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Title: Die Milchstraße
Author: Kahn, Fritz
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt.

    Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+.

    Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.

    Im Original fetter Text ist =so ausgezeichnet=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des
    Buches.



[Illustration: Die Milchstraße

von Dr. Fritz Kahn]



Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, Stuttgart


Die Gesellschaft Kosmos will die Kenntnis der Naturwissenschaften und
damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer Erscheinungen
in den weitesten Kreisen unseres Volkes verbreiten. -- Dieses Ziel
glaubt die Gesellschaft durch Verbreitung guter naturwissenschaftlicher
Literatur zu erreichen mittels des

    =Kosmos=, Handweiser für Naturfreunde

    Jährlich 12 Hefte. Preis M 2.80;

ferner durch Herausgabe neuer, von ersten Autoren verfaßter, im guten
Sinne gemeinverständlicher Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. Es
erscheinen im Vereinsjahr 1915 (Änderungen vorbehalten):

    =Wilh. Bölsche, Die Zukunft des Menschen.=

      Reich illustriert. Geheftet M 1.-- = K 1.20 h ö. W.

    =Dr. Kurt Floericke, Gepanzerte Ritter.= Aus der
        Naturgeschichte der Krebse.

      Reich illustriert. Geheftet M 1.-- = K. 1.20 h ö. W.

    =Dr. Kurt Weule, Schrift und Sprache.=

      Reich illustriert. Geheftet M 1.-- = K. 1.20 h ö. W.

Ferner sind vorgesehen Bände von =Dr. Herm. Dekker= und =Arno Marx=.
Falls diese nicht rechtzeitig fertig werden, da beide Verfasser im
Krieg sind, werden sie durch andere gleichwertige ersetzt werden,
worüber noch im Kosmos-Handweiser berichtet wird.

Diese Veröffentlichungen sind durch +alle Buchhandlungen+ zu beziehen;
daselbst werden Beitrittserklärungen (Jahresbeitrag nur M 4.80) zum
=Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde= (auch nachträglich noch
für die Jahre 1904/14 unter den gleichen günstigen Bedingungen),
entgegengenommen. (Satzung, Bestellkarte, Verzeichnis der erschienenen
Werke usw. siehe am Schlusse dieses Werkes.)


Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart.



    Die Milchstraße

    Von

    Dr. Fritz Kahn

    Mit einem farbigen Umschlag und zahlreichen
    Abbildungen nach Photographien u. Zeichnungen
    von Georg +Helbig+, R. +Oeffinger+ und andern

    [Illustration]

    Stuttgart

    Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
    Geschäftsstelle: Franckh'sche Verlagshandlung
    1914



    Alle Rechte, besonders das Übersetzungsrecht vorbehalten.

    Gesetzliche Formel für den Rechtsschutz in
    den Vereinigten Staaten von Amerika:

    ~Copyright by Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart.~


    ~STUTTGARTER SETZMASCHINEN-DRUCKEREI
    HOLZINGER & CO. STUTTGART~



[Illustration]


Wenn man in einer klaren Sternennacht aus der Lichtnähe menschlicher
Behausungen in die Dunkelheit hinaustritt und den Blick zum Himmel
wendet, sieht man zuerst nur die hellsten Sterne als leuchtende Punkte
auf schwarzem Grund. Je länger man aber im Finstern weilt, um so mehr
Sterne tauchen aus dem Dunkel; Hunderte, Tausende, erst vereinzelt,
dann in Scharen, und wenn sich das Auge gänzlich an die Finsternis
gewöhnt hat, so gewahrt es tief hinter dem Heer der übrigen Sterne
einen schimmernden Nebelstreifen, der sich wie ein silbergraues Band um
die Himmelskugel schlängelt -- die +Milchstraße+.

Sie erhebt sich als ein 10--12 Mondscheiben breiter Lichtstreifen von
unregelmäßiger Helle und Gestalt zwischen den beiden auffallenden
Sternen Sirius und Prokyon über den Horizont, steigt zwischen dem
glänzenden Bild des Orion und den Zwillingssternen Kastor und Pollux
aufwärts durch das Dreieck des Fuhrmanns empor mitten durch den Perseus
und überbrückt im ~W~ der Kassiopeia den Zenit in ihrer größten
Annäherung an den Himmelspol. Von der Kassiopeia läuft sie zum hellen
Stern Deneb im Schwan, wo sie sich in zwei Arme teilt, von denen der
hellere und breitere genau über den Stern Atair im Adler, der schmälere
und schwächere dagegen am Sternbild der Leier vorüber den Horizont
hinabstrebt, um sich für unsere Breiten hier im Dunst der Atmosphäre
zu verlieren. Auf der uns unsichtbaren Südhälfte des Himmels setzt
sich die Milchstraße in genau der gleichen Weise fort. Die beiden Arme
laufen getrennt zwischen Schütze und Skorpion und vereinigen sich,
nachdem sie ein Drittel des ganzen Kreisumfangs gesondert waren, am
hellen Stern Alpha im Centauern. Von hier aus läuft der ungeteilte
Ring durch das schönste aller Sternbilder, das Kreuz, dem Südpol zu
und steigt dann durch das ausgedehnte Bild des Schiffes hinüber in
die Gegend des Orion, wo sich der Milchstraßengürtel wieder unserem
nördlichen Firmament nähert.

[Illustration: Abb. 1. Die Milchstraße auf der südlichen Himmelshälfte.]

Erhöbe man sich so hoch über die Erde, daß kein irdischer Horizont mehr
den Blick begrenzte, so würde man demnach die Milchstraße als einen
ununterbrochenen Ring um das ganze Himmelsgewölbe ziehen sehen wie
einen silbernen Reifen um eine gläserne Kugel.

Die Milchstraße ist keineswegs ein regelmäßige Gebilde. In einem
Drittel ihres Laufes vom Schwan bis zum Centauern ist sie in zwei Arme
geteilt wie ein Fluß, der eine Insel umfließt. Ihre Breite wechselt,
erreicht ihr größtes Maß im Bild des Skorpions, ihre geringste
Ausdehnung nahe dem Südpol im Kreuz. Seitenarme zweigen von ihr ab,
verlieren sich allmählich im Dunkel des Himmels oder brechen scharf und
hart ab, als seien sie abgeschnitten. Ihre Lichthelle ist wechselnd.
An manchen Stellen erscheint sie wolkenartig zusammengeballt und
auffallend lichtstark, dicht daneben schwach, schattenhaft, zerrissen
und zerklüftet, ja völlig von finsteren Räumen und Gängen durchbrochen,
von denen man die zwei größten südlich im Kreuz und nördlich im Schwan
als die beiden »Kohlensäcke« der Milchstraße bezeichnet hat. (Abb. 1.)

[Illustration: Abb. 2. Die Milchstraße auf der nördlichen
Himmelshälfte.]

Uns, die wir in hellerleuchteten Städten leben und, wenn wir reisen,
im Expreßzug sicher unsere Schienenstraße zwischen Telegraphendrähten
entlangsausen, kommt das Sternenband der Milchstraße nur selten zu
Gesicht. Wir müssen es suchen, um es zu finden. Uns Kindern der
Kultur ist zwischen Bogenlampe und Laternenpfahl der Glanz der Sterne
entschwunden, und der Silbergürtel der Milchstraße gehört nicht zu den
Schönheiten unserer täglichen Betrachtung. Wozu brauchen wir zu den
Sternen aufzuschauen? Wann müßten wir durch einen Blick zum Himmel
einen Weg erkunden, eine Stunde berechnen, eine Jahreszeit bestimmen?
Der Sekundenschlag der Uhren zählt uns unsere Minuten, Turmglocken
und Fabriksignale künden uns den Mittag, der Kalender führt uns durch
Wochen und Monde, Telegraphenstangen und Eisenbahngleise weisen uns
den Weg über wohlgepflegte Straßen und Dämme, Seekarte und Kompaß
leiten unsere Dampfer über die Weiten vielbefahrener Meere. Was sind
uns die Sterne? Sind sie uns mehr als ein Abendschmuck der Natur? Ist
es uns nicht ein Erlebnis, wenn wir einmal auf Gebirg oder Meer den
Sternenhimmel in ungetrübter Schönheit sehen? Wer von uns kennt den
Lauf des nächtlichen Nebelbandes der Milchstraße?

Aber es gab Zeiten, in denen es anders war. Kein Rauch aus steinernen
Schloten hüllte die Städte ein, kein Lichterglanz der Straßen rötete
den Himmel über den Dächern der Häuser. Der Schein der Sterne fiel in
ungedeckte Hallen und in stillverträumte Gärten. Auf seinem Wege durch
das Land begleitete den Wanderer nichts als am Tag die Sonne und des
Nachts die Gestirne. Von Meilenstein zu Meilenstein über Busch und
Tal waren ihm die Himmelsbilder die einzigen Weiser seines Pfades.
Den Schiffen auf weitem Meere zeigte nichts den Weg zur Heimat als
die Plejaden und die Milchstraße. Odysseus sitzt des Nachts am Steuer
und schaut empor zum Großen Bären; die drei Weisen wandern aus dem
Morgenland einem Sterne nach gen Bethlehem; Kolumbus segelt über das
Weltmeer unter dem blauen Banner der Sterne. Monde und Jahre wurden
durch nichts anderes bestimmt als durch die Stellung der Gestirne.
Wenn der Strahl des Sirius zum ersten Male durch den Mauerspalt des
Hathortempels fiel und den Altar des Heiligtums mit mildem Glanze
übergoß, verkündete der ägyptische Priester die Sonnenwende, und der
Jahrestanz zu Dendera begann. Wenn das Regengestirn in der Dämmerung
emporstieg, kehrt der Fischer heim vom Meere zur attischen Küste,
treibt der Hirte seine Herde von den Bergen des Apennin, bricht der
römische Imperator in Britannien seine Zelte ab, denn sie alle wissen,
daß der Herbst mit seinen Stürmen naht. Den alten Völkern war der
Sternenhimmel die Weltenuhr und die Milchstraße der große Zeiger
auf dem gestirnten Zifferblatt. Der Mensch der Vorzeit fand sich am
Himmel unter den Sternen zurecht wie wir uns in Fahrplan und Kalender
zwischen Zahlen und Rubriken. Dem Menschen der Vergangenheit war der
Sternenhimmel ebenso vertraut, wie er dem Menschen der Gegenwart es
nicht ist.

Leider. Denn jenseits von allem trockenen Wissen geht dem Menschen,
der den Himmel nicht kennt, ein sittlicher Reichtum verloren, der ihm
in der maschinenschnellen Zeit der Moderne doppelt not und doppelt
teuer wäre. Klein ist die Mühe, groß und nimmer endend der Lohn, ihn
zu kennen. Ein abendlicher Blick vom Fenster seines Zimmers, vom Wege
seines Gartens, von der Luke seines Daches, ein kurzes Stillestehen
beim nächtlichen Gang durch den Park oder beim Überschreiten einer
Wiese, und bald ist dem Naturfreund mit Hilfe einer Sternenkarte oder
eines Sternbüchleins der Himmel bekannt. Wir wollen absehen von dem
Hochgenuß, den ihm das Wissen über die Natur des Himmels bereitet.
Jedes Wissen birgt Genüsse. Aber einzig und unvergleichlich ist die
Wirkung auf das Gemüt, die aus der Kenntnis des gestirnten Himmels
auf den Menschen niederstrahlt. Wer zu den Sternen aufschaut wie zu
nimmer wankenden Freunden, dem gibt ihre ewige Ruhe im Strom des
Lebens ein Bild von der Unendlichkeit und Größe der Welt, von der
Kleinheit und Flüchtigkeit menschlichen Erlebens, den erhebt ihr
Anblick über die kleinlichen Nöte des menschlichen Tagesdaseins und
lenkt allabendlich wie ein Nachtgebet seine Gedanken aus der Tiefe des
Alltagslebens zur Natur, zum Weltempfinden, zur Ewigkeitsidee. Und
wenn er mit seinen Gedanken aus den Fernen des Universums zurückkehrt
zu sich, zur Menschheit, zur Erde und bedenkt, daß in derselben Stunde
Tausende Gleichgesinnter in allen Zonen der Erde zu diesem Himmelsbilde
aufschauen, Tausende in seinem Anblick das Wesen der Welt bedenken,
Ruhe, Kraft und Erbauung finden, daß Hunderte von Sternkundigen ihre
Teleskope ebenso auf den Höhen der Cordilleren wie auf den Türmen des
Vatikans, ebenso an den eisigen Felsenküsten des Nordens wie in der
dunklen Tropennacht des Kaps auf diese Sternenpunkte richten, alle
von gleichem Empfinden beseelt, von der gleichen Schönheit bezaubert
-- dann findet seine nächtliche Gedankenfahrt ins Reich der Sterne
einen würdigen Abschluß durch das erhebende Gefühl von der Einheit der
strebenden Menschheit, von dem friedlichen Zusammenschluß, von der
geistigen Brüderschaft aller naturforschenden und naturverehrenden
Völker und Menschen.

Unter allen Erscheinungen des Sternenhimmels mußte von frühester Zeit
an das Band der Milchstraße Geist und Phantasie des Himmelsbetrachters
am stärksten locken. Ein Nebelweg hoch zwischen glitzernden Sternen,
der sich vom Firmament aus unerforschter Ferne emporhebt, in
schwindelnder Höhe das Land überbrückt und jenseits hinter den Bergen,
hinter denen das Glück wohnt, geheimnisvoll versinkt -- kann etwas die
Sehnsucht des Menschen mehr reizen, den Wissensdurst des Denkers mehr
entfachen? In den ältesten Volksmärchen und Göttersagen der grauen
Vorzeit taucht das Problem der Milchstraße hervor.

Zeus, so erzählt die griechische Sage, wollte seinem Lieblingssohn
Herkules Unsterblichkeit verleihen und legte ihn daher heimlich an die
Brust der schlafenden Hera. Als diese erwachte, schleuderte sie im
Zorn den ihr verhaßten Säugling von sich fort, daß sich die Milch im
Bogen über den Himmel ergoß und so die Milchstraße bildete. Nach einer
anderen Sage entstand die Milchstraße bei jenem Weltbrand, den Phaëton
verschuldete. Phaëton, ein Sohn des Sonnengottes, beschwor seinen
Vater, ihn einmal den Sonnenwagen über den Himmel lenken zu lassen.
Der Führung unkundig und in der ungewohnten Höhe schwindelig geworden,
verlor er die Herrschaft über das Gefährt, die Sonnenrosse jagten
zügellos über das Gewölbe und entfachten jenen ungeheuren Himmelsbrand,
durch den nach griechischer Auffassung die Wüsten verdorrten, die
Vulkane entflammten und die Neger schwarz gebrannt wurden. Als Spur
dieses Feuerweges, gleichsam als Asche dieses Weltbrands ist die
Milchstraße geblieben.

In der römischen Mythologie beschreibt Ovid die Milchstraße als den
Weg, auf dem die Götter vom Olymp zum Palast des Zeus hinschreiten,
und zu dessen Seiten die Behausungen der Unsterblichen liegen. Bei
den Arabern ist sie die Mutter des Himmels, die mit ihrer Milch die
Sternkinder nährt, oder der große Himmelsfluß, an dem die Sternbilder
der Tiere zur Tränke ziehen. Schön und sinnvoll nannten die Mexikaner
die Milchstraße die Schwester des Regenbogens, poetisch und
gedankenreich nennen andere Völker sie den Pfad der Toten hinüber ins
Land der Seligkeit.

Im Kreise dieser Volksvorstellungen wurde die Wissenschaft geboren.
Bei Chinesen, Indern, Ägyptern und Chaldäern blühte die Astronomie,
als Europa noch eine Wildnis war. Aber ihre Wissenschaft war auf das
Praktische gerichtet und beschränkt auf Landvermessung, Kalenderkunde
und Finsternisberechnungen. Für die Nebelferne der Milchstraße hatten
die Astronomen zu Peking und die Irispriester am Nil kein Auge. Um
sich mit einer so wenig hervortretenden schattenhaften Erscheinung
zu befassen, mußte man Philosoph sein und den Himmel nicht als ein
Kalendarium, sondern als eine Naturerscheinung, als ein Welträtsel
betrachten, das man zu lösen sucht. Daher finden wir die ersten ernsten
Gedanken über die Milchstraße bei den griechischen Philosophen. Wie
es sich oft ereignet, daß man in kindlicher Unbefangenheit im ersten
Zugreifen der Wahrheit näher kommt als durch gewissenhafte Bemühungen,
so erfaßten die griechischen Philosophen ohne alle wissenschaftlichen
Grundlagen nur von Vernunft, Gedankenklarheit, Schönheitssinn und
Wahrheitsdrang geleitet das Bild der Welt in jenen Grundzügen der
Wahrheit, die erst durch eine jahrtausendlange Forschung Allgemeingut
der Menschheit geworden sind. Man könnte die griechischen Philosophen
geradezu die Propheten der Wissenschaft nennen. Pythagoras hat das
Wesen der Algebra, Euklid die Fundamente der Geometrie, Aristoteles
die Methoden der Naturbeschreibung, Demokrit die Atomlehre, Aristarch
die Mechanik unseres Sonnensystems, Epikur mit Lukrez später den
Entwicklungsgedanken mit allen seinen Konsequenzen durchgeführt. Unsere
ganze moderne naturwissenschaftliche Weltanschauung, die sich erst
im 19. Jahrhundert zur vollen Blüte entfaltete, finden wir bei den
griechischen Philosophen vor über 2000 Jahren als Knospe sprießen.

Im Kreise dieser Männer wurde das Milchstraßenproblem zum ersten Mal
als wissenschaftliche Frage aufgeworfen. Die Pythagoräer knüpfen noch
an die Phaëtonmythe an und erklären die Milchstraße für die Spur einer
ehemaligen Sonnenbahn. Aristoteles hält sie für ein gewaltiges Meteor,
sein Nachfolger Theophrast beschreibt sie als die Fuge zwischen den
beiden Halbkugeln des Himmels, durch die das Licht des Zentralfeuers
hindurchschimmere. +Demokrit+ von Abdera, der geistvolle Begründer der
Atomlehre (460 v. Chr.), war der erste Sterbliche, der die Milchstraße
als das erkannte, was sie nach den unzweifelhaften Ergebnissen der
modernen Wissenschaft in Wahrheit ist: +als eine Anhäufung unendlich
ferner dichtgedrängter Sterne+.

Die Größe dieser Vorstellung im Hirn eines antiken Griechen können
wir heute kaum noch würdigen. Man muß bedenken, daß sie im Kopf
eines Menschen reifte, der in den Anschauungen erzogen wurde, Wald
und Triften seien bevölkert von Nymphen und Faunen, drüben über den
Schneegipfeln des Olymp wohnten in Saus und Braus die weltregierenden
Götter, die Sonne sei der Wagen des Phoebus Apollo, dem die Mondgöttin
Luna in der Nacht verliebt über die himmlischen Gefilde nachschweife,
und das Tal zu Delphi sei der Nabel der Welt. In Demokrit verehren wir
den Vater der Milchstraßenforschung.

Wie all die köstliche Prophetenweisheit der griechischen Philosophen,
so verhallten auch die Seherworte des Demokrit von der Natur der
Milchstraße in der allgemeinen Nacht der naturwissenschaftlichen
Unbildung des Mittelalters. Kein einziger Forscher der nächsten zwei
Jahrtausende befaßt sich ernsthaft mit dieser Frage, nur in Legenden
und theologischen Weltbeschreibungen wird hie und da die Milchstraße
kurz gestreift. Sie soll die Hufspur der Pferde des Attila sein,
berichtet eine Königssage. Kirchengelehrte halten sie für die Weltfuge,
in der die beiden Schalen des Firmaments zusammengefügt sind, und
betrachten die Milchstraße sozusagen als den Leim, der die beiden
Kugelhälften zusammenkleistert. Niemand nimmt den großen Gedanken des
Demokrit mehr auf. War das edle Wissen der Griechen spurlos in alle
Winde zerflattert? War der Menschengeist im Mittelalter wirklich so
verkommen und gesunken, wie es uns die Zeit zu lehren scheint? Schwankt
die Kurve der geistigen Entwicklung der Menschheit wirklich so zwischen
steiler Höhe und tiefem Abfall? Mit nichten. Wie in der Entwicklung der
Lebewelt die einzelnen Tierarten nacheinander die Erde beherrschen, die
Kreidetiere, die Ammoniten, die Lurche, die Saurier sich abwechseln
und heute die Menschen den Planeten regieren, so beherrschen in der
geistigen Entwicklung nacheinander die verschiedenen Ideenarten die
Menschheit. Die Art, die Richtung, nicht die Höhe des Geistes schwankt
in den Jahrhunderten. Derselbe Sinn, der im Altertum die schönsten
Früchte wissenschaftlicher und künstlerischer Leistungen reifen ließ,
war im Mittelalter auf das Religiöse, auf das Mystisch-Phantastische
gerichtet und daher für die Wissenschaft unfruchtbar. Ein Mensch, der
zur Zeit der Pythagoräer durch seine geistigen Gaben auffiel, wurde
zu den Naturphilosophen in die Schule gebracht und wurde Philosoph,
Mathematiker, Naturforscher. Überragte ein Knabe im Mittelalter
seine Genossen, so kam er ins Kloster und wurde im Ideenkreis der
Religion erzogen und in die Laufbahn kirchlicher Würden gedrängt.
Die Intelligenz des Mittelalters wurde von der Kirche aufgesogen wie
das Wasser eines Beckens von einem riesigen Schwamm, und wir finden
in ihrem Dienste +alle+ geistigen Elemente vom frömmsten bis zum
unreligiösesten vereinigt: kriegerische Päpste, weltlich gesinnte
Kirchenfürsten, schürzenjägerische Kardinäle, freigeistige Mönche, der
Wissenschaft mehr als dem Glauben huldigende Priester. Wieviel echte
Milchstraßenforscher mag es unter ihnen gegeben haben! In wieviel
Tausend erleuchteten Geistern, die nie eine ihrer Überzeugungen zu
Papier gebracht, nie eine ihrer Ideen zu Papier bringen durften, mag
der Gedanke Demokrits nachgeleuchtet haben? Wie oft mögen Freunde, die
in stiller Nacht über Fluren wandelten, zu den Sternen emporgeblickt
und über das Nebelband zu ihren Häupten gesprochen haben, wie oft
mögen Priester, wenn sie auf dem Turm ihrer Kirche standen, Mönche
auf dem Hof ihrer Abtei, Talmudisten in der Gasse ihres Ghettos sich
in den Anblick der Milchstraße versenkt, sie als ferne Sternenheere
erkannt haben und in Andacht versunken sein vor dieser geisterhaften
Offenbarung der Unendlichkeit? Kein Lied, kein Heldenbuch nennt ihre
Namen, versunken und vergessen ...

2000 Jahre nach Demokrit, um 1550, trat Kopernikus, der Domherr zu
Frauenburg, mit seiner Schrift über die Bewegungen der Gestirne auf,
in der er die antike Weltanschauung, daß die Erde im Mittelpunkt des
Alls stehe und die Sonne um sie kreise, widerlegte und durch die Lehre
ersetzte, daß die Sonne das Zentrum sei, um das Erde und Planeten
sich bewegten. Durch diesen Weltgedanken erwarb sich Kopernikus
unsterbliche Verdienste um den Fortschritt der Menschheit. Aber er
begründete keineswegs, wie die meisten Menschen annehmen, unsere
moderne Auffassung vom Universum. Er glaubte, daß die Sonne der
ruhende Pol des ganzen Weltalls sei, und daß die Fixsterne an einem
Kugelhimmel angeheftet sich mit diesem um die Sonne drehten. Seine
Theorie, ideenreich und gedankentief genug, den ganzen Inhalt eines
großen Forscherlebens auszufüllen, erstreckte sich nur auf den Raum
unseres Planetensystems. Zum Flug ins Universum hinauf in die Ferne
der Milchstraße reichte seines Geistes Flügelkraft nicht hin. Das war
seinem jüngeren Zeitgenossen und begeisterten Herold seiner Lehre,
+Giordano Bruno+ (geboren 1548), vorbehalten.

Giordano Bruno war wie Kopernikus im Dienst der Kirche aufgewachsen.
Als ihm das Buch des Kopernikus zu Gesicht kam, griff er diese neue
Weltidee mit Feuereifer auf, entfloh im offenen Zwiespalt mit der
Kirchenlehre dem Kloster und wurde auf jahrelangen Reisen durch ganz
Europa der Wanderprophet der neuen Weltanschauung. Giordano Bruno ist
in der Tat ein prophetisches Phänomen. In noch ausgeprägterer Art
als bei den griechischen Philosophen erleben wir an ihm das Wunder,
daß ein Mensch ohne alle Mittel sicheren Wissens, nur von Gefühl,
Vernunft und Phantasie geleitet die wissenschaftlichen Ergebnisse der
kommenden Jahrhunderte vorausahnt. Er hat den Beweis erbracht, daß der
phantasiebeschwingte Gedanke, der Sinn für Wahrheit, Größe, Rhythmus
und Einheit mit seinen Dichterflügeln weiter reicht als aller grübelnde
Verstand, hinausreicht über den Kreis der Planeten in das Reich der
Sterne und über die Grenzen der Milchstraße hinaus in jene Bezirke der
Unendlichkeit, in denen sich für alle Zeit der menschliche Gedanke
hoffnungslos verlieren wird. Giordano Bruno ist der Kopernikus des
Universums. Was jener für das Sonnensystem, ist Giordano Bruno für die
Fixsterne, für die Milchstraße, für das Weltall. Während Kopernikus
als Abschluß des erforschlichen Diesseits die Kristallsphäre der Alten
mit den in ihr schwebenden Fixsternen bestehen ließ, zerbrach Giordano
Bruno das gläserne Gewölbe, zerstörte den Wahn von der Übersinnlichkeit
der Sternenwelt und eröffnete der Forschung das Universum, die
schrankenlose äthererfüllte Unendlichkeit, wie er es selbst in
poetischer Verzückung ausgesprochen in den Versen:

    »Die Schwingen darf ich selbstgewiß entfalten,
    nicht fürcht' ich ein Gewölbe von Kristall,
    wenn ich des Äthers blauen Duft zerteile,
    und nun empor zu Sternenwelten eile,
    tief unten lassend diesen Erdenball
    und alle niederen Triebe, die hier walten.«

Als erster Sterblicher, der die Gedankenfahrt hinauswagt aus dem engen
Bezirk unseres Sonnensystems in die unermeßliche Weite der Sternenwelt,
berauscht sich Giordano Bruno förmlich an der Größe und Schönheit
des Alls. »Einzig ist der Himmel,« so beginnt einer seiner berühmten
Dialoge, »der unermeßliche Raum, das Universum, der allumfassende
Äther, in dem sich alles regt und bewegt. In ihm sind unzählige
Gestirne, Weltkugeln, Sonnen und Planeten, wahrnehmbare und unzählige
andere nicht mehr wahrnehmbare müssen vernünftigerweise angenommen
werden.« »Es gibt zahllose Sonnen und zahllose Erden, die alle in
gleicher Weise ihre Sonnen umkreisen, so wie wir es an den sieben
Planeten unseres Systems sehen. Wir erblicken nur die Sonnen, weil
sie die größten Körper sind und leuchten. Ihre Planeten aber bleiben,
weil sie kleiner sind und nicht leuchten, für uns unsichtbar.« Er
durchdenkt diesen Gedanken bis in seine letzten Folgerungen und kommt
zur Überzeugung von der Bewohnbarkeit der Welten: »Die unzähligen
Welten des Alls sind um nichts schlechter und nichts weniger bewohnt
als unsere Erde. Denn unmöglich kann ein vernünftiger Verstand sich
einbilden, daß jene unzähligen Welten, die doch ebenso und vielleicht
noch prächtiger sind als unsere, denen doch ebenso wie uns eine
Sonne befruchtende Strahlen zusendet, unbewohnt seien und nicht
ähnliche oder gar vollkommenere Bewohner trügen als unsere Erde.
Die ungezählten Welten des Alls sind alle von der gleichen Gestalt,
demselben Rang, denselben Kräften und denselben Gesetzen untertan.«
Mit seinem Seherauge schaut er in die Zukunft kommender Jahrhunderte
und prophezeit der Wissenschaft ihre Aufgaben und Erfolge: »Schenk
uns die Lehre von der Universalität der irdischen Gesetze auf allen
Welten und von der Gleichheit aller kosmischen Stoffe! Vernichte
die Theorien von dem Weltmittelpunkt der Erde! Zerschmettere die
überirdischen Mächte, die die Welt bewegen sollen, und die Schalen
der sogenannten Himmelskugeln! Öffne uns das Tor, durch welches
wir hinausblicken können in die unermeßliche, einheitliche, ohne
Unterschiede zusammengesetzte Sternenwelt, zeige uns, daß die anderen
Welten im Äthermeer schwimmen wie die unsere! Erkläre uns, daß die
Bewegungen aller Welten aus inneren Kräften hervorgehen, und lehre uns
im Lichte solcher Anschauungen mit sicherem Schritt vorwärts schreiten
in der Erforschung und der Erkenntnis der Natur.« Hoffnungsvoll ruft er
seinen Jüngern das Zukunftswort entgegen: »Seid getrost, die Zeit wird
kommen, wo alle sehen werden, was ich sehe!«

Schöner, als er es ahnen konnte, kam diese Zeit. Zwar schien es
hoffnungslos, daß man jemals das Rätsel der Sterne lösen könnte. Keine
Kunde dringt zu uns aus jenen Fernen, keine Sphärenmusik klingt, wie
die Pythagoräer glaubten, durch den Weltraum. Nacht für Nacht zieht
das Heer der Sterne schweigend herauf und hernieder. Nur ein einziger
stummer Bote eilt vom Himmel zu uns herab: das Licht. Aber bringt uns
dieser Bote auf leuchtenden Schwingen auch eine Kunde? Birgt sich
hinter diesen Lichtpünktchen des Himmels eine Sprache wie hinter den
Punkten des Morsetelegramms? Wird je eine Zeit kommen, in der die
Menschen diese Himmelssprache auch enträtseln? Diese Zeit kam.

Kaum war die Asche verraucht auf dem Scheiterhaufen Giordano Brunos,
auf dem er am 16. Februar 1600 zu Rom für sein Weltbekenntnis den
Märtyrertod erlitten, da drang aus Holland die Kunde nach Italien, daß
man durch Zusammenstellung mehrerer Linsen ein Instrument verfertigen
könnte, durch das man ferne Gegenstände nahe sieht. Galilei baute ein
solches Instrument: das +Fernrohr+ war erfunden. Das goldene Zeitalter
der Astronomie brach an. Galilei richtete sein Rohr zum Himmel und
machte wunderbare Entdeckungen. Er sah, daß der Mond eine Kugel war wie
die Erde, mit Bergen, Tälern und Meeresflächen, daß der Jupiter von
Monden umkreist wurde wie unser Planet, daß die Sonne ein glühender
Ball war, auf dem es loderte und brodelte wie in Feuerschlünden,
und daß er sich um seine Achse drehte wie Erde, Mond, Jupiter und
Saturn. Die Einheit des Sonnensystems war erkannt, der Sieg der
Kopernikanischen Lehre über die alte Weltanschauung wurde in allen
Ländern proklamiert.

Aber für die Milchstraßenforschung war der Frühlingstag noch nicht
gekommen. Sie hatte von der neuen Erfindung keinen Gewinn. Im
Gegenteil, man war grenzenlos enttäuscht und konnte sich des Spottes
der Gegner nicht erwehren. Die Fixsterne erschienen im Fernrohr
noch kleiner und punkthafter als vordem. Die Milchstraße blieb ein
undurchdringlicher Nebel, der im schmalen Gesichtsfeld des Fernrohrs
noch geisterhafter, überirdischer, unerforschlicher aussah. Nur
schüchtern wagte Galilei angesichts der Unzahl der im Fernrohr
sichtbaren Sterne den Gedanken Demokrits aufzunehmen, daß die
Milchstraße aus dichtgedrängten Sternscharen bestehe. Die Gegner des
Kopernikus triumphierten. Ihr habt recht, sagten sie, Erde und Planeten
drehen sich um die Sonne. Aber die Sonne ist der Mittelpunkt der Welt,
»das Herz des Universums«. Jenseits des Saturn wird die Welt vom
kristallenen Himmelsgewölbe begrenzt, in dem die himmlischen Lichter
der Fixsterne aufgehängt sind.

Die beobachtende und rechnende Astronomie war ohnmächtig gegenüber
der Erscheinung der Milchstraße. Aber der grübelnde Sinn des Menschen
gibt sich nicht zufrieden mit den Schranken des Wissens. Was er sieht,
will er begreifen, und was er nicht mehr zu sehen vermag, sucht er
durch Ideen auszufüllen. Wo das exakte Wissen aufhört, setzt der
Vernunftsschluß, setzt die Spekulation ein. Die Grenze der Wissenschaft
ist der Markstein der Philosophie; wo jene endet, nimmt diese ihren
Anfang. So finden wir im 18. Jahrhundert das Milchstraßenproblem wieder
wie in den Tagen Alt-Griechenlands in den Händen der Philosophen
und sehen, wie wissensdurstige Männer unabhängig von Berechnung
und Instrument sich auf den Flügeln ihres Geistes erheben, um das
Geheimnis der Milchstraße zu entschleiern, und wir erleben abermals die
Genugtuung, daß der kühne geistvolle Gedanke, daß die klare logische
Idee über die Grenzen unseres ach, so beschränkten Wissens hinaus auch
die letzten und größten Wahrheiten in ihren Grundzügen zu erfassen
vermag; ja, was die Leser dieser Zeilen als Freunde der Natur ganz
besonders fesseln wird, die befruchtenden Gedanken über das Wesen der
Milchstraße, die zu den erhabensten gehören, die je dem Menschengeist
entsprungen sind, gingen nicht aus von zahlenkundigen Astronomen, nicht
von Männern mit Doktorhut und akademischen Würden, sondern von Menschen
niederster Herkunft und einfachster Bildung, von Dilettanten in der
Wissenschaft, die nichts anderes mitgebracht als Liebe zur Allnatur und
ihrer Erkenntnis, Wissensdrang und unablässige Streben nach den Quellen
der Wahrheit.

Über das Weltmeer fährt ein armer Matrose. Er war als Sohn eines
Zimmermanns geboren, zwischen Takelwerk und Teerfaß aufgewachsen und
führte nun ein hartes Dasein in Wind und Wellen. Stürmisch wie der
Ozean war sein Leben, einsam und freudlos wie die Wasserwüste waren
seine Tage. Aber nachts, wenn die Sterne heraufzogen über das Meer,
dann lag er vorn am Bug des Seglers auf den Tauen und blickte auf
zu den Lichtern, die über der Wasserfläche glänzten, und wenn in
der Klarheit der Meeresluft das Band der Milchstraße mit all seinem
Reichtum an Nebeln, Wolken, Unterbrechungen und Seitenarmen hervortrat,
dann versenkte sich dieser einfache Seemann in die Wunder des Himmels
und seine ganze Sehnsucht ging dahin, dieses Weltband zu enträtseln. Er
erkannte auf seinen Reisen durch alle Zonen, daß die Milchstraße ein
lückenloser Ring war um den ganzen Himmel. Als ihm später in seinem
englischen Heimatland ein sorgenloses Dasein winkte, da schrieb dieser
ehemalige Matrose eine Schrift über das Wesen der Milchstraße und den
Bau der Welt unter dem Titel »Neue Hypothese über das Weltall« 1740.

Zwei Männer schöpften aus dieser Schrift des Seemanns +Thomas
Wright+ ihre Ideen über den Aufbau des Universums. Der eine war ein
Schneidergeselle aus dem Elsaß, der es durch Fleiß und Talent und
durch die verdiente Gunst Friedrich des Großen bis zum Mitglied der
Akademie der Wissenschaften brachte, +Heinrich Lambert+. Seine populär
geschriebenen »Kosmologischen Briefe« (1761) erregten überall durch
ihren feurig-enthusiastischen Stil die Begeisterung des Publikums
und wurden in vielen Tausend Exemplaren über alle Länder verbreitet.
Der andere war der Sohn eines Sattlers. Er kam nie über die Grenze
seiner abgelegenen Vaterstadt hinaus. Aber sein Geist kannte keine
Schranken und erhob sich bis in die Weiten des Himmels, dessen Bau und
Entwicklung er so grundlegend darstellte, daß wir noch heute auf seinem
Werke fußen. Dieser dritte war +Immanuel Kant+.

Diese drei Männer, vor allem in höchster Vollendung Kant, bauten
folgendes Weltbild auf. Wir leben auf unserer Erde im Sonnensystem. In
der Mitte unseres Systems steht die strahlende Sonne, um sie kreisen
in elliptischen Bahnen die Planeten, deren einer unsere Erde ist.
Im Gegensatz zur leuchtenden Sonne sind die Planeten infolge ihrer
Kleinheit erkaltet und dunkel. Dieses Planetensystem ist als ein System
erster Ordnung zu betrachten. +Jeder Stern am Himmel ist eine glühende
Sonne wie unsere.+ Diese Sonnen sind so unausdenklich fern, daß sie uns
als Punkte erscheinen und selbst im Fernrohr kleinste Punkte bleiben.
Mit größter Wahrscheinlichkeit besitzt jede dieser Sonnen um sich ein
System von Planeten, die wir aber wegen der großen Entfernung und ihrer
Dunkelheit nicht wahrnehmen. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit sind
diese Planeten zum Teil bewohnt wie die Erde.

[Illustration: Abb. 3. Sternhaufen im Centaurn. (Photogr. von Gill.)]

Diese Idee von der Sonnennatur der Sterne, von den unsichtbaren
Planeten dieser Sonnen und der Bewohnbarkeit dieser Welten hatte
schon Giordano Bruno ausgesprochen. Nun aber überflügeln ihn die drei
Weltdenker des 18. Jahrhunderts vermöge ihrer größeren astronomischen
Kenntnisse. Es waren nämlich durch das Fernrohr am Himmel außer einer
Unzahl kleinerer Sterne ungefähr 100 Sternhaufen und Nebelflecke
entdeckt worden. Mit unbewaffnetem Auge sind die größten Sternhaufen
eben als verschwommene Lichtpünktchen wahrnehmbar wie der berühmte
Sternhaufen im Perseus*[1] genau in der Mitte zwischen dem ~W~ der
Kassiopeia und den Hauptsternen des Perseus. Im Fernrohr enthüllt
sich solch ein Sternhaufen als eine kugelförmige Anhäufung Hunderter,
ja Tausender Sterne, die eng zusammengedrängt sind wie die Brillanten
eines Diadems. Der Anblick eines solchen Himmelsdiadems gehört zu dem
schönsten, das die Natur überhaupt dem Menschen zu offenbaren vermag
(Abb. 3).

  [1] Sämtliche mit einem Stern bezeichnete Himmelsobjekte sind
      auf der Sternkarte S. 21 hervorgehoben.

Außer diesen Sternhaufen entdeckte man noch nebelig verwaschene Gebilde
von teils unregelmäßig zerklüfteter, teils regelmäßig scheiben-, ring-
und linsenförmiger Gestalt, die man +Nebelflecke+ nannte. Auch von
ihnen sind die größten mit bloßem Auge gerade noch wahrnehmbar, so
der Nebelfleck im Bilde der Andromeda* und als größter von allen der
berühmte Nebel im Orion* dicht unter dem Dreigestirn des Jakobstabes.

Die Sterne sind, so schlossen Wright, Lambert und Kant, nicht
regellos im Raum verteilt, sondern zu Sternenhaufen gruppiert. Diese
Sternenhaufen sind die Systeme zweiter Ordnung. Auch wir leben im
Innern eines Fixsternhaufens. Unsere Sonne bildet mit allen helleren
Sternen des nächtlichen Himmels zusammen einen Sternenhaufen, wie wir
ihn im Bilde des Centaurn oder des Perseus aus großer Ferne erblicken.
Uns erscheinen die helleren Sterne am Himmel so verstreut, weil wir
uns inmitten dieses Haufens befinden und nach allen Seiten von diesen
Nachbarsternen umgeben sind. Würden wir aber aus anderen Sternhaufen,
beispielsweise aus dem abgebildeten Haufen im Centaurn auf unsere Sonne
herniederschauen, so würden wir die Sterne des Centaurnhaufens rings um
uns am Himmel verteilt sehen als hellere Sterne, unsere Sonne dagegen
im Innern eines fernen zusammengedrängten Sternhaufens nach Art des
abgebildeten als lichtschwaches Pünktchen erblicken. Aber auch diese
Sternhaufen sind nicht regellos im Raum zerstreut. Sie sind genau so zu
einem System geordnet wie die Planeten unseres Sonnensystems. Sie sind
alle in einer Ebene neben- und hintereinander, aber nicht übereinander
gelagert, so wie unsere Planeten alle in einer Ebene, der sogenannten
Ekliptik, schweben, und kreisen in dieser Ebene wahrscheinlich um einen
Weltmittelpunkt wie die Planeten um die Sonne. Während die Sternhaufen
als Ganzes in dieser Ebene dahinfliegen, bewegen sich die Sonnen
innerhalb ihres einzelnen Haufens um den Mittelpunkt desselben, so wie
die Monde während der Sonnenreise ihrer Planeten diese in Kreisen
umschwingen. Lambert hielt den Orionnebel, Kant den Sirius* für den
Mittelpunkt unseres Sternhaufen. Alle diese Sternhaufen zusammen bilden
ein System dritter Ordnung. Die Gestalt dieses Systems ist die einer
Linse, wie man sie erhält, wenn man zwei Suppenteller mit ihren Rändern
aufeinanderstellt. Der Sternhaufen, dem unsere Sonne angehört, befindet
sich in der Mitte einer solchen ungeheuren Weltlinse. Schauen wir durch
diese Sternenhaufenlinse nach den Breitseiten, den Polen zu, so sehen
wir verhältnismäßig wenig Sterne. Blicken wir dagegen flach durch das
ganze Linsensystem, in der Richtung der Sternhaufenebene, so müssen
wir durch die ganze Masse der Sterne und Sternhaufen hindurchsehen,
und sie erscheinen uns als ein Ring von dichtgedrängten Sternen und
Sternhaufen, so fein und so dicht, daß wir ihre Gesamtmasse nur als
einen zusammenhängenden, verwaschenen Nebelgürtel rings um den Himmel
wahrnehmen, -- die Milchstraße.

[Illustration: Abb. 4. Sternkarte mit Hervorhebung der für die
Milchstraßenforschung wichtigen und erwähnten Himmelsobjekte.]

Die Milchstraße ist also nach der Hypothese dieser drei Männer die
Erscheinung eines ungeheuren Sternsystems, einer linsenförmigen
Weltinsel, in deren Mitte sich unsere Sonne als ein Stern in einem
Sternhaufen befindet (Abb. 5). Von den sichtbaren Sternen gehören die
helleren unserem Sternhaufen, die schwächeren und alle jene, deren
Licht wir nur als Nebel wahrnehmen, den andern Sternhaufen an, alle
aber dem einen großen Weltsystem der Milchstraße.

Man stelle sich vor, wir ständen nachts auf dem Deck eines
illuminierten Schiffes. Vor, hinter, neben und über uns sehen wir
die Lichter unseres Schiffes in den Masten und am Bordrand hängen.
In allen Himmelsrichtungen sind wir also von einzelnen hellen,
uns sehr nahen Lampen umgeben. In weiter Ferne ist das ganze Meer
bevölkert von gleichfalls illuminierten Schiffen. Man sieht von diesen
Schiffen, da es Nacht ist, nur die Lichter. Die näheren erkennt man
als zusammengedrängte Haufen von Lichtern. Hier eine solche Anhäufung
von Lichtern, ein Schiff, dort eine andere Lichtergruppe, ein zweites
Schiff. Von den fernen Schiffen nimmt man keine einzelnen Lichtpunkte
mehr wahr, sondern nur noch einen unbestimmten Schimmer. Da die Schiffe
weiter verteilt sind, als unser Auge reicht, und allseitig um uns das
Meer befahren, so sind wir rings umgeben von einem mattleuchtenden
nebeligen Schein, von einem Lichtgürtel, der den Horizont ringförmig
umschließt.

Das Meer ist der Weltraum. Das Schiff, auf dem wir uns befinden, ist
der Sternhaufen, dem unsere Sonne angehört. Die nächste größte Laterne
ist unsere Sonne selbst. Die kleinen Lichter über, neben und hinter uns
sind die übrigen Sterne unseres Haufens. In mäßiger Entfernung, aber
immer noch tausendmal weiter als die letzten Sterne unseres Haufens
sehen wir andere Sterngruppen als Sternhaufen. Die weitaus meisten
Sternhaufen aber sind von uns so weit entfernt, daß ihr Glanz mit
dem der übrigen hinter, neben und vor ihnen verschwimmt, und so ihre
Gesamtheit uns als leuchtender Gürtel, als Milchstraße umgibt.

Hört die Welt jenseits der Milchstraße auf? Nein. Die Milchstraßenlinse
ist zwar unvorstellbar groß, aber ein durchaus festbegrenztes
endliches Gebilde. Sie ist eine Weltinsel. Das Weltall aber ist
unendlich. Andere Milchstraßensysteme bevölkern es. Diese fremden
Milchstraßensysteme sehen wir als Nebel von Linsengestalt aus
ungeheurer Ferne schimmern. Der Andromedanebel ist solch ein fernes
Milchstraßensystem, das wir weit außerhalb unserer Weltinsel im
Raum schweben sehen. Unendlich wie das All ist die Zahl solcher
Milchstraßen. Auch sie sind wieder zu Systemen geordnet, Systemen 4.,
5. und 6. Ordnung, kreisen um- und ineinander wie Räder, jede von ihnen
ein Rad im Getriebe einer großen Weltmaschine, ein Rädchen an der
großen Weltenuhr, deren unerforschlicher Gang dem Menschen ein ewiges
Rätsel bleibt ...

[Illustration: Abb. 5. Das Milchstraßensystem als Weltlinse nach
Wright, Kant und Lambert.]

Kann etwas kühner sein als die Hypothese dieser drei Männer? Kopernikus
stieß die Erde von ihrem ruhenden Thron und wälzte sie zu ewigem Lauf
um ihre Sonne. Diese Männer hoben die Sonne aus ihrer Angel und stießen
sie hinein in den Weltraum, daß sie in ihm kreise, ein Stern unter
Sternen, ein Lichtpunkt im großen Weltgewühl der Milchstraße. Sie
ordnen mit weltenschöpferischer Kraft das Heer der Sterne zum wahren
Kosmos, zum Schmuck, zur Weltordnung, zur harmonischen Einheit von Raum
und Materie, Kraft und Stoff, Masse und Bewegung.

Was konnten sie zur Begründung einer solch kühnen Weltanschauung
vorbringen? Konnten sie beweisen, daß die Sonne nur ein Stern war und
nicht, wie Kepler glaubte, »das Herz des Universums«? Daß die Sterne
Sonnen waren und nur ihrer Ferne wegen als Punkte erschienen? Konnten
sie beweisen, daß Planeten um sie kreisen, und sie sich wirklich
zu Haufen gruppieren? Daß die Sonne sich in einem solchen Haufen
befindet? Daß sich die Sterne im Raum bewegen und keine ~prima sphaera
immobilis~, keine höchste unbewegliche Himmelssphäre bildeten? Daß sie
eine Einheit waren aus gleichen Stoffen gebaut, von gleichen Kräften
regiert? Daß die Milchstraße in der Tat aus Sternen zusammengesetzt
und keine Fuge im Himmelsgewölbe ist, und daß die Nebelflecke ferne
Milchstraßensysteme vorstellen?

Alles das hätten sie Punkt für Punkt beweisen müssen, wenn sie ihre
philosophische Spekulation zum Rang einer wissenschaftlichen Hypothese
erheben wollten. Und was konnten sie beweisen? Nichts. Der Mond
war erforscht, die Sonne studiert, Planetenbahnen waren berechnet,
Kometen bestimmt, aber die Welt der Sterne, die Milchstraße, war ein
unerforschte Land. Sie schien aller irdischen Erkenntnis zu spotten
und für die Menschheit, die auf diesem winzigen Erdplaneten gebannt
ist, ein Rätsel ohne Lösung zu bleiben. Wer hätte auch in jene Fernen
dringen können? In jene Fernen, in denen Sonnen zu Punkten werden und
selbst im Fernrohr sich nicht einmal zur kleinsten Scheibe verbreitern,
ja, in denen selbst diese Punkte schwinden und in ihrer Unzahl zu einem
milchigen Schimmer verschwimmen, der uns als Nebelgürtel umleuchtet;
und in jene noch tausendmal größeren Fernen, in denen ganze Systeme
dieser Art, ganze Milchstraßen zu einem Wölkchen verblassen, so klein,
daß das Auge sie kaum in den klarsten Nächten als Fleckchen wahrnimmt!
Mußte nicht für alle Zeiten das junggeniale Machtwort Schillers hier
dem Menschen eine ewige Grenze bieten:

    »Steh! du segelst umsonst -- vor dir Unendlichkeit!«
    »Steh! Du segelst umsonst -- Pilger, auch hinter mir! --
        Senke nieder,
        Adlergedank', dein Gefieder!
        Kühne Seglerin, Phantasie,
        Wirf ein mutloses Anker hie.«

Wer hätte in jene Fernen dringen können, in denen selbst die Phantasie
ein mutlos Anker wirft? Wer?

Im Jahre 1759 zog die Regimentskapelle der Hannoverschen Grenadiere
nach England. Mit ihr wanderte ihr Hoboebläser, ein blutarmer
19jähriger Musikant, dessen Vater selbst Militärmusiker gewesen war,
aus seiner Heimat aus. In England entsagte er bald dem Dienst und
schlug sich kümmerlich als Musiklehrer durch. In den Pausen zwischen
den Stunden aber setzte er sich hin und studierte die Gesetze der
Optik, um sich ein Fernrohr zu bauen, da er kein Geld besaß, ein
fertiges zu erwerben. Des Nachts richtete er seine selbstkonstruierten
Rohre gegen den Himmel und studierte die Welt der Sterne. Das Geheimnis
der Milchstraße zu entschleiern, war das Ideal seines Lebens. Bruder
und Schwester entflammte er für sein hohes Ziel, und dieser arme,
aber erlauchte Kreis der drei Geschwister wetteiferte im Studium der
Milchstraße. Kein Rohr genügte dieser Aufgabe. Da die Linsen, je größer
sie geschliffen wurden, um so unschärfere Bilder lieferten, baute er
Spiegelteleskope, in denen ein Hohlspiegel das Bild der Sterne auffängt
und in einem Brennpunkt sammelt. Immer größere Spiegel stellte er her,
immer längere Rohre setzte er zusammen. Es entstanden Teleskope von
unerhörten Dimensionen. 1781 entdeckte er mit seinem Rieseninstrument
den Planeten Uranus, sein Ruhm drang bis zum König, der ihn zum
Hofastronomen ernannte und ihm ein sorgenfreies Leben für weitere
Forschungen verschaffte. Mit seinem neuen Instrument, dessen Spiegel
126 ~cm~ Durchmesser und dessen Rohr 12 ~m~ Länge besaß, »durchbrach«
der ehemalige Militärmusiker +William Herschel+, wie es auf seiner
Grabschrift heißt, »die Schranken des Himmels« und begründete so die
moderne Fixstern- und Milchstraßenforschung.

Herschels Riesenteleskope waren die ersten Instrumente, die die
Milchstraße wirklich auflösten. Er berichtet über seine erste
Beobachtung der Milchstraße der Kgl. Gesellschaft im Juni 1784: »Als
ich mein Fernrohr auf einen Teil der Milchstraße richtete, fand
ich, daß es den weißen Nebel in kleine Sterne auflöste, was meine
früheren Rohre nicht vermocht hatten. Die bewunderungswerte Zahl von
Sternen aller Größe, die sich hier meinem Blick offenbarten, war
in der Tat zum Erstaunen. Ich ließ während einer Stunde die Sterne
der Milchstraße durch das Gesichtsfeld meines Teleskopes ziehen und
vermochte nicht weniger als 50000 einzelne zu zählen. Aber es waren
gewiß doppelt so viel, von denen ich aber wegen ihrer Lichtschwäche
nur einen unbestimmten Schimmer wahrnehmen konnte.« Die Zahl aller
mit seinem Rohr erkennbaren Sterne schätzte Herschel auf ungefähr
30 Millionen. +Die Unzählbarkeit der Sterne, die Sternnatur der
Milchstraße war bewiesen.+ Auch Herschel kam zu der Überzeugung, daß
das Milchstraßensystem tatsächlich eine Weltinsel aus vielen Millionen
Sternen sei. Die meisten dieser Sterne sind zu Haufen gruppiert, die in
einer linsenförmigen Schicht von großer Ausdehnung und verhältnismäßig
geringer Dicke verteilt sind. Zwischen diesen Haufen von Sternen
schweben weite Nebelmassen von verschiedenster Gestalt. Da ihm aber
seine Rohre in der Milchstraße jene mannigfachen Einzelheiten,
Verzweigungen, Wolken, Schattierungen, Spalten und Öffnungen
enthüllten, die wir bei der Beschreibung des Lichtgürtels erwähnten,
konnte das Milchstraßensystem nach seiner Ansicht nicht die Gestalt
einer regelmäßigen Linse, sondern nur die Form einer unregelmäßig
verzweigten Sternenplatte besitzen, deren Umrisse er durch sorgfältige
Studien zu bestimmen suchte (Abb. 6).

Auch die Stellung der Sonne in diesem System suchte er durch folgende
Überlegung zu bestimmen. Da der Milchstraßengürtel uns allseitig fast
in gleicher Breite erscheint, müssen wir uns ungefähr in der Mitte
des Systems befinden. Die nördliche Hälfte ist etwas breiter als
die südliche, also stehen wir dieser etwas näher und nicht genau im
Zentrum. Außerdem schwebt die Sonne nicht ganz genau in der Mittelebene
des Systems, sondern etwas nördlich über der allgemeinen Ebene der
Sternhaufen.

Aber je weiter sich Herschel in die Wunder der Milchstraße versenkte,
um so klarer erkannte er, daß sein Milchstraßenbild unvollkommen war
und keineswegs die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen erschöpfte. Es
war seinem Wissen als Forscher und seinem Scharfsinn als Denker nicht
möglich, alle Widersprüche zu bannen und alle Probleme durch ein
großes einheitliches Weltbild zu umspannen. Er widerrief in späteren
Jahren seine Hypothese und bekannte resigniert, daß weder Fernrohr
noch Gedanke reiche, ein zufriedenstellendes Bild der Welt zu geben,
und daß es einem späteren Geschlecht vorbehalten sei, das Land, das er
entdeckt, in seiner wahren Gestalt zu erforschen.

Daß Herschel als erster, mit großen Instrumenten ausgerüstet,
zielbewußt die Milchstraße erforschte, und ein, wie er selber gestand,
ungenügende Bild ihrer Natur entwarf, reicht wahrlich nicht hin, ihm
eine so führende Stellung in der modernen Wissenschaft anzuweisen,
daß man ihn den »Vater der Stellarastronomie« nennt. Herschels
unvergleichliches Verdienst liegt tiefer: er lehrte uns das Fernrohr
für die Erforschung der Fixsternwelt und des Milchstraßengürtels
anzuwenden. Herschel lehrte uns sehen.

[Illustration: Abb. 6. Das Milchstraßensystem nach Herschel.]

Das Auge des Menschen ist eine Camera obscura wie der photographische
Apparat. Er besteht aus einer Linse, die das Licht der Außenwelt
auffängt, sammelt, und als verkleinertes verschärftes Bild auf eine
lichtempfindliche Platte, die Netzhaut, wirft. Linse und Netzhaut
sind die beiden wesentlichen Teile des Auges. Das Fernrohr ist
eine künstliche Linse, die sich der Mensch zur Verstärkung seiner
natürlichen vor das Auge stellt. Die teleskopische Linse ist hundertmal
größer, schärfer, lichtstärker. Dadurch verhundertfacht sie die
Leistungen des menschlichen Auges. Während das Auge günstigenfalls 6000
Sterne am ganzen Himmel, also von einem Standpunkt aus 3000 wahrnimmt,
die man nach ihrer Helligkeit in sechs Klassen von der ersten bis
sechsten Größe einteilt, sieht das Fernrohr viele Millionen bis zur
12., 13. und 14. Größe. Auf einer Himmelsfläche von dem Umfang einer
Mondscheibe zählte Herschel 2400 Sterne! Man sieht also im Fernrohr
tatsächlich »wie Gras der Nacht Myriaden Welten keimen«.

Neben der Erkenntnis der ungeheueren Zahl der Milchstraßensterne
ermöglicht das Fernrohr genaue Untersuchungen über die +Verteilung+
dieser Sternheere. Herschel begann diese Untersuchungen mit
seinen berühmten Sterneichungen, d. s. Auszählungen der Sterne
nach Stichproben; vollendet wurden sie in unseren Tagen durch die
eingehenden »Untersuchungen über die Verteilung der Fixsterne« des
Münchener Forschers v. Seeliger. Diese mühevollen Studien gipfeln in
dem Ergebnis, daß alle uns sichtbaren Sterne tatsächlich, wie Wright,
Kant und Lambert angenommen haben, in einer flachen, linsenförmigen
Scheibe, dem Milchstraßensystem, angeordnet sind. Je mehr man sich von
den Polen ausgehend dem Milchstraßenäquator nähert, um so zahlreicher,
dichtgedrängter erscheinen die Sterne als Zeichen ihrer Anordnung in
einer großen Ebene, der Milchstraße.

Fast noch wichtiger als die Bestimmung der allgemeinen Sternverteilung
ist die genaue Ortsbestimmung einzelner Sterne durch gewissenhafte
Fernrohrbeobachtung, da sie allein zur Ermittlung der +Sternentfernung+
führen kann. Die Kunst, das Fernrohr zu gebrauchen, sollte bald auf
diesem Gebiet die schönsten Früchte reifen lassen.

Wenn wir uns in einem Eisenbahnzug durch eine Landschaft bewegen,
so fliegen die Bäume und Kirchturmspitzen an uns vorbei, wobei sie
sich gegen ihren Hintergrund, den Horizont, verschieben. Je ferner
ein Gegenstand sich von uns befindet, umso geringer ist diese
scheinbare Verschiebung. Man nennt diese scheinbare Verschiebung eines
Gegenstandes gegen seinen Hintergrund bei Ortswechsel des Betrachters
die +Parallaxe+. Man halte seinen Zeigefinger vor dieses Buch und
betrachte ihn abwechselnd mit dem rechten und dem linken Auge. Dann
verschiebt sich seine scheinbare Stellung gegen den Buchhintergrund.
Aus dieser Parallaxe des Fingers kann man seine Entfernung vom Auge
berechnen, wenn man den Abstand der beiden Augen voneinander kennt.

Bekanntlich steht die Erde nicht still, sondern bewegt sich in einem
Kreis um die Sonne. Der Durchmesser dieser Erdbahn beträgt 300
Millionen Kilometer. Wir stehen im Frühling um 300 Millionen Kilometer
von jener Stelle entfernt, an der wir uns im Herbst befunden haben.
Es müssen sich demnach die Gestirne zwischen der Frühlings- und der
Herbstbetrachtung gegen den Himmelshintergrund genau so verschieben,
wie der Finger, den wir einmal mit dem rechten, einmal mit dem linken
Auge betrachten (Abb. 7).

[Illustration: Abb. 7. Entstehung der Sternparallaxe infolge des
Erdumlaufs um die Sonne.]

Diese Verschiebung ist so minimal, daß sie weder Galilei noch Herschel
trotz eifrigster Bemühungen feststellen konnten. Dieses gelang erst
im Jahre 1837 dem berühmten Königsberger Astronomen +Bessel+, der in
seiner Jugend Kaufmann gewesen war, mit einem neuen stereoskopartigen
Fernrohr, dem Heliometer. Das von Fraunhofer konstruierte Heliometer
ist ein so feines Instrument, daß man damit in der Entfernung eines
Kilometer die Verschiebung eines Körpers um ½ ~mm~ auf das genaueste
bestimmen kann. Nach jahrelanger, unverdrossener Beobachtung bestimmte
Bessel die Parallaxe eines kleinen Sternes 61 im Schwan und berechnete
seine Entfernung auf 80 Billionen ~km~, d.h. auf das 500000fache der
Sonnenentfernung, die 150 Millionen ~km~ beträgt. +Die unvorstellbare
Entfernung der Fixsterne war bewiesen.+ Sternentfernungen zu fassen,
ist Menschensinnen versagt. Wir können uns Meter und Kilometer
vorstellen, aber nicht Sonnenabstände oder Sternenweiten. Die kühnste
Phantasie scheitert an jedem Versuch, die Räume des Universums zu
messen. Wir sind Erdensöhne und durch unsere irdische Organisation an
planetarische Maße gebunden. Was jenseits dieser Erdenwelt gelegen,
können wir bewundern, verehren, aber fassen können wir es nicht.
Astronomische Entfernungen in Kilometer auszudrücken ist ebenso töricht
wie ein Land in Quadratmillimetern zu vermessen. Fehler, die selbst
Millionen dieser Einheiten betrügen, wären immer noch unbestimmbar
klein. Daher hat man als Normalmaß in der Astronomie das +Lichtjahr+
eingeführt. Die Lichtschwingung des Weltäthers ist die schnellste
Bewegung, die wir kennen. Die Lichtwelle pflanzt sich in einer Sekunde
um 300000 ~km~ fort. Man lege seine Hand an seinen Puls und zähle.
Zwischen zwei Pulsschlägen schwingt die Lichtwelle achtmal um den
Erdball. Diesen Weg bezeichnet man als Lichtsekunde. Den Weg, den
das Licht in einem Jahr zurücklegt, ein Jahr hat über 30 Millionen
Sekunden, d.h. also 10 Millionen mal eine Million ~km~ = 10 Billionen
~km~ bezeichnet man als ein Lichtjahr und sagt, ein Stern ist 10
Lichtjahre von uns entfernt, wenn das Licht 10 Jahre braucht, um von
ihm zu uns zu gelangen. 1 ~km~ verhält sich zu einem Lichtjahr wie
eine Sekunde zu 60000 Jahren. Die Entfernungen zwischen den einzelnen
Sternen sind ungeheuer. Sie betragen Lichtjahre, Lichtjahrzehnte,
Lichtjahrhunderte. Selbst zwischen den benachbarten Sternen einer
Gruppe gähnen Räume von unheimlicher Länge und Weite, unüberbrückbar
selbst für den Gedanken. Der nächste Stern ist von der Sonne über 4
Lichtjahre entfernt, ¼ Million mal weiter als sie von uns. Nur durch
ein Bild kann man sich einer Vorstellung von den Maßen der Sternenwelt
nähern. Denkt man sich die Erdkugel, unsere schöne große weite Erdkugel
zu einer Erbse geschrumpft, so läge die Sonne 100 ~m~ von ihr als ein
großer Kürbis. Läge dieses Sonnensystem in Berlin, wo würde dann das
nächste Fixsternsystem liegen? Das allernächste? Draußen vor der Stadt?
Oder in einem Vorort? Oder gar in Leipzig? In München? Vielleicht
selbst in Rom, 1500 ~km~ weit entfernt? Nein, es läge über zehnmal
weiter, 25000 ~km~ weit, also irgendwo im Innern Australien oder in
der Südsee jenseits dieses Erdteils nahe dem Südpol. Der zweitnächste
Stern, um die Hälfte weiter entfernt, fände auf Erden gar keinen
Raum mehr und schwebte jenseits des Gegenpols draußen im Weltraum!
Wir Menschen sind Wesen auf einer Erbse, die irgendwo im Grase
versteckt in Mitteleuropa liegt. Im Polareis des Südpols zwischen den
gefrorenen Schollen liegt ein kürbisgroßer Stein und einige Schritte
von ihm entfernt liegen wahrscheinlich einige Erbsen, das ist unsere
nächste Schwesterwelt im Universum! Wenn wir seiner überhaupt fähig
waren, welch trostloses Einsamkeitsgefühl müßte uns ergreifen! Welch
grauenhafte Öde umschauert uns als toter kalter dunkler Raum! Was ist
der Mensch im All? Wenn die Erde eine Erbse wäre in einem Raum so groß
wie ein Zimmer, so wäre sie schon klein zu nennen und nicht wert, den
Mittelpunkt der Welt zu bilden. Schon dann wäre es Hochmut, wenn der
Mensch, der auf dieser Erbse in ganzen Völkerscharen lebt, sich für
den Herrn der Welt, für die Krone der Schöpfung hielte. Eine Erbse
inmitten einer großen Stadt ist schon ein Nichts, ein unauffindbares,
verschwindendes Nichts, dessen Dasein oder Nichtdasein am Bilde der
Stadt auch nicht einen Deut veränderte. Aber irgendwo im Grase eines
leeren Europa, vielleicht im Geröll der Alpen oder in einem Sumpfried
der sibirischen Steppe oder im öden Sande der Sahara oder in den Wellen
des Atlantischen Ozeans eine Erbse zu sein und auf ihr zu leben,
weniger, 100000 mal weniger als ein Bazillus -- »wenn ich den Himmel
anschaue, den Mond und die Sterne, was ist der Mensch, daß du seiner
gedenkst, und der Menschensohn, daß du auf ihn achtest?«

Nur von den allernächsten Sternen, die naturgemäß die größte Parallaxe
besitzen, sind zuverlässige Bestimmungen gelungen, so daß wir von nur
ungefähr 200 der nächsten Sterne die genaue Entfernung kennen, während
wir von all den übrigen Millionen nur sagen können, daß sie um ein
vielfaches ferner sein müssen als diese Schwesterwelten, mit denen wir
zusammen eine Sterngruppe bilden. Von den bekannten Sternen sind von
uns entfernt:

    Alpha Centauri, der nächste aller Fixsterne 4,3 Lichtj.
    Sirius im Großen Hund                       8,6   "
    Prokyon im Kleinen Hund                     9,5   "
    Atair im Adler                             14     "
    Kastor in den Zwillingen                   17     "
    Aldebaran im Stier                         30     "
    Regulus im Löwen                           36     "
    Wega in der Leier                          39     "
    Kapella im Fuhrmann                        40     "
    Polarstern im Kleinen Bären                46     "
    Pollux in den Zwillingen                   57     "
    Arktur im Bootes                          136     "
    Beteigeuze im Orion                       142     "
    Rigel im Orion                            320     "

Man wende seinen Blick zum glänzenden Pollux*. Die Lichtwellen, die
jetzt unser Auge treffen, haben vor 57 Jahren diese Sonne verlassen.
Dieser Stern steht gar nicht an jener Stelle, wo wir ihn jetzt sehen,
so wenig wie der Sirius oder die Kapella sich in Wirklichkeit jetzt
an ihrem scheinbaren Platz befinden, sondern stand vor 57 Jahren an
diesem Punkt. Als diese Ätherwellen, die jetzt unsere Netzhaut erregen,
dem flammenden Chaos dieser Welt vor 57 Jahren entwirbelten, waren wir
noch nicht geboren, unsere Eltern kannten sich in jener Stunde noch
nicht, und während jener Strahl durch den Weltraum zu uns eilte, 57
Jahre lang in jeder Sekunde 300000 ~km~ fliegend, wuchsen wir heran aus
einer kleinen Gallertzelle, wurden wir als ein hilf- und ahnungsloses
Wesen geboren, lagen wir in der Wiege, lernten wir gehen und sprechen,
lesen und schreiben vom ABC und Einmaleins durch Märchenbuch und
Räubergeschichte bis zu diesen Zeilen, die uns Kunde bringen von den
Wundern, die uns umschwingen. Was haben wir nicht alles in dieser Zeit
gesehen und gehört, erlebt und erlitten? Was ist nicht alles geschehen
auf diesem kleinen Erdball in 57 Jahren! Und was auf jener Sternenwelt
dort droben? Vielleicht ist sie in dieser Zeit erloschen, vielleicht
zusammengeprallt mit einem dunklen Körper und in den Weltraum
zerstoben, ist vielleicht vor 30 Jahren in glühenden Nebel verdampft
und existiert nicht mehr. Wir aber sehen dann in dieser Stunde etwas,
was gar nicht mehr ist, und werden es morgen noch sehen und in zehn
und in zwanzig Jahren, und wenn die Lichtwellen, die jetzt jene Welt
verlassen, in 57 Jahren unsere Atmosphäre überfluten, liegen wir längst
draußen im Feld unter dem Rasen, heimgekehrt in den Allmutterschoß
der Erde, und kein Sehnerv zittert mehr in unserer Augenhöhle, keine
Zellfaser schwingt mehr in unserer Hirnschale in dem Gedanken von der
Größe und Erhabenheit der Welt -- kurz ist die Frist, die dem Menschen
gegeben, zu forschen und zu fühlen, kürzer als die Spanne, die das
Licht von einem Stern zum andern schwingt -- ~carpe diem~, nützen wir
den Tag und die Stunde!

Die äußersten Sterne des Milchstraßensystems, deren verschwommener,
zusammenfließender Schein das Milchlicht dieses Gürtels erzeugt, sind
von uns 10000 Lichtjahre entfernt. Wenn wir auf den Planeten einer
solchen Sonne lebten und unsere Erde beobachten könnten, so sähen wir
die Welt vor drei-, sechs-, acht-, zehntausend Jahren. Die Bewohner
einer Sternenwelt in der noch mäßigen Entfernung von 3000 Lichtjahren
sähen heute Griechen und Trojaner in der Ebene von Ilion kämpfen,
sähen den greisen Priamus im Kreis der Alten auf der Mauer, die schöne
Helena auf ihrem Ruhelager im fürstlichen Gemach, Achill grübelnd in
seinem Zelte sitzen und Hektor im Kampf mit dem fallenden Patroklus.
Wenn wirklich denkende Wesen uns aus dieser Ferne beobachteten --
und wer will diese Möglichkeit in unserer Welt der Wunder einfach
leugnen? -- so sähen sie Europa als Sumpf und Urwald, bevölkert von
Heiden und Barbaren, und spotten vielleicht unserer, nicht ahnend,
daß auf derselben Stelle, wo sie Götzenaltäre und Göttereichen sehen,
in Wahrheit schon Kuppelhallen stehen mit gewaltigen Teleskopen,
elektrischen Uhren, Tabellen und Sterntafeln, und daß Menschen unter
ihnen sitzen, die die Geheimnisse des Weltalls bis in tausendjährige
Lichtentfernungen ergründen ...

Bei den genauen Ortsbestimmungen, die zur Feststellung der Parallaxe
notwendig waren, entdeckte Bessel an manchen Sternen kleine
Verschiebungen, die sich nicht durch die Bewegung der Erde um die
Sonne erklären ließen. Vor allem an den beiden hellen Sternen Sirius
und Prokyon fielen ihm kleine periodische Bahnbewegungen auf, die
er nach jahrelanger reiflicher Beobachtung und Überlegung auf die
Anwesenheit unsichtbarer Trabanten zurückführte. Der Sirius sollte
von einer Begleitsonne umkreist werden, die ihn in 50 Jahren umläuft
und durch ihre Anziehungskraft die Störungen der Siriusstellung
hervorruft. Dieser von Bessel vermutete Siriusbegleiter war aber
selbst in den stärksten Fernrohren nicht zu entdecken. 18 Monate nach
Veröffentlichung seiner Arbeit über den unsichtbaren Siriusbegleiter
starb Bessel. Sein Nachfolger Peters führte die Untersuchungen fort und
berechnete, daß dieser Begleiter augenblicklich in dem und dem Abstand
an einem ganz bestimmten Punkt stehen müßte. Eine verwegene Behauptung!
Einen Körper in einer Entfernung von ½ Millionen Sonnenweiten, den
kein menschliche Auge sehen konnte, nicht nur zu vermuten, sondern
sogar genau seine Bahn, seine Bewegungsgeschwindigkeit, seinen Standort
zu berechnen! Klingt es nicht wie ein Märchen, daß ein Mensch im
Dunkel nie gesehener Welten, in Fernen, die sich keine Vorstellung
mehr auszudenken vermag, unsichtbare Trabanten berechnet, und mit der
Bestimmtheit einer eidlichen Versicherung ihr Gewicht, ihre Entfernung,
ihre Bahn und ihre Geschwindigkeit zu kennen behauptet? Wer sollte den
Sternenguckern solche Phantasien glauben, zumal niemand selbst mit
den immer besseren Teleskopen der folgenden Jahre diesen Begleiter zu
entdecken vermochte! Aber es kam anders, als die Zweifler glaubten
und die Spötter lachten. 20 Jahre nach dem Tode Bessels erprobte der
berühmte amerikanische Linsengießer Clark sein neuestes Glas, richtet
es auf den Sirius -- und entdeckt genau an der Stelle, die Peters
für dieses Jahr als Stand des Siriustrabanten angegeben hatte, ein
Sternchen! Man verfolgte seinen Lauf und siehe da, es bewegte sich
in 50 Jahren um den Sirius und stand in jedem Jahr an jenem Punkt,
den Bessel und Peters vor seiner Entdeckung für diese Zeit berechnet
hatten! Welches Wunder ist größer? Daß es Welten gibt in dieser Fülle
und in diesen Fernen, die sich umkreisen wie Sonne und Planeten, oder
daß auf einem dunklen Sonnenstäubchen zwischen ihnen ein Eintagswesen
lebt mit einer grauen Gallertmasse in seiner Schädelschale, das die
Bahnen dieser Welten bestimmt, ohne sie in ihrer Größe und Entfernung
sich vorstellen zu können, ja selbst ohne sie im schärfsten Fernrohr
überhaupt zu sehen?

Sterne, die mit einem anderen Stern ein kreisendes System bilden, nennt
man Doppelsterne. Fast jeder dritte Stern unserer näheren Umgebung
ist ein Doppelstern, so daß wir heute ungefähr 15000 Doppelsterne
kennen. Weit auseinander stehende Doppelsterne wie das Sternpaar rechts
neben dem Aldebaran* kann man mit bloßem Auge als solche erkennen,
die meisten aber sind erst im Fernrohr und sehr viele auch mit diesem
nicht mehr zu trennen. Die Umlaufszeiten der Doppelsterne schwanken
zwischen einigen Tagen und mehreren Tausend Jahren, je nach dem Abstand
der Sonnen, wie ja auch die Umlaufszeiten unserer Planeten von Merkur
bis Neptun zwischen 88 Tagen und 165 Jahren voneinander abweichen. Die
Umlaufszeiten betragen im Doppelsystem des

    Prokyon             40 Jahre
    Sirius              50   "
    Alpha Centauri      87   "
    Kastor             997   "

Es gibt aber nicht nur Systeme von zwei Sonnen, sondern solche von 3,
4, 6, 8, 16, ja 20 Sonnen. Dicht neben der Wega in der Leier steht ein
Sternsystem*, von dem ein mäßiges Auge nur ein Pünktchen sieht; ein
gutes Auge sieht diesen Stern als längliche Linie; ein sehr gutes Auge
erkennt zwei eng zusammenstehende Sterne 5. Größe. Schon ein kleines
Fernrohr aber zerlegt jeden dieser beiden Sterne in zwei Körper, so daß
wir hier ein Sternsystem von vier Sonnen vor uns haben. Der hellste
Stern der Plejadengruppe,* Alkyone, ist ein vierfacher, der mittlere
Deichselstern im großen Wagen Mizar* ist ein fünffacher Stern. Der
Lichtschimmer des Orionnebels* unter dem Jakobstab geht von einem
sechsfachen Sternsystem aus, das seiner Gestalt wegen Trapez genannt
wird.

Die Entdeckung dieser Doppelsterne und ihrer Bewegungen bedeutet einen
großen Fortschritt in der Erkenntnis des Milchstraßensystems. Diese
umeinanderkreisenden Sonnen beweisen uns das Wirken der Schwerkraft
zwischen den Sternsystemen anderer Welten. Dieselbe Kraft, die uns
an den Boden unseres Planeten fesselt, die den Mond an die Erde,
die Erde an die Sonne kettet, waltet droben zwischen den Sonnen der
Milchstraßenferne und heißt sie umeinanderkreisen in nimmer endendem
Doppellauf. +Die Doppelsterne beweisen die Einheit und Allheit der
Schwerkraft im System der Milchstraße.+

Aber nicht nur dies. Die Planeten unseres Systems bewegen sich nach
bestimmten Gesetzen um die Sonne, die nach ihrem Entdecker die
Keplerschen Gesetze genannt werden. Die drei Keplerschen Gesetze
sagen, daß die Planeten sich in Ellipsen um die Sonne bewegen, die im
Brennpunkt dieser Ellipsen steht, daß die Bewegung der Planeten um so
rascher wird, je näher sie der Sonne kommen, und daß ihre Umlaufszeiten
in bestimmtem Verhältnis von ihrer Sonnenentfernung abhängig sind.
Als man die Bahnen der Doppelsterne verfolgte, fand man, daß sie sich
genau nach den Keplerschen Gesetzen wie die Planeten unseres Systems
bewegen. Mit Hilfe der Keplerschen Gesetze kann man, und das haben ja
die Vorentdecker des Sirius- und Prokyontrabanten getan, die Stellung
jedes Doppelsterns für jeden beliebigen Zeitpunkt der Zukunft ebenso
genau bestimmen, wie wir es von den Ortsbestimmungen der Planeten
gewöhnt sind. +Durch diese Entdeckung ist neben der Einheit der Kraft
die Einheit des Gesetzes innerhalb des Milchstraßensystems bewiesen.+

Die Planetengesetze wirken im All. Gibt es aber auch Planeten, die
ihnen folgen? Werden die Sonnen von dunklen Körpern umkreist wie unsere?

Es gibt dunkle Sterntrabanten. Rechts abseits von der hellen Sternlinie
des Perseus steht ein einzelner auffälliger Stern 2. Größe, Algol*.
Dieser Stern wechselt seine Lichtstärke. Zwei Tage 20 Stunden 48
Minuten 53 Sekunden ist er hell, dann sinkt sein Licht innerhalb 4½
Stunden von der 2. auf die 4. Größe, so daß er ein unscheinbares
Pünktchen wird, verharrt 18 Minuten in dieser Lichtschwäche, um danach
wieder in 4½ Stunden zur gewöhnlichen Helle anzusteigen. Derartige
»Algolsterne« kennt man über 50, und jährlich werden neue Vertreter
dieses Algoltypus entdeckt. Das charakteristische für die Algolsterne
liegt in der astronomischen Pünktlichkeit ihrer Periode. Mit derselben
Genauigkeit, mit der sich eine Sonnenfinsternis für 100 und für 1000
Jahre voraussagen läßt, kann man von jedem Algolstern die Zeiten
seiner Verdunkelungen auf die Sekunde vorhersagen, so daß es keinem
Zweifel unterliegt, daß wir hier tatsächlich die Verfinsterungen von
Sonnen durch dunkle Begleiter wahrnehmen (Abb. 8). Alle Algolsterne
sind Sonnen, die von dunklen Trabanten umkreist und verfinstert werden.
+Die Algolsterne beweisen die allgemeine Existenz von Planeten um die
Sonnen des Milchstraßensystems.+

[Illustration: Abb. 8. Das Algolsystem im Augenblick der größten
Verfinsterung.]

Natürlich können wir nur große und den Sonnen nahe Planeten wahrnehmen,
denn nur solche können eine merkliche Verfinsterung verursachen. Ein
Planet von der Größe und der Sonnenentfernung der Erde, der sich zu
seiner Sonne verhält wie einer dieser hier gedruckten Lettern zur
ganzen Buchseite und dabei von dieser Seite noch 30 ~m~ entfernt
wäre, kann keinen verdunkelnden Schatten durch den Weltraum werfen.
Außerdem können nur solche Planeten nachgewiesen werden, deren Bahn
in der Blickrichtung gelegen ist, also von uns aus gesehen an der
Sonnenscheibe vorbei und nicht daneben oder darüber hinwegzieht, da
sonst von uns keine Verfinsterung beobachtet werden kann. Infolge ihrer
Größe und Sonnennähe leuchten diese Planeten vom Algoltypus meist noch
selbstständig. Wenn es aber große leuchtende sonnennahe Planeten gibt,
die nach den Keplerschen Gesetzen ihr Zentralgestirn umkreisen, so gibt
es auch ganz gewiß kleinere kalte und sonnenferne Planeten, wie wir sie
in unserem System sehen und wie einer von ihnen unsere Erde ist; und
um diese Planeten schwingen ganz gewiß Ringe und Monde wie um Erde,
Mars und Saturn. So erhebt uns die Kenntnis der Algolsterne abermals
um eine Stufe auf der Leiter der Milchstraßenerforschung. Blicken wir
empor zu den Sternen, die uns zu Häupten glühen und die zu Myriaden
zusammengedrängt den Schimmer der Milchstraße zu uns niedersenden
-- jeder einzelne von ihnen ist eine Sonne, umkreist von Trabanten,
eine Welt von Planeten und Monden, von denselben Kräften, denselben
Gesetzen beherrscht wie unsere, und so weitet sich uns der Anblick
des sternbesäten Firmaments zu einem Gedanken von überwältigender
Größe und Erhabenheit, während andererseits vor dem geistigen Auge des
Weltbetrachters unser groß-gewaltiges harmonisches Sonnensystem mit all
seinem Reichtum an Licht, Farben, Körpern und Leben abermals schrumpft,
zusammenschrumpft zu einem Pünktchen im All, einem Lichtfünkchen in dem
großen leuchtenden Sonnenkranz der Milchstraße.

Auf allen Lippen schwebt an dieser Stelle eine Frage: sind diese Welten
auch bewohnt wie unsere? Wir wissen es nicht. Wie könnten wir auch aus
diesen Weiten, in denen ganze Welten Punkte werden, ein Lebenszeichen
erwarten? Aber es gibt ein höheres als das verstandesmäßige Wissen, das
uns Instrument und Zahlenreihe vermitteln, das ist der Gedankenschluß
der Vernunft. Dieselbe Vernunft, die Demokrit und Giordano Bruno,
Wright, Kant und Lambert geleitet und ihrem Seherauge die Welt in
jenem Lichte offenbarte, in dem sie sich Jahrhunderte später unseren
Instrumenten enthüllte, dieselbe Vernunft läßt uns mit Giordano Bruno
schwören, daß es unzählige bewohnte Welten gibt. Anzunehmen, daß
unsere Erde, dieses dunkle unsichtbare Sonnenstäubchen, dieses Nichts
im System der Milchstraße einzig und allein belebt sei, während jene
100 Millionen andere Sonnensysteme, jene Milliarden andere Planeten
der Milchstraße, die alle aus den gleichen Stoffen und in den gleichen
Größen wie unsere Welt gebaut sind, von denselben Kräften und denselben
Gesetzen gelenkt werden wie diese, unter den gleichen Bedingungen sich
entwickeln, daß alle diese tot und öde wären, zu nichts und abernichts
kreisten, als allein um unsere Nacht zu schmücken, dieses anzunehmen,
verlangte einen Mut, den man nur als Hochmut bezeichnen kann. Der
Schimmelpilz, der in einem dunklen Honigtopfe wuchert und sich für das
einzig lebende Wesen auf der Erde erklärt, ist weniger anmaßend als
der Mensch, der sich zum Alleinbewohner des Universums proklamiert.
Was nützen uns alle Wissenschaften, was alle Zahlen mit 10 Nullen,
alle Teleskope mit ihren Schrauben und Hebeln, alle Kenntnisse des
Weltenbaues, wenn wir nichts +lernen+!? Kopernikus und Kepler, Newton
und Herschel hätten umsonst gelebt, wenn wir uns in dieser höchsten
aller Fragen, in der Lebensfrage zurückbegäben auf den geistigen
Standpunkt des Ptolemäus, der das Weltall um die Erde kreisen läßt.
Hüten wir uns, daß wir nicht groß sind in Taten und klein in Gedanken.
Kühn wie das Fernrohr und zielsicher wie die Rechnung des Astronomen
sei unser Geist und füge sich den Wundern, die die Wissenschaft
entdeckt: wenn die Sonne ein Stern ist unter Legionen von Sternen
gleicher Art, unser System eine Welt unter ungezählten Schwesterwelten,
die Erde ein Planet unter Milliarden ähnlicher Planeten, dann sind auch
wir ein Volk unter Völkern, eine Blüte am großen Stamm des Lebens, der
sich durch den Sonnengarten des Universums rankt.

    »Aus allewigem Grün des Frühlings steigt der Lebensbaum empor;
    Milchstraß' und Plejaden reichen diesem Baum zur Leiter nicht.«

Wenn die Milchstraße wirklich ein großes Sternsystem darstellt, in
dem die Schwerkraft wirkt, müssen sich alle Glieder dieses Systems
gegenseitig anziehen -- und bewegen. Dann können die Gestirne keine
Fixsterne, Haftsterne sein, angeheftet an das Himmelsdach wie die
Glühbirnen an die Decken unserer Zimmer, sondern müssen Sonnen sein,
die im Raume schweben wie die unsere und der Schwerkraft unterliegen,
sich in Bahnen bewegen wie Planeten, Planeten jenes einzig wahren
großen Sonnensystems, dessen Sternenfülle uns als Milchstraßengürtel
nächtlich umschimmert.

[Illustration: Abb. 9. Der große Wagen vor 50000 Jahren, heute und in
50000 Jahren.]

Als im Jahre 1718 der berühmte Kometenberechner Halley die Sternkarten
seiner Zeit mit denen des Altertums verglich, bemerkte er, daß
der Stern Aldebaran sich um ⅕, Arktur um 1½ und Sirius sogar um 2
Vollmondbreiten von ihrem Standpunkt vor ungefähr 2000 Jahren entfernt
haben müßten. Diese erste Bemerkung von Sternortsveränderungen
wurde später durch mehrere Forscher bestätigt. Die Sterne sind kein
»festgenagelt unbeweglich Heer«, sondern bewegen sich. Natürlich
ist diese Sternbewegung nicht unmittelbar zu verfolgen. Die kurze
Spanne eines Menschenlebens von 70 Jahren reicht nicht aus, die
Ortsveränderungen eines Sternes zu bemerken, so wenig 70 Sekunden
genügen, um die Bewegung eines Schiffes am Horizont festzustellen,
selbst wenn es in voller Fahrt dahinsegelt. Wenn Aristoteles aus seinem
Todesschlaf erstünde und den Himmel anschaute, würde er an seinem
falschen Lehrsatz von der ewigen Unveränderlichkeit des Himmels
festhalten. Das Bild des Orion, die Plejaden und der Große Bär würden
ihm in derselben Stellung erscheinen, die er vor 20 Jahrhunderten sich
einprägte. Würde er dagegen den Himmel nach 20 Jahrtausenden wieder
erblicken, so böte sich ihm ein völlig verändertes Bild, und der große
Forscher des Altertums würde des Satzes belehrt, den wir mit unseren
Instrumenten als unwiderlegliche Tatsache erkannt haben: +alle Sterne
bewegen sich+. Der große Himmelswagen konnte ebensowenig vor 50000
Jahren in der Urzeit als ein Wagen gelten wie nach 50000 Jahren in
der Zukunft, denn seine Sterne streben gruppenweise in verschiedener
Richtung auseinander (Abb. 9). Der Sirius bewegt sich in je 1500
Jahren um eine scheinbare Vollmondsbreite von seinem Standort und
würde demnach in 1 Million Jahren den ganzen Himmel umkreist haben.
Die größte im Bild festgehaltene Sternverschiebung zeigt der Stern
1830, der sich zwischen den Jahren 1800 und 1900 um ¼ Vollmondsbreite
gegen das benachbarte Sternenpaar verschoben hat (Abb. 10). Als man
die Sterne in der Umgebung dieses Objektes untersuchte, stellte man
eine auffallend ähnlich starke Eigenbewegung an den beiden benachbarten
Sternen 21258 und 21185 fest. Man verfolgte die Richtungen, aus denen
diese drei schnellfliegenden Sterne kommen, und fand zur großen
Überraschung, daß sie von einem gemeinsamen Punkt nach verschiedenen
Seiten auseinanderstreben wie die Splitter einer explodierten Granate.
Sind sie vielleicht Weltensplitter einer Sonnenexplosion?

[Illustration: Abb. 10. Ortsverschiebung des Sternes 1830 zwischen den
Jahren 1800 und 1900.]

Wir wissen es nicht. Aber wir sehen hier drei Weltkörper in einer
Bewegung, die mit größter Wahrscheinlichkeit +eine+ treibende
Ursache besitzt. Wir sehen hier drei Sterne in einer offenbaren
+Gruppenbewegung+. Diese Beobachtungen regten die Forscher an, auch
die Sonnen der großen Sterngruppen Plejaden*, Hyaden*, Haar der
Berenice* auf ihre Eigenbewegung zu untersuchen. Wie erstaunt war
man, als man in der Tat an diesen großen Sterngruppen einheitliche
Bewegungen entdeckte! Die fünf mittleren Hauptsterne des Großen Bären
bilden nicht nur eine scheinbare, sondern tatsächlich zusammengehörige
»Bärenfamilie«. Ihre durchschnittliche Entfernung von uns beträgt 6
Millionen Sonnenweiten = 100 Lichtjahre. Auch untereinander ist ihr
Abstand trotz ihrer Zusammengehörigkeit noch gewaltig. Der äußerste
Stern Merak in der rechten unteren Ecke des Vierecks ist von Mizar in
der Deichsel viermal weiter als der Sirius von uns entfernt, und das
Licht braucht zum Durcheilen dieser Strecke 30 Jahre. Trotzdem verraten
diese Sterne durch Übereinstimmung ihrer Entfernung, Größe, Farbe,
Temperatur, stofflichen Beschaffenheit und Bewegung ihre unzweifelhafte
Zusammengehörigkeit. Sie bewegen sich sämtlich mit der gleichen
Geschwindigkeit in der Richtung auf den Stern Wega* in der Leier und
legen auf diesem Sonnenlauf jährlich 600 Millionen Kilometer zurück.
Weniger schwer als bei dieser ausgedehnten Sternfamilie läßt sich die
Zusammengehörigkeit jener eng gedrängten Sonnen verstehen, die wir
als die bekannten Sternhaufen Plejaden, Krippe und Hyaden am Himmel
erblicken. 45 von den 150 helleren Sternen der Plejaden* besitzen neben
gemeinsamer Entfernung, Größe, Temperatur und Stoffbeschaffenheit
eine gemeinsame Eigenbewegung, an der sich von den mit bloßem Auge
sichtbaren Sternen Elektra, Atlas und das Alkyonesystem beteiligen.
Fast noch auffälliger ist die gemeinsame Bewegung der benachbarten
Hyadengruppe im Stier rings um den Hauptstern Aldebaran. Ihre
Entfernung von uns beträgt ungefähr 120 Lichtjahre. Zeichnet man die
Bewegung dieser Sterne auf, so laufen alle Richtungslinien in einem
Punkt des Fuhrmanns zusammen (Abb. 11). Eilen diese Sterne unaufhaltsam
einer Katastrophe entgegen? Werden sie eines Tages an diesem Punkt
zusammenprallen und das Firmament durch einen ungeheuren Weltbrand
entflammen? Nein. Diese Sterne entfernen sich von uns und laufen auf
diesem Wege parallel nebeneinander her wie die Gleise einer Eisenbahn,
und wie die Schienen scheinbar in der Ferne zusammenlaufen, während
sie in Wahrheit in immer gleichem Abstand bleiben, so scheinen die
Hyaden auf ihrem Lauf in die Himmelstiefe zusammenzuströmen, während
sie in der Tat nur in einer Richtung nebeneinander eilen. Um 40 ~km~
entfernen sie sich in jeder Sekunde von uns, enger und enger für
unsere Blicke zusammenströmend wie die roten Lichter eines enteilenden
Zuges. In 50000 Jahren haben sie sich um die Länge der eingezeichneten
Pfeile bewegt, in 50 Millionen Jahren ist die ausgedehnte Gruppe
für uns in der Weltraumferne zusammengeschrumpft zu einem winzigen
Haufen, in dem nur das Fernrohr kleinste Sterne 10. Größe wahrnimmt --
für immer verschwunden wie ein Zug von Vögeln, der sich im Blau der
Ferne als Punkt verliert. Nicht sehr fern von den Hyaden steht eine
Sterngruppe, Praesepe oder Krippe* genannt. Zehn Sterne dieser Gruppe
stimmen in der Richtung ihrer Bewegung, in ihrer Schnelligkeit, ihrer
physischen Beschaffenheit, Temperatur und Größe so vollkommen mit den
Hyadensternen überein, daß an einer inneren Verwandtschaft zwischen
den Sternen dieser beiden Gruppen wohl kaum ein Zweifel bestehen kann.
Leider gestattet die Lückenhaftigkeit unserer Kenntnisse uns heute
noch nicht einmal eine Wahrscheinlichkeitshypothese über das Wesen der
Verwandtschaft zwischen diesen beiden hervorragenden Sternfamilien.

[Illustration: Abb. 11. Gruppenbewegung der Hyaden. Die Länge der
Pfeile gibt die Ortsveränderung in 50000 Jahren an.]

Diese Gruppenbewegungen der Sterne offenbaren uns ein neues
Prinzip in der Mechanik der Milchstraße: +es herrscht Ordnung im
Milchstraßensystem und in den Bewegungen seiner Sonnen+. Die Sterne
sind nicht regellos wie der Sand am Meer verstreut, die Schwerkraft
treibt sie nicht wahllos durch den weiten Plan. Sie sind geordnet
zu Paaren und Familien, sie bewegen sich in Gruppen und Zügen, wie
Zugvögel fliegen sie durch das All. Angesichts dieser Gruppenbewegungen
fühlen wir das Wirken sonnenordnender Mächte und weltbeherrschender
Gesetze, uns durchweht ein Ahnen vom »Kosmos«, vom großen Schmuck
des Alls, von der Weltenordnung des Universums. Aber die Grenzen
dieses Wissens und Gefühls sind beschränkt. Alle jene Sterne, deren
Gruppenbewegung wir verfolgt, sind unsere Nachbarwelten, sind
Glieder jenes kleinen im Ring der Milchstraße verschwindend kleinen
Haufens, in dessen Mitte unsere Sonne sich befindet. Was wir über
die Bewegung dieser helleren Sterne erfahren, betrifft immer nur das
Leben dieser kleinen Sternenfamilie von einigen hundert Sternen und
nicht den großen millionenzähligen Sonnenstrom der Milchstraße. Um
die allgemeine Sternbewegung im System der Milchstraße zu ergründen,
müßten wir die Ortsverschiebung all jener unzähligen kleinsten und
feinsten Lichtpünktchen, deren Herschel Tausende auf dem Raum einer
Vollmondscheibe zählte, erforschen, müßten wir den Sternort jedes
dieser Sonnenfünkchen, deren Gesamtlicht uns als Milchschimmer
entgegendämmert, aufs genaueste bestimmen. Ein aussichtsloses
Unternehmen! Welcher Menschenfleiß könnte diese Scharen bannen? Eine
Armee von Astronomen müßte dieser Riesenarbeit ihr Leben opfern. Ganze
Batterien von Teleskopen müßten gegen die Milchstraße aufgefahren
werden. Und auch dann wäre es unmöglich, sich mit Menschensinnen ohne
Irren zurechtzufinden in dem Lichtgeflimmer dieser dichtgedrängten
Legionen. Wer kann die Tropfen zählen, die aus Wolken fallen, wer die
Flocken berechnen, die im Schneegestöber wirbeln? Der Mensch hätte
bedingungslos auf die Erfüllung dieses Wunsches verzichten müssen,
wenn es ihm nicht gelungen wäre, der Erfindung des Fernrohrs, das ihm
diese Wunder enthüllte, eine zweite hinzuzufügen, die ihm diese Wunder
festhielt: die +Photographie+.

Die photographische Kamera kann man das dritte Auge der Menschheit
nennen. Sie ist ein echtes Auge. Sie besteht aus einem Augenkasten,
der wie der menschliche Augapfel schwarz ausgekleidet ist, einer Linse
wie die menschliche Linse und einer lichtempfindlichen Tapete wie die
Netzhaut unseres Augenhintergrundes. Genau wie das menschliche Auge
stellt sich dieses dritte Auge ein auf nah und fern. Aber es übertrifft
das Menschenauge in der verschiedensten Weise. Das menschliche Auge
besitzt nur einen Momentverschluß. Es nimmt nur Augenblicksbilder von
jedem Punkt auf. Bei scharfer Einstellung auf einen Punkt ermüdet es
nach wenigen Augenblicken und liefert nunmehr nur noch verschwommene
Bilder. Das photographische Auge arbeitet mit Zeitaufnahmen. Es sieht
10 Minuten, 10 Stunden. Je länger es offen steht, desto mehr sieht
es. Es blickt 5 Tausendstel Sekunden hin und sieht die 20 hellsten
Sterne erster Größe. Es blickt 10 Tausendstel Sekunden und sieht die
50 Sterne 2. Größe. Es schaut 30 Tausendstel Sekunden und erblickt 200
Sterne 3. Größe. Es öffnet sich 1 Zehntel Sekunde und bannt 600 Sterne
4. Größe auf seine künstliche Netzhaut. Nach 2 Zehntel Sekunden gibt
es uns das Bild von 1200 Sternen 5. Größe und nach 5 Zehntel Sekunden
das von 4000 Sternen 6. Größe. Wir sind an die Grenze dessen gelangt,
was das menschliche Auge unbewaffnet sieht. Eine Sekunde braucht das
photographische Auge, um die Sterne 7. Größe, 3 Sekunden, um die der
8. Größe, 8 Sekunden, um die der 9., 20 Sekunden, um die Sterne 10.
und 30 Sekunden, um die Sterne 11. Größe, die in der Entfernung von
1000 Lichtjahren leuchten, festzuhalten. Nach 2 Minuten sieht es alle
Sterne der 12., nach 5 Minuten alle Sonnen 13. Klasse. In 13 Minuten
hat es 44 Millionen Sterne 14. Klasse erfaßt, in 33 Minuten 134
Millionen 15. und in 80 Minuten 400 Millionen Sterne 16. Größe. Die
drei Bilder der Abb. 12 illustrieren die Sehkraft des photographischen
Auges. Das unbewaffnete Auge sieht an dieser Stelle nur den Stern
Deneb*. Im Fernrohr nimmt es noch die Sterne des oberen Feldes wahr,
die photographische Platte erblickt in vier Stunden die Sterne des
mittleren und in 13 Stunden die Sterne des unteren Feldes.

Da die photographische Platte außerdem im Gegensatz zum menschlichen
Auge für die unsichtbaren ultravioletten Strahlen sehr empfindlich ist,
sieht die Camera obscura Tausende von Sternen ultravioletter Farbe, die
das Menschenauge selbst in phantastisch großen Teleskopen nie erblicken
könnte.

Das photographische Auge sieht also mehr. Es sieht aber auch ohne
Fehler. Es fälscht nicht wie der menschliche Sehapparat. Wenn ein
Astronom einen Sternort bestimmt, muß er das Bild von seiner Netzhaut
in die Sehsphäre des Großhirns, von hier ins Muskelerregungszentrum
leiten, von hier durch die Nervenbahnen des Rückenmarks in die
Handmuskeln schicken, die das Bild des Sternes in ein vorgedrucktes
Netz eintragen. Wieviel Fehler können und müssen sich auf diesem
mehrfachen Schaltweg einschleichen? Das photographische Auge kennt
keine Umschaltung. Es vereinigt auf seiner Netzhaut Sehen, Erfassen und
Zeichnen. Was es sieht, hat es schon erfaßt, und was es erfaßt hat, ist
schon in seinem Bilde eingezeichnet. Es hält das Bild da fest, wo es
physikalisch in Wirklichkeit erscheint. Jedes Pünktchen, und sei es das
kleinste, steht an seiner Stelle und keinen Deut daneben.

Das photographische Auge arbeitet schneller. In einer Stunde entwirft
es eine Himmelskarte, zu deren Anfertigung ein Astronom ein Jahr
gebraucht. Während nämlich das menschliche Auge zu einer Zeit nur
eine Stelle scharf erkennen kann, das menschliche Hirn nur eine
Ortsbestimmung übernehmen, die menschliche Hand nur eine Sternzeichnung
ausführen kann, sieht das photographische Auge zu gleicher Zeit
1000 Sterne und zeichnet alle 1000 in Sekunden auf die Platte ein.
Jedes Bromsilberkörnchen in der Gelatineschicht einer Platte ist
ein Auge, ein Hirn, eine Hand für sich, ist ein Mensch, der für uns
sieht, denkt und zeichnet, und eine einzige unscheinbare gelbe Platte
ersetzt die Arbeitskraft einer ganzen Warte. Die Photographie hat
durch den automatisch technischen Betrieb das Maschinentempo in die
Himmelsforschung eingeführt.

Das photographische Auge besitzt eine grenzenlose Erinnerung. Während
der Eindruck eines Bildes auf der menschlichen Netzhaut verblaßt,
sobald der Lidverschluß sich senkt, und von nun an immer mehr
verwischt, so daß ein Bild, das nicht sofort übertragen wird, schon
nach Minuten für alle Zeit verloren ist, bewahrt die photographische
Platte den Eindruck des Moments für alle Zukunft. Was es in der Nacht
gesehen, enthüllt das photographische Auge am Tage, was es in den
Tropen erschaut, erzählt es ohne einen Schattenhauch zu lügen nach
einem Jahr in London und Paris. Ehedem mußte der Astronom in Nacht und
Kälte an dem Fernrohr sitzen, Stern für Stern aufsuchen, einstellen,
ausmessen, berechnen und einzeichnen. An einem anderen Abend mußte er
diese Arbeit genau so wiederholen, um die Ergebnisse zu kontrollieren
und bei Entdeckung von Fehlern zum dritten Male ausführen. Und heute?
Am hellen Tage bei Wolkenhimmel und Nebelatmosphäre werden alle
Vorbereitungen für eine Sternphotographie erledigt. Man erwartet die
Nacht, prüft den Stand des Rohres, ein Hebeldruck, das photographische
Auge öffnet sich, blickt stumm in Finsternis, die Menschenaugen nichts
enthüllt, stumm schließt es sich -- tausend Sterne sind fixiert.

[Illustration: Abb. 12. Die Gegend des Sternes Deneb, wie sie sich 1.
dem Auge. 2. der photographischen Platte nach vier Stunden, 3. nach 13
Stunden offenbart.]

Nur dem photographischen Auge verdanken wir die Erfüllung eines
Wunsches, der vor 100 Jahren einem Herschel und selbst vor 50 noch
einem Argelander als märchenhafter Traum erscheinen mußte und für
die Milchstraßenforschung ein Ereignis ersten Ranges bedeutet: die
Anfertigung einer Himmelskarte, in der alle Sterne bis zu den kleinsten
hinab aufs genaueste eingezeichnet sind. Im Jahre 1887 trat in Paris
ein internationaler Astronomenkongreß zusammen, der die Ausführung
einer photographischen Himmelskarte beschloß. Die Aufgabe, nach
festgelegten Grundsätzen mit einem bestimmten Instrument den ganzen
Himmel photographisch aufzunehmen, wurde verteilt unter die Sternwarten
Greenwich, Oxford, Helsingfors, Potsdam, Paris, San Fernando, Tacubaya,
Perth, Kapstadt, Sidney, Melbourne, Santiago, Hyderabad, Kordoba und La
Plata. Jede Sternwarte hatte eine Himmelszone zu photographieren und
zwar in zwei Serien. Sie hat 1200 Aufnahmen von 5 Minuten und 1200 von
50 Minuten Belichtungsdauer anzufertigen. Die kurzen Aufnahmen, die
400000 Sterne bis zur 11. Größe festhalten, werden zu einem Katalog
vereinigt, die langen Aufnahmen, die über 3 Millionen Sterne fixieren,
sind für einen Himmelsatlas bestimmt. Jede Platte umfaßt den 10313.
Teil des Himmels. Dadurch, daß die Ecke jeder folgenden Platte mit dem
Mittelpunkt der vorhergehenden zusammenfällt, ist jeder Stern auf zwei
verschiedenen Platten aufzufinden, wodurch vorkommende Plattenfehler
aufgedeckt und ausgeschaltet werden. Im ganzen werden 40000 Platten
angefertigt, die in Paris gesammelt und mit besonderen Meßapparaten
ausgemessen werden.

Gerade in unseren Tagen geht dieses Gigantenwerk seiner Vollendung
entgegen. Nicht das Werk eines Mannes, nicht die Tat eines Volkes,
nicht die Leistung eines Kontinents, hier wird ein Menschheitswerk
vollbracht. Länder überbrücken ihre Grenzen, Völker reichen sich die
Hände, Antipoden grüßen sich. Über den Dächern von Paris, in den Ebenen
Schottlands, an Spaniens südlichster Küste, am Kap der guten Hoffnung,
am Abhang des südamerikanischen Hochgebirges, auf den Mauern indischer
Festen, an den Küsten des 5. Erdteils in der Südsee -- überall richten
sich die Rohre gegen den Himmel, öffnen sich die stummen Augen der
Camera obscura, und ihr Blick bannt auf die gläserne Netzhaut für
alle Zeit das Bild der Sterne, wie es sich der Menschheit um die
Wende des 20. Jahrhunderts darbot. Schon der Geist, der über diesem
internationalen Friedenswerke liegt, ist erhebend, und um seinetwillen
ist es die Mühe wert. Menschen, die sich nie gesehen, nie voneinander
gehört, ihre Sprache nicht verstehen, einen sich zu gemeinsamem Tun,
dienen einer Idee; widmen ihre Arbeitskraft, ihre Lebensideale einem
Werk, an das sich nie der Name derer knüpft, die es verwirklicht,
von dem die Schaffer nicht einmal den Lohn genießen werden. Denn die
photographische Himmelskarte ist ein Werk der Zukunft. Die Astronomen,
die heute den Himmel photographieren, handeln selbstlos wie jener
Greis, der Bäume pflanzte, damit die Enkel Schatten und Früchte
genießen. Sie selbst pflücken nicht die Früchte ihrer Arbeit. Aber die
Saat, die sie ausstreuen, verheißt den Enkeln eine reiche Ernte. In 50
Jahren nämlich wird man die photographische Himmelskarte wiederholen,
und dann wird jede noch so geringe Verschiebung auch der kleinsten
und letzten Sternchen aufs genaueste festgestellt werden. Nach der
Neuauflage der internationalen Himmelskarte in einem halben Jahrhundert
wird man die Eigenbewegungen nicht von hundert, sondern von 100000
Sternen feststellen können, und einen, wenn auch infolge der kurzen
Zeitspanne nur allgemeinen, so doch umfassenden Einblick in das Wesen
der Sternbewegungen innerhalb der Milchstraße gewinnen.

Bei aller Großartigkeit gibt uns die photographische Maßmethode
doch nur ein einseitiges Bild von den Bewegungen im Weltall. Sie
unterrichtet uns nur über die seitlichen Verschiebungen der Sterne
in der Bildfläche, über die Sternbewegungen in der Bildtiefe, in der
Blickrichtung gibt sie uns keinen Aufschluß. Der einfache Verstand
kann sich keine einzige Methode ausdenken, die uns über die Annäherung
oder die Entfernung der Sterne Aufschluß zu geben vermöchte. Jeder
dieser Sterne ist ein Pünktchen, seit Jahrtausenden unverändert,
und er müßte um ein Zehntel, um ein Viertel, um die Hälfte seines
ungeheuren Abstandes näher oder weiter rücken, müßte also in viel
tausend Jahren phantastisch große Strecken zurücklegen, ehe wir an
der Zu- oder Abnahme seiner Helligkeit die Richtung seiner Bewegung
erkennen könnten. Und wenn wir selbst durch irgendeinen wunderbaren
Apparat die Richtung dieser Bewegung in kurzer Zeit feststellen,
könnten wir jemals hoffen, die Geschwindigkeit dieser Bewegung zu
erfahren? Könnten wir nicht eher glauben, daß die Träume Jules Vernes
von der Mondfahrt und der Reise ins Zentrum der Erde Wahrheit würden,
als daß wir sagen können, der Sirius nähert sich uns in jeder Sekunde
um 7 ~km~, Aldebaran dagegen entfernt sich von der Erde mit einer
Sekundeneile von 50 ~km~? Müßten dazu nicht Märchen Wahrheit werden?

Diese Märchen sind Wahrheit geworden. Zwar kümmert sich die große
Welt nicht um diese Wunder, weiß nichts von ihnen. Seit jeher war
es so der Lauf der Dinge, daß Marktgeschrei und Tagessensation die
Menschen locken. Vor einem neuen Gauklertrick jauchzt das Parterre, vor
einem neuen Lichteffekt staut sich die Menge, ein neuer Sportrekord
begeistert das Publikum, und das Wunder sucht man in Bühnenromantik
und am Spiritistentisch. Einen altrömischen König nicht zu kennen, die
Jahreszahl eines Kreuzzuges nicht zu wissen, den Roman des neuesten
Tagesdichters nicht gelesen zu haben, schämt sich der »Gebildete«. Aber
am wahren Wissen, an den wahren Wundern geht die Welt vorüber. Denn die
wahren Wunder sind stumm und bescheiden.

Das Fernrohr ist die künstliche Linse, die photographische Platte
die künstliche Netzhaut der Menschheit. Sie sind nichts anderes als
Verbesserungen unseres natürlichen Sehapparates. Sie erschließen
uns nichts neues, unbekanntes, sondern verstärken nur die beiden
Grundfähigkeiten unseres Auges: mit der Linse Licht zu sammeln und
ein Bild zu entwerfen, mit der Netzhaut dieses Bild aufzunehmen und
festzuhalten. Das dritte Instrument des Astronomen aber bereichert
uns um eine ganz neue Anschauungsmöglichkeit, es schenkt uns ein
neues Organ, gleichsam einen sechsten Sinn. Es eröffnet uns eine
ganz neue Welt, sozusagen eine vierte Dimension. Dieses neue
Weltbetrachtungsorgan ist das +Prisma+.

Jeder kennt das Prisma oder den Dreikant. Zu Dutzenden hängt es an den
alten Kronleuchtern und hat uns schon als Kind Freude gemacht durch
die Buntheit seiner Lichter. Jede geschliffene Spiegelkante ist ein
Prisma. Der Kristallschliff unserer Vasen und Schalen zerlegt die
glatte Glasfläche in lauter kleine Prismen. Jeder Diamant ist in seinem
Schliff ein vielfaches Prisma.

Das Prisma ist das Gegenteil der Linse. Die Linse ist rund, glatt und
strebt nach Breite und Wölbung. Das Prisma ist eben, eckig und strebt
nach Kante und Spitze. Die Linse sammelt das Licht zu einem Punkt,
das Prisma breitet es aus zu einem Band. Wenn man den Lichtstrahl
mit einem Zentimeterband vergleicht, so kann man sagen: die Linse
rollt dieses Band zusammen, das Prisma rollt es auseinander. Diese
Fähigkeit des Prismas, Lichtbündel bandartig zu entfalten, ist den
Organismen fremd. Wenn es Menschen gäbe, die Fernrohrlinsen in den
Augen und photographische Platten als Netzhaut trügen, so würden
sie die Welt genau so sehen wie wir. Wenn es aber Menschen gäbe mit
Prismen statt Linsen im Auge, so würden sie ein völlig neues Bild der
Welt erhalten. Sie würden alle Dinge statt verkleinert und zu Bildern
zusammengedrängt, auseinandergezerrt und zu bunten Bändern entfächert
sehen. Welch anderes und doch auch wiederum naturgetreue Bild würden
jene Wesen mit Prismenaugen von der Welt erhalten! Wie anders würden
sie die Welt erforschen und beurteilen!

Da wir von Natur aus nicht gewohnt sind, mit Prismen statt mit Linsen
zu sehen, so sind uns seine Eigenschaften nicht so vertraut und ohne
gewisse Vorkenntnisse über die Natur des Lichtes nicht verständlich.
Das Licht fassen wir als eine Wellenbewegung des Weltäthers auf.
Der Weltäther ist ein unendlich feiner Stoff mit einzigartigen
Eigenschaften, der das ganze Weltall von den kleinsten Zwischenräumen
zwischen den einzelnen Atomen bis zu den Räumen zwischen den Sternen
ausfüllt. Entsprechend seiner Feinheit -- er soll 15 Trillionen mal
leichter sein als die Luft, -- pflanzen sich die Wellen dieses Äthers
unvorstellbar schnell fort, und zwar mit der Geschwindigkeit von
300000 ~km~ in der Sekunde. Aber nicht alle Lichtwellen sind gleich
lang. So wie ein großer Dampfer größere Wasserwellen von sich wirft
als ein kleiner, wie eine Kanone größere Luftwellen aussendet als
eine Pistole, so senden die schwingenden Moleküle und Atome je nach
ihrer Größe Ätherwellen von verschiedener Länge aus. Die Röntgenröhre
erzeugt Ätherwellen von ein Zehnmilliontstel ~mm~, die Röntgenstrahlen,
die infolge ihrer Kleinheit die meisten Stoffe durchdringen. Der
Telefunkenapparat entsendet Ätherwellen von 5 ~km~ Länge, die infolge
ihrer Größe über den ganzen Erdball schwingen. Da alle Ätherwellen
unabhängig von ihrer Länge in der Sekunde 300000 ~km~ zurücklegen,
schwingen die langen in der Sekunde nicht so häufig wie die kurzen,
so wie ein Mensch mit langen Beinen nicht so viel Schritte zu machen
braucht wie ein ebenso schnell laufender mit kurzen Beinen. Es folgen
sich in der Sekunde nur 60000 telegraphische Wellen, dagegen viele
Tausend Billionen Röntgenwellen. Wir können nur einen ganz bestimmten
Teil von Ätherwellen direkt wahrnehmen. Wir empfinden nur Ätherwellen
zwischen 100 und 1000 Billionen Schwingungen in der Sekunde, die erste
Hälfte davon als Wärme, die zweite Hälfte davon als Licht, und zwar als

    rot     Äther- von 700 million- ~mm~ Länge mit 450 Billionen Wellen
            wellen           stel
    orange    "     "  600    "      "     "    "  500     "       "
    gelb      "     "  550    "      "     "    "  550     "       "
    grün      "     "  500    "      "     "    "  600     "       "
    blau      "     "  475    "      "     "    "  650     "       "
    indigo    "     "  425    "      "     "    "  700     "       "
    violett   "     "  400    "      "     "    "  775     "       "

Diese Ätherwellen werden von den schwingenden Atomen und Molekülen der
leuchtenden Körper erzeugt. Die schwingenden Atome eines glühenden
Sternes schlagen den Weltäther, wie Mühlräder oder Schiffsschaufeln
Wasser in Wellen von sich schlagen. Diese Wellen pflanzen sich im
Weltäther des Weltraumes fort, gelangen in unsere Atmosphäre, und
wir empfinden sie als das Licht des Sternes. Von der Geschwindigkeit
der Atomumdrehungen, von der Zahl und Länge der Wellen hängt die
Farbe eines Körpers ab. Schwingt eine Atomart z. B. das Natriumatom
allein in ungestörtem Rhythmus, so erzeugt sie eine Ätherwellenart
von bestimmter Größe und Zahl und zwar 550 Billionen in der Sekunde,
also gelb erscheinende Wellen. Natriumlicht ist gelb. Die Ätherwelle
der Kaliumatome erscheint rot, der Indiumatome blau usf. Schwingen
dagegen die Atome verschiedener Stoffe mit verschiedenem Rhythmus
durcheinander, so laufen diese verschiedenen Ätherwellen neben- und
durcheinander her, und es entsteht kein reiner Rhythmus, keine reine
Farbe, sondern ein Gemisch von verschiedenen Farben: weiß. Das weiße
Licht ist gemischtes Licht und verhält sich zu den einzelnen Farben wie
ein vielstimmiges Geräusch zu den einzelnen Tönen. Die Sterne senden
gemischtes Licht aus. Treffen Ätherwellen nun ein Prisma, so werden
sie von diesem abgelenkt, weil das Glas des Prismas für Ätherwellen
ein ähnliches Hindernis bildet wie etwa ein Wehr für Wasserwellen oder
ein Sandhaufen für einen Fußgänger. Aber das Prisma hält nicht alle
Ätherwellen gleichmäßig auf, sondern lenkt natürlich die großen und
kräftigen Ätherwellen weniger ab als die kleinen und schwachen, wie
eine Klippe im Meer die großen Wellen weniger stört als die kleinen.
Kommt also ein schmales Bündel Sternenlicht, das alle Wellenarten
enthält, durch ein Prisma, so lenkt dieses die einzelnen Wellenarten
nach ihrer Länge geordnet, die längsten roten am wenigsten, die
kürzesten violetten am stärksten von ihrem Wege ab und breitet so das
weiße Lichtbündel, in dem alle diese Strahlen zusammenlaufen zu einem
Band auseinander, in dem die einzelnen Wellenarten, d. h. Farben nach
Wellenlänge sortiert nebeneinander erscheinen. Solch ein Farbenband,
das die Farben rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett
nebeneinander enthält, nennt man Spektrum (Abb. 13). Über einem solchen
Spektrum, das jedermann vom Anblick des Regenbogens kennt, kann man
eine Skala anbringen, die die Anzahl der Ätherwellen an den einzelnen
Punkten des Spektrums anzeigt. Am roten Ende steht dann die Zahl 450
(Billionen), über dem orange 500, an der Grenze zwischen grün und blau
600, am violetten Ende die Zahl 800. Man weiß dann, an dem Teilstrich
800 des Spektrums treffen in der Sekunde 800 Billionen Ätherwellen
ein, die die Farbenempfindung violett in uns hervorrufen, an dem
Teilstrich 500 500 Billionen Wellen, die orangefarben erscheinen.

[Illustration: Abb. 13. Entstehung eines Spektrums bei Durchgang eines
Lichtbündels durch ein Prisma.]

Bewegt sich nun eine Lichtquelle mit großer Geschwindigkeit auf uns zu,
so treffen uns natürlich in der Sekunde mehr Ätherwellen, entfernt sie
sich von uns, so nimmt die Zahl der Wellen in der Sekunde ab. Steht ein
Stern im Raum still, und entrollen wir durch ein Prisma sein Licht zu
einem Spektrum, so werden an dem Teilstrich 600 unserer Skala in der
Sekunde 600 Billionen Wellen in der Sekunde eintreffen. Es wird hier
die Grenze zwischen grün und blau liegen. Nähert sich uns dieser Stern
mit einer gewissen Geschwindigkeit, so treffen statt 600 Billionen 650
Billionen Ätherwellen ein, diese Stelle des Spektrums erscheint blau.
Entfernt sich dieser Stern, so kommen nur 550 Billionen Ätherwellen in
der Sekunde an und diese Stelle erscheint grün. Genau so ändert sich
natürlich das Spektrum in allen seinen anderen Teilen. Bei Annäherung
der Lichtquelle wandelt sich das Rot in Orange, das Gelb in Grün, das
Blau in Indigo und dieses in Violett um. Bei Annäherung der Lichtquelle
verschiebt sich das ganze Spektrum im Vergleich zum Farbenband eines
ruhenden Körpers nach der Seite des Violett, bei Entfernung der
Lichtquelle verschiebt es sich umgekehrt nach dem roten Ende. Aus der
Größe dieser Verschiebung, die in Wahrheit natürlich nur mikroskopisch
wahrnehmbar ist, läßt sich die Geschwindigkeit selbst der fernsten
Sterne bis auf ½ ~km~ Genauigkeit für die Sekundenbewegung in der
Blickrichtung bestimmen (Abb. 14).

Die Anwendung dieser einfach erscheinenden Methode ist in der Praxis
äußerst kompliziert. Das Prisma wird in einen Apparat eingebaut, den
man Spektroskop nennt. Dieser wird an ein Fernrohr angeschlossen. Um
das winzige Spektrum breit auseinanderzuziehen, schaltet man eine ganze
Reihe von Prismen hintereinander, von denen jedes folgende das Spektrum
des vorhergehenden wieder verbreitert. In neuester Zeit verwendet man
an Stelle der Prismen die wirkungsvolleren Beugungsgitter, Spiegel mit
feinsten eingeschliffenen Querstrichen, die so eng zusammenstehen, daß
600 von ihnen zwischen 2 Millimeterstrichen nebeneinander laufen. Diese
Rowlandschen Konkavgitter stellen sozusagen Tausende kleinster Prismen
nebeneinander vor. Das Spektrum wird nicht mit dem Auge betrachtet,
sondern photographiert. Das photographische Spektroskop nennt man
Spektrograph. Die Photographie wird mit besonders eingerichteten
Mikroskopen durchmustert. Neben der Genauigkeit und Arbeitsersparnis
deckt die Photographie, da das Bromsilber für die unsichtbaren
ultravioletten Strahlen sehr empfindlich ist, noch jene ultravioletten
Teile des Spektrums jenseits des violetten Endes auf, die das Auge
nicht mehr wahrnimmt. Dagegen ist die photographische Platte für die
langwelligen unsichtbaren ultraroten Strahlen jenseits des roten
Spektralendes nicht empfindlich. Aber diese Strahlen erzeugen weit über
die Grenze der Sichtbarkeit hinaus noch Wärme. Diese Wärme wird mit
einem thermoelektrischen Apparat des Amerikaners Langley gemessen, dem
Bolometer. Dieser Apparat registriert Temperaturunterschiede von ein
Zehnmillionstel Grad Celsius. Also während ein gewöhnliches Thermometer
um einen einzigen Grad ohne Zwischenstufe steigt, kann das Bolometer
auf dieser Strecke an 10 Millionen verschiedenen Punkten haltmachen.
Ja, selbst Schwankungen von ein Hundertmillionstel Grad ergeben am
Bolometer noch einen nachweisbaren Ausschlag des Zeigers. Das Bolometer
hat »im dunklen Reich des Lichts« Entdeckungen gemacht, wie sie in
ähnlicher Feinheit selbst Auge und Photographie im sichtbaren Teile
des Spektrums nicht erreichen können. Mit dem Bolometer erwies sich
der unsichtbare Teil des Spektrums jenseits des Rot um 20mal länger
als der sichtbare! Mit Hilfe dieser »Spektroskopie« kann man die
Bewegungsgeschwindigkeit der Sterne auf uns zu und von uns weg aufs
genaueste berechnen. Die Fehlergröße beträgt selbst bei Sternen, die
100 Lichtjahre von uns entfernt sind, noch nicht 1 ~km~. Man bedenke:
wir sehen über uns am Himmelsgrund kleine Pünktchen, die sich selbst im
größten Fernrohr nicht verändern. Seit Menschengedenken stehen diese
Pünktchen angeheftet an ihrem Himmelsplatz wie aufgehängte Lampen.
Wir wissen nun nicht nur, daß diese Pünktchen Sonnen sind wie unsere
Sonne, daß sie 100 Lichtjahre von uns entfernt sind, von Planeten
umkreist werden wie unsere Sonne, nein, wir richten unser Rohr auf
solch einen Punkt, stellen einen Prismenapparat an sein Okular und
schrauben an das untere Ende eine photographische Kamera. Wir öffnen
den Lichtschlitz, schließen ihn nach einer Weile wieder, gehen mit
einer verschlossenen Kassette in ein Dunkelzimmer, tauchen eine gelbe
Glasplatte in ein Bad, legen sie unter ein Mikroskop und sagen: diese
Sonne in 100 Lichtjahren Entfernung bewegt sich auf uns zu mit einer
Sekundengeschwindigkeit von 23 ~km~. Wir sind bereit zu schwören, daß
es nicht 30 und nicht 20 sind, sondern 23. Ist der Mensch nicht auch
ein Wunder, den größten Wundern des Weltalls ebenbürtig?

[Illustration: Abb. 14. Verschiebung der Spektrallinien eines Sternes
bei (oben) 38, (unten) 72 ~km~ Entfernung in der Sekunde. Man erkennt
deutlich, wie die Linien gegen das Spektrum des ruhenden Eisens (die
weißen Linien an den Rändern) nach rechts verschoben sind.]

Die spektroskopischen Untersuchungen haben auch bei diesen
Sternbewegungen die Einheit des Milchstraßensystem glänzend bewiesen.
Sämtliche Sterngeschwindigkeiten schwanken innerhalb kleiner Grenzen.
Es gibt im System der Milchstraße keine gesetzlosen Ausnahmen.
Phantastische Sonnengeschwindigkeiten, die etwa der Lichteile
gleichkommen, sind in ihm ebensowenig zu finden wie Stillstand, größere
Abweichungen vom Mittelwert als das Zehnfache werden kaum gefunden. Im
allgemeinen bewegen sich die Sterne mit denselben Schnelligkeiten, die
wir an den Welten unseres Planetensystems bemerken. Die Geschwindigkeit
des Erdlaufes um die Sonne, 30 ~km~ in der Sekunde oder 100000 ~km~ in
der Stunde, ist geradezu ein Mittelwert für die Bewegungen der Sterne
innerhalb der Milchstraße. Von den bekannten Sternen

    entfernen sich von uns:

    Pollux      Sek.-Geschwindigkeit 3  ~km~
    Bellatrix             "          9   "
    Rigel                 "         17   "
    Beteigeuze            "         17   "
    Sterne d. Jakobstabes
      der linke           "         18   "
      der rechte          "         23   "
    Kapella               "         24   "
    Die Hyaden            "         40   "
    Aldebaran             "         51   "

    nähern sich uns:

    Kastor      Sek.-Geschwindigkeit 1  ~km~
    Deneb                 "          2   "
    Algol                 "          4   "
    Arktur                "          5   "
    Bärenfamilie          "          6   "
    Prokyon               "          6,5 "
    Sirius                "          7,5 "
    Regulus               "          9   "
    Wega                  "         13   "
    Polarstern            "         13   "
    Mizar                 "         31   "
    Atair                 "         38   "

Der Gedanke, daß eine gewaltige Sonne wie der Sirius sich uns in jeder
Stunde um 25000 ~km~ nähert, übt zuerst einen eigenartig unheimlichen
Eindruck aus. In der Phantasie sieht man diesen glühenden Weltball
größer und größer werden, zur Scheibe anschwellen, unsere Nacht zum
Tag erleuchten, uns mit Wärme überfluten, schließlich das Firmament
mit seiner gewaltigen Sonnensphäre füllen und eines Tages, nachdem
gewaltige Störungen das ganze Planetensystem ins Schwanken gebracht
haben, zerschellt unsere Welt an dem Koloß, und in einem feurigen
Rachen versinkt die ganze Herrlichkeit unseres Daseins! Weit gefehlt!
Nur der Mensch in seiner eingeborenen Beschränktheit kann sich einem
solchen Trugbild hingeben. Selbst der nahe Sirius braucht fast eine
Million Jahre, ehe er unseren jetzigen Standpunkt im Weltall erreicht.
Aber wenn alles kreist und alles sich bewegt, kann dann die Sonne
stille stehen? Ist sie der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht, das
»Herz des Universums«, wie es Kepler glaubte? Nein, die Sonne ist ein
Stern unter Sternen, schwebt dahin mit ihrem ganzen Anhang von Planeten
wie alle Sterne:

    »Die Sonne tönt in alter Weise
    in Brudersphären Wettgesang,
    und ihre vorgeschriebene Reise
    vollendet sie mit Donnergang.«

Die Sonne bewegt sich mit einer Sekundengeschwindigkeit von ungefähr 29
~km~ durch den Weltraum, und wenn der Sirius in 1 Million Jahren jene
Stelle passiert, an der wir uns jetzt befinden, ist die Sonne um 600
Billionen ~km~, um 60 Lichtjahre von ihrem heutigen Standort entfernt.
Unser Sonnensystem fliegt durch den Weltraum! Während wir uns auf der
Erdkugel um die Erdachse bewegen und durch diese Drehung im Lauf von
24 Stunden aus der Sonnenseite in die Schattenhälfte herumrollen (Tag
und Nacht), und während wir mit einer Sekundengeschwindigkeit von 30
~km~ in gewaltiger Bahn um die Sonne kreisen und durch die Jahreszeiten
Frühling, Sommer, Herbst und Winter rollen, fliegt unser ganzes System
von der Sonne bis zum Neptun mit all seinem Inhalt durch den Weltraum.

Wir stehen im Sonnenschein auf dem Deck eines Schiffes und spielen
mit einem Kreisel. Dieser Kreisel ist die Erde. Er dreht sich rasch
um seine eigene Achse, jeder Punkt seiner Oberfläche läuft bei jeder
Drehung zur Hälfte über die Sonnenseite, zur Hälfte über die abgekehrte
Schattenseite. Dies ist das Spiel von Tag und Nacht. Der Kreisel steht
aber nicht still an seinem Fleck. In langsamem Lauf beschreibt er große
Kreise über den Boden des Decks. Diese Kreise sind der Jahreslauf der
Erde um die Sonne. Außerdem fährt das ganze Schiff über das Weltmeer.
Das Schiff ist das Sonnensystem, das Weltmeer ist das Weltall. Wie
dieses Schiff, so steuert auch das Sonnensystem nicht ziellos durch den
Weltraum. Es bewegt sich um das Schwerkraftzentrum des Sternenhaufens,
in dessen Innern es sich befindet, gemeinsam mit allen helleren
Sternen des Himmels, die diesem Haufen angehören. Die Sonne läuft auf
einer Linie, die ungefähr vom Sirius* zur Wega* in der Leier oder dem
benachbarten Stern Deneb* im Schwan führt. Welch wundersames Empfinden
muß den denkenden Menschen überschleichen, wenn er den hellen Stern
Wega betrachtet. Zu ihm ist unsere Sonnenfahrt gerichtet. In jeder
Sekunde, da wir ihn anschauen, nähern wir uns ihm um 30 ~km~. Ehe
wir diese Seite hinabgelesen haben, sind wir ihm schon um 1000 ~km~
nähergerückt, und wenn wir ihn heute abend betrachtet haben, uns
niederlegen, morgen unser kurzes Tagewerk verrichten und ihn des Abends
wieder anschauen, so sind wir ihm in diesen 24 Stunden um 2 Millionen
~km~ näher gekommen. Tag für Tag zwei Millionen Kilometer, und dabei
steht sein Bild seit Jahrtausenden unverrückt, als gäbe es keine
Bewegung im All! Täglich 2 Millionen ~km~! Das sind die Pendelschläge
der großen Weltuhr, auf der die Tage Sekunden, die Jahre Minuten,
Jahrhunderte die Stunden und Jahrtausende die Tage sind. Empfand nicht
schon der biblische Sänger diesen Rhythmus des Weltenlaufs, als er die
Worte sprach: »Und tausend Jahre sind vor ihm als wie ein Tag«?

Die Ansicht der älteren Astronomen, daß die Sternbewegungen regellos
seien, ist im Hinblick auf die wunderbare Harmonie der Weltbewegungen
geradezu unbegreiflich. Wie könnte in einem so entwickelten System, wie
es die Milchstraße darstellt, irgendwo Gesetzlosigkeit und Anarchie
herrschen? Die neueren Forschungen haben sogar über die erwähnten
Gruppenbewegungen hinaus eine Gesetzmäßigkeit der Sternbewegungen
aufgedeckt, die geradezu an den Kreislauf des Blutes im tierischen
Körper erinnert und so abermals in die Harmonie des Weltganzen einen
neuen vollen Akkord hineinträgt. Die Mehrzahl der untersuchten Sterne
bewegt sich nämlich in gewissen Sternströmen, in zwei »Heerstraßen«,
die in entgegengesetzter Richtung aneinander vorbeilaufen wie zwei sich
begegnende Eisenbahnzüge, oder, noch richtiger, sich wahrscheinlich
in Kreislinien aneinander vorbeibewegen, wie die beiden Ringe mancher
modernen Karussels, von denen der innere Ring sich links herum, der
äußere rechts herum im Kreise dreht. Der eine Sternstrom ist gegen das
Bild des Orion zum Stern Beteigeuze gerichtet.* In ihm fliegen die
Hyaden. Der andere entgegengesetzte Strom, dem unsere Sonne angehört,
strebt in die Gegend zwischen Adler, Schwan und Leier.* In ihm fliegen
die Sterne des Großen Bären, die »Bärenfamilie«. Beide Ströme liegen
in der Ebene der Milchstraße. Als man 1924 Sterne auf ihr Verhalten zu
diesen beiden Heerstraßen untersuchte, fand man, daß sich unzweifelhaft
1023 in dem einen Strom, 574 in dem anderen bewegten. Bei 207 Sternen
ist die Zugehörigkeit noch zweifelhaft, während nur 110 Sterne, also
ungefähr 5% sich abweichend von den Heerstraßen bewegen.

Es ist nicht zu entscheiden, ob diese Heerstraßen den allgemeinen
großen Sternzügen in der Milchstraße angehören oder ob sie nur
die Bahnen der Sterne in unserem Sonnensternhaufen darstellen.
Höchstwahrscheinlich ist letzteres der Fall. Unsere Sonne kreist
mit allen ihr benachbarten Sternen in diesen Heerstraßen innerhalb
ihres Sternhaufens um einen gemeinsamen Schwerpunkt, und während
diese Sonnen auf ihren beiden aneinander vorbeifließenden Heerstraßen
diesen abgeschlossenen Sternhaufen wahrscheinlich in steigenden und
fallenden Spiralbahnen durchwandern, fliegt die ganze kreisende
Sterngruppe auf einer weiteren Bahn durch das große allgemeine System
der Milchstraße. Wie dem auch sei, auf jeden Fall enthüllt diese
Entdeckung der entgegenlaufenden Heerstraßen, daß die Sternbewegungen
zwar keineswegs plan- und gesetzlos sind, daß aber andererseits in den
Sternhaufen und wahrscheinlich ebenso in der Milchstraße nicht jene
einfach einheitliche Bewegungsmechanik herrscht wie im Planetensystem,
in dem sich alle Sterne in einer Richtung und einer Ebene bewegen. +Die
Entdeckung der Heerstraßen beweist die Einheit und Gesetzmäßigkeit der
Sternbewegungen im Milchstraßensystem.+

So wichtig und grundlegend die Entdeckung der Heerstraßen auch ist,
so hat sie uns doch nur über die Existenz geordneter Sonnenströme,
nicht über die Natur und Bahn der Sternbewegungen innerhalb der
Milchstraße aufgeklärt. Kommende Geschlechter, die die begonnene Arbeit
unserer zeitgenössischen Astronomen fortsetzen, werden erst die Pfade
entschleiern, auf denen die Sonnen im System kreisen.

Die Kraft, die diese Sterne in die Bahnen geordneter Heerstraßen
bannt, kann entweder eine Explosivkraft sein, die die Sonnen wie die
Funken einer explodierenden Rakete in Wirbeln durch den Weltraum
treibt oder eine Schwerkraft, die von Massen ausgeht. Die älteren
Astronomen, an der Spitze Lambert und Kant, suchten nach einer riesigen
Zentralsonne, die im Mittelpunkt des Systems stehend die Sterne um sich
kreisen läßt wie die Sonne die Planeten. Lambert hielt den Orionnebel,
Kant den Sirius, Mädler später den Hauptstern der Plejadengruppe
Alkyone für die Zentralsonne, und diese Vorstellung einer gewaltigen
Allweltssonne erfüllte sie und ihre Zeitgenossen so tief, daß sie
selbst in den Dichtern Widerhall fand. Schillers Lied an die Freude ist
ein Hymnus über die Organisation des Weltalls. Klopstock sang:

    »Um Erden wandeln Monde,
    Erden um Sonnen;
    Aller Sonnen Heere wandeln
    Um eine große Sonne.«

Die moderne Astronomie hat diese Idee einer Zentralsonne aufgegeben.
Eine Sonne, die durch ihre Anziehungskraft eine solche Unzahl von
Sternen um sich bewegt, müßte durch ihre phantastische Größe nicht nur
alle Grenzen der Wahrscheinlichkeit überschreiten, sondern auch mit
den Gesetzen der Physik und Chemie in Widerspruch stehen. Heute weiß
man, daß ein System ein Schwerkraftszentrum besitzen kann ohne eine
Masse im Mittelpunkt. Es gibt keine Zentralsonne im Milchstraßensystem.
Die Milchstraße ist im Gegensatz zum monarchischen Sonnensystem, in
dem die übermächtige Herrscherin Sonne im Mittelpunkt steht, ein
republikanisches Sternsystem, in dem sich alle Sterne gegenseitig
anziehen und im Gleichgewicht halten. Sucht man das ideale Zentrum
der uns bekannten Sternbewegungen, so findet man als Achsenpunkt der
beiden Heerstraßen eine Stelle im Schwan, die genau mit dem von Easton
berechneten Mittelpunkt des gesamten Milchstraßensystems übereinstimmt.

Aber der gläserne Zauberstab des Astronomen, das Prisma, hat uns mehr
gelehrt als die Einheit der Sternbewegungen. Es hat uns die letzte
größte und grundlegendste Einheit des Milchstraßensystems bewiesen,
+die Einheit des Stoffes und seiner Entwicklung+.

Das Licht ist eine Schwingung des Weltäthers, wie der Schall eine
Schwingung der Luft ist. Diese Ätherwellen werden von den schwingenden
Atomen der Elemente erzeugt wie die Luftwellen von schwingenden Saiten.
Wie es verschiedene Arten von Saiten gibt, so gibt es verschiedene
Atomarten, die wir als einzelne Elemente bezeichnen. Eisen, Gold,
Wasserstoff, Stickstoff, Natrium, Kalzium, Titan sind Elemente. Wie
jede Saitenart eine ganz bestimmte Luftschwingung, einen bestimmten
Ton hervorbringt, so erzeugt jede Atomart bei ihren Schwingungen
eine bestimmte Art von Lichtwellen. Die ~a~-Saite sendet immer 435
Luftwellen aus, den Ton ~a~, eine ~c~-Saite 530 Wellen, die wir als
den Ton ~c~ empfinden. Die Atome des Elements Natrium senden immer 505
Billionen Ätherwellen aus, die als gelbe Farbe erscheinen, das Element
Kalzium 750 Billionen Wellen, die als Violett empfunden werden.

Läßt man in einem Zimmer vor einem offenen Klavier eine ~a~-Saite
schwingen, so versetzt der Rhythmus dieser 435 Wellen in der Sekunde
von allen Saiten des Klaviers natürlich nur jene in Schwingungen,
die ebenfalls 435 mal in der Sekunde schwingen kann, also die Saite
~a~. An den Schwingungen der Saite ~a~ im Klavier kann man, ohne
die tönende Saite zu sehen oder zu hören, erkennen, daß hier am
Entstehungsort der Luftwellen eine ~a~-Saite schwingt. Genau dasselbe
geschieht mit den Ätherwellen im Prisma. Glüht das Element Natrium,
und man läßt die Ätherwellen durch ein Prisma gehen, so tritt im
Spektrum in der Klaviatur der Farben an dem Teilstrich 505 der Skala
eine gelbe Linie auf, die nur das Natrium aussendet. Erscheint also
in einem Spektrum an dieser Stelle eine gelbe Linie, so kann man mit
absoluter Sicherheit sagen, diese Lichtwellen gehen von glühendem
Natrium aus. Erscheinen an einem ganz bestimmten Platz zwei rote
Linien, so weiß man, daß hier das Element Kalium glüht, denn keine
andere Atomart entsendet diesen Doppelton des Lichts. Jedes Element
erzeugt im Spektrum ganz bestimmte unveränderliche helle Linien, an
deren Farbe, Stellung, Zahl und Verteilung man dieses Element erkennen
kann. Glüht Sauerstoff, so erscheinen zwei Linien im Rot bei 392 und
433 (Billionen Ätherwellen), leuchtet Wasserstoff, so erscheinen
drei Linien bei 454 im Gelb, 613 im Blaugrün und 694 im Violett usw.
Der Anblick eines Spektrums gibt uns also genau Auskunft über die
chemische Natur der Stoffe, die in der Lichtquelle glühen. Man nennt
diese Methode, aus dem Spektrum die chemische Natur der glühenden
Stoffe zu erkennen, die +Spektralanalyse+. In der Praxis ist die
Spektralanalyse ein äußerst schwieriges Verfahren. Neben den erwähnten
Hauptlinien erscheinen nämlich noch Nebenlinien, die das Bild eines
Spektrums bis zur Unkenntlichkeit verwirren. Die Zahl dieser Linien
steigt im allgemeinen mit der Höhe des Atomgewichts, also mit der
Größe des Atoms, mit der Zahl der Elektronen, die ein Atom aufbauen.
Die Linienzahl beträgt bei den leichten Elementen Natrium 8, Chlor 11,
Kohlenstoff 13, Kalium 27, Stickstoff 89; bei den schweren Elementen
Silber 372, Eisen 1517, Thorium 2070, Uran 5270. Im ganzen sind bis
heute ungefähr 50000 Spektrallinien bestimmt worden. Aber für die
Schwierigkeit entschädigt die Feinheit der Methode im vollsten Maß.
Die Genauigkeit des spektroskopischen Nachweises übertrifft nämlich
nicht nur alle übrigen Verfahren, sondern überhaupt jede menschliche
Vorstellung. Man kann mit dem Spektroskop von dem Element Natrium noch
den 3 Milliardstel Teil eines Gramms = 1/3000000000 ~g~ nachweisen.
Wo uns nur ein Lichtpünktchen entgegenstrahlt, stark genug, daß wir
es zum Bande auseinanderziehen können, daß wir die Linien erkennen,
die in seinem Streifen leuchten, da gibt dieses Lichttelegramm uns
Kunde von den Stoffen, die in Sternweiten auf fremden Sonnen glühen.
In Flammenlettern, die niemals trügen, spricht das Universum zu uns.
Und was hat es uns gekündet? Kurz und bündig wie ein Telegramm ist das
Spektrum eines Sternes. Wie ein Depeschenstreifen entrollt es sich,
und wie Morsezeichen stehen die Linien auf dem Band. Aber wie ein
Telegrammstreif dem Kundigen in Strichen und Punkten Schlachtberichte
und Liebesgrüße, Freudenbotschaft und Hiobsposten kündet, so erzählt
das Lichttelegramm dem Wissenden die ganze Lebensgeschichte des
Weltalls.

Die spektralanalytische Untersuchung von über 10000 Sternen erwies,
daß auf allen Sternen die gleichen chemischen Elemente glühen, die
wir in unserer Sonne leuchten sehen und die sich am Aufbau der Erde
beteiligen. Wenn es auch noch nicht gelungen ist, all die Tausende von
Spektrallinien restlos zu entziffern, +so hat uns die Spektralanalyse
dennoch schon heute die stoffliche Einheit des Milchstraßensystems in
geradezu grandioser Beweisführung dargelegt+. Die spektroskopische
Erforschung des Weltalls ist einer der größten Triumphe des
Menschengeists und das Diadem in der Kette der Beweise für die Einheit
des Milchstraßensystems.

Aber hinter diesen telegraphisch kurzen Flammenlinien der
Lichtdepeschen bergen sich tiefere Geheimnisse.

Wenn in einem Raum 10 verschiedene Saiten frei nebeneinander schwingen,
so sendet jede ihre Wellenart aus, und im Nebenraum zittern am offenen
Klavier die 10 entsprechenden Saiten mit und belehren uns über die
Natur der im Nachbarzimmer schwingenden Saiten, ohne daß wir sie zu
sehen oder zu hören brauchen. Wenn 10 verschiedene Atomarten frei
schwingen, erscheinen 10 verschiedene Liniensysteme im Spektrum, und
wir erkennen die Natur der 10 glühenden Elemente. Saiten können nur
frei vibrieren, wenn ihnen genügend Platz zur Verfügung steht, Atome
nur frei schwingen, wenn ihnen Raum dazu gegeben ist. Dies ist nur der
Fall, wenn sie sich in jenem fein verteilten Zustand befinden, den wir
als den »gasförmigen Zustand« bezeichnen. Sind dagegen die 10 Saiten
zusammengespannt oder zu Bündeln gefaßt, so können sie beim Anschlagen
nicht frei schwingen, stören sich gegenseitig und erzeugen keine
reinen 10 Töne, sondern zittern unregelmäßig und rufen ein Geräusch
hervor, in dem alle möglichen Wellenarten durcheinander schwirren. In
diesem Geräusch sind alle Töne, alle Wellenarten neben-, durch- und
nacheinander enthalten, und so schwingen am offenen Klavier nicht die
10 entsprechenden Saiten mit, sondern +alle+ Saiten vibrieren. Man kann
also die Natur der schwingenden Saiten nicht erkennen, weiß nicht,
welche 10 Saiten schwingen, wohl aber, daß sie eng zusammengepackt sein
müssen. Glühen 10 Elemente nicht in freier Gasform, sondern in festem
oder flüssigem Zustand, so sind die Atome so zusammengedrängt, daß
sie ihre Schwingungen nicht frei ausführen können, sich gegenseitig
stören und alle möglichen Arten von Ätherwellen aussenden. Folglich
erscheinen im Farbenklavier des Spektrums nicht die 10 Einzelsysteme
von Linien, sondern alle Linien, alle Farben treten auf, so dicht
aneinandergedrängt, daß sie zusammenfließen zu breiten Farben+bändern+.
Der Regenbogen, das Spektrum hinter den Prismen der Kronleuchter
sind solche Farbenbänder. Aus der Art des Spektrums kann man also
auf den Zustand der glühenden Materie Schlüsse ziehen. Erscheint ein
zusammenhängendes Bänderspektrum, wie es der Regenbogen darstellt, so
befindet sich der leuchtende Stoff in festem oder flüssigem Zustand;
erscheinen im Spektrum einzelne scharfe Linien, so befindet sich der
leuchtende Stoff in gasförmigem Zustand.

Wir schlagen im Nebenzimmer 10 verschiedene Saiten an, von denen eine
eine ~a~-Saite ist. Am offenen Klavier zittern die 10 entsprechenden
Saiten, und wir erkennen, welche Saiten drüben schwingen. Jetzt
schließen wir die beiden Zimmer schalldicht voneinander ab und lassen
nur eine kleine Öffnung in der Zwischenwand, durch die die Schallwellen
hindurchdringen. In diese Öffnung spannen wir eine ~a~-Saite. Schlagen
wir jetzt drüben die 10 Saiten an, so dringen alle Wellen ungehindert
durch die Öffnung. Die Wellen der ~a~-Saite dagegen werden, da sie
genau die Länge und Häufigkeit der ~a~-Saitenschwingung besitzen,
die in der Wandöffnung eingespannte ~a~-Saite in Bewegung setzen und
hierbei ihre Kraft einbüßen. Sie werden bei der Ankunft am Klavier
fehlen. Die ~a~-Saite bleibt stumm. Spannen wir nun die 10 Saiten zu
einem Bündel zusammen und lassen dieses schwingen, so entsteht ein
Geräusch, und +alle+ Saiten des Klaviers erzittern, nur die ~a~-Saite
ruht, da eine ~a~-Saite in der Öffnung eingespannt ist, die von allen
Wellenarten nur die ~a~-Wellen auffängt. An dem Ruhen der ~a~-Saite
erkennen wir die Existenz einer ~a~-Saite +zwischen+ der Tonquelle und
dem Klavier.

Wir ahmen dieses Experiment mit den Lichtwellen und dem Spektrum
nach. Wir bringen in die Wandöffnung statt der ~a~-Saite ein Gefäß
mit Natriumdampf. Dann lassen wir ein Lichtbündel, das von den
verschiedensten glühenden Elementen in flüssigem Zustand ausgeht,
durch diese Öffnung laufen, fangen es drüben mit dem Prisma auf und
beobachten das Spektrum. Alle Lichtwellen laufen ungehindert durch den
Natriumdampf, das ganze Spektrum leuchtet als Farbenband auf. Nur die
Natriumwellen fehlen. Sie haben beim Passieren des Natriumdampfes die
Natriumatome in Schwingungen versetzt, hierbei ihre Kraft verloren
und fehlen im Spektrum. Wo sie sonst stehen, an der Zahl 505 der
Skala, ist eine dunkle Lücke im Spektrum, tritt im farbigen Band eine
schwarze Linie auf (Abb. 15). Das Auftreten von dunklen Linien im
Spektrum beweist, daß das Licht dieses Spektrums durch eine Dampfhülle
hindurchgegangen ist, in der jene Elemente sich befinden, deren Linien
im Farbenband fehlen.

Nehmen wir an, die Erde würde in ihrem heutigen Zustand leuchten
und wir fingen ihre Strahlen im Weltraum mit einem Prisma auf. Die
Lichtwellen müßten dann die Lufthülle, in der sich Stickstoff und
Sauerstoff befinden, durchlaufen. Die Strahlen aller irdischen Elemente
würden diese Atmosphäre ungehindert passieren, nur die Stickstoff-
und Sauerstoffwellen würden in der Atmosphäre dadurch, daß sie die
Stickstoff- und Sauerstoffatome in Schwingungen versetzen, ihre
Kraft verlieren und würden fehlen. An dem Fehlen der Stickstoff- und
Sauerstofflinien im Spektrum würden wir erkennen: die Erde besteht aus
einem festen, leuchtenden Kern, der von einer Atmosphäre umgeben ist,
in der sich Stickstoff und Sauerstoff befinden.

Das Spektrum der Sterne zeigt ein Farbenband, in dem nicht eine, nicht
10 dunkle Linien, sondern viele Hunderte und Tausende von verschiedener
Stellung und Stärke stehen (Abb. 14). Diese viellinigen Farbenbänder
beweisen uns, daß Sonne und Sterne aus einem feuerflüssigen oder
festgasigen leuchtenden Kern bestehen, der von einer Gashülle, einer
Dampfatmosphäre umgeben ist, in der jene Elemente sich befinden, deren
Linien mit den dunklen Lücken im Spektrum übereinstimmen.

[Illustration: Abb. 15. Die Auslöschung der hellen Natriumlinie (unten)
beim Durchgang von Licht durch Natriumdampf.]

Diese Erklärung der Sternspektren, die uns jetzt so einfach, fast
selbstverständlich erscheint, war ein Jahrhundert hindurch eines
der schwersten Probleme der Naturwissenschaft. Man versetze sich
in die Lage der ersten Beobachter. Sie sehen hinter dem Prisma,
das das Sternenlicht ablenkt, ein Farbenband erscheinen, durch das
Tausende dunkler Linien ziehen, bald weiter auseinanderstehend,
bald dicht aneinandergedrängt, bald einzeln, bald zu Gruppen sich
findend. Was konnten diese Linien bedeuten? Man denke sich, wir
senden den Marsbewohnern ein Morsetelegramm aus Strichen und Punkten
zusammengesetzt; wie sollen sie es entzaubern? Ein stummer Streifen,
aus nichts als Linien und Punkten zusammengesetzt! Geht es uns anders?
Die Sterne senden uns Lichttelegramme, bunte Bänder, und in den
Farben Linien, Linien, nichts als Linien! Assyrische Hieroglyphen zu
entziffern, ist ein Kinderspiel gegenüber der Aufgabe, ein Spektrum zu
lösen. 30 Zeichen hat die Sprache der Tonscherben, jedes von anderer
Gestalt; 30000 hat die Sprache der Sonnen, eines wie das andere eine
Linie. Um dieses Riesenalphabet des Weltalls zu erfassen, mußte ein
Genie geboren werden.

Dieses Genie war +Joseph Fraunhofer+. Als Sohn eines armen Glasers
geboren, hatte er als Schleiferlehrling das Unglück oder vielmehr
Glück, von einem stürzenden Spiegel schwer verletzt zu werden. Für
die 18 Dukaten Schmerzensgeld nämlich, die ihm der König von Bayern
zahlen ließ, kaufte er sich Bücher und Instrumente und wurde einer
der größten Optiker und scharfsinnigsten Naturforscher, die je gelebt
haben. Er entdeckte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts im Spektrum
der Sonne die nach ihm benannten +Fraunhoferschen Linien+. Ehe er sie
zu erklären vermochte, starb er im frühen Alter von 39 Jahren zum
unersetzlichen Schaden der Wissenschaft. Sein vorzeitiger Tod hielt
den Fortschritt der Himmelskunde um ein halbes Jahrhundert auf. Denn
50 Jahre währte es, bis Männer von ihm ebenbürtigem Genie das Spektrum
erforschten und das Wesen der dunklen Linien erkannten. Diese beiden
Männer waren +Kirchhoff+ und +Bunsen+, deren spektralanalytische
Gesetze das Fundament dieser einzigartigen Wissenschaft bilden, die
uns die chemische Einheit des Weltalls bewies. Wie einfach in ihren
Mitteln, wie großartig in ihren Resultaten ist diese Spektralanalyse!
Ein gläsernes Prisma lehrt uns die Stoffe, den Zustand, die Temperatur,
den Kern und die Hülle fernster Sonnen erkennen! Ein Glassplitter wird
unter den Händen vernunftgemäß handelnder Menschen zum Diamant, der
alle Brillantgeschmeide der Welt überstrahlt. Was haben die Diamanten
aus den Gruben Afrikas der Menschheit genützt? Steingewordene Tränen
sind sie, und das Gold, das sie umrahmt, ist geschmolzene Blut. Kriege
wurden um sie geführt, ganze Völker in Amerika ihretwegen ausgerottet,
und tagtäglich zerstören Menschen um diesen Flitterglanz, an dem
alles hängt und zu dem alles drängt, Frieden und Glück ihres Lebens
und Hauses. Aber der einfache Dreikant aus Glas wurde in der Hand
forschender Geister zum Schlüssel der Himmelspforte und hat uns den
Glanz der Himmelsherrlichkeit schöner erschauen lassen, als es die
Vergangenheit selbst in ihren kühnsten Hoffnungen je erwarten konnte.

Den Abschluß und die Krone der spektralanalytischen Forschung bildet
die Enthüllung des +Entwicklungsprinzips im Weltall+. Im System der
Milchstraße herrschen nicht nur jene äußeren Bewegungsformen, die wir
als Planetenumläufe, als Trabantenbahn und Sternenflug erkundet haben,
in ihm herrscht das weltbewegende und weltenfördernde Prinzip der
Entwicklung in dem gleichen Sinn, in dem es Darwin für die irdische
Welt uns enthüllte. Sterne werden geboren, entwickeln sich, entfalten
Kraft und Glanz, altern und sterben wie Mensch, Tier und Pflanze. +Ein+
Prinzip ist es, das die Sonnen oben in den Himmeln leitet und den Wurm
im Sande lenkt, durch dessen Macht im Gras die Blumen blühen und im
Raum Kometen glühen, das den Stein am Grunde formt und den Stern im
Nebel ballt -- +Entwicklung+.

[Illustration: Abb. 16. ~a~ Spektrum eine Nebelflecks, ~b~ Spektrum
eines Sternes 1. Klasse (Deneb im Schwan), ~c~ Spektrum eines Sternes
2. Klasse (Sonne), ~d~ Spektrum eines Sternes 3. Klasse (roter Stern).]

Sterne entstehen aus Nebel. Wenn das Fernrohr das Milchstraßensystem
durchstreift, entdeckt es eine Fülle von Nebeln kugeliger Gestalt.
Tausende sind bekannt, Hunderttausende existieren. Diese Nebel
erscheinen im Fernrohr als matte Scheiben wie Planeten, weswegen
man ihnen den schlechten Namen planetarische Nebel gegeben hat,
obwohl sie mit Planeten und unserem Planetensystem nichts gemein
haben. Sie sind Gaskugeln, von denen die kleinsten vielleicht unser
Sonnensystem bis zur Neptunbahn ausfüllen würden, während die größeren
tausend- und hunderttausendmal größer sein müssen (Abb. 18~a~).
Diese Gaskugeln schweben zwischen den Sternen der Milchstraße in
außerordentlichen Entfernungen von uns und bewegen sich wie diese
mit Geschwindigkeiten zwischen 5 und 50 ~km~ in der Sekunde in der
allgemeinen Milchstraßenebene. Das Spektrum dieser Kugelnebel beweist
uns, daß wir leuchtende Materie im gasigen Zustand vor uns sehen. Es
erscheinen in ihm drei helle Linien auf dunklem Grund, eine im Blau,
die dem Wasserstoffgas entspricht, und zwei im Grün, von denen eine
höchstwahrscheinlich dem Stickstoff angehört, während die andere noch
nicht gedeutet ist (Abbildung 16~a~). Offenbar befindet sich die
Materie in einem solchen kosmischen Gasball in einem Urzustand, wie
wir ihn auf der chemisch hochentwickelten Erde nicht mehr finden, und
wahrscheinlich sehen wir hier die Elemente in Vorstufen, vielleicht
sogar in ihrer gemeinsamen Mutterform als jenes Urelement vor uns, aus
dem sich alle übrigen entwickeln. Seitdem man durch die Radiumforschung
die Wandlungsfähigkeit der Elemente experimentell bewiesen hat,
gewinnt die Ansicht, daß alle Elemente sich aus einem Urelement
allmählich entwickeln, immer mehr an Wahrscheinlichkeit. Wenn alles
sich entwickelt, kann dann die Materie selbst, aus der sich dieses
alles bildet, ohne Entwicklung bleiben? Ist nicht alle Entwicklung von
Stein, Pflanze, Tier eigentlich nichts anderes als Entwicklung der
Materie, der Elektronen, Atome und Moleküle? Auch die Elemente, die
wir als die Grundstoffe aller Dinge anzusehen gewöhnt sind, stellen
schon hohe Stufen der Weltentwicklung, der Materiebildung dar, die in
jenen Gasnebeln noch nicht erreicht sind. Offenbar entwickeln sich
aus dieser Urmaterie nach- und nebeneinander die einzelnen Elemente,
und zwar scheinen sich zuerst die leichten Atomarten Wasserstoff und
Stickstoff, die ja noch heute auf unserer Erde die verbreitetsten
und grundlegendsten Elemente sind, zu bilden, während die übrigen
in gesetzmäßiger Reihenfolge nacheinander auftreten, wie in der
Entwicklungsgeschichte der Tierwelt in geordneter Folge Urtiere,
Würmer, Fische, Lurche, Säuger erscheinen.

Die weitverstreuten Atome des Gasnebels ziehen sich gegenseitig
an, nähern sich, wodurch der ganze Nebelball sich verdichtet und
geraten dadurch in immer schnellere Schwingung: es entsteht Wärme.
(Abb. 18~b~). Durch die Zusammendrängung der Materie im Zentrum der
Kugel entsteht ein glühender Kern, um den der Nebel eine ungeheure
Gashülle bildet, -- der Nebel ist zum Stern geworden. Infolge der
Zusammenziehung ist seine ehemals gewaltige scheibenförmige Ausdehnung
auf die Punktgröße aller Sterne gesunken, und nur das Spektroskop gibt
uns durch die Spektral+linien+ Kunde von der Nebelnatur dieser jüngsten
Sterne. Man bezeichnet diese jungen weitausgedehnten dünngasigen Sterne
als +Nebelstern+ (Abb. 18~c~).

[Illustration: Abb. 17. Die Plejaden.]

Aus diesen kugeligen Nebeln entstehen nicht nur einzelne Sterne,
sondern bei genügender Anhäufung von Materie ganze Sternhaufen. Wie
sich die Tropfen in einem dampferfüllten Zimmer an den kalten Wänden
und Scheiben niederschlagen, treten aus dem Dunst des Nebelballs
infolge der Abkühlung durch die Weltraumkälte Sonnen hervor. Man kennt
solche Gaskugeln im Stadium der Sternhaufenbildung. Im Herkules sieht
man solch einen entstehenden Sternhaufen*, in dem 3000 Sonnen sich aus
Nebelmaterie bilden. In der Mitte dieses Systems stehen die Sonnen so
dicht, daß sich ihre Nebelatmosphären berühren, an den Rändern stehen
sie weit voneinander und bilden isolierte freischwebende Sonnensysteme
(vgl. Abb. 3 S. 19). Ein vorgeschrittenes Stadium der gruppenweisen
Sternbildung aus Nebelmaterie stellen die Plejaden* dar, die schönste
aller Sterngruppen des nördlichen Sternhimmels. Diese Gruppe ist,
wie die Photographie enthüllt hat, von ungeheuren Nebeln durchzogen
und umwoben, von Sonne zu Sonne ziehen sich Nebelbrücken durch das
ganze System, und weit über die Grenzen der Gruppe hinaus kann man die
verwehenden Reste des chaotischen Nebels verfolgen (Abb. 17).

Auf dieser Stufe der Entwicklung, auf der die Sterne eben aus Nebeln
hervortreten, erreichen sie ihren größten Glanz und ihre höchste
Temperatur, die man auf 20000 Grad schätzt. In ihrer weiten Atmosphäre
glüht neben dem Wasserstoff vor allem das Helium in so herrschendem
Maß, daß man diese heißesten Sterne auch +Heliumsterne+ nennt. Kühlt
sich die Atmosphäre dieser Sterne ab, so daß ihr eigenes Licht
schwächer wird als das des inneren Kernes, so fängt die Gashülle in der
beschriebenen Weise die einzelnen Wellen des Kernlichtes ab, und es
erscheinen die dunklen Fraunhoferschen Linien im Spektralband. Zuerst
wenig und schwach und fast nur Wasserstofflinien (Abb. 16~b~). Dem
Auge erscheint ihr Licht strahlend weiß. Sirius, Wega in der Leier,
Deneb im Schwan, Atair im Adler, Regulus im Löwen, Prokyon im Kleinen
Hund gehören dieser nach dem Vorschlag des verstorbenen Potsdamer
Astronomen +Vogel+ als 1. Spektralklasse zusammengefaßten Gruppe an,
die man nach ihrem glänzendsten Vertreter als Klasse der +Siriussterne+
bezeichnet. (Abb. 18~d~). Fast alle jene zahllosen kleinen Sterne,
die den Nebelschimmer der Milchstraße erzeugen, sind heiße Sonnen der
ersten Spektralklasse, vielleicht darum in der Milchstraße so zahlreich
erscheinend, weil sie hier wirklich in der Überzahl sind, vielleicht
auch nur darum, weil aus jenen Fernen nur ihr strahlendes Licht, aber
nicht mehr das der schwächeren kälteren Sterne zu uns dringt. Die
Temperatur dieser Siriussterne in Weißglut beträgt ungefähr 12000 Grad.

[Illustration:

    ~a~ Planetarischer Nebel
    ~b~ Verdichteter Nebel
    ~c~ Nebelstern
    ~d~ Siriusstern
    ~e~ Sonnenstern
    ~f~ Roter Stern
    ~g~ Veränderlicher Stern
    ~h~ Erloschener Stern

Abb. 18. Entwicklungsgeschichte der Sterne.]

Die zunehmende Verdichtung und hierdurch bedingte Wärmeerzeugung der
Sterne vermag der Abkühlung durch die Weltraumkälte nicht die Wagschale
zu halten. Die Sonnen kühlen sich unaufhaltsam ab (Abb. 18~e~). Ist
die Temperatur eines weißen Sternes der ersten Klasse um abermals
ungefähr die Hälfte auf 6000 Grad gefallen, so treten neue Elemente
in der glühenden Atmosphäre auf. Neben dem noch immer überwiegenden
Wasserstoff erscheint vor allem das Kalzium, dessen Verbindungen als
Kalk am Aufbau der Weltkörper großen Anteil haben, daneben durch
Tausende schwarzer Spektrallinien sich ankündend Eisen, Nickel,
Kobalt, Titan, Mangan, Chrom, Kohle, Magnesium, Natrium, Silizium,
Aluminium, Strontium, Baryum, Kupfer, Zink, Silber, Zinn, Blei, Kalium
und andere Metalle. Das Spektrum dieser Sterne, die nicht mehr weiß,
sondern schon blasser in gelbem Lichtton leuchten, stimmt so völlig
mit dem unserer ebenfalls gelben Sonne überein, daß man sie als 2.
Spektralklasse oder +Sonnensterne+ bezeichnet (Abb. 16~c~). Während die
heißen weißen Sterne der ersten Klasse vornehmlich in dem weiten Bogen
der Milchstraße angehäuft scheinen, stehen die gelben kühleren Sterne
in ihrer Mehrzahl uns näher. Arktur, Aldebaran, der Mittelstern im
Perseus, Pollux sind Sonnensterne; das Spektrum der Kapella im Fuhrmann
gleicht sogar bis in die feinsten Einzelheiten seiner 20000 dunklen
Linien so vollkommen dem unseres Zentralgestirns, daß man die Kapella
geradezu als Bruderstern unserer Sonne bezeichnen muß, und kaum ein
Zweifel an der innigsten Verwandtschaft dieser beiden Sterne bestehen
kann. Wahrscheinlich ging unser Sonnensystem unter denselben Umständen
aus der gleichen Nebelmaterie hervor wie die Welt der Kapella, die
wir als unsere Schwesterwelt im All verehren können, wenngleich ihr
entgegengesetzter Lauf sie von uns um die Weite von 40 Lichtjahren
entfernte. Offenbar bilden die gelben Sonnensterne im Gegensatz zu den
weißen Milchstraßensternen jenen großen Haufen, in dessen Mitte sich
unsere Sonne mit ungefähr 400 Nachbarwelten befindet. Aus großer Ferne
betrachtet, würden wir unsere Sonne wahrscheinlich inmitten dieses
Sternenhaufens sehen, dessen Glieder Kapella, Arktur, Aldebaran, Pollux
und viele andere wären, und in dem die Sterne sich ebenso an Größe,
Alter und Beschaffenheit gleichen, wie die Sterne der Plejaden und der
Hyaden oder des Sternenhaufens im Herkules und im Centaurn.

[Illustration: Abb. 19. Entstehung des Lichtwechsels des Sternes Mira
Ceti nach Zoellner.]

Wie das Eisen, das weißglühend aus dem Feuer geholt wird, zuerst in
Gelbglut übergeht und dann rot und röter glüht und verglüht, wie die
Sonne, wenn sie sich dem Untergange nähert, im Dunst der Atmosphäre
immer blasser, gelber, röter strahlt und schließlich als glutroter
Sonnenball den Horizont berührt, so verglühen die Sonnen im All auf
ihrer Lebensbahn. Rot ist die Farbe des Sternenalters. Schon der
rötliche Arktur ist älter, kälter als die Sonne, sein Spektrum ist
linienreicher, verwaschener. Der rötliche Stern Beteigeuze* in der
linken oberen Ecke des Orionbildes ist der auffallendste Vertreter
dieser Klasse der alternden +roten Sterne+. (Abb. 16~d~ u. 18~f~).
Höchst bemerkenswert ist, daß man in der Gashülle dieser roten Sterne
nicht nur freie Elemente, sondern sogar die Verbindungen dieser
Elemente und unter diesen Kohlenstoffverbindungen nachgewiesen hat,
dieselben Kohlenstoffverbindungen, aus denen bei weiterer Entwicklung
auf unserer Erde das Leben, die höchste Form des uns bekannten
kosmischen Daseins, entstanden ist.

Auch unsere Sonne zeigt Spuren des nahenden Alters, sozusagen Falten
und Runzeln auf ihrem strahlenden Antlitz, das sind die Sonnenflecken.
Sonnenflecke sind dunkle, in ihrem Wesen noch keineswegs aufgeklärte
Stellen der Sonnenoberfläche, an denen wir jedenfalls, wie die
Spektralanalyse beweist, die Sonnenmaterie in einem vorgeschritteneren
Zustand der Abkühlung vor uns sehen. Das Spektrum der roten Sterne
stimmt mit dem der Sonnenflecken so vollkommen überein, daß man diese
geradezu als Sonnenfleckensterne bezeichnen kann. Unter zunehmender
Erkaltung der Sonne und Ausbreitung der Flecken müssen schließlich
ungeheure Schollen die Oberfläche solcher Sterne bedecken, ganze
Kontinente erkalteter Materie müssen auf den glühenden Feuermeeren
dieser Sonnen schwimmen (Abb. 18~g~). Sind diese Massen unregelmäßig
verteilt wie Meere und Festländer auf unserer Erde, und dreht sich
solch ein Stern wie unsere Sonne um seine Achse, so wenden sich
uns bald die leuchtenden Meere, bald die dunklen Schollen zu, die
Helligkeit dieses Sternes wird also wechseln. Dieser Lichtwechsel wird
zwar auch gemäß der Umdrehungszeit des Sternes in ziemlich regelmäßigen
Zeitabständen eintreten, aber je nach der Form der Schlackenkontinente
in unregelmäßiger Folge und keineswegs in jener mathematischen Kurve
wie bei den Algolsternen ablaufen, die von Planeten verfinstert werden.
Tatsächlich finden sich auffallend viele unregelmäßig veränderliche
Sterne gerade unter den roten Sternen. Seit Jahrhunderten berühmt
ist die Mira Ceti*, der Wunderstern im Walfisch, dessen Helligkeit
in einer Periode von ungefähr 11 Monaten zwischen 2. und 9. Größe in
unregelmäßiger Kurve schwankt (Abb. 19).

Schließlich ist die ganze Sonnenoberfläche von Flecken überdeckt,
verdunkelt, erkaltet, -- der Stern ist erloschen; als dunkler toter
Körper kreist er durch das All (Abb. 18~h~). Da man als sicher annehmen
muß, daß der Glutzustand im Leben eines Sternes, so wie die Jugend im
Menschendasein, nur den kürzeren Teil seiner Entwicklung darstellt, so
treiben gewiß mehr erloschene Sonnen als leuchtende im Raum. Wenn sich
uns 100 Millionen strahlende Sterne durch ihren Glanz offenbaren, so
mögen Milliarden nichtleuchtender Sonnen das All bevölkern, unsichtbar
für Menschenblicke, unerforschbar für die Wissenschaft, bis der Fleiß
der Astronomen auch diese durch Zahl und Formel aus dem Dunkel hebt,
so wie Adams und Leverrier den unentdeckten Neptun, wie Bessel und
Peters die unsichtbaren Trabanten des Sirius und Prokyon, wie Vogel und
Scheiner die dunkle Dreiwelt des Algol, ohne daß ein Menschenauge sie
gesehen, nach Größe, Zahl, Gewicht und Bahn berechnet haben.

[Illustration: Abb. 20. Photographie der Nebelspiralen um den neuen
Stern im Perseus 1901 von Ritchey.]

Jahrtausende, Jahrmillionen treiben diese erloschenen Sonnen durch
den Äther mit ihrem Anhang von erkalteten Planeten und verglühten
Kometen. Alles Leben ist auf ihnen erstorben, die Kultur, die auf
diesen Erden blühte, ist in Nacht und Eis versunken. Das ganze System
ein gewaltiger Friedhof. Wie ein Wrack mit seinen leeren Kabinen,
seinen verrosteten Maschinen, seinen verwesten Leichnamen über das
Weltmeer treibt, so wandert solch ein erstorbenes Sonnensystem als
unheimliches Gespensterschiff durch das Äthermeer des Weltalls. Äonen
mag es gefahrlos durch die Räume treiben, denn die Weltkörper sind
ja so spärlich verteilt, als wenn man ein Dutzend Erbsen über den
Atlantischen Ozean verstreute und sie treiben ließe. Selbst wenn
sich die Sonnen, was nicht der Fall ist, in geraden Linien regellos
durcheinander bewegten, und wenn es hundertmal mehr erloschene Sonnen
gäbe, als wir wahrnehmen können, so träfe die Wahrscheinlichkeit
eines Sternzusammenstoßes je einmal in 1000000 mal 1000000 Jahren
ein. Aber sind im All nicht tausend Jahre wie ein Tag? Gibt es in
der Ewigkeit Jahrhunderte und Jahrmillionen? Schließlich kommt auch
für jedes erloschene System die Zeit des völligen Unterganges -- und
der Wiedergeburt. Die tote Sonnenwelt gerät in das Anziehungsbereich
einer anderen Sonne, die beiden Weltkörper lenken sich ab von ihrer
Bahn, umkreisen sich in weiten, dann in immer engeren Spiralen
als Doppelstern, näher und näher, schneller und schneller sich
umschwingend, bis sie in rasender Spiraldrehung zusammenprallen;
oder das dunkle System gerät auf seiner Fahrt in eine jener weit
verbreiteten Nebelwolken, die den leeren Raum erfüllen; oder es saust
in einen Hagel kosmischen Staubes, in eine Meteorwolke -- wie die
Sternschnuppe, die in unsere Atmosphäre jagt, durch die Reibung an der
Luft aufglüht und zerstiebt, so entflammt der erstarrte Sonnenkörper
bei dieser Katastrophe und verdampft wie ein gewaltiges Meteor. In
Spiralen, die durch die Kreisnatur aller kosmischen Bewegung entstehen,
verflüchtet sich der glühende Nebel in Nacht und Raum. Am 21. Februar
1901 genossen wir das Schauspiel eines solchen Sonnenunterganges. In
der Milchstraßenebene im Bilde des Perseus leuchtete innerhalb 30
Stunden ein bis dahin unsichtbarer Stern zu solcher Helligkeit auf,
daß er nur vom Sirius an Glanz übertroffen wurde. Das Spektroskop
zeigte, daß das Licht von zwei Massen ausging, von denen die eine die
normale Geschwindigkeit von 20 ~km~ besaß, die andere dagegen fast 50
mal schneller auf diese zustürzte. Ihre Bewegungen waren gegeneinander
gerichtet. Die Entfernung des Katastrophenortes betrug ungefähr 200
Lichtjahre, so daß der Zusammenstoß in Wahrheit um das Jahr 1700
erfolgt sein mußte. Die Materie der zusammengeprallten Welten --
oder vielleicht auch jener einen Welt, die hier in eine Meteorwolke
geraten war, -- verdampfte. Man sah die glühenden Gase in Spiralen mit
Lichtgeschwindigkeit hinauseilen in den Weltraum -- zwei tote Sonnen,
die sich einst aus Nebel geballt, geleuchtet hatten und erloschen
waren, kehrten hier zurück in die Urform des Sterndaseins, in den
Urzustand aller Materie, in den Nebel (Abb. 21).

[Illustration: Abb. 21. Der Kreislauf der Sternmaterie vom Spiralnebel
zum Doppelstern über die Sternenkatastrophe zurück zum Spiralnebel.]

Der Kreislauf ist vollendet. Von Nebel zu Sonne, von Sonne zu Nebel,
das ist der Kreislauf im Leben der Sterne. Staub bist du und Staub
wirst du sein! ruft man dem Erdensohn an seinem Grabe nach, Nebel warst
du und Nebel wirst du sein! kann man den Sternen in ihrer flammenden
Todesnacht entgegenrufen.

Da nicht nur die Sonnen innerhalb ihres Haufens einsam durch ihre
Bezirke wandern, sondern ganze Sterngruppen, ganze Sternhaufen
dahinziehen wie die Hyaden, die Bärenfamilie, der Sternhaufen im
Perseus, so gehen nicht nur einzelne Sonnen, sondern ganze Sonnenhaufen
unter. Dann muß sich ein Weltbrand von überwältigender Größe und Tragik
abspielen. Während wir Untergang und Wiedergeburt von Einzelsternen
schon mehrere hundert Male sahen und jetzt mit der photographischen
und spektroskopischen Methode alljährlich beobachten, wurde solch ein
Schauspiel, das sich in sichtbarer Nähe vielleicht in Trillionen Jahren
einmal zutragen mag, von Menschenaugen nicht erschaut. Aber wir sehen
einen gewaltigen Nebel, der möglicherweise durch den Untergang eines
Sternhaufens entstanden ist, und in dessen wilddurchwühltem Chaos sich
nun die Sonnengeburt neuer Weltsysteme vollzieht: den Orionnebel*.

[Illustration: Abb. 22. Photographie des Orionnebels. (Phot. Wolf.)]

Die Entfernung dieses größten aller Himmelsnebel, den selbst ein
ungeübtes Auge mühelos unter den drei Sternen des Jakobstabes schimmern
sieht, schätzt man auf 500 Lichtjahre. Wenn man auch seit den 30 Jahren
der Himmelsphotographie noch keine Veränderung wahrgenommen hat, so
ist doch alles an ihm untrüglich in Wallen und Wogen begriffen wie in
Sturmeswolken, die der Orkan zerfetzt. Welche Fülle phantastischer
Bilder zaubert der Anblick dieses Nebels nicht in uns hervor!
Phantasien ohne Ende, ohne Schranken, aber auch ohne Halt und Beweis.
Daher wollen wir uns bescheiden mit dem, was die Photographie uns als
Tatsache von dieser Urwelt offenbarte: während in den Außenbezirken die
Nebel in weiten Bögen und Zügen zehnmal weiter sichtbar, als dieses
Bild hier reicht, sich im Raum verlieren, bilden sich im Kern schon
neue Sonnen, neue Welten -- aus der Asche steigt verjüngt der Phönix
des Alls empor.

Und wir? Unsere Sonne leuchtet nicht mehr in Weißglut, Sonnenflecken,
die Runzeln des Alters auf dem Antlitz der Sterne, trüben schon
den Glanz ihrer Oberfläche, die äußersten Planeten, einst die
Lieblingskinder der Mutter Sonne, sind erkaltet, erstorben, sind tote
Felsenkugeln, auf denen selbst die Luft zu Eis gefror. Mag es noch
Millionen und Millionen Jahre dauern, einst wird auch unsere Sonne in
Rotglut verglühen und dann -- auf Erden ist längst alles Leben erstarrt
-- treiben wir hin durch den Raum, ein Totenschiff im weiten Ozean des
Alls, hin in jene Gegend, in der das Bild des Schwanes glänzt. Eine
alte Sage erzählt, daß die Milchstraße den Schwalben den Weg zeige auf
ihrem Flug, und daß sie dem Schwan am Himmel folgten. Die Legende des
Volkes wird im Gewand der Wissenschaft zur Wahrheit. Fliegen wir nicht
dahin wie ein Schwarm von Vögeln, wir Planeten und Monde, geschart um
unsere Führerin im glänzenden Gefieder, um unsere Mutter Sonne, fliegen
und fliegen, bis sich an uns das tragisch-schöne Dichterwort erfüllt:

    »Einst wird vom raschen Flug ihr strahlend Heer,
    ein müdes Schwalbenvolk, heruntersinken«?

Mit diesem Flammentod der Sterne findet nicht nur ihre
Entwicklungsgeschichte, sondern auch unser Wissen über die Sonnen,
die das Milchstraßensystem zusammensetzen, einen natürlichen
Abschluß. Wir haben von der Zusammensetzung, von den Einzelgliedern
der Milchstraße ein zwar in fast allen Einzelheiten unsicheres, in
seinen Grundzügen aber gewißlich zutreffendes Bild gewonnen. Was
alle hervorragenden Weltbetrachter seit Demokrit vermutet haben,
ist nunmehr wissenschaftlich bewiesen: die Milchstraße ist ein
ungeheures Sternsystem. Ihr gürtelförmiger Anblick entsteht durch
unsere Stellung inmitten dieser Weltinsel. Alle Sterne, die wir am
Himmel erblicken, gehören diesem System an. Die helleren von ihnen
sind uns verhältnismäßig nah und bilden mit unserer Sonne einen
Sternhaufen, wie wir deren im Centaurn, im Herkules, im Tukan und an
vielen anderen Stellen sehen. Die Zahl der Sterne, die das ganze System
vereinigt, schätzt man auf 50--200 Millionen leuchtende und vielleicht
hundertmal mehr nichtleuchtende Weltkörper. Der Abstand der Sterne
voneinander ist unvorstellbar groß: das Licht braucht Jahre, um ihn
zu überbrücken. Nichtsdestoweniger bildet das Milchstraßensystem eine
geschlossene Einheit. Alle seine Sterne werden durch die Schwerkraft
zusammengehalten. Jeder Stern ist eine Sonne von ähnlicher Größe und
Beschaffenheit wie unsere Sonne, alle Sonnen sind aus den gleichen
Elementen aufgebaut; alle entstehen in gleicher Weise aus Nebelkugeln
durch Abkühlung und Zusammenziehung der gasigen Materie, leuchten
zuerst weiß, dann gelb und verglühen schließlich in Rotglut; viele,
wahrscheinlich alle werden von dunklen Planeten umkreist, die sich
genau wie unsere Planeten nach den Keplerschen Gesetzen in Ellipsen
um ihr Zentralgestirn bewegen und wie diese auf einem gewissen
Stadium der Abkühlung nach allen Voraussetzungen der Vernunft und
Wahrscheinlichkeit als bewohnbar und bewohnt anzusehen sind; alle
diese Sonnensysteme bewegen sich mit ungefähr gleicher Geschwindigkeit
von durchschnittlich 30 ~km~ in der Sekunde in ihren Sternhaufen
und diese wieder durch das Milchstraßensystem; diese Bewegung ist
nicht regellos, sondern erfolgt einerseits in Gruppen (Plejaden,
Hyaden), andererseits in bestimmten Strömen, den sog. Heerstraßen der
Sterne; auf ihrer Sonnenfahrt geraten die Sterne früher oder später
in das Anziehungsbereich eines Nachbarsterns, bilden mit ihm ein
Doppelsystem, indem sie sich in immer engeren Spiralen umkreisen, bis
sie nach unvorstellbar langem Lebenslauf, meist längst erloschen,
zusammenprallen und wieder zu Nebel verdampfen, womit der Kreislauf der
Weltmaterie von neuem beginnt.

An der Existenz des Milchstraßensystems und seiner Einheit in Kraft,
Stoff, Gesetz, Form und Entwicklungsgang kann somit kein Zweifel mehr
bestehen. Das Milchstraßensystem existiert. Aber nun erst tauchen die
großen Schlußfragen nach Gestalt, Größe und Mechanik des Gesamtsystems
in ihrer ganzen Inhaltsschwere vor uns auf.

Die ersten mehr philosophierenden als forschenden
Milchstraßenbetrachter hielten sie für ein einfaches linsenförmiges
System, in dem die Sterne gleichmäßig verteilt sind. Nach ihrer Ansicht
ist die Milchstraße nicht etwa, wie es uns scheint, als ein Ring von
Sternen um uns vorhanden, sondern tritt nur dadurch in Erscheinung,
daß wir in der Richtung der Linsenfläche außerordentlich viel weiter
durch die gleichmäßig verteilten Sterne hindurchsehen müssen als in der
Richtung der kurzen Linsenachse.

Allein von dieser Annahme einer gleichmäßigen Verteilung der Sterne
kam schon Herschel durch seine Sterneichungen ab. Er erkannte, daß die
Sterne in der Milchstraßenebene viel dichter zusammengedrängt stehen
als außerhalb dieser Fläche, daß also die Milchstraße keine einfache
optische Erscheinung infolge der Linsengestalt des Systems, sondern
das Innenbild einer tatsächlich existierenden +Sternebene+ ist. Von
dieser Ansicht, daß die Mehrzahl der Sonnen des Milchstraßensystems
in einer Hauptebene zusammengedrängt sind, ist kein späterer Forscher
mehr abgewichen. Schon Kant bekennt sich zu ihr und vergleicht in
tiefdenkerischer Betrachtung die Sonnenebene der Milchstraße mit jener
Ebene, in der sich die Planeten des Sonnensystems bewegen (Ekliptik).
Um jenen Spalt, der den Milchstraßengürtel auf ein Drittel seines
Umfangs in zwei Ströme teilt, zu erklären, nehmen Herschel und Kant
nicht eine, sondern zwei Hauptebenen im System an, die gegeneinander
leicht geneigt sind und sich kreuzen wie die Bahnebenen der Planeten,
und deren Auseinanderweichen uns als Stromspalt erscheint.

Aber die genauere Durchforschung der Milchstraße mit Fernrohr und
vor allem mit der photographischen Platte hat eine solche Fülle
von Einzelheiten und so viele Spuren feinerer Struktur in ihr
zutage gefördert, daß auch diese Hypothesen nicht zur Erklärung der
tatsächlichen Erscheinungen ausreichen. Schon die verschiedenen
Seitenarme, die von der Milchstraße ausgehen und entweder scharf im
Dunkel des Raumes abbrechen oder sich allmählich in den Weiten des
Universums verlieren, widerstehen der Annahme einer Linsengestalt des
Systems, auch wenn man diesem System zwei sich kreuzende Hauptebenen
zuspricht. Einer dieser Seitenäste trennt sich im Bild der Kassiopeia
vom Hauptstrom und verliert sich zwischen Hyaden und Plejaden. Ein
anderer Nebenast geht von der Teilungsstelle bei Alpha Centauri ab und
verliert sich im Sternbild des Wolfs. Ein dritter scharf abbrechender
Ausläufer ist im südlichen Bilde des Schiffes wahrzunehmen. Außerdem
bemerkt schon das unbewaffnete Auge, daß die Milchstraße keineswegs
in gleichmäßigem Lichte schimmert, daß sie also nicht aus gleichmäßig
verteilten Sternen besteht, sondern daß die Sterne in Haufen, Wolken
und Zügen angeordnet sind. Nicht Myriaden einzelner Sterne, sondern
hunderttausend Sternhaufen, deren jeder einige Hundert oder Tausend
Sonnen vereinigt, setzen das System zusammen. Wie die Wolken über uns
in einzelnen Ballen und Haufen ziehen, wie ein Heer nicht aus einzelnen
Soldaten, sondern aus Regimentern und Bataillonen zusammengesetzt
ist, so schweben die Sonnen in der Milchstraße in Gruppen, Scharen
und Heereszügen. Die auffallendste der leicht wahrnehmbaren Wolken
ist die berühmte Lichtwolke im Schwan.* Bei ihrem Anblick kann man
sich des Gefühls nicht erwehren, daß hier Teile der Milchstraße uns
bedeutend näher stehen als die übrigen lichtschwächeren Partien.
Neben solchen Lichtwolken und Sternanhäufungen findet man wieder,
wie ebenfalls schon erwähnt wurde, auffallend stern- und nebelarme
Stellen, ja direkte Lücken, Risse, Spalten, Kanäle und Löcher. Die
größte Milchstraßenöffnung liegt gerade dicht neben der Lichtwolke
im Schwan und wurde von Oehl die dunkle Weltwolke genannt, von den
späteren Forschern dagegen mit dem jetzt üblichen Namen »nördlicher
Kohlensack«* bezeichnet. Der große südliche Kohlensack liegt im
Kreuz. Der hervorragende Milchstraßenforscher Easton, der 10 Jahre
seines Lebens von 1882 bis 1892 dem Studium der Milchstraße widmete,
führt in einem besonderen Katalog 164 helle und dunkle Flecke in ihrem
Gürtel an. Von diesen geben uns die prachtvollen Photographien der
Milchstraße, wie sie uns namentlich Wolf, Barnard, Gill, geliefert
haben, eine anschauliche Vorstellung.

[Illustration: Abb. 23. Photographie eines Teiles der Milchstraße.]

Welch eine Macht strahlt uns von diesen Bildern! Kann ein Abendmahl
von Leonardo, eine Madonna von Raffael, eine Toteninsel von Böcklin
tiefer auf uns wirken als diese schwarze Fläche besprenkelt mit Punkten
und Pünktchen? Jeder Punkt eine Welt! Wir selbst, unsere große weite
Erde, ja unsere ganze Sonnenwelt bis zum 4000 Millionen ~km~ entfernten
Neptun, nichts als ein kleiner leuchtender Punkt! Gibt es einen
Gedanken, der einerseits gewaltiger und erhabener ist, andererseits uns
zu tieferer Demut führen kann als ein solches Bild der Milchstraße?
Verwirklicht sich in diesen Photographien nicht geradezu jene Vision,
die den jugendlichen Schiller angesichts des Himmels begeisterte zu der
Hymne von der Größe der Welt:

    »Anzufeuern den Flug weiter zum Reich des Nichts,
    Steur' ich mutig fort, nehme den Flug des Lichts,
          Neblicht trüber
          Himmel an mir vorüber,
    Weltsysteme, Fluten im Bach,
    Strudeln dem Sonnenwanderer nach.«

Gewinnt nicht das Goethesche Wort »Seele des Menschen, wie gleichst
du dem Wasser, Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind«
angesichts dieser Offenbarungen des Himmels einen geradezu kosmischen
Inhalt? Wehen diese Sonnen nicht dahin im All wie Sand im Winde?
Bezeugt uns nicht jedes dieser Pünktchen, daß nicht nur das Leben des
einzelnen Menschen, sondern das Leben unseres ganzen Geschlechts, der
ganzen Erde, unserer ganzen immensen Sonnenwelt nur eine Welle ist im
großen Ozean der Welt, emportaucht als eine Welle aus dem Chaos des
Urnebels, um nach kurzen Rhythmen zu verrinnen im großen Strom der
Sonnen? Aber zu der Demut, im Ring der Milchstraße mit all unserem
Können, Wissen und Wollen, mit unserer ganzen heiß errungenen Kultur
und Kulturgeschichte nur ein Staubkorn in der Nähe eines solchen
leuchtenden Pünktchens zu sein, fügt sich der Stolz, von diesem
Sonnenstäubchen Erde dieses Bild der Welt erfaßt zu haben kraft des
Geistes, der uns beseelt, kraft der moralischen Idee, die uns befiehlt,
das Erforschliche zu erforschen und das Unerforschliche zu verehren,
und die Kant, der große bahnbrechende Milchstraßenforscher, der Macht
des Himmels als einzig würdig gegenüber gestellt in seinem berühmten
Satz: »Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender
Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken
damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische
Gesetz in mir.«

[Illustration: Abb. 24. Milchstraßensystem nach Proktor.]

Um alle Einzelheiten des Milchstraßenanblicks durch eine einheitliche
Hypothese zu erklären, nahm +Proktor+ an, sie sei ein Ringsystem von
Sternen, wie es uns der berühmte Ringnebel in der Leier vor Augen führt
(Abb. 25). Entweder sei sie ein offener aufgerollter Ring, dessen eines
Drittel sich nahe an uns vorbei winde und so erstens die Lichthelle
der Schwanwolke, zweitens infolge des Durchblicks die Stromspaltung
und drittens durch seine Öffnung den Kohlensack neben der Schwanwolke
erkläre (Abb. 24~a~). Oder aber, und das schien ihm wahrscheinlicher,
die Milchstraße sei ein Doppelringsystem mit leicht spiralischer
Aufrollung, das aus einem inneren kleineren Ring besteht, in dem sich
die Sonne befindet und dem die hellen Milchstraßenteile angehören,
und einem entfernteren größeren Ring, dem die matten Teile des Gürtels
entsprechen. Durch die Lage der Bänder, durch Unregelmäßigkeiten,
Unterbrechungen und Schlingen ließen sich die Einzelheiten des
Milchstraßenbildes erklären (Abb. 24~b~).

Die Milchstraßenhypothese von Proktor ist als ein großer Fortschritt
gegenüber den Kant-Herschelschen Ideen zu bezeichnen, da sie wenigstens
die Haupterscheinungen zu erklären sucht. Aber abgesehen davon, daß
sie in vieler Hinsicht einer tieferen Kritik nicht standhält, ist
ihre Hauptstütze, nämlich der Hinweis auf das Vorhandensein ähnlicher
ringförmiger Sternsysteme am Himmel, hinfällig geworden. Alle
Ringnebel sind, wie die Spektralanalyse bewiesen hat, echte Gasnebel
in verhältnismäßig geringer Entfernung, stehen unzweifelhaft innerhalb
der Milchstraße und sind keine entfernten nebelig erscheinenden
Sternsysteme. Der Ringnebel in der Leier* ist nur ungefähr 32
Lichtjahre von uns entfernt, also eines der uns allernächsten
Himmelsobjekte und dementsprechend kein gewaltiges Sternsystem, sondern
nur etwa 100- bis 1000fach größer als unser Sonnensystem. Der Ring, der
schon einzelne Lichtknoten zeigt und offenbar kurz vor seinem Zerfall
in einzelne Weltkörper steht, umläuft sein schon stark verdichtetes
Zentrum in schätzungsweise 10000 Jahren.

Dagegen hat ein anderer Forscher, +Easton+, mit größerem Glück
versucht, die Milchstraße gewissen Nebelgebilden gleichzusetzen,
die wir am Himmel erblicken, nämlich den +Spiralnebeln+. Um nämlich
von einem Nebel sagen zu können, er sei ein sehr fernes als Nebel
erscheinendes Milchstraßensystem, muß man von ihm beweisen oder
wenigstens wahrscheinlich machen können, daß er nicht innerhalb
unserer Milchstraße, sondern weit außerhalb derselben im freien
Allraum schwebt. Wenn es uns auch bis heute noch nicht gelungen ist,
von irgendeinem Nebel eine sichere zahlenmäßige Bestimmung seiner
Entfernung auszuführen, so kann man doch von den meisten aus ihrer
Stellung ihre Zugehörigkeit zum Milchstraßensystem erkennen. Die
planetarischen Nebel, aus deren Gaskugeln sich durch Verdichtung
die Sonnen bilden, und die eigentlich nichts anderes vorstellen als
Sonnen und Sonnenhaufen in jugendlichem Zustand, finden sich fast
ausschließlich in der schmalen Zone der Milchstraße und hier in solcher
Fülle, daß ihre Zugehörigkeit zur Milchstraße nicht angezweifelt werden
kann. Ebenso schließen sich die ihnen verwandten Ringnebel, wie
jener in der Leier, eng an die Milchstraße an. Die Sternhaufen, die
aus diesen Kugel- und Ringnebeln entstehen, und deren Entfernung wir
ebenfalls nicht genau bestimmen können, sind in der Milchstraßenebene
so dicht zusammengedrängt, daß sie geradezu eine Kette bilden, die
mit der Milchstraße zusammen den Himmel umschließt. Zeichnet man in
eine Sternkarte unter Fortlassung der Milchstraße alle bekannten
Sternhaufen ein, so erhält man ein Sternhaufenband, das genau dem Laufe
der Milchstraße entspricht und das man die Milchstraße der Sternhaufen
nennen könnte.

[Illustration: Abb. 25. Ringnebel in der Leier (Phot. Ritchey.)]

Im Gegensatz zu den regelmäßigen Nebeln und den Sternhaufen, die im
Milchstraßenzug gruppiert sind, bekunden die unregelmäßig gestalteten
Gasnebel ihre Zugehörigkeit zum System gerade durch ihre Stellung
außerhalb der Milchstraßenzone und durch ihre Anhäufung an den Polen
der Milchstraße, also an jenen Stellen, die von dieser am weitesten
entfernt sind. Der nördliche Pol* der Milchstraße liegt im Haar
der Berenice, nicht weit vom Arktur. Hier sind die Nebel so dicht
zusammengedrängt, daß sie ganze Ketten und Gruppen bilden, die man
»Nebelnester« nennt. Der erfolgreiche Milchstraßenforscher Max Wolf in
Heidelberg, dem wir die meisten unserer Nebelphotographien verdanken,
entdeckte hier auf einer einzigen photographischen Platte 1528 einzelne
Nebel! In gleicher Fülle sind am entgegengesetzten Südpol, der jedoch
bei weitem noch nicht so genau erforscht ist, Tausende von Gasnebeln
aufs engste zusammengeschart. Aber auch zwischen Milchstraßenpol und
Äquator ist der ganze Himmel mit Nebeln aller Art geradezu übersät.
Die photographische Durchforschung des Himmels, die bisher schon
Zehntausende entdeckt hat, wird diese Zahl auf 100000 vermehren.
Trotz der Überfülle der Nebel, die den ganzen Raum um uns allseitig
bevölkern, scheinen auch hier gewisse Verteilungsgesetze zu wirken.
So zieht ein besonders dichter Zug vom Milchstraßenpol über das Bild
des Großen Bären, kreuzt die Milchstraße im ~W~ der Kassiopeia und
läuft durch die Andromeda zum Südhimmel hinüber, wo er sich offenbar
fortsetzt, um sich wieder zum vollständigen Kreis zu schließen. Dieser
Nebelstrang, den man »die Milchstraße der Nebelflecke«* genannt
hat, läuft also senkrecht zur Milchstraßenebene von Pol zu Pol, so
wie die Erdachse senkrecht zur Äquatorebene von Nordpol zu Südpol
läuft. Für die weitere Erklärung der Milchstraßenmechanik wird diese
Nebelstraße von großer Bedeutung sein. Jedenfalls verrät die Stellung
der planetarischen Nebel und der aus ihnen hervorgehenden Sternhaufen
in der Milchstraßenebene und der unregelmäßigen Nebel in der Nähe und
in der Verbindungslinie der Milchstraßenpole einen Gegensatz, der gewiß
nicht seiner tieferen Ursachen entbehrt und in jedem Erklärungsversuch
des Milchstraßensystems unbedingt weitgehendste Berücksichtigung
erfahren muß.

[Illustration: Abb. 26. Photographie des Heringsnebels (nach Wolf).]

Von diesen unzweifelhaft systematisch verteilten und dem
Milchstraßensystem angehörenden echten Gasnebeln sind jene Nebelflecke
streng zu trennen, die nicht aus leuchtenden Gasen, sondern aus
einzelnen Weltkörpern zusammengesetzt sind. Im Fernrohr sind sie von
jenen nicht zu unterscheiden und wurden -- und werden noch leider
allzuhäufig -- mit ihnen ohne Unterschied zusammengestellt und zusammen
behandelt, als seien es dieselben Gebilde. Während sich aber alle
echten Gasnebel durch ihr helliniges Spektrum als leuchtende Urmaterie
zu erkennen geben und einzig darum so hell und plastisch erscheinen
können, weil sie uns verhältnismäßig nahe stehen, enthüllen uns die
nun zu besprechenden Nebelgebilde ein von dunklen Linien durchzogenes
schwaches Bänderspektrum, wie es die Sonne und die Sterne zeigen,
und charakterisieren sich uns damit als tausendmal weiter entfernte
gewaltige Sternsysteme, als Weltinseln, als Milchstraßen, die von uns
so fern sind, daß ihr ganzer Glanz zu einem blassen Nebelschimmer
verschwimmt, den kein Auge, kein Fernrohr, sondern nur noch das
Spektroskop und die photographische Platte als Sonnenwelt erkennen. Wem
ist es nicht schon zugestoßen, daß er eine Wolke, die im Abendglühen
über seinem Hause schwebte, für eine Alpenlandschaft ansah, in der er
Berge und Täler, Firne und Gletscher, Nebel und Himmel und dahinter
ein weites blaues Meer zu sehen vermeinte? Und wer sah nicht schon
ein Gebirge in der Ferne am Horizont aus dem Dunst der Atmosphäre
emportauchen mit echten Bergen und Tälern, Firnen und Gletschern, so
weit und so entfernt, daß es wie eine Wolke erschien, die am Firmamente
hängt? Wie die nahe Wolke so umschweben uns in Sternennähe jene
Nebel aus leuchtenden Gasen. Aber wie das wolkenartig schattenhaft
erscheinende Gebirge, so schimmern aus Unendlichkeitsfernen jenseits
unserer Milchstraßenwelt uns die fremden Sternsysteme entgegen, Wolken
scheinend, doch in Wahrheit Sonnenwelten, Milchstraßen.

[Illustration: Abb. 27. Photographie des Nebels ~H. V.~ 24 (nach Wolf).]

Diese Milchstraßensysteme besitzen ausnahmslos Spiralgestalt, die sich
je nach der Lage des Systems mehr oder minder deutlich zu erkennen
gibt. Im Haar der Berenice entdeckte Wolf den Nebel der Abb. 26,
den die Astronomen den »Hering« nennen. Aber dieser Hering ist ein
Weltsystem von unerkennbar vielen Sonnen, ist eine Milchstraße von
der Kante gesehen. Wenn uns eine Macht in jene Fernen des Weltalls
führte, in denen dieser Heringsnebel schwebt, und uns in sein Inneres
versetzte, so weitete sich dieses Wölkchen vor und um uns zum
Milchstraßengürtel, der unseren Himmel umringte, unsere Milchstraße
hinter uns aber schrumpfte und schrumpfte, bis sie in der Ferne
entschwände, verdämmernd zu einem Heringsstreif.

Dicht daneben fand Wolf den Nebel der Abb. 27, der zu den schönsten
Erscheinungen des Himmels gehört. Er unterscheidet sich vom Hering
durch seinen deutlich hervortretenden Kern, wodurch er auffällig
an den ringsumkreisten Saturn erinnert. Aber dieser Nebel ist kein
naheschwebender Planet im frühen Zustand seines Werdens, auch er ist
ein Weltsystem von Sonnen wie unsere Milchstraße, das durch seine
ungeheure Entfernung, -- Wolf schätzt sie auf 500000 Lichtjahre -- als
zierlicher Nebel erscheint. Schon an diesem flach gesehenen Nebel kann
man besonders in der oberen Hälfte deutlich die Spiralen erkennen, in
denen die Sonnen um das Zentrum des Systems kreisen.

Erheben wir uns mit unserem Blick noch mehr über die Fläche einer
solchen Sonnenwelt, so erscheint sie uns in der entrollten Schönheit
des großen Andromedanebels*, den das unbewaffnete Auge in klaren
Nächten rechts neben dem oberen Leitstern im Bilde der Andromeda
als verwaschenes Fleckchen erkennt (Abb. 28). Linse, Prisma und
photographische Platte haben sich erfolgreich wie in keinem anderen
Fall zur Enträtselung dieses Nebelpünktchens verbündet und unter der
Feldherrnführung scharfsinniger Astronomen einen der schönsten Triumphe
der entdeckenden Himmelsforschung erstritten. Kein Himmelsgebilde
jenseits unseres Planetensystems ist mit dem gleichen Aufwand von Fleiß
und Ausdauer erforscht worden wie dieser Nebel. Der Astronom +Bohlin+
allein soll den Andromedanebel über 40000 mal eingestellt haben. Aber
wie überall, wo sich Können und Wollen zur Tat vereinigten, ist auch
hier die Mühe belohnt worden, denn über keine Erscheinung ähnlicher Art
sind wir annähernd so gut unterrichtet wie über den Andromedanebel.

Auch hier glühen uns nicht, wie es den Anschein hat, leuchtende Gase
in chaotischer Glut entgegen, sondern Sonnen: der Andromedanebel ist
ein fernes Sternsystem und zwar von allen das unserer Milchstraße nach
Bau, Entwicklungsstand und Form ähnlichste. Wie in unserer Milchstraße
sind in ihm echte Sonnen und verstreute Nebelmaterie gemischt. Diese
Sonnen, die wir einzeln nicht erkennen, sondern nur mit Hilfe der
Spektralanalyse durch die Natur ihres Gesamtlichts erforschen können,
bestehen wie die Sonnen unserer Milchstraßen aus einem feuerflüssigen
oder festgasigen Kern und einer leuchtenden Gasatmosphäre. In diesen
Sonnen des Andromedanebels glühen dieselben Stoffe Wasserstoff, Helium,
Eisen, Kohlenstoff, Titan unter denselben Bedingungen wie in unserer
Milchstraße. Die Welt ist eines, einzig und einig!

Während aber in unserer Milchstraße die jungen heißen Siriussonnen
der ersten Spektralklasse weitaus überwiegen und die kälteren Sterne
von der Art unserer Sonne in der Minderzahl sind, setzt sich das
Andromedasystem aus vorwiegend gelbleuchtenden Sternen der zweiten
Spektralklasse zusammen. Das Andromedasystem ist älter als unsere
Milchstraße. Ganz unverkennbar ist die Spiralnatur dieser Welt. Von
einer gewaltigen Sternanhäufung im Mittelpunkt laufen die Sonnenströme
in drei großen Spiralwindungen um das Zentrum. Die einzelnen Spiralen
sind durch sternleere Spalten getrennt. An den Umbiegungsstellen
der Spiralen scheinen die Sonnen dichter zusammenzustehen als in
den Längsseiten. Die Entfernung des Systems schätzt Wolf auf 32000,
Scheiner sogar auf 500000 Lichtjahre. Seine Eigenbewegung im Raum
nähert es uns in jeder Sekunde um 300 ~km~.

[Illustration: Abb. 28. Photographie des Andromedanebels.]

Wer kann von nun an ohne tieferes Gefühl zu diesem Wolkenpünktchen
am Himmel aufschauen? Der Andromedanebel ein Weltsystem wie unsere
Milchstraße! 100 Millionen Sonnen kreisen in ihm wie in unserer
Milchstraße, jede einer Schar von Planeten und Monden Licht und
Wärme spendend, Planeten, auf denen Wesen wohnen wie auf unserer
Erde oder gewohnt haben wie auf Neptun und Uranus oder einst wohnen
werden, wie vielleicht auf Jupiter und Venus! Auf wieviel Myriaden
sonnenbeschienener Planeten dieses Weltsystems mögen Wesen wohnen auf
der gleichen Stufe der geistigen und körperlichen Entwicklung wie
auf unserem Erdball, auf wievielen mögen naive Wesen hinausschauen
in die Nacht und Märchen und Legenden spinnen über die leuchtende
Pracht zu ihren Häupten, wie es unsere Vorfahren getan. Auf wieviel
anderen mögen forschende Wesen ansässig sein, die mit Instrumenten,
mit Fernrohrlinsen, Prismenapparaten ins Universum lugen und
unsere Milchstraßenwelt als ein Wölkchen am Firmament erblicken,
unseren großen himmelfüllenden Sonnenkranz, unsere weltumspannende
Milchstraßenherrlichkeit -- ein Wölkchen in dunkler Nacht!

Der Andromedanebel ist das einzige Gebilde, von dem man mit einer
Wahrscheinlichkeit, die fast an Gewißheit grenzt, behaupten kann, daß
es ein fernes Milchstraßensystem darstellt. Hier müßte alles trügen,
wenn wir nicht eine Milchstraßenwelt vor uns sehen. Weit weniger
sicher erscheint uns die Milchstraßennatur des Spiralnebels im Großen
Bären, der ebenfalls aus Sonnen und Nebeln zusammengesetzt ist und
unzweifelhaft jenes Bild darbietet, das eine Milchstraßenspirale in
voller Flächenansicht uns vor Augen führen würde (Abb. 29).

Von einem Nebelzentrum laufen sternbesäte Spiralen in harmonischen
Windungen nach allen Seiten aus wie die Feuerarme einer kreisenden
Rakete, bis sie in immer schwächeren Läufen sich in Nacht und
Nichts verlieren. Aber im Gegensatz zu dem dämmerig schimmernden
Andromedanebel, in dem alle Teile der breiten Spiralen in gleichmäßiger
Mattheit verschwimmen, ist dieser Nebel so plastisch reich an
Einzelheiten, an scharfen Kontrasten zwischen Lichtknoten und
dunklen Stellen, an Übergängen und Ausläufern, Nebelschweifen und
Wolkenbrücken, daß man sich des Gefühls -- nur das Gefühl vermag
hier zu entscheiden -- nicht erwehren kann, dieses Gebilde ist uns
unverhältnismäßig näher als der Andromedanebel, schwebt innerhalb
unserer Milchstraße und ist kein Weltsystem, sondern ein Sternnebel,
aus dem sich die Sonnen eines engen Haufens aus Nebelchaos ringen. Mag
er nur 370, oder, wie Wolf schätzt, 370000 Lichtjahre von uns entfernt
sein, mag er ein wahres Schwestersystem unserer Milchstraße sein oder
nur ein Sternhaufen in ihr und uns nur lehren, daß im Kosmos auch das
kleinere Einzelsystem ein treues Spiegelbild des großen Ganzen ist, auf
jeden Fall gibt uns dieser Spiralnebel eine anschauliche Vorstellung
von dem Anblick einer Sternspirale in ihrer ganzen Flächenausbreitung.

[Illustration: Abb. 29. Photographie des Spiralnebels im Großen Bären
(nach Wolf).]

Die Reihenübersicht über die Spiralgebilde vom Kantenbild des Herings
über die Schrägansicht des Andromedanebels zur Flächenbetrachtung des
Sternsystems im Großen Bären wird vervollständigt durch die Erscheinung
-- der Milchstraße. +Die Milchstraße ist nach der Hypothese von
Easton das Innenbild einer großen Weltspirale.+ Wir leben im Innern
eines Spiralsystems, wie wir es als Andromedanebel in weiter Ferne
erblicken. Von ihrer genaueren Gestalt entwarf Easton folgendes Bild.
Von einem Zentralkern, der von uns aus betrachtet in der Richtung des
Schwans gelegen ist, und den wir als Lichtwolke im Schwan leuchten
sehen, laufen die Sternzüge in drei breiten Hauptspiralen aus. Der
erste uns nächste Arm umkreist uns direkt und läuft -- immer in der
scheinbaren Projektion auf die uns nahen Sternbilder gesehen --
vom Schwan über den Adler um den ganzen südlichen Himmel, bis er
sich an der Gegenseite in der Nähe des Sirius verläuft. Der zweite
Hauptarm liegt von uns aus betrachtet hinter dem ersten, ist uns also
ferner und daher lichtschwächer. Indem er sich dicht hinter seiner
Ursprungsstelle vom ersten Arm trennt und bald darauf wieder mit
ihm vereinigt, entsteht nahe der Lichtwolke im Schwan der nördliche
Kohlensack, durch den wir zwischen den beiden Armen in den dunklen
Raum hinausschauen. Nach seiner Trennung vom ersten Arm umkreist er
das ganze System und hat den Hauptanteil an der Gürtelerscheinung der
südlichen Milchstraße. Der dritte kurze kräftige Hauptarm läuft in
entgegengesetzter Richtung nach Norden ins Bild des Perseus, wo er
ziemlich scharf und unvermittelt abbricht. Zwischen seinem und des
ersten Armes Ende bleibt eine Lücke im Milchstraßenring, jene dunkle
Gasse, die wir zwischen dem Fuhrmann und dem Perseus erkennen. Diese
drei Spiralarme liegen nicht genau in einer Ebene, sondern weichen
ähnlich wie die Planetenbahnen im Sonnensystem etwas vom idealen
Äquator des Systems ab. Da außerdem zwischen ihnen ebenso wie zwischen
den Armen des Andromedasystems sternfreie Spalten bleiben, so sehen
wir zwischen den beiden Hauptspiralen hindurch in den dunklen Weltraum
hinaus -- die Milchstraße erscheint uns in einem Drittel ihres Laufes
durch einen dunklen Spalt in zwei Ströme geteilt. Dieser oft erwähnte
Milchstraßenspalt entspricht also genau den dunklen Spalten, die wir
zwischen den Spiralwindungen des Andromedanebels erkennen.

Die wahre Größe dieser Spirale kann man natürlich nur schätzungsweise
bestimmen. Die Milchstraße ist offenbar wie der Andromedanebel
ungefähr halb so breit wie lang und von geringer Höhe, so daß man an
die Linsengestalt des Systems, wie sie Kant und Herschel vorschwebte,
festhalten kann. Aus der Entfernung der äußersten Sterne hat man die
Längsachse des Systems auf 15000--50000 Lichtjahre, die Querachse auf
5000--20000 Lichtjahre geschätzt, Grenzwerte, die zwar in ihren Zahlen
stark voneinander abweichen, aber übereinstimmen in einem, in ihrer
Unfaßlichkeit für menschliche Begriffe.

[Illustration: Abb. 30. Milchstraßensystem nach Easton (unter Benutzung
einer Zeichnung von Riem).]

Mit größerer Sicherheit läßt sich die Stellung unserer Sonne in diesem
Spiralsystem bestimmen. Da uns der Milchstraßengürtel von Einzelheiten
abgesehen allseitig fast gleich breit und hell erscheint, müssen wir
uns im zentralen Teil des Systems befinden. Stände die Sonne genau in
der Äquatorebene der Milchstraße, so müßte ihr Ring den Himmel in zwei
genau gleiche Hälften teilen, sie müßte, wie der technische Ausdruck
lautet, einen größten Kreis am Himmel beschreiben. Dies ist aber nicht
der Fall. Die Milchstraße schneidet den Himmel in zwei Teile, die sich
wie 7:8 verhalten. Da der nördliche Teil der größere ist, steht unsere
Sonne etwas nördlich von der Mittelebene des Systems. Sie schwebt aber
nicht etwa isoliert außerhalb der allgemeinen Ebene, sondern inmitten
eines kugeligen, leicht abgeplatteten Haufens, dem fast alle helleren
Sterne des uns sichtbaren Himmels angehören, und dessen Mittelebene
gegen die Milchstraße um 20 Grad geneigt ist. Der Mittelpunkt dieses
Haufens, gegen den sich die Sterne ebenso verdichten wie in dem S. 19
abgebildeten Haufen im Centaurn, liegt im Sternbild Norma (auf dem
südlichen Himmel nicht weit von Alpha Centauri). In diesem Sternhaufen,
dessen Sterne fast sämtlich der 2. Spektralklasse, dem Sonnentyp,
angehören, stehen wir ziemlich weit in der Richtung auf den Perseus vom
Zentrum entfernt. Unsere Sonne bildet hier mit den 6 Sternen Kapella,
Beteigeuze, Wega, Atair, Theta im Großen Bären und dem berühmten
Doppelstern 61 im Schwan, an dem Bessel die erste Fixsternentfernung
bestimmte, eine engere Gruppe nach Art der Plejaden, die durch eine
gemeinsame Gruppenbewegung auch äußerlich charakterisiert ist.
Vielleicht gehören diesem Siebengestirn, dessen Entdeckung wir dem
verdienstvollen Fixsternforscher Kobold in Kiel verdanken, noch die
drei Sterne Antares im Skorpion, Aldebaran und Etha in der Kassiopeia
an. Die beiden fernsten Sterne dieser Gruppe, Beteigeuze und Antares,
stehen 150 Lichtjahre, also fünfmal weiter auseinander als die beiden
äußersten Sterne der Bärenfamilie Merak und Mizar. Rings um den großen
Sternhaufen, in dem dieses Siebengestirn eine kleine Gruppe bildet,
liegt eine sternarme Zone wie um den Haufen im Centaurn. Aber auch
dieser große Haufen ist keineswegs vom allgemeinen Spiralzug der
Milchstraßensterne getrennt. Es scheint vielmehr, als ob von ihm aus
zwei kleinere Sternströme ins Milchstraßeninnere führen, einer direkt
zum Knotenpunkt im Schwan, der andere in die Gegend des Fuhrmanns
laufend, so daß uns in diesen beiden Richtungen die Sterne mittlerer
Größe, also jene Sterne, die uns näher stehen als die eigentlichen
Milchstraßensterne aber ferner als die Sterne unseres Haufens, dichter
und zahlreicher erscheinen als in den übrigen Teilen des Himmels. Die
Entfernung unseres Sonnensternhaufens von der Lichtwolke im Schwan, dem
Knotenpunkt der Milchstraßenspirale, beträgt ungefähr 1300 Lichtjahre.

So sind wir im Rahmen einer großzügigen Hypothese über die Gestalt
des Milchstraßensystem und über unsere Stellung in ihm gut
unterrichtet. Bedeutend haltloser ist unser Wissen über den Ursprung,
die Entwicklung und den Bewegungsmechanismus dieser Sterninsel. Daß
unsere Milchstraßenwelt keine tote Schöpfung, kein starr glitzerndes
Naturgemälde, sondern eine treibende Weltmaschine ist, bedarf
keines Beweises mehr. Wenn es uns die Tatsachen der allgemeinen
Sternbewegungen, das Aufleuchten neuer Sterne, das Dahinstieben
dampfender Nebel und der Reichtum der Übergänge von heißen Nebelsternen
bis zu halberloschenen Sonnenkörpern nicht untrüglich verraten hätten,
so würde es uns ebenso der Anblick der fremden Weltnebel auf allen
Stadien der Entwicklung und Bewegung wie die Umschau in der Milchstraße
selbst bezeugen. Die Spiralsysteme des Himmels sind sprühende
Weltraketen und jeder Funke ist eine Sonne! +Wir+ sehen diese Bewegung
nicht, sehen nicht das Sprühen und Glühen, Drehen und Wehen, wir
nicht, wir staubgeborenen Erdensöhne. Denn wenn eine einzige Umdrehung
dieser Weltraketen nach der Schätzung der Astronomen 20 Millionen
Jahre dauert, und wenn, wie wir erfahren haben, diese Sonnenräder so
weit von uns entfernt sind, daß die ganze Milchstraßenpracht zu einem
Nebelpünktchen verblaßt, wie sollten Menschen, die 70 Jahre leben, auch
nur die Hälfte, ein Viertel, ja ein Hundertstel oder Zehntausendstel
solcher Umdrehung sehen? Wir stehen vor diesen Welten wie ein Mensch,
dem man in finsterer Nacht eine hunderträdrige Maschine während
eines kurzen Blitzes schauen läßt. Die Maschine dreht sich, aber
die Blitzsekunde ist zu kurz, um auch nur +einen+ Radlauf, +einen+
Kolbengang, +einen+ Hebelschwung zu sehen -- die kreisende Maschine
steht vor seinem Auge still. Kann man erwarten, daß dieser Mensch den
Mechanismus der Maschine in diesem Bruchteil der Sekunde begreift?

[Illustration: Abb. 31. Der Kokon-Nebel im Schwan. (Phot. Wolf.)]

Unbeweglich starr und stumm steht die Milchstraße in allen ihren
Teilen vor uns. Aber selbst in ihrer Starrheit gibt uns jeder Punkt
und jedes Wölkchen Kunde von dem großen πάντα ῥεῖ, dem »alles fließt«
im Sternenstrom der Welt. Wohin wir das Fernrohr richten, überall
sehen wir neben dem ruhigen Fluß der großen Milchstraßenspiralen die
Spuren gewaltiger katastrophaler Bewegungen. Allenthalben entdeckt das
Fernrohr Nebelströme, Wolkenzüge, vom Weltsturm zerfetzte Streifen,
vom Strom der Sonnen durchflutete Kanäle; bald kreuzen sich die Züge,
bald spalten sich die Straßen; hier lodern Nebel wie Weltenfackeln,
dort stieben Sonnen auseinander wie Granatensplitter; feurige Kugeln
bahnen sich durch kosmisches Gewölk ihren Flammenweg, alles verheerend,
was sich ihnen entgegenstellt, beiseite schiebend, was ihnen ihren
Sonnenflug versperrt. Wie eine Kartätsche durch Wolkenfetzen schlägt,
so bahnt sich jener Feuerball, den wir als den sog. Kokonnebel im
Bild des Schwans erblicken, seinen Weg durch die Weltwolken der
Milchstraße, weit hinter sich durch eine dunkle Gasse die Spuren seines
Pfades verratend. (Abb. 31). Wieviel Trillionen Meilen mag sich diese
Weltgranate durch den Sternenstrom geschlagen haben, seit wieviel Äonen
von Jahren mag sie schon auf ihrer Fahrt begriffen sein? Wieviel
Myriaden von Welten mag sie auf ihrer Flammenbahn zermalmt, versengt,
vernichtet haben?

Im Schlangenträger sehen wir einen Kranz von glühenden Welten wie
Fackeln in neblichter Nacht schwelen (Abb. 32). Leuchten hier die
Totenfackeln einer Sternengruppe, ähnlich den Plejaden unserer
Nachbarschaft, Totenfackeln, die uns an die Vergänglichkeit +aller+
Dinge dieser Welt, auch an den Tod der Sterne mahnen?

[Illustration: Abb. 32. Photographie der Milchstraße im
Schlangenträger. (Phot. der Yerkes-Sternwarte.)]

Im Bilde des Schwans, jener Himmelsstelle, an der uns die Milchstraße
durch ihre wahrscheinliche Nähe die größte Zahl von Wundern
offenbart, fand Wolf auf photographischem Weg einen Nebel, von dem
selbst das stärkste Fernrohr keine Spur entdecken ließ, weil er in
ultraviolettem Lichte leuchtet. Er nannte diesen Nebel wegen seiner
Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Kontinent den Amerikanebel. (Abb.
33). Wir sehen diese Nebelwolke nur in der Fläche. Man muß sie sich
aber als plastischen Körper denken, von der Gestalt eines Kreisels,
wahrscheinlich sogar hohl wie ein Trichter. Dieser Nebeltrichter
sprudelt offenbar in rasender Wirbelbewegung mit seiner abwärts
gerichteten Spitze nach vorn durch den Raum, alle Welten, denen er
sich naht, in seinen feurigen Wirbel reißend, so daß er rings von
einer sternarmen Hülle, von einer verödeten Himmelszone umrändert
ist. Wo gibt es eine Phantasie, die sich die Wirklichkeit, die hinter
diesem wallenden Nebel sich verschleiert, auszumalen imstande wäre,
wo einen Geist, der diese Welttragödie, deren Aktschluß wir hier in
Flammenschrift geschrieben sehen, in Gedanken zu umspannen vermöchte?

So überzeugend diese Bilder für die Bewegungen im Milchstraßensystem
sprechen, so wenig klären sie uns über die Natur und die Gesetze dieser
Bewegung auf. Nur eines können wir unmittelbar aus dem Überblick
über die Richtungen der Nebelzüge, Brücken und Kanäle wahrnehmen.
+Die allgemeine Drehrichtung des Milchstraßensystems ist eine
einheitliche+ und zwar ebenso wie die unseres Planetensystems und die
der Doppelsterne eine linksläufige, dem Uhrzeiger entgegengesetzt. Die
Einheitlichkeit der Gesamtbewegung des Systems erhellt auch aus der
Spiralgestalt, die nur durch eine gesetzmäßige Drehung zustande kommen
kann. Es ist unentschieden, ob diese Spirale durch den Zusammenstoß
zweier sich bewegender Systeme entstand, wie wir es von den Gasnebeln,
z. B. dem Orionnebel annehmen müssen, oder ob sie sich, was
wahrscheinlicher ist, als natürliche Folge einfacher Systemdrehungen
einstellt. Da sich nämlich in jedem kreisenden System die inneren
Massen schneller bewegen als die äußeren, so bleiben diese hinter jenen
zurück, wodurch das System allmählich Spiralgestalt annimmt (Abb. 34).

[Illustration: Abb. 33. Photographie des Amerikanebels (nach Wolf).]

Auch unser Planetensystem ist in Wirklichkeit ein Spiralsystem, dessen
wahre Gestalt wir nicht wahrnehmen, weil es nur aus wenigen Körpern
besteht. Wären die Planeten durch Nebelmassen verbunden oder in so
großer Zahl vorhanden wie die Milchstraßensterne, so würde auch dieses
uns als Spirale erscheinen. Denn während sich der äußerste Planet
Neptun einmal um die Sonne bewegt, haben Uranus 2, Saturn 6, Jupiter
15, die Erde 200 und Merkur fast 1000 Umläufe vollendet. Je älter ein
Spiralsystem ist, je mehr Umdrehungen seine Glieder vollführt haben, um
so windungsreicher muß es werden, wovon der ältere Andromedanebel mit
seinen 5 Hauptwindungen gegenüber dem dreiarmigen Milchstraßensystem
ein Zeugnis gibt. Da außerdem die Sonnen eines solchen Spiralsystems
nach den Gesetzen der Schwerkraft dem Mittelpunkt zustreben müssen, so
wie unsere Planeten der Sonne in Spiralzügen näher und näher rücken,
muß sich ein Milchstraßensystem mit zunehmendem Alter im Mittelpunkt
verdichten. Der ältere Andromedanebel scheint in der Tat ein viel
dichteres Zentrum zu besitzen als unsere Milchstraße, in der die
Überzahl der Sonnen noch in den äußeren Spiralzügen zerstreut ist.

Versucht man alle Ergebnisse der Milchstraßenforschung mit diesen
theoretischen Erwägungen in Einklang zu bringen, so kann man im Rahmen
einer Hypothese ein großartiges Naturgemälde vom Entwicklungsgang
und Kreislauf des Milchstraßensystems entwerfen, das an äußerer
Größe und innerem Reichtum einzig dasteht und unser gesamtes Wissen
vom Weltall in eine große Formel bringt. Eine solche Hypothese ist
unter anderen von Adolf Drescher vertreten worden und verdient durch
ihre Übereinstimmung mit den Tatsachen der Forschung und durch die
sinngemäße Verwertung des Gedankens von der Entwicklung und dem
Kreislauf aller Materie wohl als ideale Krone unsere Betrachtungen über
die Milchstraße zum Abschluß zu bringen.

[Illustration: Abb. 34. Entstehung der Milchstraßenspirale infolge der
schnellen Umdrehung der Innenteile.]

Nach dieser Hypothese bewegen sich die Sonnen zu Haufen geordnet
im Spiralsystem der Milchstraße von den äußeren Windungen nach
dem inneren Zentrum. Sie beginnen ihre Spiralfahrt als Nebel, als
kugelige Gasmassen, die wir als planetarische Nebel in der Milchstraße
schwebend sehen. Während diese Nebel in der äußeren Spirale ihren
Umlauf vollenden, kühlen sie sich ab, verdichten sie sich und werden zu
Sonnen oder Sonnenhaufen, zuerst zu Nebelsternen, dann zu den heißen
weißglühenden Siriussternen der ersten Klasse, wie wir sie in allen
Teilen der fernen Milchstraße neben den planetarischen Nebeln angehäuft
finden. Auf der Spiralfahrt ins Zentrum schreitet der Abkühlungs- und
Verdichtungsprozeß immer weiter fort. Die Sonnen schnüren Planeten
ab und bilden jene Sonnensysteme, in denen alle Bedingungen für die
höhere Entwicklung der Materie und für das Auftreten des Lebens gegeben
sind. In den inneren Windungen angekommen -- man kann einen Umlauf in
den äußeren auf 100, in den inneren Spiralen auf 20 Millionen Jahre
schätzen -- haben die Sonnen über die Hälfte ihrer Wärme verloren
und leuchten nunmehr nur noch in gelblichem Licht wie unsere Sonne.
Die meisten Sterne unserer Nachbarschaft, die mit uns nicht weit
vom Zentrum des Systems in einer inneren Windung kreisen, sind im
Gegensatz zu den Siriussonnen der äußeren Windungen, deren Weißglut
eine Hitze von 16000 Grad vermuten läßt, Sterne der 2. Spektralklasse
vom Sonnentyp, deren Wärme auf 6000 Grad gesunken ist. Je mehr sich
die Sonnen dem Mittelpunkt des Systems nähern, um so enger werden
natürlich die Spiralen, um so geringer der Raum, so daß sie immer näher
aneinander rücken müssen. Sie gelangen in das Machtbereich einer ihrer
Nachbarsonnen, werden von dieser abgelenkt, beginnen mit ihr um einen
gemeinsamen Schwerpunkt erst in großen, dann in immer engeren Bahnen zu
kreisen, bis sie mit ihr ein Doppelsystem, einen Doppelstern bilden.
Über ein Drittel der sonnennahen Sterne ist bereits in dieses Stadium
der Doppelsysteme gelangt. Die Wärmeerzeugung durch Verdichtung wird
immer geringer, die Schnelligkeit der Abkühlung immer größer, die
Temperatur der Sonnen sinkt um Tausende von Graden, die Sonnenflecken
werden größer und größer, das gelbe Licht geht in Rotglut über,
Schlacken bedecken ihre Oberfläche und verdunkeln in unregelmäßiger
Kurve ihren Glanz: die Sterne werden »veränderlich«, eine Sonne nach
der anderen erlischt. Als tote Weltkörper treiben die erloschenen
Sonnen und Doppelsonnen in den innersten Spiralen dem Knotenpunkt der
Milchstraße zu, immer enger sich zusammendrängend, bis sie schließlich
in der Mitte des Zentrums mit unvorstellbarer Geschwindigkeit gegen
einander rasend zusammenprallen. Der Zusammenstoß entfacht mit der
Gewalt einer Explosion ungeheure Energien, die gehemmte Bewegung des
Gesamtkörpers setzt sich um in Schwingung seiner kleinsten Teile,
der Atome, in Wärme. Die zusammengeprallten Sonnen leuchten auf als
»neue Sterne«. Ihre Materie verdampft und eilt als glühender Nebel
in Spiralen aus dem Innern des Systems davon, nach allen Richtungen
sich verbreitend, zurück in die Milchstraße und hier jene Nebel,
Feuerkugeln und Kanäle bildend, die wir hier zu Hunderten entdecken,
aber auch über die Ebene der Milchstraße hinaus hinauf nach den Polen
des Systems fliehend. In ihrer feinen Verteilung entschwinden uns
diese leuchtenden Gase bald, so wie der Rauch einer Zigarre verweht.
Aber je weiter diese Gasmassen hinauseilen in den kalten Weltraum,
desto mehr kühlen sie sich ab, verdichten sie sich wieder, und wie
die Wasserdämpfe, die unsichtbar der Erde entfliehen, sich in den
kühleren Höhen zu sichtbaren Wolken verdichten, so ballen sich an
den Polen der Milchstraße hoch über der Ebene der Sternspirale die
Sonnengase zu Wolken zusammen, zu jenen Nebeln, die wir in der Polachse
der Milchstraße und besonders an ihren Polen selbst als Nebelzüge
und Nebelnester auftauchen sehen. Je weiter diese Nebel hinauseilen,
um so mehr verlieren sie an lebendiger Bewegung. Mit zunehmender
Verdichtung unterliegen sie wieder der gegenseitigen Anziehung und der
Schwerkraft des ganzen Systems, die Spiralbahnen, in denen sie wie
Tabaksdämpfe höher und höher entflohen, werden flacher und flacher,
bis sie umkehren und sie wieder zur Milchstraßenebene hinabführen. An
den Grenzen des Systems treiben die Nebel in weiten Spiralen aus der
Polhöhe zur Äquatorebene hinab, wo sie durch die ständige Verdichtung
und den dauernden Zustrom kosmischer Materie als Gaskugeln wieder in
die Milchstraßenebene einmünden und hier von neuem ihren Kreislauf von
Nebelkugel zum Sonnenball beginnen (Abb. 35).

[Illustration: Abb. 35. Kreislauf der Sonnen im Milchstraßensystem.]

Diese Milchstraßenhypothese, die nach Zeit, Raum und Inhalt wohl der
umfassendste Gedanke ist, den ein Mensch auf naturwissenschaftlichem
Boden erdenken kann, setzt uns in den Innenteil einer großen
Sternspirale als Trabantenbewohner einer erlöschenden Sonne, der das
Schicksal winkt, mit einer ihrer Schwestern einst zusammenzuprallen und
im Zentrum des Systems zu verdampfen. Aber keine bange Menschenfurcht
um unser kleines Leben braucht darum das Herz zu beschleichen.
Millionen und Abermillionen Jahre werden vergehen, ehe wir an jenem
End- und Sterbepunkt des Sonnenstromes angelangt sind und hier in
Asche und Dampf zerschellen. Längst ist bis dahin alles Sein auf
Erden geschwunden. Selbst auf der erkaltenden Sonne hat Leben sich
entwickelt, geblüht und ist längst wieder erstorben, denn aller
Lebenslauf vom Urschleim bis zum Menschen und über ihn hinaus bis
zum Endglied, das trotz Technik und Kultur im Planeteneis erfriert
und unter der Eisdecke der kristallisierten Luft in Weltraumkälte
versteint, -- das alles ist im Strom des Sonnenlaufs nur wie ein
Frühling und ein Herbst auf Erden. Wenn also in Wirklichkeit jenes
Katastrophenende kommt, -- sterben wir dann nicht, um neu zu leben?
Flammt dann nicht alles, was kalt, erloschen, tot, morsch und gefühllos
ist, auf zu neuem Kreislauf, neuem Dasein, neuem Leben? Ist dieses
Ende nicht eine Erlösung, eine Auferstehung, eine Wiedergeburt? So
großartig, so gewaltig, so gerecht, wie kein Weltgericht gerechter,
größer und gewaltiger sein kann? Sonnen werden neu geboren, Planeten
erwachen, Monde verjüngen sich. Und was als flammende Wiedergeburt
hinausdampft in den Weltenraum, das sind +wir+, das ist die Materie,
die in +uns+ gelebt und geliebt, gelitten und genossen. Was in
jener Katastrophennacht den Sternenwelten des Alls als neuer Stern
entgegenstrahlt, das hat einst als Goethe, Darwin, Plato und Homer über
diese Welt geleuchtet, und was als Dampf dort neu entfacht hinauseilt,
das trägt in sich den Keim zu neuen Welten, neuem Leben, neuer Kultur.
Vielleicht führt diese Neugeburt uns über Nebelwolken und Sonnenglut
einem schöneren Dasein zu mit weiteren Entwicklungsmöglichkeiten,
höheren Erkenntnisfähigkeiten, durch die wir tiefer einzudringen
vermögen in das Rätsel der Milchstraße, als es uns die Wissenschaft
des Menschenhirns gewährt. Denn selbst im höchsten Stolze seines
Wissens darf der wahre Weltbetrachter eines nie vergessen: mögen
wir das System der Milchstraße mit Linse, Platte und Prisma noch
so tief erforschen, mögen uns Instrumente mit tausendmal größeren
Kräften zur Verfügung stehen, so daß wir lückenlos das Sternendasein
vom Nebelchaos bis zur Sonnenkatastrophe überschauen, so enthüllt
sich uns durch diese Wissenschaft doch immer nur die +Form+ und die
+Mechanik+ des Weltgeschehens. Über das innere +Wesen+ des Universums,
über den Sinn all dieser Sonnenwelten und Weltspiralen, über ihren
Ursprung und den Zweck ihres Daseins gibt uns weder die astronomische
Forschung noch irgendeine andere geistige Erkenntnismöglichkeit,
mag sie sich Philosophie, Wissenschaft oder Glaube nennen, auch nur
den kleinsten Aufschluß. Niemals können wir als Teile des Ganzen
das Ganze begreifen, können wir als ein Produkt der Welt die Welt
enträtseln, niemals werden wir, selbst nichts als denkende Materie,
das Wesen dieser Materie erdenken. Seien wir auch am Abschluß dieses
erhabensten Naturbildes, das der menschlichen Forschung zugänglich ist,
im Angesicht der Milchstraße uns dieser ewigen Grenzen menschlichen
Wissens bewußt.



Sachregister.


    Algol 35

    Algolsterne 35, 36

    Amerikanebel 94

    Andromedanebel 86 ff.


    Bär Gr. 39, 40, 57

    Bessel 28

    Beteigeuze 71

    Bewohnbarkeit der Welten 15, 37

    Bohlin 86

    Bolometer 53

    Bunsen 64


    Clark 33


    Demokrit 11

    Deneb 43

    Doppelsterne 34, 73, 97


    Easton 80, 82, 89 ff.


    Fernrohr 27

    Fraunhofer 64

    Fraunhofersche Linien 64


    Galilei 16

    Gruppenbewegung der Sterne 40, 41


    Halley 38

    Heerstraßen der Sterne 56

    Heliumsterne 68

    Heringsnebel 84, 85

    Herschel 25

    Himmelskarte, photogr. 46, 47

    Hyaden 41


    Kant 18

    Kirchhoff 64

    Kohlensack 7, 79, 81, 90

    Kopernikus 13

    Krippe 41


    Lambert 18

    Lichtjahr 29

    Lichtwolke im Schwan 78, 81, 89


    Milchstraße

    -- Äquator 23, 98

    -- Drehrichtung 95

    -- Entstehung der Spirale 95

    -- Größe 90

    -- Hypothese von Demokrit 11

    -- Hypothese von Easton 89 ff.

    -- Hypothese von Herschel 25

    -- Hypothese von Proktor 81, 82

    -- Hypothese von Wright, Kant, Lambert 18 ff.

    -- Kohlensäcke 7, 79, 81, 90

    -- Lauf am Himmel 5

    -- Mechanik 97 ff.

    -- Pol 23, 83

    -- Seitenäste 78

    -- Stromspalt 5, 81, 90

    -- Umlaufszeit 98

    -- Zahl der Milchstraßensonnen 76

    -- Zentralsonne 58

    -- Zentrum 89

    ~Mira Ceti~ 70, 72


    Nebel

    -- Amerikanebel 94

    -- Andromedanebel 86 ff.

    -- Nebel im gr. Bären 88

    -- Entfernung 82 ff.

    -- Entstehung 73

    -- Gestalt 20

    -- Heringsnebel 84, 85

    -- Kokonnebel 93

    -- Nebel in der Leier 82, 83

    -- Milchstraße der Nebelflecke 84

    -- Nebelnester 83

    -- Orionnebel 75

    -- Planetarische Nebel 65

    -- Ringnebel 82, 83

    -- Nebel im Schlangenträger 94

    -- Spektrum 66

    -- Spiralnebel 82 ff.

    -- Verteilung 83, 84

    -- Zahl 83

    Nebelsterne 67

    Neue Sterne 73


    Orionnebel 75


    Parallaxe 28

    Peters 33

    Photographie 43 ff.

    Plejaden 40, 67

    Prisma 48


    Rowlandsches Konkavgitter 52


    Sirius 31, 33, 38, 54

    Siriussterne 68

    Sonne 55, 69, 70, 73, 76, 90, 91, 100

    Sonnenflecke 71

    Sonnensterne 70

    Spektralanalyse 59 ff.

    Spektrograph 52

    Spektroskop 52

    Spektrum 51, 59 ff.

    Sterne

    -- Algolsterne 35, 36

    -- Bewohnbarkeit 15, 37

    -- Chemische Beschaffenheit 60 ff., 68

    -- Eigenbewegung 38 ff., 53, 54

    -- Entfernung 29 ff.

    -- Entwicklung 65 ff.

    -- Erloschene Sterne 72

    -- Gruppenbewegung 40

    -- Heliumsterne 68

    -- Kreislauf der Sterne 73, 97 ff.

    -- Nebelsterne 67

    -- Neue Sterne 73

    -- Rote Sterne 71

    -- Siriussterne 68

    -- Spektren 65 ff.

    -- Untergang 98

    -- Veränderliche Sterne 35, 36 71 ff.

    -- Verteilung 28

    -- Zahl 76

    -- Zusammenstoß 73, 98

    Sternhaufen

    -- im Centaurn 20

    -- im Herkules 67

    -- Sonnenhaufen 91


    Veränderliche Sterne 35, 36, 71 ff.

    Vogel 68


    Wega 40, 56

    Weltuntergang 73, 100

    Wolf 83 ff.

    Wright 18


    Zentralsonne 58

    Zoellner 70



Naturwissenschaftliche Bildung ist die Forderung des Tages!


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      Aus der Naturgeschichte der Krebse.

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    =Arno Marx=. Falls diese nicht rechtzeitig fertig werden,
    da beide Verfasser im Krieg sind, werden sie durch andere
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Die Mitglieder des +Kosmos+ haben bekanntlich nach Paragraph 5 III das
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                                                        +------+--------
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    =Lange, Der Garten und seine Bepflanzung.= Geb.     | 4.50 | 3.50
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    =Lindemann, Die Erde.= Bd. II. Gebunden             | 9.-- | 8.--
    =Meyer, Dr. M. Wilh., Die ägyptische Finsternis.=   |      |
        Geb.                                            | 3.-- | 1.90
    =Monographien unserer Haustiere.= Bd. I Schumann,   |      |
        Kaninchen; Bd. II Schuster, Hauskatze; Bd. III  |      |
        Morgan, Hund; Bd. IV Schwind, Haushuhn ~à~      | 1.40 | 1.05
    =Sauer, Prof. Dr. A., Mineralkunde.= Gebunden       |13.60 |12.20
    =Schrader, Liebesleben der Tiere.= Broschiert       | 1.40 | 1.10
    =Schroeder-Rothe, Handbuch f. Naturfreunde.= Bd. I  |      |
        geb.                                            | 4.20 | 3.60
    =Schroeder-Rothe, Handbuch f. Naturfreunde.= Bd. II |      |
        geb.                                            | 3.80 | 3.30
    =Schwind-Gemen, Rosenbüchlein.= Gebunden            | 1.50 | 1.25
    =Stevens, Frank, Ausflüge ins Ameisenreich.= Geb.   | 2.50 | 1.85
    =Stevens, Frank, Die Reise ins Bienenland.= Geb.    | 2.50 | 1.85
    =Strandbüchlein.= Gebunden                          | 1.25 | 1.--
    =Stridde, Allgemeine Zoologie.= Gebunden            | 7.-- | 6.20
    =Thompson, E. S., Bingo u. a. Tiergeschichten.= Geb.| 4.80 | 3.60
    =Thompson, E. S., Prärietiere und ihre Schicksale.= |      |
        Fein geb.                                       | 4.80 | 3.60
    =Thompson, E. S., Tierhelden.= Fein gebunden        | 4.80 | 3.60
    =Wurm, Waldgeheimnisse.= Gebunden                   | 4.80 | 3.60

und zahlreiche andere Werke mehr.



Vollständige Chronik des europäisch. Krieges


    Der Krieg

    Illustrierte Chronik des Krieges 1914

    Monatlich zwei reich illustrierte Hefte

    Preis je 30 Pfennig

Die Herausgeber dieser Kriegs-Chronik haben sich die Aufgabe gestellt,
aus der Fülle der sich oft widersprechenden und übertriebenen
Nachrichten mit scharfem Blick von erhöhter Warte aus das Wesentliche
und Wahre des gewaltigen Kampfes der Völker Europas herauszuschälen und
historisch richtig darzustellen.

Jedes der reich ausgestatteten Hefte wird eine fortlaufende Chronik der
wichtigeren Ereignisse enthalten, dann

=packende Schlachtschilderungen=

aus der Feder erster Schriftsteller wie

=Dr. Kurt Floericke, Anton Fendrich u. a.=

Lebensbilder der Heerführer; Berichte von See- und Luftkrieg und vieles
andere mehr. Besonderer Wert wird gelegt auf vorzüglichen Bilderschmuck
und gutes Kartenmaterial; von allen in Betracht kommenden Ländern
erscheinen

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Bestellungen nimmt jede Buchhandlung entgegen

Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart


Das Kriegsbuch der Gebildeten


[Illustration]

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    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend
    korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Der Schmutztitel wurde entfernt.

    Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen):

    S. 47: ist → ist es
      um seinetwillen {ist es} die Mühe wert

    S. 53: Sonnen → Sonne
      daß diese Pünktchen Sonnen sind wie unsere {Sonne}





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