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Title: Die Kammerjungfer - Eine Stadtgeschichte
Author: Nathusius, Marie
Language: German
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  Die Kammerjungfer.


  Eine Stadtgeschichte

  von

  Maria Nathusius,

  Verfasserin der Dorfgeschichten: _Martha die Stiefmutter,
  Lorenz der Freigemeindler, Vater, Sohn und Enkel_ u. s. w.


  Halle,
  Verlag von Richard Mühlmann.
  1851.



Es bleibt dabei, ich vermiethe mich! sagte Klärchen zu ihrer Mutter. Eine
Schneiderin führt ein trauriges Leben, ein Tag geht so grau und einförmig
hin wie der andere, keinen vernünftigen Menschen kriegt man zu sehen,
sitzen muß man vom Morgen bis zum Abend, und sitzen bleiben und eine alte
Jungfer werden ist das Ende vom Liede.

Du weißt selbst nicht was Du willst, sagte ihre Mutter. Weißt Du noch,
was Du sagtest vorigen Martinstag, wie Tante Rieke Dir den Rath gab, Du
solltest in einen Dienst gehen? Da hast Du von Sklaverei gesprochen und die
Nase gerümpft, und ich war's auch zufrieden: es wäre doch eine Sünde und
Schande, wenn eine alte Frau allein wohnen müßte ohne Hülfe und Pflege.
Aber ich sage: Du weißt nicht was du willst. Kannst Du's besser haben,
wie Du's jetzt hast? Bist Dein eigner Herr, kannst thun was Du willst, und
brauchst Dich nicht von fremden Leuten traktiren zu lassen. Ach, wenn ich
an _meine_ Jugend denke!

Ja, ja, Deine Jugend kenne ich, fiel ihr Klärchen schnippisch in das Wort;
so dumm wie Du werde ich nicht sein, Du hättest den Rechtsgelehrten nur
festhalten sollen. Tante Rieke sagte vorgestern sehr salbungsvoll, wie
Deine Schönheit Dein Unglück gewesen; da hätte sie nur aufrichtig sagen
sollen: Dein Ungeschick. Ich sage Dir aber, _meine_ Schönheit soll
glücklicher sein. -- Hierbei lachte sie, hüpfte an den Spiegel und ordnete
noch einmal zum Ueberfluß ihren Sonntagsstaat.

So gottvergessen wie Du habe ich nie geredet, entgegnete die Mutter, und
das Unglück ist doch über mich gekommen, ich weiß nicht wie.

Das ist's eben, fiel ihr Klärchen wieder in die Rede: Du weißt nicht wie.
Gerade das nicht Wissen das ist der Fehler, ich werde aber wissen! Und nun
um alles in der Welt, höre auf zu jammern. Heute ist Sonntag. Ursach dazu
hast Du nicht, und ich sehe nicht ein, warum ich zuhören sollte. Mir steht
die ganze Welt offen, und die Welt ist schön, wunderschön! Ich vermiethe
mich, oder ich vermiethe mich nicht, es muß immer gehen. Für jetzt ziehe
ich zur alten Frau Generalin, da habe ichs gut, und Geld im Ueberfluß.

Und ich hungere, sagte die Mutter in weinerlichem Ton.

Dafür wird Tante Rieke sorgen müssen, die hat das Geld im Kasten liegen.
Es ist schändlich genug, daß sie mich hat schneidern und sticheln lassen,
damit ich ihre einzige Schwester ernähre. Das hört nun auf. Ich muß für
meine Zukunft sorgen, mein Lohn wird gespart; wenn man das Geld in
großen Partieen einnimmt, kann man's besser festhalten, die einzelnen
Viergroschenstücke trudeln unter den Händen fort. Tante Rieke, die die
christliche Barmherzigkeit immerfort im Munde führt, mag sich auch mal mit
den Händen regen. Und kurz und gut, wenn kein Anderer da ist, ist sie die
Nächste. Und Mutterchen (setzte Klärchen schmeichelnd hinzu), Du hast nur
den Vortheil davon, wenn die Tante gepreßt wird; denn ich werde auch für
Dich sorgen, da kommt's von zwei Seiten. Klage nur hübsch, und rühre ihr
Herz; aber gegen mich höre auf damit (schloß sie lachend), ich kenne Deine
Kniffe und bei mir helfen sie nichts mehr. -- Bei diesen Worten zog sie
eine schwarze seidene Mantille aus einer Schublade, und einige Geldstücke
klapperten daneben. Sie warf der Mutter ein Zweigroschenstück in den Schooß
und rief lachend: Hier, kaufe Dir Kuchen und feiere Sonntag; aber schicke
Kleist's Dortchen, dann denkt der Becker, es ist für die Herrn Studenten.
Du verstehst mich doch?

Kleiner Tausendsapperloter! sagte die schwache Mutter. Ihr Töchterchen
hatte sie völlig beruhigt. Besonders war das Letzte ein wirksames Mittel;
und auch die Bemerkung über die Tante Rieke war ganz richtig, diese mußte
mehr geben, wenn Klärchen den Haushalt nicht unterhielt. Sie konnte es
auch, sie war eine reiche Wittwe und hatte nur eine Pflegetochter; und wenn
Klärchen dann im Stillen doch noch mit sorgte, wie es sich für eine gute
Tochter geziemt, so stand die Mutter sich bei weitem besser.

Frau Krauter war die Wittwe eines Ginghan-Webers. Sie war in ihrer Jugend
schön und leichtsinnig gewesen, und hatte nach vielen Abenteuern den Mann
geheirathet, der schon damals innerlich und äußerlich ziemlich verkommen
war. Es ward aber von Jahr zu Jahr schlechter mit ihm, und er starb,
nachdem er beinahe zehn Jahr seine Frau in fortwährendem Jammer und in Noth
erhalten hatte. Zum Glück blieb Klärchen ihr einziges Kind, und zum Glück
hatte sie eine reiche Schwester, die ihr in der Noth eine Stütze war.
Noth und Jammer aber hatten keinen Einfluß auf Frau Krauter geübt; sie war
leichtsinnig geblieben, war faul, unordentlich und genußsüchtig, und wenn
sie auch reichlich Thränen über sich und ihre Schicksale vergießen konnte,
die Thränen kamen nicht tief aus dem Herzen; bei einer Tasse Kaffee und
einem leichtfertigen Geschwätz war bald Alles vergessen. Klärchen war das
Ebenbild der Mutter, nur daß sie noch schöner und zugleich schlauer war,
und so der Welt und dem Verderben noch mehr Preiß gegeben.

Tante Rieke, auch Wittwe, und zwar die sehr wohlhabende Wittwe des seligen
Seifensiedermeisters Bendler, war ganz das Gegentheil der Schwester.
Sie war eine gottesfürchtige, achtbare, schlichte Bürgersfrau. Sie hatte
vergeblich ihren Einfluß auf Mutter und Tochter zu üben gesucht; sie
erlangte nur das eine, daß beide sich vor ihr scheuten und sich soviel als
möglich von der besten Seite zeigten; und das war freilich schlimmer, als
wenn sie sich in ihrer wahren Gestalt gezeigt hätten.

Nachdem Klärchen mit ihrer Mutter das mitgetheilte Zwiegespräch gehabt,
rüstete sie sich singend zu ihrem Sonntagsvergnügen. Die seidene Mantille
ward umgethan, und das Geld, das da herausgepoltert, in die Tasche
gesteckt. Darauf suchte sie aus einem Wust anderer Sachen ein gesticktes
baumwollenes Taschentuch hervor. Sie warf es wieder fort, denn ein langes
Ende abgerissener Spitze hing daran. Sie griff nach einem zweiten, da waren
einige Risse in der Mitte.

Die infamen baumwollenen Tücher halten für gar nichts! sagte sie ärgerlich.

Gieb her, Kind, ich hefte es gleich ein Bißchen zu! tröstete die Mutter,
fädelte eine Nadel ein und zog mit langen Stichen die Risse zu. Während
dessen suchte Klärchen aus einem Häufchen heller Glaceehandschuh das
leidlichste Paar heraus.

Wo in aller Welt nur immer die rechten Handschuh bleiben! klagte Klärchen
wieder. Linke habe ich wohl sechs, sieben, und rechte nur drei, und dumm
genug habe ich vergessen sie waschen zu lassen, sie sehen aus wie die
Mohren. Ach was! setzte sie entschlossen hinzu: ich hole ein Paar neue.
Sechs Groschen mehr oder weniger! Zu meinem himmelblauen Musselin-Kleide
gehören reine Handschuh.

Tante Rieke sagte am vergangenen Sonntag: Solltest lieber
waschlederne Handschuh tragen wie Gretchen. Denke mal an, die hat ihre
Confirmationshandschuh noch.

Wahrhaftig? staunte Klärchen; nein, das Mirakel muß ich meinen Freundinnen
erzählen, es sieht aber akkurat aus wie Gretchen Bendler. Zur Kirche und
höchstens zu einem ehrbaren Spaziergang in's Feld werden die Handschuh
angezogen, aber eine Hand hat Gretchen in den waschledernen wie ein Eisbär.
Nun gut, ein jeder sehe wie er's treibe, ein jeder sehe wo er bleibe, sagt
Göthe. Auch sind die Gaben der Menschen verschieden. -- Bei diesen Worten
hatte sie die himmelblaue Hutschleife zugebunden, das geflickte Taschentuch
geschickt über die schmutzigen Handschuh gelegt, und wollte nun mit einem
leichten Adieu zur Thür hinaus.

Warte, Klärchen! rief die Mutter, da kömmt Dein Hemd an der Schulter zum
Vorschein und gerade ein rechter Ratsch darin.

Stopf' es nur tief genug unter, sagte Klärchen gleichgültig, und nachdem
das geschehen, ging sie fort.

Alle Schneiderinnen, sagt man, sind unordentlich, weil sie immer mit
der Nadel für Andere beschäftigt, nie Zeit für ihre eigne Arbeit finden.
Klärchen war es aber nicht allein als Schneiderin, sondern noch dazu als
unordentliche Tochter einer unordentlichen Mutter, und als über ihren Stand
hinaus verwöhnte und verbildete Jungfrau. Daß die Kleider sechs Ellen weit
sein mußten und wo möglich den Staub auf der Straße kehren, war ihr von
höchster Wichtigkeit; auch durften die Manschetten nicht fehlen, Mantillen,
Kragen, gestickte Taschentücher und Unterröcke mit Frisuren. Ob ihr Hemd
zerrissen, war ihr gleichgültig, ja, außerordentlich gleichgültig! Das sah
ja Niemand. Unangenehmer war es schon, fehlte der Hacken im Strumpf, oder
die Sohle am Schuh, aber auch das machte ihr nicht großes Bedenken, es
wurde geschickt verborgen, die langen Kleider waren auch hier von Nutzen.
Mit der Muhme Gretchen hatte sie neulich erst einen derben Strauß gehabt;
denn war Gretchen auch nicht gebildet, so war sie doch gescheut und derb
und kurz angebunden. Sie sah den Unterrock mit den breiten Frisuren, und
sagte, das wäre ganz verrückt nun, gar an einem Unterrock den überflüssigen
Staat. Klärchen aber erklärte sachverständig, daß eine ordentliche Toilette
-- bei diesem Worte hob Gretchen etwas höhnend Klärchens Arm in die Höhe
und zeigte wie der Aermel halb aus den Nähten war; Klärchen fuhr nach
einer kurzen Entschuldigung aber ärgerlich fort: daß zu einer ordentlichen
Toilette solch ein Rock nothwendig sei, um die Kleider unten gehörig breit
zu erhalten. Besonders, fügte sie schnippisch hinzu, paßt das für schlanke
Leute; für Biertonnen ist's nun mal nicht nöthig. Gretchen wußte darauf
keine verblümte Antwort zu geben, sie sagte aber kurz: Schäme Dich was mit
Deinen Grobheiten, dafür setz' Dich hin und flicke und stopfe wo's Noth
thut, und verthu' Dein Geld nicht unnütz; mit den Frisuren am Rock lockst
Du keinen Hund aus dem Ofen, und ich sage Dir, Du wirst es noch mal
bitterlich bereuen, daß Du so eine Thörin warest. Du hältst es so sehr mit
der Welt, aber ich sage Dir, sie wird Dir noch mal ein X für ein U machen;
und Du denkst, da ist Dein Himmelreich, aber ich sage Dir, das ist wo
anders. -- Ach Gott! jetzt kriegt' es Klärchen mit dem Schreck, gewiß
wollte Gretchen mit ihrem Herrn und Heilande kommen, denn von dem sprach
sie, als ob die Sache ganz ihre Richtigkeit hätte. Gretchen war überhaupt
so sehr in der Zeit und Bildung zurück, sie kannte keine Romane, wußte
nichts von Eugen Sue, von der George Sand und von keinem Musen- und
Liebes-Almanach, kannte nur nothdürftig die Classiker ihres Vaterlandes dem
Namen nach, und auch darüber spottete Tante Rieke. Mutter und Tochter lasen
nur in der Bibel, in Andachtsbüchern, oder in andern Büchern, die ihnen vom
Pastor an der Stephans-Kirche zugestellt wurden. Der Pastor an derselben
war nämlich ein Erzpietist, der predigte nichts weiter als vom Heiland und
machte den Leuten Himmel und Hölle heiß. Klärchen aber, als sie merkte,
wo hinaus ihre Muhme jetzt wollte, schnitt das Gespräch ab und gab gütlich
nach. Sie wollte es doch mit Gretchen ebenso wenig als mit Tante Rieke
verderben, und beide hingen aneinander wie die Kletten. Klärchen dachte
hochmüthig: Ein jeder sehe wie er's treibe, und: Eines schickt sich nicht
für Alle. Gretchen ist nun mal ein hausbackenes Mädchen; sie mag sich
drum gern ihre Hemden selber spinnen, dunkelblaue Strümpfe, hohe lederne
Schnürschuhe und waschlederne Handschuh tragen, sie macht auch keine
Ansprüche für die Zukunft und gehört so recht in den Handwerkerstand
hinein. Dagegen Klärchen? Sie seufzt, -- ihr Herz schlägt gewaltig, -- was
wird aus ihr wohl werden? jedenfalls etwas ganz Besonderes. O süße Zukunft:
lachende Kleider, lachende Gesichter, Liebe, Lust und Wonne! Jetzt zog sie
zur Frau Generalin: Da kam sie in feine Kreise, vornehme Personen gehen aus
und ein, es ist so manches in der Welt passirt, es kann auch passiren, daß
sie ihr Glück macht. Es kann? nein, es muß, es wird, sie hat eine selige
Ahnung davon in ihrem Herzen. Die nächste Seligkeit, die zu erringen, ist
ein seidenes Kleid, eine Brosche, ein unächter Shawl und ein Sammethut --
dann aber kann es ihr ganz gewiß nicht fehlen; dann kommen die wunderbaren
Begebenheiten! Und sie, die einem solchen Geschicke entgegen geht, sollte
sich mit stopfen und flicken abgeben? ein jeder begreift die Richtigkeit,
nur das hausbackene Gretchen nicht. Aber Gretchen ist nicht nur hausbacken,
sie ist auch ungebildet, denn sie glaubt an einen Herrn und Heiland, und
sagt, sie könne keine Stunde ohne ihn leben. Armes Gretchen! Klärchen hat
den Heiland nicht nöthig, sie wüßte wahrlich in aller Welt nicht, wozu sie
ihn nöthig hätte. Die Tante Rieke sagt zwar, er müßte uns von unserer Sünde
erlösen, und wir gingen ohne ihn in Nacht, in Wüsten, in Unverstand und wie
sie weiter sagt; aber das konnte Klärchen nicht fassen, sie wußte nichts
von Sünde, von Nacht und Dunkelheit und gar von Unverstand. Eine Christin
wollte sie auch sein; sie hatte, was nöthig war, gelernt, aber wozu, das
sah sie noch nicht ein, es hatte sich noch keine Gelegenheit gefunden,
um Gebrauch davon zu machen. Nur vom Einfachsten und Verständlichsten zu
reden, von den zehn Geboten, wozu war das siebente für sie da: »Du sollst
nicht stehlen?« Es fiel ihr gar nicht ein. Oder: »Du sollst nicht andere
Götter haben neben mir?« Sie war doch keine Heidin, die an Jupiter und Mars
glaubte. Oder: »Du sollst Vater und Mutter ehren?« Ei, sie that mehr als
ihre Pflicht: Tag und Nacht so zu sagen quälte sie sich, um ihre Mutter zu
ernähren. Nein, sie hatte gar Nichts an sich auszusetzen; um sie herum war
Alles licht und helle und sie brauchte keinen Erlöser. An den lieben
Gott glaubte sie wohl, sie verließ sich zwar nicht auf ihn, als ob er ihr
Schicksal leiten und lenken könne, -- das verlangte sie gar nicht, sie
wollte das allein thun; sie war schön und jung und klug und gebildet, ihr
Glück verstand sich von selbst. Nur zuweilen kam es wie Furcht über sie.
Vor nicht langer Zeit waren die schwarzen Pocken in ihrer Straße, ein
großer Schreck fuhr in ihre Glieder, sie ließ sich aber schnell impfen und
meinte nun wieder ruhig sein zu können. Als bald darauf die Cholera kam und
in ihrer Nähe Jung und Alt dahinraffte, da ging das Bangen wieder an.
So gut wie die sterben, kannst Du auch sterben, -- das sah sie ein, und
sterben war ein schrecklicher Gedanke. Was wird dann aus ihr? ja was? Tante
Rieke unterließ es nicht, in der Zeit vom Sterben zu reden und von der
Strafe und vom ewigen Verderben. Klärchen hörte solche Worte nicht gern,
sie ward bänger und bänger, und war doch wieder wie gebannt zu lauschen.
Sie konnt' es nicht fassen, daß die Tante und Gretchen so ruhig waren
und vom Tode redeten als von gar nichts Fürchterlichem; denn wenn sie des
Nachts aufwachte und so allein mit ihren Gedanken war, da befiel sie oft
eine Angst, daß ihre Glieder bebten. Ob du wohl sterben mußt? dachte sie.
Und was dann? Aber Gott sei Dank, die Zeit war vorüber, das Leben wieder
rosenroth, Klärchen dachte nicht mehr an Tod und Gericht, und wenn die
Tante jetzt von solchen Dingen redete, da hörte sie mit offenen Ohren
nicht, sie senkte den Kopf auf die Arbeit, und ihre Gedanken gingen mit
ihren tollsten Fantasien durch.

Als sie heut das Stübchen ihrer Mutter verlassen, ging sie einige Häuser
weiter um eine Freundin abzuholen. Sie klopfte an ein niedriges Fenster
parterre. Der Briefträger Vogler trank eben Kaffee und las die Zeitung
dazu. Als er Klärchen sah, machte er das Fenster auf.

Nun Ihr Jüngferchens -- wieder schwitisiren? sagte er spaßend.

Ei ja, ist man doch nur einmal jung! entgegnete Klärchen lustig.

Ja ihr Schelme! versetzte Vogler, ich wollte auch, ich wäre noch jung.

Ach, Sie sind ein Mann in Ihren besten Jahren, sagte Klärchen schmeichelnd.

Ich denke es auch manchmal; aber wenn ich denn meine Alte ansehe, wird
mir schwarz vor den Augen, lachte Vogler und sah nach seiner Frau, die ihm
gegenüber blaß und elend im Lehnstuhl saß.

Wenn ich todt bin, heirathest Du wieder, entgegnete diese bitter und holte
dann schwerfällig Athem.

Und so lange Du lebst, lasse ich Dich keifen, fügte Vogler wieder scherzend
hinzu.

Wie ungebildet sind diese Leute, dachte Klärchen; wie kann ein Mann
die Frau so roh behandeln! So aber hat es der Vater mit der Mutter auch
gemacht. Aber ich, ich werde es einst anders haben, ich nehme mir einen
vornehmen Mann, -- und nun hinaus in den lachenden Kaffeegarten!

Auguste Vogler hatte sich während der Zeit fertig gemacht und ging nun
etwas schwerfällig neben der leichtfüßigen Freundin her. Auguste war weder
schön, noch klug, noch fein; sie hatte das plumpe rothe Gesicht ihres
Vaters, grobe Manieren und sprach dabei unglaublich albern. Aber das war
gerade eine Freundin für Klärchen. Sie war fügsam und folgsam, durchschaute
nicht ihre Intriguen, war ganz zufrieden mit der Nebenrolle, und hatte
dabei immer als verzogenes Kind ihres Vaters die Börse voll Geld.

Beide Mädchen verließen die Stadt und gingen auf der Chaussee entlang dem
Orte ihres Vergnügens zu. Klärchen bemerkte, daß sie ein Gegenstand der
Aufmerksamkeit für Vorübergehende war: aber die Leute waren ihr noch nicht
die rechten, es waren meistens Gesellen, oder Soldaten, oder höchstens
ein Handlungsdiener; sie gedachte höher hinaus. Bald kam ihnen eine Reihe
Studenten entgegen, mitten darunter eine orangegelbe Mütze. Das war der
rechte; sie nahm ihr ganzes Wesen zusammen und erwiederte den Gruß mit
vieler Holdseligkeit. Auguste machte bald die Entdeckung, daß die Studenten
umgekehrt waren und ihnen auf dem Fuße folgten. Klärchen zweifelte nicht,
daß es um ihretwillen war, und Auguste gönnte der Freundin den Triumph; sie
war zufrieden, an der augenblicklichen Lust theilnehmen zu können; feine
Pläne für die Zukunft machte sie nicht. Nach einigen Minuten kam ihnen
wieder ein junger Mann entgegen, der sie grüßte, aber sehr bescheidentlich
mit nur halb hingewandten Augen. Wer war das nur? fragte Klärchen.

Ei das war ja Fritze Buchstein, der ist seit vorgestern aus der Fremde
zurück, den mußt Du doch kennen, er wohnt ja neben Tante Rieke.

Daß es ein Geselle war, sah ich an seinen großen rothen Händen, lachte
Klärchen, sonst ist's aber ein hübscher Mensch.

Aber in die Stephans-Kirche zu dem Pietisten geht er auch, ich habe ihn
selbst heute Morgen herauskommen sehen.

Na, Tante Rieke, freue Dich! sagte Klärchen, das paßt ja wie die Butter
aufs Brod, der nimmt die Grete, das ist klipp und klar. Eine Angst hatten
sie immer, er möchte auf der Wanderschaft seinem Glauben untreu werden, und
wenn er dann einen salbungsvollen Brief geschrieben, kam der alte Buchstein
mit der großen Brille und er wurde gemeinschaftlich mit Thränen und Seufzen
genossen. Nun, ich gönne ihr den Burschen, obgleich er eigentlich zu
hübsch für die Grete ist; die müßte so was Kurzes, Handfestes haben, denn
Schönheit hält sie mehr für ein Uebel als ein Glück, =nota bene= weil sie
selber nicht schön ist.

Die Mädchen traten jetzt in den Garten. An einem Tisch fanden sie schon
eine Bekannte, eine von den bescheidenen Putzmacherinnen, die in die Häuser
der Damen gehen und Hüte und Hauben in Ordnung bringen, -- und sie setzten
sich zu ihr. Die Studenten nahmen einen Tisch ganz in ihrer Nähe, wurden
beim bairischen Bier bald sehr laut, und begannen Blicke und Späße herüber
zu senden. Doch der Orangegelbe blieb nicht dabei, er machte es sich
bequemer und siedelte ganz und gar zu den Mädchen über. Klärchen wunderte
sich nicht darüber, sie hatte schon längst mit ihm auf der Straße
koquettirt, sie wußte auch, daß er in einem Hause mit der Frau Generalin,
ihrer künftigen Herrin, wohnte, und er war eigentlich die heimliche
Veranlassung zu ihrem Entschlusse, sich zu vermiethen, gewesen. Er war ein
Mediziner und dazu ein Student von Bedeutung. Er hatte gute Wechsel, hielt
sich einen großen Neufundländer Hund, ritt spaziren, oder fuhr auch seine
Freunde in einem Zweispänner. Er war Senior seiner Verbindung und überall
zu finden, wo es lustig herging, oder wo Spektakel war. Seine Gestalt
war groß und klobig, sein gelbes Haar hing schlicht an dem rothen Gesicht
herunter, das breit und platt einen gewaltig rohen Ausdruck hatte. So wie
seine Gestalt war auch sein Wesen und waren seine Reden. Er saß jetzt den
Mädchen gegenüber; beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt, die blauen
Dampfwolken aus seiner Cigarre blasend, machte er höchst unmanierliche
Späße. Klärchen fand das nicht roh, nein, weil er reich und aus angesehener
Familie war (sein Vater war Präsident), fand sie es nur pikant, und hielt
sich nicht für zu gut, ihn zu amüsiren. Sie ward immer lebendiger und
liebenswürdiger, und es war unverkennbar, daß ihre Schönheit auf ihn
Eindruck machte, und sie in seinen Augen höher stieg, denn er nahm die
Ellenbogen von dem Tisch und nahm sich in Wort und Wesen mehr zusammen. Für
Klärchen war das ein neuer Triumph und die beiden Freundinnen bemerkten es
mit Verwunderung. Die Putzmacherin kannte den Studenten längst, sie ging
bei der Generalin aus und ein, und das war Gelegenheit genug, um eine
Studenten-Bekanntschaft zu machen. Sie hätte ihm ihr leichtsinniges Herz
gern selbst zu Füßen gelegt und beneidete jetzt die Gefährtin um diese
bedeutende Eroberung, und Klärchen ward immer stolzer und glücklicher. Nur
eines störte sie. Ihr gerade gegenüber in einer einsamen Laube saß Fritz
Buchstein. Ja, unbegreiflicher Weise war er auch umgekehrt und ihnen in den
Kaffeegarten gefolgt. Ob das wohl um ihretwillen war? Sie erinnerte sich
aus ihrer Jugend, daß, wenn sie mit Greten in seine Tischlerwerkstatt kam,
um Spielsachen zurecht zu leimen, er immer die ihrigen zuerst gemacht
hatte und Grete oft darüber böse gewesen war. Also: damals hatte er sie
bevorzugt, heute war er erstaunt über ihre Schönheit, -- so kalkulirte
sie, -- und war ihr hierher gefolgt. Obgleich ihre Eitelkeit nicht ganz
ungerührt von diesem Gedankengange blieb, so war ihr diesmal die Eroberung
doch unangenehm. Erstens war er nicht der Aufmerksamkeit werth, und ihr
Herz würde sich nie zu einem so gewöhnlichen Menschen herablassen; und dann
fürchtete sie, wenn er einmal ihren Schritten folgte, er möchte den Spion
spielen und die Tante Rieke davon benachrichtigen. Sie hatte sich so viel
als möglich so gesetzt, daß er ihr nicht in das Gesicht sehen konnte: aber
wenn sie unwillkürlich hinsah, begegnete sie jedesmal demselben bekümmerten
und theilnehmenden Blicke, der ihr wie ein Stich durch das Herz ging.

Es ist unausstehlich! rief sie endlich und wandte sich heftig nach der
anderen Seite. Der Student und die Freundinnen sahen sie verwundert an, und
sie erklärte die Ursache ihres Aergers.

Der Mediziner lachte. Er fand es von dem Burschen ganz natürlich, einem
hübschen Mädchen in das Gesicht sehen zu wollen, pflanzte aber darauf seine
breite Gestalt so dazwischen, daß Klärchen vor den lästigen Blicken sicher
war; und kurze Zeit darauf bemerkte Auguste, daß Fritz fortgegangen war.
Jetzt fühlte sich Klärchen freier, und das Vergnügen ward immer lebhafter.
Die Tanzmusik lockte, Alle gingen in den Saal, um in dem wilden Getümmel
sich zu erhitzen und zu betäuben.

       *       *       *       *       *

Fritz Buchstein hatte auf seinem Spaziergange in dem schönen Mädchen das
kleine Klärchen Krauter wieder erkannt, und die schönsten und süßesten
Jugenderinnerungen gingen an seiner Seele vorüber. Jetzt noch dachte er
mit inniger Bewegung daran, wie sie damals zu ihm in die Werkstatt kam,
um irgend eine Kleinigkeit machen zu lassen, und wie es ihm, dem
achtzehnjährigen Jüngling, ganz wunderbar ward, wenn er dem zwölfjährigen
Mädchen in die dunkelblauen Augen sah. Er wollte es sich selbst nicht
gestehen, aber es war seine erste Jugendliebe. Ihr Bild begleitete ihn auf
der Wanderschaft, er schloß sie in sein Abend- und Morgengebet: der Herr
möchte dies Blümlein schön und rein bewahren, es behüten vor dem Schmutze
der Welt. Ob dies Blümlein einst für ihn blühen werde? das stand in Gottes
Hand. Sein Herz war gesund, er hatte auch nicht Romane gelesen und hing
nicht mit kränklicher Sehnsucht an seiner Liebe; frisch und fröhlich ging
er durch die schöne Gottes-Welt, er sah Berge und Thäler und Flüsse und
Fluren, manch große Stadt, manch lieblich Dörflein, schöne Kirchen und
Schlösser und Burgen, schöne Bilder und Kunstwerke, und Alles nahm er
mit Aufmerksamkeit in sich auf. Das war eine schöne Wanderung, die nicht
getrübt wurde durch ungesunde Glieder, durch ein böses Gewissen, durch
Armuth und Noth. Er hatte das Gelübde gethan, nie einen Schluck Brantwein
zu trinken, hatte es mit Gottes Gnade und der Liebe seines Heilandes
gehalten. Das bewahrte ihn vor manchem Elend und manchem Unheil des
Wanderlebens. Es führte ihn nie dahin, wo wilde Gelage und Raufereien
waren, er suchte nie seine Freunde unter dergleichen Gesellen; so blieb er
an Leib und Seele rein, hatte auch immer Geld im Beutel, denn weil er ein
braver Geselle war, fand er auch immer gute Meister. Und auch Freunde fand
er, die mit ihm dieselbe Straße zogen, die mit ihm den Herrn lieb hatten;
selten verließ er eine Stadt, daß er nicht mit Wehmuth darauf zurück sah,
weil er Freunde für sein Herz und seine Fürbitte darin gewonnen. Und kam er
zu Leuten, die ihn nicht verstanden, die seiner spotteten, ihn zu verführen
suchten, so waren auch das heilsame Tage für ihn, Tage des Kummers und der
Prüfung, in denen er noch mehr die Nähe des Trösters, seine Liebe und Gnade
fühlte. So ward seine Seele immer fester, seine Erfahrung immer reicher,
seine Hände immer geschickter. Und wie war es mit seinem Herzen? Das durfte
sich auch zuweilen regen. Wenn er an einem schönen Sommerabend auf der Höhe
am Rand des Waldes saß, die Sonne legte ihr Gold über die Gegend hin, Duft
zog über Städte und Dörfer, die Abendluft wehte weich in den Zweigen und
in den Blumen rund um, am Grasrain dort zog der Schäfer langsam mit der
Heerde, und die Schwalben hoch oben am lichtblauen Himmel: -- da ward es
ihm so wunderbar sehnsuchtsvoll zu Sinne, und durch Abendgold und Duft
und Schönheit und Stille schauten ihn die dunkelblauen Augen des kleinen
Mädchens aus der Heimath an. So hatte er noch ganz kürzlich vor einer Höhe
am Thüringer Walde gesessen; jetzt war er ja seiner Heimath so nahe, jetzt
war aus dem Jüngling ein Mann geworden und er durfte an eine Gestaltung
seiner Zukunft denken. Sein Vater war alt, seit vergangenem Winter plagte
ihn dazu ein Brustübel, er konnte dem Handwerk nicht mehr vorstehen, es
fehlte an allen Enden, und Fritz mußte des Vaters dringenden Aufforderungen
zur Rückkehr folgen. Er that es auch gern, er war nun 25 Jahr alt, nach
dem langen Umherwandern und heimathlosen Leben sollte es ihm zu Hause
wohl behagen. Er sollte nun Meister werden und dem Haus, dem Acker und der
Kundschaft allein vorstehen. Dazu gehörte auch nothwendig eine Hausfrau,
und _der_ Gedanke war es, der ihm besonders an das Herz ging. Und als er
sich diese Hausfrau dachte, so war sie schlank, mit lichtbraunem Haar und
dunkelblauen Augen. Mit so schönen Ahnungen verließ er den Thüringer Wald
und wanderte einige Tage später durch die Thore seiner Vaterstadt. Es war
spät des Sonnabends Abends; sein Vater saß schwach und krank im Lehnstuhl,
aber Dank- und Freudenthränen glänzten in seinen Augen, als der Sohn nach
so langer Abwesenheit wieder in die Thür trat, und Fritz mußte ihm am
selbigen Abend noch das Buch Hiob und den 136. Psalm vorlesen.

Der alte Vater war trotz der Brustschwäche sehr gesprächig, und in seiner
Gesprächigkeit konnte er es nicht lassen, von seiner und der Frau Bendler
liebsten Hoffnung zu reden, nämlich daß Gretchen möchte hier im Haus Frau
Meisterin werden. Frau Bendler hatte Gretchen ganz und gar adoptirt, und
mit Ausnahme einiger Legate sollte sie einst ihre alleinige Erbin sein.

Fritz ward es gar eng um das Herz als er das hörte, und hatte er schon
vorher wenig Muth gehabt, nach Klärchen Krauter zu fragen, so wagte er es
jetzt gar nicht. Am Sonntag nun sollte er hinüber zur Frau Nachbarin gehen,
aber er bat den Vater, gar nicht von der Sache zu reden, da er nicht wisse,
wie er dem Gretchen gefallen möchte. Der Vater schmunzelte. Das sei nicht
gefährlich, meinte er, Gretchen habe bei seinen Briefen die schönsten
Thränen geweint. Fritz schmunzelte nicht, sein Herz ward immer schwerer;
denn wenn Gretchen auch ein braves Mädchen war, so hatte sie doch nicht
dunkelblaue Augen, war nicht seine Jugendliebe, und hatte ihn nicht auf
seiner ganzen Wanderschaft begleitet. Als er am Sonntag Morgen aus der
Kirche kam und unter den Kirchgängern Frau Bendler in Begleitung einer
jugendlichen Gestalt erkannte, konnte er sie unmöglich anreden; er schlich
sich von der Seite, er hatte dem Vater auch nur versprochen, gegen Abend
seine Bekanntschaft drüben zu erneuern. Am Nachmittag aber trieb ihn seine
Unruhe und Sehnsucht vor Klärchens Fenster vorüber. Er konnte sie nicht
entdecken, nur ihre Mutter saß am Fenster, und zum Glück schaute sie nicht
auf, sonst hätte sie wohl seine Gedanken auf seiner Stirn lesen müssen. Er
ging zum Thore hinaus, und kehrte, nachdem er eine Strecke auf der Chaussee
entlang gegangen war, wieder um. Da kam ihm die Ersehnte wirklich entgegen.
Es war ja noch dasselbe Kindergesicht, nur die Gestalt war aufgeschossen
und hatte sich jungfräulich entfaltet. Er grüßte sie und sein Herz schlug
vor Glück, aber nur wenige Augenblicke. Er sah die Schaar Studenten hinter
ihr umkehren, er hörte ihre Witze und sah sie den Mädchen nachfolgen. Es
würde ihm nie eingefallen sein, ebenfalls umzukehren; aber Spannung und
Zorn trieben ihn. Im Nothfall wollte er die Mädchen schützen, er ahnete
nicht, daß sie durch das Nachfolgen der Studenten mehr erfreut als
geängstigt würden. Doch bald sollte er sich von der Wahrheit überzeugen.
Er saß ihnen gegenüber und beobachtete der Mädchen leichtfertiges Spiel.
Klärchen spielte die Hauptrolle dabei, bis sie ihn endlich durch ihre
verächtlichen und erzürnten Blicke forttrieb. Mit welchen Gefühlen ging er
nun nach Hause! Das Geschehene zerstörte zu hart seines Herzens Pläne.
Die Freude an der Heimath, an der Meisterschaft, an Haus und Hof war
zertrümmert; er hätte am liebsten den Wanderstab wieder in die Hand
genommen. In dieser Stimmung konnte er unmöglich zu Frau Bendler gehen,
nicht einmal in die Stube zum Vater; er ging leise an dem Dienstmädchen,
die feiernd in der Hausthür saß, vorüber nach dem Garten und setzte sich
in die Weinlaube an der Scheunenwand. Der Nachbarsgarten, der nur durch ein
Stacket getrennt, war leer. Das war ihm gerade recht, und ungestört konnte
er seinen Gedanken nachhängen. Wie war die Welt heut ganz anders als
gestern! Die verwilderten Rosen und Goldveiglein hatten ihn gestern
so traulich und heimlich angesehen, er hatte dabei gedacht: wenn erst
Frauenhände hier walten, werdet ihr noch schöner blühen. Die düstere
Weinlaube erschien ihm gar nicht düster, er dachte: bald wirst du nicht
mehr allein hier sitzen. Heut war ihm Alles wüst und leer, und es lag ihm
auch gar nichts daran, daß es anders sei. Er schaute durch die Weinranken
hindurch zum blauen Himmel hinauf. Lieber himmlischer Vater, es wird ja
wieder anders werden; jetzt aber erscheint das Kreuz meinem jungen Herzen
schwer, und nun bitte ich Dich doch wieder und immer wieder: erlöse sie vom
Uebel; wenn ich sie auch für mich aufgeben muß, laß Du sie nicht. Aufgeben?
ja das ist wohl schwer, und daß es ihm so schwer ward, ward ihm auch zum
Trost, denn wenn es seinem schwachen, menschlichen Herzen so schwer ward,
mußte es ja dem Erlöser droben noch schwerer werden, eine geliebte
Seele aufzugeben; und je tiefer er in den blauen Himmel schaute, je
zuversichtlicher ward es ihm, und sein Schmerz lösete sich in feuchten
Augen auf. Da hörte er plötzlich eine Stimme im Nachbarsgarten singen;
hell und lieblich, und doch weich und wehmüthig drangen die Töne, und ganz
deutlich die Worte zu ihm herüber:

    Will ich nicht, so muß ich weinen,
  Wenn ich mir es recht betracht,
  Weil verlassen mich die Meinen,
  G'nommen eine gute Nacht.
  Ach, wo ist mein Vater und Mutter?
  Ach, sie liegen schon im Grab.
  Ach, wo sind mein' Brüder und Schwestern?
  Keinen Freund ich nirgends hab.

    O, mein allerliebster Jesu,
  Schau mich armes Waislein an,
  Du bist ja mein liebster Vater,
  Sonst mir Niemand helfen kann.
  Weil mein' Eltern sein gestorben,
  Leben nicht auf dieser Welt,
  So hab ich Dich, liebster Jesu,
  Für mein'n Vater auserwählt.

Fritz lugte durch die Weinblätter hindurch und sah drüben auf dem alten
schrägen Birnbaum Gretchen sitzen. Es war ihm, als ob er nur geträumt hätte
von Wandern und Fortsein; als ob er wieder achtzehn Jahr, und Gretchen
ein Kind sei. Damals war der alte Birnbaum den lieben Sommer über fast ihr
alleiniger Wohnsitz. Des Nachmittags ging sie mit dem Strickzeug hinauf,
und jedesmal wenn sie eine Tour herum gestrickt, rief sie es dem alten
Benjamin zu. Benjamin aber war ein Flickschuster, der schon fast dreißig
Jahr bei Buchsteins im Hinterhäuschen über der Werkstatt wohnte. Er war der
Kinderfreund der Nachbarschaft, und Gretchen war sein besonderer Liebling.
Für sie war ihm keine Mühe zu groß, und jedesmal, wenn sie ihm die Tour
zurief, machte er einen Kreidestrich auf eine schwarze Tafel, und immer
zählte er, wie viel noch fehlten an der Zahl; und wenn es so weit war, rief
er: nun Gretchen mach Schicht! Gretchen wand sich dann an einem Bindfaden
ein Körbchen mit dem Vesperbrod in die Höhe und meinte, da oben stricke und
esse es sich besser. Benjamin legte auch den Pfriemen für ein Weilchen aus
der Hand, schaute zum Fenster hinaus, sein Staarmatz schnarrte »Gretchen,
so recht, so recht,« und sein Dompfaffe sang »Lobe den Herrn o meine
Seele«. Wenn dann Gretchens Kinderstimme einfiel, sagte Benjamin:
»Gretchen, so recht,« und der Staarmatz schnarrte: »Gretchen, so recht.«

Auch jetzt sah Benjamins weißer Kopf zum Fenster hinaus; der Staarmatz
aber rief: »Jungfer Gretchen,« und Fritz ward dadurch erinnert, daß es doch
andere Zeiten seien.

Ei Gretchen, sagte Benjamin, Du singst einem heut ordentlich das Herze
weich; was ist Dir denn?

Wenn ich wußte, daß Du heim warst, hätte ich nicht gesungen, sagte
Gretchen; ich glaubte, ich wäre ganz allein hier in der Welt. Jetzt komm
aber herüber und bring die große Bilderbibel mit, ich weiß nicht recht, was
ich so mutterseelen allein mit dem Sonntag-Nachmittag beginnen soll.

Gretchen war nämlich von ihrer Pflegemutter, die einige Krankenbesuche
machen wollte, als sie Nachmittags aus der Kirche kamen, allein nach Hause
geschickt; und weil sich Gretchen eigentlich gefreut hatte, zu verwandten
Gärtnersleuten vor dem Thor zu gehen, so war ihr das zu Hause bleiben gar
nicht recht. In der Stube war es ihr einsam, sie nahm mancherlei in die
Hand, ein Buch, ein Arbeitszeug, -- nichts behagte ihr. Der Nachmittag
wollte nicht kürzer werden, und sie begriff nicht, warum sie so unruhig
war. Sollte es sein, weil Fritz Buchstein sich zum Abend angemeldet hat?
Sie ward feuerroth bei dem Gedanken. Warum aber sollte sie sich freuen ihn
wieder zu sehen? sie war wenigstens begierig zu sehen was aus ihm geworden,
und ob er so aussähe wie sie sich ihn nach seinen Briefen gedacht. Sie ging
in den Garten. Bei Buchsteins war alles still, und ungestört ging sie in
dem geraden Stachelbeerwege auf und ab. Hinter den Büschen hatte sie
als Kind mit Luischen Buchstein und anderen Freundinnen Schaf und Wolf
gespielt; Luischen Buchstein war todt, die anderen Freundinnen zerstreut,
und sie mußte zum Sonntag-Nachmittag so allein hier wandeln. Auf der Bank
unter dem alten Birnenbaume hatte sie auch oft vergnügt gesessen, noch
lieber aber oben auf dem Baum: da konnte sie doch ein Bischen weiter in
die Welt schauen, in die Nachbarsgärten, einem Böttcher auf den Hof, dem
Benjamin in die Stube. Nach der andern Seite hin war der Garten zwar durch
eine hohe Mauer begränzt, aber sie sah doch die blühenden Flieder- und
Goldregen-Wipfel, auch zuweilen die weiße Spitzenhaube der Frau Stadträthin
und die bebänderten Strohhüte der Fräulein. Gretchen konnte nicht
widerstehen; sie stieg auf den Baum. Heut war aber gar nichts zu sehen,
an den Goldregen hing trockner Samen, die Fliederbüsche sahen dunkel und
glanzlos aus, weder Haube noch Strohhüte ließen sich sehen, Stadtraths
waren in ein Bad und die Fräulein längst verheirathet. In den anderen
Nachbarsgärten war es auch still, nicht einmal Benjamin war am Fenster. Da
ward es dem Gretchen immer enger um das Herz, immer sehnsüchtiger schaute
sie zum Himmel hinauf. So ists. Wenn der Herr uns die Welt einsam und öde
macht, so zieht er uns desto mächtiger zum Himmel hinauf. Und der Himmel
war heute so licht, die Wolken daran von der sinkenden Sonne mit Gold
umsäumt. Gretchen schaute, wie sie über den dunkelen Dächern am blauen
Himmel langsam hinzogen und im Ziehen Gestalt und Farbe wechselten. Da zog
ein Schwan, bald eine Rose, ein Schloß, bald Engelsflügel, bald gar eines
Engels Angesicht. Sie dachte an ihre Eltern, an ihre Brüderlein, deren
sie sich noch ganz leise aus frühester Jugend erinnern konnte, und mit
sehnsuchtsvollem Herzen sang sie das Lied, das Benjamin an das Fenster
lockte.

Benjamin kam mit der großen Bilderbibel herunter, schwang sich unten an der
Scheuer und am alten Hollunderstamm noch ganz rüstig über das Stacket, und
war nun in Bendlers Garten. Da trat Fritz aus der Laube, er wollte nicht
schuldiger Weise den Horcher spielen. Gretchen erschrak, denn er hatte sie
ja auf dem Baume gesehen und hatte sie singen hören; er aber reichte ihr
freundlich die Hand über das Stacket hinüber. Das war nun Gretchen mit dem
blonden Haar, den Sommerflecken, den runden braunen Augen und dem runden
rothen Mund. Sie war nicht groß nicht klein, nicht schlank nicht stark, und
stand mit dem braunen Kattunkleide und weißen Kragenstrich gar sittig vor
ihm. Er sprach einige verlegene Worte des Willkommens, sie merkte seine
Verlegenheit nicht, sie hörte kaum, was er sagte, so gewaltig schlug ihr
Herz, aber einsam kam ihr die Welt nicht mehr vor; und als er fragte, ob er
auch hinüber kommen dürfe, nickte sie ein freundliches Ja und machte einen
höflichen Knix.

Aber nicht den Weg, den ich gekommen bin, scherzte Benjamin; jungen
Burschen muß man solche Schliche nicht zeigen. Du gehst in die Hausthür,
wie es sich gehört.

Fritz hatte gar nicht daran gedacht; denn wenn er auch ganz stattlich
in der schwarzseidenen Weste, dem seidenen Halstuch und dem Sonntagsrock
aussah, so hatte er doch die Mütze und die Handschuh im Hause liegen, und
überhaupt mußte der erste Besuch etwas feierlich gemacht werden. Er kam
aber nicht so bald als Gretchen gehofft hatte; sie hatte schon einen großen
Theil der Bilderbibel mit Benjamin durchgesehen, als es an der Hausthür
klopfte. Sie ging zu öffnen und fand außer Fritz auch noch die Mutter vor
der Thür. Diese war beiden jungen Leuten sehr erwünscht. Gretchen hätte gar
nicht gewußt wie sie als Wirthin thun sollte, und Fritz mochte mit seinem
schweren Herzen dem Gretchen am wenigsten allein gegenüber sein. Frau
Bendler übernahm nun das Sprecheramt, aber auch das Frageamt, und Fritz
mußte wohl oder übel gesprächig werden. Daß es ihm schwer ward, merkte Frau
Bendler nicht, wohl aber Gretchen. Der tiefe Ausdruck der Trauer, der ihm
zuweilen unbewußt über die Züge glitt, ging ihr wie ein Schwert durch das
Herz. Was mag er nur haben? ist er traurig, wieder daheim zu sein? zieht
es ihn zurück in die Ferne? Wenn er nur nicht unglücklich ist! dachte sie
bange, und wie mag es zugehen, da doch sein letzter Brief so fröhlich war?
Als sie spät am Abend allein in ihrem Kämmerlein war, schaute sie hinauf
zu den Sternen mit gefalteten Händen; hinein in ihr Abendgebet mischte sich
Fritzens trauriges Gesicht, und sie empfahl es Dem, der da Freud und Leid
auf die Herzen der Menschen legt.

       *       *       *       *       *

Die Frau Generalin von Trautstein saß mit einer jüngeren Dame in eifrigem
Gespräch.

Ich versichere Sie, sagte die jüngere, das Mädchen passt ganz besonders für
Sie, und ich kann sie Ihnen mit vollem Herzen empfehlen. Seit zwei Jahren
näht sie mir alle Kindersachen und sie ist wirklich die Liebe des ganzen
Hauses, immer freundlich, gefällig, sehr gewandt und fleißig, und aus
einer sehr rechtlichen Familie. Ihre Tante ist die Frau Bendler, die dem
Wöchnerinnenverein an der Spitze steht, eine außerordentlich geachtete
Frau. Von der ist Klärchen eigentlich erzogen, die hat sie auch das
Schneidern lehren lassen, denn Klärchens Mutter ist kränklich.

Warum will sie sich aber vermiethen? fragte die Generalin.

Um einmal unter andern Leuten zu sein, war die Antwort. Ich finde es recht
vernünftig. Die Mutter nämlich soll das Mädchen sehr beherrschen und
ihr jeden Groschen aus dem Beutel nehmen. Sie deutete es mir neulich mit
Thränen an, daß sie sehr schlecht mit der Wäsche bestellt sei, weil sie
dazu kein Geld habe erübrigen können und nur immer froh gewesen sei, der
Kundschaft wegen für das Aeußere zu sorgen.

Das sind eben meine Bedenken. Die Mutter soll unordentlich sein und gern
jeden Groschen durch den Mund spediren; zweitens ist das Mädchen zu
jung und wird mir auch wahrscheinlich zu hübsch sein, -- entgegnete die
Generalin.

Die Jüngere lachte. Gerade darum wünsche ich sie Ihnen, weil sie so
liebreizend ist. Bei jedem Unwohlsein wird sie Ihnen die angenehmste
Gesellschaft sein; sie kann Ihnen vorlesen, denn sie spricht sehr hübsch;
aber vor allen Dingen -- Sie müssen sie sehen, theuerste Frau!

Die Sprecherin war die Lieutenant von Reisen, Klärchens besondere Gönnerin.
Sie suchte ihr jetzt den Dienst bei der Generalin zu verschaffen und hatte
Klärchen deßhalb hinbestellt; vorher aber bemühte sie sich sie in das beste
Licht zu stellen. Es währte nicht lange, so wurde Klärchen gemeldet. Sehr
nett angezogen, zugleich aber sehr bescheiden und anspruchslos stand sie
vor den Damen. Die Generalin war wirklich erstaunt über die Schönheit
des Mädchens, aber die Anmuth in Worten und Wesen machte jedes Bedenken
verstummen -- und sie schloß den Miethsvertrag. Vierzig Thaler Gehalt, ein
Louisd'or zu Weihnachten, außerdem Geschenke, das war für Klärchen sehr
erfreulich. Aber nicht allein das: der ganze Haushalt der Frau Generalin
entzückte sie, ja so sehr, daß der Mediziner fast darüber vergessen
ward. Die großen Zimmer, prächtigen Teppiche und Meubeln, Equipage und
Dienerschaft, so etwas fand man nicht oft beisammen. In diesem Haus war sie
als Kammerjungfer engagirt, so zu sagen als Kammerjungfer, denn eigentlich
-- redete sie sich vor -- sollte sie doch Gesellschafterin der Dame sein,
sie sollte ihr des Abends vorlesen und in traulichen Zirkeln den Thee
serviren. Sie unterließ auch nicht, ihren Bekanntinnen die Sache so
vorzustellen. Als sie zu Tante Rieke kam, machte die ein ernsthaftes
Gesicht. Du hast nun meinen Wunsch erfüllt und Dich vermiethet, sagte sie,
der Herr mag Dir Kraft zu Deinem neuen Berufe geben, den Du Dir nicht zu
leicht denken mußt. -- Klärchen, die voll der schönsten Hoffnungen und sehr
guter Laune war, versprach alles Mögliche, und die Tante war zu gutmüthig,
um das nicht glauben zu müssen. Auf die Fragen über den Zustand ihrer
Wäsche, hatte sie geschickte Antworten; sie hätte unmöglich die Wahrheit
sagen können, und ihre Angst war schon längst gewesen, die Tante möchte
sich einmal selbst davon überzeugen wollen. Für das Nöthigste sei gesorgt,
sagte sie, und sie freue sich, von dem schönen Lohn ganz besonders Wäsche
anzuschaffen. Die Mutter muß sich einschränken lernen, fügte sie hinzu;
Du weißt, wenn ich Geld hatte, konnte ich es als Tochter nicht abschlagen;
wenn ich keines habe, kann ich keines geben; und bekomme ich mein
Lohn, gebe ich ihr ein Theil, kann aber vom Uebrigen gleich ordentlich
anschaffen. -- Das klang vernünftig, und die Tante war damit einverstanden.
Gretchen ging vor die Schublade und holte ein halbes Dutzend leinene
Taschentücher und zwei Paar Strümpfe.

Das darf ich Dir schenken, sagte sie; zum Stricken hast Du nicht viel Zeit
gehabt, und die Taschentücher sind gesäumt und für Dich gezeichnet. Wenn Du
zu uns kommst, nimmst Du nun aber auch die leinenen, scherzte Gretchen: Du
weißt, wir können die baumwollenen nicht leiden.

Klärchen war gerührt von dieser Güte. Du meinst es doch wirklich gut! sagte
sie herzlich.

Das kannst Du glauben, entgegnete Gretchen treuherzig, und beide Cousinen
waren jetzt sehr freundlich auf einander gesonnen.

Am Michaelis-Tage zog Klärchen an. In ihrer Stube stand eine Kommode und
ein Kleiderschrank, dahinein wurden ihre Sachen so weitläuftig als möglich
geordnet. Einige Sommerkleider und dünne wollene Kleider, Mantillen,
Mäntelchen, ein Frisuren-Unterrock in den Schrank; in die Kommode, außer
der wenigen Wäsche, Bänder, Schleifen, Kragen, Handschuh, Taschentücher;
die sechs leinenen Taschentücher und zwei Paar ganzen Strümpfe von Gretchen
bildeten den guten Grund dieser leichten Gesellschaft. Außerdem aber
stellte sie einige Blumentöpfe in das Fenster, hing ein Porzelan-Bildchen
an die Scheiben, ein anderes Bild unter den Spiegel und eine Blumenvase auf
die Kommode. Der Bediente hatte in die Stube gesehen und gegen die Köchin
bemerkt: man sähe dem Geschmacke des Mädchens an, daß sie von guter
Erziehung und Bildung sei; nur schlimm, daß das Stübchen im Nebenhaus, und
der Mediziner gerade hineinsehen könne, da möcht' es am Ende eine Liebelei
im Hause geben. Die Köchin aber nahm Klärchens Partie. Ihre Küche lag
gerade gegenüber im anderen Seitenhaus; sie hatte gesehen wie Klärchen das
Rouleau niederließ, als der Mediziner mit der langen Pfeife aus dem Fenster
sah. Klärchen aber hatte die Köchin gesehen und gedacht: Du mußt dich
in Respekt setzen, und etwas Sprödigkeit gegen den Mediziner kann nicht
schaden.

Es kamen nun für sie unterhaltende Tage. Das Haus der Generalin war
vielfach belebt, die verheirathete Tochter mit den Kindern 4 Wochen dort,
und dies gab Gelegenheit zu mancher Geselligkeit. Außerdem ward Klärchen in
die eleganten Läden der Stadt geschickt, um Besorgungen zu machen, und das
war ihr besonders unterhaltend. Sie war bald mit allen Commis befreundet
und hatte ihre leichte Commodengesellschaft um manches bereichert. Freilich
waren ihre wenigen Groschen, die sie in den Dienst mitgebracht, auch
ausgegeben, aber die Paar Groschen lohnten kaum der Mühe zum Sparen.
Daneben ward das Spiel mit dem Mediziner gar eifrig betrieben. Die
Generalin hatte meistens nur Damenverkehr: von _der_ Seite war also für
ihre Zukunft nichts zu hoffen. Bald merkte sie, der Mediziner war in Feuer
und Flammen und ein recht demüthiger Liebhaber. Wenn sie das Rouleau einen
Tag nicht aufzog, sang er die schwermüthigsten Lieder; oder wenn sie sonst
spröde gegen ihn war, nahmen seine rohen großen Züge einen gar sanften
Ausdruck an. Sie that das mit Wohlbedacht, denn ehe er nicht in die rechte
Höhe der Leidenschaft kam, würde er nicht Ernst aus der Sache machen. Sie
berechnete freilich nicht, daß sie auch mit der Zeit warm wurde, und ein
verliebtes Herz ist ein schwaches Herz, und der Mediziner war nicht ohne
Erfahrung, das zu wissen und zu merken.

So war Weihnachten herangekommen, der Besuch der Generalin war abgereist
und den unruhigen Tagen waren ruhige gefolgt; aber immer war Klärchen
gleich aufmerksam und liebenswürdig, und die Generalin versicherte ihre
Freundinnen, eine ausgezeichnete Kammerjungfer zu haben, was ihr gern
geglaubt wurde, da Klärchen ja gegen Jederman sich liebenswürdig zeigte.
Nur schien es, als ob sie seit einiger Zeit etwas zerstreuter wäre und oft
nicht ganz unbefangen aus den Augen sähe; doch tröstete sich die Generalin
mit ihrer übertriebenen Angst vor Liebesgeschichten und ließ sich nichts
merken, und Weihnachten ward Klärchen außerordentlich reich bedacht. Das
war aber auch gut, denn Klärchen gebrauchte viel. Sie sah so manches bei
den vornehmen Damen, das ihr gefiel und das sie haben mußte. So bemerkte
sie mit Erstaunen, als sie ihre Schulden überschlug, daß vom Lohn und vom
Louisd'or kaum etwas für ihre Mutter übrig blieb. Sie tröstete sich aber
bald. Aller Anfang ist schwer, dachte sie, für Wäsche wird ein andermal
gesorgt; hatte sie doch den unächten Shawl, die Brosche und den Sammethut
sich wirklich angeschafft! Doch sollte das alte Jahr nicht hingehen um sie
nicht ganz und gar von diesen kleinlichen Sorgen zu befreien. Als sie am
Sylvesterabend von einer Besorgung in der Dämmerung zurückkam, sah sie eine
wartende Gestalt unten im Hausflur. Sie erkannte bald den Mediziner. Sie
hatte hier öfters mit ihm flüchtige Worte gewechselt, seit einiger Zeit
hatten sie sich nie allein gefunden, und auch heute waren Schritte auf der
Treppe hörbar. Er kam eilig auf sie zu, drückte ihr einen Brief in die
Hand und eilte die Treppe voran. Klärchen konnte nicht schnell genug ihr
Lämpchen anstecken, um dies Dokument zu lesen, ein Dokument wie Millionen
geschrieben werden, um thörichte Mädchen zu täuschen und noch thörichter zu
machen. Nichts ist lächerlicher als diese Art Liebesbriefe, einer ist dem
andern wie aus den Augen geschnitten. Die Schreiber finden in jedem Mädchen
eine Göttin, einen Engel, ein höheres Wesen; die Empfängerin aber meint,
das passe nur ganz allein auf sie; ihre Brust hebt sich stolzer, denn sie
ist vor vielen Tausenden beglückt. Ferner steht in den Briefen von heißer
Liebe, von unerträglichen Qualen und ewigen Gefühlen. Das ist Alles sehr
glaubwürdig, denn man ist ja wirklich so liebenswerth, man müßte aber ein
Herz von Stein haben, den Armen so leiden zu sehen, man muß ihn wieder
lieben. Schmerz oder Unglück kann sich nie nahen, denn seine Gefühle
sind ewig, und ihr Glück wird auch ewig sein. Daß diese Ewigkeit der
Liebesbriefe selten über ein Jahr hinaus reicht, glaubt man nicht; man
hat zwar schon oft davon reden hören, aber diese Versicherungen, diese
Schilderungen müssen Wahrheit sein. So glaubte auch Klärchen, als sie ihren
Brief gelesen. Ihr Herz hüpfte vor Entzücken, durch ihre Klugheit hatte
sie es so weit gebracht, daß er Ernst machte; nun wollte sie ihn auch nicht
länger schmachten lassen und ihm ihre Liebe zeigen. Sie hätte gern gleich
geantwortet, aber sie war heut Abend zu Tante Rieke eingeladen und hatte
versprochen um 6 Uhr die Mutter abzuholen, und so ein Liebesbrief war keine
Kleinigkeit, der mußte mit Bedacht geschrieben werden. Sie ging also, wenn
auch in höchster Unruhe. Den empfangenen Brief trug sie natürlich auf dem
Herzen.

Zum Sylvester war sie immer am liebsten zu Tante Rieke gegangen. Da gab es
Punsch und Kuchen, und außerdem, daß man wohl ernsthaft sprach und sang,
ging es doch auch sehr vergnüglich her, und für die jungen Leute gab es
mancherlei Spaß, denn die Tante war trotz aller Pietisterei doch sehr
heiter, konnte selbst recht drollig sein und hinderte die jungen Leute
nicht, es ebenso zu machen. Heute war ihr das freilich ganz egal, und als
ihre Freundinnen ihre Schweigsamkeit bemerkten, that sie etwas erschrocken,
schmunzelte aber doch dabei, daß alle behaupteten: dahinter müsse etwas
stecken. Fritz Buchstein, der auch unter den Gästen war, sah sie scharf an
bei diesen Scherzen, und der Blick war ihr wieder sehr fatal. Doch ward man
lebhafter bei einem Gläschen Punsch und bemerkte Klärchens Schweigsamkeit
nicht mehr. Selbst Fritz ward ungewöhnlich redselig und erzählte sehr
unterhaltend von seiner Wanderschaft. Gretchen hing an jedem Worte, das
er sagte: selbst Klärchen mußte gestehen, daß er ein ausgezeichneter
Tischlergeselle sei: die Worte gingen ihm gewandt von den Lippen, seine
Augen waren lebendig, seine Wangen geröthet, sie wußte selbst nicht
wie, aber es fielen ihr die Helden aus den Ritterromanen ein, wie sie
beschrieben werden, so sanft und mild und dabei so edel und männlich.
Sie begann fast, ihn dem Gretchen nicht zu gönnen, obgleich sie selbst
himmelhoch über ihm stand; denn es war doch nur ein ungebildeter Mann, und
solch einen Brief konnte er nicht schreiben, wie sie ihn auf dem Herzen
trug. Darin hatte sie Recht, solch einen Brief konnte er nicht schreiben:
er war nicht gewissenlos genug und hatte nie gewagt, einem Mädchen den
Unverstand zuzutrauen, solchen Unsinn, der in jedem schlechten Romane
zu finden ist, für Wahrheit zu nehmen. Mehrere Stunden waren so schnell
vergangen, da erinnerte Vater Buchstein Frau Bendler an ihr Versprechen.

Ei freilich! Heute lassen wir Schiffchen schwimmen, sagte diese scherzend;
es liegt mir selber daran, zu wissen, wie es mit der Freundschaft meiner
guten Freunde steht. Ich muß aber auch die Erste sein, weil ich doch wohl
die Neugierigste bin.

Die jungen Leute stimmten fröhlich in den Vorschlag ein. Gretchen holte
einen großen Napf mit Wasser, Wallnüsse und einen Wachsstock. Fritz theilte
sehr geschickt die Nüsse auseinander, machte die Frucht heraus und klebte
dafür kleine Wachslichte hinein. Gar niedlich tanzten die brennenden
Lichterschiffchen auf dem Wasser, der Tante Schiffchen in der Mitte, die
anderen stellten den Vater und Sohn Buchstein, die Frau Organistin und
Gretchen und Klärchen vor; so war es von Frau Bendler bestimmt. Der
Hauptspaß war nun, wie die anderen sich zur Hauptperson verhielten. Blieben
sie fern so war es mit der Freundschaft schlecht bestellt. Und wirklich
drückten sie sich alle ziemlich fern an den Seiten herum. Frau Bendler
scherzte und neckte, bis plötzlich Fritzens Schiffchen, durch eine leise
Wasserbewegung angeregt, auf die Tante zu schoß und nicht wieder von ihr
ließ, was auch am Napfe gerüttelt und geschüttelt ward. Das Schütteln
aber hatte zur Folge, daß die anderen vier Schiffe sich zu einem Häufchen
gesellten, und nun wie zwei feindliche Parteien sich die Flotte gegenüber
stand.

Weil der Fritz es so gut mit mir meint, soll er jetzt der Erste sein der
die Herzen seiner Freunde prüft, sagte Frau Bendler. Fritz aber war gar
nicht begierig danach, er wollte den Andern durchaus den Vorrang lassen;
doch half es ihm nichts, die Alten übernahmen es, den Schiffchen Namen zu
geben, und die Sache ging los. Gretchens Herz klopfte gewaltig, und sie
besann sich schon, was für ein Gesicht sie machen wolle und was sagen, wenn
das Schiffchen die Gedanken ihres Herzens verrathen sollte. Zwei andere
junge Mädchen, die ganz unbefangen waren, scherzten mit Fritz und meinten:
das passe sich gar nicht, wenn er da großartig in der Mitte stehe, und sie
sollten sich um ihn bemühen, diese Prüfung sei eigentlich nur für Mädchen.
Klärchen aber war ganz erhoben über diesen Spaß, ihre Gedanken waren
längst nicht mehr hier; je später es wurde, je größer ward ihre Unruhe und
Sehnsucht, den Brief zu beantworten. Doch seltsam genug, ihr Schiffchen
nahete sich zuerst der Mitte, Fritz schien ihr auszuweichen, aber sie zog
hinter ihm her, vereinigte sich mit ihm und schiffte dann mit ihm zusammen
auf dem kleinen Meere umher. Das gab ein Lachen, aber Klärchen warf
die Lippen auf und warf einen verächtlichen Seitenblick auf den
Tischlergesellen, so daß Allen die Gesinnung ihres Herzens kund werden
mußte. Gretchen ward vor Aerger ganz roth und hatte schon ein derbes Wort
auf den Lippen, doch scheute sie sich vor Fritzens Gegenwart und wollte es
sich lieber aufsparen. Die beiden andern Mädchen stießen sich an, Klärchen
hatte ihnen schon den ganzen Abend zu vornehm gethan, und die Frau
Organistin sagte spitz: Ei Klärchen, brauchst den Mund nicht zu verziehen,
bist in ganz guter Gesellschaft hier. Doch die Tante wollte keinen Ernst
gemacht haben; sie entgegnete leicht: In der Hinsicht muß ein jedes Mädchen
stolz und spröde thun, die jungen Burschen sollten sonst eitel werden.
Dann wurden die Namen der Schiffchen wieder geändert, und die Sache war
abgemacht. Fritz aber behielt den Stachel im Herzen. Wenn er auch längst
Klärchens Besitz aufgegeben, so konnte er ihr doch heut nicht ohne innere
Bewegung gegenüber sitzen, es war ihm, als ob aus ihrem Wesen bald ein
guter bald ein böser Engel schaue; er hätte den guten so gern festhalten
und in ihre Nähe bannen mögen. Die dunkelblauen Augen hatten ihn zuweilen
so kindlich angeschaut, ganz so wie sie auf seiner Wanderschaft vor seiner
Seele schwebten. Er wußte zwar mehr als alle die Anderen von ihrem Leben
und Treiben -- die Augen der Liebe sehen scharf --, auch wußte er daß der
Mediziner im Hause der Generalin wohne, aber immer noch konnte er den guten
Engel in ihr nicht aufgeben, und sein theilnehmendes und trauerndes Herz
ward von ihrem verächtlichen Wesen schmerzlich berührt.

Die Zeit war mit den Späßen vergangen, es schlug zehn Uhr, man wurde
ernsthafter. Die Alten erzählten, die Jungen hörten still zu. Fritzen war
das sehr lieb, er war wahrlich nicht zur Freude aufgelegt und er übernahm
es auch später gern, etwas aus der Bibel vorzulesen. Er begann mit dem
90. Psalm. Er las langsam und feierlich, seine Stimme ward immer voller,
die Worte quollen immer mehr aus seinem Herzen. Als er die Worte las: Lehre
uns bedenken daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden, -- schaute
er auf und sah Klärchen an. Niemandem fiel das auf, nur Klärchen konnte den
Blick nicht vertragen und es wurden ihr dadurch die Worte erst bedeutsam.
Dem Psalm folgte ein Abendgebet, auf den Jahresschluß passend, und dann das
schöne Lied:

    Jahre gehn und fliehen,
  Blumen, die da blühen,
  Welken traurig ab!
  Was da grünend stehet,
  Wandelt und vergehet
  In ein düstres Grab!
  Bleiben _wir_ wohl ewig hier? --
  Was genommen ist von Erden,
  Muß zur Erde werden.

    Eines unter Allen
  Kann nicht fliehn und fallen,
  Wenn auch Alles fällt:
  Was aus Gott geboren,
  Gehet nicht verloren
  In dem Grab der Welt;
  Seine Zeit heißt Ewigkeit --
  Selig, wer in guten Stunden
  Dieses Eine funden.

    Der für uns gestorben,
  Hat es uns erworben
  Einst mit seinem Blut;
  Jesus, unser Leben,
  Kann dem Sünder geben
  Dieses Eine Gut;
  Seine Kraft bewirkt und schafft,
  Daß geweihet sei die Seele
  Mit dem Lebensöle.

    Weichet, Lust und Sünde!
  Einem Gotteskinde
  Habt ihr nichts mehr an.
  Denn dem Gott der Ehren
  Muß mein Herz gehören,
  Ihm dem Schmerzensmann.
  Ihm erkauft, auf ihn getauft,
  Steh ich in dem Grund der Gnaden.
  Was kann da mir schaden?

    Tage, Jahre, fliehet!
  Lust und Glanz, verblühet!
  Gräber, öffnet euch!
  Wenn die Glieder sterben,
  Werd ich ja ererben
  Meines Heiland's Reich!
  Wär sie nah', ach wär sie da,
  Jene Zeit, da ich erstritten
  Gottes ew'ge Hütten!

Klärchen bemühte sich so viel als möglich, nicht hinzuhören und sich mit
anderen Gedanken zu zerstreuen; es war ihr aber unmöglich. Fritzens Stimme
klang wie Glöckentöne in ihr Herz, so mächtig, so ernst, sie mußte hören,
und je länger er las, desto aufmerksamer hören. Von Sterben -- Grab -- und
Verblühen war die Rede, es ward ihr bange dabei, und ihr abergläubig Herz
nahm die Bangigkeit für böse Ahnung. Nur nicht sterben! dachte sie. Der
Heiland, von dem sie reden, hilft mir nichts, sein Reich reizt mich nicht
und nicht die ewigen Hütten; nein, über den Tod hinaus geht keine Hoffnung.
O, so häßliche Gedanken verbittern einem das schöne Leben, und gerade heute
das anzuhören ist sehr störend. Die Andern sehen dabei so ruhig und freudig
aus, als ob sie Recht hätten, und Fritz ist so voll von der Wahrheit, sein
Gesicht leuchtet, und wie Gretchen so demüthig zu ihm aufschaut -- solche
Blicke müssen sein Herz rühren.

Es schlug zwölf. Alle falteten die Hände, beugten sich zum Gebet. Auch
Klärchen mußte so thun, aber in ihrem Herzen war es dunkle Nacht, der
Teufel hielt seine Hand über sie. Fort, fort von hier! seufzte sie, und der
Liebesbrief zog sie gewaltig hinaus aus dem Ernst und dem Frieden in die
Lust und Unruhe der Welt.

Beim Heimgehen fand es sich, daß Frau Krauter mit den Andern einen Weg
hatte, und nur Klärchen allein nach einer ganz entgegengesetzten Seite
mußte; es wurde beschlossen, Fritz sollte sie nach Hause führen. Sie aber
sträubte sich, denn nichts wäre ihr drückender gewesen, als ein einsamer
Weg mit diesem sonderbaren Menschen. Aber es half nichts. In der
Sylvester-Nacht, wo der Trunkenbolde nicht wenige auf den Straßen zu finden
sind, darf kein junges Mädchen allein gehen, hieß es, und Klärchen mußte
sich fügen. Fritz war gar nicht verlegen, er hatte sich eben zu sehr in
eine Gottes-Welt vertieft, als daß ihn die kleinen Bewegungen der irdischen
Welt hätten berühren können. Er sah Klärchen ruhig und fest in die Augen
und sprach zu ihr mit unbefangener Stimme: doch wehten außen Sturm und
Regen so sehr, und Klärchen ging so rasch, daß er schweigen mußte. Jetzt
standen sie vor der Hausthür. Klärchen nahm den Schlüssel und schloß auf.
Der Mond brach eben durch Wolken und warf sein helles Licht auf Fritz und
Klärchen, sie sah unwillkürlich auf zu ihm: da ruheten seine dunklen Augen
so traurig auf ihrem frischen Gesicht, er reichte ihr die Hand, sie mußte
ihre hineinlegen. Klärchen, sagte er mit bewegter Stimme, wir stehen jetzt
am Anfang eines neuen Jahres. Der Herr wolle uns segnen, daß wir am Ende
desselben mit reinem Herzen und ruhigem Gewissen und unbefleckter Ehre
mögen darauf zurückschauen. Der Herr behüte Sie!

Er wandte sich schnell von ihr, sie trat in das Haus, aber mußte erst
einige Augenblicke sich vom Schrecken erholen.

Was will er nur? dachte sie. Meine Ehre? da will ich selbst für sorgen.
Und das Gewissen? ich werde doch kein Verbrechen begehen? -- Sie suchte mit
Gewalt den Eindruck von Fritzens Worten abzuschütteln, und das sollte ihr
leider nicht schwer werden. Als sie die erste Treppe hinauf war und eben
den Zugang, der zur Etage bei Generalin führte, öffnen wollte, kam Jemand
von oben herunter. Sie zögerte, -- ja es war der Mediziner. Er hatte den
Sylvester-Abend etwas lauter und wilder gefeiert als Klärchen, sein Gesicht
glühte von Wein und Punsch, und seit geraumer Zeit hatte er mit Ungeduld
auf Klärchens Rückkehr gewartet. Jetzt flossen ihm die Worte wie Feuer
von den Lippen. Diese Liebes- und Treueversicherungen, diese Ausdrücke von
erhabenen Gefühlen -- Klärchen konnte nicht widerstehen. Sie erwiederte
flüsternd süße Liebesphrasen, duldete, daß er sie küßte, und als sie sich
endlich losriß, mußte sie ihm das Versprechen geben, für eine recht baldige
ungestörte Zusammenkunft zu sorgen. Das war gar nicht schwer, bei ihrer
Mutter konnten sie das haben; denn die wird dem Glück der Tochter nichts
entgegensetzen. Und, fügte Klärchen hinzu, es ist auch nöthig daß wir
besprechen, wie es mit unserer Verlobung werden soll, es ist doch da
manches zu thun. --

Närrchen! unterbrach sie der Mediziner, wer wird denn an so alberne Dinge
denken? Wir leben in der Gegenwart, das andere fügen die Götter. -- Dann
fügte er einige zärtliche Worte hinzu und ging die Treppe hinauf.

Diese letzten Worte gingen Klärchen eisig über die grünen Auen ihres
Glückes, doch dachte sie nicht weiter darüber nach und legte sich in süßer
Betäubung zur Ruhe.

Am anderen Morgen wachte sie später auf als gewöhnlich. Ihre gütige
Dame hatte sie nicht zur gewöhnlichen Zeit wecken lassen, damit sie den
versäumten Schlaf nachholen möge. Und dennoch konnte sie sich nicht zurecht
finden. Es war ihr so wüst im Kopfe und so nüchtern im Herzen, sie mußte
sich ordentlich erst klar machen, daß sie sehr glücklich sei, und trotz des
Vorredens blieb sie unruhig. Wird er Ernst machen? Wird er sich öffentlich
verloben? Wird er es seinen Eltern sagen? Solche Fragen war sie thöricht
genug sich vorzulegen, und es galt von ihrer Seite immer noch große
Vorsicht, das Alles zu erreichen. So dumm wie ihre Mutter, der der
Rechtsgelehrte unter den Händen entwischt ist, wollte sie nicht sein,
dachte Klärchen; und so denken alle thörichten Mädchen, die leichsinnige
Liebschaften anknüpfen. Sie sehen zwar rund um sich, wie die Sachen
meistens ablaufen, aber sie wollen es schon anders zu Ende bringen, bis
ihnen dann das reine Herz, Ehre, und gutes Gewissen sammt dem Liebhaber
unter den Händen entschlüpft sind.

Als Klärchen zur Frau Generalin ging, um ihr wie gewöhnlich bei der
Toilette behülflich zu sein, fand sie dieselbe schon fertig angekleidet
beim Frühstück, und neben ihr saß bei demselben ein junger schöner
schlanker Mann in Gardeuniform. Klärchen entschuldigte sich wegen des
späten Kommens; die Generalin aber war sehr freundlich und sagte nebenbei:
Ich habe gestern Abend auch eine große Ueberraschung gehabt, mein Sohn kam
unerwartet an. -- Der junge Mann war bei Klärchens Eintreten aufgestanden,
ihre Schönheit und ihr feines Wesen bestimmten ihn, höflicher zu
grüßen, als er es gethan haben würde, hätte er gewußt daß seiner Mutter
Kammerjungfer vor ihm stand. Jetzt ward er etwas verlegen, Klärchen merkte
Alles, -- ein koquettes Mädchen ist sehr feinfühlend in solchen Dingen --
und ihr ganzes Benehmen wurde augenblicklich dem jungen Manne angepaßt. Sie
ging ordnend im Zimmer hin und her, that, was in der Schlafstube nebenan
zu thun war, und ging dann um Sonntagstoilette zu machen. Sie wußte selbst
nicht recht wie sie dazu kam, aber sie begann Vergleiche zu machen zwischen
dem Gardelieutenant und dem Mediziner. Der Mediziner war wirklich häßlich
dagegen zu nennen, und wie plump war seine Sprache und sein ganzes Wesen!
Freilich, tröstete sie sich, er ist ein Student, und die meinen, sie müssen
burschikos sein; wenn er bei seiner Mutter, der Frau Präsidentin sitzt,
wird er auch anders sein. Aber er soll auch gegen mich anders sein, dachte
sie weiter, er soll fein und nobel werden wie der Gardelieutenant!

Das Haus war durch die Neujahrs-Glückwünschenden so belebt, daß es dem
Mediziner unmöglich ward, Klärchen zu sehen. Auch den Abend war große
Gesellschaft, der Flur hell erleuchtet und fast immerfort Bewegung auf der
Treppe. Er war sehr ungeduldig und wußte kaum wie er die Zeit hinbringen
sollte. Klärchen ging es nicht so, sie war heut so beschäftigt und
hingenommen, daß sie kaum Zeit hatte an ihre Liebe zu denken. Bis jetzt
hatte sie fast nur alten Damen den Thee servirt, heute aber waren junge
Herren, die Freunde des Lieutenants, in der Gesellschaft. Klärchen, im
hellblauen Musselin-Kleide mit freiem Hals und freien Armen, stand vor der
singenden Theemaschine und schwebte dann in den hell erleuchteten und wohl
durchdufteten Zimmern hin und her. Ein solcher Triumph war ihr noch nie
geworden: die Blicke der jungen Leute folgten ihr, wohin sie ging, bis
leider die Generalin sehr ernste Blicke auf sie warf und ihr huldreich
sagte, sie möchte sich nicht weiter bemühen, der Bediente solle allein
aufwarten. Sie ging, und trat erhitzt und aufgeregt in ihre Stube. Kaum
hatte der Mediziner Licht darinnen gesehen, als er sein Fenster öffnete und
leise mit den Händen klappte. Klärchen hatte eigentlich nicht große Lust
ihn jetzt zu sprechen, sie sah aber ihr Bild im Spiegel und fand sich gar
zu schön, der Mediziner mußte sie sehen, mußte sich überzeugen, daß sie mit
ihrer Erscheinung in die Salons einer Präsidentin passe, ja ihr Hochmuth
und ihre Eitelkeit waren heut so sehr gewachsen, daß sie meinte, er müsse
sich glücklich schätzen sie zu gewinnen. Man konnte gar nicht wissen ob ihr
nicht noch ein größeres Glück bestimmt gewesen. Der junge Graf, der heut
mit in der Gesellschaft war, hatte sie nicht aus den Augen gelassen, und
der Generalin Sohn, der außer seinem Lieutenantsgehalt noch ein Gut in
Schlesien hatte, dazu adelig war, hatte sich gewiß schon sterblich in sie
verliebt. Klärchen hatte viel Romane gelesen, sie wußte, daß nicht selten
arme Mädchen vornehme Partien machen, und sie hatte die bestimmte Ahnung
einer großen Zukunft. Mit solchen Gedanken trat sie auf den Flur,
der Mediziner stand schon unten an der Treppe. Als er ihr vornehmes,
herablassendes Wesen sah, dazu ihre Schönheit, verschluckte er die groben
ungeduldigen Liebesvorwürfe, die ihm in der Kehle staken, und beklagte sich
nur, daß er sie heut den ganzen Tag nicht gesehen. Klärchen entgegnete,
dies sei ein unschicklicher Platz sich zu sprechen, und beschied ihn zum
nächsten Abend zu ihrer Mutter. Daß er sie küßte und zärtlich ward, litt
sie wohl; Hochmuth und Eitelkeit schützen nicht vor bösen Herzensgelüsten,
nein, es sind gerade sehr verträgliche Schwestern, die sich gegenseitig
hegen und pflegen.

Am andern Morgen saß Klärchen, wie gewöhnlich, nähend im Vorzimmer. Der
Lieutenant trat ein und bat sie, einige Maschen an seiner Geldbörse wieder
zu befestigen. Während sie es mit den feinen geschickten Händen that, stand
er schweigend vor ihr. Auch Klärchen schwieg, aber ihr ganzes Wesen redete.
Wie sie den Kopf hielt, wie sie die Finger bewegte, wie sie aufschaute,
ihm dann die Börse gab -- es mußte das Alles das Herz des Lieutenants
bestürmen. Klärchen merkte, daß er gern eine Unterhaltung mit ihr
angeknüpft hätte, doch die Schritte der Generalin waren im Nebenzimmer
hörbar, und er verließ sie mit einem kurzen verbindlichen Danke.

Der Tag verging mit Plänen für heut Abend; und wenn auch das Bild des
Lieutenants sich zuweilen dazwischen drängte, so schob sie es mit Gewalt
zurück. Der Mediziner muß sich heut Abend feierlich mit dir verloben, wo
möglich müssen wir heut Abend noch Brautvisite bei Tante Rieke machen.
Was wird die sagen! Und Grete! Nun, sie werden Respekt bekommen vor der
Schwiegertochter einer Frau Präsidentin. Der Mediziner mußte morgen früh
selbst die Frau Generalin um ihre Entlassung bitten, oder wenigstens ihr
eine andere Stellung geben; die Hälfte des Wechsels mußte er ihr gleich
überlassen, um für Toilette und Wäsche zu sorgen; sie war nun aus aller
Noth, konnte sich die Hemden Dutzendweis fertig kaufen und so alle Sachen.
In dieser Weise flogen ihre Gedanken, sie konnte kaum den Abend erwarten,
und es war ihr recht unangenehm, daß sie ihrer Herrin noch von 6 bis 7 Uhr
vorlesen sollte. Die Frau Generalin aber war ganz allein, erwartete den
Sohn erst zum Abend zurück, und Klärchen mußte wie gewöhnlich ihr auf
diese Weise die Zeit vertreiben. Sie las heut besonders schlecht, und die
Generalin war eben im Begriff, dies zu tadeln, als die Thür sich öffnete
und der Sohn eintrat. Er winkte, setzte sich in eine dunkle Ecke, und
die Mutter bemerkte: sie wolle nur dies kurze Kapitel auslesen lassen. In
Klärchen schien plötzlich eine andere Kraft gefahren, sie las besonders
schön und mit ganz anderer, bewegter Stimme. Der Lieutenant wandte keinen
Blick von ihr, und die Generalin sah sie bedenklich an. Als sie das Zimmer
verlassen, wandte sich diese zu ihrem Sohne.

Lieber Alfred, sagte sie lächelnd, ich glaube, so lange Ihr jungen,
leichtfertigen Leute hier bei mir ein- und ausgeht, muß ich das Mädchen aus
dem Haus thun.

Und wenn ich mich auch ein wenig verliebte, entgegnete Alfred, Du fürchtest
doch nicht --

Nein, ich fürchte nicht, daß Du leichtfertig genug wärest, ein Mädchen
thörichter zu machen, als es schon ist, aber Deinen Freunden traue ich
nicht.

Alfred lachte. Sie sind alle außer sich über diese Schönheit, und Graf
Bründel, glaube ich, früge allerdings nicht viel danach, ob er ein thöricht
Mädchen thörichter mache.

So bitte ich Dich, vermeide es, daß er sie sieht, -- entgegnete die Mutter
besorgt. Und Du, lieber Alfred, bist vorsichtig, -- fügte sie zögernd
hinzu.

Gewiß, sagte Alfred treuherzig und reichte der Mutter die Hand; und sollte
es wirklich gefährlich werden, da bitte ich Dich, mich fortzuschicken, --
schloß er scherzend.

Diese Unterredung hatte Klärchen durch das Schlüsselloch mit angehört, denn
Horchen war in den zehn Geboten nicht verboten. Sie haben sich Alle in dich
verliebt, und Alfred ist doch der Schönste und Edelste. Seinen Spaß würde
er nie mit dir treiben: zeigt der dir Liebe, so wäre es Ernst. Sie seufzte.
Ja, hätte sie mit dem Mediziner noch nicht angefangen, sie hätte es
wahrlich jetzt gelassen; aber sie hatte sich küssen lassen, hatte eine
Liebschaft an der Treppe gehabt; Frau von Trautstein konnte sie nicht
werden. Also nur kühn den Mediziner festgehalten, er ist auch ein Mann von
Bedeutung und so sehr verliebt, es läßt sich Alles mit ihm machen.

Mit solchen Gedanken machte sie in ihrer Mutter Stube die Vorbereitungen
zur Verlobung. Zwei Lichter brannten außer der kleinen Lampe, Tassen und
Kuchen standen auf dem Tisch, die Theekanne in der Röhre, die Mutter saß im
Lehnstuhl am Ofen, und Klärchen mit der Guitarre am Arm saß im Sopha. Der
Student kam, die Thür ward verschlossen und nun ward geplaudert, gescherzt,
gekoset. Die Mutter war ganz glücklich. Der Mediziner hatte schon eine
volle Börse deponirt zu Sachen, die für Klärchen nothwendig angeschafft
werden sollten. Sie mußte sich gestehen, daß Klärchen es weit klüger
angefangen als sie: Klärchen that spröder und vornehmer und kommandirte
mehr. Sie bedachte nur nicht, daß das Ende einer klugen Sünderin ein
gleiches ist, als das einer dummen. Klärchen kam zuletzt mit Vorschlägen
zur Veröffentlichung ihrer Verlobung heraus, die für heute darin bestanden,
noch zu Tante Rieke zu gehen. Der Mediziner sah sie erst verblüfft an
und brach dann in ein helles Lachen aus. Er hatte schon viel Liebschaften
gehabt, das aber war ihm noch nie passirt.

Närrchen! sagte er, wie kannst Du ein solcher Philister sein! Bei uns
ist wohl von Lieben die Rede, aber nicht von Verloben. Wenn die Welt erst
zusieht, hört aller Spaß auf.

Klärchen stand auf, sie zitterte an allen Gliedern. Wenn es so gemeint ist,
sind wir geschiedene Leute, sagte sie in höchster Erregung.

Der Student war wieder verblüfft, lachte darauf aber nicht. Er merkte,
daß er mit dem Mädchen anders verfahren müsse, als er es bisher gewohnt
gewesen, und da er unglaublich in sie verliebt war, begann er zu
kapituliren. Das aber half ihm nichts, sie war zu klug und durchschaute
seine gleißenden Worte. Dazu liebte sie ihn eigentlich gar nicht mehr, sie
dachte an den Lieutenant, an den Grafen, sie konnte ja nur zugreifen; ja,
mit einemmal war es ihr, als müsse sie sich von dem Studenten losreißen,
um einem höheren Geschicke entgegen zu gehen. Das gab ihr Muth, jetzt
die Tugendheldin zu spielen. Sie hielt die schönsten Reden; selbst als
er versicherte, Ostern wolle er mit seinen Eltern reden und nur bis dahin
müsse die Sache geheim bleiben, blieb sie standhaft, -- und als er sie
bestürmen wollte mit seiner Liebe und seinem Unglück, verschloß sie sich
in die Kammer. Die Mutter spielte eine traurige Rolle dabei, ihr Herz war
weicher, als das der Tochter, sie hätte den Unglücklichen gern glücklich
gemacht, -- dazu die schöne volle Börse auf dem Tisch, -- und versuchte ihn
zu beruhigen, versprach mit der Tochter zu reden, und entließ ihn so nicht
ganz ohne Hoffnung. Klärchen aber that stolz wie eine Königin. Siehst Du,
sagte sie zu ihrer Mutter, so muß man es machen, spaßen lasse ich nicht mit
mir! Und weil sie doch im Inneren eine große Demüthigung fühlte, daß ihr
der Mediziner entschlüpfte, wie der Mutter Rechtsgelehrter, so that sie mit
Worten besonders groß, ließ ihr Glück bei den adeligen Herren ahnen, und
um die Mutter vollständig mit dem ersten Abenteuer auszusöhnen, duldete sie
es, daß diese die volle Geldbörse des Mediziners in Verwahrung nahm.

Auf ihrem Stübchen aber brach sie in Thränen aus, nicht Thränen der Reue
über ihren Leichtsinn, nein, sie weinte über ihre Dummheit, sich mit diesem
rohen Menschen so weit eingelassen zu haben. Wenn es die Generalin, wenn es
der Lieutenant wüßte! Aber sie wissen es nicht und werden es nie erfahren,
war ihr Trost; du willst vorsichtiger sein, dich nie mit so rohen Menschen
einlassen. Um sich vollständig zu trösten, wiederholte sie sich die
Unterredung der Generalin mit ihrem Sohne. Es konnte ihr nicht fehlen, --
sie taumelte sich in einen neuen Himmel der Zukunft und schlief beruhigt
ein.

Ihr Rouleau kam nun den ganzen Tag nicht mehr in die Höhe, und die Köchin,
die schon angefangen, aufmerksame Augen auf sie und den Mediziner zu
werfen, ward wieder ganz ruhig.

Die Generalin aber war nicht ruhig, sie sah die Augen ihres Sohnes
fortwährend auf Klärchen gerichtet, und diese war ganz besonders sanft und
holdselig. Der Graf hatte gesagt: das Mädchen sei ganz verteufelt stolz
und spröde, und Alfred hatte das mit Triumph der Mutter erzählt und dabei
fallen lassen, daß ihre Bildung eigentlich über die eines Kammermädchens
hinausgehe. Klärchen hatte das glücklicherweise wieder erlauscht, denn
wenn Mutter und Sohn allein in der Stube waren, kam sie nicht viel vom
Schlüsselloch fort. Das waren selige vierzehn Tage, und ihr Kopf war voll
der tollsten Pläne und Träumereien.

Aber die Tage vergingen und die Zeit der Trennung kam; ja, der Lieutenant
war eines Morgens abgereist, ohne daß Klärchen etwas davon geahnet. Sie
war plötzlich eine andere, sie war zerstreut und träge, erst der Generalin
ernste Blicke mußten sie wieder etwas zu sich bringen.

Nach einigen Tagen saß die Generalin einen ganzen Morgen am Schreibtisch
mit Schreiben beschäftigt; dazwischen ging sie sinnend in der Stube auf und
ab. Klärchen kalkulirte richtig: sie schreibt an ihren Sohn. Um Alles
in der Welt hätte sie den Brief gern gelesen. Wenn er nur heut nicht
fortgeschickt wird, so ist's möglich, dachte sie. Und wirklich ward
er nicht fortgeschickt; der Nachmittag war unruhig, den Abend war die
Generalin in Gesellschaft, sie fand nicht Zeit, ihn zu vollenden. Mit
klopfendem Herzen hörte Klärchen ihre Dame fortfahren, der Bediente hatte
sie begleiten müssen, so war jetzt die beste Zeit, ihren Plan auszuführen.
Was sie an kleinen Schlüsseln finden konnte, suchte sie zusammen und
versuchte das Schloß zu öffnen. Ihre Hände zitterten, und zehnmal wohl lief
sie nach dem Vorsaal, um zu hören, ob auch Niemand komme. Sie fühlte zum
erstenmal eine heftige Gewissensangst, aber zum erstenmal auch ging sie
von der Stufe der Thorheit und des Leichtsinns eine weiter hinunter zum
Verbrechen. Gleich einem Diebe stand sie zitternd vor dem verschlossenen
Tisch, sie war ja wirklich im Begriff zu stehlen.

Doch das Schloß wollte nicht weichen, der Wagen der Generalin kam zurück,
Klärchen verließ hastig und scheu das Zimmer.

In ihrem Stübchen überlegte sie sich die Sache ruhiger, ja sie machte sich
Vorwürfe über ihre Angst, beredete sich, daß es gar nichts Großes
sei, einen fremden Brief zu lesen, und hätte gern gleich ihre Versuche
wiederholt. Sie mußte aber warten, bis der Bediente fort fuhr, um seine
Dame wiederzuholen. Jetzt ging sie schon getroster daran. Uebung macht bei
solchen Dingen bald den Meister, darum heißt es: Hüte dich vor dem ersten
Tritte, mit ihm sind bald die anderen Schritte zu einem nahen Fall gethan!
Aber auch jetzt bei größerer Ruhe ging das Schloß nicht auf, und Klärchen
mußte die auf's Höchste angeregte und unbefriedigte Begierde mit zu Bett
nehmen.

Am andern Morgen ging sie, wie gewöhnlich, im Schlafzimmer der Generalin
einzuheizen. Wie gewöhnlich lag auf dem Tischchen neben der Nachtlampe der
Schreibtisch-Schlüssel. Ruhig hatte ihn Klärchen immer dort liegen
sehen, heute trieb sie der Teufel an, sie nahm den Schlüssel, verließ
das Schlafzimmer, schloß die Thür hinter sich, auch die nach dem Vorsaal,
obgleich der Bediente nie um diese Zeit hier etwas zu thun hatte, und
nun schloß sie mit Leichtigkeit das Schlößchen auf. Da stand ein volles
Geldkästchen, daneben lag der Brief; das Geld reizte sie nicht, wohl aber
der Brief. Sie durchflog ihn mit Hast, aber erfuhr genug. Die Mutter warnte
den Sohn vor dem eignen Herzen: sie möchte ihn vor einer Liebe bewahren,
die ihn, wenn auch nicht für Jahre, doch für Tage unglücklich machen könne.
Darauf schilderte sie Klärchens Wesen und Gedanken mit solcher Wahrheit,
daß Klärchen feuerroth beim Lesen dieser Worte wurde. Ja, die kluge
Frau hatte sie in ihrem koquetten Treiben und verdrehten, überbildeten
Träumereien durchschaut. »Sie ist ehrlich und treu, geschickt und fleißig,«
schloß die Generalin diese Schilderung, »darum werde ich sie jetzt nicht
gehen lassen, ich werde es mir aber zur Pflicht machen, sie besser zu
überwachen, was mir bei meinem jetzigen stilleren Leben nicht schwer werden
soll.«

Klärchen war in großer Aufregung. Sie legte den Brief wieder an dieselbe
Stelle, schloß den Kasten und legte den Schlüssel zurück an seinen Platz.
Die Sache war herrlich geglückt, und wenn sie auch manches Unangenehme aus
dem Briefe erfahren, so doch auch das Erfreuliche: der Lieutenant liebte
sie, die Mutter fürchtete. Ihre größte Begierde war von jetzt an, die
Antwort des Sohnes zu lesen; mit höchster Aufmerksamkeit kontrollirte
sie die Briefe, die zu ihrer Dame kamen. Acht Tage vergingen, da endlich
entdeckte sie das Postzeichen von Berlin und das Familienwappen. Die
Generalin nahm den Brief in höchster Spannung aus Klärchens Hand und
erbrach ihn schnell. Klärchen aber räumte den Frühstückstisch ab, ordnete
hier, wischte dort, und warf dabei manchen forschenden Blick auf die
Leserin, deren Züge erst sehr ernst waren, aber immer freundlicher wurden
und sich endlich in eine fröhliches Lächeln auflösten. Dies Lächeln war ein
Dolchstoß in Klärchens Herz, und noch nie war ihr ein Tag so lang geworden
als dieser, denn vor dem anderen Morgen konnte sie das Kunststück mit der
Eröffnung des Tisches nicht wiederholen.

Doch der Morgen kam, Klärchen heitzte eine halbe Stunde früher als
gewöhnlich ein, die Generalin lag noch im ruhigen Schlummer. Klärchen nahm
den Schlüssel, der Brief lag ganz oben in der Mappe, sie öffnete schnell
und las:

»Wenn ich Dir, theuerste Mutter, Sorge machte, so thut es mir herzlich
leid, ich kann Dir aber mit festem Herzen versichern, daß es unnöthig war.
Ich leugne nicht, daß mich im Anfange das hübsche Mädchen interessirte und
ich neugierig war, ob wirklich hinter der schönen Hülle das verborgen
sei, was man wünschen und vermuthen mußte. Ich stimme aber ganz mit Dir im
Urtheil über ihren Charakter ein; in den letzten Tagen habe ich Blicke
in ihr Wesen gethan, die mich von einem gemeinen und koquetten Sinn
überzeugten. Ich fürchte fast, es wird Dir schwer werden, sie zu
überwachen. Graf Bründel ist ernstlich verliebt und wird nicht Geld und
Mühe sparen, ein Verhältniß anzuknüpfen,« --

Jetzt regte es sich im Nebenzimmer, Klärchen fuhr erschrocken zusammen. Sie
lauschte, es schien ihr wieder still; aber ihre Angst war groß und sie sah
nur noch nach dem Ende des Briefes:

»Ja, liebe Mutter, mein Herz war schon leise beschäftigt, ehe ich zu Dir
kam. Die edle Reinheit meiner Adelheid hat mich von neuem überwältigt, ich
hoffe Dir bald eine würdige Tochter« --

Hier regte es sich abermals im Schlafzimmer der Generalin, Klärchen legte
den Brief schnell in die Mappe, schob den Geldkasten wieder zurecht und
schloß eiligst den Kasten. Welch eine Entdeckung war das!

Schmerz und Zorn bewegten Klärchens Herz. Hier war also nichts zu
machen, der Mensch war nicht poetisch, nicht romantisch genug, um etwas
Ungewöhnliches der Welt gegenüber zu thun! Alle Qualen unglücklicher Liebe,
die sie je in einem Romane beschrieben gefunden, kamen über sie. Zum Glück
nicht für sehr lange.

       *       *       *       *       *

Es war ein sehr kalter Winter. Selbst Mitte Februar begann er noch einmal
mit aller Strenge zu regieren. Der Himmel war klar, die Sonne glitzerte
hell auf den weißen Dächern, die Leute trippelten an einander vorüber,
konnten sich der rothen Ohren und Nasen nicht erwehren, und die Blumen an
den Fenstern thauten kaum um Mittag ein wenig ab.

Gretchen verlebte hinter den Eisblumen stille Tage. Sie saß ihrer Mutter
gegenüber und spann, und spann und sann, und hauchte sich zuweilen ein
Fensterchen in den Eisgrund, schaute, daß der Himmel blau, die Sonne golden
war, dachte an den Frühling, an Blüthen, Bäume und Vögelgesang und andere
schöne Dinge, und das Herz schlug ihr warm hinter den kalten Eisblumen.
Zuweilen entdeckte sie auch durch ihr Fensterlein das rothe Gesicht eines
Handwerksburschen, der sie bittend anschaute, da reichte sie ihm eine Gabe;
oder ein Vogel hüpfte auf dem Fenstersims, dem streute sie Krümlein hin.
Aber auch die Vögel im Garten wurden gefüttert; ein Stückchen Brod war ja
immer übrig vom Frühstück und auch vom Mittag, und jedesmal wenn sie hinaus
kam, rief Benjamin einen »guten Tag« aus dem Schiebfensterchen, oder sonst
ein gutes fröhliches Wort.

Seit zwei Tagen aber hatte sich das Schiebfensterchen nicht geöffnet, und
die Eisblumen regten und rührten sich nicht. Gretchen sagte es der Mutter,
es wurde Rath gehalten; Benjamin war jedenfalls krank, man mußte sich
nach ihm erkundigen. -- Der Verkehr mit dem Nachbarhause war leider diesen
Winter sehr eingeschlafen; Frau Bendler empfand es schmerzlich, daß Fritz
Buchstein sich ihrem Gretchen gar nicht nähern wollte. Ihr Zartgefühl
erlaubte es nicht, von ihrer Seite nur die leiseste Andeutung zu geben;
aus dieser Aengstlichkeit erfolgte dann fast das Gegentheil. Der alte
Buchstein, der sonst so eifrig die Freundschaft betrieben, war jetzt
verlegen. Fritz wich seinen Aufforderungen aus, und sehr zureden wollte er
dem Jungen nicht, und wußte nur nicht, was zur Frau Nachbarin sagen, mit
der er früher die Sache in allen Einzelheiten besprochen hatte. -- Heute
aber war von all' den Rücksichten nicht die Rede, Benjamin mußte gepflegt
werden und Gretchen sich auf den Weg zu ihm machen. Sie that es so gern,
und doch hatte sie Scheu zu gehen, denn ihr Weg führte durch die Werkstatt.
Während dem sie eine warme Suppe kochte, schaute sie wohl zehnmal auf die
Straße, ob sie nicht Jemand vom Nachbarhause sähe; und wirklich es glückte,
die alte Magd kam daher und Gretchen konnte ihre Erkundigungen einziehen.

Benjamin sei wirklich krank, berichtete die mürrische Magd, er verlange
aber gar nichts, er wolle die Sache ausschwitzen. Das hielt Gretchen nicht
ab, sich zu rüsten. Das Näpfchen mit der warmen Suppe unter dem Mantel
ging sie hinüber zu dem alten Freunde. Die Sonne schien so hell in die
Werkstatt, die Blumen von den Fenstern waren etwas abgethaut, Fritz
in weißen Hemdsärmeln und schwarzer Tuchweste stand mit Gesellen und
Lehrburschen rüstig bei der Arbeit. Als die Thür sich öffnete und Gretchen
mit dem frischen Gesicht und der schwarzen Sammetmütze hineinschaute,
erschrak er fast, aber er trat ihr entgegen und reichte ihr freundlich die
Hand.

Ich will zum kranken Benjamin, sagte Gretchen etwas scheu.

Zum kranken Benjamin? wiederholte Fritz und seufzte: ja er ist krank, und
es ist recht schlecht von mir, ich habe ihn ganz vergessen. Soll ich das
Näpfchen tragen? setzte er mit weicher Stimme hinzu.

Gretchen ließ es sich gefallen und folgte ihm nun die Treppe hinan. Aus der
warmen Werkstatt traten sie in eine eiskalte Stube; Benjamin steckte tief
in den Federn, der Staarmatz stand auf dem Tisch vor dem Bett mit trauriger
Miene, der Dompfaff pickte eben vergebens am zugefrorenen Trinknäpfchen.

Armer Schuster! schnarrte der Matz, als die Thür sich öffnete, -- armer
Schuster!

Benjamin's Nachtmütze bewegte sich jetzt, und sein freundlich Gesicht kam
zum Vorschein.

Dacht' ich's doch, daß Du kommen würdest, sagte er zu Gretchen, und nun
gieb erst den Vögeln Futter. Dorthe ist schlechter Laune und ist seit
gestern Abend nicht herauf gekommen.

Gretchen sah sich nach ungefrorenem Wasser um, aber vergebens; Fritz
merkte, was sie suchte, und verließ das Zimmer. Eilig kam er wieder mit
einem Töpfchen voll warmem Wasser und einer Schippe Kohlen. Schweigend
reichte er ihr das Wasser, schweigend machte er Feuer in den Ofen und
sah dann, wie Gretchen die Trinknäpfe der Vögel aufthaute, wie sie ihnen
frisches Futter gab, wie sie dem Benjamin die Kissen zurechtlegte, ihm den
Tisch vor dem Bette deckte und die Suppe darauf stellte. Fritz sah sinnend
und traurig aus, und als Benjamin jetzt das Tischgebet sprach und Gretchen
mit gefalteten Händen dabei stand, faltete auch er die Hände und betete
mit. Nachdem sie geendet, trat er zu Benjamin, reichte ihm die Hand und
sagte mit bewegter Stimme:

Benjamin, verzeihe mir, daß ich Dich so vergessen konnte, ich bin recht
traurig darüber.

Benjamin nahm seine Hand in beide Hände und drückte sie herzlich. Dann
wandte sich Fritz zu Gretchen:

Verzeihe auch Du mir, Gretchen, ich schäme mich vor Euch und vor Gott, daß
ich so lieblos sein konnte und nach dem armen Benjamin nicht einmal fragen.

Eben fiel ein feiner Sonnenblick durch eine thauende Fensterscheibe und
auch ein Lichtblick fiel in Fritzens Herz. -- Herr, dein Wille geschehe!
-- Gretchen stand vor ihm so frisch und hold und rein, mit so versöhnlichem
Blick. Fritz fühlte seine Zukunft entschieden, er fühlte, wohin der Herr
ihn haben wollte und wo er seinen Frieden suchen sollte. Die wilden Ranken
seines Herzens mußte er abschneiden. Schade um die Zeit, die er sie hatte
wuchern lassen!

Gretchen nahm Abschied von ihrem alten Freunde, mußte aber das Versprechen
geben, wieder zu kommen.

Ja, darum bitte ich Dich auch, sagte Fritz, Du sollst nicht kommen, um
Benjamin zu pflegen, nein, Du sollst Dich nur überzeugen, daß ich meinen
Fehler gut gemacht habe.

Benjamin machte Scherz aus der Sache, Gretchen stimmte ein und die jungen
Leute verließen ihn. Unten in der Werkstatt sagte Fritz noch in aller Eile,
um doch etwas zu sagen: Ich habe schon längst einmal zu Euch kommen wollen,
-- aber das böse Wetter, -- man ist so eingeschneit.

Bei uns wird jeden Tag gekehrt, entgegnete Gretchen.

Ja, es ist auch meine Schuld, fuhr Fritz fort; und als nun Gretchen im
Vorbeigehen ihre Finger auf einen halb vertrockneten und vernachlässigten
Geranientopf legte, ward er noch verlegener. -- Den armen Topf habe ich
auch vergessen, aber ich will ihn doch begießen. -- Gretchens Hand fuhr
erschrocken zurück, sie hatte ihn ja nicht von neuem beunruhigen wollen. In
diesem Gefühle ließ sie auch ein Bierglas dicht an der Tischkante stehen,
obgleich es ihr in den Fingern zuckte, es sicherer zu stellen. Der
geringste Anstoß mußte es hinunter stoßen.

Fritz aber, als sie an der Wohnstubenthür vorbei kamen, nöthigte Gretchen,
den Vater zu begrüßen. Er machte die Thür auf, der Alte lag im Lehnstuhl
mit geschlossenen Augen. Heller Sonnenschein lag auf dem friedlichen
Gesichte, er schlug die Augen auf, und als er Gretchen und Fritz vor sich
stehen sah, meinte er, sein Lieblingstraum sei Wirklichkeit geworden; sein
Gesicht verklärte sich. Ach Gretchen! rief er aus und streckte ihr beide
Hände entgegen. Fritz aber wandte sich zum Fenster. Sein Vater hätte ja
schon so glücklich sein können, wer weiß denn, wie viele Tage er noch
zu zählen hat! Aber er soll glücklich sein, Gretchens Hand soll seines
Lebensabends pflegen. Ja, ja! sprach sein Herz, und sein Auge folgte dem
Sonnenstrahle hinan zum blauen Himmel, und alle Qual und Unruhe war aus
seinem Herzen verschwunden.

Daß Fritz in den letzten Tagen besonders unruhig, zerstreut und traurig
gewesen war, hatte seinen Grund. Eines Nachmittags hatte er in einer der
Hauptstraßen neue Meubel abzuliefern. In demselben Hause war unten ein
Buchladen, und als Fritz oben sein Geschäft beendet, trat er unten in den
Laden. Die Herren darin kannten den jungen Tischlermeister wohl, und sahen
es gern, wenn er sich hin und wieder hübsche Bücher ansah, denn nicht
selten kaufte er auch davon. Heute hatte er sich besonders festgeblättert
und festgelesen, und es war schon tiefe Dämmerung, als er den Laden
verließ. Sein Weg führte ihn vor dem Schauspielhause vorbei. Trotz der
Kälte war es hier ziemlich belebt, und zu seinem Schrecken erkannte
er zwischen den Leuten Klärchen am Arme eines Mannes. Er konnte nicht
widerstehen, er mußte erfahren, wer das sei. Nach einigem Hin- und
Herwenden gelang es ihm, das Gesicht des Mannes zu sehen, er war jung und
schön mit dunkelblondem Haar und einem großen Schnurrbart. Plaudernd ging
das Paar in das Haus, Fritz folgte ihnen, er schämte sich, aber er
konnt' es nicht lassen. Vom Parterre aus entdeckte er bald Beide in einer
halbdunkeln Parquetloge. O wie vertraulich sie mit einander waren! Er blieb
nicht lange, er hatte bald genug gesehen. Im Hinausgehen fragte er einen
Zettelträger, wer der blonde Herr mit dem Schnurrbart sei. Graf Bründel,
war die Antwort. Graf Bründel! wiederholte sich Fritz. Den Namen hatte er
wohl gehört: es war der leichtsinnigste, tollste Offizier der Garnison,
-- Klärchen seine Geliebte! -- Diese Gedanken hatten ihn in den Tagen
beschäftigt, als Benjamin krank war; darüber hatte er Alles um sich her
vergessen. Aber sein Herz sollte nun geheilt werden, und er sann nur auf
Mittel, wie der Armen wohl noch zu helfen sei.

Klärchen aber fühlte sich nicht arm, nein, unendlich reich, sie liebte und
ward wieder geliebt -- und von einem vornehmen Manne ward sie geliebt.
Wie schön, wie fein und galant war ihr Graf; er hing an ihren Blicken, sie
hatte nur über ihn zu bestimmen! -- Als der Sohn der Generalin sie damals
so plötzlich aufgegeben, war sie -- wie schon erzählt -- sehr unglücklich,
doch nicht lange. Sie sah sich bald nach Trost um, ihr Herz war einmal des
leichtfertigen Spiels gewohnt, es konnte jetzt nicht mehr ohne dasselbe
bestehen. In dieser Stimmung traf sie der erste Brief des Grafen Bründel.
Mit Entzücken ward die Sache angeknüpft, ihr heißes Herz war lange nicht so
spröde, als mit dem Mediziner, sie meinte es diesmal auf eine andere Weise
versuchen zu müssen, und hatte die feste Ueberzeugung, es könne ihr diesmal
nicht fehlen. Vier Wochen waren im süßen Taumel vergangen. Frau Krauter
machte sich kein Gewissen daraus, die Zusammenkünfte der jungen Leute zu
begünstigen. Der Graf hatte meistens eine volle Börse, und sie führte ein
herrliches Leben dabei. Er hatte auch versprochen, sich mit Klärchen trauen
zu lassen, und Mutter und Tochter glaubten daran; ja, Klärchens Klugheit
war dem Sinnenrausche ganz gewichen. Sie dachte nicht an die Zukunft, sie
wollte nicht an die Zukunft denken, die Gegenwart war zu süß. Im Theater
war sie öfters gewesen, und in künftiger Woche wollte der Graf sie auf eine
Redoute im Theaterlokale führen. Das war der Höhepunkt alles Vergnügens.
Seit vierzehn Tagen studirte Klärchen in allen Modeblättern und
durchstöberte Läden, wo Maskenanzüge verliehen wurden. Endlich hatte sie
sich für eine Diana entschieden, aber unbedingt mußte dazu ein grüner
Sammetüberwurf angeschafft werden, der eigens ihrer schlanken Gestalt
angemessen war. Woher aber das Geld dazu nehmen? Es war gerade Ebbe in
allen Kassen, die Mutter hatte schon einige Male nach neuen Zuschüssen
geseufzt, aber der Graf hatte keine Anspielung verstanden, weil er gerade
selbst nichts hatte. Borgen konnte Klärchen nicht mehr, denn in allen Läden
fast hatte sie Plemperschulden, auch Auguste Vogler bekam beinahe zwei
Thaler. Die Schulden machten ihr weiter keine Sorgen, sie hätte es längst
bezahlen können und würde auch bald wieder Geld die Fülle haben, es war
nur diese augenblickliche Verlegenheit. Den ächten Sammetüberwurf hatte
sie schon aufgegeben, es brauchte auch nur ein unächter zu sein, und dazu
gehörten kaum einige Thaler. Bei diesem Grübeln führte ihr der Teufel immer
den vollen Geldkasten im Schreibtisch der Generalin vor. Stehlen? nein!
sie entsetzte sich vor dem Gedanken. Vermissen würde freilich die Generalin
eine so kleine Summe nicht, denn schon öfter hatte sie mit Klärchen
gesonnen, ob sie nicht einige Posten in ihr Haushaltsbuch einzutragen
vergessen hätte, und sich bald beruhigt, wenn sie die Summe nicht finden
konnte. Der Gedanke kam wieder und immer wieder, je näher die Zeit der
Redoute heranrückte. Für einige Tage wenigstens könntest du das Geld nehmen
und legst es wieder hinein, flüsterte ihr der Böse zu. Sie widerstand
nicht, was hätte auch in ihr widerstehen sollen? Die Klugheit, ihre einzige
Waffe, mit der sie sich vor Sünde und Untergang schützen wollte, rieth ihr
gerade den Schritt. Du entlehnst es nur, du nimmst es nicht, sagte
diese Klugheit; dazu erfährt es Niemand, und das grüne Sammetgewand ist
nothwendig zu deinem Glücke. Am anderen Morgen machte sie das bekannte
Manöver mit dem Schlüssel. Ihre Hände zitterten, als sie in den Kasten
griff, und angstvoll schlug ihr Herz. Doch als sie den Abend bei der Mutter
war und vor dem Spiegel den grünen Sammet probirte, zitterte sie nicht
mehr. Ja, als sie einige Tage darauf an des Grafen Arm durch die Reihen
flog, als ihre Gestalt laut bewundert, ihre Schönheit gepriesen ward, da
schwieg das Gewissen ganz und gar. Der Graf gab ihr den Abend noch einiges
Geld, denn sie gestand ihm, daß sie Schulden hätte, und Gustchen Vogler war
schon ungeduldig geworden. Zuerst sollte aber die Summe in den Schreibtisch
der Generalin gelegt werden, so war es ihre Absicht. Da sie am andern
Morgen später als gewöhnlich aufstand, mußte sie es bis zum nächsten
verschieben. Den Tag aber überlegte sie sich die Sache noch einmal. Die
Generalin hatte nichts gemerkt, sie war gleich freundlich und gütig, von
_der_ Seite war Klärchen sicher. Sie nahm sich daher vor: lieber erst die
kleinen Schulden in den Kaufläden zu bezahlen, um bei nächster Gelegenheit
wieder borgen zu können. Als sie mit dem Rest ihrer Summe im letzten Laden
stand, bemerkte sie mit Schrecken, daß diese Summe nicht ausreiche. Noch
dazu hatte sie groß gethan, von Bezahlen gesprochen, und der älteste Diener
gerade hatte ihr die Summe ausgezogen, mit der höflichen, aber doch ernsten
Bemerkung: daß es eigentlich nicht erlaubt sei, Damen in ihrer Stellung
solche Vorschüsse zu machen. Klärchens Hochmuth regte sich gewaltig, die
Summe mußte um jeden Preis bezahlt sein. Sie, die künftige Gemahlin eines
Grafen durfte sich so etwas nicht gefallen lassen. Sie nahm die Rechnung
und versicherte, in einigen Minuten wieder da zu sein. Zu Gustchen Vogler
ging ihr Weg. Gustchen mußte das Geld geben. Sie versprach heilig, es ihr
am anderen Morgen um zehn Uhr wieder zu übergeben. Gustchen war gutmüthig;
sie gab das Geld, versicherte aber, wenn sie am anderen Morgen es nicht
wieder bekomme, mache sie Lärm bei der Generalin. Mit Triumph bezahlte
Klärchen die Rechnung und bemerkte schnippisch: es gäbe Läden, wo Damen
ihrer Stellung ganz gern gesehen würden. Darauf schrieb sie gleich bei der
Mutter einen Brief an den Grafen, den diese eiligst besorgen mußte. Es
war das erste Mal, daß Klärchen Geld forderte, aber Noth bricht Eisen,
und dieser Aufforderung konnte er gewiß nicht widerstehen. Mit klopfendem
Herzen wartete sie auf der Mutter Rückkehr; diese aber brachte den
traurigen Bescheid: der Graf sei nicht zu Hause. Die Mutter versprach: so
oft hinzugehen bis sie ihn spreche, und bis morgen früh um zehn das Geld
anzuschaffen. Der Abend verging, der Morgen verging, die Mutter kam nicht.
Endlich brachte sie den Bescheid, der Graf sei gestern spät Abends nach
Haus gekommen, aber heut früh verreis't. Klärchen war außer sich, Gustchen
kam dazu und wurde mit den heiligsten Versprechungen bis morgen vertröstet.
Noth bricht Eisen, dachte Klärchen, morgen früh hole ich Geld aus dem
Schreibtisch; hat sie es einmal nicht gemerkt, wird sie es das andere Mal
auch nicht merken. Den Abend mußte die Mutter noch einmal nach dem Grafen
aussehen. Er war noch nicht zurück, und Klärchen ging am andern Morgen mit
großer Bestimmtheit an ihr Werk. Diesmal war sie kühner. Sie nahm nahe an
drei Thaler und wollte eben den Kasten wieder schließen, als sich die Thür
hinter ihr öffnete, und die Generalin herein trat. Klärchen schrie laut
auf. -- Also doch! sagte die Generalin. Klärchen hielt beide Hände vor das
Gesicht. Ihre Sinne wollten schwinden.

Klärchen! sagte die Generalin, ich habe schon vor acht Tagen gemerkt, daß
Jemand bei meiner Kasse gewesen; ich war aber meiner Sache nicht gewiß und
besonders wollte ich nicht glauben, daß Sie der Dieb seien.

Dieb! schluchzte Klärchen, ich wollte nicht stehlen, ich wollte das Geld
wieder hineinlegen.

Thörichte Reden! entgegnete die Generalin bestimmt. Sie haben gestohlen,
haben auf ganz abscheuliche Weise mein Vertrauen gemißbraucht; nichts kann
Sie jetzt vor einer gerichtlichen Untersuchung retten, als wenn Sie mir
ganz der Wahrheit gemäß Ihren Frevel gestehen und auch die Beweggründe
dazu. Ueberhaupt muß ich jetzt Ihren ganzen Lebenswandel kennen lernen, von
dem sich in der letzten Zeit sehr schlimme Gerüchte verbreitet haben.

Klärchen war in einer entsetzlichen Lage. Aller Hochmuth, aller Stolz war
dahin. Die Sünde ist feig, Furcht folgt ihr auf den Fersen. Furcht war es,
die Klärchens Wesen durchzitterte; sie dachte an ihre Liebe, an den Grafen,
freilich ihm zu Liebe war sie ja eine Diebin geworden; sie dachte aber
an ihre Freundinnen, an Tante Rieke. Ja sie bekannte, sie schilderte ihre
erhabene Liebe zum Grafen. Wenn er nicht verreist war, hätte sie das zweite
Geld nicht genommen, ja sie würde das erstgenommene Geld wieder hinzugelegt
haben. Seine Liebe war so großmüthig gegen sie. Alles, was ihm gehörte, war
auch das Ihre; ja er hatte versprochen, sie zu heirathen.

Die Generalin erwiederte ihr, daß sie ein armes, getäuschtes Mädchen
sei, daß es aber allen Leichtsinnigen so gehe. Wie würde ein achtbares
Offiziercorps es je dulden, daß der Graf ein Mädchen heirathe, wie sie!

Klärchen sah die Sprecherin groß an bei diesen Worten. Wie ich? fragte sie
leise.

Ja wie Sie! wiederholte die Generalin. Sie haben sich des Abends auf der
Straße umhergetrieben, Sie gelten in der Stadt als eine leichtfertige
Koquette, und der Graf ist nicht Ihre erste Liebe.

Klärchen ward roth. Sollte die Generalin vom Mediziner wissen? Oder wollte
sie nur versuchen, die Wahrheit zu erfahren? Zu jeder andern Zeit würde sie
geleugnet haben, jetzt aber war sie von der Furcht beherrscht: sie schwieg
zu dieser Beschuldigung und begann nur, die Generalin wegen ihres Fehlers,
wie sie die Entwendung des Geldes nannte, um Verzeihung zu bitten.

Die Generalin hielt ihr eine lange Rede, stellte ihr die Folgen eines
solchen Lebenswandels vor, die allerdings anders ausschauten, als Klärchens
Bilder von der Zukunft. Zugleich aber versprach die nachsichtige Dame,
von der Sache nicht zu reden und Klärchen bis Ostern ruhig im Dienst zu
behalten. Da Sie aber wahrscheinlich zu schwach sind, schloß sie diese
Unterredung, das Verhältniß mit dem Grafen aufzulösen, soll das von seiner
Seite geschehen; er soll es erfahren, wohin sein Leichtsinn ein armes
unglückliches Mädchen gebracht hat, er soll es erfahren, daß er Sie zur
Diebin machte.

Dies Letzte brachte Klärchen fast zur Verzweiflung, sie flehte, sie bat, --
aber vergebens, die Generalin blieb bei ihrem Vorsatz, und Klärchen mußte
endlich das Zimmer verlassen. Ihr Erstes war nun, selbst an den Grafen zu
schreiben; sie schilderte ihr Unglück, ihre Liebe, ihre Verzweiflung, wenn
er sie verließe. Sie benetzte den Brief mit Thränen, daß die Schrift kaum
zu lesen war, und gerade als sie ihn gesiegelt hatte, trat ihre Mutter ein.

Du kommst wie ein Engel des Himmels, sagte Klärchen, Du mußt schnell den
Brief zum Grafen tragen.

Ist nicht nöthig, schmunzelte die Mutter, ich habe das Geld schon.

O Gott, stammelte Klärchen, so wäre es gar nicht nöthig gewesen! Sie
bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte heftig. Hätte sie doch
nur noch eine Stunde gewartet, so wäre das Unglück nicht über sie gekommen!
Die Mutter war außer sich über den Schmerz der Tochter, sie forschte,
sie tröstete, sie erzählte, wie sie gestern Abend noch spät zum Grafen
gelaufen, wie sie ihn auch da nicht gefunden, wie sie ihn aber heut früh
im Bette getroffen, und er das Geld habe herausrücken müssen. Er brummte
freilich ein Bißchen (setzte die Mutter hinzu), und meinte, das ginge über
seine Kräfte.

Sagte er das? entgegnete Klärchen heftig. O trage ihm das Geld wieder hin,
und meinen Brief dazu; sage ihm: ich wolle nichts weiter, als seine Liebe,
und er solle gleich antworten. Aber geh' gleich, Mutter, und komm gleich
wieder.

Die Mutter verstand von Allem nichts, sie schüttelte den Kopf, sie wußte
nur: Guste Vogler würde kommen, um das Geld zu holen, und die würde nicht
wenig Lärm machen, wenn sie nichts bekäme. Sie redete also der Tochter zu.
Ihr Liebesleute, sagte sie, da zankt Ihr Euch nun und macht Euch unnöthig
Noth. Nimm ruhig das Geld und bezahle Deine Schulden, ich will ihn heut
Abend zu uns bestellen, da könnt Ihr Euch versöhnen. Klärchen, laß Dich
die Liebe nicht verblenden! Der Graf entschlüpft Dir noch wie mein
Rechtsgelehrter.

Klärchen wollte eben auffahren, als es an der Thür klopfte. Guste! sagte
sie leise und sah dabei unwillkürlich auf das Geld in der Mutter Hand.

Soll ich? fragte diese.

Ja, entgegnete Klärchen seufzend, bezahle nur, aber geh' vor die Thür,
sag', ich sei krank.

Die Mutter ging und die Sache war bald abgemacht. Jetzt aber mußte sie die
Besorgung des Briefes an den Grafen übernehmen; sie versprach, gewiß nicht
ohne Antwort wieder zu kommen.

Aber sie kam doch ohne Antwort. Der Graf war schon im Dienst gewesen, und
Frau Krauter zum Nachmittag wieder hinbestellt. Klärchen verlebte qualvolle
Stunden, sie hatte sich zu Bett gelegt, um nur nicht Leuten in das Gesicht
sehen zu müssen. Hier lauschte sie jedem Fußtritt auf der Treppe. Sie
machte sich wunderliche Phantasien. Wenn er ihren Brief lies't, wird sein
Herz zerschmelzen, er wird ihr Unglück nicht ertragen können, er wird
selbst zu ihr kommen, er wird trotzen der Welt und der Generalin und wird
sie selbst trösten, beruhigen und ihr aus dem Wirrwarr helfen. -- Aber wie
ward ihr, als die Mutter in der Dämmerung zu ihr eintrat mit dem kalten
Bescheid: Der Graf sei sehr verdrießlich gewesen, er habe von einem zweiten
Briefe gesprochen, von schrecklicher Unvorsichtigkeit, von kaum zu lösenden
Unannehmlichkeiten, er müsse sich die Sache überlegen und wolle morgen
Bescheid schicken.

Das war ein Todesstoß für Klärchen. Sie fühlte sich in einer solchen Nacht
des Unglücks, daß sie keinen Gedanken fassen konnte, sie fühlte nur, die
Sache mit dem Grafen sei aus. Sie blieb auch den folgenden Morgen im Bett
liegen, sie konnte nichts anders thun, als weinen und das sollte Niemand
sehen. Zuweilen kam der Hoffnungsschimmer: die Mutter könne doch noch einen
tröstlichen Brief bringen, sie dachte wenige Tage zurück, wie seine Liebe
da so heiß, seine Versprechungen so heilig, so für die Ewigkeit gewesen;
aber sie bedachte nicht, daß alle solche Betheurungen nur Teufelswerk sind,
die wie Seifenblasen verwehen; sie gehörte zu den Tausenden von thörichten
Jungfrauen, die solchen Versicherungen trauten.

Doch lange blieb sie nicht in Ungewißheit. Die Mutter kam mit dem Briefe,
und der war wie sie bei solchen Gelegenheiten auch zu Tausenden
geschrieben werden. Noch Versicherungen heißester Liebe, aber man muß der
Nothwendigkeit, der Pflicht, der Ehre weichen, wenn auch das Herz darüber
bricht. -- Klärchen las und weinte, und weinte und las wieder, und blieb
den Tag im Bett liegen. So viel Besinnung nur hatte sie, den größeren Theil
der Goldstücke, die der Graf mitgeschickt, für sich zu behalten und der
Mutter nur den kleineren zu geben.

       *       *       *       *       *

Der März war gekommen, der Schnee geschmolzen, und die warme Frühlingssonne
schien auf die belebten Straßen. Klärchen hatte unter dem Vorgeben, sie sei
krank, das Haus 14 Tage lang nicht verlassen; eigentlich aber fürchtete sie
sich ihren Bekannten zu begegnen, und besonders der Tante Rieke. Die Mutter
hatte vorläufig der Tante vom Dienstwechsel sagen, und als Grund dazu
angeben müssen: Klärchen könne das Sitzen nicht vertragen, sie hätte sich
darum nach einem Dienst umgesehen, wo sie mehr Bewegung hätte.

Eines Tages nun ging Klärchen aus, um Besorgungen für die Frau Generalin
zu machen. Die Sonne schien so warm, Kinder spielten lustig auf der Straße,
vom nahen Exerzierplatz klang laute Musik zu Klärchens Ohren. Klärchen
aber war betrübt und verbittert; gerade das fröhliche Treiben überall, das
lustige Aussehn der ganzen Welt war ihr unangenehm. Noch unangenehmer aber
war es ihr, daß Tante Rieke ihr entgegen kam. Ausweichen konnte sie nicht,
sie mußte sich also auf eine ernste Unterredung gefaßt machen. Die Tante
war aber nicht so schlimm, als sie gefürchtet.

Du siehst recht blaß aus, sagte sie theilnehmend, mußt doch recht krank
gewesen sein.

Klärchen erzählte so gut wie möglich und fügte hinzu, daß der neue Dienst
im Hotel Reinhard gewiß passender für sie sein würde.

Aber ein Gasthof! sagte die Tante.

Ich habe mit dem Gasthofsleben gar nichts zu thun, entgegnete Klärchen, ich
bin die Mamsell, die allen Kaffee und Zucker unter sich hat, ich habe
das Frühstück auf die Zimmer zu schicken, und die Wäsche unter mir. Dazu
bekomme ich 60 Thaler Gehalt und viele Geschenke.

Es ward ihr nicht schwer die Tante zu beruhigen. Im Sprechen hatten sie der
Tante Haus erreicht. Klärchen mußte mit eintreten. Gretchen stand in der
Stube und haspelte. Was ist das langweilige Arbeit, wenn die Sonne so warm
in das Fenster schaut und einen immer in das Freie ruft! sagte sie; aber
es ist nun das Letzte und wir machen Schicht mit dem Spinnen. -- Bei den
Worten beugte sie sich über einen Topf mit blühenden Schneeglöckchen, als
ob ihr der Anblick neue Kraft zu ihrer Arbeit geben solle.

Wo hast Du denn schon die hübschen Blumen her? fragte Klärchen.

Von Benjamin, entgegnete Gretchen, und ward roth dabei, denn sie wußte, daß
Fritz Buchstein die Blumen in den Topf gesetzt hatte, und das war ihr das
Schönste daran. Benjamin ist wieder gesund, er hat die Blumen in seiner
Stube zur Blüthe gebracht und sie mir dann geschenkt. Und sieh nur die
weißen Blümchen, wie sie so rein und zart dastehen und ihre Köpfchen so
still niederbeugen. Ich mag keine Blumen lieber, als die Schneeglöckchen,
und Benjamin hätte mich durch nichts mehr erfreuen können.

Klärchen stimmte mit Worten ein, aber ihr Herz war matt, sie konnte sich
nicht über Blumen freuen.

Jetzt bin ich fertig! sagte Gretchen fröhlich, nun hilf mir, Klärchen,
Erbsen legen und Salat säen. Ein Hauptspaß ist es, die Sachen alle
recht früh zu haben. -- Sie setzte einen Nankinghut auf, nahm den bereit
stehenden Samen und ging der Tante und Klärchen voran.

Der Himmel war lichtblau, weiße Frühlingswölkchen zogen daran, der
Erdboden war braun und frisch, die Veilchen legten ihre seidenen Blättchen
auseinander, die Stachelbeerbüsche hatten einen grünen Schimmer, der
Buchfink schlug, Spatzen lärmten, Tauben girrten auf den Dächern, und in
den Nachbarsgärten ward gearbeitet, geplaudert und gesungen. Auch Benjamin
schaute zum Fenster hinaus, der Matz saß ihm auf der Schulter und rief:
»Jungfer Gretchen, so recht.« Gretchen rief: er solle schweigen, seine
häßliche Stimme passe nicht zum Frühling. Benjamin aber flüsterte dem Vogel
etwas zu, und der schnarrte sein »Racker, Spitzbub« mit so vielem Eifer,
daß selbst Fritz Buchstein das Fenster seiner Werkstatt aufmachte und Ruhe
gebot. Doch er trat auch in den Garten und sah über das Staket hinüber,
Gretchen bei der Arbeit zu. Daß Klärchen dabei war, zog ihn wohl auch
hinaus, aber es machte ihn nicht mehr verlegen, nein, der Herr hatte seine
Gebete erhört und seinem Herzen Ruhe gegeben; nur eine Theilnahme für das
arme unglückliche Mädchen fühlte er noch. Er wußte ihr Schicksal mit dem
Grafen ziemlich genau. Wenn sie doch jetzt noch umkehrte! dachte er, ihre
Blässe und ihr Stillsein waren ihm eine Beruhigung.

Doch Gretchen ließ ihn nicht lange bei diesen Gedanken, sie war so frisch
und fröhlich, sein Herz freuete sich über sie. Als Benjamin sie neckte
wegen der schiefen Reihen auf dem Erbsenbeete, schwang sich Fritz am alten
Fliederbaume über das Staket und übernahm selbst das Amt des Reihenziehens.
Frau Bendler stand glücklich dabei, und der alte Buchstein, der am Stock
gestützt, sich von der Frühlingssonne wärmen ließ, schien sich noch mehr zu
erwärmen am Anblick seines glücklichen Sohnes und des braven Gretchens.

Klärchen konnte es nicht aushalten zwischen diesen glücklichen Menschen.
Fritz Buchstein liebt die Grete, das ist richtig. Gretchen kam ihr heut
ordentlich hübsch vor. Und Fritz? den hatte sie längst zu gut für die Grete
gefunden. In dieser Stimmung wandelte sie fast etwas wie Reue an, den
Fritz so schnöde behandelt zu haben. Daß er sie erst geliebt, fühlte sie zu
bestimmt, und jetzt, wo ihr Glück in der vornehmen Welt gescheitert, konnte
sie sich das Leben in einem stattlichen Bürgerhaus an der Seite eines Fritz
schon möglich denken. Freilich müßte sie ja dann ein frommes, fleißiges,
ordentliches Mädchen wie Gretchen sein, flüsterte eine Stimme in ihrem
Innern, und ihr Gewissen regte sich, Thränen liefen ihr über die blassen
Wangen.

       *       *       *       *       *

Wieder einige Monate waren vergangen, der Sommer war herrlich. Gretchen
freute sich erst an den Blüthenbäumen, dann an den duftenden Rosen. Fritz
hatte auch in seinem Garten Blumen gepflanzt und gesäet, daß Alles lustig
durch einander blühte. Benjamin hatte seine Freude an dem Paar, er neckte
sie aber auch und war kühn in seinen Neckereien, denn nach einem schönen,
warmen Sommerregen brach plötzlich ein F. und G. aus der braunen Erde
heraus und war bald in krauser grüner Kresse sehr deutlich zu lesen.
Seinen Staarmatz lehrte er heimlich eine neue Rede, und sein Dompfaff sang
lieblicher als je: Lobe den Herrn o meine Seele.

Auch Klärchens Thränen waren wieder getrocknet, ihre Wangen wieder
aufgeblüht. Das Gasthofsleben gefiel ihr wohl. Sie ward von den Fremden
bewundert, man war galant gegen sie, man schmeichelte ihr. Daß dies keinen
weiteren Einfluß auf ihr künftiges Leben haben würde, wußte sie, es waren
Fremde, die nach ein oder zwei Tagen abreisten, und sich nur amüsiren
wollten. Sie war daher sehr zurückhaltend und wollte überhaupt mit
vornehmen Leuten nichts zu thun haben. Ihre Phantasien waren aus dem
Hochromantischen zur Idylle hinabgestiegen. Nur ein fühlendes Herz und
Bildung mußte der Mann haben, mit dem sie in einem kleinen Stübchen
leben sollte. Und einen solchen Mann hatte sie bald gefunden. Es war der
Oberkellner des Hotels; seine Bildung war untadelhaft, er sprach englisch
und französisch, ging immer in schwarzem Frack und weißer Halsbinde, und
hatte in seinem Wesen etwas überaus Vornehmes. Daß sie gerade mit ihrer
Liebe Schiffbruch gelitten, kam Herrn Eduard zu gute, denn bald war er
ihrer Liebe gewiß. Natürlich hatte er ihr vorher seine Verhältnisse klar
auseinander gesetzt. Eigentlich konnten sie jetzt schon heirathen, er hatte
200 Thaler Zinsen und stand sich beinahe ebenso viel im Dienste: aber
sein Streben ging nach einem eigenen Hotel, seine Kenntnisse, seine
Bekanntschaften mußten es ihm leicht machen eines zu erhalten, ja, er war
schon nach verschiedenen Seiten hin in Unterhandlungen gewesen. Er malte
Klärchen die herrlichste Zukunft. Sie, die Dame des Hotels, sollte
ein Leben wie eine Prinzessin führen, und schalten und walten nach
Wohlgefallen. Klärchen vergaß ganz die Vergangenheit und ward wieder kühn
in ihrem Auftreten, und sehr selbstgefällig und mit sich zufrieden.
Zum 10. August, Klärchens Geburtstag, hatten sie sich vorgenommen, die
Verlobung zu veröffentlichen. Der Bräutigam hatte ihr im Voraus einen rosa
Taffethut und eine schwarze Atlasmantille geschenkt. Beides lag auf dem
Sopha in ihrem Stübchen, ein ächtes Batisttuch und gelbe Glaceehandschuh
daneben. Es war am Vorabend des Geburtstages, schon ganz spät dämmerig,
ihre Stubenthür war nur angelehnt, -- da hörte sie zwei flüsternde Stimmen
auf dem Korridor.

Thee will er haben, so mach doch nur! Er ist besoffen, hat aber noch so
viel Verstand, daß er weiß, was ihm noth thut.

Der kann was vertragen! entgegnete die andere Stimme, ein anderer ehrlicher
Mensch wäre den ganzen Tag besoffen, wenn er so viel tränke wie der.

Und ein Spitzbube ist er dazu, sagte wieder die erste Stimme; alle Monat
hundert Thaler schlägt er gewiß unter, und der alte Esel merkt's nicht und
hat den Narren an ihm gefressen.

Die Stimmen entfernten sich jetzt, Klärchen war in besonderer Aufregung.
Wen meinten sie? Wer war der Spitzbube, der Betrunkene? Eine schreckliche
Ahnung ging durch ihre Seele. Sollte es Eduard sein? Schon einigemal hatte
er so nach Wein geduftet, daß sie ihn darauf angeredet; er aber hatte
gelacht und gemeint, er wäre ein schlechter Kellner, wenn er den Wein nicht
probiren wolle, auch wäre es durchaus nothwendig bei seiner anstrengenden
Lebensweise, sich zuweilen mit einem guten Schluck zu stärken. Daß der Wein
aber auch nur die geringste Wirkung auf ihn geübt, hatte Klärchen noch nie
gemerkt. Sie fing an sich zu beruhigen: er ist es doch wohl nicht. Nun gar
der Spitzbube! das konnte ja nicht auf ihn gehen, er sah so nobel aus, er
sprach so schön. Freilich leichtfertig konnte er auch zuweilen reden,
und näher kannte sie ihn nicht, und wußte nicht, wie es mit seiner Moral
beschaffen. Dazu schlug ihr eignes Gewissen; ihre eigne Moral war doch
eigentlich auch: wenn es nur die Leute nicht wissen. Dieß, daß es die Leute
wußten, daß gewiß zwei Kellner die Redenden gewesen, war das Unangenehmste
bei der Sache. Sie mußte den Grund dieses Gespräches wissen, sie mußte aus
ihrer Ungewißheit kommen, und verließ deshalb ihr Zimmer. Im Vorbeigehen
faßte sie an ihres Bräutigams Thür, die war verschlossen. Darauf sah sie
in den Salon. Hier war er nicht. Sie ging in die Küche und erkundigte
sich, für wen der Thee bestimmt sei. Für Herrn Eduard, sagte die Köchin
unbefangen. Der Laufbursche, der mit dem Brett und der Tasse dabei stand,
grinsete bei diesen Worten die Küchenmagd sehr verständlich an. Klärchen
mußte sich sehr zusammen nehmen, um ihre Bewegung nicht merken zu lassen;
sie konnte den Abend auf ihrem Lager keine Ruhe finden. Wie entsetzlich,
wenn er trinkt! Sie dachte an ihren verstorbenen Vater, wie der die
Mutter dadurch so unglücklich gemacht hatte, sie sah um sich noch lebende
Beispiele genug. Selbst der alte Vogler, der sonst im Haus Alles gehen
ließ, wie es wollte, -- wenn er betrunken nach Hause kam, war die kranke
Frau und die verzogene Tochter nicht vor seinen Schlägen sicher. Und wie
mag es vielleicht mit dem Gasthof stehen? Ob die vorgespiegelten Hoffnungen
wohl Wahrheit sind? So allein mit der Nacht und mit ihren Gedanken, ward
ihr ganz bange, und -- wunderlich genug, -- Fritz Buchstein und Tante Rieke
standen Beide mit ihren ernsten Gesichtern und strafenden Worten vor
ihrer Seele. Wenn der Gott, von dem sie so viel reden, dich doch für dein
leichtsinniges Leben strafen könnte? Wenn die Tante Recht hätte mit ihrem
Sprüchwort: Wie man's treibt, so geht's? -- Aber was sollte sie machen?
Jetzt wieder zurücktreten -- das war unmöglich, ihr Ruf würde darunter noch
mehr leiden und ihre Zukunft ganz verloren sein. Auch wird Eduard sie nicht
lassen, er liebt sie zu sehr, und sie liebt ihn auch zu sehr. Ja, das ist
ihr Trost. Diese Liebe muß ihn, sollte er wirklich Fehler an sich haben,
bessern. O, wie erhebend ist der Gedanke! Er ist so weich, so nachgebend,
sie kann ihn um den Finger wickeln, er wird ihr Alles zu Liebe thun, sie
wird einen Engel von Ehemann aus ihm machen. Dieser Gedanke hat schon
manche Mädchen zu unglücklichen Frauen gemacht. Sie wollen ihn bessern, ihn
ändern, sie trauen ihrer schwachen Kraft gar Großes zu. Solche Liebe hat
noch keinen Mann geändert; und je weichlicher und schwächer sie dieser
Liebe zu Füßen liegen, je weichlicher und schwächer geben sie sich wieder
den alten Sünden hin. Einen Menschen ändern, dazu gehört eine andere Macht,
gehört die Kraft von oben.

Klärchen aber hatte sich mit diesen Gedanken beruhigt, und als am anderen
Morgen Eduard mit seiner gewöhnlichen Gewandtheit und Liebenswürdigkeit vor
ihr stand, war sie wieder frischen Muthes. Aber sagen mußte sie ihm von
dem Gespräch -- zur heilsamen Warnung, rieth ihre Klugheit. Auch gab es
ihr eine Art von Uebergewicht über ihn, wenn sie um seine Fehler wußte. Sie
erzählte es zwar in dem Sinne, als ob sie nicht an die Möglichkeit solcher
Dinge glaube; aber er mußte jedes von den erlauschten Worten hören.
Eduard ward feuerroth und sichtbar verlegen, aber Zornesworte mußten die
Verlegenheit verbergen; er wollte die Schurken verklagen, er wollte ihnen
den gottlosen Mund stopfen, es sei Neid, und so weiter. Im Grunde aber
war er recht froh, daß ihm Klärchen die Personen nicht nennen konnte. Eine
genaue Untersuchung wäre ihm doch nicht gelegen gewesen. Die Anschuldigung
des Betrinkens erklärte er damit, daß er gestern Wein abgezogen habe, und
daß die kalte Kellerluft, nach der Schwüle oben im Haus, ihm nicht wohl
gethan, sodaß er schwindlich und ohnmächtig geworden. O, er that so erzürnt
und erboßt, daß ihm Klärchen die schönsten Worte geben mußte, um ihn wieder
zu beruhigen. Er ließ sich auch beruhigen, und Beide unterdrückten durch
süße Worte ihre gegenseitigen beängstigenden Gefühle.

Gegen Mittag wanderten Beide zu Tante Rieke. Klärchen hatte die Freude, daß
man ihnen überall nachsah, -- wirklich ein schönes Paar! Er sah wenigstens
aus wie ein Baron, und sie nicht minder vornehm. Was wird die hausbackene
Grete, was Fritz Buchstein sagen? Grete wird gewiß verlegen dem vornehmen
Manne gegenüber, und Tante Rieke macht einen etwas tieferen Knix.

Aber sie irrte sich. Tante Rieke war allerdings verwundert, Klärchen am
Arme eines fremden Mannes zu sehen; und als diese den Namen nannte und ihn
als ihren Bräutigam vorstellte, machte sie ein sehr ernsthaftes Gesicht.
Gretchen aber sah dem Bräutigam erst forschend und dann ganz erzürnt in die
Augen. Dieser ward sichtlich verlegen dadurch und wandte sich ab. Klärchen
bemerkte das und wußte gar nicht, woran sie war. Die Tante unterbrach
zuerst die peinliche Pause.

Klärchen, ich hätte geglaubt, du hättest uns nicht so sehr überrascht mit
einer so wichtigen Sache, sagte sie mit einem leisen Vorwurf im Tone.

Klärchen entschuldigte sich damit, daß es so schnell gekommen, und mit
Aehnlichem. Der Bräutigam hatte während dessen seine Fassung vollständig
wieder gewonnen und spielte den Beleidigten.

Ich hoffe, daß Sie gegen meine Person nichts einzuwenden haben, -- sagte
er gereizt, -- und daß ich Ihnen ein willkommener Neffe bin. Meine
Verhältnisse sind von der Art, daß ich mich Ihnen getrost als solcher nahen
darf.

Verzeihen Sie, Herr Günther, entgegnete die Tante sanft, ich wünschte
nur, Klärchen hätte mehr Zutrauen zu mir gehabt. Gegen Sie bin ich ganz
unpartheiisch, denn ich versichere Sie, daß Sie uns ganz unbekannt sind;
weder ich noch meine Tochter haben je Ihren Namen gehört.

Ich kenne den Herrn wohl, -- sagte Gretchen jetzt leise, aber mit
unverkennbarem scharfem Ausdruck.

Ich wüßte nicht, stotterte Eduard; vielleicht so vorübergehend, vielleicht
im Theater oder in einem Kaffeegarten.

Gretchen schüttelte den Kopf und schwieg, und Eduard ging leicht darüber
hin und knüpfte eine lebhafte Unterhaltung an. Tante Rieke aber blieb
ziemlich schweigsam, und Gretchen und Klärchen schwiegen auch, bis zu aller
Erleichterung der Besuch ein Ende hatte.

Auf der Straße konnte Eduard seinen Zorn nicht verhalten. Das mußt Du
versprechen, sagte er eifrig, mit diesen rohen, ungebildeten Leuten darfst
Du keinen Verkehr haben. Sie haben mich unter aller Würde behandelt, und
was dieser Stockfisch, dies Gretchen von mir wollte, begreife ich nicht.

Klärchen war auch ganz außer sich. Wo waren die Triumphe, die sie erwartet
hatte? Von Gretchen ward sie nicht beneidet, das fühlte sie, -- eher
bemitleidet; und dahinter mußte etwas stecken. Und daß auch die Tante
so wenig Freude über den vornehm aussehenden Bräutigam gezeigt, war ihr
entsetzlich, ja das Weinen war ihr nahe; und doch mußte sie sich vor dem
zornigen Bräutigam jetzt zusammen nehmen.

Es war den Tag sehr unruhig im Hotel, so daß Beide wenig Gelegenheit
fanden, sich zu sprechen. Klärchen war sehr damit zufrieden. Sie wartete
nur auf eine passende Zeit, um zur Tante schlüpfen zu können und den Grund
von Gretchens sonderbarem Wesen zu erforschen. Als Eduard bei der sehr
zahlreichen Abendtafel beschäftigt war, führte sie ihr Vorhaben aus. Sie
fand die Tante und Gretchen in der dämmernden Stube. Erst wußte sie nicht
recht, wie sie beginnen sollte, aber es half ja nichts und sie bat mit
etwas stockender Stimme, ihr zu sagen, ob sie etwas Unrechtes von ihrem
Bräutigam wüßten. Gretchen sah verlegen vor sich nieder.

Klärchen! begann die Tante, vor allen Dingen möchten wir es Dir recht
begreiflich machen, daß wir es gut mit Dir meinen. -- Bei diesen Worten
nahm sie Klärchens Hand und sah sie mit den sanften braunen Augen recht
herzlich an. Klärchens Herz war leichtfertig, aber für die Stimme der
Wahrheit hatte sie doch noch Gefühl. Ich glaube es, entgegnete sie und
erwiederte der Tante Händedruck. Diese fuhr fort:

Kennst Du Deinen Bräutigam genau?

Ich kenne ihn seitdem ich im Hotel bin, versetzte Klärchen. Ich weiß, daß
er dem Herrn des Hauses Ein und Alles ist, daß er eigentlich das ganze
Geschäft führt und in Kurzem selbst einen Gasthof übernehmen wird. Er hat
Konnexionen, Vermögen, dazu ist er gebildet und von Allen, die im Gasthofe
aus- und eingehen, geachtet und geliebt.

Das ist wohl gut, sagte die Tante; aber es sind nur äußere Dinge, und
Du könntest bei alle dem kreuzunglücklich werden. Weißt Du, ob er ein
rechtschaffener Mann ist, ob er ein braver Mann ist, der Gott mehr
fürchtet, als die Menschen?

Freilich hoffe ich, daß er ein rechtschaffener Mann ist, und habe keine
Ursache, das Gegentheil zu glauben. Und wißt Ihr etwas von ihm, so ist's
Eure Pflicht und Schuldigkeit, es mir zu sagen.

Der Tante gefielen diese Worte wohl, sie meinte, Klärchen liege ihres
Bräutigams Rechtschaffenheit gar sehr an der Seele; aber von der war es
nur die brennende Begierde, etwas zu wissen, zu hören; ihr Stolz war
gedemüthigt, sie war innerlich erboßt, sie hätte mit der ganzen Welt hadern
mögen.

Ich will Dir nun erzählen, was wir von Deinem Bräutigam wissen, begann die
Tante, Du kannst dann überlegen, was Du zu thun hast. Im vorletzten
Winter, als ich am gastrischen Fieber lag, mußte Gretchen für mich manche
Krankenbesuche übernehmen. Unsere schwerste Kranke war damals ein
Mädchen, die ein Vierteljahr vorher ein Kind gehabt hatte und jetzt an
der Auszehrung elend darnieder lag, so arm und verlassen, daß es ihr am
Allernothwendigsten fehlte, und unser Verein kaum anschaffen konnte, was
sie gebrauchte. Bei ihrer äußeren Noth hatte sie aber auch innerlichen
Jammer, sie sprach viel von dem Vater ihres Kindes, was der ihr
vorgespiegelt und versprochen, und wie er sie jetzt in Hunger und Kummer
umkommen lasse. Oft hat Gretchen ihre Klagen über den Menschen mit anhören
müssen, und die Urtheile und Schilderungen von ihm waren nicht fein. Als
das Mädchen immer elender ward und ihren Tod vor Augen sah, war ihr größtes
Verlangen, ihren Geliebten, wie sie ihn denn doch in manchen Stunden
noch nannte, nur einmal noch zu sehen. Eine Frau, die schon früher die
Unterhändlerin des Liebespaares gewesen, ward zu wiederholten Malen
abgeschickt, aber immer vergebens. Als nun Gretchen eines Tages hinkömmt
und die Kranke besonders schwach findet und ihr Trost und Theilnahme
zuspricht, ist diese untröstlich und sagt nur immer, sie müsse Günthern
noch einmal sehen. Gretchen hatte den Namen des Mannes nie gehört und auch
nie viel von der Geschichte wissen wollen. Als sie ihr nun vorstellt, wie
ihr Herz an einem Menschen hängen könnte, der sie so schmählich verlassen
und verstoßen habe, wie sie sich lieber dem Himmel zuwenden solle und dem
Heilande, der sie nicht verstoßen und verschmähen würde, und so Aehnliches,
um ihren Sinn zu bewegen, da kömmt die Frau herein, die immer an Günther
abgeschickt war, und ruft: Er kommt, er kommt! Gretchen will schnell gehen,
aber der Mann steht in der Thür, ehe sie sich dessen versieht. Er geht an
das Bett, die Kranke hat sich zu ihm gewendet und sagt: Ich sterbe nun, --
und dazu weint sie bitterlich. -- Das ist meine Schuld nicht! entgegnet
er barsch, und ich bin heute gekommen, damit die Lauferei endlich ein Ende
hat. Was willst Du nun? ich habe nicht viel Zeit hier zu stehen. -- Du hast
mich so elend umkommen lassen, schluchzt die Kranke wieder. -- Ich? ruft
er da und setzt ihr auseinander, was er alles gegeben; seine Schuld sei es
nicht, daß sie krank geworden, und sie habe Verwandte, die mehr hätten als
er, die sollten sich nur um sie bekümmern. -- Die Kranke kann vor Weinen
nicht sprechen, sie will seine Hand nehmen, er aber zieht sich zurück. Da
kann sich Gretchen nicht mehr halten, tritt zu ihm, nimmt seine Hand und
legt sie in die der Kranken und sagt: Das sind Alles unnütze Reden, die
Arme wird nicht lange mehr leben und wollte nur Trostworte, und nicht
so harte Worte von Ihnen hören. -- Er ist ganz erschrocken, denn er hat
Gretchen im ersten Eifer nicht gesehen, und führt nun eine andere Sprache
und läßt auch einiges Geld dort. Nach zwei Tagen war das Mädchen todt.

Die Tante schwieg. Klärchen war in höchster Aufregung. Sprechen konnte sie
nicht; sie reichte der Tante die Hand und stürzte zum Zimmer hinaus. Die
Tante wollte ihr nachrufen, aber sie hörte nicht, sie lief mit eilenden
Schritten über die Straße und verschloß sich dann in ihrem Zimmer. Hier
brach sie in Thränen aus. Ein abscheulicher Mensch! solch ein Verhältniß
vorher zu haben! Sie wollte augenblicklich mit ihm brechen, sie wollte
einen Mann haben, der geachtet und geehrt ward von der ganzen Welt und der
besonders weit über Tante Rieke und über Greten stand. -- So gingen ihre
Gedanken anfänglich durch einander. -- Als sie aber eine halbe Stunde
geweint, und ihre Thränen versiegten, ward sie ruhiger. Und wenn die ganze
Geschichte wahr wäre, dachte sie, was hat er eigentlich verbrochen? Daß ich
seine erste Liebe nicht bin, konnt' ich mir vorher denken. Er ist ja auch
deine erste Liebe nicht, entgegnete ihr Gewissen, und du hast ihm auch von
allen Abenteuern nichts gesagt. Das ist eben der Fluch der Sünde: um die
eigene zu beschönigen, mußte sie auch die des Andern entschuldigen und
so die Last beider tragen. Daß das Mädchen so dumm war, sich verführen zu
lassen, fuhr sie fort, ist traurig, und es ist schändlich von ihm, die Arme
so im Stich zu lassen; aber gewiß war sie ein ganz unbedeutendes Wesen,
die ihn nicht fesseln konnte, dir hätte so etwas nie passiren können. Das
einzige Unglück dabei ist nur, daß es nicht verborgen blieb, und daß gerade
ihre Verwandten so tief hinein blicken mußten. Ihrem Glücke konnte die
Sache nicht mehr hinderlich sein, Mutter und Kind sind todt. Wenn sie einst
Herrin eines großen Hotels ist, es bequem wie eine Prinzessin hat, dazu von
dem Manne geliebt und angebetet wird, was sie Alles nicht bezweifelte, so
fehlte ihrem Glücke nichts. Die Sache mit dem Aufgeben mußte doch überlegt
werden, und wer konnte denn wissen, ob in Wahrheit die Begebenheit so
schwarz war, wie die Tante sie vorgetragen? Die Tante sieht Alles mit so
strengen Blicken an; in den Stücken war ihr nicht zu trauen. Aber beichten
sollte ihr Bräutigam, erfahren, daß sie Alles wisse, und um so demüthiger
werden und ergebener. Als er wie gewöhnlich nach den beendigten Geschäften
zu ihr kam, fand er sie so getröstet, aber die Thränen flossen von Neuem
bei seinem Anblick. Er, mit dem bösen Gewissen, war besonders weichherzig,
forschte nach den Thränen und erfuhr nun die ganze Geschichte. Da schien
sein Zorn keine Grenzen zu haben, er nannte Alles die abscheulichste
Verleumdung, und Gretchen sammt der Tante maliziöse Personen, die
absichtlich eine Sache so verdreht hätten, um ihm Klärchen abspenstig zu
machen. Wer weiß, in welchen Winkel sie sie stecken möchten; sie ärgern
sich, sie vornehmer und schöner zu sehen, und so mehr. Von der Kranken
erzählte er: sie sei Hausmädchen hier gewesen, und er habe allerdings ein
kleines Liebesverhältniß mit ihr gehabt, später sei sie fortgekommen, sei
liederlich geworden und so herab gekommen. In ihrer Noth habe sie sich zu
ihm gewandt, und er habe sie hin und wieder unterstützt, ja, er habe sich
durch seine Gutmüthigkeit verleiten lassen, einmal hinzugehen, weil die
Person ihm keine Ruhe gelassen. -- Und das ist die Geschichte, die Deine
vortreffliche Cousine so verdreht hat! schloß der Erzürnte. Du mußt mir
jetzt aber heilig versprechen, mit den abscheulichen Menschen ganz und gar
zu brechen, denn bei ihrer Schlechtigkeit sind sie auch roh und ungebildet
und passen für uns nicht. Es ist mir eigentlich recht lieb, daß sie die
Veranlassung zu diesem Bruche gegeben haben. Nun sind wir sie los. Nach
dem, wie sie mich behandelt haben, können sie nicht verlangen, daß ich je
wieder einen Fuß über ihre Schwelle setze. -- Hierauf begann er seine
Pläne für die nächste Zukunft zu entwickeln. Die malte er so glänzend,
so herrlich, daß Klärchen sich völlig befriedigt fühlte und in alle seine
Vorschläge einging. Um allen ferneren Intriguen zu entgehen, wollten sie
noch vor dem Winter heirathen und die Annahme eines eigenen Hotels
gar nicht abwarten. Günther hatte sich eine kleine neue Wohnung gerade
gegenüber schon angesehen, die sollte mit Mahagoni-Meubeln und allen
möglichen Luxussachen ausgestattet werden, und Klärchen sollte da allein
ihre Wirthschaft haben. Vierhundert Thaler sollte sie jährlich bekommen,
außer den Sachen, die hin und wieder aus der Gastwirthschaft abfielen.
Als Klärchen erwähnte, daß die Tante ihr, im Falle sie sich mit deren
Genehmigung verheirathe, eine Ausstattung versprochen, brausete Günther
von Neuem auf. Wir brauchen Deiner Tante Ausstattung nicht, ich werde ihr
schreiben: ich bedankte mich sowohl für ihre Verleumdungen, als für ihre
Hochzeitsgeschenke, ich könnte ganz und gar ohne sie bestehen, ich würde
sie nie wieder belästigen, würde aber auch meiner Frau nicht erlauben ein
Haus zu betreten, das so hinterlistig meine Ehre angegriffen. -- Klärchen
machte einige Einwendungen dagegen. Wenn sie die Tante auch immer mehr
gefürchtet, als geliebt hatte, auf diese Weise wollte sie sie doch nicht
beleidigen, weil die Tante es immer gut mit ihr gemeint. Günther versprach
den Brief nicht ganz so arg zu machen, aber, setzte er hinzu, wenn wir
sie bei dieser Gelegenheit nicht los werden, wird sie uns das ganze Leben
plagen. In dem Sinn sprach er noch Mancherlei. Klärchen ließ sich bereden,
und die Sache schien abgemacht. Am anderen Abend aber kam Frau Krauter mit
sehr bedenklichem Gesichte. Tante Rieke hatte sie zu sich kommen lassen,
ihr das Vorgefallene erzählt und ihr den Brief mitgegeben, den Günther
heut Morgen an die Tante geschickt. Klärchen ward heiß und kalt beim Lesen
dieses Briefes; der war wenigstens so grob, als Günther gestern Abend sich
vorgenommen hatte zu schreiben. Frau Krauter trug den Mantel auf beiden
Schultern; bei Tante Rieke hatte sie geklagt über das Unglück und über
den Leichtsinn der Welt; hier redete sie anders, weil ihr im Grunde diese
Verheirathung der Tochter sehr erwünscht kam. Schon jetzt kam mancher
Bissen aus dem Hotel zu ihr hin, schon jetzt hatte sie zeitweise ein
herrliches Leben geführt, sie erwartete nun den Himmel von Klärchens
eigenem Hotel. Als sie die Tochter böse auf den Bräutigam sah, redete sie
gütlich zu. Jeder Mann hat seine schwache Seite, und die Tante wird nicht
ohne Schuld sein. Wenn Du auch einen Andern genommen hättest, sie wäre doch
nicht zufrieden gewesen; denn ihr Geschmack ist nicht Dein Geschmack, und
Du mußt es mit Deinem Manne halten. Klärchen seufzte, und mußte der Mutter
doch theilweise Recht geben. Entweder! oder! hieß es jetzt, und da sie den
Bräutigam nicht fallen lassen wollte, mußte sie von der Tante lassen. Die
Mutter mußte ihr aber versprechen, zur Tante zu gehen und ihr zu sagen,
wie unglücklich sie über ihres Bräutigams Brief gewesen; aber da sie ihn
zu sehr liebe und auch das Beste von der Zukunft hoffe, müsse sie sich in
seinen Willen fügen und den Umgang mit der Tante für jetzt abbrechen, --
doch nicht für lange, denn er werde gewiß bald seinen Fehler einsehen und
die Tante um Verzeihung bitten.

       *       *       *       *       *

Es war der 25. September. Klärchen stand vor dem Spiegel und legte die rosa
Schürze um den weißen Mullrock, setzte ein rosa Häubchen auf und war nun
bereit, die Gäste zum Chokoladenfrühstück zu empfangen. Gestern hatte sie
Hochzeit gehabt, war stolz im weißen Atlaskleide zur Kirche gefahren
und war als schönste Braut bewundert. Herr Reinhard hatte darauf seinem
Oberkellner ein Diner gegeben, und die Nachfeier dieses Diners war eine
Abendgesellschaft in der Wohnung der Neuvermählten. Ein Privatsekretair
mit seiner Frau, ein Detailhändler mit seiner Frau, ein Rendant, Gustchen
Vogler, einige Handlungsdiener und Mutter Krauter waren die Mitglieder der
Gesellschaft. Klärchen mußte sich gestehen, daß diese Leute nicht zu ihren
eleganten Zimmern paßten, aber auch Günther war in dieser Gesellschaft
ein Anderer, als gegen die vornehmen Leute im Hotel. Er lachte anders, er
sprach anders und ließ sich in seinem ganzen Wesen auf eine unangenehme
Weise gehen. Freilich hatte er den Tag ungewöhnlich viel getrunken, und das
ist bei so seltenen festlichen Gelegenheiten nicht zu umgehen, tröstete
sie sich. Dieselbe Gesellschaft sollte heut Morgen ein Chokoladenfrühstück
nehmen. Klärchen hatte Alles auf's Schönste vorbereitet, die feinen Tassen
standen bereit, auf gemalten Tellern war Kuchen und Torte servirt, und
sie selbst ruhte jetzt wie eine vornehme Dame im Sopha und erwartete ihre
Gäste. Die Mutter war die erste, die kam; sie sah schmunzelnd auf Kuchen
und Chokolade, setzte sich wohlgefällig in die andere Sophaecke und sagte:

Hätt' ich doch im Leben nicht geglaubt, daß es Dir noch so glücken würde,
Du kleiner Brausekopf. Immer wenn ich dachte, es war so weit, dann ging
Dein heißes Blut wieder durch. Gott sei Dank, daß wir nun eingelaufen sind
in den Hafen!

Klärchen lächelte. So hatte sie doch wenigstens die Mutter, die ihrem
Schicksal Weihrauch streute, da selbst das eigne Herz sich nicht recht dazu
bequemen wollte. Günther trat etwas bleicher als gewöhnlich, aber guter
Laune ein. Die Gäste folgten bald, es ward Chokolade getrunken, Frau
Krauter ließ es sich von Allen am besten schmecken; dagegen verschmähte
der Schwiegersohn ganz und gar dies süße Getränk. Mir ist heut mehr wie
Weintrinken, sagte er scherzend, verließ das Zimmer und kam bald mit einem
Arm voll Flaschen wieder. Die Herren schmunzelten, die Frauen neckten
auf nicht sehr feine Weise, und Klärchen sah ängstlich auf ihren Mann.
Jedenfalls war er schon im angeregten Zustande herüber gekommen, denn sie
sah, daß beim Einschenken der Chokolade ihm die Hände zitterten. Sie hätte
gern Einspruch gethan gegen das neue Trinkgelage, aber erstens scheute
sie sich, als Wirthin etwas zu sagen, und dann wußte sie, daß Günther in
solchen Dingen sich nichts sagen ließ. Die Herrengesellschaft ward immer
lauter, die Frauen sahen sich bedenklich an. Klärchen klagte, daß ihr Mann
schon seit einigen Tagen unwohl sei und daß ihm der Wein sehr schlecht
bekommen würde. Er ward auch immer bleicher, seine Hände zitterten
auffallend, seine Zunge lallte. Doch war er nicht der Schlimmste. In der
Ecke des Mahagonisopha's schlummerte der Rendant, und einer von den jungen
Kaufmannsdienern hatte sich schon entfernt. Die Frauen drangen jetzt auf
die Auflösung der Gesellschaft. Das war mit den angetrunkenen Männern nicht
leicht zu bewerkstelligen, aber es gelang ihnen endlich, und Klärchen war
mit dem Mann und der Mutter allein.

Günther hatte sich nicht besinnungslos getrunken, weil er viel vertragen
konnte; er wußte, daß ihm Schlafen jetzt das Beste sei und legte sich zu
Bett. Die Mutter ging nach Haus, weil sie nicht Lust hatte, Tassen und
Gläser zu waschen und aufzuräumen, und Klärchen saß nun in der eleganten
Stube allein. Sie hatte aber auch nicht Lust zum Aufräumen, sie mußte sich
erst besinnen von der vielen Unruhe, setzte sich auf den Sitz im Fenster
und schaute hinaus auf die Straße. Der blaue Himmel und helle Sonnenschein
lockte Spatziergänger in das Freie, auch vor dem Hotel war es sehr
lebendig, Wagen fuhren, Wagen kamen, und es war ganz unterhaltend, das
anzusehen. Ja unterhaltend, aber nicht für Klärchen. Ihr Herz war schwer,
ohne daß sie recht wußte, was sie wollte. Sie war nun am Ziel ihrer
Wünsche, sie konnte herrlich leben und die vornehme Dame spielen.
Die Mahagoni-Meubel, der Sopha-Teppich, die gewirkte Tischdecke, die
Blumenvasen, die goldgerahmten Bilder, sie hätte sich nie eine schönere
Wohnung träumen können, -- und doch war sie nicht befriedigt und das war
ihr so unerträglich, sie hätte weinen können. In dieser Unlust an der
ganzen Welt griff sie zu einem Roman, der auf dem Arbeitstisch lag und aus
ihrer Stube im Hotel mit herüber gewandert war, und suchte sich wenigstens
zu zerstreuen.

Als Günther nach einigen Stunden wieder zum Vorschein kam, murrete er
etwas, noch Alles so in Unordnung zu finden. In seinem Kellner-Eifer räumte
er selbst gleich Flaschen und Gläser bei Seite. Klärchen versicherte,
im höchsten Grade angegriffen zu sein, und sein böses Gewissen hieß ihn
schweigen, aber der eheliche Himmel hing nicht ganz voller Geigen.

       *       *       *       *       *

Fritz Buchstein ging im Garten auf und ab. Die Sonne warf ihre letzten
Strahlen nur noch an das blaue Schieferdach des Kirchthurmes, aber
herrliches Abendroth, wie es den Herbstabenden eigen, flammete über der
Scheuer hinauf. Zwischen gelbem Laub und verkommenen Zweigen blühten noch
allerhand liebliche Blumen, die Pflaumen hingen blau an den Bäumen, Aepfel-
und Birnenbäume senkten die schweren Zweige und sahen der Ernte entgegen,
auf dem Nachbarshofe ward ein Fuder Kartoffeln in den Keller geladen, und
Kinder hockten im Garten um ein Häufchen Kartoffelstroh, dessen blauer
Rauch über die Nachbarsgärten hinzog. Fritz schaute das Alles mit den Augen
seiner Seele an, und Freude und Friede durchzitterten sein Herz. Hier war
seine traute Heimath und hier sollt' es ihm vergönnt sein, seinen Heerd zu
bauen und dem Herrn zu Ehr' und Liebe Bürger und Hausvater sein.

Gestern hatte er Klärchen trauen sehen. Klärchen im weißen Kleide, grünen
Kranze, mit den schönen, blauen, kindlichen Augen hatte sein Herz noch
einmal in Erinnerung und Theilnahme bewegt. Der schwarze, bleiche Mann
neben ihr schien ihm der Böse zu sein, dem sie sich übergab, und sein Herz
konnte es nicht lassen, wiederum zu bitten: Herr, verlasse sie dennoch
nicht, führe sie, halte sie; Weg hast du aller Wege, an Mitteln fehlt's Dir
nicht.

Auf dem Heimwege war er mit Frau Bendler und Gretchen zusammen getroffen,
und als er Gretchen sah, war Glück und Friede in seine Brust gezogen.
Gretchen hatte ihn angeschaut mit den treuherzigen Augen und der vielen
Liebe darin, und auch seine Augen sprachen seine Gedanken aus. Ehen
werden im Himmel geschlossen. Gretchen, das fühlte er, war ihm vom Himmel
bestimmt, mit ihr wollte er wallen den Weg hinan, seine Liebe sollte sie
führen, trösten, ihr dienen auf dem beschwerlichen Weg, und ihr treues,
starkes Herz sollte ihn tragen mit allen seinen Fehlern. Ja, ihr wollte
er auch die Schmerzen seiner Jugend sagen, jetzt wo er sie überwunden, wo
Liebe und Freudigkeit zu Gretchen sein Herz beseelte. In Sehnsucht schaute
er hinüber in den Nachbarsgarten, da trat Gretchen singend drüben aus der
Thür. Sie grüßte hinüber und schüttelte dann an einem Pflaumenbaum, daß
die blauen Früchte über sie herfielen. Fritz schwang sich über das Stacket.
Soll ich Dir helfen? fragte er. Gretchen nickte, und er suchte die Pflaumen
mit in ihre Schürze. Als sie mit ihrer Arbeit fertig waren, nahm Fritz
Gretchens Hand, sah ihr bewegt in die Augen und sagte: Gretchen, Du weißt
schon längst die Gedanken meines Herzens. -- Gretchen nickte.

Ich liebe Dich von ganzem Herzen, fuhr er fort, und der Herr wird mir Kraft
geben, Dich so glücklich zu machen, wie Du es verdienst und wie ich es so
gern möchte.

Gretchen neigte den Kopf und dachte: ich bin ja nicht werth solches
Glückes.

Jetzt wollen wir zur Tante gehen, sprach er weiter, legte Gretchens Arm
in den seinen, nahm ihre Hand mit beiden Händen; so gingen sie durch den
Garten. Da öffnete sich oben ein Fensterlein, der Staarmatz hupfte auf das
Brett und schnarrte: Jungfer Braut! -- Ja, Du alter Benjamin steckst Deine
Nase immer zuerst in alle Dinge. Diesmal zankte sich Gretchen nicht mit dem
Matz; sie lächelte hinauf und Beide blieben stehen, denn die weiße Mütze
mit dem fröhlichen Angesicht schaute auch zum Fenster hinaus. Der Herr
segne Euch! rief er herunter, dann neigte er den Kopf hin und her vor dem
Dompfaffen, und der begann sogleich: »Lobe den Herrn, o meine Seele« -- ja
da konnten es Fritz und Gretchen nicht lassen, mit heller Stimme stimmten
sie ein und Benjamin ebenfalls:

    Ich will ihn loben bis in Tod!
  Weil ich noch Stunden auf Erden zähle,
  Will ich lobsingen meinem Gott;
  Der Leib und Seel' gegeben hat,
  Werde gepriesen früh und spat.
  Halleluja, Halleluja.

    Selig, ja selig ist der zu nennen,
  Deß Hülfe der Gott Jacob ist,
  Der sich vom Glauben läßt gar nichts trennen
  Und hofft getrost auf Jesum Christ.
  Wer diesen Herrn zum Beistand hat,
  Am besten findet Rath und That.
  Halleluja, Halleluja.

Die Tante kam gerade zur rechten Zeit heraus, um die letzten Strophen mit
zu singen, dann aber mußte ihr weiches Herz erst einige Freudenthränen
weinen. Und als nun Vater Buchstein drüben in seiner Hausthür erschien,
ward beschlossen, augenblicklich einige Latten vom Stacket zu nehmen und
eine Oeffnung zur Thür zwischen beiden Gärten zu machen. Benjamin kam
flugs herunter und brachte dem Fritz das Handwerkszeug entgegen, und mit
fröhlichen Worten und Mienen half die ganze Gesellschaft bei der Arbeit.
Während der alte Buchstein am Krückstock langsam herangeschlichen kam, um
den sonderbaren Lärm zu untersuchen, war die Oeffnung schon fertig, und
Fritz führte Braut und Schwiegermutter dem Vater entgegen.

       *       *       *       *       *

Klärchen verlebte ihre Flitterwochen in ungetrübtem Vergnügen. Günther
suchte ihr den ersten Tag vergessen zu machen. Er führte sie in
Kaffeegärten, in Conzerte, in das Theater. Im Hause hatte sie fast gar
nichts zu thun, nur Kaffee und Thee mußte sie kochen, und dies, so wie die
übrige wenige Hausarbeit, that die Mutter gern, weil sie dafür mittrinken
und mitessen konnte. Das Mittagsessen bekam Klärchen aus dem Hotel mit
Erlaubniß des Herrn Reinhard, dem es auf eine Person mehr oder weniger
nicht ankam, und Günther schien dafür nur um so dienstfertiger und seinem
Herrn um so mehr zugethan. Klärchen hätte jetzt schöne Zeit zum Flicken
und Nähen gehabt, aber es fehlte ihr an Lust dazu. An ihren alten Sachen,
meinte sie, wäre nichts mehr zu flicken, und die wenigen neuen, die sie
zum kleinen Haushalt angeschafft, waren neu in einem Laden gekauft. Später,
sagte Günther, würde er doch das ganze Inventar eines Hotels annehmen,
jetzt könnten sie sich behelfen.

Daß er gegen Weihnachten hin öfter als gewöhnlich nicht nach Hause kam,
wunderte sie nicht, da jetzt mehr Besuch als gewöhnlich drüben, und Günther
sehr beschäftigt war. Auch daß er zuweilen sehr hohläugig aussah und ihm
die Hände leise zitterten, schob Klärchen auf die großen Anstrengungen.
Ueberdem hatte ihr Mann sich so sehr in seiner Gewalt, daß, so wie er sich
beobachtet glaubte, eine Lebendigkeit und Festigkeit in sein ganzes Wesen
fuhr, die Klärchen wieder beruhigte.

Eines Abends kam sie gegen zehn Uhr von der Mutter zurück, die seit einigen
Tagen krank war. Im Vorbeigehen wollte sie sich etwas Geld vom Manne holen,
den sie schwerlich heut zu Hause erwarten konnte. Im Hotel war es noch
ziemlich lebendig, auf dem Flur traf sie den kleinen Laufburschen, der im
Sommer ihrem Manne den Thee besorgen mußte, und der auch jedenfalls damals
das Zwiegespräch mit einem Kameraden gehalten.

Wo ist mein Mann? fragte Klärchen.

In seiner Stube, ich muß ihm wieder Thee kochen, sagte der Junge spöttisch.

Erschrocken lief Klärchen dahin und fand ihren Mann in einem Zustande, wie
sie ihn noch nie gesehen hatte. Er saß vor dem Tisch, schlug mit beiden
Fäusten darauf und lallte: Zehn tausend Thaler, -- fünf tausend Thaler,
-- das soll gehen, -- das muß gehen. -- Klärchen schloß schnell die Thür
hinter sich. Um Gottes Willen, Günther! rief sie: Du bist betrunken!

Betrunken? wiederholte Günther erschrocken und wollte sich in gewohnter
Weise zusammennehmen, aber es ging nicht, er fiel zusammen und lallte
wieder unverständliche Worte. Jetzt klopfte es an der Thür. Klärchen
fragte, wer da sei.

Ich bringe den Thee, rief der Laufbursche, und Herr Reinhard will den Herrn
Eduard sprechen.

Klärchen verließ die Stube, nahm dem Burschen den Thee ab und wechselte
mit Herrn Reinhard einige Worte. Der schien die Fabel von dem Unwohlsein zu
glauben und entfernte sich. Klärchen aber warf ihrem Mann einen Paletot um,
setzte ihm den Hut auf und führte ihn, nachdem sie gelauscht, ob Niemand
auf der Treppe und auf dem Flur sei, zum Hause hinaus. In ihrer Wohnung
aber brachen ihre Angst und ihr Zorn in heftige Worte aus. Er glotzte
sie mit starren Augen an und sagte kein Wort. Sie ward immer heftiger und
verlangte, er solle sich zu Bett legen. Sie faßte ihn an, um ihn dahin zu
führen, da machte er sich mit einem mal los, gab ihr einen tüchtigen Stoß
und sagte grimmig: Sei ruhig und mach nicht solchen Lärm! Wer heißt Dich
raisonniren? Hier, zieh meine Stiefeln aus! -- Klärchen stand erschrocken,
aber unmöglich hätte sie sich zu solchem erniedrigenden Dienst hergeben
können. -- Willst Du bald! rief er noch grimmiger, oder soll ich Dich
gehorchen lehren? Dabei trat er dicht vor sie, starrte sie an und
schüttelte mit seiner schweren Hand ihr Kinn gar unsanft. Klärchen schrie
laut auf. -- Allons! sagte er, warf sich auf einen Stuhl nieder und
streckte ihr die Füße entgegen. Klärchen sah, daß mit dem betrunkenen
Menschen nicht zu spaßen sei, daß sie Mißhandlungen erwarten könne, und
entschloß sich zu der Arbeit, aber mit lautem Weinen. Er gab ihr noch einen
Tritt mit dem Fuß, und schlug dann wieder mit beiden Fäusten auf den Tisch.
Zehntausend Thaler! lallte seine Zunge, -- zehntausend Thaler -- und dann
links um kehrt! -- Klärchen hatte sich in eine dunkle Ecke gesetzt;
er hielt noch ein langes Selbstgespräch, aber seine Worte wurden immer
unverständlicher, bis er sein Haupt senkte und laut schnarchte.

Klärchen legte sich mit den Kleidern auf das Bett, aber an Schlaf war nicht
zu denken, sie fürchtete sich vor ihrem Mann, es war ihr grausig mit ihm
allein zu sein, in ihrer Hülfslosigkeit waren Thränen ihr einziger Trost.
Sie weinte und weinte, bis sie vor Ermüdung einschlief.

Gegen Morgen wachte sie auf. Als sie die Thür nach der Wohnstube öffnete,
regte es sich auch, ihr Mann tappte in der dunkeln, eiskalten Stube umher.
Sie machte Licht; Günther sah sie scheu an, zugleich aber flogen seine
Glieder vor Schwäche und Frost, er sah wirklich jämmerlich aus, und
Klärchen hätte fast Mitleiden mit ihm gehabt; aber Zorn und Kummer
überwogen jedes andere Gefühl. Auch war sie selbst von der entsetzlichen
Nacht matt und elend. Gewiß wird er sich entschuldigen und wieder süße
Worte machen, dachte Klärchen; aber das vergebe und vergesse ich nicht; ich
werde es ihm sagen, wenn noch einmal Aehnliches passirt, gehe ich von ihm.
Als sie schweigend nach dem Ofen ging, um Feuer zu machen, begann er zu
reden.

Warum hast Du mich gestern hier in der Stube sitzen lassen?

Klärchen sah ihn verwundert an. Weißt Du, was gestern Abend passirt ist?
fragte sie mit zitternder Stimme.

Freilich weiß ich das, und es ist schlecht genug von einer Frau, wenn
der Mann krank und aufgeregt nach Hause kommt, ihn wie eine Xantippe zu
behandeln. Du hast gelärmt und getobt, anstatt mich sanft zu beruhigen, wie
es einer ordentlichen Frau zukommt.

Weißt Du denn, daß ich Dich herüber geholt habe? fragte Klärchen mit von
Thränen erstickter Stimme, daß Herr Reinhard Dich sprechen wollte, daß
die Kellner Dich höhnten wegen Deiner Betrunkenheit, und daß ich Dich nur
heimlich fortgebracht habe?

Das weiß ich Alles! entgegnete Günther kalt. Das war sehr weise von Dir, Du
hättest nur hier so fortfahren sollen.

Klärchen konnte nicht weiter reden, der Kummer schnürte ihr die Kehle zu.
Er bereute also nicht einmal seine Unthaten, er klagte _sie_ an. Das war
das erste Mal, daß er im nüchternen Zustande unfreundlich war; jetzt mußte
sie jede Hoffnung, ihn je anders zu sehen, aufgeben. Er legte sich zu
Bett, sie mußte ihn bedienen, sie mußte die abgesandten Boten des Hotels
abfertigen, und als später die Mutter kam, dieser ihre Stimmung verbergen.
Sie hätte sich geschämt, ihr Unglück merken zu lassen; trotz ihrer
Klugheit, trotz ihres Hochmuthes war sie jetzt eben so weit als die Mutter.

Nachdem das Ehepaar acht Tage nicht mit einander gesprochen, Günther sich
fast gar nicht oder nur mürrisch gezeigt hatte, und Klärchens Augen fast
nicht trocken geworden waren, schien er endlich wieder besserer Laune zu
werden. Er brachte mehr Geld, denn auch das hatte sie in den letzten acht
Tagen fast gar nicht gehabt. Er fing an zu schmeicheln, ja, sein Unrecht
einzusehen, und Klärchen hielt es für das Beste, nicht zu unversöhnlich zu
sein. So war äußerlich das Verhältniß wieder hergestellt, aber der Stachel
saß in Klärchens Herzen, unmöglich konnte sie sich über ihr Schicksal noch
leichtfertige Phantasien machen, die Wirklichkeit war zu sprechend.

Weihnachten kam, und Günther schien es darauf abgesehen zu haben, Klärchens
leicht bewegliches Herz wieder ganz zu gewinnen. Der Weihnachtstisch
prangte von schönen Sachen. Ein seidener Mantel, ein Sammethut, wie ihn
nur die vornehmste Dame wünschen konnte, lagen darauf, und außer andern
Kleinigkeiten auch ein Zwanzig-Thaler-Schein, um Kinderwäsche zu kaufen.
Klärchen war guter Hoffnung. Auch Frau Krauter hatte Günther mit manchen
hübschen Sachen bedacht, -- so gab es nur fröhliche Gesichter.

Am Weihnachtsmorgen mußte Klärchen in die Kirche gehen, um ihren Staat zu
zeigen. Dieser Triumph sollte nach den vielen trüben Tagen eine Erquickung
sein. Aber hauptsächlich lag ihr daran, sich der Tante und Gretchen zu
zeigen. Die hatten gegen die Mutter so manche bedenkliche Worte, auch wegen
ihrer äußeren Lage, fallen lassen; darüber sollten sie beruhigt werden. Sie
mußte freilich zu dem Pietisten in die Stephani-Kirche gehen, aber das war
ihr gleich; des Wortes Gottes wegen ging sie doch nicht hin. Ja, in der
letzten Zeit hatte sie sich noch mehr als je gescheut, an den Herrn zu
denken; es überfiel sie zuweilen eine Ahnung, als ob die Worte der Tante
Wahrheit werden und der Himmel ihren Leichtsinn strafen könnte. Heute war
sie aber zu vergnügt, um so ernste Gedanken haben zu können.

Sie hatte eigentlich die Absicht gehabt, sich so in der Kirche zu setzen,
daß sie von allen Seiten gesehen ward, aber im Hineintreten gewann ihr
besseres Gefühl die Oberhand, sie schämte sich und setzte sich in eine
entfernte Ecke. Als nun die Orgel in vollen Tönen die Kirche erfüllte, als
viele hundert Stimmen sich damit vereinten, und »Vom Himmel hoch da komm'
ich her« laut daher schallte, da ward es ihr wunderbar zu Muthe. Sie vergaß
Mantel und Hut, und konnte es nicht lassen, die Worte aufmerksam mit zu
lesen und zu singen:

    Es ist der Herre Christ unser Gott,
  Der will euch führ'n aus aller Noth,
  Er will eu'r Heiland selber sein,
  Von allen Sünden machen rein.

    Er bringt euch alle Seligkeit,
  Die Gott der Vater hat bereit't,
  Daß ihr mit uns im Himmelreich
  Sollt mit uns leben ewiglich.

Einen Führer aus aller Noth! ob du den auch noch nöthig haben wirst? dachte
Klärchen. -- O wie glücklich war ich unverheirathet! ein Tag immer heller
und lustiger als der andere, die Welt so lachend, -- warum bin ich nur in
mein Unglück gelaufen? wer weiß, wie es mir noch gehen wird? und ich habe
keinen Helfer aus der Noth. Der Heiland, den Tante Rieke und Gretchen
haben, ist nicht dein Heiland, du kennst ihn nicht und magst ihn auch nicht
kennen, setzte sie muthlos hinzu. Die Stimme des Predigers zog sie wieder
von ihren Gedanken ab.

»Dies ist der Tag, den der Herr machet, lasset uns freuen und fröhlich
darinnen sein,« so begann er die Rede. Das Evangelium folgte, dann redete
er so warm und eindringlich vom Christkindlein, warum es herab gekommen von
seinem hohen Himmel, was es uns gebracht, was es wieder von uns verlange,
daß Klärchen unwiderstehlich seinen Worten folgen mußte. -- »Wie groß und
unaussprechlich ist die Gnade für uns arme Sünder, die wir so elend und so
bloß, die wir im Dunkel des Todes sitzen und bangen vor dem ewigen Gericht,
-- unser Gewissen sagt es uns, daß das Gesetz den Stab über uns gebrochen,
daß wir dem Zorne der Verdammung zugehören. Da erscheint ein Licht in der
Finsterniß, ein Trost in der Angst, der liebe Heiland kommt, verkündigt
uns Freiheit von allen Sünden, Erlösung von Tod und Hölle, giebt uns die
Hoffnung der ewigen Seligkeit. O wie ist doch die Liebe so groß, o wie
müssen wir ihr entgegen jauchzen! O du liebliches Kind in der Krippe, du
kömmst in unsere armselige Welt, nimmst auf Dich alle unsere Schmerzen,
stirbst für uns den bittern Tod, den Tod am Kreuze. Du kommst, Du suchst
mich, Du kannst es nicht lassen, mich armen elenden Sünder an Dein Herz zu
nehmen. O so nimm mich denn hin, umfasse mich, halte mich, ich will Dein
sein auf ewig!« --

Klärchen war ergriffen, so etwas hatte sie noch nie gehört. Oder hatte sie
nicht hören wollen? war ihr Herz hart gewesen, und hatte der Herr es jetzt
weich gemacht? Ja, der Herr kann Gnade geben, wie es ihm beliebt, und
aus Gnaden sollen wir selig werden. -- Doch bestürmten heut auch heiße
Fürbitten seinen Thron. Fritz Buchstein hatte oben vom Chor Klärchen
erkannt, und hatte Segen für sie, für diesen Gang vom Himmel herab gefleht.
Gretchen und ihre Mutter saßen auch nicht fern und mit brünstigem Gebet
flehten sie des Herrn Geist auf das verlassene Klärchen.

Als diese zur Kirche hinaus ging, kam sie mit der Tante zusammen. Sie
schämte sich fast ihres Weihnachtsstaates, und mit einem sanften und
demüthigen Ausdruck, wie ihn Niemand an ihr gewohnt war, bot sie den
Verwandten einen guten Morgen und ein fröhliches Fest. Die Tante und
Gretchen reichten ihr Beide freundlich die Hand. Klärchen ging im
Gespräche, aber sehr verlegen, neben ihnen her, bis vor Bendlers Haus. Beim
Abschied sagte sie: Ich habe Euch längst besuchen wollen, und wenn Ihr es
erlaubt, komme ich bald. -- Bei den letzten Worten traten ihr die Thränen
in die Augen und sie eilte hinweg.

       *       *       *       *       *

Am Sylvester-Abend ließ man bei Frau Bendler wieder Schiffchen schwimmen,
Gretchen aber war ohne Angst, daß sich ihr Schiffchen mit Fritzens
vereinigen möchte; sie war fröhlich und guter Dinge, es ward erzählt
und gescherzt und auch ernsthaft gesprochen und gelesen und gesungen und
gebetet, bis der Wächter das neue Jahr verkündete.

Bei Günthers sah es anders aus. Seit Weihnachten schon war er in ganz
besonders fröhlicher Aufregung, und am Sylvestermorgen sagte er zu
Klärchen: Heut muß es hoch bei uns hergehen, es wird der letzte Sylvester
sein, den wir hier verleben, wer weiß, wo wir im künftigen Jahre sind! Wohl
in weitläuftigeren Räumen, und Du hast Kuchen und Zucker nicht selbst zu
holen. Aber heut hole ihn nur! -- Dabei legte er einen Fünfthalerschein auf
den Tisch. -- Hole nur Alles, was zu einem feinen kalten Abendbrod nöthig
ist, und dann sei eine vernünftige Frau. Ich sehe nicht ein, -- wenn
ich mich alle Tage vom Morgen bis Abend quälen muß, will ich auch mein
Vergnügen haben. -- Ist denn das was so Schlimmes, wenn es mal ein Paar
Stunden drunter und drüber geht? Sieh die Frau Rendantin an, die lacht,
wenn ihr Mann ein Bißchen angetrunken ist, läßt ihn den Rausch ausschlafen
und dann geht das Leben wieder seinen gewöhnlichen Gang. Man ist darum
kein Trinker, aber bei besonderen Gelegenheiten sich an einem Gläschen Wein
erfreuen, ist wohl erlaubt.

Klärchen sah ein, wenn sie allen Zank und Streit vermeiden wollte, müßte
sie sich in diese Theorien fügen, und wollte es einmal in Güte versuchen.
Auch hatte die Mutter das Gespräch mit angehört, und war ganz auf des
Schwiegersohnes Seite. Klärchen hat zu viel Romane gelesen, sagte sie
weise, sie hat sich vom Leben sonderbare Bilder gemacht, denkt alle
Menschen sollen Engel sein, und sie ist doch selbst kein Engel. -- Günther
stimmte lachend ein, und es war sehr gute Stimmung im Haus.

Die Gäste kamen; erst ging es scheinbar sehr fein und anständig her, doch
Frauen und Männer wurden gemüthlicher, dann lebhafter und lebhafter und das
neue Jahr ward mit tollem Lärmen begrüßt.

Nur Klärchen war schweigsam, so viel sie auch von den Andern geneckt und
gereizt ward. Sie gab Unwohlsein vor, was in ihrem Zustande sehr glaublich
schien. Im Grunde aber ekelte sie dies rohe Wesen an, ihre Natur war zu
edel, um sich in solcher Gemeinheit wohl zu fühlen. Ihr leichtfertiger
Sinn hatte wohl nach Lust und Vergnügen, nach vornehmen und hohen Dingen
gestrebt, hatte sich auch schlechter Mittel dazu bedient; aber die
Gesellschaft, in der sie sich jetzt befand, diese Art und Weise zu leben,
konnte ihr durch kein Schlaraffenleben angenehm gemacht werden. Auch
war sie in der letzten Woche sehr nachdenklich gewesen. Der Kirchgang
am Weihnachtsmorgen, die Gefühle, die er angeregt, hatten seine Weihe
ausgegossen auch noch über die nächsten Tage; eine Unruhe hatte sie erfaßt,
daß sie selbst nicht wußte, wie ihr war; aber das fühlte sie, in Essen und
Trinken, in schönen Kleidern fand sie die Befriedigung dieser Unruhe nicht.

Als der Rendant sein Maaß getrunken hatte, und die anderen Männer auf dem
Höhepunkte der Ausgelassenheit waren, da verfügte die Frau Rendantin die
Auflösung des Gelages und Niemand hatte etwas dagegen. Günther legte sich
ohne Weiteres zu Bette, schlief seinen Rausch aus, und als er am anderen
Morgen bleich und mit zitternden Händen kaum die Kaffeetasse halten konnte,
demonstrirte er seiner Frau, wie unschuldig ein solches Vergnügen sei, und
wie es nur auf die Frauen ankäme, daß die Männer vernünftig blieben, und
so mehr. Klärchen schwieg, die Erinnerung an den gestrigen Abend und der
zitternde Mann vor ihr waren ihr schrecklich, und immer und immer wieder
mußte sie an den verlebten Sylvesterabend bei Tante Rieke denken, an Fritz
Buchstein -- welch ein Mann er war gegen die Männer, die jetzt in ihre
Nähe kamen, wie getrost und ruhig Gretchen sein konnte, das hausbackene
Gretchen, und wie sie selbst trotz des seidenen Mantels und des Sammethutes
in Angst und Schrecken lebte. Daß die Zukunft ihr nichts Besseres bringen
könne, war sie sicher. Ja, ihr bangte vor dieser Zukunft, und das bitterste
Gefühl dabei war, daß sie ihr Schicksal selbst verschuldet. Wie sie jetzt
noch sich retten könne, wußte sie nicht; an den Helfer und Retter dort oben
sich zu wenden, fehlte ihr Glauben und Muth; ihr Leben war nun einmal so,
sie mußte sehen, wie es abliefe.

Der Januar ging Klärchen mit Nähen von Kindersachen sehr schnell dahin,
sie lernte da einen Genuß kennen, der ihr ganz neu war, den Genuß des
Stilllebens und des Fleißes. Ihre Gedanken waren bei dem Kindchen, das
einst in diesen Kleidern stecken sollte, und süße Freude durchströmte ihr
Herz. Diese Freude des Stilllebens aber sollte ihr nicht lange bleiben.
Günther, der in der freudigen Aufregung, in der er sich seit Wochen befand,
öfter als je eine Flasche guten Weines trank, that das in seiner eigenen
Wohnung, um ungestört und sicher seinen Rausch auskuriren zu können. Oft
ging das ganz still ab, oft aber tobte er und lärmte und Klärchen hatte
Mühe und Noth, ihn zur Ruhe zu bringen. So war es Anfang Februars geworden.
Seit acht Tagen war Klärchen unwohl und die Mutter Tag und Nacht bei ihr,
um die Hausarbeit zu verrichten, daneben aber auch um den oft angetrunkenen
Schwiegersohn zu bedienen. Sie verstand das besser als die Tochter, sie
hatte Erfahrung darin von ihrem verstorbenen Manne her, und ihr Gefühl war
abgestumpft. Er dagegen war erkenntlich auf jede Weise gegen sie, und darum
redete sie immer gegen die Tochter das Wort für ihn, entschuldigte ihn
und beschönigte sein Laster, wo sie nur konnte. Zur Fastnacht bestimmte
Günther, trotzdem Klärchen erst wieder einige Tage aus dem Bett war, eine
Gesellschaft, und zwar wollte er für diesmal nur die Herren haben. Klärchen
war es zufrieden, sie konnte mit der Mutter in der Schlafstube bleiben,
und der Anblick von den betrunkenen Männern wurde ihr erspart. Daß es wild
hergehen würde, war vorauszusehen.

Und es ging wild her, wilder als da die Frauen dabei gewesen. Klärchen ward
angst und bange, wenn sie das Toben und Brausen im Nebenzimmer hörte, und
die Mutter hatte genug zu beruhigen. Aber selbst diese machte bald ein
bedenkliches Gesicht, denn Teller und Gläser klirrten durch einander, und
das Geschrei war nicht mehr das des Uebermuthes, sondern das des Zornes.
Beide Frauen stürzten heraus, zwei Männer gingen eben zur Thür hinaus, der
Rendant lag an der Erde, und Günther schlug mit beiden Fäusten auf ihn los.
Klärchen versuchte es seine Arme fest zu halten, denn schon floß Blut
über des Rendanten Stirn, die Mutter war dem Blutenden behülflich sich
aufzurichten, und mit Hülfe beider Frauen kam er zur Thür hinaus. Jetzt
aber richtete sich die Wuth des Betrunkenen auf Frau und Schwiegermutter;
blindlings schlug er zu, und beide konnten sich nicht schnell genug in die
Schlafstube flüchten. Dem Riegel waren seine Kräfte nicht gewachsen und
er begnügte sich jetzt, seine Tobsucht an Gegenständen in der Stube
auszulassen. Klärchen saß weinend und mit blutender Nase, -- dahin
gerade war ein Faustschlag gefallen. Die Mutter hielt ihr schweigend
das Waschbecken vor. Diese Mißhandlungen wußte sie freilich nicht zu
entschuldigen. Ja sie mußte es jetzt geduldig hören, wie Klärchen sie mit
Vorwürfen überschüttete, das Laster ihres Mannes so beschönigt zu haben.
Klärchen machte in ihrer Heftigkeit viele Pläne. Jedenfalls wollte sie von
dem Manne, vor dessen Mißhandlungen sie keine Minute sicher sei. Sie
wollte wieder Schneiderin werden, wollte lieber Salz und Brod essen, und
so weiter. Sie ließ sich endlich von der Mutter bereden, sich zur Ruhe zu
legen, und da Günther nebenan laut schnarchte, konnten sie für jetzt ruhig
sein.

Am andern Morgen selbst konnte Klärchen den Mann nicht sehen, die Mutter
aber wollte neutral bleiben und wenigstens für eine warme Stube und für
Kaffee sorgen. Günther sah sie mit bösem Gewissen an; er hatte wohl eine
Ahnung von dem, was er gestern gethan, aber Worte der Versöhnung wollte er
nicht sprechen. Er fand es viel bequemer, die Schuld auf beide Frauen zu
schieben. Künftig sollten sie ihre Nase nicht in Sachen stecken, die sie
nichts angingen, der Rendant hätte ihn schändlich beleidigt und seine
Prügel verdient. So ungefähr sprach er. Die Mutter konnte es doch nicht
lassen, ihn an Klärchens Zustand zu erinnern, und außerdem, daß sie solche
Behandlung nicht gewohnt sei. Günther aber ließ sich auf nichts ein, er war
grob und wegwerfend und wollte sein Betragen als ganz gerecht hinstellen.
Klärchen hörte durch die offene Thüre jedes Wort, und ihr Herz wollte
brechen. Mit _dem_ Mann konnte sie nicht zusammen bleiben. Aber wie von
ihm los kommen? Sie hatte ja Niemand in der Welt, der ihr rathen und helfen
konnte. An Tante Rieke dachte sie; aber hatte die sie nicht gewarnt und ihr
Unglück vorhergesagt? Zu der wagte sie sich nicht. Aus Furcht auch hatte
sie den am Weihnachtsmorgen versprochenen Besuch von Woche zu Woche
aufgeschoben, und, da sie die Entschuldigung gehabt, daß ihr Mann es
verboten, sich dabei beruhigt.

Jetzt kamen für Klärchen trübe Tage. Daß Günther sich fast gar nicht bei
ihr sehen ließ, war ihr ganz recht, aber sie war doch zu verlassen,
selbst die Frau Rendantin und die anderen Frauen hatten sich seit dem
Fastnachtsabend zurück gezogen. An Gelde fehlte es ihr oft, aber zum Glück
war die Mutter immer bereit, Günthern etwas abzubetteln; so waren sie
wenigstens nie in äußerer Noth. Dies letzte hob die Mutter immer besonders
als Trost hervor. Dein Mann ist wohlhabend und darum hat er seine
Eigenheiten, die Du tragen mußt. Dein Vater hat mich weit schlechter
behandelt, und dabei wußt' ich nicht, wovon ich uns satt machen sollte. Du
kannst in allen Stücken ohne Sorgen leben und brauchst die Hände nicht zu
rühren. -- Klärchen entgegnete, sie wollte lieber Salz und Brod essen,
ja verhungern, als solche Behandlung dulden und überhaupt solch ein Leben
führen. -- Du wohl! sagte dann die Mutter wieder, aber Dein Kind? Ich kenne
das, ich habe auch so gesprochen; wie ich Dich aber erst hatte, und wie ich
schwach und elend wurde, da kriegt' ich andere Gedanken. -- Ja, das Kind!
seufzte Klärchen. -- Und das war es auch, was sie geduldig machte. Wohin
sollte sie mit dem Würmchen? Sie hätte kaum sich allein ernähren können,
wie sollte sie dazu das Kind noch pflegen und ernähren? Sie verschluckte
darum manchen Aerger, sie gewöhnte sich sogar, freundlich zu scheinen, weil
sie merkte, daß so mit Günther noch am besten fertig werden war. Daß er
oft schimpfte, sie auch wohl in der Betrunkenheit stieß, mußte sie sich
gefallen lassen.

In der Kirche war sie einmal wieder gewesen, in der trübsten Zeit, bald
nach Fastnacht. Und zwar in die Stephani-Kirche zog es sie. Der wunderbare
Eindruck von Weihnachten war ihr wieder vor die Seele getreten. -- Aber der
Prediger sprach diesmal sehr ernst. Er schilderte die Leiden unseres Herrn
und Heilandes, die er erduldet, um uns arme elende Sünder zu erlösen vom
ewigen Tode. Dann sprach er vom Zustande eines unbekehrten Sünders, von
seiner Angst und Unruhe in der Gegenwart, von der Strafe und dem Gerichte
der Zukunft. -- Klärchen ward durch diese Predigt so ergriffen, daß sie
sich mehrere Tage nicht beruhigen konnte und froh war, als die Zeit den
Eindruck zu verwischen schien. Sie war seitdem nie wieder in der Kirche
gewesen.

Der Winter verging, der Frühling kam mit seinen schönen Tagen, wo die Luft
lau, wo die Veilchen blühen, die Lerchen singen und die Saaten grünen.
Klärchen sah von alle dem nicht viel. Um die Freuden der schönen Natur
zu genießen, war sie nie gewohnt spazieren zu gehen, und in Kaffeegärten
führte sie Günther nicht mehr; er schämte sich ihrer Schwerfälligkeit und
ging lieber allein seinem Vergnügen nach. Das war freilich auch anders,
als sich Klärchen in romantischen Phantasien die Liebe ihres Mannes
gedacht hatte; gerade in diesen Zuständen wollte sie mehr als je auf Händen
getragen und vergöttert werden. Aber die gewöhnliche Flitterliebe ohne den
wahren festen Grund im Herzen hält nicht weiter hinaus.

Eines Sonnabends Abends --, es war Anfangs Mai --, da saß Klärchen am
offnen Fenster und schaute auf die rein gekehrte Straße und sah dem
fröhlichen Spiel der Kinder zu. Eine Nachbarin drüben kam eben mit zweien
von einem Spaziergange zurück. Sie waren ganz mit Blumen beladen. Weißdorn,
Primeln und Tulpen blühten lieblich in den kleinen Händen. Klärchen ward
bewegt von diesem lieblichen Anblick. Wenn du erst ein Kind hast, dachte
sie, gehst du auch mit ihm spazieren, pflückst ihm Blumen, machst ihm
Kränze. Ihr Herz schlug froh bei diesen Bildern, und überhaupt hing das
Glück ihrer Zukunft jetzt eben so leidenschaftlich an dem Kinde, das sie
unter ihrem Herzen trug, als früher an anderen Phantasiegebilden. -- Doch
spazieren gehen könntest du zuweilen auch ohne Kind und dir so schöne
Blumen holen! Ja, heute war es zu schön! sie nahm Hut und Umschlagetuch und
wanderte zum Thore hinaus.

Ihr Weg führte sie zu einem Gärtner, einem weitläufigen Verwandten, den
sie in ihrer Jugend, ehe sie in Kaffeegärten und Conzerte ging, oft mit der
Mutter, mit Tante Rieke und mit Gretchen besucht hatte. Es war ihr wohl,
wie lange nicht, zu Sinne, als sie dem Grasrain entlang der blühenden
Weißdornhecke entgegen ging. O wie die Lerchen dem blauen Himmel entgegen
jubelten, und Duft und Lieblichkeit überall und tiefer Frieden! -- Sie trat
in den Garten. Lichtblaue Irisstreifen begrenzten die Rabatten, vor dem
Haus blühten Tulpen, blaue Männertreue, Ranunkeln und Hyazinthen. In den
blühenden Bäumen, dem jungen Grün der Spiräen und Flieder hüpften und
sangen Vöglein, und hoch drüber in einem knospenden Kastanienbaume schlug
eine Nachtigall in langen, weichen, gehaltenen Tönen. O wie schön ist des
lieben Gottes Welt! mußte Klärchen sagen und seufzend hinzusetzen: wenn er
doch auch _dein_ lieber Gott wäre! Sie wollte in einen Seitenweg einbiegen,
trat aber erschrocken zurück, -- in einer Fliederlaube saßen Fritz und
Gretchen traulich neben einander. Fritz hatte seinen Arm um Gretchen
geschlungen und schaute ihr warm in die Augen, diese hatte einen weiß
blühenden Spiräenzweig um das Haar geschlungen und sah ganz wie eine Braut
aus. Jetzt erst dachte Klärchen daran, daß morgen Gretchens Hochzeitstag
war. Das bewegte sie sehr. Sie suchte sich in dem Bosquet einen einsamen
Platz und ließ den Thränen freien Lauf. Nicht aus Neid weinte sie, nein,
aus Reue und Kummer über das eigene Unglück. Wie glücklich mußte Gretchen
sein, zur Seite solch' eines rechtschaffenen Mannes! Ja, Rechtschaffenheit
geht über alle Galanterie, dachte sie jetzt. Wenn ich auch rechtschaffen
und fromm sein könnte, vielleicht ginge es mir dann besser. Wie fange ich
es aber an? Ich weiß es nicht. Und ob mir der liebe Gott helfen kann? ich
weiß es auch nicht. Wer soll mir rathen? Wenn ich an die Fastenpredigt
denke, wird mir angst, ich kann sie immer nicht vergessen, und kann mir
doch auch nicht helfen. -- Sie schlich sich aus dem Garten, brach sich
einige Weißdornzweige von der Hecke und ging mit weichem Herzen und
feuchten Augen durch den dämmernden Abend. Morgen früh wollte sie in die
Stephani-Kirche gehen; und wenn sie auch morgen keine Lust dazu haben
sollte --, denn sie kannte den Wechsel ihrer Stimmungen --, sie wollte doch
gehen und wenigstens dem lieben Gott dies Versprechen halten.

Und sie hielt Wort und nahm ihren alten Platz in der Stephani-Kirche ein.
Der Prediger hielt diesmal eine Frühlingspredigt, er schilderte so warm
die Liebe und Freundlichkeit des Herrn und die Schönheit des Frühlings, und
knüpfte daran den Frühling einer Seele, die auch dem Herrn entgegenblüht
und sprosst und nur von seinem Segen und Gnadenschein Gedeihen erwartet.
Klärchen ward durch diese Predigt viel getröstet und gestärkt. Der Herr ist
sehr freundlich und gütig gegen die Menschen, vielleicht erbarmt er sich
auch deiner und wendet noch das selbstverschuldete Unglück von deinem Leben
ab. Er ladet alle Sünder ein, er wird auch dich nicht zurückstoßen! Aber
wie sollst du es anfangen, zu ihm zu kommen? Und wie soll er dir helfen?
-- Klärchen meinte, wenn sie an Hülfe dachte, immer nur die äußere, sie
fühlte, daß Günther einem Abgrund entgegen ging, in den er sie mit hinein
ziehen würde. Angst in der Gegenwart, Furcht vor der Zukunft trieb sie
Hülfe zu suchen, und da sie recht gut wußte, daß ihr Menschen nicht helfen
konnten, wollte sie es mit dem Himmel versuchen. Die Predigt heut machte
ihr neuen Muth dazu, und der Prediger, der so mild und liebreich
geredet, hatte ihr ganzes Herz gewonnen; ihm näher zu kommen und sich ihm
anzuvertrauen, war ihr höchster Wunsch. Menschen wußte sie außerdem nicht,
die ihr hätten rathen können; der Tante Rieke ernste Reden und Ermahnungen
hatte sie stets mit Gleichgültigkeit, Widerspruch und Lachen aufgenommen;
_der_ ihr Unglück aufzudecken und ihr Unrecht zu gestehen, fühlte sie eine
unüberwindliche Scheu.

Als der letzte Vers gesungen war, leerte sich die volle Kirche, nur im Chor
sammelte sich eine kleinere Anzahl, um das Brautpaar trauen zu sehen.
Auch Klärchen trat hinzu, aufrichtige Theilnahme an Gretchens Schicksal
veranlaßte sie dazu. Freilich kamen ihrem Herzen gar sonderbare Gedanken.
Wo Gretchen steht, könntest du auch stehen, und was ist das für ein Mann!
Sie hatte ihn immer schon bewundert und zu gut gefunden für Gretchen,
aber in ihrer eignen Thorheit war sie verblendet und hatte seines Herzens
Sprache mit Verachtung erwidert. Jetzt stand er da, so schön und männlich,
mit so mildem, liebevollem Ausdruck. Klärchen traten die Thränen in
die Augen und ihr Herz war so bewegt. Als der Prediger die Versammlung
aufforderte, für das junge Paar mit zu beten, faltete sie die Hände und
brachte zum erstenmal in ihrem Leben etwas wie ein ernstliches Gebet
vor den Herrn. Als beim Hinausgehen Fritzens Augen ihrem weichen,
theilnehmenden Blicke begegneten, fuhr ein freudiger Schreck in sein Herz,
und wenn er dies Herz auch ganz und gar seinem Gretchen geschenkt, so war
es doch immer, als ob er Klärchens Seele mit auf seiner Seele tragen müsse.
Die heißen Gebete seiner Jugend konnte er nicht verloren geben.

Klärchen dachte darauf, wie sie Bekanntschaft mit dem Prediger machen
könne. So geradezu hinzugehen war ihr unmöglich, es mußte sich eine
Gelegenheit darbieten, und diese hoffte sie am leichtesten in der Taufe
ihres Kindes zu finden. Zu Günther sprach sie noch nicht davon, obgleich
sie fühlte, ein jeder Prediger würde ihm gleich sein. Sie fürchtete doch
seinen Widerspruch und wollte eine gelegenere Zeit abwarten. Aber mit
trostvollen Hoffnungen und Plänen beschäftigte sie sich in den stillen
Wochen bis zur Geburt ihres Kindes.

Ende Juni genas sie glücklich eines kleinen Mädchens. Günther war sehr
erfreut und sehr aufmerksam gegen Mutter und Kind. Klärchen hatte zwar
schon in den Wochen vorher eine freudige, wenn auch oft unruhige und
zerstreute Stimmung an ihm bemerkt, jetzt kam aber unzweifelhaft die Freude
an ihr und dem Kinde dazu. Sie war schöner erblüht als je, und das Kind
hatte die großen, blauen Augen und feinen Züge der Mutter. Günther war
aufmerksam wie in den ersten Tagen seiner Liebe, schöne Geschenke brachten
seine Hände und schmeichlerische Worte entglitten seinem Munde, ja,
in einer einsamen Stunde bat er sie sogar um Verzeihung wegen der
Vergangenheit und versprach ihr eine goldene Zukunft. Er deutete dabei an,
daß sie bald ihren Wohnsitz ändern würden, und forschte dann, wie alt wohl
ihr Kindchen sein müsse, um mit ihm eine weitere Reise zu unternehmen.
Klärchen hätte sich jetzt ganz glücklich träumen können, aber die gemachten
Erfahrungen ließen sich nicht aus ihrem Gedächtniß verwischen; auch waren
Günthers Augen zuweilen so unstet, seine Worte so geheimnißvoll, daß sie
Angst vor seiner Nähe hatte. Als das Kind fünf Wochen alt war, ward es in
der Stephani-Kirche getauft, Günther hatte nichts dagegen, er hörte kaum
hin, als ihm Klärchen den Vorschlag machte. Aber daß Gretchen Gevatter
stehen sollte, schlug er rund ab, er wollte mit den Leuten nichts zu thun
haben. Nur das setzte sie durch, daß die Kleine Gretchens Namen bekam.

Zu Klärchens Geburtstag war das kleine Gretchen sechs Wochen alt, und lag
süß schlummernd neben der Mutter in der Wiege. Vor dem Sopha stand der
Geburtstagstisch, den Günther am Morgen mit Kuchen und Blumen
geschmückt. Außerdem hatte er ihr 30 Thaler in Scheinen geschenkt mit dem
geheimnißvollen Bemerken: sie sorgsam zu bewahren; sie würde bald Gebrauch
davon machen müssen. Klärchen hatte schon zu oft solche Bemerkungen gehört,
und hatte das Geld, ohne weiter darüber zu forschen, in ihr Nähkästchen
geschlossen. Jetzt war es bald Abend, sie saß am offnen Fenster, die Luft
in der Stube war ihr zu eng geworden, aber auch außen war es nicht besser,
es war ein schwüler Tag gewesen. Klärchen hatte ernsthafte Gedanken, sie
war plötzlich so weit glücklicher als früher, Günther wie umgewandelt,
-- sollte der liebe Gott wirklich ihre Gebete erhört haben? Ihr Herz war
dankbar gestimmt, und sie machte sich das Gelübde, fromm und rechtschaffen
zu werden, knüpfte daran aber unwillkürlich die Bedingung des
Glücklichseins, und dies Glücklichsein suchte sie immer noch in äußeren
Dingen.

Verwundert sah sie mit einemmal Herrn Reinhard mit noch zwei Männern
aus dem Hotel und eilig zu ihr hinüber kommen. Erstaunt ging sie ihnen
entgegen. Herr Reinhard fragte ernsthaft nach ihrem Manne.

Ich meine, er ist drüben, sagte Klärchen unbefangen, und erwarte ihn jeden
Augenblick. Es ist heut mein Geburtstag, fügte sie, indem sie auf den
Festtisch zeigte, hinzu, und er wollte noch mit mir spazieren gehen.

Der Schurke! murmelte Reinhard, und Klärchen fuhr erschrocken zusammen.
Sie müssen erlauben, daß wir den Sekretair öffnen, fuhr Reinhard fort, und
sogleich machte er sich mit Hauptschlüsseln an das Werk.

Klärchen bat den Herrn Reinhard mit Thränen, ihr zu sagen, was vorgefallen,
und Herr Reinhard erzählte nicht mit den feinsten Worten, wie Günther ihn
wenigstens um zehntausend Thaler betrogen, wie er schändlicher Weise sein
Vertrauen gemißbraucht, seine Handschrift nachgemacht, sein Siegel benutzt,
falsche Wechsel ausgestellt, und jetzt wahrscheinlich nach Amerika gegangen
sei. Klärchen, überwältigt von diesen Nachrichten, saß laut jammernd
neben der Wiege, Frau Krauter kam dazu, jammerte mit und vermehrte die
Verwirrung. -- Im Schranke fand man nichts. Klärchen erzählte, daß Günther
vor kurzer Zeit viele unnütze Papiere, wie er sie genannt, verbrannt habe.
Während sich zu den genannten Personen noch Wirthsleute und Mitbewohner des
Hauses eingefunden hatten, und das kleine Gretchen, vom Lärmen aufgeweckt,
laut dazwischen schrie, kam der Postbote und brachte einen Brief für
Klärchen. Hastig erbrach sie ihn und las:

Liebes Klärchen! Ich schreibe in großer Eile. Wenn Du diese Zeilen liest,
bin ich bald in Hamburg und besteige gleich nach meiner Ankunft ein
Dampfschiff, das mich nach London und dann weiter nach Amerika bringt.
Packe schnell Deine Sachen, Deine Ausstattung kann Dir Niemand streitig
machen, und komm nach Hamburg mit unserem kleinen Gretchen. In der
Vorstadt St. Pauli Nr. 10. wirst Du, wenn Du Deinen Namen sagst, freundlich
aufgenommen, wirst alles Uebrige erfahren und eine bequeme Ueberfahrt nach
Amerika haben. Ich beschwöre Dich, laß mich nicht im Stich, ich kann nicht
leben ohne Dich und ohne unser liebes Kind, ich werde Dich mit offenen
Armen empfangen und in unser Hotel führen, da sollst Du fürstlich leben
und die Bettelwirthschaft, die Dich jetzt drückte, bald vergessen. -- Du
kommst! ich zweifle nicht und bin ewig Dein Eduard Günther.

Klärchen ließ es willenlos geschehen, daß auch Herr Reinhard den Brief
nahm und las. Er ward noch zorniger, als er erfuhr, daß der Betrüger ihm
entgangen sei, und fragte Klärchen mit beißenden Worten, was sie zu
dem Vorschlag sage. Diese erklärte, sie wolle lieber mit ihrem Kinde
verhungern, als dem Manne folgen. Als Herr Reinhard merkte, daß Klärchen
ganz unwissend in der Sache sei, als er ihren Schmerz darüber sah, ward er
etwas milder gegen sie gestimmt, aber die Wohnung mußte sie räumen und
die ganze Einrichtung ihres Haushaltes zurücklassen, denn sie konnte
nicht leugnen, daß Günther Alles angeschafft hatte; nur ihre eigenen
Kleidungsstücke und Leibwäsche, das Bettchen und Zeug des Kindes nebst
einigen Kleinigkeiten wurden ihr mitzunehmen erlaubt.

       *       *       *       *       *

Klärchen saß wieder in der kleinen Stube ihrer Mutter. Die zwei Jahre
ihrer Abwesenheit waren ihr wie ein Traum, ein Traum, der in Lust und
Herrlichkeit begonnen und geendet in Jammer und Noth. Dem schwülen Tage
war ein Gewitter gefolgt, das jetzt in einen leisen Landregen endete. Die
Mutter war trotz des Regens ausgegangen, um Einkäufe zu machen, denn ihr
Haus war ganz leer; und seitdem ihr Klärchen die 30 Thaler im Nähkästchen
gezeigt, war sie guten Muthes. Sie lebte nur in der Gegenwart und sagte,
wenn es ihr gut ging: der liebe Gott wird weiter sorgen. Denn sie führte
den lieben Gott wenigstens im Munde, wenn sie ihn auch nicht im Herzen
hatte. Klärchen war nicht guten Muthes, sie saß in der dämmernden Stube am
Fenster, sah auf die grauen, naßgewaschenen Häuser und auf die fallenden
Tropfen, und ihre Augen tropften ebenfalls. Was werden die Nachbarn sagen,
dachte sie, wenn sie dich hier wieder sehen, und nun in Schande und Noth;
was Gustchen Vogler, die sie manchmal in ihrer vornehmen Wohnung besucht
und ihr Loos gepriesen und beneidet hatte? Was wird Tante Rieke sagen, die
ihr das Alles vorher gesagt? Aber Mitleiden wird sie doch mit dir haben.
Hat sie doch neulich ganz freundlich zur Mutter von Klärchen gesprochen,
hat sich gefreut, daß sie ihr kleines Mädchen Gretchen genannt hat, und
daß sie Klärchen einigemal in der Stephani-Kirche gesehen. Ja, die
Stephani-Kirche! -- dachte Klärchen weiter, es hat dir auch nichts
geholfen; der liebe Gott hat deine Gebete nicht erhört, er hat dir die
Strafe für dein früheres Leben bald geschickt, er ist ein strafender Gott.
Klärchen konnte nicht zu ihm aufsehen, aber ihr vergangenes Leben ging
jetzt vor ihrer Seele vorüber, die zwei letzten Jahre kamen ihr wie ein
langes Leben vor. Es war jetzt Jahreszeit, als Fritz Buchstein zurückkam,
als sie mit Geringschätzung auf ihn schaute und um den Studenten buhlte.
Was hätte sie denn gehabt, wenn sie den errungen? O sie wußte jetzt, daß
rohe, gottlose Männer eben so gegen ihre Frauen sind, wenn sie auch in den
Liebesmonaten eine sanfte Sprache führen. Sie hatte es erfahren, daß schöne
Kleider und ein vornehmes, bequemes Leben keine Freude sind, wenn das Herz
an Kummer und Verdruß zehren muß. Sie dachte weiter an ihr Leben bei der
Generalin, wohin der Leichtsinn sie dort geführt, und hielt beide Hände vor
das Gesicht vor innerer Schaam. Wie ganz anders dachte sie jetzt über den
Grafen, diesen leichtfertigen, wortbrüchigen Menschen, der sie beinahe in
den Abgrund getaumelt. Ja, sie fühlte so etwas wie Fügung Gottes, daß sie
vor noch tieferem Fall und äußerster Schande bewahrt geblieben. Mit welchem
Leichtsinn aber hatte sie sich ihrem Manne in die Arme geworfen! Sie hatte
gewußt, daß er leichtfertig, ja sie zweifelte eigentlich nicht an der Tante
Aussage, daß er schlecht und herzlos sei; aber sie meinte damals, wenn
es ihr äußerlich wohl ginge, wäre sie glücklich. Und wie unglücklich und
trostlos hatte sie sich an seiner Seite gefühlt, wie war jetzt ihre ganze
Zukunft zerstört! Ob dir der liebe Gott dennoch helfen könnte? kam ihr
ein heller Gedanke in der Nacht ihres Herzens. Die Tante hatte oft gesagt:
Aeußere Noth ist kein Unglück, der Herr kann uns dabei doch Frieden und
Freude schenken. Sie schaute auf ihr Gretchen, das so sanft in der Wiege
schlief, und fühlte eine Ahnung höherer Freude, als alle irdischen Genüsse
ihr bis jetzt geboten. Für das Kind leben, arbeiten, das soll mein Trost
sein! O wie süß es jetzt seine Aermchen streckte und dehnte und seine
Aeuglein aufthat! Klärchen nahm das Kind an ihre Brust und vergaß allen
Kummer. Sie nahm sich vor, alle Schaam zu überwinden und morgen gleich neue
Kundschaft als Schneiderin zu suchen, die dreißig Thaler wollte sie
sparen und für Nothfälle aufheben, damit es ihrem Kinde nie am Nöthigsten
gebräche.

Aber es sollte anders sein. Klärchens noch zarte Gesundheit war von den
letzten Stürmen so erschüttert, daß sie am anderen Morgen ihr Bett nicht
verlassen konnte; ja, nach einigen Tagen hatte sich ein so heftiges
Nervenfieber entwickelt, daß sie besinnungslos dalag. So vergingen vierzehn
Tage, sie wußte nichts davon, wenn man ihr das Kind an die Brust legte,
sie wußte nicht, daß Tante Rieke und Gretchen oft pflegend an ihrem Bette
saßen, sie hörte nichts von den Todesbefürchtungen, die der Arzt in ihrer
Nähe aussprach. Endlich kam die glückliche Krisis, Klärchen erlangte ihr
Bewußtsein wieder, die Tante und Gretchen nahten sich ihr vorsichtig;
Klärchen konnte vor Schwäche nicht reden, aber lächelte dankbar. Man mußte
ihr das Kind zeigen, sie nahm es an ihr Herz, sie war so glücklich und
fühlte einen Himmel in diesen Umgebungen. Von Tage zu Tage ward sie
kräftiger und fühlte sich bald wie neugeboren.

Aber auch für ihre Seele begann ein neues Leben. Eine Genesungszeit ist oft
eine segensreiche, da ist der Boden locker und der Same findet eine gute
Statt. Frau Bendler wußte das, und benutzte es. Sie sprach ihr Trost und
Muth zu; Klärchen hörte gern, denn kein Vorwurf, kein hartes Wort traf ihre
Vergangenheit, nur der Gegenwart, der Zukunft sollte sie jetzt leben. Auch
der Stephani-Prediger kam, sie hatte der Tante von ihrer früheren Sehnsucht
nach ihm gesagt. Warm und eindringlich sprach er von der Liebe und
Gnade unseres Herrn, und seine Worte machten immer tieferen Eindruck auf
Klärchens Herz. Ja, der Herr gab dem Samen, der hier gesäet wurde, ein
gnädiges Gedeihen. Klärchen lernte ihren Heiland kennen, sie fühlte, daß
sie trotz ihrer vielen Sünden sich ihm doch nahen dürfe, sie fühlte, daß
alle Lust und Herrlichkeit der Welt nichts ist gegen den Frieden, den
er uns beut. Dieser Frieden ward nur gestört durch die Erinnerung an die
Vergangenheit. Ihre Schuld kam ihr oft gar groß vor, aber wenn sie sah, wie
die Tante und Gretchen, schwache Menschen wie sie selbst, ihr nur mit
Liebe und Theilnahme ihren Leichtsinn, ihre Lieblosigkeit und Verspottung
vergalten, wie vielmehr mußte sie bei dem Herrn Verzeihung finden. Ja,
der Herr nimmt an ihr reuevolles Herz. Aber auch allen Menschen, denen sie
Unrecht gethan, möchte sie ihre Reue sagen. Vor allen zogen ihre stillen
Gedanken sie zu Fritz Buchstein hin; sie hätte wissen mögen, ob er sie
nicht gar sehr verachte und gering schätze, ob sie Gretchens Worten trauen
und je sein Haus besuchen dürfe, sie hätte ihm gern ihr demüthiges Herz
gezeigt und ihn um Verzeihung für ihr liebloses Betragen gegen ihn gebeten.
Doch nach ihm zu fragen wagte sie nicht, und als Gretchen einst erwähnte:
Fritz warte nur auf Erlaubniß, seinen Krankenbesuch zu machen, konnte sie
kaum vor innerer Bewegung diese Erlaubniß geben.

Bald darauf, -- Klärchen war allein mit ihrem Kinde im Zimmer, -- öffnete
sich die Thür und Fritz trat ein. Klärchen hatte eben sinnend in den
letzten Abendschein geschaut und gedacht, ob Fritz wirklich kommen würde,
als er plötzlich vor ihr stand. Sie erhob sich erschrocken vom Stuhl, er
aber nöthigte sie zum Sitzen und bot ihr einen freundlichen guten Abend.
Als er ihr so mild und theilnehmend in die Augen sah, ging ihr das Herz
über, sie konnte keine Worte finden, nahm seine Hand mit beiden Händen und
weinte bitterlich. Das war zu viel für Fritz, er machte sich los und trat
schweigend an das Fenster. Die Hand, die sie mit Thränen benetzt, legte er
auf sein klopfendes Herz und flehte um Kraft. Fest und ernst setzte er sich
dann zu ihr, sprach tröstliche Worte zu ihr, aber berührte mehr ihr äußeres
Leben. Klärchen, die da meinte, sie hätte zu heftig ihre innere Bewegung
kund gethan und ihn dadurch verletzt, nahm sich zusammen und versuchte
ruhig und gelassen zu sprechen. Das kleine Gretchen ward der Gegenstand der
Unterhaltung. Fritz sagte, wie er und Gretchen auch solcher Freude entgegen
sähen, wie dann die Kinder zusammen spielen und groß werden könnten. Die
Tante und Gretchen kamen jetzt hinzu, und Klärchen athmete leichter, die
Unterhaltung ward ganz unbefangen. Die Tante sprach zu Fritz von Klärchens
Wunsch, die Scheidung von Günther so schnell als möglich gerichtlich
zu machen, was bei den vorliegenden Umständen nicht schwer sein konnte.
Klärchen sprach dann von ihren Lebensplänen, daß sie wieder nähen wolle
und mit Gottes Hülfe ihr Kind ernähren und erziehen. Sie drückte bei diesen
Worten ihr Gretchen innig und zärtlich an das Herz und bemerkte nicht, wie
der Tante Blicke wehmüthig auf dem Kinde ruhten, dessen Augen so groß aus
dem kleinen weißen Gesichtchen herausschauten. Der Mutter schwere Krankheit
hatte natürlich auch das Kind halb verkommen lassen; alle Sachverständige
fürchteten für sein Leben, und nur Klärchen ahnete nichts von dem
gefährlichen Zustande.

Am nächsten Sonntag ging sie zuerst in die Stephani-Kirche. Ihr Herz war
voll seliger Dankbarkeit und voll heißen Gebetes. Das war ein segensreicher
Morgen. Sie konnte getrost dem Herrn nahen und erwartete ihren Frieden
nicht mehr von äußerem Wohlergehen, sondern nur in der Gnade und Liebe des
treuen Herrn.

Nach der Kirche rüstete sie sich zu ihrem ersten Gang in die Stadt. Es war
ein schwerer Gang. Sie sagte Niemandem wohin, sie ging zur Generalin.
Diese Frau, gegen die sie sich am schwersten vergangen, deren Güte und
Freundlichkeit sie mit schmählichem Undank belohnt hatte, mußte sie um
Verzeihung bitten. Mit klopfendem Herzen stieg sie die Treppe hinauf, zog
sie die Klingel. Der alte Bediente, der ihr eigentlich immer gut Freund
gewesen, machte ihr jetzt durch seinen freundlichen Gruß den besten Muth.
Als er ging, sie zu melden, stand sie allein in dem ihr wohlbekannten
Vorzimmerchen. Der Nähtisch, vor dem sie so oft gesessen, stand noch an
demselben Platz, der wohlbekannte Arbeitskorb darauf. Sie sah sich dort
im Geiste sitzen mit all ihrer Eitelkeit, mit ihren tollen Gedanken und
wunderlichen Plänen für die Zukunft. Ein schnelles Roth flog über ihre
Wangen. Wie schämte sie sich der Vergangenheit, wie schnell hatte sich die
Zukunft strafend für sie enthüllt, wie bangte ihr vor den ernsten Worten
der Generalin, und wie trieb es sie doch wieder, ihr Herz zu erleichtern!

Die Generalin war indessen sehr schwankend, ob sie Klärchen annehmen sollte
oder nicht. Sie hatte von ihrem Schicksale gehört, fand es wohl verdient
und glaubte, daß jetzt nur äußere Noth und Bitte um Unterstützung Klärchen
hergetrieben. Sie schämte sich aber fast vor dem Bedienten, der hatte so
theilnehmend Klärchen genannt, der schien gar nicht zu zweifeln, daß sie
vorgelassen würde, und sie gab die Erlaubniß.

Klärchen konnte vor Bangigkeit erst nicht reden, sie nahm nur der Generalin
Hand und küßte sie. Diese sagte mit etwas kaltem Tone: Ich habe von Ihrem
Unglück gehört, und bedaure Sie.

Ich bin jetzt nicht unglücklich, gnädige Frau, unterbrach sie Klärchen
schüchtern, nicht so unglücklich, als da ich bei Ihnen war. -- Die
Generalin machte ein verwundertes Gesicht, und Klärchen fuhr fort: Ich
bereue meinen Leichtsinn, und hoffe, ich werde mit Gottes Hülfe anders
werden, ich konnte es nur nicht lassen (bei diesen Worten wurde ihre Stimme
zitternd und Thränen traten in ihre Augen), ich konnt' es nur nicht lassen,
vor allem erst Ihre Verzeihung zu erbitten; ich wage es kaum, es war zu
schlecht, o Gott! ich habe Sie ja bestohlen. -- -- Klärchen konnte nicht
weiter reden, und die gutmüthige Frau Generalin war so bewegt von dieser
unerwarteten Scene, daß sich ihre Gefühle plötzlich wandten, und sie
die bleiche, junge Frau in den herzlichsten Worten ihrer Verzeihung
versicherte. Sie unterhielt sich noch weiter mit ihr, fragte nach ihren
Plänen für die Zukunft, und als sie hörte, daß Klärchen wieder schneidern
wolle, erbot sie sich, ihr selbst Arbeit zu geben und ihr auch Kundschaft
zu verschaffen. Klärchen war gerührt von dieser Güte. Sie pries es als
eine Gnade Gottes und als die Erhörung ihres Gebetes von heut Morgen in der
Kirche, wo sie zum Herrn so dringend gefleht, ihr doch die Theilnahme
und Liebe guter Menschen wieder zuzuwenden, weil sie doch noch ein gar zu
schwankendes Rohr sei und leicht muthlos werden könne; aber die Freude, bei
der Frau Generalin im Hause arbeiten zu dürfen, müsse sie erst mit der Zeit
verdienen, sie müsse sich jetzt noch zu sehr schämen und fürchten, ihre
Wohlthäterin könne ihr noch nicht trauen.

Diese aufrichtige Reue machte die Generalin immer gütiger, und Klärchen
schied von ihr, das Herz voller Trost und froher Hoffnungen. Aber der Herr
wollte sie lehren, gar keinen Trost bei Menschen, sondern bei ihm allein zu
suchen, und führte sie noch schwere Wege.

Als sie nach Hause kam, hatte ihre Mutter das kleine Gretchen auf dem Arm,
und Klärchen bemerkte zum erstenmal, daß ihr Kindchen nicht so aussah wie
andere Kinder dieses Alters. Ein jäher Schreck fuhr durch ihre Seele, sie
nahm es, sah ihm in die großen, blauen Augen, faßte die welken Hände
und sah flehend zum Himmel auf. Nein, das kann der Herr nicht thun, das
könntest du auch nicht ertragen! dachte sie. Vielleicht will er nur deinen
Glauben prüfen, und du willst nicht aufhören zu bitten.

Sie forschte bei der Mutter und bei der Tante und anderen Bekannten
nach deren Meinungen über das Kind, und es war ihr Balsam, zu hören, wie
schwächliche Kinder oft leichter über die ersten Jahre hinkämen, als starke
und vollsäftige. Ach, dachte sie, du willst es sorgsam pflegen und hüten,
und der liebe Gott wird das segnen.

Daß sie, als sie wieder zum Nähen ausging, Gretchen der Pflege ihrer Mutter
überlassen mußte, wurde ihr sehr schwer; doch die dreißig Thaler waren zu
Ende, und die Tante und alle vernünftigen Menschen erwarteten, daß sie ihre
hergestellten Kräfte zur Arbeit benutzen würde. Es wurde ihr nicht schwer,
sich einen Wirkungskreis zu verschaffen; ja bald ward er so groß, daß sie
nicht allen Anforderungen genügen konnte. Frau Krauter war sehr glücklich
darüber; zwar reichte das Geld gerade nur von der Hand in den Mund, sie war
aber gewohnt, nicht weiter zu denken. Klärchens Tage gingen einförmig
hin: in der Woche nähte sie in den Häusern, jeden Sonntag ging sie in die
Stephani-Kirche, die Feierstunden, die ihr blieben, widmete sie der Pflege
ihres Kindes. Von _einer_ Sorge, die auf ihrem Herzen ruhte, der Scheidung
von ihrem Manne, hatte sie der Herr selbst befreit. Das Schiff, auf welchem
Günther sich eingeschifft, war im Kanal gescheitert, und er selbst hatte
den Tod und das Ende seiner Pläne in den Wellen gefunden. So hätte sie sich
in ihrem Stillleben ungestört und mit jedem Tage glücklicher fühlen können,
wenn nur ihr Kind frisch und gesund gewesen; aber die bange Sorge saß ihr
wie ein Stachel im Herzen, und ihr Glaube war noch zu jung und schwach, um
willig ihr Liebstes zu opfern und wie Abraham zu rufen: Herr, hier bin ich.

Es war am ersten Adventssonntag. Klärchen war früh in der Kirche gewesen
und noch erfüllt von der herrlichen Predigt, erquickte sie sich an der
sonntäglichen Ruhe. Ihre Mutter war zu Tante Rieke gegangen, sie saß allein
in der Stube, ihr schlummerndes Gretchen auf dem Schooße. Schneeflocken
fielen leise nieder, Klärchen schaute still hinein, es war ihr, als ob sie
durch die weiße Decke doch die ganze Herrlichkeit des Himmels sähe; sie
fühlte eine Glückseligkeit von da oben sich in ihr Herz hinabsenken, wie
sie nie gefühlt. Sie faltete die Hände: O Du lieber himmlischer Vater,
halte mich so wie Du mich in diesem Augenblicke hältst, ich fühle mich an
Deinem Herzen, ich könnte Dir Alles geben, ja auch das Liebste hier. Sie
sah auf ihr bleiches Kind, aber fühlte eine selige Verklärung im Herzen. Da
schlug das kleine Gretchen die matten Augen auf, die Mutter drückte es heiß
an ihr Herz und schluchzte: O Herr, aber gieb Du Kraft! ich bin schwach,
sehr schwach! Sie fühlte die Verheißung vom Tode ihres Kindes, und ihr Herz
konnte sich beugen.

Aber dieser seligen Stunde folgten viele bange, sie fing wieder an zu
zagen, zu ringen, zu hoffen, auf Mittel zu sinnen, wie dem Kinde zu helfen
sei. Besonders glaubte sie, daß ihre eigne Pflege nöthig sei, und ging
deswegen nicht zum Nähen aus, wie auch Frau Krauter darüber böse war; denn
wenn Klärchen meinte, im Hause eben so viel verdienen zu können, merkten
sie bald an der Kasse, daß dem nicht so war. Stundenlang trug sich Klärchen
mit dem Kinde, oder saß von Kummer und Wachen ermattet mit müßigen Händen.
Bis vierzehn Tage vor Weihnachten ging es leidlich, der Hausstand hatte
noch nicht Mangel gelitten, da trat aber statt des bisherigen milden
Wetters strenge Kälte ein, und Holzmangel machte sich bitter fühlbar. Tante
Rieke wagte Klärchen nicht anzusprechen, weil sie ja durch eigne Schuld in
diese Verlegenheit gekommen war, und auch die Mutter hatte nicht Muth dazu,
weil Tante Rieke ihr Weihnachten schon die Miethe geben mußte. So ward
denn für jetzt beschlossen, Klärchens Flitterstaat zu verkaufen, den sie um
Alles in der Welt doch nicht wieder getragen haben würde. Frau Krauter war
sehr zufrieden damit. Wir helfen uns noch einige Wochen hin, dachte sie,
länger kann das Würmchen nicht mehr leben, und dann ist Klärchen doppelt
fleißig und die Noth hat ein Ende. Der schwarze seidene Mantel und der
Sammethut machten den Anfang, dann folgten allerhand Kleinigkeiten, für
die aber sehr wenig eingenommen wurde, und da Tag und Nacht geheizt werden
mußte, auch außer Essen und Trinken noch Medizin und allerlei andere Dinge
zu beschaffen waren, so war bald die Kasse wieder so leer wie zuvor,
und Klärchen stand am dritten Weihnachtstage trostlos vor den leeren
Kommodenkasten. Noch fand sich einiges Unbedeutende, das sie sich
eigentlich schämte auszubieten, aber die Mutter brachte einen Thaler
dafür. Das Schlimme bei diesem Verkaufen war nur, daß Klärchen für den
Flitterstaat nichts Derbes und Festes in der Stelle hatte. Ein Deckentuch
war ihr einziges warmes Kleidungsstück und hatte auch bei dem milden Wetter
ausgereicht; jetzt hatte sie weder einen Mantel, noch ein warmes Kleid, und
konnte kaum die warme Stube verlassen. Aber auch diese Stube war nicht mehr
warm zu machen; am Sylvester-Morgen blieb Frau Krauter im Bett liegen,
um nicht zu frieren, und Klärchen ging in den Holzstall, um noch
einmal Nachlese zu halten, obgleich sie gestern Abend schon sehr genau
eingesammelt hatte. Sie fand einige Splitterchen, kochte noch einmal Kaffee
und für Gretchen einen Brei. Die Stube ward kaum warm. Klärchen fragte
nichts nach der Kälte, aber Hülfe mußte nun geschafft werden, das Kind
durfte nicht frieren. Vor allen Dingen zog sie selbst ihren einzigen
wollenen Unterrock aus, machte eine Kappe davon, hüllte das Kind da warm
hinein und trug es so im Deckentuch in der kalten Stube. Um noch etwas
unter dem dünnen wollenen Mousselin-Kleide zu haben, hatte sie den weißen
Unterrock mit der Frisur angezogen, der aus ihrer Mädchenzeit, jetzt aber
dünn und verwaschen, kaum noch zu Futter nutzbar, in einer Ecke lag.
Sie kämpfte lange, ob sie zu Tante Rieke gehen sollte, oder vielmehr zu
Buchsteins; denn schon seit acht Tagen war die Tante dort, weil Gretchen an
einer bösen Grippe niederlag. Sie entschied sich zum Gehen, die Noth war zu
groß, ihre Stube ward immer kälter, die Mutter jammerte nach Essen, und sie
selbst und ihr Kind waren hungrig. O wenn sie nur Kraft zum Beten gehabt
hätte! Aber sie war matt und schwach, konnte sich nicht erheben und trug
all dies Elend als eine wohlverdiente Schuld.

Der Nordwind pfiff durch ihre dünnen Kleider, an allen Gliedern bebend trat
sie zu Buchsteins in das Haus. Fritz nahm eben dem Lehrjungen einen Korb
mit Spähnen und Holzabfällen ab, die er in der Werkstatt aufgeräumt.
Klärchens Blicke sahen unwillkürlich verlangend darauf. Fritz, der für
Klärchens Augensprache immer noch ein feinfühlendes Verständniß hatte,
verstand auch diesen Blick. Ein heißes Weh ging durch sein Herz. Sie ist
in Noth, dachte er, sie sieht bleich und kümmerlich aus, und ihr habt sie
vergessen. Er führte sie in die Stube. Gretchen hatte zum erstenmal das
Bett verlassen und saß in Betten und Mäntel gehüllt im Lehnstuhl, Vater
Buchstein und die Tante saßen neben ihr, freueten sich ihrer Genesung, der
sie mit einiger Besorgniß entgegen sahen, weil der sehr heftige Husten in
Gretchens Zustande was Angstvolles hatte. Die Tante erschrak, als Klärchen
als ein so sprechendes Bild des Jammers und des Elendes in die Stube trat.
Fritz stellte ihr einen Stuhl an den Ofen, sie setzte sich, aber immer noch
flogen ihre Glieder vor Frost.

Wie geht's Euch denn? fragte die Tante besorgt.

Die Mutter liegt im Bett, und mein Gretchen -- hier stockte Klärchens
Stimme.

Warum hast Du keinen Mantel um? -- fuhr die Tante fort -- was hast Du
denn an? Sie hob unwillkürlich das dünne Kleid und den wohlbekannten
Frisurenrock auf. Ach Gott! nichts weiter? sagte die Tante erschrocken,
warum denn keinen wollenen Rock?

Klärchen legte beide Hände vor die Augen. Ich habe keinen, schluchzte sie,
und habe nichts, nichts! Fritz trat an das Fenster, er konnte seinen Augen
nicht gebieten. Gretchen bat die Tante, welche Kleidungsstücke sie für
Klärchen holen sollte; aber Klärchen sagte leise weinend:

O nichts für mich, nur etwas Holz und Essen für meine Mutter und mein Kind.

Fritz eilte hinaus. Der Korb mit dem Holze stand noch dort, alles mögliche
aus der Speisekammer packte er hinzu und eilte nun voran in Klärchens
Wohnung. Wie fand er es hier! öde und kalt, das Kind weinend, die
Großmutter klagend. Mit zitternden Händen machte er selbst Feuer, stellte
Wasser dabei, und als Tante Rieke mit dem eingekleideten Klärchen in die
Stube trat, hörte diese wenigstens das tröstliche Knistern im Ofen. Sie sah
ihn so demüthig und dankbar an, er konnte den Blick nicht vertragen, sein
Gewissen machte ihm Vorwürfe, daß er sie darben ließ; freilich war sein
Gretchen in den Tagen schwer krank gewesen, und seine Zeit durch die Pflege
hingenommen, aber daran dachte er jetzt nicht, sondern nur an seine Schuld.

Als er darauf den Abend allein saß und dem neuen Jahr entgegen wachte, --
denn sein alter Vater war jetzt sehr kränklich und auch die Tante von
den vorhergegangenen Nachtwachen angegriffen, -- da gingen seine Gedanken
zurück in die Vergangenheit. Es waren zwei Jahr, daß er zu Klärchen die
warnenden Worte gesprochen, -- wie hatte sich seitdem alles geändert!
Er fühlte dankbar, daß der Herr seine Gebete erhört, an der Seite seines
treuen Gretchens war er von aller Unruhe des Herzens geheilt, und wenn auch
die Jugenderinnerung zuweilen wunderlich durch seine Seele klang, so hatte
das nichts Schmerzliches mehr. Klärchen war der Welt entfremdet und dem
Himmel gewonnen; Fritz flehte zum Herrn, daß er alle ihre Herzen verklären
möge, daß er sie _einen_ Weg führe zum himmlischen Jerusalem und dort oben
ewig selig vereinigt halte.

Während Fritz so mit seinen Gedanken allein war, saß Klärchen ebenso an der
Wiege ihres hinwelkenden Kindes. Sie war matt und krank, ihre Glaubenswelt
schwach und ohne Halt, das Leben war ihr trüb' und der Himmel fern, ihr
einziger Trost war das Kind, ihr einziger Gedanke: so grausam kann Gott
nicht sein, dir dies zu nehmen. Und doch kann er es, dachte sie angstvoll,
und du hast es verdient! -- Das Leben lag wie eine schwere Schuld hinter
ihr, und der erlösenden Liebe wagte sie sich nicht zu nahen. In die Kirche
war sie nicht gekommen, die Tante und Buchsteins hatte sie lange nicht
gesprochen, so fehlte es ihr an jedem stärkenden Zuspruch, und innerlich
und äußerlich welkte sie dahin.

Am anderen Morgen stand Frau Krauter trotz der warmen Stube nicht auf,
sie fühlte sich wirklich krank, und als es in den nächsten Tagen zunahm,
schickte die Tante einen Arzt. Der erklärte es für eine nervöse Grippe.
Klärchen hatte nun doppelt zu pflegen, und da die Tante immer wieder an
Gretchens Krankenbette gebunden war, stand sie ganz allein. Nur Fritz kam
zuweilen; aber ernst und schweigsam war er, Klärchen hielt das für eine
verdiente Nichtachtung, wagte ihn kaum anzusehen und zu danken für Alles,
was er ihr zur Erleichterung that und schickte. So gingen ihr die Tage wie
im dumpfen Traume hin. Nach drei Wochen erklärte der Arzt den Zustand
der Mutter für besser, zugleich aber ward sein Gesicht beim Anschauen des
Kindes immer bedenklicher. Klärchen empfand große Qualen; je mehr sie das
Kind hegte und pflegte, je furchtbarer ward ihr der Gedanke seines Todes.
Eines Abends wollte es die Brust nicht mehr nehmen und hing matt das
Köpfchen; wie ein Schwert fuhr der Schmerz durch Klärchens Brust. Sie
wußte in der Angst nicht was beginnen; der liebe Gott will nicht helfen,
vielleicht können es Menschen. Sie stürzte zur Tante, aber bei Buchsteins
war Angst und Verwirrung, der alte Benjamin stand mit gefalteten Händen
im Hause, Gretchen lag in schweren Kindesnöthen. Klärchen lief zu Gustchen
Vogler, lief zum Arzt; der fand das Kind freilich sehr krank, er hatte es
aber nicht anders erwartet. Gustchen blieb die Nacht, machte Thee, wärmte
Tücher und hörte Klärchens Klagen an. Die Nacht war so lang, dichte
Schneeflocken hielten die Dämmerung am Morgen noch länger auf. Endlich ward
es Tag. Klärchen hielt laut jammernd das sterbende Kind auf dem Schooße,
als die Thür sich öffnete und Tante Rieke eintrat.

Eben stirbt mein Kind! rief Klärchen verzweiflungsvoll.

Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, sein Name sei gelobt
ewiglich, -- sagte die Tante bewegt.

Nein, nein, rief Klärchen und küßte den letzten Athemzug von des Kindes
Lippen.

Ja, ja, sagte die Tante. Klärchen, laß uns beten, wir sind jetzt beide
kinderlos, -- Thränen erstickten ihre Stimme, -- auch mein Gretchen ist
hinübergegangen.

Klärchen starrte sie an. Ja, fuhr die Tante fort, laß uns den lieben Herrn
im Himmel bitten, daß er uns Kraft giebt, daß er uns tröstet.

Der liebe Herr im Himmel? stöhnte Klärchen; aber ihre Hände falteten sich,
die seligen Stunden, die sie mit diesem Herrn schon verlebt hatte, nahten
sich ihr plötzlich wie ein Trostes-Engel. Am ersten Advent hatte ja ihr
Kind eben so bleich auf ihrem Schooße geruht; damals hatte sie Kraft, es
dem Herrn willig hinzugeben. O Herr, hilf mir! flehte sie, und der Herr
half. Ja wunderbar, schnell, augenblicklich! eine selige Erhebung fühlte
sie im Herzen, der düstere Traum, die Angst war vorüber. Sie konnte mit der
Tante beten, sie konnte mit ergebenem Herzen heiße Thränen weinen.

Und diese Thränen flossen noch oft, aber sie lösten die Last ihres
Gewissens und machten sie zum Kinde Gottes.

       *       *       *       *       *

Klärchens äußeres Leben war bald wieder im alten Geleise. Sie ging aus zum
Nähen; weil sie gesund war, und nichts sie mehr an's Haus fesselte, wollte
sie auch wieder arbeiten. So still und einförmig ihre Tage aber auch
äußerlich hingingen, so warm und lebendig war es ihr im Herzen: ihre
Gedanken zogen immer mehr dem Himmel zu, dahin, wo ihr Kindchen mit den
Engeln spielt, und der Himmel kam zu ihr hernieder mit seinem Frieden,
seiner Seligkeit. Sie verlangte und hoffte von diesem Leben nichts weiter,
ja, wenn sie des Abends oder des Sonntags bei der Tante war, diese sie
mit Liebe und Vertrauen überhäufte, und wenn gar Fritz dazu kam, mit ihnen
sprach, ihnen vorlas, und sie einen theilnehmenden Blick von ihm erhaschte,
da meinte sie, so glückliche Tage nicht verdient zu haben, und bat Gott,
sie ihr bis zum Lebensende so zu erhalten.

       *       *       *       *       *

Der Sommer ging vorüber, auch der halbe Winter. Am Sylvester-Abend saßen
Klärchen, Fritz und die Tante beisammen, es wurde nicht gescherzt und
fröhlich geplaudert, aber alle drei waren im Herrn selig vergnügt. Fritz,
obgleich er es nicht wagte, die Wünsche seines Herzens in die Wirklichkeit
hinaus zu denken, ahnete doch, was der Herr mit ihm vorhätte. Unter
schweren Kämpfen hatte er ihm einst sein thörichtes Herz und seine
Jugendliebe übergeben, verklärt sollte er diese Liebe aus seiner Hand
zurück erhalten. Als er Klärchen gute Nacht wünschte und den Segen des
Herrn zum neuen Jahr, da konnte er seiner Stimme nicht gebieten, und
Klärchen fühlte den Ton in ihrer Seele. O Gott! sie wagte es ja kaum, in
seine reinen, lichten Augen zu schauen, sie hatte ihn nur in ihr Gebet
eingeschlossen und ersehnt, er möchte ihr nicht länger zürnen.

Frau Krauter, die seit der schweren Krankheit sich nie wieder ganz erholt
und immer gekränkelt hatte, mußte sich nach Neujahr legen, und Klärchen
durfte sie nicht verlassen. Doch ward ihr eine lange Krankenpflege diesmal
erspart, ein Lungenschlag machte der Mutter Leben schnell ein Ende.

Klärchen war nun eine Waise. Und doch nicht, -- die Tante nahm sie nicht
allein an ihr Herz, auch in ihr Haus, und ward ihr eine wahrhafte Mutter.
Als der Frühling draußen sproßte, saß Klärchen in Gretchens Fenster neben
blühenden Schneeglöckchen. Der alte Benjamin hatte sie ihr gebracht; ja,
seine Liebe zu Gretchen war auf Klärchen übergegangen, und Klärchen hatte
mit ihm wieder scherzen und plaudern und fröhlich singen gelernt. Der
Staarmatz rief: »Klärchen, so recht«, und mit dem Dompfaffen sang sie:
Lobe den Herrn, o meine Seele! -- Fritz arbeitete rüstig in der Werkstatt,
lauschte zum Fenster hinaus, und sein Herz schlug hoch auf, wenn er
Klärchens blaue Augen sah, so rein, so kindlich und verklärt, wie sie ihm
auf seinen Wanderungen vorgeschwebt. Als aber der Frühling immer schöner
hervorbrach, Blüthen und Blumen sich entfalteten, konnte sich auch Fritz
nicht länger halten, und Klärchen durfte den ganzen Himmel seiner Liebe
schauen.

Sie ist jetzt Frau Meisterin, sie ist stolz auf ihren Stand und trägt nur
dunkle Strümpfe, feste Lederschuh und ein einfaches Kleid. Sie ist neu
und schöner erblüht, ist die Freude ihres Mannes und der Segen ihres
Hausstandes. Der alte Buchstein sitzt im Lehnstuhl und wiegt sein jüngstes
Enkelchen auf den Knieen, Benjamin führt ein kleines blondes Gretchen zur
Tante hinüber, Klärchen sitzt unter dem offenen Fenster der Werkstatt und
singt mit schöner Stimme:

    Lobe den Herrn, o meine Seele,
  Ich will ihn loben bis in Tod!
  Weil ich noch Stunden auf Erden zähle,
  Will ich lobsingen meinem Gott;
  Der Leib und Seel gegeben hat,
  Werde gepriesen früh und spat.
  Halleluja, Halleluja.

    Selig, ja selig ist der zu nennen,
  Deß Hülfe der Gott Jacob ist,
  Welcher vom Glauben sich Nichts läßt trennen
  Und hofft getrost auf Jesum Christ.
  Wer diesen Herrn zum Beistand hat,
  Am besten findet Rath und That.
  Halleluja, Hallelujah.


Druck von Ed. _Heynemann_ in Halle.



Bei #F. A. Brockhaus# in #Leipzig# erschien und ist in allen Buchhandlungen
zu erhalten:


  #Gutzkow# (Karl), #Die Ritter vom Geiste#. Roman in neun Büchern.
  _Zweite Auflage._ Neun Bände. 8. 11 Thlr.

Bei der außerordentlichen Theilnahme und Anerkennung, die Gutzkow's
großartiges Zeitgemälde der Gegenwart in allen Theilen und Bildungskreisen
Deutschlands gefunden, bedarf es gewiß nur der Hinweisung auf die so rasch
nöthiggewordene _zweite unveränderte Auflage_ desselben, um auch diejenigen
zur Lecture der »Ritter vom Geiste« zu veranlassen, die sich bisher diesen
Genuß noch nicht verschafften.


Levin Schücking's neueste Romane.

Bei #F. A. Brockhaus# in #Leipzig# erschien und ist in allen Buchhandlungen
zu erhalten:

  #Der Bauernfürst.# Zwei Bände. 8. 4 Thlr.

  #Die Königin der Nacht.# Roman. 8. 1 Thlr. 24 Ngr.

Die beiden neuesten Romane _Levin Schücking's_, eines unserer beliebtesten
Romanschriftsteller, die seine früheren Romane: »Ein Sohn des Volkes«
(1849), »Die Ritterbürtigen« (1846), »Eine dunkle That« (1846), »Ein Schloß
am Meer« (1843) an Originalität und drastischem Schwung noch übertreffen.


Erschienen ist bei #F. A. Brockhaus# in #Leipzig# und durch alle
Buchhandlungen zu beziehen:

  #Italienischer Novellenschatz.# Ausgewählt und übersetzt von
  #A. Keller#. Sechs Teile. 12. Jeder Theil 1 Thlr. 10 Ngr.

Den Inhalt dieses Werks bilden 150 italienische Novellen, von dem
rühmlichst bekannten Professor #A. Keller# in Tübingen übersetzt, als
eine chronologische Reihe von charakteristischen Proben der italienischen
Erzählungskunst, eine Geschichte der italienischen Novellistik in
Beispielen. Diese Blüten der italienischen Literatur, der anerkannten
Meisterin auf dem Gebiet der Novelle, liefern die mannichfachsten Beiträge
zur Cultur- und Sittengeschichte Italiens und werden dem deutschen
Publicum die anziehendste Unterhaltung gewähren. Des größten italienischen
Erzählers, Boccaccio's, Novellen hat der Uebersetzer von seinem
Plane ausgeschlossen, weil dieselben bereits in der »ausgezeichneten«
Uebersetzung Witte's, erschienen seien, welche den Titel führt:

  #Boccaccio# (Giovanni), #Das Dekameron#. Aus dem Italienischen
  übersetzt von #K. Witte#. _Zweite_ verbesserte Auflage. Drei Theile.
  12. 1843. 2 Thlr. 15 Ngr.


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.



Bei #Richard Mühlmann# in Halle ist erschienen und in allen soliden
Buchhandlungen zu haben:

  #Die Kammerjungfer#, eine Stadtgeschichte, von _Maria Nathusius_,
  Verfasserin der Dorfgeschichten: Martha die Stiefmutter, Lorenz der
  Freigemeindler, Vater Sohn und Enkel etc. 9 Bogen. 9 ~Sgr.~

Dieses Buch erzählt die Geschichte eines jener unglücklichen Mädchen, wie
sie zu tausenden in großen und kleinen Städten, ohne häusliche Zucht und
Wurzel in dem göttlichen Worte, von schwankenden Eltern er- und verzogen,
aufwachsen, von Ansprüchen einer weniger als halben Bildung gestachelt, und
von Romanlectüre und leichter Gesellschaft getragen, in allerlei schöne
und hohe Gedanken hinauswuchern, hinter deren Gefühl sich doch die
bloße Sinnlichkeit und hinter deren Phantasien sich die gewöhnlichsten
Spekulationen verbergen, daß wenn dann die gar losen Blumenblätter im
ersten Windstoße abfallen, die innere Armuth und Hülflosigkeit in ihrer
Blöße dasteht. Die Heldin dieser Erzählung bleibt vor dem tiefsten Sumpfe
der Sünde, in welchem schließlich unzählige ihres gleichen für ein ganzes
Leben versinken, schon durch die Keuschheit der Feder einer weiblichen
Verfasserin bewahrt. Sie gelangt mitten in ihren edlen Gefühlen nur bis zum
gewöhnlichen Hausdiebstahl, und auch der wird ihr verziehen. Sie empfängt
aber ihren Lohn dadurch, daß sie »ihr Glück macht« durch eine »gar nicht
üble Partie«, von deren Jammer sie endlich das Durchgehen ihres Mannes
befreit. Durch das alles hat die Gnade Gottes ihr leichtfertiges und
widerstrebendes Herz aber immer stärker und stärker an sich gezogen, bis
sie zu einer rechtschaffenen Buße und Umkehr gelangt. Als Gegenbild steht
daneben die einfache, heitere und anmuthige Gestalt ihrer Jugendfreundin,
eines ehrbaren, schlecht und recht in der Furcht Gottes aufgewachsenen
Bürgermädchens. Durch die psychologische Wahrheit, und die gefällige
Weise, womit die Begebenheiten von dem vielfach anerkannten Talente der
Verfasserin dargestellt sind, vermag die Erzählung auch das Interesse von
Leserkreisen aller Stände zu fesseln. Vorzüglich aber wäre es zu wünschen,
daß Freunde der inneren Mission Mittel und Wege aufsuchten, um sie recht
zahlreich in jenen Kreisen, aus deren Leben sie redet und auf welche sie
als eine Warnungs- und Weckstimme insonderheit zu wirken bestimmt ist, zu
verbreiten. --



[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Symbole für abweichende Schriftarten:

  _gesperrt_ : =Antiqua= : ~kursiv~ : #fett#.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "erwidert" -- "erwiedert",
"heitzte" -- "geheizt", "Spatziergang" -- "Spaziergang",

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 9:
  "deinen" geändert in "Deinen"
  (Schäme Dich was mit Deinen Grobheiten)

  Seite 17:
  "bemerke" geändert in "bemerkte"
  (kurze Zeit darauf bemerkte Auguste, daß Fritz fortgegangen)

  Seite 24:
  "Ihr" geändert in "ihr"
  (den lieben Sommer über fast ihr alleiniger Wohnsitz)

  Seite 34:
  "Louisdo'r" geändert in "Louisd'or"
  (vom Louisd'or kaum etwas für ihre Mutter übrig blieb)

  Seite 39:
  "." eingefügt
  (Er begann mit dem 90. Psalm)

  Seite 49:
  "ihn" geändert in "ihr"
  (ihr auf diese Weise die Zeit vertreiben)

  Seite 68:
  "ihren" geändert in "Ihren"
  (der Wahrheit gemäß Ihren Frevel gestehen)

  Seite 85:
  "gedehmüthigt" geändert in "gedemüthigt"
  (ihr Stolz war gedemüthigt, sie war innerlich erboßt)

  Seite 98:
  In Zeile 6 "," geändert in "."
  (Halleluja, Halleluja.)

  Seite 119:
  "hinzugegehen" geändert in "hinzugehen"
  (geradezu hinzugehen war ihr unmöglich)

  Seite 131:
  "," eingefügt
  (Klärchen schied von ihr, das Herz voller Trost) ]





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