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Title: Deutschlands europäische Sendung
Author: Lienhard, Friedrich
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Deutschlands europäische Sendung" ***


holdings of the Staatsbibliothek zu Berlin are available
to all interested parties worldwide free of charge for
non-commercial use.)



    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
    ist _so markiert_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so
    ausgezeichnet~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=.



    Deutschlands
    europäische Sendung

    Von

    Friedrich Lienhard

    17. Tausend

    [Illustration]

    Stuttgart 1915

    Druck und Verlag von Greiner & Pfeiffer



    Ich grüße die Stillen im lauten Land,
    Sie alle, die in dem brausenden Brand
    Kraft behielten, stille zu sein --
    Sie grüß' ich: haltet aus! bleibt rein!

    Bleibt, was ihr seid: bleibt still und stark!
    Bleibt in den deutschen Bäumen das Mark!
    Sendet die Kraft in die Wipfel empor:
    Durch euch nur braust der Wipfel Chor.

    Ihr weilt in der Enge, ihr wirkt im Haus,
    Fernfunken aber sendet ihr aus
    Zum Helden, der sich im Felde rührt:
    Gedanken, darin er die Heimat spürt.

    Bleibt still und stark, bleibt stark und still!
    Der über uns waltet, weiß, was er will:
    Schmieden will er aus Zorn und Zucht
    Ein Volk der Würde, ein Volk der Wucht!



Oft schon hat der Verfasser der folgenden Kriegsgedanken dichterisch
und literarisch den Wunsch geprägt: dem deutschen Reichskörper muß noch
eine deutsche Reichsseele geschaffen werden.

Wir waren auf den europäischen Krieg gefaßt; er war in der geistigen
Luft vorgezeichnet. Die Spannungen zwischen den Völkern mußten einmal
an den Punkt kommen, wo sie sich entluden.

Dieses mächtige Ereignis erleben wir jetzt. Der Krieg ist das
europäische Reinigungsgewitter. Der stolze seelische Grund Frankreichs:
seinen 1870 vernichteten Waffenruhm wieder herzustellen; der
weniger stolze Grund Englands: den Handelsnebenbuhler zu Land und
See, das rührige Deutschland, zu ducken; der Versuch Rußlands, den
österreichischen Interessen zu Trotz seinen panslawistischen Traum
zu erfüllen: -- das kreiste schon lang am politischen Horizont. Nun
brach es offen aus. Und die Schlachten werden feststellen, wie die
europäische Karte fortan aussehen soll.

Es wird über diese Dinge viel geschrieben. Mich bewegen andre Sorgen.
In einem Feldpostbrief waren diese sorgenden Gedanken neulich
ausgesprochen. Wie wird Deutschland nach dem hoffentlich zu erwartenden
Siege seine geistige Aufgabe erfassen? Werden wir eine andre Luft,
verjüngte Herzen, erneuerte Menschen haben? Denn tatsächlich kämpfen
unsre Krieger nicht nur so für den materiellen Bestand ihrer deutschen
Güter; in ihres Herzens Grunde lebt außerdem ein Idealbegriff der
deutschen Heimat. Das ist der geheime, ihnen meist unbewußte, aber
wirksamste Kraftquell. Auch in unsrem naturwissenschaftlichen Zeitalter
kämpft man letzten Endes nicht für Sachen an sich, sondern für Ideen,
die in und hinter den Sachen wirken. Das macht Deutschland so jung, das
gibt ihm diesen einmütigen Schwung: wir kämpfen für ein Deutschland,
das noch kommen soll. Wir sind von der tiefen, glühenden Empfindung
durchatmet, daß Deutschland seine reinste, seine eigentliche Sendung
noch nicht angetreten hat. Alle Achtung vor unsren Mörsern, alle
Achtung vor unsrem Generalstab und jedem einzelnen unsrer heldenmütigen
Soldaten! Aber dieses Große, das wir da um uns an der Arbeit sehen, ist
nur Mittel zum Ziel. Das Ziel aber ist

        _Deutschlands europäische Sendung_.

       *       *       *       *       *

Zu Weihnachten des verflossenen Jahres ging mir aus meinem Leserkreise
eine eigenartige Gabe zu. Es war eine schlichte, mit einfachem
Eichenholz fest eingerahmte Tafel, die einen großgedruckten Spruch aus
meiner Gedichtsammlung »Lichtland« (Stuttgart 1912) enthielt. Dieser
Spruch, der nun in der Hauptstadt der Westmark über meinem Stehpult
hängt, lautet:

    Wenn Deutschland seine Sendung vergißt,
    Wenn Deutschland, nachdem es die Meere befahren,
    Den Völkern nicht mehr Führer ist
    Zum Innenland des Unsichtbaren,
    Zu Gott und Geist --
    Wenn Deutschland versäumt seine heilige Sendung
    Und nicht mehr vorangeht in Drang nach Vollendung,
    Wenn es vom Haß, der in Spannung hält
    Die eiserne Welt,
    Zu neuer Liebe den Weg nicht weist --
    So wisse: dein Glück und dein Reich zerschellt!

Das ist, wenn auch in etwas herber und drohender Form, mein nationales
Glaubensbekenntnis.

Und so setzen wir der Flut von Haß und Verleumdung, die aus dem Ausland
von Romain Rolland bis Maeterlinck und Verhaeren gegen uns ansprüht,
als Söhne Goethes den unerschütterlichen Glauben an Deutschlands
heilige Sendung entgegen. »Das Schicksal der Deutschen ist noch nicht
erfüllt«, äußerte Goethe im Gespräch mit Luden (1813). »Hätten sie
keine andere Aufgabe gehabt, als das römische Reich zu zerbrechen und
eine neue Welt zu schaffen und zu ordnen, sie würden längst zugrunde
gegangen sein. Da sie aber fortbestanden sind, und in solcher Kraft
und Tüchtigkeit, so müssen sie nach meinem Glauben noch eine _große
Bestimmung_ haben.«

Eine Bestimmung äußerer und eine Bestimmung innerer Art: »Der
Menschheit _Würde_ ist in eure Hand gegeben!«

Damit ist jenes Programm wieder aufgenommen, das einst unser Schiller
in die Worte gepreßt hat: »Kann aber wohl der Mensch dazu bestimmt
sein, über irgendeinem Zweck sich selbst zu versäumen?« Nämlich:
seine innere Welt, sein höheres Selbst, den geistigen Leuchtkern in
uns. Das zieht sich durch Schillers und Goethes Lebensarbeit. Das
geht durch alle Idealisten und Propheten der ganzen Welt. Und es
widerspricht keineswegs der äußeren Kriegsarbeit, die von deutschem
Geiste jetzt da draußen geleistet wird. Arbeitsteilung! Ein Teil
deutscher Geistestruppen muß abkommandiert werden, dieses Programm zu
erfüllen -- sobald die europäische Luft durch den Kriegsorkan gereinigt
sein wird. Diese Truppen stehen schon im Hintergrunde; sie stellen
sich jetzt schon auf ihre künftige Aufgabe ein; sie ermutigen die
Mannschaft draußen durch tapfere und großzügige Gedanken. Sie geloben,
mit demselben Tatsachensinn, wie er den knapp und klar sprechenden
und handelnden Generalstab auszeichnet, nicht im Parteigezänke
unterzugehen, sondern das Große und Ganze unverwirrt und unkleinlich im
Auge zu behalten. Nämlich: mit dem Aufbau der neuen deutschen Innenwelt

        _bei sich selber anzufangen_.

       *       *       *       *       *

Gedanken aber haben fernwirkende Kraft. Gute und große Gedanken, in
einem echten Menschen lebendig, haben segnende Kraft für die ganze
Umwelt. Es ist wie Funkenfernspruch. Cromwells Schwadronen stärkten
sich fern vom Feind durch alttestamentarische Zorngedanken; kam das
Eisenheer näher, so ritt es schweigend; aber die Kraft sammelte sich in
den düstren und harten Psalmensingern, den viel belächelten und noch
mehr gefürchteten »Eisenseiten«; und im stürmischen Angriff entlud
sich dann, was sich in Gedanken angesammelt hatte. So greifen Gedanken
und Taten ineinander. Dieselbe Wucht, die jetzt draußen ein gewaltiges
Außenziel zu erreichen bestrebt ist, wird später, auf geistige Ziele
gelenkt, gleichfalls nicht versagen.

So bildete unser Friedrich der Große, trotz aller französischen Formen,
eine seltsame Einheit zwischen Geist und Tat. Seine Gedichte und
Briefe beben von verhaltener Glut und Kraft, sind Begleitakkorde, sind
seelische Entladungen: und der strenge Rhythmus seiner Schlachten ist
dann die kongeniale dramatische Tat. Ein feines Ohr hört denselben
Pulsschlag hier und dort. Und hört den genau geregelten ehernen
Marschtritt der Schlachten und der Oden auch im friderizianischen
Staatswesen und persönlichen Lebensbegriff.

Genau so braucht heute kein Riß zu klaffen zwischen der dynamischen
Entfaltung des äußeren Deutschlands und der Entfaltung der künftigen
deutschen Innenwelt -- kurz geformt:

        _zwischen Reichskörper und Reichsseele_.

       *       *       *       *       *

Kampf hämmert aus den Kämpfenden und aus den hoffend und schaffend
Zuschauenden Heldentum zutage. Kampf rüttelt zwar auch die niederen
Instinkte empor und die Gefahren haßvoller Verwilderung. Aber in einem
gesitteten Volke von Zucht und Maß, zumal wenn es um eine große und
gute Sache gegen Übermacht kämpft, ist diese Gefahr gebannt. Und es
bleibt als köstlicher Gewinn: Stählung des Willens zum Guten, zum
Großen, zum Starken.

Solche Stählung ist Läuterung. Fäulnis wird hinweggeschwemmt. In jeder
hochgestiegenen Zivilisation sammelt sich Fäulnis, Luxus, Unnatur. Ist
das Volksganze gesund, so bedeutet der Krieg Reinigung. Alle Fratzen
fader Witzblätter, alles Kokottentum des Denkens und Empfindens, alle
blasse Zweifelei und Spöttelei und Ästhetelei -- hinweggeblasen!
Alle Unterschiede der Parteien und Stände -- ausgefegt von dem einen
großartigen deutschen Familiengefühl: opferfreudiger Kampf gegen
Übermacht! Jetzt kennen wir alle, wie unser so treffsicherer, der
Stunde gewachsener Kaiser, keine Parteien mehr: »nur noch deutsche
Brüder!« Nicht Haß ist es, was unsere Heere durchpulst, sondern dieser
Geist eines tatkräftigen Zusammenhaltens: einer neuen Liebe zu Haus und
Heimat!

Jetzt gewinnt Heldenverehrung wieder ihren erzieherischen Wert. Es
wird uns jetzt blutvolle Gegenwart, wenn wir uns an Friedrichs des
Großen ähnlichen Heldenkampf gegen europäische Übermacht erinnern.
Eine ganz gerade Linie führt von ihm zu uns. Ohne Friedrich und seinen
Siebenjährigen Krieg kein Bismarck und kein Reich. Auch er ein Diener
der Idee, ein Werkzeug der über ihm waltenden Macht: der Macht, die
das Deutsche Reich geformt hat, wie sie jetzt die deutsche Reichsseele
formen will.

Man beachte das tiefsinnige Zahlenspiel: genau in der Mitte zwischen
dem Siebenjährigen Kriege (etwa 1760) und dem Kriege von 1870 ist
Bismarck geboren (1815). Fünfundfünfzig Jahre nach rechts und nach
links! Mit der Linken reicht er Friedrich dem Großen die Hand, mit der
Rechten schmiedet er einem andren edlen Hohenzollern das Deutsche Reich.

Über dieses Reich noch einige Gedanken, ehe wir unsre innere Aufgabe
ins Auge fassen!

Zunächst ist unser Kampf Notwehr um des Reiches Bestand. Das hat der
Kanzler in seiner Reichstagsrede am 4. August glücklich geprägt; das
glüht in des Kaisers Aufruf an das deutsche Volk am 6. August, dem
Jahrestag der Schlacht bei Wörth. »Alle offenkundige und heimliche
Feindschaft von Ost und West und von jenseits der See haben wir
bisher ertragen im Bewußtsein unsrer Verantwortung und Kraft. Nun
aber will man uns demütigen. Man verlangt, daß wir mit verschränkten
Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten.
Man will nicht dulden, daß wir mit entschlossener Treue zu unserem
Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und
mit dessen Erniedrigung auch unsere Macht und Ehre verloren sind ...
Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich ... Wir werden
uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß ...« Notwehr um des
Reiches Bestand!

Aber Notwehr ist nur die eine Seite dieses schweren Kampfes. Es ist
mehr dabei. Es ist das besondere deutsche »moralische Gemüt«, was
dem ~Furor teutonicus~ wieder einmal Schwung und Wucht verleiht.
Denn Ausgangspunkt der europäischen Verwicklung war ein Meuchelmord.
Und meuchelmörderische Pöbelinstinkte sahen wir nicht nur in Serbien
aufschäumen; das Wort »belgische Greuel« wird in die Weltgeschichte
eingegraben werden. Jetzt tritt das oft in Friedenszeiten als lästig
empfundene und verspottete preußisch-deutsche Talent der Zucht und
Ordnung in großartige Wirksamkeit. Unser Aufmarsch war ein ganz
bedeutendes Schauspiel; die öffentlichen Kundgebungen der jetzt in
Deutschland befehlenden Kommandeure sind oft von plastischer Kraft
und Kürze; und das Bild, das unsre Truppen gewähren, beweist, wie
viel geistvolle Willenskraft hier an der Arbeit gewesen, um das zu
leisten, was der Generalstab und alle einzelnen Teile vollbracht haben.
Dazu gibt unser Hauptquartier in seinen Berichten vom Schlachtfeld
durch knappe Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit ein Vorbild gegenüber
den geradezu unglaublichen Lügenphrasen rund herum. Zucht, Wahrheit,
Sachlichkeit gegen Tücke, Phrase, Barbarei!

Zu dreien und vieren und fünfen sind sie über uns hergefallen. Einer
allein wagte nicht, mit des Reiches Stärke anzubinden. Das Gespenst
Eduards und seiner Einkreisungspolitik treibt jetzt seine Dämonen auf
uns los. Ahnen sie Deutschlands künftige Bestimmung und wollen uns noch
beizeiten ducken? Sie tun unsrem Mut Ehre an, indem sie uns eine so
ungeheure Belastungsprobe zutrauen. Recht so! Nur heran! »Hier werden
noch Kriegserklärungen entgegengenommen«, hat ein deutscher Spaßvogel
an einen Eisenbahnwagen geschrieben.

Wenn die Reiche der Mitte diese Probe bestanden haben, so wird der
Beweis erbracht sein, daß der deutsche Geist zur Führung Europas
berufen ist.

Wie sich dies äußerlich bekunden wird, das kann nur aus den Ereignissen
selbst als Zellengebilde oder kristallinische Bildung emporwachsen.
Vorerst haben die Ereignisse das Wort.

Kriege sind im ruhigen Werden und Wachsen der Völker die vulkanischen
Ausbrüche: es entladen sich in ihnen Stauungen. Es sind Krisen und
Epochen. Die Befreiungskriege 1813/15 schlossen die napoleonische
Epoche ab; der Krieg 1870 erfüllte den Kaiser- und Einheitstraum der
Deutschen. So empfinden wir alle diesen gegenwärtigen europäischen
Krieg als den Abschluß der letzten vierzig Jahre, dieser Blütezeit
naturwissenschaftlicher, technischer und kaufmännischer Entwicklung --
einer Entwicklung nach außen.

Wir haben uns nicht aus Haß zum Krieg entschlossen. Alle betonen
-- Naumann in seinen trefflichen Gedanken über »Deutschland
und Frankreich« ebenso wie Sven Hedin aus seinen Beobachtungen
heraus --, daß wir zumal Frankreich nicht hassen. »Keinen einzigen
deutschen Offizier traf ich, der mit Härte über Frankreich sprach.
Alle ohne Ausnahme hegen für jenes große und schöne Land eine
aufrichtige und ehrliche Sympathie« (Sven Hedin). Anders zwar ist
es mit England, dessen Neid und Selbstsucht wir als die treibende
Ursache dieses Weltbrandes empfinden. Aber auch hier wäre es
unsrem Verantwortungsgefühl niemals eingefallen, Krieg zu suchen.
Deutschland wächst, schafft, blüht aus innerem Lebensdrang: es wächst
ganz von selber seinen europäischen Nachbarn über den Kopf. Die
Auseinandersetzung kriegerischer Art mußte endlich, wie eine Krise, wie
ein biologischer oder naturgeschichtlicher Vorgang, die ganz von selbst
entstandene Elektrizität entladen. Dieser Krieg ist eine europäische
Wachstumserscheinung; es finden Sprengungen, Verschiebungen der
unruhig und noch nicht gut gelagerten Gebilde statt. Und so wachsen wir
nun, von höheren und inneren Mächten gedrängt, hinein in

        _Deutschlands europäische Sendung_.

       *       *       *       *       *

Ein Wachsen ist es.

Darüber noch ein Wort!

Man schaue einmal zurück auf die Entwicklung der einzelnen Kulturen:
wie sich da zerstreute kleinere Gebilde unter Kämpfen der Anziehung und
Abstoßung schließlich zu Großgebilden zusammenzogen.

Erst hatten wir Flußkulturen: am Indus, Nil, Euphrat-Tigris, Jordan.
Dann erweiterte sich der Ring zu Binnenmeerkulturen: Griechenland,
Karthago, Diadochen-Reich, Rom. Dann kamen die großen ozeanischen
Kulturen der Gegenwart.

So war Deutschland erst eine Vielheit von Kleinstaaten, ehe es sich zum
Großstaat auswuchs. So waren Frankreich, Spanien, Italien zerfahrene
Einzelgruppen, ehe sie sich in Monarchien zusammenfaßten. So bestand
in jahrhundertelangen Kämpfen zwischen Schottland, England, Irland
feindliche Wechselwirkung, bis ein Großbritannien Angelsachsen,
Normannen und Kelten einheitlich umspannte. Das ist die Bedeutung der
Kriege: es sind Mischungen, neue Gruppierungen.

Ähnlich steht es jetzt zwischen Deutschen und Franzosen: es handelt
sich um die Vorherrschaft auf dem Festland. Wie in Britannien wird
sie auch hier den triebkräftigen Germanen zufallen, ohne daß dadurch
der Kulturwert der gallischen Rasse vernichtet zu werden braucht.
Doch ich fürchte: Frankreich wird, wie die anderen Romanen, zu einer
politischen Macht zweiten und dritten Ranges herabsinken, weil kein
genialer Staatsmann beizeiten den Bazillus der Revanche-Idee aus dem
französischen Nationalblut entfernt hat. Sie starrten unser Elsaß an,
die Verblendeten, statt im Ganzen der Welt neuen Lebensspielraum zu
suchen und mit Deutschland Freundschaft. Die Russen aber: sie werden
durch diesen Krieg aufgerüttelt und auf sich selbst zurückgeworfen,
um dort endlich ihr eigenes, verwahrlostes Inneres zu kultivieren,
wo es wahrlich genug zu bessern gibt -- eine Aufgabe, zu der das
Russentum bis jetzt von sich aus nicht fähig war, trotz aller Bomben
verzweifelter Nihilisten.

Unser Ziel aber auf dem Festlande wird sein: unter Führung der
Zentralmächte ein freies und friedliches

        _europäisches Großgebilde_.

       *       *       *       *       *

Das ist der äußere Bau. Er ist nicht unsre Sache; wir werden dies der
künftigen Staatskunst überlassen.

Ob das Polnische Reich wieder erstehe; ob die baltischen Provinzen von
Rußland frei werden; ob von Belfort bis Lüttich und an den Kanal das
Reich sich nach Westen schirmen wird, wie ja schon einmal jene Bezirke
zum Weltreich Karls ~V.~ gehörten: das ist Sache der Fachleute und der
Kriegsentscheidung. Jetzt ist ja noch alles flutende Völkerwandrung.

Unsre Aufgabe in dieser Schrift ist innerlicher Art.

Deutschland ist geographisch Europas Mitte. Deutschland ist, nach
Hölderlins schönem Wort, der Völker heilig Herz. Zentralmächte
nennt man uns jetzt schon politisch; und so werden wir etwas wie
Zentralkräfte in uns entwickeln müssen. Kräfte des »Zentrums«, der
Innerlichkeit: Kräfte der Herzensgenialität oder des schöpferischen
deutschen Gemütes.

Das ist es also, was ich eingangs dieser Betrachtungen meinte: dem
deutschen Reichskörper muß eine deutsche Reichsseele geschmiedet werden.

Des Reiches Krone wurde geprägt in zwei raschen glücklichen Kriegen;
die deutsche Seelenkrone ist jetzt zu schmieden im größeren Kampf
gegen halb Europa, ja die halbe Welt. Nur Kampf und Not entfalten
Seelenkraft. Wir wollen es nicht spielend gewinnen: »Des Herzens Woge
schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte
stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstünde« (Hölderlin). Unsere
seelischen Muskeln, wenn ich so sagen darf, sollen durch Widerstand
geübt werden. Jeder Einzuweihende, in Eleusis oder wo es sei, mußte
und muß durch Feuer und Wasser hindurch, um seines Geistes und
Mutes Schulung und Stärke zu beweisen. Und so machen wir jetzt eine
Einweihung durch. Wir dürfen, als eine der vielen Möglichkeiten der
Betrachtung, diesen Krieg einschätzen als

        _Deutschlands Schulung_.

       *       *       *       *       *

Unser Sieg wird eine noch größere Aufgabe eröffnen, als dieser große
Krieg.

Wenn unsre Feinde um uns her Deutschlands Kraft und Größe erlebt haben;
wenn sie das Schwert aus den Händen legten und nun herhorchen und
Deutschlands Vorangehen und Beispiel erwarten: welche _innere Welt_
werden wir diesen entleerten Völkern bieten? Womit werden wir uns,
womit werden wir sie auferbauen? Mit welchem Seelengehalt werden wir
unsren Reichskörper füllen und adeln?

Genügen da politische und wirtschaftliche Maßnahmen? Haben wir damit
Elsaß-Lothringen innerlich erobert? Genügt eine bloß geographische
Umgestaltung Europas?

Oder erwarten dann die verbitterten Herzen unerhörte Neugedanken und
Neugebilde auf seelischem Gebiet?

Da irgendwo steckt Deutschlands schwerster Beruf.

Wir werden siegen, wenn wir des Sieges würdig sind. Wir werden des
Sieges würdig sein, wenn wir nach so viel Außenkultur etwas sehr
Wichtiges zu übernehmen fähig sein werden: nämlich

        _die seelische Höherführung der Völker_.

       *       *       *       *       *

In diesem Sinne wird man von uns Großtaten des Herzens und des Geistes
erwarten, kongenial den Großtaten des Krieges. Man wird von Deutschland
etwas wie einen Tempelbau erhoffen: eine neue Weihe des durch
Mammonismus und Materialismus entweihten Zeitalters.

Das geht wie eine tiefere und tiefste Ahnung durch das jetzige
Zeitgemüt, soweit es nicht in seinen Instinkten gebrochen ist durch den
Tanz um das Weib oder um das goldene Kalb. Die Gesammelten unter uns
spürten da längst ein Pochen in den Tiefen der unbefriedigten modernen
Seelen.

Es wird jetzt ein »Haßgesang gegen England« verbreitet (»Drosselnder
(!) Haß von siebzig Millionen«), den ich als Zeitstimmung verstehe, in
der Form aber ebenso bedaure wie manche andere verfrühte und verzerrte
Reimerei der Gegenwart. Wir sollten zu stolz sein, Haß zu »schwören«;
was nebenbei unsre Feldgrauen gar nicht nötig haben, denn sie sind auch
ohne Racheschwur und derlei Firlefanz gewillt, die Engländer zu hauen.
Das berühmte Römerwort vom ~Furor teutonicus~ heißt nicht teutonischer
Haß, sondern teutonischer Zorn, mit dem Beigeschmack der Wucht und des
Ungestüms -- ein stolzer, heiliger, unwiderstehlicher Zorn, dem aber
nachher wieder der heitere blaue Himmel ausgleichend folgt. Undeutsch
sind die knirschenden Empfindungen des berüchtigten Rachepsalms (137):
»Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und zerschmettert sie an
den Steinen!« Dagegen gefällt mir ein Wort, das ich neulich in einer
Tageszeitung fand (Paul Ernst): »Die Deutschen sind von den größeren
Völkern das stolzeste. Sie haben den _großen Stolz_, den, der auf das
Seelische geht und oberflächlichen Betrachtern leicht als Demut und
Bescheidenheit erscheint. Das unverstandene Gefühl dieses Stolzes hat
viele Gegnerschaft gefunden. Noch kürzlich schrieb Karl Peters, daß
die Engländer uns verachten, wenn wir ihnen nicht mit gleicher Marke
heimzahlen ... Das wird nicht hindern, daß deutsche Art die Welt
beherrschen wird und nicht englische Art.«

Ja, so ist es. Und mit edlem Stolz verbindet sich ohne Mühe edle
Liebe. Stolz und Liebe ergänzen einander wie Mann und Weib, wie Starkes
und Zartes, wie Würde und Anmut. Wenn ich über mein Lebenswerk ein
Leitwort setzen möchte, so dürfte es wohl das Wortepaar Stolz und
Liebe sein: stolze Liebe, liebender Stolz. So verdienen denn Eugen
Kühnemanns schöne Worte »an die deutsche Jugend im Weltkriegsjahr 1914«
(Leipzig, K. F. Koehler) wörtliche und warme Zustimmung: »Ihr werdet
in der Feindschaft nicht die Liebe für die bessere Seele des Feindes
vergessen. Der Sinn des Krieges liegt in dem Frieden, zu dem er führt.
Tragt als Krieger den hohen Sinn des kommenden Friedens in euch, daß
der Völkerhaß dennoch in einem neuen Reich der Liebe ende! Dies ist die
tiefste deutsche Art: in allem, was Menschenantlitz trägt, und in jeder
Volksart eine eigene Gestalt der Menschheit und in ihr eine Offenbarung
Gottes zu lieben. Das Reich der verstehenden Menschenliebe ist das
Reich des deutschen Geistes.«

Vor der Gefahr der Weichmütigkeit ist diese verstehende Menschenliebe
bewahrt, sobald sie sich mit Stolz und Würde paart. Denn sie ist wie
eine edle Jungfrau, die neben einem wuchtig gepanzerten Ritter leicht
und sicher durch den Wald geht.

Wenn wir mit diesem Stolz den jetzigen englischen Geist ablehnen, so
sind wir von gutem Instinkt beraten. Denn dort drüben hat seit vielen
Jahrzehnten, von Propheten wie Ruskin oder Carlyle mit zorniger Sorge
umsonst gebrandmarkt, eine Landverödung und Seelenverödung Hand in
Hand mit rücksichtsloser Politik des Geldmachens gearbeitet, so daß
endlich einmal die Katastrophe kommen mußte. Die Grundlage einer guten
Volkswirtschaft war je und je das gesunde Verhältnis zwischen Handel
und Landbau: zwischen dem Beweglichen und dem Steten im Volkskörper.
Nimmt die heute allgemeine Gefahr der Landflucht und des Massenandrangs
in Fabriken und Großstädten weiter zu; vermehrt sich in Deutschland der
östliche Zudrang einer polnisch-galizischen Unterschicht, die nach und
nach in unser Volkstum hineinwächst: so werden Mächte über Deutschland
die Oberhand bekommen, die den deutschen Charakter zum Unguten
verändern werden. Bis jetzt ist noch jene Anekdote bezeichnend, die
neulich durch die Blätter ging: ein Engländer äußerte, falls dies
und das geschehe, würde England kämpfen bis zum letzten Penny. »Und
Deutschland bis zum letzten Blutstropfen«, versetzte der Deutsche
schlagfertig. Dort Penny -- hier Blut; dort Söldner -- hier Volk; dort
Geschäft -- hier Erlebnis! Das ist der Unterschied zwischen englischer
und deutscher Kriegsauffassung.

Der Deutsch-Engländer Houston Stewart Chamberlain, ein Geist von
europäischer Spannweite, der sich äußerlich und innerlich in Wagners
Welt eingebürgert hat, schrieb in diesen Tagen einige herbe Aufsätze
über englische Art (Tägl. Rundschau, 252 ff.). Wir alle kennen und
lieben an Shakespeares Dramen und Scotts Romanen das »~merry old
England~«, das heitere Alt-England aus den Zeiten etwa der Königin
Elisabeth. Aber mit zunehmender Schiffahrt (Sklaven- und Opiumhandel!)
nebst Begleiterscheinungen seeräuberischer Art und einseitig
zunehmender Industrie ist das fröhliche Alt-England zugrunde gegangen.
»Heute ist die letzte Spur zertreten: man trifft in England keine
Behäbigkeit, keinen breiten, _gütigen_ Humor, keine _Heiterkeit_ an;
alles -- soweit das öffentliche Leben in Betracht kommt -- ist Hast,
Geld, Lärm, Pomp, Protzentum, Vulgarität, Arroganz, Mißmut, Neid.
Man erinnert sich des schönen altenglischen Weihnachtsfestes mit dem
Schmuck von fruchttragenden Stechpalmen und den Mispelzweigen, unter
denen unschuldige Küsse gestohlen wurden; am wenigsten an diesem
Tage war, selbst noch vor dreißig Jahren, in ganz England auch nur
ein Mensch aus seinem Heim zu locken; heute sind die Säle aller
Riesengasthäuser Londons schon wochenlang vorher ausvermietet; an
tausend Tischen sitzt Familie an Familie, ißt und zecht und lärmt, bis
dann um Mitternacht das gemeinsame Abbrüllen trivialer Gassenhauer im
Stile des widerlichen ›~for he's a jolly good fellow~‹ anhebt, nach
welcher Verbrüderungsfeier die Tische schnell abgeräumt werden und
nun alle diese Jünglinge und Mädchen, die sich vorher nicht kannten,
sich dem Genusse von Negertänzen hingeben, während die Gesetzteren in
Nebenräumen Karten spielen: so wird heute die Geburt unseres Heilandes
Jesus Christus in England gefeiert!«

Wir andren, die wir uns nur wenige Wochen oder Monate in England und
Schottland aufgehalten haben, können hier natürlich nicht mitreden.
Aber ergänzend und verallgemeinernd darf man doch hinzufügen: die hier
geschilderte seelische Verrohung -- der bis in den höchsten Adel hinauf
ein rücksichtsloses Geldmachen entspricht -- ist vielleicht nicht nur
eine englische Zeiterscheinung. Sie scheint uns der Stimmung der jetzt
ablaufenden Erdepoche überhaupt zu entsprechen. Gerade dieser Zeitgeist
soll künftig durch ein erneuertes Deutschland -- durch die werdende
deutsche Reichsseele -- überwunden werden: auch in uns selber. Und so
haben die obigen Feststellungen auch für unser Deutschland den hohen
Wert der anschaulichen Warnung.

Unser stolzer Denker Fichte, der einst in schwerer Zeit seine mutigen
Reden an die deutsche Nation gewagt hat, wird jetzt wieder zeitgemäß.
Er ist ein Beweis, wie gut sich Stolz und Liebe in Tat und Denken
paaren. In seinen Vorlesungen »Anweisung zum seligen Leben« betont er:
»Der Mittelpunkt des Lebens ist allemal die Liebe. Was du liebst, das
lebest du.« Das Herz baut von innen heraus; und so wird die Reichsseele
von innen heraus Zelle an Zelle setzen vermöge der gestaltenden Kraft
der Liebe.

Aber Liebe wozu?

Da erhebt sich nun die ganze Würde unserer deutschen Sendung. Unsre
großen Denker und Dichter haben uns die heute -- im Zeitalter
einseitiger Sinnlichkeit -- leider beschattete und getrübte Antwort
längst in Klarheit erteilt. »Das wahrhaftige Leben liebet das Eine,
Unveränderliche und Ewige« (Fichte). Es ist eine stolze Antwort; und
sie muß immer wieder lauten:

        _Liebe zum Ewigen in den Dingen_.

       *       *       *       *       *

Der Krieg mußte kommen. Die elektrische Entladung der europäischen Luft
war eine Lebensnotwendigkeit. Wir hatten keinen Sauerstoff, keinen
Himmel mehr; wir drohten im sinnlichen Dunst und im Kleinmenschlichen
zu ersticken.

Ein junger Grieche, der in Jena studierte, sprach einmal zu einem
meiner Verwandten ein ernstes Wort. »Wissen Sie, weshalb trotz
aller Fortschritte in Industrie und Technik so viel Unbefriedigung
in der modernen Welt ist? Weil Deutschland nicht mehr vorangeht.
Worin vorangeht? In dem, was man ehedem deutschen Idealismus genannt
hat. Wir Ausländer kommen hieher und suchen das Geistesland eines
Goethe, Schiller und Kant, eines Beethoven und Mozart -- und machen
die Entdeckung, daß ihr in dem rasenden Wettbewerb um zeitliche und
sinnliche Dinge ebenso mitmacht wie alle andren.«

Wie alle andren -- ja, aber in den Tiefen haben die Besten von uns
unsäglich gelitten. Ernst Horneffer gibt einer verbreiteten Stimmung
Ausdruck, wenn er in seinem Schriftchen »Der Krieg« (München,
Reinhard) ausführt: »Das Volk der Denker und Dichter war gar nicht
mehr wiedererkennbar. Die Seele mit ihren zarteren Regungen und
innigeren Bedürfnissen kam zu kurz« -- denn unsre Väter, das Reich
ausbauend, waren notwendigerweise »ganz hingegeben den drängenden
Arbeiten des äußeren Lebens in Wirtschaft und Staat. Aber wenn nun
das Herrliche wirklich geschieht: nach dem großen Kriege der große
Sieg -- dann müssen wir nachholen, was der rauhe Pflichtdienst unsren
Vätern versagte; ein Reich des Geistes, der Wahrheit und Schönheit, ein
hehres, edles, inneres Reich müssen wir in das machtvoll herrschende
äußere Reich einbauen«.

Man hört hier denselben Klang wie oben bei Kühnemann. Und so war eins
der markantesten Bücher der letzten Jahre Rudolf Euckens »Sammlung der
Geister«, das von derselben Sorge durchbebt ist.

Wir saßen einmal, wenige Monate vor dem Kriege, in Darmstadt beisammen,
etwa fünfzig Herren mit einigen Damen, und berieten in Anknüpfung an
Euckens zeitgemäßes Buch: wie können die Menschen, die irgendwie
auf idealistische Weltanschauung gestimmt sind, mehr untereinander
Fühlung und auf den Zeitgeist Einfluß gewinnen? Unversehens war man
mitten im Gründen eines Vereins und einer Zeitschrift, wie das ja bei
Deutschen nicht leicht anders möglich ist. Da erhob sich einer und
sprach aus dem Unmittelbaren heraus: »Ich bin hiehergekommen aus einer
seelischen Not; ich will vor allem mich selber aufrichten im Verkehr
mit Gleichgestimmten; lassen wir also zunächst dieses Hinauswirken,
denken wir an unsre gemeinsame innere Not!« Das Wort fand Widerhall.
Die Erörterung verflüchtigte sich dann freilich; und es ist wohl
selbstverständlich, daß kein bestgeleiteter Verein, keine Methoden,
nichts, aber auch nichts -- die Arbeit hätte verrichten können, wie sie
nun der seelenaufrüttelnde Krieg vollbringt.

Die Stimmung war ungefähr so, wie sie der tempelhaft dunkle Lyriker
Stefan George in zahlreichen Zeitgedichten geprägt hat, z. B. in
folgendem (Der Stern des Bundes, Berlin 1914):

    Aus Purpurgluten sprach des Himmels Zorn:
    »Mein Blick ist abgewandt von diesem Volk.
    Siech ist der Geist, tot ist die Tat!
    Nur sie, die nach dem heiligen Bezirk
    Geflüchtet sind auf goldenen Triremen,
    Die meine Harfe spielen und im Tempel
    Die Opfer tun -- und die, den Weg noch suchend,
    Brünstig die Arme in den Abend strecken:
    Nur deren Schritten folg' ich noch mit Huld.
    Und aller Rest ist Nacht und Nichts.«

Wir können nicht untersuchen, woran diese dumpf-sinnliche Verfilzung
des Zeitgeistes lag; wir haben aber am eigenen Leib gespürt, wie weh
sie auf uns gewirkt hat. Wenn Raabe oder Feuerbach, Grillparzer,
Böcklin, Thoma und manche andre bis zum heftigen Naturell Nietzsches,
der bekanntlich kurz vor seinem Wahnsinn überhaupt keinen Verleger mehr
gefunden hat -- wenn diese und ähnliche geistigen und künstlerischen
Mächte spät oder bei Lebzeiten gar nicht zur Wirkung gelangt sind: lag
es wirklich an einer boshaften Versippung der Mittelmäßigen? Herr im
Himmel, was für fade Ästheten des Auslandes hat man bei uns verhimmelt!
Ist es bezeichnend für das verflossene Jahrhundert, daß an seinem
Anfang sich Kleist erschoß und an seinem Ausgang Nietzsche irrsinnig
wurde? Hat der bittere Abseiter Bleibtreu recht, wenn er in einer
Schweizer Zeitschrift ausruft: »Man hat das beklemmende Schauspiel, wie
verzweifelt und ohnmächtig die öffentliche Meinung Deutschlands als
Presse sich unter internationaler Verleumdungsmache windet, wie alles
Wahrheitreden brutal unter die Füße gestampft wird und die vorgefaßte
Meinung sich einfach nicht bekehren lassen will. Welche Tücke, welche
Bosheit! schreit die deutsche Presse. Ja wohl, nie würdet _ihr_ so das
_Ausland_ verleumden: wohl aber eure Landsleute im Inland, wenn sie
euch unbequem sind!«

Wahrlich, wieviel gehässige Spannungen zwischen den einzelnen Menschen,
welches planmäßige Verachten oder Totschweigen zwischen literarischen
Gruppen: zwischen Parteien, Konfessionen, Rassen und Klassen! Wieviel
geheime Tragik! Als Schriftsteller hat man, durch mannigfache Reisen
oder durch vertrauensvolle Briefe, manche Möglichkeit des Einblicks
in das stille Hinsiechen edler, brutal zertretener Seelen, während
die feiste Roheit gedeiht. Wer sich da nicht einstellen kann auf das
Ewige in den Dingen, wer nicht durch fortwährende Übung und Trainierung
das Sonnige in sich zu erzeugen und wachzuhalten vermag: der wird in
diesen Kleinmenschlichkeiten zerrieben. Kein »Wille zur Macht« erlöst
uns von diesem Zeitgeist, sondern nur -- wie ich einmal ausführte
(»Parsifal und Zarathustra«) -- der Wille zur schöpferischen Liebe. Es
ist Herbst in Europa: wir frieren und hungern in dieser verfluchten
Nützlichkeits-Weltanschauung. Wo strömt denn noch drängende Fülle des
Herzens, wo belebt uns noch sprudelnde Melodie überreicher Menschen?
Wo sind sie denn? Uns vertrocknete ja in dieser Verständelei der
magnetische Strom, der Herzen mit Herzen verbindet, jenes Überschäumen
genialster Art, wie es in mittelalterlichen Formen einst ein Franz
von Assisi in den erkalteten Zeitgeist geworfen hat. Nicht neue
Richtungen, wie diese schauerlichen Ismen Futurismus, Kubismus, nicht
sinnliche Fratzen noch erotische Tänze, wir haben genug von dem wüsten
Zeug! Eine tapfere neue _Liebesmacht_ überweltlicher Art muß durch
unsre Herzen brausen wie ein alles überschwemmender, alles ausfüllender
und erfüllender Strom.

Vorerst haben wir jenen feilen Geist noch nicht aus seiner Hochburg,
dem Theater und dem Kabarett, hinweggespült. Nach den empörten Stimmen
ernster Kritiker wagt er sich auch an unsre Verwundeten heran, die
dann mit schlecht verhehlter Enttäuschung solche aufgezwungenen
Unterhaltungsabende verlassen. Alles Nationale haben jene Burschen als
Epigonentum verhöhnt; jetzt machen sie es als Mode mit, von der Wucht
der Stunde gezwungen, und verzerren es zugleich. Mehrfach ruft man
jetzt sogar nach Wildenbruch, dem man das Leben verbittert hat!

Da erheben uns ganz anders Kriegserlebnisse, unmittelbar und
ergreifend, fernab von den einst so wichtig genommenen Brünsteleien der
Kunst. Aufs Geratewohl sei aus dem vielen herausgegriffen, was z. B.
ein Nürnberger Stadtpfarrer in einem Flugblatt mitteilt:

»Im verdunkelten Zimmer liegt ein Schwerverwundeter auf dem
Sterbelager. Die schöne, jugendkräftige, durchschossene Gestalt
hingestreckt in Todesnot. Er betet mit mir in lauten Worten die alten
Lieder aus dem Dreißigjährigen Kriege, die uralten Kernsprüche aus der
Heiligen Schrift für die Not aller Zeiten. Sie haben an Kraft nicht
eingebüßt. Wie ihm das alles gegenwärtig ist: ›Wenn ich einmal soll
scheiden, so scheide nicht von mir‹, bis hin zu dem Friedenswort: ›Wer
so stirbt, der stirbt wohl‹, wie ihm das heilige Bild des Helden und
Retters von Golgatha zum Schilde wird im letzten Kampf! Dann sagt er
mir seinen letzten Willen. Ich schreibe die schlichten, stoßweisen
Worte auf: ›Die Meinen sollen glauben ihr Leben lang, daß Gott uns
nicht verläßt, darum sollen auch wir ihn nie verlassen. Von den
Schrecken des Krieges und meinen Leiden soll vor ihnen _geschwiegen_
werden.‹ Noch einmal ein Aufflackern der Kraft und dann ein Sinken in
Gottes Arme, der unsere Zeit in seinen Händen hat.«

Und ein zweites:

»Gedenke daran, daß, wenn dein Mann fällt, du eines Helden Weib gewesen
bist«, so las ich auf der Feldpostkarte eines _Arbeiters_ an seine
Frau. Er ist gefallen. Auch sein letzter Wille war: »Faßt unsern Tod
_groß_ auf!«

Groß! Da liegt es. Das europäische Dichten hatte wohl noch viel
Sinnlichkeit und Verstand: aber keine wahre _Herzensgröße_. Leid
und Heldentum kommen jetzt bis in die ärmste Hütte und bis in den
reichsten Palast. Und jeder, der einmal an einem Sterbebett geliebter
Wesen oder an ihrem Grab gesessen und gesonnen hat, fühlt das Gezänk
des Geschmäcklerwesens in Wissenschaft und Literatur weit, weitab
verkläffen: er sitzt an Mimirs Born und lauscht mitfühlend dem Leben
selber.

Da irgendwohin will nun die Lebensentwicklung der Gegenwart eine Wende
machen. Für diesen neuen Geist opfert sich unsre prachtvolle Jugend
draußen in der Herbstnässe. Was ist denn jene seelische Not, aus der
wir dort in Darmstadt zusammengekommen sind? Was suchten all die
stillen Gralsucher in Deutschland -- etwa die vielen neugermanischen
Verbände und Logen, die Anhänger eines Müller-Mainberg, die Theosophen
um Steiner, die christlichen Gruppen, die Vegetarier, die Reformer,
und wie das alles heißen mag: -- was ist da für eine geheime Unruhe im
religiös-philosophischen deutschen Gemüt der Gegenwart? Pocht da irgend
etwas im Bergwerk? Ist eine neue Zeitstimmung an der unterirdischen
Arbeit?

Sie ist uns willkommen, wenn sie einen frommen und doch freien
Menschentypus schafft wie Schiller oder Walther von der Vogelweide.
Ging nicht auch die Witterung eines Nietzsche nach einem »Übermenschen«
jenseits des jetzigen Menschenmaßes? Mag sein »Antichrist« kommen: wir
erwarten aber noch sicherer und sieghafter die kommende Christus-Güte.

Hier harrt unser eine Heldenaufgabe, die den Kämpfen draußen im
Schützengraben ebenbürtig ist.

Allem Vereinfachen des Monismus zu Trotz ist der Mensch ein vielfältig
Gebilde, mindestens eine elektrische Spannung _zweier_ widerstreitender
Kräfte: es ist in uns eine Polarität zwischen ~animal~ und ~anima~,
zwischen Tier und Geist, zwischen Schwerkraft und Schwungkraft.
Dehmel, der jetzt trotz seiner mehr als fünfzig Jahre die Flinte
trägt, hat diesen Zwiespalt oft geformt; er, dessen Geist immer mit
einer Dumpfheit des Trieblebens rang, scheint sich nun dem Krieg wie
einem Befreier vom Individualismus in die Arme zu werfen, froh des
Anschlusses an sein Volk, froh der würdigen und großen Aufgabe. Nur im
kämpfend zu erringenden Ausgleich oder Gleichgewicht zwischen jenen
polaren Kräften ist der Idealzustand starken und edlen Menschtums
erreichbar. Es ist wie die elektrische Spannung zwischen Sonne
und Erde: eine Zweiheit, auf der letzten Endes das Geheimnis der
Lebensflamme beruht.

Der oben genannte Chamberlain beginnt in seinem »Goethe« (München
1912) ein Kapitel mit folgenden Worten: »Es ist keine Redeblume, wenn
ich behaupte, in diesem ersten antinomischen Widerstreit zwischen Maß
und Ungemessenem, zwischen Schranke und Schrankenlosem, zwischen Teil
und Ganzem liege der Grundstein zu Goethes Weisheit eingemauert« (S.
573). So ist es in der Tat auch meiner Überzeugung nach (vgl. Wege
nach Weimar, Bd. ~VI~). Alles Geniale des Geistes und alles Große des
Herzens wird nur herausgeschlagen durch Widerstreit und Wechselwirkung
der Kräfte. Liegt hier vielleicht für alle vornehmen Naturen ein
seelischer Hauptwert dieses Krieges? »Denn wir ahnen die furchtbaren
Bedingungen, unter welchen allein sich selbst das entschiedenste
Naturell zum Letztmöglichen des Gelingens erheben kann«, äußerte Goethe
vor Meisterwerken des scheinbar so mühelos und sonnig schaffenden
Raffael.

So wird denn auch die deutsche Reichsseele nicht so einfach von außen
erkämpft und uns dann bequem geschenkt oder verabreicht, sondern
dieses Werden findet jetzt in uns allen statt. Diese Reichsseele, von
der hier wiederholt gesprochen wurde, ist eine gemütserschütternde
Geburt oder Errungenschaft; alle, denen es ernst ist, arbeiten an ihrer
Gestaltung. Dieses Gottesreich ist kein fertiges Gebilde, das irgendwo
wartet: es kann nur durch uns, in uns und an uns erlebt und durch
Erlebnis gestaltet werden. Unser Seelisches arbeitet jetzt an diesem
noch unfertigen Ideal. Fertig ist vorerst nur, vorhanden und wach die
durch den Krieg großzügig und glutvoll belebte

        _schöpferische Stimmung_.

       *       *       *       *       *

Auf diese jetzt arbeitende schöpferische Stimmung setzen wir unsre
Hoffnung. Und unsre Bitte sei diese: daß uns fortan nicht mehr »der
klügelnde Sinn« bewegt, sondern daß uns »beflügelnde Liebe trägt«. Es
gibt neue Reiche zu erobern, deutsche Jünglinge, sobald Kanonen und
Gewehre ihre jetzige Arbeit getan haben! Nämlich Reiche der Innenwelt.
Dieselbe Tapferkeit, die jetzt unser Außenreich verteidigt, wird auch
das Innenreich nicht in Träumerei betreten, sondern in Eroberungsdrang.
Aber mit Beherzigung der obersten aller Kräfte: der Ehrfurcht vor
dem, was in und über uns, um und unter uns ist (Goethe). Jünglinge
werden sich gegenseitig stärken als gute Kameraden in diesem Kriegszug
nach dem unentdeckten Lande: nach dem Lande der Seelenschönheit, der
Herzensgüte, des Menschenadels.

Wir sind das innerlichste Volk. Unser Wald ist berühmt durch forstliche
Pflege. Wir Deutschen brauchen zur Erholung und Besinnung immer
wieder den Wald. Aus dem Urwald ist unsre Zivilisation und Gesittung
emporgerodet worden; unsre Ahnen lebten, jagten, beteten im Walde;
unser deutsches Dichten ist in erster Linie berühmt durch Natursinn.
Der Klang »Teutoburger Wald« steht am Eingang unsrer Geschichte; und
wiederum der Klang »Sachsenwald« weckt eine Welt voll vaterländischer
Gefühle. Wir lieben des Waldes Innerlichkeit und Tiefe; das Waldweben
im »Siegfried« und der Karfreitagszauber in desselben deutschen
Meisters »Parsifal« sind jedem gebildeten Deutschen bekannt und lieb.
So auch der Osterspaziergang im »Faust«, so Grimms Märchen, Löwes
Balladen, Schwinds und Richters Gemütsromantik. Deutsches Gemüt und
deutsche Natur, obenan der Wald, gehören zusammen. Böcklin hat uns
einen heiligen Hain und fremdartig tiefe Landschaften gemalt. Wohlan,
so kann ein seelenvolles Deutschland für Geister und Herzen Europas ein
_heiliger Hain_ der Sammlung werden: der Einstellung auf das Ewige.

Diese Stimmung haben feinbesaitete, melodische Sänger und Seher wie
Hölderlin und Novalis ersehnt.

    »Genius unsres Volks,
    Wann erscheinest du ganz, Seele des Vaterlands,
    Daß ich tiefer mich beuge,
    Daß die leiseste Saite selbst
    Mir verstumme vor dir, daß ich beschämt und still,
    Eine Blume der Nacht, himmlischer Tag, vor dir
    Enden möge mit Freuden ...
    Wenn unsere Städte nun
    Hell und offen und wach, reineren Feuers voll,
    Und die Berge des deutschen
    Landes Berge der Musen sind,
    Wie die herrlichen einst: Pindos und Helikon« ...

So sang Hölderlin im Eingangsjahr des vorigen Jahrhunderts und ersehnte
-- er, der im »Hyperion« mit so zorniger Liebe sein Deutschland
anklagte -- in demselben Gedicht »rings unter des Vaterlands goldnem
Himmel die freie, klare, geistige Freude«.

Wir haben sie längst, die heiligen Stätten und Berge, wir haben
Wartburg und Weimar im innersten Deutschland, wir haben Sanssouci,
den Kyffhäuser, den Brocken -- und nicht dies allein, denn das sind
ja schließlich nur Orientierungspunkte: wir haben aber auch in
deutscher Philosophie, Religion, Dichtung, Kunst und Musik eine Fülle
von Weistümern, von Tempeln und melodischen Hainen. Politisch und
wirtschaftlich mag sich Europa gestalten, wie es eben der Staatskunst
der Europäer glücken mag; aber geistig werden sie, so hoffen wir, in
unsre reinlichen deutschen Gassen und Haine kommen, wie einst Gäste
aus dem ganzen Mittelmeergebiet zu Pythagoras und Plato oder zu den
olympischen Spielen gekommen sind.

Dies, und nichts anderes, ist unser eigentlicher »Imperialismus«,
der jetzt so viel gescholten wird. Es ist einer unsrer tiefsten und
stolzesten deutschen Gedanken: der Reichsgedanke. Einst trug er den
weihevollen Namen »das heilige römische Reich deutscher Nation«; es ist
die Vorstellung eines mächtigen Friedensreiches auf Erden; selbst im
»Zukunftsstaat« der Sozialisten schimmert dieses Ideal hindurch. Durch
Geschichte und Dichtung geweiht, liegt auch heute noch Kraft und Zauber
in Wendungen wie »des Reiches Krone« oder »des Reiches Herrlichkeit«.

Kant oder Augustin und andere sprechen in Anknüpfung an das Neue
Testament von einem »Reich Gottes auf Erden«, von einem »Gottesstaat«,
einem »Königreich der Himmel«, und wie die Umschreibungen für
ein Neuland der Seele lauten mögen. Am Schluß der Edda ist von
einem neuen Himmel und einer neuen Erde die Rede; und so auch am
gewaltigen Schluß der Bibel (Offenbarung Johannis). Hier klingen die
schauerlichen Strafgerichte zuletzt in das strahlende, friedensvolle
Gesicht einer leuchtenden Stadt aus: der Seher sah diese Stadt Gottes
»herniederfahren aus dem Himmel«; und sah darin »keinen Tempel, denn
der Herr ist ihr Tempel; und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des
Mondes, daß sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet
sie«. Ich will hier einen Gedanken formen, der phantastisch scheint
und doch dem symbolisch geübten Blick sofort als real einleuchten muß:
die Stadt Gottes oder das Idealreich edler Geister und Herzen schwebt
allezeit unsichtbar in der geistigen Luft des Erdballs, in deren
Schwingungen jeder von uns lebt. Das Gemüt des Sehers und Künstlers
fängt Strahlungen von ihr auf; sie leben in ihm als Ideal; das Ideal
fein und schimmernd wie die Zinnen und Bäume einer Fata Morgana, ist
stets gewillt und bereit, sich herabzulassen in die Sichtbarkeit, sei
es in das Herz eines einzelnen, sei es in das Gesamtempfinden eines
würdigen, auserwählten Volkes. Dies ist das Herabsteigen des heiligen
Grals. So schwebten schon Asgard, Walhalla, Folkwang als wahrhaftige
Ideale über und in dem Empfinden der altgermanischen Herzen. Und man
darf nicht etwa wähnen, sie seien nur nebelhafte Widerspiegelungen
irdischen Denkens: -- ist denn etwa die Sonnenglut bloß eine
Widerspiegelung unsrer Herzensglut? Nein, sie ist Tatsache. Und so ist
der Geist und das Göttliche absolute Tatsache; wir ehren und erhöhen
uns, wenn wir unser Inneres zur Höhe des Ideals in Wechselwirkung
setzen -- wie das Auge zur Sonne.

Es ist ein Grundgefühl germanischen Empfindens, die _Tatsächlichkeit_
der geistigen Welt oder des Ideals oder des Himmels oder der Gottheit
genau so stark zu erleben, wie die Tatsächlichkeit der Sonne. Ohne
diese Grundvoraussetzung ist der ganze »Faust« undenkbar; und ebenso
undenkbar Dantes »Comödia«. In beiden Dichtungen sind Vorgänge der
geistigen Welt geschildert, in der ein Teil unsres Wesens immerdar
lebt. Wir müssen wieder symbolisch denken lernen, so werden wir
zugleich geistiger denken und dem Geheimnis des Lebens näherkommen.

Haben wir 1870 eine sinnlich-sichtbare Krone aus Edelmetall
geschmiedet, so handelt es sich jetzt im Jahr 1914 -- unbeschadet aller
äußeren Macht, die wir zu behaupten gedenken -- um die Schaffung einer
Seelenkrone aus einem noch edleren Stoff: aus _Licht und Geist_. Mit
äußerem Blut ist jene Krone gekittet und mit besonnener Begeisterung
geschmiedet; wieder mit körperlichen Opfern -- aber noch mehr mit
_Herzblut_ wird die neue Krone geschmiedet werden. Denn unsre Prüfungen
sind noch lange nicht zu Ende.

Sind wir damals aus einem kleindeutschen zu einem reichsdeutschen
Bewußtsein erweitert worden, so wird jetzt eine andere Kraft in uns die
Knospe sprengen, noch umfassender, noch geistiger:

        _ein kosmisches Bewußtsein_.

       *       *       *       *       *

Ich erwarte in Deutschland das Wiedererwachen der spirituellen oder
metaphysischen Welt. In wem dieses Erleben aufglüht, der ist aus einem
schweifenden Kometen ein beruhigter Planet und schließlich Sonne selber
geworden: er hat die Wärmequelle oder die Gottheit fortan in seinem
eigenen Innern.

So steht der Sonntag -- Sonnen-Tag -- mitten in den sechs Werktagen,
die auf ihn zurollen, sich an ihm sonnen und wieder von ihm
hinwegfliehen, um immer wieder zu kommen. So bewegen sich die Planeten
um ihre Sonne. Und so -- gestatte man uns den Stolz dieses Vergleiches!
-- werden sich die Völker Europas um den Sonntag und die Sonne
Deutschland bewegen. Und die jetzt unsere Feinde sind, werden einst
eines starken, nicht mehr michelhaft weichmütigen, sondern reifen,
charaktervollen, gütigen Deutschlands Gäste und Freunde sein. Wahre
Liebe ist nicht weichlich; der Sonnengott ist auch Drachentöter.

Die Erde wartet wieder auf einen Feiertag. Die Donner des Krieges sind
das Rasseln der Pforten, die ihn auftun. Die Sendung eines Christus ist
noch lange nicht erfüllt. Es ist zu erwarten, daß die in ihm wirkende
kosmische Macht der gestaltenden Liebe immer wieder wirksam wird, wenn
die Dämonen ihr Werk getan haben. Jetzt sind die Geister der Kraft und
des Hasses an der Reihe; nachher treten die Genien der Güte hervor, die
bereits zwischen den Schlachten ihre stille Arbeit verrichten. Durch
die Menschheit geht jetzt ein dröhnendes »Wir«, ein Gesang der Massen;
nachher wird man, nicht in egoistischem, sondern in ewigem Sinne,
wieder sein unvergänglich »Ich« erleben als etwas unendlich Seliges und
Kostbares. Das höhere Ich ist im Heiligtum des Menschen das Innerste,
wie etwa die Ampel über dem Hochaltar der katholischen Kirche. So ist
Deutschland das innerste Land: wo der Mensch zum Bewußtsein seines
unvergänglichen Ich und damit zu einer Neugeburt seines ganzen Wesens
gelangen kann.

Man wagt jetzt wieder, den Namen Gott auszusprechen und etwas dabei zu
empfinden. Man weiß wieder, unter unseres Kaisers Vorantritt, was die
Gedankenwucht des Gebetes heißt: man weiß, daß hier eine Macht des
liebenden Herzens am Werk ist, fürbittende Gedanken, die wie ein Opfer
zum Meister aller Schicksale emporrauchen: »Bewahre mein Liebstes! Und
muß geschieden sein, so gib Kraft und Größe ihm und mir!« Jetzt ist das
Sterben eine landläufige Sache geworden; Ewigkeit dröhnt in den Alltag
herein. Wir spüren den Odem einer unfaßbaren Gewalt, die wir Schicksal,
Vorsehung, Gott nennen -- die kein Mechanismus sein kann, sondern etwas
überaus Lebendiges, das uns und unsre Menschenbrüder durchhaucht. Gott
beweist man nicht: man kann ihn nur erleben und erlieben.

Daß diese erhabene Ruhe, Glut und Größe des Lebensgefühls in uns allen
wieder eine innermenschliche Macht werde: das ist, deutsches Herz,
vielleicht deine schönste

        _Aufgabe der Zukunft_.


_Gräfenroda_ (Thür.), 31. Oktober 1914.



Verlag von Greiner & Pfeiffer, Stuttgart

Friedrich Lienhards Werke


Lyrik

    =Lebensfrucht.= _Gesammelte Gedichte._ Dritte, auch die
      Sammlungen »Lichtland« und »Kriegsgedichte« umfassende
      Gesamtausgabe. 4 Mk., geb. 5 Mk.

    =Die Schildbürger.= Frühlingsdichtung in zehn Gesängen. 2.
      Aufl. Geb. 3 Mk.


Dramatik

    =Till Eulenspiegel.= Narrenspiel in drei Teilen. 4. Auflage.
      2.50 Mk., geb. 3.50 Mk.

    =Münchhausen.= Lustspiel. 2. Auflage. 2 Mk., geb. 3 Mk.

    =König Arthur.= Trauerspiel. 3. Auflage. 2 Mk., geb. 3 Mk.

    =Gottfried von Straßburg.= Schauspiel. 2. Aufl. 2 Mk., geb. 3
      Mk.

    =Odilia.= Legende. 2. Auflage. 2 Mk., geb. 3 Mk.

    =Wieland der Schmied.= Dramatische Dichtung. 3. Auflage. 2 Mk.,
      geb. 3 Mk.

    =Wartburg.= Drei dramatische Dichtungen: »_Heinrich von
      Ofterdingen_«, »_Die heilige Elisabeth_«, »_Luther auf der
      Wartburg_«. 2. Aufl. Je 2 Mk., geb. 3 Mk.; in einem Band 5
      Mk., geb. 6 Mk.

    =Odysseus auf Ithaka.= Dramatische Dichtung. 2. Auflage. 2 Mk.,
      geb. 3 Mk.

    =Ahasver am Rhein.= Trauerspiel. 2 Mk., geb. 3 Mk.


Epik und Prosa

    =Helden.= Geschichten und Gestalten. 2. Aufl. 3 Mk., geb. 4 Mk.

    =Oberlin.= Roman. 16. Auflage. 4.50 Mk., geb. 5.50 Mk.

    =Der Spielmann.= Roman. 10. Auflage. 3 Mk., geb. 4 Mk.

    =Der Einsiedler und sein Volk.= Novellen. 3. Auflage. 2.50 Mk.,
      geb. 3.50 Mk.

    =Wasgaufahrten.= 4. Auflage. 2.50 Mk., geb. 3.50 Mk.

    =Thüringer Tagebuch.= 10. Auflage. 3 Mk., geb. 4 Mk.

    =Neue Ideale.= Gesammelte Aufsätze. 2. Aufl. 4 Mk., geb. 5 Mk.

    =Wege nach Weimar.= 6 Bände. 2. Auflage. Jeder Band einzeln
      geb. 3.50 Mk.

    =Parsifal und Zarathustra.= Vortrag. 3. Auflage. 60 Pfennig.

    =Deutschlands europäische Sendung.= Kriegsgedanken. 17.
      Tausend. 50 Pfennig.





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