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Title: Die Hallig - Die Schiffbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee
Author: Biernatzki, Johann Christoph
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Hallig - Die Schiffbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee" ***


                               Deutsche
                       Hand- und Hausbibliothek

                          Collection Spemann



                              Die Hallig
                                 oder
                  die Schiffbrüchigen auf dem Eiland
                            in der Nordsee
                                 von
                           J. C. Biernatzki


             Mit einer Einleitung von _Heinrich Düntzer_

                              Stuttgart
                        Verlag von W. Spemann

                       Alle Rechte vorbehalten.

      Druck der _C. Hoffmann'schen_ Buchdruckerei in Stuttgart.



                             Einleitung.


Auf die weder durch Deiche noch durch Dünen geschützten ganz kleinen
Eilande an der Westküste Schleswigs, die als _Hallige_ bezeichnet
werden, richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit, als man von der
furchtbaren Sturmflut des 3. Februar 1825 vernahm, welche Kirchen,
Hütten und jedes Besitztum weggeschwemmt und die dem Untergang
Entronnenen in solche Not versetzt hatte, daß sie auch in weitern
Kreisen zu thatkräftiger Mildthätigkeit antrieb. Als Prediger der
nordwestlichsten dieser Halligen, welche von der im Jahre 1634 durch das
tobende Meer größtenteils verschlungenen umfangreichen Insel Nordstrand,
den Namen Nordstrandischmoor führt, wirkte damals Johann Christof
Biernatzki. Er war am 17. Oktober 1795 als Sohn eines Gastwirts in dem
holsteinischen Flecken Elmshorn geboren. Von Jugend an schwach und
kränklich, von den Blattern stark entstellt, kam er erst spät auf das
Altonaer Gymnasium, wo der durch langes Leiden in sich gescheuchte Knabe
eine gründliche Vorbildung empfing. Er war hier Zeuge der Leiden des
benachbarten Hamburg während des französischen Krieges. Nach
Deutschlands Befreiung widmete er sich zu Jena, Halle und Kiel der
Theologie und den morgenländischen Sprachen, aber die auf den
Hochschulen herrschende, das Herz leer lassende Behandlung des
Christentums konnte ihn nicht befriedigen. Seine Seele verlangte nach
Erwärmung und Erhebung, die er aus der lebendig aufgefaßten Offenbarung
in Gottes Wort und seiner Natur schöpfte. Frischer Natursinn begeisterte
ihn, die Schönheit des Deutschen Vaterlandes, (denn als Deutscher fühlte
er sich) und die Wunder der Schweiz aufzusuchen. Als er im Jahre 1821
die Prüfung weniger glänzend, als er gehofft, in Glückstadt bestanden,
nahm er die ihm angebotene Stelle als Prediger auf der Hallig
Nordstrandischmoor an, wie kümmerlich und von aller Welt abgeschnitten
auch das Leben der mit Spott oder Mitleid betrachteten »Halligpriester«
sein mochte. Nordstrandischmoor zählte auf seiner kleinen
Viertelquadratmeile neun Hütten mit etwa fünfzig Einwohnern, die sich
kärglich von der Schafzucht nährten. Die alte Kirche war 1816 von der
Flut weggerissen worden, der die Hallig so sehr ausgesetzt war. Bei dem
höchst schwachen Einkommen hatte der Priester, wie man die Prediger
nannte, auch den Schulunterricht zu besorgen. Alles dies schreckte ihn
nicht ab; er wollte als christlicher Prediger auf seine Gemeinde wirken,
und eine lenkbarere konnte er nicht finden, da auf der Hallig strengste
Sittlichkeit herrschte, dabei aber mußte er auf jede erheiternde
Geselligkeit verzichten, da die Bewohner in sich verschlossen, nur dem
Bedürfnis des Tages und dem alten Gotte lebten. Gleich in der ersten
Zeit riß das aufgeregte Meer die neue Kirche weg und beschädigte das
Pfarrhaus, aber gläubig hielt der treue Priester aus. Schon zwei Jahre
später führte er in seine bescheidene Wohnung die Geliebte seiner Seele,
Henriette de Vries, die ihn mit einer ihm bald wieder entrissenen
Tochter beschenkte. Die Geburt einer zweiten erfreute ihn unmittelbar
vor der Sturmflut des Jahres 1825, die ihm nur Gattin und Tochter ließ,
auch Kirche und Pfarrhaus verschlang, blos der alte goldene
Abendmahlskelch von 1549 fand sich wunderbar erhalten.

Für Biernatzki war dieses Unglück die Veranlassung nicht allein zu
seiner Versetzung als Prediger der evangelisch-lutherischen Gemeinde in
Friedrichstadt, sondern auch zu seinem ersten Auftreten als Dichter;
denn noch in demselben Jahre ließ er sein »religiöses Lehrgedicht, der
Glaube«, zum Besten seiner durch die letzte Ueberschwemmung zu Grunde
gerichteten Gemeinde erscheinen. Die Teilnahme war so groß, daß noch in
demselben Jahre eine zweite Auflage folgte. Ruhte auch Biernatzki's Muse
nicht, die sich gern in reinen Herzenstönen erging, so trat er doch in
den nächsten neun Jahren nur bei besondern Gelegenheiten öffentlich auf:
das Jahr 1829 brachte das Festgedicht »Der König und sein Volk«, und als
der durch den Pariser Julisturm aufgeregte Freiheitsgeist aus
Schleswig-Holstein und Dänemark ergriff, suchte er durch eine im Druck
erschienene Predigt »Die Pflichten des Bürgers in einer unruhigen Zeit«
christliches Oel auf die brandenden Wogen zu gießen. Bei der allgemeinen
Bewegung trieb es ihn, auch die Form des Romans, dessen
sittenverderblichen Einfluß er tief bedauerte, in christlicher und
sittlicher Wirkung zu verwerten. Zehn Jahre nachdem er seine Hallig
verlassen, trat er mit den Erzählungen »Wege zum Glauben oder die Liebe
aus der Kindheit« hervor, deren Absicht die nähere Bezeichnung
»Wanderungen auf dem Gebiete der Theologie im Modekleide der Novelle«
entschieden ausspricht. Denselben Nebentitel führt auch die im nächsten
Jahre erschienene »Die Hallig«, die schon 1840 zum zweiten, 1852 zum
drittenmal aufgelegt, auch ins Englische und Holländische übersetzt
wurde. Ihr folgt 1839 die einfach als Novelle bezeichnete, von demselben
Geiste durchdrungene, Erzählung »Der brave Knabe oder die Gemeinde in
der Zerstreuung«. Im Jahre 1840 wurde Biernatzki auf seinen Wunsch zum
Pfarrer von Rüdern in Holstein befördert, aber schon hatte ihn eine
schmerzliche Krankheit ergriffen, die ihn, ehe er seine neue Gemeinde
übernehmen konnte, am 11. Mai 1840 hinraffte. Seine 1844 gesammelten
Schriften brachten auch eine Novelle »Des letzten Matrosen Tagebuch« und
seine zum Teil in Zeitschriften zerstreuten Gedichte. Daß von diesen,
wie auch von der Sammlung der Werke, eine neue Auflage sich nötig
erwies, deutet auf die Wirkung, welche der frühe hingeschiedene Dichter,
auch im Gedränge verschiedenster Richtungen, auf empfängliche Gemüter
geübt[1].

In seiner »Hallig«, die uns in den wenigen Monaten vom 9. September 1824
bis zum folgenden 3. Februar eine große Menge von Ereignissen auf dem
kleinen, einsamen Eilande zeigt, hat Biernatzki seiner frühern Gemeinde
und sich selbst, als Priester und Dichter, ein dauerndes Denkmal
gegründet, aber auch zum Besten der armen Halligpriester einen nicht
wirkungslosen Mahnruf erlassen. Die gemütliche, in tiefster Seele
wurzelnde Liebe der Bewohner von Nordstrandischmoor zur Heimat, ihre
still zufriedene Beschränkung, ihr gläubiges Vertrauen auf Gottes Wort
als Leitstern in allen Leiden und Nöten tritt lebendig hervor, und wir
erschauen, wie gerade die äußern Verhältnisse diesen Charakter immer
mächtiger den Halligern aufdrücken mußten, die von aller Welt
geschieden, auf dem kleinsten Raum vom Meer beschränkt, auf den Anblick
dieses gewaltigen Elementes, einer äußerst kärglichen Natur und der
ewigen Himmelsschrift angewiesen, von einem gläubigen, wie sie selbst,
in dürftigen Umständen lebenden Priester geleitet, fast nur durch
schiffbrüchige Fremde und die geforderten Abgaben mit der Außenwelt
verbunden waren. Und auf einem solchen Boden muß die echte Treue
wachsen, die sich nur des stillen Genusses freuen will und sich mit
allen Wurzelfasern in den einmal liebgewonnenen Zustand einsenkt. Nur
eine übermächtige Wirkung kann eine solche Treue wankend machen, wie es
Biernatzki auf ergreifende Weise zu schildern weiß, so daß kaum ein
leiser Zweifel an diese Möglichkeit aufzusteigen vermag.
Unerschütterlicher als die Treue, zeigt sich die Heimatsliebe, der das
unnatürliche Verhältnis weichen muß, zu dem der Verlobte, der so viele
Jahre lang nach seiner Geliebten sich gesehnt, durch einen wunderlichen
Zufall gerade beim Betreten seiner Hallig hingerissen worden. Wenn der
Geliebte, den auf der weiten Erde, die er gesehen, nichts abwendig
machen konnte, in einem unbewachten Augenblick sich vergißt, so hält das
liebende Mädchen unerschütterlich fest an seiner Treue, an seiner reinen
Einfalt und Unschuld; in ihrem Herzen ist »Gottes Erdreich«.

[Fußnote 1: Eine Gesamtausgabe der Schriften Biernatzki's ist im Verlag
von Ferd. Riehm in Basel erschienen, welche wir allen Freunden des
Schriftstellers empfehlen.]

Aber der Dichter zeigt uns nicht allein, wie die Hallig auf die
Eingeborenen wirkt, der Aufenthalt auf ihr bewirkt auch die Bekehrung
eines hochgebildeten fremden Kaufmanns, den Gott hier erkennen läßt,
»was uns Not thut«. Dazu müssen freilich andere Umstände und auch der
Priester mitwirken, aber alles dies beruht doch im Wesen des der
Herrschaft des Meeres unterworfenen Halligs. Hierin wie in der ganzen
Erfindung entwickelt Biernatzki großes Geschick. Nicht weniger zeigt die
Entwicklung der Seelenzustände einen feinen Beobachter, wenn auch bei
einzelnen Zügen die Absichtlichkeit hervortreten mag. Die größte
Meisterschaft aber bewährt er in den großartigen Naturschilderungen,
beim Schiffbruche und der Rettung nach der Hallig, bei dem schon gleich
am Anfang angedeuteten, später so ergreifend in Scene gesetzten
Schicklaufe und zuletzt bei der die unglückliche Geschichte von Godber
und Maria zu einem bei allem Grausigen doch zu einem beruhigenden
Abschluß bringenden Sturmflut.

Neben allem aber tritt die Persönlichkeit Biernatzki's selbst uns in dem
voll ausgeführten Bilde Holds, zu dem er selbst fast alle Züge geliefert
hat, höchst verehrungsvoll als Muster eines vom innersten Geiste
getriebenen werktätigen christlichen Geistlichen entgegen, das auch
diejenigen ansprechen wird, die eine ganz abweichende Ansicht von der
Offenbarung und der geistigen Bestimmung des Menschen haben, und seinen
Träumen von einer Zeit des Rechtes und der Wahrheit auf Erden eben nur
das Recht eines Traumes einräumen. Freilich möchten manche wünschen, daß
die Bekehrungsgespräche nicht einen so breiten Raum einnähmen, besonders
aber, daß die eigenen Bemerkungen, mit welchen der Dichter zuweilen
gleichsam mit dem Finger auf die sittliche Verführung mahnend hindeutet,
weggeblieben oder, so viel nötig, in die Darstellung verflochten wären.

Auch aus der ganzen sprachlichen Darstellung weht uns ein dichterisches
Gemüt entgegen, das lebendig zu schildern, die rechten Farbentöne zu
wählen, durch leicht fließenden, treffenden Ausdruck zu fesseln weiß, so
daß nur hier und da etwas Schleppendes, nie etwas Ungehöriges oder die
Reinheit der Sprache Trübendes stören möchte. So ist auch der äußern
Form nach die »Hallig« durchaus der Abdruck einer reinen, wolgestimmten
Seele.

                                                     Heinrich Düntzer.



                                  I.


   Der erste Blick, der auf zum Lichte schaut,
   Der erste schwanke Schritt im Staube,
   Des Mutternamens erster schwacher Laut:
   Giebt's eine Zeit, die sie dem Herzen raube?

An der Westküste des Herzogtums Schleswig finden sich, umflutet von den
Wogen der Nordsee, mehrere Inseln, die als Ueberreste einer
zusammenhängenden Landstrecke, welche dem Meere zum Raube geworden ist,
den Bewohner des festen Küstenlandes daran erinnern, sich mit allen ihm
zu Gebote stehenden Mitteln der Fluten zu erwehren.

Die größeren dieser Eilande sind teils durch Deiche (künstliche
Seedämme), teils durch Dünen (natürliche Höhen von Meersand) vor den
Wogen geschützt, die, täglich mit Flut und Ebbe kommend und gehend,
immer neue Versuche zu machen scheinen, die letzten Brocken ihres großen
Raubes in den gierigen Schlund des Meeres hinunterzuziehen. Bei der Ebbe
geht die See so weit zurück, daß ein meilenweiter Schlickgrund
bloßgelegt wird, der noch in kräuselnden Zügen das Bild der Wogen
darstellt, die ihn vor wenigen Stunden überfluteten. Einzelne Rinnen und
andere Senkungen werden aber auch dann nicht wasserleer, und besonders
winden sich für jene Zeit sichtbar rings um die Inseln die, mit einander
und dem zurückgewichenen Ocean zusammenhängenden, sogenannten Tiefen,
gleichsam Schlangenarme, mit denen der eine Zeit lang an andern Gestaden
kämpfende Riese die nie vergessene Beute umschlungen hält, daß sie nicht
einen Augenblick der Hoffnung sich überlasse, von ihm aufgegeben zu
sein. Diese Tiefen, welche dem einsamen Wanderer, der auf dem weichen,
feinem Fußtritt für eine kurze Zeit überlassenen Meeresgrunde Krabben,
Rochen oder einen von dem schnellen Abfluß der Wogen überraschten
Seehund sucht, auch bei der hohlsten Ebbe unüberschreitbare Grenzen
setzen, verhindern die Verbindung zwischen den Inseln zu Lande selbst
dann, wenn sie am scheinbarsten ist. Nur einzelne kleinere Eilande
erfreuen sich beim Rückgange des Meeres einer kurzen Gemeinschaft mit
einander oder mit dem festen Lande, auch ohne das umständliche Mittel
der Schifffahrt; aber wehe dem Wanderer, der zu viel dem trügerischen
Riesen vertraute! Dieser kehrt oft mit ungewöhnlicher Schnelligkeit
zurück, führet den Nebel mit sich als Bundesgenossen, und der
Schlickläufer, so nennt man den, welcher die Ebbe zu größeren
Wanderungen benutzt, siehet das heimische Gestade vor seinen Blicken
verschwinden, er fühlt die Flut um seine Füße spielen, Entsetzen sträubt
sein Haar bei diesem Spiel, er eilt mit Todesangst vorwärts, die schon
ganz gefüllten Rinnen versperren seinen Weg, er wendet sich seitwärts,
um sie zu umgehen, er verliert dadurch seine Richtung, läuft hin und
her, ist gefangen ohne Ausweg, und mit jedem Augenblick kriecht die Flut
höher an ihn hinan, sein Geschrei verhallt in der großen, weiten
Wasserwüste und wird zuletzt von den ihn überrauschenden Wogen ganz
erstickt, die bald seine Leiche bedecken; denn ein tiefflutendes Meer
ist da, wo noch vor Kurzem die Fußstapfen des Armen sichtbar waren.

Im Gegensatz der größeren, durch Deiche und Dünen gesicherten Inseln
werden die kleineren Eilande Halligen genannt. Eine solche Hallig ist
ein flaches Grasfeld, das kaum zwei bis drei Fuß höher liegt, als der
Strand der gewöhnlichen Flut des Meeres, und daher, weder durch Kunst
noch durch Natur beschützt, sehr oft, und besonders in den Wintermonaten
sogar wol zweimal an einem Tage, von der wogenden See überschwemmt wird.
Die bedeutendsten dieser Halligen sind noch keine halbe Quadratmeile
groß; die kleineren, oft nur von einer Familie bewohnten, kaum ein paar
tausend Fuß lang und breit; die kleinsten und unbewohnten dienen nur
dazu, ein wenig kurzes und feines Heu zu gewinnen, das aber sehr oft,
ehe es geborgen werden kann, von der Flut weggespült wird. Das geborgene
Heu wird in Diemen zusammengehäuft, über die ein Flechtwerk von Stroh,
an beiden Enden mit Steinen belastet herabhängt, wodurch sie eine solche
Festigkeit gewinnen, daß nur mit eisernen Spaten das zum jedesmaligen
Gebrauche Nötige abgestochen werden kann, und diese Heuberge an der
Seite des Hauses oft noch eine Zuflucht geben, wenn die Mauern vor der
Gewalt der Wellen niederbrechen. Auf künstlichen Erderhöhungen oder
Werften stehen die einzelnen Wohnungen, die selten mehr Raum auf der
sich schräge absenkenden Höhe lassen, als zu einem schmalen Gang um die
Hütte erforderlich ist. Daher trifft man denn auch auf fast allen
Halligen keinen Fleck Gartenland für ein wenig Gemüse, keinen einzigen
Strauch mit einer erquickenden Beere, keinen Baum zu einem Ruheplatz im
Schatten. Für solche Genüsse müßte die Werfte größer sein, deren
Aufführung und Unterhaltung aber schon, so klein sie ist, mehr Kosten
erfordert, als das einfache Gebäude, das darauf steht. Auf der Ebene
sproßt der Ueberschwemmungen wegen kein fröhliches Gewächs, keine
nährende Frucht. Sie ist eine Wüste, die freilich durch ihr fahles Grün,
das noch dazu vielfach von schmutziggrau überschlickten Stellen
unterbrochen wird, andeutet, wie das genügsame Schaf hier wol seine
spärliche Nahrung finden mag, die aber keineswegs jenen frischen,
duftigen Graswuchs kennt, in welchen sich behaglich die fette Kuh
hinstreckt, oder über welchem das wiehernde Roß mutwillig hin und her
sprengt. Suchst du sprudelnde Quellen, die einen Labetrunk geben
könnten, da, wo die Sonnenstrahlen, ohne durch eine buschigte
Blätterkrone gebrochen zu werden, auf das matte Grasfeld brennen? Wol
findest du vom Wellenschlag zerrissene Ufer; wol tiefe Einbrüche des
Meeres, die sich oft in langen Krümmungen weit in's Land hinein
erstrecken, als wollten sie es in noch kleinere Stücke zerteilen, um
leichter desselben Herr zu werden; wol viele stehende Lachen, ein
Nachlaß der letzten Ueberschwemmung, zur Erinnerung, daß das Land schon
halb dem Ocean gehöre und ihm bald ganz zufallen werde: aber
Trinkwasser? Auf der Werfte wird ein Behältnis ausgegraben und ringsum
mit Grassoden ausgesetzt; dahin mag sich Regenwasser von oben her
sammeln oder von den Seiten durchsickern es dient den Schafen zur Tränke
und ihren Herren zur Bereitung ihres Thees, obwol es von dem mit
Meersalzteilen durchdrungenen Boden den widerlichsten Geschmack
angenommen hat, der es für den nicht daran Gewöhnten ungenießbar macht.
Vielleicht bringt auch gar einmal ein Boot ein Tönnchen Wasser mit vom
festen Lande, und in Zeiten der Dürre kann solche Zufuhr zur
dringendsten Notwendigkeit werden. _Eine_ Freude hat doch wol der
Halligbewohner: das muntere Treiben eines täglichen und reichen
Fischfangs? Nein, nicht einmal den schönen Anblick eines in hellen,
grünlichen Wellen flutenden Meeres hat er; ein widriges, trübes Gelb in
Grau ist die gewöhnliche Farbe der Gewässer um ihn her, und vor dem
Aufenthalt in einer Meeresstrecke, die bei der Ebbe stundenweit ihren
Schlammboden aufdeckt, hüten sich die Fische und überlassen gern dem
Seehund und der häßlichen Roche allein das wenig einladende Gebiet. Und
dies Meer, das die Halligen umgiebt und so oft überwogt, und das auf
seinen verschiedenen Punkten nach den Namen der im Lauf der Jahrhunderte
darin begrabenen Landstellen und ihrer Eigner bezeichnet wird, dies an
Gaben so arme und an Raub so reiche Meer ist noch dazu fortwährend ein
Räuber, der bald mit langsamer, still untergrabender Macht, bald mit
wildstürmender Gewalt ein Stück Land nach dem andern von dem Eilande
abbricht, so daß der Halligbewohner schon die Jahre zählen kann, wann
den Hütten und den Heerden der letzte Raum genommen sein wird.

Doch glücklich die Hallig, wenn hiemit ihr Bild vollständig gezeichnet
wäre! Aber es bleibt noch eine furchtbare Seite übrig. Zur Gewohnheit
sind die Ueberschwemmungen geworden, die, alles flache Land überwogend,
an die Werfte hinaufsteigen und an die Mauern und Fenster der Hütten mit
ihrem weißen Schaum anschlagen. Da blicken denn diese Wohnungen aus der
weiten, umrollenden Wasserfülle nur noch als Strohdächer hervor, von
denen man nicht glaubt, daß sie menschliche Wesen bergen, daß Greise,
Männer, Frauen und Kinder unterdessen vielleicht ruhig um ihren
Theetisch hersitzen und kaum einen flüchtigen Blick auf den umdrängenden
Ocean werfen. Manch' ein fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff
segelte schon in solchen Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig
weg und die erstaunten Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn
sie auf einmal neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die hellen
Fenster einer Stube schimmern sahen, die halb von den Wellen bedeckt,
keinen andern Grund als diese Wellen zu haben schien. Aber es bricht der
Sturm zugleich mit der Flut auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen
gegen zwanzig Fuß über ihren gewöhnlichen Stand hinauf. Die Wogen dehnen
sich zu Berg und Thal, und das Meer sendet in immer neuen, langen Zügen
seine volle, breite Gewalt gegen die einzelnen Werften, um sie aus
seiner Bahn wegzuschieben. Der Erdhügel, der nur eine Zeit lang zitternd
widerstand, giebt nach; bei den unausgesetzten Angriffen bricht ein
Stück nach dem andern ab und schießt hinunter. Die Pfosten des Hauses,
welche die Vorsicht eben so tief in die Werfte hineinsenkte, als sie
darüber hervorstehen, werden dadurch entblößt; das Meer faßt sie,
rüttelt sie. Der erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine
besten Schafe hinauf auf den Boden, dann sieht er selbst nach; und hohe
Zeit war es! Denn schon stürzen die Mauern, und nur noch einzelne
Ständer halten den schwankenden Dachboden, die letzte Zuflucht. Mit
furchtbarem Siegesübermut schalten nun die Wogen in dem untern Teil des
Hauses, sie werfen Schränke, Kisten, Betten, Wiegen mit wildem Spiel
durch einander, schlagen sich immer freieren Durchgang, um Alles
hinauszureißen auf den weitern Tummelplatz ihrer unbändigen Kraft, und
der Stützpunkte des Daches werden immer weniger, des Daches, dessen
Niedersturz rettungslos einer noch vor wenigen Stunden in häuslicher
Geschäftigkeit mit einander wirkenden, oder im sanften Arm des
Schlummers neben einander ruhenden Familie ein schäumendes Grab
bereitet. Aengstlich lauscht das Ohr, ob nicht das Brausen des Sturmes
abnehme; ängstlich pocht das Herz bei jeder Erschütterung; immer enger
drängen die Unglücklichen sich zusammen. In der Finsternis sieht Keiner
das entsetzenbleiche Antlitz des Andern; im Donnergeroll der tobenden
Wogen verhallt das bange Gestöhn; aber Jeder kann an seiner eigenen Qual
die marternde Angst seiner Lieben ermessen. Der Mann preßt das Weib, die
Mutter ihre Kinder mit verzweiflungsvoller Todesgewißheit an sich; die
Bretter unter ihren Füßen werden von der drängenden Flut gehoben; aus
allen Fugen quellen die Wasser auf; das Dach wird durchlöchert vom
Wogensturz; ein irrer Mondstrahl dringt durch die zerrissenen Wolken,
fällt hinein auf die Jammerscene, die, von seinem bleichen, zuckenden
Lichte beleuchtet, in all' ihrer Furchtbarkeit erscheint und die
angstverzerrten Gesichter einander spiegelt. Da kracht ein Balken. Ein
furchtbarer Schreckruf! Noch eine martervolle Minute! Noch eine! Der
Dachboden senkt sich nach einer Seite; ein neuer Flutenberg schäumt
herauf, und im Sturmgeheul verhallt der letzte Todesschrei. Die
triumphierenden Wogen schleudern sich einander Trümmer und Leichen zu.

Dennoch liebt der Halligbewohner seine Heimat; liebt sie über Alles, und
der aus der Sturmflut Gerettete baut sich nirgends sonst wieder an, als
auf dem Fleck, wo er Alles verlor, und wo er in Kurzem wieder Alles, und
sein Leben mit, verlieren kann.

Wir bewundern den Sohn der afrikanischen Wüste, der sein Zelt aufschlägt
unter der Glut einer versengenden Sonne, in der Mitte einer
unübersehlichen, brennenden Sandstrecke. Er hat doch ein weites Gebiet,
das er nach allen Richtungen hin auf seinem flüchtigen Renner
durchstreift. Er hat doch seine Oasen, diese Inseln des Sandmeeres, wo
er im Schatten der Palme die Quellen sprudeln hört und Lieder singt zur
Ehre der Wüste, oder den wunderreichen Erzählungen eines vielgereisten
Karawanenführers horcht. Die Heimat, die er liebt, ist doch nicht ohne
Abwechslung, sein Leben nicht ohne Veränderung. Er schleppt sich nicht
hin in steter Einförmigkeit des Daseins, findet doch Raum für seine
Kraft, und hat doch Fernen, denen der Reiz der Neuheit nicht ganz fehlt.
Der Halligbewohner übersieht mit einem Blick alle seine nahen Grenzen,
sein Thun und Treiben ist dasselbe einen Tag wie den andern, außer daß
eine seltene Fahrt ihn zum Verkauf der Wolle seiner Schafe nach dem
festen Lande führt; und er fühlt sich bei seiner Abgeschiedenheit vom
Menschenverkehr fremd unter Fremden, sobald er seine Scholle im Meere
notgedrungen einmal verlassen hat. Alle seine Freuden und Genüsse
bleiben wie seine Arbeiten in einem kleinen Umfang beschränkt, ohne
lebhaften Reiz, ohne die Spannung einer Ungewöhnliches erwartenden
Aussicht. Ein bei der geringen Zahl der Bewohner oft erst nach Jahren
auf der Hallig wiederkehrender Hochzeitstanz gehört zu seinen höchsten
Vergnügungen.

Die Gefahren selbst, denen der Halligbewohner ausgesetzt ist, entbehren
den einzigen Reiz, den die Gefahr haben kann, den Gegenkampf. Mag der
Sand der Wüste, vom Sturm aufgewirbelt in die Wolken, als sollte das
Gewölbe des Himmels auch eine Sahara werden, daherjagen und Zeltdörfer
und Karavanenzüge in sein heißes, erstickendes Bett begraben: die
Möglichkeit der Flucht ist doch gegeben, und die Menschen versuchen auf
Rossen und Kamelen mit dem Sandsturm in die Wette zu jagen; und oft
gelingt es ihnen, dem drohenden Verderben zu entgehen. Der
Halligbewohner hat seinen Feind rund um sich; erhebt _der_ sich in
seiner schauervollen Macht, so muß er, hülfloser als ein Kind auf dem
Wege des tobenden Stieres, sich diesem Gewaltherrscher hingeben und
zitternd erwarten, ob er mitleidig schonend vorüberziehe oder in blinder
Wut alles niederwälze; er muß Leben oder Tod als ein willenloses
Schlachtopfer annehmen, ohne Hand oder Fuß zur völlig unmöglichen, weder
Gegenwehr noch Flucht zu regen. Verstand und Kraft sind ihm unnütz; nur
Ergebung ist sein Loos in dem vollen Bewußtsein seiner Ohnmacht.

Und nicht etwa die Unbekanntschaft mit den Vorzügen anderer Länder ist
es, was dem Halligbewohner seine Heimat lieb macht. Nein, er hat die
fruchtbarsten, reichsten Strecken vor seinen Augen. Hinter den Deichen
des festen Landes in seiner Nähe ist ein Boden, der seinen Bewohnern
einen Ueberfluß bietet wie wenige Länder der Erde ihn haben. Da reift
das schwere Korn; da streckt sich der breite Stier in den duftigsten
Klee; da erheben sich große und schöne Bauernhöfe, deren Bewohner, mit
allen Genüssen des Lebens vertraut und im Gefühl ihrer Wichtigkeit, mit
Stolz sich Bauern nennen. Oft auch, und früher noch mehr als jetzt,
führt den Halligbewohner in seiner Jugend und Mannheit der Dienst auf
Schiffen in ferne Lande. Durch seine Genügsamkeit und Rechtlichkeit auch
in der Fremde schwingt er sich zum Schiffsherrn auf; die reichsten
Handelsplätze, die herrlichsten Gegenden werden ihm bekannt wie die
eigene Heimat. Aber er hat Alles gesehen, Alles verglichen, und -- Alles
vergessen. Er kehrt mit seinem Ersparten heim zu seinem geliebten
Eilande, heim zu diesem trostlosen Boden, zu diesem gefahrvollsten Fleck
der Erde, zu dieser Oede voll Entbehrung und Entsagung, und dankt Gott,
daß seine Hallig noch nicht weggespült ist; und kaum hat er sich da
wieder eingerichtet, so ist er in seinem Wesen und seinen Neigungen wie
Einer, der nie die Welt sah.

Es ist auch nicht die Freiheit, die dem Halligbewohner seine kleine
Heimat, wie dem Mauren die Wüste, zum Paradiese macht. Er fühlt vielmehr
den Druck der Civilisation mit Abgaben, Zöllen und dergleichen, und
benutzt dagegen wenig von ihren Vorteilen: von Sicherheit des Eigentums,
-- ihn schützt ja schon genug seine Armut und seine Wogengrenze -- von
allgemeinem Verkehr, -- zu ihm führt keine gebahnte Straße, -- von
vermehrten Kenntnissen, -- zu ihm verirrt sich selten eine andere
Schrift als Bibel und Gesangbuch, -- von heiteren Künsten, -- die Kunst
dringt nicht zu seinen Hütten. Nicht einmal die Geselligkeit, die er
haben könnte, gilt ihm etwas. Er ist meistenteils wenig gesprächig, lebt
gern auf seiner Werfte für sich, und obwohl sein Prediger oder Priester,
wie er ihn nennt, von ihm sehr geehrt wird, so gelingt diesem doch nicht
leicht, es zu einer herzlichen Gemeinschaft zu bringen; da er, besonders
bei dem weiblichen Geschlecht, außer im Religiösen, den völligen Mangel
eines Anknüpfungspunktes an seine Bildung erkennen muß, und seine
hochdeutsche Sprache ihn der friesisch sprechenden Gemeinde entfremdet.
Nur auf diesen Eilanden hat nämlich das Friesische, das dem Englischen
nahe verwandt ist, und worauf der deutsche Sprachforscher mehr, als
bisher, sein Augenmerk richten sollte, noch fast seine ganze
Eigentümlichkeit sich bewahrt, während es auf den Küsten des festen
Landes schon nahe daran ist, in ein bloßes Gemisch auszuarten.

Eine dieser Halligen, von welchen wir im Obigen ein allgemeines und der
Wahrheit getreues Bild zu zeichnen versucht haben, ist der Ort der
nachfolgenden Handlung. Sie war damals, im Sommer des Jahres 1824, von
ungefähr fünfzig Menschen in neun Hütten, auf sechs über die Fläche
einer kleinen Viertelmeile zerstreuten Werften bewohnt, welche sich
durch Schafzucht kärglich, aber für die geringen Bedürfnisse
ausreichend, nährten. Eine, wenig vor den andern Wohnungen
ausgezeichnete, neue Kirche, nachdem 1816 die alte, und 1821 wieder eine
eben aufgebaute vom Meere weggerissen war, diente den gottesdienstlichen
Versammlungen der frommen Gemeinde.



                                 II.


   Das schlanke Schiff mit seinen weißen Schwingen
   Durchschäumt die Wogen, strebt hinauf, hinab;
   Auf Abgrunds Tiefen muß es vorwärts ringen:
   »Der Weg zum Hafen führt ja über's Grab.«

Es war ein stiller, heiterer Nachmittag am 9. September 1824; der klare
Himmel spiegelte sich in der glatten Flut des Meeres, das eben nur durch
solchen Wiederschein sich heute schöner als sonst malte, so rein und
deutlich ab, daß selbst das duftigste Wölkchen, das einen leisen
Schatten auf seine Klarheit geworfen hätte, auch auf dem Gegenbilde
sichtbar geworden wäre; aber weder Wolkenstreifen noch kräuselnde Wellen
trübten das lichte Blau.

Maria saß mit ihrer Mutter, einer betagten Witwe, in der kleinen,
niedrigen Stube ihrer Wohnung beim Spinnrade. Die höchste Reinlichkeit
und die blau und rot gemalten Wände und Fensterbänke, die mit blankem
Messing gezierte Lade, die den Hausschatz von Leinenzeug, Feierkleidern
und seidenen Tüchern enthielt und zugleich in einem Schiebfach einzelne
Kleinodien an goldenen Ringen und Ketten barg, die der Halligbewohner so
sehr liebt, gaben dem Ganzen ein freundliches Ansehen, wozu die mit
vielfarbigen Malereien geschmückten Thüren der Wandbetten besonders
beizutragen bestimmt schienen. Freilich waren die mit losen Kissen
belegten Stühle und der Tisch, der durch seine Größe den Raum der Stube
sehr beengte, nur von ungefärbtem Holze und verdankten ihre Politur
allein dem beständigen Gebrauch und der fleißig reinigenden und
glättenden Hand. Selten unterbrach ein einzelnes Wort aus dem Munde der
fleißigen Spinnerinnen die Stille, welche nur von den schnurrenden
Rädern mit ihrer eintönigen Geschäftigkeit belebt wurde. Eben so still
saß der weiße Schäferhund auf der Fensterbank und blickte mit seinen
hellen und klugen Augen durch die kleinen, in Blei gefaßten Scheiben
unverwandt auf das Meer hinaus, ohne daß sich doch dort irgend Etwas
gewahren ließ, das seine Aufmerksamkeit so rege erhalten konnte.

Doch auch Maria warf zuweilen, wenn ihre Arbeit es erlaubte, einen Blick
auf die See. Denn nach neunjähriger Abwesenheit sollte endlich in diesen
Wochen Godber wiederkehren, der nach weiten Seereisen zuletzt von
Hamburg aus geschrieben, wie er sich ein kleines Kapital erworben, um
seine väterliche Stelle auszulösen, und nun sich sehne, zu seiner Hallig
und zu seiner Maria zurückzukommen. Ihm war sie schon, nach der
Gewohnheit des Landes, seit ihrer frühesten Kindheit verlobt und hatte
ihm still und treu eine Liebe bewahrt, die freilich von jener
ungeduldigen Leidenschaftlichkeit, welche Viele ihrer Zeitgenossinnen
als eine notwendige Eigenschaft der Liebe zu betrachten scheinen, weit
entfernt war, die aber nichtsdestoweniger durch ihre Tiefe und Innigkeit
sich mit dem ganzen Dasein Maria's verschmolz, jede andere, auch nur
flüchtige Neigung gänzlich ausschloß und allen Gedanken und Empfindungen
der Jungfrau die bestimmteste und entschiedenste Richtung auf ihre
Pflichten als die Braut und künftige Gattin Godber's schon längst
gegeben hatte und erhielt. Wohl kam in den Briefen Godber's Manches vor,
das weit über die Fassungskraft seiner einfach erzogenen Braut hinaus
war, und sie konnte sich einer heimlichen Scheu vor ihm, der so Vieles
gesehen und gelernt haben müßte, da er so überklug zu schreiben
verstände, nicht immer ganz erwehren; aber er hatte doch auch wieder des
Glückes gedacht, wenn er nun die Welt gleichsam hinter sich abschlösse
und allein für seine Hallig und seine Maria lebe, um all' das bunte und
wirre Wesen und Treiben, das ihn ganz anwidere, auf dem kleinen,
friedlichen Raume, an der Seite einer geliebten, gleichgesinnten Gattin
zu vergessen. In solchen Aeußerungen fand ihr Herz sich heimatlich. Sie
zauberten ihr ein Morgenrot lieblicher Hoffnungen herauf, vor dem sie
die ihr fremde Färbung anderer Stellen seiner Briefe leicht übersah.

»Heute muß er kommen,« sprach sie zu ihrer Mutter, »mir ahnet so etwas.«

Dabei aber spann sie eben so emsig fort wie sonst; denn sie, wie ihre
Schwestern alle auf jenen Eilanden, wußte nichts von einer Liebe, die
untreu macht den nächsten, bescheidenen Pflichten des Berufs.

»Heute möchte ich Godber lieber nicht auf der See wissen,« meinte die
Mutter, »denn es ist ein Sturm im Anzuge. Hörst du nicht, wie die Möven
schreien?«

»Mutter,« rief Maria, »das thut der liebe Gott nicht! Ich habe ja so
fleißig gebetet, und Er hat mir ein so gewisses, fröhliches Herz
gegeben, daß ich weiß, Er thut es nicht.«

»Was thut er nicht?« fragte die Mutter.

»Er läßt keinen Sturm kommen, Godber zu verderben. Er läßt nur die Winde
los, daß sie die Segel straffer füllen und ihn recht schnell heimtragen
zu mir -- zu uns.«

»Er mache es nach seinem Wohlgefallen,« sagte andächtig jene. »Was Gott
thut, das ist wohlgethan! -- Komm, der Spitz ist schon vom Fenster
gesprungen und wartet voll Unruhe auf uns. Laß uns die Schafe
eintreiben, ehe das Wetter hereinbricht.«

Und sie gingen hinaus auf das Feld, wo der Hund, der schon lange, sei es
durch seine Beobachtung der gewöhnlichen Vorzeichen, oder durch die nur
seinen reizbaren Nerven merkliche Veränderung der Luft, die Witterung
von dem kommenden Sturm gehabt hatte, in raschen Sprüngen vor ihnen
voraus eilte und mit eifrigem Bellen die Schafe zusammen- und
entgegentrieb. Schon gingen in einzelnen Stößen die ersten Boten des
Sturmes über die Wellen hin. Diese rauschten unmutig auf und sanken
langsam wieder herab, als seien sie zu träge, um sich zum Kampf zu
erheben. In Südwesten stand noch die Abendsonne, aber nur nach oben hin
warf sie ihre Strahlen. Unter ihr war ein dunkles Gewölke
hervorgetreten, dessen Rand in gelbgrauen Farben spielte und das beinahe
eine Viertelstunde lang weder in der Höhe, noch in der Breite wuchs,
sondern gleichsam nur als Vorwacht über die See hinlugte. Plötzlich
rauschte ein neuer stärkerer Luftstrom daher, der aber mit noch
unsicherem Fuß über das Meer wandelte, so daß nur hier und da eine
einzelne Welle vor ihm aufschäumte; und Alles ward wieder still. Nun
aber, wie gehoben von einer nachdrängenden Macht, tauchten schwarze
Wolkenmassen empor und verhüllten das Antlitz der Sonne. Immer schneller
und heftiger folgten die Windstöße einander, immer unruhiger schüttelten
die Wogen das dunkle Haupt. Da streckte sich das düstere, schwere
Schattenbild am Rande des Horizonts zu langen Armen aus, die immer
weiter und weiter über den noch lichten Himmel streiften, und deren
mächtige Schatten über den Ocean hinjagten. Auf diesen Armen, wie auf
ihm gebahnten Straßen, flog der Sturm daher in seiner Kraft, neigte sich
zum Meere nieder und die furchtbare Schlacht begann. Die Wellen wogten
in breiten, gewaltigen Reihen auf, als wollten sie die Wolken in ihre
Tiefe niederziehen; aber der Sturm peitschte sie wieder von ihrer Höhe
herab, daß sie, vor Grimm schäumend, gleich stürzenden Gebirgen
niederbrachen, um mit neuer Wut nur noch höher sich zu erheben; und
immer rasender sauste der Sturm, und immer hohler rollten die Wogen mit
dumpfem Rauschen.

Unterdessen war eilig die kleine Herde auf die Werfte getrieben und
Maria wandte nun erst wieder den besorgten Blick auf das Meer, das
bereits über das Land hinausgetreten war und die einzelnen Hütten durch
seine Wellen von einander trennte. Da sah sie, und ihr Herz schlug höher
auf, einen weißen Punkt, der bald auf dem Schaumrande einer
hochbrausenden Woge keck dahertanzte, bald, in den schwarzen Abgrund
niederfahrend, sich ihrem Auge entzog, als wolle er nimmer wiederkehren.
»Ein Schiff, Mutter!« rief sie, und dachte an Godber. Auch die Mutter
heftete teilnehmend ihren Blick nach der bezeichneten Gegend, wo sie
aber anfangs mit ihren vom Alter geschwächten Augen nichts entdecken
konnte. Aber näher und näher kam es; erst wie ein weißer Fittig, der
einer verspäteten Möve anzugehören schien, die bald einen Ausweg durch
das dunkle, drückende Gewölbe über ihr zu suchen bemüht war, bald in die
verschlingenden Wellen untertauchte. Allmählig entfalteten sich die
Formen von Segeltüchern, dann wurden die Masten sichtbar und endlich
konnte man den ganzen schönen Bau beobachten, wie er jetzt, völlig auf
eine Seite gelehnt, den vollen Bogen des straffen Leins zu den Wogen
niedersenkte, und jetzt, wenn diese wie im kindischem Spiel den
flüchtigen Kuß den Segeln gegeben, wieder gerade sich aufrichtete, und
wie ein stolzer Sieger, der seinem glorreichen Grabe jauchzend
entgegeneilt, in die Tiefe hinabschwebte. Aber immer tauchte wieder der
leichte Kiel mit seinen glatten Wänden und seinen schlanken Masten, mit
seinem vielfach, aber in fester Ordnung verschlungenen Tauwerk und
seiner vom Meeresgruß dunkler gefärbten Segelfülle aus dem Ocean hervor
und wiederholte stets auf's Neue denselben Auf- und Niedergang, dabei
mit mannigfacher Wendung einen scheinbar regellosen, aber von erfahrener
Hand geleiteten Weg durch die zahlreichen Untiefen jenes Fahrwassers
verfolgend.

»Sie haben einen guten Steuermann,« sagte die Mutter; und: »Godber!«
tönte es leise von Maria's Lippen nach.

Jetzt machte das Schiff eine neue Wendung, die es glücklich durch zwei
einander beinahe berührende Untiefen hindurchbrachte, und trat aus dem
schäumenden Schwall der brandenden Wogen eben siegesfroh in die dunklere
Flut hinein.

»Steuer in Lee!« kreischte die Mutter, als könnte sie mit ihrem im Sturm
verhallenden Kommando das Schiff regieren; aber links drehte es sich und
jeden Augenblick erwarteten die ängstlichen Zuschauer, daß es nun an die
ihnen bekannte gefahrvolle Stelle kommen würde, wo es bei der geringsten
Abweichung zur Linken oder zur Rechten auf den dort zu beiden Seiten der
Tiefe mehr als anderswo erhöhten, jetzt freilich auch von der Flut
überdeckten Grund stoßen mußte. Doch plötzlich fielen alle schon lange
gerefften Segel gänzlich von den Masten ab, daß diese mit ihren nackten
Spieren verdorrten Fichten glichen, durch die die Wucht des Sturmes
unschädlich hinstreift, und das schwankende Schiff bewegte sich langsam
in einem Halbkreis herum, so daß das Boogspriet nun gegen den Wind
stand, nachdem es so lange die Richtung mit dem Winde angedeutet.

»Sie haben Anker geworfen;« rief Maria erfreut, und die alte kundige
Witwe bemerkte:

»Wenn sie, wie ich glaube, nach Husum wollen, so können sie nun wieder
mit der eintretenden Ebbe in den rechten Kurs kommen, von dem sie vor
dem Sturm zu weit nach Norden abgetrieben sind.«

Von ihrer Furcht für die Seefahrer befreit, gingen die Beiden in ihre
Wohnung. So lange die Tageshelle es erlaubte, warf Maria noch manchen
Blick aus dem Hinterstübchen zu dem Schiffe hinüber, das bei nun
eingetretener Ebbe ruhig auf seinem Platze liegen blieb, ohne daß man
vom Lande aus irgend eine Bewegung auf demselben bemerken konnte. Als
die Abenddämmerung die Aussicht hinderte, spann sie wieder ungestörter
an der Seite ihrer Mutter fort, wobei zwischen den Beiden Manches über
die Aussteuer und künftige Einrichtung verhandelt wurde. Denn auch die
Mutter war durch Maria's Zuversicht allmählig mit dem Gedanken vertraut
geworden, daß Godber auf dem Schiffe sei. Mit freundlichen Hoffnungen
gingen sie dann, später als sonst, zur Ruhe; jedoch nicht eher, als bis
sie andächtig mit einander mit folgendem kurzen, kunstlosen Versgebet
sich dem Schutze des Höchsten empfohlen:

   In Sturm und Wellenbraus
   Behüte Gott, mein Leben
   Und um mein schwaches Haus
   Laß Deine Engel schweben,
   Daß sich die wilden Wogen scheu'n
   Wie Lämmer vor dem starken Leu'n.

   Doch hast Du andern Sinn,
   Naht mir ein jähes Ende:
   So nimm mich gnädig hin
   In Deine Vaterhände;
   Und Todesflut und Christi Blut
   Mach' es mit meinen Sünden gut.



                                 III.


   Das Meer ist hier und dort
   Wie's woget und wie's weht,
   Gehorsam seinem Wort,
   Ein See Genezareth.

Wenden wir uns nun zu dem Schiffe, das, von des Ankers Zahn gehalten,
sich auf seiner gewählten Stelle von den Wellen schaukeln ließ, um das
Aufhören des Sturmes zu erwarten. Godber war wirklich, wie Maria es
geahnt hatte und wie die kundige Führung des Schiffes in diesen
Gewässern es erwarten ließ, auf demselben als Steuermann, und außer ihm
befanden sich der Kapitän und vier Matrosen am Bord, nebst drei
Passagieren: Herr Mander, Kaufmann aus Hamburg, zugleich Eigentümer der
Ladung, und seine schon erwachsenen Kinder, ein Sohn: Oswald, und eine
Tochter: Idalia. Nicht um der Geschäfte willen, sondern allein den
Bitten seiner Kinder zu Gefallen, die von einer Seetour sich das größte
Vergnügen versprochen, hatte Mander die Reise unternommen.

Die Hoffnung des Kapitäns, auf die, von der Mutter Maria's angegebene
Weise seinen Kurs wieder zu gewinnen, wurde getäuscht. Denn als nach
einigen Stunden die Ebbe wieder eintrat, lief das Wasser wegen des
fortdauernden Südwestwindes mit so geringer Strömung ab, daß es nicht
möglich war, mit Hülfe derselben das Schiff gegen den Wind
aufzuarbeiten, wodurch auch die Absicht Godber's, der gerade jenen
Ankerplatz vorgeschlagen, weil der Zug der abfließenden Wasser dort
sonst besonders stark trieb, vereitelt wurde. Nun trat der gefährliche
Uebelstand ein, daß das Schiff, auf seiner Stelle notgedrungen
gefesselt, bei der Ebbezeit mit seinem Boden manchen schweren Stoß gegen
den Meeresgrund auszuhalten hatte. Als darauf, nach Verlauf einiger
erwartungsvoller Stunden, die Flut wiederkehrte, und mit ihr der Sturm
in noch größerer Wut ausbrach, zeigte es sich bald, daß einige von jenen
Stößen gelöste Fugen Wasser sogen. Jetzt galt es, einen entscheidenden
Entschluß zu fassen, da auch die Dunkelheit der Nacht die Gefahr noch
vermehrte. Die angefangene Beratung zwischen Kapitän und Steuermann
wurde wider ihren Willen nur zu schnell beendigt. Ein furchtbarer Stoß,
der das Schiff in allen seinen Teilen erschütterte, als sollte es auf
einmal ganz aus einander gehen, deutete auf einen unerwarteten Fall.

»Die Ankerkette ist gebrochen!« Dieser Schreckensruf gab die Lösung des
Rätsels. »Die Taue auch?« schrie der Kapitän. Diese, viel schwächer,
aber lenksamer und dehnbarer, als die eiserne Gliederreihe, hielten
freilich für den Augenblick noch an zwei kleinen Ankern, es war aber zu
erwarten, daß der nächste Windstoß auch diesen letzten Halt nehmen
würde. »Alle Segel auf! alle Lappen bei! die Anker gekappt!« war nun,
nach schneller Uebereinkunft der Sachverständigen, das nächste Kommando;
und, die ganze Wucht des Sturmes in seine weiten Fittige fassend, die
schäumenden Wogen wie ein leichtes Schneegewölk auseinander stäubend,
flog das Schiff dem Strande zu. Ueber diesen waren freilich die Wellen
auch schon wieder mit der Flut hinübergegangen; aber der so ganz kundige
Mann am Steuer würde, obwohl die Dunkelheit die Werften nicht mehr
deutlich erkennen ließ, ihn nicht verfehlt haben. Allein zu viel war den
Masten zugemutet. Sie bogen sich, als hätten sie noch ganz die zähe,
elastische Kraft, mit der sie früher auf den Bergen der Heimat die
Gewalt der Stürme täuschten; sie strebten vorwärts, als wollten sie den
schweren Leib des Schiffes weit hinter sich lassen; doch schon kündeten
immer hellere verdächtige Laute eine Ueberspannung ihrer Kräfte. Der
Ruf: »Alle Beile, alle Messer zur Hand!« führte die Matrosen auf ihre
Posten, wo sie in ängstlicher Erwartung, mit gehobenem Arm horchten auf
das nächste Kommando. »Krach! Krach!« ging es plötzlich, Sturmgeheul und
Wogengebraus übertönend, durch alle Teile des Schiffes, und die ganze
volle Takelage schmetterte schräge auf das Vorderende nieder und tauchte
seitwärts in die Wogen hinab, daß die untern, gebrochenen Enden der
Masten sich aufwärts kehrten. »Kappt! Um Gotteswillen, kappt, kappt!«
gellte die Stimme des Kapitäns den Matrosen zu, die, obgleich vom Sturz
der Masten das Schiff im ersten Augenblick so tief in die Flut
hineingedrückt wurde, als sollte es nie wieder aus dem Abgrund sich
erheben, mit bewundernswürdiger Gewandtheit, getrieben von dem
Bewußtsein, daß ihr Leben von der schnellen und sichern Ausführung
abhinge, dem Befehl volle Genüge leisteten. Da schwankte denn in dem
nächsten Momente das ganze Segelwerk, das eben noch mit seinen vollen,
weiten Schwingen und den kühnen Masten so stolz sich zu heben und so
anmutig sich zu neigen wußte, eine wirre und schlaffe Masse auf der
dunklen Oberfläche des Meeres dahin, und das völlig seines besten
Schmuckes und seines führenden Zuges beraubte Schiff ward, ein
willenloser Spielball der gewaltigen Wogen, hin und her geschleudert. Es
war aus einem scheinbar belebten Wesen voll Zier, Mut und Stärke, zu
einem stumpfen, toten Holze, zu einem lecken Wrack geworden.

In dieser Lage mußten die, deren Leben nun in offenbarer Gefahr
schwebte, einen Entschluß fassen. Sollten sie erwarten, wie der Kampf
enden würde, den Sturm und Flut um das entmastete Schiff führten, das
diese, immer unaufhaltsamer eindringend, in ihre Tiefe zu ziehen suchte,
jener, es immer gewaltsamer vor sich herschleudernd, auf Untiefen zu
zertrümmern drohte? Sollten sie es für möglich halten, mit dem leichten
Boote, da die Schaluppe an ihrem Platze, am Fuß des großen Mastes, vom
Sturz desselben zerschmettert war, die Küste zu erreichen und auf der
überschwemmten Hallig in der Finsterniß an eine Werfte zu gelangen? Die
Reisenden forderten dringend diesen Versuch. Jede Aenderung war ihnen
eine Lebenshoffnung; auf dem Schiffe zu bleiben, schien ihnen der
gewisseste Tod. Dem Kapitän erlaubte es sein Pflichtgefühl nicht, so
lange noch eine Planke zusammenhielte, seinen Posten zu verlassen. Er
wollte aber auch seinen Passagieren nicht widerstreben, und überließ es
daher seinem Steuermann, wenn dieser die Möglichkeit der Rettung auf dem
Boote für wahrscheinlicher halte, als auf dem rasierten und noch dazu
lecken Schiffe, Jene an's Land zu bringen. Godber, vertrauend auf seine
genaue Kenntnis des Fahrwassers und der Hallig, verstand sich dazu, und
ihm schlossen sich zwei Matrosen an, die, gleichwie die Andern an aller
Rettung verzweifelnd, dennoch es vorzogen, einen letzten Kampf um ihr
Leben zu wagen und kämpfend unterzugehen, als sich auf dem Wrack
unthätig und kraftlos dem Verderben hinzugeben. Konnte bisher noch eine
Hoffnung da sein, das Schiff auf die eine oder die andere Weise vom
gänzlichen Untergang zu retten, so mußte diese, so schon auf das
schwächste Vielleicht gestützt, völlig wegfallen in dem Augenblick, da
Godber, der allein mit dieser See voll Strömungen und voll Untiefen
Vertraute, dasselbe verließ. Ihm selbst flog dieser Gedanke durch den
Sinn. Schon wollte er von dem übernommenen Rettungsversuch zurücktreten;
aber die flehend bittende Idalia stand vor ihm, und -- jede andere
Bedenklichkeit mußte schweigen. Die Heckjolle wurde daher vom Spiegel
des Schiffes in's Meer gelassen, von den drei Seeleuten mit Leichtigkeit
bestiegen, und mit erfahrener Gewandtheit an die Leeseite herumgebracht.
Aber es bedurfte einer vollen halben Stunde, um die Andern nur erst in's
Boot hinein zu bringen; denn das leichte Fahrzeug flog bald auf dem
schäumenden Kamm einer Welle weit vom Schiffe ab, bald wieder, der
niederrauschenden Woge nach, mit solchem Schwung auf dasselbe zu, als
sollte es im nächsten Augenblick daran zerschellen. Daher mußten die
Passagiere nach mancherlei Versuchen, die eben so oft die Furcht, als
der Mangel an Gewandtheit vergeblich machte, zuletzt an Seilen
heruntergelassen werden, und schwebend, von den am Schiffe brandenden
Wogen überschäumt, erwarten, bis das Boot wieder unter ihnen war. Wurden
sie dann auch nur eine halbe Minute zu spät niedergelassen, so tanzte
das Boot schon wieder fern von ihnen auf den schwindelnden Höhen eines
Wasserberges, oder war in den Hohlen ihrem Blick entzogen, und sie
tauchten in die Salzflut unter. Mander und Oswald, deren Hoffnung, sich
auf der Jolle zu retten, bei dieser nicht erwarteten Schwierigkeit, sie
nur zu besteigen, gänzlich dahin war, fügten sich doch willenlos allen
Anordnungen. Idalia, erschreckt durch solche Vorkehrungen, weigerte sich
lange, ihrem Vater und Bruder zu folgen, und die Ungeduld, die ihr
Zaudern erregte, war wohl eine Mitursache, daß, als sie sich endlich
entschlossen hatte, das Seil, welches sie so lange halten sollte, bis
das Boot sie aufgenommen, den Händen der Matrosen auf dem Schiffe
entglitt und sie in's Meer hinabstürzte. Godber aber, der kein Auge von
ihr gewandt, sprang sogleich in die brausenden Wogen nach und hielt sie
mit starkem Arm empor. Doch auch der fertigste Schwimmer würde einem
solchen tobenden Meer keine Beute entrissen haben. Glücklicher Weise
gelang es den Leuten im Boote, das Ende des Seils zu fassen, welches um
Idalia's Schultern gegürtet war, und so wurden Beide an Bord gezogen.

Bei diesem Aufenthalt und dieser alle Sinne in Anspruch nehmenden
Thätigkeit war es nicht leicht, die rechte Richtung nach dem kleinen
Fleck Landes, von dessen Auffinden ihre einzige Hoffnung abhing, wieder
zu gewinnen. Nur Godber, dem die Lage der Häuser auf der nahen Hallig
genau bekannt war, und der während des Tages fast keinen Blick von der
lieben Heimat gewandt hatte, vermochte in der trüben Finsterniß, die
Alles einhüllte, an einzelnen ihm allein bemerkbaren, dunkleren Flecken
sich zu vergewissern, welche Richtung einzuschlagen sei. Ein
gegenseitiges: Lebewohl! und: Behüt' euch Gott! riefen sich die
Abfahrenden und Zurückbleibenden noch zu, und bald hatte sie die dunkle
Nacht und die wogende See so weit von einander geschieden, daß kein
Zusammentreffen, wenn es auch versucht worden wäre, mehr möglich war.
Mander saß mit Oswald und Idalia platt auf dem Boden des Bootes, und
diese drei schreckten nur dann und wann in die Höhe, wenn eine
aufbrandende Woge ihren Schaumwall über das Boot hinschleuderte und es
in die Tiefe hinunterzuschwemmen drohte. Die Matrosen ruderten, obwohl
hoffnungslos, doch mit ruhiger, gleichmäßiger Anstrengung, als ob keine
Todesgefahr sie umgebe. Godber führte mit kraftvollem Arm das Steuer, in
künstlichen Wendungen dem Abbruch der niederstürzenden Flutmassen
auslenkend, und den am wenigsten gefährlichen Weg durch die wogenden
Thäler und auf den schwankenden Höhen mit dem Scharfsinn und der
Erfahrung eines auf den Wellen großgewiegten Seemanns für sein schwaches
Fahrzeug suchend. Dabei beachtete er mit durchdringenden Augen sorgsam
die Ferne, wenn eine Welle, die das Boot emportrug, eine weitere
Aussicht als von Woge zu Woge möglich machte. Aber die Finsterniß
lagerte sich immer dichter und undurchdringlicher über das tobende Meer
hin, und nur an dem kürzeren Schlag der Wellen unterschied er nach zwei
Stunden der angestrengtesten Arbeit seiner Ruderer und der
ungeduldigsten Aufmerksamkeit von seiner Seite, daß das Boot auf das
überschwemmte Land der Hallig gekommen sei. Ein unter dem Wasser
verborgener Pfahl oder Ueberrest einer alten Werfte konnte jetzt den
Nachen kentern und Allen Verderben bringen. Mit dem gespanntesten Blick
forschte Godber daher nach beiden Seiten hin, ob nicht ein Streif hohler
gehender Wogen ihm einen schmalen Seearm bezeichne, von dem er wußte,
daß er sich an dieser Seite des Landes weit in dasselbe hinstrecke. Gott
schärfte seinen Blick und leitete sein Steuer. Er fand jene Einfahrt, wo
dem minder Kundigen Alles ein Wogenschwall zu sein schien. Nun forderte
er den jungen Mander auf, das Steuer zu nehmen. Dieser aber war gänzlich
von Todesangst erstarrt und aller Kraft des Handelns völlig beraubt, daß
er bei dem Anruf regungslos sitzen blieb. Williger fand Godber den
Vater, der wenigstens halb bewußtlos sich zum Steuer hinsetzte, aber
auch wohl ohne Nachhülfe der Matrosen, die mit ihren Rudern zur Lenkung
der Jolle beitrugen, wenig geleistet haben würde, die schnell auf
einander folgenden Befehle Godber's, der sich auf das Vorderende des
Nachens mit einem langen Handstock gestellt hatte, rasch in's Werk zu
setzen. Da Niemand auf dem Boote Kunde hatte von der Einfahrt, in
welcher es sich nun fortbewegte, sondern Alle meinten, noch die tiefe
See um sich zu haben, so verstand auch Keiner den Zweck der Anordnungen
Godber's, seiner bald rechts bald links gebietenden Befehle; aber der
alte Mander gehorchte wie ein Sklave, der sich kein eigenes Denken und
Wollen erlauben darf, die Matrosen als Leute, die gewohnt sind, ihr
eigenes Urteil ganz dem strengsten Gehorsam unterzuordnen. Auf diese
Weise ging es bald mit dem Winde, bald hart an dem Winde noch anderthalb
Stunden fort, ohne daß sie darum eine bedeutende Strecke vorwärts
gekommen wären, denn die oft so plötzlichen Wendungen brachten immer
einige störende Verwirrung in den Gang des Bootes, und die Kräfte der
Ruderer waren beinahe erschöpft. Da führte eine neue kurze Wendung das
Fahrzeug wieder in eine andere Richtung, und als ob sie plötzlich fast
ganz aus dem Bereich des Windes herausgekommen wären, hörten sie nur
noch sein Sausen, fühlten es aber nicht mehr, und die Wogen, deren
Rauschen noch beinahe lauter als vorher an ihr Ohr schlug, spielten doch
viel ruhiger um den Nachen. An dieser Stelle konnte der kleine Anker
wohl halten, den sie auf Godber's Befehl sogleich auswarfen und die
Ruder einlegten.

Staunend über die rätselhafte Veränderung ihrer Lage, blickten die
seeerfahrenen Matrosen und der alte Mander, während seine Kinder sich
erst allmälig aus ihrer starren Angst erhoben, in die Nacht hinaus; aber
Alles um sie her war so schwarz verhüllt, daß sie kaum sich einander,
viel weniger irgend Etwas außerhalb des Bootes erkennen konnten, und
fragend wandten sich Alle an Godber. Er allein, der sie so wunderbar
geführt, mußte Auskunft geben können. »Wir sind zur Stelle!« rief
dieser, sprang auf Idalia zu, löste das Seil, mit dem sie noch immer
umgürtet war, von ihren Schultern, schlang das eine Ende um seinen Leib,
band das andere Ende in einem Ring der Jolle fest, lehnte seine Stange
schräge aus von dem Boot und sprang mit einem mächtigen Satz in die
Finsternis und in die Wogen hinein. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr
Allen. Dann standen sie einige Minuten lang in stummer Erwartung, wie
dies ihnen ganz zwecklos dünkende Wagestück Godber's enden werde. Schon
gaben sie ihn verloren, und damit sank wieder jede Hoffnung, aus dem
Schrecken dieser Nacht gerettet zu werden. Plötzlich schallte ein lautes
Halloh! Halloh! wie aus den Wolken her über sie hin. Die Matrosen
antworteten unwillkürlich dem ihnen gewohnten Ruf, obwohl sie nicht
begreifen konnten, woher die Stimme so nahe, und doch wieder so hoch von
oben her, als ob ein Riese neben ihnen stände. Vergebens strengten sie
ihre Blicke an; ihr sonst so scharfes Auge für alle Gegenstände auf dem
Meere sah Nichts, als die undurchdringlichste Nacht. Wieder gingen
einige Minuten der gespanntesten Erwartung vorüber. Siehe, da glänzte
plötzlich ein freundliches Licht durch die Fenster einer friedlichen
Wohnung dicht über ihnen auf sie herab, und nach dem ersten regungslosen
Erstaunen begrüßten die Matrosen dessen Erscheinen mit einem jubelnden
Hurrah! während die Andern mit Thränen der Freude einander in die Arme
sanken. Die ganze Lage der Dinge war jetzt klar. Der Nachen ankerte
neben einer bis zur halben Höhe von den Fluten bedeckten Werfte und ward
durch dieselbe und die darauf stehende Wohnung vor dem Winde geschützt,
während noch rings umher der Sturm in gleicher Stärke auf den Wellen
tobte und scheinbar noch wilder brauste, indem die an der Werfte vorbei
brandenden Wogen eine kleine Strecke hinter dem Boote gegen einander
aufwirbelten. Das eine Ende des Seils, das Godber mit hinaufgenommen,
hatte er schon an den Thürpfosten befestigt, zog daran das Fahrzeug so
nahe wie möglich zu sich und bildete damit zugleich eine ausreichende
Handhabe für die Aufsteigenden, so daß in wenigen Augenblicken sich alle
in dem sichern Schutz des Hauses befanden.

Hier mit der gutmütigsten Gastfreiheit aufgenommen und mit dem
geschäftigsten Eifer erquickt, gewannen sie Zeit, ihrem frohen Erretter
den freudigsten Dank darzubringen, den die Matrosen mit einem warmen,
festen Händedruck und einem: »Du bist ein braver Steuermann!« kurz und
bündig abmachten. Der alte Mander sagte ebenfalls nur wenige Worte und
saß dann stumm und sinnend da. Oswald konnte nicht Redensarten genug
finden, um seine Dankbarkeit auszusprechen, dabei war er lustig wie ein
Kind, lachte und scherzte über die geliehenen Kleider, in die sie
angethan waren, und die freilich nicht eben im Modeschnitt anpaßten,
aber doch eine behagliche Wärme den Durchnäßten bereiteten. Idalia, die
sich im Nebenzimmer umgekleidet, trat jetzt herein, und während Oswald
sie jubelnd umfaßte und sich totlachen wollte über ihren Anzug, in
welchem, wie er meinte, sie notwendig auf dem nächsten Maskenball in
Hamburg Furore machen müsse, starrte Godber sie als eine Erscheinung an,
die mit dem seligsten Entzücken alle seine Nerven durchbebte. Sie war
eine Jungfrau seiner Heimat. Dies glattgescheitelte Haar, von der
kleinen Haube nur ein wenig bedeckt, dieses grüne Mieder mit seinen
kurzen Aermeln, dieses nachlässig in einen Knoten geschlungene Tuch von
bunter Seide, dieser gestreifte Rock, der nicht so lang war, die blauen
Strümpfe zu verbergen, dieser Anzug hatte die prunksüchtige
Großstädterin zu einer bescheidenen Erbin seines Stammes umgeschaffen.
Aber diese hohe, weiße Stirn, diese glänzend braunen sprechenden Augen,
diese feinen Gesichtszüge und die zartgeröteten Lippen und Wangen, diese
lieblich gerundeten Arme mit der kleinen zierlichen Hand: nein! sie war
das himmlische Bild einer irdischen Tochter der Hallig. Er war noch
verloren in ihrem Anblick, als Idalia sich endlich frei machte von den
Spässen ihres Bruders und nun, von ihrem lebendigen Gefühl hingerissen,
Alles um sich her vergessend, auf Godber zueilte, mit dem
leidenschaftlichsten Ungestüm sich an seine Brust warf und ihn mit ihren
Thränen und ihren Küssen bedeckte. Er war ihr ja nachgesprungen in die
grausige Tiefe; er hatte durch seine kluge und kühne Führung sie und
ihren Vater und Bruder gerettet! Wie konnte sie daran denken, daß die
ungehemmte Aufwallung ihrer Dankbarkeit die Grenzen überschritt? Wie
konnte sie, die nie gewohnt war, ihre Lebhaftigkeit nur aus Rücksichten
auf Andere in das Geleis des Gewöhnlichen zu zwingen, in diesem
Augenblick zurückhaltender sein, als das Gefühl ihres Herzens sprach?
Einen Geist, wie der ihre war, der jeden Funken der Empfindung sogleich
zur hellen Flamme anfachte, hatten die Stunden der Schrecknis auf die
furchtbarste Höhe der Angst gesteigert, und so mußte ihn auch die Freude
der Errettung Alles überwältigend fortreißen. In den süßesten Tönen, die
kaum zu Worten wurden, und die sich in immer von Neuem wieder
hervorbrechende Thränenströme auflösten, dankte sie Godber für ihr
Leben; und so oft ein Gedanke ihr den Tod in den tobenden Fluthen wieder
vormalte, dem sie entgangen, schauderte sie vor dem Schreckensbilde
zusammen und klammerte sich fester um den Hals des Retters, als sollte
er sie noch einmal aus der grauenvollen Tiefe ziehen. Und Godber -- da
stand der männlich schöne Jüngling mit bebendem Entzücken, wie Einer,
dem plötzlich die Pforte eines neuen, nie geahnten, seligen Daseins
aufgethan ist. Ach! der Hoffnungsstern der armen Maria war untergegangen
in der Stunde, in welcher endlich ihr langersehnter Verlobter den
heimischen Boden betrat.



                                 IV.


   Bringst Du zur Heimat wieder
   Die alte Lieb' und Treu',
   Dann laß Dich fröhlich nieder,
   Es grüßt Dich Alles wieder
   Mit alter Lieb' und Treu'.

Am andern Morgen war der Himmel klar und heiter. Hinter dem Deiche des
festen Landes tauchte eben die Morgensonne empor und warf neugierig ihr
Strahlenauge über die Halligen hin, um nach den Verwüstungen der
vergangenen Nacht zu sehen und zu fragen, ob noch Wesen übrig geblieben,
die ihres Lichtes sich freuten. Das Meer floß still und friedlich in
seiner gewohnten Bahn und schien den Menschen, in deren Ohr noch das
Wogengebrause der letzten Stunden nachklang, lächelnd zu sagen: Ihr habt
nur geträumt!

Godber, welcher trotz der Anstrengung, zu der ihn die im vorigen Kapitel
beschriebenen Gefahren genötigt hatten, wenig Ruhe fand, trat vor die
Thüre der freundlichen Wohnung. Die verschiedenartigsten Gefühle
bestürmten sein Herz. Da lag vor ihm der Boden seiner Hallig, nach dem
er an den blühenden Küsten Italiens, auf den reichen Fluren Hollands mit
solchem Heimweh sich gesehnt; der Boden, auf dem er allein sich
glücklich fühlen konnte, von dem sich jetzt wieder loszureißen ihm eine
Unmöglichkeit gewesen wäre. Für diese Heimat hatte er in der Fremde
gestrebt und gedarbt; der Gedanke an sie hatte ihn gespornt zur
unermüdlichsten Thätigkeit, zum willigsten Gehorsam, zum ängstlichsten
Eifer in Erfüllung aller seiner Pflichten; hatte ihn ferngehalten von
allen Vergnügungen seines Standes, ihn rastlos gemahnt zum sparsamsten
Haushalt. Jeder neue Beitrag zu seinem kleinen baaren Schatz, den er
stets bei sich getragen und daher auch jetzt gerettet, war immer der
Anfang eines lieben frohen Traumes von der Wiederkehr gewesen, dem er
sich an solchen Tagen oft Stunden lang in der Einsamkeit hingegeben. Nur
seine Begierde, sich zu unterrichten, sein Streben nach einer Bildung
über seinen Stand hinaus, konnte ihn verführen, seinen Schatz zuweilen
für diesen Zweck anzugreifen; aber er darbte dann auch nur desto
sorglicher, um solche Ausgaben bald wieder zu ersetzen. Nun hatte er es
erreicht. Dort stand seine väterliche Wohnung. Schauer des Entzückens
rieselten durch sein Gebein; Thränen der Freude brannten auf seinen
Wangen. Wer, selbst nicht Halligbewohner, diesen nackten Fleck, auf dem
das spärliche Gras von der letzten Ueberschwemmung her noch in
schlammigter Glätte niederlag, mit seinen tief ausgefurchten und
zerlöcherten Werften angesehen und dazu noch der vergangenen Nacht
gedacht hätte, die alle Lebendigen auf dieser Scholle im Meere dem
Wellentode so nahe gebracht, der würde nie geahnet haben, daß _diese_
Heimat des Jünglings Freudenthränen hervorgerufen. Aber Godber hatte um
dieses Anblicks willen neun Jahre hindurch ein Leben voll Anstrengungen
und Gefahren, voll Entbehrungen und Entsagungen ertragen; und hätte er
zwanzig Jahre so geduldet und gelitten, ihn würde die Wiederkehr auf
diese Flur damit nicht zu theuer erkauft dünken.

Und doch, ganz rein war seine Freude nicht. Er konnte sein Kniee nicht
beugen vor dem Gott, der ihn gnädiglich behütet und heimgeführt zu dem
Lande seiner Väter. Hätte er es doch gethan! Vielleicht würde er dann
ganz sein altes Herz wiedergefunden haben. Es wären die eitlen Träume
von ihm gewichen. Das Gelübde der Treue wäre der frommen Maria bewahrt
und Idalia's verführerisches Bild hätte seinen Zauber verloren.

In jedes Menschen Leben tauchen wohl solche Zauberbilder auf, die ihm
die innere Klarheit trüben und den hellen Blick rauben für die nächste
Pflicht; die, wenn sie nicht bloße Träume der Phantasie sind, sondern
vielmehr durch außerordentliche Lagen und Verhältnisse hervorgerufen
wurden, ihm als Bestimmungen seines Geschicks erscheinen. Sie gaukeln um
seine Seele wie ladende Boten eines Genusses, von dem ihn nur kleinliche
Rücksichten und Mangel an Selbstvertrauen bisher zurückhielten, und der
ihm gewiß ist, wenn er es nur wagen will, sich in seiner Kraft zu
erheben. Sie malen ihm eine Zukunft vor, gegen die Alles, was ihm
ruhiges Beharren in dem gewöhnlichen Gleise, treues Festhalten früherer
Grundsätze, williger Gehorsam unter dem seither dafür gehaltenen Gesetz
Gottes zu bieten vermag, matt und farblos, ja seiner unwürdig vorkommt.
Es ist ihm zu Mute wie Einem, der nur den Fuß vorwärts zu setzen
braucht, um einer langen Knechtschaft zu entfliehen, um in ein Paradies
einzutreten, dessen Pforte er nur zu lange schon sich selbst eigensinnig
verschloß. Er fragt sich, warum er nicht die schwachen Riegel, Pflicht
und Gewissen, ganz zurückschieben solle? Ja, es will ihn bedünken, als
seien die Riegel nur ein Ammentraum, dem er entwachsen, oder als habe er
jetzt erst in Wahrheit erkannt, was Pflicht und Gewissen eigentlich von
ihm fordern. In solchen Zeiten hat der Mensch in sich selber Nichts, was
ihm einen Halt geben oder zum Wegweiser dienen könnte. Er hat gleichsam
den gewohnten Boden unter seinen Füßen verloren, auf dem er sonst mit
Sicherheit auftrat; ihm ist das Ziel seines ganzen früheren Lebens
verrückt und seine Gedanken und Empfindungen sind doch noch nicht
heimisch geworden in der neuen Aussicht. Darum hat er keine andere
Hülfe, als die von Oben kommt. Er richte sein Sinnen und Denken hinauf
zu der festen Burg des klaren Rechtes; er hafte mit Blick und Herz an
dem ewigen Worte des Richters der Lebendigen und der Toten; er lasse die
Welt mit ihren Träumen einen Augenblick hinter sich und versenke mit
voller Hingebung sich in das Anschauen Dessen, der die fromme Brust
durch Seinen heiligen Geist zu einer Stätte der Gemeinschaft erwählet
des Himmels und der Erden. Und dieser Geist wird ihm die Erleuchtung
bringen, deren er bedarf. Die Nebelgestalten werden von ihm gewichen
sein, wenn er wieder zurückschaut auf seinen Pfad. Er wird sie erkennen
als Schatten einer im Hintergrunde lauernden Sünde und nun klar seinen
Weg wissen und ihn mit Zuversicht wandeln.

Aber Godber betete nicht, und sein Auge und seine Seele verfinsterten
sich, als sein Blick flüchtig auf Maria's Wohnung hinstreifte. Es
ergriff ihn ein Gefühl wie Gewissensangst; aber er scheute sich vor
einer klaren Rechenschaft vor sich selbst und ward froh, als die
Erinnerung an das im Sturm verlassene Wrack und die darauf gebliebenen
Leute alle andern Gedanken verdrängte. Rasch wandte er seine forschenden
Blicke nach dem westlichen Ende der Hallig und -- da lag das Schiff
gekentert nicht weit vom Strande. Er eilte geflügelten Schrittes darauf
zu. Sein Weg aber führte ihn an Maria's Wohnung vorüber, und es wurde
ihm unheimlich um's Herz, als er in die Nähe derselben kam; sein Blut
flog rascher in den Adern und färbte seine Wangen röter. Er trat
unwillkürlich leiser auf, als fürchtete er, die Verlobte mit dem
Geräusch seiner Tritte aus einem Hoffnungstraume zu wecken und in die zu
seiner Freude noch geschlossene Thür zu rufen. Wie er vorbei war, fiel
ein Stein von seiner Brust, ohne daß er bedachte, wie wenig mit einer
solchen kurzen Frist gewonnen sei. Jetzt fesselte wieder das Wrack seine
ganze Aufmerksamkeit, und bald hatte er das Ufer erreicht. Doch
vergebens strengte er seine Augen an, er sah keine menschliche Gestalt.
Er watete so weit als möglich auf den Schlick hinaus, ließ sein
schallendes »Halloh« ertönen; Niemand antwortete. Stumm und unbeweglich
lag der jetzt so formlose Bau vor ihm, den früher, als er noch in seiner
Schöne mit entfalteten Schwingen die Wogen rauschend durchschnitt, laute
und fröhliche Thätigkeit belebte. Godber mußte sich, nach wiederholten
Versuchen, einen Gegenlaut hervorzurufen, von dem unglücklichen
Schicksal seiner früheren Gefährten überzeugen. Es drängte sich ihm die
Vorstellung auf, ob es ihm nicht besser gewesen wäre, in den Wellen,
gleichwie sie, begraben worden zu sein, als mit dem Bewußtsein einer
doppelten Untreue zu leben: gegen ein Schiff, dessen Steuer ihm
anvertraut gewesen war, und das er, wie jeder Seemann das seine, gleich
einer Braut geliebt hatte, und gegen die Verlobte seiner frühesten
Jugend. Lange starrte er mit trübem Sinnen vor sich hin, bis beim
Rückblick auf die Begebenheiten der vergangenen Nacht Idalia's Bild vor
ihn hintrat und alle seine Gedanken und Empfindungen allein auf sich
zog. Es ergriff ihn eine unbeschreibliche Sehnsucht, sie wieder zu
sehen. Er klagte sich an, ihren Morgengruß nicht erst erwartet zu haben
und lenkte seine Schritte eilig zurück.

Achtlos wäre er an der Wohnung seiner Verlobten vorübergegangen, aber --
da öffnete sich die Thür; Maria trat mit ihrem Wassereimer heraus. Ihr
erster Blick fiel auf Godber. Rasch warf sie ihren Eimer hin, sprang die
Werfte hinab, flog jubelnd auf ihn zu und mit einem freudigen »Godber,
Godber, bist du da!« ergriff sie seine Hand, die er ihr mechanisch
entgegenstreckte. Hätte er sie an seine Brust gezogen, sie würde seinen
Kuß ohne Ziererei empfangen und wiedergegeben haben. Daß er es nicht
that, verstimmte sie aber keineswegs; denn an eine ruhigere Aeußerung
der Liebe, als die größere Leidenschaftlichkeit der Bewohner des festen
Landes in solchen Verhältnissen sie zuläßt, war die Tochter der Hallig
gewöhnt. Wußte sie doch, daß er ihr treu geblieben sei; und wenn er es
auch nicht geschrieben hätte, er war ja ein Sohn ihrer Heimat, auf der
Untreue unter den in früher Kindheit schon Verlobten eben so unerhört
ist, als unter Gatten.

»Wo kommst Du aber heute her? Wir erwarteten dich erst morgen von Husum;
denn, nicht wahr? Du warst auf dem Schiff, das wir gestern in der Ferne
ankern sahen? -- Wo ist denn das Schiff geblieben?« Mit diesen Worten
sah sie nach der Ankerstelle, nach der sie gestern mit so sehnsüchtiger
Hoffnung hingeblickt hatte.

»Da!« sagte Godber und streckte seine Hand seitwärts aus nach dem Wrack.

»Herr Gott!« schrie Maria auf und wäre nun fast an die Brust des
Geliebten gesunken. »So kämpftest Du mit dem Tode, während ich so ruhig
von Dir träumte! Wir hörten wenig vom Winde in der Vorderstube und
meinten, der Sturm habe längst ausgetobt. Ich sagte es der Mutter wohl,
daß wir ein Licht in die Hinterkammer setzen sollten; ich hätte gern
dabei gewacht. Sie aber meinte, es könnte die in dieser Gegend fremden
Schiffer irre machen und lachte mich aus, weil ich so gewiß wissen
wollte, daß Du auf dem Schiffe seist. Und nun seid Ihr doch gestrandet!
Ach! was hast Du wohl ausgestanden! und wie hätte ich geweint, wenn Du
umgekommen wärest. Gewiß, ich wäre auch gestorben!« und dabei deckte sie
die Augen mit ihrer Schürze und weinte vor Angst und vor Freude.

Godber zitterte wie ein Verbrecher. Die Thränen des Mädchens fielen wie
glühende Tropfen auf seine Seele. Einen Augenblick kehrte sein früheres
volles Gefühl für sie wieder zurück. Er umfing sie mit seinen Armen,
preßte sie heftig an sich, und als sie mit ihren blauen, feuchten Augen
so voll Liebe zu ihm aufblickte, war Idalia's Bild ganz aus seinem
Herzen verschwunden. Aber Maria riß sich schnell von ihm los und rief:

»Armer Godber! wie zitterst Du! Komm doch geschwind in's Haus. Der Thee
soll gleich fertig sein. Wie die Mutter sich freuen wird, wenn Du vor
ihr Bett trittst! Bist Du allein gerettet?«

Diese Frage führte Godber's Gedanken schnell wieder zu Idalia hin. Er
fiel wieder in seinen frühern Kaltsinn gegen Maria zurück und sprach
hastig und in abgebrochenen Sätzen:

»Es sind noch Andere gerettet. -- Leb' wohl! -- für jetzt! -- Ich muß
Bescheid bringen wegen des Schiffes.«

»Warte doch!« entgegnete Maria. »Wo sind sie? Ich gehe mit Dir. Laß'
mich nur erst der Mutter Nachricht bringen.«

Damit sprang sie fröhlich die Werfte hinauf und kam in wenigen
Augenblicken wieder zu Godber, der regungslos und in dumpfer
Verzweiflung auf dem Flecke geblieben war.

Sie gingen nun mit einander. Er mit trüben Sinnen und einsilbigen
Lippen; sie mit leuchtenden Augen und mit einer muntern, ihr sonst ganz
ungewöhnlichen Geschwätzigkeit. Sie hatte ihm ja so Viel zu erzählen,
wie sehr sie sich nach ihm gesehnt, wie sie bei allen Arbeiten seiner
gedacht, wie fleißig sie gesponnen für die Aussteuer, und sie rechnete
ihm dabei jedes einzelne Stück des künftigen Haushalts vor, das sie
teils von der lieben Mutter mitbekomme, teils selbst verfertigt habe.
Godber war zu Mute, als ob ein ängstlicher Traum ihn immer fester umwob
und sein Herz einschnürte; sie aber erzählte weiter, wie sie so oft den
lieben Gott gebeten, ihn glücklich heimzuführen; mit welcher Zuversicht
sie auf die Erhörung ihres Gebetes vertraut; mit welcher Inbrunst sie
nun dem Vater im Himmel danken wolle für Seine Güte und Barmherzigkeit,
der aber nicht böse werden müsse, wenn sie jetzt vor lauter Fröhlichkeit
noch nicht zu einem rechten vollen Dankgebet kommen könne. Wenn sie so
mit kindlich frommer Herzlichkeit bald mit Gott sprach, bald mit Godber
von dem ersten gemeinsamen Kirchgang, dann fiel es ihm wie Felsenlasten
auf die Brust und wie Bleigewicht in seine Füße; er mußte still stehen
und Atem schöpfen und seine Kniee drohten einzusinken. Maria bemerkte
es; aber die wahre Ursache nicht ahnend, faßte sie ihn mit der
zärtlichsten Besorgnis am Arm und schalt, daß er die Erquickung in ihrem
Hause verschmäht. Er sei ja noch so angegriffen und es sei
unverantwortlich, daß er sich nicht erst gehörig ausgeruht; aber:

»Warte nur,« fügte sie hinzu, »nun sollst Du auch in den ersten vierzehn
Tagen nicht vom bequemen Lehnstuhl aufstehen. Ich will Dich pflegen wie
ein Schoßkind. In des seligen Vaters Schafpelz mit seiner wollenen
Nachtmütze über den Ohren sollst Du wohl wieder warm werden.«

»Nein, es ist abscheulich, wie Du Deine Gesundheit durch Deine trotzige
Weigerung, bei uns einzukehren, auf's Spiel gesetzt hast!« sagte sie im
Ernst zürnend und halb weinend, als sie zu dem schmalen Balken kamen,
der, über den dort noch 16 Fuß breiten Seearm gelegt, freilich nur einem
auf solchem Schwindelpfad geübten Halligbewohner ein Steg heißen konnte,
da er, um die Schafe zu hindern, nur die scharfe Kante dem Fuße darbot.
Maria war wie im Tanze hinübergehüpft; Godber folgte ihr nur langsam und
schwankend nach.

Als sie in das Haus eintraten, fanden sie Alle um den großen Tisch beim
Frühstück, dessen ganzer Aufsatz freilich nur in Thee mit Schwarzbrot,
Butter und Schafskäse bestand. Idalia trug noch die Kleidung der Hallig;
doch hatte sie mit erfinderischem Sinn und geschmackvoller Auswahl dem
Anzug, ohne Nachteil seiner Eigentümlichkeit, manchen ihm früher
fehlenden gewinnenden Reiz gegeben. Ihr Haar, obwohl von der Stirn
weggescheitelt, war doch nur in so weit unter die kleine Haube
aufgebunden, daß noch mehrere Locken über die Schultern hinfielen. Sie
hatte auch aus dem Schmuckkästchen der Familie, dessen reiche Fülle ihre
Erwartungen bei weitem übertraf, die lange goldene Kette geborgt, die
jetzt von ihrer Brust glänzte, als oben weit und nach unten zu immer
kürzer geschnürtes Band das Mieder zusammenhaltend, nach der Weise, wie
beim Brautputz solche Ketten auf den Halligen getragen werden. Die
großen, ebenfalls goldenen Medaillons, die sonst wohl noch darüber
hängen, hatte sie mit besserm Geschmack unbenutzt gelassen. Bei Godber's
Eintritt stand sie rasch auf und trat mit dem unwiderstehlichsten
Liebreiz in allen ihren Zügen ihm entgegen, nicht mehr mit der Alles
vergessenden Leidenschaftlichkeit von gestern, sondern mit einem
Lächeln, in welchem das Bewußtsein sich auszudrücken schien, daß sie ihm
gefallen müsse. Man würde aber Idalia Unrecht thun, wenn man ihr
Benehmen gegen Godber als leere Gefallsucht auslegen wollte. Nein,
ungewohnt, die Verhältnisse zu beachten, oder die Folgen zu bedenken, wo
ihre Neigung sprach, gab sie sich auch jetzt ihrem Gefühle ganz hin; und
dies Gefühl war mehr als Dankbarkeit gegen den Retter ihres Lebens, es
war, wenn nicht volle, zu jeder Aufopferung fähige Liebe, doch eine
Aufwallung von Liebe mit allen Ansprüchen, welche die wahre Liebe auf
den geliebten Gegenstand macht. Sie wollte gefallen, um sich des
Jünglings Herz zu gewinnen, für den so Viel in ihrem Herzen sprach; und
fern war sie dem Gedanken, ihn nur als Sklaven ihrer Laune an den
Triumphwagen ihrer Reize zu fesseln, obwohl ihr ganzes Benehmen von
einer Absichtlichkeit geleitet wurde, zu welcher sonst nur eine Kokette
und nie eine wahrhaft Liebende fähig ist. Godber hing mit stummem
Entzücken an dem Anblick der lieblichen Erscheinung. Festgebannt auf der
Stelle, wo er stand, sah er sie mit einem Blicke auf sich zuschweben,
der alle Tiefen seiner Seele durchdrang. Wie sie nun seine Hand faßte,
sie an ihre Brust drückte und mit schmelzenden Tönen und dem traulichen
Du fragte: »Godber, mein Retter, wie konntest Du uns so früh verlassen
ohne meinen Dank für den Morgen zu erwarten, den ich ohne Dich nie
gesehen?« Da wäre er fast ihr zu Füßen gesunken, und Idalia feierte den
vollständigsten Sieg, der ihr, wie das zufriedene Lächeln um ihre Lippen
verkündete, auch nicht unbemerkt blieb. An ihrer Seite mußte er sich
niedersetzen, während Maria, scheu und verlegen und plötzlich verstummt
in der Nähe der Fremden, ihr gegenüber kaum sich zu setzen wagte und nur
halbe Blicke zu Idalia aufrichtete, deren zarte Schönheit und deren ihr
wohl bekannte und doch wieder fremdartige Tracht ihre ganze
Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie konnte sich eines unheimlichen Gefühls
nicht erwehren, das mehr war, als bloße Befremdung über die
ungewöhnliche Erscheinung und über das zutrauliche Benehmen der Fremden
gegen Godber. Sie mußte unwillkürlich die bei weicher Fülle schlanken
Formen und die blendenden Reize Idalia's mit dem eignen, von der Sonne
gebräunten Antlitz, den von anstrengender Arbeit zeugenden Armen und
Händen und der gedrungenen, nur Rührigkeit und Gewandtheit
versprechenden, aber keineswegs in stolzer Hoheit imponirenden Gestalt
vergleichen. Sie, unter den Halligmädchen leicht die Schönste, stellte
sich in ihrer Bescheidenheit tief unter die Fremde, tiefer wohl noch,
als sie wirklich zu stehen verdiente. Was Godber's kalte Erwiderung auf
die Aeußerungen ihrer Freude beim Wiedersehen nicht zu wecken vermocht
hatte, das drängte beim Anblick der Fremden sich ihr auf: Zweifel an des
Verlobten Treue. Und nicht Idalia's Benehmen gegen Godber war es allein,
das solchen Stachel in ihr Herz drückte, sondern die Eifersucht der
Liebe, die auch dem einfachsten Mädchen einen nicht leicht zu
täuschenden Scharfblick leiht, wenn sie mit dem Geliebten in der Nähe
eines andern weiblichen Wesens weilt, würde ihr, auch ohne die
Zutraulichkeit der Fremden gegen den Jüngling, manche ihr unwillkommene
Bemerkung aufgedrungen haben. Maria's Herz sollte bald ganz gebrochen
werden.

»Wer ist das liebe Mädchen?« fragte Idalia mit dem freundlichsten Tone,
der aber mit einem scharfen, forschenden Blicke auf Godber begleitet
war, als wüßte sie schon, wie viel ihr an der Antwort gelegen sei.

Maria errötete tief, sah aber doch dabei mit einem gewissen Trotz zu der
Fremden auf. Godber erglühte noch tiefer; sein Auge senkte sich zu
Boden, und seine Stimme zitterte, als er erst nach einer Pause
antwortete: Maria Nommens. -- Er schien noch etwas hinzusetzen zu
wollen, aber -- er schwieg. Maria horchte noch eine tötliche Minute
lang, aber -- er schwieg. Da sank sie bleich in sich zusammen, preßte
die Hand auf's Herz, in welchem alle Pulse stockten, und sah und hörte
nun nichts weiter. Daß er nicht hatte hinzusetzen können oder wollen:
meine Braut! das war für sie genug zur Entscheidung ihres Geschicks. Mit
diesem seinem Schweigen war das Glück ihres Lebens vernichtet. Sie wußte
nun, daß sie ihn verloren. Idalia ahnete wohl etwas von den
Verhältnissen. Ihr konnte die Bewegung Beider nicht entgehen; aber die
Freude, Godber für sich gewonnen zu haben, überwog fast ganz ihr Mitleid
mit der armen Maria. Auch Godber fühlte, wie er durch das Verschweigen
seines Verhältnisses zu Maria schon Alles gesagt habe, und dachte gar
nicht daran, wie ja möglicherweise sie gar keine Bedeutung auf dies
Verstummen gelegt habe. Er wagte es nicht, aufzusehen und saß in der
peinlichsten Unruhe da, woraus er erst durch die Frage Mander's: »ob er
nichts von dem Schiffe gesehen?« zu seiner Freude gerissen wurde. Er
erzählte nun, indem er aufsprang, mit einer Hast und mit einer
Teilnahme, die mit seinem bisherigen Stillschweigen über diesen
Gegenstand gar nicht zu vereinigen war, was er gesehen und wie die
Zurückgebliebenen wohl ihren Tod in den Wellen gefunden hätten.

Alle beschlossen jetzt nach dem Wrack hinzuwandern. Maria folgte allein
und langsam nach. Sie sah nur noch, wie an dem oben bezeichneten Steg
Idalia vor dem Schwindel erregenden Uebergang zurückbebte und nach
mehreren vergeblichen Versuchen, von Godbers Hand geführt,
hinüberzugehen, zuletzt ihren Arm um seinen Nacken schlang, und so, von
ihm getragen, das jenseitige Ufer erreichte. Nun flossen ihre Thränen
ungehemmt. Sie dachte nicht mehr daran, den Andern zu folgen, sondern
wankte, bei ihrer Wohnung angekommen, die Werfte hinauf und warf sich
laut weinend auf ihren Sitz nieder.

Maria blieb mit ihrem Schmerz allein. Ihre Mutter hatte die Neugierde an
den Strand geführt, wo schon fast alle Bewohner der Hallig versammelt
waren.

Als Godber sich mit den Freunden dazu gesellte, wurden nach der ersten
herzlichen Begrüßung des glücklich Wiedergekehrten Anstalten gemacht,
ein Boot über den Schlick hinauszuziehen bis dahin, wo das Wasser tief
genug ward, es mit seiner Bemannung zu tragen. Von dieser wurde das halb
mit Wasser gefüllte Wrack bestiegen, und auf das Genaueste untersucht.
Wie von lebenden Wesen fand man auch von Leichen keine Spur.
Wahrscheinlich war beim Kentern des Schiffes der Kapitän mit seinen
Leuten durch die Gewalt der Wogen vom Verdeck hinweggerissen, und es
stand zu erwarten, daß in einer der nächsten Flutzeiten die Leichen ans
Land getrieben werden würden. Einiges Wertvolle wurde sogleich
mitgenommen, und Godber vergaß nicht, für Idalia eine Kiste mit
Südfrüchten und einen Korb, worin ein paar Bouteillen süßen Weins
verpackt waren, beizufügen. Die Bergung der übrigen Ladung, die
größtenteils aus Fässern mit Wein und aus Citronenkisten bestand, wurde
dadurch vorbereitet, daß mehrere Schiffsseile, um die Stümpfe der Masten
und um andere Teile des Wracks geschlungen, mit dem andern Ende am
Strande befestigt werden sollten.

Während die Zurückgekommenen Alles berichteten, wie sie Schiff und
Ladung gefunden, und Mander, der Vater, dann mit den Leuten um den
Berglohn sprach, worüber sie aber zu seiner Verwunderung jede
eigentliche Unterhandlung verwarfen und Alles in seinen guten Willen
stellten, wobei sie ihm ihre besten Dienste mit einer Herzlichkeit
gelobten, die für die Aufrichtigkeit ihrer uneigennützigen Gesinnung
sprach, hatte Idalia, mit Hülfe ihres nach einer, wie er sagte,
menschlichen Erquickung begierigen Bruders, das Kästchen mit Apfelsinen
und eine Flasche Wein geöffnet, aus welcher Oswald sogleich ein paar
kräftige Züge that. Darauf schälte sie mit ihren weißen Fingern eine der
süßen Früchte ab, teilte sie mit gewandter Kunsterfahrung in zwei
Hälften und bot Godber mit dem freundlichsten Dank für seine
Aufmerksamkeit die eine Hälfte. Lächelnd schlürfte auch sie dann aus der
Flasche und reichte sie ihm mit der Bitte, den labenden Trunk nicht zu
verschmähen, wenn er auch dadurch mit ihren Lippen mittelbar in
Berührung käme. Des beglückten Jünglings Lippen waren wie festgebannt
auf der Stelle, wo ihr Mund gesogen, und erst Idalias Frage: warum er
nicht daran gedacht habe, lieber ihren Koffer mit ihren Kleidern
mitzubringen? riß ihn aus seiner Begeisterung.

»Ach,« sagte er, »ich möchte Sie nie in einer andern Kleidung sehen, als
in dieser Kleidung meiner Heimat.«

Er errötete selbst vor dem Geständnis, das in diesen Worten lag; Auch
Idalia's Wangen färbten sich höher, und erst nach einer Pause erwiderte
sie mit leiser Stimme, indem sie sich voll Anmut zu ihm neigte:

»Ich werde keine andere mehr tragen, so lange es Dir Freude macht. Aber
Ihr seid auf diesem Eilande, wie ich glaube, Alle mit einander verwandt
oder verschwägert, denn ich habe noch keine andere Anrede gehört, als
das liebe Du. Nimmst Du mich nun als ein Mädchen Deiner Hallig an, warum
denn mir allein das kalte Sie?«

Ueberraschung und Schauer des Entzückens verschlossen Godber den Mund.
Eine Sekunde noch ruhte sein Auge fragend an ihrem Blick; doch der
weiche Anhauch einer tiefern Empfindung lag zu deutlich in diesem
freundlichen Lächeln, in dieser lieblichen Stimme. Er konnte nicht
länger zweifeln an der Erfüllung seiner kühnsten Hoffnungen. Als jetzt
die langen, seidnen Wimpern sich niedersenkten, um gleichsam das Auge zu
strafen, weil es zu viel verkündet, als die enger angezogenen Lippen die
Furcht, mehr zu sagen, und zugleich die Erwartung, wie das Gesagte
aufgenommen würde, anzudeuten schienen, da riß es ihn allmächtig hin zu
ihren Füßen. Sie aber scheute die Nebenstehenden, und schnell besonnen,
obwohl überrascht durch die leidenschaftliche Bewegung des jungen
Mannes, ergriff sie seine Hand, und mit einer leichten Wendung von ihm
führte sie ihn in seine Schranken zurück. Wer aber konnte es dem
Liebetrunkenen wehren, in ihren Händedruck, wie in den Blick, der diesen
begleitete, ein antwortendes: »Dein!« hineinzulegen? Sie rief nun ihren
Vater herbei und forderte ihn auf, an der Labung Teil zu nehmen, mit
welcher Alicante den Strand einer Hallig bedacht.

Wundern wir uns nicht, daß Idalia die volle Gewißheit ihres Sieges über
das Herz des Jünglings, an dem sie schon auf dem Schiffe mit
Wohlgefallen den Eindruck, welchen ihre Reize auf ihn machten, bemerkt
hatte, so schnell und mit einem kaum jungfräulichen Entgegenkommen
herbeiführte. Es lag ganz in ihrem Charakter, an jenem Hangen und Bangen
der ahnenden Liebe keinen Geschmack zu finden. Sie wollte, was sie
wünschte, rasch entschieden sehen, ohne das ihr langweilige Schweben
zwischen Fürchten und Hoffen, und dazu drängte sie noch die
wahrscheinliche Kürze ihres Aufenthalts auf der Hallig, wodurch sie
fürchten mußte, nach wenigen Tagen vielleicht auf immer von Godber
getrennt zu werden, den sie, so weit ihr selbstisches Gemüt lieben
konnte, wirklich liebte! Auch war durch frühzeitige Romanlektüre jenes
zarte, scheue Wesen längst abgestreift, das, gleichwie der weiche,
duftige Schmelz auf dem Farbengewande der Blume, diese Farben mildert
und dadurch verschönt, so den Empfindungen der Jungfrau jenen keuschen
Sinn leiht, der mehr ist, als erlernter Anstand, der eben zu ihrem
eigentümlichsten Sein gehört und ihr den höchsten Reiz giebt, dessen
Nachäffung zur widerlichsten Ziererei wird.

Dieses schöne Erbteil, dieser nie wieder zu gewinnende Dufthauch der
jungfräulichen Weiblichkeit geht wenigstens immer Euren Töchtern
verloren, sorglose Eltern, die Ihr ihnen ohne Ausnahme fast Alles zu
lesen verstattet, was die belletristische Literatur darbietet. Mit Euren
Anstandsregeln, mit Euren Klugheitsvorschriften, mit Euren Ehrbegriffen
könnt Ihr nur übertünchen, nicht jene Weihe der sich ihrer selbst
unbewußten Unschuld wieder neu schaffen, welche das ganze Wesen und Thun
wie mit einem Odem aus reineren himmlischen Gefilden beseelt und in
welcher die Jungfrau an das Wort des Herrn von den Lilien erinnert: »Ich
sage Euch, daß auch Salomon in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet
gewesen, als derselben eine.« Mit dem Verlust dieser Mitgabe für's Leben
ist aber nicht allein jene Lieblichkeit verloren, die durch keine noch
so blendende Schönheit, von keiner noch so glänzenden Bildung ersetzt
werden kann; es ist auch damit zugleich jeder wüsten Leidenschaft ein
freier Eingang geöffnet, wodurch so leicht ein Betragen hervorgerufen
wird, das aller Eurer guten Lehren spottet und Euer graues Haar mit
Schanden in die Grube bringt. Ihr pfleget Eure Blumen und bewahret sie
sorgsam vor dem Nachthauch und dem scharfen Mittagsstrahl, und Eure
Töchter setzet Ihr durch Romanlektüre in eine Welt hinaus, in welcher
die schwüle Stickluft lüsterner Begierden und der helle Brand wilder
Leidenschaften fast allein das bewegende Triebrad sind, und welche um so
gefährlicher ist, weil sie durch ihre reizende Hülle gefällt und der
Phantasie noch immer eine weitere Ausmalung übrig läßt. Die Religion,
die allein noch wehren könnte, ist dabei zu einer Blumenkönigin
umgewandelt, die, mit heitern Kränzen geschmückt, dem frivolen Spiel
freundlich zusieht und nur Liebe, Güte, Milde, Duldung und Nachsicht
atmet.

Das Auge der Jungfrau, wie auch des Weibes, sollte überhaupt weniger
aufgetan sein für den großen Markt der Leidenschaften in der Welt; sie
sollten mehr in harmloser Unbekanntschaft mit dem Irren und Wirren der
Menschheit ein ungetrübtes Gefühl für alles Wahre, Gute und Schöne sich
in einem stillen, frommen Gemüt bewahren, ohne erst, wie der Mann, sich
in scharfem Unterscheiden und Zerlegen zu üben, und im besten Falle mit
langsam verharrschenden Narben aus dem Kampfe zurückzukehren. Ihre ganze
bescheidene Stellung in der Welt, ihre feinere Körperbildung und ihr
ihnen angebornes, zarteres Gefühl, wodurch sie mehr der vor jeder leisen
Berührung erbebenden Sinnpflanze, als dem in Stürmen aufwachsenden Baum
mit harter Rinde zu gleichen bestimmt sind, weisen sie auf ein
Stillleben hin. Dagegen führt, wenn nicht die Wirklichkeit, doch ihre
jetzt gewöhnliche Lektüre sie in ein Gebiet, das ihnen besser
verschlossen geblieben wäre, und sie werden in Lagen versetzt, die, wenn
sie auch nur erträumt sind, dennoch eine glückliche Binde von ihren
Augen nehmen, sie zur Unzufriedenheit mit ihrem Loose führen, und eine
Frucht der Erkenntnis geben, wie die der Eva nach dem Sündenfalle,
wodurch ein Paradies verloren ging.

Fern sei es, bei der Bildung des weiblichen Geschlechts nur an den Herd
und die Wiege zu denken; aber gewiß ist jede Bildung desselben, die den
Herd und die Wiege unleidlich macht, eine verkehrte. Fern sei jene
Oberflächlichkeit, welche nur die Versuche zu schimmern nährt; aber doch
möge ihr Geist mehr an den Resultaten der Wissenschaft reifen, als daß
er in die Tiefen aller Gründe und Beweise sich verliere. Fern sei jenes
Weben und Schweben in bloßen Gefühlen ohne Halt und Kraft; aber doch
gehe das feinfühlende Herz dem überlegenden Verstande voran und merke
das Falsche und Sündliche eher, als jener es durchschaut, habe den
Willen schon dem Wahren, Guten und Schönen zugelenkt, während jener noch
das Für und Wider abzuwägen nicht fertig ist. Und über dieser Bildung
schwebe, sie mit ihrem milden Lichte durchdringend und verklärend, die
Religion als die himmlische Jungfrau, um welche die Ahnung einen
duftigen Rosenschleier webt, dessen geheimnisvoller Zauber nicht zur
Enthüllung entflammt, sondern nur eine heilige Sehnsucht und Liebe
nährt. Nur dem Manne mag, dem Weibe sollte nie die Religion als
Theologie erscheinen, als jene strahlende Königin, die ihres Thrones
Stufen von den Trümmern des Aberglaubens, Unglaubens und der
Zweifelsucht erbaut.



                                  V.


   So güterreich,
   Und doch so arm;
   So künstlich heiß,
   Und doch nicht warm;
   So überfein,
   Und doch so roh;

   Genuß und Spiel,
   Und nimmer froh;
   Nur Glanz und Pracht,
   Kein Morgenrot:
   Fehlt da zum Schluß
   Denn noch der Tod?

Zu den am Strande Versammelten hatte sich nun auch der Pastor Hold
eingefunden, welcher Godber, den er, obwol erst seit einigen Jahren auf
der Hallig angestellt, doch schon aus Maria's Erzählungen kannte,
freundlich begrüßte.

Da das Haus, welches die Fremden zuerst aufgenommen, nicht geräumig
genug war, sie auch ferner zu beherbergen, erboten sich Hold und Andere
der Gemeinde zur gastfreundlichen Aufnahme, wobei aber, aus demselben
Mangel an Raum, eine Trennung vorausgesetzt werden mußte. Als nun Godber
mit dem Vorschlage hervortrat, seine väterliche Wohnung, die ja ganz
unbesetzt sei, mit den notwendigsten Möbeln und Geräten für Alle
einzurichten, wie denn auch sein leerer Schafstall den besten Raum für
die zu bergende Ladung darböte und die Anwesenden auf das
Bereitwilligste ihren Beitrag zu dieser Einrichtung versprachen,
entschied sich Idalia sogleich für die Annahme. Sie sprach unter
fröhlichem Händeklatschen laut ihren Jubel darüber aus, dort als
regierende Hausfrau zu schalten, und malte ihre Phantasie jenes
häusliche Walten ihr zu dem lieblichsten idyllischen Bilde aus. Mander
fand es aber passend, eine ältere und erfahrenere Martha um ihre
Mithülfe zu bitten. So zogen denn Mander und Oswald, Godber und Idalia,
nebst einer bejahrten und verständigen Frau von der Hallig, in Godbers
Wohnung ein und die Andern verfügten sich nach ihren verschiedenen
Häusern, um dort das Notwendigste für die ersten Bedürfnisse der fremden
Familie auszuwählen.

Für diesen Tag war Idalia vollauf beschäftigt, um, so weit es die
Umstände erlaubten und die empfangenen Sachen es zuließen, Alles auf das
Zierlichste und Freundlichste einzurichten. Wol zehnmal mußte hier ein
Stuhl anders angesetzt, dort ein Tisch anderswohin gerückt werden, und
es gehörte der ganze geduldige Gehorsam einer Halligbewohnerin dazu, um
ihrer Gefährtin bei diesen derselben ganz zwecklos scheinenden
Veränderungen nicht den übernommenen Dienst zu verleiden. Godber
lächelte innig vergnügt über diese Geschäftigkeit, und putzte nach
Idalia's einander drängenden Anordnungen an der Reinigung und
Ausschmückung der Stuben mit, als gelte es, die Kajüte des Kapitäns für
den Empfang vornehmer Gäste zu bereiten. Mander selbst freute sich über
dieses früher nie bemerkte Wolgefallen seiner Tochter an solchem
Treiben. Nur Oswald bemerkte spottend, wie gut es sei, daß der
Mittagstisch heute vom Pastorate aus bestellt würde, und verglich seine
Schwester mit dem Vetter Fritz, der, als man ihm bei einem Diesput
vorwarf: »Sie werden ja immer confuser!« rasch antwortete: »Nein, ich
ordne nur meine Gedanken!«

Es möchte hier Zeit sein, einen nähern Blick auf des jungen Mander's
Charakter zu werfen. Zeigte er sich bisher nur als einen jener faden und
ärmlichen Menschen, auf die allein die sinnliche Seite des Lebens
Einfluß hat, und die der Erhebung über die Welt des Genusses nicht fähig
sind, so hat er sich damit nicht so ganz dargestellt, daß unser Urteil
über ihn nun als ausgemachte Wahrheit feststände. Vielmehr, obwol
beinahe zwei Jahre jünger als seine dreiundzwanzigjährige Schwester, war
doch auch sein Benehmen nicht mehr der offene Spiegel seines Herzens,
sondern wie sie Berechnung und Gefühl also verschmolz, daß auch der
erfahrenste Menschenkenner oft schwer hätte unterscheiden können,
wodurch ihr Betragen bestimmt und geleitet wurde, gleichwie ihr selbst
jene Unterscheidung nicht leicht möglich gewesen wäre, so vereinte sich
bei ihm ein Herz, fähig der wärmsten Empfindung für alles wahrhaft Große
und Schöne, mit der fast ausschließlichen Richtung seines Lebens auf das
sinnliche Gefallen und körperliche Behagen. Es war nicht etwa eine blose
Maske, die er vornahm, wenn er sich so aussprach und so handelte, als ob
er nichts Höheres kenne über des Leibes Wolsein und der Sinne Ergötzung
hinaus; nein, er gehörte zu dem Schwarm junger Großstädter, die es
Lebensphilosophie nennen, alle ernster anschlagenden Saiten des Herzens
in den frivolen Ton einer Brust umzustimmen, in welcher nur Gedanken an
Theater, Schmausereien, Trinkgelage, Bälle und Liebschaften Raum haben.
Er war noch zu jung, als daß jene Philosophie, die Ausgeburt eines
gefallenen Geistes, der das Gemälde seiner Erniedrigung übertünchen und
die Stimme des Gewissens übertäuben wollte, dadurch, daß er für seine
Tierheit den Namen System mißbrauchte, in ihm so feste Wurzel gefaßt
haben sollte, um alle Keime des wahren Lebens zu überwuchern und zu
ersticken. Er war aber doch ein zu gelehriger Jünger zu den Füßen dieser
Seelenverkäuferin gewesen, um sich nicht selbst zu überreden, daß er
ganz das sei, wofür er sich gab, um wenigstens nicht vor Andern das
Ansehen behaupten zu können, ein Meister in der Kunst der Erbärmlichkeit
zu sein. Natürlich mußten Stunden im Leben, wie die auf der stürmenden
See, ihm seine Blöße zeigen; aber eben darum bemühte er sich nur desto
mehr, sie aus seinem Gedächtnis zu tilgen und den Eindruck, den in
solchen Momenten die traurige Gestalt seiner sogenannten Weltansicht auf
ihn und Andere gemacht haben könnte, durch eine schnelle Rückkehr in das
alte Geleis zu verwischen, so sehr auch die mahnende Stimme des
gewaltsam erweckten besseren Sinnes gegen ein solches Benehmen sprach.
Daher war auch sein Lachen und Scherzen gleich nach der Errettung aus
dem drohendsten Untergang mehr eine widernatürliche Anspannung seiner
Kräfte gegen sich selbst, als, wie er sich und Andere überreden mochte,
ein Zeugnis seines leichten Sinnes.

Es gehört die Stimme eines Propheten dazu, um die Nachtwandler zu
wecken, die auf dem Pfade fortgehen, den Oswald betreten, diese Damen
und Herren, denen im Besitz und Genuß aller Güter des Lebens nur Eines
fehlt, das Leben selber. Aber nirgends deutlicher als an ihnen zeigt
sich die Wahrheit des Wortes Christi: »wer nicht glaubet, ist schon
gerichtet!« Die ganze fade Armseligkeit ihres Daseins mitten in der
Fülle ist ihr Gericht. Gleich einer Verwünschung wirkt schon die
Zeichnung eines ihrer »himmlischen« Tage auf das Gemüt. Diese
stundenlange Toilette mit allen ihren jämmerlichen Künsten und dabei das
Entzücken über eine wolgelungene Schleife, über die Zier eines
neumodischen Kleides, dieser letzte triumphierende Blick in den Spiegel,
dieser Wonnegedanke, so Bewunderung zu ernten. Nur ein paar Besuche
gegeben oder angenommen, Gespräche in nichtsmeinenden und nichtssagenden
Formeln sich bewegend, oder an der ersten Melone, an der neuesten Oper,
an dem letzten Ball mit einer Zähigkeit haftend, als ob man sich es
bewußt wäre, daß darüber hinaus aller Gedankenvorrat erschöpft sei.
Glücklich, wenn eine Stadtneuigkeit, ein eben herausgekommener Roman,
oder ein Körnchen Medisance, das schnell auf fruchtbarem Boden
fortwuchert, von der Verstandesmarter, unterhaltend zu sein, erlösen und
das Lob eines interessanten Gesprächs auf die Sprecher zurückspiegeln.
Nun die Tafel mit ihren Leckerbissen und feinen Weinen. Eine gute
Gelegenheit, von zarter Constitution, Krieg und Frieden, Hungersnot und
Cholera, Volksaufständen und Militärparaden in demselben Gemenge zu
reden, in welchem die Kunst des Koches vorliegt. Dann das Concert, wo
die schmelzendsten Töne den Weg nicht zum Herzen, sondern nur zu der
zahlenden und klatschenden Hand suchen, oder das Theater, wo Thekla auf
die Geisterstimme des Souffleurs lauscht und der ermordete Wallenstein
auf die Danksagung gegen das hervorrufende Publikum denkt, während
dieses allvergessend von Loge zu Loge kokettirt. Oder der Ball, der, den
Staub einer schwindsüchtigen Gallopade aufwirbelnd, noch das letzte
Fünkchen Leidenschaft in der hohlen Brust anfacht, um das künstlich
erregte Blut mit dem künstlichen Eise wieder zu dämpfen. Und dieses
Leben, dessen schmutzige Orgien, so wol sie sich mit der feinen Glätte
und Zierlichkeit jener Menschen vertragen, wir nicht aufdecken wollen,
sollte nicht mitleidenswert sein? Sollte nicht in seiner Flachheit und
Fadheit eine Jammergestalt darstellen, gegen die der frechste und
roheste Uebertreter aller göttlichen und menschlichen Gesetze noch ein
Mensch ist? Er ist doch noch ein Wesen, das Etwas ist, und darum kann er
auch noch inne werden den Richter der Lebendigen und der Toten und
umkehren von seinem Wege. Auf jener Flachheit gefriert aber der Thau vom
Himmel wie auf dem Spiegel des Eises. In jener Fadheit wird jedes
Mannakorn aus den Wolken zu geschmackloser Spreu. Wo eine Kraft wirken
soll, da muß auch eine Kraft sein, auf die sie wirken kann, sonst geht
ihre Wirkung in leere Winde. Wie soll man aber jene mit Dunst erfüllten
Totengerippe fassen? Sie thun den Mund auf und nennen ihre Dunstblasen
feine Bildung; sie gehen ihren Weg hin und atmen sich ihre
Leichengerüche zu als Nahrung für Geist und Herz. Tritt ihnen das Leben
entgegen, so wenden sie sich verächtlich ab, als hätten sie Moder und
Verwesung gesehen. Ihre Armseligkeit ist ihnen Reichtum, ihre
Erniedrigung Hoheit, ihr Unsinn Weisheit, ihre Verdammnis Seligkeit.

So sind sie, wenn auch für den nur obenhin Schauenden mit lieblicher
Schale doch durch und durch eine faule Frucht, die, abgefallen vom Baume
des Lebens, im Staube liegt, und sich freuet dieses Staubes, ohne
Sehnsucht wieder hinauf zu der grünen, frischen Krone.

Hold mochte, als er später den jungen Mander näher kennen lernte und
sich die eigenen in großstädtischen Kreisen gemachten Erfahrungen
vergegenwärtigte, manches dem hier Ausgesprochenen Aehnliche gedacht
haben. Denn wir finden in einer Handschrift von ihm, der er den etwas
auffallenden Titel: »Gesichte« gegeben hat, und woraus wir vielleicht
noch einige Mitteilungen vorlegen werden, aus jener Zeit unter Anderem
auch folgendes Gesicht:

Ich sah ein kleines Mädchen mit allen Zügen des Hungers auf den bleichen
eingefallenen Wangen und mit der Blöße der tiefsten Armut angetan, am
Wege sitzen. Ihr Alter mochte zehn bis zwölf Jahre sein, aber ihr Körper
war klein und schlaff, wie das kränkelnde Gewächs eines Treibhauses. --
Und ein Weib, reinlich aber ärmlich gekleidet, am Busen einen lächelnden
Säugling und an der Hand einen hüpfenden Knaben. Ein Korb hing an ihrem
Arm. Ihr eilender Schritt stockte an der Seite des Mädchens am Wege; sie
ließ die Hand des Knaben fahren und blickte auf ihren Korb. Aber sie
ging vorüber und schritt über einen Steg auf das Feld zu einem
arbeitenden Manne. Der wischte sich mit dem nervigen Arm den Schweiß von
der Stirne und nahm das schwarze Brod aus dem Korbe, während der Knabe
für ihn die Flasche aus der nahen Quelle füllte. Da sah das Mädchen am
Wege hinüber nach dem Brote, und der Mann brach es in zwei Hälften und
trat hin und gab der Hungrigen die eine Hälfte. Sie dankte ihm mit der
Begierde, mit welcher sie die Gabe an ihren Mund brachte. Da glitt der
Blick des Mannes noch einmal über die ganze Gestalt hin und er legte nun
auch die andere Hälfte des Brotes in ihren Schooß. Das Mädchen vergaß
ihren Hunger und blickte ihm staunend nach, wie er über den Graben
zurückschritt. Sein Weib aber strich mit der Hand über die Augen, als
weinte sie, und wischte dann mit ihrer Schürze sorgsam den Schweiß von
seiner Stirne, und es schien mir auch, daß sie ihn küßte. Da setzte er
sich mit ihr nieder in den Schatten eines Dornbusches, und neben ihnen
stand der leere Korb. Sie aber spielten mit dem lächelnden Säugling.
Eine Karosse fuhr unterdessen vorüber auf dem Wege, und die darinnen
wandten ihre Augen weg von den Menschen zur Rechten, und ich hörte nur
noch den Theaterbericht des Herrn, der zur Linken ritt: Ach! das dumme
Stück: die Waise.

Da dachte ich: »sie sind schon gerichtet!«

Weiter ging ich und sah nur noch, wie der Mann im Felde freundlich
nickte, als ich dem armen Mädchen, schamrot über die geringe Gabe, zwei
Silberstücke gab. Wie viel mehr hatte er gegeben! -- Immer schöner
entfaltete sich die Gegend vor meinem Blicke. Wie ein Garten Gottes lag
sie da, gekleidet in Seiner Schöne, erfüllt mit dem Reichtum Seiner
Herrlichkeit, träufelnd von dem Segen Seiner Güte und duftend in dem
Odem Seiner Allgegenwart. Dort der Saum schützender Gebirge, deren freie
Gipfel aus der Tannenwaldung sich erhoben, hier das weiche Grün
kräuterreicher Weiden, auf denen die gesättigte Kuh ihre breiten Glieder
in den Klee streckte, während das mutige Roß im geflügelten Lauf seine
Kräfte übte. Tiefer hinab der schlängelnde Strom, dem fremden Segler
nach den Gefahren des Oceans eine willkommene Straße und dem Fischer am
Ufer eine Quelle genügsamen Reichtums. Weiter ging ich, doch nur bis zu
der breitästigen, dichtbelaubten Eiche am grünen Hügel. Da drang es, wie
eine Stimme aus der Höhe überwältigend in mein Herz: »Sehet und
schmecket, wie freundlich der Herr ist!« Mein Fuß hatte in diesem Tempel
Gottes den Altar gefunden, an welchem Keiner vorübergehen kann, ohne ein
Opfer der Bewunderung und des Dankes gegen Den, dessen Werke so groß und
so viel, der sie alle weislich geordnet und die Erde erfüllet mit Seinen
Gütern! Und es dauerte lange, ehe ich, froh und verklärt, wie Einer,
dessen Glaube zum Schauen geworden ist, dem Hause am Fuße des Hügels
mich nahte. Mit seinen roten Ziegeln ragte es weit über die schattenlose
Anpflanzung ausländischer Sträucher hervor, und in seiner Größe
verdeckte es fast ganz das dahinterliegende Dorf. Die Inschrift: »Zum
ländlichen Vergnügen,« prangte in goldenen Buchstaben über der Thür. Auf
dem Vorhofe hielten mehrere Karossen, und reichbordirte Livreebediente
zechten und lärmten auf der nahen Kegelbahn. Die Gäste drinnen aber
vergnügten sich mit lautem Geräusch am Billard, und als ich ein stilles
Nebenzimmer suchte, trafen mich die finstern Blicke gestörter
Kartenspieler. Vor ihrem unfreundlichen Murren flüchtete ich in eine
andere Stube. Hier aber saßen viele Herren und Damen und blätterten in
Journalen und Modezeitungen, bis die Abbildung eines Pariser
Maskenanzuges alle Blicke auf sich zog, und allerlei sehnsüchtige
Ausrufungen und witzige Bemerkungen hervorriefen. Doch störten diese die
eine junge Dame nicht, die selbstgefällig eine Arie aus Fra Diavolo am
Fortepiano mit heller Stimme sang. Wie sie aber aufstand, drängte sich
Alles an sie heran, ihrem entzückenden Gesange und kunstreichen Spiele
zu huldigen.

Da kam mir der Garten Gottes rings um dies »ländliche Vergnügen« her in
den Sinn, und ich dachte: »sie sind schon gerichtet!«

Plötzlich rief eine Stimme aus dem Fenster: »Singe Du uns auch einmal
etwas vor!« und als Alle nun sich dahin wandten, blickte auch ich mit
auf die Straße. Da stand das Mädchen vom Wege. Sie hatte auf den Gesang
gehorcht und wollte sich eben scheu wegschleichen, erschreckt über die
Aufmerksamkeit, die sie erregte. Doch der eine Herr zeigte ihr eine
Silbermünze und befahl ihr zu bleiben und zu singen; während der Reiter,
den ich vom Wege her wieder unter den Gästen erkannte, mit finsteren
Augenbrauen und drohender Stimme ihr zurief: »Pack' Dich, Dirne!« »Nein,
sie soll singen!« forderten die Uebrigen. Der Reiter aber warf einen
Thaler vor sie hin auf die Straße und schrie noch einmal: »Weg mit Dir!«
Da riefen die Andern einen Diener, der ihr den Weg versperren mußte, und
wollten sich den köstlichen Spaß nicht nehmen lassen, den Knittelvers
irgend eines Gassenliedes von den Lippen der zagenden Unschuld zu hören.
»Ich kann nicht singen,« stammelte ängstlich die Kleine. »So sag' uns
ein Lied her, das Du weißt! Eher darfst Du keinen Finger nach dem Thaler
ausstrecken.« Das Mädchen blickte nach dem Gelde, das zu ihren Füßen
lag, dann nach dem Reiter, der sich aber mürrisch vom Fenster weggezogen
hatte, und begann endlich mit zitternder Stimme:

   Wer nur den lieben Gott läßt walten
   Und glaubensvoll -- --

Aber bei dem schallenden Gelächter, das diese Worte hervorriefen,
schreckte das arme Mädchen zusammen; in ihre Wangen schoß die volle Glut
der Scham auf, und wie ein gejagtes Reh floh sie über die Straße hinweg.
Den Thaler nahm der Diener zu sich und eilte der Schenkstube wieder zu.
Die aber drinnen flehten nach diesem Intermezzo bei der Kunstbegabten um
eine Arie aus: Robert der Teufel.

Da dachte ich: »sie sind schon gerichtet!«

Zu eng ward mir es in diesem Hause; und ich wandte meine Schritte auf
die Straße durch's Dorf entlang. In der Nähe einer der letzten Hütten
gellten die scheltenden Worte: »Du Bastard, komm mir nicht wieder unter
die Augen!« und eine alte, erboste Bäurin stieß die Kleine vom Wege aus
ihrer Thür. Die aber setzte sich auf einen Stein und weinte bitterlich.
Ich trat hinzu und suchte sie zu trösten, und fragte dann, ob sie von
ihren Eltern das Lied gelernt, das sie vorhin hatte aufsagen wollen.
»Von meinen Eltern?« und dabei blickte sie mich verwundert an; »die
Mutter schilt nur immer mit mir. Dem blinden Nachbar habe ich es an der
Thür abgehorcht, der singt es alle Abend.« -- »So versprich mir, jeden
Tag einen Vers aus diesem Liede für dich herzusagen, bis Du groß bist.«
Sie gab dieses Versprechen gern und weinte nicht mehr. »Hier ist auch
der Thaler,« fuhr ich fort, »als Lohn für dein Aufsagen am Fenster.« Die
Kleine griff hastig nach dem Gelde. »Dank, Dank!« rief sie, »nun kann
ich der Mutter eine Decke kaufen.« Da erfuhr ich, ihre Mutter sei schwer
erkrankt und sie ausgesandt, die Großmutter im Dorfe um eine warme.
Decke zu bitten. »Nun kann ich eine Decke _kaufen_!« mit diesen Worten
blickte sie halb trotzig nach der Hütte ihrer Großmutter auf, die sie
eben ausgestoßen. Da sah sie die Alte am Fenster und eilte freudig allen
Zwist vergessend auf sie zu, in der hochgeschwungenen Hand ihr den
Thaler entgegen haltend. Und diese Freude, wem galt sie? Der Mutter, die
immer nur schalt! -- »Hör', Kleine!« rief ich ihr nach. Und ich fragte:
»Hast Du nie Deinen Vater gekannt?« Das Mädchen blickte schüchtern um
sich her, als drohe ihr eine Gefahr; dann neigte sie sich näher zu mir
hin und flüsterte leise: »Vater ist reich und vornehm, aber ich darf ihn
nicht Vater nennen;« und noch leiser und mit einer Hastigkeit, als
fürchte sie sich vor ihren eigenen Worten, fügte sie hinzu: »Der war's,
der mir den Thaler zuwarf.«

Da dachte ich: »sie sind schon gerichtet!«



                                 VI.


   Der Geist mag sich im Werk verkünden,
   Das schöpferisch er Dir enthüllt,
   Die Macht kann sich ein Zeugnis gründen,
   Das mit Bewundrung Dich erfüllt.
   Willst Du nach einem Herzen fragen,
   Dem Deine Thräne nicht zu klein:
   Da muß das Herz an Deinem schlagen,
   Muß mit Dir dulden, mit Dir tragen,
   Da muß Dein Gott Dir Christus sein.

Am Nachmittag nach eingetretener Ebbe begannen die Versuche zur Bergung
der Güter aus dem Schiffe, wobei Mander und Oswald mit beschäftigt
waren, Godber aber nicht, indem Idalia rund heraus erklärte, daß sie
seine Hülfe nicht entbehren könne, wenn die Herren eine ruhige Nacht
wünschten.

Hold war zu Maria's Wohnung gegangen, um ihr seinen Glückwunsch zu der
Wiederkehr ihres Verlobten zu bringen. Wie ganz anders traf er es da,
als er erwartet hatte. Maria in Thränen schwimmend, ihre Mutter
ängstlich um sie her trippelnd, und bald schmeichelnd tröstend, bald
eifrig darein redend von Unverstand und Wunderlichkeit.

»Gott Lob!« rief diese, als sie Hold erblickte, »Gott Lob! Herr Pastor,
daß Sie kommen! Ich weiß nichts mehr mit dem Mädchen anzufangen. Da
kommt sie diesen Morgen, deckenhoch springend, vor mein Bett gejubelt:
Godber ist da! daß ich alte Frau noch den Schreck in allen Gliedern
fühle, und nun sitzt sie, seit ich vom Strande zurückgekommen bin, bis
jetzt laut weinend und schluchzend auf diesem Flecke, weil sie sich
einbildet, die fremde Stadtdame, die wunderlich genug aussieht in
unserer Tracht, habe mit ihren langen Locken ihm den Kopf verrückt. Als
ob so ein schiffbrüchiges Milchgesicht das hübscheste und fleißigste
Mädchen in der ganzen Hallig so mir nichts dir nichts bei ihrem
Verlobten ausstechen könnte.«

Und nun erzählte sie, immer dazwischen wieder sich zu der jammernden
Maria wendend, Alles was sie von der Armen nach und nach, obwohl ohne
rechten Zusammenhang, erforscht hatte, und das freilich in ihrem Munde
und mit den mildernden Deutungen, die sie dem Benehmen Godber's
unterlegte, nicht geeignet war, den Pastor von der Untreue desselben zu
überzeugen. Doch war er auch zu sehr davon überrascht und ergriffen, ein
Herz trostbedürftig zu finden, dessen Jubel er zu einem freudigen
Dankgebet hatte leiten wollen, als daß er nicht mit mehr Ernst, denn
sonst wohl, in Maria's Vorstellungen eingegangen wäre. Er glaubte
zugleich zu ihrer Beruhigung besser wirken zu können, wenn er ihrem
aufgeregten Gefühle keinen Widerspruch entgegensetzte, und sagte daher:

»Wir wollen einmal annehmen, liebe Maria, daß Deine Liebe zu Godber
nicht _mehr_ in seinem Betragen erblickte, als darin lag, daß die
natürliche Teilnahme, die er für die durch ihn Gerettete haben muß,
weiter geht, als Du wünschen kannst, wird er nicht, wenn der erste
lebhafte Eindruck vorüber ist, zu der Treue zurückkehren, die er Dir
gelobte? Wird er nicht bald sein Herz wiederfinden, das, wie Du aus
seinen Briefen weißt, neun Jahre in der Ferne nur allein für Dich
schlug, obwohl ihm gewiß schon manche reizendere Gestalt als diese
Fremde entgegentrat?«

Maria schüttelte schweigend den Kopf.

»Wenn auch,« fuhr Hold fort, »in diesem Augenblick die Zuneigung der
jungen Stadtdame für Godber vielleicht über die Grenzen der Freundschaft
und Dankbarkeit hinausgeht, ist damit schon eine ernsthafte Liebe gewiß?
Willst Du von ihr verlangen, daß sie, aus der drohendsten Todesgefahr
durch ihn gerettet, sogleich ihre Gefühle auf das Maß beschränke, das
sie in der Zukunft bewahren müssen und werden? Diese lockende Sprache
und dies verführerische Benehmen, wodurch sie Dir jetzt so viel Weh
bereitet, werden sich früh genug zu einem freundlichen Dank, zu einer
besonnenen Berücksichtigung der Verhältnisse zurecht finden, und Godber
wird, vorausgesetzt, daß Du sein Betragen an diesem Morgen recht
beurteilst, gar bald sich als das thörichte Gängelkind einer flüchtigen
Aufregung erkennen.«

Maria antwortete noch immer nicht.

»Aber was reden wir weiter davon,« schloß des Tröstenden Zuspruch; »ist
denn Dein Glaube an Godber's Liebe nicht fester, als daß ein Augenblick
ihn erschüttern kann? Ist Euer Bund nicht geschlossen unter dem
Aufschauen auf Den, der die Herzen der Menschen lenket wie Wasserbäche?
Und sollte der Gott, der ihn nach neun Jahren aus jeglicher Gefahr zu
Dir heimgeführt, nun nicht auch ferner wachen, fördern und helfen zu
einem glücklichen Ende? Gieb Deine Zukunft hin in des Herrn Hand; Er
wird's wohl machen nach Seinem weisen und gütigen Rat und Willen!
Befiehl Ihm Deine Wege. Er ließ noch Keinen ohne Trost und Hoffen, der
ihm vertraute.«

»Amen!« sagte die Mutter, die ihre Hände andächtig gefaltet hatte; aber
Maria konnte nicht Amen sagen, und schluchzte nur noch lauter, bis sie
in die Worte ausbrach: »Er hat mein Gebet verworfen und mein Vertrauen
nicht angesehen!«

»Kind, frevle nicht!« rief die Mutter ängstlich, und: »Gott behalt' ihr
die Sünde nicht!« flehte sie mit emporgehobenen Händen, indem die
Thränen ihr von den gefurchten Wangen perlten.

Hold sah zu seinem Erstaunen, zu welcher Leidenschaftlichkeit plötzlich
Maria's Liebe gestiegen sei, die während der langen Trennung und bei
Godber's gefahrvollem Leben auf der See so ruhig geblieben war. --
Fließt denn nicht auch der kleine Bach der Flur, wie unter des Himmels
Stürmen, so im Sonnenschein, gleich ruhig dahin? Von einem rauhen Stein,
in seine Bahn geworfen, aber schäumt er heftig auf. -- Es konnte hier
nicht mehr die Rede davon sein, ob ihre Ansicht falsch oder wahr sei;
sondern eine rasche und starke Hülfe that ihrer Seele not. Er faßte
daher Maria's herabgesunkene Rechte und sprach in einem ernsten und
ruhigen, aber eindringlichen Tone:

»Wehe den Herzen, die an Gott verzagen, und den Händen, die nicht
festhalten! Wir aber schauen auf Jesum Christ, den Anfänger und
Vollender des Glaubens. Er kam, den Frieden zu bringen auf Erden. Er
hatte nicht, wo er Sein Haupt hinlegte. Er wurde von Seinen Feinden
geschmäht, von Seinen Freunden verraten. Er weinte blutige Thränen auf
Gethsemane, trug die wundenvolle Dornenkrone und war gehorsam bis zum
Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Er hat's vollbracht! Zu Ihm kommen die
Mühseligen und Beladenen und empfangen den Frieden, Seinen Frieden. Was
wollen wir weinen und klagen in unserm Leid beim Gedächtnis Seiner
Leiden für uns? Was wollen wir weinen und klagen um unser kurzes,
vergängliches, irdisches Teil? Haben wir denn nicht mehr empfangen, als
die Welt uns nehmen kann? Haben wir nicht Teil an Seinen Segnungen und
in diesen den Reichtum der Gottseligkeit, die zu allen Dingen nütze ist
und die Verheißung hat _dieses_ und des zukünftigen Lebens? Ich aber
hebe meine Augen hinweg von der Welt auf zu der Höhe und frage: was ist
der Mensch, o Gott, daß er mehr erbitte, als Deinen Willen, mehr
begehre, als Deine Liebe, die sichtbarlich geworden ist auf Erden, und,
selbst mit dem bittersten Leid getränkt, freundlich naht dem Herzen voll
Gram und spricht: »Sieh mich an und weine nicht! Der Himmel ist Dir
offen!« Die aber der Welt Unruhe und Kümmernis scheidet von Christo und
Seiner Liebe, die kreuzigen Ihn auf's Neue und verderben sich selber.
Darum gieb Ihm Dein Herz und bewahre Ihm Deine Treue; und die Stunde in
die Du gekommen bist, wird Dich nicht überwinden, sondern durch den
Schmerz der irdischen Liebe Deine Liebe zu dem Heiland nur geläutert,
erhoben und verkläret werden. Die mit Thränen säen, werden in Freuden
ernten!«

Und nun Maria's Hand in seiner gefalteten erhebend, während sie lautlos
in die Knie sank, rief er:

»Herr Gott! Vater alles Dessen, was Kind heißt im Himmel und auf Erden,
hier ist Deine Magd. Dein Wille geschehe! Amen.«

Maria betete die letzten Worte leise und mit bebender Stimme nach. Ihre
Thränen flossen linder, ihr Blut wallte ruhiger. Da stand sie auf, und
das Auge, in welchem noch die letzte Zähre schwamm, nach Oben richtend,
die Hände über die Brust faltend, hochatmend wie von einem langen Druck
befreit, sprach sie noch einmal lauter und mit festerem Tone:

»Hier ist Deine Magd! Dein Wille geschehe!« Nun gab sie voll Zuversicht
ihrer Mutter das Versprechen, Alles mit Geduld und Stille in des Herrn
Hand zu stellen und nur für sie zu leben, und ihr nur Freude zu machen
in den Tagen ihres Alters.

Als Hold sich entfernte, dankten ihm weder Maria noch die Mutter für
seine Tröstung anders als mit einem Blick voll Herzlichkeit. Sie waren
es ja gewohnt, die Prediger auf den Halligen immer als Teilnehmer
solcher Stunden zu sehen und den Segen des geistlichen Amtes an sich zu
erfahren. Die Mutter, unter einem Vorwande Maria von der Begleitung
zurückhaltend, bat noch den Pastor unter der Thür, doch bei Gelegenheit
ein ernstes Wörtchen mit Godber zu reden, was er schon ohnedies sich
vorgenommen.

Auf dem Heimwege dachte Hold darüber nach, warum die Hinweisung auf
Christum augenscheinlich so mächtig auf die Bekümmerte gewirkt. Er
glaubte diesen beruhigenden Einfluß nicht allein daraus ableiten zu
müssen, daß das Gedächtnis des Herrn in ein höheres Reich einführe, in
welchem die weltlichen Freuden und Leiden nur als Schatten und Träume
erscheinen, sondern auch darin finden zu dürfen, daß der Friedefürst und
Ueberwinder der Welt uns nicht ohne Sein Kreuz und Seine Dornenkrone
erscheint.

Der Mensch will schauen, nicht etwa allein der, welcher den Glauben als
eine Entwürdigung der Vernunft verwirft, sondern auch der, welcher ein
kindlich gehorsames Herz sich bewahrte für das Wort des ewigen Vaters.
Bei diesem ist dies Verlangen das allgemeine Bedürfnis der schwachen
Natur des Staubes, die auch da, und vielleicht da am dringendsten, eine
Ansprache an die Sinne fordert, wo es darauf ankommt, sich aus deren
Bereich zu erheben, wie der Adler, der zur Sonne aufstrebt, in der
niedern Luftschicht seinen Flügeln allein die Schwungkraft geben kann,
mit der sie ihn in ruhiger Schwebung emportragen. Ein Glaube, der nicht
von dem: »Wer mich siehet, der siehet den Vater« ausgehet, wird der
Vermittelung ermangeln, wodurch zu dem ewigen, einigen Geist ein Geist
sich aufringt, für den das Leibliche nicht blos Behausung ist, sondern
zu dessen eigentümlichem Wesen und Sein es gehört, so daß er, wenn auch
diese Erdenhülle bricht, doch wieder in einen, wenn auch verklärten Leib
gekleidet wird. Mag auch das allgemeine Gefühl der Andacht den Menschen
hinauftragen zu den himmlischen Höhen, und, den blöden Sinn
überwältigend, ihn an das Vaterherz Gottes legen mit solcher Innigkeit
und Zuversicht, als ob der Glaube zum Schauen geworden wäre, so verliert
er sich doch auch wieder leicht in den Tiefen der Gottheit, ohne eine
feste Ruhestätte gefunden zu haben, und die Frucht seiner Andacht geht
ihm verloren in einem unbestimmten Verschwimmen seiner Gedanken und
Gefühle. Besonders aber wird es ihm schwer, in Leiden einen dauernden
gewissen Trost von dort her zu nehmen, wo kein Leid ist, wo er für die
schmerzlichen Gefühle, die ihn bewegen, keinen Anknüpfungspunkt findet
und daher oft so vergeblich ringt, das eine Ende seiner Gedanken, womit
er an den Schmerz gebunden ist, fahren zu lassen und das andere Ende zu
ergreifen, woran er auf der Himmelsleiter sich emporschwingen soll. In
Christo sind diese Enden verknüpft. In Ihm sieht der Leidende den
friedvollen Himmel und die schmerzensreiche Erde vereint. Er sieht
seiner eigenen Herzenswunden blutige Gestalt und zugleich mit demselben
Blick den Sieg, der die Welt überwindet, den Frieden, der vom Himmel
stammt und zum Himmel führt. So ist ihm an Christi Hand die Bahn zum
Vater geebnet. Sie ist kein plötzlicher Aufschwung mehr über den Abgrund
seines Kummers hinweg, sondern ein allmäliger Uebergang aus den Dornen
in der Tiefe zu den Friedenspalmen auf der Höhe. Er trägt, indem er mit
dem leidenden Heilande aufsteigt, gleichsam seine eignen Leiden mit
hinauf und fühlt darum die heilende Hand näher und gewisser. Auch in
diesem Sinne ist es wahr: »Niemand kommt zum Vater, denn durch den
Sohn!«

   Heiland, Deine bangen Schmerzen
   Auf der dornenvollen Bahn
   Lassen jedem wunden Herzen,
   Ein vertrauter Freund, Dich nahn!

   Heiland, Deine Siegesfreuden
   In der Schmach und in der Pein,
   Leuchten auf den Quell der Leiden
   Mit des Himmels Wiederschein.

   Tau aus ew'gem Lichtgebiete,
   Zähren, wie die Erde weint:
   Perlen, ihr an einer Blüte,
   Trank in einem Kelch vereint;

   Abgrund, den die Nacht geboren,
   Kreuz, voll Marter und voll Hohn:
   Zur Verherrlichung erkoren,
   Lebenswiege, Friedensthron!

   Ja, die Scheidung ist gefallen,
   Und verklärt der Erde Leid.
   Aufwärts darf der Seufzer wallen,
   Gilt er auch dem Traum der Zeit.

   Fand mein Schicksal andre Gleise?
   Welche Wandlung ist gescheh'n?
   Sieh', der Freund entführte leise
   Hin mich, wo die Palmen weh'n.



                                 VII.


   Wie sich Licht und Schatten wende
   Wechselnd in der Völker Loos,
   Knechtschaft zieht die Freiheit groß,
   Unrecht schlägt die eignen Hände.

Als Hold in seine Wohnung zurückkehrte, fand er Mander und Oswald dort
vor. Sie waren gekommen, teils um zu danken für die bewiesene Fürsorge,
teils um zu sehen, ob für ihren Aufenthalt auf der Hallig die
Annehmlichkeit eines gebildeten Umgangs wenigstens in einer Familie
ihnen nicht ganz fehlen würde. Ihre Erwartungen waren freilich geringe,
und das Aeußere und Innere einer Wohnung, gegen welche das Haus des
Gärtners auf ihrem ländlichen Ruhesitze bei Hamburg ein Palast war,
diente nicht dazu, ihre Erwartungen höher zu spannen. Einfachheit und
Beschränktheit schienen hier die genügsamen Schaffnerinnen gewesen zu
sein. Reinlichkeit mußte den Glanz, Nettigkeit die Schönheit, gefällige
Anordnung die Fülle ersetzen; und der Anzug der Pastorin wie ihrer
Kleinen trug die Spuren der wirtschaftlichen Nadel, die den abgetragenen
Stoff so lange als möglich benutzen lehrt und ihm immer neue, wenn auch
kleidsame, doch wenig modische Formen verleiht. Uebrigens blühten Mutter
und Tochter in der Fülle der Gesundheit: und der Eindruck, den das
herzliche Willkommen der Pastorin auf die Fremden machte, wurde nicht
allein durch die angenehmen Züge ihres Gesichtes und ihre gefällige
Gestalt, sondern auch durch ihr ungezwungenes, einen frühereren Umgang
in höheren Kreisen verratendes Wesen erhöht. Oswald ward dadurch ganz
irre gemacht, da er nicht wenig darauf gerechnet hatte, durch gewandte
Verdeckung der gewiß erwarteten Verstöße und durch freundliche
Herablassung zu den beschränkten Vorstellungen und trivialen
Lieblingsgesprächen einer Familie, deren Gesichtskreis, wie er
voraussetzte, sehr eng sei, hier großes Lob zu ernten, nun aber bald
merkte, daß es für ihn nur darauf ankomme, mit gleicher Leichtigkeit den
rechten Umgangston für eine unter solchen eigentümlichen Umständen
gemachte Bekanntschaft zu treffen. Auch Mander, der feingebildete
Weltmann, der ein solches Benehmen zu beurteilen und zu schätzen wußte,
fand sich davon nicht wenig überrascht bei der ebenfalls von ihm
vorgefaßten Aussicht, auf unbeholfene Verlegenheit oder überlästige
Höflichkeit zu stoßen. Nach den ersten Begrüßungen suchte er daher mit
geschickter Wendung eine Gelegenheit zu der Frage an die Pastorin, ob
sie sich in dieser ihrer Lage wohl glücklich fühlen könne?

»Das ist eine Gewissensfrage,« erwiderte sie lächelnd. »Wir Frauen
hängen einerseits mehr als die Männer von äußeren Eindrücken ab. Die
Stätte, die uns groß gezogen, die Gespielinnen der Jugend, die Kreise
des geselligen Lebens, in denen wir uns freuten mit den Fröhlichen und
weinten mit den Weinenden, die Gewohnheiten, die Formen einer frühern
Zeit bleiben treuer in unserm Gedächtnisse und behaupten länger ihren
Einfluß auf unsere Neigungen, Wünsche und Hoffnungen, als es bei dem
Manne der Fall sein wird, dem sein Beruf und sein Amt seine Welt ist, in
die er sich mit allem seinen Denken, Wollen und Thun hineinversetzt,
wodurch die Erinnerung an das Vergangene geschwächt und der Traum von
den zukünftigen Tagen weniger lebhaft unterhalten wird.«

»So möchte Ihnen denn Ihre Stellung hier weniger gefallen, als ihrem
Gatten?«

»Ich habe,« sprach sie, »nur von einer Kammer gleichsam des weiblichen
Herzens gesprochen, die andere wird mehr für meine Zufriedenheit reden.
Unser demütiges, zweites Geschlecht ist ja an den Herrn der Schöpfung,
wie der Mann sich selbst nennt, gewiesen. An ihn schließen wir uns an,
ihm folgen wir; und Vater und Mutter soll ja das Weib verlassen und
ihrem Manne anhangen. Warum denn nicht auch eben so leicht ihm ihre
lieben Gewohnheiten, ihre bisherigen Neigungen opfern? Und wie von
selbst giebt sich das an der Seite des guten geliebten Gatten.
Vergangenheit und Zukunft verbleichen vor dem Rosenschimmer der
Gegenwart, wenn dieser auch nicht über die vier Wände des Hauses
hinausreicht, wenn dieser auch nur aus dem Auge des Gatten mir strahlt
und nicht aus der Umgebung. Er findet doch den Eingang in das offene
Herz und übt seinen verklärenden Zauber auf alle Dinge um sie her. Das
häusliche Glück überwindet auch selbst eine Hallig mit allen ihren
Entbehrungen.«

»Aber unbegreiflich ist es mir,« sagte Oswald, »wie der Pastor sich hier
wohl fühlen kann, da er ja doch in seinen Studienjahren ein reich
bewegtes Leben hat kennen lernen müssen?«

»Nicht allein seine Studienjahre hat er zum Teil in Deutschland
zugebracht und sie zu Reisen in den schönsten Strecken unseres großen
Vaterlandes und der Schweiz mitbenutzt, sondern auch seine Kindheit und
erste Jugend verlebte er im Genusse alles dessen, was großstädtischer
Verkehr und großstädtische Sitte Angenehmes haben.«

»So werden gelehrte Untersuchungen es ihn vergessen machen, was er jetzt
entbehren muß?« bemerkte Mander, der unterdessen einen Blick auf das
kleine Bücherrepositorium geworfen hatte.

»Sie meinen,« lächelte die Pastorin, »weil Ihnen da die Titel arabischer
und persischer Bücher entgegenblitzen. Nein, das ist noch aus jener Zeit
her, in welcher, wie Hold sagt, der altertümliche Reifrock der seligen
Großmama oft eben so viel Anziehungskraft hat, als der duftende
Blumenkranz der lebensfrohen Enkelin; oder die herbe und trockene
Frucht, die aus der Ferne und Fremde kommt, lieblicher mundet, als die
frische Pflaume aus dem Garten der Heimat. Jetzt muß ich bei vielen
dieser Bücher dafür sorgen, daß der Staub nicht ihre goldenen Titel
bedecke; nur wenige erfreuen sich noch des Immergrüns der jungen Liebe.«

»Natürlich müssen die einzelnen Lieblingsstudien,« sagte Mander, »bei
dem gebildeten Manne vor dem Interesse für die großen, neuen
Fortschritte der Wissenschaft zurücktreten; und so wenig ich auch mit
der theologischen Literatur bekannt bin, so weiß ich doch, daß der
Theologe, der eine übersichtliche Kenntnis des allgemeinen Ganges seiner
Wissenschaft sich bewahren will, schon hinreichend mit Lectüre versorgt
ist.«

»Wenn es dem Halligprediger nur vergönnt wäre,« entgegnete die Pastorin
mit einer Stimme, deren Schwanken die Furcht verriet, mehr zu sagen, als
vor fremde Ohren gehörte, »etwas für die Befriedigung des
wissenschaftlichen Bedürfnisses aufzuwenden. Hold beklagt dies oft und
meinte noch neulich, daß die Vierteljahrsgage eines der geringsten
Opernsänger oder Ballettänzer ausreichen würde, um den vom Weltverkehr
und vom Büchermarkt ausgeschlossenen Geistlichen der Hallig die
Schriften und Journale in die Hände zu geben, welche sie vor Lücken in
der Kenntnis des Standes ihrer Wissenschaft bewahren könnten. Dazu kommt
der tägliche Schulunterricht, der sich bei der geringen Bildungsstufe
der Halligbewohner und der gänzlich fehlenden Mithülfe der Eltern fast
nur auf die ersten Anfangsgründe beschränkt.«

»Wie!« riefen Mander und Oswald erstaunt, »der Geistliche ist
verurteilt, das ABC zu lehren und Buchstaben vorzumalen?«

»Wenn sie dies Verurteilung nennen wollen, habe ich nichts dagegen. Mir
thut es auch oft in der Seele weh, wenn ich im Nebenzimmer das eintönige
Buchstabieren anhöre und dabei einen Blick auf diese Bücher werfe. Aber
Hold weiß sich ganz darein zu fügen und geht eben so munter in die
Schulstube hinein, wie er aus derselben zurückkehrt. Auf allen Halligen
ist übrigens der Schuldienst mit dem Pastorat verbunden.«

»Aber ich würde mir einen Gehülfen halten,« sagte Oswald etwas
unbedachtsam.

»Dieselbe Ursache,« erwiderte die Pastorin, indem sie die Augen senkte
und leise errötete, »welche jene Verbindung nötig macht, erspart uns
auch den Gedanken an einen Gehülfen für die Schule.«

Die Pastorin wurde durch die Ankunft ihres Mannes aus dieser
Unterhaltung befreit, die für sie etwas peinlich geworden war, da Frauen
überhaupt noch weniger als Männer dazu geeignet sind, die beschränkte
Lage des Hauswesens vor Fremden aufzudecken, und gern, so lange als
möglich, einen gewissen Schein zu bewahren streben.

Hold trat den Fremden mit freundlicher Offenheit entgegen und wußte
ihren Dank für Das, was auch er für ihre gastliche Aufnahme auf der
Hallig gethan, sogleich mit den Worten abzuwenden: wie er ihnen vielmehr
danken müßte, daß sie hierher gekommen seien, ihm ein Bischen von der
Welt draußen zu erzählen.

Während nun die Hausfrau den Thee mit den Butterschnitten von
Schwarzbrod bereitete, das Einzige, was der Halligbewohner in solchen
Fällen für seine Gäste hat, und was er den größten Teil der Woche
hindurch selbst als Mittagessen mit seiner Familie nur genießt, hatten
die Männer im raschen Laufe des Gesprächs schon fast die ganze Erde
umflogen, hatten die wirren Bahnen der Politik durchwandelt, sich auf
den luftigen Höhen der Weltansichten bewegt und waren in die Tiefen der
Wissenschaft hinabgetaucht. Aber nirgends fanden sie sich in
Uebereinstimmung mit einander; nirgends gelang es ihnen, die
verschiedenen Noten, die jeder anschlug, zu einer melodischen Harmonie
zu verschmelzen. Wollte Oswald die aufgestellten Fragen leicht
abfertigen, so zeigten ihm Mander und Hold den schweren Ernst derselben
und den entscheidenden Einfluß einer richtigen Beantwortung auf das Wol
und Wehe der Menschheit. Wollte Mander den Scharfsinn des menschlichen
Geistes in der seither versuchten Lösung dieser Lebensfragen bewundern,
dann schob ihm Hold die Erfahrung entgegen, wie wenig jene Lösung
gefruchtet.

Da aber jetzt die Politik das Gebiet ist, wie es in früheren Zeiten oft
die Theologie war, auf welchem sich die Geister am liebsten tummeln, der
Gemeinplatz, der fast keinem ganz fremd ist, der die verschiedensten
Stände und Stämme mit gleichem Spruchrecht um das Beratungsfeuer sammelt
und zugleich für den feineren Beobachter das Tinggericht, wo Vieler
Herzen offenbar werden und sich unter einander erkennen auch über den
Zeitungs-Krieg und Frieden hinaus, so fanden sich unsere Freunde auch
immer wieder zu derselben zurück.

Hold sagte, als er dies bemerkte:

»Es ist immer eine ärmliche Zeit, die keinen über die nächste Wand
hinausgehenden, Allen gemeinsamen Stoff zur Unterhaltung hat; sie brütet
einen widerlichen Kastengeist, ein kleinliches Mein- und Dein-Leben,
eine jämmerliche Nützlichkeitsprosa aus. Ueber dem täglichen Verkehr,
über dem Dichten und Trachten für die Duodezwelt, die für Jeden eine
andere ist, muß ein Reich aufgethan sein, das Alle zuläßt, ohne nach Paß
und sonstiger Berechtigung zu fragen, das ihren Gedanken einen weiten
Raum giebt, ihre Empfindungen an Vieler Wol und Wehe groß zieht. Aus
diesem Grunde will ich die jetzt so allgemeinen politischen
Unterhaltungen, in die auch wir stets wieder unwillkürlich
hineingeraten, nicht ganz als bloßen Zeitvertreib verwerfen; obwol die
Politik selbst, wie sie als Wissenschaft gelehrt und von den Staaten
gegen einander geübt wird, mir die verächtlichste Mißgeburt ist, die ich
kenne.«

»Wie!« rief Mander voll Erstaunen, »müssen Sie nicht den Staatsmann
achten, der in seinem Geiste das Schicksal der Völker und Länder abwägt;
der Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu kombinieren weiß und
mit einem Federstrich oft mehr ausrichtet, als die sieghaftesten Armeen;
der das Staatsschiff durch alle Klippen hindurch in den schwersten
Stürmen steuert und auf tausend Umwegen glücklich an's Ziel führt?«

»Meinethalben mag seine Klugheit bewundernswert sein,« entgegnete Hold;
»aber sehe ich, daß seine Winkelzüge eben erst die Stürme hervorgerufen
haben und die Klippen entstehen ließen; sehe ich, wie er eine Grube zu
seinen Füßen gräbt, während er sich selbstgefällig seiner Voraussicht in
die Zukunft rühmet; sehe ich, wie er mit Treu und Glauben, mit der
Heiligkeit der Verträge, mit den Gesetzen des Rechtes, wie mit Schalen
spielt, die man wegwirft, wenn der saftreiche Kern ausgesogen ist und
auch wol bei Gelegenheit einmal wieder aufnimmt, um den letzten Tropfen
Oel noch herauszupressen; wenn er das eine Knie beugt, um mit vollem
Munde Gott und alle Heiligen für sein gutes Recht und um Bestrafung des
Treubruchs anzuflehen, während er den andern Fuß aufhebt, um die
Gerechtigkeit in den Staub zu treten, dann widert mich der Staatsmann,
oder vielmehr die Politik, die er repräsentirt, als die große
babylonische Buhlerin unserer Zeit an, die sich am Verderben der Völker
sättiget.«

»Sie wollen doch wol nicht die Gesetze der gewöhnlichen Moral, die im
häuslichen und bürgerlichen Leben ihre gute Geltung haben, auch auf die
Leitung des Geschicks der Völker übertragen?«

»Ja wol will ich das,« erwiderte Hold mit großem Eifer. »Gerechtigkeit
und Treue sind kein Menschenfündlein, an dem gedreht und gedeutelt
werden darf. Sie sind Gebote des lebendigen Gottes, der die Welten
lenket mit Rat und Weisheit und die Völker des Erdkreises richtet mit
Gerechtigkeit. Der Gedanke, weil ich auf diesem Staubkörnlein Erde die
Miniaturgeschichte eines Pünktchens übersehe und ein paar Sekunden lang
sie weiter führen soll, darum bin ich erhaben über das Gesetz des
Schöpfers und ewigen Regierers des Himmels und der Erden, dieser Gedanke
ist so mitleidswert armselig, daß man ihn nur belächeln könnte, wenn er
nicht zugleich so verächtlich wäre. Wahrlich, so lange das Gesetz Gottes
als allein bestimmende Richtschnur noch keine Stätte gefunden hat in der
kalten Brust der Leiter unserer Staatenmaschine, so lange bleibt diese
ein Räderwerk, das von Blut und Thränen träuft, und das, in wilder
Unordnung bald vorwärts, bald rückwärts gehend, den Baumeistern nur
Schande macht. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Was ist denn
Europa? Ein ewiger Tummelplatz des eisernen Würfelspiels, ein immer neu
geöffneter Kirchhof hingemordeter Millionen. Dabei jeder einzelne Staat
eine Schuldbank, die nur von neuen Gläubigern vor dem Einsturz bewahrt
wird. Ueberall ein Beben und Schweben der Völker und ihrer Hirten in der
Furcht, daß die eben glücklich zum Stillstand gebrachte Maschine wieder
losrädere; und um diesen ängstlichen Stillstand zu erhalten, müssen
große stehende Heere schlagfertig bleiben auch im gerühmten Frieden, dem
Meisterstück der Diplomatie.«

»Sie werden diesen Zustand nicht den Staatsmännern zur Last legen.«

»Keineswegs; wohl aber der falschen, zweideutigen, rechtlosen Göttin,
der sie huldigen. Können Sie sich denken, daß der Zustand Europa's
schlimmer wäre, wenn die Diplomatiker, anstatt in ihr System die
Hintansetzung der Moral aufzunehmen, in allen Beziehungen der Staaten
gegen einander die Gesetze derselben als höchste Norm befolgt hätten?«

»Aber das politische Gleichgewicht soll doch bewahrt werden,« erinnerte
Oswald. »Ein vorherrschender Staat würde Einseitigkeit in die
Intelligenz der Völker bringen, würde die freie Entwicklung der
Nationaleigentümlichkeit hemmen, würde die andern Herrscher zu Sklaven
eines allmächtigen Willens herabwürdigen. Und alle Politik geht doch am
Ende nur auf die Erhaltung jenes Gleichgewichts unter den Völkern.«

»Was die Völker betrifft, so wissen sie aus der Geschichte, daß jedes
Uebergewicht eines Staates, das seinen Grund in der Ausdehnung über die
natürlichen Grenzen hinaus hat, auch ohne die Gegenwirkung der Politik
seinem Falle nahe ist, eben gerade durch die falsche Politik, die zu
solcher Ausdehnung verführte. Sie wissen, daß dies gerühmte, mit so viel
tausend Aufopferungen von ihrer Seite immer neu zu erkämpfende
Gleichgewicht doch stets ein eingebildetes bleibt, und im besten Falle
nur ein sehr schwankendes Gleichgewicht der größern Staaten gegen
einander ist, während die kleineren, wie ein Rohr, von jeglichem Winde
bewegt, bald in diese, bald in jene Schale sich neigen, und gar oft zur
Wiederherstellung der Balance jener diplomatischen Waagschale sich
zerstückeln lassen müssen. Dies wissen auch die Fürsten dieser Staaten
und zögen gern sich und ihre Länder aus jenem Conflict heraus, in
welchem das Recht des Stärkern allein gilt, und der heiligste Vertrag
nur dann geehrt wird, wenn ihn ein paarmal hunderttausend Bajonette
aufrecht halten. Jenes Gleichgewicht würde aber auch nie solche
Störungen erlitten haben, wenn eben nicht dem einzelnen Störenfried die
diplomatischen Fechterstreiche seiner Gegner seine Unternehmungen so
sehr erleichterten. Ist ein glücklicher Gegenkampf gegen einen solchen
begonnen, dann tritt sogleich die Politik mit ihrem scheelsüchtigen Auge
hinzu und deutet mit der weitsichtigsten Klugheit darauf hin, wie leicht
der eine Mitstreiter durch den gemeinsamen Sieg zuviel gewinnen könne,
und öffnet das Auge für das, was so nahe liegt, für das durch solches
Mißtrauen dem zu bekämpfenden Gegner gegebene Uebergewicht nicht eher,
als bis es zu spät ist. Ist das nicht die Geschichte fast aller
Gleichgewichtskriege des letzten Jahrhunderts?«

»Ich darf Sie zu ihrer Widerlegung nur an den Befreiungskampf gegen
Napoleon erinnern,« rief Oswald, »in welchem auch mein Vater
mitgestritten hat.«

»Gerade jener Kampf spricht für mich,« entgegnete Hold. »Es war für die
unterjochten Fürsten und Völker ein Augenblick der Begeisterung, der
sich über die diplomatischen Winkelzüge der Politik erhob. Wenn dieser
Krieg ebenso mit derselben kalten, lauernden Berechnung, mit denselben
politischen Seitenblicken, wie die früheren Kämpfe gegen jenen Eroberer,
geführt worden wäre, was würde der Erfolg gewesen sein? Was aber die
Weisheit der Staatsmänner in jenen Tagen an Großartigkeit angenommen,
das flog ihr nur zu in Folge des Sturms der Auferweckung, der über
Altäre, Throne und Hütten dahin brauste; es war kein Teil ihrer Natur.
Daß die alte Heuchlerin einmal in einer Stunde der höchsten Not zum
Gebet getrieben wurde, hat sie damit aufgehört, eine Heuchlerin zu sein?
Und hat sie nicht schon während jenes Gebetes, während sie die
Gerechtigkeit Gottes anrief, auf neue Ungerechtigkeit gebrütet? Hat sie
nicht die gefaltete Hand zugleich zum Raube gekrümmt und auf das
Siegesfeld die Drachenzähne neuer Zwietracht ausgesäet?«

»Sie mögen darin Recht haben,« erwiderte Mander; »jedoch werden Sie auch
zugeben, daß mancher Staat, bei einem strengen Festhalten an den
Grundsätzen der Moral sich seinen Untergang bereitet hätte, dem er nur
durch eine gewandte, den Umständen und Verhältnissen sich anbequemende
Politik entgangen ist.«

»Wol wahr! Aber das ist ja eben der Fluch, daß es so weit gekommen ist,
daß der Teufel nur durch den Beelzebub ausgetrieben werden kann, daß die
Notwehr uns die unwürdige Waffe des Angreifers in die Hände zwingt.
Vergessen Sie jedoch nicht, daß trotz seines politischen Spiels und
vielleicht eben durch dasselbe auch mancher Staat nur seinen Untergang
gefunden hat, und daß wir die Geschichte der Staaten allein vor uns
haben, wie sie in jenem politischen Treiben geworden ist; also gar nicht
behaupten können, das Bestehen eines einzelnen Staates hätte außer der
Reihe der Möglichkeiten gelegen, wenn seine Leiter in ihrer Haltung und
in ihrem Handeln nur die strenge Rechtlichkeit und die gewissenhafteste
Treue vor Augen gehabt hätten.«

»Das möchte ich doch Keinem raten,« meinte Oswald, »so lange nicht die
Politik Aller sich zu Ihren Grundsätzen bekehrt hat, und dahin wird es
nie kommen.«

»Und warum sollte es nie dahin kommen?« antwortete Hold. »Was wahr und
recht ist, das hat seine Wurzel droben im Himmel und senkt seine
Blütenzweige auf die Erde herab, um da einen guten Samen auszustreuen.
Mag dieser Same denn hier auf steinigtem Boden keine Nahrung zum Keimen
finden, dort im Sande der Wüste verdorren: derselbe Himmel hat auch Tau
und Sonnenschein, um den Boden allmälig zu bereiten und ihn empfänglich
zu machen für die gute Saat. Aus all' dem Irren und Wirren hienieden
wird ein Reich der Gerechtigkeit, der Freude und des Friedens
hervorgehen, das seinen glücklichen Bürger nicht ahnen läßt, mit welchem
Blut der Boden gedüngt ist, den er betritt; mit welcher Täuschung die in
den Gräbern ruhen nach einem Frieden strebten, der vor ihnen her
wandelte, ohne daß sie ihn sahen, mit welchem Unsinn man zweierlei
Gesetz stellte, eines für die einzelnen Menschen: Du sollst Gott, Deinen
Herrn, über Alles lieben und Deinen Nächsten als Dich selbst! und das
andere für die Gesammtheit derselben Menschen, für den Staat: Du sollst
nach jeglichem Winde lieben oder hassen, und Deinen Nächsten
übervorteilen, wie Du kannst!«

»Ein solches Friedensreich auf Erden bleibt immer,« sagte Mander
lächelnd, »nur der schöne Traum eines liebevollen Herzens, und würde
nicht einmal, wenn es möglich wäre, förderlich sein für die Entwickelung
der Menschheit; denn gerade der Kampf soll Regen und Bewegen in ihr
erhalten, soll die Kraft stählen, den Geist schärfen. Die Geschichte muß
eine Epopee bleiben und kann nie eine Idylle werden. Auch in der übrigen
Schöpfung finden wir gleichen Kampf. Welche, auf furchtbare Umwälzungen
deutende Veränderungen bemerken die Astronomen an den Himmelskörpern!
Welche Erdbeben, Ueberschwemmungen, vulkanische Ausbrüche; welche Zeiten
der Dürre oder überflutender Wolkenbrüche und dergleichen gehören zur
Geschichte des Erdbodens! Welcher rastlose Kampf unter den Tieren,
welches Recht des Stärkern, welche Beraubung und Erwürgung der
Schwächern unter ihnen!«

»Und davon,« entgegnete Hold, »wollten Sie eine Anwendung auf die
Menschen machen, die erschaffen sind nach dem Bilde Gottes; denen Er das
Vermögen gab, die Erfahrungen der vergangenen Jahrtausende für die
Gegenwart zu benutzen; denen Er Seine heiligen Gebote verkündet, welche
alle nicht allein das ewige Heil, sondern mit demselben auch das
irdische Wol zum Zweck und Ziel haben, denen Er in Jesu Christo den
Abglanz Seiner Herrlichkeit leuchten ließ auf Erden, einer Herrlichkeit,
die da ist Gerechtigkeit und Liebe, Kraft und Friede?«

»Mußte nicht auch Christus kämpfen, leiden und sterben, und ist nicht
auch durch Ihn so viel neue Zwietracht geweckt auf Erden?«

»Und darum sollten wir immer und ewig Seine Mörder bleiben müssen durch
die Verleugnung Seiner Lehren, Segnungen und Verheißungen? Sollten Ihn
zum Hausgott bestellen für unsern kleinen häuslichen bürgerlichen
Verein; als Gott der Weltgeschichte aber den anbeten, der ein Mörder war
von Anfang an? Nein, so gewiß wie, von Christo ganz abgesehen, der über
jeden Vergleich hinaus ist, die Apostel, die das Evangelium hinausriefen
in die Welt, mehr Segen brachten den Menschenkindern, als Alle, die vor
ihnen und nach ihnen gelebt haben, so gewiß wird auch dies Evangelium
durchdringen durch alle Tiefen und zu allen Höhen hinauf; und dann erst
ist das rechte Streben und Bewegen in der Menschheit, das nicht in der
Zwietracht, sondern in der Liebe thätig ist; dann wird mancher jetzt in
der Geschichte hochgepriesene Name, der seinen Ruhm auf verbrannte
Trümmer und zertretene Schädel erbaute, nur als ein Denkmal menschlichen
Unsinns eine kurze Spalte in dem Buche der Vorzeit füllen, während man
eifrig den Thaten dessen nachforscht, der einen Grundstein mitlegen half
zum Aufbau der bessern Zeit.«

»Und doch,« bemerkte Oswald, »haben die scheinbar verderblichsten Kriege
auch mit zur Förderung der Fortschritte der Menschheit gewirkt.«

»Weil ein Gott vom Himmel darein sieht und Alles zum Besten lenket: Die
Gewitter reinigen die Luft und fördern einen schönen Tag herauf. Aber
dieser schöne Tag muß droben über den Wolken und Stürmen bereitet
werden, die Gewitter schaffen ihn nicht; sie entladen nur ihre eigene
heillose Kraft, die aus den Dünsten geboren ist, die sie zerstreuen.«

Die Pastorin, der ihr Mann zu eifrig wurde gegen die Fremden, unterbrach
ihn hier lächelnd, indem sie sagte: »Die Dünste meines Thees würden auch
längst Zeit gehabt haben, sich zu einem Gewitter zu sammeln, wenn sie
nicht so friedsamer Natur wären.«

Mander aber setzte nach einer kurzen Unterbrechung das ernste Gespräch
fort. Ihm hatten die Erfahrungen vielbewegten Lebens jenes besonnene
Urteil gegeben, das nicht über die Grenzen der Wirklichkeit hinausgeht,
und keinen Blick weit über den Anknüpfungspunkt hinüberwagt; doch hörte
er gern einen Mann reden, der in der eignen, so viele Wünsche übrig
lassenden, beschränkten Lage nur von Idealen für die Menschheit träumte,
und hatte mit Absicht nur so viel entgegnet, als nötig war, um Hold im
Feuer zu erhalten; wobei aber auch in seiner Brust manche längst
entschlafene Empfindung wieder wach zu werden geneigt schien.

»Ich kann mir es wol denken, wie Ihnen, bei Ihrer Bildung zum
Volkslehrer und in Ihrer Stellung als solcher, die Männer der
Wissenschaft die höchste Bedeutung haben müssen.«

»Es giebt nur eine Wissenschaft,« erwiderte Hold, »von der das wahre
Leben ausgehet in Zeit und Ewigkeit, die Wissenschaft von dem Heil der
Menschheit in Gott. Unter das Licht und Gericht derselben soll Alles
gestellt werden, was ist und was geschieht; und nur in soweit hat unser
Wissen und Erkennen Gehalt und Bestand, als es uns und Andere fördert in
dem Bewußtsein unserer Abhängigkeit von Gott, in der heiligen Lust an
Seinem Willen, in dem freudigen Vertrauen auf Seinen Rat, mit einem
Worte: in der Kindschaft zu Ihm. Gleichwie unser Wollen und Vollbringen
in so fern einen lebendigen Keim und eine bleibende Frucht in sich
trägt, als es dient jener Wissenschaft des Heils, daß sie eine Gestalt
gewinne in unserm Leben und im Leben der Menschheit.«

»Auf diese Weise,« bemerkte Mander, »hätten alle Wissenschaften nur eine
Aufgabe; während sie doch von so verschiedenen Punkten ausgehen, so ganz
verschiedene Richtungen einschlagen.«

»Lassen Sie mich ein Bild gebrauchen,« war Hold's Antwort. »Die eine
Wissenschaft ist die Sonne am Himmel der Menschheit; die andern
Bestrebungen der Wißbegierde sind nur die Träger der Strahlen dieser
Sonne nach allen Seiten hin und in jedes Dunkel hinein. Vergessen sie
diesen ihren Beruf und gehen mit der eignen Hornleuchte umher, so werden
sie sich in Wüsten verlieren und auf tausenderlei Irrwegen wandeln. Aber
sie werden doch auch ihr Wissen vollständiger entwickeln, klarer
durchbilden und fester begründen und dadurch reifen in der Erkenntnis
ihres wahren Berufes und in der Zurückführung alles Wissens auf die eine
Wissenschaft. Je vollständiger des Irrtums Bahnen durchlaufen sind,
desto sicherer werden sie auch zurückgemessen und dienen dann nur als
Wegweiser auf den rechten Weg.«

»Sie sind Theologe, und Jedem ist seine Wissenschaft die erste.«

»Die Theologie ist nicht die Wissenschaft, die ich meine; sie ist nur
die Anleitung dazu. Sie stellt sich, wenn sie sich selbst erst begriffen
hat, die Aufgabe: Alles, was war, ist und geschieht, unter den
Brennpunkt der einen göttlichen Wissenschaft zu bringen, wo sich das
reine Erz von den Schlacken sondert; und in diesem Sinne soll Jeder ein
Theologe sein, indem er all' sein Denken, Wollen und Thun, alle Arbeit
und alle Erfahrung seines Lebens, alle seine Sehnsucht und seine
Hoffnung durchleuchten und durchläutern läßt von der wahren
Wissenschaft, die aus Gott ist und zu Gott führt. Nur daß der
eigentliche Theologe nicht allein, was _sein_ Leben bewegt, sondern die
Bestrebungen und Erfahrungen, die Meinungen und Hoffnungen aller Zeiten
und aller Völker in das Licht und Gericht der göttlichen Weisheit stellt
und dadurch an Schärfe und Bestimmtheit in der Beurteilung des Treibens
seiner Zeit, im Durchblicken des Scheines, in der Erkenntnis der Quellen
des Irrtums und der Gottentfremdung der Menschheit und des einzelnen
Menschen gewinnen soll. Dadurch wird er geschickt werden zum Leiter der
Blinden, zum Lehrer der Ungeübten, zum Ermahner der Leichtsinnigen, zum
Tröster der Glaubensschwachen, zum Erwecker der Lauen und Gleichgültigen
und zum Sprecher des Gerichtes wider Die, welche für sich selber das
Heil verschmähen und Andern den Zugang hindern. Und weil wir Alle nach
unserer Schwachheit und Sündhaftigkeit bald zu der einen, bald zu der
andern Klasse gehören, so darf es Keiner, sei er Priester oder Laie, an
dem weitern Anbau der wahren Wissenschaft für sich selbst je fehlen
lassen, keine Gelegenheit versäumen, zu reifen in aller Erkenntnis,
Tugend und Gottseligkeit.«

»Wo ist aber die wahre Wissenschaft zu finden,« fragte Mander, »auf die
wir Alles zurückführen und an der wir Alles prüfen sollen?«

»Sie ist nicht da und kann nicht da sein,« entgegnete Hold, »wo Irrtum
und Täuschung wenigstens möglich sind, in keinem System der Philosophie.
Sie kann nur aus dem Quell der Wahrheit selbst geschöpft werden.«

»Ich möchte mit der Frage des Pilatus,« sagte Mander, nicht ohne eine
schmerzliche Bewegung zu verraten, »Ihnen antworten: was ist Wahrheit?«

»Das Wort Gottes!« sprach Hold fest und ernst. Aber ein leises
Kopfschütteln des alten Mander und ein fast spottendes Lächeln seines
Sohnes zeigten ihm, wie wenig diese Antwort seine Zuhörer befriedigt
habe.

Oswald erinnerte jetzt, daß es schon spät geworden sei, und die Gäste
schieden mit dem gern angenommenen Versprechen, ihren Besuch bald zu
wiederholen.



                                VIII.


   Du klagst, daß Deinen Blick umfloren
   Die Schatten um der Wahrheit Thron?
   Dein eigen Herz hat sie geboren;
   Sie sind der Sünde Frucht und Lohn.

Idalia glaubte in ihrem ganzen Leben nie so glücklich gewesen zu sein,
als sie jetzt sich fühlte. Diese häusliche Geschäftigkeit, der sie sich
mit allem Eifer hingab, hatte, je ungewohnter sie ihr war, einen desto
größeren, ja zauberischen Reiz für sie, der noch durch das Eigentümliche
ihrer Lage und ihres Aufenthaltes auf einer Hallig erhöht wurde. Die
Liebe löste in ihrer Brust, die früher nur Raum hatte für das
flatterhafte Wesen eines eitlen Mädchens, alle Ahnungen der wahren
Weiblichkeit und den Sinn für die Würde einer Hausfrau. Zugleich wußte
sie ja, daß sie so gerade Dem am meisten gefalle, von welchem sie
geliebt sein wollte. Sie benutzte nicht einmal alle Vorteile, welche ihr
die Mittel ihres Vaters liehen, um Bedürfnisse und Annehmlichkeiten, die
sonst der Hallig fremd waren, für ihren Zustand zu gewinnen; sondern
gefiel sich in der Einfachheit und Genügsamkeit ihrer jetzigen Heimat,
und machte tausend, fast immer unausführbare Vorschläge, um das Ganze
noch mehr in die Form einer Gesner'schen Idylle zu kleiden. Den Rand des
sogenannten Soods, in welchem sich das Regenwasser sammelte, umkränzte
sie mit einer breiten Lage von Seemuscheln, die sie mühsam hatte am
Strande zusammensuchen müssen, weil dieser in jener Gegend auch damit
geizt. Der Bedarf an Trinkwasser mußte jedoch für die verwöhnten Zungen
vom festen Lande herübergebracht werden. Den Schatten und die trauliche
Enge einer Laube zu ersetzen, hatte sie mit Godber's Hülfe ein Zelt von
Segeltüchern auf der Werfte aufgeschlagen, und wenn das Wetter es nur
zuließ, ward der Kaffee unter dem Dache desselben getrunken. Sie führte
auch mit ihrem Bruder manchen Streit, indem sie das Leben auf diesem
Eilande vor allen Herrlichkeiten der großen Stadt rühmte, und so oft sie
eine der Eigentümlichkeiten der Hallig, wenn auch nur scherzhaft, mit
den glänzendsten Lobeserhebungen anpries, fühlte sich Godber enger und
enger zu ihr hingezogen und gab sich den schönsten Träumen einer
goldenen Zukunft hin. Bei ihm war ja die Liebe zu seiner Heimat so mit
seinem innersten Wesen verwoben, daß er Alles, was Idalia in dieser
Hinsicht sagte, nur für natürliche Anerkennung der Wahrheit, für ein
Zeugnis voller Uebereinstimmung ihrer Seelen nahm, und mit jedem Lobe
aus ihrem Munde wuchs daher auch seine Liebe zu ihr, die allein in der
Liebe für das Land seiner Geburt ein Gleichgewicht hatte, sonst alle
seine andern Gedanken und Empfindungen weit überwog. Die Erinnerung an
Maria trat immer weiter in den Hintergrund zurück, und kamen auch
einzelne Augenblicke, die an Treu und Glauben mahnten, so übte sich
Godber in der Kunst, mit seinem Gewissen sich so zu beraten, daß er
Recht behielt. Was konnte er dafür, daß er jetzt erst den Stern
gefunden, der ihm auf seiner Erdenwallfahrt zu leuchten bestimmt war?
Daß er nun erst sich selbst ganz gefunden durch die Gemeinschaft mit
einem Wesen, in welchem sein Denken und Fühlen sich wie in einem
verklärenden Spiegel abmalte, so daß er selbst dadurch zu einer nie
geahnten Höhe erhoben und begeistert wurde? Er erschrak jetzt vor der
niedern Sphäre, in welcher sein Geist und sein Herz geblieben sein
müßten, wenn nicht Idalia's Zauberschlag an die Tiefen seiner Brust
gerührt, wenn er mit der unbedeutenden Maria sein Leben hingebracht.

So war es bei ihm, und so ist es bei Allen, die Eitelkeit, die in den
verschiedensten Formen und Gestalten, mit den verschiedensten Wendungen
und Umkleidungen sich in unsere Selbstbetrachtungen mischend, den Dingen
einen Schein leiht, der uns verblendet gegen die klare Beurteilung der
Verhältnisse, gegen die offenen Forderungen des Rechtes und der Pflicht.
Darum ist es dem Menschen so not, daß er sich halte an dem festen
prophetischen Worte. Er soll in Stunden, die er als Scheidewege erkennt,
weder blindlings folgen den von Außen gegebenen Eindrücken, noch es
versuchen, durch vielseitige Ueberlegung den rechten Pfad
herauszufinden. Bei solcher Ueberlegung wachen in ihm alle bösen Geister
auf, als fände der Aberglaube seine Erklärung und Bestätigung, der die
Kreuzwege zum Tummelplatz nächtiger Dämonen macht. Sinnlichkeit,
Eigennutz, Eitelkeit werden sein Urteil irre zu führen suchen, und
selbst mit dem besten Willen wird seine Prüfung nie eine gerechte
Würdigung Dessen sein, was sich für die eine oder andere Seite sagen
läßt. Er soll vielmehr auch in diesem Sinne seine Vernunft, die durch
das Erwachen jener bösen Geister in der Abgebung eines wahrhaftigen
Zeugnisses gehindert wird, gefangen geben unter den Gehorsam des
Glaubens. Er soll fragen, was da sei des Herrn Wille? und die Antwort
darauf nicht suchen in sich selbst, als wäre seine Brust eine Wohnung
des heiligen Geistes, da doch, wenn sie das wäre, es der Frage nicht
bedurft hätte; sondern er soll die Antwort suchen in den Geboten Gottes,
wie sie ihm gegeben sind in der reinen und lautern Offenbarung des
göttlichen Gesetzes. Ein solches in seiner festen Entschiedenheit, in
seiner einfachen Hoheit dastehendes Gesetz, an dem sich nicht drehen und
deuteln läßt, so viel man es auch hin- und herwenden mag, und das kein
Zuthun und kein Abnehmen leidet, wenn man es nicht ganz verändern und in
Widerspruch mit sich selber bringen will: ein solches Gebot ohne
Ausflucht, ein solcher Wegweiser ohne Seitenarm, ein solches Ja und
Nein, ohne ein Wörtchen darüber, muß allein entscheiden. Ohne einen
solchen Gesetzfels kommt es dahin und ist dahin gekommen, daß jeder
Mensch seine eigene Moral hat, und daß diese Moral noch dazu ein wahrer
Januskopf ist mit zweierlei Gesichtern, und mit Augen, die, was sie
heute grün sehen, morgen früh für grau halten und umgekehrt. Berufst Du
dich auf Dein Gewissen, so ist dies ja eben nichts Anderes, wenn es den
Namen verdient, den Du ihm beilegst, als der Strom lebendigen Wassers
vom Felsen des Gesetzes; und ist es das nicht, so ist noch weniger
Verlaß darauf als auf eine von jedem Winde bewegte Wetterfahne, die
darin noch den Vorzug hat, daß sie doch wenigstens die Richtung anzeigt,
woher der Wind bläst. Also das klare, lautere, _gegebene_, nicht erst
nach den Umständen und Verhältnissen zu machende oder zu modelnde Gesetz
Gottes sei Dir für Dein Wollen und Thun ein unerschütterlicher Sinai.
Vor Seiner Stimme durch die Wolken müssen alle andern Stimmen schweigen;
und schmeicheln sie noch so lockend als Stimmen der Wahrheit um Dich
her, sie sind Lüge mehr oder minder, in dem Maße, in welchem sie sich
von dem einfachen, offenen Sinn des Gesetzes entfernen. Denkst Du an die
Folgen? Ein lieblicher Sonnenschein lächelt Dir entgegen, wenn Du es nur
einmal nicht so streng und scharf nehmen wolltest mit den Geboten
Gottes, oder sie umkleidest in eine Dir gefälligere Wahrheit. Schwere
Wolken dagegen hängen herab über Deinen Pfad, bereit, ihre Gewitter und
ihren Hagelschlag auf Dich und die Deinen, auf die Saat Deines Nächsten
zu entladen, wenn Du ohne Weichen und Wanken beharrest in dem Worte des
Gesetzes. Beharre bis in den Tod, auf daß Du das Leben gewinnest! Du
sollst Deine unsterbliche Seele beraten, daß sie bestehe vor dem Richter
der Lebendigen und der Toten. Für die Folgen da laß Ihn sorgen; sie
stehen ja in Seiner, in des gnädigen Vaters Hand. Sie sind nicht Deine
Sache. Dein ist es aber, treu erfunden zu werden! Dies sei Dir genug;
wenn auch die Erfahrung Dir nicht so oft zeigte, wie unsere Berechnung
der Folgen so leicht dem Irrtum unterworfen ist; wie das Licht die
Nacht, und die Nacht das Licht gebiert. Immerdar müssen ja auch alle
Dinge, sei's Reichtum oder Armut, Glück oder Unglück, Leben oder Tod,
zum Besten dienen dem, der da sagen kann: »Hier bin ich, Herr! Dein Wort
war meines Fußes Leuchte!«

Woher kommt denn all die Armseligkeit selbst unter den sogenannten
»guten Menschen?« Woher denn bei ihnen diese vielen »unschuldigen
Schwächen,« diese feinen, scheuen Wendungen, wenn Gott einmal ein
Brandopfer wieder fordert auf dem Altar der Pflicht? Weil sie sich
selbst ihre Tugend gemacht haben, um sie, gleich einem bequemen und
behaglichen Kissen, bald nach der einen, bald nach der andern Seite hin
ihrem Erdenschlummer unterzulegen. Weil sie um den Sinai in der Wüste
einen schattenreichen Park angepflanzt haben, der ihnen den Berg aus den
Augen rückt, während sie auf blumigen Pfaden über Thal und Hügel
dahinwandeln, ganz zufrieden damit, wenn sie nur nicht so weit sich
entfernen, daß die Mitgäste im Park sie nicht mehr als ihres Gleichen
erkennen wollen. Wahrlich, es thut diesem Geschlecht der Flammenspiegel
des Gesetzes not, vor dem die Spreu, die sie eine gute Saat nennen, zur
Asche werden muß, nicht einmal geeignet, die dürre Stätte zu bedecken.

Es stimmt freilich wenig mit der sogenannten Aufklärung unserer Zeit,
sich an ein solches festes Wort zu binden. Nein, wir wollen lieber uns
selbst Gesetz sein, und reden daher viel von dem ins Herz geschriebenen
Gebot, worunter wir, wenn wir die Wahrheit sagen wollten, eine weiche
Wachsfläche verstehen, worin die äußeren Eindrücke allerlei Figuren
malen, aus denen wir dann ein mit unsern Neigungen am besten
übereinstimmendes Orakel herauslesen, um ihm als einem Götterspruch
nachzufolgen. Daher haben wir es denn auch so leicht gefunden, recht
gute und sittliche Menschen zu werden; weil wir, wenn unsere Neigungen
nur durch glückliche Umstände, durch Erziehung und Scheu vor dem Urteil
der Welt in einer gewissen Flauheit gehalten werden, die es nicht zu
tobenden Ausbrüchen der Leidenschaften kommen läßt, davor bewahrt
bleiben, Diebe und Mörder zu heißen. Ein bischen Hoffahrt, Weltlust,
Verleumdung, Rachsucht, Betrug, ja selbst ein bischen Buhlerei mag dabei
gern mit unterlaufen; es ist ja einmal das Erdenleben nicht anders, und
es ist ja kein Richter in unserer Brust, der es so genau nimmt; es ist
kein Gesetz da, das schärfer als ein zweischneidig Schwert teilet
zwischen Gott und Welt, Recht und Unrecht, Tugend und Sünde. Wie im
lauen Wasser Wärme und Kälte gemengt sind, so ist auch in unserem
selbstgeschaffenen Gesetz Licht und Finsternis zu einem die Augen nicht
angreifenden Nebel vereinigt. Wie die Schlangenlinie bald rechts und
bald links führt, und wenn sie der einen Seite zulenkt, schon die
Wendung nach der andern vorbereitet, so ist auch in unserm Wandel weder
ein Fortschreiten auf dem Wege des Lebens, noch ein völliges Abirren auf
den Weg des Todes. Freilich, wenn der Tag aufgehet, an welchem Gott die
Völker der Erde richtet; wenn Er Rechenschaft fordert auch von jeglichem
unnützen Wort, das aus unserm Munde gegangen ist; wenn von Seinem Throne
das Wort niederleuchtet: »Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig!«
dann freilich wird das weiche Wachs _unseres_ Gesetzes vor den
Flammenstrahlen _seines_ Gesetzes hinschmelzen; dann wird unser
gefügiger Mittelweg offenbar werden als ein Weg des Fleisches und des
Verderbens, der in seinen Windungen nur darum an den Weg des Lebens
hinstreifte, auf daß wir keine Entschuldigung hätten, als wäre uns
verborgen geblieben, was der Herr, unser Gott, von uns fordert. -- Die
Fabel vom Gewissen, wie dies Wort gewöhnlich genommen wird, muß
aufhören, eher mag keine rechte Tugend gedeihen. Und eine Fabel, noch
dazu mit gar schlechter Moral, ist das Gewissen; so es, wie bei den
meisten Menschen, nichts weiter ist, als ein Gebräu von Lebensklugheit,
Sorge für den guten Ruf, Beachtung des Anstandes, versetzt mit einem
Teil natürlicher Gutmütigkeit, die eben so gut Charakterschwäche heißen
mag, und einem Teil Erkenntnis des göttlichen Willen, die aber nicht
recht weiß, wie sie sich mit jener Mixtur verbinden soll, und nur als
Bodensatz zu dienen scheint, der, wenn das Gewissen sich einmal
aufrüttelt, unstät im Ganzen verschwimmt. Das wahre Gewissen ist kein
Gesetzgeber, sondern nur das Auge, das geöffnet ist für das gegebene
Gesetz. Es fragt nicht, wie entschieden werden soll, sondern zeigt nur,
wie entschieden ist durch Den, der da sprach: Du sollst, und Du sollst
nicht! es erlaubt sich kein Urteil über die Umstände und Verhältnisse;
sondern erinnert Dich nur an das Urteil Gottes über den Fall, der
vorliegt. Dadurch allein bewahrt es sich in seiner Freiheit wider die
Anläufe böser Neigungen und Begierden, daß es sein Licht und seine Kraft
nimmt aus einer Höhe, zu der diese nicht hinaufreichen. Will es selbst
den Weg finden, den Du wandeln sollst, dann fällt es der Knechtschaft
anheim; ist nur ein vielleicht hochmütiger, aber doch williger Diener
alles ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste, und trägt die Livree
seiner Herren. Es ist also ein fester Pol, ein: »Gieb mir, wo ich
stehe!« dem Gewissen not, von welchem aus es die Welt überwinde. Es hat
sein Licht nicht in sich selber; sondern bedarf eben so gut, wie Dein
leiblich Auge das Licht von Außen her, um zu sehen. Ist denn etwa der
inwendige Mensch nach seinen verschiedenen Geistes- und
Seelenthätigkeiten so getrennt und gespalten, daß jede ihr eigenes
Gebiet habe, welches sich frei hält von aller Berührung und Einwirkung
der andern? Daß jede schaffet und waltet für sich, ohne von der Bewegung
der andern sich mitbestimmen zu lassen? Also daß, während das Herz sich
krümmt vor einem Opfer, das die Tugend fordert, während die Sinnlichkeit
der bösen Lust zustrebt, während die Klugheit eigennützig rät, den
breiten Weg zu wählen, daß nun das Gewissen, ohne einen Führer außerhalb
dieser Bewegung, sich ganz frei halten sollte von dem Einfluß dieser
Hausgenossenschaft? Wird es nicht bald in den verführerischen
Sirenengesang mit einstimmen, oder wenigstens bald übertäubt werden,
wenn ihm keine Hülfe von Außen her wird? Wenn lange Gewohnheit
leichtsinnig und gleichgültig machte gegen den Weg, den wir wandeln,
wenn die Geleise, die wir betreten, unserm Fuß einmal so bequem und
natürlich geworden sind, daß es uns gar nicht mehr in den Sinn kommt,
andere zu wählen: ist dann Dein Gewissen nicht mit Dir in gleiche
Gewohnheit versunken? Wird es wachen, wenn Du schläfst? Wird es stille
stehen, wenn Du fortgehst? Wird es sehen, wenn Du blind bist? Wird es
reden, mahnen, strafen, anders als Du willst, als ob es kein Teil von
Dir wäre, da Du es doch auf Dich selbst allein hinweisest, als auf den
Quell, woraus es seine Erkenntnis nehmen soll? Damit verlangst Du ja,
daß Du Dir selbst widersprechen, Du selbst Dich selbst überwinden
sollst; verlangst Licht von der Finsternis, Kraft von der Ohnmacht,
Antwort von der Frage. -- Es muß Etwas außer uns sein, wohin wir
schauen, als auf einen festen Polarstern, ein Licht, das erhaben ist
über die Nebeldünste dieser Welt, ein Wegweiser, auf den wir nicht
selbst den Weg malen, den wir für den richtigen halten, sondern auf dem
er vorgezeichnet ist von Dem, dessen Wort unseres Fußes Leuchte ist, und
ein Licht auf dunklen Wegen. Es muß ein heiliger Wille uns verkündet
sein vom Vater des Lichtes. Sonst leben wir in einem revolutionären
Lande, wo das alte Recht abgeschafft ist und noch kein neues wieder
gegeben; wo Jeder mit seinen Ansichten und Neigungen zu Rate geht, was
er thun und lassen soll, und wo der Eine mit dem besten Gewissen ein
Totschläger wird und der Andere mit gleich gutem Gewissen die Beute zu
sich nimmt. Nicht weil man ohne Gewissen handelte, wurden Scheiterhaufen
erbaut und die Guillotine aufgerichtet, sondern weil man das Gesetz
Gottes: Du sollst nicht töten! vergaß, und die eigenen Ansichten und
Neigungen sich zur Gewissenssache machte. Nicht _gegen_ sein Gewissen
lebt der, welchem die Befriedigung des irdischen Gelüstens, das Treiben
in zeitlichen Geschäften, der behagliche Genuß des weltlichen Friedens
Alles ist; der, dem kein Blick der Andacht den Himmel öffnet, keine
ernste Frage nach den göttlichen Dingen das Herz bewegt, keine Heiligung
des Sinnnes und Wandels als Lebensaufgabe vorliegt. Er merkt vielmehr in
sich gar keinen Widerspruch gegen solche Weise, weil er es nicht gelernt
oder wieder verlernt hat, sein Leben im Spiegel des göttlichen Gesetzes
zu betrachten; und hat nichts destoweniger auch seine Ehrenpunkte, die
sein Gewissen ihm nicht zu verletzen erlaubt. Der Ton, der vielleicht
auch bei ihm in einzelnen Stunden wie aus einer höheren Welt anschlägt,
ist nur ein Nachklang des früher erkannten göttlichen Gesetzes, oder ein
Anklang desselben, durch Gottes Schickungen hervorgerufen. Das Gewissen
aber in seiner Wahrheit und Klarheit ist nichts mehr und nichts weniger,
als ein Abglanz der Herrlichkeit des göttlichen Gesetzes. Ein Spiegel
ist es, in welchem wir den Willen des Ewigen erkennen, wenn wir diesen
Willen davor halten. Wollen wir aber nur unser eigenes Bild davor
hinstellen, so sehen wir eben auch nur unser eigenes Bild, und unser
Wollen und Thun wird auch nichts Anderes sein, als eine Nachäffung
dieses Bildes; kein Wollen und Vollbringen dessen, was der Herr, unser
Gott, von uns fordert. Der Pilger, der kein Ziel vor sich hat, nach dem
er strebt, oder keine Anweisung, wie und wohin er wandern soll, richtet
sich nach der Munterkeit oder Müdigkeit seiner Glieder, nach der
Annehmlichkeit oder Beschwerde des Weges, nach dem Sonnenschein oder
Regenwetter des Tages. So auch die Wallfahrt durch's Leben ohne Gesetz
von Außen her. Wo aber dies als Machtgebot des Richters der Lebendigen
und der Toten uns vorleuchtet, da gilt kein Säumen und kein Wanken, da
gilt kein Fürchten und kein Gefallen, da gilt kein Leben und kein
Sterben, da gilt allein das strenge, unerbittliche Wort, das kein Drehen
und kein Deuteln zuläßt, das keine Vorwände und Entschuldigungen
annimmt, das keine Verführungen und Versuchungen anerkennt, das
Gehorsam, nur Gehorsam will. Ohne ein solches Wort der Zucht und der
Kraft, das ganz über unser Klügeln und Mäkeln hinausgehoben ist, werden
wir nie die Sünde überwinden, nie wandeln in rechtschaffener
Gerechtigkeit und Heiligkeit. Darum soll unser Gewissen nie etwas
Anderes sein, als ein Merken und Erwägen dieses Wortes; und redeten auch
tausend Stimmen dagegen und spräche auch die ganze Welt ihr Anathema aus
gegen dessen Ausspruch, und flehten auch alle Seufzer und Thränen Deines
Herzens gegen seine Erfüllung, und gelte es auch den letzten Brosamen
unseres irdischen Glückes, die letzte Hoffnung unseres zeitlichen
Daseins: laß fahren dahin, Du hast nur ein Gesetz, das Gesetz des Herrn!
und darin beharre bis an's Ende! Das Reich Gottes muß Dir doch bleiben.
Godber war in der Furcht Gottes und in der Zucht des Gesetzes erzogen.
Es war ihm darum nicht so leicht, sein Gewissen, das wenigstens mit
einem Fuße noch auf dem Boden stand, zu seinen jetzigen Ansichten
hinzudrängen. Wenn er eben glaubte, daß es mit ihm ruhig auf dem Wege
fortwandle, welchen er fortan als den für ihn notwendigen, durch die
Fügungen des Geschicks ihm vorgezeichneten Lebensweg zu betrachten sich
zu gewöhnen suchte, dann trat es eigensinnig aus dem Geleise und stand
wieder wie eingewurzelt auf der Stelle der Schrift: »Laß Dich nicht
einen jeglichen Wind führen, und folge nicht einem jeglichen Wege, wie
die unbeständigen Herzen thun; sondern sei fest in Deinem Gemüt und
bleibe bei einerlei Rede!« Doch wir sind nie schlauer und gewandter, als
da, wo es darauf ankommt, uns selbst zu betrügen; und so förderte sich
auch Godber immer weiter in der Kunst, aus der ehernen Gesetztafel eine
wächserne zu machen, und das störrige Roß seines Gewissens in ein
folgsames Paradepferd umzuwandeln. Der Herr aber in der Höhe wollte ihm
zeigen, wie eitel solche Kunst sei und wie wenig haltbar der Zügel, an
dem sie ein Gewissen, das einmal eine andere Führung gewohnt war, zu
leiten sucht. Gott sprach durch den Mund der Toten, und -- vor das
Paradies, in das Godber ruhig einzugehen meinte, trat der Engel mit dem
feurigen Schwert.



                                 IX.


   Die Stunde kommt, von Gott gesendet,
   Das sinnentrunkne Herz wird wach,
   Und jedes dunkle Blatt, es wendet
   Zurück sich an den hellen Tag.

Die Leichen der mit dem Schiffe Verunglückten wurden gefunden. Godber
hatte auf der alten Kirchwerfte einen Stein, in der Form eines großen
Taufbeckens, bemerkt und war auf Idalias Wunsch hinausgegangen, um zu
sehen, ob derselbe sich nicht für ihre Absicht gebrauchen ließe, seiner
Werfte eine neue Zier zu geben. Da lag vor ihm die Leiche seines
Schiffsherrn, und später fanden sich, noch im Tode getreu, nicht weit
davon die beiden andern Seeleute. Sie hatten zusammen in den Höhlungen
des frühern, jetzt fast ganz dem Meere anheimgefallenen Friedhofs, der
aber noch durch manches vom Wellenschlag wieder ans Licht gebrachte
Gebein von seiner ehemaligen Bestimmung zeugte, ihre Ruhestätte
gefunden, nachdem sie lange ein Spiel der Wogen gewesen waren.

»Haben die Toten da in den halboffnen und verwitterten Särgen,« sagte
Hold, als er bald darauf herbeigerufen wurde, um die nötigen Anordnungen
wegen der Beerdigung zu treffen, »nicht, gleichsam mitleidig ihre Arme
ausgestreckt, um diese Leichen neben sich zu betten? Ach! wie bald wird
auch der Platz, wohin wir sie bringen, ausgewaschen werden von der Flut,
und die Welle ihr Spiel erneuen mit den ruhelosen Gebeinen!«

Die Abgeschiedenheit, in welcher die Halligen oft Wochen lang durch den
Wind und Wetter oder Eisgang gehalten werden, nötigt den Hausvater, auch
daran zu denken, daß ein Sarg vorrätig sei. Unter seinem übrigen Gerät
darf auch dies ^memento mori^ nicht fehlen, so schwer und so ungern man
sich auch sonst anderswo daran gewöhnen möchte, tagtäglich mit seinem
Blick die enge Bretterkammer zu messen, die für einen unserer Lieben
oder für uns selbst bestimmt ist. An Särgen zur notwendig schnellen
Beerdigung der aufgefundenen Leichen fehlte es daher nicht, und diese
wurde auf den folgenden Tag, einen Sonntag, festgesetzt.

Der fast unerhörte Fall auf der Hallig: drei Leichen an einem Tage, die
außerordentlichen Umstände, welche dies Ereignis herbeigeführt, die
besondere Rettung der Andern vom Schiffe, dies Alles bestimmte Hold, die
ganze Feier des Tages daran zu knüpfen. Es wurden also zur Kirchzeit die
drei Särge vor die Kirchthüre gesetzt, da der innere Raum zu beschränkt
war, sie und die Gemeinde aufzunehmen. Die Predigt nach Vorlesen des
Evangeliums für jenen Tag, den 13. Sonntag Trinitatis, Lukas 17, 11--19,
nahm die Frage: »Wo sind aber die Neun?« als Thema aus dem Schrifttext
heraus, und die bloße Ankündigung dieses Themas mußte, so wenig auch
nach den Regeln der Homiletik ein solches Herausgreifen eines einzelnen
Wortes oder Nebenumstandes gerechtfertigt werden kann, erschütternd
wirken, da gerade auch neun Personen in dem Schiffe zusammengewesen
waren. Diese einzige Frage stellte die Geretteten und Verunglückten
neben einander, führte die Gedanken zurück auf ihre frühere
Gemeinschaft, hin auf den jetzt so verschiedenen Zustand, und drängte
die Betrachtung auf: wie, wenn die Loose nun vertauscht worden wären?
»Wo sind aber die Neun?« für die Fremden war dies Wort genug zu einer
unvergeßlichen Predigt. Es schien auch, als habe Hold durch Hervorhebung
dieser Frage nur einen kurzen, aber eindringlichen Schlag auf die Herzen
der anwesenden Fremden führen wollen, denn in der Beantwortung redete er
weit weniger, als Viele seiner Zuhörer erwarten mochten, in Beziehung
auf den vorliegenden Fall; machte von dem Besonderen sogleich allgemeine
Anwendungen und vergaß über die Einzelnen nicht die Gemeinde. Vielleicht
aber gerade deswegen fanden seine Worte Eingang auch bei diesen
Einzelnen. Sie hatten nun nicht die Unannehmlichkeit, alle Blicke und
Gedanken auf sich gerichtet zu sehen und nur von und für sich reden zu
hören. Sie konnten nun mit voller Aufmerksamkeit dem Worte folgen, da
ihre Phantasie nicht immer wieder auf die erlebten Schreckensscenen
zurückgeführt wurde. Sie fanden sich nun nicht gestört durch falsche
Zeichnung der Umstände ihrer Gefahr und Rettung, durch Andichtung von
Empfindungen, die sie nie gehabt, durch Zuschreibung von Wünschen oder
Gelübden, die nie in ihre Gedanken gekommen waren. -- Nach der Predigt
wurden die Särge auf den Gottesacker, der eine kurze Strecke von der
Kirche entfernt war, in drei verschiedenen Gängen getragen, da der
Mangel an Trägern es nicht erlaubte, sie mit einander hinzubringen. Aber
eine Gruft nahm die drei Toten auf, und die große Flagge des Schiffs,
dem ihre letzten Dienste im Leben gewidmet waren, sollte über die Särge
hingesenkt werden. Godber hatte diese Flagge, die mit schwarzem Flor
umhangen war, vorgetragen; aber als er sie hinabsenken wollte in die
Gruft, entglitt sie seinen zitternden Händen und von dem Fall ihrer
Stange dröhnten die Särge mit hohlem Klang. Godber aber sank totenbleich
und an allen Gliedern bebend auf die Umstehenden zurück.

Doch müssen wir hier wohl erst ein wenig wieder zurückgehen, um Godber's
innere Kämpfe bis zu diesem Augenblick zu verfolgen. Mit der Auffindung
der ertrunkenen Gefährten war über sein Gemüt eine düstere Wolke
gezogen, die er mit der größten Anstrengung zu verscheuchen, oder
wenigstens vor Andern zu verbergen strebte. Die starren, strengen Züge
im Antlitz seines Kapitäns, als er neben der Leiche desselben am Ufer
unter den zerrissenen Grüften stand, schienen ihn zu fragen: »warum hat
mein Steuermann vor mir das Schiff verlassen?« und als er den Blick
verstört zurückwandte, ging Maria eben mit langsamem Schritt auf ihre
Werfte hinauf, und er glaubte ihren Seufzer zu hören: »warum hast Du
Deine Braut verlassen, Godber?« Da ward es ihm finster vor den Augen, da
krampfte eine eisige Hand sich um sein Herz, da gellte es ihm wie
Hohngelächter in die Ohren: »Du doppelt Meineidiger!« Er eilte wie vom
Fluch gejagt hinweg von dieser grauenvollen Stätte und stand, ehe er
noch wieder zur Besinnung kam, vor Idalia. Wäre diese ihm mit Thränen in
den Augen, oder auch gar mit Zorn und Schelten entgegengetreten, er
würde an ihren Hals geflogen sein, und an ihrem Busen sein von Wehmut
und Bitterkeit gleich erfülltes Herz ausgeweint haben. Sie aber kam mit
ihrem gewöhnlichen holden Lächeln auf ihn zu, mit dem Lächeln, das so
oft ihn wie mit magischer Gewalt hingerissen hatte; jetzt aber in der
Stimmung, worin er war, wirkte es nur zurückstoßend auf ihn; es
widersprach zu sehr allen seinen Empfindungen, und es fiel ihm gar nicht
ein, daß sie, noch unbekannt mit Dem, was er eben gesehen, auch keine
Trauer über das Geschick der Umgekommenen zeigen könne. Er mußte,
anstatt zu ihr sich hinzuneigen, scheu zurückweichen. Er mußte, während
er seinen Blick starr auf sie heftete, sich selber fragen: »ist dies
herzlose, spottende Zauberbild eines doppelten Treubruchs wert?«

Idalia trat stolz zurück. Sie war zu sehr an eine allvergessende
Huldigung gewöhnt, als daß sie sich hätte entschließen können, ihn
teilnehmend zu fragen: was ihm fehle? Mochte auch Liebe für ihn eben so
dringend, als Neugierde, sie antreiben, den völlig Verstörten, der sich,
mit beiden Händen die Augen bedeckend, auf einen Stuhl geworfen hatte,
um Aufschluß über sein Benehmen zu bitten, so trug doch ihre
Empfindlichkeit den Sieg davon. Sie setzte sich grollend in eine andere
Ecke, stützte ihren Kopf mit dem Arm, und, die kleinen Lippen hoch
aufwerfend, die Augen, wie feucht von einer Thräne, mit dem Schnupftuch
trocknend, nur dann und wann einen flüchtigen und verstohlenen Blick auf
Godber werfend, spielte sie eben so sehr die Rolle einer Uebellaunigen,
als sie es wirklich war. Denn wenigstens das war ihr klar geworden, daß
sie nicht so ganz allein herrsche in seinem Herzen, daß es noch Etwas
gebe in der Welt, was ihn unempfindlich machen könne gegen die Macht
ihrer Reize; daß daher ihr Sieg noch gar nicht so vollständig sei, wie
sie bisher geglaubt. Und hatte seine Verstimmung wohl gar allein ihren
Grund in einem Zusammentreffen mit Maria? Wenn dieser Gedanke ihrer
Liebe, die nicht weniger abgöttische Verehrung, als ausschließliche
Hingebung des Herzens von dem Geliebten forderte, vielleicht Eintrag
that, so weckte er doch auch wieder ihren Stolz, und durch diesen den
Entschluß, ihn mit allen Mitteln ganz zu fesseln. Sie selbst urteilte
freilich nicht so klar über ihre Empfindungen und rechnete auch der
Liebe einen nicht kleinen Anteil zu an diesem Entschlusse.

Godber aber schien völlig abwesend zu sein mit seinem Geiste. Er brütete
bald mit dumpfem Schweigen in sich hinein, bald kündeten einzelne
Seufzer und zuckende Bewegungen die tiefe Aufregung seines Innern.
Idalia wußte sich in der Spannung zwischen Neugierde und Aerger kaum
mehr zu lassen. Selbst ihr Schluchzen hatte der Unempfindliche überhört.
Zu ihrer Freude kam endlich ihr Vater, und aus dessen theilnehmenden und
tröstenden Worten an Godber, der sich bei dem Eintritte Mander's
emporraffte und ruhiger zu erscheinen strebte, erfuhr sie nun die
Auffindung der Leichen. War ihr auch der Schmerz Godber's über das
Geschick der schon längst verloren gegebenen Gefährten unbegreiflich,
fühlte sie sich auch noch mehr beleidigt, wie eine ihr so gering
dünkende Ursache ihn zu einem solchen Betragen gegen sie verleiten
konnte, so hatte sie _das_ doch wenigstens gewonnen, daß nicht mehr die
Eifersucht sich in ihre Betrachtungen über sein Benehmen mischte. Sie
mußte mit einem Blick in den Spiegel über sich selbst lächeln, daß sie
nur einen Augenblick hatte daran denken können, daß ein Halligmädchen
ihr den Rang streitig mache. Doch sollte Godber ernsthaft bestraft
werden; zu ihren Füßen sollte er Verzeihung betteln, und erst nach
langem Flehen wollte sie ihm die Hand zum Kusse als Anfang der
Versöhnung reichen; die rechte Versöhnung sollte noch mehrere Tage
weiter hinausgeschoben werden, damit es ihm nie wieder einfallen möge,
zu vergessen, wie sein Glück allein von ihrer Liebe abhänge, und wie
dieses Glück mit voller Hingebung und Vergessenheit erkauft werden
müsse.

Und das nennen sie Liebe!

Für heute schien Godber keinen Anfang zur reuigen Rückkehr machen zu
wollen, denn, ohne nur mit einem Blicke nach Idalia zu sehen, ging er
mit Mander zu dem Pastor, um Verabredungen wegen der Beerdigung zu
treffen. Hold nannte die Hausväter, die wohl passende Särge haben
würden, und Godber ging zu diesen. Als er später wieder zum Pastorat
zurückkam, war Mander schon fortgegangen, und Hold hatte nun
Gelegenheit, ein Wort über Godber's Verhältnisse zu Maria und Idalia zu
reden. Kaum aber begann er darauf hinzudeuten, als Godber mit dem
Ausruf, der aber keineswegs wie trotzige Abweisung, sondern eher wie ein
Schrei der Verzweiflung klang: »Ich weiß Alles, was Sie sagen wollen!«
ihn unterbrach und aus dem Hause stürzte.

Idalia wartete den Abend vergebens auf seine Rückkehr. Sie weinte jetzt
wirklich bittere Thränen, die anfangs nur der tiefbeleidigte Stolz
hervorgerufen; die aber, weil sie nur den Schmerz der gekränkten Liebe
darin sah, auch ihre Gefühle zu der Höhe der wahrhaften Liebe
steigerten.

Am andern Morgen fehlte Godber beim Frühstück, und es wußte Niemand im
Hause, ob er überhaupt in der Nacht da gewesen sei. Idalia sah ihn
zuerst wieder, wie er bleich und verstört mit der Trauerfahne an der
Werfte vor den Särgen her vorüberschwankte.

Godber hatte in der Nacht bei den Toten gewacht und sich ausdrücklich
jede Teilnahme Anderer an dieser Wache verbeten, so ungern sich auch die
beiden mitgeretteten Matrosen aus alter Neigung zu ihrem Kapitän und
ihren Gefährten davon zurückweisen ließen. Er wollte allein sein, allein
mit den glücklichen Toten und seinem unglücklichen Herzen. Sein Schmerz
löste sich in dieser Stille zu Thränen der Wehmut auf. Seine ganze
glückliche Kindheit, seine Spiele mit Maria, das Gelübde, das er ihr
gegeben, die Briefe, die er ihr geschrieben, die Träume von einer
schönen Zukunft an ihrer Seite mitten in den Gefahren des Meeres, mitten
unter dem geräuschvollen Treiben seines Berufs, die einsamen Nächte am
Steuer, wenn die Wellen fremder Meere wie Grüße aus der Heimat um den
Kiel rauschten und die Sterne am Himmel von dem Frieden dieser Heimat
redeten: Alles dieses wiederholte sich in seiner Erinnerung und ging an
ihm vorüber wie Bilder eines verlorenen Paradieses. Warum konnte er dies
Paradies nicht wieder gewinnen? Warum die Fesseln, die die Untreue
gebunden, nicht von sich abstreifen? so fragte er sich selbst; und
Idalia's Bild vermochte nicht einen Augenblick seinen Geist in diese
Bande zurückzuführen. Vielmehr erwachte in ihm eine unendliche
Sehnsucht, Maria, seine Maria wiederzusehen. Um Mitternacht verließ er
die Totenkammer, trat leise hinaus in's Freie; und siehe! die Sterne
blickten so freundlich lächelnd auf ihn herab, als wollten sie seinen
Gang segnen. Er eilte raschen Laufs vorwärts, übersprang mehrere Gräben,
um nicht durch den Umweg über die Stege aufgehalten zu werden. Da
blinkte ihm schon von fern ein Lichtglanz aus der ersehnten Wohnung
entgegen. Es fiel ihm nicht auf um diese späte Stunde. Er meinte, es
müsse so sein; sie warte ja auf ihn, sie zeige ihm ja damit nur den Weg
zurück zu seinem Gelübde der Treue. Hastig, aber doch sorgsam jedes
Geräusch meidend, ging er die Werfte hinauf. Ein Stein an der Mauer
erlaubte ihm, über die niedrigen Fensterladen hinwegzusehen. Da saß
Maria am Bette ihrer Mutter, die Hände gefaltet in den Schoß gelegt und
mit den halbgeschlossenen Augen, wie träumend, nach Oben blickend.
Angewurzelt blieb Godber auf seiner Stelle, den Atem zurückpressend in
der aufwallenden Brust, mit unverwandtem Auge an der Jungfrau haftend,
die ihm jetzt, wenn er in diesem Augenblick hätte vergleichen können,
als eine himmlische Erscheinung gegen Idalia's irdisches Schattenbild
vorgekommen wäre. Lange, lange stand er so. Maria nickte zuweilen vom
Schlummer überwältigt ein, und Godber's Herz klopfte dann hörbar vor
Angst, daß sie fallen möchte. Wenn sie die Augen wieder aufschlug,
wartete er immer darauf, daß sie ihn sehen und wie am ersten Tage mit
dem Ausruf: »Godber, Godber, bist Du wieder da!« zu ihm hineilen sollte.
War denn nicht heute der erste Tag? kam es ihm doch vor, als habe er nur
schwer geträumt und sei erst eben angekommen auf der Hallig. Aber Maria
nahm das Licht, leuchtete sorgsam nach dem Bette ihrer Mutter hin und
horchte auf ihren Odemzug. So waren Stunden entflohen; für Godber waren
es Minuten. Der Morgen begann schon zu dämmern; für Godber war es noch
Mitternacht. Die Kühle aber, welche dem Aufgang der Sonne vorhergeht,
fieberte auch ihn an. Er merkte es nicht; nur wurden seine Gedanken
dadurch von Maria auf die Ursache ihres Nachtwachens hingeführt. »Ach!«
dachte er, »gewiß ist die Mutter krank, und du, du allein trägst die
Schuld! Du bringst die Mutter in's Grab, und die Tochter« -- er konnte
nicht vollenden -- wird ihr nachfolgen! Hinein mußte er, zu ihren Füßen
die Stunde der Reue feiern, an ihrer Brust wieder zum neuen Leben
erwachen. Er hatte die Hand schon an der Thürklinke. Da krähte der Hahn
im Stalle dicht neben ihm dem Morgen entgegen. Er schrak zusammen, wie
ein ertappter Verbrecher. »Petrus der Verräther!« murmelte er dumpf in
sich hinein, zog die Hand rasch von der Thür hinweg und blickte wild um
sich. Die Sterne waren untergegangen und ein grauer Nebel verdeckte noch
die erste Röte des Tages. Godber's hochatmende Brust sog die kalte,
schwere Luft mit vollen und raschen Zügen ein. Er fühlte auf einmal alle
Bande wieder, in die er sich verwirrt, und stürzte fort. Atemlos kam er
in der Totenkammer wieder an. Die Lampe war fast ganz niedergebrannt und
warf nur noch einen schwachen Schimmer in die Dunkelheit hinein. Sein
rascher Fußtritt stieß an einen der Särge an, dumpf dröhnten die
trocknen Bretter und besinnungslos sank der Lebende bei den Toten zu
Boden.

Nach dieser Nacht mußte für Godber der folgende Tag wahrhaft martervoll
werden. Die völlige Erschöpfung seiner Körperkräfte trug dazu bei,
seiner Phantasie volle Herrschaft über ihn zu geben. Er sah und hörte in
Allem nur Anspielungen auf seinen Treubruch. In dieser Kirche hatte ja
Maria für seine glückliche Rückkunft gebetet; hierher gedachte sie den
ersten Gang an seiner Seite zu machen. Diese ganze Gemeinde wußte ja von
seinem Gelübde; alle Blicke kündeten die tiefste Verachtung; alle diese
heimlichen Unterredungen sprachen schon den Bann über ihn; alle Tritte
lenkten von seiner Nähe ab. Die Buchstaben selbst des Gesangbuches
drängten sich von seinem Blick hinweg und die Töne flohen seinen
vergifteten Odem. Bei der Frage Hold's: »Wo sind aber die Neun?« grüßten
ihn die fahlen Gesichter der Toten und sprachen grinsend: »Die Neun sind
wieder beisammen!« Daß diese Worte der Predigt angehörten, konnte ihm
nicht in den Sinn kommen; er sah und hörte nur die Toten, die sich immer
näher an ihn herandrängten und deren eisiger Hauch ihm durch die Gebeine
rieselte, während heiße Tropfen von seiner Stirne fielen. So wurde er
nach dem Schluß der Kirchenfeier in den Leichenzug als Träger der
Trauerfahne willenlos hineingezogen. Aber die Flagge des seiner Hand
vertraut gewesenen Schiffes ward ihm zu einer großen, schweren Woge, die
vor ihm herrollte und ihn mit fortzog. Er klammerte seine Hand so fest
um den Stock, daß ihn der Arm schmerzte, und je mehr er den Schmerz
fühlte, desto fester klammerte er seine Finger zusammen; denn desto
gewisser ward es ihm, daß er, in die Flut geschleudert, die letzte
Planke des zertrümmerten Schiffes gefaßt habe. Dreimal hatte er, von den
ängstlichen Bildern gefoltert, den schweren Gang machen müssen, und trat
nun an das offene Grab. Er starrte hinein und strengte seine Augen
vergebens an, den Abgrund zu seinen Füßen abzusehen. Immer tiefer dehnte
sich vor ihm die unergründliche Gruft. Er wäre, wie er sich immer weiter
vorbog, um mit seinem irren Blick die Tiefe zu ermessen, hinabgestürzt,
wenn ihn nicht Mander und Oswald, die in ihm nur den um den Verlust
seiner Schiffsgenossen tieftrauernden Mann sahen, zurückgehalten hätten.
Da hörte er, wie Hold, in Bezug auf des Kapitäns Weigerung, das ihm
anvertraute Schiff zu verlassen, sagte: »Es ist ein Segen bei der Treue,
wenn nicht in der Zeit, doch in der Ewigkeit!« Dieses Wort schmetterte
seine letzte Kraft hin. Er murmelte leise wie ein Sterbender mit
gebrochenem Herzen: »Und ein Fluch bei der Untreue in Zeit und
Ewigkeit!« Jetzt schon wäre er hingesunken, wenn er sich nicht mit
schlaffen Gliedern auf die Flaggenstange gelehnt, die neben ihm in den
Boden gesteckt war. Hold mußte ihn erinnern, die Flagge in die Gruft zu
senken. Er faßte sie krampfhaft an und schwankte wieder vornüber auf das
Grab zu. Da standen die drei Särge; aber wie vorher die Tiefe
unergründlich schien, so rückten nun die schwarzen Särge dicht vor seine
Augen hin. Die Deckel öffneten sich, die Toten rüttelten sich zornig
drohend gegen ihn auf. Er taumelte entsetzt zurück, und die Flagge fiel
aus seinen ohnmächtigen Händen auf die Särge hin.



                                  X.


   Es reift in stiller Hütte
   In einfach frommer Sitte
   Das wunderreiche Herz,
   Dem Segen jede Wunde,
   Dem Licht die trübste Stunde,
   Dem Tau der größte Schmerz.

Maria's Benehmen in diesen Tagen war ganz der Spiegel ihres
gottergebenen Herzens. Sie erfüllte die häuslichen Pflichten, die ihr
oblagen, mit demselben Eifer und derselben Ausdauer wie früher. Wer sie
nicht, belebt von der Hoffnung einer schönen Zukunft, gekannt hatte,
konnte nicht ahnen, welchen Schmerz die Jungfrau, der dies stille,
ruhige Wesen angeboren zu sein schien, zu überwinden sich im täglichen
Gebet übte, und welcher Kraft sie bedurfte, um fest zu werden in ihrer
Erwählung, eine Magd des Herrn zu sein. Gott, der da sorget für die
gebrochenen Herzen, und Keinem mehr auflegt, als er tragen kann,
erleichterte ihr ihren Kampf durch die Krankheit, welche die Mutter
befiel. Und Maria gab, als ob sie es empfunden, daß diese Krankheit
ihrer Wunde Heilung bringen sollte, sich mit einer Sorgsamkeit und
Aufopferung der Pflege ihrer Mutter hin, daß all' ihr Sinnen und Denken
gleichsam verschlungen ward von diesem ihren neuen Beruf. Aerztliche
Hülfe bot die Hallig nicht dar; und auswärts sie zu suchen, überstieg
die Vermögenskräfte der Witwe, wenn auch nicht der Wille gefehlt hätte,
da Ruhe, Pflege und einige Hausmittel dem Halligbewohner in
Krankheitsfällen genug dünken. Hold besuchte die Kranke mehrere Male,
und wenn diese zuweilen auf Godber's Untreue zu sprechen kam, fiel ihr
Maria schnell in die Rede und sagte: »Laß das, Mutter. Ich kann Dich ja
nun besser pflegen, als wenn ich an ihn dächte.« Sprach sie mit Hold
allein, dann drang wohl noch ein Ton des Schmerzes durch; aber als hätte
er nur einen Friedensgruß aus der Höhe von den Lippen des Seelsorgers
locken wollen, ging er gleich wieder in die aufrichtige Sprache frommer
Ergebung über.

Lächeln aber mußte Hold, als Maria ihm bei einem dieser Besuche ein paar
damals vielgelesene Romane mit der Bitte gab, sie dem jungen Herrn
zurückzubringen. Er erfuhr nun, daß Oswald, vielleicht nur um eine,
seinen Neigungen entsprechende Abwechslung in die Einförmigkeit des
Lebens, zu dem er gezwungen war, hineinzubringen, die Bekanntschaft des
Mädchens gesucht, den einen Tag der Mutter eine Flasche Wein, den andern
Tag der Tochter die Bücher gebracht habe.

»Sie aber,« meinte diese, »könne eben so wenig aus seinen Reden, wie aus
seinen Büchern vernehmen. Ihr werde unheimlich dabei zu Mute; denn das
sei eben die Sprache, welche Godber in seinen Briefen auch zuweilen
geredet, und die wol die Schuld trage, daß er seine Verlobte nun
verachte;« und unbekannt mit der Blume, die durch ihren Namen die
Erinnerung fesseln soll, fügte sie mit dem scharfen Spott eines
tiefverwundeten Herzens hinzu:

»Da reden sie von Vergiß mein nicht, als ob man so Etwas abpflücken
könne, wie eine Blume, die zum Verwelken bestimmt ist. Kein Wunder, daß
sie so leicht vergessen!«

»O, diese feinen Herren,« dachte Hold beim Heimwege, »die die Fühlfäden
ihrer Lüsternheit nach jedem hübschen Gesicht ausstrecken und es nicht
merken, wenn sie die Einfalt der Unschuld vor sich haben, an der all'
ihre Gifttropfen, wie an einem Krystall, abfallen, ohne eine Spur zu
lassen. Nein, mein kluger Oswald, mit Deinen Romanen wolltest Du wol
erst geschickt den Boden bereiten für deine Liebschaft. Aber hier ist
kein Boden, auf dem solche Schlingflanzen Wurzel fassen können. Hier ist
Gottes Erdreich und nicht das faule Beet verborgen gehaltener Begierden.
Ehe Maria Dich und Dein Gift versteht und dadurch ihm die Kraft zu
schaden giebt, müßtest Du sie gar lange in Deine Schule nehmen. Und dann
noch das Vergißmeinnicht, welches in ihrem Herzen als eine Blume aus dem
Garten Gottes blüht, das pflückst Du nicht so leicht ab, das schützen
Gottes Engel vor jedem versteckten oder offenen Angriff.«

Um Mander zu schonen, wartete Hold eine Gelegenheit ab, die Bücher an
Oswald ohne Zeugen abzugeben, und sagte ihm dabei:

»Glauben Sie ja nicht, daß ich diese Schriften dem Mädchen abgenommen.
Sie gab mir sie ganz freiwillig, weil sie dergleichen nicht verstehen
könne.«

»Ich glaubte,« stotterte Oswald verlegen, »daß dem äußerlich so wol
gebildeten Mädchen eine größere innere Bildung keinen Nachteil bringen
würde.«

»Und Sie dachten,« entgegnete Hold strenge, »eben erst wegen dieser
Wolgestalt ihres Aeußern an eine innere Bildung? warum denn, wenn Sie
ihre sogenannte Bildung so hoch schätzen, gingen Sie ohne Teilnahme an
den gleich ungebildeten, aber weniger mit körperlichen Reizen
Geschmückten vorüber?«

»Es ist natürlich, daß die auch bloß äußere Schönheit ein regeres
Interesse weckt.«

»Ja wol, natürlich,« erwiderte Hold, »wenn wir gewohnt sind, uns vom
Sinnenreiz in unserm Interesse bestimmen zu lassen.«

»Sie nehmen die Sache zu ernst,« lachte Oswald, der sich von seiner
augenblicklichen Verwirrung erholt. »Als Hirte müssen Sie freilich
darauf achten, daß kein Schaf Ihrer Heerde zu Schaden kommt.«

»Also auf einen Schaden war es doch abgesehen?« fragte Hold mit scharfer
Betonung, und als Oswald, wol fühlend, wie er sich in seinem eignen
Ausdruck gefangen habe, erst nach einer Pause antwortete:

»Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich dem Mädchen, das, wie ich nicht
leugnen will, mir gleich beim ersten Anblick sehr gefiel, eine reichere
Bildung des Geistes und des Herzens wünschte, und darum ihr die Bücher
gab,« fuhr er fort:

»Um Maria's Willen würde ich kein Wörtchen in dieser Sache verloren
haben. Sie hat jene Unschuld, die da Gift trinken mag, und es wird ihr
nicht schaden, die auf Schlangen treten mag, und ihr Fuß wird nicht
verwundet werden; denn sie ist einfältiglich frommen Sinnes. Für ihren
Verstand ist die Sünde zu hoch und ihr Herz zu hoch für die Sünde. Aber
um Ihretwillen, junger Mann, möchte ich noch ein Wort sagen. Vergleichen
Sie sich einmal in Ihrem Gewissen mit dieser Maria. Sie wissen Vielerlei
und Maria gar Wenig. Sie kennen die Geschichte der Völker, ihre
Sprachen, ihre Sitten; Maria's Kunde von diesem Allen ist fast nur auf
den Umfang dieses Eilandes beschränkt. Sie haben Mancherlei gesehen und
erfahren, und wissen von hunderttausend Dingen zu reden, von denen Maria
nicht einmal die Namen kennt. Sie gelten durch die Feinheit Ihres
Benehmens, durch gefälligen Anstand und kluge Benutzung aller Vorteile
der Erziehung für einen gebildeten Mann; Maria geht schlicht und recht
dahin und redet, wie es ihr um's Herz ist, ohne Zier und Schminke. Sie
suchen dabei die Erholung von Geschäften in allerlei Vergnügungen,
welche die Sinne reizen und die Gelüste des sterblichen Leibes
befriedigen; Maria betet und arbeitet einen Tag wie den andern und sorgt
mit aufopfernder Liebe für die Pflege ihrer kranken Mutter. Sie nehmen
Freuden und Leiden als Spiele des Zufalls; Maria dankt ihrem Gott und
vertraut ihrem Vater im Himmel. Sie stehen hoch über ihr, so hoch, wie
die Erde mit ihren Gaben und Genüssen nur erheben kann, und --« er faßte
Oswald's Hand und schloß mit erhobener Stimme: »ich sage Ihnen, wenn Sie
an einen Gott glauben, in dem Namen dieses wahrhaftigen Gottes: Maria
steht hoch über Ihnen, denn ihr Wandel ist im Himmel!«

Der junge Mander schwankte zwischen Unmut und Scham und erwiderte mit
einer Stimme, in der Trotz und Verlegenheit sich mischten:

»Ein wenig Bildung mehr würde der frommen Jungfrau keinen Schaden thun.«

»Maria's Bildung,« entgegnete Hold, »ist für ihren Stand und Beruf
hinlänglich; und was ihr sonst zu wissen nützlich wäre, lernt sie
wahrlich nicht aus diesen Büchern. Ja, -- verzeihen Sie, wenn auch ich,
als ein Landsmann Maria's, schlicht und recht rede, wie mir's um's Herz
ist, -- was Sie von ihr lernen können, ist bei weitem mehr und
wichtiger, als das, was Sie ihr aus allem Ihren Wissen und aus allen
Ihren Büchern an Belehrung zu geben vermögen. Gesetzt auch, sie könnte
die Bildung annehmen, die Sie ihr darreichen wollen, was hätte sie damit
gewonnen? Unzufriedenheit mit ihrer Lage, Sehnsucht nach einem ihr
unerreichbaren Leben, und was noch schlimmer ist, Erregung von
Leidenschaften, die jetzt ihr Herz unzugänglich finden. Verloren aber
hätte sie, unwiederbringlich verloren: die Geduld und die Stille eines
in Gott ergebenen Gemütes, den Frieden einer den irdischen Schmerz
überwindenden Seele; verloren die Ruhe eines unbefleckten Gewissens und
die sichere Freudigkeit eines kindlich frommen Glaubens.«

»Wie mögen Sie diesen unschuldigen Romanen einen so schädlichen Einfluß
zuschreiben? sie sind ja nur zu einer augenblicklichen Unterhaltung
bestimmt und bilden dabei unmerklich den Verstand.«

»_Wir_ nehmen,« war Hold's Entgegnung, »solche Bücher für das, was sie
sind, für Erzeugnisse der Einbildungskraft und sind zu bekannt mit dem
Leben, das sie schildern, um mehr darin zu finden, als uns selbst, nur
in andern Kleidern. Für Maria aber würden sie eine Welt eröffnen, wenn
sie dieselbe verstehen könnte; eine Welt, die ebenso heiße Begierden
entflammen und darum ihr ebenso schädlich werden würde, wie Amerika bei
der ersten Entdeckung es den Spaniern ward. -- Doch ich vergesse, daß
Ihr Versuch für die Bildung Maria's nur eine versuchte Vorbildung für
ein ähnliches Spiel war, wie Ihre Schwester es mit Godber treibt.«

Oswald ließ sich nicht darauf ein, diesen erneuten Vorwurf noch einmal
abzulehnen. Er ergriff vielmehr mit einer Hast, die seine Freude kund
gab, auf einen andern Gegenstand das Gespräch gewandt zu sehen, die
Gelegenheit, Idalia als Streitpunkt vorzuschieben.

»Was kann sie denn dafür, wenn ihre Reize so hinreißend wirken? sie hat
schon ganz andere Männer zu ihren Füßen gesehen, als diesen Godber.«

»Was kann ich dafür!« antwortete Hold mit Spott. »Dies Wort kommt mir
vor, wie ein verlorener Posten, der auf's Geradewol dem anrückenden
Feinde entgegengeworfen wird, weil es an einer ordentlichen Wehr zur
Verteidigung fehlt. Aber es würde unnütz sein, mit Ihnen hierüber zu
reden, da Sie gerade ja schon in die Fußstapfen Ihrer Schwester getreten
wären, wenn nicht ein gebrochenes Herz, besonders wenn Gottes heilige
Engel sich darin gelagert haben, so schwer zu erobern stände, wie ein
Herz, wo Eitelkeit und Sinnlichkeit die Wache halten, dagegen leicht.«
-- Als Oswald vor Unwillen erglühend jetzt nach seinem Hute griff, fügte
der Pastor hinzu:

»Noch Eins, Herr Mander! Sie werden mich immer bereit finden zu all' der
Freundlichkeit, die wir den Gästen unserer Hallig schuldig sind. Sie
werden mich verbinden, wenn Sie durch Ihre Unterhaltung dazu beitragen
wollen, für diese Wochen mir den Genuß einer heitern Geselligkeit zu
verschaffen. Es wird mir wol thun, mit Ihnen und Ihrem Herrn Vater
einmal wieder über Dinge reden zu können, die früher das Gespräch
mancher schönen Stunde mit meinen Freunden waren. Sie werden es mir aber
erlauben müssen, daß ich mich auf _meine_ Weise um Ihre Achtung bewerbe,
und daher Ihnen bei jeder passenden Gelegenheit in mir den Seelsorger
zeige. Versäumte ich dies, ließe ich Sie bei mir das Amt vergessen, das
mir von Gott vertraut ist, dann würde ich ja die Achtung eines
vernünftigen Mannes verscherzen. Gehen _Sie_ daher Ihren Weg, wie Sie
wollen. Lassen Sie _mich_ auf dem Wege, den Beruf und Gewissen mir
vorschreiben; und dabei wollen wir uns die kurzen Stunden unserer
Gemeinschaft gegenseitig zu erheitern suchen, und ich hoffe, wir werden
dann als Männer von einander scheiden, die sich gerne gesehen haben.«

Oswald war etwas verdutzt über diese Wendung und entfernte sich mit
einigen wenig sagenden, aber doch freundlich sein sollenden Worten.



                                 XI.


      Aus der Furche Nacht und Tau
      Hebt die Lerche kühn die Schwingen,
      Von der lichten Morgenau
      Her den jungen Tag zu bringen.
   So aus schweren Erdenleid der Glaube,
   Daß dem Himmel er den Himmel raube.

Für Godber waren jene Phantasien, die ihn zuletzt ohnmächtig am Grabe
niederwarfen, der Anfang des in jenen Gegenden gewöhnlichen Fiebers, das
zwei Tage den Kranken mit Heftigkeit ergreifend, ihm den dritten Tag
Ruhe gönnt, sich auf den nächsten Fiebertag zu bereiten. Idalia zeigte
jetzt die ganze Heftigkeit ihres Charakters. Sie warf sich an Godber's
Lager nieder. Sie bedeckte seine kalten Lippen mit ihren glühenden
Küssen. Sie rief Himmel und Erde zu Zeugen an, daß sie ohne ihn nicht
leben könne, und machte sich die lautesten Vorwürfe über ihr
teilnahmloses Betragen gegen ihn. Mander sah mit Erstaunen, welche
Gewalt die Liebe über seine Tochter ausübte. Ihm war wol ihre Neigung
für den Retter ihres Lebens nicht verborgen geblieben; doch meinte er,
wenn erst die Zeit die Dankbarkeit schwäche, werde auch die Entfernung
die flüchtige Aufregung eines aus ihr hervorgegangenen Gefühls vergessen
machen. Er hatte den Jüngling, der ihm wert sein mußte, bedauert, wenn
er wahrnahm, wie dieser von Idalia's Reizen gefesselt wurde. Aber
gewohnt, seinen Kindern mehr teilnehmender Begleiter auf ihrer
Lebensbahn, als ein väterlicher Erzieher zu sein, hatte er sich
gescheut, die in dieser augenblicklichen Zuneigung so Glücklichen durch
klare Aufdeckung des wahren Verhältnisses zu stören. Jetzt freute er
sich über die Zurückhaltung; denn war Idalia's Liebe so tief und innig,
wie sie sich nun ihm zeigte, so wollte er ihrer Wahl kein Hindernis
entgegenstellen. Fehlte es ihm doch nicht an Mitteln, Godber zum Herrn
eines schönen Schiffes zu machen, und durfte er doch hoffen, bei der
erprobten Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit des jungen Mannes, wie
bei dem guten Herzen und festen Charakter desselben, in ihm einen
würdigen Schwiegersohn zu sehen, in dessen Hand Idalia's Glück fest
begründet sein würde. Bei dieser Betrachtung bedurfte es nicht erst der
flehenden Bitten seiner Tochter, ihn anzutreiben, für ärztliche Hilfe zu
sorgen. Oswald fuhr deshalb nach Husum hinüber und kam am folgenden Tag
mit dem Arzte zurück, den Idalia in der ängstlichsten Spannung erwartet
hatte. Dieser konnte, unbekannt mit dem Seelenzustande des Jünglings,
nur ein gewöhnliches Fieber in dessen Krankheit sehen und sagte, daß
jetzt allein Diät und Pflege, nach einigen Tagen erst Medicamente
nützlich werden könnten.

Idalia mußte sich mit diesem Ausspruche zufrieden geben, so schwer es
ihr wurde. Sie hatte fast die ganze erste Nacht an Godber's Bette
gewacht und konnte nur mit Mühe bewogen werden, selbst Ruhe zu suchen,
als endlich der Kranke nach den heftigsten Phantasien, in welchen sich
die Gefühle, die seine Brust bewegten, in den wunderlichsten Bildern
durch einander wirrten, eingeschlummert war. Godber's Jugendkraft schien
die Krankheit durch einen langen Schlaf überwinden zu wollen. Als er
erwachte, war der Frost des wiederkehrenden Fiebers schon vorüber und
die Hitze begann aufzusteigen, die alten Phantasien mit sich führend.
Idalia saß bereits wieder an seinem Lager. Er blickte starr auf sie hin,
ohne eine Antwort auf ihre Frage nach seinem Befinden. Es schien, als
strenge er sich an, seine Gedanken zu ordnen, und als wäre die vor ihm
sitzende Jungfrau eine ganz fremde Gestalt, die er nicht in den Kreis
seiner Vorstellungen hinein zu bringen vermöchte. Plötzlich zuckte er
zusammen; seine Züge verzerrten sich, wie getroffen von dem Anblick
einer gräßlichen Todesgefahr, und mit dem Ausruf: »dreifach
Meineidiger!« barg er sich stöhnend in die Kissen.

Idalia konnte nur zum Teil erraten, was den Jüngling so tief erschüttert
hatte; auch war sie oft geneigt, Alles für Phantasiespiele des Fiebers
zu halten, die keinen Grund in seinen wirklichen Gefühlen hätten; doch
freute sie sich innig, als in den nächsten Tagen diese Phantasien mit
den Fieberanfällen wiederkehrten und Godber's volle Zärtlichkeit für sie
sich auf das deutlichste aussprach, weicher, hingebender als je zuvor.
Seine körperliche Schwäche milderte den Kampf in seinem Innern. Idalia's
treue Pflege rührte ihn tiefer, mit seinem Wesen übereinstimmender als
alle früheren Zeugnisse ihrer Liebe, wenn diese ihn auch
leidenschaftlicher entzückt hatten. Er gab sich gleichsam seinem Loose
hin, ohne weiter durch die Erinnerung an das Vorhergegangene zu
widerstreben. Nur an ihr haftete sein matter Blick; nur wenn sie neben
ihm saß, war er zufrieden; nur ihr Lächeln erheiterte auch sein bleiches
Gesicht. Wie ein Kind der Mutter folgte sein Auge allen ihren
Bewegungen; und mehr stumm, als wortreich, malte sich doch gerade in
seinem Schweigen die tiefste, vollste Liebe. Gleich wie die Abendröte
nach einem stürmischen Tage der wieder Lebensodem schöpfenden Natur die
lieblichste Färbung leiht, so war über Godber's Wesen nun eine ganz
eigene Milde, Zartheit und Hingebung verbreitet. Diese Wendung seiner
früher mehr heftig bewegten Gefühle ging zum Teil aus wirklich jetzt
innigerer Liebe zu Idalia, zum Teil aber auch aus der ihm freilich nicht
klar bewußten Notwendigkeit hervor, sein Dasein nun ganz mit dem ihren
zu verweben, um den Frieden seines Lebens wieder zu gewinnen.

Auf Idalia's Herz blieb diese Innigkeit Godber's nicht ohne bedeutenden
Einfluß; es hatte der wahren Liebe nie so nahe gestanden, als jetzt.
Diese ungewohnte, nie geahnte und ihrem Charakter fremde Weichheit, die
völlige Verschmelzung aller Gedanken und Gefühle mit dem geliebten Wesen
zog sie unwiderstehlich an, und sie fühlte in einzelnen Stunden
Aehnliches. In einer solchen Stunde sang sie unter Begleitung der Laute,
die sie mit hoher Kunstfertigkeit spielte, und deren Erhaltung im
Schiffbruch sie der Sorgfalt verdankte, mit welcher sie dieselbe, als
ein Mittel, mit ihrem Talent zu prunken, nach jedem Gebrauch wieder
verschloß, das folgende Lied, welches sie auf Godber's Bitte ihm nun
täglich wenigstens einmal vorsingen mußte:

   Was ich einst gewesen,
   Weiß ich's denn noch mehr?
   Kann ich Kunde geben,
   Wie ich anders _wär_?

   War mir Lebenswiege
   Nicht Dein erster Gruß?
   Wie mir Todessiegel
   Wär' Dein letzter Kuß.

   Kann die Blume scheiden
   Sich von Licht und Tau?
   Kann die Welle steigen
   Auf in's ferne Blau?

   Giebt's für Dein Gebilde
   Eine andre Welt,
   Wo Dein Schöpferwille
   Es nicht trägt und hält?

   So nur _Deine_ Gabe
   Geb' ich Dir zurück,
   Wenn ich liebend atme
   Nur in Deinem Glück.

Godber sah in diesen und ähnlichen Ausdrücken die vollsten Beweise der
hingebendsten Liebe, und sie dienten dazu, ihn in dem Bestreben zu
bestärken, sein Verhältnis zu Maria mit dem Schleier völliger
Vergessenheit zu bedecken; wie sie zugleich ihm die unbegrenzte
Erwiderung solcher Liebe gleichsam als eine Pflicht auflegten, an deren
Erfüllung doch auch sein Herz den größten Anteil hatte.

So gingen beinahe vierzehn Tage hin, und bis auf die nach einer solchen
körperlichen und geistigen Aufregung sehr natürliche Mattigkeit war
Godber's Krankheit fast ganz vorüber, und durch sie der Bund der
Liebenden fester als je geknüpft. Zugleich gab die Weise, wie Mander
jetzt über diesen Bund sprach, der Neigung, die bisher dem freundlichen
Traum der Gegenwart als einer flüchtigen Gunst des Geschicks ohne
weitere Erwägung sich hingegeben, die bestimmte Richtung auf die
Zukunft, gab ihr den bräutlichen Charakter in seiner Entschiedenheit des
Bewußtseins.

Idalia betrachtete, obwol sie es sich gestehen mußte, daß auch in ihrer
Brust durch die Liebe zu Godber manche neue Saite angeschlagen sei, doch
diesen gegen die Worte ihres Liedes als _ihr_ Gebilde. Hatte sie ihn
nicht aus einer Beschränkung des Daseins erhoben, in der er sich früher
wolgefallen? Hatte sie ihm nicht eine neue Welt geöffnet, an deren
Pforte kaum sein kühnster Traum ihn ohne sie geführt hätte? Mußte er
nicht in ihr das Gestirn erkennen, das ihm in eine schönere,
genußreichere Zukunft hineinleuchtete, als wozu ihm seine Geburt und
sein bisheriges Leben bestimmt zu haben schien? Daß sie dies klar denken
und darnach, seltene Momente der Vergessenheit ausgenommen, ihre ganze
Stellung gegen den Jüngling beurteilen und ihr Benehmen regeln konnte,
zeigt, wie wenig ihre Brust der echten, weiblichen Liebe zugänglich war.

Vielleicht mochte ein Vorfall am neunten Tage der Krankheit Godber's
noch mehr dazu beitragen, Idalia zu einer scharfen, übersichtlichen
Würdigung ihrer Verhältnisse zurückzuführen.

Es war ein heiterer Nachmittag. Die milde Herbstsonne blickte so
freundlich und warm in die kleine, aber in ihrer lebhaften Färbung und
zierlichen Ordnung recht gemütlich ansprechende Stube hinein. Während
verschiedene Geschäfte alle übrigen Bewohner vom Hause entfernt hielten,
saß Idalia allein an Godber's Lager und bewachte seinen ruhigen
Schlummer. Sein bleiches Gesicht, von dem alle Spuren des rauhen
Seelebens verschwunden waren, während die beginnende Genesung schon ihre
erste leise Röte auf die Wangen gehaucht hatte, erschien, halbbeleuchtet
von einem schrägen Sonnenstrahl, in einem Lichte, das die männlich
schöne Form desselben auf das Anmutigste hervorhob. Sie hatte ihn noch
nie so anziehend gefunden und konnte sich nicht enthalten, mit einem
leichten Kuß seine Lippen zu berühren. Erwachte er auch nicht davon, so
mußte er diese Berührung doch gefühlt haben, denn sie schien, wie das
stille Lächeln um seinen Mund bezeugte, sich mit einem angenehmen Traum
vermählt oder diesen erst hervorgerufen zu haben. Idalia lehnte sich auf
ihren Sitz zurück und ihre Augen mit behaglicher, verschwimmender Ruhe
auf den Schlafenden richtend, fiel sie selbst auch bald in jenen
Halbschlummer, der zwischen Wachen und Träumen die Mitte hält, und in
welchem wir liebliche Erscheinungen der Phantasie bald mit
halbgeöffneten, bald wieder mit geschlossenen Augen anlächeln; gleichwie
das Kind, welches der Mutter freundlich Antlitz über der Wiege weiß, oft
in seinen leisen Träumen durch die kaum gehobenen Wimpern den Blick
durchschimmern läßt zu der Mutter auf.

Befremdet, aber noch ungewiß, ob sie wache oder träume, erhob Idalia
sich aus diesem Schlummer, als sie eine dunkle Gestalt am Ende des
Bettes stehen sah, die mit unverwandtem Blick sie und Godber betrachtete
und bei Idalia's Aufschauen den Finger auf den Mund legte, mit einer
leisen Neigung gegen Godber, seinetwillen um Schweigen bittend. Es hätte
vielleicht dieser Weisung kaum bedurft, da die unerwartete Erscheinung
Maria's, denn diese war es, wie lähmend auf ihre Nebenbuhlerin wirkte;
wozu noch das von Nachtwachen und Seelenschmerz in eine Totenblässe
verwandelte Gesicht der Verlassenen nicht wenig beitrug, sowie die ganze
auf tiefe Trauer deutende Kleidung derselben. Besonders aber gab das
schwarze Tuch, welches um den Kopf geschlungen, Stirn und Kinn fast ganz
verhüllte, und die bleichen Wangen und den matten Glanz der Augen noch
mehr hervortreten ließ, dieser Erscheinung etwas Schauerliches. Maria
hatte den einfachen Goldreif, den Godber noch immer von ihr trug, mit
vorsichtiger Berührung von seinem Finger abgestreift und barg ihn in die
Falten ihres Busentuchs. Dann zog sie den Verlobungsring an ihrer Hand
langsam ab und neigte sich gegen Idalia hin, als wollte sie denselben
ihr geben. Dabei bewegten sich ihre Lippen in dem Versuch, einige Worte
zu lispeln; aber die Zunge versagte den Dienst, nur ein hörbarer Seufzer
drängte sich aus ihrer Brust, eine heiße Zähre fiel auf Idalia's Hand
und der Ring in deren Schooß. Maria aber wandte sich rasch, warf aber an
der Thür noch einen langen, schmerzlichen Blick auf Godber hin, sah dann
mit einem vertrauensvoll bittenden Lächeln Idalia an, als wolle sie ihr
damit Godber's Glück an's Herz legen und -- war verschwunden.

Idalia saß noch lange auf derselben Stelle, ehe eine klare Vorstellung
über das Geschehene sich aus ihren irren Gedanken und wechselnden
Gefühlen losrang. Daß sie das Herz eines liebenden Mädchens gebrochen,
war ihr nun zur vollen Gewißheit und ihr Mitleid im höchsten Grade rege
geworden. Zugleich fühlte sie sich unangenehm in der freien Leitung
ihres eigenen Herzens auf gewisse Weise dadurch beschränkt, daß es ihr
eine notwendige Pflicht geworden war, eine solche Liebe, wie Maria kund
gab, dem Jüngling zu ersetzen, welchen sie jener entzogen. Stimmte auch
diese Pflicht mit ihren Neigungen überein, so war sie doch nun eine
Fessel und darum für diese Neigung nach ihrem Charakter weniger zu einem
Sporn, als zu einem Rückhalt geeignet. Auch verbarg sie vor Godber den
empfangenen Ring und verschwieg ihm sorgfältig das Erscheinen Maria's an
seinem Lager. So brachte sie die Unbehaglichkeit einer Verheimlichung in
ihr Verhältnis zu ihm. Sie mochte heimlich fühlen, daß _ihre_ Liebe
nicht jeder Prüfung gewachsen sei; wie konnte sie das rechte, volle
Vertrauen zu _seiner_ Liebe haben?

Maria wäre wohl kaum je dahingekommen, auf die obenerzählte Weise Idalia
an sich zu erinnern, wenn nicht der Tod ihrer Mutter alle ihre Gefühle
noch höher aufgeregt, als sie es schon durch die Untreue des Verlobten
waren, und ihr eine Spannung gegeben hätte, die sie aus dem einfachen
Geleise ihres sonstigen Ganges hinaustrieb.

Der Arzt, der um Godber's willen die Hallig besuchte, hatte auf Hold's
Bitte auch nach der kranken Witwe gesehen, obwohl ihre Unpäßlichkeit für
wenig gefährlich gehalten wurde. Wie erschrack Hold, als der Arzt ihm
erklärte, daß hier alle Hülfe zu spät komme, und die Alte ihrer
Auflösung rasch entgegengehe. So sollte denn Maria ganz verwaist in
ihrem Schmerze dastehen? Ihr schwererkämpftes Vertrauen zu der
väterlichen Führung Gottes sollte durch einen neuen Schlag erschüttert
werden? Hold suchte sie auf den ihr drohenden Verlust so schonend als
möglich vorzubereiten. Sie nahm zu seiner Verwunderung die allmälige
Mitteilung des ärztlichen Ausspruches mit Gelassenheit auf. Konnte ihr,
nach dem Schmerze, den sie überwunden, noch Etwas zu schwer zu tragen
sein? Sie schien gleichsam dem Himmel trotzen zu wollen, sie noch härter
zu treffen. Nur als Hold sie darauf aufmerksam machte, wie wenig eine
solche Ergebung diesen Namen verdiene, wie sehr sie sich darin
versündige, den Schmerz nicht fühlen zu wollen, den ihr der himmlische
Vater auf's Neue bereite; als er mit scharfem Worte diese Gelassenheit
eine unchristliche, heidnische nannte, da brach sie in Thränen aus und
fragte wehmütig: »Was wollen Sie denn von mir?«

»Ich will,« antwortete Hold, »ein offenes Gemüt, wo der warme
Sonnenstrahl der göttlichen Barmherzigkeit, die sich auch im Leiden
offenbaret, eine fruchtbare Stätte findet; keine eisige, verschlossene
Brust, an welcher die Stürme vorüberwehen, ohne sie zu berühren. Ich
will kindlichen Gehorsam und nicht eigensinnigen Trotz. Ich will Leben
und nicht Tod. Der Herr soll Deine Thränen sehen und Deine Seufzer
hören, daß sich darin kund gebe Deine Demut und Dein Getroffensein von
Seinen Schlägen. In Seinen Himmel hinauf soll Dein Gebet und Flehen
dringen um Kraft und Stärke. Du sollst nicht schweigen vor Ihm, als
hättest Du schon, was du bedarfst. Du sollst lernen von dem Anfänger und
Vollender des Glaubens, dem es ein Geringes gewesen wäre, sich jenen
kalten, harten Gleichmut anzueignen, mit dem Du tragen und dulden
willst, der aber weinte und betete: »Vater ist's möglich, so gehe dieser
Kelch an mir vorüber!« Siehe Maria, es ist ein Geist über Dich gekommen,
der nicht der rechte ist, so sehr er sich auch rühmen mag seiner Geduld
und Stille. Laß uns, die wir einen Vater im Himmel haben, auch zu diesem
Vater kommen in der Traurigkeit, wie in der Freude. Wir wollen traulich
mit Ihm reden, mit der Kinder Offenheit und Herzlichkeit; wollen Ihn
fragen, und Er soll sich verantworten und uns offenbaren, warum Er das
gethan! Und gewiß, wir werden eine Antwort erhalten, wie der Heiland sie
erhielt, als er rief am Kreuze zum Himmel auf: »Gott, mein Gott! warum
hast Du mich verlassen?« und die Antwort hatte, als Er im Verscheiden
betete: »Vater in Deine Hände befehle ich meinen Geist!« Geh' in Dein
Kämmerlein und weine Dich aus vor dem Vater in der Höhe, daß Deine
Thränen nicht mehr wie brennende Tropfen auf eine dürre Stätte fallen,
sondern zum himmlischen Tau werden, der die Wunden Deines Herzens
kühlt.«

Maria's Thränen flossen stärker, und sie sagte endlich: »Ich verstehe es
nun an mir selber, was es heißt: Herr, ich glaube! hilf meinem
Unglauben!«

»Ja, so ist es,« erwiderte Hold. »Das Verständnis der Schrift geht uns
immer erst allmälig auf. Sie würde uns stets ein Buch mit sieben Siegeln
bleiben, wenn die Erfahrungen unseres Lebens nicht hinzukämen und uns
offenbarten die Offenbarungen Gottes in ihrer Fülle, als Worte der
Wahrheit und des Heils. Wir leben uns in die Schrift hinein, und dadurch
wird sie uns wieder zu Licht und Leben. Das bloße Hineinlesen läßt uns
vielfach in der Dunkelheit selbst da, wo wir meinen, klar zu sehen. So
klopfe auch Du nur mit Deinen Erfahrungen, und mit Allem, was Dir noch
bevorstehen mag, an diese heilige Pforte an und sie wird Dir aufgethan
werden. Ein reicher Schatz des Trostes wird Dir offen liegen, und eine
Ergebung in den Willen des himmlischen Vaters wird Dein werden, die da
traurig ist und doch fröhlich, die da zaget und doch überwindet, die da
schmerzlich fühlt, was genommen, und doch selig ruhet in Gott, der es
genommen.«

Maria's Mutter starb, wie sie gelebt, still und fromm. Sie empfing das
heilige Mahl, nicht zu einem bis auf die Todesstunde vorbehaltenen
Ruhekissen des wunden Gewissens, sondern als letzte Versiegelung eines
Glaubens, in welchem sie treu beharret bis ans Ende. Ihr Alter machte
sie unfähig, die Tiefe der Wunde zu beurtheilen, an welcher ihre Tochter
blutete. Weil am Rande des Grabes ihre Gedanken abgelenkt waren von den
irdischen Dingen, und die Eitelkeit unserer zeitlichen Wünsche und
Hoffnungen in solcher Nähe der ewigen Heimat ihr klarer vorstand,
vermochte sie sich nicht mehr in die Gefühle eines jugendlichen Herzens
hineinzuversetzen, das seine Ansprüche auf das Glück dieser Welt nicht
so leicht aufgiebt. Daher fürchtete sie auch nichts für ihre Tochter, um
so mehr, da sie in dem religiösen Sinn derselben eine sichere Gewähr
sah, daß ihr der Trost aus der Höhe nicht fehlen werde, Alles zu
überwinden. Ihr letztes Wort an Maria war die Ermahnung: »Bleibe fromm
und halte Dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohlgehen!« und sie
verschied mit dem Ausruf: »Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!«

So endete eine Frau, die manches Herbe in ihrem Leben erfahren, aber
ihren festen Glauben und innern Frieden nie verloren. Sie schied aus
einer Welt, in der sie nur gar Wenige gekannt hatten, und in der sie
fast allein von ihrer Tochter vermißt wurde; und doch möchte Mancher,
dessen Leben Millionen bewunderten und dessen Nachruhm Millionen feiern,
diese an Geist und Gut arme und in ihrem kleinen Kreise bald vergessene
Witwe um ihren Platz am Throne Gottes beneiden. Wen sein Beruf oft an
Sterbelager führte, und wem da Gelegenheit ward, ein einfach
christliches Gemüt in der Abschiedsstunde von einem ebenso einfach
stillen Leben zu beobachten, dem ist jeder Prunk irdischer Größe
widerlich, selbst da, wo er wahres Verdienst zur Folie hat, und wo dies
Verdienst fehlt, kostet es ihm Mühe, sein Mitleid nicht in Verachtung
übergehen zu lassen.



                                 XII.


   Ach! du gleißest, ohne je zu laben!
   Oede Weisheit einen Augenblick
   Gieb mir nur den Glaubenstraum des Knaben,
   Gieb mein Herz, mein kindlich Herz zurück!

Es möchte vielen Menschen, denen das stille Kämmerlein im Hause fehlt,
und auch den Meisten, welchen es nicht fehlt, recht gut sein, wenn sie
Gelegenheit hätten, auf längere oder kürzere Zeit einmal ganz aus dem
Kreise ihrer bisherigen Umgebung und Thätigkeit herauszutreten, und sie
in einem mußereichen Stillleben sich allein auf sich selbst
zurückgewiesen sähen. Da wird Manches laut, was in dem Gewirre des
täglichen Verkehrs übertäubt wurde, Manches kommt ans Licht, was im
Dunkel des Herzens verborgen schlief, manche Blume keimt hervor, der es
früher an dem ihr willkommenen Boden, an der ihr zusagenden Luft
mangelte, wie zugleich auch in mancher glänzenden Frucht der Wurm
offenbar wird. Wir sind mehr oder minder auch geistig Sklaven unseres
Erdenberufs und des Kreises, in dem wir leben. In den Ketten und Banden,
mit welchen unsere Stellung in der Welt uns umschlingt, verlieren wir
gar leicht Sinn und Kraft für ein freies Um- und Aufschauen aus dem uns
von ihr angewiesenen Gesichtskreise hinaus. Die Anforderungen und die
Genüsse, ja die Vorurtheile des Standes, dem wir angehören, und des
Verhältnisses, in welchem wir zu Andern stehen, üben eine unmerkliche
Herrschaft über unsere Gedanken und Empfindungen und sind eben so viel
Hemmketten für eine reinmenschliche Auffassung unseres Standes in der
Schöpfung und im Reiche Gottes.

Das erkannte Mander auf der Hallig. Es war ihm, als habe er das Kleid
ausgezogen, das er beständig getragen, und wollte er es nun auch wieder
fest um sich wickeln, so blieb doch immer eine Oeffnung, durch welche
ein Geist ihn anwehte, der das alte Gewand nicht duldete. Seither hatte
er geglaubt, er werde endlich einmal in der Philosophie, welcher er alle
seine Nebenstunden widmete, das reine Sonnenbad finden, das ihn zu dem
vollen, freien, übersichtlichen Blick über Göttliches und Menschliches,
Bleibendes und Vergängliches befähige, obwohl er sich gestehen mußte,
daß er es zu dieser Stunde noch nicht weiter gebracht, als bis zu den
Flügelschlägen des seinem Neste noch nicht entwachsenen Vogels, und daß
zwischen dem Suchen nach dem Altarlicht, von dem alle Erleuchtung
ausgeht, und der Verklärung durch dasselbe und in demselben eine weite
Kluft befestigt sei. Jetzt drängte sich ihm nun gar die Frage auf, ob es
der Philosophie überhaupt möglich sei, den Staub der niedern Welt, über
welcher sie richtend thronen wolle, je ganz von sich abzuschütteln? ob
nicht auch auf den scharfsinnigsten Denker seine Zeit, sein Volk, seine
Lebensverhältnisse, seine ererbten Gewohnheiten, die Irrtümer seiner
Vorgänger einen nie völlig zu beseitigenden Einfluß üben mußten? Die
Erfahrung schien diese Frage bejahend zu beantworten. Denn die
vermeintlich höchste Stufe war ja immer nur der Anfang einer höheren
gewesen, und die Philosophie mit ihren wechselnden Systemen glich einer
ewig sich häutenden Schlange. So glänzend auch die neue Haut anfangs
erscheinen mochte, konnte sie doch nicht dem Geschick entgehen, bald als
dunkle abgestreifte Hülle einer andern zur bloßen Folie zur dienen.

Diese Betrachtungen führten Mander zu manchen ernsten Unterredungen mit
dem Pastor, in welchen, wenn Oswald nicht dabei gegenwärtig war, er
jenen allmälig einen offenen Blick in sein in religiöser Hinsicht
unbefriedigtes Herz thun ließ.

»Wie oft,« sagte Mander, »habe ich mich auf ein neu angekündigtes System
der Weltweisheit, wie ein Kind auf die Weihnachtsgabe, gefreut, und wenn
ich durch die schwere Sprache mich zum Verständnis durchgearbeitet, fand
ich nur neue Fragen ohne Antwort, neue Rätsel ohne Auflösung; wohl tiefe
Blicke ins Herz, aber keine Nahrung für das Herz; wohl geistreiche
Untersuchungen, aber keinen lohnenden Fund. Die Philosophen kamen mir
vor wie Schatzgräber, die nach einem Schatz graben, dessen hohler Klang
sie zu immer neuen Anstrengungen reizt, während neckische Geister ihn
immer tiefer vor ihnen versenken.«

»Lassen Sie uns,« erwiderte Hold, »bei einem scheinbaren Nebenumstande
stehen bleiben, bei der schweren Sprache der Philosophen. Im Worte liegt
eine wunderbare Macht. Indem der Mensch einem Dinge einen Namen gibt,
macht er sich dadurch gleichsam zum Herrscher desselben. Es ist nun kein
unbestimmtes Etwas mehr, das seine Gedanken verwirrt und sich denselben
jeden Augenblick frei entziehen kann; nein, es ist gebunden unter dem
Gehorsam seines geistigen Anschauens und muß ihm Rede stehen, sobald er
es bei seinem Namen ruft. Es liegt ein tiefer Sinn darin, wenn nach der
biblischen Schöpfungsgeschichte Gott dem Menschen die Tiere vorführt und
ihn sie nennen läßt. Damit war diesem eine feste Herrschaft über sie
gegeben, weil nun mit dem Worte sogleich ihre Gestalt, ihre
Eigenschaften, ihre Triebe in einem Gesammteindrucke vor die Seele
traten, und er nun ihre Aehnlichkeit und Unähnlichkeit, ihre
Nützlichkeit oder Schädlichkeit mit einem Blicke übersehen konnte. So
sind wir auch dann erst einer Vorstellung wirklich mächtig geworden,
wenn wir für sie das entsprechende Wort gefunden. Unser Denken ist
Sprechen, sei es nun allein ein Sprechen in uns, oder auch zugleich für
unser Ohr. Um nun Gottes mächtig zu werden, wie die Philosophie es will,
welche die göttlichen Dinge in den Bereich des menschlichen Wissens
herunterzieht, müßten wir auch eine Sprache haben, die Seiner mächtig
wäre. Fehlt aber diese Sprache uns, und ich meine die hohle,
geschraubte, die gleich einem lebendig Begrabenen unter dem
Leichensteine sich windende Sprache der bisherigen Philosophie gibt uns
sattsam Kunde, daß sie uns fehle, so dürfen wir auch von dieser
Philosophie keine Aufschlüsse über die göttlichen Dinge erwarten.« --
»Und dürfen gar keine erwarten!« seufzte Mander; »denn jeder Aufschluß
muß uns doch durch eine Sprache zukommen?«

»Mit keiner Menschensprache,« entgegnete Hold, »wohl aber mit der
Gottessprache, mit dem Glauben.«

Mander schüttelte schweigend den Kopf.

»Halten Sie es für so wunderbar,« fuhr Hold fort, »daß Gott, der
Unsichtbare und Unendliche, einen andern Weg nimmt, sich uns zu
offenbaren, als auf welchem die sichtbaren und endlichen Dinge zu
unserer Vorstellung kommen? Diese können wir besprechen, dies Wort
zugleich im Sinne des Schlangenbeschwörers genommen, wir können sie
ergreifen, umfassen, uns ihrer bemächtigen mit dem Vermögen des Geistes,
das seinen Ausgang und die Spitze seiner Kraft im Worte hat. Sollte dies
Vermögen, dessen Entwickelung und Vollendung von der Sprache bedingt
wird, auch darum hinreichen, Gott eine Stätte in unserm Staube zu
bereiten, daß wir ihn betrachten, haben und halten, als einen mit der
Meßrute unserer Vorstellungen zu messenden, in den Banden unserer
Begriffe zu fesselnden, als einen zu besprechenden Gegenstand? Dürfen
wir nicht vielmehr schon im Voraus erwarten, daß wenn Er von uns erkannt
sein und unser werden will, Er auf einem andern Wege erkannt und unser
wird? Der Glaube ist nun die Art und Weise, wie Gott zu uns kommt und
wir zu Ihm kommen; er ist die Sprache, in der sich Himmel und Erde
allein verstehen, und wir heben dies Verständnis zwischen Beiden auf,
und verlernen, uns selbst und Andern verständlich zu reden, wenn wir in
der Sprache, mit welcher wir uns das Irdische gleichsam zur Anschauung
bringen, ein Mittel zur Anschauung Gottes zu haben glauben.«

»Reden Sie aber auch nicht als Prediger von Seinem Wesen, Seinen
Eigenschaften, Seinem Walten?«

»Wie ich vom Geiste rede,« sagte Hold; »nur immer in Rücksicht auf
körperliche Dinge; von seiner Unsichtbarkeit, Unteilbarkeit und in
Rücksicht auf sein Hervortreten im Glauben. Nie kann es mir einfallen,
ihn davon gesondert, als einen nackten Begriff in das Wissen meiner
Zuhörer einführen zu wollen. So auch mit Gott. Die Predigt nennt Ihn
Schöpfer, Erhalter und Regierer; sie weiset Ihn nach in allen Seinen
Zeugnissen, in der Natur, in den Fügungen des Erdengeschicks, im
Glauben, im Gewissen der Menschen, in der Offenbarung; aber auf diese
Weise ebnet sie Ihm nur die Wege zum Menschenherzen, will nicht selbst
dieser Weg sein; ja wäre nicht Gott schon vor ihr die Straße gewandelt,
dann würde ihr Ebnen und Bahnen Ihn nicht des Weges führen. Darin, meine
ich, versieht es nun eben die Philosophie. Sie stellt sich hin als Weg
zu Gott; sie greift dem heiligen Geist ins Amt und verwaltet es gar
schlecht, weil sie Sein Werkzeug, den Glauben, entweder gar nicht, oder
nur als Notbehelf benutzt, nicht als alleinige Himmelsleiter, nicht als
das alleinige Bindemittel zwischen dem, was droben ist, und dem, was
unten ist.«

»Spricht aber der Glaube klar und deutlich genug in Aller Herzen?«
entgegnete Mander. »Muß nicht die Philosophie das Heer der Irrtümer
bekämpfen, das sich in die Vorstellungen von Gott hineindrängt? Muß sie
nicht fortwährend an einem Damm gegen den Aberglauben bauen, der gleich
einem drängenden Meer immer von Neuem die Menschheit zu überfluten
droht? Hat sie darum nicht immer die Anstrengungen der edelsten Männer
beseelt?«

»Lassen Sie mich,« war Hold's Erwiderung, »auf das Letzte zuerst
antworten. War in der Rede der Propheten: »Der Herr spricht!« war in dem
Worte Jesu Christi: »Meine Rede ist nicht mein, sondern Deß, der mich
gesandt hat!« Philosophie? Ja, ist selbst nur des Sokrates Dämon, oder
ist in Platon's Mythen Philosophie? Ist nicht vielmehr in diesem Allen
der Rede von Gott das Sprechen Gottes als vorausgegangen angegeben?
Liegt darin nicht die Weisung für unsere Philosophen, daß
Verstandeserzeugnisse keine Offenbarungen von den Tiefen der Gottheit
geben, die Niemand erforscht, denn der Geist Gottes, und wem Er es
offenbaren will? Was Sie aber von der Philosophie als Damm gegen den
Aberglauben sagen, so hat ja Der, welcher in die Welt kam, das Licht der
Welt zu sein, und dessen Lehre, Sie mögen von seiner Person denken, was
Sie wollen, der mächtigste Damm wider den Aberglauben gewesen ist,
mächtiger, kräftiger wehrend, als alle Schulsysteme zusammen, weder in
Hörsälen gelernt und gelehrt, noch die dunkle und verschrobene Sprache
der Hörsäle geredet. Er hat ja immer bezeugt, daß Er nicht aus sich
selber rede, sondern nur verkünde, was Gott ihm gegeben zu verkünden.
Was aber die Irrtümer betrifft, welche die Philosophie bekämpft, so
müssen Sie gestehen, daß sie, wie die sich einander bekämpfenden
Philosopheme schon zeigen, in ihrem Kampfe gegen diese Irrtümer selbst
die Wahrheit noch nicht gefunden hat, und oft Irrtümer hervorruft, die
noch schädlicher sein würden, als die bestrittenen, wenn das Gift nicht
eben in der schweren Zunge der geistigen Giftmischer sein Gegengift
fände. Wenigstens haben Sie selbst schon gestanden, daß die Philosophie
Ihnen den Frieden zu geben nicht fähig sei und also für Sie ihren Zweck
verfehle.«

»Das eben ist es, was mich so sehr verstimmt,« sagte Mander. »Ich kann
nicht hinleben und mich wie ein Maulwurf in die Erde hineingraben. Ich
werde von einer ruhelosen Gewalt aus diesem kleinlichen Zeittreiben, aus
diesem eklen Sinnengenuß, aus dieser niedern Weltsorge herausgetrieben
und muß immer wieder fragen und seufzen: was ist Wahrheit? und immer
wieder ausschauen und mich sehnen nach dem Licht, das wie ein Irrlicht
mich auf falsche Wege führt, nach dem Frieden, der mich lockt und mich
flieht.«

»Ei, so wirf denn einmal weg, was Du weißt und nicht weißt!« rief Hold
eifrig. »Hinweg mit dem alten Gewande all' Deines Forschens und
Grübelns! Gieb einmal wieder hin dem Vater im Himmel ein kindlich
offenes Herz, das Nichts will, als empfangen. Tauch einmal wieder empor
mit freiem Geist aus den Abgründen, in die Du Dich versenkst, und schäme
Dich des Flehens und der Thränen nicht, und wahrlich! auch Du wirst es
erfahren, daß die Sterne Augen und Thränen haben für solch ein
suchendes, sehnendes Menschenherz, daß noch immerdar Tau vom Hermon
fällt auf die Berge Zions! -- Glauben Sie mir, Mander, wir sollen nur
fernhalten, was hindert und wehret, sollen nur nicht das Glas über die
Blume setzen und meinen, daß ihre Ausdünstung sich wieder zum
erquickenden Tau für sie bilde. Nein, wir sollen die Blume hinstellen
unter Gottes freien Himmel, und die Erquickung wird ihr nicht fehlen.«

Mander fühlte sich von der begeisterten Rede des Pastors getroffen, in
seinem Auge zitterte eine Thräne, und die Rührung der Pastorin, die
ihrem Gatten die Hand drückte und sich nach einem Blick der vollsten
Liebe an dessen Brust neigte, erhöhte noch seine Gefühle. Er konnte
nicht gleich antworten, und nur als die Pastorin, wie zwischen den
beiden Männern vermittelnd, sagte:

»Es möchte dem Manne nicht immer so leicht sein, als es dem weicheren
Frauengeschlecht ist, sich und sein Wissen zu vergessen und die
Selbstthätigkeit des Geistes in die Empfänglichkeit des Herzens aufgehen
zu lassen,« erwiderte er:

»Nein, glauben Sie mir, nie sind meinem Leben solche Stunden ganz fremd
geworden, in denen alle Zweifel und Fragen überwältigt wurden vom
religiösen Gefühl, und ich habe nie aufgehört, sie als Feierstunden
meines Lebens zu lieben und zurück zu wünschen. Doch, daß sie eben nur
Feierstunden in den langen Werktagen, nur Strahlen in die Nacht hinein,
nicht die Morgenröte einer schönen Zukunft waren, das ist es, was mich
betrübt, ja, mich mißtrauisch gegen sie macht. Wie denn auch diese
dunkeln, unbestimmten Gefühle, die wir nicht leiten und ordnen können,
die uns vielmehr wie eine fremde Macht fortreißen, uns unmöglich ein
auch für ruhigere Betrachtung befriedigendes Gottesbewußtsein geben
können.«

Hold's Antwort hierauf war:

»Warum nennen Sie auch Das, was in solchen Feierstunden Sie bewegt,
Gefühl? Ich würde es viel lieber eine Pfingstpredigt nennen, die der
Herr Himmels und der Erden in seinem Erbarmen über Ihren schwachen
Glauben Ihnen hält. Das Wort Gefühl läßt uns schon von vornherein an
Dunkelheit, Unbestimmtheit, Unverläßlichkeit denken; wir deuten es als
etwas uns Eigenes, ja Sinnliches. Doch erinnern Sie sich dessen, was ich
vorhin sagte von der Sprache, in der Gott seinen Kindern im Staube
offenbar wird. Nehmen Sie jene religiöse Erregung, jene andächtige Feier
in Ihrem Innern, als diese Sprache Gottes, wie Sie selbst ihren Eindruck
mit einer fremden Macht vergleichen, und Sie werden ihr mehr Vertrauen
schenken. Wenn die Brust aufwallt, wie von einem neuen, frischen
Lebensodem gehoben, wenn ein Beben durch die Gebeine geht, als spürten
auch sie die Geisternähe mit empfänglichem Sinn, wenn die Thräne in's
Auge heraufquillt aus dem innersten Herzen, wenn die Seele von einer
Fülle überströmt wird, in der sie sich so reich und so selig fühlt, wenn
der Geist frei und rein aufatmet, als sei er aller Schranken und
Schlacken bar, warum wollen wir es in solchen Augenblicken leugnen und
nicht bekennen: Der Herr spricht! Wie soll denn der ewige Geist sich dem
endlichen Geiste anders ankündigen, als durch ein solches
Insichaufnehmen, das mit einer Ueberwältigung der Staubeshülle verbunden
sein muß und daher ganz andere Empfindung erzeugt, als dieser sonst
eigen sind. Der zweideutige Ausdruck: religiöses Gefühl, nimmt solchem
Nahen und Walten des heiligen Geistes den Wert für uns und den Einfluß
auf uns zur Erleuchtung, Heiligung und Beseligung.«

»Könnte nicht jene Aufregung und Erhebung der Andacht auch Täuschung
sein, eine Folge unserer aus der Kindheit herübergenommenen, vielleicht
falschen Vorstellungen von Gott.«

»Ist es Menschenwerk,« antwortete Hold, »unser Selbstwerk, das uns
treibt in solchen Stunden, woher denn die über alle unsere sonstigen
Sinne und Gefühle weit hinausgehende Erhebung? Nur uns Aehnliches können
wir erzeugen, nur steigern, was wir haben, nur einen Schritt weiter uns
fortbewegen auf unserm Geleise; nicht die Tiefe überspringen, nicht das
Neue schaffen. Ich frage aber Sie, ich frage Jeden, dem einmal solche
Andachtsfeier aufging, ob er nicht ein ganz Anderer war denn zuvor? ob
der alte Mensch nicht zurücksank wie ein Gewand, und ein Neues in ihm
geboren wurde, wodurch er selbst eine neue Creatur ward voll Licht und
Leben, so lange, bis die vorige Finsternis wieder über ihn kam, und er
sich wieder erkannte in dem alten Gewande? Wer kann aber solch Neues
schaffen, als der alleinige Schöpfer?«

»Dieses Alles zugegeben,« sagte Mander: »so ist damit noch keine Frage
beantwortet. Auch bei mangelhaften religiösen Vorstellungen mögen solche
Momente der Weihe nicht fehlen. Sie sind vielleicht eine Offenbarung der
Gottheit; aber eine Offenbarung, wodurch für das Wissen von Gott Nichts
gewonnen ist.«

»Es ist wenigstens Freude, Friede, Seligkeit für Augenblicke gewonnen,
und die Gewißheit, daß Gott Wege hat zum Menschenherzen, die nicht wie
unsere Wege zu Ihm voll von Steinen des Anstoßes sind. Es ist das
Vertrauen gewonnen, daß Er Sein Kind im Staube nicht lassen wird in
Irrtum und Verblendung, sondern aus Seiner Fülle geben wird, was
demselben zu wissen not ist, um der rechten Empfänglichkeit für Seinen
heiligen Geist nicht zu ermangeln, um aus jenen Weihestunden die rechte
Frucht mit in's Leben hineinzunehmen. Ja, Seine freie Gabe soll es sein,
was wir von Ihm wissen, nicht das zweifelhafte, schwankende, trügliche
Ergebnis unserer Forschungen.«

»Ist aber nicht auch die Vernunft Gottes Gabe?« bemerkte Mander. »Und
wenn wir sie als das Mittel unserer Erkenntnisse von Gott annehmen, so
leiten wir damit ja all' unser Wissen in den göttlichen Dingen, wenn
auch nicht unmittelbar, doch am Ende nur aus einer und derselben Quelle
mit den Offenbarungsgläubigen ab.«

»Dem Licht des Tages,« entgegnete Hold, »dankt unser Auge das Vermögen
zu sehen; will es aber in die Sonne schauen, dann sinkt es geblendet
zurück. Es war vorzüglich unserer Zeit vorbehalten, eine Offenbarung
Gottes an die Menschen außerhalb der Grenzen der Vernunft zu leugnen.
Wir treffen das: Der Herr spricht! sonst in allen Religionen der Erde.
Wollen Sie mir dagegen bemerken, das komme daher, weil die ungebildete
Vernunft über ihren selbstgemachten Gewinn erstaunt und sich nicht
selbst die Ehre zuzuschreiben wagt, oder weil die einzelnen Weisen
meinten, eine göttliche Autorität erlügen zu müssen, um Leiter des
blinden Volkes zu werden, so kann ich ebenso wahrscheinlich sagen: es
kommt daher, weil man eben wußte, eine göttliche Offenbarung empfangen
zu haben. -- Doch warum reden wir denn über diese Dinge? Ist es nicht,
weil Sie die Höhen und Tiefen, die Länge, Weite und Breite des Gebiets
der Vernunft durchwandert haben und nun kommen und fragen: was ist
Wahrheit?«

»Wandeln aber nicht so Viele in Frieden ihren Weg und halten sich an die
Vernunftreligion?«

»Nennen Sie diese unbestimmten Ideen von Gott, Freiheit des Willens und
Unsterblichkeit Vernunftreligion, so vergessen Sie nicht, daß es eben
noch ausgemacht werden soll, ob diese Ideen denn Gaben der Vernunft
sind, und nicht vielmehr ein Raub an der Offenbarung begangen. Und woher
denn der Friede dieser Vielen? Eben weil sie gar keine weitere Nahrung
suchen über diese zufällig aufgerafften Brosamen hinaus, oder weil sie
ihre Vernunft, die nach hellerem Lichte aus dem Halbdunkel hinausstrebt,
ängstlich in Zügel halten, als wäre sie ein scheues Roß, das mit seinem
Vorwärtsrennen den Reiter in einen Abgrund stürzen könnte. Wie oft hört
man das Wort: >Darüber muß man nicht weiter nachdenken, sonst könnte man
den Verstand verlieren.< O, du gerechter Himmel! Ueber das Band, das
mich halten soll in der Gemeinschaft mit dem Ewigen, über das Licht, das
mein Leben auf Erden verklären soll zu einem Wandel der Kinder Gottes,
über den Pfad, der mir die Brücke bauen soll über der Zeit
Vergänglichkeit und des Todes Verwesung hinweg zum ewigen, seligen
Leben: darüber sollte ich mich scheuen, weiter zu denken? in diesen
Dingen klar zu schauen mich fürchten? vor tieferem Aufschluß mich
ängstlich zurückziehen? Wo es sich um die Anbetung Gottes im Geist und
in der Wahrheit handelt, wo mein eigentliches Sein, meine Zuversicht im
Leben und im Sterben, mein Heil in Zeit und Ewigkeit in Frage steht: da
sollte ich mir das Schicksal der Mücken zur Warnung dienen lassen, die
ihre Flügel an den Flammen versengen?«

»Aber ist dies nicht oft das Schicksal Derer geworden, die weiter
forschten?« meinte Mander. »Wenn sie es auch nicht selbst empfunden
haben in der Leidenschaft für ihre glänzenden Systeme, so spricht es
sich doch aus in dem schnellen Wechsel derselben, in den Widersprüchen,
die darin offenbar werden, in dem geringen Einfluß ihrer Weisheit, die
kaum in wenigen Jüngern fortlebt und sich in denen schon anders
gestaltet, als sie aus dem Haupte des Meisters, eine scheinbar so wol
gerüstete Minerva, hervorging.«

»Was bedürfen wir weiter Zeugnis?« erwiderte Hold. »Sind wir nicht zu
der Notwendigkeit einer göttlichen Offenbarung gekommen?«

Vielleicht hätte das Gespräch noch bis tief in die Nacht hinein
gedauert, wenn nicht Oswald gekommen wäre, um seinen Vater abzuholen, da
es schon sehr spät geworden war. Die Pastorin gestand, daß sie sich
freue, die Fortsetzung einer solchen Unterhaltung verschoben zu sehen,
da sie nicht lassen könne, zuzuhorchen und doch merke, wie solche
Untersuchungen erkältend auf ihr Herz wirkten.

Oswald sagte lachend: »Gewiß läßt mein Vater sich noch von Ihnen
bekehren, Herr Pastor. Aber ehe ich vor Bileams Esel meine Kniee beuge,
müßte mein Haar so grau werden, wie die Haut des Esels vermutlich war.«

Sein Vater warf ihm einen unwilligen Blick zu und hätte ihm mit hartem
Wort seinen unziemlichen Spott verwiesen, wenn nicht Hold rasch das Wort
genommen:

»Halten Sie Ihrem Sohn ein wenig Derbheit zu Gute. Er giebt nur auf
seine Art wieder, was er in meiner Art davon bei unserer letzten
Unterredung hat erfahren müssen. Uebrigens möchte ich,« fuhr er, zu dem
über diese Anspielung lächelnden, aber doch errötenden Oswald gewendet,
fort, »daß Ihr Haar recht bald so grau würde, wie Sie es haben wollen,
um Ihr Knie zu beugen, wenn auch nicht vor Bileams Esel, doch vor Dem,
den ein gleiches Tier trug, als Er einzog in Jerusalem, keinen
gezwungenen, sondern einen freiwilligen Segen zu bringen, nicht einem
Volke, sondern allem Volke.«

»Verzeihen Sie, Herr Pastor,« erwiderte Oswald, »wenn ich mich zu hart
ausdrückte. Aber es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie vernünftige
Menschen keinen Anstoß an solchen Erzählungen im sogenannten Worte
Gottes finden.«

Hold antwortete: »Halten Sie den Spruch: >Du sollst lieben den Herrn,
Deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte;<
oder den andern: >Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was
keusch, was lieblich, was wollautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein
Lob: dem denket nach,< für gute und reine Lehre?«

»Ja, gewiß.«

»Nun, dann thun Sie, was diese Sprüche sagen. -- Wie würden Sie einen
Menschen nennen, der an einer mit köstlichen Speisen reichbesetzten
Tafel deswegen vorüberginge, weil er ein Gericht bemerkt, an dem er
keinen Geschmack finden kann?«

»Ich werde mich wol hüten,« lachte Oswald, diesen Menschen einen Narren
zu heißen; sonst schickten Sie mich mit der Extrapost meines eigenen
Wortes in's Tollhaus. Aber Sie werden doch auch zugeben, daß Ihre
verfängliche Frage eben nur ein Ausweichen und kein Antworten ist.«

»Lassen Sie mich bei dem Bilde bleiben,« entgegnete Hold. »Der Gast, der
sich an die für ihn bereitete Tafel setzt und seinen Hunger und Durst an
den Speisen, die er loben muß, stillet, der mag wol fragen, was es mit
der einen Speise bedeute, die ihm geschmacklos vorkommt. Wer aber um
ihretwillen alle andern auch verschmäht, der hat kein Recht zur Frage.«

»Abgeführt!« rief Oswald, drehte sich auf dem Absatz herum und entfernte
sich mit seinem Vater.



                                XIII.


   Um zu nehmen, mußt Du geben.
   Siehst Du auf Dich selbst zurück,
   Flieht Dich das gehoffte Glück.
   Nur für Opfer zahlt das Leben.

   Kindlein in des Meeres Wiege,
   Eiland an der Wellen Brust!
   Scholle Du im Weltgebiete,
   Meine Heimat, meine Lust!

   Keine Waldung Dich verhüllet,
   Dich kein Felsengürtel hält,
   Rings umher die Wasserfülle,
   Ueber Dir des Himmels Zelt:

   Legst Du offen Dein Gelände
   Hin vor Gottes Angesicht,
   Kennst im Kampf der Elemente
   Andre Wehr und Waffe nicht.

   Friede wohnt in Deinen Hütten,
   Deine Armut ist Dein Glück;
   Treu blieb hier der Väter Sitte
   In der Enkel Kreis zurück.

   Frömmigkeit und Tugend heimen
   Gern an Deinem stillen Herd,
   Wo kein Gut, das Andre neiden,
   Wo kein Herz, das Mehr begehrt.

   Kindlein in des Meeres Wiege,
   Eiland an der Wellen Brust!
   Menschen schiffen kalt vorüber;
   Doch der Engel weilt mit Lust!

Diese Verse fand Godber auf einem losen Zettel, der als Merkzeichen in
einem der Bücher diente, welche Mander von Hold geliehen. Es mußte ihn
dieses einfache Lied mächtig ergreifen, weil der Inhalt so ganz aus
seinem Herzen genommen war. Er las es fast nie ohne Thränen, und hätte
gern gegen den Pastor, der es allein verfaßt haben konnte, seinen
innigsten Dank für dasselbe ausgesprochen, wenn ihm nicht dieser bei
jedem zufälligen Zusammentreffen eine Scheu eingeflößt, wie die des
Schuldbewußten vor seinem Verkläger. Den Schluß der Verse: »Doch der
Engel weilt mit Lust!« wandte er auf Idalia an, und sie ließ sich auch
dies gefallen, weil seine Liebe ihr die Tage wirklich recht angenehm
machte, und sie ja wußte, daß die Zeit ihres Aufenthalts auf der Hallig
nicht mehr so lange dauern würde. Sie konnte daher auch auf seine
Darstellungen von dem künftigen Zusammenleben auf seinem heimatlichen
Eilande auf eine Weise eingehen, die es ihm lange verbarg, wie sie nur
Träume in diesen Gemälden eines so genügsamen und weltverachtenden
Glückes sah. Hätte sie es im Geringsten nur für möglich halten können,
daß Godber bei der Wahl zwischen ihrem Besitz und dem Verlust der Heimat
im Ernst schwanken würde, dann würde sie sich stolz, ja verächtlich,
wenn auch mit wundem Herzen, von ihm zurückgezogen haben. Fühlte sie
sich auch auf dieser öden Flur glücklicher, als je früher im Glanz der
Welt, so dankte sie dieses Glück ja doch keineswegs dieser ärmlichen
Scholle, sondern der hingebenden Liebe des Jünglings, von dem sie
annahm, daß ihm außer ihr Alles gleichgültig sei. Gefiel sie sich auch
in der Lebensweise, die sie jetzt führte, so war es doch nur der
augenblickliche Reiz des Ungewohnten, des von ihren sonstigen
Verhältnissen gänzlich Abstechenden und das Anziehende der
hausfräulichen Sorge. Für die Unterhaltung weniger Wochen war dies Leben
gut genug, mochte immerhin als eine neue Art von Badereisen gelten; aber
für immer auf diesem Fleck zu bleiben, der Entbehrung und Entsagung
aller Lebensgenüsse von seinen Bewohnern fordert, wo das Leben selbst
immer auf der Spitze der Gefahr schwebt: das war ein Gedanke, der ihr zu
fern stand, als daß sie ihn in der Seele eines Andern vermuten konnte,
dem ein Tausch möglich war, und noch dazu ein Tausch, der alles Glück,
das Liebe, Reichtum, Weltverkehr geben konnte, in die Wagschale legte.

Wenn wir aber Godber mit dem Gedanken hätten vertraut werden lassen, für
jenes Glück seine Heimat aufzugeben, dann würde in ihm kein echter
Halligbewohner gezeichnet sein.

Wir haben die Hallig, welche der Schauplatz unserer Erzählung ist, in
einer Zeit gesehen, als die eine Hälfte der Wohnungen von den Fluten in
Trümmerhaufen an den Deichen des festen Landes aufgedämmt und die andere
Hälfte, nur noch bloße Pfahlgerippe darstellend, allein an dem Dache als
gewesene Wohnungen kenntlich war; als ein einziges Haus auf der
durchlöcherten Werfte kaum noch so weit stand, daß es zu einer Zuflucht
der dem Wellentode Entronnenen dienen konnte; als die Aussicht auf die
nächste Hallig nur einen kahlen Fleck zeigte, von dem Werfte, Häuser,
Herden und Menschen in einer Nacht hinweggespült waren, ohne eine Spur
ihres Daseins zu lassen. Wir haben Die, denen das nackte Leben kaum eine
dankenswerte Gabe heißen konnte, mitten in der grausen Zerstörung, worin
sie Alles eingebüßt, in der vollen Lebendigkeit der Schreckenserinnerung
an die furchtbare Nacht, mit dem Eindruck, den Frost, Hunger, Nässe auf
den Körper und durch ihn auf die Seele machen; wir haben sie in diesem
Zustande gesprochen, wir haben es ihnen vorgehalten, wie die nächste
Nacht die Verwüstung in dem Untergange Aller vollenden könne, und
konnten nur zwei hochbejahrte Leute, die allein standen und zu schwach
waren, sich ein Bretterdach aufzuschlagen, dazu überreden, ein sicheres
Asyl anzunehmen. Alle andern blieben, und bauten, als später die
wahrhaft christliche Mildthätigkeit der Hohen und Niedrigen, der Reichen
und Armen im Lande es erlaubte, sich auf der geliebten Scholle wieder
an. Sie hätten Wohnungen haben können, wo sie es wünschten, so reichlich
flossen die Unterstützungen; aber sie fühlten wol, daß Heimweh ihnen den
Tod bringen würde auch auf den gesegnetsten Fluren. Sie sprachen sogar
den Wunsch aus, daß wir für immer bei ihnen bleiben möchten, und in
ihrer Vorliebe für ihre Heimat meinten sie nicht, damit ein Opfer zu
verlangen, wogegen sich unsere Ansprüche an das Leben sträuben könnten;
denn für sie war eine Hallig, selbst nach den neuesten Erfahrungen, doch
eine Stätte, die alle Wünsche befriedige.

Dies mußten wir hier einschalten, um es dem Leser begreiflich werden zu
lassen, wie Godber dem Gedanken so fern stand, die Hallig wieder zu
verlassen, und wie er sich schmeicheln konnte, Idalia werde diese Heimat
gern mit ihm teilen. Lange konnte freilich diese Täuschung nicht währen,
und Oswald war der erste, der dem Träumer die Augen öffnete.

»Wenn man hier nur eine alte Mähre herüberbringen könnte!« äußerte Jener
einmal bei Tische. »Es geht gar zu langsam mit dem Transport der Güter.
Sollen wir ebenso langsam in die Frachtschiffe einschleppen, wie wir aus
dem Wrack herausgeschleppt haben, so kann der Winter kommen und uns mit
diesem »Kindlein in des Meeres Wiege« in Eis und Schnee einwindeln bis
zum Frühling. Auch wäre es gut, wenn mein künftiger Herr Schwager sich
ein bißchen in der Reitkunst üben könnte.«

»Hier bedarf es keiner Reitkunst, und hier werd' ich künftig an der
Seite meiner Idalia leben, hier sterben,« erwiderte Godber.

Oswald sah erstaunt bald auf ihn, bald auf Idalia, die auch in dem Tone,
mit welchem Godber sprach, nicht den Scherz finden konnte, der doch
notwendig in seinen Worten liegen mußte.

»Idalia hier!« rief Oswald aus, als er wieder Worte fand für seine
Verwunderung. »Hier, auf dieser einsam treibenden Rübe im weiten Kessel
des Oceans! Hier auf dieser Amphibie, von der man nicht weiß, ob sie ein
Landtier oder ein Seebutt ist! Hier in dieser Stube voll Himmelblau und
Purpurrot! Hier bei dem ewigen Theetopf und seinen treuen Gevattern:
Schafskäse und Schwarzbrot! Hier Idalia die Königin der Bälle! die
Herrscherin im Herzgebiete der Männerwelt! die Entzückung und
Verzweiflung von hundert Anbetern! die unbestrittene Siegerin im Kreise
der Modedamen! Das war ein köstlicher Gedanke von Dir, Godber, über den
ich in acht Tagen mich nicht ausgelacht habe.«

Godber wandte sich vor Unwillen errötend von ihm, und zuversichtlich
Idalia's Hand ergreifend wiederholte er ihr mit dem zärtlichsten
Ausdruck ihres eigenen Liedes:

   »Giebt's für _Dein_ Gebilde
   Eine andre Welt,
   Wo Dein Schöpferwille
   Es nicht trägt und hält?«

Es blieb den Worten nach zweifelhaft, ob er darin _seine_
Bereitwilligkeit, ihr überall zu folgen, oder ihre Gesinnung mit ihrem
eigenen Ausdruck darlegen wollte. Er glaubte in ihrer Seele zu reden, da
er ja auch nur ihre Sprache gebrauchte, die ihn so oft als Bestätigung
seines höchsten Wunsches entzückt hatte. Sie aber, -- ob ganz ohne
Ahnung, daß es im Widerspruch mit seiner Meinung sei, wollen wir nicht
entscheiden, -- nahm die Worte für die Sprache _seines_ Herzens, und
noch ohne dies ganz offen auszusprechen, sagte sie:

»Unsere Liebe wird uns jeden Fleck der Erde zur angenehmen Heimat
machen, so mir, wie _Dir_.« Die scharfe Betonung des: »wie Dir«, traf
Godber's Herz wie ein Schmerzensstich, in seine Wangen stieg eine dunkle
Röte auf, und mit einer Frage auf den Lippen haftete sein Blick lange
und ernst auf Idalia. Das Wort aber blieb auf seiner Zunge und scheute
sich hervorzutreten, gleichsam im bangen Vorgefühl des verletzenden
Widerspruchs, den es finden würde. Sie hielt seinen Blick lächelnd aus,
und eine leichte Berührung seiner Lippen mit ihrer Hand drängte seine
Frage ganz zurück. Oswald dagegen ließ das Gespräch nicht so schnell
fallen.

»Das klingt wie ein Schäferroman,« lachte er; »und ich habe eben Nichts
dagegen, obgleich ich kein Myrtill bin und eine Daphne anbete; wenn nur
nicht von einer Hallig die Rede wäre, die kaum ein liebendes
Seehundspaar wohnlich finden würde.«

Mander, der bisher dem Gespräch wie einem Scherz zugehört, erinnerte
seinen Sohn, daß sie gar keine Ursache hätten, von diesem Eilande
verächtlich zu reden, dem sie nächst Gottes Hülfe und Godber's Mut und
Geschicklichkeit ihre Rettung verdankten, wo der Friede, dem Tausende in
großen Städten bis an ihr Ende vergeblich nachjagten, bei allen
Bewohnern von der Wiege bis in's Grab heimisch zu sein schiene.

Godber ergriff freudig das Lob seiner Heimat. »Nicht wahr,« rief er,
»ist das Leben hier nicht schön? Gerade diese mannigfachen Entbehrungen,
diese Abgeschiedenheit von der Welt, dieser Mangel an äußern Reizen
führen den Menschen auf sich selbst zurück und lehren ihn in seiner
eigenen Brust, in seinem kleinen häuslichen Kreise sein Glück finden,
das eben darum ein sicheres, dauerndes ist, weil es unabhängig von
Außendingen seinen Grund und Boden, wie seine Nahrung in dem Menschen
selber hat. Selbst die Gefahren, die mit diesem Aufenthalt verbunden
sind, dienen nur dazu, den kindlich demütigen und gläubig ergebenen Sinn
in uns zu erhalten, aus welchem Vertrauen und Zuversicht, und freudiges
Aufschauen zum Vater in der Höhe hervorgehen. Hier wird der Mensch
wieder Mensch und streift all' die bunten Flitter ab, die ihm doch am
Ende mehr Sorge als Freude machen. Hier ist er frei von den Ketten, die
ihm die große Welt da draußen schmiedet durch tausend Bedürfnisse und
Gewohnheiten, von denen sein Herz nichts weiß und nichts zu wissen
braucht, um glücklich zu sein; ja die er selbst nur zu oft als
Hemmketten fühlte, ohne vor der Welt es wagen zu dürfen sich ihrer zu
entledigen. Hier ist er, was er ist; nicht Das, wozu ihn die Sitte macht
und was er um Anderer willen sein muß. Hier kann er sich freuen und
weinen, thätig sein und ruhen, lieben und meiden, wann, wie und wen er
will. Er hat nur sich zum Herrn, und Keiner darf ihm darein reden. Nicht
um aller Schätze der Erde willen ließe ich mich wieder spannen in das
Joch der verkehrten Welt, die da ruft Friede, Friede! und ist kein
Friede, sondern eitel Zwietracht, Mißgunst und Haschen und Jagen nach
einem Ziel, das weit hinter ihr liegt; die da rennet mit verblendetem
Auge nach Lust und Freude, und nie sie findet, sondern nur Ekel,
Ueberdruß, Uebersättigung ohne Genuß; die heute auf Eiern schleicht,
morgen auf Leichen tritt; die mit dem süßesten Lächeln die Giftschale
darreicht und zugleich sich selbst in ihrem Unverstande den Becher des
Lebens vergiftet.«

»Auch mir würdest Du in diese verkehrte Welt nicht folgen?« fragte
Idalia mit dem freundlichsten Blick, während Mander und Oswald über die
grauenvolle Beschreibung ihrer Welt scherzten.

»Dir?« sagte Godber, wie erschreckt von einem plötzlichen Lichtstrahl.
Sich selbst beruhigend setzte er aber sogleich hinzu: »Darum eben kettet
sich ja meine Seele so fest an Dich, darum bist Du mir die köstliche
Perle im Ocean, weil Dein reiner Lichtglanz keine Färbung angenommen von
der früheren Umgebung; weil Du, in der dunklen Wiege eingeschlossen,
dennoch den keuschen Sinn Dir empfänglich gehalten hast für das wahre
Glück, von dem jene Welt Nichts weiß.«

Idalia fand nicht gleich eine Antwort auf diese Worte, und ihr Blick, in
welchem sich Erstaunen und Verlegenheit malten, goß eine eisige Kälte
über Godber's Begeisterung. Oswald aber sagte mit tragikomischem Pathos:

»Leb' wohl, Idalia! In tiefer Bewunderung beuge ich mich vor der
künftigen Primadonna im grünen Mieder und bunten Rock; aber um Deines
Ruhmes willen muß ich Dich verlassen. Ein geflügelter Bote will ich
eintreten in die Theezirkel Deiner trauernden Vaterstadt, ein Verkünder
Deines seligen Martertums auf diesem meerumflossenen Altar der Liebe.
Dein Name soll glänzen an dem, in den letzten Zeiten etwas bleich
gewordenen Sternenhimmel weltüberwindender Liebesmacht. Postfrei will
ich Dir jede Woche hundert klangvolle Sonnette und fünfzig schwungreiche
Oden übersenden, die von Lippen armer, unter der Last ihrer Körbe
seufzender Poeten ertönen zur Feier Deines weltverachtenden Herzens.
Eine feurige Kohle sollst Du jeder Jungfrau werden, die nicht Deinem
Vorbilde nachfolgen will.

   Eine Hütte, eine Scholle,
   Einen Mann und einen Hund,
   Eines Schafes grobe Wolle,
   Thee und Schwarzbrot für den Mund;
   Die von andern Dingen spricht,
   Kennt Idalia's Liebe nicht!«

Idalia bemerkte freilich, daß, wenn der Herr Bruder künftig noch einmal
wieder Verse auf sie machen sollte, sie hoffe, diese würden dann an
Inhalt und Form etwas zierlicher und feiner ausfallen; aber dabei lachte
sie doch über Oswald's Späße, und der Schmerz Godber's über dies Lachen
drängte den auflodernden Zorn zurück und erstickte die harte Rede, die
auf seiner Zunge lag. Mander bemerkte die Blässe auf Godber's Gesicht
und das Zittern, das dessen Glieder überflog; er sagte daher lächelnd:

»Unser Freund kann besser scherzen, als Scherz vertragen!« und setzte
ernster hinzu: »Ich möchte auch nie so verächtlich reden von einem
Fleck, der uns einmal so willkommen war. Es wird Godber schwer werden,
seine Heimat zu verlassen; denn die Liebe zu derselben scheint ja zur
andern Natur Aller zu gehören, die hier geboren sind. Er ist aber
zugleich zu vernünftig, als daß er die Heimatliebe, die ihn selbst
beseelt, nicht auch bei Idalia voraussetzen sollte, und daher wird er ja
von ihr kein Opfer verlangen, das selbst zu bringen er sich nicht fähig
hielte; besonders wenn er zugestehen muß, daß der Hallig den Vorzug vor
Hamburg zu geben nur eben einem Eingeborenen dieses Eilandes möglich
ist.«

Godber fand sich tief getroffen durch diese Bemerkung. Es war ihm noch
gar nicht eingefallen, daß, wie er nur in seiner Heimat sich glücklich
fühlen könne, auch Idalia nur in ihrer Vaterstadt ihr Glück finden
würde; daß dasselbe Recht, welches er für sich in Anspruch nahm, ein
Halligbewohner bleiben zu dürfen, er ihr nicht verweigern könne, wenn
sie eine Großstädterin bleiben wolle. Fühlte er, daß selbst an ihrer
Seite ihn in der Fremde Heimweh verzehren würde, wie durfte er ihr denn
an seiner Seite auf der Hallig Heimweh verargen? Diese Betrachtung hielt
ihn stumm. Tiefe Schwermut lagerte sich wie eine bange Last über seine
Seele. Er verlor sich in Gedanken, die an seine Untreue gegen Maria nahe
genug hinstreiften, um eine Empfindung wie Reue zu wecken.

Oswald unterbrach die verlegene Pause, indem er das Glas erhob, um auf
einen frohen Verein in Hamburg anzustoßen. Mechanisch ergriff auch
Godber sein Glas und stieß mit an, aber er setzte es wieder hin ohne zu
trinken.

Mit diesem Tage trat eine gewisse Spannung zwischen den Liebenden ein.
Idalia ward ernster, nachdenklicher, zurückhaltender, und obwohl sie
nicht zweifelte, daß Godber seine Grille fahren lassen würde, war es ihr
doch unangenehm, daß er sie genährt hatte, daß er sie wenigstens nicht
sogleich habe vergessen können, als er ihre Abneigung bemerkte, eine
Halligfrau zu werden. Er dagegen war traurig bewegt; dabei jedoch so
hingebend, so achtsam, so besorgt, immer die vollste Liebe zu zeigen,
als nähre er noch eine geheime Hoffnung, sie zu dem Opfer bewegen zu
können, von welchem das Glück seines Lebens abhing. Beide vermieden es,
auch nur mit dem leisesten Worte jene Verschiedenheit ihrer Ansprüche an
die Zukunft zu berühren.

Die verwaiste Maria war unterdessen in Hold's Familie aufgenommen und
dadurch der Wohnung Godber's näher gebracht. Es konnte nicht fehlen, sie
mußten sich von jetzt an öfter sehen, wenn auch nur aus der Ferne. Ja,
es geschah auch wohl, daß ihre Wege neben einander vorbeiführten, so
sehr sie auch jede Begegnung zu vermeiden suchten. Doch eines Tages
trafen sie sich am Steg und waren, gedankenvoll hinwandelnd, sich schon
zu nahe, um ohne Gruß vorübergehen zu können. Sie standen vor einander,
Beide die Augen zu Boden schlagend; Maria die Hand auf die beklemmte
Brust gepreßt, Godber mit bebenden Lippen, ohne eines Wortes mächtig zu
sein. Endlich faßte er ihre Hand und sagte leise:

»Maria, es mußte so sein!«

Sie blickte auf, und eine Thräne zitterte in ihrem Auge.

»Der Herr hat es so gewollt!« seufzte sie. »Er mache Dich glücklich.«

»Und Dich, Marie!« antwortete er.

Sie aber schlug den Blick gen Himmel, und es brach wie ein Lichtglanz
durch ihre Thränen:

»Seine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.«

»Maria,« rief Godber, und drückte ihre Hand fester, »kannst Du mir
vergeben?«

»Als ich den Ring von Deinem Finger zog,« antwortete sie, »da habe ich
Dir vergeben!«

Godber ließ ihre Hand fahren und sah nach seinem Ringe. Zum ersten Mal
bemerkte er, daß dieser ihm fehle. Er starrte auf die Stelle, wo er ihn
getragen, konnte nicht begreifen, wann das Pfand der Treue von seiner
Hand gekommen, und es war ihm, als sei nun erst seine Untreue vollendet,
als sei nun erst jede Rückkehr unmöglich geworden. Er hätte in diesem
Augenblick viel darum gegeben, den Ring noch zu haben; er hätte ihn in
diesem Augenblick um keinen Preis fahren lassen. Der Gedanke, daß er ihn
nicht mehr habe, dehnte eine Kluft vor ihm aus, die ihn auf ewig von
Maria trennte. Nun erst war sie für ihn verloren, unwiederbringlich
verloren, als wenn nicht schon längst sie von einander geschieden
gewesen wären. Als er wieder aufsah, war Maria verschwunden.

Idalia hatte diesen Auftritt von weitem angesehen, und ohne ein Wort
darüber zu verlieren, ward sie nur immer kälter und fremder gegen
Godber. Er aber hing sich mit seiner Liebe ihr desto fester und fester
an. Sie war gleichsam das Anker, das ihn halten sollte im Sturm der
widersprechenden Gefühle, in dem Kampf der sich unter einander
verklagenden Gedanken. Er fühlte, daß wenn sie ihn aufgebe, die Kraft
seines Lebens gebrochen wäre, daß ihm dann das Bewußtsein ausginge,
warum denn Alles so gekommen sei, daß er dann in der Wüste des Meeres
umhertaumele, wie ein Leichnam, der von der felsigen Küste ringsum immer
wieder in die Wogen zurückgeworfen wird.



                                 XIV.


   Gabe ist, was Licht und Leben,
   Gnade ist, was Frieden gab!
   Sollen Engel niederschweben,
   Du kannst nicht die Leiter heben,
   Engel senken sie herab.

Mander würde vielleicht die Liebenden aufmerksamer beobachtet und so
bald die Pflicht des Vaters erkannt haben, ein Verhältnis, das bei dem
gänzlichen Mangel an Uebereinstimmung in den Wünschen und Hoffnungen
für's Leben unmöglich glücklich enden konnte, bei Zeiten zu lösen, wenn
er nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre. Er mochte
keinen Versuch mehr wagen, aus sich selbst heraus die Himmelsleiter zu
erbauen, und doch scheute sein Geist vor dem Gedanken zurück, daß Gott
sie in seiner Barmherzigkeit und Liebe längst herabgelassen habe.

»Wie mögen Sie doch nur annehmen,« sagte er in seinen Unterredungen mit
dem Pastor über die Offenbarung, »daß Gott, der mehr Welten regiert, als
das Alter der Erde Sekunden zählt, als der Ocean Tropfen, als die Wüste
Staubkörner hat, daß dieser Gott so große Dinge thun sollte, um dieses
winzigen Menschengeschlechts willen, dessen mächtigste Geister, von
bloßen Gewalthabern gar nicht einmal zu reden, wie Mücken sind, die im
Sonnenstrahl spielen?«

»Und dessen große und kleine Geister doch meinen,« sprach Hold, »sich
den Gott, den sie anzubeten berufen sind, auf das weiße Blatt ihres
Weltsystems hinsetzen zu können wie einen Tintenfleck, den man mit dem
Löschpapier auftrocknet, um darüber hinzuschreiben!«

»Lassen wir Das!« fiel ihm Mander in die Rede. »Ich merke wohl, hier auf
dieser flachen Scholle, den Himmel so weit über sich, das Meer so weit
um sich, fast ohne einen Gegenstand, der an kleinliche Menschenarbeit
erinnert, weitet sich das Herz, und die Gedanken wollen sich nicht mehr
zügeln und gängeln lassen in Begriffen und Schlüssen, sondern schweifen
frei in die Unendlichkeit aus, als wären sie einem Kerker entflohen. Als
ich gestern Abend auf dem Taufstein am alten Kirchhof saß und nur Meer
und Sternenhimmel sah, da kam ich mir vor, als schwimme auch ich im
Weltocean, selbst eine kleine Welt, bewegt von Gottes Odem, getragen von
Gottes Macht, verklärt von Gottes Geist, friedlich und selig, wie die
andern Sterne, feiernd wie sie den Schöpfer, Erhalter und Regierer. Und
es ist mir noch jetzt, als könnte ich, seit ich einmal so reich war, nie
wieder in der Zukunft so arm werden an Glauben und Glaubensfreudigkeit,
wie ich früher es gewesen.«

»Nun,« sprach Hold wie segnend, »so möge denn Ihnen immerdar leuchten
der Morgenstern, der aufgegangen ist in Ihrem Herzen. Muß es denn nicht
ein liebevoller Gott sein, der solche Stunden dem Menschen giebt?
Sollten wir leugnen, daß in solcher Feier Gottes Sprache ist, dies
leugnen, weil unsere Sprache keine Worte hat, sie nachzustammeln? Aber
sie fragten, wie Gott für das winzige Menschengeschlecht so große Dinge
thun sollte, sich ihm zu offenbaren in Seiner Herrlichkeit, und ihm
Licht zu bringen in der Finsterniß, Frieden in der Zwietracht, auf eine
solche Weise, wie das Evangelium von Christo aussagt. Ich gehe noch
weiter. Nicht allein ein winziges, schwaches, ohnmächtiges,
vergängliches Geschlecht nenne ich die Menschen, sondern auch ein durch
Selbstverschuldung verblendetes und sündiges. Es ist Keiner, auch nicht
Einer, der vor Gott gerecht erfunden wäre. Es ist der Spiegel unseres
Herzens befleckt mit unheiligem Wesen, und unser Wandel Trägheit zu
allem Guten und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz. Jeder Gedanke an Gott,
den heiligen und gerechten Richter der Lebendigen und der Toten, muß
eine Beichte sein und ein Flehen um Gnade, wodurch auch der leiseste
Vorbehalt von eigenem Verdienst und eigener Gerechtigkeit hinweggenommen
wird, wie Gottes Sonnenstrahl den Regentropfen wegnimmt, der auf einem
Grabstein liegt. Doch nicht um dies winzige Geschlecht allein auf einem
Staubkorn Seiner Welt, auch um dies durch eigne Schuld verderbte und
täglich neue Schuld häufende Geschlecht hat Gott so große Dinge gethan;
denn das ist Seine Liebe. Und wäre auf diesem Erdboden auch nur eine
Seele unter allen Millionen gewesen, empfänglich für Seine Segnungen und
Verheißungen, für diese eine Seele würde Er Himmel und Erde bewegt haben
in ihren Axen, diese Eine an Sein Vaterherz zu ziehen; denn das ist
Seine Liebe! Und wäre diese eine Seele siebenmal siebzigmal wieder
zurückgefallen in ihre Finsternis und ihr Verderben, Er würde siebenmal
siebzigmal Himmel und Erde bewegt haben in ihren Axen, diese Eine wieder
heimzuführen in das Reich der Gerechtigkeit, der Freude und des
Friedens; denn das ist Seine Liebe! Wir reden von Seiner Allmacht und
Weisheit, die die Unermeßlichkeit füllen mit ihren Zeugnissen; wir sehen
den kleinsten Wurm im Staube so fein und künstlich gebildet und sein
gedacht, wie des Seraphs, dessen Hallelujah durch die Himmel rauschet;
und Gottes Liebe sollte nicht eben so vollkommen sein, wie alle Seine
andern Eigenschaften? Sie sollte eine Begrenzung, Beschränkung, einen
Rückhalt kennen, wovon Seine Allmacht und Seine Weisheit nichts weiß? Es
kann und darf nie gefragt werden, sollte Gott je so gnädig und
barmherzig sein wollen, wie das Evangelium Ihn verkündet in der Lehre
vom Versöhner? Denn das ist eine Frage, die ihm eine Vollkommenheit
abspricht; eine Vollkommenheit gerade im Herrlichsten, was Himmel und
Erde kennen, in der Liebe. Es ist nur eine Frage: thut es dem Menschen
not zu seiner rechten Heiligung im Geiste des Gemüts, zu seinem Frieden
im Leben und im Sterben, daß sich Gott ihm offenbare als Weg, Wahrheit
und Leben, als Heiland, Versöhner, Erlöser, Friedensfürst? Muß sich der
Mensch diese Frage mit >Ja< beantworten, wenn er aufrichtig prüfet sein
Wissen, sein Wesen und seinen Wandel, wenn er es gelernt hat, Halbheit
und Lauheit im Denken, Wollen und Thun zu verschmähen und zu verachten,
dann kann er mit kühner Hand in die Wolken greifen, dann kann er freudig
miteinstimmen: »also hat Gott die Welt geliebt!« Dann darf er nicht
weiter fragen: wie mag solches zugehen? Denn wie alles Wesen über des
Menschen Wissen und Verstehen ist, wie sollte denn nicht auch die Liebe
Gottes über sein Wissen und Verstehen sein?«

»Sie haben einen Glauben, der im Stande wäre, Berge zu versetzen!« sagte
Mander tief bewegt.

»Ich wollte, ich hätte ihn,« erwiderte Hold, »dann würden wir bald eines
Glaubens sein.«

»Ich möchte fragen, was muß ich thun, daß ich das ewige Leben erbe?«
sprach Mander mehr in sich hinein, als zu Hold gewandt.

»Fragen Sie die Schrift, die von Christo zeuget. Lassen Sie vor Allem
erst Ihr Nachdenken weilen beim Gesetze. Prüfen Sie all' Ihr Wesen und
Thun mit unerbittlicher Strenge an den Geboten Gottes und an dem
Vorbilde des Herrn. Machen Sie keine Sünde zur Schwachheit, keine
Unlauterkeit zur Natur des Staubes, keine Versuchung zu einer
unüberwindlichen Macht, keine Vergleichung mit Andern zur Entschuldigung
für sich. Malen Sie sich keine Liebe Gottes aus, die nachsichtig,
begütigend, vergeßlich ist, wie die kränkelnde Liebe der Menschen,
sondern eine Liebe die mit der strengsten Gerechtigkeit Hand in Hand
gehet; auf daß der Wetterstrahl des Gerichtes Sie durchleuchte und
durchflamme, auf daß Sie hingeschmettert werden in den Staub und Ihre
vermeinte Tugend und Ehrbarkeit, wie Splitter und Spreu, von Ihnen
fliege; auf daß Sie zittern und zagen lernen vor Dem, der Rechenschaft
fordert auch von jeglichem unnützen Worte, das aus unserm Mund gegangen
ist; und Ihre Seele, so wenig sie auch noch jetzt glauben mag, daß es
dahin mit ihr kommen könne, zu kommen brauche, in Reu und Leid zage
unter dem Licht und Gericht des göttlichen Gesetzes. Nur durch
Traurigkeit zur Freude! Nur durch's Gericht zur Gnade! Nur durch
Zwietracht zum Frieden! Nur durch Tod zum Leben! Nur die Niedrigen
werden erhöht und die Demütigen angenommen! So lange wir uns vor Gott
noch dünken, Etwas zu sein, sind wir Nichts. Hineinpredigen aber läßt
sich solche schmerzensreiche Buße nicht. Die muß von Oben kommen, als
Liebesgabe und göttliche Gnade. Nur raten kann mein Wort dazu; nur an
dem Bollwerk rütteln, das hindert; nur leise rütteln an des Herzens
Thoren, daß ihre Angeln leichter sich umwenden, wenn der Herr kommt zum
Gericht! Gehen Sie in eine einsame Stunde und treten Sie Ihren
Dornenpfad an.«

»Sind Sie auf demselben Dornenpfade zur Glaubensfreudigkeit gekommen?«
fragte Mander leise.

»Ich gehe diesen Weg noch täglich und bin doch froh und selig im Herrn!«
erwiderte Hold.

»Das ist wunderbar!«

»Nicht so wunderbar wie der Bund der göttlichen, versöhnenden Liebe und
der strengrichterlichen Gerechtigkeit mit einander. Nicht so wunderbar,
wie Christi Zagen vor dem Kreuze und doch Hingebung an's Kreuz. Darüber
aber gebe ich Ihnen keine Erklärung, bis Sie in die Stunde gekommen
sind, die ich zuerst von Ihnen fordern muß, die Gott von Ihnen fordert,
weil Er Sie derselben so nahe gebracht hat; wenn Sie dann noch nach
einer Erklärung fragen sollten.«

Es war aber keineswegs so leicht, Mander auf den Dornenweg zu bringen,
wo seine Selbstzufriedenheit bluten sollte. Mancher Abend ging noch in
lebhaften Unterredungen hin, in welchen Hold vorzüglich Mander's
erwachende Neigung bekämpfte, sich eine Art von philosophischem
Christentum zu construiren.

»Sind aber nicht alle Materialien dazu gegeben, in der Schrift, wie in
den sonstigen Zeugnissen Gottes?« verteidigte sich Mander.

»Materialien für Sie übergenug,« entgegnete Hold; »aber der Mörtel fehlt
noch, das Herzblut, das die Reue erpreßte, und die Thränenflut, welche
die Sehnsucht nach einem Frieden, wie ihn die Welt und die Weltweisheit
nicht geben kann, aufquellen ließ. Sie sind in Gefahr, in der Halbheit
zu bleiben, weil Sie anfangen, die Baustücke an einander zu passen, ehe
das Gebäude in seiner Höhe und Tiefe, in seiner Länge und Breite vor
Ihrer Seele steht.«

»Es möchte aber der Weg zum Glauben nicht für Alle derselbe sein,«
meinte Mander.

»Ohne die Demut kommt Keiner in diesen Weg hinein; und ohne die tiefe,
durchdringende, ja zermalmende Erkenntnis der Sündhaftigkeit vor Gott,
ohne das laute, aufrichtige, in Reu' und Leid ringende Bekenntnis
derselben ist keine Rückkehr für den, der, wie Sie, in den Irrpfaden der
geistigen Selbstanbetung sich erging. Daß Sie jetzt schon Baumeister
sein wollen, ehe Sie selbst wahrhaft erbauet sind, oder jedenfalls noch
in der ersten Frühlingslust der beseligenden Erbauung leben sollten,
scheint mir anzudeuten, daß Sie noch unter der Knechtschaft Ihres
eigenen Geistes gefangen und nicht durchgedrungen sind zur Freiheit der
Kinder Gottes, deren Glaube keine dorische oder korinthische
Säulenordnung, sondern eine kühn aufstrebende Säule ist, deren fester
Fuß in den Tiefen des Herzens steht und deren Spitze der Regenbogen der
Verheißung kränzt.«

»Eine sichere Begründung,« warf Mander ein, »kann dem Glauben nicht
schaden, ja ihn allein der Vernunft annehmbar machen, daß sie mitstimme
mit dem Herzen, das seiner bedarf.«

»>Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, was man hoffet, und nicht
zweifelt an dem, was man nicht siehet<, sagt schon der Apostel,« war
Hold's Antwort. »Unter diesem >was man nicht siehet< ist doch auch wohl
das Nichtsehen der Vernunft durch Begriffe und Schlüsse mitverstanden;
denn was sie so sich zusammenkettet, Glied an Glied, das _sieht_ sie,
das hört auf Gegenstand der Hoffnung und des Glaubens zu sein; es wird
Gegenstand des Wissens und bleibt Stückwerk, wie all' unser Wissen
Stückwerk ist. Der Glaube aber ist ein Ganzes, Volles, Vollkommenes, ein
Tag ohne Wolken, ein Kleinod, des wir uns freuen ohne Diebe und Räuber
zu fürchten. Er ist kein Raub, sondern eine Gabe. Wir schaffen ihn
nicht, sondern er schafft uns. Er ist nicht unser, sondern wir sind
sein. Wir kommen nicht zu ihm dadurch, daß wir ihn in unser Gebiet
hereinziehen, sondern dadurch, daß wir aus unserm Gebiet heraustreten
und in sein Gebiet eingehen. Darum bauen Sie vergeblich an einem
Fachwerk; es bleibt ein Gerüst, durch dessen Sparren jeglicher Wind
weht, und worin der Geist Gottes nie heimatlich wird.«

»Thun denn aber die gelehrten Theologen etwas Anderes, als was ich
versuche?«

»Leider thun sie oft nichts Anderes. Aber da geht es denn auch Vielen
ihrer Zuhörer, wie es mir ging,« erwiderte Hold, und nahm vom Bücherbord
ein Heft aus seiner Studentenzeit, auf dessen letzter Seite sich
folgender »Epilog zur Dogmatik« fand:

   So hat denn alle Wissenschaft gelogen!
   Vom blinden Wahne sollt' der Geist gesunden;
   Und nun ist jeder lichte Blick verschwunden,
   Und um den Frieden ist das Herz betrogen.

   Ich seh' mich auf ein Meer hinausgezogen,
   Wo keine Nadel mag den Pfad erkunden,
   Wo nie ein Blei den Ankergrund gefunden,
   Wo alle Winde weh'n auf irren Wogen.

   _Der_ Lootse winkt zur Rechten, der zur Linken:
   »Sieh, wie Dir dort der Heimat Sterne blinken!«
   »Nein, folge mir, da dräut ein Felsenriff!«

   Der Dritte nickt ein Ja zu beiden Seiten;
   Ein Vierter fängt mit Allen an zu streiten;
   Und unterdessen sinkt das lecke Schiff.

   Doch halt! Was will der Mann mit Kennermienen?
   Mein Sohn, Du sogst die rechte Weisheit ein.
   »Laß nun Dein Pfund dem blinden Volke dienen.«
   Er spricht's, und ich -- soll Seelenhirte sein!

»Es mag schlimm genug sein,« sagte Mander, »Führer sein zu sollen, wenn
man noch selbst ungewiß auf dem Kreuzwege steht. Aber daß man sich erst
die Leiter zurecht stellt und Stufe auf Stufe prüft, ist doch klüger,
als wenn man sich vornimmt, erst auf der höchsten Staffel sich nach dem
sichern Stande und der Haltbarkeit der Stufen umzusehen.«

»Ach! zu solchem Vornehmen,« entgegnete Hold, »läßt es der Glaube gar
nicht kommen. Er bedarf keiner Leiter. Er ist ein Adler, den seine
Schwingen sogleich über die Wolken hinauftragen. Er _wird_ nicht,
sondern er _ist_. Er macht sich nicht allmälig, sondern steht da in
seiner Herrlichkeit. Ein schwacher, lauer und halber Glaube ist ein
Unding. Wohl mag er auf Zeiten, in Stunden der Prüfung oder vor den
Anläufen des ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste zurückweichen;
aber eine Mischung, Zersetzung und Teilung kennt er nicht. Er ist Alles
oder Nichts; ganz oder gar nicht. Nur im Wissen, Wollen und Thun giebt
es Halbheit, nicht im Glauben. Er kann nur beseligen oder verdammen,
nicht ein wenig trösten, ein bischen erheben, ein wenig schrecken, ein
bischen zittern machen. Er kämpft nicht, sondern er siegt nur. Er
schreitet daher in seiner Kraft und erfüllet mit seiner Fülle das Herz;
schmettert es nieder in den Abgrund und trägt es aus dem Abgrunde mit
Jauchzen empor zu den himmlischen Höhen. Von diesen Höhen herab mögen
wir den Glaubensweg erkunden, nicht von unten auf; nur mit dem Senkblei,
nicht mit dem Fernrohr.«

Mander war oft in Versuchung, den Pastor der Einseitigkeit und
Beschränktheit zu zeihen. Oft wieder war er in schmerzlichem Ringen nach
Zuversicht der demütigste und gelehrigste Jünger. Dann aber klagte er
über Dunkelheit in Hold's Ausdrücken; wogegen dieser bemerkte:

»Das Wort ist Same und nicht mehr und minder. Im Samen liegt aber der
Keim verborgen unter der Hülle und wartet auf Sonnenstrahl und Tau von
Oben her, um die Hülle zu durchbrechen und Blüte und Frucht zu werden.«

Bald klagte er über die Dunkelheit der Offenbarungen Gottes. Hold
erinnerte ihn:

»Die Fackel für die mancherlei Wege der göttlichen Offenbarungen ist die
eine Offenbarung der heilsamen Gnade Gottes in Christo. Ist diese
aufgegangen dem Herzen in ihrem vollen Glanze, so fließt ihr Lichtstrom
über die ganze dunkle Gegend aus, und Alles wird hell! Nur Licht giebt
Licht. Unser blöder Verstand mag uns wohl dazu führen, daß wir die
Wahrheit nicht bei ihm erwarten. Unsere Sündhaftigkeit kann uns wohl die
Sehnsucht wecken nach der Gnade Gottes; aber was Wahrheit ist, lernen
wir erst durch die Wahrheit, und die Erlösung kennen wir erst durch die
Erlösung. Sie aber ringen nach Beiden, als hätten sie schon das Wesen
derselben erforscht und ihre Kraft erfahren. Daß dies aber nicht der
Fall ist, zeigt Ihr Kampf mit einzelnen Dunkelheiten: denn Schatten
weisen weg vom Licht und sind keine Wegweiser zum Lichte, wofür Sie sie
nehmen, da Sie sich so lange bei ihnen aufhalten.«



                                 XV.


   Von der Heimat sel'gem Frieden
   Nach dem wüsten Streit hienieden
   Zeugt das lichte Sternenzelt;
   Doch des Liedes klarer Spiegel
   Offen der Verheißung Siegel
   Zeig' er in dem Kampf der Welt.

Ein Amtsgeschäft nötigte Hold zu einer Reise nach der nächsten, eine
Meile entfernten Insel. Oswald begleitete ihn, teils um einige
Angelegenheiten, die schnellere Ueberführung der geborgenen Ladung nach
Husum betreffend, zu ordnen, teils um den für ihn so langweiligen
Aufenthalt auf der Hallig durch einen Tag in anderer Umgebung zu
unterbrechen. Ein günstiger Wind trug in der mondhellen Nacht das Schiff
mit dem ruhigen Gleiten eines Schwans dem Ziel der Reise entgegen, und
Oswald, der diese Meeresstrecke in dem furchtbarsten Aufruhr gesehen und
auf derselben in Todesgefahr geschwebt hatte, sprach einmal über das
andere seine Verwunderung über den Gegensatz aus.

»Heute so still und mit kaum merkbaren Wellen das kleine Schiff
fortwiegend; damals anzuschauen wie eine ungeheure Woge, auf der das
mächtige Gebäude auf und nieder schwankte, wie eine Feder, von Knaben in
die Höhe geblasen. Heute der leise Hauch, der die Segel eben füllet und
sich zu fürchten scheint, mehr zu thun, als wir gerade wollen; damals
ein Heulen und ein Rasen, als wollte die tolle Windsbraut unser Schiff
wie einen Knäuel zusammenwickeln und es gen Himmel schleudern. Dem Winde
hat man so viele Namen gegeben, um seine wechselnde Weise zu bezeichnen.
Das Meer heißt Meer, mag es wie ein gefügiger Sclave uns dienen, mag es
wie ein wütender Tyrann mit unserm Leben würfeln.«

»Der Mensch heißt Mensch,« bemerkte Hold, »mag er kindlich friedlich mit
Blumen spielen, oder in blinder Leidenschaft Leichenhügel auftürmen; und
der Uebergang von der einen zur andern Art zu sein, ist bei demselben
Menschen nicht weniger überraschend, als bei dem Meere, und es ist nur
gut, daß die ungestümen Wogen unserer Brust gewöhnlich wenig Macht
haben, Unheil zu stiften.«

»Darum halte ich es damit,« sagte Oswald, »dem Leben die leichte Seite
abzugewinnen und das Blut hübsch ruhig zu halten. Alles Aufwogen, sei's
in Haß, sei's in Liebe, ist nicht meine Sache. Dadurch habe ich es so
weit gebracht, daß ich lache und scherze, wo Andere sich totgrämen
wollen und außer sich vor Angst oder Zorn sind.«

   »So nutz' ich das Leben,
   Und nehm' es, wie's ist;
   Eh' kalt mich im Grabe
   Das Leben vergißt.«

»Wenn Sie Jahre lang in einem Kerker schmachten sollten, Jahre lang auf
ein Krankenlager hingestreckt lägen, meinen Sie dann, daß Sie mit diesem
Verse die feuchten Wände zieren, oder mit dieser Melodie Ihre Schmerzen
einlullen würden?« fragte Hold.

»Das will ich nicht behaupten,« erwiderte Oswald; »aber darum freue ich
mich, daß ich nicht in diese Probe geführt werde.«

»Warum trachten Sie aber nicht lieber nach einer Zuversicht, die auch
solche Proben aushalten kann? Können Sie eine Ansicht für Wahrheit
halten, welche von Außendingen abhängt, die nicht in unserer Gewalt
sind? Rechnen Sie den Glimmerschiefer zu den Edelsteinen, weil er im
Sonnenstrahl wie Diamanten funkelt?«

»Sie haben vollkommen Recht, lieber Pastor,« antwortete Oswald, »eben
weil sie Pastor sind, für mich aber Unrecht, weil ich singe:

   Vergessen ist Freude
   Und Denken nur Pein;
   Und _gilt_ er Dir Wahrheit,
   Ist Wahrheit der Schein.«

»Ich kann Ihnen auch einen Vers dazu geben,« sagte Hold:

   »O, kindisches Treiben!
   O, ärmlicher Wahn!
   So schaukeln die Wellen
   Den herrnlosen Kahn.

Und dieser Vers führt mich auf die Frage: was dachten und fühlten Sie in
den Stunden, als Sie auf diesem Meere vor einigen Wochen zwischen Tod
und Leben kämpften?«

»Ich dachte und fühlte gar nichts. Mir war alles Denken und Empfinden
rein ausgegangen. Ich war eine hohle Schale, in die erst nach unserer
Rettung ein Kern zurückkam. Was hätten mir auch alle Gedanken und
Gefühle helfen sollen? Sie konnten den wilden Ocean nicht bändigen und
den gebrechlichen Kahn nicht zusammenhalten.«

»_Ihr_ Denken und Empfinden konnte Ihnen freilich nichts helfen; aber
wohl wäre es anders mit dem gewesen, der in Sturm und Wogendrang hätte
sprechen können nach den Worten des Liedes, das Sie nur halb kennen
wollen:

   Wer kämpfend und fallend
   Dem Siege vertraut,
   Der hat sich errungen
   Das Jawort der Braut.

   Sie führt dem Altare
   Der Heimat ihn zu.
   Sein Glaube wird Schauen;
   Der Staub ist zur Ruh.«

»Ich streite nicht mit Ihnen, Herr Pastor,« antwortete Oswald. »Ich gebe
Ihnen, wie gesagt, vollkommen Recht. Ich ehre Ihre Ueberzeugungen und
Sie um derselben willen. Ich würde auf Ihre Redlichkeit und Treue mehr
bauen, als auf mich selbst. Aber -- ich bleibe, was ich bin; und wie ich
bin; wenn ich nicht, wie ich es Ihnen schon halb versprochen, einst im
grauen Haar zu Ihnen zurückkehren sollte, um zu lernen, wie man die
Falten des Leichentuchs mit Anstand um sich wickelt. Gewiß, lieber
Hold,« schloß Oswald, als er merkte, wie der Pastor sich bei dieser
letzten Aeußerung unwillig von ihm wandte, »ich will nicht spotten, wenn
es auch manchmal so klingt; es ist nur ein hohler Klang, dem Sie keine
Bedeutung unterlegen müssen, die er nicht haben soll. Aber wir stehen
uns so fern und so fremd in unsern Ansichten und Meinungen, daß keine
Vereinigung möglich ist. Sie stehen fest auf Zion, und ich treibe, ein
leichter Nachen, jeden Blumenbach entlang, der mich eben tragen will.«

»Den hohlen Klang nehme ich Ihnen nicht übel,« erwiderte Hold; »aber daß
es eine Stunde in Ihrem Leben geben konnte, in welcher Sie nach Ihrem
eignen Ausdruck eine hohle Schale waren, und doch nun, bei solchem
Geständnis, sich noch länger in der ganzen Hohlheit und Leerheit Ihrer
Ansichten, die eigentlich, wie Sie es selbst aussprechen, nichts weiter
als Gedankenlosigkeit sind, wohl fühlen können, das verstehe ich nicht.
Ich fürchte, Gott wird Sie noch einmal mit gar schwerer Hand anfassen,
oder vielmehr ich muß es wünschen.«

»Sie werden es mir erlauben,« sprach Oswald lachend, »den Dank für
diesen frommen Wunsch bei Ihnen zu ersparen.«

Hold wandte das Gespräch auf andere Dinge, und da sie sich in der
Bekanntschaft mit dem Liede, aus dem die vorher von ihnen angeführten
Strophen genommen sind, zusammengefunden, ward die Poesie der Gegenstand
ihrer Unterhaltung. Hierin stimmten die Urteile Beider fast ganz
zusammen. Oswald's ausgebreitete Belesenheit in diesem Fache hatte sein
richtiges Gefühl nicht verwirrt, sondern nur geschärft. Kein blendender
Bilderschmuck bestach ihn; kein dichterischer Gedanke ging ihm um der
mangelhaften, poetischen Form willen verloren. Ossian, der Barde, der
selbst dem Nebel Kraft und Anmut einzuhauchen wußte, war sein Liebling,
und er behauptete mit Hold's völliger Zustimmung, daß man in dem Brodem
des Plumpuddings groß gezogen sein müßte, um Ossian's Gedichte zu dem
untergeschobenen Machwerk eines ^gentleman^ machen zu können. Je
lebendiger Oswald sprach, je reicher er seine vielseitige Kenntnis der
schönen Literatur entfaltete, je wahrer er das Flache von dem Tiefen,
die gemachte von der wirklichen Begeisterung unterschied, desto mehr
mußte sich Hold wundern, wie ein Mensch zugleich so scharf und richtig
urteilen, und doch so gedankenlos hinleben; so wahr und so stark
empfinden, und doch so gefühllos für den Geist Gottes sein könne. Es war
ihm unbegreiflich, wie Oswald bei den Ergüssen himmlischer Begeisterung
eines Dichters mit inniger Anerkennung weilen konnte, ohne dadurch auf
sich selbst und seine Entfremdung von allem Göttlichen geführt zu
werden. Es war, als trüge ihn seine Phantasie mit in den Aufschwung
dieser Dichter hinein, und als sähe er dennoch darin nur den Flug eines
Luftballons, der aus seiner Höhe ohne weitere Kunde von den göttlichen
Dingen zur Erde herabsinkt. Aber -- sie haben Augen und sehen nicht; sie
haben Ohren und hören nicht.

Für die Leser, welche das Gedicht, aus welchem wir oben einzelne Verse
in die Erzählung verflochten haben, ganz kennen zu lernen wünschen, möge
es hier stehen.


                              Das Leben.

   Ein Anfang ohn' Ende;
   Ein Schleier ohne Bild;
   Ein Träumen und Sehnen,
   Das nimmer gestillt;

   Ein Blühen und Duften;
   Ein schmeichelndes Lied;
   Und Alles nur Täuschung,
   Die lockt und entflieht.

   Ein Wollen und Können,
   Und nie ein Vollbracht;
   Ein Lernen und Wissen,
   Das klüger nicht macht.

   Ein Drängen und Treiben
   Bergauf und bergab;
   Ein Sorgen und Mühen
   Für's wartende Grab.

   Für Herren und Knechte
   Ein wunderlich Spiel,
   Als Ernst gar zu wenig,
   Als Scherz gar zu viel:

   Und dennoch zum Leben
   Die Liebe so groß? --
   Gern sitzen die Narren
   Der Narrheit im Schooß.

                   *       *       *       *       *

   Was zürnst Du dem Leben,
   Dem gaukelnden Spiel?
   Du fragst nach dem Ziele?
   Der Weg ist das Ziel!

   Dein Hoffen und Wagen,
   Und wär's ohne Lohn; --
   Im Hoffen und Wagen
   Genießest Du schon.

   Entströmt ohne Lorber
   Dem Helden sein Blut;
   Doch freut sich im Streite
   Des Kämpfenden Mut.

   Der Rätsel so viele?
   Die Antwort so kahl?
   Frag' nicht nach den Reben
   Den vollen Pokal.

   Vergessen ist Freude,
   Und Denken nur Pein;
   Und _gilt_ er Dir Wahrheit,
   Ist Wahrheit der Schein.

   So nutze das Leben,
   Und nimm es, wie's ist,
   Eh' kalt Dich im Grabe
   Das Leben vergißt.

                   *       *       *       *       *

   O, kindisches Treiben!
   O, ärmlicher Wahn!
   So schaukeln die Wellen
   Den herrnlosen Kahn!

   Das Leben ein Schleier,
   Den Keiner durchschaut;
   Doch ehre den Schleier;
   Er wallt um die Braut,

   Die wüstem Verlangen
   Nur keuscher sich hüllt,
   Den Glauben mit froher
   Verheißung erfüllt.

   Es wehet ihr Odem
   Dahin und daher,
   So grüßet von Küste
   Zu Küste das Meer.

   Und wandelt der Pilger
   Nach Süd und nach Nord,
   Sie ladet ihn liebend
   So hier und so dort.

   Sie blickt von den Sternen
   Ihm freundlich herab;
   Und lächelt weissagend
   Auf Wiege und Grab;

   In Kämpfen, in Stürmen,
   In wolkiger Nacht,
   Von Weisen gescholten,
   Von Spöttern verlacht,

   Schmück' kühn Dir mit Kränzen
   Hochzeitlich das Haupt,
   Vom Baume der Hoffnung,
   Der nimmer entlaubt.

   Wer streitend und fallend
   Dem Siege vertraut,
   Der hat sich errungen
   Das Jawort der Braut.

   Sie führt dem Altare
   Der Heimat ihn zu.
   Sein Glauben wird schauen;
   Der Staub ist zur Ruh.



                                 XVI.


   -- Und jede neue Welle säumte
   Für mich am feuchten Leichentuch.
   Und jede neue Welle schäumte
   Entgegen mir den Todesspruch.

Wir übergehen den kurzen Aufenthalt auf der Insel, die, umgeben und
durchschnitten von starken Deichen mit einer Höhe von mehr als zwanzig
Fuß und einem Belauf von achtzig bis hundert Fuß, in der Mitte ihrer
Abteilungen oder Koege, wo das Meer völlig dem Auge entzogen war, das
Ansehen eines von festen Wällen umgürteten Lagers darbot, das von den
Kriegern verlassen, nun dem friedlichen Landmann angehörte, der es nur
bißher versäumt, die Wälle abzutragen.

Auf der Rückfahrt nach der Hallig mußte das Schiff anfangs mit widrigen
Winden kämpfen; später trat eine völlige Windstille ein, und eine
Viertelmeile vom Ziel wurde Anker geworfen, da auch die Ebbe dazu kam,
die kein Weiterkommen selbst bei günstigem Winde gestattet hätte. Noch
war es heller Nachmittag, und klar lagen die einzelnen Wohnungen der
Hallig vor dem Blicke der ungern Verweilenden. Das Schiff stand bald
ganz auf dem Trocknen, und es schien so leicht, die kurze Strecke zum
Ufer zu Fuß zu machen. Sollte auch hie und da ein bißchen in dem weichen
Schlamm gewatet, oder eine und die andere Wasserrinne übersprungen
werden müssen, so kam man doch vor Abend nach Hause. Der Gedanke, so
festgebannt zu sein, machte Oswald ungeduldig, und für Hold war jede
Stunde der Entfernung von den Seinen ein Abbruch an seinem häuslichen
Glück. Die beiden Schiffer hatten nichts dagegen, ihr Fahrzeug bis zur
nächsten Ebbe liegen zu lassen, wie sie dies schon oft gethan, und so
traten denn die vier Reisegenossen ihren Weg zur Hallig an. Freilich
hätten die vielen Unglücksfälle, welche durch dies sogenannte
Schlicklaufen herbeigeführt werden, sie abhalten sollen; aber die Luft
so heiter, das Land so nahe, woher denn Gefahr? Oswald lachte laut auf,
als Hold nur so obenhin sagte, daß solche Versuche, das Land zu
gewinnen, schon Vielen das Leben gekostet, und dieser fügte auch selbst
gleich hinzu, daß heute freilich nichts zu fürchten sei. O, des
kurzsichtigen Geschlechts, das sich so sicher dünkt, indem es dem Tode
entgegenrennt! Kaum zehn Minuten später standen die Wanderer schon
ratlos und angstvoll da, und wußten nicht mehr, wohin sie die Schritte
wenden sollten, ob rückwärts, ob vorwärts. Ein dicker Nebel, der
urplötzlich, man wußte nicht, ob von oben herab, oder von unten
heraufgestiegen kam, lagerte sich um sie her.

Die Nebel oder Seedünste sind oft nicht höher als sechs bis acht Fuß,
und es begegnete uns einmal, daß wir vom Schiffe aus mit den Leuten am
Ufer uns unterredeten, ohne daß wir auch nur das Geringste mehr sehen
konnten, als deren Köpfe, die im hellsten Lichte auf der grauen
undurchdringlichen Masse gleichsam schwammen, und deren Bewegungen von
einer Stelle zur andern, ohne daß man die bewegenden Glieder sah, einen
wunderbaren Anblick gewährten. Was wir in dem Folgenden erzählen, mag
ebenfalls für Den, welcher jene Meeresstrecke nicht kennt, manches
Wunderbare haben; aber wir legen auch hier, wie andern Stellen dieser
Schrift, unsere eigenen Erfahrungen zu Grunde.

Sobald der Nebel aufkam, wandten sich Aller Blicke unwillkürlich auf das
Schiff zurück. Wenn nur noch irgend etwas zu sehen gewesen wäre! Aber
die weiter als drei Schritte von einander standen, waren ja schon nicht
mehr für einander da und mußten sich durch Rufen zusammenfinden. Oswald
ahnte noch nicht die Größe der Gefahr und konnte sich in das ängstliche
Beraten der andern nicht finden, da er meinte, sie müßten bald das Ufer
gewinnen, wenn sie nur darauf hielten, die gerade Richtung nicht zu
verfehlen. Auch der Schluß der Beratung fiel dahin aus, vorwärts zu
gehen, weil die freilich entferntere Hallig sich doch immer in diesem
Nebelmeer wahrscheinlicher treffen ließ, als das nahe, aber leicht zu
verfehlende Schiff. Oswald schritt keck voran und trällerte ein
Liedchen. Doch als tiefere Stellen, die nicht zu durchwaten waren,
umgangen werden mußten, als Rinnen kamen, an denen man in mancherlei
Wendungen hinzuwandern gezwungen war, ehe eine Stelle gefunden ward,
schmal genug, um hinüberzuschreiten, als bald der eine, bald der andere
Gefährte im Nebel oft eine geraume Zeit verschwand, da wurde er stiller
und stiller. Als er ein paarmal, entweder unbesonnen forteilend, oder
zaghaft zurückbleibend, nur nach lautem Geschrei, da der Nebel den
Schall hemmte, sich den Genossen wieder anschließen konnte; als er bald
im Schlamme tief einsinkend, bald mit ungewissem Sprung die Weite
verfehlend, alle Mühseligkeiten des Weges erfuhr, da begann ein kalter
Schweiß von seiner Stirne zu perlen, und bei jedem Stillstand fühlte er
das Beben der Angst in seinen Gebeinen. Solcher Stillstand ward immer
öfter nötig, teils um die erschöpften Kräfte wieder zu sammeln, teils um
über die rechte Richtung sich zu vergewissern. Welche Umwege aber wurden
in der dichten Nebelhülle gemacht, die bei heller Witterung leicht
hätten vermieden werden können! Vielleicht war der Uebergang über eine
Rinne nur ein paar Fuß weiter rechts oder links, und eine halbe Stunde
wurde vergeudet, um ihn aufzufinden, weil man ihn an der Seite
vermutete, wo er nicht war, und wenn man sich endlich überzeugte, daß er
da nicht zu finden sei, wo man ihn suchte, ging wieder eine neue halbe
Stunde darüber hin, um zu dem alten Fleck zurückzukommen. Zuletzt mußten
sich die vier Leidensgefährten anfassen, um nicht durch die graue Wand,
die zwischen ihnen jetzt schon bei der Entfernung von auch nur einem
Schritt von einander aufgetürmt war, getrennt zu werden. Bisher waren
nur wenige, durch die Umstände gebotene Worte gesprochen. Jeder ging
still, sich seinen trüben Gedanken überlassend, hinter dem andern her;
nur Oswald unterbrach nun durch sein Stöhnen und Klagen vielfach das
ängstliche Schweigen. Aber nicht lange, da tönte die Schreckensfrage von
Mund zu Mund: »wohin sollen wir uns wenden?« Ach! die sich
widersprechenden Antworten zeigten nur zu gewiß, daß man sich auf keine
Antwort mehr unbedingt verlassen konnte. Die Richtung, bisher noch teils
durch die Aufmerksamkeit auf jede neue Wendung, teils auch durch die
Kenntnis der Schiffer von dem Lauf wenigstens der größeren Rinnen,
vielleicht nicht ganz verloren, ward nun Allen völlig zweifelhaft. Denn
die zu machenden Wendungen und Krümmungen waren immer verschlungener,
des Hin- und Hergehens, Vor- und Rücklaufens immer mehr geworden; und
unheilbringendes Zeichen! die Rinnen wurden allmälig breiter, flossen zu
zahlreicheren Wasserstraßen über, welche bald langsam wie heimtückische
Räuber dahinschlichen, indem sie zwischen den kleinen Erhöhungen in
vielfachen Krümmungen sich fortwanden, oder lauernd und auf neuen
Zuschuß wartend an einer größeren Bank sich verweilten; bald aber auch
wie mutige Krieger von einem erklimmten Wall auf die Ebene niederwogten
und dort sich nach allen Richtungen ausbreiteten. Von diesen Bewegungen
sahen die Wanderer freilich Nichts, obgleich der Nebel jetzt anfing,
sich ein wenig zu verteilen. Aber sie kannten ja die Stunde, in welcher
ihr Todfeind die Herrschaft wieder antrat auf den Marken, die sie mit
mutwilligem Fuß zu betreten gewagt hatten. Sie merkten sich auch schon
von seinen verstrickenden Netzen umschlossen, denn wohin sie sich
wandten, stießen sie auf seine Gänge, wohin sie sich wandten, folgte er
ihnen nach, und bald spülte er allenthalben um die Füße der gejagten
Beute. Nun kroch er, sich hebend und sich senkend, langsam, aber mit
sicherm Fortschritt, immer höher hinauf, steigerte in gleichem
Stufengang das Bangen und die Beklemmung der Umherirrenden, deren Tritte
immer heftiger, aber auch immer unsicherer wurden auf dem überschwemmten
Boden, und wallte jetzt um die schlotternden Kniee mit höhnischem
Rauschen, in welchem sich nur zu deutlich die grausame Freude aussprach:
»Ihr entgeht mir doch nicht mehr!« Was half die erneute Beratung: »wohin
sollen wir uns kehren?« Ja hätte nun auch die rechte Richtung ausgemacht
werden können, wie ja wirklich die aufmerksame Beachtung der Bewegung
der Flut sie ungefähr erraten ließ, hatte man nicht vor sich Rinnen, die
jetzt zu undurchdringlichen Tiefen geworden waren? Durfte man, selbst
dies Hindernis nicht mit erwägend, es sich verbergen, daß eine ungefähre
Richtung gar keine sei, da sie an der Scholle, die im weiten Ocean
aufgefunden werden sollte, eben so gut rechts oder links vorbei als
darauf hin führen konnte? Doch wurde ein Versuch gemacht, vorwärts zu
dringen, aber schnell wieder aufgegeben, als der Führer des Zuges
plötzlich bis über die Achsel in eine Tiefe versank, aus der er nur mit
Mühe herausgezogen werden konnte. Jetzt blieb nichts anderes übrig, als
auf dem Platze, wo man gerade sich befand, stehen zu bleiben und sich in
voller Hülflosigkeit der Macht des immer höher schwellenden Oceans zu
überlassen, und dem Vater im Himmel, der allein den Wogen gebieten kann:
bis hierher und nicht weiter! Leib und Leben im Gebet zu empfehlen.
»Mein armes, armes Weib!« dachte Hold; und sein Geist war so ganz in
diesem Gedanken aufgegangen, so ganz mit ihrem Schmerz um den Verlust
des Gatten eins geworden, daß ihm die Teilnahme für die nahe Bedrängnis
verloren ging in der vollen Empfindung ihres Jammers. Die beiden andern
Männer standen in dumpfer Hingebung schweigend da. Oswald aber verlor in
dieser gezwungenen Unthätigkeit alle Fähigkeit, seiner Todesangst irgend
ein stärkeres Gefühl entgegenzusetzen, oder auch nur sie unter einer
anscheinenden Ruhe zu verbergen. So lange noch Versuche zur Rettung
gemacht werden konnten, war er bei jedem günstigen Anschein voll
Hoffnung, und die Beschwerden der Wanderung ließen es ihn zuweilen ganz
vergessen, daß sie auf dem Wege wandelten, der sie vielleicht nur immer
fester als Opfer des Meeres umstrickte. Aber stille zu stehen, rings um
sich die Wüste des Oceans, in jedem leisen Wellenschlag einen neuen
Todesboten zu merken, mit welchem der beutesichere Feind neckisch sein
Opfer grüßte, eine Marter auszuhalten, die ohne die Abwechslung des
Schmerzes in immer gleicher Ruhe einen Tropfen aus dem Becher der
Hoffnung nach dem andern auszählte; diesem schwerfällig aufkriechenden
Tode, als würde der Körper von einer ungeheuren Schlange in immer höher
schwellenden Windungen langsam umzogen, von Sekunde zu Sekunde seinen
Gang nachzumessen, ihn immer näher und näher am hochschlagenden Herzen
zu fühlen: das war mehr, als Oswald zu ertragen vermochte. Anfangs drang
er in seine Gefährten mit dem leidenschaftlichsten Ungestüm, doch irgend
ein Mittel zur Rettung zu ergründen. Als er endlich ihren vielfältigen
Beteuerungen glauben mußte, daß Alles versucht sei, was versucht werden
könne, und daß jetzt nur noch die Möglichkeit als letzter Hoffnungsstern
übrig bleibe, wenn der Nebel sich noch mehr verteile, und das Land nahe
sein sollte, durch ihr Geschrei ein Boot herbeizurufen, da schrie er, in
jeder längern Zögerung den gewissen Tod sehend, so gellend auf, daß es
diesem herzzerschneidenden Ruf anzumerken war, wie nur die furchtbarste
Seelenangst ihm die übernatürliche Stärke gegeben. Mit diesem Ruf war
aber auch alle seine Kraft dahin, seine Füße wollten ihn nicht mehr
tragen, alle seine Gebeine schüttelten sich wie aus ihren Fugen heraus,
seine Zähne hämmerten auf einander und sein Haar sträubte sich hoch
empor; keines zusammenhängenden Wortes war er weiter mächtig. Er wäre
jetzt schon umgesunken, wenn Hold ihn nicht gehalten. Es ward auch für
Alle nötig, sich gegenseitig zu stützen, da die Wellen schon so hoch
gestiegen waren, daß es schwer wurde, die Füße gegen ihren Andrang
festzustemmen. Schweigend standen die Männer so neben einander, fest die
Hände in einander geschlungen. Jeder hatte in seinem Innern die Rechnung
mit dem Leben zu schließen und weder Zeit zu klagen, noch Lust zu
trösten. Oswald wollte freilich auch seine Seele in Gottes Vaterhuld
empfehlen und rang sich aus seinen durch einander tobenden Gedanken und
wild lodernden Empfindungen zu einem Blick nach oben durch, aber der
Himmel, an dem schon hin und wieder ein Stern durch den Nebelflor
schimmerte, nahm seinen Blick nicht an, wenigstens sank des Jünglings
Auge sogleich scheu wieder zurück, und in demselben Augenblick rauschte
eine Woge, höher als die übrigen, hinter ihm auf; ein doppelter
Wasserstrahl ging von seinem Nacken um den Hals her und floß über seine
Brust hin. »Du bist gerichtet!« schauderte es durch seine Seele, und ein
neuer Angstschrei riß sich aus seiner Brust los, dem ein dumpfes
anhaltendes Stöhnen, untermischt mit abgebrochenem Aechzen, folgte.
Festeren Gemütern wäre vielleicht dieses Stöhnen widerlich gewesen, auf
seine Leidensgefährten wirkte es dahin, daß auch sie ohne Rückhalt
seufzten und klagten.

Die Wasser aber rauschten heran, heran; eine Woge legte sich über die
andere hin, und mit jeder kommenden Woge lief eine Sekunde ab von der
kurzen, den Armen noch zugemessenen Lebensstunde.

Der Nebel sank endlich völlig und begrub seine feuchten Dünste in die
Flut. Am Himmel blinkten nur einzelne Sterne, und auf dem Meere war für
Die, denen das Wasser schon bis an die Brust stand, nichts zu sehen, als
bald hier, bald da auf dem kräuselnden Kamm einer Welle der Wiederschein
eines Sternenlichts. Die Dunkelheit verbarg das Schiff. Doch da, da, und
wieder da! Das sind Lichter der Heimat! -- Schließt Eure Rechnung
schneller, Unglückliche, die Lichter der Heimat werden zu Lampen für die
Toten hingestellt. Wie seid Ihr irre gegangen! Jene Lichter zeigen Euch,
daß Ihr wenigstens drei Mal weiter von der Heimat entfernt seid, als Ihr
es waret, da Ihr das Schiff verließet. Kein Ruf dringt hinüber zu der
fernen Küste; ja, könnte ein Ruf hinüberdringen, kein Boot, und würde es
auch noch so rüstig getrieben, vermag Euch zu erreichen, ehe noch das
Meer mit Euren Leichen spielt. Da sitzen Eure Lieben und warten auf
Euch! »Nun muß er bald kommen!« sprechen Vater und Mutter, Weib und
Kind, Bruder und Schwester, und Euer Platz wird leer gelassen in ihrer
Mitte, bis Ihr kommt. Für Euren freundlichen Empfang, für Eure
Erquickung nach der Reise sind Alle geschäftig; wohnlich und gastlich
soll Euch Alles anlächeln; traulich und herzlich das Willkommen sein,
das Euch begrüßt. Erzählen sollt Ihr den horchenden Lieben, was Ihr
gesehen, und die gemütliche Heimat von Neuem loben. -- Euer Platz wird
leer bleiben in der Mitte der Lieben, denn die Wasser rauschen heran,
heran; eine Woge legt sich über die andere hin, und mit jeder kommenden
Woge läuft eine Sekunde ab von der kurzen, Euch noch zugemessenen halben
Stunde.

»Mein armes Weib! mein Kind! mein Kind!« rief Hold laut zum Himmel auf.
Neben ihm seufzten die Männer, und Oswald's Gestöhn klang
verzweiflungsvoll dazwischen. Aber der trübe Geist, der Hold's Seele
niederdrückte, und der dadurch so lähmend auf den sonst so
glaubensfreudigen Mann wirkte, weil dieser besonders durch eine Regung
von Eitelkeit verleitet war, sich der Wanderung über den Schlick nicht
zu widersetzen, zu der er lieber zustimmen, als für furchtsam gehalten
werden wollte, dieser trübe Geist war mit jenem Ausruf auf die höchste
Spitze gelangt, wo ihn nun wie ein Wetterstrahl aus der Höhe das Wort
traf: »Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den
Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht!« Da war es, als träte Hold mit
vollem Siegesjubel heraus aus dem Schatten der Finsternis und den Banden
des Todes, die ihn so lange gehalten, und er hub an zu predigen in den
Wellen mit lauter und fester Stimme; freilich mehr in abgebrochenen
Sätzen, wie es die Lage der Dinge natürlich machte, als in dem
Zusammenhange, welchen unsere Aufzeichnung seinen Worten gegeben hat.

»Gelobet sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der Vater der
Barmherzigkeit und der Gott alles Trostes! Der uns tröstet in aller
unserer Trübsal, daß wir auch trösten können, die da sind in allerlei
Trübsal, mit dem Troste, damit wir selber getröstet werden von Gott. --
Lobet den Herrn in allen Seinen Werken, denn alle Seine Werke sind
unsträflich! Auf Sein Gebot kommen und gehen die Wasser. Er wehet das
Meer an mit dem Hauche Seines Mundes, und es weichet scheu vor Ihm
zurück. Er wehet das Meer an mit dem Hauche Seines Mundes, und es
schwellet und wallet heran folgsam Seinem Ruf; und was Er gebeut, das
geschieht zur rechten Stunde. So ist es denn auch Seine Stunde, in die
wir gekommen sind. Es ist Sein Rat, der uns dies Grab bereitet; und
darum leitet auch Seine Hand uns hinüber in Sein Reich. -- Freuet Euch!
Er hat in diesen Stunden der Angst uns gereiniget von unsern Sünden. Er
hat uns hingegeben in unsere Ohnmacht, daß die letzten Trümmer unseres
Dünkels niederbrächen unter Seinem Wort: »Seid stille und erkennet, daß
ich der Herr bin!« -- Er hat uns hienieden schon gerichtet, und unter
Seiner Heimsuchung ist unsere Schuld und Missethat über unser Haupt
gewachsen, wie das Meer über unser Haupt wächst; also daß wir weit von
uns geworfen haben das eitle Gewand eigner Gerechtigkeit und unsere
Seele gekleidet in das hochzeitliche Kleid der Gerechtigkeit in Christo,
die vor Gott gilt. -- Hallelujah dem Gott der Stärke, dem Vater der
Liebe! In Seiner Kraft überwinden wir die Welt, und Seine Gnade erfüllet
die verzagten Herzen mit Freude und Friede. Und die da weinen um uns, --
Herr, unser Gott, durch die Wolken hindurch dringt unser Gebet aus der
Tiefe, und Du erhörest, erhörest uns, die wir ausschütten unser Herz vor
Dir. Ja, wir bitten und zweifeln nicht: Du bist ein Helfer und Vater der
Witwen und Waisen, unter dem Schatten Deiner Flügel ruhen sie. Du
richtest sie auf, wo sie meinen vergehen zu müssen. Du weisest ihnen
Wege, wo sie keine Wege sehen. Vater tröste sie, stärke sie, führe sie
um unserer Bitte willen, wie Du verheißen: »Bittet, so wird Euch
gegeben.« -- Nicht für uns bitten wir. Wir haben nur Dank, daß Du uns
hast hören lassen Dein Wort zu uns mit wahrhaftigem Sinn und völligem
Glauben. Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht.
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden
unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Denn Du hast einen hellen Schein
in unsere Herzen gegeben, und unser Glaube ist schon hienieden zum
Schauen geworden, also daß Dein Licht uns umleuchtet in der Finsternis,
daß unsere Seelen auffahren mit Flügeln, wie Adler, aus der Tiefe, daß
wir Dich loben und preisen im Sterben. -- Hallelujah! Ehre und Preis
unserm Gott, der uns den Sieg gegeben hat über den Tod! Hallelujah! Dem
Herrn sei Dank und Preis in Einigkeit! Amen.«

Auf die beiden Männer der Hallig machten diese begeisterten Worte ihres
Pastors den entschiedensten Eindruck. Sie hatten eben noch seine Seufzer
und Klagen gehört, ihn die Schwäche und Trostlosigkeit seiner
Leidensgenossen teilen sehen, und nun erhob er sich auf einmal zu
solcher Höhe des Glaubens und der Todesfreudigkeit, daß sie seinen
Zuspruch, obwohl dieser sich ganz in den Grenzen ihres geistigen Gebiets
hielt, aufnahmen als eine Stimme von Oben, als die Sprache eines
weltüberwindenden Geistes, der wie im Sturm den Geist der Furcht und des
Zagens ausgetrieben, und dessen Stätte eingenommen in der Brust ihres
vorher mit ihnen verzagten Seelsorgers. Daß fast jedes Wort seiner
Tröstung an einen Bibelspruch erinnerte, gab ihr für Diejenigen, welche
von Kindheit an die heilige Schrift als Gotteswort geehrt hatten, den
vollen Stempel der Untrüglichkeit und daher noch gewisseren Einfluß auf
die Gemüter. Für Oswald jedoch war jede Tröstung verloren. Während Jene
lobten und dankten, als sei die Todesstunde ein Fest geworden, klang ihm
dies Zeugnis der Glaubensfreudigkeit wie ein Hohn über die Oede seines
Herzens. Oft versuchte er es, ein Wort des Glaubens und der Hoffnung
seinen Gefährten nachzusprechen; aber er wußte nicht einmal, ob es über
seine Zunge ging, wenigstens kam es ganz leer zu ihm zurück und fand in
seiner von Todesängsten gemarterten Brust keine Stätte, um auch nur
einen Augenblick zu haften. Er glaubte zu jammern und zu schreien, um so
irgend eine Macht zum Mitleid zu bewegen, aber dies Jammern und Schreien
war nur in ihm, seine Lippen fieberten nur, ohne daß ein Laut über
dieselben kam; er glaubte mit aller Macht zu kämpfen wider die
umdrängende Flut, aber seine Nerven zuckten nur krampfhaft, alle
Muskelkraft war aus den erschlafften Gliedern entschwunden. So bot er
das vollendete Bild eines Menschen dar, der an seinem Unglauben und
seiner Gottvergessenheit zum Märtyrer geworden ist.

Die Wasser aber rauschen heran, heran; eine Woge legt sich über die
andere hin und mit jeder kommenden Woge läuft eine Sekunde ab von der
kurzen, den Opfern des Meeres noch zugemessenen Viertelstunde.



                                XVII.


   Alles wollen sie begreifen,
   Alles wollen sie verstehn;
   Alles schneiden sie in Streifen,
   Um -- zusammen sie zu nähn;
   Und was wider ihre Lehren
   Ist wahrhaftiglich geschehn,
   Soll das offne Ohr nicht hören,
   Nicht das offne Auge sehn.

Nicht allein mit den obenstehenden Versen möchten wir die zunächst
folgende Erzählung einer bis zur Erscheinung gesteigerten Einwirkung der
Seele auf die Seele einleiten. Mit der bloßen Behauptung oder Verwerfung
einer Ansicht oder Erfahrung, die von der gewöhnlichen Meinung, von dem
alltäglichen Gange der Dinge abweichen, ist Nichts gewonnen. Auch von
den Gründen, welche unsere Erfahrung einer solchen Einwirkung in eine
leere Täuschung aufzulösen streben, müssen wir bekennen, daß sie ihre
Kraft bisher noch nicht an uns bewiesen haben, so zweifelnd-prüfend wir
uns auch auf diesem dunkeln Felde der höheren Seelenkunde bewegen.
Hold's Versuch, sich eine nicht abzuleugnende Thatsache für seinen
Glauben annehmlicher zu machen, teilt die gewöhnliche Eigenschaft
solcher Versuche, er ist Grau in Grau gemalt, erklärt das Wunderbare
durch das Wunderbare. Doch benutzen wir ihn gern, wenn auch nur zu einer
bescheidenen Einleitung in dieses Kapitel.

»Ist nicht so Vieles in unserm Geiste,« sagte er, »das über die
gewöhnlichen Gesetze des Denkens und Empfindens hinaus ist? Oeffnet die
Andacht nicht Tiefen in unserer Brust, die wir ohne sie ganz übersehen?
und sind die Perlen und Edelsteine, die sie aus diesen Tiefen zieht,
nicht von einer Art, daß unser Wissen und Verstehen jede Schätzung
aufgeben muß? Die Andacht aber ist in ihrer höchsten Blüte Einswerden
mit Gott, ein Verschmelzen unseres Geistes mit Seinem Geiste, also, daß
wir absterben unserm früheren selbsteigenen Geistesleben, und in Gott
leben, weben und sind, wodurch wir fähig werden, zu denken, zu fühlen
und zu handeln über unsere sonstige Kraft weit hinaus, weil die Kraft
Gottes in dem Schwachen mächtig ist. Wie nun die Liebe zu Gott solches
Wandeln auf Höhen, zu denen unsere gewöhnlichen Gaben nicht
hinaufreichen, möglich macht, so auch öffnet die irdische Liebe uns Wege
vom Herzen zum Herzen, auf die kein uns ohne diese Liebe bekanntes
Seelenvermögen hinweist. Es gibt auch hier eine Sprache und Mitteilung,
die eben wie die Andacht nur in einzelnen Momenten ihre Hieroglyphe in
das Buch unseres Lebens hineinschreibt. In Augenblicken, in welchen wir
uns selbst ganz vergessen, und all' unser Denken und Empfinden in die
Seele des geliebten Gegenstandes hineinversenken, wird die Ferne zur
Nähe und die Trennung zur Gemeinschaft; und unsere Bitten, Warnungen,
Seufzer und Grüße werden Gedanken und Empfindungen der geliebten Seele,
und damit sie nicht als eigene Träume unbeachtet bleiben, kleiden sie
sich auch wohl in das Gewand sichtbarer Gestalten, hörbarer Worte, die
aber nur eine Abspiegelung der auf solche Art geweckten Vorstellungen
sind, daher nicht in die Sinne der diesen fremden Personen fallen. Es
sind Erkennungen, denen ähnlich, mit welchen wir uns droben in den
ewigen Hütten wiedererkennen, wenn die Seele mit dem neuen Leibe
überkleidet wird, von dem unsere irdische Hülle nur der gröbere Schatten
ist. Doch werden diese Wechselwirkungen der Seelen auf einander wohl nur
da möglich sein, wo eine Liebe ist, nicht allein der vollsten Hingebung
fähig, sondern auch in derselben durch langes Erkennen und innige
Verschmelzung der Gedanken und Empfindungen erprobt und bewährt.«

Nun zu unserer Erzählung.

Godber und Idalia saßen in der Abenddämmerung dieses Tages, der für die
Hallig ein Tag der schmerzensreichsten Trauer zu werden drohte, neben
einander in der Stube ihrer Wohnung. Das Gespräch zwischen ihnen stockte
oft, eben weil Beide sich Mühe gaben, es zu unterhalten.

So geschieht es immer, wenn zwei Menschen zusammen sind, die Etwas auf
dem Herzen haben, worüber eine gegenseitige Erklärung notwendig ist,
diese Notwendigkeit auch erkannt, aber die offene Erklärung vermieden
wird, weil man von ihr ein Resultat fürchtet, das noch unangenehmer die
Seele berührt, als die drückende Empfindung der Ungewißheit und
Unentschiedenheit es thut.

Idalia verbarg ihre Verstimmung nur wenig, während Godber sich ernstlich
anstrengte, alle mögliche Weichheit und Zärtlichkeit in seine Worte und
sein Benehmen zu legen. Getrennt waren die Herzen schon. Erloschen war
fast ganz das Feuer der Liebe; nur daß Beide sich noch nicht überwinden
konnten, dies einander oder auch sich selbst nur recht zu gestehen;
Idalia nicht, weil ein gewisses Mitleid mit dem Jüngling, der sein Leben
für sie gewagt und ihr die Verlobte geopfert, noch in ihrer Brust sich
regte, und dies Gefühl dem schwachen Rest ihrer Neigung ein Gewicht
lieh, das er eben nur durch diese fremdartige Zugabe noch hatte. Godber
wagte nicht, über seine Empfindung klar zu denken, weil er das Kleinod,
für welches er so viel gegeben, nicht fahren lassen wollte, obgleich er
eingesehen, daß es ihn nicht glücklich mache, und weil ihm graute vor
der Leere eines Herzens, das zwischen der weggeworfenen und der zur
Täuschung gewordenen Lebenshoffnung in der Mitte stände.

Als eben wieder eine lange Pause eingetreten war, öffnete sich plötzlich
die Thüre, und die Pastorin, eine ganz unerwartete Erscheinung in diesem
Hause, stand bleich und bebend vor den Erstaunten.

»Godber,« sagte sie hastig, »Godber! ich beschwöre Dich, nimm Dein Boot
und fahre dem Schiff entgegen. Sie sind in Gefahr, mein Gatte ist in
Gefahr. Um eines armen unglücklichen Weibes willen, erbarme Dich,
Godber, und fahre hinaus.«

Dabei hatte sie seine Hand ergriffen mit dem flehendsten Ausdruck der
furchtbarsten Angst, und war im Begriff, vor ihm niederzusinken, als
Godber aufsprang und die halb ohnmächtige Frau auf seinen Stuhl sich
setzen ließ.

»Beruhigen Sie sich, Frau Pastorin!« rief er. »Ich will Alles thun, was
Sie wünschen. Ist irgend eine Nachricht da?«

Auch Mander, der jetzt aus dem Nebenzimmer trat, in welchem er bei den
Büchern, die ihm Licht geben sollten in der Dämmerung seines Glaubens,
geweilt hatte, fragte erschreckt über die Angst der Pastorin, woher sie
von der Gefahr des Schiffes wisse?

»O Ihr fragt, ihr glaubt nicht!« klagte diese händeringend, »und
unterdessen versinkt mein Gatte in den Fluten. Ihr saht ihn nicht, wie
ich ihn sah. An mein Fenster klopfte sein Finger. Ich eilte freudig vor
die Hausthür. Er stand da. Ich sah sein Gesicht so hell im Nebel. Ich
wollte ihn umarmen und in's Haus führen. Aber da flossen seine Züge
auseinander, und wie sie verschwammen, hörte ich den Seufzer: »mein
armes, armes Weib!« O Godber, hab' Erbarmen und fahre hinaus. Ich will
mit Dir, ich bin stark genug zum Rudern. Du weißt nicht, wie stark die
Frau und Mutter ist, die für den Gatten kämpft.«

Vergebens bemühte sich Mander, die Verstörte auf die Macht der
Einbildungskraft hinzuweisen, und wie natürlich es sei, daß ihre Liebe,
die jede Abwesenheit des geliebten Mannes so schwer ertrüge, ihr
allerlei schreckhafte Bilder vorgaukele, die ihren Grund nur in ihrer
Sehnsucht nach dem Abwesenden hätten, und in dem vielleicht in der
Einsamkeit zu weit verfolgten Gedanken: wie, wenn er einmal von solcher
Reise nicht wiederkehrte? Vergebens sprach Godber zu ihr vom Winde, vom
Wetter, von der Flut, wie durchaus keine Gefahr denkbar sei, aber eine
Verzögerung notwendig hätte eintreten müssen. Die Pastorin setzte diesem
Allem immer wieder die ihr gewordene Erscheinung entgegen. Sie gab genau
an, was sie vorher bis zu dem Augenblick dieses Gesichtes gedacht und
gethan, sie erklärte, gerade in jenem Momente nur ein heiteres Bild der
Heimkehr vor der Seele gehabt zu haben, und sprach mit solcher
Sicherheit der Ueberzeugung und solcher bestimmten Ausmalung der
kleinsten Umstände, daß wenigstens der offene Widerspruch verstummte. Ja
Godber, der mit den meisten Seeleuten die Empfänglichkeit für den
Glauben an geheimnisvolle Einwirkungen und wunderbare Vorbedeutungen
teilte, hatte kaum noch einen Zweifel daran, daß hier etwas dergleichen
sich kund gebe. Als daher bei der Pastorin die Angst um den Gatten wie
eine für kurze Zeit mühsam zurückgehaltene Flut wieder alle ihre
Gedanken und Empfindungen überwogte und sie mit den herzzerreissendsten
Jammertönen ihn anflehte: »Godber, rett' ihn, rett' ihn!« beeilte er
sich, ihren Bitten zu willfahren. Mander und Idalia begleiteten aber die
von der Sorge um ihren Gatten gequälte Frau, bei der nun, da sie ihren
Zweck erreicht hatte, eine Erschöpfung aller Kräfte eintrat, und die
doch nicht länger von ihrem Kinde entfernt bleiben wollte, nach Hause,
während Godber mit den beiden Seeleuten, seinen früheren
Schiffsgenossen, an den Strand ging und sein Boot bestieg.
Glücklicherweise lag dieses, da es am nächsten Morgen zur Ueberführung
einiger Kisten von der geborgenen Ladung auf ein Frachtschiff gebraucht
werden sollte, auf einer Stelle, von der sie, wiewohl die Flut eben erst
das Gestade benetzte, gleich fortrudern konnten; und obschon der Nebel
noch wenig gesunken war, fanden sie doch das Schiff, das sie suchten,
bald auf, da der Eine der Matrosen es kurz vor dem Eintritt der hohlen
Ebbe hatte vor Anker gehen sehen. Als ihr lauter, mit kurzen
Unterbrechungen vom ersten Gewahren des Schiffes an fortgesetzter Ruf
unbeantwortet blieb; als sie auf das Verdeck, in die Kajüte hinabstiegen
und keine Seele antrafen, da blieb kein Zweifel übrig, daß die
Unglücklichen, die auf dem Fahrzeuge gewesen waren, irgendwo auf dem
Schlick umherirrten, oder vielleicht schon dem anschwellenden Meere zur
Beute geworden waren. Wo sie suchen? Nach welcher Gegend hin das Boot
wenden? Godber stand eben mit diesen Fragen auf dem Verdeck, sah mit dem
angestrengtesten Blick, als könnte er die dichten Dünste mit seinem Auge
durchspähen, rings umher und hörte das Plätschern der Wellen um den Kiel
mit einem Grausen, als stände er, selber ein ratloses Opfer, mitten in
den andrängenden Fluten; da -- »Horch! was war das?« riefen alle drei
Männer auf einmal. Es kam durch den Nebel hin wie ein pfeifender Schrei
aus weiter, weiter Ferne her. Wir wissen, daß es Oswald's gellender
Angstruf war, und auch jene glaubten darin einen Hülferuf der Gesuchten
zu hören. Sie wurden freilich wieder zweifelhaft, als ihr vereintes
Geschrei keine Antwort brachte, obwohl sie es mehrmals wiederholten.
Doch da jede Richtung, die sie hätten einschlagen können, gleich ungewiß
war, so zogen sie die Richtung vor, von welcher sie jenen Ton vernommen.
Rasch ruderten sie vorwärts, wechselten oft, um immer mit gleicher Kraft
den Lauf des Bootes zu beschleunigen, hielten nur zuweilen einige
Augenblicke an, um auf eine Antwort auf ihren Ruf zu horchen. Da diese
aber immer ausblieb, da die Flut schon so hoch gestiegen war, daß in der
Gegend, wo sie sich befanden, es kaum noch denkbar schien, die
Unglücklichen, wenn sie sich hieher verirrt hätten, am Leben zu finden,
und da, obgleich der Nebel nicht mehr die Aussicht hinderte, die Fläche
des Meeres, so weit sie übersehen werden konnte, nur das ununterbrochene
Spiel der Wellen im Sternenlicht zeigte, so beschlossen sie, noch einmal
alle Kraft zu einem gemeinsamen Ruf zu vereinen, und dann eine andere
Richtung zu nehmen.

Wir kehren jetzt zu Denen zurück, die wir in der äußersten Todesgefahr
verließen. Ihre Kraft, dem immer höher anschwellenden Meere zu
widerstehen und sich gegen die wogende Flut aufrecht zu halten, nahm
mehr und mehr ab. Wäre der Wind nicht so ganz still gewesen, dann würden
sie schon längst ihren Tod gefunden haben. Die Begeisterung, welche Hold
und durch seine Ansprache auch die beiden Männer von der Hallig über die
Not des Augenblickes emporgetragen, war in eine schweigende, fast
bewußtlose Ergebung übergegangen, während in Oswald's Brust bei völliger
Erstarrung des Körpers alle Schrecken des kommenden Gerichts forttobten,
und das vergebliche Ringen nach irgend einem Gnadenworte ihn bis zur
wahnsinnigen Verzweiflung hinaufmarterte. Wohl hatte er in seinen
früheren Lebensverhältnissen zu Denen gehört, welche sich in den
Gesetzen äußerlicher Ehrbarkeit bewegen, wenn sie auch die Grenzen
dieser äußerlichen Ehrbarkeit so weit stecken, daß allerlei sogenannte
natürliche Schwachheitssünden mit hineinpassen; wohl hatte er in dem ihm
nie versagten Titel eines liebenswürdigen, gefälligen, unterhaltenden
jungen Mannes das Ziel aller Forderungen, die an ihn gemacht werden
könnten, erreicht geglaubt, und dennoch -- jetzt diese schreckliche
Leere und Blöße im Angesicht der Einigkeit! Warum ließ ihn denn das
»gute Herz,« dessen er sich doch in allen einzelnen ernsteren
Augenblicken sonst so wohl zu getrösten wußte, nun so ganz ohne Trost
und Hoffen? Seine Freundlichkeit gegen Jedermann, seine Teilnahme für
Anderer Wohl und Wehe, seine Bereitwilligkeit, ihr Bestes zu fördern,
sein Fleiß in seinem Berufe, ja selbst seine Rührung in, früher
wenigstens, nicht so ganz seltenen Momenten beim Aufblick zum
Sternenhimmel, beim Lesen schöner Stellen in Dichterwerken, wodurch er
sein weiches, empfängliches Gemüt bekundet, konnte ihm solcher Ruhm
jetzt nicht helfen in der Nähe des Todes? Warum wich dies Alles so scheu
nun aus seinem Gedächtnis hinweg, daß er es herzerren mußte in seine
Erinnerung, und es dennoch, wenn er darauf haften wollte, gleich einem
flüchtigen Schatten wieder entschwunden merkte? Warum lag trotz diesem
Allen sein Leben vor ihm wie eine nackte, dürre Haide, auf der kein
Blümchen sich pflücken ließ für die Ernte, die jetzt nach seiner Aussaat
fragte? Waren doch Tausende noch lange nicht wert, ihm gleichgestellt zu
werden, und Tausende so tief versunken in Sünde und Schande, daß er
gegen sie noch ein Heiliger genannt werden konnte; und doch -- warum
wendete der Herzenskündiger, den ja die Frommen als den Gott der Liebe
und der Gnade bezeichnen, nicht das Flammenschwert des Gerichtes von ihm
ab, das ihm die Seele durchschnitt und das innerste Mark seiner Kraft
verzehrte? Warum rollte, ein immer näher kommender Donner, vor seinem
Ohr das furchtbare: Verloren! Verloren!?

Könnten auch Dir vielleicht, lieber Leser, wenn Gott ähnliche
Schreckensstunden über Dich verhängte, gleiche Fragen den letzten Kampf
schwer machen?

Dieser Kampf schien für die von den Fluten fast Bedeckten gekommen.

»Herr, in Deine Hände!« rief Hold, und glaubte das letzte Wort für sich
und seine Gefährten gesprochen zu haben; da -- da scholl ein mächtiger
Ruf über die Wasser hin und zuckte durch die Seelen Derer, die schon
jede Lebenshoffnung aufgegeben, wie ein Auferstehungsgruß. Aber eine
lange Minute voll Entzücken und voll Angst ging darüber hin, ehe sie zu
antworten vermochten. Die ersten Laute waren kaum mehr, als ein bloßes
Aufatmen aus den Tiefen der Brust und dienten nur dazu, die Furcht zu
wecken, daß ihre Stimme gar nicht hörbar werden würde. Zugleich war jene
schwer errungene Ergebung in Gottes Willen plötzlich mit jenem Ruf von
ihnen gewichen, und das volle Gefühl ihrer schrecklichen Lage, das
Gedächtnis der Lieben, die ihr Tod in Gram und Herzeleid versenken
würde, wieder in seiner ganzen Stärke zurückgekehrt. Endlich riß sich
mit der furchtbarsten Anstrengung aus jeder Brust ein Schrei los, der
weithin gellte, und der, da das Band der Zunge einmal gelöst war, fast
ununterbrochen fortdauerte, ja immer stärker wurde, je näher die
Antworten tönten. Und nun hob es sich dort wie eine schwarze Woge und
rauschte heran ein Boot, getrieben von starken Ruderschlägen, welche die
im Sternenlicht blitzenden Wassertropfen wie ein Feuerregen von sich
sprühten. Ein wirres Jauchzen klang herüber, hinüber. Schauer des
höchsten Entzückens rieselten durch die Gebeine der dem Leben
Wiedergegebenen. In sehnsüchtiger Erwartung streckten sie schon von fern
ihre Arme dem Nachen entgegen, der, von der begeisterten Kraft seiner
Ruderer getrieben, je näher dem Ziel mit desto rascherem Fluge durch die
Wellen schäumte. Jetzt war er bei ihnen. Der Freudenruf der Retter
verschmolz mit dem Jubel der Geretteten, und bald trug das eben im
letzten Augenblick Erlösung bringende Boot froh die dem Meere
entrissenen Opfer dem heimatlichen Heerde zu.



                                XVIII.


   Nur Spiegel ist das Leben,
   Das Herz ist die Gestalt;
   Das Wort, das _Du_ gegeben,
   Tönt her nur aus dem Wald.

Auf der Hallig war die Absendung des Bootes und die Ursache dieser
ungewöhnlichen Maßregel schnell bekannt geworden. Daher fanden die
Ankommenden die ganze Gemeinde am Strande versammelt. Schon von weitem
sah man, daß Niemand fehle, und die ängstliche Besorgnis der Pastorin
wurde als Zeugnis ihrer Liebe zu dem Gatten gutmütig entschuldigt. Als
aber nun kund ward, in welcher Gefahr die vier Männer geschwebt hatten,
als deren völlige Erschöpfung diese Gefahr auf das Deutlichste bezeugte,
da wandten sich Aller Augen auf die Frau, deren lebendige Ahnung sie nun
als das Werkzeug des barmherzigen Gottes erscheinen ließ. Sie aber hing
sprachlos im Arm des geliebten Mannes und teilte ihre seliglächelnden
Blicke zwischen ihm und dem Sternenhimmel. Dahin deutete sie auch, als
eine der Frauen, deren Gatte mit Hold gewesen war, ihr laut dessen
Rettung zuschrieb. In ihren Häusern angekommen, fühlten die Geretteten
erst ganz die körperlichen Folgen der überstandenen Gefahr. In dem Maße,
wie die natürliche Aufregung des Geistes sich in der Ruhe sänftigte,
nahm die leibliche Schwäche bis zur völligen Ohnmacht zu und weckte neue
Besorgnisse in der Brust der Lieben. Der nächste Tag ging ihnen in einem
Halbtraum hin, von dem sie kaum auf wenige Augenblicke erwachten, um die
ihnen dargebotenen stärkenden Mittel zu sich zu nehmen. Hold, der dem
Ansehen nach am wenigsten kraftvolle, war doch der erste, der geistig
und körperlich Alles überwunden hatte. Vielleicht deswegen, weil sein
Gemüt eher als die Andern die wohlthuende Richtung nach Oben nahm und in
freudigem Dank gegen Gott sich ergoß. Oswald lag mehrere Tage in einem
unruhigen, durch krampfhafte Erschütterungen und ängstliche Träume
unterbrochenen Schlummer und bedurfte sorgfältiger ärztlicher Pflege.
Erst am fünften Morgen erwachte er neugestärkt nach einem mehrstündigen,
tiefen Schlaf, aber es gingen noch einige Tage hin, ehe er zum ersten
Male auf längere Zeit das Bett verlassen konnte. An seines Vaters Arm
wandelte er in der Stube auf und nieder und suchte im Gespräch mit
demselben über das Vorgefallene schon wieder seine alten leichtsinnigen
Redensarten hervor, freilich jetzt mit einem ihn oft übermannenden
inneren Widerstreben. Der alte Mander aber war ernst und feierlich, und
sagte endlich:

»Oswald, laß uns nicht widerstreben Gottes Fügungen. Ja, er hat uns auf
dies Eiland geführt, daß wir erkennen sollen das Eine, was not thut. Er
will uns retten! Auch mich hat er auf's Neue ergriffen mit Dem, was Er
über Dich verhängt in jenen schrecklichen Stunden Deines Lebens. Ich
kann Ihm nicht länger widerstehen. Ich muß Ihn loben und Ihm danken, daß
Seine Gnade größer gewesen ist, als meine Verblendung und meine Schuld.
Ich will fortan Ihm, nur Ihm allein dienen, und möchte sagen können: ich
und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen! Wie furchtbar hat Er sich
Dir offenbart in Seinem Gericht, und doch zugleich auch in Seiner Gnade,
die nicht will, daß Einer verloren gehe, sondern Jedermann sich zu Ihm
kehre und Buße thue. Wie die Hausmutter einen Brand aus dem Feuer reißt,
daß er nicht ganz verzehret werde, so reißt auch der Herr Deine Seele zu
sich. Oswald, mein Sohn, widerstrebe Ihm nicht länger!«

»Aber, Vater,« erwiderte Oswald, ebenso verlegen, als bewegt bei
Mander's sichtbarer Rührung, »soll ich denn meine Jugend einem finstern,
freudenlosen Ernst opfern?«

»Nein, nicht opfern,« rief Mander, »heiligen, verklären sollst Du sie
und Dein ganzes Leben bis an's Ende mit einer Freude, die mehr ist und
reicher giebt, als Alles, was Du bisher an Lust und Genuß gekannt hast.
Eine innere sichere Freudigkeit sollst Du gewinnen, die selbst Stunden
der Angst, wie die, welche Dich für immer gezeichnet haben, überwinden
lehrt.«

Oswald hatte, in Verwunderung über die Worte: »welche Dich für immer
gezeichnet haben,« einen Blick in den Spiegel geworfen, und blieb voll
starren Entsetzens vor demselben stehen. »Im grauen Haar,« hatte er
spottend zu Hold gesagt, »wolle auch er an seine Bekehrung denken,« und
siehe! nun hatte die eine schreckliche Nacht sein Haar grau gefärbt; er
war ein Greis geworden in der Blüte der Jugend. Lange blieb er bebend an
allen Gliedern, mit der Blässe des Todes übergossen, lautlos in seiner
Stellung, dann sank er mit dem Ausruf: »Gott, ich erkenne Dich!« seinem
Vater ohnmächtig in die Arme.

Als er wieder zu sich selbst kam, verlangte er nach einem Spiegel, den
er aber nach dem ersten Blick in denselben sogleich wieder schaudernd
und stöhnend von sich wies. Auf alles Zureden, sich zu beruhigen,
antwortete er nur mit abgebrochenen Lauten, welche bald die von allen
Schrecken der Verzweiflung gemarterte Seele, bald das nach dem Trost aus
der Höhe lechzende Herz verkündeten.

»Laßt ihn allein!« sagte Hold, an den Mander sich gewandt hatte. »Es ist
genug, wenn er still beobachtet wird; merken muß er es nicht. Der Herr
hat ihn ergriffen und will einen Kampf mit ihm ausringen, in welchem
jede menschliche Hülfe eine unnütze, ja gefährliche Zuthat ist. Oswald
muß noch Stunden erfahren und durchleben, furchtbarer als die in der
See, und es ist nicht gut, wenn ihm das rettende Boot zu früh
entgegengeführt wird. Er möchte es dann bald wieder verlassen.«

Und der besorgte Vater sah und hörte, wie Oswald sich vom Lager aufriß,
mit hastigen Schritten trotz seiner früheren Mattigkeit in der Stube
auf- und abeilte, jetzt mit beiden Händen die Augen bedeckte und am
Rande seines Bettes das Gesicht in die Kissen begrub, wie er nun zu
beten versuchte, nun sich alle Hoffnung auf Gott absprach, bald wieder
mehr wie ein unruhig Träumender, als wie ein Schlafender lautlos dalag.
Erst gegen Abend hörte man ihn auf seinem Bette still schluchzen und
weinen, und in diesem Zustande nahm er schwach und willenlos die
leibliche Erquickung an, die sein Vater ihm darbot. Auf dessen Frage
aber nach seinem Befinden, ergriff er die Hände desselben, benetzte sie
mit heißen Thränen und flehte:

»Vater, Vater, vergieb mir!«

»Laß uns Beide Gott bitten, uns zu vergeben, mein Kind,« erwiderte
Mander weich, und seine Thränen mischten sich mit denen seines Sohnes.

Doch der Gedanke an die Notwendigkeit der göttlichen Vergebung regte
alle Schrecken der letzten Stunden wieder auf in Oswald's Brust, und
Mander hatte eine Nacht am Lager seines Sohnes, von der er nachher
selbst gestand, daß sie eine Schule der strengsten, aber zugleich
heilsamsten Zucht auch für ihn gewesen sei.

Der Morgen kam, und mit ihm kam für Oswald das schöpferische Werde mit
seinem Siegesruf: »das Alte ist vergangen, und siehe! Alles ist neu
geworden!« Der Sturm des Aufruhrs in seiner Brust schwieg, das Meer lag
still und eben, und Gottes Sterne spiegelten sich in seinen friedvollen
Tiefen. Dieser Uebergang aus der qualvollsten Unruhe zur seligsten Ruhe
glich nicht dem langsamen Sinken der Wellen, wenn der Flügelschlag der
Windsbraut immer matter und matter wird, sondern jener wunderbaren
Wandlung, als der Herr hörte die Bitte Seiner Jünger: »Herr, hilf uns!
wir verderben!« und stand auf und bedräuete Wind und Meer. Da ward es
ganz stille. Auf gleiche Weise hatte auch hier das angstvolle: »Herr,
hilf uns! wir verderben!« die rechte Zeit und Stunde gefunden, und aus
der tobendsten Wetternacht trat plötzlich die Sonne siegstrahlend und
friedebringend hervor. So hat oft die Stunde der geistigen Wiedergeburt
in der Stunde der leiblichen Geburt ihr Gleichnis. Wie dort die
schwersten Wehen mit einem Augenblick in die Seligkeit aufgehen, daß das
Kindlein geboren ist, so fühlt hier sich die Seele auf einmal aller
Zweifel und Schrecken, aller Banden und Kämpfe entlastet und ruht
gläubig selig am Vaterherzen. Und haben nicht alle Stunden der Andacht,
wenn sie nicht ein bloses Anklopfen bleiben sollen ohne Eingang zum
Vater, solche Momente, in denen das Gefühl der Gottesnähe und die Freude
der Gemeinschaft mit ihm das Herz überwallen ohne allmälige Entwicklung,
ohne spätere Steigerung?« -- Oswald war wie ein Kind, das aus dem
ängstlichen Traum erwacht und -- den hellen Glanz der Weihnachtsfreuden
vor sich ausgebreitet sieht. Kein Gedanke an die Schrecken, die noch
eben seine Seele durchschauerten, störte das Hosianna des neuen Lebens.

Mander's Empfindungen waren mehr nur ein Nachklang der Gefühle Oswald's
und seine Freude darüber, daß dieser den Frieden gefunden, ließ es bei
ihm nicht gleich zur vollen Anerkennung dessen kommen, was er selbst in
dieser Nacht gewonnen.

Hold fand ihn in der Frühe dieses Tages auf den Knieen am Lager
des Sohnes. Beider Hände waren in einander geschlungen zum
gemeinschaftlichen. Gebet. Beider Augen, in denen noch die letzten
Thränen schwammen, verloren im Aufschauen zu Dem, der ihnen Seine
heilsame Gnade hatte widerfahren lassen.

Das Werk des heiligen Geistes war vollbracht. Daher sprach Hold nur
wenig. Sein Wort berührte keine Vergangenheit, gab keine Mahnung für die
Zukunft, sondern war mehr nur der Segen zum Schlusse, das letzte
nachtönende Hallelujah der Friedensfeier.

Erst am zweiten und dritten Tage ließ Hold sich auf eine längere
Unterredung ein und fand den jungen Mander so empfänglich für alle
Segnungen und Verheißungen des Evangeliums, so bereit und willig, in
alle Tiefen des Glaubens zu folgen, ja nach der ersten Hinleitung und
Anweisung so klar und entschieden in seinem Verständnis der
Offenbarungen Gottes, daß er voll Verwunderung ausrief:

»Seit wann haben Sie das Alles gelernt?«

»Gelernt?« antwortete Oswald. »Weiß ich's doch selbst nicht, wann und
wie? Jene qualvollen Stunden in der See kommen mir vor wie
Hammerschläge, die nur das Golderz an das Tageslicht bringen, das lange
harrte der Erlösung von den Schlacken. Wie schrecklich mir auch jene und
die nachfolgenden Stunden waren, jetzt ist es mir, als hätte ich Nichts
erduldet für den Frieden der nun mein Teil ist; als müßte ich einen noch
viel herberen Kelch trinken, um nur einigermaßen den Gnadenreichtum
aufzuwiegen, der seine Fülle über mich ausgeschüttet. O, wie ist Gott so
voll Liebe, Güte und Barmherzigkeit, weit, weit über unser Wissen und
Verstehen! Und ich konnte Ihn so lange verkennen! Wie vielfach hat Er
mich geladen. Ich sehe Ihn nun so sorgsam um meine Seele bemüht von
Anfang an; verstehe nun jede Stimme an mein Herz, die früher mir
unbeachtet verhallte. Ja, mein ganzes vergangenes Leben liegt vor mir
als eine ununterbrochene Kette von Ansprüchen an mein Herz, von
Mahnungen für mein Gewissen, von Hinweisungen auf den rechten Weg, von
Erinnerungen an Sein Gericht. Wie konnte ich doch nur so taub und
verblendet sein?«

»Wir taufen die Kinder mit Wasser,« sagte Hold für sich; »aber Gott
wählet Seine Stunde, sie mit Geist zu taufen. Und sollen wir denn die
Gnade richten, wenn wir meinen, unsere Bereitung zu dieser Taufe sei
länger und schmerzlicher gewesen, und die Taufe selber doch nicht
gabenreicher, als die des andern Kindes, das Gott bestimmt hat zu einem
Zeugnis Seiner wunderbaren Liebesmacht?«

War dies Selbstgespräch Hold's, der erst nach schweren Kämpfen und auf
weiten Umwegen durchgedrungen war zu der Glaubenshöhe, auf der er stand,
eine Anwandlung von Neid, oder ein kluges Mißtrauen in die Wiedergeburt
des früher so gottentfremdeten Jünglings? Vielleicht kam das Erstere zum
Letzteren mit hinzu, ohne daß Hold selbst das Eine von dem Andern in
seinen Gedanken klar unterschied.

Am folgenden Morgen gab Oswald seinen Entschluß zu erkennen, sich zum
Missionar vorzubereiten.

»Ich muß,« rief er, »hinaus unter die Heiden! Ich möchte meine Arme
ausstrecken nach Allen, die noch wandeln in der Finsternis, und ihnen
zurufen; Gehet ein zu Eures Herrn Friede! Es wird die Liebe, die ich
erfahren, mir zur Last und Bürde, wenn ich Nichts dafür thun und leiden
kann. Sie wird zu einer Flamme, die mich verzehrt, wenn ich nicht Andern
von ihrer Glut mittheilen soll.«

Hold bekämpfte diesen Entschluß; anfangs damit, daß er den Rat gab,
nicht bei der ersten Aufwallung der Begeisterung auf die Beharrlichkeit
zu rechnen, die dem Apostel nötig sei. Als aber Oswald die gänzliche
Umwandlung seines Wesens und Charakters versicherte, als er es für
seinen künftigen Frieden durchaus notwendig erklärte, für das Evangelium
in Not und Tod zu gehen, da erinnerte Hold mit einer Strenge, die in
seinen vorhin angedeuteten Gedanken über Oswald's Umwandlung ihre
Erklärung findet:

»Wie schwer lernen wir es, wahrhaft demütigen Herzens zu sein! Wie sehr
sträuben wir uns noch immer gegen das Empfangen und wollen nehmen,
wollen uns selber geben, wenigstens nach Möglichkeit abverdienen, was
wir dem Herrn verdanken. So wollen auch Sie jetzt kämpfen, tragen und
dulden, um sich doch am Ende noch ein wenig eigen Verdienst zurechnen zu
können bei der reinen Gnadenthat des Vaters im Himmel.«

»O, gewiß nicht!« rief Oswald. »Ich fühl' es so ganz, daß Nichts mein
ist, daß Alles Sein ist, daß nur Sein warmer Frühlingsodem die kalte
Winternacht weggehaucht hat von der Wüste meines Lebens. Mir ist so
wunderbar neu zu Mute, wie die Erde, wenn sie eine Seele hätte, fühlen
müßte in den Tagen des Lenzes, vor dessen Blick die lange erstarrten
Ströme niederschmelzen und alle Quellen wieder rieseln, auf dessen Gang
die Keime wieder erwachen zum Leben und zu Blüten und Düften
aufschwellen im Sonnenlicht. Ich will ja weiter Nichts, als dies Blühen
und Duften hinaustragen in die Wüste, wo noch der Winter lagert. Ich
will ja nur eine Seele suchen, die mit mir erwacht zum Leben, mit mir
den Vater preist, der so Großes an uns gethan.«

»Vergessen Sie nicht,« erwiderte Hold, »daß noch genug Stunden kommen
werden in Ihrem Leben, in welchen Sie Ihre Armut für sich selber fühlen,
obgleich Sie sich nun reich genug dünken, Andern mittheilen zu können.
Und dann möchte ich wenigstens für die Heiden lieber Männer einfachen
Sinnes von Jugend auf, wie die ersten Apostel es waren; Männer, die
unverwirrt und unverirrt ein empfängliches, offenes Herz dem Herrn
darbrachten von Anfang an; Männer, deren Rückblick in die Vergangenheit
weniger von Reue verfinstert wird, und die daher das Amt der
Verkündigung nur aus reiner Liebe, nicht mit dem Nebengedanken, ein
Bußopfer zu bringen, übernehmen. Deren Predigt wird einfacher sein,
weniger berechnend, weniger aus dem Eigenen schöpfend, allein mehr
gebend, was sie empfangen vom Herrn und von Ihm haben in Seinem Worte.
Sie wird nicht so sehr das Ausreuten des Verkehrten zu ihrem Geschäft
machen, als vielmehr nur darreichen, was dienet zur Erleuchtung,
Heiligung und Beseligung. Sie wird den Boden der Heidenwelt nicht so
ausschließlich als ein Feld betrachten, das zubereitet werden muß für
die Saat; sondern sie wird den Samen streuen in Hoffnung und sein
Gedeihen dem Tau und Sonnenschein von Oben überlassen; und ich glaube,
das ist die rechte apostolische Weise, von der aber gar zu leicht
derjenige abgeht, dessen Herz selbst lange ein Feld voll Unkraut war,
ehe der Weizen Raum finden konnte.«

»Ach! daß Sie auch immer Recht haben müssen,« seufzte Oswald. »Aber
unmöglich kann ich wieder zurückkehren zu jenen trocknen, nur für
irdische Genüsse arbeitenden Geschäften meines früheren Berufs;
unmöglich wieder heimatlich werden in der mir jetzt widerlichen Welt
meiner Vaterstadt.«

»Der Glaube verklärt Alles,« sagte Hold, »all' unser Lieben, Wirken,
Leiden und Hoffen. Haben Sie bisher im Kaufmannsstande nur ein Wirken
für irdische Genüsse gesehen, so werden Sie ihn jetzt in einem neuen
Lichte betrachten. Er ist es, der alle natürlichen und künstlichen
Grenzen zwischen den Völkern der Erde niederbricht. Er sendet sein
Banner hinüber über die weite Ebene des Oceans, treibt sein Rad die
Felsengebirge hinauf und hinab, zieht das Saumtier durch Wüsten und
Einöden. Ihn schreckt keine Mühe und keine Gefahr. Er trotzt dem
versengenden Mittagsstrahl und dem Eis des mitternächtlichen Pols.«

»Ja,« fiel Mander hier in die Rede, »auch wir dienen der geistigen
Entwickelung der Menschheit. Ich habe erst, seit ich mir dies recht
vergegenwärtigt von der Lectüre der Schriften, die den Geist emportrugen
über alles Eitle und Weltliche, ohne Murren aufstehen und an die Börse
gehen können. Wir fördern die allmälige Verbrüderung und höhere Reife
der Völker, indem wir ihre Entfremdung von einander rastlos bekämpfen
und dadurch auch die Folgen derselben: Mißtrauen, Feindseligkeit,
Verachtung, Einseitigkeit und Unwissenheit. Denn der Handel ist ein über
den Erdboden sich hinstreckendes, lebendiges, ewig bewegliches Gewebe,
dessen Fäden über alle Scheidungen hinweg die Völker an einander ziehen,
sich gegenseitig von einander abhängig machen und dadurch sie sich
einander achten und lieben lehren. Er ist der Träger eines nie ruhenden
Umtausches, nicht allein irdischer Güter, sondern auch geistiger
Fortschritte. Mit seinen Frachtbriefen sendet er Wissenschaft, Kunst,
Cultur den entferntesten Nationen zu; macht durch seine Ballen zum
Gemeingut Aller nicht allein die Produkte jeder Zone, sondern auch die
Geistesflamme, die ohne seine weltumfassende Thätigkeit nur einem
kleinen Fleck der Erde gestrahlt hätte. Er mindert die Kriege, weil
seine Interessen, die bei jedem Kriege so hart verletzt werden, immer
schwerer in die Wagschale fallen. Er schafft, daß die Erde ein Vaterland
und die Menschheit ein Volk werde, das, so verschieden an Sprachen und
Sitten, doch im gegenseitigen Verkehr sich befreundet, das, so oft auch
entflammt in Zwietracht, doch nach dem ersten Friedensblatt sogleich
wieder verbunden ist durch brüderlichen Austausch.«

»Und,« fuhr Hold fort, »öffnet nicht das Kaufschiff dem Boten des
Evangeliums die sonst feindlich verschlossene Küste? Baut nicht der
Handelsverkehr die Brücke von Land zu Land, von Volk zu Volk dem Worte
Gottes? Nehmen Sie den Stand des Kaufmannes hinweg, wie fern würde dann
noch die Zeit sein, von der es heißen soll: Eine Heerde unter Einem
Hirten, Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller!? Wir
können nicht Alle unmittelbar, aber Alle mittelbar wirken für das Reich
Gottes. Und wollen wir uns unser Wirken, das scheinbar allein dem
Nächsten, dem irdischen Wolergehen dienet, verklären, so müssen wir ihm
jene Beziehung auf das Eine, was not thut, auf die Erhebung der Kinder
des Staubes zu Kindern Gottes zu geben wissen. Es ist dem Arzt eine
Freude, wenn er den Kranken von der Nähe des Grabes durch seine Kunst
zurückgerufen hat zum Genuß des Lebens. Seine Freude wird aber höher,
himmlischer, wenn er dabei bedenkt, daß Gott durch ihn einer
Unsterblichen Seele eine längere Frist bereitet hat, für die Ewigkeit zu
reifen, daß Gott durch ihn dem Sünder noch Raum gab zur Buße, dem
Glaubensschwachen noch Gelegenheit zum höheren Verständnis, dem Frommen
zur weitern Vollendung. So auch der Kaufmann. Er sorgt für Bedürfnisse
und Genüsse, die vielleicht nur die niedere sinnliche Natur des Menschen
befriedigen, und er ist ein Werkzeug in der Hand Gottes, die Wege zu
ebnen und die Bahnen zu brechen den Segnungen und Verheißungen, die
Freude und Friede bringen in Zeit und Ewigkeit. In solchem Bewußtsein
treibt er freudig sein Geschäft. Es ist ein Werk Gottes für ihn
geworden. Er beneidet nicht mehr den Priester um sein den göttlichen
Dingen allein geweihtes Amt. Er ist, wie dieser, ein Diener des Herrn,
der da will, daß Allen geholfen werde an allen Enden der Erde.«

»Nun lerne ich mehr verstehen,« bemerkte Mander, »was Sie früher einmal
sagten, daß Sie alle Bestrebungen der Menschheit nur in Beziehung auf
ihren Dienst für die eine Wahrheit würdigten.«

»Aber,« entgegnete Oswald, »sind nicht gerade große Handelsplätze die
Stätten der größten Entfremdung von den göttlichen Dingen? Führt nicht
das Streben nach Erwerb und Gewinn am leichtesten von dem Ringen nach
den wahren Gütern des Lebens ab?«

»Alle großen Städte sind jetzt hierin gleich,« war Hold's Antwort. »Doch
ist Irreligiosität keineswegs eine natürliche Zugabe des
Handelsverkehrs. Im Mittelalter waren die großen Kaufstädte, -- denken
Sie an Augsburg mit seinen edlen Geschlechtern: Fugger und Welser, -- an
Frömmigkeit, Tugend und Ehrbarkeit reicher, als viele andere Städte,
deren Ruhm sich nur auf einen Bischofssitz oder auf ein Residenzschloß
gründete. -- Kehren Sie zurück zu ihrem frühern Beruf. Zeugen Sie
inmitten der Verderbnis vom Reiche Gottes. Stellen Sie in Sinn und
Wandel einen Handelsherrn dar, der seinen rechten Schatz im Himmel weiß,
der wach und thätig in seinem Weltberufe, diesen verkläret durch das
Bewußtsein seines höhern Berufes. Schämen Sie sich auch unter den
Spöttern nicht des Evangeliums von Christo, geben Sie Rede und Antwort
über Ihren Glauben vor Jedermann, erwerben Sie ihm Achtung auch von
Denen, die ihn nicht teilen; und Sie sind, was Sie vorher zu werden
wünschten, Sie sind ein Arbeiter im Weinberge des Herrn; und vielleicht
gesegneter in Ihrer Ernte für Sein Reich, als wenn Sie die Stätten
aufsuchten, die noch völlig brach liegen.«

»Sie eröffnen mir eine Aussicht,« erwiderte Oswald, »deren Reiz ich
nicht verkenne; aber Sie senden mich zurück in einen Kampf, dem ich
schon einmal nicht gewachsen war.«

»Doch nun angethan mit den Waffen des Lichtes, doch nun gerüstet mit dem
Schwert des Glaubens und gedeckt von seinem Schilde! Wol aber ist Ihnen
sorgsame Vorsicht, strenge Aufmerksamkeit not. Was der Herr auch Großes
an Ihnen gethan, Sie sind, Oswald, doch noch eine junge Blüte im
Glauben, die der Entwickelung und Ausbildung auch noch ferner sehr
bedarf, ehe sie Andere erfreuen mag mit ihren Düften und Früchten.
Bitten Sie Gott, daß Er Sie kräftige und vollbereite. So wird Er Sie
darstellen zum Zeugnis, ohne daß Sie sich dazu drängen, ein Zeuge zu
sein.«

Oswald wagte keine weitere Gegenrede, doch fühlte er sich verletzt durch
das wenig verhehlte Mißtrauen in seine völlige Umwandlung zu einem neuen
Menschen und hätte daran wol am besten erkennen können, wie gerecht dies
Mißtrauen sei.

Zur weiteren Durchbildung und gleichsam Wurzelung im Heil wäre ein
längerer Aufenthalt auf der Hallig und Hold's Anleitung und Anregung
gewiß nützlich gewesen, und Oswald's Siegesfreude ging mehr allein aus
dem Rückblick auf die Vergangenheit hervor, als daß sie von einem
ernsten Aufschauen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens begleitet
war.

Vielleicht mochte auch Hold zu wenig auf die Macht des lebendigmachenden
Glaubens rechnen, und eine Umwandlung, wie die vorliegende, nicht ganz
zu würdigen wissen, weil sie als eine für ihn neue Erscheinung auftrat.
Außerdem beurteilte er früher den jungen Mander nur nach Dem, was dieser
selbst von sich erkennen ließ, und verborgen war ihm die leise Arbeit,
wodurch der Geist Gottes, der die Herzen lenkt wie Wasserbäche, diesen
scheinbar so dürren Boden schon lange empfänglich gemacht; wie ja auch
Oswald diese stille Bereitung nicht verstanden, und darin nur Regungen
kindischer Schwäche gesehen, die er bekämpfen, und, um den vermeinten
Ruhm eines starken Geistes nicht zu verlieren, sorgfältig verbergen zu
müssen glaubte. Und wer konnte zeugen von der furchtbaren Qual der
Läuterung in jenen Stunden, als jede kommende Woge zu einem Boten ward,
der das immer gleiche Wort wiederholte: »dem Menschen ist es gesetzt zu
sterben, und darnach das Gericht!?« wer zeugen von seinen spätern
schweren Kämpfen, bis der Morgenstern aufging in seinem Herzen?

Doch in seinen spätern Jahren machte auch Oswald noch manche trübe
Erfahrungen, wie er sich im ersten Augenblick der Begeisterung zu viel
zugetraut, wie auch unter dem Morgenrot der Gnadensonne noch Wolken und
Stürme nicht fehlen, wie oft wir in einzelnen Momenten Höhen
überstiegen, die wir nachher erst wieder mit Mühe erklimmen müssen. Die
Kämpfe blieben für ihn nicht aus. Der Umwege wurden noch viele. Nur Das
hatte er gewonnen, daß seine Augen aufgethan waren für das rechte Ziel,
und daß er darum sich immer wieder auf den rechten Weg zurückfand, und
daß die Thränen seiner Reue gesegnet waren mir dem Troste: »Freude ist
im Himmel über einen Sünder, der Buße thut!«

Und mehr gewinnen ja auch die Meisten nicht vom Glauben an das
Evangelium. Ihrer guten Werke sind vielleicht nicht mehr, als die Derer,
welche das Heil in Christo verschmähen; aber sie wissen, daß diese Werke
ohne Verdienst und Gerechtigkeit sind, und halten darum um derentwillen
Nichts von sich selber, sondern bekennen in Demut ihr Zurückbleiben in
der Nachfolge des Herrn. Sie sind vielleicht nicht stärker in der
Versuchung als Jene; aber sie fühlen ihre Unwürdigkeit und kehren bald
um in Reue und Buße und tragen Leid über ihre Sündhaftigkeit. Daher,
wenn auch Beide wenig unterschieden sind nach ihrer äußerlichen
Erscheinung, ist doch im Innern ein völliger Gegensatz. Hier Demut; dort
Eitelkeit. Hier Betrübnis über den Mangel an Heiligung und immer tiefer
gefühltes Bedürfnis der Erlösung; dort leichtsinniges Entschuldigen und
Vergessen und Vertrauen auf das sogenannte »gute Herz« und auf die
einzelnen löblichen Bestrebungen, als ausreichend zur Befriedigung der
Forderungen des göttlichen Gesetzes.

Wir sagen: die Meisten gewinnen kaum mehr von ihrem Glauben an das
Evangelium, und bekennen gern, daß sie schon damit unendlich Viel
gewonnen haben; keineswegs aber wollen wir dieser Halbheit irgend einen
Vorschub leisten; sondern stellen das Ziel der Vollendung auf, wonach
wir unermüdlich ringen sollen mit Gebet und Flehen, mit Seufzern und
Thränen, mit Wachen und Streiten, mit Treiben und Drängen, mit Sorgen
und Hoffen: die völlige Erneuerung im Geiste des Gemütes, die Verklärung
des inwendigen Menschen, die sich abspiegelt in allen Gedanken und
Gefühlen, in allen Worten und Werken, die alles ungöttliche Wesen und
die weltlichen Lüste austreibt, wie vor der Sonne die Nebel und Schatten
schwinden; die Wiedergeburt, wodurch das Erdengeschöpf in seinem Wesen
und Thun zu einem Kinde Gottes, und der Wandel auf Erden zu einem Wandel
im Himmel wird, wodurch die Welt selbst dem also Wiedergeborenen auch zu
einer neuen Schöpfung sich umwandelt, deren Freuden und Leiden nur
Zeugnisse sind, daß sie Gottes Welt ist. Mit dem Glauben an die Erlösung
tritt erst die Möglichkeit einer solchen Wiedergeburt ein, weil durch
ihn im Menschen die Liebe, die reinste und stärkste Triebkraft im Himmel
und auf Erden, auf das Göttliche gelenkt wird; aber dieser Glaube ist
nicht die Wiedergeburt selbst, wie unsere Halbheit sich oft gern
überreden möchte, er ist nur die notwendige Bedingung dazu und bleibt
ein totes Erz und eine klingende Schelle, wenn er nicht in der Liebe
thätig ist, in der Liebe, die da schaffet und wirket zur Heiligung des
Sinnes und Wandels.

Aber -- wer darf dann auf Erden ein Wiedergeborner heißen? -- --

Laßt uns den Vater bitten, daß er uns unsere Schwachheit vergebe doch
wehe uns, wenn wir sie uns selbst verzeihen!



                                 XIX.


   Reift mir auf Erden nicht Aehre noch Traube,
   Bleibt mir doch immer das hoffende Herz.
   Wird ihm zum Schauen auch nimmer der Glaube,
   Bricht es im Tode doch himmelwärts.

Die Nähe des Winters erinnerte die fremden Gäste der Hallig an ihre
Abreise zu denken. Ungern entschlossen sich Mander und Oswald dazu, den
Tag der Entfernung von einer Stätte zu bestimmen, die ihnen zu einem
Altar des Höchsten geworden war. Dieses Eiland war ja ihr Vaterland,
denn hier hatten sie zuerst mit vollem Lebensgefühl den Vaternamen
stammeln lernen; hier in dem Irren und Wirren ihres Geistes die Ruhe
gefunden, nach der sie so lange mehr oder minder gedurstet. Hier war für
sie die Nacht gewichen und der Morgenstern aufgegangen in ihrem Herzen.
Beide scheuten sich, wieder in die ihnen unheimlich gewordene Welt ihres
früheren Lebens hinauszutreten. Dort mußten sie sich Gäste und
Fremdlinge fühlen, während sie die Hallig als eine, wenn auch neue, doch
für sie segensreiche Heimat liebten. Mit Schmerz dachten sie zugleich an
die Trennung von Hold und seiner Gattin. Sie verehrten in ihm den Führer
zum Lichte und zum Frieden, den Mann, dessen wissenschaftliche
Geistesrichtung sich mit einem so kindlichen Glauben verschmolz, den
Seelsorger, welcher bei aller Vielseitigkeit seiner Bildung dennoch für
seine so unbedeutende Stellung im Amte zu leben schien. Sie verehrten in
ihr das liebende Gemüt, das stille Walten im häuslichen Kreise; und an
Beiden die Zufriedenheit in einem mehr als bescheidenen Erdenloose, in
welchem Tausende, bei solcher Kenntnis des Besseren, sich höchst
unglücklich gefühlt hätten. Sie wußten nicht, daß ein Halligprediger
schon als solcher wenig geehrt wird, und daß dieser Titel bei Vielen
genug ist, eine halb verächtliche Miene anzunehmen; aber hätten sie dies
gewußt, dann würden sie auf die Entbehrungen und Entsagungen, auf die
Mühseligkeiten und Gefahren eines solchen Amtes aufmerksam gemacht
haben, würden die Aermlichkeit der Einnahme, die notwendige
Beschäftigung mit all' den kleinlichen Arbeiten des Hauses und der
Schafhürde, wodurch größtenteils allein jene Einnahme gewonnen wird, die
Abgeschiedenheit von der Welt und allem wissenschaftlichen Verkehr haben
reden lassen für Diesen und Jenen der Amtsbrüder Hold's, dem es an
geselliger Gewandtheit im Leben und an übersichtlicher Kenntnis der
Fortschritte der Wissenschaft fehlen mag. »Hat der Geistliche,« so hätte
etwa ihre Verteidigung gelautet, »den Ihr bewundert wegen seiner
Feinheit im Betragen und wegen seines Anstandes in vornehmen Zirkeln,
den Ihr oben an setzet in der Zahl der Geistreichen, Hochgebildeten,
Hochgelehrten, hat er die schönsten Jahre seiner Jugend und Manneskraft
als Halligprediger verlebt? Hat er es versucht, was es heißt: aus der
reichen Welt des Genusses in solche Entbehrung versetzt, mit dem warmen
für die ganze Menschheit schlagenden Herzen auf solche vergessene
Scholle verpflanzt, aus dem blühenden Paradiese hoffnungsvoller
Jugendträume in solcher Umgebung zu erwachen, in welcher die Natur nicht
weniger als der Mensch darbt, wie keine noch so kahle Haide darbt, von
den Quellen des Wissens in solche für den Geist nahrungslose Oede
verbannt, zu solchen niedern Arbeiten, zu solchem Betriebe eines
Schafzüchters verurteilt zu werden? Hat er es versucht, was es heißt:
bei einem so spärlichen, auf solche Art verdienten Lohne hauszuhalten
und dabei in jeder kommenden Sturmflut den Tod vor Augen zu sehen, und
wenn Weib und Kind ihn überleben, diese als Bettler in die Welt
hinausgestoßen zu wissen? Fraget ihn, auf sein Gewissen, ob er dann noch
der Mann geblieben wäre, als den Ihr ihn jetzt lobt und ehrt? Fraget
ihn, ob er sich getraue in solcher Lage auch nur einige Jahre hindurch,
-- und mancher Halligprediger kommt zeitlebens nicht von seiner Scholle,
-- sich jene Kraft zu bewahren, die an dem innern Lohn und an dem
Bewußstein von dem Segen seines Amtes genug hat, und die eben darum
Geist und Herz aufrecht hält selbst in solcher Kümmerlichkeit des
äußerlichen Daseins?«

Für Euch, seine früheren Amtsgenossen, will der Verfasser dieser Bogen,
-- der sich nicht schämt, daran zu erinnern, daß auch er ein
Halligpriester, wie man Euch oft nennt und damit meint etwas Spöttisches
gesagt zu haben, in den ersten Jahren seiner Amtsführung war, und
vielleicht noch wäre, wenn ihm das Meer nicht zweimal die Kirche
weggerissen, deren neuer Aufbau zuletzt unthunlich ward, -- hiermit ein
Wort des Ernstes wider die stolz auf Euch Niederblickenden gesagt haben.
Es wird dieses Wort Euch keine Frucht bringen und keine Hand bewegen,
einen Fond zu sammeln, um wenigstens für den wissenschaftlichen Bedarf
zu sorgen, ohne den auch der denkendste und gelehrteste junge Geistliche
bald dem Stande der Wissenschaft nicht mehr gewachsen sein wird, und
ohne den es ein wahrhaft seltener Sieg über die Schwäche der
menschlichen Natur sein muß, wenn nicht Mangel, Einsamkeit,
Elementarunterricht, Besorgung der Wollheerde, Abhängigkeit vom Preise
des von ihr gewonnenen Produkts allmälig den älteren Mann abstumpfen für
die höhere Richtung des Geistes. Nur wer _vor_ dieser Prüfung schon
völlig durchgedrungen ist zum rechten Leben im Geiste, mag in ihr
bewährt erfunden werden. Für Den, welchen sie vor der Reife trifft, ist
die Bitte not, daß sie nicht lange währe. Wenn auch fruchtlos, sei doch
für Euch mit warmem Eifer geredet ein Wort des Bruders, der über die
Wasser hin Euch die Hand reicht, und dem es lange ein Bedürfnis war, für
Euch zu sprechen. Kommt auch sein Wort leer zu ihm zurück von der
Herzenspforte Derer, welche aus ihrer sichern und bequemen Höhe auf Euch
herabsehen, Eurem Herzen wird es wolthuend sein; und es ist das erste,
das öffentlich Eure gute Sache führt wider die ungerechte Beurteilung
und wenige Berücksichtigung Eures Märtyrertums im Dienste der Kirche.[2]

Idalia fand es, da der Tag der Abreise bestimmt ward, durchaus
notwendig, mit Godber offen zu reden. Gern hätte sie das ganze
Verhältnis sich ohne eine solche Entwicklung lösen sehen. Sie war mit
ihren Gedanken schon der Abreise vorausgeeilt und sah sich wieder in der
glänzenden Umgebung der Vaterstadt, in allen Genüssen eines
reichbewegten Lebens. Dort hoffte sie auch, würden ihr Vater und ihr
Bruder von den wunderlichen Grillen, welchen nur die Einsamkeit und die
Gespräche mit Hold Nahrung geben konnten, bald wieder genesen. Ihre
Abneigung gegen den mystischen Anstrich, wie sie es nannte, verleidete
ihr die Hallig nun ganz, und ihr Mißfallen an dieser erstreckte sich
auch auf ihr Verhältnis zu Godber, der ja mit seiner Hallig so völlig
eins war, daß er zu schwanken schien, ob er dieser oder seiner Liebe
entsagen solle. Freilich sprach sich in Godber's Benehmen noch immer die
alte Zärtlichkeit aus; aber sie wußte ja doch, daß er nicht ohne
Bedenken die Heimat um ihretwillen verlassen würde, und seine Weichheit
und Hingebung kam ihr jetzt, da in ihrem Herzen seine Neigung keinen
gleichen Anklang mehr fand, unmännlich und kindisch vor. Sie konnte
nicht begreifen, wie sie früher an ein engeres Verhältnis mit ihm habe
denken können. Sie wußte nicht mehr, was sie Ungewöhnliches und
Anziehendes an ihm gefunden, und schalt sich eine Thörin, daß sie sich
von der Dankbarkeit für ihre Lebensrettung habe so weit führen lassen.
Sie fürchtete nun im Ernst, daß er sich noch entschließen möchte, ihr zu
folgen, und machte sich allerlei Pläne, wie sie ihn, wenn er mit nach
Hamburg kommen sollte, allmälig nötigen wollte, sich so in den
Hintergrund zu ziehen, daß er jede Hoffnung auf ihren Besitz aufgeben
müsse. Aber fragen mußte sie ihn doch nun erst, denn er schien ja nicht
reden zu wollen, obgleich sie schon durch Ablegung der Kleidung der
Hallig ihm ihre Meinung deutlich genug offenbart, und vergebens auch
suchte sie durch Kälte und Verschlossenheit ihn zu reizen; es war, als
ob er nur desto magnetischer zu ihr hingezogen würde, je mehr sie ihn
zurückstieß. Wol mußte er merken, daß seine Liebe nicht mehr wie früher
erwidert ward, wol war auch seine Leidenschaft für sie erkaltet, doch
kettete ihn das Bedürfnis, einen Gegenstand zu haben, über den er sich
selbst vergessen könnte, an Idalia. Er sah ihre peinliche Frage voraus,
sah die Stunde der Entscheidung immer näher kommen, und wich doch
ängstlich jeder Hindeutung auf dieselbe aus.

[Fußnote 2: Durch obige Worte veranlaßt, haben einige edle Frauen in
Kopenhagen einen Versuch gemacht, die Lage der Halligprediger zu
verbessern. So wenig nun auch das Resultat ihren Wünschen entsprach, so
wollte ich doch nicht ihre Bemühungen mit Stillschweigen übergehen. Die
Zinsen des zusammengebrachten Kapitals werden wenigstens dazu dienen, in
der Zukunft einer etwaigen Witwe eines Halligpredigers einen kleinen
Zuschuß zu dem dürftigen Witwengehalt zu geben, und so wird auch diesem
Scherflein der Dank nicht fehlen. Auch ich, dem von einer dänischen
Insel her das einzige Zeugnis ward, daß mein Wort für die Halligprediger
nicht ganz ohne Anklang geblieben sei, nehme meinen Gruß an diese Insel,
freilich in Erwartung eines reicheren Ausfalls damals dargebracht, nicht
zurück und setze den letzten Vers dieses Grußes noch mit ebenso warmem
Herzen hierher, wie ich ihn zuerst niederschrieb:

   Hilfer hoit, i Gaedestoner,
   Den, hvor i Kamp og Raad
   Borgerdyd hver Tinding kroner;
   Taarer fandt jeg der og -- Daad.]

An einem heitern Novembertage stand er am Ufer des Meeres und blickte
auf das Spiel der Wellen zu seinen Füßen. Eine wehmütige Rührung
breitete ihren weichen Schleier immer weiter über seine Gedanken und
Gefühle und sänftigte sie, wie die Mutter das unruhige Kind, wenn sie es
in ihr Gewand hüllt und an die warme Liebesbrust drückt. Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft flossen ihm wie in eine Thräne zusammen, in
welcher all' sein Träumen und Sehnen sich zu dem lieblichen Bilde eines
friedlichen Stilllebens ausmalte; aber ob vom aufgehenden Morgenstrahl
oder vom scheidenden Abendrot dies Bild beleuchtet werde, das wußte er
nicht; nur daß es ein Bild nicht der Wirklichkeit, sondern nur der
Sehnsucht sei, erinnerte ihn die feuchte Perle, die über seine Wangen
niederrollte. Lange stand er so da, in dem Vergessen, das doch wieder
kein Vergessen ist, indem um die Schwinge des schönsten Traumes immer
noch der Flor der Trauer weht, und das Herz zu keiner stolzen Höhe voll
Licht und Seligkeit zu erheben vermag. In solcher Stimmung erschien ihm
seine Hallig als der einzige Fleck der Erde, der ihm zusagen konnte, als
die Stätte, auf der allein die Wunden seiner Brust Heilung finden
würden; es war ihm unmöglich sich in den Verkehr der Welt
hineinzudenken, und er schauderte vor der furchtbaren Einsamkeit und
Verlassenheit unter den Menschen, die sich in dem lauten Treiben des
Lebens bewegten.

Hold, in welchem gerade entgegengesetzte Wünsche durch den Verkehr mit
den Fremden, durch die aufregenden Gespräche, durch die Erneuerung des
geistigen Austausches, durch die Erinnerung an das lebendige Treiben der
Welt rege geworden waren, und der, öfter als sonst, jetzt sehnsüchtig
über die Wogen hinschaute die ihn vom festen Lande und dessen geistiger
und politischer Lebensfülle trennten, überraschte Godber in seinen
Träumen. -- Sie waren bald in ihrem Gespräch bei dem, was Beiden, Jedem
auf seine Weise, nahe lag: bei der Abreise der Fremden.

»Du wirst uns,« fragte Hold, »nun wol verlassen?«

»Nein, nein,« rief Godber heftig, »ich verlasse meine Heimat nicht.«

»Und Idalia bliebe hier?« war die verwunderte Gegenfrage.

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Jener leise mit unsicherem Tone.

»Du weißt es nicht?« und dabei sah Hold den Jüngling, der schweigend und
gesenkten Auges vor ihm stand, prüfend an.

»Du weißt es nicht? Godber, hast Du Dich selbst, hast Du das Rechte
wiedergefunden?« und als Godber noch immer nicht antwortete, fuhr er
lebhaft fort: »Gewiß, Du kannst nicht glücklich werden in der großen
Stadt, in dem rauschenden Leben und Treiben, unter Menschen, die jeder
Thräne, wie sie ja noch in Deinem Auge hängt, nur spotten. Du mit Deinem
einfachen stillen Wesen würdest Dich unheimlich fühlen müssen in ihren
glänzenden Kreisen. Für den Sohn der Hallig ist nur die Hallig der
Boden, wo sein Leben gedeihlich wurzelt, nirgends sonst kann es ihm wol
werden. Und Idalia? Die Neigung, die sie Dir zugewandt, ist wol nur
Regung der Dankbarkeit, Folge der ungewohnten Einsamkeit, Ausfüllung
müßiger Stunden, höchstens Aufwallung leidenschaftlicher Gefühle, in
denen sie wechselt wie mit ihren Modekleidern.«

Godber errötete bei diesen Worten vor Scham, und Hold, der es bemerkte,
ergriff seine Hand und sagte:

»Es kränkt Deinen Stolz, daß ich Dir dies sage; es thut Dir wehe, daß
ein Anderer von Dir weiß, Du habest mehr zu gelten geglaubt, als Du
giltst. Aber es würde Deinen Stolz ja noch mehr empören müssen, dies an
ihrer Seite erst dann zu lernen, wenn kein Rückschritt mehr möglich,
wenn Du durch ein heiliges Band in den Zauberkreis ihres blendenden
Schimmers gebunden bist, und, wie Du selbst Dich darin unbehaglich
fühlst, sie auch es fühlen ließest, daß Du ihr ein unbehaglicher
Schatten bist. Und es ist ja nicht Deine Schuld, daß Du vertrautest
ihrer süßen Rede und ihrem schmeichelnden Benehmen. Es ist ja vielmehr
Deine Ehre, daß Du dadurch getäuscht werden konntest. Der Mensch, der
sagen könnte: ich bin nie getäuscht worden, der hat sich selber sein
Urteil damit gesprochen, und ich würde mich vor seiner Freundschaft
ebenso sehr hüten, wie ich mich dränge zu Dem, dessen Herz blutet von
den Wunden, welche das getäuschte Vertrauen schlug. Ja, Godber, darum
und weil ich mir es gelobte in dem rettenden Boote, in welchem Du mich
zu meiner Gattin und zu meinem Kinde zurückbrachtest, drängte ich mich
an Dich und bitte um Dein offenes Vertrauen. Ich werde es nicht
täuschen, so lange ich des Augenblicks gedenke, als Dein und Deiner
Gefährten Ruf über die Wasser scholl, die um mein Haupt spülten.«

Godber widerstand nicht länger; ein Blick, in welchem der glänzende Tau
einer dankbaren Thräne perlte, und ein fester warmer Händedruck
bezeugten es dem Pastor, daß die Zurückhaltung, die jener immer gegen
ihn beobachtet, nun einer herzlichen Annäherung gewichen sei.

Offen sprach jetzt Godber über seine ganze Lage und Stimmung. Er
verschwieg nicht, wie Idalia's Benehmen in der letzten Zeit ihn
gekränkt, und ihm fast die Gewißheit gegeben, sie wünsche das Verhältnis
mit ihm gelöst zu sehen.

»Laß fahren dahin!« rief Hold. »Scheide, was schon längst geschieden ist
und sich entgegensteht wie Süd und Nord. Und will Dein Herz noch bluten,
so wirf es mit all' seinen Wunden an's große Vaterherz dort oben; Gott
wird es zu heilen wissen, daß es aus dem schweren Kampfe hervorgehet,
ein Held, für den seine Narben zeugen, daß man sich verlassen darf auf
seine Kraft und Treue.«

Hold vertraute der Zukunft mehr, als Godber, denn nur dieser kannte ja
ganz die Gewissensunruhe, die ihn bei jedem ernsten Gedanken über sich
selbst folterte. Nur eine scheinbare Kraft lieh ihm den Entschluß, ein
letztes, entscheidendes Wort mit Idalia zu reden. Der Grund seiner
Schwäche lag tiefer, als in der Trauer der unerwiderten Liebe, denn dann
wäre ihm jetzt die Rückkehr zur vollen Freiheit des Geistes nahe
gewesen, da er im Begriff stand, eine Fessel zu lösen, die ihn bisher
von dem Glücke zurückgehalten, für welches er jahrelang in Geduld und
Hoffnung gearbeitet, und das selbst durch die Flammen der neuen
Leidenschaft oft noch als ein milder, freundlicher Stern
hindurchgeblickt. Doch wäre seine Liebe zu Idalia auch fortan für ihn
nichts weiter gewesen als ein Traum, der bei unserm Erwachen kaum in
kurzer Erinnerung fortlebt, konnte er damit auch vergessen, daß um
ihretwillen er vor der letzten Planke das Schiff verlassen, dessen
Steuer ihm anvertraut gewesen, daß er um ihretwillen seinen Gelübden
gegen Maria untreu geworden war? Wenn diese ihm auch verzeihen wollte,
konnte er sich selber verzeihen? Nur so lange er noch hoffen durfte, die
zu besitzen, für welche er so viel geopfert, hatte dieses Opfer noch
eine lichte Seite, hatte noch einen, wenn auch zu teuer erkauften
Vorteil, hatte einen Altar, auf dem es dargebracht war; nun, da er
selbst es erfolglos zu machen im Begriff stand, fiel es auf sein Herz
zurück wie eine dunkle, schwere Wolke, durch die kein Streif des
Morgenrotes brechen konnte, die Aussicht in die kommenden Tage zu
erhellen. Nur das Eine, was die Gegenwart von ihm forderte, die Trennung
von Idalia, blieb ihm klar; jede Zukunft war für ihn Nacht und
Finsternis, während Hold einer frohen Entwickelung des Geschicks der
durch frühe Gelübde Verbundenen, oder vielmehr einer ruhigen Rückkehr in
das ebene Geleis ihrer Vereinigung für's Leben mit freudiger Teilnahme
entgegensah.

»Du wirst mit Deinem Vater reisen?« sagte Godber am andern Morgen zu
Idalia, mit einem Tone, dessen Frage wie gewisse Voraussetzung klang,
nachdem ihn die Ueberlegungen einer schlaflosen Nacht noch entschiedener
in dem Entschluß gemacht hatten, mit dem Mute der vollendeten
Hoffnungslosigkeit sich ganz in das dunkle Gewand eines unausweichlichen
Geschicks zu hüllen.

Idalia erbebte sichtbar. War es die letzte Regung für den Jüngling, war
es die plötzliche Nähe der längst gewünschten Entscheidungsstunde,
wodurch sie so heftig bewegt wurde? Sie vermochte nicht gleich etwas zu
erwidern. Sie sann auf eine Antwort, die, indem sie ihm jede Hoffnung
auf ihren Besitz abschnitt, dennoch so wenig als möglich ihn verletzen
sollte, und, wie es gewöhnlich in solchen Fällen geht, sie verwundete
ihn gerade auf's Tiefste mit ihrer Erwiderung.

»Wie vielen Dank bin ich Dir, schuldig, Godber. Ohne Dich hätte ich
meine Vaterstadt, nach der ich mich jetzt so sehne, nie wiedergesehen.
Nie,« dabei ergriff sie seine Hand und drückte sie innig, »nie werde ich
es vergessen, wie Du mir nachsprangst in die rollende See. Nie wird
meine Dankbarkeit, nie werden meine Wünsche für Dein Glück aufhören!
Und, nicht wahr? wir haben ein freundliches, liebliches Spiel mit
einander gehabt auf diesem Eilande, woran wir uns immer gern erinnern
werden, als an eine im Leben so seltene, kindliche Vergessenheit.«

Godber erglühte vor Scham und Zorn. Also ein Spiel durfte sie nennen,
was ihn und die arme Maria um das Glück des Lebens betrogen! Er preßte
die Lippen zusammen und stand eine Zeit lang da, wie Einer, der
zweifelhaft ist, ob er die innere Wut bezähmen oder auslassen soll.

Idalia wurde immer unruhiger, je länger sein Schweigen währte. Sie
wollte ihren Stolz zusammenraffen und sich kurz von ihm wenden; aber das
Gefühl ihres Unrechts, nicht ohne eine Beimischung von Furcht vor dem so
tief gekränkten Jüngling, überwog, und sie sagte mit schmeichelnden
Tönen:

»Welch ein Festtag wird es für mich werden, wenn Du uns einmal in
Hamburg besuchst! Dann wollen wir wieder plaudern von den alten Zeiten,
und Du wirst sehen, wie treu mein Gedächtnis auch die kleinsten Umstände
unseres Zusammenlebens auf diesem Eilande bewahrt haben wird.«

Godber hatte diese letzteren Worte ganz überhört; aber der zornige
Aufruhr seiner Seele ging plötzlich in eine Wehmut über, die seine Augen
mit Thränen füllte. Ein gewöhnlicher Uebergang der Empfindungen in
seinem Gemüt, dessen Schwäche einer heftigen Bewegung nicht lange
gewachsen ist. Die Spannung, in seinen Zügen wie in seiner Stellung
löste sich in eine Schlaffheit auf, vor der sich Idalia fast noch mehr
scheute, als vor dem Ausbruch des Zorns, da sie davon eine rührende
Scene fürchtete, die sie um jeden Preis vermeiden wollte, weil diese
doch zu Nichts führen konnte, und weil sie bei der tiefen Erschütterung
Godber's zugleich fühlte, daß sie ihres Herzens noch nicht so vollkommen
Meister sei, wie sie es geglaubt hatte.

Doch Godber besann sich, daß Alles ja doch nur so gekommen sei, wie es
kommen mußte, daß er selber Entscheidung gewünscht, ja daß diese
Entscheidung schon längst da gewesen, und ihr nur das Wort gefehlt habe.
Er wandte sich rasch um und eilte fort, ohne nur einen Blick des
Abschieds auf Idalia zu werfen. Diese hätte gern eine freundlichere
Trennung gesehen. Sie schwankte einen Augenblick, ob sie ihm nicht
nachfolgen und noch ein paar herzlichere Worte mit ihm reden sollte;
aber ehe sie sich darüber besonnen, war es zu spät. Godber eilte die
Werfte hinab, und bald trieb sein Boot mit ihm einsam auf den Fluten.
Erst nach der Abreise der Fremden fand er sich auf der Hallig wieder
ein.

Auch wir können von Idalia hier Abschied nehmen, indem wir einen
flüchtigen Blick in ihre Zukunft werfen. Hätte sie es verstanden, ihre
Neigung für Godber zur wahren weiblichen Liebe zu erheben, sie würde
vielleicht selbst seine Abneigung, der Heimat untreu zu werden,
überwunden haben, und er hätte an ihrem Herzen wohl vergessen, wie teuer
er das Glück an ihrer Seite erkauft. Da sie aber nun einmal solche
Hingebung erfahren und von sich gestoßen, durfte sie erwarten, je wieder
ein Herz zu finden, das nur in ihrer Liebe alle Sehnsucht erfüllt sah?

Sie fand sich in Hamburg bald wieder in all' die Zerstreuungen, in
welchen sie früher gelebt, und heiratete zuletzt einen Mann, dessen
Vermögen und Neigung es ihr erlaubte, auch als Gattin in den Thorheiten
zu glänzen, welche die Zeit ausfüllen, ohne das Herz zu befriedigen,
vielmehr dasselbe zu einer wahren Parforcejagd nach immer neuen
Befriedigungen der Eitelkeit und der Weltlust stacheln. Was ihre Seele
bewegte, welche Erinnerungen aus der Vergangenheit auftauchten, wenn sie
in den doch nicht ganz zu vermeidenden einsamen Stunden ihrer
kinderlosen Ehe, den Kopf auf die Hand gestützt, die Stickerei
vergessend auf dem Schooße ruhen lassend, mit halbgeschlossenen Augen
wie in die Leere hinausstarrend, oft lange dasaß, so lange, bis sie
erschreckt von einer heißen Thräne, die auf ihren Arm fiel, aufsprang,
hastig die Laute ergriff und die Saiten stürmen ließ, als sollten die
wilden Töne gewaltsam eine Lust aufregen, von der das Herz nichts wissen
wollte, das mögen Die beurteilen, welche folgende Verse verstehen:

   Einen Maitag hat das Leben,
   Einen Schöpfer-Augenblick;
   Läßt Du ihn vorüberschweben,
   Kehrt er nimmer Dir zurück.

   Einmal kommt das Glück Dir nahe,
   Winket Dir mit offner Hand;
   Wer es einmal scheiden sahe,
   Hat es ewig fortgebannt,

   Und dann ruft es keine Zähre,
   Wieder hin in Deine Spur!
   Treibe bis zum fernsten Meere.
   Pilgre bis zur fernsten Flur.

   Breit' der Erde Güter alle
   Um Dich her in weiten Reih'n,
   Führ' in Deine reiche Halle
   Jede Lebensfreude ein,

   Schlürfe tief aus voller Schale: --
   Ach! Du seufzest im Genuß;
   Denn es fehlt dem Feiermahle
   Der verscherzte Weihekuß;

   Denn es fehlet Deinen Kränzen
   Das verschmähte Immergrün;
   Deine Blumen, wie sie glänzen,
   Blühen nur, um zu verblühn.

   Einmal durftest kühn Du hoffen,
   Bräutlich grüßte das Geschick;
   Einmal sahst Du Eden offen --
   Hoff' auf keinen zweiten Blick.



                                 XX.


   Was der Herr den Seinen giebt, das trage
   Nicht hinein in's kühne Wortgefecht.
   Was von Oben stammt, will keine Frage,
   Fordert Glauben als ein göttlich Recht.

Mander und Oswald wünschten noch das Mahl des Herrn, gleichsam als eine
Versiegelung ihres neuen Bundes mit Ihm, in der ihnen so lieb gewordenen
Gemeinde zu feiern. Idalia antwortete auf die Frage ihres Vaters, »ob
sie sich der heiligen Handlung anschließen werde?« daß ihre Gedanken zu
sehr auf die Abreise gerichtet wären, als daß sie mit Andacht an der
Feier Teil nehmen könne.

Gewiß ist es uns am angenehmsten, wenn wir das: »ich bitte Dich,
entschuldige mich!« in das blendende Gewand einer zarten Ehrfurcht vor
dem Heiligen einkleiden können; und es giebt Leute, die, wenn man ihren
Worten glauben soll, allein aus jener gewissenhaften Scheu vor einer
zerstreuten Teilname am Gottesdienst die Kirche zeitlebens meiden und
die häusliche Andacht auch nur darum unterlassen, weil sie bis an das
Ende ihrer Tage darauf warten, einmal mit rechter Würde andächtig sein
zu können.

Mander fragte Hold, als er demselben seinen und seines Sohnes Entschluß
zu erkennen gab, zum Tische des Herrn zu gehen: »welcher Ansicht vom
heiligen Abendmahle er zugethan sei?« Hold erwiderte:

»Ich wollte, Sie hätten mich nicht gefragt, sondern sich, unberührt vom
Streite der Meinungen und Ansichten, mit voller Seele dem Eindruck
dieser Feier hingegeben, um an sich zu erfahren, was sie Ihnen sein
soll. Vielleicht ist das Abendmahl für Jeden nach seinem Bedürfnis und
seiner Empfänglichkeit etwas Anderes, und ich hätte lieber von Ihnen
gehört, welchen Gehalt Sie in diesem Kleinod der Christenheit gefunden,
als daß ich Ihnen Anleitung gegeben zu einem vorgefaßten Urteil, da dies
nicht angeht, ohne eine Trennung in der Gemeinde des Herrn zu erörtern,
die dem Abendmahl den Charakter der Communion nimmt.«

»Aber es kann doch nur eine Ansicht die wahre sein,« entgegnete Mander,
»und es kann doch nur der das Mahl des Herrn mit dem vollen Segen für
sich feiern, der weiß, was der Herr mit dieser Feier wollte?«

»Aller Segen kommt von Oben,« war Hold's Antwort, »und ich glaube, es
haben Viele, welche mit den verschiedensten Ansichten zum Mahle des
Herrn kamen, doch den gleichen Segen davon gehabt, weil im Augenblick
der Feier Keiner mehr seiner Ansichten gedachte, sondern sich hingab dem
Einfluß, den die Feier auf ihn ausübte. Freilich wird dieser Einfluß bei
Allen sicherer und auch wohl dauernder sein, wenn sie vorher und nachher
die ganze Bedeutung dieses Genusses erwägen.«

»Sie sind bisher mein Lehrer gewesen, seien Sie es auch ferner,« bat
Mander. »Ihr Urteil muß bei Dem, was ich Ihnen sonst verdanke, eine
große Autorität haben.«

»Meine Autorität soll Ihnen nicht weiter gelten, als was ein
langjähriges Nachdenken über die Heilsordnung des Evangeliums voraus hat
vor der erst kürzlich gewonnenen Einsicht in die Wahrheit der
Offenbarung Gottes in Christo. Nun lassen Sie es sich noch einmal gesagt
sein: ich knüpfe den Segen der Feier, die Sie vor sich haben, nicht so
sehr an das volle Verständnis von dem Charakter derselben, als an eine
Gnadenwirkung Gottes auf das empfängliche Gemüt. Sie sollen daher nicht
zum Tische des Herrn treten mit der Ueberzeugung: Dies oder Jenes werde
ich an mir erfahren, sondern vielmehr warten der Verheißung, die diese
Feier hat; sich und Ihre Andacht nicht binden an diese und jene
Auffassung vom Abendmahl, sondern willig und bereit sein, mit reiner
Hingebung anzunehmen, was der Herr Ihnen in demselben darreicht. Ich für
meinen Teil stehe auf dem Grunde der Kirchenlehre.

Fassen wir das Ganze der Offenbarung in Christo als eine Wunderthat der
erlösenden Gnade Gottes, wodurch ein wirklich Neues, nicht den
bisherigen Mitteln der Gemeinschaft mit dem Himmel Aehnliches, etwa nun
nur in höherem Grade sich Entfaltendes, in das Leben der Menschheit
eintrat, als eine Erhebung der Natur des Staubes zu einer Trägerin des
Lebens, welches war bei dem Vater und erschienen ist auf Erden, so
können wir uns auch nicht dagegen sträuben, ein Fortleben und Fortwirken
dieser That in beständigen Wundern anzunehmen. Ist einmal statt der
Vermittelung zwischen dem, was droben ist, und dem, was hienieden ist,
welche an die uns verliehenen geistigen Gaben ihre Geistesgaben
anknüpft, -- so bei uns in den Weihestunden der höchsten Andacht, so bei
den Propheten im reichsten Maße, -- ein Mittler gegeben, in welchem
Himmel und Erde eins wurden, so dürfen wir auch die Lehren, Segnungen
und Verheißungen dieses Mittlers nicht mit dem Maßstabe messen, welchen
wir den Dingen anlegen, die dem gewöhnlichen Gesetz folgen, nach welchem
Himmel und Erde in ihrem Wesen sich ewig fern bleiben, und nur durch das
Band der Gemeinschaft im Geiste sich einander nähern. Wir dürfen
vielmehr erwarten, daß Alles, was von jener That ausgeht, einen
Charakter habe, der dieselbe nicht allein fortspiegelt als eine
wunderbare, sondern der alles dieses von ihr Ausgehende in sich selber
ein Wunder sein läßt. So das Abendmahl. Es ist nicht das Gedächtnis an
die That der Versöhnung, das neu geboren werden soll, sondern die That
selber, die neu geboren wird im Gläubigen. Das Mahl des Herrn ist Er,
der sich mir neu giebt, es ist nicht Ich, der ich mich Ihm neu gebe. Wie
die Erlösung durch sein Leibesleben und Lebensleiden auf Erden bedingt
war, so ist das Abendmahl nicht allein eine geistige Nahrung für den
Geist; sondern eine irdisch-himmlische Speise, durch die wir Sein werden
und Er unser wird durch eine volle Vereinigung. Im Abendmahl ist der
ganze Christus, der Lehrer und der Erlöser, der Leidende und der
Ueberwinder, der Gekreuzigte und der Auferstandene, der Sohn der Maria
und der Sohn Gottes, und der erstere nicht weniger als der letztere.
Während uns in jeder andern Feier bald der Eine, bald der Andere stärker
hervortritt, ist beim Abendmahl Jener mit Diesem, und Dieser mit Jenem
in einer Hülle verbunden, und geht in einer Gemeinschaft in uns über.
Ohne die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl wird die Erlösung eine
That in der Zeit, die allein durch den Glauben fortlebt, aus dem
irdischen Gebiet ganz wieder in das geistige aufgegangen ist; während
sie auch nach ihrer irdischen Seite im heiligen Abendmahle fortleben
soll, nicht allein weil Christus nun im Geiste der Gläubigen fortlebt,
sondern weil Er selber noch für sie da ist. Denn Sein Fortleben in
unserm Geiste ist doch immer nur unser Leben in Ihm, abhängig von
unserem Verständnis und unserer Andacht, ist nicht in der That und
Wahrheit Sein Leben in uns, ist immer nur Wir, nicht Er. Unsere Zeit
aber ist nicht ärmer, als die der ersten Jünger, wenn wir sie nicht arm
machen. Sie hat nicht allein Seine Lehren, Segnungen und Verheißungen;
sie hat Ihn, Seinen Leib und Sein Blut. Auch uns wird die neue Schöpfung
geboten, die Durchdringung und Verklärung unseres geistigen Daseins zur
Einheit mit Ihm. -- Wie mag Solches zugehen? ist hier nicht die Frage,
und alle Theorien und Formeln sind Gebrechlichkeit. Es ist nur die
Frage: stimmt solche Lehre vom Abendmahl, wie sie sich in der echt
lutherischen Theorie und Formel, soweit unsere irdische Sprache
überhaupt für solche Dinge ausreicht, am wenigsten klügelnd und deutelnd
ausspricht, überein mit den Worten der heiligen Schrift, mit dem ganzen,
wunderbaren Rat Gottes zur Erlösung der Kinder im Staube, mit der
Thatsache der Erlösung selbst, und mit dem Glauben der Männer, denen wir
ein Erzpriestertum in der großen Gemeinde des Evangeliums beilegen
müssen? Mit diesem letzten Punkt schiebe ich keine menschliche Autorität
vor, da er seinen Rückhalt in der gemeinsamen Uebereinstimmung der
Antworten auf alle andern Punkte haben soll; aber wohl behaupte ich
damit, daß wie die Wahrheit die Frucht des Geistes, so die göttliche
Wahrheit allein die Frucht des göttlichen Geistes sein kann. Dieser
Geist nun hat seine Zeit und Stunde für Das, was dem Glauben der Kirche
dienet. Für Das, was dem Glauben des Einzelnen dienet, weiset er zurück
auf eine solche Stunde der Menschheit, die eben so wenig auf Concilien,
als am Schreibpult hinter der nächtlichen Lampe geboren wird; sondern
deren Wiege ein Herz ist, das mit seinem weltüberwindenden Glauben auch
wirklich eine Welt überwindet, ein Herz, das nicht etwa einzelne
Lichtfunken aus Schutt und Asche hervorsucht, sondern das durchglühet
ist vom heiligen Feuer, und gereinigt und geläutert ist von diesem Feuer
zu einer Stätte, von welcher aus Gott gern seine Stimmen in die Welt
aussendet. Darum wer neue Theorien und Formeln in den göttlichen Dingen
aufstellen will, der frage nicht allein, was er wisse, sondern auch, was
er sei an Leben in Gott und Wandel vor Gott. Mit Schulweisheit und
kritischem Scharfsinn mag man einen Homer zu zerstückeln wagen, und es
wird doch nur so lange gelingen, bis die Flammen der Begeisterung, die
in einzelnen Stücken fortglühen, wieder in eine helle Lohe
zusammenschlagen, und der Erzguß auf's Neue dasteht in uralter Kraft und
Herrlichkeit. Kann nun jene kalte, trockene Scheidekunst selbst an einer
Schöpfung des menschlichen Geistes und Herzens nur zum Ritter von der
traurigen Gestalt werden, dessen kurzer Sieg bald zur desto gewissern
Niederlage wird, mit welcher Aussicht kann er sich dann auf dem Gebiete
des Göttlichen versuchen? Sowohl die rechte Lehre von den göttlichen
Dingen, als auch das rechte Wort dafür kann nur der Geist Gottes geben,
und Der will Tempel und Altar sehen, will Horebs Höhen und Mamres
Palmen, will Herzen, deren Flügelschlag zu einem Adlerfluge fähig ist,
will Männer, die Mut und Demut genug haben, Gott zu bitten um
Erleuchtung.«

»Hat aber nicht die reformirte Kirche,« bemerkte Mander, »die doch auch
Männern, wie Sie eben bezeichneten, ihr Dasein verdankt, eine Ansicht
vom Abendmahl, nach welcher es eine blose Gedächtnisfeier ist?«

»Auch die reformirte Kirche,« war Hold's Entgegnung, »gewann bald wieder
durch Calvin die Richtung auf einen tieferen Sinn; obwohl in der
katholischen und lutherischen Kirche, so wenig auch beide in der näheren
Bestimmung dieser Lehre und den Folgerungen daraus übereinstimmen,
allein eine wirklich tiefere Würdigung des Abendmahls gefunden wird; da
Alles, was man sonst dieser Feier beizulegen versucht hat, durch
Vergeistigung der Gefühle beim Andenken an den Herrn auf die
schwindelndsten Höhen hinauf nur eine gewisse Scheu bei einem blosen
Gedächtnismal stehen zu bleiben, zu erkennen giebt, ohne doch wirklich
etwas mehr daraus zu machen. Man fühlt wohl das Bedürfnis, der Gemeinde
eine Nahrung zu geben, die nicht blose Brosamen darreicht, sondern eine
sättigende Lebensspeise; aber man thut nur Gewürze hinzu, und denkt
nicht daran, daß Gewürze eben nur zur Würze dienen und nicht zur
Sättigung.«

»Wie vereinen Sie aber dieses Vergessen mit dem Erzpriestertum, wie Sie
es vorher solchen Männern beilegten, die Säulen der Kirche Gottes sind,
zu welchen Sie doch auch Zwingli und Calvin mitrechnen?« fragte Mander.

»Erinnern Sie sich, daß ich diesem Punkt von der Autorität solcher
Heroen des Evangeliums einen Rückhalt gab in der Uebereinstimmung mit
andern Zeugnissen. Wo diese Uebereinstimmung ist, da gebe ich mich
freudig hin, und sie ist gerade in dem Kern des Evangeliums, in der
Lehre von der Erlösung; wo sie fehlt, da suche ich mit desto größerem
Eifer selber in dem Worte des Lebens, freue mich aber doch, wenn die
Wahrheit, die ich finde, auch viele Zeugen Gottes in der Kirche, wenn
auch nicht alle, für sich hat.«

»Aufrichtig muß ich bekennen,« sagte Mander, »daß gerade das Wort:
»Solches thut zu meinem Gedächtnis,« mir in dem Augenblick, in welchem
es gesprochen wurde, kurz vor dem Tode am Kreuze, so natürlich vorkommt
in dem Munde des Herrn, und daß die Stiftung, auf welche es deutet, mir
ebenso natürlich allein aus der Scheidestunde hervorgegangen zu sein,
und darum auch ihr Wesen und ihren Charakter nur in der Erhaltung einer
lebendigen Erinnerung an des Stifters Leiden und Sterben für uns zu
haben scheint.«

»Dagegen muß ich bekennen,« entgegnete Hold, -- so verschieden ist das
Urteil! -- »daß mir Nichts wundersamer vorkommt, als eine Feier zum
Gedächtnisse Dessen, der uns Weg, Wahrheit und Leben ist, von dem die
ganze jetzige Bildung des Menschengeschlechts ihren Anfang und ihren
Ausgang hat, dem wir in der Taufe geweiht sind, in dessen Licht wir
atmen, in dessen Gemeinde wir leben, dem wir Freude, Friede und
Seligkeit verdanken im Leben und im Sterben. Kann Der, welcher spricht:
>Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte nicht!< und: >Ich bin
bei Euch bis an der Welt Ende!< gemeint haben, mit solchem Mahl allein
ein Erinnerungsfest einzusetzen, wie allenfalls Derjenige es stiften
mag, welcher fürchtet, es könnten seine Lehren und Segnungen vergessen
werden, und doch gern in seiner Persönlichkeit, als ein Mann, der zu
seiner Zeit und für seine Zeit Gutes gewollt, in der Erinnerung
fortleben möchte? Ja, müßte solche Stiftung nicht in der christlichen
Kirche mehr und mehr an Bedeutung verlieren, je lebendiger der Herr
lebte im Gedächtnis der Seinen? Je inniger die Seele Ihm angehörte, je
tiefer der Geist sich versenkte in die Fülle Seiner Segnungen und
Verheißungen, desto weniger könnte eine Feier gelten, die nur erinnern
soll, Ihn nicht zu vergessen.

Der Apostel Paulus redet ferner auf solche Weise vom Abendmahl, daß
jeder Gedanke an ein bloses Gedächtnismal wegfallen muß. Er spricht:
>Welcher unwürdig von diesem Brot isset oder von dem Kelch des Herrn
trinket, der ist schuldig an dem Leibe und Blute des Herrn. Der Mensch
aber prüfe sich selbst, und also esse er von diesem Brote und trinke von
diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und
trinket ihm selber das Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den
Leib des Herrn.<«

»Erlauben Sie mir noch die Frage,« sagte Mander hierauf: »Konnten die
ersten Jünger, die mit dem Herrn zu Tische saßen, in dem Brote und dem
Kelche ein solches Sacrament, wie sie es vorher auslegten, genießen, da
der Herr noch bei ihnen war?«

»Ich brauchte Ihnen keine Antwort auf diese Frage zu geben,« erwiderte
Hold, »ehe Sie mir nicht meine Einwendungen gegen eine blose
Erinnerungsfeier widerlegt, bevor Sie nicht erwiesen haben, daß die
Deutungen, mit welchen man dem Abendmahl einen höheren Charakter geben
will, ohne die leibliche Gegenwart zu bekennen, wirklich mehr sind als
blose Zuthaten, die bei aller ihrer scheinbaren Fülle es doch nur ein
Gedächtnismahl bleiben lassen, ein Mahl, dessen Genuß in seinen
Wirkungen auf den Gläubigen nichts Anderes giebt, als was schon jede
andere lebendige Erinnerung an den Heiland und Erlöser geben kann. Aber
ich will Sie doch daran erinnern, daß auf die Beantwortung Ihrer Frage
gar nicht so viel ankommt. Erkennen wir im Abendmahl eine Stiftung für
die Kirche, für alle kommenden Christengemeinden, -- und das haben nur
Wenige geläugnet, -- so kann es gern für die späteren Bekenner eine
andere Bedeutung haben, als er für die ersten Jünger, denen die
sichtbare Gegenwart des Herrn das Sacrament war, schon haben konnte, und
welchen es erst Das wurde, was es uns ist, als der Herr heimgegangen war
zu Seinem himmlischen Vater. Diese andere Bedeutung besteht ja denn doch
immer nur darin, daß wir mit, in und unter dem Brote und Wein haben, was
sie noch sichtbar vor sich hatten. Die Kraft des Mahls, die
sacramentliche Fülle bleibt dieselbe, nur bei ihnen Schauen, bei uns
Glaube. Doch ich fühle, wie es mit allem Erweisen eine mißliche Sache
ist auf diesem Gebiete. Die göttlichen Dinge wollen erfahren sein.«

»Mir ist so unsicher um's Herz geworden,« sprach Mander mit einem
Seufzer, »daß ich wollte, ich hätte nicht gefragt!«

»Ich sagte es Ihnen im Voraus, daß Sie keine andere Frucht nehmen würden
aus dieser Erörterung. Aber vielleicht werden Sie noch künftig mit mir
Denen, die das Abendmahl nicht in seiner ganzen Bedeutung würdigen,
zurufen: Entkleidet nicht die Kirche ihres heiligen Schmuckes; nehmt ihr
nicht die Krone von ihrem Haupte; reißt sie nicht los von der Wurzel des
Lebens, von der innigen, ewigen, thatsächlichen Gemeinschaft mit dem,
der vom Vater kam, um vom Vater zu zeugen! Uebrigens treten Sie hinzu zu
dem Tische des Herrn mit Andacht und Hingebung, und erwarten Sie, was Er
Ihnen darreicht aus Seiner Fülle. Er ist Allen, die zu Ihm kommen,
Etwas, und leitet sie selber dazu, daß Er ihnen Alles werden kann. Sein
Segen wird Ihnen nicht fehlen!«

Die Stunde der Feier war gekommen. Die ganze Gemeinde, die, nach der am
Sonntage vorher geschehenen Bekanntmachung, sich zur Communion gemeldet
hatte, da auf den Halligen es nicht immer zu erwarten ist, daß die sonst
bestimmten Tage zu solcher Feier wegen des oft durch Sturm und Wellen
verhinderten Kirchganges regelmäßig gehalten werden können, sammelte
sich in der an Hold's Wohnung anstoßenden, mit ihr durch ein Dach
verbundenen Kirche. Nach Beendigung des Gesanges trat Hold vor den Altar
und hielt eine kurze, eindringliche Rede, die in ihren schlichten Worten
nur auf das Verständnis seiner gewöhnlichen Zuhörer berechnet schien,
während sie gerade in ihrer Einfachheit, in ihrer festen Hinstellung
Dessen, was den Beiden, die heute zum erstenmal mit rechter Sehnsucht
nach der Verheißung, die er verkündete, zum Tische des Herrn traten,
noch nicht als gewisse Zuversicht aufgegangen war, auf diese einen
wahrhaft erbauenden, begründenden Eindruck machte. Darauf trat der
Bejahrteste in der Gemeinde, ein Mann mit schneeweißem Haar, vor Hold
hin und sprach mit einer Stimme, deren Zittern von Altersschwäche und
zugleich von tiefer Rührung zeugte, folgende Worte, bei denen sich Alle
von ihren Sitzen erhoben:

»Würdiger, lieber Herr! Also rede ich für mich und für Alle: Ich bitte
Euch, wollet meine Beichte hören und mir die Vergebung sprechen.«

»Ich armer sündiger Mensch bekenne und beklage mich, daß ich die
heiligen Gebote Gottes unseres Vaters mannigfaltig übertreten, und mich
gegen Gott und meinen Nächsten oft versündigt habe, damit ich Gottes
gerechte Strafe, zeitlichen und ewigen Tod wohl verdienet. Aber alle
meine Sünde gereuet mich ernstlich und ist mir von Herzen leid, und ich
habe keinen andern Trost, denn die Gnade Gottes, die größer ist, als
meine Schuld, und das teure Verdienst meines Herrn Jesu Christi. Komme
daher in der Zeit der Gnaden, daß ich möge Vergebung empfangen und damit
neue Freudigkeit zu Gott und Kraft zur Heiligung durch Seinen Geist.
Amen.«

Dieser den Fremden unerwartete Auftritt verfehlte nicht seine Wirkung
auf ihr Herz. Mander fühlte tief den Wert einer solchen thätigen
Teilnahme der Gemeinde am Gottesdienst bei dieser Feier. Er fühlte sich
in dem Augenblicke gleichsam eins geworden mit dem Greis, der für Alle
sprach. Er fühlte in dessen Bekenntnis sein Bekenntnis, in dessen Bitte
seine Bitte und darum sich klarer und deutlicher als Einer, der da nahet
mit demütigem Flehen und der Verheißung entgegensieht, als wenn der
Geistliche allein geredet. Oswald zitterte heftig. Jedes Wort, das der
Greis sprach, klang in allen Tiefen seiner Brust wieder. Es war ihm, als
tönte die Bitte von seinen eigenen Lippen, aber als würde sie inniger,
dringender, flehender, indem sie der Ausdruck seiner Sehnsucht wurde,
als gestaltete sie sich zu einem Ruf aus der Tiefe, zu einem Schrei des
Erbarmens, zu einem Seufzer, an dessen Erhörung sein Leben hing.

Als der Greis geendet, faltete Hold seine Hände, hob die Augen empor in
stillem Gebet und sprach dann nach einer kurzen, erwartungsvollen Pause,
indem er seine Rechte segnend auf das Haupt des alten Mannes vor ihm
legte, der unterdessen seine Knie gebeugt hatte an den Stufen des
Altars:

»Der in die Welt kam, nicht daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt
durch Ihn selig werde, der da die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft,
daß Er sie erquicke, Der spricht durch das Amt, das Er mir vertraut, zu
Dir und zu der Gemeinde, die durch Dich bekannt hat ein gutes
Bekenntnis: »Sei getrost, Deine Sünden sind Dir vergeben.«

Und als nun Hold seine Hände weiter ausbreitete über die ganze Gemeinde
hin, und noch einmal die Worte wiederholte: »Sei getrost, Deine Sünden
sind Dir vergeben!« da sank es wie eine Decke von Mander's und Oswald's
Seele. Das Evangelium war nun völlig Licht, Kraft und Leben in ihnen
geworden, und alle Dämmerung, Schwachheit und Lauheit schwand wie der
letzte winterliche Nebeltag vor dem siegenden Frühlingsodem. Sie fühlten
sich so offen und empfänglich für jeden Gruß aus der Höhe, so klar und
entschieden im Glauben, so leicht und frei in der Erfüllung der
Verheißung, daß das Reich der Wunder, durch die das Göttliche sich dem
Staube offenbart, ihnen als eine natürliche Welt erschien, in welcher
sie schon längst heimisch, und sie traten zum Tische des Herrn als in
Allem Bekenner der Lehre ihrer Kirche.



                                 XXI.


   Schmerzen giebt es, deren Wunden
   Nur die _stumme_ Brust erträgt;
   Wenn das kühne Wort sie wägt,
   Ist des Duldens Kraft geschwunden.

Auf den nächsten Mittag war die Abreise bestimmt. Die Geschäfte wegen
der Bergung waren schon einige Tage vorher zur Zufriedenheit beendigt,
und Mander und Oswald nahmen von allen Bewohnern der Hallig durch
Besuche in jeder Wohnung Abschied, und wurden allenthalben als liebe
Freunde, die man nicht hoffen darf, wiederzusehen, mit der Feierlichkeit
eines solchen letzten Zusammenseins aufgenommen und entlassen, an keiner
Stelle ganz ohne Thränen der gutmütigen, für jede ihnen bewiesene
Teilnahme leicht empfänglichen Halligbewohner. Da diese Leute, besonders
auf der Hallig, die wir im Sinne haben, -- auf welcher, so weit das
Kirchenbuch geht, keine außereheliche Geburt, und so weit die Erinnerung
der ältesten Personen reicht, nie ein leidenschaftlicher Streit
vorgekommen war, -- gar zu leicht geneigt sind, die Welt außerhalb ihrer
kleinen Eilande, und besonders in den großen Städten, nur als eine
ungläubige und zuchtlose sich zu denken, so hatte die Teilnahme der
Fremden am Abendmahl diese in ihren Augen so gehoben, daß sie dieselben
mit einer Art bewundernder Ehrfurcht betrachteten. Sie ahneten nicht,
daß ihr Eiland erst das Emmaus gewesen war, wo jene den Herrn erkannten.
Jede einzelne Familie brachte auch ihren besonderen Dank dar für die
silbernen Altarleuchter, welche Mander der Gemeinde geschenkt, und die
Hold freilich aus bestimmten Gründen nicht am gestrigen Tage schon auf
den Altar gesetzt, aber sie den Hausvätern, die nach der Feier bei ihm
gewesen, gezeigt hatte. Am bewegtesten war der Abschied von Hold. Einige
Gaben, welche die Freundschaft und Dankbarkeit der Scheidenden dem
Pastor und seiner Gattin darboten, wurden ohne Ziererei angenommen. War
doch auch die Schwierigkeit, welche mit der Besorgung dieser Gaben aus
der Ferne verbunden gewesen sein mußte, ein Beweis mehr, daß sie, wie
lange vorbedacht, so auch Zeugnisse einer Freundschaft sein sollten, die
länger dauern würde, als der Aufenthalt auf der Hallig. Nur gegen ein
großes Faß mit Wein, das auf seiner Hausflur aufgestellt wurde,
protestirte Hold, da er sich dieses Getränks längst entwöhnt habe. Doch
er mußte auch hierin nachgeben, da Mander versprach, bei der ersten
Gelegenheit für kleinere Gebinde zum Umfüllen zu sorgen, und darauf
aufmerksam machte, daß, wenn auch Hold selbst keinen Genuß davon haben
wolle, doch den Kranken und Schwachen in der Gemeinde eine solche
Stärkung oft wohlthätig werden könne.

Wer hätte bei diesem Hin- und Herreden daran denken sollen, daß das
Leben mehrerer Menschen ganz allein, und die Gesundheit der ganzen
Gemeinde größtentheils allein von der Annahme dieses anfangs
verschmähten Geschenkes abhinge!

Oswald trennte sich von Maria nicht ohne eine ernstere Regung, als mit
welcher er von den übrigen Bewohnern der Hallig Abschied genommen, und
Mander legte für sie und Godber, da er mit Hold auf eine baldige frohe
Vereinigung dieses Paares hoffte, eine Summe Geldes bei dem Pastor
nieder und machte sich zu einer jährlichen Summe schriftlich
verbindlich. Auch den Verlobungsring Godber's, den Maria Jenem auf
seinem Krankenlager vom Finger gezogen, hatte Idalia ihrem Vater
zurückgegeben, um ihn Maria einzuhändigen. Mander gab ihn Hold, daß er
die passende Gelegenheit zur Rückgabe abwarten möchte.

Am Ufer fanden die Abreisenden die ganze Gemeinde versammelt, und noch
einmal rief ein Händedruck und ein herzliches Lebewohl alle Gefühle des
Abschieds wach, und mit Thränen in den Augen bestiegen Mander und Oswald
das Schiff. Auch Idalia wandte mehr als einmal den von einem feuchten
Tau umflorten Blick auf das bald in einem lichten Nebel schwindende
Eiland zurück. Sie hätte gern dem Schiffe Halt geboten, nicht um die
Hallig wieder zu betreten, aber sie im Auge zu behalten. Alle ihre
Gedanken und Empfindungen waren wie in einer Schwebe, und sie konnte
ihnen ebensowenig die volle Richtung in die Zukunft geben, als sie in
die Vergangenheit ganz zurückwenden. Sie hätte es für eine Wohlthat für
ihr Herz gehalten, wenn das Schiff, das sie unaufhaltsam forttrug, von
der Ebbe übereilt, stehen geblieben wäre zwischen den beiden Ufern, wie
sie sich selbst auf einem leeren Raum zwischen dem Zeitstrom der
Vergangenheit und dem der Zukunft zu stehen schien. Als sie die Küste
des festen Landes betrat, da zitterte und schwankte sie, wie Einer, der
nach einem langdauernden, heftigen Sturm den mit der wogenden Bewegung
des Schiffs nicht durch frühe Uebung vertrauten Fuß an's Land setzt.

Auf der Hallig blieben die Bewohner derselben so lange am Ufer
versammelt, als noch der Nebel einen Blick vom Schiffe erhaschen ließ,
und sowohl die auf demselben, als auch die Zurückbleibenden winkten bis
dahin einander zu, ohne bestimmt zu wissen, ob ihre Abschiedsgrüße noch
bemerkt und erwidert werden könnten.

Hold war den Tag über in einer Stimmung, der er den Namen der Wehmut
über die Trennung von den Freunden gab; und doch war es mehr als diese
Trennung, was ihn so tief bewegte. Alle Träume seiner Jugend waren durch
die Gespräche mit diesen Gästen aus der Welt, in welcher er sich früher
so hoffnungsreich und lebenskräftig bewegt, wieder wach geworden. Seine
früheren Freunde, denen er gleichsam ohne Kunde durch Versetzung auf die
Hallig entschwunden war, winkten ihn nun von Neuem in ihren Kreis. Die
Länder, die er an ihrer Seite durchpilgert, breiteten wieder alle ihre
Schönheiten vor ihm aus. Das rege Treiben der politischen Welt, von der
ihm jetzt kaum dann und wann die Zeitung eine dürftige Nachricht
brachte, trat wieder vor seine Gedanken hin, als ein Zauberbild, das
hell vor unserer Nacht vorüberzieht. Das reiche Feld der Wissenschaft
blühte und duftete vor seinem Geist in der köstlichen Blumenpracht auf,
aber wie ein schöner Garten, den wir durch ein Gitter anschauen, in
welchem wir uns nicht ergehen dürfen. Und hier diese öde Hallig! Dies
wüste Meer um sich her! Dieser Nebel, der ihn verhüllte, als wollte er
ihn für immer von der Welt ausschließen. Hatte er denn den Becher
Djemschids, auf dessen Rand sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
malt, nur an die durstenden Lippen gesetzt, um nun für sein ganzes Leben
mit ungestilltem Verlangen nach einer Labung aus demselben zu
schmachten? Mit welch' ganz andern Gefühlen, mit welch' schönen
Hoffnungen für sein Erdenleben wandelte er auf den Schweizerbergen, an
den Ufern der Ströme des Vaterlandes! des Vaterlandes, aus dem er nun
vielleicht für immer fortgebannt war, vergessen auf einer von trüben
Meeresfluten umflossenen Scholle, hingegeben jeder Entsagung und
Entbehrung! Er ging hinaus an das Ufer. Er schaute sehnsüchtig in die
Nebel hinein, als könne sein Auge sie durchdringen, und den Gedanken
folgen, die über das Meer hinflogen und über Berg und Thal schweiften.
Seine Sehnsucht wurde zum Liede, das wie ein langer Seufzer sich aus den
Tiefen seiner Brust losrang:

   Schwebt hinüber, Trauertöne,
   Grüßt den heimatlichen Strand;
   Grüßt das liebe, wunderschöne,
   Heil'ge, deutsche Vaterland.

   Grüßt, wo über Thal und Hügel --
   Hell des Jägers Horn erschallt,
   Wo der blaue Wellenspiegel
   Um die Fischerbarke wallt.

   Grüßt, wo die Lawinen toben
   In des Staubbachs Silberduft,
   Ach! wie drängt das Herz nach Oben,
   Nach der Berge Himmelsluft;

   Wo mit bräutlich schönen Kränzen
   In der Abendröte Glühn,
   Jungfrau, Deine Scheitel glänzen;
   Könnt ich dahinüber ziehn!

   Oder hin zum Strand der Saale,
   Wo der Tannen schwankes Dach
   Wölbt sich über Heldenmale,
   Die der Zeiten Sturm zerbrach.

   Allenthalben an der Elbe,
   An der Donau und am Rhein,
   Ist mein Vaterland dasselbe,
   Wert der Deutschen Land zu sein.

   Reich an Reben, reich an Eichen,
   Felsenkräftig, blumenmild,
   Malt es rings in treuen Zeichen
   Seines treuen Volkes Bild.

   Schwebt hinüber, Trauertöne,
   Grüßt den heimatlichen Strand,
   Alle Lust und alles Schöne
   Blieb zurück im Vaterland.

   Ach! vergebens wecken Klagen
   Die verhaltnen Schmerzen nur,
   Keine milden Lüfte tragen
   Sie zur heimatlichen Flur.

   Mich umrauschen Meereswogen,
   Nebel hüllen meinen Blick;
   Meine Grüße sind verflogen, --
   Keine Antwort kommt zurück!



                                XXII.


   Nur das Heute ist das Alte,
   Jede Morgenröte weiht
   Uns für eine neue Zeit,
   Und wer sagt uns, wie sie walte?

Godber war bald nach der Abreise der Fremden auf die Hallig
zurückgekehrt und lebte einsam in seiner Wohnung. Wenn man ihn sah,
schlich er trübsinnig und in sich gekehrt dahin und vermied mit
ängstlicher Scheu jede Anrede. Sein Haus und seine Werfte waren während
seiner langen Abwesenheit und nach dem Tode seines Vaters ganz
verfallen; er aber that Nichts für die versäumte Ausbesserung und schien
es nicht zu beachten, daß die Fluten in den stürmischen Weihnachtstagen
große Beschädigungen anrichteten, die seinen Aufenthalt sehr unsicher
machten.

Hold kam oft zu ihm und versuchte es, ihn zu neuer Lebenshoffnung zu
erheben. Er erzählte viel, so wenig auch Godber solche Gespräche zu
lieben schien, von Maria's frommer Ergebung in den Willen des Herrn, von
der Ruhe, mit welcher sie ihr künftiges Geschick erwarte, von der Güte
ihres Herzens, die keiner Beleidigung lange gedenke. Er suchte, ohne
geradezu Godber's Verhalten zu entschuldigen, doch Alles auf, was es in
einem mildern Lichte erscheinen lassen konnte, und wies hin auf die
erbarmende Liebe Gottes, die uns nicht umkommen läßt unter der Bürde des
bösen Gewissens.

Als er eines Tages auch wieder so sprach, erhob sich Godber, der bisher
ihn schweigend angehört, von seinem Sitze, trat vor ihn hin, blickte mit
starren Augen ihn an und sprach mit einer Stimme, die feierlich und
schauerlich klang:

»Wird der Gott, den Du verkündest, auch jene Nacht wieder ungeboren
machen, in der ich das Steuer des Schiffes verließ, um _Die_ zu retten,
um deretwillen ich ein doppeltes Gelübde brach? Wird Er, wie Er Maria's
verwundetes Herz zu heilen verstand, auch den schönen Bau wieder
zusammenfügen, der durch mich zu einem elenden Wrack geworden ist. Wenn
Du in blinder Leidenschaft Deine Kirche angezündet, würdest Du das so
leicht vergessen, daß Du meinest, ich sollte vergessen, was ich an dem
Schiff gesündigt? Wird Gott auch die drei Toten dort aus ihrer Gruft
in's Leben zurückrufen, daß ich es von ihnen wieder höre: >Godber ist
ein braver Steuermann!< ohne ein Hohngelächter der Hölle daneben zu
hören?«

Hold erbebte sowol vor dem irren Ausdrucke in Godber's Zügen und Worten,
als vor der Entdeckung einer nicht geahnten Bürde auf dem Gewissen des
Jünglings. Godber aber fuhr fort:

»Du zitterst vor solchem Verbrechen und hörst es doch nur, und ich, der
es gethan, sollte nicht zermalmt werden unter seiner Last? Für mich ist
keine Hülfe mehr!«

Mit weicherer Stimme, deren leises Beben den Uebergang aus starrer
Verzweiflung in eine wehmütige Rührung bezeugte, setzte er nach einer
kleinen Pause hinzu:

»Und kannst Du mir auch Maria bräutlich froh in den Arm legen, Du kannst
nicht sagen: dieses Auge hat nicht um Deinetwillen geweint; dies Herz
hat nicht um Deinetwillen geblutet; an der Treue des Halligsohnes haftet
durch Dich kein Makel. Maria hat nur meine Schuld zu vergessen. So ein
Vergessen ist leicht. Ich soll mich selbst vergessen. Da muß der Tod
helfen. -- Und _der_ kann ja auch nicht helfen,« schrie er entsetzt auf,
»denn droben ist das Gericht!«

Damit schlug er beide Hände vor's Gesicht und sank in dumpfem Brüten auf
seinen Sitz zurück.

Hold bedurfte einiger Zeit, um sich zu sammeln, dann trat er vor Godber
hin und sagte:

»Ich will nicht mit Dir reden von dem Schiffe; nicht Dich darauf
aufmerksam machen, wie Deine Kunst und Erfahrung es doch vielleicht
nicht hätte retten können; wie viel wahrscheinlicher Euer Aller Tod bei
solchem Versuch gewesen wäre, während nun fünf Menschen Dir ihr Leben
verdanken. Ich will aber reden von dem Amte, das die Versöhnung predigt.
-- Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott
haben sollen. So wir mit aufrichtigem Herzen prüfen unser Selbstwerk,
müssen wir bekennen, daß wir nicht bestehen können vor dem heiligen und
gerechten Gott, müssen bekennen, daß unter dem Licht und Gericht des
göttlichen Gesetzes unsere Tugend wie ein Schattenbild zerfließt, und
dagegen unsere Uebertretungen wachsen wie Wogen, die über unser Haupt
zusammenschlagen. Vor dem Worte: >Ihr sollt heilig sein, denn Gott ist
heilig!< vor der Wahrheit: >Ihr sollt Rechenschaft geben auch von jedem
unnützen Worte, das aus Eurem Munde gegangen ist!< bestehet keine
Entschuldigung, kein Vorwand, keine Rechtfertigung. Unsere Schwachheit
ist Lüge, denn sie ist eine Frucht des Lügengeistes, der uns Gottes
Gesetz verfinstert und entstellt, der diese Macht aber nicht haben
würde, wenn wir sie ihm nicht selber gegeben, dadurch, daß wir die böse
Lust in uns wuchern ließen. Was wir Verführungen und Versuchungen
nennen, sind blos Antworten von Außen her auf die Lockstimmen der Sünde
in unserm Innern. Wer das >Heilig< nicht in seiner ganzen Bedeutung
nimmt, als eine völlige Reinigung unseres Sinnes und Wandels von allem
ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüften, als eine vollkommene
Verklärung vom Kinde des Staubes zum Kinde Gottes in allen Gedanken,
Worten und Werken, der weiß noch gar nichts von Gott und seinem Willen
und unserer Berufung auf Erden, und meint noch teilen zu können zwischen
Gott und dem Mammon; während alle Halbheit und Lauheit vor Gott ein
Greuel ist, während, wer das Gesetz hält und sündigt an einem, des
ganzen Gesetzes schuldig ist. Von solcher Strenge haben wir keine Macht,
uns Etwas nachzulassen, und Gott selber hat nicht die Macht, denn Er ist
heilig!«

Godber rang die Hände und schluchzte laut:

»Für mich ist keine Hülfe mehr!«

Hold aber fuhr fort:

»So wir nun solches zu Herzen nehmen, können wir nicht mit Freudigkeit
weder vor Gott treten, noch mit Freudigkeit Sein Gesetz erfüllen. Denn
zwischen Ihn und uns wird sich unsere Sünde legen und eine dunkle
Scheidewand, die uns ausschließt von allem Trost und allem Hoffen; und
unser Versuch zur Aenderung des Sinnes und Wandels muß scheitern, weil
die Sünde, die einmal mächtig geworden ist in uns, nur in schweren
Kämpfen überwunden wird; zu solchem Kampfe aber Freudigkeit zu Gott und
Liebe zu Ihm gehören, die wir nicht haben, so lange unser beladenes
Gewissen nur zeugt von dem Richter der Lebendigen und der Toten.«

»Er hat schon gerichtet!« rief Godber.

»Wir müssen das alte Gewand ausziehen und ein hochzeitliches Kleid
anziehen können. Wir müssen die Last von uns werfen und leichten Herzens
ein neues Leben beginnen können. Wir müssen die Traurigkeit von uns thun
und in Freudigkeit zum Himmel aufschauen können. Ein solches Können
liegt aber nicht in unserer Macht. Wollen wir es aus eigener Macht
versuchen, da werden wir den kurzen Flügelschlag des frohen Entschlusses
bald wieder gelähmt fühlen durch das Gedächtnis der ungesühnten Schuld.
Wir können aber uns selber Nichts vergeben, auch den geringsten
unlautern Gedanken nicht; denn wir stehen nicht unter unserm Gesetz und
Gericht, sondern unter Gottes Gesetz und Gericht.«

»Ich weiß es! Ich weiß es!« stöhnte Godber.

Hold aber fuhr mit erhobener Stimme fort:

»Wir bedürfen _Gottes_ Vergebung. Nicht aber in einem bloßen Ahnen,
Meinen, Hoffen, sondern in einer Zuversicht, welche die Pforten der
Hölle nicht überwältigen. Und nun, Godber, die Zeit ist erfüllet, die
Nacht ist vergangen und der Tag ist herbeigekommen! Es ist kund geworden
auf Erden das große Geheimnis der Erlösung: Gott war in Christo und
versöhnte die Welt mit Ihm selber! Empor, Du müde, sündenvolle Seele!
Empor! Denn Freude ist im Himmel über einen Sünder, der Buße thut. Das
ist kein Wort, das trostbedürftige Sehnsucht dem Menschen eingab; dann
wäre es nichts nütze, hätte keinen Halt wider die ewig neuen Anläufe des
anklagenden Gewissens. Es ist das Wort Dessen, der vom Vater kam, um vom
Vater zu zeugen, und es stehet fester, als die Veste des Himmels. Der
Herr spricht, der Herr, dessen Wort nicht Sein Wort, sondern Deß, der
Ihn gesandt; der Herr spricht, und durch Ihn der Richter der Lebendigen
und der Toten: >Sei getrost, Deine Sünden sind Dir vergeben!< So thue
auch Du, Godber, Deine Brust auf, und laß die Liebe, die anklopfet mit
solchen Stimmen an Deines Herzens Thore, mächtig werden, wo das Gericht
mächtig war. Wirf hin Deine Last und Bürde und tritt freudig an die neue
Bahn, als wärest Du heute neu geboren und die Vergangenheit nicht Dein.
Gedenke ihrer nur, um immer in der Demut zu bleiben die sich Nichts
dünket mit eigenem Verdienst und eigener Gerechtigkeit, um im lebendigen
Eifer zu bleiben nach der Krone der Vollendung in aller Heiligung des
Sinnes und Wandels, um die Sünde zu verabscheuen, die so unselig macht,
wie Du es erfahren, um die Gnade des himmlischen Vaters, der so große
Dinge für Dich gethan, in Freude, Friede und Seligkeit bis an Dein Ende
zu preisen. Aber gedenke der Vergangenheit nicht Dir zum Fluch, sondern
zum Segen; wie Gott ihrer nur gedenkt, um Dich aus ihr heraus
einzuführen in das Reich Seiner Segnungen und Verheißungen.«

Godber war tief ergriffen von Hold's Worten, und wenn sie ihm auch nicht
die Ruhe zurückgeben konnten, die von ihm gewichen war, so dienten sie
doch dazu, das Auge wieder mit einem, wenn auch nur kurzen und scheuen,
doch suchenden Blick nach oben zu lenken, durch den Sturm der
anklagenden Stimmen ein leises Wehen, wie vom Friedenslande her,
durchzittern zu lassen und heiße Thränen hervorzurufen, in welchen die
verzehrende Flamme der Reue gleichsam einen Ausweg fand und darum an
sinnverwirrender Macht über ihn verlor. Er faßte Hold's Rechte, beugte
sein Haupt herab und drückte seine heiße Stirne auf die Hand des Mannes,
dessen guten Willen, ihm ein Führer aus seinen Nächten heraus zu sein,
er nicht verkannte.

Der Unglückliche aber, der den guten Willen, ihn zu trösten, dankbar
erkennt, der ist auch schon auf dem besten Wege, sich trösten zu lassen.

Von Tag zu Tag gelang es nun Hold sichtlicher, Godber's Gemüt mehr zu
beruhigen. Dadurch, daß er -- von der anfänglichen schonenden Weise
zurückgekommen, -- dessen Betragen in den letzten Monaten mit eiserner
Strenge beurteilte, hatte er des selber sich so streng Verdammenden
Vertrauen ganz gewonnen und damit ihn zugleich zu den Füßen des Erlösers
gedrängt. Denn der Weg nach Golgatha geht nur über den Sinai, und wer
auf freundlicheren Umwegen dahin will, der bleibt auf halbem Weg stehen
und findet darum auch nur einen halben Frieden, der keiner einsamen,
ernsten Stunde, keiner wahrhaftigen Selbstprüfung gewachsen ist.

Zugleich aber wandte Hold nun öfter die Gespräche auf zeitliche Dinge,
machte Godber aufmerksam auf den schlechten Zustand seiner Werfte, auf
die bisherige Vernachlässigung seiner kleinen Heerde, gab ihm Rat und
fragte ihn um Rat bei kleinen häuslichen Arbeiten und weckte ihn
dadurch zur Thätigkeit und zur Teilnahme für die gewöhnlichen
Lebensverhältnisse. So glaubte er denn völlig den Sieg gewonnen zu haben
und der Ausgleichung der unglücklichen Trennung zwischen Godber und
Maria nahe zu sein. Aber hierin fand er einen unerwarteten Widerstand.
Jede Hindeutung auf die Wiedervereinigung Beider ward lebhaft
zurückgewiesen.

»Ueber die ewige Halbheit!« sagte Hold endlich ärgerlich. »Da hat nun
der liebe Vater im Himmel Alles gethan, daß Seine Kinder sich freuen
sollten der Erde und ihrer guten Gaben; hat uns in Seiner Gnade
geholfen, los zu sein von dem bösen Gewissen, verlangt keine Buße und
kein Opfer mehr, sondern will, daß wir in Erkenntnis und Erfahrung
seiner unendlichen Liebe nun auch froh und selig wandeln unter dem
Himmel und kindlich annehmen und genießen, was Er uns darreicht aus
Seiner Fülle. Kinder will er haben, die offnen und empfänglichen Herzens
sind für Seine Liebe, nicht für die Liebe allein, die da redet mit
Orgelklang, sondern auch für die, welche locket mit Flötentönen. Kinder
will Er haben, die sich freuen nicht allein Seines Himmels, sondern auch
Seiner Erde, die nicht allein danken dem Vater in der Höhe, der Seinen
Trost ausgießt über die Mühseligen und Beladenen, sondern auch dem Vater
hinieden, der da wandelt unter den Glücklichen und lieb hat die Herzen,
die ihm danken, daß Er ihre Wallfahrt so reich machte an heiterm
Sonnenschein und lieblicher Blütenfülle. Und wir? Wir wollen uns ein
Verdienst daraus machen, daß wir fort und fort büßen, und gefallen uns
darin, Seiner Güte für diese Zeit zu entsagen, als könnten wir dadurch
irgend einen Anspruch auf Seine Verheißungen in der Ewigkeit erwerben.
Das ist die falsche Scham, die sich schämet, Alles aus Seiner Hand zu
nehmen; die ein Selbstwerk hinzuthun will zu dem Gotteswerk der
Erlösung, der der frohe Glaube und die kindliche Liebe und die
Heiligung, die aus solchem Glauben und solcher Liebe, wie die Frucht aus
der Blüte, hervorgeht, nicht genug sind; sondern die in der Verschmähung
der Freude an Gottes Werken und Gottes Gaben hienieden noch ein
vermeintlich verdienstliches Opfer darbringen will!«

»O nein,« rief Godber, »das ist es nicht! Und habe ich auch wol früher
dergleichen gedacht, Sie haben mich längst geheilt von dieser
krankhaften Demut, die eine Tochter des Stolzes ist. Aber -- Maria wird
nie an meiner Brust glücklich werden. In jeder Wolke, die meine Stirne
trübt, wird Idalia vor ihr stehen; aus jedem Gedanken, dem ich achtlos
nachhänge, wird sie diesen Namen herauslesen. Von bangen Träumen in
ihrem Schlummer gestört, wird sie meine Träume belauschen, und ich werde
an ihrer Seite in der beständigen Furcht wandeln, ihren Zweifeln an
meiner Liebe einen, wenn auch unschuldigen Anlaß zu geben. Es wäre ein
Anderes, wenn wir uns vorher nie gekannt hätten; aber ein Treubruch läßt
immer einen Stachel zurück, den oft die aufmerksamste Liebe nur tiefer
drückt, weil sie dem einmal so bitter Getäuschten als Berechnung
erscheint!«

Hold wußte hierauf nicht Viel zu erwidern, und vielleicht hatte Godber
Recht. Wenigstens machte Hold die Bemerkung, daß Maria wol Aehnliches im
Sinne tragen mochte; denn auch sie warf jede Hindeutung auf
Wiederherstellung des früheren Verhältnisses mit einem Kopfschütteln
weg, das bei der jetzigen Lage der Dinge kaum dem Zweifel an Godber's
Werbung um ihre Hand gelten konnte. Im Uebrigen war in ihrem ganzen
Wesen ein so kindlich heiterer Friede, daß wer, unbekannt mit ihren
bittern Erfahrungen, sie sah, für die Unbefangenheit einer
hoffnungsvollen Jugend halten mußte, was die Frucht völliger Ergebung in
den Willen des himmlischen Vaters und der Spiegel eines gottseligen
Herzens war.

»Laß uns von der Zeit,« sagte Hold zu seiner Gattin, »die Lösung dieses
Knotens erwarten!«

»Von der Zeit? Ja, wenn die Zeit nur unser wäre!«



                                XXIII.


   Und solche Nacht, die bleibt im Leben
   Ein Denkmal, das auf Felsen ruht;
   Der Schein, den sie in's Herz gegeben,
   Verlischt in keiner Thränenflut.

So kam der dritte Februar 1825 heran. Wir stehen in der nachfolgenden
Erzählung wieder fast ganz auf dem Boden der Geschichte, deren Schuld es
ist, wenn Manches dem Leser als zu kühnes Gemälde der Phantasie
erscheinen sollte, was doch nur die Erfahrung an die Hand gab. Es ist
gerade da, wo die Begebenheiten in's Gebiet des Wunderbaren
hinüberstreifen, am sorgsamsten darauf gehalten, nur die ungefärbte
Thatsache zu geben, und deswegen auch der Stoff für die folgenden
Schilderungen allein aus der Geschichte jener furchtbaren Nacht der
Trübsal in der Gemeinde des Verfassers genommen.

Heftige Stürme aus Nordwesten trieben die Fluten über das Land hin, so
daß selbst bei der Ebbe die Hallig vom Meere bedeckt blieb. Doch gewöhnt
an solche Stürme, und ihre Kraft und Richtung vergleichend mit früheren,
glaubten die Halligbewohner diesmal Nichts zu fürchten zu haben, und
während die Wogen an die Werften heranbrausten und die Hütten
erzitterten vor dem Anprall der Windsbraut, legten die Meisten am frühen
Abend sich ruhig nieder. Hold saß noch etwas später auf, beschäftigt mit
einer literarischen Arbeit. Seine Gattin, die in einigen Monaten zum
zweiten Male Mutter zu werden hoffte, schlummerte sanft in der
Nebenkammer an der Seite ihrer Erstgeborenen.

Da trat zu Hold's Erstaunen Maria leise in's Zimmer.

»Das Wasser steigt hoch,« sagte sie mit bebender Stimme.

»Wie!« rief Hold, und dämpfte aus Besorgnis für die Ruhe seiner Frau
schnell den Ausruf des Schreckens: »Gegen zwei Uhr ist erst Flut! Jetzt
ist es kaum zehn!«

»Und schon ist beinahe die ganze Werfte bedeckt,« fuhr Maria fort.
»Schon schlagen einzelne Wellen an Godber's Wohnung hinauf, schon hat
sich die eine Seite derselben gesenkt. Aus meinem Fenster sah ich ihn
vor der Thür. Er blickte so starr nach mir herüber.«

Hold war schnell aufgesprungen und trat mit Maria vor die geöffnete
Hausthür.

Ein wahrhaft blendender Mondschein goß sein Licht über das Meer aus, das
mit vollen, breiten Wogen schäumend und rauschend, in dunklen Thälern
und leuchtenden Höhen wechselnd, sich um die einzelnen Wohnungen
gleichsam über sich selber ausschöpfte, als wollte ein Meer das andere
überfluten.

»Gott sei unserer armen Seele gnädig in dieser Nacht!« rief Hold, und
blickte unwillkürlich zurück in dem Gedanken an seine Gattin. Da stand
diese schon hinter ihm, und mit einer Fassung, wie sie gerade bei dem
weiblichen Geschlecht in Stunden der höchsten Gefahr fast öfter gefunden
wird, als bei Männern, sagte sie, indem sie den Arm um seinen Nacken
schlang:

»Wir sterben doch zusammen, Du und ich und unser Kind. Ich bleibe nicht
allein zurück, wie damals, als nur Dich diese Wogen bedrohten!«

In demselben Augenblick brach ein Teil von Godber's Wohnung hinab in die
Flut, und es war vorauszusehn, daß der jetzt schon so deutlich werdende
schlechte Zustand der Werfte bald den völligen Untergang des Hauses und
den schnellen Tod seines Bewohners herbeiführen würde. Godber aber
schien, obgleich manche zu seinen Füßen brandende Woge ihn mit ihrem
Schaum hoch bespritzte, ganz unempfindlich für die Gefahr. Noch stand
er, im klaren Lichte des Mondes fast bis zu den Zügen seines Antlitzes
kenntlich, auf derselben Stelle, wo Maria ihn zuerst gesehen; aber sein
Blick war nicht mehr auf Hold's Wohnung gerichtet, sondern starrte nach
der Seite hinaus, wo der Kirchhof lag, von dem freilich kaum mehr der
äußerste Kamm des ihn umgebenden Walles dann und wann noch sichtbar
wurde. Daß ein Fach seiner Wohnung niederbrach, störte ihn nicht auf.
Maria rief aus angstgepreßter Brust ihm zu. Er hörte es nicht. Da -- war
es ein zufälliges Ausgleiten auf dem glatten Rande der vom Wellenschlag
gepeitschten Werfte, war es bedachter Versuch zu Godber hinzudringen, --
sank Maria in die Flut hinab und tauchte in der nächsten Minute schon
gegen zwanzig Schritt von der Werfte aus dem schäumenden Berge einer
Woge auf und glitt dann wieder in dem langen dunklen Bogen der folgenden
Welle fort.

Der Schrei des Entsetzens von den Lippen Hold's und seiner Gattin weckte
Godber aus seinem Brüten. Sein Blick flog rasch über die Fluten hin in
der Richtung, die ihm der gellende Angstruf gegeben, und in demselben
Augenblick rauschte die Welle, die Maria trug, wieder empor, und in dem
glänzenden Schaumgewölk ihres Absturzes zeigten sich die hocherhobenen
Arme und der Kopf der Jungfrau. Da stürzte Godber hinein in die rollende
See, mit schneller Besonnenheit die Bewegung der Flut ermessend, die
glücklicherweise fast gerade auf seine Werfte zutrieb. Einen langen
Bootshaken hatte er eben in der Hand gehabt, um sich damit gegen den
wütenden Sturm festzustemmen, und dieser diente ihm nun zu einem
Ankerhalt in dem Kampfe mit den tobenden Wasserbergen, denen seine
Kräfte nicht gewachsen waren, während er, wo seine Kraft ausreichte
seinem Ziele in schräger Richtung entgegenstrebte. Und siehe! da er eben
aus dem ihn hochüberdeckenden Strudel einer abbrechenden Woge
aufathmete, schoß von dem Schaumrande der nächsten Wassermauer vor ihm
eine dunkle Gestalt herab und schwebte, von der neuen Welle getragen,
ihm entgegen, und -- in wenigen Augenblicken stand Godber wieder auf
seiner Werfte. Maria hing wie leblos in seinem Arm.

So weit waren die ängstlichen Blicke Hold's und seiner Gattin den
Bewegungen Beider gefolgt, jetzt erinnerte aber eine hochrauschende
Woge, die die Hausflur überspülte, sie daran, die nötigen Vorkehrungen
für die eigne Rettung zu machen. Hold schloß alle Fensterläden fester
und verriegelte die Hausthür. Die besten Schafe hätten auf den Boden
gebracht werden sollen, aber dazu sahen sich Beide ohne anderweitige
Hülfe unfähig. Daher wurden nur sonstige wertvolle Dinge, die leichter
zu transportieren waren, hinaufgebracht, und um ihr Kind nicht oben der
Kälte ohne Not auszusetzen, und um bereit zu sein, wenn vielleicht durch
kleine Nachhülfe die Thüren gegen die heranbrechenden Fluten haltbarer
gemacht werden könnten, entschlossen sie sich, so lange als möglich
unten zu bleiben. Wol fingen bald leichtere Gegenstände um sie her zu
treiben an, da die Zugänge in's Haus nicht gegen die dasselbe umgebende
Wassermasse ganz verstopft werden konnten; aber doch war dem wogenden
Element noch kein solcher Zugang geöffnet, der demselben eine
zerstörende Macht über das Inwendige der Wohnung gegeben hätte. Nur
hatte die Pastorin für jeden Fall ihr Kind in den Arm genommen, das nach
einem schläfrigen, aber freundlichen Blick auf die Eltern ruhig
fortschlummerte. Diese sprachen wenig, sondern saßen neben einander auf
dem schweren Eichentisch, der ein Erbstück des Pastorats wol schon öfter
die See um sich her gehabt hatte, und drückten bei jedem Wogenschlag,
der die Grundfesten des Hauses erschütterte, sich fester an einander. In
der nächsten halben Stunde trieben schon alle Koffer und Kasten im
ganzen Hause, und das Wasser stand an dem Rande des Tisches. Da mußten
sie sich entschließen, ihren Platz zu verlassen, um der Bodentreppe
zuzuwaten. Allein ehe sie diese noch erreichten, schlug es wie mit
gewaltigen Donnerschlägen gegen die Thür an der Westseite des Hauses;
diese brach zugleich mit einem ganzen Fachwerk der Mauer ein, und das
Vorderende eines mächtigen Balkens drang mit einem rasenden
Flutenschwall in's Haus und zersplitterte im furchtbaren Anprall die
Bodentreppe. Im starren Schreck standen die Unglücklichen einige Minuten
regungslos und athemlos; sie umklammerten sich fest und bargen die
todesbleichen Gesichter Einer an des Andern Brust. Da hörten sie laute
Klagetöne neben sich, und aus dem Halbdach, das jener Balken hinter sich
schleppte, und das in dem Augenblick in Trümmer zerriß, wurde der
Nachbar, dessen Werfte nur in einem geringen Abstande vom Pastorat lag,
mit seiner Frau auf das erschreckte Paar hingeworfen.

»Mein Kind, mein Kind!« schrie die Nachbarin mit dem herzzerreißendsten
Jammer, als sie sich von der ersten Betäubung erholte. Ach! das Kind war
auf eine Heudieme festgebunden, da der Vater den Sturz seines Hauses
vorausgesehen, und die armen Eltern wußten nicht, ob es von dem Fall der
Mauer zerschmettert sei oder mit dem Heu in den Wogen treibe.

»Mein Kind, mein Kind!« schrie die Mutter wieder und wieder, und der
Vater jammerte mit ihr. Beide vergaßen, daß sie, wenigstens für den
Augenblick, gerettet, Beide vergaßen, daß die nächste Minute auch sie
als Opfer der tobenden See auf schäumenden Wellen forttreiben könne.

Die Lage der Armen ward zur furchtbarsten Angst gesteigert. Um sie her
fluteten die Wellen mit schrecklicher Gewalt, schlugen nach und nach
alle Seitenmauern im Innern des Hauses ein, warfen sich mit rasendem
Spiel die schwersten Lasten wie leichte Federbälle zu, und jeden
Augenblick in Gefahr, von den umhergeschleuderten Massen zerschmettert
zu werden, standen die schon halb dem Tode Verfallenen vor der offenen
Bodenluke, von der eine längere Lebenshoffnung wie neckisch
herabschaute, da keine Stiege mehr hinaufführte. Einige Erleichterung
gewährte es ihnen, daß ein Teil der Mauer an der dem ersten Einbruch
entgegengesetzten Seite jetzt niederstürzte, während gerade hinter ihnen
die Wand noch fest hielt. Nun trieben doch wenigstens die bisher ohne
bestimmte Richtung umhergeschleuderten Kisten, Balken und Mauerstücke in
wildem Gedränge diesem Ausgang zu, und sie hatten bald nur allein mit
den immer höher schwellenden Wogenstürzen zu kämpfen, da nur noch nackte
Pfähle um sie her waren. Wäre die Wand hinter ihnen gebrochen, dann
freilich hätten die Wellen auch sie hinausgerissen in die weite Tiefe.
Doch immer höher und höher stieg die Flut, und immer gewisser ward der
Untergang, auch wenn jene Wand nicht nachgab, da kaum mehr die höchste
Anstrengung die Unglücklichen aufrecht zu halten vermochte, und keine
Möglichkeit da war, auf den Boden hinaufzukommen; und schon schlugen
einzelne Wellen über ihr Haupt hin; und Hold's Gattin mußte das weinende
Kind, das sie selbst nicht ihrem Manne abgeben wollte, höher halten, um
es vor dem Ertrinken im Arm der Mutter zu bewahren.

Aber lange vorher, ehe solche Gefahr von einem Sterblichen geahnt werden
konnte, war die Hülfe schon bedacht und bereitet. Das Weinfaß, das
Mander ihm aufgedrungen, schlug, da vermutlich die Wasser den Grund, wo
es gestanden, untergraben, von einer schweren Woge gefaßt, vorne über
und stand aufrecht gerade vor der so sehnsuchts- und verzweiflungsvoll
angestarrten Oeffnung im Boden. Auf diesem Fasse retteten sich die mit
neuer Hoffnung nun Beseelten nach Oben. Welche Zuflucht aber? Ein vom
Sturm schon hie und da zerrissenes Dach auf schwankenden, von jedem
Wellenschlag erschütterten Pfählen. Rings um und unter sich den empörten
Ocean, dessen Wellen ihren Schaum oft hoch über das zitternde Obdach
hinspritzten und reiche Wasserstrahlen durch die Löcher desselben
hereingossen. In dieser, gegen die frühere unten im Hause ruhigeren Lage
sank Hold's Kleine wieder in ihren sanften Schlummer und wurde selbst
nicht von den heißen Thränen erweckt, die aus den Augen der Mutter auf
die teure Bürde in ihren Armen herabfielen; aber die Nachbarin erwachte
hier aus ihrer dumpfen Hingebung und jammerte von Neuem laut um ihren
Sohn. Jetzt stürzte die Kirche, die mit Hold's Wohnung, wie schon
erwähnt, ein Haus ausmachte, zusammen. Es würde Allen unbemerkt
geblieben sein, da im Heulen des Sturmes und im Brausen der Wellen, wie
im Knarren und Krachen aller Fugen des Gebälks auch selbst des Himmels
Donnerschläge aus dem betäubenden Gemisch von Tönen nicht heraus gehört
worden wären, wenn nicht mit dem Sturz der Kirche auch an zwei Seiten
das noch bisher das Obdach tragende Pfahlwerk weggerissen, und somit
nicht allein der Bodenraum auf ein paar schmale Bretter mit einigen
Sparren über sich, um welche das Ried des Daches in Fetzen flatterte,
beschränkt worden, sondern auch eine freie Aussicht nach Norden und
Osten hin gegeben wäre.

Welche Aussicht! Ein weites unübersehliches Wogenfeld, das bald zu einem
Bogen sich vor ihnen auftürmte, der ihre Zuflucht mit seiner mächtigen
Last mit einemmale niederzumalmen drohte, bald in einem tiefern Zuge
darunter hinschäumte, als wollte es dieselbe hoch in die Luft drücken
und in fliegende Trümmer aus einander sprengen. Dabei jagten sich
Balken, Bretter, Kisten, Betten, Wiegen, tote Schafe durcheinander,
gleichsam in ängstlichem Wetteifer, wer zuerst eine Ruhestätte hinter
den Deichen des festen Landes erreiche, die vom Sturm und Wellenschlag
gebotene Richtung verfolgend. Aus diesem Gewirre, welches das Schicksal
auch der übrigen weiter nach Nordwesten gelegenen Halligen beurkundete,
tauchte dann und wann eine Gestalt auf, die den aller Lebenshoffnung
Entsagenden ihr eignes Schicksal in einem schauerlichen Bilde malte. Das
grelle Licht des Mondes breitete einen fürchterlich hellen Schein auf
dies Schreckensgemälde, als hätte die Nacht darum des Tages Schimmer
geborgt, um mitleidlos dem Menschen kein Entsetzen zu ersparen. Von den
Häusern der Hallig hätte nur Godber's Wohnung von der offenen Seite
gesehen werden können, und diese war verschwunden. Doch sieh! standen
nicht dort zwei Gestalten eng umschlungen, gleichsam nur von der
Brandung getragen, denn kein fester Punkt war zu sehen, worauf die Füße
hafteten. Es waren Godber und Maria. Mit übermenschlicher Kraft schien
er sich gegen Sturm und Wogendrang zu stemmen. Er bog sich bald dem Stoß
der tollen Windsbraut entgegen, daß mit ihr die Wasser ganz über ihn
hinrauschten, bald hob er sich und die Jungfrau in seinem Arm wieder
empor, um aus dem Wogenschwall herauszuatmen zu neuen Anstrengungen.
Aber vergebens! Der Stand unter seinem Fuß -- war es ein Mauerwerk, war
es Gebälk, -- hielt nicht länger. Eine fürchterliche Woge rauschte wie
ein gieriges Meerungeheuer heran, und einen Augenblick schwebten Godber
und Maria, ein vereintes Paar, als würden sie so gen Himmel gehoben,
noch über den Wassern und hinauf bis zu dem äußersten Höhenschaum der
langgestreckten Woge; dann sanken sie hinab in den brausenden Strudel,
aus dem keine Rettung mehr möglich. Ueber diesen Anblick hatten die,
welche Zeugen des Unterganges der Liebenden waren, ihre eigne Gefahr
eine Zeit lang vergessen; aber jetzt dachten sie wieder an sich selbst
zurück, wie Leute, die den Tod, den sie selber erleiden müssen, an
andern sahen, und die nun die Nächsten in der Reihe der Opfer sind.
Furcht vor dem Tode war nicht mehr das vorherrschende Gefühl, obwohl bei
jeder starken Erschütterung des schwankenden Asyls diese Furcht mit dem
Beben der schauerlichen Erwartung des letzten Augenblicks durch Geist
und Gebein flog. In den kurzen Momenten der Erwartung eines neuen
Todesboten ging die gewisse Aussicht des Unterganges beinahe in
Hoffnung, ja in Sehnsucht auf baldige Erlösung aus der Schreckensstunde
durch ein schnelles Ende über. Nur lenkte Godber's und Maria's Versinken
in die Fluten die Gedanken der Nachbarin wieder auf den Verlust ihres
Kindes, von dem sie auch nicht anders erwarten konnte, als daß es zum
Spiel der Wellen eine Leiche auf dem Meere treibe; und ihr Jammer wurde
von Neuem laut. Da verfinsterte sich die Aussicht, als zöge eine dunkle
Wolke vorüber. Es war eine Heudieme, die noch von dem Flechtwerk, an
welchem von beiden Seiten schwere Lasten herabhingen, zusammengehalten
wurde, nun aber an einen vorragenden Balken hinangeschleudert,
überschlug und aus einander ging. Der obere Teil schoß unter das Dach,
und überschüttete die auf dem Boden liegenden mit nassen Heuhaufen. Und
siehe! zu den Füßen der Mutter lag ihr längst verloren gegebenes Kind
lebend und unverletzt! O, wer faßt die Wonne der Eltern. Mit tausend
Küssen bedeckte sie den Knaben, mit Lob und Dank feierten sie des Herrn
Güte und Barmherzigkeit. Jeder Gedanke, daß der Tod Allen noch immer
gleich nahe sei, war verschwunden. Selbst Hold und seine Gattin hob die
Teilnahme an der Freude der Eltern zu einer völligen Vergessenheit der
gemeinsamen Lage; und hätte in diesem Augenblick das leichte Gebälk dem
Stoß der Wellen nachgegeben, sie würden mit einander, noch voll von der
Wonne des Entzückens über die Rettung des Kindes, von den Fluten bedeckt
worden sein. Als die Gedanken an die durch jene Rettung nicht
verminderte Gefahr zurückkehrten, war diese schon vermindert. Der Sturm
tobte nicht mehr so heftig und sänftigte sich mit jeder Minute. Die
Wogen gossen nicht mehr so gewaltige Massen über das gebrechliche Dach
aus und rauschten bald nur noch darunter hin. Doch wurde der Jubel der
mit neuer Lebenshoffnung Erfüllten dadurch sehr gemäßigt, daß die
Stützen der wenigen Querbalken und Bretter, durch die sie über der Tiefe
gehalten wurden, jetzt kaum mehr auch den kleinsten Stößen und Schlägen
gewachsen schienen, sondern heftiger als vorher schwankten und in ihre
Fugen sich mehr und mehr lösten; ja daß mit dem Rückgang der Flut der
Grund, auf dem die tragenden Ständer ruhten, in großen Brüchen abfiel
und daher die eine Seite des kleinen Bodenraums sich so sehr neigte, daß
es den Bedrängten nur durch das Umklammern der einzeln stehenden Sparren
allein möglich ward, sich noch eine Zeit lang auf den schrägen und
glatten Brettern zu halten. Das Meer aber schlug noch mit einzelnen
schweren Wogenzügen nach der Beute hinauf, die es ungern zurückließ, und
wühlte, als es immer tiefer sank, den Grund um die Stützpfähle so gierig
ab, daß diese fast allen Halt verloren, und die Gefahr der bis dahin
gesparten Opfer jetzt erst den höchsten Grad erreichte. Je höher deren
Hoffnung gestiegen, das Leben zu retten, desto ängstlicher ergriff sie
der Gedanke, nun der immer mehr und mehr abfallenden Macht der Sturmflut
doch zuletzt noch zu unterliegen. Wie langsam flossen die Minuten hin!
Wie langsam ging die See zurück! Doch die Zeit zählte sich an dem
Pulsschlag der pochenden Herzen ab, und nach sechs Stunden, in denen
jede Minute ein Todesbote in der furchtbarsten Gestalt gewesen, standen
die Geretteten wieder auf dem Boden der Mutter Erde.



                                XXIV.


   Gott siehet herab! und -- horch! die Wetter schweigen,
   Errettung kommt, woher Verderben kam;
   Des Tages langersehnte Blicke zeigen,
   Wie Gott uns schützte und was Gott uns nahm.

Aus der »Ueberschwemmung« 1825.

Aber mit welchen Gefühlen sahen sich die dem Tode Entronnenen auf der
Stätte ihres früheren, bei allen Entbehrungen ihnen doch so
freundlichen, häuslichen Stilllebens! Wer möchte sie richten, daß nicht
gleich der erste Aufblick Dank war. Kaum konnte das Leben als eine
willkommene Gabe erscheinen, da ihnen Alles genommen, was das Leben in
dieser Erdenzeit zur Erhaltung und zum Genuß fordert. Ausgeschwemmt war
der Boden, wo die Mauern des Hauses gestanden, die das genügsame, und
darum so reiche Glück eines liebenden Paares umschlossen. Das Gotteshaus
war fort und damit der Verkünder des Evangeliums in dem innersten Leben
seines Berufes auf's Tiefste verwundet und von seinem zweiten Heiligtum,
von dem stillen Herde seines häuslichen Glücks, waren ihm nur einige
Trümmer geblieben, die kaum noch die Stätte desselben bezeichneten. Er
und seine Gattin sahen mit Thränen auf die Verwüstung. Er gedachte
seiner Bücher, auch nicht eins war ihm geblieben; sie dachte an die
tausend kleinen Mittel und Zeugnisse der Wirtschaftlichkeit, auch keine
Spur war übrig gelassen, woran sich ein neuer Hausstand anknüpfen ließ.
Was Beide verloren, konnte eine Geldrolle aufwiegen; aber die Freude an
Dem, was sie unter Sorgen und Mühen erworben, die Liebe zu Dem, was
freundliche Erinnerungen ihrem Herzen teuer gemacht, das Band, mit
welchem die Gewohnheit uns auch an ein sonst wenig beachtetes Eigentum
bindet, die alte Traulichkeit, mit der uns ein Besitz anblickt, der
gleichsam als treuer Freund und Genosse zu den Freuden und Leiden
unseres häuslichen Lebens gehört, das Alles konnte kein Gold wieder
erstatten. Und wäre dies auch möglich gewesen, woher der Ersatz? Standen
sie nicht arm und bloß da? -- Ohne Aussicht für die Zukunft! Ohne
Aussicht auch nur für des Tages Bedürfnis! Das Leben aus der tobenden
See gerettet, mußte es nicht vielleicht schon in den nächsten Tagen dem
Hunger und dem Froste unterliegen? Durften sie jetzt schon vertrauend
hinüberblicken zu den Küsten des festen Landes, von wo die Hülfe kommen
sollte, ehe sie wußten, wie weit die Ueberschwemmung sich auch über
Deiche und Dämme ergossen, wie weit die Milde und die Mittel ihrer
Nebenmenschen reichen und wie schnell die Blicke von jenen Ufern auf
ihren Zustand geleitet werden würden? Hatte doch wohl damals Keiner in
unserm Vaterlande erwartet, daß für die Halligen so viel rasche
Thätigkeit sich entwickeln, so reichliche Unterstützung ihnen zufließen
werde, als die Folge bewährte; wie viel weniger konnten im ersten
Augenblick, in dem vollen Gefühl ihrer furchtbaren Lage, die
unglücklichen Halligbewohner selbst erwarten?

Hold und seine Gattin weilten trostlos auf der nun wüsten Stätte ihres
früheren Glückes, und ihr Kind weinte vor Kälte. Sie wandten ihre Blicke
umher und allenthalben sahen sie dieselbe Verwüstung. Leere Werften oder
noch einzelne Pfähle hier und da, die ein zerrissenes Dach trugen! Nur
eine Wohnung war weniger zerstört und konnte einigermaßen noch Schutz
und Obdach bieten. Dahin lenkten sie ihre wankenden Schritte. Als Hold
von der zerlöcherten Werfte hinabstieg, bemerkte er eine Platte von dem
umgestürzten eisernen Ofen, unter der ein Buch hervorragte. Und er stand
still, und eine dunkle Röte, wie die Glut der Scham, goß sich über sein
bleiches Gesicht. -- Dann aber flossen seine Thränen stärker, doch aus
den Thränen hob sich ein leuchtender Blick zu dem umwölkten Himmel. Er
faßte die Hand seiner Gattin, drückte sie fest und innig und sprach:

»Siehe, da redet der Herr wieder zu uns! Nein,« und damit schloß er Weib
und Kind in seine Arme, »wir wollen nun und nimmer verzagen. Er will,
daß wir Ihn hören. Wie klar hat Er auf's Neue geredet! Er selber hat mir
am Abend zu schreiben gegeben, was mir am Morgen dienen sollte zur
Stärkung meines schwachen Glaubens.«

Und nun erzählte er auf dem Wege zu der Zufluchtsstätte, was er in das
Buch seiner »Gesichte«, denn dies war das gefundene, am gestrigen Abend
zuletzt geschrieben:

»Und wieder war der Himmel geöffnet wie in der Zeit, da Jakob, der Sohn
Isaaks, schlummerte auf dem Felde. Aus dem lichten Gewölk, das den
Eingang zu der Stätte der Engel, die das Antlitz Gottes schauen,
umwallte, ging herab die Himmelsleiter hinein in die schweigende Nacht
der winterlichen Erde. Die Strebesäulen der Leiter waren wie zwei
breite, von Morgendüften umflossene Sonnenstrahlen, und die Stufen wie
Mondenschimmer, durchblitzt von Sternenlicht. Niederstieg ein Bote
Gottes, anfangs anzuschauen wie ein weißes, duftiges Gewölk, das sich
wieget am Sommertage in dem blauen Himmelsmeer; dann näher zur Erde
schwebend erschien seine Gestalt, wie den Himmlischen die Gestalt einer
frommen Seele erscheinen mag, wenn sie in dem verklärten Leibe, für den
unser Auge keinen Blick hat, der Heimat beim Vater zueilt. Mein Auge
aber sollte geöffnet werden, den Engel zu schauen auch in dieser
Gestalt, denn eine feurige Kohle war mir bereitet in des Vaters Rat,
weil meine Schwachheit gezagt hatte in Sorgen der Nahrung. Und der Engel
betrat die Erde, winkte und schwebte mir voran leise und leicht, wie
Sommerfäden durch die Lüfte ziehen. Wir wandelten über Berg und Thal hin
durch die stille Winternacht, und mein Fuß strauchelte nicht auf der
glatten Eisdecke und wurde nicht müde in dem weichen Schnee, als
berührten meine Sohlen nicht den Grund unter mir. Auch an einzelnen
nächtlichen Pilgern kamen wir vorüber, aber sie sahen uns nicht, denn
auch meine Gestalt war vor Menschenaugen nicht da. Kam es mir doch
selber vor, als hätte ich den schweren, dunklen Erdenschatten
zurückgelassen auf seiner Schlummerstätte, und es pilgerte meine Seele
in dem Kleide der zukünftigen Heimat. So kamen wir in eine große Stadt
und die Thore öffneten und schlossen sich ohne Geräusch, wie eine
Nebelwand auseinanderfließt und den Sonnenstrahl durchläßt, der, eine
schlummernde Knospe zu wecken, mit raschem Blick auf die Flur
niederleuchtet. In den Straßen war es öde und still, und wir schritten
durch die langen Häuserzeilen wie zwei Lustwandler, die, verspätet auf
ihrer Ausflucht, nun die Pforten ihrer Wohnung verschlossen fanden und
eine gastliche Stätte suchen bei einem entfernten Freunde. So wandelte
der Engel Gottes mit mir durch die weite Stadt, und die da schliefen in
den hohen Palästen, träumten von dem Reichtum, den Ehren und den
Wollüsten dieser Erde, wie zuvor; und die da schliefen in den Hütten der
Armut, sorgten auch im Schlafe in Sorgen der Nahrung und waren voll Neid
und Gier, wie am Tage; aber der Engel Gottes ging vorüber und Niemand
merkte ihn. Nur über des Kindleins Angesicht, das noch unbekannt mit der
Welt in der Wiege schlummerte, und noch nicht wußte, ob es reich oder
arm geboren sei, mochte ein Lächeln hinwallen, schöner und lieblicher,
als das Lächeln der Braut, die im Traum den Verlobten sieht. Da lag am
andern Ende der Stadt eine hohe Kirche, deren schlanke Thürme sich in
die Wolken streckten, durchbrochen vom leuchtenden Schein des
Mondlichts, und deren breite Seiten und Säulenhallen dahin gebaut
schienen, um die dahinterliegenden engen Gäßchen, die Heimat der Elenden
und Verachteten, zu bedecken. Durch die hohen Fensterbogen glänzte
Lampenschimmer, und wie wir an der gewölbten Pforte standen, läutete ein
liebliches Glockenspiel zur Frühmette. Mich ergriff das Geläute vom
Thurm und der Gesang der Priester am Altar mit heiligen Schauern, und es
drängte mich hineinzugehen mit den einzelnen Andächtigen, die zum Gebet
eilten. Der Bote Gottes aber winkte zu bleiben und wandte seinen Blick
hinauf zu dem Gesimse des stattlichen Tempels. Da fiel ein Sperling,
erstarrt in dem scharfen Winterfrost, herab vom Dache zu den Füßen des
Engels. Dieser aber hob ihn auf und barg ihn mitleidig in die Falten
seines Gewandes, ihn zu erwärmen an seinem Busen. Und als ob damit sein
Geschäft aus wäre an dieser Stätte, schritt er rascher, und wie es mir
schien, mit freudigerem Antlitz weiter vorwärts, hinein in das geächtete
Viertel der Stadt, hinein in die dunklen, schmalen und gewundenen Gassen
bis an die äußerste Ringmauer. Da stand eine Hütte, also verfallen, daß
mir bange war, nur vorüberzugehen. Aber der Bote Gottes ging hinein und
ich mußte ihm unwillkürlich folgen. Eine morsche Stiege hinauf, und noch
eine, da traten wir in eine schmale Bretterkammer unter dem Dache. Das
einzige Fenster der ärmlichen Behausung hatte über die Ringmauer hinweg
die Aussicht auf das offene Feld und bot mit seinen geborstenen Scheiben
dem rauhen Winde freien Eingang, zugleich aber auch dem vollen
Mondstrahl, also daß ich alle Gegenstände deutlich erkennen konnte, als
wäre es heller Tag. Vielleicht mochten auch meine Augen klarer sein,
denn sonst. Auf dem Strohlager in der einen Ecke lag ein Sterbender, ich
hörte es an dem Röcheln seiner Brust. Ach! er war der Versorger, der
einzige, letzte Versorger der Seinen, die um sein Lager standen, sein
Weib mit sechs Kindern und das siebente an ihrer Brust. Die Kinder
rangen die Hände und weinten laut. Die Mutter aber blickte mit dem
bleichen, starren Antlitz vor sich hin und hatte keine Thräne mehr. Nur
der Säugling lag am Busen der Verzweiflung und sog die wenige Nahrung.
Der Sterbende richtete sich mit matter Anstrengung auf und blickte mit
den hohlen Augen hin auf die Seinen. In allen seinen Zügen lag die
martervolle Sehnsucht nach einer Tröstung für sie, er pflückte
krampfhaft mit den hagern Fingern in den Strohhalmen vor ihm, als hoffte
er, noch eine Aehre zu finden, die ihn erinnere an den Gott, der den
Hungrigen Brot giebt; aber die Halme waren leer, und sein Seufzer ward
zum Verzweiflungsgestöhn. Die Kinder weinten lauter, und der Mutter
brachen die Kniee, daß sie niedersank neben dem Gatten.

»Wohin führst Du mich?« sprach ich leise zu dem Engel. »Hilf hier, wenn
Du kannst, oder laß uns von hinnen gehen, laß mich weinen über das Elend
des menschlichen Lebens.«

Der Engel aber antwortete, und seine Worte tönten wie das Wehen, das dem
erwachenden Morgen vorangeht:

»Das Auge unseres himmlischen Vaters schauet herab auf alle seine Kinder
im Staube. Die Hülfe ist in seinem Rat. Er wird auch hier Keinen
verlassen und versäumen. Ich aber bin von ihm nur gesandt, daß die Seele
des Sterbenden im Frieden von hinnen fahre.«

Bei diesen Worten lüftete er die Falten seines Gewandes, und der
Sperling, neubelebt an seiner Brust, flatterte hervor und dem Fenster
zu. Auf der Fensterbank lag der Rest einer Brodrinde, der letzte Vorrat
der Armen. Und der hungrige Vogel ließ sich nieder und machte sich an
die Brodrinde, und pickte geschäftig eine Krume nach der andern ab. Da
floß es wie ein Strahl der Verklärung über das Antlitz des Sterbenden.
Sein Auge beobachtete mit leuchtendem Blick jede Bewegung des Vogels,
der bald an die eine, bald an die andere Seite hüpfend von der
gefundenen Nahrung kostete. Und immer glänzender spiegelte sich die
Freude, immer seliger der Friede in den Zügen des dem Tode nahen. Höher
richtete er sich auf, als wäre ihm die jugendliche Kraft zurückgekehrt,
eine Thräne des Dankes schimmerte in seinem nun zum Himmel gewendeten
Auge; Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung thronten auf seiner heitern Stirn.
Dann schaute er zurück auf die Seinen, streckte die Hand aus über die
Gattin und die Kinder hin, wies auf den Sperling am Fenster und rief mit
voller, fester und klarer Stimme:

»Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht,
sie sammeln nicht in die Scheunen und euer himmlischer Vater nähret sie
doch. Seid ihr denn nicht viel mehr, denn sie?«

Er sprach's und sah nur noch, wie aus der Gattin Auge, das so lange
thränenleer gewesen war, wieder eine milde Zähre floß, da -- schied
seine Seele in Frieden.«



                                 XXV.


   Hinauf zum Himmel, tiefgebeugte Seele,
   In Thränen reift die Saat der Ewigkeit,
   Daß sich der Mensch das bessre Teil erwähle,
   mahnt ihn des irdischen Vergänglichkeit:
   Das Zeitliche vergeht der Zeit zum Raube,
   Doch ewig bleibt die Liebe und der Glaube.

Aus der »Ueberschwemmung« 1825.

Am Morgen nach dieser Nacht der Verwüstung war die ganze Gemeinde,
Männer, Frauen, Greise, Kinder, in dem einen Hause versammelt, das
allein noch obdachfähig geblieben war! Alle übrigen Wohnungen waren
teils gänzlich weggerissen, teils zu einem blosen Pfahlwerk geworden.
Welche Aussicht für die Zukunft der unglücklichen Halligbewohner! Hab
und Gut und Herden dahin! Für die kommenden Tage kein Obdach, kein
Erwerb; für den Augenblick nicht einmal trockene Kleidung und
Nahrungsmittel! Krankheit, Hunger, Frost, Blöße, Verzweiflung oder Tod
in den Wellen mit der nächsten wiederkehrenden Flut: das war das
Geschick, dessen Vorboten schon zu nahe waren, um sie zu übersehen. So
lange noch nicht Alle die Zuflucht erreicht hatten, gaben die
Erzählungen der einzeln Ankommenden immer neue Nahrung zur lauten
Bewunderung der göttlichen Macht und Güte. -- So war unter Andern eine
Frau mitten in der ernsten Stunde, die zum ersten Male ihre mütterlichen
Hoffnungen erfüllen sollte, von den Wellen auf ihrem Lager überrascht
worden. Auf den Boden getragen, stürzte sie mit dem niederbrechenden
Hause auf eine Heudieme hin. Hier klammerte sie sich an und hielt, von
schweren Balken belastet, die mit jeder Woge sich hoben und senkten, die
ganze Nacht aus, watete dann gegen Morgen bis über die Kniee im Wasser
hin zu dem Hause, in welchem sie jetzt sogleich nach ihrer Ankunft eines
gesunden Kindes[3] genas. -- Als aber, außer Godber und Maria, Niemand
mehr fehlte, wandten sich Aller Gedanken und Gefühle auf den Verlust,
den sie erlitten, auf die Hoffnungslosigkeit ihres Zustandes, und Alle
klagten, weinten und schluchzten mit einander. Nur Hold, dessen Aussicht
für die Zukunft, nach Ueberwindung der ersten Not, weniger betrübend
war, der seit dem Antritt seines gefahrvollen Kirchendienstes auf der
Hallig sich oft ähnliche Lagen gedacht, und den der Herr, wie wir
gesehen, bereits mächtig getröstet in seiner Trübsal, gewann bald wieder
das Gedächtnis der Verpflichtungen, die sein Amt ihm auferlegte; und nie
war ihm die Herrlichkeit seines Berufes so klar gewesen, als sie ihm in
diesen Stunden ward. Er wandte sich bald an Alle, bald wieder an
Einzelne; machte auf die wahrhaft wunderbaren Errettungen aufmerksam,
von denen vorher Einer dem Andern erzählt; suchte das Vertrauen zu dem
Vater zu wecken, der die Vögel unter dem Himmel nährt und die Blumen des
Feldes kleidet; zeigte, wie so viele köstliche Sprüche gleichsam gerade
für die Lage geredet seien, in welcher sie sich befänden, und
ermunterte, da seine ersten Vorstellungen, eine Zuflucht auf dem festen
Lande mit Hülfe des einzigen Schiffes zu suchen, das noch unzertrümmert
an seinem Anker lag, zurückgewiesen waren, nun selbst dazu, mit voller
Hingebung auf dem geliebten Boden der Heimat Alles zu erwarten, was im
Rate Gottes beschlossen sei. Dem Tiefgebeugten floß seine Rede wie Manna
in der Wüste und erinnerte ihn an den glimmenden Docht, der nicht
verlischt, an das geknickte Rohr, das nicht zerbricht. Die
Verzweifelnden strafte er mit mächtigem Wort: »Demütiget Euch unter die
gewaltige Hand Gottes! Wer ist jemals zu Schanden worden, der auf Gott
gehoffet? Wer ist jemals verlassen, der in der Furcht des Herrn
geblieben ist? Haben wir Gutes empfangen von Gott, warum sollten wir
denn auch nicht Uebles annehmen? Darum seid geduldig in der Trübsal!«
Und über Alle hin rief er: »Wenn ich nur Dich habe, Allmächtiger, so
frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir auch Leib und Seele
verschmachten, so bist doch Du, Gott, allezeit meines Herzens Trost und
mein Heil!« Allmälig gewann seine Tröstung Eingang in die bekümmerten
Gemüter, immer mehr schlossen sich ihm an und stimmten in seine Reden
ein; und die Klagen verstummten, die Thränen flossen linder, und die
Seufzer wurden zu stillen Gebeten.

[Fußnote 3: Dieser Knabe, in dem Kirchenbuche der nun der
nächstgelegenen Insel zugepfarrten Gemeinde das vorletzte Kind, -- die
nach dem frühen Tode der erstgeborenen jetzt älteste Tochter des
Verfassers dieser Novelle ist das letzte, -- wurde in der Taufe:
Johannes (Gott ist gnädig) genannt.]

Nun mahnten Frost und Hunger, eine nährende und wärmende Speise zu
bereiten. War es auch möglich, ein Feuer anzuzünden, so fehlte es doch
an Nahrungsmitteln, die nicht völlig vom Meerwasser durchnäßt waren, und
vor Allem fehlte es an süßem Wasser zum Kochen, da die Ueberschwemmung
alle Brunnen mit ihrer Salzflut gefüllt. Doch Hold erinnerte an das
Weinfaß, das ihm und den Seinen zur Rettung gedient, und einige junge
Leute gingen hin, es zu suchen.

Diese stießen bei ihrem Herumwandern auf Godber's Leiche, die ihren
Ruheplatz in der durch die Sturmflut wieder aufgerissenen Gruft des
Kapitäns und der beiden Matrosen gefunden hatte. Gleichsam als sicheres
Zeichen der Versöhnung war er also gebettet! Hätte er sich selber eine
Grabstätte wählen sollen, er würde keine andere gewählt haben.

Der Mensch ist in Stunden besonderer Aufregung gar leicht geneigt, dem
Zusammentreffen einzelner Umstände eine tiefere Bedeutung unterzulegen,
als es vielleicht für ihn haben sollte. Wir wollen daher gern dem Leser
das Urteil frei lassen, ob Hold Recht hatte, als er später im Gespräch
mit seiner Gattin über die Auffindung der Leiche Godber's in jener Gruft
seiner früheren Schiffsgenossen sich dahin äußerte:

»Mir ist, als habe Gott mir dadurch eine große Beruhigung geben wollen.
Ich kann nun an Godber denken ohne den geringsten Zweifel, daß ihm
vergeben ist. Diese Vereinigung im Tode mit allen Denen, welche er mit
Recht oder Unrecht als Opfer seiner Untreue betrachtete, kommt mir als
eine bejahende Antwort vor auf die Frage der Ueberlebenden: >Ist seine
Reue angenommen im Gericht?< Wir sollten in Frieden sein gedenken, darum
sahen wir seine Leiche in Frieden schlummern neben Denen, deren Tod sein
Gewissen beunruhigte. Ich wenigstens muß Gott danken, daß Er es also
gefügt, und möchte um keinen Preis Godber's Leiche an einer andern
Stelle gefunden wissen. Er mußte erst den Weg dahin machen, wohin ihn
die Sühne rief. Maria gehörte nicht dahin. Darum wurden ihre Leichen
getrennt. Mit ihr versöhnten ihn die letzten Augenblicke seines Lebens;
und sie sind nun vereint in den ewigen Hütten.«

Gewann unsere Erzählung Deine Teilnahme, lieber Leser, so scheide auch
Du von Godber, ohne mit Unwillen seiner Schwäche zu gedenken. Wer hat
die Gewalt der Leidenschaft ermessen, deren lodernde Flamme oft in einem
unseligen Augenblick Alles verzehrt, was an Pflicht und Treue wir unser
nennen, und wir stehen vor dem Aschenhaufen und fragen verwundert: »Wie
konnte es doch so kommen?« Richten wir uns selber, dann sei keine
Strenge zu streng; urteilen wir aber über Andere, dann flüstere das
Bewußtsein unserer Schwachheit das Gebet uns zu: »Herr, führe uns nicht
in Versuchung!«

Das gesuchte Faß ward glücklicherweise wohlbehalten aufgefunden,
geöffnet, und darauf wurden in Wein die vorrätigen Nahrungsmittel
gekocht, deren Genuß nun den Durchnäßten und Durchkälteten eine
erquickende Lebenswärme zurückgab.

»Bis hieher hat der Herr geholfen!« rief Hold, nachdem Alle gesättigt
waren. »Lasset uns hinziehen zu der Stätte, wo Sein Heiligtum stand, daß
wir Ihm dort danken, wo wir so oft Seinen heiligen Namen angerufen
haben. Dort im Angesicht der Zerstörung alles Dessen, was wir von Ihm
hatten an zeitlichem Gut, wollen wir Ihn preisen, daß er unsere Lieben
erhalten und Seine Liebe uns bewährt auch da, als Seine Hand schwer auf
uns lag.«

Und er stimmte aus Luther's Kernliede: »Aus tiefer Not schrei' ich zu
Dir!« die folgenden Verse an, in welche die ganze Gemeinde auf dem Zuge
zu der Stätte, wo die Kirche gestanden, mit einfiel:

   Und währt es auch bis in die Nacht,
   Und wieder an den Morgen,
   So soll mein Herz an Gottes Macht
   Verzweifeln nicht, noch sorgen.
   So thut der Fromme rechter Art,
   Der aus dem Geist erzeuget ward,
   Und seines Gottes harret.

   Ob bei uns ist der Sünden viel,
   Bei Gott ist viel mehr Gnade.
   Sein Arm zu helfen hat kein Ziel,
   Wie groß auch sei der Schade.
   Er ist allein der gute Hirt,
   Der Israel erlösen wird
   Aus seinen Nöten allen.

Als Hold die Kirchenwerfte betrat, die kaum in ihrer Zerstörung noch
eine Werfte heißen konnte, und auf der auch kein Stein und kein Balken
zurückgeblieben, die daran erinnern konnten, daß hier ein Haus
gestanden, war das Erste, das ihm in die Augen fiel: Maria's Leiche.
Diese mußte mit der rückgehenden Flut hierher getrieben sein und lag in
einer der Höhlungen der zerrissenen Werfte in einer fast sitzenden
Stellung, so daß sie beim ersten Anblick als eine Lebende erschien, die
hier einen Schutz vor den rauhen Winden gesucht. Alle drängten sich um
Hold her, als er sich mit einer Thräne im Auge über den Leichnam
niederbeugte. Er war so weich und wehmütig geworden, daß er die
freudige, gottvertrauende Stimmung, in welcher er die Gemeinde
hierhergeführt, vergebens wieder suchte.

So war denn dies jugendliche Leben dahin, das vom irdischen Glück nur
geträumt. Als der Traum in Erfüllung gehen sollte, breitete der Morgen
seinen scharfen Winterfrost über die Blüten der bräutlichen Hoffnung und
sie welkten alle. Auch Du mit Deinem bescheidenen, einfachen Wesen, die
Du geschaffen schienst, um friedlich über die Erde hinzugehen,
unbeachtet vom Geschick, das die stolzen Herzen trifft und die reichen
Gemüter prüft, auch Du mußtest bluten, ein stillduldendes Opfer der von
Leidenschaften bewegten Welt. Doch der Stern eines schönern Morgens war
ja aufgegangen in Deinem Herzen und weckte Blüten, die die Erde nicht
geboten, wider die der feindliche Winterfrost nichts vermochte, die von
dem Tau des himmlischen Friedens und von den Thränen des irdischen
Schmerzes zugleich genährt, nur desto reicher sich entfalteten und desto
lieblicher aufdufteten der Heimat zu. Nicht in ein anderes Land ist
Deine Seele übergegangen, sie war ja schon hienieden losgebunden von den
Fesseln zeitlicher Wünsche, war hienieden schon eine Pilgerin nicht zum
Himmel, sondern im Himmel. Die Thräne, die auf Deine Leiche fällt, gilt
nicht Dir, deren Glaube zum Schauen geworden ist, sie gilt der Welt, die
nicht einmal für Dein anspruchsloses Herz eine ruhige Stätte hatte. Ja,
wir sind Gäste und Fremdlinge auf Erden!

Indem Hold sich tiefer hinabbeugte, weniger um die Tote näher zu
betrachten, als vielmehr, um seine Thränen zu verbergen, sah er neben
Maria den goldenen Abendmahlskelch liegen, der seit 1459 der Gemeinde
gedient[4]. Dieser Fund ergriff ihn wie eine Botschaft aus der Höhe. Mit
siegender Kraft kehrte sein heiterer Glaubensmut in seine Brust zurück.
Er faßte schnell das ihm und der Gemeinde so werte Kleinod, hob es hoch
empor in der Linken, während seine Rechte wie segnend über den Häuptern
der ihn umgebenden Gemeinde lag. Sein freudeverklärter Blick ruhte am
Himmel, durch dessen leichte Wolken eben die Sonne brach, deren Strahl
die grause Zerstörung umher beleuchtete, zugleich aber über das Antlitz
Hold's einen Schimmer ergoß, in welchem sich seine innere
Gottesfreudigkeit klar und glänzend abspiegelte. So stand er auf der
höchsten Stelle der zertrümmerten Werfte, den Mittelpunkt eines
wunderbaren Gemäldes bildend. Zunächst an ihm Maria's Leiche in
halbsitzender Lage, wie eine fromme Schülerin zu den Füßen ihres
Lehrers, das Gesicht mit dem mildesten Frieden des Todes in den Zügen
gleichfalls dem Himmel zugewendet. Die Gemeinde ringsum in den
mannigfaltigsten Stellungen mit mehr oder minder deutlichen Zeichen der
Ermattung; Alle nur in leichter Kleidung, der man die Verwirrung der
Nacht ansah, die Männer mit freiem Nacken und offener Brust, die Frauen
und Mädchen mit dem langen, nassen Haar, das über die Schultern
herabfiel; bei dem Einen das Antlitz ganz verklärt im Aufschauen zum
Herrn, bei dem Andern ein Zug von Trauer und Wehmut beim neuen Anblick
der Vernichtung ihres irdischen Glückes; die Kinder furchtsam umschauend
und den Eltern sich anschmiegend, als sähen sie die Schreckbilder der
vergangenen Nacht noch einmal zurückkehren. Dabei die zerrissene Werfte,
hier in tiefen Höhlungen ausgewaschen, dort in steilen Abbrüchen und
herumliegenden Erdhaufen einem gesprengten Festungswall gleichend. Auf
der einen Seite das halbgesunkene Balkengerüst, der einzige Ueberrest
der Wohnung Hold's; auf der andern die Aussicht über die glatte Fläche
des Landes hin, voll zerstreuter Trümmer, die durch einzelne Streifen
des am Morgen gefallenen Schnees von dem dunklen, feuchten Grunde
gehoben wurden. Weiterhin das Meer, dessen Wellen nach der Erschütterung
des letzten Sturmes noch in ungewöhnlicher Bewegung waren und die Macht
bezeugten, die solche Zerstörung angerichtet. Das Ganze gab ein Gemälde,
das in seiner Wahrheit jede Schöpfung der Phantasie weit hinter sich
zurückließ.

[Fußnote 4: Dieser Becher befindet sich jetzt in der Kunst- und
Antiquitätenkammer in Kopenhagen.]

»Fürchte Dich nicht, Du kleine Gemeinde!« rief Hold. »Siehe der Herr ist
Dir nahe! Wie der Regenbogen nach der Sündflut der Welt ein Zeichen und
Zeugnis war, daß Gottes Gnade fortan größer sein werde als ihre Schuld,
so giebt Gott uns diesen Kelch, der so vielen Geschlechtern gedient, und
der so manche Sturmflut überdauert hat, heute wieder zum Zeichen und
Zeugnis, daß er sich unser erbarmen will mit alter Lieb' und Treue.
Fürchte Dich nicht, Du kleine Gemeinde! Der Gott, der Jesum Christum in
die Welt gesandt, daß Er den Kelch der Versöhnung fülle mit Seinem
Blute, der Gott spricht durch dies Gefäß der heiligsten Feier zu Dir:
Ich will Dich nicht verlassen, noch versäumen! Herr, wir halten fest an
Deinem Worte! Herr, wir bauen auf Deine Zeugnisse! Wer mag noch daran
gedenken, was diese Nacht ihm genommen? Wessen Brust ist nicht
durchströmt von dem Trost aus der Höhe? Wessen Herz schlägt nicht
kindlich froh dem Vaterherzen droben entgegen? Er hat Seinen Boten
vorausgesandt, diesen Kelch. Er ist da und teilet einem Jeden aus Seiner
reichen Fülle. Er ist da und mit Ihm weltüberwindende Kraft und freudige
Hoffnung. Er ist da, Du Tochter Zions, und hat aufgerichtet in Deinem
Herzen Sein Heiligtum, dessen Grund ist der Fels der Zuversicht, dessen
Säulen sind Licht und Gnade, dessen Altar ist Verheißung dieses und des
zukünftigen Lebens, dessen Zinne ist Friede und Seligkeit. Arm und
hülflos, wie wir aus dem Mutterschoße hervorgegangen sind, stehen wir
wieder vor Ihm. Er will uns neugeboren werden lassen, daß wir fortan
ganz die Seinen sind, genährt nur von der lautern Milch des Glaubens,
stark nur in Seiner Stärke, reich nur in Seinem Reichtum, selig nur in
Seiner Liebe. Herr, unser Gott, hier sind wir! Wir sind Dein; Deines
Reiches Erben, nicht mehr Kinder der Zeit!

   Das Zeitliche vergeht der Zeit zum Raube;
   Doch ewig bleibt die Liebe und der Glaube!



                                 Die
                          Collection Spemann


ist in der Absicht begründet, den guten alten Brauch einer eigenen

                      »Hand- und Hausbibliothek«

wieder zu Ehren zu bringen. Neben dem vollberechtigten Interesse an der
anziehenden Zeitungslektüre wollen wir die Freude an dem
_abgeschlossenen Buche_ wieder zu wecken suchen.

Keine Litteratur der Welt besitzt einen solchen Reichtum von eigenen wie
von angeeigneten Werken unvergänglichen, klassischen Wertes, als gerade
die deutsche. Wie die Werke unserer deutschen Geisteshelden dem
Fortschritt der Menschheit die Wege gewiesen, so hat die Litteratur der
ganzen Welt durch unsere Uebersetzungskünstler auf uns zurückgewirkt.
Franzosen und Engländer, Russen und Italiener, Spanier und
Skandinavier, Römer und Griechen mußten ihr Bestes hergeben -- durch
musterhafte Uebertragungen sind sie in unsere Litteratur
aufgenommen. Romane, Novellen und Dramen, schildernde und sachlich
belehrende Reisebeschreibungen, Memoiren und Geschichtswerke,
naturwissenschaftliche und medizinische Schriften -- ein unermeßlicher
Reichtum des Besten und Edelsten ist unser.

Aber wem ist es geboten, für die Stunden der Muße und geistigen Erbauung
sich aus dieser reichen Fülle das Edelste und Beste, das Brauchbare und
Gute auszusuchen und zusammenzustellen zu einem wahren litterarischen
Hausschatz? Nur wenig Bevorzugten! Die Gesammtheit des Lesepublikums ist
mehr oder minder darauf angewiesen, es dem Zufall zu überlassen, was er
ihm bietet oder was äußere Mittel zu erlangen gestatten.

Da ist es nun die »Hand- und Hausbibliothek«, deren Zusammenstellung
bewährte und kenntnisreiche Männer leiten, die beseelt sind von dem
schönen Gedanken, die geistigen Errungenschaften weitesten Kreisen
zugänglich zu machen -- die »Deutsche Hand- und Hausbibliothek« die mit
jedem neuen Band jenen Hausschatz bereichert und vermehrt in
wohldurchdachter Wahl. Ja noch mehr, die den Genuß dessen, was sie
bietet und bringt, erhöht und erweitert durch Einleitungen der
namhaftesten Forscher, durch biographisch-kritische Vorworte
gewissermaßen die engere Bekanntschaft zwischen Autor und Leser
vermittelt.

Das deutsche Buch ist fast sprichwörtlich geworden durch seine hohen
Preise, die nur Wenige zu erschwingen im stande sind. Fünf bis sieben
Mark ist der gewöhnliche Preis einer Oktavbandes. Wir wagen es und geben
unsere Bände

                         gebunden für 1 Mark,

ein Preis, wie er noch nie und nirgends aufgestellt ist.

Wir geben unsere Bände _gebunden_ in schönem und solidem, von
Künstlerhand entworfenen Einband. So sind unsere Ausgaben nie dem
Auseinanderfallen beim Lesen und ebenso nie der Fährlichkeit ausgesetzt,
von ungeschickten Buchbindern verdorben oder in häßlicher Ungleichheit
gebunden zu werden. Damit auch dem so ärgerlichen Verlieren beim
Ausleihen vorgebeugt werde, hat jeder Band ein Bibliothekschild zur
Einzeichnung des Namens des Besitzers. Da ferner alle Bände in gleichem
Einband erscheinen, so kann der Bezug der _Collection Spemann_ an jedem
Ort Deutschlands und des Auslandes begonnen und fortgesetzt werden.

Jeder Band ist einzeln käuflich. Wir eröffnen aber auch ein Abonnement
auf eine Serie von 20 Bänden. Alle zwei bis drei Wochen soll ein Band
erscheinen und jeder Abonnent einer Serie erhält

                         den 20. Band gratis.

Damit ist Gelegenheit geboten, eine musterhafte Bibliothek für sich und
die Familie für einen Betrag zu erhalten, welcher kaum den
Abonnementsbetrag einer größeren Leihbibliothek überschreitet.

Wir hegen die Zuversicht, daß die Nation der »Deutschen Hand- und
Hausbibliothek« eine freundliche Aufnahme gönnen werde.

                       Inhalt der ersten Serien
          (vorbehaltlich etwaiger Abänderung im Einzelnen).

_Louise von François, Zwei Erzählungen._ Mit einem
biographisch-kritischen Vorwort von _Joseph Kürschner_.

Zwei Kabinettsstücke vollendeter Erzählungskunst, welche mit den besten
Mitteln die tiefste und ästhetisch reinste Wirkung erzielt.

_Karl Immermann, Der Oberhof._ Mit einer Einleitung von _Levin
Schücking_.

Die vorzüglichste deutsche Dorfgeschichte, die treffendste Schilderung
westfälischen Bauernlebens, voll realistischer Wahrheit, anmutender
Frische, zum Herzen sprechender Poesie.

_Miguel de Cervantes Saavedra, Moralische Novellen._ Eingeleitet von
_Otto von Leixner_.

Durch Selbständigkeit und Mannigfaltigkeit der Stoffe nicht weniger als
durch scharfe, lebensvolle Charakteristik ausgezeichnete Leistungen des
berühmten Verfassers des »Don Quixote«.

_J. Ch. Biernatzki, Die Hallig oder die Schiffbrüchigen auf dem Eilande
in der Nordsee._ Roman. Mit einer Einleitung von _Heinrich Düntzer_.

Mit fesselnder Anschaulichkeit geschriebene Nordseegeschichte, die das
so eigenartige Lokalkolorit meisterhaft wiedergiebt und die Sturmflut
von 1825 mit ergreifender Wahrheit schildert.

_August Becker, Auf Waldwegen._ Mit einer Einleitung von _Joseph
Kürschner_.

Eine durch Einfachheit der Charakterzeichnung wie Naturwahrheit der
Scenerie gleich ausgezeichnete Erzählung des wohlbekannten Verfassers
von »Rabbis Vermächtnis«.

_Nicolas Gogel, Russische Novellen._ Mit einer Einleitung von _Friedr.
Bodenstedt_.

Die mitgeteilten Novellen enthalten u. A. die vollendetste Leistung
Gogols »Taraß Bulba«, eine Erzählung aus der Ukraine von überwältigender
Schönheit und erhabener Einfachheit.

_Sophie Junghans, Die Erbin wider Willen._ Mit einem
biographisch-kritischen Vorwort von _Joseph Kürschner_.

Eine Familiengeschichte im besten Sinne des Worte, die den Leser
anheimelt und von der er mit dem vollen Bewußtsein scheidet, eine gute
und liebe Bekanntschaft gemacht zu haben.

_Alain René Lesage, Der Hinkende Teufel._ Miteiner Einleitung von _Ferd.
Lotheißen_.

Der hinkende Teufel Asmodi gewährt seinem Retter einen Einblick in alle
Häuser Madrids, was zu den lebendigsten und köstlichsten Schilderungen
von Scenen verschiedenster Art Anlaß giebt.

_James Fenimore Cooper, Der Bravo._ Mit einer Einleitung von _L.
Pröscholdt_.

Diese der Geschichte Venedigs entnommene Erzählung des bedeutendsten
amerikanischen Romanschriftstellers erregt durch reiche Handlung und
ungemein lebendige Schilderungen bis zum Schluß anhaltende Spannung.

_Ludwig Achim von Arnim, Die Kronenwächter._ Roman. Mit einer Einleitung
von _Johannes Scherr_.

Bedeutender historischer Roman aus dem Zeitalter Maximilians, großartig
concipiert, ein treuer Spiegel des deutschen Lebens im Mittelalter, in
echt poetischer Beleuchtung.

_Levin Schücking, Etwas auf dem Gewissen._ Mit einem
biographisch-kritischen Vorwort von _Joseph Kürschner_.

Eine der besten neueren Leistungen des gefeierten deutschen Erzählers,
von origineller, fesselnder Prägung.

_Washington Irving, Alhambra._ Mit einer Einleitung von _L. Pröscholdt_.

Eine der reizendsten Schöpfungen Irvings, welche alle Vorzüge des
überaus gewandten Schriftstellers im hellsten Lichte zeigt und mehr
bekannt zu werden verdient, als sie es ist.

_Homers Odyssee._ Uebersetzt von Voß. Mit einer Einleitung von _Jakob
Mähly_.

Von Homers Epen, den hervorragendsten und unvergänglichen der
Weltlitteratur, schildert die Odyssee die Irrfahrten und schließliche
Heimkehr des Odysseus.

_Ludovika Hesekiel, Von Lieb' und Treue!_ Erzählungen. Mit einem
biographisch-kritischen Vorwort von _Joseph Kürschner_.

Die höchst originelle Art des Erzählens, die L. Hesekiel so
charakteristisch von vielen ihrer Kolleginnen unterscheidet, zeigt sich
in diesem Bande um so mannigfaltiger, als es eine ganze Reihe einzelner
Erzählungen sind, die sie bietet.

_Charles Dickens (Boz), David Copperfield._ Mit einer Einleitung von _L.
Pröscholdt_.

Der beste Roman des berühmten Romanschriftstellers und vorzüglichen
Humoristen, um so anziehender und interessanter, als der Dichter darin
zum Teil seine eigenen Erlebnisse schildert.

_A. Schroot, Der Dampf im Dienste der Menschheit._ Mit zahlreichen
Illustrationen.

In allgemein verständlicher Form gehaltene und anziehende Darstellung
der Verwendung eines der wichtigsten Faktoren im industriellen und
Verkehrsleben der Gegenwart, mit erläuternden historischen Rückblicken.

_Wunderbare Reisen und Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen._ Mit
einer Einleitung von _Joseph Kürschner_.

Die mehr dem Hörensagen nach, als aus der Lektüre im Publikum bekannten
unglaublichen Lügengeschichten des Freiherrn Hieronymus von Münchhausen,
die noch heute bei Jung und Alt allgemeinen Interesses gewiß sind.

_Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe._ Eingeleitet von _Robert
Boxberger_.

Eines der schönsten Vermächtnisse des unvergänglichen Dichterpaares,
eine Fundgrube erhebender Gedanken, die lautersten Offenbarungen über
die Beziehungen der großen Geister zu einander und zu ihrer Zeit, das
unentbehrliche Supplement zu allen Ausgaben ihrer Werke.

_Zehn Jahre geographischer Forschungen und Entdeckungen._ Nach den
Originalberichten der berühmtesten Reisenden zusammengestellt u. mit
einer Einleitung versehen.

Treue und anschauliche Schilderung der großen Entdeckungsfahrten, welche
während des letzten Jahrzehnts unternommen wurden, mit entsprechendem
kritischen Beiwerk zur Erkenntnis ihrer wissenschaftlichen Bedeutung.

_E. T. A. Hoffmann, Elixire des Teufels._

Diese für die Geschichte der romantischen Schule hochbedeutsamen
Nachtstücke sind mit glühender Phantasie geschrieben, welche auch da, wo
sie ins Ungeheuerliche gerät, die spannendste Illusion erzeugt.

_Karl Julius Weber, Demokrites oder hinterlassene Papiere eines
lachenden Philosophen._ Ausgewählt und mit einer Einleitung versehen.

Höchst unterhaltendes Buch mit einer unerschöpflichen Fülle von Witz,
Humor, Ironie, guten Einfällen und köstlichen Anekdoten, die auch dem
schwärzesten Hypochonder ein Lächeln abnötigen.

_Max King, Frauenherzen._ Zwei Erzählungen. Mit einer Einleitung.

Zwei tief empfundene kleine Novellen, aus dem Herzensleben der Frau,
ihren Irren und Erkennen, Leiden und Siegen, auf dem Hintergrund gut
getroffener gesellschaftlicher Zustände.

_Linguet, Enthüllungen aus der Geschichte der Bastille._ Mit einer
Einleitung.

Der Advokat Linguet, der seiner Zeit wohlbekannte Publizist, erzählt in
diesem Buch seine Haft und Behandlung in dem berühmten französischen
Staatsgefängnis kurz vor der französischen Revolution.

_Frederick Marryat, Der Pirat._ Mit einer Einleitung.

Ueberaus fesselnder und spannender Roman dieses namhaftesten Meisters
der Seeromandichtung mit glücklich entworfener und durchgeführter
Handlung, farbenprächtigen Schilderungen.

_A. Schroot, Die Elektricität._ Mit zahlreichen Abbildungen.

Zeitgemäßes Seitenstück zu desselben Autors Buch vom Dampf. Auf Grund
der besten Quellen entworfene Geschichte der Dienstbarmachung der
Elektricität im Dienste der Menschheit, unter Berücksichtigung der
epochemachenden Fortschritte auf diesem Gebiet in unserer Zeit.

_Joh. Jak. Engel, Lorenz Starck._ Ein Charaktergemälde. Mit einer
Einleitung.

Einer der vorzüglichsten Familienromane der deutschen Litteratur, sowohl
durch inneren Gehalt wie durch die Darstellungsform ausgezeichnet.

_Daniel Defoë, Leben und wunderbare Abenteuer Robinson Crusoës._ Mit
einer Einleitung.

Dieses zu den verbreitetsten Büchern der Welt gehörende Werk, aus
zahlreichen Bearbeitungen für die Jugend bekannt, erscheint hier in der
Originalfassung, die den Leser lebhaft fesseln und manche liebe
Reminiscenz an die Kindheit auffrischen wird.

_Wohlgefülltes Schatzkästlein deutschen Scherzes und Humors._ Zu Nutz
und Frommen lachlustiger Leser aus den Schächten deutscher Litteratur
ans Licht befördert.

Reichhaltigste Sammlung alles Dessen, was an Scherz und Humor vereinzelt
verschiedenen Orts vorkommt, zur Unterhaltung und Kürzung müßiger
Stunden nicht minder, wie als Beitrag zur Erkenntnis deutschen Gemüts
und Verstandes zusammengetragen.

_Hans Christian Andersen, Der Improvisator._ Roman. Mit einer
Einleitung.

Der sinnige Kinderfreund, der liebenswürdige Märchenerzähler Andersen
bietet in dem »Improvisator« den Erwachsenen unter seinen Verehrern ein
vollendetes Kunstwerk, das meisterhaft erzählt, ungemein ansprechend
wirkt.

_Aus dem Leben eines deutschen Reichsritters._ Selbstbiographie _Götz
von Berlichingens_. Mit einer Einleitung.

Eines der charakteristischen Memoirenwerke aus dem 16. Jahrhundert,
bedeutsam zur Beurteilung des damaligen Adels und für den deutschen
Leser um so interessanter, als der größte deutsche Dichter den
Selbstbiographen zum Helden eines unvergänglichen Dramas machte.

_Ludwig Ziemssen, Umwege zum Glück._ Ein Roman. Mit einer Einleitung.

Sinnige anmutige Erzählung des beliebten Schriftstellers, der darin in
ansprechendster Weise ein Vorkommnis im modernen Leben mit lebensvollen
und lebensfrischen Farben ausführt.

_Aus den Briefen der Madame de Sevigné._ Mit einer Einleitung.

Die Briefe der Md. de Sevigné, eine der vorzüglichsten
Schriftstellerinnen Frankreichs, zeichnen sich durch lebhaften Geist,
wahres Gefühl aus und bieten die lebendigsten Schilderungen,
charakteristischsten Aeußerungen und Anekdoten der franz.
Hofverhältnisse im 17. Jahrhundert.

_Konrad Arnold Kortüm, Die Jobsiade._ Ein komisches Heldengedicht. Mit
einer Einleitung.

Mit prächtiger Laune und vielem Witz geschriebenes niedrig-komisches
Gedicht, das in seinem Genre als das beste Erzeugnis der deutschen
Litteratur gilt und heute noch ebenso wie zur Zeit seiner Schöpfung
wirkt.

_Alessandro Manzoni, Die Verlobten._ Eine mailändische Geschichte. Mit
einer Einleitung.

Einer der vorzüglichsten historisch-nationalen Romane der
Weltlitteratur, der das italienische Leben im 17. Jahrhundert mit
Meisterschaft schildert, mit einer Wahrheit, einem Farbenreichtum, der
das Geschriebene als Wirklichkeit erscheinen läßt.

_Friedrich Freiherrn von der Trencks merkwürdige Lebensgeschichte._ Mit
einer Einleitung.

Selten haben die Schicksale eines Menschen so lebhaftes und allgemeines
Interesse erregt, wie die des Freiherrn von der Trenck, dessen
Lebensbeschreibung eine Fülle interessanter Momente darbietet.

_Aus dem Leben eines Humanisten im 16. Jahrhundert._ Selbstbiographie
_Thomas Platers_. Mit einer Einleitung.

Hochinteressantes und kulturhistorisch wichtiges Memoirenwerk, eines
durch Nacht zum Licht gelangten Mannes, der es vom Ziegenhirten bis zum
Rektor der lateinischen Schule in Basel brachte.

_Joseph Franz Isla, Geschichte des berühmten Predigers Gernudio von
Campazas._ Mit einer Einleitung.

Nächst dem »Don Quixote« des Cervantes der bekannteste Roman der
spanischen Litteratur, sittengeschichtlich höchst wertvoll und von
packendem Humor.

_H. J. Christoffel von Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus
Teutsch._ Mit einer Einleitung.

Die bedeutendste Sittenschilderung des 17. Jahrhunderts in der deutschen
Geschichte. Die Arbeit zeigt die tiefsten Einblicke in das Kriegsleben,
den Aberglauben der Zeit u. s. w. in buntestem Wechsel und das alles mit
einer Frische und einem Humor von geradezu frappierender Wirkung.

_Heinrich von Kleist, Mustererzählungen._ Mit einer Einleitung.

Dieser Band eint die besten der durch ihren klassischen Stil, wie durch
Schärfe der Charakteristik, vorzügliches Kolorit und lebendige Spannung
ausgezeichneten Erzählungen des Dichters der »Hermannsschlacht« und des
»Käthchens von Heilbronn«.

_Aus dem Briefwechsel Charlotte Elisabeths von der Pfalz._ Mit einer
Einleitung.

Eine der treffendsten Schilderungen von den Verhältnissen und Personen
am Hofe des »großen Königs« Ludwigs XIV. aus der Feder der
scharfblickenden Witwe des einzigen Bruders des letzteren.

_Wolfram von Eschenbach, Parzival._ Mit einer Einleitung.

Die tiefe und gedankenreiche Schöpfung aus dem Anfang des 13.
Jahrhunderts, die den ersten Platz unter den höfischen Epen der
deutschen Litteratur einnimmt, dürfte in unseren Tagen mit um so mehr
Interesse gelesen werden, als es zur Zeit ein deutscher Dichter
unternommen hat, den Parzival als musikalisches Drama der Nation
vorzuführen.

_Wilhelm Hauff, Lichtenstein._ Mit einer Einleitung.

Von dem besten deutschen Erzähler im ersten Viertel dieses Jahrhunderts
die mit Recht beliebteste Erzählung, die auf einem prächtig gezeichneten
historischen Hintergrund eine poetisch anmutende Herzensgeschichte
abspielen läßt.

_Ludwig Börne, Briefe aus Paris._ Mit einer Einleitung.

Die geschichtlich hochinteressanten Aufzeichnungen, von denen Gottschall
sagt, es seien »dithyrambische Philippiken, elegische Wehrufe,
satyrische Bambocciaden, der blutrote Maskenscherz eines weichen
Gemüts«.

_Walter Scott, Kenilworth._ Mit einer Einleitung.

Einer der berühmtesten historischen Romane des Schöpfers dieser Gattung,
der in der Regierungszeit der Königin Elisabeth spielt und all' die
berühmten Vorzüge Scott'scher Erzählungskunst aufweist.

_Georg Christ. Lichtenberg, Vermischte Schriften._ Mit einer Einleitung.

Auswahl der besten Arbeiten des eben so geschmackvollen wie geistvollen
Schriftstellers, der über den feinsten und schneidigsten Witz verfügte
und die Ueberspanntheit in der Litteratur seiner Zeit mit Erfolg
bekämpfte.

_Saint Simon, Denkwürdigkeiten._ Mit Erläuterungen und einer Einleitung.

Die Denkwürdigkeiten Saint-Simons, des Tacitus Frankreichs, werfen
grelle Lichter auf den Hof Ludwig XIV. und Ludwig XV. und sind in
unserer Ausgabe unter Vermeidung des weniger Wichtigen und Anziehenden
wiedergegeben.

_Caroline von Wolzogen, Agnes von Lilien._ Mit einer Einleitung.

Dieser vortreffliche Roman der Schwägerin Schillers, der höchst
ansprechende Schilderungen des deutschen Familienlebens enthält, wurde
bei seinem ersten Erscheinen selbst von den beiden Schlegels für ein
Werk Goethes gehalten.

_Johann Heinrich Jung Stillings Lebensgeschichte._ Mit einer Einleitung.

Der Verfasser dieser Autobiographie genoß wie bekannt des großen
Altmeisters Goethes besondere Gunst, der auch die als ächtes Volksbuch
wirkende erste Abteilung (Jugendgeschichte) selbst zum Druck beförderte.

_Das Nibelungenlied._ Ins Hochdeutsche übertragen und mit einer
Einleitung versehen.

Das vollendetste deutsche Volksepos, in dem sich in reinster
Unmittelbarkeit das ganze innere und äußere Leben des deutschen
Mittelalters spiegelt.

_Jean Jacques Rousseau, Die neue Heloise._ Mit einer Einleitung.

In poetischer Sprache geschriebener Roman, welcher dem Autor einen
seiner glänzendsten Erfolge verschaffte. Das reine Naturleben wird darin
den abstoßenden Verhältnissen des wirklichen Seins gegenüber gestellt.

_Mathias Claudius, Vermischte Schriften._ Mit einer Einleitung.

Auswahl der besten, im Volkston gelungensten litterarischen Arbeiten des
Wandsbecker Boten, die von edler, biederer Einfachheit zeugen, welche
aus gutem, ehrlichen Gemüt hervorging.

_Benjamin Franklins Selbstbiographie._ Mit einer Einleitung.

Der hervorragendste Staatsmann Amerikas und einer der berühmtesten
Schriftsteller dieses Landes erzählt hier die ebenso interessante wie
lehrreiche Geschichte seines reichbewegten Lebens, das nicht nur dem
engeren Vaterland, sondern den Interessen der ganzen Menschheit geweiht
war.

_Horace Walpole, Das Schloß von Otranto._ Mit einer Einleitung.

In dieser Arbeit des geistvollen englischen Schriftstellers wird zum
erstenmal die Feudalzeit für den Roman verwertet und man muß ihn als
Ausgangspunkt der Romantik für Walter Scott bezeichnen.

_Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Ansbach._ Mit einer Einleitung.

Originelle und anziehende Memoiren von historischem und
kulturgeschichtlichem Interesse.

_Edgar Allen Poe, Amerikanische Geschichten._ Mit einer Einleitung.

Sammlung einer Reihe besonders ausgezeichneter Arbeiten des
amerikanischen Dichters, der vorzüglich zu erzählen, spannend seine
Stoffe zu entwickeln weiß und über eine ganz außergewöhnliche Phantasie
verfügt.

_Adalbert v. Chamisso, Vermischte Schriften._ Mit einer Einleitung.

Daß Beste, was der Dichter schuf, der die lobenswerten Eigenschaften der
Franzosen mit denen der Deutschen verband, ist hier zusammengetragen
worden und giebt ein vollständiges Bild der eigenartigen
Dichter-Individualität.

_Joachim Nettelbecks Selbstbiographie._ Mit einer Einleitung

Der mutige Retter Kolbergs, der Freund Schills und Genosse Gneisenaus,
den alle deutschen Bürgertugenden zierten, giebt hier das Bild seines
reichbewegten Lebens, dessen fesselnden Reiz niemand verkennen wird.

_Edward George Bulwer, Eugen Aram._ Mit einer Einleitung.

Vortrefflich geschriebener Roman des namhaften englischen Dichters und
Staatsmannes, ausgezeichnet vor allem durch psychologische Feinheiten
der Schilderung.

_Giovanni Franceso Straparola, Erzählungen._ Mit einer Einleitung.

Eine Folge ansprechender Novellen, die leicht und angenehm erzählt und
in origineller Weise aneinander gereiht sind.

_Till Eulenspiegel._ Mit einer Einleitung.

Lange Zeit eines der beliebtesten Volksbücher, in denen eine Menge loser
Streiche um eine Person gesammelt werden, die als »Held der Handwerks-
und Landfahrerwitze« ein noch heute nicht verschwundenes Dasein führt.

_Historia von Dr. Johann Fausten, den weitbeschreyten Zauberer und
Schwarzkünstler._ Mit einer Einleitung.

Wiedergabe des berühmten alten Volksbuches, aus dem die zu einer
außerordentlichen Fülle angewachsene Faustlitteratur hervorgegangen ist.

                   Jeder Band ist einzeln käuflich,
    gebunden 1 Mark = 1 Frc. 35 Cts. = 60 Kr. ö. W. -- Franko per
                           Post 1 M. 25 Pf.



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(vorher/nachher):

   [S. 6]:
   ... »Der König und sein Volk«, und als er durch den Pariser
       Julisturm ...
   ... »Der König und sein Volk«, und als der durch den Pariser
       Julisturm ...

   [S. 27]:
   ... versucht worden wäre mehr, möglich war. Mander saß mit ...
   ... versucht worden wäre, mehr möglich war. Mander saß mit ...

   [S. 50]:
   ... dem Oden Seiner Allgegenwart. Dort der Saum schützender ...
   ... dem Odem Seiner Allgegenwart. Dort der Saum schützender ...

   [S. 71]:
   ... sie zu einem Gewitter zu sammeln, wenn sie nicht so
       friedsamer ...
   ... sich zu einem Gewitter zu sammeln, wenn sie nicht so
       friedsamer ...

   [S. 80]:
   ... unserm Fuß einmal so bequem nud natürlich geworden ...
   ... unserm Fuß einmal so bequem und natürlich geworden ...

   [S. 85]:
   ... auch gar mit Zorn nnd Schelten entgegengetreten, er würde an ...
   ... auch gar mit Zorn und Schelten entgegengetreten, er würde an ...

   [S. 94]:
   ... Der junge Mander schwankte zwischen Unmut uud Scham ...
   ... Der junge Mander schwankte zwischen Unmut und Scham ...

   [S. 96]:
   ... bei jeder passenden Gelgenheit in mir den Seelsorger zeige. ...
   ... bei jeder passenden Gelegenheit in mir den Seelsorger zeige. ...

   [S. 107]:
   ... dabei gegenwärtig war, er jenem allmälig einen offenen Blick
       in ...
   ... dabei gegenwärtig war, er jenen allmälig einen offenen Blick
       in ...

   [S. 152]:
   ... Tages, der für die Hallig ein Tag der chmerzensreichsten
       Trauer ...
   ... Tages, der für die Hallig ein Tag der schmerzensreichsten
       Trauer ...

   [S. 161]:
   ... Schule der strengsten, aber zugleich heilsamsten Zuch auch
       für ...
   ... Schule der strengsten, aber zugleich heilsamsten Zucht auch
       für ...

   [S. 182]:
   ... sein zu könen. ...
   ... sein zu können. ...

   [S. 192]:
   ... der Scheidende dem Pastor und seiner Gattin darboten, ...
   ... der Scheidenden dem Pastor und seiner Gattin darboten, ...

   [S. 206]:
   ... Flutenschwall in's Haus und zerspitterte im furchtbaren ...
   ... Flutenschwall in's Haus und zersplitterte im furchtbaren ...





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