Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Ma - Ein Porträt
Author: Andreas-Salomé, Lou
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Ma - Ein Porträt" ***


made available by the HathiTrust Digital Library.)



  Ma

  Ein Porträt


  Von

  Lou Andreas-Salomé


  [Illustration]

  Stuttgart 1901

  J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger

  G. m. b. H.


  Alle Rechte vorbehalten

  Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart



=I.=


Die Iberische Mutter Gottes fuhr spazieren.

Aus der Tiefe ihres kerzenerhellten blaugoldschimmernden Tempelchens vor
dem Eingang zum Schönen Platz am Kreml war sie von ehrfürchtigen Händen
in den Wagen gehoben worden.

Da saß sie nun im prächtigen Vierspänner, ihrer ständigen Equipage,
breit auf dem Vordersitz, ihr gegenüber zwei Priester in reichen
scharlachroten Gewändern, Kreuz und Weihrauchgefäß vor sich hinhaltend.

Irgend eine der kleinern Glocken im Kreml bimmelte und bimmelte. Hin
und wieder nur unterbrach ein vereinzelter tiefer Glockenton, lang
nachdröhnend und wie verträumt, dies helle Geläute. Hoch über den
verschneiten Straßen klang es unermüdlich, mit dringlicher Monotonie, in
den Winterwind hinein.

Die Menge umringte den Wagen so nahe, als sie es vermochte, junge Gesichter
und alte, bärtige bückten sich in gleich demutvollem Eifer, um einen Kuß
auf das wunderthätige Bild zu erhaschen oder wenigstens auf den Rahmen
daneben.

Ein paar elegante Offiziere, die über den Woßkreßenskiplatz herkamen,
machten mitten auf dem Fahrdamm Halt, beugten das Knie in den Schnee und
bekreuzigten sich feierlich mit bis zur Strenge ernsten Mienen.

Täglich fuhr die Iberische Mutter aus, um allen Besuchsanforderungen zu
genügen, dennoch mußte oft ihre Gegenwart in einem Haus wochenlang vorher
erfleht werden, damit sie noch Zeit dafür fand.

Langsam lenkte der imposante Kutscher, trotz der empfindlichen Kälte
entblößten Hauptes, seine vier Rappen aus dem Menschenhaufen heraus.

Viele blieben noch stehn, um ihm nachzuschauen. Auf den Stufen zum
Tempelchen lagerten Pilger, Bastschuhe an den tücherumwickelten Füßen,
den Stab in der Hand. Mit ihren Anliegen wandten sie sich jetzt an die
Kopie des Bildes, die stellvertretend im Heiligtum hing, und steckten
betend brennende Wachskerzen davor auf.

So mehrte sich drinnen immer noch Licht um Licht zu erhöhtem Glanze, --
von außen anzusehen wie eine mächtige gelbflimmernde Sonne, die mitten
im nüchternen Alltag des Straßenlebens gleich einem leuchtenden Geheimnis
dastand und winkte und winkte --.

Die Mutter Gottes im Vierspänner hatte mit nicht gar vielen Equipagen
zu konkurrieren. Wer sie fahren sah, konnte sie gut für die große Dame
Moskaus halten und für den Inbegriff des heiligen Mütterchens Moskau
selbst.

Was da auf dem hartgefrorenen Schnee an Fuhrwerken vorüberglitt, waren
fast nur kleine, niedrige Schlittchen, wie sie für wenige Kopeken sogar
dem Volk zugänglich sind. Weiber mit Sack und Pack befanden sich häufig
drin, Bauern in hoch um die Ohren geschlagenen Schafpelzen. Seltener
schon flog eine Troika des Weges dahin, und, zugleich mit dem lustigen
schellenläutenden Dreigespann, vielleicht irgend ein Lied, angestimmt von
den Insassen, -- ein Lied, wie es in den Theebuden zur Harfe gesungen wird
oder in Sommernächten vor der Thür der Dorfhütten.

Das zitterte dann mit dem nachschwingenden Glockenton wundersam in eins
zusammen, -- selbst dann wundersam in eins, wenns zufällig ein Tanzlied
war. Auch dann mußte es der Iberischen Mutter heimisch entgegenklingen.

Und auch unter den Fußgängern begegneten ihr vorherrschend ihre
ureigensten Kinder, Kinder des Volks. Nicht das Proletariat großer
Städte, wie es gern die entlegeneren Gassen füllt, sondern Volk, --
das Volk zu Hause auf seinen breiten Straßen und Plätzen. In der ihm
zugehörigen Tracht schritt es einher, nicht in abgelegten Almosenkleidern
Reicherer oder deren Nachahmung, und diese Tracht überwog so sehr, daß
sich die Andersgekleideten, die Allerweltstypen, fast darunter verloren.

Das alte Moskau, -- zumal in der winterlichen Frühdämmerung einer solchen
Nachmittagsstunde, -- nahm sich beinahe aus, als sei es im Grunde
seines Herzens ein Riesendorf, zutraulich herumgebaut um die allwaltende
Herrlichkeit und Heiligkeit der Kremlhöhe.

Rot und grün und blau an Dächern oder Mauerwerk, in Farben, wie sie
Kinder am liebsten auf ihren Bilderbogen anbringen, schauten die Häuser
zum großen Kreml empor. Und in Rot und Grün und Blau antwortete er ihnen
von der Höhe seiner Kuppeln und Paläste, väterlich ihnen angepaßt, mit
ihnen verschmelzend, und malte noch bunte Sternchen oder Streifen mitten
hinein in sein Gold.

Mit dem Golde aber übertrumpfte er sie, überstrahlte er sie, mit dem
Golde übertönte er alles wie mit einem lauten Lobgesang, sodaß sie
gleich darauf doch wieder ganz klein unter ihm dalagen und ganz verstummt
trotz ihrer beredten Farben. Und ein andres Gold war es zu jeglicher
Stunde, zu jeder jedoch ein königliches, vom ersten Tagesgrauen an, das
über Moskau aufging, bis tief in die tiefste Nacht, denn keine gab es,
tief genug, um das Gold ganz auszulöschen.

Immer war es da, ob breit entfaltet in seinem selbstverständlichen Glanze
oder geheinmisvoll gesammelt wie eine Leuchte von innen her, die sich
nur verstohlen verrät. Immer war es da, allen gegenwärtig, von den
äußersten Kreuzspitzen der Kathedralen an bis hinein in das verborgenste
Dunkel der Kirchenräume und selbst bis hinab in den geschlossnen Wagen,
worin die Iberierin durch die Straßen fuhr, feierlich umblitzt von
Goldfunken und dem vielfarbigen Schimmer ihres köstlichen Geschmeides. --

Sie machte nur eine kurze Fahrt, schon in einer Seitenstraße der Twerskaja
schien ihr Ziel erreicht. Unter einem erneuten Auflauf von Menschen, die
leise beteten, sich bekreuzigten und einen Kuß anzubringen suchten, wurde
sie hinausgehoben, um den inbrünstig Harrenden entgegengetragen zu werden,
denen ihr Besuch galt, und deren Thränen sie trocknen, deren Qual sie
bannen, oder deren Jubel über eine Glücksfügung sie Weihe und Segen
erteilen sollte.

Am Fenster eines hölzernen Miethauses schräg gegenüber standen zwei
junge Mädchen und sahen, aneinander gelehnt, der Scene auf der Straße zu.

»Ach Rußland -- Rußland! Mir ist doch wieder, als ob ich nach Asien
zurückgekehrt wäre,« sagte die Aeltere kopfschüttelnd, »traurig ist
es! Ich wundre mich, daß du nur dazu lachst, Sophie.«

Sophie kehrte sich vom Fenster ab, weil es nichts mehr zu sehen gab. Sie
entgegnete mit einem sanften, begütigenden Stimmchen: »Es ist nicht so
schlimm. Vielleicht noch ein bißchen Mittelalter, aber es kann auch etwas
ganz Feierliches bekommen, mitunter. Dann lache ich auch nicht. -- Man muß
nur nicht grade als Studentin frisch aus dem Auslande angereist sein!«

»Wir haben keinerlei Grund, uns für dies Mittelalter zu begeistern,
Sophie. Sind wir etwa Russen? Und selbst wenn wirs wären --«

Sophie war nach dem andern Fenster gegangen, wo neben einer Gruppe
wohlgepflegter hoher Blattpflanzen ein Schaukelstuhl stand.

»Sind wir auch nicht gradezu Russen, so sind wir doch hier zu Hause,«
meinte sie zögernd. »Und eigentlich möchte ich manchmal, wir wärens
noch mehr! Wären zum Beispiel in einem stockrussischen Gymnasium erzogen
worden, -- wenigstens ich, Schwesterchen.«

»-- Warum --?!«

Sophie blieb die Antwort auf diese erstaunte Frage schuldig.

Ihre zartgliedrige Gestalt dehnte sich lang aus im Schaukelstuhl, und
sie legte den blonden Kopf mit seinen zwei schimmernden Flechten, die ihn
kranzförmig umwanden, so weit zurück an die Stuhllehne, daß ihr Blick
zur Zimmerdecke emporsah, anstatt auf die Schwester.

Erst nach einer kleinen Pause bemerkte sie ablenkend: »Uebrigens: diese
niedrigen Decken abgerechnet, -- findest du nicht auch, Cita, daß unsre
jetzige Wohnung ganz ungeheuer behaglich ist? Ich freute mich so, als wir
wegen Mas vieler Lehrstunden in dies gute Viertel ziehen mußten.«

Cita hatte sich auf den Fenstersims gehockt und strich sich in einer ihr
eigentümlichen hastigen Bewegung mit der Hand durch ihr kurzverschnittenes
welliges ganz dunkelblondes Haar.

»Gewiß, -- sehr behaglich habt ihr es,« gab sie zerstreut zu, »aber es
sollte wohl selbst der vertracktesten Wohnung schwer fallen, unbehaglich zu
wirken, wenn unsre Mama sie bewohnt und einrichtet. -- Aber daß sie dies
Viertel gewählt hat, ist auch abgesehen von den Lehrstunden gut. Die
meisten ihr bekannten Häuser liegen nicht weit von hier. Ich meine: das
ist gut -- besonders für später.«

»Wie denn: für später?«

Cita hob ihren hübschen Bubenkopf und blickte auf die Schwester.

»Verstehst du mich nicht? -- -- Für später, wenn sie hier allein ist,
weil auch du irgendwo im Auslande studierst, -- Medizin --«

Sophie lachte hell auf, wie über einen Scherz. »Was dir nicht alles
einfällt! Daran denkt doch niemand im Traum!« bemerkte sie und wippte
leise mit dem Schaukelstuhle.

Cita zog unwillig die dunkeln feinen Augenbrauen zusammen. »Ach Sophie,
laß doch die Flausen, hinter denen du dich versteckst. Gewiß denkt jemand
daran, im Traum und im Wachen: nämlich du selbst. Und aus diesem einzigen
Grunde bedauertest du offenbar plötzlich, nicht ein stockrussisches
Gymnasium hinter dir zu haben. Du erwägst in deiner Ratlosigkeit: könnt
ich wenigstens hier --, wenn nicht schon im Auslande --«

»Ja, -- Ma verlassen --: das thu ich eben nicht!« fiel Sophie erregt ein.

Cita entgegnete sehr ruhig: »Zeit wärs, zu wissen, was du selbst willst.
Du bist neunzehn, hast seit Ostern dein Diplom. In dem Alter war ich schon
fort. Und in anderthalb Jahren werd ich promoviert haben, -- wenn nicht
eher.«

»Mein Gott, damit brauchst du nicht zu protzen!« sagte Sophie
empfindlich, »-- so, wie Ma dir alle Wege geebnet hat. Sogar noch
ehe Vaters Lieblingsschwester starb und jeder von uns das kleine Legat
vermachte --«

»Ich protze nicht. Ma war reizend, in jeder Beziehung. Es spornt mich nur
an, um so energischer ans Ziel zu gelangen.«

»Nun -- und was weiter? Ich glaube durchaus nicht, daß weibliche Juristen
heutzutage die geringsten Aussichten haben,« erklärte Sophie im Ton einer
gezwungenen Bewunderungslosigkeit und wippte heftiger.

»Vielleicht heute noch nicht. Aber morgen. Uebermorgen meinetwegen. Wir
Frauen arbeiten eben an einem Stück Zukunft. -- -- Und inzwischen, da
will ich mir schon durchhelfen. Du mußt nicht glauben, daß ich nicht mehr
vermag, als juristisch fachzusimpeln.«

»Ach nein, hoffentlich nicht. Denn _das_ würde unsrer Ma auch ganz
schrecklich sein.«

Sie schwiegen beide.

Cita trat vom Fenster fort und fing an, langsam auf und ab zu gehn, wobei
sie die Arme auf dem Rücken verschränkte und den Kopf ein wenig gesenkt
hielt, wie ein grübelnder Feldherr.

Vor dem Schreibtisch ihrer Mutter, der, quergestellt, ein Drittel des
Zimmers durchschnitt, blieb sie einige Augenblicke stehn.

Er war mit Büchern und Schulheften bedeckt; aus der Mitte all dieser
Tagesarbeit erhob sich ein italienischer Olivenholzrahmen mit durchbrochen
gearbeiteten verschließbaren Thüren. Dahinter verbarg sich des jung
verstorbenen Gatten Bild.

An der einen Wand dahinter hingen mehrere Radierungen von seiner Hand,
in schlichte dunkle Holzstreifen eingefaßt: sie stammten aus den
Jahren seiner kurzen Ehe, aus der Zeit vollen Glückes und voller
Künstlerhoffnungen, -- unten in Italien verlebt.

An der andern Wand hinter dem Schreibtisch eine ganze Gruppe
Familienporträts, darunter sehr alte, die mit sichtlicher Pietät hier
zusammengestellt waren. Zwei davon blasse Pastellbildchen: der Großvater
mütterlicherseits, Martin, mit mächtiger schwarzer Halsbinde und nach
vorn gebürstetem grauem Haar, ein kluger, fast bedeutender Kopf. Daneben
die reizende alte Großmutter, von der Cita und Sophie ein gut Teil Anmut
als Erbe erhalten hatten.

»Für Ma wär es auch tausendmal besser gewesen, nicht hier stecken zu
bleiben,« entfuhr es Cita.

Sie stand und betrachtete die Bilder. »Mit ihrer Begabung, ihren Talenten
hätte sie etwas werden müssen. Aber freilich, hier in Rußland, wo sie
einfach den reichen Kaufleuten die Rangen unterrichten muß --«

Sophie hatte die Augen geschlossen.

»Arme liebe Ma!« sagte sie leise, »du lieber Gott, die konnte eben nicht
Juristerei studieren. Dabei wären wir zwei armen kleinen Würmer geschwind
genug verhungert. -- -- Und hier in Rußland gab es doch wenigstens
Lebensmöglichkeiten, und die guten Anknüpfungen von unserm
Großvater-Gymnasialdirektor her, und schließlich doch auch Tante
Ottilie -- --. Aber schwer und schrecklich muß es gewesen sein --«

Sophie unterbrach sich, dann fügte sie in gequältem Ton hinzu: »Du und
ich, wir sind undankbare Scheusale! Wir, mit unserm dummen Ehrgeiz -- --«

Cita ging schon wieder mit verschränkten Armen auf und ab. Es entfuhr ihr
ungeduldig: »Deine Logik ist einfach schauderhaft. Grade das Gegenteil
muß daraus gefolgert werden: in uns beiden lebt ja doch Ma weiter, in
uns muß sie also etwas über sich selbst hinaus erreichen. Das ist doch
wahrhaftig die einzige rationelle Art von Kindesliebe.«

»Ach, ich weiß nicht, ob das Kindesliebe ist. -- -- Und ob Kindesliebe
rationell zu sein hat,« murmelte Sophie.

Cita bemerkte seufzend: »Du redest wirklich oft wie ein ganz
unentwickelter Mensch. Wenn ich nur nicht so gut wüßte, woher das kommt:
es ist ganz einfach Bangigkeit, du wehrst dich gegen deine eigne bessere
Erkenntnis. Die reinste Feigheit.«

»Das verbitt ich mir denn doch!« rief Sophie aufgebracht.

Der Schaukelstuhl flog. Sie fing an zu husten.

Die Schwester lenkte ein. »Verzeih. Beleidigen wollt ich dich nicht.
Du hast recht: das darf man nicht. Fest zusammenstehn müssen wir Frauen
vielmehr. Uns gegenseitig unsre besten Freunde sein. Ich schelte dich als
dein Freund, Schwesterchen, -- zu deinem Besten. Bin voll Sehnsucht und
Ehrgeiz für dich, -- -- möchte dir helfen, -- und nicht nur mit Worten.
Nein, nein, bauen sollst du auf mich dürfen von Grund aus.«

Sophie schwieg. Sie hatte die Augen voll Thränen, und aus Furcht, in der
Stimme Thränen zu verraten, blieb sie wieder die Antwort schuldig.

Cita drängte auch nicht in sie. Sie trat langsam an das breite
Büchergestell aus kunstvoll zurecht getischlertem, braun angestrichenem
Birkenholz, das in Mannshöhe die ganze Hinterwand einnahm, und zog irgend
ein Buch heraus.

Schon war es längst nicht mehr hell genug im Zimmer, um zu lesen, doch
nahm sie Band um Band und blätterte zerstreut darin.

Hier fand sich allerlei noch von Großvaters, des Schulmanns, Zeiten her
zusammen. Und manches wohl auch, was der Mutter nur ihr Beruf als
Lehrerin praktisch aufgenötigt hatte. Aber der Mehrzahl nach standen die
Bücherreihen gedrängt voll von den höchsten Schätzen, die Menschengeist
gehoben hatte. Und all das war, Band für Band mühselig angeschafft, --
Band für Band benutzt, abgegriffen, genossen --.

Das Mädchen kam herein und brachte die Lampe.

Sie war eine noch sehr junge und ein wenig blöd dreinschauende Person, die
unschlüssig stehn blieb und Sophie fragend anblickte.

Diese erhob sich schweigend aus ihrem bequemen Stuhl und ging mit ihr
hinaus. Das späte Mittagessen konnte man Stanjka nicht allein anrichten
lassen. Denn so oft man das, nach allen guten Belehrungen, probeweise
gethan hatte, wurde Stanjka düster und fing an zu weinen. Sie setzte sich
dann auf die kleine Bank am Herd und klagte und betete unter Thränen zur
Mutter Gottes, die sie laut als Zeugin dafür anrief, daß es ihr sicher
nicht gegeben sei, ein Mittagessen wohlbekömmlich herzustellen.

Das kleine Heiligenbild, braun und unkenntlich hinter seiner blanken
Zinnbekleidung, hing vorschriftsmäßig in der Küchenecke, sah immer zu
und mußte es folglich genau wissen.

Daß es zufällig gar keine Muttergottes war, vielmehr ein heiliger
Nikolaus, das hatte sich Stanjka nicht klar gemacht, jedenfalls focht es
sie nicht weiter an. Wenn sie nicht grade »höhere« Arbeit verrichten
sollte, sondern sich im Gröbern tummeln durfte, blieb sie strahlender
Laune und bewältigte alles mit Herzenslust.

Während Sophie noch mit ihr in der Küche herumwirtschaftete, schellte es
laut und dringlich.

Cita war schon gegangen, um die Wohnungsthür zu öffnen. Ihre Mutter stand
davor, noch etwas atemlos vom raschen Gange.

»Da hab ich richtig vergessen meinen Schlüssel mitzunehmen, -- mußte
schellen,« sagte sie und trat hastig ein, »-- ein Wind draußen, Kind, --
Sophie ist doch nicht etwa unnütz an die Luft gegangen?«

»Aber nein, Ma. Wie müde mußt du heute sein, du Arme.«

Cita nahm ihr sorglich den leichten Grauwerkpelz ab und küßte sie.

»Ich danke dir, Kind. Gewiß habt ihr schon einen Wolfshunger, was?
Ich lief, was ich konnte,« bemerkte die Mutter, indem sie sich die
Fellüberschuhe von den Füßen streifte.

»So! Und nun bin ich wieder Mensch! Feierabend läutets, und die Arbeit
ist gethan,« sagte sie froh, »-- und für heute ganz gethan: am
Abend brauche ich nicht mehr fortzugehn. Wir wollens aber auch herzhaft
genießen, ihr Kinder.«

Wer ihre Stimme so aus dem noch unerleuchteten Vorflur vernahm, konnte
dahinter leicht ein junges Geschöpf vermuten. Alle Ueberanstrengung, aller
Mißbrauch dieser Stimme hatten nicht vermocht, ihr den eigentümlichen
Schmelz zu nehmen. Den Gesichtszügen selbst sah man die vierzig Jahre eher
an. Sogar schon einzelne graue Haare mischten sich an den Schläfen in das
volle weiche Braun, das Cita in lichterer Schattierung besaß, und das sich
auch bei der Mutter hier und da übermütig zu locken versuchte, soweit der
schlichte Knoten tief im Nacken das zuließ.

Die Mutter erreichte ihre Aelteste nicht ganz an Größe, und ihre
geschmeidige Gestalt hatte ehemals entschiedene Neigung zur Fülle gezeigt;
jetzt jedoch vereitelte das anstrengende Tagewerk gründlich jeden
Ansatz dazu. So blieb sie schlank, nahezu mager, und konnte dadurch auf
Augenblicke fast mädchenhaft wirken.

Als die Mutter in ihrem Schlafgemach verschwunden war, um sich ein wenig
menschlich herzurichten, wie sie es nannte, machte sich Cita dran, in der
kleinen schmalen Eßstube neben dem Wohnzimmer den Tisch zu decken. Doch
war sie noch voll Nachdenklichkeit, und es ging ihr langsam von der Hand.

Dies schmale Eßstübchen, nicht ohne Grund »der Spalt« geheißen, war
bei der Wohnungseinrichtung an Möbeln zu kurz gekommen. Die Mutter
hatte ein paar Bauerntruhen hineingestellt und rund um den Tisch einfache
Sitzschemel von gleich ländlicher Abstammung. Dann erhandelte sie jedoch
auf dem großen Trödelmarkt, den das Moskauer Volk in der Sonntagsfrühe
abhält, noch hier und da ein Stück volkstümlichen Kunstgewerbes, wodurch
der arme Spalt einen gewissen Glanz erhielt, -- so durch ein Wandbort
aus dunkelm in Spitzenmuster geschnitztem Holz mit grellen Malereien auf
Goldgrund, und durch einen originellen Stuhl, dessen ganzes Hintergestell
aus einem rotlackierten Krummholz hergestellt war, wie es die Pferde im
russischen Gespann tragen.

Am einzigen Fenster, an dem der rote Stuhl stand und repräsentierte,
hingen buntbestickte kleinrussische Tücher als Vorhänge nieder, und auch
das grobleinene Tischtuch wies eine solche bunte Bauernstickerei an der
Kante auf.

Als die Mutter wieder eintrat, trug sie statt des dunkeln knappen
Straßenkleides einen bequemen Hausanzug von tiefrotem Flanell. Sie kam an
den Tisch zur Tochter, und, ohne daß diese es bemerkte, schob sie jedes
Gerät auf dem Tisch ein wenig anders und gefälliger zurecht.

Als sie aber dann einen Teller mit allerlei Obst hernahm, den Cita in die
Mitte gestellt hatte, und sorgfältig begann, die Orangen und die blassen,
länglichen Krimäpfel von ihren dünnen Papierhülsen zu befreien und
sie in einer Krystallschale zu ordnen, da meinte die Tochter mit einem
Lächeln: »So viel Mühe um das bißchen Aeußerlichkeit, Ma, müde, wie
du doch bist. Schmecken nun etwa die Früchte besser?«

Die Mutter nickte, indem sie das Lächeln erwiderte. Ueber die Schale
geneigt, sog sie den kühlen Duft des Obstes in sich ein.

»Auf alle Fälle schmecken sie besser,« sagte sie, »und außerdem machen
sie, daß man auf Augenblicke das ganze Leben besser genießt, während man
sie verspeist. Man genießt sie ja nicht nur um des lieben Futters willen
als bloße Magenfreude, nicht wahr?«

Als Cita nichts antwortete, richtete sie sich auf und faßte ihre Aelteste
zärtlich um die Schulter.

»Aber du sollst dich hier keineswegs mit Hausarbeit plagen, mein lieber
kleiner Professor du. Hast nun einmal eine Sybaritin zur Mutter. Bist aber
rechtschaffen zerarbeitet angekommen und sollst nichts thun, als es dir
wohl sein lassen, -- faulenzen. Wenigstens einstweilen, -- bis über
Weihnachten hinaus.«

Und mit einem unterdrückten Seufzer fügte sie leiser hinzu: »Schnell
genug verlier ich dich ja wieder.«

Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, wie um den störenden Gedanken
zu verscheuchen. Als nun Sophie, etwas erhitzt und eilig, von Stanjka
gefolgt, hereinkam, nickte sie der jüngern Tochter schon wieder wohlgemut
zu.

»Also zu Tisch, Kinder! Wir wollen es uns schmecken lassen,« sagte sie
und hob den Deckel von der dampfenden Terrine mit roter Beetensuppe, in der
Saucischen und Schinkenschnitten schwammen.

Sophie küßte die Mutter, ehe sie sich ihr gegenüber setzte.

»Ich bin nicht in den Mädchenkursen gewesen, weil du es des Wetters wegen
nicht wolltest. Dafür hab ich ziemlich lange Geige geübt, und später
habe ich über den Büchern gesessen, die Doktor Tomasow neulich brachte,«
berichtete sie über ihren Tag, »er hat gewiß noch herrliche Dinge in
seiner Bibliothek, aber er sagt, ich möchte mich erst an diese Werke
halten.«

»Thu blind, was er sagt,« bemerkte die Mutter, »aber warum ißt du
mir so wenig, Kind? Nimmst du nicht von der sauren Sahne zur Suppe? Ich
fürchte, das Herumstehn in der heißen Küche ist nichts für dich; -- es
raubt dir den Appetit.«

»O nein! Ich esse schon noch.«

Cita hatte auf den Lippen, zu äußern: »Die berühmte Haushaltungsarbeit
ist eben lange nicht so gesund, wie ausposaunt wird.«

Aber sie schwieg noch immer. Es war so entsetzlich schwer, in Mas
Gegenwart ein spöttisch gefärbtes Wort mit dem nötigen Selbstbewußtsein
herauszubringen.

Wie ein Unrecht wurde es gleich, denn die Mutter hätte den Spott darin
nicht bemerkt. Für Spott fehlte ihr das aufnehmende Organ. Sie wäre ihm
gleichsam mit offnen Armen entgegen gegangen und hätte erwidert: »Meinst
du wirklich, Kind?« und dann hätte sie versucht, mit vereinten Kräften,
mit Citas eigner Hilfe, ausfindig zu machen, was zu thun sei, -- -- und ob
nicht lieber Ma selber beim Heimkehren von den vielen Stunden jedesmal erst
noch kochen solle --.

Die Mutter unterbrach ihren Gedankengang. Als das Fischgericht auf den
Tisch kam und sie davon austeilte, sagte sie: »Allernächstens, wenn ich
nach Hause komme, sorge ich für einen großen Weihnachtsbaum. Es ist Zeit,
sich nach einem umzusehen. In den letzten paar Tagen vor dem Festabend
steigen sie im Preise. -- Diesmal müssen wir das Allerschönste haben, was
es überhaupt gibt.«

Beide Mädchen sahen einander unwillkürlich, wie auf Verabredung, an.

»Einen Baum --?« fragte Sophie und stocherte im Fisch auf ihrem Teller.

»Ja, sicherlich. Etwa nicht? Warum denn nicht, ihr Kinder?«

»Wir haben doch voriges Jahr auch keinen gehabt.«

»Nein. Das lag jedoch an Zufällen. Wir konnten nicht gut anders, als
bei Tante Ottilie sein. Und dann waren wir ja auch so traurig getrennt und
verwaist, ohne unsre Cita.«

Cita warf einen dankbaren Blick auf die Mutter.

»Natürlich können wir gern einen Baum haben, -- warum denn nicht,
Sophie?« bemerkte sie; »wenn Ma es doch gern sieht, wollen wir jedenfalls
einen haben, -- den allerschönsten. -- Aber -- -- was werden wir mit dem
Baum nur anfangen, Ma? Eigentlich gehören Kinder mit dazu.«

Die Mutter lächelte fein.

»Laß uns einen Abend lang Kinder sein, Liebste. Da wir zusammen sind,
haben wir reichen Grund dazu, -- haben wir reich beschert bekommen.«

Cita schwieg. Sophie sagte für sie: »Ich weiß schon, wie es Cita meint.
Alle Welt will ja gern sich wie ein Kind fühlen. So ganz unbefangen
fröhlich sein. Aber, wenn man es absichtlich versucht, so gelingt es nie
recht. Man _ist_ eben doch kein Kind. Man kann nicht ungezwungen so thun,
-- es wird so gezwungen --«

»Das ist auch ganz natürlich,« fiel Cita, mit Fischessen beschäftigt,
ein, »denn man kann doch eben nicht ganz den schweren, den wirklichen
Ernst des Lebens vergessen. Man drängt ihn nur für einen Abend lang in
den Hintergrund. Ja, _das_ kann man, künstlich. Aber dahinter, -- da steht
er doch immer da --.« Sie war voll Eifer, mehr darüber zu sagen, indessen
eine Gräte kam ihr dazwischen.

Beinah entschlüpfte es der Mutter: »-- Huh --! ihr Kinder! Macht ihr euch
denn wirklich schon das Leben zum ›bösen Mann‹ im Hintergrunde von
allem? Ist euch denn wirklich stets so schaudererregend ernsthaft zu
Mute --?«

Aber sie sprach das nicht aus. Sie fürchtete, die Mädchen könnten
argwöhnen, sie habe dabei insgeheim auf dem Grunde der Seele ein Lächeln
über sie beide.

Und sie fürchtete auch, die Mädchen könnten sie für entsetzlich
oberflächlich halten. Das letztere war sogar das Wahrscheinlichere --.

Sie sah ihre beiden Ernsthaften mit einem tiefen Blick voll Güte an.

»Aber nun wollen wir dennoch, während wir vor unsern Tellern sitzen, uns
bemühen, so zu thun, als ob das Leben ganz annehmbar wäre, -- was meint
ihr? Aus hygienischen Rücksichten!« schlug sie munter vor, und das
Lächeln vom verborgenen Seelengrunde kam ganz leise herauf und spielte
verhalten um ihren Mund.

Das Fischgericht war hinausgetragen worden, und sie saßen beim Obst, als
ein unerwarteter Besuch hereinkam.

»Ach, Ottilie, du! Wie lieb von dir. Du bekommst auch gleich dein
Schälchen Kaffee, -- starken,« sagte die Mutter.

»Nur auf einen Sprung! Ich war grade in eurer Nähe,« entgegnete ihre
Schwester und begrüßte sie, »-- weißt du, man trifft dich ja eigentlich
nie, sonst käm ich nicht so selten.«

Ein ganzer Strom von Winterluft wehte mit ihr ins Zimmer. Hut und
Handschuhe hatte sie garnicht abgelegt.

Sophie schob den Stuhl aus der Fensterecke, der als Lehne das Joch besaß,
an den Tisch heran, denn auf den kurzbeinigen Schemeln saß ihre Tante
höchst ungern.

»Danke,« bemerkte diese und nickte ihr zu, während sie Platz nahm,
»-- es ist wirklich euer einziger Stuhl, -- wenigstens hat er einen
Rücken, wenn man sich auch halb wie ein Pferd dabei vorkommt. -- Nun, das
macht nichts. Traulich ist es doch bei euch, wie jedesmal.«

Sie sagte es mit einer Art von liebevollem Neid. Traulich war es wirklich,
und eine solche heitre Wärme, von irgend woher, über allem --.

Saß doch Marianne, in ihrem tiefroten Hausanzug, der sie nirgends beengte,
und doch seltsam schmückte, da wie ein Bild der Ruhe und des Genusses. Die
feierte in Wahrheit Feierabend. Sie saß da und atmete mit jedem Atemzuge
Ruhe und Genuß aus, wie den Duft unsichtbarer Blumen.

»Gott, ja, du hast es gut! Wenn ich jetzt nach Hause komme, muß ich den
Andrjuscha erst noch zu Bett bringen. Wobei er neuerdings schreit.«

»Besorgt denn nicht das alles eure Kindsfrau, Tante Ottilie?« fragte Cita
und schälte der Tante eine Orange.

»Ich verlasse mich nicht gern auf sie, -- ich muß immer alles selbst
thun. Aber übrigens wär es zu undankbar, wenn ich klagen wollte. Nein,
das sind ja so süße Pflichten. Man reibt sich gern für sie auf. Man ist
für sie auf der Welt.«

»Du bist auch eine der gewissenhaftesten Mütter, die es gibt,«
bestätigte die Mutter. »Und solche haben stets zu thun, selbst bei
ausgiebigster Hilfe, -- können eigentlich nie sagen: nun ruh ich mich
aus.«

»Ja, siehst du: so, ganz so ist es, das behaupte ich immer!« rief ihre
Schwester, ordentlich lebhaft, und lockerte ihre Hutbänder.

Bis unter den Hut lag ihr dunkelblondes Haar glatt von der Stirn
zurückgestrichen, volles weiches Haar wie Mariannens, jedoch stärker
ergraut als bei dieser, obwohl Ottilie um ein Jahr jünger war.

Marianne löschte zerstreut die kleine Spiritusflamme unter dem
Kaffeekocher aus und füllte die flachen Täßchen. Ihre Gedanken
schweiften unwillkürlich weit zurück in eine Zeit, wo auch sie noch ihre
Kleinen zu Bett zu bringen, zu baden, zu füttern, zu besorgen hatte --.

Solch kleiner Nachwuchs, wie ihn Ottilie zu eigen besaß, das war doch
etwas Köstliches. Köstlich das Heranwachsen, aber köstlich auch die
Kleinen -- --.

»Mein Mann reist nächstens nach Petersburg,« sagte die Schwester,
»-- natürlich kein Gedanke, daß ich ihn begleiten kann. Nun, damit find
ich mich schon ab. Bis meine Inotschka ganz erwachsen ist, ist es für mich
überhaupt nichts mit geselligen Freuden. Aber ihr wünschte ich wohl, daß
sie nicht nur Moskauer Kaufmannskreise kennen lernt.«

Sophie rief: »Ach, inwiefern soll es dort besser sein? Ich habe
Moskau gern. In Petersburg ist man weder im Auslande, noch in Rußland.
Schrecklich lange Straßen, und was für ein Nebel --!«

»Tante Ottilie hat ganz recht,« bemerkte Cita, »dort ist man wenigstens
in Europa! Man weiß wenigstens ungefähr, welches Jahrhundert man
eigentlich schreibt, während hier --«

Tante Ottilie nickte.

»Ja, man merkt es an allem: nicht nur, wenn man geistige Bedürfnisse hat,
sondern auch wenn man einen modernen Kleiderstoff kauft,« bestätigte sie,
»dort ist alles: die Newa, der Hof, alles Offizielle und überhaupt alles,
was gilt. Wir sind hier wie zurückgeblieben. Die Russen haben überhaupt
was Zurückgebliebenes.«

»Gar nicht alle. Etwa Tomasow?« meinte Sophie.

Cita mußte lachen.

»Nein, der ist aber auch wirklich der einzige!« gab sie zu. »Wirklich
der einzige, auf den ich mich freute. Ein Glück, daß der unser liebster,
nächster Freund ist.«

»Nun, nun! Von Haus aus doch einfach euer Arzt,« dämpfte die Tante, aber
Sophie unterbrach sie lebhaft: »Ach, da bist du aber schief gewickelt!
Wenn wir gesund sind, brauchen wir ihn noch viel mehr, nicht wahr, Ma?«

Die Mutter blickte auf.

»Sprecht ihr von Tomasow? Ja, lieber Himmel, was sollten wir ohne ihn wohl
anstellen?«

Ihre Schwester warf ihr einen zurückhaltenden Blick zu.

»Aber, liebste Marianne! Das heißt doch wohl ein wenig übertreiben.«

Ma sagte sanft: »Nein, es ist kaum übertrieben. Das kann nur ich allein
beurteilen. Es ist ja so alte, uralt gefestete Freundschaft. Sie stammt aus
der allerersten Zeit meines Zurückkehrens hierher. Die Kinder waren damals
sechs und sieben Jahr alt. Zähl selbst.«

»Ach ja, Marianne, das weiß ich. Aber das Wichtigste ist ja doch gewesen,
daß er dir als Arzt aushalf. Daß er dir half, dein Leben genau zu regeln.
Damals, als du dich gleich so schrecklich überanstrengtest. Und wenn er
dir dann vielleicht auch noch manche gute Beziehungen verschafft hat --«

Ma machte eine leise abwehrende Handbewegung.

»Laß das,« bat sie, »was du da nennst, ist das ganz Aeußerliche. Und
über das andre kann ich nicht sprechen. Nicht, ohne es zu profanieren.«

Tante Ottilie hatte ihr allerverschlossenstes Gesicht.

»Wirklich, Marianne, ich begreife manchmal gar nicht, wie du nur sprichst!
Du, die so ungeheuer selbständig ihr Leben in die Hand genommen hat, --
die sich mit solcher Energie und aus eigner Kraft behauptet hat, -- wie
sprichst du mitunter nur? Ganz wie irgend eine kleine unselbständige Frau,
die andern alles verdankt, und der andre zu allem verhalfen. Nun, weißt
du, _wenn_ das so ist --«

»-- Es ist so,« sagte Ma lächelnd.

»Ja, dann muß ich dir sagen: dann braucht sich auch unsereins neben dir
gar nicht so gering vorzukommen, denn schließlich: unser Stück Arbeit
thun wir auch im Leben.«

»Ja gewiß, du Liebe!« meinte Marianne, und sie lachte.

»Aber wir schwärmen nun einmal für Doktor Tomasow,« erklärte Sophie,
im Drang, ihre Tante zu bekehren, »er ist ganz außerordentlich gescheit,
mußt du wissen.«

»Ja, das ist er,« bestätigte Cita nachdrücklich.

»Das ist noch eine recht zweifelhafte Tugend,« meinte die Tante etwas
kühl, »aber für euch Kindsköpfe, die ihr es in dem Punkt noch seid,
braucht ja wohl ein Mensch nur gelehrt oder gescheit zu sein, damit ihr ihn
in einer Weise anbetet -- --!« Sie hob die Augen ironisch zur Zimmerdecke.

Cita stand brüsk auf.

»Du kannst mir einfach leid thun, Tante Ottilie!« äußerte sie mit
einem vielsagenden Achselzucken, das nicht eben artig ausfiel. Und sich
demonstrativ abwendend, horchte sie hinaus, wo es grade geschellt hatte.

Ihre Tante war dunkelrot geworden, doch hielt sie an sich, nur ihre Augen
zeigten einen erhöhten, stählernen Glanz.

Sie sah über Cita hinweg auffordernd auf deren Mutter.

»-- Ja, -- ich weiß wirklich nicht, Marianne, -- gestatten deine
Erziehungsgrundsätze diesen Ton --?« bemerkte sie fragend, und ihre
Haltung wurde gemessner.

Aber in diesem Augenblick hatte auch Marianne nach dem Vorflur
hingelauscht.

Man hörte, daß die Wohnungsthür wieder geschlossen wurde, eine halblaute
Frage, ein Räuspern --

»Das ist Doktor Tomasow!« rief Sophie.

Sie lief hinaus.

Tante Ottilie hatte sich bereits von ihrem Pferdejochstuhl erhoben.

»Aber liebe Ottilie! Du wirst doch nicht deshalb fortgehn --?«

»Gewiß nicht, meine gute Marianne; du vergißt nur, daß ich bloß auf
einen Sprung kam und eilig bin, -- auf ein andermal also,« sagte die
Schwester etwas gezwungen und verabschiedete sich kaum merklich von Cita.

»Nun, wie du willst. Komm, laß uns durchs Wohnzimmer hinausgehn, --
sieh, da könnten wir so gut plaudern, denn die Kinder, die schleppen jetzt
unsern Doktor in den ›Spalt‹ hinein; ich wette, sie gießen ihm noch
den kalten Kaffeerest ein.«

Den Arm um Ottiliens Schulter, ging Marianne langsam durch das Wohnzimmer,
das nur durch eine Lampe mit dunkelgrüner Glaskuppel vom Schreibtisch her
erhellt war. Die Thür zum »Spalt« hatte sie zugedrückt.

»-- Nun --? Stört dich der Doktor hier nicht mehr?«

»Ach, an den dachte ich eben wahrhaftig nicht! Was mich drückt und
erstaunt, ist etwas ganz andres --;« Ottilie blieb mitten im Zimmer stehn,
und die Schwester groß anblickend, fügte sie mit betonter Langsamkeit
hinzu: »Du läßt dir deine Töchter über den Kopf wachsen, meine arme
Marianne.«

Marianne lachte leise und schelmisch, sie ergriff die Schwester am Arm und
schüttelte sie in heiterm Zorn: »O du Böse, -- du Böse! Kannst du denn
nicht dem Mädel ein unachtsames Wort vergessen? Gewiß, sie hätt es nicht
so sagen sollen. Aber treffen und verwunden kann unsereinen doch nicht
dieser kleine schwache Pfeil --? Ein Pfeil aus solchen jugendlich heftigen,
jugendlich übereifrigen Händen?«

»Du hättest es aber rügen müssen. Darum allein handelt es sich nur.«

»Rügen -- sofort? Vor dir? Meine einundzwanzigjährige Tochter um einer
Bagatelle willen vor euch demütigen? Nein, wie magst du das nur sagen,
Ottilie! Du mußt auch nicht vergessen, daß Cita längst --«

»Längst im Auslande studiert! Ja ja, das weiß ich! Das ist grade das
Unglück. Und ist sie erst ›Doktor‹, -- mein Himmel, dann darf sie wohl
vollends thun, was ihr beliebt,« fiel ihr Ottilie nervös ins Wort.

Marianne schüttelte verneinend den Kopf.

»Ich meinte jetzt eben nicht grade: weil sie im Auslande studiert. Ich
meinte nur: weil sie in so vielen Beziehungen schon fest und tüchtig
dasteht und jedes Vertrauens würdig, wie ein reifer Mensch,« sagte sie
warm und mit ruhigem Stolz.

Ihre Schwester seufzte. Sie band die Hutbänder zu und wandte sich zum
Gehn.

»Fruchtlos, mit dir zu streiten, Marianne. Wir einigen uns doch nicht.
Ich sehe den Fehler zu deutlich: du gehst immer zu weit in allem, -- das
thatest du immer. Alles packst du mit solch innrer Leidenschaft an, gibst
dich so ganz dran! Es war auch mit deiner Ehe nicht anders, glaub ich, --«

»Da glaubst du recht!« antwortete Marianne sehr leise, und in ihre Augen
trat ein dunkles Leuchten.

»Und die Folge?! Nun, ich will nicht drüber sprechen. Aber daß du so
ganz zerbrochen am Boden lagst, -- diese gräßliche Zeit. Man kann das
doch nicht einfach Witwentrauer nennen --. Und jetzt mit deinen Töchtern.
Sie gehn dir buchstäblich über alles. Sind dir dein ganzes Mark und
Blut.«

»Ja, Ottilie. So ist es. Soll es denn nicht so sein?«

Ottilie hatte schon den Griff der Thür nach dem Vorflur gefaßt. Sie ließ
ihn noch einmal los, wandte sich der Schwester voll zu und sagte halblaut:
»Nein! Nein, -- siehst du, das ist es eben: es soll nicht so sein.
Man muß die Dinge nicht so bis auf den Grund auskosten. Man muß sich
zurückhalten, sonst ist man verloren. Sonst verliert man jeden Halt.«

»O du! Das wäre eine traurige Lehre! Man lebt ja nicht, es sei denn, um
sich hinzugeben. Man lebt ja nur soviel, als man liebt.«

Marianne sagte es inbrünstig.

Hinter der Thür zum Spalt hörte man Scherzen und Lachen. Ein
Durcheinanderreden von Russisch und Deutsch.

Ottilie entgegnete mit gesenkter Stimme und einem Anflug von Bitterkeit:
»Das ist kein Ding wert. -- -- Und wer sich dermaßen ausgibt, verflacht
mit der Zeit. Was behält er dann noch Unangetastetes, Eignes? -- -- Aber
geh jetzt, bitte, zu den andern hinein. Sie warten drinnen auf dich.«

»Sie warten nicht. Ich gebe dir deinen Pelz um,« bemerkte Marianne und
geleitete die Schwester hinaus. In ihren Gedanken weilte sie jedoch noch
beim Gespräch. Sie hätte rufen mögen: »Ein Ding ists wert: die
Kinder! Warum sie nur erziehen? Warum nicht von Grund aus sich freuen und
jubilieren über sie? Frage deine Tochter! -- sie hätt es bei mir seliger
als bei dir --.«

»Grüße mir Inotschka!« sagte sie nur.

»Die wird nur rot, wenn ich ihr das bestelle. Ueber alles wird sie rot.
Es ist wirklich schon fast ihre einzige Sprache, -- und dabei kann sie drei
Sprachen so gut. -- -- Willst du nicht vielleicht morgen abend den Thee
bei uns nehmen, wenn du vom Unterricht kommst? Du hast es schon lange nicht
gethan. Wir sehen uns wahrhaftig fast nur, weil du Montag Nachmittags mit
Nikolai lernst.«

»Ja, ich will kommen,« meinte Marianne. »Am Sonntag kann ich ja
ausschlafen.«

Sie küßten sich, und Ottilie ging.

Nachdenklich blieb Marianne im Vorflur stehn. Sie blickte zu Boden, als
suche sie etwas. Sie suchte, sich in ihrem Innern auf etwas zu besinnen.

Wie sagte doch Ottilie? »Sonst verflacht man mit der Zeit.« Es gab Leute,
die hielten Ottilie für »tief«. Das war es also. Sie gab sich nicht aus,
lebte einfach mit Dreivierteln ihrer selbst, -- vielleicht nicht einmal
damit --.

Aber war es denn immer so gewesen? Nein, sicher nicht. Einst, als Kinder,
hatten sie einander viel stärker geglichen als jetzt, hatten gemeinsam und
gleich empfunden. Erst viel später mußte die Schwester ihr Temperament
außer Gebrauch gesetzt haben, -- es beiseite gelassen, -- es
»reserviert« haben --, wofür? Und wie, in aller Welt, machte man
das? -- --

Marianne war ins Wohnzimmer zurückgegangen und setzte sich vor das
geöffnete Pianino, worauf Sophiens Geige lag.

Zerstreut, ganz leise schlug sie ein paar Töne an.

Sie dachte an Inotschka. Ach, der würde sie sich auch gern hingegeben
haben. Die würde sie gern zu ihren Schülerinnen gezählt haben.

Aber sie fühlte selbst, daß es nicht anging. Auch wider Wissen und
Wollen hätte sie jeden Augenblick ihren Einfluß dem der Eltern
entgegengerichtet.

Inotschka, halberwachsen, noch mager, mit ihren allzu ernsthaften Augen und
einem so weichen Munde, einem so kußbedürftigen weichen Munde, blieb
vor ihrer Phantasie stehn, während sie die leisen, dunkeln Töne
anschlug -- --.

Darüber merkte sie gar nicht, daß sich die Thür zum Spalt öffnete.

Beide Mädchen und Doktor Tomasow drängten sich geräuschlos in den Rahmen
der Thür.

Und da weckte ein fröhliches Gelächter Marianne aus ihrem Sinnen. Sie
schaute sich um. Alle drei standen sie da und lachten sie aus.

Sie lachte ohne weiteres mit.

»Kommt nur herein. Tante Ottilie ist fort,« sagte sie.

Vor Tomasow sprach sie stets deutsch, wie mit den Kindern untereinander.

»Ja freilich! Die ist lange fort. Aber was verstecktest du dich denn vor
uns, Ma? Dürfen wir deine geheimen Gedanken gar nicht wissen, aus denen
wir dich herausgelacht haben?« fragte Sophie neckend.

»Jawohl. Ich dachte darüber nach, warum ich euch gutwillig mir dermaßen
über den Kopf wachsen lasse, ihr Kinder,« entgegnete Marianne, und sie
reichte dem Freunde die Hand zum Willkommen.

Sophie schlug entrüstet die Hände über dem Kopf zusammen, Cita aber
erkundigte sich interessiert: »-- Nun, -- und das Ergebnis war, Ma --?«

»Es war: Wachset nur, -- wachset!« sagte Marianne lachenden Mundes, und
ihre Augen strahlten gütig.

Doktor Tomasow blickte unter halb gesenkten Lidern nach ihr hin. Sein
bartloses Gesicht, das so offen jede Falte und Furche in den Zügen des
hohen Vierzigers zur Schau trug, war in Bezug auf seine stummen Gedanken
nicht plauderhaft. Hager, mit slavisch kurzer Nase und energischen
Kinnlinien, -- dem Grundriß nach ein russisches Barbarengesicht, war
es vom Leben verarbeitet, vergeistigt, aber im Ausdruck wie verschlossen
worden. Kurz, dicht und früh ergraut, wellte sich das Haar über der
freien Stirn fast ganz grade empor.

Die beiden jungen Mädchen mußten ihn gut kennen. Als er sich nicht in ihr
Scherzgespräch mit der Mutter mischte, blickten sie einander flüchtig
an und zogen sich dann einmütig in ihr Zimmer zurück, -- in Sophiens
eigenstes Reich, das, über den Gang hinaus, nach dem Hofe zu lag, und wo
jetzt Cita wohlgelittener Gast war.

Die Mutter sah ihnen nach, wie sie, nach einigen heiter gewechselten
Worten, fortgingen: Cita mit ihrem festen, gleichmäßigen Schritt voran,
und hinter ihr Sophie, die sich noch einmal mit einer graziösen Wendung
umsah und lächelte.

Als sich die Thür hinter ihnen schloß, hob Marianne ihre Augen zu Doktor
Tomasow.

»Nicht wahr, die Sophie ist schmal in den Schultern? Sie hustet.«

Er antwortete ruhig: »Das thun wir hier alle mehr oder minder zu dieser
Jahreszeit. Sie sind mit dem Kinde etwas zu ängstlich, Marianne.«

»Ja, sie erinnert mich so an -- --, auch er war zart.«

Und da sie einen zaudernden Ausdruck in Tomasows Gesicht wahrzunehmen
wähnte, trat sie ganz dicht auf ihn zu.

»Tomasow! Wenn -- nein, wenn --, Sie dürfen mir nie etwas verschweigen,
nie --.«

Und sie erblaßte plötzlich.

»Aber! Aber!« sagte er mit seiner überredenden eindringlichen Stimme und
nahm ihre Hände, wie die eines Kindes, in die seinen. »Verbieten Sie
ganz harmlosen Dingen, mit Ihnen gleich so durchzugehn, wie wildgewordene
Pferde. -- -- Ganz kalte Hände haben Sie auf einmal bekommen. Kälteres
Blut wäre besser. -- -- Also: Sophie ist absolut gesund. Ich bürge Ihnen
dafür. Die Aehnlichkeit, die Sie da eben andeuteten, beschränkt sich auf
die zarte Hautpigmentierung, die mit so blondem Typus zusammengeht, --
sie garantiert Sophie auf lange hinaus einen blendenden Teint, bei etwas
Pflege. Nun, hübsch genug ist sie schon jetzt, dächt ich. Ein liebes,
gutes, schönes Kind haben Sie an ihr, Marianne.«

Sie hörte ihm aufmerksam zu, unendlichen Glauben in den Augen.

Seine Gestalt, obwohl in den breiten Schultern unmerklich geneigt,
überragte sie um ein gutes Stück. Sie erschien nicht mehr mittelgroß,
sondern fast klein, und wenn sie beim Sprechen die Augen so zu ihm
heben mußte, konnte man den Altersunterschied zwischen ihnen für
beträchtlicher nehmen, als er in Wirklichkeit war.

»Aber gut ist es für Sophie, daß sie bei mir ist, und ich für sie
sorgen kann, bis in jede Geringfügigkeit, -- das finden Sie auch? Cita ist
ja so vortrefflich aufgehoben in der Familie, bei der sie in Berlin wohnt,
-- ich korrespondiere ja auch mit den Leuten, -- und doch, -- für Sophie
wäre das nichts --.«

Sie sah ihn dabei fragend an.

Tomasow zuckte die Achseln.

»Natürlich würde sie es nirgends in der Welt auch nur annähernd so gut
haben, wie bei ihrer Mutter. Indessen, das ist doch selbstverständlich.
Warum fragen Sie erst danach?«

»Ich weiß es nicht,« murmelte Marianne; »ich weiß nicht, warum sie
mein Angstkind ist. In meiner Liebe zu ihr ist so viel Angst --. Darum muß
ich manchmal von Ihnen hören, daß sie Ihnen keine Sorge macht.«

»Nein. Die machen höchstens Sie mir von Zeit zu Zeit, kleine Ma,« sagte
er mit leisem, fast nachsichtigem Lächeln und gab ihre Hand frei.

Er nannte sie gar zu gern mit diesem Namensstummel, der daraus entstanden
war, daß sich die Kinder in der Kindheit bisweilen herausgenommen hatten,
die Mutter wie einen guten Kameraden »Marianne« zu titulieren, was
Tomasow schon damals äußerst bezeichnend fand. Hin und wieder ließ
jedoch das Erstaunen andrer sie mitten in diesem Unternehmen stecken
bleiben. Zuletzt blieb von Mariannens Namen nur das übrig, was ein guter
Wille auch als Anlauf zu dem Wort »Mama« nehmen konnte.

»Und die Einzigkeit der Silbe paßt zu ihr,« dachte Tomasow bei sich,
»-- dieser einzige Ton als Name, -- es ist, wie wenn man etwas nur eben
intonierte, was man nicht ganz nennen will, noch auch äußern kann. Weit,
weit hinter dem einzelnen Ton ruht und klingt das Ganze --.«

Marianne war zum Schreibtisch getreten und schraubte die Lampe höher.

»Stehn Sie mir da noch immer im Rücken? Das ist ja unheimlich,« sagte
sie, den Kopf nach Tomasow zurückwendend, und dann ließ sie sich müde
vor dem Schreibtisch in dem alten Luthersessel nieder, der noch von ihrem
Vater, dem Schuldirektor, stammte.

Tomasow zog sich den langen Schaukelstuhl neben der Blattpflanzengruppe ein
wenig näher zu ihr heran.

Er nahm von den Zigaretten, die Marianne ihm anbot, und zündete sich
schweigend eine an.

»Ich glaube, speziell dafür bin ich am Ende auch das letzte Mal vom
Auslande wieder heimgekehrt, ein so schauderhafter Kosmopolit ich auch
schon zu werden drohte,« bemerkte er dann.

»Wofür? Für die Plauderecke?«

»Es ist nicht einmal eine Plauderecke, streng genommen, denn wir sind
oft ziemlich wenig redselig, besonders wenn Sie abends müde sind oder gar
anfangen, Notizen in Ihre schrecklichen blauen Schulhefte zu machen.«

Marianne lehnte sich zurück und kehrte ihm das Gesicht zu. Sie sagte
lächelnd: »Nun, dann sitzen Sie eben und freuen sich drüber, wie
unendlich brav und artig ich bin. Denn das muß ja doch eine Freude für
Sie sein! Wer hat mich denn gelehrt, diese Schulheftexistenz auszuhalten.«

»Ich etwa?!« Tomasow machte eine ungläubige Miene. »Ich habe Ihnen
wohl im Gegenteil alle Schwierigkeiten und Schrecknisse einer solchen
klarzumachen gesucht, als Sie sich in den greulichen Kampf stürzten.«

»Ja. Und mich dadurch für ihn gewappnet, -- mich dadurch gelehrt, nicht
gleich beim ersten Ermatten zu erliegen. Ich wußte so bestimmt: Sie stehn
da und helfen mir immer wieder auf, -- ach, das war ein gutes Gefühl,
glauben Sie mir.«

Tomasow rauchte schweigend.

Ganz so war es wohl nicht. Er hatte in Wirklichkeit ihren Kräften nicht
den Existenzkampf zugetraut, den sie so löwenmutig für sich und ihre
Kleinen vollbracht hatte. Nein, ursprünglich hatte er ganz und gar nicht
annehmen können, daß sie einem derartigen Leben gewachsen sei.

Er half ihr damals mit seinem Rat und Beistand gleichsam nur so vorläufig.
Er half ihr, um ihr nah bleiben zu können.

Jedoch dann -- später -- wenn sie doch am Ende ihrer Kräfte sein würde,
die sie bis zum Zersprengtwerden anspannte, -- ja, damals dachte er sich
dann ein ganz andres Ende. Ein völlig andres --.

Fast ohne daß er es wußte, fixierte Tomasows Blick bei dieser Erinnerung
den geschlossnen Olivenholzrahmen, der in der Mitte des Schreibtisches
stand.

Marianne war der Richtung seines Blickes gefolgt.

»Darf ich?« fragte er.

Sie streckte, ohne zu antworten, die Hand aus, nahm den Rahmen vom Tisch
und reichte das ihm wohlbekannte Bild herüber.

Er schaute aufmerksam auf das junge beseelte Gesicht im Rahmen, -- ein
bartloses Jünglingsgesicht. Eine Aehnlichkeit mit Sophie war in der That
unverkennbar, nur nicht in der Kühnheit der Stirn und des Kinnes.

Aber etwas so Zartes lag über dem Ganzen --.

Tomasow bückte sich tiefer über das Bild und bemerkte: »Wenn ich mir
vorstelle, wie Sie damals ausgesehen haben müssen, -- und wie dieses hier
aussieht, -- so kommt mir leicht das Gefühl: sieh da, zwei Kinder, die man
schützen möchte.«

Sie lächelte unmerklich.

»Wir brauchten keinen Schutz. Gegen nichts. Wir hatten ja einander.«

»Zugegeben. Aber wer von Ihnen schützte wen?«

»Jeder den andern. -- Ach, es ist nur eins nicht zu fassen: daß der eine
zurückbleibt, wenn der andre geht. Wie mag denn das nur möglich sein?
-- -- Arme Menschen, daß es so ist.«

Er erhob sich, um das Bild auf den Schreibtisch zurückzustellen.

»Keine solchen Worte, Marianne! Keine solchen Aufwallungen, auch nicht
für Sekunden! Sie haben an sich selbst erfahren, daß das Leben immer
wieder neu keimt.«

»Ja, das Leben: das heißt meine Kinder.«

Tomasow nahm wieder Platz im Schaukelstuhl. Nach einer Pause, in der er
schweigend vor sich hinrauchte, sagte er langsam: »Mir hat es doch immer
scheinen wollen, als ob in Ihnen ein starkes Bedürfnis ist nach einer
Ueberlegenheit neben Ihnen, -- nach jemand, zu dem Sie aufblicken. Sie
haben so viel vom Kinde irgendwo in sich, Marianne. -- Daher kann ich
Sie mir vielleicht so schwer an der Seite -- an ›seiner‹ Seite
vorstellen.«

Sie lehnte in ihren Stuhl tief hineingeschmiegt und starrte wie gebannt auf
den Rahmen. Auf ihren Wangen lag ein leichtes Rot.

»O über uns beiden war ja so viel -- über uns beiden!« sagte sie
mit halber Stimme. »Wozu noch eine andre Ueberlegenheit? Wir wandelten,
ineinander geschlungen, gemeinsam unter so hohen Träumen, so hohen Zielen
entgegen. Und ich meine immer: was wir da lebten, nur das ist Leben. Von
allen Seiten wölbte es sich um uns wie ein Himmel, dem gaben wir uns
anheim. Und so war uns jede Krume Erde eine Heimat.«

Tomasow dachte wieder: »Wie zwei Kinder.« Doch erwiderte er nichts.

Aber Marianne wendete ihm den Kopf zu, und plötzlich streckte sie ihm
die Hand entgegen: »Sie urteilen nach später,« bemerkte sie, »ja, da
brauchte ich allerdings jemand über mir, brauchte Rat und Hilfe und Halt.
-- Einen Halt in der vollkommnen Heimatlosigkeit, eine Orientierung in der
vollkommnen Fremde. -- -- Da brauchte ich _Sie_. Ich konnte nicht allein
sein, so ganz allein im Finstern. -- Und ich denke auch jetzt oft:
meinetwegen das Allerbitterste überwinden, wenn nur eine warme menschliche
Stimme dazu überredet, es befiehlt, anbefiehlt. -- Ich weiß nicht, ob
alle Frauenherzen so schwach sind. Ich bin es.«

Er hatte ihre Hand entgegengenommen und hielt sie, darauf niederblickend,
einen Augenblick in der seinen. Ganz leicht strich er mit den Fingern über
ihren Handrücken hin, der ein wenig rauh geworden war vom Wind und der
Kälte dieser Wochen, die Marianne unausgesetzt auf die Straße trieben.

Er wußte, daß sie einen nervösen Widerwillen gegen rauhe, gerötete
Hände oder aufgesprungene Lippen besaß. Als sie jung und glücklich war,
da mußte sie sich gewiß, selbst unter schmalen äußern Verhältnissen,
mit Entzücken gepflegt haben, wie ein schöner Mensch vor einem Fest.

Tomasow ließ Mariannens Hand sinken und stand auf.

»Was ist Ihnen denn? Sie wollen doch nicht schon gehn? Warten Sie noch ein
wenig, und am besten: bleiben Sie zum Thee,« schlug Marianne vor, »Sophie
wollte Ihnen so gern ihre Fortschritte im Geigenspiel vorführen, -- mögen
Sie? Dann machen Sie ihr die kleine Freude.«

»Ja, warum nicht?«

Tomasow war ans Fenster getreten und schaute vor sich hin.

Marianne öffnete die Thür nach dem Gang, rief dem Mädchen etwas zu und
kam dann wieder zu ihm.

»Was schauen Sie denn so unverwandt an?« fragte sie und trat dicht an ihn
heran.

Er zuckte die Achseln.

»Ich betrachte mir nur, was da in Reih und Glied zwischen den
Doppelscheiben im Fenster aufgestellt ist,« entgegnete er und deutete auf
eine Anzahl verdeckter Glasbehälter, »wie Soldaten mit Papierhelmen auf
dem Kopf. Finden Sie diese Dinger nicht häßlich?«

»Sie sind nur häßlich, bis sie blühen. Dann kommen sie ins Zimmer,
und die Papierkappen kommen fort. Und dann sind es Hyazinthen!« sagte sie
tröstend, mit einem Lächeln.

Aber Tomasow war verstimmt.

»Hyazinthen? Wozu denn? Mögen Sie etwa diesen allzusüßen Duft? Es sind
doch nicht am Ende gar Ihre Lieblingsblumen, Marianne?«

»Lieblingsblumen? -- Rosen hab ich schon lieber, -- und am liebsten,
wissen Sie was? -- am liebsten besäße ich ein ganzes Treibhaus und einen
Wintergarten dazu!« meinte sie schelmisch. »Solche Hyazinthe unter ihrer
Papierkappe ist nun eben mein Treibhaus. Man muß sie nicht allzudicht
unter die Nase halten, sondern die Gläser im Zimmer gut verteilen, dann
geht es schon. -- Frühling und Duft ist es ja doch! Und ganz ohne die
beiden mag ich so wenig sein, wie ganz ohne Musik.«

»Wegen der Hyazinthen werden ja hier die Doppelscheiben im Winter nicht
eingeklebt, wie die übrigen,« bemerkte Sophie, die hereingekommen war und
nach ihrer Geige suchte.

Tomasow zündete sich eine frische Zigarette an und setzte sich in der
Nähe des Fensters nieder. Er betrachtete Marianne.

»Wie viel Genußfreudigkeit ist doch in ihr. Selbst jetzt noch!« dachte
er. »Unausgegeben, aufgestaut! Köstlich müßte es sein, das zu lösen,
zu befreien. Selbst jetzt noch.«

Sie saß wieder auf ihrem frühern Platz, den Kopf ein wenig geneigt.
Während sie darauf wartete, daß Sophie die Kerzen am Notenpult anzünden
und beginnen sollte, schien sie vor sich hinzuträumen, -- vielleicht in
Gedanken, die das kurze Gespräch mit Tomasow über ihr Eheglück vorhin in
ihr geweckt haben mochte. So kam es ihm vor.

Etwas sehr Sanftes lag über ihren Zügen, ein Abglanz, wie aus der Jugend.
Für die Mutter der beiden großen Mädchen hätte man sie in diesem
Augenblick kaum gehalten.

Cita war leise eingetreten und stand noch an der Gangthür, um die ersten
Geigentöne nicht zu stören. Auch sie schaute zu Marianne hinüber, und
dabei kam auch ihr in den Sinn, wie schön ihre Mutter sei, -- wie so sanft
und schön sie doch jetzt eben aussehe.

Es berührte sie mit einem warmen kindlichen Stolz. Ihre dunkeln Augen
erglänzten vor Freude.

In einer Pause des Spiels trat sie von hinten an Mariannens Stuhl heran.
Und mit einer ihrer spontanen, unvermittelten Bewegungen umschlang sie die
Mutter und küßte sie in den geneigten Nacken.

Dabei kehrte sich Cita halb gegen Tomasow, dessen Blick unverwandt auf
ihrer Mutter ruhte. Cita sah unwillkürlich, mit einem hübschen Ausdruck,
zu ihm hinüber, als wollte sie, an Marianne geschmiegt, entzückt sagen:
»Wie lieb und schön sie ist, nicht wahr? Möchte man sie nicht auf dem
Fleck totküssen?!«

Da verdüsterten sich plötzlich ihre Augen.

Irgend eine unerklärliche Befangenheit überfiel sie. Sie bückte ihren
Kopf, wie abwehrend, gegen den Kopf der Mutter, und errötete langsam über
das ganze Gesicht.

Tomasow hörte inzwischen zerstreut dem Geigenspiel zu. Er liebte und
verstand Musik, musikalisch von Natur, wie fast alle Russen, aber heute war
ihm nicht nach Sophiens Musik, die noch Nachsicht verlangte.

Ja ja! Daß die Kinder da waren, das hatte Marianne so unzugänglich
erhalten und so vorzeitig ernst gemacht. Es machte sie bisweilen ergreifend
schön, dies Ernstsein tief unter aller Heiterkeit, jedoch zu ernst, --
allzu ernst für ihn --.

Tomasow begegnete bei dieser Erwägung Citas Augen, die ihn forschend
anzusehen schienen. Sie stand noch an den Stuhl der Mutter gelehnt, als
schütze sie ihn.

»Wie ein kleiner Polizist!« dachte Tomasow bei sich.

Aber zugleich gestand er sich, daß diese Kinder es allein gewesen waren,
die einst Marianne die Fähigkeit zum Leben wiedergegeben hatten.

Ursprünglich schien der gewaltsame Schmerz um den toten Gatten auch die
Mutter in ihr getötet zu haben. Als man sie nach Rußland brachte, --
mit ihren beiden allerliebsten kleinen Dingern, -- da war sie nicht
bereitwillig, weiterzuleben. Sie konnte nicht leben. Und in der
Verwandtschaft begann man, von Geistesstörung zu sprechen und von
Ueberführung in eine Heilanstalt.

Damals, während dieser ersten furchtbaren Verzweiflungszeit ihres
Schmerzes, sah Tomasow Marianne zum erstenmal.

Er selbst kam grade verstimmt aus dem Auslande. Nach Jahren anregenden
Genusses und interessanter Arbeit in Wien und Paris, erschien ihm zu Hause
alles so schal und abgestanden, so gänzlich regungslos. Und am wenigsten
spürte er Lust, sich hier wieder dauernd in seine ärztliche Praxis
einzugewöhnen.

An einem dieser Tage wurde er zu Marianne hineingeführt.

Auf dem Boden ihres Zimmers kauernd, das braune Haar dicht und wirr um ihr
armes Gesicht, -- das Gesicht eines fassungslos leidenden Kindes, -- ganz
stumm und sehr abgemagert, denn sie weigerte sich, Nahrung zu sich zu
nehmen: so sah er sie zum erstenmal.

Was ihn betroffen machte und fesselte, von allem Anfang an, das war die
Stärke dieses Temperaments, das gegen den Tod anstürmte, ihm innerlich
fortwährend seine Beute abzujagen schien. Nie, meinte Tomasow, ein
Gleiches an Seelenkampf geschaut zu haben, -- an Kampf gegen das
Unentrinnbare, -- wie er jetzt Tag um Tag vor sich sah, seitdem er begonnen
hatte, Marianne seine ärztliche Pflege zu widmen.

Ihre Verwandten bedauerten sie aufrichtig, aber ihnen war von Beginn an die
Ehe verrückt vorgekommen. Beide Gatten so blutjung, beide noch kaum reif
für den großen Jubel und den großen Ernst, den sie vom gemeinsamen Leben
erwarteten, -- und der junge Künstler noch keineswegs genügend zu Geld
oder zu Ruhm gelangt, als er um Marianne warb. Daß er auch dazu, wie zu
allem, eben ihrer Nähe bedurfte, verstanden die vernünftigen Leute
nicht. Und er durfte sie auch keines Bessern belehren, denn als es ihm eben
gelingen wollte, mußte er schon sterben.

Das jedoch war wiederum Marianne unfähig zu verstehn, -- nein, nie und
niemals vermochte sie es zu fassen, daß das Leben wider ihren liebsten
Menschen sein konnte, daß es ihn sterben lassen, -- ihn im Stich lassen
konnte.

Auf Tomasows Rat kam Marianne aufs Land. In einem Dorf bei Moskau bezog
eine alte Verwandte mit ihr ein kleines Landhaus, dicht neben einem
verwilderten Park gelegen, der zu einer ehemaligen Privatbesitzung
gehörte.

Es wurde grade Frühling, -- später nordischer Frühling. Unendliche
Ebenen im ersten Ergrünen, weite knospende Birkenwälder, ein stiller
baumumstandener See --.

Dort in der Einsamkeit, dort im Frühling, dessen sanfte Schönheit ihr
bis zu Tode wehe that, und der ihr mit seinem Zauber die Seele blutig riß,
tobte sich für Marianne das Schwerste rückhaltlos aus.

Sie gesundete vielleicht aus der nämlichen Kraft heraus, aus der sie
gelitten hatte, -- sie durchkostete ihren Schmerz viel zu stark und
inbrünstig, um sich nicht eines Tages auch selbst von ihm zu heilen.

Von der Veranda des Landhauses führte ein primitives Holzbrückchen, über
etwas morastiges Wassergerinsel geschlagen, direkt auf die grasbewachsenen
Wege des alten Parks. Unzählige Mückenschwärme durchsummten ihn im
Sommer und hielten beständig einen feinen dunkeln Ton in der Luft fest;
warm und feucht stieg von den schattigen Wiesen der Duft über üppig
verwilderten Blumen auf, und hier und da stand eine zusammengebrochene,
bemooste Steinbank an lichte Birkenstämme gebaut. Hier hinaus fuhr Tomasow
jeden Tag. Wenn er kam, pflegten ihm die beiden kleinen Mädchen schon
entgegenzulaufen, Annunciata, die Aeltere, mit muntern großen Sprüngen,
und die jüngere, Sophie, die immer zu hastig lief und oft über ihre
eignen kleinen Beine stolperte, bis sie endlich der Länge nach und mit
bitterm Geschrei bei ihrem Freunde angelangt war.

In der Stadt und in seinen eignen Angelegenheiten beschäftigten Tomasow
allerlei komplizierte Sorgen: wie er sich zur Heimat stellen, sich in
ihr einleben werde, und warum ihr noch so vieles abgehe, was in den
kulturreifern Ländern des Auslandes längst auf der Tagesordnung stand?
Aber hier in diesem sommerdunkeln Park, bei Marianne und ihren
Kindern, verblaßte ihm regelmäßig die Wichtigkeit aller Kultur- und
Geistesfragen. In den Vordergrund trat das Leben in seiner elementarsten,
seiner einfachsten Bedeutung, -- das Leben angesichts des Todes und die
Frage, ob es zu ertragen sei. Es kam ihm vor, als müsse das Leben etwas
Schönes sein, weil er Marianne leise dazu zurückkehren sah, -- ganz leise
anfangs, indem sie mit den Kindern zu spielen begann.

Noch ehe sie wieder für sie zu sorgen und zu denken wußte, spielte sie
mit ihnen, als sei sie selbst noch nicht viel mehr, als ein schwaches Kind.
Und doch hatte sie damit schon die große Frage für sich beantwortet.

Der erste Gedanke, der später ganz von ihr Besitz nahm, war ebenfalls
naheliegend und primitiv: der Drang, für das tägliche Brot zu arbeiten.
Für den Augenblick war diese Sorge ihr von andern abgenommen worden, --
und im Fall der Not versprach man, ihr auch die Kinder abzunehmen.

Sie wollte mit ihnen zusammenbleiben können, sie selbst ernähren können.
Daran erstarkte sie.

Tomasow erinnerte sich gut des entscheidenden Gespräches darüber, an
einem unerträglich heißen Sommernachmittag voll Gewitterdrohungen, auf
einer Bank im Park. Er ging auf alles ein, was Marianne wünschte, froh,
sie überhaupt schon so weit zu haben, daß ihr starke Wünsche und Sorgen
kamen. Er erbot sich auch, alle ersten notwendigen Schritte in der Sache zu
thun.

Da hob Marianne die kleine Sophie auf ihren Schoß und sich zu Cita
niederbeugend, die sich neugierig horchend an ihr Knie drückte, rief sie
leise: »Jetzt wird Ma für ihre lieben Kinder schrecklich viel zu thun
bekommen! Und je mehr sie thut, desto schöner und größer sollen sie ihr
werden, von Tag zu Tage! Ist das nicht herrlich, ihr Kinder?«

Citas kleine Ohren mochten aus den Worten nur den Klang aufgefaßt haben,
-- einen so ungewohnt freudigen Klang, daß er an etwas ganz Fernes,
Süßes, schon halb Vergessnes mahnen mußte, was einst durch alle Worte
der Mutter hindurchgejauchzt hatte, als seien es ebensoviel liebkosende
Verheißungen.

So klatschte sie stürmisch in die Hände und sprach der Mutter nach:
»Herrlich, ihr Kinder!«

Und in der schwülen Gewitterluft unter den reglosen Bäumen saß Marianne
zum erstenmal mit einem Anflug von Lächeln da, wie am Vorabend von
bessern, festlichern Tagen.

Tomasow aber dachte fast mit Abscheu an das lähmende, entnervende
Arbeitsleben, das nun vor ihr liegen sollte. Und angesichts dieses
Lächelns stiegen andre, schönere Möglichkeiten für die Zukunft vor
seinen Gedanken auf -- --.

»Unterschätzen Sie nur die Schwierigkeiten der Sache auch nicht
allzusehr!« bemerkte er nach einer Pause mit zögerndem Warnen. »Es ist
noch nicht sicher, ob Sie so brutalen Anforderungen an Ihre Spannkraft
gewachsen sind.«

Marianne hob den Kopf und sah ihm mit zversichtlichem Vertrauen ins
Gesicht. Ihre Hand lag auf Citas Haar.

»Daß ich ihnen nicht gewachsen bin, weiß ich wohl!« sagte sie ruhig.
»Aber Sie werden mir helfen, über mein bißchen Können hinauszugelangen.
-- -- Wollen Sie mir nicht dazu helfen --?«

»Ich will es gewiß, wenn Sie nicht bei näherm Zusehen selbst davor
zurückschrecken!«

In Mariannens Augen trat ein Ausdruck wie qualvolle Erinnerung an die
überstandenen Seelenkämpfe.

Sie murmelte: »Ich schreckte vor allem zurück, -- vor jeder Minute,
weil sie durchlebt sein wollte, -- und war nicht auch das eine brutale
Anforderung: -- leben zu sollen --? Ich weiß, daß es mich noch manchmal
überkommen wird, -- daß ich dann nicht will, nicht kann, -- ich werde
mich gewiß noch oft vor dem Leben fürchten --.« Sie brach ab, ein
Schauer ging über sie hin. Dann setzte sie jedoch langsam hinzu: »Deshalb
muß jemand mir helfen, der meine Furcht und meinen Widerstand bricht, um
der beiden Kleinen willen.«

-- In diesem Augenblick begriff er, wie nah er ihr in der schweren Zeit
getreten war als der Unbeteiligte, Unbeeinflußte, der sich ihr ärztlich
und menschlich mit strenger Sachlichkeit gewidmet hatte. Er begriff, wie
viel sie seiner Hilfe zuschrieb, was zu einem großen Teil die Hilfe ihrer
eignen Natur gewesen war.

Ihr sollte er helfen, fortan dem Leben gewachsen zu sein, -- dabei aber
lebte er noch sein eignes Leben in unschlüssigem Zwiespalt --.

Und dennoch: er fing an, daran zu glauben, daß es ihm ihr gegenüber
gelingen werde. Ein so starker Appell an seine eingreifende, planvolle
Kraft ging von diesen ruhig vertrauenden Augen aus, -- eine so starke
Freude an der ihm auferlegten Verantwortung weckten sie in ihm, als
spannten sich alle Fähigkeiten seiner Seele auf ein Ziel hin.

Und seltsam: gleichzeitig empfand er es noch nie so bitter wie in der
Stunde, nicht selber zwiespaltlos und einheitlich, mit voller Thatkraft, im
Boden seiner Heimat zu wurzeln. Hätte er nicht schon als Jüngling, -- in
jugendlicher Begeisterung zu allem bereit, -- immer nur an die harte, hohe
Mauer der bestehenden Zustände stoßen müssen; hätte er nicht erst im
Auslande draußen seine volle Entwicklung finden müssen; hätte er, vom
Heimweh zurückgezerrt, nicht davon absehen müssen, in seiner Heimat grade
diejenigen Einsichten und Fortschritte zur Wirksamkeit zu bringen, deren
sie ganz augenscheinlich am dringendsten bedurfte, -- -- wie ganz anders
würde sich dann für ihn als Mann, als Mensch, sein Leben zusammengefaßt
haben! Wie oft würde es einen ähnlich starken, -- und stärkern Appell an
seine Leistungskraft enthalten haben!

Aber davon sprach er nie zu jemand; in der Fremde sprach er von der Heimat
nur leise, und dann zärtlich, wie von einem leidenden Kinde, das auch nur
anzurühren man Fremden schon verwehrt; und daheim konnte er von seinen
Jahren im Auslande nicht mit dem Accent reden, den sie für ihn besaßen,
weil hier alle seine Worte unwillkürlich so ausfielen, als sei ihm bloß
egoistisches Genußleben gewesen, was ihm dort mindestens ebensosehr als
eifriges und ernstliches Arbeitsdasein vorgekommen war.

Er schwieg deshalb, mißtraute den Menschen, und sie vertrauten ihm nicht
mehr recht.

-- -- Während er im alten, dichten Park auf der Steinbank unter den Birken
saß, schaute er, in solche Gedanken versunken, auf Marianne hin.

Sie blickte gradeaus über die Wiesengründe in die Ferne, den Kopf
ein wenig vorgeneigt, die Hände leicht im Schoß gefaltet. Der lose
aufgesteckte Haarknoten ließ die sanfte Wölbung der Nackenlinie
wundervoll frei.

Kein einziger Zug bewußter Selbständigkeit in der gesammelten Haltung,
und doch etwas wie Getrostes --

Es erfüllte ihn mit Erstaunen!

Was ihm auch geschähe: zu allerletzt würde er doch im stande sein, zu
einem zweiten Menschen so vertrauensvoll aufzublicken, daß er dessen
seelischer Hilfe sich gläubig anheimgab!

Und bei ihr war das im Wiedererwachen zum Leben das erste, -- das
Unwillkürliche --.

Das allererste, was sie wiederfand, war eine ruhige, vertrauende
Gebärde. -- -- --

[Illustration]



=II.=


Draußen herrschte das lustigste Schneetreiben von der Welt.

Den Kutschern und vielleicht auch ihren Gäulen lachte das Herz im Leibe
drüber, wie leicht heute die Schlitten über den weißblendenden Boden
dahinflogen, der seit etlichen Tagen einer erneuten Schneelage entbehrt
hatte, sodaß hier und da bereits das holperige Steinpflaster der
unebenen Moskauer Straßen durch den zerstampften und vergrauten Schnee
durchzuscheinen begann.

Auch Marianne freute sich, schnell vom Fleck zu kommen. Seit dem frühen
Morgen war sie schon so viel herumgetrieben worden, in verschiedene
Privatstunden und eine Schule.

Noch ein paar Tage lang! Dann gab es Ferien. Schlossen auch die Anstalten
erst kurz vor Weihnachtsabend, so hörte doch der Unterricht in den
Häusern meistens schon früher auf.

Marianne kam von weit außerhalb gefahren, wo sich an den Grenzen der
Stadt ein großes Mädchenstift befand, nicht allzufern von dem berühmten
Jungfernkloster, dessen phantastische Türme herüberwinkten. Auf dem
Rückwege von dort ließ sie ihren Schlitten in einer unbelebten, fast
ländlichen Vorstadtgegend vor einem einstöckigen, rot angestrichenen
Holzhause halten.

Sie stieg aus, bezahlte und ging über den weiten, hellen Hof, den ein
einfacher Lattenzaun umschloß, auf eine Wohnung im Erdgeschoß eines
Hauses zu, an der sie mit beinah ungeduldiger Freude läutete.

Dies Erdgeschoß war himbeerfarben. Mit rührendem Vertrauen in die
Schönheit des Farbigen überhaupt, war hier ein bunter Ton neben den
andern gesetzt. Aber das gedämpfte Winterlicht ward zum Künstler an all
dem Grellen: es stufte es wunderseltsam ab, bis es aussah, als stünden die
bunten Farben da, wie Blumen in einem Strauß.

Hier pflegte Marianne jeden Sonnabend vorzusprechen, wenn sie der Weg
vom Stift vorüberführte, mochte die Zeit auch noch so knapp sein.
Denn jedesmal bedeutete das für sie inmitten der Arbeitswoche eine
sonntägliche Stunde.

Eine ihrer ehemaligen Lieblingsschülerinnen, seit Jahresfrist verheiratet,
wohnte hier; eine, die ihr innig zugethan blieb, auch nachdem sie,
längst der Schule entwachsen, mit Energie und verblüffender Leichtigkeit
Mathematik studiert und es darin zu etwas gebracht hatte.

Die junge Frau öffnete selbst die Thür und bewillkommnete ihren
Besuch mit drei schallenden Küssen, einen auf den Mund und je einen auf
Mariannens schneenasse Wangen. Dann nahm sie ihr den weiß überschneiten
Pelz von den Schultern und schüttelte ihn aus, wobei sie aber sorglich
jedes Geräusch vermied.

»Dadrinnen steckt Taraß tief bis über die Ohren in einer Arbeit über
das Vogelgetier,« flüsterte sie in ihrem weichen Russisch, das an sich
schon zärtlich klang, und wies auf das Hauptzimmer der kleinen Wohnung.

Erst jetzt bemerkte Marianne die breite buntgestreifte Küchenschürze an
ihr, und daß sie die Aermel hochgezogen hatte. Eine Messerbank, nach der
sie griff, mußte sie eben erst hastig aus der Hand gestellt haben.

Im Hintergrunde des engen dämmerigen Vorflurs stand die Thür zur Küche
noch offen; man sah die Holzscheite im Herdfeuer rot glimmen.

»Ja, unser Mädchen ist nämlich schon wieder krank. Sie ist wirklich
ewig krank, diese Aermste,« sagte die junge Frau und zog Marianne in die
Wohnstube.

Die Wohnstube war ziemlich groß, niedrig und so dicht über dem Hof, daß
der gegenüberliegende Schneehaufen sie schon verfinstern konnte. Auf dem
Hof flogen weiße und graue wohlgemästete Tauben umher, flatterten auf
den Fenstersims und schlugen mit ihren Flügeln an die Scheiben, an denen
drinnen blühende Azaleen standen.

Ein Teil des Zimmers wurde durch zwei mitten hineingebaute mannshohe
Scheinwände isoliert, hier befand sich der Schlafraum. Die
zurückgeschobene Portière ließ das Ehebett unter einem Baldachin von
geblümtem Stoff sehen, sowie die Ecke mit den Heiligenbildern. Ein paar
davon besaßen schwere Silberverkleidung; unter ihnen hingen gestickte
Handtücher und lagen auf einem Wandbort geweihte Brötchen.

Im Wohnraum am Fenster stand breit und bequem ein Tisch, worauf sich in
friedlichem Nebeneinander Schreibereien und Hausarbeiten, nicht grade
zierlich geordnet, befanden. Auf einem Seitentisch zeigte der nie fehlende
blitzende Samowar, daß hier auch gespeist wurde.

Marianne hatte es sich wunderschön behaglich gemacht in einem
Großvaterstuhl, der dicht bei einem wärmeausstrahlenden Kachelofen von
anerkennenswerten Dimensionen stand. Neben dem Ofen hing am Bande eine
altertümliche kleinrussische Guitarre, eine Gusli. Fröstelnd vergrub
Marianne ihre durchkälteten Füße im Bärenfell, das sich vor dem Stuhl
ausbreitete.

»Das ist unser Diwan, dort sitzen wir immer beide drin,« sagte die junge
Frau.

»Ist es jetzt nicht sehr schlimm für euch mit dem kranken Mädchen,
Tamara?« fragte Marianne bedauernd. »Da werdet ihr kündigen müssen.
Wie treibt ihr es nur überhaupt --? Du alle Morgen in deinem statistischen
Bureau, dein Mann über seiner ornithologischen Gelehrsamkeit? Was fangt
ihr denn jetzt an?«

Tamara lachte leise auf, ihr ganzes freundliches Gesicht lachte mit.

»Wir treibens, wie es eben geht; -- es wird ja auch wieder besser. Alles
wechselt unter dem Mond. Kündigen wollen wir nicht; darauf vertraut die
Arme so fest.«

»Russische Sorglosigkeit!« dachte Marianne bei sich. Aber sie mochte
nichts Tadelndes äußern, sie wiegte sich darin wie in etwas Wohlthuendem.

Vielleicht wäre es anderswo tadelnswerter gewesen, doch ihr schien immer:
wo man unter russischen Menschen war, wo diese Sprache klang, da wurde
das Leben in der That in allen Dingen gleichsam simpler und weiter, --
vertrauender. Obschon sie selber kein russischer Mensch war, so zählte sie
doch nicht zufällig unter diesen ihre besten Freunde.

»Aber überanstrengt es dich auch nicht, Tamara?« meinte sie besorgt.
»Noch kann es ja eine ganze Weile dauern, ehe dein Mann die verdiente
Berufung bekommt, und ehe du also dem statistischen Bureau ein Schnippchen
schlagen kannst.«

Tamara schüttelte belustigt den Kopf, von dem zwei starke Zöpfe
unaufgesteckt niederhingen.

»Bis dahin hilft mir eben mein Mann. Wenn ich nicht mal _das_ von Ihnen
gelernt hätte, Marianne Martinowna: gute Laune am Alltag bewahren, -- die
schönste Lektion, die Sie unbewußt allen Ihren Schülern mitgeben,
-- gratis neben all dem Schulkram.« Tamara fuhr ungeniert mit dem
Messerputzen fort, worin sie der Besuch unterbrochen hatte. »Und im
Sommer,« bemerkte sie mit aufleuchtendem Blick, »da erholen wir uns
schon! Da schlepp ich den Taraß zu den Eltern aufs Gut, oben hinauf nach
Wologda, in meine lieben großen Wälder. Da erholen wir uns schon! Ach,
warum sind wir da nicht zwei Einsiedler! Sie können mir glauben: ich bin
doch gewiß glücklich, aber Heimweh nach den Wäldern und dem Norden hab
ich doch. -- -- Aber nun erzählen Sie doch mal von sich? Also die Cita ist
heimgekommen?«

Marianne nickte.

»Mit Beginn der deutschen Weihnachtsferien und bleibt bis über die
russischen da. Aber ich habe noch so wenig von ihr, -- es war eine so
gehetzte Arbeitszeit. Drum wird Weihnachten diesmal so strahlend schön!
Mir kommt vor, als ob ich mich seit meiner Kindheit nicht mehr so darauf
gefreut hätte, wie dieses Mal. -- -- Immer möcht ich die Cita jetzt nahe
um mich haben, -- so ganz nah bei mir, -- -- sie so recht tief anschauen:
»»Bist du noch dieselbe? Ist auch nichts an dir verändert? Hat mir die
Trennung nichts gestohlen? Zeig mir all dein Schönes: -- das und das und
das, -- weißt du noch?«« Ach, Tamara, du hast noch kein Kind, -- kannst
du das wohl begreifen?«

Tamara nickte schweigend.

In der Küche hörte man es bedrohlich brodeln und zischen. Sie setzte die
Messerbank nieder, lief hinaus, klapperte ein Weilchen draußen zwischen
den Tiegeln und Töpfen und kehrte dann in die Stube zurück.

»Ja,« sagte sie, »nun ist also Cita auf dem Wege, etwas Erkleckliches zu
werden. Aber, Hand aufs Herz, liebe Marianne Martinowna: wären Sie nicht
doch seelenfroh, wenn -- ja wenn sich die Cita ordentlich verliebte und
heiratete?«

Marianne blieb einen Augenblick lang stumm. Dann sagte sie fast andächtig:
»Wenn über meine Kinder _mein_ Glück käme, -- ein so unfaßbares
Frauenglück, das reicher und weiser macht, als alle Reichtümer und
Weisheiten der ganzen Welt zusammengenommen, -- wenn ihnen das geschenkt
würde! -- -- Und wären es auch nur acht kurze Jahre, wie bei mir,
gleichviel. Und käme auch selbst dahinter -- wie bei mir --«

Sie konnte nicht weitersprechen.

Tamara sammelte schweigend ihre Messer zusammen. Nach einer Pause bemerkte
sie dabei: »Kenne ja auch die Freude am Lernen. Aber mein heimlichster
Traum war doch immer nur der aus dem Märchen von Puschkin, dem Zar Saltan:
möchte Gott mir geben, einen Helden, einen Bogatyr, zu gebären! Ja ja,
dafür kann man nichts thun. Sonst wär es ja auch nur wieder armseliges
Menschenwerk. So ist es: Studium ist Verdienst, aber Liebe ist Gnade. --
Aber ganz jammerschade scheint es mir, daß Sie nicht mit Ihren beiden
Kindern zusammenleben können wegen des Studiums, -- gradezu eine Missethat
scheint es mir manchmal.«

Marianne fiel rasch ein: »Darüber muß man nicht nachdenken. Es ist nicht
anders. Ich muß Sophie doppelt geben, doppelt --«

»Aber ich hätte Ihnen einen kuriosen Vorschlag zu machen,« meinte
Tamara, »wenn nur Cita nicht grade in Berlin studierte.«

»Einen Vorschlag --?«

»Ja, von meiner Tante bin ich dazu autorisiert, -- wissen Sie, von der,
die in Bern das Mädchenpensionat leitet und voriges Jahr hier war.«

»Ach, thut sie das noch immer? Sie klagte doch schon so über ihr Alter
und ihre Gebrechlichkeit. -- -- Will sie es etwa abtreten?« fragte
Marianne mit unverhohlener Spannung.

»Sie möchte gern einer Hilfe die Leitung übergeben. Sie wissen: es sind
lauter unerwachsne Mädchen, vielfach Russinnen, die dort den sogenannten
letzten Schliff bekommen. -- -- Und auf Sie hält sie so große Stücke,
sie wäre entzückt. Aber es wäre doch wohl nichts?«

Marianne schüttelte zögernd den Kopf. Im stillen rechnete sie nach. Es
war ihr klar, daß sie hier mehr verdienen konnte. Und schließlich blieb
Cita auch dann weit von ihr.

Aber wenn es doch möglich wäre, -- mit Cita? Sie wurde ganz still und
hörte nicht auf, zu rechnen.

An der Thür, die das Wohnzimmer mit der größern Hauptstube verband,
wurden rasche, ungeregelte Schläge hörbar, wie ein Geprassel von
Kleingewehrfeuer.

Tamara sagte mit befriedigtem Lachen: »Das ist Taraß' Triumphgeschrei:
er hat für heute glücklich sein Ei gelegt. Es ist auch hohe Zeit, daß er
frei wird. Ich muß schnell den Tisch decken.«

»Und ich muß leider weiter wandern,« äußerte Marianne mit einem
Seufzer; sie erhob sich ungern aus ihrer weichen, behaglichen Ecke.

Tamara nickte betrübt.

»Wir armen Arbeitsgäule,« meinte sie lächelnd und stieß die Thür
nach dem Vorflur auf, laut rufend: »Taraß, bist du da? Komm doch mal her,
Marianne Martinowna muß schon fortgehn.«

»Jawohl!« schrie es aus der Küche zurück, »aber dann mußt du
herkommen, -- das Zeug brennt an!«

Der Ton der Verzweiflung, worin das verkündet wurde, erheiterte Marianne.
Sie trat auf den Vorflur hinaus und schaute nach der Küche. Tamara war,
die Hände ringend, schon an ihr vorbei vorausgeschlüpft.

Zwischen seinem Studierzimmer, das weit offen war, und der Küche mitten
drin stand auf dem Vorflur Tamaras Mann mit lebhaft vorgerecktem Hals und
richtete seine Augen angsterfüllt auf eine Pfanne, die auf dem Herde stand
und furchtbar zischte. Die Brille hatte er sich auf die Stirn geschoben.

Seine Frau stürzte zur Pfanne.

»Geh nicht so nah heran, geh ihr nicht nah!« rief er beängstigt,
»-- das Zeug spritzt! Man darf sie nur von hier aus ansehen. Es spritzt!
Paß auf, es spritzt in die Augen!«

Als das Zischen und Prasseln gelinder wurde, wandte er sich aufatmend der
lachenden Marianne zu. Auch er lachte nun. Aus seinem hübschen dunkeln
Bart, der tief über das gestickte russische Hemd fiel, das er zu Hause
trug, schimmerten die Zähne.

»Ja, ich war nun grade fertig, -- und angerührt hatte sie die Geschichte
ja, ich sollte nur Wache halten, -- aber aufregend ist die Sache ungeheuer,
-- uff!« und er fuhr sich über die Stirn und die etwas wildgewordenen
krausen Haarringel.

Tamara, die am Herde herumwirtschaftete, rief: »Ja, darin ist er gut,
wirklich! Sie sollten nur wissen, was wir uns beide alles zusammenkochen.
Aber ohne Herzklopfen geht es eigentlich nie ab. -- -- Die reine Nervenkur.
-- -- Er thut es auch nur, um wenigstens gelegentlich zu beweisen, daß ich
ihm neben seinen Vögeln doch auch was gelte.«

Sie kam aus der Küche, streifte die Aermel herunter und trat zu Marianne,
die sich grade an den Vögeln ergötzte, die man im offenstehenden
Arbeitszimmer sah. Jeder Platz, den die Bücher übrig gelassen hatten,
gehörte den Vögeln, -- toten, ausgestopften Bälgen -- und lebendigen in
zwei Riesenkäfigen, aus denen es zwitscherte, piepte und sang.

»Ja, denken Sie nur,« behauptete Tamara, »sein Getier konnte er sogar
auf der Hochzeitsreise nicht vergessen. Ich konnte nicht gefühlvoll gegen
ihn werden, ohne daß er mir sofort auseinandersetzte, wie es zum Beispiel
die Enten und Gänse in ihren Liebesspielen untereinander halten. Damals
schrieb er nämlich grade über die. Zuletzt war ich ganz beschämt, keine
Gans zu sein.«

Ihr Mann wurde verlegen, aus seinen träumerischen dunkeln Augen sah er
Marianne hilflos an.

»So war es gar nicht, -- nein, so war es nicht,« bestritt er lebhaft.
»Ich habe nur gesagt: ein Gelehrter zu sein, das ist nichts ohne Liebe.
Man muß die Tiere lieben, dann versteht man sie gut. Und dann habe ich ihr
erzählt, die Enten wären --«

Aber seine Frau fiel ihm ins Wort. Vom nächststehenden Tisch in seinem
Zimmer hatte sie geschwind ein dickes Buch aufgegriffen, ein Werk von ihm,
schlug es fachkundig auf und las mit heller Stimme:

»Beispielsweise -- =pagina= 136: ›Alle Männchen ziehen sich nahe
zusammen. Dann schwimmt je ein Weibchen zwischen ihren Reihen schnell
hindurch. Hierauf schnellen die Männchen im Takt in die Höhe, biegen dann
den Schnabel gegen die Bauchmitte und pfeifen =a tempo=. Verpaßt einer der
Enteriche dabei den genauen Anschluß, so scheint das etwas Uebles zu sein:
er muß alsdann seine Kräuselfedern in die Höhe richten und vernehmlich:
›Räp!‹ rufen --‹«

»Schäme dich! schäme dich!« rief Taraß laut, »ich habe dir nicht so
was vorgelesen, -- ich habe dir Lieder zur Gusli gesungen!«

»Ja, wissen Sie warum?« Tamara legte das Buch aus der Hand, »um mir
mit kleinrussischen Klängen mein Nordrußland zu verleiden! Ist denn
Kleinrußland noch Rußland?! Ach, wir zanken uns darüber noch bis zu
Tode!«

»Nicht wahr! nicht wahr!« rief Taraß dazwischen, »die schönsten Lieder
und die schönsten Sagen sind im Norden und Süden gleich! Der blinde
Sänger unten bei uns singt dir, was bei euch gesungen wird. Aber vom
Süden hinauf ist es gekommen!«

»Vom Norden zu Euch ist es gekommen!« ereiferte sich Tamara, »von da
oben, wo alles rein russisch blieb. Wo auch später nicht einmal der Tatar
hindrang --.«

Marianne verließ sie zwischen Küche und Stubenthür im vollsten Streit.
Sie lachte noch, als sie auf den Hof hinaustrat zwischen die gurrenden
Tauben. Beschämt sah sie nach ihrer Uhr. Noch konnte sie rechtzeitig zur
Unterrichtsstunde kommen, doch mußte sie sich tüchtig beeilen.

Eine Weile später durfte sie endlich für kurze Zeit heimgehn. --

Obgleich Marianne müde war, machte sie den Heimweg zu Fuß. Das
Schneetreiben hatte nachgelassen, hier und da schaute schon die Wintersonne
freundlich zwischen zerrissnem Gewölk hervor.

Marianne liebte es, durch diese Straßen zu wandern, die ihr bei ihren
Gängen tagein, tagaus, jahrein, jahraus vertraut geworden waren wie ein
Heimatort. Das Ungeordnete und Halbasiatische auf vielen von ihnen störte
sie nicht mehr, -- nicht die Bettler oder Betrunkenen, die ihr begegneten,
nicht die grellbemalten Schenkenschilder mitten zwischen dem bizarren Glanz
der zahllosen Kirchen und Kapellchen.

Und sie mußte lächeln, wenn sie schmale, hügelige Gassen sich plötzlich
auf einen jener Riesenplätze öffnen sah, die wie weite Ebenen sein
konnten, und an deren Rande mitunter kleine Häuser kindlich dastanden wie
Spielzeug neben den ungeheuren Raumverhältnissen mancher Nachbarbauten.

Denn der Raum hatte hier keine Bedeutung, keinen Hochmut; keine Pracht
schien sich ihrer Größe zu rühmen, und keine Bescheidenheit möglichst
eng zusammenzukriechen. Größe und Kleinheit warfen friedlich ihren
Wert in eins, nachlässig zu einander gesellt, wie Baum und Grashalm in
derselben Landschaft.

Sogar der Kreml, der von jedem Punkt Allgegenwärtige, erschien fast
nur zufällig groß: als im Grunde wesensgleich irgend einem der kleinen
heiligen Altarschreine in Kapellenform, wie sie Fürst und Bauer zu eigen
besitzen, -- aber von der Inbrunst einer gewaltigen Andacht irgend wann
einmal in solchen Dimensionen geschaut und fixiert, daß er fortan immer
allen sichtbar blieb, immer allen gemeinsam gehörte --.

Mitten in der Stadt sah sie, wie dort so oft, ein kleines mageres Füllen
neben dem Mutterpferd traben, das einen Lastwagen zog. Das glückliche
Pferd! es brauchte nicht von seinem Kinde fort, wenn es auf Arbeit ging.

Marianne fand: alle Arbeit, die Frauen thun, müßte so weise eingerichtet
sein.

Sie seufzte und ging rascher.

Beim Ueberschreiten eines Fahrdammes mußte Marianne innehalten, weil zwei
Gefährte ineinander geraten waren, was beim wahllosen Durcheinanderjagen
leicht genug geschah.

Die Fuhrleute schrieen sich an und fluchten sich gegenseitig in die Hölle;
der eine Schlitten wurde frei und flog weiter, am andern war der Gaul
ausgeglitten und gestürzt.

Ein Mann, der den Schnee vom Fußsteig schaufelte, trat heran, um zu
helfen, doch keine Neugierigen blieben gaffend stehn. Nur ein kleines
Mädchen mit rotem Kopftuch schaute auf das daliegende Pferd und kraute es
im Vorübergehn mitleidig, mit ganz schüchterner Liebkosung, am Stirnhaar,
wie um es zu trösten. Ein Schlitten kam an der Gruppe vorbei und hielt
jählings an.

Tomasow saß darin. Er warf dem Kutscher ein Geldstück zu, sprang heraus
und ging auf Marianne zu.

»=Quelle chance, madame!=« sagte er lächelnd, und streckte die Hand aus.

»Und nun begleiten Sie mich nach Hause!« meinte sie gleich.

»Aber selbstverständlich.«

»Das heißt, -- falls Sie nicht etwas Wichtigeres vorhaben --?«

Tomasow machte ein etwas spöttisches Gesicht.

»Was sollte ein Tagedieb wie ich besonders Wichtiges vorhaben?«

»Tagedieb! O pfui!« Sie war entrüstet; -- »Sie sind ja doch Arzt!«

»Nicht allzusehr. Mir würde es vielleicht bald genügen, Ihrer Gnaden,
Frau Mas, Leibarzt zu sein.«

Aber sie ging auf den scherzenden Ton nicht ein.

»Dafür sind Sie noch zu jung, um sich zurückzuziehen. Das wäre sehr,
sehr schade. Für viele!« antwortete sie ernst.

»Aber ganz und gar nicht! Hier gibt es genug Aerzte für Moskau, -- viel
zu viele, -- sie treten einander auf die Füße. Es ist gradezu eine gute
That, Raum für sie zu schaffen. -- Sie werden sagen: in der Provinz? Ja,
das ist schon etwas andres. Aber Sie wissen, dafür bin ich verdorben. Es
fehlt mir durchaus an der nötigen Aufopferungslust, um in irgend einem
Winkel zu versimpeln, -- als Menschheitsheros oder als stiller Säufer.«

»Sie sind heute entsetzlich garstig!« rief Marianne und hielt ihren Muff
ans Ohr. Sie lief förmlich von ihm fort. »Warum machen Sie sich schlecht
vor mir? Warum nur? Ich weiß schon selbst, ob Sie was taugen oder nicht.«

Tomasow suchte nach seinem Kneifer, den er selten trug, und setzte ihn auf,
was seinen Gesichtsausdruck ganz verwandelte, als setze er eine Maske auf.

»Laufen Sie nicht so schrecklich geschwind,« sagte er; »wollen wir nicht
überhaupt fahren?«

Marianne schüttelte abwehrend den Kopf.

»Nein, ich muß ohnehin so viel sitzen. Und die Luft thut jetzt gut. Ich
gehe so gern durch all die Buntheit und Herzlichkeit des Straßenlebens
hier; wenns die Zeit nur öfter erlaubte! Sie nicht?«

Tomasow zuckte mit einer Gewohnheitsgebärde die Achseln.

»Wie mans nimmt. Meistens ärgere ich mich dabei, weil ich mich frage,
warum in aller Welt einen das Heimweh immer wieder auf den alten Fleck
zurückzieht? So oft ich versuche, auf längere Zeit fortzugehn, -- ich
komme doch wieder. Was soll man aber hier? Ja, wäre man noch ein richtiger
dem Grabe entstiegener Altrusse von vor Peters Zeiten, so einer mit langem
Bart und langem Kaftan --! Denn sonst würgt man hier ja nur an alledem,
wozu man sich eventuell im europäischen Geistestreiben mit entwickelt
hat. -- -- Ich will mich nicht entschuldigen, aber das macht so merkwürdig
indolent.«

»Sobald Sie Ihre Russen von Herzen lieben, haben Sie auch einen
Wirkungskreis unter ihnen,« meinte Marianne.

»O nein! Das ist ein Irrtum. Sehen Sie sich nur einmal das Volk an mit
seinem breiten Gleichmut gegen die ganze eigentliche Welt der Kultur, --
wie es alle seine wirklich tiefen Interessen anderswo hat, -- was
weiß ich, wo: bei Wind, Wetter, Tod, Musik, Ammenmärchen,
Heiligenbildern -- --. Mit seinen Aufklärern war es noch nie eins.
Gegen sie lehnt es sich auf. Und dies Naturell, dies seelische Tempo,
ist mindestens ebenso oft schuld an seinem Zurückbleiben, wie unsere oft
verrufenen Zustände.«

»Ich weiß schon! Fangen Sie nur nicht an zu politisieren!« sagte
Marianne. -- »Lieber will ich es sein, die Ihnen von diesem Volk erzählt:
zum Beispiel könnte ich Ihnen davon erzählen, warum ich hier, in dieser
russischen Stadt, so gern grade an Sonntagen eine Gemäldegalerie besuche,
wo auch das Volk vor den Bildern steht --. Es tritt leise auf mit seinen
schweren Stiefeln und ist voll von Andacht. Haben Sie eine solche Andacht
schon anderswo häufig beobachtet? Man muß nur in des Volkes seelische Art
eingehn, um seine Seele zu fassen.«

»Das mag alles sein. Indessen für den einzelnen bleibt das geistige
Unbehagen, hier zu leben, weil das Volk in seiner Aufklärung noch nicht
weiter ist.«

»-- Oder weil wir nicht tiefer sind, mit all unserm Geist,« meinte
Marianne nachdenklich. »Jedes Menschenleben sollte doch von jedem Punkt
aus, durch die aufrichtige Macht seines Erlebens, bis in alle Tiefen
gelangen können, -- nicht nur da, wo der Verstand es so herrlich weit
gebracht hat. Könnten wir uns nicht durch unsre einseitige Geistigkeit um
dieses Kostbarste bringen? -- -- Was Ihnen hier auf die Nerven fällt, mein
lieber Freund, das thut mir so unendlich wohl bis in alle Nerven. Es ist
wie ein Trost, wenigstens für den, der, wie ich, nicht mehr mit kann in
der großen Kulturhetze, in den immer rastlosern Fortschritten, in der
ganzen nimmersatten Selbstentwicklung --«

Marianne sprach lebhaft, fast übereifrig.

Tomasow warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. Es war selten, daß sie etwas
äußerte, was wie Resignation über ihren Tagesberuf klang, der sie zu
nichts anderm kommen ließ.

»Ein Trost, den Sie aber doch am allerwenigsten brauchen,« bemerkte er,
»so frisch und angeregt wie Sie --«

»-- Von Stunde zu Stunde laufen!« ergänzte sie mit gutmütiger Ironie.
»Ja, so ist es nun einmal: Zeit und Schwung läßt das nicht übrig.
Und ich würde jetzt eine traurige Rolle spielen in euren glänzenden
Geisteszirkeln, unter euren entwickelten Menschen, von denen Cita und auch
Sie so gern aus eurem ausländischen Leben erzählen --«

»Unsinn, Ma!« fiel er ein. »Niemand in der Welt eignet sich so herrlich
dazu, wie Sie, zwischen solchen Menschen zu leben. Sie würden dort
strahlen --«

Marianne schüttelte den Kopf.

»Nein, das würd ich wohl nicht, und das will ich ja auch gar nicht. Aber
es ist doch gut für mich, daß ich nicht so ganz nah dabei stehn muß --.
Ich würde die Liebe zu meinem Alltagsdasein nicht festzuhalten
vermögen und fühle doch: sie ist das allein Wichtige, das allein
Ausschlaggebende -- --. Hier gibt es ja genug Hochstehende, Schaffende,
Menschen über den Alltag hinaus. Aber sie leben einsam, und leben
insgeheim doch nur für das Volk. Schon der Lärm der offiziellen
Hauptstadt ist ihnen zu viel, deshalb ziehen sie hierher, -- und am
liebsten weit hinaus, bis an die Grenzen der Stadt, wo schon die Gärten
beginnen.«

Marianne nahm Tomasows Arm und fuhr leiser fort: »Ihnen will ich gestehn,
daß ich manchmal, aus tiefer Sehnsucht nach Erquickung heraus, hier und
da ein Künstleratelier besucht habe -- --. Aber auch die, zu denen ich
nie gekommen bin, meine ich zu kennen, als hätte ich heimliche Zugänge zu
ihnen in allen müden Stunden. -- Für mich gibt es noch ein zweites Moskau
in Moskau, -- mit stillern Straßen, als die ich Tag für Tag betrete, und
mit Häusern, wo große Menschen wohnen, die ich verehre. Und manchmal,
wenn ich so von Stunde zu Stunde haste, belebe ich meine eigne Ermüdung
damit, daß ich mir einbilde, ich ginge gar nicht zu meiner Lehrstunde,
sondern zu einem von ihnen --.«

»Und immer noch wieder leben Sie ein Leben, wovon man nichts weiß!«
entfuhr es Tomasow. -- »Wie können Sie nur von Schwunglosigkeit sprechen?
Wer so viel Trost wie Sie schöpft aus --«

»Warten Sie einen Augenblick!« unterbrach Marianne ihn unvermittelt und
zwang ihn, mitten auf der Straße stillzustehn, während sie sehnsüchtig
nach den ausgelegten Waren eines Straßenobsthändlers hinsah.

Der junge Bursche hatte sein Fruchtbrett vom Kopf gehoben und hielt, sich
vor Marianne und Tomasow auf ein Knie niederlassend, ihnen erwartungsvoll
seine Zitronen, Aepfel und prachtvollen Südtrauben entgegen.

»Ach, wer kann an so etwas vorübergehn!« bemerkte Marianne seufzend und
wählte mit entzückten Augen unter den großen tiefblauen Trauben. Tomasow
sah zu, wie eifrig sie bei der Sache waren, der junge Händler und sie.
Beide lachten vor Vergnügen.

»Eben wollte ich damit anfangen, Sie über allerlei zu trösten; aber ich
sehe, es ist gar nicht mehr nötig,« sagte er, als Marianne fertig war;
»Sie sehen aus wie ein beschenktes Kind.«

»Diese sind auch extra schön! Ich freu mich auf das Erstaunen der
Kinder,« entgegnete sie, schneller ausschreitend, und steckte die Düte
hinter ihren Muff; »beide essen sie gern. -- Aber wir sind wirklich gleich
zu Hause! Wollen Sie nicht ein wenig mit hinaufkommen? Die Kinder würden
so froh sein --«

»O nein, die haben ja schon die Trauben!« sagte er spitz und schüttelte
den Kopf. »Aber ich würde für mein Leben gern einmal so ein Obstbrett
vor Ihnen ausbreiten, Marianne, -- die schönsten Früchte, -- ganz
unwahrscheinlich schöne, -- damit Sie dann so aussehen, wie jetzt eben.«

»Dummes Zeug!« meinte sie ärgerlich, »übrigens habe ich ja fast alles
Schöne, was ich besitze, von Ihnen mal geschenkt bekommen. Ist Ihnen das
nicht genug?«

»Geschenkt? Von mir? Ich wüßte nicht. Es ist nur Ihre eigenste
Spezialität, die Dinge so aufzufassen, als kämen sie Ihnen von andern.
Wenn ich Ihnen wirklich schenken wollte, wär es ganz anders --«

Marianne blieb stehn. Sie waren am Hause angelangt.

»Danke für Ihre Begleitung!« sagte sie und gab ihm die Hand. »Sie sind
zwar mitunter garstig gewesen, aber im ganzen doch gut, wie immer.«

Er antwortete langsam: »Ein klein wenig garstig waren auch Sie. -- -- Daß
Sie mich Ihren Kindern mitbringen wollten, -- gleichsam eine zweite
Düte, neben den Trauben. -- -- Nun, irgendwann werden Sie das schon noch
einsehen.«

»Auf Wiedersehen!« rief sie heiter und öffnete die Hausthür.

»Auf Wiedersehen, Ma! So bald als möglich auf Wiedersehen!«

Marianne lief rasch wie ein Mädchen die zwei Treppen hinauf, oben mußte
sie Atem schöpfen, als sie den Schlüssel in die Thür steckte. Aber alle
ihre Ermüdung war verflogen, das Sprechen und Scherzen mit dem Freunde
hatten sie von ihr fortgenommen.

Oben schien Besuch zu sein.

Sie trat vom Vorflur in ihr Wohnzimmer. Ja, da saß ein junger, ganz junger
blonder Mann mit ihren beiden Töchtern und erhob sich ehrfurchtsvoll, als
er ihrer ansichtig wurde.

»Dies ist Herr Hugo Lanz, Ma,« sagte Sophie vorstellend, »-- du weißt,
wir trafen uns neulich in der Gesellschaft --«

»Ich komme nur als Abgesandter meiner Verwandten, gnädige Frau,«
erklärte Hugo Lanz mit einer weichen sympathischen Stimme, »es handelt
sich um eine Schlittenfahrt für heute abend. Vor zehn Uhr sind alle wieder
heimgeleitet.«

»Das ist freundlich von Ihnen,« entgegnete Ma und reichte ihm die Hand,
»ja, fahrt nur, ihr Kinder.«

»Und du, Ma?« fragte Cita.

»Ich bin ja heute abend zum Thee bei Tante Ottilie und werde euch dort
entschuldigen, ihr Nichtsnutze.«

»Aber du wirst heute zu müde sein, Ma,« meinte Sophie bedenklich und
küßte die Mutter.

»Nein, Kind, ich bin jetzt so frisch. Und morgen ist Sonntag. -- -- Aber
wer fliegt jetzt wie ein Pfeil und zaubert mir geschwind eine heiße,
starke Tasse Thee oder Kakao herbei?«

Die Mädchen stürzten zur Thür.

Hugo Lanz sah so heftig diensteifrig aus, als wollte auch er stürzen, aber
er besann sich rechtzeitig auf das Zwecklose eines solchen Unternehmens.

»Thee also!« rief Sophie.

»Nein, besser Kakao!« rief Cita.

Sie verschwanden, und Hugo Lanz blickte ihnen ernsthaft nach -- mit einem
Gesicht, als hätte eine jede von ihnen etwas Geistreiches ausgesprochen,
was lange dunkel in ihm gelegen habe.

Marianne sah den Blick und sah ihn selbst an und war ihm gut. Daß ihm die
Gesellschaft dieser jungen, hübschen und geweckten Mädchen ausnehmend
gefiel, begriff sie vollkommen und fand es in der Ordnung. Auch fürchtete
sie nie, daß ihre Töchter je zu »gelehrt« werden könnten, um zu
gefallen. Ihr war zu gut bekannt, wie sehr dabei nicht der Kopf, sondern
das Temperament entscheidet.

»Sie sind noch nicht lange hier?« bemerkte sie freundlich, um dem Gast
die Zwischenzeit füllen zu helfen.

»Nein. Ueberhaupt nur für einige Monate zu Besuch bei hiesigen
Verwandten. Dann soll ich nach Deutschland zurück, um Kaufmann zu
werden.«

Er sagte das trübe. Sie fragte nicht, doch traf ihn ihr Blick so warm
und mütterlich, daß er spontan fortfuhr: »Mein Traum war, Künstler zu
werden.«

Sie fragte auch nicht: in welcher Kunst? Sie sagte nur sehr weich:

»Der höchste Traum. Und die schwerste Erfüllung.«

Er hob die Augen bescheiden zu ihr.

»Aber man soll doch nicht gleich anfangs verzagen, nicht wahr? Ich fühle
so bestimmt: ich könnte mich dazu durchringen, wenn man mich nicht so
ganz in die Familie einengen wollte. Ein Künstler und jeder, der es werden
will, braucht Freiheit.«

Marianne nickte.

»Mehr als Freiheit: Heimat,« sagte sie unwillkürlich.

Hugo Lanz sah sie fragend und wie erwartend an. Ihre Art und Weise nahm ihn
leise gefangen.

»Ich meine,« versuchte Marianne zu erklären, »niemand braucht so sehr
als er breitesten Spielraum, weil alle seine Bewegungen unberechenbarer,
unbezwingbarer sind, als die irgend welcher andern Entwicklung. Aber
in seiner angebornen Sensitivität, in seiner fast hilflosen
Eindrucksfähigkeit hat er zugleich, wie niemand anders, Furcht vor der
Fremde. Seine Freiheit mag sich noch so breit strecken wollen, aber an den
äußersten Grenzen seiner Freiheit, da muß er Heimat um sich fühlen, --
eine Welt, der er vertraut.«

Aus dem Klang ihrer Stimme vibrierte etwas, als wenn sie jedes ihrer Worte
aus tiefen, warmen Glückserfahrungen hebe. Weniger in den Worten selbst,
als in diesem Stimmklang lag etwas Suggestives, was Hugo Lanz ergriff.

»Das ist so nur in einem Paradies!« rief er. -- »In Wirklichkeit gibt es
das nicht,« setzte er traurig hinzu.

Marianne widersprach nicht.

Sie schwieg, doch ihre Augen widersprachen. Sie leuchteten in so ruhigem
Glanz und wendeten sich unwillkürlich dem verschlossnen Rahmen auf dem
Schreibtisch zu.

Da vernahm man von der Thür her Gelächter.

Die Mädchen kehrten zurück, jede mit einer vollgefüllten Tasse in
der Hand. Den Blick starr auf ihre Tassen geheftet, deren Inhalt
überzuschlagen drohte, näherten sie sich langsam und feierlich dem
Schreibtisch, neben dem die Mutter auf ihrem gewohnten Lieblingsstuhle
saß.

»Thee schmeckt bei weitem schöner und regt an, hat Ma stets gesagt,«
behauptete Sophie.

»Kakao ist ihr bei weitem gesunder, hat Doktor Tomasow stets gesagt,«
behauptete Cita, »-- und zwischen dem Schönen und dem Guten, Nützlichen,
wirst du doch nicht lange zaudern, Ma! Bedenke auch, welche schlechte
Einwirkung ein böses Beispiel auf uns haben, könnte.«

»O du überredest, das ist gegen alle Abmachung!« rief Sophie voll
Unwillen.

»Ein Jurist überredet nie genügend, Sophie! -- Also: erst jedenfalls das
Schöne, -- und dann auch noch das Gute, Nützliche,« entschied die Mutter
sofort und zog lachend alle beiden Tassen zu sich heran.

Cita hockte sich auf die Seitenlehne ihres Lutherstuhles.

»Du unmoralische Mutter!« sagte sie.

Hugo Lanz hatte sich beim Eintritt der Mädchen erhoben. Er sah ganz
zerstreut aus. Ihm erschienen mit einemmal alle beide doch noch recht
kindisch, ohne daß er ahnte, wie außerordentlich damit sein Urteil in der
Richtung fehlging.

Wohl empfand er den heitern Reiz der kleinen harmlosen Familienscene,
aber ihm schien, daß alles Intime dieses Reizes doch ganz und gar nur von
dieser köstlichen Frau mit der jungen Stimme und den mütterlichen Augen
ausginge.

»Wollen Sie wirklich schon gehn?« fragte Marianne freundlich, als er sich
jetzt ehrerbietig von ihr verabschiedete. »Nun, ich danke Ihnen noch für
die überbrachte Einladung. Und seien Sie uns hier zwanglos willkommen,
falls einmal Weg und Stimmung Sie bei uns vorüberführen.«

»-- Ja, gnädige Frau, wenn ich das dürfte, -- dann danke ich Ihnen von
ganzem Herzen dafür, aber --« er stockte, »-- dann lassen Sie mich nicht
als einen Fremden kommen und gehn, denn das -- das würde ich nach diesem
kurzen Gespräch schon nicht mehr ertragen,« fügte er leiser, sehr rasch
und, im sichtlichen Kampf gegen seine eigne Schüchternheit, fast heftig
hinzu.

Die Bitte, wiederkommen zu dürfen, hatte er vor einer Stunde erst der
Töchter wegen an sie richten wollen --.

Marianne gab keinen Bescheid in Worten, aber er empfand ihr ganzes Wesen
als eine Antwort. Mit Bestimmtheit fühlte er, daß er von heute an hier
nur noch einkehren würde, wie man bei einer Mutter einkehrt, und nur
allein ihretwegen.

Als er sich beim Abschied über ihre Hand beugte, gab ihm Marianne
unwillkürlich jenen Stirnkuß, auf den nach russischer Haussitte der
Gast Anspruch hat. Und als er sein Gesicht erhob, lag eine so dankbare
Kindlichkeit auf seinen jungen Zügen, daß sie Marianne rührte.

Sobald sich die Zimmerthür hinter ihm geschlossen hatte, bemerkte Cita mit
einem Lächeln: »_Der_ sah dich ja aber mal eben kurios an, Ma. Weißt du,
wie? Ungefähr so, wie wenns ihm schlecht ginge, und er dir gleich den Kopf
in den Schoß wühlen möchte, um dir zu beichten und von dir getröstet zu
werden.«

Sophie mußte lachen.

Cita fuhr, nicht ganz frei von Spott, fort: »Ja, sind Männer nicht
eigentlich höchst wunderliche Pflanzen? So etwas Unmännliches sind sie,
scheint mir. Es klingt gewiß dumm, aber sag selbst, Ma! Könntest du dir
leicht vorstellen, daß ich irgend jemand so -- so hilfsbedürftig ansähe?
Nein, im Gegenteil: kerzengrade würd ich mich grade dann recken. -- --
Alles andre ist eben Schwäche.«

Marianne lächelte fein.

»Nicht notwendig Schwäche. -- -- Schwere Aehren stehn auch nicht
kerzengrade,« sagte sie.

Aber in ihrem Innern empfand sie bei Citas Worten einen heimlichen Stich.
Cita, ihr tüchtiges, kernfestes Mädchen! Sie konnte ihr vertrauen und mit
ihr reden über alle Sorgen und Nöte, fast wie mit einem klugen Freunde,
ja fast wie mit einem Mann --.

Ja, das alles konnte sie. Aber -- den Kopf noch einmal
anschmiegungsbedürftig in Mas Schoß wühlen, das würde Cita doch wohl
nie mehr --.

Sophie hatte sich ans Fenster gestellt. Sie sah Hugo Lanz, der aus dem
Hause herausgetreten war, unten über den Fahrdamm gehn. Er sah schlank und
fein aus in der dunkeln Pelzmütze und trotz des Pelzes, der alle Konturen
vermischte. Eigentlich gefiel er ihr doch sehr gut, viel besser, als sie es
Citas Spottlust einzugestehn wagte.

Jetzt äußerte sie aber doch:

»Du, -- den mag ich trotzdem gern. Warum soll er auch Ma nicht angucken,
wie er will? -- -- Ich habe mich mit ihm schon prachtvoll unterhalten,
neulich in der Gesellschaft, ehe du hier warst, Cita. Ich erzählte ihm von
den höhern Mädchenkursen, und dann, daß mich die Naturwissenschaften so
sehr interessieren, -- daß ich aber noch weit lieber ein Arzt würde, --
grade wie Doktor Tomasow.«

»Aber das alles sind ja dem jungen Dichter völlig gleichgültige
Beschäftigungen, Sophie,« meinte Cita und trug die Tassen der Mutter
hinaus.

»Die Beschäftigungen an sich: ja!« gab Sophie kleinlaut zu und schaute
noch immer angestrengt einem dunkeln Punkt in weiter Entfernung -- einer
Pelzmütze -- nach, obschon sie nicht mehr ganz sicher war, ob es nicht
längst eine andre Mütze auf dem Kopfe eines andern sei. »Aber,« fuhr
sie eifrig fort, »auf die Art der Beschäftigung kommt es auch nicht
an, sondern darauf, daß er _auch_ hinausstrebt, -- fort, hinaus! Mit dem
einzigen Unterschied, daß er das infolge von Gedichten thut. Das schadet
aber doch nichts. Die Hauptsache haben wir doch gemeinsam. Auch ihm ist
eng, auch er hat allerlei Träume, die er kaum zu Hause zu nennen wagt, --
auch seine Pläne lassen sich nun einmal nicht zu Hause verwirklichen. Und
seine Familie, -- die hält ihn. Wie sollten wir da nicht sympathisieren?!
Wie sehr kann ich ihm doch das alles nachfüh--.«

Sie stockte jäh.

Die Nase an die Scheibe gedrückt, hatte sie ganz vergessen, wo sie sich
eigentlich befand. Ihr ward plötzlich erst bewußt, was sie da sagte.

Cita konnte es überhaupt nicht mehr hören, die war ja eben mit den beiden
Tassen hinausgegangen.

Aber da, im Luthersessel vor dem Schreibtisch, mit dem Gesicht grade zum
Fenster, da saß, Sophie im Rücken, ganz schweigsam -- Ma --

Einen Augenblick lang, einen Augenblick nur, war ihr Ma wirklich ganz und
gar aus dem Gedächtnis entschwunden gewesen.

Wohl eine volle Minute stand Sophie wie erstarrt. Sie bekam ein Gefühl,
als wär es noch besser, sich mit ihrer kleinen Nase ganz durch das
Fensterglas durchzubohren, um nie, nie wieder die Augen zurückwenden zu
müssen.

Ihr Herz schlug heftig, sprunghaft, die Lippen wurden ihr trocken. »Arme,
süße, liebe Ma!« dachte sie außer sich, voller Wut.

Plötzlich drehte sich Sophie gewaltsam um, zu ihrem eignen Schreck. Sie
sah das Zimmer vor sich wie im Nebel. Sie lief auf die Mutter zu, fiel vor
ihr auf die Kniee und umhalste sie wortlos, stürmisch.

»Ach Ma, -- dummes Zeug -- solch dummes, -- ich benutzte unwillkürlich
seine Worte, -- weißt du: einfach seine Worte -- sie passen ja auch einzig
und allein für ihn, alle, alle diese Worte!« stammelte sie endlich, ganz
in Thränen, und dann lachte sie fast ein wenig, verlegen und sonderbar.

Marianne herzte sie ganz leise.

»Aber -- du wildes Mädchen, -- wie kann man sich dermaßen erregen!
Viel zu leicht erregt bist du, weißt du das? Du mußt dich besser
zusammennehmen. -- Komm, sei nun wieder ruhig und mein liebes altes heitres
Kind, -- ja?«

Sophie hob den Kopf. Bei diesen sanften Worten verflog langsam ihr Schreck,
sänftigte sich auch ihre Reue. -- Vielleicht hatte Ma gar nicht so genau
hingehört vorhin -- --.

Marianne strich ihr liebreich über das schimmernde blonde Haar. Ihre Augen
aber schauten großgeöffnet über ihr Kind hinweg.

Dann stand sie auf.

»Man braucht nur ein wenig wieder ›daheim‹ zu sein, um gleich wieder
zu vergessen, daß es auch noch ein ›Draußen‹ mit allerlei Pflichten
gibt, -- ich muß ja fort,« sagte sie zu Cita, die eben eintrat und einen
heimlich verwunderten Blick auf das thränenfeuchte, gerötete Gesicht der
Schwester warf.

»Ach, mußt du schon gehn, Ma? Ist es nicht zu früh?« Cita holte schnell
den Pelz und die Ueberschuhe vom Vorflur herein. »Komm, ich helfe dir! Du
wirst wohl von Tante Ottilie später nach Hause kommen, als wir.«

»Wohl nur wenig später,« meinte Marianne, »und ihr wißt: wer zuerst
kommt, geht schlafen, ohne zu warten, -- nach unsrer alten Verabredung.«

»Es ist aber wirklich noch viel zu früh, deine Stunde fängt viel später
an,« murmelte Sophie, die der Schwester Mas Ueberschuhe hastig aus der
Hand gezogen hatte. Sie kniete mit ihnen zu Füßen der Mutter, um sie ihr
anzuziehen.

Marianne ließ es schweigend geschehen.

»Lebt wohl, ihr Kinder, und vergnügt euch so gut wie möglich! Der Himmel
ist jetzt klar, und ich denke, ihr bekommt herrlichen Sternenschein zu
eurer Ausfahrt.«

Sie sagte es einfach und harmlos. Aber die Art, wie sie beide noch einmal
küßte, war voll unterdrückter Leidenschaftlichkeit. Rasch ging sie fort.

Die reine kalte Winterluft draußen that ihr wohl. Ihr war das Herz
plötzlich so schwer geworden, so bange und schwer.

Einen Augenblick lang, vorhin, fühlte sie deutlich, -- so deutlich wie in
einer grellen höhnischen Beleuchtung, die sie blendete und verwirrte, --
ihre beiden Kinder fern von sich: die eine lebenssicher, im Grunde fertig,
nur noch ein Gast im Mutterheim, und die andre -- ja, die andre sich
sehnend, -- sich von ihr hinwegsehnend.

Es war in der That noch nicht die Zeit für die beiden Privatstunden,
die sie, ganz in der Nähe von Ottiliens Wohnung, in einem reichen
Kaufmannshause zu geben hatte. Es hatte sie nur nicht länger gelitten, mit
ihrer wehen Angst, unter den Augen der Kinder.

Marianne ging einige Straßen weit in der Richtung auf ihr Ziel, dann blieb
sie unterwegs vor einem Stift für arme Frauen stehn. Von zwei kleinern
Nebenbauten flankiert, lag es lang und flach hinter einem grün
angestrichenen hölzernen Zaun.

Noch ehe sie sich überlegt hatte, ob sie eintreten wolle, war sie bereits
aus einem Fenster des Erdgeschosses von derjenigen bemerkt worden, der ihr
Besuch galt.

Kaum stand sie im steingepflasterten Flur, der die ganze Mitte des Hauses
durchschnitt, als sich auch schon eine der vielen Zimmerthüren zu seinen
beiden Seiten öffnete, und die ihr wohlbekannte energische Stimme auf
russisch erfreut herausrief: »Willkommen! Willkommen! Frau Marinka!«

Aus dem Hintergrunde des Flurs, wo dieser in ziemlich dunkle Küchenräume
zu münden schien, quoll starker Dampf und Speisegeruch. Eine dralle Magd,
mit aufgekrempelten Aermeln und in Bastschuhen, schlürfte vorüber.

Aber im Zimmer selbst, das Marianne betrat, war es, trotz seiner rohen
grellbunten Tapete und den ungestrichenen Dielen, nicht unbehaglich. Wer
hier eigne Möbel um sich aufstellen konnte, entbehrte nicht ganz eines
gewissen Komforts.

Aus einem Sessel am Fenster hatte sich eine große, starkknochige
Sechzigerin erhoben und ging Marianne belebt entgegen, wobei sie sich auf
einen Stock stützte.

»Nun, meine Liebe, das ist wirklich aufopfernd von Ihnen, -- ich wäre
Ihnen auch längst auf dem zugkalten Flur entgegengelaufen, aber, Sie
wissen: die dumme Gicht! Und Doktor Tomasows Verbot! -- Setzen Sie sich,
meine Einzige; was kann ich Ihnen anbieten: Thee, Obst, Schokolade, Konfekt
oder etwa kaltes Rebhuhn?« -- fragte sie, in rascher, lebhafter Rede, mit
der Miene einer Schloßfrau, die bewirtet; zugleich hob sie den Krückstock
und deutete damit auf die verschiedenen Stellen im Zimmer, wo die
angebotenen Herrlichkeiten ihren Platz gefunden hatten.

Marianne mußte lächeln, sie sah um sich. Ja, da standen in der That
allerlei Leckereien, -- die guten Bekannten hatten sie gebracht.

»Ach, Wera Petrowna, das ist ganz gut, aber daß Sie hier wohnen müssen!
Sie sollten es jetzt besser haben: hat Tomasow Ihnen von der neuen billigen
Pension erzählt?«

Wera Petrowna lachte voll Nichtachtung und zeigte dabei ihre starken,
gelblichen, wohlerhaltenen Zähne.

»Thorheit, meine Liebe, Thorheit!« sagte sie und zog Marianne neben sich
auf das große, mit verblichener geblümter Wolle überzogene Sofa. »Von
meinem winzigen Gelde kann ich auch in der billigsten Pension nicht leben.
Armenstift, -- das ist Vorurteil. -- Und Konfekt und Rebhuhn, das ist ja
recht schön, aber wenn meine Verwandten glauben, daß sie mich dadurch
ködern und willfährig machen können, -- daß ich deshalb bei ihnen
irgendwie als gute Tante unterkriechen würde! -- Ich esse einfach die
guten Sachen, und komme doch nicht.«

Die Alte wußte ganz gut, welch schmerzlicher Stein des Anstoßes ihren
ansehnlichen Verwandten ihr »Schloß« war, wie sie das Armenasyl nannte.

Sie nahm bedächtig eine Prise.

»Kommen Sie nicht vielleicht morgen zu uns zum Frühstück?« fragte
Marianne. »Heute habe ich knapp Zeit, aber dann könnten wir von den
Weihnachtseinkäufen plaudern. Ich weiß schon, daß Sie so gut sind,
mir mancherlei Besorgungen abzunehmen, -- ich komme ja erst dicht vor
Thorschluß dazu.«

Wera Petrowna nickte.

»Ja, so gut bin ich, -- sehr gern, thu ich sehr gern. Sie wissen ja, wie
für mein Leben gern ich in den schönen Läden herumflankiere. -- Mit
einigen blanken Rubeln oder ein paar Papierscheinchen lauter gute
Dinge ansehen und bestellen, -- nun, und die Verkäufer, die haben auch
höllischen Respekt vor meinen scharfen Augen und müssen herzeigen,
worauf ich mit dem Stock weise, -- und sollten sie sich selbst beim
Hinundherklettern den Hals verrenken.«

»Aber reinen Mund vor den Kindern!« warnte Marianne.

»Natürlich. Freue mich recht, morgen die beiden wiederzusehen. Sah die
Cita ja lange nicht. Und sie sind beide so recht hübsch zum Ansehen, --
nun, auch zum Sprechen gut, wirklich sehr gut. Schade, zu denken, daß so
was bald weggeheiratet wird. Schade, schade.«

»Ganz so pessimistisch urteile ich darüber nicht, ein solches Fortgehn
ist nicht das schlimmste Fortgehn,« sagte Marianne leise.

»Nun, ist vielleicht auch wahr. Wenn ich so denke, wie es mir erging.
Verschlagen ins ärgste Gutsleben in entlegenster russischer Provinz --
vom ersten Tage der Ehe an. Und hineingekommen mitten aus der feinsten
städtischen Erziehung, -- ja, alles, was wahr ist: mitten aus den feinsten
Pensionaten und voll von allerlei Bildungsbedürfnissen. Und trotzdem --
was meinen Sie wohl? -- trotzdem hab ich doch diesen Menschen bis an seinen
Tod angebetet, diesen prachtvollen Jungen, meinen Mann! Konnte er etwa mehr
als Gutsarbeit, Trinken, Spielen --? Nein, keine Spur! Und brutal war er
auch, wenn er nicht grade zärtlich war. Was that mir das alles? Tottreten
hätt er mich dürfen! -- -- Nun ja, Leidenschaft ist blind und taub, das
weiß man ja, -- und mitunter ist sie auch unglaublich dauerhaft dabei,
-- das muß wahr sein. -- -- Die längste Zeit des Lebens ist man einfach
verrückt.«

Es klang fast cynisch. Marianne kannte diesen Ton. Aber auch das kannte
sie: daß Wera Petrowna dasaß und durch ihr lebhaftes Erzählen von irgend
etwas Marianne von der Unterhaltung enthob, weil sie merkte, wie wenig
Marianne, ihrer lieben »Marinka«, nach Unterhaltung zu Mute sei. Und was
merkte sie nicht? Gewiß schon bei den ersten Begrüßungsworten hatten
diese hellgrauen fast ironisch blickenden Augen alles, was sie wollten,
gesehen.

Wera Petrowna griff nach einem frisch angebrochenen Zigarettenkästchen und
machte Feuer.

»Geschenk von meinem Neffen!« bemerkte sie kurz. »Und Sie rauchen noch
immer nicht? -- -- Wird auch noch kommen, meine Einzige, wird auch noch
kommen. Wissen Sie überhaupt: alle wahren Genüsse kommen im Alter, -- und
so weit sind Sie eben noch immer nicht, Sie Aermste. -- Da hat man nämlich
erst die Ruhe dazu, -- ich meine: so die inwendige Ruhe. Man hat
kälteres Blut. Taxiert die Dinge anders. Nimmt nicht alles so wahnsinnig
persönlich, woraus ja doch allein alle schrecklichen Schmerzen kommen. --
Nun, ich will Ihnen übrigens alle diese spannenden Vorteile nicht vorweg
erzählen, Sie erleben sie ja auch noch. -- Es ist wirklich zu schön,
sagte der Bauer, und da ließ er sich zur Ader, so lange, bis er
starb --.«

Sie lachte auf und rauchte wie ein Schornstein.

Marianne sah nach der Uhr.

»Jetzt muß ich zur Stunde,« sagte sie bedauernd, »also auf morgen. Wie
gut und ruhig sitzt es sich bei Ihnen, man ruht aus.«

»Ja, mein Täubchen, wollten Sie nur noch bleiben, -- ich würde gern das
Maul halten; übrigens, ich begleite Sie, wenn Sie erlauben. Fahre mit der
Pferdebahn von der Ecke an in der Richtung der Schmiedebrücke. Ich habe,
weiß Gott, hier nichts zu thun. -- Für gestern abend bekam ich richtig
noch ein überzähliges Theaterbillett zugesteckt. Ein Lotterleben führt
die Alte, was?«

Sie erhob sich schwerfällig und streichelte Marianne liebkosend die Wange.

»Ein Leben, um dessen Frische und Elastizität der Jüngste Sie beneiden
muß,« versetzte Marianne, »wer von uns würd es an Ihrer Stelle wohl
ohne Trübsal aushalten -- bei diesem Mangel an dem Ihnen gewohnten Behagen
und Ueberfluß?«

Wera Petrowna hatte ihre Haube von dem ganz dünnen grauen Haar
heruntergenommen und band sich umständlich einen wattierten Kapottehut,
mit Ohrenklappen für den Wind, auf dem Kopf fest.

»Behagen? Da hust ich drauf!« antwortete sie derb, und es wetterleuchtete
von Spott über ihren scharf geschnittenen Zügen; »was schert mich denn
das bißchen Behagen? Eiderdaunen und Tischporzellan, fette Braten und
Dienerschaft rechts und links, bis man sich nicht mehr rührt noch regt,
sondern irgendwo einschläft. Mit all dem Behagen haben wir uns da hinten
auf dem Gut gestopft, wie Mastgänse. Das Behagen quoll uns direkt zum
Halse heraus. Aber das Leben stand mir still, -- all mein Leben, bis auf
das eine verliebter Leute. Nun bin ich als Mastgans alt geworden, aber vom
Leben will ich noch schnell was mitnehmen, soviel eben eine alte Gans noch
begreift.«

Sie ließ sich von Marianne in ihren Pelz helfen, versorgte sich reichlich
mit Zigaretten und klapperte mit ihrem Stock auf den steinernen Flur
hinaus.

Sie gingen nur ein kleines Stück gemeinsam, bis zu der Pferdebahn.

»Sehen Sie, da kommt sie schon!« sagte Wera Petrowna mit
innigem Vergnügen und wies mit ihrem Stock auf den herannahenden
Straßenbahnwagen: »Und nun geht es für bloße fünf Kopeken mitten
hinein in die Wagen und Menschen, Schauläden und Ausstellungen -- und
sogar in die Unglücksfälle -- meinetwegen, wenn das Genick doch schon
gebrochen sein muß.«

Marianne blieb lächelnd stehn, bis sie die Alte im Inneren des Wagens gut
placiert sah, dann schritt sie schneller aus, zu ihrer Privatstunde.

Die Eindrücke des heutigen Nachmittags zu Hause traten dabei langsam in
den Hintergrund, und die Notwendigkeit, alles zurückzudrängen, was sie
nicht in ihren Beruf mitbringen durfte, erwies sich, wie so oft, heilsam
befreiend für ihre Stimmung. Als sie vom Unterricht zu ihrer Schwester
ging, hatte ihre Grundnatur, getrost und tapfer, bereits wieder den Sieg
über die Traurigkeit gewonnen.

Es war schon halb neun Uhr. Sie kam bei Ottilie grade noch zum Abendthee
zurecht. Neben dem Tisch im Eßzimmer dampfte schon der silberne Samowar
auf seinem Gestell, die Theegläser standen bereit und dazwischen
flache Schüsseln mit eingekochten Früchten und mit winzigen belegten
Brotschnittchen, -- jedes grade ein Mundvoll groß, fast so zierlich wie
Konfekt hergerichtet.

»Aber seid ihr etwa nicht allein heute?« fragte Marianne beunruhigt, als
sie diese kunstvollen Zuthaten zum Abendthee wahrnahm und die hübschen
gestickten Tellerservietten, -- Ottiliens eigne mühsame Handarbeit.

»So gut wie allein,« versetzte ihr Schwager, der sie empfangen und
hereingeführt hatte, »Ottilie sitzt nur noch drinnen mit einem Fräulein
-- eine ausländische Konzertsängerin, glaub ich --. Jedenfalls schwärmt
Tilie für das Fräulein Clarissa.«

Er machte bei seinen Worten ein gutmütiges, behagliches Gesicht. Ihm
gefiel, wenn schon nicht die Konzertsängerin, so doch der um ihretwillen
so schön bestellte Theetisch sehr gut.

Ueber die Schüssel mit den zierlichen Brotscheibchen gebeugt, steckte er
eins davon, mit geräuchertem zartrotem Lachs belegt, in den Mund. Grade
wollte er Marianne auffordern, sich der gleichen Beschäftigung hinzugeben,
als seine Frau mit dem fremden Fräulein bereits eintrat.

Nun wurde nach den Kindern gerufen, man nahm geräuschvoll Platz und
tauschte die üblichen Redensarten. Inotschka, die dreizehnjährige
Tochter, erschien schüchtern an der Thür, sie machte vor der Fremden
ihren eingelernten Knix mit einer Befangenheit, die sie linkisch aussehen
ließ und die schlanke Grazie ihrer feinen Bewegungen ganz verwischte.

Rot bis an den lichtbraunen Haarschopf über ihrer Stirn, setzte sie sich
in ängstlicher Haltung neben ihre Mutter, deren Stirnrunzeln sie schon
bemerkt hatte. Aber dabei flog ihr Blick mit einem Aufleuchten zu Marianne
hinüber, die von ihr in all der Verlegenheit nicht einmal begrüßt worden
war. Dafür grüßten sie ihre Augen nun fortwährend und brachten dadurch
ihr Theeglas in Gefahr, von den unachtsamen schmalen, rötlichen Händen
umgestoßen zu werden.

Nikolai, der älteste Sohn, ein großer Junge in der kleidsamen
Gymnasiastenuniform, saß neben Marianne, mit der er sich ebenfalls
besonders gut stand. An seinen freien Montagnachmittagen war er ihr
Schüler, da trieben sie auf Wunsch des Vaters englische und französische
Konversationsstudien, und bei diesen Gelegenheiten hatte er mit vielen
grammatikalischen Fehlern Marianne mehr von seinen vierzehnjährigen
Wünschen und Nöten anvertraut, als je auf gut russisch seinen eignen
Eltern. Heute klagte er Marianne heimlich, mit ausdrucksvollen Andeutungen,
sein Leid über diesen unerwarteten Damenbesuch; er wollte zu bestimmter
Stunde einen Kameraden treffen, und nun konnte »die Geschichte schrecklich
lange dauern hier bei Tisch«.

Seine beiden kleinen Brüder schauten hinter ihren breiten Milchtassen nur
ganz verstohlen auf den fremden Gast in dem für einen simpeln Familienthee
etwas zu prächtig geratenen Gesellschaftsanzug. Sie waren beide
beängstigend artig, -- so artig, wie, nach Mariannens in diesem Punkt
ziemlich trüben Lebenserfahrungen, lebhafte Kinder nur dann sind, wenn
sich bald darauf etwas Fürchterliches ereignet.

Aber diese Kleinen hier regierte auch bei Tisch der wachsame Blick ihrer
Mutter mit unmerklicher Strenge. Der Jüngste, Mariannens Liebling, war
schon zu Bett.

Ottilie verstand es musterhaft, in sich stets gleichbleibender
Liebenswürdigkeit sowohl für die Unterhaltung wie für das Betragen der
Kinder zu sorgen. Und während sie emsig ihrem Mann den Thee auf seine ganz
spezielle Weise mit Fruchtgelee anrührte, blieb sie doch ganz Ohr und
fiel bei jeder heitern Aeußerung ihres Gastes mit einem kleinen hellen,
klingenden Lachen ein.

»Sie ist darin einfach bewunderungswürdig!« dachte Marianne aufrichtig,
die inzwischen ganz still geworden war. Sie hatte genug damit zu thun,
gegen ihre Abspannung anzukämpfen, von der sie an solchen Tagen, beim
ersten Nachlassen von Pflicht oder Freude, überfallen werden konnte.

Hin und wieder verschwammen ihr die Worte der andern in einem eintönigen
Gesumm. Sie wußte sich sogar ganz gut im stande -- zu ihrer eignen
Beschämung --, auf diesem bequemen Stuhl mitten unter ihnen allen recht
tief und süß einzunicken, um dann zu einer gegebenen Zeit frisch und
heiter zu erwachen, von neuem aller ihrer Kräfte Meister --.

Erschrocken bemühte sie sich, besser zuzuhören. Fräulein Clarissa
schwärmte soeben von Oesterreich.

»Das ist ganz Wasser auf die Mühle meiner Frau!« sagte der Schwager.
-- »Die ist ganz versessen drauf, und nun gar Wien! -- Hier ist nur das
Diesseits, dort das schönere Jenseits: so etwa denkt sie sichs. Und die
Praterfahrten, und die feschen Offiziere, -- nicht wahr, Tilie?«

Er sprach mit gutmütigem Spott, Stockrusse, wie er durch und durch war,
kaum je über die Landesgrenze gekommen, und vielleicht zu seiner eignen
Verwunderung mit einer halben Nichtrussin verheiratet. Sein naiver
Chauvinismus kam seiner Karriere als höherer Beamter sehr zu statten, war
indessen intensiv ehrlich gemeint.

Ottilie erwiderte gar nichts. Doch hatten sich alle Züge ihres Gesichtes
während seiner Worte verändert, strafften sich plötzlich, -- es sah aus,
wie wenn sie sich auf Eis legte. Die Theekanne zitterte leicht in ihrer
Hand.

Nur Marianne bemerkte es. Ganz erstaunt sah sie die Schwester an. Ach so,
-- der fesche Offizier?! -- Nein, das konnt es doch wohl nicht sein? Ein
österreichisch-ungarischer schmucker Husar, Leichtfuß und nichtssagend,
hatte Ottilie einst einen Heiratsantrag gemacht -- in gänzlicher
Verkennung der materiellen Verhältnisse. Eine belanglose Schwärmerei
Ottiliens. Wie belanglos, das empfand Marianne damals doppelt deutlich
gegenüber ihrem eignen Bündnis, das sie kurz zuvor eingegangen war.

Sie erinnerte sich noch ganz gut, wie heftig der zigeunerische Teint und
die Husarentracht die Schwester bestachen. Und um wie viel älter sie
sich selbst urplötzlich daneben vorkam. Um so viel älter wie erglühende
inbrünstige Jugend neben den Gefühlswallungen der Backfischentwicklung.

Ottiliens Mann hatte die Bedeutung dieses ominösen Husaren offenbar rein
vergessen. Ottilie hatte sie jedoch sonderbarerweise hinter ihrer ruhigen,
liebenswürdigen Verschlossenheit ganz und gar nicht vergessen. Der
Schwager schien nicht allzuviel Ahnung von den geheimen »Tiefen« in
seiner Frau zu haben.

Nikolai rückte immer unruhiger auf seinem Stuhl herum und schielte nach
der großen Wanduhr gegenüber. Er wagte aber nicht, aufzustehn. Der Blick
seiner Mutter, der jetzt um eine Nuance schärfer und gereizter schien
als vorher, mahnte ihn wiederholt daran, daß auch er einen, wenn auch nur
bescheidenen Beitrag zur Unterhaltung zu liefern habe, weil es sich für
seine Jahre schicke, die Umgangsformen zu üben.

Nikolai zermarterte sein Gehirn. Ihm kam eine entsetzliche Menge von
Gedanken und Vorstellungen, aber sie waren alle so merkwürdig unpassend.

Schon war er nahe daran, bei Tante Marianne einen kleinen Gedanken zu
borgen. Da fiel ihm grade noch etwas ein, und er sagte ganz verzweifelt, --
viel zu laut mitten hinein ins Gespräch der übrigen: »In unsrer Schule
ist ein Junge für immer abhanden gekommen.«

»Wie denn abhanden gekommen?« fragte Marianne befremdet.

»Ja so, ganz abhanden. Er war dort Pensionär, lief fort und hinterließ
einen Zettel, daß er sich töten wolle. Niemand weiß, wo und was. Seine
Eltern leben in Südrußland. Man hat ihn noch nicht aufgefunden.«

Ein kleiner Alarm entstand am Theetisch. Nikolai war ganz stolz. Alle
redeten durcheinander.

»Mein Himmel, daß du das auch nicht gleich erzählt hast!« rief sein
Vater.

Nikolai nahm sich das heimlich bereits für das nächste Mal vor, wenn
wieder ein Junge abhanden kommen sollte. Er hatte gefürchtet, es sei im
Hinblick auf einen Gast ein zu bescheidener Beitrag.

Ottilie seufzte. Sie sah streng und bitter aus.

»Das sind Zustände!« bemerkte sie empört. -- »Ja, wenn schon die
Kinder so anfangen! Dann ist es freilich nicht zu verwundern, wenn sie sich
ohne alle Zucht und Sitte erst recht töten, nachdem man sie glücklich
bis zum Erwachsensein durchgebracht hat. Was für ein Kind muß das gewesen
sein, das so etwas Schändliches thut.«

»Und welch eine Behandlung, die so etwas ermöglicht!« setzte Marianne im
stillen hinzu. Sie erschauerte. Konnte man sich wohl je genügend tief in
eine Kinderseele hineindenken, die zu solchen Entschlüssen gelangt war?
Vielleicht bezwungen vom Heimweh, -- von irgend einer unverstandenen Angst,
-- Angst vor dem ganzen Leben selbst vielleicht, -- wer weiß es denn?

Und ihr wurde das Herz ganz weit und groß, als müßte sichs über eine
Welt ausdehnen und alle Kinder darin umfassen, -- mit solcher Wärme und
Inbrunst umfassen, daß keins davon ausgeschlossen bliebe.

Ganz verträumt und zerstreut stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn
sie jetzt hingehn könnte und suchen und finden, und wie das ratlose Kind,
anstatt in irgend eine letzte Dunkelheit, sich hinein verfangen würde in
helfende, starke, mutterzärtliche Hände --.

Endlich erhob man sich.

Nikolai entfloh. Die kleinen Brüder machten ihre Runde mit einem
schläfrigen, etwas schwankenden Kratzfuß und wünschten gute Nacht. Im
Nebenzimmer wurde der schöne Flügel geöffnet, und Fräulein Clarissa
setzte sich davor, um ein Arie aus Figaros Hochzeit vorzutragen.

Marianne griff der Gesang an. Die Stimme, ein prachtvoller Alt, erwies
sich als zu groß für das nicht sehr geräumige Zimmer. Ottilie ließ sich
augenscheinlich nicht weiter davon anfechten, übrigens war sie auch nicht
sonderlich musikalisch.

Der Schwager setzte sich zu Marianne. Er schob ihr ein bequemes Kissen in
das Sofa, dessen Polsterlehne im Rücken unbequem einfiel, und warf seine
Zigarette fort. Etwas so Sorgliches besaß er.

»Findest du nicht: Tilie sieht schön und vorteilhaft aus, sogar neben der
viel Jüngern, -- ihr seid eine dauerhafte Rasse, ihr beide!« bemerkte er
mit einem freudigen Blick auf seine Frau, die am Flügel stand.

»Ja. Ich bewunderte sie heute wiederholt,« gestand Marianne.

Er nickte eifrig.

»Einfach famos!« Und er versank in Gedanken über die Vorzüge seiner
Frau, die er aufrichtig liebte.

Inotschka hatte sich hinter das Sofa geschlichen, gegen das sie sich
lehnte, indem sie ihre Arme auf seiner Rückseite verschränkte, sodaß sie
Mariannes Haar berührten.

Marianne gab leise nach und legte den Kopf zurück an die magern
zärtlichen Mädchenarme, von denen sie wußte, wie viel lieber sie sie
herzhaft umhalsen würden.

Immer hatte sie an sich gehalten, wenn sie spürte, daß ihr Inotschkas
Vertrauen entgegenflog, denn sie durfte sie nicht der Mutter wissentlich
entfremden.

Dadurch wurde der Wortaustausch zwischen ihnen wunderlich einsilbig und
karg. Doch beredter als Worte schlich sich eine feine leise Zärtlichkeit
ergänzend in ihren Verkehr, kaum wahrnehmbar andern, kaum merklich ihnen
selbst --.

Marianne dachte: »-- Wenn Inotschka erst älter und reifer ist, dann
wird sie mir auch mehr zugehören dürfen. Ueber diese paar Jahre muß sie
hinweg, wie so viele --.«

Und sie dachte dankbar daran, daß in diesem Alter nicht viele so ganz eins
im Sinn und Sein mit der eignen Mutter sind, wie es Cita und Sophie mit ihr
gewesen waren.

Darüber fiel ihr der heutige Nachmittag wieder ein --.

Aber sie wollte nicht wieder zaghaft werden: diese Zeit der innigsten
Zueinandergehörigkeit konnte nicht vorbei sein. Wußte doch sie am
allerbesten, wie viel, wie unendlich viel sie ihren Kindern noch gar nicht
gegeben, noch gar nicht mit ihnen geteilt hatte, weil sie auch jetzt
noch zu jung und unerfahren waren, um alles zu empfangen. Voll Freude
und Ungeduld ersehnte sie die Zukunft, wo ihnen einmal alles, ihr ganzer
tiefster Lebensgewinn, zu eigen werden durfte. Wo sie einander ganz
verstanden und durchdrangen, wie drei Freunde, -- um miteinander eine
unzertrennliche seelische Einheit zu bilden. Dann erst würden alle ihre
Schmerzen und Erfahrungen, alle ihre Kämpfe und Siege kostbare Ernte
tragen, -- eine Ernte auf den Feldern ihrer Kinder --.

Marianne bekam Heimweh nach ihren beiden Mädchen, es trieb sie aus dem
heißen Zimmer nach Haus.

Als sie endlich mit gutem Anstand fortgehn konnte, war es über dem Singen
elf Uhr geworden.

Die Begleitung des Schwagers schlug Marianne aus. Sie schlich sich nur noch
für einen Augenblick in die große Schlafstube, um das jüngste Bübchen
in seinem Gitterbett schlummern zu sehen, was sie nie zu thun unterließ.

Dann gab ihr Inotschka das Geleit bis auf die Treppe hinaus.

»Wann kommst du denn wieder zu uns, Tante Marianne?« fragte sie ganz zum
Schluß und lehnte sich über das Treppengeländer.

»Sehr bald, mein liebes Kind, -- ich komme ja schon übermorgen wieder, zu
Nikolais Konversationsstunde,« antwortete Marianne.

Inotschka schwieg eine Weile, aber als Marianne schon hinunterging,
bemerkte sie zögernd: »Weißt du, -- ich sticke Pantoffeln für Mama zu
Weihnachten.«

»So? Bist du noch nicht mit den Weihnachtsarbeiten fertig?« fragte
Marianne.

»Nein, nicht ganz. Da dachte ich, -- mit dem Pantoffel könnte ich mich
gut in unsre Lernstube setzen, während du bei Nikolai bist --. Meinst du
nicht auch?«

Marianne sah zu ihr hinauf.

»Gewiß, wenn Mama nichts dagegen hat? Aber du mußt sie lieber erst
fragen.«

Inotschka nickte schweigend.

»Gute Nacht, meine kleine Ina!« rief Marianne ihr noch zu, während sie
schon die letzte Treppe hinabstieg.

Indessen Inotschka antwortete noch nicht gleich, sie bückte sich nur
tiefer über die Brüstung, und erst als sie nicht mehr wissen konnte,
ob ihre Worte von unten her noch vernehmbar wären, rief sie zaghaft, mit
gedämpfter Stimme, und ganz hastig hinunter: »Gute Nacht! Gute Nacht! Ich
muß dir doch noch schnell sagen, daß ich dich ganz schrecklich lieb habe,
und daß du mich fortnehmen sollst zu dir, und daß ich immer bei dir sein
will und nirgends sonst. Und daß du mich nicht so stehn lassen sollst --
nicht so allein --.«

Sie brach ab. Schon während der ersten Worte schloß der Portier unten
geräuschvoll die Hausthür auf, die dann mit einem mächtigen Knall
zuklappte.

Im Treppenhause wurde es plötzlich so beängstigend still.

»Sie hat nichts gehört, -- gar nichts hat sie gehört. Das ist mal gut.
Unsinn, -- wozu auch!« sagte Inotschka wesentlich lauter als vorhin.

Aber obwohl sie es gut fand, daß Marianne nichts mehr vernommen hatte,
verfinsterte sich ihr schmales Gesichtchen mit dem weichen Munde. Sie
drückte die Zähne auf die Lippen und rieb sich mit blinzelnden Augen, um
nicht loszuweinen, am Geländer, bis die Stimme der Mutter von drinnen in
erstauntem Ton nach ihr rief.

[Illustration]



=III.=


Seit zehn Uhr waren die jungen Mädchen von ihrer Schlittenfahrt im
Sternschein zurück.

Cita saß schon eine Weile auf dem Rande ihres weißlackierten Eisenbettes
und zog sich bedächtig die Strümpfe von den hübschen Füßen.

Sophie ging noch unausgekleidet umher, sie machte sich bei ihren Büchern
zu schaffen, die sie auf ihrem Tisch am Fenster aufzustapeln pflegte, und
etliche von ihnen trug sie ins Wohnzimmer auf den Schreibtisch der Mutter
hinüber.

Dabei sprach sie kein Wort. Sie war schon den ganzen Abend gegen ihre
Gewohnheit still gewesen und behielt auch jetzt die Miene einer düster
Versonnenen.

Cita legte gähnend ihre Strümpfe auf den Stuhl am Bett.

»Schlittenfahren ist ganz schön,« entschied sie, »aber dies gesellige
Vergnügtsein von Männlein und Weiblein, die nichts Besseres zu thun
wissen, -- wie bin ich froh, daß ich mich davon gründlich entwöhnt habe!
Kindisch ist es einfach. Es gibt doch wahrhaftig ernstere Aufgaben in der
Welt.«

»Meinetwegen kann es auch aufhören,« versetzte Sophie apathisch, mit
einer bekümmerten kleinen Stimme, »und auch das Schlittenfahren, und
überhaupt alles.«

Sie kam eben wieder aus dem Wohnzimmer zurück. Cita fragte gar nicht, was
sie dort eigentlich treibe, sie wußte gar nicht, daß Sophie soeben ihre
Studienbücher und Lieblingswerke auf Mas Schreibtisch aufgeschichtet
hatte, wie man sündhafte Kostbarkeiten auf einen Scheiterhaufen trägt.

Sie wollte Ma so gern nach der heutigen Kränkung ihre rückhaltlose
Ergebenheit beweisen. So gern ihr zeigen: »Siehst du, ich entsage allem,
was mich von hier fort zu locken anfing! Schließe es für immer vor mir
zu.«

Aber Cita brauchte das einstweilen noch nicht zu wissen. Denn Sophie
fürchtete sich entsetzlich davor, ihr eignes Thun klar und endgültig
aussprechen zu hören.

Sonst hätte sie es noch am liebsten heute abend Hugo Lanz anvertraut. Ja,
dem am ehesten! Sie meinte: wenn er zum Beispiel, davon erschüttert, nun
auch seinerseits alle ehrgeizigen Pläne fahren ließe, dann hätten sie
gemeinsam trauern, sich gemeinsam trösten und ermannen können.

Er würde dann kein Dichter werden, sondern ein Kaufmann, und sie kein
Arzt, sondern -- sondern vielleicht irgend wann einmal die Frau eines
Arztes, Dichters oder Kaufmanns in der Welt.

»Geh doch endlich schlafen!« rief Cita in ihre schwermütigen
Betrachtungen hinein. Sie selbst lag bereits im Bett, grade auf dem Rücken
ausgestreckt, die Arme über dem Kopf verschränkt.

Sophie setzte sich zu ihr auf die Bettkante.

»Glaubst du, daß es glückliche Ehen gibt?« fragte sie langsam und
ernst.

Cita gähnte gleichmütig.

»Ja,« versetzte sie nach kurzer Ueberlegung, »aber entschieden nur
unter den Frauen, die sich unsrer Frauenbewegung anschließen. Das ist
sonnenklar: denn die setzen sich in den Stand, sich selbst zu versorgen,
den Mann nicht zu brauchen. Also kann es die schlimmste Eheschließung
überhaupt nicht mehr geben: nämlich die wegen Geld und ohne Liebe. Dafür
sind andre, schönere nun erst möglich, --«

»Zum Beispiel sogar ohne Geld und mit Liebe!« fiel Sophie hoffnungsvoll
ein. Wie schön war das eigentlich! Aber davon schloß sie sich auch
aus, wenn sie nicht Arzt wurde, -- kein selbständiger, erwerbender
Berufsmensch.

Cita sagte plötzlich leise: »An die ganze Heiraterei mag ich aber
einstweilen weniger als je denken. -- -- Weißt du, es hat etwas so
Schreckliches: man ist keines Menschen sicher, -- jedem kann noch
einfallen, das Verrückte zu thun und zu heiraten. -- -- Stell dir zum
Beispiel vor, daß unsre Ma -- --«

Sophie stellte es sich nicht vor. Sie schüttelte den Kopf und lachte.

»Schäm dich,« sagte sie kurz.

Cita richtete sich im Bett auf. Ihre dunkeln Augen hefteten sich erregt und
finster auf die Schwester.

»Nein, nein, glaube mir! Ich behaupte nur, daß so etwas möglich ist, --
nichts weiter. Aber möglich ist es. Es ist möglich, es ist möglich.«

Der Ton, in dem sie es wiederholte, wurde immer härter und kälter. Nach
einer Pause fuhr sie fort: »Und wer könnte auch was dagegen thun, dagegen
sagen? Schließlich ist es doch das Recht eines jeden Menschen -- --.
Auch Mas Recht also, -- -- jawohl, unsrer Ma auch, die bis jetzt so ganz
ausschließlich uns gehörte, -- ganz allein _unsre_ Ma war, an die niemand
sonst den geringsten Anspruch machen darf. Niemand, niemand --«

»Nein, niemand!« bestätigte Sophie gedehnt. »Niemand außer uns --«

»Es ist aber ihr gutes Recht! Vergiß nicht: ihr gutes Recht!« fiel Cita
nachdrücklich ein. »Von uns ist es ganz unberechtigt, so zu sprechen.
Ja, vollständig. Mama kann jeden Tag heiraten, wenn sie will, -- und
überhaupt thun und lassen, was sie will --«

Sie brach ab. Ihre Stimme vibrierte von verhaltener Erregung.

Sophie stand auf und küßte die Schwester flüchtig auf die Stirn.

»Gute Nacht. Schlaf lieber. Du bist einfach verrückt geworden. Ich
glaube, du träumst schon!« erklärte sie. »Ebensogut könnte ich mir
vorstellen, daß Ma überhaupt gar kein Mensch, sondern ein Walfisch ist.«

Mit diesem Bescheid kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und setzte sich an
den Schreibtisch vor die aufgeopferten Bücher. Oben drauf hatte sie das
Mikroskop gestellt, das sie erst vorigen Weihnachten zum Geschenk erhalten
hatte. Nun war es eine ganze Pyramide von Sachen.

Eigentlich wollte sie Ma hier erwarten. Es sollte keine Nacht drüber
hingehn und sie wankend machen und auf andre Gedanken bringen --.

Seltsamerweise fiel ihr wieder Hugo Lanz ein. Ja, wer weiß: indem sie dem
erwählten Beruf entsagte, entsagte sie vielleicht sogar einer jener allein
glücklichen Eheschließungen, die Cita noch gelten ließ. -- -- Denn Hugo
Lanz besaß kein Geld -- --.

Also war es wirklich ein Totalverzicht. Ein Opfer der Kindesliebe, wie es
nicht bald ein zweites gab.

Sophie saß beim Schreibtisch mit gefalteten Händen und den gemischten
Gefühlen einer über ihre eigne Größe fast bis zur Verlegenheit
erstaunten Märtyrerin.

Cita hatte inzwischen ihren Rat befolgt und war in gesunder Müdigkeit nach
der langen Fahrt durch die Winterkälte fest eingeschlafen. Aber sie lag da
mit finster zusammengerückten Augenbrauen und einem bösen Ausdruck um den
Mund.

Die zurückgedrängte Bitterkeit in ihrem Herzen hatte noch ihre Schrift
auf ihr Gesicht geschrieben. Ihr letzter klarer Gedanke war das Gelübde
gewesen, mehr als je ganz allein auf sich selbst stehn zu wollen.

Doch als sie in das Land der Träume hinüberglitt, senkte sich dichter
und dichter eine große Finsternis um sie. Sie schaute vergebens nach den
Dingen aus, die ihr vertraut gewesen waren, nach den Stätten, an denen
sie sich heimisch fühlte. Eine schwarze Wand wehrte ihr Durchgang und
Ausblick.

Und da überfiel sie Angst, wie sie nur als kleines Kind Angst gekannt
hatte.

Beide Hände legte sie vor die Augen, um wenigstens das Dunkel nicht zu
sehen. Doch was sie nicht sah, das fühlte sie: wie alle Gegenstände und
alle Fernen über sie her kamen, wie sie sich zusammenrotteten und ballten,
um sie zu ersticken --

Da entrang sich ihr in dumpfem Entsetzen Mas Name. Mit leiser, furchtsamer
Stimme rief sie nach Ma. War denn nicht auch Ma irgendwo unter all dem
da draußen, was sie umdrohte und gefährdete? Dann würde sie alles
entwirren, alles Böse abhalten --.

Aber Ma war nicht da.

Und plötzlich wußte sie, daß Ma nicht mehr da war, -- das allein, nur
das war die Finsternis ringsum -- --.

       *       *       *       *       *

Gegen Mitternacht fuhr ein Schlitten vor.

Marianne stieg die Treppe hinauf und öffnete so geräuschlos wie möglich
die Thür zur Wohnung.

Alles blieb still. Also schliefen die Kinder bereits. So ging sie leise
hinüber in ihr nach dem Hofe gelegenes Schlafzimmer neben Sophiens und
Citas Stübchen.

Hier hatten zärtliche Hände schon für alles gesorgt. Die Lampe
angezündet, die warmen Vorhänge vor dem Fenster zugezogen, jedes Ding
bequem bereit gestellt, von der Wasserkaraffe auf dem niedrigen Tischchen
bis zu den tiefroten, kleinen Tuchpantoffeln vor dem aufgeschlagenen
weißen Bett.

Neben der Karaffe stand am Bett ein schmales Kelchglas mit einer Handvoll
italienischer Anemonen darin, -- blaßrote, violette, gelbe --, -- ein
wenig angewelkt noch von dem Weg hierher.

Die Blumen mußten die Mädchen heute abend bei den Bekannten geschenkt
bekommen haben. Und sie wußten, warum die Mutter diese Erinnerungen an
Italien und seine Sonne so leidenschaftlich liebte --.

Marianne hob die angewelkten Stengel behutsam einzeln aus dem Wasser und
beschnitt sie unten etwas, damit sie besser saugen möchten. Dann ordnete
sie sie neu, mit Bewegungen, die sie fast liebkosten.

Die feine kleine Freude machte sie warm und wach. Ach, daß die beiden
schon schliefen, die Langschläfer! Jetzt hätte sie sich gern noch auf
einen Augenblick an ihre Betten gesetzt und sie geherzt.

Ihr war so kindfroh und bewegt zu Mut.

Als sie das Licht angezündet hatte und die Lampe herausstellen und
auslöschen wollte, bemerkte sie einen hellen Schein in der Thürritze des
Wohnzimmers.

Hatten sie die grüne Studierlampe brennen lassen? War doch noch eine von
ihnen wach?

Sie glitt in die Tuchpantöffelchen und ging leise über den Gang zurück.
Die Thür war nur angelehnt, sie stieß sie auf, um einzutreten.

Aber jählings hielt sie inne. Sie sah Sophie am Schreibtisch sitzen,
die Arme auf den Büchern verschränkt, den Kopf mit den halb offen
niederhängenden Flechten darauf, -- fest schlummernd.

Sie sah die Bücher, das Mikroskop, -- und das Gesicht sah sie, das ihr im
Profil zugekehrt lag, hell bestrahlt vom Schein der Lampe.

Es war naß von Thränen. Die Mundwinkel wie im Weinen herabgezogen, die
Augenbrauen so rührend im Ausdruck, so hilflos --. Ein so bekümmertes,
schmerzliches, -- ein fast gramvolles kleines Gesicht!

Ja, hier mußte Sophie auf die Mutter gewartet haben, aus irgend einem
Grunde. Gewartet mitsamt allen ihren Büchern, die sie hier aufeinander
getragen hatte. Vielleicht um etwas zu erbitten? Vielleicht um zu sagen:
»Sieh doch, wie lieb mir das alles geworden ist, wie gern ich frei sein
möchte und mich dem widmen!«

Vielleicht auch, um etwas abzubitten. Um zu sagen: »Nimm es alles fort
von mir, ich gebe dirs zurück, denn es weckt in mir die Sehnsucht, von dir
hinwegzugehn.«

Und nun war sie unter Thränen hier eingeschlafen, wie ein müdes Kind, und
nur dies traurige, kleine Gesicht erzählte der Mutter von ihren Nöten --.

Marianne stand noch in der halboffnen Thür, den Kopf gegen den Thürrahmen
zurückgelehnt. Ihre Hände hingen schlaff an ihr herunter.

Was half es, daß sie fortgewesen, daß sie getroster und freudiger
heimgekehrt war. Zu Hause trat es ihr wieder entgegen, das Gefürchtete, --
wie ein Gespenst.

Und mit diesem Gespenst trat ihr die liebste Gestalt entgegen, sie, von der
sie es nicht ertrug.

Konnte die Mutter denn gewähren, was ihr Liebling von ihr heischte?
Konnte sie denn wirklich auch die letzte fortlassen? Ganz, ganz allein
nachbleiben? Mußte das sein?

»Nein! Nein!« schrie es in ihr.

Und mit Blitzesklarheit nahm die Erkenntnis ihr Herz ein: »Wenn du jetzt
-- jetzt gleich sie wecktest, wenn du vor dein Kind hintreten würdest
wie vor eine Ertappte, die du heimlich belauscht, -- wenn du ihre kleine
schmiegsame Mädchenseele jetzt in die Hand nehmen und nach deinem
stärkeren Willen prägen würdest: ja, dann wäre es vielleicht möglich,
deinem Einfluß in ihr Gewalt zu verleihen. Nimm den Augenblick wahr, wo
sie, sich selbst verratend, daliegt, als sei sie dir ausgeliefert. Mache
sie zu deinesgleichen, hauche ihr dein Wesen und deine Wünsche ein. Sie
ist ja dein. Sie vertraut dir grenzenlos, und ihr höchster Maßstab bist
du. Nutze deine Macht über dein Kind --.«

Aber noch während Marianne deutlich ein jedes dieser Worte in ihrem Innern
vernahm, als raune irgend wer sie unablässig ihr zu, machte sie eine
übermenschliche Anstrengung, sich ebenso unbemerkt zu entfernen, wie sie
hergekommen war.

Nur jetzt keinen Laut! Nur jetzt leise, leise hinweg, ehe sie erwacht,
ehe sie ahnt, wer hier gestanden und mehr, als sie sagen wollte, von ihr
erfahren hat --.

Es gelang Marianne, die Thür wieder anzulehnen und geräuschlos ihr
Schlafzimmer zu erreichen.

Mechanisch begann sie, sich zu entkleiden.

Da standen noch die Anemonen.

Marianne blickte mit heißen Augen auf sie.

Dann löschte sie die Kerze aus.

Unerwartet, dicht, ohne den kleinsten Lichtfleck von draußen, den die
zugezogenen Vorhänge am Fenster aussperrten, umhüllte sie das Dunkel wie
eine Gruft.

Sie stürzte vor dem Bett in die Kniee und verbarg ihren Kopf in den
Kissen --.

       *       *       *       *       *

Dieser Sonntag war kein Sonntag zum Ausschlafen gewesen. Sowohl Marianne
als die Kinder erschienen am Morgen übernächtig und mit übermüdeten
Augen.

Keines von ihnen dreien wußte indessen etwas von dem eigentlichen Grunde
der Traurigkeit in der Seele des andern. Cita schwieg, ihr war wunderlich
weich, als ob ihr allerlei nächtliche Träume nachgingen, aber auch ihre
Befürchtungen waren noch in ihr und stimmten sie reizbar, obgleich sie
sichs auszureden suchte.

Marianne bemühte sich, vor den Augen der Kinder wohlgemut zu erscheinen.
Als Sophie hereinkam, sagte sie freundlich: »Ich sehe, du hast gestern
meinen Schreibtisch für deine Beschäftigungen auserkoren. Das ist recht
so, ich gebrauche ihn jetzt in der Weihnachtszeit ja nicht. Und Cita wird
vielleicht etwas stark Anspruch an den deinigen machen.«

Sophie errötete lebhaft, ohne zu antworten. Sie wußte nur noch dunkel,
auf welche Weise sie gestern schließlich zu Bett gekommen war. Und es
kam ihr im nüchternen Morgenlicht unmöglich vor, der Mutter die großen
Eröffnungen zu machen. Jedenfalls lag es an der Nacht, daß diese Dinge
ihr wesentlich leichter und natürlicher erschienen waren.

Das Dienstmädchen Stanjka, das sich zum Kirchgang rüstete, war die
einzige, die sonntäglich und unbeschwert zwischen ihnen herumging. Sie
trug ein neues grellrot gemustertes Kattuntuch um den Hals und hatte ihr
aschblondes Haar mit Kwas glänzend gemacht; der Sonntag gehörte ihr fast
immer, und sie freute sich auf ihn während der ganzen Woche.

Alles Gute war augenscheinlich immer auf einen Sonntag gefallen: in den
Kirchen, in den Häusern, in den Vergnügungslokalen und Theebuden feierte
man nur ihn! Die Glocken, die mit mächtigen Klängen die Luft erfüllten
und in die Stuben hineintönten, redeten Stanjkas frommer Naivetät ganz
unterschiedslos von himmlischen wie von irdischen Herrlichkeiten, von
Kniebeugungen bei Orgelklang und Kirchengesang, wie vom Tanz zur Balalaika.

Nach dem Gottesdienst brauchte sie nur noch um zwölf Uhr den
Frühstückstisch zu richten und den Samowar aufzustellen.

Kurz vorher erschien Wera Petrowna zur festgesetzten Stunde.

Sie hatte ein altmodisches und durch langen Gebrauch reichlich leuchtend
gewordenes schwarzes Seidenkleid angezogen und trug auf dem Kopf eine
komplizierte Haube mit lila Tolle, die sich im wattierten Kapottehut auf
keine Weise unterbringen ließ, und die sie daher stets in einem besondern
Beutel mit sich führte.

»Um ein Haar wär ich nicht gekommen, ich sollte nämlich heute vormittag
in das Dawydowkonzert,« erklärte sie, als sie sich zu Tisch setzten.
»Das Billet war noch nicht da, ich wartete drauf bis halb zwölf, es kam
jedoch nicht. Es sollte nämlich nur dann kommen, wenn die Frau meines
Neffen, die sich gestern abend schon unwohl fühlte, über Nacht krank
würde. Sie ist aber nicht krank geworden.«

Sophie mußte lachen.

»Dafür ist es freilich kein Ersatz, wenn wir Ihnen später etwas
vorspielen und vorsingen wollen,« meinte sie und legte Wera Petrowna von
den kleinen Pasteten mit gehacktem Fleisch und Kohl vor.

»Nein, meine liebe, schöne, kleine Sophie. Auch muß ich später ohnehin
fortgehn, denn ich habe noch andre Billete. Die habe ich mir eben geholt.
Später drängen sich die Menschen so an der Kasse. Es ist weit besser, man
ist versorgt.«

»Wohin denn?« fragte Cita ohne Neugier. Sie kannte die Ausgehewut und
Belustigungssucht der Alten.

»Diesmal nur zur behaarten Riesin und zum zweiköpfigen Kind,« sagte Wera
Petrowna gelassen und nahm sich Citrone zum Thee.

»Sie sind doch immer kreuzfidel, -- aber wirklich immer!« bemerkte Cita
nachsichtig.

»Kreuzfidel? Nein, ihr junges Volk, das bin ich gar nicht. Ich muß mich
nur beeilen, die Augen aufzureißen, ich habe viel nachzuholen. Wie lange
dauert es, dann heißt es: Mund zu und Erde auf die Augen. -- -- Nun,
hoffentlich dauert es noch ein Weilchen,« ergänzte sie.

»Nachholen? Ja, -- aber -- die behaarte Riesin --?«

»Nun, wenn auch nur eine Riesin. Was meinen Sie denn, ob bei uns dahinten
auf dem Gut auch nur so eine gewesen wäre?! Nein, keine Spur! Das wäre ja
Sensation genug für lange hinaus gewesen. -- Natürlich gibt es auch noch
was Besseres als das. Natürlich. Man muß aber zufrieden sein, wie es sich
trifft; die besseren Treffer kommen auch noch.«

Sie konnte es den jungen Mädchen gut anmerken, daß sie nicht mehr recht
wußten, ob sie sich selbst ironisiere, oder ob sie von ihr zum Narren
gemacht würden. Wera Petrowna gefiel das ausnehmend; sie betrachtete aus
ihren klugen Augen die beiden Schwestern mit Wohlgefallen.

»Ja, ja, wenn ich auch noch so jung wäre. Herr du mein Gott!« sagte sie
und schob den Teller zurück.

»Dann würden Sie sich ohne Zweifel noch weit besser und viel mehr
amüsieren, nicht wahr?« äußerte Cita und zuckte bedauernd die Achseln.
»Nun sehen Sie, daran liegt uns trotz aller Jugend gar nichts.«

»Nein, meine lieben dummen Unschuldstäubchen, -- ich würde ins Kloster
gehen, ja, das würde ich!« behauptete die Alte, und ihr ganzes Gesicht
lächelte fein und spitzbübisch aus allen seinen Fältchen. »Ja, davon
habt ihr noch keinen Begriff,« fuhr sie auf der Mädchen erstaunten Blicke
fort und nickte ihnen zu, »so eine Jugend, die geht ins Zeug! Nun, wohl
bekomm's! Prosit Mahlzeit also!«

Sie stand auf, noch ehe Marianne, die geduldig dasaß und wartete, das
Zeichen dazu gegeben hatte.

Marianne wollte ja mit ihr noch allerhand Weihnachtsbesorgungen besprechen.
Und so viel sah sie recht wohl mit ihren beiden guten Augen: daß ihre
liebe Marinka auch heute ein bedrücktes Herz haben mochte. Aus irgend
einem Grunde, gleichviel aus welchem. Jedenfalls schienen heute selbst die
Kinder dagegen machtlos zu sein, deren Geplauder die Mutter sonst heiter zu
stimmen pflegte.

Ihr schien, daß sich Marianne nach Ruhe sehne, -- vielleicht nach einem
Alleinsein, das die jungen Mädchen grade in ihrer zärtlichen Sorge
vereitelten.

Als alles erledigt war, was zu besprechen gewesen, zog sie ihre Staatshaube
vom Kopf und bestand darauf, fortzugehen. Aber schon im Mantel und
Kapottehut mit zugebundenen Ohrenwärmern, klapperte sie noch einmal an
ihrem Stock in den »Spalt« hinein, wo die Schwestern soeben an Stanjkas
Statt den Tisch abgeräumt hatten.

»Also auf Wiedersehen, meine zwei Täubchen,« sagte sie, -- »wie ist
es nun? Ich bin eine alte Frau, die am Stock humpelt -- in meiner Jugend
würde man so eine nicht allein ins Menschengedränge haben gehn lassen, --
aber die junge Welt von heute --«

Cita und Sophie sahen sich verdutzt an. Sie blieben vor ihr stehn und
machten verlegene Gesichter.

»Ja, warten kann ich nicht!« entschied die Alte und schwenkte aufmunternd
ihren Beutel, »-- also, eins, zwei, drei: geht jemand mit mir ins
Sonntagsvergnügen bei der behaarten Riesin und dem zweiköpfigen Kinde, --
und wer?«

Im edlen Wetteifer, nicht der andern die lästige Pflicht aufzubürden,
riefen sie alle beide kleinlaut: »Ich!«

»Bravo! Bravo! Also alle beide!« lobte Wera Petrowna, und es zuckte dabei
ganz wunderlich um ihre Mundwinkel, in Güte und Bosheit zugleich; »-- nun
freilich! junges Volk ist eben junges Volk, wie ernsthaft es auch thut, da
sieht man wieder: es will sich amüsieren.«

Marianne that es leid, als sie die beiden Mädchen betreten hinter der
Alten fortgehn sah, indessen mochte sie ihr die so dringend provozierte
Begleitung nicht mißgönnen. Ihr Kopf schmerzte heftig, sie hätte sich am
liebsten mutterseelenallein in ein Zimmer mit verhängten Fenstern gelegt.

Aber eine innere Unruhe ließ es nicht zu. Mehr noch als nach Stille und
Vergessen sehnte sie sich nach einem Beistand.

Langsam ging sie durch die Wohnstube. Bei den hohen Blattpflanzen, ihren
gepflegten und geschonten Lieblingen, blieb sie einen Augenblick stehn.
Sie las ein welkes Blatt ab und schaute nach den harten, knollenförmigen
Knospen am Gummibaum.

Der Schreibtisch stand schön aufgeräumt. Neben den Schulheften lagen ein
paar kleine dünne Bücher, -- Kindergeschichten, mit neuem Buchschmuck
herausgegeben. Sie kosteten nur wenige Kopeken, und Marianne hatte sie voll
Entzücken gekauft. Fast immer lag hier dergleichen, als warteten immer
allerlei Kinderhände auf sie --.

So totenstill war es. Man war wie allein auf der Welt. Nichts von der
hastigen Geschäftigkeit der Wochentage in der Wohnung.

Es wollte ihr vorkommen wie ein Atemanhalten um sie her. Alle Dinge wurden
darin beredter, belauschbarer --.

Die Stille machte bange, sie war so selten allein.

Alle Dinge in dieser kleinen Wohnung liebte sie, ein jedes Stück darin
hatte sie mit zärtlichem Bedacht gewählt, -- nur was sie lieb haben
konnte, das hatte sie allmählich zusammengetragen.

Sie hatte gewünscht, diese Räume sollten mehr als wohnlich wirken, -- wie
Arme, die sich weit und warm erschließen.

Aber sie wirkten nur so, weil geliebte Menschen sie erwärmten. Weil immer
noch Sophie in ihnen ging und stand, lebte und lachte, -- weil Sophie in
ihnen die Mutter erwartete, wenn sie abends müde von der Tagespflicht
heimkam.

Wenn alle diese Liebesfülle keine Bethätigung mehr fand, dann konnte auch
keine Liebe mehr auf die Dinge überströmen. Sie blieben nicht länger
beseelt, -- sie entseelten sich, -- -- starben --.

Marianne fröstelte. Und plötzlich richtete sie sich entschlossen auf,
schritt in den Vorflur hinaus und nahm ihren Mantel.

Sie wußte wohl, was sie thun mußte. Einen Beistand brauchte sie. Sie
mußte, wie mit allem, so auch hiermit zu Tomasow. Mit ihm sich beraten,
ihn hören. Daß er da war, das war eine Zuflucht.

Aber in all ihrem Verlangen danach fürchtete sie sich zugleich, und mit
schwerer Hand machte sie sich fertig, zu ihm zu gehn. Sie wußte: zu den
weichen Tröstern gehörte er nicht. Ihm eingestehn, was sie heute quälte,
das hieß sich entscheiden --.

Draußen ruhte frostige Winterdämmerung, obschon es noch früh am
Nachmittag war. Der Wind machte es bitterlich kalt. Marianne durchquerte
einen Teil des Kreml; in dampfenden Wölkchen stieg ihr Atem und gefror zu
Tausenden winziger Eisperlchen an ihrem Pelzkragen fest.

Stumpf und leblos wölbte sich der dicke Schnee um alles ringsum, rundete
jeden Umriß, verwischte jede scharfe Linie. Hier und da klang ein
Glockenton an, -- wie im Traum, -- leise verhallend. Es war, als raune eine
Glocke der andern schlaftrunken etwas zu.

An manchen Kirchenthüren auf dem großen Kremlplatz lagerten Pilger oder
lehnten an den Mauern, auf ihren Pilgerstab gestützt. Marianne war
nicht in der Stimmung, um irgend etwas von der Außenwelt mit Interesse
aufzufassen, aber auf diesem Bilde blieb ihr Blick mit einer dunkeln,
unverstandenen Sehnsucht ruhen; über den zerlumpten Pilgern, --
über ihnen, die sich bis an die Thore der Gotteshäuser in vielleicht
wochenlanger mühseliger Wanderung durchgefroren und durchgehungert
hatten, lag eine solche kindliche Zufriedenheit. Man sah ihnen allen an, --
Greisen, Weibern, jungen Menschen: sie standen am Ziel -- da, wo sich alle
Wünsche erfüllen, und man alle Bürden abwirft, -- _zu Hause_ --.

Gern hätte auch sie ihre Füße wund gelaufen, um Frieden zu finden und
sich alles Schweren zu entlasten. Würde sie das erreichen, unter Tomasows
klugen und guten Worten? würde sie es bei ihm erreichen? In diesem
Augenblick glaubte sie es.

Bald war Marianne an seinem Haus angelangt. In einer ruhigen Straße stand
es, einstöckig und unscheinbar, hinter einem hofartigen Vorgärtchen.

An den Vorflur stieß ein großes Schrankzimmer, wo der Diener, Andrian,
sich aufzuhalten hatte, der, aus Tomasows Heimatsdorf gebürtig, ihm seit
vielen Jahren anhing, und auch alle Reisen ins Ausland mitmachte. Dies
Schrankzimmer erschien Marianne stets als der weitaus behaglichste
Raum zwischen den konventionell eingerichteten Empfangsgemächern im
Erdgeschoß. Vielleicht aus reiner Bequemlichkeit mochte Andrian hier alles
zusammengehäuft haben, was seiner speziellen Pflege oblag: eine stattliche
Reihe hoher Blattpflanzen, besonders mehrere prachtvolle Palmen, an denen
er unermüdlich herumspritzte und putzte; daneben hing am Fenster ein Bauer
mit einem singfrohen Kanarienvögelchen, Batjuschka »Väterchen« genannt,
mit dem Andrian sich den ganzen Tag über alles, was geschah, unterhielt.

Marianne ertappte sich auf dem Gefühl, das manchen von Tomasows Patienten
beschleichen mochte: lieber in diesem friedlichen Idyll von Palmenlaub
und Vogelgezwitscher verweilen zu wollen, als sich weiter zu wagen in die
Zimmer des Arztes.

Indessen noch hatte Andrian ihren Besuch nicht melden können, als bereits
Tomasow selbst erschien, sichtlich beunruhigt über ihr unerwartetes
Kommen. In Anwesenheit des Dieners that er keine Frage, sondern führte sie
gleich durch seine Bibliothek in die Studierstube.

Marianne ließ sich in den ersten besten Sessel sinken, hilflos zu ihm
aufschauend.

»-- Sophie will fort!« sagte sie unvermittelt, wie man mit geschlossnen
Augen blind losschießt.

»-- Hat sie es Ihnen gestanden?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Das nicht -- --. Aber untereinander werden beide gewiß schon davon
geredet haben. So direkt sagt sie es nicht. -- -- Aber jetzt weiß ich:
erst neulich brachen beide ganz verlegen ein Gespräch ab, weil ich
unvermutet eintrat. Und ich -- meinte, es handle sich vielleicht nur um
Weihnachten --. -- -- Haben die Mädchen am Ende auch Ihnen -- --?«

»Nein,« entgegnete Tomasow.

Er war vor ihr stehn geblieben, gespannte Aufmerksamkeit im Gesicht,
während sie rasch und mit trockenen Lippen sprach.

»Nun, das ist gut,« fügte er jetzt hinzu.

»-- Gut --?!«

»Ja. Es mußte einmal zur Sprache kommen und zum Ausbruch, -- es war hohe
Zeit!« sagte er ruhig, »denn vorher ließ sich nichts machen, weil Sie
es nicht zuließen, Marianne. Obschon Sie es vor sich selbst verheimlicht
haben, nagte die Furcht davor doch schon unablässig leise an Ihren Nerven.
Das mißfiel mir längst. Aber nun ist es gut, daß es durchgekämpft
wird.«

Marianne hob ihren Blick angstvoll zu ihm auf.

»-- Ich kann aber Sophie nicht hergeben! -- -- Nein, nicht auch Sophie
noch -- --. Sie ist ja auch zart, sie bedarf meiner fortwährend -- -- Gott
sei Lob und Dank, daß sie meiner noch bedarf!«

Tomasow zog einen Stuhl heran.

»Nun lassen Sie einmal sehen, Marianne! Jetzt bitte ohne alle Hinterhalte.
Wie ist es denn mit Sophie? Sie machen doch ihrer Freude am Studium die
weitgehendsten Konzessionen. Sie veranlaßten mich noch selbst, ihrem
Verlangen nach ganz bestimmten Fachbüchern nachzugeben --«

»Ja,« sagte Marianne hastig, »so ist es ja auch. Weil doch ihr Interesse
grade hierfür alle übrigen Interessen so entschieden überwuchs. Und wenn
ich nun bedenke, daß Sophie die höhern Kurse besucht, und daß sie Sie
zum Berater hat und vorwärts lernt, so viel sie nur will, -- ist es damit
nicht genug? Muß sie durchaus auf den praktischen Arzt studieren, -- muß
sie von mir fortgehn --?«

Tomasow zuckte scheinbar erstaunt die Achseln.

»Nein, selbstverständlich muß sie das keineswegs. Sie beruft sich dabei
einfach auf ihr Reifezeugnis zum Universitätsbesuch und auf ihre Neigung,
so zu handeln. Beides braucht ganz und gar nicht den Ausschlag zu geben.
-- Indessen: ob ich sie für genügend befähigt dafür halte, ob mir die
Sache aussichtsvoll erscheint, -- auch das haben Sie doch schon nebenher
von mir zu erfahren gesucht, Ma.«

Marianne entgegnete heiser: »Ja, aber umsonst. -- -- -- Verstehn Sie
denn nicht, Tomasow: ich wollte wissen, wie Sie sich selbst insgeheim dazu
stellen, -- wie Sie selbst -- eventuell -- in meiner Lage handeln würden.
Aber Sie antworteten stets nur auf ganz bestimmte praktische Fragen,
eingehend und gewissenhaft. Dabei erfuhr ich das mir Wesentliche nicht.«

Tomasow erhob sich. Er antwortete zurückhaltend: »Nein, natürlich nicht.
Denn abgesehen von den möglichen praktischen Ueberlegungen, gibt es da
eben keine letzte, objektiv gültige Entscheidung. Was ich thäte, wenn
ich Töchter hätte, kann ich nicht so abstrakt von vornherein feststellen,
vielleicht -- möglicherweise -- wäre meine Erziehung der Ihrigen sogar
entgegengesetzt von allem Anfang an. Vielleicht wäre sie weltlich, oder
philiströs, oder gleichviel wie! Ganz genau aber kann ich feststellen, was
_Sie_ thun werden, -- Ihrem ganzen Sein und Wesen nach, und das hätt
ich Ihnen längst sagen können, wenn Sie es hätten hören wollen. Und
offenbar, wenn ich nicht völlig irre, kamen Sie jetzt auch nur dazu
hierher: nicht um meine Meinung zu erfahren, sondern um -- nun, um eine
letzte kleine Feigheit zu überwinden, die Sie bisher noch hinderte, sich
selbst anzuhören.«

Marianne sprang nervös auf.

»Wie reden Sie denn nur! Sie quälen mich!« murmelte sie gereizt, die
Stimme voll Thränen.

Seine Augen richteten sich mit einem eindringlich forschenden Blick auf
sie.

»Ich weiß, daß ich das thue!« sagte er ernst. »Und ich weiß auch,
daß Ihre Nerven grade heute um Schonung schreien. -- Und nun hören Sie
mich an, Marianne, und zwar ganz getrost, denn ich kann Ihnen wirklich
helfen, wenn Sie nur wollen. Ich schlage vor: überlassen Sie die ganze
Sache mir. Ueberlassen Sie es mir, Sophie von ihren hochfliegenden
Wünschen zu kurieren. So gänzlich zu kurieren, daß sie nie wieder Lust
nach dem ärztlichen Studium und Beruf verspürt. Wollen Sie?«

Marianne sah ihm ungläubig in die Augen.

»Wie sollte das wohl möglich sein? Womit könnten selbst Sie das
erreichen?«

»Das ist meine Sache. Für das Gelingen steh ich ein.«

Ein seliger Hoffnungsschimmer überflog ihr Gesicht, aber so zaghaft noch,
daß es ihn rührte.

»Aber -- warum hätten Sie das dann nicht längst gethan?!«

»Warum? Nun offenbar darum, weil Sie ja für die Pläne und Interessen
Ihrer Kinder nicht nur Nachsicht zeigen, sondern sie gradezu -- in Ihrer
unnachahmlichen Art, Ma, -- heilig halten, ängstlich bemüht um die
geistige Eigenart jedes einzelnen.«

Marianne sah sehr unruhig aus.

»Ja, das ist doch aber auch das einzig Richtige? -- Sie sprechen ja
jetzt doch wohl nur davon, Sophie rechtzeitig in wirklich bestehende und
unausweichliche Schattenseiten Ihres Berufes einzuweihen --?«

Tomasow schwieg einen Augenblick.

»Meine liebe Ma!« versetzte er dann. »Die Dinge sind nun einmal, als was
sie uns erscheinen. Suggestion ist schließlich alles. Ich halte mich für
sehr wohl im stande, stärkern Wesen als ein Mädelchen wie Sophie ihr
Studium für alle Ewigkeit hinaus zu verekeln, unerträglich zu machen,
-- und ebenso bürge ich dafür, daß ich ein viel zarteres kleines
Menschenkind, als sie ist, mit etwas Kraftaufwand durch alle
Schwierigkeiten und Fährlichkeiten derselben Sache mit Erfolg
hindurchbringen würde.«

Marianne machte eine hilflose Bewegung. Sie suchte nach Worten, --
lehnte sich innerlich auf gegen die Worte, die ihr kamen, -- und endlich
entschlüpfte es ihr leidenschaftlich: »-- Nein -- o nicht! Sophie nichts
anthun! Nichts Hemmendes, nichts Arges --. Nichts gegen ihr Wachstum,
nichts gegen ihre Kraft und Freudigkeit --,« sie unterbrach sich und hielt
erschrocken inne.

»... nichts gegen ihren Wunsch, fortzugehn --?« ergänzte Tomasow.

»Also doch!« murmelte er, als sie darauf nichts antwortete.

Er nahm ihre Hand in die seine, küßte sie fast unwillkürlich und hielt
sie fest, während er sich dicht über Marianne neigte: »Kind! Jetzt
haben Sie sich richtig selbst in die Entscheidung hineingestoßen, -- jetzt
besiegen Sie auch die Angst, die Sie haben, weiter zu sprechen. Sehen Sie
nun ein, wie wenig es hilft, Ihnen helfen zu wollen? Sie laufen ja doch
gradeswegs in das hinein, was Ihnen das Schwerste ist und Sie ängstigt.
Und eben deshalb muß es entschieden sein! Dieser hingezogene Kampf ist ein
Wahnsinn. Verwerfen Sie meinen Vorschlag von vorhin, so siegt Sophie. Soll
sie das --? Soll sie gehn dürfen, oder soll sie bei Ihnen bleiben --?«

»-- Gehn!« sagte sie und brach in ein bitterliches Weinen aus.

Tomasow ließ sie mehrere Minuten gewähren.

Er atmete tief auf und ging einigemal im Zimmer auf und ab. Sein Gesicht
behielt dabei den gespannten, aufmerksamen Ausdruck.

Dann kam er wieder zu Marianne. Er zog ihr leise, mit sanftem Zwange die
Hand von den Augen, die sie verdeckt hielt.

»Nun ist es aber genug!« äußerte er lächelnd, »zeigen Sie Ihren
Nerven den Herrn. -- Wollen Sie nicht eine Tasse Thee nehmen? Sehen Sie,
dort steht das ganze Geschirr noch, -- ich war grade dabei, als Sie kamen.
Zur Strafe trinken Sie ihn nun kalt, natürlich.«

Sie gehorchte mechanisch und ließ sich ein wenig Thee eingießen, in den
Tomasow aus einem Arzneifläschchen ein paar Tropfen mengte.

Dann überließ er sie wieder sich selbst und nahm den Spaziergang im
Zimmer von neuem auf.

Aber Marianne erhob sich vom Eisbärfell.

»Es ist spät geworden. Ich will nach Hause gehen,« sagte sie mit einer
leisen Stimme, »die Kinder sind gewiß schon zurück und warten erstaunt.
Sie waren nur für kurze Zeit mit Wera Petrowna ausgegangen.«

Tomasow blickte auf die Uhr.

»Wie Sie wollen, Ma. Vielleicht ist es so am besten. Indessen -- sind Sie
jetzt auch schon dazu im stande? Sind Sie Ihrer selbst ganz sicher? Ich
lasse Sie nicht fort, ehe ich das genau weiß.«

Und als Marianne ihn müde fragend ansah, fügte er hinzu: »Ihrer Töchter
halber ist es notwendig, daß sie ihre Mutter in dieser Angelegenheit
fest und sicher auftreten sehen. Als eine Autorität -- nicht wie ein
hingeschlachtetes Opferlamm. -- Darum müssen Sie es sein, Marianne, die
entschlossen die Initiative ergreift.«

»-- Ich soll selbst --?« murmelte Marianne.

»Ja. Das ist notwendig, und zwar sofort. Lassen Sie die Ungewißheit keine
Stunde länger anstehen. Lassen Sie sich keinen Raum zu Beängstigungen und
Traurigkeiten dazwischen. Bringen Sie noch heute -- heute noch! die Sache
zur Sprache und Entscheidung.«

»-- Heute?!« wiederholte sie erschreckt.

Sie war tief erblaßt.

Tomasow ergriff ihre Hand und nahm sie in seine beiden Hände. Er sagte
ermutigend: »Versuchen Sie es nur! Bleiben Sie nicht mitten im Kampf
stecken, der Ihren Nerven stündlich härter zusetzen wird -- überstehen
Sie es schnell ganz. Hinterher kommt die allheilende Ruhe. -- Glauben Sie,
daß Sie es mir versprechen können?«

»Ja. Ich will es thun,« sagte sie traurig.

»Dann lasse ich Sie ruhigen Herzens fort. -- Wenn Sie erlauben, geleite
ich Sie selbst an einen Schlitten,« bemerkte Tomasow und führte Marianne
durch die Bibliothek hinaus.

Er schellte nicht dem Diener, sondern gab ihr selbst den Mantel um.
Marianne that seine Art so wohl, wie einem leise umsorgten Kinde.

»Ich bin ganz zerschlagen und wund,« meinte sie mit einem mühsamen
Lächeln, »aber ich danke Ihnen, Tomasow.«

»Ach, Ma --« er stockte und murmelte: »Wenn Sie nur -- wenn Sie
wenigstens ohne Groll herdenken. Es ist eine schändliche Aufgabe, die
mir wiederholt zufällt, Ihnen weh thun zu müssen, Sie zu etwas Hartem
ermannen zu müssen. -- Die Erleichterung wird auch diesmal nachkommen, ich
hoffe es mit Bestimmtheit. Aber die Ueberwindung ist deshalb nicht minder
schwer.«

Marianne schwieg. Sie stand, fest an ihn gelehnt und schloß die Augen.

Nein, so feige würde sie doch nie sein, sich nicht immer diesem
unbestechlichsten aller Freunde mit ihren Nöten und Schwächen
anzuvertrauen, weil er streng gegen sie war! Ein großer Dank gegen ihn
stieg in ihr auf. Wenn nur er ihr blieb --!

Tomasow verstand die stumme Antwort vollkommen.

Er öffnete die Thür und rief Andrian zu, einen Schlitten vor das
Gitterthor zu winken.

Dann geleitete er Marianne durch den verschneiten Vorgarten, half ihr
einsteigen und knüpfte ihr die Felldecke um die Kniee.

»Ich bin heute viel aus,« bemerkte er dabei, -- »darf ich gegen Abend
für einen einzigen Augenblick bei Ihnen vorsprechen? Mich überzeugen, wie
alles steht --?«

Marianne nickte. Sie wußte, wovon er sich überzeugen wollte --. Dann also
mußte es schon geschehen sein --. Ihr schlug das Herz stärker bei dem
Gedanken.

Als der Schlitten fortfuhr, ging Tomasow langsam ins Haus zurück.

Andrians Gesicht strahlte, er freute sich immer, wenn er Marianne sah, denn
es kam vor, daß sie sich von ihm Geschichten aus dem Dorfleben erzählen
ließ, und das war ihm das Höchste. So erfuhr sie manche Einzelheit aus
Tomasows Kindheit, der als kleiner Bursche, zu Besuch beim Großvater, --
einem echten alten Bauern, -- mit Andrian noch barfuß umhergelaufen war.

»So ein Mütterchen, -- wirklich, so ein prächtiges!« entschied
Andrian, und sah seinen Herrn lächelnd an, während er seine schwachen
kurzsichtigen Augen zukniff, die der Schnee blendete. Ganz wie sein Herr
trug er einen Kneifer, wenn auch keinen goldnen, und nur einen mit dunkelm
Schutzglas. Er fühlte sich sehr stolz auf diesen Kneifer, und kam sich
darin ganz wie ein Ausländer vor.

Tomasow würdigte Andrian keiner Antwort. Er ging schweigend in sein Zimmer
hinüber und ließ den Thee forträumen.

Nachdenklich schritt er dabei auf und ab.

»So ein Mütterchen!« In seinen eignen Erinnerungen spielte Elterntreue
eine große Rolle. Den Vater hatte er wenig gesehen: der hatte sich zum
Kaufmann und Reeder heraufgearbeitet, ungeheuer erwerbstüchtig, ungeheuer
strebsam, bewußt einseitig, ohne Zeit sich Bildung anzueignen: alles
das für die Kinder. Die sollten dann alles haben: Bildung, Macht,
Geld, Glück. Zwei Schwestern von Tomasow verheirateten sich früh und
ansehnlich. Und er, als Student der Medizin, in jugendlichem Enthusiasmus
fast in nihilistische Umtriebe verwickelt, voll drängender, unruhiger
Energie, kam immer wieder ins Dorf zurück, zum Großvater. Wenn er den
Alten vor sich sah, eisgrau, mit den klugen, beredten Augen unter den
buschigen Brauen, dann erschien er ihm in seinem Schafspelz wie ein ganz
Großer, wie ein Fürst oder Gewaltherr. Herr in seiner Hütte, auf seinem
Felde, Ahnherr eines starken Geschlechts. Dies Dorfbild behielt für
Tomasow eine sonderbare Poesie --.

Plötzlich blieb er mitten im Hin- und Herschreiten stehn. Er horchte.
Drüben im Dienerzimmer unterhielt sich Andrian mit Batjuschka. Er pfiff
ihm russische Weisen vor und erzählte --.

Tomasow beschlich ein leiser Neid. Wenn Andrian seinen Kneifer fallen
ließ, so war er wieder der Bauer von einst, aller europäische Firniß
fiel einfach von ihm ab. Wer das ebenso machen könnte, oder aber sich eine
neue Welt bauen --. Ja, der wäre erst des »Mütterchens« wert --.

Er stand auf und horchte auf das Geplauder und Gezwitscher in der
Dienerstube.

       *       *       *       *       *

Ma erwartete zu Hause eine Ueberraschung.

Ihre beiden Mädchen waren soeben heimgekommen. Noch stand die
Wohnungsthür weit offen, und ein Bauersmann mühte sich eben damit ab,
einen hohen herrlichen Weihnachtsbaum in der Stube unterzubringen.

Sophie sah die Mutter glückstrahlend an. Es war doch eine gute Idee,
das mit dem Baum! Es war _ihre_ Idee. Ma hatte ihn sich doch so
sehr gewünscht, und wenn sie ihr auch erst gestern abend etwas weit
Großartigeres darbringen wollte, so erleichterte sie dies doch für den
Augenblick.

Cita stand noch in Mütze und Pelzjacke und lohnte den Mann ab; mitten im
Wohnzimmer erhob sich jetzt die Tanne und duftete wirklich wie ein ganzer
Wald. Oben stieß sie sogar ein wenig an die geweißte Decke an, sodaß
sie ihre höchste Spitze krümmen mußte, von der Seite jedoch breitete sie
ihre Aeste ebenmäßig und tiefgrün, wie ein schirmendes Dach, über Mas
Schreibtisch aus.

Sophie hatte sich an das geöffnete Pianino gestellt, das der Baum von der
andern Seite überschattete, und unter seine Zweige gebückt, suchte sie
ein paar Accorde eines alten Weihnachtsliedes.

Die Mutter äußerte nichts, bis der Mann hinausgegangen war. Sie sah blaß
aus, und ihre Augen besaßen etwas so Stilles, so nach innen Gekehrtes im
Blick.

Endlich sagte sie mit ihrer warmen Stimme: »Dank euch! Ja, dies
Weihnachtsfest soll uns schön werden, wie nie eins gewesen ist! Wir wollen
froh sein, wir drei zusammen! Denn es wird hier am Ort unser letztes sein.
Uebers Jahr feiert auch Sophie es nicht mehr hier. -- Ich dank euch, ihr
Kinder.«

Sophie, die eine leise Melodie angeschlagen hatte, brach mit einem
gräßlichen Mißton ab.

Cita, eben im Begriff, ihre Sachen abzulegen, hielt erwartungsvoll inne und
blickte die Mutter an.

Da ging Marianne zu ihrer Jüngsten hin und nahm sie in die Arme.

»Aber nicht getrennt!« sagte sie bewegt, »-- ich werde mein
Weihnachtsfest da haben, wo du grade studieren wirst.«

»-- Ach -- Ma!« schrie Sophie auf.

Sie glaubte es noch nicht recht. Mit dunkel gerötetem Gesicht schaute sie
angstvoll und zugleich strahlend zur Mutter auf und umklammerte ihren Hals.

»-- Ach, Ma --! Ist es denn wirklich wahr --?«

Dieser Augenblick that Marianne doch bitterer weh, als sie jetzt eben beim
Heimkehren geglaubt hatte. Sie drückte Sophiens leuchtendes Gesicht an
sich, um nicht den Ausdruck der Freude darin zu sehen.

»Ja, es ist wahr, Herzenskind. Alles Nähere besprechen wir noch ein
anderes Mal. Auch mit Cita muß ich noch vieles besprechen. So ganz einfach
ist es nicht. -- Aber die Sache selbst ist entschieden. Nun sollst also
auch du hinaus, -- gebe Gott, einst zu deinem und deiner Mitmenschen
Segen.«

Sophie drückte sich fester an sie.

Sie schämte sich schrecklich vor Cita, aber sie weinte dennoch Ströme
von Thränen in Mas Hals hinein, als ob sie nichts in der Welt je von da
fortreißen sollte --.

Cita stand mit großen ernsten Augen beiseite. Das Wort, das ihr innerlich
kam, lautete ganz spontan: »Donnerwetter!« Aber glücklicherweise behielt
sie es bei sich.

Ein tiefer Respekt prägte sich auf ihrem jungen Gesicht aus.

Plötzlich kam sie auf die Mutter zu, ergriff deren Hand und küßte sie.

»Du bist wahrhaftig der famoseste Kerl unter der Sonne, du herrliche Ma!«
versicherte sie ganz begeistert.

Marianne lächelte nicht über diese Ehrfurchtsbezeugung; sie überlegte
auch nicht, ob sie nun nicht gradezu glänzend ihre Autorität behauptet
und die Initiative ergriffen habe.

Sie hielt ihr weinendes Kind im Arm und bückte ihr Gesicht tief zu ihm
herab, als lausche sie fast gierig diesen Thränen, -- als redeten
diese Thränen artikuliert zu ihr -- Süßes, Versöhnendes,
Beschwichtigendes --.

Dann trocknete sie Sophie, wie einem kleinen Kinde, das nasse Gesicht mit
ihrem eignen Taschentuch ab.

»Komm,« sagte sie sanft, »es ist doch ein großer Entschluß und daher
ein großer Tag für dich. Geh hinaus und bring uns eine Flasche Wein. Wir
wollen auf dein Wohl anstoßen.«

Sophie ging, der Mutter Taschentuch vor die Augen gepreßt, langsam, als
sei dieser Tag mehr ein schwerer als ein großer für sie.

Cita sah ihr unwillig nach.

Sie bemerkte zur Mutter: »Sophie ist doch noch sehr ein Kind. Hiernach
muß doch nun ein jeder denken, es ginge zur Schlachtbank. Aber du kannst
mir glauben, daß sie darauf brennt, zu studieren. Man muß nur erst in ihr
alles das klären und ordnen.«

Marianne schwieg einen Augenblick.

»-- Bist du es, die diesen Entschluß in ihr zu klären versucht hat?«
fragte sie dann ruhig.

Cita begegnete ihrem Blick fest und offen.

»Ja, Ma. Sobald mir das selbst klar geworden war. Sie konnte nur nicht den
Mut finden, dich zu fragen --. Sieh, ich stehe ja so dazu: es ist etwas,
wofür ich jederzeit kämpfe und eintrete, -- wie denn also nicht, wo es
die eigne Schwester gilt? Nur mit einem Unterschiede freilich: daß ich in
diesem Fall nicht nur für die allgemeine Sache einstehe, sondern auch mit
jedem Blutstropfen für Sophie selbst. Daß ich mich ihrem Leben verbinde,
ihr helfen, zu ihr halten will jederzeit, -- was auch geschehe.«

Marianne zauderte nur noch einen letzten Augenblick. Dann reichte sie ihrer
Aeltesten schweigend die Hand.

Sie schauten einander dabei voll in die Augen, wie zwei Freunde, die, wenn
sie auch nicht auf ganz gleichem Boden kämpfen, es doch in gleichem Sinn
und für dasselbe höchste Ziel thun.

»Ich stelle Sophie in deine Obhut, -- ich baue auf deine Treue: Höheres
hab ich dir nicht anzuvertrauen,« sprach Marianne leise; »-- Sophie war
›sein‹ Liebling -- und ›seinen‹ Blick hat Sophie. Mir ist, als
ginge noch einmal ›er‹ von mir hinweg, indem sie geht --.«

Cita war sehr blaß.

Ihre Schwester kam mit Rheinwein und Gläsern zurück, entkorkte die
Flasche und goß ein.

Keiner von den dreien sprach ein Wort, als Marianne ihr Glas erhob und mit
ihnen anstieß.

Sie küßte ihre blonde Tochter, ihr zarteres Herzenskind, doch that sie es
heiter und herzhaft, um keinesfalls mehr Thränen aufkommen zu lassen.

Cita unterstützte sie in dieser Absicht nach Möglichkeit, denn es
verletzte sie fast, daß Sophie heute weinen konnte.

»Eigentlich ist das ja ein Weihnachtsgeschenk, das allergrößte, und
gleich unter den noch ungeschmückten Baum gelegt!« sagte sie scherzend,
»-- wie kann man nur seine Gaben so vorweg verschwenden, Ma! Jetzt sollte
ich von Rechts wegen alle übrigen Geschenke bekommen, denn Sophie hat nun
an diesem einen vollauf genug.«

»Bis zum Weihnachtsabend hab ich vielleicht noch ein andres Geschenk
für euch, -- und dann für euch beide!« erwiderte Marianne mit leisem
Lächeln, und man hörte ihr an, daß sie von einer noch zaghaften, aber
goldnen Hoffnung sprach.

»Noch ein andres? Noch ein schöneres? Nein, denn das gibt es ja gar nicht
mehr auf der Welt. Nicht wahr, Sophie?«

Sophie schüttelte energisch den Kopf, ihre geröteten Augen strahlten
jetzt doch.

»Also dies einzig ist das Schönste für sie, Besseres gibt es nicht!«
dachte Marianne still, einen Augenblick lang weh berührt, doch an der
verschwiegnen Hoffnung, die sie hegte, hob sich ihr Mut wieder. Diese
Stunde sollte eine freudige sein, und sie wurde es. So vieles drängte
sich zur Aussprache, den beiden Mädchen wurde es in diesen Minuten erst
bewußt, daß sie in mancherlei Heimlichkeiten gelebt hätten die Zeit
über, -- und daß es köstlich sei und an sich schon ein Fest, keinerlei
Heimlichkeiten mehr zu kennen, Mas Blick und Lächeln gegenüber.

Und allgemach lenkte Marianne das Gespräch in immer ruhigere Bahnen. Sie
saßen eng zusammengerückt bei der halbgeleerten Flasche, und während
sie die praktische Seite der Frage näher erörterten, scherzten sie schon
wieder.

Endlich stand Marianne auf. Es war fast halb sechs geworden.

»Jetzt möchte ich hineingehn und ein wenig ruhen, ihr beiden
Taugenichtse. Diese Nacht war nicht gut für mich. Und morgen ist kein
Sonntag mehr --. Aber von da an nehmen die Stunden endlich reißend ab. --
Bis wir um halb sieben essen, bin ich wieder da. Sollte nun noch inzwischen
ein Sonntagsgast kommen, so bestrickt ihn mit so viel Liebenswürdigkeit,
als ihr wollt, mich jedoch soll er auf alle Fälle in Frieden lassen.«

An der Thür wendete sie sich noch einmal nach den Mädchen um und nickte
ihnen zu. Sie sah ihre leuchtenden zutraulichen Augen, und ein warmes
Dankgefühl kam über sie, als fiele langsam von ihren Schultern eine Last,
unter der gebückt sie gegangen war: -- wieder lagen jetzt die Herzen ihrer
Kinder offen und ihr zu eigen vor ihr da, wie ihre blühenden Gärten. --

Nur ein Sonntagsgast schellte ein wenig später. Es war Tomasow.

Marianne hatte gewußt, daß er noch kurz vorsprechen wollte, indessen
hatte sie selbst ihn in diesen Stunden vollständig vergessen.

Die beiden Mädchen erzählten ihm wörtlich den Auftrag der Mutter, falls
jemand zu Besuch käme. Er mußte lachen --, nun wußte er genug.

Was etwa noch fehlte, ergänzte ihm ein einziger Blick auf die Schwestern.
Sophies Gesicht war noch voll roter Thränenspuren. Cita war blaß und die
dunkeln Augen brannten ihr.

»Nun, das hier scheint mir ja schon mehr ein Bacchanal gewesen zu sein!«
bemerkte Tomasow, als er ins Wohnzimmer kam, wo noch die leeren Gläser
standen.

Sophie fuhr es heraus: »Ja --! Denn ich soll nun Cita ins Ausland folgen
und von Ostern ab Medizin studieren!«

Sie kam aus der Küche, die weiße Schürze schief umgebunden; heute konnte
man wohl einige Bedenken wegen ihrer Beaufsichtigung des Mittagmahles
hegen.

Tomasow sprach das nicht aus; er sagte nur: »-- So, so. -- Nun, und Ma, --
was sagt denn die dazu?«

»Ma ist es ja grade, die es selbst vorgeschlagen hat,« erklärte Cita.

»So. -- Nun, und wo wird denn Sophie diese große That thun?«

Sophie rief: »Aber natürlich in Berlin!«

»Natürlich da, wo ich mit ihr zusammen sein kann,« meinte Cita.

»Nein, Cita, das kannst du so doch nicht sagen. Deshalb allein doch wohl
nicht,« verbesserte Sophie einschränkend.

Tomasow hatte sich im Schaukelstuhl niedergelassen.

Er nahm seinen Kneifer aus der Seitentasche, rieb ihn mit einer Ecke des
bastseidenen Taschentuches klar und setzte ihn auf seine etwas stumpfe
Nase. Dann blickte er den beiden sichtlich noch ganz aufgeregten Mädchen
nacheinander prüfend ins Gesicht.

»Eine kleinere Universitätsstadt, -- eine solche natürlich mit gut
bestellter medizinischer Fakultät, -- wäre für den Beginn ebenfalls
nicht übel!« bemerkte er langsam.

»Ach nein!« rief Sophie unwillig und ergriff ihn am Aermel, »-- daß
Sie sich nicht etwa unterstehn, Doktor Tomasow, unsrer Ma dergleichen
einzublasen!«

»Aber Sophie, du benimmst dich rein wie ein Kind!« tadelte Cita, von der
zwanglosen Intimität dieser Worte unangenehm berührt.

»Mir scheint hiernach aber doch,« nahm Tomasow sehr gelassen das Wort,
»daß Sophie nur mit löblicher Offenherzigkeit ihres Herzens Meinung, --
und auch Ihres Herzens Meinung, Cita! -- kundgibt. Mir scheint, daß bei
Ihnen die Wahl des Ortes fast eine ebenso wichtige Rolle spielt wie die
soeben erst eingeholte Erlaubnis zum Studium selbst, -- hab ich nicht
recht?«

Sophie errötete und wollte widersprechen. Aber Cita setzte sich Tomasow
gegenüber seitwärts auf einen Stuhl, schlang den Arm um die Lehne und
bemerkte eifrig: »So kindisch ist es nicht zu nehmen, wie es bei Sophie
leicht aussieht. Allerdings freut sie sich darauf, -- und ich für sie!
-- daß sie auch außerhalb des Studiums am Leben teilnehmen wird. Aber
selbstverständlich nicht etwa an seichten Vergnügungen! Nicht um irgend
welcher Genüsse willen, die eine große Stadt naturgemäß reicher
bietet, --.« Citas Lippen kräuselten sich bei dieser Erwähnung fast so
verächtlich, wie die einer jungen Nonne, die im Kloster vom Weltverzicht
spricht.

Im »Spalt« nebenan, wohin Sophie eben verschwunden war, um einiges
Geschirr für die Küche zurechtzustellen, hörte man es beängstigend laut
klirren.

»-- Sondern --?« forderte Tomasow Cita zum Weitersprechen auf. Der
Kneifer saß ihm noch immer auf der Nase. Eigentlich hatte sie wenig Lust,
weiterzusprechen. Sie fand ihn heute ganz merkwürdig arrogant aussehend.

»-- Sondern um teilzunehmen am Leben der heutigen strebenden Frauenwelt,
-- an dieser ganzen Bewegung,« sagte sie dennoch. »Sophie wird sich bald,
so wie ich es thue, innerlich eins damit fühlen, daran emporwachsen --«

»-- Jedenfalls hat es etwas Begeisterndes!« fiel Sophie ein, die es
doch nicht aushielt, im Hintergrunde zu bleiben. Sie hatte das Geschirr
niedergesetzt und trat wieder zu ihnen. Sie fand, daß man ganz über sie
hinwegspräche, während es sich doch ausschließlich um ihre eigenste
Angelegenheit handelte. Auch sie wollte sich Luft machen und mit ihrer
Ueberzeugung herausrücken.

So fuhr sie lebhaft fort: »Es ist doch etwas ganz andres, ob man so vor
sich hin studiert und nur ganz egoistisch an die eigne Zukunft denkt, --
oder ob man mit allen zusammen diesen neuen großen Zielen entgegengeht.
-- -- Es hat etwas Begeisterndes!« wiederholte sie mit einer inbrünstigen
Betonung, die darüber hinweghelfen sollte, daß ihr gar nichts weiter
einfiel.

Sie stand neben Tomasows Stuhl, sodaß er zu ihr hinaufsehen mußte. Wie
sie diese Worte mit so viel Wärme sprach und dabei so zart und lieblich
dastand, flog ein Ausdruck durch seine Augen, der Cita frappierte, obwohl
sie ihn nicht verstand. Arrogant nahm er sich jedenfalls nicht mehr aus.

Tomasow nickte vor sich hin und bemerkte, indem er den Kneifer fallen
ließ: »Ja ja, es ist schon so. Studieren oder nicht, -- das ist gar nicht
mehr allein die Frage. Sondern damit bildet sich zugleich ein neuer Typus
der Frauen heraus, -- ja, gewissermaßen ein neuer Typus, man muß es wohl
so nennen. Damit, daß eine studiert hat, ist es nicht mehr abgethan.«

»Sehr richtig! Man muß das nur erst allerseits einsehen lernen!«
bestätigte Cita billigend, während ihre Schwester mit einem
unterdrückten Seufzer in die Küche abging, obwohl sie sich weit lieber an
dieser interessanten Diskussion beteiligt hätte.

»Sind Sie nun eigentlich für oder gegen den neuen Typus -- so im Grunde
Ihrer Seele, Doktor Tomasow? Farbe bekennen!« fügte Cita lächelnd hinzu.

Jetzt waren seine Augen wieder voller Spott.

Er verneigte sich, das Lächeln zurückgebend, ironisch vor dem jungen
Mädchen.

»Werde die Ehre haben, mich zu entscheiden, sobald Sie mir das erste
vollzählige Regiment neuer Musterexemplare vorführen! -- -- Einstweilen,
-- Sie wissen: wer neue Wege sucht, muß sich drauf gefaßt machen, unter
Umständen mit zerfetzten Kleidern und einigen dicken Beulen und Schrammen
aus dem Dickicht wieder aufzutauchen, -- -- was einem Frauengesicht --«

»-- Davor fürchten wir uns nicht, Doktor Tomasow!« unterbrach ihn Cita
etwas scharf, einen feinen Hochmut um die Lippen.

»Nein, -- wie ich sehe!« versetzte er, und wieder glitt der Ausdruck von
vorhin durch seine Augen, »-- auch befürchte ich selbst für euch beide
jetzt noch kaum sehr viel. Nein, für euch beide minder als für manche
andre. Denn möglicherweise seid ihr bis zu gewissem Grade -- gefeit. --
Obschon keinesfalls durch euer eignes Verdienst,« fügte Tomasow hinzu,
indem er sich aus dem Schaukelstuhl erhob. »Ich muß nun gehn. Meinen
Gruß eurer Mutter und der kleinen zukünftigen Kollegin.«

»Gefeit, und nicht durch eignes Verdienst?!« wiederholte Cita erstaunt
und entrüstet. Auch sie stand auf und trat mit ihm hinaus auf den Vorflur;
»-- das wäre wirklich das Aeußerste. Wenn wir einmal durch eigne Kraft
etwas Tüchtiges geworden sind, werden Sie uns auch noch das Verdienst
daran abstreiten --! Ich möchte wissen, wer dies Verdienst -- --«

Sie vollendete nicht, weil sich grade die Thür zu Mariannens Schlafzimmer
öffnete, und diese in den Gang hinaustrat, wo ihr Sophie von der Küche
her entgegenlief.

»Das Essen ist gleich fertig!« rief Sophie erhitzt.

Marianne kam auf den Gast zu.

Tomasow, der schon im Pelz, zum Fortgehn bereit, dastand, blickte Cita
schweigend an.

Und plötzlich verstand sie, was er meinte, -- wen er meinte --. Ihre
Entrüstung hielt nicht stand, fast gegen ihren Willen kam Demut in ihre
Augen, als sie dem Ehrfurchtheischenden in seinen Augen begegnete.
Denn dieser Blick hatte fast etwas Gebieterisches, etwas, was sich ihr
eindrücken, einprägen wollte, wie eine Stimme, die deutlich sprach: »Ihr
seid die Kleinen, die eine Große großmütig auf ihre Schultern hebt.
Eine, die ihre Schultern beugt, damit sie euch tragen kann. Ich weiß das:
ich habe geholfen, euch da hinaufzuheben. Nun seht ihr euch die Welt von da
oben an!«

»Was, Sie wollen schon gehn?!« fragte Marianne und gab ihm die Hand.

»Ja, ich muß gehn. Und Sie, lassen Sie gefälligst die Suppe auf dem
Tisch nicht kalt werden, -- nach meiner Berechnung hat sie heute dem
jüngsten Fräulein Tochter arge Mühe gekostet. -- -- Froh bin ich, Sie
noch zu sehen. Sie sind aber auch eine entsetzliche Langschläferin, meine
Gnädige.«

»Ja, ich habe wirklich geschlafen!« sagte Marianne.

Sie stand lächelnd, mit schlafroten Wangen, wie ein eben aufgewachtes
Kind, und mit blinzelnden Augen da, denen das Lampenlicht noch weh that.

An jeder Seite hing ihr jetzt eine Tochter. Sophie hatte ihr einen Arm
um die Hüfte geschlungen und sich an sie geschmiegt, sodaß sie nicht
vorwärts gehn konnte. Cita schob ihre Hand leise in den Arm der Mutter.

Marianne stand da und strahlte in einer so warmen und innigen Schönheit,
daß Tomasow ganz betroffen davon war.

»-- Sie ist ja doch die tausendmal Jüngste von allen dreien, -- die
tausendmal Anfänglichere --; sie ist wie das Leben an der Wurzel selbst
und am unversieglichen Anfang --!« dachte er wie berauscht, als er die
Treppe hinabstieg.

Ganz langsam trat er den Heimweg an.

Ein eigenartiges Triumphgefühl mischte sich in sein Entzücken über
Marianne, -- eine feine Sensation, wie sie ihm nur durch ihr Wesen
vermittelt wurde. Das kam von dem ausschlaggebenden Anteil, den seine
Bestimmungen an allen ihren wichtigen Entschlüssen zu haben pflegten. Was
sie so schön und sieghaft aussehen ließ, führte stets irgendwo auf einen
Einfluß, ein Zureden, einen Rat von ihm zurück: und bei ihrer ganzen Art,
so tief und inbrünstig zu leben, lag in dieser Mitarbeit daran etwas, was
seinen Ehrgeiz wunderlich erregte.

Mochte er auch in seinem persönlichen Dasein enttäuscht oder
gleichgültig geworden sein in hundert Punkten, -- in diesem einen Punkt
fühlte er um viele Jahre jünger, in diesem einen Punkt bekam seine
Energie wertvollen Spielraum und großen Stil.

Als sich Tomasow schon seinem Hause näherte, blieb er zögernd stehn. Er
bog in eine hügelige Seitenstraße und schritt sie langsam hinauf, bis
ihm die kleinen erhellten Fenster des Stifts für unbemittelte Frauen
entgegenblinkten.

An den Zaun gelehnt, schaute er nach dem Erdgeschoß hinüber, dann trat
er an das Mittelgebäude heran und klopfte mit seinem Stock leicht an das
Fenster von Wera Petrownas Stube, wo kein Licht brannte.

Das Klopfen wurde sofort von innen erwidert, und als er dann durch den
Hausflur ging, wurde auch schon die Zimmerthür geöffnet.

Wera Petrowna war eifrig damit beschäftigt, die Lampe anzuzünden, sie
sagte vor aller Begrüßung, indem sie eilig ein Streichholz anstrich,
abwehrend: »-- Ja, ich weiß, -- ich weiß schon: ich soll nicht abends
im Dunkeln dasitzen, um den Tropfen Petroleum zu sparen, und vorzeitig
einzunicken auf dem alten Sofa, und dann nachts nicht zu schlafen --.
-- -- Aber ich bin wirklich eben erst nach Hause gekommen, -- und, der
Abwechslung halber, -- -- es denkt sich so gut im Dunkeln.«

Sie setzte die Glaskuppel auf die Lampe, deren schwerer Fuß und
vorzügliches Brennwerk aus bessern Zeiten stammten, und schob sie in die
Mitte des Tisches vor das geblümte Sofa.

»Unverbesserlich!« bemerkte Tomasow.

»Herrlich, daß Sie mal kommen! Seit einer Woche freu ich mich schon von
Tag zu Tag, --« lenkte sie ab und ging geschäftig zu der Kommode, wo das
Schachbrett nebst Figurenkasten immer bereit stand.

Sie griff nach dem Brett und schaute Tomasow fragend und bittend an.

»-- Sie mögen doch --?«

Er nahm ihr Brett und Kasten ab, trug beides auf den Tisch und rückte
einen Stuhl heran.

Aber anstatt die Figuren aufzustellen, setzte er sich nur hin, stützte
den Kopf in die Hand und blickte zerstreut in das geöffnete Kästchen, als
müsse er raten, was darin sei.

Wera Petrowna hatte sich ihm gegenüber auf das Sofa niedergelassen und sah
erwartungsvoll zu. Als nichts weiter kam, schüttelte sie den Kopf.

»Schlechter Laune!« konstatierte sie erbarmungslos.

Dabei schob sie ihm aufmunternd die Zigarettenschachtel hin. Die Zigaretten
ihres Neffen waren gar nicht zu verachten.

»Von wo kommen Sie denn? Hat vielleicht irgend ein Patient Ihnen den Kopf
beschwert?«

»Nein. Ich komme jetzt eben von Frau Marianne.«

»Ach so -- --, am Ende -- -- selbst Patient --?«

Tomasow schaute zu ihr hinüber und runzelte merklich die Stirn.

Die Alte setzte ihr allerharmlosestes Gesicht auf.

»Nun, nichts für ungut. Mit bejahrten schwatzhaften Personen muß man
Nachsicht üben, lieber Tomasow. -- -- Und wir Frauen sind nun mal so
veranlagt, daß es uns immer nur von der Liebe zu singen und zu sagen
drängt.«

Er mußte unwillkürlich lächeln, Wera Petrownas Worte und ihr Aeußeres
bildeten einen zu heitern Kontrast. Mit ihrem alten energischen Gesicht
und im fadenscheinigen weiten schwarzen Gewande, -- dem ziemlich traurigen
Produkt eigner Schneiderkunst, -- in dem sie zu Hause umherging wie in
einem Talar, sah sie einem herabgekommenen russischen Popen um vieles
ähnlicher als einer Frau.

Vorhin, in der Eile, von seinem Besuch überrascht, hatte sie vergessen,
ihre Alltagshaube aufzustülpen; der Ofenhitze wegen, die nichts zu
wünschen übrig ließ, bedeckte sie ihr dünnes Haar am liebsten gar
nicht, das, wie unter einem durchsichtigen Schleier, überall schon die
Kopfhaut hell durchscheinen ließ und ihr jetzt hinten in traurigen kleinen
Strähnen lose in den starken Nacken hing.

»Warum haben Sie eigentlich nicht geheiratet?« fragte Wera Petrowna
plötzlich. Sie war aufgestanden, langte sich mit ausgestrecktem Arm ihre
alte Tüllhaube von einem Nebentisch und that sie auf ihren Kopf wie eine
Krone; »-- schon längst hätten Sie das vollbringen können, -- selbst im
Auslande --«

»Einer Ausländerin würde es hier nicht behagt haben,« bemerkte Tomasow,
eine Zigarette anzündend.

»Aha, -- also gegeben hat es dort doch eine!« bemerkte sie mit weiblicher
Logik und ließ sich auf ihren vorigen Platz nieder, -- »nun, und hier --?
-- Auch hier wüßte ich mehr als ein Genre, das ganz gut für Sie gepaßt
hätte.«

Wera Petrowna musterte dabei ihr Gegenüber mit hellen, etwas ironischen
Augen sorgfältig prüfend, während sie den Rauch ihrer Zigarette in
langen Ringeln von sich stieß. »-- Ein Mann wie Sie --? Was wird denn
den am heftigsten angezogen haben --,« sagte sie nachdenklich; »-- nichts
Naives natürlich, -- etwas Pikantes. Möglicherweise irgend ein Typus
der Frauen mit den Verführungskünsten --, die Frau als die große
Verführerin und Lehrmeisterin auf schweres Lehrgeld, -- möglicherweise
überhaupt ein Leben, das mehr verführt als befriedigt -- --. Wenn ich Sie
mir so anschaue --«

»Ach, lieber Himmel, vor hundert Jahren vielleicht?« unterbrach er sie
halb ärgerlich, halb belustigt.

Wera Petrowna griff resolut in das Kästchen und begann an Tomasows Statt,
die Figuren auf dem Brett aufzustellen.

»Nun ja, das ist wahr: jetzt sind Sie bequem geworden,« gab sie zu,
»-- und ich will auch nichts Indiskretes ausplaudern über das, was mir
allerlei kleine Fältchen um Ihren Mund da und um Ihre Augen bereitwillig
zu verstehn geben. -- -- Aber: nun zum Beispiel eine Ehe mit einer
Mustergattin, -- dafür ist mitunter grade das russische Mädchen ein
Prachtexemplar: liebevoll, heiter, nachgiebig, voll Tüchtigkeit und
Tapferkeit --«

Tomasow nickte anerkennend.

»Schätze ich auch ungemein,« bestätigte er kurz.

»Und man sollte doch meinen, jemand wie Sie, der ganz gern herrscht, der
müßte doch auch gern endlich sein eignes Haus um sich bauen, -- sein
Leben breit ausbauen mit so einer russischen Frau -- von jener Sorte, der
noch der Mann das Schicksal ist, das sie liebt, und dem sie gehorcht --«

»Ein schönes Glück!« bemerkte Tomasow spöttisch, »sein eignes Leben
mit allen Unzulänglichkeiten und Defekten so festgenagelt zu sehen rund
um sich, -- ein Wesen darin mit einer Miene umhergehn zu sehen, als sei das
nun wirklich das Paradies --. Nein, für den Reiz danke ich. Ich danke für
die kleine Art der Männertyrannei. Leicht genug zu herrschen, wo nichts zu
beherrschen ist. Wozu?«

»Sieh da! Sie können sich sogar selbst verspotten,« entgegnete die Alte
beifällig. »Das wirft mir ein ganz neues Licht auf Sie. Da begreif ich
zum Beispiel schon besser, daß Sie mal, in Ihrer Jugend Blüte, für eins
von den kleinen heldenmütigen Mädchen geschwärmt haben, die hier und
da aus lauter edelm Fanatismus in unsre entlegensten und verarmtesten
Provinzen als Lehrerinnen abgehn. Wie sah die aus? Mager, sehr mager,
blaß, mit großen enthusiastischen Augen --? -- -- Aber geheiratet haben
Sie das kleine Mädchen doch nicht --.«

»Möchten Sie nicht vielleicht Ihre diesbezüglichen Meinungen lieber für
sich behalten?« meinte Tomasow grob, aber er lächelte.

»Wenn es Ihnen besser behagt, -- warum denn nicht?« sagte die Alte
seelenruhig, »-- ich spiele ja viel lieber Schach. -- -- Aber das
reine Wohlwollen treibt mich -- --, -- es ist wirklich merkwürdig, wie
reichhaltig Sie sind, ich kann mir so ganz verschiedenartige Frauen recht
gut neben Ihnen vorstellen --. Ist das nun Reichtum, oder -- oder ist
irgend etwas nicht recht zum einheitlichen Ende gekommen --? -- -- Also
spielen wir?«

Sie fingen endlich damit an, wie jedesmal, wenn Tomasow herkam. Erst mußte
die Redelust der Alten ein wenig ausschäumen.

Wera Petrowna blieb indessen zerstreut. Sie machte Fehler auf Fehler.
Zuletzt lachte sie kurz auf, sodaß sich die Oberlippe von den
Vorderzähnen fast höhnisch hob, und äußerte ohne rechten Grund: »Die
Zeiten ändern sich. Der Heldenmut auch. Jetzt ziehen es die kleinen
Mädchen manchmal vor, ihre Mutter zu verlassen, um irgendwo in allem
Behagen und mit viel männlichem Selbstbewußtsein zu studieren. So wie
Marianne ihre -- --. Ein Glück noch, daß Sophie --«

»-- Sophie geht ebenfalls. Um Ostern. Heute hat Frau Marianne
eingewilligt,« sagte Tomasow.

Wera Petrowna starrte ihn erst ungläubig an. Wie mit einem Schlage
verschwand aus ihren Zügen alles Ironische und der spielende Spott und das
versteckte Lachen. Schrecken und ein fast ehrfürchtiges Erstaunen stritten
in ihrem lebhaften alten Gesicht um die Herrschaft.

Sie schlug laut die Hände ineinander.

»O du grundgütiges Seelentäubchen, meine einzige Marinka --! Was das sie
kostet --! Und das sagen Sie mir erst jetzt, Sie Eisbär, Sie Feuerländer,
Sie -- Sie -- --. Was das sie kostet --!« Sie hielt inne und starrte ihn
wieder an. Man konnte deutlich sehen, wie angestrengt und durchdringend
hinter ihrer Stirn und ihrem sich sammelnden Blick hundert Gedanken
auftauchten. »Die Kinder fort!« sagte sie langsam, »-- beide Kinder, --
das ist ein ganz neues Leben, ein ganz zerbrochenes Weitervegetieren
für sie oder -- --. Es ist eine vollkommne Einsamkeit, Vereinsamung, --
oder -- --? -- Marianne ist noch jung, -- sie ist noch immer jung --«

Tomasow, der unwillkürlich niedergeblickt und mechanisch mit dem Deckel
der Zigarettenschachtel gespielt hatte, hob den Blick.

Eine kurze Pause lang schauten sie einander schweigend in die Augen, einer
des andern Gedanken enträtselnd --.

Wera Petrowna rief plötzlich in fast klagendem Ton: »-- Ach Tomasow, wer
verdient denn das aber, so viel Glück, wie diese Frau noch geben könnte,
-- was für ein Mannsbild verdient denn das --?«

Er wollte etwas erwidern, aber sie unterbrach ihn gereizt: »Nein,
schweigen Sie nur! Es ist schon so, -- ich weiß, ich weiß!« beharrte sie
fast giftig.

Und plötzlich stand sie auf und fuhr mit der Hand durch die Figuren, daß
sie alle umfielen.

»Es muß schon so sein! Die Jugend muß wohl immer erst heraus aus einem
Menschen, -- da hilft nichts!« murmelte sie ergrimmt, und sie fing an, an
ihrem Stock auf und ab zu gehn. Das Sitzen hielt sie nicht mehr aus.

Tomasow schob das Brett zurück und rauchte schweigend. Gegen die
Sonderbarkeiten der Alten war er nachsichtig. Und viel lieber, als zu
spielen, hing er jetzt seinen Gedanken nach.

Da hörte er sie sagen, ganz in Zorn: »-- Ist es nicht wie eine
Löwengrube, -- so ein Menschenleben --? Man muß doch immer wieder hinein,
-- immer wieder hinein --. Und was hat diese Frau nicht angesammelt in
all den langen Jahren, -- all die unausgegebene Fülle -- --. Es ist sogar
einerlei im Grunde: ob sie noch einmal neu anfängt mit dem Leben, oder ob
sie einsam bleibt, -- diese ganze Fülle, die ganze Inbrunst reißt sie
ja doch notwendig in die tausend Lebenskämpfe, wie unter brüllende
Tiere --«

Nach einer Weile fuhr sie grollend fort: -- »Da ist nun Sophie, -- nun
viel ist sie noch gar nicht, -- aber was bedeutet so ein Mensch mitunter
nicht alles für seinen Mitmenschen! Daß sie bei ihr war, glich für
Marianne alles aus, -- sänftigte das ganze Leben --. Manchmal genügt so
wenig, -- so ein bißchen Menschennähe, um gar nicht zu merken, wie
viel man noch in sich herumträgt, -- wie vieles man noch unter Schmerzen
entladen soll. -- Erst wenn diese sänftigende Schutzdecke davon abgerissen
wird, -- plötzlich steht man da wieder hart am Rande, -- ganz hart
am Absturz -- mitten in alle Untiefen von neuem hinein -- unerbittlich
hinein!« Wera Petrowna holte sich in ihrer Erregung die Haube vom Kopf
herunter und lief fast auf und ab. »Gott meint es erst gut mit denen, die
es hinter sich haben, -- hinter sich. -- -- Arme Marinka!«

Tomasow saß zurückgelehnt, mit dem Rücken nach ihr. Er vernahm wohl
ihre Worte, aber gleichzeitig umfingen ihn andre, weit weniger düstere
Bilder --. Und auch sie scharten sich um dieselbe Erwägung, wie um ein
Leitmotiv dazu: »-- Marianne ist noch immer jung --«

Die Alte hinter ihm im Zimmer war still geworden. Auch ihr Stock berührte
nicht mehr, im Takt aufschlagend, den Fußboden.

Tomasow empfand spontan, wie starkes Erleben und Erkennen hinter ihrer
gewohnten Alltagsironie stehn, -- wie tief sie selbst in die Löwengrube
hinabgestiegen sein mochte, -- und daß sie von dort herausgekommen war mit
einem Herzen, das ganz wund war von zartem Mitleid und verstehender Furcht
für andre --.

Er wandte sich zu ihr um. Sie saß im Stuhl am Fenster. Die Haube hielt sie
noch wie einen wunderlichen dunkeln Knäuel in der Hand.

Und sonderbar hob sich dieser nackte Kopf von der hellen unfeinen Tapete
des Zimmers ab, -- wie durchaus nicht hergehörig in diese banale Stube,
-- wie nicht einem Mann und nicht einer Frau zugehörig, -- vielmehr einem
geheimnisvollen Wesen oder Unwesen, das nun dasitzt in den Wohnungen der
Menschen, um dunkle Dinge zu weissagen --.

Ganz unbeweglich saß sie da. Und ihm wurde es fast unheimlich, so auf
sie hinzuschauen. -- -- Als müßte er schnell, jetzt gleich, irgend einen
Bannspruch, irgend einen Wahrspruch finden, -- der ihre finstern Gedanken,
-- der den Lebensgedanken selbst -- in Freude löste. -- -- Oder als würde
sie sich selbst langsam erheben, unmenschlich groß, und etwas Unerhörtes,
Unüberwindliches sagen --.

-- In solcher Stimmung hört man als Kind Märchen erzählen -- --.

Tomasow erhob sich und trat zu ihr hin ans Fenster.

Da blickte Wera Petrowna auf. Sie sah auf mit dem welken, freundlichen
Antlitz einer alten Frau, die sich Sorgen macht.

»-- Arme Marinka --!« sagte sie nur mit einer schwachen, bekümmerten
Stimme.

[Illustration]



=IV.=


»-- Also: Schluß für vierzehn Tage. Junge, klapp die Bücher zu und freu
dich!« sagte Marianne zu ihrem Neffen nach Beendigung der französischen
Montagskonversation.

Sie saßen schon bei der Lampe im Lernzimmer der ältern Kinder. Nikolai
hatte beide Ellbogen aufgestützt und schob trübselig seine etwas breit
geratene Unterlippe vor.

»Freu mich gar nicht. Aber auch nicht die Spur!« versicherte er; »worauf
denn? Eine Menge Familientage, schrecklich lange Mittagessen, -- und zu
Hause sitzen --. Ob man sich schließlich in der Schule ducken muß oder zu
Hause -- --. Mußt du denn schon gehn?«

Marianne war heute so besonders angenehm gewesen, fast so lustig wie ein
guter Schulkamerad, daher paßte es ihm nicht, daß sie schon ging.

»Du hast doch eine Menge Vergnügen in deinen Ferien! Ein undankbarer
Junge, nicht wahr, Inotschka?« meinte Marianne.

Inotschka beugte sich über ihre Weihnachtsstickerei, die ihr heute
wirklich Eingang zu der Montagsstunde verschafft hatte. An diesen Tagen
heimlicher Arbeit ging vieles ungerügt durch.

»Ach, was weiß denn Ina! Ein Mädchen! Gut ist es doch nicht eher, als
bis man groß ist und ein selbständiger Mann,« konstatierte Nikolai,
griff verdrießlich nach seinen Büchern und verließ das Zimmer.

Inotschka antwortete ganz still: »Nein, so darf man nicht sprechen. Die
Eltern bereiten uns so viel Freude, wie sie nur können. Wir müssen ihnen
sehr dankbar sein.«

Dann sah sie jedoch sehnsüchtig zu Marianne hin und fügte in ganz anderm,
drängendem Tone hinzu: »Warum ist es nur so, daß ihr diesmal nicht
mit uns Weihnachten feiert? Ach, thus doch! Weißt du noch: voriges
Jahr -- --!«

Marianne, die schon aufgestanden war, strich mit der Hand Inotschka über
das weiche Haar, dessen feinen seidigen Strähnen man die Fülle, die sie
enthielten, kaum ansah. Es lockte sie immer heimlich, dies feine Haar zu
lösen und ganz anders zu ordnen.

»Das war ja nur ein Zufall voriges Jahr! Du mußt dich nicht so danach
sehnen,« sagte sie sanft. »Sieh mal: ist es denn nicht überhaupt ein
Zufall, daß ich hier in eurer Nähe lebe? Wie leicht hätte es so kommen
können, daß ich im Auslande blieb. -- -- Und vielleicht -- -- vielleicht
kommt es noch dazu, Inotschka.«

Die Kleine hatte ihre Stickerei auf den Tisch geworfen. Sie schaute mit
erschrockenen Augen empor.

»Das -- das hab ich gefühlt --!« entfuhr es ihr heftig.

»Aber nein! Sei nur ruhig, meine kleine Ina, -- heute und morgen ist noch
alles beim alten. -- -- Und übermorgen, im Handumdrehen, -- da ist aus der
Ina schon ein großes, vernünftiges Mädchen geworden!« beschwichtigte
Marianne sie tröstend.

Aber Ina war aufgesprungen. Sie hing sich Marianne an den Hals und brach
hilflos in Thränen aus.

»Ich werde nicht groß! Ich werde nicht vernünftig! Alle Vernünftigen
sind so gräßlich. Laß mich doch klein bleiben! Laß mich bei dir
bleiben!«

Marianne blieb ganz stumm. Sie schlang nur ihre Arme um sie und küßte sie
auf das Haar und auf die weinenden Augen. Dann, nach Minuten schweigender
Liebkosung, beugte sie den Kopf tief zu Inotschka nieder und flüsterte ihr
ins kleine heiße Ohr: »Sei still, mein Herz, ich komme jetzt oft und oft
zu dir, -- so oft du mich nur wirst haben wollen --.«

Ina ließ sie los und blickte ungläubig auf. »Wirklich?! Sagst du es auch
nicht nur so?«

»Nein. Ich sage es nicht nur so. Ich werde Mama um die Erlaubnis bitten,
recht oft kommen zu dürfen, um mit dir zusammen zu sein.«

»Und glaubst du, daß -- --, meinst du, Mama wird erlauben, daß du
so wirklich zu mir kommst -- --? Denn wenn ich mit den Großen dabei
zusammensitzen soll -- --«

Marianne setzte sich auf Inas Stuhl und zog sie wie ein kleines Kind zu
sich auf die Kniee.

»Mama erlaubt alles, was geeignet ist, dich froh und glücklich zu
machen,« entgegnete sie zuversichtlich, und als sie Inas schüchterne
Augen voll Zweifel auf sich gerichtet sah, fügte sie ernst hinzu: »Du
denkst mit Unrecht, deine Mama enthielte dir dies oder jenes vor, und du
wirst scheu, weil du meinst, vor verschlossnen Thüren zu stehn. Aber sie
gehn noch alle auf, mein Liebling. -- -- Siehst du, davon und von vielem
andern will ich dir erzählen, wenn wir so bei einander sind, wie jetzt.«

»Willst du mir von Mama erzählen, wenn du bei mir bist?« fragte Ina
stockend und sah sie unsicher an.

Marianne streichelte sie mit einem feinen Lächeln voll Güte.

»Von uns Mamas überhaupt. Denn, weißt du wohl, wer das ist? Eine Mama,
das ist jemand, der gewaltig reich geworden ist durch das Verlangen, recht
viel zum Verschenken an seine Kinder zu haben. Aber die Kinder sind erst
ganz klein, und dann jedes Jahr nur ein bißchen größer, und es dauert
lange, bis sie ganz groß sind, sodaß sie wirklich alle die reichen
Geschenke benutzen können. Daher muß Stück für Stück in festen Truhen
verwahrt bleiben, und wenn die Mama aufschließt und nachschaut, was sich
für ihre Lieblinge wohl schon eignet, dann darf sie sich doch nichts
merken lassen von der Bescherung, für die es noch zu früh ist. Und dann
sieht es den Kindern fast so aus, als hätte sie nichts übrig für sie.
-- -- Aber alle ihre Truhen sind grade dann voll Gold. -- -- Jemand, der
ungeduldig und sehnsüchtig zwischen lauter Truhen voll Kostbarkeiten
umhergeht: das ist eine Mama. -- -- Weißt du es nun?«

Ina schmiegte sich fester an Marianne an.

»Und du hast auch solche Truhen, die du nicht aufmachst?« fragte sie,
»-- du auch?«

»Ja, ich auch. Viele -- viele.«

»Aber einmal -- da springen sie alle auf! Alle?« Ina richtete sich mit
verlangenden Augen auf Mariannens Schoß hoch.

»Alle -- alle!« versicherte Marianne mit unterdrücktem Jubel in der
Stimme und legte ihre Arme um das kleine Mädchen. Man fühlte, daß irgend
eine eigne große Freude oder Erwartung aus allen ihren Worten herausklang
wie eine überströmende Wärme.

Inotschka lächelte, sie hatte leicht gerötete Wangen und sah unendlich
zufrieden aus. »Was für wunderschöne Geschichten du aber auch weißt,
Tante Marianne! Wirst du mir noch viele erzählen?«

»Ich werde dir gewiß noch schönere erzählen. Denn nun mache ich bald
die allerschönste Truhe auf --«

»Für mich auch!« rief Ina vergnügt und klatschte in die Hände.

Plötzlich hielt sie jedoch inne. Sie ließ Marianne los und glitt von
ihren Knieen hinunter.

»Da kommt Mama!« murmelte sie, »-- vorhin fuhr ein Schlitten vor --.
Die Wohlthätigkeitsvorstellung muß jetzt auch schon längst vorüber
sein --.«

Man vernahm etwas hastige Schritte und das Rascheln eines seidenen Kleides.
Die Thür wurde nur ein ganz klein wenig geöffnet, Ottilie schob den
frisierten Kopf an die Spalte.

»Bist du noch da, Marianne? Hast du Zeit --? Nein, Inotschka, mein Kind,
laß dich nicht stören, du brauchst nicht zu erschrecken, Mama hat
nichts gesehen, -- du sollst sehen, wie überrascht ich sein werde zu
Weihnachten --.«

Marianne trat zu ihr heraus, in das Schlafzimmer der Schwester.

»Ich höre, du kommst aus der Oper, Otti?! Du und in die Oper, mitten am
Tage? Du wirst ja noch ganz musikalisch auf deine alten Jahre,« bemerkte
Marianne erstaunt.

»-- Der ›Troubadour‹ -- zu wohlthätigen Zwecken -- und mit dem
durchreisenden Star als Gast. -- -- Fräulein Clarissa überredete mich.
Herrgott, es passiert ja auch selten genug!« entgegnete Ottilie, noch in
voller Theatererregung, und begann sich in aller Hast umzukleiden.

In einer Ecke am Tisch fütterte die Wärterin den Jüngsten, dem sie
in russischem Kinderkauderwelsch zusprach, in der Nebenstube sah man die
beiden ältern kleinen Brüder sitzen und artig Flittergold auf Nüsse
kleben, als Schmuck für den Weihnachtsbaum.

Ottilie warf ihre geschnürte Seidentaille ab und ergriff Marianne am Arm.

»-- Ich sage dir: schön ist so was! Siehst du: in dem Augenblick, da lebt
man! Wenn sie so füreinander sterben -- --« Ottiliens Augen strahlten.

Marianne lachte.

»Aber du, seit wann hast du so romantische Anwandlungen --? Du bist doch
sonst die Nüchternheit selbst?«

»-- Sonst --? Ja, du lieber Gott, im wirklichen Leben ist doch kein Raum
dafür. Da heißt es seine Pflicht thun, und damit basta. Das muß jeder
anständige Mensch. -- -- Aber deshalb bewahrt man sich doch einen Winkel
für das Ideale innerlich. Einen Winkel, wo das Leben anders wäre, wenn es
nach uns ginge --: edel, höher, -- noch unbefleckt schön, -- kurz --«

»-- Romantisch?« fragte Marianne zweifelnd, mit einem gutmütigen
Lächeln. Sie wußte selbst nicht, woher ihr Ottilie plötzlich so viel
jünger geworden vorkam, ja fast unerwachsen jung, wie vor langen Jahren.

»-- Romantisch --!« wiederholte die Schwester etwas gereizt, während
sie sich von Marianne in ihr Hauskleid hineinhelfen ließ, »-- meinetwegen
nenn es so. Name ist bekanntlich Schall und Rauch. Aber du willst wohl
andeuten: davon verstünde ich nichts, -- davon verstündest nur du was,
-- einfach, weil du zufällig so blitzjung und so kopfüber eine Liebesehe
geschlossen hast --. Aber was ist am Ende mit solcher Ehe los --?! Ich kann
dir nur sagen, wovon ich nicht oft spreche: mein erstes Liebeserwachen war
zwar lauter Verzicht, -- aber was ich hier innen besitze, --«

Sie sagte nicht, was sie innen besaß, sondern ließ ihre Worte unvollendet
und knüpfte sich mit aufgeregter Hand das Kleid zu, wobei sie Mühe hatte,
die richtigen Knöpfe zu finden.

»-- Du meinst doch nicht etwa den Husaren --?« wollte Marianne schon
fragen, unterdrückte es jedoch.

Sie setzte sich neben den Toilettenspiegel, vor dem sich Ottilie
ankleidete, und schaute die Schwester mit im Schoß gefalteten Händen
gedankenvoll an.

Der harmlose Husar konnte so wenig dafür! Der mußte, wie es schien, nur
ritterlich stillhalten bei allem, was ihm Ottilie so allmählich auf sein
armes kleines Konto hinzuschrieb --. Vielleicht war es grade das Fehlen
jeglichen starken Seelenaufruhrs in Ottiliens geordnetem Leben gewesen, das
in ihr so allerlei emotionelle Restbestände aufgestapelt hatte -- --.

Ottilie mißverstand Mariannens Verstummen. Sie nickte ihr zu, wie von
einer verborgenen Höhe.

»Ich glaube, du hast auch nur wenig Anlage dazu: du hast dich ja stets so
ganz im Thatsächlichen ausgegeben und es überschätzt,« bemerkte sie
und steckte sich ihr Häubchen fest. Auf ihren Wangen blühten noch zwei
blaßrote Flecke.

Dabei hatte sie irgend eine halbmädchenhafte Kopfhaltung, irgend eine
kleine Gebärde, -- fast wie unbewußte Koketterie einer Ungeübten, --
die mit einemmal Marianne wie eine lebendig gewordene Erinnerung aus beider
frühester Jugendzeit durchfuhr.

Es paßte gar nicht recht hinein in das Wesen der jetzigen Ottilie,
der musterhaft Fertigen, Korrekten! Aber dafür waren es nicht
mühsam erworbene, sondern ihre eigensten einstigen kleinen Mienen und
Gebärden --.

Sie besaßen etwas wunderlich Halbes, Verlorenes, -- wie wenn künstlich
gestutzte Vögelchen zu fliegen unternehmen, -- dachte Marianne bei sich.

Und plötzlich umfaßte sie Ottilie von hinten und stand auf und küßte
sie innig mitten ins erstaunte Gesicht. Ja, das war wirklich die Otti von
ehemals, mit der sie so vieles geteilt, so kindisch geschwärmt hatte! Dann
kam das ganze Leben dazwischen: das war von Marianne mit zitterndem Herzen,
selig und schmerzlich, durchlebt worden, -- von Ottilie nicht --.

Und da ging sie nun in irgend eine alte Oper, und mit einemmal kamen
allerlei hinuntergedrängte Sensationen herauf, -- unbegründet, etwas
hysterisch, alle durcheinander: der Husar und die Ideale, Backfischhaftes
und Erhabenes, Pathos und Koketterie --.

»-- Was fällt dir ein? Nein, aber Marianne, was fällt dir denn ein?!
Man küßt sich doch nicht derartig mitten am Tage, ich muß jetzt an den
Speiseschrank,« sagte Ottilie und wehrte sich.

»Und ich nach Hause. Aber, weißt du, Schwesterlein: ich komme nun oft,
viel öfter --. Gib mir recht viel Raum. Laß mich viel mit euch sein, auch
mit Inotschka --. Wer weiß, ob ich noch lange hier --« Marianne brach ab
und wandte sich dem Kleinsten zu, sie hob ihn von den Knieen der Wärterin
auf ihrem Arm hoch und liebkoste ihn, während er sie vergnügt ankrähte.

»Das ist schon recht, falls wir hier wirklich etwas haben, was dich,
-- die viel Anspruchsvollere, -- fesseln kann,« erwiderte Ottilie;
sie vermochte nicht den Uebergang ins Tagesleben ganz ohne Gereiztheit
zurückzufinden.

»O! Ihr habt ja so vieles, was sich noch willig lieben läßt!« meinte
Marianne leise und herzte noch immer das Kind.

»Ja, wie du das auch gleich sagst! Ich glaube wahrhaftig, Marianne, trotz
deiner vielen Kenntnisse und Fähigkeiten, -- nimm mirs nicht übel: aber
es ist im Grunde das einzige, was du zu thun weißt. -- Du sprachst von
Inotschka: sag, glaubst du, daß sie den Pantoffel noch fertig stickt?«

»Der ist ja für dich, -- weißt du?« rief Marianne.

»Eben darum, weil er für mich ist, kann ich mich nicht gut drum kümmern.
Wenn sie ihn vertrödelt, -- du verstehst, es ist mir nicht um den
Pantoffel. Aber es wäre von übler Wirkung auf das Kind. Es gibt einem
Kinde Selbstbewußtsein, seinerseits was zum Verschenken bereit zu haben.
-- Von solchen Dingen hängt mitunter der moralische Halt im spätern Leben
ab.«

Marianne seufzte. Sie setzte den Kleinen auf den Schoß seiner Wärterin
nieder und ging mit der Schwester hinaus.

Sollte sie nun Ottilie erzählen: »Sophie geht Ostern auch zum Studium
ins Ausland?« -- Würde Ottilie nicht fragen: »Was schenkt sie dir aber
dafür wieder?« -- Ja, -- etwas Aehnliches würde sie fragen.

Wie konnte sie ihr das deutlich machen! Dieses Einssein mit den Kindern,
dieses Mutterglück und diese drängende Hingebung in allen Fasern. Dieses
Auskosten der vollen Liebe bis auf den letzten Tropfen. Denn jetzt waren
sie zu Hause alle drei doch nur noch wie ein Mensch, -- nun erst ganz
unzertrennlich.

Marianne ging fort, ohne etwas von der großen Neuigkeit mitgeteilt zu
haben.

Trotz ihrer Ungeduld, heimzukehren, entschloß sie sich noch zu einem
weiten Umweg.

Sie benutzte eine Pferdebahn, die nahe bis zu Tamaras kleiner Wohnung im
Vorstadtviertel heranfuhr. Tamaras Mann öffnete ihr, mit einem listigen
und erwartungsvollen Gesicht, -- er hatte seine Frau erwartet.

»Was, sie ist aus?« fragte Marianne stark enttäuscht, »ich muß sie so
notwendig sprechen, und dachte sie zu dieser Stunde sicher zu treffen.«

»Ja, glücklicherweise ist sie fort, ich kann sie nämlich momentan gar
nicht brauchen.«

Marianne bemerkte erst jetzt, wie er aussah. Im dicken Paletot, den Kragen
hochgeschlagen, sogar warme Ueberschuhe an den Füßen, stand er da und
rieb sich die Hände. In der That schien es kalt da drinnen zu sein.

»Was machen Sie eigentlich?! Frieren Sie vielleicht Ihre Vögel aus?«

»Ach nein, bei mir ist es warm. Wir müssen jetzt dort sitzen, zwischen
den Vögeln, leider. Wir schlafen die paar Tage auch drin. Denn im
Wohnzimmer, da wird jetzt nicht geheizt. Das ist wegen Weihnachten. Es soll
nämlich wie ein Wald werden, -- Tamara stammt doch aus dem Walde. Sie darf
jetzt nicht herein.«

Er öffnete die Thür zur Wohnstube, und Marianne erblickte in drei von
ihren Ecken je einen großen Tannenbaum. Eine Küchenlampe stand am Boden.
In dem ungewissen Schein, den das Lämpchen von unten her verbreitete, nahm
sich die Bescherung seltsam genug aus, die zwischen den Tannen im Aufbau
begriffen war.

Da näherten sich, fast lebensgroß in bemalter Pappe ausgeführt, die
heiligen drei Könige einer kleinen Korbwiege, deren blaue Vorhänge dicht
geschlossen waren. Was die Weisen des Morgenlandes darbrachten, bestand
aber nicht in Gold oder Juwelen, sondern in den winzigsten Hemdchen,
Jäckchen und Strümpfchen, die man sich denken konnte.

Die Bäume waren nicht geschmückt. Nur an dem schönsten, der sich über
der Wiege erhob, hing Kinderspielzeug, -- Hampelmänner, Glöckchen an
Knochengriffen -- und, wie ein Hinweis auf die Zukunft, schon ein erstes,
zartes Paar Schuhe, lächerlich klein, aus rotem weichem Saffian, mit
silberner Stickerei bedeckt.

In der Anordnung des Ganzen drückte sich ein unbeholfener jubelnder
Ueberschwang aus, der Marianne ergriff.

Sie wandte sich zu Taraß und sagte leise: »Ich wußte gar nicht -- --
Aber es ist noch lange hin --«

Er nickte.

»Lange noch bis dahin,« bestätigte er, »aber, wissen Sie, ich kenne
ja Tamara. In diesen Monaten wird sie schon ungeduldig sein: wann sie das
alles arbeiten soll, -- ich bitte Sie, eine solche Menge! Und sie hat doch
gar keine Zeit! Es mag ja schön sein, selbst daran zu nähen, nun aber,
sie soll sehen: es geht auch so. Eine große Näherin ist sie überhaupt
gar nicht. Sie sticht sich dreimal nacheinander in jeden Finger. Und
allzufest näht sie auch nicht. -- Aber eine Mutter wird das sein! Ja, das
ist noch eine Mutter!«

Er sah strahlend aus und trat frierend von einem kalten Fuß auf den
andern.

»Darf ich Tamara nichts ausrichten? Soll sie zu Ihnen kommen?«

»Nein nein,« wehrte Marianne hastig ab, »ich komme lieber selbst wieder.
Sagen Sie ihr nur: ich sei wegen des Vorschlages gekommen, den sie mir
neulich im Auftrag des Berner Mädchenpensionates gemacht habe. Sagen Sie
ihr: den wollte ich annehmen. Auf alle Fälle annehmen. Sie möchte mir
helfen, die Sache so schnell als möglich ins reine zu bringen.«

Taraß schlürfte in den Ueberschuhen ihr voran zur Hausthür.

»Dann wird Tamara gleich alle Hebel in Bewegung setzen. Ich weiß, sie
sprach davon. Und wir sind so froh, wenn wir Ihnen zeigen können, wie lieb
wir Sie haben.«

Er küßte Marianne die Hand, und sie beugte sich auf seine Stirn. Ihr kam
es vor, als sei alles bereits erledigt. Sie zweifelte nicht am Gelingen. Es
mußte gelingen. Und sie war zu jedem Opfer bereit, zu jedem Nebenverdienst
durch Stunden --.

Nur mit ihrem Kind zusammenbleiben mußte sie. Dann wollten sie auch schon
Cita näher bekommen, -- mindestens näher als jetzt --.

Als sie sich wieder in die Pferdebahn setzte, schien es ihr, als führe sie
schon weit, weit fort aus ihrem bisherigen, hiesigen Wirkungskreis.

Fast abschiednehmend spähte ihr Blick nach den einzelnen Häusern, die sie
kannte. Da -- und da, -- und dort war sie zum Unterricht hingegangen. Nun
aber wollte sie weit, weit fort, so weit wie ihre Kinder wollten.

All dies wurde Vergangenheit. Die Kinder allein, das war ja Heimat.

Kurz ehe sie den Bahnwagen verließ, stieg ein armer Krüppel ein, ein
Stelzfuß in zerlumpter Kleidung.

Mit ehrerbietigem Blick bekreuzigte sich der Schaffner vor ihm und nahm
kein Geld von ihm an. Diese Handlungsweise war allgemein üblich, solche
Unglückliche durften fest darauf rechnen.

Als sich Marianne erhob, um auszusteigen, sah sie, daß jemand dem lahmen
Mann ein Kupferstück zusteckte.

Da fuhr sie in die Tasche, faßte nach dem gehäkelten Seidenbeutelchen mit
dem Tagesbedarf an Silberlingen, das sie grade frisch gefüllt hatte, und
schob es im Vorübergehn dem Krüppel in die Hände.

Das gewährte ihr eine momentane Erleichterung. Sie wäre gern in irgend
einer Weise aktiv geworden, aus ihrer weichen, warmen Stimmung heraus,
-- wäre gern mütterlich geworden an irgend einem armen Wesen, aus ihrem
Ueberfluß heraus --.

Und nun konnte sie nicht einmal für ihre nächsten Pläne etwas thun,
weil sie Tamara verfehlt hatte. Aber ihr wollte es scheinen, als schade das
alles nichts, wenn man ihr nur ringsum von der warmen Liebeslast abnahm --.

Oben öffnete ihr Stanjka. Doch im Wohnzimmer lief ihr Sophie entgegen.

»Cita ist nur für eine kurze Besorgung fortgegangen, Ma, sie kommt gleich
wieder. -- -- Aber du bliebst so lange fort, -- ach, ganz schrecklich
lange, wo warst du nur noch?«

Marianne drückte sie an sich.

»War das so schlimm? Du bist wohl ungeduldig geworden?«

»Ja, Ma. Jetzt möchte ich jede Minute bei dir sein. Das ist doch ganz
natürlich, -- immer, immer.«

»Und wenn wir uns nun nicht trennten, -- wenn wir beisammen blieben, du
mein Herzenskind!« murmelte Marianne.

Es kam ihr fast gegen ihren Willen auf die Lippen. Sollte sich Sophie
unnütz quälen, -- und wären es auch nur Tage --, um der Trennung willen,
die nach ihrer Ansicht bevorstand?

»Ach ja, Ma!« rief Sophie innig, jedoch gleich darauf schien sie ein
plötzlicher Schreck zu durchfahren. »-- -- Du meinst doch nicht, -- ich
soll doch nicht --«

Sie war ganz blaß geworden.

»Nein, o nein!« sagte Marianne schnell, »wie kannst du das glauben!
Nichts wird rückgängig gemacht. Aber denke dir, mein Liebling, denke
dirs nur als eine noch nicht gewisse Möglichkeit: wir blieben trotzdem
beisammen, -- in einem kleinen Städtchen zum Beispiel, -- etwa in den
Schweizer Bergen --«

Sophie machte sich sichtlich beunruhigt frei.

»-- Warum denn ein so ganz kleines Städtchen, Ma --?«

»Ich meine natürlich ein Universitätsstädtchen.«

»Ja ja, aber wenn auch --. Daß es so gar klein sein soll --? Warum denn
eigentlich nur?«

»Stell dir zum Beispiel vor, dort wäre eine Mädchenpension, die ich zu
leiten hätte, -- eine solche ist nämlich in Bern, -- lauter halberwachsne
Mädchen --«

»-- Aber -- das wäre ja gräßlich, Ma!« fiel ihr Sophie ängstlich ins
Wort.

Marianne hielt einen Augenblick inne.

Sie suchte mit plötzlicher Bangigkeit Sophiens Blick.

»-- Wäre das so gräßlich, -- Sophie?«

»Nein, -- das heißt: es wäre ja wunderschön natürlich, -- aber, -- ach
nein, Ma! das kann ja doch gar nicht dein Ernst sein?«

Marianne versuchte zu lächeln, aber sie fühlte, daß ihr mitten in diesem
schwachen Lächeln die Lippen kalt wurden.

»-- Nur so eine Idee, Kind,« sagte sie mühsam.

»Siehst du, das dachte ich.« Sophie küßte sie heftig und lachte
beruhigt: »Das wäre ja auch gar nichts, nicht wahr? Denke nur: so eine
Mädchenpension, -- Hammelherde, -- huh! Da müßten wir uns ja immer
nach den Zimperliesen richten. Wenn du da Stunden gäbst und von allen
möglichen Leuten abhingest, wäre alles gleich so gebunden, -- so wie
hier --. -- -- Und übrigens, solches Kleinstädtchen doch auch für dich
im Grunde recht öde, -- nicht?«

Marianne nickte, ohne Sophie aus den Augen zu lassen, die ihr unleidlich
brannten und stachen von den bemeisterten Thränen.

»Ja ja, Sophie. Daran, ob es öde wäre, hab ich so gar nicht gedacht --.
Wenn ich mir das überlege, ist es also wohl nichts damit.«

Sophie wurde wieder ganz heiter.

»Nein, was du aber auch für eine Phantasie hast, Ma?« meinte sie
neckend und setzte sich der Mutter auf den Schoß. Sie war voll kleiner
Zärtlichkeiten.

Nun wollte sie Ma auch ordentlich erzählen, wie sie sich das Leben
dächte, mit Cita zusammen, in Berlin, wo Cita ja so vortrefflich
aufgehoben sei und schon Beziehungen habe, und wo sie es nun ebenso gut
haben werde. Beziehungen nämlich, das ist wichtig --! -- -- Eine Menge
interessanter Einzelheiten plauderte ihr Sophie redselig vor.

Marianne saß müde in ihrem alten Lutherstuhl.

Sie hörte immer mit dem gleichen Anflug von Lächeln zu, es war wie
erstarrt auf ihrem Gesicht.

Das also war das weitaus Schönere, wovon Sophie träumte. Und das hatte
sie ja nun endgültig den Kindern gegeben, ihnen erlaubt. Mehr zu geben
hatte sie nun überhaupt nicht. Nein: nur sich selbst noch hinzugeben hatte
sie wollen. Sie selbst jedoch, -- ja sie selbst -- lehnten sie leise ab --.

-- Marianne überfiel plötzlich, mitten in Sophiens Hinplaudern,
eine jähe Furcht, sie könnte mit einemmal -- jetzt gleich -- etwas
Gräßliches, Grelles thun müssen, entweder laut schreien oder gar
lachen --.

Besonders das letztere: jawohl, grell und gell lachen --.

In der Furcht davor brachte sie kein Wort heraus.

Zum Glück kam Cita nach Haus, eh es Sophie auffiel.

Als sie zu ihnen ins Wohnzimmer trat, sprang Sophie vom Schoß der Mutter
heiter auf.

»Denke nur!« rief sie der Schwester ganz unbefangen entgegen, »Ma und
ich sitzen hier gemütlich und malen es uns eben aus, wie das sein würde,
wenn wir in ein ganz kleines Universitätsstädtchen zögen, anstatt
nach Berlin. Und wenn Ma dort gar eine Pension leitete, -- und -- und
wir Sonntags nachmittags mit im Zuge der Mädchen vor dem Thor spazieren
gingen --«

Sie erzählte es ganz wie einen Scherz. Und ganz wie über einen Scherz
lachte Cita mit ihr.

»Uff!« sagte diese dann, die Handschuhe abstreifend, und warf sich in den
Schaukelstuhl, -- »wie gut ist es hier bei dir, Ma. Ja, das wird Sophie
schon noch vermissen! Sie muß sich eben erst gewöhnen, man lernt es
aber. Bis jetzt redet sie nur so hin. Wenn sie nur erst ordentlich in ihrem
Studium drin ist --«

Marianne richtete ihre Augen müde und groß auf ihre Aelteste.

»Wenn es nur so ist, Cita, daß man dann nichts mehr vermißt,« sagte sie
leise, mit matter Stimme, »-- denn das meint ihr doch wohl nicht, -- das
kannst du doch selber nicht wollen: so ein Fachstudium, und nichts mehr
dahinter und darüber --. Etwas so Spezielles, etwas so Hartes --. Du mußt
nicht vergessen, wie sehr Sophie, -- und früher auch du, -- euch in einem
allseitigern, harmonischern Ganzen geistig angeregt habt. Es schloß ein
Studium nicht aus, aber das beseelte Leben ging doch noch drüber --.«

»Es war einfach dilettantischer,« bemerkte Cita ruhig. Sie hatte
ernsthaft zugehört, während sie leise schaukelte und ihre Handschuhe bald
zurollte, bald in alle einzelnen Finger auseinanderbreitete.

Marianne lehnte sich erschöpft zurück. Sie hatte sich gewundert,
woher ihr nur so viele Worte kamen. Als ob sich ihre Zunge löste und
selbständig spräche --. Aber als sie einsah, daß diese Worte ohne
Wirkung waren, gab sie es auf, zu widersprechen.

Cita nahm ihr Schweigen wie ein leises Gekränktsein und fuhr rasch fort:
»Ja, süße Ma, du hast sicherlich recht. Aber, siehst du, was du so das
›beseelte Leben‹ und ›das Allseitigere‹ in der geistigen Anregung
nennst, das werden wir ebenfalls haben. Das Fachstudium wird bei
weitem nicht alles sein, sondern der ganze Kreis der Interessen in der
Frauenbewegung. Das wird uns frisch und kampflustig erhalten. Sieg der
modernen Frau! Das soll die Losung sein. -- -- Hier konnte Sophie diesen
belebenden Geist unmöglich aufnehmen. Uns fehlte hier ja auch der laufende
Zusammenhang mit allem Modernen. Wenn man aus dem Auslande kommt, spürt
man das arg, du kannst es glauben! Nun, aber es schadet weiter nichts: wir
holens schon nach.«

Sie erhob sich aus dem Schaukelstuhl, kam zur Mutter, bückte sich, küßte
sie auf den Scheitel und sagte mit fast mütterlicher Zärtlichkeit im Ton:
»Du unsre süße Ma! hier ist es einzig und allein schön, weil du hier
bist. Vielleicht würdest du dich in einem andern Rahmen nicht mehr wohl
fühlen. Und du machst alles schön rings um dich her. Aber wir können
jetzt nicht nur auf das Schöne achten.«

Dann richtete sie sich auf, verschränkte die Arme auf dem Rücken und
stellte sich nachdenklich musternd vor das Bücherregal.

»Siehst du, Sophie, -- dort hinein schaffen wir dann auch Ma neue Bücher,
-- nicht an Stelle der alten, aber mindestens zwischen die alten. -- -- Man
kann auch nicht immer nur Dante und Homer und Shakespeare und Goethe und
ähnliche Herren lesen. Nicht wahr, Ma?«

Marianne saß ganz still und lauschte. Sie lauschte noch, als gar keine
Rede mehr kam, und die Schwestern miteinander in den Büchern zu kramen
anfingen, wobei Sophie auf dem Boden saß und Unsinn trieb.

Sie lauschte in alle geredeten Worte tief hinein --. Denn daraus klang ja
nicht nur die naive Ablehnung Sophiens, nein, etwas viel Tieferliegendes
hörte sie immer deutlicher heraus, -- etwas auf dem verborgenen Grund
aller dieser Worte --.

Sophiens Gefühl war so ganz unwillkürlich gewesen. Aber es verriet, daß
Mutter und Kinder ganz und gar nicht eins waren, eines Wesens, -- daß das
ein bloßes Trugbild war, ein Traum. Die arme Sophie konnte nichts für
ihren naiven Egoismus, -- Cita, die sagte es ja: sie waren etwas andres,
wollten etwas andres, strebten anderm zu, als die Mutter --.

Der Mutter gehörten sozusagen nur noch Wesensreste aus der Kindheit, --
nicht mehr der entwickelte Mensch. Dem wurde sie leise fremd -- fremd --
fremd. Von dem wurde sie mit dankbarer Nachsicht geliebt. Notwendig blieb
sie ihm nicht mehr.

Wahrscheinlich ging das immer so zu. Auch dann, wenn das Muttersein das
gesamte Wesen eines Menschen aufgesogen und ausgemacht hatte --? Auch
dann, wenn er sich mit seiner ganzen tragenden, nährenden Lebensfülle
den Kindern einverleibt hatte --? Ja, auch dann. Auch dann blieb er wie ein
blutendes, losgerissnes Stück am Boden liegen, allein liegen, -- ohne es
ändern zu können -- --.

Cita hatte ja im Grunde recht: während die Mutter hier umherging und
Stunden gab, vermochte sie nicht zugleich die Wege weiterzugehn, die sich
nun den beiden öffnen sollten, -- die Wege neuer Zeiten, einer
neuen Generation --. Und wohin die führen würden? Ob nicht zum
entgegengesetzten Ende dessen, was sie mit heißester Inbrunst für ihre
Kinder erfleht und selbst in ihrem ganzen Leben demütig zu verwirklichen
gestrebt hatte?

Ja, vielleicht, -- wer konnte es wissen --? Ihr Urteil und das der Kinder
würde sich in diesem Punkt wahrscheinlich entgegenstehn. Welche Instanz
wollte über sie richten?

Mariannens Gedanken verschwammen, schmerzgefoltert, undeutlich ineinander.
Noch hörte sie die beiden plaudern und lachen und sich gegenseitig Stellen
aus Büchern vorlesen.

Ihre Arme waren wie gelähmt. Die Stimmen schienen ihr von weit, weit her
zu kommen. Konnte sie die Arme nicht mehr ausbreiten, ihre Mädchen darin
zu umfangen? Konnte sie ihnen denn nichts, gar nichts zum kostbaren Besitz
und zum Leitstern mit auf den Weg geben von alledem, was zu gewinnen ihres
Lebens Inhalt gewesen war --?

Weit, weit gingen sie fort --. Und plötzlich kamen Marianne, -- seltsam
und leise, wie ein Raunen von Wind zwischen Blättern in der Nacht,
-- Klänge aus einem Lied, -- aus einem Wiegenlied, der Dichtung eines
Dichters von heute mit dem klaren Erkennen von heute. Es waren nur einzelne
abgerissne Klänge, und während sie ihnen lauschte, wußte sie schon nicht
mehr, ob sie sie nicht nur weinte --.

       *       *       *       *       *

  »-- Blinde, so gehn wir, und gehen allein,
  Keiner kann keinem Gefährte hier sein.

  Schlaf mein Kind, und horch nicht auf mich!
  Sinn hats für mich nur, und Schall ists für dich!

  Schall nur, wie Windesweh'n, Wassergerinn,
  Worte -- vielleicht eines Lebens Gewinn.
  Was ich gewonnen, gräbt mit mir man ein:
  Keiner kann keinem ein Erbe hier sein --.« *)

  *) Aus Richard Beer-Hofmann, Pan 1899.

       *       *       *       *       *

Die jungen Mädchen bemerkten gar nicht den Augenblick, wo Marianne das
Zimmer verließ.

Erst als es hastig im Vorflur schellte, und gleich darauf Stanjka hereinkam
und Tamaras Besuch meldete, blickten sie sich erstaunt nach Ma um.

»Eben war sie noch hier,« versicherte Cita, während Sophie den Gast
hereinzog und unterhielt; »-- Ma, hör doch! Tamara ist gekommen!«

Marianne öffnete die Thür des Schlafzimmers, wo sie allein gesessen
hatte. Sie ließ Tamara dort eintreten.

Diese fiel ihr um den Hals.

»Liebste Marianne Martinowna! Eben komm ich nach Hause, und Taraß
erzählt mir --. Mein erster Gedanke: gleich hierher! Ich habe gar nicht
erst abgelegt. -- -- Es ist allzu wichtig: natürlich muß die Sache gleich
ins reine gebracht werden --.«

»Wie gut bist du!« murmelte Marianne. »-- Du weißt, daß Sophie zu
Ostern --«

Tamara nickte.

»Sie sagte es mir soeben. Ja, ich dachte mir, daß so etwas der Grund sein
würde. Wie könnten Sie sich von den Mädchen trennen, -- wie können die
Mädchen Sie entbehren! -- -- So muß es denn sein, daß wir Sie aus unsrer
Mitte verlieren.«

Marianne erwiderte nichts darauf. Sie saß neben einem kleinen Tisch,
worauf eine einzelne Kerze brannte, und blickte an Tamara vorüber.

Tamara wurde sich erst jetzt dessen bewußt, daß irgend etwas an Marianne
anders sei als sonst. Etwas so wunderlich Eingefrornes, Steifes.

Sie hatte sich nahe zu ihr gesetzt und faßte jetzt unwillkürlich besorgt
nach Mariannens Händen, die ruhig im Schoß lagen.

Da sagte Marianne: »Weißt du, -- halte mich nicht für die
wetterwendischeste Person, die es gibt. Aber seit meinem Gespräch mit
deinem Mann hab ich mirs anders überlegt. Ich halt es für unmöglich,
fortzugehn.«

Tamara sah sie erstaunt und ungläubig an.

»Aber warum?!«

»-- Diese ganze ungeheure Veränderung! Das schwierige Einleben dort. Wer
weiß, ob wir alle drei es nicht später bereuen würden --. Es war eine
erste Aufwallung, weißt du, aber -- -- die ist ganz vorüber.«

Tamara schwieg. Wie sie Marianne so dasitzen sah, bei dieser einzelnen
Kerze, auf dem Rohrstuhl, -- da erschien sie ihr plötzlich wie eine
Gefangene zwischen den Wänden des eignen Zimmers -- --.

Hinter Ma, über dem Bett, hing die Totenmaske ihres Gatten, daneben,
wie ein Schmerzensschrei, Vogelers Radierung: das greise Paar, das in den
Frühling hinausblickt.

Tamara sagte halblaut, tief betroffen: »Ach, Liebste, ich kann es
nicht glauben. Wie -- ja wie wollen Sie alle drei denn so ohne einander
auskommen? Ist das nicht das Wichtigste --?«

Ma lächelte.

»Ich denke, ganz gut. Weißt du, Tamara, eins muß man durchaus lernen, --
merke du dirs auch: die Dinge nicht zu weit zu treiben. Die Gefühle sich
nicht über den Kopf wachsen zu lassen. Alles muß schließlich eine Grenze
haben. Wenn man das gelernt hat, geht wirklich alles ganz leicht, -- viel
leichter.«

Tamara stand auf.

»-- Also ist es wirklich entschieden. Nun, ich weiß nicht, ob ich mich
freuen darf. -- -- Ich muß jetzt nach Hause eilen, Taraß wartet auf mich.
-- Aber -- sagten _Sie_ diese Worte, Marianne Martinowna? Sie, die
doch immer so ganz innig in ihrem Gefühl lebte, wie in einer großen
unteilbaren Freude --.«

Marianne entgegnete rasch, mit plötzlicher Bitterkeit: »-- Kein
Freudenbecher, der nicht zum Leidenskelch wird, wenn man ihn bis zur Neige
leert! Nein nein, kein einziger, -- und vielleicht am wenigsten von allen
das vielgepriesene Mutterglück.«

Sie erhob sich, um Tamara hinauszugeleiten. Da begegnete sie deren still
und ernst auf sie gerichteten Augen, und sie gedachte mit einemmal dessen,
daß diese Augen ja eben jetzt in grenzenloser seliger Erwartung dem
zukünftigen Mutterglück entgegenschauten --.

Sie dachte an Taraß und seine strahlende Freude und an das kalte Zimmer
mit den Tannen, der Korbwiege und dem Kinderspielzeug --.

Marianne umarmte die junge Frau plötzlich, aber ganz zaghaft, wie eine
heimlich Geweihte, sie nahm ihre Hände zwischen die ihren, drückte sie
an ihr Gesicht und murmelte hilflos: »-- Verzeih mir, -- ach verzeih! Hör
nicht auf mich. -- -- Wie gut bist du doch. Hast da den weiten Weg in der
Kälte gemacht --. Deck dich im Schlitten gut zu, hörst du --? -- -- Du
mußt jetzt solche Wege vermeiden, -- dich in acht nehmen --.«

Tamara wurde dunkelrot. Sie küßte Marianne herzhaft, mitten auf den Mund.

»Ach,« sagte sie, und ihre Stimme klang ganz hell von viel Glück, »ich
weiß es ja, -- ich wußt es ja: Sie sind doch noch ganz dieselbe, --
unverändert dieselbe und werden es immer bleiben. -- -- Es genügte nicht,
daß Sie mir Schulunterricht gaben und noch manchen andern, schönern
Unterricht: ich hab es ja Ihnen allein abgeguckt, wie man eine gute Mutter
wird, -- so eine von Herrgotts Gnaden --. -- -- Und mein kleines Kind, das
bring ich zu Ihnen, daß es hier heimisch werde von Anfang an, und es soll
Großmutter sagen lernen von Anfang an --.«

Marianne geleitete sie hinaus und ging nicht mehr ins Schlafzimmer zurück.
Der Theetisch wurde schon gedeckt; wie immer saß sie beim Abendthee mit
ihren beiden Mädchen zusammen und plauderte mit ihnen.

Aber eine undenkliche Mühe kostete sie ein jedes Wort, das harmlos und
heiter klingen sollte wie immer --. Und während sie gleichgültige Dinge
sprach, dachte sie immer denselben Gedanken: »Ist es im Grunde nicht wahr?
Haben sie denn nicht recht? Sie lassen sich erfüllen von allem, was sie
vorwärts bringen mag, ich aber, -- habe ich nicht jahraus, jahrein nur
ein paar immer gleiche Sorgen mit mir herumgetragen: tägliches Brot
beschaffen, -- Lektionen vorbereiten, -- und wieder das tägliche Brot, und
wieder die Lektionen --. Ich habe mich bemüht, es so gut zu machen, wie
ich nur konnte: und da hat das Wenige genügt, -- da haben diese anderthalb
Gedanken schon genügt, -- um alle Kraft aufzuzehren --. Oder hatte ich
nicht genug Kraft -- --?«

Und langsam sank die Bitterkeit von ihrer Seele, um nur einer tiefen,
demütigenden Entmutigung den Platz zu lassen. Bitterkeit vermochte ihre
Seele nicht lange zu ertragen: die Entmutigung nahm sie schweigend auf.

Als die Mädchen sahen, daß die Mutter nicht recht heiter gestimmt
war, schoben sie es auf die Ermüdung durch den anstrengenden Tag, und
unwillkürlich suchten sie ihre eigne Fröhlichkeit etwas zu dämpfen, die
sich mitunter allzuhell Luft machte.

Marianne merkte es, und das Herz zog sich ihr zusammen. »Sie wagen nicht
mehr, mir zu zeigen, wie glücklich sie über die Wendung der Dinge sind,
-- sie fürchten mich damit zu kränken, -- sie verhalten es lieber vor
mir, bis sie unter sich sind,« dachte sie.

Und die kleinen Zärtlichkeiten ihrer Kinder thaten ihr nur weh. Sie
fühlte etwas Nachsichtiges aus allem heraus, -- etwas Absichtliches. Nein,
lieber noch wollte sie es sein, die sich vor ihnen verstellte, und mit
ihnen froh sein.

Aber sie konnte es nicht.

Am nächsten Morgen beim Frühstückstisch wurde Cita doch trotz Mariannens
Bemühungen stutzig. Sie meinte so genau zu wissen, daß die Mutter heute
fast keine Lehrstunden mehr zu geben habe, und dabei schien sie sich doch
so zu beeilen, um nur fortzukommen.

Marianne behauptete sogar, sie könne noch nicht zum zweiten Frühstück
zurück sein, sondern erst spät am Nachmittag, sie möchten nicht auf sie
warten.

Sophie machte ein pfiffiges Gesicht, offenbar hatte Ma heimliche
Weihnachtsbesorgungen vor. Aber Cita blickte stumm und mit einem
zweifelnden, besorgten Ausdruck vor sich nieder. Wohin ging die Mutter?
Und warum sah sie dabei so gequält und müde aus? Ging sie vielleicht, um
wieder mit Tomasow etwas zu besprechen? Und diesmal vielleicht etwas, womit
sie ihren Kindern Leid anthat --? Ach, ginge sie doch nicht zu ihm! -- --

Marianne atmete tief auf, als sie endlich auf der Straße stand.

Langsam machte sie einen weiten Gang im klaren Winterwetter, dann raffte
sie sich zu einem Besuch bei einer aus dem Schuldienst scheidenden Kollegin
auf, von der sie sich erst in den Feiertagen hatte verabschieden wollen. So
kam allmählich die Zeit für die einzige Stunde heran, die sie heute geben
mußte.

Dabei weilten ihre Gedanken zu Hause. Alle Räume ihrer kleinen Wohnung
durchschritt sie, aber, als sei ihr Blick verhext, erschienen sie ihr alle
schon öde und leer. Sie erwog schon, wo, -- in welchem Raum, an welchem
Platz -- sie wohl sitzen würde, so ganz allein --. Kleinigkeiten erwog
sie angestrengt: ob man die hohen Blattpflanzen, ihre Lieblinge, nicht
fortgeben sollte, da sie nicht auf ihre Pflege achten konnte, wenn sie so
von Stunde zu Stunde lief -- --.

Von ihrer einzigen Unterrichtsstunde wäre Marianne fast aus Zerstreutheit
nach Hause gegangen. Plötzlich fiel ihr jedoch der Weihnachtsbaum ein,
der sich so groß und anspruchsvoll mitten in ihrem Zimmer erhob, -- als
erwarte er sie da förmlich mit herausforderndem Hohn. -- -- Morgen war
schon heiliger Abend. Da würde man ihn sogar noch schmücken müssen.
Denn das wollten die Mädchen ja ihretwegen gern thun, obschon es ihnen
ein bißchen lästig war, -- sie selbst hielten nichts auf solche
Kindereien --.

Wie recht sie hatten! Wie froh wäre sie jetzt gewesen über ein sang- und
klangloses Weihnachten!

Nein, sie vermochte nicht heimzugehn und sich an den gedeckten
Frühstückstisch zwischen ihre beiden Kinder hinzusetzen --.

Frierend und unschlüssig, wie obdachlos, stand Marianne auf der Straße im
Winterwinde.

Sie, die sich so auf die Ferien gefreut hatte, sie, die es so haßte, sich
Tag für Tag draußen herumtreiben zu müssen, sie stand jetzt da, um den
Ihrigen Lehrstunden vorzutäuschen, die sie gar nicht zu geben hatte --.

Einmal fiel sie durch ihr zauderndes Stehnbleiben auf. Irgend ein
Straßenflaneur beugte sich vor, um sie deutlicher zu sehen --. Es war
mitten im Menschengetriebe unweit der Schmiedebrücke; Marianne durchquerte
den Fahrdamm, um in eine der stillern Seitenstraßen einzubiegen, als sie
zwischen den dahinhastenden Menschen Tomasows Gestalt erkannte.

Er schritt langsam neben irgend einem Bekannten. Als er Marianne auf sich
zukommen sah, verabschiedete er sich jedoch von ihm und ging ihr erfreut
entgegen.

Leise schob sie ihren Arm in den seinen.

»Danke!« sagte er lächelnd. »-- Offenbar auf Weihnachtswegen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich bin todmüde. Ich möchte irgendwo eintreten, wo ich etwas
essen könnte.«

»Sie wollen nicht erst den langen Weg nach Haus?« Er besann sich. »Gehen
wir zu Philippow? Oder ziehen Sie ein Restaurant vor?«

»Keins von beiden. Ueberall könnten Bekannte sein. Ich möchte dort in
der Seitenstraße in eine der kleinen billigen Theebuden, wo kein Mensch
hinkommt.«

Sie suchte ihn die paar Schritt weit hinzulenken.

»Aber, Ma! Da geht man mit einer Dame nicht hin.«

Marianne ließ geschwind seinen Arm los.

»-- Dann lassen Sie mich allein hingehen -- Ich nahm wirklich zu dem Zweck
Ihre Begleitung an,« sagte sie und blickte aus so sonderbar müden Augen
auf ihn, daß er sofort nachgab.

Er zuckte die Achseln.

»Nun es sei, also wie Sie wünschen,« meinte er zögernd und führte sie
dem kleinen Lokal zu, das mit einem breiten grellblauen Schild zum Eintritt
lud. »Schließlich ist es eine warme Ecke, wie eine andre, wenn sie auch
ein bißchen tief im Erdgeschoß drin liegt.«

Im Innern der Theestube hingen blendend saubere Leinwandvorhänge an den
niedrigen, fast quadratischen Fensterchen, und auch das weiße Holz der
simpeln Einrichtung sah so weiß und sauber aus, als müsse es
Seifengeruch ausströmen. Im ersten Raum dampften ein paar mächtige blanke
Kupfersamoware auf dem Schenktisch, und an den Wänden lagen bis hoch
hinauf unendlich viele Schwarzbrote aufgestapelt.

Doch gab es auf Wunsch auch helles Gebäck, sowie die volkstümlichen
Pastetchen mit Grützfüllung, und Tomasow bestellte davon, dessen sicher,
sie vorzüglich bereitet zu finden. Der bedienende Gehilfe im weißen
Leinwandkittel und hohen, dermaßen glänzend gewichsten Kniestiefeln, daß
man sich in ihnen beinahe hätte spiegeln können, brachte das Verlangte
in den schmalen Nebenraum, wo Marianne schon im Hintergrunde an einem der
länglichen ungestrichenen Holztische saß.

Nur zwei Frauen aus dem Kleinbürgerstande, mit bunten Kopftüchern und
kurzen Schaffellpelzen, tranken beim Fenster ihren Thee, wobei sie
die gefüllte Untertasse auf den gespreizten Fingern der rechten Hand
balancierten; schweigend, mit einer gewissen Feierlichkeit und ohne um sich
zu sehen, nahmen sie einen heißen Schluck um den andern.

»Hier ist es gut!« sagte Marianne.

Sie sah abgespannt aus, und dabei brannte ihr das Gesicht vom Winde. Die
Hitze, die der mächtige Kachelofen im geschlossnen Zimmerchen ausströmte,
machte es noch fühlbarer.

Marianne empfand wirklichen Hunger, er war ganz plötzlich und fast mit
Gier erwacht, als sie beim Eintreten das viele ringsum an den Wandborten
aufgeschichtete Brot sah. Aber wie nun ihr Frühstück vor ihr stand,
vermochte sie ebenso plötzlich nichts mehr zu essen.

Sie bückte sich über ihr Theeglas, aus dem dicht vor ihrem Gesicht der
Dampf in die Höhe stieg, und folgte mit dem Blick gedankenlos seinen
Windungen. Dieses Gefühl von sich nachgebender Schwäche war merkwürdig
angenehm.

Tomasow betrachtete sie aufmerksam.

»Sie gefallen mir ganz und gar nicht!« äußerte er; »aber eigentlich
hätt ich mir das ja schon vorgestern selbst voraussagen können --«

Marianne hob verwundert den Kopf.

»Was denn --?« fragte sie zerstreut.

»Daß der erste Kraftaufwand nicht vorhalten, -- daß die Stimmung
zunächst sinken würde --. Sie haben sich seelisch bis zum äußersten
anspannen müssen, und jetzt kommt der Rückschlag.«

Marianne rührte mit ihrem Löffel im Thee herum. Ihr fiel ein, daß
Tomasow ja so gar nichts vom gestrigen Tage wußte. Ueberhaupt nichts
von der heimlichen Hoffnung, die sie ja allein so tapfer hatte erscheinen
lassen, -- noch auch von der großen Bitterkeit hinterher.

Es war etwas ganz Ungewohntes für sie, daß er nicht vollen Bescheid
wußte und dementsprechend urteilte. Aber nur nicht davon erzählen! Sogar
ihm nichts! Was konnt es denn helfen?

Tomasow stützte einen Arm auf, und sich näher zu Marianne hinwendend, mit
dem Rücken gegen das Fenster, bemerkte er halblaut: »Frau Marianne,
jetzt ist es an der Zeit, daß Sie mir mehr Machtvollkommenheit geben --.
Vollmacht, Sie ganz anders als bisher in Obhut zu nehmen, zu pflegen,
abzulenken, zu beaufsichtigen, -- kurz: um Sie zu sein --«

Sie faßte seine Worte nur ungenau auf, in ihre Kümmernisse klangen sie
aus solcher Ferne herein, daß sie keinerlei verborgenen Sinn hinter ihnen
vermutete.

»Ich weiß, Sie sind immer gut!« sagte sie nur freundlich.

»-- Gut --?! Nein, Marianne, mit meinem Gutsein hört es nun auf. Glauben
Sie nur, es ist mir nicht immer leicht gefallen ›gut‹ gegen Sie zu
sein, Ihr guter Freund zu sein -- alle die Jahre. Jetzt aber, wo Sie allein
bleiben, wo sich Ihre Töchter ihr eignes Leben bauen, da will ich ein
andres Recht, als das der Güte: das Recht, auch ein Leben aufzubauen --
Ihnen und mir.«

Er sprach noch immer halblaut, jedoch rasch und bestimmt, und in seiner
Stimme vibrierte tief gedämpft ein Ton, den er Marianne gegenüber noch
nie angeschlagen hatte.

Sie schrak aus ihrer Müdigkeit auf, ihr Blick streifte Tomasow wie
erwachend und noch verständnislos erstaunt; als sie jedoch dabei seinen
fest auf sie gerichteten Augen begegnete, geriet sie in Verwirrung.

Tomasow sagte fast gütig: »Es ist schlecht von mir, daß ich Sie so
überfalle, Ma --. Aber es hilft nun nichts mehr: bei Ihnen zu Hause bin
ich mit Ihnen tausendmal weniger allein als hier, -- und im nächsten
Augenblick stehn Sie wieder lächelnd und gewappnet da, -- in jeden
Arm hineingeschmiegt eins Ihrer Kinder. -- -- Sie sollen mir auch nicht
antworten müssen, Ma. Heute nicht und selbst morgen nicht, wenn Sie
wollen. Nur wissen, -- wissen, daß Sie keineswegs so selbstherrlich
allein dastehn werden, wie Sie wohl glauben, -- -- weil ich Sie mir nunmehr
nehme --«

Marianne sah nicht auf. Die Röte auf ihren Wangen hatte sich vertieft,
als ob sie wieder den Wind draußen um sich sausen fühle. Sie sprach sich
innerlich die Worte vor, die sie Tomasow jetzt zweifellos sagen mußte, --
sie nahm sich vor, den Kopf zu heben und ihn einfach zu bitten, -- ja,
zu bitten, er möchte doch wieder, ganz so wie bisher, gegen sie »gut«
sein --.

Aber nach seiner Bemerkung, daß er keine Antwort erwarte, beugte sie
den Kopf nur noch tiefer, und mit einem seltsamen Gefühl von Beklemmung
erließ sie sich alles, um was sie bitten wollte.

Denn bei dem Ton seiner Stimme, da quoll langsam, unvermutet und betäubend
eine wunderseltsame Gemütswallung in ihr auf -- --. Und machte sie
zaudern, und ließ sie verwirrt den Blick Tomasows meiden, wie wenn eine
geheime Sehnsucht etwas ganz andres ersehnt habe, als alle jemals bewußt
gewordenen Gedanken in ihr.

-- -- Es war grade, als risse Tomasow mit ein paar gewaltsamen Griffen den
Vorhang von irgend einer fremden Landschaft zurück, sodaß ihr plötzlich
bewußt werden sollte: nur ein Vorhang scheide sie davon --.

Sie meinte noch nie durch diese Landschaft gewandelt zu sein und wußte
doch auf einmal: nur ganz durchsichtig verhangen war sie ihr gewesen,
und immer da war sie gewesen, dicht vor ihr. Und blitzschnell, zu neuem,
verwirrendem Wiedererkennen, drängte sich plötzlich vor ihrem Auge Bild
auf Bild daraus. Minuten, Momente aus ihrem Verkehr mit Tomasow sah sie
vor sich, -- oft unterbrochen durch Monate und weit länger, oft einander
rascher folgend in feinen, unmerklichen Sensationen, -- auf die sie mit
dem Finger hätte weisen können: da -- und da -- und da, -- ja, war sie
da seinen Wünschen nicht, ohne es zu wissen, ganz nah gewesen, -- ganz nah
einem weiblichen, eignen Glücksverlangen --?

Marianne saß regungslos und noch immer im Bann der leichten Mattigkeit,
die sie heute umfing. Allmählich vermischte sichs ihr ganz, wo und wozu
sie sich hier befand, tief benommen von der Gemütsbewegung, die Macht
über sie gewann. Sie fühlte sich wie jemand, der ganz unvermutet geweckt
wird und in völlig irreführender Gegend zum Erwachen kommt. -- --

Tomasow war ebenfalls verstummt. Nur sein Blick ruhte immer wieder auf
Marianne und mochte ihm einiges von dem enträtseln, was in ihr vorging.

Ohne daß sie miteinander sprachen, ohne daß sie einander auch
nur anschauten, leitete sich zwischen ihnen eine Verwandlung ihres
gegenseitigen Verhältnisses ein: das nahm er mit allen Nerven wahr.
Und auch er überließ sich einem Hinträumen, das ihn weit fort
entführte -- --.

Das Blut stieg ihm in die Schläfen, und seine Augen bekamen einen
eigentümlichen starken Glanz.

Ganz still war es in dem kleinen heißen Zimmer. Ein einziges Mal ging
draußen im Vorraum kreischend die Außenthür, ein paar schwere Tritte,
kurze Frage und Antwort, Papierknistern, und wieder wurde alles still.

Die beiden Frauen am Fenster hatten sich erhoben, rückten ihre Kopftücher
zurecht und gingen auf knarrenden Schuhen mit wortlosem Gruß hinaus.

Da blickte Marianne auf, fast verstört. Unmittelbar darauf erhob sie sich
schon. Die dumpfe, schwere Ofenluft benahm ihr den Atem.

»-- Sie wollen gehn?« fragte Tomasow und half ihr in den Pelz.
»-- Wollen Sie nichts weiter genießen?«

Marianne schüttelte stumm den Kopf. Sie schien zu meinen: jetzt an die
freie Luft draußen gelangen, das hieße zugleich, den ganzen Bann und
Druck abschütteln. Diese heiße Stubenschwüle war allein schuld --.

Tomasow zahlte, und sie entfernten sich. Der Ostwind blies ihnen auf der
Straße scharf, förmlich wehethuend entgegen, er weckte fast ein Gefühl
unwillkürlichen Sichbergenwollens.

»Wohin nun?« fragte Tomasow, »muß es schon heimwärts gehn?«

Marianne nickte zögernd.

»Den Kreml durchqueren,« meinte sie, »das ist wohl der nächste Weg.«

»-- Und wärs auch nicht der nächste! Denn allzu kurz darf er nicht
geraten,« bemerkte er lächelnd.

Beim Ueberschreiten des Fahrdamms, zwischen den durcheinander sausenden
Schlittengespannen, hatte er Marianne den Arm gegeben und führte sie mit
der sichern Haltung dessen, bei dem sie sich von nun an bergen sollte. Oder
empfand nur sie es so, als ob alles um eine Nuance verändert sei, als
ob in allem schon eine stillschweigend anerkannte Zueinandergehörigkeit
betont liege --.

Eben begann Tomasow Marianne von seiner Liebe zu reden, da traten sie
schon in das Erlöserthor ein, das in den Kreml hineinführt. Die Fuhrwerke
mäßigten den Schritt, die Menschen entblößten ihr Haupt, und Tomasow,
der mechanisch seinen Hut abnahm, konnte in der um sie eingetretenen Stille
nicht recht weitersprechen.

Dann kamen sie auf den weiten Platz hinaus, vorüber an den Kathedralen
und dem alten Facettenpalast. Er schaute hin, und ihm fiel eine kleine
Zeichnung von Rjepin zu dessen Gemälde »Die Brautwahl« ein, -- ja, so
hätte er um Ma freien mögen: inmitten der Pracht der alten Palasträume,
der niedrigen Wölbungen russischer Terems, als der alten Fürsten
einer --. Und er dachte zurück: noch sein Großvater hatte sich
seine Bäuerin vom Feld in die Hütte geführt, und die geschmückten
Dorfmädchen tanzten zur Hochzeit. Ja, Hütte oder Palast, das war fast das
gleiche: in beiden Fällen ward der Mann der Fürst, der Herr vor seinem
Weibe, das von ihm sein Leben empfing.

Vor Tomasows unruhig umherblickenden Augen erhob sich der Uspenski-Dom in
der energischen Schlichtheit seiner männlich gedrungenen Architektur,
die grauen Kuppeln gleich Heldenhelmen auf Heldenhäuptern, ohne andern
Schmuck, andre Farbe, als die verwitterten Bilder unter dem dunkeln
Bleidach über dem Thor. Und davor, wie in sich selbst zusammengeschmiegt,
in festlicher Anmut, die reizende Verkündigungskirche, die Vielkuppelige,
die aussieht, als bildete die Gliederung ihrer Mauern nur eben soviele
Vorwände, um eine stillleuchtende Kuppel nach der andern über sich
emporzuhalten. Wie Weib und Mann standen die beiden in Tomasows Phantasie
zusammen, die überall Symbole dessen schaute, wovon sie aufgeregt erfüllt
war.

Den Kopf gesenkt, ging Marianne neben ihm, ihren Blick immer auf den
flimmernden Schnee am Boden gerichtet, wie wenn sie mit geblendeten Augen
was ablese von dem weißen Geglitzer mit seinen bläulichen huschenden
Schatten und Lichtern.

Ihre Hand ruhte im Arm Tomasows; ein wenig zu ihr vorgebeugt, unterhielt er
nun Marianne mit halber Stimme. Unruhevoll schweiften ihre Gedanken um das,
was er zu ihr sprach. Kaum vermochte sie es aufzunehmen in den
einzelnen Sätzen, in den verhaltenen Worten, so stark wirkte es seiner
Grundbedeutung nach auf sie --. Ihr ward beklommen wie in der kleinen
dumpfen Gaststube vorhin; die Schwüle blieb -- --.

Führte er sie nicht hinauf auf einen Berg und zeigte ihr der Welt
Herrlichkeit, -- jene Herrlichkeit, die man zu eignem Genießen haben kann,
in der man sich selbst leben kann, sich sättigen in allem Angenehmen
und Erfreulichen des Daseins? Führte er sie nicht hinweg aus der
Alltagsniederung mit ihrer einseitigen, bittern Mühsal, mit den armseligen
paar Aufgaben, die ihre Kraft aufgesaugt, sie gedemütigt und unfähig
gemacht hatten zu eigner, breiterer Entfaltung? -- -- Und wieder schaute
sie bei Tomasows Worten wie in lockende Weiten, in eine Landschaft hinein,
seltsam fremd, seltsam vertraut, in der sie sollte ausruhen dürfen an
labendem Glück, sich gehn lassen in süßer Ermattung, -- und seine Stimme
verhieß ihr fort und fort: wolle nur, und all dies ist dein --.

Sie überschritten grade den Platz, als ein erster tiefer Glockenklang mit
überwältigender Gewalt die Luft durchhallte. Unmittelbar darauf setzte
das Geläute von mehreren großen Glocken ein. Es that den Menschen kund,
daß die Feierzeit nahe, daß sie das Werkzeug niederlegen möchten und die
Seele öffnen, auf daß auch sie feiere.

Und in Mariannens Seele wiederhallte es in einer lauten Bejahung: sie
sehnte sich, zu feiern --.

Aber gleichzeitig klangen mit den Glockenklängen ganz andre Stimmungen als
zuvor in ihr an, sie kam heim von ihren ungewiß schweifenden Träumereien,
zurück in die Gegenwart ihres wirklichen Lebens, und -- wie zwei, die
sie gewaltsam hatte vergessen wollen, -- schauten ihr die Gesichter ihrer
beiden Kinder fragend daraus entgegen --.

Fragend, -- so wie heute morgen: Sophiens Gesicht dabei ein wenig
verschmitzt, voll pfiffiger Erwartung, beinahe wie sie auch als kleines
Kind ausgesehen hatte, wenn die Heimlichkeiten um Weihnachten begannen.
Citas Augen fragten nicht mehr kindlich: bringst du mir auch was Schönes
mit? Sie hatte sorgenvoll vor sich hingeblickt, -- zweifelnd fast, -- sie
war beunruhigt durch das Benehmen der Mutter. Und wenn sie jetzt erfuhr, --
Cita --

Mariannens Herz that plötzlich einen starken, harten Schlag. Sie blieb
stehn, wie atemlos: wenn Cita erfuhr -- und auch Sophie -- --, sie sah mit
einem Schlage die beiden Gesichter verwandelt, bestürzt, ungläubig --,
sie fühlte mit unwiderleglicher Deutlichkeit: dann erst entfremdeten sich
ihr die Kinder ganz --.

Alles Entfremden bisher bedeutete, dagegen gehalten, noch wenig, -- wie weh
es auch thun mochte, es mußte machtlos bleiben, solange die Mutter selbst
nur ihren Mädchen dieselbe blieb. Auch wenn sie Tausende von Meilen weit
fort von ihr gingen: sie entfernten sich weniger weit, als durch einen
einzigen Schritt, den sie selber fort von ihnen that.

»-- Die Kinder --!« sagte Marianne unwillkürlich, mitten in Tomasows
Worte hinein, und sie hob zum erstenmal den Blick zu ihm, -- ratlos,
hilfeheischend. War er doch da, ging er doch neben ihr, -- er, der immer
alles entschieden, bei allem helfend eingegriffen hatte.

Voll Zuversicht schaute sie zu ihm auf.

»Was ist denn mit den Kindern?« fragte er etwas brüsk, aus der Stimmung
gerissen; seine Augen begegneten den ihren mit eigentümlichem, flackerndem
Leuchten, »-- es handelt sich jetzt doch gar nicht um die Kinder.«

Mariannens Blick glitt rasch, betroffen von ihm ab. Wer half ihr von nun an
in allen Fragen und Kämpfen? Er nicht mehr! Er half ihr nicht mehr gegen
ihre eignen Schwächen. Bisher konnte er sich ihr so geben, wie sie ihn
brauchte, um sich als Mensch hoch und höher emporzuringen. Jetzt, ohne
alle Zurückhaltung, brauchte er sie selbst, brauchte sie ohne die Kinder.
Wie weit, -- weit standen ihm da ihre Herzenssorgen --!

Irgend etwas in Marianne, irgend ein eben erst entfachtes, eben erst
wiedererwachtes Sehnen des Weibes in ihr verschüttete sich wieder und
wollte zagend erlöschen --.

Tomasow fühlte sofort, daß er einen Fehler begangen habe.

»Alles hat seine Zeit!« sagte er schnell und bestimmt. »Auch die Kinder
haben ihre Zeit gehabt, wo Sie sich ihnen ausschließlich widmeten. Nun
ist es endlich Zeit geworden, in diesem Punkt vernünftig umzulernen.
Schließlich muß man eben wählen, ob man einander leben will und dem
Glück, oder ob man von ihrem unreifen Willen abhängen will.«

Und mit größerer Dringlichkeit als vorher sprach er auf sie ein, indessen
sie weitergingen im hallenden Glockengeläut, vorbei an den weißgoldenen
Mauern der zahllosen Kirchen und Kathedralen. Und je länger er redete,
desto mehr wurde es eine Apotheose des sorglosen Feierns und Genießens,
wozu er sie einlud. Er suchte alles hervor, was er ihr schenken könnte,
und alles ward immer wieder Genuß und Fest. Aber Mariannens Hand lag nur
ganz leicht in seinem Arm, sie stützte sich nicht mehr auf ihn, sie
sah unruhig aus, und aus ihrem Gesicht war die gläubige Zuversicht
geschwunden.

Und Tomasow überfiel plötzlich eine zornige, bittere Ungeduld wider
alles, was er da selbst zu Marianne sprach. Alle die Worte von Glück und
Freude erschienen ihm unwahr und schal. Er begriff plötzlich, daß er,
an Mariannens Seite, doch immer nach einem suchen würde, nach eben dieser
emporschauenden Zuversicht, nach eben dieser gläubigen Anlehnung an ihn,
als an einen Stärkern, Ueberlegenen, -- an den Herrn. Glück mit ihr
genießen, das konnte nur heißen: ihr im Leben selber so hoch und stark
als Mensch überlegen sein, wie er ihrs in einzelnen Stunden durch Verstand
und Rat gewesen war --.

Tomasow verstummte.

Und Marianne merkte es kaum. Wie sie so an seinem Arm hinging, schienen ihr
jetzt die Glocken über ihr mit den weithin hallenden Feierklängen nicht
mehr dieselbe Sprache zu sprechen, wie die dringliche Stimme dicht an ihrem
Ohr, -- aus einer andern Welt schienen sie zu reden, als dies halblaute
überredende Raunen von Feiertagsglück und abgeworfenen Sorgen --. Und
immer mächtiger wurden die Glockenklänge und immer verhaltener die
zuredende Stimme, und endlich vernahm sie nur noch Glocken, -- Glocken
allein -- --.

»-- Leben Sie wohl, Ma!« hörte sie unvermittelt Tomasow sagen, der stehn
blieb. »Ich habe Ihre Antwort schon, noch ehe Sie eine Antwort in Worten
gefunden haben. Und lassen Sie mich bekennen: Sie haben recht --«

»Tomasow,« fiel Marianne tief bewegt ein, »-- warum wollen Sie so -- --!
-- Sie sind immer und immer mein bester, einziger, liebster Freund --«

»-- Gewesen!« ergänzte er rasch mit einem unmerklichen Lächeln, und
dann, sich umsehend, trat er zur Seite. Es kam jemand von hinten her an
ihnen vorbei und zog grüßend den Hut.

Hugo Lanz war es, der desselben Weges ging und Marianne hocherfreut
begrüßte. Marianne mußte ihn Tomasow vorstellen.

»Ich eilte grade zu Ihnen, gnädige Frau,« bemerkte Hugo Lanz, »um Ihnen
eine für mich freudige Nachricht mitzuteilen --«

»Das trifft sich in der That gut,« meinte Tomasow etwas heiser, »daß
ich mithin die gnädige Frau in Ihrer Begleitung lassen kann. Mein Weg
führt hier leider nach andrer Richtung.«

Marianne reichte Tomasow die Hand, zögernd, fast zitternd.

»-- Aber doch auf Wiedersehen sehr bald --?« fragte sie mit nicht ganz
beherrschter Stimme.

»Gewiß, gnädige Frau: sobald sich einmal gute Bekannte bei Ihnen
versammeln, dann gestatten Sie mir vielleicht, auch dabei zu sein,«
entgegnete er mit leichter Betonung dieser Antwort, beugte sich über
ihre Hand, grüßte Hugo Lanz und entfernte sich, in die nächste Straße
einbiegend.

Marianne ging statt vorwärts wieder zurück, ohne recht zu wissen und
zu sehen, wo sie ging. Ein Angstgefühl umklammerte sie dumpf: sie konnte
nicht fassen, daß das ein Abschied für das Leben gewesen war.

Sie machte eine gewaltsame Anstrengung, um sich Hugo Lanz zuzuwenden,
dessen offnes Gesicht von Freude geleuchtet hatte, der aber jetzt ernst und
still aussah, weil er sie so seltsam ernst vor sich hin gehn sah.

Er erzählte dennoch froh: »Soeben erst hab ich die Erlaubnis ausgewirkt,
den nächsten Winter noch ganz frei zu bleiben, -- und ich werde ihn hier
zubringen. Meine Verwandten haben mich aufgefordert, bei ihnen zu wohnen.
Und schon die Aussicht, Sie und Ihre Familie besuchen zu dürfen --«

»Das freut mich innig,« bemerkte Marianne leise, »doch werden Sie im
nächsten Winter nur noch mich wiederfinden, -- nicht mehr meine Töchter.
Auch Sophie geht fort, folgt der Schwester ins Ausland.«

Hugo Lanz blickte Marianne mit aufrichtigem Schreck ins Gesicht. Die
kleine Familienscene, der er beigewohnt hatte, stand vor ihm, Mariannens
strahlendes Glück zwischen ihren Kindern, -- auch dessen, was ihm Sophie
mitgeteilt hatte, entsann er sich.

»-- Ganz allein bleiben Sie --?« entfuhr es ihm voll Mitleid und in
unwillkürlichem Unwillen.

Marianne wiederholte mechanisch: »-- Allein --,« und sie nickte bejahend.
Aber das dumpfe Angstgefühl in ihr verstärkte sich dabei, als risse es
sie mit jedem Schritt gewaltsamer hinein in etwas Endloses, Grenzenloses,
-- wie in eine leere, gähnende Unermeßlichkeit, wo ihre Kinder und der
Freund und alles, was ihr lieb gewesen war, alles Warme, alles Trostvolle,
alles Hilfreiche, weiter und immer weiter zurückwich, -- unerkenntlich
geworden schon, -- unaufhaltsam, unerreichbar -- --.

Und mit dunkelm Grauen stieg in ihrer Seele eine Erinnerung auf an
abgrundtiefe Einsamkeit, aus der sie doch nur die Hand des Freundes und
der Blick ihrer Kinder gerettet hatte, -- und sie fühlte, daß das dunkle
Grauen nahe und näher über ihrer Seele zusammenschlug, -- als würde sie
unbarmherzig dahinein gestoßen von derselben Hand, von denselben Blicken,
die sie einst rettend festhielten, -- und als fände sie diesmal nie mehr,
-- nie mehr hinaus --.

Marianne nahm nichts mehr deutlich wahr, die Dinge ringsum schienen ihr
langsam zu entschwinden, sich in sich selbst aufzutrinken, unterzugehn in
einem chaotischen Nebel. Einförmig nur und erschütternd laut hallten fort
und fort die Glocken über ihr, -- hallten um sie, -- hallten in ihr, --
begruben sie wie unter einem Mantel von dröhnenden, besinnungraubenden
Tonwellen, -- ließen alles an ihr erbeben unter der Gewalt des einen
unerbittlichen Klanges, -- drangen auf ihre zitternde Schwäche ein, wie
mit läutenden Unendlichkeiten -- --

Marianne war, einer Ohnmacht nahe, stehn geblieben und rang nach Atem.

Sie standen wieder dicht vor der Verkündigungskirche, an den Stufen, über
denen sich die Eingangspforte erhebt. Hugo Lanz hatte einen Arm um Marianne
gelegt und führte sie, sie vorsichtig stützend, hinauf bis in den
Seitengang, wo längs den Fensterchen von gewelltem Glas eine Bank stand.

Dort ließ er Marianne niedersitzen und neigte sich, neben ihr stehn
bleibend, mit besorgter Frage zu ihr.

Aber sie achtete nicht auf das, was er flüsternd fragte. Dicht vor ihr
öffnete sich das blausilberne Portal in den innern Kirchenraum, auf der
Seite, wo sie eben hereingetreten waren, blickte von der Thür ein großes
dunkles Christusbild zu ihr nieder, die Züge kaum kenntlich, ein schwarzer
Fleck, umhüllt und umkleidet von unendlichem Goldglanz. Sie starrte darauf
hin, bis sie vor Thränen nichts mehr sah. Rätsel hinter Gold --.

Aber leise und wohlthuend legte sich die Dämmerung dieser Kirchenwände
wie schützend um sie. Kaum glichen sie Wänden, bedeckt mit alten
nachgedunkelten Malereien wie reiche alte Stoffe, sich niedrig wölbend und
wellend, wie ein ungeheurer Mantel, der sich in schweren weichen Falten um
den Betenden legt, ihn sanft bergend vor der Außenwelt --.

Sie hob beide Hände vor das Gesicht und beugte sich tief vor, ohne ein
Wort zu sprechen. Schweigend verharrte sie lange so.

Hier und da kamen von draußen Menschen vorüber, meistens Leute aus dem
Volk; leise auftretend mit ihrem groben Schuhwerk, schritten sie tiefer
hinein in das Schiff der Kirche, das in feierlicher Dämmerung vor ihnen
dalag, nur an wenigen Punkten schwach erhellt von vereinzelten Wachskerzen,
die daraus hervorblinkten.

Hugo Lanz stand neben Marianne, an ihre Bank gelehnt, und blickte auf sie
nieder. Er wußte nicht, was in ihr vorgehn mochte, aber daß in dieser
Stille etwas Erschütterndes in ihrer Seele zum Austrag kam, das mußte er
wohl fühlen -- --. Und wenn er einst zu ihr gekommen war im drängenden
Verlangen, an ihrer warmen Mütterlichkeit getrost und froh zu werden wie
ein Kind, so wuchs jetzt eine Sehnsucht in ihm empor, -- groß, wie er
sie nie gekannt hatte, -- stark zu werden und kraftvoll, ein Mann, um
beschützen und behüten zu dürfen --.

Er stand da und horchte stumm auf das Geläute der Glocken, -- auf den
seltsam packenden Klang dieser russischen Glocken, die sich weigern, sich
mit ihren Klängen mitzuwiegen, und ehern feststehn, daß der Klöppel in
ihnen anschlägt wie ein weithin tönender Befehl -- --.

Da ließ Marianne die Hände von ihrem Gesicht sinken und erhob sich ganz
langsam. Hugo Lanz machte eine Bewegung zu ihr hin, aber die Andacht
in ihren Augen und in ihrer ganzen Haltung bannte ihn. Es war wie eine
unsichtbare Einsamkeit und Hoheit um sie, die er nicht zu entweihen wagte.
Und unwillkürlich trat er zur Seite.

Einen Augenblick lang stand Marianne da, sich besinnend, fast schüchtern,
mit einer sanften Neigung des Kopfes, die etwas Rührendes für ihn hatte,
etwas von unaussprechlicher Ergebung. Aber auf ihren Zügen lag ein ruhiger
Glanz, alle Angst war von ihnen gewichen.

Sie machte eine Wendung, um aus dem Portal hinauszutreten, ohne ihren
Begleiter zu bemerken. In diesen Minuten hatte sie auch ihn vergessen. Er
schaute ihr nach, und unwiderleglich kam ihm das Gefühl: -- als ginge sie
gar nicht allein -- --.

Ein paar Schritte hinter ihr trat er hinaus auf den Platz.

Unten in der Stadt, die dem Kreml zu Füßen lag, blinkten eben die ersten
Lichter auf. Schon war es nicht mehr ganz hell. Weißlicher Winternebel zog
sich in der Ferne über die Ufer des Flusses. Fest um den Kreml geschmiegt,
standen die Häuser da, rot und blau und grün an Dächern oder Mauerwerk,
und erwarteten nach des Tages Treiben das Dunkel, durch das das siegende
Gold der zahllosen Kuppeln hindurchschien wie eine ewige Leuchte, die nicht
mit dem Tage erlischt.

Ein unerhörtes Abendrot stand über Moskau. Und die Buntheit der Farben
ringsum nahm auch noch den schwächsten Abglanz davon, nahm auch den
leisesten Funken so innig auf, hielt sich ihm an der Oberfläche aller
Dinge als ein so williges Gefäß entgegen, daß es fast wirkte wie ein
Lobgesang, der emporstieg von der Erde zum erglühenden Himmel. Eine
Stimmung wie ein Ausgleich zwischen Freude und Gebet lag über dem Ganzen.
Die paar Wolken, die inmitten der Bläue des Himmels zögernd dunkelten,
zogen sich, lichtdurchschossen, langsam zu breitschimmernden Goldbändern
auseinander -- --.

Da ging ein flüchtiger Regenschauer nieder, warm und ganz kurz, wie ein
Thränensturz.

Hugo Lanz blieb stehn und schaute hinab, dorthin wo Mas feine ruhige
Gestalt im Abstieg zu den Anlagen sichtbar blieb.

Wie klein und unscheinbar verschwand sie dort zwischen den Bäumen. Und ihm
schien doch alles ringsum sie allein zu feiern und zu umstrahlen --.

Denn in ihm arbeitete sich irgend ein Bild mit mächtiger Gewalt zu
künstlerischer Klarheit hindurch, -- ein Bild, in dem er Ma vor sich sah,
-- ein Bild, in dem ihr Glück lebte und ihr Vereinsamen, und ihr Weh, und
ihr Sieg, -- ein Bild, in dem geheimnisvoll lebte, was in diesem Augenblick
in ihr selbst wohl nur in dunkeln Ahnungen rang -- --.

Und es kam ihm vor, als stünde er angesichts eines großen Schauspiels,
um deswillen man das Leben fürchten und lieben lernen mag. Und das den
Schauenden, dem es seine Heimlichkeit enthüllt, zum Kinde werden lassen
mag, und zum Manne, -- und zum Dichter.

-- Ganz benommen und wie sich selbst entrückt, blickte er hinab von der
Kremlhöhe in die Tiefe der Stadt.

So sah er Ma schweigend, still niedersteigen unter dem verhallenden
Geläute der Glocken, -- einen von oben in die Wohnungen der Menschen
entsendeten guten Geist.

[Illustration]



J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger G. m. b. H. in Stuttgart.


Die nachstehend verzeichneten Romane und Novellen sind auch elegant in
Leinwand gebunden zu beziehen.

Preis für den Einband 1 Mark.

  _Andreas-Salomé_, Lou, Ruth. Erzählung. 3. Auflage.     Geheftet M. 3.50.

  --"-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte.
          2. Aufl.                                            "    M. 2.--

  --"-- Fenitschka. Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen.     "    M. 2.50.

  --"-- Menschenkinder. Novellencyklus.                       "    M. 3.50.

  --"-- Ma. Ein Porträt.                                      "    M. 2.50.

  _Anzengruber_, Ludw., Wolken und Sunn'schein. 2. Aufl.      "    M. 3.--

  _Arminius_, Wilhelm, Der Weg zur Erkenntnis. Roman.         "    M. 3.--

  --"-- Yorks Offiziere. Historischer Roman.                  "    M. 3.50.

  _Bobertag_, Bianca, Moderne Jugend. Roman.                  "    M. 4.--

  _Bourget_, Paul, Das gelobte Land. Roman.                   "    M. 3.--

  _Boy-Ed_, Ida, Die Lampe der Psyche. Roman. 2. Aufl.        "    M. 4.--

  --"-- Um Helena. Roman.                                     "    M. 3.50.

  _Bülow_, Frieda v., Kara. Roman.                            "    M. 4.--

  _Burckhard_, Max, Simon Thums. 2. Auflage.                  "    M. 3.--

  _Busse_, Carl, Die Schüler von Polajewo. Novellen.          "    M. 2.50.

  _Ebner-Eschenbach_, Marie v., Erzählungen. 3. Aufl.         "    M. 3.--

  --"-- Božena. Erzählung. 5. Auflage.                        "    M. 3.--

  --"-- Margarete. 4. Auflage.                                "    M. 2.--

  -- Moriz v., =Hypnosis perennis=. Ein Wunder des
          heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten.        "    M. 2.--

  _Eckstein_, Ernst, Nero. Roman. 6. Auflage.                 "    M. 5.--

  _Ertl_, Emil, Mistral. Novellen.                            "    M. 3.--

  _Fulda_, L., Lebensfragmente. Zwei Novellen. 7. Auflage.    "    M. 2.--

  _Haushofer_, Max, Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman.         "    M. 3.50.

  _Heer_, J. C., An heiligen Wassern. Roman. 6. Auflage.      "    M. 3.50.

  --"-- Der König der Bernina. Roman. 9. Auflage.             "    M. 3.50.

  _Heilborn_, Ernst, Kleefeld. Roman.                         "    M. 2.--

  _Heyse_, Paul, Neue Novellen. 7. Auflage.                   "    M. 3.50.

  --"-- Marthas Briefe an Maria. 2. Auflage.                  "    M. 1.--

  _Hillern_, Wilhelmine v., 's Reis am Weg. 2. Auflage.       "    M. 1.50.

  --"-- Ein alter Streit. Roman. 3. Auflage.                  "    M. 3.--

  _Höcker_, Paul Oskar, Väterchen. Roman.                     "    M. 3.--

  _Hopfen_, H., Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte.
          3. Aufl.                                            "    M. 2.50.

  _Junghans_, Sophie, Schwertlilie. Roman. 2. Auflage.        "    M. 4.--

  _Kirchbach_, Wolfgang, Miniaturen. Fünf Novellen.           "    M. 4.--

  _Langmann_, Philipp, Verflogene Rufe. Novellen.             "    M. 2.50.

  _Lindau_, Paul, Der Zug nach d. Westen. Roman. 9. Aufl.     "    M. 4.--

  _Loti_, Pierre, Japanische Herbsteindrücke.                 "    M. 3.--

  _Mauthner_, Fritz, Hypatia. Roman. 2. Auflage.              "    M. 3.50.

  _Meyer-Förster_, Wilhelm, Eldena. Roman. 2. Auflage.        "    M. 3.--

  _Muellenbach_, E. (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen.       "    M. 3.--

  --"-- Vom heißen Stein. Roman.                              "    M. 3.--

  _Petri_, Julius, Pater peccavi! Roman.                      "    M. 3.--

  _Prel_, Karl du, Das Kreuz am Ferner. Roman. 2. Aufl.       "    M. 5.--

  _Proelß_, Johannes, Bilderstürmer! Roman. 2. Auflage.       "    M. 4.--

  _Riehl_, W. H., Aus der Ecke. Sieben Novellen. 4. Auflage.  "    M. 4.--

  --"-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl. (6. Abdruck.)            "    M. 4.--

  _Saitschick_, Robert, Aus der Tiefe. Ein Lebensbuch.        "    M. 2.--

  _Schunsui_, Tamenaga, Treu bis in den Tod. Hist. Roman.     "    M. 3.--

  _Seidel_, Heinrich, Leberecht Hühnchen. Gesamtausgabe.      "    M. 4.--

  _Stegemann_, Hermann, Stille Wasser. Roman.                 "    M. 3.--

  _Stratz_, Rudolph, Der weiße Tod. Roman. 5. Auflage.        "    M. 3.--

  --"-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 2. Auflage.           "    M. 2.50.

  --"-- Der arme Konrad. Roman. 3. Auflage.                   "    M. 3.--

  --"-- Die letzte Wahl. Roman. 3. Auflage.                   "    M. 3.50.

  --"-- Montblanc. Roman. 5. Auflage.                         "    M. 3.--

  --"-- Die ewige Burg. Roman. 3. Auflage.                    "    M. 3.--

  --"-- Die thörichte Jungfrau. Roman. 5. Auflage.            "    M. 3.50.

  _Sudermann_, Herm., Frau Sorge. Roman. 57. Auflage.         "    M. 3.50.

  --"-- Geschwister. Zwei Novellen. 22. Auflage.              "    M. 3.50.

  --"-- Der Katzensteg. Roman. 44. Auflage.                   "    M. 3.50.

  --"-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 26. Auflage.     "    M. 2.--

  --"-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 23. Auflage.           "    M. 2.--

  --"-- Es war. Roman. 30. Auflage.                           "    M. 5.--

  _Telmann_, Konrad, Trinacria. Sizilische Geschichten.       "    M. 4.--

  _Voß_, Richard, Römische Dorfgeschichten. 4. Auflage.       "    M. 3.--

  _Wereschagin_, W. W., Der Kriegskorrespondent.              "    M. 2.--

  _Widmann_, J. V., Touristennovellen.                        "    M. 4.--

  _Wilbrand_, Adolf, Fridolins heimliche Ehe. 3. Aufl.        "    M. 2.50.

  --"-- Meister Amor. Roman. 2. Auflage.                      "    M. 3.50.

  --"-- Novellen aus der Heimat. 2. Auflage.                  "    M. 3.50.

  --"-- Hermann Isinger. Roman. 5. Auflage.                   "    M. 4.--

  --"-- Der Dornenweg. Roman. 4. Auflage.                     "    M. 3.50.

  --"-- Die Osterinsel. Roman. 3. Auflage.                    "    M. 4.--

  --"-- Die Rothenburger. Roman. 5. Auflage.                  "    M. 3.--

  --"-- Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Auflage.    "    M. 3.--

  --"-- Hildegard Mahlmann. Roman. 3. Auflage.                "    M. 3.50.

  --"-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Auflage.                "    M. 3.--

  --"-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Auflage.               "    M. 3.--

  --"-- Vater Robinson. Roman. 3. Auflage.                    "    M. 3.--

  --"-- Der Sänger. Roman. 4. Auflage.                        "    M. 4.--

  --"-- Erika. Das Kind. Erzählungen. 3. Auflage.             "    M. 3.50.

  --"-- Feuerblumen. Roman. 3. Auflage.                       "    M. 3.--

  --"-- Franz. Roman. 3. Auflage.                             "    M. 3.50.

  --"-- Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Auflage.  "    M. 3.--

  _Wildenbruch_, E. v., Schwester-Seele. Roman. 11. Aufl.     "    M. 4.--

  _Worms_, Carl, Du bist mein. Zeitroman.                     "    M. 4.--

  --"-- Thoms friert. Roman.                                  "    M. 4.--

[Illustration]



[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Darstellung abweichender Schriftarten:

  _gesperrt_ : =Antiqua=

Verlagswerbung wurde vom Buchanfang an das Buchende verschoben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  Seite 23:
  "nichs" geändert in "nichts"
  (Nun, das macht nichts.)

  Seite 49:
  "leiebkosende" geändert in "liebkosende"
  (als seien es ebensoviel liebkosende Verheißungen)

  Seite 63:
  "»" eingefügt
  (»die schönsten Lieder und die schönsten Sagen)

  Seite 109:
  "auch" geändert in "nach"
  (in die Hand nehmen und nach deinem stärkeren Willen prägen)

  Seite 112:
  "«" eingefügt
  (Sie ist aber nicht krank geworden.«)

  Seite 160:
  "halbmäd henhafte" geändert in "halbmädchenhafte"
  (Dabei hatte sie irgend eine halbmädchenhafte Kopfhaltung)

  Seite 168:
  "Das" geändert in "das"
  (»Nein, -- das heißt: es wäre ja wunderschön)

  Seite 179:
  "." eingefügt
  (um alle Kraft aufzuzehren --.)

  Seite 185:
  "«" hinter "helfen?" entfernt
  (Was konnt es denn helfen?) ]





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Ma - Ein Porträt" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home