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Title: Das Kind
Author: Eckstein, Ernst
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


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    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.

    Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.

    Neunter Jahrgang. Band 22.

    Das Kind.

    Novelle

    von

    Ernst Eckstein.

    [Illustration]

    Stuttgart.

    Verlag von J. Engelhorn.
    1893.



Alle Rechte, namentlich das Uebersetzungsrecht, vorbehalten.


Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.



Erstes Kapitel.


Graf Authenried trat, zur Abfahrt gerüstet, ins Speisezimmer, wo sich
die übrigen Hausgenossen gerade vom Frühstück erhoben. Er selbst hatte
in großer Hast ein paar Tassen Thee hinunter gestürzt, einen Zwieback
zerbröckelt und Hals über Kopf Toilette gemacht, um noch rechtzeitig
den Personenzug in Hoyersbrück zu erreichen. Der Landauer mit den zwei
Edelrappen stand seit zehn Minuten schon vor der Einfahrt.

»Amüsiert euch gut!« sagte der Graf und stülpte den braunen Filz mit
den Spielhahnfedern über das volle, etwas ungebändigte Haar. »Gegen
halb neun bin ich, so Gott will, zurück! Somsdorff, ich bitte mir
aus, daß Sie nicht gar zu viel musizieren und Litteratur schwatzen,
wenigstens nicht vor den Bücherregalen! Führen Sie meine Frau hübsch
hinaus in den Park; meinetwegen nach Gehlberg oder den Fluß entlang!
Von dem ewigen Sitzen wird sie noch melancholisch. Hörst du, Adele? --
Adieu! Adieu, lieber Somsdorff! Adieu, Kleine! Adieu, Miß Harriet!«

Das alles ward eilig und wie im Bann einer gewissen Zerstreutheit
hervorgestoßen. Die letzten Worte galten der fünfjährigen Tochter des
Hauses und ihrer englischen Gouvernante, die sich jetzt ehrerbietig
verneigte, nachdem die Thüre längst schon hinter dem Grafen ins
Schloß gefallen. Das Kind hatte nur flüchtig genickt und »Gute Reise!«
gemurmelt; es mochte wissen, daß sein Papa kein Freund von Umarmungen
und ähnlichen Sentimentalitäten war, besonders nicht, wenn er sich so
mitten im Strudel seiner »fachmännischen« Interessen befand.

Und diese Interessen nahmen ihn jetzt wieder völlig in Anspruch. Mit
Leib und Seele ritt er sein Steckenpferd, über dem er fast alles
vernachlässigte, was sonst den Menschen wichtig und teuer ist: die
leidige Numismatik.

Gräfin Adele wenigstens hatte der sonst so harmlosen Wissenschaft
dieses Epitheton beigelegt: denn die Münzkunde verschlang bei Gerold
Graf Authenried mehr und mehr den Gatten, den Vater, den Menschen.

Es war eine Monomanie, gegen die sich mit ruhiger Vernunft ebensowenig
ankämpfen ließ, als mit Freundlichkeit oder vollends mit Trotz. Ab
und zu ebbte die Monomanie; dann kamen Tage der Ausspannung, die der
Geselligkeit und dem Sport, vornehmlich der Jagd, gewidmet, oft auch
mit Zechgelagen und sonstigem unerquicklichen Treiben ausgefüllt
wurden. Für die Familie aber hatte Graf Gerold nichts übrig; sobald er
sich mit Adele und seinem Töchterchen auch nur für Stunden allein sah,
ergriff ihn eine seltsame Unrast, ein Drang, diesen Kreis zu erweitern,
Elemente hereinzuziehen, die ihn besser und stärker beschäftigten, als
die sanfte, in seiner Gegenwart etwas schweigsame Frau und das blonde,
plappernde Püppchen. Uebrigens fing auch die kleine Josefa schon an,
ihr lebhaftes Plauderbedürfnis einzudämmen, sobald sich der Vater
zeigte, und ganz zu verstummen, sobald sie ihn unter dem Bann seiner
Numismatik wußte. Die fremde Vokabel war ihrem Ohre geläufig geworden,
noch eh' ihre Lippen sie aussprechen konnten.

Graf Authenried wollte über Hoyersbrück nach Groß-Zeschau, der
benachbarten Kreisstadt, wo vor kurzem der alte Rektor der berühmten
Lateinschule Alma Ruperta, Professor Doktor Justus Spelhagen, Verfasser
eines epochemachenden Werkes »~De aureo Caracallae~«, verstorben war
und eine zwar kleine, aber sehr wertvolle Münzsammlung hinterlassen
hatte, die heute zur öffentlichen Versteigerung gelangte. Der Pfarrer
von Hoyersbrück, der sich gleichfalls für Numismatik interessierte,
hatte den Grafen zuerst auf diese schöne Gelegenheit, sein Münzkabinett
zu vergrößern, aufmerksam gemacht und sich erboten, ihn nach dem
Schauplatze der Auktion zu begleiten, was Authenried mit großer
Lebhaftigkeit acceptierte, schon deshalb, weil er so während der
mehrstündigen Fahrt im Coupé einen Genossen hatte, mit dem er den
Katalog der Sammlung ausführlich besprechen und Ansicht um Ansicht
verständnisvoll austauschen konnte.

Auch Leo von Somsdorff, der jetzt mit Gräfin Adele, der kleinen Komteß
und der englischen Gouvernante im Speisezimmer zurückblieb, war nur auf
dem Wege über die Numismatik in die bevorzugte Stellung aufgerückt,
deren er sich bei Graf Authenried unleugbar erfreute. Somsdorff war
Diplomat und Historiker. Mehrere Jahre lang der deutschen Botschaft in
Sankt-Petersburg attachiert, hatte er dort die geschäftliche Praxis,
vor allem aber das flirrende, von schalster Genußsucht durchsetzte
Treiben der Petersburger Gesellschaft so gründlich kennen gelernt und
mit so großem Erfolg die Rolle des eleganten Eroberers gespielt, daß
ihm dies ganze zwar emotionsreiche, aber innerlich öde Leben plötzlich
zuwider ward. Er nahm seinen Abschied, fest entschlossen, so bald als
möglich zu heiraten und sich dann irgendwo als Privatdozent für neuere
und neueste Geschichte zu habilitieren. Carriere im gewöhnlichen Sinne
des Wortes brauchte er nicht zu machen; im Besitz eines ansehnlichen
Vermögens war er vollständig unabhängig.

Da vertrat ihm das Schicksal in Gestalt der Gräfin Adele unerwartet
den Weg, den er sich vorgezeichnet. Bei einem Diner in der Hauptstadt,
wo sich die Authenrieds während der hohen Saison aufhielten, hatte er
die kaum dreiundzwanzigjährige Frau kennen gelernt, und schon in der
ersten Minute all seine trefflichen Vorsätze über Bord geschleudert.
Das hübsche, hochblonde Mädchen, das ihm die Dame des Hauses nicht
ohne Absicht als Partnerin zugeteilt hatte, fand ihn an diesem Tag
von empörender Monotonie; die andere Seite, ein übermütiges junges
Geschöpf, das allenthalben Triumphe zu feiern gewohnt war, urteilte
noch vernichtender. Selbst der Hausfrau, die doch um zehn oder zwölf
Plätze von Somsdorff entfernt saß, entging es nicht, daß der sprühende
Kavalier, der sonst mit tändelnder Leichtigkeit ein ganzes Kollegium
von Damen zu unterhalten wußte, diesmal völlig verwandelt schien
und erst gegen Schluß der Tafel -- nachdem er sich insgeheim einen
Feldzugsplan zurechtgelegt hatte -- wieder ein wenig auftaute.

Dieser Feldzugsplan paßte weit mehr zu dem Geist und der Tonart seiner
Sankt-Petersburger Vergangenheit, als in den ernst-idyllischen Traum
des deutschen Privatdozenten. Ein dunkles Gefühl, daß sein Rückfall
etwas Beschämendes habe, drückte ihm zwar zu Anfang die Brust; als er
jedoch, während der Kaffee gereicht wurde, neben dem Sessel Adelens
wie zufällig Platz nahm und mit jeder Minute andachtsvoller dem Klang
ihrer Stimme lauschte, die so reich und so klar an sein Ohr schlug, und
dennoch wieder so mild verschleiert, wie ein süßes Geheimnis: da war es
aus mit den letzten Zuckungen seines Gewissens; der Don Juan von einst
lebte mit drohender Allgewalt wieder auf; die Leidenschaft schlug ihm
in rasender Lohe über dem Haupt zusammen.

Natürlich war er ja Menschenkenner genug, um sich zu sagen, daß
diese Frau nicht in eine Kategorie gestellt werden dürfe mit den
halbasiatischen Edeldamen, die sich ihm häufig genug an den Hals
geschleudert, noch eh' er mit einigem Ernste um sie geworben hatte.
Aber die wundersamen Erfahrungen in der russischen Metropole hatten
ihn doch zu gründlich verdorben, als daß er die Möglichkeit eines
Mißerfolges überhaupt erst in Frage gezogen hätte. Dort gab es nur
offene Städte, hier stand er einer wohl verteidigten Festung gegenüber;
er mußte die Taktik ändern: das war der Unterschied.

Je länger sein Zwiegespräch mit Gräfin Adele sich ausdehnte -- man
ließ die beiden geflissentlich ungestört -- desto entschiedener kam
er zur Ueberzeugung, daß hier die äußerste Vorsicht geboten sei. Jede
Leichtfertigkeit des Tons, jede sonst vielleicht zündende Keckheit
schien ausgeschlossen. Trotz der lebhaften Teilnahme, die sie
bekundete, wenn er ihr, fast wider Willen ernst werdend, seine Ideen
über Gesellschaft und Litteratur, über Leben und Kunst, über Menschen
und Dinge entwickelte, trotz der Wärme, die manchmal blitzartig ihren
herrlichen Augen entstrahlte, war doch die Gräfin ganz offenbar von
jener Unnahbarkeit eingehüllt, die sich nicht wehren zu müssen glaubt,
weil der Gedanke des Angriffs ihr vollständig fern liegt.

Somsdorff durchschaute das schließlich; doch die Erkenntnis heilte
nicht seine Leidenschaft. Im Gegenteil: je mehr er die Schwierigkeit
dieser Eroberung einsah, um so glühender sann er auf ihre
Verwirklichung. Die Eitelkeit des verwöhnten Frauenlieblings bäumte
sich auf; die halbe Stunde, die er mit Gräfin Adele verplaudert hatte,
war ausreichend gewesen, um den leidlich vernünftigen Freiersmann in
das klägliche Wirrsal einer längst überwundnen Epoche der Frivolität
und der Haltlosigkeit zurückzuschleudern.

Den Rest des Tages verbrachte er fast ausschließlich in der Nähe des
Grafen Authenried. Mit der Findigkeit des Verliebten hatte er sofort
ausgespürt, wo der Herr Graf am schnellsten zu packen sei, was ohnedies
nicht schwer hielt, da dieser widerspruchsvolle Sonderling, der sonst
so verschlossen war, just in dem einen Punkte das Herz auf der Zunge
trug. Somsdorff besaß schon als Historiker immerhin mehr numismatisches
Wissen, als die meisten Personen, die Gerold mit irgend einem
interessanten oder uninteressanten Problem festzunageln versuchte.
Kurz, beim Abschied in der Garderobe war die »Freundschaft« zwischen
den beiden Männern so gut wie besiegelt, und Somsdorff hatte dem
Grafen versprechen müssen, im Frühjahr nach Schloß Authenried-Poyritz
zu kommen, um die gräfliche Sammlung und die nicht minder merkwürdige
Bibliothek zu bewundern.

Das hatte sich in den letzten Tagen des März ereignet. Anfang April
war die Familie Authenried nach Paris und von da nach Brüssel gereist,
wo der Graf allerlei wissenschaftliche Zwecke verfolgte, während die
Gräfin mit großem Eifer nach einer französischen Gouvernante suchte,
einem Gegenstück zu der vortrefflichen, anspruchslosen und äußerst
zuverlässigen Engländerin Miß Harriet. Die Gräfin hegte nämlich die
Ansicht, es sei für ihre Josefa zweckmäßig, beide Sprachen frühzeitig
nebeneinander zu hören, und ihr Gemahl, obschon er diese Meinung
nicht teilte, ließ ihr in allen Erziehungsfragen vollständig freie
Hand. -- Adele fand nicht, was sie beanspruchte; bei der unendlichen
Zärtlichkeit ihres Mutterherzens legte sie an den Charakter und das
Wesen der Damen, die ihr in Vorschlag gebracht wurden, einen vielleicht
gar zu kritischen Maßstab. Um so befriedigter schien der Herr Graf.
Die Herren vom Institut de France, denen er seine Aufwartung machte,
waren die Liebenswürdigkeit selbst gewesen, sehr im Gegensatze zu einem
berühmten deutschen Professor, der ihn, bei aller äußern Höflichkeit,
nicht hinlänglich ernst genommen, sondern sogar das impertinente Wort
»Dilettant« gebraucht hatte. Auch in Brüssel war ihm das meiste nach
Wunsch gegangen, bis auf die gar zu kostspielige Erwerbung einiger
Prachtstücke, die jetzt allerdings zu den Perlen seiner famosen
Sammlung gehören und dem Somsdorff kolossal imponieren würden.

Kaum auf Schloß Authenried-Poyritz angelangt, schrieb er dem jungen
Historiker, -- und zwei Tage später, am zehnten Mai, langte der
ehemalige Attaché, alle Träume seiner Petersburger Vergangenheit in der
Seele, mit Sack und Pack an.

»Ein paar Wochen müssen Sie bleiben!« hatte der Graf geschrieben,
-- und »Nur zu gern!« dachte der fieberglühende Unhold, als bei dem
Namen »Graf Authenried« die schlanke, volle Gestalt Adelens mit
den tiefschwarzen Augen und dem bezaubernden Lächeln um den süßen,
küßlichen Mund lebenswahr vor ihm auftauchte.

Nun war er fast eine Woche schon hier, hatte die Sammlung des Grafen
Stück für Stück eifrig studiert und glossiert, einen Enthusiasmus
entwickelt, der selbst dem Grafen manchmal zu stark erschien, und sich
mit jedem Tag unauflöslicher in das Netz verstrickt, das die Schönheit
und mehr noch die undefinierbare weibliche Anmut Adelens über sein
thörichtes Herz warf.

Merkwürdigerweise hatte der Graf seinen Gast während der letzten
Zeit wenig in Anspruch genommen. Authenried schien sich in seinem
Mitteilungsdrange erschöpft zu haben. Vielleicht auch fürchtete
er, einen so schätzbaren und verständnisvollen Gesinnungsgenossen
durch Uebertreibung sich abspenstig zu machen. Somsdorff hatte doch
jedenfalls noch andere Interessen, die Pflege und Nahrung verlangten:
er selbst, Graf Authenried, empfand ja zuweilen eine Art Ueberdruß,
der ihn veranlaßte, das Bibliothekzimmer und die Sammlungsräume
grundsätzlich wochenlang zu meiden, sich Ferien zu gönnen, wie er sich
ausdrückte, und diese Ferien in derber Genußfreudigkeit auszunützen.
Mochte der junge Mann daher bummeln, während Graf Authenried jetzt
nach der Kreisstadt fuhr! Mochte er unter den großen Ulmen des Parks
seine türkische Cigarette rauchen, mit Josefa Ball spielen, mit Adele
über Händel und Bach schwatzen und sich ein wenig die Flügel bei ihr
verbrennen!

Graf Authenried mußte in der Betonung der Worte »Adieu, lieber
Somsdorff!« etwas von diesem letzten Gedanken, vielleicht
unwissentlich, ausgedrückt haben; denn Somsdorff fühlte sich, wie er
sie jetzt in sich nachklingen ließ, unbehaglich, nagte ein wenig die
Lippen und warf der Gräfin, die sich just mit Josefa beschäftigte,
einen forschenden Blick zu. Hielt ihn dieser unbegreifliche Mensch mit
der kalt berechnenden Stirn und dem gutmütig scheinenden Lächeln für so
ungefährlich, daß er ihn gleichsam einlud, einen Sturm zu versuchen?
Oder war er seiner Gemahlin so absolut sicher? Wie standen die zwei
überhaupt? Graf Gerold zählte kaum vierzig Jahre; Adele war im April
vierundzwanzig geworden. Bei dem stattlichen, frischen, eigentlich
auch ganz sympathischen Aeußern des Grafen konnte daher von einem
Mißverhältnis in dieser Beziehung durchaus nicht die Rede sein. Im
Verkehr mit Adele war er wohl nicht gerade herzlich, aber doch ebenso
wenig schroff oder unfreundlich. Daß Ehemänner nicht recht zu würdigen
scheinen, welch einen köstlichen Schatz sie in ihrer Gattin besitzen,
das gehörte zu den Alltäglichkeiten. Vielleicht spielte Graf Authenried
die Rolle des Gleichgültigen nur der Welt gegenüber? ...

Leo von Somsdorff beschloß, bei nächster Gelegenheit über diese
gewichtigen Fragen ins klare zu kommen. Adele hatte ihm während der
kurzen Zeit seiner Anwesenheit so viel Vertrauen entgegengebracht, daß
er eine diskrete Andeutung wohl riskieren konnte, um so mehr, als er
bis jetzt ja mit keiner Miene aus der für zweckentsprechend erkannten
Rolle ehrlicher, wunschloser Freundschaft herausgetreten war, ihr
nicht einmal bei der ersten Begrüßung die Hand geküßt oder sie sonst
mit auffälligen Galanterieen umgeben hatte. Vielleicht that es ihr
wohl, nach Jahren des Duldens und Schweigens einmal ihr bekümmertes
Herz auszuschütten. Daß dieses Herz heimlich bekümmert war, obschon
er die Ursache nicht mit Bestimmtheit enträtseln konnte, das ließ er
sich durch alles, was etwa dagegen sprach, nicht wegdemonstrieren. Für
die nötige Stimmung zur Beichte wollte er sorgen. Hatte die Stimmung
ihr Werk gethan, waren die Worte gefallen, die ihn zum Mitwisser
ihrer Geheimnisse machten, dann wurde aus dem selbstlosen Freund
im Handumdrehen der zärtliche Tröster, dem sich die Schluchzende
blindlings zu eigen gab.

»Miß Harriet,« klang jetzt die Stimme Adelens, »drücken Sie auf die
Klingel! Bitte, zweimal!«

In der Thüre erschien das Kammermädchen.

»Frida, den Gartenhut für die Kleine! Miß Harriet, ich überlasse Sie
heut Ihrem Schicksal! Sie werden nicht böse sein, den Vormittag mit
Ihrem Homer zu verbringen! Sie liest nämlich seit einigen Tagen die
Ilias ...«

»In der Ursprache?« fragte Leo von Somsdorff.

»~Oh, no!~« stammelte Harriet errötend. »In deutsch.«

»Sind Sie bereit?« wandte die Gräfin sich freundlich zu ihrem Gast.
»Das Wetter ist herrlich, -- ein Frühlingstag. ... Ich begreife uns
nicht, daß wir nicht gleich den Thee auf der Veranda genommen ...«

»Es waren nur dreizehn Grad,« sagte die Engländerin. »Unsre Josefa
möchte sich doch wohl erkältet haben. Augenblicklich bei fünfzehn ordne
ich an ...«

Gräfin Adele trat in die prächtige Vorhalle, die nach dem Park führte.
Sie warf einen Blick auf das Thermometer.

»Kaum glaublich, wie schnell die Temperatur jetzt steigt!« sprach sie
zu Herrn von Somsdorff. »Der Nachmittag wird sogar heiß werden. Kommen
Sie!«

Ihr Kind bei der Hand fassend, schritt sie die aristokratisch
breiten Marmorstufen der großen Freitreppe hinunter, langsam und
königlich, und dennoch in jeder Linie schwellende, hingebungsvolle
Weichheit, mädchenhaft liebliche Unbewußtheit. Es lag wirklich etwas
Madonnenhaftes in ihrer Art -- nur ohne das Ewig-Ueberirdische, das wir
sonst wohl mit diesem Begriff zu verbinden gewohnt sind. Das lichtblaue
Sergekleid, der große, bändergeschmückte Strohhut, das glatte,
schwer-goldene Armband über dem dänischen Handschuh, der hellrot
gefütterte Atlasschirm, den sie von Zeit zu Zeit hin und her drehte, --
das alles verlieh ihr einen bestrickenden Hauch von weltlicher Eleganz,
von Freude am Schönen, man hätte fast sagen mögen: von lockender,
frauenhafter Gefallsucht.

Leo von Somsdorff war vor Entzücken außer sich. Ach, und wie sie sich
jetzt zu dem plaudernden Kind neigte und ihm Antwort gab, während
die sammetschwarzen, oft so nachdenklich melancholischen Augen vor
Mutterglück leuchteten! Wie schön sie war und wie gut, wie hold und
begehrenswert!

Fünf Minuten lang ging er so neben ihr her, keines Wortes mächtig. Man
schritt an dem großen Teiche vorüber, in dessen Mitte ein armsdicker
Strahl haushoch emporsprang. Der Morgenwind trieb einen leisen
Sprühregen über die Wasserfläche; die Maisonne warf in die stiebenden
Tropfen ihr Licht; ein Regenbogen malte sich traumhaft gegen das Grün
der Platanen. Josefa jubelte. Sie zeigte nicht übel Lust, sich von
der schützenden Hand der Mama zu lösen und näher zur Balustrade zu
treten. Die Gräfin jedoch hielt sie fest, warnte sie vor der Nixe, die
allzudreiste Kinder hinabziehe, erinnerte sie an die Geschichte vom
Sturmvogel, die Miß Harriet jüngst mit so grausiger Anschaulichkeit
erzählt hatte, und erhielt das Versprechen, die Kleine werde sich nie
an die Brüstung heranwagen.

Leo von Somsdorff hörte das schweigend mit an, hatte auch keinen Blick
für das Blütenmeer, das sich jetzt von beiden Seiten aufthat, für die
Pracht der Syringen, die Knospenfülle des Rotdorns, die duftige Anmut
der kaum erschlossenen Akazien, sondern lauschte nur immerzu dem Klang
dieser wonnigen Frauenstimme, bis ihm die Gräfin, als man das Parkthor
erreicht hatte, durch einen scherzhaften Vorwurf seine Wortkargheit zum
Bewußtsein brachte.

»Verzeihen Sie,« bat er; »ich hörte eifrig mit zu. Was ist das für eine
Geschichte vom Sturmvogel?«

»Eine sehr ernsthafte,« sagte die Gräfin mit einem Seitenblick auf
Josefa. »Nicht wahr, Kleinchen? Erzähl' sie doch mal!«

»Ach, jetzt ...!« schmollte das Kind mit einem flehenden
Augenaufschlag. »Ich möchte jetzt Blumen pflücken ...«

»Nun, wie du willst! Aber such' nur die schönsten, und rauf' mir nicht
gleich so die halbe Wiese hinweg! Nein, weiter links! An dem Bach dort
holst du dir nasse Füße!«

Josefa sprang eilends davon.

»Es ist nichts mit dem Sturmvogel,« sagte die Gräfin, als nun das Kind
außer Hörweite war. »Eine Historie zum Abschrecken, so gut und so
schlecht, als hundert andre. Ich glaube, Miß Harriet, die treue Seele,
hat sich das Märchen aus eigner Kraft konstruiert, denn es paßt wie
angegossen auf unsre lokalen Verhältnisse, -- hier auf den Teich mit
den steinernen Balustraden, dort auf den Fluß. Merkwürdig, daß Josefa
so viel Sympathie fürs Wasser zeigt.«

»Vielleicht nur deshalb, weil man sie gar zu fern davon hält. Ich sah
auf dem Teiche, der doch groß genug dazu wäre, keinerlei Fahrzeug.
Weshalb läßt man die Kleine nicht gondeln?«

»Um Gottes willen!«

»Frau Gräfin scheinen über Gebühr ängstlich. Was soll passieren, wenn
der Bediente rudert, und Sie selbst oder die Gouvernante das Kind neben
sich halten?«

»Die Gouvernante schon gar nicht!«

»Mißtrauen Sie ihr?«

»Gewiß nicht. Aber der Zufall, das Schicksal kann wollen ... mir
schaudert, wenn ich nur daran denke!«

»Sie lieben das Kind sehr?« fragte Somsdorff nach einer Pause.

»Bin ich nicht seine Mutter?«

»Ich habe mich unrichtig ausgedrückt. Ich meine: Ihr Verhältnis zu
Ihrem Töchterchen ist ein außergewöhnlich inniges?«

»Das Kind ist mein Alles!« fuhr Adele heraus. »Warum fragen Sie mich?«

»Ich frage, weil ... weil es mich lebhaft interessiert. Sie müssen
gemerkt haben, daß ich ... an Ihrer Familie den regsten Anteil nehme.
Insbesondere fühl' ich für Sie, Frau Gräfin, eine ... wie soll ich mich
ausdrücken? ... eine heißbewundernde Sympathie, eine Freundschaft ...«

»Die Freundschaft nehme ich dankend an,« versetzte sie ruhig. »Seien
wir offen und klar, Herr von Somsdorff. Ich halte Sie für zu ehrlich
und zu gescheit, als daß ich Ihnen die Ungereimtheit zutrauen sollte,
mir von Freundschaft zu reden, während Sie thatsächlich nur von der
Absicht beseelt wären, sogenannte psychologische Studien zu machen,
Ihre Erfahrungen zu bereichern oder sich gar über die Gläubigkeit eines
schutzlosen Frauengemüts lustig zu machen. Soll ich in dieser Meinung
nicht wankend werden, so lassen Sie ein für allemal Artigkeiten, die
einer Mißdeutung fähig wären. Auf heißbewundernde Sympathie mach' ich
durchaus keinen Anspruch!«

»Verzeihung, Frau Gräfin!« stammelte Somsdorff, mehr noch durch den
Ausdruck ihrer ernststrafenden Züge verwirrt, als durch die Worte
selbst, die sie mit großer Eintönigkeit vorgebracht hatte. »Nichts lag
mir ferner, als Sie verletzen zu wollen. Auch die Freundschaft hat ihre
Stunden der Ueberschwenglichkeit ...«

»Für Ueberschwenglichkeiten bin ich zu alt.«

Er mußte lachen.

»Wirklich?« fragte er in dem Tone des Mannes, der einer harmlosen
Koketterie auf der Spur ist.

»Ja, wirklich! Das Alter hängt nicht lediglich von den Jahren ab.«

»Sondern? ...«

»Sondern von dem, was man erlebt.«

»Aber Sie haben mir vorgestern Ihre ganze Biographie erzählt ...«

»Habe ich das? Vielleicht war's eine Thorheit ... Was soll's damit?«

»Diese Biographie -- ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn mein
Freimut Sie wieder verletzen sollte -- diese Biographie enthielt, offen
gestanden, so gar nichts Abnormes ...«

»Finden Sie?«

»Ja, Frau Gräfin! Selbst der launige Streich, den Sie im Reißnerschen
Pensionat Ihrem Präzeptor spielten, kann doch unmöglich die innre
Entwicklung Ihres Gemüts so beschleunigt haben ... Dann kamen die
musikalischen Schwärmereien, das Autographensammeln, die Begeisterung
für litterarische Tagesgrößen, die ersten Bälle -- und schließlich
die Huldigungen, die der Herr Graf Ihnen erwies. Die Herzen fanden
sich, Graf Authenried warb um Sie, Ihr Papa fühlte sich ein wenig
geschmeichelt -- selbst der reichste, unabhängigste Kaufherr, wenn er
bürgerlich ist, hat diese begreifliche Schwäche -- Sie aber dachten nur
an die edle, charaktervolle Persönlichkeit ...«

»Herr von Somsdorff, Sie persiflieren mich!«

»Keineswegs! Ich stelle nur fest, daß nichts in Ihrem Leben, so weit
Sie es mir enthüllt haben, zu der Meinung berechtigt ...«

Ein plötzlicher Aufschrei der kleinen Josefa unterbrach ihn mitten im
Satze. Das Kind war, Blumen suchend und Schmetterlinge verfolgend,
eine Strecke vorangeeilt und stand jetzt, das Köpfchen mit dem
breitkrämpigen Strohhut nach vorn gebeugt, die Händchen, deren linkes
den Strauß hielt, weit von sich abgestreckt, starr in der Furche des
Waldwegs. Nur wenige Schritte noch vor der Kleinen entfernt stutzte da
ein gewaltiger Hirsch, -- augenscheinlich eines der zahmen Fahrtiere,
die Serenissimus, dessen Gehege ganz in der Nähe lag, ab und zu vor
den kleinen Rokoko-Wagen spannte; denn trotz der schon vorgerückten
Jahreszeit prangte der Hirsch im vollen Schmuck seines Geweihes.
Die fürstlichen Hirsch-Wallache, vier an der Zahl, galten sonst für
durchaus ungefährlich. Dieser Flüchtling jedoch, der, Gott weiß von
welchem Einfall getrieben, die Umzäunung durchbrochen hatte, befand
sich offenbar im Zustand einer bedrohlichen Aufregung. Er blähte
die Nüstern und senkte das Haupt mit der furchtbaren Angriffswaffe
schnaubend zum Vorstoß.

Gräfin Adele taumelte. Fünf Sekunden noch, und das Kind war verloren.
In diesem flüchtigen Zeitraum lebte sie das Entsetzliche, zu einer
Ewigkeit ausgesponnen, Scene für Scene durch: von dem Augenblick, da
sich das tollgewordene Tier mordend über den wehrlosen Engel herwarf,
bis zu dem letzten Abschied an der gähnenden, sonnenlichtüberfluteten
Gruft. Trotzdem war die Verzweifelte nicht im stande, einen Finger zu
rühren. Die zuckende Schulter an den Stamm einer Buche gelehnt, stierte
sie mit der hilflosen Ohnmacht des Vogels, dem sich die Schlange
nähert, unter den Wimpern hervor, lautlos, kaum eines Seufzers fähig.

Leo von Somsdorff jedoch, bei aller Erregbarkeit seines Temperamentes
ein Mann, dem die Gefahr nie die Besonnenheit raubte, stürzte
alsbald vor. Er selbst wußte nicht, was ihn trieb. Vielleicht nur
der selbstlose, instinktive Drang, der uns alle beseelt, wo es die
Rettung eines bedrohten Lebens gilt; vielleicht auch der Wunsch,
Adelen durch die That zu beweisen, daß ihm für sie kein Opfer zu groß
sei; vielleicht sogar das weltlich schnöde Bedürfnis, da heroisch und
mannhaft zu scheinen, wo er bis jetzt nur in zaghafter Scheu gegirrt
und geschmeichelt hatte. Jedenfalls sprang er mit verblüffender Energie
auf das Tier los und versetzte ihm, just wie es vordrang, mit dem
knorrigen Griffe des Jagdstocks einen furchtbaren Hieb quer über die
Augen.

Die Folge war, daß der Hirsch zwar das Kind verfehlte, aber nun dem
verwegenen Angreifer, der nicht rasch genug ausweichen konnte, das
scharfe Geweih tief in den Arm und die Hüfte stieß. Gleich danach
krachte ein Schuß. Mitten aufs Blatt getroffen, brach das wütende
Untier zusammen, im Sturz noch die blutüberströmten Wunden Somsdorffs
grausam vergrößernd. Die Forstleute erst, die aus dem Gehölz traten,
befreiten den halb schon Bewußtlosen von der zerfleischenden Last, die
schwer über ihm lag.

Gräfin Adele hatte ihr Kind mit einem wildleidenschaftlichen Jauchzen
an sich gedrückt. Nun stand sie, bleich vor Entsetzen, neben dem
Retter, dem die beiden fürstlichen Waldhüter den Notverband anlegten.
Holzarbeiter, die in der Nähe beschäftigt waren, kamen hinzu. Die
Leiter eines noch unbeladenen Wagens wurde mit Hilfe einiger Säcke und
rasch aus der Erde gestochener Moosballen zur Tragbahre umgewandelt.

»Herr von Somsdorff, wie fühlen Sie sich?« raunte Adele, als sich der
traurige Zug in Bewegung gesetzt hatte.

Er sah matt lächelnd zu ihr empor, ohne etwas zu erwidern.

»O Gott, o Gott!« schluchzte die Gräfin. »Wie soll ich Ihnen das jemals
vergelten? Josefa, küsse dem guten, herrlichen Mann da die Hand! Bete
für ihn! Er ist dein Schutzgeist gewesen. Er hat sich für dich und
deine Mama geopfert!«

»Wenn Euer Gnaden die Freundlichkeit hätten, jede Aufregung zu
vermeiden,« sagte der ältere von den Waldhütern, der nämliche, der den
erlösenden Schuß gethan. »Ich meine nur so: das thut nicht gut bei dem
Blutverlust ...«

»Ich danke Ihnen! Gewiß, wir sprechen kein Wort mehr! Komm, Josefa!
Halte dich still! So! Herr von Somsdorff muß Ruhe haben.«

Und lautlos schritten die vier Männer mit ihrer seufzenden Last
durch den Park, an dem nämlichen Teich und der nämlichen Balustrade
vorüber, wo noch vor kurzem die Gräfin so harmlos mit ihrem Kinde
geplaudert hatte, die Treppe hinauf nach dem großen Verandasalon,
während der Kutscher, den man bereits durch den Gärtner benachrichtigt
hatte, den leichten Phaethon, Gräfin Adelens Lieblingswagen, mit zwei
Vollblutfüchsen bespannte, um drüben in Hoyersbrück den Landarzt zu
holen.



Zweites Kapitel.


Doktor Michalsky, ein stattlicher Mann in den Vierzigern, trat aus dem
Krankenzimmer und begab sich schräg über den Korridor in das kleine
Gemach, wo Gräfin Adele, ihr Kind fest an sich gepreßt, voll bangender
Ungeduld auf ihn wartete.

»Ich denke, er wird's überstehen,« sagte er ruhig, während er
neben der Gräfin Platz nahm. »Die Wunden sind schwer, aber nicht
lebensgefährlich. Der Hüftknochen ist scharf gestreift, die Knochenhaut
etwa zollbreit zerstört. Von Bruch oder Splitterung hab' ich nichts
wahrgenommen. Auch die Verletzung des Oberarms beschränkt sich auf eine
tüchtige Fleischwunde, während der Unterarm nur gequetscht ist. Wenn
nicht Komplikationen eintreten, hoff' ich in drei oder vier Wochen ...«

»Komplikationen?« fiel ihm Adele ins Wort. »Wie meinen Sie das? Welcher
Art könnten die sein?«

»Ja, mein Gott, bei solchen Verwundungen ist gar mancherlei denkbar.
Da kann Rose hinzutreten, Pyämie, Verjauchung, selbst Starrkrampf. Die
Hauptsache ist eine sorgsame Ueberwachung der Pflege, und ängstliche
Desinfektion. Was in letzterer Beziehung vorläufig geschehen konnte,
hab' ich gethan. Heute abend um neun Uhr komm' ich wieder. Frau Gräfin
haben wohl die Geneigtheit, mich holen zu lassen; der Weg ist weit,
und mein ehrlicher Schimmel braucht noch einmal so lang, als Ihre
Prachtfüchse.«

»Selbstverständlich!« sagte die Gräfin erregt. »Punkt acht Uhr hält
der Wagen vor Ihrem Hause. Uebrigens fällt mir da ein: sieben Uhr
fünfzig kommt ja der Zug von Zeschau, mit dem mein Mann zurückkehrt.
Ich schicke den Landauer an die Bahn und bitte den Grafen, Sie
mitzubringen. Sie setzen ihm dann wohl gleich auseinander, was sich
ereignet hat. So ersparen Sie mir die Notwendigkeit, all diese
Einzelheiten noch einmal durchzusprechen. Ich schaudere, wenn ich nur
daran denke.«

»Das begreift sich,« versetzte der Arzt. »Frau Gräfin sehen wirklich
erschöpft aus. Essen Sie was -- eine Kleinigkeit -- und trinken Sie ein
Glas Portwein! Man muß sich zwingen, Frau Gräfin! Na, und die kleine
Komteß? Wie geht's denn, Püppchen? Gib mal die Hand! Wir scheinen uns,
Gott sei Dank, rascher zu fassen, als die Mama. Das glückliche Vorrecht
der Kindheit!«

Er nahm seinen Hut vom Teppich.

»Also, es bleibt dabei,« sagte er aufstehend, »Ihr Herr Gemahl holt
mich ab. Morgen bin ich ohnedies in der Nähe; dann sehen wir weiter.
Apropos: wünschen Sie eine Pflegerin?«

»Für die Besorgung der Wunden?«

»Nein. Die Verbände rührt niemand an, als ich selbst. Aber fürs übrige.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich in der Nacht Fieber einstellt.
Ich glaube, Herr von Somsdorff wird ein ungeduldiger, schwer zu
behandelnder Patient sein. Jedenfalls muß bis auf weiteres bei ihm
gewacht werden ...«

»O, dann ist die Pflegerin überflüssig,« sagte die Gräfin mit
herzentquellender Wärme. »Es versteht sich von selbst, daß ich dies Amt
übernehme ...«

»Wenn Sie glauben, daß Ihre Kraft ausreicht ...«

»Sie wird und sie muß ausreichen! Bitte, sagen Sie nur, was alles zu
thun ist! So kann ich doch einen Teil meiner Schuld an den Retter
meines geliebten Kindes abtragen!«

»Ich habe den Diener, der ja ein ganz verständiger Mensch ist,
gut instruiert, -- zum Ueberfluß ihm auch die wichtigsten Punkte
aufgeschrieben ...«

»Ich danke Ihnen. Karl ist in der That ein sehr anstelliger Kopf, der
mich im Notfall schon ablösen wird. Und Frida, mein Kammermädchen! Sie
sehen, wir haben hier Personal genug ...«

»Und Miß Harriet!« rief die kleine Josefa.

Die Gräfin lächelte.

»Auf die zählen wir nicht!«

»Vielleicht mit Unrecht,« meinte der Arzt.

»Nein, nein! Ich kenne sie besser. Nicht, daß meine vortreffliche
Harriet kein Mitgefühl hätte. Aber der Takt, der unerbittliche Takt ...
Sie verstehen mich!«

Doktor Michalsky zog die mächtige Stirn hoch und zuckte die Schultern.

»Dagegen ist nichts zu wollen,« sagte er spöttisch. »Gnädige Gräfin,
ich habe die Ehre! Adieu, Komteßchen! Ja keinen Lärm machen! Ich
glaube, er schläft!«

Der blinkende Hochradwagen mit den zwei goldroten Prachtrennern führte
den Arzt pfeilschnell dahin, während Adele, das Töchterchen zärtlich
umfangend, noch immer wie halb gelähmt in den Polstern des Sessels
lag, wo sie den kurzen Bericht Michalskys entgegengenommen hatte. So
verharrte sie wohl eine Stunde lang. In der That, Leo von Somsdorff
schlief; Karl, der Diener, saß bei ihm und hatte noch immer nicht auf
die Klingel gedrückt, zum größten Verdruß der Zofe, die nach Verwindung
des ersten Schrecks geradezu darauf brannte, sich an der Lagerstatt des
Verwundeten nützlich zu machen.

Als Leo sich regte, begab sich Adele, von Frida begleitet, ins
Krankenzimmer, während Miß Harriet die kleine Josefa nach der Veranda
führte. Das heiße Dankgefühl ihres Herzens nicht mehr in Worte
kleidend, fragte die Gräfin mit ruhiger Milde, ob der Patient einen
Wunsch habe.

Leo verneinte. Er hatte die Augen nur halb geöffnet. Die Lippen
bewegten sich kaum; er bot den Anblick traurigster Hinfälligkeit.

Gleich danach verlangte er Wasser.

Der Diener füllte aus der jetzt eben hereingebrachten taubeschlagnen
Flasche ein Glas, mischte ein Viertel Fruchtsaft darunter und überließ
es der Gräfin, den Dürstenden zu erquicken. Mit der einfachen
Sicherheit einer barmherzigen Schwester hob sie dem Todmüden das Haupt
und hielt ihm den Trank an die Lippen, den er begierig hinabsog. Dann
strich sie ihm sorglich die Kissen zurecht, ohne ihn zu erschüttern,
sanft und gewandt, als hätte sie jahrelang diese Obliegenheiten geübt,
gab der Zofe die Weisung, im Nebenzimmer ein Fenster zu öffnen, so
daß die warme, erquickende Mailuft in köstlichen Wellen durch die
portierenverhangene Thür strömte, und ließ sich dann von dem Diener das
Blatt mit den Notizen des Arztes zeigen.

»Sie können jetzt gehen, Karl,« sagte sie endlich. »Sehen Sie zu, daß
Sie ein paar Stunden vorweg schlafen. Diese Nacht müssen Sie Wache
halten. In der folgenden lös' ich Sie ab, ich und Frida. Für heute
abend bestellen Sie ein Gedeck mehr. Sie wissen, um neun kommt der
Arzt. Miß Harriet lasse ich bitten, weitab in den Garten zu gehen, und
dann später ins kleine Eckzimmer; die Veranda muß frei bleiben, man
hört hier sonst jedes Wort! Ueberhaupt: allen im Hause empfehlen Sie
Ruhe an, peinlichste Ruhe! Der Koch soll die Fenster schließen, der
Gärtner den Springbrunnen abstellen ...«

Der Diener verneigte sich.

»Gnädige Gräfin sprechen zu keinem Unverständigen. Als ich noch in
Stroßhaida bei den Dragonern stand, lag der Herr Rittmeister, mein
vortrefflicher Herr, volle sechs Wochen in Lebensgefahr -- ein Schuß
in die Lunge -- und ich allein hab' ihn gepflegt mit dem gnädigen
Fräulein, der Schwester nämlich, was aber nur so ganz nebenher war;
denn sehr lange hielt sie's nicht aus, und bekam schließlich Migräne
und Rückenschmerz. Ich kenn' die Geschichte, und wie's da förmlich an
einem Haar hängt. Will's den Leuten schon eintrichtern, besonders dem
Koch, der wirklich thut, als wär' er mit seinen Kasserollen und Löffeln
allein im Haus.«

»Ich verlass' mich auf Sie.«

»Aber was ich bemerken wollte: die gnädige Gräfin müssen doch auch
gewissermaßen an Ihre eigene werte Person denken. Wie Frida sagt,
haben Frau Gräfin noch nicht gespeist. Es ist ja wahr, bei solchen
Entsetzlichkeiten vergißt man Gott und die Welt, geschweige denn das
Diner. Der Koch ist natürlich wütend, der jungen Erbsen wegen, auf die
er so protzt, und weil er die Zunge selbst eingepökelt hat; von seinen
Hähnchen gar nicht zu reden. Mir kann's ja gleich sein, denn ich stehe
nicht sehr mit dem François. Aber wenn die Frau Gräfin befehlen, könnt'
ich denn doch eine Kleinigkeit ...«

Adele sah nach der Uhr.

»Wahrhaftig, schon beinahe vier! Ich ahnte das nicht. Sie haben recht,
Karl! Miß Harriet soll mit der Kleinen zu Tisch gehen. Mir bringen Sie
eine Tasse Bouillon. Nichts weiter! Höchstens dann später vielleicht
den Kaffee.«

»Und Frida?« murmelte Karl mit einem fürsorglichen Blick auf das
Kammermädchen.

»Frida kann ja gleich mit Ihnen gehen. Sobald sie gegessen hat, kommt
sie zurück.«

Die beiden entfernten sich. Adele trat leise an die Portiere und sah
nach der Bettstatt, wo Leo, die Augen geschlossen, wieder entschlummert
schien. Sie seufzte tief, schlich dann bedächtig zum Fenster und sah
eine Weile hinaus nach dem Teich, wo noch der armsdicke Wasserstrahl
rauschend gen Himmel stieg, bis er dann plötzlich in sich zusammenbrach
und verstummte. Die ganze lichtüberströmte Natur da draußen schien
dies Verstummen mit zu empfinden. Alles veränderte sich, alles
verlor gleichsam die Seele. So mußte es sein, wenn ein teures,
leidenschaftlich geliebtes Leben, dessen beglückende Gegenwart man bis
dahin als selbstverständlich betrachtet, dessen Verlust man nie für
möglich gehalten hat, plötzlich erlosch.

Adele zitterte. Ach, um ein Haar wäre das unermeßliche Weh, das sich
ihr jetzt hier nur symbolisch darstellte, ja in Wahrheit ihr Schicksal
gewesen! Die kleine, süße, blonde Josefa! Ihr Ein und Alles! Der
Angelpunkt ihres Daseins!

Noch nie hatte die Gräfin mit so erschöpfender Klarheit gefühlt, was
sie in diesem Kinde besaß.

Die Stirn wider den Fensterrahmen gepreßt, überließ sie sich einer
verzweifelten Selbstschau.

Mit dem üblichen Maßstabe einer weiblichen Existenz gemessen, war ihr
Dasein von Grund aus verfehlt.

Die Ehe mit Gerold von Authenried glich einer Wüstenei. Das
siebzehnjährige Mädchen, von den Verwandten gedrängt, selbst ein wenig
bestochen durch allerlei Aeußerlichkeiten und fest überzeugt, daß
Gerold sie anbete, hatte sich übereilt.

Zu spät mußte sie die Entdeckung machen, daß die liebenswürdige Art,
mit der Graf Authenried sich ihr angepaßt, ihre kleinen Phantastereien
genährt, ihren harmlosen Eitelkeiten geschmeichelt hatte, ebenso Maske
war, wie der Ausdruck von Bonhomie, der alle Menschen so lange über
den wahren Kern dieses Charakters täuschte, bis ein entscheidender
Augenblick die sympathische Hülle hinwegschob.

Gerold war überhaupt der Liebe nicht fähig. Kalte Berechnung,
herzloser, grausamer Egoismus, starre Gemütlosigkeit -- das waren
die Grundzüge seines Wesens. Der überschwengliche Bräutigam hatte
sich nach der Hochzeit fast ohne Uebergang in den frostigen Mann
verwandelt, der sich selber genug ist, der keines mitfühlenden Herzens
bedarf, um des Lebens froh zu werden. Durch gehäufte Beobachtung
war Adele zu dem gräßlichen Resultat gelangt, daß sie das Opfer
einer elenden Spekulation geworden. Der Graf war, zum Teil wohl
infolge der übermäßigen Summen, die er blindlings für seine Sammlung
vergeudete, seit Jahren verschuldet: die glänzende Mitgift der reichen
Patrizierstochter, die überdies als Universalerbin einer entfernten
Verwandten viele Millionen eignen Vermögens besaß, zog ihn mit einem
Schlag und für immer aus der Verlegenheit. Und gerade der Wahn, daß der
Graf, der ganz allgemein für einen der reichsten Aristokraten galt, nur
sie selber begehre und nicht ihre äußeren Glücksgüter, hatte bei dem
hundertfältig umworbenen Mädchen den Ausschlag gegeben! Er schien so
gut, so ehrlich, so vollständig frei von verletzenden Nebengedanken!

Im übrigen war ja an der Behandlung, die der Graf seiner jungen Frau
angedeihen ließ, nichts Ernstliches auszusetzen. Er verstieß nie gegen
die Form, wenn sein Gebaren auch reichlich den Eindruck machte, als sei
die Höflichkeit, ja der mitunter scherzhafte Ton, den er anschlug, nur
die Wirkung einer in Fleisch und Blut übergegangenen guten Erziehung,
etwas rein Mechanisches ohne Sinn und Gefühl. Niemand im ganzen Schloß
ahnte denn auch, wie schmerzlich Adele unter dem Druck dieser inneren
Beziehungslosigkeit litt, wie schwer sie mit ihrer eigenen Mißstimmung
kämpfte, wie oft sie einen gewaltsamen Anlauf nahm, sich der Lüge zu
zeihen, ihren Gemahl vor der Anklage, die doch so zweifellos war, zu
entschuldigen und durch Güte und Freundlichkeit das zu erobern, was ihr
mit jedem Jahr mehr zu entschwinden drohte: die menschliche Teilnahme
Gerolds an ihrem Geschick und an dem ihres Kindes. Alles umsonst. Ihre
Sanftmut, ihr stummes, geduldiges Werben glitt an ihm ab, wie das
Wasser am Pelze des Eisbären. Er merkte wohl gar nicht, wie sich die
Trauernde mühte; vielleicht auch ward ihr Bestreben wirkungslos durch
die geheime Verachtung, die immer und immer wieder in ihrem Herzen
emporquoll und manches Wort minder versöhnlich färbte, als sie es
wünschen mochte.

Den Blick auf die Fläche des Teiches geheftet, der jetzt glatt wie ein
Spiegel die ganze Vegetation und den tiefblauen Himmel zurückwarf,
forschte Adele gramerfüllt in dem Buch dieser zahlreichen mißglückten
Versuche, die sie ja freilich seit vielen Jahren schon eingestellt
hatte. Längst war sie an die Unabwendbarkeit ihres Schicksals gewöhnt.
Ja, es schien, als hätte sie sich halbwege damit zurechtgefunden. Ihr
Kind, ihr süßes, angebetetes Kind ersetzte ihr, was ihr das Leben sonst
an Herzensfreude und Glück versagt hatte. Josefa war ihr Gedanke bei
Tag und bei Nacht. Dies liebe Geschöpf gegen alle Rauheiten des Daseins
zu schirmen, seine Erziehung ängstlich zu überwachen, sein Herz mit
allen Banden der Zärtlichkeit an sich zu fesseln: das galt ihr für den
alleinigen Zweck ihres Lebens. Ernster und strenger, als dies sonst
wohl zu ihrer Jugend gepaßt hätte, arbeitete Gräfin Adele an ihrem
eignen Charakter, stets im Hinblick auf dieses geheiligte Ziel. Sie
wußte, daß der unmittelbare Eindruck des Beispiels kräftiger wirkt,
als die Schattenhaftigkeit noch so häufig gepredigter Lehren; sie
ahnte etwas von dem machtvollen Nachahmungstriebe der Kindheit auch im
Gebiete des Fühlens und Anschauens.

Und jetzt, wie sie so dastand im Bewußtsein der kaum überwundnen
Gefahr, wiederholte sie sich das Gelübde, ihrem Kind eine Mutter zu
sein, deren geheimste Gedanken in die schuldlose Seele des Lieblings
einströmen dürften, ohne sie zu entweihen. Kein Groll gegen das
Schicksal, keine Mißstimmung gegen den Mann, der sie so wenig begriff,
sollte in ihrer Brust mehr Raum finden. War sie nicht glücklich trotz
alledem? Füllte das Kind sie nicht vollständig aus? Und mußte nicht der
Gedanke, daß sie in Demut und Schweigsamkeit ihre Pflicht that, die
heitere Klarheit, die sie Josefas halber so manchmal erkünstelt hatte,
allgemach in Natur verwandeln? Ja, es gab einen Frieden, der höher und
herrlicher war denn alle Vernunft, eine Gleichmäßigkeit des Empfindens,
dem selbst die Bitternis langer, trüber Erfahrungen nichts mehr anhaben
konnte.

Sie schloß die Hände wie zum Gebet. Tiefträumerisch regten sich ihre
Lippen. So völlig war sie versunken, daß sie jählings zusammenschrak,
als der Verwundete jetzt leise zu stöhnen begann. Eilig huschte sie
über die Schwelle und beugte sich vor, um zu lauschen. Somsdorff
beruhigte sich wieder. Er schlief noch. Aber sein Antlitz, das bis
vor kurzem noch bleich und blutlos gewesen war, hatte sich merklich
gerötet. Ein Zucken ging um die Augen; die Hand des unbeschädigten
Armes, der auf der Decke lag, glitt von Zeit zu Zeit knisternd über die
schwarzblaue Halbseide.

»Das Wundfieber ist im Anzug!« seufzte Adele. »Gott schütze ihn!«

Sie kam sich vor wie eine Frevlerin, daß sie im Ueberschwang ihrer
Mutterliebe auch nur minutenlang mehr an sich selbst und Josefa, als
an den Mann gedacht, der sich so hochherzig für die Kleine geopfert
hatte. Im Geist bat sie ihn fußfällig um Verzeihung. Wie gern hätte sie
diese Hand, die den rettenden Schlag geführt, voll Inbrunst geküßt,
wie man die Hand eines Beichtvaters küßt, wenn er dem Beichtkind die
Last einer quälenden Schuld von der Seele genommen! Aber da stieg eine
Erinnerung vor ihr auf, die sich während der letzten Stunden gleichsam
versteckt hatte: das Bewußtsein, daß er von Sympathieen geredet,
deren Lebhaftigkeit sie in dieser Form nicht zu dulden gewillt war.
Das vertrat ihrem Eifer sofort den Weg. Und sie durfte ja auch seinen
Schlaf nicht stören, diese unheimlich dumpfe Rast, die ihr manchmal
nur wie die Regungslosigkeit eines tödlich Erschöpften vorkam. Jetzt
besonders war ihr zu Sinne, als ob der Verwundete sehe und höre, aber
zu schlaff sei, um seine Wimpern zu heben.

Ein lautes Aechzen riß sie aus dieser Betrachtung. Somsdorff hatte
den Kopf ein wenig zurückgeworfen; die Züge des sonst so regelmäßig
geschnittenen Angesichts waren schmerzlich verzerrt. Dann fiel der Kopf
wieder nach vorn. Der Atem des Kranken ging schwer und beklommen.

Adele flößte ihm, mit einer Bewegung der Abwehr gegen die
Hilfsbereitschaft der Zofe, ein paar kühlende Tropfen ein.

»Danke!« hauchte er fast unhörbar. Ein müder Blick streifte sie, fahl
und bleich wie der letzte Schimmer eines verlöschenden Herbsttages.
Dann schloß er die Lider, seufzte und ließ die Stimmung, die ihn
beseelen mochte, in einem fast unmerklichen Beben der Mundwinkel
ausklingen. Dies herzzerreißende Lächeln rührte die junge Frau fast zu
Thränen.

Adele genoß an diesem traurigen Nachmittage kaum einen Bissen. Das
Kammermädchen, das nach Verlauf einer Stunde heraufkam, setzte sich
mit ihrer Näharbeit in das Krankenzimmer, während die Gräfin im
Seitengemach unruhig das Sinken der Sonne und das Wachsen der Schatten
über dem Teich verfolgte, ab und zu von dem elfenbeingeschnitzten
Regal ein Buch herabnahm, ein paar Zeilen durchflog, ohne zu ahnen,
was sie gelesen hatte, und dann wieder auf den Standplatz am Fenster
zurückkehrte. Sie meinte, dies Harren und Warten mit dem Blick auf
den Park daure nun schon seit Wochen: so oft hatte sie die nämlichen
Gegenstände mit rein mechanischer Aufmerksamkeit durchmustert, sich
voll Ueberdruß abgewandt und dann von neuem begonnen.

Endlich brach so die Dämmerung herein. Josefa kam scheu an die Thür, um
ihrer Mama gute Nacht zu sagen.

Adele küßte sie leidenschaftlich.

»Ehe du einschläfst, bete für unsern Freund!« raunte sie ihr ins Ohr.
»Bitte den lieben Gott, daß er ihn bald gesund macht!«

Das Kind nickte.

»Miß Harriet will auch beten,« sprach es nach einer Weile und schmiegte
sich zärtlich an seine Mutter.

Man klopfte. Karl trug die Lampe herein und setzte sie auf den
Ebenholztisch neben dem Diwan. So fiel nur ein handbreiter
Lichtstreifen durch die Portiere, der für die längst feiernde Frida
ausreichte, den Verwundeten zu beobachten.

Nun rollte der Wagen vor. Adele erhob sich, um ihrem Gemahl und dem
Landarzt entgegenzugehen.

»Schöne Geschichten!« sagte der Graf, noch eh' er den Gruß Adeles
erwidert hatte. »Das ist ja mehr als infam! Ich werde beim Fürsten
Verwahrung einlegen! Solch eine Lotterwirtschaft! Aber ein ganzer Kerl
ist der Somsdorff, das muß ihm der Neid lassen. Gehn Sie nur, Doktor!
Hoffentlich macht sich die Sache! Es wäre doch zu fatal, wenn er bis
Ende Mai nicht wieder flott wäre. Sie wissen, unser Kongreß in Bonn ...«

»Daran wird leider wohl nicht zu denken sein,« brummte Michalsky.

»Verwünscht! So muß ich allein fahren! Und Somsdorff -- nein, es ist
wirklich wie ausgesucht!«

Der Arzt stieg die Treppe hinauf, während die Gräfin ihren Gemahl in
den kleinen Salon begleitete, wo er sich keuchend in einen Sessel warf.

»Ein Unglückstag!« stöhnte er, mit dem Taschentuch über die Stirn
fahrend. »Erst das Malheur in Zeschau -- der größte und beste Teil der
Sammlung verkauft -- nach England -- noch eh' die Auktion beginnt ...
ich glaube, man braucht sich die augenscheinliche Schwindelei nicht
gefallen zu lassen ... Dann auf der Rücktour ein Achsenbruch -- zwanzig
Minuten Verspätung -- und nun die Bescherung da mit dem Somsdorff!
... Es fehlte jetzt nur, daß dich der Schreck wieder acht Tage rabiat
machte, wie damals bei der Erkrankung deiner Mama. Weiß Gott, du siehst
aus ... fehlt dir etwas? Sprich nur! Ich mach' dir ja keinen Vorwurf!«

»Ich bin etwas angegriffen: aber das geht schon vorüber.«

»Gott sei Dank! An dem einen Patienten hab' ich ja mehr als genug.
Nichts regt mich so auf und stört mich so im Verfolg meiner Studien,
als der Gedanke: dein Haus ist ein Lazarett. Und für die nächste Zeit
hab' ich enorm zu thun. Auf dem Kongreß in Bonn -- ich weiß nicht, ob
Somsdorff dir schon gesagt hat -- na, du interessierst dich zwar nicht
dafür ...«

»Doch, Gerold. Aber was hast du nur? Du bist so erregt ...«

»Das macht der Verdruß über die schändliche Spitzbüberei in Zeschau.
Denke dir nur, eine Sammlung mit Prachtstücken ersten Rangs,
griechische, römische, altitalienische Seltenheiten vom höchsten Wert
-- und dieser elende Kniff, der mich einfach beraubt! Denn das alles
war mein; ich hätte die Mitbieter unbedingt aus dem Felde geschlagen!
Nun, es ist mal geschehen, und da hilft kein Lamento! Ja, du hast
recht; ich bin wohl zu ungestüm ...«

»Wenn's dich erleichtert, Gerold ...«

»Pah, man soll seinen Aerger nicht mit nach Haus schleppen ...«

»Was ist das mit dem Kongreß in Bonn?«

»Am sechsten und siebenten Juni tagt dort die Hauptversammlung der
Numismatiker, -- Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener, ~tutti
quanti~! Leipold in Breslau -- weißt du, der alte Herr mit den
Blatternarben, den wir im Schwarzwald kennen gelernt -- hat mir den
Zutritt vermittelt. Infolge eines sehr liebenswürdigen Briefes von
Beaulieu-Sarcenet kam mir nun plötzlich der Einfall, auf dem Kongreß
einen Vortrag zu halten. Das Material zu dem, was ich plane, liegt mir
seit lange vor; aber ich muß nun ergänzen, Belegstellen aufsuchen,
ordnen -- kurz, es ist eine riesige Arbeit für die beschränkte Zeit,
und da heißt's, den Kopf oben behalten! Ich hatte darauf gerechnet,
Somsdorff ein wenig heranzuziehen; er hat die unschätzbare Gabe des
Ueberblicks; er findet sich schnell zurecht; er hätte mir mancherlei
abnehmen können ... Das ist nun alles vorbei! Ein wahrer Jammer!
Leipold hat mir auch eine Karte für ihn geschickt ... ich wollte
Somsdorff damit überraschen ... Ja wohl! Der Mensch denkt, und Gott
lenkt! Wären die Sechzehnender Seiner Fürstlichen Durchlaucht nicht ...«

Adele sah ihn mit ihren großen, herrlichen Augen verständnislos an.
War's denn zu glauben? Das Kind dieses Mannes hatte vor wenigen
Stunden in Todesgefahr geschwebt; ein Freund des Hauses hatte dies Kind
unter Preisgebung seiner eignen gesunden Glieder gerettet und lag jetzt
droben vielleicht in den letzten Zügen -- und Gerold von Authenried
sprach mit wachsender Lebhaftigkeit von Beaulieu-Sarcenet, von Leipold
in Breslau, von der Idee eines numismatischen Vortrags auf dem Kongreß
zu Bonn! Mit keiner Silbe hatte er nach Josefa gefragt; kein Wort
des Dankes für die Gnade der Vorsehung war ihm noch über die Lippen
gekommen. Sein ganzer Kummer beschränkte sich, wie es schien, auf den
Verlust eines erwünschten Helfers und Reisebegleiters.

Die Gräfin verspürte ein eigentümliches Frösteln. Es war, als lege sich
ihr eine starre, eiskalte Hand aufs Herz und drücke es langsam und
stetig zusammen.

»Willst du dich umkleiden?« fragte sie endlich, da sie im Speisezimmer
das Klirren des Tafelgeschirrs hörte.

»Natürlich. Man ist ja verstaubt wie ein Müllerknecht. Das war ja ein
Qualm im Coupé ...«

»Doktor Michalsky bleibt doch zu Tisch?«

»Ich hab' ihm gesagt, er solle nur gleich übernachten. Morgen in aller
Frühe versorgt er dann unsern Patienten und was er hier sonst in der
Nähe hat ... So spart er zwei Touren. Er war damit einverstanden.«

»Gut. So will ich das Nötige anordnen.«

»Thu' das! Und nicht wahr, sobald die Geschichte da droben in Ordnung
ist ... Du verstehst mich? Kein langes Erörtern mehr mit dem Doktor!
Ich habe seit zwei nichts genossen, außer dem elenden Kaffee im
Görlitzer Hof. Ich verkomme vor Hunger!«



Drittes Kapitel.


Am fünften Juni reiste Graf Gerold nach Bonn, trostlos darüber, daß
Leo von Somsdorff ihn nicht begleiten konnte. Die Ausarbeitung des
Vortrags hatte den Grafen derart in Anspruch genommen, daß er sogar
die abendlichen Spazierritte ins Gehölz unterließ und sich kaum Zeit
gönnte, ein paar Worte mit Doktor Michalsky zu reden oder gelegentlich
bei dem Patienten selbst Nachfrage zu halten.

Um so treuer und eifriger lag die Gräfin der Pflege ob. Drei Tage
lang schwebte der Kranke in Lebensgefahr. Dann schritt die Genesung
langsam, aber mit Stetigkeit vorwärts. Just um die nämliche Zeit, da
Gerold -- wie er an Somsdorff telegraphierte -- in Bonn mit Leipold
und Beaulieu-Sarcenet eine hochwichtige Privatkonferenz hatte, die
ihn bestimmte, den Vortrag über altgriechische Fest- und Gedenkmünzen
bis auf weiteres zurückzuziehen (Leipold nämlich hatte das Manuskript
durchgesehen und mehrere Lücken entdeckt, die seiner Meinung zufolge
erst ausgefüllt werden mußten, wenn die sonst außerordentlich wirksame
Arbeit auf der Höhe der Wissenschaft stehn und bei den leider
impertinent kritischen Fachleuten widerspruchslos durchschlagen sollte)
-- just um die nämliche Zeit also gab der Arzt die Erlaubnis, Herrn von
Somsdorff nach der Veranda zu schaffen.

Das war kein leichtes Stück Arbeit. Vier Personen mußten zugleich
anfassen, um die Chaiselongue, auf die man den Dulder gebettet hatte,
wagerecht und möglichst ohne Erschütterung die Treppe hinab ins
Parterre zu tragen.

»Man hätte das früher bedenken sollen,« brummte der Arzt beim Anblick
des etwas halsbrecherischen Transportes. »Freilich, in so verteufelten
Situationen verliert man den Kopf; das ist menschlich. Selbstredend
müssen wir jetzt für die Nächte ein Zimmer im Erdgeschoß herrichten.«

»Das ist schon geschehen,« versetzte die Gräfin. »Ich dachte, den
kleinen Salon am Ostflügel ...«

»Ah, sehr gut! Bequemer kann er's nicht haben! Und nicht wahr, die
größte Vorsicht beim Umbetten! Die Wunden sind ja so ziemlich geheilt,
dank seiner phänomenalen Konstitution; aber ein einziger Stoß, eine
falsche Bewegung kann uns um Tage zurückwerfen.«

Gräfin Adele sorgte dafür, daß nichts geschah, was den glücklichen
Fortgang der Rekonvalescenz hätte hindern können. Mit der lächelnden
Unerbittlichkeit einer Mutter hielt sie auf strengste Erfüllung aller
ärztlichen Vorschriften, oft im Widerspruch mit den Wünschen des jungen
Mannes, den zuweilen die Ungeduld heimsuchte, namentlich wenn ihn die
Gräfin der Obhut der Dienerschaft überließ. Aber Karl sowohl als die
Zofe hatten strikten Befehl, ihm unter keiner Bedingung nachzugeben.
Zwanzigmal forderte er Papier und Bleistift, um Briefe oder Notizen
zu schreiben, was ihm, da sein linker Arm noch im Verband lag,
Schwierigkeiten verursachte, die ihm das Blut nach der Stirn trieben.
Einmal hatte er's durchgesetzt, und nicht wieder ... Die Schreiberei
schien der Gräfin um so vermeidbarer, als die sechs Zeilen, die er
mit großer leiblicher und geistiger Mühe niedergekritzelt, einen
»Dank an die gütige Fee« enthielten, und zwar in klangvollen, etwas
verworrenen Rhythmen, deren zwei letzte Reimworte »Adele« und »Seele«
waren. Auch das anhaltende Sprechen verwies sie ihm, und den Eifer,
mit dem er zu gestikulieren versuchte, als müsse er die vorübergehende
Außerdienststellung des kranken Armes durch verdreifachte Thätigkeit
des gesunden wettmachen.

Wenn er so, wohlig und warm zugedeckt, auf der Veranda lag und die
köstliche Luft schlürfte, die ihm selbst um die Mittagszeit nicht zu
heiß schien, saß Adele oft stundenlang, eine Stickarbeit in der Hand,
neben ihm, ohne daß zwischen den beiden ein Wort fiel. Dann wieder
that er aus tiefen Gedanken heraus eine plötzliche Frage, erzählte
ihr fast ohne Uebergang ein Erlebnis, eine Scene aus seiner Kindheit
oder veranlaßte sie zum Plaudern. Manchmal hatte sie auch ein Buch
und las ihm zehn Minuten lang vor, den Anfang einer Novelle, etwas
von Rosegger, ein paar schwermütig rauschende Klänge aus Geibels
»Spätherbstblättern«. Die Augen geschlossen, ein seliges Lächeln
auf den geöffneten Lippen, lauschte er, kaum noch atmend; es blieb
unentschieden, ob die Poeten mehr Anteil an dieser Verzückung hatten,
oder die Vorleserin.

Und dann sprach er wieder, als müßte ihm das Empfangne die Brust
zersprengen, wenn er noch stumm bliebe. Es war nicht viel, was er
sagte, wohl auch nichts sonderlich Interessantes. Aber die Gräfin
lauschte nun eben so andachtsvoll, wie er, wenn sie las, und stellte
ihre Betrachtung darüber an, wie seltsam die Stimme des jungen
Mannes sich während der Krankheit verändert hatte. Das war nicht
mehr die trotzige Fülle stürmischer Leidenschaft, die sie zu Anfang
-- jetzt ward es ihr klar -- beinah' aus jeder Silbe herausgehört
hatte. Nein, die Glut war in Milde -- sie hätte fast sagen mögen:
in kindliche Sanftmut -- umgewandelt. Der Klang seines Organs hatte
jetzt Modulationen, deren schmeichelnde Art sie fast an Josefa
erinnerte. Vielleicht sprach die Dankbarkeit überall in den gleichen
herzberauschenden Tönen?

Am neunten Juni wurde Graf Gerold zurückerwartet. Ein Telegramm an
Somsdorff, das den Verlauf des Kongresses knapp schilderte und die
befremdliche Nachricht enthielt, Gerold habe sich mit Beaulieu-Sarcenet
überworfen, bestellte den Wagen auf sieben Uhr fünfzig nach Hoyersbrück.

Somsdorff empfing die Depesche auf seinem gewöhnlichen Ruheplatz
zwischen den beiden Verandasäulen. Er hatte jetzt eben mit Hilfe
des Dieners gespeist und lag etwas erschöpft in den Kissen, als ihm
die Gräfin, bereit, wieder neben ihm Platz zu nehmen, das Telegramm
überreichte.

»Ich hab' es auch diesmal geöffnet, der ausdrücklichen Weisung des
Arztes gemäß. Sie werden mir Indemnität erteilen.«

»Bitte,« lächelte Somsdorff. »Der Inhalt geht ja eigentlich mehr die
Frau Gräfin als mich an.«

»Zum Teil ... gewiß. Ich habe auch alles Erforderliche schon
angeordnet.«

»Wie immer! Die Liebe, Güte und Fürsorge in Person!«

»Mein Gott,« lachte die Gräfin, »scheint Ihnen das in der That so gütig
und fürsorglich, wenn ich dem Kutscher eine Bestellung ausrichte und
für den Abend ein Gericht mehr ansetze?«

»Das nicht,« stammelte Somsdorff, die Augen schließend. »Ich weiß
nicht, es fiel mir so bei ... Wes das Herz voll ist ... mir schwebt
eben stündlich vor, was Sie an mir thun ...«

Die Gräfin errötete.

»Sie wollen mich böse machen oder beschämen,« sagte sie ernsthaft.
»Wären Sie mir ein wildfremder, unsympathischer Mensch, ich hätte das
gleiche an Ihnen gethan; wenn es denn überhaupt der Rede wert ist. So
aber ... ein Freund meines Mannes ...«

»Nicht Ihr Freund?«

»Auch das ... natürlich. Aber ich meine, zunächst ... Bitte, lassen
wir doch dies Thema, das mich peinvoll daran erinnert, wie sehr ich in
Ihrer Schuld bin!«

»Nicht so sehr, als Sie glauben. Was ich that, war völlig naturgemäß --
die Eingebung der Minute! Tausend andere hätten dasselbe gethan. Und
ferner: im entscheidenden Augenblick dachte ich nur an die Sache. Ich
wäre genau so dazwischen gesprungen, wenn es sich um das Kind einer
Unbekannten, meinetwegen der ersten besten Landstreicherin, gehandelt
hätte. Ich sage das nur, um der Wahrheit die Ehre zu geben; ich will
nicht besser, nicht opferwilliger scheinen, als ich es bin! Ach, und
ich dächte, Frau Gräfin, Sie wüßten das ohnedies! Nur der blanke
Instinkt macht uns Männer gegebenen Falls zum Beschirmer der Schwäche.
Die scheinbar mutige That folgt da unmittelbar auf die Wahrnehmung,
wie dem Blitze der Donner folgt, ohne daß Pflicht und Moral irgend ins
Spiel kämen. Sie aber, teure Freundin, haben mich wochenlang mit der
beglückenden Atmosphäre Ihrer Geduld, Ihrer Wachsamkeit, Ihrer Milde
umgeben, ohne je zu ermüden, ohne sich je zu sagen: ›Der Mensch da
konnte doch eben so gut im Spital genesen!‹«

»Herr von Somsdorff ...«

»Sie haben sich die entzückenden Frühlingstage zur Pein gemacht,« fuhr
er mit großer Lebhaftigkeit fort, ohne sich durch die Gebärde der
Abwehr beirren zu lassen. »Sie haben ausgeharrt wie ein Engel.«

»Ich verbiete Ihnen, kraft meines Amtes als Pflegerin, diesen
elegischen Ton mit aller Entschiedenheit,« sagte sie scherzhaft. »Da,«
(sie zog ein wenig den Vorhang zurück) »schau'n Sie hinaus ins Grüne!
Jetzt blendet's nicht mehr, und ein leiser Wind hat sich aufgemacht!
Nicht wahr, das erquickt? So, und nun warten Sie! Wenn Sie vernünftig
sind, gibt es auch heut eine Extrabelohnung, wie gestern!«

Sie trat in den kleinen Salon und kam mit einer goldgrauen Schale
zurück, auf der eine türkische Cigarette und eine Silberbüchse mit
Streichhölzern lag.

Er sah zu ihr auf, wie ein Beter zum Heiligenbild. Ein Leuchten ging
über sein Antlitz, so heiß und scheu, daß Gräfin Adele sich mit
augenfälligem Eifer der silbernen Büchse zuwandte, hastig ein Zündholz
herausnahm und es für Leo in Brand setzte.

Nun stiegen die bläulichen Tabakswolken sacht kräuselnd empor und
zerflatterten zwischen den Säulen wie heimliche Wünsche, die sich ins
Licht des Tages nicht hinauswagen dürfen.

Adele war seltsam bedrückt. Dieser Moment hatte ihr klar gemacht, was
sich im Lauf der letzten drei Wochen unbemerkt, aber stetig wachsend,
in ihrer Seele entwickelt hatte.

Sie setzte sich abseits und stickte, während Leo von Somsdorff ruhig
und wie in tiefe Gedanken verloren, weiterrauchte.

Er sprach nicht mehr; es war, als habe er mit dem einen flammenden
Blick alles gesagt, was er ihr sagen wollte; ja, als besorge er, durch
den Klang eines überflüssigen Wortes die Stimmung dieser Minute rauh zu
verwischen. Und da er nicht sprach, und Adele mit ihrer Nadel ein sanft
monotones Geräusch machte, das sich vom Rauschen der Baumwipfel abhob
wie ein milder Diskant von den Accorden des Basses, so überließ sich
Leo einem Gefühle wohliger Rast und hoffnungsfroher Geborgenheit, das
ihn schneller als sonst entschlummern ließ.

Nun legte die Gräfin, starr auf den Schlafenden hinblickend, die Rechte
mit der kaum angefangenen Stickerei in den Schoß, während sie mit der
Linken den Kopf stützte.

Sie wußte jetzt, daß sie für Leo etwas empfand, was sie zuvor niemals
empfunden hatte, selbst nicht in den Tagen der Illusion, da sie von
Gerolds uneigennütziger Liebe fest überzeugt war. Und sie gestand sich
blutenden Herzens, dieses Etwas müsse das Glück sein, das vollkommene,
göttliche, das sie bis jetzt nur im Traume gesehen! Leo von Somsdorff
hatte sich eigentümlich umgestaltet; sie meinte: veredelt. Die
Blässe, die noch immer nicht weichen wollte, verlieh seinen Zügen
etwas Rührendes, Herzbewegendes. Früher hatte zuweilen ein Hauch
von Schroffheit und Egoismus um seine Lippen gespielt. Als er ihr
damals mit so bedenklichem Ausdruck von der Glut seiner »bewundernden
Sympathie« gesprochen, blitzte in seinen Augen sogar etwas Teuflisches,
was sie tödlich erschreckt hatte. Jetzt aber schien das alles wie von
Schleiern umhüllt, im Glanz einer bläulichen Mondnacht dahinschmelzend,
ohne Härte und Starrheit. Adele bangte nicht mehr vor dem
eigentümlichen Dämon hinter der Stirne des jungen Mannes: sie bangte
jetzt nur vor sich selbst.

Das Verhalten ihres Gemahls seit der Verwundung Leos steigerte ihre
Furcht. Graf Gerold bot ihr so gar keine Handhabe, um sie von dem
gähnenden Abgrund, an dessen Rand sie sich fühlte, zurückzuziehen!

Daß Leo sie liebte, hatte sie nie so deutlich empfunden als jetzt. Die
Liebe trug nur einstweilen noch die Vermummung der Dankbarkeit. Aber
wie lange würde das dauern?

Ein paar Sekunden lang zuckten ihr schauerlich süße Gedanken durchs
Hirn, die sich durch keine Kraft der Selbstbeherrschung bannen und
bändigen ließen.

Wär' ich noch frei! Hätt' ich den andern niemals kennen gelernt! Zu
spät!

Sie malte sich dieses Glück, das sie verfehlt und versäumt hatte, mit
den brennendsten Farben und erstarrte dann plötzlich in dem Gefühl: Du
sündigst!

Ja, schon der Gedanke war Frevel! Je mehr ihr grauste in dem Bewußtsein
der Unwiderruflichkeit, je trostloser die Atmosphäre ihr dünkte, in der
sie bis dahin geatmet hatte, um so fester stand ihr Entschluß, auch
nicht um Fingersbreite vom Pfad ihrer Pflicht abzuweichen. Mochte Graf
Gerold der Unerschütterlichkeit ihrer Treue nicht wert sein: sie hielt
diese Treue sich selbst und dem Licht ihres Lebens, dem schuldlosen
Kinde, dem sie dereinst frei in das Auge schauen, vor dem sie nicht
heimlich erbeben wollte, wie Judas Ischariot unter dem trauernden
Blicke des Heilands.

Sie nahm sich vor, bei Herrn von Somsdorff auch nicht den leisesten
Schatten von dem zu dulden, was wie der Anfang einer unerlaubten
Huldigung aussah; ihn kühler und förmlicher zu behandeln, als sie
bisher es im stande gewesen; vor allem jedoch so selten als möglich mit
ihm allein zu sein.

Gar zu lang konnte die Zeit bis zu seiner völligen Wiederherstellung
nicht mehr dauern; vierzehn Tage vielleicht, höchstens drei oder vier
Wochen. War er dann abgereist, so würde sie im Verkehr mit Josefa und
im stillen Genuß ihrer Lieblingsautoren, die sie so manchmal getröstet
hatten, das Gleichgewicht ihrer Seele schon wiederfinden.

Also die Trennung! So weit war es mit ihr gekommen, daß sie nur in der
Trennung noch die Möglichkeit eines Heils erblickte!

Ihr Stolz rebellierte, und gleichzeitig fühlte sie ein unermeßliches
Weh ...

Gab es denn gar keinen Ausweg? Somsdorff war so klug und so gut ...
Konnte sie nicht in etwas dieses erhöhten und vergeistigten Lebens
teilhaftig werden, das von ihm ausstrahlte? Konnte sie nicht den Sturm
seiner Leidenschaft ein für allemal brechen, ihn durch die ruhige
Energie ihres Wollens gleichfalls zur Ruhe zwingen? Wie? Sollte im
Ernst eine Freundschaft zwischen Leo und ihr, eine echte, selbstlose
Herzensgemeinschaft, die nirgends die Pflicht verletzte und keine Sünde
bedeutete, ewig unmöglich sein?

In diesem Moment schlug Somsdorff die Augen auf. Adele fuhr heftig
zusammen, als ob ein Späher sie bei ihren tiefsten Geheimnissen
überrascht habe.

Drunten vom Park her vernahm sie die Stimme Josefas, die, von Miß
Harriet geführt, durch die breite Allee rechts von dem Teiche daher kam.

Die Gräfin erhob sich -- errötend, erbleichend und so verwirrt, daß
sie nicht einmal einen Vorwand suchte, um Herrn von Somsdorff so
plötzlich allein zu lassen. Barhäuptig, ohne Schirm, schritt sie die
Treppe hinab, durchquerte den freien Platz, auf dem noch in voller Glut
die Nachmittagssonne lag, und eilte dem Kind entgegen, das mit den
Worten: »Mama, liebe Mama!« auf sie zusprang und sie umhalste.

Leo von Somsdorff sah durch die Säulen hindurch, wie leidenschaftlich
die junge Frau ihr Töchterchen herzte und küßte, inbrünstig, als sei es
-- halb schon verloren geglaubt -- ihr eben erst wieder geschenkt.

»Aber Mamachen, du thust mir ja weh!« sagte das Kind verwundert.

Und wieder küßte sie ihm die Stirn und die Wangen und nahm es dann fest
und weich in den Arm, wie sie es früher so oft gethan, wenn sie das
Baby zur Dämmerzeit in den Schlaf wiegte.

Sie war jetzt schon eine tüchtige Last, die kleine Josefa, bei weitem
zu schwer, wie Miß Harriet meinte, um sich so nur zum Vergnügen die
Treppe nach der Veranda hinauftragen zu lassen. Aber die Gräfin schien
diese Last gar nicht zu fühlen, so flink und elastisch hob sich ihr Fuß
über den Marmorstufen. Und sie lachte dabei lustig und glockenhell;
denn sie hatte jetzt wieder die Herrschaft über sich selbst gefunden
und erkannte nun klar, daß sie die Sache durchaus ins Scherzhafte
kehren mußte, wenn Leo von Somsdorff ihr ganzes Gebaren nicht höchst
eigentümlich finden und seltsame Schlüsse auf die Verfassung ihres
Gemüts daran knüpfen sollte.

Somsdorff indes war hinlänglich Psycholog, um sich durch diese fein
improvisierte Wendung, die Gräfin Adele dem Auftritt gab, nicht
täuschen zu lassen. Er hatte verstanden, und sein Verständnis weckte
ihm all die strafbaren Hoffnungen wieder, denen er schon halb entsagt
hatte.



Viertes Kapitel.


Acht Tage später, am herrlichsten Juniabend, saß Leo mit Gräfin Adele
auf der Bank des Proserpinahügels, der so benannt war nach einer im
Stil des Bernini gehaltenen plastischen Darstellung der allbekannten
Entführungsgeschichte.

Die Bank unter dem breiten Geäst einer zweihundertjährigen Eiche,
im Halbkreis von blühenden Sträuchern umrahmt, mit dem Blick in
die bläulich verdämmernde Ferne, die sich in schmalem Ausschnitt
zwischen zwei säulenartig emporstrebenden Birken zeigte, war Adelens
ausgesprochener Lieblingspunkt. Während die vordere Hälfte des Parks
im Geschmack von Versailles angelegt war, herrschte hier, abgesehen
von der etwas schwülstigen Marmorgruppe, ein Hauch von ungekünstelter
Freiheit, man konnte fast sagen von Wildnis, der nach den regelrechten
Alleen und Balustraden außerordentlich wohlthat. Der Gärtner sogar
schien diese Wildnis zu respektieren; denn auf dem Boden rings um
den Sockel wucherte Gras, und die Jasminsträucher griffen mit ihren
saftstrotzenden Schößlingen hier und da über die Bank hinaus.

Es war kurz vor sieben. Die Sonne warf ihre Strahlen schräg in den
Fichtenbestand, der die südliche Böschung umkleidete, und flammte
goldhell auf dem lichten Gewand Josefas, die hundert Schritte von dem
»Raub der Proserpina« abseits Erdbeeren suchte.

Seit der Rückkehr des Grafen hatte sich manches im Schloß verändert.
Gerold mußte auf dem Kongreß zu Bonn allerlei Unannehmlichkeiten erlebt
haben, über die er sich selbst gegen Leo von Somsdorff nicht ausließ.
Den Vortrag über altgriechische Fest- und Gedenkmünzen hatte er nicht
mehr erwähnt. Ueberhaupt war er, im Gegensatz zu der Ausführlichkeit
seiner Depeschen, sehr karg mit den Einzelheiten. Den Gang der
Verhandlungen charakterisierte er als »recht interessant«, rühmte die
geistvolle Ansprache eines vlamländischen Forschers Namens Boemkneisje
und die Mitteilungen des Italiener Lunghi über gewisse Funde bei Rimini
und erklärte dann rasch, die Arbeit der letzten drei Wochen habe
ihn doch etwas angegriffen. Er bedürfe jetzt sehr der Zerstreuung;
Somsdorff möge sich ja beeilen, wieder ganz flott zu werden, um dann in
frischester Kraft und Empfänglichkeit mit von der Partie zu sein ...

Adele begriff, daß die Marotte der Numismatik nun für einige Zeit
Ferien hatte.

Der Graf ritt jetzt allmorgendlich stundenlang in den Forst,
konferierte eingehend mit dem Koch, entwarf selbst das Menü und begab
sich in Begleitung Karls nach dem Keller, wo er Musterung hielt und
Befehle erteilte, die sich der Diener mit großer Gewissenhaftigkeit ins
Notizbuch schrieb.

Der Champagner, den Graf Gerold sonst nur in Ausnahmefällen trank,
fehlte jetzt weder mittags noch abends; und zwar bevorzugte man die
allerkräftigsten Marken. Aehnliches galt vom Rheinwein, obschon hier
manchmal ein etwas leichterer Tropfen mit durchschlüpfte, sowie von
den reichhaltig vertretenen französischen Rotweinen.

Vier Tage nach der Rückkehr des Grafen hatte der Kutscher am Bahnhof
zu Hoyersbrück sehr fidelen Besuch abgeholt: die Freiherren von
Steinitz, Vater und Sohn, die allem Anschein nach trefflich in die
Zerstreuungsperiode Gerolds hineinpaßten.

Freiherr von Steinitz der Aeltere war ein pensionierter Major, einige
fünfzig Jahre alt, seit zwölf Jahren Witwer, Lebemann ohne höhere
Interessen, von etwas geräuschvoller Lustigkeit, als Gesellschafter
»unbezahlbar«.

Sein Sohn Friedrich, Ende der Zwanziger, hatte ein paar dieser
schätzbaren Eigenschaften vom Vater geerbt, nur daß er weit eleganter
und dem Ernste des Lebens vielleicht noch abholder war als der Papa.
Wenn er lachte oder nur lächelte, zeigte er unter dem blonden,
sorglich gepflegten Schnurrbart zwei Reihen tadellos schöner Zähne,
und rechts und links von den rotblühenden Lippen zwei reizende
Grübchen. Ein liebenswürdiger, aber gefährlicher Leichtsinn strahlte
in den lebendigen Augen, die so blau und so treuherzig dreinschauten
wie schuldlose Veilchen und beim Genuß alkoholreicher Getränke einen
feuchtwarmen Schimmer bekamen. Kurz, er gehörte zu jenen Erscheinungen,
die im Ballsaal Dutzende unbewachter weiblicher Herzen zu glühender
Sehnsucht aufstacheln, von der Mehrzahl schon bei der zweiten Begegnung
ruhiger verlassen werden, hier und da aber doch ein betrübsames
Unheil anstiften, da sie -- überglücklich in dem Gefühl der eignen
Vollkommenheit -- selbst der bezauberndsten Anmut und Schönheit
gegenüber vollständig kalt bleiben, bis schließlich trotz alledem
eine, die weder die Hübscheste noch die Klügste zu sein braucht, dem
lockeren Vogel gehörig die Schwingen stutzt.

Mit diesen zwei Kavalieren vergnügte sich Gerold so ausgiebig, daß
Gräfin Adele zunächst kaum eine Vermehrung ihrer Repräsentationslast
verspürte, zumal der Graf ihr im Beisein der Herren ausdrücklich gesagt
hatte: »Pfleg du nur den Jungen, den Somsdorff, daß er sich endlich
aus dieser traurigen Lethargie aufrafft! Ich glaube, Doktor Michalsky
nimmt ihn zu schwer. Das bißchen Blässe und Hinfälligkeit wird sich
schon geben, wenn er nur erst einmal wieder zu Pferde sitzt und einen
tüchtigen Trunk thut!«

Dann, zu dem pensionierten Major gewendet, hatte er fortgefahren:
»Er ist ein prächtiger Mensch, der Leo von Somsdorff. Jetzt freilich
scheint er wie auf den Mund geschlagen. Der Arzt muß ihm nächstens
wieder erlauben, mit uns zu Tisch zu gehen. Dies öde Herumliegen auf
der Veranda drückt ihm die Nerven.«

Steinitz der Vater nickte, während Steinitz der Sohn ein wenig den
blonden Schnurrbart zwirbelte und so ein kleines perfides Lächeln
verdeckte, das da besagte: »Herr von Somsdorff wird seine Gründe haben,
sich so in der Einsamkeit der Veranda verhätscheln zu lassen!«

Die Herren von Steinitz wohnten in Zeschau, wo Friedrich der Sohn
sich angeblich mit der Verwaltung des Zeschauer Grundhofs, eines ihm
testamentarisch vermachten Landguts, befaßte, das früher sich im Besitz
einer Seitenlinie befunden hatte. Kurz nach der Ankunft der Kavaliere
erhielt die Gräfin einen mit »Zeschau« gestempelten Brief, worin
eine ihr halb schon entschwundene Jugendfreundin, Gertrud Mettenius,
die früher geleisteten Schwüre unwandelbarer Geneigtheit stürmisch
erneuerte, brennende Sehnsucht nach einem Wiedersehen verriet und am
Schluß in die Worte ausbrach: »Wenn Du mir also nicht abtelegraphierst,
komme ich übermorgen!«

Schloß Authenried-Poyritz war auf Meilen in die Runde für mehr als
gastfrei bekannt. Gräfin Adele, obwohl sie den Ton dieses Briefes nicht
eben sympathisch fand, konnte also nicht Nein sagen. Sie telegraphierte
sofort, daß man sich herzlich auf den in Aussicht gestellten Besuch
freue, und bat um Antwort, mit welchem Zuge man Fräulein Mettenius
erwarten dürfe.

Die Auskunft lautete prompt: »Ich reise noch heute und bin um neun Uhr
fünfzehn in Hoyersbrück.«

Fräulein Gertrud Mettenius kam, sah und siegte. Nicht nur, daß sie sich
sofort eine sehr günstige Allgemeinposition schuf: auch im besondern
schien sie dem leicht zu durchschauenden Ziel, das sie verfolgte, rasch
näher zu kommen.

Gertrud Mettenius war bis über die kleinen rosigen Oehrchen verliebt
in Friedrich von Steinitz. Die Anwesenheit dieses Edelherrn auf Schloß
Authenried-Poyritz hatte auch sie hergelockt; und mit der ganzen
kernigen Resolutheit, die ihr zu eigen war, ging sie ans Werk, den
unbeständigen, farbenschillernden Schmetterling, der zunächst noch
ahnungslos flatterte, in ihr Netz zu bekommen, ohne bei diesem Fang die
Grenzen der Weiblichkeit allzusehr zu verletzen.

Im ersten Moment hatte sie meisterlich die Verblüffte gespielt.

»Sie hier? Ich ahnte nicht, daß Sie mit Authenrieds so befreundet sind!
Die Welt ist wirklich ein bißchen eng: man kommt von Zeschau und
trifft hier Zeschau! Aber ich lass' mir die Ueberraschung gefallen! Ihr
lieber Papa ist ein so reizender Herr, und Sie, wenn Sie wollen, haben
auch das Talent ...«

So ging's eine Weile fort, harmlos und äußerlich unbefangen, wie im
Verkehr mit guten Bekannten, die man im übrigen ebenso leichtblütig
verschmerzt als genießt. Und diesen glücklich gewählten Ton behielt
sie auch späterhin bei, so daß Friedrich von Steinitz, aller schweren
Indizien ungeachtet, wirklich im Zweifel darüber blieb, was Gertrud
im Schild führte. Manchmal hatte der sonst so zuversichtliche junge
Mann das Gefühl, als mache sich Fräulein Mettenius über ihn lustig,
oder als sei sie bestrebt, ihn bloß zu schnöden Dekorationszwecken an
ihren Triumphwagen zu schirren -- beides Vermutungen, die ihn heimlich
empörten, sein Interesse für das lustige, frische und eigenartige
Mädchen jedoch fortwährend steigerten.

An dem Nachmittage, der jetzt seine schräger und schräger fallenden
Strahlen durch den Fichtenbestand am Proserpinahügel goß, war Graf
Authenried mit Fräulein Gertrud Mettenius und den beiden Baronen im
offenen Jagdwagen über Land gefahren. Leo durfte der Vorsicht halber
an dieser Partie nicht teilnehmen, und Graf Authenried selbst hatte
seine Gemahlin ersucht, ihrem »Schützling« Gesellschaft zu leisten.
Gräfin Adele willfahrte diesem Wunsch um so lieber, als ihr die breite,
wortreiche Jovialität des Majors wenig erbaulich war, zumal dieser
Herr sich neuerdings vorzugsweise zu ihr kehrte, wenn er aus dem
unerschöpflichen Schatz seines Wissens eine windschiefe Anekdote zum
besten gab oder, plötzlich mit einiger Anstrengung ernst werdend, von
dem erhabnen Berufe der deutschen Frau sprach.

Uebrigens war Gräfin Adele ja fest überzeugt, das ungestörte Alleinsein
mit Leo, das sich ergab, sobald sie daheim blieb, sei jetzt vollkommen
gefahrlos.

Sie glaubte dies nicht nur deshalb, weil sie ihrerseits von der
Unerschütterlichkeit ihres Pflichtgefühls heilig durchdrungen war,
sondern ebensosehr im Hinblick auf das Verhalten Somsdorffs. Dieses
Verhalten nämlich machte durchaus den Eindruck, als sei die anfangs so
leidenschaftlich erregte Seele des jungen Mannes endgültig auf eine
ruhige, wunschlose Freundschaft gestimmt.

In Wahrheit jedoch hatte sich nichts an der tollen Verliebtheit
Somsdorffs geändert. Im Gegenteil: wenn ihn die ersten Stadien der
Rekonvalescenz in das Fluidum einer halb mit Dankbarkeit untermischten
sanfteren Schwärmerei getaucht hatten, so war in den letzten Tagen
wieder die alte dämonische Glut erwacht, die um jeden Preis vorwärts
drängt, die kein Hindernis kennt und noch jubelt, wenn sie auf
rauchenden Trümmern ihre Standarte aufpflanzt. Nur daß Leo von
Somsdorff jetzt gründlicher mit dem Terrain vertraut war, und demgemäß
die Kriegslist für zweckentsprechender hielt als den offenen Angriff.

Er wußte jetzt, daß Adele ihn liebte -- trotz der machtvollen Energie,
mit der sie gegen dies Schicksal angekämpft hatte. Sein Instinkt
empfahl ihm, diese Energie nicht durch verfrühte Erneuerung eines
Sturmes zu steigern, sondern sich vorläufig in die Rolle zu fügen,
die Adele ihm stillschweigend angewiesen hatte: in die des ehrlichen,
taktvollen Kameraden, mit dem sich alles besprechen läßt, bis auf den
einen verfänglichen Punkt.

Sie saßen jetzt auf der steinernen Bank zwischen den stark duftenden
blütenbesäten Jasminsträuchern und führten -- Gott mochte wissen, wer
das Thema in Fluß gebracht hatte -- einen schwermutsvollen Dialog über
zerstörte Hoffnungen, innere Vereinsamung und die Mittel, den Regungen
einer oft gegenstandslosen Melancholie den Stachel zu nehmen.

Leo betonte den Wert einer regelmäßigen, rein praktischen Arbeit und
kam so, die Bedeutung der Wissenschaft, der Kunst und der Geselligkeit
streifend, bei seinem Lieblingsproblem, der echten und opferwilligen
Freundschaft, an.

Adele, gedankenvoll zwischen den Birkenstämmen hinaus in die Ferne
starrend, warf, da er jetzt einen Augenblick schwieg, ein Wort ein, das
die kleine Josefa betraf. Auch zwischen Mutter und Kind herrsche ja
eine Art Freundschaft, die zur Grundlage die Natur, als Bedingung ihres
Gedeihens aber die stete Wechselbeziehung der Herzen, die Gemeinschaft
aller Interessen, die Selbstlosigkeit der gegenseitigen Hingebung habe,
namentlich wenn erst das Kind ein gewisses Alter erreiche. Glücklich
die Tochter, die als erwachsenes Mädchen, als Frau noch in ihrer Mutter
die beste Freundin erblicke, und glücklich die Mutter, der eine solche
Tochter beschert sei. Dieses Ziel zu erreichen, sei ihr, der Gräfin,
heiligstes und höchstes Bestreben.

Somsdorff, der auf die kleine Josefa längst schon eifersüchtig war,
wie auf einen begünstigten Nebenbuhler, verzog ein wenig die Brauen,
bezwang jedoch seinen Mißmut und fand einen Uebergang, der das Gespräch
sofort wieder von diesem Kind ablenkte, ohne daß Gräfin Adele die
Absicht herausgefühlt hätte.

Er ward beinahe sentimental. Mit vollen Herzenstönen pries er die
unbeschreibliche Wonne, die einem edel veranlagten Menschen daraus
erwächst, daß er bei Geistesverwandten echtes Verständnis für seine
Interessen findet, für die heimlichen Schwärmereien vielleicht, die von
der Masse verkannt oder bespöttelt werden.

Nachgerade trieb er im Fahrwasser einer Romantik, die auf Adele nicht
ohne Einfluß blieb.

Immer nur Freundschaft predigend, faßte er wie ein Prophet, der seiner
Verzückung nicht Herr ist, die schlaff im Schoße liegende Hand der
Gräfin, sanft, ohne Druck, beinahe traumhaft. Diese Hand, die sich ihm
nicht entzog, bebte ein wenig. Und jetzt glaubte er wahrzunehmen, wie
die standhafte junge Frau, von dem Klang seiner Stimme, dem Zauber
der krystallklaren Luft, dem süßbetäubenden Hauch der Jasminblüten
unwiderstehlich verlockt, schwach zu werden begann.

Da neigte er sein glühendes Antlitz zu ihrem Ohr und sagte tonlos:
»Adele, ich liebe dich!«

Die Gräfin, überwältigt von einem tödlich süßen Gefühl der
Glückseligkeit, ließ den Kopf schauernd zurücksinken. Somsdorff, heiß,
atemlos, warf einen hastigen Blick in die Runde. Nirgend ein Späher!
Das Kind war für Augenblicke hinter dem Kleinholz verschwunden. Noch
eine Sekunde -- und Somsdorff hätte die Willenlose an sich gerissen und
ihren halbgeöffneten Mund, rasend vor Leidenschaft, mit Küssen bedeckt.

Da fuhr sie empor. Mit beiden Händen tastend und abwehrend wie eine
Blinde, stand sie neben der Bank und rief aus angstgepreßtem Herzen
fast überlaut: »Josefa! Josefa!«

»Gleich, Mama!« tönte es glockenhell von der Böschung herauf.

Ehe noch Somsdorff begriff, wie ihm geschah, knirschte der nadelbesäte
Abhang, und die Kleine, hochrot vor Eifer, in jeder Hand einen
mächtigen Erdbeerstrauß, erklomm jubelnd den Rundplatz.

»Das hab' ich für dich gepflückt, süße Mama, und das für Sie!«

Leo von Somsdorff nahm die höchst unerwartete Gabe dem Kind aus der
Hand, stammelte ein beklommenes »Danke« und sah nicht sonderlich
geistreich aus, wie er nun mit erkünstelter Aufmerksamkeit die reifen
und halbreifen Beeren betrachtete, die sich vereinzelt von dem
zusammengerafften Grün abhoben.

Auch Gräfin Adele dankte, und zwar so herzlich, so übertrieben, daß
Josefa erstaunt zu ihr aufschaute.

»Aber Mama, das thu' ich doch gern!«

Adele nahm das Kind auf den Schoß und legte sein Köpfchen wie zur
Beschwichtigung auf ihr pochendes Herz.

»Darf ich nun wieder fort, Mama?« fragte Josefa nach einer Pause.

»Nein, bleib! Du bist furchtbar erhitzt! Du darfst nicht gar zu sehr
tollen!«

Sie strich der Kleinen, immer noch etwas bebend, über die Wangen.

»Wirklich, Du hast genug! Ueberhaupt -- es wird spät. Kommen Sie, Herr
von Somsdorff! Die Herrschaften können jeden Augenblick heimkehren!«

Ihr Kind an der Hand schritt sie voraus. Der junge Mann folgte, Scham,
Zorn und wilde Verbitterung im Antlitz, den Erdbeerstrauß mit dem
ungeordneten Rankenwerk immer noch zwischen Daumen und Zeigefinger, als
sei das Geschenk der unschuldigen kleinen Komteß ein widerwärtiges
Tier, ein Insekt, dessen Biß oder Stich er zu fürchten habe.

Er war jetzt geradezu außer sich. Der ruhig gefestete Blick, mit dem
sich die Gräfin zum Gehen gewandt, bürgte dafür, daß diese schwache
Minute sich nie wiederholen würde. Von ihm und seinen verstörten Zügen
war jener Blick, halb unbewußt, zu Josefa geglitten ... Ja, diese
Mutter würde in der unendlichen Liebe zu ihrem Kinde die Kraft finden,
auch in dem qualvollsten Kampf zwischen der Leidenschaft und den
Geboten der Pflicht obzusiegen!

Leo fühlte das mit der unmittelbaren Gewißheit der Intuition. »Entsage
ihr!« klang es durch sein Gemüt -- aber umsonst. Die Erkenntnis, daß er
hier ein Unmögliches anstrebe, steigerte nur den unermeßlichen Brand
seiner Sehnsucht.



Fünftes Kapitel.


Man erreichte erst eben die Freitreppe, als von der Landstraße her das
Rollen des Jagdwagens und das vergnügte Knallen der Peitsche ertönte.

Die kleine Gesellschaft hatte sich wundervoll amüsiert, obgleich
die Partie an und für sich keine sehr nennenswerte Ergötzlichkeit
bot. Ein Teil der Fahrt ging sogar über ziemlich reizlose Acker- und
Wiesenstriche, wo die glühende Prallsonne des Junitages kaum hier und
da durch ein paar Obstbäume abgedämpft wurde. Aber die Laune, die gute
Laune! Fräulein Gertrud und der alte Major hatten sich so köstlich
geneckt, und so urkomische kleine Geschichten waren erzählt worden,
daß man just auf diesem sonnüberströmten Plateau aus dem Gelächter gar
nicht herauskam.

Und dann die Bowle im Nehrauer Birkenwald. Natürlich hatte man alles
Notwendige mitgebracht. Den sauren Landwein des Nehrauer Sternwirts
konnte man selbst mit uraltem Cognac, Zucker und frischem Waldmeister
nicht zur Genießbarkeit aufkünsteln: aber der bauchige Vorratskasten
des Jagdwagens hatte ja Raum genug -- sogar für das unumgängliche Eis!
Neun Flaschen, sage, neun Flaschen edlen Gewächses waren unter dem
luftigen Blätterdach der Nehrauer Birken rite verzecht worden. Selbst
Fräulein Gertrud hatte sich eifrig daran beteiligt, wenn auch der
Schein ihrer Leistung größer war als die Wirklichkeit. Und sie sorgte
dafür, daß dem Herrn Grafen und dem Major, der ihr geflissentlich
zutrank, mehr dieser stark imponierende Schein, dem jungen Baron mehr
die maßvolle Wirklichkeit in die Augen stach.

Die heitere, fast übermütige Stimmung, die man von der Partie mit nach
Haus brachte, setzte sich während des anderthalbstündigen Schwelgens im
Speisegemach fort.

Somsdorff nahm heute zum erstenmal an dem Souper teil und mühte sich,
es den übrigen an Vergnügtheit und Frische des Tones gleichzuthun,
was von dem Grafen und ganz besonders von dem Major mit höchster
Genugthuung konstatiert wurde.

»Der Appetit kommt beim Essen,« sagte der Graf. »Das gilt auch von
der Geselligkeit. ›Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach, der ist bald
allein‹ -- heißt es bei Goethe. Im Kreise fröhlicher Kameraden dagegen
erwacht vom Schlummer, was Nervosität und Krankheit in uns erstarren
ließ: der Urquell der Fidelität, und nun erst -- nicht wahr, lieber
Major? -- genest man ~ex fundamento~! Na, kommen Sie her, Somsdorff!
Dieser hochduftige Edelwein aus der Bourgogne heilt alle Gebresten! Ihr
Wohl!«

Somsdorff stieß mit ihm an; der alte Major und Gräfin Adele folgten dem
Beispiel des Grafen; Gertrud Mettenius und Friedrich von Steinitz waren
zu sehr ineinander vertieft, als daß man sie hätte stören dürfen.

Somsdorff leerte den großen geschliffenen Kelch auf einen Zug und
litt es lächelnd, daß der Major ihm sofort wieder einschenkte. Graf
Authenried erzählte bei diesem Anlaß ein komisches Intermezzo vom
Bonner Kongreß -- das erste Mal seit der Ankunft der beiden Barone, daß
er das Thema der Numismatik streifte -- und nun hielt es auch Gertrud
für zweckmäßig, ihren eifrigen Kavalier nicht durch ferneres Lauschen
auf sein bewegtes Geplauder zu verwöhnen. Sie mischte sich, eine
launige Frage an den Major richtend, flott in die Hauptkonversation,
so daß sich in kurzer Frist ein reizvolles Chaos ergab, das in den
Nebenräumen den Eindruck erzeugte, als tafele hier eine Gesellschaft
von zehn bis zwölf Personen.

Nur Gräfin Adele nahm wenig teil am Gespräch. Inhaltsvolle Gedanken
schienen sie stark zu beschäftigen, was sie indes durch häufige
Weisungen an den Bedienten und sonstige Aufmerksamkeiten fürs Wohl
ihrer Gäste sattsam bemäntelte. Somsdorff allein ahnte, was in ihr
vorging.

Nach Tisch begab man sich in den größern der beiden Verandasalons.

»Adele, nun singst du etwas!« bat Graf Gerold mit einer artigen
Kopfneigung.

»O, ich kann nichts!« wehrte die Gräfin.

Gertrud Mettenius trat an das Notengestell.

»Hier sind ja Lieder zu Hunderten ... deutsche, französische,
italienische ... Liebes Adelchen, ich glaube du zierst dich! Im
Pensionat sagte doch schon der Kantor, du solltest dich ausbilden
lassen! Aber was red' ich noch? Heut erst, unter den Nehrauer Birken
hat dein Gemahl uns erzählt, daß du zum Besten des Frauenvereins
öffentlich das famose ›~Vorrei morir~‹ geschmettert ...«

»Oeffentlich?«

»Nun ja, -- vor einem geladenen Publikum, aber doch so zu sagen ...«

»Mein Gott, wenn ihr absolut wollt,« sprach die Gräfin und trat an den
Flügel. »Aber ich bin so ganz aus der Uebung.«

»Wie kommt das?« frug der Major.

»Gerold ist kein Freund von Musik; sie stört ihn bei seinen Studien.
Ueberhaupt ... ich weiß selbst nicht ...«

Sie strich mit der Hand über die Stirne und fuhr dann in etwas
verändertem Tone fort:

»Was soll ich denn singen?«

»Nun, eben dies ›~Vorrei morir~‹, wenn uns die Bitte gestattet ist,«
sagte der junge Baron mit einem schwärmerisch leuchtenden Blick auf
Gertrud Mettenius.

»Verstehen Sie italienisch?« fragte die Gräfin.

»Gerade genug, um mir die beiden Wörter ›~Vorrei morir~‹ ins Deutsche
zu übersetzen. ›Ich möchte sterben!‹ Das andre überlaß ich dem
Komponisten und der Künstlerin, die mir sein Tonwerk interpretieren
soll.«

Der alte Major staunte. Was war das? Die Stimme des Sohnes hatte
bei dieser Bemerkung eine so schmelzende, man konnte fast sagen,
kokett wehleidige Klangfarbe, daß er den übermütigen Leichtfuß
nicht wiedererkannte! Diese verteufelte Gertrud schien auf
den kotillonordenüberschütteten König der Zeschauer Klub- und
Ressourcenbälle wirklich einen geradezu phänomenalen Eindruck
gemacht zu haben. Nun, ihm, dem Papa, sollte das recht sein! Eigne
Erfahrungen flößten ihm für die Zukunft des Sohnes manchmal recht
ernste Befürchtungen ein. Die Schwiegertöchter, wie sie dem Herrn Major
tauglich erschienen, waren nur spärlich gesät. Straff mußte die sein,
klug und energisch, die einen Menschen wie Friedrich aus den Gefahren
des Leichtsinns dauernd erretten wollte. Diese Gefahren ... du lieber
Himmel! Er selbst, der gute Major, wußte Historien davon zu erzählen
bis auf den heutigen Tag, trotz seiner vieljährigen Ehe mit Dorothea
Freiin von Pehrts, die allerdings fast zwei Jahre älter gewesen als er,
und viel zu geduldig und harmlos.

Gräfin Adele setzte sich, ließ ihre schlanken Hände präludierend über
die Tasten gleiten und sang das funkelnde Tostische Lied mit dem
sehnsuchtsvollen Refrain ›~Vorrei morir~‹. Die herrliche Altstimme war
von unsagbarem Wohllaut.

Somsdorff, der abseits in einem Fauteuil saß, fühlte, wie ihm das Herz
vor wildem Verlangen beinahe in Stücke brach. Zuletzt hielt er es
nicht mehr aus. Die Wände des schwülen Raumes schienen die eingesogene
Tagesglut unter dem Schwall dieser vulkanischen Töne mit verdoppelter
Heftigkeit wieder auszustrahlen ... Die Thüre nach der Veranda war halb
geöffnet. Beim Verrauschen der Schlußaccorde erhob er sich und trat
leise und langsam über die Schwelle.

Die Freitreppe, die Balustraden des Teiches, die Parkwege glänzten
im Scheine des Vollmonds, der groß und leuchtend über den Wipfeln
stand. Zwischen den Säulen hindurch strömte silbernes Licht auf das
Marmorgetäfel und floß um die teppichbelegte Chaiselongue, wo Somsdorff
während der letzten Wochen so manchmal selig geträumt hatte.

Ein warmblütiges Lachen scholl vom Salon heraus in die trostlose
Mondnachtstimmung. Es war Gertrud Mettenius, die sich jetzt ans Klavier
setzte und mit dem Sprudelton dieser herzentquellenden Lustigkeit eine
nicht ganz geschickte Bemerkung ihres Verehrers Friedrich von Steinitz
beantwortet hatte ...

Nun spielte sie ...

»Etwas Flottes!« hatte der Graf gesagt; »dieses ›~Vorrei morir~‹ war
doch gar zu sentimental!«

Und wie ein prasselndes Feuerwerk sprühten die Klänge des neuesten
Wiener Walzers unter den kecken, beweglichen Fingern hervor
und prallten in unversöhnlichem Gegensatz auf den bläulichen
Märchenschimmer des Parks und die verzweiflungsvolle Erregtheit
Somsdorffs.

Da rauschte etwas über die Fliesen. Gräfin Adele, in der Linken den
Fächer, trat bis zum Rande der Freitreppe, schien ein paar Augenblicke
zu zögern und wandelte dann, sich Kühlung wehend, die Stufen hinab.

Drinnen ertönte ein lautes Bravo des Herrn Majors, ein kurzes
Stimmengemurmel, und gleich danach, mit neckischer Virtuosität
vorgetragen, der Karneval von Venedig.

Somsdorff, unweit des Langsofas an die Säule gelehnt, stand noch
unschlüssig, ob er der Gräfin folgen sollte, als sie schon wieder
zurückkam.

Nun erst bemerkte sie ihn. Sie stutzte, machte eine Bewegung, als
wolle sie rasch über die Schwelle, und schritt dann geradeswegs auf ihn
zu.

»Es nimmt mir die Ruhe,« sagte sie halblaut. »Besser, ich frage Sie
gleich, als daß ich's noch über Nacht mit mir herumschleppe.«

Sie stand jetzt vor ihm.

»Frau Gräfin ...« stammelte Somsdorff.

Der Mond schien ihr voll ins Gesicht. Er sah, daß ihre Augen sich
feuchteten.

»Offen heraus,« fuhr sie fort, »ich schäme mich! Bleischwer liegt
es mir auf der Brust, kaum zu ertragen! Ich schäme mich, daß Sie
so Unerhörtes gesprochen -- und mehr, daß ich noch eine Silbe der
Höflichkeit für Sie fand, nachdem Sie's gewagt hatten ... Herr von
Somsdorff! Ich wünsche zu wissen, bei Ihrer Ehre: hab' ich etwas gethan
oder geduldet, was Sie zu dieser Kränkung berechtigte?«

Sie schaute ihn fest an, fast drohend. Ihr Mund zuckte; von ihren
Wimpern lösten sich zwei rollende Thränen.

Er suchte nach Worten. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er
kurz und rasch, ohne auf die gestellte Frage zu antworten:

»Adele, Sie lieben mich!«

»O Gott!« stöhnte sie, mit der Hand nach der Brüstung fassend.

»Sie lieben mich,« sagte er ruhig. »Wenn Sie den Mut haben, eine Lüge
zu sprechen, so sagen Sie Nein!«

»Ich darf Sie nicht lieben! Nein, ich liebe Sie nicht!«

Somsdorff machte eine Gebärde nach dem Salon hin.

»Etwa um _dieses_ Gemahls willen?«

»Allmächtiger Himmel!« raunte sie angstvoll. »Sie wissen nicht mehr,
was Sie reden! Sie häufen Beleidigung auf Beleidigung! Ich verzeihe
Ihnen als dem Erretter meines geliebten Kindes; aber Sie können nicht
länger bei uns zu Gast sein! Wenn Sie nicht wollen, daß ich verzweifle,
so reisen Sie schleunigst ab! Schleunigst! Ich würde sagen: heut'
abend, in dieser Minute ... Aber das geht nicht! Morgen jedoch ... Im
Laufe des Vormittags kommt Doktor Michalsky. Irgend was Glaubhaftes
wird sich schon finden lassen. Er muß Sie beurlauben ...«

»Ich abreisen?« flüsterte Somsdorff. »Das wäre mein Tod!«

»Sie müssen,« sprach sie, die Hände faltend. »Ach, versteh'n Sie nicht
falsch! Es soll keine Strafe sein ... Ich bin sogar überzeugt, Sie
haben im Grund Ihres Herzens Respekt vor mir -- aber ich sehe doch, wie
Sie ganz und gar außer stande sind, sich zu beherrschen! Und -- weshalb
soll ich es leugnen? -- Ihre Haltlosigkeit raubt mir die Ruhe ...«

»Sie lieben mich also!« war das Einzige, was sie zur Antwort bekam.

Frei erhob sie das Antlitz wie jemand, der sich entschlossen hat, einer
Gefahr trotzig und kampfbereit in das Auge zu sehen.

»Ja!« versetzte sie kurz. »Für meine Empfindungen kann ich nichts; wohl
aber für meine Handlungen. Jetzt, da's heraus ist, kommt es mir vor,
als hätt' ich mir eine Last von der Seele gewälzt! Sie wissen's nun, --
und deshalb müssen Sie fort!«

»Adele! Wie ist es möglich ...«

»Was?«

»Solch ein Geständnis zu machen und gleichzeitig das Verbannungsurteil
zu sprechen?«

»Das ist möglich, weil ich fest an die Ehrenhaftigkeit Ihrer Gesinnung
glaube! Ich halte die Liebe für etwas Heiliges. Wer liebt -- und Sie
behaupten doch, daß Sie mich lieben -- der kann den Gegenstand seiner
Liebe unmöglich erniedrigen wollen. Dies würde aber geschehen, wenn
... Sie mich ferner mit so abscheulichen Blicken verfolgten, wie
vorhin, als ich zum Flügel schritt. Diese Blicke verletzen mich; sie
machen mich unglücklich! Wenn Sie denn kein Verständnis haben für
die Pflichten der Gattin, so erwägen Sie, daß ich ein süßes, holdes,
schuldloses Kind besitze!«

Somsdorff erschauerte. So herrlich und lockend war ihm die edle Gestalt
und das bezaubernde Antlitz mit dem blühenden Mund, der im fließenden
Mondlicht wie verträumt auf ihn einsprach, noch niemals erschienen. Er
hatte das bange Gefühl, als müsse er im nächsten Moment vor unsagbarer
Liebessehnsucht verrückt werden.

Aber just der Ueberschwang seiner Leidenschaft lieh ihm die Fähigkeit,
sich äußerlich zu bezwingen. Wenn er die Hoffnung nicht aufgeben
wollte, mußte er dieser Frau gegenüber eine Komödie spielen, deren
Entwurf ihm blitzartig durchs Gehirn schoß.

»Das Kind,« murmelte er wie geistesabwesend. »Ja, das Kind!«

Dann fuhr er, etwas lebhafter werdend, mit seltsam raunender Stimme
fort: »Adele! Mich überkommt's wie die frohe Gewißheit, daß in Josefa
uns beiden das Heil erblüht! Glauben Sie an himmlische Offenbarungen?
Ich glaube daran -- seit einer Minute! Das Kind ... Fürchten Sie
nichts! Dulden Sie mich noch vierzehn Tage lang hier! Sie können's
getrost -- und so war es ja ausgemacht! Eine frühere Abreise müßte
Verdacht erwecken; auch wäre sie zwecklos. Adele, Sie sollen nicht
wieder durch meine Thorheit zu leiden haben! Wie Schuppen fällt es mir
von den Augen: die Erinnerung an das eine entscheidende Wort, das Sie
jetzt eben gesprochen, wird mir die Kraft geben ... Lassen Sie uns
hier feierlich einen Bund schließen, der über allem Vergänglichen hoch
und erhaben steht! Lassen Sie uns die Sehnsucht, der wir nicht folgen
dürfen, mutig in einer Empfindung begraben, die heilig und selbstlos
ist: in der gemeinsamen Liebe zu Ihrer Josefa! Wollen Sie? Dann reichen
Sie mir die Hand ...«

Im Salon verstummte jetzt die Musik. Adele, von plötzlicher Angst
ergriffen, man möchte heraustreten, und ihr mondscheinumflutetes
~tête-à-tête~ mit Herrn von Somsdorff mißdeuten, schlug hastig ein und
verließ ihn, ohne auf seine pathetischen Phrasen etwas erwidert zu
haben.

Er starrte ihr nach, sah, wie ihr wallendes Kleid langsam über die
Schwelle glitt, und lehnte sich dann, schwer atmend, gegen die Säule.

Dunkel und schweigsam lagen die Wölbungen der gewaltigen Baumgänge.
Rechts vor der tiefen Allee glänzte im Mondlicht die Stelle, wo
neulich die kleine Josefa, ihre Miß Harriet verlassend, der Mutter
entgegengeeilt und so überaus leidenschaftlich geherzt und geküßt
worden war.

Dies Bild verfolgte ihn jetzt wie ein Gespenst.

War's denn zu glauben? Das herrlichste, wonnigste Weib liebte ihn
-- und versagte sich ihm bei all ihrer Glut, weil da ein kleines
fünfjähriges Wesen herumlief, das doch, bei Gott, nicht verkürzt wurde,
wenn er die Mutter, ach, nur ein einzigesmal selig umfing! Das Kind und
immer wieder das Kind! Dies thörichte kleine Geschöpf versperrte ihm
also unabwendbar die Straße zum Glück! Es drängte sich stets wie ein
Dämon zwischen ihn und den Labequell, sobald er sich niederbeugte, um
seinen Durst zu löschen!

Er suchte sich nun die Züge Josefas recht deutlich vorzustellen, mit
dem uneingestandenen Zweck, das hübsche Gesichtchen, das ihm zu Anfang
so hold erschienen, um jeden Preis antipathisch zu finden.

»Sie ist das Ebenbild ihrer Mutter,« dachte er stirnrunzelnd. »Gut! Um
die Brauen jedoch und im Blick hat sie etwas vom Vater -- etwas Kaltes,
Unangenehmes, Ordinär-Pfiffiges. Wahrhaftig, sie lächelt manchmal, sie
lächelt ... Wie sie mir heute den Strauß brachte! Infam! Die kleine
Canaille weiß, daß sie stört! Sie ahnt es mit dem alles witternden
frühreifen Instinkt einer spinösen Weiblichkeit.«

Und das Antlitz Josefas dünkte dem Aufgeregten immer entsetzlicher und
verabscheuungswerter. Zuletzt kam es ihm vor, als ringelten sich statt
der Locken gelbe, giftsprühende Schlänglein um die Stirne des Kindes
... ein kleines Gorgonenhaupt, das mit Adele nur die Augen gemein hatte!

Ach, und da drinnen im kerzenhellen Salon, auf den er jetzt mühsam
zuschritt, blühte, den Arm auf die Kante des Flügels geschmiegt,
der Gegenstand seines Verlangens, die Göttin, deren Altar er längst
schon mit leuchtenden Blumen geschmückt hätte, wäre der garstige,
natternumzüngelte Kopf nicht gewesen, das öde, alberne Püppchen,
das da im Herzen der Mutter eine so breite Stelle einnahm, das mit
dem Klang seiner süßlichen Schmeichelworte das Weib in Adele grausam
ertötet hatte!

Bis gegen elf Uhr musizierte man noch. Friedrich von Steinitz trug ein
Studentenlied vor. Sein Papa, der den Sekt ein wenig spürte, fiel beim
Refrain donnernd mit ein und schwang dabei die zierliche Mokkatasse
wie ein rebenumkränztes Hochglas. Hiernach erbat sich der Graf das
unverwüstliche ›Gaudeamus‹. Friedrich von Steinitz konnte das nicht
begleiten, wohl aber Gertrud Mettenius, die alles vom Blatt spielte.
Ihre Accorde brausten wie Orgelklänge. Von der zweiten Strophe ab
sangen die drei Kavaliere gemeinschaftlich, grundfalsch zum Teil, aber
mit sprühender Verve. Bei der dritten ging dem Major der Text aus,
was ihn nicht hinderte, auf die Silben ›~la-la~‹ volltönig weiter zu
schmettern. Bei der vierten folgte Gertrud Mettenius dem Beispiel der
Herren und ließ eine flotte, nicht unangenehme Diskantstimme los. Bei
der fünften zeigte sich Karl, der Bediente, schüchtern im Nebenzimmer
und reckte staunend das sonst so diskrete Haupt: die Herrschaften waren
ja ganz außerordentlich gut bei Laune!

Auch Leo von Somsdorff that zuletzt, als ob er sich dem ausgelassenen
Konzert anschließe, während Adele wieder für Augenblicke ins Freie
trat. Aber sein Herz wußte nichts von dem Uebermut dieser Stunde. Das
Kind, das Kind verfolgte ihn unablässig -- und als man gegen halb zwölf
nach einem kurzen Geplauder, woran auch Gräfin Adele teilgenommen, sich
trennte, da war er von diesem Gedanken wie festgepackt.

In trostloser Stimmung betrat er sein Schlafgemach. Rasch zog er sich
aus, zum erstenmal ohne die Hilfe des Dieners, obgleich die Hüfte ihn
wieder schmerzte. Sein Ingrimm steigerte sich mit jeder Minute. Er
löschte das Licht und schloß gewaltsam die Augen, da ein Reflex des
Mondes über dem Thürgesims ihn peinlich erregte. Die Fäuste geballt,
sah er den flirrenden Schein trotzdem durch die zusammengepreßten
Lider hindurch -- und das bleiche Oval spann sich ihm aus zu einer
bethörenden Sinnestäuschung. Es wuchs und wuchs, und schließlich war es
Gräfin Adele, die im duftigen, milchweißen Gewand, die Arme bis an die
Schultern entblößt, über die Schwelle glitt. Vor seinem Lager kniete
sie langsam nieder, legte ihm schmeichlerisch die Hand auf die Stirn,
küßte ihn heiß auf die Lippen und zog ihn mit ihren weichen, wonnigen
Armen fest an die Brust.

»Adele!« rief er, von Glück und Seligkeit überwältigt.

Da schrillte schon wieder aus nächster Nähe die unleidliche Stimme:
»Mama, Mama!«

Und das Kind kam herein durch die doppelt verriegelte Thür wie ein
Geist, der die Mauern zerteilt, und zerrte hohnlachend das süße,
himmlische Weib am Gewand und schlug dem liebeglühenden Mann die
kleinen, spitzigen Krallen ins Antlitz, daß ihm das Blut über die
Wangen troff.

Er fuhr stöhnend empor. Mit zuckender Hand strich er sich über die
Augen.

Ja, da rieselt es warm wie entquellendes Blut. Es sind Thränen,
-- Thränen des Zorns, der Sehnsucht, der ohnmächtig wilden
Verzweiflung. Er hat geträumt, -- und noch liegt der Nachklang des jäh
unterbrochenen Traumes auf seiner Brust wie ein Alp. Händeringend
stößt er einen beklommenen Schrei aus und drückt die Stirne keuchend in
seine Kissen.



Sechstes Kapitel.


»Ein Schreiben von Beaulieu-Sarcenet,« sagte der Graf beim Frühstück,
als er mit höflichst eingeholter Erlaubnis der Gäste seinen Kurier
durchmusterte. »Seltsam! Was kann er wollen? Nach jener unerquicklichen
Auseinandersetzung?«

Das blinkende Falzbein mit der kugelumspannenden Adlerkralle
durchschnitt das Couvert.

»Sie gestatten ...« fragte Graf Gerold nochmals. »Ich bin mehr als
gespannt ...«

Beaulieu-Sarcenet schien die fatale Erörterung, die ihn auf dem Kongreß
zu Bonn mit dem Grafen entzweit hatte, völlig vergessen zu haben --
oder so schwer zu bedauern, daß er für seinen Kummer nicht Worte fand
... Wenigstens ließ er die Sache ganz unerwähnt.

Hauptinhalt des Briefs war die Mitteilung, ein
populär-wissenschaftliches Wochenblatt, die »Minerva« in Stuttgart,
habe sich mit Vergnügen bereit erklärt, den Vortrag des Grafen
über altgriechische Fest- und Gedenkmünzen ehestens zum Abdruck
zu bringen, falls dieser Vortrag den Raum von drei Spalten ~à~
dreitausendfünfhundert Buchstaben nicht überschreite oder doch von dem
Verfasser auf diesen Umfang gekürzt werde.

Beaulieu-Sarcenet hatte den Chefredakteur der »Minerva« letzthin aus
rein persönlichen Gründen besucht und ihm beiläufig und gesprächsweise
das Thema genannt. Hieraus ergab sich das Weitere. Beaulieu-Sarcenet
riet dem Herrn Grafen aufs dringendste, die Gelegenheit zu benützen, um
so die Abhandlung wenigstens einem ~quasi~-gelehrten Publikum vor Augen
zu führen. Auch erbot er sich höflichst zur Lesung der Revisionsabzüge.
Er schloß mit der angenehmen Eröffnung, daß er im Frühherbst, wenn der
Herr Graf dies gestatte, auf Schloß Authenried-Poyritz vorsprechen
und die neuesten Errungenschaften des gräflichen Münzkabinetts einer
genauen Besichtigung unterwerfen wolle.

Diese Zuschrift des weltberühmten Archäologen führte im Leben und
Treiben der Schloßbewohner einen erheblichen Umschwung herbei. Die
Numismatik, seit Wochen entthront, gelangte nun wieder urplötzlich zur
Herrschaft.

Noch an dem selbigen Vormittag nahm Graf Gerold seinen rechtswidrig
unterdrückten Vortrag zur Hand, stellte zuvörderst die beklemmende
Thatsache fest, daß der Umfang der Rede -- selbst mit Weglassung
sämtlicher Vokative an die Adresse der »hochansehnlichen«,
»schätzbaren«, oder »gelehrten« Versammlung -- immer noch dreimal so
lang war, als das von dem Chefredakteur der »Minerva« bezeichnete
Maximum, und las dann die Arbeit vier- oder fünfmal durch, stets zu
dem unabweisbaren Resultat gelangend, daß er im Grunde nichts, aber
auch gar nichts weglassen könne, ohne dem köstlichen Aufsatz die
unheilbarsten Wunden zu schlagen.

So kam der Mittag heran. Sichtlich zerstreut schenkte der Graf
weder dem duftigen Pomard, der so tief purpurrot in den schweren,
altertümlichen Gläsern blinkte, noch den Schwänken des Herrn Majors
die gebührende Aufmerksamkeit, ließ den Champagner verperlen, wie ein
Kranker sein künstliches Selterswasser, und hatte nicht einmal Sinn
mehr für die bewegliche Heiterkeit Gertruds, die sich mit aller Kraft
ihres sprühenden Konversationstalents abmühte, das allgemach zögernde
Tischgespräch leidlich im Gang zu erhalten.

Beim Dessert legte der Graf plötzlich das Messer weg und sagte, den
Blick wie entgeistert auf die halb schon geschälte Birne richtend:

»Aber die Illustrationen! Illustrationen sind unumgänglich! Was meinen
Sie, Somsdorff?«

»Illustrationen?«

»Nun ja doch! Erläuternde Illustrationen zu meiner Studie!«

»Ah so! Allerdings ...«

»Nicht wahr? Ich muß mir sofort Gewißheit darüber verschaffen, ob die
›Minerva‹ auch Illustrationen bringt! Ich habe das Blatt nie in den
Händen gehabt. Sie entschuldigen, meine Herrschaften ... Karl! Hören
Sie nicht? Schnell Tinte und Feder!«

Er schrieb ein dringendes Telegramm -- Antwort bezahlt -- an
Beaulieu-Sarcenet:

»Bringt die ›Minerva‹ auch Illustrationen? Welchen Zeichner empfehlen
Sie?«

Hiernach ließ er den Reitknecht rufen und behändigte ihm den Zettel mit
dem Befehl, unverzüglich ins Dorf zu laufen und die Depesche dort gegen
Empfangsbestätigung aufzugeben.

»Nur gegen Quittung!« rief er ihm nochmals nach. Er lauschte mit
einer gewissen Aengstlichkeit, bis die schwer wuchtenden Schritte des
Burschen im Korridore verhallt waren. -- Dann erst schälte er seine
Forellenbirne schweigend zu Ende.

Drei Tage lang hielten es die Herren von Steinitz noch aus. Dann gab
ein Familienfest, das sie in Zeschau mitmachen sollten, dem Herrn
Major den erwünschten Vorwand, mit guter Manier aus den unheimlich
gewordenen Räumen des Schlosses zu flüchten und sich die Wiederkehr
für eine bessere Zeit vorzubehalten. Es lag jetzt in der That über den
Hallen von Authenried-Poyritz wie ein geistiger Druck; der Major meinte
sogar: wie das Vorgefühl eines Unglücks. Nicht nur der Graf mit seinen
erneuten numismatischen Anwandlungen war vollständig ungenießbar, auch
Gräfin Adele und Somsdorff strömten einen nicht recht definierbaren
Hauch von Schwermut und Monotonie aus.

Unmittelbar nachdem die Herren von Steinitz abgereist waren, erhielt
auch Gertrud Mettenius ein Briefchen ihrer Mama, das sie nach Hause
berief. Somsdorff war fest überzeugt, daß Gertrud sich dieses Briefchen
bestellt hatte, um nicht zwecklos noch ein paar Tage lang von ihrem
Liebsten getrennt zu sein; denn Friedrich von Steinitz und Gertrud --
wenn man aus hundert Symptomen einen berechtigten Schluß zog -- mußten
jetzt vollständig einig sein, und selbst den Papa hatte man kurz vor
der Abfahrt nach Hoyersbrück wohl ins Vertrauen gezogen.

Nachdem so das Schloß wieder in den normalen Zustand seiner vornehmen
Abgeschiedenheit und Ruhe zurückgetaucht war, nahmen auch die während
der letzten Tage etwas beeinträchtigten Garten- und Feldwanderungen der
Gräfin mit Leo von Somsdorff einen gesteigerten Aufschwung.

Der Graf wollte das so, und zwar aus zweierlei Gründen. Einmal konnte
er, wenn sich Adele viel mit Somsdorff befaßte, ungestört an der
Neugestaltung seines münzwissenschaftlichen Vortrags arbeiten, ohne
doch gar zu rücksichtslos zu erscheinen. Außerdem bedünkte es ihm eine
Ehrenpflicht, dem jungen Mann, der sich bei der Errettung Josefas so
fürchterlich zugerichtet, alles zu bieten, was da geeignet war, seine
Erholung zu fördern, seine Stimmung zu heben, kurz, den ~status quo
ante~ möglichst rasch wieder herzustellen.

Und einer seelischen Anregung und Erfrischung, wie sie sich aus dem
Naturgenuß in Gesellschaft einer ihm offenbar höchst sympathischen
jungen Frau ergab, schien der blasse, immer noch etwas hohläugige
Somsdorff stark zu bedürfen.

Er war mitunter seltsam verstimmt; merkwürdig abgeneigt, eines der
gräflichen Pferde zu reiten, obgleich Doktor Michalsky dies letzthin
erlaubt hatte; unlustig, ein Buch oder selbst nur ein Zeitungsblatt
in die Hand zu nehmen; apathisch gegen die Briefe und Telegramme
Beaulieu-Sarcenets; von höflicher Schweigsamkeit während der
Mahlzeiten; auf der Chaiselongue zwischen den beiden Verandasäulen
beinahe mürrisch.

Nur wenn die Gräfin sich anschickte, das große verwöhnte Kind
»auszuführen«, wie der Graf diese regelmäßigen diätetischen Gänge
bezeichnete, flog ein Leuchten über sein Antlitz. Man sah ihm
dann deutlich an, wie sehr er sich auf das planlose Wandern durch
die Alleen, auf das köstliche Hin- und Herschlendern zwischen den
Rotdornsträuchern und Haselnußbüschen, auf die langsamen Streifzüge ins
Gehölz freute ...

Und doch blieb dies Leuchten nur von sehr kurzer Dauer. Oft machte
es schon, bevor man die Freitreppe hinabschritt, einem Ausdruck der
Müdigkeit, ja der Verbitterung Platz, der sich erst nach und nach,
unter dem Einfluß der sommerlich schönen Natur und der mildfreundlichen
Worte Adelens wieder verlor.

Eines Morgens in aller Frühe -- der Graf schlief noch, denn er hatte
bis zwei Uhr nachts über der Arbeit gesessen -- traten die zwei in
besonders ungesprächiger Stimmung einen Gang durch den Park an -- auch
diesmal von der kleinen Josefa begleitet, die Gräfin Adele seit jenem
Abend auf der mondscheinbeglänzten Veranda kaum von der Hand ließ.
Höchstens durfte das Kind draußen im Feld ein paar Schritte vorlaufen,
um aus dem Aehrengewoge sich Raden und Kornblumen zu brechen. Sobald
man jedoch wieder den Park mit seinen phantastisch verschlungenen
Irrgängen erreichte, blieb Josefa, wie durch das Auge der Mutter
gebannt, stets in unmittelbarster Nähe; ja, sie setzte sich, wenn man
irgendwo Rast hielt, meist unaufgefordert zwischen Somsdorff und ihre
Mama, ein Warnungszeichen für den Bethörten und gleichsam die lebendige
Mauer, in deren Schutz die verzauberte Königin trotzig auf ihre
Unnahbarkeit pochte.

An jenem Morgen schritt man die Balustraden des Teiches entlang, bog
dann links ab, durchstreifte die Rosenbeete, die in verblüffender
Pracht standen, wechselte zwei, drei Worte über die Lieblingsarten der
Gräfin, die Marschall-Niel- und La-France-Rosen, die von dem Gärtner
mit überraschender Ausgiebigkeit gepflegt wurden, und erreichte auf
Umwegen den Proserpinahügel, wo Leo sich damals so nahe am Ziel
geglaubt.

Seitdem hatte er diesen Platz nicht wieder betreten.

Qualvolle Dumpfheit legte sich ihm aufs Herz, als er den
marmorgemeißelten Gott erblickte, der sich die Braut mit so trotzigem
Ungestüm -- und bei alledem so bequem und natürlich -- vom Boden rafft,
um sie hinab zu schleppen in die Verborgenheit seines Palastes. Ein
wehmütig beklommener Nachklang jener »heroischen Zeit, da Götter und
Göttinnen liebten«, zog in Goetheschen Melodieen durch sein vergrämtes
Gemüt.

Gräfin Adele hingegen schien klarer, frischer und ruhiger als je.
Mit vollkommenster Unbefangenheit blieb sie einen Moment vor der
leidenschaftlich bewegten Gruppe stehen, fand die zackige Krone
des Gottes, die hie und da zu zerbröckeln begann, komisch und
maskeradenhaft, meinte, das Ganze erinnere zu stark an den Raub der
Sabinerin, der zu Florenz die Loggia de' Lanzi schmückt, und wandte
sich dann, wie mechanisch, zur Bank hinüber, wo noch immer der
blütenbesäte Jasmin seinen berauschenden Duft streute.

Man setzte sich.

Auch diesmal ergab es der Zufall oder Adelens Geschicklichkeit, daß die
kleine Josefa den Platz in der Mitte bekam. Das Kind schmiegte sich
schalkhaft an seine Mama und neckte sie, hell auflachend, mit einem
schwankenden Zweig.

Der Fichtenbestand, der neulich im Goldglanz der sinkenden Sonne
gestrahlt hatte, war jetzt beschattet. Die ganze Beleuchtung hatte für
Somsdorff etwas Traurigverändertes. Es war ihm zu Mut, als ob er ein
teures Antlitz, das er bei voller Gesundheit verlassen, im Kampfe mit
einer schleichenden, todbringenden Krankheit wiedererblicke.

Und nun das ewige Lachen und Plappern des Kindes, das die
Schweigsamkeit der Erwachsenen mit geradezu ungebührlicher Konsequenz
ausnützte!

Es war natürlich nur Einbildung, wenn Somsdorff sich vorsprach, der
allgegenwärtige kleine Teufel sehe ihn manchmal so spöttisch, so gemein
triumphierend an ... Dennoch, trotz aller Vernunftgründe, ward der
erregte Mann diesen Eindruck nicht los.

»Josefa durchschaut dich,« klang es in seinem Herzen. »Sie kennt deine
Qual! Sie ergötzt sich an deiner verzweifelten Ohnmacht! Ihr Lachen ist
niederträchtiger Hohn!«

Gräfin Adele nickte ihm zu.

»Warum so ernst, lieber Freund?« frug sie mit schlichter Herzlichkeit.

Er zuckte ein wenig die Achseln.

»Man hat seine Stimmungen,« sagte er lächelnd. »Ich bin jetzt
neuerdings auf dem Standpunkt angelangt, daß ich im Lenz schon den
Herbst wittere, und wo sich das Leben entfaltet, Zerstörung und Tod.
Dieser azurblaue Sommertag schnürt mir die Brust zusammen. Dort in der
Tiefe zwischen den Fichtenstämmen erblick' ich Gespenster ...«

»Das sind einfach die Nachwehen Ihrer Leidenszeit,« sagte die Gräfin,
ohne den Doppelsinn ihrer Worte zu merken. »Sie dürfen sich nicht so
nachgeben.«

Fragend heftete er den Blick auf ihr Angesicht, das so gütig erschien
und so mild, wie das einer Mutter, die ihren Sohn tröstet.

Adele sah in dem einfachen, rosagestreiften Morgenkleid und dem beinahe
schmucklosen Strohhütchen auf dem herrlichen Haar unbeschreiblich
hold und verlockend aus. Ihre Absicht, durch Vermeidung jeglicher
Toilettenkunst den Eindruck, den sie auf Leo hervorgebracht, thunlichst
abzuschwächen, hatte sich nie so verfehlt erwiesen, als heute. Sie
ahnte nicht, wie gerade die blumenartige Schlichtheit ihrer Erscheinung
einen Charakter von der Eigenart Leos umstricken mußte. Diese
ungekünstelte Anmut bedeutete ja für Somsdorff äußerlich fast dasselbe,
was ihre weibliche Würde, ihre hoheitsvolle und doch nicht geschraubte
Strenge innerlich für ihn bedeutete: ein Fremdes, Neues und dennoch
Vertrautes, ein himmlisches Etwas, das auf sein ganzes Gemüt wirkte wie
die Seebrise auf die pochende Stirne des Fieberkranken.

Und nun sich sagen zu müssen: dies neue, unbeschreibliche Glück würde
dir in den Schoß fallen, wenn dies Kind nicht wäre, dessen bloße
Anwesenheit ihr unausgesetzt Moralpredigten hält und ihr Gehirn mit
Phantasmen erfüllt, die du mit aller Kraft deiner sieggewohnten
Verführungskunst nicht hinwegblasen kannst!

Daß Josefa wirklich das einzige Hindernis auf dem Weg zur Eroberung
sei, darüber hegte der junge Mann, der ja noch immer die Fesseln einer
leichtsinnigen Vergangenheit nachschleppte, kaum einen Zweifel.

»Denn --« sagte er sich -- »wäre die Tugend Adelens an und für sich
über jeden Ansturm erhaben, so brauchte sie nicht diese Schildwache
hinzupflanzen, die schleunigst Alarm schlägt, sobald sich mir nur das
leiseste Wort auf die Lippen wagt.«

Er seufzte schwer.

»Frau Gräfin,« frug er dann plötzlich in französischer Sprache, »wie
lange gedenken Sie diese Komödie fortzusetzen?«

»Welche Komödie?«

»Die mit der kleinen Ehrendame, die sich hier zwischen uns drängt.«

Sie errötete heftig.

»Wie so Ehrendame?«

»Teuerste Gräfin, Sie betrügen sich selbst -- und verraten sich!
Weil Sie sich schwach fühlen, weil Sie mich lieben -- heiß, über
jede Beschreibung -- deshalb gebrauchen Sie diesen Engel da mit dem
flammenden Schwert, der mich so feindlich von hinnen scheucht! Aber
ich schwöre es Ihnen: das frommt nicht! Sie werden an dieser Thorheit
zu Grunde gehen! Nein, lassen Sie mich jetzt ausreden! Wird Ihr Kind
darum besser und glücklicher, weil seine Mutter um eines Vorurteils
willen sich heimlich zerquält und einen ehrlichen Menschen, der sie
vergöttert, einfach ins Tollhaus bringt? Adele, Adele! Es kommt eine
Zeit, da niemand auf dieser Erde mehr weiß, wo unsre Gebeine ruhen!
Die Pflugschar geht einst über die Stätte, wo jetzt Ihr Schloß ragt
... Glauben Sie wirklich, daß Ihre Seele dann irgendwo im unendlichen
Weltraum Freude darüber fühlt, sich und mich damals zertrümmert zu
haben?«

»Das weiß ich nicht,« versetzte die Gräfin ruhig. »Auch wäre das eine
traurige Pflichterfüllung, die sich von der Erwägung abhängig machte,
ob eine That sich lohnt. So viel im allgemeinen. Jetzt aber muß ich
Ihnen doch scharf betonen, daß Sie mich vollständig mißversteh'n! Ich
bin fertig und klar mit allem und durch Gottes Hilfe so stark, daß
ich von keinem Kampf mehr zu reden habe. Ach, Herr von Somsdorff,
Sie glauben also im Ernste, ich hätte um meinetwillen das Kind hier
mitgenommen?«

»Ich dachte ...«

»Sie irren, mein Freund! Nur um _Ihnen_ das zu erleichtern, was Sie mir
neulich versprochen haben ... Nein, Herr von Somsdorff: eine Mutter,
die einmal ernstlich mit sich zu Rate gegangen, hat die Gegenwart ihres
Kindes nicht nötig, um unausgesetzt ihrer Liebe zu diesem Kinde und der
Verpflichtungen, die ihr daraus erwachsen, bewußt zu bleiben! In diesem
Engel, dem Ihr Sarkasmus ein flammendes Schwert verleiht, atme und lebe
ich! Hundert Meilen dürften uns jahrelang scheiden: an der Allgewalt
dieses Gefühls könnte das kaum was mindern! Seh'n Sie doch endlich
ein, daß der Weg, den Sie jetzt wandeln, traurig ins Leere führt! Ich
habe auf Ihrer Abreise nicht bestanden, weil Ihre Nähe mich nicht mehr
erschreckte -- und weil Sie so heilig gelobt hatten ... Es scheint
aber, daß Sie der Freundschaft in Wahrheit nicht fähig sind ...«

Ein verlorener Sonnenstrahl zitterte auf dem goldgelben Band ihres
Hutes und glitt, da sie den Kopf jetzt zurücklehnte, wie kosend über
die schön gerundete Wange hinab auf die Brust, die so geruhig atmete
und so gleichmäßig, als wollte sie den fiebrischen Brand seiner
Sehnsucht verhöhnen.

Er sprang auf.

»Gehen wir?« fragte er tonlos.

Sein Gesicht war bleicher als je; die Lippen verdorrten ihm fast.

»Fehlt Ihnen was, Herr von Somsdorff?«

»Es scheint so. Ich bin zu Tode erschöpft. Ich fürchte, ich werde
krank.«

»Es gibt einen Spruch ...« sagte die Gräfin, als sie am Teiche entlang
schritten. »Mein Geschichtslehrer hat ihn häufig citiert ... Es war
Latein, und der Sinn war der: ›Wolle gesund sein, und du bist es!‹
Ihnen mangelt vielleicht der Wille. Uebrigens, kennen Sie nicht die
Schrift Kants -- das Einzige, was ich von Kant gelesen habe: ›Die
Kunst, seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden‹? Natürlich,
Sie kennen das! Aber danach zu handeln, das fällt euch Herren der
Schöpfung, die ihr doch sonst so vornehm auf uns herabschaut, nicht
ein!«

»Ich glaube, Sie machen sich über mein Elend lustig?« versetzte Leo
stirnrunzelnd; denn sie hatte die letzten Worte im Tone der leichtesten
Plauderei gesprochen.

»Das sei ferne von mir!« sprach sie mit plötzlich veränderter Stimme.

Die Thränen traten ihr in die Augen.

Er aber sah das nicht. In seiner Seele hatte nur eins Raum: der
Gedanke, daß diese Frau ihn geliebt hatte -- und nicht mehr liebte!

Dies Bewußtsein war niederschmetternd -- die erste große Enttäuschung
seines verwöhnten Lebens!

Der Widerstand einer abstrakten Moral -- so philosophierte er -- ließ
sich durch eisenfeste Beharrlichkeit über den Haufen werfen. Eine
Siegerin aber, der es gelungen war, das Feuer der Leidenschaft -- das
er doch ihrem eignen Geständnis zufolge in ihrer Seele entzündet hatte
-- in so lächerlich kurzer Frist mit Gewalt auszulöschen: ein solches
Geschöpf stand außerhalb jeder Berechnung!

Ja, wäre ihr Herz vereinsamt gewesen! Hätte dies Kind nicht alle
Abgründe ihres Gemüts täglich neu mit Rosen und Lilien verschüttet!
Aber so wirkte Josefa schon durch die bloße Thatsache ihres
Vorhandenseins!

Und gerade er, Somsdorff, mußte dies wühlende Weh dulden -- er, vor
dem sich die angebetetsten Schönheiten seufzend im Staube gewunden! Er
mußte das gerade hier dulden, wo es zum erstenmale im Leben ihm ernst
war -- so ernst zum wenigsten, wie es für einen jahrelang kultivierten
Leichtsinn, der nichts für heilig erachtet, noch möglich war! Er
liebte sie wahnsinnig, mit der Glut eines Verschmachtenden; jeder Tag
dieser grauenhaften Entsagung hatte der Lohe, die ihn verzehrte, neuen
Brennstoff geliefert; er fühlte, wie sein Gehirn kochte und brodelte,
wie jeder Nerv in ihm krankte -- und sie gab ihm den Rat, Kants Schrift
zu lesen ›über die Kunst, seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden‹!

Noch ein Schritt -- und seine Zurechnungsfähigkeit hörte auf. Was dann
kam -- er schauderte vor der Ausmalung dieser Möglichkeiten zurück,
die sich ihm hundertfach variiert und dennoch stets in der gleichen
Grundstimmung aufdrängten. Der Egoismus der Leidenschaft hatte den
Höhepunkt seiner Starrheit erreicht.

Als Leo am Nachmittag sein Zimmer aufsuchte, um für einige Stunden
allein zu sein, folterte ihn ein fürchterlicher Gedanke, den er nicht
bannen konnte. Ja, es fehlte ihm, so sehr er sich mühte, die sittliche
Kraft, sich dieses unerhörten Gedankens zu schämen. Dabei fühlte
er jetzt, gleichsam als Folie zu seiner Zwangsvorstellung, einen
stechenden Druck in der Seite, etwas oberhalb jener Stelle, wo ihm der
wütende Hirsch das mörderische Geweih eingebohrt hatte.

»Du Narr!« klang es in seinem Innern, während er grimmig die Faust
wider den schmerzenden Punkt stemmte. »Hättest du damals ein paar
Sekunden gezögert und dein Leben, das noch so lebenswert und so
rosig erschien, nicht in die Schanze geschlagen, so ... wäre jetzt
alles vorüber! Kein Hindernis türmte sich mehr zwischen dich und
dies wonnige Weib! Du könntest sie trösten ... Ein Tröster erfüllt
seine Sendung nur halb, wenn er nicht auch ersetzt ... du würdest
in ihrem Herzen die Lücke ausfüllen, die der Verlust des unseligen
Kindes ihr hinterlassen hätte! Sie wäre dein Eigen, wenn nicht schon
jetzt, so doch dereinst, nachdem sich der erste, verzweifelte Jammer
gelegt hätte! Die Undankbare! Wie hat sie dir's denn gelohnt, daß du
gespießt wurdest? Ein paar gütige Phrasen hat sie für dich gehabt, ein
sentimentales Geständnis, bei dem drei Viertel der zärtlichen Glut
auf Rechnung des Kindes kamen! Und nun, wie du in deiner Ungeduld
aufschreist, gibt sie dir lächelnd den unerhörtesten Fußtritt! Das hast
du von deinem selbstlosen Opfermut, du trauriger Don Quixote, du öder,
hirnverbrannter Hanswurst!«

In blinder Wut schlug er sich auf die schwer atmende Brust.

»Hätt' ich's geahnt,« fauchte er durch die Zähne, »hätt' ich's geahnt!«

Und die verbrecherische Empfindung der Reue über die Rettung, die er
damals vollbracht hatte, goß sich ihm heiß durch die Adern. Nein, er
würde im gleichen Falle nicht wieder so handeln. Jeder war sich doch
selbst der Nächste, wo es um Sein oder Nichtsein ging! Man half nicht
dem Todfeind, wenn er am Rande des Abgrundes zu straucheln begann. Das
war nicht Menschlichkeit, sondern Wahnsinn.

Er stöhnte bei diesen grauenhaften Erwägungen wie ein Sterbender.

Immer wieder knirschte er vor sich hin: »Hätt' ich's geahnt! Hätt'
ich's geahnt!«

Die Ritterlichkeit, die ihn sonst auszeichnete, die natürliche Wahrheit
seines Gemüts, sein Gerechtigkeitssinn -- alles schien untergegangen in
dem fürchterlichen Gewoge einer schamlosen Selbstsucht.



Siebentes Kapitel.


Gegen Ende der Woche traf Gertrud Mettenius wiederum ein -- ganz
erfüllt von ihrem süßen Geheimnis, das sie der Freundin sofort, und
den übrigen Hausbewohnern, soweit sie gesellschaftlich mitzählten,
am folgenden Morgen unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit
anvertraute.

Sie hatte sich also wirklich mit Herrn von Steinitz junior verlobt
und hielt's nun daheim bei ihrer etwas nervösen Mama nicht länger
mehr aus; denn Friedrich, der holde, reizende Mensch, hatte sofort
unverhofft wieder abreisen müssen. Der Neubau des Herrenhauses auf
Groß-Nieder-Wartha -- so hieß die Besitzung, wo Gertrud als Freifrau
von Steinitz demnächst ihren Herrscherstab handhaben würde --
erforderte unbedingt seine Anwesenheit.

Das laute, geräuschvolle Wesen der jungen Braut wirkte auf Leo von
Somsdorff wie der Lärm einer Mühle. Er hatte nie sonderlich für das
Mädchen geschwärmt. Jetzt fand er sie geradezu störend -- vielleicht
nur deshalb, weil die Unverfrorenheit ihres Jubels dem traurigen
Zustande seines eignen Gemüts so schroff widersprach. Ein rätselhaftes
Geschöpf, diese Gertrud! Ganz offenbar hatte sie doch die Grenzen
der weiblichen Scheu und Zurückhaltung stark überschritten. Trotzdem
lag etwas Kindliches in der Art ihrer Aufdringlichkeit, etwas
Kernhaft-Gesundes, das unter andern Verhältnissen bei Leo von Somsdorff
sehr wahrscheinlich gewisse humorvolle Sympathieen geweckt hätte, zumal
der Erfolg ihr durchaus recht gab. Friedrich von Steinitz verlangte das
so; er war ihr ganz augenscheinlich dankbar dafür: sonst hätte ihn das
Gebaren Gertruds doch abgestoßen, nicht aber zum Sklaven gemacht. Wie
Leo indessen gestimmt war, hatte er jetzt nur das Gefühl, als müsse er
diesem übersprudelnden Lachen und Schwatzen grundsätzlich aus dem Wege
gehen. Es machte ja fast schon den Eindruck, als ob Fräulein Gertrud um
seine trostlose Situation wisse und sich das schnöde Vergnügen bereite,
ihm die Glückseligkeit in recht unbarmherzigen Farben zu malen, damit
seine Qual ihr zur Folie diene.

Gertrud merkte, trotz ihrer Naivität, sehr wohl, daß er mit jeder
Begegnung kühler und förmlicher ward.

»Was will er nur?« fragte sie staunend. »Wahrhaftig, Adele, ich glaube,
er legt's darauf ab, mich hier fortzugraulen!«

»Ach, er denkt nicht daran! Etwas nervös ist er ...«

»Dann soll er doch seine Nervosität an den Dienstboten auslassen oder
wo sonst! Ich kehr' ihm jetzt einfach den Rücken, bis er von selbst
wieder Anstalten macht ... Dazu ist denn doch eine glückliche Braut
nicht da, um irgend einem beliebigen Griesgram als Blitzableiter zu
dienen ...«

Gräfin Adele küßte ihr tröstend die Wange und legte für Herrn von
Somsdorff ein freundliches Wort ein. Nun lachte Gertrud, flüsterte mit
eigentümlicher Schalkhaftigkeit, so gar schlimm habe sie ja die Anklage
nicht gemeint, und sprach dann wieder von Groß-Nieder-Wartha und dem
entzückenden Neubau.

Am folgenden Tag mußte Adele das Bett hüten. Die Kämpfe der letzten
Zeit, die doch heftiger in ihr tobten, als sie selbst sich gestehen
wollte, hatten ihr stark zugesetzt, so daß eine kleine Erkältung, deren
sie sonst nicht geachtet hätte, ihr alle Spannkraft benahm.

»Das hat noch gerade gefehlt!« knirschte Somsdorff in sich hinein, als
er beim Frühstückstisch den Grafen allein fand und die Meldung erhielt,
Gräfin Adele fiebere ein wenig.

Graf Gerold war heute langweiliger als je. Er hielt eine Nummer des
»Athenäums« zwischen den Fingern. Sofort begann er mit laut hallender
Stimme einen Bericht über die jüngsten pompejanischen Ausgrabungen
zu lesen, die ein hochwichtiges Ergebnis zu Tage gefördert hatten --
in Gestalt nämlich einer erzgetriebnen Kassette, die eine Anzahl von
Goldmünzen und Medaillen enthielt, darunter mehrere von altgriechischer
Prägung. Der Graf war der Meinung, Verschiednes aus diesem Bericht für
seine noch immer nicht ganz vollendete Abhandlung verwenden zu können,
obschon die Kürzung dadurch aufs neue erschwert wurde. Er wünschte die
Ansicht Somsdorffs namentlich über zwei Punkte zu hören ...

Leo empfand beim Vorlesen des umfangreichen Artikels einen heftigen
Widerwillen. Die ruhig-sachliche Untersuchung, die sich hier abspielte,
kontrastierte eben so schroff mit seiner eignen quälenden Unrast, als
die Brautseligkeit Gertruds.

Der Graf ließ ihm nicht einmal so viel Zeit, sich genauer nach dem
Befinden der jungen Frau zu erkundigen.

»Eine Art Grippe,« sagte er rasch und fuhr dann, als wolle er jeden
weitern Versuch der Unterbrechung im Keime ersticken, mit wachsender
Energie fort: »Die größte dieser Medaillen zeigt in künstlerisch
vollendeter Bildung eine Reiterstatue mit der etwas beschädigten
Umschrift ...«

Somsdorff hörte nichts mehr. Voll stummer Verbitterung rückte er seinen
Stuhl, klapperte rücksichtslos mit dem Löffel an seiner Theetasse,
hustete, seufzte sogar, als hätte er jede Regel der Höflichkeit
unter dem Schutt seiner Mißgefühle begraben -- und erreichte damit
ein fortwährendes Anschwellen der freudig erregten Stimme, die nur
ab und zu mit dem Vorlesen innehielt, um parenthetisch ein »Höchst
interessant!« oder ein »Hören Sie, Somsdorff?« dazwischen zu schleudern.

Leo, der schon mehrmals erwogen hatte, ob es nicht besser sei, die
hoffnungslose Belagerung Adelens aufzugeben und schleunigst die
Flucht zu ergreifen, war jetzt nahe daran, in dieser Richtung einen
definitiven Entschluß zu fassen. Kleinigkeiten geben ja oft bei solchen
lang in der Schwebe gebliebenen Fragen den Ausschlag.

Jedenfalls trug er, als nun der Graf sich entfernt hatte, kein
Verlangen danach, dies eigentümliche Frühstück in Gemeinschaft mit
Gertrud Mettenius fortzusetzen, zumal ihm die junge Dame gleich
beim Betreten des Zimmers einen merkwürdig herausfordernden Blick
zugeschleudert hatte.

Er stand vielmehr auf, machte ihr eine ceremoniöse Verbeugung und zog
sich in seine Gemächer zurück, wo er sich fruchtlos bemühte, beim
Rauchen einer pompösen Cigarre den Zwiespalt, der ihn zerklüftete,
aus dem Bewußtsein zu tilgen. Es lag ihm wie Blei in den Gliedern.
Freilich, die Nächte hier, und namentlich in den letzten, hatte er ganz
erbärmlich geschlafen -- oft stundenlang grell geöffneten Auges zur
Decke gestiert, um dann mitten aus einer quälenden Vorstellungsreihe
heraus in einen starrkrampfähnlichen Zustand zu fallen, der nichts
weniger als erquicklich war und mit dem Schlaf nur die Unwirksamkeit
des Willens gemein hatte. Das mußte ein Ende nehmen -- so oder so. Er
fühlte, daß er zu Grund gehen würde, wenn seine Leidenschaft für dies
wahnwitzig stolze Weib nicht endlich Genüge fand oder gewaltsam ertötet
wurde ...

Er nahm ein Buch. Schon bei den ersten Seiten befiel's ihn wieder mit
einer Art von Hypnose. Statt des bedruckten Blattes und der klaren
Antiquaschrift sah er die Bank auf dem Proserpinahügel -- und zwischen
den blütenbedeckten Jasminzweigen die herrlichen Augen Adelens, die
ihm entgegenstrahlten, wie zwei lockende Sterne aus dem Grund eines
verzauberten Brunnens.

Aufschreckend griff er sich nach der Stirne.

Welche Verrücktheit auch, bei diesem herrlichen Juniwetter im Zimmer
zu sitzen, dazu noch bei festgeschlossenen Fenstern! Das Stubenmädchen
mit ihrem ewigen Luftabsperren war die Borniertheit selbst -- wie alle
Frauenspersonen! Ja, wie alle! In diesem Moment glaubte er selbst
Gräfin Adele mit einschließen zu sollen. Ihre rabiate Schwärmerei für
das Kind war doch auch eine Art von Beschränktheit, eine fixe Idee, wie
sie nur im Gehirn eines Weibes reift.

Ingrimmig setzte er den erdfarbenen, gemsbartgeschmückten Hut auf, nahm
seinen Jagdstock und schritt hinaus.

Es war jetzt zehn Uhr. Ein tiefblauer Himmel spannte sich wolkenlos
über die blühende Erde. Der Tag versprach heiß zu werden. Um so
gescheiter, wenn man sich jetzt ein wenig die brennende Stirn kühlte.
Ueber den Fluß her wehte noch eine Ostluft von belebender Frische.

Rasch, wie ein Mensch, der sich selber entfliehen will, stieg er die
Seitentreppe hinab und durchquerte den Platz vor dem Teich. Hier im
Park, wo ihm jeder Strauch die Erinnerung an das schmähliche Scheitern
seiner strafbaren Hoffnung zurückrief, litt es ihn nicht. Auch der
Pfad nach dem Gehölz schien ihm von Grund aus verhaßt. Das Kind
schwebte hier wie ein Gespenst über der Moosdecke. Dieser Wald mit
den zahlreichen Schneisen und Lichtungen war ja der Schauplatz jener
unseligen Rettungsthat. Ja, nochmals schalt er in seinem krankhaft
erregten Gemüt jene That unselig. Er lachte vor selbstironischer Wut,
als ob er sich vorwürfe, sein Glück mutwillig zertreten zu haben.
Hiernach graute ihm doch ein wenig vor der empörenden Roheit dieser
Empfindungen. Er zuckte die Achseln, seufzte und schlug den Weg nach
dem Fluß ein.

Es war still hier draußen. Auf den hellschimmernden Wiesengründen lagen
die graugrünen Heuhaufen. Das Korn wogte in mannshohen Aehren. Hier und
da nur, jenseits des Stromes, gewahrte man an den Hängen vereinzelte
Landleute -- so weit entfernt, daß man sie kaum mit der Stimme
erreichen konnte.

Leo bog die Zweige des üppig wuchernden Erlengestrüpps zurück und trat
an das Ufer.

Auch der Fluß, noch zu schmal und zu ungleichmäßig in seiner Tiefe,
um schiffbar zu sein, bot mit der unbelebten, stark strömenden
Wasserfläche den Anblick einer weltfremden Einsamkeit.

Das Ufer senkte sich an der Stelle, wo Somsdorff herangetreten war,
schroff ab. Weiter nach rechts aber bildete seine Böschung eine
Art natürlicher Bank, die zu beschaulicher Rast lud. Sommerliche
Gewittergüsse hatten diese Einbuchtung wohl zusammengewühlt.

Leo ging die kleine Strecke stromaufwärts, umklammerte das Geäst einer
verdorrten Weide und stieg so die anderthalb Meter hohe Lehne dieser
Naturbank hinab. Unten setzte er sich behaglich zurecht. Als Schemel
diente ihm ein Granitblock, der wie ein erratischer Einsiedler aus der
lehmigen Wandung ragte.

Es war ein Ruheplatz von eigentümlichem Reiz. Droben das schattende,
schwergrüne Laub der Erlen, gegenüber das steil ragende Ufer,
gleichfalls mit Erlen besäumt -- und zwischen den beiden Baumreihen,
die hier die Welt abschlossen, das murmelnde Wasser.

Langsam und tief atmend sah Leo von Somsdorff in das immerzu
wechselnde und doch so gleichmäßig glitzernde Wellenspiel. Zu seinem
eignen Erstaunen wurde er von den elegischen Versen Nikolaus Lenaus
heimgesucht:

    »Sahst du ein Glück vorübergeh'n,
    Das nie sich wiederfindet,
    Ist's gut, in einen Strom zu seh'n,
    Wo alles wogt und schwindet.«

So weit also war es mit ihm gekommen!

Die Fluten blinkten und rauschten -- und spielten zuweilen wie neckende
Elfen an dem Granitblock empor. Die weiche, grasüberwachsene Wand
schmiegte sich polsterähnlich wider den Rücken des Träumers, und
sein rechter Arm fand so bequem einen Stützpunkt. Wenn er die Augen
schloß, hatte er fast die Empfindung, als liege er auf der Chaiselongue
zwischen den beiden Verandasäulen ...

Und er schloß die Augen jetzt wiederholt, und immer auf länger, bis er
zuletzt nicht mehr die Kraft besaß, der entzückenden Müdigkeit, die ihn
umströmte, Halt zu gebieten.

Aller Gram seines Herzens schien von dem gütigen Fluß, der ihn hier
einwiegte, fortgeschwemmt, alles Weh aufgelöst, aller Kampf selig
gestillt. Die plätschernden Wellen wurden dem Schläfer zu holden,
zauberhaften Sirenen, die ihm die süßesten Märchen vorschwatzten.

Und plötzlich war es die Stimme seiner verstorbenen Mutter, die zu
ihm sprach, und das Märchen, das sie erzählte, war die unheimlich
bange Geschichte »Gott überall«. Er kannte sie jetzt noch auswendig,
-- die kindlich-naive Historie von der gehorsamen Schwester und
dem ungehorsamen Bruder, der im Keller die Milch benascht, und den
Spalt am Fenster, durch den die himmlische Sonne blitzt, ärgerlich
zustopft, damit der allsehende Gott nicht hereinblicke. Das war seine
Lieblingsgeschichte ... Wenn die Mutter ihm das erzählte, gestand er
ihr jedesmal unter Thränen, was er an kleinen, harmlosen Unthaten auf
dem Gewissen hatte. Und die Mutter war gütig und lieb, -- und sie küßte
ihn, und alles war wieder gut. Diesmal aber quälte ihn das Gefühl,
als ob die sonst so freundlichen Augen trüb und vorwurfsvoll auf ihm
haften blieben. Das Märchen, das ihm der Traum erzählte, mischte sich
ihm phantastisch mit der geträumten Wirklichkeit. Er selber war nun der
Held der Fabel. Er hatte, um heimlich naschen zu können, nicht nur am
Fenster den Spalt verstopft, sondern sogar dem Schwesterchen, das ihn
warnte, voll Tücke den Tod gewünscht ...

»Nein, mein Sohn,« erklang die schmerzlich bewegte Stimme, »das
verzeih' ich dir nicht, sondern steige nun traurig ins Grab, weil du so
schlecht geworden!«

Er stieß einen bänglichen Schrei aus.

»Aber so hab' ich's ja nicht gemeint!« keuchte er händeringend ...

»Schweig!« sagte sie traurig. »Es mag wohl sein, daß es dich jetzt
gereut: aber gewünscht und gewollt hast du's! Wir Toten sind ja
allwissend! Wir lesen in euren Herzen! Vor uns gilt keine Lüge und
keine Beschönigung!«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm, just an die Stelle, wo kaum erst
seine Wunde geheilt war.

»Siehst du,« raunte sie unter Thränen, »selbst das kauft dich von
deiner Sünde nicht frei! Selbst meine Liebe nicht!«

Einmal noch berührte sie wie ein Hauch seine Stirn. Dann zerfloß sie in
Schaum und Nebel ...

Somsdorff erwachte. Verstört blickte er unter den brennenden Lidern
hervor. Stromabwärts am Ufer hörte er jammern und wehklagen. Er griff
nach dem Weidengeäste und schwang sich hinan.

Fünfzig Schritte von ihm entfernt gewahrte er eine Gruppe ...
Zuvörderst Gertrud, die ihm den Rücken kehrte; dann die englische
Gouvernante, Miß Harriet, die sich -- ein schrecklicher Gegensatz
zu ihrer sonstigen maßvollen Ruhe -- am Boden wälzte und sich
laut wimmernd das Haar und die Kleider zerraufte; daneben einen
halbwüchsigen Bauernburschen, die kleine Josefa im Arm, beide von
Wasser triefend.

»Das Kind ist ertrunken!« rief Gertrud außer sich, als Leo von
Somsdorff näher kam. »Hätte jemand den Mut besessen, ihm rechtzeitig
nachzuspringen ...«

Sie warf ihm einen feindseligen Blick zu, den Somsdorff in seiner
fürchterlichen Erregtheit nicht weiter beachtete.

»Ertrunken!« wiederholte er tonlos.

Er bebte an allen Gliedern. Im ersten Anprall dieses Ereignisses hatte
er buchstäblich das Gefühl, als habe er selber die »abscheuliche
Kreatur«, wie er die Kleine in den Ausbrüchen seiner Verbitterung so
oft genannt hatte, ins Wasser geschleudert und so mit klarem Bewußtsein
ermordet.

Bald jedoch kehrte die angeborene Geistesgegenwart, die er trotz seiner
Jugend schon in so mancher schwierigen Lage bewährt hatte, ihm völlig
zurück. Er übernahm alles. Der Bauernbursche mußte das Kind sofort
nach dem Schloß tragen, wo Leo persönlich die Wiederbelebungsversuche
einleitete, während der Kutscher nach Hoyersbrück fuhr, um Doktor
Michalsky zu holen. Er tröstete die verzweifelte Gouvernante, die sich
ein Leids anthun wollte, obgleich sie vollkommen unschuldig war. Er
teilte dem Grafen, der lange nach Mittag erst von dem benachbarten
Frohnheim zurückkehrte, wo er den Gutsherrn mit dem Artikel des
»Athenäums« gequält hatte, zögernd das Entsetzliche mit, und staunte
über die stoische Fassung des Mannes. Er würde sogar in seinem
fanatischen Thätigkeitsdrange vor Gräfin Adele getreten sein, um ihr
die Unheilsbotschaft so schonend als möglich beizubringen, hätte die
Schicklichkeit dies gestattet.

So fiel die traurige Aufgabe denn ihrem Gemahl zu.

Am Nachmittag, in der sechsten Stunde, nachdem der Arzt ihm erklärt
hatte, daß alle Bemühungen fruchtlos seien, schlich der Graf --
schwerer beklommen als in dem Augenblick, da er selber das Unglück
erfahren hatte -- zu Gräfin Adele ans Krankenlager.

Somsdorff war ihm zitternd gefolgt, um vor der Thüre Posto zu fassen,
als könne er so dem angebeteten Weib da drinnen, das jetzt den
furchtbarsten Schmerz ihres Lebens erfahren sollte, Hilfe und Linderung
gewähren.

Eine Zeit lang war alles still. Dann tönte die Stimme des Grafen wie
dumpfes Gemurmel, abgerissen, beängstigend. Und mit einemmal scholl
ein markerschütternder Aufschrei durch das Gemach, ein greller,
schaudervoller Naturlaut, dem ein tödliches Schweigen folgte.

Nach zwei Minuten trat der Graf auf den Korridor.

»Somsdorff! Gut, daß Sie da sind! Den Arzt! Holen Sie schnell den Arzt!
Er kann noch nicht fort sein! Da, nun hör' ich den Wagen!«

Wie ein Pfeil sauste Leo die Treppe hinunter. Der Landauer war noch in
Hörweite.

Sofort machte der Kutscher Kehrt. Doktor Michalsky stieg wieder aus und
verfügte sich kopfschüttelnd zu der Ohnmächtigen.

Als er nach zwanzig Minuten aus dem Gemach trat, schien er bedenklich.

»Eine nervöse Krisis,« sprach er zu Somsdorff, der ihn erwartet hatte.
»Augenscheinlich kommt so mancherlei hier zusammen. Ich begreife
übrigens nicht, was den Herrn Grafen bestimmen konnte, mich beinahe
schon wegfahren zu lassen, ohne mir eine Silbe zu sagen! Etwas
Migräne, hieß es.«

»Die Frau Gräfin hat das so angeordnet ...«

»Man folgt nicht den Anordnungen eines Patienten. Schöne Migräne! Ein
Fieber von neununddreißig acht ...«

»Herr Doktor, die Gräfin liebte ihr Kind abgöttisch ...«

»Aber sie war eine kerngesunde Natur. Ich kenn' sie seit lange. Ihr
Zustand weist noch auf andre Ursachen ...«

Somsdorff nickte gedankenvoll.

»Ist ernste Gefahr vorhanden?« fragte er leise.

Doktor Michalsky zog seine Schultern hoch.

»Wir müssen das abwarten. Vorläufig bin ich noch meiner Diagnose nicht
sicher. Jede Faser an ihr scheint in Aufregung. Ich habe Chloral
verschrieben. Peinlichste Ruhe im ganzen Schlosse ist Hauptbedingung!
Eins noch: Sorgen Sie doch dafür, daß dies Fräulein -- wie heißt sie
doch, Gertrud -- sofort abreist! Gräfin Adele macht diese Dame -- ob
nun mit Recht oder nicht, ist hier vollständig gleichgültig -- für das
Unglück verantwortlich, und ergeht sich in Drohungen ... O, Sie kennen
das eigentümliche Temperament der Gräfin nicht! Allen Respekt vor
dieser machtvollen Energie! Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen ...
ja, ja, man sieht's ihr nicht an ... Und nun jetzt in diesem Zustand
maßloser Ueberreiztheit! Item, ich halte es für geboten, das Fräulein
auf irgend eine diskrete Art zu verständigen. Sie darf nicht im Haus
bleiben! Man soll nicht einmal von ihr reden!«

»Aber das Fräulein trägt ebensowenig Schuld an der Katastrophe als Miß
Harriet! Die Kleine ist ihrer Erzieherin einfach davongelaufen; je
ängstlicher Miß Harriet sie anrief, desto entschiedener folgte sie dem
Drang ihres Uebermuts. Fräulein Mettenius vollends hatte nicht die
geringste Autorität über das Kind.«

»So!« nickte der Arzt. »Nun, später kann man die Sache ja aufklären.
Vorläufig muß ich aber bei meiner Bitte verharren. Ich vertraue Ihrer
Geschicklichkeit, Herr von Somsdorff. Dieses Fräulein Mettenius scheint
mir überhaupt ein recht ungeeigneter Gast für ein Krankenheim ...«

Er drückte dem jungen Manne die Hand und empfahl sich.

Somsdorff nagte die Lippen.

Er sann und sann, wie er am schnellsten und klügsten der ihm
auferlegten peinlich-delikaten Mission sich entledigen könne.

Der Zufall überhob ihn aller gefürchteten Schwierigkeit.

Als er den großen Salon betrat, kam Fräulein Mettenius mit starken
Anzeichen der Verlegenheit auf ihn zu.

»Was hat der Doktor gesagt?« hub sie in lebhafter Unruhe an. »Steht es
schlimm? Glauben Sie, daß ich entbehrlich bin? Mein Bräutigam schreibt
mir nämlich, daß er zurück ist; daß er mich spätestens morgen erwartet
... Natürlich, wenn ich der armen Adele irgend wie nützen kann ...«

»Ich glaube,« versetzte Somsdorff, »Sie können der Pflicht gegen Ihren
Verlobten Genüge leisten. Miß Harriet ist eine tüchtige Pflegerin; auch
das Dienstpersonal hängt mit ungewöhnlicher Innigkeit an der Gräfin und
wird seine Schuldigkeit thun.«

»Wenn Sie meinen ...?«

»Ja, ich meine das.«

»Gut! Auf Ihre Verantwortung! Es ist jetzt gerade halb sieben. Wenn ich
um neun hier abfahre, erreiche ich in Hoyersbrück noch den Kurierzug.
Es ist ja eigentlich schrecklich, daß ich so Knall und Fall wegreise
und nicht einmal die Beerdigung abwarte ... aber nicht wahr, Sie sehen
doch ein ...«

»Vollkommen.«

Sie überlegte.

»Ob ich jetzt gleich von Adele Abschied nehme?«

»Das dürfen Sie überhaupt nicht. Die Kranke versucht zu schlafen. Der
Arzt hat streng untersagt ...«

»So werd' ich Miß Harriet bitten, ihr meine Grüße zu sagen! Die
arme Adele! Wer hätte das heute früh wohl geahnt! Es ist geradezu
fürchterlich! Wenn man bedenkt ... es wäre noch Zeit gewesen ...«

»Zeit? Wozu?«

»Ach, nichts! Es fuhr mir so durch den Kopf ...! Sie entschuldigen
mich, Herr von Somsdorff, ich muß meinen Koffer packen! Wenn Sie die
Güte hätten, dem Kutscher Befehl zu erteilen, daß er Punkt neun Uhr
vorfährt ...«

Somsdorff machte ihr eine Verbeugung.

»Danke sehr!« lispelte Gertrud.

Noch einmal warf sie ihm einen prüfenden Blick zu. Es war, als
forsche sie in dem bleichen Gesicht nach einem Zuge von Scham oder
Schuldbewußtsein. Jeder war sich ja selbst der Nächste, -- und
der geübteste Schwimmer konnte Malheur haben. Indes -- die starre
Unthätigkeit, die Somsdorff im entscheidenden Augenblick, trotz des
Schreiens der Gouvernante und trotz ihrer eigenen Angst- und Weherufe
an den Tag gelegt, schien doch gar zu empörend! Daran änderte selbst
die Entschlossenheit nichts, die er damals im Kampf mit dem rasenden
Sechzehnender bekundet hatte. Es war einfach unmännlich, erbärmlich
und herzlos. Nur der Leichtblütigkeit ihrer sprudelnden Jugend
verdankte er's, wenn sie noch überhaupt mit ihm sprach. Sie vergaß und
verschmerzte so leicht; die Eindrücke hafteten nicht, wenn nicht ihr
eigenes Ich unmittelbar daran interessiert war ...

Der Blick, mit dem sie das Antlitz des jungen Mannes durchmustert
hatte, blieb resultatlos. Nie glich Somsdorff dem überlieferten Ideal
eines Diplomaten so völlig wie jetzt. Alles war unergründlich an ihm
und leblos. Der Widerwille, den Gertruds naiv-kindischer Egoismus ihm
einflößte, lieh ihm die Kraft, ihr gegenüber noch mehr als in den
kurzen Gesprächen mit dem Arzte seine Gemütsbewegung zu meistern.

Als Gertrud ihr Zimmer betrat, weilten ihre Gedanken schon vollständig
bei Friedrich von Steinitz. Die Hoffnung, ihn ehestens wiederzusehen,
nahm ihr die Fähigkeit, über Leo von Somsdorff und sein Verhalten
irgendwie nachzugrübeln. Friedrich hatte ausführlich geschrieben
-- zehn Seiten lang -- und die Hälfte des Briefes handelte von
Groß-Nieder-Wartha. Es lagen hier so hochwichtige Fragen der künftigen
Einrichtung vor, daß Gertrud sich die kleine Kaltherzigkeit nicht
verübelte, mit der sie vom Krankenlager Adelens und von dem Totenbette
der kleinen Josefa den Uebergang zu japanischen Möbeln und echt
persischen Teppichen fand ...

Punkt neun stand der gräfliche Wagen am Schloßportal. Der Graf, den
Somsdorff über die Situation verständigt hatte, reichte der jungen Dame
die Hand und half ihr beim Einsteigen, während der Diener das letzte
Gepäckstück auflud. Sonst war niemand zugegen. Fräulein Mettenius
hielt es für schicklich, ihr Taschentuch an die Augen zu führen, dem
Grafen noch einmal ihr tiefstes Beileid zu stammeln und ihm viel
tausend zärtliche Grüße an ihre heißgeliebte Adele aufs Herz zu binden.

So fuhr sie hinaus in die dämmernde Sommernacht.



Achtes Kapitel.


Am neunundzwanzigsten Juni wurde Josefa auf dem nahegelegenen
Frohnheimer Kirchhof zur ewigen Ruhe bestattet. Der Pfarrer von
Hoyersbrück, als Freund der Familie, der auch die Kleine getauft
hatte, hielt eine warme und ehrlich empfundene Ansprache. Die Worte
des Geistlichen wirkten auf Somsdorff wie schreckvolle Anklagen, die
er nur mühsam entkräften konnte. Er hatte das Kind einfach ertrinken
lassen: dieser abscheuliche Vorwurf, an sich eine Unwahrheit, nahm doch
für ihn den Charakter der Wahrheit an, sobald er sich in die Stimmung
der letzten paar Tage zurückversetzte. Das fürchterliche »Hätt' ich's
geahnt!«, die verwerfliche Reue über die einzige That seines Lebens,
auf die er bis jetzt vielleicht Grund hatte, stolz zu sein -- kurz, die
ganze Gehässigkeit, die ihn erfüllt hatte, trat ihm noch täuschender
als zuvor im Gewand einer ursächlichen Verknüpfung mit dem Tode Josefas
entgegen und raubte ihm angesichts der geöffneten Gruft beinahe die
Fassung.

Gräfin Adele war am Tag der Beerdigung nicht bei klarem Bewußtsein.
Gegen Abend begann sie zu delirieren. Die Balustraden des Parkteichs
und die Geschichte vom Sturmvogel, die Miß Harriet erzählt hatte,
spielten im rastlos wirbelnden Chaos ihrer Phantasmen die Rolle von
Angelpunkten. Immer wieder sah sie das Kind über die Brüstung klettern,
hinabstürzen, vom Sturmvogel gespießt und zerhackt werden, bis dann
fremdartige Momente dazwischentraten. Der wirkliche Schauplatz des
Unheils, der Fluß mit seinen buschverhangenen, steil abfallenden Ufern,
schien aus ihrem Gedächtnis hinweggetilgt.

Am dreißigsten Juni kam ein prächtiger Kranz von Gertrud, begleitet
von einer Zuschrift, in der sie dem gräflichen Ehepaar nochmals ihr
tiefstes Mitgefühl und die Unwandelbarkeit ihrer Freundschaft beteuerte.

»Ein böses Vorzeichen, Gott behüte uns!« sagte das Kammermädchen,
als sie den Kranz über den Arm hing, um die verspätete Gabe nach dem
Frohnheimer Friedhof zu tragen.

»Wie so?« fragte Leo von Somsdorff.

»Bei uns daheim geht die Rede: wenn ein Kranz nach dem Begräbnis
eintrifft, so bedeutet das noch einen Todesfall in derselben Familie
und im nämlichen Jahr!«

»Thorheit!«

»Ja, man weiß nicht ... mir ist so bange ums Herz. Auch Karl meint, der
Doktor Michalsky mache ein sonderbares Gesicht ...«

»Sei'n Sie nicht abergläubisch! Ein sonst so verständiges Mädchen! Thun
Sie nur Ihre Schuldigkeit; dann wird alles schon gut werden. Was ich
noch sagen wollte ... bitte, warten Sie einen Moment! Ich bin gleich
wieder hier!«

Er ging in den Park, schnitt eine Handvoll köstlicher
Marschall-Niel-Rosen, band sie mit einigen Epheuranken zusammen und
gab sie dem Mädchen, das bereits anfing, mit staunender Ungeduld nach
ihm auszuschauen.

»So, Frida! Die Blumen hier legen Sie mit auf das Grab, -- nicht zu dem
kunstvollen Kranz da, sondern ein bißchen abseits ... Können Sie beten,
Frida?«

»Aber ich bitte Sie, gnädiger Herr! Man ist doch christlicher Leute
Kind! Ich noch dazu, als die Tochter eines lutherischen Küsters!«

»Ja, ja, ich zweifle ja nicht! Wenn Sie die Rosen dann hingelegt haben
und irgend ein Sprüchlein murmeln, so thun Sie's in meinem Namen! Ich
bin leider nicht fromm; aber dem Kinde möcht' ich ein freundliches Wort
nachrufen ...«

»Gott, ja!« schluchzte das Mädchen gerührt. »Sie war so herzig und süß,
die kleine Komteß! Die rechte Hand gäb' ich darum, könnt' ich den armen
Engel wieder lebendig machen!«

Somsdorff wandte sich ab. Er hörte den Grafen, der sich bei Karl eifrig
nach ihm erkundigte.

Graf Gerold hatte sich seit der Rückkehr von dem Grab seines
Töchterchens mit verdoppelter Wucht auf den jüngsthin vernachlässigten
Artikel für die »Minerva« gestürzt und ihn nach zweimal siebenstündiger
Arbeit glücklich vollendet. Nun sollte sich Herr von Somsdorff über
das schwer zu enträtselnde Manuskript hermachen und dem Verfasser ein
offenes Urteil sagen.

Somsdorff willfahrte ihm. Der Aufsatz war pedantisch in der Form und
inhaltlich überladen, aber vielleicht für ein gewisses Publikum,
das gerne mit archäologischen Kenntnissen prahlt, recht geeignet.
Somsdorff, zu ernster Kritik nicht aufgelegt, wohl auch gar nicht
befähigt, lobte die Arbeit mit einigen wenig charakteristischen
Schlagwörtern, die dem Herrn Grafen indes vollauf genügten.

Nunmehr begannen die Vorstudien für eine zweite, umfangreichere
Monographie, bei denen der Graf den Wunsch verspürte, mit
»Gleichgesinnten« über die Fragen, die ihn beschäftigten, ernste
Debatten zu spinnen. Mehrmals wurde der Pfarrer von Hoyersbrück zu
Gaste gebeten. Somsdorff mußte wohl oder übel den breiten Erörterungen
Gerolds mit dem geistlichen Münzkenner beiwohnen und sich mit ins
Gespräch mischen, obschon die Probleme, die hier aufs Tapet kamen, ihn
jetzt gerade am wenigsten interessierten.

Freilich, daß sich der Graf so geflissentlich einbohrte, das begriff
sich. Die Numismatik war jetzt für Gerold von Authenried die erlösende
Göttin: sie lenkte ihn wohlthätig von der Betrachtung seiner gestörten
Häuslichkeit ab. Er mochte das Kind in seiner Art doch wohl geliebt
haben. Seit dem Tag des Begräbnisses haftete ihm eine sonderbare
Gebärde des Suchens an. Er, der sonst sehr wenig nach der Kleinen
gefragt hatte, schritt jetzt häufig mit einer gewissen Unruhe
von Gemach zu Gemach, und kehrte dann mürrisch und dumpf in sein
Gelehrtenzimmer zurück, wo er mit Vorliebe auch den Abend verbrachte.
In den Salons vermißte er augenscheinlich das Walten Adelens. Er hatte
sich, wie er einmal zu dem Geistlichen sagte, gar zu sehr an die Frau
gewöhnt. Man sollte das nicht. Man wurde ja so ein Sklave der äußeren
Verhältnisse. Dabei aß und trank er jedoch mit gewohntem prächtigen
Appetit und fand, wie gesagt, die Probleme der Münzwissenschaft, in
der er doch nur dilettierte, mit jedem Tage erbaulicher und für das
Gesamtwohl der Menschheit bedeutungsvoller.

Nach Verlauf einer Woche war Leo von Somsdorff mit seiner Geduld
fertig. Er konnte die drückende Atmosphäre, die über Schloß Authenried
lastete, nicht mehr ertragen. Trotz der dringenden Bitte Gerolds, der
ihn »so nötig« hatte, bat er um Urlaub. Was sollte er noch in diesen
vereinsamten, lichtlosen Räumen? Seine Leidenschaft für die Gräfin
hatte, so glaubte er, eine seltsame Wandlung erfahren. Der Tod des
Kindes, der da, vom Standpunkt einer gefühlsarmen Logik betrachtet, nur
die Hinwegräumung eines Hindernisses bedeutet hätte, schien ihm den
letzten Schimmer der Hoffnung endgültig zu vernichten. Die Mutter, die
der Gram um den Verlust ihres Lieblings beinah getötet hatte, stand nun
auf einer Höhe, zu der ein profaner Wunsch nicht mehr heranreichte. Die
Erinnerung an die Verstorbene mußte bei einer Natur von der seelischen
Tiefe Adelens eine noch machtvollere Wirkung ausüben, als früher des
Kindes lebendige Gegenwart.

Er reiste also.

Zunächst in die Schweiz; im Frühherbst nach den italienischen Seen;
Anfang Oktober zurück in die Hauptstadt, wo er sein glänzendes
Junggesellenheim in der Boliviastraße bezog.

Von Graf Authenried hatte er ab und zu Nachricht erhalten. Schon im
September erfuhr er, daß Gräfin Adele soweit genesen sei, um die
letzten paar Wochen vor Eintritt der rauheren Jahreszeit möglichst
abgeschieden im Harz zu verbringen. Doktor Michalsky hatte dort, unweit
von Osterode, ein Dörfchen entdeckt, das, reizend gelegen, vom großen
Strom der Touristen und Badegäste kaum noch bespült worden war ...

Beim Empfang dieser Botschaft ward Leo von einer plötzlichen Unrast
bewegt. Fast stand er schon im Begriff, seinen Koffer zu packen;
aber ein machtvoller Instinkt hielt ihn trotzdem in zwölfter Stunde
zurück. Das dumpfe Dahinleben, dem er sich seit seiner Abreise von
Schloß Authenried-Poyritz willenlos überlassen hatte, war für ihn
Balsam gewesen im Vergleich mit den Stürmen, die ihn dort beinahe zu
Boden geschleudert. Er wollte die mühsam erkämpfte Ruhe nicht zwecklos
gefährden. Noch war er, nach seiner Meinung, nicht stark genug.

Nachdem er sich in der Hauptstadt kaum wieder eingebürgert, ward ihm
die überraschende Kunde, der Graf und die Gräfin würden im Laufe
des Monats November dort eintreffen, um sich für immer daselbst
niederzulassen. Gräfin Adele könne sich absolut nicht mit dem Gedanken
vertraut machen, daß sie im künftigen Sommer wieder das Schloß und den
Park beziehen solle, wo sie so Schweres erlebt habe. Das Anwesen sei
veräußert. Als Ersatz dafür gedenke Graf Gerold im Harz eine Villa zu
kaufen. Die Wald- und Bergluft thue seiner Gemahlin besonders gut, wie
ja der Augenschein lehre. Die Gräfin beginne jetzt wieder aufzublühen,
auch hier und da ein Interesse zu zeigen. Sie habe sich anfänglich
gegen die Hauptstadt gewehrt. Doktor Michalsky jedoch bestehe darauf.
Jetzt, nachdem sie sich soweit erholt habe, seien Zerstreuungen ihr
so nötig wie's liebe Brot. Wenn sie auch -- selbstredend -- der
eigentlichen Geselligkeit zunächst fremd bleibe, so müsse sie doch
alle verfügbaren Hebel ansetzen, um ihren Geist von der Vergangenheit
abzuziehen. Sie solle Theater und Vorlesungen besuchen -- Konzerte
weniger, da die Musik leicht im entgegengesetzten Sinn wirke. Ja, schon
ein Gang durch die menschenbelebten Straßen, ein Vorüberschlendern an
den Auslegefenstern der Magazine sei ihr von Nutzen. Die Gräfin habe
dem Grafen seltsamerweise den Vorschlag gemacht, dann doch lieber nach
Wien, Paris oder Neapel zu gehn. Er aber tauge nicht für die Fremde.
Er wurzle zu sehr im Deutsch-Nationalen, wobei, wie er nicht leugne,
der Umstand, daß er mit Leo so angenehme Beziehungen habe, mit in die
Wagschale falle.

Leo von Somsdorff spürte an seinem Herzklopfen, daß er sich schmählich
getäuscht hatte, wenn er die aussichtslose Neigung zu Gräfin Adele
verwunden glaubte.

Er las die enggeschriebne Epistel des Grafen zwei-, dreimal durch,
als müsse er irgendwo ein Symptom entdecken, das da zu gunsten seiner
jetzt neu erwachenden Sehnsucht sprach. Der flüchtige Schimmer von
Hoffnung, den er in dem Umstand gewahrte, daß Gräfin Adele sich gegen
die Uebersiedelung nach der Hauptstadt gesträubt hatte, brachte
ihn so von Sinnen, daß er den Brief des Mannes, den er so schnöde
zu täuschen trachtete, wie ein köstliches Billetdoux an die Lippen
drückte. Er besaß keine Empfindung mehr für die Widerlichkeit des
Kontrastes zwischen dem Sinn dieser unwillkürlichen Liebkosung und der
falschen Adresse, an die sie gelangte. So eingehend und scharmant,
wie diesmal, hatte der Graf kaum je an Somsdorff geschrieben. Er
mußte wirklich für Leo eine Art Faible, wenn nicht gar Freundschaft
fühlen. Desto unerbaulicher blieb die Thatsache, daß Leo nach so
monatelanger Depression, die nicht arm gewesen an Stunden sittlicher
Selbsterkenntnis, nun so plötzlich wieder im alten Strome schwamm.

Ende November hatte der Graf sich vollständig installiert, und nun
begann ein Verkehr, der sich von dem auf Schloß Authenried-Poyritz
nur durch eine gewisse Feierlichkeit des Tones, eine gemessene
Vorsichtigkeit des Auftretens unterschied, wenigstens was die
Gräfin und Leo von Somsdorff betraf. Es war, als liege noch immer
ein Kranker im Haus, den man durch allzu geräuschvolles Offenbaren
gewisser Gedanken und Regungen stören könne. Uebrigens wurde der
gräfliche Numismatiker äußerlich in diese Gedämpftheit des Tons mit
hineingezogen. Wenn er aus einer englischen oder französischen Revue
eine Notiz vorlas, eine Studie über das Vorkommen altrömischer Münzen
auf Ceylon oder ein kurzes Essay über die Prägeanstalten Venedigs,
that er dies weder so laut, noch so eindringlich als bisher; auch
heischte er nicht so despotisch die hingebungsvolle Aufmerksamkeit
Leos, der seinerseits fast noch zerstreuter war, als an dem Morgen des
Unglückstages bei der Vorlesung des Athenäumartikels.

Außer Leo von Somsdorff verkehrten nur wenige und dazu seltene Gäste
im Hause des Grafen. Adele verspürte noch durchaus keine Neigung zu
repräsentieren. Um so öfter besuchte sie die großen Theater, zumal wenn
Schauspiele und Konversationskomödien in Scene gingen, während sie
vor der Tragödie eine mit ihrem früheren Geschmack nicht vereinbare
Abneigung hegte.

Von Gertrud hatten die Authenrieds noch im Harz die Vermählungsanzeige
erhalten und dann nichts weiter gehört, als daß die neugebackene
Freifrau von Steinitz nach einer kurzen Hochzeitreise in
Groß-Nieder-Wartha gelandet war und nun das prächtig eingerichtete
Herrenhaus total auf den Kopf stellte. Es mußte nach dem, was dem
Grafen zufällig durch einen Vetter zu Ohren kam, eine ganz tolle
Wirtschaft sein, lustig und farbig, ein perpetuierlicher Karneval.
Die Nachbarn trieben es übrigens gerade so. Die Mehrzahl der dortigen
Grundbesitzer hauste auch während des Winters auf ihren Gütern; sie
gaben Fest über Fest, so daß die Landstraßen von den hin und her
fliegenden Karossen und Schlitten nicht leer wurden.

»Um so besser!« sagte der Graf zu Leo. »Es wäre fatal gewesen, hätte
das junge Paar sich etwa hier in die Hauptstadt verirrt. Meine Frau
spricht ja nicht weiter davon; aber ich weiß positiv: sie hat eine
förmliche Idiosynkrasie gegen die vormalige Pensionatsfreundin.«

Gräfin Adele »sprach nicht weiter davon«. Sie sprach überhaupt nicht
von der Vergangenheit. Ihre Beziehungen zu Leo von Somsdorff trugen
jetzt wirklich den Charakter einer stillen, sturmlosen Sympathie.
Er las ihr vor, wenn der Graf, wie dies nicht selten geschah,
»fachwissenschaftliche« Briefe schrieb oder im Klub ein paar Stunden
lang Poker und Baccarat spielte. Zum Abendthee -- Punkt neun Uhr -- war
er dann spätestens wieder zurück und bedankte sich mit überhöflichem
Eifer bei seinem »Freund«, der sich so »ehrlich bemühte«, die junge
Frau zu zerstreuen und aufzuheitern.

Somsdorff hatte bei diesen Redensarten die klare Empfindung, als ob der
Graf ihn verspotte. Das Blinzeln, das ihm gelegentlich über die Wimpern
flog, schien halb Mitleid, halb Ironie zu sein.

»Du armer, dummer, verliebter Kerl« -- so legte sich Somsdorff dies
Blinzeln zurecht -- »du bildest dir ein, durch solche Aufmerksamkeiten
und Ritterdienste ihr Herz zu erobern! Ja, wenn sie anders wäre! Siehst
du, ich bin so ruhig, so ruhig! Während du deine Zwecke zu fördern
glaubst, förderst du nur die meinen! Du hilfst, ihre Gedanken von dem
ewigen Weh der Erinnerung ablenken! Du trägst so mit dazu bei, daß sie
endlich wieder in jenen normalen Gemütszustand kommt, der leider Gottes
für mein Behagen so nötig ist!«

Ehedem hätte Somsdorff bei dieser Erkenntnis getobt. Jetzt war er mit
dem Gefühl peinvoller Demütigung, das ihn heimsuchte, schnell fertig.
Es hatte so kommen sollen. Vielleicht war das nur die gerechte Strafe
für seine Thorheit, die immer noch halb an der sündigen Hoffnung der
ersten Tage hing.

Allmählich keimte ihm so der Entschluß, im Ernste das durchzuführen,
was er damals auf der mondscheinbestrahlten Veranda nur als Komödie
geplant hatte: jeden Gedanken unerlaubter Natur niederzukämpfen und
dieser bewunderungswürdigen, herrlichen Frau das zu sein, was man
auf Erden so selten findet, wie Rosen im Hochgebirg: ein echter,
wahrhaftiger Freund.



Neuntes Kapitel.


Weihnachten kam so heran -- das Fest, vor welchem sich Gräfin Adele so
über die Maßen gefürchtet hatte.

Der Gegensatz zwischen dem Einst und dem Jetzt war zu grausenhaft ...

Im vorigen Jahr -- welch ein schallender Jubel in dem großen
Verandasalon! Welch ein heiß flutender Strom der Glückseligkeit unter
dem strahlenden Christbaum, wo eine Fülle bunter Geschenke für das
jauchzende Kind verschwenderisch ausgestreut lag! An jenem Festabend
hatte die Gräfin alles vergessen, was sie gegen das Schicksal
sonst auf dem Herzen hatte: die innere Oede, die der gefühlsarme,
selbstsuchterfüllte Gemahl ihr zurückließ; die Reue über die kurze
Verblendung, der ein so banges Erkennen gefolgt war; den heimlichen
Gram über ein Leben, das sie verfehlt hätte nennen müssen, wäre das
liebe, lachende, reizende Kind nicht gewesen ...

Und nun?

Sie hatte schon bei dem bloßen Gedanken an die demnächstige Wiederkehr
dieser Erinnerungen gefröstelt. Am liebsten hätte sie den Tag
übersprungen, verschlafen, im Erledigen aufreibender Arbeit aus ihrem
Bewußtsein gelöscht.

Aber wie war dies möglich?

Ihr Gemahl hatte so wenig Verständnis für dies nagende Leid, dessen
eigentlichster und erster Grund er ja selbst war. An der Seite eines
Mannes, den sie geliebt, der sie mit seiner warmfühlenden Seele
umfangen, gehegt und beschwichtigt hätte, wäre ja auch das bitterste
Weh zum Schweigen gekommen. Das treue Bestreben, sich gegenseitig über
die Qual dieser Stunden hinauszuhelfen, würde bei allem Schmerz ein
Glück in die Herzen gegossen haben, eine Empfindung tief innerlicher
Gemeinschaft, ach, eine unbeschreibliche Wonne, die ihr bis dahin
versagt geblieben!

Nein, Graf Gerold verstand sie nicht. Nur mühsam hatte sie ihn von
der fürchterlichen Idee abgebracht, einen Baum für sie schmücken zu
lassen. Einen Baum, dessen Nadeln ihr mit vergifteten Spitzen die
Brust zerfleischt, dessen leuchtende Kerzen ihr das wildpochende Hirn
versengt und verglüht hätten.

Wenn er das nicht einmal einsah -- wie sollte er mehr begreifen?
Rücksichtslos hätte er sie genannt, oder im besten Falle thöricht und
selbstquälerisch, wenn sie dabei verharrt wäre, den heiligen Abend für
sich in der Einsamkeit ihrer Klause zuzubringen, wo sie doch im Gebet
vielleicht eine Entlastung fand. Sie fügte sich also den Anordnungen
des Grafen in duldsamer Resignation und wiederholte sich heimlich das
Wort Shakespeares, das sie so oft seit dem Verluste des Kindes sich
vorgesprochen:

    »Die Stunde rennt auch durch den trübsten Tag.«

Ruhiger, als sie dies selber sich zugetraut, sah sie die Frühdämmerung
des vierundzwanzigsten Dezember durch die Gardinen schimmern. Es war
ein bleigrauer Morgen, dumpfig, schwer und mit niedrigem Himmel.
Nachdem sie sich angekleidet hatte, stand sie wohl zwanzig Minuten am
Fenster und blickte hinaus auf die beschneiten Straßen und Dächer.
Schwarzästig ragten die Riesenbäume des nahen Volksgartens zum Gewölk
auf, und breite Flocken schwebten vereinzelt hernieder wie ein
zerstückeltes Leichentuch.

Ihre Gedanken schwebten hinüber nach dem Frohnheimer Kirchhof.
Schwermütige Starrheit umspann sie. Es war nicht zu ändern. Es gab so
vieles in dieser Welt, bei dem nichts übrig blieb, als einfach mit
blutendem Herzen stille zu halten.

Nachmittags gegen vier kam Leo von Somsdorff. Punkt fünf sollte
Bescherung sein. Der Graf hatte sich die Notwendigkeit einer solchen
durch keine Logik hinwegdemonstrieren lassen. Frauen mit heimlichen
Kümmernissen seien Patienten, die man, dem hundertfältig betonten
Grundsatz Michalskys zufolge, nicht fragen dürfe. Je rascher man wieder
ins altgewohnte Geleise zurückkehrte, um so zweckmäßiger. Es gab auch
eine Manier, den Schmerz zu verhätscheln, der unter keiner Bedingung
Vorschub zu leisten war.

Somsdorff saß mit Adele im Ecksalon -- sie auf dem türkischen Sofa,
er auf dem Schaukelstuhl. In der Mitte des Zimmers brannten zwei
Kerzen des Kronleuchters, nur mäßige Helle verbreitend. Abseits, von
einer gelben Damastdecke verhüllt, lagen die kleinen Geschenke, die
Gräfin Adele, auf den Wunsch ihres Gemahls eingehend, für ihn und für
Somsdorff bestimmt hatte. Den Aufbau dessen, was er schenkte, wollte
der Graf eigenhändig im Hauptsalon vornehmen.

Das Gespräch zwischen Adele und ihrem Gast war nicht sonderlich
lebhaft. Zuweilen stockte es gänzlich. Trotz der Schneemassen brach
da draußen mit unheimlicher Geschwindigkeit das Dunkel herein, kalt,
sternlos, wolkig, als ob sich der Qualm eines ungeheuren Rauchschlots
über die Stadt wälze. Der Ausblick durch das unverhangene Fenster neben
dem Schaukelstuhl war von beklemmender Unwirtlichkeit. Der Hauch dieser
Unwirtlichkeit schien bis herein in das Zimmer zu dringen, um die matt
flackernden Kerzen zu streifen und das glänzende Gelb der Damastdecke
mit einem Grau zu durchsetzen, das schwer auf die Nerven fiel.

Es schlug fünf. Graf Authenried kam nicht.

Im Gemüte der jungen Frau quoll eine unbeschreibliche Bitternis auf,
die ihr jetzt beinahe willkommen war; denn diese Regung erwies sich
als Schutzmittel gegen den wühlenden Schmerz, den sie schon kaum mehr
bewältigt hatte.

So einsam also stand sie in dieser Welt, so völlig verlassen!

An diesem Abend sogar, der für ein blutendes Mutterherz so
verhängnisvoll war, ließ Graf Gerold sich draußen durch eine
Geringfügigkeit festhalten -- vielleicht durch ein Gespräch über
sein Lieblingsthema -- und versäumte so die Vollendung seines
eigenen Arrangements! Sie hatte ja gar nicht verlangt, daß er ihr
Gaben auftürmte; nicht einmal, daß er des Festes, dem heute abend
in Millionen von Häusern und Hütten die Menschen glückselige Opfer
brachten, irgend Erwähnung that. Das eine aber hätte sie doch wohl
erwartet: daß er nicht völlig vergaß, wie es um sie bestellt war, wie
trostlos verarmt und verwaist sie sich fühlte, und wie grausenhaft
dieses Gefühl sich steigern mußte, wenn er ihr gerade an diesem Abend
so recht ins Bewußtsein rief, ein guter Bekannter, ein Zeitungsartikel
oder ein müßiges Debattieren über sogenannte Probleme der Numismatik
seien ihm wichtiger als seine trauernde Gattin!

Um so erbärmlicher fand sie diesen Verrat, als Gerold nicht wissen
konnte, wie völlig ihr Herz ihm entfremdet war. Sie hatte ihn stets mit
zartsinniger Aufmerksamkeit behandelt; sie hatte ihm eine Freundschaft
erheuchelt, die sie nicht fühlte, weil sie die fromme Täuschung für
ihre Pflicht hielt. Das alles war spurlos an ihm vorübergegangen.
Der erste beste nichtige Tand interessierte ihn mehr, als das Weib
seiner Wahl. Freilich, nur der Verstand, nur die Berechnung hatten ihm
ja diese Wahl diktiert: aber die Zeit hätte hier doch eine Wandlung
schaffen, hätte sein starres Gemüt nachträglich aufwecken, hätte
ihm zeigen können, daß ihm die Frau mehr in die Ehe gebracht als
die begehrten Millionen! War sie denn wirklich so ganz ohne jeden
weiblichen Zauber, daß sich der Graf nicht einmal zu jener Alltagsliebe
emporschwingen konnte, die zu einem Zwanzigstel Neigung, im übrigen
Macht der Gewohnheit und Mitleid ist?

Und da saß nun, wenige Schritte von ihr entfernt, ein junger,
gefühlsstarker Mann, für sie Zeus und Apollo in einer Person, ein
ehrlicher, treuer, mit aller Kraft männlicher Selbstüberwindung
begabter Mensch, der sie vergötterte! Diesem Manne gegenüber mußte sie
unausgesetzt die Rolle der Kühl-Verständigen spielen, mit so eiserner
Konsequenz, daß sie noch bis vor kurzem selber geglaubt hatte, er sei
ihr vollständig gleichgültig ...

Bis vor kurzem ... Nun aber war es mit dieser künstlichen
Selbsttäuschung ein für allemal aus.

Ihr Herz pochte. Eilig erhob sie sich. Für ein paar Augenblicke
mußte sie jetzt allein sein, wollte sie nicht Gefahr laufen, ihre
Empfindungen zu verraten. Und das hätte sie, aufgeregt wie sie war,
nicht überlebt ...

Sie nahm einen Vorwand und begab sich durch die noch unerleuchtete
Zimmerflucht in ihr Boudoir. Fünf Minuten saß sie dort unbeweglich im
Dunkeln. Dann machte sie Licht. Die Finsternis war ihr mit einemmal
unerträglich geworden. Sie glaubte aus den versteckten Winkeln des
kleinen Raumes ein gespenstisches Kichern zu hören. Krause Gestalten
quollen vor ihr empor, die bei dem gelblichen Strahl der Kerze in
Nichts zerflossen.

Es war die blumenbemalte Kerze auf ihrem Schreibtisch, die sie
entzündet hatte. Zu der silbernen Ampel reichte ihr Arm nicht hinauf;
den Diener wollte sie nicht herbeirufen.

Halb mechanisch nahm sie nun vor dem Schreibtisch Platz und that, was
sie seit Monaten nicht gethan hatte: sie kramte in ihren Papieren. Bald
hier, bald da zog sie ein Schubfach auf; Briefe, Zettel, Hefte und
Umschläge knisterten unter dem fiebrischen Griff ihrer Finger.

Eine Mappe, außerordentlich zierlich, gerade nur handgroß, lag da
zwischen den halb vergessenen Korrespondenzen. Sie schlug sie auf: lose
Blätter aus ihrer Mädchenzeit, -- eine Art Tagebuch ...

Da: »Am siebzehnten Januar ...« Das war der Tag ihrer Verlobung ...

Sie las.

Freilich, das war nicht der Ton, in welchem die Liebe redet. Sie wußte
jetzt besser, was Liebe war. Dennoch -- wie völlig anders hatte sich
alles gestaltet! Welch ein Bild entwarf sie sich hier von dem Manne,
dem ihr kindliches Herz sich zu eigen gab! Hier atmete doch der Geist
einer lebendigen Zuversicht, ein klares, ruhiges und freudiges Hoffen,
-- gleichsam der fromme Entschluß, glücklich zu sein und glücklich zu
machen.

Sie zerknickte das Blatt im Schmerz ihrer Enttäuschung wie einen
Schmähbrief.

Da auf der letzten Seite, am Tag vor der Hochzeit geschrieben, standen
die Worte:

»Er ist so gut und so zartfühlend! Mit jeder Sekunde vertrau' ich ihm
tiefer und ernsthafter! Ich glaube, er wird mich zeitlebens auf Händen
tragen!«

Das Blut schoß ihr heiß ins Gesicht. Sie nahm die Feder, tauchte
sie heftig ein und setzte in großen, zornbebenden Lettern die Worte
darunter:

»Ich fluche dem Irrwahn, der mich dies träumen ließ! Heute, am
Weihnachtsabend, bin ich allein! Er überantwortet mich in schurkischer
Kaltherzigkeit meiner Verzweiflung! Er hat mich elend gemacht! Ich
verabscheue ihn!«

Sie fügte die Jahreszahl bei. Die zollgroßen Ziffern waren verrenkt und
zersplittert wie die Schrift einer Wahnsinnigen.

Hiernach sank sie erschöpft in den Stuhl zurück und ließ die Feder
achtlos auf den kostbaren Teppich fallen.

In diesem Moment ward heftig die Klingel gerissen. Die Bronzeuhr über
dem Schreibtisch zeigte halb sechs. Wirre Stimmen ertönten im Korridor,
eigentümlich gedämpft und angstvoll.

Gleich danach kreischte es gell auf.

Das war Frida, die Zofe.

»Der gnädige Herr! Der gnädige Herr!« ächzte das Mädchen. »Allgütiger
Gott, meine Ahnung! Der Kranz, der unselige Kranz!«

Und dann brummten und flüsterten wieder die fremden Stimmen, bis
zuletzt über dem unverständlichen Chaos die bebenden Worte Somsdorffs
vernehmbar wurden:

»Laßt nur, ich gehe selbst!«

Gräfin Adele wußte alles im voraus, ehe noch Somsdorff an die Thüre des
Boudoirs pochte. Sie hatte ihren Gemahl nicht geliebt. In dieser Minute
noch war ihr der Groll des vereinsamten Herzens maßlos übergeschäumt.
Trotzdem hielt sie der Schreckensbotschaft, die sich fast buchstäblich
mit ihrem Vorgefühl deckte, kaum stand. Somsdorff hatte die größte
Mühe, ihr Fassung zu predigen. Sie wollte, nachdem er ihr das
Entsetzliche mitgeteilt, auf keine Ermahnung hören. Sie ließ ihn sogar
heftig an und gab ihm verstört zur Antwort, sie habe ein Recht, sich
hier aufzuregen; sie wolle nicht ewig als Marionette abgeschmackter
Gesundheitsrücksichten Ordre parieren.

Graf Gerold hatte sich allerdings verspätet -- im Kaffeehaus, wo
er den Pfarrer von Hoyersbrück traf, der im Begriffe stand, mit dem
Sechsuhrzuge nach einer kleinen Station der Nordbahn zu fahren. Dort
besaß er Verwandte, in deren Familie er das Christfest begehen wollte.
Die beiden Männer hatten sich, wie der Geistliche später erzählte,
auch in der That über ein interessante Novum auf dem Gebiete der
Münzwissenschaft unterhalten, so daß der Graf den richtigen Zeitpunkt
des Aufbruchs verplauderte. Um das Versäumte nun gut zu machen, war
er im letzten Moment noch unter dem niedergehenden Arm einer Barriere
hindurch geschlüpft und dann in der Eile so unglücklich auf die
Schienen gestürzt, daß der Kurierzug, der mit rasender Schnelligkeit
dahergebraust kam, über ihn wegging. Als man ihn aufhob, war er bereits
entseelt. Der furchtbare Anprall der Lokomotivschaufel hatte den Tod
fast augenblicklich herbeigeführt.

Gräfin Adele hatte, trotz allem, was in ihr vorgegangen, jetzt das
Gefühl einer gähnenden, unausfüllbaren Lücke. Erst das Kind, dann ihr
Gemahl: das überstieg ihre Kraft. Und am heiligen Christabend! Sie
hatte wohl Grund gehabt, vor diesem Abend zu zittern ... Der geistige
Druck dessen, was sie erleben sollte, war schon längst machtvoll am
Werke gewesen. Das Kind hatte seinen Papa nach sich gezogen, um in der
dumpfigen Erde nicht so allein zu sein ...

Der schleunigst herzugerufene Arzt, der bei dem Verunglückten nichts
mehr zu thun fand, hatte sich desto mehr mit der zitternden Frau zu
beschäftigen. Um die drohende Wiederholung einer ähnlichen Krise, wie
bei dem Tode Josefas, zu hintertreiben -- Somsdorff hatte ihm diese
Antecedenzien kurz auseinandergesetzt -- duldete er unter keiner
Bedingung, daß Gräfin Adele, wie sie dies wollte, während der Nacht bei
der Leiche die Wache hielt. Das übernahm Graf Gerolds getreuer Diener,
während die Zofe beauftragt wurde, die Gräfin thunlichst sofort in ihr
Schlafgemach zu begleiten und der Erregten einige Gläser Bromwasser zu
verabreichen.

Leo von Somsdorff, der, wie damals auf Schloß Authenried-Poyritz,
so auch jetzt über allem ein Auge hatte, trat nach Erledigung
mannigfaltiger Anordnungen auch in Adelens Boudoir, verteilte die Hefte
und Briefschaften je nach Gutdünken in die verschiedenen Gefächer und
schloß auch die Mappe mit den Tagebuchzetteln weg, nicht ohne zuvor das
seltsame Blatt mit der schauerlich exaltierten Nachschrift von heute
bemerkt zu haben.

Er war indes zu mächtig erschüttert, um lange darüber nachzugrübeln.
Die Schattenseiten im Charakter des Grafen, die Sonderbarkeiten
und Schwächen traten jetzt auch für Somsdorff ganz und gar in den
Hintergrund, während die Vorzüge eine erhöhte Beleuchtung gewannen.
Ihm war mit Gerold, so schien es, ein wirklicher Gönner, ein Freund
gestorben, der sich ihm stets nur von der liebenswürdigsten Seite,
nicht selbstsüchtig noch gemütsroh, sondern beinahe väterlich
wohlwollend und erfüllt von den herzlichsten Sympathieen gezeigt hatte.
Und so graß und gewaltsam hatte der frische, kräftige Mann enden
müssen! Ein schweres, unheilvolles, dämonisches Jahr!



Zehntes Kapitel.


Der Verlust ihres Gatten bedeutete für die Gräfin zunächst einen
Absturz aus den Höhen der Selbstbeherrschung, die sie während der
letzten zwei Monate mühsam erklommen hatte.

Nach einiger Zeit jedoch gab sie der scheuen Erwägung Raum, daß es für
ihr umdüstertes Herz doch vielleicht eine Zukunft gebe.

Somsdorffs Liebe hatte sich glänzend bewährt. Mit keiner Silbe sprach
er von dem, was er im stillen so heiß ersehnte. Die Gräfin jedoch, für
die er jetzt nur der beratende, tröstende, gütige Freund schien, fühlte
deutlich heraus, wie seine Neigung trotz dieser äußeren Zurückhaltung
täglich an Tiefe zunahm. Sie war ihm dankbar für sein taktvolles
Schweigen, das ihr Frist gab, sich an die Lage der Dinge erst zu
gewöhnen und so den Mut zu finden, einem Gefühle, das ihr bis jetzt wie
verbrecherisch vorgekommen und das nun plötzlich erlaubt war, allgemach
Raum zu geben. Sie erkannte wohl, daß die Leidenschaft, die er für sie
empfand, nichts mehr gemein hatte mit der banalen Verliebtheit des
Weltlings, der eine Frucht nur begehrt, weil sie verboten ist. Jeder
Zug seines Wesens sprach von der Wandlung, die er seit vorigem Jahr
durchgemacht hatte; jeder Blick, mit dem er der teuren Gestalt folgte,
wenn er sich unbeobachtet glaubte, ließ es erkennen, daß Leo sich gar
kein höheres Glück träumte, als ihren dauernden Vollbesitz.

So kam denn, was der Natur der Dinge nach kommen mußte. Eines Abends
im Mai warb er um ihre Hand, und Gräfin Adele sagte mit überquellender
Innigkeit »Ja«. Reichliche Thränen stürzten ihr heiß über die Wangen;
hundert Erinnerungen überwältigten sie; der Schmerz um Josefa schien
neu zu bluten: dann versank sie in wehmütigsüße Mattigkeit. Sie liebte
ihn ja! Sie hatte die Glut ihrer Neigung so lange zurückgedrängt! Und
sie brauchte um seinetwillen das fromme Gedächtnis ihres verklärten
blondlockigen Engels nicht aus dem Herzen zu reißen! So mußte sie
endlich, nach so erschütternden Stürmen, ruhig werden und ihres Glückes
froh: das Kind selber würde im Himmel für seine Mutter beten.

Man kam überein, keine Verlobungsanzeigen zu verschicken, sondern
nach Ablauf des Trauerjahres die Hochzeit in aller Stille auf einen
noch festzusetzenden Tag im Februar oder im März zu rüsten und die
Verwandten und Freunde durch die vollendete Thatsache zu überraschen.

Einen Moment lang hatte die Gräfin bei dem Gedanken an diese
demnächstige Ueberraschung das peinliche Vorgefühl, als möchte irgend
wer, dem die Beziehungen Somsdorffs zu dem gräflichen Hause vor dem
Hinscheiden Gerolds bekannt gewesen, eine Bemerkung wagen, deren
Fassung ihr sehr undeutlich vorschwebte, deren Sinn aber darauf
hinauslief: »Das war ja vorauszusehen!« -- Doch unterdrückte sie
diese Regung als überängstlich. Alle Welt wußte, daß ihr verstorbener
Gemahl und nicht etwa sie für Leo von Somsdorff so außergewöhnlich
geschwärmt hatte. Somsdorffs Verkehr aber mit ihr damals im Schlosse
war doch höchstens von Gertrud Mettenius und Friedrich von Steinitz
beobachtet worden, die beide vollauf mit sich selber zu thun hatten;
vielleicht auch von dem Major. Zudem -- was lag daran? Somsdorff hatte
sich nie das geringste erlaubt, was die Vermutung erwecken konnte, er
hege mehr Interesse für sie, als für den Grafen, -- abgesehen von den
wenigen tollkühnen Worten, die nur ihr zu den Ohren gedrungen. Und sie
hatte ihn dann ja sofort belehrt, daß er im Ton sich vergriffen -- und
doppelt eifrig war er nach diesen Vorkommnissen bemüht gewesen, ihr
keinerlei Anlaß zur Klage zu geben ... Die Leute schwatzten ja stets
... Mochten sie reden, wenn nur sie -- die Gräfin -- ein gutes Gewissen
hatte!

Obgleich der Sommer nun vor der Thüre stand, konnte Adele sich immer
noch nicht entschließen, die Stadt zu verlassen. Die alte Dame, die
seit dem Tode des Grafen ihr Heim teilte -- Fräulein von Rauch, eine
entfernte Verwandte von ihr -- hätte es zwar vollkommen ermöglicht, daß
sie auf Reisen gegangen wäre, wie dies der Arzt wünschte. Der Gedanke
jedoch, sich von Leo trennen zu sollen, war ihr zu schrecklich, und mit
ihm zusammen zu reisen, das ging doch trotz der Anwesenheit jener Dame
nicht wohl an.

So ward es Juni, ohne daß sich die Lebensführung Adelens geändert
hätte. Man hielt sich nach wie vor äußerst zurückgezogen, verbrachte
jedoch die unvergleichlichsten Nachmittage unter den Buchen, Eschen
und Ahornbäumen des Gartens, der, selbst zwar nicht umfangreich, mit
der Rückseite an den prinzlich hohenbrandischen Park stieß und so für
den Blick eine höchst imposante Erweiterung erfuhr. Das liebenswürdige
Fräulein von Rauch ging dabei nur so viel ab und zu, als sie für
schicklich hielt, störte übrigens auch durch ihre Gegenwart niemals den
warmen, ruhigen Goldton des Glückes, der jetzt bei Gräfin Adele mehr
und mehr die Anwandlungen der Trauer und Wehmut verdrängte.

In Leos Wesen lag etwas eigentümlich Verhaltenes; selbst seine Stimme
nahm teil an dieser beinah' gekünstelten Gleichmäßigkeit. Das alles
jedoch war nur der Ausdruck jener unendlichen Wonne, die -- aus Angst
vielleicht vor dem Neide der Götter -- nicht laut werden will. Die
schweren Ereignisse der Vergangenheit lagen dem jungen Manne noch in
den Gliedern wie der letzte nervöse Druck eines furchtbaren Schreckens.

Man sprach viel und eingehend von Leos Zukunft.

Er hatte die Absicht gehegt, die Laufbahn des Diplomaten endgültig
aufzugeben, um sich nun ganz und gar seinen historischen und
volkswirtschaftlichen Studien zu widmen.

Adele, die halb unbewußt hinter den »Studien« ein ähnliches, Herz und
Geist absorbierendes Steckenpferd witterte, wie es die Numismatik
für Graf Gerold gewesen, hatte ihn umgestimmt. Die Vorzüge einer
praktischen Thätigkeit waren so mannigfach, und just die Carriere
des Staatsmannes dünkte ihr außerordentlich reizvoll. Gelehrte und
Künstler stehen dem Weib gegenüber wesentlich anders da, als die
Männer der That. Sie finden oft schon nach kurzer Frist mehr Genüge in
ihrem Beruf, als der Gattin genehm ist, während der Mann, den die Welt
schüttelt und stößt, doppelt gern zu dem Herzen der Frau flüchtet.

Sie sagte das nicht, aber sie gab es ihm sehr geschickt ein. So
hatte er Schritte gethan, um die kaum erst gelösten Fäden aufs
neue zu schürzen, was ihm nicht schwer ward; denn seine Talente
waren unzweifelhaft, und bis hinauf an den Thron besaß er die
einflußreichsten Verbindungen.

Schon in kürzester Frist konnte er mitteilen, daß er entweder
für Madrid oder für Konstantinopel bestimmt sei, was eine Reihe
unerschöpflicher Diskussionen und Plaudereien eröffnete und die
eingehendste Beschäftigung mit Spanien und dem osmanischen Reich
veranlaßte.

Am fünfundzwanzigsten Juni hatte sich Leo nochmals beim Minister
vorzustellen, aller Voraussicht nach, um eine definitive Entscheidung
zu hören. Die junge Frau erwartete ihren Verlobten unmittelbar nach
dieser Audienz zu Tisch.

Kurz vor halb zwei -- man speiste um vier -- ließ sie anspannen, um in
die Stadt zu fahren. Sie hatte noch Einkäufe zu besorgen; vor allem
auch frische Blumen als Tafelschmuck, die sie persönlich aussuchen
wollte. Es war ja doch ein bedeutsamer Tag, der auf lange hinaus ihre
Zukunft bestimmte; man mußte ein übriges thun.

Wie Adele dies dachte und sich dabei wohlig in die Kissen des Wagens
zurücklegte, fiel ihr ein, was sie den ganzen Vormittag über vergessen
hatte, obgleich sie sonst mehr, als Leo dies wünschte, im Bann der
Erinnerungen stand: daß nämlich übermorgen sich jenes fürchterliche
Ereignis jährte, das ihr die süße, kleine Josefa entrissen. Ihr Auge
umwölkte sich. Sie machte sich einen Vorwurf daraus, daß ihr ein
Blumengeschenk für den Lebenden vorschwebte, eh' sie das längst schon
geplante Blumengeschenk für die Tote bestellt hatte. Sie schwankte
sogar, ob sie den Einfall, die Tafel zu schmücken, nicht aufgeben
sollte. Bald aber fand ihr bewegtes Gemüt einen Ausweg. Der Mann, den
sie so heiß und so innig liebte, der da allein auf der weiten Welt
im stande gewesen war, sie nach dem Verlust ihres Kleinods -- zuerst
als Freund und jetzt als zukünftiger Lebensgenosse -- aufrecht zu
halten, er durfte um keinen Preis hier verkürzt werden. Das wäre ihr
vorgekommen wie eine Beraubung. Ihm also die prächtigen Festblumen, die
von der Hand des Gärtners sorgsam genährt und gezüchtet waren. Am Abend
wollte sie dann im Hausgarten still einen Kranz winden, nicht reich
und nicht prunkvoll, sondern zusammengestellt aus den wenig gepflegten
Rosen des einzigen Beetes ...

Nun ward ihr freier ums Herz. Eine milde Versöhnlichkeit stieg in
ihr auf. Sie staunte nicht mehr wie vorhin, daß sie je wieder froh
geworden; sie glaubte, das sei der Wille Gottes, der ja für alles
Weh einen Balsam habe und nach so tiefen Erschütterungen ihr doppelt
freigebig seinen Trost spende.

Von dieser Stimmung beseelt, erblickte sie, als der Wagen jetzt
anhielt, das etwas hager gewordene Antlitz ihrer ehemaligen Freundin
Gertrud. Adele zuckte ein wenig zusammen. Gertrud von Steinitz war
flüchtig errötet und hatte sich abgewandt. Sie kam aus dem nämlichen
Magazin, das die Gräfin betreten wollte. Adele jedoch, die alles
Unausgeglichene ebnen, alles Verworrene schlichten zu müssen glaubte,
rief sie mit Namen und bot ihr freundlich die Hand.

»Wie geht's?« frug sie ein wenig unsicher. »Wir haben seit lange nichts
mehr voneinander gehört.«

»Lediglich deine Schuld!« erwiderte Gertrud und warf die Lippen auf.

»Mag sein! Verzeih mir! Ich war so leidend, so aufgeregt ...«

»O, ich weiß ja, was du mir höchst ungerechterweise vorwarfst! Es
hat mich bitter gekränkt! Aber ich war denn doch in all meiner
Nichtsnutzigkeit ein bißchen zu stolz, um dich aufzuklären!«

»Kranke sind immer ungerecht,« sagte die Gräfin erglühend. »Es war wie
eine fixe Idee ... Und dann, wie du so gar nichts mehr von dir hören
ließest, dachte ich natürlich erst recht ... Ich wundre mich nur, wie
dir's zu Ohren gekommen ...«

»Dafür sorgen die Dienstboten. Auch beim ehrlichsten Willen kann man
sich ihre Aufdringlichkeit nicht vom Leibe halten. Aber das macht die
Geschichte nur um so peinlicher. Es war geradezu unerhört von dir!«

»Nochmals: vergib mir!«

»Wenn dir was daran liegt, meinetwegen! Im Grunde ist ja alles so
gleichgültig! Jetzt entschuldige mich ...«

»Wo willst du hin?«

»Das weiß ich selber noch nicht.«

»Wohnt ihr jetzt hier?«

»Für ein paar Tage. Mein Mann hat geschäftliche Konferenzen. Er
behauptet das wenigstens, und so muß ich's wohl glauben.«

»Du scheinst nicht glücklich zu sein,« fuhr Adele heraus.

»Pah! Wer ist glücklich in dieser Welt?«

»Ich!« wollte die Gräfin sagen, dankerfüllt gegen die Vorsehung,
die ihr nach so unsäglichem Leid Ruhe und Rettung gewährt hatte.
Sie unterdrückte jedoch diesen warmquellenden Ausbruch. Es kam ihr
herausfordernd und nicht eben zartfühlend vor, so mit der Gnade des
Himmels Staat zu machen. Auch hätte sie ihre verblüffende Antwort
erläutern müssen, und dazu verspürte sie keine Lust.

»Hast du denn wirklich so große Eile?« fragte sie nach einer Pause, als
Gertrud ihr kühl zwei Finger entgegenstreckte, um Abschied zu nehmen.

»Weshalb?«

»Nun, ich wollte dich ... Du erklärtest vorhin, es sei lediglich meine
Schuld, wenn wir einander so fremd geworden! Ich bin zwar heute und für
die nächsten Tage so schwer in Anspruch genommen, daß ich dir nicht
einmal sagen darf: ›Komm und besuche mich‹. Aber ein ganz klein wenig
möchte ich diese Schuld doch gut machen. Weißt du was? Ich unterlasse
hier meine Einkäufe und was ich sonst an Besorgungen vorhatte, und
hole nur drüben etwas im Blumengeschäft. Dann fahren wir nach dem
Volksgarten. Du erzählst mir, wie's dir gegangen ist, sagst mir, daß du
mir wieder gut bist, und ich bring' dich in dein Hotel!«

Gertrud zögerte einen Moment. Dann sagte sie achselzuckend:

»Na, schön! Ich steige einstweilen hier ein und dirigiere den
Kutscher ...«

Nach fünf Minuten trat Gräfin Adele aus der spiegelnden Glasthür des
Blumengeschäfte und nahm an der Seite Gertruds Platz. Eine Verkäuferin,
die ihr gefolgt war, trug einen großen Korb mit wundervollen Azaleen,
den der Bediente vorsichtig auf die Polster stellte.

»Habt ihr Geburtstag heute?« frug Gertrud, während der Wagen
dahinsauste.

Sie dachte an den Geburtstag des Grafen. Bei ihrem ewigen Hin- und
Herreisen hatte sie nicht einmal Kunde von seinem Tode erhalten.
Vielleicht wußte ihr Mann davon. Aber der hatte so massenhafte
Bekannte, daß es auf einen mehr oder minder nicht ankam. Zudem
sprachen die beiden Ehegatten seit ihrer Heimkehr nach Deutschland nur
das Notwendigste. Die Trauerkleidung der Gräfin setzte Gertrud von
Steinitz ausschließlich auf Rechnung des Kindes.

»Nein,« sagte die Gräfin ausweichend. »Aber nun laß uns von dir
sprechen! Wie lebst du? Wie findet ihr euch zurecht?«

»Gar nicht!« versetzte Gertrud. »Die Antwort bezieht sich auf beide
Fragen, auf das Leben wie aufs Zurechtfinden. Ich vegetiere nur noch!
Die lustige Gertrud von ehedem ist so müde geworden, so halt- und
kraftlos ... Im übrigen ...«

Die Thränen traten ihr in die Augen.

»Armes Kind!« seufzte Adele und nahm die Hand Gertruds. »Wie lange seid
ihr verheiratet?«

»Noch kein Jahr. Aber du weißt ja selbst: diese Männer brauchen
höchstens drei Monate, um sich als das zu entpuppen, was sie in
Wirklichkeit sind: als elende, herzlose Egoisten.«

»Sprich leiser!« mahnte die Gräfin mit einem Blicke auf Karl, der
augenscheinlich herunterhorchte.

»Meinetwegen darf es die ganze Welt hören,« flüsterte Gertrud. »Wirst
du mir glauben, daß Friedrich schon auf der Hochzeitsreise mich
schmählich betrogen hat?«

»Kind, du bist eifersüchtig! Die Eifersucht aber hat schlechte Augen!«

Gertrud wiegte den Kopf.

»Die Sache ekelt mich an; ich erspare mir also die Einzelheiten. Du
würdest sonst rasch begreifen, daß hier die Möglichkeit eines Irrtums
ausgeschlossen erscheint. Dabei ist der Mensch ein Tyrann, ein Tyrann
-- ich verstehe mich manchmal selbst nicht! Mein einziger Trost beruht
darin, daß ich mir sage: die andern sind gerade so! Da gibt's keine
Ausnahme! Ich danke noch Gott, daß er nicht Urkunden fälscht und keinen
Giftmord begeht!«

»Gertrud!«

»Liebste Adele, ich sehe die Welt so, wie sie ist! Du freilich in
deinem rosenroten Idealismus, du glaubst noch an alles, an Tugend, an
Liebe, an Freundschaft, obgleich dein Leben doch auch nicht arm an
Erfahrungen ist!«

»Ja, Gertrud! Ich glaube, daß in der Seele der meisten Menschen der
Keim des Guten und Edlen schläft, und daß es oft nur die Schuld der
verständnislosen Umgebung ist, wenn dieser Keim nicht geweckt wird.«

»Das sind so Redensarten. Früher hab' ich mir's auch eingebildet ...
Genug davon! Der Aerger macht mich noch krank! Wenn ich nur erst mal
über dies Stadium hinaus wäre und anfinge, die ganze Geschichte mehr
auf die leichte Achsel zu nehmen! Dann hätt' ich gewonnenes Spiel!«

»Wie so?«

»Nun, ich fände dann Mut und Stimmung, ihm heimzuzahlen! Weißt du, ich
gehöre von Temperament nicht zu den frommen Dulderinnen, die lautlos
dahinschmachten, während ihr Peiniger schandbare Orgien feiert! Ich
bin nur eingeschüchtert, auch körperlich etwas heruntergekommen -- und
leider Gottes noch immer etwas verliebt ... Er hat eine Art, die mich
kettet, trotz alledem! Das muß ich erst mit Gewalt ausmerzen. Dann aber
-- wenn mir dann einmal so ein Freund kommt, wie dir damals der Leo von
Somsdorff, dann werd' ich den Teufel thun und ihm ausweichen!«

»Wie meinst du das?« fragte die Gräfin errötend.

»Ach, thu' nur nicht so!«

»Herr von Somsdorff war in der That mein Freund. Wenn du meinst ...«

»Ich vermute nur, was ich weiß. Uebrigens sprach ich mehrmals mit
Friedrich darüber -- kurz nach unsrer Verheiratung. Damals tauschten
wir unsre Gedanken noch aus. Nun, und Friedrich, wenn ich auch sonst
kein gutes Haar an ihm lasse, in Liebesgeschichten kennt er sich aus,
und sein Scharfblick im Wittern unerlaubter Verhältnisse ist geradezu
großartig. Um Gottes willen, versteh' nicht falsch! Er hat nicht im
Traume daran gedacht, dir etwas nachzusagen! Im Gegenteil, es war ja
auf hundert Schritte zu merken, daß du den Somsdorff abfahren ließest!
Ein glücklicher Liebhaber -- der gebärdet sich anders! Daß er aber in
dich vernarrt war bis zur Tollwut, und daß du von diesem Zustand genau
unterrichtet warst -- um das zu erkennen, brauchte man nur die Augen zu
öffnen.«

»Wär's möglich ...?«

»Es ist so, liebste Adele! Du fingst es nicht gerade sonderlich schlau
an, muß ich dir sagen! Man merkte sogar, wie Friedrich behauptet, daß
du stark mit dir kämpftest! In höchst auffälliger Weise nahmst du die
Zuflucht zu deinem Kinde ...«

Die Gräfin zuckte.

»Ach, vergib, daß ich hier eine Wunde berühre, die noch zu bluten
scheint,« raunte Gertrud erregt. »Aber da's mir denn doch einmal
beifällt, weshalb soll ich nicht frei von der Leber sprechen? Das
Kind war dir damals eine Art Talisman, der dein Herz vor Verirrungen
schützte. Vielleicht auch war es die pure Einbildung, wenn du meintest,
solchen Talisman nötig zu haben. Offen gestanden, ich selbst hatte
nicht sonderlich acht darauf. Friedrich aber, und noch mehr sein
Papa ... ach, das sind geriebene Patrone! Erst später hab' ich mir's
dann aus ihren Reden zusammengeklaubt. Der Somsdorff merkte, daß
ihm das Kind bei der Verfolgung seiner Don-Juanprojekte im Weg war,
und so erklärt sich's ... Pfui, pfui, was sind doch die Männer für
nichtswürdige, erbärmliche Kerle!«

»Gertrud! Ich sagte dir, Herr von Somsdorff sei mir ein Freund gewesen,
ein lieber, teurer Freund ...«

»Ja wohl! Ein Freund, der deine Josefa ruhig ertrinken ließ!« platzte
Gertrud heraus. »Ein Freund, der die Hände kaltherzig in den Schoß
legte, weil ihm dies Unglück just in den Kram paßte!«

»Bist du von Sinnen?« rief Adele so laut, daß der Bediente sich
umdrehte.

»Ich rede die Wahrheit! Ich würde sie ihm kurzer Hand ins Gesicht
schleudern und wäre denn doch begierig, ob er den Mut fände, mich
Lügen zu strafen! Weshalb soll ich's verschweigen! Vielleicht hat er
ja selber den Irrtum bei dir genährt, als sei ich schuld gewesen, ich,
die ich bei Gott ... Nein, du sollst wissen, daß sich dein Schmerz und
dein Groll damals in der Adresse vergriff! Herr von Somsdorff, der
ein ausgezeichneter Schwimmer ist, weißt du, ein Virtuose, nicht nur,
was man gewöhnlich so nennt -- Herr von Somsdorff saß in Lebensgröße
gemütlich am Ufer und sah mit zu, wie die Kleine hinabstürzte; aber
er rührte sich nicht! Damals hielt ich ihn nur für feige; jetzt aber
weiß ich, daß es gemeinste Berechnung war ... Aber was hast du denn?
Lieber Himmel, ich dachte, du seiest so weit gefaßt, um das hören zu
können ...! Hätt' ich geahnt ...«

»Sprichst du die Wahrheit?« fragte die Gräfin tonlos. »Oder willst
du bloß Rache nehmen für die erlittene Kränkung? Ich beschwöre dich,
Gertrud: sprichst du die Wahrheit?«

»Was sonst? Aber ich sehe, du regst dich ganz fürchterlich auf! Sei
doch verständig! Wir beide werden die Welt nicht ändern! Streng
genommen war Somsdorff ja nicht verpflichtet, sein Leben zu wagen ...
Und eine Gefahr lag ja immer noch vor ...«

»Ich kann's nicht glauben, ich kann nicht! Gertrud, verzeih, ich fühle
mich elend zum Sterben! Ich muß nach Hause! Nein, ohne dich! Thu mir
die Liebe an, nimm eine Droschke und fahr' allein ins Hotel! Du ahnst
ja nicht ...«

»Ich kann dich unmöglich in diesem Zustand allein lassen!« murmelte
Gertrud.

Trotzdem stieg sie, dem flehenden Blicke Adelens gehorchend, bei der
Viktoriaallee aus. Sie zuckte die Achseln, wie's ihre Gepflogenheit
war, wenn sie Gemütsbewegungen gegenüberstand, die sie nicht teilte,
drückte der Freundin die Hand und schritt ein wenig verstimmt zu der
nächsten Haltestation.

Adele fuhr inzwischen auf dem kürzesten Wege nach ihrer Wohnung.



Elftes Kapitel.


Leo von Somsdorff war schon im Ecksalon und blätterte in dem neuesten
Heft einer Monatsschrift, als Gräfin Adele marmorblaß über die Schwelle
trat. Fräulein von Rauch, die stets mit peinlichster Sorgsamkeit
Toilette machte, überdies auch den jungen Mann im Spiel seiner
rosenfarbnen Gedanken nicht stören wollte, war bis jetzt nicht zum
Vorschein gekommen. Heimgekehrt, hatte Adele ihr sagen lassen, sie
möge noch eine Zeit lang verziehen, da sie, die Gräfin, mit Herrn von
Somsdorff zu reden habe.

Als Gräfin Adele den Strahl zärtlicher Freude gewahrte, der sich
bei ihrem Erscheinen über das offene, liebenswürdige Antlitz ihres
Verlobten ergoß, war sie geneigt, Gertrud von Steinitz rund heraus
der Verleumdung zu zeihen. Jedenfalls, wenn sie nicht log, mußte ein
seltsamer Irrtum vorwalten, der sich ja aufklären würde. Aber weshalb
dann dieses zerhämmernde Herzklopfen, das ihr den Atem benahm und sie
zwang, sofort niederzusitzen? Wozu das mühsame Lächeln, da sie doch
klüger und einfacher ihre Erregung gar nicht verhehlt, sondern gleich
beim Eintritt ehrlich zu Somsdorff gesprochen hätte: Höre, mein Freund,
was Gertrud von Steinitz behauptet, und sage mir, was ich auf diese
unglaubliche Narrheit erwidern soll! ...

Leo, der schon im Begriff gewesen, ihr das Resultat seiner Audienz beim
Minister entgegenzurufen, unterbrach sich mitten im Satz. Er vergaß die
Umarmung, die er ihr zugedacht, und den Willkommkuß. Teilnehmend, wie
ein Vater, ergriff er jetzt ihre Hand.

»Du bist nicht wohl?« fragte er fürsorglich. »Der glühende Nachmittag!
Bestimmt, Liebling, du hast dir zu viel gethan!«

Nochmals versuchte sie ein gekünsteltes Lächeln, das ihr so fahl und so
traurig geriet, wie ein Abschiedsgruß.

»Ja,« hub sie mit einem Seufzer an und drückte den Kopf wider
die Lehne des Sofas -- desselben, wo sie an jenem furchtbaren
Weihnachtsabend auf Gerold gewartet -- »ja, ich bin sehr erschöpft ...
es liegt mir so dumpf über der Stirn! Ich traf Gertrud von Steinitz ...
doch hiervon später! ... Du aber, Leo! Erzähle, ich bitte dich!«

Da er nun gleich mit der Hauptsache kam und ihr, halb schon beruhigt,
mitteilte, man habe ihn für Madrid bestimmt, fiel sie ihm rasch
ins Wort. Sie konnte nichts hören; sie mußte erst vollständig klar
sehen, eh' sie sich dieser lebhaft gewünschten Entscheidung zu freuen
vermochte.

»Was hast du nur?« fragte er staunend.

»Nichts! Verzeih mir! Weißt du auch, was wir übermorgen für einen Tag
haben?«

Er wußte es wohl. Sein Staunen wuchs. Sie hatte fast niemals von dem
Kinde geredet, als fürchte sie durch ein Wort der Erinnerung das kaum
entschlummerte Leid wieder aufzuwecken.

»Wie sollte ich nicht?« sagte er stammelnd.

In diesem Moment türmte sich alles, was Gertrud erzählt hatte, mit
erneuter Bedrohlichkeit vor Adelen empor. Die seltsame Scheu, womit
Somsdorff die letzten Worte gleichsam nur zögernd über die Lippen
gebracht, überwältigte sie. War es denn möglich? Drückte den Mann da im
Ernste ein Schuldgefühl? Sie begriff nicht, daß nur die zärtliche Sorge
um sie ihn so unsicher machte, vielleicht auch ein wenig der Schmerz
darüber, daß sie in diesem Moment, der so völlig der Zukunft gehörte,
fast nur der Vergangenheit dachte.

Plötzlich entsann sich die Gräfin, vor Jahren einmal ein französisches
Drama gelesen zu haben, worin der Untersuchungsrichter den Urheber
eines Verbrechens dadurch entlarvt, daß er ihm, ganz ohne äußerliche
Veranlassung und mitten im freundschaftlichsten Gespräche die Worte
sagt: »Wozu noch die Umschweife? Ich verhafte Sie als den Mörder des
Duchâtel!« Es lag absolut nichts Greifbares gegen den Mörder vor.
Nur der Instinkt hatte den Richter geleitet, und die verblüffende
Schroffheit des Angriffs führte alsbald zum Sieg. Der Verbrecher
verriet sich. Aehnlich wollte es Gräfin Adele mit Leo von Somsdorff
machen. Sprach Gertrud wahr, so konnte auch hier die Wirkung nicht
ausbleiben.

»Leo,« begann sie dumpf, »ich hab' etwas Furchtbares auf dem Herzen ...«

Sie wollte hinzufügen: »Du hast Josefa mit Absicht ertrinken lassen,
obgleich du sie retten konntest!«

Aber das klang ihr denn doch zu grausenhaft.

So drückte sie ihren Gedanken etwas gemildert aus: »Ich weiß jetzt, daß
du den Tod meines Kindes gewünscht hast.«

Leo erbleichte.

»Wie kommst du darauf?«

»Ich weiß es! Und hätt' ich es nicht gewußt, ich würd' es in dieser
Minute dir ansehen!«

»Adele! Was redest du?«

»Willst du's abstreiten? Wohlan, so thu's! Hierauf den Knieen will ich
dir's abbitten, wenn du mich überführst! Gib mir dein Ehrenwort, daß
ich mich irre!«

»Aber wie kannst du nur glauben ...«

»Ich glaube dir, was du verlangst, sobald du dein Ehrenwort gibst!«

»Nimm doch Vernunft an! Ich begreife dich nicht! Jeder Mensch hat
krankhafte Stimmungen ... aufgeregte Momente, wo er nicht Herr seines
Willens ist ...«

»Allmächtiger Gott!« schrie Adele und drückte die Hand auf die Augen.
»Es ist also wahr?«

»Unglückselige, weshalb fragst du mich? Ja, es ist wahr ...! Ich habe
... ich wußte doch damals nicht, wie es kommen würde! Ich sah das Kind
als das ewige Hemmnis meiner Glückseligkeit an; ich war ja sinnlos vor
Leidenschaft ... Und so geschah es ...«

»Daß du ihr Mörder wurdest!« unterbrach ihn Adele, rasend vor Schmerz.
»Daß du in kaltem Triumphe mit zusahst, wie sie den Tod fand!«

»Wer sagt das?«

»Elende Frage! Reut dich schon dein Geständnis? Freilich, die Wirkung,
die du erwartet hast, bleibt nun aus! Deine Offenheit war zu wohlfeil.
Du meintest die Anklage Gertruds auf gute Manier abzuschwächen, da du
nicht leugnen konntest!«

Erschöpft sank sie zurück. Die zuckenden Lippen waren geöffnet, die
Wangen wie eingefallen. Müde Verzweiflung umspann ihre ganze Gestalt.

»Ich verstehe dich jetzt!« murmelte Somsdorff.

Nach einer langen Pause hob er dann wiederum an:

»Gertrud irrt! Siehst du, Adele, kein Wort der Aufklärung würde mir
über die Lippen kommen, wenn sich mein Herz nicht doch einer Schuld
bewußt wäre, die mir so manchmal die Röte der Scham ins Gesicht
getrieben! So aber nehm' ich den Wahnwitz, den du da vorbringst, wie
eine Strafe!«

Kurz und wahrheitsgetreu erzählte er nun, was in ihm vorgegangen, bis
zu dem Augenblick, da er, fast nicht mehr zurechnungsfähig, die Worte
geraunt: »Hätt' ich's geahnt, hätt' ich's geahnt!« Er schonte sich
nicht. Rücksichtslos mit der Frankheit des Büßers räumte er ein, daß er
die mutige That im Gehölz wirklich bereut hatte; ja, daß er, vom Taumel
seines Verlangens betäubt, Ingrimm und Haß empfunden ...

Dann aber fuhr er mit sehr veränderter Stimme fort:

»So, nun hab' ich gebeichtet! Alles übrige muß ich zurückweisen, klar
und energisch und ohne Verklausulierung. Ich wiederhole dir: Gertrud
irrt, -- oder sie lügt!«

Nachdem er der immer noch schweigenden jungen Frau mitgeteilt, was
ihn entlastete -- den Gang nach dem Uferplatz, die Schlaflosigkeit so
vieler trauriger Nächte, das Rauschen der einsamen Flut, das ihn mit
Allgewalt hypnotisierte, sein bängliches Träumen, sein jähes Erwachen
und die erschütternde Wahrnehmung, daß es zu spät sei -- fügte er im
Ton feierlichster Beteuerung hinzu:

»Glaub' mir, Adele, ich hätte dein Kind auch damals gerettet, trotz
jener gehässigen Stimmung, die ich jetzt kaum noch begreife! Daß es
nun starb, das empfand ich ja gleich in der ersten Sekunde wie einen
Vorwurf, obgleich ich so schuldlos war, als du selbst! Schau mich doch
an! Du _kannst_ ja nicht zweifeln, daß ich die Wahrheit rede!«

»So gibst du dein Ehrenwort?«

»Ja, mein Ehrenwort!«

Sie brach in ein wildes Schluchzen aus.

»Und du meinst,« stöhnte sie schmerzlich, »daß nun alles mit dieser
Erklärung gut sei? Daß sie dem Mutterherzen genügt ...? Sieh, das
wußte ich ja im voraus: irgend etwas in dem Exempel Gertruds war
ungenau! Männer wie du sind eher noch einer schändlichen That fähig,
als einer so nichtswürdigen Unterlassung. Aber was bleibt, ist gerade
noch furchtbar genug. Leo, ich kann mit dem Mann, der meinen Liebling
hinweggewünscht hat, nicht glücklich werden! Wie? Diese Hand, die vor
Wut und Feindseligkeit gegen das Licht meines Lebens gekrampft hat --
diese Hand, mit der du mein süßes Kind hättest erwürgen mögen -- ich
soll sie zum ewigen Bund in die meine schließen? Niemals! Lieber die
Einsamkeit bis ans Ende! Nein, ich beschwöre dich, rühr' mich nicht an,
Leo! Es gibt Dinge, gräßliche Dinge, die wider alle Natur sind! Laß
mich -- in dieser Minute noch! Alles, was ich versprochen, nehm' ich
zurück! Ich liebe dich nicht! Ich verzeihe dir nicht! Ich kann deinen
Anblick nicht länger ertragen! Geh!«

Sie hatte sich langsam erhoben. In den tiefschwarzen Augen glomm ein
verzehrendes Feuer. Sie stand ruhig und majestätisch vor ihm, völlig
verändert in ihrem Wesen, grausam gegen sich selbst, aber unerbittlich
in ihrem Entschluß.

»Adele! Du willst mich zurückstoßen, du, mein Glück und mein Alles!«

»Geh!« wiederholte sie gleichmütig.

Somsdorff zögerte noch.

»Ich kann's ja nicht glauben!« sagte er, blaß wie ein Toter. »Wenn
ich so Schauderhaftes gedacht und gefühlt habe, -- du weißt's doch,
Adele -- so war's nur im Irrsinn, im Wahn der Verzweiflung! Ich habe
mich dieser Gedanken geschämt; ich habe sie bitter bereut. Wie oft
mag Aehnliches schon gedacht worden sein, ohne daß es dann später
zur Aussprache kam! Liebste Adele! Besinne dich, um deinet- und
meinetwillen! Ich gehe, wenn mich ein gütiges Wort nicht zurückhält!
Noch einmal: Vergiß meine Schuld! Das alles ist ausgelöscht! Lebte dein
Kind, ich würde es hegen wie meinen Augapfel! Hörst du, Adele?«

»Du hast ihr den Tod gewünscht!« sagte die Gräfin. »Wer dieser
Schändlichkeit fähig war, der kennt auch die Liebe nicht! Dem Himmel
sei Dank, der mir im letzten Moment noch die Augen öffnet! Geh nur! Ich
wünsche dir alles Gute!«

Sie drehte ihm langsam den Rücken und schritt auf das halbgeöffnete
Fenster zu, wo ein flüchtiger Hauch die Gardinen bewegte.

»Es ist großartig!« murmelte Somsdorff bebend. »Die Mutter, für deren
Kind ich beinah gestorben wäre, jagt mich hinaus wie einen lästigen
Strolch! Nun, ich bin nicht gewohnt, mich aufzudrängen! Möchtest du
deine Engherzigkeit niemals bereuen!«

»Was geht hier vor?« stotterte Fräulein von Rauch, die in demselben
Moment auf die Schwelle trat, als Somsdorff die Klinke ergriff.

»Ich habe mich eben von der Frau Gräfin verabschiedet,« sagte er
spöttisch. »Heute noch reise ich ab nach Madrid, wo ich einstweilen
mich einleben will, bis ich von amtswegen dort zu thun habe. Nein,
ich bedaure unendlich! Keine Minute mehr! Ihnen, mein gnädiges
Fräulein, danke ich anläßlich dieser Wendung noch ganz besonders für
die unendliche Güte, mit der Sie meine geringe Person überschüttet
haben. Leben Sie wohl! Gräfin Authenried wird Ihnen alles Nötige schon
auseinandersetzen!«

»Herr von Somsdorff, ich bitte Sie ...«

»Laß ihn, laß ihn!« stöhnte Adele, durch die frostige Ironie im Tone
Leos plötzlich um ihre Fassung gebracht. »Ich will nicht, daß du auch
nur eine Silbe noch mit ihm redest!«

»Er ist dessen nicht würdig,« fügte Somsdorff hinzu. »Nun, er wird sich
zu trösten wissen!«



Zwölftes Kapitel.


Hals über Kopf trat Somsdorff die Reise an; wenn auch nicht an dem
nämlichen Tage, so doch am folgenden. Leuthold, sein Diener, hatte
ihm das Notwendigste packen müssen. Die alte Wirtschafterin, die seit
vergangenem Herbst engagiert war, blieb zunächst in der Wohnung. Sie
sollte vor ihrem Weggang, der Ende September erfolgen würde, die
Möbel bei einem Transportgeschäft unterstellen. Den Leuthold, einen
gewandten, tüchtigen Menschen, der ihn bereits nach Rußland begleitet
hatte, nahm er auf dieser plötzlichen Flucht mit.

Somsdorff kannte die Gräfin hinlänglich, um zu wissen, daß es sich
hier durchaus nicht um eine »Scene« handelte, die nach einigen Tagen
des Schmollens mit einer Versöhnung schließt. Der Aufschrei ihres
verletzten Gefühls war zu leidenschaftlich, zu elementar gewesen,
als daß sich ein Umschwung in absehbarer Zeit hätte erwarten lassen.
Uebrigens war Leo zu stolz, um diese Möglichkeit in Betracht zu
ziehen. -- »Er wird sich zu trösten wissen!« Dies letzte Wort beim
Ueberschreiten der Schwelle klang in ihm nach wie ein feierliches
Gelöbnis.

Zu Anfang meinte er auch, das mit dem Trösten ginge so leidlich.
Die Bitternis, die in ihm gärte, täuschte ihn über den Kern seines
Empfindens.

»Ich habe die Frauen zu hoch taxiert,« sagte er zu sich selbst,
und kokettierte dabei mit den Stimmungen einer längst überwundenen
Frivolität. »Noch in Sankt Petersburg war ich ein Weltweiser, der
sie nahm, wie sie sind! Mit dem Augenblick, da ich vom Pfade der
Philosophie abwich, hat im Verborgenen die Nemesis auf mich gelauert!
Ein ganz abnormer Charakter, diese Adele! Bezaubernd, hinreißend --
ja! Aber doch eben so wankelmütig, wie ihre Schwestern, wenn auch auf
andrem Gebiet! Es fehlt ihr im Blute! Wo die gewöhnlichen Weiber die
Liebe wechseln, da wechselt sie mit dem Haß! Erst ihr bedauernswerter
Gemahl, -- dann ich! Wer weiß, wodurch er sich die Verstimmungen
zugezogen, die ihr die Galle empörten! Vielleicht war die erste Ursache
eine ganz harmlose Bemerkung über das Kind! Ein Wort des Verdrusses,
der Ungeduld! Sie aber, mit ihrer nervösen Feinfühligkeit ...
Lächerlich!«

Und es war nicht zu ändern! Sollte er sich sein jungfrisches Leben
verkümmern um dieses flüchtigen Intermezzos willen? Er war ja nun auf
der Fahrt nach Paris, wo er sich acht Tage aufhalten wollte, vielleicht
auch vierzehn. Dort in dem Eldorado der Teufel hielt eine deutsche
Liebe, wenn sie daheim noch so viel Zeit gehabt, Wurzeln zu schlagen,
nicht lange vor. Auch Spanien galt für ein zweckentsprechendes
Heilterrain! Zunächst San Sebastian mit seinem funkelnden Badeleben;
denn in der Hauptstadt war es vor Mitte September zu heiß ... Fort
also mit den trüben Gedanken! Im Herbste kam dann die Arbeit ... es
würde schon gut werden!

Leider schwand diese Zuversicht rasch. In Paris fühlte sich Somsdorff,
trotz der mannigfachen Beziehungen, die er mit Leichtigkeit anknüpfen
konnte, öd und vereinsamt. Die Vergangenheit war nicht durch einen
bloßen Entschluß abzustreifen, und ebensowenig ließ sich die Neigung
und das Verständnis für die oberflächlichen Tändeleien der goldenen
Jugend künstlich heraufbeschwören. Wer einmal am Born einer echten
und wahrhaftigen Liebe getrunken, den mutet alles, was ihn sonst wohl
gelockt hat, schal und erbärmlich an, just wie der Sage zufolge an dem
geweihten Spiegel, den Ormas göttlicher Hauch streifte, kein Wasser
haftet.

Am vierten Abend bereits, da Somsdorff aus einer der großen
Konzerthallen der Champs Elysées, wo er mit einem jungen Rumänier den
brausenden Fanfaronaden einer bildhübschen Volkssängerin gelauscht
hatte, in sein Hotel zurückkam, war es mit seiner Selbstbeherrschung
zu Ende. Alles, was er sich vorgeredet, zerfloß wie Rauch. Nach einer
schlaflosen Nacht war sein Entschluß gefaßt. Er schrieb an Gräfin
Adele einen ausführlichen Brief, worin er noch einmal ruhig und klar
auseinandersetzte, was er ihr mündlich gesagt, und sie heilig beschwor,
nicht um der einen tausendfältig beklagten Thorheit willen ihn und
sich selbst für alle Zeit elend zu machen. Er könne das Leben fern von
ihr nicht ertragen. Was er bis jetzt gelitten, sei auch im schlimmsten
Fall Buße genug, zumal doch auch seine Eigenliebe unter der schroffen
Behandlung, die er erfahren, immer noch blute. Zum Schluß bat er sie
um sofortige Nachricht. Er werde nicht eher wieder frei aufatmen, bis
er Gewißheit habe, daß sie ihm endlich verzeihe.

Somsdorff ließ den Brief, den er als Einschreibesendung bezeichnete,
unverzüglich durch seinen Bedienten zur Post bringen. Er wollte die
halbe Stunde, die er noch zur Erledigung seiner Toilette brauchte,
nicht erst verstreichen lassen; sonst wäre er selbst gegangen.

Nun begann eine Zeit fiebernder Ungeduld.

Im ersten Taumel der sich neu belebenden Hoffnung rechnete Leo fest auf
ein Telegramm. Adele, wenn sie nun sah, wie er im Gram sich verzehrte,
würde ihn doch bestimmt nicht so lang auf die Folter spannen, bis
eine briefliche Antwort in seine Hände gelangt sein konnte! Er sah
sie im Geist, wie sie mit zitternder Hand die Empfangsbescheinigung
unterschrieb, das Couvert erbrach, die längst schon erwarteten Zeilen
im Sturm überflog und dann sofort anspannen ließ, um in eigner Person
nach dem Telegraphenbüreau zu fahren. O, diese Depesche! Ganze Stunden
verbrachte Somsdorff mit dem Erwägen des vermutlichen Inhalts. Keine
der Fassungen, die ihm vorschwebten, dünkte ihm herzlich genug, keine
entsprach der köstlichen Eigenart der Geliebten! Es würde ein langes,
ein umständliches Telegramm sein, glühend und doch versteckt im
Ausdruck, nur ihm verständlich, für die Beamten jedoch hieroglyphisch
und rätselhaft ...

Aber der Tag, an dem der Einschreibebrief spätestens in die Hände
Adelens gelangt sein mußte, verstrich, ohne daß der Portier des Hotels
auf die wohl zwanzigmal wiederholte Nachfrage Somsdorffs eine bessere
Antwort gehabt hätte, als ein lächelndes »~Rien, Monsieur~« oder ein
artig bedauerndes »~Pas encore~«. Bis gegen Mitternacht hielt sich
Somsdorff buchstäblich auf der Lauer. Er saß, die Abendnummer eines
Boulevardblattes zwischen den Fingern, in dem spärlich erleuchteten
kleinen Salon, der an sein Schlafzimmer stieß, und horchte auf jedes
Geräusch, das draußen im Gang sich rührte, auf jeden Schritt, der
abgedämpft über den Läufer huschte. Von Zeit zu Zeit stand er auf, um
die Thüre zu öffnen. Er glaubte Stimmen zu hören, die nach ihm fragten.
Einmal klang es wie »~Monsieur de Somsdorff~«, so scharf und bestimmt
-- er hätte die Wirklichkeit dieser Worte beeidigt ... Und doch war
alles ein Spiel seiner erregten Einbildungskraft.

Schwer niedergedrückt ging er nun endlich zu Bette. Da er infolge des
unausgesetzten Wartens nicht gleich einschlafen konnte, versuchte er,
sich die Trostlosigkeit der Enttäuschung zurechtzulegen, und kam --
wie dies immer geschieht, wenn man die Hoffnung auf ein glückliches
Resultat um keinen Preis aufgeben will -- zu der frohen Erkenntnis,
er selbst trage die Schuld an dieser Enttäuschung, da er etwas
vorausgesetzt habe, was er gar nicht voraussetzen durfte. Ganz mit der
nämlichen Logik, die ihm bis jetzt dargethan hatte, es sei unmöglich,
daß Gräfin Adele _nicht_ telegraphiere, bewies er sich jetzt das
Gegenteil. Wie hatte er annehmen können, sie, das feinfühlige, scheue
Gemüt, werde so peinlich intime Vorgänge einem Blatt anvertrauen, das
durch die Hände unbeteiligter Menschen wandern und Gott weiß von wie
vielen gleichgültigen oder gar spöttischen Blicken profaniert werden
mußte! Und ferner: das Beste, das Heiligste, was sie ihm sagen konnte,
ging doch naturgemäß seiner Wirkung verlustig, wenn es ihm nicht in
den eigenen Schriftzügen der Geliebten vors Auge trat! Ein Telegramm,
das Offenbarungen des Herzens enthielt, war eine Roheit, die mit den
Heiratsannoncen und ähnlichen Ausgeburten des Zeitgeistes auf der
nämlichen Stufe stand! Nein, solcher Mißgriffe war Adele nicht fähig,
-- und im Geiste bat er sie um Vergebung, daß er so thöricht gewesen,
das einfach Undenkbare für wahrscheinlich zu halten.

Nun ward er ruhig und fand so allmählich den Schlaf. Kurz nach sechs
jedoch fuhr er, wie jemand, der sich plötzlich erinnert, empor. Die
Julisonne schien grell durch die unvollständig geschlossenen Gardinen,
deren brennender Purpur über das ganze Gemach einen rosigen Schimmer
goß. Es war wie die Vorahnung eines Festtages. Leo von Somsdorff nahm
das zum guten Zeichen. Heute konnte ja nun ein Brief kommen!

Er zog sich an, bestellte sich Thee, warf einen Blick in die Zeitung,
die er während des gestrigen Abends mehr zerknickt als gelesen hatte,
und verließ dann mit Herzklopfen das Hotel.

Das eigentliche Paris war noch nicht aufgewacht. Arbeiter und kleine
Verkäuferinnen wanderten scharenweise nach ihren mannigfaltigen
Werkstätten, Magazinen und Läden, während ganze Kolonnen von
Straßenkehrern damit beschäftigt waren, den Fahrdamm zu reinigen.
Somsdorff beschaute dies fremdartige Bild mit jener vielgeschäftigen
Neugier, die alles willkommen heißt, was ihr Ablenkung von dem
Gegenstand ihrer Ungeduld bietet. Unter den Mädchen, die zum Teil in
geschmackvollen, wenn auch meist sparsamen Toiletten über den glatten
Asphalt huschten, befanden sich ganz allerliebste Gesichter, anmutig,
frisch und just wie geschaffen, um ein vergrämtes Gemüt zum Frohsinn
und zur Lebenslust zu bekehren. Somsdorff indes starrte sie an, ohne
das wahrzunehmen.

Nur ein einziges Mal ward er aus seiner Stumpfheit aufgerüttelt, als
er, nach seinem Hotel zurückschreitend, mit zwei solcher Püppchen,
die eben aus einem Thorweg heraustraten, heftig zusammenstieß, ein
verblüfftes »~Pardon!~« stammelte und höflich den Hut zog.

Die Mädchen lachten. Eine von ihnen, die hübscheste kleine Blondine,
die man sich denken konnte, sagte mit dem entzückendsten Stimmchen »~Il
n'y a pas de quoi~«, und warf ihm dabei einen Blick zu, den er trotz
aller Zerstreutheit nicht übersehen konnte. Dann schritten die beiden
quer über die Straße nach einem Putzmachergeschäft, dessen mächtige
Eisenvorlagen noch fest geschlossen im Glanz der Sonne blinkten, und
verschwanden dort in dem Nebeneingang unter dem Thürschilde, das in
silberner Rundschrift den melodischen Namen der Inhaberin »Félicie
Marchand« trug.

Nun endlich, da Somsdorff wieder vor seinem Hotel stand, kam der
»Facteur«, den hölzernen Kasten schwer mit Briefschaften aller Art
überladen. Leo war seiner Sache gewiß. Er fragte jetzt gar nicht:
»Haben Sie was für mich?« sondern streckte dem Mann, der einen ganzen
Stoß von Korrespondenzen nach der Portierloge trug, einfach die Karte
entgegen.

Aber der Briefträger zuckte ganz mit der gleichen Gebärde, wie gestern
der Concierge, die Achseln und sagte dann höflich: »Vielleicht mit dem
folgenden Umgang!«

Diesmal war Leo von Somsdorff sprachlos. Trostsprüche, wie er sie
gestern so leicht noch handhabte, verfingen nicht mehr. Sie hat
nicht geschrieben; sie wird überhaupt nicht schreiben: das war
der Sachverhalt, der ihm jetzt unwiderruflich schien. Es gibt
Obliegenheiten, die man entweder gar nicht, oder sofort erledigt. In
diese Kategorie zählte die Antwort auf seinen Brief, der doch wahrlich
ein übriges that in Demut und Selbstverleugnung! Also sie wollte nicht!

Trotzdem blieb er noch eine Weile im Zustand unausgesprochner
Erwartung. Fünf- oder sechsmal ging er und kam er ... Mit auffälliger
Langsamkeit schob er sich an der Loge vorüber ... vielleicht,
vielleicht trat der beleibte Concierge zu ihm heran ... Direkt
nachzufragen schämte er sich.

Es war ein qualvoller Tag. Das ewige Auf- und Niederwogen der Stimmung,
der unvermittelte Wechsel von Bangigkeit, Sehnsucht, Aerger und Zorn
drückte auf alle Nerven. Zuletzt hielt er's in dem Bereich des Hotels,
das er umkreist hatte, wie ein Detektiv die Verbrecherhöhle, nicht
länger aus. Er bestieg eine Droschke und fuhr auf dem kürzesten Weg ins
Boulogner Gehölz. Er kam sich so über die Maßen jämmerlich und verwaist
vor, daß er laut hätte aufschreien mögen. Da es die Zeit des Diners
war, nahm er dort irgendwo einen Imbiß, trank eine Flasche Léoville,
die ihm den Kummer nicht einwiegte, und machte sich gegen halb neun auf
den Heimweg.

Obgleich die Jahreszeit schon stark vorgerückt war und ein erheblicher
Teil der »Gesellschaft« sich in Villegiatur befand, herrschte doch auf
den glänzend erleuchteten Boulevards ein Gedränge, wie kaum in der
hohen Saison. Die endlosen Tischreihen vor den Kaffeehäusern waren über
und über mit Gästen besetzt. Ein flüchtiger Regenschauer hatte den
Staub niedergeschlagen; die Luft war köstlich; ein tiefblauer Himmel,
der noch im Westen ein leuchtendes Rot zeigte, spannte sich wolkenlos
über das bunte Gewühl.

Somsdorff fragte sich, ob er nicht trotz des herrlichen Wetters noch
ein Theater oder das gastfreie Haus einer vornehmen englischen Dame
besuchen solle, die heute Empfangstag hatte. Dies stumme Alleinsein
unter dem wogenden Menschenschwarm, der so angeregt und vergnügt
schien, so ganz und gar ohne Sorgen und Kümmernisse, spannte ihn ab. Es
war wie das nervenermüdende Branden des Meeres, ein ewiger Wellenschlag
-- ohne Einzelerlebnisse, die ihn wirklich zerstreut hätten.

Da, an der Ecke der Rue Vivienne, wo er einen Moment stehen blieb,
sah er plötzlich in zwei strahlende Mädchengesichter, die erstaunt
zu ihm aufschauten. Es gab ihm einen Stich ins Herz. Sofort hatte er
die beiden zierlichen Püppchen von heute morgen erkannt, mit denen er
so ungeschickt karamboliert hatte. Die ganze Stimmung jener Minute,
die freudige Zuversicht, die sich so bald in herbste Enttäuschung
verwandeln sollte, trat ihm grell ins Bewußtsein. All seine Trübsal
erneute sich.

Und der Abend war so bezaubernd, das Licht floß in so funkelnden
Strömen von rechts und links aus den Kaffeehäusern und Brasserieen, und
die zwei Mädchen, die ihn mit ihren schelmischen Augen so freundlich
anblitzten, waren so jung und so lebensfrisch! Besonders die eine --
die mit dem quellenden Blondhaar unter dem zierlichen braunen Strohhut!
Ihre Zähne schimmerten schneeglöckchenweiß durch das rosige Lippenpaar,
das sich ein bißchen stark öffnete, wenn sie lachte, aber so duftig
schien, so weich und so küßlich ...

Nun sah die Blonde sich um. Wahrhaftig, ein reizendes Ding, so zierlich
und schwalbengleich! Die echte Pariserin! Ganz ehrbar und anständig
schauten sie aus, die beiden übermütigen Kinder, aber doch so, daß
man es wagen durfte, sie anzureden. Natürlich! Sie flanierten ja so
allein -- just wie Somsdorff -- und wenn man den Tag über Federn und
Blumen zu arrangieren hat, und nicht die Mittel besitzt, am Abend
einen Salon zu besuchen, wo man Bekanntschaften macht nach allen
Regeln des guten Tons, dann nimmt man es grade nicht streng mit der
Etikette und amüsiert sich einmal auch ohne den Austausch der üblichen
Präliminarien ...

Somsdorff besann sich nicht lange. -- Er war ja nun frei. -- »Nun« war
nicht einmal das bezeichnende Wort, denn frei war er schon mit dem
Moment, als Gräfin Adele ihm grollend die Thür wies. Er konnte getrost
da wieder anknüpfen, wo er aufgehört, eh' ihn das Schicksal nach
Authenried-Poyritz geführt. Hätte er doch dies unheilvolle Besitztum
nie mit Augen gesehen!

Er machte jetzt Kehrt. Nach zwei Minuten hatte er die Mädchen
erreicht. Mit der Höflichkeit eines Weltmannes, der eine hochgefeierte
Aristokratin begrüßt, zog er den Hut und ließ eine Phrase vom Stapel,
die dem Selbstgefühle der beiden Putzmacherinnen ganz außerordentlich
schmeichelte. Er bat um Entschuldigung, daß er hier scheinbar den Takt
verletze: aber es dränge ihn, nach dem Rencontre von heute früh, dessen
Schuld ihn allein treffe, den Damen nochmals sein tiefstes Bedauern zu
äußern.

Er hielt diesen etwas gespreizten Ton eine Weile noch fest, obgleich
er alsbald merkte, daß er sich über die Anspruchslosigkeit dieser
kleinen Geschöpfe durchaus nicht getäuscht hatte. Die Blonde sah ihn
so dankbar an! Es war ihr augenscheinlich höchst angenehm, in Herrn von
Somsdorff, der sich sogar jetzt vorstellte, und zwar schlechthin als
»Monsieur Léon«, einen so wohlerzogenen, rücksichtsvollen, wenn auch
vielleicht etwas gar zu umständlichen Kavalier kennen zu lernen.

Nach Verlauf einer Viertelstunde saßen die drei vor dem Café Riche
und plauderten frisch darauf los, als sei die kaum erst geschlossene
Kameradschaft schon Wochen alt. Die Blonde hieß Blanche -- Blanche
Leterrier --; die Schwarze, weniger hübsche, Cécile Prévôt. Sie waren
Cousinen und jetzt schon über ein Jahr bei Mademoiselle Félicie
Marchand, wo sie ihr gutes Auskommen hatten. Das Geschäft dieser
Dame warf ein Stück Geld ab -- enorm! Und Mademoiselle Marchand,
die selber von klein auf angefangen, war eine wirkliche Mutter für
ihre Arbeiterinnen. Blanche excellierte im »Fertigstellen«; sie gab
den Hüten und Hütchen den letzten Chic und mußte sie sämtlich am
großen Spiegel des Rückzimmers aufprobieren, da sie, wie Mademoiselle
behauptete, ein so ausgezeichnetes Hutgesicht hatte. Cécile war
vorzugsweise »Fleuriste«. Sie arrangierte die Blumen- und Rankenwerke.
Mademoiselle beschäftigte vierzehn Arbeiterinnen und eine »Première«,
die nur die Aufsicht führte und Briefe und Rechnungen schrieb, dafür
aber mehr bezog, als Blanche und Cécile beide zusammengenommen.

»O, und sie ist so häßlich!« meinte die liebliche Blanche mit einem
Lächeln, das gar deutlich besagte: »Wir dagegen -- nicht wahr --
Monsieur? ...«

Nachdem sie die große Portion Gefrorenes hinabgelöffelt und sich
nunmehr für einen »~petit noir~« erklärt hatten, fingen die beiden
Mädchen an, ihren Herrn Ritter nach seinem Was und Woher zu fragen.
Somsdorff, dessen Beklemmung allmählich nachließ, machte sich das
Vergnügen, den stolzen Talar einer gewissen Romantik um die Schultern
zu nehmen und sich mit großer Treuherzigkeit für einen russischen
Flüchtling auszugeben, der seiner freiheitlichen Bestrebungen halber
von der moskowitischen Tyrannei verfolgt werde. Der Galgenhumor, der
ihn ergriff, trieb ihn zu immer grelleren Ausmalungen. Er lockte so in
die Augen der hübschen Blanche einen Schimmer der Rührung, der um so
lebhafter wurde, je öfter er seine Worte direkt an sie wandte. Als man
sich nach Verlauf einer Stunde erhob, konnte sie nicht mehr im Zweifel
darüber sein, daß sie die Bevorzugte war; daher sie denn auch das Wort
ergriff, um Leos Frage, ob und wo er die beiden Damen wiedersehen
dürfe, mit liebenswürdiger Deutlichkeit zu beantworten.

»Morgen,« sagte sie, »ganz um dieselbe Zeit -- hier auf dem Boulevard!
Nicht wahr, Cécile?«

»Ganz wie du willst! Freilich -- morgen hat Antoinette Geburtstag ...«

»O, das macht nichts! Wir gratulieren ihr schon beim Frühstück! Also --
auf Wiedersehen!«

Somsdorff wollte die Mädchen bis an die Wohnung bringen: aber sie
dankten mit großer Entschiedenheit. So ging er noch eine Weile im
dichtesten Volksgewühl auf und ab, lächelte innerlich über die
Albernheit seiner Erfindungen und begab sich dann ins Hotel, fest
entschlossen, die ganze Glut seiner Einbildungskraft nunmehr auf das
hübsche Gesichtchen der reizenden Blanche Letellier zu konzentrieren.

Das gelang ihm jedoch sehr mangelhaft. Als er das Zimmer betrat, wo
Leuthold soeben die Fenster schloß, überkam ihn der Gedanke, wie ganz
anders er den heutigen Abend verbracht haben würde, wäre am Nachmittag
der glühend ersehnte Brief eingetroffen ... Diese Vorstellung wich und
wankte nicht. Ja, es regte sich, aller Vernunft zum Trotz, etwas wie
Hoffnung in seiner bedrückten Seele, ein letzter Schimmer: »Es wäre ja
immer noch möglich!« Wütend über sich selbst ging er zu Bett, wälzte
sich stundenlang hin und her und sah dann im Halbschlaf die himmlischen
Züge Adelens, die ihm vertraulich zunickte, gütig und mild, wie einst
in den Tagen des ersten Glücks.

Eine Woche verstrich, ohne daß sich etwas in der Situation Leos
geändert hätte. Ab und zu verkehrte er mit dem jungen Rumänier. Ab
und zu machte er seine Fahrt ins Gehölz. Ab und zu traf er Blanche
und Cécile; einmal sogar Blanche allein, weil Cécile einen Schnupfen
hatte, oder weil Blanche das hübscher fand. Im großen und ganzen jedoch
wußte er nicht, was er eigentlich von Paris wollte. Er langweilte
sich; er fühlte sich geradezu unglücklich. Zum Ernsten wie zum
Vergnüglichen fehlte ihm Ruhe und Sammlung. Es war ein unaufhörliches
Kommen und Gehen, eine Flucht vor sich selbst. Jetzt betrat er, wie
stolz auf diesen erlösenden Einfall, das Louvre -- etwa die Säle der
Plastik --: und gleich darauf kam es ihm vor, als wandle er dort unter
Leichen. Dann lief er nach dem Quartier latin, mischte sich unter die
jungen Studenten, und sah nun erst recht, daß für den Verstoßenen
hier kein Bleibens sei. Kaum gab es ein Stadtviertel, das er nicht
heimgesucht hätte, zu Fuß, zu Wagen, frühmorgens, oder beim Schimmer
der Gaslaterne. Ueberall fand er die gleiche Oede und Farblosigkeit.
Selbst das sogenannte »Interesse« für Blanche ließ sich mit allem Eifer
nicht großziehen.

Es half hier zunächst kein Trotz und kein Philosophieren: er stand
noch sklavisch unter dem Bann seiner Leidenschaft. Nicht einmal sein
stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn half ihm darüber hinaus. Im
Gegenteil, sobald er sich anstrengte, ganz objektiv zu sein, mußte
er einräumen, daß Adelens Entschluß doch nicht so unbegreiflich sei,
wie er dies anfangs behauptet hatte. Sie kannte ja nicht die Genesis
jener Stimmung, in der sein Unmut dem Kinde den Tod gewünscht: sie
hielt sich vorab an die Thatsache. Das Schlimmste war, daß sie durch
ihre Schroffheit in Somsdorffs Augen nur noch gewonnen hatte. Diese
grenzenlose Pietät für die Tote, diese Treue über das Grab hinaus paßte
ja vollständig zu dem Bild hehrster und lieblichster Weiblichkeit, das
er von Gräfin Adele im Herzen trug! Sie handelte groß und heroisch! Es
grauste ihr vor dem Manne, der nicht mehr im stande war, gemeinsam mit
ihr die fromme Erinnerung an den verstorbenen Liebling zu hegen: so war
sie denn tapfer genug, ein Band zu zerreißen, von dem sie kein Heil
mehr hoffte!

In der zweiten Hälfte des Juli ward ihm die Oedigkeit seines Treibens,
dazu auch der Staub und die Hitze so unerträglich, daß er sich
plötzlich zur Abreise entschloß, wenn auch unter Veränderung seines
ursprünglichen Planes. Er gab die Küste von San Sebastian auf und fuhr
über die deutsche Grenze zurück nach dem Schwarzwald. Sein Nervensystem
war so überreizt, daß er jetzt vor der Seeluft, die ihn erfahrungsgemäß
aufregte, eine förmliche Angst empfand. Das dunkle Tannengrün dieser
Berge mußte ihm wohlthun. Einige Bücher hatte er mitgenommen. Der
ländliche Wirt, bei dem er sich eingemietet, war in seiner Art ein
verständiger Mann, kernig und urwüchsig, mit dem sich ein Wort reden
ließ, wenn man der sonst so willkommenen Einsamkeit müde war. Die
Tochter, ein gutes, braves, häßliches Mädchen, gab nicht zu denken,
wie die reizende Blanche, die doch bei all ihrer Hübschheit so wenig
im stande gewesen, das kranke Gemüt von seinen Zwangsvorstellungen
abzuleiten.

So vergingen dem jungen Mann zwei Monate in der schweigsamen
Thalschlucht, eine Epoche der Unlust für das bewegliche Temperament
seines vortrefflichen Leuthold, der sich aus barer Trostlosigkeit dazu
herabgab, der garstigen Wirtstochter gründlich den Hof zu machen,
heilsam jedoch, wie es schien, für den Herrn, der seine Tage mit
diätetischer Pünktlichkeit einteilte, regelmäßige Ausflüge ins Gebirg
unternahm, wieder ordentlich schlief, und einen freundlichen Ernst
annahm, der mit der früheren Ungeduld seines Wesens nichts mehr gemein
hatte.

In der letzten Septemberwoche trat Leo von Somsdorff die Fahrt nach
Madrid an.



Dreizehntes Kapitel.


Ein Jahr verging und ein zweites. Somsdorff hatte sich in Madrid rasch
eingelebt.

Die Geschäfte nahmen ihn mäßig in Anspruch; um so mehr Zeit verwandte
er auf seine wissenschaftlichen Studien.

Das Interesse, das er von je der wirtschaftlichen Situation der
Pyrenäenhalbinsel entgegengebracht, hatte mit Teil daran, wenn er sich
der Entscheidung, die ihn nicht nach Konstantinopel, sondern hierher
berief, so lebhaft gefreut hatte. Er konnte jetzt unmittelbar an der
Quelle schöpfen. Und so entstand in rastlosem Fleiß eine Reihe von
Untersuchungen, die er demnächst unter dem Titel »Spanien« im Verlag
einer altrenommierten Firma zu publizieren gedachte.

Das spanische Ministerium war ihm dabei mit großer Gefälligkeit an die
Hand gegangen. Es schien, als lege die Madrider Regierung -- vielleicht
im Hinblick auf zukünftige Handelsverträge, vielleicht auch nur aus
reinem Patriotismus -- Wert darauf, die einschlägigen Verhältnisse
einmal durch die Feder eines zwar objektiven, aber doch wohlwollenden
Autors in amtlicher Stellung geschildert zu sehen, nachdem so oft
schon Leute das Wort ergriffen hatten, denen Vorurteilslosigkeit
oder gar Sympathie für Spanien nicht nachgerühmt werden konnte. Die
Regentin sogar hatte sich über das Werk berichten lassen, nachdem der
Gobernacionsminister einen der Hauptabschnitte -- »Spaniens natürliche
Hilfsquellen« -- durch eignen Augenschein kennen gelernt.

Somsdorffs rastlose Thätigkeit vor dem Schreibtisch, in den
Bibliotheken und im Büreau seiner Botschaft ward durch mehrfache
Reisen in die verschiedensten Teile des Königreichs unterbrochen. Er
besuchte Galicien, Estremadura und Leon; ein andermal die Provinzen des
Südens, und von dort das betriebsame Katalonien; ein drittes Mal, um
auch die Schatten in seinem Bilde nicht fehlen zu lassen, die Provinz
Arragonien, wo er aus der Betrachtung der sogenannten »~despoblados~«,
der abgestorbenen oder im Aussterben begriffenen Ortschaften, die dort
in überraschender Anzahl zu finden sind, ein umfassendes Studium
machte.

Zu Anfang Oktober -- gerade zwei Jahre nach seiner Ankunft in Spanien
-- erbat er sich einen mehrmonatlichen Urlaub. Bis dahin hatte er
auch während der Ferien die Halbinsel nicht verlassen, sondern die
heiße Jahreszeit teils in Aranjuez, teils in der Sierra Guadarrama
verlebt. Insbesondere war er vor dem Gedanken zurückgeschreckt, seine
Erholungstage in Deutschland zuzubringen. Der Anblick der Heimat -- das
fühlte er -- hätte ihm tausend gefahrvolle Erinnerungen wachgerufen und
ihm den mühsam erkämpften Gleichmut in Frage gestellt. Jetzt aber hielt
er den Augenblick für gekommen, diesen Erinnerungen Trotz zu bieten.
Die Zeit hatte ihn ja von Grund aus verwandelt. Er, der früher ein Mann
des lebendigen Lebens, ein lichtfreundlicher Epikuräer gewesen, schien
jetzt untergetaucht im Ernst eines Schaffens, das ihn von allem, was
sonst Männer in seinen Jahren lockt, endgültig abzog. Er war nicht
glücklich, aber zufrieden -- von jener kühlen, starren Zufriedenheit,
die nicht weiter über sich nachgrübelt und vollständig aufgeht in den
Anforderungen des Tages. Von Gräfin Adele hatte er nichts mehr gehört.
Sie lag nun hinter ihm wie ein Traum. Wenn je einmal der Gedanke sich
regte, wie alles nun sein könnte, so wies er ihn spöttisch zurück.
Das war eine Schwäche, die übrigens mit der Zeit immer seltner sich
einstellte, bis er zuletzt die Wendung der Dinge, wie sie nun vorlag,
als etwas Selbstverständliches hinnahm, ohne Groll und Bedauern.

Am zwölften Oktober sah er zum erstenmal das Haus wieder, wo ihn die
Gräfin damals so grausam zurückgestoßen. Es war nur ein Zufall, daß
er vorbeikam: die Kutsche, die ihn nach dem Palais des Ministers
brachte, fuhr diesen Weg, ohne daß er zu Anfang darauf geachtet hätte.
Nun aber nahm er doch wahr, wie ihm das Herz lebhafter pochte. Dort
die zwei Fenster gehörten zum Ecksalon, wo sich die traurige Scene
abgespielt hatte ... Drüben die Baumwipfel, die sich schon gelb und
rot färbten, rauschten über dem Platz, wo sie so manches Mal während
der kurzen, vergänglichen Zeit ihres Glückes beisammen gesessen und
von der sonnigen Zukunft geplaudert hatten ... Das war nun mehr
als zwei Jahre her ... und damals hatten sie Pläne geschmiedet,
Pläne, deren Verwirklichung ihnen so zweifellos schien! ... Armes,
erbärmliches Schicksal des Staubgeborenen! Alles kommt anders! Selbst
das Zuverlässigste hängt in der Schwebe, und das Gewisse scheint ebenso
fraglich, wie das Ungewisse!

Ob Gräfin Adele noch jetzt hier wohnte? Leo stand ja so ganz außer
Zusammenhang ... Er mied die Beziehungen zu dem Einst und was ihn daran
erinnern konnte, geflissentlich. Auch blieb ihm bei der gewaltigen
Arbeitslast, die er sich aufgebürdet, absolut keine Zeit für müßige
Privatkorrespondenzen ...

Wie er dies eben erwog, fiel sein Blick auf das staunende Antlitz der
Dame, die seit dem Tode Gerolds der Gräfin Gesellschaft leistete.
Fräulein von Rauch kam zu Fuß aus der Richtung der Baustraße. Sie hatte
vielleicht in der Nachbarschaft einen Besuch gemacht. Ihr Ausdruck
verriet, daß sie ihn gleich erkannt hatte. Somsdorff ärgerte sich,
weil er zusammenfuhr, wie ein ertappter Dieb. Er grüßte höflich, aber
mit großer Gemessenheit, und trällerte dann die Anfangsstrophe eines
Gitanaliedes.

Der Besuch bei dem Minister und ein langes Gespräch mit einem der
vortragenden Räte riß ihn zunächst aus dieser unangenehmen Laune
heraus: dann jedoch nahm sie mit desto größerer Nachhaltigkeit wieder
Besitz von ihm. Den ganzen Tag blieb er noch unter dem Eindruck der
»höchst fatalen Begegnung«. Gräfin Adele wohnte also noch da ... und
sie wußte es jetzt, daß er zurück war; ja, daß er durch ihre Straße
gefahren! Fräulein von Rauch würde ihr's doch natürlich erzählen und
vielleicht eine recht sonderbare Glosse daran knüpfen. Wie peinlich,
wenn Gräfin Adele sein Vorbeikommen an der Wohnung für Absicht hielt!

Zum erstenmal seit geraumer Zeit hatte er so den Gleichmut verloren. Er
staunte darüber; ja, es verdroß und erschreckte ihn, bis er sich sagte,
diese Reflexerscheinung bedeute noch lang keinen Rückfall. Treibt uns
nicht die Erinnerung an eine Gefahr, die weit hinter uns liegt, noch
manchmal das Blut nach dem Herzen?

Er beruhigte sich also, fand nun die Sache begreiflich, und ging am
nächstfolgenden Tag mit erneuertem Ernst seinen Interessen nach.

Zuvörderst bei seinem Verleger. Es gab hier mancherlei zu erörtern
-- Wissenschaftliches, Technisches und Geschäftliches -- was mehrere
Stunden in Anspruch nahm. Somsdorff stand so auf einmal wieder mitten
im strengen Ideenkreis seiner Arbeit. Die selbstgenügsame Ruhe, die er
bei ihrer Förderung sich angeeignet, kehrte zurück, um nicht mehr zu
weichen.

So vergingen ihm fünf oder sechs Wochen. Somsdorff hatte seitdem
die Gegend, wo er auf so unerwünschte Manier mit Fräulein von Rauch
zusammengetroffen war, nicht wieder besucht und auch sonst nichts
gesehen noch gehört, was zu der Gräfin Beziehung hatte. Er widmete
sich -- zum erstenmal seit mehr als zwei Jahren -- ein wenig der
großstädtischen Geselligkeit, verkehrte in mehreren Häusern, besuchte
das Schauspiel, ritt, jagte und war von ungewöhnlicher Artigkeit gegen
die Damen, während er in der spanischen Hauptstadt durchweg für einen
»Bären« gegolten hatte. Kurz, er spannte sich vollständig aus, um für
die Zukunft neue Kräfte und neue Schaffenslust anzusammeln.

Gegen Ende November saß er -- es war gegen zwölf Uhr mittags -- in
seinem Zimmer und studierte den Fahrplan. Uebermorgen gedachte er
abzureisen; vorerst nach Italien, wo er den Rest seines Urlaubs mit
einer befreundeten Familie aus Malmö verbringen wollte, die vor acht
Tagen bereits Deutschland verlassen hatte. Anfang Januar sollte er in
Madrid sein.

Da pochte es leise an seine Thüre.

»Herein!« rief er ein wenig unwirsch. Er glaubte, es sei Leuthold,
sein Diener. Nun aber rauschte es über die Schwelle, wie von
Frauengewändern, und als er verwundert aufsah, stand Gräfin Adele vor
ihm.

Sie zog die Thüre verschüchtert nach sich, als könne sie schon im
nächsten Moment ein Wort hören, das ihr das Bleiben unmöglich mache.
Er aber sprach keine Silbe. Mit der Gebärde des Nachtwandlers, den
man plötzlich beim Namen ruft, hatte er sich erhoben. Unwillkürlich
trat er zwei Schritte zurück, während sie regungslos auf dem Fleck
verharrte. Ihr Antlitz war von rührender Blässe. Um den Mund lag
ein tiefschmerzlicher Zug. Nur die Augen hatten den Glanz und das
schwärmerische Feuer von einst.

»Herr von Somsdorff,« begann sie atemlos, »Sie staunen, daß ich's
gewagt habe ...«

Leo, so tief ihn der unerwartete Anblick erregt hatte, war doch gleich
wieder Herr seiner selbst. Mit einer höflichen Phrase, die just so
klang, als hätte er diese bebende Frau erst vor wenigen Tagen bei
irgend einem indifferenten Souper gesehen, rückte er einen Stuhl herzu
und bat sie, gefälligst Platz zu nehmen.

»Ich bin in der That überrascht,« sagte er kühl. »Was verschafft mir
die Ehre?«

Sie hatte sich zögernd niedergelassen. Somsdorff bemerkte erst jetzt,
daß sie noch tief in Trauer war. Er setzte sich gleichfalls. Mehr und
mehr nahm er den Ausdruck einer kaltherzigen Courtoisie an.

»Fräulein von Rauch hat mich begleiten wollen,« sagte die Gräfin
unsicher. »Fräulein von Rauch ist so gut und besorgt ... Sie hielt es
für schicklich ...«

»Bitte!«

»Aber ich ließ sie drunten ... Ich konnte nicht anders ... ich
mußte ...«

»Was mußten Sie?« fragte Somsdorff, der bei dem Anblick ihrer zuckenden
Lippen fast schon die Haltung verlor.

»Ich mußte dir sagen, daß ich dich liebe, daß ich nicht leben kann,
wenn du mir nicht verzeihst!«

Ehe noch Somsdorff etwas erwidern konnte, sank sie schluchzend vor ihm
aufs Knie und umklammerte seine Hände, wie eine Verzweifelte.

Nun bemühte sich Leo vergebens, die Rolle, die er sich vorgesetzt,
weiterzuspielen. Alles zerbrach und zerschmolz. Ehe er noch ahnte, wie
ihm geschah, hatte er die Geliebte emporgerissen. Mit beiden Armen
hielt er sie fest umschlungen. Sie weinte, sie lachte, sie schmiegte
ihr Antlitz erschauernd an seine Brust und stammelte unaufhörlich:
»Vergib mir, vergib mir!«

Er küßte sie heiß und strich ihr tröstend über die Wangen.

»Wie gut du bist, und wie großmütig!« hauchte sie sanft. »Ja, nun soll
alles vergessen sein! Wenn du mich willst, bin ich dein eigen für
immer. Ich will dich hegen und pflegen wie mein teuerstes Kleinod, dir
jeden Wunsch von den Augen absehen, dich doppelt lieb haben für das
bittere Leid, das ich dir zugefügt!«

Nun ward sie ruhiger. Sie trocknete sich die Thränen hinweg und ergriff
seine Hand.

»Weißt du auch, Leo, wie das gekommen ist? ... Ach, ich war so
verstockt in meinem thörichten Pharisäerstolz, der nicht des Wortes
gedachte: ›Wir sind allzumal Sünder ...‹ Fräulein von Rauch hat mir
erzählt, daß du hier seiest, daß sie dir angemerkt, wie die Begegnung
mit ihr dich erschüttert habe ... Damals schon rief eine Stimme in
meiner Brust: ›Mach's wieder gut! Geh zu ihm! Sag ihm, daß du ihn
liebst!‹ Aber ich sträubte mich, -- ach, du weißt ja, warum! Da hab'
ich nun gestern -- Leo, du wirst mich verachten oder bemitleiden, daß
ich mein Lebensglück und das deine von solchen Zufällen abhängig machte
-- da hab' ich nun gestern in meinen Papieren gekramt, und da fiel mir
ein Blatt in die Hand, das ich im Drang so unendlicher Aufregungen
völlig vergessen hatte. Damals, an jenem gräßlichen Weihnachtsabend ...
ich weiß ja selbst nicht, wie es geschah ... ich habe da in der Raserei
meines Unmuts Dinge geschrieben ...«

»Ich kenne das Blatt,« sagte Leo.

Er teilte ihr mit, wie er zu dieser Kenntnis gelangt war.

Sie errötete heiß.

»Wohl! So ersparst du mir die Notwendigkeit, die entsetzlichen Worte
zu wiederholen. Gestern, als ich sie wieder las, hab' ich mich ihrer
geschämt, wie einer Missethat. Leo, wie ungerecht war ich damals, wie
grausam und frevelhaft! In demselben Moment fluchte ich ihm, da er den
gräßlichsten Tod erlitt -- und weshalb erlitt? Weil er sich über Gebühr
eilte, um die paar Minuten, die er versäumt hatte, wieder einzubringen!
Nun fand ich das gestern, und da sank mir der Schleier vom Auge, und
ich begriff nun, daß ich kein Recht hatte, unversöhnlich zu sein ...«

»Und wenn du eins hattest ...«

»Nein, nein,« fiel sie ihm rasch ins Wort, »ich hätte verzeihen müssen!
›Richtet nicht!‹ heißt's in der Schrift ... Und du liebst mich ja ...
Nun, dem Himmel sei Dank, noch kommt meine Reue ja nicht zu spät! Laß
uns die beiden verlorenen Jahre hinnehmen, wie eine Zeit der Läuterung!
Aber, nicht wahr, Leo, in dem einen Punkt stimmst du mir bei: es war
eine Schuld! Denn das bedünkt mich doch eine rohe Auffassung und edel
veranlagter Menschen nicht würdig, die Sünde lediglich in der That zu
suchen. Die That ist nur die reifgewordene Frucht des Empfindens; nicht
die Hand frevelt, sondern das Herz!«

»So will ich geloben, mein Herz künftig mit einer einzigen, großen
Empfindung zu tränken, die alle übrigen ausschließt ...«

Er küßte sie lang und inbrünstig auf die Lippen.


Ende.



Schriften desselben Verfassers.


    Romane.

    =Die Claudier.= 15. Auflage.                        M. 7.--
    =Prusias.= 6. Auflage.                              "  7.--
    =Aphrodite.= 5. Auflage.                            "  6.--
    =Nero.= 5. Auflage.                                 "  5.--
    =Hertha.= 3. Auflage.                               "  7.--
    =Dombrowsky.= 2 Bände. 3. Auflage.                  "  8.--
    =Der Mönch vom Aventin.= 2. Auflage.                "  3.--
    =Familie Hartwig.= 2. Auflage.                      "  7.--
    =Kyparissos.= 2. Auflage.                           "  7.--
    =Roderich Löhr.= 2. Auflage.                        "  7.--
    =Adotja.=                                           "  5.--
    =Themis.= 2 Bände.                                  "  8.--
    =Das Kind.=                                         " --.50

    Epische Dichtungen.

    =Das Hohelied vom deutschen Professor.= 6. Auflage. M. 1.--
    =Venus Urania.= 5. Auflage.                         "  2.--
    =Schach der Königin.= 3. Auflage.                   "  3.--
    =Murillo.= 3. Auflage.                              "  2.--

    Ferner erschien:

    =~Lyra Germano-Latina.~= Eine Auswahl der
      berühmtesten deutschen Gedichte ins Lateinische
      übertragen.                                       M. 1.--
    =Verstehen wir Deutsch?= Volkstümliche
      Sprachuntersuchungen.                             "  1.--
    =~Initium fidelitatis!~= Humorist. Liederbuch.
      14. Aufl.                                         "  1.--
    =~Jucunda juventus!~= Neues humoristisches
      Liederbuch.                                       "  1.--



Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.

    Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.

Alle vierzehn Tage erscheint ein Band.

Preis jedes Bandes 50 Pf. Eleg. in Leinwand geb. 75 Pf.

(26 Bände jährlich, Gesamtpreis broschiert 13 Mark, gebunden 19 Mark 50
Pf.)


Stimmen der Presse über »Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek«:

Das ist ein Unternehmen, das in jeder Weise gefördert zu werden
verdient! Bis vor nun mehr denn 19 Jahren die ersten roten Bände
erschienen, mag mancher Kurzsichtige und Engherzige den Kopf
geschüttelt haben über das tolle Wagstück, wirklich gute und wertvolle
geistige Kost zu so billigen Preisen zu verabreichen. Wenn man heute
auf die lange Reihe von Jahren zurückblickt, wie viel ist da nicht
schon erreicht! Fast kein Haus, keine Familie, wo die soliden Bände
nicht ihren Einzug gehalten hätten; fast keine, noch so klein angelegte
Privatbibliothek möchte die sich so freundlich präsentierenden roten
Freunde aus ihrer Mitte missen. Und doch, noch gibt es viel zu tun!
Noch gibt es Häuser, in denen die vermorschten und verrotteten
Hintertreppenromane lieber gelesen werden. Hier wäre es Pflicht jedes
Nächststehenden, die giftige Saat zu verdrängen und an ihre Stelle
die gesunde und durchweg gute Kost der »Engelhornschen Allgemeinen
Romanbibliothek« zu legen. Der glücklich Geheilte wird, wenn er erst
klar sieht, dem freundlichen Helfer sicher Dank wissen.

            (_Hamburgischer Correspondent._)

Seit 19 fahren erfreuen sich die »Rotröcke«, die in rote Leinwand
geschmackvoll gebundenen Bände aus »_Engelhorns Allgemeiner
Romanbibliothek_« einer großen Beliebtheit beim deutschen Lesepublikum.
Wir haben wiederholt das Verdienst betont, das darin liegt, einerseits
dem leselustigen Publikum gute Unterhaltungsliteratur zu bieten und
anderseits sie zu einem Preise und in einer Ausstattung zu liefern,
die sowohl den Anforderungen des Geschmacks als auch den kategorischen
Imperativen des Geldbeutels Rechnung trägt. Durch eine sorgsame Auswahl
aus den Literaturen aller Völker sichert die Verlagsbuchhandlung der
Sammlung eine große Reichhaltigkeit; sie erfüllt die Forderung: wer
vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Diese Buntheit macht es
auch, daß »Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek« in der stattlichen
Reihe von ähnliche Zwecke verfolgenden Sammlungen, angesichts deren man
sich wirklich wundern muß, daß noch Leihbibliotheken bestehen können,
immer noch die erste Stelle einnimmt.

            (_Straßburger Post._)


Die bisher erschienenen, in dem nachfolgenden Verzeichnis aufgeführten
Romane können fortwährend durch jede Buchhandlung zum Preise von 50
Pfennig für den broschierten und 75 Pfennig für den gebundenen Band
bezogen werden.

    =Erster Jahrgang.= Band 1. 2. =Ohnet=, Der Hüttenbesitzer. --
    3. =Conway=, Aus Nacht zum Licht. 4. =Praed=, Zéro. -- 5. 6.
    =Gréville=, Wassilissa. -- 7. =Aïdé=, Vornehme Gesellschaft.
    -- 8. 9. =Ohnet=, Gräfin Sarah. -- 10. =Braddon=, Unter der
    roten Fahne. -- 11. =Halévy=, Abbé Constantin. -- 12. =Verga=,
    Ihr Gatte. -- 13. 14. =Reade=, Ein gefährliches Geheimnis.
    -- 15. =Theuriet=, Gérards Heirat. -- 16. =Gréville=,
    Dosia. -- 17. =Kraszewski=, Ein heroisches Weib. -- 18. 19.
    =Norris=, Eheglück. 20. =Kielland=, Schiffer Worse. -- 21.
    =Colombi=, Ein Ideal. -- 22. =Conway=, Dunkle Tage. -- 23.
    =Boyesen-Spielhagen=, Novellen. -- 24. =Vincent=, Die Heimkehr
    der Prinzessin. -- 25. 26. =Delpit=, Ein Mutterherz.

    =Zweiter Jahrgang.= Band 1. 2. =Ohnet=, Der Steinbruch. -- 3.
    =Lindau=, Helene Jung. -- 4. =Bret Harte=, Maruja. -- 5. Die
    Sozialisten. -- 6. =Halévy=, Criquette. -- 7. =Wilbrandt=, Der
    Wille zum Leben. Untrennbar. -- 8. =Valera=, Die Illusionen
    des ~Dr.~ Faustino. -- 9. 10. =Farjeon=, Zu fein gesponnen. --
    11. =Kielland=, Gift. -- 12. =Kielland=, Fortuna. -- 13. 14.
    =Ohnet=, Lise Fleuron. -- 15. =Farina=, Aus des Meeres Schaum.
    -- 16. =Frey=, Auf der Woge des Glücks. -- 17. 18. =Croker=,
    Die hübsche Miß Neville. -- 19. =Feuillet=, Die Verstorbene.
    -- 20. =Hopfen=, Mein erstes Abenteuer u. a. G. -- 21. 22.
    =Alexander=, Ihr ärgster Feind. -- 23. =v. Glümer=, Ein
    Fürstensohn. Zerline. -- 24. =Bret Harte=, Von der Grenze. --
    25. 26. =Conway=, Eine Familiengeschichte.

    =Dritter Jahrgang.= Band 1. 2. =Remin=, Die Versaillerin.
    -- 3. =Braddon=, In Acht und Bann. -- 4. =Schjörring=, Die
    Tochter des Meeres. -- 5. 6. =Malot=, Lieutenant Bonnet. --
    7. =About=, Pariser Ehen. -- 8. =Marryat=, Hanna Warners
    Herz. -- 9. 10. =Boyesen=, Eine Tochter der Philister. -- 11.
    =Gréville=, Savelis Büßung. -- 12. 13. =Ohnet=, Die Damen von
    Croix-Mort. -- 14. =Pasqué=, Die Glocken von Plurs. -- 15. 16.
    =Daudet=, Fromont jun. und Risler sen. -- 17. =Hopfen=, Der
    Genius und sein Erbe. -- 18. =Reade=, Ein einfach Herz. -- 19.
    20. =Malot=, Baccart. -- 21. =Norris=, Mein Freund Jim. -- 22.
    =Sienkiewicz=, Hanna. -- 23. =de Tinseau=, Das beste Teil. --
    24. 25. =Conway=, Lebend oder tot. -- 26. =de Bonnières=, Die
    Familie Monach.

    =Vierter Jahrgang.= Band 1. 2. =Haggard=, Eine neue Judith.
    -- 3. =Ohnet=, Schwarz und Rosig. -- 4. =Feuillet=, Das
    Tagebuch einer Frau. -- 5. 6. =Remin=, Jahre des Gärens. --
    7. =Lafontaine=, Gute Kameraden. -- 8. =Lie=, Die Töchter des
    Commandeurs. -- 9. 10. =Malot=, Zita. -- 11. =Gréville=, Die
    Erbschaft Xenias. -- 12. =Voß=, Kinder des Südens. -- 13. 14.
    =Fogazzaro=, Daniele Cortis. -- 15. =Farjeon=, Die Herz-Neune.
    -- 16. 17. =Ohnet=, Sie will. -- 18. =v. Wolzogen=, Die Kinder
    der Excellenz. -- 19. =Farina=, Um den Glanz des Ruhmes. --
    20--22. =Daudet=, Der Nabob. -- 23. =Burnett=, Der kleine
    Lord. -- 24. =Theuriet=, Der Prozeß Froideville. -- 25. 26.
    =Braddon=, Stella.

    =Fünfter Jahrgang.= Band 1. 2. =Hopfen=, Robert Leichtfuß. --
    3. =Daudet=, Der Unsterbliche. -- 4. =Ouida=, Lady Dorotheas
    Gäste. -- 5. 6. =Memini=, Marchesa d'Arcello. -- 7. Was der
    heilige Joseph vermag. -- 8. =v. Glümer=, Alessa. Keine
    Illusionen. -- 9. 10. =Philips=, Wie in einem Spiegel. -- 11.
    =Kielland=, Schnee. -- 12. =Claretie=, Jean Mornas. -- 13. 14.
    =Wood=, Auf der Fährte. -- 15. =v. Roberts=, Satisfaktion. --
    16. =Gravière=, Die Scheinheilige. -- 17. 18. =Ohnet=, Doktor
    Rameau. -- 19. =Peschkau=, Frau Regine. -- 20. =de Maupassant=,
    Zwei Brüder. -- 21. 22. =Farina=, Mein Sohn. -- 23. =Gréville=,
    Dosias Tochter. -- 24. =Lie=, Der Lotse und sein Weib. -- 25.
    26. =Daudet=, Numa Roumestan.

    =Sechster Jahrgang.= Band 1. 2. =v. Wolzogen=, Die tolle
    Komteß. -- 3. =de Tinseau=, Eine Sirene. -- 4. =Philips=,
    Jack und seine drei Flammen. -- 5. 6. =Gunter=, Mr. Barnes
    von New York. -- 7. =Theuriet=, Gertruds Geheimnis. -- 8.
    =Conway=, Wunderbare Gaben. -- 9. 10. =Ohnet=, Letzte Liebe.
    -- 11. =Voß=, Die Sabinerin. -- 12. =Memini=, Mia. -- 13. 14.
    =Croker=, Diana Barrington. -- 15. =v. Heigel=, Der reine
    Thor. -- 16. =Pontoppidan=, Ein Kirchenraub. Junge Liebe. --
    17. 18. =Daudet=, Die Könige im Exil. -- 19. =Philips=, Die
    verhängnisvolle Phryne. -- 20. 21. =Ohnet=, Sergius Panin.
    -- 22. =Serao=, Achtung Schildwache. -- 23. =Rabusson=,
    Salonidylle. -- 24. 25. =Gunter=, Mr. Potter aus Texas. -- 26.
    =Murray=, Ein gefährliches Werkzeug.

    =Siebenter Jahrgang.= Band 1. 2. =v. Roberts=, Preisgekrönt.
    -- 3. =Ohnet=, Die Seele Pierres. -- 4. =Theuriet=, Zum
    Kinderparadies. -- 5. 6. =Aïdé=, Imogen. -- 7. =Daudet=, Port
    Tarascon. -- 8. =Hope=, Ein Mann von Bedeutung. -- 9. 10.
    =Galitzin=, Ohne Liebe. -- 11. =Norris=, Die Erbin. -- 12.
    13. =v. Wolzogen=, Die kühle Blonde. -- 14. =de la Brète=,
    Mein Pfarrer und mein Onkel. -- 15. =Voß=, Der Mönch von
    Berchtesgaden. -- 16. 17. =Haggard=, Oberst Quaritch. -- 18.
    =Peschkau=, Noras Roman. -- 19. =de Renzis=, Auf Vorposten u.
    a. Gesch. -- 20. 21. =de Tinseau=, Versiegelte Lippen. -- 22.
    =Jeffery=, Aus den Papieren eines Wanderers. -- 23. =Theuriet=,
    Mein Onkel Scipio. -- 24. 25. =Delpit=, Wie's im Leben geht. --
    26. =de Renzis=, Verhängnis.

    =Achter Jahrgang.= Band 1. 2. =Croker=, Irgend ein Anderer.
    -- 3. =Gordon=, Fräulein Reseda. Ein Mann der Erfolge. --
    4. =Feuillet=, Künstlerehre. -- 5. 6. =Böhlau=, In frischem
    Wasser. -- 7. =Norris=, Die geprellten Verschwörer. -- 8.
    =Gordon=, Daphne. -- 9. 10. =Remin=, Ein Genie der That.
    -- 11. =Poradowska=, Mischa. -- 12. 13. =v. Wolzogen=, Der
    Thronfolger. -- 14. =Colombi=, Im Reisfeld. Ohne Liebe. --
    15. =Mairet=, Eine Künstlerin. -- 16. 17. =Gunter=, Miß
    Niemand. -- 18. =Heyse=, Marienkind. -- 19. =Villinger=,
    Schwarzwaldgeschichten. -- 20--22. =Daudet=, Jack. -- 23. Der
    schwarze Koffer. -- 24. =Mairet=, Der Affenmaler. -- 25. 26.
    =Masterman=, Schwer geprüft.

    =Neunter Jahrgang.= Band 1. 2. =Ohnet=, Im Schuldbuch des
    Hasses. -- 3. =Savage=, Meine offizielle Frau. -- 4. =Zehren=,
    Sein Genius. -- 5. 6. =Croker=, Ein Zugvogel. -- 7. =Filon=,
    Violette Merian. -- 8. =Lay=, Fräulein Kapitän. -- 9. 10.
    =Gordon=, Ein puritanischer Heide. 11. =Coppée=, Das Stück Brot
    u. a. Gesch. -- 12. =Bret Harte=, In der Prairie verlassen. --
    13. 14. =de Berkeley=, Zwischen Lipp' und Kelchesrand. -- 15.
    =Conway=, Mein erster Klient u. a. Gesch. -- 16. =de Tinseau=,
    Auf steinigen Pfaden. -- 17--19. =Malot=, Heimatlos. -- 20. =v.
    Heigel=, Baronin Müller. -- 21. =Mairet=, In guter Hut. -- 22.
    =Eckstein=, Das Kind. -- 23. 24. =Warden=, Das Haus am Moor. --
    25. =Serao=, Giovannino oder den Tod! Dreißig Prozent. -- 26.
    =Coudouze=, Des Seemanns Tagebuch.

    =Zehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =Cherbuliez=, Das Geheimnis des
    Hauslehrers. -- 3. =v. Wildenbruch=, Das wandernde Licht. -- 4.
    =St. Aubyn=, Einer alten Jungfer Liebestraum. -- 5. =Schubin=,
    Schatten. -- 6. 7. =Croker=, Unerwartet. -- 8. =Franzos=, Ein
    Opfer. -- 9. 10. =Nielsen=, Die Möwe. -- 11. =Simmy=, Geopfert.
    -- 12. =Dick-May=, Unheimliche Geschichten. -- 13. 14. =v.
    Bülow=, Margarete und Ludwig. -- 15. =Mrs. Oliphant=, Die
    Herzogstochter. -- 16. =Daudet=, Briefe aus meiner Mühle. --
    17. 18. =Sims=, Erinnerungen einer Schwiegermutter. -- 19. =v.
    Roberts=, Lou. -- 20. =Lie=, Hof Gilje. -- 21. 22. =de Marchi=,
    Don Cirillos Hut. -- 23. =Schultz=, Jean von Kerdren. 24.
    =Villinger=, Unter Bauern. -- 25. 26. =Savage=, Prinz Schamyls
    Brautwerbung.

    =Elfter Jahrgang.= Band 1. 2. =Ohnet=, Das Recht des Kindes.
    -- 3. =v. Gersdorff=, Ein schlechter Mensch. -- 4. =Peard=,
    Mademoiselle. -- 5. 6. =Bourget=, Kosmopolis. -- 7. =Stockton=,
    Eine schnurrige Geschichte. -- 8. =Coppée=, Die wahren Reichen.
    -- 9. 10. =Bock=, Simson und Delila. -- 11. =Jókai=, Die
    gelbe Rose. -- 12. =Gréville=, Verloren. -- 13. 14. =Croker=,
    Zwei Herren. -- 15. =de Amicis=, Eine Schultragödie. -- 16.
    =Harraden=, Schiffe, die nachts sich begegnen. -- 17. 18.
    =Spielhagen=, Susi. -- 19. Tim. -- 20. =Munch=, Frauen. -- 21.
    22. =de Berkeley=, Die alte Geschichte. -- 23. =v. Heigel=,
    Der Sänger. -- 24. =Sims=, Möblierte Wohnungen. -- 25. 26.
    =Clifford=, Tante Anna.

    =Zwölfter Jahrgang.= Band 1. 2. =v. Wolzogen=, Die
    Erbschleicherinnen. -- 3. =Ottolengui=, Der Kameenknopf.
    -- 4. =Claretie=, Die Cigarette und andere Geschichten. --
    5. 6. =Benson=, Dodo. -- 7. =Zehren=, Die Brüder. -- 8.
    =Howells=, Pflichtgefühl. -- 9. 10. =v. Roberts=, Revanche!
    -- 11. =Serrao=, Pinsel und Meißel. -- 12. =v. Gersdorff=,
    Schwere Frage. -- 13. 14. =Rameau=, Das Magdalenenhaar.
    -- 15. =Moore=, Der Verkauf einer Seele. -- 16. =Savage=,
    Wandelbilder. -- 17. 18. =Spielhagen=, Selbstgerecht. -- 19.
    =Jerome=, Roman-Studien. -- 20. =Busse=, Jugendstürme. -- 21.
    22. =Croker=, Eine Familienähnlichkeit. -- 23. =van Horst=,
    Verbotene Frucht. -- 24. =Moeller=, Gold und Ehre. -- 25. 26.
    =Jota=, Eine gelbe Aster.

    =Dreizehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =Voß=, Villa Falconieri.
    -- 3. =Ohnet=, Die Tochter des Abgeordneten. -- 4. =Hopfen=,
    Die Siegerin. -- 5. 6. =Croker=, Eine dritte Person. -- 7.
    =Gyp=, Flederwischs Heirat. -- 8. =Bigot=, Eine internationale
    Ehe. -- 9. 10. =Gerbrandt=, Sich selber treu. -- 11. =Loti=,
    Islandfischer. -- 12. =Böhlau=, Ratsmädel- und Altweimarische
    Geschichten. -- 13. 14. =Rod=, Die weißen Felsen. -- 15. =v.
    Heigel=, Der Herr Stationschef. -- 16. =de Berkeley=, Ein
    Reiseabenteuer. -- 17. 18. =Savage=, Die Hexe von Harlem. --
    19. =Verga=, Königstigerin. -- 20. =Boyesen=, Selbstbestimmung.
    -- 21. 22. =Mengs=, Frost im Frühling. 23. =Niemann=, Smaragda.
    -- 24. =Croker=, Lady Hildegard. -- 25. 26. =Luska=, Zu jung
    gefreit.

    =Vierzehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =Wolzogen=, Der Kraft-Mayr.
    -- 3. =Böhlau=, Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten. --
    4. =Mathers=, Das Bäschen vom Lande. -- 5. 6. =Ohnet=, Der
    Pfarrer von Favières. -- 7. 8. =Schubin=, Die Heimkehr. -- 9.
    =de Tinseau=, Vergessene Pflicht. -- 10. =Hyne=, Gauner-Ehre.
    11. =de Amicis=, Liebe und Gymnastik. -- 12. 13. =Croker=, Ein
    Millionär. -- 14. =Brada=, Im Joche der Liebe. 15. =Böhlau=,
    Verspielte Leute. -- 16. =Robinson=, Die goldene Hand. --
    17. 18. =v. Roberts=, Die schöne Helena. -- 19. =Murray=,
    Der Bischof in Not. -- 20. =Gréville=, Das Geständnis. --
    21. 22. =White=, Korruption. -- 23. =Vincent=, Künstlerblut.
    -- 24. =Merrick=, Eine persönliche Ansicht. -- 25. 26.
    =Orloffsky-Golowin=, Die Nihilistin.

    =Fünfzehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =Hopfen=, Der Väter zweie.
    -- 3. =Hill=, Um eines Haares Breite. -- 4. =Eckstein=,
    Willibald Menz. Lavafluten. -- 5. 6. =Ohnet=, Nimrod & Cie.
    -- 7. =Malling=, Der alte Herrenhof. -- 8. =Griffiths=, Im
    Expreßzug Rom-Paris. -- 9. 10. =H. v. Zobeltitz=, Talmi.
    -- 11. =Yorke=, Um des Kindes willen. -- 12. =Claretie=,
    Das Auge des Toten. -- 13. 14. =Croker=, Verheiratet oder
    ledig? -- 15. =Ahrenberg=, Neue Bahnen. -- 16. =Murray=, Ein
    Spitzbubengewissen. -- 17. 18. =Schubin=, Vollmondzauber. --
    19. =Clifford=, Ein sonderbarer Stellvertreter. -- 20. =v.
    Bunsen=, Auf Riedenheim. -- 21. 22. =Markewitsch=, Prinzessin
    Lina. -- 23. =Doyle=, Ein gefährlicher Ausflug. -- 24.
    =Georgy=, Aus den Memoiren einer Berliner Range. -- 25. 26.
    =Rameau=, Die Letzten aus dem Hause Montberthier.

    =Sechzehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =Ohnet=, In der Tiefe des
    Abgrunds. -- 3. =Skowronnek=, Hans der Sieger. -- 4. =Loti=,
    Ein Seemann. 5. 6. =Croker=, Miß Balmaines Vergangenheit. -- 7.
    =v. Woude=, Im eigenen Nest. -- 8. =Hope=, Mr. Witts Wittwe. --
    9. 10. =Döring=, Jadwiga. -- 11. =Hornung=, Der neue Herzog.
    -- 12. =De Bièvre=, Tante Baby. -- 13. 14. =F. v. Zobeltitz=,
    Das Heiratsjahr. -- 15. =Wahlenberg=, Marta Hilding. -- 16.
    =Alden=, Seine Tochter. -- 17. 18. =Hopfen=, Die ganze Hand.
    -- 19. =Gerard=, Eine vergessene Sünde. -- 20. =Wolters=,
    Der Wohlthäter. -- 21. 22. =Theuriet=, Die Zuflucht. -- 23.
    =Grahame=, Das goldene Zeitalter. -- 24. =v. Baudissin=, Im
    engen Kreise. -- 25. 26. =Croker=, Berechtigter Stolz?

    =Siebzehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =Davis=, Soldaten des
    Glücks. -- 3. =Skowronnek=, Ihr Junge. -- 4. =de Wailly=,
    Lucettes Schwur. -- 5. 6. =Kipling= und =Balestier=,
    Naulahka. -- 7. =Misch=, Der Adelsmensch. -- 8. =de
    Tinseau=, Durch fremde Schuld. -- 9. 10. =Schulte vom
    Brühl=, Frühlings-Evangelium. -- 11. =Murray=, Die Jagd nach
    Millionen. -- 12. =Busse=, Röschen Rhode. -- 13. 14. =Leys=,
    Das Geheimnis des Rechtsanwalts. -- 15. =H. v. Zobeltitz=, Die
    Tante aus Sparta. -- 16. =Theuriet=, Unter Rosen. -- 17. 18.
    =Schubin=, Im gewohnten Geleis. -- 19. =Lie=, Im Märchenland.
    -- 20. =Hopfen=, Zehn oder elf? -- 21. 22. =Croker=, Die
    Dorfschönheit. -- 23. =Blicher-Clausen=, Inga Heine. -- 24.
    =Griffiths=, Ein schneidiges Mädchen. -- 25. 26. =v. Oertzen=,
    Eine glückliche Hand.

    =Achtzehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =v. Wolzogen=, Die arme
    Sünderin. -- 3. =Bodkin=, Verschwindende Diamanten. -- 4.
    =v. Bülow=, Im Hexenring. -- 5. 6. =Lesueur=, Slavische
    Leidenschaft. -- 7. =Voß=, Der gute Fra Checco u. a. Gesch.
    -- 8. =de Vere-Stacpoole=, Toto. -- 9. 10. =v. Roberts=,
    Schwiegertöchter. -- 11. =Aïdé=, Die Erzieherin. -- 12. =H.
    v. Zobeltitz=, Frau Karola. -- 13. 14. =Robinson=, Jung-Nin.
    -- 14. =v. Oertzen=, Frei für die Ehre! -- 16. =Bourget=, Das
    Spitzenmäuschen und andres. -- 17. 18. =F. v. Zobeltitz=, Die
    papierene Macht. -- 19. =Glyn=, Elisabeths Besuche. -- 20.
    =Döring=, Der Förster. Heinrich Timm. -- 21. 22. =Ohnet=, Die
    lichtscheue Dame. -- 23. =Croker=, Die Spinne u. a. Gesch.
    -- 24. =Heine=, Bis ins dritte und vierte Glied. -- 25. 26.
    =Burnett=, Eine vornehme Dame.

    =Neunzehnter Jahrgang.= Band 1. 2. =F. v. Zobeltitz=, Der
    Backfischkasten. -- 3. =Ouida=, Zwei Sünder. -- 4. =Schubin=,
    Marška. -- 5. 6. =Malot=, Daheim. -- 7. =v. Rom=, Man lebt so
    hin. -- 8. =Bodkin=, Fräulein Detektiv. -- 9. 10. =v. Oertzen=,
    Irrlichter. -- 11. =Rod=, Auf halbem Wege. -- 12. =Westkirch=,
    Geschichten von der Nordkante. -- 13. 14. =Hunt=, Kein
    Herz. -- 15. =Döring=, Deutsche und polnische Liebe. -- 16.
    =Poradowska=, Die Stimme des Blutes. -- 17. 18. =Skowronnek=,
    Das rote Haus. -- 19. =Cobb=, Skrupel. -- 20. =Lie=, Nordwärts.
    -- 21. 22. =Ohnet=, Der Schritt zur Liebe. -- 23. =Croker=,
    Eine verhängnisvolle Fahrt. -- 24. =Olden=, Die erste Krawatte
    und andre Geschichten. -- 25. 26. =Warden=, Das Gasthaus am
    Strande.


Zwanzigster Jahrgang.

    =Ein Königsdrama.= Von _Richard Voß_. 2 Bände.

Das neue Werk des berühmten Dichters ist von gewaltiger Wirkung. Mit
dem ehernen Schritt einer antiken Tragödie einherschreitend, ergreift
es den Leser im Innersten, um ihn nicht mehr loszulassen, bis sich das
grausige Schicksal des beklagenswerten Helden erfüllt hat.

    =Die Amazone und andere Geschichten.= Von _Johannes Johannsen_.

Von einsamen Frauen wissen diese Geschichten zu erzählen und von
heimlichen Tränen; von schlanken Mädchen wissen sie zu berichten und
von fröhlichen Herzen. Wen die Stille abseits liegender Gehöfte lockt
und der Zauber verwachsener Gärten, der wird die aus diesen Novellen
sprechende Stimmung verstehen und die Charaktere ihrer Gestalten
begreifen.

    =Gefeit.= Von _D. Mélégari_. Aus dem Französischen.

Interessante Streiflichter auf die Gesellschaft des modernen Rom
wirft dieser überaus fesselnd geschriebene Roman, der sich namentlich
auch durch eine feine und selbständige Auffassung der Frauenfrage
auszeichnet.

    =Maximum.= Roman aus Monte Carlo. Von _Ossip Schubin_. Zwei
      Bände.

Ein Meisterstück erschütternder Seelenmalerei, worin feine
Beobachtungsgabe und intime Kenntnis des menschlichen Herzens sich zu
vollendeter Charakterzeichnung erheben.

            (Der Bazar.)

    =Ein Einbrecher aus Passion.= Von _E. W. Hornung_. Aus dem
      Englischen.

Man wäre versucht, den Helden dieser spannenden Abenteuer, einen
abgefeimten Verbrecher mit ritterlichem Wesen, für die Ausgeburt einer
tollen Phantasie zu halten, wenn sich nicht erst kürzlich ganz ähnliche
Vorkommnisse vor englischen Gerichten abgespielt hätten.

    =Die schwarze Maske.= Von _E. W. Hornung_. Aus dem Englischen.

Das edle Paar, das wir in »Ein Einbrecher aus Passion« kennen gelernt
haben, setzt sein Geschäft mit ungeschwächten Kräften fort und gibt
neue Proben seines Scharfsinnes, der einer besseren Sache würdig wäre.

    =Goldene Blumen.= Von _Champol_. 2 Bände. Aus dem Französischen.

Dieser wirklich gute und gediegene Roman weist alle Vorzüge des
Schrifttums unserer westlichen Nachbarn auf, ohne in dessen Fehler zu
verfallen; er ist duftig und graziös, prickelnd und spannend, aber
dabei sittlich ganz einwandfrei.


Die nachstehenden Romane sind auch einer zu Geschenken ganz besonders
geeigneten

Salon-Ausgabe

auf feines, extra starkes Papier gedruckt und in elegantem
Liebhaber-Einband zum Preise von

        M. 2.-- für den einfachen und
        M. 3.-- für den doppelten Band

erschienen.


Einfache Bände:

    _Böhlau_, =Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten=.

    _Burnett_, =Der kleine Lord=.

    _Feuillet_, =Das Tagebuch einer Frau=.

    _Georgy_, =Aus den Memoiren einer Berliner Range=.

    _v. Gersdorff_, =Ein schlechter Mensch=.

    _Gyp_, =Flederwischs Heirat=.

    _Harraden_, =Schiffe, die nachts sich begegnen=.

    _Hopfen_, =Zehn oder elf?=

    _Paul Lindau_, =Helene Jung=.

    _Loti_, =Ein Seemann=.

    _Savage_, =Meine offizielle Frau=.

    _Skowronnek_, =Ihr Junge=.

    _Voß_, =Kinder des Südens=.

    =Was der heilige Joseph vermag.=

    _v. Wolzogen_, =Die Kinder der Excellenz=.

    _H. v. Zobeltitz_, =Die Tante aus Sparta=.


Doppel-Bände:

    _Conway_, =Eine Familiengeschichte=.

    _Croker_, =Die hübsche Miß Neville=.

    -- =Ein Zugvogel=.

    _Hopfen_, =Der Väter zweie=.

    -- =Robert Leichtfuß=.

    _Ohnet_, =Der Hüttenbesitzer=.

    _Sims_, =Erinnerungen einer Schwiegermutter=.

    _v. Wolzogen_, =Der Kraft-Mayr=.

    -- =Der Thronfolger=.

    -- =Die tolle Komteß=.

    _F. v. Zobeltitz_, =Das Heiratsjahr=.

[Illustration]



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
    Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die
    Antiqua-Formatierung der Werbeseite wurde entfernt.

    Korrekturen:

    S. 20: Vierzigen → Vierzigern
      ein stattlicher Mann in den {Vierzigern}

    S. 86: her → hier
      Freilich, die Nächte {hier}, und namentlich





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