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Title: Briefe aus der Schweiz
Author: Goethe, Johann Wolfgang von
Language: German
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Briefe aus der Schweiz--Zweite Abteilung
by Johann Wolfgang von Goethe



Münster, den 3. October.

Sonntag Abends.

Von Basel erhalten Sie ein Paket, das die Geschichte unsrer bisherigen
Reise enthält, indessen wir unsern Zug durch die Schweiz nun ernstlich
fortsetzen.

Auf dem Wege nach Biel ritten wir das schöne Birsch-Thal herauf und
kamen endlich an den engen Paß der hierher führt.

Durch den Rücken einer hohen und breiten Gebirgkette hat die Birsch,
ein mäßiger Fluß, sich einen Weg von Uralters gesucht.  Das Bedürfniß
mag nachher durch ihre Schluchten ängstlich nachgeklettert sein.  Die
Römer erweiterten schon den Weg, und nun ist er sehr bequem
durchgeführt.  Das über Felsstücke rauschende Wasser und der Weg gehen
neben einander hin und machen an den meisten Orten die ganze Breite
des Passes, der auf beiden Seiten von Felsen beschlossen ist, die ein
gemächlich aufgehobenes Auge fassen kann.  Hinterwärts heben Gebirge
sanft ihre Rücken, deren Gipfel uns vom Nebel bedeckt waren.  Bald
steigen an einander hängende Wände senkrecht auf, bald streichen
gewaltige Lagen schief nach dem Fluß und dem Weg ein, breite Massen
sind auf einander gelegt, und gleich daneben stehen scharfe Klippen
abgesetzt.  Große Klüfte spalten sich aufwärts, und Platten von
Mauerstärke haben sich von dem übrigen Gesteine losgetrennt.  Einzelne
Felsstücke sind herunter gestürzt, andere hängen noch über und lassen
nach ihrer Lage fürchten, daß sie dereinst gleichfalls herein kommen
werden.  Bald rund, bald spitz, bald bewachsen, bald nackt, sind die
Firsten der Felsen, wo oft noch oben drüber ein einzelner Kopf kahl
und kühn herüber sieht, und an Wänden und in der Tiefe schmiegen sich
ausgewitterte Klüfte hinein.

Mir machte der Zug durch diese Enge eine große ruhige Empfindung.  Das
Erhabene gibt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch
ausgefüllt, fühlt sich so groß als sie sein kann.  Wie herrlich ist
ein solches reines Gefühl, wenn es bis gegen den Rand steigt ohne
überzulaufen.  Mein Auge und meine Seele konnten die Gegenstände
fassen, und da ich rein war, diese Empfindung nirgends falsch
widerstieß, so wirkten sie was sie sollten.  Vergleicht man solch ein
Gefühl mit jenem, wenn wir uns mühselig im Kleinen umtreiben, alles
aufbieten, diesem so viel als möglich zu borgen und aufzuflicken, und
unserm Geist durch seine eigne Creatur Freude und Futter zu bereiten;
so sieht man erst, wie ein armseliger Behelf es ist.

Ein junger Mann, den wir von Basel mitnahmen, sagte: es sei ihm lange
nicht wie das erstemal, und gab der Neuheit die Ehre.  Ich möchte aber
sagen: wenn wir einen solchen Gegenstand zum erstenmal erblicken, so
weitet sich die ungewohnte Seele erst aus, und es macht dieß ein
schmerzlich Vergnügen, eine Überfülle, die die Seele bewegt und uns
wollüstige Thränen ablockt.  Durch diese Operation wird die Seele in
sich größer, ohne es zu wissen, und ist jener ersten Empfindung nicht
mehr fähig.  Der Mensch glaubt verloren zu haben, er hat aber gewonnen.
Was er an Wollust verliert, gewinnt er an innerm Wachsthum.  Hätte
mich nur das Schicksal in irgend einer großen Gegend heißen wohnen,
ich wollte mit jedem Morgen Nahrung der Großheit aus ihr saugen, wie
aus einem lieblichen Thal Geduld und Stille.  Am Ende der Schlucht
stieg ich ab und kehrte einen Theil allein zurück.  Ich entwickelte
mir noch ein tiefes Gefühl, durch welches das Vergnügen auf einen
hohen Grad für den aufmerksamen Geist vermehrt wird.  Man ahnet im
Dunkeln die Entstehung und das Leben dieser seltsamen Gestalten.  Es
mag geschehen sein wie und wann es wolle, so haben sich diese Massen,
nach der Schwere und Ähnlichkeit ihrer Theile, groß und einfach
zusammen gesetzt.  Was für Revolutionen sie nachher bewegt, getrennt,
gespalten haben, so sind auch diese doch nur einzelne Erschütterungen
gewesen, und selbst der Gedanke einer so ungeheuren Bewegung gibt ein
hohes Gefühl von ewiger Festigkeit.  Die Zeit hat auch, gebunden an
die ewigen Gesetze, bald mehr bald weniger auf sie gewirkt.

Sie scheinen innerlich von gelblicher Farbe zu sein; allein das Wetter
und die Luft verändern die Oberfläche in Graublau, daß nur hier und da
in Streifen und in frischen Spalten die erste Farbe sichtbar ist.

Langsam verwittert der Stein selbst und rundet sich an den Ecken ab,
weichere Flecken werden weggezehrt, und so gibt's gar zierlich
ausgeschweifte Höhlen und Löcher, die, wann sie mit scharfen Kanten
und Spitzen zusammen treffen, sich seltsam zeichnen.  Die Vegetation
behauptet ihr Recht; auf jedem Vorsprung, Fläche und Spalt fassen
Fichten Wurzel, Moos und Kräuter säumen die Felsen.  Man fühlt tief,
hier ist nichts Willkürliches, hier wirkt ein alles langsam bewegendes
ewiges Gesetz, und nur von Menschenhand ist der bequeme Weg, über den
man durch diese seltsamen Gegenden durchschleicht.



Genf, den 27. October.

Die große Bergkette, die von Basel bis Genf Schweiz und Frankreich
scheidet, wird, wie Ihnen bekannt ist, der Jura genannt.  Die größten
Höhen davon ziehen sich über Lausanne bis ungefähr über Rolle und Nyon.
Auf diesem höchsten Rücken ist ein merkwürdiges Thal von der Natur
eingegraben — ich möchte sagen eingeschwemmt, da auf allen diesen
Kalkhöhen die Wirkungen der uralten Gewässer sichtbar sind — das la
Vallée de Joux genannt wird, welcher Name, da Joux in der Landsprache
einen Felsen oder Berg bedeutet, deutsch das Bergthal hieße.  Eh' ich
zur Beschreibung unsrer Reise fortgehe, will ich mit wenigem die Lage
desselben geographisch angeben.  Seine Länge streicht, wie das Gebirg
selbst, ziemlich von Mittag gegen Mitternacht, und wird an jener Seite
von den Septmoncels, an dieser von der Dent de Vaulion, welche nach
der Dole der höchste Gipfel des Jura ist, begränzt und hat, nach der
Sage des Landes, neun kleine, nach unsrer ungefähren Reiserechnung
aber sechs starke Stunden.  Der Berg, der es die Länge hin an der
Morgenseite begränzt und auch von dem flachen Land herauf sichtbar ist,
heißt Le noir Mont.  Gegen Abend streicht der Risou hin und verliert
sich allmählich gegen die Franche-Comté.

Frankreich und Bern theilen sich ziemlich gleich in dieses Thal, so
daß jenes die obere schlechte Hälfte und dieses die untere bessere
besitzt, welche letztere eigentlich La Vallée du Lac de Joux genannt
wird.  Ganz oben in dem Thal, gegen den Fuß der Septmoncels, liegt der
Lac des Rousses, der keinen sichtlichen einzelnen Ursprung hat,
sondern sich aus quelligem Boden und den überall auslaufenden Brunnen
sammelt.  Aus demselben fließt die Orbe, durchstreicht das ganze
französische und einen großen Theil des Berner Gebiets, bis sie wieder
unten gegen die Dent de Vaulion sich zum Lac de Joux bildet, der
seitwärts in einen kleinen See abfällt, woraus das Wasser endlich sich
unter der Erde verlieret.  Die Breite des Thals ist verschieden, oben
bei'm Lac des Rousses etwa eine halbe Stunde, alsdann verengert sich's
und läuft wieder unten aus einander, wo etwa zum bessern Verständniß
des Folgenden, wobei ich Sie einen Blick auf die Karte zu thun bitte,
ob ich sie gleich alle, was diese Gegend betrifft, unrichtig gefunden
habe.

Den 24. Oct. ritten wir, in Begleitung eines Hauptmanns und
Oberforstmeisters dieser Gegenden, erstlich Mont hinan, einen kleinen
zerstreuten Ort, der eigentlicher eine Kette von Reb- und Landhäusern
genannt werden könnte.  Das Wetter war sehr hell; wir hatten, wenn wir
uns umkehrten, die Aussicht auf den Genfersee, die Savoyer und
Walliser Gebirge, konnten Lausanne erkennen und durch einen leichten
Nebel auch die Gegend von Genf.  Der Montblanc, der über alle Gebirge
des Faucigni ragt, kam immer mehr hervor.  Die Sonne ging klar unter,
es war so ein großer Anblick, daß ein menschlich Auge nicht dazu
hinreicht.  Der fast volle Mond kam herauf und wir immer höher.  Durch
Fichtenwälder stiegen wir weiter den Jura hinan, und sahen den See in
Duft und den Widerschein des Mondes darin.  Es wurde immer heller.
Der Weg ist eine wohlgemachte Chaussee, nur angelegt um das Holz aus
dem Gebirg bequemer in das Land herunter zu bringen.  Wir waren wohl
drei Stunden gestiegen, als es hinterwärts sachte wieder hinabzugehen
anfing.  Wir glaubten unter uns einen großen See zu erblicken, indem
ein tiefer Nebel das ganze Thal, was wir übersehen konnten, ausfüllte.
Wir kamen ihm endlich näher, sahen einen weißen Bogen, den der Mond
darin bildete, und wurden bald ganz vom Nebel eingewickelt.

Die Begleitung des Hauptmanns verschaffte uns Quartier in einem Hause,
wo man sonst nicht Fremde aufzunehmen pflegt.  Es unterschied sich in
der innern Bauart von gewöhnlichen Gebäuden in nichts, als daß der
große Raum mitten inne zugleich Küche, Versammlungsplatz, Vorsaal ist,
und man von da in die Zimmer gleicher Erde und auch die Treppe hinauf
geht.  Auf der einen Seite war an dem Boden auf steinernen Platten das
Feuer angezündet, davon ein weiter Schornstein, mit Brettern dauerhaft
und sauber ausgeschlagen, den Rauch aufnahm.  In der Ecke waren die
Thüren zu den Backöfen, der ganze Fußboden übrigens gedielet, bis auf
ein kleines Eckchen am Fenster um den Spülstein, das gepflastert war,
übrigens rings herum, auch in der Höhe über den Balken, eine Menge
Hausrath und Geräthschaften in schöner Ordnung angebracht, alles nicht
unreinlich gehalten.

Den 25. Morgens war helles kaltes Wetter, die Wiesen bereift, hier und
da zogen leichte Nebel: wir konnten den untern Theil des Thals
ziemlich übersehen, unser Haus lag am Fuß des östlichen noir Mont.
Gegen Achte ritten wir ab, und um der Sonne gleich zu genießen, an der
Abendseite hin.  Der Theil des Thals, an dem wir hinritten, besteht in
abgetheilten Wiesen, die gegen den See zu etwas sumpfichter werden.
Die Orbe fließt in der Mitte durch.  Die Einwohner haben sich theils
in einzelnen Häusern an der Seite angebaut, theils sind sie in Dörfern
näher zusammengerückt, die einfache Namen von ihrer Lage führen.  Das
erste, wodurch wir kamen, war le Sentier.  Wir sahen von weitem die
Dent de Vaulion über einem Nebel, der auf dem See stand, hervorblicken.
Das Thal ward breiter, wir kamen hinter einem Felsgrat, der uns den
See verdeckte, durch ein ander Dorf, le Lieu genannt, die Nebel
stiegen und fielen wechselsweise vor der Sonne.

Hier nahebei ist ein kleiner See, der keinen Zu- und Abfluß zu haben
scheint.  Das Wetter klärte sich völlig auf und wir kamen gegen den
Fuß der Dent de Vaulion und trafen hier an's nördliche Ende des großen
Sees, der, indem er sich westwärts wendet, in den kleinen durch einen
Damm unter einer Brücke weg seinen Ausfluß hat.  Das Dorf drüben heißt
le Pont.  Die Lage des kleinen Sees ist wie in einem eigenen kleinen
Thal, was man niedlich sagen kann.

An dem westlichen Ende ist eine merkwürdige Mühle in einer Felskluft
angebracht, die ehemals der kleine See ausfüllte.  Nunmehr ist er
abgedämmt und die Mühle in die Tiefe gebaut.  Das Wasser läuft durch
Schleusen auf die Räder, es stürzt sich von da in Felsritzen, wo es
eingeschluckt wird und erst eine Stunde von da im Valorbe hervor kommt,
wo es wieder den Namen des Orbeflusses führet.  Diese Abzüge
(entonnoirs) müssen rein gehalten werden, sonst würde das Wasser
steigen, die Kluft wieder ausfüllen und über die Mühle weg gehen, wie
es schon mehr geschehen ist.  Sie waren stark in der Arbeit begriffen,
den morschen Kalkfelsen theils wegzuschaffen, theils zu befestigen.
Wir ritten zurück über die Brücke nach Pont, nahmen einen Wegweiser
auf la Dent.

Im Aufsteigen sahen wir nunmehr den großen See völlig hinter uns.
Ostwärts ist der noir Mont seine Gränze, hinter dem der kahle Gipfel
der Dole hervorkommt, westwärts hält ihn der Felsrücken, der gegen den
See ganz nackt ist, zusammen.  Die Sonne schien heiß, es war zwischen
Eilf und Mittag.  Nach und nach übersahen wir das ganze Thal, konnten
in der Ferne den Lac des Rousses erkennen, und weiter her bis zu
unsern Füßen die Gegend durch die wir gekommen waren, und den Weg der
uns rückwärts noch überblieb.  Im Aufsteigen wurde von der großen
Strecke Landes und den Herrschaften, die man oben unterscheiden könnte,
gesprochen, und in solchen Gedanken betraten wir den Gipfel; allein
uns war ein ander Schauspiel zubereitet.  Nur die hohen Gebirgketten
waren unter einem klaren und heitern Himmel sichtbar, alle niederen
Gegenden mit einem weißen wolkigen Nebelmeer überdeckt, das sich von
Genf bis nordwärts an den Horizont erstreckte und in der Sonne glänzte.
Daraus stieg ostwärts die ganze reine Reihe aller Schnee- und
Eisgebirge, ohne Unterschied von Namen der Völker und Fürsten, die sie
zu besitzen glauben, nur Einem großen Herrn und dem Blick der Sonne
unterworfen, der sie schön röthete.

Der Montblanc gegen uns über schien der höchste, die Eisgebirge des
Wallis und des Oberlandes folgten, zuletzt schlossen niedere Berge des
Cantons Bern.  Gegen Abend war an einem Platze das Nebelmeer
unbegränzt, zur Linken in der weitsten Ferne zeigten sich sodann die
Gebirge von Solothurn, näher die von Neufchâtel, gleich vor uns einige
niedere Gipfel des Jura, unter uns lagen einige Häuser von Vaulion,
dahin die Dent gehört und daher sie den Namen hat.

Gegen Abend schließt die Franche-Comté mit flachstreichenden waldigen
Bergen den ganzen Horizont, wovon ein einziger ganz in der Ferne gegen
Nordwest sich unterschied.  Grad ab war ein schöner Anblick.  Hier ist
die Spitze, die diesem Gipfel den Namen eines Zahns gibt.  Er geht
steil und eher etwas einwärts hinunter, in der Tiefe schließt ein
kleines Fichtenthal an mit schönen Grasplätzen, gleich drüber liegt
das Thal Valorbe genannt, wo man die Orbe aus dem Felsen kommen sieht
und rückwärts zum kleinen See ihren unterirdischen Lauf in Gedanken
verfolgen kann.  Das Städtchen Valorbe liegt auch in diesem Thal.
Ungern schieden wir.  Einige Stunden längeren Aufenthalts, indem der
Nebel um diese Zeit sich zu zerstreuen pflegt, hätten uns das tiefere
Land mit dem See entdecken lassen; so aber mußte, damit der Genuß
vollkommen werde, noch etwas zu wünschen übrig bleiben.  Abwärts
hatten wir unser ganzes Thal in aller Klarheit vor uns, stiegen bei
Pont zu Pferde, ritten an der Ostseite den See hinauf, kamen durch
l'Abbaye de Joux, welches jetzt ein Dorf ist, ehemals aber ein Sitz
der Geistlichen war, denen das ganze Thal zugehörte.  Gegen Viere
langten wir in unserm Wirthshaus an, und fanden ein Essen, wovon uns
die Wirthin versicherte, daß es um Mittag gut gewesen sei, aber auch
übergar trefflich schmeckte.

Daß ich noch einiges, wie man mir es erzählt, Canton Bern, und sind
die Gebirge umher die Holzkammer von dem Pays de Vaud.  Die meisten
Hölzer sind Privatbesitzungen, werden unter Aufsicht geschlagen und so
in's Land gefahren.  Auch werden hier die Dauben zu fichtenen Fässern
geschnitten, Eimer, Bottiche und allerlei hölzerne Gefäße verfertiget.
Die Leute sind gut gebildet und gesittet.  Neben dem Holzverkauf
treiben sie die Viehzucht; sie haben kleines Vieh und machen gute Käse.
Sie sind geschäftig, und ein Erdschollen ist ihnen viel werth.  Wir
fanden einen, der die wenige aus einem Gräbchen aufgeworfene Erde mit
Pferd und Karren in einige Vertiefungen eben der Wiese führte.  Die
Steine legen sie sorgfältig zusammen und bringen sie auf kleine Haufen.

Es sind viele Steinschleifer hier, die für Genfer und andere Kaufleute
arbeiten, mit welchem Erwerb sich auch die Frauen und Kinder
beschäftigen.  Die Häuser sind dauerhaft und sauber gebaut, die Form
und Einrichtung nach dem Bedürfniß der Gegend und der Bewohner; vor
jedem Hause läuft ein Brunnen, und durchaus spürt man Fleiß,
Rührigkeit und Wohlstand.  Über alles aber muß man die schönen Wege
preisen, für die, in diesen entfernten Gegenden, der Stand Bern wie
durch den ganzen übrigen Canton sorgt.  Es geht eine Chaussee um das
ganze Thal herum, nicht übermäßig breit, aber wohl unterhalten, so daß
die Einwohner mit der größten Bequemlichkeit ihr Gewerbe treiben, mit
kleinen Pferden und leichten Wagen fortkommen können.  Die Luft ist
sehr rein und gesund.

Den 26. ward bei'm Frühstück überlegt, welchen Weg man zurück nehmen
wolle.  Da wir hörten daß die Dole, der höchste Gipfel des Jura, nicht
weit von dem obern Ende des Thals liege, da das Wetter sich auf das
herrlichste anließ und wir hoffen konnten, was uns gestern noch
gefehlt, heute vom Glück alles zu erlangen; so wurde dahin zu gehen
beschlossen.  Wir packten einem Boten Käse, Butter, Brot und Wein auf,
und ritten gegen Achte ab.  Unser Weg ging nun durch den obern Theil
des Thals in dem Schatten des noir Mont hin.  Es war sehr kalt, hatte
gereift und gefroren; wir hatten noch eine Stunde im Bernischen zu
reiten, wo sich die Chaussee, die man eben zu Ende bringt, abschneiden
wird.  Durch einen kleinen Fichtenwald rückten wir in's französische
Gebiet ein.  Hier verändert sich der Schauplatz sehr.  Was wir zuerst
bemerkten, waren die schlechten Wege.

Der Boden ist sehr steinicht, überall liegen sehr große Haufen
zusammen gelesen; wieder ist er eines Theils sehr morastig und quellig;
die Waldungen umher sind sehr ruiniret; den Häusern und Einwohnern
sieht man ich will nicht sagen Mangel, aber doch bald ein sehr enges
Bedürfniß an.  Sie gehören fast als Leibeigne an die Canonici von St.
Claude, sie sind an die Erde gebunden, viele Abgaben liegen auf ihnen
(sujets à la main morte et au droit de la suite), wovon mündlich ein
mehreres, wie auch von dem neusten Edict des Königs, wodurch das droit
de la suite aufgehoben wird, die Eigenthümer und Besitzer aber
eingeladen werden, gegen ein gewisses Geld der main morte zu entsagen.
Doch ist auch dieser Theil des Thals sehr angebaut.  Sie nähren sich
mühsam und lieben doch ihr Vaterland sehr, stehlen gelegentlich den
Bernern Holz und verkaufen's wieder in's Land.  Der erste Sprengel
heißt le Bois d'Amont, durch den wir in das Kirchspiel les Rousses
kamen, wo wir den kleinen Lac des Rousses und les sept Moncels, sieben
kleine, verschieden gestaltete und verbundene Hügel, die mittägige
Gränze des Thals, vor uns sahen.  Wir kamen bald auf die neue Straße,
die aus dem Pays de Vaud nach Paris führt; wir folgten ihr eine Weile
abwärts, und waren nunmehr von unserm Thale geschieden; der kahle
Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab, unsre Pferde zogen auf
der Straße voraus nach St. Sergues, und wir stiegen die Dole hinan.
Es war gegen Mittag, die Sonne schien heiß, aber es wechselte ein
kühler Mittagswind.  Wenn wir, auszuruhen, uns umsahen, hatten wir les
sept Moncels hinter uns, wir sahen noch einen Theil des Lac des
Rousses und um ihn die zerstreuten Häuser des Kirchspiels, der noir
Mont deckte uns das übrige ganze Thal, höher sahen wir wieder ungefähr
die gestrige Aussicht in die Franche-Comté und näher bei uns, gegen
Mittag, die letzten Berge und Thäler des Jura.  Sorgfältig hüteten wir
uns, nicht durch einen Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um
derentwillen wir eigentlich herauf stiegen.  Ich war in einiger Sorge
wegen des Nebels, doch zog ich aus der Gestalt des obern Himmels
einige gute Vorbedeutungen.  Wir betraten endlich den obern Gipfel und
sahen mit größtem Vergnügen uns heute gegönnt, was uns gestern versagt
war.  Das ganze Pays de Vaud und de Gex lag wie eine Flurkarte unter
uns, alle Besitzungen mit grünen Zäunen abgeschnitten, wie die Beete
eines Parterres.  Wir waren so hoch, daß die Höhen und Vertiefungen
des vordern Landes gar nicht erschienen.

Dörfer, Städtchen, Landhäuser, Weinberge, und höher herauf, wo Wald
und Alpen angehen, Sennhütten, meistens weiß und hell angestrichen,
leuchteten gegen die Sonne.  Vom Lemaner-See hatte sich der Nebel
schon zurück gezogen, wir sahen den nächsten Theil an der diesseitigen
Küste deutlich; den sogenannten kleinen See, wo sich der große
verenget und gegen Genf zugeht, dem wir gegenüber waren, überblickten
wir ganz, und gegenüber klärte sich das Land auf, das ihn einschließt.
Vor allem aber behauptete der Anblick über die Eis- und Schneeberge
seine Rechte.  Wir setzten uns vor der kühlen Luft in Schutz hinter
Felsen, ließen uns von der Sonne bescheinen, das Essen und Trinken
schmeckte trefflich.  Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und nach
verzog, jeder entdeckte etwas, oder glaubte etwas zu entdecken.  Wir
sahen nach und nach Lausanne mit allen Gartenhäusern umher, Vevey und
das Schloß von Chillon ganz deutlich, das Gebirg das uns den Eingang
vom Wallis verdeckte, bis in den See, von da, an der Savoyer Küste,
Evian, Ripaille, Tonon, Dörfchen und Häuschen zwischen inne; Genf kam
endlich rechts auch aus dem Nebel, aber weiter gegen Mittag, gegen den
Montcrédo und Mont-vauche, wo das Fort l'Ecluse inne liegt, zog er
sich gar nicht weg. Wendeten wir uns wieder links, so lag das ganze
Land von Lausanne bis Solothurn in leichtem Duft.  Die nähern Berge
und Höhen, auch alles, was weiße Häuser hatte, konnten wir erkennen;
man zeigte uns das Schloß Chanvan blinken, das vom Neuburgersee links
liegt, woraus wir seine Lage muthmaßen, ihn aber in dem blauen Duft
nicht erkennen konnten.  Es sind keine Worte für die Größe und Schöne
dieses Anblicks, man ist sich im Augenblick selbst kaum bewußt, daß
man sieht, man ruft sich nur gern die Namen und alten Gestalten der
bekannten Städte und Orte zurück, und freut sich in einer taumelnden
Erkenntniß, daß das eben die weißen Puncte sind, die man vor sich hat.

Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das Aug' und
die Seele an sich.  Die Sonne wendete sich mehr gegen Abend und
erleuchtete ihre größern Flächen gegen uns zu.  Schon was vom See auf
für schwarze Felsrücken, Zähne, Thürme und Mauern in vielfachen Reihen
vor ihnen aufsteigen!  Wilde, ungeheure, undurchdringliche Vorhöfe
bilden! wenn sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der
freien Luft mannichfaltig da liegen; man gibt da gern jede Prätension
an's Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im
Anschauen und Gedanken fertig werden kann.

Vor uns sahen wir ein fruchtbares bewohntes Land; der Boden worauf wir
stunden, ein hohes kahles Gebirge, trägt noch Gras, Futter für Thiere,
von denen der Mensch Nutzen zieht.  Das kann sich der einbildische
Herr der Welt noch zueignen; aber jene sind wie eine heilige Reihe von
Jungfrauen, die der Geist des Himmels in unzugänglichen Gegenden, vor
unsern Augen, für sich allein in ewiger Reinheit aufbewahrt.  Wir
blieben und reizten einander wechselsweise, Städte, Berge und Gegenden,
bald mit bloßem Auge, bald mit dem Teleskop, zu entdecken, und gingen
nicht eher abwärts, als bis die Sonne, im Weichen, den Nebel seinen
Abendhauch über den See breiten ließ.  Wir kamen mit Sonnenuntergang
auf die Ruinen des Fort de St. Sergues.  Auch näher am Thal, waren
unsre Augen nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet.  Die letzten,
links im Oberland, schienen in einen leichten Feuerdampf
aufzuschmelzen; die nächsten standen noch mit wohl bestimmten rothen
Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene weiß, grün, graulich.  Es
sah fast ängstlich aus.  Wie ein gewaltiger Körper von außen gegen das
Herz zu abstirbt, so erblaßten alle langsam gegen den Montblanc zu,
dessen weiter Busen noch immer roth herüber glänzte und auch zuletzt
uns noch einen röthlichen Schein zu behalten schien, wie man den Tod
des Geliebten nicht gleich bekennen, und den Augenblick, wo der Puls
zu schlagen aufhört, nicht abschneiden will.  Auch nun gingen wir
ungern weg. Die Pferde fanden wir in St. Sergues, und daß nichts fehle,
stieg der Mond auf und leuchtete uns nach Nyon, indeß unterweges
unsere gespannten Sinnen sich wieder lieblich falten konnten, wieder
freundlich wurden, um mit frischer Lust aus den Fenstern des
Wirthshauses den breitschwimmenden Widerglanz des Mondes im ganz
reinen See genießen zu können.

Hier und da auf der ganzen Reise ward soviel von der Merkwürdigkeit
der Savoyer Eisgebirge gesprochen, und wie wir nach Genf kamen, hörten
wir, es werde immer mehr Mode dieselben zu sehen, daß der Graf eine
sonderliche Lust kriegte, unsern Weg dahin zu leiten, von Genf aus
über Cluse und Salenche in's Thal Chamouni zu gehen, die Wunder zu
betrachten, dann über Valorsine und Trient nach Martinach in's Wallis
zu fallen.  Dieser Weg, den die meisten Reisenden nehmen, schien wegen
der Jahrszeit etwas bedenklich.  Der Herr de Saussure wurde deßwegen
auf seinem Landgute besucht und um Rath gefragt.  Er versicherte, daß
man ohne Bedenken den Weg machen könne: es liege auf den mittlern
Bergen noch kein Schnee, und wenn wir in der Folge auf's Wetter und
auf den guten Rath der Landleute achten wollten, der niemals fehl
schlage, so könnten wir mit aller Sicherheit diese Reise unternehmen.
Hier ist die Abschrift eines sehr eiligen Tageregisters.



Cluse in Savoyen den 3. November.

Heute bei'm Abscheiden von Genf theilte sich die Gesellschaft; der
Graf, mit mir und einem Jäger, zog nach Savoyen zu; Freund W. mit den
Pferden durch's Pays de Vaud in's Wallis.  Wir in einem leichten
Cabriolett mit vier Rädern, fuhren erst, Hubern auf seinem Landgute zu
besuchen, den Mann, dem Geist, Imagination, Nachahmungsbegierde zu
allen Gliedern heraus will, einen der wenigen ganzen Menschen, die wir
angetroffen haben.  Er setzte uns auf den Weg, und wir fuhren sodann,
die hohen Schneegebirge, an die wir wollten, vor Augen, weiter.  Vom
Genfersee laufen die vordern Bergketten gegen einander, bis da, wo
Bonneville, zwischen der Mole, einem ansehnlichen Berge, und der Arve
inne liegt.  Da aßen wir zu Mittag.  Hinter der Stadt schließt sich
das Thal an, obgleich noch sehr breit, die Arve fließt sachte durch,
die Mittagseite ist sehr angebaut und durchaus der Boden benutzt.  Wir
hatten seit früh etwas Regen, wenigstens auf die Nacht, befürchtet,
aber die Wolken verließen nach und nach die Berge und theilten sich in
Schäfchen, die uns schon mehr ein gutes Zeichen gewesen.  Die Luft war
so warm, wie Anfang Septembers und die Gegend sehr schön, noch viele
Bäume grün, die meisten braungelb, wenige ganz kahl, die Saat hochgrün,
die Berge im Abendroth rosenfarb in's Violette, und diese Farben auf
großen, schönen, gefälligen Formen der Landschaft.  Wir schwatzten
viel Gutes.  Gegen Fünfe kamen wir nach Cluse, wo das Thal sich
schließet und nur Einen Ausgang läßt, wo die Arve aus dem Gebirge
kommt und wir morgen hineingehen.  Wir stiegen auf einen Berg und
sahen unter uns die Stadt an einen Fels gegenüber mit der einen Seite
angelehnt, die andere mehr in die Fläche des Thals hingebaut, das wir
mit vergnügten Blicken durchliefen, und auf abgestürzten Granitstücken
sitzend, die Ankunft der Nacht, mit ruhigen und mannichfaltigen
Gesprächen, erwarteten.  Gegen Sieben, als wir hinabstiegen, war es
noch nicht kühler, als es im Sommer um neun Uhr zu sein pflegt.  In
einem schlechten Wirthshaus, bei muntern und willigen Leuten, an deren
Patois man sich erlustigt, erschlafen wir nun den morgenden Tag, vor
dessen Anbruch wir schon unsern Stab weiter setzen wollen.

Abends gegen Zehn.



Salenche den 4. Nov. Mittags.

Bis ein schlechtes Mittagessen von sehr willigen Händen wird bereitet
sein, versuche ich das Merkwürdigste von heute früh aufzuschreiben.
Mit Tages Anbruch gingen wir zu Fuße von Cluse ab, den Weg nach Balme.
Angenehm frisch war's im Thal, das letzte Mondviertel ging vor der
Sonne hell auf und erfreute uns, weil man es selten so zu sehen
gewohnt ist.  Leichte, einzelne Nebel stiegen aus den Felsritzen
aufwärts, als wenn die Morgenluft junge Geister aufweckte, die Lust
fühlten, ihre Brust der Sonne entgegen zu tragen und sie an ihren
Blicken zu vergülden.  Der obere Himmel war ganz rein, nur wenige
durchleuchtete Wolkenstreifen zogen quer darüber hin.  Balme ist ein
elendes Dorf, unfern vom Weg, wo sich eine Felsschlucht wendet.  Wir
verlangten von den Leuten, daß sie uns zur Höhle führen sollten, von
der der Ort seinen Ruf hat.  Da sahen sich die Leute unter einander an
und sagten einer zum andern: Nimm du die Leiter, ich will den Strick
nehmen, kommt ihr Herrn nur mit!  Diese wunderbare Einladung schreckte
uns nicht ab, ihnen zu folgen.  Zuerst ging der Stieg durch
abgestürzte Kalkfelsenstücke hinauf, die durch die Zeit vor die steile
Felswand aufgestufet worden und mit Hasel- und Buchenbüschen
durchwachsen sind.  Auf ihnen kommt man endlich an die Schicht der
Felswand, wo man mühselig und leidig, auf der Leiter und Felsstufen,
mit Hülfe übergebogener Nußbaum-Äste und daran befestigter Stricke,
hinauf klettern muß dann steht man fröhlich in einem Portal das in den
Felsen eingewittert ist, übersieht das Thal und das Dorf unter sich.
Wir bereiteten uns zum Eingang in die Höhle, zündeten Lichter an und
luden eine Pistole, die wir losschießen wollten.  Die Höhle ist ein
langer Gang, meist ebenen Bodens, auf Einer Schicht, bald zu einem
bald zu zwei Menschen breit, bald über Mannshöhe, dann wieder zum
Bücken und auch zum Durchkriechen.  Gegen die Mitte steigt eine Kluft
aufwärts und bildet einen spitzigen Dom.  In einer Ecke schiebt eine
Kluft abwärts, wo wir immer gelassen Siebzehn bis Neunzehn gezählt
haben, eh' ein Stein, mit verschiedentlich widerschallenden Sprüngen,
endlich in die Tiefe kam.  An den Wänden sintert ein Tropfstein, doch
ist sie an den wenigsten Orten feucht, auch bilden sich lange nicht
die reichen wunderbaren Figuren, wie in der Baumanns-Höhle.  Wir
drangen so weit vor, als es die Wasser zuließen, schossen im
Herausgehen die Pistole los, davon die Höhle mit einem starken dumpfen
Klang erschüttert wurde und um uns wie eine Glocke summte.  Wir
brauchten eine starke Viertelstunde wieder heraus zu gehen, machten
uns die Felsen wieder hinunter, fanden unsern Wagen und fuhren weiter.
Wir sahen einen schönen Wasserfall auf Staubbachs Art; er war weder
sehr hoch noch sehr reich, doch sehr interessant, weil die Felsen um
ihn wie eine runde Nische bilden, in der er herabstürzt, und weil die
Kalkschichten an ihm, in sich selbst umgeschlagen, neue und ungewohnte
Formen bilden.  Bei hohem Sonnenschein kamen wir hier an, nicht
hungrig genug, das Mittagessen, das aus einem aufgewärmten Fisch,
Kuhfleisch und hartem Brot bestehet, gut zu finden.  Von hier geht
weiter in's Gebirg kein Fuhrweg für eine so stattliche Reisekutsche,
wie wir haben; diese geht nach Genf zurück und ich nehme Abschied von
Ihnen, um den Weg weiter fortzusetzen.  Ein Maulesel mit dem Gepäck
wird uns auf dem Fuße folgen.



Chamouni, den 4. Nov.

Abends gegen Neun.

Nur daß ich mit diesem Blatt Ihnen um so viel näher rücken kann, nehme
ich die Feder; sonst wäre es besser meine Geister ruhen zu lassen.
Wir ließen Salenche in einem schönen offnen Thale hinter uns, der
Himmel hatte sich während unsrer Mittagrast mit weißen Schäfchen
überzogen, von denen ich hier eine besondere Anmerkung machen muß.
Wir haben sie so schön und noch schöner an einem heitern Tag von den
Berner Eisbergen aufsteigen sehen.  Auch hier schien es uns wieder so,
als wenn die Sonne die leisesten Ausdünstungen von den höchsten
Schneegebirgen gegen sich aufzöge, und diese ganz feinen Dünste von
einer leichten Luft, wie eine Schaumwolle, durch die Atmosphäre
gekämmt würden.  Ich erinnere mich nie in den höchsten Sommertagen,
bei uns, wo dergleichen Lufterscheinungen auch vorkommen, etwas so
Durchsichtiges, Leichtgewobenes gesehen zu haben.  Schon sahen wir die
Schneegebirge, von denen sie aufsteigen, vor uns, das Thal fing an zu
stocken, die Arve schoß aus einer Felskluft hervor, wir mußten einen
Berg hinan und wanden uns, die Schneegebirge rechts vor uns, immer
höher.  Abwechselnde Berge, alte Fichtenwälder zeigten sich uns rechts,
theils in der Tiefe, theils in gleicher Höhe mit uns.  Links über uns
waren die Gipfel des Bergs kahl und spitzig.

Wir fühlten, daß wir einem stärkern und mächtigern Satz von Bergen
immer näher rückten.  Wir kamen über ein breites trocknes Bett von
Kieseln und Steinen, das die Wasserfluthen die Länge des Berges hinab
zerreißen und wieder füllen; von da in ein sehr angenehmes,
rundgeschlossenes, flaches Thal, worin das Dörfchen Serves liegt.  Von
da geht der Weg um einige sehr bunte Felsen, wieder gegen die Arve.

Wenn man über sie weg ist, steigt man einen Berg hinan, die Massen
werden hier immer größer, die Natur hat hier mit sachter Hand das
Ungeheure zu bereiten angefangen.

Es wurde dunkler, wir kamen dem Thale Chamouni näher und endlich
darein.  Nur die großen Massen waren uns sichtbar.  Die Sterne gingen
nach einander auf und wir bemerkten über den Gipfeln der Berge, rechts
vor uns, ein Licht, das wir nicht erklären konnten.  Hell, ohne Glanz
wie die Milchstraße, doch dichter, fast wie die Plejaden, nur größer,
unterhielt es lange unsere Aufmerksamkeit, bis es endlich, da wir
unsern Standpunct änderten, wie eine Pyramide, von einem innern
geheimnißvollen Lichte durchzogen, das dem Schein eines Johanniswurms
am besten verglichen werden kann, über den Gipfeln aller Berge
hervorragte und uns gewiß machte, daß es der Gipfel des Montblanc war.
Es war die Schönheit dieses Anblicks ganz außerordentlich; denn, da
er mit den Sternen, die um ihn herumstunden, zwar nicht in gleich
raschem Licht, doch in einer breitern zusammenhängendern Masse
leuchtete, so schien er den Augen zu einer höhern Sphäre zu gehören
und man hatte Müh', in Gedanken seine Wurzeln wieder an die Erde zu
befestigen.  Vor ihm sahen wir eine Reihe von Schneegebirgen
dämmernder auf den Rücken von schwarzen Fichtenbergen liegen und
ungeheure Gletscher zwischen den schwarzen Wäldern herunter in's Thal
steigen.  Meine Beschreibung fängt an unordentlich und ängstlich zu
werden; auch brauchte es eigentlich immer zwei Menschen, einen der's
sähe und einen der's beschriebe.  Wir sind hier in dem mittelsten
Dorfe des Thals, le Prieuré genannt, wohl logirt, in einem Hause, das
eine Witwe, den vielen Fremden zu Ehren, vor einigen Jahren erbauen
ließ.  Wir sitzen am Kamin und lassen uns den Muskatellerwein, aus der
Vallée d'Aost, besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns
aufgetischt werden.



Den 5. Nov. Abends.

Es ist immer eine Resolution, als wie wenn man in's kalte Wasser soll,
ehe ich die Feder nehmen mag, zu schreiben.  Hier hätt' ich nun gerade
Lust, Sie auf die Beschreibung der Savoyschen Eisgebirge, die Bourit,
ein passionirter Kletterer, herausgegeben hat, zu verweisen.

Erfrischt durch einige Gläser guten Weins und den Gedanken, daß diese
Blätter eher als die Reisenden und Bourits Buch bei Ihnen ankommen
werden, will ich mein Möglichstes thun.  Das Thal Chamouni, in dem wir
uns befinden, liegt sehr hoch in den Gebirgen, ist etwa sechs bis
sieben Stunden lang und gehet ziemlich von Mittag gegen Mitternacht.
Der Charakter, der mir es vor andern auszeichnet, ist, daß es in
seiner Mitte fast gar keine Fläche hat, sondern das Erdreich, wie eine
Mulde, sich gleich von der Arve aus gegen die höchsten Gebirge
anschmiegt.

Der Montblanc und die Gebirge die von ihm herabsteigen, die Eismassen,
die diese ungeheuren Klüfte ausfüllen, machen die östliche Wand aus,
an der die ganze Länge des Thals hin sieben Gletscher, einer größer
als der andere, herunter kommen.  Unsere Führer, die wir gedingt
hatten, das Eismeer zu sehen, kamen bei Zeiten.  Der eine ist ein
rüstiger junger Bursche, der andre ein schon älterer und sich
klugdünkender, der mit allen gelehrten Fremden Verkehr gehabt hat, von
der Beschaffenheit der Eisberge sehr wohl unterrichtet und ein sehr
tüchtiger Mann.  Er versicherte uns, daß seit acht und zwanzig Jahren
— so lange führ' er Fremde auf die Gebirge — er zum erstenmal so spät
im Jahr, nach Allerheiligen, jemand hinauf bringe; und doch sollten
wir alles eben so gut wie im August sehen.  Wir stiegen, mit Speise
und Wein gerüstet, den Mont-Anvert hinan, wo uns der Anblick des
Eismeers überraschen sollte.  Ich würde es, um die Backen nicht so
voll zu nehmen, eigentlich das Eisthal oder den Eisstrom nennen: denn
die ungeheuren Massen von Eis dringen aus einem tiefen Thal, von oben
anzusehen, in ziemlicher Ebne hervor.  Gerad hinten endigt ein spitzer
Berg, von dessen beiden Seiten Eiswogen in den Hauptstrom
hereinstarren.  Es lag noch nicht der mindeste Schnee auf der zackigen
Fläche und die blauen Spalten glänzten gar schön hervor.  Das Wetter
fing nach und nach an sich zu überziehen, und ich sah wogige graue
Wolken, die Schnee anzudeuten schienen, wie ich sie niemals gesehn.

In der Gegend wo wir stunden, ist die kleine von Steinen zusammen
gelegte Hütte für das Bedürfniß der Reisenden, zum Scherz das Schloß
von Mont-Anvert genannt.  Monsieur Blaire, ein Engländer, der sich zu
Genf aufhält, hat eine geräumigere an einem schicklichern Ort, etwas
weiter hinauf, erbauen lassen, wo man am Feuer sitzend, zu einem
Fenster hinaus, das ganze Eisthal übersehen kann.  Die Gipfel der
Felsen gegenüber und auch in die Tiefe des Thals hin sind sehr spitzig
ausgezackt.  Es kommt daher, weil sie aus einer Gesteinart zusammen
gesetzt sind, deren Wände fast ganz perpendikular in die Erde
einschießen.  Wittert eine leichter aus, so bleibt die andere spitz in
die Luft stehen.  Solche Zacken werden Nadeln genennet und die
Aiguille du Dru ist eine solche hohe merkwürdige Spitze, gerade dem
Mont-Anvert gegenüber.  Wir wollten nunmehr auch das Eismeer betreten
und diese ungeheuren Massen auf ihnen selbst beschauen.  Wir stiegen
den Berg hinunter und machten einige hundert Schritte auf den wogigen
Krystallklippen herum.  Es ist ein ganz trefflicher Anblick, wenn man,
auf dem Eise selbst stehend, den oberwärts sich herabdrängenden und
durch seltsame Spalten geschiedenen Massen entgegen sieht.  Doch
wollt' es uns nicht länger auf diesem schlüpfrigen Boden gefallen, wir
waren weder mit Fußeisen, noch mit beschlagenen Schuhen gerüstet;
vielmehr hatten sich unsere Absätze durch den langen Marsch abgerundet
und geglättet.  Wir machten uns also wieder zu den Hütten hinauf und
nach einigem Ausruhen zur Abreise fertig.  Wir stiegen den Berg hinab
und kamen an den Ort, wo der Eisstrom stufenweis bis hinunter in's
Thal dringt, und traten in die Höhle in der er sein Wasser ausgießt.
Sie ist weit, tief, von dem schönsten Blau, und es steht sich sicherer
im Grund als vorn an der Mündung, weil an ihr sich immer große Stücke
Eis schmelzend ablösen.  Wir nahmen unsern Weg nach dem Wirthshause zu,
bei der Wohnung zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf bis vierzehn
Jahren, die sehr weiße Haut, weiße, doch schroffe Haare, rothe und
bewegliche Augen wie die Kaninchen haben.  Die tiefe Nacht, die im
Thale liegt, lädt mich zeitig zu Bette, und ich habe kaum noch so viel
Munterkeit Ihnen zu sagen, daß wir einen jungen zahmen Steinbock
gesehen haben, der sich unter den Ziegen ausnimmt, wie der natürliche
Sohn eines großen Herrn, dessen Erziehung in der Stille einer
bürgerlichen Familie aufgetragen ist.

Von unsern Discursen geht's nicht an, daß ich etwas außer der Reihe
mittheile.  An Graniten, Gneißen, Lerchen und Zirbelbäumen finden Sie
auch keine große Erbauung; doch sollen Sie ehestens merkwürdige
Früchte von unserm Botanisiren zu sehen kriegen.  Ich bilde mir ein,
sehr schlaftrunken zu sein und kann nicht eine Zeile weiter schreiben.



Chamouni, den 6. Nov. früh.

Zufrieden mit dem, was uns die Jahrszeit hier zu sehen erlaubte, sind
wir reisefertig, noch heute in's Wallis durchzudringen.  Das ganze
Thal ist über und über bis an die Hälfte der Berge mit Nebel bedeckt,
und wir müssen erwarten, was Sonne und Wind zu unserm Vortheil thun
werden.  Unser Führer schlägt uns einen Weg über den Col de Balme vor:
Ein hoher Berg, der an der nördlichen Seite des Thals gegen Wallis zu
liegt, auf dem wir, wenn wir glücklich sind, das Thal Chamouni, mit
seinen meisten Merkwürdigkeiten, noch auf einmal von der Höhe
übersehen können.  Indem ich dieses schreibe, geschieht an dem Himmel
eine herrliche Erscheinung: Die Nebel, die sich bewegen und sich an
einigen Orten brechen, lassen wie durch Tagelöcher den blauen Himmel
sehen und zugleich die Gipfel der Berge, die oben, über unsrer
Dunstdecke, von der Morgensonne beschienen werden.  Auch ohne die
Hoffnung eines schönen Tags ist dieser Anblick dem Aug' eine rechte
Weide.  Erst jetzo hat man einiges Maß für die Höhe der Berge.  Erst
in einer ziemlichen Höhe vom Thal auf streichen die Nebel an dem Berg
hin, hohe Wolken steigen von da auf, und alsdann sieht man noch über
ihnen die Gipfel der Berge in der Verklärung schimmern.  Es wird Zeit!
Ich nehme zugleich von diesem geliebten Thal und von Ihnen Abschied.



Martinach im Wallis, den 6. Nov. Abends.

Glücklich sind wir herüber gekommen und so wäre auch dieses Abenteuer
bestanden.  Die Freude über unser gutes Schicksal wird mir noch eine
halbe Stunde die Feder lebendig erhalten.

Unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, zogen wir heute früh gegen
Neune von Prieuré aus.  Die Wolken wechselten, daß die Gipfel der
Berge bald erschienen, bald verschwanden, bald die Sonne streifweis
in's Thal dringen konnte, bald die Gegend wieder verdeckt wurde.  Wir
gingen das Thal hinauf, den Ausguß des Eisthals vorbei, ferner den
Glacier d'Argentiere hin, den höchsten von allen, dessen oberster
Gipfel uns aber von Wolken bedeckt war.  In der Gegend wurde Rath
gehalten, ob wir den Stieg über den Col de Balme unternehmen und den
Weg über Valorsine verlassen wollten.  Der Anschein war nicht der
vortheilhafteste; doch da hier nichts zu verlieren und viel zu
gewinnen war, traten wir unsern Weg keck gegen die dunkle Nebel- und
Wolkenregion an.  Als wir gegen den Glacier du Tour kamen, rissen sich
die Wolken auseinander, und wir sahen auch diesen schönen Gletscher in
völligem Lichte.  Wir setzten uns nieder, tranken eine Flasche Wein
aus und aßen etwas Weniges.  Wir stiegen nunmehr immer den Quellen der
Arve auf rauhern Matten und schlecht beras'ten Flecken entgegen und
kamen dem Nebelkreis immer näher, bis er uns endlich völlig aufnahm.
Wir stiegen eine Weile geduldig fort, als es auf einmal, indem wir
aufschritten, wieder über unsern Häuptern helle zu werden anfing.
Kurze Zeit dauerte es, so traten wir aus den Wolken heraus, sahen sie
in ihrer ganzen Last unter uns auf dem Thale liegen, und konnten die
Berge, die es rechts und links einschließen, außer dem Gipfel des
Montblanc, der mit Wolken bedeckt war, sehen, deuten und mit Namen
nennen.  Wir sahen einige Gletscher von ihren Höhen bis zu der
Wolkentiefe herabsteigen, von andern sahen wir nur die Plätze, indem
uns die Eismassen durch die Bergschrunden verdeckt wurden.  Über die
ganze Wolkenfläche sahen wir, außerhalb dem mittägigen Ende des Thales,
ferne Berge im Sonnenschein.  Was soll ich Ihnen die Namen von den
Gipfeln, Spitzen, Nadeln, Eis- und Schneemassen vorerzählen, die Ihnen
doch kein Bild, weder vom Ganzen noch vom Einzelnen, in die Seele
bringen.  Merkwürdiger ist's, wie die Geister der Luft sich unter uns
zu streiten schienen.  Kaum hatten wir eine Weile gestanden und uns an
der großen Aussicht ergetzt, so schien eine feindselige Gährung in dem
Nebel zu entstehen, der auf einmal aufwärts strich, und uns auf's neue
einzuwickeln drohte.  Wir stiegen stärker den Berg hinan, ihm nochmals
zu entgehn, allein er überflügelte uns und hüllte uns ein.  Wir
stiegen immer frisch aufwärts, und bald kam uns ein Gegenwind vom
Berge selbst zu Hülfe, der durch den Sattel, der zwei Gipfel verbindet,
hereinstrich und den Nebel wieder in's Thal zurücktrieb.  Dieser
wundersame Streit wiederholte sich öfter, und wir langten endlich
glücklich auf dem Col de Balme an.  Es war ein seltsamer, eigener
Anblick.  Der höchste Himmel über den Gipfeln der Berge war überzogen,
unter uns sahen wir durch den manchmal zerrissenen Nebel in's ganze
Thal Chamouni, und zwischen diesen beiden Wolkenschichten waren die
Gipfel der Berge alle sichtbar.  Auf der Ostseite waren wir von
schroffen Gebirgen eingeschlossen, auf der Abendseite sahen wir in
ungeheure Thäler, wo doch auf einigen Matten sich menschliche
Wohnungen zeigten.  Vorwärts lag uns das Wallisthal, wo man mit einem
Blick bis Martinach und weiter hinein mannichfaltig über einander
geschlungene Berge sehen konnte.  Auf allen Seiten von Gebirgen
umschlossen, die sich weiter gegen den Horizont immer zu vermehren und
aufzuthürmen schienen, so standen wir auf der Gränze von Savoyen und
Wallis.  Einige Contrebandiers kamen mit Mauleseln den Berg herauf und
erschraken vor uns, da sie an dem Platz jetzo niemand vermutheten.
Sie thaten einen Schuß, als ob sie sagen wollten: damit ihr seht, daß
sie geladen sind, und einer ging voraus, um uns zu recognosciren.  Da
er unsern Führer erkannte und unsere harmlosen Figuren sah, rückten
die andern auch näher, und wir zogen mit wechselseitigen Glückwünschen
an einander vorbei.  Der Wind ging scharf und es fing ein wenig an zu
schneien.  Nunmehr ging es einen sehr rauhen und wilden Stieg abwärts,
durch einen alten Fichtenwald, der sich auf Fels-Platten von Gneiß
eingewurzelt hatte.  Vom Wind über einander gerissen verfaulten hier
die Stämme mit ihren Wurzeln, und die zugleich losgebrochenen Felsen
lagen schroff durch einander.  Endlich kamen wir in's Thal, wo der
Trientfluß aus einem Gletscher entspringt, ließen das Dörfchen Trient
ganz nahe rechts liegen und folgten dem Thale durch einen ziemlich
unbequemen Weg, bis wir endlich gegen Sechse hier in Martinach auf
flachem Wallisboden angekommen sind, wo wir uns zu weitern
Unternehmungen ausruhen wollen.



Martinach, den 6. Nov. 1779.

Abends.

Wie unsre Reise ununterbrochen fortgeht, knüpft sich auch ein Blatt
meiner Unterhaltung mit Ihnen an's andre, und kaum hab' ich das Ende
unserer Savoyer Wanderungen gefaltet und bei Seite gelegt, nehm' ich
schon wieder ein andres Papier, um Sie mit dem bekannt zu machen, was
wir zunächst vorhaben.  Zu Nacht sind wir in ein Land getreten, nach
welchem unsre Neugier schon lange gespannt ist.  Noch haben wir nichts
als die Gipfel der Berge, die das Thal von beiden Seiten einschließen,
in der Abenddämmerung gesehen.  Wir sind im Wirthshause untergekrochen,
sehen zum Fenster hinaus die Wolken wechseln, es ist uns so heimlich
und so wohl, daß wir ein Dach haben, als Kindern, die sich aus Stühlen,
Tischblättern und Teppichen eine Hütte am Ofen machen und sich darin
bereden, es regne und schneie draußen, um angenehme eingebildete
Schauer in ihren wir in der Herbstnacht in einem fremden unbekannten
Lande.  Aus der Karte wissen wir, daß wir in dem Winkel eines
Ellenbogens sitzen, von wo aus der kleinere Theil des Wallis, ungefähr
von Mittag gegen Mitternacht, die Rhone hinunter sich an den Genfersee
anschließt, der andere aber und längste, von Abend gegen Morgen, die
Rhone hinauf bis an ihren Ursprung, die Furka, streicht.  Das Wallis
selbst zu durchreisen macht uns eine angenehme Aussicht; nur wie wir
oben hinaus kommen werden, erregt einige Sorge.  Zuvörderst ist
festgesetzt, daß wir, um den untern Theil zu sehen, morgen bis St.
Maurice gehen, wo der Freund, der mit den Pferden durch das Pays de
Vaud gegangen, eingetroffen sein wird.  Morgen Abend gedenken wir
wieder hier zu sein, und übermorgen soll es das Land hinauf.  Wenn es
nach dem Rath des Herrn de Saussure geht, so machen wir den Weg bis an
die Furka zu Pferde, sodann wieder bis Brieg zurück über den
Simpelberg, wo bei jeder Witterung eine gute Passage ist, über Domo
d'ossola, den Lago maggiore, über Bellinzona, und dann den Gotthard
hinauf.  Der Weg soll gut und durchaus für Pferde practicabel sein.
Am liebsten gingen wir über die Furka auf den Gotthard, der Kürze
wegen und weil der Schwanz durch die italiänischen Provinzen von
Anfang an nicht in unserm Plane war; allein wo mit den Pferden hin?
die sich nicht über die Furka schleppen lassen, wo vielleicht gar
schon Fußgängern der Weg durch Schnee versperrt ist.  Wir sind darüber
ganz ruhig und hoffen von Augenblick zu Augenblick wie bisher von den
Umständen selbst guten Rath zu nehmen.  Merkwürdig ist in diesem
Wirthshause eine Magd, die bei einer großen Dummheit alle Manieren
einer sich empfindsam zierenden deutschen Fräulein hat.  Es gab ein
großes Gelächter, als wir uns die müden Füße mit rothem Wein und
Kleien, auf Anrathen unsers Führers, badeten und sie von dieser
annehmlichen Dirne abtrocknen ließen.



Nach Tische.

Am Essen haben wir uns nicht sehr erholt und hoffen daß der Schlaf
besser schmecken soll.



Den 7ten.  St. Maurice,

gegen Mittag.

Unter Weges ist es meine Art die schönen Gegenden zu genießen, daß ich
mir meine abwesenden Freunde wechselsweise herbeirufe, und mich mit
ihnen über die herrlichen Gegenstände unterhalte.  Komm' ich in ein
Wirthshaus, so ist ausruhen, mich rückerinnern und an Sie schreiben
Eins, wenn schon manchmal die allzusehr ausgespannte Seele lieber in
sich selbst zusammenfiele und mit einem halben Schlaf sich erholte.

Heute früh gingen wir in der Dämmerung von Martinach weg; ein frischer
Nordwind ward mit dem Tage lebendig, wir kamen an einem alten Schlosse
vorbei, das auf der Ecke steht, wo die beiden Arme des Wallis ein Y
machen.  Das Thal ist eng und wird auf beiden Seiten von
mannichfaltigen Bergen beschlossen, die wieder zusammen von eigenem,
erhaben lieblichem Charakter sind.  Wir kamen dahin wo der Trientstrom
um enge und gerade Felsenwände herum in das Thal dringt, daß man
zweifelhaft ist, ob er nicht unter den Felsen hervor komme.  Gleich
dabei steht die alte, vor'm Jahr durch den Fluß beschädigte Brücke,
unweit welcher ungeheure Felsstücke vor kurzer Zeit vom Gebirge herab
die Landstraße verschüttet haben.  Diese Gruppe zusammen würde ein
außerordentlich schönes Bild machen.  Nicht weit davon hat man eine
neue hölzerne Brücke gebaut und ein ander Stück Landstraße eingeleitet.
Wir wußten, daß wir uns dem berühmten Wasserfall der Pisse vache
näherten, und wünschten einen Sonnenblick, wozu uns die wechselnden
Wolken einige Hoffnung machten.  An dem Wege betrachteten wir die
vielen Granit- und Gneißstücke, die bei ihrer Verschiedenheit doch
alle Eines Ursprungs zu sein schienen.  Endlich traten wir vor den
Wasserfall, der seinen Ruhm vor vielen andern verdient.  In ziemlicher
Höhe schießt aus einer engen Felskluft ein starker Bach flammend
herunter in ein Becken, wo er in Staub und Schaum sich weit und breit
im Wind herumtreibt.  Die Sonne trat hervor und machte den Anblick
doppelt lebendig.  Unten im Wasserstaube hat man einen Regenbogen hin
und wieder, wie man geht, ganz nahe vor sich.  Tritt man weiter hinauf,
so sieht man noch eine schönere Erscheinung.  Die luftigen
schäumenden Wellen des obern Strahls, wenn sie gischend und flüchtig
die Linien berühren, wo in unsern Augen der Regenbogen entstehet,
färben sich flammend, ohne daß die aneinanderhängende Gestalt eines
Bogens erschiene; und so ist an dem Platze immer eine wechselnde
feurige Bewegung.  Wir kletterten dran herum, setzten uns dabei nieder
und wünschten ganze Tage und gute Stunden des Lebens dabei zubringen
zu können.  Auch hier wieder, wie so oft auf dieser Reise, fühlten wir,
daß große Gegenstände im Vorübergehen gar nicht empfunden und
genossen werden können.  Wir kamen in ein Dorf wo lustige Soldaten
waren, und tranken daselbst neuen Wein, den man uns gestern auch schon
vorgesetzt hatte.  Er sieht aus wie Seifenwasser, doch mag ich ihn
lieber trinken als ihren sauren jährigen und zweijährigen.  Wenn man
durstig ist, bekommt alles wohl.  Wir sahen St. Maurice von weitem,
wie es just an einem Platze liegt, wo das Thal sich zu einem Passe
zusammendrückt.  Links über der Stadt sahen wir an einer Felsenwand
eine kleine Kirche mit einer Einsiedelei angeflickt, wo wir noch
hinaufzusteigen denken.  Hier im Wirthshaus fanden wir ein Billet vom
Freunde, der zu Bex, drei viertel Stunden von hier, geblieben ist.
Wir haben ihm einen Boten geschickt.  Der Graf ist spazieren gegangen,
vorwärts die Gegend noch zu sehen; ich will einen Bissen essen und
alsdann auch nach der berühmten Brücke und dem Paß zu gehn.

Nach Eins.

Ich bin wieder zurück von dem Fleckchen, wo man Tage lang sitzen,
zeichnen, herumschleichen, und ohne müde zu werden sich mit sich
selbst unterhalten könnte.  Wenn ich jemanden einen Weg in's Wallis
rathen sollte, so wär' es dieser vom Genfersee die Rhone herauf.  Ich
bin auf dem Weg nach Bex zu über die große Brücke gegangen, wo man
gleich in's Berner Gebiet eintritt.  Die Rhone fließt dort hinunter
und das Thal wird nach dem See zu etwas weiter.  Wie ich mich umkehrte,
sah ich die Felsen sich bei St. Maurice zusammen drücken, und über
die Rhone, die unten durchrauscht, in einem hohen Bogen eine schmale
leichte Brücke kühn hinüber gesprengt.  Die mannichfaltigen Erker und
Thürme einer Burg schließen drüben gleich an, und mit einem einzigen
Thore ist der Eingang in's Wallis gesperrt.  Ich ging über die Brücke
nach St. Maurice zurück, suchte noch vorher einen Gesichtspunct, den
ich bei Hubern gezeichnet gesehn habe und auch ungefähr fand.

Der Graf ist wieder gekommen, er war den Pferden entgegen gegangen und
hat sich auf seinem Braunen voraus gemacht.  Er sagt, die Brücke sei
so schön und leicht gebaut, daß es aussehe als wenn ein Pferd flüchtig
über einen Graben setzt.  Der Freund kommt auch an, zufrieden von
seiner Reise.  Er hat den Weg am Genfersee her bis Bex in wenigen
Tagen zurück gelegt, und es ist eine allgemeine Freude sich wieder zu
sehen.



Martinach, gegen Neun.

Wir sind tief in die Nacht geritten, und der Herweg hat uns länger
geschienen als der Hinweg, wo wir von einem Gegenstand zu dem andern
gelockt worden sind.  Auch habe ich aller Beschreibungen und
Reflexionen für heute herzlich satt, doch will ich zwei schöne noch
geschwind in der Erinnerung festsetzen.  An der Pisse vache kamen wir
in tiefer Dämmerung wieder vorbei.  Die Berge, das Thal und selbst der
Himmel waren dunkel und dämmernd.  Graulich und mit stillem Rauschen
sah man den herabschießenden Strom von allen andern Gegenständen sich
unterscheiden, man bemerkte fast gar keine Bewegung.  Es war immer
dunkler geworden.  Auf einmal sahen wir den Gipfel einer sehr hohen
Klippe, völlig wie geschmolzen Erz im Ofen, glühen und rothen Dampf
davon aufsteigen.  Dieses sonderbare Phänomen wirkte die Abendsonne,
die den Schnee und den davon aufsteigenden Nebel erleuchtete.



Sion, den 8. Nov. nach drei Uhr.

Wir haben heute früh einen Fehlritt gethan und uns wenigstens um drei
Stunden versäumet.  Wir ritten vor Tag von Martinach weg, um bei
Zeiten in Sion zu sein.  Das Wetter war außerordentlich schön, nur daß
die Sonne, wegen ihres niedern Standes, von den Bergen gehindert war,
den Weg den wir ritten zu bescheinen; und der Anblick des
wunderschönen Wallisthals machte manchen guten und muntern Gedanken
rege.  Wir waren schon drei Stunden die Landstraße hinan, die Rhone
uns linker Hand, geritten; wir sahen Sion vor uns liegen und freuten
uns auf das bald zu veranstaltende Mittagessen, als wir die Brücke,
die wir zu passiren hatten, abgetragen fanden.  Es blieb uns, nach
Angabe der Leute, die dabei beschäftigt waren, nichts übrig, als
entweder einen kleinen Fußpfad, der an den Felsen hinging, zu wählen,
oder eine Stunde wieder zurück zu reiten und alsdann über einige
andere Brücken der Rhone zu gehen.  Wir wählten das letzte und ließen
uns von keinem üblen Humor anfechten, sondern schrieben diesen Unfall
wieder auf Rechnung eines guten Geistes, der uns bei der schönsten
Tagszeit durch ein so interessantes Land spazieren führen wollte.  Die
Rhone macht überhaupt in diesem engen Lande böse Händel.

Wir mußten, um zu den andern Brücken zu kommen, über anderthalb
Stunden durch die sandigen Flecke reiten, die sie durch
Überschwemmungen sehr oft zu verändern pflegt, und die nur zu Erlen
und Weidengebüschen zu benutzen sind.  Endlich kamen wir an die
Brücken, die sehr bös, schwankend, lang und von falschen Klüppeln
zusammen gesetzt sind.  Wir mußten einzeln unsere Pferde, nicht ohne
Sorge, darüber führen.  Nun ging es an der linken Seite des Wallis
wieder nach Sion zu.  Der Weg an sich war meistentheils schlecht und
steinig, doch zeigte uns jeder Schritt eine Landschaft die eines
Gemähldes werth gewesen wäre.  Besonders führte er uns auf ein Schloß
hinauf, wo herunter sich eine der schönsten Aussichten zeigte, die ich
auf dem ganzen Wege gesehen habe.  Die nächsten Berge schossen auf
beiden Seiten mit ihren Lagen in die Erde ein, und verjüngten durch
ihre Gestalt die Gegend gleichsam perspectivisch.  Die ganze Breite
des Wallis von Berg zu Berg lag bequem anzusehen unter uns; die Rhone
kam, mit ihren mannichfaltigen Krümmen und Buschwerken, bei Dörfern,
Wiesen und angebauten Hügeln vorbeigeflossen; in der Entfernung sah
man die Burg von Sion und die verschiedenen Hügel die sich dahinter zu
erheben anfingen; die letzte Gegend ward wie mit einem
Amphitheaterbogen durch eine Reihe von Schneegebirgen geschlossen, die
wie das übrige Ganze von der hohen steinig der Weg war, den wir zu
reiten hatten, so erfreulich fanden wir die noch ziemlich grünen
Reblauben die ihn bedeckten.  Die Einwohner, denen jedes Fleckchen
Erdreich kostbar ist, pflanzen ihre Weinstöcke gleich an ihre Mauern
die ihre Güter von dem Wege scheiden; sie wachsen zu außerordentlicher
Dicke und werden vermittelst Pfählen und Latten über den Weg gezogen,
so daß er fast eine aneinanderhängende Laube bildet.  In dem untern
Theil war meistens Wiesewachs, doch fanden wir auch, da wir uns Sion
näherten, einigen Feldbau.  Gegen diese Stadt zu wird die Gegend durch
wechselnde Hügel außerordentlich mannichfaltig, und man wünschte eine
längere Zeit des Aufenthalts genießen zu können.  Doch unterbricht die
Häßlichkeit der Städte und der Menschen die angenehmen Empfindungen,
welche die Landschaft erregt, gar sehr.  Die scheußlichen Kröpfe haben
mich ganz und gar üblen Humors gemacht.  Unsern Pferden dürfen wir
wohl heute nichts mehr zumuthen, und denken deßwegen zu Fuße nach
Seyters zu gehen.  Hier in Sion ist das Wirthshaus abscheulich, und
die Stadt hat ein widriges schwarzes Ansehn.



Seyters, den 8. Nov. Nachts.

Da wir bei einbrechendem Abend erst von Sion weggegangen, sind wir bei
Nacht unter einem hellen Sternhimmel hier angekommen.  Wir haben
einige schöne Aussichten darüber verloren, merk' ich wohl.  Besonders
wünschten wir das Schloß Tourbillion, das bei Sion liegt, erstiegen zu
haben; es muß von da aus eine ganz ungemein schöne Aussicht sein.  Ein
Bote, den wir mitnahmen, brachte uns glücklich durch einige böse
Flecke, wo das Wasser ausgetreten war.  Bald erreichten wir die Höhe
und hatten die Rhone immer rechts unter uns.  Mit verschiedenen
astronomischen Gesprächen verkürzten wir den Weg, und sind bei guten
Leuten, die ihr Bestes thun werden uns zu bewirthen, eingekehret.
Wenn man zurück denkt, kommt einem so ein durchlebter Tag, wegen der
mancherlei Gegenstände, fast wie eine Woche vor.  Es fängt mir an
recht leid zu thun, daß ich nicht Zeit und Geschick habe, die
merkwürdigsten Gegenden auch nur linienweise zu zeichnen; es ist immer
besser als alle Beschreibungen für einen Abwesenden.



Seyters, den 9ten.

Noch ehe wir aufbrechen, kann ich Ihnen einen guten Morgen bieten.
Der Graf wird mit mir links in's Gebirg nach dem Leukerbad zu gehen,
der Freund indessen die Pferde hier erwarten und uns morgen in Leuk
wieder antreffen.



Leukerbad, den 9ten, am Fuß des Gemmiberges.

In einem kleinen bretternen Haus, wo wir von sehr braven Leuten gar
freundlich aufgenommen worden, sitzen wir in einer schmalen und
niedrigen Stube, und ich will sehen, wie viel von unserer heutigen
sehr interessanten Tour durch Worte mitzutheilen ist.  Von Seyters
stiegen wir heute früh drei Stunden lang einen Berg herauf, nachdem
wir vorherSteinen und Kies Felder, Wiesen und Gärten, die denn nach
und nach kümmerlich, wenn es allenfalls noch möglich ist, von den
Leuten wieder hergestellt und nach ein paar Generationen vielleicht
wieder verschüttet werden.  Wir hatten einen grauen Tag mit
abwechselnden Sonnenblicken.  Es ist nicht zu beschreiben, wie
mannichfaltig auch hier das Wallis wieder wird; mit jedem Augenblick
biegt und verändert sich die Landschaft.  Es scheint alles sehr nah
beisammen zu liegen, und man ist doch durch große Schluchten und Berge
getrennt.  Wir hatten bisher noch meist das offene Wallisthal rechts
neben uns gehabt, als sich auf einmal ein schöner Anblick in's Gebirg
vor uns aufthat.

Ich muß, um anschaulicher zu machen was ich beschreiben will, etwas
von der geographischen Lage der Gegend, wo wir uns befinden, sagen.
Wir waren nun schon drei Stunden aufwärts in das ungeheure Gebirg
gestiegen, das Wallis von Bern trennet.  Es ist eben der Stock von
Bergen, der in Einemfort vom Genfersee bis auf den Gotthard läuft, und
auf dem sich in dem Berner Gebiet die großen Eis- und Schnee-Massen
eingenistet haben.  Hier sind oben und unten relative Worte des
Augenblicks.  Ich sage, unter mir auf einer Fläche liegt ein Dorf, und
eben diese Fläche liegt vielleicht wieder an einem Abgrund, der viel
höher ist als mein Verhältniß zu ihr.  Wir sahen, als wir um eine Ecke
herumkamen und bei einem Heiligenstock ausruhten, unter uns am Ende
einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund
herging, das Dorf Inden mit {ed.-???}.

Mitte von der Landschaft liegen.  Über der Schlucht drüben gingen
wieder Matten und Tannenwälder aufwärts, gleich hinter dem Dorfe stieg
eine große Kluft von Felsen in die Höhe, die Berge von der linken
Seite schlossen sich bis zu uns an, die von der rechten setzten auch
ihre Rücken weiter fort, so daß das Dörfchen mit seiner weißen Kirche
gleichsam wie im Brennpunct von so viel zusammenlaufenden Felsen und
Klüften dastand.  Der Weg nach Inden ist in die steile Felswand
gehauen, die dieses Amphitheater von der linken Seite, im Hingehen
gerechnet, einschließt.  Es ist dieses kein gefährlicher aber doch
sehr fürchterlich aussehender Weg. Er geht auf den Lagen einer
schroffen Felswand hinunter, an der rechten Seite mit einer geringen
Planke von dem Abgrunde gesondert.

Ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinab stieg, faßte sein
Thier, wenn es an gefährliche Stellen kam, bei'm Schweife, um ihm
einige Hülfe zu geben, wenn es gar zu steil vor sich hinunter in den
Felsen hinein mußte.  Endlich kamen wir in Inden an, und da unser Bote
wohl bekannt war, so fiel es uns leicht, von einer willigen Frau ein
gut Glas rothen Wein und Brot zu erhalten, da sie eigentlich in dieser
Gegend keine Wirthshäuser haben.  Nun ging es die hohe Schlucht hinter
Inden hinauf, wo wir denn bald den so schrecklich beschriebenen
Gemmiberg vor uns sahen, und das Leukerbad an seinem Fuß, zwischen
andern hohen, unwegsamen und mit Schnee bedeckten Gebirgen, gleichsam
wie in einer hohlen Hand liegen fanden.  Es war gegen Drei als wir
ankamen; unser Führer schaffte uns bald Quartier.  Es ist zwar kein
Gasthof hier, aber alle Leute sind so ziemlich, wegen der vielen
Badegäste, die hieher kommen, eingerichtet.  Unsere Wirthin liegt seit
gestern in den Wochen, und ihr Mann macht mit einer alten Mutter und
der Magd ganz artig die Ehre des Hauses.  Wir bestellten etwas zu
essen und ließen uns die warmen Quellen zeigen, die an verschiedenen
Orten sehr stark aus der Erde hervorkommen und reinlich eingefaßt sind.
Außer dem Dorfe, gegen das Gebirg zu, sollen noch einige stärkere
sein.  Es hat dieses Wasser nicht den mindesten schwefelichten Geruch,
setzt wo es quillt und wo es durchfließt nicht den mindesten Oker noch
sonst irgend etwas Mineralisches oder Irdisches an, sondern läßt wie
ein anderes reines Wasser keine Spur zurück.  Es ist, wenn es aus der
Erde kommt, sehr heiß und wegen seiner guten Kräfte berühmt.  Wir
hatten noch Zeit zu einem Spaziergang gegen den Fuß des Gemmi, der uns
ganz nah zu liegen schien.  Ich muß hier wieder bemerken, was schon so
oft vorgekommen, daß wenn man mit Gebirgen umschlossen ist, einem alle
Gegenstände so außerordentlich nahe scheinen.  Wir hatten eine starke
Stunde über herunter gestürzte Felsstücke und dazwischen geschwemmten
Kies hinauf zu steigen, bis wir uns an dem Fuß des ungeheuren
Gemmibergs, wo der Weg an steilen Klippen aufwärts gehet, befanden.
Es ist dieß der Übergang in's Berner Gebiet, wo alle Kranken sich
müssen in Sänften herunter tragen lassen.  Hieß' uns die Jahrszeit
nicht eilen, so würde wahrscheinlicher Weise morgen ein Versuch
gemacht werden, diesen so merkwürdigen Berg zu besteigen: so aber
werden wir uns mit der bloßen Ansicht für dießmal begnügen müssen.
Wie wir zurückgingen, sahen wir dem Gebräude der Wolken zu, das in der
jetzigen Jahrszeit in diesen Gegenden äußerst interessant ist.  Über
das schöne Wetter haben wir bisher ganz vergessen, daß wir im November
leben; es ist auch, wie man uns im Bernschen voraussagte, hier der
Herbst sehr gefällig.  Die frühen Abende und Schnee verkündende Wolken
erinnern uns aber doch manchmal, daß wir tief in der Jahrszeit sind.
Das wunderbare Wehen, das sie heute Abend verführten, war
außerordentlich schön.  Als wir vom Fuß des Gemmiberges zurückkamen,
sahen wir, aus der Schlucht von Inden herauf, leichte Nebelwolken sich
mit großer Schnelligkeit bewegen.  Sie wechselten bald rückwärts bald
vorwärts, und kamen endlich aufsteigend dem Leukerbad so nah, daß wir
wohl sahen, wir mußten unsere Schritte verdoppeln, um bei
hereinbrechender Nacht nicht in Wolken eingewickelt zu werden.  Wir
kamen auch glücklich zu Hause an, und während ich dieses hinschreibe,
legen sich wirklich die Wolken ganz ernstlich in einen kleinen artigen
Schnee aus einander.  Es ist dieser der erste, den wir haben, und,
wenn wir auf unsere gestrige warme Reise von Martinach nach Sion, auf
die noch ziemlich belaubten Rebengeländer zurückdenken, eine sehr
schnelle Abwechslung.  Ich bin in die Thüre getreten, ich habe dem
Wesen der Wolken eine Weile zugesehen, das über alle Beschreibung
schön ist.

Eigentlich ist es noch nicht Nacht, aber sie verhüllen abwechselnd den
Himmel und machen dunkel.  Aus den tiefen Felsschluchten steigen sie
herauf, bis sie an die höchsten Gipfel der Berge reichen; von diesen
angezogen scheinen sie sich zu verdicken und von der Kälte gepackt in
Gestalt des Schnees niederzufallen.  Es ist eine unaussprechliche
Einsamkeit hier oben, in so großer Höhe doch noch wie in einem Brunnen
zu sein, wo man nur vorwärts durch die Abgründe einen Fußpfad hinaus
vermuthet.  Die Wolken, die sich hier in diesem Sacke stoßen, die
ungeheuren Felsen bald zudecken und in eine undurchdringliche öde
Dämmerung verschlingen, bald Theile davon wieder als Gespenster sehen
lassen, geben dem Zustand ein trauriges Leben.  Man ist voller Ahnung
bei diesen Wirkungen der Natur.  Die Wolken, eine dem Menschen von
Jugend auf so merkwürdige Lufterscheinung, ist man in dem platten
Lande doch nur als etwas Fremdes, Überirdisches anzusehen gewohnt.
Man betrachtet sie nur als Gäste, als Streichvögel, die, unter einem
andern Himmel geboren, von dieser oder jener Gegend bei uns
augenblicklich vorbeigezogen kommen; als prächtige Teppiche, womit die
Götter ihre Herrlichkeit vor unsern Augen verschließen.  Hier aber ist
man von ihnen selbst wie sie sich erzeugen eingehüllt, und die ewige
innerliche Kraft der Natur fühlt man sich ahnungsvoll durch jede Nerve
bewegen.  Auf die Nebel, die bei uns eben diese Wirkungen
hervorbringen, gibt man weniger Acht; auch weil sie uns weniger vor's
Auge gedrängt sind, ist ihre Wirthschaft schwerer zu beobachten.  Bei
allen diesen Gegenständen wünscht man nur länger sich verweilen und an
solchen Orten mehrere Tage zubringen zu können; ja ist man ein
Liebhaber von dergleichen Betrachtungen, so wird der Wunsch immer
lebhafter, wenn man bedenkt, daß jede Jahrszeit, Tagszeit und
Witterung neue Erscheinungen, die man gar nicht erwartet,
hervorbringen muß.  Und wie in jedem Menschen, auch selbst dem
gemeinen, sonderbare Spuren übrig bleiben, wenn er bei großen
ungewöhnlichen Handlungen etwa einmal gegenwärtig gewesen ist; wie er
sich von diesem einen Flecke gleichsam größer fühlt, unermüdlich eben
dasselbe erzählend wiederholt, und so, auf jene Weise, einen Schatz
für sein ganzes Leben gewonnen hat: so ist es auch dem Menschen, der
solche große Gegenstände der Natur gesehen und mit ihnen vertraut
geworden ist.  Er hat, wenn er diese Eindrücke zu bewahren, sie mit
andern Empfindungen und Gedanken, die in ihm entstehen, zu verbinden
weiß, gewiß einen Vorrath von Gewürz, womit er den unschmackhaften
Theil des Lebens verbessern und seinem ganzen Wesen einen
durchziehenden guten Geschmack geben kann.

Ich bemerke, daß ich in meinem Schreiben der Menschen wenig erwähne;
sie sind auch unter diesen großen Gegenständen der Natur, besonders im
Vorbeigehen, minder merkwürdig.  Ich zweifle nicht, daß man bei
längerm Aufenthalt gar interessante und gute Leute finden würde.  Eins
glaub' ich überall zu bemerken: je weiter man von der Landstraße und
dem größern Gewerbe der Menschen abkömmt, je mehr in den Gebirgen die
Menschen beschränkt, abgeschnitten und auf die allerersten Bedürfnisse
des Lebens zurückgewiesen sind, je mehr sie sich von einem einfachen,
langsamen, unveränderlichen Erwerbe nähren; desto besser, willfähriger,
freundlicher, uneigennütziger, gastfreier bei ihrer Armuth hab' ich
sie gefunden.



Leukerbad, den 10. Nov.

Wir machen uns bei Licht zurechte, um mit Tages Anbruch wieder
hinunter zu gehen.  Diese Nacht habe ich ziemlich unruhig zugebracht.
Ich lag kaum im Bette, so kam mir vor als wenn ich über und über mit
einer Nesselsucht befallen wäre; doch merkte ich bald, daß es ein
großes Heer hüpfender Insecten war, die den neuen Ankömmling
blutdürstig überfielen.  Diese Thiere erzeugen sich in den hölzernen
Häusern in großer Menge.  Die Nacht ward mir sehr lang und ich war
zufrieden, als man uns den Morgen Licht brachte.



Leuk, gegen 10 Uhr.

Wir haben nicht viel Zeit, doch will ich, eh' wir hier weggehen, die
merkwürdige Trennung unserer Gesellschaft melden, die hier vorgegangen
ist, und was sie veranlaßt hat.  Wir gingen mit Tages Anbruch heute
von Leukerbad aus, und hatten im frischen Schnee einen schlüpfrigen
Weg über die Matten zu machen.  Wir kamen bald nach Inden, wo wir dann
den steilen Weg, den wir gestern herunter kamen, zur Rechten über uns
ließen, und auf der Matte nach der Schlucht, die uns nunmehr links lag,
hinabstiegen.  Es ist diese wild und mit Bäumen verwachsen, doch geht
ein ganz leidlicher Weg hinunter.  Durch diese Felsklüfte hat das
Wasser, das vom Leukerbad kommt, seine Abflüsse in's Wallisthal.  Wir
sahen in der Höhe an der Seite des Felsens, den wir gestern herunter
gekommen waren, eine Wasserleitung gar künstlich eingehauen, wodurch
ein Bach erst daran her, dann durch eine Höhle, aus dem Gebirge in das
benachbarte Dorf geleitet wird.  Wir mußten nunmehr wieder einen Hügel
hinauf und sahen dann bald das offene Wallis und die garstige Stadt
Leuk unter uns liegen.  Es sind diese Städtchen meist an die Berge
angeflickt, die Dächer mit groben geriss'nen Schindeln unzierlich
gedeckt, die durch die Jahrszeit ganz schwarz gefault und vermoos't
sind.  Wie man auch nur hinein tritt, so ekelt's einem, denn es ist
überall unsauber; Mangel und ängstlicher Erwerb dieser privilegirten
und freien Bewohner kommt überall zum Vorschein.  Wir fanden den
Freund, der die schlimme Nachricht brachte, daß es nunmehr mit den
Pferden sehr beschwerlich weiter zu gehen anfinge.  Die Ställe werden
kleiner und enger, weil sie nur auf Maulesel und Saumrosse
eingerichtet sind; der Haber fängt auch an sehr selten zu werden, ja
man sagt, daß weiter hin in's Gebirg gar keiner mehr anzutreffen sei.
Ein Beschluß war bald gefaßt: der Freund sollte mit den Pferden das
Wallis wieder hinunter über Bex, Vevey, Lausanne, Freiburg und Bern
auf Luzern gehen, der Graf und ich wollten unsern Weg das Wallis
hinauf fortsetzen, versuchen, wo wir auf den Gotthard hinauf dringen
könnten, alsdann durch den Canton Uri über den Vier-Waldstädtersee
gleichfalls in Luzern eintreffen.  Man findet in dieser Gegend überall
Maulthiere, die auf solchen Wegen immer besser sind als Pferde, und zu
Fuße zu gehen ist am Ende doch immer das Angenehmste.  Wir haben
unsere Sachen getrennet.  Der Freund ist fort, unser Mantelsack wird
auf ein Maulthier das wir gemiethet haben gepackt, und so wollen wir
aufbrechen und unsern Weg zu Fuße nach Brieg nehmen.  Am Himmel sieht
es bunt aus, doch ich denke, das gute Glück, das uns bisher begleitet
und uns so weit gelockt hat, soll uns auf dem Platze nicht verlassen,
wo wir es am nöthigsten brauchen.



Brieg, den 10. Abends.

Von unserm heutigen Weg kann ich wenig erzählen, ausgenommen, wenn Sie
mit einer weitläuftigen Wettergeschichte sich wollen unterhalten
lassen.  Wir gingen in Gesellschaft eines schwäbischen Metzgerknechtes,
der sich hierher verloren, in Leuk Condition gefunden hatte und eine
Art von Hanswurst machte, unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, das
sein Herr vor sich hertrieb, gegen Eilf von Leuk ab.  Hinter uns, so
weit wir in's Wallisthal hineinsehen konnten, lag es mit dicken
Schnee-Wolken bedeckt, die das Land herauf gezogen kamen.  Es war
wirklich ein trüber Anblick und ich befürchtete in der Stille, daß, ob
es gleich so hell vor uns aufwärts war als wie im Lande Gosen, uns
doch die Wolken bald einholen, und wir vielleicht im Grunde des Wallis
an beiden Seiten von Bergen eingeschlossen, von Wolken zugedeckt und
die Sorge, die sich meistentheils des einen Ohrs bemeistert.

Auf der andern Seite sprach der gute Muth mit weit zuverlässigerer
Stimme, verwies mir meinen Unglauben, hielt mir das Vergangene vor und
machte mich auch auf die gegenwärtigen Lufterscheinungen aufmerksam.
Wir gingen dem schönen Wetter immer entgegen; die Rhone hinauf war
alles heiter, und so stark der Abendwind das Gewölk hinter uns her
trieb, so konnte es uns doch niemals erreichen.  Die Ursache war diese:
In das Wallisthal gehen, wie ich schon so oft gesagt, sehr viele
Schluchten des benachbarten Gebirges aus und ergießen sich wie kleine
Bäche in den großen Strom, wie denn auch alle ihre Gewässer in der
Rhone zusammen laufen.  Aus jeder solcher Öffnung streicht ein Zugwind,
der sich in den innern Thälern und Krümmungen erzeugt.  Wie nun der
Hauptzug der Wolken das Thal herauf an so eine Schlucht kommt, so läßt
die Zugluft die Wolken nicht vorbei, sondern kämpft mit ihnen und dem
Winde der sie trägt, hält sie auf und macht ihnen wohl Stunden lang
den Weg streitig.  Diesem Kampf sahen wir oft zu, und wenn wir
glaubten, von ihnen überzogen zu werden, so fanden sie wieder ein
solches Hinderniß, und wenn wir eine Stunde gegangen waren, konnten
sie noch kaum vom Fleck.  Gegen Abend ward der Himmel außerordentlich
schön.  Als wir uns Brieg näherten, trafen die Wolken fast zu gleicher
Zeit mit uns ein; doch mußten sie, weil die Sonne untergegangen war
und ihnen nunmehr ein packender Morgenwind entgegen kam, stille stehen,
und machten von einem Berge zum andern einen großen halben Mond über
das Thal.  Sie waren von der kalten Luft zur Consistenz gebracht und
hatten, da wo sich ihr Saum gegen den blauen Himmel zeichnete, schöne
leichte und muntere Formen.  Man sah daß sie Schnee enthielten, doch
scheint uns die frische Luft zu verheißen, daß diese Nacht nicht viel
fallen soll.  Wir haben ein ganz artiges Wirthshaus und, was uns zu
großem Vergnügen dient, in einer geräumigen Stube ein Kamin
angetroffen; wir sitzen am Feuer und machen Rathschläge wegen unserer
weiteren Reise.  Hier in Brieg geht die gewöhnliche Straße über den
Simplon nach Italien; wenn wir also unsern Gedanken, über die Furka
auf den Gotthard zu gehen, aufgeben wollten, so gingen wir mit
gemietheten Pferden und Maulthieren auf Domo d'ossola, Margozzo,
führen den Lago maggiore hinaufwärts, dann auf Bellinzona und so
weiter den Gotthard hinauf, über Airolo zu den Kapuzinern.

Dieser Weg ist den ganzen Winter über gebahnt und mit Pferden bequem
zu machen, doch scheint er unserer Vorstellung, da er in unserm Plane
nicht war und uns fünf Tage später als unsern Freund nach Luzern
führen würde, nicht reizend.  Wir wünschen vielmehr das Wallis bis an
sein oberes Ende zu sehen, dahin wir morgen Abend kommen werden; und
wenn das Glück gut ist, so sitzen wir übermorgen um diese Zeit in
Realp in dem Ursner Thal, welches auf dem Gotthard nahe bei dessen
höchstem Gipfel ist.  Sollten wir nicht über die Furka kommen, so
bleibt uns immer der Weg hierher unverschlossen, und wir werden
alsdann das aus Noth ergreifen, was wir aus Wahl nicht gerne thun.
Sie können sich vorstellen, daß ich hier schon wieder die Leute
examiniret habe, ob sie glauben, daß die Passage über die Furka offen
ist; denn das ist der Gedanke mit dem ich aufstehe, schlafen gehe, mit
dem ich den ganzen Tag über beschäftigt bin.  Bisher war es einem
Marsch zu vergleichen, den man gegen einen Feind richtet, und nun
ist's, als wenn man sich dem Flecke nähert, wo er sich verschanzt hat
und man sich mit ihm herumschlagen muß.  Außer unserm Maulthier sind
zwei Pferde auf morgen früh bestellt.



Münster, den 11. Abends 6 Uhr.

Wieder einen glücklichen und angenehmen Tag zurückgelegt!  Heute früh
als wir von Brieg bei guter Tagszeit ausritten, sagte uns der Wirth
noch auf den Weg: Wenn der Berg, so nennen sie hier die Furka, gar zu
grimmig wäre, so möchten wir wieder zurückkehren und einen andern Weg
suchen.  Mit unsern zwei Pferden und einem Maulesel kamen wir nun bald
über angenehme Matten, wo das Thal so eng wird, daß es kaum einige
Büchsenschüsse breit ist.  Es hat daselbst eine schöne Weide, worauf
große Bäume stehen, und Felsstücke, die sich von benachbarten Bergen
abgelös't haben, zerstreut liegen.  Das Thal wird immer enger, man
wird genöthiget an den Bergen seitwärts hinauf zu steigen, und hat
nunmehr die Rhone in einer schroffen Schlucht immer rechts unter sich.
In der Höhe aber breitet sich das Land wieder recht schön aus, auf
mannichfaltig gebogenen Hügeln sind schöne nahrhafte Matten, liegen
hübsche Örter, die mit ihren dunkelbraunen hölzernen Häusern gar
wunderlich unter dem Schnee hervor gucken.  Wir gingen viel zu Fuß und
thaten's uns einander wechselseitig zu Gefallen.  Denn ob man gleich
auf den Pferden sicher ist, so sieht es doch immer gefährlich aus,
wenn ein anderer, auf so schmalen Pfaden, von so einem schwachen
Thiere getragen, an einem schroffen Abgrund, vor einem herreitet.
Weil nun kein Vieh auf der Weide sein kann, indem die Menschen alle in
den Häusern stecken, so sieht eine solche Gegend sehr einsam aus, und
der Gedanke, daß man immer enger und enger zwischen ungeheuren
Gebirgen eingeschlossen wird, gibt der Imagination graue und
unangenehme Bilder, die einen, der nicht recht fest im Sattel säße,
gar leicht herab werfen könnten.  Der Mensch ist niemals ganz Herr von
sich selbst.  Da er die Zukunft nicht weiß, da ihm sogar der nächste
Augenblick verborgen ist; so hat er oft, wenn er etwas Ungemeines
vornimmt, mit unwillkürlichen Empfindungen, Ahnungen, traumartigen
Vorstellungen zu kämpfen, über die man kurz hinter drein wohl lachen
kann, die aber oft in dem Augenblicke der Entscheidung höchst
beschwerlich sind.  In unserm Mittagsquartier begegnete uns was
Angenehmes.  Wir traten bei einer Frau ein, in deren Hause es ganz
rechtlich aussah.  Ihre Stube war nach hiesiger Landesart ausgetäfelt,
die Betten mit Schnitzwerk gezieret, die Schränke, Tische und was
sonst von kleinen Repositorien an den Wänden und in den Ecken
befestigt war, hatte artige Zierrathen von Drechsler- und Schnitzwerk.
An den Porträts, die in der Stube hingen, konnte man bald sehen, daß
mehrere aus dieser Familie sich dem geistlichen Stand gewidmet hatten.
Wir bemerkten auch eine Sammlung wohl eingebundener Bücher über der
Thür, die wir für eine Stiftung eines dieser Herren hielten.  Wir
nahmen die Legenden der Heiligen herunter und lasen drin, während das
Essen für uns zubereitet wurde.  Die Wirthin fragte uns einmal als sie
in die Stube trat, ob wir auch die Geschichte des heil.  Alexis
gelesen hätten?  Wir sagten Nein, nahmen aber weiter keine Notiz davon
und jeder las in seinem Capitel fort.  Als wir uns zu Tische gesetzt
hatten, stellte sie sich zu uns und fing wieder von dem heil.  Alexis
an zu reden.  Wir fragten, ob es ihr Patron oder der Patron ihres
Hauses sei, welches sie verneinte, dabei aber versicherte, daß dieser
heilige Mann so viel aus Liebe zu Gott ausgestanden habe, daß ihr
seine Geschichte erbärmlicher vorkomme, als viele der übrigen.

Da sie sah, daß wir gar nicht unterrichtet waren, fing sie an uns zu
erzählen: Es sei der heil.  Alexis der Sohn vornehmer, reicher und
gottesfürchtiger Eltern in Rom gewesen, sei ihnen, die den Armen
außerordentlich viel Gutes gethan, in Ausübung guter Werke mit
Vergnügen gefolgt; doch habe ihm dieses noch nicht genug gethan,
sondern er habe sich in der Stille Gott ganz und gar geweiht, und
Christo eine ewige Keuschheit angelobet.  Als ihn in der Folge seine
Eltern an eine schöne und treffliche Jungfrau verheirathen wollen,
habe er zwar sich ihrem Willen nicht widersetzt, die Trauung sei
vollzogen worden; er habe sich aber, anstatt sich zu der Braut in die
Kammer zu begeben, auf ein Schiff das er bereit gefunden gesetzt, und
sei damit nach Asien übergefahren.  Er habe daselbst die Gestalt eines
schlechten Bettlers angezogen und sei dergestalt unkenntlich geworden,
daß ihn auch die Knechte seines Vaters, die man ihm nachgeschickt,
nicht erkannt hätten.  Er habe sich daselbst an der Thüre der
Hauptkirche gewöhnlich aufgehalten, dem Gottesdienst beigewohnt und
sich von geringem Almosen der Gläubigen genährt.  Nach drei oder vier
Jahren seien verschiedene Wunder geschehen, die ein besonderes
Wohlgefallen Gottes angezeigt.  Der Bischof habe in der Kirche eine
Stimme gehört, daß er den frömmsten Mann, dessen Gebet vor Gott am
angenehmsten sei, in die Kirche rufen und an seiner Seite den Dienst
verrichten sollte.  Da dieser hierauf nicht gewußt wer gemeint sei,
habe ihm die Stimme den Bettler angezeigt, den er denn auch zu großem
Erstaunen des Volks hereingeholt.  Der heil.  Alexis, betroffen daß
die Aufmerksamkeit der Leute auf ihn rege geworden, habe sich in der
Stille davon und auf ein Schiff gemacht, willens weiter sich in die
Fremde zu begeben.  Durch Sturm aber und andere Umstände sei er
genöthiget worden, in Italien zu landen.  Der heil.  Mann habe hierin
einen Wink Gottes gesehen und sich gefreut eine Gelegenheit zu finden,
wo er die Selbstverläugnung im höchsten Grade zeigen konnte.  Er sei
daher geradezu auf seine Vaterstadt losgegangen, habe sich als ein
armer Bettler vor seiner Eltern Hausthür gestellt, diese, ihn auch
dafür haltend, haben ihn nach ihrer frommen Wohlthätigkeit gut
aufgenommen, und einem Bedienten aufgetragen, ihn mit Quartier im
Schloß und den nöthigen Speisen zu versehen.  Dieser Bediente,
verdrießlich über die Mühe und unwillig über seiner Herrschaft
Wohlthätigkeit, habe diesen anscheinenden Bettler in ein schlechtes
Loch unter der Treppe gewiesen, und ihm daselbst geringes und
sparsames Essen gleich einem Hunde vorgeworfen.  Der heil.  Mann,
anstatt sich dadurch irre machen zu lassen, habe darüber erst Gott
recht in seinem Herzen gelobt, und nicht allein dieses, was er so
leicht ändern können, mit gelassenem Gemüthe getragen, sondern auch
die andauernde Betrübniß der Eltern und seiner Gemahlin über die
Abwesenheit ihres so geliebten Alexis mit unglaublicher und
übermenschlicher Standhaftigkeit ausgehalten.  Denn seine
vielgeliebten Eltern und seine schöne Gemahlin hat er des Tags wohl
hundertmal seinen Namen ausrufen hören, sich nach ihm sehnen und über
seine Abwesenheit ein kummervolles Leben verzehren sehen.  An dieser
Stelle konnte sich die Frau der Thränen nicht mehr enthalten und ihre
beiden Mädchen, die sich während der Erzählung an ihren Rock gehängt,
sahen unverwandt an der Mutter hinauf.  Ich weiß mir keinen
erbärmlichern Zustand vorzustellen, sagte sie, und keine größere
Marter, als was dieser heilige Mann bei den Seinigen und aus freiem
Willen ausgestanden hat.  Aber Gott hat ihm seine Beständigkeit auf's
herrlichste vergolten, und bei seinem Tode die größten Zeichen der
Gnade vor den Augen der Gläubigen gegeben.  Denn als dieser heilige
Mann, nachdem er einige Jahre in diesem Zustande gelebt, täglich mit
größter Innbrunst dem Gottesdienste beigewohnet, so ist er endlich
krank geworden ohne daß jemand sonderlich auf ihn Acht gegeben.

Als darnach an einem Morgen der Papst, in Gegenwart des Kaisers und
des ganzen Adels, selbst hohes Amt gehalten, haben auf einmal die
Glocken der ganzen Stadt Rom wie zu einem vornehmen Todtengeläute zu
läuten angefangen; wie nun jedermänniglich darüber erstaunt, so ist
dem Papste eine Offenbarung geschehen, daß dieses Wunder den Tod des
heiligsten Mannes in der ganzen Stadt anzeige, der in dem Hause des
Patricii so eben verschieden sei.  Der Vater des Alexis fiel auf
Befragen selbst auf den Bettler.  Er ging nach Hause und fand ihn
unter der Treppe wirklich todt.  In den zusammengefalteten Händen
hatte der heil.  Mann ein Papier stecken, welches ihm der Alte,
wiewohl vergebens, herauszuziehen suchte.  Er brachte diese Nachricht
dem Kaiser und Papst in die Kirche zurück, die alsdann mit dem Hofe
und der Klerisei sich aufmachten, um selbst den heil.  Leichnam zu
besuchen.  Als sie angelangt, nahm der heil.  Vater ohne Mühe das
Papier dem Leichnam aus den Händen, überreichte es dem Kaiser, der es
sogleich von seinem Kanzler vorlesen ließ.  Es enthielte dieses Papier
die bisherige Geschichte dieses Heiligen.  Da hätte man nun erst den
übergroßen Jammer der Eltern und der Gemahlin sehen sollen, die ihren
theuren Sohn und Gatten so nahe bei sich gehabt und ihm nichts zu Gute
thun können, und nunmehro erst erfuhren wie übel er behandelt worden.
Sie fielen über den Körper her, klagten so wehmüthig, daß niemand von
allen Umstehenden sich des Weinens enthalten konnte.  Auch waren unter
der Menge Volks, die sich nach und nach zudrängten, viele Kranke die
zu dem heil.  Körper gelassen und durch dessen Berührung gesund wurden.
Die Erzählerin versicherte nochmals, indem sie ihre Augen trocknete,
daß sie keine erbärmlichere Geschichte niemals gehört habe; und mir
kam selbst ein so großes Verlangen zu weinen an, daß ich große Mühe
hatte es zu verbergen und zu unterdrücken.  Nach dem Essen suchte ich
im Pater Cochem die Legende selbst auf, und fand, daß die gute Frau
den ganzen reinen menschlichen Faden der Geschichte behalten und alle
abgeschmackten Anwendungen dieses Schriftstellers rein vergessen hatte.
Wir gehen fleißig in's Fenster und sehen uns nach der Witterung um,
denn wir sind jetzt sehr im Fall, Winde und Wolken anzubeten.  Die
frühe Nacht und die allgemeine Stille ist das Element, worin das
Schreiben recht gut gedeiht, und ich bin überzeugt, wenn ich mich nur
einige Monate an so einem Orte inne halten könnte und müßte, so würden
alle meine angefangenen Dramen eins nach dem andern aus Noth fertig.
Wir haben schon verschiedene Leute vorgehabt und sie nach dem
Übergange über die Furka gefragt, aber auch hier können wir nichts
Bestimmtes erfahren, ob der Berg gleich nur zwei Stunden entfernt ist.

Wir müssen uns also darüber beruhigen, und morgen mit Anbruch des
Tages selbst recognosciren und sehen, auch sonst bin, so muß ich
gestehen, daß mir's höchst verdrießlich wäre, wenn wir
zurückgeschlagen würden.  Glückt es, so sind wir morgen Abend in Realp
auf dem Gotthard und übermorgen zu Mittage auf dem Gipfel des Bergs
bei den Kapuzinern; mißlingt's, so haben wir nur zwei Wege zur
Retirade offen, wovon keiner sonderlich besser ist als der andere.
Durch's ganze Wallis zurück und den bekannten Weg über Bern auf Luzern;
oder auf Brieg zurück und erst durch einen großen Umweg auf den
Gotthard!  Ich glaube, ich habe Ihnen das in diesen wenigen Blättern
schon dreimal gesagt.  Freilich ist es für uns von der größten
Wichtigkeit.  Der Ausgang wird entscheiden, ob unser Muth und Zutrauen,
daß es gehen müsse, oder die Klugheit einiger Personen, die uns
diesen Weg mit Gewalt widerrathen wollen, Recht und Muth, das Glück
über sich erkennen müssen.  Nachdem wir vorher nochmals das Wetter
examinirt, die Luft kalt, den Himmel heiter und ohne Disposition zu
Schnee gesehen haben, legen wir uns ruhig zu Bette.



Münster, den 12. Nov. früh 6 Uhr.

Wir sind schon fertig und alles ist eingepackt, um mit Tages Anbruch
von hier weg zu gehen.  Wir haben zwei Stunden bis Oberwald, und von
da rechnet man gewöhnlich sechs Stunden auf Realp.  Unser Maulthier
geht mit dem Gepäck nach, so weit wir es bringen können.



Realp, den 12. Nov. Abends.

Mit einbrechender Nacht sind wir hier angekommen.  Es ist überstanden
und der Knoten, der uns den Weg verstrickte, entzwei geschnitten.  Eh'
ich Ihnen sage, wo wir eingekehrt sind, eh' ich Ihnen das Wesen
unserer Gastfreunde beschreibe, lassen Sie mich mit Vergnügen den Weg
in Gedanken zurück machen, den wir mit Sorgen vor uns liegen sahen und
den wir glücklich, doch nicht ohne Beschwerde, zurückgelegt haben.

Um Sieben gingen wir von Münster weg und sahen das beschneite
Amphitheater der hohen Gebirge vor uns zugeschlossen, hielten den Berg,
der hinten quer vorsteht, für die Furka; allein wir irrten uns, wie
wir nachmals erfuhren; sie war durch Berge, die uns links lagen, und
durch hohe Wolken bedeckt.  Der Morgenwind blies stark und schlug sich
mit einigen Schneewolken herum, und jagte abwechselnd leichte Gestöber
an den Bergen und durch das Thal.  Desto stärker trieben aber die
Windweben an dem Boden hin und machten uns etlichemal den Weg
verfehlen, ob wir gleich, auf beiden Seiten von Bergen eingeschlossen,
Oberwald am Ende doch finden mußten.  Nach Neune trafen wir daselbst
an und sprachen in einem Wirthshaus ein, wo sich die Leute nicht wenig
wunderten, solche Gestalten in dieser Jahrszeit erscheinen zu sehen.
Wir fragten, ob der Weg über die Furka noch gangbar wäre?  Sie
antworteten, daß ihre Leute den größten Theil des Winters drüber
gingen; ob wir aber hinüber kommen würden, das wüßten sie nicht.  Wir
schickten sogleich nach solchen Führern; es kam ein untersetzter
starker Mann, dessen Gestalt ein gutes Zutrauen gab, dem wir unsern
Antrag thaten: Wenn er den Weg für uns noch practicabel hielte, so
sollt' ers sagen, noch einen oder mehr Kameraden zu sich nehmen und
mit uns kommen.  Nach einigem Bedenken sagte er's zu, ging weg, um
sich fertig zu machen und den andern mitzubringen.  Wir zahlten
indessen unserm Mauleseltreiber seinen Lohn, den wir mit seinem Thiere
nunmehr nicht weiter brauchen konnten, aßen ein weniges Käs und Brot,
tranken ein Glas rothen Wein und waren sehr lustig und wohlgemuth, als
unser Führer wieder kam und noch einen größer und stärker aussehenden
Mann, der die Stärke und Tapferkeit eines Rosses zu haben schien,
hinter sich hatte.  Einer hockte den Mantelsack auf den Rücken, und
nun ging der Zug zu Fünfen zum Dorfe hinaus, da wir denn in kurzer
Zeit den Fuß des Berges, der uns links lag, erreichten und allmählich
in die Höhe zu steigen anfingen.  Zuerst hatten wir noch einen
betretenen Fußpfad, der von einer benachbarten Alpe herunterging, bald
aber verlor sich dieser und wir mußten im Schnee den Berg hinauf
steigen.  Unsere Führer wanden sich durch die Felsen, um die sich der
bekannte Fußpfad schlingt, sehr geschickt herum, obgleich alles
überein zugeschneit war.  Noch ging der Weg durch einen Fichtenwald,
wir hatten die Rhone in einem engen unfruchtbaren Thal unter uns.
Nach einer kleinen Weile mußten wir selbst hinab in dieses Thal, kamen
über einen kleinen Steg und sahen nunmehr den Rhonegletscher vor uns.
Es ist der ungeheuerste, den wir so ganz übersehen haben.  Er nimmt
den Sattel eines Berges in sehr großer Breite ein, steigt
ununterbrochen herunter bis da wo unten im Thal die Rhone aus ihm
herausfließt.

An diesem Ausflusse hat er, wie die Leute erzählen, verschiedene Jahre
her abgenommen; das will aber gegen die übrige ungeheure Masse gar
nichts sagen.  Obgleich alles voll Schnee lag, so waren doch die
schroffen Eisklippen, wo der Wind so leicht keinen Schnee haften läßt,
mit ihren vitriolblauen Spalten sichtbar, und man konnte deutlich
sehen, wo der Gletscher aufhört und der beschneite Felsen anhebt.

Wir gingen ganz nahe daran hin, er lag uns linker Hand.  Bald kamen
wir wieder auf einen leichten Steg über ein kleines Bergwasser, das in
einem muldenförmigen unfruchtbaren Thal nach der Rhone zu floß.  Vom
Gletscher aber rechts und links und vorwärts sieht man nun keinen Baum
mehr, alles ist öde und wüste.  Keine schroffen und überstehenden
Felsen, nur lang gedehnte Thäler, sacht geschwungene Berge, die nun
gar im alles vergleichenden Schnee die einfachen ununterbrochenen
Flächen uns entgegen wiesen.  Wir stiegen nunmehr links den Berg hinan
und sanken in tiefen Schnee.  Einer von unsern Führern mußte voran und
brach, indem er herzhaft durchschritt, die Bahn, in der wir folgten.
Es war ein seltsamer Anblick, wenn man einen Moment seine
Aufmerksamkeit von dem Wege ab und auf sich selbst und die
Gesellschaft wendete: in der ödesten Gegend der Welt, und in einer
ungeheuren einförmigen schneebedeckten Gebirgs-Wüste, wo man rückwärts
und vorwärts auf drei Stunden keine lebendige Seele weiß, wo man auf
beiden Seiten die weiten Tiefen verschlungener Gebirge hat, eine Reihe
Menschen zu sehen, deren einer in des andern tiefe Fußtapfen tritt,
und wo in der ganzen glatt überzogenen Weite nichts in die Augen fällt,
als die Furche die man gezogen hat.

Die Tiefen, aus denen man herkommt, liegen grau und endlos in Nebel
hinter einem.  Die Wolken wechseln über die blasse Sonne,
breitflockiger Schnee stiebt in der Tiefe und zieht über alles einen
ewig beweglichen Flor.  Ich bin überzeugt, daß einer, über den auf
diesem Weg seine Einbildungskraft nur einigermaßen Herr würde, hier
ohne anscheinende Gefahr vor Angst und Furcht vergehen müßte.
Eigentlich ist auch hier keine Gefahr des Sturzes, sondern nur die
Lauwinen, wenn der Schnee stärker wird als er jetzt ist, und durch
seine Last zu rollen anfängt, sind gefährlich.

Doch erzählten uns unsere Führer, daß sie den ganzen Winter durch
drüber gingen, um Ziegenfelle aus dem Wallis auf den Gotthard zu
tragen, womit ein starker Handel getrieben wird.  Sie gehen alsdann,
um die Lauwinen zu vermeiden, nicht da wo wir gingen, den Berg
allmählich hinauf, sondern bleiben eine Weile unten im breitern Thal,
und steigen alsdann den steilen Berg gerade hinauf.  Der Weg ist da
sicherer, aber auch viel unbequemer.  Nach viertehalb Stunden Marsch
kamen wir auf dem Sattel der Furka an, bei'm Kreuz wo sich Wallis und
Uri scheiden.  Auch hier ward uns der doppelte Gipfel der Furka, woher
sie ihren Namen hat, nicht sichtbar.  Wir hofften nunmehr einen
bequemern Hinabstieg, allein unsere Führer verkündigten uns einen noch
tiefern Schnee, den wir auch bald fanden.  Unser Zug ging wie vorher
hinter einander fort, und der vorderste, der die Bahn brach, saß oft
bis über den Gürtel darin.  Die Geschicklichkeit der Leute, und die
Leichtigkeit womit sie die Sache tractirten, erhielt auch unsern guten
Muth; und ich muß sagen, daß ich für meine Person so glücklich gewesen
bin, den Weg ohne große Mühseligkeit zu überstehen, ob ich gleich
damit nicht sagen will, daß es ein Spaziergang sei.  Der Jäger Hermann
versicherte, daß er auf dem Thüringerwalde auch schon so tiefen Schnee
gehabt habe, doch ließ er sich am Ende verlauten, die Furka sei ein S..
.r.  Es kam ein Lämmergeier mit unglaublicher Schnelle über uns
hergeflogen; er war das einzige Lebende was wir in diesen Wüsten
antrafen, und in der Ferne sahen wir die Berge des Ursner Thals im
Sonnenschein.  Unsere Führer wollten in einer verlassenen, steinernen
und zugeschneiten Hirtenhütte einkehren und etwas essen, allein wir
trieben sie fort um in der Kälte nicht stille zu stehen.  Hier
schlingen sich wieder andere Thäler ein, und endlich hatten wir den
offenen Anblick in's Ursner Thal.  Wir gingen schärfer und, nach
viertehalb Stunden Wegs vom Kreuz an, sahen wir die zerstreuten Dächer
von Realp.  Wir hatten unsere Führer schon verschiedentlich gefragt,
was für ein Wirthshaus und besonders was für Wein wir in Realp zu
erwarten hätten.  Die Hoffnung, die sie uns gaben, war nicht
sonderlich, doch versicherten sie, daß die Kapuziner daselbst, die
zwar nicht, wie die auf dem Gotthard, ein Hospitium hätten, dennoch
manchmal Fremde aufzunehmen pflegten.  Bei diesen würden wir einen
guten rothen Wein und besseres Essen als im Wirthshaus finden.  Wir
schickten einen deßwegen voraus, daß er die Patres disponiren und uns
Quartier machen sollte.  Wir säumten nicht ihm nach zu gehen und kamen
bald nach ihm an, da uns denn ein großer ansehnlicher Pater an der
Thür empfing.  Er hieß uns mit großer Freundlichkeit eintreten und bat
noch auf der Schwelle, daß wir mit ihnen vorlieb nehmen möchten, da
sie eigentlich, besonders in jetziger Jahrszeit, nicht eingerichtet
wären, solche Gäste zu empfangen.  Er führte uns sogleich in eine
warme Stube und war sehr geschäftig, uns, indem wir unsere Stiefeln
auszogen und Wäsche wechselten, zu bedienen.  Er bat uns einmal über
das andre, wir möchten ja völlig thun, als ob wir zu Hause wären.
Wegen des Essens müßten wir, sagte er, in Geduld stehen, indem sie in
ihrer langen Fasten begriffen wären, die bis Weihnachten dauert.  Wir
versicherten ihm, daß eine warme Stube, ein Stück Brot und ein Glas
Wein, unter gegenwärtigen Umständen, alle unsere Wünsche erfülle.  Er
reichte uns das Verlangte, und wir hatten uns kaum ein wenig erholt,
als er uns ihre Umstände und ihr Verhältniß hier auf diesem öden
Flecke zu erzählen anfing.  Wir haben, sagte er, kein Hospitium, wie
die Patres auf dem Gotthard; wir sind hier Pfarrherrn und unser drei:
ich habe das Predigtamt auf mir, der zweite Pater die Schullehre und
der Bruder die Haushaltung.  Er fuhr fort zu erzählen, wie
beschwerlich ihre Geschäfte seien, am Ende eines einsamen, von aller
Welt abgesonderten Thales zu liegen, und für sehr geringe Einkünfte
viele Arbeit zu thun.  Es sei sonst diese, wie die übrigen dergleichen
Stellen, von einem Weltgeistlichen versehen worden, der aber, als
einstens eine Schneelauwine einen Theil des Dorfs bedeckt, sich mit
der Monstranz geflüchtet; da man ihn denn abgesetzt und sie, denen man
mehr Resignation zutraue, an dessen Stelle eingeführt habe.  Ich habe
mich, um dieses zu schreiben, in eine obere Stube begeben, die durch
ein Loch von unten auf geheizt wird.  Es kommt die Nachricht, daß das
Essen fertig ist, die, ob wir gleich schon einiges vorgearbeitet haben,
sehr willkommen klingt.

Nach Neun.

Die Patres, Herren, Knechte und Träger haben alle zusammen an Einem
Tische gegessen; nur der Frater, der die Küche besorgte, war erst ganz
gegen Ende der Tafel sichtbar.  Er hatte aus Eiern, Milch und Mehl gar
mannichfaltige Speisen zusammengebracht, die wir uns eine nach der
andern sehr wohl schmecken ließen.  Die Träger, die eine große Freude
hatten, von unserer glücklich vollbrachten Expedition zu reden, lobten
unsre seltene Geschicklichkeit im Gehen, und versicherten, daß sie es
nicht mit einem jeden unternehmen würden.  Sie gestanden uns nun, daß
heute früh als sie aufgefordert wurden, erst einer gegangen sei, uns
zu recognosciren, um zu sehen, ob wir wohl die Miene hätten, mit ihnen
fortzukommen; denn sie hüteten sich sehr, alte oder schwache Leute in
dieser Jahrszeit zu begleiten, weil es ihre Pflicht sei, denjenigen,
dem sie einmal zugesagt ihn hinüber zu bringen, im Fall er matt oder
krank würde, zu tragen und selbst wenn er stürbe, nicht liegen zu
lassen, außer wenn sie in augenscheinliche Gefahr ihres eigenen Lebens
kämen.  Es war nunmehr durch dieses Geständniß die Schleuse der
Erzählung aufgezogen, und nun brachte einer nach dem andern
Geschichten von beschwerlichen oder verunglückten Bergwanderungen
hervor, worin die Leute hier gleichsam wie in einem Elemente leben, so
daß sie mit der größten Gelassenheit Unglücksfälle erzählen, denen sie
täglich selbst unterworfen sind.  Der eine brachte eine Geschichte vor,
wie er auf dem Kandersteg, um über den Gemmi zu gehen, mit noch einem
Kameraden, der denn auch immer mit Vor- und Zunamen genennt wird, in
tiefem Schnee, eine arme Familie angetroffen, die Mutter sterbend, den
Knaben halb todt, und den Vater in einer Gleichgültigkeit, die dem
Wahnsinne ähnlich gewesen.  Er habe die Frau aufgehockt, sein Kamerade
den Sohn, und so haben sie den Vater, der nicht vom Flecke gewollt,
vor sich hergetrieben.

Bei'm Absteigen vom Gemmi sei die Frau ihm auf dem Rücken gestorben,
und er habe sie noch todt bis hinunter in's Leukerbad gebracht.  Auf
Befragen, was es für Leute gewesen seien, und wie sie in dieser
Jahrszeit auf die Gebirge gekommen, sagte er: es seien arme Leute aus
dem Canton Bern gewesen, die, von Mangel getrieben, sich in
unschicklicher Jahrszeit auf den Weg gemacht, um Verwandte im Wallis
oder den italiänischen Provinzen aufzusuchen, und seien von der
Witterung übereilt worden.  Sie erzählten ferner Geschichten, die
ihnen begegnen, wenn sie Winters Ziegenfelle über die Furka tragen, wo
sie aber immer gesellschaftsweise zusammen gingen.  Der Pater machte
dazwischen viele Entschuldigungen wegen seines Essens, und wir
verdoppelten unsere Versicherungen, daß wir nicht mehr wünschten, und
erfuhren, da er das Gespräch auf sich und seinen Zustand lenkte, daß
er noch nicht sehr lange an diesem Platze sei.  Er fing an vom
Predigtamte zu sprechen und von dem Geschick, das ein Prediger haben
müsse; er verglich ihn mit einem Kaufmann, der seine Waare wohl heraus
zu streichen und durch einen gefälligen Vortrag den Leuten angenehm zu
machen habe.  Er setzte nach Tisch die Unterredung fort, und indem er
aufgestanden die linke Hand auf den Tisch stemmte, mit der rechten
seine Worte begleitete, und von der Rede selbst rednerisch redete, so
schien er in dem Augenblick uns überzeugen zu wollen, daß er selbst
der geschickte Kaufmann sei.  Wir gaben ihm Beifall, und er kam von
dem Vortrage auf die Sache selbst.  Er lobte die katholische Religion.
Eine Regel des Glaubens müssen wir haben, sagte er: und daß diese so
fest und unveränderlich als möglich sei, ist ihr größter Vorzug.  Die
Schrift haben wir zum Fundamente unsers Glaubens, allein dieß ist
nicht hinreichend.  Dem gemeinen Manne dürfen wir sie nicht in die
Hände geben; denn so heilig sie ist und von dem Geiste Gottes auf
allen Blättern zeugt, so kann doch der irdisch gesinnte Mensch dieses
nicht begreifen, sondern findet überall leicht Verwirrung und Anstoß.
Was soll ein Laie Gutes aus den schändlichen Geschichten, die darin
vorkommen, und die doch zu Stärkung des Glaubens für geprüfte und
erfahrne Kinder Gottes von dem heil.  Geiste aufgezeichnet worden, was
soll ein gemeiner Mann daraus Gutes ziehen, der die Sachen nicht in
ihrem Zusammenhange betrachtet?  Wie soll er sich aus den hier und da
anscheinenden Widersprüchen, aus der Unordnung der Bücher, aus der
mannichfaltigen Schreibart herauswickeln, da es den Gelehrten selbst
so schwer wird, und die Gläubigen über so viele Stellen ihre Vernunft
gefangen nehmen müssen?  Was sollen wir also lehren?  Eine auf die
Schrift gegründete mit der besten Schriftauslegung bewiesene Regel!
Und wer soll die Schrift auslegen?  Wer soll diese Regel festsetzen?
Etwa ich oder ein anderer einzelner Mensch?  Mit nichten!  Jeder hängt
die Sache auf eine andere Art zusammen, stellt sie sich nach seinem
Concepte vor.  Das würde eben so viele Lehren als Köpfe geben, und
unsägliche Verwirrungen hervorbringen, wie es auch schon gethan hat.

Nein, es bleibt der allerheiligsten Kirche allein, die Schrift
auszulegen und die Regel zu bestimmen, wornach wir unsere
Seelenführung einzurichten haben.  Und wer ist diese Kirche?  Es ist
nicht etwa ein oder das andere Oberhaupt, ein oder das andere Glied
derselben, nein!  Es sind die heiligsten, gelehrtesten, erfahrensten
Männer aller Zeiten, die sich zusammen vereiniget haben, nach und nach,
unter dem Beistand des heil.  Geistes, dieses übereinstimmende große
und allgemeine Gebäude aufzuführen; die auf den großen Versammlungen
ihre Gedanken einander mitgetheilet, sich wechselseitig erbaut, die
Irrthümer verbannt und eine Sicherheit, eine Gewißheit unserer
allerheiligsten Religion gegeben, deren sich keine andre rühmen kann;
ihr einen Grund gegraben und eine Brustwehr aufgeführet, die die Hölle
selbst nicht überwältigen kann.  Eben so ist es auch mit dem Texte der
heil.  Schrift.  Wir haben die Vulgata, wir haben eine approbirte
Übersetzung der Vulgata, und zu jedem Spruche eine Auslegung, welche
von der Kirche gebilliget ist.  Daher kommt die Übereinstimmung, die
einen jeden erstaunen muß.  Ob Sie mich hier reden hören an diesem
entfernten Winkel der Welt, oder in der größten Hauptstadt in einem
entferntesten Lande, den ungeschicktesten oder den fähigsten; alle
werden Eine Sprache führen, ein katholischer Christ wird immer
dasselbige hören, überall auf dieselbige Weise unterrichtet und
erbauet werden: und das ist's was die Gewißheit unsers Glaubens macht,
was uns die süße Zufriedenheit und Versicherung gibt, in der wir einer
mit dem andern fest verbunden leben, und in der Gewißheit, uns
glücklicher wieder zu finden, von einander scheiden können.  Er hatte
diese Rede, wie im Discurs, eins auf das andre, folgen lassen, mehr in
dem innern behaglichen Gefühl, daß er sich uns von einer
vortheilhaften Seite zeige, als mit dem Ton einer bigotten
Belehrungssucht.  Er wechselte theils mit den Händen dabei ab, schob
sie einmal in die Kuttenärmel zusammen, ließ sie über dem Bauch ruhen,
bald holte er mit gutem Anstand seine Dose aus der Kapuze und warf sie
nach dem Gebrauch wieder hinein.  Wir hörten ihm aufmerksam zu, und er
schien mit unserer Art, seine richte {ed.-???}.



Den 13. Nov., oben auf dem Gipfel
des Gotthards bei den Kapuzinern.

Morgens um Zehn.

Endlich sind wir auf dem Gipfel unserer Reise glücklich angelangt!
Hier, ist's beschlossen, wollen wir stille stehen und uns wieder nach
dem Vaterlande zuwenden.

Ich komme mir sehr wunderbar hier oben vor; wo ich mich vor vier
Jahren mit ganz andern Sorgen, Gesinnungen, Planen und Hoffnungen, in
einer andern Jahrszeit, einige Tage aufhielt, und mein künftiges
Schicksal unvorahnend durch ein ich weiß nicht was bewegt Italien den
Rücken zukehrte und meiner jetzigen Bestimmung unwissend entgegen ging.
Ich erkannte das Haus nicht wieder.  Vor einiger Zeit ist es durch
eine Schneelauwine stark beschädigt worden; die Patres haben diese
Gelegenheit ergriffen, und eine Beisteuer im Lande eingesammelt, um
ihre Wohnung zu erweitern und bequemer zu machen.  Beide Patres, die
hier oben wohnen, sind nicht zu Hause, doch, wie ich höre, noch eben
dieselben die ich vor vier Jahren antraf.  Pater Seraphim, der schon
dreizehn Jahre auf diesem Posten aushält, ist gegenwärtig in Mailand,
den andern erwarten sie noch heute von Airolo herauf.  In dieser
reinen Luft ist eine ganz grimmige Kälte.  Sobald wir gegessen haben,
will ich weiter fortfahren, denn vor die Thüre, merk' ich schon,
werden wir nicht viel kommen.  Nach Tische.

Es wird immer kälter, man mag gar nicht von dem Ofen weg. Ja es ist
die größte Lust sich oben drauf zu setzen, welches in diesen Gegenden,
wo die Öfen von steinernen Platten zusammen gesetzt sind, gar wohl
angeht.  Zuvörderst also wollen wir an den Abschied von Realp und
unsern Weg hieher.  Noch gestern Abend, ehe wir zu Bette gingen,
führte uns der Pater in sein Schlafzimmer, wo alles auf einen sehr
kleinen Platz zusammen gestellt war.  Sein Bett, das aus einem
Strohsack und einer wollenen Decke bestund, schien uns, die wir uns an
ein gleiches Lager gewöhnt, nichts Verdienstliches zu haben.  Er

Zufriedenheit, seinen Bücherschrank und andere Dinge.  Wir lobten ihm
alles und schieden sehr zufrieden von einander, um zu Bette zu gehen.
Bei der Einrichtung des Zimmers hatte man, um zwei Betten an Eine Wand
anzubringen, beide kleiner als gehörig gemacht.  Diese
Unbequemlichkeit hielt mich vom Schlaf ab, bis ich mir durch
zusammengestellte Stühle zu helfen suchte.  Erst heute früh bei hellem
Tage erwachten wir wieder und gingen hinunter, da wir denn durchaus
vergnügte und freundliche Gesichter antrafen.  Unsere Führer, im
Begriff den lieblichen gestrigen Weg wieder zurück zu machen, schienen
es als Epoche anzusehn und als Geschichte, mit der sie sich in der
Folge gegen andere Fremde was zu Gute thun könnten; und da sie gut
bezahlt wurden, schien bei ihnen der Begriff von Abenteuer vollkommen
zu werden.  Wir nahmen noch ein starkes Frühstück zu uns und schieden.
Unser Weg ging nunmehr durch's Ursner Thal, das merkwürdig ist, weil
es in so großer Höhe schöne Matten und Viehzucht hat.  Es werden hier
Käse gemacht, denen ich einen besondern Vorzug gebe.  Hier wachsen
keine Bäume; Büsche von Saalweiden fassen den Bach ein, und an den
Gebirgen flechten sich kleine Sträucher durch einander.  Mir ist's
unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste;
es sei nun daß alte Erinnerungen sie werth machen, oder daß mir das
Gefühl von so viel zusammengeketteten Wundern der Natur ein heimliches
und unnennbares Vergnügen erregt.  Ich setze zum voraus, die ganze
Gegend, durch die ich Sie führe, ist mit Schnee bedeckt, Fels und
Matte und Weg sind alle überein verschneit.  Der Himmel war ganz klar
ohne irgend eine Wolke, das Blau viel tiefer als man es in dem platten
Lande gewohnt ist, die Rücken der Berge, die sich weiß davon
abschnitten, theils hell im Sonnenlicht, theils blaulich im Schatten.
In anderthalb Stunden waren wir in Hospital; ein Örtchen das noch im
Ursner Thal am Weg auf den Gotthard liegt.  Hier betrat ich zum
erstenmal wieder die Bahn meiner vorigen Reise.  Wir kehrten ein,
bestellten uns auf Morgen ein Mittagessen und stiegen den Berg hinauf.
Ein großer Zug von Mauleseln machte mit seinen Glocken die ganze
Gegend lebendig.  Es ist ein Ton, der alle Berg-Erinnerungen rege
macht.  Der größte Theil war schon vor uns aufgestiegen, und hatte den
glatten Weg mit den scharfen Eisen schon ziemlich aufgehauen.  Wir
fanden auch einige Wegeknechte, die bestellt sind, das Glatteis mit
Erde zu überfahren, um den Weg practicabel zu erhalten.  Der Wunsch,
den ich in vorigen Zeiten gethan hatte, diese Gegend einmal im Schnee
zu sehen, ist mir nun auch gewährt.  Der Weg geht an der, über Felsen
sich immer hinabstürzenden, Reuß hinauf, und die Wasserfälle bilden
hier die schönsten Formen.  Wir verweilten lange bei der Schönheit des
einen, der über schwarze Felsen in ziemlicher Breite herunterkam.
Hier und da hatten sich, in den Ritzen und auf den Flächen, Eismassen
angesetzt, und das Wasser schien über schwarz und weiß gesprengten
Marmor herzulaufen.  Das Eis blinkte wie Krystall-Adern und Strahlen
in der Sonne, und das Wasser lief rein und frisch dazwischen hinunter.
Auf den Gebirgen ist keine beschwerlichere Reisegesellschaft als
Maulthiere.  Sie halten einen ungleichen Schritt, indem sie, durch
einen sonderbaren Instinct, unten an einem steilen Orte erst stehen
bleiben, dann denselben schnell hinauf schreiten und oben wieder
ausruhen.  Sie halten auch auf geraden Flächen, die hier und da
vorkommen, manchmal inne, bis sie durch den Treiber, oder durch die
nachfolgenden Thiere vom Platze bewegt werden.  Und so, indem man
einen gleichen Schritt hält, drängt man sich an ihnen auf dem schmalen
Wege vorbei, und gewinnt über solche ganze Reihen den Vortheil.  Steht
man still, um etwas zu betrachten, so kommen sie einem wieder zuvor,
und man ist von dem betäubenden Laut ihrer Klingeln und von ihrer
breit wir endlich auf dem Gipfel des Berges an, den Sie sich wie einen
kahlen Scheitel, mit einer Krone umgeben, denken müssen.  Man ist hier
auf einer Fläche, ringsum wieder von Gipfeln umgeben, und die Aussicht
wird in der Nähe und Ferne von kahlen und auch meistens mit Schnee
bedeckten Rippen und Klippen eingeschränkt.  Man kann sich kaum
erwärmen, besonders da sie nur mit Reißig heizen können, und auch
dieses sparen müssen, weil sie es fast drei Stunden herauf zu
schleppen haben, und oberwärts, wie gesagt, fast gar kein Holz wächs't.
Der Pater ist von Airolo herauf gekommen, so erfroren, daß er bei
seiner Ankunft kein Wort hervorbringen konnte.  Ob sie gleich hier
oben sich bequemer als die übrigen vom Orden tragen dürfen, so ist es
doch immer ein Anzug, der für dieses Klima nicht gemacht ist.  Er war
von Airolo herauf den sehr glatten Weg gegen den Wind gestiegen; der
Bart war ihm eingefroren, und es währte eine ganze Weile, bis er sich
besinnen konnte.  Wir unterhielten uns von der Beschwerlichkeit dieses
Aufenthalts; er erzählte, wie es ihnen das Jahr über zu gehen pflege,
ihre Bemühungen und häuslichen Umstände.  Er sprach nichts als
Italiänisch, und wir fanden hier Gelegenheit von den Übungen, die wir
uns das Frühjahr in dieser Sprache gegeben, Gebrauch zu machen.  Gegen
Abend traten wir einen Augenblick vor die Hausthüre heraus, um uns vom
Pater denjenigen Gipfel zeigen zu lassen, den man für den höchsten des
Gotthards hält; wir konnten aber kaum einige Minuten dauern, so
durchdringend und angreifend kalt ist es.  Wir bleiben also wohl für
dießmal in dem Hause eingeschlossen, bis wir morgen fortgehen, und
haben Zeit genug das Merkwürdige dieser Gegend in Gedanken zu
durchreisen.

Aus einer kleinen geographischen Beschreibung werden Sie sehen, wie
merkwürdig der Punct ist, auf dem wir uns jetzt befinden.  Der
Gotthard ist zwar nicht das höchste Gebirg der Schweiz, und in Savoyen
übertrifft ihn der Montblanc an Höhe um sehr vieles; doch behauptet er
den Rang eines königlichen Gebirges über alle andere, weil die größten
Gebirgsketten bei ihm zusammen laufen und sich an ihn lehnen.  Ja,
wenn ich mich nicht irre, so hat mir Herr Wyttenbach zu Bern, der von
dem höchsten Gipfel die Spitzen der übrigen Gebirge gesehen, erzählt,
daß sich diese alle gleichsam gegen ihn zu neigen schienen.  Die
Gebirge von Schweiz und Unterwalden, gekettet an die von Uri, steigen
von Mitternacht, von Morgen die Gebirge des Graubündter Landes, von
Mittag die der italiänischen Vogteien herauf, und von Abend drängt
sich durch die Furka das doppelte Gebirg, welches Wallis einschließt,
an ihn heran.  Nicht weit vom Hause hier sind zwei kleine Seen, davon
der eine den Tessin durch Schluchten und Thäler nach Italien, der
andere gleicherweise die Reuß nach dem Vier-Waldstädtersee ausgießt.
Nicht fern von hier entspringt der Rhein und läuft gegen Morgen, und
wenn man alsdann die Rhone dazu nimmt, die an einem Fuß der Furka
entspringt, und nach Abend durch das Wallis läuft; so befindet man
sich hier auf einem Kreuzpuncte, von dem aus Gebirge und Flüsse in
alle vier Himmels-Gegenden auslaufen.



Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Briefe aus der Schweiz" von
Johann Wolfgang von Goethe.



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