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Title: Hurdy-Gurdy - Bilder aus einem Landgängerdorfe
Author: Schupp, Ottokar
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


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    Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des
    Buches.



    Hurdy-Gurdy.

    Bilder aus einem Landgängerdorfe

    von

    Ottokar Schupp.

    [Illustration]

    Bielefeld und Leipzig.

    Verlag von Velhagen & Klasing.

    1867.



I.

Das exercirende Ehepaar.


Ich hatte den Gipfel des Dachsbergs wieder erreicht und war somit in
den Bezirk meines Kirchspiels eingetreten. Hier pflegte ich mich von
dem ermüdenden Steigen zu erholen und einen kleinen Umblick zu halten.
Denn die Aussicht von dort in die gesegneten Fluren der Wetterau, die
einem weit und breit, umgränzt von den blauen Höhen des Vogelbergs, zu
Füßen liegt, und in die vielen Dörfer, Städte und Burgen ist eine so
reizende, daß man sich immer wieder gefesselt fühlt, wenn man sie auch
schon hundert und tausendmal betrachtet hat.

Heute bedurfte ich der Ruhe mehr, als gewöhnlich, da ich von einer
ziemlich weiten Fußtour zurückkehrte und die Sonne mit ihren heißen
Glutblicken mir an dem langen Sommertage gehörig zugesetzt hatte.
Ich suchte mir deshalb ein bequemes, schattiges Plätzchen im nahen
Buchengehölz, und nachdem ich mir eine Cigarre angesteckt und meine
müden Glieder behaglich auf dem schwellenden Moose ausgestreckt hatte,
genoß ich mit allen Sinnen den herrlichen Abend, den Gott über das Land
hereinsandte.

Die Cigarre schmeckte besser, als heute den ganzen Tag. Der kräftige
Waldesduft stärkte die erhitzten Lungen und gab neuen Lebensmuth. Zu
meinem besonderen Ohrenschmause schienen Finken und Drosseln einen
kleinen Sängerkrieg veranstaltet zu haben. Das Auge hingegen ruhte
vergnüglich auf der mit Schönheiten gesättigten Landschaft. Aber all'
dieser beneidenswerthe Genuß konnte mich nicht der Art erfassen,
daß nicht der müde Leib, durch die bequeme Lage verführt, in jenen
träumerischen Halbschlummer gefallen wäre, der nur wenig bedurfte, um
in festen Schlaf überzugehen.

Aus diesem süßen Hindämmern wurde ich durch Stimmen auf der Landstraße
aufgeschreckt. Es war sonderbarer Weise ein militärisches Commando,
was ich hörte. Ich glaubte anfangs noch zu träumen. Denn wie kam hier
Militär her? hier auf die einsame Gränze? -- Sollte eine Räuberbande
entdeckt worden sein? Sollte der Schmuggel eine solche Ausdehnung
gewonnen haben, daß man Militär requirirt hatte? -- daß sich dieselben
Scenen wiederholten, wie etwa vor vierzig Jahren, wo auf der nämlichen
Stelle ein furchtbares Gemetzel mit den Schmugglern stattfand? Ich
verwarf bald diese Gedanken, die mir nur so durch den Kopf schossen,
als zu abenteuerlich. Und doch hörte ich jetzt ganz deutlich durch
den Wald hin: »Bataillon halt! Gewehr ab! Auf der Stelle ruht!« --
Freilich vernahm ich nicht das Aufstampfen der Füße, das Rasseln der
Gewehrkolben. Aber jetzt hieß es wieder: »Bataillon Achtung! Gewehr
auf! Vorwärts marsch!«

Ich war neugierig geworden und schob die Zweige auseinander, um
besser die Straße überblicken zu können und sah dann zu meinem
Erstaunen nichts weiter, als einen Mann und eine Frau in der üblichen
Landestracht, die jetzt ganz in meine Nähe gekommen waren.

Von ihnen mußten die Stimmen herrühren. Und so war es auch. Ich
bemerkte es nun ganz deutlich. -- Der Mann, obwohl er nur im Kittel
war, wußte sich eine Würde zu geben, wie sie nur ein Unteroffizier zu
haben vermag. Wie warf er sich in die Brust -- wie legte er das Gesicht
in gemessene, gewichtige Falten, wenn er das Commandowort aussprach!
Leicht voltigirte er neben der Frau her, die groß, stramm und strack,
wie Frankreichs erster Grenadier dahergeschritten kam, die eine Hand
fest angepreßt an den kurzen Unterrock, in der andern eine lange
Stange mit eisernem Haken statt des Gewehrs haltend, den Kopf hoch
aufgerichtet, aber nur mit einem kleinen Hessenhäubchen bedeckt, statt
mit einem Czako oder Helm. Ich hätte herzlich lachen mögen, so komisch
war das Alles. Und doch lachte ich nicht. Die Frau that mir so leid.

Ich kannte die Leute. Sie waren aus meinem Kirchspielsdorf. Es war ein
verdorbener Schneider, Namens +Heimerdinger+ und seine Frau.

Das Sitzfleisch hatte ihm gefehlt, wie so vielen dieser beweglichen
Naturen, und er hatte deshalb sein Handwerk aufgegeben. Um seiner
finanziellen Lage aufzuhelfen, war er mit Weib und Kind in's Ausland
gezogen und hatte sich besonders im Oestreichischen umhergetrieben,
Alles angreifend und probirend, aber ohne Geduld und Erfolg.
Abwechselnd wirkte er bald als Hausknecht, bald als Gärtner, bald als
Schornsteinfeger, bald als Bretzeljunge; zuletzt wurde er Hanswurst
bei einer Seiltänzerbande und dann noch gar Schauspieler bei einer
umherziehenden Truppe. Viel heimgebracht hatte er nicht. Aber Eins
hatte er draußen gelernt und das verstand er jetzt aus dem Fundamente:
das Schnapstrinken. Und so war bald der Rest des Vermögens durch die
Gurgel gejagt: zuerst ein Acker nach dem andern und zuletzt wurde das
Häuschen, worin sie noch wohnten, über und über verpfändet. Um sich
das Nöthigste zu erwerben, hatte er jenen leidigen Ernährungszweig
ergriffen, wie so viele Arme und Heruntergekommene aus dem Dorfe, daß
er mit Frau und Tochter, jedes mit einem eisernen Haken versehen, um
die Aeste herunterzureißen, täglich in die weiten Gebirgswaldungen zog,
eine tüchtige Partie dürren Holzes zusammenstahl und dieses in der eine
Stunde entfernten Stadt verkaufte. Was er erlöste, vertrank er. Was
Frau und Tochter verdienten, davon wurde die Haushaltung bestritten.

Die Frau dagegen war mir in jeder Hinsicht ein Räthsel. Sie war
durchaus kein gewöhnliches Weib. Schon ihre körperliche Erscheinung
bekundete dieses. Mit ihrer hohen, majestätischen Gestalt und ihrem
schönen feinen Gesicht hätte sie in andrer Kleidung und in anderen
Verhältnissen, wenn auch nicht gerade Aufsehen erregt, doch imponirt
und wäre nicht unbeachtet geblieben. Aber wie ihr Auftreten nicht
harmoniren wollte mit ihrer Beschäftigung, so paßte auch ihre Sprache
nicht dazu. Denn diese war edel und verrieth Bildung und Belesenheit,
so daß man leicht zu der Vermuthung kommen konnte, sie sei kein
Dorfkind, sondern eine Dame von Stand wäre durch ganz außerordentliche
Begebenheiten in diese Verhältnisse gekommen. Ich dachte anfangs, es
sei Alles nur äußerer, glänzender Firniß, angelerntes Wesen. Inwendig
sei sie so gemein und niedrig gesinnt, wie die Andern. Denn ein
gebildetes Weib kann sich selbst in der größten Noth kaum an solcher
elenden und schmachvollen Ernährungsart betheiligen. Es kann aber
absolut einen solchen Mann nicht achten und noch weniger sich den so
excentrisch tollen Launen seines trunkenen Muthes fügen, die es selbst
der Lächerlichkeit preisgeben.

Doch dagegen sprach gar Mancherlei. Ihre stille und nachdenkliche
Art, womit sie dem Treiben des Dorfs auswich und sich abschloß; ihre
Klugheit, da sie mit den beschränktesten Mitteln eine ganz schöne
Haushaltung führte; ihr Schönheitssinn, denn ihr Gärtchen war stets am
zierlichsten und in ihrem Zimmerchen sah es immer nett und behaglich
aus; die Weise, wie sie ihre Kinder erzog, indem diese nicht blos
ständig reinlich und hübsch gekleidet gingen, sondern auch so etwas
Vornehmes in ihrem ganzen Wesen hatten, -- eine ganz andere Art zu
denken und zu fühlen, als die übrigen Dorfkinder.

Und so war es mir wie eine Ahnung, diese unbedingte Fügsamkeit und
dieses Hergeben zu den niedrigsten Beschäftigungen sei nichts Anderes,
als strenge Buße, welche sie sich für ein vergangenes sündiges Leben
auferlegt hatte. Wenn es aber wirklich Buße war, so fehlte ihr
jedenfalls die rechte Weihe des Glaubens. Denn es war dabei etwas so
Verbittertes, Stolzes, Abstoßendes in ihr, daß Niemand sich in ihrer
Nähe wohl fühlte. Und seit sie den Plan gehabt hatte, ein Geschäft
zu gründen und sich durch ihre nicht geringe Geschicklichkeit in
weiblichen Handarbeiten zu ernähren und die ganze Anlage mißglückt
war, war sie noch stolzer und herber geworden. Ich war noch liegen
geblieben, bis das seltsame Paar eine Weile fort war. Als ich mich
aber endlich von meinem königlichen Lager erhob, traf ich gerade mit
einer Schaar Leute zusammen, die ich alsbald für lauter heimkehrende
Holzhändler der eben beschriebenen Sorte erkannte. Da war vor Allen
der Nestor dieser Helden des Holzfrevels und des Amtsgefängnisses
»+der Maulwurf+«, ein alter verwetterter Gesell, der schon von Jugend
auf unverdrossen dieses Geschäft trieb, weil er zu jedem andern
als untauglich erfunden worden war. Ich weiß nicht, ob er diesen
ehrenden Beinamen deshalb erhalten hatte, weil er eine besondere
Geschicklichkeit besaß, Höhlen und Löcher aufzusuchen und sich darin
zu vergraben und den nachstellenden Förstern und Holzschlägern zu
entgehen, oder weil er die Gewohnheit hatte, Alles, was er verdiente,
in Speise umzuwandeln, um seinen breiten, liebenswürdigen Mund damit
zu füttern, oder gar wegen der wulstigen, aufgeworfenen Lippen. Das
ist aber gewiß, wenn er über einen gefüllteren Geldbeutel hätte
verfügen können, er wäre einer der ausgemachtesten und renommirtesten
Feinschmecker geworden; so blieb er nur ein besonderer Liebhaber von
Weißbrod, Kuchen, frischer Leberwurst und Kartoffelsalat mit Speck.

Da war weiter »+das Käschen+«, ein spitzer, kleiner Geselle, die dürre
Gestalt ganz in englisches Leder gehüllt. Er gab gewiß in der Klugheit
dem vielgewanderten Odysseus nichts nach, denn er hatte aus lauter
Klugheit sein schönes Vermögen verloren. Aus lauter Klugheit ging er
nie die offene Straße, sondern stets die Schleichwege, er kam nie die
Vorder-, sondern stets die Hinterthüre herein. Ein ehrlicher Handel war
ihm ein Gräuel. Dagegen in alle Stänkereien und schlechte Geschichten
der ganzen Gegend war er verwickelt, hatte aber auch meistens den
Schaden zu tragen. Und während alle Welt glaubte, er müsse im Geld
sitzen bis über die Ohren, machte er plötzlich Bankerott. Natürlich
war es ein betrügerischer, aber es half ihm doch nichts. Jetzt wandte
er hauptsächlich seine Klugheit dazu an, um Käse zu erlangen, der
eine leidenschaftliche Liebhaberei von ihm war, und den Wächter des
Amtsgefängnisses zu betrügen. Denn jedes Vierteljahr wurde beim Amte
große Abrechnung gehalten und da mußten die Herren Holzhändler die
verschiedenen Holzfrevel absitzen, wobei sie erwischt worden waren.
Im Amtsgefängniß war aber besonders »das Rauchen und Kartenspielen«
verboten und der Wächter wachte mit Argusaugen. Aber Käschen-Odysseus
wußte Pfeife, Tabak und Karten dennoch hinein zu schmuggeln. Eine
brennende Pfeife gab er ab, sagte aber dem arglosen Wächter nicht, daß
er eine andere im Strumpfe bei sich führe. Den Tabak hatte er in einem
Töpfchen, worüber Käsematten gebreitet waren und die Karten waren in
das Futter seiner Mütze eingenäht. -- Eigentlich die hervorragendste
Gestalt unter den Männern war der schwarzbärtige, große Mann, der um
eines Hauptes Länge über die ganze Gesellschaft hinaussah: »+Der Herr
Baron+«. Er war in seiner Blüthenzeit ein Hauptschwindler gewesen,
der bald die Rolle eines russischen Grafen, bald die eines englischen
Lords spielte und sich Tausende erschwindelte. In einem amerikanischen
Gefängniß hatte er »+die Rothe+« kennen gelernt, und war er schlau, sie
war noch schlauer, und war er stolz, sie hat ihn klein gekriegt. Jetzt
war er nur noch eine Ruine, ein gebrochner, blöder Mensch.

Doch wo der Ruhm so manches Anderen gemeldet wird, darf ich auch Deiner
nicht vergessen, edler »+Heckenkonrad+!« Denn wenn Du auch nicht gerade
der Reinste in Gesicht, Händen und Kleidung warst, so warst Du doch
der Unschuldigste von ihnen. -- Der dicke Kopf und der stiere Blick
des Heckenkonrad verrieth sofort den Cretin. Und doch hatte ihm einst
der Gemeindevorstand die Heirathserlaubniß ertheilt. Aber, als er sich
die nöthigen Papiere und den Proklamationsschein auf dem Amt geholt
hatte und er sie triumphirend unter seiner Kappe heimtrug, kam ein
großer Wind und jagte Kappe und Papiere in den Bach. Die Kappe bekam er
wieder, aber die Papiere rissen die Wellen mit sich fort. Wenn man ihn
jetzt noch fragt: »Konrad, warum hast Du nicht geheirathet?« ist seine
ständige Antwort: »das Glück ist mir fortgeflogen.« Aber noch immer
sammelt er für seine künftige Heirath und nähet jeden Kreuzer, den er
verdient, in das Futter seiner Hosen. Es mögen zwar diese Schilderungen
den Leser ein wenig ermüden, aber es wäre doch unartig, die Damen ganz
zu übergehen. Zumal darf »+die Florentine+« oder auch sonst »+die
Speckdine+« genannt, nicht übergangen werden. Dazu wäre sie auch etwas
zu groß, (denn sie mißt wohl eher etwas über als unter sechs Fuß) und
die wasserblauen Augen zu schmachtend und der spitze Mund zu süß.
Freilich thut die Magerkeit ihrer Liebenswürdigkeit etwas Eintrag. Ihr
Fuß ist etwas sehr groß und breit, ihre Schultern etwas sehr schmal,
ihr Hals etwas sehr lang und ihr Köpfchen etwas sehr klein, und nun
hat sich auch ein Zöpfchen losgemacht, und der Wind treibt es hin und
her. Sie hat früher ihre Nachtigallenstimme neben einer Orgel ertönen
lassen und in ihre süßen Flötentöne mischte sich melodisch der dumpfe
Baß ihres Geliebten. Aber der Geliebte verließ sie, und sie mußte
einsam wandern mit der Harfe. Sie legte nun allen Schmerz getäuschter
und alle Sehnsucht hoffnungsloser Liebe in ihre Lieder und stimmte
andere schöne Seelen zu gleichem Schmerz, zu gleicher Sehnsucht. Aber
die Harfe ward verstimmt und der Schmerz vertrocknete und die Einnahmen
versiegten. Sie mußte Holzhändlerin werden. Aber noch immer sind ihre
Augen schmachtend, und Abends in der Dämmerung singt sie zur Harfe.

Neben ihr ging »+das Schnuckeschen+«, eine alte Flamme »des Maulwurfs«.
Die Zeit, die Alles verzehrt, hatte ihr nur noch einen Zahn gelassen.
Dafür hatte sie ihr in den alten Tagen einen üppigen Bartwuchs gegeben,
zum Theil um das Kinn, aber auch zum Schrecken der Menschheit auf
der Nase, um eine breite rothe Warze herum. Ihre tückischen, kleinen
Augen, ihr verschrumpftes Gesicht und ihre hohe Schulter vermehrten
nicht grade die Schönheit, doch soll sie, als »der Maulwurf« sie
»Schnuckeschen« nannte, etwas reizender gewesen sein.

Etwas zurückgeblieben war »+die Rothe+«, nach Zigeunerart ein Kind auf
dem Rücken und einen Rothkopf an der Hand. Sie war, wie ihr geduldiger
Eheherr sagte, »etwas rasch mit dem Maul« und manchmal wäre sie, meinte
er, doch »etwas gar scharf«. In Wirklichkeit galt aber von ihr, was
der ungerechte Richter im Evangelio von sich rühmt: sie fürchtete Gott
nicht und scheute sich vor keinem Menschen. Zucht und Scham hatte
sie schon als Tanzmädchen in Californien gelassen und sah auch jetzt
noch dieselben als etwas höchst Ueberflüssiges, ja Störendes an.
Ein Schwarzwälder Uhrenhändler sagte mir einst: »Ich verkaufe schon
dreißig Jahre Uhren und bin in aller Herren Länder gekommen und habe in
viele Haushaltungen geblickt und weiß der Himmel! viel Frauen kennen
gelernt. Lange habe ich die Lügengreth' von Niederallendorf für die
Schlimmste gehalten, aber fürwahr, vor »der Rothen« müßte die klein
beigeben. Das ist ja ein wahrer Satan. Ich glaube, vor der müßte der
Gottseibeiuns selber die Segel streichen.« -- Neben her trabte »+der
junge Maulwurf+«, baarhäuptig und baarfüßig, mit Aermeln so blank, wie
weiland der Spiegelschwab, die verrätherische Warze auf der Nase und
den Wurstlippen.

Das war die ehrenwerthe Gesellschaft, zu der ich jetzt trat. Aber
in ihrer Mitte schritt ein wirklich liebliches Mädchen, ein Bild
von Schönheit, Gesundheit und unverdorbener Jugendkraft. Mit ihren
hellen blauen Augen, ihren langen, blonden Zöpfen, ihrem hohen
zierlichen Wuchs und dem ächt jungfräulichen Wesen, was über ihre ganze
Erscheinung ausgegossen war, bildete sie einen solchen Gegensatz gegen
diese unsauberen, verkommenen Gestalten, daß man denken mußte: »Sie
ist nicht in dem Thal geboren«, ein andrer Boden hat sie erzeugt, eine
andere Sonne sie beschienen.

Es war +Babette+, die Tochter des versoffenen Schneiders Heimerdinger.
Aber es war nicht blos ein schönes Mädchen, sondern auch edel und hoch
begabt und von einer kindlichen Frömmigkeit. Ich kannte sie noch aus
der Schule und der Confirmandenstunde her.

Ich war ein Stück Wegs mit ihnen gegangen, hatte einige gleichgültige
Worte mit ihnen gewechselt und wollte eben voraus eilen, als
Heimerdinger und seine Frau zu uns stießen, die an einer Waldecke auf
uns gewartet hatten. Er spielte jetzt nicht mehr den Unteroffizier,
sondern den stolzen Spanier, der mit seiner Sennora am Arm, jeder Zoll
ein Cavalier, auf uns zugeschritten kam. Seine Frau schämte sich und
wollte sich losmachen. Aber er duldete es durchaus nicht, sondern trat
auf mich zu und redete mich leicht und vornehm an, indem er seinen
Schnurrbart drehte: »Eine Reise gemacht, Herr Pfarrer? Hm -- Bin früher
auch gereist. Hab's jetzt aufgegeben. Man wird alt, Herr Pfarrer, man
wird alt. Denke jetzt oft an die Reise in die Ewigkeit. Sind ja hier
nur Fremdlinge und Pilgrime. Haben keine bleibende Stätte, sondern die
zukünftige suchen wir. Spreche als manchmal, wie Paulus sprach: Habe
Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.«

»Lästert nicht, Heimerdinger«, entgegnete ich ernst, »Gott läßt sich
nicht spotten.«

»Herr Pfarrer! Ich werde verkannt. Alles verkennt mich. Mein Weib
verkennt mich, meine Kinder verkennen mich. Sie verkennen mich auch.
Ich habe ein butterweiches Herz und kann durchaus die Sünde nicht
leiden. Wie oft sprach ich zu dem Maulwurf: »Alter! Alter! Das Reich
Gottes ist nicht Essen und Trinken« und zu dem Baron: »Die sich selbst
erhöhen, werden erniedrigt werden, und Hochmuth kommt vor dem Fall.«
Sie meinen mit Ihrem Schelten gewiß den Branntwein, Herr Pfarrer! Ich
weiß es. Sehen Sie, das hat seine eigene Bewandtniß. Alles hat seine
zwei Seiten, nur die Buchecker hat ihrer drei. Und prüfet Alles; aber
das Gute behaltet, spricht Paulus. Ich trinke gern Branntwein, das ist
wahr; aber ich trinke auch gern Wein. Nun läßt unser Herr Gott für
jeden Menschen seinen Theil Wein wachsen, hat mir einmal ein alter
Mönch in Ungarn gesagt. Ich bekomme aber meinen Wein nicht. Und der
Mensch hat doch Durst. So trinke ich als Branntwein. Und weil der
Andere mir meinen Wein trinkt, so trinke ich seinen Branntwein und das
von Rechtswegen. -- Doch nun muß ich eins singen: Sie erlauben es, Herr
Pfarrer! --

    Der Branntewein, der Branntewein!
    Das ist so mein Vergnügen.
    Da saug' ich frisches Leben ein
    In langen, langen Zügen.
      Gluck, Gluck, Gluck,
        Gluck, Gluck.
    Des Morgens, wenn ich früh aufsteh',
    Thu ich mein Gläschen trinken,
    Und wo ich bin und wo ich geh' --

Herr Pfarrer! die Babette zupft mir fast den Kittel vom Leib und stört
meinen Gesang. Sie ist ihrer Kindespflichten durchaus nicht eingedenk.
Ich werde ihr wohl eine kleine Ermahnung geben müssen. Vor einem grauen
Haupte sollst du aufstehen, heißt es, und: Ehre Vater und Mutter,
auf daß dir es wohlgehe und du lange lebest auf Erden. Jetzt hast du
Deines alten Vaters ganze Gesangesfreude vernichtet. Nun zieht die
Sorge wieder in meine Brust, wie ich Euch ernähren sollte und nicht
ernähren kann. O, ich möchte weinen!« Und damit liefen ihm wirklich die
hellen Thränen die Backen herunter, zum lauten Gelächter seiner ganzen
Umgebung. Ich aber war froh, daß wir in den Bereich des Dorfes gekommen
waren und eilte auf einem näheren Pfade meiner Wohnung zu.



II.

Der verhängnißvolle Brief.


Des andern Morgens kam die alte +Balzerswäs+ zu mir, beiläufig bemerkt:
die reichste Bauersfrau aus dem Dorfe. Sie hatte etwas Wichtiges, denn
sie hatte die Sonntagsnachmittagsschürze an und machte mir einen Teller
voll rother Herzkirschen zum Geschenk. Nach einer langen Einleitung
über das Wetter und über Dorfverhältnisse rückte sie denn auch endlich
heraus.

Sie war die Woche, wie sie sagte, »auf dem Seminario« in J. gewesen, um
ihren Sohn zu besuchen. Denn sie hatte so lange Jahre immer die Lehrer
in Kost und Logis gehabt, daß sie mit Recht verlangen konnte, daß Einer
ihrer Söhne sich auch dem Lehrerstande widme.

Es war schon spät Abends, als sie in J. ankam und sehr ermüdet, wie
sie war, hatte sie auch nicht lange mit dem Schlafengehen gesäumt.
Und des andern Morgens lag sie noch in guter Ruhe, als ihr Sohn schon
wieder »auf das Seminario« mußte. Da hatte sie sich aber auch schnell
herausgemacht. Und weil sie nichts Anderes in seiner Abwesenheit zu
thun wußte, fing sie an, in seinen Sachen zu kramen. Als sie aber
einmal in's Kramen, Mustern und Ordnen gekommen war, wurden auch
alle seine Siebensachen durchstöbert und ein Stück nach dem andern
vorgenommen. Denn als liebende und sorgliche Mutter mußte sie Alles
wissen und kennen, was ihren Sohn anging. So hatte sie auch eine
Weste in die Hand bekommen und einen schadhaften Sack entdeckt und in
dem schadhaften Sack einen Brief gefunden. Da war ihr denn sehr leid
gewesen, daß sie ihre Brille zu Hause gelassen, denn ohne Brille konnte
sie nicht mehr gut sehen. Aber die Neugier hatte sie doch nicht ruhen
lassen. Sie hatte den Brief entfaltet und sich an's Fenster gestellt
und endlich nach langem Buchstabiren die Unterschrift herausgebracht.
Sie wollte aber ihren Augen nicht trauen, denn die lautete höchst
sonderbar: +Deine Dich bis in den Tod liebende Babette Heimerdinger+.
Da war just in aller Welt an niemand Anderes zu denken, als an des
versoffenen Schneiders Töchterlein. Als ihr das aber erst so recht
klar wurde und sie sich an Dieses und Jenes erinnerte, über das ihr
jetzt erst ein Licht aufging, wurde es ihr bald heiß, bald kalt und sie
meinte, sie bekäme das Gallenfieber. Sie konnte es kaum erwarten, bis
ihr Sohn heimkam. Dann aber hatte sie es ihm gesagt. Sie meinte denn,
sie hätte es ihm tüchtig gesagt. --

»Allen Respekt davor, Frau Balzer«, sagte ich, »ich hätte nicht an
Ihres Sohnes Stelle sein mögen.« --

»Aber denken Sie an! Herr Pfarrer, er gab sich nicht.« Und um es noch
kräftiger zu betonen, daß ihre so eindringliche Rede keinen Erfolg
gehabt hatte, schüttelte sie ihr graues Haupt und sprach mehrmals
hintereinander: »Nein, er gab sich nicht -- nein, er gab sich nicht.
Er sagte, er würde nicht von dem Mädchen lassen und wenn wir ihn
enterbten. Nur der Tod könne sie scheiden.«

Und nun brach sie im Gefühle ihrer beleidigten Mutterwürde in einen
Strom von Thränen aus, die sie mit der neuen Schürze abwischte.

Dann aber sich plötzlich emporrichtend, gab sie mir den Brief, dessen
sie sich bemächtigt hatte. »Lesen Sie nur einmal! Da können Sie
sehen, was das heilige Babettchen für ein sauberes Mensch ist! Wenn
Gerechtigkeit wäre, müßte solch' eine Verführerin in das Zuchthaus.«

Ich las den Brief, während sie still fort weinte. Es leuchtete
aus demselben eine zarte, innige Zuneigung zweier unverdorbener
jugendlicher Herzen, die unbewußt mit ihnen aufgewachsen war. Es wäre
die größte Grausamkeit gewesen, hier störend einzugreifen, selbst wenn
man ein Feind von solchen Liebeleien war. Ich muß eben gestehen, daß
ich sogar eine starke Sympathie für dieses Liebesverhältniß fühlte und
mir die Nachricht davon eine Art Genugthuung und Freude erregt hatte.
Denn sie waren Beide meine Lieblinge und ich hatte schon oft im Stillen
gedacht, was das ein herrliches Paar gäbe, wenn das leidige Geld,
Stand und Verwandtschaftsverhältnisse nicht wären. Darum sagte ich:
»Aber liebe Frau Balzer, der Brief enthält ja durchaus nichts Böses
und Schlechtes.« »Ei, Ei, Herr Pfarrer,« rief sie, »überlegen Sie doch
einmal! Sie hat ja gar Nichts, auf der ganzen Gottes Welt Nichts« --
und immer mehr sich meinem Ohre nähernd und immer lauter schreiend, als
könnte sie mir das schreckliche Verbrechen desto klarer machen, rief
sie: »Sie hat ja gar kein' Sach' und kein Vermögen!« »Dafür haben Sie
desto mehr,« erwiderte ich ganz ruhig. Nun gerieth sie aber in vollen
Eifer und Zorn. »Sie sind freilich noch jung und unerfahren und haben
den Verstand nicht wie unser eins. Darum kann man's Ihnen nicht so
übel nehmen. Ei, das ist es ja gerade, daß wir einen schönen Wohlstand
haben. Glauben Sie, man hätte sich den Rücken krumm und die Nägel von
den Fingern gearbeitet, um diesem faulen, liederlichen Lumpengesindel
das Maul zu schmieren? Glauben Sie, wir hätten alle die Unkosten nicht
gescheut und unsern Ernst Schullehrer werden lassen, um ihn hernach an
das Bettelmensch wegzuwerfen? Ich darf gar nicht daran denken, was es
uns schon gekostet hat, sonst wird es mir schwindelig. Der ganze Beutel
mit Kronenthalern, den ich und mein Balzer selig dafür zusammengespart
hatten, ist fort. Wenn man die Schinken, die Wurst, die Butter und Eier
erst rechnen wollte, die ich oder der Hanjost hinübergeschleppt haben
und die feine Montur und das Weißzeug -- es macht ja ein Heidengeld
zusammen. Aber man thut es ja gern. Jedesmal, wenn mein Balzer selig
einen Kronenthaler in den Beutel that, dann lachte er schon ganz stolz
und sagte: »das ist für den Herrn Lehrer.« Es ist wahrhaftig gut, daß
er diese Geschichte mit dem Ernst nicht mehr erlebt hat. Es hätte
ein Unglück gegeben! -- Aber ich sage es immer: er ist nicht schuld
daran; er war ja sonst immer ein braver, gehorsamer Bub. Das Satansding
hat ihn verhext. Sie müssen mir den Gefallen thun, Herr Pfarrer,
und es kommen lassen und ihm gehörig die Leviten lesen über seine
Schlechtigkeit und ihm in's Gewissen reden, daß es den Ernst aufgibt.
Es kriegt ihn doch nicht, so gewiß ich Balzern heiße!«

Ich entgegnete ihr hierauf mit ganzem Ernst, daß ich das durchaus nicht
thun würde. Ueberhaupt bäte ich sie, von der Babette Heimerdinger
mit mehr Achtung zu reden, denn diese verdiene es. Wenn die zwei
jungen Leute ein Vorwurf träfe, so wäre es der, daß sie mit mehr
Ueberlegung hätten zu Werk gehen, die Schwierigkeit der Verhältnisse
bedenken und bei Zeiten die aufkeimende Neigung unterdrücken sollen.
Sie hätten sich jedenfalls viel Kampf und Kummer erspart. Aber wer
könnte solche Bedachtsamkeit von solcher Jugend erwarten? Nun sei es
wahrscheinlich zu spät. Ich wolle sie zwar nicht hindern, das Ihrige
zu thun, würde aber selbst ihr in Nichts die Hand reichen. Sie würde
auch wahrscheinlich durch alle ihre Einwirkungen das Liebesfeuer nur
noch stärker anblasen. Ich rieth ihr vielmehr, der Sache vor der Hand
ihren Lauf zu lassen und nur ein wachsames Auge zu haben. Es könne
sich ja noch ohne ihr Zuthun Alles anders gestalten. Sie solle auch ja
nicht wähnen, das ihre Ansichten und Worte Gott besonders wohlgefällig
wären. Ihr Geldstolz und ihr liebloses Urtheil seien vielmehr durchaus
unchristlich.

Die Balzerswäs war mit diesem Bescheid gar nicht einverstanden. Sie
sagte zwar nichts mehr, aber sie ging mit so unbefriedigtem Gesicht
hinweg, daß durchaus nichts Günstiges für die Liebenden darin zu lesen
war.

Der Brief, den ich leider sogleich wieder zurückgeben mußte, war etwa
folgenden Inhalts, soweit ich mich auf mein Gedächtniß verlassen kann:

        Theurer Ernst!

        Vielgeliebter Schatz!

    Ich ergreife die Feder, um auf Deinen schönen Brief zu
    antworten. Ich muß mich recht schämen, wenn Du die Kratzfüße
    siehst und die vielen Fehler, die ich mache. Ach, Du bist
    so hochstudirt und kannst gar so gelehrt schreiben und ich
    bin doch gar zu dumm. Ich weiß gar nicht, wie Du nur an mir
    Gefallen finden kannst. Aber, Du herzlieber Bub Du, Du kannst
    einem so herzig sagen, daß Du einen gern hast, daß man gar
    nicht mehr zweifelt. Und ich glaube Dir auch gar zu gern. --
    Weißt Du auch, daß ich Dir recht böse war, daß Du fragst,
    ob ich Dich noch gern hätte und mir die andern Buben nicht
    besser gefielen. Siehst Du, ich wäre gar nicht mehr Babette
    und Du nicht Ernst, wenn ich aufhören könnte, Dich zu lieben.
    Ich meine immer, der liebe Gott hätte uns direkt für einander
    geschaffen und deswegen wären unsere Herzen so ineinander
    gewachsen, daß sie gar nicht auseinander gerissen werden
    könnten, in alle Ewigkeit nicht.

    Ach, wie war ich so traurig, als Du nun fortgingest nach J.!
    Ich glaubte, mein Herz würde mitten durchgeschnitten mit einem
    scharfen kalten Messer. Ich wäre auch damals gestorben, wenn
    Du nicht noch einmal gekommen wärst und hättest mir gelobt,
    Du wollest nicht von mir lassen, es müßte denn Gott uns
    auseinander reißen. Ich mußte in der letzten Zeit so Vieles
    denken. Und meine Gedanken waren so anders, als früher. Abends
    sitze ich oft in dem Hüttchen, weißt drunten unter dem alten
    Birnbaum an den Weiden am Bach, daß Du heimlich gemacht hattest
    und mit Moos gepolstert. Und Niemand hat es entdeckt. Aber wenn
    dann der Abendwind so durch den Wald hinrauscht und über das
    Gras fährt und die Unken rufen und die Eulen schreien, dann
    wird mir's so grausig und ich muß an's Sterben denken und daß
    es uns noch schlimm, recht schlimm gehen kann.

    Ach, Deine Mutter und Deine Brüder sind so stolz und mein
    Vater -- mein Vater hat sich noch gar nicht gebessert. Ich
    fürchte immer, wenn Du einmal Herr Lehrer bist, bin ich Dir
    auch zu gering und Du schämst Dich meiner. Es war doch viel
    besser und schöner, als wir noch Kinder waren, wenn wir uns
    dort im Hüttchen über Alles besprachen und Du immer die schönen
    Geschichten wußtest aus den Büchern, die Dir die Schullehrer
    gaben. Ich mußte immer die verwunschene Prinzessin sein und
    Du warst dann der Prinz, der die Zauberer und Ungeheuer todt
    machte. Ein andermal wolltest Du Dir ein Schloß kaufen und
    Ritter werden und dann mußte ich irgendwo gefangen sitzen und
    dann hast Du mich befreit. Dann dachten wir, es könnte auch
    Alles so werden und es wäre dann so schön, so schön! Und denkst
    Du noch an jenen Sonntagabend, an der Guntramseiche, als wir
    zurückgeblieben waren und alle Burschen und Mädchen waren schon
    fort, und wie Du mich bei der Hand nahmst und sagtest: »Du bist
    mein Schulschatz gewesen und bist jetzt mein Schatz, aber ich
    will's nicht machen, wie die Andern -- Du sollst auch meine
    Frau werden.« Und als ich Dir sagte: »das geht nicht, Deine
    Eltern leiden's nicht und Du kannst als Lehrer keine Holzdiebin
    heirathen;« da sagtest Du: »Du bist ja unschuldig, Deine Eltern
    zwingen Dich dazu, und meine Eltern müssen nachgeben. Ich lasse
    Dich nicht. Lieber werde ich gar kein Lehrer.« -- Damals habe
    ich Wochen lang geglaubt, ich wäre gar nicht mehr auf Erden,
    ich lebte im Himmel. -- Doch ich bin recht einfältig, daß ich
    lauter solche Dinge schreibe, die Du schon lange weißt. Ich
    muß Dir recht kindisch vorkommen. Aber siehst Du, ich muß
    immer an diese Zeiten denken. Und manchmal denke ich: es geht
    nicht, es kann gar nicht gehen. Und dann denke ich wieder,
    was Du für ein guter, treuer Mensch bist. Und dann bin ich so
    glücklich, so selig. Aber manchmal bin ich auch so traurig, so
    unglücklich, daß ich Dir's gar nicht sagen mag.

    Du wirst lachen über die Strümpfe, die ich Dir mitschicke. So
    ein Paar dicke Strümpfe mitten im Sommer. Aber ich denke, Du
    wirst ein Einsehens haben. Ich armes Mädchen habe ja Nichts und
    wollte doch Etwas mitschicken. Da habe ich die Wolle genommen,
    die mir meine Goth' vom Hauserhof zu Weihnachten geschenkt hat
    und habe sie Abends im Hüttchen gestrickt. -- Weißt Du auch
    schon, daß der alte Fink, der Seelenverkäufer, wieder im Dorfe
    ist. Es wundert mich nur, daß so einen schlechten Menschen
    das Meer nicht verschlingt. Er war in Californien und hat
    erstaunlich viel Geld mitgebracht. Und die Mädchen, die mit
    waren, haben alle seidene Kleider und goldene Ringe, wer weiß
    wie! Und sie tragen's alle Sonntage und schämen sich nicht.

    Ach, Du lieber himmlischer Gott, wenn doch meine Eltern nicht
    auf den Gedanken kommen, mich auch zu verschachern. -- Ich
    glaube, ich würde es nicht erleben.

    Schreibe bald einmal wieder. Es ist mir in letzter Zeit
    oft so ängstlich und so bang, als müßte bald ein Unglück
    geschehen. Nun Gott wird helfen! Ich grüße Dich und küsse Dich
    vieltausendmal, Du herzlieber Schatz.

        Deine Dich bis in den Tod liebende

            Babette Heimerdinger.



III.

Der alte Fink.


Die Furcht Babettens vor dem alten Fink war durchaus nicht unbegründet.
Es war nicht die eitle Besorgniß eines liebenden Herzens, das im
Bewußtsein der Wandelbarkeit des Glücks Alles schwarz sieht. Sie kannte
die Dorfverhältnisse, kannte ihre Eltern und kannte den alten Fink. Und
ehe sie noch diese Unglück ahnenden Zeilen niederschrieb, hatte bereits
der kundige Blick des alten Fink mit Wohlgefallen auf ihrer herrlichen
Gestalt geruht. Und ehe Ernst erfuhr, daß der alte Fink da sei, war
Babette schon für ihn verloren. Denn da hatte der alte Seelenverkäufer
bereits den festen Entschluß gefaßt, daß sie um jeden Preis sein werden
müsse für Californien und erwog schon die Mittel, die ihm zu Gebote
ständen und war im Geheimen außerordentlich thätig.

Um dieses jedoch recht zu verstehen, muß der Leser noch einen Blick
in das Dorf thun. Einen Theil der Ortsbewohner hat er zwar schon
kennen gelernt, aber nur den unwichtigeren, die Invaliden, die
Ruinen. Die Landgänger, die dem Dorf seinen eigenthümlichen Charakter
verleihen, kennt er noch nicht. Aber wenn er sie kennt, dann müßte
kein deutsches Christenherz in seiner Brust schlagen, wenn es nicht
überflösse vor Zorn und Ingrimm über diese Schmach und diese Schändung
des deutschen Namens. Das Landgängerdorf liegt sonnig und anmuthig
auf den nordwestlichen Abhängen des Taunus, mit einem weiten Ausblick
bis in die Gegend von Gießen und Marburg. Rings ist es umgeben von
einem grünen Kranz von Buchen- und Eichenwäldern, der sich gar
lieblich ausnimmt zu den rothen Ziegeldächern und den schön bemalten
Häusern, etwa wie ein grüner Brautkranz zu den erröthenden Wangen
einer geschmückten Braut. Freilich ist es eine gewagte Sache, hier von
Brautkranz zu reden, wo längst alle Bräutlichkeit und Jungfräulichkeit
in wüstem, schändlichem Treiben untergegangen ist. Aber es hat ihn
doch einst verdient und kann ihn vielleicht wieder verdienen. --
Wer heutzutage kommt, um Land und Leute zu beobachten, der muß im
Spätherbst oder Winter kommen. Erst wenn die Blätter fallen und die
Schwalben heimwärts ziehn, kehrt auch der Landgänger heim. Im Sommer
sind die meisten Häuser unbewohnt und Thüren und Läden geschlossen.
Man trifft nur hier und da einen Ackersmann im Feld. Alles ist so
still und leer, wie ausgestorben. In der Umgegend heißt es: »Nur die
alten Weiber und Schulkinder sind daheim.« Erst wenn es draußen im
Feld und Wald stille wird, wird es im Dorfe laut und lebendig. Hier
rauscht ein rasselndes Tambourin, dort klagt eine einsame Violine; hier
orgelt eine Harmonika die neuesten Lieder, dort übt sich ein ganzes
Orchester. Dazwischen tönen dann die gellenden Stimmen keifernder
Weiber, schreiender Kinder, das Fluchen der Männer, das Singen und
Juchzen der Jugend. Die Männer sind meistens im Wirthshaus bei Karten,
Würfeln und starken Getränken. Es ist, da ein wildes Lärmen und
Gedränge, und englische und französische und ganz fremdtönende Flüche
schallen durcheinander. ~Goddam~ und ~sacré Dieu~ heißt es herüber
und hinüber; denn im Dorfe werden fast alle europäischen Sprachen
gesprochen, vorzugsweise aber englisch und französisch. Mancher Junge
und manches Mädchen müssen erst in Deutschland deutsch sprechen lernen.
Aber auch die Weiber bleiben hier nicht im Hause. Kochen und alle
weiblichen Handarbeiten sind ihnen ein Gräuel, dem sie sich nur im
Nothfall unterwerfen. Man kann sie zu allen Tageszeiten in größeren
und kleineren Gruppen schwatzend zusammenstehen sehen. Am liebsten
sammeln sie sich jedoch zu Kaffee- und Theekränzchen, wo Mürbes und
feines Gebäck geschmaust und sehr oft süßer Branntwein getrunken wird.
Es sind meistens große, üppige Gestalten. Doch haben auch Viele ein
gar krankes, armes Aussehen in Folge ihres Lasterlebens. Ihre Kleidung
ist, wenn sie die übliche Landestracht abgelegt haben, oft sehr reich,
aber geschmacklos und ungeordnet. Man merkt eben, daß sie auf dem
Trödelmarkt gekauft oder durch Bettel zusammengebracht ist. Die Jungen
wollen nicht hinter den Alten zurückbleiben. Darum versammeln sich auch
Burschen und Mädchen, aber besonders in solchen Häusern, wo Niemand
eine Autorität geltend machen kann und will und gar keine Aufsicht
herrscht. Hier wird denn getanzt und gespielt. Auch fehlt es nicht an
berauschenden Getränken. Und ungescheut und ungestraft geben sie sich
allen möglichen Zügellosigkeiten hin.

Um die zahlreichen Kinder kümmert sich Niemand. Die wälzen und balgen
sich ungebändigt auf den Straßen umher -- ein hoffnungsvolles,
heranwachsendes Geschlecht! So geht es den ganzen Winter in Saus und
Braus. Da wird geschlachtet, gebacken, gesotten und gebraten; da wird
getrunken, gesungen und getanzt, bis der Schnee schmilzt und der Boden
aufthaut und die erste Lerche trillert. Dann ist keine Ruhe mehr unter
dem Wandervölkchen. Dann verstummen die Gesänge und die Harmonika's.
Und wenn der Kukuck schreit, und die erste Schwalbe kommt, ist Niemand
mehr da von diesen Zugvögeln. Aber was treiben sie draußen? und wo ist
der Schauplatz ihrer Thätigkeit? Ihre Thätigkeit lassen sie sich nicht
gerne beschränken. Sie besuchen alle bekannten und zugänglichen Theile
der Erde. Doch beehren sie am liebsten den Westen: England, Frankreich,
Amerika, Californien. Indessen ist Australien auch recht beliebt unter
ihnen. Der alte Fink hat sogar bereits China und Japan bereist.

Ueber ihre Beschäftigung sprechen sie sich nicht gern aus. Doch ist man
darüber durchaus nicht im Unklaren. Die Männer treiben hauptsächlich
Handel und Musik. Die Kinder betteln. Weiber und Mädchen leben vom Tanz
oder von noch schlimmeren Dingen. Damit soll nun nicht ausgeschlossen
sein, daß nicht auch die Männer betteln und die Weiber nicht auch
öfters hausiren gingen und Musik machten.

Da wird bereits aller Sitte und Zucht Hohn gesprochen. Die
Familienbande sind gelöst. Eheliche Liebe ist nicht da. Kindliche
Pietät muß zu Grunde gehen. Die heiligsten Triebe werden geschändet
und gemordet. Aber noch schändlicher -- weil hier die Bettelei und die
Prostitution gewerbsmäßig betrieben wird -- ist die Seelenverkäuferei.
Sie wird aber nur von den kühneren Naturen und solchen, die über ein
Kapital zu verfügen haben und zwar auf eine doppelte Weise ausgeführt.

Die unbedeutenden Art ist die, daß Kinder zum Betteln zusammengemiethet
werden, wofür die Eltern sehr anständige Summen erhalten. Hierbei
werden die Reisen nicht besonders weit ausgedehnt. Der Norden
Deutschlands, Schweden und Rußland sind gewöhnlich die Zielpunkte der
Unternehmung. Die Kinder werden natürlich zur Verstellung, zum Lügen
und Stehlen professionsmäßig angelernt -- ein schöner Same für die
Zukunft! Sie sind dabei vollständig in die Gewalt und Willkür roher
gewissenloser Menschen gegeben und müssen Unsägliches erdulden. Jedes
kann Gott danken, wenn es wohlbehalten die Heimat wieder erreicht.

Von dem Raffinement und der Frechheit dieser Bettelfahrer nur ein
Beispiel: Eine deutsche Prinzessin, in's russische Czarenhaus
verheirathet, hatte einst besonderes Wohlgefallen an so einem
blondlockigen rothbackigen Mädchen gefunden. Dieses Wohlgefallen
aber mußte sie büßen, indem man ihr dafür die Verpflegungskosten
einer langwierigen Krankheit und endlich das Geld zum Begräbniß
abschwindelte. Und während die Prinzessin ihre Dukaten hergab und
Thränen über die Leiden und den Tod ihres Liebling weinte, war derselbe
frisch und gesund. Von größerer Bedeutung und Ausdehnung ist die andere
Art von Seelenverkäuferei: das Miethen von +Tanzmädchen+, oder wie die
Amerikaner sie nennen: +Hurdy-Gurdy's+. Es sind dabei reichlichere
Auslagen und mehr List, Muth und Geschick nöthig. Es werden aber auch
ganz enorme Summen verdient -- zwanzig- bis dreißigtausend Thaler haben
Etliche schon nach wenigen Jahren mit heimgebracht. An Mädchen fehlt es
nur selten. Denn auch vermögendere Bauern und Pächter geben ihre Kinder
her und die Armen helfen sich dadurch aus ihren Schulden. Es handelt
sich fast nur um den Preis. Die Mädchen wissen es nicht besser. Sie
werden in die Seehäfen Nord- und Südamerika's, nach Australien, ganz
vorzüglich aber nach Californien gebracht. In den dortigen Tanzhäusern
dienen sie den spitzbübischen Wirthen und Dienstherren als Lockvögel,
um den leichtsinnigen Matrosen, Goldgräbern und Bergleuten die vollen
Taschen auszuleeren. Und aller Humbug der neuen Welt und alle Gaunerei
der alten Welt wird dabei angewendet.

Aus den Mädchen haben bald Mißhandlungen und hitzige Getränke die
letzten Reste von Scham hinausgetrieben. Und die meisten dieser
leichtfertigen Geschöpfe geben sich von ganzem Herzen dem zuchtlosen
Leben hin. Es muß übrigens ein schmähliches Gewerbe sein, denn keine
Nation der Erde -- auch die gesunkenste nicht -- liefert Contingent
dazu. Die Hurdy-Gurdy sind nur Deutsche, nur Rheinländerinnen.

Die Armuth war die Grundursache dieser auffallenden, aber entsetzlich
traurigen Erscheinung und ist es zum Theil noch jetzt. -- Man hat sich
gewöhnt, die Armuth von einer gewissen idyllischen Seite anzusehen.
Wer sie aber so ansieht, den hat die Noth mit ihren hohlen Augen und
hohlen Wangen noch nicht ernstlich angeblickt; dem hat der Hunger
noch nicht in den Gedärmen gewühlt. Kein Brod und keine Arbeit -- ist
schrecklich! Und der weise Salomo wußte recht gut, was er that, als
er sich keine Armuth erbat. Vor hundert Jahren war noch Arbeit im
Dorf: Bergmannsarbeit und Wollspinnen. Aber es kam eine Zeit, da war
keine Arbeit mehr da. Und es war eine Zeit unbeschreiblichen Elends.
Da machte sich ein Mann, kühner und energischer als die Andern, auf,
um mit Fliegenwedeln, jenen bekannten, aus weichem Holz geschnitzten,
faserigen kleinen Besen einen Handel zu treiben. Er brachte viel
Geld heim. Und er zog weiter und weiter den Rhein hinab bis zu den
Mynheers, wo man sein Deutsch nicht mehr verstand. Und wieder brachte
er viel Geld heim. Plötzlich stand er als ein zweiter Columbus vor
dem atlantischen Ocean, denn er war fest entschlossen, hinüber zu
segeln und drüben war ihm lauter unbekanntes Land. Zuerst kam er nach
England. Und John Ball bezahlte das unbekannte Fabrikat generös. Da
war es, wie er heimkam, als hätte er das Goldland entdeckt. Und nun
zogen seine Schwiegersöhne und deren Verwandte und Freunde mit. So
ging es weiter und weiter. Erst gingen die Schwiegersöhne, dann das
ganze Dorf und zuletzt die ganze Umgegend. Erst lernten sie die Straßen
der großen Weltstädte kennen und die großen Häuser, dann die leichten
Sitten und die Verderbniß, und zuletzt wurden sie so schlecht, wie der
schlechteste Auswurf derselben. Erst handelten sie mit Fliegenwedeln,
dann mit andern Waaren, dann kamen sie zur Musik und Bettelei, dann
zur Prostitution und zuletzt zur Seelenverkäuferei. Und so kommen
wir denn auch wieder auf den +alten Fink+. Er war durch den kühnen
Unternehmungsgeist, mit dem er alle Schwierigkeiten, die diesem elenden
Gewerbe entgegenstanden, leicht und schnell beseitigte und durch den
Erfolg, der ihn bisher begleitet hatte, unstreitig das Haupt der
Seelenverkäufer in der Gegend. Und als solcher genoß er bedeutendes
Ansehen und Einfluß, statt Verachtung und Abscheu. Denn das Geld
ist in diesen armen Walddörfern allmächtig. Aber was halfen ihm die
Tausende von Dollars, die er heimbrachte? Ein reicher Mann ist er doch
nie geworden. Es war kein Segen in dem Geld. Er hatte sich zwar einen
Landsitz gekauft, ein schönes Haus und schöne Aecker, aber er hatte
einen etwas nachlässigen Verwalter an seinem Schwiegersohne. Der ließ
die Aecker brach liegen, wenn der Schwiegervater fort war und machte
Schulden auf Schulden. Und wenn Niemand mehr borgte, verkaufte er das
Vieh aus den Ställen und das Gras von den Wiesen. Wenn aber Alles fort
war, was beweglich war, mußten die Oefen dran und die Fenster und die
Stallthüren. Bei der Heimkehr des alten Fink sah es in der Regel am
häuslichen Herd ziemlich unfreundlich aus und er mußte jedesmal tief
in den Geldbeutel steigen, um Alles wieder einigermaßen in Ordnung zu
bringen. Es setzte dann auch scharfe Auftritte ab. Einmal flog sogar
dem Schwiegersohn eine Kugel hart am Kopfe vorbei und schlug in die
Wand. Aber das nächste Mal war es doch wieder so. Ebenso brauchte aber
auch der alte Fink für seine eigene Person schon ganz ansehnliche
Summen. Er aß und trank gern gut, war sehr gesellig und spielte gern
den großen Herrn. In seinem Hause hielt er offene Tafel. Im Wirthshause
waren die, die an seinem Tische saßen, stets seine Gäste. Bei
Kirchweihen und Märkten gingen Hunderte drauf. Als es ihm einmal eines
Morgens an Gesellschaft fehlte und eine Anzahl Holzhauer vorübergingen,
rief er diese herein, bezahlte Jedem einen Gulden Taglohn und
bewirthete sie bis spät in die Nacht hinein. -- Diesmal war er zu
seinem besonderen Malheur zur Sommerszeit heimgekehrt und hatte sich
von einem heimischen Badeorte fesseln lassen, während Frau und Mädchen
bereits nach Hause waren. Bald war er dem allgemeinen Strome zur
Spielbank gefolgt. Er hatte anfangs viel Glück und lebte ein paar Tage
herrlich und in Freuden. Aber auf einmal wandte sich das Spiel und er
verlor Alles -- Alles, so daß er nicht einmal den Wirth bezahlen konnte
und zu Fuß heim wandern mußte. Zu Hause wurde er nicht sehr aufmunternd
von seiner Frau empfangen, die, von Geburt eine Schottin, als
Geizdrache allgemein bekannt war. Sie hatte zwar schon bei Zeiten einen
schönen Nothpfennig zurückgelegt, aber es war hart für den alten Fink,
von ihrer Barmherzigkeit leben zu müssen. Er lebte bereits in zweiter
Ehe. Seine erste Frau war auf eine schauerliche Weise in Australien
um's Leben gekommen. Er war damals noch kein Seelenverkäufer. Aber
er war immer unternehmend. So war er von Adelaide aus mit seiner Frau
zu verschiedenen Malen unter die Eingebornen gegangen. Seine Frau
hatte sich in einen phantastischen verlockenden Anzug gehüllt und
trug ein Branntweinfäßchen auf dem Kopf. Er war dagegen mit Harmonika
und Revolver bewaffnet. Wenn sie nun einen Lagerplatz der Eingebornen
erreicht hatten, wurde der Branntwein ausgetheilt, und während sich
dieselben berauschten, ließ er Lieder und Tänze erschallen und seine
Frau sang, tanzte und machte allerhand Gaukeleien. Ihre Einnahmen waren
außerordentlich, weil sie Goldkörner für den Branntwein erhielten.
Aber als einmal der Golddurst erwacht war, waren sie hiermit nicht
mehr zufrieden. Ihnen glänzten die Goldklumpen, die die Eingebornen
in Nase und Ohren trugen, zu sehr. Sie thaten betäubende Dinge in den
Branntwein, und als nun Alles berauscht und betäubt da lag, schnitten
sie die Ohren- und Nasenzierden ab. Es gelang ihnen auch ein-, zweimal.
Aber sie hatten dadurch die Eingebornen in Wuth gebracht, und als sie
es zum dritten Mal versuchten, wurden sie überfallen und nur mit Mühe
entkam er allein. Seine Frau blieb in den Händen der Kannibalen zurück.
Den nächsten Tag fand er ihren furchtbar verstümmelten Leichnam. -- Die
mit dem Blut seiner Frau erkauften Goldkörner wurden das Kapital zu
seinem Seelenhandel.

Sein Verhältniß zu dem Bürgermeister des Dorfes war fast zärtlicher
Natur. Sie waren Schul- und Jugendfreunde. Eine Leidenschaft und ein
Streben vereinigte sie. Wenn sie nicht Freunde waren, mußten sie
Nebenbuhler sein, denn sie waren gleich groß im Trunk und Kartenspiel
und in ihrer Begeisterung für das schöne Geschlecht. Dieses innige
Band der Freundschaft hatte sich im Alter nicht gelöst, so wenig wie
ihr Bestreben und ihre Begeisterung aufgehört hatte. Es war sogar noch
inniger geworden, je mehr sie sich gegenseitig nöthig hatten. Der
Bürgermeister brauchte Geld für seine kostspieligen Liebhabereien und
der alte Fink brauchte obrigkeitlichen Schutz.

Sie standen jetzt Beide in den Sechzigen und waren ein ausgesuchtes
Paar. Der alte Fink, eine kurze gedrungene Gestalt mit einem Körper von
Stahl. Denn alle Klimate der Erde und ein wüstes, ausschweifendes Leben
hatten an ihm gerüttelt, aber er schritt noch so fest einher, wie ein
Jüngling. Er glich in seinem Auftreten einem behäbigen, gemüthlichen
Bürgersmann, und seit sein Haar schneeweiß war, hatte er sogar etwas
Ehrwürdiges.

Der Bürgermeister dagegen war ungewöhnlich lang und schwank und trug
eine Nase im Gesicht von einer überraschenden Größe, Schwere und Röthe.
Es war, als hätten sich alle Nasen seiner ungnädigen Vorgesetzten
zu +einer+ Nase vereinigt und diese spielte nun in allen Farben des
Regenbogens. Ueber dieser Urgroßmutter aller Nasen thronte eine Brille
mit dicken, großen Gläsern, in der eigentlich der Zauber seiner
bürgermeisterlichen Würde verborgen lag. Denn wenn er redete, schob er
sie auf die Stirne und zog die Nase herunter. Auf diese Weise erhielt
sein Gesicht eine Wichtigkeit, daß die hohen schnorrenden Nasentöne,
die nun hervorkamen, ihre Wirkung nicht verfehlen konnten. Er war
gewöhnlich schweigsam, denn so kostbare Waare, wie seine Worte, durfte
nicht wohlfeil werden. Sein Gewissen lag in einem Branntweinsglas
und kam nur dann wieder zum Vorschein, wenn man nicht frischen
Branntwein darüber goß. Er war von Morgens bis Abends im Wirthshaus --
wahrscheinlich um Ordnung zu halten; machte auch dort seine Geschäfte
ab. So sagte man in der Umgegend: Wer den Bürgermeister von F. sehen
will, muß ihn durch ein Schnapsglas betrachten.

Im Winter war eigentlich seine fette Zeit; im Sommer lag er oft brach
und mußte sich mit Holzfuhrknechten, mit Scheerenschleifern und
allerhand Gesindel, was gewöhnlich auf der Grenze umherspukte, begnügen.

Wenn wir übrigens das Rathen und Thaten dieser zwei Helden näher
betrachten wollen, müssen auch wir sie im Wirthshaus aufsuchen.



IV.

Im Wirthshaus.


Als ich mich der Theologie widmete, dachte ich auch nicht, daß ich
bald nach meinem Amtsantritt den Kochlöffel in die Hand nehmen müßte
und daß mein nächstes Studium -- »Henriette Davidis« sein würde. Aber
es war so. Mein Kosthaus wurde mir aufgekündigt; ein anderes Haus,
wo man mit Appetit essen konnte, war nicht da; einen Koch zu halten,
erlaubte meine Besoldung nicht; verheirathet war ich nicht. Es blieb
mir also, wenn ich warme Speisen haben wollte, nichts Anderes übrig,
als selbst zu kochen. Freilich kostete es einige Ueberwindung und
Bedenken. Aber ich dachte: das Kochen wird wohl auch keine Hexerei
sein und machte mich frisch an's Werk. Und siehe da! -- es ging. Es
kamen natürlich vorerst eine Menge Fehlversuche vor. Da war es denn
gut, daß ich meinen alten, treuen +Anton Scheppler+ hatte. Der aß die
mißglückten Produkte meiner Kochkunst mit einer Selbstverleugnung
und einem Appetit, der wohl besserer Leckerbissen werth gewesen wäre.
Im Augenblick bildete er mein ganzes Dienstpersonal. Er war meine
Magd, mein Kammerdiener und mein Auslaufejunge. Doch theilte ich seine
Thätigkeit mit der Kirche und der Gemeinde. Denn er bekleidete noch
das Amt eines Küsters, eines Ortsdieners und eines Nachtwächters.
Wenn er außerdem noch einen Verdienst bekommen konnte, nahm er den
auch noch mit. Denn er hatte allein die Obliegenheit, eine ziemlich
starke Familie zu ernähren. Seine Frau sagte: wenn sie arbeiten
wollte, hätte sie ihn nicht genommen; da hätte sie auch daheim bleiben
können, da hätten sie Arbeit genug gehabt. Sie war eigentlich schon
sein zweiter Heirathsversuch. Sein erstes Ehegespons, die schön und
sauber war, »daß man sie auf jeden Markt führen konnte«, wie er sich
ausdrückte, war ihm bei einem Ausflug nach England mit einem Riesen,
den man in einem Marktflecken für Geld zeigte, durchgebrannt. Mit der
zweiten ging es auch nicht recht. Er hatte Unglück mit den Weibern,
der gute Anton. Aber die Liebe, die er zu seinen Kindern zeigte, seine
Ehrlichkeit und Anhänglichkeit machten ihn mir wirklich theuer. Auch
besaß er ein ganz ungewöhnliches Erzählertalent, womit er mir schon
manchen Abend erheitert hatte. So saß er wieder einige Tage nach den
schon erzählten Auftritten eines Abends bei mir und kaute mit beiden
Backen an einem Kalbsragout, was ich des Morgens etwas zu steif gekocht
hatte. Ich hatte, scheint es, ein wenig zu viel Mehl daran gethan, denn
es wurde allmählich so dick, daß ich es nur mit Mühe aus dem Topfe
herausbrachte. Ich hatte ihm in der Angst, es könnten Stickanfälle
vorkommen, ein Glas Dünnbier dabeigestellt. Aber es erwies sich als
vollständig unnöthig, denn er schnalzte und schmatzte so nachdrücklich,
daß ich alle Minuten glaubte, er würde mich um das Rezept von dem
kostbaren Ragout angehen. Das Bier sparte er sich auf zu der Pfeife,
die er sich jetzt stopfen durfte. Und nachdem diese brannte und er
einen herzhaften Schluck genommen hatte, sagte er: »Herr Pfarrer, wenn
der Babette Heimerdinger Gefahr drohete, würden Sie Etwas für sie thun?«

»Ich würde alle Kräfte aufbieten, sie zu retten,« antwortete ich. »So
denke ich auch. Weiß Gott, ich habe an dem Mädchen einen wahren Narren
gefressen. Sie ist die Schönste und die Beste im Ort. Sie ist hülfreich
und tugendhaft. Wenn ich in ihr Gesicht sehe, dann ist mir es, als
wenn die Sonne aufging. Und wenn sie mir Morgens begegnet und sagt so
freundlich: »Guten Morgen, Anton«, dann, meine ich, könnte mir den
ganzen Tag kein Unglück passiren.«

»Wenn das Eure Frau wüßte, Anton!« »Das darf sie wissen. Darin ist
sie mit mir einig. Sie sagt oft selbst: Das ist ein Goldmädchen;
dem wünschte ich einmal einen ordentlichen Mann und keinen solchen
Dreidrath. Damit meint sie mich.«

»Das merke ich«, sagte ich lachend.

»Sie ist so gut auf die Babette zu sprechen, weil sie nie an unsern
Kindern vorbeigeht, ohne sie zu streicheln und ihnen Etwas zu schenken,
oder das kleinste auf den Arm zu nehmen und zu küssen. Es wäre mir
leid, wenn der alte Fink das Mädchen bekäme.«

»Ist denn Etwas im Gang?« fragte ich ganz erschrocken.

»Ei freilich. -- Sehen Sie, Herr Pfarrer, ich will nicht besser
scheinen als ich bin. Ich war auch draußen im Land und habe an zehn
Jahre lang die Orgel gedreht. Aber mit den Mädchen, das ist einmal
unrecht. Sie wollen es zwar Alle nicht gesagt haben, aber hier darf ich
es sagen. Und es ginge mir ein Stück vom Herzen weg, wenn die Babette
auch so eine verdorbene Person geben sollte.«

»Was ist denn eigentlich geschehen? So redet denn doch einmal.«

»Etwas ganz Besonderes ist es nicht. -- Die Wirthsleut' mußten heut
all' in's Feld, drum sagte die Annelies zu mir: Anton, sagte sie, der
Schnapskrug steht auf dem Schrank und das Bierfäßchen liegt angesteckt
im Keller. Wenn Jemand kommt, dann gib ihm, nur dem Förster Köhler
nicht; der borgt alle Welt aus und bezahlt nicht. Ich sagte: Schon gut.
Ich that's ja nicht zum ersten Mal.

Es war des Morgens schon früh heiß und ich setzte mich unter den
Lindenbaum vor dem Haus in den kühlen Schatten. In der Wirthsstube
waren der alte Fink und der Bürgermeister gar eifrig im Gespräch, und
von Zeit zu Zeit riefen sie mich hinein, daß ich die Schnapsgläser
wieder füllte. Das Fenster stand auf und ich konnte jedes Wort
verstehen, ohne daß ich horchte.

»Kommt der Heimerdinger?« fragte der alte Fink.

»Er kommt!« antwortete der Bürgermeister und lachte selbstgefällig
dazu. -- »Hast ihn bestellt?«

»Nein, aber du wirst sehen: er kommt. Zehn Pferde hielten ihn heut
nicht aus dem Wirthshaus.«

»Nun, so sprich, alter Sünder! Brauchst bei mir nicht so wichtig zu
thun mit deiner Klugheit -- wir kennen uns.«

»Es ist ja weiter nichts. Ich habe ihm nur heute früh im Vorbeigehen
gesagt, Du hättest die Schuldverschreibung von seinem Haus und
wolltest sie aufkündigen. Den Schrecken und den Brast, den ihm das
macht, kann er nicht ohne Schnaps bewältigen. Wirst sehen. Aber hast Du
auch die Verschreibung?«

»Freilich habe ich sie und theuer genug. Das Lumpenpapier kostet mich
fünfhundert Gulden. Du hast Dich auch einmal wieder verrechnet mit
dem »Krämerheimbuk«, -- alter Schlaukopf. Der ist so gescheut wie ein
Mensch. Als ich so zu flankiren anfing und von der Schuld sprach, die
der Heimerdinger bei mir hätte und wie mir es lieb wäre, wenn ich Alles
beisammen hätte, damit ich ihm besser zu Leib rücken könnte, wußte er
gar nicht, was ihn das anging. Und als ich ihm geradezu sagte, ich
wüßte, daß der Heimerdinger ihm sein Haus verschrieben habe, gab er
lauter ausweichende Antworten. Und je mehr ich drängte, desto zäher
wurde er. Endlich als ich zornig ward und fortging und die Thür hinter
mir zuwarf, daß das Haus zitterte, ward er manierlich. Er rief mich
zurück und wir wurden handelseinig. Aber ich mußte dem Halunken die
rückständigen Zinsen und noch fünfzig Gulden extra bezahlen. Der
Heimerdinger will auch noch etwas Baar in die Finger haben. Das Mädchen
kostet mich sechshundert Gulden, so gut wie einen Kreuzer. Was machte
meine »Alte« Augen, als sie so viel herausrücken mußte! Ich habe auch
mein Lebtag noch nie soviel gegeben. Die »Anne-Mile« war die theuerste
und die kostete vierhundert Gulden. Mit dem Heimerdinger hätte es alle
die Umstände nicht gebraucht, aber die Frau, die Frau! Die ist nicht
anders zu ködern. Aber das Haus läßt sie nicht, denn sie ist merkwürdig
stolz.«

»Baue nicht zu sicher d'rauf, sagte der Bürgermeister. Es sind Weiber.
Und die Babett bringst Du gar nicht in Rechnung.«

»Ein Gewitter soll Dich und Alle verzehren«, schrie da der alte Fink,
»wenn der Anschlag mißlingt und ich die Babett nicht bekomme. Ich muß
sie haben und wenn ich einen Mord thun müßte! Du weißt, wie es mit mir
steht. Ich muß Geld haben, sonst bin ich verloren. Ich spüre auch schon
das Alter in den Knochen. Es wird meine letzte Reise sein und da will
ich Etwas für meine alten Tage haben. Zehntausend Dollars muß sie mir
wenigstens einbringen.«

»Bist Du denn der anderen sicher?«

»Die habe ich sicher und schon bezahlt.«

Ueberdem trat Heimerdinger in die Stube. Er grüßte kleinlaut und setzte
sich an einen Tisch, den ich von außen recht gut überschauen konnte.
Die zwei Anderen belauerten ihn wie zwei Raubthiere, stellten sich
aber, als kümmerten sie sich gar nicht um ihn.

Er that einen tiefen Zug Schnaps aus dem Glas, das ich ihm hingestellt
hatte. Dann aber, als hätte er Gift getrunken, stieß er das Glas so
heftig auf den Tisch, daß es fast ganz verschüttet ging und auf dem
ganzen Tisch herumlief.

Es war still im Zimmer, aber es war keine wohlthuende Stille. Mir war
so unheimlich, wie wenn schwere Gewitterwolken am Himmel hängen und
kein Blatt sich regt in der schwülen Luft.

Heimerdinger stierte auf den Tisch. Dort war eine Mücke, frecher wie
die andern, dem auf dem Tische liegenden Branntwein nahe gekommen. Aber
der starke Duft hatte sie betäubt. Sie war hineingefallen. Ihre Flügel
wurden naß, und nur mit Mühe schleppte sie sich eine Weile weiter.
Endlich ganz betäubt und ermüdet sank sie hin und ersoff. Heimerdinger
hatte mit großer Aufmerksamkeit und Aufregung zugesehen. Jetzt sprang
er auf, schlug sich wider die Stirn und rief, als wenn er unsinnig
geworden wäre: »Mein Bild -- mein Bild! -- Verflucht will ich sein,
wenn noch einmal so ein gottverdammtes Glas an meine Lippen kommt.«

»Man meint, Du wolltest schon in aller Frühe eine Comödie aufführen.
Bist und bleibst der lustige Heimerdinger«, sagte der alte Fink so kalt
und spöttisch, daß ich ordentlich grimmig wurde über ihn.

Heimerdinger fuhr auf, als erwachte er aus einem wüsten Traum. Einen
Augenblick starrte er auf die Beiden, dann sank er auf seinen Stuhl
zusammen wie ein zugeklapptes Taschenmesser.

Nach einer Weile unterbrach wieder der alte Fink das Stillschweigen:
»Heimerdinger, Du bist ein Esel!« rief er mit seiner tiefen und starken
Stimme, daß es ordentlich schallte. Dem aber schoß auf einmal alles
Blut in's Gesicht. Ganz rasend sprang er auf und faßte den alten Fink
an der Gurgel, aber der baumstarke Fink drückte ihn zusammen, wie ein
Kind, schüttelte den vor Wuth Zitternden und schrie: »Ruhig, sage ich,
ruhig!« Dann schob er ihm sein Glas zu und sagte: »Da trink! -- Und
nun sage ich noch einmal: Du bist ein Esel, weil Du Dir helfen kannst
und thust es nicht! Bist Du denn noch der alte, fidele Heimerdinger?
Ich kenne Dich nicht wieder. Ich dachte, wenn es Einer im Dorfe leicht
nimmt, daß Alles d'rauf geht, so ist es gewiß der Heimerdinger. Jetzt
thust Du aber gerade, als wäre es mit Dir Mathäi am Letzten. Lustig,
sag' ich, immer lustig! So trink doch, Du Schwerenöther! Und wenn Du
kein Geld hast und der Wirth nicht mehr borgt, so hast Du noch gute
Freunde. Hier hast Du ein paar Thaler.«

Heimerdinger war wieder in seinen Trübsinn verfallen. Er hatte das
Schnapsglas nicht angerührt, obgleich er den Blick nicht von ihm
wenden konnte. Als ihm aber der alte Fink die Thaler aus seinem Beutel
hinschüttete, hatte er plötzlich aufgeschaut und ihn mit großen Augen
angesehen. Er nahm jeden Thaler in die Hand und wog ihn. Es war, als
wolle er es nehmen. Plötzlich schob er es aber wieder zurück und
sagte: »Glaubst Du, ich wüßte nicht, wo Du hinauswillst, warum Du die
Verschreibung an Dich gebracht hast und nun das Geld einforderst? Du
willst meine Babett. Aber die ist viel zu gut für Deine versoffenen
Matrosen und Deine californischen Goldgräber. Ich verkaufe mein
frommes, schönes Kind nicht. Ich kann nicht, wenn ich auch wollte.
Behalte Dein Blutgeld; ich bin kein Judas.«

»Himmelsakramenter!« schrie der alte Fink, fast blau im Gesicht
vor Zorn. »Du miserabler Hund, Du Lump! hast Weib und Kind an den
Bettelstab gebracht und willst mir so etwas bieten.« Dabei nahm er
einen Stuhl und stieß ihn auf den Boden, daß die Splitter in alle
Ecken flogen. Mit diesem furchtbaren Ausdruck seines Zornes schien
sich derselbe auch schon wieder verkühlt zu haben und nur noch wie
nachrollender Donner hieß es: »Ei, Dich soll ein Gewitter verschlagen,
Du verfluchter Lump!«

»Anton,« rief mir der Bürgermeister, »schenk' einmal ein. Mach' auch
dem Heimerdinger sein Glas voll und stell es hierher auf unsern Tisch.
Und Du, Heimerdinger, setz Dich hier auf den Stuhl zu uns! Hörst Du?
Nun, willst Du gehorchen? So. Und nun trinkst Du mit uns. Willst nicht?
Bist Du etwa zu vornehm geworden? Auf Deine Gesundheit, Heimerdinger!
So, das war einmal ein herzhafter Zug!«

Heimerdinger hat auf +einen+ Zug sein Glas ausgeleert.

»Anton,« sagte jetzt der Bürgermeister zu mir, »kannst den Krug hier
stehen lassen. Auf meinem Pult daheim ist Allerhand zum Ausschellen
zurechtgelegt. Das kannst Du jetzt thun.«

Ich merkte, daß der Bürgermeister den Karren, den der alte Fink in
seiner Hitze verfahren, wieder in das rechte Geleise bringen wollte und
gab dem Heimerdinger einen heimlichen Rippenstoß, er solle mitgehen.
Er hat mich auch verstanden. Ich habe es ihm angesehen. Er wollte auch
mitgehen, aber er konnte nicht. Der Schnapskrug hielt ihn fest. Ich
habe einmal gehört von der Klapperschlange, daß die die Vögel bannen
könnte mit ihrem Blick, daß sie nicht fortkönnten, wenn sie auch
wollten. Wie so ein Vogel saß auch der Heimerdinger da. Er wußte, daß
ihm der Hals zugeschnürt würde, aber der Schnapskrug hielt ihn fest.
Als ich ihn heute Abend aus dem Wirthshaus taumeln sah, da wußte ich,
er war doch ein Judas geworden und hatte seine Tochter verkauft.

Herr Pfarrer, wenn Sie etwas thun wollen und thun können, thun Sie es
schnell. Doch ich muß zehn blasen gehn.«



V.

An der Guntramseiche.


Der Sattler Guntram von Friedberg hatte sein nährendes Handwerk
aufgegeben, weil er reich genug war und war ein gewaltiger Nimrod
geworden zum großen Aerger aller Hasen und Füchse in den nahen
Waldgebirgen, die durch das fortwährende Knallen seiner Flinte auf
ihren einsamen Streifereien und Vergnügungen jetzt immerfort gestört
wurden. Zu seinem besonderen Glück gab es damals in Deutschland keine
Auerochsen und Bären mehr. Die hätten sich vielleicht nicht so lange
ärgern lassen. Er war ein seltsamer Jäger; kurze Beine, kurzen Athem
und kurzen Blick, und im Grunde hatten die Hasen und Füchse gar wenig
Respekt vor seinem dicken Bauch und seinen dicken Brillengläsern. Aber
wenn er Abends heimkam vom Anstand, da wußte er beim Glase Apfelwein
und langer Pfeife so grausige Geschichten zu erzählen, daß die Andern
nur mit offenem Munde und stehendem Haare zuhören konnten.

Doch die böse Welt wagte in letzter Zeit auch seine stille Größe
anzutasten. Man sagte, das viele Wild, was er heimbrächte, kaufe er
alles beim Förster in Cransberg. Und selbst in seinem Apfelweinklub,
wo man ihm stets die aufrichtigste Bewunderung gezollt hatte und
keinen Augenblick an seiner Fertigkeit zweifelte, drangen gelinde
Bedenken ein. Zuerst waren Etliche so kühn, bei den Kraftstellen seiner
Erzählung ein feines Lächeln sehen zu lassen. Dann widersprach man ihm
sogar. Zuletzt utzte und hänselte man ihn ungescheut. »Ehre verloren,
Alles verloren,« sagte Meister Guntram zu sich. »Heute gehe ich nicht
heim, bis ich etwas geschossen habe.« -- Da hatte der Cransberger
Förster zu ihm gesagt: »Wenn Sie ein Reh schießen wollen, dürfen Sie
nicht warten, bis Sie es sehen. Wann es im Gebüsche raschelt, wann Sie
den Schatten sehen, dann drauf los.«

Und horch! Raschelt es jetzt nicht im Gebüsch, fällt jetzt nicht ein
Schatten auf die Wiese? Er schießt los. Aber klang das nicht wie
menschlicher Schrei? Er läuft hin. Aber da liegt ja auch kein Rehbock.
Da liegt die alte Krexline, die sich dürren Reisig sammeln wollte für
ihren Kaffee. Sie verwendet noch einmal die Augen, macht eine Faust
und ist mausetodt. -- Meister Guntram weiß nicht, wie er heimgekommen
ist. Ist auch nimmer auf die Jagd und zum Apfelwein gegangen. Aber dort
an der Eiche, wo die Krexline erschossen lag, mitten im dichten Wald,
wo die prächtigen Waldwiesen liegen und das Sauerbrünnlein quillt, hat
er sich eine Bank gepolstert aus Rasen und Moos und hat oft da gesessen
und heiße Thränen geweint. Jetzt ist er längst gestorben und begraben,
aber das Voll nennt es dort noch immer »+an der Guntramseiche+«.

An der Guntramseiche war der Tummelplatz der Jugend an den
Sonntagnachmittagen zum lustigen Tanzen, Spielen und Singen. Dagegen
an den Werktagen war es still dort und einsam. Und in der lieblichen
Waldeinsamkeit habe ich gar manchmal gesessen, in mein Buch vertieft
und mein Pfeifchen schmauchend.

So war ich wieder einmal hinausgewandert. Ich suchte die herrliche
Kühle und einen frischen Trunk ans dem Sauerborn, denn das Thermometer
zeigte im Schatten 25 Grad Réaumur. Aber siehe, mein Plätzchen war
bereits besetzt. Es saß auf der Moosbank die Enkelin der alten
Krexline, Babette Heimerdinger. Ich hatte sie schon von Weitem erkannt.
Doch als ich nun näher trat, erschrak ich heftig bei ihrem Anblick.
Bleich wie der Tod war ihr Antlitz, aus dem sonst das frische, gesunde
Leben lachte; die sinnigen, blauen Augen blickten starr und glanzlos in
das Weite; das blonde, reiche Haar ringelte sich in wilder Unordnung
um ihre Schultern; die kräftigen Arme ruheten wie gelähmt in ihrem
Schoos. Es war die Erscheinung einer an Leib und Seele Gebrochenen, die
abgestorben ist für die Außendinge. So klang auch ihre Stimme eintönig
und hohl. So war auch ihre Rede fast die einer Geistesabwesenden.

Ich dachte nicht, daß sie mich bemerkt hätte, denn sie war in ihrer
halbliegenden Stellung verblieben und hatte keinen Zug in ihrem
Gesichte verändert; aber plötzlich redete sie mich an:

»Es ist gut, daß Sie kommen. Ich habe gebetet, daß Sie kommen möchten.
Es mußte Jemand kommen, sonst wäre ich verzweifelt.« Sie schwieg
hierauf eine Weile, dann begann sie wieder: »Ich bin arm -- arm --
entsetzlich arm. Ich habe Niemand -- Nichts mehr in der Welt. Alles
ist todt -- leer -- fort. Ich habe keine Eltern mehr, nicht Vater --
nicht Mutter, keine Heimat -- keine Liebe. Alles -- Alles ist fort.
Das Haus ist schuld -- der Fink, der Erzbösewicht!« -- Hier war wieder
eine Pause, dann rief sie: »Ernst! Du lieber, lieber Bub! -- Dich
haben sie mir genommen! Wir sind geschieden auf immer und ewig! Sie
beschmutzen und besudeln mich! Ernst!« schrie sie laut auf und immer
lauter -- »Ernst! Ernst!« Zuletzt war sie aufgesprungen, mit den Händen
in der Luft umhergefahren, war eine Weile hin und her geschwankt und
dann leblos auf den Rasen hingesunken. Man kann mir glauben, daß ich
tüchtig erschrak. Ich glaubte anfangs, sie wäre todt. Und da ich gar
nicht wußte, was ich beginnen sollte und auch weit und breit Niemand
entdecken konnte, rief ich um Hülfe. Aber Niemand antwortete. Da
fiel mir erst ein, daß sie ohnmächtig sein könnte. Ich eilte rasch
mit meinem Glase an den Sauerborn und besprengte sie tüchtig mit
Wasser. Aber es half Nichts. Ich wiederholte das Manöver. Da endlich,
nachdem ich schon zu verzweifeln begann, schlug sie die Augen auf
und kam nach und nach zu sich. Ich sagte: »Gott sei Dank!« Sie aber
war ganz verwundert. Endlich begann sie sich über ihre Lage klar zu
werden und brach nun in einen Strom von Thränen aus, der allmählich in
krampfhaftes Schluchzen überging. Da ich dieses für sehr wohlthätig
erachtete, ließ ich sie ruhig gewähren. Und als sie sich herzlich satt
geweint hatte, begann sie von selbst gleichsam zur Rechtfertigung der
Scene, die ich eben angesehen hatte, ihre Erzählung: »Wenn Sie Alles
wissen, Herr Pfarrer, werden Sie nicht erstaunen, daß mir schwach
geworden ist. Ich habe es schon lange kommen sehen. Seit etlichen
Tagen aber wußte ich es ganz gewiß, daß Etwas wegen mir im Werk war.
Denn mein Vater saß nicht umsonst die Tage her so oft und so lange mit
dem Bürgermeister und dem alten Fink im Wirthshaus und hatte nicht
umsonst mit meiner Mutter so viel heimlich zu verkehren. Dazu kommt
noch vorgestern Abend Försters Anna zu mir geschlichen und sagt: »Weißt
Du auch etwas Neues? Wir sind veraccordirt: ich, Du, Fuchse Greth,
Schulheimbuk's Lisbeth, Zimmers Dine und Treppe Dorth. In drei Wochen
geht es nach Californien. Sie freuen sich schon Alle über den Staat und
die Herrlichkeit. -- Die schlechten Dinger! An das Andere denken sie
nicht. Ich habe mir schon fast die Augen aus dem Kopf geheult. Doch,
ich muß heim. Verrath' nichts, sonst bin ich verloren!« Damit war sie
auch schon fort. Ich aber war ganz starr vor Schrecken, daß ich gar
nichts sagen konnte. Doch war ich bald wieder ruhig, denn ich mußte
immer denken: Deine Mutter hilft Dir! Deine Mutter läßt es nimmer zu.
Sie hätte es auch nicht zugelassen und hätte es bei meinem Vater auch
durchgesetzt; denn so nachgiebig sie sonst gegen ihn ist; was uns
Kinder angeht, hat sie immer ihren Willen behauptet. Aber sie hatten es
zu pfiffig angefangen. Sie wollten ihr das Haus nehmen -- ihr letztes
Eigenthum -- und das läßt sie sich nicht nehmen. Dazu ist sie viel zu
stolz. Ach, die Zwei: der Bürgermeister und der alte Fink -- das sind
zwei Bösewichte, so schlecht und schlau! Die kennt Niemand aus. Früher
hatten wir als allerhand Waaren beim Krämerheimbuk geborgt und der
Vater hat auch noch als baar Geld bei ihm gelehnt. Auf einmal waren es
dreihundert Gulden und wir wußten gar nicht, wie sie zusammengekommen
waren. Aber sie waren da. Der Krämerheimbuk hat es uns vorgerechnet
bis auf den letzten Pfennig. Und es wäre schon damals Alles zur
Versteigerung gekommen, wenn wir ihm nicht das Haus verschrieben und
sich meines Vaters Bruder für uns verbürgt hätte. Jetzt hat der alte
Fink dem Krämerheimbuk die Schuldforderung abgekauft. Und der will
nun entweder mich oder das Haus. Auf etwas Anderes will er sich nicht
einlassen. Das Alles habe ich nicht so gewußt. Gestern Abend hat es mir
meine Mutter erst gesagt und dabei bemerkt: »Du wirst Dich doch wohl
fügen müssen.« Ach, ich bin gar so sehr erschrocken, als ich erfuhr,
daß wir in der Gewalt des schrecklichen Menschen wären und meine Mutter
ihm beistimmte.

»Lieb Mutterchen,« habe ich gesagt, »Du wirst es nicht thun! Nicht
wahr, Du hast mich lieber als das Haus? Du weißt, ich wäre verloren
hier und dort, wenn Du mich diesem Manne übergibst. Ebensogut könntest
Du mich, Dein eigen Fleisch und Blut, mit diesen Deinen Händen in die
Hölle hineinstoßen, wie Du mich zu Schmach und Verbrechen verkaufst?«
Da wurde sie feuerroth im Gesicht und ich dachte schon, ich hätte
gewonnen Spiel, da meine Worte solchen Eindruck machten. Aber es kam
anders. Sie sagte: »Wie redest Du doch, mein Kind? Wo nimmst Du nur die
Worte her, die einen ja ordentlich ergreifen? Doch, denke ja nicht,
daß Du mich erschüttern könntest. Du kennst mich einfach nicht, sonst
würdest Du Dich gar nicht mühen. Mein Herz ist todt und leer. Sie haben
es draußen getödtet. Ich weiß von keinem Erbarmen, denn man hat kein
Erbarmen mit mir gehabt. Sieh' ich habe Dich lieb, wie meine eigene
Jugend, denn Du bist das Bild derselben. Ich hätte Dir auch gern die
Leiden und Kämpfe erspart, die ich durchzumachen hatte. Aber es sollte
nicht sein. Und wer kann seinem Schicksal entfliehen? Es ist so, wie
ich es schon oft gedacht habe. Die Tugend ist recht schön, aber sie
ist einmal für uns arme Leute nicht. Ich habe es nicht anders gefunden
in der weiten Welt. Wo Armuth war, war auch Schlechtigkeit, Laster und
Verbrechen. Es herrscht wohl auch viel Verdorbenheit unter den Reichen
und Wohlhabenden. Aber es gibt immer noch Brave und Gute. Dagegen der
Arme kämpft vergebens gegen sein Schicksal. Man glaubt gar nicht an
seine Tugend. Wir heißen nur Spitzbuben, Strauchdiebe, Vagabonden,
feile Dirnen, Bettelpack und Lumpengesindel. Und weil man einem alles
Schlechte zutraut, so muß man auch schlecht werden.

Doch ich muß Dich einmal einen Blick in mein Leben thun lassen. Du
sollst erfahren, was ich noch keinem Menschen gesagt habe.

Ich war ein junges, unschuldiges Ding und schön -- wie alle Leute
sagten -- da hat mich auch Einer mitgenommen nach Amerika. Es ist
schwer, wenn man so allein und schutzlos ist, sich der Frechheit
der wilden Männer zu erwehren, aber ich wehrte mich. Eines Tages
verfolgten mich zwei: ein Irländer und ein Italiener, die Haupthelden
unseres Tanzlokals, auf die Straße. Ich jagte flüchtigen Fußes durch
die Straßen von New-York. Aber die Beiden mir ständig nach, wie zwei
wilde Bestien. Es war schon Alles öde und vereinsamt und nirgends Hülfe
zu erwarten. Meine Kräfte fingen an nachzulassen. Noch einen Augenblick
und ich war rettunglos in ihrer Gewalt. Schon streckten sie ihre Arme
nach mir aus, da schrie ich Hülfe! Hülfe! so laut ich konnte. Und noch
schrie ich -- da kam es plötzlich wie eine Windsbraut über die beiden
Kerle. Der eine flog in diese -- der andere in jene Ecke der Straße.
Ein Jüngling, hoch und gewaltig, war plötzlich zwischen sie getreten
mit dem Rufe: »Weg, ihr amerikanischen Schurken! Ein deutsches Mädchen
schreit um Hülfe!«

Nie werde ich seinen Anblick und seine Worte vergessen. Es war
eine große, kräftige Gestalt mit langen, blonden Locken und
blauen, blitzenden Augen und einem Gesicht, so fein, wie ein
Mädchenangesicht. Er hatte mich an seinen Arm genommen und nun stand
er da, hochaufgerichtet, mit einem einfachen Stock bewaffnet, um seine
Gegner zu empfangen. Denn diese hatten ihre Messer gezogen und drangen
wüthend auf ihn ein. Mit etlichen wohlgezielten Streichen trieb er die
Feiglinge in die Flucht. Und da ich noch sehr entkräftet war, nahm
er mich mit in ein naheliegendes Kaffeehaus und ließ mir eine Tasse
Kaffee reichen. Er betrachtete mich eine Zeitlang unverwandt, ging
dann mehrmals durch die Stube, in der außer uns Niemand war. Dann fing
er auf einmal an und sagte: »Ich bin ein deutscher Student. Ich mußte
flüchten, weil ich mein Vaterland zu heiß geliebt habe. Zu Hause
sitzt eine alte Mutter und eine bleiche Braut. Die weinen um mich. Ich
werde sie nie wiedersehen. Ich bin daheim zu lebenslänglichem Kerker
verurtheilt. Da draußen, in den Wäldern, habe ich mir ein Haus gebaut.
Aber es ist mir zu einsam dort, wo ich nur den Schall meiner Stimme und
meiner Büchse höre. Darum kam ich in die Stadt. Ich suchte Menschen.
Hier fand ich Dich. Du gleichest, liebes Mädchen, meiner Braut:
dieselben treuen, braunen Augen, derselbe süße Mund und Deine Stimme
ist meiner Mutter Stimme. Ich habe einen Entschluß gefaßt. In Amerika
freit man schnell. Kannst Du mich lieben? Willst Du mein Weib werden?«
Dann blieb er vor mir stehen -- die Arme gekreuzt -- und schaute mich
an so ernst und so liebreich.

Ich war erst ganz erschrocken und verschüchtert. Endlich wagte ich die
Augen aufzuschlagen. Ich spürte aber ordentlich, wie mein Herz und
meine Seele zu ihm hinübergezogen wurden. Auf einmal lagen wir uns in
den Armen und er drückte einen langen, heißen Kuß auf meinen Mund. So
mag eine Zeitlang vergangen sein. Es waren die seligsten Augenblicke
meines Lebens. Plötzlich schlug er sich wider die Stirn und sagte: »Da
habe ich mich wieder einmal schön vergallopirt. Mädchen, wie heißt Du
denn? Was bist Du? Und kannst Du auch über Dich verfügen?« Ich fühlte,
wie mir alles Blut aus dem Gesichte zurücktrat. Mir war so angst,
so angst. Ich wußte, daß ich mit dem einen Wort mein ganzes Glück
vernichtete. Ich wollte lügen, aber ich konnte nicht. Ich nannte meinen
Namen und sagte: ich sei eine Hurdy-Gurdy. Da wurde er bleich wie der
Tod. Er schaute mich mit einer furchtbaren Verachtung an; dann aber so
grenzenlos traurig, daß mir schon die Thränen aus den Augen stürzten.

»Mädchen,« sagte er, »Du weißt nicht, wie entsetzlich wehe Du mir
gethan hast! Es ist nicht blos die schreckliche Täuschung -- nicht
blos, daß ich meine Liebe, die so plötzlich und so stark in mir
entstanden war, unterdrücken muß, -- es ist die Schmach, die meinem
lieben deutschen Vaterlande angethan wird durch solche deutsche
Mädchen.« Und damit wankte der starke Mann wie ein Trunkener zur Thüre
hinaus. Ich wollte rufen -- ich streckte die Arme nach ihm aus -- da
wurde es dunkel vor meinen Augen und ich stürzte ohnmächtig zusammen.
Ich verlebte schreckliche Tage. Ich hatte ihm sagen wollen, daß ich
rein und tugendhaft geblieben wäre mitten in diesem wüsten Treiben.
Ich suchte ihn auch überall und forschte nach ihm, um es ihm noch zu
sagen. Aber ich fand ihn nicht. Er war wahrscheinlich wieder nach
seinen Wäldern. Ich dachte zuletzt: Und wenn du es ihm nun auch sagst
-- wird er dir auch glauben? Wird dir es überhaupt Jemand glauben? Ein
furchtbarer Zorn gegen das Schicksal bemächtigte sich meiner. Warum
sollte ich denn besser sein als die Welt mich machte? Warum sollte ich
unnöthigerweise die Mißhandlungen erdulden? Ich stürzte mich mitten
hinein in das wüste Leben und war bald eine der Schlimmsten.

So kam ich nach Californien, nach San Franzisco. Es war ein großer Saal
und ein blendender Lichterglanz von den vielen Kronleuchtern. Mein Blut
war wie Feuer durch vielen Punsch und das wilde Tanzen. Da stand ich
da mit fliegendem Athem und klopfender Brust; ein bärtiger Goldgräber
hielt mich um die Taille und streichelte meine heißen Wangen. Da
sah ich ganz in meiner Nähe wieder das Jünglingsangesicht und diese
blauen Augen mit so unendlich traurigem und doch so strafendem Blick
auf mich gerichtet. Ich hätte vor Scham in die Erde sinken mögen und
bedeckte mein Gesicht mit beiden Händen. Als ich wieder aufblickte,
war er verschwunden. Aber die Augen -- die Augen habe ich nicht los
werden können, bis heute noch nicht -- sie haben mich weggetrieben von
Amerika. Als ich heimkam, trug man eben meine Mutter zum Dorfe hinaus.
Der Meister Guntram von Friedberg hatte sie wie ein Wild des Waldes
todtgeschossen. Ich war nun ganz allein. Mein Vater war schon längst
todt. Ich hatte ein paar Aecker und unser jetziges Haus von meiner
Mutter schuldenfrei geerbt. Dort wohnte ich nun ganz einsam. Es war
mir lieb, daß das Haus fast völlig im Walde stand. Er hatte ja auch
ein Haus im Walde. -- Es war eine Zeit voll Träumens und Schwärmens.
Den ganzen Tag konnte ich sinnen über Vergangenes und Zukünftiges.
Die Hoffnung, mit ihm vereinigt zu werden, hatte ich noch immer und
baute Luftschlösser, wie es ermöglicht werden könne. So hätte ich
noch lange fortgelebt, aber mein erspartes und ererbtes Geld ging zur
Neige. Heirathen wollte ich nicht, obwohl ich viele Gelegenheit dazu
hatte. Ich mußte darum auf einen Erwerb denken. Es sollte vor allen
Dingen leichte und bequeme Arbeit sein. Ich wandte mich an die alte
Barb. Sie verschaffte mir auch einen guten Dienst in der Stadt. Aber
bald sollte ich erfahren, warum sie so geheimnißvoll gethan hatte. Mein
Herr ging mir überall zu Gefallen, und als ich seine Zumuthungen stolz
zurückwies, lachte er mich aus: »Er hätte nicht umsonst ein Mädchen
aus unserm Dorfe genommen.« Er drohte mich fortzujagen. Was sollte
ich machen? Der Winter war vor der Thür; das Essen war ausgezeichnet;
die Arbeit war kaum zu nennen und --« »Mutter! Mutter!« rief ich --
das Herz wollte mir zerspringen -- »schweig still! Soll ich denn gar
Nichts mehr von Dir halten? Soll ich denn meine Mutter ganz verlieren?
Ach, wie dachte ich mir Dich immer so rein! Wie warst Du mir immer
Vorbild und Muster und jetzt -- jetzt!« »Du mußt Alles hören. Es ist
Zeit, daß Du es hörst. Das war das Schlimmste nicht, es ging immer
mehr abwärts. In Wien lebte ich in Saus und Braus. Ich hatte Geld in
Ueberfluß. Ich besuchte Theater, Concerte und Bälle. Die schönsten
Bücher standen mir zu Gebote. Ich lernte außerordentlich viel. Es
wurden oft die witzigsten und geistreichsten Gespräche bei mir geführt
und ich konnte mitreden, mitlachen und mitspotten, aber ich weiß nicht
-- ich hatte doch keine Befriedigung. Inwendig kam ich mir so hohl, so
leer vor. Dein Vater, den ich kurz vorher geheirathet hatte, war mir
ein ständiger Vorwurf. Er hatte sich aus Aerger über mein Leben ganz
dem Trunke geweiht und wurde bei Tag und Nacht nicht mehr nüchtern.
Ich kümmerte mich gar nicht mehr um ihn. Damals sah ich in einer Nacht
in einem halbwachenden Zustande wieder »die Augen!« Und nun ging es
gerade wie in Californien. »Die Augen« verließen mich nicht mehr.
Aus jeder Ecke schauten sie mich an -- so unendlich traurig und doch
so strafend; im dunklen Zimmer daheim, im hellerleuchteten Ballsaal,
im Theater -- überall waren sie. Ich konnte es nicht mehr aushalten.
So habe ich das glänzende Leben aufgegeben und bin mit Deinem Vater
heimgereist. Wir hatten uns gar Nichts gespart, obwohl wir es gekonnt
hätten. Dazu war Dein Vater ein Trinker geworden. Ich hatte ihn dazu
gemacht und konnte ihm deshalb auch keinen Vorhalt thun. Und wenn seine
Launen noch so toll wurden -- ich habe immer nachgegeben -- ich hatte
es ja um ihn verdient. Euch, Kinder, habe ich immer gern gehabt. Du
thust mir auch gewissermaßen leid, daß ich Dich hergeben muß. Wenn es
mit dem Hause nicht gekommen wäre -- es wäre auch niemals geschehen.
Aber hier -- in mein Herz -- hat sich eine Verbitterung und ein Haß
eingefressen, von dem Du Dir gar keinen Begriff machen kannst. Es steht
mir immer vor Augen: was hätte aus dir werden können und was ist aus
dir geworden! Und wer ist schuld an Allem? Doch allein das Schicksal
und die Welt. Wer arm ist, kommt zu keinem sicheren Glück. Du bekommst
nie Deinen Ernst! Wenn nur die geringste Hoffnung wäre, so solltest Du
nicht nach Californien! Du entgehst auch Deinem Schicksal nicht, wenn
Du selbst diesmal noch nicht mitgingest! Wenn dazu nur die geringste
Hoffnung wäre, so wollte ich Dich bewahren! Aber da ja doch gar kein
Gedanke daran ist -- was soll ich mir mein Haus nehmen lassen? Ich
habe Demüthigungen und Spott und Lästerung genug erfahren müssen! Sie
sollen es nicht erleben, daß die stolze Frau Heimerdinger, die sie Alle
nicht leiden können und der sie alles Böse gönnen, noch aus ihrem Hause
hinausgeworfen wird! -- Doch genug, ergib Dich in Dein Schicksal! Es
ist bereits Alles abgemacht.«

»Mutter! Mutter!« schrie ich, »morde mich lieber! Hier ist ein Messer,
stoße es mir in die Brust!« Aber sie that als hörte sie mich gar
nicht. »Mutter, ich will ja das, was das Haus kostet, mit meiner
Arbeit verdienen; ich will arbeiten, daß mir das Blut zu den Nägeln
herausläuft und Gott, der in den Schwachen mächtig ist, wird mir
helfen«.

»Kind, du redest Unsinn! Das kannst du nicht.« »Mutter, jetzt sehe ich,
was Dir immer gefehlt hat, Du glaubst nicht an Gott!«

»Nein in der Art nicht, wie Du gelernt hast. Doch davon spreche ich
nicht mit Dir.«

»Aber ich will mit Dir davon sprechen. Siehst Du, »die Augen«, die Dir
erschienen sind, das war der erste Ruf Gottes an Dich, und als Du dem
Leichenzug Deiner Mutter begegnet bist, das war die zweite Mahnung. Sie
ist so gräßlich um's Leben gekommen, weil sie Dich verkauft hat für ein
Blutgeld und Du wirst ebenso schrecklich um's Leben kommen, wenn Du
mich verkaufst.«

Da wurde aber meine Mutter zornig und fing an mich zu schelten.
Ueberdem kam mein Vater, und als er hörte, von was die Rede war, hat
er mich getreten und geschlagen und mit den Haaren durch das Zimmer
geschleift. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, aber auch
nicht klar denken. Dunkle Träume quälten mich. Und zuletzt ergriff
mich eine Angst, daß ich es nicht mehr aushalten konnte. Da bin ich
herausgelaufen in den Wald und habe mich hierher gesetzt. Ich habe
immer dagesessen. Es lag wie ein Alp, wie eine Betäubung über mir.
Ich wußte Alles, aber ich konnte mich nicht rühren. Alles, was meine
Mutter gesagt hat und ich gesagt habe, ist mir Wort für Wort wieder
eingefallen. Dann habe ich heiß und lange gebetet. Und so sind auch Sie
gekommen, aber ich konnte mich immer noch nicht bewegen. Ich war wie
gebannt.«

»Das war irgend ein mir unbekannter Nervenzustand, der über Dich
gekommen ist in Folge der starken Aufregung,« erwiderte ich, »der ist
nun überstanden. Wäre auch das Andere ebenso glücklich überstanden!
Dein Vater hat wie ein Unmensch an Dir gehandelt. Deine Mutter hast
Du richtig erkannt. Hätte sie Gott vor Augen und im Herzen gehabt,
sie hätte gewiß ein glücklicheres Loos gezogen. Nicht die Welt und
das Schicksal, sondern ihr stolzes, vergnügungssüchtiges Herz hat sie
in das Verderben gejagt. Aber wie Du Deiner Mutter den Namen Gottes
zugerufen hast, als sie über Dich und Deine Zukunft entschied, so rufe
ich Dir in diesen schweren Stunden den Namen Gottes zu. Denn nur des
Herrn mächtiges Wort kann den Sturm Deiner Gefühle bedrohen, daß es
stille in Deinem Herzen wird, ganz stille. Und unter den schwierigen
Verhältnissen, denen Du jetzt entgegengehst, kann nur seine Hand Dich
führen und seine Rechte Dich halten. »Gott ist getreu und lässet Dich
nicht über Vermögen versucht werden.« »Der gute Gott im Himmel wird
Dich nicht verlassen, noch versäumen.« »Mein Vater und meine Mutter
verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf!« heißt es, und: »Harre
des Herrn, sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!«

Was ich für Dich thun kann, ist unbedeutend. Mein Einfluß auf diese
verhärteten Gemüther ist gering und mit ihrer List und Verschlagenheit
kann ich es nicht aufnehmen. Doch was ich zu thun vermag, will ich
thun. Auf Etwas kann ich Dich übrigens noch aufmerksam machen: Du
brauchst hier Deinen Eltern keinen Gehorsam zu leisten. Es tritt hier
der Fall ein, wo es heißt: »Du sollst Gott mehr gehorchen als den
Menschen!« Sie haben Dich zur Sünde verkauft. Und wenn Du ihnen folgst,
gibst Du Dich zum wenigsten in große Gefahr. Auch haben sie vollständig
ihre Elternrechte an Dich aufgegeben, indem sie offenbar das Gegentheil
von dem in Dir pflanzen wollen, wozu Dich Gott ihnen anvertraut hat.«

»Ich habe auch schon daran gedacht,« sagte sie, »fortzulaufen in die
weite Welt und dort für mich allein mein Glück zu suchen, aber ich kann
nicht. Ich bleibe und gehorche. Und wenn es noch schwerer wäre, ich
bliebe doch! Ich will es versuchen, meinen Eltern treu zu sein und auch
meinem Gott nicht untreu zu werden.«

»Du unternimmst fürwahr Großes und Schweres, Babette und ich will
Gott danken, wenn es Dir gelingt. Doch des Herrn Rath ist wunderbar!
Vielleicht soll es so sein. Und hier war es, als ob mich ein Geist der
Weissagung ergriff. Vielleicht sollst Du drüben in Amerika den Ruf
einer frommen deutschen Jungfrau wieder zur Ehre bringen und Deinen
gesunkenen Kamerädinnen ein Stachel werden zur Reue und Nacheiferung.
Wenn Dich aber Gott zu dieser hohen Mission als Rüstzeug auserwählt
hat, dann sei getrost; der Dich auserwählt hat, der weiß, daß Du die
Kraft dazu hast und führet Alles herrlich hinaus!«

Wir hatten uns auf den Heimweg gemacht, weil es stark zu dunkeln
begann. Ich hatte ihr noch manches Tröstliche gesagt. Auch das noch,
daß Gott dem zarten und schwachen weiblichen Geschlecht gerade in der
Unschuld einen mächtigen Schild geschenkt habe, den selbst die größte
Rohheit nicht anzutasten wage, wenn sie in ihrer kindlichen Reinheit
bewahrt bliebe.

Am Rande des Waldes hatte ich sie verabschiedet und schaute ihr
wohlgefällig nach, wie sie so rüstig und strack dahinschritt und
schickte ein leises Gebet zum Himmel empor für ihr Wohlergehen.

»Ein Rendezvous gehabt, Herr Pfarrer?« zischelte neben mir eine
Stimme, und eine Gestalt eilte flüchtig an mir vorüber, in der ich die
»Anne-Mile«, eine der verdorbensten Frauen des Dorfes erkannte.



VI.

Die Balzerswäs.


Es war des andern Abends spät ein mächtiges Gewitter am Himmel.
Die Wolken hingen schwarz und schwer über dem Dörfchen. Die Luft
war wie ein Feuermeer und wenn der Donner krachte, zitterten die
Fensterscheiben und wackelte mein alter Tisch an der Wand. Jetzt
fuhr wieder ein Blitz hernieder, so blendend, daß ich die Augen
zumachen mußte, und dann wogte und prasselte es über mir, als wenn das
verwetterte Ziegeldach auf mich gefallen käme. Ein alter Eichbaum,
etliche Schritte vom Hause entfernt, stand in lichten Flammen. Damit
hatte aber auch das Gewitter seinen Höhepunkt erreicht. Nun öffneten
sich die Schleusen des Himmels. Bald grollten nur noch die Donner in
der Ferne und langgezogene Blitze erleuchteten das Firmament.

Der Wettersturm draußen in der Natur war ein treues Abbild, wie es des
Abends in meinem Gemüthe stürmte und wetterte. Man hatte mich auf das
schmählichste beschimpft. Man hatte das Interesse, welches ich an dem
Schicksal Babettens nahm, und das Wohlgefallen an dem Mädchen, das ich
offen zeigte, auf das gemeinste gedeutet und zwar hatten es die Leute
gethan, die noch am ersten im Dorfe den ehrenwerthen Bauernstand und
die altväterliche Sitte repräsentirten und zu denen ich mich noch am
meisten hingezogen fühlte.

Es waren die schwersten Augenblicke, die ich bis dahin erlebt hatte.
Mit großen Schritten wandelte ich im Zimmer umher. Alles war in mir
in fessellosem Aufruhr und Empörung. Die Finger habe ich öfters in das
Fleisch meiner Brust eingekrallt und ein- über das anderemal gerufen:
»Demüthige Dich unter die gewaltige Hand Gottes!« und: »Laß Dir an
meiner Gnade genügen!«

Der blendende Blitz und der brennende Baum brachten mich zu mir selber.
Wie aber dann die Schleusen des Himmels sich öffneten, so stürzte auch
eine Thränenfluth aus meinen Augen. Hernach habe ich noch lange am
offnen Fenster gesessen und in den dunklen Nachthimmel und in das ferne
Blitzen hineingeschaut und mit meinem Gott gesprochen.

Den ganzen Tag vorher hatten mich die Sorgen für das unglückliche
Mädchen nicht verlassen. Ich hatte mir gedacht, am leichtesten könnten
alle Schwierigkeiten gelöst werden, wenn die alte Balzerwäs die
Einwilligung zu der Verbindung mit ihrem Sohne gäbe. Denn hatte nicht
die Frau Heimerdinger gesagt: »Wenn nur die geringste Hoffnung da wäre,
so solltest Du nicht nach Californien!« Und sollte denn auch nicht der
leiseste Hoffnungsschimmer für diese Verbindung zu entdecken sein?

Ich verhehlte mir durchaus nicht das Bedenkliche der Sache, denn in
einer so wohlhabenden Bauernfamilie, wie die Balzerische war, steckt
ein Hochmuth und eine Zähigkeit, die jeder Einwirkung trotzt. Dabei
herrscht eine Nüchternheit und trockne Verständigkeit der Auffassung,
daß eine Begeisterung oder irgend ein höherer Aufschwung geradezu
unmöglich erscheint. Es ist, als ob der kalte Eigennutz alle Gefühle
verknöchert hätte. Bei Heirathen gesteht man dem Herzen nicht die
geringste Berechtigung zu. Nur die Aecker werden gezählt und die
Viehställe und Weißzeugschränke besichtigt. Und die Weiber, bei denen
man gern einen idealeren Zug und ein lebhafteres Gefühl voraussetzen
möchte, sind die schlimmsten. Am wenigsten hatte ich in der Art Etwas
von der alten Balzerswäs zu erwarten, die mit straffer Hand die Zügel
ihres Hauswesens führte, seit ihr Mann todt war, vielleicht auch
schon früher. Auf der andern Seite legte ich großes Gewicht auf die
freundlichen Beziehungen, in denen ich zu der Familie stand, in der ich
regelmäßig meine Winterabende zuzubringen pflegte. Die Balzerswäs hatte
sogar meinem Vater, der mich besuchte, versichert, er brauche gar nicht
so viel nach mir zu sehen, sie sorge für mich wie eine Mutter. Ferner
hatte in dieser Gegend die Achtung vor dem geistlichen Stande Etwas zu
bedeuten. Denn, dachte ich, ist nach dem Apostel Jakobus die Zunge eine
solche Macht zum Bösen, ein Feuer, das den Wald anzündet, eine Welt
voll Ungerechtigkeit, so muß sie wohl auch eine Macht zum Guten sein,
wenn man sie dazu verwenden will, und ein klein wenig durfte ich auch
auf meine Fertigkeit im Reden vertrauen.

Der Plan, den ich mir zurecht gelegt hatte, war meiner Meinung nach
sehr fein und klug ausgedacht und mußte von Erfolg sein. Er wäre es
vielleicht auch gewesen, wenn er überhaupt zur Ausführung gekommen
wäre. Aber ich konnte ihn nur bruchstückweise gebrauchen; denn als ich
in Gottes Namen und im Vertrauen auf meine gute Sache hinüberging,
merkte ich schon gleich beim Empfang, daß nicht Alles stand, wie
sonst. -- Sonst sagte die ganze Familie feierlich »guten Abend!«
Der achtzigjährige Großvater oder Eller erhob sich hinter dem Ofen,
that die Pelzmütze ab, das kurze irdene Pfeifchen aus dem Munde und
sagte besonders »guten Abend, Herr Pfarrer!« Dann wurden die Kinder
herbeigeholt, der lustige Fritz, die vorlaute Dine und der dicke Adam.
Sie mußten mir alle hübsch die Händchen geben. Während der Zeit putzte
die Balzerswäs einen Stuhl ab und stellte ihn oben an den Tisch. Der
Friedrich, der unverheirathete Sohn, holte ein Glas frisches Wasser
am Brunnen und stellte es an meinen Platz, weil ich gern Abends ein
Glas Wasser trank. Der Hanjost dagegen nahm seine lange Pfeife von der
Wand, die ihm der Ernst zu seinem Geburtstag von J. mitgebracht hatte
und auf deren Kopf die ganze Stadt abgemalt war und lieh sich vom
Eller den Tabaksbeutel; denn er war nur ein Gelegenheitsraucher. Die
Schwiegertochter und die Töchter des Hauses gruppirten sich mit ihren
Spinnrädern und sonstigen Arbeiten um die Hängelampe. Recht gemüthlich
aber wurde es, wann die Alte ihr Kaffeetöpfchen vom Ofensims nahm.
»Denn den Kaffee trinke ich für mein Leben gern,« sagte die Balzerswäs.
»Morgens wann ich aufstehe, muß ich gleich meinen Kaffee haben, sonst
wird mir leicht schwach. Für zehn Uhr hebe ich mir als ein Tröpfchen
auf, denn dann erquickt er mich am meisten. Mittags, gleich nach dem
Essen, trinke ich als ein Schälchen wegen der Verdauung. Um vier Uhr
trinke ich mit den Andern und da schmeckt er mir am besten. Abends,
sehen Sie, da kann ich das schwere Essen nicht mehr vertragen, da
machen sie mir als Kaffee. Und vor dem Schlafengehen trinke ich auch
gern noch eine Tasse. Man schläft besser, denken Sie.«

Wann sie nun Kaffee getrunken hatte, dann ging ihr Mundwerk besonders
gut, das ganz gewiß auch sonst nicht stille stand. Es wurden
meistentheils Ortsverhältnisse besprochen. Ich machte meine Bemerkungen
dazu und betheiligte mich sonst an der Unterhaltung. Der Eller, der
eine merkwürdige Frische des Geistes bewahrt hatte, gab von seinen
Erfahrungen zum Besten, und der Hanjost warf oft einen sehr treffenden
Witz dazwischen, der jedesmal mit großem Lachen aufgenommen wurde.

Das war nun den Abend, wie gesagt, Alles anders. Ich wurde so
kleinlaut gegrüßt und man sah mich so verblüfft an, daß ich merkte,
man hatte eben noch über mich gesprochen und zwar nichts Gutes. Es
bot mir sogar Niemand einen Stuhl an. Ich wurde selbst ganz verlegen
und wollte eben fragen, was nur in aller Welt geschehen wäre, als
der dicke Adam den Zauberbann brach, indem er auf drollige Weise die
Begrüßung des Großvaters nachahmte. Er stand von dem Stühlchen auf,
auf dem er gesessen hatte, that seine Kappe ab und das Reis, an dem er
rauchte, aus dem Mund und sagte mit lauter feierlicher Stimme: »Guten
Abend, Herr Pfarrer!« Alles lachte und ich lachte herzlich mit. Die
Schwiegertochter hatte mir jetzt auch einen Stuhl zurechtgestellt und
der Hanjost reichte nach der Pfeife. Aber es dauerte lange, bis die
alte Balzerswäs zu einer ihrer Töchter sagte: »Ich weiß nicht, Dorth,
ich meine, draußen in den Kohlen müßte noch ein Töpfchen mit Kaffee
stehen, geh' hin und sieh' einmal nach!«

Ich lenkte allmählich das Gespräch auf den alten Fink und die Mädchen,
die er für Californien gemiethet hatte. »Es ist ein Schimpf und eine
Schande für unser Dorf und unsere Gegend, sagte ich, daß hier solche
Zustände walten! In allen Zeitungen wird darüber geschrieben. Es heißt:
keine Nation der Erde gäbe sich zu diesem schlechten Gewerbe her -- es
seien nur Deutsche, nur Rheinländerinnen. Wir könnten es ihnen noch
besser sagen, wer es ist! Nicht wahr? Jedes Mal, wann ich so Etwas
lese, preßt sich mein Herz zusammen und Flammenröthe bedeckt mein
Gesicht. Ich meine immer, auch ich trüge einen Theil Schuld und weiß
doch Nichts anzufangen, um der Sache Einhalt zu thun. Alle meine Worte
und Zusprache verhallen wie der Wind. Es sind gar harte, verstockte
Herzen hier. Und muß es nicht so sein? Kann überhaupt noch von »Herz«
die Rede sein, wo Väter und Mütter ihre eigenen Kinder für Geld
dahingeben? Man wundert sich über die Unmenschlichkeit der Neger an der
Westküste Afrikas, wo die Häuptlinge ihre eigenen Stammsgenossen und
die Väter ihre Kinder an die Sklavenhändler verkaufen. Aber was will
das heißen gegen die Schändlichkeiten, welche hier begangen werden!
Dort sind Heiden, hier sind Christen. Und die verblendeten, unwissenden
Heiden verkaufen ihre Kinder doch nur zu Sklaven, aber hier verkaufen
christliche Eltern ihre Kinder zu H... Wenn irgendwo das Wehe, das der
Herr über die Menschen ausspricht, durch welche Aergerniß kommt, seine
Anwendung findet, dann ist es hier.«

»Herr Pfarrer«, sagte die Balzerswäs nach einer kleinen Pause, »die
Menschen wollen leben, und wenn die Kinder nach Brod schreien, dann
thut man Manches, was man vor seinem Gewissen nicht verantworten kann.«

»Ach was,« sagte ich, »die Noth bricht Eisen, aber ein Gebot Gottes
darf sie nicht brechen. Wer arbeiten will und im Vertrauen auf Gottes
Hülfe sich redlich mühet, dem hat es noch nie an Gottes Hülfe gefehlt.
Nur muß mit dem Arbeiten das Beten und mit dem Beten das Arbeiten
verbunden sein. Die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem
Felde sind mahnende Zeugnisse, daß es Niemand fehlen könnte, wenn er
nur seine Pflicht treulich erfüllen wollte und die Sorgen und den
Segen dem Herrn überlassen würde. Was gibt es öde und wüste Gegenden
in der Welt, wo kaum noch die naschende Ziege einen Grashalm findet
in dem Steingeklüft, nicht wie hier, wo die reichste Fruchtlandschaft
zu unseren Füßen liegt und wo selbst noch Korn und Weizen herrlich
gedeihen, und die Menschen, die dort wohnen, ernähren sich redlich und
ernähren sich reichlich. Denket nur an die Schwarzwälder Uhrmacher
und an die Tyroler Geigenmacher, von denen Ihr in der letzten
Spinnstube gelesen habt. Und wenn man solche Kunst nicht versteht und
erlernen kann, warum ernährt man sich nicht durch Tagelöhner- und
Handlangerarbeit? Die Fulder sehe ich jeden Sommer in Schaaren in die
Wetterau gezogen kommen, um sich Geld zu verdienen durch redliche
Arbeit. Dagegen von unseren Dorfleuten sehe ich keinen hinunterwandern,
als um gestohlenes Holz zu verkaufen und um zu betteln. -- Wenn jedoch
selbst die Noth nahezu unerträglich wäre, so dürfte immerhin nicht
aller Sitte Hohn gesprochen und das Heiligste und Göttlichste in der
Menschennatur unter die Füße getreten werden. Aber es geschieht und
nicht aus Noth. Sie war es nur anfänglich, die zu diesem Treiben
hinführte. Jetzt sind viel mehr Geiz und Genußsucht die Triebfedern,
als die Armuth.«

»Das hört sich zu, als ob man in der Kirche wäre,« murmelte Hanjost vor
sich hin und die Mädchen fingen an zu kichern.

»Es ist durchaus meine Absicht nicht, Euch eine Predigt zu halten. Und
es braucht's auch wahrlich nicht. Wenn ich schwiege, würden die Steine
schreien, so auffallend sind die Beispiele, die Ihr ständig vor Augen
habt. Nehmet die alte Justine! Was treibt diese greise Frau mit ihren
schlottrichten Knien, ihr einzig Kind in die weite Welt zu schicken?
Kann sie nicht längst der grüne Rasen decken, ehe es wiederkehrt? Und
wird es überhaupt wiederkehren? Wer wacht denn nun an ihrem einsamen
Lager? Wer drückt ihr die müden Augen zu? Hat denn solch ein Herz gar
kein Bedürfniß nach Liebe? Nachdem sie ihren Mann so früh begraben
hat und ihr ein Kind nach dem andern dahingesunken ist, sollte man
nicht meinen, sie hätte nun alle Liebe auf dieses Eine übertragen? Hat
ihr Gott darum dieses Eine gelassen und ihm die blühende Schönheit
geschenkt, daß es auf mütterliches Geheiß für schnödes Geld seine
Ehre und seinen Seelenfrieden hier auf Erden und sein Hoffen auf
das Jenseits so dahingeben soll? Ist es nicht ein himmelschreiender
Frevel? Und hat sie es nöthig, jegliches Muttergefühl zu ersticken,
weil rasender Hunger sie quälte oder schreiende Noth sie zwang? Hat
sie nicht ein zweistöckiges Wohnhaus, Aecker und Wiesen, ja sogar
Geld ausgeliehen und war nicht die Herrschaft, wo ihr Mädchen diente,
sehr mit ihm zufrieden und wollte es auf keine Weise losgeben? Wißt
Ihr noch, es war ja hier im Zimmer, als ich ihr so eindringliche
Vorstellungen machte und zuletzt rief: »Weib, Dich hat der Satan
verblendet, Du bist vom Geizteufel besessen!« und wie sie da wüthend
ward und die Fäuste ballte und wie der Großvater hinter dem Ofen
aufstand und ihr »wehe!« zurief und wie ein Prophet weissagte, sie
würde elend in die Grube fahren und wie sie bleich wurde, als hätte sie
ein Gesicht gesehen, aber dennoch ihr Kind verkaufte?«

Da räusperte sich hinter dem Ofen der Großvater, der immer nach seiner
Weise sich Alles zurecht legte. »Sie haben Recht, Herr Pfarrer,
ganz Recht. Der Geiz ist die Wurzel alles Uebels und treue Gesellen
im Schlechtmachen sind Fleischeslust und hoffärtiges Wesen. Wann
aber der Teufel einmal Herberge gemacht hat in so einem lüsternen
Menschenherzen, dann wird es ärger und ärger und der Mensch lädt sich
auf und lädt sich auf und denkt nicht an die Zeit des Abladens. Die
Jugend ist thorhaft, aber das Alter sollte bedächtig sein; denn der Tod
ist nahe und das Gericht!«

»Großvater,« sagte ich, »das Gericht wartet oft nicht bis nach dem
Tod. Es ist noch Niemanden Segen erwachsen aus dem Kinderhandel. Oder
könnt ihr mir ein Elternpaar nennen, das nicht zum mindesten von seinen
Kindern Vernachlässigung und Mißhandlung im Alter geerntet hätte?
Da ist noch jüngst der alte Knoth im Elend und Ungeziefer zu Grunde
gegangen. Was haben ihm seine fünf Töchter ein Geld eingebracht! Wo
ist es hingekommen? Seine Töchter sind sämmtlich gut verheirathet und
im Wohlstand. Warum hat sich nicht eine einzige Hand geregt, um ihm
sein letztes Leiden zu erleichtern? Warum mußten fremde Leute ihm
die nothdürftigsten Handreichungen thun? Warum mußte er auf seiner
öden Kammer einsam und verlassen den letzten schrecklichen Kampf
auskämpfen? --

Es sind ja erst ein paar Tage her, daß der alte Hanfriedrich auf seinem
Karren krank heimgebracht wurde. Was haben ihm seine Kinder für einen
Empfang bereitet! In den Kuhstall haben sie ihn gebettet! Und da er
jetzt wieder auf sein kann, darf er um keinen Preis in die Stube.
Sein Kaffeetöpfchen hat ihm seine Schwiegertochter vom Herd gestoßen,
daß die Scherben in die Ecken flogen. Wenn ich nicht ernstlich
eingeschritten wäre, wer weiß, was noch hätte geschehen können. Aber
es wird auch noch Saat des Verderbens in die Zukunft gesäet. Was gibt
das Gatten! Was gibt das wieder für Eltern! Die Sünden der Väter werden
heimgesucht bis in's dritte und vierte Glied. Auf welchem Boden sollen
auch die Gattentreue und die Elternliebe wachsen! Es ist ja bekannt,
daß Hofmann's Lisbeth bei dem Tode ihres Mannes zwei Malter Weizen
verbacken ließ. Alle Welt sollte sich mit ihr bei Kaffee und Kuchen
und Wein und Bier freuen, daß sie endlich von ihrem Manne erlöst sei,
der sich doch nur für sie in den englischen Fabriken das schmerzliche
Rückenmarksleiden zugezogen hatte. Sie konnte doch jetzt offen mit
ihrem Buhlen hervortreten.

Doch am ergreifendsten spiegelt sich gewiß die grenzenlose Verderbtheit
bei der berühmten Anne-Mile, die ich am vorigen Sonntag mit dem braven
Leonhard copulirt habe. Was hatte sie Gott mit reichen Gaben des
Leibes und des Geistes ausgestattet und wie benutzte sie dieselben! Es
kann mich immer unendlich jammern, wenn so ein herrliches Geschöpf im
Lasterleben zu Grunde geht. Eine vom Hagelschlag verwüstete Flur, eine
vom Feuer zerstörte Stadt ist fürwahr kein so trauriger Anblick, als
solch ein durch und durch vergiftetes Menschenleben. --

Man weiß es ja allgemein, daß sie dem alten Fink in New-Orleans
entfloh, als die Schottin ihr einst den Rücken etwas zu derb mit dem
spanischen Rohr bearbeitet hatte. Auch machte sie kein Geheimniß aus
der traurigen Weise, wie sie die reichen Putzgegenstände und das
blitzende Gold, das sie mitbrachte, verdient hat. Ich erinnere mich
noch recht wohl ihres ersten Auftretens hier und des Aufsehens, welches
sie allgemein erregte. Fast ein halbes Jahr und noch länger war sie
Gegenstand aller Gespräche. Die Weiber machte sie verrückt mit ihren
seidenen Kleidern und der Straußenfeder auf dem Hut; die Burschen
und Männer verlockte sie durch ihre schwarzen frechen Augen und ihre
Buhlerkünste. Ihre fünfhundert Dollars, die sie sofort ausgeliehen
hatte, waren der Gegenstand der Habgier und der Intriguen. -- Als sie
einmal so mit ihrem Troß vorüberzog und ich mit dem Großvater draußen
auf dem Bauholz in der Sonne saß, spuckte der aus und sagte ganz laut:
»Pfui Teufel!« Selbst aus der Stadt kamen die sauberen Herren und
umschwärmten sie, und sie trug ein Kapital nach dem andern auf die
Landesbank. Aber während sie Kapitalien machte, die Weiber reizte und
die Männer verführte und herrlich und in Freuden lebte, lag ihr alter
Vater von der Gicht geplagt, gliederlahm auf dem Schmerzenslager und
ernährte sich von dem Bettelbrod, was ihr achtjähriger Bruder in der
Wetterau zusammenbettelte. Als sie jedoch ein Kind gebar, bekam ihr
Vater auch diese dürftige Nahrung nicht mehr; denn da mußte ihr Bruder
das Kind halten. -- Der Vater ist gestorben -- ob an der Gicht oder an
Hunger -- das wird wohl einst entschieden werden. -- Da war es denn
eine unbequeme Geschichte für sie, daß ihr Bruder bei fremden Leuten
untergebracht wurde; denn nun mußte sie selbst für ihr Kind sorgen
und das wurde ihr nach gerade so lästig, daß der Bürgermeister eines
Morgens ihr schreiendes Kind vor der Thür liegend fand und sie ihm
sagen ließ: er hätte ihr den Bruder aus dem Haus genommen: nun könne
er auch für ihr Kind sorgen. Wißt Ihr auch, was mich am meisten bei
ihrer Heirath empört hat? Nicht der freche triumphirende Blick, den
sie mir am Altare zuwarf; nicht daß mir die Hochzeitgäste am Abend ein
Spottlied sangen, sondern daß die ganze Gemeinde ihr »Ja und Amen«
zu dieser Verbindung gab. Frau Balzer, Sie haben auch dazu gerathen
und geholfen! Der Leonhard hat mir's gesagt, als ich ihm die ganze
Geschichte leid machen wollte. Er hat sich darauf berufen!«

»Ich habe auch zu der Heirath gerathen und heiße sie auch jetzt noch
gut. Das Mädchen hat eine schöne Sach', ist fleißig und sparsam.
Sie ist gut für das Land, gut für die Haushaltung und versteht alle
Feldarbeit. Was will der Lumpenkerl, der Leonhard, mehr? Der ist arm
wie eine Kirchenmaus.«

»Aber brav und unbescholten,« entgegnete ich, »und sie ist die
abgefeimteste, frechste Dirne, die ich kenne. -- Das ist es gerade,
was mich so empört, daß man Nichts hierin findet. Man ist so tief
gesunken, daß man über die gemeinste Gesinnung und die schamlosesten
Handlungen keine Entrüstung mehr hat. Man hat sich so sehr an das
Laster gewöhnt, daß man ganz und gar vom Ruf eines Mädchens absieht
und es nur nach seiner äußeren Brauchbarkeit und seinem Gelde schätzt.
-- Und was enthält der Begriff »brauchbar für's Land« für entsetzliche
Nebenbegriffe, die man gar nicht nennen darf! und was ist das für
sauberes Geld! Mancher würde sich bedenken, es nur mit der Feuerzange
anzurühren. -- Ich hätte fürwahr bei Euch, die Ihr Euch wenigstens
äußerlich vor jedem Makel hütet, andere Gesinnungen gesucht! Darum
ist auch mein Kampf gegen die täglich zunehmende Versunkenheit
so vergeblich, weil ich ihn allein kämpfen muß. Wenn noch ächte,
unverdorbene Art in Euch wäre, so würdet Ihr entschieden auf meine
Seite treten und mich mit Rath und That unterstützen! Euer Ansehen und
Einfluß mit in die Wagschale geworfen, würde meinen Worten ein ganz
anderes Gewicht verleihen.«

Da nun auf diese Worte ein verlegenes Stillschweigen erfolgte, glaubte
ich, das Feld wäre genug bearbeitet und der Zeitpunkt gekommen, meinen
Antrag anzubringen. Ich sagte also: »Ich will Euch noch diesen
Augenblick eine Gelegenheit bieten, wo Ihr zeigen könnt, ob noch
besseres Gefühl in Euren Herzen schlummert, ob Ihr noch irgend ein
Opfer zu bringen vermöget, ob Ihr noch einer edlen That fähig seid!
Frau Balzer und Ihr, alter Großvater, Ihr könnt eine Menschenseele vom
Verderben retten! Ihr könnt Eure eigene Seele retten! Denn wer einer
Seele vom Tode hilft, der wird die Menge der Sünden bedecken. Bedenket
die Nähe Eures Todes und des Gerichts! Die Frau Heimerdinger hat
erklärt: wenn die Babette nur die geringste Hoffnung hätte, den Ernst
zu bekommen, solle sie nicht nach Californien. Gebt Ihr diese Hoffnung!
Benutzet die Gelegenheit zu einer edlen That, die Euch der Herr durch
mich anbietet, und ladet Euch nicht den Fluch der Versäumniß auf!«

Wenn eine Bombe plötzlich in das Zimmer gefallen wäre, die Gesichter
hätten nicht verblüffter aussehen können, als durch diese meine
Aufforderung. Die Balzerswäs rang sichtlich nach Athem. Endlich hatte
sie die Sprache wiedergefunden. Sie war aufgesprungen und trippelte vor
mir auf und ab, während sie sprach: »Was sagen Sie, was sagen Sie, Herr
Pfarrer? Ich kann's gar nicht glauben. Wir, wir sollen das schlechte
Mensch, die Lumpenbagage, in unsere Familie aufnehmen! Dazu haben Sie
die lange Einleitung gemacht und uns die Predigt gehalten! Da hätten
Sie den Athem sparen können!«

Ganz niedergeschlagen über den schlechten Erfolg meiner gewiß guten
Absicht erwiderte ich: »Arm ist das Mädchen wohl, aber wenn Sie es
»schlecht« nennen, versündigen Sie sich! Wer weiß, ob nicht ein
besseres Herz unter ihren Lumpen schlägt, als unter Ihrem feinen
Tuchmieder.«

»Ach, der Herr Pfarrer soll ja nicht glauben, als wüßten wir nicht,
warum er so warmen Antheil an der Babett nimmt, warum er ihr immer
die Hand gibt und so freundlich zunickt und oft stundenlang mit ihr
spricht! Man ist endlich hinter Ihre Schliche gekommen. Sie sind
gestern mit ihr gesehen worden an der Guntramseich'. Die Dorth hat's
eben mit heimgebracht. Pfui, schämen Sie sich für einen Pfarrer und
für so einen frommen Mann, wie Sie sein wollen! Doch was ich sagen
wollte, mit einem Wort: Mein Ernst ist viel zu gut, um Ihre Liebste zu
heirathen.«

Ich wußte anfangs gar nicht, was die Frau wollte und fühlte nur
instinktmäßig, daß sie einen schweren Verdacht gegen mich aussprach.
Aber als ich endlich merkte, wo sie hinauswollte, wurde ich ganz
betäubt und fing an schwindelig zu werden, so daß ich mich durch
einen starken Willensakt wieder aufraffen mußte. Da wollte sich nun
meiner ein entsetzlicher Zorn bemeistern, aber ich beherrschte mich
und sagte kalt und stolz: »Sie werden es wohl beweisen können, denn
beweisen müssen Sie es! Solche schwere Verdächtigungen spricht man
ungestraft nicht aus.« Meine Worte verfehlten ihren Eindruck nicht;
denn ein rechter Bauer scheut die Amtsstube, wie das Feuer. -- Ich
wäre nun gern gegangen, aber ich fühlte, daß ich mit der Drohung, sie
vor Gericht zu belangen, als Geistlicher nicht gut scheiden konnte und
sagte: »Ich meine, ich könnte hier, wo man mich auf so niederträchtige
Weise beleidigt hat, keine Minute mehr verweilen, aber meinem Stand und
meiner Stellung bin ich es schuldig, Euch etliche Aufklärung zu geben.
Ich habe allerdings gestern zufällig die Babette Heimerdinger an der
Guntramseiche getroffen und habe eine lange Unterredung mit ihr gehabt.
Auch habe ich ein Werk der Barmherzigkeit an ihr ausüben müssen, denn
kurz nach meiner Ankunft ist sie in Folge der Mißhandlungen ihrer
Eltern und des Seelenschmerzes, den ihr die Gewißheit machte, an den
alten Fink verkauft zu sein, in Ohnmacht gesunken und ich habe sie erst
nach langen vergeblichen Bemühungen in's Leben zurückrufen können.
Wenn ich der Babette freundlich zunickte und gern mit ihr sprach, so
hatte das darin seinen Grund, daß ich mich freute in dieser gänzlich
verkommenen Gemeinde ein reines, unverdorbenes Gemüth zu entdecken.
Das ist etwa die Freude, die man hat, wenn man eine Palme in der Wüste
oder eine Rose mitten unter Giftgewächsen findet. Und nun, wer mir
solche Schlechtigkeiten zutrauen mag, der soll es thun! Das muß ich
sagen: von Euch hätte ich es nicht erwartet, und daß Ihr so leicht den
Verdächtigungen über einen Mann, den Ihr nun schon jahrelang kennt und
der Euch gewiß nicht den geringsten Anlaß zu Verdacht gegeben hat,
Glauben schenkt, ist durchaus kein gutes Zeichen für Euch selbst. Doch
ehe ich gehe, möchte ich doch noch wissen, wer dieses schöne Gerücht in
Umlauf gesetzt hat. Sage, Dorth, wer hat mich gesehen?«

»Ei, die Anne-Mile,« sagte diese ganz kleinlaut. -- »Nun da wußtet Ihr
ja schon, was Ihr von der Sache zu halten hattet. Leben Sie wohl, Frau
Balzer! Dieser Stunde werden Sie noch auf dem Todesbette gedenken!«



VII.

Ein Kirchenvorstand.


Die Aufregung vom vorigen Abend lag mir in allen Nerven. Ich hätte
weinen mögen. Hinaus in's Freie wagte ich anfangs nicht zu gehen. Ich
dachte, man würde mit Fingern auf mich deuten. Auch die Unterredung
mit den Eltern Babettens, die ich mir auf diesen Morgen festgesetzt
hatte, gab ich auf. Wäre mir noch einmal so Etwas gesagt worden, wie
die Balzerswäs mir gesagt hatte, ich hätte nicht gewußt, ob ich so
gleichmüthig geblieben wäre. Es wogte noch gar jugendliches Blut in
meinen Adern. Ich war noch nicht lange von der Universität heimgekommen.

So war es Mittag geworden. Ich konnte es nicht mehr in den engen Wänden
aushalten. Ich mußte hinaus. Man hätte mich anders ja am Ende gar noch
für schuldig halten können. Auch schämte ich mich meiner Feigheit.

Als ich kaum aus der Hausthüre getreten war, kam der Schneider
Heimerdinger mit seinem Hunde daher. Ich hielt es für eine passende
Gelegenheit, um über Babette mit ihm zu reden und rief ihn deshalb
an. Er kam auch eiligst herbei. Aber nun merkte ich, daß er total
betrunken war. Er legte mir ganz vertraulich die Hand auf die Schulter
und fragte: »Nun, Herr Pfarrer, wollen Sie einen Spaziergang machen?«
Ich schüttelte ihn von mir ab und sagte ihm, ich liebte solche
Vertraulichkeiten nicht. Ob er sich denn gar nicht schäme, am hellen
Tage betrunken durch die Straße zu wanken. Er solle heimgehen und
seinen Rausch ausschlafen. Da wandte er sich hinweg und sagte zu
seinem Hund: »Bello, beiße einmal den Hochwürden! Er hat deinen Herrn
beleidigt.«

Das war diesen Tag mein erster Empfang auf der Straße. Als ich
weiter das Dorf entlang ging, sah ich, wie Alles stehen blieb, was
mir begegnete, und mir nachsah. Niemand grüßte. Am Wirthshaus fuhren
plötzlich eine Menge Gesichter zum Fenster heraus und glotzten mich
an. Als ich vorüber war, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus
und Etliche riefen: »Vivat! unser Pfarrer lebe hoch!« und die Andern
wieherten Beifall über den äußerst gelungenen Witz. -- Als ich heimkam,
war mein erster Gedanke: ich kann hier nicht mehr bleiben. Mein zweiter
Gedanke: Du mußt bleiben. Du bist nicht umsonst an diesen schwierigen
Posten berufen worden. Willst Du schon beim ersten Anstoß fliehen, wie
ein Miethling? Wer glaubt, fleucht nicht. Aber Du mußt ernster und
entschiedener werden! Du mußt einmal die Seelenverkäuferei geradezu
zum Gegenstand Deiner Predigt machen und statt einzelner Hindeutungen
auf dieses gottwidrige Treiben der Gemeinde unverhüllt das Verderben
zeigen, wohin sie schon gerathen ist und wohin sie noch gerathen
wird. Das kann nächsten Sonntag schon geschehen. Und so geschah es.
Ich predigte mit glühendem Herzen und glühenden Worten über den Text:
Matth. 24. V. 12: »Dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen,
wird die Liebe in Vielen erkalten.« -- Obgleich es durchaus keine
Musterpredigt war und sein sollte, so muß ich doch einige der stärksten
Stellen ausziehen, um sie so am besten in der Kürze zu charakterisiren:

    »O wie selig sind die Seelen,
    Die mit Jesu sich vermählen,
    Die sein Lebenshauch durchweht;
    Daß ihr Herz mit heißem Triebe
    Stündlich nur auf seine Liebe
    Und auf seine Nähe geht.«

»Solche Seligkeit liegt hinter Euch, wie das verlorene Paradies.
Nicht einmal die Ahnung derselben lebt in Eurer Brust. Es will Nacht
in Euch werden, volle Nacht. Viel eher als den Lebensweg werdet Ihr
den Verzweiflungsweg wandeln, den Judas ging, als er das Blutgeld
den Hohenpriestern vor die Füße geworfen hatte. Denn Judasväter
und Judasmütter seid Ihr, die Ihr Eure Kinder für elenden Mammon
verschachert und verkauft! Wenn der Geiz die Liebe tödtete in des
Judas Brust, daß er seinen Meister und Heiland für dreißig Silberlinge
verrathen konnte -- steht Ihr vielleicht höher? Ist nicht auch Eure
Liebe todt? Auch Eure Liebe zu Gott und Christus? Vernichtet und
veranstaltet Ihr nicht in Folge dieses schamlosen Handels das Ebenbild
Gottes in Euren Kindern? Werfet Ihr sie nicht dem Satan in den Rachen,
statt der rührenden Bitte des göttlichen Kinderfreundes zu gehorchen?
»Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht!« Gibt es
irgend Heiden in der Welt, die so unnatürlich wie Ihr die angebornen
Gefühle eines Vater- und Mutterherzens unterdrückten? --

Abels Blut schrie zum Himmel hinauf. Kains Fuß war unstät und flüchtig
auf Erden; auf seiner Stirne brannte das Brandmal des Mörders.

Auch auf Eurer Stirn ist das Kainszeichen eingebrannt. Die gemordete
Unschuld Eurer Kinder schreiet zum Himmel hinauf. Wenn sie aus dem
Ausland zurückkehren, ist ihr Leib zerrüttet und ihre Seele gemordet.
Ihr seid die Mörder! Und das Feuer, das nicht erlischt, brennt auch
Euch, und der Wurm, der nicht stirbt, nagt auch an Euch, daß Ihr nicht
Ruhe findet, hier nicht und dort nicht. Euch wäre besser, Ihr wäret nie
geboren!

Und könnte es nicht auch hier schön und sonnig sein, wie draußen der
helle Sommermorgen? Könnte nicht auch hier der Geist der Liebe und des
Friedens walten? Ist es nicht Gottes Himmel, der sich über uns wölbt?
Ist es nicht Gottes Erde, auf der unser Dorf steht, und wohnet nicht
auch bei uns die Fülle seiner Liebe und Gnade? Ist des Sohnes Blut
nicht auch für Euch geflossen? Hat es nicht Kraft, selbst Euch von
Euren Sünden zu waschen? Ruft er nicht dort auf Golgatha mit seinen
ausgebreiteten Armen auch Euch: »Kommet her zu mir Alle, die Ihr
mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken!«« --

Das sind so etliche Stellen aus dieser Predigt. Sie war scharf und
schneidend, aber von dem heiligen Zorn des Augenblicks eingegeben. Und
mußte sie nicht schneidend und scharf sein, wenn die Eiterbeule, die an
dem Leben der Gemeinde fraß, aufbrechen sollte?

Den Nachmittag hatte ich Kirchenvorstandssitzung ansagen lassen, nicht
etwa in der Absicht, große Berathungen mit den Kirchenvorstehern
zu pflegen, oder ihre Unterstützung zu verlangen; sie sollten blos
unterschreiben. Denn auf das Unterschreiben und Jasagen beschränkte
sich nach ihrer eigenen Wahl lediglich ihre Amtsthätigkeit. Ich hatte
diesmal ihre Unterschriften nöthig, weil ich ein gewichtiges Gesuch an
das Amt wollte abgehen lassen, worin ich um gründliche und ernstliche
Untersuchung der obwaltenden Zustände und um schleunige Abhülfe bat, da
dadurch vielleicht noch manchem schwebenden Unheil vorgebeugt werden
könne.

Das war mein letztes Rettungsmittel für die Mädchen. Man sollte
denken, es sei mein erstes gewesen; aber frühere Erfahrungen hatten
mich nicht besonders ermuthigt und auch der Erfolg des vorliegenden
Schriftstücks widerlegte meine Ahnungen nicht. Um die bestimmte Zeit
kamen die »Kirchenherrn«, wie man dort den Kirchenvorstand bezeichnet.
Voran schritt der Bürgermeister. Schon an seinem Gruße merkte ich, daß
er betrunken war. Dieses wurde aber noch deutlicher, als er in das
Zimmer trat; denn da fing er so an zu taumeln, daß ich alle Augenblicke
glaubte, er würde hinstürzen, und es wäre auch geschehen, wenn er sich
nicht krampfhaft an meinem Kanapee festgehalten hätte. Als er kaum
diesen sicheren Hafen erreicht hatte, ließ er sich auch hineinsinken.
Wie er aber nun festen Grund unter sich spürte, holte er auch sofort
seine bürgermeisterliche Würde wieder hervor, indem er die große
Brille, die sich etwas verschoben hatte, zurecht setzte, die dünnen
Haare an den Schläfen glatt strich und den Hemdkragen hervorzupfte.

»Herr Bürgermeister, Sie sind betrunken und wagen es in diese Sitzung
zu kommen?« sagte ich.

»Das will ich erst bewiesen haben, daß ich betrunken bin!«

»Sie können ja nicht gehen und stammeln nur die Worte hervor und das
ganze Zimmer ist voll Schnapsgeruch.«

»Ich will's bewiesen haben, daß ich betrunken bin. So was lasse ich mir
nicht sagen, dafür bin ich Bürgermeister.«

»Sie verlassen jetzt augenblicklich die Sitzung und ich werde über Ihr
Betragen berichten.«

»Ich bleibe hier und will den einmal sehen, der den Bürgermeister von
F. hinausthut!«

»Den werden Sie gleich sehen.« Mit diesen Worten faßte ich ihn am Arm
und führte ihn trotz seines Sträubens zur Thüre hinaus, die ich hinter
ihm zuschloß. Eine Weile murmelte es draußen und man verstand deutlich
Worte wie: »Schlechter Pfaff, ich komme Dir auch!«

Dann auf einmal gab es ein furchtbares Gepolter. Der Herr Bürgermeister
war die Treppe hinuntergefallen. Wir liefen schnell herbei, um zu
sehen, ob er sich keinen Schaden gethan habe; aber er hatte sich schon
wieder erhoben und spazierte nun die Straße hinauf, indem er von einer
Seite derselben auf die andere taumelte. Als wir wieder in das Zimmer
traten, sagte der Kirchenvorsteher Mauser: »Es ist eine Schande, Herr
Pfarrer! Ich sage weiter Nichts -- es ist eine Schande. -- Ich bin
vierzehn Tage vor Johanni sechzig Jahre alt geworden, aber ich muß
sagen, So etwas habe ich noch nicht erlebt.«

Mauser war der Wortführer in den Kirchenvorstandssitzungen. Er besaß
die eigenthümliche Gabe, meine Gedanken, wenn sie kaum ausgesprochen
waren, zu seinen eigenen zu machen und sie weiter auszuspinnen. Er
war desto erpichter darauf, für einen Ehrenmann und guten Christen zu
gelten, je deutlicher er fühlte, daß er eigentlich ein Schurke war.
»Ich habe keinen Feind,« pflegte er zu sagen »und wenn der Herr will,
werde ich es noch erleben, daß meine Gesinnung Anerkennung findet. Die
Lieb' und die Freundschaft, die ich im Herzen trage, ist gar nicht zu
sagen. So bin ich auch gegen Sie gesinnt. Ich habe mit allen Pfarrern
gar gut gestanden. Wir waren immer wie Brüder.« Und in der That, er
war der Allerweltsfreund und Allerweltsgevattersmann. Er war bei allen
Viehhändeln, bei allen Krankenbetten, Leichenschmäusen, Taufen und
Hochzeiten. Ohne seinen Zuspruch und seine beruhigenden Worte geschah
Nichts. Das Volk liebt es, bei seinen Festlichkeiten einen Mann zu
haben, der das nöthige Ansehen und genügende Redegewandtheit besitzt,
um die Mittelsperson bei vornehmen und fremden Gästen zu machen, den
allgemeinen Gefühlen einen würdigen Ausdruck zu verleihen und, wenn
das Gespräch stockt, wieder ein neues anzuspinnen oder, wie man sich
ausdrückt -- »Jemanden für die Ansprache.« Dafür war nun unser Mauser
wie geschaffen. Er that hierin den kühnsten Anforderungen Genüge.
Aber auch sich vergaß er nicht. Seine Leidenschaft für den Branntwein
war eine selbst in dem Landgängerdorfe nicht ganz gewöhnliche. Doch
fehlte es ihm an Mitteln, dieselbe nach Lust zu befriedigen; denn seine
Frau, die den Schlüssel zum Geldschrank immer mit sich führte, hielt
ihn äußerst knapp. So mußte er sich denn bei andern Gelegenheiten
entschädigen und es war fast als hätte er dabei noch eine feinere
Witterung, als ein Jagdhund, so sicher war er dabei, wo Branntwein
umsonst gegeben wurde. Gar zu gern wäre er Bürgermeister geworden und
hatte es wahrhaftig nicht an Umtrieben fehlen lassen, aber man wollte
den Freund und Gevatter Mauser nicht zum Bürgermeister, denn man
fürchtete für das Gemeindevermögen.

Als ich Nichts erwiderte, sondern vielleicht sehr niedergeschlagen
aussah, fuhr er fort: »Es muß aber auch in letzter Zeit Alles
zusammenkommen, um unsern lieben Herrn Pfarrer zu beleidigen und zu
kränken.« Dabei wischte er mit seinem Schnupftuch in den Augenwinkeln,
als wenn er ein paar Thränen wegzuwischen hätte. »Wissen Sie, daß
ich und mein Kathrein in der letzten Zeit als ein Stückchen geflennt
haben, daß sie es unserm Herrn Pfarrer so machen im Ort. O, es sind
gar boshafte, neidische Menschen hier im Ort. Wir haben es gleich
gesagt, daß an der ganzen Geschichte kein wahres Wort wäre. Es war
am Donnerstag Abend, da saß ich und las in der Bibel. Ich lese jeden
Abend in der Bibel und da kann ich mich so vergessen, daß mein Kathrein
als sagt: Jakob, weißt Du auch, wie viel Uhr es ist? Es hat eben elf
geschlagen. So leg' Dich doch in's Bett! Es kostet so genug Oel; man
kann es gar nicht mehr aufbringen. Kathrein, sage ich dann: was hier
an irdischem Oel verloren geht, das gewinne ich an himmlischem Oel
für meine Seele. So saß ich am Donnerstag Abend und las in der Bibel,
da kömmt mein Hannesche hereingestürmt und erzählt in aller Hast die
Geschichte von Ihnen. Das ganze Dorf spräche davon. Da ging ich hin,
ohne ein Wort zu sprechen, und gab ihm eine Ohrfeige, daß es klatschte.
So, sagte ich, wenn schlechte Menschen solche Sachen erzählen, dann
mußt Du so viel Respekt vor unserm lieben Herrn Pfarrer haben, daß Du
so etwas gar nicht nacherzählst. Und nun gehst Du in Dein Bett und
legst Dich schlafen. Ich habe aber noch lange mit meiner Kathrein Rath
gehalten. Kathrein, habe ich gesagt, Weißt Du, wer schuld ist an dem
Allen? Das ist der Bürgermeister, habe ich gesagt. Es muß ein anderes
Oberhaupt in's Dorf, der alle Strenge anwendet, um die Landgängerei zu
unterdrücken und nicht überall noch mit Rath und That zur Hand geht,
und wenn wir keinen andern Bürgermeister bekommen, geht noch Alles zu
Grunde.«

»Sie mögen Recht haben, Mauser, daß viel Schuld am Bürgermeister liegt;
aber es muß Jeder seine Schuldigkeit thun nach dem Maß seiner Kräfte
und Gaben. Ich habe hier eine Schrift an's Amt aufgesetzt, worin ich um
strenge Untersuchung des Treibens der Seelenverkäuferei und um baldige
Abhülfe bitte. Das mögen Sie unterschreiben.« »Von ganzem Herzen, Herr
Pfarrer! Es ist dieses der einzige Weg, der noch helfen kann. Das habe
ich schon lange gesagt.«

Nun wandte ich mich an den andern Kirchenvorsteher, Namens Schwalb, der
ein redlicher Mann war, aber zum Unglück fast ganz taub. Er saß während
der Sitzung gewöhnlich so da, daß er die hohle Hand an das am besten
hörende Ohr legte, den Mund weit aufsperrte und die Augenbrauen in die
Höhe zog. Sobald ich nach ihm hinsah, nickte er freundlich mit dem
Kopf und machte eine Bemerkung über den jedesmaligen Wetterstand, oder
sagte: »Sie haben heute gar schön gepredigt,« obwohl er kein Wort recht
verstehen konnte. Auch jetzt machte er mir das Compliment. Ich gab ihm
stillschweigend die Schrift zum Durchlesen, aber er unterzeichnete,
ohne einen Blick hineingeworfen zu haben. Damit entließ ich die
würdigen Kirchenherrn.

Am folgenden Mittwoch Morgen erhielt ich zwei Dienstbriefe. Der eine
trug das Amtssiegel, der andere das Decanatssiegel.

Ich öffnete zuerst das Schreiben vom Amt. Da wurde ich denn ersucht,
erst spezielle Thatsachen aufzuführen und Zeugen zu nennen, dann wolle
man sich bewogen finden, die Zeugen abzuhören und, je nachdem der
Thatbestand sich ergebe, einzuschreiten. Ich legte den Brief ziemlich
unbefriedigt bei Seite und öffnete den andern, in welchem noch ein
zweites Schriftstück lag. Das Schreiben des Decans lautete: »Sie
empfangen hier eine Anklage Ihres Kirchenvorstandes, worüber ich Sie
ersuche, sich alsbald zu verantworten.« Die Anklage war folgende:

        Hochwürdiger Herr Decan!

    Wenn es erlaubt ist mit Ihne zu rede, bitte wir Ihne um
    Entschuldigung, daß wir Ihne lästig falle müsse, aber mit uns
    Herrn Pfarrer ist gar kein Auskomme meh. Er ist mit eim Wort
    wüthend und gleicht gar keim Mensch meh. Am Sonntag kam er in
    die Kirch und hat so die Thür hinter sich zugeschlage, daß
    nervenschwache Weiber und Greise fast ohnmächtig geworde wärn
    und hat sich geberdt auf der Kanzel, als wenn er besoff wär und
    geschimft und räsonnirt, daß uns Gemein ein ganz schlechte Nam
    kriegt von dene fremde Leut, die auch drin warn. Er kümmert
    sich um alle Angelegenheiten, die ihn nix angehn und stift
    Streit unter die Familien und hetzt die Leut hintereinander.
    Wenn er einmal ein Buckel voll Schläg bekäm, dafür könnt mir
    nix. Wenn uns Dorf in Unzucht und Schlechtigkeit fällt, daran
    ist er allein schuld. Im ganze Dorf schwätzt man davon, daß
    ers mit eim schlechte Mädche hätt. Wie soll denn nun die
    Jugend sein, wenn der Pfarrer so ist. Uns ganz Dorf kömmt noch
    durch so ein Pfarrer in Verruf. Wir möchte Herrn hochwürdigste
    Decan unterthänigst gebeten habe, ihn gerad wegzusetze. Es
    könnt möglich sein, daß er sich in einer andern Gemeine besser
    aufführt. Wir wolle an seim Unglück nicht schuld sein, darum
    solle Sie ihn nicht absetze. In großer Unterthänigkeit grüßt

            der Kirchenvorstand:

        +Adam Koch+, Bürgermeister,
        +Jakob Mauser+, Kirchenvorsteher,
        +Philipp Schwalb+,   "

Ich hatte kaum das Schreiben gelesen, da kam der Anton Scheppler zur
Thüre hereingestürzt:

»Sie sind fort, Herr Pfarrer!« --

»Wer ist fort?«

»Der alte Fink und die Mädchen.«

»Auch die Babette Heimerdinger?«

»Auch die Babette Heimerdinger.«



VIII.

Eine Predigt Gottes.


Es war Winter geworden. Der Schneesturm tobte und in den Feldern und
Wiesen lag er fast zwei Fuß hoch. Wie ein Wintersturm war es auch
über meine Jugend dahingegangen. All' mein Hoffen und Sehnen und
meine Begeisterung war dahin. Ich fühlte mich innerlich geknickt
und gebrochen. Mein Zerwürfniß mit der Gemeinde war zwar äußerlich
beigelegt: Anne-Mile hatte geplaudert und sich nach und nach selbst
verrathen. Als die Babette an der Guntramseiche in Ohnmacht fiel und
ich um Hülfe rief, war sie ganz in der Nähe gewesen und hatte Alles
mit angesehen und zum Theil mit angehört. Doch statt Mitgefühl zu
empfinden, war der teuflische Plan in ihrer Seele wach geworden,
Babette und mich in geschehener Weise zu verdächtigen. Der Anton
Scheppler hatte einmal zu ihr gesagt, die Babette sei tausendmal
schöner als sie, weil sie züchtig und rein wäre. Das hatte sie schon
lange genug geärgert; die sollte nicht länger mit ihrer Unschuld groß
thun. Nun hatte sie auch soviel verstanden und sich zusammengereimt,
daß ich der Babette helfen wolle und war den Abend gleich zum alten
Fink gelaufen und hatte ihm Alles erzählt. Der war heftig erschrocken
und versprach ihr zehn Thaler, wenn sie Babette und mich in der
geschehenen Weise verdächtige, einen rechten Lärm im Ort mache und so
meinen Einfluß vernichte. Die zehn Thaler freilich bekam sie nicht und
der Aerger darüber war auch der Anlaß ihres Plauderns.

Der Kirchenvorstand, als er hörte, daß ich ihre Anklage in Händen
habe und es mit meiner Versetzung Nichts würde, war gekommen, um mich
um Verzeihung zu bitten, jedoch jeder Kirchenvorsteher allein. Der
Bürgermeister meinte, der alte Fink und der Mauser wären an Allem
schuld. Der alte Fink hätte gehetzt und Branntwein bezahlt und der
Mauser hätte die Schrift gemacht. Der Mauser dagegen sagte, der
Bürgermeister wäre der Urgrund alles Unheils und wir bekämen keinen
Frieden in das Dorf, bis wir einen andern Bürgermeister hätten. Der
Schwalb sprach vielleicht allein die Wahrheit, denn er gestand, er habe
nicht gewußt, was er unterschrieben habe.

Als der Decan Kirchenvisitation hielt, hatte er sehr zur Eintracht
und zum Frieden gerathen. Konnte aber Eintracht und Frieden zwischen
mir und meiner Gemeinde sein? Wäre es nicht ein trauriges Zeichen für
+mich+ gewesen?

Jetzt im Winter, und da ich Alles in seiner nackten Wirklichkeit
schaute und nicht mehr mit der idealisirenden Brille eines jugendlichen
Herzens, fühlte ich doppelt meine Einsamkeit und Verlassenheit unter
diesen Leuten. Mir war es oft mit meinem wunden Gemüthe, wie dem
»ausgewanderten Dichter«:

    »Allein? Allein? und so willst du genesen?
    Allein? Allein? ist das der Wildniß Seegen?
    Allein? Allein? o Gott, ein einzig Wesen!
    Um dieses Haupt an seine Brust zu legen.«

Ich verstand es, wenn es in der Schrift heißt: »Es ist nicht gut, daß
der Mensch allein sei.« Und ich hatte ja eine geliebte Braut; aber
bei dem dürftigen Einkommen der Stelle konnte ich nicht an Heirathen
denken. Ich konnte stundenlang im trüben Sinnen am Fenster sitzen und
hinunterblicken zu den fernen Burgen und Städten der Wetterau und zu
den finsteren Höhen des Vogelberges. Meine einzige Gesellschaft war
ein Rabe, der stets auf dem Stumpfe des vom Blitz getroffenen Baumes
saß. Er nickte mir zu und ich nickte ihm zu, als verständen wir uns. Es
schneite dabei immer zu und der Nordweststurm rüttelte an den Fenstern
und wirbelte den Schnee auf und jagte den Rauch aus dem Kamin zurück
in mein Zimmer. Aus diesem trüben Sinnen wurde ich geweckt durch eine
Nachricht, die laut predigte von der Unbegreiflichkeit der Gerichte
Gottes und von der Unerforschlichkeit seiner Wege. Es hieß: der
Schneider Heimerdinger hat seine Frau erschlagen.

Anfangs hörte ich nur dunkle, abenteuerliche Gerüchte, als habe er ihr
mit einer Axt den Leib aufgeschlitzt. Andere sagten, er habe ihr ein
Schnitzmesser in den Hals geworfen. Endlich gelangte eine bestimmtere
Nachricht an mich, daß die Frau Heimerdinger zwar stark verwundet sei,
aber nicht todt, und man auch gar nicht wisse, ob ihr Mann schuldig
wäre; nur lasse er keinen Menschen in's Haus, indem er vorgäbe, seine
Frau sei zu schwach, um Besuch anzunehmen. Ich beschloß, auf jeden
Fall die Sache näher zu untersuchen und mich so leicht nicht abweisen
zu lassen. Ich fand die Hausthüre von innen verriegelt. Aber als ich
ein wenig Lärm mit dem Drücker machte, erschien ein Kopf am Fenster
und bald darauf wurde geöffnet. Es war Konrad, der achtjährige Sohn
des Heimerdinger, der mir öffnete. Sein Vater war nicht zu Hause. Er
war vor einer Stunde in den Wald gegangen, um Holz zu holen, weil sie
keinen Vorrath mehr im Hause hatten, um zu kochen und einzuheizen. Ich
trat in ein freundliches, nettes Zimmer, wie kein zweites im ganzen
Dorf zu finden war. Die Wände waren mit einer neuen, hellen Tapete
bekleidet; an den Fenstern waren schneeweiße Halbvorhänge angebracht
und auf einem selbstverfertigten Blumentischchen stand eine ganze
Auswahl von Monatsrosen, Nelken, Geranien, Fuchsia's und Cactus. In
dem Bett, das die Ofenecke ausfüllte und durch eine einfache Gardine
geschützt war, lag die Frau Heimerdinger, das immer noch schöne Gesicht
todtenbleich und von Schmerz entstellt. Der kleine Konrad war an ihr
Bett getreten und hatte sein Gesicht in dem Kissen vergraben, während
die Mutter krampfhaft in seinen Locken wühlte und mich gar verlegen und
mißtrauisch anblickte.

»Es scheint Ungewöhnliches in diesem Hause vorgegangen zu sein«, begann
ich die Unterredung.

»Ja, Herr Pfarrer, es wird mein Tod sein.«

»Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Gestern Abend bin ich dunkel in den Keller gegangen und über das
Sauerkrautfaß gefallen und habe mir an einem großen Nagel, der
herausstand, den Leib aufgeritzt und ich glaube, einen Darm verletzt.«

Die Geschichte war so einfach und wahrscheinlich und so im Tone der
Wahrheit erzählt, daß mir gar kein Bedenken gekommen wäre, wenn ich
nicht in ihren Augen etwas Lauerndes meinte wahrgenommen zu haben. Doch
ich konnte mich auch täuschen. Um sie weiter zu beobachten, sagte ich
rasch: »Es wird im Dorfe ganz anders erzählt, Frau Heimerdinger.«

Aber sie wußte es schon.

»Ich weiß es, der Konrad hat mir's gesagt. Es sind verleumderische
Menschen, die einem gern etwas anhängen möchten und die nicht wissen,
was sie thun.«

»Sie werden es wohl am besten wissen und werden nicht mit einer Lüge
aus der Welt gehen wollen?«

»Nein, wenn man so nahe der Ewigkeit steht, lügt man nicht.«

Sie war aber feuerroth bei diesen Worten geworden und wendete sich ein
wenig nach der andern Seite. Es war also nicht Alles richtig. Sie hatte
Etwas zu verbergen.

»Gebrauchen Sie einen Arzt?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Sie wissen, wir armen Leute schicken nicht gleich zum Doctor und in
die Apotheke, wir können schon einen Stoß vertragen. Doch wenn mein
Mann heimkommt, soll er gleich nach einem gehen. Die Schmerzen sind
nicht gut zu ertragen und es ist Alles geschwollen.«

»Versäumen Sie es ja nicht! Sie haben schon zu lange gewartet. Sie
können dadurch an Ihrem Tode schuldig sein.«

Sie war noch bleicher geworden. Ihre Schmerzen schienen furchtbar
zu sein. Aber die größten Schmerzen konnten ihr das Geheimniß nicht
auspressen. Sie hatte sogar noch Geistesgegenwart genug, sich nicht
durch ein einziges Wort zu verrathen. Als sie sich wieder etwas erholt
hatte, bemerkte ich darum, um sie noch stärker anzugreifen:

»Denken Sie auch an Babette?«

»Herr Pfarrer, die macht mir mehr Schmerzen, als meine Wunde. Wir haben
gestern Morgen einen Brief von ihr bekommen. Sie schreibt nicht gut.«

»Dürfte ich den Brief vielleicht einmal sehen?«

»Ich glaube, mein Mann muß ihn mit haben.«

»Mutter,« sagte Konrad, »er liegt ja unter Deinem Kopfkissen.«

»Nein, Konrad, Dein Vater hat ihn mit.«

»Lassen Sie nur, Frau Heimerdinger, Sie können mir vielleicht etwas
daraus mittheilen.«

»Sie schreibt von New-York aus, des andern Tages würden sie nach
Californien absegeln. Sie macht uns schwere Vorwürfe und was mich am
meisten ängstigt, ist: daß sie schreibt, sie blicke oft in das Meer und
dann denke sie: wenn sie tief, tief dort unten liege, dann hätte sie
Ruhe und Frieden. Balzer's Ernst hat auch einen Brief von ihr erhalten.«

Als sie mir nichts weiter mittheilte, wollte ich auch nicht weiter
in sie dringen und fragte nur noch, wenn Sie denn sterben sollte,
ob Sie sich auch gerüstet glaube, vor dem Richterstuhle Gottes zu
erscheinen. Da antwortete sie auf einmal in einem ganz umgeänderten
Tone: »Sie müssen wieder kommen, Herr Pfarrer, Sie müssen wieder
kommen!« und schwere Thränen perlten in ihren Augen. »Ich habe noch
viel mit Ihnen zu reden, ehe ich sterbe, aber jetzt bin ich zu schwach,
zu angegriffen.« Ich sah ihr an, wie sie sich nur mit Mühe aufrecht
erhielt und entfernte mich. Die Erinnerung an ihr unglückliches Kind
schien den Panzer, der ihr Herz umschloß, geschmolzen zu haben. -- Ich
lag die Nacht im ernsten, tiefen Schlaf; da wurde mit der Faust wider
meinen Fensterladen geschlagen. »Herr Pfarrer, Sie sollen gleich in
Heimerdinger's kommen: Die Frau Heimerdinger stirbt!« rief es draußen.

Ich zündete Licht an. Es war eben drei Viertel auf ein Uhr. Ich warf
mich schnell in meine Kleider und war bereit, dem Manne, der noch
draußen mit der Laterne stand, zu folgen. Der Sturm heulte, Schnee
und Regen schmetterten wider die Fenster, die Dachziegel klapperten,
die zwei alten Pappelbäume vor meinem Hause ächzten und stöhnten.
Ich schauderte, in die schwarze, schreckliche Nacht hinauszugehen zu
solchem Sterbelager. Aber die Pflicht rief. Unterwegs erzählte mir
mein Begleiter, der ein Nachbar von Heimerdingers war, er und seine
Frau seien schon den ganzen Abend im Hause. Die Frau Heimerdinger
hätte bereits seit Stunden nach mir verlangt, aber der Heimerdinger
habe immer Entschuldigungen und Ausreden vorgebracht. Zuletzt als
sie immer schwächer geworden, sei er auf eigene Verantwortung zu
mir gelaufen und hätte mich gerufen. Er glaube, sie wolle mir ein
Geständniß machen. -- Als wir eintraten, lag sie ebenso da wie am
Morgen; nur saß ihr Mann neben ihr am Bett. Er warf mir einen wilden,
verwirrten Blick zu, als ich so plötzlich und unvermuthet hereintrat,
wandte sich aber gleich wieder zu der Sterbenden. Diese faltete die
Hände und streckte sie hoch in die Luft, warf einen verzweifelten Blick
auf mich und ihren Mann, that noch einen Schrei und war verschieden.
Ich war zu spät gekommen. Der Mann warf sich schluchzend über die
Leiche. Der Konrad lag ohnmächtig in der Nachbarin Arm. Ich sank auf
die Knie und betete um Gnade für die arme Seele. Ich hätte gern eine
gerichtliche Untersuchung der Leiche gehabt, zumal da das ganze Dorf
derselben Ansicht war, wie ich, daß der Fall über das Sauerkrautfaß
reine Erfindung sei. Man traute allgemein der Frau Heimerdinger die
Festigkeit und Charakterstärke zu, daß wenn sie ein solches Geheimniß
hätte mit in's Grab nehmen wollen, sie es auch gekonnt habe. Aber
der Arzt, der sie noch den Nachmittag vor ihrem Tode besucht hatte
und den ich darüber sprach, sagte: es sei kein Grund vorhanden, hier
gerichtlich einzuschreiten, indem an der Angabe der Kranken gar nicht
zu zweifeln sei: Ich solle sie in Gottes Namen beerdigen.

Es war in der folgenden Nacht. Der Nordweststurm hatte sich noch nicht
gelegt und rüttelte besonders an dem einsamen Haus des Schneiders
Heimerdinger, als wollte er es vom Erdboden mit hinwegnehmen und mit
ihm alles Verbrechen und Weh, welches es in sich verbarg. Mitternacht
mochte vorüber sein, da erwachte der kleine Konrad hinter dem Ofen,
hinter dem er sitzend eingeschlafen war. Der Ofen war kalt. Ihn fror
es, daß die Zähne klapperten. Das Licht, das auf dem Tische stand,
war am Ausgehen und flackerte auf und nieder. Bei seinem ungewissen
Schein glaubte er zu sehen, wie seine Mutter, deren Leiche mit einem
Leintuch verhüllt auf dem Bette lag, ihre Hände nach ihm ausstreckte.
Wie er sich entsetzt abwandte, fiel sein Blick auf seinen Vater, der
lang ausgestreckt, bleich wie seine Mutter, auf dem flachen Stubenboden
lag. So war er hingefallen, als er spät in der Nacht betrunken in
die Stube hereintaumelte, und liegen geblieben und eingeschlafen. In
demselben Augenblicke, als der Knabe seinen Vater erblickte, erlosch
das Licht. Da wurde es wirr in seinem Sinn; er meinte den Sterbeschrei
seiner Mutter wieder zu hören; er glaubte, eine Faust fasse ihn beim
Genick, sein Haar sträubte sich in die Höhe und mit einem lauten
Schrei stürzte das unglückliche Kind, vom Entsetzen gepackt vor seinen
eigenen Eltern, hinaus aus dem Vaterhaus in die wilde Nacht hinein, um
sich eine andere Heimat zu suchen. Der Wind spielte mit seinen Locken
und fuhr eiskalt durch seine dünnen Kleider und bei jedem Schritt
brach er bis über die Knie in den Schnee. Aber fort ging's, wie das
gehetzte Wild vor einer Meute Hunde dahinläuft. Fort -- fort -- aber
wohin du armer Knabe, in der dunkeln Nacht, in Wind und Wetter, im
tiefen Schnee? In die Heimat? Du hast ja keine Heimat! Dein Vater ist
ein Mörder -- Deine Mutter ist ermordet -- Deine geliebte Schwester ist
verkauft! Oder willst du in die andere Heimat? Du hättest sie wohl auch
noch erreicht in dieser Nacht, wenn Gott nicht seinen Engeln befohlen
hätte: »dies Kind soll wohl behütet sein!«

Auf einmal war es dem Konrad, als hätte er keinen Boden mehr unter den
Füßen; dann meinte er, er könne fliegen, dann lag er so weich, so weich
und wäre gern eingeschlafen, aber das Bein that ihm so weh, daß er in
einem fort aufschreien mußte.

»Hanjörg, Hanjörg«, sagte zum Bauern auf dem Hauserhof seine Frau, die
Babett, und strich ihm mit der Hand über's Gesicht, um ihn aufzuwecken:
»ich weiß nicht, die Hunde rasen ordentlich an ihren Ketten; es muß
Etwas im Hof sein. Es wäre gut, wenn Du einmal hinausgingst und
nachsähest: ich traue dem Heidenvolk nicht, das in den letzten Tagen
hier herumstrich. -- Und horch! -- wenn der Sturm nicht so heult
-- hörst Du es nicht jammern und jispern? Mein Gott, wenn so ein
Unglücklicher in der Dunkelheit die Felswand hinabgestürzt wäre!« Mit
gleichen Füßen fuhr sie aus dem Bette und in fünf Minuten stand sie
schon mit ihrem Manne im Hof und fanden dort den armen Konrad, der ein
Bein gebrochen hatte.

Ich hatte noch nicht gefrühstückt, da war ein Knecht vom Hauserhof da:
ich solle gleich einmal hinauskommen, es wäre etwas Wichtiges.

Ich beeilte mein Frühstück und machte mich auf den Weg; aber der Hof
war, obwohl nur eine Viertelstunde entfernt, kaum zu erreichen vor dem
ungewöhnlich tiefen Schnee. Endlich trat ich wie ein Schneemann mit
Schnee beladen in's Zimmer und merkte nun alsbald auch, um was es sich
handelte, da ich den Konrad im breiten Familienbette entdeckte und
die geschwätzige Hoffrau mir fast in einem Athem über die nächtlichen
Geschichten berichtete und andeutete, daß der Knabe Alles wisse und
auch sagen würde, worüber man bis jetzt nur noch Vermuthungen hatte.

»Das Bein ist wieder kunstgerecht eingerichtet vom Schäfer von
Langenbuch: der versteht's besser als ein Doctor. Er war noch keine
fünf Minuten fort, als Sie kamen und morgen will er wieder kommen und
nachsehen. Aber was das Konrädchen zu sagen hat, da sollten Sie dabei
sein! Sie wissen doch besser mit solchen Dingen umzugehen, als wir.
Und wenn der schlechte Mensch schuldig ist, so muß er d'ran und wenn
es tausendmal noch ein Verwandter von uns ist. Für die Kinder ist
gesorgt. Der Konrad bleibt gerade bei uns und ich wollte, die Babett,
mein Göthchen, das herzige Mädchen wäre auch wieder da! Es würde sich
noch Manches machen lassen. Ich und mein Alter haben schon lange unser
Augenmerk auf die herrlichen Kinder des Heimerdinger geworfen, da uns
Gott diesen Segen versagt hat.«

Um den Strom der Rede, der wahrscheinlich noch so eine Weile
fortgeflossen wäre, abzuschneiden, trat ich an's Bett und fing an, den
Knaben zu verhören. Jedoch nur auf die heiligsten Versicherungen des
Schutzes, den er genießen sollte, begann er seine Erzählung, die oft
durch Weinen unterbrochen wurde und worüber ich mir in manchen Stücken
erst durch langes Examiniren Aufklärung verschaffte. Heimerdinger hatte
durch den Verkauf seines Mädchens die Schuld, die auf dem Hause ruhte,
gedeckt und auch noch etliches baare Geld in die Finger bekommen. Aber
sein Durst war diesem und noch mehrerem gewachsen; er schien sich sogar
noch von Tag zu Tag zu steigern. Die Arbeit war ihm gänzlich verleidet
und er begehrte Nichts als zu trinken und wieder zu trinken. Das war
nun ein großes Leidwesen für die Frau, die schon zum Voraus berechnen
konnte, wann der Preis, für den sie ihr herrliches Mädchen dahingegeben
hatte, durch den Leichtsinn und die Trunksucht ihres verkommenen Mannes
bis auf den letzten Heller verzehrt sein würde! Alle Vorstellungen und
Zuredungen halfen Nichts; ebensogut hätte sie dem Winde sagen können,
er solle nicht mehr wehen oder dem Feuer, es solle nicht mehr brennen,
wie dem Heimerdinger, er solle nicht mehr trinken. -- Ueber die neuen
Tapeten, welche sie gekauft und über die neuen Einrichtungen im Haus
und Garten, wonach sie sich schon so lange gesehnt hatte, konnte sie
sich gar nicht freuen; sie gereichten ihr nur noch zu größerem Schmerz.
Nun kam der Brief von Babette. Sie hatte laut aufweinen müssen vor
furchtbarem Weh und Herzeleid, als sie die schweren Kämpfe ihres armen
verstoßenen Kindes erkannte und seine gerechten Vorwürfe fielen wie
Hammerschläge auf ihr selbstsüchtiges Herz. -- Selbst der Mann wurde
soweit gerührt, daß er sich vornahm, wieder zu arbeiten. Er wollte
sich beim Holzfällen betheiligen und wie sonst den Schweinemetzger
im Dorfe spielen und sich auch diese wenigen Kreuzer nicht entgehen
lassen. Deshalb nahm er seine Axt und sein Schlachtmesser und sagte:
er wolle zur Schmiede, um sie sich dort auf dem Schleifstein zu
schleifen. Aber er kam den ganzen Tag nicht heim. Konrad hatte schon
mit seiner Mutter zu Nacht gegessen und sie las wieder Babettens Brief,
da taumelte Heimerdinger völlig berauscht zur Thüre herein, in der
einen Hand die volle Branntweinflasche, in der andern seine Axt und
sein Schlachtmesser. Er war sehr guten Humors und setzte die Flasche an
den Mund, um seiner Frau zuzutrinken. Aber in dieser hatte jetzt die
Geduld ihr Ende erreicht und je lustiger er war, desto grimmiger wurde
sie. Sie riß ihm die Flasche aus der Hand und rief: »Du Nimmersatt, du
verfluchter Saufaus, o daß Du ersticktest an dem nächsten Tropfen, den
Du trinkst! Du säufst unsere Thränen und unser Blut, Du Wütherich!«

Ganz kaltblütig erwiderte er: »Gib die Flasche her und schrei nicht
so!« »Die Flasche bekommst Du nicht wieder!« »Gib die Flasche her oder
es gibt ein Unglück!«

»Ich fürchte Dich nicht und Du bekommst sie nicht!«

»Gib die Flasche her oder --!«

»Da hast Du sie!« rief seine Frau und warf sie ihm vor die Füße,
daß die Splitter umherflogen. Aber in demselben Augenblicke griff
er nach seinem Schlachtmesser und rannte es ihr in den Leib. Sie
stieß einen fürchterlichen Schrei aus und fiel für todt in die
Stube. Heimerdinger war plötzlich nüchtern geworden, als er das Blut
am Boden rinnen und seine Frau als Leiche im Zimmer liegen sah.
Er schlug sich mit der Faust wider die Stirn und schrie: »Mörder!
Mörder!« verfluchte sich und den Branntwein und warf sich über den
Leichnam und weinte bitterlich. Als er so über ihr lag, meinte er auf
einmal noch Leben in ihr zu verspüren und legte sie deshalb auf ihr
Bett. Um die Wunde ungestört untersuchen zu können, riegelte er die
Hausthüre zu und machte allerhand Wiederbelebungsversuche. Und wirklich
erholte sie sich rasch wieder und fühlte sogar im Augenblick keinen
besonderen Schmerz. Da war es denn auch mit der ernstlichen Reue des
leichtsinnigen Trinkers schon vorbei und er fing an, die Spuren seiner
Unthat zu vertilgen. Die Blutlache machte ihm viele Arbeit, zumal da
er nicht überflüssig Wasser im Hause hatte. Das Messer vergrub er im
Holzschoppen. Dann sagte er zu seiner Frau: »Nun mag daraus entstehen,
was da will; du bist über das Sauerkrautfaß im Keller gefallen. Wenn
Du anders sagst, schneide ich mir den Hals ab, das schwöre ich Dir bei
Gott dem Allmächtigen!

Und Du, Konrad, wenn ein Wort über Deine Lippen kommt, schlage ich Dir
die Axt auf den Kopf, so gewiß ich Heimerdinger heiße!« --

Der Knabe war durch sein Erzählen und mein ständiges Fragen so ermüdet,
daß er dringend der Ruhe bedurfte und da auch alles Weitere von keinem
besonderen Belange war, überließ ich ihn ganz seinem weiten Federbette.

Ich aber setzte sofort die Hauptsache des eben Gehörten zu einem
Bericht zusammen und schickte damit direkt einen Knecht an's Amt. Schon
gegen Abend desselben Tages kam eine Untersuchungscommission in's Dorf,
von zwei Gensdarmen begleitet. Des Mörders Haus fanden sie jedoch
verschlossen. Dieser war seit der Todesstunde seiner Frau nicht mehr
nüchtern geworden; bei Tage trieb er sich in den Branntweinkneipen der
Umgegend umher und erst spät in der Nacht kehrte er in fast bewustlosem
Zustande heim. So wurde die Hausthüre erbrochen. Die Section ergab,
daß die Wunde nicht durch einen Nagel, sondern nur durch ein scharfes,
schneidiges Instrument könne bewerkstelligt sein. Das Messer fand
sich nach kurzem Suchen im Holzschoppen. Und nun erstand auch noch
im Nachbar ein wesentlicher Zeuge, da er den Heimerdinger mit Axt,
Messer und Flasche hatte heimgehen sehen und den Schrei der Frau und
den Ruf »Mörder! Mörder!« gehört hatte. Er war auch an's Haus geeilt,
als er aber die Thüre verschlossen fand und er seinen Nachbar in der
Trunkenheit fürchtete, hatte er sich wieder zurückgezogen. Es wurden
noch außerdem die halbe Nacht Zeugen verhört. Die zwei Gensdarmen saßen
während dessen in dem dunklen Haus und warteten auf die Heimkehr des
trunkenen Schneiders. Sie mußten lange vergeblich warten. Endlich kam
er. Er hatte so weit die Erinnerung an seine ganze Situation durch
Branntwein hinuntergespült, daß er mit lauter Stimme sang. Doch mag
er etwas überrascht gewesen sein, als er nun plötzlich verhaftet und
gefesselt wurde. Den Rest der Nacht mußte er in Fesseln neben der
Leiche sitzen. Auch des andern Morgens wurde er nicht gleich abgeführt,
da das Zeugenverhör noch immer andauerte, und so traf es sich, daß er
gerade von den zwei Gensdarmen aus dem Dorfe hinaustransportirt wurde,
als man seine gemordete Frau im Sarge hinaustrug. Wie mag ihm das
Grablied, das er noch hörte, in den Ohren geklungen haben.



IX.

Das Ende.


Eines Nachmittags kam die alte Balzerswäs ganz verstört in mein Zimmer.

»Der Himmel erbarme sich einer alten Wittfrau! Wie schwer wird man
heimgesucht! Denken Sie, mein Ernst ist fort, ist der Babett nach, dem
verfluchten Mensch!«

»Was sagen Sie, der Ernst ist fort! ist nach Californien?« rief ich
ganz verwundert.

»Ach Gott, das viele, viele Geld!«

»Es ist allerdings ein leichtsinniger Streich, der schlimme Folgen für
seine Zukunft haben kann. Doch wie ist es denn zugegangen?«

»Nun wie wird's zugegangen sein! Der Bub ist ganz verhext in die
Babett, sie hat ihm auch, glaube ich, von Amerika aus geschrieben und
ihn dazu verleitet. Es kann ja nicht anders gehen, wenn man sich unter
das Bettelpack mischt. Als er die Weihnachten hier war, ist er nicht
wieder auf's Seminario. Ich hatte ihm das Kostgeld für ein halbes Jahr
mitgegeben, das hat er nicht bezahlt. Seine Bücher, sein Weißzeug,
sein Bett und sein Clavier hat er für ein Lumpengeld verkauft und vom
Izik aus der Stadt hat er sich auf Handschein zweihundert Gulden geben
lassen. Denken Sie, der stille, brave Ernst! Die Gedanken kann ihm doch
nur das Satans Ding eingegeben haben. Wir sind erst hinter die ganze
Geschichte gekommen, als der Izik mich vorgestern anrief und fragte,
wer denn die Zinsen von den zweihundert Gulden bezahlte -- ich oder
der Ernst. Ich weiß gar nicht, wie ich heimgekommen bin. Der Hanjost
mußte gleich hinüber nach J., aber das Nest war leer -- der Vogel
war fort. Er wird auch nicht mehr aufgenommen in's Seminario, weil er
durchgegangen ist. Der Hanjost hat's aus dem Mund vom Direktor.

Denken Sie, jetzt muß ich das Kostgeld noch bezahlen und der Izik will
am Ende auch noch sein Geld haben. Ach Gott, das viele, viele Geld! Was
hat das Studium nicht Alles gekostet und nun ist Alles umsonst! Es wäre
vielleicht doch am besten gewesen, wenn wir Ihnen gefolgt hätten, aber
wer hätte denken können, daß Alles so käme! Ja, ich vergesse ganz, was
ich eigentlich fragen wollte. Ist denn gar nichts mehr zu machen? Kann
man ihn denn nicht mehr erreichen?« -- »O ja, Sie müssen nach Hamburg
oder Bremen telegraphiren und ihn dort festnehmen lassen.«

»Kostet das aber nicht wieder Geld?«

»Gewiß wird es Geld kosten, doch ich meine, das könnte Sie in diesem
Fall nicht kümmern!«

»Nun ich könnte einmal in die Stadt gehen. Hernach kann man immer noch
machen, was man will.«

»Aber wenn Ihre Bemühungen Erfolg haben sollen, Frau Balzer, so thut
die größte Eile noth.«

Ob sie hat telegraphiren lassen, weiß ich nicht. Zurückgekommen ist
er wenigstens nicht. Dagegen kam im Mai des Jahres ein Brief von
Försters Anna, der von ihm Nachricht gab. Weil dieser Brief auch die
einzige Nachricht vom ferneren Schicksal Babettens enthielt, suchte
ich mir denselben zu verschaffen und will den Hauptinhalt desselben
hierhersetzen.

        Theuerste Eltern!

    Ihr empfanget hiermit meine Photographie. Es ist jetzt Mode,
    seinen Eltern die Photographie zu schicken. Alle Herrn wollen
    auch meine Photographie haben. Sie sagen: ich wäre sehr gut
    getroffen und nähme mich reizend aus. Das Kleid, was ich auf
    dem Bilde anhabe, ist von Seide und die gelben Streifen um die
    Finger sind goldene Ringe. Ich wollte auch meinen neuen Hut und
    meine seidene Mantille anthun, aber der Maler sagte, ich würde
    anders viel schöner aussehen. Alle Herrn sind in mich vergafft.
    Mir gefällt's sehr gut hier. Anfangs, als ich noch einfältig
    war, habe ich als viel gegreint und mich heim gewünscht, aber
    jetzt habe ich mich schon recht gefunden. Es wäre Alles recht
    gut hier, wenn die Männer nur nicht so wild wären und gleich
    aufeinander schössen und sich todtstächen. Aber Mord und
    Todtschlag ist hier überall und Alle haben Pistolen, wo man oft
    mit schießen kann, die sie »Revolver« nennen und lange Messer.
    -- Artig sind sie -- das ist wahr -- und können einem ganz
    anders die Cour schneiden, als unsere Bursche daheim. In unserm
    Tanzhôtel heiße ich allgemein »die Königin«, besonders seit die
    Babett todt ist und auch als sie noch lebte, hatte ich schon
    viel den Vorzug wegen meiner Munterkeit und Anstelligkeit.

    Doch ich habe Euch noch gar nicht den Tod der Babett berichtet.
    Ach, das arme, arme Ding! Ich muß gerad weinen, wenn ich an sie
    denke. Wir waren immer so gute Kamerädinnen. Ich wollte, ich
    wäre nur einmal ein paar Stunden bei Euch! Es ist gar zu viel
    zu erzählen. Die Babett war schon ganz merkwürdig, als wir auf
    dem Meer waren, gar nicht wie wir Andern. Sie hatte gar keine
    Furcht, bekam auch nicht die Seekrankheit. Meistens saß sie
    auf dem Deck und guckte oft stundenlang nach dem Himmel oder
    hinunter in die See. Ich sagte einmal zu ihr: Nun willst Du
    ein Sterngucker werden? Da hat sie laut angefangen zu weinen.
    Hernach habe ich sie nie mehr gestört. Aber ich glaube, sie
    hat damals viel daran gedacht, sich selbst um's Leben zu
    bringen. Ich mußte bei ihr sitzen bis spät in die Nacht hinein
    und wenn ich fort wollte gehen, hat sie mich um Gotteswillen
    gebeten, ich solle bei ihr bleiben. Dann sang sie all' die
    Lieder, die wir als Sonntags an der Guntramseiche gesungen
    haben. Aber auch Ein's hat sie oft gesungen; ich glaube, das
    hat sie selbst gemacht:

          Ich steh' am Schiffsgeländer
        Und blicke in die See;
        Ich möcht' so gern hinunter,
        Begraben alles Weh!

          Es ist so tief da drunten,
        So tief bis auf den Grund,
        Mein Schmerz ist noch viel tiefer;
        Ich werd nicht mehr gesund.

          Mein Ernst, du lieber Bube,
        Dein Schatz sagt dir: Ade!
        Du siehst Dein Mädchen nimmer;
        Es liegt in tiefer See.

          Im Meer ist gar viel Wasser,
        Wo man mit säubern mag;
        Ich möcht' mich drunten waschen
        Von aller meiner Schmach!

    Einmal hatte sie es wieder gesungen, da sprang sie wild in die
    Höhe und schaute ganz verwirrt um sich. Mir war angst und bang,
    und ich wollte schon um Hülfe rufen, da fiel sie auf die Knie
    und betete laut:

        Mein Gott, ich bitt' durch Christi Blut!
        Mach's nur mit meinem Ende gut.

    Von der Zeit an habe ich das Lied nicht mehr von ihr gehört.

    Wir haben auch einen Sturm mitgemacht. Das brüllte und tobte,
    als ginge die Welt unter. Aber als wir Alle schrien und
    weinten, war die Babett ganz ruhig, als wenn Nichts wäre.
    Und als das Schiff krachte, als wollte Alles kaput gehen, da
    leuchteten ihre Augen zum ersten Mal wieder wie daheim. -- In
    Californien wollte sie ganz apart sein. Sie hat uns als recht
    geärgert mit ihren Ermahnungen, wir sollten beten und in der
    Bibel lesen. Wir sagten ihr, wenn wir uns predigen wollten
    lassen, gingen wir in die Kirche. All' ihr Heiligthun hat ihr
    auch Nichts geholfen. Sie mußte mit wie wir Andern. Was ist
    sie geschlagen und gepeinigt worden! Die Schottin ist noch
    schlimmer als der alte Fink und der ist wahrhaftig schlimm
    genug. Sie hat jedoch nie geklagt und auch nie geschrien. In
    die Lippen hat sie sich gebissen, daß das Blut herunterlief
    und die Thränen sind ihr aus den Augen gestürzt. Wir mußten
    als laut weinen, wenn sie so mißhandelt wurde. Im Tanzsaal
    that sie gar stolz. Sie hat mit Niemandem getanzt und wenn's
    Einer fertig bringen wollte, mußte er sie mitschleppen. Und
    doch waren die Herrn gleich in sie vernarrt, als sie zum ersten
    Mal mit mußte. Es war, als wenn sie allein im Saal wäre. Alle
    hatten Respekt vor ihr. Sie nannten sie »die Jungfrau von
    Orleans.« Da war aber Einer -- sie nannten ihn den »schwarzen
    Tom«, -- das war der Haupthahn und der Schönste von Allen. Ich
    konnte ihn ganz gut leiden. Seine kohlschwarzen Augen brannten
    wie lauter Feuer und seine Zähne waren so weiß wie Elfenbein.
    Er führte Alles an und sie mußten ihm Alle gehorchen. Der
    machte eine Wette: er wollte die Babett küssen mitten im Saal
    vor den Leuten. Und er that's auch; aber die Babett, die immer
    so riesig stark war, gab ihm eine Ohrfeige, daß er den langen
    Weg in den Saal fiel. Alle lachten, spotteten und uzten; denn
    es waren Viele, die ihn nicht leiden mochten. Er wurde dadurch
    wüthend, nahm seinen Revolver und schoß der Babett durch die
    Brust. Es war ein furchtbares Durcheinander. Der Tom hätte sich
    retten können, aber ein alter Herr hielt ihn so fest, daß er
    nur zappelte. Der ließ auch die Babett in sein Haus schaffen.
    Man erfuhr hernach, daß er ein Deutscher sei; er hätte auch
    der Babett ihre Mutter schon gekannt und hätte vorgehabt, die
    Babett zu sich zu nehmen und hätte nur noch eine Zeitlang
    warten wollen, um ihre Beständigkeit zu prüfen. Der Tom wurde
    schon den andern Tag gehenkt. Die Babett war nicht gleich todt,
    sondern hat noch vierzehn Tage gelegen und nicht besonders viel
    Schmerzen gehabt. Um den Jammer voll zumachen, kam vor ein paar
    Tagen plötzlich der Ernst und traf mit einem von unsern Mädchen
    zusammen.

    Das war ein Wiedersehn: Die Steine hätten sich erbarmen mögen!
    Er hatte die halbe Welt durchreist, um sie zu retten, wie er
    sagte. Er hatte sein Studium und Alles aufgegeben und nun fand
    er sie am Sterben. Die Babett war wunderbar ruhig und getrost.
    Als sie den Ernst sah, sagte sie: Nun ist Alles gut! Der Tod
    ihrer Mutter durfte ihr nicht gesagt werden. Sie sah fast aus
    wie ein Engel und Alle hat sie getröstet. Und wie ein Engel ist
    sie hinübergegangen. Der Ernst ist ganz niedergeschmettert.
    Er ist vorläufig noch bei dem alten Herrn. Ich habe ihm die
    Geschichte von unserer Reise so oft erzählen müssen, daß ich
    sie fast auswendig kann. Doch jetzt thun mir die Finger weh,
    so viel habe ich geschrieben und es ist auch Zeit, daß ich an
    meine Toilette denke. Heute Abend ist großer Maskenball und
    Alle haben gesagt: »Die Königin darf nicht fehlen!«

    Haltet Euch gesund und seid gegrüßt von

        Eurer treuen Tochter

          Anna Klein.

    +Nachschrift+: Ihr findet auch ein Bankbillet von fünfzig
    Dollars in dem Brief; der alte Fink braucht nicht Alles zu
    wissen.

       *       *       *       *       *

Ich hätte vielleicht noch Ausführlicheres von den Heimkehrenden in
Erfahrung bringen können, wenn ich nicht etliche Monate darauf in eine
der schönsten Gegenden des Lahnthals versetzt worden wäre.



Druck von Velhagen & Klasing in Bielefeld.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Der Schmutztitel wurde entfernt.

    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

    Korrekturen:

    S. 94: Hangost → Hanjost
      Der {Hanjost} hat's aus dem Mund

    S. 95: war → wahr
      Artig sind sie -- das ist {wahr}





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