dem Beispiel des Augustus folgen als dem des
Tiberius. Man hinderte die Juden nicht, die Tempelsteuer in der Form
freiwilliger Beitraege einzuziehen und nach Jerusalem zu senden. Es wurde ihnen
nicht gewehrt, wenn sie einen Rechtshandel lieber vor einen juedischen
Schiedsrichter brachten als vor ein roemisches Gericht. Von zwangsweiser
Aushebung zum Dienst, wie Tiberius sie anordnete, ist auch im Okzident
spaeterhin nicht weiter die Rede. Aber eine oeffentlich anerkannte
Sonderstellung und oeffentlich anerkannte Sondergerichte haben die Juden im
heidnischen Rom und ueberhaupt im lateinischen Westen niemals erhalten. Vor
allem aber haben im Okzident, abgesehen von der Hauptstadt, die der Natur der
Sache nach auch den Orient mit repraesentierte und schon in der ciceronischen
Zeit eine zahlreiche Judenschaft in sich schloss, die Judengemeinden in der
frueheren Kaiserzeit nirgends besondere Ausdehnung oder Bedeutung gehabt ^6. Nur
im Orient gab die Regierung von vornherein nach oder vielmehr, sie versuchte
nicht, die bestehenden Verhaeltnisse zu aendern und den daraus resultierenden
Gefahren vorzubeugen; und so haben denn auch, wie die heiligen Buecher der Juden
der lateinischen Welt erst in lateinischer Sprache durch die Christen bekannt
geworden sind, die grossen Judenbewegungen der Kaiserzeit sich durchaus auf den
griechischen Osten beschraenkt. Hier wurde kein Versuch gemacht, mit der
rechtlichen Sonderstellung des Juden die Quelle des Judenhasses allmaehlich zu
verstopfen, aber ebensowenig, von Laune und Verkehrtheiten einzelner Regenten
abgesehen, dem Judenhass und den Judenhetzen von Seiten der Regierung Vorschub
getan. In der Tat ist die Katastrophe des Judentums nicht aus der Behandlung der
juedischen Diaspora im Orient hervorgegangen. Lediglich die in verhaengnisvoller
Weise sich entwickelnden Beziehungen des Reichsregiments zu dem juedischen
Rabbistaat haben nicht bloss die Zerstoerung des Gemeinwesens von Jerusalem
herbeigefuehrt, sondern weiter die Stellung der Juden im Reiche ueberhaupt
erschuettert und verschoben. Wir wenden uns dazu, die Vorgaenge in Palaestina
unter der roemischen Herrschaft zu schildern.
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^5 Der Jude Philon schreibt die Behandlung der Juden in Italien auf
Rechnung des Seianus (leg. 24; in Flacc. 1), die der Juden im Osten auf die des
Kaisers selbst. Aber Josephus fuehrt vielmehr, was in Italien geschah, zurueck
auf einen Skandal in der Hauptstadt, welchen drei juedische fromme Schwindler
und eine zum Judentum bekehrte vornehme Dame gegeben hatten, und Philon selbst
gibt zu, dass Tiberius nach Seians Sturz den Statthaltern nur gewisse
Milderungen in dem Verfahren gegen die Juden aufgegeben habe. Die Politik des
Kaisers und die seiner Minister den Juden gegenueber war im wesentlichen
dieselbe.
^6 Agrippa II., der die juedischen Ansiedlungen im Ausland aufzaehlt (bei
Philon leg. ad Gaium 36), nennt keine Landschaft westlich von Griechenland, und
unter den in Jerusalem weilenden Fremden, die die Apostelgeschichte 2, 5 f.
verzeichnet, sind aus dem Westen nur Roemer genannt.
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Die Zustaende im suedlichen Syrien waren von den Feldherrn der Republik,
Pompeius und seinen naechsten Nachfolgern, in der Weise geordnet worden, dass
die groesseren Gewalten, die dort anfingen sich zu bilden, wieder herabgedrueckt
und das ganze Land in einzelne Stadtgebiete und Kleinherrschaften aufgeloest
wurde. Am schwersten waren davon die Juden betroffen worden; nicht bloss hatten
sie allen hinzugewonnenen Besitz, namentlich die ganze Kueste, herausgeben
muessen, sondern Gabinius hatte sogar den alten Bestand des Reiches in fuenf
selbstaendig sich verwaltende Kreise aufgeloest und dem Hohenpriester Hyrkanos
seine weltlichen Befugnisse entzogen. Damit war also wie einerseits die
Schutzmacht, so andererseits die reine Theokratie wieder hergestellt. Indes
aenderte dies sich bald. Hyrkanos oder vielmehr der fuer ihn regierende
Minister, der Idumaeer Antipatros ^7, gelangte wohl schon durch Gabinius selbst,
dem er bei seinen parthischen und aegyptischen Unternehmungen sich unentbehrlich
zu machen verstand, wiederum zu der fuehrenden Stellung im suedlichen Syrien.
Nach der Pluenderung des Tempels von Jerusalem durch Crassus ward der dadurch
veranlasste Aufstand der Juden hauptsaechlich durch ihn gedaempft. Es war fuer
ihn eine guenstige Fuegung, dass die juedische Regierung nicht genoetigt ward,
in die Krisis zwischen Caesar und Pompeius, fuer welchen sie wie der ganze Osten
sich erklaert hatte, handelnd einzugreifen. Dennoch waere wohl, nachdem der
Bruder und Rivale des Hyrkanos, Aristobulos, sowie dessen Sohn Alexander, wegen
ihres Eintretens fuer Caesar, durch die Pompeianer ihr Leben verloren hatten,
nach Caesars Sieg der zweite Sohn Antigonos von diesem in Judaea als Herrscher
eingesetzt worden. Aber als Caesar, nach dem entscheidenden Sieg nach Aegypten
gekommen, sich in Alexandreia in einer gefaehrlichen Lage befand, war es
vornehmlich Antipatros, der ihn aus dieser befreite, und dies schlug durch;
Antigonos musste zurueckstehen hinter der neueren, aber wirksameren Treue. Nicht
am wenigsten hat Caesars persoenliche Dankbarkeit die foermliche Restauration
des Judenstaates gefoerdert. Das Juedische Reich erhielt die beste Stellung, die
dem Klientelstaat gewaehrt werden konnte, voellige Freiheit von Abgaben an die
Roemer ^8 und von militaerischer Besatzung und Aushebung ^9, wogegen allerdings
auch die Pflichten und die Kosten der Grenzverteidigung von der einheimischen
Regierung zu uebernehmen waren. Die Stadt Ioppe und damit die Verbindung mit dem
Meer wurde zurueckgegeben, die Unabhaengigkeit der inneren Verwaltung sowie die
freie Religionsuebung garantiert, die bisher verweigerte Wiederherstellung der
von Pompeius geschleiften Festungswerke Jerusalems gestattet (707 47). Also
regierte unter dem Namen des Hasmonaeerfuersten ein Halbfremder - denn die
Idumaeer standen zu den eigentlichen, von Babylon zurueckgewanderten Juden
ungefaehr wie die Samariter - den Judenstaat unter dem Schutz und nach dem
Willen Roms. Die nationalgesinnten Juden waren dem neuen Regiment nichts weniger
als geneigt. Die alten Geschlechter, die im Rat von Jerusalem fuehrten, hielten
im Herzen zu Aristobulos und nach dessen Tode zu seinem Sohn Antigonos. In den
Bergen Galilaeas fochten die Fanatiker ebenso gegen die Roemer wie gegen die
eigene Regierung; als Antipatros' Sohn Herodes den Fuehrer dieser wilden Schar,
Ezekias, gefangengenommen und hatte hinrichten lassen, zwang der Priesterrat von
Jerusalem unter dem Vorwand verletzter Religionsvorschriften den schwachen
Hyrkanos, den Herodes zu verbannen. Dieser trat darauf in das roemische Heer ein
und leistete dem Caesarischen Statthalter von Syrien gegen die Insurrektion der
letzten Pompeianer gute Dienste. Aber als nach der Ermordung Caesars die
Republikaner im Osten die Oberhand gewannen, war Antipatros wieder der erste,
der dem Staerkeren nicht bloss sich fuegte, sondern sich die neuen Machthaber
verpflichtete durch rasche Beitreibung der von ihnen auferlegten Kontribution.
So kam es, dass der Fuehrer der Republikaner, als er aus Syrien abzog, den
Antipatros in seiner Stellung beliess und dem Sohne desselben, Herodes, sogar
ein Kommando in Syrien anvertraute. Als dann Antipatros starb, wie man sagt, von
einem seiner Offiziere vergiftet, glaubte Antigonos, der bei seinem Schwager,
dem Fuersten Ptolemaeos von Chalkis, Aufnahme gefunden hatte, den Augenblick
gekommen, um den schwachen Oheim zu beseitigen. Aber die Soehne des Antipatros,
Phasael und Herodes, schlugen seine Schar aufs Haupt, und Hyrkanos verstand sich
dazu, ihnen die Stellung des Vaters zu gewaehren, ja sogar den Herodes, indem er
ihm seine Enkelin Mariamme verlobte, gewissermassen in das regierende Haus
aufzunehmen. Inzwischen unterlagen die Fuehrer der republikanischen Partei bei
Philippi. Die Opposition in Jerusalem hoffte nun den Sturz der verhassten
Antipatriden bei den Siegern zu erwirken; aber Antonius, dem das Schiedsgericht
zufiel, wies deren Deputationen erst in Ephesos, dann in Antiocheia, zuletzt in
Tyros entschieden ab, ja liess die letzten Gesandten hinrichten, und bestaetigte
Phasael und Herodes foermlich als "Vierfuersten" ^10 - der Juden (723 41).
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^7 Antipatros begann seine Laufbahn als Statthalter (strat/e/gos) von
Idumaea (Ios. ant. Iud. 14, 1, 3), und heisst dann Verwalter des Juedischen
Reiches (o t/o/n Ioydai/o/n epimel/e/t/e/s daselbst 14, 8, 1), das heisst etwa
erster Minister. Mehr liegt auch nicht in der gegen Rom wie gegen Herodes
adulatorisch gefaerbten Erzaehlung des Josephus (ant. Iud. 14, 8, 5; bel. Iud.
1, 10, 3), dass Caesar dem Antipatros die Wahl ueberlassen habe, seine
Machtstellung (dynasteia) selbst zu bestimmen und, da dieser ihm die
Entscheidung anheimstellt, ihn zum Verwalter (epitropos) von Judaea bestellt
habe. Dies ist nicht, wie Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 408 will, die
(damals noch gar nicht bestehende) roemische Prokuratur der Kaiserzeit, sondern
ein formell von dem juedischen Ethnarchen verliehenes Amt, eine epitrop/e/, wie
die bei Ios. bel. Iud. 2, 18, 6 erwaehnte. In den Aktenstuecken aus Caesars Zeit
vertritt die Juden allein der Erzpriester und Ethnarch Hyrkanos; Caesar gab dem
Antipatros, was dem Untertanen eines abhaengigen Staats gewaehrt werden konnte,
das roemische Buergerrecht und die personale Immunitaet (Ios. ant. Iud. 14, 8,
3; bel. Iud. 1, 9, 5), aber er machte ihn nicht zum Beamten Roms. Dass Herodes,
aus Judaea vertrieben, von dem Roemern eine roemische Offizierstellung etwa in
Samaria erhalten hat, ist glaublich; aber die Bezeichnungen strat/e/gos t/e/s
Koil/e/s Syrias; (Ios. ant. Iud. 14 9, 5 c. 11, 4) oder strat/e/gos Koil/e/s
Syrias kai Samarias; (bel. Iud. 1, 10, 8) sind mindestens irrefuehrend, und
ebenso inkorrekt nennt derselbe Schriftsteller den Herodes spaeter deswegen,
weil er tois epitrpe?oysi t/e/s Syrias; als Ratgeber dienen soll (ant. Iud. 15,
10, 3), sogar Syrias ol/e/s epitropon (bel. Iud. 1, 20, 4, wo Marquardts
Aenderung [Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 408 Koil/e/s den Sinn zerstoert).
^8 In dem Dekret Caesars bei Josephus (ant. Iud. 14, 10, 5 u. 6) ist die
aus Epiphanius sich ergebende Lesung die einzig moegliche: danach wird das Land
von der (durch Pompeius auferlegten: Ios. ant. Iud. 14, 4, 4) Steuer, vom
zweiten Jahr der laufenden Verpachtung an, befreit und weiter verordnet, dass
die Stadt Joppe, die damals aus roemischem Besitz in juedischen ueberging, zwar
auch ferner den vierten Teil der Feldfruechte in Sidon an die Roemer abliefern,
aber dafuer dem Hyrkanos ebenfalls in Sidon als Aequivalent jaehrlich 20675
Scheffel Getreide gewaehrt werden sollen, woneben die Joppenser auch noch den
Zehnten an Hyrkanos entrichten. Auch zeigt die ganze sonstige Erzaehlung, dass
der juedische Staat seitdem von Tributzahlung frei ist; dass Herodes von den der
Kleopatra zugewiesenen Distrikten, die er ihr abpachtet, phoros zahlt (ant. Iud.
15, 4, 2 u. 4. c. 5, 3), bestaetigt nur die Regel. Wenn App. civ. 5, 75 unter
den von Antonius mit Tribut belegten Koenigen den Herodes fuer Idumaea und
Samaria auffuehrt, so fehlt Judaea auch hier nicht ohne guten Grund; und auch
fuer diese Nebenlaender kann ihm der Tribut von Augustus erlassen sein. Der
detaillierte und zuverlaessige Bericht ueber die Schatzung, die Quirinius
anordnet, zeigt mit voelliger Klarheit, dass das Land bis dahin von roemischer
Steuer frei war.
^9 In demselben Dekret heisst es: kai op/o/s m/e/deis m/e/te arch/o/n
m/e/te strat/e/gos /e/ presbeyt/e/s en tois orois t/o/n Ioydai/o/n anista
('vielleicht synista Wilamowitz) symmapsian kai strati/o/tas exi/e/ (so
Wilamowitz fuer exei), /e/ ta chr/e/mata to?t/o/n anep/e/reastoys (vgl. 14, 10,
2: paracheimasian de kai chr/e/mata prattesthai oth dokimaz/o/). Dies entspricht
im wesentlichen der Formel des wenig aelteren Freibriefs fuer Termessos (CIL I,
204): nei quis magistratu prove magistratu legatus ne[ive] quis alius meilites
in oppidum Thermesum . . . agrumve . . . hiemandi caussa introducito . . . nisei
senatus nominatim utei Thermesum . . . in hibernacula meilites deducantur
decreverit. Der Durchmarsch ist demnach gestattet. In dem Privilegium fuer
Judaea scheint ausserdem noch die Aushebung untersagt gewesen zu sein.
^10 Dieser Titel, der zunaechst das kollegialische Vierfuerstentum
bezeichnet, wie es bei den Galatern herkoemmlich war, ist dann allgemeiner fuer
die Samt-, ja auch fuer die Einherrschaft, immer aber als im Rang dem
koeniglichen nachstehend verwendet worden. In dieser Weise erscheint er ausser
in Galanen auch in Syrien vielleicht seit Pompeius, sicher seit Augustus. Die
Nebeneinanderstellung eines Ethnarchen und zweier Tetrarchen, wie sie im Jahre
713 (41) fuer Judaea nach Josephus (ant. Iud. 14, 13, 1; bel. Iud. 1, 12, 5)
angeordnet ward, begegnet sonst nicht wieder; analog ist Pheroras Tetrarch der
Peraea unter seinem Bruder Herodes (bel. Iud. 1, 24, 5).
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Bald rissen die Wendungen der grossen Politik den juedischen Staat noch
einmal in ihre Wogen. Der Herrschaft der Antipatriden machte im folgenden Jahre
(714 40) die Invasion der Parther zunaechst ein Ende. Der Praetendent Antigonos
schlug sich zu ihnen und bemaechtigte sich Jerusalems und fast des ganzen
Gebiets. Hyrkanos ging als Gefangener zu den Parthern, Phasael, Antipatros'
aeltester Sohn, gleichfalls gefangen, gab sich im Kerker den Tod. Mit genauer
Not barg Herodes die Seinigen in einem Felsenschloss am Saume Judaeas und ging
selbst fluechtig und Hilfe bittend zuerst nach Aegypten und, da er hier Antonius
nicht mehr fand, zu den beiden eben damals in neuer Eintracht schaltenden
Machthabern (724 40) nach Rom. Bereitwillig gestattete man ihm, was ja nur im
roemischen Interesse lag, das Juedische Reich fuer sich zurueckzugewinnen; er
kam nach Syrien zurueck, soweit es auf die Roemer ankam, als anerkannter
Herrscher und sogar ausgestattet mit dem koeniglichen Titel. Aber gleich wie ein
Praetendent hatte er das Land nicht so sehr den Parthern als den Patrioten zu
entreissen. Vorzugsweise mit Samaritern und Idumaeern und gedungenen Soldaten
schlug er seine Schlachten und gelangte endlich durch die Unterstuetzung der
roemischen Legionen auch in den Besitz der lange verteidigten Hauptstadt. Die
roemischen Henker befreiten ihn gleichfalls von seinem langjaehrigen Nebenbuhler
Antigonos, seine eigenen raeumten auf unter den vornehmen Geschlechtern des Rats
von Jerusalem.
Aber die Tage der Bedraengnis waren mit seiner Installation noch keineswegs
vorueber. Antonius' unglueckliche Expedition gegen die Parther blieb fuer
Herodes ohne Folgen, da die Sieger es nicht wagten, in Syrien einzuruecken; aber
schwer litt er unter den immer sich steigernden Anspruechen der aegyptischen
Koenigin, die damals mehr als Antonius den Osten beherrschte; ihre frauenhafte
Politik, zunaechst gerichtet auf die Erweiterung ihrer Hausmacht und vor allem
ihrer Einkuenfte, erreichte zwar bei Antonius bei weitem nicht alles, was sie
begehrte, aber sie entriss dem Koenig der Juden doch einen Teil seiner
wertvollsten Besitzungen an der syrischen Kueste und in dem aegyptisch-syrischen
Zwischengebiet, ja selbst die reichen Balsampflanzungen und Palmenhaine von
Jericho und legte ihm schwere finanzielle Lasten auf. Um den Rest seiner
Herrschaft zu behaupten, musste er die neuen syrischen Besitzungen der Koenigin
entweder selber abpackten oder fuer andere minder zahlungsfaehige Paechter
garantieren. Nach all diesen Bedraengnissen und in Erwartung noch aergerer und
ebensowenig abweisbarer Anforderungen war der Ausbruch des Krieges zwischen
Antonius und Caesar fuer ihn eine Hoffnung, und dass Kleopatra in ihrer
egoistischen Verkehrtheit ihm die taetige Teilnahme an dem Kriege erliess, weil
er seine Truppen brauche, um ihre syrischen Einkuenfte beizutreiben, ein
weiterer Gluecksfall, da dies ihm die Unterwerfung unter den Sieger
erleichterte. Das Glueck kam ihm noch weiter bei dem Parteiwechsel entgegen: er
konnte eine Schar getreuer Gladiatoren des Antonius abfangen, die aus Kleinasien
durch Syrien nach Aegypten marschierten, um ihrem Herrn Beistand zu leisten.
Indem er, bevor er sich zu Caesar nach Rhodos begab, um seine Begnadigung zu
erwirken, den letzten maennlichen Spross des Makkabaeerhauses, den
achtzigjaehrigen Hyrkanos, dem das Haus des Antipatros seine Stellung verdankte,
fuer alle Faelle hinrichten liess, uebertrieb er in der Tat die notwendige
Vorsicht. Caesar tat, was die Politik ihn tun hiess, zumal da fuer die
beabsichtigte aegyptische Expedition die Unterstuetzung des Herodes von
Wichtigkeit war; er bestaetigte den gern Besiegten in seiner Herrschaft und
erweiterte sie teils durch die Rueckgabe der von Kleopatra ihm entrissenen
Besitzungen, teils durch weitere Gaben: die ganze Kueste von Gaza bis zum
Stratonsturm, dem spaeteren Caesarea, die zwischen Judaea und Galilaea sich
einschiebende samaritanische Landschaft und eine Anzahl von Staedten oestlich
vom Jordan gehorchten seitdem dem Herodes. Mit der Konsolidierung der roemischen
Monarchie war auch das juedische Fuerstentum weiteren aeusseren Krisen entzogen.
Vom roemischen Standpunkt aus erscheint das Verhalten der neuen Dynastie in
einer Weise korrekt, dass dem Betrachtenden dabei die Augen uebergehen. Sie
tritt ein zuerst fuer Pompeius, dann fuer Caesar den Vater, dann fuer Cassius
und Brutus, dann fuer die Triumvirn, dann fuer Antonius, endlich fuer Caesar den
Sohn; die Treue wechselt wie die Parole. Dennoch ist diesem Verhalten die
Folgerichtigkeit und Festigkeit nicht abzusprechen. Die Parteiungen, die die
herrschende Buergerschaft zerrissen, ob Republik oder Monarchie, ob Caesar oder
Antonius, gingen die abhaengigen Landschaften, vor allem die des griechischen
Ostens, in der Tat nichts an. Die Entsittlichung, die mit allem revolutionaeren
Regimentswechsel verbunden ist, die entweihende Vermengung der inneren Treue und
des aeusseren Gehorsams, kam in diesem Fall in grellster Weise zum Vorschein;
aber der Pflichterfuellung, wie sie das roemische Gemeinwesen von seinen
Untertanen beanspruchte, hatte Koenig Herodes in einer Ausdehnung genuegt,
welcher edlere und grossartigere Naturen allerdings nicht faehig gewesen sein
wuerden. Den Parthern gegenueber hat er stets, auch in bedenklichen Lagen, fest
zu den einmal erkorenen Schutzherren gehalten.
Vom Standpunkt der inneren juedischen Politik aus ist das Regiment des
Herodes die Beseitigung der Theokratie und insofern eine Fortsetzung, ja eine
Steigerung des Regiments der Makkabaeer, als die Trennung des staatlichen und
des Kirchenregiments in schneidendster Schaerfe durchgefuehrt wird in dem
Gegensatz zwischen dem allmaechtigen, aber fremdgeborenen Koenig, und dem
machtlosen, oft und willkuerlich gewechselten Erzpriester. Freilich wurde dem
juedischen Hochpriester die koenigliche Stellung eher verziehen als dem fremden
und priesterlicher Weihe unfaehigen Mann; und wenn die Hasmonaeer die
Unabhaengigkeit des Judentums nach aussen hin vertraten, trug der Idumaeer seine
koenigliche Macht ueber die Juden von dem Schirmherrn zu Lehen. Die Rueckwirkung
dieses unloesbaren Konflikts auf eine tief leidenschaftliche Natur tritt in dem
ganzen Lebenslauf des Mannes uns entgegen, der viel Leid bereitet, aber
vielleicht nicht weniger empfunden hat. Immer sichern die Energie, die
Stetigkeit, die Fuegsamkeit in das Unvermeidliche, die militaerische und
politische Geschicklichkeit, wo dafuer Raum war, dem Judenkoenig einen gewissen
Platz in dem Gesamtbild einer merkwuerdigen Epoche.
Das fast vierzigjaehrige Regiment des Herodes - er starb im Jahre 750 (4) -
im einzelnen zu schildern, wie es die dafuer in grosser Ausfuehrlichkeit
erhaltenen Berichte gestatten, ist nicht die Aufgabe des Geschichtschreibers von
Rom. Es gibt wohl kein Koenigshaus irgendeiner Zeit, in welchem die Blutfehde
zwischen Eltern und Kindern, zwischen Gatten und Geschwistern in gleicher Weise
gewuetet hat; Kaiser Augustus und seine Statthalter in Syrien wandten schaudernd
sich ab von dem Anteil an dem Mordwerk, der ihnen angesonnen ward; nicht der
mindest entsetzliche Zug in diesem Greuelbild ist die voellige Zwecklosigkeit
der meisten, in der Regel auf grundlosen Verdacht verfuegten Exekutionen und die
stetig nachfolgende verzweifelnde Reue des Urhebers. Wie kraeftig und
verstaendig der Koenig das Interesse seines Landes, soweit er konnte und durfte,
wahrnahm, wie energisch er nicht bloss in Palaestina, sondern im ganzen Reich
mit seinen Schaetzen und mit seinem nicht geringen Einfluss fuer die Juden
eintrat -die den Juden guenstige Entscheidung Agrippas in dem grossen
kleinasiatischen Reichshandel hatten sie wesentlich ihm zu verdanken -, Liebe
und Treue fand er wohl in Idumaea und Samaria, aber nicht bei dem Volke Israel;
hier war und blieb er nicht so sehr der mit vielfacher Blutschuld beladene, als
vor allem der fremde Mann. Wie es eine der Haupttriebfedern jenes Hauskrieges
ist, dass er in seiner Gattin aus hasmonaeischem Geschlecht, der schoenen
Mariamne, und in deren Kindern mehr die Juden als die Seinen sah und fuerchtete,
so hat er es selbst ausgesprochen, dass er sich zu den Griechen ebenso
hingezogen fuehle, wie von den Juden abgestossen. Es ist bezeichnend, dass er
die Soehne, denen er zunaechst die Nachfolge zudachte, in Rom erziehen liess.
Waehrend er aus seinen unerschoepflichen Reichtuemern die Griechenstaedte des
Auslandes mit Gaben ueberhaeufte und mit Tempeln schmueckte, baute er fuer die
Juden wohl auch, aber nicht im juedischen Sinne. Die Circus- und Theaterbauten
in Jerusalem selbst wie die Tempel fuer den Kaiserkultus in den juedischen
Staedten galten dem frommen Israeliten als Aufforderung zur Gotteslaesterung.
Dass er den Tempel in Jerusalem in einen Prachtbau verwandelte, geschah halb
gegen den Willen der Frommen; wie sehr sie den Bau bewunderten, dass er an
demselben einen goldenen Adler anbrachte, wurde ihm mehr veruebelt als alle von
ihm verfuegten Todesurteile und fuehrte zu einem Volksaufstand, dem der Adler
zum Opfer fiel und dann freilich auch die Frommen, die ihn abrissen. Herodes
kannte das Land genug, um es nicht auf das aeusserste kommen zu lassen; wenn es
moeglich gewesen waere, dasselbe zu hellenisieren, der Wille dazu haette ihm
nicht gefehlt. An Tatkraft stand der Idumaeer hinter den besten Hasmonaeern
nicht zurueck. Der grosse Hafenbau beim Stratonsturm oder, wie die von Herodes
voellig umgebaute Stadt seitdem heisst, bei Caesarea, gab der hafenarmen Kueste
zuerst das, was sie brauchte, und die ganze Kaiserzeit hindurch ist die Stadt
ein Hauptemporium des suedlichen Syriens geblieben. Was sonst die Regierung zu
leisten vermag, Entwicklung der natuerlichen Hilfsquellen, Eintreten bei
Hungersnot und anderen Kalamitaeten, vor allen Dingen Sicherheit des Landes nach
innen und aussen, das hat Herodes geleistet. Der Raeuberunfug wurde abgestellt
und die in diesen Gegenden so ungemein schwierige Verteidigung der Grenze gegen
die streifenden Staemme der Wueste mit Strenge und Folgerichtigkeit
durchgefuehrt. Dadurch wurde die roemische Regierung bewogen, ihm noch weitere
Gebiete zu unterstellen, Ituraea, Trachonitis, Auranitis, Batanaea. Seitdem
erstreckte sich seine Herrschaft, wie dies schon erwaehnt ward, geschlossen
ueber das transjordanische Land bis gegen Damaskos und zum Hermongebirge; soviel
wir erkennen koennen, hat es nach jenen weiteren Zuweisungen in dem ganzen
bezeichneten Gebiet keine Freistadt und keine von Herodes unabhaengige
Herrschaft mehr gegeben. Die Grenzverteidigung selbst traf mehr den arabischen
Koenig als den der Juden; aber soweit sie ihm oblag, bewirkte die Reihe
wohlversehener Grenzkastelle auch hier einen Landfrieden, wie man ihn bisher in
diesen Gegenden nicht gekannt hatte. Man begreift es, dass Agrippa, nachdem er
die Hafen- und die Kriegsbauten des Herodes besichtigt hatte, in ihm einen
gleichstrebenden Gehilfen bei dem grossen Organisationswerk des Reiches erkannte
und ihn in diesem Sinne behandelte.
Dauernden Bestand hatte sein Reich nicht. Herodes selbst teilte es in
seinem Testament unter drei seiner Soehne, und Augustus bestaetigte die
Verfuegung im wesentlichen, indem er nur den wichtigen Hafen Gaza und die
transjordanischen Griechenstaedte unmittelbar unter den syrischen Statthalter
stellte. Die noerdlichen Reichsteile wurden von dem Hauptland abgetrennt; das
zuletzt von Herodes erworbene Gebiet suedlich von Damaskos, die Batanaea mit den
dazu gehoerigen Distrikten erhielt Philippos, Galilaea und die Peraea, das
heisst das transjordanische Gebiet, soweit es nicht griechisch war, Herodes
Antipas, beide als Tetrarchen; diese beiden Kleinfuerstentuemer haben anfangs
getrennt, dann unter Herodes des "Grossen" Urenkel Agrippa II. vereinigt, mit
geringen Unterbrechungen bis unter Traianus fortbestanden. Wir haben ihres
Regiments bei der Schilderung des oestlichen Syriens und Arabiens bereits
gedacht. Hier mag nur hinzugefuegt werden, dass diese Herodeer, wenn nicht mit
der Energie, doch im Sinn und Geist des Stifters der Dynastie weiterregierten.
Die von ihnen eingerichteten Staedte Caesarea, das alte Paneas, im noerdlichen
Gebiet und Tiberias in Galilaea sind ganz in der Art des Herodes hellenisch
geordnet; charakteristisch ist die Aechtung, welche die juedischen Rabbis wegen
eines bei der Anlage von Tiberias gefundenen Grabes ueber die unreine Stadt
verhaengten.
Das Hauptland, Judaea nebst Samaria noerdlich und Idumaea suedlich, bekam
nach dem Willen des Vaters Archelaos. Aber den Wuenschen der Nation entsprach
diese Erbfolge nicht. Die Orthodoxen, das heisst die Pharisaeer, beherrschten so
gut wie ausschliesslich die Masse, und wenn bisher die Furcht des Herrn
einigermassen niedergehalten war durch die Furcht vor dem ruecksichtslos
energischen Koenig, so stand doch der Sinn der grossen Majoritaet der Juden
darauf, unter der Schirmherrschaft Roms das reine gottselige Priesterregiment
wieder herzustellen, wie es einst die persischen Beamten eingerichtet hatten.
Unmittelbar nach dem Tode des alten Koenigs hatten die Massen in Jerusalem sich
zusammengerottet, um die Beseitigung des von Herodes ernannten Hohenpriesters
und die Ausweisung der Unglaeubigen aus der heiligen Stadt zu verlangen, wo eben
das Passah gefeiert werden sollte; Archelaos hatte sein Regiment damit beginnen
muessen, auf diese Massen einhauen zu lassen; man zaehlte eine Menge Tote, und
die Festfeier unterblieb. Der roemische Statthalter von Syrien - derselbe Varus,
dessen Unverstand bald darauf den Roemern Germanien kostete -, dem es zunaechst
oblag, waehrend des Interregnums die Ordnung im Lande aufrecht zu halten, hatte
diesen in Jerusalem meuternden Haufen gestattet, nach Rom, wo eben ueber die
Besetzung des juedischen Thrones verhandelt ward, eine Deputation von fuenfzig
Personen zu entsenden, um die Abschaffung des Koenigtums zu erbitten, und als
Augustus diese vorliess, gaben achttausend hauptstaedtische Juden ihr das Geleit
zum Tempel des Apollo. Die fanatisierten Juden daheim fuhren inzwischen fort,
sich selber zu helfen; die roemische Besatzung, die in den Tempel gelegt war,
wurde mit stuermender Hand angegriffen, und fromme Raeuberscharen erfuellten das
Land; Varus musste die Legionen ausruecken lassen und mit dem Schwert die Ruhe
wieder herstellen. Es war eine Warnung fuer den Oberherrn, eine nachtraegliche
Rechtfertigung fuer Koenig Herodes' gewalttaetiges, aber wirksames Regiment.
Aber mit der ganzen Schwaechlichkeit, welche er namentlich in spaeteren Jahren
so oft bewies, wies Augustus allerdings die Vertreter jener fanatischen Massen
mit ihrem Begehren ab, uebergab aber, im wesentlichen das Testament des Herodes
ausfuehrend, die Herrschaft in Jerusalem dem Archelaos, gemindert um den
koeniglichen Titel, den Augustus dem unerprobten jungen Mann zur Zeit nicht
zugestehen mochte, ferner gemindert um die noerdlichen Gebiete und mit der
Abnahme der Grenzverteidigung auch in der militaerischen Stellung
herabgedrueckt. Dass auf Augustus' Veranlassung die unter Herodes hochgespannten
Steuern herabgesetzt wurden, konnte die Stellung des Vierfuersten wenig bessern.
Archelaos' persoenliche Unfaehigkeit und Unwuerdigkeit brauchten kaum noch
hinzuzutreten, um ihn unmoeglich zu machen; wenige Jahre darauf (6 n. Chr.) sah
Augustus selbst sich genoetigt, ihn abzusetzen. Nun tat er nachtraeglich jenen
Meuterern ihren Willen: das Koenigtum wurde abgeschafft und das Land einerseits
in unmittelbare roemische Verwaltung genommen, andererseits, soweit neben dieser
ein inneres Regiment zugelassen ward, dasselbe dem Senat von Jerusalem
uebergeben. Bei diesem Verfahren moegen allerdings teils frueher in Betreff der
Erbfolge von Augustus dem Herodes gegebene Zusicherungen mitbestimmend gewesen
sein, teils die mehr und mehr hervortretende und im allgemeinen wohl
gerechtfertigte Abneigung der Reichsregierung gegen groessere, einigermassen
selbstaendig sich bewegende Klientelstaaten. Was in Galatien, in Kappadokien, in
Mauretanien kurz vorher oder bald nachher geschah, erklaert, warum auch in
Palaestina das Reich des Herodes ihn selbst kaum ueberdauerte. Aber wie in
Palaestina das unmittelbare Regiment geordnet ward, war es auch administrativ
ein arger Rueckschritt gegen das Herodische; vor allem aber lagen hier die
Verhaeltnisse so eigenartig und so schwierig, dass die allerdings von der
Priesterpartei selbst hartnaeckig erstrebte und schliesslich erlangte
unmittelbare Beruehrung der regierenden Roemer und der regierten Juden weder
diesen noch jenen zum Segen gereichte.
Judaea wurde somit im Jahre 6 n. Chr. eine roemische Provinz zweiten Ranges
^11 und ist, abgesehen von der ephemeren Restauration des jerusalemischen
Koenigreichs unter Claudius in den Jahren 41-44, seitdem roemische Provinz
geblieben. An die Stelle des bisherigen lebenslaenglichen und, unter Vorbehalt
der Bestaetigung durch die roemische Regierung, erblichen Landesfuersten trat
ein vom Kaiser auf Widerruf ernannter Beamter aus dem Ritterstand. Der Sitz der
roemischen Verwaltung wurde, wahrscheinlich sofort, die von Herodes nach
hellenischem Muster umgebaute Hafenstadt Caesarea. Die Befreiung des Landes von
roemischer Besatzung fiel selbstverstaendlich weg, aber, wie durchgaengig in den
Provinzen zweiten Ranges, bestand die roemische Truppenmacht nur aus einer
maessigen Zahl von Reiter- und Fussabteilungen der geringeren Kategorie;
spaeterhin lagen dort eine Ala und fuenf Kohorten, etwa 3000 Mann. Diese Truppen
wurden vielleicht von dem frueheren Regiment uebernommen, wenigstens zum grossen
Teil im Lande selbst, jedoch meist aus Samaritanern und syrischen Griechen
gebildet ^12. Legionarbesatzung erhielt die Provinz nicht, und auch in den
Judaea benachbarten Gebieten stand hoechstens eine von den vier syrischen
Legionen. Nach Jerusalem kam ein staendiger roemischer Kommandant, der in der
Koenigsburg seinen Sitz nahm, mit einer schwachen staendigen Besatzung; nur
waehrend der Passahzeit, wo das ganze Land und unzaehlige Fremde nach dem Tempel
stroemten, lag eine staerkere Abteilung roemischer Soldaten in einer zum Tempel
gehoerigen Halle. Dass mit der Einrichtung der Provinz die Steuerpflichtigkeit
Rom gegenueber eintrat, folgt schon daraus, dass die Kosten der
Landesverteidigung damit auf die Reichsregierung uebergingen. Nachdem diese bei
der Einsetzung des Archelaos eine Herabsetzung der Abgaben veranlasst hatte, ist
es wenig wahrscheinlich, dass sie bei der Einziehung des Landes eine sofortige
Erhoehung derselben in Aussicht nahm; wohl aber wurde, wie in jedem neu
erworbenen Gebiet, zu einer Revision der bisherigen Katastrierung geschritten
^13.
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^11 Die Angabe des Josephus, dass Judaea zur Provinz Syrien gezogen und
dessen Statthalter unterstellt worden sei (ant. Iud. 17 fin.: to? de Archelaoy
ch/o/ras ypotelo?s prosnem/e/theis/e/s t/e/ S?r/o/n; 18, 1, 1 : eis t/e/n
Ioydai/o/n prosth/e/k/e/n t/e/s Syrias; 4, 6) scheint unrichtig zu sein;
vielmehr bildete Judaea wahrscheinlich seitdem eine eigene prokuratorische
Provinz. Genaue Unterscheidung zwischen dem rechtlichen und dem faktischen
Eingreifen des syrischen Statthalters darf man bei Josephus nicht erwarten. Dass
derselbe die neue Provinz ordnete und die erste Schatzung leitete, entscheidet
nicht ueber die Frage, welche Einrichtung ihr gegeben ward. Wo die Juden sich
ueber ihren Prokurator bei dem Statthalter von Syrien beschweren und dieser
gegen denselben einschreitet, ist allerdings der Prokurator von dem Legaten
abhaengig; aber wenn L. Vitellius dies tat (Ios. ant. Iud. 18, 4, 2), so griff
dessen Macht eben ausserordentlicherweise hinaus ueber die Provinz (Tac. ann. 6,
32; Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 822), und in dem andern Fall zeigen die
Worte des Tacitus (12, 54): quia Claudius ius statuendi etiam de procuratoribus
dederat, dass der Statthalter von Syrien kraft seiner allgemeinen Kompetenz ein
solches Urteil nicht haette faellen koennen. Sowohl das ius gladii dieser
Prokuratoren (Ios. bel. Iud. 2, 8, 1: mechri to? kteinein lab/o/n para to?
Kaisaros exoysian, ant. Iud. 18, 1, 1; /e/g/e/somenos Ioydai/o/n t/e/ epi pasin
exoysia) wie ihr ganzes Auftreten beweisen, dass sie nicht zu denen gehoerten,
die unter einem kaiserlichen Legaten stehend nur finanzielle Geschaefte
besorgten, sondern vielmehr wie die Prokuratoren von Noricum und Raetia auch
fuer Rechtspflege und Heerbefehl die hoechste Instanz bildeten. Also hatten die
Legaten von Syrien dort nur die Stellung wie die von Pannonien in Noricum und
der obergermanische in Raetien. Dies entspricht auch der allgemeinen Entwicklung
der Verhaeltnisse: alle groesseren Koenigreiche sind bei der Einziehung nicht
den benachbarten grossen Statthalterschaften zugelegt worden, deren Machtfuelle
zu steigern nicht in der Tendenz dieser Epoche liegt, sondern zu
selbststaendigen, meist zuerst ritterlichen Statthalterschaften gemacht worden.
^12 Nach Josephus (ant. Iud. 20, 8, 7, genauer als bel. Iud. 2, 13, 7)
bestand der groesste Teil der roemischen Truppen in Palaestina aus Caesareern
und Sebastenern. Die ala Sebastenorum focht im Juedischen Kriege unter Vespasian
(Ios. bel. Iud. 2, 12, 5). Vgl. Eph. epigr. V, p. 194. Alae und cohortes
Iudaeorum gibt es nicht.
^13 Die Einkuenfte des Herodes beliefen sich nach Josephus (ant. Iud. 17,
11, 4) auf etwa 1200 Talente, wovon auf Batanaea mit den Nebenlaendern etwa 100,
auf Galilaea und Peraea 200, das uebrige auf den Anteil des Archelaos entfallen;
dabei ist wohl das aeltere hebraeische Talent (zu etwa 7830 Mark) gemeint,
nicht, wie F. Hultsch (Griechische und roemische Metrologie. z. Aufl. Berlin
1882, S. 605) annimmt, das Denartalent (zu etwa 5220 Mark), da die Einkuenfte
desselben Gebiets unter Claudius bei demselben Josephus (ant. Iud. 19, 8, 2) auf
12 Mill. Denare (etwa 10 Mill. Mark) angesetzt werden. Den Hauptposten darin
bildete die Bodenabgabe, deren Hoehe wir nicht kennen; in syrischer Zeit betrug
sie wenigstens zeitweilig den dritten Teil vom Getreide und die Haelfte von Wein
und Oel (1. Makk. 10, 30), zu Caesars Zeit fuer Joppe ein Viertel der Frucht
(Anm. 8), woneben dann noch der Tempelzehnte stand. Dazu kamen eine Anzahl
anderer Steuern und Zoelle, Auktionsabgaben, Salzsteuer, Wege- und
Brueckengelder u. dgl. m.; diese sind es, auf welche die Zoellner der Evangelien
sich beziehen.
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Fuer die einheimischen Behoerden wurden in Judaea, wie ueberall, soweit
moeglich die Stadtgemeinden zum Fundament genommen. Samaria oder, wie die Stadt
jetzt heisst, Sebaste, das neu angelegte Caesarea und die sonstigen in dem
ehemaligen Reich des Archelaos enthaltenen staedtischen Gemeinden verwalteten
unter Aufsicht der roemischen Behoerde sich selbst. Auch das Regiment der
Hauptstadt mit dem grossen dazugehoerigen Gebiet wurde in aehnlicher Weise
geordnet. Schon in vorroemischer Zeit unter den Seleukiden hatte sich, wie wir
sahen, in Jerusalem ein Rat der Aeltesten gebildet, das Synhedrion oder
judaisiert der Sanhedrin. Den Vorsitz darin fuehrte der Hochpriester, welchen
der jedesmalige Herr des Landes, wenn er nicht etwa selber Hochpriester war, auf
Zeit bestellte. Dem Kollegium gehoerten die gewesenen Hochpriester und
angesehene Gesetzkundige an. Diese Versammlung, in der das aristokratische
Element ueberwog, funktionierte als hoechste geistliche Vertretung der gesamten
Judenschaft, und, soweit diese davon nicht zu trennen war, auch als die
weltliche Vertretung insbesondere der Gemeinde von Jerusalem. Zu einer
geistlichen Institution mosaischer Satzung hat das Synhedrion von Jerusalem erst
der spaetere Rabbinismus durch fromme Fiktion umgestempelt. Er entsprach
wesentlich dem Rat der griechischen Stadtverfassung, trug aber allerdings seiner
Zusammensetzung wie seinem Wirkungskreise nach einen mehr geistlichen Charakter,
als er den griechischen Gemeindevertretungen zukommt. Diesem Synhedrion und
seinem Hochpriester, den jetzt als Vertreter des kaiserlichen Landesherrn der
Prokurator ernannte, liess oder uebertrug die roemische Regierung diejenige
Kompetenz, welche in den hellenischen Untertanengemeinden den staedtischen
Behoerden und den Gemeinderaeten zukam. Sie liess mit gleichgueltiger
Kurzsichtigkeit dem transzendentalen Messianismus der Pharisaeer freien Lauf und
dem bis zum Eintreffen des Messias fungierenden, keineswegs transzendentalen
Landeskonsistorium ziemlich freies Schalten in Angelegenheiten des Glaubens, der
Sitte und des Rechts, wo die roemischen Interessen dadurch nicht geradezu
beruehrt wurden. Insbesondere betraf dies die Rechtspflege. Zwar soweit es sich
dabei um roemische Buerger handelte, wird die Justiz in Zivil- wie in
Kriminalsachen den roemischen Gerichten sogar schon vor der Einziehung des
Landes vorbehalten gewesen sein. Aber die Ziviljustiz ueber die Juden blieb auch
nach derselben hauptsaechlich der oertlichen Behoerde. Die Kriminaljustiz ueber
dieselben uebte diese wahrscheinlich im allgemeinen konkurrierend mit dem
roemischen Prokurator; nur Todesurteile konnte sie nicht anders vollstrecken
lassen als nach Bestaetigung durch den kaiserlichen Beamten.
Im wesentlichen waren diese Anordnungen die unabweisbaren Konsequenzen der
Abschaffung des Fuerstentums, und indem die Juden diese erbaten, erbaten sie in
der Tat jene mit. Gewiss war es auch die Absicht der Regierung, Haerte und
Schroffheit bei der Durchfuehrung soweit moeglich zu vermeiden. Publius
Sulpicius Quirinius, dem als Statthalter von Syrien die Einrichtung der neuen
Provinz uebertragen ward, war ein angesehener und mit den Verhaeltnissen des
Orients genau vertrauter Beamter, und alle Einzelberichte bestaetigen redend
oder schweigend, dass man die Schwierigkeiten der Verhaeltnisse kannte und
darauf Ruecksicht nahm. Die oertliche Praegung der Kleinmuenze, wie sie frueher
die Koenige geuebt hatten, ging jetzt auf den Namen des roemischen Herrschers;
aber der juedischen Bilderscheu wegen wurde nicht einmal der Kopf des Kaisers
auf die Muenze gesetzt. Das Betreten des inneren Tempelraumes blieb jedem
Nichtjuden untersagt bei Todesstrafe ^14. Wie ablehnend Augustus sich
persoenlich gegen die orientalischen Kulte verhielt, er verschmaehte es hier
sowenig wie in Aegypten, sie in ihrer Heimat mit dem Kaiserregiment zu
verknuepfen; prachtvolle Geschenke des Augustus, der Livia und anderer Glieder
des kaiserlichen Hauses schmueckten das Heiligtum der Juden, und nach
kaiserlicher Stiftung rauchte taeglich dort dem "hoechsten Gott" das Opfer eines
Stiers und zweier Laemmer. Die roemischen Soldaten wurden angewiesen, wenn sie
in Jerusalem Dienst hatten, die Feldzeichen mit den Kaiserbildern in Caesarea zu
lassen, und als ein Statthalter unter Tiberius davon abging, entsprach die
Regierung schliesslich den flehenden Bitten der Frommen und liess es bei dem
alten. Ja als auf einer Expedition gegen die Araber die roemischen Truppen durch
Jerusalem marschieren sollten, erhielten sie infolge der Bedenken der Priester
gegen die Bilder an den Feldzeichen eine andere Marschroute. Als ebenjener
Statthalter dem Kaiser an der Koenigsburg in Jerusalem Schilde ohne Bildwerke
weihte und die Frommen auch daran Aergernis nahmen, befahl Tiberius dieselben
abzunehmen und an dem Augustustempel in Caesarea aufzuhaengen. Das Festgewand
des Hohenpriesters, das sich auf der Burg in roemischem Gewahrsam befand und
daher vor der Anlegung erst sieben Tage lang von solcher Entweihung gereinigt
werden musste, wurde den Glaeubigen auf ihre Beschwerde ausgeliefert und der
Kommandant der Burg angewiesen, sich nicht weiter um dasselbe zu bekuemmern.
Allerdings konnte von der Menge nicht verlangt werden, dass sie darum die Folgen
der Einverleibung weniger schwer empfand, weil sie selbst dieselbe
herbeigefuehrt hatte. Auch soll nicht behauptet werden, dass die Einziehung des
Landes fuer die Bewohner ohne Bedrueckung abging und dass sie keinen Grund
hatten, sich zu beschweren; diese Einrichtungen sind nirgends ohne
Schwierigkeiten und Ruhestoerungen durchgefuehrt worden. Ebenso wird die Anzahl
der Unrechtfertigkeiten und Gewalttaetigkeiten, welche einzelne Statthalter
begingen, in Judaea nicht geringer gewesen sein als anderswo. Schon im Anfang
der Regierung des Tiberius klagten die Juden wie die Syrer ueber Steuerdruck;
insbesondere der langjaehrigen Verwaltung des Pontius Pilatus werden von einem
nicht unbilligen Beurteiler alle ueblichen Beamtenfrevel zur Last gelegt. Aber
Tiberius hat, wie derselbe Jude sagt, in den dreiundzwanzig Jahren seiner
Regierung die althergebrachten heiligen Gebraeuche aufrecht gehalten und in
keinem Teil sie beseitigt oder verletzt. Es ist dies um so mehr anzuerkennen,
als derselbe Kaiser im Okzident so nachdruecklich wie kein anderer gegen die
Juden einschritt und also die in Judaea von ihm bewiesene Langmut und
Zurueckhaltung nicht auf persoenliche Beguenstigung des Judentums
zurueckgefuehrt werden kann.
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^14 An der Marmorschranke (dr?phaktos), welche den inneren Tempelraum
abgrenzte, standen deswegen Warnungstafeln in lateinischer und griechischer
Sprache (Ios. bel. Iud. 5, 5, 2; 6, 2, 4; ant. Iud. 15, 11, 5). Eine der
letzteren, die kuerzlich wiedergefunden ist (Revue archeologique 23, 1872, S.
220) und jetzt in dem oeffentlichen Museum von Konstantinopel sich befindet,
lautet: m/e/th? ena allogen/e/ eispore?esthai entos to? peri to ieron tryphaktoy
kai periboloy. os d'an l/e/phd/e/, eayt/o/ aitios estai dia to exakoloythein
thanaton. Das Iota im Dativ ist vorhanden, die Schrift gut und passend fuer
fruehe Kaiserzeit. Diese Tafeln sind schwerlich von den juedischen Koenigen
gesetzt, die kaum einen lateinischen Text hinzugefuegt haben wuerden und auch
keine Ursache hatten, mit dieser sonderbaren Anonymitaet den Tod in Aussicht zu
stellen. Wenn sie von der roemischen Regierung aufgestellt wurden, erklaert sich
beides; auch sagt Titus bei Ios. bel. Iud. 6, 2, 4 in einer Ansprache an die
Juden: oych /e/meis to?s yperbantas ymin anairein epetrepsamen, kan R/o/maios
tis /e/; - Traegt die Tafel wirklich Spuren von Axthieben, so stammen diese von
den Soldaten des Titus.
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Trotz allem dem entwickelten sich gegen die roemische Regierung die
prinzipielle Opposition wie die gewaltsame Selbsthilfe der Glaeubigen beide
schon in dieser Zeit des Friedens. Die Steuerzahlung ward nicht etwa bloss, weil
sie drueckte, sondern als gottlos angefochten. "Ist es erlaubt", fragt der Rabbi
im Evangelium, "dem Caesar den Zensus zu zahlen?" Die ironische Antwort, die er
empfing, genuegte doch nicht allen; es gab Heilige, wenn auch wohl nicht in
grosser Zahl, welche sich verunreinigt meinten, wenn sie eine Muenze mit dem
Kaiserbild anruehrten. Dies war etwas Neues, ein Fortschritt der
Oppositionstheologie; die Koenige Seleukos und Antiochos waren doch auch nicht
beschnitten gewesen und hatten ebenfalls Tribut empfangen in Silberstuecken
ihres Bildnisses. Also war die Theorie; die praktische Anwendung davon machte
allerdings nicht der hohe Rat von Jerusalem, in welchem unter dem Einfluss der
Reichsregierung die gefuegigeren Vornehmen des Landes stimmfuehrend waren, aber
Judas der Galilaeer aus Gamala am See von Genezareth, welcher, wie Gamaliel
diesem hohen Rat spaeter in Erinnerung brachte, "in den Tagen der Schatzung
aufstand, und hinter ihm erhob sich das Volk zum Abfall". Er sprach es aus, was
alle dachten, dass die sogenannte Schatzung die Knechtschaft und es eine Schande
sei fuer den Juden, einen anderen Herrn ueber sich zu erkennen als den Herrn
Zebaoth; dieser aber helfe nur denen, die sich selber huelfen. Wenn nicht viele
seinem Ruf zu den Waffen folgten, und er nach wenigen Monaten auf dem
Blutgeruest endigte, so war der heilige Tote den unheiligen Siegern
gefaehrlicher als der Lebende. Er und die Seinigen gelten den spaeteren Juden
neben den Sadduzaeern, Pharisaeern und Essaeern als die vierte "Schule"; damals
hiessen sie die Eiferer, spaeter nennen sie sich die Sicarier, die
Messermaenner. Ihre Lehre ist einfach: Gott allein ist Herr, der Tod
gleichgueltig, die Freiheit eines und alles. Diese Lehre blieb, und des Judas
Kinder und Enkel wurden die Fuehrer der spaeteren Insurrektionen.
Wenn die roemische Regierung der Aufgabe, diese explosiven Elemente nach
Moeglichkeit niederzuhalten, unter den ersten beiden Regenten im ganzen genommen
geschickt und geduldig genuegt hatte, so fuehrte der zweite Thronwechsel hart an
die Katastrophe. Derselbe ward wie im ganzen Reich, so auch von den Juden in
Jerusalem wie in Alexandreia mit Jubel begruesst und nach dem menschenscheuen
und unbeliebten Greise der neue jugendliche Herrscher Gaius dort wie hier in
ueberschwenglicher Weise gefeiert. Aber rasch entwickelte sich aus
nichtswuerdigen Anlaessen ein furchtbares Zerwuerfnis. Ein Enkel des ersten
Herodes und der schoenen Mariamne, nach dem Beschuetzer und Freunde seines
Grossvaters Herodes Agrippa genannt, unter den zahlreichen in Rom lebenden
orientalischen Fuerstensoehnen ungefaehr der geringfuegigste und
heruntergekommenste, aber dennoch oder eben darum der Guenstling und der
Jugendfreund des neuen Kaisers, bis dahin lediglich bekannt durch seine
Liederlichkeit und seine Schulden, hatte von seinem Beschuetzer, dem er zuerst
die Nachricht von dem Tode des Tiberius hatte ueberbringen koennen, eines der
vakanten juedischen Kleinfuerstentuemer zum Geschenk und dazu den Koenigstitel
erhalten. Dieser kam im Jahre 38 auf der Reise in sein neues Reich nach der
Stadt Alexandreia, wo er wenige Monate vorher als ausgerissener Wechselschuldner
versucht hatte, bei den juedischen Bankiers zu borgen. Als er im Koenigsgewand
mit seinen praechtig staffierten Trabanten sich dort oeffentlich zeigte, regte
dies begreiflicherweise die nichtjuedische und den Juden nichts weniger als
wohlwollende Bewohnerschaft der grossen spott- und skandallustigen Stadt zu
einer entsprechenden Parodie an, und bei dieser blieb es nicht. Es kam zu einer
grimmigen Judenhetze. Die zerstreut liegenden Judenhaeuser wurden ausgeraubt und
verbrannt, die im Hafen liegenden juedischen Schiffe gepluendert, die in den
nicht juedischen Quartieren betroffenen Juden misshandelt und erschlagen. Aber
gegen die rein juedischen Quartiere vermochte man mit Gewalt nichts
auszurichten. Da gerieten die Fuehrer auf den Einfall, die Synagogen, auf die es
vor allem abgesehen war, soweit sie noch standen, saemtlich zu Tempeln des neuen
Herrschers zu weihen und Bildsaeulen desselben in allen, in der Hauptsynagoge
eine solche auf einem Viergespann, aufzustellen. Dass Kaiser Gaius so ernsthaft,
wie sein verwirrter Geist es vermochte, sich fuer einen wirklichen und
leibhaftigen Gott hielt, wusste alle Welt, und die Juden und der Statthalter
auch. Dieser, Avillius Flaccus, ein tuechtiger Mann und unter Tiberius ein
vortrefflicher Verwalter, aber jetzt gelaehmt durch die Ungnade, in welcher er
bei dem neuen Kaiser stand und jeden Augenblick der Abberufung und der Anklage
gewaertig, verschmaehte es nicht, die Gelegenheit zu seiner Rehabilitierung zu
benutzen ^15. Er befahl nicht bloss durch Edikt, der Aufstellung der Statuen in
den Synagogen kein Hindernis in den Weg zu legen, sondern er ging geradezu auf
die Judenhetze ein. Er verordnete die Abschaffung des Sabbaths. Er erklaerte
weiter in seinen Erlassen, dass diese geduldeten Fremden sich unerlaubter Weise
des besten Teils der Stadt bemaechtigt haetten; sie wurden auf ein einziges der
fuenf Quartiere beschraenkt und alle uebrigen Judenhaeuser dem Poebel
preisgegeben, waehrend die ausgetriebenen Bewohner massenweise obdachlos am
Strande lagen. Kein Widerspruch wurde auch nur angehoert; achtunddreissig
Mitglieder des Rats der Aeltesten, welcher damals anstatt des Ethnarchen der
Judenschaft vorstand ^16, wurden im offenen Circus vor allem Volke gestaeupt.
Vierhundert Haeuser lagen in Truemmern; Handel und Wandel stockte; die Fabriken
standen still. Es blieb keine Hilfe als bei dem Kaiser. Vor ihm erschienen die
beiden alexandrinischen Deputationen, die der Juden gefuehrt von dem frueher
erwaehnten Philon, einem Gelehrten der neujuedischen Richtung und mehr
sanftmuetigen als tapferen Herzens, der aber doch fuer die Seinen in dieser
Bedraengnis getreulich eintrat; die der Judenfeinde gefuehrt von Apion, auch
einem alexandrinischen Gelehrten und Schriftsteller, der "Weltschelle", wie
Kaiser Tiberius ihn nannte, voll grosser Worte und noch groesserer Luegen, von
dreistester Allwissenheit ^17 und unbedingtem Glauben an sich selbst, wenn nicht
der Menschen, doch ihrer Nichtswuerdigkeit kundig, ein gefeierter Meister der
Rede wie der Volksverfuehrung, schlagfertig, witzig, unverschaemt und unbedingt
loyal. Das Ergebnis der Verhandlung stand von vornherein fest; der Kaiser liess
die Parteien vor, waehrend er die Anlagen in seinen Gaerten besichtigte, aber
statt den Flehenden Gehoer zu geben, legte er ihnen spoettische Fragen vor, die
die Judenfeinde, aller Etikette zum Trotz, mit lautem Gelaechter begleiteten,
und da er bei guter Laune war, beschraenkte er sich darauf, sein Bedauern
auszusprechen, dass diese im uebrigen guten Leute so ungluecklich organisiert
seien, seine angeborene Gottesnatur nicht begreifen zu koennen, womit es ihm
ohne Zweifel ernst war. Apion also bekam Recht, und ueberall, wo es den
Judenfeinden beliebte, wandelten die Synagogen sich um in Tempel des Gaius.
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^15 Der besondere Hass des Gaius gegen die Juden (Philo leg. 20) ist nicht
die Ursache, sondern die Folge der alexandrinischen Judenhetze gewesen. Da also
auch das Einverstaendnis der Fuehrer der Judenhetze mit dem Statthalter (Philo
in Flacc. 4) so, wie die Juden meinten, nicht bestanden haben kann, weil der
Statthalter nicht fueglich glauben konnte, durch Preisgebung der Juden sich dem
neuen Kaiser zu empfehlen, so entsteht allerdings die Frage, warum die Fuehrer
der Judenfeinde eben diesen Moment fuer die Judenhetze waehlten und vor allem,
warum der Statthalter, dessen Trefflichkeit Philo so nachdruecklich anerkennt,
dieselbe zuliess und wenigstens in ihrem weiteren Verlauf sich an ihr
beteiligte. Wahrscheinlich sind die Dinge so hergegangen, wie sie oben erzaehlt
sind: der Judenhass und Judenneid gaerten seit langem in Alexandreia (Ios. bel.
Iud. 2, 18, 9; Philo leg. 18); der Wegfall des alten strengen Regiments und die
augenscheinliche Ungnade, in welcher der Praefekt bei Gaius stand, gaben Raum
fuer den Krawall; die Ankunft Agrippas gab den Anlass; die geschickte
Verwandlung der Synagogen in Tempel des Gaius stempelte die Juden zu
Kaiserfeinden, und nachdem dies geschehen war, wird Flaccus allerdings die
Verfolgung aufgegriffen haben, um sich dadurch bei dem Kaiser zu rehabilitieren.
^16 Als Strabon in Aegypten war in der frueheren augusteischen Zeit,
standen die Juden in Alexandreia unter einem Ethnarchen (geogr. 17, 1, 13 p. 798
und bei Ios. ant. Iud. 14, 7, 2). Als dann unter Augustus der Ethnarchos oder
Genarchos, wie er auch heisst, starb, trat an seine Stelle ein Rat der Aeltesten
(Philo leg. 10); doch "untersagte Augustus", wie Claudius angibt (Ios. ant. Iud.
19, S, 2), "den Juden nicht die Bestellung von Ethnarchen", was wohl heissen
soll, dass die Wahl eines Einzelvorstehers nur fuer diesmal unterlassen, nicht
ein fuer allemal abgeschafft ward. Unter Gaius gab es offenbar nur Aelteste der
Judenschaft; und auch unter Vespasian begegnen diese (Ios. bel. Iud. 7, 10, 1).
Ein Archon der Juden in Antiocheia wird genannt bei Ios. bel. Iud. 7, 3, 3.
^17 Apion redete und schrieb ueber alles und jedes, ueber die Metalle und
die roemischen Buchstaben, ueber die Magie und von den Hetaeren, ueber
aegyptische Urgeschichte und Apicius' Kochrezepte, vor allem aber machte er
Glueck mit seinen Vortraegen ueber Homer, die ihm das Ehrenbuergerrecht in
zahlreichen griechischen Staedten erwarben. Er hatte entdeckt, dass Homeros
darum mit dem unpassenden Worte m/e/nis seine Ilias begonnen habe, weil die
ersten beiden Buchstaben als Ziffern die Buecherzahl der beiden von ihm zu
schreibenden Epen darstellen; er nannte den Gastfreund in Ithaka, bei dem er das
Brettspiel der Freier erkundet habe; ja er hatte Homeros selbst aus der
Unterwelt beschworen, um ihn um seine Heimat zu befragen, derselbe sei auch
gekommen und habe sie ihm gesagt, aber ihn verpflichtet, sie anderen nicht zu
verraten.
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Aber es blieb nicht bei diesen durch die alexandrinische Strassenjugend
eingeleiteten Dedikationen. Im Jahre 39 bekam der Statthalter von Syrien,
Publius Petronius, vom Kaiser den Befehl, mit seinen Legionen in Jerusalem
einzuruecken und in dem Tempel die Bildsaeule des Kaisers aufzurichten. Der
Statthalter, ein ehrbarer Beamter aus der Schule des Tiberius, erschrak; die
Juden aus dem ganzen Lande, Maenner und Frauen, Greise und Kinder, stroemten zu
ihm, erst nach Ptolemais in Syrien, dann nach Tiberias in Galilaea, ihn um seine
Vermittlung anzuflehen, dass das Entsetzliche unterbleiben moege; die Aecker im
ganzen Lande wurden nicht bestellt, und die verzweifelten Massen erklaerten,
lieber den Tod durch das Schwert oder den Hunger dulden, als diesen Greuel mit
Augen sehen zu wollen. In der Tat wagte der Statthalter die Ausfuehrung zu
verzoegern und Gegenvorstellungen zu machen, obwohl er wusste, dass es dabei um
seinen Kopf ging. Zugleich ging jener Koenig Agrippa persoenlich nach Rom, um
von seinem Freunde die Ruecknahme des Befehls zu erwirken. In der Tat stand der
Kaiser von seinem Begehren ab, man sagt infolge einer von dem juedischen
Fuersten geschickt benutzten Weinlaune. Aber er beschraenkte zugleich die
Konzession auf den einzigen Tempel von Jerusalem und sandte nichtsdestoweniger
dem Statthalter wegen seines Ungehorsams das Todesurteil zu, das allerdings,
zufaellig verspaetet, nicht mehr zur Ausfuehrung kam. Gaius war entschlossen,
die Renitenz der Juden zu brechen; das angeordnete Einruecken der Legionen
zeigt, dass er diesmal die Folgen seines Befehls im Voraus erwogen hatte. Seit
jenen Vorgaengen hatten die bereitwillig gottglaeubigen Aegypter seine volle
Liebe, so wie die stoerrigen und einfaeltigen Juden den entsprechenden Hass;
hinterhaeltig wie er war und gewohnt zu begnadigen, um spaeter zu widerrufen,
musste das Aergste nur verschoben erscheinen. Er war im Begriff, nach
Alexandreia abzugehen, um dort persoenlich den Weihrauch seiner Altaere
entgegenzunehmen, und an der Statue, die er in Jerusalem sich aufzustellen
gedachte, wurde, so sagt man, in aller Stille gearbeitet, als im Januar 41 der
Dolch des Chaerea unter anderem auch den Tempel des Jehova von dem Unhold
befreite.
Aeussere Folgen hinterliess die kurze Leidenszeit nicht; mit dem Gott
sanken seine Altaere. Aber dennoch sind die Spuren davon nach beiden Seiten hin
geblieben. Die Geschichte, die hier erzaehlt wird, ist die des steigenden Hasses
zwischen Juden und Nichtjuden, und darin bezeichnet die dreijaehrige
Judenverfolgung unter Gaius einen Abschnitt und einen Fortschritt. Der Judenhass
und die Judenhetzen sind so alt wie die Diaspora selbst; diese privilegierten
und autonomen orientalischen Gemeinden innerhalb der hellenischen mussten sie so
notwendig entwickeln wie der Sumpf die boese Luft. Aber eine Judenhetze wie die
alexandrinische des Jahres 38, motiviert durch das mangelhafte Hellenentum und
dirigiert zugleich von der hoechsten Behoerde und dem niedrigen Poebel, hat die
aeltere griechische wie roemische Geschichte nicht aufzuweisen. Der weite Weg
vom boesen Wollen des Einzelnen zur boesen Tat der Gesamtheit war hiermit
durchschritten, und es war gezeigt, was die also Gesinnten zu wollen und zu tun
hatten und unter Umstaenden auch zu tun vermochten. Dass diese Offenbarung auch
auf juedischer Seite empfunden ward, ist nicht zu bezweifeln, obwohl wir dies
mit Dokumenten nicht zu belegen vermoegen ^18. Aber weit tiefer als die
alexandrinische Judenhetze haftete in den Gemuetern der Juden die Bildsaeule des
Gottes Gaius im Allerheiligsten. Es war das schon einmal dagewesen: auf das
gleiche Unterfangen des Koenigs von Syrien, Antiochos Epiphanes, war die
Makkabaeererhebung gefolgt und die siegreiche Wiederherstellung des freien
nationalen Staats. Jener Epiphanes, der Antimessias, welcher den Messias
herbeifuehrt, wie der Prophet Daniel ihn, allerdings nachtraeglich, gezeichnet
hatte, war seitdem jedem Juden das Urbild der Greuel; es war nicht
gleichgueltig, dass die gleiche Vorstellung mit gleichem Recht sich an einen
roemischen Kaiser knuepfte oder vielmehr an das Bild des roemischen Herrschers
ueberhaupt. Seit jenem verhaengnisvollen Erlass kam die Sorge nicht zur Ruhe,
dass ein anderer Kaiser das Gleiche befehlen koenne, und insofern allerdings mit
Recht, als nach der Ordnung des roemischen Staatswesens diese Verfuegung
lediglich von dem augenblicklichen Gutfinden des augenblicklich Regierenden
abhing. Mit gluehenden Farben zeichnet sich dieser juedische Hass des
Kaiserkultus und des Kaisertums selbst in der Apokalypse Johannis, fuer die
hauptsaechlich deswegen Rom das feile Weib von Babylon und der gemeine Feind der
Menschheit ist ^19. Noch minder gleichgueltig war die naheliegende Parallele der
Konsequenzen. Mattathias von Modein war auch nicht mehr gewesen als Judas der
Galilaeer, die Erhebung der Patrioten gegen den Syrerkoenig ungefaehr ebenso
hoffnungslos wie die Insurrektion gegen das Untier jenseits des Meeres.
Historische Parallelen in praktischer Anwendung sind gefaehrliche Elemente der
Opposition; nur zu rasch geriet der Bau langjaehriger Regierungsweisheit ins
Schwanken.
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^18 Die Schriften Philons, welche diese ganze Katastrophe uns mit
unvergleichlicher Aktualitaet vorfuehren, schlagen diesen Ton nirgends an; aber
auch abgesehen davon, dass dieser reiche und bejahrte Mann mehr ein guter Mensch
als ein guter Hasser war, versteht es sich von selbst, dass diese Konsequenzen
der Vorgaenge von juedischer Seite nicht oeffentlich dargelegt wurden. Was die
Juden dachten und fuehlten, wird man nicht nach dem beurteilen duerfen, was sie
namentlich in ihren griechisch geschriebenen Schriften zu sagen zweckmaessig
fanden. Wenn das Buch der Weisheit und das dritte Makkabaeerbuch in der Tat
gegen die alexandrinische Judenverfolgung gerichtet sind (Hausrath,
Neutestamentliche Zeitgeschichte. Bd. 2, S. 259 f.), was uebrigens nichts
weniger als gewiss ist, so sind sie womoeglich noch zahmer gehalten als die
Schriften Philons.
^19 Dies duerfte die richtige Auffassung der juedischen Vorstellungen sein,
in denen ueberhaupt die positiven Tatsachen regelmaessig ins Allgemeine
verfliessen. In den Erzaehlungen vom Antimessias und vom Antichrist finden sich
keine positiven Momente, die auf Kaiser Gaius passten; den Namen Armillus, den
der Targum jenem beilegt, darauf zurueckzufuehren, dass Kaiser Gaius zuweilen
Frauenarmbaender (armillae) trug (Suet. Gai. 52), kann ernsthaft nicht vertreten
werden. In der Johanneischen Apokalypse, der klassischen Offenbarung juedischen
Selbstgefuehls und Roemerhasses, knuepft sich das Bild des Antimessias vielmehr
an Nero, der sein Bild nicht ins Allerheiligste hat stellen lassen. Diese
Schrift gehoert bekanntlich einer Zeit und einer Richtung an, fuer die das
Christentum noch wesentlich eine juedische Sekte war; die Auserwaehlten und vom
Engel Gezeichneten sind alle Juden, je 12000 aus jedem der zwoelf Staemme, und
haben den Vortritt vor der "grossen Menge der sonstigen Gerechten", das heisst
der Judengenossen (Offbg. 7; vgl. 12, 1). Geschrieben ist sie erwiesenermassen
nach Neros Sturz, und als dessen Rueckkehr aus dem Orient erwartet wurde. Nun
trat freilich ein falscher Nero unmittelbar nach dem Tode des wirklichen auf und
wurde im Anfang des folgenden Jahres hingerichtet (Tac. hist. 2, 8. 9); aber an
diesen denkt Johannes nicht, da der recht genaue Bericht nicht, wie Johannes,
dabei der Parther erwaehnt, und fuer Johannes zwischen dem Sturze Neros und
seiner Rueckkehr ein betraechtlicher Zeitraum, auch die letztere noch in der
Zukunft liegt. Sein Nero ist derjenige, der unter Vespasian im Euphratgebiet
Anhang fand, den Koenig Artabanos unter Titus anerkannte und sich anschickte,
mit Heeresmacht in Rom wieder einzusetzen, und den endlich die Parther um das
Jahr 88 nach laengeren Verhandlungen an Domitian auslieferten. Auf diese
Vorgaenge passt die Apokalypse mit voelliger Genauigkeit. Andererseits kann in
einer Schrift dieses Schlages daraus, dass nach 11, 1, 2 nur der Vorhof, nicht
aber das Allerheiligste des Tempels von Jerusalem in die Gewalt der Heiden
gegeben ist, unmoeglich auf den damaligen Stand der Belagerung geschlossen
werden; hier ist im einzelnen alles Phantasmagorie und dies gewiss entweder
beliebig gegriffen oder, wenn man das vorzieht, angesponnen etwa an eine den
roemischen Soldaten, die nach der Zerstoerung in Jerusalem lagerten, gegebene
Order, das ehemalige Allerheiligste nicht zu betreten. Die Grundlage der
Apokalypse ist unbestritten die Zerstoerung des irdischen Jerusalem und die
dadurch erst gegebene Aussicht auf dessen dereinstige ideale Wiederherstellung;
unmoeglich laesst sich an die Stelle der erfolgten Schleifung der Stadt die
blosse Erwartung der Einnahme setzen. Wenn also es von den sieben Koepfen des
Drachen heisst: basileis epta eisin. oi pente epesan, o eis estin, o allos
o?p/o/ /e/lthen, kai otan elth/e/ oligon dei meinai (17, 10), so sind vermutlich
die fuenf Augustus, Tiberius, Gaius, Claudius, Nero, der sechste Vespasian, der
siebente unbestimmt; "das Tier, welches war und nicht ist, und selber der achte,
aber aus den sieben ist", ist natuerlich Nero. Der unbestimmte Siebente ist
ungeschickt, wie so vieles in dieser grandiosen, aber widerspruchsvollen und oft
sich uebel verwickelnden Phantasmagorie, ist aber hingesetzt, nicht, weil die
Siebenzahl gebraucht ward, die ja leicht durch Caesar zu gewinnen war, sondern
weil der Schreiber Bedenken trug, das kurze Regiment des letzten Herrschers und
dessen Sturz durch den rueckkehrenden Nero unmittelbar von dem regierenden
Kaiser auszusagen. Unmoeglich aber kann man, wie es nach anderen Renan tut, mit
Einrechnung Caesars in dem sechsten Kaiser, "welcher ist", Nero erkennen, der
gleich nachher bezeichnet wird als der, welcher "war und nicht ist", und in dem
siebenten, welcher "noch nicht gekommen ist und nicht lange herrschen wird",
sogar den nach Renans Ansicht zur Zeit herrschenden hochbejahrten Galba. Dass
dieser ueberhaupt so wenig, wie Otho und Vitellius, in eine solche Reihe
gehoert, leuchtet ein.
Aber wichtiger ist es, der gangbaren Auffassung entgegenzutreten, als
richte sich die Polemik gegen die Neronische Christenverfolgung und die
Belagerung oder die Zerstoerung Jerusalems, waehrend sie doch durchaus ihre
Spitze kehrt gegen das roemische Provinzialregiment ueberhaupt und insbesondere
den Kaiserkultus. Wenn von den sieben Kaisern Nero allein (mit seinem
Zahlenausdruck) genannt wird, so geschieht dies nicht, weil er der schlimmste
der sieben war, sondern weil die Nennung des regierenden Kaisers unter
Prophezeihung eines baldigen Endes seiner Regierung in einer publizierten
Schrift ihr Bedenkliches hatte und einige Ruecksicht gegen den einen "der ist"
sich auch fuer einen Propheten ziemt. Neros Name war preisgegeben, ueberdies die
Legende seiner Heilung und seiner Wiederkehr in aller Munde; dadurch ist er fuer
die Apokalypse der Repraesentant der roemischen Kaiserherrschaft und der
Antichrist geworden. Was das Untier des Meeres und sein Ebenbild und Werkzeug,
das Untier des Landes, verschulden, ist nicht die Vergewaltigung der Stadt
Jerusalem (11, 2), welche nicht als ihre Missetat erscheint, sondern vielmehr
als ein Stueck des Weltgerichts (wobei auch die Ruecksicht auf den regierenden
Kaiser im Spiel gewesen sein kann), sondern die goettliche Verehrung, welche die
Heiden dem Untier des Meeres zollen (13, 8: proskyn/e/soysin ayton pantes oi
katoiko?ntes epi t/e/s g/e/s) und welche das Untier des Landes - das darum auch
der Pseudoprophet heisst - fuer das des Meeres fordert und erzwingt (13, 12:
:poiei t/e/n g/e/n kai to?s kateyko?ntas en ayt/e/ ina proskyn/e/soysin to
th/e/rion to pr/o/ton, o? etherape?th/e/ /e/ pl/e/g/e/ t/e/s machair/e/s epi
t/e/s g/e/s); vor allem wird ihm vorgerueckt das Begehren, jenem ein Bild zu
machen (13, 14: leg/o/n tois katoiko?sin epi t/e/s g/e/s poi/e/sai ekonan t/o/
th/e/ri/o/ os echei t/e/n pl/e/g/e/n t/e/s machair/e/s kai ez/e/sen, vgl. 14, 9;
16, 2; 19, 20). Das ist deutlich teils das Kaiserregiment jenseits des Meeres,
teils die Statthalterschaft auf dem asiatischen Kontinent, nicht dieser oder
jener Provinz oder gar dieser oder jener Person, sondern die Kaiservertretung
ueberhaupt, wie die Provinzialen Asiens und Syriens sie kannten. Wenn Handel und
Wandel geknuepft erscheint an den Gebrauch des charagma des Untiers des Meeres
(13, 16, 17), so liegt der Abscheu gegen Bild und Schrift des Kaisergeldes
deutlich zugrunde, allerdings phantastisch umgestaltet, wie ja auch der Satanas
das Kaiserbildnis reden macht. Eben diese Statthalter erschienen nachher (17)
als die zehn Hoerner, welche dem Untier an seinem Abbild beigelegt werden, und
heissen hier ganz richtig die "zehn Koenige, welche die Koenigswuerde nicht
haben, aber Macht wie die Koenige"; mit der Zahl, die aus der Vision Daniels
uebernommen ist, darf man es freilich nicht genau nehmen. Bei den Blutgerichten,
die ueber die Gerechten ergangen sind, denkt Johannes an die regulaere Justiz
wegen verweigerter Anbetung des Kaiserbildes, wie die Briefe des Plinius sie
schildern (13, 15: poi/e/s/e/ ina osoi ean m/e/ proskyn/e/s/o/sin t/e/n eikona
to? th/e/rioy apoktanth/o/sin; vgl. 6, 9; 20, 4). Wenn hervorgehoben wird, dass
diese Blutgerichte besonders haeufig in Rom vollzogen wurden (17, 6; 18, 24), so
ist damit die Vollstreckung der Verurteilung zum Fecht- oder zum Tierkampf
gemeint, welche am Gerichtsort oft nicht stattfinden konnte und bekanntlich
vorzugsweise eben in Rom erfolgte (Mod. dig. 48, 19, 31); die Neronischen
Hinrichtungen wegen angeblicher Brandstiftung gehoeren formell nicht einmal zu
den Religionsprozessen, und nur Voreingenommenheit kann das in Rom vergossene
Maertyrerblut, von dem Johannes spricht, auf diese Vorgaenge ausschliesslich
oder vorzugsweise beziehen. Die gangbaren Vorstellungen von den sogenannten
Christenverfolgungen leiden unter der mangelhaften Anschauung der im Roemischen
Reich bestehenden Rechtsnorm und Rechtspraxis; in der Tat war die Verfolgung der
Christen stehend wie die der Raeuber, und kamen nur diese Bestimmungen bald
milder oder auch nachlaessiger, bald schaerfer zur Anwendung, wurden auch wohl
einmal von oben herab besonders eingeschaerft. Den "Krieg gegen die Heiligen"
haben erst die Spaeteren, denen Johannes' Worte nicht genuegten,
hineininterpoliert (13, 7). Die Apokalypse ist ein merkwuerdiges Zeugnis des
nationalen und religioesen Hasses der Juden gegen das okzidentalische Regiment;
aber man verschiebt und verflacht die Tatsachen, wenn man, wie dies namentlich
Renan tut, den Neronischen Schauerroman mit diesen Farben illustriert. Der
juedische Volkshass wartete, um zu entstehen, nicht auf die Eroberung von
Jerusalem und machte, wie billig, keinen Unterschied zwischen dem guten und dem
schlechten Caesar; sein Antimessias heisst wohl Nero, aber nicht minder
Vespasianus oder Marcus.
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Die Regierung des Claudius lenkte nach beiden Seiten hin in die Bahnen des
Tiberius ein. In Italien wiederholte sich zwar nicht gerade die Ausweisung der
Juden, da man von der Undurchfuehrbarkeit dieser Massregel sich ueberzeugen
musste, aber doch das Verbot der gemeinschaftlichen Ausuebung ihres Kultus ^20,
was freilich ungefaehr auf dasselbe hinaus und wohl ebensowenig zur
Durchfuehrung kam. Neben diesem Intoleranzedikt wurden im entgegengesetzten Sinn
durch eine das ganze Reich umfassende Verfuegung die Juden von denjenigen
oeffentlichen Verpflichtungen befreit, welche mit ihren religioesen
Ueberzeugungen sich nicht vertrugen, womit namentlich hinsichtlich des
Kriegsdienstes wohl nur nachgegeben ward, was auch bisher schon nicht hatte
erzwungen werden koennen. Die in diesem Erlass am Schluss ausgesprochene Mahnung
an die Juden, nun auch ihrerseits groessere Maessigung zu beobachten und sich
der Beschimpfung Andersglaeubiger zu enthalten, zeigt, dass es auch von
juedischer Seite an Ausschreitungen nicht gefehlt hatte. In Aegypten wie in
Palaestina wurden die religioesen Ordnungen wenigstens im ganzen so, wie sie vor
Gaius bestanden hatten, wiederum hergestellt, wenn auch in Alexandreia die Juden
schwerlich alles, was sie besessen hatten, zurueck erhielten ^21; die
aufstaendischen Bewegungen, die dort wie hier ausgebrochen oder doch im
Ausbrechen waren, verschwanden damit von selbst. In Palaestina ging Claudius
sogar ueber das System des Tiberius hinaus und ueberwies wieder das ganze
ehemalige Gebiet des Herodes einem einheimischen Fuersten, eben jenem Agrippa,
der zufaellig auch mit Claudius befreundet und bei den Krisen seines Antritts
ihm nuetzlich geworden war. Es war sicher Claudius' Absicht, das zur Zeit des
Herodes befolgte System wieder aufzunehmen und die Gefahren der unmittelbaren
Beruehrung zwischen Roemern und Juden zu beseitigen. Aber Agrippa, leichtlebig
und auch als Fuerst in steter Finanzbedraengnis, uebrigens gutmuetig und mehr
darauf bedacht, es seinen Untertanen als dem fernen Schutzherrn recht zu machen,
gab mehrfach bei der Regierung Anstoss, zum Beispiel durch die Verstaerkung der
Mauern von Jerusalem, deren Weiterfuehrung ihm untersagt ward; und die mit den
Roemern haltenden Staedte Caesarea und Sebaste sowie die roemisch organisierten
Truppen waren ihm abgeneigt. Als er frueh und ploetzlich im Jahre 44 starb,
erschien es bedenklich, die politisch wie militaerisch wichtige Stellung seinem
einzigen, siebzehnjaehrigen Sohn zu uebertragen, und die eintraeglichen
Prokurationen aus der Hand zu geben, entschlossen die Maechtigen des Kabinetts
sich auch nicht gern. Die Claudische Regierung hatte hier, wie anderswo, das
Richtige gefunden, aber nicht die Energie, dasselbe von Nebenruecksichten
absehend durchzufuehren. Ein juedischer Fuerst mit juedischen Soldaten konnte
das Regiment in Judaea fuer die Roemer handhaben; der roemische Beamte und die
roemischen Soldaten verletzten wahrscheinlich noch oefter durch Unkunde der
juedischen Anschauungen als durch absichtliches Zuwiderhandeln, und was sie
immer beginnen mochten, von ihnen war es den Glaeubigen ein Aergernis und der
gleichgueltigste Vorgang ein Religionsfrevel. Die Forderung, sich gegenseitig zu
verstehen und zu vertragen, war nach beiden Seiten hin ebenso gerechtfertigt an
sich wie die Ausfuehrung unmoeglich. Vor allen Dingen aber war ein Konflikt
zwischen dem juedischen Landesherrn und seinen Untertanen fuer das Reich
ziemlich indifferent; jeder Konflikt zwischen den Roemern und den Juden in
Jerusalem erweiterte den Abgrund, der sich zwischen den Voelkern des Okzidents
und den mit ihnen zusammenlebenden Hebraeern auftat; und nicht in den Haendeln
Palaestinas, sondern in der Unvertraeglichkeit der vom Schicksal nun doch einmal
zusammengekoppelten Reichsgenossen verschiedener Nationalitaet lag die Gefahr.
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^20 Dass Suetonius (Claud. 25) als Anstifter der bestaendigen Unruhen in
Rom, die diese Massregel (nach ihm die Ausweisung aus Rom; im Gegensatz zu Dio
60, 6) zunaechst hervorgerufen haetten, einen gewissen Chrestus nennt, ist
aufgefasst worden als Missverstaendnis der durch Christus unter Juden und
Judengenossen hervorgerufenen Bewegung, ohne zureichenden Grund. Die
Apostelgeschichte (18, 2) spricht nur von Ausweisung der Juden. Allerdings ist
es nicht zu bezweifeln dass bei der damaligen Stellung der Christen zum Judentum
auch sie unter das Edikt fielen.
^21 Wenigstens scheinen die Juden daselbst spaeter nur das vierte der fuenf
Stadtquartiere in Besitz gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 2, 18, 8). Auch wuerden
wohl, wenn die geschleiften 400 Haeuser ihnen in so eklatanter Weise wieder
zurueckgegeben worden waeren, die alle den Juden erwiesenen kaiserlichen
Beguenstigungen betonenden juedischen Schriftsteller Philon und Josephus
darueber nicht schweigen.
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So trieb das Schiff unaufhaltsam in den Strudel hinein. Bei dieser
unseligen Fahrt halfen alle Beteiligten, die roemische Regierung und ihre
Verwalter, die juedischen Behoerden und das juedische Volk. Die erstere bewies
freilich fortwaehrend den Willen, allen billigen und unbilligen Anspruechen der
Juden so weit wie moeglich entgegenzukommen. Als im Jahre 44 der Prokurator
wieder in Jerusalem eintraf, wurde die Ernennung des Hohenpriesters und die
Verwaltung des Tempelschatzes, die mit dem Koenigtum und insofern auch mit der
Prokuratur verbunden waren, ihm abgenommen und einem Bruder des verstorbenen
Koenigs Agrippa, dem Koenig Herodes von Chalkis, sowie nach dessen Tode im Jahre
48 seinem Nachfolger, dem schon genannten juengeren Agrippa, uebertragen. Einen
roemischen Soldaten, der bei der befohlenen Pluenderung eines juedischen Dorfes
eine Thorarolle zerrissen hatte, liess der roemische Oberbeamte auf die Klage
der Juden hin hinrichten. Selbst die hoeheren Beamten traf nach Umstaenden die
ganze Schwere der roemischen Kaiserjustiz; als zwei nebeneinander fungierende
Prokuratoren bei dem Hader der Samariter und der Galilaeer sich fuer und wider
beteiligt und ihre Soldaten gegeneinander gefochten hatten, wurde der
kaiserliche Statthalter von Syrien, Ummidius Quadratus, mit ausserordentlicher
Vollmacht nach Palaestina geschickt, um zu strafen und zu richten, und in der
Tat der eine der Schuldigen in die Verbannung gesandt, ein roemischer
Kriegstribun namens Celer in Jerusalem selbst oeffentlich enthauptet. Aber neben
diesen Exempeln der Strenge stehen andere der mitschuldigen Schwaeche; in eben
diesem Prozess entging der zweite mindestens ebenso schuldige Prokurator
Antonius Felix der Bestrafung, weil er der Bruder des maechtigen Bedienten
Pallas war und der Gemahl der Schwester des Koenigs Agrippa. Mehr noch als die
Amtsmissbraeuche einzelner Verwalter muss es der Regierung zur Last gelegt
werden, dass sie die Beamtenmacht und die Truppenzahl in einer so beschaffenen
Provinz nicht verstaerkte und fortfuhr, die Besatzung fast ausschliesslich aus
der Provinz zu rekrutieren. Unbedeutend wie die Provinz war, war es eine arge
Kopflosigkeit und eine uebel angebrachte Sparsamkeit, sie nach der hergebrachten
Schablone zu behandeln; rechtzeitige Entfaltung einer erdrueckenden Uebermacht
und unnachsichtige Strenge, ein Statthalter hoeheren Ranges und ein Legionslager
haetten der Provinz wie dem Reiche grosse Opfer an Geld und Blut und Ehre
erspart.
Aber mindestens nicht geringer ist die Schuld der Juden. Das
Hohenpriesterregiment, so weit es reichte - und die Regierung war nur zu
geneigt, in allen inneren Angelegenheiten ihm freie Hand zu lassen -, ist, auch
nach den juedischen Berichten, zu keiner Zeit so gewalttaetig und nichtswuerdig
gefuehrt worden wie in der von Agrippas Tod bis zum Ausbruch des Krieges. Der
bekannteste und einflussreichste dieser Priesterherrscher ist Ananias, des
Nebedaeus Sohn, die "uebertuenchte Wand", wie Paulus ihn nannte, als dieser
geistliche Richter seine Schergen ihn auf den Mund schlagen hiess, weil er sich
vor dem Gericht zu verteidigen wagte. Es wird ihm zur Last gelegt, dass er den
Statthalter bestach und dass er durch entsprechende Interpretation der Schrift
den niedrigen Geistlichen die Zehntgarben entfremdete ^22. Als einer der
Hauptanstifter des Krieges zwischen den Samaritern und den Galilaeern hat er vor
dem roemischen Richter gestanden. Nicht weil die ruecksichtslosen Fanatiker in
den herrschenden Kreisen ueberwogen, sondern weil diesen Anzettlern der
Volksauflaeufe und Anordnern der Ketzergerichte die moralische und religioese
Autoritaet abging, wodurch die Gemaessigten in besseren Zeiten die Menge gelenkt
hatten, und weil sie die Nachgiebigkeit der roemischen Behoerden in den inneren
Angelegenheiten missverstanden und missbrauchten, vermochten sie es nicht,
zwischen der Fremdherrschaft und der Nation in friedlichem Sinn zu vermitteln.
Eben unter ihrem Schalten wurden die roemischen Behoerden mit den wildesten und
unvernuenftigsten Forderungen bestuermt und kam es zu Volksbewegungen von
grausiger Laecherlichkeit. Der Art ist jene Sturmpetition, welche das Blut eines
roemischen Soldaten wegen einer zerrissenen Gesetzrolle verlangte und erhielt.
Ein anderes Mal entstand ein Volksauflauf, der vielen Menschen das Leben
kostete, weil ein roemischer Soldat dem Tempel einen Koerperteil in
unschicklicher Entbloessung gezeigt hatte. Auch der beste der Koenige haette
dergleichen Wahnwitz nicht unbedingt abwenden koennen; aber selbst der geringste
Fuerst wuerde der fanatischen Menge nicht so voellig steuerlos
gegenuebergestanden haben, wie diese Priester.
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^22 Es handelte sich, wie es scheint, darum, ob die Gabe der zehnten Garbe
an Aaron den Priester (Num. 18, 28), dem Priester ueberhaupt oder dem
Hohenpriester zukomme (H. Ewald; Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl.
Goettingen 1864-68. Bd. 6, S. 635).
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Das eigentliche Ergebnis war das stetige Anschwellen der neuen Makkabaeer.
Man hat sich gewoehnt, den Ausbruch des Krieges in das Jahr 66 zu setzen; mit
gleichem und vielleicht besserem Recht koennte man dafuer das Jahr 44 nennen.
Seit dem Tode Agrippas haben die Waffen in Judaea nicht geruht, und neben den
oertlichen Fehden, die Juden und Juden miteinander ausfechten, geht bestaendig
der Krieg her der roemischen Truppen gegen die ausgetretenen Leute in den
Gebirgen, die Eifrigen, wie die Juden sie nannten, nach roemischer Bezeichnung
die Raeuber. Die Benennungen trafen beide zu; auch hier spielten neben den
Fanatikern die verkommenen oder verkommenden Elemente der Gesellschaft ihre
Rolle - war es doch nach dem Sieg einer der ersten Schritte der Zeloten, die im
Tempel bewahrten Schuldbriefe zu verbrennen. Jeder der tuechtigeren
Prokuratoren, von dem ersten Cuspius Fadus an, saeubert von ihnen das Land, und
immer ist die Hydra gewaltiger wieder da. Fadus' Nachfolger Tiberius Julius
Alexander, selbst einer juedischen Familie entsprossen, ein Neffe des oben
genannten alexandrinischen Gelehrten Philon, liess zwei Soehne Judas' des
Galilaeers, Jakob und Simon, an das Kreuz schlagen; das war der Same des neuen
Mattathias. Auf den Gassen der Staedte predigten die Patrioten laut den Krieg,
und nicht wenige folgten in die Wueste; den Friedfertigen aber und
Verstaendigen, die sich weigerten mitzutun, zuendeten diese Banden die Haeuser
an. Griffen die Soldaten dergleichen Banditen auf, so fuehrten sie wieder
angesehene Leute als Geiseln in die Berge; und sehr oft verstand die Behoerde
sich dazu, jene zu entlassen, um diese zu befreien. Gleichzeitig begannen in der
Hauptstadt die "Messermaenner" ihr unheimliches Handwerk; sie mordeten wohl auch
um Geld - als ihr erstes Opfer wird der Priester Jonathan genannt, als ihr
Auftraggeber dabei der roemische Prokurator Felix -, aber womoeglich zugleich
als Patrioten roemische Soldaten oder roemisch gesinnte Landsleute. Wie haetten
bei diesen Stimmungen die Wunder und Zeichen ausbleiben sollen und diejenigen,
die betrogen oder betruegend die Massen damit fanatisierten? Unter Cuspius Fadus
fuehrte der Wundermann Theudas seine Getreuen dem Jordan zu, versichernd, dass
die Wasser vor ihnen sich spalten wuerden und die nachsetzenden roemischen
Reiter verschlingen, wie zu den Zeiten des Koenigs Pharao. Unter Felix verhiess
ein anderer Wundertaeter, nach seiner Heimat der Aegypter genannt, dass die
Mauern Jerusalems einstuerzen wuerden, wie auf Josuas Posaunenstoss die von
Jericho; und daraufhin folgten ihm 4000 Messermaenner bis auf den Oelberg. Eben
in der Unvernunft lag die Gefahr. Die grosse Masse der juedischen Bevoelkerung
waren kleine Bauern, die im Schweisse ihres Angesichts ihre Felder pfluegten und
ihr Oel pressten, mehr Dorfleute als Staedter, von geringer Bildung und
gewaltigem Glauben, eng verwachsen mit den Freischaren in den Gebirgen und voll
Ehrfurcht vor Jehova und seinen Priestern in Jerusalem wie voll Abscheu gegen
die unreinen Fremden. Der Krieg war da, nicht ein Krieg zwischen Macht und Macht
um die Uebergewalt, nicht einmal eigentlich ein Krieg der Unterdrueckten gegen
die Unterdruecker um Wiedergewinnung der Freiheit; nicht verwegene Staatsmaenner
^23, fanatische Bauern haben ihn begonnen und gefuehrt und mit ihrem Blute
bezahlt. Es ist eine weitere Etappe in der Geschichte des nationalen Hasses; auf
beiden Seiten schien das fernere Zusammenleben unmoeglich und begegnete man sich
in dem Gedanken der gegenseitigen Ausrottung.
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^23 Es ist nichts als eitel Schwindel, wenn der Staatsmann Josephus in der
Vorrede zu seiner Geschichte des Krieges so tut, als haetten die Juden
Palaestinas einerseits auf die Erhebung der Euphratlaender, andererseits auf die
Unruhen in Gallien und die drohende Haltung der Germanen und auf die Krisen des
Vierkaiserjahres gerechnet. Der Juedische Krieg war laengst in vollem Gange, als
Vindex gegen Nero auftrat und die Druiden wirklich taten, was hier den Rabbis
beigelegt wird; und wieviel auch die juedische Diaspora in den Euphratlaendern
bedeutete, eine juedische Expedition von dort gegen die Roemer des Ostens war
ungefaehr ebenso undenkbar wie aus Aegypten und Kleinasien. Es sind wohl einige
Freischaerler von da gekommen, wie zum Beispiel einige Fuerstensoehne des eifrig
juedischen Koenigshauses von Adiabene (Ios. bel. Iud. 2, 19, 2; 6, 6, 4) und von
den Insurgenten Bittgesandtschaften dorthin gegangen (das. 6, 6, 2); aber selbst
Geld ist von daher den Juden schwerlich in bedeutendem Umfang zugeflossen. Dies
charakterisiert den Verfasser mehr als den Krieg. Wenn es begreiflich ist, dass
der juedische Insurgentenfuehrer und spaetere Hofmann der Flavier sich gern den
in Rom internierten Parthern gleichstellte so ist es weniger zu entschuldigen,
dass die neuere Geschichtschreibung aehnliche Wege wandelt und, indem sie diese
Vorgaenge als Bestandteile der roemischen Hof- und Stadtgeschichte oder auch der
roemisch-parthischen Haendel aufzufassen bemueht ist, durch dieses stumpfe
Hineinziehen der sogenannten grossen Politik die furchtbare Notwendigkeit dieser
tragischen Entwicklung verdunkelt.
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Die Bewegung, durch welche die Auflaeufe zum Krieg wurden, ging von
Caesarea aus. In dieser urspruenglich griechischen, dann von Herodes nach dem
Muster der Alexanderkolonien umgeschaffenen und zur ersten Hafenstadt
Palaestinas entwickelten Stadtgemeinde wohnten Griechen und Juden, ohne
Unterschied der Nation und der Konfession buergerlich gleichberechtigt, die
letzteren an Zahl und Besitz ueberlegen. Aber die Hellenen daselbst, nach dem
Muster der Alexandriner und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck der
Vorgaenge des Jahres 38, bestritten im Wege der Beschwerde bei der obersten
Stelle den juedischen Gemeindegenossen das Buergerrecht. Der Minister Neros ^24,
Burrus (+ 62), gab ihnen Recht. Es war arg, in einer auf juedischem Boden und
von einer juedischen Regierung geschaffenen Stadt das Buergerrecht zum
Privilegium der Hellenen zu machen; aber es darf nicht vergessen werden, wie
sich die Juden gegen die Roemer eben damals verhielten, und wie nahe sie es den
Roemern legten, die roemische Hauptstadt und das roemische Hauptquartier der
Provinz in eine rein hellenische Stadtgemeinde umzuwandeln. Die Entscheidung
fuehrte, wie begreiflich, zu heftigen Strassentumulten, wobei hellenischer Hohn
und juedischer Uebermut namentlich in dem Kampf um den Zugang zur Synagoge sich
ungefaehr die Waage gehalten zu haben scheinen; die roemischen Behoerden griffen
ein, selbstverstaendlich zu Ungunsten der Juden. Diese verliessen die Stadt,
wurden aber von dem Statthalter genoetigt zurueckzukehren und dann in einem
Strassenauflauf saemtlich erschlagen (6. August 66). Dies hatte die Regierung
allerdings nicht befohlen und sicher auch nicht gewollt; es waren Maechte
entfesselt, denen sie selbst nicht mehr zu gebieten vermochte.
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^24 Josephus (ant. Iud. 20, 8, 9) macht ihn freilich zum Sekretaer Neros
fuer die griechische Korrespondenz, obwohl er ihn, wo er roemischen Quellen
folgt (20, 8, 2), richtig als Praefekten bezeichnet; aber sicher ist derselbe
gemeint. Paidag/o/gos heisst er bei ihm wie bei Tac. ann. 13, 2 rector
imperatoriae iuventae.
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Wenn hier die Judenfeinde die Angreifenden waren, so waren dies in
Jerusalem die Juden. Allerdings versichern deren Vertreter in der Erzaehlung
dieser Vorgaenge, dass der derzeitige Prokurator von Palaestina, Gessius Florus,
um der Anklage wegen seiner Missverwaltung zu entgehen, durch das Uebermass der
Peinigung eine Insurrektion habe hervorrufen wollen; und es ist kein Zweifel,
dass die damaligen Statthalter in Nichtswuerdigkeit und Bedrueckung das uebliche
Mass betraechtlich ueberschritten. Aber wenn Florus einen solchen Plan in der
Tat verfolgt hat, so misslang er. Denn nach eben diesen Berichten
beschwichtigten die Besonnenen und Besitzenden unter den Juden und mit ihnen der
mit dem Tempelregiment betraute und eben damals in Jerusalem anwesende Koenig
Agrippa II. - er hatte inzwischen die Herrschaft von Chalkis mit derjenigen von
Batanaea vertauscht -, die Massen insoweit, dass die Zusammenrottungen und das
Einschreiten dagegen sich innerhalb des seit Jahren landesueblichen Masses
hielten. Aber gefaehrlicher als der Strassenunfug und die Raeuberpatrioten der
Gebirge waren die Fortschritte der juedischen Theologie. Das fruehere Judentum
hatte in liberaler Weise den Fremden die Pforten seines Glaubens geoeffnet; es
wurden zwar in den inneren Tempel nur die eigentlichen Religionsgenossen, aber
als Proselyten des Tores in die aeusseren Hallen jeder ohne weiteres zugelassen
und auch dem Nichtjuden gestattet, hier zum Herrn Jehova seinerseits zu beten
und Opfer darzubringen. So wurde, wie schon erwaehnt ward, auf Grund einer
Stiftung des Augustus taeglich daselbst fuer den roemischen Kaiser geopfert.
Diese Opfer von Nichtjuden untersagte der derzeitige Tempelmeister, des oben
genannten Erzpriesters Ananias Sohn Eleazar, ein junger, vornehmer,
leidenschaftlicher Mann, persoenlich unbescholten und brav und insofern der
volle Gegensatz seines Vaters, aber durch seine Tugenden gefaehrlicher als
dieser durch seine Laster. Vergeblich wies man ihm nach, dass dies ebenso
beleidigend fuer die Roemer wie gefaehrlich fuer das Land und dem Herkommen
schlechterdings zuwider sei; es blieb bei der verbesserten Froemmigkeit und der
Ausschliessung des Landesherrn vom Gottesdienst. Seit langem hatte das glaeubige
Judentum sich gespalten in diejenigen, die ihr Vertrauen auf den Herrn Zebaoth
allein setzten und die Roemerherrschaft ertrugen, bis es ihm gefallen werde, das
Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, und in die praktischeren Maenner, welche
dieses Himmelreich mit eigener Hand zu begruenden entschlossen waren und des
Beistandes des Herrn der Heerscharen bei dem frommen Werke sich versichert
hielten, oder, mit den Schlagwoertern, in die Pharisaeer und die Zeloten. Die
Zahl und das Ansehen der letzteren war in bestaendigem Steigen. Es wurde ein
alter Spruch entdeckt, dass um diese Zeit ein Mann von Judaea ausgehen werde und
die Weltherrschaft gewinnen; man glaubte das um so eher, weil es so sehr absurd
war und das Orakel trug nicht wenig dazu bei, die Massen weiter zu fanatisieren.
Die gemaessigte Partei erkannte die Gefahr und entschloss sich, die
Fanatiker mit Gewalt niederzuschlagen; sie bat um Truppen bei den Roemern in
Caesarea und bei Koenig Agrippa. Von dort kam keine Unterstuetzung; Agrippa
sandte eine Anzahl Reiter. Dagegen stroemten die Patrioten und die Messermaenner
in die Stadt, unter ihnen der wildeste, Manahem, auch einer der Soehne des oft
genannten Judas von Galilaea. Sie waren die Staerkeren und bald Herren in der
Stadt. Auch die Handvoll roemischer Soldaten, welche die an den Tempel
anstossende Burg besetzt hielten, wurde rasch ueberwaeltigt und niedergemacht.
Der benachbarte Koenigspalast, mit den dazugehoerigen gewaltigen Tuermen, wo der
Anhang der Gemaessigten, eine Anzahl Roemer unter dem Tribunen Metilius und die
Soldaten des Agrippa lagen, hielt ebensowenig stand. Den letzteren wurde auf ihr
Verlangen zu kapitulieren der freie Abzug bewilligt, den Roemern aber
verweigert; als sie sich endlich gegen Zusicherung des Lebens ergaben, wurden
sie erst entwaffnet und dann niedergemacht mit einziger Ausnahme des Offiziers,
der sich beschneiden zu lassen versprach und so als Jude begnadigt ward. Auch
die Fuehrer der Gemaessigten, unter ihnen der Vater und der Bruder Eleazars,
wurden die Opfer der Volkswut, die den Roemergenossen noch grimmiger grollte als
den Roemern. Eleazar selbst erschrak vor seinem Siege; zwischen den beiden
Fuehrern der Fanatiker, ihm und Manahem, kam es nach dem Sieg, vielleicht wegen
der gebrochenen Kapitulation, zum blutigen Handgemenge; Manahem wurde gefangen
und hingerichtet. Aber die heilige Stadt war frei und das in Jerusalem lagernde
roemische Detachement vernichtet; die neuen Makkabaeer hatten gesiegt wie die
alten.
So hatten, angeblich am selben Tag, dem 6. August 66, die Nichtjuden in
Caesarea die Juden, die Juden in Jerusalem die Nichtjuden niedergemetzelt; und
damit war nach beiden Seiten hin das Signal gegeben, in diesem patriotischen und
gottgefaelligen Werke fortzufahren. In den benachbarten griechischen Staedten
entledigten sich die Hellenen der Judenschaften nach dem Muster von Caesarea.
Beispielsweise wurden in Damaskos saemtliche Juden zunaechst ins Gymnasium
gesperrt und auf die Kunde von einem Misserfolg der roemischen Waffen
vorsichtigerweise saemtlich umgebracht. Gleiches oder aehnliches geschah in
Askalon, in Skytopolis, Hippos, Gadara, ueberall, wo die Hellenen die Staerkeren
waren. In dem ueberwiegend von Syrern bewohnten Gebiet des Koenigs Agrippa
rettete dessen energisches Dazwischentreten den Juden von Caesarea Paneas und
sonst das Leben. In Syrien folgten Ptolemais, Tyros und mehr oder minder die
uebrigen griechischen Gemeinden; nur die beiden groessten und zivilisiertesten
Staedte Antiocheia und Apameia sowie Sidon schlossen sich aus. Dem ist es wohl
zu verdanken, dass diese Bewegung sich nicht nach Vorderasien fortpflanzte. In
Aegypten kam es nicht bloss zu einem Volksauflauf, der zahlreiche Opfer
forderte, sondern die alexandrinischen Legionen selbst mussten auf die Juden
einhauen. Im notwendigen Rueckschlag dieser Judenvesper ergriff die in Jerusalem
siegreiche Insurrektion sofort ganz Judaea und organisierte sich ueberall unter
aehnlicher Misshandlung der Minoritaeten, uebrigens aber mit Raschheit und
Energie.
Es war notwendig, schleunigst einzuschreiten und die weitere Ausbreitung
des Brandes zu verhindern; auf die erste Kunde marschierte der roemische
Statthalter von Syrien, Gaius Cestius Gallus, mit seinen Truppen gegen die
Insurgenten. Er fuehrte etwa 20000 Mann roemischer Soldaten und 13000 der
Klientelstaaten heran, ungerechnet die zahlreichen syrischen Milizen, nahm Joppe
ein, dessen ganze Buergerschaft niedergemacht ward, und stand schon im September
vor, ja in Jerusalem selbst. Aber die gewaltigen Mauern des Koenigspalastes und
des Tempels vermochte er nicht zu brechen und nutzte ebensowenig die mehrfach
gebotene Gelegenheit, durch die gemaessigte Partei in den Besitz der Stadt zu
gelangen. Ob nun die Aufgabe unloesbar oder er ihr nicht gewachsen war, er gab
bald die Belagerung auf und erkaufte sogar den beschleunigten Rueckzug mit der
Aufopferung seines Gepaecks und seiner Nachhut. Zunaechst blieb also oder kam
Judaea mit Einschluss von Idumaea und Galilaea in die Hand der erbitterten
Juden; auch die samaritanische Landschaft ward zum Anschluss genoetigt. Die
ueberwiegend hellenischen Kuestenstaedte Anthedon und Gaza wurden zerstoert,
Caesarea und die anderen Griechenstaedte mit Muehe behauptet. Wenn der Aufstand
nicht ueber die Grenzen Palaestinas hinausging, so war daran nicht bloss die
Regierung Schuld, sondern die nationale Abneigung der Syrohellenen gegen die
Juden.
Die Regierung in Rom nahm die Dinge ernst, wie sie es waren. Anstatt des
Prokurators wurde ein kaiserlicher Legat nach Palaestina gesandt, Titus Flavius
Vespasianus, ein besonnener Mann und ein erprobter Soldat. Er erhielt fuer die
Kriegfuehrung zwei Legionen des Westens, welche infolge des Parthischen Krieges
sich zufaellig noch in Asien befanden, und diejenige syrische, die bei der
ungluecklichen Expedition des Cestius am wenigsten gelitten hatte, waehrend die
syrische Armee unter dem neuen Statthalter Gaius Licinius Mucianus - Gallus war
rechtzeitig gestorben - durch Zuteilung einer anderen Legion auf dem Stande
blieb, den sie vorher hatte ^25. Zu diesen Buergertruppen und deren Auxilien kam
die bisherige Besatzung von Palaestina, endlich die Mannschaften der vier
Klientelkoenige der Kommagener, der Hemesener, der Juden und der Nabataeer,
zusammen etwa 50000 Mann, darunter 15000 Koenigssoldaten ^26. Im Fruehling des
Jahres 67 wurde dieses Heer bei Ptolemais zusammengezogen und rueckte in
Palaestina ein. Nachdem die Insurgenten von der schwachen roemischen Besatzung
der Stadt Askalon nachdruecklich abgewiesen waren, hatten sie nicht weiter die
Staedte angegriffen, die es mit den Roemern hielten; die Hoffnungslosigkeit,
welche die ganze Bewegung durchdringt, drueckt sich aus in dem sofortigen
Verzicht auf jede Offensive. Als dann die Roemer zum Angriff uebergingen, traten
sie ihnen gleichfalls nirgends im offenen Felde entgegen, ja sie machten nicht
einmal Versuche, den einzelnen angegriffenen Plaetzen Entsatz zu bringen.
Allerdings teilte auch der vorsichtige Feldherr der Roemer seine Truppen nicht,
sondern hielt wenigstens die drei Legionen durchaus zusammen. Dennoch war, da in
den meisten einzelnen Ortschaften die oft wohl nur kleine Zahl der Fanatiker die
Buergerschaften terrorisierte, der Widerstand hartnaeckig und die roemische
Kriegfuehrung weder glaenzend noch rasch. Vespasian verwendete den ganzen ersten
Feldzug (67) darauf, die Festungen der kleinen Landschaft Galilaea und die
Kueste bis nach Askalon in seine Gewalt zu bringen; allein vor dem Staedtchen
Jotapata lagerten die drei Legionen fuenfundvierzig Tage. Den Winter 67/68 lag
eine Legion in Skytopolis an der Suedgrenze von Galilaea, die beiden anderen in
Caesarea. Inzwischen waren in Jerusalem die verschiedenen Faktionen
aneinandergeraten und lagen im heftigsten Kampf; die guten Patrioten, die
zugleich fuer buergerliche Ordnung waren, und die noch besseren, welche das
Schreckensregiment teils in fanatischer Spannung, teils in Gesindellust
herbeifuehren und ausnutzen wollten, schlugen sich in den Gassen der Stadt und
waren nur darin einig, dass jeder Versuch der Versoehnung mit den Roemern ein
todeswuerdiges Verbrechen sei. Der roemische Feldherr, vielfach aufgefordert,
diese Zerruettung zu benutzen, blieb dabei, nur schrittweise vorzugehen. Im
zweiten Kriegsjahr liess er zunaechst das transjordanische Gebiet, namentlich
die wichtigen Staedte Gadara und Gerasa besetzen und setzte sich dann bei Emmaus
und Jericho, von wo aus er im Sueden Idumaea, im Norden Samaria okkupieren
liess, so dass Jerusalem im Sommer des Jahres 68 von allen Seiten umstellt war.
Die Belagerung sollte eben beginnen, als die Nachricht von dem Tode Neros
eintraf. Damit war von Rechts wegen das dem Legaten erteilte Mandat erloschen
und Vespasian stellte in der Tat, politisch nicht minder vorsichtig wie
militaerisch, bis auf neue Verhaltungsbefehle die Operationen ein. Bevor diese
von Galba eintrafen, war die gute Jahreszeit zu Ende. Als das Fruehjahr 69
herankam, war Galba gestuerzt und schwebte die Entscheidung zwischen dem Kaiser
der roemischen Leibgarde und dem der Rheinarmee. Erst nach Vitellius' Sieg, im
Juni 69, nahm Vespasian die Operationen wieder auf und besetzte Hebron; aber
sehr bald kuendigten die saemtlichen Heere des Ostens jenem die Treue auf und
riefen den bisherigen Legaten von Judaea zum Kaiser aus. Den Juden gegenueber
wurden zwar die Stellungen bei Emmaus und Jericho behauptet, allein wie die
germanischen Legionen den Rhein entbloesst hatten, um ihren Feldherrn zum Kaiser
zu machen, so ging auch der Kern der Armee von Palaestina teils mit dem Legaten
von Syrien, Mucianus, nach Italien ab, teils mit dem neuen Kaiser und dessen
Sohn Titus nach Syrien und weiter nach Aegypten, und erst, nachdem Ende 69 der
Sukzessionskrieg beendigt und Vespasians Herrschaft im ganzen Reiche anerkannt
war, beauftragte dieser seinen Sohn mit der Beendigung des Juedischen Krieges.
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^25 Wie die Besatzungsverhaeltnisse in Syrien geordnet worden sind, nachdem
im Jahre 63 der Parthische Krieg beendigt war, ist nicht voellig klar. Am Ende
desselben standen sieben Legionen im Orient, die vier urspruenglich syrischen 3.
Gallica, 6. Ferrata, 10. Fretensis, 12. Fulminata und drei aus dem Okzident
herangefuehrte, die 4. Scythica aus Moesien, die 5. Macedonica wahrscheinlich
ebendaher (wofuer wohl eine obergermanische Legion nach Moesien ging, die 15.
Apollinaris aus Pannonien. Da ausser Syrien damals keine asiatische Provinz mit
Legionen belegt war und der Statthalter von Syrien gewiss in Friedenszeiten nie
mehr als vier Legionen gehabt hat, so ist das syrische Heer ohne Zweifel damals
auch auf diesen Stand zurueckgefuehrt worden oder hat doch darauf
zurueckgefuehrt werden sollen. Die vier Legionen, die danach in Syrien bleiben
sollten, waren, wie dies ja auch am naechsten liegt, die vier alten syrischen;
denn die 3. war im Jahre 70 eben von Syrien nach Moesien marschiert (Suet. Vesp.
6; Tac. hist. 2, 74) und dass die 6., 10., 12. zum Heere des Cestius gehoerten,
folgt aus Ios. bel. Iud. 2, 18, 9; 19, 7; 7, 1, 3. Als dann der Juedische Krieg
ausbrach, wurden wieder sieben Legionen fuer Asien bestimmt und zwar vier fuer
Syrien (Tac. hist. 1, 10), drei fuer Palaestina; die drei hinzutretenden
Legionen sind eben die fuer den Parthischen Krieg verwendeten, die 4., 5., 15.,
welche vielleicht damals noch auf dem Rueckmarsch in ihre alten Quartiere
begriffen waren. Die 4. ist wahrscheinlich damals definitiv nach Syrien gekommen
wo sie fortan geblieben ist; dagegen gab das syrische Heer die 10. an Vespasian
ab, vermutlich, weil diese bei dem Feldzuge des Cestius am wenigsten gelitten
hatte. Dazu bekam er die 5. und die 15. Die 5. und die 10. Legion kamen von
Alexandreia (Ios. bel. Iud. 3, 1, 3; 4, 2); aber dass sie aus Aegypten
herangefuehrt seien, ist nicht gut denkbar, nicht bloss weil die 10. eine der
syrischen war, sondern vor allem, weil der Landmarsch von Alexandreia am Nil
nach Ptolemais mitten durch das insurgierte Gebiet am Anfang des Juedischen
Krieges so von Josephus nicht haette erzaehlt werden koennen. Vielmehr ging
Titus zu Schiff von Achaia nach Alexandreia am Issischen Meerbusen, dem heutigen
Alexandrette, und fuehrte die beiden Legionen von da nach Ptolemais. Die 15. mag
der Marschbefehl irgendwo in Kleinasien getroffen haben, da Vespasian, doch
wohl, um sie zu uebernehmen, nach Syrien zu Lande ging (Ios. bel. Iud. 3, 1 u.
3). Zu diesen drei Legionen, mit denen Vespasian den Krieg begann, kam unter
Titus noch eine weitere der syrischen, die 12. Von den vier Legionen, die
Jerusalem einnahmen, blieben die beiden bisher syrischen im Orient, die 10. in
Judaea, die 12. in Kappadokien, waehrend die 5. nach Moesien, die 15. nach
Pannonien zurueckkehrte (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3; 5, 3).
^26 Zu den drei Legionen gehoerten fuenf Alen und achtzehn Kohorten und das
aus einer Ala und fuenf Kohorten bestehende Heer von Palaestina. Diese Auxilien
zaehlten demnach 3000 Alarier und (da unter den 23 Kohorten zehn 1000 Mann stark
waren, dreizehn 720 Mann oder wohl eher nur 480 Mann; denn statt des
befremdenden exakosioys erwartet man vielmehr triakosioys exakonta) 16240 (oder,
wenn 720 festgehalten wird, 19360) Kohortalen. Dazu kamen je 1000 Reiter der
vier Koenige und 5000 arabische, je 2000 Bogenschuetzen der uebrigen drei
Koenige. Dies gibt zusammen, die Legion zu 6000 Mann gerechnet, 52240 Mann, also
gegen 60000, wie Josephus (bel. Iud. 3, 4, 2) sagt. Da die Abteilungen aber also
alle nach der hoechstmoeglichen Normalstaerke berechnet sind, wird die effektive
Gesamtzahl kaum auf 50000 angesetzt werden duerfen. Diese Zahlen des Josephus
erscheinen im wesentlichen zuverlaessig ebenso wie die analogen fuer das Heer
des Cestius (bel. Iud. 2, 18, 9); dagegen sind seine auf Schaetzung beruhenden
Ziffern durchgaengig nach dem Stil bemessen, dass das kleinste Dorf in Galilaea
15000 Einwohner zaehlt (bel. Iud. 3, 3, 2) und geschichtlich so unbrauchbar wie
die Ziffern Falstaffs. Nur selten, zum Beispiel bei der Belagerung Jotapatas,
erkennt man Rapportzahlen.
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So hatten die Insurgenten in Jerusalem vom Sommer 66 bis zum Fruehling 70
voellig freies Schalten. Was die Vereinigung von religioesem und nationalem
Fanatismus, das edle Verlangen, den Sturz des Vaterlandes nicht zu ueberleben
und das Bewusstsein begangener Verbrechen und unausbleiblicher Strafe, das wilde
Durcheinanderwogen aller edelsten und aller gemeinsten Leidenschaften in diesen
vier Jahren des Schreckens ueber die Nation gebracht hat, wird dadurch vor allem
entsetzlich, dass die Fremden dabei nur die Zuschauer gewesen sind, unmittelbar
alles Unheil durch Juden ueber Juden gekommen ist. Die gemaessigten Patrioten
wurden von den Eiferern mit Hilfe des Aufgebotes der rohen und fanatischen
Bewohner der idumaeischen Doerfer bald (Ende 68) ueberwaeltigt und ihre Fuehrer
erschlagen. Die Eiferer herrschten seitdem und es loesten sich alle Bande
buergerlicher, religioeser und sittlicher Ordnung. Den Sklaven wurde die
Freiheit gewaehrt, die Hohenpriester durch das Los bestellt, die Ritualgesetze
eben von diesen Fanatikern, deren Kastell der Tempel war, mit Fuessen getreten
und verhoehnt, die Gefangenen in den Kerkern niedergemacht und bei Todesstrafe
untersagt, die Umgebrachten zu bestatten. Die verschiedenen Fuehrer fochten mit
ihren Sonderhaufen gegeneinander: Johannes von Giskala mit seiner aus Galilaea
herangefuehrten Schar; Simon, des Gioras Sohn, aus Gerasa, der Fuehrer einer in
dem Sueden gebildeten Patriotenschar und zugleich der gegen Johannes sich
auflehnenden Idumaeer; Eleazar, Simons Sohn, einer der Vorkaempfer gegen Cestius
Gallus. Der erste behauptete sich in der Tempelhalle, der zweite in der Stadt,
der dritte im Allerheiligsten des Tempels, und taeglich ward in den Strassen der
Stadt zwischen Juden und Juden gefochten. Die Eintracht kam einzig durch den
gemeinsamen Feind; als der Angriff begann, stellte sich Eleazars kleine Schar
unter die Befehle des Johannes, und obwohl Johannes im Tempel, Simon in der
Stadt fortfuhren, die Herren zu spielen, stritten sie, unter sich hadernd,
Schulter an Schulter gegen die Roemer. Die Aufgabe auch fuer die Angreifer war
nicht leicht. Zwar genuegte das Heer, das anstatt der nach Italien entsendeten
Detachements bedeutenden Zuzug aus den aegyptischen und den syrischen Truppen
erhalten hatte, fuer die Einschliessung vollauf; und trotz der langen Frist,
welche den Juden gewaehrt worden war, um sich auf die Belagerung vorzubereiten,
waren die Vorraete unzureichend, um so mehr, als ein Teil derselben in den
Strassenkaempfen zugrunde gegangen war und, da die Belagerung um das Passahfest
begann, zahlreiche deswegen nach Jerusalem gekommene Auswaertige mit
eingeschlossen waren. Indes wenn auch die Masse der Bevoelkerung bald Not litt,
was die Wehrmannschaften brauchten, nahmen sie, wo sie es fanden, und wohl
versehen, wie sie waren, fuehrten sie den Kampf ohne Ruecksicht auf die
hungernden und bald verhungernden Massen. Zu blosser Blockade konnte der junge
Feldherr sich nicht entschliessen; eine mit vier Legionen in dieser Weise zu
Ende gefuehrte Belagerung brachte ihm persoenlich keinen Ruhm, und auch das neue
Regiment brauchte eine glaenzende Waffentat. Die Stadt, sonst ueberall durch
unzugaengliche Felsenhaenge verteidigt, war allein an der Nordseite angreifbar;
auch hier war es keine leichte Arbeit, die dreifache, aus den reichen
Tempelschaetzen ohne Ruecksicht auf die Kosten hergestellte Wallmauer zu
bezwingen und weiter innerhalb der Stadt die Burg, den Tempel und die gewaltigen
drei Herodestuerme einer starken, fanatisierten und verzweifelten Besatzung
abzuringen. Johannes und Simon schlugen nicht bloss die Stuerme entschlossen ab,
sondern griffen oft die schanzenden Mannschaften mit gutem Erfolg an und
zerstoerten oder verbrannten die Belagerungsmaschinen. Aber die Ueberzahl und
die Kriegskunst entschieden fuer die Roemer. Die Mauern wurden erstuermt, darauf
die Burg Antonia; sodann gingen nach langem Widerstand erst die Tempelhallen in
Flammen auf und weiter am 10. Ab (August) der Tempel selbst mit allen darin seit
sechs Jahrhunderten aufgehaeuften Schaetzen. Endlich wurde nach monatelangem
Strassenkampf am 8. Elul (September) auch in der Stadt der letzte Widerstand
gebrochen und das heilige Salem geschleift. Fuenf Monate hatte die Blutarbeit
gewaehrt. Das Schwert und der Pfeil und mehr noch der Hunger hatten zahllose
Opfer gefordert; die Juden erschlugen jeden des Ueberlaufens auch nur
Verdaechtigen und zwangen Weiber und Kinder, in der Stadt zu verhungern; ebenso
erbarmungslos liessen auch die Roemer die Gefangenen ueber die Klinge springen
oder kreuzigten sie. Die uebriggebliebenen Kaempfer und namentlich die beiden
Fuehrer wurden einzeln aus den Kloaken, in die sie sich gerettet hatten,
hervorgezogen. Am Toten Meer, eben da, wo einstmals Koenig David und die
Makkabaeer in hoechster Bedraengnis eine Zuflucht gefunden hatten, hielten sich
die Reste der Insurgenten noch auf Jahre hinaus in den Felsenschloessern
Machaerus und Massada, bis endlich als die letzten der freien Juden Judas, des
Galilaeers Enkel, Eleazar und die Seinigen erst ihren Frauen und Kindern und
dann sich selbst den Tod gaben. Das Werk war getan. Dass Kaiser Vespasianus, ein
tuechtiger Soldat, es nicht verschmaeht hat, wegen eines solchen unvermeidlichen
Erfolgs ueber ein kleines, laengst untertaeniges Volk als Sieger auf das Kapitol
zu ziehen und dass der aus dem Allerheiligsten des Tempels heimgebrachte
siebenarmige Kandelaber auf dem Ehrenbogen, den der Reichssenat dem Titus auf
dem Markte der Kampfstadt errichtete, noch heute zu schauen ist ^27, gibt keine
hohe Vorstellung von dem kriegerischen Sinn dieser Zeit. Freilich ersetzte der
tiefe Widerwille, den die Okzidentalen gegen das Judenvolk hegten,
einigermassen, was der kriegerischen Glorie mangelte, und wenn den Kaisern der
Judenname zu schlecht war, um ihn so sich beizulegen wie die der Germanen und
der Parther, so hielten sie es nicht unter ihrer Wuerde, dem Poebel der
Hauptstadt die Siegesschadenfreude dieses Triumphes zu bereiten.
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^27 Dieser Bogen ist dem Titus nach seinem Tode vom Reichssenat gesetzt.
Ein anderer, ihm waehrend seiner kurzen Regierung von demselben Senat im Circus
gewidmeter (CIL VI, 944) gibt sogar mit ausdruecklichen Worten als Grund der
Denkmalerrichtung an: "weil er nach Vorschrift und Anweisung und unter der
Oberleitung des Vaters das Volk der Juden bezwang und die bis auf ihn von allen
Feldherren, Koenigen und Voelkern entweder vergeblich belagerte oder gar nicht
angegriffene Stadt Hierusolyma zerstoert hat." Die historische Kunde dieses
seltsamen Schriftstueckes, welches nicht bloss Nebukadnezar und Antiochos
Epiphanes, sondern den eigenen Pompeius ignoriert, steht auf gleicher Hoehe mit
der Ueberschwenglichkeit des Preises einer recht gewoehnlichen Waffentat.
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Dem Werk des Schwertes folgte die politische Wendung. Die von den frueheren
hellenischen Staaten eingehaltene und von den Roemern uebernommene, in der Tat
ueber die blosse Toleranz gegen fremde Art und fremden Glauben weit
hinausgehende Politik, die Judenschaft insgemein als nationale und religioese
Samtgemeinschaft anzuerkennen, war unmoeglich geworden. Zu deutlich waren in der
juedischen Insurrektion die Gefahren zu Tage getreten, welche diese national-
religioese, einerseits streng konzentrierte, andererseits ueber den ganzen Osten
sich verbreitende und selbst in den Westen verzweigte Vergesellschaftung in sich
trug. Der zentrale Kultus wurde demzufolge ein fuer allemal beseitigt. Dieser
Entschluss der Regierung steht zweifellos fest und hat nichts gemein mit der
nicht mit Sicherheit zu beantwortenden Frage, ob die Zerstoerung des Tempels
absichtlich oder zufaellig erfolgt ist; wenn auf der einen Seite die
Unterdrueckung des Kultus nur die Schliessung des Tempels erforderte und das
praechtige Bauwerk verschont werden konnte, so haette andererseits, waere der
Tempel zufaellig zugrunde gegangen, der Kultus auch in einem wieder erbauten
fortgefuehrt werden koennen. Freilich wird es immer wahrscheinlich bleiben, dass
hier nicht der Zufall des Krieges gewaltet hat, sondern fuer die veraenderte
Politik der roemischen Regierung gegenueber dem Judentum die Flammen des Tempels
das Programm waren ^28. Deutlicher noch als in den Vorgaengen in Jerusalem
zeichnet sich dieselbe in der gleichzeitig auf Anordnung Vespasians erfolgten
Schliessung des Zentralheiligtums der aegyptischen Judenschaft, des Oniastempels
unweit Memphis im heliopolitanischen Distrikt, welcher seit Jahrhunderten neben
dem von Jerusalem stand etwa wie neben dem Alten Testament die Uebersetzung
durch die alexandrinischen Siebzig; auch er wurde seiner Weihgeschenke
entkleidet und die Gottesverehrung in demselben untersagt.
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^28 Die Erzaehlung des Josephus, dass Titus mit seinem Kriegsrat beschloss,
den Tempel nicht zu zerstoeren, erregt durch ihre offenbare Absichtlichkeit
Bedenken, und da die Benutzung des Tacitus in Sulpicius Severus' Chronik von
Bernays vollstaendig erwiesen ist, so kann allerdings wohl in Frage kommen, ob
nicht dessen gerade entgegengesetzter Bericht (chron. 2, 30, 6), dass der
Kriegsrat beschlossen habe, den Tempel zu zerstoeren, aus Tacitus herruehrt und
ihm, obwohl er Spuren christlicher Ueberarbeitung zeigt, der Vorzug zu geben
ist. Dies empfiehlt sich weiter dadurch, dass die an Vespasian gerichtete
Dedikation der Argonautica des Dichters Valerius Flaccus den Sieger von Solyma
feiert, der die Brandfackeln schleudert.
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In weiterer Ausfuehrung der neuen Ordnung der Dinge verschwanden das
Hohepriestertum und das Synhedrion von Jerusalem und verlor damit die
Judenschaft des Reiches ihr aeusserliches Oberhaupt und ihre bis dahin in
religioesen Fragen allgemein kompetente Oberbehoerde. Die bisher wenigstens
tolerierte Jahressteuer eines jeden Juden ohne Unterschied des Wohnorts an den
Tempel fiel allerdings nicht weg, wurde aber mit bitterer Parodie auf den
kapitolinischen Jupiter und dessen Vertreter auf Erden, den roemischen Kaiser,
uebertragen. Bei der Beschaffenheit der juedischen Einrichtungen schloss die
Unterdrueckung des zentralen Kultus die Aufloesung der Gemeinde Jerusalem in
sich. Die Stadt ward nicht bloss zerstoert und niedergebrannt, sondern blieb
auch in Truemmern liegen, wie einst Karthago und Korinth; ihre Feldmark,
Gemeinde- wie Privatland, wurde kaiserliche Domaene ^29. Was von der
Buergerschaft der volkreichen Stadt dem Hunger oder dem Schwert entgangen war,
kam unter den Hammer des Sklavenmarktes. In den Truemmern der zerstoerten Stadt
schlug die Legion ihr Lager auf, welche mit ihren spanischen und thrakischen
Auxilien fortan im juedischen Lande garnisonieren sollte. Die bisherigen in
Palaestina selbst rekrutierten Provinzialtruppen wurden anderswohin verlegt. In
Emmaus, in der naechsten Naehe von Jerusalem, wurde eine Anzahl roemischer
Veteranen angesiedelt, Stadtrecht aber auch dieser Ortschaft nicht verliehen.
Dagegen wurde das alte Sichem, der religioese Mittelpunkt der samaritanischen
Gemeinde, vielleicht schon seit Alexander dem Grossen eine griechische Stadt,
jetzt in den Formen der hellenischen Politie unter dem Namen Flavia Neapolis
reorganisiert. Die Landeshauptstadt Caesarea, bis dahin griechische
Stadtgemeinde, erhielt als "erste Flavische Kolonie" roemische Ordnung und
lateinische Geschaeftssprache. Es waren dies Ansaetze zur okzidentalischen
Munizipalisierung des juedischen Landes. Nichtsdestoweniger blieb das
eigentliche Judaea, wenn auch entvoelkert und verarmt, nach wie vor juedisch;
wessen die Regierung sich zu dem Lande versah, zeigt schon die durchaus anomal
dauernde militaerische Belegung, die, da Judaea nicht an der Reichsgrenze lag,
nur zur Niederhaltung der Einwohner bestimmt gewesen sein kann.
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^29 Dass der Kaiser dies Land fuer sich nahm (idian ayt/o/ t/e/n ch/o/ran
phylatt/o/n) sagt Josephus (bel. Iud. 7, 6, 6); dazu stimmt nicht sein Befehl
pasan g/e/n apothosthai t/o/n Ioydai/o/n (a. a. O.), worin wohl ein Irrtum oder
ein Schreibfehler steckt. Zu der Expropriierung passt es, dass im Gnadenweg
einzelnen juedischen Grundbesitzern anderswo Land angewiesen ward (Ios. vit.
16). uebrigens ist das Gebiet wohl als Ausstattung fuer die dort stationierende
Legion verwendet worden (Eph. epigr. II, n. 696; Tac. ann. 13, 54).
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Auch die Herodeer ueberdauerten nicht lange den Untergang Jerusalems.
Koenig Agrippa II., der Herr von Caesarea Paneas und von Tiberias, hatte den
Roemern in dem Krieg gegen seine Landsleute getreue Heerfolge geleistet und
selbst aus demselben wenigstens militaerisch ehrenvolle Narben aufzuweisen;
ueberdies hielt seine Schwester Berenike, eine Kleopatra im Kleinen, mit dem
Rest ihrer viel in Anspruch genommenen Reize das Herz des Bezwingers von
Jerusalem gefangen. So blieb er persoenlich im Besitz der Herrschaft; aber nach
seinem Tode, etwa dreissig Jahre spaeter, ging auch diese letzte Erinnerung an
den juedischen Staat in die roemische Provinz Syrien auf.
In der Ausuebung ihrer Religionsgebraeuche wurden den Juden weder in
Palaestina noch anderswo Hindernisse in den Weg gelegt. Selbst ihren religioesen
Unterricht und die daran sich anknuepfenden Versammlungen ihrer Gesetzlehrer und
Gesetzkundigen liess man in Palaestina wenigstens gewaehren und hinderte nicht,
dass diese Rabbinervereinigungen versuchten, sich einigermassen an die Stelle
des ehemaligen Synhedrion von Jerusalem zu setzen und in den Anfaengen des
Talmud ihre Lehre und ihre Gesetze zu fixieren. Obwohl einzelne nach Aegypten
und Kyrene gefluechtete Teilnehmer an dem juedischen Aufstand dort Unruhen
hervorriefen, wurden die Judenschaften ausserhalb Palaestina, so viel wir sehen,
in ihrer bisherigen Stellung belassen. Gegen die Judenhetze, welche eben um die
Zeit der Zerstoerung Jerusalems in Antiocheia dadurch hervorgerufen ward, dass
die dortigen Juden von einem ihrer abgefallenen Glaubensgenossen oeffentlich der
Absicht geziehen worden waren, die Stadt anzuzuenden, schritt der Vertreter des
Statthalters von Syrien energisch ein und gestattete nicht, wie es im Werke war,
dass man die Juden noetigte, den Landesgoettern zu opfern und den Sabbath nicht
zu halten. Titus selbst, als er nach Antiocheia kam, wies die dortigen Fuehrer
der Bewegung mit ihrer Bitte, die Juden auszuweisen oder mindestens ihre
Privilegien zu kassieren, auf das bestimmteste ab. Man scheute davor zurueck,
dem juedischen Glauben als solchem den Krieg zu erklaeren und die weitverzweigte
Diaspora auf das aeusserste zu treiben; es war genug, dass das Judentum in
seiner politischen Repraesentation aus dem Staatswesen getilgt war.
Die Wendung in der seit Alexander gegen das Judentum eingehaltenen Politik
lief im wesentlichen darauf hinaus, dieser religioesen Gemeinschaft die
einheitliche Leitung und die aeusserliche Geschlossenheit zu entziehen und ihren
Leitern eine Macht aus der Hand zu winden, welche sich nicht bloss ueber das
Heimatland der Juden, sondern ueber die Judenschaften insgemein innerhalb und
ausserhalb des Roemischen Reiches erstreckte und allerdings im Orient dem
einheitlichen Reichsregiment Eintrag tat. Die Lagiden wie die Seleukiden und
nicht minder die roemischen Kaiser der Julisch-Claudischen Dynastie hatten sich
dies gefallen lassen; aber die unmittelbare Herrschaft der Okzidentalen ueber
Judaea hatte den Gegensatz der Reichs- und dieser Priestergewalt in dem Grade
verschaerft, dass die Katastrophe mit unausbleiblicher Notwendigkeit eintrat und
ihre Konsequenzen zog. Vom politischen Standpunkt aus kann wohl die
Schonungslosigkeit der Kriegfuehrung getadelt werden, welche uebrigens diesem
Krieg ziemlich mit allen aehnlichen der roemischen Geschichte gemein ist, aber
schwerlich die infolge desselben verfuegte religioes-politische Aufloesung der
Nation. Wenn den Institutionen, welche zur Bildung einer Partei, wie die der
Zeloten war, gefuehrt hatten und mit einer gewissen Notwendigkeit fuehren
mussten, die Axt an die Wurzel gelegt ward, so geschah nur, was richtig und
notwendig war, wie schwer und individuell ungerecht auch der einzelne davon
getroffen werden mochte. Vespasianus, der die Entscheidung gab, war ein
verstaendiger und masshaltender Regent. Es handelte sich nicht um eine Glaubens-
, sondern um eine Machtfrage; der juedische Kirchenstaat als Haupt der Diaspora
vertrug sich nicht mit der Unbedingtheit des weltlichen Grossstaates. Von der
allgemeinen Norm der Toleranz hat die Regierung sich auch in diesem Fall nicht
entfernt, nicht gegen das Judentum, sondern gegen den Hohenpriester und das
Synhedrion den Krieg gefuehrt.
Ganz hat auch die Tempelzerstoerung diesen ihren Zweck nicht verfehlt. Es
gab nicht wenige Juden und noch mehr Judengenossen, namentlich in der Diaspora,
welche mehr an dem juedischen Sittengesetz und an dem juedischen Monotheismus
hielten als an der streng nationalen Glaubensform; die ganze ansehnliche Sekte
der Christen hatte sich innerlich vom Judentum geloest und stand zum Teil in
offener Opposition zu dem juedischen Ritus. Fuer diese war der Fall Jerusalems
keineswegs das Ende der Dinge, und innerhalb dieser ausgedehnten und
einflussreichen Kreise erreichte die Regierung einigermassen, was sie mit der
Aufloesung der Zentralstelle der juedischen Gottesverehrung beabsichtigte. Die
Scheidung des den Nationen gemeinen Christenglaubens von dem national-
juedischen, der Sieg der Anhaenger des Paulus ueber diejenigen des Petrus, wurde
durch den Wegfall des juedischen Zentralkults wesentlich gefoerdert.
Aber bei den Juden von Palaestina, da, wo man zwar nicht hebraeisch, aber
doch aramaeisch sprach, und bei dem Teil der Diaspora, der fest an Jerusalem
hing, wurde durch die Zerstoerung des Tempels der Riss zwischen dem Judentum und
der uebrigen Welt vertieft. Die national-religioese Geschlossenheit, die die
Regierung beseitigen wollte, wurde in diesem verengten Kreis durch den
gewaltsamen Versuch, sie zu zerschlagen, vielmehr neu gefestigt und zunaechst zu
weiteren verzweifelten Kaempfen getrieben.
Nicht volle fuenfzig Jahre nach der Zerstoerung Jerusalems, im Jahre 116
^30, erhob sich die Judenschaft am oestlichen Mittelmeer gegen die
Reichsregierung. Der Aufstand, obwohl von der Diaspora unternommen, war rein
nationaler Art, in seinen Hauptsitzen Kyrene, Kypros, Aegypten, gerichtet auf
die Austreibung der Roemer wie der Hellenen und, wie es scheint, die Begruendung
eines juedischen Sonderstaats. Er verzweigte sich bis in das asiatische Gebiet
und ergriff Mesopotamien und Palaestina selbst. Wo die Aufstaendischen siegreich
waren, fuehrten sie den Krieg mit derselben Erbitterung wie die Sicarier in
Jerusalem; sie erschlugen, wen sie ergriffen - der Geschichtschreiber Appian,
ein geborener Alexandriner, erzaehlt, wie er vor ihnen um sein Leben laufend mit
genauer Not nach Pelusion entkam -, und oftmals toeteten sie die Gefangenen
unter qualvollen Martern oder zwangen sie, gleich wie einst Titus die in
Jerusalem gefangenen Juden, als Fechter im Kampfspiel zur Augenweide der Sieger
zu fallen. In Kyrene sollen also 220000, auf Kypros gar 240000 Menschen von
ihnen umgebracht worden sein. Andererseits erschlugen in Alexandreia, das selbst
nicht in die Haende der Juden gefallen zu sein scheint ^31, die belagerten
Hellenen, was von Juden damals in der Stadt war. Die naechste Ursache der
Erhebung ist nicht klar. Das Blut der Zeloten, die nach Alexandreia und Kyrene
sich gefluechtet und dort ihre Glaubenstreue mit dem Tode unter dem roemischen
Henkersbeil besiegelt hatten, mag nicht umsonst geflossen sein; der Parthische
Krieg, waehrenddessen der Aufstand begann, hat ihn insofern gefoerdert, als die
in Aegypten stehenden Truppen wahrscheinlich auf den Kriegsschauplatz berufen
wurden. Allem Anschein nach war es ein Ausbruch der seit der Tempelzerstoerung
gleich dem Vulkan im Verborgenen gluehenden und in unberechenbarer Weise in
Flammen aufschlagenden religioesen Erbitterung der Judenschaft, von der Art, wie
der Orient sie zu allen Zeiten erzeugt hat und erzeugt; wenn wirklich die
Insurgenten einen Juden zum Koenig ausriefen, so hat diese Erhebung sicher, wie
die in der Heimat, in der grossen Masse der geringen Leute ihren Herd gehabt.
Dass diese Judenerhebung zum Teil zusammenfiel mit dem frueher erzaehlten
Befreiungsversuch der kurz vorher von Kaiser Traianus unterworfenen
Voelkerschaften, waehrend dieser im fernen Osten an der Euphratmuendung stand,
gab ihr sogar eine politische Bedeutung; wenn die Erfolge dieses Herrschers ihm
am Schluss seiner Laufbahn unter den Haenden zerrannen, so hat die juedische
Insurrektion namentlich in Palaestina und Mesopotamien dazu das ihrige
beigetragen. Um den Aufstand niederzuschlagen, mussten ueberall die Truppen
marschieren; gegen den "Koenig" der kyrenaeischen Juden Andreas oder Lukuas und
die Insurgenten in Aegypten sandte Traianus den Quintus Marcius Turbo mit Heer
und Flotte, gegen die Aufstaendischen in Mesopotamien, wie schon gesagt ward,
den Lusius Quietus, zwei seiner erprobtesten Feldherrn. Den geschlossenen
Truppen Widerstand zu leisten, vermochten die Aufstaendischen nirgends,
wenngleich der Kampf in Afrika wie in Palaestina sich bis in die erste Zeit
Hadrians fortspann, und es ergingen ueber diese Diaspora aehnliche Strafgerichte
wie frueher ueber die Juden Palaestinas. Dass Traianus die Juden in Alexandreia
vernichtet hat, wie Appian sagt, ist schwerlich ein unrichtiger, wenn auch
vielleicht ein allzu schroffer Ausdruck dessen, was dort geschah; fuer Kypros
ist es bezeugt, dass seitdem kein Jude die Insel auch nur betreten durfte und
selbst den schiffbruechigen Israeliten dort der Tod erwartete. Waere ueber diese
Katastrophe unsere Ueberlieferung so ausgiebig wie ueber die jerusalemische, so
wuerde sie wohl als deren Fortsetzung und Vollendung erscheinen und
gewissermassen auch als ihre Erklaerung; dieser Aufstand zeigt das Verhaeltnis
der Diaspora zu dem Heimatland und den Staat im Staate, zu dem das Judentum sich
entwickelt hatte.
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^30 Eusebius (hist. eccl. 4, 2) setzt den Ausbruch in das 18., also nach
seiner Rechnung (in der Chronik) das vorletzte Jahr Traians, und damit stimmt
auch Dio 68, 32.
^31 Eusebius selbst (bei Synkellos) sagt nur: Adrianos Ioydaioyskata
Alexandre/o/n stasiazontas ekolasen. Die armenische und die lateinische
Uebersetzung scheinen daraus irrig eine Wiederherstellung des von den Juden
zerstoerten Alexandreia gemacht zu haben, von welcher auch Eusebius in der
Kirchengeschichte 4, 2 und Dio 68. 32 nichts wissen.
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Zu Ende war auch mit dieser zweiten Niederwerfung die Auflehnung des
Judentums gegen die Reichsgewalt nicht. Man kann nicht sagen, dass diese
dasselbe weiter provoziert hat; gewoehnliche Verwaltungsakte, wie sie im ganzen
Reiche unweigerlich hingenommen wurden, trafen die Hebraeer da, wo die volle
Widerstandskraft des nationalen Glaubens ihren Sitz hatte, und riefen dadurch,
wahrscheinlich zur Ueberraschung der Regieren den selbst, eine Insurrektion
hervor, die in der Tat ein Krieg war. Wenn Kaiser Hadrianus, als seine Rundreise
durch das Reich ihn auch nach Palaestina fuehrte, im Jahre 130 die zerstoerte
heilige Stadt der Juden als roemische Kolonie wieder aufzurichten beschloss, tat
er sicher diesen nicht die Ehre an, sie zu fuerchten, und dachte nicht an
religioese-politische Propaganda, sondern er verfuegte fuer dies Legionslager,
was kurz vorher oder bald nachher auch am Rhein, an der Donau, in Afrika
geschah, die Verknuepfung desselben mit einer zunaechst aus den Veteranen sich
rekrutierenden Stadtgemeinde, welche ihren Namen Aelia Capitolina teils von
ihrem Stifter, teils von dem Gott empfing, welchem damals statt des Jehova die
Juden zinsten. Aehnlich verhaelt es sich mit dem Verbot der Beschneidung; es
erging, wie spaeter bemerkt werden wird, wahrscheinlich gar nicht in der
Absicht, damit dem Judentum als solchem den Krieg zu machen. Begreiflicherweise
fragten die Juden nicht nach den Motiven jener Stadtgruendung und dieses
Verbots, sondern empfanden beides als einen Angriff auf ihren Glauben und ihr
Volktum, und antworteten darauf mit einem Aufstand, der, anfangs von den Roemern
vernachlaessigt, dann durch Intensitaet und Dauer in der Geschichte der
roemischen Kaiserzeit seinesgleichen nicht hat. Die gesamte Judenschaft des In-
und des Auslandes geriet in Bewegung und unter stuetzte mehr oder minder offen
die Insurgenten am Jordan ^32, sogar Jerusalem fiel ihnen in die Haende ^33 und
der Statthalter Syriens, ja Kaiser Hadrianus selbst erschienen auf dem
Kampfplatz. Den Krieg leiteten, bezeichnend genug, der Priester Eleazar ^34 und
der Raeuberhauptmann Simon, zugenannt Bar-Kokheba, das ist der Sternensohn, als
der Bringer himmlischer Hilfe, vielleicht als Messias. Von der finanziellen
Macht und der Organisation der Insurgenten zeugen die durch mehrere Jahre auf
den Namen dieser beiden geschlagenen Silber- und Kupfermuenzen. Nachdem eine
genuegende Truppenzahl zusammengezogen war, gewann der erprobte Feldherr Sextus
Iulius Severus die Oberhand, aber nur in allmaehlichem und langsamem
Vorschreiten; ganz wie in dem Vespasianischen Krieg kam es zu keiner
Feldschlacht, aber ein Platz nach dem andern kostete Zeit und Blut, bis endlich
nach dreijaehriger Kriegfuehrung ^35 die letzte Burg der Insurgenten, das feste
Bether unweit Jerusalem, von den Roemern erstuermt ward. Die in guten Berichten
ueberlieferten Zahlen von 50 genommenen Festungen, 985 besetzten Doerfern,
580000 Gefallenen sind nicht unglaublich, da der Krieg mit unerbittlicher
Grausamkeit gefuehrt und die maennliche Bevoelkerung wohl ueberall niedergemacht
ward.
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^32 Dies zeigen die Ausdruecke Dios 69, 13: oi apantachoy g/e/s Ioydaioi
und pas/e/s /o/s eipein kinoymen/e/s epi to?t/o/ t/e/s oikoymen/e/s.
^33 Wenn nach dem Zeitgenossen Appian (Syr. 50) Hadrian abermals die Stadt
zerstoerte (kateskapse), so beweist das sowohl die vorhergehende wenigstens
einigermassen vollendete Anlage der Kolonie wie auch deren Einnahme durch die
Insurgenten. Nur dadurch auch erklaert sich der grosse Verlust, den die Roemer
erlitten (Fronto Parth. p. 218 Nab.: Hadriano Imperium obtinente quantum militum
a Iudaeis . . . caesum; Dio 69, 14); und es passt wenigstens gut dazu, dass der
Statthalter von Syrien, Publicius Marcellus, seine Provinz verliess, um seinem
Kollegen Tineius Rufus (Eus. hist. eccl. 4, 6; B. Borghesi, Oeuvres completes.
Bd. 3, S. 64) in Palaestina Hilfe zu bringen (CIG 4033, 4C34).
^34 Dass die Muenzen mit diesem Namen dem hadrianischen Aufstand
angehoeren, ist jetzt erwiesen (v. Sallet, Zeitschrift fuer Numismatik 5, 1878,
S. 110); dies ist also der Rabbi Eleazar aus Modein der juedischen Berichte
(Ewald, Geschichte des Volkes Israel, Bd. 7, S. 418; E. Schuerer, Lehrbuch der
neutestamentlichen Zeitgeschichte. Jena 1874, S. 357). Dass der Simon, den
dieselben Muenzen teils mit Eleazar zusammen, teils allein nennen, der Bar-
Kokheba des Justinus Martyr und des Eusebius sei ist mindestens sehr
wahrscheinlich.
^35 Dio (69, 12) nennt den Krieg langwierig (o?t' oligochronios); Eusebius
setzt in der Chronik den Anfang auf das 16., das Ende auf das 18. oder 19. Jahr
Hadrians; die Insurgentenmuenzen sind datiert vom ersten oder vom zweiten Jahr
"der Befreiung Israels". Zuverlaessige Daten haben wir nicht; die rabbinische
Tradition (Schaerer, Lehrbuch, S. 361) ist dafuer nicht brauchbar.
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Infolge dieses Aufstandes ward selbst der Name des besiegten Volkes
beseitigt: die Provinz hiess fortan nicht mehr wie frueher Judaea, sondern mit
dem alten Herodotischen Namen das Syrien der Philistaeer oder Syria Palaestina.
Das Land blieb veroedet; die neue Hadriansstadt bestand, aber gedieh nicht. Den
Juden wurde bei Todesstrafe untersagt, Jerusalem auch nur zu betreten, die
Besatzung verdoppelt; das beschraenkte Gebiet zwischen Aegypten und Syrien, zu
dem von dem transjordanischen nur ein kleiner Streifen am Toten Meer gehoerte
und das nirgends die Reichsgrenze beruehrte, war seitdem mit zwei Legionen
belegt. Trotz aller dieser Gewaltmassregeln blieb die Landschaft unruhig,
zunaechst wohl infolge des mit der Nationalsache laengst verflochtenen
Raeuberwesens; Pius liess gegen die Juden marschieren und auch unter Severus ist
die Rede von einem Krieg gegen Juden und Samariter. Aber zu groesseren
Bewegungen unter den Juden ist es nach dem Hadrianischen Krieg nicht wieder
gekommen.
Es muss anerkannt werden, dass diese wiederholten Ausbrueche des in den
Gemuetern der Juden gaerenden Grolls gegen die gesamte nicht juedische
Mitbuergerschaft die allgemeine Politik der Regierung nicht aenderten. Wie
Vespasian so hielten auch die folgenden Kaiser den Juden gegenueber nicht bloss
im wesentlichen den allgemeinen Standpunkt der politischen und religioesen
Toleranz fest, sondern die fuer die Juden erlassenen Ausnahmegesetze waren und
blieben hauptsaechlich darauf gerichtet, sie von denjenigen allgemeinen
Buergerpflichten, welche mit ihrer Sitte und ihrem Glauben sich nicht vertrugen,
zu entbinden und werden darum auch geradezu als Privilegien bezeichnet ^36.
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^36 Biographie Alexanders c. 22: Iudaeis privilegia reservavit, Christianos
esse passus est. Deutlich tritt hier die bevorzugte Stellung der Juden vor den
Christen zutage, welche allerdings wieder darauf beruht, dass jene eine Nation
darstellen, diese nicht.
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Rechtlich scheint seit Claudius' Zeit, dessen Unterdrueckung des juedischen
Kultus in Italien wenigstens die letzte derartige Massregel ist, von der wir
wissen, den Juden der Aufenthalt und die freie Religionsuebung in dem gesamten
Reich zugestanden zu haben. Es waere kein Wunder gewesen, wenn jene Aufstaende
in den afrikanischen und syrischen Landschaften zur Austreibung der dort
ansaessigen Juden ueberhaupt gefuehrt haetten; aber dergleichen Beschraenkungen
sind, wie wir sahen, nur lokal, zum Beispiel fuer Kypros verfuegt worden. Der
Hauptsitz der Juden blieben immer die griechischen Provinzen; auch in der
einigermassen zweisprachigen Hauptstadt, deren zahlreiche Judenschaft eine Reihe
von Synagogen umfasste, bildete diese einen Teil der griechischen Bevoelkerung
Roms. Ihre Grabschriften in Rom sind ausschliesslich griechisch; in der aus
dieser Judenschaft entwickelten roemischen Christengemeinde ist das
Taufbekenntnis bis in spaete Zeit hinab griechisch gesprochen worden und die
ersten drei Jahrhunderte hindurch die Schriftstellerei ausschliesslich
griechisch gewesen. Aber restriktive Massregeln gegen die Juden scheinen auch in
den lateinischen Provinzen nicht getroffen worden zu sein; durch und mit dem
Hellenismus ist das juedische Wesen in den Okzident eingedrungen, und es fanden
auch in diesem sich Judengemeinden, obwohl sie an Zahl und Bedeutung selbst
jetzt noch, wo die gegen die Diaspora gerichteten Schlaege die Judengemeinden
des Ostens schwer beschaedigt hatten, weit hinter diesen zurueckstanden.
Politische Privilegien folgten aus der Tolerierung des Kultus an sich
nicht. An der Anlegung ihrer Synagogen und Proseuchen wurden die Juden nicht
gehindert, ebensowenig an der Bestellung eines Vorstehers fuer dieselbe
(archisynag/o/gos) sowie eines Kollegiums der Aeltesten (archontes) mit einem
Oberaeltesten (geroysiarch/e/s) an der Spitze. Obrigkeitliche Befugnisse sollten
mit diesen Stellungen nicht verknuepft sein; aber bei der Untrennbarkeit der
juedischen Kirchenordnung und der juedischen Rechtspflege uebten die Vorsteher,
wie im Mittelalter die Bischoefe, wohl ueberall eine wenn auch nur faktische
Jurisdiktion. Auch waren die Judenschaften der einzelnen Staedte nicht allgemein
als Koerperschaften anerkannt, sicher zum Beispiel die roemische nicht; doch
bestanden an vielen Orten auf Grund lokaler Privilegien dergleichen korporative
Verbaende mit Ethnarchen oder, wie sie jetzt meistens heissen, Patriarchen an
der Spitze. Ja in Palaestina finden wir im Anfang des dritten Jahrhunderts
wiederum einen Vorsteher der gesamten Judenschaft, der kraft erblichen
Priesterrechts ueber seine Glaubensgenossen fast wie ein Herrscher schaltet und
selbst ueber Leib und Leben Gewalt hat und welchen die Regierung wenigstens
toleriert ^37. Ohne Frage war dieser Patriarch fuer die Juden der alte
Hohepriester, und es hatte also unter den Augen und unter dem Druck der
Fremdherrschaft das hartnaeckige Volk Gottes sich abermals rekonstituiert und
insoweit Vespasians Werk zuschanden gemacht.
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^37 Um zu erklaeren, dass auch in der Knechtschaft die Juden eine gewisse
Selbstverwaltung haben fuehren koennen, schreibt Origenes (um das Jahr 226) an
Africanus c. 14: "Wieviel vermag auch jetzt, wo die Roemer herrschen und die
Juden ihnen den Zins (to didrachmon) zahlen, der Volksvorsteher (o ethnarch/e/s)
bei ihnen mit Zulassung des Kaisers (sthgch/o/ro?ntos Kaisaros). Auch Gerichte
finden heimlich statt nach dem Gesetze, und es wird sogar manchmal auf den Tod
erkannt. Das habe ich, der ich lange im Lande dieses Volkes gelebt, selber
erfahren und erkundet." Der Patriarch von Judaea tritt schon in dem auf Hadrians
Namen gefaelschten Briefe in der Biographie des Tyrannen Saturninus auf (c. 8),
in den Verordnungen zuerst im Jahre 392 (Cod. Theod. 16, 8, 8). Patriarchen als
Vorsteher einzelner juedischer Gemeinden, wofuer das Wort seiner Bedeutung nach
besser passt, begegnen schon in den Verordnungen Konstantins des Ersten (Cod.
Theod. 16, 8, 1 u. 2).
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In Betreff der Heranziehung der Juden zu den oeffentlichen Leistungen war
die Befreiung vom Kriegsdienst als unvereinbar mit ihren religioesen
Grundsaetzen laengst anerkannt und blieb es. Die besondere Kopfsteuer, welcher
sie unterlagen, die alte Tempelabgabe, konnte als Kompensation fuer diese
Befreiung angesehen werden, wenn sie auch nicht in diesem Sinn auferlegt worden
war. Fuer andere Leistungen, wie zum Beispiel fuer Uebernahme von
Vormundschaften und Gemeindeaemtern, werden sie wenigstens seit Severus' Zeit im
allgemeinen als faehig und pflichtig betrachtet, diejenigen aber, welche ihrem
"Aberglauben" zuwiderlaufen, ihnen erlassen ^38, wobei in Betracht kommt, dass
der Ausschluss von den Gemeindeaemtern mehr und mehr aus einer Zuruecksetzung zu
einem Privilegium ward. Selbst bei Staatsaemtern mag in spaeterer Zeit aehnlich
verfahren worden sein.
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^38 Diese Regel stellen mit Berufung auf einen Erlass des Severus die
Juristen des dritten Jahrhunderts auf (Dig. 27, 1, 15, 6; 50, 2, 3, 3). Nach der
Verordnung vom Jahre 321 (Cod. Theod. 16, 8, 3) erscheint dies sogar als ein
Recht, nicht als eine Pflicht der Juden, so dass es von ihnen abhing, das Amt zu
uebernehmen oder abzulehnen.
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Der einzige ernstliche Eingriff der Staatsgewalt in die juedischen
Gebraeuche betrifft die Zeremonie der Beschneidung; indes ist gegen diese
wahrscheinlich nicht vom religioes-politischen Standpunkt aus eingeschritten
worden, sondern es sind diese Massnahmen mit dem Verbot der Kastrierung
verknuepft gewesen und zum Teil wohl aus Missverstaendnis der juedischen Weise
hervorgegangen. Die immer mehr um sich greifende Unsitte der Verstuemmelung zog
zuerst Domitian in den Kreis der strafbaren Verbrechen; als Hadrian die
Vorschrift schaerfend die Kastrierung unter das Mordgesetz stellte, scheint auch
die Beschneidung als Kastrierung aufgefasst worden zu sein ^39, was allerdings
von den Juden als ein Angriff auf ihre Existenz empfunden werden musste und
empfunden ward, obwohl dies vielleicht nicht damit beabsichtigt war. Bald
nachher, wahrscheinlich infolge des dadurch mitveranlassten Aufstandes,
gestattete Pius die Beschneidung fuer Kinder juedischer Herkunft, waehrend
uebrigens selbst die des unfreien Nichtjuden und des Proselyten nach wie vor
fuer alle dabei Beteiligten die Strafe der Kastration nach sich ziehen sollte.
Dies war insofern auch von politischer Wichtigkeit, als dadurch der foermliche
Uebertritt zum Judentum ein strafbares Verbrechen wurde; und wahrscheinlich ist
das Verbot eben in diesem Sinne nicht erlassen, aber aufrecht erhalten worden
^40. Zu dem schroffen Abschliessen der Judenschaft gegen die Nichtjuden wird
dasselbe das seinige beigetragen haben.
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^39 Die analoge Behandlung der Kastration in dem Hadrianischen Erlass Dig.
48, 8, 4, 2 und der Beschneidung bei Paulus sent. 5, 22, 3; 4 und Mod. dig. 48,
8, 11 pr. legen diese Auffassung nahe. Auch dass Severus ludaeos fieri sub gravi
poena vetuit (vita 17), wird wohl nichts sein als die Einschaerfung dieses
Verbots.
^40 Die merkwuerdige Nachricht bei Origenes (c. Cels. 2, 13; geschrieben um
250) zeigt, dass die Beschneidung des Nichtjuden von Rechts wegen die
Todesstrafe nach sich zog, obwohl es nicht klar ist, inwiefern dies auf
Samariter oder Sicarier Anwendung fand.
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Blicken wir zurueck auf die Geschichte des Judentums in der Epoche von
Augustus bis auf Diocletian, so erkennen wir eine durchgreifende Umgestaltung
seines Wesens wie seiner Stellung. Dasselbe tritt in diese Epoche ein als eine
um das beschraenkte Heimatland fest geschlossene nationale und religioese Macht,
welche selbst dem Reichsregiment in und ausserhalb Judaea mit der Waffe in der
Hand sich entgegenstellt und auf dem Gebiet des Glaubens eine gewaltige
propagandistische Macht entwickelt. Man kann es verstehen, dass die roemische
Regierung die Verehrung des Jahve und den Glauben des Moses nicht anders dulden
wollte, als wie auch der Kultus des Mithra und der Glaube des Zornaster Duldung
fand. Die Reaktion gegen dies geschlossene und auf sich selbst stehende Judentum
waren die von Vespasian und Hadrian gegen das juedische Land, von Traianus gegen
die Juden der Diaspora gefuehrten zerschmetternden Schlaege, deren Wirkung weit
hinaus reicht ueber die unmittelbare Zerstoerung der bestehenden Gemeinschaft
und die Herabdrueckung des Ansehens und der Macht der Judenschaft. In der Tat
sind das spaetere Christentum wie das spaetere Judentum die Konsequenzen dieser
Reaktion des Westens gegen den Osten. Die grosse propagandistische Bewegung,
welche die tiefere religioese Anschauung vom Osten in den Westen trug, ward auf
diese Weise, wie schon gesagt ward, aus den engen Schranken der juedischen
Nationalitaet befreit; wenn sie die Anlehnung an Moses und die Propheten
keineswegs aufgab, loeste sie sich doch notwendig von dem in Scherben gegangenen
Regiment der Pharisaeer. Die christlichen Zukunftsideale wurden universell, seit
es ein Jerusalem auf Erden nicht mehr gab. Aber wie der erweiterte und vertiefte
neue Glaube, der mit seinem Wesen auch den Namen wechselte, aus diesen
Katastrophen hervorging, so nicht minder die verengte und verstockte
Altglaeubigkeit, die sich, wenn nicht mehr in Jerusalem, so in dem Hass gegen
diejenigen zusammenfand, die dasselbe zerstoert hatten, und mehr noch in dem
gegen die freiere und hoehere aus dem Judentum das Christentum entwickelnde
geistige Bewegung. Die aeussere Macht der Judenschaft war gebrochen und
Erhebungen, wie sie in der mittleren Kaiserzeit stattgefunden haben, begegnen
spaeterhin nicht wieder; mit dem Staat im Staate waren die roemischen Kaiser
fertiggeworden, und indem das eigentlich gefaehrliche Moment, die
propagandistische Ausbreitung, auf das Christentum ueberging, waren die Bekenner
des alten Glaubens, die dem neuen Bunde sich verschlossen, fuer die weitere
allgemeine Entwicklung beseitigt. Aber wenn die Legionen Jerusalem zerstoeren
konnten, das Judentum selbst konnten sie nicht schleifen; und was nach der einen
Seite Heilmittel war, uebte nach der andern die Wirkung des Giftes. Das Judentum
blieb nicht bloss, sondern es ward auch ein anderes. Es liegt eine tiefe Kluft
zwischen dem Judentum der aelteren Zeit, das fuer seinen Glauben Propaganda
macht, dessen Tempelvorhof die Heiden erfuellen, dessen Priester taeglich fuer
Kaiser Augustus opfern, und dem starren Rabbinismus, der ausser Abrahams Schoss
und dem mosaischen Gesetz von der Welt nichts weiss noch wissen will. Fremde
waren die Juden immer gewesen und hatten es sein wollen; aber das Gefuehl der
Entfremdung steigerte sich jetzt in ihnen selbst wie gegen sie in entsetzlicher
Weise, und schroff zog man nach beiden Seiten hin dessen gehaessige und
schaedliche Konsequenzen. Von dem geringschaetzigen Spott des Horatius gegen den
aufdringlichen Juden aus dem roemischen Ghetto ist ein weiter Schritt zu dem
feierlichen Groll, welchen Tacitus hegt gegen diesen Abschaum des
Menschengeschlechts, dem alles Reine unrein und alles Unreine rein ist;
dazwischen liegen jene Aufstaende des verachteten Volkes und die Notwendigkeit
dasselbe zu besiegen und fuer seine Niederhaltung fortwaehrend Geld und Menschen
aufzuwenden. Die in den kaiserlichen Verordnungen stets wiederkehrenden Verbote
der Misshandlung des Juden zeigen, dass jene Worte der Gebildeten, wie billig,
von den Niederen in Taten uebersetzt wurden. Die Juden ihrerseits machten es
nicht besser. Sie wendeten sich ab von der hellenischen Literatur, die jetzt als
befleckend galt, und lehnten sogar sich auf gegen den Gebrauch der griechischen
Bibeluebersetzung; die immer steigende Glaubensreinigung wandte sich nicht bloss
gegen die Griechen und die Roemer, sondern ebensosehr gegen die "halben Juden"
von Samaria und gegen die christlichen Ketzer; die Buchstabenglaeubigkeit
gegenueber den heiligen Schriften stieg bis in die schwindelnde Hoehe der
Absurditaet, und vor allem stellte ein womoeglich noch heiligeres Herkommen sich
fest, in dessen Fesseln alles Leben und Denken erstarrte. Die Kluft zwischen
jener Schrift vom Erhabenen, die den Land und Meer erschuetternden Poseidon
Homers und den die leuchtende Sonne erschaffenden Jehova nebeneinander zu
stellen wagt, und den Anfaengen des Talmud, welche dieser Epoche angehoeren,
bezeichnet den Gegensatz zwischen dem Judentum des ersten und dem des dritten
Jahrhunderts. Das Zusammenleben der Juden und Nichtjuden erwies sich mehr und
mehr als ebenso unvermeidlich wie unter den gegebenen Verhaeltnissen
unertraeglich; der Gegensatz in Glaube, Recht und Sitte verschaerfte sich, und
die gegenseitige Hoffart wie der gegenseitige Hass wirkten nach beiden Seiten
hin sittlich zerruettend. Die Ausgleichung wurde in diesen Jahrhunderten nicht
bloss nicht gefoerdert, sondern ihre Verwirklichung immer weiter in die Ferne
gerueckt, je mehr ihre Notwendigkeit sich herausstellte. Diese Erbitterung,
diese Hoffart, diese Verachtung, wie sie damals sich festsetzten, sind freilich
nur das unvermeidliche Aufgehen einer vielleicht nicht minder unvermeidlichen
Saat; aber die Erbschaft dieser Zeiten lastet auf der Menschheit noch heute.
12. Kapitel
Aegypten
Die beiden Reiche von Aegypten und Syrien, die so lange in jeder Hinsicht
miteinander gerungen und rivalisiert hatten, fielen ungefaehr um die gleiche
Zeit widerstandslos in die Gewalt der Roemer. Wenn dieselben auch von dem
angeblichen oder wirklichen Testament Alexanders II. (+ 673 81) keinen Gebrauch
machten und das Land damals nicht einzogen, so standen doch die letzten
Herrscher des Lagidenhauses anerkanntermassen in roemischer Klientel; bei
Thronstreitigkeiten entschied der Senat, und seit der roemische Statthalter von
Syrien, Aulus Gabinius, den Koenig Ptolemaeos Auletes mit seinen Truppen nach
Aegypten zurueckgefuehrt hatte (699 55; vgl. 4, 160), haben die roemischen
Legionen das Land nicht wieder verlassen. Wie die uebrigen Klientelkoenige
nahmen auch die Herrscher Aegyptens an den Buergerkriegen auf Mahnung der von
ihnen anerkannten oder ihnen mehr imponierenden Regierung teil; und wenn es
unentschieden bleiben muss, welche Rolle Antonius in dem phantastischen Ostreich
seiner Traeume dem Heimatland des allzu sehr von ihm geliebten Weibes zugedacht
hat, so gehoert doch Antonius' Regiment in Alexandreia sowohl wie der letzte
Kampf in dem letzten Buergerkrieg vor den Toren dieser Stadt ebensowenig zu der
Spezialgeschichte Aegyptens wie die Schlacht von Aktion zu der von Epirus. Wohl
aber gab diese Katastrophe und der damit verknuepfte Tod der letzten Fuerstin
der Lagidendynastie den Anlass dazu, dass Augustus den erledigten Thron nicht
wieder besetzte, sondern das Koenigreich Aegypten in eigene Verwaltung nahm.
Diese Einziehung des letzten Stueckes der Kueste des Mittelmeeres in die
unmittelbare roemische Administration und der zeitlich und pragmatisch damit
zusammenfallende Abschluss der neuen Monarchie bezeichnen dieser fuer die
Verfassung, jene fuer die Verwaltung des ungeheuren Reiches den Wendepunkt, das
Ende der alten und den Anfang einer neuen Epoche.
Die Einverleibung Aegyptens in das Roemische Reich vollzog sich insofern in
abweichender Weise, als das sonst den Staat beherrschende Prinzip der Dyarchie,
das heisst des gemeinschaftlichen Regiments der beiden hoechsten Reichsgewalten,
des Prinzeps und des Senats, von einigen untergeordneten Bezirken abgesehen,
allein auf Aegypten keine Anwendung fand, sondern in diesem Lande ^1 dem Senat
als solchem sowie jedem einzelnen seiner Mitglieder jede Beteiligung bei dem
Regiment abgeschnitten, ja sogar den Senatoren und den Personen senatorischen
Ranges das Betreten dieser Provinz untersagt ward ^2. Man darf dies nicht etwa
in der Art auffassen, als waere Aegypten mit dem uebrigen Reich nur durch eine
Personalunion verknuepft; der Prinzeps ist nach dem Sinn und Geist der
Augustischen Ordnung ein integrierendes und dauernd funktionierendes Element des
roemischen Staatswesens ebenso wie der Senat, und seine Herrschaft ueber
Aegypten geradeso ein Teil der Reichsherrschaft wie die Herrschaft des
Prokonsuls von Afrika ^3. Eher mag man sich das staatsrechtliche Verhaeltnis in
der Weise verdeutlichen, dass das britische Reich in derselben Verfassung sich
befinden wuerde, wenn Ministerium und Parlament nur fuer das Mutterland in
Betracht kaemen, die Kolonien dagegen dem absoluten Regiment der Kaiserin von
Indien zu gehorchen haetten. Welche Motive den neuen Monarchen dazu bestimmten,
gleich im Beginn seiner Alleinherrschaft diese tief einschneidende und zu keiner
Zeit angefochtene Einrichtung zu treffen und wie dieselbe in die allgemeinen
politischen Verhaeltnisse eingegriffen hat, gehoert der allgemeinen Geschichte
des Reiches an; hier haben wir darzulegen, wie unter der Kaiserherrschaft die
inneren Verhaeltnisse Aegyptens sich gestalteten.
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^1 Diesen Ausschluss des Mitregiments des Senats wie der Senatoren
bezeichnet Tacitus (hist. 1, 11) mit den Worten, dass Augustus Aegypten
ausschliesslich durch seine persoenlichen Diener verwalten lassen wollte (domi
retinere; vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 963). Prinzipiell gilt diese
abweichende Gestaltung des Regiments fuer die saemtlichen nicht von Senatoren
verwalteten Provinzen, deren Vorsteher auch anfaenglich vorzugsweise praefecti
hiessen (CIL V, p. 809, 902). Aber bei der ersten Teilung der Provinzen zwischen
Kaiser und Senat gab es deren wahrscheinlich keine andere als eben Aegypten; und
auch nachher trat der Unterschied hier insofern schaerfer hervor, als die
saemtlichen uebrigen Provinzen dieser Kategorie keine Legionen erhielten. Denn
in dem Eintreten der ritterlichen Legionskommandanten statt der senatorischen,
wie es in Aegypten Regel war, findet der Ausschluss des Senatorenregiments den
greifbarsten Ausdruck.
^2 Diese Bestimmung gilt nur fuer Aegypten, nicht fuer die uebrigen von
Nichtsenatoren verwalteten Gebiete. Wie wesentlich sie der Regierung erschien,
erkennt man aus dem zu ihrer Sicherung aufgebotenen konstitutionellen und
religioesen Apparat (vit. trig. tyr. c. 22).
^3 Die gangbare Behauptung, dass provincia fuer die nicht von Senatoren
verwalteten Distrikte nur abusiv gesetzt werde, ist nicht begruendet.
Privateigentum des Kaisers war Aegypten ebensosehr oder ebensowenig wie Gallien
und Syrien - sagt doch Augustus selber (Mon. Ancyr. 5, 24): Aegyptum imperio
populi Romani adieci und legte dem Statthalter, da er als Ritter nicht pro
praetore sein konnte, durch besonderes Gesetz die gleiche prozessualische
Kompetenz bei, wie sie die roemischen Praetoren hatten (Tac. ann. 12, 60).
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Was im allgemeinen von allen hellenischen oder hellenisierten Gebieten
gilt, dass die Roemer, indem sie sie zum Reiche zogen, die einmal bestehenden
Einrichtungen konservierten und nur, wo es schlechterdings notwendig erschien,
Modifikationen eintreten liessen, das findet in vollem Umfang Anwendung auf
Aegypten.
Wie Syrien so war Aegypten, als es roemisch ward, ein Land zwiefacher
Nationalitaet; auch hier stand neben und ueber dem Einheimischen der Grieche,
jener der Knecht, dieser der Herr. Aber rechtlich und tatsaechlich waren die
Verhaeltnisse der beiden Nationen in Aegypten von denen Syriens voellig
verschieden.
Syrien stand wesentlich schon in der vorroemischen und durchaus in der
roemischen Epoche nur mittelbar unter der Landesregierung; es zerfiel teils in
Fuerstentuemer, teils in autonome Stadtbezirke und wurde zunaechst von den
Landesherren oder Gemeindebehoerden verwaltet. In Aegypten ^4 dagegen gibt es
weder Landesfuersten noch Reichsstaedte nach griechischer Art. Die beiden
Verwaltungskreise, in welche Aegypten zerfaellt, das "Land" (/e/ ch/o/ra) der
Aegypter mit seinen urspruenglich sechsunddreissig Bezirken (nomoi) und die
beiden griechischen Staedte Alexandreia in Unter- und Ptolemais in Oberaegypten
^5 sind streng gesondert und scharf sich entgegengesetzt und doch eigentlich
kaum verschieden. Der Land- wie der Stadtbezirk ist nicht bloss territorial
abgegrenzt, sondern jener wie dieser auch Heimatbezirk; die Zugehoerigkeit zu
einem jeden ist unabhaengig vom Wohnort und erblich. Der Aegypter aus dem
chemmitischen Nomos gehoert demselben mit den Seinigen ebenso an, wenn er seinen
Wohnsitz in Alexandreia hat, wie der in Chemmis wohnende Alexandriner der
Buergerschaft von Alexandreia. Der Landbezirk hat zu seinem Mittelpunkt immer
eine staedtische Ansiedlung, der chemmitische zum Beispiel die um den Tempel des
Chemmis oder des Pan erwachsene Stadt Panopolis, oder, wie dies in griechischer
Auffassung ausgedrueckt wird, es hat jeder Nomos seine Metropolis; insofern kann
jeder Landbezirk auch als Stadtbezirk gelten. Wie die Staedte sind auch die
Nomen in der christlichen Epoche die Grundlage der episkopalen Sprengel
geworden. Die Landbezirke ruhen auf den in Aegypten alles beherrschenden
Kultusordnungen; Mittelpunkt fuer einen jeden ist das Heiligtum einer bestimmten
Gottheit und gewoehnlich fuehrt er von dieser oder von dem heiligen Tier
derselben den Namen; so heisst der chemmitische Bezirk nach dem Gott Chemmis
oder nach griechischer Gleichung dem Pan, andere Bezirke nach dem Hund, dem
Loewen, dem Krokodil. Aber auch umgekehrt fehlt den Stadtbezirken der religioese
Mittelpunkt nicht; Alexandreias Schutzgott ist Alexander, der Schutzgott von
Ptolemais der erste Ptolemaeos, und die Priester, die dort wie hier fuer diesen
Kult und den ihrer Nachfolger eingesetzt sind, sind fuer beide Staedte die
Eponymen. Dem Landbezirk fehlt voellig die Autonomie: die Verwaltung, die
Besteuerung, die Rechtspflege liegen in der Hand der koeniglichen Beamten ^6 und
die Kollegialitaet, das Palladium des griechischen wie des roemischen
Gemeinwesens, ist hier in allen Stufen schlechthin ausgeschlossen. Aber in den
beiden griechischen Staedten ist es auch nicht viel anders. Es gibt wohl eine in
Phylen und Demen eingeteilte Buergerschaft, aber keinen Gemeinderat ^7; die
Beamten sind wohl andere und anders benannte als die der Nomen, aber auch
durchaus Beamte koeniglicher Ernennung und ebenfalls ohne kollegialische
Einrichtung. Erst Hadrian hat einer aegyptischen Ortschaft, dem von ihm zum
Andenken an seinen im Nil ertrunkenen Liebling angelegten Antinoopolis,
Stadtrecht nach griechischer Art gegeben und spaeterhin Severus, vielleicht
ebensosehr den Antiochenern zum Trutz als zu Nutz der Aegypter, der Hauptstadt
Aegyptens und der Stadt Ptolemais und noch mehreren anderen aegyptischen
Gemeinden zwar keine staedtischen Magistrate, aber doch einen staedtischen Rat
bewilligt. Bis dahin nennt sich zwar im offiziellen Sprachgebrauch die
aegyptische Stadt Nomos, die griechische Polis, aber eine Polis ohne Archonten
und Buleuten ist ein inhaltloser Name. So ist es auch in der Praegung. Die
aegyptischen Nomen haben das Praegerecht nicht gehabt; aber noch weniger hat
Alexandreia jemals Muenzen geschlagen. Aegypten ist unter allen Provinzen der
griechischen Reichshaelfte die einzige, welche keine andere Muenze als
Koenigsmuenze kennt. Auch in roemischer Zeit war dies nicht anders. Die Kaiser
stellten die unter den letzten Lagiden eingerissenen Missbraeuche ab: Augustus
beseitigte die unreelle Kupferpraegung derselben, und als Tiberius die
Silberpraegung wieder aufnahm, gab er dem aegyptischen Silbergeld ebenso reellen
Wert wie dem uebrigen Provinzialcourant des Reiches ^8. Aber der Charakter der
Praegung blieb im wesentlichen der gleiche ^9. Es ist ein Unterschied zwischen
Nomos und Polis wie zwischen dem Gott Chemmis und dem Gott Alexander; in
administrativer Hinsicht ist eine Verschiedenheit nicht da. Aegypten bestand aus
einer Mehrzahl aegyptischer und einer Minderzahl griechischer Ortschaften,
welche saemtlich der Autonomie entbehrten und saemtlich unter unmittelbarer und
absoluter Verwaltung des Koenigs und der von diesem ernannten Beamten standen.
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^4 Selbstverstaendlich ist hier das Land Aegypten gemeint, nicht die den
Lagiden unterworfenen Besitzungen. Kyrene war aehnlich geordnet. Aber auf das
suedliche Syrien und die uebrigen, laengere oder kuerzere Zeit in aegyptischer
Gewalt stehenden Territorien ist das eigentlich aegyptische Regiment niemals
angewandt worden.
^5 Dazu kommt weiter Naukratis, die aelteste schon vor den Ptolemaeern in
Aegypten gegruendete Griechenstadt; ferner Paraetonion, das freilich
gewissermassen schon ausserhalb der Grenzen Aegyptens liegt.
^6 Eine gewisse gemeinschaftliche Aktion, aehnlich derjenigen; wie sie auch
von den Regionen und den vici der sich selbst verwaltenden Stadtgemeinden geuebt
wird hat natuerlich nicht gefehlt: dahin gehoert, was von Agoranomie und
Gymnasiarchie in den Nomen begegnet, ebenso die Setzung von Ehrendenkmaelern und
dergleichen mehr, was uebrigens alles nur in geringem Umfang und meist erst
spaet sich zeigt. Nach dem Edikt des Alexander (CIG 4957, Z. 34) scheinen die
Strategen von dem Statthalter nicht eigentlich ernannt, sondern nur nach
angestellter Pruefung bestaetigt worden zu sein; wer den Vorschlag gehabt hat,
wissen wir nicht.
^7 Deutlich treten die Verhaeltnisse hervor in der im Anfang der Regierung
des Pius dem bekannten Redner Aristeides von den aegyptischen Griechen gesetzten
Inschrift (CIG 4679); als Dedikanten werden genannt /e/ polis t/o/n
Alexandre/o/n kai Ermo?polis /e/ megal/e/ kai /e/ boyl/e/ /e/ Antinoe/o/n ne/o/n
Ell/e/n/o/n kai oi en t/o/ Delta t/e/s Aig?ptoy kai oi ton TH/e/baikon nomon
oiko?ntes Ell/e/nes.. Also nur Antinoopolis, die Stadt der "neuen Hellenen", hat
eine Bule; Alexandreia erscheint ohne diese, aber als griechische Stadt in der
Gesamtheit. Ausserdem beteiligten sich bei dieser Widmung die im Delta und die
in Thebae lebenden Griechen, von den aegyptischen Staedten einzig Gross-
Hermopolis, wobei wahrscheinlich die unmittelbare Nachbarschaft von Antinoopolis
eingewirkt hat. Ptolemais legt Strabon (17, 1, 42 p. 813) ein s?st/e/ma
politikon en t/o/ Ell/e/nik/o/ trop/o/ bei; aber schwerlich darf man dabei an
mehr denken, als was der Hauptstadt nach ihrer uns genauer bekannten Verfassung
zustand, also namentlich an die Teilung der Buergerschaft in Phylen. Dass die
vorptolemaeische Griechenstadt Naukratis die Bule, die sie ohne Zweifel gehabt
hat, in ptolemaeischer Zeit behalten hat, ist moeglich, kann aber fuer die
Ptolemaeischen Ordnungen nicht entscheiden.
Dios Angabe (51, 17), dass Augustus die uebrigen aegyptischen Staedte bei
ihrer Ordnung beliess, den Alexandrinern aber wegen ihrer Unzuverlaessigkeit den
Gemeinderat nahm, beruht wohl auf Missverstaendnis, um so mehr, als danach
Alexandreia zurueckgesetzt erscheint gegen die sonstigen aegyptischen Gemeinden,
was durchaus nicht zutrifft.
^8 Die aegyptische Goldpraegung hoerte natuerlich mit der Einziehung des
Landes auf, da es im Roemischen Reiche nur Reichsgold gibt. Auch mit dem Silber
hat Augustus es ebenso gehalten und als Herr von Aegypten lediglich Kupfer und
auch dies nur in maessigen Quantitaeten schlagen lassen. Zuerst Tiberius praegte
seit 27/28 n. Chr. Silbermuenze fuer die aegyptische Zirkulation, dem Anschein
nach als Zeichengeld, da die Stuecke ungefaehr dem Gewicht nach 4, dem
Silbergehalt nach 1 roemischen Denar entsprechen (Feuardent, Numismatique de la
Egypte ancienne. Bd. 2, S. XI). Aber da im legalen Kurs die alexandrinische
Drachme als Obolus (also als Sechstel, nicht als Viertel; vergleiche Roemisches
Muenzwesen, S. 43, 723) des roemischen Denars angesetzt wurde (Hermes 5, 1870,
S. 136) und das provinziale Silber gegenueber dem Reichssilber immer verlor, ist
vielmehr das alexandrinische Tetradrachmon vom Silberwert eines Denars zum
Kurswert von 2s Denar angesetzt worden. Demnach ist bis auf Commodus, von wo ab
das alexandrinische Tetradrachmon wesentlich Kupfermuenze ist, dasselbe gerade
ebenso Wertmuenze gewesen wie das syrische Tetradrachmon und die kappadokische
Drachme; man hat nur jenem den alten Namen und das alte Gewicht gelassen.
^9 Dass Kaiser Hadrianus unter anderen seiner aegyptisierenden Launen auch
den Nomen so wie seiner neuen Antinoopolis fuer einmal das Praegerecht gab, was
dann nachher noch ein paar Mal geschehen ist, aendert an der Regel nichts.
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Es war hiervon eine Folge, dass Aegypten allein unter allen roemischen
Provinzen keine allgemeine Vertretung gehabt hat. Der Landtag ist die
Gesamtrepraesentation der sich selber verwaltenden Gemeinden der Provinz. In
Aegypten aber gab es solche nicht; die Nomen waren lediglich kaiserliche oder
vielmehr koenigliche Verwaltungsbezirke, und Alexandreia stand nicht bloss so
gut wie allein, sondern war ebenfalls ohne eigentliche munizipale Organisation.
Der an der Spitze der Landeshauptstadt stehende Priester konnte wohl sich
"Oberpriester von Alexandreia und ganz Aegypten" nennen und hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit dem Asiarchen und dem Bithyniarchen Kleinasiens; aber die tiefe
Verschiedenheit der Organisationen wird dadurch doch nur verdeckt.
Die Herrschaft traegt dementsprechend in Aegypten einen ganz anderen
Charakter als in dem uebrigen schliesslich unter dem Kaiserregiment
zusammengefassten Gebiet der griechischen und der roemischen Zivilisation. In
diesem verwaltet durchgaengig die Gemeinde; der Herrscher des Reiches ist genau
genommen nur der gemeinsame Vorsteher der zahlreichen mehr oder minder autonomen
Buergerschaften, und neben den Vorzuegen der Selbstverwaltung treten ihre
Nachteile und Gefahren ueberall hervor. In Aegypten ist der Herrscher Koenig,
der Landesbewohner sein Untertan, die Verwaltung die der Domaene. Diese
prinzipiell ebenso von oben herab absolut gefuehrte wie auf das gleiche
Wohlergehen aller Untertanen ohne Unterschied des Ranges und des Vermoegens
gerichtete Verwaltung ist die Eigenart des Lagidenregiments, entwickelt
wahrscheinlich mehr aus der Hellenisierung der alten Pharaonenherrschaft als aus
der staedtisch geordneten Weltherrschaft, wie der grosse Makedonier sie gedacht
hatte und wie sie am vollkommensten in dem syrischen Neu-Makedonien zur
Durchfuehrung gelangte. Das System forderte einen in eigener Person nicht bloss
heerfuehrenden, sondern in taeglicher Arbeit verwaltenden Koenig, eine
entwickelte und streng disziplinierte Beamtenhierarchie, ruecksichtslose
Gerechtigkeit gegen Hohe und Niedere; und wie diese Herrscher, nicht durchaus
ohne Grund, sich wohl den Namen des Wohltaeters (eyerget/e/s) beilegten, so darf
die Monarchie der Lagiden zusammengestellt werden mit der friderizianischen, von
der sie in den Grundzuegen sich nicht entfernte. Allerdings hatte die Kehrseite,
das unvermeidliche Zusammenbrechen des Systems in unfaehiger Hand, auch Aegypten
erfahren. Aber die Norm blieb; und der augustische Prinzipat neben der
Senatsherrschaft ist nichts als die Vermaehlung des Lagidenregiments mit der
alten staedtischen und buendischen Entwicklung.
Eine weitere Folge dieser Regierungsform ist die namentlich vom
finanziellen Standpunkt aus unzweifelhafte Ueberlegenheit der aegyptischen
Verwaltung ueber diejenige der uebrigen Provinzen. Man kann die vorroemische
Epoche bezeichnen als das Ringen der finanziell dominierenden Macht Aegyptens
mit dem raeumlich den uebrigen Osten erfuellenden asiatischen Reich; in der
roemischen setzt sich dies in gewissem Sinn darin fort, dass die kaiserlichen
Finanzen insbesondere durch den ausschliesslichen Besitz Aegyptens denen des
Senats ueberlegen gegenueberstehen. Wenn es der Zweck des Staates ist, den
moeglichst grossen Betrag aus dem Gebiet herauszuwirtschaften, so sind in der
alten Welt die Lagiden die Meister der Staatskunst schlechthin gewesen.
Insonderheit waren sie auf diesem Gebiet die Lehrmeister und die Vorbilder der
Caesaren. Wie viel die Roemer aus Aegypten zogen, vermoegen wir nicht mit
Bestimmtheit zu sagen. In der persischen Zeit hatte Aegypten einen Jahrestribut
von 700 babylonischen Talenten Silbers, etwa 4 Mill. Mark entrichtet; die
Jahreseinnahme der Ptolemaeer aus Aegypten oder vielmehr aus ihren Besitzungen
ueberhaupt betrug in ihrer glaenzendsten Periode 12800 aegyptische Silbertalente
oder 57 Mill. Mark und ausserdem 1« Mill. Artaben = 591000 Hektoliter Weizen; am
Ende ihrer Herrschaft reichlich 6000 Talente oder 23 Mill. Mark. Die Roemer
bezogen aus Aegypten jaehrlich den dritten Teil des fuer den Konsum von Rom
erforderlichen Korns, 20 Mill. roemische Scheffel ^10 = 1740000 Hektoliter;
indes ist ein Teil davon sicher aus den eigentlichen Domaenen geflossen, ein
anderer vielleicht gegen Entschaedigung geliefert worden, waehrend andererseits
die aegyptischen Steuern wenigstens zu einem grossen Teil in Geld angesetzt
waren, so dass wir nicht imstande sind, die aegyptische Einnahme der roemischen
Reichskasse auch nur annaehernd zu bestimmen. Aber nicht bloss durch ihre Hoehe
ist sie fuer die roemische Staatswirtschaft von entscheidender Bedeutung
gewesen, sondern weil sie als Vorbild diente zunaechst fuer den kaiserlichen
Domanialbesitz in den uebrigen Provinzen, ueberhaupt aber fuer die gesamte
Reichsverwaltung, wie dies bei deren Darlegung auseinanderzusetzen ist.
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^10 Diese Ziffer gibt die sogenannte Epitome Victors c. 1 fuer die Zeit
Augusts. Nachdem diese Abgabe auf Konstantinopel uebergegangen war, gingen dahin
unter Justinian (ed. 13 c. 8) jaehrlich 8 Mill. Artaben (denn diese sind nach c.
6 zu verstehen) oder 26 2/3 Mill. roemischer Scheffel (Hultsch, Metrologie, S.
628), wozu dann noch die von Diocletian eingefuehrte gleichartige Abgabe an die
Stadt Alexandreia hinzutritt. Den Schiffern wurden fuer den Transport nach
Konstantinopel jaehrlich 8000 Solidi = 100000 Mark aus der Staatskasse gezahlt.
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Aber wenn die kommunale Selbstverwaltung in Aegypten keine Staette hat und
in dieser Hinsicht zwischen den beiden Nationen, aus welchen dieser Staat ebenso
wie der syrische sich zusammensetzt, eine reale Verschiedenheit nicht besteht,
so ist zwischen ihnen in anderer Beziehung eine Schranke aufgerichtet, wozu
Syrien keine Parallele bietet. Nach der Ordnung der makedonischen Eroberer
disqualifizierte die aegyptische Ortsangehoerigkeit fuer saemtliche oeffentliche
Aemter und fuer den besseren Kriegsdienst. Wo der Staat seinen Buergern
Zuwendungen machte, beschraenkten sich diese auf die der griechischen Gemeinden
^11; die Kopfsteuer dagegen zahlten lediglich die Aegypter, und auch von den
Gemeindelasten, die die Eingesessenen des einzelnen aegyptischen Bezirkes
treffen, sind die daselbst ansaessigen Alexandriner befreit ^12. Obwohl im Fall
des Vergehens der Ruecken des Aegypters wie des Alexandriners buesste, so durfte
doch dieser sich ruehmen, und tat es auch, dass ihn der Stock treffe und nicht
wie jenen die Peitsche ^13. Sogar die Gewinnung des besseren Buergerrechts war
den Aegyptern untersagt ^14. Die Buergerverzeichnisse der zwei grossen von den
beiden Reichsgruendern geordneten und benannten Griechenstaedte in Unter- und
Oberaegypten fassten die herrschende Bevoelkerung in sich, und der Besitz des
Buergerrechts einer dieser Staedte war in dem Aegypten der Ptolemaeer dasselbe,
was der Besitz des roemischen Buergerrechts im Roemischen Reich. Was Aristoteles
dem Alexander empfahl, den Hellenen ein Herrscher (/e/gem/o/n), den Barbaren ein
Herr zu sein, jene als Freunde und Genossen zu versorgen, diese wie die Tiere
und die Pflanzen zu nutzen, das haben die Ptolemaeer in vollem Umfang praktisch
durchgefuehrt. Der Koenig, groesser und freier als sein Lehrmeister, trug den
hoeheren Gedanken im Sinne der Umwandlung der Barbaren in Hellenen oder
wenigstens der Ersetzung der barbarischen Ansiedlungen durch hellenische, und
diesem gewaehrten die Nachfolger fast ueberall und namentlich in Syrien breiten
Spielraum ^15. In Aegypten geschah das gleiche nicht. Wohl suchten dessen
Herrscher mit den Eingeborenen namentlich auf dem religioesen Gebiet Fuehlung zu
halten und wollten nicht als Griechen ueber die Aegypter, viel eher als irdische
Goetter ueber die Untertanen insgemein herrschen; aber damit vertrug sich die
ungleiche Berechtigung der Untertanen durchaus, eben wie die rechtliche und
faktische Bevorzugung des Adels ein ebenso wesentlicher Teil des
friderizianischen Regiments war wie die gleiche Gerechtigkeit gegen Vornehme und
Geringe.
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^11 Wenigstens schloss Kleopatra bei einer Getreideverteilung in
Alexandreia die Juden aus (Ios. c. Ap. 2, 5), um so viel mehr also die Aegypter.
^12 Das Edikt des Alexander (CIG 4957) Z. 33 f. befreit die en t/e/ ch/o/ra
(nicht en t/e/ polei) ihrer Geschaefte wegen wohnhaften eggeneis Alexandreis von
den leitoyrgiai ch/o/rikai.
^13 "Es bestehen", sagt der alexandrinische Jude Philon (in Flacc. 10),
"hinsichtlich der koerperlichen Zuechtigung (t/o/n mastig/o/n) Unterschiede in
unserer Stadt nach dem Stande der zu Zuechtigenden: die Aegypter werden mit
anderer Geissel gezuechtigt und von anderen, die Alexandriner aber mit Stoecken
(spathais; spath/e/ ist die Rispe des Palmblatts) und von den alexandrinischen
Stocktraegern" (spath/e/phoroi, etwa bacillarius). Er beklagt sich nachher
bitter, dass die Aeltesten seiner Gemeinde, wenn sie einmal gehauen werden
sollten, nicht wenigstens mit den anstaendigen Buergerpruegeln (tais
eleytheri/o/terais kai politik/o/terais mastixin) bedacht worden seien.
^14 Ios. c. Ap. 2, 4: monois Aigyptiois oi k?rioi n?n R/o/maioi t/e/s
oikoymen/e/s metalambanein /e/stinoso?n politeias apeir/e/kasin. 6: Aegyptiis
neque regum quisquam videtur ius civitatis fuisse largitus neque nunc quilibet
imperatorum (vgl. Eph. epigr. V, p. 13). Derselbe rueckt seinem Widersacher vor
(2, 3, 4), dass er, ein geborener Aegypter, seine Heimat verleugnet und sich
fuer einen Alexandriner ausgegeben habe. Einzelausnahmen werden dadurch nicht
ausgeschlossen.
^15 Auch die alexandrinische Wissenschaft hat im Sinne des Koenigs gegen
diesen Satz (Plut. de fort. Alex. 1, 6) protestiert; Eratosthenes bezeichnete
die Zivilisation als nicht den Hellenen allein eigen und nicht allen Barbaren
abzusprechen, zum Beispiel nicht den Indern, den Arianern, den Roemern, den
Karthagern; die Menschen seien vielmehr zu teilen in "gute" und "schlechte"
(Strabon 1. fin. p. 66). Aber von dieser Theorie ist auf die aegyptische Rasse
auch unter den Lagiden keine praktische Anwendung gemacht worden.
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Wie die Roemer im Orient ueberhaupt das Werk der Griechen fortsetzten, so
blieb auch die Ausschliessung der einheimischen Aegypter von der Gewinnung des
griechischen Buergerrechts nicht bloss bestehen, sondern wurde auf das roemische
Buergerrecht ausgedehnt. Der aegyptische Grieche dagegen konnte das letztere
ebenso wie jeder andere Nichtbuerger gewinnen. Der Eintritt freilich in den
Senat wurde ihm so wenig gestattet wie dem roemischen Buerger aus Gallien, und
diese Beschraenkung ist viel laenger fuer Aegypten als fuer Gallien in Kraft
geblieben ^16; erst im Anfang des dritten Jahrhunderts wurde in einzelnen
Faellen davon abgesehen, und als Regel hat sie noch im fuenften gegolten. In
Aegypten selbst wurden die Stellungen der Oberbeamten, das heisst der fuer die
ganze Provinz fungierenden, und ebenso die Offizierstellen den roemischen
Buergern in der Form vorbehalten, dass als Qualifikation dafuer das Ritterpferd
verlangt ward; es war dies durch die allgemeine Reichsordnung gegeben, und
aehnliche Privilegien hatten ja in Aegypten unter den frueheren Lagiden die
Makedonier gegenueber den sonstigen Griechen besessen. Die Aemter zweiten Ranges
blieben unter roemischer Herrschaft wie bisher den aegyptischen Aegyptern
verschlossen und wurden mit Griechen besetzt, zunaechst den Buergern von
Alexandreia und Ptolemais. Wenn im Reichskriegsdienst fuer die erste Klasse das
roemische Buergerrecht gefordert wurde, so liess man doch bei den in Aegypten
selbst stationierten Legionen auch den aegyptischen Griechen nicht selten in der
Weise zu, dass ihm bei der Aushebung das roemische Buergerrecht verliehen ward.
Fuer die Kategorie der Auxiliartruppen unterlag die Zulassung der Griechen
keiner Beschraenkung; die Aegypter aber sind auch hierfuer wenig oder gar nicht,
dagegen fuer die unterste Klasse, die in der ersten Kaiserzeit noch aus Sklaven
gebildete Flottenmannschaft, spaeterhin in betraechtlicher Zahl verwendet
worden. Im Lauf der Zeit hat die Zuruecksetzung der eingeborenen Aegypter wohl
in ihrer Strenge nachgelassen und sind dieselben oefter zum griechischen und
mittels dessen auch zum roemischen Buergerrecht gelangt; im ganzen aber ist das
roemische Regiment einfach die Fortsetzung wie der griechischen Herrschaft so
auch der griechischen Exklusivitaet gewesen. Wie das makedonische Regiment sich
mit Alexandreia und Ptolemais begnuegt hatte, so hat auch das roemische einzig
in dieser Provinz nicht eine einzige Kolonie gegruendet ^17.
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^16 Auch die Zulassung zu den ritterlichen Stellungen war wenigstens
erschwert: non est ex albo iudex patre Aegyptio (CIL IV, 1943; vgl. Roemisches
Staatsrecht, Bd. 2, S. 919, A. 2; Eph. epigr. V, p. 13 n. 2). Doch begegnen
frueh einzelne Alexandriner in ritterlichen Aemtern wie Tiberius Julius
Alexander (Anm. 21).
^17 Wenn die Worte des Plinius (nat. 5, 31, 128) genau sind, dass die
Pharos-Insel vor dem Hafen von Alexandreia eine colonia Caesaris dictatoris sei
(vgl. 5, 221), so hat der Diktator auch hier ueber Aristoteles hinaus wie
Alexander gedacht. Darueber aber kann kein Zweifel sein, dass nach der
Einziehung Aegyptens es dort nie eine roemische Kolonie gegeben hat.
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Auch die Sprachordnung ist in Aegypten wesentlich unter den Roemern
geblieben, wie die Ptolemaeer sie festgestellt hatten. Abgesehen von dem
Militaer, bei dem das Lateinische allein herrschte, ist fuer den Verkehr der
oberen Stellen die Geschaeftssprache die griechische. Der einheimischen Sprache,
die von den semitischen wie von den arischen Sprachen radikal verschieden, am
naechsten vielleicht derjenigen der Berber in Nordafrika verwandt ist, und der
einheimischen Schrift haben die roemischen Herrscher und ihre Statthalter sich
nie bedient, und wenn schon unter den Ptolemaeern den aegyptisch geschriebenen
Aktenstuecken griechische Uebersetzung beigefuegt werden musste, so gilt fuer
diese ihre Nachfolger mindestens dasselbe. Allerdings blieb es den Aegyptern
unverwehrt, soweit es ihnen nach dem Ritual erforderlich oder sonst zweckmaessig
erschien, sich der Landessprache und ihrer altgeheiligten Schriftzeichen zu
bedienen; es musste auch in diesem alten Heim des Schriftgebrauchs im
gewoehnlichen Verkehr nicht bloss bei Privatkontrakten, sondern selbst bei
Steuerquittungen und aehnlichen Schriftstuecken die dem grossen Publikum allein
gelaeufige Landessprache und die uebliche Schrift zugelassen werden. Aber es war
dies eine Konzession und der herrschende Hellenismus bemueht, sein Reich zu
erweitern. Das Bestreben, den im Lande herrschenden Anschauungen und
Ueberlieferungen auch im Griechischen einen allgemein gueltigen Ausdruck zu
schaffen, hat der Doppelnamigkeit in Aegypten eine Ausdehnung gegeben wie
nirgend sonst. Alle aegyptischen Goetter, deren Namen nicht selbst den Griechen
gelaeufig wurden, wie der der Isis, wurden mit entsprechenden oder auch nicht
entsprechenden griechischen geglichen; vielleicht die Haelfte der Ortschaften,
eine Menge von Personen fuehren sowohl eine einheimische wie eine griechische
Benennung. Allmaehlich drang hierin die Hellenisierung durch. Die alte heilige
Schrift begegnet auf den erhaltenen Denkmaelern zuletzt unter Kaiser Decius um
die Mitte des 3., ihre gelaeufigere Abart zuletzt um die Mitte des 5.
Jahrhunderts; aus dem gemeinen Gebrauch sind beide betraechtlich frueher
verschwunden. Die Vernachlaessigung und der Verfall der einheimischen Elemente
der Zivilisation drueckt sich darin aus. Die Landessprache selbst behauptete
sich noch lange nachher in den abgelegenen Orten und den niederen Schichten und
ist erst im 17. Jahrhundert voellig erloschen, nachdem sie, die Sprache der
Kopten, gleich wie die syrische, infolge der Einfuehrung des Christentums und
der auf die Hervorrufung einer volkstuemlich-christlichen Literatur gerichteten
Bemuehungen, in der spaeteren Kaiserzeit eine beschraenkte Regeneration erfahren
hatte.
In dem Regiment kommt vor allem in Betracht die Unterdrueckung des Hofes
und der Residenz, die notwendige Folge der Einziehung des Landes durch Augustus.
Es blieb wohl, was bleiben konnte. Auf den in der Landessprache, also bloss fuer
Aegypter geschriebenen Inschriften heissen die Kaiser wie die Ptolemaeer Koenige
von Ober- und Unteraegypten und die Auserwaehlten der aegyptischen
Landesgoetter, daneben freilich auch, was bei den Ptolemaeern nicht geschehen
war, Grosskoenige ^18. Die Zeiten zaehlte man in Aegypten wie bisher nach dem
landueblichen Kalender und seinem auf die roemischen Herrscher uebergehenden
Koenigsjahr; den goldenen Becher, den in jedem Juni der Koenig in den
schwellenden Nil warf, warf jetzt der roemische Vizekoenig. Aber damit reichte
man nicht weit. Der roemische Herrscher konnte die mit seiner Reichsstellung
unvereinbare Rolle des aegyptischen Koenigs nicht durchfuehren. Mit der
Vertretung durch einen Untergebenen machte der neue Landesherr gleich bei dem
ersten nach Aegypten gesandten Statthalter unbequeme Erfahrungen; der tuechtige
Offizier und talentvolle Poet, der es nicht hatte lassen koennen, auch seinen
Namen den Pyramiden einzuschreiben, wurde deswegen abgesetzt und ging daran
zugrunde. Es war unvermeidlich, hier Schranken zu setzen. Die Geschaefte, deren
Erledigung nach dem Alexandersystem nicht minder dem Fuersten persoenlich oblag
^19 wie nach der Ordnung des roemischen Prinzipats, mochte der roemische
Statthalter fuehren wie der einheimische Koenig; Koenig durfte er weder sein
noch scheinen ^20. Es ward das in der zweiten Stadt der Welt sicher tief und
schwer empfunden. Der blosse Wechsel der Dynastie waere nicht allzu sehr ins
Gewicht gefallen. Aber ein Hof wie der der Ptolemaeer, geordnet nach dem
Zeremoniell der Pharaonen, Koenig und Koenigin in ihrer Goettertracht, der Pomp
der Festzuege, der Empfang der Priesterschaften und der Gesandten, die
Hofbankette, die grossen Zeremonien der Kroenung, der Eidesleistung, der
Vermaehlung, der Bestattung, die Hofaemter der Leibwaechter und des
Oberleibwaechters (archis/o/matoph?lax), des einfuehrenden Kammerherrn
(eisanggele?s), des Obertafelmeisters (archedeatros), des Oberjaegermeisters
(archikyn/e/gos), die Vettern und Freunde des Koenigs, die Dekorierten - das
alles ging fuer die Alexandriner ein fuer alle Mal unter mit der Verlegung des
Herrschersitzes vom Nil an den Tiber. Nur die beiden beruehmten alexandrinischen
Bibliotheken blieben dort mit allem ihrem Zubehoer und Personal als Rest der
alten koeniglichen Herrlichkeit. Ohne Frage buesste Aegypten bei der
Depossedierung seiner Regenten sehr viel mehr ein als Syrien; freilich waren
beide Voelkerschaften in der machtlosen Lage, dass sie hinnehmen mussten, was
ihnen angesonnen ward, und an eine Auflehnung fuer die verlorene
Weltmachtstellung ist hier so wenig wie dort auch nur gedacht worden.
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^18 Augustus' Titulatur lautet bei den aegyptischen Priestern
folgendermassen: "Der schoene Knabe, lieblich durch Liebenswuerdigkeit, der
Fuerst der Fuersten, auserwaehlt von Ptah und Nun dem Vater der Goetter, Koenig
von Oberaegypten und Koenig von Unteraegypten, Herr der beiden Laender,
Autokrator, Sohn der Sonne, Herr der Diademe, Kaisar, ewig lebend, geliebt von
Ptah und Isis"; wobei die beiden Eigennamen Autokrator Kaisar aus dem
Griechischen beibehalten sind. Der Augustustitel kommt zuerst bei Tiberius in
aegyptischer Uebersetzung (ntixu), mit beibehaltenem griechischem Sebastos
zuerst unter Domitian vor. Die Titulatur des schoenen lieblichen Knaben, welche
in besserer Zeit nur den zu Mitregenten erklaerten Kindern gegeben zu werden
pflegt, ist spaeterhin stereotyp geworden und findet sich wie fuer Caesarion und
Augustus, so auch fuer Tiberius, Claudius, Titus, Domitian verwendet. Wichtiger
ist es, dass abweichend von der aelteren Titulatur, wie sie zum Beispiel
griechisch auf der Inschrift von Rosette sich findet (CIG 4697), bei den
Caesaren von Augustus an der Titel hinzutritt "Fuerst der Fuersten", womit ohne
Zweifel deren, den frueheren Koenigen fehlende Grosskoenigstellung ausgedrueckt
werden soll.
^19 Wenn die Leute wuessten, pflegte Koenig Seleukos zu sagen (Plus. an
seni 11), was es fuer eine Last ist, so viele Briefe zu schreiben und zu lesen,
so wuerden sie das Diadem, wenn es zu ihren Fuessen laege, nicht aufheben.
^20 Dass derselbe andere Abzeichen trug als die Offiziere ueberhaupt
(Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 271), wird aus vita Hadr. 4 schwerlich
gefolgert werden duerfen.
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Die Verwaltung des Landes liegt, wie schon gesagt ward, in den Haenden des
"Stellvertreters", das heisst des Vizekoenigs; denn obwohl der neue Landesherr,
mit Ruecksicht auf seine Stellung im Reiche, sowohl fuer sich wie fuer seine
hoeher gestellten Vertreter der koeniglichen Benennungen auch in Aegypten sich
enthielt, so hat er doch der Sache nach durchaus als Nachfolger der Ptolemaeer
die Herrschaft gefuehrt, und die gesamte zivile wie militaerische Obergewalt ist
in seiner und seines Vertreters Hand vereinigt. Dass weder Nichtbuerger noch
Senatoren diese Stellung bekleiden durften, ist schon bemerkt worden;
Alexandrinern, wenn sie zum Buergerrecht und ausnahmsweise zum Ritterpferd
gelangt waren, ist sie zuweilen uebertragen worden ^21. Im uebrigen stand dieses
Amt unter den nicht senatorischen an Rang und Einfluss anfaenglich allen
uebrigen voran und spaeterhin einzig der Kommandantur der kaiserlichen Garde
nach. Ausser den eigentlichen Offizieren, wobei nur der Ausschluss des Senators
und die dadurch bedingte niedrigere Titulatur des Legionskommandanten
(praefectus statt legatus) von der allgemeinen Ordnung sich entfernt, fungieren
neben und unter dem Statthalter und gleichfalls fuer ganz Aegypten ein oberster
Beamter fuer die Justiz und ein oberster Finanzverwalter, beide ebenfalls
roemische Buerger vom Ritterrang und, wie es scheint, nicht dem
Verwaltungsschema der Ptolemaeer entlehnt, sondern nach einem auch in anderen
kaiserlichen Provinzen angewandten Verfahren dem Statthalter zu- und
untergeordnet ^22.
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^21 So hat Tiberius Julius Alexander, ein alexandrinischer Jude, in den
letzten Jahren Neros diese Statthalterschaft gefuehrt; allerdings gehoerte er
einer sehr reichen und vornehmen, selbst mit dem kaiserlichen Hause
verschwaegerten Familie an und hatte im Partherkrieg sich als Generalstabschef
Corbulos ausgezeichnet, welche Stellung er bald nachher in dem Juedischen Krieg
des Titus abermals uebernahm. Er muss einer der tuechtigsten Offiziere dieser
Epoche gewesen sein. Ihm ist die pseudo-aristotelische, offenbar von einem
andern alexandrinischen Juden verfasste Schrift peri kosmo? gewidmet (J.
Bernays, Gesammelte Abhandlungen. Bd. 2, S. 278).
^22 Unverkennbar sind der iuridicus Aegypti (CIL X, 6976; auch missus in
Aegyptum ad iurisdictionem Bull. dell' Inst. 1856, S. 142; iuridicus Alexandreae
CIL VI, 1564; VIII, 8925, 8934; Dig. 1, 20, 2) und der idiologus ad Aegyptum
(CIL X, 4862; procurator ducenarius Alexandriae idiulogu Eph. epigr. V, p. 30
und CIG 3751; o gn/o/m/o/n to? idioy logoy CIG 4957 v. 44 vgl. v. 39) den neben
den Legaten der kaiserlichen Provinzen stehenden Hilfsbeamten fuer die
Rechtspflege (legati iuridici) und die Finanzen (procuratores provinciae)
nachgebildet (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 223, A. 5). Dass sie
fuer das ganze Land bestellt und dem praefectus Aegypti untergeordnet waren,
sagt Strabon (17, 1, 12 p. 797) ausdruecklich und fordert auch die oeftere
Erwaehnung Aegyptens in der Titulatur sowie die Wendung in dem Edikt CIG 4957 v.
39. Ausschliesslich aber war ihre Kompetenz nicht; "viele Prozesse", sagt
Strabon, "entscheidet der rechtsprechende Beamte" (dass es Vormuender gab, lehrt
Dig. 1, 20, 2), und nach demselben liegt es dem Idiologos namentlich ob, die
bona vacantia et caduca fuer den Fiskus einzuziehen.
Dies schliesst nicht aus, dass der roemische iuridicus an die Stelle des
aelteren Dreissigergerichts mit dem archidikast/e/s an der Spitze (Diodor 1, 75)
getreten ist, welcher aegyptisch ist und nicht mit dem alexandrinischen
archidikast/e/s verwechselt werden darf, uebrigens vielleicht schon vor der
roemischen Zeit beseitigt worden ist, und dass der Idiologos hervorgegangen ist
aus einem in Aegypten bestehenden Anrecht des Koenigs auf die Erbschaften, wie
es im uebrigen Reiche in gleicher Ausdehnung nicht vorkam; welches letztere
Lumbroso (Recherchen, S. 285) sehr wahrscheinlich gemacht hat.
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Alle uebrigen Beamten fungieren nur fuer einzelne Bezirke und sind in der
Hauptsache aus der ptolemaeischen Ordnung uebernommen. Dass die Vorsteher der
drei Provinzen Unter-, Mittel- und Oberaegypten, abgesehen vom Kommando mit dem
gleichen Geschaeftskreis, wie der Statthalter ausgestattet, in augustischer Zeit
aus den aegyptischen Griechen, spaeterhin wie die eigentlichen Oberbeamten aus
der roemischen Ritterschaft genommen wurden, ist bemerkenswert als ein Symptom
der im Verlauf der Kaiserzeit sich steigernden Zurueckdraengung des
einheimischen Elements in der Magistratur.
Unter diesen oberen und mittleren Behoerden stehen die Lokalbeamten, die
Vorsteher der aegyptischen wie der griechischen Staedte nebst den sehr
zahlreichen, bei dem Hebungswesen und den mannigfaltigen, auf den
Geschaeftsverkehr gelegten Abgaben beschaeftigten Subalternen und wieder in dem
einzelnen Bezirk die Vorsteher der Unterbezirke und der Doerfer, welche
Stellungen mehr als Lasten denn als Ehren angesehen und den Ortsangehoerigen
oder Ortsansaessigen, jedoch mit Ausschluss der Alexandriner, durch den
Oberbeamten auferlegt werden; die wichtigste darunter, die Vorstandschaft des
Nomos, wird auf je drei Jahre von dem Statthalter besetzt. Die oertlichen
Behoerden der griechischen Staedte waren der Anzahl wie der Titulatur nach
andere; in Alexandreia namentlich fungierten vier Oberbeamten, der Priester
Alexanders 23, der Stadtschreiber (thpomn/e/matographos) ^24, der Oberrichter
(archidikast/e/s) und der Nachtwaechtermeister (nykterinos strat/e/gos). Dass
sie angesehener waren als die Strategen der Nomen, versteht sich von selbst und
zeigt deutlich das dem ersten alexandrinischen Beamten zustehende Purpurgewand.
uebrigens ruehren sie ebenfalls aus der Ptolemaeerzeit her und werden wie die
Nomenvorsteher aus den Eingesessenen von der roemischen Regierung auf Zeit
ernannt. Roemische Beamte kaiserlicher Ernennung finden sich unter diesen
staedtischen Vorstehern nicht. Aber der Priester des Museion, der zugleich der
Praesident der alexandrinischen Akademie der Wissenschaften ist und auch ueber
die bedeutenden Geldmittel dieser Anstalt verfuegt, wird vom Kaiser ernannt;
ebenso werden die Aufsicht ueber das Alexandergrab und die damit verbundenen
Baulichkeiten und einige andere wichtige Stellungen in der Hauptstadt Aegyptens
von der Regierung in Rom mit Beamten von Ritterrang besetzt ^25.
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^23 Der ek/e/g/e/t/e/s, nach Strabon (17, 1, 12 p. 797) der erste
staedtische Beamte in Alexandreia unter den Ptolemaeern wie unter den Roemern
und berechtigt, den Purpur zu tragen, ist sicher identisch mit dem Jahrpriester
in dem Testament Alexanders des in solchen Dingen sehr wohl unterrichteten
Alexanderromans (3, 33 p. 149 Mueller). Wie der Exegetes neben seiner wohl im
religioesen Sinn zu fassenden Titulatur die epimeleia t/o/n t/e/ polei
chr/e/sim/o/n hat, so ist jener Priester des Romans epimelist/e/s t/e/s
pole/o/s. So wenig wie den Purpur und den goldenen Kranz wird der Romanschreiber
auch die Besoldung von einem Talent und die Erblichkeit erfunden haben; die
letztere, bei welcher auch Lumbroso (L'Egitto al tempo dei Greci e Romani. 1882,
S. 152) an den ex/e/g/e/t/e/s enarchos der alexandrinischen Inschriften (CIG
4688, 4976 c) erinnert, ist vermutlich in der Weise zu denken, dass ein gewisser
Kreis von Personen durch Erbrecht berufen war und der Statthalter aus diesen den
Jahrpriester bestellte. Dieser Priester Alexanders (sowie der folgenden
aegyptischen Koenige, nach dem Stein von Kanopos und dem von Rosette CIG 4697)
war unter den frueheren Lagiden fuer die alexandrinischen Akte eponym, waehrend
spaeter wie unter den Roemern dafuer die Koenigsnamen eintreten. Nicht
verschieden von ihm ist wohl auch der "Oberpriester von Alexandreia und ganz
Aegypten" einer stadtroemischen Inschrift aus hadrianischer Zeit (CIG 5900:
archierei Alexandreias kai Aig?ptoy pas/e/s Deyki/o/ Ioyli/o/ Oy/e/stin/o/ kai
epistatei to? moyseioy kai epi t/o/n en R/o/m/e/ bibliosth/e/k/o/n R/o/maik/o/n
te kai Ell/e/nik/o/n kai epi t/e/s paideias Adriano?, epistolei toi ayto?
aytokratoros); die eigentliche Titulatur ex/e/g/e/t/e/s wurde, da sie
gewoehnlich den Kuester bezeichnet, ausserhalb Aegyptens vermieden. Sollte, was
die Fassung der Inschrift nahe legt, das Oberpriestertum damals dauernd gewesen
sein, so wiederholt sich bekanntlich der Uebergang von der Jaehrigkeit zu der
wenigstens titularen, nicht selten auch reellen Lebenslaenglichkeit ueberhaupt
bei den Sacerdotien der Provinzen, zu denen dieses alexandrinische zwar nicht
gehoert, aber deren Stelle es in Aegypten vertritt. Dass das Priestertum und die
Vorstandschaft des Museums zwei verschiedene Aemter sind, zeigt die Inschrift
selbst. Dasselbe lehrt die Inschrift eines koeniglichen Oberarztes aus guter
Lagidenzeit, der daneben sowohl Exeget ist wie Vorsteher des Museums (CHr?sermon
/E/rakleitoy Alexandrea ton sthggen/e/ basile/o/s Ptolemaioy kai ex/e/g/e/t/e/n
kai epi t/o/n iatr/o/n kai epistat/e/n to? Mo?seioy). Aber beide Denkmaeler
legen zugleich nahe, dass die Stellung des ersten Beamten von Alexandreia und
die Vorstandschaft des Museums haeufig demselben Manne uebertragen worden sind,
obwohl in roemischer Zeit jene vom Praefekten, diese vom Kaiser vergeben ward.
^24 Nicht zu verwechseln mit dem gleichartigen Amt, das Philon (in Flacc.
16) erwaehnt und Lukianos (apolog. 12) bekleidete; dies ist kein staedtisches,
sondern eine Subalternstelle bei der Praefektur von Aegypten, lateinisch a
commentariis oder ab actis.
^25 Dies ist der procurator Neaspoleos et mausolei Alexandriae (CIL VIII,
8934; Henzen 6929). Beamte gleicher Art und gleichen Ranges, deren Kompetenz
aber nicht klar erhellt, sind der procurator ad Mercurium Alexandreae (CIL X,
3847) und der procurator Alexandreae Pelusii (CIL VI, 1624). Auch der Pharus
steht unter einem kaiserlichen Freigelassenen (CIL VI, 8582).
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Selbstverstaendlich sind Alexandriner und Aegypter in diejenigen
Praetendentenbewegungen hineingezogen worden, die vom Orient ausgingen, und
haben dabei regelmaessig mitgemacht; auf diese Weise sind hier Vespasian,
Cassius, Niger, Macrianus, Vaballathus, der Sohn der Zenobia, Probus zu
Herrschern ausgerufen worden. Die Initiative aber haben in allen diesen Faellen
weder die Buerger von Alexandreia ergriffen noch die wenig angesehenen
aegyptischen Truppen, und die meisten dieser Revolutionen, auch die
misslungenen, haben fuer Aegypten keine besonders empfindlichen Folgen gehabt.
Aber die an den Namen der Zenobia sich knuepfende Bewegung ist fuer Alexandreia
und fuer ganz Aegypten fast ebenso verhaengnisvoll geworden wie fuer Palmyra. In
Stadt und Land standen die palmyrenisch und roemisch Gesinnten mit den Waffen
und der Brandfackel in der Hand sich gegenueber. An der Suedgrenze rueckten die
barbarischen Blemyer ein, wie es scheint im Einverstaendnis mit dem palmyrenisch
gesinnten Teil der Bewohner Aegyptens, und bemaechtigten sich eines grossen
Teils von Oberaegypten ^26. In Alexandreia war der Verkehr zwischen den beiden
feindlichen Quartieren aufgehoben, selbst Briefe zu befoerdern, war schwierig
und gefaehrlich ^27. Die Gassen starrten von Blut und von unbegrabenen Leichen.
Die dadurch erzeugten Seuchen wueteten noch aerger als das Schwert; und damit
keines der vier Rosse des Verderbens mangele, versagte auch der Nil und gesellte
sich die Hungersnot zu den uebrigen Geisseln. Die Bevoelkerung schmolz in der
Weise zusammen, dass, wie ein Zeitgenosse sagt, es frueher in Alexandreia mehr
Greise gab als nachher Buerger. Als der von Claudius gesandte Feldherr Probus
endlich die Oberhand gewann, warfen sich die palmyrenisch Gesinnten, darunter
die Mehrzahl der Ratsmitglieder, in das feste Kastell Prucheion in der
unmittelbaren Naehe der Stadt; und obwohl, als Probus den Austretenden Schonung
des Lebens verhiess, die grosse Mehrzahl sich unterwarf, harrte doch ein
betraechtlicher Teil der Buergerschaft bis zum Aeussersten aus in dem Kampf der
Verzweiflung. Die Festung, endlich durch Hunger bezwungen (270), wurde
geschleift und lag seitdem oede; die Stadt aber verlor ihre Mauern. In dem Lande
haben die Blemyer sich noch jahrelang behauptet; erst Kaiser Probus hat
Ptolemais und Koptos ihnen wieder entrissen und sie aus dem Lande
hinausgeschlagen. Der Notstand, den diese durch eine Reihe von Jahren sich
hinziehenden Unruhen hervorgerufen haben muessen, mag dann wohl die einzige
nachweislich in Aegypten entstandene Revolution ^28 zum Ausbruch gebracht haben.
Unter der Regierung Diocletians lehnten sich, wir wissen nicht warum und wozu,
sowohl die eingeborenen Aegypter wie die Buergerschaft von Alexandreia gegen die
bestehende Regierung auf. Es wurden Gegenkaiser aufgestellt, Lucius Domitius
Domitianus und Achilleus, falls nicht etwa beide Namen dieselbe Persoenlichkeit
bezeichnen; die Empoerung waehrte drei bis vier Jahre; die Staedte Busiris im
Delta und Koptos unweit Theben wurden von den Truppen der Regierung zerstoert
und schliesslich unter der eigenen Fuehrung Diocletians im Fruehjahr 297 die
Hauptstadt nach achtmonatlicher Belagerung bezwungen. Von dem Herunterkommen des
reichen, aber durchaus auf den inneren und aeusseren Frieden angewiesenen Landes
zeugt nichts so deutlich wie die im Jahre 302 erlassene Verfuegung desselben
Diocletian, dass ein Teil des bisher nach Rom gesandten aegyptischen Getreides
in Zukunft der alexandrinischen Buergerschaft zugute kommen solle ^29.
Allerdings gehoert dies zu den Massregeln, welche die Dekapitalisierung Roms
bezweckten; aber den Alexandrinern, die zu beguenstigen dieser Kaiser wahrlich
keine Ursache hatte, waere die Lieferung nicht zugewandt worden, wenn sie sie
nicht dringend gebraucht haetten.
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^26 Auf die Allianz der Palmyrener und der Blemyer deutet die Notiz der
vita Firmi c. 3 und dass nach Zosimus (hist. 1, 71) Ptolemais zu den Blemyern
abfiel (vgl. Eus. hist. eccl. 7, 32). Aurelian hat mit diesen nur verhandelt
(vita 34. 41); Probus erst warf sie wieder aus Aegypten (Zos. a. a. O.; vita
17).
^27 Wir besitzen noch dergleichen Briefe, von dem damaligen Bischof der
Stadt Dionysios (+ 265), an die in der feindlichen Stadthaelfte abgesperrten
Gemeindeglieder gerichtet (Eus. hist. eccl. 7, 21, 22 vgl. 32). Wenn es darin
heisst: "leichter kommt man vom Orient in den Okzident als von Alexandreia nach
Alexandreia" und /e/ mesaitat/e/ t/e/s pole/o/s odos, also die von der
Lochiasspitze quer durch die Stadt laufende, mit Saeulenhallen besetzte Strasse
(vgl. Lumbroso, L'Egitto, S. 137) mit der Wueste zwischen Aegypten und dem
Gelobten Lande verglichen wird, so scheint es fast, als habe Severus Antoninus
seine Drohung ausgefuehrt, eine Mauer quer durch die Stadt zu ziehen und
militaerisch zu besetzen (Dio 77, 23). Die Schleifung der Mauern nach der
Niederwerfung des Aufstandes (Amm. 22,16,15) wuerde dann auf ebendiesen Bau zu
beziehen sein.
^28 Die angeblich aegyptischen Tyrannen Aemilianus, Firmus, Saturninus sind
als solche wenigstens nicht beglaubigt. Die sogenannte Lebensbeschreibung des
zweiten ist nichts als die arg entstellte Katastrophe des Prucheion.
^29 Chr. Pasch. p. 514; Prok. hist. 26; Gothofred zu Cod. Theod. 14, 26, 2.
Staendige Kornverteilungen sind schon frueher in Alexandreia eingerichtet
worden, aber, wie es scheint, nur fuer altersschwache Personen, und vermutlich
fuer Rechnung der Stadt, nicht des Staats (Eus. hist. eccl. 7, 21).
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Wirtschaftlich ist Aegypten bekanntlich vor allem das Land des Ackerbaues.
Zwar ist die "schwarze Erde" - das bezeichnet der einheimische Landesname Chemi
- nur ein schmaler Doppelstreifen zu beiden Seiten des maechtigen, von der
letzten Stromschnelle bei Syene, der Suedgrenze des eigentlichen Aegyptens, auf
120 Meilen in breiter Fuelle durch die rechts und links sich ausdehnende gelbe
Wueste zum Mittellaendischen Meer stroemenden Nils; nur an seinem letzten Ende
breitet die "Gabe des Flusses", das Nildelta, zwischen den mannigfaltigen Armen
seiner Muendung sich zu beiden Seiten weiter aus. Auch der Ertrag dieser
Strecken haengt Jahr fuer Jahr ab von dem Nil und den sechzehn Ellen seiner
Schwelle, den den Vater umspielenden sechzehn Kindern, wie die Kunst der
Griechen den Flussgott darstellt; mit gutem Grund nennen die Araber die
niedrigen Ellen mit den Namen der Engel des Todes, denn erreicht der Fluss die
volle Hoehe nicht, so trifft das ganze aegyptische Land Hunger und Verderben. Im
allgemeinen aber vermag Aegypten, wo die Bestellungskosten verschwindend niedrig
sind, der Weizen hundertfaeltig traegt und auch die Gemuesezucht, der Weinbau,
die Baumkultur, namentlich die Dattelpalme, und die Viehzucht guten Ertrag
bringen, nicht bloss eine dichte Bevoelkerung zu ernaehren, sondern auch
reichlich Getreide in das Ausland zu senden. Dies fuehrte dazu, dass nach der
Einsetzung der Fremdherrschaft dem Lande selbst von seinem Reichtum nicht viel
verblieb. Ungefaehr wie in persischer Zeit und wie heutzutage schwoll damals der
Nil und fronten die Aegypter hauptsaechlich fuer das Ausland, und zunaechst
dadurch spielt Aegypten in der Geschichte des kaiserlichen Rom eine wichtige
Rolle. Nachdem Italiens eigener Getreidebau gesunken und Rom die groesste Stadt
der Welt geworden war, bedurfte dasselbe der stetigen Zufuhr billigen
ueberseeischen Getreides; und vor allem durch die Loesung der nicht leichten
wirtschaftlichen Aufgabe, die hauptstaedtische Zufuhr finanziell moeglich zu
machen und sicherzustellen hat der Prinzipat sich befestigt. Diese Loesung ruhte
auf dem Besitz Aegyptens, und insofern hier der Kaiser ausschliesslich gebot,
hielt er durch Aegypten das Land Italien mit seinen Dependenzen in Schach. Als
Vespasianus die Herrschaft ergriff, sandte er seine Truppen nach Italien, er
selbst aber ging nach Aegypten und bemaechtigte sich Roms durch die Kornflotte.
Wo immer ein roemischer Regent daran gedacht hat oder haben soll, den Sitz der
Regierung nach dem Osten zu verlegen, wie uns von Caesar, Antonius, Nero, Geta
erzaehlt wird, da richten sich die Gedanken wie von selber nicht nach
Antiocheia, obwohl dies damals die regelmaessige Residenz des Ostens war,
sondern nach der Geburtsstaette und der festen Burg des Prinzipats, nach
Alexandreia.
Deshalb war denn auch die roemische Regierung auf die Hebung des Feldbaues
in Aegypten eifriger bedacht als irgendwo sonst. Da derselbe von der
Nilueberschwemmung abhaengig ist, ward es moeglich, durch systematisch
durchgefuehrte Wasserbau ten, kuenstliche Kanaele, Daemme, Reservoirs die fuer
den Feldbau geeignete Flaeche bedeutend zu erweitern. In den guten Zeiten
Aegyptens, des Heimatlandes der Messschnur und des Kunstbaus, war dafuer viel
geschehen, aber diese segensreichen Anlagen unter den letzten elenden und
finanziell bedraengten Regierungen in argen Verfall geraten. So fuehrte die
roemische Besitznahme sich wuerdig damit ein, dass Augustus durch die in
Aegypten stehenden Truppen die Nilkanaele einer durchgreifenden Reinigung und
Erneuerung unterwarf. Wenn zur Zeit der roemischen Besitzergreifung die volle
Ernte einen Stand des Flusses von vierzehn Ellen erfordert hatte und bei acht
Ellen Missernte eintrat, so genuegten spaeter, nachdem die Kanaele in Stand
gesetzt waren, schon zwoelf Ellen fuer eine volle Ernte und gaben acht Ellen
noch einen genuegenden Ertrag. Jahrhunderte nachher hat Kaiser Probus Aegypten
nicht bloss von den Aethiopen befreit, sondern auch die Wasserbauten am Nil
wieder instand gesetzt. Es darf ueberhaupt angenommen werden, dass die besseren
Nachfolger Augusts in aehnlichem Sinne administrierten und dass, zumal bei der
durch Jahrhunderte kaum unterbrochenen inneren Ruhe und Sicherheit, der
aegyptische Ackerbau unter dem roemischen Prinzipat in dauerndem Flor gestanden
hat. Welche Rueckwirkung diese Verhaeltnisse auf die Aegypter selbst hatten,
vermoegen wir genauer nicht zu verfolgen. Zu einem grossen Teil beruhten die
Einkuenfte aus Aegypten auf dem kaiserlichen Domanialbesitz, welcher in
roemischer wie in frueherer Zeit einen betraechtlichen Teil des ganzen Areals
ausmachte ^30; hier wird, zumal bei der wenig kostspieligen Bestellung, den
Kleinpaechtern, die dieselbe beschafften, nur eine maessige Quote des Ertrags
geblieben oder eine hohe Geldpacht auferlegt worden sein. Aber auch die
zahlreichen und durchgaengig kleineren Eigentuemer werden eine hohe Grundsteuer
in Getreide oder in Geld entrichtet haben. Die ackerbauende Bevoelkerung,
genuegsam wie sie war, blieb in der Kaiserzeit wohl zahlreich; aber sicher
lastete der Steuerdruck, sowohl an sich wie wegen der Verwendung des Ertrags im
Ausland, schwerer auf Aegypten unter der roemischen Fremdherrschaft als unter
dem keineswegs schonenden Regiment der Ptolemaeer.
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^30 In der Stadt Alexandreia scheint es kein eigentliches Grundeigentum
gegeben zu haben, sondern nur eine Art Erbmiete (Amm. 22, 11, 6; Roemisches
Staatsrecht, Bd. 2, 963, A. 1); im uebrigen aber hat das Privateigentum am Boden
in dem Sinn, wie das Provinzialrecht ueberhaupt ein solches kennt, auch in
Aegypten gegolten. Von Domanialbesitz ist oft die Rede, zum Beispiel sagt
Strabon (17, 1, 51 p. 828), dass die besten aegyptischen Datteln auf einer Insel
wachsen, auf der Private kein Land besitzen duerften, sondern sie sei frueher
koeniglich, jetzt kaiserlich und bringe eine grosse Einnahme. Vespasian
verkaufte einen Teil der aegyptischen Domaenen und erbitterte dadurch die
Alexandriner (Dio 66, 8), ohne Zweifel die Grosspaechter, die dann das Land an
die eigentlichen Bauern in Unterpacht gaben. Ob der Grundbesitz in toter Hand,
insbesondere der Priesterkollegien, in der roemischen Zeit noch so ausgedehnt
war wie frueher, kann in Zweifel gezogen werden; ebenso ob im uebrigen der
Grossgrundbesitz oder das Kleineigentum ueberwog; die Kleinwirtschaft war sicher
allgemein. Ziffern besitzen wir weder fuer die Domanial- noch fuer die
Grundsteuerquote; dass die fuenfte Garbe bei Orosius (hist. 1, 8, 9) mit
Einschluss des usque ad nunc aus der Genesis abgeschrieben ist, hat Lumbroso,
Recherches, S. 94, mit Recht bemerkt. Die Domanialrente kann nicht unter der
Haelfte betragen haben; auch fuer die Grundsteuer moechte der Zehnte (Lumbroso
a. a. O., S. 289, 293) kaum genuegen.
Anderweitige Ausfuhr des Getreides aus Aegypten bedurfte der Bewilligung
des Statthalters (Hirschfeld, Annona, S. 23), ohne Zweifel weil sonst in dem
dichtbevoelkerten Lande leicht Mangel haette eintreten koennen. Doch ist diese
Einrichtung sicher mehr kontrollierend gewesen als prohibitiv; in dem Periplus
des Aegypters wird mehrfach (c. 7, 17, 24, 28 vgl. 56) Getreide unter den
Exportartikeln aufgefuehrt. Auch die Bestellung der Aecker scheint aehnlich
kontrolliert worden zu sein; "die Aegypter", heisst es, "bauen lieber Rueben als
Getreide, soweit sie duerfen, wegen des Rueboels" (Plin. nat. 19, 5, 79).
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Von der Wirtschaft Aegyptens bildete der Ackerbau nur einen Teil; wie
dasselbe in dieser Hinsicht Syrien weit voranstand, so hatte es vor dem
wesentlich agrikolen Afrika die hohe Bluete der Fabriken und des Handels voraus.
Die Linnenfabrikation in Aegypten steht an Alter und Umfang und Ruhm der
syrischen mindestens gleich und hat, wenn auch die feineren Sorten in dieser
Epoche vorzugsweise in Syrien und Phoenizien fabriziert wurden ^31, sich durch
die ganze Kaiserzeit gehalten; als Aurelian die Lieferungen aus Aegypten an die
Reichshauptstadt auf andere Gegenstaende als Getreide erstreckte, fehlten unter
diesen die Leinwand und der Werg nicht. In feinen Glaswaren behaupteten, sowohl
in der Faerbung wie in der Formung, die Alexandriner entschieden den ersten
Platz, ja, wie sie meinten insofern das Monopol, als gewisse beste Sorten nur
mit aegyptischem Material herzustellen seien. Unbestritten hatten sie ein
solches in dem Papyrus. Diese Pflanze, die im Altertum massenweise auf den
Fluessen und Seen Unteraegyptens kultiviert ward und sonst nirgends gedieh,
lieferte den Eingeborenen sowohl Nahrung wie das Material fuer Stricke, Koerbe
und Kaehne, das Schreibmaterial aber damals fuer die ganze schreibende Welt.
Welchen Ertrag sie gebracht haben muss, ermisst man aus den Massregeln, die der
roemische Senat ergriff, als einmal auf dem roemischen Platz der Papyrus knapp
ward und zu fehlen drohte; und da die muehsame Zubereitung nur an Ort und Stelle
erfolgen kann, muessen zahllose Menschen davon in Aegypten gelebt haben. Auf
Glas und Papyrus ^32 erstreckten sich neben dem Leinen die von Aurelian zu
Gunsten der Reichshauptstadt eingefuehrten alexandrinischen Warenlieferungen.
Vielfach muss der Verkehr mit dem Osten auf die aegyptische Fabrikation bietend
und verlangend eingewirkt haben. Gewebe wurden daselbst fuer den Export nach dem
Orient fabriziert und zwar in der durch den Landesgebrauch geforderten Weise:
die gewoehnlichen Kleider der Bewohner von Habesch waren aegyptisches Fabrikat;
nach Arabien und Indien gingen die Prachtstoffe besonders der in Alexandreia
kunstvoll betriebenen Bunt- und Goldwirkerei. Ebenso spielten die in Aegypten
angefertigten Glaskorallen in dem Handel der afrikanischen Kueste dieselbe Rolle
wie heutzutage. Indien bezog teils Glasbecher, teils unverarbeitetes Glas zur
eigenen Fabrikation; selbst am chinesischen Hof sollen die Glasgefaesse, mit
welchen die roemischen Fremden dem Kaiser huldigten, hohe Bewunderung erregt
haben. Aegyptische Kaufleute brachten dem Koenig der Axomiten (Habesch) als
stehende Geschenke nach dortiger Landesart angefertigte Gold- und
Silbergefaesse, den zivilisierten Herrschern der suedarabischen und der
indischen Kueste unter anderen Gaben auch Statuen, wohl von Bronze, und
musikalische Instrumente. Dagegen sind die Materialien der Luxusfabrikation, die
aus dem Orient kamen, insbesondere Elfenbein und Schildpatt, schwerlich
vorzugsweise in Aegypten, hauptsaechlich wohl in Rom verarbeitet worden. Endlich
kam in einer Epoche, welche in oeffentlichen Prachtbauten ihresgleichen niemals
in der Welt gehabt hat, das kostbare Baumaterial, welches die aegyptischen
Steinbrueche lieferten, in ungeheuren Massen auch ausserhalb Aegyptens zur
Verwendung: der schoene rote Granit von Syene, die Breccia verde aus der Gegend
von Koser, der Basalt, der Alabaster, seit Claudius der graue Granit und
besonders der Porphyr der Berge oberhalb Myos Hormos. Die Gewinnung derselben
ward allerdings groesstenteils fuer kaiserliche Rechnung durch Strafkolonisten
bewirkt; aber wenigstens der Transport muss dem ganzen Lande und namentlich der
Stadt Alexandreia zugute gekommen sein. Welchen Umfang der aegyptische Verkehr
und die aegyptische Fabrikation gehabt hat, zeigt eine zufaellig erhaltene Notiz
ueber die Ladung eines durch seine Groesse ausgezeichneten Lastschiffes
(akatos), das unter Augustus den jetzt an der Porta del Popolo stehenden
Obelisken mit seiner Basis nach Rom brachte; es fuehrte ausserdem 200 Matrosen,
1200 Passagiere, 400000 roem. Scheffel (34000 Hektoliter) Weizen und eine Ladung
von Leinwand, Glas, Papier und Pfeffer. "Alexandreia", sagt ein roemischer
Schriftsteller des 3. Jahrhunderts ^33, "ist eine Stadt der Fuelle, des
Reichtums und der Ueppigkeit, in der niemand muessig geht; dieser ist
Glasarbeiter, jener Papierfabrikant, der dritte Leinweber; der einzige Gott ist
das Geld." Es gilt dies verhaeltnismaessig von dem ganzen Lande.
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^31 Im Diocletianischen Edikt sind unter den fuenf feinen Linnensorten die
vier ersten syrisch oder kilikisch (tarsisch), und das aegyptische Leinen
erscheint nicht bloss an letzter Stelle, sondern wird auch bezeichnet als
tarsisches alexandrinisches, das heisst nach tarsischem Muster in Alexandreia
verfertigtes.
^32 Einem reichen Mann in Aegypten wurde nachgesagt, dass er seinen Palast
mit Glas statt mit Marmor getaefelt habe und Papyrus und Leim genug besitze, um
ein Heer damit zu fuettern (vita Firmi 3).
^33 Dass der angebliche Brief Hadrians (vita Saturnini 8) ein spaetes
Machwerk ist, zeigt zum Beispiel, dass der Kaiser sich in diesem an seinen
Schwager Servianus gerichteten, hoechst freundschaftlichen Brief beklagt ueber
die Injurien, mit denen die Alexandriner bei seiner ersten Abreise seinen Sohn
Verus ueberhaeuft haetten, waehrend andererseits feststeht, dass dieser
Servianus neunzigjaehrig im Jahre 136 hingerichtet ward, weil er die kurz zuvor
erfolgte Adoption des Verus gemissbilligt hatte.
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Von dem Handelsverkehr Aegyptens mit den suedlich angrenzenden Landschaften
sowie mit Arabien und Indien wird weiterhin eingehend die Rede sein. Derjenige
mit den Laendern des Mittelmeers tritt in der Ueberlieferung weniger hervor, zum
Teil wohl, weil er zu dem gewoehnlichen Gang der Dinge gehoerte und nicht oft
sich Veranlassung fand, seiner besonders zu gedenken. Das aegyptische Getreide
wurde von alexandrinischen Schiffern nach Italien gefuehrt und infolgedessen
entstand in Portus bei Ostia ein dem alexandrinischen Sarapistempel
nachgebildetes Heiligtum mit seiner Schiffergemeinde ^34; aber an dem Vertrieb
der aus Aegypten nach dem Westen gehenden Waren werden diese Lastschiffe
schwerlich in bedeutendem Umfang beteiligt gewesen sein. Dieser lag
wahrscheinlich ebenso sehr und vielleicht mehr in der Hand der italischen Reeder
und Kapitaene als der aegyptischen; wenigstens gab es schon unter den Lagiden
eine ansehnliche italische Niederlassung in Alexandreia ^35 und haben im
Okzident die aegyptischen Kaufleute nicht die gleiche Verbreitung gehabt wie die
syrischen ^36. Die spaeter zu erwaehnenden Anordnungen Augusts, welche auf dem
Arabischen und dem Indischen Meer den Handelsverkehr umgestalteten, fanden auf
die Schiffahrt des Mittellaendischen keine Anwendung; die Regierung hatte kein
Interesse daran, hier die aegyptischen Kaufleute vor den uebrigen zu
beguenstigen. Es blieb dort der Verkehr vermutlich wie er war.
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^34 Die na?kl/e/roi to? pore?tikoy Alexandrino? stoloy, die den ohne
Zweifel nach Portus gehoerigen Stein CIG 5889 gesetzt haben, sind die Kapitaene
dieser Getreideschiffe. Aus dem Serapeum von Ostia besitzen wir eine Reihe von
Inschriften (CIL XIV, 47), wonach dasselbe in allen Stuecken die Kopie des
alexandrinischen war; der Vorsteher ist zugleich epimel/e/t/e/s pantos to?
Alexandreinoy stoloy (CIG 5973). Wahrscheinlich waren diese Fahrzeuge wesentlich
mit dem Korntransport beschaeftigt und erfolgte dieser also sukzessiv, worauf
auch die von Kaiser Gaius in der Meerenge von Reggio getroffenen Vorkehrungen
(Ios. ant. Iud. 19, 2, 5) hinweisen. Damit ist wohl vereinbar, dass das erste
Erscheinen der alexandrinischen Flotte im Fruehjahr fuer Puteoli ein Fest war
(Sen. epist. 77, 1).
^35 Dies zeigen die merkwuerdigen delischen Inschriften Eph. epigr. V, p.
600, 602.
^36 Schon in den delischen Inschriften des letzten Jahrhunderts der
Republik wiegen die Syrer vor. Die aegyptischen Gottheiten haben dort wohl ein
viel verehrtes Heiligtum gehabt, aber unter den zahlreichen Priestern und
Dedikanten begegnet nur ein einziger Alexandriner (Hauvette-Besnault, BCH 6,
1882, S. 316 f.). Gilden alexandrinischer Kaufleute kennen wir von Tomi und von
Perinthos (CIG 2024).
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Aegypten war also nicht bloss in seinen anbaufaehigen Teilen mit einer
dichten ackerbauenden Bevoelkerung besetzt, sondern auch, wie schon die
zahlreichen und zum Teil sehr ansehnlichen Flecken und Staedte dies erkennen
lassen, ein Fabrikland und daher denn auch weitaus die am staerksten bevoelkerte
Provinz des Roemischen Reiches. Das alte Aegypten soll eine Bevoelkerung von 7
Millionen gehabt haben; unter Vespasian zaehlte man in den offiziellen Listen 7«
Millionen kopfsteuerpflichtiger Einwohner, wozu die von der Kopfsteuer befreiten
Alexandriner und sonstigen Griechen, sowie die wahrscheinlich nicht sehr
zahlreichen Sklaven hinzutreten, so dass die Bevoelkerung mindestens auf 8
Millionen Koepfe anzusetzen ist. Da das anbaufaehige Areal heutzutage auf 500
deutsche Quadratmeilen, fuer die roemische Zeit hoechstens auf 700 veranschlagt
werden kann, so wohnten damals in Aegypten auf der Quadratmeile durchschnittlich
etwa 11000 Menschen.
Wenn wir den Blick auf die Bewohner Aegyptens richten, so sind die beiden
das Land bewohnenden Nationen, die grosse Masse der Aegypter und die kleine
Minderzahl der Alexandriner, durchaus verschiedene Kreise ^37, wenngleich
zwischen beiden die Ansteckungskraft des Lasters und die allem Laster eigene
Gleichartigkeit eine schlimme Gemeinschaft des Boesen gestiftet hat.
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^37 Nachdem Juvenal die wuesten Zechgelage der eingeborenen Aegypter zu
Ehren der Lokalgoetter der einzelnen Nomen geschildert hat, fuegt er hinzu, dass
darin die Eingeborenen dem Kanopos, das heisst dem durch seine zuegellose
Ausgelassenheit beruechtigten alexandrinischen Sarapisfest (Strab. 17, 1, 17 p.
801) in keiner Hinsicht nachstaenden: horrida sane Aegyptus, sed luxuria,
quantum ipse notavi, barbara famoso non cedit turba Canopo (sat. 15, 44).
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Die eingeborenen Aegypter werden von ihren heutigen Nachkommen weder in der
Lage noch in der Art sich weit entfernt haben. Sie waren genuegsam, nuechtern,
arbeitsfaehig und taetig, geschickte Handwerker und Schiffer und gewandte
Kaufleute, festhaltend am alten Herkommen und am alten Glauben. Wenn die Roemer
versichern, dass die Aegypter stolz seien auf die Geisselmale wegen begangener
Steuerdefrauden ^38, so sind dies Anschauungen vom Standpunkt aus des
Steuerbeamten. Es fehlte in der nationalen Kultur nicht an guten Keimen; bei
aller Ueberlegenheit der Griechen auch in dem geistigen Kampfe der beiden so
voellig verschiedenen Rassen hatten die Aegypter wieder manche und wesentliche
Dinge vor den Hellenen voraus, und sie empfanden dies auch. Es ist schliesslich
doch der Rueckschlag ihrer eigenen Empfindung, wenn die aegyptischen Priester
der griechischen Unterhaltungsliteratur die von den Hellenen sogenannte
Geschichtsforschung und ihre Behandlung poetischer Maerchen als wirklicher
Ueberlieferung aus vergangenen Urzeiten verspotten; in Aegypten mache man keine
Verse, aber ihre ganze alte Geschichte sei eingeschrieben auf den Tempeln und
Gedaechtnissteinen; freilich seien jetzt nur noch wenige derselben kundig, da
viele Denkmale zerstoert seien und die Ueberlieferung zugrunde gehe durch die
Unwissenheit und die Gleichgueltigkeit der Spaeteren. Aber diese berechtigte
Klage traegt in sich selbst die Hoffnungslosigkeit; der ehrwuerdige Baum der
aegyptischen Zivilisation war laengst zum Niederschlagen gezeichnet. Der
Hellenismus drang zersetzend bis an die Priesterschaft selbst. Ein aegyptischer
Tempelschreiber, Chaeremon, der als Lehrer der griechischen Philosophie an den
Hof des Claudius fuer den Kronprinzen berufen ward, legte in seiner
'Aegyptischen Geschichte' den alten Landesgoettern die Elemente der stoischen
Physik unter und die in der Landesschrift geschriebenen Urkunden in diesem Sinne
aus. In dem praktischen Leben der Kaiserzeit kam das alte aegyptische Wesen fast
nur noch in Betracht auf dem religioesen Gebiet. Religion war diesem Volke eins
und alles. Die Fremdherrschaft an sich wurde willig ertragen, man moechte sagen
kaum empfunden, solange sie die heiligen Gebraeuche des Landes und was damit
zusammenhing nicht antastete. Freilich hing damit in dem inneren Landesregiment
so ziemlich alles zusammen, Schrift und Sprache, Priesterprivilegien und
Priesterhoffart, Hofsitte und Landesart; die Fuersorge der Regierung fuer den
derzeit lebenden heiligen Ochsen, die Leistungen fuer dessen Bestattung bei
seinem Ableben und fuer die Auffindung des geeigneten Nachfolgers galten diesen
Priestern und diesem Volke als das Kriterium der Tuechtigkeit des jedesmaligen
Landesherrn und als der Massstab fuer die ihm schuldige Achtung und Treue. Der
erste Perserkoenig fuehrte sich damit in Aegypten ein, dass er das Heiligtum der
Neith in Sais seiner Bestimmung, das heisst den Priestern zurueckgab; der erste
Ptolemaeos brachte, noch als makedonischer Statthalter, die nach Asien
entfuehrten aegyptischen Goetterbilder an ihre alte Staette zurueck und
restituierte den Goettern von Pe und Tep die ihnen entfremdeten Landschenkungen;
fuer die bei dem grossen Siegeszuge des Euergetes aus Persien heimgebrachten
heiligen Tempelbilder statten die Landespriester in dem beruehmten Kanopischen
Dekret vom Jahre 238 v. Chr. dem Koenig ihren Dank ab; die landuebliche
Einreihung der lebenden Herrscher und Herrscherinnen in den Kreis der
Landesgoetter haben diese Auslaender ebenso mit sich vornehmen lassen wie die
aegyptischen Pharaonen. Die roemischen Herrscher sind diesem Beispiel nur in
beschraenktem Masse gefolgt. In der Titulatur gingen sie wohl, wie wir sahen,
einigermassen auf den Landeskultus ein, vermieden aber doch, selbst in
aegyptischer Fassung, die mit den okzidentalischen Anschauungen in allzu grellem
Kontrast stehenden landueblichen Praedikate. Da diese Lieblinge des Ptah und der
Isis in Italien gegen die aegyptische Goetterverehrung aehnlich wie gegen die
juedische einschritten, liessen sie von solcher Liebe sich erklaerlicherweise
ausserhalb der Hieroglyphen nichts merken und beteiligten sich auch in Aegypten
in keiner Weise an dem Dienst der Landesgoetter. Wie hartnaeckig immer die
Landesreligion noch unter der Fremdherrschaft bei den eigentlichen Aegyptern
festgehalten ward, die Pariastellung, in welcher diese selbst neben den
herrschenden Griechen und Roemern sich befanden, drueckte notwendig auf den
Kultus und die Priester, und von der fuehrenden Stellung, dem Einflusse, der
Bildung des alten aegyptischen Priesterstandes sind unter dem roemischen
Regiment nur duerftige Reste wahrzunehmen. Dagegen diente die von Hause aus
schoener Gestaltung und geistiger Verklaerung abgewandte Landesreligion in und
ausser Aegypten als Ausgangs- und Mittelpunkt fuer allen erdenklichen frommen
Zauber und heiligen Schwindel - es genuegt dafuer zu erinnern an den in Aegypten
heimischen dreimal groessten Hermes mit der an seinen Namen sich knuepfenden
Literatur von Traktaetchen und Wunderbuechern sowie der entsprechenden
weitverbreiteten Praxis. In den Kreisen aber der Eingeborenen knuepften sich in
dieser Epoche an den Kultus die aergsten Missbraeuche - nicht bloss viele Tage
hindurch fortgesetzte Zechgelage zu Ehren der einzelnen Ortsgottheiten mit der
dazu gehoerigen Unzucht, sondern auch dauernde Religionsfehden zwischen den
einzelnen Sprengeln um den Vorrang des Ibis vor der Katze, des Krokodils vor dem
Pavian. Im Jahre 127 n. Chr. wurden wegen eines solchen Anlasses die Ombiten im
suedlichen Aegypten von einer benachbarten Gemeinde ^39 bei einem Festgelage
ueberfallen und es sollen die Sieger einen der Erschlagenen gefressen haben.
Bald nachher verzehrte die Hundegemeinde der Hechtgemeinde zum Trotz einen Hecht
und diese jener zum Trotze einen Hund, und es brach darueber zwischen diesen
beiden Nomen ein Krieg aus, bis die Roemer einschritten und beide Parteien
abstraften. Dergleichen Vorgaenge waren in Aegypten an der Tagesordnung. Auch
sonst fehlte es an Unruhen im Lande nicht. Gleich der erste von Augustus
bestellte Vizekoenig von Aegypten musste wegen vermehrter Steuern Truppen nach
Oberaegypten senden, nicht minder, vielleicht ebenfalls infolge des
Steuerdrucks, nach Heroonpolis am oberen Ende des Arabischen Meerbusens. Einmal,
unter Kaiser Marcus, nahm ein Aufstand der eingeborenen Aegypter sogar einen
bedrohlichen Charakter an. Als in den schwer zugaenglichen Kuestensuempfen
ostwaerts von Alexandreia, der sogenannten "Rinderweide" (bucolia), welche den
Verbrechern und den Raeubern als Zufluchtsort diente und eine Art Kolonie
derselben bildete, einige Leute von einer roemischen Truppenabteilung
aufgegriffen wurden, erhob sich zu deren Befreiung die ganze Raeuberschaft, und
die Landbevoelkerung schloss sich an. Die roemische Legion aus Alexandreia ging
ihnen entgegen, aber sie wurde geschlagen und fast waere Alexandreia selbst den
Aufstaendischen in die Haende gefallen. Der Statthalter des Ostens, Avidius
Cassius, rueckte wohl mit seinen Truppen ein, wagte aber auch nicht gegen die
Ueberzahl den Kampf, sondern zog es vor, in dem Bunde der Aufstaendischen
Zwietracht hervorzurufen; nachdem die eine Bande gegen die andere stand, wurde
die Regierung leicht ihrer aller Herr. Auch dieser sogenannte
Rinderhirtenaufstand hat wahrscheinlich, wie dergleichen Bauernkriege meistens,
einen religioesen Charakter getragen; der Fuehrer Isidoros, der tapferste Mann
Aegyptens, war seinem Stande nach ein Priester, und dass zur Bundesweihe nach
Ableistung des Eides ein gefangener roemischer Offizier geopfert und von den
Schwoerenden gegessen ward, passt sowohl dazu wie zu dem Kannibalismus des
Ombitenkrieges. Einen Nachklang dieser Vorgaenge bewahren die aegyptischen
Raeubergeschichten der spaetgriechischen untergeordneten Literatur. Wie sehr
uebrigens dieselben der roemischen Verwaltung zu schaffen gemacht haben moegen,
einen politischen Zweck haben sie nicht gehabt und auch die allgemeine Ruhe des
Landes nur partiell und temporaer unterbrochen.
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^38 Amm. 22, 16, 23: erubescit apud (Aegyptios), si qui non infitiando
tributa plurimas in corpore vibices ostendat.
^39 Dies ist nach Juvenal Tentyra, was ein Fehler sein muss, wenn das
bekannte gemeint ist; aber auch die Liste des Ravennaten 3, 2 nennt beide Orte
zusammen.
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Neben den Aegyptern stehen die Alexandriner, einigermassen wie in Ostindien
die Englaender neben den Landeseingeborenen. Allgemein gilt Alexandreia in der
vorkonstantinischen Kaiserzeit als die zweite Stadt des Roemischen Reiches und
die erste Handelsstadt der Welt. Sie zaehlte am Ende der Lagidenherrschaft ueber
300000 freie Einwohner, in der Kaiserzeit ohne Zweifel noch mehr. Die
Vergleichung der beiden grossen, im Wetteifer miteinander erwachsenen Kapitalen
am Nil und am Orontes ergibt ebenso viele Gleichartigkeiten wie Gegensaetze.
Beides sind verhaeltnismaessig neue Staedte, monarchische Schoepfungen aus dem
Nichts, von planmaessiger Anlage und regelmaessiger staedtischer Einrichtung;
das Wasser laeuft in jedem Hause wie in Antiocheia so auch in Alexandreia. An
Schoenheit der Lage und Pracht der Gebaeude war die Stadt im Orontestal der
Rivalin ebenso ueberlegen wie diese ihr in der Gunst der Oertlichkeit fuer den
Grosshandel und an Volkszahl. Die grossen oeffentlichen Bauten der aegyptischen
Hauptstadt, der koenigliche Palast, das der Akademie gewidmete Museion, vor
allem der Tempel des Sarapis waren Wunderwerke einer frueheren, architektonisch
hoch entwickelten Epoche; aber der grossen Zahl kaiserlicher Anlagen in der
syrischen Residenz hat die von wenigen der Caesaren betretene aegyptische
Hauptstadt nichts Entsprechendes entgegenzustellen.
In der Unbotmaessigkeit und der Oppositionslust gegen das Regiment stehen
Antiochener und Alexandriner einander gleich; man kann hinzusetzen, auch darin,
dass beide Staedte, und namentlich Alexandreia, eben unter der roemischen
Regierung und durch dieselbe bluehten und viel mehr Ursache hatten zu danken als
zu frondieren. Wie die Alexandriner sich zu ihren hellenischen Regenten
verhielten, davon zeugt die lange Reihe zum Teil noch heute gebraeuchlicher
Spottnamen, welche die koeniglichen Ptolemaeer ohne Ausnahme dem Publikum ihrer
Hauptstadt verdankten. Auch Kaiser Vespasianus empfing von den Alexandrinern
fuer die Einfuehrung einer Steuer auf Salzfisch den Titel des Sardellensaecklers
(Kybiosakt/e/s), der Syrer Severus Alexander den des Oberrabbiners; aber die
Kaiser kamen selten nach Aegypten und die fernen und fremden Herrscher boten
diesem Spott keine rechte Zielscheibe. In ihrer Abwesenheit widmete das Publikum
wenigstens den Vizekoenigen die gleiche Aufmerksamkeit mit beharrlichem Eifer;
selbst die Aussicht auf unausbleibliche Zuechtigung vermochte die oft witzige
und immer freche Zunge dieser Staedter nicht zum Schweigen zu bringen ^40.
Vespasian begnuegte sich in Vergeltung jener ihm bewiesenen Aufmerksamkeit, die
Kopfsteuer um sechs Pfennige zu erhoehen, und bekam dafuer den weiteren Namen
des Sechspfennigmanns; aber ihre Reden ueber Severus Antoninus, den kleinen
Affen des grossen Alexander und den Geliebten der Mutter Iokaste, sollten ihnen
teuer zu stehen kommen. Der tueckische Herrscher erschien in aller Freundschaft
und liess sich vom Volke feiern, dann aber seine Soldaten auf die festliche
Menge einhauen, so dass Tage lang die Plaetze und Strassen der grossen Stadt im
Blute schwammen; ja er ordnete die Aufloesung der Akademie an und die Verlegung
der Legion in die Stadt selbst, was freilich beides nicht zur Ausfuehrung kam.
Aber wenn es in Antiocheia in der Regel bei den Spottreden blieb, so griff der
alexandrinische Poebel bei dem geringsten Anlass zum Stein und zum Knittel. Im
Krawallieren, sagt ein selbst alexandrinischer Gewaehrsmann, sind die Aegypter
allen anderen voraus; der kleinste Funken genuegt hier, um einen Tumult zu
entfachen. Wegen versaeumter Visiten, wegen Konfiskation verdorbener
Lebensmittel, wegen Ausschliessung aus einer Badeanstalt, wegen eines Streites
zwischen dem Sklaven eines vornehmen Alexandriners und einem roemischen
Infanteristen ueber den Wert oder Unwert der beiderseitigen Pantoffel haben die
Legionen auf die Buergerschaft von Alexandreia einhauen muessen. Es kam hier zum
Vorschein, dass die niedere Schicht der alexandrinischen Bevoelkerung zum
groesseren Teil aus Eingeborenen bestand; bei diesen Auflaeufen spielten die
Griechen freilich die Anstifter, wie denn die Rhetoren, das heisst hier die
Hetzredner, dabei ausdruecklich erwaehnt werden ^41, aber im weiteren Verlauf
tritt dann die Tuecke und die Wildheit des eigentlichen Aegypters ins Gefecht.
Die Syrer sind feige und als Soldaten sind es die Aegypter auch; aber im
Strassentumult sind sie imstande, einen Mut zu entwickeln, der eines besseren
Zieles wuerdig waere ^42. An den Rennpferden ergoetzten sich die Antiochener wie
die Alexandriner; aber hier endigte kein Wagenrennen ohne Steinwuerfe und
Messerstiche. Von der Judenhetze unter Kaiser Gaius wurden beide Staedte
ergriffen; aber in Antiocheia genuegte ein ernstes Wort der Behoerde, um ihr ein
Ende zu machen, waehrend der alexandrinischen, von einigen Bengeln durch eine
Puppenparade angezettelten Tausende von Menschenleben zum Opfer fielen. Die
Alexandriner, heisst es, gaben, wenn ein Auflauf entstand, nicht Frieden, bevor
sie Blut gesehen hatten. Die roemischen Beamten und Offiziere hatten daselbst
einen schweren Stand. "Alexandreia", sagt ein Berichterstatter aus dem 4.
Jahrhundert, "betreten die Statthalter mit Zittern und Zagen, denn sie fuerchten
die Volksjustiz; wo ein Statthalter ein Unrecht begeht, da folgt sofort das
Anstecken des Palastes und die Steinigung." Das naive Vertrauen auf die
Gerechtigkeit dieser Prozedur bezeichnet den Standpunkt des Schreibers, der zu
diesem "Volke" gehoert hat. Die Fortsetzung dieses die Regierung wie die Nation
gleich entehrenden Lynchsystems liefert die sogenannte Kirchengeschichte, die
Ermordung des den Heiden und den Orthodoxen gleich missliebigen Bischofs
Georgios und seiner Genossen unter Julian und die der schoenen Freidenkerin
Hypatia durch die fromme Gemeinde des Bischofs Kyrillos unter Theodosius II.
Tueckischer, unberechenbarer, gewalttaetiger waren diese alexandrinischen
Auflaeufe als die antiochenischen, aber ebenso wie diese weder fuer den Bestand
des Reiches gefaehrlich noch auch nur fuer die einzelne Regierung. Leichtfertige
und boesartige Buben sind recht unbequem, aber auch nur unbequem, im Hause wie
im Gemeinwesen.
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^40 Sen. dial. 19, 6: loquax et in contumelias praefectorum irgeniosa
provincia . . . etiam periculosi sales placent.
^41 Dion Chrysostomos sagt in seiner Ansprache an die Alexandriner (or. 32
p. 663 Reiske): "Weil nun (die Verstaendigen) zuruecktreten und schweigen, daher
entstehen bei euch die ewigen Streitigkeiten und Haendel und das wueste Geschrei
und die schlimmen und zuegellosen Reden, die Anklaeger, die Verdaechtigungen,
die Prozesse, der Rednerpoebel." In der alexandrinischen Judenhetze, die Philon
so drastisch schildert, sieht man diese Volksredner an der Arbeit.
^42 Dio Cass. 39, 58: "Die Alexandriner leisten in aller Hinsicht das
Moegliche an Dreistigkeit und reden heraus, was ihnen in den Mund kommt. Im
Krieg und seinen Schrecken benehmen sie sich feige; bei den Auflaeufen aber, die
bei ihnen sehr haeufig und sehr ernst sind, greifen sie ohne weiteres zum
Totschlagen und achten um des augenblicklichen Erfolgs willen das Leben fuer
nichts, ja sie gehen in ihr Verderben, als handelte es sich um die hoechsten
Dinge."
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Auch in dem religioesen Wesen haben beide Staedte eine analoge Stellung.
Den Landeskultus, wie die einheimische Bevoelkerung ihn in Syrien wie in
Aegypten festhielt, haben in seiner urspruenglichen Gestalt wie die Antiochener
so auch die Alexandriner abgelehnt. Aber wie die Seleukiden, so haben auch die
Lagiden sich wohl gehuetet, an den Grundlagen der alten Landesreligion zu
ruetteln, und nur, die aelteren nationalen Anschauungen und Heiligtuemer mit den
schmiegsamen Gestalten des griechischen Olymp verquickend, sie aeusserlich
einigermassen hellenisiert, zum Beispiel den griechischen Gott der Unterwelt,
den Pluton, unter dem bis dahin wenig genannten aegyptischen Goetternamen
Sarapis in den Landeskultus eingefuehrt und auf diesen dann den alten Osiriskult
allmaehlich uebertragen ^43. So spielten die echt aegyptische Isis und der
pseudo-aegyptische Sarapis in Alexandreia eine aehnliche Rolle wie in Syrien der
Belos und der Elagabalos, und drangen auch in aehnlicher Weise wie diese,
wenngleich weniger maechtig und heftiger angefochten, in der Kaiserzeit
allmaehlich in den okzidentalischen Kultus ein. In der bei Gelegenheit dieser
religioesen Gebraeuche und Feste entwickelten Unsittlichkeit und der durch
priesterlichen Segen approbierten und stimulierten Unzucht hatten beide Staedte
sich einander nichts vorzuwerfen.
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^43 Die "frommen Aegypter" wehrten sich dagegen, wie Macrobius (Sat. 1, 7,
14) berichtet, aber tyrannide Ptolemaeorum pressi hos quoque deos (Sarapis und
Saturnus) in cultum recipere Alexandrinorum more, apud quos potissimum
colebantur, coacti sunt. Da sie also blutige Opfer darbringen mussten, was gegen
ihr Ritual war, liessen sie diese Goetter wenigstens in den Staedten nicht zu:
nullum Aegypti oppidum intra muros suos aut Saturni aut Sarapis fanum recepit.
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Bis in spaete Zeit hinab hat der alte Kultus in dem frommen Lande Aegypten
seine festeste Burg behauptet ^44. Die Restauration des alten Glaubens, sowohl
wissenschaftlich in der an denselben sich anlehnenden Philosophie wie auch
praktisch in der Abwehr der von den Christen gegen den Polytheismus gerichteten
Angriffe, und in der Wiederbelebung des heidnischen Tempeldienstes und der
heidnischen Mantik, hat ihren rechten Mittelpunkt in Alexandreia. Als dann der
neue Glaube auch diese Burg eroberte, blieb die Landesart sich dennoch treu; die
Wiege des Christentums ist Syrien, die des Moenchtums Aegypten. Von der
Bedeutung und der Stellung der Judenschaft, in welcher ebenfalls beide Staedte
sich gleichen, ist schon in anderer Verbindung die Rede gewesen. Von der
Regierung ins Land gerufene Einwanderer wie die Hellenen, standen sie wohl
diesen nach und waren kopfsteuerpflichtig wie die Aegypter, aber hielten sich
und galten mehr als diese. Ihre Zahl betrug unter Vespasian eine Million, etwa
den achten Teil der Gesamtbevoelkerung Aegyptens, und wie die Hellenen wohnten
sie vorzugsweise in der Hauptstadt, von deren fuenf Vierteln zwei juedisch
waren. An anerkannter Selbstaendigkeit, an Ansehen, Bildung und Reichtum war die
alexandrinische Judenschaft schon vor dem Untergang Jerusalems die erste der
Welt; und infolgedessen hat ein guter Teil der letzten Akte der juedischen
Tragoedie, wie dies frueher dargelegt worden ist, auf aegyptischem Boden sich
abgespielt.
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^44 Der oft angefuehrte anonyme Verfasser einer Reichsbeschreibung aus der
Zeit des Constantius, ein guter Heide, preist Aegypten namentlich auch wegen
seiner musterhaften Froemmigkeit: "Nirgends werden die Mysterien der Goetter so
gut gefeiert wie dort von alters her und noch heute." Freilich, fuegt er hinzu,
meinten einige, dass die Chaldaeer - er meint den syrischen Kult - die Goetter
besser verehrten; aber er halte sich an das, was er mit Augen gesehen. "Hier
gibt es Heiligtuemer aller Art und praechtig geschmueckte Tempel, und in Menge
finden sich Kuester und Priester und Propheten und Glaeubige und treffliche
Theologen, und alles geht nach seiner Ordnung; du findest die Altaere immer von
Flammen lodern und die Priester mit ihren Binden und die Weihrauchfaesser mit
herrlich duftenden Spezereien." Aus derselben Zeit etwa (nicht vor Hadrian) und
offenbar auch von kundiger Hand ruehrt eine andere boshaftere Schilderung her
(vita Saturnini 8): "Wer in Aegypten den Sarapis verehrt, ist auch Christ, und
die sich christliche Bischoefe nennen, verehren gleichfalls den Sarapis; jeder
Grossrabbi der Juden, jeder Samariter, jeder christliche Geistliche ist da
zugleich ein Zauberer, ein Prophet, ein Quacksalber (aliptes). Selbst wenn der
Patriarch nach Aegypten kommt, fordern die einen, dass er zum Sarapis, die
andern, dass er zu Christus beten." Diese Diatribe haengt sicher damit zusammen,
dass die Christen den aegyptischen Gott fuer den Joseph der Bibel erklaerten,
den Urenkel der Sara und mit Recht den Scheffel tragend. In ernsterem Sinn fasst
die Lage der aegyptischen Altglaeubigen der vermutlich dem 3. Jahrhundert
angehoerige Verfasser des in lateinischer Uebersetzung unter den dem Apuleius
beigelegten Schriften erhaltenen Goettergespraechs, in welchem der dreimal
groesste Hermes dem Asklepios die zukuenftigen Dinge verkuendet: "Du weisst
doch, Asklepios, dass Aegypten ein Abbild des Himmels oder, um richtiger zu
reden, eine Uebersiedelung und Niederfahrt der ganzen himmlischen Waltung und
Taetigkeit ist; ja, um noch richtiger zu reden, unser Vaterland ist der Tempel
des gesamten Weltalls. Und dennoch: eintreten wird eine Zeit, wo es den Anschein
gewinnt, als haette Aegypten vergeblich mit frommem Sinn in emsigem Dienst das
Goettliche gehegt, wo alle heilige Verehrung der Goetter erfolglos und verfehlt
sein wird. Denn die Gottheit wird zurueck in den Himmel sich begeben, Aegypten
wird verlassen und das Land, welches der Sitz der Goetterdienste war, wird der
Anwesenheit goettlicher Macht beraubt und auf sich selbst angewiesen sein. Dann
wird dieses geweihte Land, die Staette der Heiligtuemer und Tempel, dicht mit
Graebern und Leichen angefuellt sein. O Aegypten, Aegypten, von deinen
Goetterdiensten werden nur Geruechte sich erhalten, und auch diese werden deinen
kommenden Geschlechtern unglaublich duenken, nur Worte werden sich erhalten auf
den Steinen, die von deinen frommen Taten erzaehlen, und bewohnen wird Aegypten
der Skythe oder Inder oder sonst einer aus dem benachbarten Barbarenland. Neue
Rechte werden eingefuehrt werden, neues Gesetz, nichts heiliges, nichts
gottesfuerchtiges, nichts des Himmels und der Himmlischen Wuerdiges wird gehoert
noch im Geiste geglaubt werden. Eine schmerzliche Trennung der Goetter von den
Menschen tritt ein; nur die boesen Engel bleiben da, die unter die Menschheit
sich mengen." (Nach J. Bernays' Uebersetzung, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1, S.
330).
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Alexandreia wie Antiocheia sind vorzugsweise Sitze der wohlhabenden Handel-
und Gewerbetreibenden; aber in Antiocheia fehlt der Seehafen und was daran
haengt, und wie rege es dort auf den Gassen herging, sie hielten doch keinen
Vergleich aus gegen das Leben und Treiben der alexandrinischen Fabrikarbeiter
und Matrosen. Dagegen hatte fuer den Lebensgenuss, das Schauspiel, das Diner,
die Liebesfreuden Antiocheia mehr zu bieten als die Stadt, in der "niemand
muessig ging". Auch das eigentliche, vorzugsweise an die rhetorischen
Exhibitionen anknuepfende Literatentreiben, welches wir in der Schilderung
Kleinasiens skizzierten, trat in Aegypten zurueck ^45, wohl mehr im Drang der
Geschaefte des Tages als durch den Einfluss der zahlreichen und gut bezahlten,
in Alexandreia lebenden und grossenteils auch dort heimischen Gelehrten. Fuer
den Gesamtcharakter der Stadt kamen diese Maenner des Museums, von denen noch
weiter die Rede sein wird, vor allem, wenn sie in fleissiger Arbeit ihre
Schuldigkeit taten, nicht in hervorragender Weise in Betracht. Die
alexandrinischen Aerzte aber galten als die besten im ganzen Reich; freilich war
Aegypten nicht minder die rechte Heimstaette der Quacksalber und der
Geheimmittel und jener wunderlichen zivilisierten Form der Schaefermedizin, in
welcher fromme Einfalt und spekulierender Betrug sich im Mantel der Wissenschaft
drapieren. Des dreimal groessten Hermes haben wir schon gedacht; auch der
alexandrinische Sarapis hat im Altertum mehr Wunderkuren verrichtet als
irgendeiner seiner Kollegen und selbst den praktischen Kaiser Vespasian
angesteckt, dass auch er die Blinden und Lahmen heilte, jedoch nur in
Alexandreia.
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^45 Als die Roemer von dem beruehmten Rhetor Proaeresios (Ende 3., Anfang
4. Jahrhundert) einen seiner Schueler fuer einen Lehrstuhl erbitten, sendet er
ihnen den Eusebios aus Alexandreia; "hinsichtlich der Rhetorik", heisst es von
diesem (Eun. proaer. p. 92 Boiss.), "genuegt es zu sagen, dass er ein Aegypter
war; denn dieses Volk treibt zwar mit Leidenschaft das Versemachen, aber die
ernste Redekunst (o spoydaios Erm/e/s) ist bei ihnen nicht zu Hause". Die
merkwuerdige Wiederaufnahme der griechischen Poesie in Aegypten, der zum
Beispiel das Epos des Nonnos angehoert, liegt jenseits der Grenzen unserer
Darstellung.
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Obgleich der Platz, welchen Alexandreia in der geistigen und literarischen
Entwicklung des spaeteren Griechenlands und der okzidentalischen Kultur
ueberhaupt einnimmt oder einzunehmen scheint, nicht in einer Schilderung der
oertlichen Zustaende Aegyptens, sondern nur in derjenigen dieser Entwicklung
selbst entsprechend gewuerdigt werden kann, ist das alexandrinische
Gelehrtenwesen und dessen Fortdauer unter dem roemischen Regiment eine allzu
merkwuerdige Erscheinung, um nicht auch in dieser Verbindung in seiner
allgemeinen Stellung beruehrt zu werden. Dass die Verschmelzung der
orientalischen und der hellenischen Geisteswelt neben Syrien vorzugsweise in
Aegypten sich vollzog, wurde schon bemerkt; und wenn der neue Glaube, der den
Okzident erobern sollte, von Syrien ausging, so kam die ihm homogene
Wissenschaft, diejenige Philosophie, welche neben dem Menschengeist und
ausserhalb desselben den ueberweltlichen Gott und die goettliche Offenbarung
anerkennt und verkuendet, vorzugsweise aus Aegypten, wahrscheinlich schon der
neue Pythagoreismus, sicher das philosophische Neujudentum, von dem frueher die
Rede war, sowie der neue Platonismus, dessen Begruender, der Aegypter Plotinos,
ebenfalls schon erwaehnt ward. Auf dieser vorzugsweise in Alexandreia sich
vollziehenden Durchdringung der hellenischen und der orientalischen Elemente
beruht es hauptsaechlich, dass, wie dies in der Darstellung der italischen
Verhaeltnisse naeher darzulegen ist, der dortige Hellenismus in der frueheren
Kaiserzeit vorzugsweise aegyptische Form traegt. Wie die an Pythagoras, Moses,
Platon anknuepfenden altneuen Weisheiten von Alexandreia aus in Italien
eindrangen, so spielte die Isis und was dazu gehoert die erste Rolle in der
bequemen Modefroemmigkeit, welche die roemischen Poeten der augustischen Zeit
und die pompeianischen Tempel aus der des Claudius uns zeigen. Die aegyptische
Kunstuebung herrscht vor in den kampanischen Fresken derselben Epoche wie in der
tiburtinischen Villa Hadrians. Dem entspricht die Stellung, welche das
alexandrinische Gelehrtenwesen in dem geistigen Leben der Kaiserzeit einnimmt.
Nach aussen hin beruht dasselbe auf der staatlichen Pflege der geistigen
Interessen und wuerde mit mehr Recht an den Namen Alexanders anknuepfen als an
den Alexandreias; es ist die Realisierung des Gedankens, dass in einem gewissen
Stadium der Zivilisation Kunst und Wissenschaft durch das Ansehen und die
Machtmittel des Staats gestuetzt und gefoerdert werden muessen, die Konsequenz
des genialen Moments der Weltgeschichte, welcher Alexander und Aristoteles
nebeneinander stellte. Es soll hier nicht gefragt werden, wie in dieser
maechtigen Konzeption Wahrheit und Irrtum, Beschaedigung und Hebung des
geistigen Lebens sich miteinander mischen, nicht die duerftige Nachbluete des
goettlichen Singens und des hohen Denkens der freien Hellenen einmal mehr
gestellt werden neben den ueppigen und doch auch grossartigen Ertrag des
spaeteren Sammelns, Forschens und Ordnens. Konnten die Institutionen, welche
diesem Gedanken entsprangen, der griechischen Nation unwiederbringlich
Verlorenes nicht oder, was schlimmer ist, nur scheinhaft erneuern, so haben sie
ihr auf dem noch freien Bauplatz der geistigen Welt den einzig moeglichen und
auch einen herrlichen Ersatz gewaehrt. Fuer unsere Erwaegung kommen vor allem
die oertlichen Verhaeltnisse in Betracht. Kunstgaerten sind einigermassen
unabhaengig vom Boden, und nicht anders ist es mit diesen wissenschaftlichen
Institutionen, nur dass sie ihrem Wesen nach an die Hoefe gewiesen sind. Die
materielle Unterstuetzung kann ihnen auch anderswo zuteil werden; aber wichtiger
als diese ist die Gunst der hoechsten Kreise, die ihnen die Segel schwellt, und
die Verbindungen, welche, in den grossen Zentren zusammenlaufend, diese Kreise
der Wissenschaft fuellen und erweitern. In der besseren Zeit der
Alexandermonarchien hatte es solcher Zentren so viele gegeben als es Staaten
gab, und dasjenige des Lagidenhofs war nur das angesehenste unter ihnen gewesen.
Die roemische Republik hatte die uebrigen eines nach dem andern in ihre Gewalt
gebracht und mit den Hoefen auch die dazugehoerigen wissenschaftlichen Anstalten
und Kreise beseitigt. Dass der kuenftige Augustus, als er den letzten dieser
Hoefe aufhob, die damit verknuepften gelehrten Institute bestehen liess, ist die
rechte und nicht die schlechteste Signatur der veraenderten Zeit. Der
energischere und hoehere Philhellenismus des Caesarenregiments unterschied sich
zu seinem Vorteil von dem republikanischen dadurch, dass er nicht bloss
griechischen Literaten in Rom zu verdienen gab, sondern die grosse Tutel der
griechischen Wissenschaft als einen Teil der Alexanderherrschaft betrachtete und
behandelte. Freilich war, wie in dieser gesamten Regeneration des Reiches, der
Bauplan grossartiger als der Bau. Die koeniglich patentierten und pensionierten
Musen, welche die Lagiden nach Alexandreia gerufen hatten, verschmaehten es
nicht, die gleichen Bezuege auch von den Roemern anzunehmen; und die kaiserliche
Munifizenz stand hinter der frueheren koeniglichen nicht zurueck. Der
Bibliothekfonds von Alexandreia und der Fonds der Freistellen fuer Philosophen,
Poeten, Aerzte und Ge lehrte aller Art ^46 sowie die diesen gewaehrten
Immunitaeten wurden von Augustus nicht vermindert, von Kaiser Claudius vermehrt,
freilich mit der Auflage, dass die neuen Claudischen Akademiker die griechischen
Geschichtswerke des wunderlichen Stifters Jahr fuer Jahr in ihren Sitzungen zum
Vortrag zu bringen hatten. Mit der ersten Bibliothek der Welt behielt
Alexandreia zugleich durch die ganze Kaiserzeit einen gewissen Primat der
wissenschaftlichen Arbeit, bis das Museion zugrunde ging und der Islam die
antike Zivilisation erschlug. Es war auch nicht bloss die damit gebotene
Gelegenheit, sondern zugleich die alte Tradition und die Geistesrichtung dieser
Hellenen, welche der Stadt jenen Vorrang bewahrte, wie denn unter den Gelehrten
die geborenen Alexandriner an Zahl und Bedeutung hervorragen. Auch in dieser
Epoche sind zahlreiche und achtbare gelehrte Arbeiten, namentlich philologische
und physikalische, aus dem Kreise der Gelehrten "vom Museum", wie sie gleich den
Parisern "vom Institut" sich titulierten, hervorgegangen; aber die literarische
Bedeutung, welche die alexandrinische und die pergamenische Hofwissenschaft und
Hofkunst in der besseren Epoche des Hellenismus fuer die gesamte hellenische und
hellenisierende Welt gehabt hat, knuepfte nie auch nur entfernt sich an die
roemisch-alexandrinische. Die Ursache liegt nicht in dem Mangel an Talenten oder
anderen Zufaelligkeiten, am wenigsten daran, dass der Platz im Museum vom Kaiser
zuweilen nach Gaben und immer nach Gunst vergeben ward und die Regierung damit
voellig schaltete wie mit dem Ritterpferd und den Hausbeamtenstellungen; das war
auch an den aelteren Hoefen nicht anders gewesen. Hofphilosophen und Hofpoeten
blieben in Alexandreia, aber nicht der Hof; es zeigte sich hier recht deutlich,
dass es nicht auf die Pensionen und Gratifikationen ankam, sondern auf die fuer
beide Teile belebende Beruehrung der grossen politischen und der grossen
wissenschaftlichen Arbeit. Diese stellte wohl fuer die neue Monarchie sich ein
und damit auch ihre Konsequenzen; aber die Staette dafuer war nicht Alexandreia:
diese Bluete der politischen Entwicklung gehoerte billig den Lateinern und der
lateinischen Hauptstadt. Die augustische Poesie und die augustische Wissenschaft
sind unter aehnlichen Verhaeltnissen zu aehnlicher bedeutender und erfreulicher
Entwicklung gelangt wie die hellenistische an dem Hof der Pergamener und der
frueheren Ptolemaeer. Sogar indem griechischen Kreise knuepfte, soweit die
roemische Regierung auf denselben im Sinne der Lagiden einwirkte, mehr als an
Alexandreia sich dies an Rom an. Die griechischen Bibliotheken der Hauptstadt
standen freilich der alexandrinischen nicht gleich und ein dem alexandrinischen
Museum vergleichbares Institut gab es in Rom nicht. Aber die Stellung an den
roemischen Bibliotheken oeffnete die Beziehungen zu dem Hofe. Auch die von
Vespasian eingerichtete, von der Regierung besetzte und besoldete
hauptstaedtische Professur der griechischen Rhetorik gab ihrem Inhaber, wenn er
gleich nicht in dem Sinne Hausbeamter war wie der kaiserliche Bibliothekar, eine
aehnliche Stellung und galt, ohne Zweifel deswegen, als der vornehmste Lehrstuhl
des Reiches ^47. Vor allem aber war das kaiserliche Kabinettssekretariat in
seiner griechischen Abteilung die angesehenste und einflussreichste Stellung, zu
der ein griechischer Literat ueberhaupt gelangen konnte. Versetzung von der
alexandrinischen Akademie in ein derartiges hauptstaedtisches Amt war
nachweislich Befoerderung ^48. Auch abgesehen von allem, was die griechischen
Literaten sonst allein in Rom fanden, genuegten die Hofstellungen und die
Hofaemter, um den angesehensten von ihnen den Zug vielmehr dahin zu geben als an
den aegyptischen "Freitisch". Das gelehrte Alexandreia dieser Zeit ward eine Art
Witwensitz der griechischen Wissenschaft, achtungswert und nuetzlich, aber auf
den grossen Zug der Bildung wie der Verbildung der Kaiserzeit von keinem
durchschlagenden Einfluss; die Plaetze im Museum wurden, wie billig, nicht
selten an namhafte Gelehrte von auswaerts vergeben, und fuer das Institut selbst
kamen die Buecher der Bibliothek mehr in Betracht als die Buerger der grossen
Handels- und Fabrikstadt.
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^46 Ein "homerischer Poet" ek Moyseioy bringt es fertig, den Memnon in vier
homerischen Versen anzusingen, ohne ein Wort von dem Seinen hinzuzutun (CIG
4748). Hadrian macht einen alexandrinischen Poeten zum Lohn fuer ein loyales
Epigramm zum Mitglied (Athenaeos 15 p. 677 e). Beispiele von Rhetoren aus
hadrianischer Zeit bei Philostratos vit. soph. 1, 22, 3. c. 25, 3. Ein
philosophos apo Moyseioy in Halikarnassos (BCH 4, 1880, S. 405). In spaeterer
Zeit, wo der Circus alles ist, finden wir einen namhaften Ringkaempfer -
vielleicht darf man sagen, als Ehrenmitglied der philosophischen Klasse
(Inschrift aus Rom CIG 5914: ne/o/koros to? megaloy Sarapidos kai t/o/n en t/o/
Moysei/o/ seitoymen/o/n atel/o/n philosoph/o/n; vgl. das. 4724 und Firm. err.
13,3). Oi en Ephes/o/ apo to? Moyseioy iatroi (Wood, Ephesus. Inscriptions from
tombs, n. 7), eine Gesellschaft ephesischer Aerzte, beziehen sich wohl auch auf
das Museum von Alexandreia, aber sind schwerlich Mitglieder desselben, sondern
in demselben gebildet.
^47 O an/o/ thronos bei Philostratos vit. soph. 2, 10, 5.
^48 Beispiele sind Chaeremon, der Lehrer Neros, vorher angestellt in
Alexandreia (Suidas Aeion?sios Alexandre?s; vgl. Zeller, Hermes 11, 1876, S. 430
und oben 7, 275); Dionysios, des Glaukos Sohn, zuerst in Alexandreia Nachfolger
Chaeremons, dann von Nero bis auf Traian Bibliothekar in Rom und kaiserlicher
Kabinettssekretaer (Suidas. a. a. O.); L. Julius Vestinus unter Hadrian, der
sogar nach der Vorstandschaft des Museums dieselben Stellungen wie Dionysios in
Rom bekleidete, auch als philologischer Schriftsteller bekannt.
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Die militaerischen Verhaeltnisse Aegyptens stellten, eben wie in Syrien,
den Truppen daselbst eine zwiefache Aufgabe: den Schutz der Suedgrenze und der
Ostkueste, der freilich mit dem fuer die Euphratlinie erforderlichen nicht
entfernt verglichen werden kann, und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung
im Lande wie in der Hauptstadt. Die roemische Besatzung bestand, abgesehen von
den bei Alexandreia und auf dem Nil stationierten Schiffen, die hauptsaechlich
fuer die Zollkontrolle gedient zu haben scheinen, unter Augustus aus drei
Legionen nebst den dazugehoerigen, nicht zahlreichen Hilfstruppen, zusammen etwa
20000 Mann. Es war dies etwa halb soviel, als er fuer die saemtlichen
asiatischen Provinzen bestimmte, was der Wichtigkeit dieser Provinz fuer die
neue Monarchie entsprach. Die Besatzung wurde aber wahrscheinlich noch unter
Augustus selbst um ein Drittel und dann unter Domitian um ein weiteres Drittel
vermindert. Anfaenglich waren zwei Legionen ausserhalb der Hauptstadt
stationiert; das Hauptlager aber und bald das einzige lag vor den Toren
derselben, da wo Caesar der Sohn den letzten Kampf mit Antonius ausgefochten
hatte, in der danach benannten Vorstadt Nikopolis. Diese hatte ihr eigenes
Amphitheater und ihr eigenes kaiserliches Volksfest und war voellig selbstaendig
eingerichtet, so dass eine Zeitlang die oeffentlichen Lustbarkeiten von
Alexandreia durch die ihrigen in Schatten gestellt wurden. Die unmittelbare
Bewachung der Grenze fiel den Auxilien zu. Dieselben Ursachen also, welche in
Syrien die Disziplin lockerten, die zunaechst polizeiliche Aufgabe und die
unmittelbare Beruehrung mit der grossen Hauptstadt, kamen auch fuer die
aegyptischen Truppen ins Spiel; hier trat noch hinzu, dass die ueble Gewohnheit,
den Soldaten bei der Fahne das eheliche Leben oder doch ein Surrogat desselben
zu gestatten und die Truppe aus diesen Lagerkindern zu ergaenzen, bei den
makedonischen Regimentern der Ptolemaeer seit langem einheimisch war und rasch
auch bei den Roemern sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade einbuergerte.
Dem entsprechend scheint das aegyptische Korps, in welchem die Okzidentalen noch
seltener dienten als in den uebrigen Armeen des Ostens und das zum grossen Teil
aus der Buergerschaft und dem Lager von Alexandreia sich rekrutierte, unter
allen Armeekorps das am wenigstens angesehene gewesen zu sein, wie denn auch die
Offiziere dieser Legion, wie schon bemerkt ward, im Rang denen der uebrigen
nachstanden.
Die eigentlich militaerische Aufgabe der aegyptischen Truppen haengt eng
zusammen mit den Massregeln fuer die Hebung des aegyptischen Handels. Es wird
angemessen sein, beides zusammenzufassen und zunaechst die Beziehungen zu den
kontinentalen Nachbarn im Sueden, sodann diejenigen zu Arabien und Indien im
Zusammenhang darzulegen.
Aegypten reicht nach Sueden, wie schon bemerkt, bis zu der Schranke, welche
der letzte Katarakt unweit Syene (Assuan) der Schiffahrt entgegenstellt.
Jenseits Syene beginnt der Stamm der Kesch, wie die Aegypter sie nennen, oder,
wie die Griechen uebersetzen, der Dunkelfarbigen, der Aethiopen, wahrscheinlich
den spaeter zu erwaehnenden Urbewohnern Abessiniens stammverwandt, und, wenn
auch vielleicht aus der gleichen Wurzel wie die Aegypter entsprungen, doch in
der geschichtlichen Entwicklung als fremdes Volk ihnen gegenueberstehend. Weiter
suedwaerts folgen die Nahsiu der Aegypter, das heisst die Schwarzen, die Nubier
der Griechen, die heutigen Neger. Die Koenige Aegyptens hatten in besseren
Zeiten ihre Herrschaft weit in das Binnenland hinein ausgedehnt oder es hatten
wenigstens auswandernde Aegypter hier sich eigene Herrschaften gegruendet; die
schriftlichen Denkmaeler des pharaonischen Regiments gehen bis oberhalb des
dritten Katarakts nach Dongola hinein, wo Nabata (bei Nuri) der Mittelpunkt
ihrer Niederlassungen gewesen zu sein scheint; und noch betraechtlich weiter
stromaufwaerts, etwa sechs Tagereisen noerdlich von Khartum, bei Schendi im
Sennaar, in der Naehe der frueh verschollenen Aethiopenstadt Mero‰ finden sich
Gruppen freilich schriftloser Tempel und Pyramiden. Als Aegypten roemisch ward,
war es mit dieser Machtentwicklung laengst vorbei und herrschte jenseits Syene
ein aethiopischer Stamm unter Koeniginnen, die stehend den Namen oder den Titel
Kandake fuehrten ^49 und in jenem einst aegyptischen Nabata in Dongola
residierten; ein Volk auf niedriger Stufe der Zivilisation, ueberwiegend Hirten,
imstande, ein Heer von 30000 Mann aufzubringen, aber geruestet mit Schilden von
Rindshaeuten, bewehrt meist nicht mit Schwertern, sondern mit Beilen oder Lanzen
und eisenbeschlagenen Keulen; raeuberische Nachbarn, im Gefecht den Roemern
nicht gewachsen. Diese fielen im Jahre 730 (24) oder 731 (23) in das roemische
Gebiet ein, wie sie behaupteten, weil die Vorsteher der naechsten Nomen sie
geschaedigt haetten, wie die Roemer meinten, weil die aegyptischen Truppen
damals grossenteils in Arabien beschaeftigt waren und sie hofften, ungestraft
pluendern zu koennen. In der Tat ueberwanden sie die drei Kohorten, die die
Grenze deckten, und schleppten aus den naechsten aegyptischen Distrikten Philae,
Elephantine, Syene die Bewohner als Sklaven fort und als Siegeszeichen die
Statuen des Kaisers, die sie dort vorfanden. Aber der Statthalter, der eben
damals die Verwaltung des Landes uebernahm, Gaius Petronius, vergalt den Angriff
rasch; mit 10000 Mann zu Fuss und 800 Reitern trieb er sie nicht bloss zum Lande
hinaus, sondern folgte ihnen den Nil entlang in ihr eigenes Land, schlug sie
nachdruecklich bei Pselchis (Dakke) und erstuermte ihre feste Burg Premis
(Ibrim) so wie die Hauptstadt selbst, die er zerstoerte. Zwar erneuerte die
Koenigin, ein tapferes Weib, im naechsten Jahre den Angriff und versuchte
Premis, wo roemische Besatzung geblieben war, zu erstuermen; aber Petronius
brachte rechtzeitig Ersatz, und so entschloss sich die Aethiopin, Gesandte zu
senden und um Frieden zu bitten. Der Kaiser gewaehrte ihn nicht bloss, sondern
befahl, das unterworfene Gebiet zu raeumen, und wies den Vorschlag seines
Statthalters ab, die Besiegten tributpflichtig zu machen. Insofern ist dieser
sonst nicht bedeutende Vorgang bemerkenswert, als gleich damals der bestimmte
Entschluss der roemischen Regierung sich zeigte, zwar das Niltal, soweit der
Fluss schiffbar ist, unbedingt zu behaupten, aber von der Besitznahme der weiten
Landschaften am oberen Nil ein fuer allemal abzusehen. Nur die Strecke von
Syene, wo unter Augustus die Grenztruppen standen, bis nach Hiera Sykaminos
(Maharraka), das sogenannte Zwoelfmeilenland (D/o/dekaschoinos) ist zwar niemals
als Nomos eingerichtet und nie als ein Teil Aegyptens, aber doch als zum Reiche
gehoerig betrachtet worden; und spaetestens unter Domitian wurden selbst die
Posten bis nach Hiera Sykaminos vorgerueckt ^^50. Dabei ist es im wesentlichen
geblieben. Die von Nero geplante orientalische Expedition sollte allerdings auch
Aethiopien umfassen; aber es blieb bei der vorlaeufigen Erkundung des Landes
durch roemische Offiziere bis ueber Mero‰ hinauf. Das nachbarliche Verhaeltnis
muss an der aegyptischen Suedgrenze bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts im
ganzen friedlicher Art gewesen sein, wenn es auch an kleineren Haendeln mit
jener Kandake und mit ihren Nachfolgerinnen, die laengere Zeit sich behauptet zu
haben scheinen, spaeter vielleicht mit anderen, jenseits der Reichsgrenze zur
Vormacht gelangenden Staemmen, nicht gefehlt haben wird. Erst als das Reich in
der valerianisch-gallienischen Zeit aus den Fugen ging, brachen die Nachbarn
auch ueber diese Grenze. Es ist schon erwaehnt worden, dass die in den Gebirgen
an der Suedostgrenze ansaessigen, frueher den Aethiopen gehorchenden Blemyer,
ein Barbarenvolk von entsetzlicher Roheit, welches noch Jahrhunderte spaeter
sich der Menschenopfer nicht entwoehnt hatte, in dieser Epoche selbstaendig
gegen Aegypten vorging und im Einverstaendnis mit den Palmyrenern einen guten
Teil Oberaegyptens besetzte und eine Reihe von Jahren behauptete. Der tuechtige
Kaiser Probus vertrieb sie; aber die einmal begonnenen Einfaelle hoerten nicht
auf ^51, und Kaiser Diocletianus entschloss sich, die Grenze zurueckzunehmen.
Das schmale Zwoelfmeilenland forderte starke Besatzung und trug dem Staate wenig
ein. Die Nubier, welche in der libyschen Wueste hausten und besonders die grosse
Oase stetig heimsuchten, gingen darauf ein, ihre alten Sitze aufzugeben und sich
in dieser Landschaft anzusiedeln, die ihnen foermlich abgetreten ward; zugleich
wurden ihnen sowohl wie ihren oestlichen Nachbarn, den Blemyern, feste
Jahrgelder ausgesetzt, dem Namen nach, um sie fuer die Grenzbewachung zu
entschaedigen, in der Tat ohne Zweifel als Abkaufsgelder fuer ihre
Pluenderzuege, die natuerlich dennoch nicht aufhoerten. Es war ein Schritt
zurueck, der erste, seit Aegypten roemisch war.
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^49 Der Eunuch der Kandake, der im Jesaias liest (Apostelgeschichte 8, 27),
ist bekannt; eine Kandake regiert auch zu Neros Zeit (Plin. nat. 6, 29, 182) und
spiele eine Rolle im Alexanderroman (3, 18 f.).
^50 Dass die Reichsgrenze bis Hiera Sykaminos reichte, ergibt sich fuer das
2. Jahrhundert aus Ptol. geogr. 5, 5, 74, fuer die Zeit Diocletians aus den die
Reichsstrassen bis dahin fuehrenden Itinerarien. In der ein Jahrhundert
juengeren Notitia dignitatum reichen die Posten wieder nicht hinaus ueber Syene,
Philae, Elephantine. In der Strecke von Philae nach Hiera Sykaminos, der
Dodekaschoenos Herodots (2, 29), scheinen schon in frueher Zeit fuer die
Aegyptern und Aethiopen immer gemeinschaftliche Isis von Philae Tempelabgaben
erhoben worden zu sein; aber griechische Inschriften aus der Lagidenzeit haben
sich hier nicht gefunden, dagegen zahlreiche datierte aus roemischer, die
aeltesten aus der des Augustus (Pselchis, 2 n. Chr.: CIG 5086) und des Tiberius
(ebenda, J. 26: 5104; J. 33: 5101), die juengste aus der des Philippus
(Kardassi, J. 248: 5010). Diese beweisen nicht unbedingt fuer die
Reichsangehoerigkeit des betreffenden Fundorts; aber die eines landvermessenden
Soldaten vom Jahre 33 (5101) und die eines praesidium vom Jahre 84 (Talmis, 5042
f.), sowie zahlreiche andere setzen dieselbe allerdings voraus. Jenseits der
bezeichneten Grenze hat sich nie ein aehnlicher Stein gefunden; denn die
merkwuerdige Inschrift der regina (CIL III, 83), bei Messaurat, suedlich von
Schendi (16ø 25' Breite, 5 Lieues noerdlich von den Ruinen von Naga) gefunden,
die suedlichste aller bekannten lateinischen Inschriften, jetzt im Berliner
Museum, hat nicht ein roemischer Untertan gesetzt, sondern vermutlich ein aus
Rom zurueckkehrender Abgesandter einer afrikanischen Koenigin, der lateinisch
redet, vielleicht nur, um zu zeigen, dass er in Rom gewesen sei.
^51 Die tropaea Niliaca, sub quibus Aethiops et Indus intremuit, in einer
wahrscheinlich im Jahre 296 gehaltenen Rede (Paneg. 5, 5) gehen auf ein
derartiges Rencontre, nicht auf die aegyptische Insurrektion; von Angriffen der
Blemyer spricht eine andere Rede vom Jahre 289 (Paneg. 3, 17).
Ueber die Abtretung des Zwoelfmeilengebiets an die Nubier berichtet Prok.
Pers. 1, 19. Als unter der Herrschaft nicht der Nubier, sondern der Blemyer
stehend erwaehnen dasselbe Olympiodorus (fr. 37 Mueller) und die Inschrift des
Silko CIG 5072. Das kuerzlich zum Vorschein gekommene Fragment eines
griechischen Heldengedichts auf den Blemyersieg eines spaetroemischen Kaisers
bezieht Buecheler (Rheinisches Museum N. F. 39, 1880, S. 279 f.) auf den des
Marcianus im Jahre 451 (vgl. Priscus fr. 21).
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Von dem kaufmaennischen Verkehr an dieser Grenze ist aus dem Altertum wenig
ueberliefert. Da die Katarakte des oberen Nils den unmittelbaren Wasserweg
sperrten, hat sich der Verkehr zwischen dem inneren Afrika und den Aegyptern,
namentlich der Elfenbeinhandel in roemischer Zeit mehr ueber die abessinischen
Haefen als am Nil hin bewegt; aber gefehlt hat er auch in dieser Richtung nicht
^52. Die auf der Insel Philae zahlreich neben den Aegyptern wohnenden Aethiopen
sind offenbar meistens Kaufleute gewesen, und der hier vorwaltende Grenzfrieden
wird das Seinige beigetragen haben zum Aufbluehen der oberaegyptischen
Grenzstaedte und des aegyptischen Handels ueberhaupt.
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^52 Juvenal erwaehnt sat. 11, 124 die Elefantenzaehne, quos mittit porta
Syenes.
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Die Ostkueste Aegyptens stellt der Entwicklung des Weltverkehrs eine schwer
zu loesende Aufgabe. Der durchgaengig oede und felsige Strand ist eigentlicher
Kultur unfaehig und in alter wie in neuer Zeit eine Wueste ^52. Dagegen naehern
die beiden fuer die Kulturentwicklung der alten Welt vorzugsweise wichtigen
Meere, das Mittellaendische und das Rote oder Indische sich einander am meisten
an den beiden noerdlichsten Spitzen des letzteren, dem Persischen und dem
Arabischen Golf; jener nimmt den Euphrat in sich auf, der in seinem mittleren
Lauf dem Mittellaendischen Meere nahekommt; dieser ist nur wenige Tagemaersche
entfernt von dem in dasselbe Meer fliessenden Nil. Daher nimmt in alter Zeit der
Handelsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen ueberwiegend entweder die
Richtung auf dem Euphrat zu der syrischen und der arabischen Kueste oder er
wendet sich von der Ostkueste Aegyptens nach dem Nil. Die Verkehrswege vom
Euphrat her sind aelter als die ueber den Nil; aber die letzteren haben den
Vorzug der besseren Schiffbarkeit des Stromes und des kuerzeren Landtransports;
Die Beseitigung des letzteren durch Herstellung einer kuenstlichen Wasserstrasse
ist bei dem Euphratweg ausgeschlossen, bei dem aegyptischen in alter wie in
neuer Zeit wohl schwierig, aber nicht unmoeglich befunden. Sonach ist dem Land
Aegypten von der Natur selbst vorgeschrieben, die Ostkueste mit dem Nillauf und
der noerdlichen Kueste durch Land- oder Wasserstrassen zu verbinden; und es
gehen auch die Anfaenge derartiger Anlagen bis zurueck in die Zeit derjenigen
einheimischen Herrscher, welche zuerst Aegypten dem Ausland und dem grossen
Handelsverkehr erschlossen. Auf den Spuren, wie es scheint, aelterer Anlagen der
grossen Regenten Aegyptens, Sethi I. und Rhamses II., begann der Sohn
Psammetichs, Koenig Necho (610-594 v. Chr.), den Bau eines Kanals, der in der
Naehe von Kairo vom Nil abzweigend eine Wasserverbindung mit den Bitterseen bei
Ismailia und durch diese mit dem Roten Meer herstellen sollte, ohne indes das
Werk vollenden zu koennen. Dass er dabei nicht bloss die Beherrschung des
Arabischen Golfs und den Handelsverkehr mit den Arabern in das Auge fasste,
sondern das Persische und das Indische Meer und der entlegenere Osten bereits in
den Horizont dieses Aegypterkoenigs getreten waren, ist deswegen wahrscheinlich,
weil derselbe Herrscher die einzige im Altertum ausgefuehrte Umschiffung Afrikas
veranlasst hat. Ausser Zweifel ist dies fuer Koenig Dareios I., den Herrn sowohl
Persiens wie Aegyptens; er vollendete den Kanal, aber, wie seine an Ort und
Stelle aufgefundenen Denksteine melden, liess er ihn selbst wieder verschuetten,
wahrscheinlich weil seine Ingenieure befuerchteten, dass das Meerwasser,
eingelassen in den Kanal, die Gefilde Aegyptens ueberschwemmen werde.
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^52 Nach der Art, wie Ptolemaeos 4, 5, 14 u. 15 diese Kueste behandelt,
scheint sie, eben wie das Zwoelfmeilenland, ausserhalb der Nomeneinteilung
gestanden zu haben.
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Der Wettkampf der Lagiden und der Seleukiden, welcher die Politik der
nachalexandrischen Zeit ueberhaupt beherrscht, war zugleich ein Kampf zwischen
dem Euphrat und dem Nil. Jener war im Besitz, dieser der Praetendent; und in der
besseren Zeit der Lagiden ist die friedliche Offensive mit grosser Energie
gefuehrt worden. Nicht bloss wurde jener von Necho und Dareios unternommene
Kanal, jetzt der "Fluss Ptolemaeos" genannt, durch den zweiten Ptolemaeer
Philadelphos (+ 247 v. Chr.) zum ersten Mal der Schiffahrt eroeffnet, sondern es
wurden auch an den fuer die Sicherheit der Schiffe und fuer die Verbindung mit
dem Nil am besten geeigneten Punkten der schwierigen Ostkueste umfassende
Hafenbauten ausgefuehrt. Vor allem geschah dies an der Muendung des zum Nil
fuehrenden Kanals, bei den Ortschaften Arsinoe, Kleopatris, Klysma, alle drei in
der Gegend des heutigen Suez. Weiter abwaerts entstanden ausser manchen
kleineren Anlagen die beiden bedeutenden Emporien Myos Hormos, etwas oberhalb
des heutigen Koser, und Berenike im Trogodytenland, ungefaehr in gleicher Breite
mit Syene am Nil sowie mit dem arabischen Hafen Leuke Kome, von der Stadt
Koptos, bei der der Nil am weitesten oestlich vorspringt, jenes sechs bis
sieben, dieses elf Tagemaersche entfernt und durch quer durch die Wueste
angelegte, mit grossen Zisternen versehene Strassen mit diesem Hauptemporium am
Nil verbunden. Der Warenverkehr der Ptolemaeerzeit ist wahrscheinlich weniger
durch den Kanal gegangen als ueber diese Landwege nach Koptos.
Ueber jenes Berenike im Trogodytenland hinaus hat sich das eigentliche
Aegypten der Lagiden nicht erstreckt. Die weiter gegen Sueden liegenden
Ansiedlungen Ptolemais "fuer die Jagd" unterhalb Suakin und die suedlichste
Ortschaft des Lagidenreichs, das spaetere Adulis, damals vielleicht "Berenike
die goldene" oder "bei Saba" genannt, Zula unweit des heutigen Massaua, bei
weitem der beste Hafen an dieser ganzen Kueste, sind nicht mehr gewesen als
Kuestenforts und haben mit Aegypten nicht in Landverbindung gestanden. Auch sind
diese entlegenen Ansiedlungen ohne Zweifel unter den spaeteren Lagiden entweder
verlorengegangen oder freiwillig aufgegeben worden, und war in der Epoche, wo
die roemische Herrschaft eintritt, wie im Binnenland Syene, so an der Kueste das
trogodytische Berenike die Reichsgrenze.
In diesem von den Aegyptern nie besetzten oder frueh geraeumten Gebiet
bildete sich, sei es am Ausgang der Lagidenepoche, sei es in der ersten
Kaiserzeit, ein unabhaengiger Staat von Ausdehnung und Bedeutung, derjenige der
Axomiten ^54, entsprechend dem heutigen Habesch. Er fuehrt seinen Namen von der
im Herzen dieses Alpenlandes, acht Tagereisen vom Meer in der heutigen
Landschaft Tigre gelegenen Stadt Axomis, dem heutigen Aksum; als Hafen dient ihm
das schon erwaehnte beste Emporium an dieser Kueste, Adulis in der Bucht von
Massaua. Die urspruengliche Bevoelkerung dieser Landschaft mag wohl das Agau
gesprochen haben, von welcher Sprache sich noch heute in einzelnen Strichen des
Suedens reine Ueberreste behaupten und die dem gleichen hamitischen Kreise mit
den heutigen Bedscha, Dankali, Somali, Galla angehoert; der aegyptischen
Bevoelkerung scheint dieser Sprachkreis in aehnlicher Weise verwandt wie die
Griechen mit den Kelten und den Slaven, so dass hier wohl fuer die Forschung
eine Verwandtschaft, fuer das geschichtliche Dasein aber vielmehr allein der
Gegensatz besteht. Aber bevor unsere Kunde von diesem Lande auch nur beginnt,
muessen ueberlegene Semitische, zu den himjaritischen Staemmen des suedlichen
Arabiens gehoerige Einwanderer den schmalen Meerbusen ueberschritten und ihre
Sprache wie ihre Schrift dort einheimisch gemacht haben. Die alte, erst lange
nach roemischer Zeit im Volksgebrauch erloschene Schriftsprache von Habesch, das
Ge'ez oder, wie sie faelschlich meist genannt wird, die aethiopische ^55, ist
rein semitisch ^56, und die jetzt noch lebenden Dialekte, namentlich das
Tigrina, sind es im wesentlichen auch, nur durch die Einwirkung des aelteren
Agau getruebt.
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^54 Das Beste, was wir ueber das Reich von Axomis wissen, lehrt der von
einem ihrer Koenige ohne Zweifel in der besseren Kaiserzeit in Adulis gesetzte
Stein (CIG 5127b), eine Art von Denkschrift ueber die Taten dieses anscheinenden
Reichsgruenders im Stil der persepolitanischen des Dareios oder der
ancyranischen des Augustus und angebracht an dem Koenigsthron, vor welchem bis
in das 6. Jahrhundert hinein die Verbrecher hingerichtet wurden. Die sachkundige
Eroerterung Dillmanns (Abhandlungen der Berliner Akademie, 1877, S. 195 f.)
erklaert, was davon erklaerbar ist. Vom roemischen Standpunkt aus ist
hervorzuheben, dass der Koenig zwar die Roemer nicht nennt, aber deutlich auf
ihre Reichsgrenzen Ruecksicht nimmt, indem er die Tangaiten unterwirft mechri
t/o/n t/e/s Aig?ptoy ori/o/n und eine Strasse anlegt apo t/o/n t/e/s em/e/s
basileias top/o/n mechri Aig?ptoy, ferner als Nordgrenze seiner arabischen
Expedition Leuke Kome nennt, die letzte roemische Station an der arabischen
Westkueste. Daraus folgt weiter, dass diese Inschrift juenger ist als der unter
Vespasian geschriebene Periplus des Roten Meeres; denn nach diesem (c. 5)
herrscht der Koenig von Axomis apo t/o/n Moschophag/o/n mechri t/e/s all/e/s
barbarias, und zwar ist dies ausschliesslich zu verstehen, da er c. 2 die
t?rannoi der Moschophagen nennt und ebenso c. 14 bemerkt, dass jenseits der
Strasse Bab el Mandeb kein "Koenig" sei, sondern nur "Tyrannen". Also reichte
damals das Axomitanische Reich noch nicht bis zur roemischen Grenze, sondern nur
bis etwa nach Ptolemais "der Jagd", ebenso nach der anderen Richtung nicht bis
zum Kap Guardafui, sondern nur bis zur Strasse Bab el Mandeb. Auch an der
arabischen Kueste spricht der Periplus von Besitzungen des Koenigs von Axomis
nicht, obwohl er mehrfach der Dynasten daselbst gedenkt.
^55 Der Name der Aethiopen haftet in besserer Zeit an dem Land am oberen
Nil, insbesondere den Reichen von Mero‰ und Nabata, also an dem Gebiet, das wir
jetzt Nubien nennen. Im spaeteren Altertum, zum Beispiel von Prokopios, wird die
Benennung auf den Staat von Axomis bezogen, und daher bezeichnen die Abessinier
seit langem ihr Reich mit diesem Namen.
^56 Daher die Legende, dass die Axomiten von Alexander in Afrika
angesiedelte Syrer seien und noch syrisch spraechen (Philostorgius hist. eccl.
3, 6).
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Ueber die Anfaenge dieses Gemeinwesens hat sich keine Ueberlieferung
erhalten. Am Ausgang der neronischen Zeit und vielleicht schon lange vorher
herrschte der Koenig der Axomiten an der afrikanischen Kueste etwa von Suakin
bis zur Strasse Bab el Mandeb. Einige Zeit darauf - naeher laesst sich die
Epoche nicht bestimmen - finden wir ihn als Grenznachbarn der Roemer an der
Suedgrenze Aegyptens, auch an der anderen Kueste des Arabischen Meerbusens in
dem Zwischengebiet zwischen dem roemischen Besitz und dem der Sabaeer in
kriegerischer Taetigkeit, also nach Norden mit dem roemischen Gebiet auch in
Arabien sich unmittelbar beruehrend, ueberdies die afrikanische Kueste
ausserhalb des Busens vielleicht bis zum Kap Guardafui beherrschend. Wie weit
sich sein Gebiet von Axomis landeinwaerts erstreckt hat, erhellt nicht;
Aethiopien, das heisst Sennaar und Dongola, haben wenigstens in der frueheren
Kaiserzeit schwerlich dazu gehoert; vielmehr mag zu der Zeit das Reich von
Nabata neben dem axomitischen bestanden haben. Wo uns die Axomiten
entgegentreten, finden wir sie auf einer verhaeltnismaessig vorgeschrittenen
Stufe der Entwicklung. Unter Augustus hob sich der aegyptische Handelsverkehr
nicht minder wie mit Indien so mit diesen afrikanischen Haefen. Der Koenig gebot
nicht bloss ueber ein Heer, sondern, wie dies schon seine Beziehungen zu Arabien
voraussetzen, auch ueber eine Flotte. Den Koenig Zoskales, der in Vespasians
Zeit in Axomis regierte, nennt ein griechischer Kaufmann, der in Adulis gewesen
war, einen rechtschaffenen und der griechischen Schrift kundigen Mann; einer
seiner Nachfolger hat an Ort und Stelle eine in gelaeufigem Griechisch verfasste
Denkschrift aufgestellt, die seine Taten den Fremden erzaehlte; er selbst nennt
sich in derselben einen Sohn des Ares, welchen Titel die Koenige der Axomiten
bis in das vierte Jahrhundert hinab beibehielten, und widmet den Thron, der jene
Denkschrift traegt, dem Zeus, dem Ares und dem Poseidon. Schon zu Zoskales' Zeit
nennt jener Fremde Adulis einen wohlgeordneten Handelsplatz; seine Nachfolger
noetigten die schweifenden Staemme der arabischen Kueste, zu Lande wie zur See
Frieden zu halten, und stellten eine Landverbindung her von ihrer Hauptstadt bis
an die roemische Grenze, was bei der Beschaffenheit dieser zunaechst auf
Seeverbindung angewiesenen Landschaft nicht gering anzuschlagen ist. Unter
Vespasian dienten Messingstuecke, die nach Beduerfnis geteilt wurden, den
Eingeborenen statt des Geldes und zirkulierte die roemische Muenze nur bei den
Adulis ansaessigen Fremden; in der spaeteren Kaiserzeit haben die Koenige selber
gepraegt. Daneben nennt der axomitische Herrscher sich Koenig der Koenige, und
keine Spur deutet auf roemische Klientel; er uebt die Praegung in Gold, was die
Roemer nicht bloss in ihrem Gebiet, sondern auch in ihrem Machtbereich nicht
zuliessen. Es gibt in der Kaiserzeit ausserhalb der roemisch-hellenischen
Grenzen kaum ein anderes Land, welches in gleicher Selbstaendigkeit dem
hellenischen Wesen bei sich eine Staette bereitet haette wie der Staat von
Habesch. Dass im Lauf der Zeit die einheimische oder vielmehr aus Arabien
eingebuergerte Volkssprache die Alleinherrschaft zurueckgewann und das
Griechische verdraengte, ist wahrscheinlich teils auf arabischen Einfluss
zurueckzufuehren, teils auf den des Christentums und die damit zusammenhaengende
Wiederbelebung der Volksdialekte, wie wir sie auch in Syrien und in Aegypten
fanden, und schliesst nicht aus, dass die griechische Sprache in Axomis und
Adulis im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine aehnliche Stellung
gehabt hat wie in Syrien und in Aegypten, soweit es eben gestattet ist, Kleines
mit Grossem zu vergleichen.
Von politischen Beziehungen der Roemer zu dem Staat von Axomis wird aus den
ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, auf welche unsere Erzaehlung
sich beschraenkt, kaum etwas gemeldet. Mit dem uebrigen Aegypten nahmen sie auch
die Haefen der Ostkueste in Besitz bis hinab zu dem abgelegenen und darum in
roemischer Zeit unter einen eigenen Kommandanten gestellten trogodytischen
Berenike ^57. An Gebietserweiterung in die unwirtlichen und wertlosen
Kuestengebirge hinein ist hier nie gedacht worden; auch kann die duenne und auf
der niedrigsten Stufe der Entwicklung stehende Bevoelkerung des naechst
angrenzenden Gebiets den Roemern niemals ernsthaft zu schaffen gemacht haben.
Ebensowenig haben die Caesaren so, wie es die frueheren Lagiden getan hatten,
sich der Emporien der axomitanischen Kueste zu bemaechtigen versucht.
Ausdruecklich gemeldet wird nur, dass Gesandte des Axomitenkoenigs mit Kaiser
Aurelian verhandelten. Aber eben dieses Stillschweigen sowie die frueher
bezeichnete unabhaengige Stellung des Herrschers ^58 fuehren darauf, dass hier
die geltenden Grenzen beiderseits dauernd respektiert wurden und ein gutes
nachbarliches Verhaeltnis bestand, welches den Interessen des Friedens und
vornehmlich dem aegyptischen Handelsverkehr zugute kam. Dass dieser,
insbesondere der wichtige Elfenbeinhandel, in welchem Adulis fuer das innere
Afrika das hauptsaechliche Entrepot war, ueberwiegend von Aegypten aus und auf
aegyptischen Schiffen gefuehrt worden ist, kann bei der ueberlegenen
Zivilisation Aegyptens schon fuer die Lagidenzeit keinem Zweifel unterliegen,
und auch in roemischer Zeit hat dieser Verkehr sich wohl nur gesteigert, nicht
weiter geaendert.
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^57 Dies ist der praefectus praesidiorum et montis Beronices (CIL IX,
3083), praefectus montis Berenicidis (Orelli 3881), praefectus Bernicidis (CIL
X, 1129), ein Offizier von Ritterrang, analog den oben angefuehrten, in
Alexandreia stationierten.
^58 Auch das Schreiben, das Kaiser Constantius im Jahre 356 an den
damaligen Koenig von Axomis, Aeizanas, richtet, ist das eines Herrschers an
einen anderen gleichgestellten: er ersucht ihn um freundnachbarlichen Beistand
gegen die Ausbreitung der athanasischen Ketzerei und um Absetzung und
Auslieferung eines derselben verdaechtigen axomitischen Geistlichen. Die
Kulturgemeinschaft tritt hier nur um so bestimmter hervor, als der Christ gegen
den Christen den Arm des Heiden anruft.
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Bei weitem wichtiger als der Verkehr mit dem afrikanischen Sueden war fuer
Aegypten und das Roemische Reich ueberhaupt der Verkehr mit Arabien und den
weiter oestlich gelegenen Kuesten. Die arabische Halbinsel ist dem hellenischen
Kulturkreise ferngeblieben. Es waere wohl anders gekommen, wenn Koenig Alexander
ein Jahr laenger gelebt haette; der Tod raffte ihn weg mitten in den
Vorbereitungen, die bereits erkundete arabische Suedkueste vom Persischen
Meerbusen aus zu umfahren und zu besetzen. Aber die Fahrt, die der grosse Koenig
nicht hatte antreten koennen, hat nach ihm nie ein Grieche unternommen. Seit
fernster Zeit hat dagegen zwischen den beiden Kuesten des Arabischen Meerbusens
ein lebhafter Verkehr ueber das maessig breite Wasser hinueber stattgefunden. In
den aegyptischen Berichten aus der Pharaonenzeit spielen die Seefahrten nach dem
Land Punt, die von dort heimgebrachte Beute an Weihrauch, Ebenholz, Smaragden,
Leopardenfellen eine bedeutende Rolle. Dass spaeterhin der noerdliche Teil der
arabischen Westkueste zu dem Gebiet der Nabataeer gehoerte und mit diesem in die
Gewalt der Roemer kam, ist schon angegeben worden. Es war dies ein oedes Gestade
^59; nur das Emporium Leuke Kome, die letzte Stadt der Nabataeer und insofern
auch des Roemischen Reiches, stand nicht bloss mit dem gegenueberliegenden
Berenike in Seeverkehr, sondern war auch der Ausgangspunkt der nach Petra und
von da zu den Haefen des suedlichen Syriens fuehrenden Karawanenstrasse und
insofern einer der Knotenpunkte des orientalisch-okzidentalischen Handels. Die
suedlich angrenzenden Gebiete, nord- und suedwaerts von dem heutigen Mekka,
entsprachen in ihrer Naturbeschaffenheit dem gegenueberliegenden Trogodytenland
und sind gleich diesem im Altertum weder politisch noch kommerziell von
Bedeutung, auch dem Anschein nach nicht unter einem Szepter geeinigt, sondern
von schweifenden Staemmen besetzt gewesen. Aber am Suedende des Busens ist der
einzige arabische Stamm zu Hause, welcher in der vorislamischen Zeit zu
groesserer Bedeutung gelangt ist. Die Griechen und die Roemer nennen diese
Araber in aelterer Zeit nach der damals am meisten hervortretenden Voelkerschaft
Sabaeer, in spaeterer nach einer anderen gewoehnlich Homeriten, wir nach der
neu-arabischen Form des letzteren Namens jetzt meistens Himjariten. Die
Entwicklung dieses merkwuerdigen Volkes hatte lange vor dem Beginn der
roemischen Herrschaft ueber Aegypten eine bedeutende Stufe erreicht ^60. Seine
Heimstatt, das "glueckliche Arabien" der Alten, die Gegend von Mocha und Aden,
ist von einer schmalen, gluehend heissen und oeden Strandebene umsaeumt, aber
das gesunde und temperierte Innere von Jemen und Hadramaut erzeugt an den
Gebirgshaengen und in den Taelern eine ueppige Vegetation, und die zahlreichen
Bergwaesser gestatten bei sorgfaeltiger Wirtschaft vielfach eine gartenartige
Kultur. Von der reichen und eigenartigen Zivilisation dieser Landschaft geben
noch heute ein redendes Zeugnis die Reste von Stadtmauern und Tuermen, von Nutz-
, namentlich Wasserbauten und mit Inschriften bedeckten Tempeln, welche die
Schilderung der alten Schriftsteller von der Pracht und dem Luxus dieser
Landschaft vollkommen bestaetigen; ueber die Burgen und Schloesser der
zahlreichen Kleinfuersten Jemens haben die arabischen Geographen Buecher
geschrieben. Beruehmt sind die Truemmer des maechtigen Dammes, welcher einst in
dem Tal bei Mariaba den Danafluss staute und es moeglich machte, die Fluren
aufwaerts zu bewaessern ^61, und von dessen Durchbruch und der dadurch angeblich
veranlassten Auswanderung der Bewohner von Jemen nach Norden die Araber lange
Zeit ihre Jahre gezaehlt haben. Vor allem aber ist dieser Bezirk einer der
Ursitze des Grosshandels zu Lande wie zur See, nicht bloss weil seine Produkte,
der Weihrauch, die Edelsteine, das Gummi, die Kassia, Aloe, Senna, Myrrhe und
zahlreiche andere Drogen den Export hervorrufen, sondern auch weil dieser
semitische Stamm, aehnlich wie der der Phoeniker, seiner ganzen Art nach fuer
den Handel geschaffen ist; eben wie die neueren Reisenden sagt auch Strabon,
dass die Araber alle Haendler und Kaufleute sind. Die Silberpraegung ist hier
alt und eigenartig; die Muenzen sind anfaenglich athenischen Stempeln, spaeter
roemischen des Augustus nachgepraegt, aber auf einen selbstaendigen,
wahrscheinlich babylonischen Fuss ^62. Aus dem Land dieser Araber fuehrten die
uralten Weihrauchstrassen quer durch die Wueste nach den Stapelplaetzen am
Arabischen Meerbusen Aelana und dem schon genannten Leuke Kome und den Emporien
Syriens, Petra und Gaza ^63; diese Wege des Landhandels, welche neben denen des
Euphrat und des Nil den Verkehr zwischen Orient und Okzident seit aeltester Zeit
vermitteln, sind vermutlich die eigentliche Grundlage des Aufbluehens von Jemen.
Aber der Seeverkehr gesellte ebenfalls bald sich dazu; der grosse Stapelplatz
dafuer ward Adane, das heutige Aden. Von hier aus gingen die Waren zu Wasser,
sicher ueberwiegend auf arabischen Schiffen, entweder nach eben jenen
Stapelplaetzen am Arabischen Meerbusen und also nach den syrischen Haefen oder
nach Berenike und Myos Hormos und von da nach Koptos und Alexandreia. Dass
dieselben Araber ebenfalls in sehr frueher Zeit sich der gegenueberliegenden
Kueste bemaechtigten und ihre Sprache und Schrift und ihre Zivilisation nach
Habesch verpflanzten, wurde schon gesagt. Wenn Koptos, das Nil-Emporium fuer den
oestlichen Handel, ebenso viel Araber wie Aegypter zu Bewohnern hatte, wenn
sogar die Smaragdgruben oberhalb Berenike (bei Djebel Zebara) von den Arabern
ausgebeutet wurden, so zeigt dies, dass sie im Lagidenstaat selbst den Handel
bis zu einem gewissen Grad in der Hand hatten; und dessen passives Verhalten in
Betreff des Verkehrs auf dem Arabischen Meer, wohin hoechstens einmal ein Zug
gegen die Piraten unternommen wurde ^64, wird eher begreiflich, wenn ein
seemaechtiger und geordneter Staat diese Gewaesser beherrschte. Auch ausserhalb
ihres eigenen Meeres begegnen wir den Arabern des Jemen. Adane blieb bis in die
roemische Kaiserzeit hinein Stapelplatz des Verkehrs einerseits mit Indien,
andererseits mit Aegypten und gedieh trotz seiner eigenen unguenstigen Lage an
dem baumlosen Strand zu solcher Bluete, dass die Benennung des "gluecklichen
Arabien" zunaechst auf diese Stadt sich bezieht. Die Herrschaft, die in unseren
Tagen der Imam von Maskat im Suedosten der Halbinsel ueber die Inseln Sokotra
und Sansibar und die afrikanische Ostkueste vom Kap Guardafui suedlich ausgeuebt
hat, stand in vespasianischer Zeit "von alters her" den Fuersten Arabiens zu:
die Dioskorides-Insel, eben jenes Sokotra, gehorchte damals dem Koenig von
Hadramaut, Azania, das heisst die Kueste Somal und weiter suedlich einem der
Unterkoenige seines westlichen Nachbarn, des Koenigs der Homeriten. Die
suedlichste Station an der ostafrikanischen Kueste, von welcher die aegyptischen
Kaufleute wussten, Rhapta in der Gegend von Sansibar, pachteten von diesem
Scheich die Kaufleute von Muza, das ist ungefaehr das heutige Mocha, "und senden
dorthin ihre Handelsschiffe, meistens bemannt mit arabischen Kapitaenen und
Matrosen, welche mit den Eingeborenen zu verkehren gewohnt und oft durch Heirat
verknuepft und der Oertlichkeiten und der Landessprachen kundig sind". Die
Bodenkultur und die Industrie reichten dem Handel die Hand: in den vornehmen
Haeusern Indiens trank man neben dem italischen Falerner und dem syrischen
Laodikener auch arabischen Wein; und die Lanzen und die Schusterpfriemen, welche
die Eingeborenen der Kueste von Sansibar von den fremden Haendlern kauften,
waren Fabrikat von Muza. So ward diese Landschaft, die zudem viel verkaufte und
wenig kaufte, eine der reichsten der Welt.
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^59 Landeinwaerts liegt das uralte Teima, der Sohn Ismaels der Genesis, von
dem assyrischen Koenig Tiglatpilesar im achten Jahrhundert vor Chr. unter seinen
Eroberungen aufgezaehlt, von dem Propheten Jeremias zusammen mit Sidon genannt,
ein merkwuerdiger Knotenpunkt assyrischer, aegyptischer, arabischer Beziehungen,
dessen weitere Entfaltung, nachdem kuehne Reisende ihn erschlossen haben, wir
von der orientalischen Forschung erwarten duerfen. In Teima selbst fand
kuerzlich Euting aramaeische Inschriften aeltester Epoche (Noeldeke, SB Berlin
1884, S. 813 f.) Aus dem nicht weit entfernten Orte Medain-Salih (Hidjr) stammen
gewisse, den attischen nachgepraegte Muenzen, welche zum Teil die Eule der
Pallas durch dasjenige Goetterbild ersetzen, das die Aegypter bezeichnen als
Besa, den Herrn von Punt, das heisst von Arabien (Erman, Zeitschrift fuer
Numismatik 9, 1880, S. 296f.). Der ebendaselbst gefundenen nabataeischen
Inschriften wurde schon gedacht Nicht weit von da bei 'Ola (el-Ally) haben sich
Inschriften gefunden, die in der Schrift und in den Goetter- und Koenigsnamen
denen der suedarabischen Minaeer entsprechen und zeigen, dass diese hier,
sechzig Tagereisen von ihrer Heimat, aber auf der von Eratosthenes erwaehnten
Weihrauchstrasse von Minaea nach Aelana, eine bedeutende Station gehabt haben;
daneben andere eines verwandten, aber nicht identischen suedarabischen Stammes
(D. H. Mueller in den Berichten der Wiener Akademie vom 17. Dezember 1884). Die
minaeischen Inschriften gehoeren ohne Zweifel der vorroemischen Zeit an. Da bei
der Einziehung des nabataeischen Koenigreichs durch Traian diese Landstriche
aufgegeben wurden, so mag von da an ein anderer suedarabischer Stamm dort
geherrscht haben.
^60 Die an den Weihrauchhandel anknuepfenden Nachrichten bei Theophrastos
(+ 287 vor Chr.; hist. plant. 9, 4) und vollstaendiger bei Eratosthenes (t 194
vor Chr.; bei Strabon 16, 4, 2 p. 768) von den vier grossen Voelkerschaften der
Minaeer (Mamali Theophr.?) mit der Hauptstadt Karna; der Sabaeer (Saba Theophr.)
mit der Hauptstadt Mariaba; der Kattabanen (Kitibaena Theophr.) mit der
Hauptstadt Tamna; der Chatramotiten (Hadramyta Theophr.) mit der Hauptstadt
Sabata umschreiben eben den Kreis, aus dem das Homeritenreich sich entwickelt
hat, und bezeichnen seine Anfaenge. Die viel gesuchten Minaeer sind jetzt mit
Sicherheit nachgewiesen in Ma'in im Binnenland oberhalb Marib und Hadramaut, wo
Hunderte von Inschriften sich gefunden und schon nicht weniger als 26
Koenigsnamen ergeben haben. Mariaba heisst heute noch Marib. Die Landschaft
Chatramotitis oder Chatramitis ist Hadramaut.
^61 Die merkwuerdigen Reste dieses mit groesster Praezision und
Geschicklichkeit ausgefuehrten Bauwerks sind beschrieben von Arnaud (Journal
Asiatique, 7. serie, tome 3 a. 1874, S. 3 f. mit Plaenen; vgl. Ritter, Erdkunde,
Bd. 12, S. 861). Zu beiden Seiten des jetzt fast ganz verschwundenen Dammes
stehen je zwei aus Quadern aufgefuehrte Steinbauten von konischer, fast
zylindrischer Form, zwischen denen eine schmale Oeffnung fuer das aus dem Bassin
ausfliessende Wasser sich befindet; wenigstens auf der einen Seite fuehrt ein
mit Kieseln ausgelegter Kanal dasselbe an diese Pforte. Dieselbe war einstmals
mit uebereinander gesetzten Bohlen geschlossen, welche einzeln entfernt werden
konnten, um das Wasser nach Beduerfnis abzufuehren. Der eine dieser
Steinzylinder traegt die folgende Inschrift (nach der allerdings nicht in allen
Einzelheiten gesicherten Uebersetzung von D. H. Mueller, SB Wien 97, 1880, S.
965): "Jata'amar der Herrliche, Sohn des Samah'ali des Erhabenen, Fuerst von
Saba, liess den Balap[berg] durchstechen [und errichtete] den Schleusenbau,
genannt Rahab, zur leichteren Bewaesserung." Fuer die chronologische Fixierung
dieses und zahlreicher anderer Koenigsnamen der sabaeischen Inschriften fehlt es
an sicheren Anhaltspunkten. Der assyrische Koenig Sargon sagt in der Khorsabad-
Inschrift, nachdem er die Ueberwindung des Koenigs von Gaza, Hanno, im Jahre 716
vor Chr. erzaehlt hat: "ich empfing den Tribut des Pharao, des Koenigs von
Aegypten, der Schamsijja, der Koenigin von Arabien, und des Ithamara, des
Sabaeers: Gold, Kraeuter des Ostlandes, Sklaven, Pferde und Kamele" (Mueller, a.
a. O., S. 988; M. Duncker, Geschichte des Altertums. 5. Aufl. Berlin 1878-83.
Bd. 2, S. 327.
^62 Sallet in der Berliner Zeitschrift fuer Numismatik 8, 1881, S. 243. J.
H. Mordtmann in der Wiener numismatischen Zeitschrift 12, S. 289.
^63 Plinius (nat. 12, 14, 65) berechnet die Kosten einer Kamellast
Weihrauch auf dem Landweg von der arabischen Kueste bis nach Gaza auf 688 Denare
(= 600 Mark). "Auf der ganzen Strecke", sagt er, "ist zu zahlen fuer Futter und
Wasser und Unterkunft und fuer verschiedene Zoelle; dann fordern die Priester
gewisse Anteile und die Schreiber der Koenige; ausserdem erpressen die Wachen
und die Trabanten und die Leibwaechter und Diener; dazu kommen dann unsere
Reichszoelle." Bei dem Wassertransport fielen diese Zwischenkosten weg.
^64 Die Zuechtigung der Piraten berichtet Agatharchides bei Diod. 3, 43 und
Strab. 16, 4, 18 p. 777. Ezion Geber aber in Palaestina am aelanitischen
Meerbusen, /e/ n?n Berenik/e/ kaleitai (Ios. ant. Iud. 8, 6, 4), heisst sicher
so nicht von einer Aegypterin (J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus, Bd. 3,
2, S. 349), sondern von der Juedin des Tims.
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Wie weit die politische Entwicklung derselben mit der wirtschaftlichen
Schritt gehalten hatte, laesst sich fuer die vorroemische und die fruehere
Kaiserzeit nicht bestimmen; nur so viel scheint sowohl aus den Berichten der
Okzidentalen wie aus den einheimischen Inschriften sich zu ergeben, dass diese
Suedwestspitze Arabiens unter mehrere selbstaendige Herrscher mit Gebieten von
maessiger Groesse geteilt war. Es standen dort neben den am meisten
hervortretenden Sabaeern und Homeriten die schon genannten Chatramotiten in
Hadramaut und noerdlich im Binnenland die Minaeer, alle unter eigenen Fuersten.
Den Arabern Jemens gegenueber haben die Roemer die gerade entgegengesetzte
Politik befolgt wie gegenueber den Axomiten. Augustus, fuer den die
Nichterweiterung der Grenzen der Ausgangspunkt des Reichsregiments war, und der
die Eroberungsplaene seines Vaters und Meisters beinahe alle fallenliess, hat
eine Ausnahme mit der arabischen Suedwestkueste gemacht und ist hier nach freiem
Entschluss angreifend vorgegangen. Es geschah dies wegen der Stellung, welche
diese Voelkergruppe in dem indisch-aegyptischen Handelsverkehr damals einnahm.
Um die politisch und finanziell wichtigste Landschaft seines Herrschaftsgebiets
wirtschaftlich auf die Hoehe zu bringen, welche seine Vorherrschen herzustellen
versaeumt hatten oder hatten verfallen lassen, bedurfte er vor allem der
Gewinnung des Zwischenverkehrs zwischen Arabien und Indien einer- und Europa
andererseits. Der Nilweg konkurrierte seit langem erfolgreich mit den arabischen
und den Euphratstrassen; aber Aegypten spielte dabei, wie wir sahen, wenigstens
unter den spaeteren Lagiden eine untergeordnete Rolle. Nicht mit den Axomiten,
aber wohl mit den Arabern bestand Handelskonkurrenz; sollte der aegyptische
Verkehr aus einem passiven ein aktiver, aus einem indirekten ein direkter
werden, so mussten die Araber niedergeworfen werden; und dies ist es, was
Augustus gewollt und das roemische Regiment einigermassen auch erreicht hat.
Im sechsten Jahre seiner Regierung in Aegypten (Ende 729 25) entsandte
Augustus eine eigens fuer diese Expedition hergestellte Flotte von 80 Kriegs-
und 130 Transportschiffen und die Haelfte der aegyptischen Armee, ein Korps von
10000 Mann, ungerechnet die Zuzuege der beiden naechsten Klientelkoenige, des
Nabataeers Obodas und des Juden Herodes, gegen die Staaten der Jemen, um
dieselben entweder zu unterwerfen oder wenigstens zugrunde zu richten ^65,
woneben die dort aufgehaeuften Schaetze sicher auch in Rechnung kamen. Aber das
Unternehmen schlug vollstaendig fehl, und zwar durch die Unfaehigkeit des
Fuehrers, des damaligen Statthalters von Aegypten, Gaius Aelius Gallus ^66. Da
auf die Besetzung und den Besitz der oeden Kueste von Leuke Kome abwaerts bis an
die Grenze des feindlichen Gebiets gar nichts ankam, so musste die Expedition
unmittelbar gegen dieses gerichtet und aus dem suedlichsten aegyptischen Hafen
die Armee sofort in das glueckliche Arabien gefuehrt werden ^67. Stattdessen
wurde die Flotte in dem noerdlichsten, dem von Arsinoe (Suez) fertiggestellt und
das Heer in Leuke Kome ans Land gesetzt, gleich als waere es darauf angekommen,
die Fahrt der Flotte und den Marsch der Truppen moeglichst zu verlaengern.
Ueberdies waren die Kriegsschiffe ueberfluessig, da die Araber keine
Kriegsflotte besassen, die roemischen Seeleute mit der Fahrt an der arabischen
Kueste unbekannt und die Fahrzeuge, obwohl besonders fuer diese Expedition
gebaut, fuer ihre Bestimmung ungeeignet. Die Piloten fanden sich nicht zurecht
zwischen den Untiefen und Klippen, und schon die Fahrt auf den roemischen
Gewaessern von Arsinoe nach Leuke Kome kostete viele Schiffe und Leute. Hier
wurde ueberwintert; im Fruehjahr 730 (24) begann der Zug in Feindesland. Die
Araber hinderten ihn nicht, aber wohl Arabien. Wo einmal die Doppelaexte und die
Schleudern und Bogen mit dem Pilum und dem Schwert zusammenstiessen, stoben die
Eingeborenen auseinander wie die Spreu vor dem Winde; aber die Krankheiten, die
im Lande endemisch sind, der Skorbut, der Aussatz, die Gliederlaehmung
dezimierten die Soldaten aerger als die blutigste Schlacht, und um so mehr, als
der Feldherr es nicht verstand, die schwerfaellige Heermasse rasch vorwaerts zu
bringen. Dennoch gelangte die roemische Armee bis vor die Mauern der Hauptstadt
der zunaechst von dem Angriff betroffenen Sabaeer, Mariaba. Aber da die
Einwohner die Tore ihrer maechtigen, heute noch stehenden Mauern ^68 schlossen
und energische Gegenwehr leisteten, verzweifelte der roemische Feldherr an der
Loesung der ihm gestellten Aufgabe und trat, nachdem er sechs Tage vor der Stadt
gelegen hatte, den Rueckzug an, den die Araber kaum ernstlich stoerten und der
im Drang der Not, freilich unter schlimmer Einbusse an Mannschaften,
verhaeltnismaessig schnell gelang.
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^65 Dies (prosoikeio?sthai to?toys - to?s Arabas - /e/ katastrephesthai:
Strab. 16, 4, 22 p. 780; ei m/e/ o Syllaios ayton - ton Gallon - proydidoy, kan
katestrepsato t/e/n Eydaimona pasan: ders. 17, 1, 53 p. 819) war der eigentliche
Zweck der Expedition, obwohl auch die Hoffnung auf die fuer das Aerarium eben
damals sehr willkommene Beute ausdruecklich erwaehnt wird.
^66 Der Bericht Strabons (16, 4, 22 f. p. 780) ueber die arabische
Expedition seines "Freundes" Gallus (philos amin kai etairos Strab. 2, 5, 12 p.
118), in dessen Gefolge er Aegypten bereiste, ist zwar zuverlaessig und ehrlich
wie alle seine Meldungen, aber augenscheinlich von diesem Freunde ohne jede
Kritik uebernommen. Die Schlacht, in der 10000 Feinde und zwei Roemer fielen,
und die Gesamtzahl der in diesem Feldzug Gefallenen, welche sieben ist, richten
sich selbst; aber nicht besser ist der Versuch, den Misserfolg auf den
nabataeischen Wesir Syllaeos abzuwaelzen durch einen "Verrat", wie er
geschlagenen Generalen gelaeufig ist. Allerdings eignete sich dieser insofern
zum Suendenbock, als er einige Jahre nachher auf Betreiben des Herodes von
Augustus in Untersuchung gezogen und verurteilt und hingerichtet ward (Ios. ant.
Iud. 16, 10); aber obwohl wir den Bericht des Agenten besitzen, der diese Sache
fuer Herodes in Rom gefuehrt hat, ist darin von diesem Verrat kein Wort zu
finden. Dass Syllaeos die Absicht gehabt haben soll, erst die Araber durch die
Roemer und dann diese selbst zugrunde zu richten, wie Strabo "meint", ist bei
der Stellung der Klientelstaaten Roms geradezu unvernuenftig. Eher liesse sich
denken, dass Syllaeos der Expedition deshalb abgeneigt war, weil der
Handelsverkehr durch das Nabataeerland durch sie beeintraechtigt werden konnte.
Aber den arabischen Minister deswegen des Verrats zu beschuldigen, weil die
roemischen Fahrzeuge fuer die arabische Kuestenfahrt ungeeignet waren oder weil
das roemische Heer genoetigt war, das Wasser auf Kamelen mitzufuehren, Durra und
Datteln statt Brot und Fleisch, Butter statt oel zu essen; als Entschuldigung
dafuer, dass auf die bei dem Rueckmarsch in 60 Tagen zurueckgelegte Strecke fuer
den Hinmarsch 180 verwendet wurden, die betruegerische Wegweisung vorzufuehren;
endlich die vollkommen richtige Bemerkung des Syllaeos, dass ein Landmarsch von
Arsinoe nach Leuke Kome untunlich sei, damit zu kritisieren, dass von da nach
Petra eine Karawanenstrasse gehe, zeigt nur, was ein vornehmer Roemer einem
griechischen Literaten aufzubinden vermochte.
^67 Die schaerfste Kritik des Feldzugs gibt die Auseinandersetzung des
aegyptischen Kaufmanns ueber die Zustaende auf der arabischen Kueste von Leuke
Kome (el-Haura, noerdlich von Janbo, der Hafenstadt von Medina) bis zur
Katakekaumene-Insel (Djebel Tair bei Lohaia). "Verschiedene Voelker bewohnen
sie, die teils etwas, teils voellig verschiedene Sprachen reden. Die Bewohner
der Kueste leben in Huerden wie die 'Fischesser' auf dem entgegengesetzten Ufer"
(diese Huerden beschreibt er c. 2 als vereinzelt liegend und in die Felsspalten,
eingebaut), "die des Binnenlandes in Doerfern und Weidegemeinschaften; es sind
boesartige zwiesprachige Menschen, welche die aus der Fahrstrasse verschlagenen
Seefahrer pluendern und die Schiffbruechigen in die Sklaverei schleppen. Deshalb
wird von den Unter- und den Oberkoenigen Arabiens bestaendig auf sie Jagd
gemacht; sie heissen Kanraiten (oder Kassaviten). ueberhaupt ist die Schiffahrt
an dieser ganzen Kueste gefaehrlich, der Strand hafenlos und unzugaenglich, von
boeser Brandung, klippig und ueberhaupt sehr schlimm. Darum halten wir, wenn wir
in diese Gewaesser einfahren, uns in der Mitte und eilen, in das arabische
Gebiet zu kommen zur Insel Katakekaumene; von da an sind die Bewohner gastlich
und begegnen zahlreiche Herden von Schafen und Kamelen." Dieselbe Gegend
zwischen der roemischen und der homeritischen Grenze und dieselben Zustaende hat
auch der axomitische Koenig im Sinn, wenn er schreibt: peran de t/e/s erythras
thalass/e/s oiko?ntas Arrabitas kai Kinaidokolpitas (vgl. Ptol. geogr. 6, 7,
20), srateyma naytikon kai pezikon diapempsamenos kai ypotaxas ayt/o/n to?s
basileias, phoroys t/e/s g/e/s telein ekelysa kai ode?esthai met' eir/e/n/e/s
kai pleesthai, apo te Deyk/e/s k/o/m/e/s e/o/s t/o/n Sabai/o/n ch/o/ras
epolem/e/sa.
^68 Diese Mauern, von Bruchstein erbaut, bilden einen Kreis von einer
Viertelstunde im Durchmesser. Sie sind beschrieben von Arnaud, a. a. O. (vgl.
Anm. 61).
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Es war ein uebler Misserfolg; aber Augustus gab die Eroberung Arabiens
nicht auf. Es ist schon erzaehlt worden, dass die Orientfahrt, die der Kronprinz
Gaius im Jahre 753 antrat, in Arabien endigen sollte; es war diesmal im Plan,
nach der Unterwerfung Armeniens im Einverstaendnis mit der parthischen
Regierung, oder noetigenfalls nach Niederwerfung ihrer Armeen, an die
Euphratmuendung zu gelangen und von da aus den Seeweg, den einst der Admiral
Nearchos fuer Alexander erkundet hatte, nach dem gluecklichen Arabien zu nehmen
^69. In anderer, aber nicht minder ungluecklicher Weise endigten diese
Hoffnungen durch den parthischen Pfeil, der den Kronprinzen vor den Mauern von
Artageira traf. Mit ihm ward der arabische Eroberungsplan fuer alle Zukunft
begraben. Die grosse Halbinsel ist in der ganzen Kaiserzeit, abgesehen von dem
noerdlichen und nordwestlichen Kuestenstriche, in derjenigen Freiheit
verblieben, aus welcher seinerzeit der Henker des Hellenentums, der Islam
hervorgehen sollte.
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^69 Dass die orientalische Expedition des Gaius zum Endziel Arabien hatte,
sagt Plinius (namentlich nat. 12, 14, 55, 56; vgl. 2, 67, 168; 6, 27, 141; c.
28, 160; 32, 1, 10) ausdruecklich. Dass sie von der Euphratmuendung ausgehen
sollte, folgt daraus, dass die Expedition nach Armenien und Verhandlungen mit
der parthischen Regierung ihr vorausgingen. Darum lagen auch den Kollektaneen
Jubas ueber die bevorstehende Expedition die Berichte der Feldherren Alexanders
ueber ihre Erkundung Arabiens zu Grunde.
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Aber gebrochen ward der arabische Handel allerdings, teils durch die
weiterhin zu eroerternden Massregeln der roemischen Regierung zum Schutz der
aegyptischen Schiffahrt, teils durch einen gegen den Hauptstapelplatz des
indisch-arabischen Verkehrs von den Roemern gefuehrten Schlag. Sei es unter
Augustus selbst, moeglicherweise bei den Vorbereitungen zu der von Gaius
auszufuehrenden Invasion, sei es unter einem seiner naechsten Nachfolger, es
erschien eine roemische Flotte vor Adane und zerstoerte den Platz; in Vespasians
Zeit war er ein Dorf und seine Bluete vorueber. Wir kennen nur die nackte
Tatsache ^70, aber sie spricht fuer sich selber. Ein Seitenstueck zu der
Zerstoerung Korinths und Karthagos durch die Republik, hat sie wie diese ihren
Zweck erreicht und dem roemisch-aegyptischen Handel die Suprematie im Arabischen
Meerbusen und im Indischen Meere gesichert.
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^70 Die einzige Kunde von dieser merkwuerdigen Expedition hat der
aegyptische Kapitaen aufbewahrt der um das Jahr 75 die Fahrt an den Kuesten des
Roten Meeres beschrieben hat. Er kennt (c. 26) das Adane der Spaeteren, das
heutige Aden, als ein Dorf an der Kueste (k/o/m/e/ parathalassios), das zum
Reiche des Koenigs der Homeriten Charibael gehoert, aber frueher eine bluehende
Stadt war und davon heisst (eydaim/o/n d' epekl/e/th/e/ proteron o?sa polis),
weil vor der Einrichtung des unmittelbaren indisch-aegyptischen Verkehrs dieser
Ort als Stapelplatz diente: n?n de oy pro pollo? t/o/n /e/meter/o/n chron/o/n
Kaisar ayt/e/n katestrepsato. Das letzte Wort kann hier nur "zerstoeren"
heissen, nicht, wie haeufiger, "unterwerfen", weil die Umwandlung der Stadt in
ein Dorf motiviert werden soll. Fuer Kaisar hat Schwanbeck (Rheinisches Museum
N. F. 7, 1848, S. 353) CHariba/e/l, C. Moeller Ilasar (wegen Strab. 16, 4, 21 p.
782) vorgeschlagen; beides ist nicht moeglich, dieses nicht, weil dieser
arabische Dynast in einem weit entlegenen Distrikt herrschte, auch unmoeglich
als bekannt vorausgesetzt werden konnte, jenes nicht, weil Charibael Zeitgenosse
des Schreibers war und hier ein vor der Zeit desselben vorgefallenes Ereignis
berichtet wird. An der Ueberlieferung wird man nicht Anstoss nehmen, wenn man
ueberlegt, welches Interesse die Roemer daran haben mussten, den arabischen
Stapelplatz zwischen Indien und Aegypten zu beseitigen und den direkten Verkehr
herbeizufuehren. Dass die roemischen Berichte von diesem Vorgang schweigen, ist
ihrem Wesen angemessen; die Expedition, welche ohne Zweifel durch eine
aegyptische Flotte ausgefuehrt ward und lediglich in der Zerstoerung eines
vermutlich wehrlosen Kuestenplatzes bestand, wird vermutlich von keinem Belang
gewesen sein; um den grossen Handelsverkehr haben die Annalisten sich nie
gekuemmert, und ueberhaupt sind die Vorgaenge in Aegypten noch weniger als die
in den andern kaiserlichen Provinzen zur Kenntnis des Senats und damit der
Annalisten gekommen. Die nackte Bezeichnung Kaisar, wobei nach Lage der Sache
der damals regierende ausgeschlossen ist, erklaert sich wohl daraus, dass der
berichtende Kapitaen wohl die Tatsache der Zerstoerung durch die Roemer, aber
Zeit und Urheber nicht kannte.
Moeglich ist es, dass hierauf die Notiz bei Plinius (nat. 2, 67, 168) zu
beziehen ist: maiorem (oceana) partem et orientis victoriae magni Alexandri
lustravere usque in Arabicum sinum, in quo res gerente C. Caesare Aug. f. signa
navium ex Hispaniensibus naufragiis feruntur agnita. Gaius kam nicht nach
Arabien (Plin. nat. 6, 28, 160); aber recht wohl kann waehrend der armenischen
Expedition von Aegypten aus ein roemisches Geschwader von einem seiner
Unterbefehlshaber an diese Kueste gefuehrt worden sein, um die Hauptexpedition
vorzubereiten. Dass darueber sonst Stillschweigen herrscht, kann auch nicht
befremden. Die arabische Expedition des Gaius war so feierlich angekuendigt und
dann in so uebler Weise aufgegeben worden, dass loyale Berichterstatter alle
Ursache hatten, eine Tatsache zu verwischen, die nicht wohl erwaehnt werden
konnte, ohne auch das Scheitern des groesseren Planes zu berichten.
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Indes die Bluete des gesegneten Landes von Jemen war zu fest begruendet, um
diesem Schlag zu erliegen; politisch hat es sogar vielleicht erst in dieser
Epoche sich straffer zusammengefasst. Mariaba war, als die Waffen des Gallus an
seinen Mauern scheiterten, vielleicht nicht mehr als die Hauptstadt der Sabaeer;
aber schon damals war die Voelkerschaft der Homeriten, deren Hauptstadt Sapphar
etwas suedlich von Mariaba auch im Binnenland liegt, die staerkste des
gluecklichen Arabiens. Ein Jahrhundert spaeter finden wir beide vereinigt unter
einem in Sapphar regierenden Koenig der Homeriten und der Sabaeer, dessen
Herrschaft bis Mocha und Aden und, wie schon gesagt ward, ueber die Insel
Sokotra und die Kueste von Somal und Sansibar sich erstreckt; und wenigstens von
dieser Zeit an kann von einem Reich der Homeriten die Rede sein. Die Wuestenei
noerdlich von Mariaba bis zur roemischen Grenze gehoerte damals nicht dazu und
stand ueberhaupt unter keiner geordneten Gewalt ^71; die Fuerstentuemer der
Minaeer und der Chatramotiten blieben auch ferner unter eigenen Landesherren.
Die oestliche Haelfte Arabiens hat bestaendig einen Teil des Persischen Reiches
gebildet und niemals unter dem Szepter der Beherrscher des gluecklichen Arabien
gestanden. Auch jetzt also waren die Grenzen enge und sind es wohl geblieben; es
ist wenig ueber die weitere Entwicklung der Verhaeltnisse bekannt ^72. In der
Mitte des 4. Jahrhunderts war das Reich der Homeriten mit dem der Axomiten
vereinigt und wurde von Axomis aus beherrscht ^73, welche Untertaenigkeit indes
spaeterhin sich wieder geloest hat. Sowohl das Reich der Homeriten wie das
vereinigte axomitisch-homeritische stand als unabhaengiger Staat in der
spaeteren Kaiserzeit mit Rom in Verkehr und Vertrag.
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^71 Der aegyptische Kaufmann unterscheidet den enthesmos basile?s der
Homeriten (c. 23) scharf von den t?rannoi, den bald unter ihm stehenden, bald
unabhaengigen (c. 14) Stammhaeuptern, und ebenso scharf diese geordneten
Zustaende von der Rechtlosigkeit der Wuestenbewohner (c. 2). Wenn Strabon und
Tacitus fuer diese Dinge so offene Augen gehabt haetten wie jener praktische
Mann, so wuessten wir etwas mehr vom Altertum.
^72 Der Krieg des Macrinus gegen die Arabes eudaemones (vita 12) und die an
Aurelian geschickten Boten derselben (vita 33), die neben denen der Axomiten
genannt werden, wuerden deren damals fortdauernde Selbstaendigkeit beweisen,
wenn auf diese Angaben Verlass waere.
^73 Der Koenig nennt sich um das Jahr 356 (Anm. 58) in einer Urkunde (CIG
5128) basile?s Ax/o/mit/o/n kai Om/e/rit/o/n kai to? Raeidan (Schloss in
Sapphar, der Hauptstadt der Homeriten: Dillmann, Abhandlungen der Berliner
Akademie, 1878, S. 207) . . . kai Sabaeit/o/n kai to? Sile/e/ (Schloss in
Mariaba, der Hauptstadt der Sabaeer: Dillmann a. a. O.). Dazu stimmt die
gleichzeitige Sendung von Gesandten ad gentem Axumitarum et Homerita[rum] (Cod.
Theod. 12, 12, 2). Ueber die spaeteren Verhaeltnisse vgl. besonders Nonnosus
(FEIG 4 p. 179 Mueller) und Prok. Pers. 1, 20.
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In dem Handel und der Schiffahrt haben die Araber des Suedwestens der
Halbinsel auch spaeter noch, wenn nicht mehr den Platz der Vormacht, doch die
ganze Kaiserzeit hindurch eine hervorragende Stelle eingenommen. Nach der
Zerstoerung von Adane ist Muza die Handelsmetropole dieser Landschaft geworden.
Noch fuer die vespasianische Zeit trifft die frueher gegebene Darstellung im
wesentlichen zu. Der Ort wird uns in dieser Zeit geschildert als ausschliesslich
arabisch, bewohnt von Reedern und Seeleuten und voll ruehrigen kaufmaennischen
Treibens; mit ihren eigenen Schiffen befahren die Muzaiten die ganze
afrikanische Ost- und die indische Westkueste und verfrachten nicht bloss die
Waren des eigenen Landes, sondern bringen auch die nach orientalischem Geschmack
in den Fabriken des Okzidents gefertigten Purpurstoffe und Goldstickereien und
die feinen Weine Syriens und Italiens den Orientalen, hinwiederum den
Westlaendern die edlen Waren des Ostens. In dem Weihrauch und den sonstigen
Aromen muessen Muza und das Emporium des benachbarten Reiches von Hadramaut,
Kane, oestlich von Aden, eine Art tatsaechlichen Monopols immer behalten haben;
erzeugt wurde diese im Altertum sehr viel mehr als heute gebrauchte Ware wie auf
der suedlichen arabischen, so auch auf der afrikanischen Kueste von Adulis bis
zum "Vorgebirge der Arome", dem Kap Guardafui, aber von hier holten sie die
Kaufleute von Muza, und sie brachten sie in den Welthandel. Auf der schon
erwaehnten Dioskorides-Insel war eine gemeinschaftliche Handelsniederlassung der
drei grossen seefahrenden Nationen dieser Meere, der Hellenen, das heisst der
Aegypter, der Araber und der Inder. Von Beziehungen aber zum Hellenismus, wie
wir sie auf der gegenueberliegenden Kueste bei den Axomiten fanden, begegnet im
Lande Jemen keine Spur; wenn die Muenzpraegung durch okzidentalische Stempel
bestimmt ist, so waren diese eben im ganzen Orient gangbar. Sonst haben sich
Schrift und Sprache und Kunstuebung, soweit wir zu urteilen vermoegen, hier
ebenso selbstaendig entwickelt wie Handel und Schiffahrt, und sicher ist es
dadurch mit bewirkt worden, dass die Axomiten, waehrend sie politisch die
Homeriten sich unterwarfen, spaeter aus der hellenischen Bahn in die arabische
zuruecklenkten.
In dem gleichen Sinn wie fuer die Beziehungen zu dem suedlichen Afrika und
zu den arabischen Staaten und in erfreulicherer Weise ist in Aegypten selbst
fuer die Wege des Handelsverkehrs zunaechst von Augustus und ohne Zweifel von
allen verstaendigen Regenten gesorgt worden. Das von den frueheren Ptolemaeern
auf den Spuren der Pharaonen eingerichtete Strassen- und Hafensystem war, wie
die gesamte Verwaltung, in den Wirren der letzten Lagidenzeit arg
heruntergekommen. Es wird nicht ausdruecklich gemeldet, dass Augustus die Land-
und die Wasserwege und die Haefen Aegyptens wieder instand gesetzt hat; aber
dass es geschehen, ist darum nicht minder gewiss. Koptos ist die ganze
Kaiserzeit hindurch der Knotenpunkt dieses Verkehrs geblieben ^74. Aus einer
kuerzlich aufgefundenen Urkunde hat sich ergeben, dass in der ersten Kaiserzeit
die beiden von danach den Haefen von Myos Hormos und von Berenike fuehrenden
Strassen durch die roemischen Soldaten repariert und an den geeigneten Stellen
mit den erforderlichen Zisternen versehen worden sind ^75. Der Kanal, der das
Rote Meer mit dem Nil und also mit dem Mittellaendischen Meer verband, ist auch
in roemischer Zeit nur in zweiter Reihe, hauptsaechlich vielleicht fuer den
Transport der Marmor- und Porphyrbloecke von der aegyptischen Ostkueste an das
Mittelmeer benutzt worden; aber fahrbar blieb er durch die ganze Kaiserzeit.
Kaiser Traianus hat ihn erneuert und wohl auch erweitert - vielleicht ist er es
gewesen, der ihn mit dem noch ungeteilten Nil bei Babylon (unweit Kairo) in
Verbindung gesetzt und dadurch seine Wassermenge verstaerkt hat - und ihm den
Namen des Traianus- oder des Kaiserflusses (Augustus amnis) beigelegt, von
welchem in spaeterer Zeit dieser Teil Aegyptens benannt wurde (Augustamnica).
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^74 Aristeides (or. 48 p. 485 Dind.) nennt Koptos den indischen und
arabischen Stapelplatz. In dem Roman des Ephesiers Xenophon (4, 1) begeben sich
die syrischen Raeuber nach Koptos; "denn dort passieren eine Menge von
Kaufleuten durch, die nach Aethiopien und Indien reisen."
^75 Spaeter legte Hadrian die "neue Hadriansstrasse" an, welche von seiner
Antinoosstadt bei Hermopolis, wahrscheinlich durch die Wueste nach Myos Hormos
und von Myos Hormos am Meer hin, nach Berenike fuehrte, und versah sie mit
Zisternen, Quartieren (stathmoi) und Kastellen (Inschrift: Revue archiologique
N. S. 21, 1870, S. 314). Indes ist von dieser Strasse nachher nicht die Rede,
und es fragt sich, ob sie Bestand gehabt hat.
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Auch fuer die Unterdrueckung der Piraterie auf dem Roten und dem Indischen
Meer ist Augustus ernstlich taetig gewesen; die Aegypter dankten es ihm noch
lange nach seinem Tode, dass durch ihn die Piratensegel vom Meer verschwanden
und den Handelsschiffen wichen. Freilich geschah dafuer bei weitem nicht genug.
Dass die Regierung in diesen Gewaessern wohl von Zeit zu Zeit Schiffsgeschwader
in Taetigkeit setzte, aber eine staendige Kriegsflotte nicht daselbst
stationierte; dass die roemischen Kauffahrer regelmaessig im Indischen Meer
Schuetzen an Bord nahmen, um die Angriffe der Piraten abzuweisen, wuerde
befremden, wenn nicht die relative Gleichgueltigkeit gegen die Unsicherheit der
Meere ueberall, hier so gut wie an der belgischen Kueste und an denen des
Schwarzen Meeres, wie eine Erbsuende dem roemischen Kaiserregiment oder vielmehr
dem roemischen Regiment ueberhaupt anhaftete. Freilich waren die Regierungen von
Axomis und von Sapphar durch ihre geographische Lage noch mehr als die Roemer in
Berenike und Leuke Kome dazu berufen, der Piraterie zu steuern, und es mag
diesem Umstand mit zuzuschreiben sein, dass die Roemer mit diesen teils
schwaecheren, teils unentbehrlichen Nachbarn im ganzen in gutem Einvernehmen
geblieben sind.
Dass der Seeverkehr Aegyptens, wenn nicht mit Adulis, so doch mit Arabien
und Indien in derjenigen Epoche, welche der Roemerherrschaft unmittelbar
vorherging, in der Hauptsache nicht durch die Aegypter vermittelt ward, ist
frueher gezeigt worden. Den grossen Seeverkehr nach Osten erhielt Aegypten erst
durch die Roemer. "Nicht zwanzig aegyptische Schiffe im Jahr", sagt ein
Zeitgenosse des Augustus, "wagten unter den Ptolemaeern sich aus dem Arabischen
Golf hinaus; jetzt fahren jaehrlich 120 Kauffahrer allein aus dem Hafen von Myos
Hormos nach Indien." Der Handelsgewinn, den der roemische Kaufmann bis dahin mit
dem persischen oder arabischen Zwischenhaendler hatte teilen muessen, floss seit
der Eroeffnung der direkten Verbindung mit dem ferneren Osten ihm in seinem
ganzen Umfang zu. Dies ist wahrscheinlich zunaechst dadurch erreicht worden,
dass den arabischen und indischen Fahrzeugen die aegyptischen Haefen wenn nicht
geradezu gesperrt, so doch durch Differenzialzoelle tatsaechlich geschlossen
wurden ^76; nur durch die Voraussetzung einer solchen Navigationsakte zu Gunsten
der eigenen Schiffahrt konnte diese ploetzliche Umgestaltung der
Handelsverhaeltnisse herbeigefuehrt werden. Aber der Verkehr wurde nicht bloss
gewaltsam aus einem passiven in einen aktiven umgewandelt; er wurde auch absolut
gesteigert, teils infolge der vermehrten Nachfrage im Okzident nach den Waren
des Ostens, teils auf Kosten der uebrigen Verkehrsstrassen durch Arabien und
Syrien. Fuer den arabischen und den indischen Handel mit dem Okzident erwies
sich der Weg ueber Aegypten mehr und mehr als der kuerzeste und der billigste.
Der Weihrauch, der in aelterer Zeit grossenteils auf dem Landweg durch das
innere Arabien nach Gaza ging, kam spaeterhin meistens zu Wasser ueber Aegypten.
Einen neuen Aufschwung nahm um die Zeit Neros der indische Verkehr, indem ein
kundiger und mutiger aegyptischer Kapitaen, Hippalos, es wagte, statt an der
langgestreckten Kueste hin vielmehr vom Ausgang des Arabischen Golfs durch das
offene Meer geradewegs nach Indien zu steuern; er kannte den Monsun, den seitdem
die Schiffer, die nach ihm diese Strasse befuhren, den Hippalos nannten. Seitdem
war die Fahrt nicht bloss wesentlich kuerzer, sondern auch den Land- und den
Seepiraten weniger ausgesetzt. In welchem Umfang der sichere Friedensstand und
der zunehmende Luxus den Verbrauch orientalischer Waren im Okzident steigerte,
lassen einigermassen die Klagen erkennen, welche in der Zeit Vespasians laut
wurden ueber die ungeheuren Summen, welche dafuer aus dem Reiche hinausgingen.
Den Gesamtbetrag der jaehrlich den Arabern und den Indern gezahlten Kaufgelder
schlaegt Plinius auf 100 (= 22 Mill. Mark), fuer Arabien allein auf 55 Mill.
Sesterzen (= 12 Mill. Mark) an, wovon freilich ein Teil durch Warenexport
gedeckt ward. Die Araber und die Inder kauften wohl die Metalle des Okzidents,
Eisen, Kupfer, Blei, Zinn, Arsenik, die frueher erwaehnten aegyptischen Artikel,
den Wein, den Purpur, das Gold- und Silbergeraet, auch Edelsteine, Korallen,
Krokusbalsam; aber sie hatten dem fremden Luxus immer weit mehr zu bieten, als
fuer ihren eigenen zu empfangen. Daher ging nach den grossen arabischen und
indischen Emporien das roemische Gold- und Silbergeld in ansehnlichen
Quantitaeten. In Indien hatte dasselbe schon unter Vespasian sich so
eingebuergert, dass man es mit Vorteil dort ausgab. Von diesem orientalischen
Verkehr kam der groesste Teil auf Aegypten; und wenn die Steigerung des Verkehrs
durch die vermehrten Zolleinnahmen der Regierungskasse zugute kam, so hob die
Noetigung zu eigenem Schiffbau und eigener Kauffahrt den Wohlstand der Privaten.
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^76 Ausdruecklich gesagt wird dies nirgends, aber es geht deutlich aus dem
Periplus des Aegypters hervor. Er spricht an zahlreichen Stellen von dem Verkehr
des nicht roemischen Afrika mit Arabien (c. 7. 8) und umgekehrt der Araber mit
dem nicht roemischen Afrika (c. 17. 21. 31; danach Ptol. geogr. 1, 17, 6) und
mit Persien (c. 27. 33) und Indien (c. 21. 27. 49); ebenso von dem der Perser
mit Indien (c. 36) so wie der indischen Kauffahrer mit dem nicht roemischen
Afrika (c. 14. 31. 32) und mit Persien (c. 36) und Arabien (c. 32). Aber mit
keinem Worte deutet er an, dass diese fremden Kaufleute auch nach Berenike, Myos
Hormos, Leuke Kome kaemen; ja wenn er bei dem wichtigsten Handelsplatz dieses
ganzen Kreises, bei Muza bemerkt, dass diese Kaufleute mit ihren eigenen
Schiffen nach der afrikanischen Kueste ausserhalb der Strasse Bab el Mandeb
(denn das ist ihm to peran) und nach Indien fahren, so kann Aegypten unmoeglich
zufaellig fehlen.
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Waehrend also die roemische Regierung ihre Herrschaft in Aegypten auf den
engen Raum beschraenkte, den die Schiffbarkeit des Nils abgrenzt, und sei es nun
in Kleinmut oder in Weisheit, auf jeden Fall mit folgerichtiger Energie weder
Nubien noch Arabien jemals zu erobern versuchte, erstrebte sie mit gleicher
Energie den Besitz des arabischen und des indischen Grossverkehrs und erreichte
wenigstens eine bedeutende Beschraenkung der Konkurrenten. Die ruecksichtslose
Verfolgung der Handelsinteressen bezeichnet wie die Politik der Republik so
nicht minder, und vor allem in Aegypten, die des Prinzipats.
Wie weit ueberhaupt gegen Osten der direkte roemische Seeverkehr gegangen
ist, laesst sich nur annaehernd bestimmen. Zunaechst nahm er die Richtung auf
Barygaza (Barotsch am Meerbusen von Cambay, oberhalb Bombay), welcher grosse
Handelsplatz durch die ganze Kaiserzeit der Mittelpunkt des aegyptisch-indischen
Verkehrs geblieben sein wird; mehrere Orte auf der Halbinsel Gudjarat fuehren
bei den Griechen griechische Benennungen, wie Naustathmos und Theophila. In der
flavischen Zeit, in welcher die Monsunfahrten schon stehend geworden waren, ist
die ganze Westkueste Vorderindiens den roemischen Kaufleuten erschlossen bis
hinab zu der Kueste von Malabar, der Heimat des hoch geschaetzten und teuer
bezahlten Pfeffers, dessen wegen sie die Haefen von Muziris (wahrscheinlich
Mangaluru) und Nelkynda (indisch wohl Nilakantha, von einem der Beinamen des
Gottes Schiwa; wahrscheinlich das heutige Nileswara) besuchten; etwas weiter
suedlich bei Kananor haben sich zahlreiche roemische Goldmuenzen der julisch-
claudischen Epoche gefunden, einst eingetauscht gegen die fuer die roemischen
Kuechen bestimmten Gewuerze. Auf der Insel Salike, der Taprobane der aelteren
griechischen Schiffer, dem heutigen Ceylon, hatte in Claudius' Zeit ein
roemischer Angestellter, der von der arabischen Kueste durch Stuerme dorthin
verschlagen worden war, freundliche Aufnahme bei dem Landesherrn gefunden, und
es hatte dieser, verwundert, wie der Bericht sagt, ueber das gleichmaessige
Gewicht der roemischen Muenzstuecke trotz der Verschiedenheit der Kaiserkoepfe,
mit dem Schiffbruechigen zugleich Gesandte an seinen roemischen Kollegen
geschickt. Dadurch erweiterte sich zunaechst nur der Kreis der geographischen
Kunde; erst spaeter, wie es scheint, wurde die Schiffahrt bis nach jener grossen
und produktenreichen Insel ausgedehnt, auf der auch mehrfach roemische Muenzen
zum Vorschein gekommen sind. Aber ueber das Kap Komorin und Ceylon gehen die
Muenzfunde nur ausnahmsweise hinaus ^77, und schwerlich hat auch nur die Kueste
von Kornmandel und die Gangesmuendung, geschweige denn die hinterindische
Halbinsel und China staendigen Handelsverkehr mit den Okzidentalen unterhalten.
Die chinesische Seide ist allerdings schon frueh regelmaessig nach dem Westen
vertrieben worden, aber, wie es scheint, ausschliesslich auf dem Landweg und
durch Vermittlung teils der Inder von Barygaza, teils und vornehmlich der
Parther: die Seidenleute oder die Serer (von dem chinesischen Namen der Seide,
Ser) der Okzidentalen sind die Bewohner des Tarim-Beckens, nordwestlich von
Tibet, wohin die Chinesen ihre Seide brachten, und auch den Verkehr dorthin
hueteten eifersuechtig die parthischen Zwischenhaendler. Zur See sind allerdings
einzelne Schiffer zufaellig oder erkundend wenigstens an die hinterindische
Ostkueste und vielleicht noch weiter gelangt; der im Anfang des zweiten
Jahrhunderts n. Chr. den Roemern bekannte Hafenplatz Kattigara ist eine der
chinesischen Kuestenstaedte, vielleicht Hang-tschau-fu an der Muendung des Yang-
tse-kiang. Der Bericht der chinesischen Annalen, dass im Jahre 166 n. Chr. eine
Gesandtschaft des Kaisers An-tun von Ta- (das ist Gross) Tsin (Rom) in Ji-Nan
(Tongking) gelandet und von da auf dem Landweg in die Hauptstadt Lo-yang (oder
Ho-nan-fu am mittleren Hoang-ho) zum Kaiser Hwan-ti gelangt sei, mag mit Recht
auf Rom und den Kaiser Marcus Antoninus bezogen werden. Indes dieser Vorfall und
was die chinesischen Quellen von aehnlichem Auftreten der Roemer in ihrem Lande
im Lauf des 3. Jahrhunderts melden, wird kaum von oeffentlichen Sendungen
verstanden werden koennen, da hierueber roemische Angaben schwerlich fehlen
wuerden; wohl aber moegen einzelne Kapitaene dem chinesischen Hof als Boten
ihrer Regierung gegolten haben. Bemerkbare Folgen haben diese Verbindungen nur
insofern gehabt, als ueber die Gewinnung der Seide die frueheren Maerchen
allmaehlich besserer Kunde wichen.
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^77 In Bamanghati (Distrikt Singhbhum) westlich von Kalkutta soll ein
grosser Schatz Goldmuenzen roemischer Kaiser (genannt werden Gordian und
Konstantin) zum Vorschein gekommen sein (Beglar bei A. Cunningham,
Archaeological survey of India, Bd. 13, S. 72); aber ein solcher vereinzelter
Fund beweist nicht, dass der staendige Verkehr sich so weit erstreckt hat. Im
noerdlichen China in der Provinz Schensi westlich von Peking sollen neuerlichst
roemische Muenzen von Nero an bis hinab auf Aurelian zum Vorschein gekommen
sein, sonst sind weder aus Hinterindien noch aus China dergleichen Funde
bekannt.
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Boden- und Geldwirtschaft der roemischen Kaiserzeit
Die oekonomische Herrschaftsstellung Italiens, wie sie in den letzten
Jahrhunderten der Republik sich festgestellt hatte, zeigt sich in dieser Epoche
und ueber dieselbe hinaus im Stande des Beharrens und fester noch gegruendet als
die politische Praerogative. Wenn der reichste Mann der caesarischen Zeit,
Marcus Crassus, auf 170 Millionen Sesterzen geschaetzt worden war, so sahen die
folgenden Generationen darauf zurueck wie auf eine Zeit der Armut ^1. Mit dem
Frieden, der auf die Buergerkriege folgte, kam eine Epoche der Fuelle und des
Reichtums, wie die Republik sie nicht gekannt hatte. Als der Reichste unter
Augustus wird genannt Gnaeus Lentulus der Augur (Konsul 740 14) mit einem
Vermoegen von 400 Mill. Sesterzen ^2. Das gleiche wird dem maechtigen
Freigelassenen des Claudius, Narcissus, zugeschrieben ^3. Das Vermoegen des
Ministers Neros, Seneca, wird, allerdings von seinen Feinden, auf 300 Mill.
geschaetzt ^4, ebenso hoch das des gefeierten Sachwalters unter Nero und
Vespasian, Vibius Crispus, dessen Reichtum lange sprichwoertlich blieb ^5. Am
Ende des 3. Jahrhunderts warf Kaiser Tacitus bei seiner Thronbesteigung sein
fundiertes Privatvermoegen von 280 Mill. Sesterzen in den Staatsschatz ein ^6.
Noch am Anfang des 5. Jahrhunderts bezogen die ersten senatorischen Haeuser in
der alten Reichshauptstadt eine Jahresrente, die einem Kapital von mindestens
400 Mill. Sesterzen nach der aelteren Rechnung gleichkam ^7. Wichtiger als diese
Angaben ueber ausnahmsweise grosse Vermoegen sind einige andere, welche die
Mittelklasse der Aristokratie betreffen: ein Vermoegen von 20 Mill. Sesterzen
gilt unter Marcus als maessiger Reichtum ^8; Familien mit einem Vermoegen von
100 Mill. Sesterzen werden im 5. Jahrhundert als reiche zweiten Ranges
betrachtet. Der senatorische Zensus von einer Mill. Sesterzen ist also offenbar
eine aeusserste Grenze, welche bei der Mehrzahl sicher ansehnlich ueberschritten
ward. In den Angaben ueber das im Jahre 746 (8) errichtete Testament eines
begueterten Freigelassenen, welcher ausser seinen Liegenschaften ueber 4116
Sklaven, 3600 Paar Ochsen, 257000 Schafe und 60 Mill. Sesterzen bar verfuegt,
treten die einzelnen Bestandteile eines solchen Grossvermoegens an Ackerland,
Weide und Kapitaliengeschaeft deutlich hervor ^9. Dass bei solchen
Vermoegensbestaenden die Reichen der oberen Klassen eine Herrenstellung in den
Ortschaften einnahmen, aus denen sie hervorgingen, und eine Art von Hof und
Gefolge sich um jeden von ihnen sammelte, ist erklaerlich. Sie stellen zum guten
Teil durch ihre Freigebigkeit die oeffentlichen Gebaeude, namentlich die
Luxusanlagen, wie Theater, Baeder, Hallen her; auf ihre Kosten schmausen die
Buergerschaften und leben die Klienten, und auch in die besseren Kreise hinein
reichen dergleichen Spenden. Der juengere Plinius unter Traianus, ein
vermoegender Senator, aber keineswegs in dieser Hinsicht hervorragend, hat
seiner Vaterstadt Comum fuer die Gruendung und Vermehrung einer oeffentlichen
Bibliothek, fuer die Anlage und die Ausstattung eines Warmbades, zur
Alimentation von Kindern und zu oeffentlichen Schmaeusen teils bei Lebzeiten,
teils im Testament Zuwendungen im Gesamtbetrag von mindestens 5 Mill. Sesterzen
gemacht, ausserdem in anderen Staedten, zu denen er Beziehungen hatte, Tempel
und Hallen auf seine. Kosten gebaut und seinen Freunden, dem einen zur
Ausstattung der Tochter, dem andern zur Equipierung fuer den
Unteroffiziersdienst, dem dritten, um ihm den Eintritt in den Ritterstand
moeglich zu machen, persoenliche Geschenke bis zu 300000 Sesterzen gemacht.
Diese durch die Individualitaet des Charakters und der Beziehungen vielfach
bedingte, aber im Wesen nicht persoenliche, sondern standesmaessig geforderte
Liberalitaet ist fuer alle Zeiten von dem vornehmen Roemer und vor allem von dem
Senator des Reiches geuebt worden, aber keineswegs zu allen Zeiten in gleicher
Weise. Mit Sehnsucht gedachten die Klienten der domitianischen Epoche der
bessern Zeiten, wo unter den Spenden dieser Art der Ritterring nichts Seltenes
war ^10; Gaius Piso, der Rivale Neros, dessen koenigliche Freigebigkeit
seinesgleichen nicht hatte, war gewohnt, jaehrlich einer gewissen Zahl seiner
Freunde den Ritterzensus zu schenken, so wie die Kaiser in gleicher Weise
senatorische Vermoegen zu schenken pflegten ^11. "Es war frueher Sitte",
schreibt Plinius ^12 unter Traian, "dass wem ein Poet ein Carmen widmete, ihm
dafuer eine Verehrung machte; jetzt aber ist mit anderen stattlichen Dingen vor
allem auch dies abgekommen, und es kommt uns albern vor, uns feiern zu lassen."
Dies ist nur eine einzelne Konsequenz einer tiefgreifenden sozialen Revolution
^13. Die Diarchie, die Augustus begruendet, die Samtherrschaft des Kaisers und
des Senats, offenbart sich auf diesem Gebiet noch energischer als in der
eigentlichen Politik. Die Epoche von der Actischen Schlacht bis zum
Vierkaiserjahr, das julisch-claudische Saeculum, bezeichnet Tacitus als die
Glanzzeit der roemischen Aristokratie. Die alten reichen oder erlauchten Haeuser
wetteiferten in grossartigem Prunk; man warb noch um die Stimmen der
Buergerschaft, um die Ehrenbezeugungen der Provinzen und der abhaengigen
Koenige, um eine stattliche Klientel. Das Rom der augustischen und der
claudischen Zeit erinnert vielfach an das der Paepste und der Kardinaele des
sechzehnten Jahrhunderts; das Kaiserhaus war in der Tat nur das erste unter
vielen strahlenden Gestirnen. Aber dieser Wetteifer hatte vielfach den
oekonomischen Ruin im Gefolge; die Dezimierung der Aristokratie unter den
naechsten Nachfolgern des Augustus traf vorzugsweise die grossen Vermoegen und
fuehrte zu deren Zertruemmerung; die neuen durch Vespasian aus den Landstaedten
nach Rom verpflanzten Senatoren brachten die buergerliche Sparsamkeit mit sich,
und die alten glaenzenden Traditionen der Lentuler und der Pisonen ersetzten
sich nicht. Der Senat, dem Plinius und Tacitus angehoerten, ist wohl nicht
minder reich gewesen wie derjenige, in dem Piso und Seneca sassen; aber wie das
Bewusstsein oder, wenn man will, die Illusion des Mitregiments allmaehlich
schwand und die Monarchie in allen ihren Konsequenzen sich geltend machte, so
kam auch die Vermoegensverwaltung der vornehmen Welt von fuerstlicher
Freigebigkeit und fuerstlicher Verschuldung zu dem gewoehnlichen bequemen und
soliden Lebensgenuss des festbegruendeten Reichtums.
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^1 Plin. 13, 92.
^2 Sen. benef. 2, 27.
^3 Dio 60, 34.
^4 Tac. ann. 13, 42; Dio 61, 10.
^5 Mart. epigr. 4, 54, 7.
^6 vita 10.
^7 Die Angabe Olympiodors (p. 44 Mueller), dass zahlreiche Haeuser Roms je
4000 Pfund Gold (ana tessarakonta chryso? kent/e/naria), ungerechnet die etwa
ein Drittel der Summe erreichenden Naturallieferungen, die Haeuser zweiten
Ranges 1500 bis 1000 Pfund Gold an Einkuenften bezogen haetten, kann nur in der
oben angegebenen Beschraenkung richtig sein, da die Einkuenfte doch nicht von
1500 auf 4000 gesprungen sein werden. 4000 Pfund Gold Einkuenfte geben nach
alter Rechnung, das Goldpfund zu 4000 Sesterzen gerechnet und mit 5 Prozent
kapitalisiert, ein Vermoegen von 320 Mill. Sesterzen, wozu dann die
Naturalabgaben kommen.
^8 In der lustigen Geschichte, die der Arzt Galenus (13 p. 636 Kuehn) "ohne
Namen zu nennen" erzaehlt, von dem Roemer, "der nicht mehr als 5 Mill. Denare
Vermoegen hat", wird dieser medizinische Amateur, der es unter seiner Wuerde
haelt, sich billiger Rezepte zu bedienen, keineswegs als ein armer Mann
bezeichnet, sondern vielmehr immer "der Reiche" genannt, aber wohl
entgegengesetzt den "noch viel Reicheren oder den Koenigen", welche mit recht
teuren Rezepten zu versehen hier Galenus seine Kollegen instandsetzt. Noch
weniger duerfte aus der Anekdote bei Epiktetos (diss. 1, 26, 11) gefolgert
werden, dass ein Vermoegen von 1« Mill. Denaren jemals ernsthaft als Armut
betrachtet worden ist. Ebenso wird, wenn der juengere Plinius (epist. 2, 4) von
seinen modicae facultates spricht, in Anschlag zu bringen sein, dass der
gebildete Reiche sich nicht gern selbst so nennt.
^9 Plin. epist. 33, 135. Aehnlich laesst Martialis (epigr. 4, 37) den
reichen Mann, der seine Gaeste mit der Aufzaehlung seiner Reichtuemer langweilt,
erst die an verschiedene Leute ausgeliehenen Summen, zusammen etwa 3 Mill.,
auffuehren, dann die Renten aus Haeusern und Grundstuecken mit 3 Mill., dann die
der Weiden von Parma mit 600000 Sesterzen. In einem anderen Epigramm 5, 13
vergleicht er sein bescheidenes Dichterlos mit dem eines Reichen, dem die Kasten
der Freigelassenen, das heisst der staedtischen Geschaeftsleute, der Boden
Aegyptens und die Weiden von Parma zinsen.
^10 Mart. 14, 122.
^11 schol. Iuv. zu V, 109.
^12 epist. 3, 21.
^13 Tac. ann. 3, 55.
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Wenngleich bei der Ausdehnung des roemischen Staates unter den Kaisern und
bei der Mannigfaltigkeit seiner Bestandteile die wirtschaftlichen Fragen im
besonderen nur nach diesen Bestandteilen einigermassen genuegend gewuerdigt
werden koennen, so bleibt doch einmal auch noch in dieser Periode Italien so
sehr das herrschende Gebiet, dass dessen wirtschaftliche Verhaeltnisse in
gewissem Sinne immer noch die des Reiches sind; andererseits aber sind doch als
Ursache wie als Ergebnis eine Reihe von Momenten hier zu verzeichnen, welche nur
in einer allgemeinen, Italien vorzugsweise, aber daneben das Reich ueberhaupt
beruecksichtigenden Eroerterung zu ihrem Rechte gelangen.
In erster Reihe steht hier der Gegensatz des grossen und des kleinen
Bodeneigentums, wobei zunaechst abzusehen ist von der wirtschaftlichen Form der
Nutzung. Die wirtschaftlichen Verhaeltnisse der griechischen wie der roemischen
Welt gehen vom Kleinbesitz aus und streben zum Grossbesitz; ausser den
allgemeinen, noch heute in gleicher Richtung wirkenden Ursachen kommen hier noch
besonders in Betracht die der Bildung des Grosskapitals foerderliche
Sklaveninstitution und die die ganze alte Welt beherrschende Tendenz, die
Rentenziehung durch Grundbesitz als die sicherste und anstaendigste, der freien
Entwicklung des Mannes buergerlich wie intellektuell guenstigste zu betrachten.
Diese Richtung auf Steigerung des Grossbesitzes waltet wie in der Gemeinde der
Stadt Rom so auch in der Reichsbuergerschaft der Kaiserzeit ohne Unterschied der
Provinzen; die Latifundien, wie die Grossbesitzungen in der Kaiserzeit genannt
zu werden pflegen, bilden sich in Italien wie in Gallien, Afrika, Syrien mit
einer Notwendigkeit, die von dem Naturgesetz sich kaum wesentlich unterscheidet.
Dass die hierfuer massgebenden Ursachen in der Kaiserzeit staerker wirkten als
frueher, wird im allgemeinen nicht behauptet werden koennen.
Der Konzentrierung der Kapitalien in wenigen Haenden war die spaetere
Epoche der Republik und die augustische Zeit wahrscheinlich guenstiger als die
folgenden Epochen, und der schnelle Wechsel der grossen Haeuser, den im
Gegensatz zu jener Periode die spaetere Kaiserzeit aufweist, muss notwendig
eine, man moechte sagen periodische Zerschlagung der grossen Vermoegen
herbeigefuehrt und eine gewisse, allerdings in hohem Grade bedenkliche Schranke
gegen die Akkumulation des Grossvermoegens und insbesondere des Grosseigentums
gebildet haben.
Sehr verstaendig hielt die Regierung daran fest, der faktischen
Konzentrierung des Grundbesitzes die rechtliche Geschlossenheit nicht zu
gewaehren; die Gesetzgebung hielt unentwegt durch alle Krisen und allen Verfall
an dem Grundsatze fest, dass der Grundbesitz dem Verkehr nicht auf die Dauer
entzogen werden kann, und gibt sich nicht dazu her, der Deszendenz den
Grundbesitz des Aszendenten fuer die Zukunft zu sichern. Dass dieser bei weitem
nicht in ihrem vollen Inhalt gewuerdigten Aufrechthaltung der freien
Veraeusserung und der unbedingten Teilbarkeit des Grundbesitzes die mangelhafte
Geschlossenheit und die fortdauernde Kleinbewirtschaftung auch des
Grossgrundbesitzes entgegenkommt, wird weiterhin ausgefuehrt werden.
Nur in einer Richtung tritt mit der Einfuehrung der Monarchie eine
wesentliche Abweichung von dem frueher befolgten System ein: es betrifft dies
den Grundbesitz in toter Hand. Die Republik, insbesondere die spaetere, hat
denselben in engen Grenzen gehalten, praktisch eigentlich nur angewandt, um den
Stadtgemeinden die oekonomische Existenz dauernd zu sichern. Diese allerdings
sind fuer ihre Ausgaben in republikanischer wie in der Kaiserzeit in erster
Reihe angewiesen auf die Liegenschaften, von denen sie entweder einen festen
Zins beziehen oder die sie geradezu als Eigentuemer im Wege der Verpachtung
verwerten; und ein betraechtlicher Teil des Bodeneigentums im ganzen Reich steht
also im Eigentum der staedtischen Gemeinden oder auch der einzelnen, an diese
sich anlehnenden Korporationen. Aber fuer den Staat selbst besteht diese
Einrichtung nicht. Der Grundsatz der roemischen Demokratie, dass das
Bodeneigentum des Staats wesentlich bestimmt sei, zum Kleinbesitz aufgeteilt zu
werden, wird in der Kaiserzeit in Italien vollstaendig durchgefuehrt und auch in
den Provinzen mehr und mehr realisiert, so dass selbst das in denselben noch
nicht aufgeteilte Land mehr als Bittbesitz der zeitigen Inhaber denn als
eigentlich auf die Dauer rentierendes Staatsgut angesehen wird; wenigstens
tatsaechlich erscheinen die von dem Provinzialboden an den Staat fliessenden
Bezuege nicht mehr als Bodenrente, sondern als Steuer. Dagegen tritt mit der
Monarchie sogleich auch die Domaene ein, das heisst, das dem Inhaber des
Prinzipats zustehende und von ihm nach den Regeln des Privatrechts genutzte
Bodeneigentum wird dem Verkehr entzogen und dem jedesmaligen Nachfolger zu
gleichem Recht ueberwiesen. Den sehr verschlungenen Wegen, auf denen die
Umwandlung des Privateigentums des Prinzeps in Krongut herbeigefuehrt worden
ist, kann hier nicht nachgegangen werden; rechtlich und tatsaechlich stellt sich
dies Verhaeltnis schon unter Augustus fest und ist wahrscheinlich zunaechst
daraus hervorgegangen, dass er Aegypten rechtlich als Nachfolger der Ptolemaeer
uebernahm und der hier uralte Begriff des fuer Rechnung des Landesherrn
bewirtschafteten Bodeneigentums sich dann auf das gesamte Reich uebertrug.
Ziehen wir fuer die Grosswirtschaft der Kaiserzeit im allgemeinen die
Summe, so zeigt diese eine stetige Zunahme derselben, welcher aber das Korrektiv
der freien Loesbarkeit nicht fehlt und als neues Moment das Eintreten des
"Ersten der Buerger" als des ersten Grossgrundbesitzers ein fuer allemal.
In Italien kamen verschiedene Momente hinzu, die den Grossgrundbesitz in
besonderer Weise steigerten. Dass die vermoegenden Leute von selbst vorzugsweise
nach der Hauptstadt oder wenigstens nach Italien zogen, welches an den
Annehmlichkeiten der hauptstaedtischen Existenz bis zu einem gewissen Grade
teilhatte, versteht sich von selbst. Die Bestimmung, dass die politische
Laufbahn nur dem in Italien ansaessigen Reichsbuerger eroeffnet ward ^14,
musste, soweit der Provinziale rechtlich zu derselben zugelassen war oder im
Laufe der Zeit ward, geradezu als eine an die angesehensten Familien daselbst
gerichtete Aufforderung erscheinen, ihren Wohnsitz nach Italien zu verlegen; und
es ist davon in immer steigendem Umfang Gebrauch gemacht worden. Dass diese
Uebersiedelung mehr oder minder mit der Erwerbung italischen Grossgrundbesitzes
verbunden war, liegt in der Sache; foermlich vorgeschrieben ist es seit Traian,
dass wenigstens der Senator den dritten, spaeter den vierten Teil seines
Vermoegens in italischem Grundbesitz anzulegen hat ^15. Noch unmittelbarer
griffen hier die Bestimmungen ein, welche zunaechst gerichtet waren gegen den
ueberschuldeten Grundbesitz und dafuer den Weg gingen, das nicht fundierte
Kapital zur Fundierung zu zwingen, indem die verzinsliche Anlage von Geldern in
Rom und Italien nur bis zu einer gewissen Quote des von dem Glaeubiger in
italischem Grundbesitz angelegten Kapitals verstattet ward. Sie ruehren her vom
Diktator Caesar; unter Augustus, wie es scheint, ausser Anwendung gelassen, sind
sie unter Tiberius im Jahre 33 in grossem Umfang durchgefuehrt worden, indem von
dem Bankier damals der Nachweis des doppelten fundierten Kapitals gefordert ward
und auf diese Weise ungeheure Summen zur Anlage in italischem Grundbesitz
genoetigt wurden ^16. Dass diese Vorschriften spaeterhin ausser Kraft traten,
berechtigt nichts anzunehmen; auf die Provinzialen sind sie gewiss nicht
erstreckt worden, sondern gehoeren zu den oekonomischen Privilegien, in welche
die alte Vormachtstellung Italiens in der Kaiserzeit sich aufloest.
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^14 Da nach republikanischer Ordnung der Senator verpflichtet war, in der
Sitzung zu erscheinen, und fuer die Ladung bestimmte Vorschriften bestanden, so
wird die fuer die Munizipien bestehende Ordnung, dass das Ratsmitglied in der
Stadt oder doch innerhalb der Bannmeile wohnen muss (Eph. epigr. II, 134),
vermutlich altes Recht sein. Aber direkter Gebrauch ist davon ausser in
besonders gefaehrlichen Zeiten (Liv. 36, 3; 43, 11) nicht gemacht worden; und
schwerlich trat bei Zuwiderhandeln eine andere Folge ein als die Loeschung des
Namens von der Liste. Ob diese Bestimmung in der Kaiserzeit wieder aufgenommen
ward, ist nicht bekannt. Das Augustische Edikt, das dem Senator vorschrieb,
Italien nicht anders als nach eingeholtem Urlaub zu verlassen, welches spaeter
zuerst fuer die aus Sizilien, dann im Jahre 49 auch fuer die aus der Narbonensis
gebuertigen Senatoren ausser Kraft gesetzt ward, aber sonst in Geltung blieb
(Dio 52, 42; Tac. ann. 12, 23), hat wohl an jene Vorschriften angeknuepft, aber
ist rechtlich und mehr noch faktisch auf jeden Fall eine Neuerung.
Dass mit der Erteilung des Ritterpferdes eine aehnliche Verpflichtung
verbunden war, ist sehr wahrscheinlich, nicht wegen der Notiz bei Tacitus (ann.
6, 14), sondern wegen der Verwendung derselben bei den Geschworenengerichten.
^15 Plin. epist. 6, 19; vita Marci 11.
^16 Suet. Tib. 48. Tac. ann. 6, 17, wo die Interpunktion zu aendern ist:
hinc inopia rei nummariae commoto simul omnium aere alienor et quia tot damnatis
(nicht infolge der von den Wechslern vorgenommenen Kreditbeschraenkung, sondern
infolge der Seianischen Prozesse) bonisque eorum divenditis signatum argentum
fisco vel aerario attinebatur, ad hoc senatus praescripserat duas quisque
fenoris partes in agris per Italiam collocaret (d. h. da das bare Geld
augenblicklich knapp war, war das Mass der Possessionen hoch gegriffen, in der
Voraussetzung, dass der einzelne verschuldete Besitzer fuer seine Schulden seine
Grundstuecke leisten werde), debitores totidem aeris alieni statim solverent
(dieser Satz ist sachlich aus Sueton hinzuzunehmen, vielleicht sogar bei Tacitus
bloss ausgefallen). Dies schlug aber fehl. Die Kreditoren forderten trotz dessen
die vollen Betraege, und ihres Kredits wegen wagten die Schuldner sich nicht auf
das Moratorium zu stuetzen; borgen aber konnten sie nicht, da die Bankiers ihr
bares Kapital fuer die ihnen aufgezwungenen Kaeufe noetig hatten, und verkaufen
nur unter dem Preis, teils da allzu viel Grundstuecke zugleich auf den Markt
kamen, teils wer verkaufen musste, schlechte Preise bedang. Da trat der Kaiser
ein, indem er den bedraengten Grundbesitzern bei gehoeriger Sicherheitsstellung
den Betrag von 100 Mill. Sesterzen (22 Mill. Mark) auf drei Jahre unverzinslich
hingab.
Uebrigens kann die Bestimmung unmoeglich allgemein gewesen sein; auf jeden
Fall richtete sie sich nicht gegen den Geschaeftsmann ueberhaupt, sondern gegen
Senatoren und Ritter und war vielleicht foermlich auf diese beschraenkt.
Durchfuehrbar war sie insofern, als dem Klaeger, dem vor den Geschworenen der
Nachweis gelang, dass jemand mehr Geld verborgt als fundiert habe, eine
bedeutende Geldbelohnung ausgesetzt war.
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Wenn also in Italien der Grossgrundbesitz frueher als in den Provinzen und
in staerkerem Verhaeltnis den Kleinbesitz ueberwog, so gilt von dem
Domanialbesitz das Umgekehrte, sofern darunter das werbende Gut verstanden wird.
Die kaiserlichen Luxusbesitzungen finden sich selbstverstaendlich vorzugsweise
in Italien, vor allem natuerlich in Rom selbst sowie in der Umgegend der
Hauptstadt und in der Badegegend von Baiae, wo kein beliebter Villeggiaturort
ohne kaiserliche Villen ist und manche derselben, wie die von Alba, Antium,
Tibur, Baiae, an Umfang den Staedten, an Pracht dem staedtischen Kaiserpalast
nicht nachstanden. Aber der eigentlich wirtschaftliche Domanialbesitz ist in
Italien wohl auch in stetigem Zunehmen, aber doch verhaeltnismaessig
untergeordnet gewesen und geblieben ^17. Es muss durch Erbschaft und
Konfiskation und sonst eine Masse italischen Grossgrundbesitzes voruebergehend
kaiserliches Eigentum geworden sein, wie denn auch derartige Massenverwaltungen
mehrfach begegnen ^18; aber allem Anschein nach hat der Fiskus den vermutlich
gering rentierenden italischen Grossgrundbesitz regelmaessig wiederveraeussert.
Nur die offenbar sehr eintraeglichen grossen Ziegeleien in der Naehe Roms und an
anderen geeigneten Orten Italiens sind allmaehlich in grossem Umfang in
kaiserlichen Besitz gekommen und im Domanialgut festgehalten worden. Die
relative Geringfuegigkeit des Domanialbesitzes in Italien und das Fehlen grosser
und ausserhalb des Munizipalverbandes stehender Domanialverwaltungen darf auch
zu den oekonomischen Privilegien gezaehlt werden, die Italien wenigstens bis auf
Severus genoss. Die ungeheure Steigerung, welche die Domanialwirtschaft durch
diesen Kaiser erfuhr, hat sich wahrscheinlich auch auf Italien erstreckt, unter
dem ueberhaupt die privilegierte Stellung Italiens anfaengt zu schwinden. Im
vierten Jahrhundert steht in der Domanialverwaltung Italien auf einer Stufe mit
den uebrigen Reichsgebieten und zeigt sich auch auf diesem Gebiet dessen
Einreihung unter die Provinzen.
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^17 Wenn Tacitus (ann. 4, 7) fuer das fruehere Regiment des Tiberius
ruehmend die rari per Italiam Caesaris agri hervorhebt, so ist der Gegensatz
dazu wohl weniger der dauernde italische Domanialstand der spaeteren Zeit als
die Epoche der Seianischen Konfiskationen. Es fehlt nicht an vorseverischen
Zeugnissen fuer kaiserliche Domaenen in Italien, auch abgesehen von dem
Luxusbesitz und den Figlinen. Beide Alimentarurkunden, die von Benevent wie die
von Veleia, nennen den Kaiser mehrfach unter den adfines. Die saltus Galliani
der achten Region (Plin. nat. 3, 15, 118) sind kaiserlicher Grossbesitz und
werden von Plinius unter den Gemeinden aufgezaehlt; sie sind offenbar der Kern
der res privata regionis Ariminensium oder Flaminiae, die spaeter in Italien am
meisten hervortritt (Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 45).
Die Sommerweiden in Samnium sowie die darauf befindlichen grossen
Schafherden standen wenigstens unter Marcus im kaiserlichen Besitz (CIL IX,
2438). Von den dazugehoerigen apulischen Winterweiden muss dasselbe gegolten
haben, vielleicht bezieht sich darauf der procurator s(altuum?) A(pulorum?) CIL
IX, 784 und der procurator regionis Calabricae CIL X, 1795 und ist der spaetere
procurator rei privatae per Apuliam et Calabriam sive saltus Carminianensis
(Not. occ. 12, 18) daraus hervorgegangen; wenigstens gehoert der saltus gewiss
in aeltere Zeit. Ueberdies war natuerlich auch mit den nicht zunaechst fuer den
Ertrag eingerichteten Villen immer eine gewisse Wirtschaft verbunden.
^18 Der procurator ad bona Plautiani (CIL III, 1464) und spaeter der comes
Gildoniaci patrimonii (Not. occ. 12, 5); andere Beispiele bei Hirschfeld,
Verwaltungsgeschichte, S. 25 (2. Aufl., S. 126 ff., vgl. Beitraege zur alten
Geschichte, Bd. 2, S. 287ff.). Diese Massen werden italischen Grundbesitz
wenigstens mit umfasst haben.
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Langsamer als in Italien, aber nicht minder stetig steigert sich der
Grossgrundbesitz in den Provinzen. Was ueber die einzelnen zu bemerken ist, ist
in den betreffenden Abschnitten dargelegt; hier mag nur, um den Umfang
derselben, der auch und vor allem ein politischer Faktor ist, einigermassen zu
veranschaulichen, eine der Diatriben stehen, welche einer, der die Dinge kannte
und der vor allem sich selber predigte, der Minister Neros, Seneca (epist. 89,
20), in dieser Hinsicht vorbringt: "Vernehmt, ihr reichen Maenner, einmal ein
ernstes Wort, und weil der einzelne davon nichts hoeren mag, so sei es
oeffentlich gesagt. Wo wollt ihr euren Besitzungen die Grenzen setzen? Der
Bezirk, der einst eine Gemeinde fasste, duenkt jetzt dem einen Grundherrn eng.
Wie weit wollt ihr eure Ackerfluren ausdehnen, wenn fuer die einzelne Wirtschaft
der Raum einer Provinz euch zu klein scheint? Namhafte Fluesse nehmen ihren Lauf
durch eine einzige Privatbesitzung und grosse voelkerscheidende Stroeme sind von
der Quelle bis zur Muendung eines und desselben Eigentuemers. Ihr seid nicht
zufrieden, wenn euer Grundbesitz nicht Meere umschliesst, wenn nicht jenseits
des Adriatischen und des Ionischen und des Aegaeischen Meeres euer Meier
ebenfalls gebietet, wenn nicht die Inseln, die Heimaten der gefeierten Helden
der Sage unter euren Besitzungen beilaeufig figurieren und was einst ein Reich
hiess, jetzt ein Grundstueck ist." Das ist wohl Rhetorik, aber auch Wahrheit. Im
uebrigen soll hier im allgemeinen nur darauf noch hingewiesen werden, dass der
Grossgrundbesitz nicht bloss das ganze Reich in immer steigendem Masse
beherrschte, sondern auch sich zu einer gewissen Gleichartigkeit entwickelte und
insofern ohne Zweifel einer der maechtigsten Traeger der nivellierenden
Zivilisation der Kaiserzeit gewesen ist. Indem teils das italische Grosskapital
auch in den Provinzen Grundeigentum erwirbt, teils die durch Reichtum
hervorragenden provinzialen Familien mehr und mehr nach Rom gezogen werden,
stellt sich fuer den Grossgrundbesitz des ganzen Reiches in der Wirtschaft wie
im Luxus eine gewisse Gleichfoermigkeit ein, die mehr durch die oertliche
Bedingtheit als durch die verschiedene Lebensgewohnheit der Besitzer
eingeschraenkt wird. Das afrikanische Herrenhaus hatte seine Palmen fuer sich
wie das rheinische seine Heizeinrichtungen; aber die Darstellungen des vornehmen
Landlebens, wie sie kuerzlich im Tal des Rummel in Numidien ^19 in den Mosaiken
des dazugehoerigen Badegebaeudes zum Vorschein gekommen sind, der prachtvolle
getuermte Palast, der schattige Garten, in dem die Dame des Hauses sitzt, der
Stall mit edlen Rennpferden, das Jagdgehege, die berittenen Jaeger mit ihren
Hunden und die zuschauenden Damen, die Fischteiche, die Literaturecke (filosofi
locus) gehoeren nicht der afrikanischen, sondern der gesamten Reichsaristokratie
gleichmaessig an, und die Gegenstuecke dazu finden sich in allen Provinzen.
Ebenso muss, je mehr die Grossgrundbesitzer aufhoerten, Provinzialen zu sein,
auch die Wirtschaftsweise sich ins Gleiche gesetzt haben. Auch die agronomischen
Schriften der Epoche zeigen dies; Columella unter Nero schreibt zunaechst fuer
das italische Landgut, aber die Abweichungen der Wirtschaft in Baetica, Gallien,
Kilikien, Syrien, Aegypten, Numidien sind ihm voellig gelaeufig und werden
oefters erwaehnt. Es waren zumeist Fremde, ueberwiegend Italiener, welche im
Auftrag der Eigentuemer ueberall den Betrieb leiteten und mehr oder minder die
oertliche Wirtschaftsweise durch die allgemeine, im ganzen wohl rationellere
ersetzten. Die unbegreiflich rasche und intensive Romanisierung Afrikas in der
Kaiserzeit haengt ohne Zweifel damit zusammen, dass der Grossgrundbesitz wohl in
keiner zweiten Provinz sich mit gleicher Energie entwickelt hat.
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^19 CIL VIII, 10889-10891.
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Wie der kaiserliche Grossgrundbesitz provinzialen Ursprungs zu sein
scheint, so hat er auch hauptsaechlich in den Provinzen seinen Sitz gehabt,
insbesondere in dem prokonsularischen Afrika, worueber in dem betreffenden
Abschnitt gehandelt ist. Dabei spielten in den Provinzen die Bergwerke und die
Marmorbrueche dieselbe Rolle wie in Italien die Ziegeleien: sie standen dem
Rechte nach unter denselben Regeln wie jedes andre Bodeneigentum, aber die
Kaiser strebten dahin, dieselben dem Domanialbesitz einzuverleiben, und es ist
dies allmaehlich in allen Provinzen in weitem Umfang durchgefuehrt worden. Im
allgemeinen ist auch hier hervorzuheben die ungeheure quantitative Ausdehnung
des Domanialguts, welche unter Severus eingetreten ist, wozu allerdings die
Massenkonfiskation wesentlich beigetragen hat, die der Kaiser der
illyricanischen Soldaten gegen die beiden rivalisierenden und ueberwundenen
Militaerparteien verfuegte, die aber doch in der Hauptsache als eine
konstitutive Aenderung der Finanzorganisation aufzufassen ist, gewissermassen
als Emanzipation der Regierung von den Steuerertraegen durch Ersetzung derselben
durch den Ertrag der neu geschaffenen Domaenen. In welchem Umfang dies geschehen
ist, davon gibt einigermassen einen Begriff, dass fuer das neue Domanialgut (res
privata principis) ein zweiter dem des bisher bestehenden (patrimonium
principis) in der Rangordnung vorgehender Oberdirektor eingesetzt ward, dessen
administrative Bedeutung in dem Gehalt von 300000 Sesterzen (65000 Mark), dem
hoechsten mit einer kaiserlichen Prokuration verbundenen, ihren Ausdruck findet
und aus dem in den Ordnungen des 4. Jahrhunderts der eine der beiden
Reichsfinanzminister hervorgegangen ist.
Je mehr der Rueckgang des Kleinbesitzes im Lauf der natuerlichen
Entwicklung lag, desto entschiedener ist er zu allen Zeiten als nachteilig fuer
das Gemeinwesen erkannt worden: man sah darin weit mehr den Verfall der guten
alten Ordnung als die natuerliche Entwicklung der Dinge; und es gilt dies von
der Kaiserzeit nicht minder wie von derjenigen der Gracchen. Es ist ein
wohlunterrichteter Schriftsteller, ein erfahrener Beamter aus der Zeit
Vespasians, der die damaligen Verhaeltnisse in die Worte zusammenfasst, dass der
Grossgrundbesitz Italien zugrunde gerichtet habe und jetzt im Zuge sei, die
Provinzen ebenfalls zugrunde zu richten. Inwieweit in dieser Epoche versucht
worden ist, das Einschwinden des Kleinbesitzes zu hemmen, ist nur. darzulegen.
Eins der wichtigsten Momente in dieser Hinsicht ist bereits erwaehnt
worden: die Rueckbildung des Grossgrundbesitzes zum Kleinbesitz ist nicht bloss
gesetzlich offengehalten worden, sondern hat auch auf natuerlichem Wege sich in
nicht unbedeutendem Masse vollzogen. Der roemische Grossgrundbesitz ist in weit
hoeherem Grade fluktuierend gewesen als der heutige, nicht bloss weil er nie zu
rechtlicher Geschlossenheit und nur annaehernd zu oertlicher gelangt ist,
sondern auch weil der durch Uebertragungssteuern gar nicht und durch die Sitte
wenig beschraenkte Besitzwechsel und die fortdauernde Kleinwirtschaft in
zahlreichen Faellen vom Gross- zum Kleinbesitz fuehrte. Erbteilung und Konkurs,
Einzelverkauf und Einzelschenkung muessen haeufig die Aufloesung bestehender
Gueterkomplexe oder die Abloesung einzelner Parzellen herbeigefuehrt haben. Die
weit ueber die heutige Sitte hinausgehende Haeufigkeit der Vermaechtnisse,
namentlich auch zu Gunsten abhaengiger Leute, hat vermutlich oft den Kleinbesitz
begruendet; wenn auch meistenteils dieselben in Geld oder beweglichem Gut
gegeben wurden, so wird doch mancher vermoegende Mann diesem oder jenem
Besitzlosen ein Guetchen hinterlassen haben ^20. Selbst das baeuerliche
Emporarbeiten durch den Fleiss und das Geschick der Haende zu eigenem Besitz ist
nicht ausgeschlossen. Ein solcher aus Afrika berichtet uns in ebenso
ungeschickten wie ehrlichen Versen ^21, wie er erst als gemeiner Schnitter
zwoelf Jahre, dann elf weitere als Vormann der Schnitterschar unter der
gluehenden Sonne gearbeitet habe und so dazu gelangt sei, ein eigenes Stadt- und
Landhaus in einer der kleinen dortigen Landstaedte zu erwerben und sogar in den
Rat derselben und zu Aemtern und Wuerden zu gelangen. Er ist sicher nicht der
einzige seines Schlages gewesen. Wenn die roemische Demokratie davon ausgegangen
ist, die Steigerung des Kleinbesitzes auf mehr oder minder revolutionaerem Wege
herbeizufuehren, so haben wenigstens die Anhaenger des Prinzipats dessen
demokratische Herkunft nicht verleugnet, ja dergleichen Massregeln in Italien in
einer Weise durchgefuehrt, vor denen Gaius Gracchus und Caesar selbst
erschrocken sein wuerden.
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^20 Auf der Alimentarurkunde von Veleia sind die meisten kleinen
Grundeigentuemer nicht im Besitz einheitlicher alter Erbgueter, sondern solcher,
die aus Mengstuecken zusammengesetzt und wahrscheinlich aus einem
Grossgrundbesitz ausgeschieden sind.
^21 Eph. epigr. V, p. 277 [CIL VIII, S. n. 118241.
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Die italischen Landanweisungen nach dem Sieg des Dreiherrn Antonius wie des
Caesars bei Philippi und weiter nach dem Siege Caesars ueber Antonius bei Actium
erfolgten auf Kosten des Privateigentums und gingen insofern einen sehr
verschiedenen Weg; aber das Ergebnis, man darf vielleicht hinzusetzen das Ziel
war das der Gracchischen Bewegung: es wurden nicht bloss die Besitzer
gewechselt, sondern es trat vielfach an die Stelle des im Laufe der Zeit
entwickelten Grossgrundbesitzes wiederum der Kleinbesitz der Adsignation. Wenn
Augustus in seinem Rechenschaftsbericht mit Stolz hinweist auf die 28
volkreichen und bluehenden italischen Staedte, die von ihm gegruendet seien und
zu denen noch zehn bis zwoelf andere in der gleichen Zeit anderweitig
gegruendete hinzutreten, so darf dies allerdings, was auch sonst darueber
geurteilt werden moege, als eine wirksame Steigerung des italischen
Kleinbesitzes bezeichnet werden.
Aber auf dem gleichen revolutionaeren Weg konnte Augustus selbst nach der
Konstituierung des Prinzipats und konnten die spaeteren Herrscher nicht
fortgehen. Je mehr der Prinzipat aus der Revolution hervorgegangen war, desto
mehr war es Lebensbedingung fuer denselben, die Revolution zu schliessen; das
Privateigentum ist nie heiliger gehalten worden als in dem Italien des
Prinzipats. Nicht einmal die Feldherren, welche mit den provinzialen Heeren sich
die Herrschaft in Italien erstritten, Vespasian und Severus, haben daran
geruehrt. Damit waren umfassende Massregeln zur Herstellung von Kleinbesitz fuer
Italien ausgeschlossen. Wohl waren bei diesen Adsignationen mehr oder minder
bedeutende Stuecke nicht zur Verteilung gelangt, andere durch erblosen Abgang
des Empfaengers erledigt. Grundstuecke dieser Art scheinen es gewesen zu sein,
welche Nero in Antium und Tarent, Vespasian in Lavinium, Paestum, Reate zur
Verteilung gebracht hat. Nachdem dann Vespasian den groessten Teil dieser Reste
entweder verkauft oder adsigniert und Domitianus endlich alle derartigen noch
uebrigen meistenteils steinigen Laendereien den Inhabern zu vollem Eigentum
ueberlassen hatte, gab es Staatslaendereien, die zur Verteilung haetten gebracht
werden koennen, in Italien ueberall nicht mehr. Parzellierung der kaiserlichen
Domaenen oder angekauften Landes waere moeglich gewesen; aber soviel wir wissen,
ist dazu nichts geschehen. Die Gruendung neuen Kleinbesitzes in Italien durch
die Regierung hat damit ueberhaupt ein Ende.
In den Provinzen dagegen ist das Gracchische System von dem Prinzipat ein
fuer allemal adoptiert und danach stetig neuer Kleinbesitz ins Leben gerufen
worden. Unentwegt hielt man fest an der Theorie, dass alles nicht von den
roemischen Behoerden adsignierte Land im Eigentum des Staats oder des Kaisers
stehe, und wenn auch dessen Ausuebung zunaechst praktisch ruhte, die derzeitigen
Okkupanten jederzeit ausgetrieben und das Land an Kolonisten adsigniert werden
koenne. In der praktischen Ausfuehrung ist auf diesem Wege sowohl in der Form
der Adsignation innerhalb einer bestehenden Stadtgemeinde, wie im Wege der
Koloniegruendung in den Provinzen Kleinbesitz in das Leben gerufen worden.
Allerdings ist dabei wohl in manchen Faellen nur ein Besitzwechsel eingetreten,
insofern der angesiedelte Mann roemischen oder latinischen Rechts an die Stelle
eines peregrinischen Vorbesitzers trat; aber der Grossbesitz und das Oedland,
vielleicht auch die Domaene werden doch vielfach fuer diese Adsignationen den
Boden geliefert haben. Wir werden uns aber von der Vermehrung, die durch die
provinziale Landanweisung dem Kleinbesitz des Reiches erwuchs, keine allzu
uebertriebene Vorstellung machen duerfen. Der Gedanke, den Augustus
urspruenglich gefasst zu haben scheint, die Veteranenversorgung namentlich des
Legionaers dadurch zu bewirken, dass ihm eine Bauernstelle zugeteilt ward, ist
schon von ihm selbst wieder aufgegeben und in eine Geldzahlung umgewandelt
worden, die wohl nur in der Minderzahl der Faelle zur Erwerbung von Kleinbesitz
gefuehrt hat; es muss sich wohl als unausfuehrbar erwiesen haben, aus dem
Veteranen nach dem Ablauf der langen Dienstjahre durchgaengig einen
existenzfaehigen Kleinbesitzer zu machen. Es wird daher die direkte Anweisung
von provinzialem Landbesitz wohl nur da mit der Dienstentlassung verbunden
gewesen sein, wo ausnahmsweise bessere Bedingungen gewaehrt werden konnten.
In Ermangelung irgendwelcher anderen Zahlen, die das Verhaeltnis von Gross-
und Kleinbesitz uns veranschaulichen koennten, mag erwaehnt werden, dass unter
Traian, nach Ausweis der Alimentarurkunden, im Beneventanischen das etwa in
augustischer Zeit von 90 Kleinbesitzern bewirtschaftete Ackerland in 50 Haenden
war, von denen zwei ein Rittervermoegen, neun zwischen 400000 und 100000
Sesterzen, die uebrigen ein Vermoegen unter 100000 Sesterzen besassen, soweit
dies Vermoegen bei jenen Verpfaendungen beruecksichtigt worden ist. In der
Aemilia dagegen stellen sich die Verhaeltnisse viel unguenstiger: unter 52
Grundbesitzern hat ein Fuenftel Ritterzensus oder mehr, ungefaehr ein Drittel
zwischen 400000 und 100000 Sesterzen, etwa die Haelfte unter 100000 Sesterzen;
auch die Zahl der urspruenglichen Besitzungen, aus welchen jene 52
Besitzkomplexe hervorgegangen waren, muss verhaeltnismaessig sehr viel groesser
gewesen sein, als sie in der beneventanischen Tafel sich darstellt. Es zeigt
sich hier ein ueberhaupt sehr betraechtliches, in dem reicheren noerdlichen
Italien geradezu erdrueckendes Uebergewicht des Grossbesitzes; untergegangen
aber ist der Kleinbesitz doch nirgends und in den weniger der Spekulation
unterworfenen abgelegenen Landschaften Italiens noch immer ein wesentliches
Element der Bevoelkerung.
Die Bodennutzung richtet sich in erster Reihe auf den Ackerbau mit
Einschluss des Wein- und des Oelbaus und der aehnlichen Nutzungen. Dass in dem
mehrhundertjaehrigen sicheren Frieden, den die Monarchie brachte, der Feldbau,
und insbesondere der italische, im grossen und ganzen genommen in bluehendem
Zustande gewesen ist, unterliegt keinem Zweifel. Die Einmischung des Staats in
den Verkehr durch die Uebernahme der Versorgung der Hauptstadt war ohne Zweifel
ein wirtschaftlicher Fehler; Augustus hat dies unumwunden anerkannt und
ausdruecklich erklaert, dass nur politische Ruecksichten ihn bestimmten, daran
festzuhalten ^22. Ohne Zweifel waere Ackerbau und Handel dadurch gefoerdert
worden, wenn die Versorgung Roms mit Getreide dem freien Verkehr wiedergegeben
worden waere. Aber einmal, Rom war doch nicht das Reich, und nicht fuer den
ganzen Staat spielt der Herrscher in dieser Weise die Vorsehung. Andererseits
hatte die Einfuhr ueberseeischen Getreides namentlich nach Rom mit ihren
Konsequenzen sich bereits frueher festgestellt und war sogar durch die Lage und
die Entwicklung der Hauptstadt wenigstens nachtraeglich bis zu einem gewissen
Grade gerechtfertigt; das Korn, das die ackerbauend bleibenden Landschaften der
Halbinsel liefern konnten, muss der Konsum des uebrigen Italien mehr als
absorbiert haben. Wein und Oel waren fortdauernd Quellen reichen Gewinns. Auch
der Ackerbau der Provinzen, wo in den sonst fruchtbarsten Gegenden, in Aegypten
und Numidien, Wein- und Oelbau zuruecktraten, muss immer lohnend gewesen sein:
es ist nicht selten von teuren Kornpreisen, nur ausnahmsweise von besonders
niedrigen die Rede, so dass im ganzen wohl eher zu wenig als zu viel produziert
ward. Die Wirtschaft ist entweder Guts- oder Bauernwirtschaft. Es wird notwendig
sein, beide gesondert zu betrachten.
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^22 Die merkwuerdige Nachricht bei Suet. Aug. 42 darf nicht auf den
italischen Ackerbau allein bezogen werden, sondern nur auf den des ganzen
Reiches. Waeren die frumentationes publicae in Rom aufgehoben worden, so wuerde
dies den Ackerbau nicht bloss in Italien, sondern ebenso und vielleicht mehr in
Sizilien, Sardinien, Afrika belebt haben; die Vernachlaessigung des Ackerbaus in
Verlass auf den Staat, welche Augustus beklagt, trifft also ebensosehr die
Provinzen, und darum nimmt auch Augustus Ruecksicht auf die Grundbesitzer und
die Kaufleute (negotiantes). Die magna sterilitas, welche Augustus zu diesen
Aeusserungen veranlasste, konnte immer wiederkehren, mochte auch der italische
Ackerbau noch so sehr gedeihen.; aber wenn der Ackerbau allgemein zunahm und der
Verkehr sich frei vollzog, war Hoffnung vorhanden auf Ausgleichung.
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Die von Columella und Varro geschilderte und gepriesene Gutswirtschaft, in
unseren Beispielen gestellt auf einen Besitz von 200 Morgen und etwa zehn
Feldarbeiter, ist insofern Selbstwirtschaft des Besitzers, als dieser zwar der
Regel nach in der Stadt lebt, aber haeufig auf das Landgut hinauskommt und den
die Wirtschaft unmittelbar leitenden unfreien Meier (vilicus) stetig anweist und
beaufsichtigt; die eigentliche Arbeit beschafft dieser mit den vom Eigentuemer
gestellten Sklaven. Auf groesseren Grundbesitz ist diese Wirtschaftsform nicht
anwendbar, da der Meier alsdann die Aufsicht nicht in genuegender Weise fuehren
kann; es wird in diesem Fall der Besitz in entsprechende Bezirke geteilt und
jeder derselben gesondert verwaltet ^23. Diese Wirtschaft ist jetzt in vollem
und unvermeidlichem Verfall; den Landwirten dieser Zeit, vor allem Columella,
erscheint sie allerdings noch als Musterwirtschaft und wird von ihnen zugrunde
gelegt, aber in der Tat als eine gewesene Institution oder als ein
unerreichbares Ideal. In der Tat ist sie mit den realen Verhaeltnissen nicht
mehr in Einklang zu bringen. Gueterkomplexe von der Ausdehnung und Zerstreuung
durch ganz Italien und oft genug noch durch manche Provinzen, wie sie in der
Kaiserzeit sich gestalteten, liessen diese Art der Selbstbewirtschaftung nicht
mehr zu; sie konnte nur fortgefuehrt werden, indem an die Stelle des Herrn
dessen unfreier Geschaeftsfuehrer (actor) trat, und damit war ihr Wesen
zerstoert. "Wer ein entlegenes oder gar ein ueberseeisches Landgut kauft", sagt
Columella ^24, "der tritt in der Tat sein Hab und Gut seinen Sklaven ab, die
durch die Abwesenheit des Herrn notwendig verdorben werden, und wenn sie also
verdorben sind und gewechselt werden sollen, das Gut pluendern und zugrunde
richten." Dazu kam das allgemeine Erschlaffen der Springfedern des menschlichen
Daseins. Die vornehme Weit dieser Epoche war sehr viel reicher als die der
spaeteren Republik, und unendlich viel gleichgueltiger gegen die Mehrung des
Besitzes; der dem gewaltigen Ringen der republikanischen Welt fern liegende
Gedanke, dass der Mensch von allem genug haben koenne, machte wie im Senatssaal
so auch in der Vermoegensverwaltung sich geltend; die Ehre und die Freude an der
moeglichst besten Ausnutzung auch der Gluecksgueter, maechtigere Triebe
vielleicht im gewerblichen Leben als das unmittelbare Beduerfnis, schwanden aus
dieser mueden Welt. Von der anerkannten Tatsache des allgemeinen Rueckgangs des
Bodenertrags in Italien geht Columella aus. Es ist bezeichnend fuer die unter
dem Prinzipat herrschenden Stimmungen, dass bei den Landwirten, wenn sie ihre
Bilanzen zogen, die Meinung Geltung gewann von der Erschoepfung des italischen
Bodens durch den Erntesegen frueherer besserer Zeiten; aber freilich macht
Columella mit gutem Recht geltend, dass nicht die Natur Schuld trage, sondern
die Menschen. Niemand, meint er ^25, bemueht sich noch um rationelle Kunde des
Ackerbaus; man gibt sich nicht einmal die Muehe, einen tuechtigen Ackersmann zum
Meier zu bestellen, sondern schickt die Leute aufs Land hinaus, die als
Handwerker nicht mehr den Tagelohn abzuliefern vermoegen, oder die unbrauchbaren
Saenftentraeger und Lakaien. Das war zu beklagen, aber nicht zu aendern. Die
Gutswirtschaft der frueheren Epoche, die uebrigens auch in republikanischer Zeit
in ihrer vollen Intensitaet sicher nicht allgemein durchgefuehrt worden war,
stirbt wie die anderen republikanischen Institutionen in der Kaiserzeit ab;
nicht einmal in der Form der Vertretung des Herrn durch den Actor scheint sie in
grossem Umfang sich behauptet zu haben. Die Gutsherren gaben die
Selbstwirtschaft auf und beschraenkten sich durchgaengig auf die Kontrolle der
fremden Haenden ueberwiesenen wirtschaftlichen Leitung.
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^23 Das Arbeiterpersonal, sagt Columella (1, 9, 7), des einzelnen Gutes,
die classis oder die decuria, soll zehn Koepfe nicht uebersteigen: itaque si
latior est ager, in regiones diducendae sunt eae classes. Allerdings kam in
diesem Fall es auch vor, dass die Sklaven in Ketten arbeiteten (Sen. benef. 7,
10, 5: vasta spatia terrarum colenda per vinctos), wo also diese Wirtschaft der
Plantagenform sich naehert.
^24 1, 1, 20.
^25 praef. 12.
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Die Kleinwirtschaft hat in der Kaiserzeit den Ackerbau allem Anschein nach
bei weitem mehr beherrscht als unter der Republik. Dass der Kleinbesitz auch
Kleinwirtschaft ist, versteht sich von selbst; aber auch der Grossbesitz, der
auf die Selbstwirtschaft verzichtet, hat im roemischen Ackerbau, wie es scheint,
so gut wie ausschliesslich, die Form der Kleinwirtschaft angenommen; von
Grosspacht findet auf diesem Gebiet sich kaum eine Spur ^26. Die Kleinwirtschaft
wird bald durch Freie, bald durch Sklaven beschafft: der Eigentuemer kann die
einzelne Parzelle, welche er zur Kleinwirtschaft bestimmt, entweder einem freien
Zeitpaechter (colonus) ueberweisen, der dann dem Grundherrn nur den bedungenen
Pachtzins zu zahlen hat, oder einen unfreien Meier (vilicus) darauf setzen, der
dann entweder nach den Regeln der sogenannten Pekuliargeschaefte gleich dem
Paechter einen festen Zins zahlt oder auch mit dem Herrn Einnahme und Ausgabe
verrechnet; indes scheint die letztere wenig bequeme Form nicht in bedeutendem
Umfang vorgekommen ^27 und ueber den Grundsatz verfahren zu sein, den Columella
^28 ausspricht, dass, wo der Eigentuemer die Selbstwirtschaft in der frueher
bezeichneten Weise nicht ausueben kann oder will, es weniger nachteilig ist, mit
freien Paechtern zu wirtschaften als mit unfreien Meiern. Dies
Verpachtungssystem ist gewiss auch frueher oft genug vorgekommen, aber doch nur
nebenher und aushilfsweise ^29; jetzt wird es eigentlich regelmaessige Form der
Bodenwirtschaft. Es zeigt sich dies vor allem in der Verschiebung des
Sprachgebrauchs: colonus, das heisst der Ackerbauer im Gegensatz zum Hirten,
wird noch von Cicero und Varro ohne weiteres von jedem Landwirt gebraucht, sei
er Gutsbesitzer oder Bauer oder Paechter, technisch aber in republikanischer
Zeit verwendet fuer den kleinen Grundbesitzer, woraus die politische Verwendung
des Wortes sich entwickelt hat, in der Kaiserzeit dagegen fuer den selbst
wirtschaftenden Kleinpaechter. Dieser Wechsel in der Beziehung des Schlagwortes
hat sich im Anfang der Kaiserzeit entschieden; den Schriftstellern der
neronischen Zeit, dem juengeren Seneca und dem Columella, ist der "Landwirt"
bereits synonym mit dem Kleinpaechter.
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^26 Auf den grossen afrikanischen Domaenen erscheinen die conductores, die
Paechter des Herrenhauses, und der, es scheint nach Analogie der
Munizipalordnung, diesem Quasi-Gemeinwesen zustehenden Fronden, neben den
coloni, den Paechtern der Parzellen. Das letztere Wort wird nie vom
Grosspaechter gebraucht.
^27 Belehrend ist ein von Scaevola referierter Rechtsfall (Dig. 20, 1, 32).
Ein Latifundienbesitz wird verkauft. Da ein Teil der Grundstuecke ohne Paechter
ist, so uebergibt der Kaeufer diese seinem actor zur Bewirtschaftung, und es
werden nun der Meier und die weiter erforderlichen Sklaven von diesem darauf
gesetzt (Stichus vilicus et ceteri servi ad culturam missi et Stichi vicarii);
dass letztere im Peculium des Meiers stehen, ist charakteristisch dafuer, dass
dieser den Colonus vertritt. Aber deutlich erscheint dies hier als ein
exzeptionelles Verfahren und als Regel die Verpachtung.
^28 1 7, 6.
^29 Gewiss sind die grossen Vermoegen der republikanischen Zeit, soweit sie
in Ackerland bestanden, auch schon vielfach in der Form der Kleinpacht genutzt
worden. Aber normal war die Gutswirtschaft noch am Ende der Republik; aber nicht
mehr, als Columella schrieb.
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Aber auch freigeborene Lohnarbeiter haben nicht gefehlt; die
arbeitsfaehigen Kinder des Kolonen muessen oft in eine solche Stellung
eingetreten und nicht selten auf diesem Wege dem Vater in der Pacht gefolgt
sein, wie denn die roemischen Landwirte den von Kindesbeinen auf dem Gut
beschaeftigten Kolonen als besonders geeignet bezeichnen. Die alte Sitte,
namentlich fuer die Ernte freie Lohnarbeiter zuzuziehen, begegnet auch in dieser
Epoche, und es ist nicht unmoeglich, dass sie in den eigentlichen Hauptsitzen
des Ackerbaus bedeutende Ausdehnung gewonnen und einen eigenen Stand von
Tageloehnern entwickelt hat ^30. Dass das neue Wirtschaftssystem an die Stelle
der alten Selbstwirtschaft oder vielmehr der eigenen Direktion des Eigentuemers
getreten ist, erklaert auch die weitgehende, unter Umstaenden bis zur
Wirtschaftsleitung sich steigernde Beteiligung des Grundherrn an der
Wirtschaftsfuehrung. Der Gutsherr liefert regelmaessig das Inventar, das
freilich auf die Gefahr des Paechters steht und bei Aufloesung der Pacht
unbeschaedigt zurueckgegeben oder zum vollen Wert ersetzt werden muss ^31,
empfaengt nicht selten statt des Pachtzinses eine Fruchtquote und kontrolliert
je nach den Pachtbedingungen im einzelnen Fall den Paechter. Die eigentliche
Feldarbeit beschaffen regelmaessig die von dem Eigentuemer dem Paechter
gestellten Sklaven; verstaendige Grundherren wirken dahin, dass diese
sorgfaeltig ausgewaehlt und gut behandelt werden, auch dazu gelangen, sich
tatsaechlich einen Hausstand zu begruenden, so dass der Bauer sie ungefesselt
kann arbeiten lassen und der Sklavenzwinger, der nirgends fehlt, nur als Strafe
zur Anwendung kommt. Die kolossale Ausdehnung dieser Wirtschaftsweise entspricht
derjenigen des Grossgrundbesitzes; es sind sicher keine Redensarten, wenn
Seneca, der Minister Neros, selbst einer der reichsten Maenner seiner Zeit und
einer der besten Wirte, von den in Italien und in allen Provinzen zugleich
wirtschaftenden Besitzern spricht ^32 und von ihren nach Tausenden zaehlenden,
fuer einen Mann grabenden und pfluegenden Kolonen. Es zeigt sich dies weiter
darin, dass auch diese Wirtschaft, soweit sie eigene Taetigkeit des Eigentuemers
erheischt, sich wieder selber aufhebt; bei entwickeltem Grossbesitz uebt der
Herr auch die Kontrolle der Paechter nicht mehr unmittelbar, sondern
distriktweise durch seine unfreien Geschaeftsfuehrer (actores), in noch weiterer
Steigerung des Umfangs durch die diesen vorgesetzten freien Direktoren
(procuratores), wovon dann die kaiserliche Domanialverwaltung die hoechste Stufe
darstellt.
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^30 Die merkwuerdige Inschrift von Mactar (Eph. epigr. V, n. 279 = CIL
VIII, S. n. 11824), welche 7, 345 angefuehrt ward, ruehrt von einem solchen
Feldarbeiter her falcifera cum turma virum processerat arvis seu Cirtae Nomados
seu Iovis arva petens, demessor cunctos anteibam primus in arvis pos tergus
linquens densa meum gremia.
^31 Dig. 19, 2, 54, 2.
^32 epist. 87, 7; 89, 20; 114, 26.
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Diese Form der Kleinwirtschaft geht, wie der Grossgrundbesitz, zu dem sie
gehoert, gleichfoermig durch das ganze Reich und erstreckt sich auch auf die
kaiserlichen Domaenen ohne wesentliche rechtliche Abweichung, wenngleich
tatsaechlich das fiskalische Interesse die Lage der kaiserlichen Kolonen wohl
gegenueber denen der Privaten guenstiger gestaltet hat. Dass diese
Kleinwirtschaft kein voller Ersatz ist fuer den grossenteils durch sie
verdraengten Kleinbesitz, bedarf der Ausfuehrung nicht: dasselbe Grundstueck,
das als Kleinbesitz, sei es in Form des Sammelbesitzes, sei es mit Realteilung,
eine Mehrzahl freier Familien ernaehren konnte, naehrte als Kleinpacht ein fuer
allemal nur die Familie des Paechters; und das Selbstgefuehl und die
Unabhaengigkeit, die auch den kleinen Grundbesitzer wenigstens adeln koennen,
sind dem Zeitpaechter notwendig verschlossen. Dennoch darf in der duesteren
Geschichte des Prinzipats diese wirtschaftliche Gestaltung des Grossbesitzes als
eine der lichteren Seiten bezeichnet werden. Die wirtschaftliche Stellung des
Kolonen, den die Kapitalkraft des Grundherrn stuetzte, war weniger unsicher als
die des Kleinbesitzers, und wie das Verhaeltnis sich entwickelt hatte, fuehrte
es wenigstens mit wirtschaftlicher Notwendigkeit zur humanen Behandlung der
Paechter durch den Grundherrn und der Ackersklaven durch den Paechter, ebenso zu
einer gewissen Vereinigung der Betriebsvorzuege der Gross- und der
Kleinwirtschaft. Man soll nicht vergessen, dass die alte Bauernwirtschaft erst
zur Schuldknechtschaft gefuehrt und dann in sich selbst Bankrott gemacht hat;
nicht vergessen die unmenschliche Wirtschaftlichkeit des catonischen Musterguts,
das den Sklavenhausstand und die freie Arbeit voellig ausschliesst. In dieser
Kleinpachtwirtschaft lag fuer die unfreien Leute eine ertraeglichere Existenz
und eine gewisse Aussicht, durch Wohlverhalten zur Freiheit zu gelangen; es lag
ferner in ihr einige Garantie fuer die Verwendung einer wenn auch beschraenkten
Zahl freier Familien in einer wirtschaftlich haltbaren Stellung. Die Armee der
Kaiserzeit hat allem Anschein nach ganz ueberwiegend aus diesen
Kleinpaechterfamilien sich rekrutiert. Die mit der neuen Welt unzufriedene und
die Zustaende der republikanischen Zeit, eben weil sie unwiederbringlich dahin
waren, mehr sehnsuechtig als nachdenklich idealisierende Anschauung der
vornehmen Kreise Italiens hat auch fuer diese Entwicklung der Bodenwirtschaft
nichts als Vorwurf und Klage; beide sind nicht unberechtigt, aber hier vor allem
gilt das troestende Evangelium der Geschichte, dass aller Verfall auch wieder
Entwicklung ist.
Neben dem Ackerbau bestand die sonstige Bodenwirtschaft wie frueher, ohne
dass in dieser Hinsicht erhebliche Aenderungen zu verzeichnen waeren. Dass die
unproduktive Verwendung des Bodens zu blossen Luxusanlagen bei dem Reichtum und
der Hoffart der vornehmen Welt in Italien namentlich unter der ersten Dynastie
in weitem Umfange stattgefunden hat, ist selbstverstaendlich; von den
Villenanlagen, die den Raum ganzer Staedte einnehmen, spricht Seneca ^33 so gut
wie frueher Sallustius, und jener hebt weiter hervor, dass der richtige Reiche
nicht zufrieden ist, bis an jedem See, an jedem Strand Italiens, die die Mode
konsekriert hat, er seine besondere Villeggiatur besitzt, wie dies an den
kaiserlichen Villen sich im einzelnen verfolgen laesst. In diesen Anlagen ist
manches grosse Vermoegen verbaut worden; aber dass die Lusthaine und die Villen
dem Ackerbau den Platz wegnahmen, ist eine Redensart wie andere auch ^34. Dass
der italische Ackerbau unter der Republik durch die Zerstoerung zahlreicher
Staedte und die Ausdehnung der Weidewirtschaft eine sehr empfindliche
Einschraenkung erfahren hat, ist frueher auseinandergesetzt worden; aber wie die
bei dem Beginn der Monarchie vorhandenen Gemeinwesen mit verschwindenden
Ausnahmen unter ihr fortbestanden, so hat auch die Bodenwirtschaft, im grossen
und ganzen genommen, in der Kaiserzeit wahrscheinlich sich in dieser
rueckgaengigen Richtung nicht weiterbewegt, vielmehr eher den umgekehrten Weg
eingeschlagen ^35, wenn auch grossartige Massregeln in diesem Sinn, wie die von
Caesar in Betreff der Pontinischen Suempfe geplante, nicht zur Ausfuehrung
gelangt sind. In den Provinzen sind die Deduktionen von Kolonisten gewiss
vielfaeltig in der Weise erfolgt, dass dadurch Weide- oder Oedland unter den
Pflug kam. Allem Anschein nach ist in der Kaiserzeit der Ackerbau nur da
ausgefallen, wo entweder die Beschaffenheit des Bodens oder die Unsicherheit des
Besitzes oder der Mangel an Arbeitskraeften ihm im Wege stand. Dass die
Weidewirtschaft regelmaessig Grosswirtschaft ist und also diese Bodenstuecke
regelmaessig den Reichen gehoeren, liegt in der Sache und gilt also auch fuer
diese Zeit.
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^33 epist. 89, 21.
^34 In diesem Sinn sagt Tiberius bei Tacitus (ann. 3, 54): nisi
provinciarum copiae et dominis et servitiis et agris subvenerint, nostra nos
scilicet nemora nostraeque villae tuebuntur. Das laesst sich vertreten, wenn man
die Stadt und die Umgegend Roms ins Auge fasst: von Tibur und Tusculum mag es
einigermassen richtig sein, dass die Staedte den Landhaeusern Platz machten.
Aber fuer das uebrige Italien passt dies um so weniger, als die Prachtanlagen
der grossen hauptstaedtischen Familien auf Latium und einen Teil Kampaniens sich
beschraenken.
^35 In der Alimentartafel von Veleia tritt bei den saltus auffallend oft
hervor, dass sie mehr oder minder mit Ackerland gemischt sind, was wohl auf
spaeteren partiellen Anbau zurueckgehen mag.
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Im Geldgeschaeft ist die aeltere indirekte Hebung der Staatseinnahmen durch
Vermittlung der Kapitalistengesellschaften, eine der hauptsaechlichen Burgen der
republikanischen Plutokratie, in ihrer verderblichsten Form, der Festsetzung der
Abgaben in einer Fruchtquote und der Ueberlassung dieser Zehnten an eine
Gesellschaft gegen eine an die Staatskasse zu zahlende Geldsumme, schon von dem
Diktator Caesar beseitigt worden. Bei der Einziehung der fuer Rom bestimmten
Naturallieferungen und der in Geld angesetzten Steuern sind die alten Kompagnien
noch eine Zeitlang taetig gewesen; aber teils die Hebung durch die
steuerpflichtige Gemeinde, die zum Beispiel fuer Asia auch von dem Diktator
Caesar angeordnet ward, teils die Einsetzung eigener kaiserlicher
Finanzverwaltungen fuer jede Provinz muessen die Macht der Mittelsmaenner weiter
beschraenkt haben, bis dann in den spaeteren Jahren des Tiberius auch das immer
noch wichtige und gewinnbringende Geschaeft der Ueberfuehrung der also gezahlten
Gelder und gelieferten Naturalien nach Rom oder an den sonstigen Bestimmungsort
den grossen Kompagnien genommen ward ^36 und diese aus der provinzialen Grund-
und Vermoegenssteuer ueberhaupt verschwinden. Bei anderen Steuern hat sich die
indirekte Hebung laenger behauptet, so bei der Freilassungs-, der Auktions- und
der wichtigen Erbschaftssteuer; doch ist auch fuer die letztere, wie es scheint
unter Hadrian, die direkte Erhebung eingefuehrt worden, und mehr und mehr werden
die Kapitalistengesellschaften auch aus diesen Hebungen verbannt. Am laengsten
haben sie sich bei den Zoellen und den nutzbaren Bodenrechten des Staats
behauptet; und hier ist die Verpachtung auch fuer Rechnung der kaiserlichen
Kasse angewandt worden ^37. Wenn unter Nero die Abschaffung der Zoelle in Frage
kam, so ist dabei ohne Zweifel mit massgebend gewesen, dass die hier
unentbehrlich erscheinende Hebung durch Private mit dem Geiste der neuen
Monarchie nicht harmonierte. Indes kam es dazu nicht und begnuegte die Regierung
damals und spaeter sich mit der Verschaerfung der gegen die Zollpaechter
geuebten Kontrolle. Doch scheint, waehrend unter der Republik die Pachtung vom
Staat der Regel nach bedeutenden Umfang hatte und einzelne Gesellschaften
finanzielle Grossmaechte waren, unter dem Prinzipat der Umfang der einzelnen
Pacht vielmehr beschraenkt gewesen zu sein. Auch abgesehen von dem kaiserlichen
Kolonat, von dem schon die Rede war, sind die fiskalischen und aerarischen
Konduktoren dieser Zeit offenbar nicht entfernt zu vergleichen mit den
Publikanen der Republik; und dasselbe gilt von den noch fortbestehenden
Kompagnien, denen durchaus kaiserliche Beamte und kaiserliches Gesinde in einer
Weise ueber- und eingeordnet wurden, dass der ganze Betrieb unter stetiger
Mitwirkung der Regierungsorgane sich vollzogen haben muss. Auch tritt, ganz im
Gegensatz zu dieser, namentlich im fiskalischen Gebiet hier sehr haeufig an die
Stelle der Verpachtung die eigene Bewirtschaftung unter Aufsicht spezieller
Beamter oder Beauftragter: so zum Beispiel sind die kaiserlichen Ziegeleien und
Marmorbrueche niemals und in der Regel auch die kaiserlichen Bergwerke nicht
verpachtet worden. Dem Eingreifen des Grosskapitals in dieses wenigstens
halbstaatliche Gebiet ist demnach unter dem Prinzipat eine maechtige Schranke
gesetzt worden. Der Anteil an der Herrschaft, den die Geldaristokratie eine
Zeitlang faktisch behauptet hatte, war damit gebrochen.
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^36 Die Umgestaltung des Hebewesens liegt sehr im Dunkeln; sicher ist nur,
dass die Hebung durch die Gemeinden selbst wenigstens in Asien schon durch den
Diktator Caesar eingefuehrt ward (App. civ. 5, 4), und wahrscheinlich wird
dieselbe gleichzeitig wenigstens fuer die uebrigen in Geld steuernden Provinzen
angeordnet sein (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 185). Wenn dennoch
Tacitus (ann. 4, 6; vgl. Roemisches Staatsrecht, 3. Aufl., Bd. 2, S. 1017) zum
Jahr 23 sagt: frumenta et pecuniae vectigales, cetera publicorum fructuum
societatibus equitum Romanorum agitabantur, so koennen die pecuniae vectigales
eben nur diese in Geld normierten Abgaben der Provinzen sein und den Sozietaeten
nur noch das Geschaeft obgelegen haben, diese von den Gemeinden einzuziehen und
an den Bestimmungsort zu uebermitteln, so dass sie also in dieser Hinsicht mehr
das Bankier- als das Hebegeschaeft fuer den Staat besorgten. Da Tacitus diese
Einrichtung unter den in Tiberius' spaeterer Zeit weggefallenen auffuehrt, so
wird damals wohl auch die Vermittlung zwischen den zahlenden Gemeinden und der
Staatskasse auf den Staat uebergegangen sein. Von dem nach Rom zu liefernden
Getreide ist der Transport immer durch Private beschafft worden (Marquardt,
Privatalterthuemer, S. 390).
^37 Deutlich zeigen dieses Verhaeltnis die ueber das Vermoegen des Isidorus
und der Patrone Martials (Anm. 9) beigebrachten Angaben. Auch Plinius (epist. 3,
19) sagt: sum quidem prope totus in praediis, aliguid tamen fenero.
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Das gewerbsmaessige Geldverleihen ist jetzt ein regelmaessiger Bestandteil
des Haushalts jedes vermoegenden Roemers geworden. Auch die Vornehmen pflegen
den groessten Teil ihres Vermoegens in Grundbesitz anzulegen, aber daneben ein
mehr oder minder betraechtliches Kapital bankiermaessig zu verwerten, indem sie
dasselbe teils gegen eigentliche Sicherheiten ausleihen, teils in der Form der
Anleihe an Handel und Industrie und Spekulationen aller Art sich beteiligen. Dem
kam andrerseits die selbst gesetzlich festgestellte Ordnung entgegen, dass das
Verleihen gegen Zinsen nur insoweit gestattet wurde, als der Betreffende den
gleichen oder noch einen hoeheren Betrag in Grundbesitz angelegt hatte. Es ist
dies das System, nach dem auch Crassus und Atticus ihr Vermoegen verwalteten;
mit dem Zuruecktreten der Selbstwirtschaft ward in der Gutsverwaltung dasselbe
mehr und mehr allgemein. Wenn bei richtiger Fuehrung dabei auch die
Bodenwirtschaft gewann, insofern bei eintretendem Beduerfnis sie nicht auf den
Kredit, sondern auf das Kapital greifen konnte, so lag hierin andererseits eine
Verknuepfung des Grundbesitzes mit der Spekulation, deren Bedenklichkeit durch
jene aeusserliche Fixierung des Verhaeltnisses zwischen fundiertem und nicht
fundiertem Vermoegen mehr anerkannt als abgewandt wurde. Die grossen Vermoegen
dieser Epoche sind hauptsaechlich auf diesem Wege gebildet; von Seneca zum
Beispiel wird geradezu gesagt, dass er durch die Wucherzinsen ein reicher Mann
geworden sei ^38, und seine Feinde wenigstens behaupteten, dass er die Eroberung
Britanniens dazu benutzt habe, um 40 Mill. Sesterzen den bedraengten Gemeinden
dort vorzuschiessen, deren Rueckforderung dann den gefaehrlichen Aufstand des
Jahres 60 herbeigefuehrt haben soll ^39. Wo einer zum Kroesus, da werden viele
zu Bettlern. Die namentlich unter der ersten Dynastie stets sich wiederholenden
Klagen ueber Ueberschuldung und Zusammenbrechen der vornehmen Haeuser gehen
vermutlich mehr noch auf diese Spekulantengeschaefte zurueck als auf die
eigentliche Verschwendung; und andererseits wird die mit Vespasian eintretende
innerliche Revolution sich in erster Reihe darin gezeigt haben, dass das
befestigte Vermoegen im Wechselportefeuille Mass hielt und dass wenigstens dem
Senator des Reiches die Sitte nicht gestattete, mit seinen Kapitalien zu
wuchern. Wie der von Haus aus sehr begueterte spaetere Kaiser Pius nie mehr als
4 Prozent Zinsen nahm, so zeigt auch die spaetere Gesetzgebung, dass man
unterschied zwischen den Zinsen, die der gewoehnliche Geschaeftsmann nehmen
konnte, und denen, die dem vornehmen Mann zu nehmen geziemte.
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^38 Tac. ann. 13, 42.
^39 Dio 60, 2.
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Dass Gewerbe und Handel unter der Friedensmacht, wie der roemische Staat
dieser Epoche sie entwickelte, emporgeblueht sein muessen, ist von vornherein
gewiss; mancherlei Einzelheiten zeigen uns die steigende Spezialisierung des
Handwerks, die weiten Absatzkreise einzelner Fabrikate, die Bedeutung des
Imports wie des Exports ueber die Reichsgrenze; allgemeine Daten, die ein
vergleichendes Urteil gegenueber frueheren und spaeteren Perioden gestatteten,
ergibt unsere Ueberlieferung nicht. Somit beschraenkt diese Auseinandersetzung
sich darauf, gewisse allgemeine und soziale Verhaeltnisse kurz zu beruehren, die
einigermassen sich fassen lassen.
Wenn einstmals der einzelne Haushalt sich selber genuegte, so war mit der
steigenden Kultur mehr und mehr die bezahlte Arbeit, die gewerbliche sowohl wie
der Handel mit offenem Laden, in die erste Reihe getreten: aber gleich wie in
der Epoche, wo Speisen und Kleider lediglich durch das Gesinde bereitet wurden,
liegt diese Arbeit jetzt zwar in der Hand der Kapitalisten, wird aber
ausgefuehrt durch ihr unfreies Gesinde. Die grossen Vermoegen auch der
Aristokratie sind allerdings zum guten Teil aus der stillen Beteiligung der
Vornehmen an spekulativen Geschaeften dieser Art hervorgegangen; aber einen auf
das Gewerbe gestuetzten Mittelstand kennt diese Epoche sowenig wie die fruehere;
wie der Senat der Hauptstadt aus den Grossgrundbesitzern sich zusammensetzt, so
bilden in jeder Landstadt die Gutsbesitzer den Gemeinderat und den hoeheren
Stand. Wenn ein Flickschuster sich es gestattet hat, in dem gebildeten Bononia
eine Volkslustbarkeit zu geben und in Mutina ein Walker, wo wird, fragt
Martialis ^40, der Gastwirt dies tun? So erkauften die Trimalchionen fuer vieles
Geld die Gelegenheit, sich auslachen zu lassen; von der Teilnahme an den
Gemeindegeschaeften blieben sie nach wie vor von Rechts wegen selbst in der
kleinsten Stadt ausgeschlossen. Caesars Anordnung, dass in den Provinzen der
Freigelassene in den Gemeinderat gelangen koenne, nahm Augustus wieder zurueck.
Der einzelne Sklave sucht als Lohnknecht, Schuster, Arzt und so ferner seinen
Verdienst oder wird auch von seinem Herrn in ein bestimmtes Geschaeft
hineingesetzt; was er auf diese Weise erwirbt, gehoert zwar rechtlich dem Herrn,
wird aber sehr haeufig nur zum Teil an ihn abgeliefert. Der Sklave hat oft
eigenen Haushalt und faktisch eigenen Besitz: die Freilassung erfolgt oft gegen
eine aus diesem Besitz dem Herrn zu zahlende Summe, loest aber regelmaessig das
Anrecht des Herrn auf einen Teil des Verdienstes des Freigelassenen nicht auf.
So werden auch die bedeutenderen Geschaefte betrieben: zum Beispiel selbst die
Ladeninhaber (negotiantes, mercatores), die Geldhaendler (argentarii), die
Haendler mit Spezereien (thurarii), vermoegende und in ihrer Art angesehene
Persoenlichkeiten, sind dennoch fast ohne Ausnahme unfrei oder aus der
Unfreiheit entlassen. Wirtschaftlich hat dies System seine vorteilhafte Seite:
das Fortkommen des einzelnen geschickten Arbeiters und brauchbaren
Geschaeftsmanns haengt weniger vom Zufall ab als bei voellig freier Konkurrenz,
sondern es steht hier, wenn der Herr seinen Vorteil versteht, hinter jedem
tuechtigen Mann die Macht des Kapitals. Es wird damit ferner zwischen der
Sklavenschaft und der Buergerschaft eine Bruecke geschlagen, welche im
allgemeinen wenigstens die besten Elemente aus jener in diese ueberfuehrt und
die, wie nachteilig sie auch vielfach sich erweist, doch im ganzen weniger
schadet als die voellige Abschliessung der Sklavenwelt gegen die der Freien. Die
rechtliche Ausgleichung fuehrt wenigstens in den spaeteren Generationen auch die
nationale und soziale allmaehlich herbei, und das Zusammenschwinden des
Buergerstandes wuerde im Roemischen Reich sehr viel frueher und staerker
aufgetreten sein, wenn nicht die ausserordentliche, aber zugleich stehende
Vermehrung durch die Freilassungen ihm zu Hilfe gekommen waere. Sie sind auch
bei der Bauernwirtschaft vorgekommen, aber ueberwiegend beruhen sie auf dem
Gewerbe- und Handelsverkehr, in dem sie nicht selten sogar eine hervorragende
Stellung gewinnen und sich oder doch ihre Nachkommen in die Geld- und weiter in
die eigentliche Aristokratie einfuehren.
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^40 Mart. epigr. 3, 59.
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Ist in Beziehung auf Handel und Gewerbe nicht viel mehr zu konstatieren,
als dass die Dinge auch unter dem Prinzipat beim alten blieben, so erweitert
sich dagegen in bemerkenswerter Weise derjenige Kreis, in welchem die Sitte dem
anstaendigen Manne gestattet, Geld zu erwerben. Die strenge Regel, dass der
Dienst, der einem Mitbuerger oder auch dem Staat geleistet wird, von dem
Gentleman umsonst geleistet werden muss und durch Bezahlung wenn nicht
unehrlich, so doch unvornehm wird, ist tatsaechlich schon unter der Republik
nach vielen Seiten hin durchbrochen worden. Aber erst in dieser Zeit bildet sich
die oeffentliche Laufbahn auch in oekonomischer Hinsicht aus, als hinfuehrend zu
einer finanziell und sozial angesehenen Stellung. Es gilt dies fuer Beamte,
Soldaten, Sachwalter, Rechtsgelehrte, also ueberhaupt fuer alle mit dem
oeffentlichen Leben verknuepften Hilfsleistungen, waehrend private Dienste, wie
zum Beispiel des Arztes und des Jugendlehrers, sich wenig oder gar nicht ueber
die eigentlichen Gewerbe erheben. Dies geht unmittelbar zurueck auf den neuen
Prinzipat. Die von diesem neben die alten Staatsbeamten gestellte Kategorie
gleichfalls in oeffentlichen Geschaeften, sei es im Heer oder in der Verwaltung,
verwandter persoenlicher Diener des Kaisers wurde von Haus aus mit festem und
hoch gegriffenen Gehalte ausgestattet und damit von dieser Remuneration der
bisherige Makel entfernt. Es war dies um so leichter, als die ausserhalb Roms
taetigen Staatsbeamten laengst eine Verguetung fuer die Ausruestungs- und
sonstigen Kosten empfangen hatten, die der Sache nach auf eine Besoldung
hinauslief; dennoch war die Einfuehrung der foermlichen und direkten Besoldung
im Staatsdienst eine eingreifende Neuerung. Sie wuerde noch tiefer eingegriffen
haben, wenn nicht die Kontinuitaet der amtlichen Stellung gefehlt haette. Zwar
die Unteroffizierstellung war eine dauernde und fuehrte auch eine dauernde
Versorgung sowie im guenstigen Fall den Eintritt in die hoehere Beamtenlaufbahn
herbei; aber wenn auch im uebrigen die kaiserlichen Diener weit laengere Zeit
als die Staatsdiener in ihren Stellungen blieben und die amtlichen Intervalle
bei ihnen sicher seltener und kuerzer eintraten, so ist doch das Amt im
allgemeinen auch in der Kaiserzeit nicht eine Lebensstellung und die Gehalte der
Regel nach nicht hoch genug, um schon in kuerzerer Frist eine solche zu
gewaehren. Dafuer aber traten ergaenzend hinzu die Taetigkeiten des
rechtskundigen Beirats und vor allem des redekundigen Sachwalters. Zwar unter
Augustus ward die alte Vorschrift, dass kein Sachwalter von dem Klienten Geld
annehmen duerfe, noch einmal eingeschaerft ^41, und die hervorragenden Redner
dieser Epoche, Asinius Pollio, Messalla Corvinus und andere mehr, hielten an der
alten Ehrenhaftigkeit um so mehr fest, als sie durchaus reiche und vornehme
Maenner waren. Aber wenn der Kaiser seine Beamten bezahlte, so konnte der
Advokat unmoeglich unentgeltlich taetig sein; im allgemeinen kehrten weder
Klienten noch Advokaten sich an das Gesetz, und unter Claudius mussten die
"Schenkungen" bis zu 10000 Sesterzen gesetzlich freigegeben werden ^42. Dabei
ist es insofern geblieben, als die Advokatenhonorare in gewissen Grenzen nicht
bloss erlaubt, sondern bald auch klagbar geworden sind ^43. Zu diesem legitimen
Verdienst tritt noch hinzu ein anderweitig darzustellendes, aber auch in der
Oekonomie nicht zu uebersehendes Moment, die Durchfuehrung des Strafprozesses
mittels der Privatanklage und der gesetzliche Anspruch des siegreichen
Privatanklaegers auf bedeutende Geldbelohnungen, zum Beispiel bei dem
Hochverratsprozess auf den vierten Teil des Vermoegens des Verurteilten, welche
Praemien besonders bei den Anklagen vor dem Senat oft noch arbitraer gesteigert
wurden. Es lag in der Sache, dass dieser Gewinn groesstenteils denjenigen
Sachwaltern zufiel, die diesen Weg zu gehen nicht verschmaehten: und die grossen
Vermoegen der Advokaten besonders im ersten Jahrhundert sind vorzugsweise auf
diesem Wege zusammengekommen. Spaeterhin ist mit der veraenderten Prozessform
diese Missbildung zurueckgetreten, wogegen die Sachwalterstellung ueberhaupt in
ihrer sozialen und oekonomischen Bedeutung sich behauptet. Auch den bei dem
Prozess den Sachwaltern assistierenden Rechtsbeistaenden (pragmatici) konnte das
gleiche nicht verweigert werden; doch waren diese untergeordneten Ranges ^44 und
ihr Erwerb nicht betraechtlich. Dagegen wird ihre Beihilfe bei Vollziehung von
Rechtsgeschaeften, zum Beispiel bei Abfassung von Testamenten, aehnlich, wenn
auch niedriger gestanden haben wie heute die der Notare, und nicht minder fanden
sie Verwendung als salarierte Privatbegleiter des in die Provinzen zur
Rechtsprechung gesandten, der Regel nach selbst rechtsunkundigen hohen Beamten.
So bildete sich hier eine Laufbahn fuer Talente, im allgemeinen jedem
zugaenglich, der die fuer die Vorbildung erforderlichen, allerdings nicht ganz
unbedeutenden Kosten aufzubringen vermochte und auch in ihrem weiteren Verlauf
an Bedingungen geknuepft, die verhaeltnismaessig leicht zu erfuellen waren. Dem
roemischen Eupatriden gegenueber macht Juvenal es geltend, dass aus dem Volke
der Juengling kommt, der am Euphrat Waffendienst tut und bei den Adlern Wache
haelt, die den bezwungenen Bataver baendigen; dass der niedere Quirite den
Redner stellt, welcher die Prozesse des ungebildeten Adligen fuehrt; dass der
roemische Plebejer es ist, der die Knoten des Rechts und die Raetsel der
Gesetzgebung loest. Freilich, wer bloss Geld erwerben will, der wird in der
Wechselstube oder bei dem Auktionsgeschaeft, als Arzt und Baumeister, als
Musikus oder Jockey rascher zum Ziel kommen; aber wer ehrgeizig nach einer
Stellung strebt, dem ist jetzt auch eine solche nicht mehr verschlossen: der
sorgliche Vater besseren Schlages bei demselben Dichter ^45 fordert seinen Sohn
auf, sich ueber seinen Lebensberuf zu entscheiden, entweder um den Rebstock des
Unteroffiziers einzukommen oder in die Advokatenschule einzutreten oder auch die
Gesetze zu studieren. Vielleicht auf keine Weise hat der Prinzipat der
republikanischen Aristokratie entschiedener Abbruch getan als durch diese
Restitution Gracchischen Geistes, anknuepfend an die Gracchischen
Ritterprivilegien, aber doch wesentlich neu und durchaus beruhend einerseits auf
der Organisation des stehenden Heeres und besonders der Unteroffizierskarriere,
andrerseits auf der Einrichtung der salarierten kaiserlichen Beamten mit ihren
weiteren Konsequenzen. Die Einrichtung oeffnet die Pforten keineswegs dem
Buerger schlechthin; die Freigelassenenwelt bleibt unbedingt ausgeschlossen, und
wenn die militaerische Laufbahn wenigstens rechtlich jedem Freigeborenen
offensteht, so fordert die nicht militaerische einen verhaeltnismaessig hohen
und kostspieligen Bildungsgrad und, soweit sie eine amtliche ist, den Besitz des
Rittervermoegens. Die Einrichtung oeffnet ferner ihre Pforten in der Hauptsache
nur dem, der der Regierung genehm ist und genehm bleibt; die Aufnahme in das
Heer und das Avancement haengt in jedem einzelnen Fall vom kaiserlichen
Gutduenken ab, und ebenso verleiht die Regierung allein sowohl das Ritterpferd
wie die daran geknuepften Aemter. Aber dennoch ist auf diesem Wege dem
Mittelstand und einigermassen selbst den niederen Schichten des Volkes die zu
Reichtum und Aemtern fuehrende Laufbahn eroeffnet, waehrend die spaetere
Republik dem, welcher den Reichtum nicht bereits besitzt, ihre Aemter
schlechthin versagt. Auf dem sozialen Gebiet ist diese demokratisch-monarchische
Institution der schaerfste Ausdruck des Prinzipats und seine rechte treibende
Kraft.
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^41 Dio 54, 18.
^42 Tac. ann. 11, 5; 13, 5; 42.
^43 Plin. epist. 5, 9.
^44 Juv. sat. 7, 123.
^45 Juv. sat. 14, 191; vorher 8, 46.
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